DIE BEDEUTENDSTEN KUNSTWERKE mit besonderer Riicksicht auf A. Zeehes Lehrbiicher der Oeschichte zusammen- gestellt und bildweise erlautert von Dr. ALFRED MOLLER. I. DAS ALTERTUM mit 153 Abbildungen empfohlen vom hohen k. k. Ministerium fiir Kultus und Unterricht mit Erlafi vom 7. Marž 1907, Z. 8277 II. DAS MITTELALTER BIS ZUR NEUESTEN ZE1T mit 160 Abbildungen. 2 reich illustrierte Bande. Preis jedes Bandes elegant gebunden 5 K. Die wesentliche Eigen- art der sehr gefallig aus- gestatteten beiden Bande, aus welchen hier einige kleinere Abbildungen abgedruckt wur- den, besteht darin, dafi es kaum eine Zeile ohne un- mittelbare Be- ziehung auf eine Abbil- dung enthalt. Die geschichtliche Entwicklung der Kunste wird in unausgesetztem Zusammenliang von Bild und Wort deutlich gemaclit; nirgends werden Urteile gefallt, die vom Leser nicht gleich sorgfaltig auf ihre Richtigkeit gepriift werden konnen. So wird ein gedankenlos glaubiges „Hinnehmen mtissen" von Erlauterungen und Wertbestimmungen iiberall ver- mieden, anderseits wird die Lekture des Buches durch die geringe Inanspruchnahme des Gedacht- nisses zu einer sehr anregenden. Der Verfasser LAIBACH 1908. vermittelt z. B. die Kenntnis der Entstehungszeiten der erhaltenen antiken Tempel fast durchaus durch Heranziehung innerer Momente, durch steten Vergleich, durch die lebhafte Betonung der einzelnen Bauteile bei alten und neuen Tempeln. In dieser Weise werden auch die verschiedenen Stilarten, das Entstehen der einen aus der anderen erlautert. Das pragt sich besser ein als bei gedankenlosem Memorieren der Jahreszahlen der Entstehungszeiten. Der Verfasser sucht nicht nur lose Kenntnisse, er sucht Erkenntnis zu geben. Das Buch eignet sich seiner ganzen Anlage nach in hervorragender Weise fur Schiller hoherer Lehr- anstalten und bildet einen iiberaus wertvollen Behelf beim Geschichts- studium, namentlich fiir.Lehrer und Schiller, die sich der Zeeheschen Lehrbiicher bedienen. Die Biicher sind in allen Buchhandlungen erhaltlich. IG. v. KLEINMAYR & FED. BAMBERG VERLAGSBUCHHANDLUNG. Lelirbucli der Geschichte fiir die oberen Klassen der Gvmnasien von Andreas Zeehe k, k. Gymnasial - Direktor in Villaeh. Dritter Teil: Vom Beginne des DreiHigjahrigen Krleges bis zur Gegenwart. Dritte, im wesentlichen unveranderte Auflage. Mit hohem Ministerialeriasse vom 23. Juni 1908, Zahl 26.065, zum Unterriohts- gebrauche an Gymnasien mit deutscher Unterrichtssprache allgemein zugelassen. Preis gebunden Iv SO In. 03005 ZO. Laibach 1908. I)ruck nnd Verlag von Ig. v. Kleinmayr & Fed. Bamberg. Vorwort. Dic dritte Auflage meines Lehrbuches der Neuzeit kann als eine im wesentlichen unveranderte bezeicbnet werden. Nur der Abschnitt: ..Uberblick iiber die gegenwartige politische Lage“ (S. 207 — 220) bat mit Riicksicht auf die Ereignisse der letzten Jalire einschneidendere Veranderungen erfahren und umfangreichere Zusatze erbalten. Rom, im Marž 1908. A. Zeehe. Intialt. Seite Einleitung. 1 Erster Zeitraum. Das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (1492 —1648). Er s tes Kapitel. Die Reformation. Uberblick iilier den Boginn und die Ausbreitung der Reformation . 3 Zweites Kapitel. Die Gegen- reformation. I. Die kircbliche und weltliche Gegenreformation im allge- meinen.7 II. Uberblick iiber die kircblich- politischen ZustiindeEuropas amEndedesl6. Jahrhunderts 8 III. Die Gegenreformat. in Deutsch- land und in Osterreich-Un- garn ; der Dreifiigjahr. Krieg 13 A. Die Gegenreformation unter Rudolf II. und Matthias; Fortsetzung der T iirkon- kriege.13 1. Rudolf 11.(1576-1612) 14 2. Matthias (1612 —1619) 18 B. Der DreilJigjithrige Krieg (1618-1648) .... 18 1. Der Bohmisch-pfiilzi- ' sche Krieg (1618 bis 1623). 19 2. Der Niedersiichsisch- diinische Krieg (1625 bis 1629) .... 23 3. DerSchwedische Krieg (1630—1635). ... 26 4. Der Schwedisch-fran- zdsisehe Krieg (1635 bis 1648) .... 30 5. Der Westfal, Friede (1648). 31 6. Deutschland am Ende des Dreifligjahrigen Krieges.32 Seite Zweiter Zeitraum. Das Zeitalter der absoluten Fiirsten- macht (1648—1789). Erstes Kapitel. Der kofisehe Absolu- tismus (1648-1740). I. Ludvig XIV. und die Vorherr- schaft Frankreichs . . . 36 A. Ludwig XIII. (1610-1643) 36 B. Ludvig XIV. (1643-1715) 37 1. Die Leitung des Staates durch d. Kardinal Mazarin (1643-1661) .... 37 2. Ludvigs XIV. Selbst- regierung (1661-1715) 37 a) LudwigsXIV. Kriege . 38 b) Ludwigs XIV. Regie- rung im Innern . . 41 II. Grofibritannien und Irland . . 46 A. Oliver Cromtvell und die Republik (1649—1660) . 46 B. Die Restaurationsherrschaft unter den Stuarts (1660 bis 1688). 48 C. Sieg der parlamentarischen Verfassung ; IVilhelm III. von Oranicn und Anna . 50 III. Deutschland und Osterreich; Osterreichs Heldenzeitalter ; Niedergang der Tilrkei . . 61 1. Die Kiimpfe Leopoldsmit den Ungarn und Ttirken 51 2. Der Spanische Erbfolge- krieg (1701 — 1714) . . 55 3. Karl VI.; das Erloschen d. kabsburgischen Manns- stammes.57 4. Die Begriindung d. Abso- lutismus in Brandenburg- Preufien.61 IV. Der Norden und Osten Europas; Peter I. der Grofie und die Erhebung Rufilands zur euro- paischen Grofimacht ... 63 A. RuBland vor Peter I. dom GroBen.-63 VI Seite B. Peter I. der Grofie (1689 liis 1725). 65 1. Die Begrundung d. west- europiiischen Kultur in Rufiland.66 2. Der Nordische Krieg (1700-1721) .... 68 Zweites Kapitel. Der aufgeklarte Absolutismus. I. Die Literatur der Aufkliirung 72 II. Die vvichtigsten Folgen der Aufkliirung ...... 75 III. Beutschland und Osterreich ; Friedrich 11.(1740-1786); Maria Theresia(1740-1780); Josef II. (1780-1790); Leo¬ pold II. (1790-1792) . . 78 A. Die ersten z\vei Schlesischen Kriegc (1740—1745) und der Osterreichische Elrb- folgekrieg (1741 — 1748) . 78 B. Der dritte Schlesische oder Siebenjahrige Krieg (1756 bis 1763). 81 C. Die Beziehungen z\vischen Osterreich und Preufien nacli dem Siebenjithrigen Kriege; Gebietserverbun- gen beider Staaten . . 85 D. Die Reformen Friedrichs II. 87 E. Die Reformen in Osterreich unter Maria Theresia, Josef II. und Leopold II. 89 1. Maria Theresias Re¬ formen .89 2. Josefs II. Reformen . . 92 3. Leopolds II. Reformen . 94 V. Die Reformen in Portugal, Spanien und Italien . . 95 G. Die Reformen in DSnemark und Schweden .... 96 II. Die Reformen in Rufiland . 97 1. Der Ausgang des Ilauses Romanovv (1725—1762) 97 2. Das Haus IIolstein-Got- torp (seit 1762) ... 97 a) Peter III. (1762) . . 97 b) Katharina II. (1762 bis 1796) .... 98 /. Groflbritannien und Irland . 101 1. Der Abfall der nord- amerikanischen Kolonien (1775 -1783) .... 101 2. I)ie Begrundung der eng- lischen Ilerrschaft in Ost- indien.140 Seite 3. Die Ervverbung Austra- liens durch England . 105 4. Die Zustande im Innern 106 K. Frankreich.106 Dritter Zeitraum. Das Zeitalter der franzosischen Re- volution, der konstitutionellen, na- tionalen und sozialen Bestrebungen (1789 bis zur Gegenwart). Erstes Kapitel. Die franzosiscke Revolution (1789-4815). I. Die Revolution im Innern bis zur Errichtung der Direk- torialverfassung (1789 bis 1795). 108 A. Die Ursachen der Revolution 108 B. Ludwig XVI. (1774—1792) und seine Reformversuche 110 C. DiekonstituierendeNational- versammlung(1789 —1791) 111 D. Die gesetzgebende (legisla- tive) Nationalversammlung (1791-1792). 115 E. Der Nationalkonvent (1792 bis 1795). 117 II. Die Ausbreitung der Revolution liber d. Nachbarliinder Frank- reichs bis zum Frieden von Čampo Formio (d. erste Koa.li- tionslcrieg und die Anfange Napoleon Bonapartes), 1792 bis 1797 . 121 III. Die Revolution in und aufier- halb Frankreichs von der Errichtung der Iiirektorial- verfassung bis zur Erliebung Bonapartes zum Kaiser (1795 bis 1804). 124 A. Die Direktorial-Regierung (1795 -1799). 124 B. Bonapartes bisheriger Le- bensgang und die Erobe- rung Agyptens .... 125 C. Der zweite Koalitionskrieg (1799-1802) .... 126 D. Dor Sturz des Direlctoriums, das Konsulat und die Er¬ richtung des Kaisertums (1799—1804) . . . .130 IV. Die revolutioniiron Eingriffe Napoleons I. in die staatliche Ordnung Europas bis zu soinem Sturze (1805 — 1815) 133 A. Dor dritte Koalitionskrieg (1805) .. 133 Vil Seite B. Dor vierte Koalitionskrieg (1806 u. 1807); der Sturz und die Wiedererhebung Preufiens.135 C. Napoleons Krieg mit Portugal und Spanien (1808 — 1813) 138 I). Osterreiclis Krieg mit Na¬ poleon'(1809) .... 139 E. Napoleon auf dem Hiiho- punkte seinor Macht (1810 bis 1812).144 F. Napoleons Krieg mit Rufiland (1812).145 G. Pio Befreiungskriege (der fiinfte Koalitionskrieg 1813 bis 1815).146 II. Napoleons Rtickkehr und die Herrschaft der 100 Tage (1815).150 I. Pio Beseitigung der revo- lutioniiren Einrichtungen auf dem Wiener Kongresse (1814 und 1815) . . .152 Zweites Kapitel. Die Zeit der Ver- fassungskampfe im westlichen Europa (1815-1850). I. Peutschland, Osterreicli und Preufien (1815 — 1848) . . 156 II. Frankreich (1815 — 1852) . . 159 A. Pie Restaurationsherrschaft unter den Bourbonen (1815 bis 1830). 159 B. Ludvig Philipp von Orldans (das Julikonigtum 1830 bis 1848). 162 C. Pio Februarrevolution u. die Begriindung des zweiton Kaiserreickes (1848-1852) 163 III. Italicn, Spanien und Portugal 164 IV. Grofibritannien und Irland . . 167 V. Por Osten (Rufiland und die Tttrkei).170 A. Rufiland unter Nikolaus I. (1825 — 1855) .... 170 B. Per Frciheitskampf der Griechen (1822 — 1829) . 171 C. Pie Intervention zugunsten d. Sultans (1840); Agyptens Eroberungen im Sudan . 173 VI. Pie Ein\virkungen der Februar¬ revolution auf das iibrige Europa.174 Seite A. Pier Rovolution in Peutsch¬ land ....... 174 B. DieRevolution inOsterreich 177 C. Pie Revolution in Italien 182 Drittes Kapitel. Die Zeit des Vor- herrschens der nationalen Bestrebungen; die Einignng Italiens und Deutsclilands; der wirtschaftliclie Aufschwung und die soziale Prage. I. Pas Ubergevicht Frankreichs unter Napoleon III. . . 184 II. Der Kampf um die Vorhcrr- sebaft in Peutschland und die Einignng der deutschen Staaten (1863 — 1870) . . 190 A. Preufien nach dem Regie- rungsantritte IVilhelms I. 190 B. Pie schleswig-holsteinische Frage und der Peutsch- danische Krieg. . . 192 C. Per Kampf z\vischen Oster- reich und Preufien um die Vorherrschaft in I ieutseb- land und der Osterr.-ital. Krieg (1866) .... 193 D. Por Deutsch-franzosiscbe Krieg und die Einignng Deutscbl. (1870-1871) 198 III. Osterreichs Neugestaltung un¬ ter d. Einflusse d. liberalen und nationalen Stromungen 202 IV. Per Osten (Rufiland und die Tiirkei).205 V. Uberblick iiber die gegen- tvartige politische Lage . 207 VI. Der wirtschaftl. Aufschwung, die Sozialdoinokratie und die Sozialreform.220 A. Per wirtschaftlicke Auf- schwung.220 B. Pie Sozialdemokratie und die Sozialreform . . . 223 VII. Pio Literatur und Kunst im 19. Jahrhundert, haupt- siichlich in Peutschland . 228 A. Pie Literatur.228 B. Die Kunst.231 VIII. Schlufibemerkung .... 234 Lage cler wenigcr bekannten Orte und Stammtafeln. ■ ' ■ Eanleitting. Die Geschichte der Reuzeit umfaBt die Ereignisse von der Entdeckung Amerikas (1492) bis zur Gegemvart. Sie zerfallt in drei grobe Abschnitte; diese sind: 1. ) Die Zeit der Reformation und Gegenreformation (1492 1492-1648 bis 1648). Es ist die Zeit der Entdeekungsfahrten, des Entstehens der habsburgischen Vorherrschaft, der Kirchenspaltung nnd der iiberwiegend von konfessionellen Gesichtspunkten geleiteten Politik. 2. ) Die Zeit der Ausbildung der absoluten Eiirstenmacbt (1648 1648-1789 bis 1789). In diesen Zeitraum fallt das tJbergewicbt Frankreichs, bis im Gegensatze dazu ein Svstem des Gleicbgewicbtes der euro- paiscben Staaten zustande kommt. Die konfessionellen Gesichte- punkte der Politik weicben den weltlieh-staatlicben Interessen. 3. ) Die Zeit der franzosischen Revolution, der konstitutio- nellen, nationalen und sozialen Bestrebungen (1789 bis zur Gegen- Seit 1789 wart). Allmalilicher Sturz der absoluten Fiirstenmacbt und Ein- fiibrung konstitutioneller Verfassungsformen, Einigung Italiens und Deutscblands, grobartige Ausbildung des Ilandels und der Industrie, Emporstreben des vierten (Arbeiter-) Standes. In der Reuzeit erweitert sicb der gescbichtliche Scbauplatz iiber Amerika, das Christentum wird wahrliaft zur Weltreligion, der bislierige Kiistenhandel zum Weltbandel. Mit der zunelnnenden Ausbildung der einheimisclien Sprachen \vird die lateinische mehr und mehr auf das Gebiet der Theologie und der Kirche einge- schrankt. 1 1 In Deutsehland sehrieben im 18. Jahrhundert die Gelelirten nar mehr teil- weise in lateinischer Sprache; die hervorragendsten Juristen (Moser, Piitter) sehrieben bereits seit der Mitte des Jahrhunderts in deutscher Sprache. Zeehe, Geschichte der Neuzeit III. 1 ZErster Zeitra/u.m.. Das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (1492 Ms 1648). Erstes Kapitel. Die Reformation. Uberblick liber den Begin« und die Ansbreitung der Reformation. Die wichtigsten Volker Europas am Anfange der Neuzeit waren die Italiener, Portugiesen, Spanier und Deutsclien. Die Italiener sind die Viiter des Iiumanisnrus nnd der Renaissance. Durch den ersteren wurde ein riclitiger Einblick in das Gesamtleben der beiden klassischen Volker des Altertums gewonnen, der Autori- tatsglaube erschiittert und der Geist der Kritik begriindet; iiber- dies ward der Humanismus, namentlicb in Deutschland, ein neues Bildungsmittel, was um so \vicbtiger wurde, als die mittelalterliche Scholastik iliren Plohepunkt langst iiberschritten hatte. Die Re- naissance schuf, teilweise unter dem Einflusse der antiken Vor- bilder, die hocliste Bliite der christlichen Kunst, die im Gegensatze zum Mittelalter einen iiberwiegend weltlichen Charakter an sicli trug, wie auch infolge des Humanisnius die geistige Eiihrung des Volkes vom Klerus auf die weltlichen Gelehrten iiberging. Die Portugiesen und Spanier waren am Beginne der Keuzeit die kiilmen Seefakrei*. Die Portugiesen entdeckten unter Bartholo- maus Diaz das Kap der Guten Ploffnung (1486) und unter Vasco da Gama den Seeweg nach Ostindien (1498) ; die Spanier fuhren im Gegensatze zu ihnen nach Westen und landeten unter der Eiili- rung des tatkraftigen Genuesen Kolumbus in Amerika (1492). Es war das IPeldenzeitalter der beiden Volker, die im Anschlusse an diese Untemehmungen den Hohepunkt ihrer politischen und volks- wirtscl laftlichen Bedeutung erstiegen, wahrend die Seestaaten am 1 * 4 Erster Zeitraum. Mittelmeere, wie z. B. Venedig, allmahlick herabsanken, zumal da das Vordringen der Ttirken iliren Idandel mehr und melir einengte. Die gefahrvollen Taten zu Wasser und zu Lande stalil ten den Cha- rakter der beteiligten Personen, der Anblick der neu erscblossenen Bander mit iliren abweichenden Erscheinungen im Menschen-, Tier- und Pflanzenleben enveiterte den geistigen Horizont der Europaer, wie es gleichzeitig in anderer Weise durch das Studium der antiken Scbriftsteller geschah, die riesige Ausbeute von Gold und Silber in Amerika steigerte wesentlich den Preis der Waren, worunter namentlich die armeren Schichten der Bevolkerung litten, die Ein- fuhr der Kol on i al w aren rief allmalilicli eine vollige Veranderung in der Lebensweise der Abendlander hervor. Wabrend die Geistes- und Ideldentaten der Italiener ; Portu- giesen und Spanier trotz ilires weltliclien Gharakters doch keinen Kampf mit der berrschenden Kirche herbeifuhrten, erfolgte dieser durcb den Ausbrucb der Peformation in Deutschlcmd, die sich an den Kamen des Dr. Martin Luther kniipft (1517). Obwolil das Oberhaupt des Reiches Karl V. (1519 — 1556) als entscbiedener Anhanger der mittelalterlichen Kaiseridee der neuen Lehre kraftig entgegentrat und sie zuletzt im Schmalkaldischen Kriege auch mit Waffengewalt bekiimpfte (1546 — 1547), griff sie doch in Deutsch- land selbst und auch bei den anderen germanischen Volkern rasch um sich. Begiinstigt wurde die schnelle Ausbreitung des Luthertums in Deutsehland durch religios-kirchliche, politische, nationale und kultu relle Griinde. Diese waren im wesentlichen: 1.) Die Erinne- rung an die Reformbewegung des 15. Jahrhunderts war noch nicht erloschen und es.gab noch immer Bbelstande in der Kirche. 2.) Die vielen Kriege, die Karl V. besonders mit Franz I. von Erankreich fiilirte, machten es ihm unmoglich, alle seine Krafte der Unter- driickung der neuen Lehre zu Vi d men, flir deren Ausbreitung auch die Zersplitterung Deutschlands giinstig war. 3.) tlber die vielen Geldabgaben, die nach Rom flossen, waren namentlich die Reichs- fiirsten univillig, denen iiberdies im Falle des "tj bertrittes zu Luther die Einziehung der reichen Kirchengiiter ivinkte, walirend die Ab- neigung gegen die Geistlichkeit in den Schriften der Humanisten und der volkstiimlichen Literatur zum Ausdrucke kam. 4.) Durch die Buchdruekerkunst und die Yerwendung der deutschen Sprache ivaren die Reformatoren und ihre Anhanger in der Lage, ilire Ge- danken in den weitesten Kreisen des Volkes zu verbreiten. Die Reformation. 5 Luther machte die Lehre von der Rechtfertigung zum Angel- punkte der Reformation; er beabsichtigte aber nicht, eine neue Kirche zu griinden, sondern nur die vorhandene zu verbessern. Aber mit der fortschreitenden Ausbildung seiner Lehre erweiterte sich die Kluft zwischen der katholisclien und der evangelischen Kirche, und zwar nicht nur hinsichtlich der Lehre, sondern auch der Ver- fassung. Urspriinglich ging Luther vom Grundsatze des Gemeinde- kirchentums aus; je mehr aber in Deutschland revolutionare Stro- mungen (die Wiedertaufer, die Erhebung des Ritterstandesi, der Bauernkrieg) um sich griffen, desto mehr wendete er sich infolge seiner konservativen Anschauungen von jenem Grundsatze ab und trat fiir das LandesJcirchentum ein. 1 Danach erhielten die oberste Leitung der einzelnen protestantischen Landeskirchen die Fiir sten, so dah an Stelle der allgemeinen und einlieitlichen Kirche des Mittel- alters die territorialen Kirchen traten; denn die Fiirsten setzten das Konsistorium ein, das aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern bestand und die Oberbeliorde der Superintendenten und Pfarrer bildete. Ebenso schrankte Luther aus demselben Grunde die freie Bibelforschung ein und verlangte nunmehr das Festhalten an einer Reihe von Glaubenssatzen, wie er sie in seinem Katechismus zu- sammenstellte. Das Kurfiirstentum Sachsen, in dem Luther lebte und lehrte, erhielt zuerst in seinem Sinne landeskirchliclie Ein- richtungen und wurde spaterliin das Hauptland der protestantischen Orthodoxie. Fiir die Sicherung und Ausbreitung der lutlierischen Lehre in Deutschland war die Zeit vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Eingreifen der Jesuiten in die deutschen Kirchenangelegenheiten (1555 — 1572) von der allergroBten Bedeutung. Denn damals lag der Katholizismus im Reiche fast ohnmachtig danieder; docli waren. die lutlierischen Fiirsten zu seiner kriiftigen Bekampfung nicht geneigt und lelmten die Mahnungen der kalvinischen Kurfiirsten von der Pfalz ab, ude auch die lutherische Geistlichkeit im unduld- sainen Sinne der Zeit von einem Anschlusse an den Kalvinismus nidhts wissen wollte und iiberdies nach dem Tode Melanchthons (1560) ihre Krafte in tlieologischen Streitigkeiten zersplitterte. Viel kraftiger und entschlossener als das Luthertum stellte sich von Anfang an der Kalvinismus der weltlichen Obrigkeit gegen- 1 tlbrigens hatten sich schon im spatercn Mittelalter die Fiirsten bestrebt, Iioheitsrechte iiber die Kirche zu erringen. 6 Erster Zeitraum. iiber, wofiir der Geist und die Kirchenverfassung dieses Bekennt- nisses entscheidend waren. Den Kalvinismus, fiir den die Lehre von der Vorherbestimmung (Pradestination) kennzeichnend ist, beberrscht ein finsterer und fanatischer Geist. Im Sinne des Alten Testamentes faBte Kalvin Gott als den strengen nnd eiferndenllerrn auf, dessen Reich z;i begriinden und zu sichern er berufen sei; er fiihrte ferner den Grundsatz der freien Kirchengemeinde ein, die er in Genf selbst, wo er die unbeschrankte kirchliche und \veltliche Gewalt bekleidete, durch eine Art demokratisclier Tbeokratie be- . herrschte. Von diesem Geiste beseelt, scliritten seine Anhanger zur scharfsten Bekampfung des Katholizismus und aucb der Monarchie, wenn sie sicli ihren kirchlichen Porderungen nicht fiigen wollte; daher ist der Kalvinismus in allen Landern, in denen er zu groBerer Bedeutung oder zur Herrscbaft gelangte, mit Religionskampfen und politischen Umwalzungen verbunden ge\vesen. So folgten seinem Eindringen in Frankreich die greuelvollen Ilugenottenkriege (1562 bis 1598), denen das Edikt von Kantes durch Gewahrung der Reli- gionsfreiheit und Zuerkennung politischer Rechte an die Ilugenotten ein Ende machte (1598). In den Niederlanden, wo der Kalvinismus, wie in Erankreich, die Anfange des Luthertums verdriingte, starkte er die Bevolkerung im Kampfe gegen Spanien und trug nach achtzig- jahrigem Ringen (1568—1648) zur Befreiung des Landes vom ver- habten spanischen Joche bei. In Schottland erhoben sich die kal- vinische Geistlichkeit und der rolie Adel im Bunde gegen die katlio- lische Maria Stiiart, bekampften sie in offener Eeldschlacht und veranlaJBten sie zur Fluclit nach England, wo sie nach langer Kerker- liaft den Tod fand (1587). In England gelangte die kalvinische Lehre unter der Konigin Elisabeth (1558 —1603) zum Siege, spaltete sich aber nach der Verschiedenheit der Verfassung in die Formen der Episkopal- und der puritanischen oder presbyteriani- schen Kirche. Die erstere behielt die bischofliche Verwaltung imd einige Ahnlichkeiten im Gottesdienste mit der katholischen Kirche bei, die letztere erkannte auBer dem Ortskirchenrate (Presbjterium) nur die Provinzial- und die Generalsynode als kirchliche Ober- behorden an. Koch weiter gingen die Independenten, die fiir jede kirchliche Gemeinde unbeschrankte Selbstiindigkeit verlangten. Den Kampf gegen Karl I., der die Rechte des Parlamentes miBachtete, fiihrten zuerst die Presbyterianer und spatter die Independenten; er endete mit der Hinrichtung des Konigs und der Errichtung der Republik (1649). -- Die Gegenreformation. 7 Eweites Kapitel. Die Gegenreformation. I. Die kirchliche und weltliclie Gegenreformation im allgemeinen. Durch den Augsburger Religionsfrieden ordneten die deutschen Fiirsten selbstandig, ohne Riicksicht auf den Papst oder ein ali- gemeines Konzil zn nehmen, die religios-kirchlichenAngelegenheiten des Reiches; ebenso erliefi Heinricb IY. von Frankreich das Edikt von Nantes ohne Zuziehung des Oberhauptes der katholischen Kirche. Aber in der zweiten Halfte des 16. Jalirliunderts stieg wieder das papstliche Ansehen bedentend durch die kirchliche nnd weltliche Gegenreformation. Der ersteren dienten der Eifer, mit der sich eine Reihe von Pdpsten etwa seit 1540 der kirchlichen Reform annalnn, die Einfiihrung der Inquisitio,n in Italien (1542), die Tatigkeit des Trientiner Konzils (1545—1563) und ganz besonders der Jesuitenorden, der vom Spanier Ignatius von Loyola gegriindet und vom Papste Paul III. bestatigt wurde (1540). Im Einver- nehmen mit der kirchlichen ging die weltliche Gegenreformation vor, an deren Spitze im westlichen Europa Philipp. II. von Spanien stand (1556—1598). Ihrer gemeinsamen Tatigkeit gelang die Unterdriickung der unbedeutenden reformatorischen Regungen in Italien und in Spanien; dagegen widmete Philipp II. vergebens die finanziellen und militarischen Krafte Spaniens der Vernichtung des Kalvinismus in den nordlichen Niederlanden, in Frankreich und in England, rettete jedoch den Katholizismus in den siidlichen Nieder- landen, die seit dem Abschlusse der Utrechter Union (1579) ihre Sache von der der nordlichen trenuten und Spanien treu blieben. Das Ergebnis der Glaubenskampfe war, dah die westlichen Roman en, zunaclist mit teilweiser Ausnahme der Franzosen, die Iren und Polen katholiscli, die Germanen, mit teilweiser Ausnahme der Deutschen, protestantisch blieben, \vahrend der griecliisck-nicht- unierte Osten von der Reformation nicht beriihrt \vurde. Erster Zeitraum. II. Uberblick liber (lie kirchlich-politischen Z usta n de Europas am Ende des 16. Jahrhunderts. 1. Portugal. jSTacli dem Erloschen des Mannsstammes des konig- lichen Hauses lieB Philipp II. von Spanien, der in iveiblicher Linie mit dem ausgestorbenen Kbnigshause verwandt war, das Land dureli den Herzog von Alba besetzen (1580). Das kleine Portugal, das dureli die iiberseeischen Unternehmungen viele Bewohner verloren hatte, war auf die Dauer niclit imstande, eine GroBmachtstellung einzunehmen; die Verbindung mit Spanien trug zum weiteren Ver- falle Portugals bei, da numnehr die Ilollander die Koloni alwaren niclit rnelir aus Lissabon, sondern aus Indien selbst bezogen und den Portugiesen einen Teil ihrer Kolonien, wie die Sunda-Inseln und die Molukken, entrissen, wahrend ibnen die Kolonien in Afrika und Amerika verblieben. Eine nennenswerte politische Rolle liat das streng katlioliscbe Land niclit mehr gespielt. 2. Spanien. Obwolil dureli die Vermahlung Ferdinands von Aragonien mit Isabella von Ivastilien die beiden bislier getrennten Konigreicke miteinander verbunden \vurden, dauerte docli der Gegensatz zwischen den Bewohnern der beiden Landergruppen fort, ja er ist aucli heutzutage nocli niclit iibermmden. Die spanisclien Kebenlander waren in Europa Mailand, JSTeapel, Sizilien, Sardinien, die ISTiederlande und die Franche-Conite, in Afrika einige Besitzun- gen an der bTordkuste, von denen jetzt nocli die Presidios zu Spanien gehoren, endlich die ungeheuren Koloniallander in Amerika. Trotz seiner riesigen Grobe ivar das Keicli von der militarisclien, politi- schen und fmanziellen Hobe, die es unter Karl I., dem ersten Ilabsburger, der tatsaclilich Konig von Spanien war, tief herab- gesunken. Der Hauptgrund liiefiir war, daB die Kriifte Spaniens zur Durclifiilirung der verscliiedenen Aufgaben, die Philipp II. im Auge hatte, niclit ausreichten. Er konnte niclit gleichzeitig das Christen- tum und den Ilandel im Mittelmeer gegen die Tiirken schiitzen, seine Kebenlander gegen Frankreich verteidigen, seine kirchliche Politik in den JSTiederlanden, Frankreich und England durchfiiliren, den Abfall der ersteren verhindern, die deutsche Linie der Ilabs¬ burger unterstiitzen und noch dazu die Herrschaft zur See aufrecht erhalten. Zudem liebten die Spanier Handel und Gewerbe niclit, wahrend der Ackerbau infolge der Entwicklung der GroBgrund- und Dic kirehlich-politischen Zustiinde Europas. 9 der Weidewirtschaft zuriickging. In dem durch und durch katlioli- schen Lande waren die Inquisition und die Autodafes sogar volks- tiimlich. 3. Frankreich. Ileinricli II. besetzte infolge eines Vertrages mit Moritz von Sachsen Metz, Toul und Verdun und gewann iiber- dies Calais, das Maria von England anlaBlich ihrer Teilnahme an einem Kriege Philipps II. mit Frankreich verlor. Als im Jalire 1589 das Ilaus Valois, das seit dem Jalire 1328 regierte, erloscli, folgte mit Ileinrich IV. (1589—1610) das Haus Bourbon. Diesem Konige gelang es, durch eine umsichtige und sparsame Politik die Wunden zu heilen, welche die Hugenottenkriege dem Staate geschlagen hatten. Frankreich besafi damals noch nicht Artois, die Freigraf- schaft, Savojen und Roussillon; es war daher in erster Linie der Gegner Spaniens. Fin verhaltnismaBig kleiner Teil der Bewohner bekannte sich zum Ilalvinismus. 4. England. Ilier regierte seit dem Jalire 1485 das HausTudor, dem aucli die Konigin Elisabeth angehorte. Unter ikr wurde end- giiltig die kirchliche Ordnung in England geregelt und durch den Sieg iiber die GroJBe Armada Philipps II. (1588) der Grund zur englischen Seemachtstellung gelegt. Mit England war auch Irland verbunden. Mach Elisabeths Tode folgte Jakob von Schottland aus dem Ilause Stuart auch in England; er ist der erste Ilonig von Grofibritannien und Irland. Er und sein Sohn Karl I. vermochten die politische Bedeutung Englands nicht aufrecht zu erhalten. Ob- wohl das Inselkonigreich vollkommen abgeschlossen war und nacli dem Verluste von Calais keine festlandischen Besitzungen melir hatte, geriet es doch aus Riicksicht auf seinen Ilandel und seine Kolonien haufig in Kampfe mit den Staaten des Festlandes. 5. Danemark, Schweden und Norwegen. Infolge des Stock- holmer Blutbades (1520) trat Schweden, das im 13. Jahrliundert Finnland erobert hatte, aus der Kalmarischen Union aus und wurde Gustav Wasa vom Ileichstage zum Konige des Landes gewalilt (1523). Seine JSTachkommen behaupteten sicli im Besitze der Krone. Danemark und Korwegen blieben auch ferner unter den Unions- konigen aus dem Ilause Oldenburg miteinander verbunden; auBer- dem gehdrten Schleswig-IIolstein, das siidliehe Schweden und Island zu diesem Reiche. Durch die Einfiihrung der Reformation unter dem klugen und umsichtigen Gustav I. Wasa erstarkte die konigliche Geivalt in Selnveden bedeutend, wahrend sie in Danemark sank, da 10 Erster Zeitraum. hier der Adel einen groBen Teil der Kirchengiiter an sich riJ3 und viele Vorrechte erwarb. Die natiirlichen Gegner Danemarks waren das Deutsche Reich und Schweden; hei dem Wettbewerbe um die Herrschaft iiber die Ostsee gewann das innerlich gekraftigte Schweden das tTbergewicht iiber Danemark. 6. Die Niederlande. lnfolge der Thronentsagung Karls Y. kamen die Niederlande samt der Eranclie-Comte an seinen Sohn Philipp II. Nur der siidliche Teil der Niederlande, der von einer katholisch-romanischen Bevolkerung betvohnt war, blieb Spanien treu; die sieben nordlichen, kalvinisch-germanischen Liinder, an GroBe ungefahr dem jetzigen Konigreiche Ilolland gleich, erhoben sich gegen den kirchlichen und staatlichen Druck Spaniens und gewannen gegen Ende des 16. Jahrhunderts tatsaclilicli die Unab- hangigkeit. Die freien Niederlande waren in der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts die groBte ITandelsmacht Europas, tibertrafen alle Liinder an Wohlstand und zeichneten sich auf geistigem Gebiete ganz besonders durch die Pllege der Malerei aus. Freilich konnte das Land, dessen Bewohner eigensinnig an den alten Einrichtungen festliielten, auf die Dauer die wirtschaftliche GroBmachtstellung nicht aufrecht erlialten. Am Anfange des 17. Jahrhunderts bildeten sich die nach ihren Eiihrern benannten kirchlichen Parteien der Arminianer und Gomaristen, von denen die erster en eine mildere, die letzteren dagegen. die schroffste Auslegung der Pradestinations- lehre kennzeichnet. Auf der Sjnode zu Dordrecht wurde die Lehre der Arminianer verurteilt (1619). Bbrigens horte in Ilolland bald jeder Glaubenszwang auf und so wurde es dasjenige Laird, in dem zuerst unbeschrankte religiose Duldung herrschte. 7. Das Deutsche Reich und Osterreich-Ungarn. Deutschland war zwar ein M^ahlreichj doch behaupteten die Habsburger seit Albrecht II. (f 1439) Tinunterbrochen die Kaiserwiirde. Sie waren die Landesherren in den Alpenlandern Osterreich ob und unter der Enns, in Steiermark, Karnten, Krain, im kleineren Teile von Istrien, in Gorz, Tirol und in den Vorlanden, die zusammen den osterreichischen Kreis, sowie in den Niederlanden und in der Erei- grafschaft, die den burgundischen Kreis bildeten. Nach den Habs- burgern waren die einlluBreichsten Eurstengeschlechter des Deut- schen Keiches die Wittelsbacher in Bayern und in der Pfalz, die Wettiner im Kurfiirstcntume und im Ilerzogtume Sachsen, die Hohenzollern in Brandenburg. lnfolge der Schlacht bei JVIohacs Die kirehlich-politischen Zustiinde Europas. 11 (1526) gewannen die Habsburger die Bander der bolimischen Krone (Bohmen, Mahren, Schlesien und die beiden Lausitzen) sowie das westliche und nordliche Ungarn, wahrend der mittlere Teil Ungarns ein tiirkiscbes Pascbalik wurde und der Osten mit Siebenbiirgen ein eigenes Fiirstentum bildete (1547). Zur Zeit Maximilians II. (1564—1576) erreichte der Protestantismus in den liabsburgiscben Landern seinen Ilbhepnnkt; auch in Ungarn war die Melirzahl der Bewohner evangeliscli geworden. 8. Die Schweiz. Das Land der Eidgenossen war seit dem Ba- seler Prieden (1499) tatsachlich vom Deutschen Reiche unabhangig. Wenige Jaliredarauf betrug dieZahl der vollberechtigtenKantonel3 ; auBerdem gab es noch „zugewandte“ Orte, wie Graubiinden, und Untertanengebiete, z. B. der Thurgau. So blieb es bis zum Jahre 1798. Die Schweiz wurde erst im Westfalischen Prieden als unab- hangiger Staat anerkannt (1648). In der Zeit der Reformation kam es zu so heftigen Streitigkeiten zwisehen den katholischen und refor- mierten Kantonen, daB eine Zeitlang der Zerfall der Eidgenossen- schaft 'wahrscheinlich war; gegen Ende des 16. Jahrhunderts betrieb der h. Karl Borromaus, Erzbischof von Mailand ; die Gegenrefor- niation in der Schweiz mit grobem Eifer. 9. Italien. Kach dem Deutschen Reiche war damals Italien das am meisten zersplitterte Land des Erdteiles. Die wichtigsten Staats- •wosen daselbst waren, und zwar: a) In Oberitalien: die Herzogtiimer Savoyen mit der Grafschaft Piemont (unter dem Ilause Savoyen), Mailand (seit 1556 spanisch), Mantua (unter den Gonzaga), Mo- dena (unter den Este) und Parma (unter den Parnese), ferner die beiden Kepubliken Genua und Venedig. Walirend mit dem ersteren nur Korsika verbunden war, gehorten zu dem letzteren Oberitalien bis an den Comersee (terra firma), der groBere Teil Istriens und Dalmatiens, die Tonischen Inseln, Kandia und Cypern; das let.ztere verlor jedocli die Iiepublik im Jahre der Schlacht bei Lepanto (1571) an die Tiirkei; b) in Mittelitalien: Toskana unter den Medici, das der Papst im Jahre 1569 zum GroBherzogtum erhob, und der Kirclienstaat; c) in Unteritalien: das Konigreich Keapel, das mit Španien verbunden -war. 10. Polen. Infolge der Verbindung Litauens mit Polen unter den Jagellonen (1386) und der Enverbung WestpreuBens sowie Ermelands durch den Frieden von Thorn (1466) auf Kosten des Deutschen Ritterordens war Polen der machtigste Staat im ostlichen 12 Erster Zeitraum. Europa; auch liatte es seit dem Tliorner Frieden die Lehenshoheit iiber OstpreuBen und besaB seit dem Jahre 1561 Livland. Im Ver- haltnisse zu Polen wurde dadurch nichts geandert, daJB der IIocli- meister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg-Ansbach aus dem IPause der Hohenzollem OstpreuBen in ein weltliches ILeizogtum venvandelte (1525). In Polen batte friihzeitig der Pro- testantismus Eingang gefunden, doch wurde das Land namentlicli durch die Tatigkeit des Kardinals Ilosius und des Jesuitenordens zum Aveitaus groBten Teile dem Katholizismus zuriickgewonnen. 11. Das Gebiet (les Schwertordens. Infolge der Sakularisation PreuBens \vurde die Verbindung des Schvvertordens mit dem Deut- schen Ritterorden, die in der ersten Halfte des 13. Jalirliunderts erfolgt war (II. 123), aufgelost. Um die Zeit des Augsburger Friedens gelangte die Lehre Luthers auch im Gebiete des Schwert- ordens zur Anerkennung; dieses umfaBte Livland, Estland und Kur- land und stand seit Kaiser Friedrich II. im Lehensverbande mit Deutschland. Gleiclnvohl kiimmerte sich das Reich um das Schicksal dieser Lander nicht, als sie zur Zeit des Ordensmeisters Ketteler von RuBland angegriffen und verwiistet wurden. Ketteler legte deshalb seine Wiirde nieder, iiberlieB Livland an Polen und wprde von diesem mit dem Ilerzogtume Kurland belehnt, wahrend sicli Est¬ land den Sclnveden untenvarf (1561). 12. RuBland. Dieses Reich wurde im 16. Jahrhundert' von der EinfluBnahme auf die west- und mitteleuropiiischen Verhaltnisse durch Polen, Sclnveden und die Tiirkei ferne gehalten; alle drei Staaten sind. spaterhin durch RuBland gedemiitigt worden. 13. Die Tiirkei. Kach der Eroberung Granadas durch Ferdi¬ nand den Katholischen (1492) war die Tiirkei das einzige moham- medanische Reich in Europa. Es gewann unter dem Sultan Sulei- man II. (f 1566) seine groBte Ausdehnung; denn es umfaBte damals Vorderasien bis zum Hochlande von Iran und dem Persischen Meer- busen, Agypten und den ganzen Kordrand Afrikas auBer Marokko, ferner die ganze Balkanlialbinsel mit Ausnahme einiger Gebiete an der IVestseite und Montenegros, endlich das mittlere Ungarn. AuBer- dem unterstanden der Schutzhoheit des Sultans die Fiirstentiimer Siebenbiirgen, Moldau und Walachei. Doch wurde die Uberlegenlieit der Pforte zur See durch den Sieg der venetianisch-spanischen Flotte bei Lepanto, der groBten Seeschlacht der neueren Zeit und einer der beriihmtesten Waffentaten der Romanen, gebrochen, walirend zu Rudolf II. 13 Lande die deutscli-bsterreicliiscke Linie der Habsburger das Abend- land in oft erneuerten Kampfen gegen den Halbmond scliiitzte. AufSerdem waren nocli die Polen und Eussen die natiirlichen Feinde der Tiirkei. Die Gescliicbte Europas im 16. Jahrhundert ist auher durcli den Kampf zwiselien den Katholiken und den Protestanten besonders durch den Widerstreit zwischen der landesfiirstlichen und standi- sclien Macbt im Innern, den Gegensatz der Hauser Habsburg und Valois-Bourbon sowie durcli die Kriege der Habsburger mit den Tiirken nacb auBen liin gekennzeichnet. Die Stande 'vvehrten sicli gegen ilire Landesfiirsten, die, auf den Gedanken der Staatsallmaclit des romischen Rechtes gestiitzt, die Steigerung ihrer Gewalt sowie eine einheitliche Gesetzgebung und Yerwaltung anstrebten; die Feindsckaft der Habsburger und der franzosiscken Konige war eine Folge der Erwerbung der Kiederlande und Spaniens durcb Maxi- milian I. und Karl V.; die Abwehr der Tiirken fiel sclion deslialb in erster Linie den deutscben Kaisern zu, weil sie ikre Grenznaclibarn waren. Die Vorherrschaft der Habsburger, die der ersten Halfte des 16. Jalirhunderts das politische Gepriige gibt, ist seit der Spal- tung des Hauses in die spanische und die deutscli-bsterreicliisclie Linie gebrocben (1556). III. Die Gegenreformation in Deutscliland umi in OsteiTeich-Ungarn; der Dreifiigjiilirige Krieg. 1 A. Die Gegenreformation unter Rudolf II. und Matthias; Fortsetzung der Tiirkenkriege. Wahrend um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Saelie des Katholizismus fast aussiclitslos gewesen war, raffte er sicli seit den siebziger Jahren in ganz Deutschland zum Kampf e gegen den Pro- testantismus auf; das war hauptsachlich das Werk der Jesuiten, die im sudostlichen und im nordivestliclien Deutschland der katlio- lisehen Kirche dauernd den Sieg verschafften. Sie fanden einen 1 M. Ritter, Deutsche Gesehichte Im Zeitaltcr der Gegenreformation und des DreiBigjahrigen Krieges (in Zwiedineck-Sildenhorsts Bibliothek deutscher Gesehichte), der dritte Band im Erseheinen begriffen, Stuttgart 1894 ff. —■ /1. Gindelj/, Gesehichte des DreiBigjahrigen Krieges, 4 Bde., Prag 1869—80 (nur bis 1023). 14 Erster Zeitraum. starken Riickhalt an den geistlichen Kurfiirsten, den Herzogen von Bayern und den Habsburgern. Die letzteren nannte Sixtus V. am Ende des 16. Jahrhunderts die festeste Sdule des Ghristentums; sie verletzten bei ihrem Vorgehen gegen die Protestanten in keiner Weise den Augsburger Religionsfrieden, wahrend jene gegen den kirchlichen Vorbelialt in der Einziebung von Kirchengiitern fort- fuhren. AuBerdem forderten die Gegensatze und Streitigkeiten unter den Protestanten die Tatigkeit des Jesuitenordens. 1576-1612. 1. Rudolf II. (1576 1612). Rudolf war ein gutmiitiger und kunstsinniger, aber schwacher, miBtrauischer und zur Melancholie geneigter Eiirst, der gleichwohl iiberall selbst die Entscheidung treffen wollte, so daB die Regierungs- geschafte nur langsam erledigt wurden. Er berief die Astronomen Tycho de Brahe und Kepler an seinen Hof nach Prag und beschaf- tigte sich gerne mit Alchemie und Astrologie (II. 168). In Ermang- lung eines vaterlichen Testamentes schloB er bald nach seiner Thron- besteigung einen Erbvergleich mit seinen Briidern, demzufolge sie gegen eine Rente auf alle 'territorialen Anspriiclie verzichteten. 1. Die Gegenreformation in (len habsburgischen Landern. Obwobl Rudolf von streng katholiscber Gesinnung war, trat er doch infolge seines Gliarakters gegen die Protestanten nicbt entschieden auf; wenn gleichwohl unter ilim die Gegenreformation in den habs- burgischen Landern begann, so war dies das Werk der Jesuiten, denen er freie Iland lieJ3, und des damaligen Generalvikars der Passauer Diozese und spateren Bisehofs von Wien Khlesel, der in den beiden Erzherzogtiimern die Seele der Wiederherstellung des Katholizismus war. Zu derselben Zeit fiihrte des Kaisers Oheim Ferdinand die Gegenreformation in Tirol durch, wo iibrigens nur ein geringer Teil der Bevolkerung protestantisch geworden war. Weit schwieriger stand es in Innerosterreich, weil sich daselbst der groBte Teil des Adels, viele Biirger und Bauern der lutherischen Lehre zugewandt liatten. Rachdem daselbst sehon Erzherzog Karl die Gegenreformation tatkraftig begonnen hatte, vollendete sein Solin Ferdinand bald nach dem Beginne des 17. Jahrhunderts durch entschiedene Ausiibung seines Rechtes die Unterdruckung des Pro- testantismus; hiebei standen ihm besonders die Bischofe Stobdus von Lavant und Brenner von Seckau zur Seite. Diese Erfolge verfehlten Rudolf II. 15 ihre Wirkung auf den Kaiser nicht, vielmehr schritt er trotz seiner zunehmenden Melancholie imrner entschiedener gegen die Protestan- ten ein, rief aber dadurch in Ungarn einen gefahrlichen Aufstand hervor. 2. Rudolfs Beziehungen zu Ungarn und den Tiirken. Im Jahre 1602 war Siebenbiirgen nach langen Unterhandlungen mit dem damaligen Fiirsten des Landes Siegmnnd Bathorg in den Besitz des Kaisers gekommen. Als aber dort General Basta die Ausiibnng des protestantischen Bekenntnisses verbot, entstand eine tiefgeliende Garung, die in der Unznfriedenbeit der Bevolkerung des angrenzen- den Ungarn Ermutigung fand. Die Ungarn klagten niimlicb sclion lange iiber die fremden (deutschen) Beamten und liber die Aus- schreitungen der haufig nicbt bezahlten Soldner im Bande; da stei- gerte Rudolf die Bewegung durch den Versuch, die Gegenreforma- tion audi in Ungarn durchzufiihren. Es kam zu einem Aufstand in Ungarn und zum Abfalle Siebenbiirgens, dessen Bewohner den ungariscben Edlen Bocskag zum Fiirsten ivahlten; bald riickten auch die Tiirken, mit denen es sclion im Jahre 1593 wieder zum. Kriege gekommen war, neuerdings gegen den Kaiser ins Feld. Da lieB sich Rudolf von den librigen Erzherzogen bewegen, seinem Bruder Matthias die Vollmacht zu Unterhandlungen mit Bocskaj und den Tiirken zu erteilen. Mit dem ersteren kam nun der Friede von Wien zustande (1606), demzufolge Bocskay als Fiirst Siebenbiirgens und des ostlichen Ungarn anerkannt und den Stiinden, namlich den Mag- naten, dem Adel und den freien Stadten, die Ausiibung ihi - es Be¬ kenntnisses gestattet wurde. Koch in demselben Jahre vermittelte Matthias, den soeben die Erzherzoge zum Haupte des ITauses Habs¬ burg erklart liatten, den Frieden mit den Tiirken an der Zsitva- Mundung („Zsitvatorok“); darin wurde der gegenseitige Besitz- stand anerkannt und der Kaiser verpflichtete sich gegen Aufhebung des Jahrestributes zu dem Geschenke von 200.000 Dukaten an den Sultan. Es war der erste Friede, den die Pforte auf dem Stand- punkte der Gleichberechtigung mit den IJabsburgern abschloB. 3. Rudolf und Matthias. 1 Rudolf konnte sich infolge zuneh- mender Ivrankheit und Abneigung gegen seinen Bruder Matthias nicht entschlieBen, die beiden letzten Friedensschliisse piinktlich auszufiihren, was den Ausbruch neuer Verwicldungen in Ungarn 1606 . 1 Franz Grillparzer, Ein Bruderzvmt in Habsburg. 16 Erster Zeitraum. und eine schwere Scliadigung des Hauses Habsburg befiirchten lieB. Deshalb leitete Matthias mit deu Standen von Osterreicli, Ungarn und Mahren Unterliandlungen ein, denenzufolge diese i bm Unter- stiitzung zur Durcliflihrung' der beiden Friedensschliisse versprachen. Daraufhin schloB Rudolf mit seinem Bruder den Verlrag von Lieben (1608), worin er ihm die Regierung der drei genannten Bander iiberlieB und auch die bolmiisclie Krone zusiclierte. Fiir ihren An- schluB an Matthias aber erhielten die Stšinde Ungarns, Osterreiclis und Mahrens weitgehende Zugestandnisse, so daB damals die stan- disch-protestantische Beivegung in diesen Landern ihren Ilvhepunkt erreichte. Ahnlich verliefen dieEreignisse in Bohmen, dessen Stande den Landtag sprengten und eine provisorisclie Regierung einsetzten. 1609. Da erteilte ihnen Rudolf den Majestatsbrief (1609), dessen wesent- lichste Bestiinmungen sind: 1.) Alle Bekenner der bohmischen Kon- fession erhalten das Redit, ilire Religion im ganzen Bande frei aus- zuiibeii; 2.) die Ilerren, Ritter und konigliclien Stadte diirfen auf ihren Gebieten Kirchen und Schulen erbauen und zum Schutze ilirer Religion Defensoren einsetzen. Gleiclizeitig schlossen die katho- lischen und protestantischen Stande den sogenannten Vergleicli, der den Protestanten die Erbauung von Kirchen und Eriedhofen auch auf den konigliclien Giitern gestattete. Als hierauf Rudolf seinem ehrgeizigen Vetter Leopold, dem Bischofe von Passau, mit Waffen- gewalt die Hachfolge in Bohmen verschaffen wollte, riefen die Stande Matthias herbei, der seinen Bruder zur Verzichlleisiung auf Bohmen notigte. Im folgenden Jahre starb Rudolf. 4. Die zunehmende Spannung zwischen den Konfessionen in Deutschland. Diese fand in der Griindung der Union und der Biga sowie im Jiilich-kleveschen Erbfolgestreit Ausdruck. a) Die Griindung der Union und der Liga, In der groBtenteils protestantischen Reichsstadt Donauwdrth veranstalteten die Monclie eines dortigen Klosters eine Prozession, bei der sie vom Pobel mit Kniitteln ins Kloster zuriickgetrieben wurden. Da der Rat die Beschwerde der Katholiken abwies, wm*de infolge einer Klage der- selben beim Reichshofrate die Stadt in die Acht getan und der tatkraftige Maximilian von Bayern mit der Ausfiihrung betraut. Kach kurzer Belagerung muBte sich die Stadt ergeben, Maximilian besetzte sie und begann sogleich mit der Gegenreformation. Dieser Vorfall steigerte die Erregung unter den Protestanten in einem solchen Grade, daB sich namentlich auf Betreiben des kalvinisclien Rudolf II. 17 \ • Fiirsten Christian von Anhalt, des eigentlichen Lenkers der pfalzi- schen Politik, sechs protestantische Flirsten zur Union verbanden (1608), der bald noch andere Reichsstande beitraten; das Haupt des Bundes war der kalvinistische Kurfiirst Friedrich IV. von der Pfalz. Hierauf scblossen auf Anregung Maximilians, der damals der liervorragendste deutsche Reiehsfiirst war, mehrere geist-licke Piirsten zum Schutze der katholischen Religion die Liga (1609), deren Fiihrung Maximilian iibernahm. Die Gefahr fiir das Hans Habsburg war um so groBer, als die osterreichischen Protestanten mit Christian von Anhalt in Verbindung traten. b) Der Julich-lclevesche Erbfolgestreit. Im Jahre 1609 erlosch der Mannsstamm der Herzoge von Jiilich, Ivleve und Berg, die auBer diesen drei Herzogtiimem auch noch die Grafschaften Mark und Ravensberg besaBen. Die Frage der Hachfolge in diesen Ge- bieten war von groBer Bedeutung, da es sich um das drittgroBte Fiirstentum im Reiche und das letzte bedeutende in Horddeutsch- land handelte, das noch katholiscli war. Anspruche erhoben der Kur- fiirst von Brandenburg und der Pfalzgraf von Neuburg, 1 die mit dem verstorbenen Herzoge in weiblicher Linie ver\vandt waren und als Protestanten einen Riickhalt an der Union fanden, wahrend der Kaiser die Entscheidung iiber die Hachfolge fiir sich beanspruchte. Bald mischte sich auch das Ausland ein. Heinrich IV. von Frank- reich, Jakob I. von GroBbritannien und die Hiederlande schlugen sich auf die Seite der protestantischen Fiirsten, die gleich nach dem Tode des Ilerzogs die geineinsame Verwaltung des Erbes iiber- nominen hatten, wahrend sich Spanien an den Kaiser anschloB. So schien ein europaischer Krieg auszubrechen, als die Ermordung Heinrichs und der Tod des Kurfiirsten von der Pfalz einen Waifen- stillstand zwischen den Protestanten und der Liga herbeifiihrten, wonach die beiden „possedierenden“ Fiirsten im Besitze des Landes blieben. Als sie sich aber spater entzweiten, wurde der Branden- burger Kalvinist und" der Keuburger Katholik, um so die Unter- stiitzung der Kiederlande, bezw. die Spaniens, zu erhalten. Endlich teilten sie vorlaufig den Besitz in der Art, daB Jiilich und Berg an den Pfahgrafen und die ubrigen Gebiete an den Kurfiirsten fielen; dieseTeilung wurde ungefalir fiinfzig Jahre spater endgiil’tig(1666). 1 Dureh den Bayrischen Erbfolgestreit waren die Gebiete von Neuburg und Sulzbačh an die Rheinpfalz gefallen; im Laufe des 10. Jahrhunderts wurden sie als Pfalz Neuburg von der Rheinpfalz abgetrennt. 1608 . 1609 . Zeehe, Geschichte der Neuzeit III. 2 18 Krstei Zeitraum. 1612-1619. 2. Matthias (1612 1619). Die Mahi des Matthias zum deutschen Kaiser anderte an den Ji Verhaltnissen in Dentschland und in den habsburgischen Landern nichts, zumal da Matthias zwar ein liebenswiirdiger und kunstsinni- ger, aber aucli unselbstandiger Herrscher war, fiir den eigentlich der Wiener Bischof Khlesel die Regierung fiihrte. Wieder drohten Ver- wicklungen mit Siebenburgen und den Turleen; denn die sieben- biirgischen Stande hatten den tiirkenfreundlichen Gabriel Bethlen, einen tapferen, gewalttatigen und hinterlistigen Mann, zu ihrem Fiirsten gewahlt. Da dem Kaiser die notigen Geldmittel fehlten, 1 berief er Abgeordnete der Stande aus allen habsburgischen Alpen- landern, auch aus Innerosterreich und Tirol, die ihm nicht unmittel- bar unterstanden, zu einer gemeinsamen Beratung nach Linz (1614), an der ungefahr siebzig Vertreter teilnahmen. Diese ver- langten zwar von Matthias das Recht, Truppen aufstellen und mit den Standen der iibrigen Bander Biindnisse schlieBen zu diirfen, 2 j lehnten aber die Geldforderung des Kaisers ab, der daher mit Bethlen und der Pforte auf Grund des bestehenden Zustandes Frieden schloh. In die letzten Lebensjahre des Kaisers fallt der Ausbruch des DreiBigjahrigen Krieges. A 1618-1648. B. Der Dreifiigjahrige Krieg (1618—1648). Die Ursache und Veranlassung des Krieges. Die Ursache war die groBe Macht des Adels in den habsburgischen Landern, der- zufolge der Landesftirst fast nur mehr als Prasident einer aristo- kratischen Republik betrachtet werden konnte. War docli das Recht der Truppen- und Steuerbewilligung in den Ilanden der Stande und reichte das sonstige Einkommen des Landesfiirsten nicht einmal zur Erhaltung einer kleinen Truppenmacht hin! Der politische Gegen- satz zwischen dem Landesfiirsten und dem Adel tvurde tvesentlich verschiirft durch die konfessionelle Frage; aus Riicksicht auf die protestandsche Religion ging auch der Burgerstand Hand in Hand mit dem Adel, obtvohl ilim dieser keine politischen Rechte gonnte. 1 Ivhlesel sehrieb damals: „Leihcn w'ill uns niemand, sclmldig ist uns f niemand, wir selbst haben auch nichts." 2 Im Gegensatze dazu besafi bereits Karl VII. von Brankreich (II. 173) das alleinige Recht, Truppen zu halten, berief Ludwig XI. die Stande ein einzigesmal und Franz I. niemals. Der DreiBigjahrige Krieg. 19 Die Veranlassung zum Kriege gab die verschiedene Auslegung, die der Vergleich seitens der katholischen und der protestantischen Stande Bohmens fand. Die letzteren behaupteten namlich im Gegen- satze zu den ersteren, daB unter den koniglichen Giitern auch die Kirchengiiter verstanden seien, weil diese wiederholt von Konigen verkanft, verschenkt und verpfandet worden waren. Als nun die Pro- testanten in Braunau und in Klostergrab Kirchen erbauten, verfiigte der Abt von Braunau, der Besitzer der Stadt, die Einstellung des Baues, wahrend der Erzbdschof von Prag, dem Klostergrab unter- stand, die dortige Kircbe sperren lieB. Der Krieg, der nun sofort ausbrach, zerfallt in vier Absclmitte. 1. Der Bohmisch-pfalzische Krieg (1618 1623). 1618-1623 a) Der Fenstersturz in Prag (1618) und der Begierungsantritt Ferdinande II. (1619—1637). Auf den Majestatsbrief gestiitzt, ver- 1619-1637 anlabten die protestantischen Defensoren wegen angeblicher Ver- letzung des „Vergleiches“ eine Beschwerde der Stande an die zehn Statthalter, denen der Kaiser fiir die Zeit seiner Abwesenheit die Kegierung Bohmens iibertragen -hatte, und als diese abgewiesen wurde, eine Eingabe an Matthias selbst, die ebenfalls erfolglos blieb. Kunmehr versammelten sich gegen das ausdriickliche Verbot des Kaisers ungefahr hundert protestantische Adelige in Prag und zogen unter der Fuhrung des Grafen Matihias Thurn auf das SchloB, um diejenigen Statthalter, denen man die Schuld an der Abiveisung der Protestanten zuschrieb, zu ermorden. Hier wurden die beiden Statt¬ halter Slavata und Martinitz , die als Hauptfeinde der Protestanten galten, und der Sekretar Fabricius „nach altem Brauclie“ in den achtzehn Meter tiefen SchloBgraben hinabgestiirzt (II. 159) ; wah- rend dieser und Martinitz keinen Schaden erlitten, wurde Slavata am Kopfe schwer verletzt. Die Protestanten setzten alsbald eine provisorische Regierung von dreiBig Direldoren ein, besclilossen die Aufstellung eines Heeres und iibertrugen dem Grafen Thurn den Oberbefehl; die Jesuiten ivurden vertrieben und ihr Y ermogen ein- gezogen. Wiihrend Khlesel den Weg der Unterhandlungen einschla- gen wollte, drang die Meinung Ferdinands, der bereits zum Konige von Bohmen angenommen 1 und zum Konige von Ungarn gewahlt 1 Cie „Annalune“ bedeutete die Anerkennung des Erbrechtes der Habs- burger auf die bohmische l^i-one. 2 * 20 Erster Zeitrauin. worden war, durch, daB man die Revolution mit, Waffengewalt be- kampfen miisse. Ein kaiserliches Eleer unter der Fiihrung desGrafen Bouquoy riickte deslialb in Bohmen ein und behauptete sicli daselbst gegen die Aufstandischen, deren Fiilirer Thurn der militarischen Begabung entbehrte. Alles bing zunachst davon ab, wie sicli die ubrigen habsburgischen Ltinder und das Ausland zu der Bewegung ver hal ten wiirden. Wiihrend die ersteren abwarteten, griff das letz- tere sofort ein; die katholischen Machte, namentlich Spanien, stellten dem Kaiser Unterstiitzung in Aussicht, die Union und der Herzog von Savoven schlugen sich auf die Seite der Bohmen. Da starb Matthias und es kam nun Ferdinand II. aus der steirischen Linie zur Kegierung. Ein entschiedener Feind des Protestantismus, hoffte er mit Gottes Hilfe den Katliolizismus allerorts wiederherzustellen; deslialb war er in konfessionellen Dingen unnachgiebig und ge- wannen seine Beichtviiter, namentlich Lamormaini, den grobten Ein- fluB auf ihn. Er setzte die Unteilbarkeit des habsburgischen Lander- gebietes zugunsten des Erstgebornen fest, so daB die Teilungen von jetzt an aufhorten. 1 b) Die Niederiverfung des Aufstandes (16W). Wahrend in Bohmen Graf Ernst von Mansfeld den Kampf gegen Bouquoy fuhrte, drang Thurn mit et\va S000 JCann durch Mfihren gegen Wien vor, um die ubrigen habsburgischen Lander fiir die Bevolution zu gewinnen. Hahren schloB sich vollstandig an Bohmen an und in JSTieder- und Oberosterreich ver\veigerten wenigstens die Stiinde dem neuen Herrscher die Huldigung; ja, es war die Gefahr groB, daB Wien in die Hande der Aufstandischen falle. Eine Abordnung der niederosterreichischen Stande wollte Ferdinand in der Burg zu Zu- gestandnissen bestimmen und bereits var ein stiindisches Heer aus Oberosterreich bis nach Melk vorgeclrungen, um sich mit Thurn zu vereinigen. Da wurde Ferdinand durch die Ankunft von ungefahr dreihundert Kiirassieren und den Abzug Tliurns gerettet; 2 dieser muBte namlich nach Bohmen zuriickkehren, weil Bouquoy nach der vollstandigen Besiegung Mansfelds gegen Prag vorrlickte. Wahrend nun Ferdinand in Frankfurt zum Kaiser gemdhlt vmrde, erklarten 1 Nur seinem Bruder Leopold (S. 16) muBte er Tirol und die Vorlande iiter- lassen; doeli erlosch diese letzte Netenlinie bereita im Jahre 1665. 2 Der peinliehe Vorfall wahi'te ungefahr eine Stunde. Als die Kiirassiere, die sich vor den Bohmen von Krems zuriickgezogen hatten, in die Burg sprengten, fiirchteten die Stande einen tlberfall. Der DreiBigjahrlge Krieg. 21 ihn die Aufstandischen der bohmischen Krona fur verlustig und vrahlten den kalvinistischen Friedrich V. v on der Pfalz,& inen eitlen und unselbstandigen Mann, zu ihrem Konige, der trotz der Ab- mphnung seines Schvviegervaters Jakoba I. nnd der meisten deut- schen Flirsten.die Wahl annakm. Nun begann aucli Gabriel Bethlen den Krieg gegen Ferdinand, vreshalb Bouquoy aus Bdhmen ab- berufen vvurde. Ihm folgte Thurn nnd riickte bis vor Wien, gegen das auch Bethlen heranzog. Da dieser aber vvegen eines polnisclien Angriffes auf Siebenbiirgen zuriickkehren muBte, zog aucli Thurn von Wien ab. Auch sonst besserte sich die Lage des Kaisers; es schickte namlich der Bapst Hilfsgelder, der spanische Konig stellte Geld und Truppen, Maximilian von Baijern gegen Verpfandung eines osterreichischen Landes die Kriifte der Liga zur Verfugung und der Kurfiirst Johann Georg von Sachsen iibernahm die TJnter- \verfung der 'Lausitz und Schlesiens, vrofiir ihm der Kaiser den pfandweisen Besitz der ersteren zusicherte. Anderseits war Friedrich fast ganz auf die eigenen Kriifte angewiesen, da die meisten Mit- glieder der Union von einem offenen Kampfe mit dem Kaiser nichts wissen wollten und auch Bethlen nur wenige Hilfstruppen schickte. Die ligistischen Truppen riickten in Oberosterreich ein, ver- einigten sich mit den Kaiserlichen unter Bouquoy und zogen sodann nacli Bdhmen, wohin aucli nach der Entlassung Mansfelds Christian von Anhalt aus Mahren marschierte. Infolge der Veiuvundung Bouquoys befehligte das vereinigte kaiserlich-ligistische ITeer der Kiederlander Freiherr von Tilly, ein glaubenseifriger, wohlwollender und umsichtiger Feldherr. Es gelang ihm, die feindlichen Trujipen in der Schlacht auf dem WeiBen Berge hei Prag am 8. November 1620 nach nicht einmal zweistiindigem Kampfe mit ungefahr 24.000 gegen 16.000 Mann vollstandig zu schlagen. Friedrich von der Pfalz („der Winterkonig“) fioh, wurde nach dem Spruche des Keichshof- rates vom Kaiser geachtet und aller seiner Bander verlustig erklart, die Union loste sich auf und Bethlen, der nach der Schlacht auf dem WeiBen Berge den Krieg gegen Ferdinand erneuert hatte, muBte mit dem Kaiser den Frieden von Nikolsburg schlieBen (1622); in diesem gab er den angemaJBten ungarischen Konigstitel auf, vrofiir ihm der Kaiser sieben Komitate auf T^ebenszeit iiberlieB und a,uf die Durchfiihrung der Gegenreformation in Ungarn verzichtete. Das Hans Habsburg war gerettet. 1620 . 22 Erster Zeitraum. c) Die Bedeutung der Schlachi auf dem WeiBen Berge. Die Schuldigen mtrden namentilicb in Bobmen und Mahren streng ge- straft. Dem Aussprucbe eines auBerordentlichen Gerichtshofes zu- folge wurden 27 Teilnehmer am Aufstande hingericbtet nnd die Giiter der Verurteilten, in Bobmen drei Viertel des ganzen Landes, eingezogen. 1 Mit dem groBten Ernste betrieb nun der Kaiser, der eigenbandig den Majestatsbrief zerriB, die Gegenreformation; der Jesuitenorden wurde zuriickgefiibrt, mit der Leitung des gesamten boheren Unterriebtswesens betraut und wenigstens 30.000 protestan- tiscbe Familien zur Auswanderung gedrangt. Zur kirchlicben kam die politische Reaktion, die besonders in der „vernewerten Landes- 1627 . ordnung“ vom Jabre 1627 Ausdruck fand. Ibr wesentlichster Inbalt war: 1.) Bobmen ist ein Erbland des Hauses Habsburg; 2.) der Konig bat das ausscblieBliche llecht der Gesetzgebung; 3.) der Konig kann die Landesamter nacb IVillkiir besetzen und entscbeidet allein iiber Krieg und Eri eden; 4.) die deutsche Sprache ist mit der tschecliischen gleicbbereelitigt; 5.) die hohe Geistlichkeit erhalt rvieder Sitz und Stimme im Landtage. 2 Die Buckwirkung auf die iibrigen Bander des Kaisers konnte nicht ausbleiben. In Oberdsterreich wurde der Protestantismus fast vollstiindig ausgerottet. In Innerosterreich verlor jezt aucb der Adel die Keligionsfreiheit; dagegen gestattete der Kaiser dem Adel Niederdsterreichs die Ausubung der protestantischen Lelire, die auBerdem nur noch in einem Teile Schlesiens und in Ungarn ge- duldet -WTirde. Die Schlacht auf dem WeiBen Berge ist ein Marlcstein in der inneren Entiuicklung Osterreichs, denn sie bewirkte: 1.) daB Oster- reicb ein katholischer und absolut regierter Staat wurde; 2.) daB die Selbstandigkeit des bohmischen Staates beseitigt und dessen innige Verbindung mit den Alpenlandern ermoglicbt wurde. d) Der Kampf urn die Ffalz. Die Fortsetzung des Krieges ver- anlaBte die Frage nacb dem Schicksale des Winterkonigs. "VVahrend Maximilian die Oberpfalz besetzte und spaniscb-ligistiscbe Truppen 1 Der Wert der eingezogenen Giiter betrug naeh der heutigen Kaufkraft des Geldes ungefalir achtzig Millionen Kronen. An Stelle der frtiheren Adeligen traten deutsche, italienisehe und spanische Familien, in deren Besitze noch jetzt der groBte Teil dieser Giiter ist. 2 Diese Landesordnung wurde erst durch die osterreieliisehe Verfassung vom Jalne 1849 beseitigt. Der DreiBigj ahrige Krieg. 23 in die Rheinpfalz einriickten, zogen melirere Sbldnerflihrer, wie der Graf Ernst von Mansfeld, der Herzog Christian von Braunschweig und der Markgraf Georg Friedrich von Baden, fiir Friedrich, ins Feld; die beiden letzteren wurden aber besiegt, worauf auch der erstere seine Soldner entlieb. FTunmehr verlieh der Kaiser dem Her¬ zoge Maximilian die Kunvurde und iibertrug ihm auch einige Jahre spater gegen Riickgabe des verpfandeten Oberosterreich die Ober- pfalz. Den Protestanten verblieben daher nur zwei Kurfiirstentumer. 2. Der Niedersachsisch-danische Krieg (1625 1629). 1625-1629. a) Der Wiederausbruch des Krieges. Abermals schien der Krieg zu Ende; allein dnrch die Furcht der norddeutschen Protestanten v or den gegenreformatorischen Bestrebungen des Kaiser s und durch die Einmischung des Auslandes wurde er von neuem entfacht und gewann so zuletzt den Charakter eines europaischen Krieges. Im Jahre'1625 braclite namlicli der franzosische Minister Richelieu einen Bund des danischen Konigs Christian IV. mit England und Ilolland zustande, demzufolge Christian unter Zusicherung franzo- sischer Hilfsgelder den Winterkonig, seinen FTefFen, in die Pfalz zuriickfiihren solite. 1 Anderseits besciiloh nun auch der Kaiser, um von der Liga unabhangig zu sein, ein eigenes Ileer anwerben zu lassen und es unter den Oberbefehl Albrechts von Wallenstein 2 zu stellen. b) Wallenstein vor der Ubernahme des Kommandos. Wallen- stein stammte aus einem protestantischen Adelsgeschlechte Bohmens, wurde aber nach dem friihen Verluste seiner Eltern katholisch er- zogen, besuchte die ITniversitaten in Altdorf, Padua und Bologna und leistete dann Dienste im kaiserlichen Heere gegen die Tiirken und Venedig; auch nahm er als Oberst arn bohmischen Kriege teil. Durch seine Vermalilung mit einer reichen Witwe gewann er grobe Giiter in Mahren und nach der Schlacht auf dem WeiBen Berge auch in Bohmen, darunter die Ilerrschaft Friedland („der Friedlander“) ; durch seine zweite Ehe mit einer Grafin Ilarrach envarb er solchen 1 Christian IV. erschien als Vorkampfer des Protestantismus, in Wirklieh- keit aber handelte es sieh fiir ihn um die Sicherung des Besitzes des errvorbenen Erzbistums Bremen und des Bistums Verden. * Sehon damals wui'de er Waldstein oder Wallenstein genannt; die letztere Bonn des Namena ist spiiterhin die iibliehere geworden. — L. von Ranke, Geschiehte Wallensteins, 5. Aufl., Leipzig 1895. 24 Erster Zeitraum. EinfluJ3 bei Idofe, daB er in den Fiirstenstand erhoben wurde. Seine Giiter bewirtschaftete er mit groBer Sachkenntnis, so daB er stets iiber sebr bedeutende Geldmittel verfiigte. Als er von Ferdinand zum Befelilsbaber der kaiserlichen Truppen ernannt wurde, erhielt er gleiclizeitig den Auftrag, gute Zucht zu halten, vrogegen er „leid- licbe Kontributionen“ erheben durfte; ein vollig selbstandiges Vor- gehen hinsiclitlicb der kriegerischen Unternehmungen mirde ilnn aber damals nicht eingeraumt. Wallenstein, einer der groBtenTIeeres- organisatoren nnd ein liervorragender Feldherr, brachte in vvenigen AVochen ein Ileer von melir als 20.000 Mann zusammen, die oline Eiicksicht auf Religion 1 nnd Mationalitat angeworben vvurden. Er war in AVahrheit „de3 Lagers Abgott und der Lander GeiBel“, dnrcb und durcb Egoist, ein stolzer, \vortkarger, riicksicbtsloser, im Zorn furcbtbarer, der Astrologie ergebener, in religioser Beziehung gleicb- giiltiger Mann. c) Wallenstein und Tilly im Kampfe mit Christian IV. Mocb seit dem pfalziscben Krieg stand Tilly mit seinen Truppen in ISTord- deutschland; da er sicb aber mit AVallenstein iiber ein gemeinsames Vorgelren nicht einigen konnte, riickte jeder fiir sich in den nieder- sacbsischen Kreis ein. Zuerst schlug AVallenstein den Ernst von Mansfeld, der in danische Dienste getreten war, bei Dessau voll- standig (1626) ; dieser entkam zwar gliieklich nacb Ungarn, muBte aber, als ihn AVallenstein verfolgte, seinen Ruckzug vveiter fortsetzen und starb in der Malie von Sarajewo. AVahrend nun AVallenstein seine Truppen in die AVinterquartiere legte, besiegte Tilly den Danen- konig, den nun fast alle mit ibm verbundeten deutscben Fursten verlieBen, bei Lutter. Bald brach aucb AVallenstein gegen Christian auf, verfolgte ihn, da Tillv verwundet war, allein und machte ihn nach wenigen AVochen widerstandsunfahig. Jetzt wollte der Kaiser die neutral gebliebenen Hansastddte fiir die Erriehtung einer spa- nisch-deutschen Handelskompanie gewinnen; AVallenstein, der zum „General des Baltischen und Ozeanischen Meeres“ ernannt wurde, war mit dem Plane einverstanden, doch scheiterte er an der Eurcht der Hansa vor der Gegenreformation. 2 Mach der Eroberung von Wismar und Rostock wagten nur noch wenige Stadte, darunter 1 Wallensteins Ileer bildet den Gegensatz zu den glaubenseifrigen Truppen Cromwells; das hochste Verdienst war bei Wallenstein Tapferkeit. 2 Die auf dem Hansatage zu Ltibeek im Jahre 1628 vertretencn elf Stadte von Koln bis Danzig erklartcn sich fiir neutral. Dor DredBigj&hrige Krieg. 25 namentlich Stralsund, Widerstand; vergebens belagerte Wallenstein diese Stadt, die, von Danemark und Schweden unterstiitzt, sicb tveigerte, kaiserliche Truppen aufznnehmen. Da riet er selbst dem Kaiser zur Eachgiebigkeit und so kam mit Christian der Lubecker Friede zustande (1629), demzufolge dieser die verlornen Gebiete zuriickerbielt, wogegen er „allen Eimvirkungen auf das Keich“ ent- sagte. Wallenstein erliielt vom Kaiser als Entschadigung fiir die vorgestreckten Geldsummen die beiden Herzogtiimer Mecklenburg, deren Fiirsten er wegen ilires Anschlusses an Danemark vertrieben hatte. d) Das Restitutionsedild (1629). Der Kaiser stand jetzt auf dem Ilohepunkte seiner Macht; er wollte sie zur Zuruckdrdngung des Protestantismus beniitzen. Deshalb erlieb er auf Wunsch des papstlichen Kuntius kurz vor dem Liibecker Erieden das Restitu- tionsedikt, das bestimmte: 1.) dali alle seit dem Passauer Religions- vertrage eingezogenen mittelbaren Kloster und Kircliengiiter heraus- gegeben, 2.) daJ3 alle Eeichsabteien und Bistiimer wieder mit katbo- lischen Geistlicben besetzt werden und 3.) dab die Kalvinisten vom Beligionsfrieden ausgescblossen sein sollten. Da die norddeutschen Protestanten zahlreiche Štifte und Kirchengiiter eingezogen liatten, rief das Edikt eine grobe Aufregung unter ilinen hervor; der Kaiser konnte es nur mit Gewalt durchfiihren und gerade damals entlieb er Wallenstein. e) Wallensteins Entlassung (1630). Sclion seit Jahren klagten die Keichsstande iiber die Aussaugung Deutschlands durch Wallen¬ steins Truppen, woran iibrigens die damalige Art der Ileeresauf- stellung und Heereserhaltung die Scbuld trug, so dab die ligistiscben Truppen nicht weniger zu Beschwerden Anlab gaben. Wallenstein war aber den Fiirsten besonders deshalb verhabt, weil sie in ihm die Stlitze des Kaisers erkannten; liatte er doch geaubert, dab er die Kurfiirsten „mores lehren“ werde, dab Deutschland ein Erbreich werden iniisse ušiv. 1 Als daher Ferdinand einen Kurfiirstentag nach Regensburg berief, um die Wahl seines Sohnes zum romischen Konige durchzusetzen, erneuerten die Fiirsten ilire Klagen gegen IVallenstein, weshalb der Kaiser seinen Feldherrn, allerdings nach langem Striiuben, entlieb; dieser begab sach ohne Widerstreben auf seine Giiter, weil er sein Schicksal in den Sternen gelesen hatte. 1 Dabei daehte aber Wallenstein nur an seine eigene GroBe, nicht an das Wolil der Nation. 1629 1629 1630 26 Erster Zeitraum. Gleiclrwolil lehnten die Kurfiirsten die Wahl des Kaisersohnes zum Konige ab. Kurz vorher war der schwedische Konig Gustav Adolf auf Usedom gelandet. 1630-1635. 3. Der Schwedische Krieg (1630 1635). a) Giostav II. Adolf s Charakter und Bestrebungen. Gustav II. 1611-1632. Adolf (1611—1632), ein Enkel Gustavs I., ist der groBte schwe- dische Konig. ISTacli langen Kampfen entriB er den Russen Inger- manland und Karelien sowie den Polen Livland und einen Teil WestpreuBens. Er war ein hervorragender Feldherr, ein hochgebil- deter, fiirWissenschaft und Kunst begeisterter Herrscher, ein offener und ritterlicher Charakter. Personliche, religidse und politische Griinde veranlaBten ihn, sich in den Gang des DreiBigj ahrigen Krieges einzumisehen. Er war namlich von Wallenstein beleidigt Avorden, Aveil dieser Polen gegen ihn unterstiitzt, und die ihm ver- Avandten Herzoge A^on Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg- GiistroAV vertrieben hatte. Da er streng evangelisch gesinnt Avar, ging ihm das Schicksal des deutschen Protestantismus nahe, nach dessen ISTiederAverfung er fiir seine eigene Krone besorgt Averden muBte, zurnal da der Kaiser und der Papst seinen katholischen Vetter Sieg- mund von Polen auch als den rechtmaBigen Konig ScliAvedens be- trachteten. Am Avichtigsten aber Avaren fiir ihn die politisehen BeAveggriinde. Da er namlich die Ostsee zu einem geschlossenen scliAvedischen Meere machen Avollte, muBte ihm der Plan, eine deutsche Seemacht daselbst ins Leben zu rufen, als eine scliAvere Bedrohung erscheinen. Er verfiigte iiber ein tiichtiges, gut beAvaff- netes und Avohldiszipliniertes Heer und hoffte auf den AnschluB der deutschen Protestanten. b) Gustav Adolf s Erfolge (1680 — 1682). Gustav Adolf, der iiber ein Heer von 40.000 Mann verfiigte und von Frankreich Hilfs- gelder erhielt, fand nur an den Reichsstddten Bundesgenossen, wahrend sich die Fiirsten fast ausnahmslos von ihm fernehielten; er muBte sich daher mit WaffengeAvalt den Weg durch Norddeutsch- land bahnen. Tilly, der Befehlshaber der kaiserlich-ligistischen Truppen, schritt zur Belagerung Magdeburga , das eine schAvedische Besatzung unter dem Obersten Falkenberg aufgenommen hatte. 1 1 Vgl. II. 211. Damals griff zum letztenmal eine deutsche Stadt selbstandig in einen grofien Ivrieg ein. Siehe auch II. 163. Otto von Guerieke war mit der Instandhaltung der Festungswerke betraut. Der DreiBigj alirige Ivriog. 27 Wahrend Gustav Adolf mit dem Kurfiirsten von Sachsen Unter- handlungen pflog, fiel Magdeburg nach hartmackiger Verteidigung, die wenigstens 20.000 Mensclien das Leben kostete, als ein Triim- merhaufen in die Hande Tillvs; Falkenberg hatte selbst die Ein- ascherung der Stadt veranlaBt. Tilly wandte sich hierauf gegen den Kurfiirsten von Sachsen > der infolgedessen offen zu Gustav Adolf iibertrat; letzterer schlug den bisher unbesiegten Tilly bei Breiten- feld vollstiindig (1631), worauf die Sachsen in Bohmen einriickten, Gustav Adolf durch Franken an den Rhein marscbierte und Tilly sich nach Bayern zuriickzog. Die Liga war zersprengt. Im Jahre 1632 drang Gustav Adolf auch gegen Bayem vor und besiegte Tilly, der kurze Zeit darauf infolge seiner Verwundung starb, beim Stadt- chen Rain. FTunmehr war ganz Deutschland mit Ausnahme von Ingolstadt und Regensburg dem Schwedenkonige preisgegeben. c) Wallensteins zvueites Generalat; die Schlacht bei Liitzen. Bald nach der Schlacht bei Breitenfeld hatte sich der Kaiser neuer- dings an Wallenstein gewendet, der sich aber erst nach langeren TJnterhandlungen bereit erklarte, ein Heer von 40.000 Mann auf- zustellen und gegen Einraumung auBergewohnlicher Vorrechte als General-Oberster-Feldhauptmaim dessen Fiihrung zu iibernehmen. Den Wortlaut der Zugestandnisse kennen wir niclit; doch vrarde ilim sicher die Ernennung aller Offiziere und der unumschrankte Ober- befehl liber sein Heer sowie die Vollmacht, Friedensunterhandlungen mit Kursachsen einzuleiten, zugestanden und als Entschadigung.fiir Mecklenburg, das Gustav Adolf den vertriebenen Herzogen zuriick- gegeben hatte, das schlesische Fiirstentum Glogau iibertragen. liber den Inhalt dieses Vertrages auBert sich der spanische Gesandte in Wien: „Der Kaiser befmdet sich in vollstandiger Abhangigkeit vom Herzoge. “ Wallenstein verdriingte zunachst die Sachsen aus Bohmen und zog dann nach Franken, um sich mit dem Reste der bayrisch- ligistischen Truppen zu vereinigen, was auch gelang. Als nun Gustav Adolf bei Nurnberg eine feste Stellung bezog, tat Wallenstein das- selbe und so lagen sich beide Feldherren sieben Wochen lang gegen- iiber. Endlicli begann der Schwedenkonig den Angriff, wurde aber zuriickgeschlagen; es war sein erster MiBerfolg. Als er nun nach Siiden zog, wandte sich Wallenstein gegen den Kurfiirsten von Sachsen, zu dessen Unterstiitzung aber Gustav Adolf umkekrte. So 1631 . 28 Erster Zeitraum. 1632. kam es zur Schlacht bei Lutzen (1632), 1 in der die Schweden nach blutigem Ringen den Sieg davontrugen; Gustav Adolf selbst aber fand den Tod im ITandgemenge mit den feindlichen Reitern, der en Anfiihrer Pappenheim todlich vermmdet wurde. Wallenstein fiihrte seine Truppen in die Winterquartiere nach Bohmen. Bei den Schweden wurden nach dem Tode ilires Konigs, der nur eine minder- jahrige Tochter, Christine, hinterlieB, die militarische und die diplo- matische Leitung getrennt (I. 105) ; die erster e iibernahmen tiich- tige Generale aus der Schule Gustav Adolf s, wie der zweiundzwanzig- jahrige Herzog Bernhard von Weimar und Gustav Horn, die letztere der beriihmte Reichskanzler Axel Oxenstierna, der mit den Pro- testanten den Vertrag von Heilbronn zustande brachte, wonach diese die militarische Fiihrung den Schweden iiberliefien. Die Franzosen zahlten auch jetzt noch Hilfsgelder. d) Wallensteins Verrat und Ende. 2 Wahrend die Schweden Fortschritte in Franken, in der Oberpfalz und am Oberrhein mach- ten, beschrankte sich Wallenstein darauf, die Liicken seines ITeeres zu erganzen, die Mannszucht wiederherzustellen und einen Zug nach Schlesien zu unternehmen, auf dem er den Grafen Tliurn gefangen nahm; doch schenkte er ihm alsbald wieder die Freiheit. Seine iibrige Zeit fiillten seit dem Sommer des Jahres 1633 hauptsachlich Unterhandlungen mit Brandenburg, Sachsen, den Schiveden und den bdhmischen Emigranten aus, deren Zweck war, einen ihm genelimen Frieden selbst gegen den Willen des Iiaisers zustande zu bringen, dem er besonders wegen der Zumutung grollte, einen Teil seines Heeres zur Bildung einer spaniseken Truppenmacht im ElsaB abzugeben. Da er aber niemals ganz bestimmte Bedingungen stellte, vielmehr immer „eine Zwickmiible“ behalten wollte, um alle iiber- l.isten zu konnen, fand er bei niemandem Glauben; anderseits rief sein Vorgelien in Wien mit Recht groBes MiBtrauen liervor, wahrend der Verlust Regensburgs an die Scluveden auch das Vertrauon des Iiaisers zu der Feldherrnbegabung Wallensteins erschiittierte, dessen Sturz besonders Maximilian von Bayern und der spanische Gesandte betrieben. 1 Die Gegend um Leipzig, wo das norddeutsche Tiefland weit nach Siiden vordringt, ist eines der wicht'igsten Schlachtfelder Europas. Gustav Adolf war der letzte Herrseher, der in offener Schlacht fiel. 2 K. Wittich, Wallensteins Katastrophe in Sybels historischer Zeitschrift 1894; ebenda M.Ritter, Der Untergang Wallensteins 1897, S. 237 ff. Der DreiBigjahrige Krieg. 29 Wallenstein liatte nach seiner Riickkehr ans Schlesien in Pilsen Quartier genommen. Da er von der Stimmung in Wien Kunde liatte, suclite er die Armee um jeden Preis auf seiner Seite zu erhalten. Er berief deshalb die meisten Generale und Obersten nach Pilsen (es erschienen -19) und lieJ3 ihnen daselbst bekanntgeben, daB er wegen „wider ilm angestellter gefahrlicher Machinationen“ den Oberbefehl niederlegen wolle. Daraufliin verpfiichteten sich die er- schienenen hohen Offiziere, denen sein Kiicktritt schwere Verluste zugefiigt liatte, 1 bei einem Bankette schriftlich, unter allen Um- standen bei ihm auszuharren. Schon dadurch beging Wallenstein Verrat gegen den Kaiser , der sicli nunmehr insgeheim der Treue einzelner Heerfiibrer versicherte sowie die Absetzung und Aclitung Wallensteins aussprach. Dieser schritt nunmehr zum offenen Verrat 2 und begab sich mit wenigen getreuen Truppen nach Eger, um sich mit den Schweden zu verbinden. Hier wurden bei einem Bankette zu- nachst seine vier vertrautesten Anhanger durch Iren vom Regimente des Obersten Butler ermordet und sodann er selbst vom Hauptmanne Deveroux mit einer Lanze erstochen (1634). Die ErmordungWallen- steins war eine eigenmachtige Tat des Iren Butler, doch erhielten alle Teilnehmer an dem Verbrechen reichliche Belohnungen, da das gesamte Vermogen Wallensteins eingezogen wurde. Den AnstoB zum Verderben Wallensteins gaben seine Eorde- rungen bei der tlbernahme des zweiten Generalats, welche die natiir- lichen Schranken zwischen Ilerrscher und Untertan beseitigten. Seine Stellung war haltlos geworden, als er im Gegen satze zu der katholisclien Politik Ferdinanda den Frieden in Deutschland um jeden Preis wiederherstellen ^volite. e) Der Prag er Friede (1635). Wakrend der Verkandlungen, die der Ermordung Wallensteins vorangegangen waren, liatte der Kaiser dem General Gallas die Fiihrung der treu gebliebenen Trup¬ pen iibertragen; dieser sicherte durch sein rasches Ilandeln den Bestand des Ileeres, an dessen Spitze jetzt des Kaisers Solin Fer¬ dinand trat. Letzterer erfocht in der zweitagigen Schlacht bei Nord- lingen einen vollstandigen Sieg iiber die Schweden unter Bernhard 1 Viele Obersten hatten ihre Regimenter auf eigene Kosten angevorben und konnten nur von Wallenstein Ersatz und Belohnungen erwarten. 2 Schon am 16. Dezemlrer 1633 schrieb der Vertraute Wallenste’ins Graf Trzka, Wallenstein sei entschlossen, nicht nur mit Sachsen und Brandenburg, sondern aueh mit Schrveden und Frankreich „sieh zu verakkordieren“. 1634 1635 30 Erster Zeitraum. von Weimar und Horn, so daB die Sclrweden Suddeutschland raum- ten und der Kurfiirst von Sachsen den Prager Prieden mit dem Kaiser schloB, demzufolge die Durchfiihrung des Restitutionsediktes auf vierzig Jahre hinausgesehoben, d. h. tatsachlich aufgehoben, dem Kurfiirsten die verpfandete Lausitz endgiiltig iiberlassen und die Herzoge von Mecklenburg wieder eingesetzt wurden. Da sich dem Prager Prieden bald die meisten Reichsstande anschlossen, wurde der Krieg nur mehr zirgunsten der Schweden und Pranzosen fort- gesetzt, indem die Hiederlage der ersteren die letzteren auf den Kriegsschauplatz rief. : 1635-1648. 4. Der Schwedisch-franzosische Krieg (1635 1648). Seitdem Prankreich an Deutschland und Spanien den Krieg erklart hatte, gab es in Deutschland zivei Kriegsschaupldtze, einen oberdeutschen, auf dem die Pranzosen, und einen niederdeutschen, auf dem die Schiueden tatig waren. Wahrend die Pranzosen, in deren Dienst Bernhard den Krieg im ElsaB fiihrte, zuniichst geringe Erfolge davontrugen, besiegten die Schiueden unter der Piihrung Baners, der an die Stelle des gefangenen Horn getreten war, die 1636. kaiserlich-sachsischen Truppen bei Wittstock (1636) giinzlich. Im nachsten Jalire starb Perdinand II.; sein Hachfolger war sein Solin 1637-1657. Ferdinand III. (1637—1657), ein frommer, edelgesinnter und im Gegensatze zu seinem Vater sparsamer Mann, wie fast alle Ilabs- burger, ein Preund der Kunst und Wissenschaft. Der Tbronwechsel anderte aber am Gange des Krieges nichts; immer mehr artete er in einen \vilden Vernichtungskampf aus, so daB aus bloBer Zerstorungs- wut der entmenscbten Soldtruppen die Lander grauenbaft verwiistet sowie die Eimvohner entsetzlich verstiimmelt und hingeschlachtet wurden. Wer nicbt dem Schvrerte, den Plammen oder den graBlich- sten Qualen erlag, wurde haufig vom Ilunger oder der Pest dahin- gerafft. Kamentlicb seit dem Tode Bernbards (1639) schleppte sich ein Kriegsjahr nacli dem andern in ermiidender Gleichformigkeit bis zur vblligen Erschopfung des deutschen Volkes hin. Als der gi’oBte Teil der kaiserlichen Streitkrafte gegen die Schweden vereinigt wurde, errang Bernhard groBere Vorteile am oberen Rhein; besonders wichtig \var die Eroberung Breisachs, der star listen Pestung im siidwestlichen Deutschland, das sich nach nahezu einjiihriger Belagerung infolge giinzlicher Erschopfung der Der DreiBigj ahrige Krieg. 31 Lebensmittel ergeben muBte. Bald danach starb Bernliard und an seine Stelle traten franzosische Generale; obwobl Bernhards Heer und Eroberungen am Bhein in franzosischen Besitz iibergingen, be- haupteten sich docli die Bayern im ganzen gegen Frankreich, wah- rend die kaiserlichen Truppen der tlbermaeht der Schweden weiclien muBten, die nach dem Tode Baners von dem groBen Feldherrn Torstenson gefiihrt wur den. Dieser besiegte die kaiserlich-sachsisclien Truppen bei Breitenfeld (1642), fiel wiederholt verwiistend in Schlesien, Mahren und Bohmen ein, errang einen entscheidenden Sieg bei J mikan und drang sogar bis gegen Wien vor. Die Lage des Kaisers war um so ungiinstiger, als sieb damals auch Georg I. Rakoczg, der dšTachfolger Betblens in Siebenbiirgen, seinen Feinden anscliloB und Spanien (II. 235) ihn wenig unterstiitzen konnte. Da sich aber Torstenson zu sclrvvach fiihlte, um Wien zu belagern, zog er sich wieder nach Mahren zuriick, belagerte Briinn , das sich unter dem Obersten de Souches aufs heldenhafteste verteidigte, ohne Erfolg und legte, nachdem inzwischen Rakoczy im Auftrage der Pforte mit dem Kaiser Frieden gesclilossen liatte, den Oberbefehl zugunsten Wrangels nieder. Mit dessen Zustiminung zog der schwe- dische General Konigsmark nach Bohmen und besetzte einen Teil von Prag. Da endlich erscholl die Kachricht vom heiB erselmten F riedensschlusse. 5. Der VVestfalische Friede (1648). Die Unterhandlungen liber den Frieden fiihrten namentlich der hohen Forderungen Frankreichs halber lange zu keinem Ziele; sie wurden mit, den Pranzosen zu Miinster und mit den 8chweden zu Osnabriick gepflogen. Die Bestimmungen waren kirchliclier, terri- torialer und politischer Art. a) Die kirchlichen Bestimmungen. Der Augsburger Religions- friede wurde auf die Kalvinisten ausgedehnt und das Restitutions- edikt aufgehoben. Als Normaljahr fiir den Besitz der Kirchengiiter und die konfessionellen Verhdltnisse wurde das Jahr 1624 fest- gestellt, d. h. alle Kirchengiiter, welche die Protestanten bis zum 1. Jiinner dieses Jahres eingezogen hatten, sollten ihnen verbleiben 1 und die Untertanen der Reichsstande bei derjenigen Konfession 1 Infolge dieser Bestimmung blieben 15 Bistumer und G Beichsabteien protestantiseh. 1642. 1648. 32 Erster Zeitraum. belassen werden, zu der sie sich damals bekannt hatten; es horte somit das Reformationsrecht der Reichsstande auf. ISTur hinsichtlich seiner Erblander machte der Kaiser Teeine Zugestdndnisse (S. 14). b) Die territorialen Bestimmungen. Franhreich erbielt auBer der Zuerkennung der vollen Hoheit iiber die Bistiimer Metz, Toul nnd Verdun (11.211) die osterreichiscben Gerechtsame im ElsaB, namlich den babsburgiscben Hausbesitz, die Landgrafschaft und die Landvogtei (das Schutzrecbt) iiber die zebn Reichsstadte daselbst, auBerdem noch Breisacli. An Schiveden wurden Vorpommern, ein Teil von Hinterpommern sowie die Štifte Bremen und Verden mit Ausnahme der Reichsstadt Bremen abgetreten, so daB es drei EluB- miindungen beherrschte; es wurde deutscher Reichsstand. Branden¬ burg, das Erbansjjriiclie auf Pommern hatte, wurde hiefiir mit dem Reste Hinterpommerns und den sakularisierten Stiften Minden, Halberstadt und Magdeburg entschadigt; da es im Jabre 1618 auch OstpreuBen geerbt hatte, war es nun der maclitigste Reiclisstand. Dem Soline des Winterkonigs wurde die Rbeinpfalz (die Oberpfalz blieb bei Bayern) zuriickgegeben und fur ibn die achte Kurioiirde errichtet. Endlicb wurde die Unabhangigkeit der Schiveiz und Hollands anerkannt. c) Die politischen Bestimmungen. Den Reichsstanden wurde die unbedingte Landeshoheit und das Recht erteilt, untereinander und mit dem Auslande Bundnisse zu sclilieBen, nur sollten diese nicbt gegen den Kaiser und das Reich gericlitet sein. Die Landes¬ hoheit war eine wirkliche Staatsgewalt, daber der Sprucb: „ Jeder Reichsstand ist Kaiser in seinem Land.“ Hiemit war demnach der Zerfall des Reiches besiegelt. AVeil dem Reiche auch Diinemarlc und Schweden fiir ihre deutschen Bander angehorten, hatte es keinen nationalen Charalcter mehr. 1 — Der Eriedensvertrag ist das letzte in lateinischer Sprache abgefaBte diplomatische Aktenstuck; nunmehr trat die franzosische an ihre Stelle. 6. Deutschland am Ende des Dreifligjahrigen Krieges. a) Die politischen Zustdnde. Der Kaiser war in allen wichtigen Angelegenheiten, wie Gesetzgebung, Steuerwesen und Kriegserkla- rung, an die Zustimmung des Reichstages oder doch der Kurfiirsten 1 Zuletzt waren alle europiiisehen Machte auBer 1'rankreich, RuBland und der Tiirkei im Reiche vertreten. Der DreiBigjahrige Krieg. 33 gebunden. 1 Koch wahrend des Krieges wurde der Reichstag von Fali zu Fali einberufen und von den Reichsstanden selbst besucht; seit dem Jahrel663 tagte er aber nnunterbrochen (der „immerwahrende“ Reichstag) in Regensburg und bestand aus den Abgesandten der Reichsstdnde. Diese berieten getrennt in den Kurien der Kurfursten, Fiirsten und Re-ichsstadte ; 2 zu einem giiltigen Beselilusse („Reichs- schluB“) war die Ilbereinstimmung aller drei Kurien erforderlich. Da iiberdies die Abgesandten bei ivichtigen Anlassen erst die Ent- scheidung ihrer Herren einholen muBten, war der Geschdftsgang duBerst schleppend , was bei einem Angriff auf das Reich sehr ver- derblich werden konnte. Von den „Kammerzielern“ 3 zur Erlialtung des Reichskainmergerichtes abgesehen, gab es keine regelmaBige Reichssteuer; der Kaiser bezog als Oberhaupt desReiches nur wenige tausend Gulden. Ebenso schlimm stand es mit dem IIeerwesen. Ein Reichsheer wurde erst im Bedarfsfalle aus Soldnern gebildet und betrug in der einfacken Starke („Simplum“) seit dem Ende des 17. Jahrhunderts 40.000Mann; in auBerordentliclien Fiillen wurden mehrere Simpla beschlossen, doch gingen die verschieden ausgeriiste- ten Truppenteile und die zu ihrer Besoldung notigen Gelder („R6mermonate a ) hochst mangelhaft ein. 4 Diese Zustiinde veran- laBten damals den beriihmten Rechtsgelehrten Pufendorf zu dem Ausspruche: „Das Reich ist ein Monstrum, einzig in seiner Art.“ Wahrend nach Otto IV. kein Kaiser mehr aus dem Korden des 1 Die. wiehtigste Waffe des Ka.isers war der Reichshofra.t, den daher Ferdinand III. „fast das einzige Stiick, velches vir noeh de sunimo imperio iibrig haben“, nannte. Freilieh ermangelte der Eeiehshofrat, der dem Reichskammer- gerielite nebengeordnet war und ausschlieBlich vom Kaiser zusammengesetzt vurde, den miichtigeren Keichsstanden gegeniiber der notigen Kraft. 8 Es gab damals acht Kurfursten, 69 geistliche und 96 veltliche Fiirsten, wozu noch die zwei Stimmen der nicht gefiirsteten Pralaten und die vier Stimmen der Grafen und Jperren kamen, und 61 Reichsstadte; die Reichsritter varen auf dem Reichstage nicht vertreten. Es trat daher im Gegensatze zu England (II. 175) der niedere Adel und der Biirgerstand stark zuriick. Mit Ein- sehluB der Reiehsiibte, Reichsritter und Reichsdorfer gab es ungefahr 1700 (!) Gebiete mit Hoheitsrechten. 8 Im Singular „Kammerziel“, d. h. Ziel (Termin), an dem die einzelnen Reichsstande ihre Beitriige zur Unterhaltung des Reichskammergeriehtes zu bezahlfin hatten, dann diescr Beitrag selbst. 4 Romermonat liieB der fiir das Simplum erforderliche Monatssold in Er- innerung an die Romerzugo; ein Romermonat betrug 88.000 Gulden. Zeehe, Geschichte der Neuzeit III. 3 34 Erster Zeitraum. Reiches hervorgegangen war und nacli Rudolf I. kein Reichstag mehr dort abgehalten wurde, ging jetzt allmahlich das politisclie tJber- gewicht auf FTorddeutschland iiber. b) Die ivirtschaftlichen und sozialen Zustdnde. Der DreiBig- jahrige Krieg ist in seinen verderblichen Wirkungen mit dem Pelo- ponnesischen und dem Rosenkriege zu vergleichen. Deutschland ver- lor damals ungefahr zwei Drittel seiner Beivohnerj 1 so soli die Be¬ volkerung Bblimens von 2% Millionen auf 700.000, die der Bhein- pfalz gar auf ein Fiinfzigstel herabgesunlten sein. Das Reich hatte achtzig Prozent seines Viehstandes eingebiiBt, weite Strecken waren zur Wildnis geworden, Wolfe streiften in groBen Rudeln umher, die StraBen waren verwahrlost, die Fliisse fast unfahrbar geworden, entlassene Soldner wurden zu Raubern, die ganze Bevolkerung war ver\vildert, Trunk- und Spielsucht allgemein verbreitet. Alle Miin- dungen der groBeren Fliisse standen unter fremdem Einilusse, Ge- werbe, Industrie und Handel waren ganz verfallen (den deutschen Ilandel beherrschten England und Holland), 2 fast alle Stadte seufzten unter einer erdriickenden Schuldenlast, bereits begann die Auswanderung nach Amerika. Seit der Zeit der Volkenvanderung war keinem Kulturvolke des Erdteiles ein solches Schicksal zuteil geworden. An die Stelle des friiheren Selbstgefiihles trat ein knechti- scher Sinn, der den deutschen ISTamen auf lange Zeit im Auslande verachtlich machte und den Sieg des Alamodewesens erleichterte. 3 Da der einzelne nur von seinem Landesherrn, nicht mehr vomReiche 1 Die Bevolkerung Deutschlands mag vor dem Kriege 25 Millionen betragen haben; sie erreichte erst 1820 wieder diese Hohe. Bis dahin war Erankreich der bevolkertste Kulturstaat Europas. In Iglau waren vor dem Kriege liber 7000 Tuehmacher ansiissig, am Ende des Krieges ziihlte man daselbst im ganzen 299 Burger! 2 Der letzte Hansatag wurde im Jahre 16G9, und zwar in Liibeek abgehalten. Nicht die Verlegung der Haupthandelswege seit dem Beginne der Neuzeit, son- dern die Ohnmaeht des Eeiches, die den deutschen Kaufmann im Auslande nicht zu sehiitzen vermochte, hat dem deutschen AuBenhandel seit der Mitte des 16. Jahrhunderts den Niedergang bereitet. Im Mittelalter hatte unter anders gearteten Verhaltnissen (die anderen Staaten waren damals noch nicht erstarkt) die Schwache des Reiehes dem glanzenden Aufschwunge des Stadtewesens Yor- schub geleistet. 3 Moscherosch sagt: „Wenn man eines neusiichtigen Deutschlings Herz offnen und sehen wollte, so wiirde man fiinf Aehtel franzosisch, ein Achtel spaniseh, ein Achtel italienisch und nur ein Achtel davon deutsch finden.“ Der DreiBigjahrige Krieg. 35 Rettung hoffte, rnaclite dasRationalgefiihl einem beschranktenParTi- kularisrnus Platz, der die landesfiirstliche Maclit steigerte; hiezu trug auch das Aufkommen stehender, aus Soldnern gebildeter Heere wesentlich bei. Daneben bliilite damals ganz besonders der Hexen- walin, der selbst Kinder nicht verschonte und erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Ende nahm; 1 seine weite Verbreitung und lange Erhaltung ist nur durch die Anwendung der Folter erklarlieh (II. 169). Wabrend im Zeitalter des Humanismus der Biirgerstand die geistige Fiihrung der Kation katte, verdrangte ihn jetzt fiir ungefalir 150 Jahre der Adel, der die hoheren Stellen fast aus- schlieBlich erhielt. c) Die geistigen Zustdnde. Bis zum Ende des 17. Jalirliunderts behauptete die lateinische Spraclie die Alleinherrschaft in den ge- lehrten Scbulen und in der Wissenschaft. Der Verfall der deutschen Spraclie (II. 190) iviirde namentlicli durch die Aufnalime zahl- reicber Fremdivdrter befordert, dem Meistergesange bereitete der Krieg im allgemeinen den Untergang. Auf dem Gebiete der Poesie ist auber einigen Kirchenliedern nur der satirische Roman Sim- plicissinius von dauernder Bedeutung. Kicht minder traurig sah es in der Kunst aus. Jeder Zusammenliang mit der friilieren Entivick- lung ist unterbrochen, so daB die wenigen Kimstiverke, welclie die Fiirsten ins Leben riefen, von Auslandern, namentlich Italienern, Franzoeen und Kiederlandern, herriihren. Durch den unheilvollen Krieg wurde Deutschland in seiner Entwicklung um mehrere hundert Jahre zuriickgeworfen ; 2 das er- leichterte die Begriindung des franzosischen t)bergewichtes. 1 Die letzte Hexe wurde 'in Deutschland im Wiirzburger Bistum im Jahre 1748 verhrannt, noch spiitere Falle kamen in Spanien und in der Schweiz vor. 2 England erholte sich nach dem Bosenkrieg und Frankreich nach den Hugenottenkriegen rascher, weil beide einheitliehe Staatsivesen waren. 3 * 36 Zweiter Zeitraum. Zweiter Zeitra-am. Das Zeitalter der absoluten Fiirstenmacht (1648—1789). Erstes Kapitel. Der hofische Absolutismus 1648 - 1740 . (1648 — 1740). 1 I. Ludwig XIV. und die Vorherrschaft Frankreichs. 1610 - 1643 . A. Ludwig XIII. (1610 —1643). Kacli Heinrichs IV. Ermordung folgte ihm sein wenige Jalire alter Sohn Ludwig XIII., fiir den seine Mutter die vormundschaft- liche Regierung fiihrte. Als er herangewaclisen war, ernannte er den Kardinal Richelieu zu seinem leitenden Minister (1624—1642). Dieser hochbegabte und tatkraftige Staatsmann suchte mit riick- sichtsloser Strenge die konigliche Gewalt von jeder Schranke zu befreien und die Ubermacht Frankreichs in Europa zu begriinden. Zur Erreichung des ersteren Zieles trat er den Ausschreitungen der Groben, deren Einflub in den Hugenottenkriegen gestiegen war, auf das entschiedenste entgegen; selbst des Konigs Bruder, der Herzog von Orleans, wurde wegen Teilnalime an einer Emporung bekampft und mubte sich fluchten. Die adeligen Statthalter in den Provinzen verdrangte Richelieu allmablicb durcli biirgerlicbe Be- amte und schiitzte die niederen Stande gegen die Hbergiuffe des Adels. Den Anspruch des Pariser Parlaments, des liochsten Gerichts- uofes im Bande, die koniglichen Steuererlasse zu verwerfen, wies er itnbedingt zuriick, die Reiclisstande berief er niemals. Da seine poli- tischen Gegner an den Ilugenotten einen Halt hatten, entrib er diesen ihre Sicherheitsjilatze, olme aber ihre sonstigen Rechte anzutasten. Von den Beamten verlangte er die genaueste Ausfiilirung der konig- liclien Befehle und betrachtete jede Verletzung der koniglichen Majestiit als einen Erevel, der die strengste Bestrafung verdiente. 1 W. Boscher, Politik. Gesehichtliclie Entwickelungslehre der Monarchie, Aristokratie und Demokratie, Stuttgart 1892. — M. Philippson, Ludwig XIV. (bei Oneken). Ludwig XIV. 37 Um Frankreich (lie politische Vorherrschaft zu verschaffen, bekampfte er das Hans Habsburg in beiden Linien. Er trug wesent- lich zur Verlangerung des DreiBigjahrigen Krieges bei und unter- stiitzte die ITollander und die Portugiesen gegen Spanien (II. 235). B. Ludwig XIV. (1643 — 1715). 1. Die Leitung des Staates durch den Kardinal Mazarin (1643 1661). Mazarin fiihrte anfangs fiir den minderjahrigen Konig und dann auch, als dieser grofijahrig geworden war, bis zu seinem Tode die Regierung. Noch von Richelieu hiezu empfohlen, setzte er, ob- wohl als Italiener beneidet und gehafit, die innere und aufiere Politik seines Vorgangers mit Gliick fort. Freilicli vereinigten sieh in dem gefahrlichen Aufstande der Fronde („Schleuder“, 1648 — 1653) alle Gegner der absoluten Staatsgewalt, namlich mehrere holie Adelige, der Koadjutor des Erzbischofs, das Parlament und auch ein Teil der Biirgerschaft von Pariš, gegen ihn; aber nach der ]Sriederwerfung des Aufstandes regierte er ohne weitere Schwierigkeiten. In seine Zeit fallt der Abschlufi des Westfdlischen und des Pgrendischen Friedens (1659) ; der letztere beendigte den lang- wierigen Krieg mit Spanien und verschaffte Frankreich die Graf- schaften Artois mit Arras und Roussillon, so dah es im Siiden durchaus bis an die Pyrenaen reichte. Gleichzeitig wurde die Ver- mahlung Ludwigs mit Maria Theresia, der Tochter Philipps IV., beschlossen, die aber allen Anspriichen auf die spanische Monarcliie entsagen mufite. Richelieu und Mazarin ermoglichten die Ausbildung einer schrankenlosen Staatsgewalt durch Ludwig XIV. 2. Ludwigs XIV. Selbstregierung (1661 1715). Zur allgemeinen tlberraschung iibernahm nach dem Tode Ma- zarins Ludwig XIV. selbst die Regierung, um die er sich bisher wenig geldimmert hatte. Er besafi ein ausgezeichnetes Gedachtnis, einen festen Willen, einen scharfen Verstand und grofie Mensclien- kenntnis; aufierdem entfaltete er anfangs eine unermiidliche Tatig- keit. Seine hervorstechendsten Charakterziige waren Stolz und Eitel- keit; nie erlaubte er sich einen Scherz oder duldete er einen solchen in seiner Gegenwart. Der schonste Mann des Landes, konnte er von verfuhrerischer Liebensmirdigkeit sein, weshalb er in den ersten 1643 - 1715 . 1643 - 1661 . 1659 . 1661 - 1715 . 38 Zweiter Zeitraum. Jahren sehr beliebt war; er konnte aber auch heftig ziirnen — man sagte, seine Štirne sei mit dem Blitze bewaffnet — und fiirchtete ihn daher. „Er betrachtete sich als den von Gott bestimmten Ver- treter aller weltlichen Autoritat im Reiche und fiihlte sich von allen Widerstrebenden personlich beleidigt“ (Ranke). Sein Haupt- bestreben war, Frankreich zum maclitigsten und gliinzendsten Staate in Europa zu erheben. Deshalb fiihrte er mehrere Eroberungskriege, die namentlicb die Beraubung sein-er schwachen Rachbarstaaten Deutschland und Spanien zum Zwecke hatten. j ‘ a ) Ludwigs XIV. Kriege. 1667 - 1668 .' a ) Der erste Uaubhrieg (1667 — 1668). Trotz der Bestimmung des Pjrenaischen Friedens erhob LudwigXIY. nach dem Tode seines Schvbegervaters Anspruch auf die iSiiederlande und fiihrte dadurch den Krieg herbei. Als er die Spanier in den Riederlanden und der Franche-Comte schlug, schlossen Ilollcmd, England und Schiveden auf Betreiben des Ratspensionars 1 Johann de Witt gegen ihn die Tripelallianz, um Frankreich nicht iibermachtig werden zu lasaen. Deshalb sah sich Ludwig zum Frieden von Aachen genotigt, in dem er einen Teil von Flandern gewann. 1672 - 1678 . p) Der ziveite Baubkrieg (1672 — 1678). Weil Ludwig die JIol- liinder fiir die Urheber der Tripelallianz hielt, beschlofS er, sich an ihnen zu rachen, zumal da sie ihm auch als Republikaner und Kalvinisten verhaBt waren. Die Gelegenheit schien fiir ihn giinstig, denn in Ilolland war infolge des Zhviespaltes zwischen der aristo- kratischen Partei, deren Haupt Johann de Witt war, und dem Ilause Oranien, das die erbliche Statthaltenviirde bekleidete, das Landlieer verfallen. ISTachdem ferner Ludvig England und Schiveden durch Bestechung gewonnen und auch den Erzbischof von Edin sowie den Bischof von Miinster auf seine Seite gebracht hatte, riickte er in die Niedeiiande ein und besetzte fast das ganze Land. Da schritt das Volk zur Selbsthilfe; es durchstach namlich die Damme, um das Land zu iiberscluvemmen, und zwang die Regierung, den Oranier Wilhelm III. -vvieder zum erblichen Statthalter einzusetzen; Johann de Witt wurde in einem Aufstande ermordet. Auch schlossen der Kaiser, Spanien, das Deutsche Reich und Lothringen einen Bund 1 Dieser war der Ge-samtvertreter von neun hollandischen Stiidten bei den Staaten, d. h. Standen Hollands; er leitete die auBere Politik. Ludwig XIV. 39 zur Bekampfung Frankreichs. Da aber der Minister Leopolds I., der Fiirst Lobkovsitz, ein Bewunderer Lndwigš war, konnte der dster- reichische General Montecuculi im ElsaB gegeniiber Turenne keine Erfolge davontragen 1 und der Kurfiirst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg zog seine Truppen vom Reichsheere zuriick, weil die Schweden von Pommern aus in Brandenburg einfielen. 2 Wahrend aber Ludwigs Feldherr Vauban die Franche-Oomte besetzte, wurden die Schweden vom Kurfiirsten, der seitdem der Grobe genannt wurde, bei Fehrbellin (1675) so entsclieidend besiegt, daJ3 sie Pom- 16'i mern zum groBten Teile raumen muBten. Kunmehr erfolgte der FriedensschluB zn Nimwegen, wobei Ludwig seine Gegner geschickt zu trennen verstand. Ilolland, mit dem zuerst der Friede zustande kam, verlor keinen FuBbreit Landes; dagegen trat Spanien auBer 14 Platzen in den Kiederlanden die Franche-Gomte und der Kaiser Freiburg an Ludwig ab. Zuletzt muBte zu St. Germain der GroBe Kurfiirst den Schweden alle ihnen entrissenen Gebiete zuriickgeben (1679). y) Die Reunionen (1680 — 168Jf-). Allgemein herrschte die 1680 Uberzeugung, daB der Friede von JSTimwegen nur ein Waffenstill- stand sei; bald maclite Ludwig mitten im Frieden neue Eroberungen. Er untervvarf zunachst die zehn Beichsstadte auBer StraBburg sowie die Reichsritter im ElsaB und setzte dann bei den Parlamenten von Metz, Breisack und Besangon die Reunionskammern ein, die unter- suchen sollten, was zu den an Ludtvig in den Jahren 1648, 1659 und 1678 abgetretenen Gebieten einst gehort hatte. Darauf gestiitzt, be- setzte er zahlreiche Stadte und Porfer Spaniens und des Dcutschen Reiches; dem ersteren entriB er Luxemburg, dem letzteren das feste StraBburg (1681). Der Kaiser muBte infolge des Aufstandes in Ungarn, bei dem Ludwig die Hand im Spiele liatte, mit ihm einen zwanzigjahrigen Waffenstillstand schlieBen, demzufolge Ludwig seinen Raub behielt. Pamals stand Ludwig auf der Iloha seiner Machi j durcli den AnschluB Englands gebot er im Mesten und durch 1 Montecuculi sagte, in Pariš kenne man diean ilin gerichteten Befelile friilier als er; audi hatte er den Auftrag, jeden ernsteren ZusammenstoB zu vermeiden. a Weil sich Messina gegen Spanien empiirte, erstreckte sich der ICi-iegs- sehauplatz von der Ostsee bis nach Sizilien. Der ge\vohnliche Sehauplatz der damaligen Kriego waren Belgien und die Rheingegenden; das deutsche Rhein- gebiet war besonders stark zersplittert. 40 Zweiter Zeitraum. 1688-1697. J|Kf 1697. seine Verbindungen mit Schvveden, Polen, Ungarn und der Tiirkei auch in der Mitte nnd im Osten des Erdteiles. d) Der dritte Raubkrieg (1688 — 1697). Die Fortschritte des Kaisers im Kampfe gegen die Tiirkei veranlaBten Ludwig trotz des Waffenstillstandes zur Erneuerung des Rrieges. Den Vorvvand hiezu boten ihm die angeblichen Anspriiche seiner Schwagerin, der edlen Elisabeth Charlotte von Orleans , auf Teile der-Pfalz. Diese war die Schwester Karls, mit dem kurz vorher die kurpfalzische Linie der Wittelsbacher erloschen war; Kechtsanspruch auf das Erbe liatten aber einzig und allein die Pfalzgrafen von Neuburg (S. 17). Wah- rend sich der Kaiser mit Spanien, Schiveden und mehreren Reichs- stdnden gegen Ludwig verband, schlossen sich der Kurfiirst von Koln und andere geistliclie Fiirsten am Rhein an Ludvvig an, der in die Pfalz einfiel und bald ITerr der ganzen Rheinlinie war, da hier zum Ungliicke fiir Deutschland eine groBe territoriale Zersj)litterung herrsclite. Die franzosischen Soldaten, die von ihren Offizieren absichtlich trunken gemacht wurden, hausten in der Pfalz wie die Mongolen; das Land \vurde grauenvoll verheert, die Dorfer wurden niedergebrannt, die Stiidte, wie Speyer, Mannheim und Heidelberg, groBtenteils zerstort; in Speyer wurden die Leichen der deutschen Kaiser aus der Grabesruhe herausgerissen, in IVIannlieim blieb kaum ein Stein auf dem andern, in Heidelberg wurde das prachtige ScliloB zur Ruine gemacht. Eben damals vvar der Statthalter der Hieder- lande, Wilhelm III. von Oranien, der Haupturheber aller gegen Ludwig gerichteten Verbindungen, auch Konig von England ge- worden; als er nun dem Bunde gegen Frankreicli beitrat, hatte dieser das Hbergewicht zur See, wahrend Lud\vig den Krieg zu Lande (in den Niederlanden, am Rhein und in Italien) mit Erfolg fortsetzte. Der Sieg der englisch-hollandischen Elotte bei La Hogue (1692) vernichtete die Stellung Frankreichs zur See. Infolge der finanziellen Erschopfung des Landes muBte Ludwig den Frieden von Ryswick 1 schlieBen (1697). In diesem verzichtete er auf fast alle reunierten Gebiete mit Ausnahme von StraBburg. Erankreich hatte militarisch und finanziell eine schwere EinbuBe erlitten, walirend Englands Seemachtstellung bedeutend gestarkt war. Gegen die unersattliche Eroberungslust Ludwigs 1 Der Volkswitz nannte die Friedenssclilusse von Nimwegen und Ryswick die von Nimmweg und Rei6weg. Ludwig XIV. 41 verbanden sicli katholische und protestantische Machte; es traten also seit dieser Zeit die konf essionellen Gesiclitspunkte der Politik zugunsten der weltlicJi-staalliclien zuriick. b) Ludwigs XIV. Regierung im Innern. a) Die Staatsverwaltung. Da Lndmg nach dem Tode Mazarins mit jedem Fachminister unmittelbar verkehrte, lernte er alle Zweige der Staatsverwaltung kennen. Kem anderer Iierrscher erfreute sich damals so hervorragender Ratgeber wie er; namentlich leisteten ilim Lionne als Diplomat, Louvois als Kriegsminister und Colbert als Finanzminister treffliche Dienste. Colbert verbesserte nicht nar das sehr zerriittete franzosische Finanziuesen, sondern hob auch die Volksivirtschaft. In ersterer Be- ziebung strafte er zahlreiche Steuerpachter, 1 welche die Bevolkerung aussaugten, an Geld und Freiheit; die dem Staate entwendetenGiiter gewann er diesem zuriick, viele entbehrliclie Amter beseitigte er usw. In letzterer Hinsicht ist seine wicbtigste Tat, daB er nicht nur fiir Frankreich, sondern auch auf einundeinhalb Jahrhunderte fiir Europa dem Merkantilsystem den Sieg verschaffte. Dieses sieht den Reichtum des Staates in der Menge des vorhandenen Geldes 2 und sucht daher durch Verminderung der Ein- und Steigerung der Aus- fulir eine aktive ITandelsbilanz, d. h. einen tlberschuB des Wertes der x\usfuhr zu schaffen. Dieses Ziel solite durch moglichste Forde- 1'ung der Industrie erreicht werden; deshalb wurden Staatsfabriken errichtet, den Fabrikanten Vorschiisse und Privilegien in der Form von Monopolen gewiihrt und auslandische Industriewaren entweder ganz verboten oder nur gegen hohe Schutzzdlle zugelassen. Zur 1 Die Verpaehtung der Steuern lieB auch er bestehen; sie war im damaligen Frankreich ebenso eine Folge der geringen AnzahI der Beamten wie im alten Rom (1.200). 2 Zum Nationalvermflgen, d. h. der Gesamtheit der wirtschaftlichen Giiter, gehiiren aber auch Grundbesitz, Hauser, Nutzvieh, Schulen usw. — England hat in den Jahren 1801 —1896 um 65.000 Millionen Mark mehr ein- als ausgefuhrt, es muBte daher nach dem Grundsatze des Merkantilsystems ganzlieh verarmt sein. England bezieht al>er jahrlich aus dem Seefrachtengeschaft etwa 60 und aus den Zinsen von im Auslande angelegten Ivapitalien 75 Millionen Pfund; es erzielte daher allein aus diesen zwei Einnahmsquellen in jenen 36 Jahren einen tlberschuB von ungefiihr 32.000 Millionen Mark. -— Vgl. G. Maicr , Soziale Be- wegungen und Theorien bis zur modernen Arbeiterbewegung, 3. Aufl., Leipzig 1906. 42 Zweiter Zeitraum. Erleichterung des Verkehres im Innern wurden die Binnenzolle her- abgesetzt, Kanale gebaut und Hafen angelegt, fiir den Verkehr nach auBen die Ost- und westindische Handelsgesellschaft gegriindet, Kolonien zur Lieferung von Bohstoffen und Abnahme von Industrie- tvaren in Indien, an der Westkiiste Afrikas und am Mississippi an- gelegt und eine starke Kriegsfiotte, damals die groBte der Welt, ins Leben gerufen . 1 Alle ortlichen und provinzialen Sonderreclite und Sondereinrichtungen, durch die der mittelalterliche Staat und das mittelalterliche Wirtschaftsleben besonders gekennzeicbnet sind, sollten beseitigt und Frankreich zu einem abgeschlossenen und streng einheitlichen Korper in staatlicber und in wirtschaftlicher Hinsicht umgestaltet werden. Der Geist der Bevormundung, der dem Merkantilsystem eigen ist, stelit daber im Einklange mit der Aus- bildung der absoluten Staatsgewalt. Durcb seine Mafiregeln machte Colbert Erankreich zu einem bliibenden Industrie- und Handelsstaate j namentlicb die verscbie- denen Zweige der Kunstindustrie (Herstellung von Porzellan- und Seidenwaren, Spiegeln, Gobelins 2 usw.) nabmen einen boben Auf- scbwung und Frankreichs Handel beberrschte seitdem den europai- schen Siiden, -vvie gleicbzeitig England den Kor den. Freilicb gescliah dies zum Teile auf Kosten des Ackerbaues, da die Ausfuhr von Ge- treide und Vieb untersagt war (dadurch sollten niedrige Arbeits- lobne ermoglicbt werden) und die zablreichen SchutzmaBregeln den Preis der Industriewaren steigerten. Colbert war daher bei den Bauern, die ungefahr vier Eunftel der Bevolkerung bildeten, auBerst verhaBt, obwohl er die Grundsteuer bedeutend herabsetzte; unter Scbmabreden wurde er begraben. Im ganzen verdoppelte Colbert die Staatseinnahmen und lieferte dadurch seinem Konige die Mittel zu den zahlreichen Kriegen, den Bestechungen, der Unterstutzung von Kunst und Wissenschaft und zur Bestreitung des glanzenden ILof- lebens. Auf dem Gebiete des Heerivesens war Louvois erfolgreich tatig. Wabrend bisher die hoheren Stellen kauflich waren und die unteren Offiziere von den hoheren abbingen,wurden von nun an alleOffiziere 1 Damals kam der Flaehenraum der franzSsisehen Kolonien dem von ganz Europa gle'ich, jetzt ist er noch etwas groBer. 2 Ge\virkte Wandteppiche, \vie zur Zeit Raffaels die Arazzi. Seit Colbert ist Frankreich das u-ichtigste Land fiir Mode- und Luxusindustrie. Lučhvig XIV. 43 vom Konige ernannt oder doch bestatigt, ferner das gesamte FuBvolk mit Feuergewehren ausgeriistet (bislier waren nur zwei Drittel damit versehen) und das Heer, das nnr aus Landeskindern gebildet wurde, auf 220.000 Mann erholit, so daB Frankreicli iiber Heere verfiigte, wie man sie seit den Kreuzzugen nieht mebr gesehen batte. Der beriilimte Kriegsbaumeister Vauban erbaute 33 neue und stellte 300 alte Festungen wieder her. Infolge seiner finanziellen und militarischen TIberlegenheit wurde Ludwig der machtigste Herrscher in Europa. Er batte aber nicht das wabre Wohl Frankreichs, sondern nur die Befriedigung seiner eigenen Herrschsucht und Eitelkeit im Auge; nach dem Grundsatze „L’etat c’est moi“ betracbtete er jeden Widerstand gegen seine Person als Hochverrat am Staate. So steigerte sicb der tat- sachliche Absolutismus des 16. Jahrhunderts zum grundsatzlichen in abnlicber Weise, wie sich aus dem Prinzipat die diokletianische Staatsordnung entwickelt hatte. ft) Ludioigs kirchliche Politik. Ludwig wollte aucb in kirch- lichen Dingen unbedingt herrschen; das sollten sowohl der Papst als auch die niebtkatbolischen Christen des Landes zu fiiblen bekommen. Die gallikanischen Preiheiten. ISTach dem Ausspruche des da- maligen Biscbofs Fenelon, eines beruhmten Predigers, Scbriftstellers und Erziehers der drei koniglichen Enkel, war der Konig weit mebr Gebieter iiber die katholische Kirche als der Papst (II. 218). Da Ludwig das Recht in Ansprucb nahm, in ganz Frankreicb wabrend der Erledigung eines Bistums dessen Einkunfte zu bezielien („Regalienstreit“), so kam er aucb in Gegensatz mit dem Papste. Desbalb berief er auf Veranlassung des Biscbofs Bossuet, eines hervorragenden Kanzelredners, ein Nationalkonzil (1682) ; dieses beschloB die .. gallikanisch en Freiheiten' . welche besonders die Un- abbiingigkeit der weltliclien Macht von der geistlichen betonten. Im ubrigen befolgte Ludvig die kircblichen Vorschriften genau und verlangte es aucb von anderen. Die Beledmpfung der Jansenisten; Aufhebung des Ediktes von Nantes. Damals war in den hoberen Gesellscbaftskreisen der - Janse- nismus verbreitet. Die Anhanger dieser Sekte nalierten sicb der kalvinischen Lebre von der Rechtfertigung und bekampften den Josuitenorden. Budwig duldete die Bebre nicht und lieB ibren Hauptsitz, das Nonnenkloster Port Royal bei Versailles, schlieBen. Noch schlimmer erging es den Hugenotten. Der Ilonig versuclite 1 ~ fig,Ne i) itj (P< A Kpjifa; ms (eurtuv«,! ifČpJtiAA- kjyu,\..£os. ! 44 Zweiter Zeitraum. zunachst, durch einige Zugestandnisse ihren Hbertritt znm Katholi- zismus herbeizufiihren; als dies aber miBlang, schritt er zu Gewalt- maBregeln. Er lieB namlich in den Ilausern der hartnackigen Kal- vinisten Dragoner einquartieren (die „Dragonaden“), die so lange daselbst bleiben sollten, bis die Bewohner katholisch geworden waren. iNachdem sehon hiedurch die Zabl der Hugenotten bedeutend ab- genommen hatte, verbot er auf den Eat seiner zweiten Gemahlin, der frommelnden Frau von Maintenon, durch die Aufhebung des Ediktes 1685. von Nantes (1685) die Ausiibung der kalvinischen Lehre, untersagte aber gleichzeitig die Auswandernng der gewerbfleiBigen Hugenotten. Gleichwohl verlieBen ungefahr 300.000 Eliichtlinge (refugics) heim- lich Frankreich und wurden von den protestantiachen Landern, namentlich von Brandenburg, mit offenenArmen aufgenommen,wah- rend hingegen Frankreiclis Wolilstand dadurch schweren Schaden erlitt (S. 22). Am langsten wehrte sich die bauerliche Bevolkerung der Cevennen, die Camisarden 1 , gegen den aufgedrungenen Glau- benswechsel und konnte erst nach mehrjahrigem Kampfe bezmmgen werden. y) Die Pftege der Literatur und Kunst. Ludwig unterstiitzte Gelelirte, Dichter und Kiinstler, um dadurch seinen Ruhm zu er- hohen. Infolgedessen erhielten Poesie und Kunst einen hofischen Charakter (I. 240); der Konig \vurde von den Dichtern iiber Časar gestellt und als franzosischer Herkules oder Mars gepriesen. Nach- dem bereits Richelieu durch die Griindung der „Franzosischen Akademie“ einen obersten Gerichtshof fiir die Reinheit der Sprache und des Geschmackes geechaffen hatte, wurden unter Ludwig zum erstenmal in Europa grdBere ivissenschaftliche JJnternehmungen vom Staate ausgefiihrt; dahin gehort die Errichtung von Gelehrten- und Kunsti er-Akademien, die Griindung groBer Bibliotheken, eines botanischen Gartens, einer Stermvarte usw. Infolge des politischen tlbergewichtes Frankreiclis verbreitete sich der EinfluB der fran- zdsischen Sprache , Literatur und Kunst fast iiber ganz Europa. Jahr ftir Jahr begaben sich viele Deutsche nach Pariš, um daselbst die Sprache, feines Benehmen, Wissenschaft und Kunst zu lernen; anderseits liberschwemmten zalilreiche Erzieher, Tanzer, Spracli- meister, Koche, Schneider usw. Deutschland und beherrschten die Gesellschaft. 1 So genannt nach dem Worte „camise“ (Leinenkittel). Luduig XIV. 45 Die Literatur. Die vvertvollsten Erzeugnisse jener Zeit gehoren dem Drama an, das damals seine klassische Ilohe erreichte. Corneille und Racine waren die beriihmtesten Tragodien-, Moliere , uberhaupt einer der groBten Dichter, der hervorragendste Komodiendichter der Zeit. Als Fabeldichter ivurde La Fontaine, durch seine Satiren und seine kritischen Schriften Boileau beruhmt. Auf wissenschaftlichem Gebiete ist der groBte franzosisclie Denker der Zeit, der Mathematiker, Physiolog und Pbilosopb Des¬ cartes (Cartesius) zu nennen, der aber nach Holland auswanderte, wo auck der Philosoph Spinoza, ein portugiesisclier J ude, eine Frei- statte fand (S. 10). Alle Meisterwerke dieser Literaturepoche fallen in die erste Zeit des Konigs. Die Kunst. ISTamentlich die BauTcunst und die Malerei dienten der V erberrlichung Ludwigs. Damals h er r selite der Barockstil („Stil Ludivigs XIV.“), der sich infolge des koniglichen Beispieles in ganz Europa verbreitete; das bekannteste Denkmal ist der oft nacb- geahmte Palast zu Versailles, den Ludwig mit ungeheurem Auf- wande (150 Mili. Livres, 1 Livre= 80 h) auffiibren lieB. Im Innern wurde er von Lebrun mit groBen Gemalden, welcbe die Taten des Konigs schilderten, ausgeschmiickt. An den Palast schlossen sich ausgedehnte Gartenanlagen, die Le Notre, der Vater des franzosi- schen Gartenbaustiles, schuf; diesem Stile gemaB muBte sich auch die Kat,ur den Launen des Konigs fiigen. 1 Unter Ludwig wurde auch der Louvre vollendet. Der groBte franzosisclie Maler jener Zeit war der Landschafter Claude Lorrain, der aber nieist in Italien lebte. Gegen das Ende des Jahrhunderts sind die groBen Maler aller iilteren Schulen tot. dl Das Hofleben unter Ludivig XIV. Das Leben am Hofe war eine Kette von Vergniigungen, wie Balletten, Theatervorstellungen, liindlichen Festen usw., die riesige Summen erforderten. Daneben herrschte sittliche Ausgelassenheit, die nur oberflachlich von einer streng geregelten Etikette verdeekt und in die auch der Adel hinein- gezogen wurde. Auch das Hofleben Ludwigs wurde bis auf die groBe Locken-(Allonge-)Periicke herab von anderen Eiirsten, namentlich in Deutschland, nachgeahmt. 1 Die willkurliehe Besehneidung der Bitume kommt tibrigens in Italien sohon in der romisehen Kaiserzeit und in der Renaissance vor. Glcgen Ende des 18. Jahr- liunderts verbreitet sich in Deutschland der englisclie Parkstil. 46 Zweiter Zeitraum. Wakrend der ganzen Regierungszeit Ludwigs wurde kein ernst- licker Versuck gemacht, provinziale, standische, feudale oder kirch- liclie Redite gegen ihn zur Geltung zu bringen. Infolge der zu- nehmenden Verarmung Frankreichs aber, einer Folge seiner kost- spieligen Politik, regte sicb in seinen spateren Jakren der Wider- spruck in der Literatur, so daB siek die Kerker mit politiscken Gefangenen fkllten. Selbst Fenelon und Vauban erkoben warnend ikre Stimmen. Der erstere betonte in seinem prosaiscken Epos „Die Abenteuer des jungen Telemach^ die Pfiichten des Herrscliers gegen- liber dem Staate und fiel deshalb beim Konig in Ungnade; der letztere griff das System Ludivigs vom wirtsekaftlichen Standpunkte aus an, da es den Staat mit 2500 Millionen Livres Schulden belastet hatte. Es entstand sogar eine Verschworung gegen den Konig, der zuletzt allgemein verhaBt ward und nack dem Tode seines Soknes und seines Enkels, wie Augustus, mit dem er sich gerne vergleicken lieB, ganz vereinsamt starb. II. Grofibritannien und Irland. 1649 - 1660 . A. Oliver Cromwell und die Republik (1649 — 1660). 1. Die Begriindung und Sicherung der neuen Staatsordnung. Der Hinricktung Ivarls I. folgte die Beseitigung des Konigtums und des Oberhauses sowie die Einsetzung eines Staatsrates als oberster Regierungsbehorde; dessen eigentlicke Seele war auBer Cromivell der Sekretar Jokn Milton, der Dickter des „Verlorenen Paradieses“. Da die Iren und die Schotten Karls Sokn Karl II. als iliren Konig anerkannten, riickte Cromwell gegen beide ins Feld; den Widerstand der ersteren unterdriickte er mit eiserner Strenge und zog einen groBen Teil des Landes zugunsten engliscker Kole- nisten ein, die Sckotten besiegte er in der Scklackt bei Dunbar ganzlick, weskalb sick Karl nack Frankreick fliioktete. So wtirde die Einlieit der Regierungsgewalt rviederkergestellt. 2. Crom\vells auRere Regierung. Um das Ubergewickt der Ilolliinder zur See zu brecken, 1 besckloB das Parlament die Navi- 1 Dam.als gab ea in ganz Europa ungefiihr 25.000 Handelsschiffe; von diesen entfielen auf Holland iiber 15.000, auf England ilber 6000 und auf Frank- reich 2300. -— Vgl. O. K. Anton, Die Entwickelung des franzosischcn Kolonial- reielies, Di’esden 1897. Die Niederlander nennen das 17. Jahrhundert die goldene Ara ihrer Geschichte. Cromwell. 47 gationsakte (1651); diese bestimmte, daB in England fremde Waren nur auf engliscben oder auf Scliiffen derjenigen Lander eingefiibrt werden diirfen, in denen diese Waren erzeugt worden sind. Da hiedurch der liollandische Zivischenhandel anfs schwerste getroffen wurde, kam es zu einem dreijalirigen Kriege, in dem der englische Seeheld Blake den Sieg davontrug, so daB sicli die Ilollander fiigen muBten; ilire bandelspolitiscbe Alleinherrscbaft war seitdem ge- brocben. In einem Kriege mit Spanien erwarb Gromwell Jamaika und Dunkirchen. Diese Erfolge der auBeren Politik, durcb die Eng¬ land die erste Seemacbt Europas wurde, starkten aucb die Stellung Cromwells im Innern. 1 3. Cronrvvells innere Regierung. Gefabrliclier als die Angriffe der Presbyterianer und der Royalisten waren die Forderungen der Levellers („Gleichmacber“), die kominunistiscben Anschauungen liuldigten. Wider seine Gegner scliritt CromwelD mit auBerster Strenge ein und ging in ihrer Verhaftung noch weit willkiirlicber vor als Karl I. Als ihm das Rumpfparlament Scbwierigkeiten be- reitete, loste er es auf und berief eine Versammlung independenti- stisch gesinnter Kotabeln, die durcli den Kat der Offiziere, der neben dem Staatsrate bestand, und durch eifrige Gesinnungsgenossen im ganzen Lande ausgewalilt mirden. Dieses Schein-Parlament („Bare- bone-Parlameni") ward jedoch wegen seiner radikalen Bescblusse von Cromwell aufgelost. Ilierauf wurde er in einer Versammlung der Staatswurdentrager zum lebenslanglichen Lord-Protektor der Republik ausgerufen (1653), ja, bald taucbte im Parlamente der Gedanke auf, ihn zum Konige zu erbeben, ein Plan, den er wegen der Stimmung des Ileeres fallen lieB; doch wurde ibm das Recbt ubertragen, seinen Kacbfolger zu ernennen. Freilicb fehlte es aucb an Mordversucben nicht, denen er aber glucklicb entging. Er starb im Jahre 1658. Das Ergebnis seiner Regierung ist, daB er Englands IMacht- stellung \vesentlicb erbohte und die Revolution im Innern beendete; da er sicb hiebei auf ein starkes Ileer stutzte, kann man seine Regierung als Militardiktatur bezeichnen. 4. Richard Cromwell. Unter dem Sobne und Kaclifolger Oliver Cromwells daiierte der Zwiespalt zwiscben Ileer und Parlament fort, 1 ]>er Krieg zwischcn England und Holland, die einst gegen Spanien ver- bundet waren, zeigt ebenfalls das Zuriicktreten der konfessionellen Politik (S. 41). 1651. 1658. 48 Zweiter Zeitraum. weshalb Kichard noch vor Jahresfrist abdankte. Hierauf zog der General Monik in London ein und berief ein nenes Parlament; dessen anglikaniscbe und presbjterianische Mitglieder erkannten Karl II. als Konig an, nachdem er die verlangte Amnestie und Beligions- freiheit zugestanden hatte. Unter grenzenlosem Jubel der Bevol- kerung zog er in London ein. B. Die Restaurationsherrschaft unter den Stuarts 1660-1688. (1660 -1688). 1660-1685. 1 . Karl II. (1660—1685) . Karl war zwar ein gutmiitiger, aber genuBsiichtiger und wiirdeloser Konig, der gegen das Interese© seines Beiclies in den Sold Ludwigs XIV. trat und eine almliche Sitten- losigkeit einreiBen lieB, wie sie in Pariš herrschte. Gegen die ver- sprocbene Amnestie ivurden melirere „Konigsmorder“ liingericlitet und die anglikanische Kirche wiederhergestellt. Immer mebr strebte er danach, die katholische Kirche und das absolute Konigtum zum Siege zu fiibren. Durch seme auBere Politik stiirzte er England von der Hohe herab, auf die es Cromwell erhoben hatte. DiinTcirchen verkaufte er an Ludwig XIV., den Holldndern muBte er infolge der Siege ilires Admirals Ruyter eine Milderung der Kavigationsakte zugestehen , 1 im zweiten Baubkriege schlug er sich auf die Seite Ludwigs, obwolil gerade damals der Staat Bankrott machen muBte (der letzte in England). Die Unzufriedenheit in England wurde noch durch die innere Politik des Konigs gesteigert. Kachdem sein Bruder Jakob, Herzog von York, Katholik geworden war, erlieB Karl unter dem Cabal- Ministerium 2 eigenmachtig die Indulgenzerklarung, wodurcli die Strafgerichte gegen die Dissidenten beseitigt wurden. Aber schon im folgenden Jahre muBte er dem Parlamente die Testakte zugestehen 1673. (16 13), vrodurch die Indulgenzerklarung beseitigt und bestimmt wurde, daB niemand ein offentliches Amt erhalten konne, bevor er nicht den Supremateid leistete. Und um seinem Bruder die Hach- 1679. folge zu sichern, genehmigte Karl die Habeascorpus-Akte (1679), 1 Der Krieg war infolge des englischen Angriffes auf das liollandische Neu- Amsterdam, das spatere New York, ausgebroehen; dieses verblieb England, den Hollandern wurde aber auch die Einfuhr deutseher Waren in England gestattet. 2 Das Wort „Cabal“ ist aus den Anfangsbuchstaben der Namen der fiinf Minister gebildet. Karl II. ud d Jakob II. f ft ( (• c~ - E ¥ '/ e /¥ welche die Bestimmung der Magna charta (II. 176) gegen willkiir- liche Verhaftung erneuerte. In den Kiimpfen um die Nachfolge Jakobs bildeten sieb die Parteien der Whigs und der Tories. 1 Die ersteren waren gegen die _ {.-tllf kirchliche Einbeit gleicligliltig und wollten die Selbstandigkeit des Parlaments gegeniiber dem Konigtume sicbern; die Tories saben in der anglikanischen Kirche den Hort der Verfassung und im Konig¬ tume die Quelle der Staatsgewalt. Die Wbigs waren daber fur und die Tories gegen die Ausschliebung Jakobs; die ersteren stiitzten sicb auf die .Nobility und die Dissidenten sowie auf die gebildete Stadt- bevolkerung, die letzteren auf die Gentry und die niedere anglika- niscbe Geistliclikeit (II. 175). Die Tories vertraten daber das In- teresse der Landwirtschaft, die Whigs dagegen das der Geldleute; die ersteren waren deshalb in Eragen der auBeren Politik friedlich, die letzteren kriegeriscb gesinnt. Aucb jetzt nocb gibt es in England Wbigs und Tories, docb baben sicb die politischen Gegensatze langst verwiscbt und die einzelnen groben Adelsgescblecbter, die im wesent- licben nocb immer in England die Begierung fiibren, bekennen sicb je nach der Familienuberlieferung zu der einen oder anderen Partei. 2. Jakob II. (1685—1688). 2 Nach dem Tode Karls II. folgte sein Bruder obne Widerspruch. Dieser Herrscher strebte rucksicbts- los nacb der Aufricbtung eines absoluten Kdnigtums und der Wieder- herstellung des Katholizismus; das erstere sucbte er durcli MiB- acbtung des Parlaments, das letztere durch Besetzung fast aller Amter mit Katholiken zu erreichen. Trotz der zunehmenden Garung trostete man sicb mit der Hoffnung, dab nacb seinem Tode seine protestantiscbe Tocbter Maria, die mit Wilbelm III. von Oranien, einem Neffen Jakobs, vermablt war, folgen wiirde. Als aber dem Konige ein Sobn geboren wurde, leiteten Whigs und Tories ITnter- handlungen mit Wilbelm ein, der aucb mit Unterstutzung nord- deutscher Fursten in England landete, worauf Jakob alsbald nacb Frankreich entfloh. So verloren im Jalire 1688 die Stuarts durcb die sogenannte Olorreiche Revolution die Krone. Es war der letzte Versuch, den Absolutismus zu begrunden; in England nabm somit dieses Streben den entgegengesetzten Ausgang wie in Frankreich. 1 Die beiden Parteinamen waren urspriinglieh Schimpf\vorter. Man nannte Whigs die fanatischen Kovenanter in Schottland und Tories die katholischen Riiuberbanden in Irland zur Zeit Ivarls I. 3 TU. B. Macaulav, Englands Geschielite seit Jakob II. bis zum Tode Wilhelms III. (Wiederholt ubersetzt.) Zeehe, Geschielite der Neuzeit III. 4 1688 . 50 Zvveiter Zeitraum. C. Sieg der parlamentarischen Verfassung; Wilhelm III. von Oranien und Anna. 1689-1702. 1. Wilhelm III. (1689—1702). iSTach Jakobs Flucht erklarte eineKonvention, d.b.ein niclit vomKonige berufenesParlameiit, den Thron fiir erledigt und iibertrug die Krone an Willielm und Maria, naclidem diese die „Erklarung der Rechte“ unterzeichnet batten, die nebst der Magna cliarta und der „Bitte um Recht“ eines der wich- y olme Zustiinmung des Parlaments keine Steuern Ileer aufstellen, die Gesetze niclit abandern usw. da das Ministerium aus den Fiihrern der jeweiligen Melirheit dieses Iiauses gebildet wird; die Verfassung hatte seitdem einen aristo- kratisclien (nicht melir monarchischen) Charakter. Seinen Sclrvviegervater, der mit franzosischer Unterstiitzung in Irland eingefallen war, besiegte AVilhelm am Boyneflusse , worauf die Insel unter abermaliger Verubung groBer Grausamkedten und Ungerechtigkeiten vollstandig unterivorfen wurde. Infolge von neuen Giitereinzieliungen blieb seitdem den Iren nur melir 1 / 1] des heimat- liclien Bodens. Auf die europaische Politik iibte die Berufung Wilhelms III. den EinfluB, daB nunmehr die Eifersuclit Erankreicbs auf England geweckt war, \vodurch der altere Gegensatz des ersteren zu Oster- reicb mehr zuriickgedrangt ivurde. Da aber England allein Frank- reicli niclit gervachsen \var, šali es sicb um Bundesgenossen um und daher liat jeder Krieg zwisclien England und Frankreicli vom 17. bis ins 19. Jalirliundert liinein aucli andere Staaten Europas in Mitleidenschaft gezogen. AVilbelm III. war der letzte Konig Eng- lands, der die auBere Politik des Staates selbst leitete. Schwagerin Anna, die mit einem diinisclien Prinzen vermablt war. Unter ilir kam die Union Englands mit Schottland zustande, der- zufolge die Scliotten gegen Anerkennung der presbyterianischen Staatskirclie von nun an ihre Abgeordneten ins englische Parlament entsandten. Anna hat zum letztenmal das Vetorecht der Krone gegen einen ParlamentsbeschluB ausgeiibt. Als Anna kinderlos starb, folgte ihr der protestantisclie Kur- fiirst Georg von Hannover, ein Urenkel Jakobs I. p tigsten Bolhverke der engliscben Freiheit ist. Ihr zufolge darf Seitdem rulit die ganze gesetzgebende und ausiibende Gewalt in der IJand des Parlaments, und z\var hauptsaclilich des Unteiliauses, 1702-1714. 2. Anna (1702—1714). Dem kindei^losen AVilbelm folgte seine Leopold I. 51 III. Deiitseliland umi Osterreich; Osterreielis Heldenzeitalter; Niedergang der Tiirkei . 1 Da der altere Solin Ferdinands III. noeh vor seinem Yater ge- storben war, folgte ilim der jiingere Leopold in der Regierung der osterreichischen Lander (1657—1705). Liingere Zeit dauerte es, bis 1657-1705. er auch zum Deutschen Kaiser gewahlt wurde; denn Ludtvig XIV. trat selbst als Bewerber um die Kaiserwiirde auf und fand Ent- gegenkommen bei den westlichen Kurfiirsten. Leopold muBte sich bei seiner Wahl neue Beschrankungen der Kaisergewalt gefallen lassen; insbesondere muBte er versprechen, sich jeder Teilnahme am Franzosisch-spanischen Kriege (S. 37) zu enthalten. Leopold war ein streng katholisch gesinnter, wohlwollender und sehr gebildeter Herrscher, besaB aber wenig Tatkraft; obivolil friedliebend, muBte er fast seine ganze Regierungszeit hindurch Kriege fiihren. Wahrend Osterreich unter ilnn ausgezeichnete Feld- lierren hatte, war er in der Walil seiner Staatsmanner weniger gliick- lich; melirere von ihnen standen sogar in franzosischem Solde. 1. Die Kampfe Leopolds mit den Ungarn und den Tiirken. DaB Leopold auch in Ungarn die Gegenreformation und den Absolutismus durchzufiihren suchte, rief daselbst mehrere Em- porungen hervor, die von Ludivig XIV. und den Tiirken unterstiitzt tvurden, weshalb der Kaiser auch mit den letzteren in Krieg geriet. In diesem hatten die Feldherren freie Hand und errangen dalier groBe Vorteile. (Vgl. dagegen S. 39.) a) Der erste Turlcenkrieg (1663 und 1661 1). Die Veranlassung 1663u.l664. zu diesem Kriege war, dafi der Sultan in einem Streite um die Fiirstemviirde von Siebenbtirgen den ungarischen GroBen Michael Apaffy zum Fiirsten einsetzte, was der Kaiser nicht dulden wollte; deshalb begannen die Tiirken den Krieg. Sie eroberten Keuhausel, das wichtigste Bollwerk dar Habsburger im nordwestlichen Ungarn, \vurden aber von Montecuculi mit Unterstiitzung franzosischer Truppen, als sie die Raab iiberschreiten wollten, bei St. Gotthard besiegt (1664). Es war dies der erste groBere Sieg iiber die Tiirken 1664. in einer Landschlaclit; er war der Tapferkeit des Generals Spork 1 A. v. Arneth, Prinz Eugen, 3 Bde., 2. Aufl., Wien 1864. — B. Erdmanns- (lorffer , Deutsche Geschiclite vom Westfalisclien Frieden bis zum Regierungs- antritte Friedriehs des GroBen, 2 Bde., Berlin 1892 und 1893 (bei Oncken). 4 * 52 Zweiter Zeitraum. und der Umsicht Montecuculis zu verdanken. Gleiclrvvohl war der Friede von Eisenburg fiir den Kaiser nicht giinstig; denn es blieb Beuhausel im Besitze der Tiirken und Apaffy wurde als Fiirst Siebenbiirgens anerkannt, docli gestand die Pforte dem Lande das freie Wahlrecbt des Fiirst en nack seinem Tode zu. Immerhin war die Verwandlung Siebenbiirgens in ein tiirkisches Paschalik ab- gewehrt. Mangel an Geld, MiBtrauen gegen die Magyaren und die Besorgnis vor Ludivig XIY. veranlaBten den Kaiser zur Xach- giebigkeit. h) Leopolds ungarische Politik und die Magnatenverschivbrung. In Ungarn klagte man schon seit langerer Zeit liber die fremden (deutschen) Truppen, die im Lande gegen die Tiirken unterhalten ivurden, liber die Verfolgung der protestantischen Prediger und die willkiirlicke Aussclireibung von Steuern. So bildete sich eine Mag- natenverscliiuorung, die mit franzosischer Unterstiitzung die Be- seitigung der Habsburger anstrebte. Ilire Ilaupter, fast durchaus Katholiken, waren der Ban Zrinyi, der Hofrichter (Judex curiae) Na.dasdy,Frangepani\mA~Fran7A.Rakoczy ;es waren lauter schwaehe und selbstsiichtige Manner, welcbe die hoclisten Amter im voraus unter sieli verteilten: 1 die ganze Bewegung laBt sich mit der Fronde vergleiclien. Die Yerschivorung ward aber entdeckt, die Radelsfiihrer mit Ausnahme Bakoczjs ivurden hingerichtet und zahlreiche Giiter 1671 . eingezogen (1671). Kun suchte Lobkoivitz auch in Ungarn den Absolutismus einzufuhren. Deshalb ivurde nach dem Tode des Pala- tins, des Stellvertreters des Konigs, eine konigliche Statthalterei mit iiberiviegend deutschen Baten in PreBburg errichtet, es wurden aber- mals Steuern ausgeschrieben und die Protestanten verfolgt. Diese MaBregeln riefen einen weitverbreiteten Aufstand hervor, den Ludwig XIV. schiirte und durch Hilfsgelder unterstiitzte; der junge Graf Emmerich Tdkdly trat an die Spitze der Aufriihrer („Ku- ruzen“), die Zugestandnisse der Begierung kamen zu spat. c) Der Aufstand der Maggaren und der zweite Tiirkenlcrieg 1683 - 1699 . (1683 — 1699). Bach dem Tokoly die Oberhoheit des Sultans an¬ erkannt hatte, schickte dieser ein Ileer von mehr als 200.000 Mann unter Kara Mustapha durch Ungarn gegen Wien, das nun acht Wochen lang belagert ivurde. Die Verteidigung der Stadt hatte der 1 So ivollte Zrinyi lvonig von Ungarn werden und seinen Schiviegersohn Rakoczy zum Fiirsten von Siebenbilrgen maohen; der letztere ivurde auf Fiirbitte seiner Muttcr als Verfiihrter gegen Opfer an Geld und Besitz begnadigt. Leopold I. 53 Kaiser dem wackeren Graf en Riidiger von Starhemberg iibertragen, der mit EinschluB der ITniversitatsstudenten und der Biirgerschaft nnr iiber 16.000 Bewaffnete verfiigte. Dem ILeldensinne der Be- lagerten gelang es aber, die Stadt so lange zu halten, bis endlicli das Entsatzlieer, etwas iiber 80.000 Mann stark, heranzog; 1 es bestand zu zwei Dritteln aus Deutsehen unter der Anfiihrung des Ilerzogs Karl von Lothringen, des Sclrvvagers Leopolds, wahrend ein Drittel Polen unter ihrem Konige Johann III. Bobieski waren. ISTaclidem Herzog Karl schon vor seiner Vereinigung mit den Polen die Scharen Tokolys bei PreBburg zuriickgedrangt hatte, erfolgte am 12. September die Kntscheidungsschlacht vor Wien. Das tiirkisclie Heer wurde von Karl von Lothringen vollstiindig besiegt und muBte mit einem Verluste von 70.000 Mann abziehen. Die abendlandische Kultur war vor der tiirkischen Barbarei gerettet. Der Kampf um Wien bedeutet einen Wendepun]ct in den Beziehungen der Habs¬ burg er zu den Turken, indem jetzt die Angriffsmacht der Pforte gebrochen war. An den ruhmvollen Entsatz Wiens schloB sich die Verfolgung der Turken durch den Herzog Karl und den Konig Johann. Diese siegten abermals bei Parkam/ und eroherten, wahrend sich die Kuruzen auflosten, Gran — Johann kehrte jetzt in' seine ILeimat zuriick, — Keuliausel und Ofen. Unter dem Eindrueke dieser Er- folge wurde auf dem Landtage zu Prebburg die Erblichkeit der ungarischen Krone im habsburgischen Mannsstamme beschlossen und der Insurrektionsartikel, der den Wiirdentragern und Adeligen die Verteidigung der Verfassung mit Waffengewalt gestattete, auf- gehoben (1687). Inzwischen eroherten die Kaiserlichen unter dem Kurfiirsten Max Emanuel von Bayern, der an Stelle des erkrankten Herzogs Karl trat, Belgrad und drangen unter dem Markgrafen Ludivig von Baden („Tiirkenlouis“) immer weiter vor, i-iefen die Balkanslawen nicht ohne Erfolg zum Freiheitskampfe auf, schlugen die Turken giinzlich bei Hisch und gewannen den glanzenden Sieg bei Salankemen iiber die doppelte Ubermacht (1691). Aber die Kriegserklarung Ludwigs XIV. und die geringe Starke der Kaiser¬ lichen ermoglichten den Turken abermals einen Einfall in Ungarn; sie wurden jedoch durch den Prinzen Bugen von Savogen, den Hach- folger Ludwigs, mit 80.000 gegen 100.000 Mann bei Zenia bis zur 1687 1691 1 Die Turken stiirmten 18mal, die Belagerten machten 24 Ausfiille. 54 Zweiter Zeitraum. (I fot** 1697. Vernichtung geschlagen (1697). Rachdem bereits Michael II. Apaffy zugunsten des Kaisers gegen eine Jahresrente auf Sieben- burgen verzichtet hatte, schloB die Pforte den Frieden von Karlowitz 1699. (1699), demzufolge der Kaiser ganz Ungarn mit Ausnahme des Banates, den Rest Kroatiens samt dem grofiten Teile Slawoniens imd die Venetianer, die im Laufe des Krieges auf Leopolds Seite getreten waren, Morea erhielten. 1 d) Aus dem Leben des Prinzen Eugen , 2 3 * Prinz Eugen von Savojen, geboren zu Pariš im Jahre 1663, stammte aus einer Keben- linie des Ilerzogsgeschlechtes von Savoyen. Nadi dem friihen Tode seines Vaters, der in franzosische Dienste getreten war, wurde er fiir den geistlichen Stand bestimmt und, da er schon als Knabe die Kleidung eines Abbe trug, spottweise „der kleine Abbe“ genannt. Als er das zivanzigste Jalir erreicht hatte, bat er den Konig rim eine Offiziersstelle, wurde aber wegen seiner Armut und unscheinbaren Gestalt abgewiesen. Er verlieB nun heimlich Erankreich, trat in kaiserliche Dienste, kampfte vor Wien und Gran gegen die Tiirken, wurde noch in demselben Jahre Oberst .und zwei Jahre spiiter Feldmarschall-Leutnant. Er ist der groBte Feldherr unseres Kaiser- staates. Wiederholt setzte er sein Leben auf das Spiel; so Avurde er bei dem Sturme auf Belgrad schwer ver\vundet. Als er spater Priisident des Hofkriegsrates wurde, fiihrte er verscliiedene Ver- besserungen ein; er verbot zum Beispiel den Kauf der Offiziers- stellen, sorgte fiir eine strenge Mannszucht, war aber giitig gegen alle Untergebenen. Er war ferner ein hervorragender Staatsmann und strebte besonders die Versohnung der Konfessionen an. Ein eifriger Freund der Kunste und IVissenschaften, stand er mit Leibniz, dem groBten Gelehrten der Zeit, in regem Briefwechsel, legte eine kost- bare Bibliothek und wertvolle Kunstsammlungen an und lieB sich einen prachtigen Sommerpalast, das jetzige Belvedere in Wien, erbauen. Sein Wahlspruch war: „Osterreich iiber alles!“ 8 1 Im Jahre 1684 kam zwischen Osterreich, Venedig, Polen, und dem Papste ein Bund (die Heilige Liga) zustande, infolgedessen der Peloponnes und Athen erohert wurden. Der Parthenon diente damals den Tiirken als Pulvermagazin (I. 96). 2 A. Schulte, Die Jugend Prinz Eugens in den „Mitteilungen des Instituta fiir osterreiehische Gesehichtsforsehung" 1892. — Die Feldziige des Pidnzen Eugen, herausgegeben vom k. u. k. Generalštabe, 20 Bde., Wien 1877 — 92. 3 Zu Eugens Zeit erschien die Schrift Hornigks: „Osterreieh iiber alles, wenn es nur will!“. Leopold I. 55 2. Der Spanische Erbfolgekrieg (1701 1714). 1701-1714. a) Die Veranlassung. Als im Jahre 1700 mit Karl II., dem Sohne Pliilipps IV., die spanischen Ilabsburger erlosclien, erhoben anf das Erbe Leopold I. nnd Ludwig XIV. Anspriiche. Beide waren Sohne und Gatt-en spanischer Prinzessinnen; wiilirend diese aber bei ihrer Vermahlung mit franzosisehen Konigen allen Rechten auf Spanien entsagt hatten, war dies bei ihrer Verheiratung mit oster- reichischen Herrschern nicht geschehen. Kun gonnten die Seemachte England und llolland im Interesse dcs europaischen Gleichgewichtes 1 keinem regierenden Ilause die ganze spanische Monarchie und hatten deshalb schon zwei Jahre vor dem Tode Karls mit Ludwig SIV. die Teilung des Erbes vereinbart. Da aber Karl die Einheit des Reiches erhalten wollte, setzte er auf die Kunde hievon seinen GroBneffen Josef Ferdinand, den Kurprinzen von Bayern, und, als dieser noeh vor ihm starb, unter dem Drucke der franzosisehen Diplomatie den jiingeren Enkel Ludwigs, Philipp von Anjou, zu seinem Erben ein. Weil jedoch auch Leopold Anspriiche erhob, so muBten die Waffen entscheiden. Der langwierige Krieg legte Osterreich um so empfind- lichere Lasten auf, als es bereits durch die friiheren Kampfe liart mitgenommen worden war. b) Der Krieg bis zum Tode Leopolds ( 1701 — 1705 ). Als 1701-1705. Leopold den Krieg begann, liatte er nur den Kurfiirsten von Brandenburg, der auch Herzog von PreuBen war, und den Herzog von Hannover auf seiner Seite; den ersteren hatte er durch die Er- liebung zum Konige in PreuBen, den letzteren durch die Ernennung zum Kurfiirsten gewonnen. 2 Aber bald traten auch die Seemachte, 3 das Deutsche Reich, Portugal und Savoyen auf die Seite desKaisers; dagegen schlossen sich die Wittelsbachschen Briider, die Kurfiirsten von Bayern und Koln, an Ludwig an und in Spanien machte sich der alte Gegensatz zwischen den Bewohnern Kastiliens und Aragoniens wioder geltend, indem sicli die ersteren auf Ludwigs, die letzteren 1 Dieses Schlagwort ist in der Zeit der Kriege Ludwigs XIV. mit den Ha.bs- bm-gern aufgekommen. 2 Die Kurfiirsten von Hannover waren die Naehfolger der Herzoge von Braunschweig-Liineburg (11.117). 2 „Die Grobe Allianz" zwischen Osterreich, England und Holland war das Werlc Wilholms III. (S. 50). Die Politik des Kiu-fiirsten Max Emanuel (An- sehluB an Erankreich) war fiir die Politik Bayerns ein Jahrhundert lang ricbtunggebend. 56 Zweiter Zeitraum. auf Leopolds Seite schlugen. So kam es zu einem europaischen Kriege , in dem jede Erinnerung an die konfessionelle Politik der friikeren Zeit verschmmden ist. I)a die Franzosen die nach Italien fiihrenden Alpenpasse be- setzt hatten, zog Prinz Eugen mit seinen schlecht ausgeriisteten Truppen im Osten von Rovereto durch kleine Hebentaler so\vie iiber beschneite Hohen nach Venetien und schlug die Eeinde bei Carpi und Chiari, konnte aber wegen der Verstarkung des Gegners keine weiteren Erfolge in Italien davontragen. Unterdessen war es einem anderen franzosischen Ileere gelungen, sich in Siiddeutschland mit den Bayern zu vereinigen, was der schwach unterstiitzte Ludwig von Baden nicht. hatte hindern konnen; nunmehr drangen die Bayern in Nordtirol ein, wahrend die Franzosen unter Vendome durch das Etschtal vorriickten, um sich mit jenen zu verbinden. Diesen Plan vereitelten aber dieTiroler, indem sie unter derFiihrung de&Pflegers von Landeck, Martin Sterzinger, die Bayern zuriickwarfen, weshalb auch Vendome den Eiickzug antrat. Hun besetzten die englisch- > /hollandischen Truppen unter dem Herzoge von Marlborough, einem j. S 'beriihmten Feldherrn, aber unehrenhaften Charakter, Ivoln und .N vereinigten sich mit Eugen, der inzwischen Italien verlassen hatte. Sie schlugen das bayrisch-franzosische Heer bei Hdchstddt so ent- 1704. schieden (1704), dah Bayern besetzt werden komite und die Fran¬ zosen iiber den Bhein zuriickkehrten. Inzvdschen war Leopolds Sohn Karl auf der Pyrenaischen ITalbinsel gelandet, bald darauf aber starb Leopold und ihm folgte sein alterer Sohn Josef nach. 1705-1711. c) Die Fortsetzung des Krieges unter Josef I. (1705 — 1711) 1711-1740. und Karl VI. (1711 — 17JO). Unter dem edlen, hochgebildeten und tatenlustigen Josef I. erfochten Eugen und Marlborough, die sich nach der Schlacht bei Hochstadt getrennt hatten, neue Siege. Eugen zog zum Schutze des Herzogs von Savoyen nach Italien und besiegte 1706. die Franzosen bei Turin vollstandig ( 1706 ), so dah sie Italien raumen muBten. Da auch Heapel und Sardinien Karl als ihren Ilerrscher anerkannten, war der Krieg in Italien zu Ende, weshalb Eugen nach Kor den zog, um sich mit Marlborough zu vereinigen. 1706. Dieser hatte inzwischen die Franzosen bei Ramillies besiegt ( 1706 ) und schlug sie nun in Verbindung mit Eugen bei Audenaarden 1708, 1709. (1708) und bei Malplaguet ( 1709 ), der blutigsten Schlacht des ganzen Krieges, so daB sich Ludivig sogar bereit erklarte, Hilfs- gelder zur Vertreibung seines Enkels aus Spanien zu zahlen. Da Karl VI. 57 traten drei Ereignisse ein, die ihm einen giinstigen Frieden ver- schafften; es waren dies der Sturz des WTiig-Ministeriums in Eng- land, der Sieg der Franzosen bei Villa Viciosa nnd endlich der Tod J ose fs I. Am wichtigsten war der letztere Hmstand, da auf Josef sein Bruder Karl folgte nnd die Seemachte nicht geneigt waren, das ganze Erbe an Osterreich fallen zu lassen. Sie schlosesn daher mit Ludwig den Frieden von Utrecht (1713), dessen Bedingungen tatsachlich England feststellte; sie lauteten: 1.) Die spanisclie Mon- arcbie \vird geteilt; 2.) Spanien und die Kolonien fallen an Philipp V. unter der Bedingung, daB die Kronen von Frankreicb und Spanien nie miteinander vereinigt werden; 3.) die Hieder- lande, Mailand und ETeapel bekommt Karl VI.; 4.) England behalt Menorka und Gibraltar, die es im Laufe des Krieges besetzt batte, und gewinnt auf Kosten Erankreichs jSTeufundland, Akadien (Keu- schottland) und die Hudsonsbailander; 5.) der Herzog von Savojen erhalt Sizilien und den Konigstitel. Die Niederlande, die doclr einen groben Teil der Kriegslasten getragen hatten, gingen leer aus und waren nunmehr endgultig' von England uberftugelt, die besonders fiir die Seemachte gefahrliche Verbindung des franzosischen Han- dels mit der spanisclien Kolonialmacht vereitelt. Zu schwach, um den Krieg fortsetzen zu konnen, muBte der Kaiser auf Grund der Utrecliter Bestimmungen mit Frankreicb den Frieden zu Bastatt (1714) abschlieBen, in dem er auch nocb Sar- dinien bekam. Bald scliloB auch das Deutsche Reich zu Baden im Aargau Frieden. Ihm zufolge erhielten die Kurfiirsten von Bayern und Koln, die Josef I. geachtet hatte, ihre Bander zuriick. Endlich schloB Karl mit den Ilollandern den Barriere-Traktat (1715), wo- nach der Kaiser und Ilolland das gemeinsame Besatzungsrecht in mehreren belgischen Festungen zum Schutze der Kiederlande gegen Frankreich ausuben sollten; erst Josef II. hob diesen lastigen Ver- trag auf. Frankreichs t)bergewicht war endgultig beseitigt, Osterreich gewann die Vormachtstellung in Italien und England erhielt die ersten Stiitzpunkte im Mittelmeere. 3. Karl VI.; das Erloschen des habsburgischen Manns- stammes. Karl VI. war ein wohlwollender und gerechter Fiirst, ein Freund der Biicher und der Musile, eifrig in der Erfullung seiner Ilerrscherpfl icliten; ganz von der Iloheit seiner AViirde erfiillt, liebte 1713. 1714. 58 Zweiter Zeitramn. er den steifen Prunk des spanischen Zeremoniells. Weil er auch miB- trauisch war, gelang es den Gegnern Eugens, dem groJBen Feldherrn eine Zeitlang das Vertrauen des Kaiser s zu rauben. 1716 - 1718 . a) Der erste Turkenkrieg (1716 — 1718). Da die Tiirken den Venetianern Morea entreiBen wollten und Karl mit diesen einen Bund scliloB, erklarte die Pforte — zum letztenmal — an Osterreich den Krieg. In diesem fand sie keinen Riickhalt mehr an aufriilire- rischen Bewegungen in Ungarn, denn hier war die Emporung unter Franz II. Bahoczy, die letzte bis zum Jahre 1848, durcii den Szat- marer Frieden (1711) been det vrorden, der allgemeine Amnestie und Sicherung der politischen und kirchlichen Freiheit Ungarns fest- 1716 . stellte. 1 Eugen besiegte die Tiirken bei Peterwardein (1716) voll- stiindig und schritt nacb der Eroberung Temeswars zur Belagerung Belgrads. Als nun ein starlces tiirkiscbes Entsatzheer heranriickte, schlug er, ahnlich wie Časar vor Alesia, zuerst dieses ganzlich, wor- 1717 . auf sich auch die Festung ergab (1717). 2 Iiierauf kam es zum 1718 . Frieden von Passaroivitz (1718) ; in diesem trat die Pforte das Banat, den Pest Slawoniens, einen Streifen Landes im nordlichen Bosnien, den groBten Teil Serbiens und die Walachei westlich von der Aluta an Osterreich ab, dagegen Vuirde Morea an die Tiirkei zuriickgegeben. Seitdem hat Venedig nur wenig EinfluB melir auf die politischen Verhaltnisse ausgeiibt. 1718 . b) Die Quadrupelallianz (1718). Die Venvicklungen Oster- reichs im Osten wollte der spanische Minister Alberoni beniitzen, um die einstigen Kebenlander Spaniens in Italien zuriickzugewinnen. Aber Franlcreich, England, der Kaiser und Ilolland verbanden sich gegen diesen Angriff auf den Utrechter Frieden („Quadrupel- allianz“) und zwangen Spanien, diese Bestrebungen fallen zu lassen. Die vier Miiclite notigten ferner Savoyen, das Alberoni durch die Aussicht auf die Erwerbung Mailands gewonnen hatte, Sizilien gegen Sardinien zu vertauschen; die letztere Insel blieb seitdem fiir immer mit Savojen verbunden, das nunmehr Konigreich Sardinien hieB. Damals erst wurde auch zwischen Osterreich und Spanien Friede geschlossen. 1 Rakoezy, der volkstiunlichste riihrer der ungarischen Aufstaiidisclien, starb wie Tokoly in der Tiirkei. 2 Dieses Ereignis hat Eugen, „den edlen Ritter“, besonders beliebt gemacht. Karl VI. 59 c) Die Pragmatische SanMion (17IS). Um die Einheit seines Ldnderbestandes (S. 20) und seiner Tocliter Maria Theresia den Tliron zu sichern, erlieB Karl die Pragmatische SanMion. Diese bestimmte: 1.) daB die habsburgisclien Lander ungeteilt bleiben und 2.) dali in Ermanglung mannlicher Erben auch die weibliche Hach- folge gelten solite, und zwar derart, daB zuerst Karls Tocbter, dami die Josefs, endlicli die ilires Vaters und deren Kachkommen folgen sollten. Dieses Hausgesetz wurde in den Jahren 1720—1725 von den Standen der einzelnen Lander angenommen. Die fernere auswartige Politik Karls drehte sicb hauptsaclilich darum, die Anerkennung der SanMion seitens der anderen Staaten zu erwirken. Kacbdem Spanien und RuBland die Sanktion anerkannt liatten, gewann Karl die Zustimmung der Seemdchte durcli Aufhebung der bluhcnden Ost- und westindischen Handelslcompanie (1731), die er in Ostende gegriindet liatte. Kach langen Unterliandlungen gab aucb der deutsche Beichstag seine Zustimmung, mit Ausnalrme der Kur- fiirsten von Bayern und Sachsen, die mit Tochtern Josefs I. ver- mahlt waren; die letzteren liatten jedocli allen Anspriichen auf Osterreieh entsagt. Um Sachsen zu gewinnen, unterstlitzte Karl im Bunde mit KuBland den Ivurfiirsten August bei seiner Bewerbung um den erledigten Konigstliron von Polen ; da aber dessen Keben- buhler Stanislaus Leszczgnski , der Sclnviegervater Ludwigs XV., Kiicldialt an Frankreich fand, kam es zum Polnischen Thronstreite (1733—1738), in dem Osterreieh von Frankreich , Spanien und Sardinien bekampft wurde. Wahrend am Khein der schlecht aus- geriistete Eugen in seinem letzten Feldzuge wenigstens groBere Er- folge der Eranzosen verliinderte, zogen die osterreichisclien Waffen in Italien den kiirzeren. Deshalb schloB Karl den Erieden von Wien (1738), der ihm mehrere Verluste brachte. Zwar wurde August Konig von Polen, aber der Kaiser muBte Neapel und Sizilien an den Infanten Don Karlos als spanische Sekundogenitur und das Keich Lothringen an Stanislaus Leszczjnski abtreten, nach dessen Tode es an Frankreich fallen solite. 1 Dem Herzoge von Lothringen Franz Stephan, dem Brautigam der Maria Theresia, wurde das GroB- lierzogtum Toskana, das infolge Erloschens der Aledici frei ge- worden war (1737), bestimmt und der Kaiser erhielt die Herzog- 1 Das geseliah wirklieh im Jalire 1766. 1713. 1733-1738 1738. 60 Zweiter Zeitraum. tiimer Parma und Piacenza, wo kurz vorher die Farnese ausgestor- ben waren. Endlich wurde die Pragmatische Sanktion von den be- teiligten Machten, soweit dies noch niclit gescbehen war, anerkannt, so daJ3 nur der Kurfiirst von Bavern im Widersprucbe bebarrte. 1 37-1739. d) Der zweite TiirkenJcrieg (1737 — 1739). Am Abende seines Lebens mulite Karl infolge seines Biindnisses mit RuBland an einem Kriege mit der Tiirkei teilnehmen. Da aber Eugen im Jahre 1736 gestorben war, seine Kachfolger im Oberbefehle sich nicht betvahr- ten und der Krieg mit unzureicbenden Streitkraften unternommen tvurde, kvaren die osterreichischen Waffen, wenn sie auch voriiber- geliend bis Novibazar vordrangen, im ganzen ungliicklich. "Obereilt 1739. wurde der Eriede von Belgrad gescblossen (1739), in dem Oster- reich alle Erwerbungen des Passarowitzer Eriedens mit Ausnalime des Banates aufgeben mulite. e) Die inneren Verhdltnisse Dsterreichs. a) Die Verfassung und Venvaltung. Sckon im 17. Jahrhunderte bildete sich im habs- burgischen Staatsgebiete ein Dualismus aus, da der ungarische ' Landtag bei der Gesetzgebung, der Steuerbemessung und der Wahl des Palatins mitwirkte. Die Versuche Leopolds, auch Ungam ,,auf den EuB der iibrigen Erblander“ zu bringen, scheiterten namentlich daran, daB die Magjaren einen Kiickhalt an der Pforte hatten; iibrigens berief Karl den Landtag nur selten ein. /?) Die Literatur und Kunst. 2 Die Literatur hatte sich, von dem Aufschwunge der Geschichtschreibung, deren Mittelpunkt das KI oster Melk war, abgesehen, aus ihrem Verfalle noch nicht erholt; weit besser stand es mit der bildenden Kunst, namentlich der Architehtur. Ungefahr seit der Mitte des 17. Jahrhunderts fand aus Italien der Baroclcstil Eingang und schuf sehr hervorragende Werke. Der beriihmteste osterreichische Baumeister war damals Johann Bernhard Fischer von Erlach, der Erbauer der Karlskirche in Wien, des bedeutendsten deutschen Zentralbaues im 18. Jahrhunderte, 1 Das Ergebnis dieses Kabinettskriegea mutet die Gegenwart, welehe die nationalen Bcstrebungen wurdigt, sonderbar an; ein deutscher Eiirst wird Konig von Polen, ein Pole erhiilt das deutsche Lotliringen, ftir dessen Verlust der Deutsche Franz Stephan das italienisehe Toskana bekommt, Neapel und Sizilien fallen einem spanischen, Parma und Piacenza einem deutschen Herrscher zu. 2 A. Ilg, Kunstgeschichtliche Charakterbilder aus Osterreieh-Ungarn, Prag und Leipzig, 1893. PreuBen. 61 eines Teiles der Wiener Ilofburg und des Scbonbrunner Schlosses (letzteres genau nach dem Muster von Versailles). AuBerdem ragten damals Schluter in Berlin und Poppelmann in Dresden, der Erbauer des „Zwingers“, am meisten liervor. Um 1740 drang von Pariš her der Rokokostil ein 1 („Stil Ludwigs XV.“), ohne aber in Osterreich zu besonderer Bliite zu gelangen. Dieser Stil liebt im Gegensatze zu den wuchtigen Eormen des Barockstiles das Ziierliclie und statt der kraftigen Farben die zarten. Wahrend damals Plastik und Malerei bauptsaclilich durcb Italiener gepilegt wurden, erfreute sich Osterreicb eines der groBten Bildhauer der Zeit, des Rajfael Donner, dessen berubmtesten Werke die vier allegorisclien FluBgestalten an einem Brunnen in Wien sind. Auf dem Gebiete der Musili herrschte in Wien, wie an anderen Ilofen, der'italieniscbe EiniluB; doch scbufen damals bereits die Korddeutschen Bacli und Hdndel ilire erhabenen Kircbenmusik- diclitungen (Bacbs Passionsmusik und Idandels Oratorium „Messias“). y) Die materielle■ Kultur. Aus dem tiefen Verfalle, den diese im DreiBigjahrigen Kriege zu beklagen batte, begannen sicli die dsterreichischen Bander seit Leopold I. allmahlich wieder zn er- beben. Das war namentlich der Fiirsorge der Ilerrscher zu danlten, die im Sinne des Merkantilsystemes die Industrie forderten. Die ersten planmaBigen Versuche zur Hebung des Uandels durch den Bau guter AlpenstraBen, Griindung eines „Kommerzienrates“ und dergleichen erfolgten unter Karl VI., der auch die Post in landes- furstliche Verwaltung iibernalim. 4. Die Begrundung des Absolutismus in Brandenburg- Preufien. 2 a) Friedrich Wilhelm I., der GroBc Kurfiirst (16^0 — -1688). 1640-1688. Als im Jahre 1618 die in O st preuBen regierende Linie der II ob en- • zollern ausstarb, fiel dieses Band an die Markgrafen von Branden¬ burg, wodurch die kiinftige GroBe der Holienzollern begriindet wurde. Unter dem kubnen und besonnenen Eriedricb Wilhelm I. gewann Brandenburg-PreuBen durcb den Westfalisclien Frieden und 1 Gem-e rocaille = Muschehverk. Die zierliehon Lockchen, die den gepuderten Zopf umrahmten, \varen Rokoko, die maehtige Allongeperucke Barock. 2 L. v. Jlanke, Zwolf Biiehcr preuBischer Gescliiclite (bis 1745), 5 Bde., 2. Auil., Leipzig 1878. 62 Ztveiter Zeitraum. die Beendigung des Jiilich-kleveschen Erbfolgestreites bedeutende Gebiete. Durclt kluge Beniitzung der Verhaltnisse ertvarb jener im Schwediscb-polnischen Kriege (S. 68) die Souveranitat, fiir Ost- preuBen tmd bald darauf spielte er im ztveiten Raubkriege eine selb- standige politische Rolle. Auch im Innem regierte er mit Umsicht tmd Kraft. Auf einen pflichtbewuBten Beamtenstand, ein tiichtiges Ileer tmd eine gute Einanzverwaltung gestiitzt, bildete er eine un- umschrdnkte Furstengeivalt aus tmd verschmelzte die getrennten Gebiete wenigstens teihveise zu einem Ganzen. Durclt die Ansied- lung ton Kolonisten (S. 44) forderte er den Ackerbau tmd die Industrie, durclt die Anlage des Friedrich-IBiZ/te/ms-Kanales den Handel. 1688 - 1713 . b) Friedrich III. (als Konig: der Erste, 1688—1713). Mit Zu- stimmung des Kaisers naltm er den Titel Konig in PreuBen . an 1701 . (1701). 1 Dem hoheren Range suchte er naclt dem Beispiele Lud- wigs XIY. durclt ein glanzendes Ilofleben Ausdruck zu geben, wo- durch er dem Staate eine schwere Schuldenlast aufbitrdete. Doclt pflegte er auch die geistigen Interessen des Landes; er berief an die neugegrundete Universitat in Halle den Juristen Thomasius, der die ersten Vorlestmgen in deutscher Sprache hielt, den Theologen Francke, eine Hauptstiitze des Pietismus, der im Gegensatze zum Gezanke der lutheriscben Theologen die Religion als Sache des Herzens und der praktisehen Nachstenliebe auffaBte (II. 126), und den Philosophen Wolff, einen Anhanger der Leibnizschen Philo- sophie. In Berlin errichtete er unter Mitwirkung des groBen Mathe- matikers, Geschichtschreibers tmd Philosophen Leibniz (f 1716) eine Akademie der Wissenschaften. Der beriihmte Baumeister und Bildhauer Schluter begann unter ihm den groBartigen Umbau des Berliner Schlosses und schuf das prachtige Reiterstandbild des GroBen Kurflirsten. 1713 - 1740 . c) Friedrich Wilhelm I. (1713 — 1710). Ein Feind alles Prunkes, verkaufte er die Kunstgegenstande seines Vaters und be- stritt mit 10.000 Talern seinen Haushalt. Schrolf und rauh in seinem Wesen, hi§lt er strenge an seiner landesftirstlichen Gewalt fest, 2 von der er zum Wohle seines Landes Gebraucli machte. Er 1 Er nannte sich Konig in PreuBen, weil er nur OstpreuBen besaB. Friedileh II. nannte sich nach der Ertverbung WestpreuBens Kiinig von PreuBen. 2 Er sagte zum ostpreuBisehen Adel: „Ich stal)iliere die souverainetfi \vie einen roeher von bronce." RuBland vor Peter I. dem GroBen. 63 sorgte flir die Ilebung der Landeskultur und nahm 20.000 Salz- burger, die wegen ihres Glaubens vertriehen wurden (die letzte groBe Austvanderung aus konfessionellen Riicksichten) in sein Land auf. Besondere Sorgfalt widmete er dem Ileenuesen, bei dessen Errich-- tung ikm Fiirst Leopold von Anhalt-Dessau („der alte Dessauer“) hervorragende Dienste leistete; Fremden erschien PreuBen wie ein groBes Kriegslager. Eine Schrulle von ihm war die Gewinnung sebr groBer Soldaten (der „langen Kerle“) fiir seine Garde. Das Er- gebnis seiner Tatigkeit war, daB er einen bedeutenden Scbatz an- sammelte und ein tiicbtiges Heer von 80.000 Mann scliuf, die Vor- aussetzungen fiir die Erfolge seines groBen Solmes. Sclion unter ikm war PreuBen neben Frankreich der am einheitliclisten ver- rvaltete Staat Europas. Die spartanisck-militarisclie aSTatur des Konigs vertrug keinen Widerspruch, auck nicht in der Familie; das erfulir namentlich der Kronprinz Friedrich, der im Gegensatze zu seinem Vater groBe Freude an der Musik und der franzosischen Literatur liatte und in seiner Jugend zum Leichtsinn und zum Scbuldenmachen neigte. Der Gegensatz zivischen Vater und Sohn verscliarfte sick so, daB der letztere einen Fluchtversuck mackte; der Plan wurde aber ent- deckt, der Mitwisser, der Leutnant Katte, kingerichtet undFriedrick nack Kuštrin geschickt, damit er bei der dortigen Kriegs- und Domanenkammer, der obersten Provinzialbehorde, als Beamter arbeite. Ilier erwarb er sicli strenges PjlicMgefuhl und eine um- fassende Geschdftskenntnis; aucli trug ikm sein FleiB die Ver- sohnung mit dem Vater ein, mit dessen Zustimmung er spater seinen Aufenthalt in Rkeinsberg nakm, wo er im Verkelire mit Gelekrten und Kiinstlern sowie in eifriger Bescliaftigung mit der franzosi¬ schen Literatur die gliicklichsten Jahre seines Lebens verbrachte. IV. Der Norden umi Osten Europas; Peter 1. der GroBe und die Erlicbung RuBlaiids zur europaisclien Grofirnacht. A. RuBland vor Peter I. dem GroBerf. 1 . Das Haus Rjirik ( 862 — 1598 ). TSTach Kestor, dem altesten 862-1598. Ghronisten EuBlands, kerrsckte in der Mitte des 9. Jakrliunderts bei den Slawen des Landes groBe Unordnung und Verwirrung. Sie schickten daker Gesandte an die Russen (= Ruderer), d. h. Kor- mannen aus Skandinavien, die damals walirscheinlich am Ladoga- 64 Zweiter Zeitraum. See mfhnten, tmd luden sie ein, die Herrschaft iiber sie zu ergreifen. Dieser Einladung folgten drei Briider mit ihren bewaffneten Ge- nossen; der alteste von ihnen, Rurik mit Namen, schlug semen Sitz in Nowgorod auf und berrsclite naeb dem Tode seiner Briider allein. Sein Nachfolger inacbte Kiew zu seiner Hauptstadt, sein Urenkel J Vladimir der GroBe eroberte Halicz und Przemysl, das spiitere Bot- ruBland, und nahm mit seinem Volke um das Jalir 1000 das grie;- cliische Christentum an (II. 41); infolge des letzteren Umstandes scliloB sich BuBland dem ostromischen Kulturkreise an. Naeb dem Tode IVladimirs brachen unter seinen acbt Sohnen Thron- streitigkeiten aus, die zur Teilung des Beiches und zu dessen Be- raubung durch Polen, Litauen und den Sckwertorden fulirten; doch beliielt der Ilerrsclier von Kiew den GroBfurstentitel , vvomit freilich keine besondere Macht verbunden war. In der Schlacbt an der Kolka 1223. (1223) wurden die Bussen von den Mongolen vollstandig besiegt (II. 117) und untenvorfen; als nacb dein Tode Dschingiskhans dessen Beieb geteilt wurde, griindete sein Enkel Batu das Reich der Goldenen Ilorde 1 oder das Reich Kiptschak, das sich vom Ural bis zur Dnjepr-Miindung erstreekte. Diesem blieben die Bussen uber 200 Jahre tributpflichtig, behielten aber ilire friiheren Einrichtun- gen und auch ilire Fiirsten bei. Im 14. Jalirhundert gewannen die Beherrscher von Moskau die Grol3fiirstenwiirde und befreiten all- malilich das Band von der Herrschaft der Goldenen Ilorde, von der sich Kasan und Krim als selbstandige Khanate losgesagt hatten. Die groBten Verdienste um die Einigung und Befreiung BuBlands erwarb sich am Ende des Mittelalters der GroBfiirst Iwan (Johann) III.; dieser machte unter vielem BlutvergieBen der Bepublik Novvgorod sowie im Bunde mit dem Khan der Krim dem Beiche Kiptschak ein Ende und beseitigte alle Teilfurstentumer. Sein Enkel Iivan IV. der Schreckliche, der den Titel „Zar“ annahm, untervvarf die Khanate von Kasan und Astrachan, so daB vom Beiche der Goldenen Horde nur mehr die Krim selbstandig blieh; unter ihm erobert dem bald der 1797. Friede' von Čampo Formio folgte (1797). Darin trat der Kaiser Belgien und Mailand ab; das erstere wurde Frankreicli einverleibt, das letztere samt dem Herzogtume Modena und einem Teile des Kircbenstaates zur Zisalpinischen Republik vereinigt, die mit Frankreich in ein Bundesverhaltnis trat. In einem geheimen Artikel uberlieB Franz das linke Rheinufer an Frankreich; doch solite den Frieden mit Deutschland ein KongreB zu Rastatt abschlieBen. Als Ersatz erhielt Osterreich den venetianischen Staat, d. h. Venetien, das venetianische Istrien und Dalmatien; nur die Ionischen Inseln wurden Frankreich vorbehalten (II. 154 u. 167). England schloB auch jetzt noch keinen Frieden. 1 III. I)ie Revolution in und auBerhalb Frankreichs von der Errichtung der Direktorialverfassung Ms zrn* Erliebnng Bonapartes zum Kaiser 1795 - 1804 . (1795 — 1804 ). 1795 - 1799 . A. Die Direktorialregierung (1795—1799). Die trostlosen Verhiiltnisse der Schreckenszeit dauerten auch unter dem Direktorium fort, 2 da es fast ganz aus unfaliigen Mannern, die sich gegenseitig der Teilnahme an Verschvrorungen beschuldigten, zusammengesetzt \var und ihre Haupttatigkeit in dem Streite daruber bestand, ob die Radikalen, die Priester oder die Royalisten mit groBerer Strenge verfolgt werden sollten. Schon im Jahre 1797 erhielten bei den Eeuwahlen beide Kammern eine konig- 1 Die genuBsiichtige Oligarehie in Venedig hatte jeden Sinn fiir die Selb- standigkeit des Staates eingebiiBt. Selion im Spanischen Erbfolgekrieg durch- zogen iisterreichische und franzosische Streitkrafte eigenmaclitig das Gebiet der Republik, die ihren Fortbestand nur der Eifersueht der Nachbarmiichte zu danken hatte. 2 Beim Beginne des Direktoriums hungerten in Pariš wenigstens ls / 20 der Bevolkerung. Zuletzt \vurden durch die Erklarung des Bankrottes die Sehulden abgeschiittelt. Napoleon in Agypten. 125 liclie Mehrheit und zwei Mitglieder des Direktoriums, darunter Carnot, waren fiir eine Verstandigung mit den GemaBigten. Die iibrigen drei Direktoren wuBten sich nur dadurch zu helfen, daB sie unter Heranziehung des Pobels und unterstiitzt von dem Befehls- haber der in Pariš stehenden Truppen ihre Gegner, iiber 200 an der Zahl, von den Kammern zur Deportation nach Cayenne ver- urteilen lieBen; docli gelang es Carnot zu entkommen. In der Fort- setzung des Krieges sah das Direktorium die einzige Moglichkeit, den Blick der nnzufriedenen Bevolkerung von den inneren Ver- haltnissen abzulenken, neue Millionen zu erwerben und Bonaparte, den es zu fiirchten begann, fernezuhalten. Deshalb wurde dieser au£ seinen Wunsch mit der Eroberung Agvptens betraut. B. Bonapartes bisheriger Lebensgang und die Eroberung Agyptens. 1 1. Bonapartes bisheriger Lebensgang. Napoleon Bonaparte wurde als der Sohn eines Edelmannes im Jahre 1769 in Ajaccio geboren. Als zelmjahriger Knabe kam er in die Militarschule von Brienne, fiinf Jahre spater in die Artillerieschule zu Pariš, die er als Leutnant verlieB. Er betrieb daselbst mit besonderem Eifer Geschiclite, Geographie und Mathematik. Im Jahre 1789 nahm er Urlaub und begab sich nach Korsilca, um sich an die Spitze des Auf- standes zu stellen, der die LosreiBung der Insel von Frankreich an- -strebte; er fand jedoch nicht das envartete Vertrauen und wurde nun widerwillig Franzose auch seiner Gesinnung nach. Beim Aus- bruche der Bevolution schloB er sich ; wie einst Časar an die Katili- narier, an die Jalcobiner an, obivohl er sie verachtete, war£ dann den Aufstand der Pariser Jugend nieder, vermahlte sich mit der Kreolin Josefine von Beauharnais, einer Generalswitwe, und erhielt au£ Vorschlag Carnots den Oberbefehl in Italien, welcher der Ausgangs- punkt seiner GroBe wurde. Er ivar iiberzeugt, daB eine schrankenlose Staatsgeivalt aufgerichtet werden miisse, zu deren Gunsten alle Bewohner gleich und unfrei sein sollten; an der Verivirklichung dieses Gedankens hat er unausgesetzt gearbeitet. 2. Die Unternelunung gegen Agypten und Syrien (1798 bis 1798-1799 1799). Mit einem Ileere von 35.000 Mann (25.000 Soldaten und 1 P. Lanfren , Geschichte Napoleons I., tibersetzt von C. v. Gltimer, 7 Bde., versehiedene Aufl., Minden 1869—87. 126 Dritter Zeitraum. 10.000 Matrosen, I. 106) und begleitet von hervorragenden Ge- lehrten unternahm Bonaparte den Zug nach Agypten, der audi eine wissenschaftliclie Tat war (I. 5). Er entging gliicklich den Fach- stellungen der englischen Flotte, besetzte ohne Widerstand Malta}, erstiirmte Alexandria, sclilug die Mamelucken 1 2 , deren Beys unter tiirkischer Oberhoheit das Land regierten, bei den Pyramiden und besetzte sodann Kairo. Bald darauf aber vernicbtete der englisclie Admiral Nelson die franzosische Flotte bei Abuhir, so daB Bonaparte von der Heirnat abgeschnitten war, und erklarte die Pforte an Frankreich den Krieg, der von Syrien aus unternommen werden solite. Desbalb riickte Bonaparte selbst in Syrien ein, erstiirmte zwar Jaffa, konnte aber die Festung Akre (Aklton, II. 99) infolge der englischen Unterstiitzung nicht erobern; deshalb und weil die Pest in seinem ITeere wiitete, trat er den Kiickzug an, auf dem er bei einer Ilitze von 40 0 C. und ganzlichem "VVassermangel grobe Verluste erlitt. Inztvischen war ein tiirkisches Ileer in Agypten gelandet; iiber dieses errang Bonaparte trotz der dreifachen tlber- macht bei Abnkir einen vollstandigen Sieg, verlieB aber, nur auf sich selbst bedacht, bald darauf Agypten, um die trostlose Lage des Direktoriums auszuniitzen. In einem \vahren Triumphzuge kam er nach Pariš. Im Jahre 1801 wurde der Rest seines Heeres infolge eines Vertrages auf englischen Schiffen nach Frankreich zuriick- gefiihrt. Das letzte Ziel, das Bonaparte in Agypten verfolgte, ist nicht bekannt; er selbst hat sich dariiber verschieden geauBert (Vertrei- bung der Englander aus Indien, des Sultans aus Konstantinopel us-w.). Jedenfalls erhohte das Unternehmen im Oriente seinen Eulim. (Vgl. Časar in Gallien.) 1799 - 1802 . C. Der zweite Koalitionskrieg (1799 1802). 1. Die Bildung der Koalition. Die Ursache des Krieges war die Fortsetzung der republikanischen Propaganda durch das Direlc- torium. So wurde der Kirchenstaat im Einvernehmen mit einer 1 Der Malteserorden (11.97) var langst eine Versorgungsstatte fur jungere Mitglieder hoher Adelsgeschlechter geworden. 2 Die Mamelucken, d. h. Sklaven, varen die Leibvache der Ejjubiten (II. 98 und 103), beherrschten seit deren Sturz (1250) das Land und gerieten 1517 unter tiirkisehe Oberhoheit. Der zwedte Koalitionskricg. 127 demokratischen Partei in der Ewigen Stadt in die romische Republik verwandelt und der Papst Pius VI. in die Grefangenschaft abgefiihrt, in der er bald darauf starb. Ferner mischte sich das Direktorium in Streitigkeiten zwischen Bern und dem Waadtlande, stiirzte die aristokratischen Kantonalregierungen, verwandelte die Schweiz in die einheitlicbe Eelvelische Republik und verband Grenf mit Frank- reich. 1 Diese tlbergriffe veranlaBten Osterreich, Ruliland, England und Neapel zum Abschlusse einer Koalition; in RuBland regierte damals Paul I. (1796—1801), der Sohn Katbarinas II., ein erbit- terter Gegner der Revolution, der von einem Teile der Malteserritter zum Protektor des Ordens gewahlt worden war. Die Unterhandlun- gen zu Rastatt fiihrten zu keinem Ziele, so daB die meisten Reichs- fiirsten mit Ausnahme des frommen und sparsamen, aber taten- scheuen Friedrich Wilhelms III. (1797—1840) von PreuBen, des 1797-1840. Soknes Friedrich IVilhelms II., dem Bunde beitraten. Furz nach dem Ausbruche des Krieges verlieBen die drei franzosischen Unter- handler Rastatt, wurden aber in der Facht iiberfallen, tvobei zwei den Tod fanden, wahrend der dritte entkam; Urbeber und Beweg- grund der Tat sind niemals bekannt geworden. 2 2. Der erste Abschnitt des Krieges bis zur Anderung des Kriegsplanes der Verbiindeten (1799). Die Verbiindeten be- 1799. schlossen, die Franzosen auf drei Seiten anzugreifen; es solite sie namlich ein osterreichisch-russisches Ileer aus Italien, ein bster- reichisches aus Siiddeutschland und der Schiveiz vertreiben und ein russisch-englisches von den Niederlanden her vordringen. Den Krieg eroffnete IŠTeapel mit einem iibereilten Einfall in die romische Republik, der aber miBlang; die Franzosen drangen selbst in 'iNeapel ein, vertrieben den Konig nach Sizilien und verwandelten Unter- italien in die Parthenopeische Republik^ Diesem Vorspiele folgten die Unternehmungen der Haupt- machte. Zuerst schlug Erzliej-zog Karl die Franzosen bei Oslrach 1 Es gab damals in der Sehveiz regierende und untertlinige Gebiete; nur die Angehbrigen von 18 Geschleehtern regierten tiber den Kanton Bern und das von diesem abhangige Waadtland. 2 J. A. von Belfert, Zur Losung der Rastatter Gesandtenmord-Frage. Stutt¬ gart und Wien 1900. An der Bluttat \varen Szekler Husaren nicht beteiligt, weil solche erst nach Vertibung des Mordes an die Stelle des tlberfalles kamen. Man betrachtet jetzt die Emigranten oder die Direktoren als die Urheber des Mordes. * Parthenope (= Magdeburg) ist der iiltere Name Neapels. 128 Dritter Zeitraum. und noch entscheidender bei Stockach und notigte sie dadurch. zur Raumung Deutschlands. Hierauf riickte er in die Schweiz ein und zwang Massena , den groBten franzosischen Feldlierrn nach Bona- parte, durch den Sieg bei Zurich zum Abzuge aus der ostlichen 1 Schweiz. Inztvischen erzwangen sicli die Osterreicher in Italien den i tJbergang iiber dieEtsch, den GrenzfluB der Zisalpiniseben Republik, und vereinigten sicli hierauf mit den spiiter angekommenen Russen, deren Fiihrer Suworow, ein groBer Feldherr von unbeugsamer Willenskraft, den Oberbefehl iiber die vereinigten Truppen iiber- nahm. Diese siegten an der Trebia und bei Novi; in der ersteren Schlaeht gaben die Russen, in der letzteren die Osterreicher den Ausschlag. Die Franzosen wurden bis nach Genua zuriickgeworfen, das sie in die Ligurische, mit ihnen verbiindete Republik umge- tvandelt liatten. In den Niederlanden kam es zu keinem groBeren Kampfe. So hatte die Koalition schon bedeutende Erfolge erreicht, als auf den Vorschlag Englands, das den franzosischen EinfluB in der Schweiz beseitigen wollte, der Kriegsplan gedndert vuurde, was nur Verluste und den Zerfall des Bundes zur Folge hatte. Diesen be- schleunigte auch der Umstand, daB Osterreich und England die russischen Erfolge in Italien nicht gerne sahen und RuBland der fe Absicht Osterreichs, die Eroberungen in Italien fiir sich zu behalten, abgeneigt \vard 3. Der zweite Abschnitt des Krieges seit der Anderung des 1799 - 1801 . Planeš der Verbiindeten (1799—1801). Infolge der Abanderung des Kriegsplanes erhielt Suivoroiv den Befehl, in die Schiueiz zu ziehen, wahr,end Erzherzog Karl nach dem Mittelrhein marschieren solite, weil die Franzosen wieder in Deutschland eingefallen waren. Da Suworow glaubte, daB Erzherzog Karl die Sclnveiz nicht sogleich verlassen werde, verzogerte er seinen Abmarsch und zog dann, statt iiber den Bernhardin oder den Spliigen, iiber den St. Gotthard 2 in i der Hoffnung, hier noch die Osterreicher anzutreffen. Da aber Karl seinem Auftrage gemiiB bereits aus der Sclnveiz abgezogen war, stieBen die RuBen iiber ali auf den Feind und muBten sich unter auBerordentlichen Strapazen den Iliickzug nach Graubiinden 1 Koalitionskriego leiden hiiuiig unter der Uneiriigkeit. der Verbiindeten. - tlber diesen PaB fiihrte damals nur ein Saumweg. wahrend iiber die beiden anderen Passe KunststraBen gebaut waren. Der zweite Koalitionskrieg. 129 erkampfen, von wo sie den Weg in die Heimat nahmen. 1 2 3 Erzherzog Karl legte aus ITnwillen das Kommando nieder und bald darauf trat Paul von der Koalition zuruch. So standen die Dinge, als Bonaparte aus Agypten zuriickkehrte und als Konsul an die Spitze des Staates trat; alsbald griff er in den Krieg ein und entschied ihn zugunsten Frankreichs. Wahrend er Moreau nach Siiddeutschland schickte, iibernahm er selbst den Oberbefehl in Italien. Gerade damals fiel Genua in die Hande des osterreichisclien Generals Melas, der somit die Wahl hatte, sich daselbst belagern zu lassen oder sich den Riickzug zu erzwingen. Da er sich fiir das letztere entschied, kam es zur blutigen Schlacht bei Marengo 2 (1800), die bereits fiir die Osterreicher gewonnen war, als der vermmdete Melas das Kommando dem General Zach iiber- gab, die Truppen die Verfolgung einstellten und Bonaparte mit Hilfe neuer Streitkrafte den Sieg errang. Melas muBte sich nach Mantua zuriickziehen. In Siiddeutschland hatte Erzherzog Johann, der achtzehn- jahrige Bruder des Kaisers, die Fiihrung des Heeres iibernommen; er wurde aber von Moreau bei Hohenlinden vollstandig besiegt, so daB die Franzosen nach heftigem Kampfe bei Lambach bis iiber die Enns vorriickten. Eunmehr scliloB Franz II. den Frieden von Lune- ville, der den von Čampo Formio bestatigte; liberdies vvurde das linke Bheinufer an Frankreich abgetretenP Bald folgte auck der FriedensschluB mit RuBland, wo kurz vorher Paul I. wegen seines GroBenwahnes durch eine Adelsverschworung ermordet worden war und sein Sohn Alexander I. (1801—1825) den Thron bestiegen hatte. 4 Endlich kam im Jahre 1802 zwischen England und Frank¬ reich der Friede von Amiens zustande; ersteres verstand sich darin zur Herausgabe der meisten eroberten Kolonien und der Insel Malta, die es den Franzosen entrissen hatte, kielt. aber die letztere Be- stimmung nicht ein. 1 In vierzehn Tagen iiberstieg Suworow vier kohe Piisse, \vozu ein guter Fufiganger dieselbe Zeit gebraucht Mtte. 2 Wichtigkeit der Lage von Novi, Marengo, Alessandria (II. 108) im Norden des Bocehettapasses. 3 Es \var dies der neunte Teil des Heichsgebietes mit 1 /, seiner Beviilkerung. * Paul verlangte, daB die Miinner und Frauen aus den Wagen stiegen und sieh im Kot und Sehnee vor ihm auf die Knie warfen, wenn er voruberfuhr. Zeehe, Geschichte der Neuzeit III. 9 130 Dvitter Zeitraum. 4. Die wichtigsten Folgen (les zweiten Koalitionskrieges. a) Deutschland. Dem Luneviller Frieden zufolge wurden von den Fiirsten, die durch die Abtretung des linken Kheinufers Verluste erlitten, nur die weltlichen entschadigt; dies gescliah nach langem Schachern auf Kosten der geistlichen Fiirsten und der Reichsstadte, die sakulari&ieri, beziehungsweise mediatisiert wurden, durch den 1803. Reiclisdeputations-IIauptscliluB (1803). Es verschwanden demnacli alle geistlichen Fiirstentiimer, mit Ausnahme von dreien, und alle 52 Reichsstadte auBer Hamburg, Bremen, Liibeck, Frankfurt, Hiimberg und Augsburg. Am meisten gewannen PreuBen (ain Niederrhein) und die groBeren Mittelstaaten; 0sterreich erhielt die Štifte Brixen und Trient, die iibrigens schon seit Jahrhunderten von den Flabsburgern ganz abhangig waren. Jener HauptscbluB, der auch den Eeicbsrittern und den Eeichsdorfern ein Ende machte, bedeutet die groBte Ersebiitterung, die das Beich seit Jahrhunderten durcbgemacbt hatte, beseitigte aber wenigstens eine Anzalil lebens- unfahiger Staatswesen. b) lialien. Die Zisalpinische Republik' wurde durcli die An- gliederung Parmas erweitert, nunmehr die Italienische genannt und von Bonaparte als ihrem Priisidenten vervvaltet. Der Herzog von Parma erhielt Toskana, dessen friiberer GroBlierzog mit Salzburg entschadigt wurde, und der Herzog von Modena den osterreichischen Breisgau, in Rom wurde die Herrschaft des Papstes und in Neapel die der Bourbonen wiederhergestellt. cJ Die Schiveiz. Hier beseitigte Bonaparte den Gegensatz zwischen den Anhangern der alten (foderativen) und der neuen (zentralistischen) Verfassung durch die Mediationsakte, eine seiner gliicklicbsten Scbopfungen, die einen vermittelnden Standpunkt einnalnn. D. Der Sturz des Direktoriums, das Konsulat und die 1799-1804. Errichtung des Kaisertums (1799—1804). 1. Der Sturz des Direktoriums. Im Vertrauen auf die Stim- mung des Volkes und im Einvernehmen mit zwei Direktoren wagte Bonaparte einen Monat nach seiner Landung in Frankreicli einen Staatsstreich. Es vurden namlich auf BeschluB der Zvveihundert- fiinfzig wegen angeblicher Gefahrdung durch die Jakobiner die beiden Elite nach St. Cloud verlegt und Bonaparte mit ihrem Schutze betraut. Ilierauf dankte ein dritter der Direktoren ab und die Der Sturz des Direktoriums; das Konsulat. 131 beiden iibrigen tvurden verhaftet (am 18. Brumaire = 9. Bovembar 1799). Am folgenden Tage suclite Bonaparte die beiden Kammern fiir sicli zu gewinnen; dies gelang ihm aber nur im Bate der Alten, wahrend er von den Piinfhundert mit Schmahungen empfangen wurde, so daJ3 er wie ohnmaclitig einem seiner Grenadiere in die Arine sank nnd nur durch die Geistesgegenwart seines Bruders Luzian, der als Prasident die Sitzung eilends scliloJ3, gerettet \vurde. Bach dem er sich in der Mitte seiner Soldaten wieder erliolt hatte, liefi er den Bat der Fiinfhundert auseinandersprengen nnd sodami sicli und den beiden gewonnenen Direktoren durch seine Anlianger in der Kammer die Begierung iibertragen. So kam die Konsular- verfassung zustande. Ilir zufolge erhielt Bonaparte als erster Konsul die hochste Gevualt auf zelin Jalire, wahrend die beiden anderen Konsuln nur eine beratende Stiimne hatten. Die legislative Gewalt wurde dem Tribunate und dem gesetzgebenden Kurper iibertragen; das erstere bestand aus 100 Mitgliedern und hatte die Gesetze zu beraten, der letztere aus 300 und hatte sie oline Debatte anzunelunen oder zu venverfen. Aufierdem erhielt der Senat die Obhut liber die Verfassung; da seine Mitglieder vom Konsul ernannt wurden, waren sie auch von ihm abhangig. 2. Das Konsulat ( 1799 — 1804 ). Als Bonaparte die Begierung 1799-1804. ubernahm, waren der Staatssehatz olme Geld ; die Kirche oline Priester, die Schule olme Lehrer, die Armen oline Bahrung, die Beamten oline Befehle; auf allen diesen Gebieten wurde in kurzem Wandel geschaffen. Das erreichte Bonaparte durch seine auBer- ordentliche Arbeitskraft (vier bis fiinf Stunden Schlaf geniigten ihm), 1 seinen unvergleichlichen Scharfsinn und sein staunenswertes Gedachtnis; daher sagte auch Sieyes gleich nacli seinem ersten Gesprache mit ihm: „Wir haben jetzt einen Herrn; Bonaparte weiB, kann und tut alles.“ Er gestattete den Emigranten die Biickkehr, 2 weiin sie auf ihre verkauften Giiter verzichteten, fiihrte gleichmiiJBige Verteilung der Steuern ein, steigerte durch Sparsamkeit und Ord- nung die Einkiinfte und sicherte Leben und Eigentum derBevuohner. 1 Napoleon selbst sagte einmal: „Die Arbeit ist mein Element. Ich habe zwar die G-renzen meiner Beine und Augen, aber niemals die meinor Tiitigkeit kennen gelernit." 2 Beim Beginne des Konsulates ziihlten die Emigrantenlisten 14G.000 Ber- sonen; dazu kamen nocli 200- bis 300.000 ihrer Angehorigen, die aller Redite und alles Vermiigcns beraubt waren. 9 * 132 Dritter Zeitraum. 1804. Er zog Angehorige aller Parteien an sich, wofern sie nur die neue Verfassung anerkannten (I. 231) ; anderseits niitzte er sie auch bis zur Erschopfung aus. Durch den AbschluB eines Konhordates mit Pius VII. (1801) stellte er die katholische Kirche \vieder lier und gewann die Herrschaft iiber sie, indem der Papst auf die Kirchengiiter verzichtete und ihm das Recht einramnte, die Bischofe nnd Pfarrer zu ernennen. 1 * Es feblte freilich nicbt an Vcrschworungen gegen sein Leben, die teils von den Republilcanern, teils von den Royalisten ausgingen; gliicklieher als Časar, fiel er ihnen nicht zum Opfer. Den Versucb der Rovalisten, ihn mittelst der „H611enmaschine“ zu toten, beniitzte er zur Verbannung der starrsinnigen Republikaner; ein zvreiter royalistischer Anschlag endete mit der Hinricbtung der Radels- fiihrer und der Ermordung des jugendlichen Herzogs von Enghien aus dem Hause Bourbon, den Bonaparte als angeblichen Mitschul- digen in Baden verhaften und unter Verhohnung aller Rechtsbegriffe erscbieben lieJ3. TJm die Zalil seiner Anhanger zu vermehren, errich- tete er den Orden der Ehrenlegion fiir hervorragende Verdienste. 3. Die Errichtung des Kaisertums. JSTachdem Bonaparte bereits im Jalire 1802 dureh eine Volksabstimmung (Plebiszit) zum lebenslčinglichen Konsul mit dem Rechte, seinen Rachfolger zu be- stimmen, erwahlt worden war, wurde er im Jahre 1804 vom Tri- bunate zum erblieben Kaiser der Franzosen 2 ausgerufen; der Senat stimmte bei und eine Volksabstimmung (3% Millionen ja gegen 2500 nein) bestatigte den BeschluB. Er nannte sicli Napoleon I., lieB sicb vom Papste in Pariš salben und setzte sich sodann selbst die Krone auf (2. Dezember 1804). Die republikanischen Formen in seiner Umgebung horten nunmehr auf. Denn wenn er auch fiir seine Person soldatischeEinfachheit liebto, 3 umgab er sich doch mit einem glanzenden Hofstaate; dessen Mitglieder bildeten nicht nur seine tiichtigsten Beamten und Generale, die er mit dem Rerzogs-, Eiirsten- 1 Das Konkordat wurde im Jahre 1905 durch das „Trenmingsgesetz“ auf- gehoben. * Nicht zum „Kaiser von Frankreich", wcil er geioalilt war. Dic scheinbare tlbertragung aller Vollcsrechte an Napoleon durch seine Wahl erinnert an die romische Kaiserzeit. s Im ancien rggime (untor Ludwig XVI.) kostete der Hofhalt jahrlich 45, 1795—96 die Verpflegung des Pariser Pobels 1200, der Hofhalt Napoleons nicht ganz drei Millionen Franken. Der dritte Koalitionskrieg. 133 und Grafentitel auszeichnete, sondern auch Sprossen des alten Adels. Die Verfassung wurde entspreclieiid abgeandert, den Kammern fast jeder EinfluB genoramen, die christliche Zeitrechnung \viederher- gestellt, dagegen lieB iSTapoleon die Beseitigung der Feudallasten, Idandels- und Gewerbefreilieit, die Gleiclibereehtigung aller Burger und die Offentlichkeit des Gerichtsverfahrens unangetastet. Diese Grundsatze kamen auch in' dem neuen biirgerlichen Gesetzbuche, dem Gode Napoleon, zum Ausdrucke, das er durcli die beriihmtesten Bechtsgelehrten ausarbeiten lieB. So endete die franzosische Kevolution wie die romisclie (1.237) und die englische (S. 47) mit der Errichtung der Militarherrschaft; auch bedurfte der ganzlich zerriittete Staat vor allem einer starken Autbritat. IV. I)ic revolutioniiren Eingriffe Napoleons 1. in die staatliclie Ordnung Europas bis zu seinem Sturze (1805—1815). VVahrend JVapoleon fiir Franlcreich die Kevolution schloB, er- offnete er sie erst recht fiir das iibrige Europa, indem er die bis- lrerigen Verhaltnisse durch zahlreiche Kriege umsturzte. Diese lagen nicht im Interesse Frankreichs, dem er immer neue Opfer auf- erlegte; 1 er fiihlte si eh daher jetzt auch nicht melir als Franzose, sondern als internationaler Gewaltherrscher, dem zur Befriedigung seiner schrankenlosen Herrschsucht alle Mittel als erlaubt galten. A. Der dritte Koalitionskrieg (1805). 1. Die Veranlassung. Die Friedensbedingungen von Amiens \vurden weder von England noch von Franlcreich genau eingehalten, ja Napoleon reizte jenes iiberdies durch die Besetzung Hannovers. Da er noch dazu in Boulogne groBe Riistungen veranstaltete, als ob er England anzugreifen beabsichtigte, schloB Pitt mit Schiveden, BuBland und Osterreich eine neue"Koalition, der spater auch Neapel beitrat. Kaiser Franz, der am 10. August 1804 als Franz I. seine Bander zum Kaisertum Osterreich vereinigt hatte, fiirchtete fiir seine venetianischen Besitzungen; denn Napoleon hatte sich nicht 1 Napoleons Minister Talleyrand sagte einst zum Kaiser Alexander I.: „Dcr Khein, die Alpen und die Pyrenaen sind die Erobcrungen Frankreichs, der Rest nur die des Ka'isers.“ Die Kriege von 1805 bis 1815 kosteten Franlcreich ungefa.hr 1,700.000 Menschen. 1805-1815. 1805. 1804. 134 Dritter Zeitraum. nur zum Konige von Italien erklart (1805), sondern auch die Ligurische Republik mit Frankreich verbunden. Spanien, Baden, Wiirttemberg und Bayern leisteten ihm Vasallendienste, PreuBen dagegen blieb audi jetzt neutral. 2. Der Verlauf des Krieges. Wieder wurde der Krieg in Sud- deutschland und in Italien gefiihrt,, die Entscheidung iiel jedoeh diesmal auf dem nordlichen Schauplatze. Kaiser Franz iibergab dem Erzlierzoge Karl den Oberbefelil in Italien nnd dem General Mačk in Suddeutschland , wahrend Napoleon fiir sich den letzteren Schau- platz wahlte nnd Massena gegen Karl entsandte. Oline die Ankunft der Kussen abzuwarten, marschierte der unfahige Mačk mit seinen ungeiibten und scblecht ansgeriisteten Truppen bis Ulm und blieb daselbst sogar steben, als die Franzosen bereits iiber ihn binaus nachOsten vorgedrungen waren, so dali er vollkommen eingescblossen vrarde und sich ergeben muBte. Kapoleon riickte nun rasch in Osterreich ein, nahm Wien ohne Widerstand und zog liierauf nacb Mabren, wo sich die Osterreicher mit den Kussen vereinigt hatten. ITier erfocht er (mit 05.000 gegen 82.000 Mann) bei Austerlitz (2. Dezember 1805, Dreikaiserschlacht) einen seiner schonsten Siege, womit aucb der Feldzug entschieden war. Denn der Erfolg Karls bei Caldiero anderte an dem Ausgange des Krieges nichts und der groBe Sieg der engliselien Flotte liber die franzosisch- spanische bei Trafalgar, in der groBten Seescblacbt des 19. Jahr- hunderts, kam der Koalition selbst nicht zugute; er vernichtete namlich zwar die franzosiscbe Flotte, batte aber nur fiir England eine Bedeutung, das freilicb Nelson in dieser Scblacht verlor. 3. Der FriedensschluB und die Auflosung des Deutschen Reiches. Bald nach der Scblacbt bei Austerlitz scbloB Kaiser Franz mit Napoleon den Frieden von PreBburg, in dem er ein Funftel seines Reiches verlor. Er muBte namlich die Eiuverbungen des Friedens von Čampo Formio an Italien, Tirol an Bayern und die Besitzungen in Suddeutschland an Bayern, Wiirttemberg und Baden abtreten; als geringen Ersatz hiefiir erhielt er Salzburg. Bayern und Wiirttemberg erbob Napoleon zu Konigreichen, Baden zu einem GroBberzogtum und traf verscbiedene Gebietsveranderungen in Deutschland. Dem Konige Beider Sizilien entriB er Unteritalien, das er seinem Bruder Josef als Konigreich Neapel iibergab, die Batavische Republik verwandelte er in das Konigreich Holland, dessen Krone sein Bruder Ludwig erhielt. Mit RuBland schloB er Der vierte Koalitionskrieg. 135 zu Pariš Frieden (1806), England setzte auch nacli dem Tode Pitts (f 1806) den Iirieg mit F"apoleon fort. Bald darauf erfolgte die Auflosung des Romisch - deutschen Beiches (II. 76). Es sagten sicli namlich 16 Fiirsten „von ihrer bislierigen Verbindung mit dem deutschen Reichskbrper“ los, schlossen den Rheinbund und st,eliten Napoleon als dem Protektor des Bundes ihre Truppen zur Verfiigung. Noch in demselben Jahre (1806) legte Franz infolge der Drohungen ISTapoleons die deutsche lf Kaiserhrone nieder. E"apoleon betrachtete sich bereits als den Ilerrn von ganz Deutschland; den Niirnberger Buchhandler Palm lieB er erschieBen, als sich dieser weigerte, den Verfasser der bei ihm er- schienenen Schrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ zu nennen. B. Der vierte Koalitionskrieg (1806 und 1807); der Sturz 1806 und die Wiedererhebung Preuflens. 1. Die Veranlassung. Friedrich Wilhelm III. hatte sich nach der Schlacht bei Austerlitz von Napoleon iiberreden lassen, gegen Abtretung von Ansbach und Kleve Hannover anzunehmen, wodurcli er sich mit England verfeinden muBte. Als nun aber Napoleon England die Zuriiclcgabe Hannovers in Aussicht stellte und so den friedliebenden Ilonig geradezu verliohnte, gewann in Berlin die Kriegspartei das t]bergewicht, zu der auch die edle Konigin Luise gehorte. Einige norddeutsche Fiirsten schlossen sich an PreuBen an. 2. Jena und Auerstiidt (1806). Napoleon drang durch das 1! Saaletal in Thiiringen ein und schlug in der Hoppelschlacht bei Jena und Auerstiidt den riberraschten Feind vollstandig. Der Ein- druck dieser Niederlage war so grofi, daB allerorten Verwirrung einriB; die starksten Festungen, wie Stettin, Kuštrin und Magde¬ burg, ergaben sich fast ohne \Viderstand ; x nur Blucher hielt sicli in Lubeck, bis er kein Brot und keine Munition rnehr hatte, und Kolberg wurde vom Major Gneisenau, dem Leutnant Schill und dem wackeren Burger Nettelbech erfolgreich verteidigt. Wahrend Friedrich Wilhelm mit seiner Familie nach Konigsberg floh, besetzte Napoleon Berlin. Hier verfiigte er die Kontinentalsperre, derzufolge den seinem Einflusse un'terworfenen Liindem aller Ilandel und Briefverkehr mit England verboten wurde; letzteres solite dadurch 1 „Das war ein Grenel", schrieb damals Gneisenau, und Napoleon konnte mit Recht sagen: „Die ganze preuBische Monarchie ist in meiner Hand.“ 136 Dritter Zeitraum. materiell vernichtet werden, doch erreichte er seinen Zweck nicht, weil sicli ein lehhafter Sclileichhandel entwickelte. Braunschweig, dessen Herzog Karl Kerdinand (S. 122) bei Auerstadt befehligt hatte, und Ilessen-Kassel, dessen Kurfurst 1 neutral geblieben war, wurden eingezogen, der Kurfurst von Saclisen dagegen erliielt den Konigstiitel und trat dem Rheinbunde bei. 3. Napoleons Kampf mit der vierten Koalition; der Friedens- schlutS nnd seine Folgen. Nunmekr traten RuBland, Schweden und England auf die Seite PreuBens, das in einem Vertrage mit dem letzteren Staate auf Hannover verzichtet hatte. Napoleon kampfte gegen PreuBen und RuBland zum erstenmal unentschieden bei Eylau (1807), siegte aber dann bei Friedland iiber die Russen. Nack langen Onterhandlungen schloB er endlick mit PreuBen den Frieden 1807. von Tilsii (1807); dieses muBte eine liolie Kriegskostenentschadi- gung zalilen 2 sowie alle Gebiete 'vvestlich von der Elbe und alle elie- mals polnischen Landesteile mit Ausnalime WestpreuBens, im ganzen ungefahr die IIalf te, abtreten, so daB es zu einem Kleinstaate herab- gedriickt war. 8 Nachtraglich muBte der Konig noch versprechen, seine Armee nie iiber 42.000 Mann zu erhohen. Aus den abgetretenen polnischen Gebieten schuf Napoleon das Herzogtum Warsclmu , das er dem Konige von Sachsen iibergab; die Lander westlieh von der Elbe verband er mit Braunschweig und Hessen zum Konigreiche Westfalen, dessen Krone er seinem jiingsten Bruder llierongmus iibertrug. Nunmelir gehorte ganz Deutschland auBer Osterreich, PreuBen, Scliwedisch-Pommern und Holstein dem Rheinbunde an. Alexander erhielt im Erieden von Tilsit auf Kosten PreuBens das Gebiet von Bialjstolc; im folgenden Jahre traf er mit Napoleon in Erfurt zusammen und versprach ihm Hilfe, wenn er mit Oster¬ reich in Krieg geraten solite. Napoleon verstand es namlich, auf die Menschen einen fast damonischen Zauber auszuiiben, auch stellte er dem Žaren die Erwerbung von Finnland, der Moldau und Wala- chei und iiberhaupt die Teilung der Herrschaft iiber Europa in 1 Die Landgrafschaft Hessen war durch den Deputations-HauptschluB zu einem Kurfurstentum erhoben worden. 2 Im ganzen hat Napoleon iiber eine Milliarde Franken aus PreuBen ge- zogen, was 13 Brutto-Jahreseinnahmen des damaligen PreuBen iiberateigt, wdh- rend die fiinf Milliarden, die Frankreich 1871 an Deutschland zahlen muBte, bei weitem nicht drei Brutto-Jahreseinnahmen des damaligen Frankreich erreiehen. 3 Den Rest des preuBischen Staates lieB Napoleon „nur aus Riicksicht fiir den Žaren und als einen Beweis von Freundschaft und Vertrauen“ bestehen. Der vierte Koalitionskrieg. 137 Aussicht. Tatsachlicb entriB aucb Alexander bald darauf den Schweden Finnland, da der wahnwitzige Gustav IV. von Scliweden den Krieg gegen Napoleon auch jetzt noch fortsetzte. Desbalb wurde Gustav vom Reicbsrat abgesetzt und sein kinderloser Olieim Karl XIII. zmn Konig erhoben. Dieser nabm den franzosischen Marschall Bernadotte an Kindes Statt an, dessen Nachkommen nocb jetzt in Scbvveden regieren. Mit England kam es abermals zn keinem E riedensscblusse. 4. PreuBens Wiedererhebung; Karl Freiherr von Stein. Selten wurde eine GroBmacbt nach kurzem Feldzuge so nieder- geworfen, vielleicbt aber niclit ein zweitesmal mit solchem Ernste an der Wiedergeburt des Staates gearbeitet, wie damals in PreuBen; ihre Seele war der charakterfeste und hochstrehende Minister Stein. Der Grundgedanke seiner Reformen war, die SelbstandigJceit der Bevolkerung, die der aufgeklarte Absolutismus unterdriickt hatte (S. 94), zu wecken, um den Staat fiir die Zeit der Abrechnung mit Napoleon zu starken. Deshalb wurde die Erbuntertanigkeit der Bauern aufgehoben, den Stadten die Wahl des Biirgermeisters und der Gemeinderate zuerkannt, fiir dieYer\valtung der bocbsten Staats- amter geistige und sittliche Tuclitigkeit verlangt. Indem Stein die Bevormundung des Volkes durcb die Bureaukratie verwirft, steht sein System im schroffsten Gegensatze zum Beamten- und Polizei- staate Napoleons. Die Einfiikrung von Beicbsstanden setzte er nicht mebr durcb, da er von Napoleon geacktet und desbalb vom Konig entlassen \vurde; 1 docb fand er in Ilardenberg einen \viirdigen Nacb- folger. Scharnhorst, der Sobn eines Bauers, begriindete als Kriegs- minister die allgemeine Wehrpflicht. Aucb fiir die geistige und sitt- liche Ilebung der Bevolkerung ward gesorgt. Trotz der ungiinstigen Finanzlage wurde bauptsacblicb auf Betreiben des Staatsrates Wilhelm von Humboldt in Berlin eine Universitdt erricbtet und die groBten Gelehrten dabin berufen. PreuBische Lebrer wurden zu Pestalozzi gescbickt und Scbiiler von ihm berufen, weil er seine Zoglinge in die lebendige Anscbauung einfiibfte und zum selbstan- digen Denken anregte. Der Pbilosopb Fichte zeigte in seinen „B.eden an die deutsche Nation“, daB unbeugsame Sittlicbkeit zur nationalen Befreiung fiihren miisse, wahrend Schleiermacher durch seine Pre- 1 Von Stein sagte Seharnliorst, daB er auBer Bliicher der einzige ihm he- kannte Mann ohne aile Mensclienfurcht gewesen sei. — M. Lelimann, Freiherr vom Stein, 3 Bde., Leipzig 1902 — 05. 138 Dritter Zeitraum. digten und Schriften die hoheren St-ande wieder mit religiosem Sirnie erfiillte. Der „Turnvapr“ John, damals Gvnmasiallelirer in Berlin, forderte die korperliehe Tiichtigkeit der Jugend und patrio- tische Vereine sucliten sittlichen Ernst und nationale Gesinnung zu verbreiten. So zeigte PreuBen, was Wissen und Wollen vermogen, und ging den weiteren Stiirmen wohlgeriistet entgegen. 1 C. Napoleons Krieg mit Portugal und Spanien 1808 - 1813 . (1808—1813). 1. Die Veranlassung. Da sicli Portugal der Kontinentalsperre nicht fiigen wollte, licB es Kapoleon besetzen; die Herrsclierfamilie hatte sicli schon friiher nach Brasilien eingeschifft. Hierauf beniitzte er ein Zertviirfnis zkvischen deni Konige Karl IV., dem Nachfolger Karls III., und seinem Soline Ferdinand, um durcli ein schmah- liches Rankespiel die spanische Krone zu getvinnen. Er veranlaBte namlich beide, nach Bagonne zu kommen, bestimmte sie daselbst zur Verzichtleistung auf die Krone und nalim den widerstrebenden Ferdinand gefangen. Zum Konige von Spanien machte er seinen Bruder Josef, wahrend er Neapel seinem Schwager Murat verlieh. 2. Der Verlauf des Krieges. Das Vorgehen Kapoleons rief die groBte Erbitterung der Spanier hervor, so daB sie sich zur Be- kampfung der Gewaltlierrschaft. erhoben. Sie fanden Unterstiitzung an den Englandern, 2 die unter dem „Eisernen Herzogi Welliiigton die Franzosen aus Portugal verdrangten und es infolge der gliick- lichen Verteidigung von Torres Vedras auch gegen die spateren Angriffe Massenas behaupteten. Da Napoleon die Inquisition und zwei Drittel aller Kloster aufhob, die Kirchengiiter einzog und den Kirchenstaat besetzte, reizte er den Klerus zum lebhaftesten Wider- stande; dieser entflammte das Volk zum auBersten Kampfe und befehligte teilweise auch die einzelnen Streifscharen (Guerillas), die dem Feinde im kleinen vielen Schaden zufiigten (I. 198), tvahrend gleichzeitig die heldenmiitige Verteidigung Saragossas die franzosi- schen Streitkrafte beschaftigte. In den einzelnen Stadten bildeten sich zur Organisierung des Volkskrieges Ausschiisse („Jumten“), die 1 Vgl. den Ausspruch Kanta: „Du kannst, wenn du willst.“ 2 England unterstiitzte die Spanier hauptsachlich de.shalb, um seinen durch Napoleon schwer geschadigten Handel zu schiitzen. Osterreiehs Krieg mit Napoleon. 13» sich der Zentraljunta in Sevilla unterstellten; diese fiikrte namlicli fiir Ferdinand die Regierung. Wie die Volksmassen durch die Geist- lichlceit, sollten die gebildeteren Kreise durch die Aussicht auf politische Freiheiten fiir den Krieg begeistert werden; deshalb berief die Zentraljunta die Cortes nack Kadiz, wo diese auch eine frei- sinnige Verfassung besclilossen (1812). Spanien kam der Umstand zugute, dah Napoleon einen Teil seiner dortigen Truppen fiir den Kampf mit Osterreich und RuBland herausziehen muBte; VVellington konnte infolgedessen durch den Sieg bei Viioria (1813) iiber den Konig Josef den vollstandigen Abzug der Franzosen erztvingen. Bald dar auf erhielt Ferdinand die Freiheit. Der spanische Krieg hat die groBe Bedeutung, daB ein ganzes Vollc (niclit, wie bisher, geschulte Truppen) Widerstand leistete und so der Beweis erbracht wurde, daB selbst Napoleon einem solchen Gegner niclit gewacksen war. 1 D. Osterreiehs Krieg mit Napoleon (1809). 1. Osterreich nach dem PreBhurger Frieden; Erzherzog Karl 2 und Graf Stadion. Nach dem dritten Koalitionskriege wurden auch in Osterreich militdrische und politische Reformen vorgenominen; die Seele der ersteren war der Erzherzog Karl, die der letzteren der Minister Graf Philipp Stadion. Karl war ursprung- lich wegen seiner Korperscliwache fiir den' geistlichen Stand be- stinnnt. Uiiter der Leitung seiner hochsinnigen Tante, der Erz- lierzogin Christine von Sachsen-Teschen, die ikn an Kindes Statt annahrn, entfalteten sich seine reichen Geistes- und Gemiitsanlagen in der schonsten Weise. Naclidem er bereits in den ersten zwei Koalitionslcriegen treffliche Dienste geleistet liatte, wurde er Hof- kriegsrats-Prasident und Generalissimus, d. h. Oberbefelilsliaber der gesamten Heeresmacht. Als solclier scliuf er ein neues Exerzier- und Dienstreglement; bei Abfassung des letzteren lieB er sich von dem Grundsatze leiten, daB „Ehrgefiihl die Seele des Soldaten ist“. 1 tlber die Ai’t des Krieges selirieb ein deutscher Offizier aus Spanien: „Hier gilt nichts als Sieg oder Tod und am Ende — doch der Tod.“ 2 Ausgeiviihlte Schriften weiland Sr. kais. Holieit des Erzherzogs Karl, herausgegeben im Auftrage seiner Sbhne, der Herren Erzherzoge Albredit und Wilhelm, 6 Bde., Wien und Leipzig, 1893—95. — H. von Zeifiberg, Erzherzog Karl von Osterreich, I., Wien 1895. — E. TVertheimer, Geschichte Osterreiehs und Ungarns im ersten Jalirzelint des 19. Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1884 — 90. 140 Dritter Zeitraum. Mit schopferiscliem Geiste verfuhr er bei der Griindung der Land- wehr, 1 die spater von anderen Staaten nachgeahmt wurde, wahrend sie in Osterreich bald \vieder verfiel. Er war ein ideal angelegter, wissenscliaftlich bochgebildeter Mann, der seinen Feinden mit riick- siclitsloser Offenheit entgegentrat. Sein Wahlspruch war: „Ein Wahrzeichen nur gilt: das Vaterland zu retten.“ In ahnlicher Weise suehte Stadion anf politiscbem Gebiete neue Krafte zur Entfaltnng zu bringen. Selbst griindlich gebildet und charakterfest, verlangte er diese Eigenscbaften auch von anderen maBgebenden Personen. Er lieB neue StraBen bauen, gewahrte der Presse mehr Freiheit und forderte die geistige Tatigkeit; Gentz, der groBte politische Schriftsteller Deutschlands, wurde als Hofrat nach Wien berufen und schiirte nebst Friedrich S Megel den kriegerischen Sinn des Adels. Das Ergebnis aller dieser Eeformen war, daB Osterreichs Heer, begleitet von den Wehrmannsliedern Collins, mit patrioti- schem Eochgefuhle zu den Waffen eilte, wahrend Erzherzog Karl auf seiner Keise durch die osterreichischen Liinder nach der Schlacht von Luneville die Bevolkerung ganzlich entmutigt und der Ver- zweiflung nahe gefunden hatte. Freilich war der friedliebende Karl auch jetzt noch gegen den Krieg, weil die Heeresorganisation noch nicht vollstiindig durchgefiihrt war. 2. Die Veranlassnng zum Kriege. Diese gab eine Iteihe von Kranlcungen (Besetzung von Braunau, die Veranderungen in Deutschland usw.), die Kapoleon dem Kaiser Franz angetan hatte. Als dieser die Einladung zum Erfurter Kongresse ablehnte, rief ihm Napoleon zu: „Was Eure Majestat sind, sind Sie durch meine Gnade“, und als er von den osterreichischen Kiistungen horte, schrieb er an die Rheinbundfursten, „das Wiener Kabineti scheine das Wasser der Lethe zu trinken“. Zuletzt veranlaBte die Frage der Anerkennung Josefs als spanischen Konigs die osterreichische Kriegserkliirung; sie erfolgte, als Napoleon in den spanischen Krieg vervdckelt war, wenige Monate, bevor er Pius VII. wegen dessen Weigerung, sich mit ihm gegen England zu verbinden, des Kirchen- staates beraubte und als Gefangenen nach Frankreich abfiihrte. 3. Der Verlauf des Krieges. Kaiser Franz s telite drei Armeen auf: die eine unter Erzherzog Karl riickte in Bayern ein, die zweite 1 In die Landwehr sollten alle Waffenfahigen von 18 bis 45 Jahren eintreten, die nicht in der Armee dienten; die letztere wurde damals noch durch Werbung oder zwangsweise Aushebung erganzt. Osterreichs Krieg mit Napoleon. 141 unter Erzherzog Johann in Italien , die dritte unter Erzherzog Ferdinand von Modena, der sich vor der Katastrophe bei Ulm mit d er Reiterei durchgeschlagen hatte, in Galizien zum Kampfe gegen RuBland. Karl erliefi einen feurigen, von Gentz verfaJBten Aufruf an die Deutschen; aber seine Worte ziindeten nnr in Tirol und beim preuBischen Major Schill , der mit. einem Kegimente zur Befreiung Norddeutschlands auszog, jedoeli beim StraBenkampfe in Stralsund “fiel. Dagegen verstarkten die Kheinbundfiirsten abermals Napoleons Reiben. Dieser zog nacb Bayern und drangte durcb eine Reihe von Gefechten bei Regensburg 1 Karl liber die Donau zuriick, der dann durch Bohmen ins Marchfeld einriickte, wahrend General Ililler im Siiden der Donau seinen Riiclczug nalnn und bei Ebelsberg dem weit stiirkeren Eeinde tapferen Widerstand leistete, olme ihn jedocb am Vormarsche auf Wien hindern zu konnen. Als aber Napoleon unterlialb Wiens liber die Donau setzte, trat ibm Erzherzog Karl nacb der Vereinigung mit Hiller, der bei Mautern die Donau iiber- scbritten hatte, mit 75.000 gegen 90.000 Mann bei Aspern und EBling entgegen und bracbte ibm nacb hartnackigem Kampfe (Aspern wurde von den Franzosen 22mal genommen und verloren) am 21. und 22. Mai eine Kiederlage bei: zum erstenmal hielt ein einzelner Staat dem Schlacbtenmeister stand. Die Entscheidung gab die Infanterie; denn obwohl sie von 6500 Panzerreitern angegriffen wurde, lieB sie doch am ersten Schlacbttage den Feind bis auf zehn Schritte heransprengen und braehte ihn am zweiten, begeistert durcb das Beispiel Karls, der sich mit der Eabne in der Iland an ihre Spitze stellte, zum Weichen. Leider verhinderten das Anschwellen der Donau und der Mangel an Schiifen die Verfolgung Kapoleons. GroB war die moralische Bedeutung dieses Sieges: Napoleon hatte den Zauber der Unuberwindlichkeit eingebuBt, in ganz Europa rief die Nachricht hievon einen gewaltigen Eindruck bervor, Napoleon selbst nannte bald darauf Osterreich eine „teufelsmaBig starke Macht“. 1 2 3 1 Bei dem Ruekzuge aus einem dieser Gefeehte sprengte ein osterreichiselier Grenadier einen Pulverwagen und zugleich sich selbst in die Luft, um seine Kameraden zu retten. 3 Napoleon sagte selbst zu seinem Bruder Josef: „Ihr habet die Osterreicher bei Aspern nieht gesehen, darum habet 'ihr eben nichts gesehen." Sie war die relativ blutigste Sehlacht des Jalirhunderts, da die Kampfenden 38 Prozent Ver- luste hatten. Kaiser Franz Josef lieB das Erzherzog Karl-Denkmal in Wien und den Lowen bei Aspern (beide von Fernkorn) errichten. , 142 Dritter Zcitraum. In Italien siegte zwar Joliann iiber Eugen Beauha/mais , den Stiefsolni ISTapoleons, bei Bacile, verlieB aber daranf Italien, um seinen Bruder zu unterstlitzen. Seinen Biickzug iiber Villach und Graz deckten die wackeren Soldaten, ivelche die Befestigungen bei Malborget und am Predil unter der Fiihrung der Hauptleute Hensel und Hermann mit bewundernswerterTodesverachtuiig verteidigten. 1 Da ihm aber auf dem Marsche iiber den Semmering Eugen zuvor- kam, strebte Joliann die Vereinigung mit seinem Bruder iiber Ungarn an, docli gelang sie ihm niclit, -weil er bei Baab infolge der Elucht eines Teiles der ungarischen Insurrektions-Kavallerie von Eugen geschlagen wurde. Inzwischen griff ISTapoleon den Erzlierzog Karl mit 180.000 gegen 128.000 Mann bei Wagram (II. 140) an und drangte ihn nach ziveitagigem Ivampfe auf Znaim zuriick. Fer¬ dinand liatte sich nacli anfanglichen Erfolgen (Besetzung War- schaus) vor der feindlichen tlbermacht zuriickziehen miissen. 4. Der FriedensschluB. Da Franz keinerlei Dnterstiitzung zu erwarten liatte und eine Seuclie im IJeere udi tete, muBte er die IIand ziim Frieden bieten; dieser wurde zu Wien (Schonbrunn) ab- geschlossen und bestimmte: Osterreicli tritt Salzburg und das Inn- viertel an Bayern, Westgalizien (S. 99) an das Ilerzogtum IVarschau, das Gebiet um Tarnopol an BuBland, endlich Ober- hdmten, Krain, Gor z, Triest, Osterreichisch-Istrien, das Kiistenland um Fiume und Kroatien bis an die Sawe an ISTapoleon ab. Diese Gebiete wurden mit Venetianisch - Istrien und Dalmatien zum Konigreich Illgrien verbunden und durch einen Generalgouverneur, der seinen Sitz in Laibacli hatte, verwaltet. Osterreicli war somit der Meereskiiste beraubt; auBerdem muBte es 85 Millionen Franken Kriegskosten zahlen, seine Armee auf 150.000 Mann bescliranken und der Kontinentalsperre beitreten. 2 Kach der Kiederlage bei Wagram trat Erzlierzog Karl ins Privatleben zuriick und beschaftigte sicli bis zu seinem Tode (f 1847) mit den Wissenschaften, an Stadions Stelle trat Metter- nich, womit die Keformtatigkeit in Osterreich aufhorte; die trost- lose Finanzlage hatte schon lange zur Entwertung des Papiergeldes 1 Kaiser Ferdinand I. lieB zu Ehren der Tapferen an beiden Orten einen Loiven aufstellen. 2 Welehen Eindruck die Nachricht vom Wiener Frieden auf einen patrio- tisehen Osterreielier machte, schildert Grillparzer am Beiispiele seines Vaters. Siehe samtliehe Werke (Ausgabe von Sauer, XIX., S. 48). Osterreiclis Krieg mit Napoleon. 143 („Bankozettel“) gefiihrt und veranlaBte im Jahre 1811 einen Staatsbankrott, durch den die Zinsen der Staatsschuld auf die Halfte lierabgesetzt wurden. Am schlimmsten war die moralische Wirkung auf die Bevolkerung, da diese in die friihere Gleicliguliigheit zu- riicksank. 5. Der Kampf in Tirol. In alter Trene und Anhanglichkeit an die Ilabsburger erhoben sich die Tiroler gegen die bayriscbe ITerr- schaft, die wegen der Einfiihrung der „Konskription“, der Auf- hebung der Landstande und Kloster so\vie anderer Keuerungen lialber im ganzen Lande („Siidbayern“) tief verhaBt war. An die Spftze des Aufstandes trat Andreas Ilofer, Pferdehandler und Gast- wirt „zum Sand“ im Passeiertale 1 , der schon in den Jahren 1796 und 1805 gegen die Franzosen gekampft hatte und \vegen seiner Biederkeit, Frommigkeit und Tapferkeit allgemein beliebt war: neben ihm zeiclmeten sicli besonders der verwegene Josef Speck- bacher („der Alann von Kinn“) und der feurigkiihne Kapuziner Joachim Ilaspinger („Pater Jochem“) aus. Durcli Feuerzeichen auf den Bergen wurde die Zeit der Erliebung kundgemacht und unter der grbBten Yerschwiegenlieit der Kampf zugleich an ver- schiedenen Stellen eroffnet. Dreimal (im April, Alai und August) gelang es den Bauern, die Franzosen und Bayern, die mit wilder Grausamkeit kampften, auf dem Iselberge zu schlagen, und dreimal riickte Ilofer in die ITauptstadt ein, blieb jedoch auch als „kaiser- licher Oberkommandant“ einfacli, wie bisher. Aber durcli den Aus- gang des Krieges gegen Kapoleon wurde auch das Schicksal Tirols besiegelt. Im Frieden von Wien ward den Tirolern Amnestie zu- gesagt, wenn sie die Waffen niederlegten; wahrend die meisten dies taten, liefi sich Ilofer von Ilaspinger und anderen bereden, nochmals zum Kampfe aufzufordern, gewann aber keinen groBen Anhang mehr. Deslialb fliichtete er sich in eine Sennhutte, geriet aber durch den Verrat Raffels in die Hande der Franzosen; er tvurde mit rolier Grausamkeit behandelt und in Mantua auf Befehl Kapoleons er- schossen (1810). 1 Ruhig sah er dem Tode ins Auge und starb als Ileld; spater wurden seine Gebeine nach Innsbruck iiberfiihrt und 1 Immermann, „Das Trauerspiel in Tirol"; Mosen, „Zu Mantua in Bandcn"; Schenkendorf, „Als der Sand vdrt von Passeier"; Komer, „Amlreas Hofers Tod“; Seidl, „Der Sandvvirt A. Iiofer zu Innsbruck am Maria Himmelfahrtstage 1809“; Riickert, „A. Hofer"; Wickenl)urg, „Tiroler Ilelden". Auf dem Tsel wurde ein Hofer-Denkmal (von Natter) errichtet. 144 Dritter Zeitraum. in der dortigen Hofkirche beigesetzt. Um die Widerstandskraft der Bevollterung zu brechen, ward Tirol in drei Teile zerstuckelt, die mit Bavern, Italien und Illyrien verbunden wurden. Die Vorarlberger hatten unter der umsichtigen Anfiihrung des Advokaten Schneider die feindlichen Truppen zuriickgedrangt und gliickliche Streifziige nach Bajern unternommen. E. Napoleon auf dem Hohepunkte seiner Macht 1810-1812. (1810—1812). 1. Die auBere Politik. Napoleon machte in den Jahren 1810 bis 1812 auch im Frieden Eroberungen (S. 39). Als sein Bruder I/udwig auf Holland verzichtete, weil er es nicht durch die Ein- haltung der Kontinentalsperre zugrunde rickten wollte, schlug es Napoleon zu Frankreich; bald dar auf vereinigte er damit aucb Bremen, Lubeclc, Hamburg, Oldenburg und einen groben Teil Hannovers. Diese Einziehungen erklarte er als durcli die Umstande geboten. Als er auch den Kanton Wallis mit Frankreich verband, umfabte dieses 130 Departements. Bald, glaubte er, werde er der Herr der .Erde sein. 1 2. Die innere Politik. Napoleon strebte immer riicksichtsloser nach einer schrankenlosen Gewalt; er stiitzte sich hiebei auf das Ileer, ferner auf die Geistlichen, die Biirgermeister (Maires) und die Prafekten (die Vorstiinde der Departements), die alle von ihm ernannt wurden. Er sagte selbst: ,,Mi't meinen Prafekten, Gen- darmen und Priestern tue ich in Frankreich, was ich will.“ So gelang es ihm, den bestgeordneten Absolutismus der neueren Zeit aufzurichten ; 2 es war der scharfste Gegensatz zur Yerwaltung vom Jahre 1790. Die opposit.ionellen Zeitungen unterdriickte er, Litera¬ tur und Theater wurden durch die strengste Zensur uberwacht, s literarische Personlichkeiten, die er furchtete (ChateaubriandFrau von Staet), mubten Frankreich verlassen; von Wissenschaft und Kunst dachte er gering, die Gelehrten verspottete er als „Ideologen“. ————— ^ 1 Im Jahre 1811 sagte Napoleon zum bayrischen General Wrede: „Encore trois ans et je serai le mattre de 1’ univers." 2 Napoleon selbst sagte einmal: „Die Franzosen brauchen nur Ruhm und die Befriedigung ihrer Bitelkeit, von der Freiheit verstehen sie nichts." 3 In den Hansestadten durften „Die Rauber", „Maria Stuart" und „Wilhelm Tell" nicht aufgefiihrt -vverden. Napoleona Krieg mit RuBland. 145 Je mehr Napoleon erreiclit hatte, desto schmerzlicher fiihlte er den Mangel eines Leibeserben, da seine Elie kinderlos blieb. Des- halb sehied er sich von Josefine und vermahlte sich mit Maria Luise , der Tochter des Kaiser s Franz, was in ganz Europa als Friedensbiirgschaft begriiBt wurde. Kaum scbien sein Gliick dureh die Geburt eines Sohnes, dem er die stolze Bezeichnnng „Konig von Rom“ in die Wiege legte, 1 vollendet, da erfolgte sein jaher Sturz. F. Napoleons Krieg mit RuBland (1812). 1. Die Veranlassung. Nachdem Napoleon der IJerr von Mittel- europa geworden war, glaubte er auch Alexander nicht langer schonen zu miissen. Er verletzte ihn besonders 1.) dureh die Ver- groBerung des Herzogtums Warschau, die den Anschein erweckte, als ob Napoleon die Wiederherstellung Polens plane; 2.) dureh die Absetzung des IJerzogs von Oldenburg, eines Verwandten des Žaren; 3.) dureh das Verlangen der strengen Einhaltung der Kontinental- sperre, die er selbst dureh Lizenzen umging und die der russischen Ausfuhr von Rohprodukten schweren Schaden zufiigte. Wie wenig ernst es uberdies Napoleon war, Alexander freie Hand im Osten zu lassen, beweist der Umstand, daB er die Pforte zum Kriege gegen RuBland veranlaBte, der diesem aber im Frieden von Bulcarcst (1812 ) BeBarabien eintrug. Einem gereizten Schriftemvechsel folgte der Ausbruch des Krieges, den Napoleon den letzten Akt nannte; in diesem standen Osterreich, PreuBen, der Rheinbund und Italien auf fmnzdsischer , England und Schiveden auf russischer Seite. Napoleon hoffte RuBland bald zu Poden zu werfen, um sich dami, von keiner Macht mehr geliemmt, gegen England zu wenden. 2. Der Verlauf des Krieges. Napoleon iiberschritt mit der ,,Gi*oBen Armee a , die mehr als ein halbe Million Streiter zabite, die russisehe Grenze. JVahrend er selbst, von den Polen als Befreier begriiBt, mit dem Zentrum iiber 'Milna vorriickte, drang das oster- reichische Hilfskorps (34.000 Mann) unter dem Fiirsten Karl Schruarzenberg, einem tapferen Reiterfiilirer und gewandten Diplo- maten, von Galizien aus vor; die PreuBen bildeten unter deni General Yorh den linken Fliigel. Napoleon hatte den Feldzug nicht 1 Naeh dem Sturze Napoleons lebte er ato Hofe seines GroBvaters, hieB nacli seiner nordbohmischen Herrschaft „Herzog von Reiebstadt" und starb 1832; er wird als Napoleon II. geziihlt. 1812. Zeehe, Geschichte der Neuzeit III. 10 146 Dritter Zeitraum. sorgfaltig genug vorbereitet; die Folge davon waren sehon auf dem Ilinmarsche wegen der schlechten Verpflegung seiner Truppen Zuchtlosigkeit tmd Krankheiten. Trotzdem eilte er mit iibertriebener Ilast ins innere RuBland weiter, schlug zwar den Feind bei Smo- lensk und bei Borodino (die letztere Schlacht bezeicbnete Kapoleon als seine blutigste) und besetzte Moskau, verlor aber infolge der Einascherung der Stadt durcli die Russen ein passendes Winter- quartier und lieB sich iiberdies flinf Wocben lang durch Friedens- verhandlungen hinlialten, so daB er erst Mitte Oktober den Ruckzug antrat. Zu seinem Verderben wahlte er abermals den Weg iiber Smolensk, wo kein Feuer und kein Dorf mehr zu finden war, weil die Russen ISTapoleon durcli Vernichtung der Lebensmittel und Niederbrennung der Ilauser zu verderben suchten (I. 39). Bald brach aucli der strenge nordische Winter herein, so daB die Disziplin unter den Truppen vollig aufliorte. Die letzte groBe Waffentat der Franzosen fiel an der Beresina vor; bier erkarnpften sich narnlich 33.000 Mann — so sehr war die GroBe Armee zusammengesclimol- zen -— namentlich infolge der Tlichtigkeit des Marschalls Ney, „des Tapfersten der Tap£eren“ ? trotz des Angriffes durch zwei feindliche Heere den Dbergang iiber den FluB. Dann aber horte alle Ordnung auf; mehr und mehr zerteilte sich der Rest in kleine Scharen, die mit erfrorenen Gliedern, in Stroh und Lumpen gehiillt, von nagen- dem Tlunger gequalt, iiber die preuBische Grenze wankten. ISTapoleon verlieB nach dem TTbergang iiber die Beresina die Armee und eilte nach Frankreich, um neue Truppen auszuheben. Auf dem Ruckzuge schloB Tork im Sinne Friedrich Wil- lielms III. und Ilardenbergs mit den Russen den JSTeutralitatsvertrag von Tauroggen ab, so daB die letzteren nicht als Feinde iiber die Grenze riickten. Das osterreichisclie Korps kehrte nach einigen gliicklichen Treffen olme nennenswerte Verluste nach Galizien zuriick. G. Die Befreiungskriege 1813-1815. (der fiinfte Koalitionskrieg 1813—1815). 1. Die Belebung des nationalen Sinnes und PreuJBens Rii- stungen. Je riicksichtsloser ISTapoleon die Deutschen behandelte, desto stiirker erwachte an Stelle der kosmopolitischen Gesinnung des 18. Jahrhunderts der nationale Geist und fand auch Ausdruck in der Literatur. Die Wissenschaft versenkte sich in die Erforsehung Die Bcfreiungskriege. 147 der deutschen Vergangenheit ( Jakob und Wilhelm Grimm, Lach- mann, Savigny, der Begriinder der Kechtsgescliichte, die Briider Boisseree, die Lobpreiser der mittelalterlich-deutschen Kunst u. a.), die Lyriker Arndt, Schenkendorf, Komer, Ruchert und der Dra- matiker Heinrich von Kleist riefen zum Kampfe gegen den Unter- driieker des Volkes auf. Zum tatkraftigen Ausdrucke kam die nationale Gesinnung zunachst in PreuBen. Friedrich Wilhelm III. schloB namlich mit RuBland einen Bund gegen Napoleon, erlieB einen Aufruf zur Erriclitung von freiwilligen Jagerabteilungen 1 und ordnete die Bildung der Landwehr sowie des Landsturmes, endlicb die Ausriistung von Freischaren an; von den letzteren \var die wichtigste die Liitzowsche, der aucb der greise Jahn und der junge Komer angehorten. Die Worte des Konigs fanden so begei- sterten Widerhall, daB damals PreuBen auf neunzehn Einwohner einen Soldaten stellte, was wolil ohne Beispiel ist. Wie einst Athen in den Perserkriegen, erfreute sicb das damalige PreuBen hervor - ragender Ileerfuhrer; zu ibnen geboren besonders der 70jalirige, aber jiinglingfriscbe und edelgesinnte Blucher, der feingebildete Gneisenau, der unbeugsame York, der besonnen-mutige Biiloiu u. a. 2. Der Beginn des Krieges, Osterreiclis Beitritt zur Koalition und die ersten Erfolge der Verbiindeten. Kapoleon begann den Krieg mit zahlreicheren, aber ungeiibten Truppen (350.000 Mann) und besiegte die Verbiindeten bei GroBgorschen (S. 28), wo Scharn- liorst verwundet wurde (er starb bald darauf in Prag), und bei Bautzen; daher zog sich die preuBiscb - russische Armee nacb Scblesien zuriick. Da aber dSTapoleon selbst auch bedeutende Verluste erlitten liatte, scbloB er, hauptsachlich auf osterreichiscben EinfluB hin, mit den Verbiindeten einen Waffenstillstand, wakrend gleich- zeitig ein KongreB in Prag unter Osterreichs Vermittlung iiber den Prieden beraten solite. Falls die Vermittlung nicht zmn Ziele fiihrte, strebte Metternich die Erriclitung eines europaischen Bundes gegen Napoleon an, wobei er darauf bedacht war, den Krieg von Osterreich fern zu lialten. Die Verhandlungen scheiterten an dem Starrsinne Napoleons, so daB sich aucli Franz I. den Verbiindeten anschloB, die nunmehr liber eine h albe Million Streit er, nahezu doppelt sovicl wie Napoleon, ins Feld stellten. Diese waren in drei Armeen geteilt: 1 Hiedurch solltcn diejenigen gebildeteren Stande zum Waffendienste heran- gezogen \verden, die bisher noch militarfrei waren. 10 * 148 Dritter Zeitraum. die bohmische unter dem tapferen und umsichtigen Schivarzenberg, in dessen Lager sicli die drei IPerrscher befanden und dem Radetzky als Generalstabschef zugeteilt war, die schlesische unter Bluchcr und die Nordarmee unter Bernadotte, dem Butom und Tauenzien imtergeordnet \varen. Der Plan der Verbiindeten ivar, die franzosi- schen Marschalle einzeln zu schlagen, dagegen den Hauptangriff auf Napoleon erst nach der Vereinigung der drei Ileere zu unter- nehmen, die jener natiirlicli zu verhindern tracbten mulite. USTacli dem Abbruche der Eriedensverhandlungen riickte die bohmische Armee in Sacbsen ein. Infolge Drangens des russischen Kaisers wandte sie sicli nicbt gegen Leipzig, sondern gegen Dresden und der russiscke Fiihrer des rechten Pliigels kam den ibm erteilten Befelilen nicht genau nach. So ivurde die bohmische Armee von Napoleon bei Dresden besiegt; es war sein letzter, noch dazu teuer erkaufter Sicg in Deutschlaild. Schwarzenberg zog sich nachBohmen zuriick. Um so ungliicklicher waren gleichzeitig (in der letzten Augustwoche) Napoleons Marschalle. Denn Oudinot, der Berlin einnehmen solite, ivurde von Biilow und Tauenzien bei GroBbeeren, Macdonald, der die schlesische Armee sprengen solite, von Bliicher an der Katzbach 1 (II. 117), Vandamme, der die bohmische Armee verfolgte, bei Kulm und Nollendorf und endlich Ney, den Napoleon auch gegen Berlin schickte, bei Denneivitz besiegt. Napoleon verlor durch diese Niederlagen mindestens 100.000 Mann und ermiidete durch die starken Marsche seine Truppen, 2 \vahrend die Verbiin- deten in gehobener Stimmung an die Vereinigung schritten. Zuerst erzivang sich York von der Armee Bliichers den Ubergang liber die Elbe bei Wartenburg; das notigte auch Bernadotte, der sich in der Hoffnung, Napoleons Nachfolger zu werden, bisher sehr zweideutig benommen hatte, iiber die Elbe zu setzen, wahrend Schwarzenberg nach Sachsen vordrang. Napoleon mulite nun, um nicht abge- schnitten zu werden, Dresden verlassen und zog sich nach Leipzig zuriick; kurz vorlier ivar Bajern gegen Zusicherung „der ganzen und vollen Souveranitat“ seitens Osterreichs zu den Verbiindeten iibergetreten. 3. Die Schlaeht bei Leipzig und ihre Folgen. Bei Leipzig 1813. fand am 16. und 18. Oktober 1813 die „Volkerschlacht“ statt, die 1 An demsclben Tage fiel Korner in einem kleinen Gefeehte. 2 Wegen der \viederholten Fahrten nach Bautzen wurde Napoleon vom Volke „der Bautzner Bote“ genannt. Die Befreiungskriege. 149 groBte seit den Hunnentagen (II. 20), die blutigste des Jahr- hunderts, denn jeder Teil verlor an Toten und Verwundeten un- gefahr 60.000 Mann. Nachdem der 16. Oktober keine Entscbeidung gebracht und der 17. Oktober mit erfolglosen YerhanTllungen aus- gefiillt worden war, schloB sicli der Kreis immer enger um Napoleon zusammen, so daB ihm am zweiten Schlachttage 255.000 Mann gegeniiber stan den, wahrend er nur 160.000 Mann znr Verfiigung hatte. Zwar behauptete sicb seine Garde bei Probstheida, dem Angel- punkte seiner Stellnng, doch muBte er, da seine iibrigen Abteilungen in die Stadt gedrangt wurden, sclion in der folgenden Nacht den Riickzug antreten, wahrend die Verbiindeten gleichzeitig in Leipzig eindrangen. Als Napoleon bei Ilanau von den Bayern angegriifen wurde, warf er sie zuriick und iiberscliritt mit 70.000 Mann den Rkein. 1 Die nachsten Folgen der Leipziger Schlacht waren: der Miein- bund loste sicli auf, Deutschland war mit Ausnalnne einiger Festun- gen wieder frei, Holland wurde von Biilow besetzt, Illjrien fiel an Osterreicli zuriick und der danische Konig muBte wegen seines Aus- liarrens auf Napoleons Seite^N orweg en an Sclrvveden abtreten. 4. Der Feldzug in Frankreich. Jetzt trat an die Verbiindeten die Frage lieran, ob sie in Frankreich eindringen sollten; der preuBische Konig auBerte Bedenken und Metternich war bereit, Napoleon, den er den „Zentralpunkt aller Kraft“ nannte, das linke Kheinufer zu iiberlassen. Da rissen endlicli S tein, der nach seiner Entlassung der einfluBreichste Ratgeber x\lexanders I. geworden war, und die entschlosseneren Generale die Ilerrscher von RuBland und PreuBen zum iveiteren Kampfe fort. Die Verbiindeten setzten mit zwei Ileeren unter Schwarzenberg und Bliicher liber den Micin und besiegten nach ilirer Vereinigung Napoleon bei La Rothiere (II. 20) ; es war dies seit Jahrhunderten der erste entscheidende Sieg iiber die Franzosen in ihrem Ileimatlande. Als sich aber hier- auf die Sieger wegen der schwierigen Verpflegung trennten, wurden sie von Napoleon einzeln in mehreren Gefechten geschlagen und kniipften daher abermals mit ihm Unterliandlungen an, die aber ivieder daran scheiterten, daB Napoleon nach dem Ausspruche des Kaisers Franz nicht ,,verniinftig“ werden wollte. Der Krieg wurde 1 tiber den Eindruck der Schlacht bei Leipzig s. Grillparzer (XIX., 57): „Man las die Zeitungen vor, man erzablte, man umarmte sich, jubelte, weinte, das tausendjahrige Reich sehien angebroehen.“ 150 Dritter Zeitraum. daher fortgesetzt, Napoleon zuriickgeworfen und endlich nach blutigem Kampfe vor Pariš die Ilauptstadt zur Ergebung gezvuun- gen (1814). 5. Napoleons Absetzung und der erste Pariser Friede. Am Tage nach dem Falle von Pariš wurde Napoleon vom Senate ab- gesetzt, vrorauf er fiir sich und seine Erben abdankte. Die Ver- biindeten wiesen ihm Elba als unabhangiges Fiirstentum zu und verpfli oktet en Frankreick, ihm jahrlich zwei Millionen Franken zu zalil en. Vom Volke verwiinscht, zog er unter osterreichischem Ge- leite nack seinem neuen Bestimmungsorte. Die Verbiindeten setzten die Bourbonen wieder ein und schlossen mit Ludwig XVIII., dem 1814. alteren Bruder Ludwigs XVI., den ersten Pariser Frieden, der Frankreick die Grenzen von 1792 gab; es bekielt daher niclit nur Avignon, das es in der Revolution dem Papste entrissen liatte, sondern auch Landau, Saarbriichen und einige andere Orte auf Kosten Deutschlands. Zur Ordnung der europiiischen Angelegen- heiten wurde die Einberufung eines Kongresses nach Wien be 1 - schlossen. H. Napoleons Riickkehr und die Herrschaft 1815 . der 100 Tage (1815). 1. Napoleons Riickkehr. Napoleon bekielt die europaischen Vorgange wohl im Auge. Er erfuhr, daB die Wiener Verliandlungen manckerlei Gegensatze zutage forderten und daB die Bourbonen sehr unbeliebt waren; so wagte er es, Elba zu verlassen und mit ungefahr 1000 Anhiingem in Siidfrankreich zu landen. Alle Truppen, die gegen ihn geschickt mirden, gingen zu ikm liber, so daB er, ohne einen SchuB zu tun, nack Pariš gelangte und Ludwig ins Ausland dok. Vergebens versuckte er aber, Osterreick und RuB- land zu gewinnen; er mirde vielmehr von den Mackten des Kon¬ gresses „als Feind und Zerstorer der Ruke der WelP' geachtet und die Erneuerung des Krieges beschlossen. Nur Murat, der sich im Besitze von Neapel beha,uptet hatte, sclilug sich auf seine Seite, wurde aber von den Osterreichern bei Tolentino besiegt und konnte demnach seinen Sclnvager nicht unterstiitzen; er muBte sich fliichten und vs^urde, als er nach Napoleons Sturze Neapel den Bourbonen zu entreiBen versuclite, gefangen und erscliossen. 2. Die Sclilacht bei Waterloo und der endgiiltige Sturz Napoleons. Um vor dem Eintreffen iiberlegener feindlicher Streit- Die Herrschaft der 100 Tage. 151 krafte den Sieg zu erringen, warf si eh IST apoleon auf Belgien, wo noch norddeutsche ilnd englische Truppen unter Blucher und Wellington standen. Zwar schlug er hier am 16. Juni Blucher bei Ligny und Amand in einem der erbittertsten Kampfe der ganzen Geschichte, wurde aber schon zwei Tage spater bei Waterloo oder La Belle Alliance vollstandig besiegt. 1 Bereits waren die englischen Reihen nabe daran, durch die ungestiimen Angriffe der feindlichen Reitierei gesprengt zu werden, als Blucher in der rechten Blanke der Franzosen erschien, die alsbald sich in wilder Blucht auflosten. Napoleon eilte nacb Pariš, entsagte abermals dem Throne und be- stieg, um nicbt gefangen zu werden, ein englisches Schiff in der Absicht, nach Amerika zu fahren; er wurde aber von den Ver- biindeten als Kriegsgefangener erklart und von den Bnglandern auf den steilen Basaltfelsen von St. Helena gebracht, wo er strenge be- wacbt ward. Hier beschaftigte er sicli mit dem Diktieren seiner Memoiren, mit Lekture, Schachspiel usw. und bescbloJB am 5. Mai 1821 sein Leben, das tatenreichste der neueren Geschichte. Spater wurde sein Leichnam nach Pariš iibergefiihrt, seine groBen Geistes- eigenschaften traten in immer helleres Licht und der Ljriker Beranger, derVerkiinder seines Ruhmes, wurde der Lieblingsdiebter der Branzosen. Napoleon, betrachtete sich als ein Wesen von ganz vereinzelter Art, bestimmt, die Welt zu regieren; 2 gerne pries er seinen Štern, hatte aber aucli das vollste BewuBtsein von der eigenen Kraft. GroB- herzigkeit war ihm fremd, an Kedlichkeit und Wahrheit glaubte er nicht; die Welt der Ideale blieb ihm unfaBbar. Wunderbar ist sein Gedachtnis, seine Willenss'tarke und seine Arbeitskraft. Er kannte nur die Leidenschaft des Ilerrschens; wahrend er die Welt bezwang, vermochte er sich selbst nicht zu bezwingen. Er war der letzte Macht- haber, der eine IJniversalherrschaft aufzurichten versuchte (1.259) ; da er jedes Recht der Selbstbestimmung aus seinern Maehtgebiete verbannte, erhoben sich endlich alle Volker gegen ihn, die ihre Hnabliangigkeit behaupten wollten. 1 Waterloo war das Hauptquartier Wellingtons, La Belle Alliance der Mittel- punkt der franzosisehen Stellung; Well'ington nnd Napoleon hatten ungefahr je 70.000 Mann. 2 Napoleon sagte zu Metternich in Dresden (1813): „Je pgrirai peut-6tre, niais j’entrainera'i Mans ma chute les tr6nes et la soci6t6 tout entiSre." 152 Dritter Zeitraum. 3. Der zweite Pariser Friede und die „Heilige Allianz“ (1815). Ludvig XVIII. kelirte zuriick und schloB mit den Verbiin- deten den ziveiten Pariser Frieden. In diesem vurden Frankreich die Grenzen von 1790 zuerkannt, so daJB es Landau, Saarbriicken, Savo ven und Nizza abtrat; ferner mulite es eine Kriegskostenent- schadigung zahlen und einen Teil der geraubten Kunstschatze zuriickgeben. Unter dem Eindrucke der gewaltigen Erschiitterungen der letzten Jahrzehnte sclilossen die drei Verblindeten die sogenannte Heilige Allianz, derzufolge sie nur nacli den Vorscliriften des Christentums regieren und ibren Volkern die Segnungen des Eriedens sichern vollten. Nach und nacb traten ihr fast alle clirist- licben Machte Europas bei. Durch die pietistisclie Stimmung Ale- xanders ins Leben gerufen, mirde sie mehr und mehr ein Mittel zur Festiguing des Absolutismus und dalier bei den Volkern verhaBt. Metternich nannte sie ein laut tonendes Nichts, Gentz eine Theater- Dekoration; in politisclier Beziehung war sie ziemlicb virkungslos. I. Die Beseitigung der revolutionaren Einrichtungen auf dem Wiener Kongresse (1814 und 1815). Der Wiener KongreB hat eine europaische Bedeutung, wie das Konstanzer Konzil und der Westfalische Eriede. Seine Aufgabe war, diejenigen territorialen Bestimmungen zu treffen, die durch den Zusammenbruch der Gewaltherrschaft Napoleons notvvendig ge- ivorden varen. AuBer den drei Verbiindeten erscliienen daselbst die meisten deutschen Fiirsten, ferner die groBten Staatsmanner, wie Hardenberg, W. von Humboldt, Wellington, Tallegrand, der russi- sche Minister Nesselrode und der Kardinal Gonsalvi; den Vorsitz flihrte Metternich. Die Verhandlungen der fiinf GroBmdchte (Oster- reich, Frankreich, GroBbritannien, PreuBen und BuBland) dauerten iiber sieben Monate, da namentlich die Entscheidung iiber das Schiclcsal Sachsens und Polens groBe Schwierigkeiten machte und einen tiefen Gegensatz zwischen KuBland und PreuBen einerseits, 1 Osterreich, Frankreich und GroBbritannien anderseits hervorrief. Endlich erfolgte unter dem Eindrucke der ISTachricht von Napoleona Wiederkehr die Ausfertigung der Wiener KongreBaJde, die zum 1 PreuBen verlangte ganz Sachsen, RuBland den groBten Teil Polens. Der Wiener KongreB. 153 groBen Teile das Werk Metternicbs war. Ihre wichtigsten Bestim- mungen sind: 1. ) Osterreich bekam Salzburg, Tirol, Mailand und den Tarno- poler Kreis; dagegen verziclitete es auf die Vorlande zugunsten der drei siiddeutschen Staaten, auf Westgalizien zugunsten RuBlands und auf Belgien, woflir es den einstigen venetianisclien Staat mit Ausnahme der Ioniscben Inseln erliielt. Krakau mit Umgebung wurde zu einer Bepublik erkliirt; als es aber der Mittelpunkt aller Bestrebungen zur Wiederherstellung Polens wurde, ward es mit Zu- stiinmung BuBlands und PreuBens trotz der Proteste Englands und Prankreichs vom Oberstleutnant Benedek besetzt und Osterreicb einverleibt (1846). 2. ) PreuBen erhielt die Provinz Posen, Schwediscli-Pommern mit Biigen, die Nieder- und einen Teil der Oberlausitz auf Kosten Sacbsens, dessen Konig fiir sein langes Ausharren an Kapoleons Seite schwer gestraft wurde, ferner groBe Besitzungen am Kieder- rbein (Westfalen und die Rlieinprovinz) ; dagegen trat es die beiden frankischen Fiirstentumer Ansbacli und Baireuth an Bayern und einen betrachtlichen Teil polnischen Gebietes an RuBland ab. 3. ) England bekam IT^lgoland, das friiher Danemark gehort liatte, Malta, das Protektorat liber die Ioniscben Inseln und bebielt die meisten Kolonien, die es Holland und Prankreich in der Revolu- tionszeit entrissen batte (Kapland, Cejlon, Guajana). Es war da- mals tatsachlich ebenso die einzige Seemacht der Erde, wie Rom nacb der Vernicbtung Kartbagos, 1 und konnte, wabrend alle ubrigen Staaten entkraftet waren, sein Kolonialgebiet ungeliindert weiter ausbreiten. Die bliederlage seiner kontinentalen Verbundeten bat England infolge seiner Lage selten gescbadet, wabrend es die Prucbte ihrer Siege mitgenoB. 4. ) RuBland fiel der groBte Teil des Ilerzogtums Warschau als Konigreicb Polen zu. 5. ) Holland und Belgien wurden zum Konigreiche der Kieder- lande vereinigt und die Tlerrschaft daruber dem Hause Oranien ubertragen. 1 Das Jatrhundert von 1715 bis 1815 ist mit kurzen Unterbreelrangen eine Zeit des Kampfes zwischen England und Frankreich um das t)bergewicht in Asien und Amerika. 1846. 154 Dritter Zeitraum. 6. ) Die Schmeiz wurde in einen Staatenbund von 22 Kantone n aufgelost, die ahnlich wie vor dem Jahre 1798 souveran waren und nur nach auBen hin ein Ganzes bildeten; auch wurde ihr die immer- wiihrende Keutralitat zugesiebert. 7. ) In Italien wurden iiberall die friiheren Dynastien ein- gesetzt, so daB wieder die alte Zerrissenheit des Landes eintrat (II. 27); der Gemalilin JSTapoleons wurden die Herzogtiimer Parma und Piacenza iibergeben. 8. ) Am schwierigsten war die Heugestaltung Deutschlands. In territorialer Beziehung wurde bestimmt, daB Hannover wieder mit England, Lauenburg als Ersatz fiir Horwegen mit Danemark und die Pheinpfalz mit Bavern verbunden werden. Im iibrigen blieb es bei den von Napoleon vorgenommenen Veranderungen und wurden einige neue Rangerhohungen festgestellt. Damit v/ar auch entschie- den, daB die deutsche Kaiserwiirde, nach der sich iibrigens auch Franz I. wenig selinte, nicht mehr herzustellen sei; vielmehr wurde durch die Bundesakte der Deutsche Bund errichtet, ein lockerer Ver- band, der mit EinschluB der vier freien Stadte aus 39 souveranen Staaten bestand, die nur fiir den Zweck der Verteidigung ein Ganzes bildeten. Osterreich und PreuBen traten bloB mit denjenigen Ge- bieten bei 7 die ehemals zum Deutschen Reiche gehort hatten, auBer- dem aber auch Danemark fiir Ilolstein und Lauenburg (Schleswig gehorte nicht zum Bunde), die INIederlande fiir Luxemburg und England fiir Hannover. So entbehrte auch jetzt Deutschland des nationalen Charakters. Die Bundesgewalt kam dem Bundesta,ge in Frankfurt zu, der aus Gesandten der einzelnen Staaten bestand; den Vorsitz bei den Verhandlungen fiihrte der osterreichische Ge- sandte, die Entscheidung hatten aber die kleinen Staaten, weil sie iiber die Melirzahl der Stimmen verfiigten. Auch gab es nach der Aufldsung des Kammergerichtes keinen obersten Bundesgerichtshof. So siegte auf dem Wiener Kongresse der Grundsatz der Legi- timitdt , d. h. es wurden die Varhaltnisse vor dem Ausbruche der Revolution tunlichst iviederhergestellt; eine vollstiindige Restau- ration war aber damals ebenso wie in der Zeit Sullas ausgeschlossen. Deutsehland, Osterreieh und PreuBen. 155 Zvreites Kapitel. Die Zeit der Verfassungskampfe im westlichen Europa (1815—1850) . 1 1815-1850. Die groBen Veranderungen, welelie die Revolution und die Ge- waltherrschaft Eapoleons namentlich in den hoheren Kreisen der Gesellschaft herbeigefiihrt liatten, stdrkten den religiosen Sinn und verdrangten vielfach die Anschauungen der Aufklarungszeit. Wei- tere ISTahrung gewann diese Stimmung durch die Romantik, die sich mit Vorliebe dem Mittelalter zutvandte und von Deutsehland aus liber alle Bander verbreitete. Unter dem Einflusse der veranderten Geistesrichtung stellte Pins VIL den Jesuitenorden ivieder lier (1814). Gleiclrvrohl konnten die Bestrebungen, die wahrend der fran- zosischen Bevolution ztiiu Ausdrucke gekommen waren, nicht vollig vergessen werden und namentlich ein groBer Teil des Biirgerstandes blieb ihnen auch spiiterhin 'treu. So standen sich bald zwei politische Parteien, die Konservativen und die Liberalen , gegeniiber. Wahrend die ersteren an der absoluten Monarchie, den kirchlichen Einrich- tungem? sowie den Vorrechten des Adels festhielten und von Zu- gestandnissen an das Volk nichts wissen wollten, verlangten die letzteren konstitutionelle Verfassung, PreBfreiheit, Geschwornen- gerichte, Bechtsgleichheit aller Staatsburger, Lehr- und Lernfreiheit an den Universitaten. Der IViderstreit dieser beiden Parteien fiillt zum groBen Teile die innere Geschichte Europas bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus. Die Regierungen erblickten nicht selten in den liberalen Bestrebungen ein Wiederaufleben des „j akobinischen“ Geistes und suchten sie mit Gewalt zu unterdriicken; im Gegensatze zu unseren jetzigen Anschauungen galt damals der Grundsatz der Einmischung in die Verfassungaangelegenheiten auch fremder Staaten und erfolgten deshalb ofter bevuaffnete Interventionen. In Ruliland drangen konstitutionelle Bestrebungen iiberhaupt nicht ein, in der Tiirkei begann der AuflosungsprozeB. Im iibrigen besteht 1 G. L. Gervinvs, Greschlchte dea 10. Jahrhunderts, seit den Wiencr Vertragen, 8 Bde., Leipzig 1855 — 66. — Th. Flathe, Geschichte der neuesten Zeit 1815' — 88, 8 Bde., Berlin 1887 — 92. — A. Štern, Geschichte Europas seit den Wiener Ver¬ tragen, bisher 4 Bde., Berlin. 1895 — 1905. 156 Dritter Zeitraum. ein groBer Teil der folgenden Geschichte in der Beseitigung der kunstlichen Einrichtungen, die der Wiener KongreB in den Hieder- landen, in Italien und Deutschland geschaffen hatte. Die hervor- ragende Stellung, die Osterreich zur Zeit der Befreiungskriege ein- genommen hatte, behauptete es unter Metternichs Leitung aucb fernerhin, so daB man geradezu von einem „Zeitalter Metternichs” spridit. 1815-1848. I. Deutschland, Osterreich und Preufien (1815—1848). 1. Deutschland. Hach dem Friedensschlusse wandte sich die Masse des Volkes wieder der Arbeit zn und kiimmerte sich um die staatlichen Zustande wenig. Dagegen waren die gebildeten Krci se weder in nationaler noch in politischer Beziehung mit den neuen Einrichtungen zufrieden; denn sie hatten die TViederaufrichtung des Kaiserreiches und die Einfiihrung konstitutioneller Zustande erwartet, der sclmaebe Bundestag war aber nicht geeignet, Deutsch¬ land eine angesehene Stellung zu verschaffen, und erwies sich iiber- dies als Hort der Beaktion. 1 Auch die einzelnen Bundesstaaten zogerten mit der Einfiihrung der Konstitution, da die Wiener 1820. ScMuBalcte (1820) den Artikel 13 der Bundesverfassung („In allen deutschen Staaten wird eine landstandischeVerfassung stattfinden“) so auslegte, daB der Landesfiirst eine moderne Volksvertretung oder auch die alten Stande berufen konne; es flihrten daher zuniiclist nur sieben Staaten eine Keprasentativverfassung ein. Kamentlich unzu- frieden war die Jugend an den Universitdten , 2 die sich in der ge- traumten Erfullung ihrer Ideale so bitter getauscht sah. Diese MiB- stimmung kam zum Ausdruck bei der Feier des 17 artburgfestes (1817), in der Griindung der allgemeinen deutschen Burschenschcift (1818) und in der Ermordung des Dichters Kotzebue clurch den schwarmerischen Studenten Sand (1819). Bei dem Jubelfeste der Beformation rvurden reaktioniire Schriftsteller scharf angegriffen, die Burschenschaft solite den nationalen Geist rege erhalten und Kotzebue galt als Spion, da er an Alexander I. Berichte iiber die 1 Vgl. Uhlands „Wanderung“ in den vaterlandischen Gedichten. 2 Die Universitaten spielten damals wieder, wie in der Zeit der Reformation und der Aufklarung, eine wichtige Rolle im geistigen Leben der Deutschen. Zur Verbreitung der liberalen Gedanken trug besonders der Geschichtschreiber Rotteek, Professor an der Freiburger Universltat, bei. Deutschland, Osterreich und PreuBen. 157 Stimmung in Deutschland einsandte. Diese Vorfalle veranlaBten Metternich, mit anderen deutschen Staatsmannern die Karlsbader Beschliisse zu vereinbaren (1819) ; sie bestimmten die Aufhebung der PreBfreiheit, die Einsetzung einer Zentral-IIntersuchungskom- mission gegen demagogische Umtriebe und die polizeiliche tlber- wachung der Universitaten. 1 Jahn tvurde verhaftet und verurteilt, doch in zweiter Instanz freigesproclien, in den meisten deutschen Staaten tvurden die Turnplatze gesperrt, 2 Arndt muBte seine Lehr- tiitigkeit auf der Universitat in Bonn einstellen, Eicktes Beden an die deutsche ISTation durften nicht mehr gedruckt vverden, die Her- ausgabe der groBen Quellensammlung Monumenta Germaniae historica bezeichnete Metternich als revolutionar, der national ge- sinnte Geschichtschreiber Odrres entging nur durch die Flucht ins Ausland der von PreuBen angeordneten Verhaftung. Die Anschau- ungen der Staatsmanner fanden auch eine Stiitze an der Philosopliie llegels, der dem Staate unbeschrankte Gewalt zusclirieb und die Wirklichkeit als das Verniinftige bezeichnete. Im Hinblick auf diese Zustande sprach Goethe von der „Wertlosigkeit der Gegen-vvart^h 2. Osterreich. Der Donaustaat hatte durch die Sakularisation der geistlichen Furstentiimer und den Verlust der Vorlande eine Schwachung seiner Stellung in Deutschland erfaliren und war im Gegensatze zu PreuBen infolge der Erwerbung der italienischen Ge- biete vielmehr eine europčiische als eine deutsclie GroBmaclit ge- worden. Nach auBen hin hatte Osterreich durch die Teilnahme an den vielen Kriegen seine GroBmaclit stellung nicht nur behauptet, sondern sogar gestiirkt; die Verwaltung im Innern stiitzte sich nach wie vor auf die Beamten, die Kirche und die Armee. Franz I. zeichnete sich durch sel tene Arbeitslust, staunens- \vertes Gediichtnis und reiche Ivenntnisse aus; durch sein sclilichtes und sittenstrenges Wesen envarb er sich eine auBerordentlicheVolks- tiimlichkeit. In der aufieren Politik suchte er vor allem den Frieden zu erhalten. Das war durchaus im Interesse Osterreichs gelegen; denn da seine Doppelherrschaft iiber Deutschland und Italien, die Metternich auf dem Wiener Kongresse durcligesetzt hatte, mit dessen iibrigen Bestimmungen zusaminenliing, muBte Osterreich die 1 Dic Karlsbader Beschliisse sind die erste entschiedene Stellungnahme der maBgebenden Itegierungen gegen die aus der Kcvolution stammenden liberalen und nationalen Bestrebungen. 2 Die „Turnsperre“ dauerte von 1820 bis 1842. 1819. 158 Dritter Zeitraum. unveriinderte Erhaltung samtlicher Schopfungen jenes Kongresses wiinsclien. AuBerst lionservativ gesinnt, war Eranz kein Ereund von Reformen, so daJ3 im wesentlichen die Einrichtungen des auf- geldarten Absolutismns bestehen blieben; docli durften die Jesuiten zuriickkehren und ein Teil der aufgehobenen Kloster wurde wieder- hergestellt. Erzkerzog Karl blieb Privatmann, sein Bruder Johann wurde wegen seiner freisinnigen Ansichten vom Staatsdienste fern- gehalten. Einiges geschah zur Hebung von Wissenschaft, Kunst und materieller Kultur. Metternich grundete die „Wiener Jahrbiicher“, Schreyvogel erhob das Burgtheater zur ersten deutschen Biiline, es wurden technische Lehranstalten ins Leben gerufen, in Osterreich wurde die erste (Pferde-)Eisenbahn auf dem Kontinente, nnd zwar zivischen Linz und Budweis, erbaut, bald wurde auch die Dampf- schiffahrt auf der Donau eroffnet. Dem Auslande gegeniiber blieb das Prohibitivsjstem herrschend. Als auf Eranz I. sein iiberaus giitiger Solin Ferdinand I. folgte 1835-1848. (18 35—1848), anderte sick an den herkommlichen Regierungs- grundsatzen nichts. In wissenschaftlicher Beziehung war unter ilim das Wichtigste die Griindung der Akademie der Wissenschaften in Wien, in materieller die Erricktung des Osterreichisclien Lloyd fiir den Handel mit der Levante und die Eroffnung der ersten Lolco- motiveisenbahn. Aber die geistige Absperrung Osterreichs von Deutschland und die riicksichtslose Handhabung einer oft klein- lichen Zensur 1 durch den Prasidenten der obersten Polizei- und Zensurhofstelle Graf Sedlnitzkg, den machtigsten Mann im Keiclie nach Metternich, entfremdete die Bevolkerung melir und mehr dem „Peiche“, wozu auch das Verbot, an auslandischen Universitaten zu studieren, tvesentlich beitrug. 2 1809-1848. Der einiluBreichste Staatsmann Osterreichs war von 1809 bis 1848 Fiirst Klemens Metternich 3 , der als Haus-, Hof- und Staats- 1 Die Zensur verlangte z. B., daB in den „Raubern“ der alte Moor als Olieim, in „Wallensteins Lager“ der Kapuziner als Beamter gegeben werde; sie erlaubte sich sogar Zusiitze zu den Werken der Sehriftsteller. Da es keine Zensurgesetze gab, entsehied die Willkiir der einzelnen Zensoren. 2 Die Reise eines Beamten ins Ausland erheischte einen Vortrag an den Kaiser. Vgl. Grillparzer, XIX., 82. 3 Aus Metternichs naehgelassenen Papieren, herausgegeben von It. Metter¬ nich-Winnebur g, 8 Bde., Wien 1880—84. Wegen seines groBen Ansehens bei den milchtigsten Herrschem der Zeit hieB Metternich vielfach „der europaische „Minister“, bei seinen Gegnern ivohl auch „der Kutscher von Europa". Er war verehrt, gehaBt und gefiirehtet. Die Bourbonen in Frankreich. 159 kanzler die auBere Politik mit fast souveraner Gewalt und dem besten Erfolge leitete. Er war ein sehr gebildeter Mann, ein aus- gezeiclmeter Diplomat, ein abgesagter Eeind aller Yolksfreiheiten („des Jakobinertums“) und nationalen Bewegungen, deren TTnter- driickung ihm fiir den Bestand Osterreiclis notwendig erschien. Der Leitstern seiner auBeren Politik war das Streben nacb der Erlialtung der groBen Biindnisse, die dem Erdteile den Erieden sichern sollten. Er hielt zwar Reformen im Innern fiir notwendig, aber in der inneren Politik batte er keinen maBgebenden EinllnB. FTach wie vor blieben trotz der hohen Steuern die Finanzen zerriittet, der Biirger- stand vollstandig bevormundet, der Adel im Besitze aller liolieren Amter, das Schuhvesen vernachlassigt. Die Landtage hatten zur Hauptaufgabe, den Steuerforderungen der Regierung zuzustimmen und die Verivaltung litt besonders unter dem tlbelstande, daB sicb die obersten ITofamter wenig nmeinander kiimmerten nnd daher das Gesamtwobl des Staates nicht hinlanglich beriicksicbtigten. 3. PreuGen. Auch PreuBen hielt unter Friedrich Wilhelm III. und seinem hochgebildeten, aber unentschlossenen und wankel- miitigen Sohne Friedrich Wilhelm IV. (1840 — 1801) am Absolu- tismus fest, war aber Osterreicli durch seine eifrige Reformtatig- keit auf dem Gebiete der Ver\valtung (S. 137), durch sorgfaltige Pflege des Unterrichtswesens und der materiellen Interessen iiber- legen. Die bedeutendste Tat PreuBens in letzterer Bezieliung war die Griindung des Zollvereines (1833), des \vichtigsten Vorlaufers der politischen Einigung Deutschlands; durch ihn wurde allmahlich fast ganz Deutscliland mit Ausnahme von Osterreicli ein einheit- liches Zollgebiet, was dem Handel, der Industrie und dem Gewerbe zugute kam. 1 II. Frankreich (1815 — 1852). A. Die Restaurationsherrschaft unter den Bourbonen (1815-1830). Die nachste Zeit nach dem Sturze Rapoleons heiBt die Restau- ration, teils weil in Frankreich die alte Dynastie zuruckgefiikrt, teils weil auch das Kriifteverhaltnis der Staaten, wie es im Zeitalter des aufgeklarten Absolutismus bestanden hatte, iviederhergestellt 1840 - 1861 . 1833 . 1815 - 1852 . 1815 - 1830 . 1 Nocli am Ende des IS. Jahrhunderts gab e8 am Rhein 92 Zollstatten! 160 Dritter Zeitraum. vvurde. Aber der Staatsbegriff blieb jetzt ničli t mehr von der Nation losgelost (S. 60 und 94), sondern die nationalen Bestrebungen machten sich vielfach neben den liberalen der Aufklarungszeit geltend, naclidem sie zum erstenmal im Kampfe der Spanier, Russen und Deutschen gegen Napoleon ikre Kraft erprobt hatten. 1 1815 - 1824 . 1. Ludwig XVIII. (1815—1824). Ein Mann von wolilwollen- der und mafivoller Gesinnung, gab Ludwig seinem Lande eine Tcon- stitutionelle Verfassung („Charte“) mit einer Pairs- und einer Deputiertenkammer, lconnte aber in dem von Parteien zerrissenem Lande, in dem nach Wellingtons Ausspruche die Bourbonen so fremd geworden waren, als ob sie daselbst niemals regiert hatten, keinen festen Halt gevvinnen, obwokl ihm Chateaubriand , der Begriinder der franzosischen Romantik, durch seine literarische und staats- mannische Tatigkeit hervorragende Dienste leistete. Besondere Un- zufriedenheit erregte das Treiben der Ultrarogalisten (Adelige und Geistliche), welche die Zustande vor der Revolution zuriickzufiihren suchten und infolge der Ermordung des Herzogs von Berry, des jiingeren Nelien des Konigs, durch einen Eanatiker in ilirer Politik bestarkt vvurden. Auf Ludwig folgte sein Bruder 1824 - 1830 . 2. Karl X. (1824—1830). Dieser betrat mit aller Entschieden- heit die Balin der Reaktion; gleich den Stuarts (S. 48) hatte er in der Verbannung „nichts gelernt und nichts vergessen“. 2 Der zu- nehmenden Garung suchte er durcli eine kriegerische Unternehmung gegen den Dey von Algier (II. 209) entgegenzutreten, der franzo- sische Schiffe gepliindert und den franzosischen Konsul beschimpft hatte. 3 Aber obwohl seine Truppen Algier eroberten und so den Grund zur dauernden Besitzergreifung des Landes legten, iinderte sicli die Abneigung der Bevolkerung gegen die ovillkiirliclie Herr- schaft des Konigs nieht, was namentlich bei den Neuvvaklen fiir das Parlament zum Ausdrucke kam. Als nun der Konig durcli seine 1 Von allen Gedanken, die 'in der Revolution eine bedeutsame Rollc spielten, ivirkte der nationale am kršiftigsten weiter; daher rvurde auch Napoleon von den Liberalen als der Held des Nationalruhmes gepriesen im Gegensatze zur Restau- rationsherrschaft der Bourbonen, die mit der Fremdherrsehaft verbunden \var. 2 Karl sagte, er wolle lieber IIolz siigen, als ein Konig naeh englisehem Muster sein. Unter ihm erhielt der Bmigranten-Adel eine Entschadigung von 1000 Millionen Franken. 2 Noch im Jalire 1818 drangen nordafrikanisehe Seerauber in den Kanal La Manche e'in und lcaperten deutsche Schiffe. Vgl. das Vorgehen der marokka- nisc-hen Riffpiraten in den letzten Jahren. Das Julikonigtum. ^ (j { „Ordonnanzen“ die Kammer aufloste, eine neue AVaklordnung ein- fiikrte und die PreBfreikeit beseitigte, bradi im Juli die Re- volution aus. 3. Die Julirevolution (1830) und ihre Folgen. JSTacbdern die koniglibken Truppen in Pariš in einem dreitagigen StraBenkampfe besiegt worden waren, entsagte Karl X. der Krone zugunsten seines Enkels Heinrick, des Grafen von Ghambord, und begab sicb nack England. Docli wollten die Fiikrer des liberalen Biirgertums, wie Lafayette, Thiers u. a., keinen bourboniscken Konig mekr und er- hoben dalier, weil sie die AViederkekr des Terrorismus fiirckteten, rasch Ludiuig Philipp von Orleans , den Solin des Egalite, zum „Konige der Eranzosen“ (S. 132, 2). Die Julirevolution fand Hackakmung in Deulschland / Italien, Polen und in den Niederlanden. IVakrend sie in Italien und Polen vollstandig unterdriickt wurde und in einigen deutscken Staaten (Braunsclrvveig, Kurkessen, Hannover) die Einfiilirung der Kon- stitution veranlabte, trug sie in den Hiederlanden einen vollkom- menen Sieg davon. Das Konigreick der Kiederlande war eine der ungliicklicksten Sckopfungen desAViener Kongresses; denn zwiscken den Ilollandern und Belgiern bestanden seit jeker manckerlei Gegen- satze (II. 235). Hiezu kam, daB die Hollander ein Handelsvolk waren und daker dem Freikandelssvsteme kuldigten, wakrend die Belgier zugunsten ilirer Industrie Sckutzzollner waren; iiberdies bekandelten die Hollander Belgien wie ein unterworfenes Land. Die Unzufriedenkeit der Belgier fiikrte zu einem Aufstand in Briissel, der mit der Zuriickdrangung der kollandiscken Truppen endete (1830). Bald darauf erkannten samtlicke GroBmackte, kauptsack- lick auf Betreiben der liberalen „AVestmachte“ England und Erank- reich, auf der Londoner Konferenz die Selbstandigkeit Belgiens an; „ Konig der Belgier“ wurde infolge der AVahl durch den Briisseler NationalkongreB Leopold I. aus dem Hause Saclisen-Koburg (1832), dem der jetzt regierende Leopold II. folgte. Das Land erhielt gleich- zeitig eine selir freisinnige Verfassung. So war das Metterniclische Svstem im AA 7 esten Europas giuind- licli ersckiittert; die beiden konstitutionellen AVestmackte traten dem Bunde der drei absolutistiscken Ostmackte gegeniiber und die Zeit der Heiligen Allianz war somit zu Ende. 1 In Deutschland kani es zu neuen „Demagogen“-Verfolgungen, denen aueh 1’rilz Reuter zum Opfer fiel („Ut mine Festungstid"). Die Wiener Minister- 1830 . 1832 . Z e e h e, Geschichte der Neuzeit III. 11 162 Dritter Zeitraum. B. Ludwig Philipp von Orleans (das Julikonigtum 1830 - 1848 . 1830 — 1848 ). Der „Biirgerkonig“ verfolgte nach auBen eine friedliche Politik, vrahrend ihn sein Minister Tliiers, der Geschichtschreiber der franzosischen Kevolution, zum Angriff auf Deutscliland zn drangen suchte . 1 Desbalb entlieB ilm der Konig und ernannte an seiner Stelle den gefiigigen Guizot, den Geschichtschreiber der fran- zosischen Zivilisation im Mittelalter. Im Innern kamen zu den bisherigen Parteien der Bonapartisten nnd Republikaner nocli die Lcgitimisten , d. h. die Anhanger des Grafen von Chambord, die in Lonis Philipp einen Eindringling er- blickten. Die Bonapartisten strebten die Wiederherstellung des Kaistertums an. Ilir Ilaupt war seit dem Tode des Herzogs von lieichstadt Ludivig Napoleon , der Solin des einstigen Konigs von Holland; er wurde nach zweimaligem Versuche, die Kaiserkrone an sich zu reiBen, gefangen genommen, entkam aber aus der Haft. Auch die Republikaner versuchten einige Bewegungen, doch wurden diese rasch unterdruckt. Wahrend die drei genannten Parteien auf dem Boden der be- stehenden Gesellschaftsordnung standen, strebten die Sozialisten und Kommunisten den Umsturz aller Verhaltnisse an . 2 Der Be- griinder des franzosischen Sozialismus ist der edle Graf Saint- Simonj er verlangte die Herrschaft fiir die Arbeiter, weil sie nach der Lehre der Physiokraten die Giiter schaffen, tastete aber das Sondereigentum und das Erbrecht niclit an. Sein Sjstem wurde weiter ausgebildet durch Louis Blanc; dieser forderte das Eigen- tumsreclit des Staates an den Produktionsmitteln (Boden und Ivapital), die Erzeugung der Giiter in genossenschaftlicher Weise Konferenzen besehlos8en die Unterdriickung aller Yolksbe\vegungen. — Itrank- reic-li ist iiberhaupt der Ausgangspunkt aller politisch-sozialen Bewegungen des iibrigen Em-opa im 19. Jahrhundert. 1 Schon Arndt hatte den Rhein fiir Deutsehlands Strom, nieht fiir Deutsch- lands Grenze erklBrt. Damals diehtete Becker das „Rheinlied“ (»,Sie sollen ihn nieht liaben, den frelen deutschen Rhein“) und Sehneekenburger „Die Wacht am Rhein"). Dagegcn gab V. Hugo in seiner Schrift „Le Rhin" der Itriegslust gegen Deutschland Ausdruck; ihre Entfaehung kam dem Bonapartismus zugute. Zu derselben Zeit (1840) wurde die Reiche Napoleons I. nach Pariš gebracht. 2 M. Meyer, Die neuere Nationalokonomie in ihren Hauptrichtungen, 4. AulL, Minden 1885. — G. v. Schonfeld, Volksivirtschaftslehre, 4. Aufl., 2 Bde., Tubingen 1890. Die Begriindung des ziveiten Kaiserreiches. 163 nach dem Bedarfe und ihre Zuweisung an die einzelnen nach ihren Leistungen. Der Sozialismus verlangt somit die Ersetzung der pri¬ vaten durch die Gemeinvnrtschaft. Koch weiter geht der Kommunis- mus, indem er vollstandige Gleichheit des Besitzes und Beseitigung alles Privateigentums anstrebt; so gelangte Proudhon zum Aus- spruche: „Eigentum ist Diebstahl“. Der Kommunismus ist die iiuBerste Folge des Sozialismus; er strebt politiscbe, soziale und wirtscbaftlicbe Gleichheit aller Burger an, miiBte aber die Ver- nichtung yon Kunst und Wissenschaft nach sich ziehen. Ludwig Philipp stiitzte sich auf den wohlhabenden Biirgerstand („Bourgeoisie“) 1 und suchte sich durch das 8ystem der rechten Mitte („juste milieu“) gegen die extremen Parteien zu behaupten. Die Kammer blieb ihm infolge der Bestechung zahlreicher Abge- ordneter ergeben; gliickliche Borsenspekulationen, die der Konig nicht. verschmahte, lieferten ihm reichlich die Mittel dazu. Es war daher auch die Mehrheit der Kammer keineswegs der Ausdruck der Volksstimmung, wie auch die acht Mordversuche beweisen, denen aber der Konig gliicklich entging. Deshalb verlangten besonders die Republikaner ein freieres Wahlgesetz und veranstalteten sogenannte Reformbankette, auf denen die Frage der Wahlreform behandelt wurde. Als nun Guizot die Abhaltung eines solchen Banketts in Pariš untersagte, brach im Februar eine Emporung aus, die unter lebhafter Teilnalime der Arbeiterbevolkerung zu einem dreitagigen morderischen StraBen- kampfe fiilirte. Der Konig dankte zugunsten seines Enkels, des Graf en von Pariš, ab und fliichtete sich nach England, worauf von der zweiten Kammer unter dem Einflusse der in den Sitzungssaal eingedrungenen Menge die Republik ausgerufen wurde (S. 113). C. Die Februarrevolution und die Begriindung des zweiten Kaiserrgiches (1848—1852). Die Februarrevolution war in erster Iunie ein Werk der sozia- listisclien Arbeiter, docli verbanden sich mit ilmen gegen die Regie- rung auch grundsatzliche Feinde deš Sozialismus, wie Thiers. Jetzt solite mit der Verwirldichung der sozialistischen Bestrebungen 1 Xaoh Thiers sind die Bourgeois diejenigen, welche die Zcitungen lesen, sich fiir die Kammerv^erhandlungen interessieren nnd Kapitalisten, GroBgrund- hesitzer oder Fabrikanten sind. 1848 . 1848 - 1852 . 11 * 164 Dritter Zeitraum. Ernst gemacht werden. Es wurden namlich auf Anraten Louis Blancs, eines Mitgliedes der provisorischen Regierung, National- werlcstatten errichtet, in denen die Arbeiter auf Kosten des Staates beschaftigt werden sollten. Aber bald stellte sich die naturgemaBe Eolge ein; die Werkstatten verschlangen zwar viele Millionen, lei- steten aber fast nichts, da niemand viel arbeiten, trotzdem aber jeder zwei Franken Taglohn erbalten wollte. Als sie deshalb von der Hationalversammlung aufgeboben wurden, bracb in Pariš ein ent- setzlicher Aufstand aus („die Junikainpfe“), der mehr als 10.000 Menschen das Leben kostete nnd erst nach viertagiger Dauer unter- driickt wurde; liiebei ward der fromme Erzbiscliof Affre von Pariš, als er die Kampfenden zum Frieden ermahnte, von den Anhangern der „roten“ Republik erschossen. Bei der bieranf vorgenommenen Wahl des Prasidenten der Republik erliielt Ludivig Napoleon die weitaus groBte Stimmenzahl, •vvozu hauptsaclilicli der Zauber seines Namens beitrug (S. 160). Darauf und auf seine Erfolge gegen die Sozialisten gestiitzt, wagte er einen Staatsstreich ; er loste namlicli nach der Verhaftung der Oppositionsliaupter (Thiers, V. Hugo n. a.) die Hationalversammlung auf, warf den Aufstand der Re- publikaner blutig nieder, lieB sich zunachst die Prasidentenvviirde auf zehn Jahre verlangern und dann nach Jahresfrist durcli ein 1852. Piebiszit die Kaiserwurde ubertragen (2. Dezember 1852). Er • nannte sich Napoleon TLI. Die neue Verfassung wurde der des ersten Kaiserreiches nachgebildet. III. Italien, Spanien und Portugal. A. Italien. Der machtigste Staat in Italien war damals Oster- reichj denn es besaB das lombardisch-venetianische Konigreicli und hatte groJBen EinfluB in Toskana, der osterreichischen Sekundo-, und Modena, der osterreichischen Tertiogenitur 1 , sovvie in Parma und Piacenza; es war aber bei den Italienern aus nationalen und politi- schen Griinden unbelieht, denn diese wollten, ahnlich, wie es in Deutschland der Fali war, die Einigung und Freiheit ihres Landes. Dieses Bestreben fand auch an der italienischen Romantik Unter- stiitzung, die in eine gemaBigte und eine scharfere Richtung zerfiel. 1 Diese \var durch die Vermahlung des Erzherzogs Ferdinand, des dritten Sohnes der Maria Theresia, mit Maria Beatrix von Este, der Erbin Modenas, begriindet \vorden. Italien, Spanien und Portugal. 165 Das Haupt der ersteren war A. Manzoni, der Dichter des Romanes ,.Die Verlobten“, der bekannteste Vertreter der letzteren Silvio Pellico, der durch seinen Bericht iiber die Leiden in der oster- reichischen Gefangenschaft („Meine Kerkerhaft“) den IiaB gegen Osterreich betraehtlich steigerte. Die Einigung nnd Ereibeit Italiens war das Ziel des weitverzweigten, bereits in der Zeit Rapoleons I. entstandenen Gelieimbundes der Carbonari 1 (,,Kohler“) ; von ihm loste sich spater das junge Italien ab (1833), das unter der Eiihrung Mazzinis die Republik anstrebte, dessen Teilnehmer aber entdeckt nnd heftig verfolgt wurden. Zunachst brachen Aufstdnde in Neapel und Sardinien aus, infolgederen die Konige dieser Lander die Kon- stitution nacli der spanischen Verfassung vom Jahre 1812 einfiihren muBten. Doch beselilossen Osterreich, RuBland und PreuBen auf den Kongressen zu Troppau (1820) und Laibach (1821), trotz der Ein- wendungen Englands und Erankreichs (S. 161), die Wiederker- stellung des Absolutismus, die durch osterreichische Heere nach den Siegen bei Rieti und Rovar a rasch erfolgte. Ebenso machten unsere Truppen den Aufstanden ein Ende, die infolge der Julirevolution in Parma, Modena und im Kirclienstaate ausbrachen. 15. Spanien. 1.) Die Verfassungskdmpfe. Die Regierung Ferdi- nands VII. (1814—1833) ist mit vielen Verfassung škamp fen aus- gefiillt, die teilweise durch hohere Offiziere veranlaBt wurden (Pro- nunciainentos). Bald nach seiner Riickkehr erneuerte Ferdinand die Zensur, die Steuerfreiheit des Adels und Klerus, die Inquisition samt der Eolter und hob die freisinnige Verfassung auf, wurde aber durch einen Mil itiiraufstand, der sich bald iiber ganz Rordspanien ausbreitete, genotigt, sie wieder einzufiihren. Da riickte infolge des Kongresses von Verona (1822) ein franzosisches Heer in Spanien ein, das daselbst den Absolutismus mit geringer Miihe wiederher- stellte. Ferdinand rachte sich an seinen Gegnern durch eine reak- tionare Schreckensherrschaft (44..000 Gefangene). 2.) Der Burgerlcrieg (1833 — ISlfO). Infolge der Tlironbestei- gung der Bourbonen war auch in Spanien das Salische Erbfolge- gesetz (II. 172) eingefiihrt worden. Da Ferdinand keinen Sohn hatte, iinderte er eigenmachtig durch die Pragmatische Sanktion dieses Gesetz zugunsten seiner Tochter Isabella und beraubte da- 1 So genannt wegcn einiger Zeichen und Redeweisen, die sie den Kohlern entlehnten. 1820 u. 1821. 1822. 166 Dritter Zeitraum. dureh seinen Bruder Don Carlos der Nachfolge. Weil dieser aber seine Anspruche aufreclit erhielt und namehtlich bei den Basken (I. 198) Unterstiitzung fand, kam es zu. einem siebenj ahrigen Burgerkriege, der mit der Niederlage der Karlisten endete. In diesem Kriege standen die konstitutionell Gesinnten auf Seiten der Konigin-Mutter Marie Christine („Ckristinos“), die fiir ikre minderj ahrige Tochter die Regierung fiihrte. Als aber die letztere herangewachsen war, lenkte sie immer melir in die EuBtapfen ikres Vaters ein und versuckte, auf das Heer und die Geistlichkeit ge- stiitzt, die Zuriickfiibrung des Absolutismus. Es erfolgten dalier in Spanien wiederkolt Aufstande; auck erneuerten die Karlisten melir- inals den Burgerkrieg, erreickten aber ihr Ziel niemals. 1810 - 1824 . S.) Der Abfall der amerikanischen Kolonien (1810 — 1821f). I)ie Spanier hielten an der alten Ausbeutung der Kolonien fest und versagten ihnen alle politischen Reckte. Infolgedessen fielen diese unter der Eiihrung des kiihnen und uneigenniitzigen Bolivar ab und errichteten nach langen und blutigen Kampfen mit dem Mutterlande selbstandige Bepubliken. Diese sind freilich, nament¬ lich infolge der unseligen Kassenmischung der Bewohner, bis jetzt noch zu keiner inneren Iluhe gelangt; vielmehr sind in diesen von der Natur so begiinstigten Landern Burgerkriege, Meuclielmord, Sturz der Prasidenten, Beraubung der Staatskassen usw. auf der Tagesordnung. 1 Seit der Befreiung dieser Bander ist die Herrschaft Europas, von England abgesehen, in Amerika so ziemlich zu Ende 1823 . gegangen; es gilt hier seit 1823 die Monroe-Doklrin, so genannt nach dem damaligen Prasidenten der Vereinigten Staaten, derzu- folge keine neue Besitzenverbung seitens einer europaischen Macht geduldet wird. Die MiBregierung im Innern und die zahlreichen Kampfe in Amerika haben Spanien so herabgebracht, daB es hier seit dem Jahre 1820 viermal zum Staatsbankrott gekommen ist. C. Portugal. Audi hier fehlte es nicht an Verfassungskamirfenj sie endeten nach dem Sturze des Prinzen Dom Miguel, des Yor- kampfers des Absolutismus, der seine Nichte Maria da Gloria vom Throne verdriingen wollte, mit Unterstiitzung Englands zugunsten der Konstitution. Die Nachkommen der Konigin Maria, die sich mit dem Herzoge Ferdinand von Koburg vermahlte, regieren noch heute 1 Der geordnetste Staat in Siidamerika ist jetzt Bolivia. GroBbritannieu und Irland. 167 im Lan.de. Im Jahre 1822 machte sich Brasilien von Portugal un- abhangig und wurde unter Bedro I. aus dem Hause Braganza ein Kaiserreich j dessen Solm Pedro II. verlor durch eine Revolution die Krone, worauf Brasilien zu einer Republik erklart \vurde (1889). So gelangten anch in Amerika die nationalen Bestrebungen zum Siege. Portugal ist neben Spanien der am meisten verfallene Staat des cliristliclien Europa. IV. Grofibritannien und Jrland. 1. Die Reformen im Innern. An Stelle der alten Parteinamen Wbigs und Tories ist auch in England in den letzten Jahrzelmten des 19. Jahrhunderts die der „Liberalen“ und „ Konservativen" iiblicli geworden; doch bezeichneten hier diese Kamen niemals so schrolfe Gegensatze wie auf dem Kontinente, da infolge des gesun- den politischen Sinnes der Englander, der Frucht einer mehr- hundertjahrigen stetigen Entvvicklung, aucli die Tories, die seit dem jiingeren Pitt fast cin halbes Jahrhundert lang oline Unter- breebung regierten, manche Reformen durchfiilirten. So bob unter Konig Georg IV. (1820—1830) der Minister IVellington infolge der Tatigkeit des irischen Advokaten 0’Connel, der ILundert- tausende von Stammesgenossen im Freien versammelte, die Test- akte auf imd fiilirte die Katholiken-Emanzipation durcli (1829), infolgederen diese ins Parlament gewahlt werden konnten und zu den meisten offentlichen Amtern zugelassen wurden. 0’Connel bat seine katholischen Landsleute nacb langer, dumpfer Hoifntmgs- losigkeit wieder zu politischer Tatigkeit und geistigem Leben erweckt. Unter Wilhelm IV., dem Bruder und Kachfolger Georgs IV. 1 (1830 — 1837), dann unter ihrer Kichte Viktoria (f 1901) wurde unter dem Eindrucke der Julirevolution und naeh endlicber tTber- windung des Widerspruebes der Cbrds die langbegebrte Wahlreform durchgefiihrt. Infolge des konservativen Sinnes der Englander be- saben bis dahin nocb vom Mittelalter ber 56 herabgekommene Orte („die verrotteten Burgflecken") das Wahlreclit fur das Parlament, \vahrend die groben Fabriksstadte, Schopfungen der neueren Zeit, 1822 . 1829 . 1 Da 'in Deutschland nur die mannliche Nachfolge galt, wurde jetzt Hannover unter dem jiingeren Bruder Willielms IV., Ernst August, von England abgetrennt. 168 Dritter Zeitraum. 1832 . dieses Reclites entbehrten. So kam es, daB tatsachlich bis zur ersten Wahlreform (1832) ungefahr 150 Personen nahezu iiber die II alf te aller Deputiertensitze verfiigten. Infolge wiederholter Erweiterung des Wahlrech’tes gibt es jetzt in England iiber fiinfeinhalb Millionen Wahler, von denen bei der geringen Zahl von Bauern und Hand- werkern ungefahr drei Fiinftel Arbeiter sind; daiier iiberbieten sich die politischen Parteien mit Zugestandnissen an sie und bestelit in England keine tiefe Bduft zwischen Arbeitgebern und -nehmern. So ist jetzt England eigentlieh eine zwar noeh immer gemaBigte, aber rechtlich sehr wenig beschrankte demokratische Republik. Hiezu kommt die ans dem Mittelalter stammende Selbstvenvaltung (Selfgovernment); diese beruht anf der alten Grafschafts-Ein- teilnng (II. 180) und besteht darin, daB das Land und die Stadte auf dem Gebiete der Justiz und der Lokalverwaltung von den ober- sten Staatsamtern unabbangig sind. Viktoria war vermahlt mit ihrem Vetter, dem hochbegabten Prinzen Albert, von Koburg, der zwar nur den Titel „Prinz-Eegent“ fiihrte, gleichwobl nach wenigen Jahren tatsaeblicb Koriig war. 2. England umi Irland. Im Jahre 1800 war infolge schamloser Bestechung der Abgeordneten die Vereinigung des irischen Parla- ments mit dem englischen zustande gekommen; vergebens bemiihte sich 0’Connel, einer der groBten Agitatoren aller Zciten, den Wider- ruf der Union („Pepeal“) durchzusetzen. Die Englander waren auch sonst nicht geneigt, den Iren Zugestandnisse zu machen und so einen Teil des Unrechtes zu beseitigen, das sie ihnen seit Jahr- hunderten angetan hatten (II. 223 u. III. 46 u. 50). Nach wie vor muBten die irischen Katholiken der Staatskirche auf der Insel den Zehent zahlen und lebten die Pachter in fast vollig rechtlosem Zu¬ stande, so daB Tausende von ihnen nach Amerika auswanderten, zumal da die Englander durch Ausfuhrverbote das irische Woll- und Leinengewerbe schwer schadigten. Irland ist das einzige Land des westlichen Europa, in dem seit Jahrzehnten die Bevolkerung ab- genommen hat. Deshalb bildete sich am Ende der fiinfziger Jalme der Bund der FenieP, die von Zeit zu Zeit durch Ermordung ver- haBter „Landlords“ (der irischen Grundeigentiimer) und hoherer Wiirdentrager von sich reden machten. Wahrend die Fenier den vollstandigen Abfall von England anstrebten und deshalb von der 1 Finna hiefien die altirisehen Krieger. GroBbritannien und Irland. 169 Regierung unterdriickt wurden, duldete diese die Home-rule- Bewe- gung („Selbstregierung“), die seit den siebziger Jahren hervortrat und ein eigenes irisches Parlament verlangte. AuBerdem betrat der Minister Gladstone, der greise Eiihrer der Whigpartei (f 1898), durcb die Vertvendung der Einkiinfte der Staatskirche zur Errich- tung von Schulen in Irland sowie durcb die Verbesserung der agra- rischen Verbaltnisse, wozu namentlich die staatliche Unterstiitzung der Iren zum Ankaufe der Pachtgiiter gehort, die Bahn der Re¬ formen, wurde aber, als er den Iren auch ein eigenes Parlament zu- gestehen wollte, von 3cdisbury, dem Haupte der Tories, gestiirzt. 3. Die Erweiterimg des Kolonialbesitzes. Industrie und Ilandel entwickelten sicb in England in immer groBartigerer Weise.. Infolgedessen trat der EinfluB der GroBgrundbesitzer, denen fast der ganze Grund und Boden gehorte, mehr zuriick, so daB sie unter dem toristischen Ministerium Peel in die Abschajfung der Kornzolle willigen muBten. 1 Dieser Sieg sowie die Aufhebung der N avigations- akte (S.47) waren hauptsachlich dasWerk des Pabrikanten Richard Cobden, der im Sinne A. Smiths sowie zugunsten der GroBindustrie iind des Welthandels Englands eine schrankenlose Ilandelsfreiheit zu verwirkliehen suclite. Die Anhanger dieser Ricbtung nennt man spottweise nach ihrem Sitze die Mancliestersckule. Der Kolonialbesitz Englands erweiterte sicb namentlich unter Viktoria ganz auBerordentlich in Afrika, Kanada, Ostindien, Australien und auf den Inseln des GroBen Ozeans; die GesamtgroBe der britisclien Kolonien betragt ungefalir das Hundertfacbe des Mutterlandes. Aber durcb die rucksicbtslose Ausnutzung seiner In¬ dustrie und Seemacht liat England den Unwillen fast aller anderen GroBmachte, namentlich den Frankreichs und RuBlands, liervor- gerufen. Das erstere macbte es sich besonders durcb die Besetzung Agyptens (1882), wodurch es zum Herrn des von den Franzosen erbauten Suezkanals wurde, das leftztere durcb seine Politik auf der Balkanhalbinsel, in Afghanistan und in Ostasien abgeneigt. In humanitarer Beziehung envarb sicb England das Verdienst, nicbt nur in seinen Kolonien die Sklaverei abgeschafft, sondern sicb auch 1 Seit der Abscliaffung der Kornzolle ist die englische GroBgrundw’irtschaft zugunsten der Viebzucht und Jagd bedeutend zurilekgegangen (I. 241, 3 und III. 102), wahrend die Bauern schon liingst zu Piichtern und Taglohnern herab- gesunken waxen. 170 Dritter Zeitraum. mit anderen Mackten (Deutschland) zur Unterdriickung des Sklavenhandels verbiindet zu haben. 4. Uie Literatur. Auf dem Gebiete der schonen Literatur drang auch in GroBbritannien die Romantik ein; das Ilaupt dieser Rich- tung und der erfolgreichste Dichter j en er Zeit ist "VValter Scott, der Meister des historischen Romanes. Yon der Romantik ist auch Lord Byron, der beriilimte Epiker und Dramatiker, ausgegangen; freilich bat er sie spater aufs lieftigste bekampft. In der Geschichtschreibung zeichnete sicb besonders Oarlyle durch seine Biographien Cromwells und Eriedrichs II., Macaulay durch seine englische Geschiclite von der Thronbesteigung Jakobs II. bis auf Anna und Grote durch seine Geschichte Griechenlands aus. V. Der Osten (Kufiland und die Tttrkei). 1825-1855. A. Rufiland unter Nikolaus I. ( 1825 — 1855 ). Auf Alexander I. folgte sein Bruder Nikolaus I., ein tat- kriiftiger und groBmiitiger, aber starrsinniger und streng absolu- tistiseli gesinnter Ilerrscher. Infolge der lebhaften Teilnahme Ale- xanders I. an den westeuropaischen Angelegenheiten waren abend- landisclie Anschauungen auch in RuBland eingedrungen, denen der Kaiser anfangs nicht entgegentrat. Kikolaus dagegen tat dies um so entschiedener, als gleich nach seiner Thronbesteigung eine Em- porung konstitutionell gesinnter Offiziere ( Dekabristen = D&- zembermanner) ausbrach und wenige Jahre darauf die Polen eineu Abfallsversuch machten. Dor Militaraufstand wurde rasch bewiiltigt, die Erhebung der uneinigen Polen nach mehreren blutigen Kampfen durch den Sieg bei Ostrolenka (1831) sowie die Besetzung War- scliaus zu Boden g^vorfen 1 und gegen das Eindringen abendliindi- scher Anschauungen die strengste Zensur eingefiilirt. Da diese auch berechtigten Wiinschen aufs scliroffste entgegentrat, fanden revolu- tionare Bestrebungen um so mehr Anklang; ilinen gab namentlich Herzens Zeitschrift „Die Glocke“ Ausdruck. Auch der Epiker und Dramatiker Gogol wies in seinen Werken auf die Besteclilichkeit 1 Die Erhebung der Polen fand damals Verherrlichung in der deutsehen Literatur; vgl . Lenaus drei „Polenlieder“, „Z\vei Polen", „D'ie nachtliche Eahrt“, Mosens „Die letzten Zehn vom vierten Regiment" u. a. Auch in Osterreich rief die Erhebung der Polen bei den verseliiedenen Stiinden und Volkern lebhafte Anteil- nahme hervor. Del' Freiheitskampf der Griechen. 171 der russischen Beamten und die traurige Lage der leibeigenen Bauem hin. Wahrend Rikolaus ein entschiedener Gegner aller Volks- bewegungen im Westen war, unterstiitzte er die Griechen in ihrem Unabhangigkeitskampfe. B. Der Freiheitskampf der Griechen (1822 —1829). 1822-1829. 1. Die Zustiinde in der Tiirkei. Audi auf der Balkanlialbinsel macliten sich die politischen und nationalen Bestrebungen des Westens geltend. Der fortschreitende Verfall der Tiirkei ermoglichte es den &'erbcn, nach langeren Kampfen ein selbstiindiges, der Pforte nur tributpflichtiges Fiirstentum zu errichten (1816). Das Beispiel Serbiens wirkte auf die Grieclien um so mehr, als die Ideen der f ranzosischen Bevolution auch bei ihnen Eingang gefunden hatten; denn die Griechen tvaren von jeher Seefahrer (I. 144) und er- hielten infolgedessen und dank dem Besuche fremder Bildungs- anstalten bestandig Anregung von auBen. Ein Ausdruck der natio¬ nalen Bestrebungen war die Griindung der Hetdrie in Odessa (1814), eines Bundes, der sich anfangs die Wiederbelebung der griechischen Literatur, bald aber auch die Erkampfung und TJnab- hangigkeit zum Ziele setzte. Das Haupt dieses Bundes war der Fiirst A.lexander Ypsilanti, ein russiseher Offizier. Er forderte die Grie¬ chen zum Kampfe fiir ihre Ereiheit auf und wagte zu derselben Zeit, als sich der Pascha Ali von Janina gegen die Pforte erhob, einen Einfall in die Moldau, wurde aber geschlagen und mulite sich fliichten; er wurde’ fast bis an sein Lebensende von Metternich ge- fangen gehalten. Obwohl iiberdies bald darauf Ali ermordet wurde, begannen dennoch die Griechen den Kampf. In ganz Europa fanden sie begeisterte Zustimmung, die in der Bildung von Philhellenen , Vereinen zur IJnterstiitzung der Griechen, und in der Literatur zum Ausdrucke kam. So dichtete Wilhelm Miiller die „Lieder der Griechen^, der Dramatiker und Romanschriftsteller Viktor Hugo, einer der Begrunder der franzosischen Romantik, die Orientalischen Gedichte und Lord Byron verherrlichte die Griechen in seinem Epos „Iiitter Ilarolds Pilgerfahrt“. Dagegen stand Metternich mit seinen Sympathien auf der Seite der Tiirkei (S. 159); doch erlitt hier sein System, namentlich seitdem sich Ganning fiir die Griechen erkliirt liatte, ebenso Schiffbruch, \vie im Wes'ten durch die Julirevolution. 172 Dritter Zeitraum. 2. Der Verlauf des Krieges. Nachdera sich die Griechen auf der FTationalversammlung zu Argos fiir unabhiingig erklart hatten, begann die Pforte den Krieg mit wilder Grausamkeit, indem sie auBer anderen den greisen Erzbischof von Konstantinopel schiinpf- licb hinrichten und die Insel Ohios grauenvoll verheeren lieB. 1 Sie fand Unterstiitzvmg durch ihren Vasallen Mehemed Ali, den Vize- konig von Agypten, der die Iderrschaft der Mamelucken gestiirzt liatte. kleliemed Ali schickte seinen Stiefsohn Ibrahim, mit Truppen und einer Flotte nacli Griechenland; es gelang diesem, die auch jetzt \vieder uneinigen Hellenen (I. 88) unter furclitbaren Ver- wiistungen wiederholt zu sclilagen und endlich auch das ausgehun- gerte Missolungi zu erobern (1826). Als sich im folgenden Jahre auch die Akropolis von Athen ergab, schien der TIntergang der Griechen besiegelt. Da nahmen sich ihrer RuBland, England und Frankreich an und schickten eine Kriegsfiotte nach dem Peloponnes, \velche die turkiscli-agyp'tische Flotte bei Navarin vollstandig ver- 1827 . nichtete (1827). Allein der Sultan gab auch jetzt noch nicht nach, obwohl er sich kurz vorher durch Verbrennung oder ErschieBung der entarteten Janitscharen (II. 155) einer widerstandsfahigen Heeresmacht beraubt hatte. Deshalb erklarte NiJcolaus I. der Pforte 1828 - 1829 . den Krieg (1828 — 1829) und nun drangen die russischen Truppen nach dem Siege bei Schumla und der Dbersteigung des Balkan sieg- reich bis gegen Konstantinopel vor, so daB der Sultan den Frieden 1829. von Admanopel schloB (1829). In diesem erkannte die Tiirkei die vollstandige Unabhangigkeit der Griechen an, trat an RuBland die Ostkiiste des Sclrvvarzen Meeres ab und gewahrte ihm freie Schiff- fahrt durch die StraBe der Ilardanellen. Als vier Jahre darauf RuBland mit. der Tiirkei ein Schutzbiindnis abschloB und die Darda- nellenstraBe fiir das niclitrussische Europa sperrte, wurden Eng¬ land und .Frankreich offene Gegner des Žaren in der tiirkischen Frage. 3. Die Errichtung des Konigreichs Griechenland. Die drei Schutzmachte erklarten Griechenland nach den Bestimmungen der Londoner Konferenz zu einem Konigreiche, gaben ihm die Meer- busen von Arta und Volo als Kordgrenze (1830) und beriefen den gutmiitigen, aber sclnvachen Otto, einen Sohn des philhellenischen Bayernkonigs Ludwig I., auf den Thron. Da aber Otto mit Riick- 1 23.000 Chioten wurden getiitet und. 47-000 als Sklaven verkauft. Agyptens Eroberungen im Sudan. 173 Ifti sicht auf die allgemeinen politischen und finanziellen Zustande des Landes dem Wunsche der Griechen, durch einen neuen Krieg mit der Tiirkei die allzu knapp bemessenen Grenzen zu erweitern, nicht !' Zs entsprechen komite, wurde er gestiirzt und hierauf der danische Prinz Georgjzum Konige gewalilt, zu dessen Gunsten die Englander auf die lonischen Inseln verzichteten. Das sinkende Ansehen Metternichs zeigt sich darin, daB die europaischen Kongresse nicht mehr in Osterreich abgehalten wurden (s. auch S. 161) und daB der Zar das tlbergewicht auf der Balkan- halbinsel davontrug. Doch blieb der Bund der drei Ostmacbte nocb bestehen und wurde durch die Zusammenkunft des Kaisers Franz I. mit dem Žaren und dem Kronprinzen von PreuBen zu Miinchen- gratz gekraftigt; aber ihre gemeinsame Erklarung zugunsten des Pratendenten Don Carlos gegen seine Nichte Isabella hatte keinen politischen Erfolg. C. Die Intervention zugunsten des Sultans (1840); Agyptens Eroberungen im Sudan. Als Mehemed Ali vom Sultan die erbliche Belehnung mit Agypten und Syrien (I. 7) verlangte und es deshalb zwischen beiden zu einem Kriege kam, traten RuBland, PreuBen und, um dem Žaren ein Gegengewieht zu bieten, auch Osterreich und England im Lon- doner Vertrage auf die Seite der Pforte und eine osterreichisch- engliche Flotte zwang in Verbindung mit einem tiirkischen Heere durch die Eroberung von Ahre Mehemed, Sjrien wieder heraus- zugoben; dagegen wurde er als erblicher Vizekonig von Aggpten unter tiirkischer Oberhoheit anerkannt. Im niichsten J ahre schlossen die fiinf GroBmachte mit der Pforte den „Dardanellenvertrag a , demzufolge kein fremdes Kriegsschiff ohne tiirkische Erlaubnis in die DardanellenstraBc einlaufen durfte. Spaterhin beschaftigten sich'"die Vizekonige hauptsachlich mit Reformen im- Innern und seit den siebziger Jaliren mit Eroberungen im Sudan, die sie allmahlich bis zum Yiktoria-See ausdehnten. Da begann um 1880 infolge der schlechten Yerwal’tung und der gewalt- smnen Unterdriickung des Sklavenhandels der Aufstand des Mahdi 1 , 1 Mahdi (spr. Machdi) nennen die Mohammedaner den „Proplieten“, den naeh ihrer Meinung Allah senden wird, um das Werk Mohammeds zu vollenden. 174 Dritter Zeitraum. dem rasch der ganze agyptische Sudan zum Opfer fiel. Die Geivalt- herrschaft des zweiten Mahdi wurde von den Englandern durch die Eroberung seiner Hauptstadt Omdurman gebrocben (1898) und die weiten Gebiete am oberen und mittleren Nil yerwaltet nunmehr ein englischer General-Gouverneur. YI. Die Eimvirkimgen der Februarrevolution auf das iibrige Europa. Die Julirevolution hatte zwar in Frankreich, Belgien sowie in einigen deutschen Staaten gesiegt und England erwies sich im all- gemeinen als ein Ilort der liberalen Ideen, doch \varen diese in anderen Staaten gewaltsam unterdriickt worden und wurden nach wie vor von Osterreich, PreuBen und RuBland bekampft. Daber fand die Februarrevolution in ganz Mitteleuropa Ziindstoff und ver- breitete sich liber mehrere germanische und romanische Staaten. A. Die Revolution in Deutschland. 1. Die Stimmung in Deutschland. In Deutschland war seit der Julirevolution, die an Stelle des friiheren Hasses eine vielseitige Zuneigung zu den Franzosen hervorrief, ein machtiger TJmscliumng der Geister erfolgt, der namentlich auf literarischem Gebiete zum Ausdrucke kam. Wahrend bis daliin die Gebildeten sich hauptsach- lich mit Philosophie und Asthetih beschaftigten, begann nun unter franzosischem Einflusse die Tatigkeit der politischen Lpriher und des „Jungen Deutschland"; die ersteren, zu denen A. Griln, Hemoegh, FreiligratP, Dingelstedt und andere gehorten, verlangten liberale Zugestandnisse, die letzteren, unter denen besonders Heine , Laube und Gutzlcoiv hervorragten, bekiimpften die Romantik und forderten schrankenlose Ereiheit in politischer, religioser und gesell- schaftlicher Hinsicht. 1 Aber vielleicht mehr als die Werke dieser Schriftsteller machte die Regierungen das Vorgehen des Konigs Ernst August von Hannover verhaBt (S. 167, 1). Dieser stieB 1 Auch in Griechenland ging die literarische Bewegung der politischen voran (S. 171). Schon in den zivanziger Jahren beherrschten tlbersetzungen aus dem Franzosisehen die deutschen Btlhnen. Die Revolution in Deutschland. 175 namlich die Verfassung des Landes um und entlieB die sieben Got- tiuger Universitatsprofessoren (d ar unter J. und W. Grimm, Ger- vinus), die gegen den Rechtsbruch Verwahrung eingelegt hatten. Hiezu kam noch, daJ3 der Biirgerstand durch das Aufbliihen von Industrie und Ilandel reich geworden war, weshalb er immer lauter nationale Einheit und politische Ereiheit beanspruchte (II. 234). Bei einer solchen Stimmung brachte die jSTachricht von den Februar- vorgangen in Pariš auch in Deutschland die Revolution zum Aus- bruche. 2. Der Ausbruch der Revolution und das erste deutsche Parlament. Im Laufe der Mdrztage fanden in allen Teilen Deutsch- lands Erhebungen statt. Iliedurch eingescliiicbtert, ersetzten die deutschen Fiirsten die reaktionaren Minister durcb liberale („Marz- minister“) und gab der Bundestag seine Zustimmung zur Wahl von Abgeordneten, die eine neue Reichsverfassung entwerfen sollten. Im Mai 1848 trat die konstituierende deutsche Nationalversammlung unter unermeBlichem Jubel der Bevolkerung in Frankfurt zu- sammen; es ist die vornehmste deutsclie Versammlung, die es je gegeben bat, reicb an hervorragenden Gelehrten und Dichtern (z. B. Arndt, Uhland, J. Grimm), aber arm an eigentlicben Staats- mannern. Ohne sich um den Bundestag, der es als gesetzgebende Volksvertretung anerkannte, weiter zu kummern,wah]te das Parla¬ ment bis zur Feststellung der Verfassung den volkstiimlichen Erz- berzog Johann zum Reichsverweser, vrorauf sicb der Bundestag aufloste. Sodann schritt es (S. 112) an die langwierige Beratung der Grundrechte. des deutschen Volkes (PreBfreiheit, Scbwur- gericbte, Rechtsgleichheit usw.); sie sind fast durcbaus in die jetzige Gesetzgebung Osterreichs und Deutsclilands iibergegangen. Als so¬ dann die Frage des Reicbsoberhauptes zurVerhandlung kam, siegten die Kleindeutschen mit geringer Mehrheit iiber die GroBdeutschen. Wahrend die letzteren Osterreich upd Deutschland zu einem Staate vereinigen und dalier Osterreich an die Spitze des Reicbes stellen wollten, strebten die ersteren die Einigung Deutsclilands unter preubischer Eiihi-ung und die Ilerstellung eines engen Bundesver- liiiltnisses mit Osterreich an. Als aber eine Abordnung des Reichs- tages Friedrich IVilhelm IV. die Kaiserkrone anbot, lehnte er sie ab, da er iveder den Grundsatz der Volkssouveranitat anerkennen noch einen Krieg mit Osterreich hervorrufen wollte. Rachdem in- folge des letzten Reichstagsbeschlusses die osterreichiscben Abgeord- 1848. 176 Dritter Zeitraum. neten und auch viele andere ausgetreten waren, verlegte das radikale Rumpfparlament seinen Sitz nach Stuttgart, wurde aber bald dar- auf durch M.ilitargewalt aufgelost. 1 Einzelne Aufstande in Dresden (D. Wagner entging nur durch. seine Elucht dem Todesurteile), in der Rheinpfalz und in Baden wurden durch den preuBischen Prinzen Wilhelm, den spateren Kaiser, mit geringer Muhe unterdriickt und der Reichsverweser legte seine Scliattengewalt nieder. PreuBen ver- suchte nunmehr die norddeutschen Piirsten zu einem engeren Bunde („Union“) zu bestimmen, doch scheiterten die Versuche an deren Abneigung gegen eine Beschrankung ihrer Macht; im Jahre 1850 gab PreuBen infolge der russisclien Drohung und der Friedensliebe des Konigs durch die Olmutzer Vereinbarung mit Osterreich die Unionsbestrebungen auf, so daB im folgenden Jahre der Bundestag seine Sitzungen wieder eroffnete. Kun aber begann in Deutscliland eine kleinliche und riicksichtslose Reaktion; es gab zahlreiche poli- tische Prozesse, viele Beamte, Lehrer und Geistliche wurden ent- lassen, die Grundrechte wurden fiir ungiiltig erklart, es bliihte die Angeberei, die Verfolgten fanden nur in der Sclrvveiz, in England und Amerika Zuflucht. Der Umschwung der Stimmung fand auch in der gleiclizeitigen Lyrik Ausdruck, indem Sturm, Gerok, Redwitz, Droste-JIiilshofl: u. a. besonders religiose Lieder dichteten. Doch konnten die nationalen und liberalen Bestrebungen nicht rnehr vollig erstickt werden. 3. Die Revolution in Berlin. In Berlin kam es im Jahre 1848 zu einem wutenden Barrikadenkampfe (II. 219), der mit einer De- miitigung des unentschlossenen Konigs endete; er lieB sich namlich herbei, seinen Truppen den Befehl zum Abzuge aus Berlin žu geben, und willigte in die Entfernung seines Bruders Wilhelm, der damals als angeblieher Beaktioniir verhaBt war. Kachdem aber der Konig die Truppen zuriickberufen, ein tatkriiftiges Ministerium eingesetzt und dadurch der Pievolution ein Ende gemacht hatte, gab er aus eigener Machtvollkommenheit eine (oktrovierte) Verfassung. Dazu kamen zahlreiche Verbesserungen auf dem Gebiete der Venvaltung, die den IJnterricht, die Staatsfinanzen, das Ileer sowie den Ilandel und die Industrie forderten. 1 Die Bedeutung des Parlaments \vurde besonders dureh den Sturz der radikalen Begierung in Pariš infolge der Junikampfe und die Siege Radetzkys in Italien zu Falle gebraelit. — Seit dem Parteitage in Gotha nannten sieh die Kleindeutschen selbst die Gothaer Partei. Die Revolution in Osterreieh. 177 B. Die Revolution in Osterreieh. 1. Die Zustande in Osterreieh. Trotz mancher Verbesserungen auf inateriellem Gebiete Avar Osterreieh doch Deutschland gegen- iiber zuriickgeblieben. So seufzten die Bauern im allgemeinen nnter der groben Zahl der Robot-Tage (vereinzelt sogar bis zu 100) 1 sowie den anderen Leistungen fiir den Gutsherrn und fanden selten Ab- hilfe, da die biirgerliche Gerichtsbarkeit in erster Instanz von den Beamten der Gutsherren ansgeiibt Avurde. Gewerbe nnd Industrie konnten bei dem Mangel entsprechender Yerkehrswege nicht recht gedeihen. Die Mibernte des Jahres 1847 und die dadurch ver- ursachte Teuerung trafen die Masse der Bevolkerung iiuherst liart. Dazu kam, dah trotz aller Gegenmabregeln infolge eines lebhaften Schmuggels liberale und selbst sozialistische Werke und Zeitungen in Osterreieh verbreitet waren, wodurch der Geist der Unzufrieden- heit neue Rahrung erhielt. Dieser richtete sich besonders gegjen MeUernich, der als Haupturheber des herrschenden „Systems“ galt. 2. Die Wiener Marztage. In Wien brach die Revolution am 13. M dr z aus; nach der Meinung Grillparzers hatte man den Auf- stand leiclit mit zwei Bataillonen unterdriicken konnen, doch hatte die Regierung gar keine VorsichtsmaBregeln ergriiten, obwohl schon seit langerer Zeit eine gewisse Erregtheit bemerkbar war. Tatsach- lich ergab man sich in Wien, wie in Berlin, vor meuternden Volks- haufen. Bezeichnend ist es, dali die Studenten der Wiener Univer- sitat einen sehr groben Einflub auf den Verlauf der Revolution ausiibten, Avas nur durch die bisherige vollstandige Bevormundung der Bevolkerung erklarlich ist. Der Kaiser bewilligte sofort die Entlassung Metternichs sowie eine Konstitution, Prebfreiheit und Volksbewaffnung. Da sich aber die Regierung diese Zugestandnisse ahnlich, wie es einst in Frankreich der Fali gewesen war (S. 111), nur Schritt fiir Schritt abtrotzen lieb, anderseits aber infolge ihrer Rachgiebigkeit zu iibertriebenen Anforderungen ermutigte, kam es immer wieder zu revolutionaren Ausschreitungen, die den Kaiser veranlaBten, sich nach Innsbruck zu begeben, von avo er erst nach der Unterdriickung der MaibeAvegung zuriickkehrte. 1 In den einzelnen Landern herrsehten sehr verschiedene Zustande. So betrug die Robot in Oberosterreieh 14, in Mahren hie und da 100, in der BukoAvina sogar bis zu 150 Tage; in Tirol gab es keine Untertaniglceit und keine Patrimonial- geriehte. Zeehe, Geschichte der Neuzeit III. 12 178 Uritter Zeitraum. 3. Die Revolution im iibrigen Osterreich. Das Eeieli der Habsburger wurde von der Bevregung des Jalires 1848 maclitiger als irgend cin anderer Staat ersehuttert, weil es von verschiedenen Nalionen bervoknt ist, denen sehr verschiedene Ziele vor Angen schvvebten. Die Deutschen wiinschten ein konstitutionelles Staats- ivesen auf zentralistischer, die Slawen dagegen, weil sie in einigen Kronlandern die Mehrheit bildeten, auf foderalistischer Grundlage; audi wollten die ersteren im Gegensatze zu den letzteren eine innige staatsreclitliche Verbindung mit Deutscbland. Anderseits dachten die Polen an die Wiederherstellung ihres zerstiickelten Reiches, die Magijaren strebten die Personalunion mit Osterreich, die Bewohner des lombardisch-venetianischen Ednigreiches die Vereinigung mit Sardinien an. So schien der Zerfall des Donaustaates unvermeidlich zu sein. Doch wurden die Aufstande in Bohmen und Galizien durcb die Generale Windischgratz und Hammerstein unterdriickt und der Kampf in Italien durcli Radetzkg gliicklich. beendet, so dah nur nocli die !STiederwerfung Wiens und der Maggaren iibrig blieb. 4. Der konstituierende Reiclistag und das Ende der Wiener Revolution. Im Juli trat der konstituierende Beichstag in Wien zusammen, der von allen zisleithanischen Landern beschickt wurde ; x er bestand nur aus einer Kammer, deren Mitglieder ohne Zensus gewablt, zum vierten Teile Bauern und der Mehrzahl nach Slawen waren. Er wurde vom Erzherzoge J ohann in Vertretung des Kaisers feierlich erolfnet, fand aber keine Regierungsvorlagen vor. Gleich in der dritten Sitzung beantragte Hans Kudlich die Abschaffung des Untertdnigkeitsverhdltnisses „samt allen daraus entsprungenen Rechten und Pflicliten“. Dieser Antrag wurde einstimmig ange- nommen 1 2 und hiebei beschlossen, dah die Gutsherren fiir ihren Verlust eine angemessene Geldentschadigung („Grundentlastungs- Obligationen“) erhalten sollten (Gegensatz S. 112). Infolge der Ratlosigkeit des Ministeriums ging die Regierung tatsachlich an den „SicherheitsausschuB a liber, der aus Biirgern, JSTationalgardisten und Studenten bestand und sich auf die Volksmenge stiitzte. Die weiteren Beratungen wurden durcli den abermaligen Ausbruch der Revolution gehindert, den besonders die ziigellose radikale Presse herbeiftihrte. Als namlich ein Teil der Wiener Truppen zur Unter- 1 Gleichzeitig wurde die oktroyiertc Aprilverfassung aufgehoben. 2 Hiedurch \vurde eine bedeutsame Einricbtung aus der Zeit der Nat-ural- ivirtschaft beseitigt. Die Revolution in Osterreich. 179 driickung der ungarischen Revolution abgehen solite, veranlaBten die Magvaren den Oktoberaufstand, bei dem der tiicktige Kriegs- minister Latour in unmenschlicher Weise ermordet wurde. Der Kaiser begab sicli hierauf ins feste Olmutz, verlegte den Reiclistag nacli Kremsier und beauftragte Windischgrdtz unter Verleikung auBerordentliclier Maclithoheit mit der Bezvvingung seiner Haupt- stadt. Die Verteidigung Wiens iibernahmen die demokratiscken Vereine, in denen deutsche nnd slawische Radikale das grobe Wort fiihrten; zuletzt beteiligten sich nur mehr Proletarier daran, da sicli die Liberalen vor den wilden Ausscbreitungen znriickgezogen batten. Kach mehrtagiger Belagerung muBte sicb Wien Ende Oktober ergeben, denn es herrschte zivischen den Arbeitern nnd Studenten einer- und dem vvohlhabenderen Biirgerstand anderseits ein tiefgehender Gegensatz und die. Landbevolkerung kiimmerte sicli um Wien nicht, weil sie durch die Aufliebung der Untertanigkeit zufriedengestellt war. Windiscligratz schritt gegen die Schuldigen mit sehr groBer Strenge ein. 5. Die Revolution in llngarn. a) Die Zustdnde im Lande. In ITngarn batten allen Versucken der Habsburger zum Trotze (S. 52 und 93) die Stande das Redit der Gesetzgebung, der Steuerbewilli- gung und der Rekrutenausliebung behauptet. Doch war alle Macht in den Handen des Adels/ wahrend die Masse der Bevolkerung fiir alle Leistungen aufzukommen hatte. Der Sitz des Widerstandes gegen ivillkiirliche Besteuerung und Rekrutierung ivaren die Ko- mitatsversammlungen, in denen nur die Adeligen zu erscheinen bereclitigt ivaren. Da in ITngarn der aufgeklarte Absolutismus nicht durchgedrungen war, bestanden daselbst noch vielfach mittelalter- liche Zustiinde, zumal auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, der Venvaltung, der Rechtspflege und der Verkelirseinriclitungen. Ein- siclitige Staatsmanner, wie Graf S%echenyi und Deak, die Fiihrer der Opposition in der Magnaten- und der Reprasentantentafel, drangen dalier auf Vornalime von Verbesserungen im Sinne der liberalen Anschauungen. Infolge der Germanisierungsversuche Josefs II. ivar das Nationalgefiihl der Maggaren lebbafter envacht, so daB sie die Einfiilirung der maggarischen Amtssprache ver- langten (1830) und allmahlich aucli durchsetzten, ivahrend dies bis dahin die lateiniscbe gewesen war. 1 Der ganze Biirgerstand. verftigte in der Standetafel nur iiber eine einzige Stimme. 180 Dritter Zeitraum. 1848 . b) Der Beginn der Bevolution. Die Magjaren begehrten und erhielten bereits im Marž die Einsetzung eines selbstdndigen Mini- steriumsJ dessen Seele der Rechtsanwalt Ludvoig Kossuth, ein ge- waltiger Volksredner, Avar. Aber gegen die Errichtung eines rein magjarischen Staatswesens erhoben sich die Kroaten nnd Serben unter der Anfiihrung des Banus Jellacic, der aucb in Ungarn vor- drang. Als sich nun der Kaiser fiir letztere erklarte und den Grafen Lamberg als Oberbefehlsliaber iiber samtliche Truppen nach Ungarn entsandte, Avurde dieser auf der Kettenbriicke in Pest, wo ein revo- lutionarer AusschuB die Gewalt in Handen hatte (S. 178), von einem fanatisierten Pobelhaufen in grausamster Weise erschlagen. Infolgedessen erklarte die Wiener Regierung den Landtag fiir auf- gelost sowie alle seine Beschliisse fiir ungiiltig, verhangte den Be- lagerungszustand iiber das Land und betraute den Banus mit dem Befehle iiber alle Truppen in Ungarn. Darauf rili Kossuth alle Gewalt an sich und kiimmerte sich um den AVillen des Tlerrschers nicht mehr, wahrend Jellačič nach einem unbedeutenden Zusammen- stohe mit den Magyaren die osterreichische Grenze iiberschritt und wilde Vernichtungskampfe zwischen den Magvaren soivie den anderen Volkern des Landes in Siebenburgen und im Banat aus- braclien, an denen auch Polen teilnahmen, die seit der Un'ter- driickung ihres Aufstandes (S. 170) bei allen Revolutionen mit- \virkten. Auch in Agram hatte sich ein radikaler AusschuB der GeAvalt bemaehtigt und der Landtag, den Jellačič eigenmachtig ein- berief, die Errichtung einer siidslaAvischen GroBmacht ins Auge gefaBt; aber zu schwach, um gleichzeitig die Wiener und die Pester Regierung zu bekampfen, hatte er sich spater der ersteren genahert. c) Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Josef I. und die Unterdruchung der Bevolution. Am 2. Dezember 1848 legle Kaiser Ferdinand zu Olmiitz die Krone nieder (f 1875). Da sein Bruder Pran z Karl auf die Eaclifolge verzichtete, ging die Herrschaft auf dessen IBjahrigen Sohn Franz Josef I. iiber. Wenige Tage vorher \var ein neues Ministerium unter dem Vorsitze des Fiirsten Felix Schivarzenberg ins Amt getreten, dem A r or allem die Unterdriickung der ReAmlution oblag. Windischgrdtz riickte nach der Unterwerfung Wiens in Ungarn ein und gelangte mit leichter Miihe bis vor Pest, 1 Sogar fiir den Krieg und die Leitung der auBeren Politik wurden eigene Minister ernannt. Die Thronbesteigung Franz Josefs I. Igl worauf sich Kossuth und der Reichstag nach Debreczin begaben. Als Windischgratz daliin aufbracb, warf sicli Artur Gorgey, der Befekls- liaber der ungarischen Streitkrafte, in seinen Riicken und zwang ihn dadurch zur Riickkehr. Dieser Erfolg und die Verkiindigung der Gesamtstaatsverfassung (s. u.) veranlaBten den Reichstag, das Haus Habsburg fur abgesetzt zu erkldren und Kossutli zum Gouverneur von Ungarn auszurufen. Der unentschlossene Windisch- gratz wurde abberufen, IIaynau und Jellačič mit der Eortsetzung des Krieges betraut. Da entsandte Zar Nilcolaus I., der bei einer langeren Dauer der Revolution den Ausbruch eines polnisclien Auf- rulirs befiirchtete, nacli seiner Zusanunenkunft mit dem Kaiser Franz Josef in Warscliau ein Ileer unter Paslciewitsch, dem Be- zwinger Warschaus, iiber den DuklapaB naclr Ungarn, wahrend gleiclizeitig die beiden osterreichischen Generale nach Osten weiter vorriickten und IIaynau nach mehreren Kampfen die feindliche Hauptarmee bei Teinesvar bis zur Vernichtung schlug. In dieser Lage streckte Gdrgey mit 23.000 Mann vor den Russen bei Vildgos im August 1849 die Waffen. Im nacksten Monate muBte sich General Klapka in Komorn ergeben, womit die Revolution in Ungarn und in ganz Europa zu Ende war. In Arad wurde strenges Gerieht iiber die Urheber der Revolution gehalten; Kossuth entkam nach Turin, wo er bis zu seinem Tode verblieb, Gorgey wurde in Klagenfurt interniert. Ungarn wurde in fiinf Teile zerstiickelt: das eigentliche Ungarn, Siebenbiirgen, die Woiwodschaft Serbien mit dem Temescher Banat, Ivroatien-Slawonien und die Militargrenze. Das ganze Band wurde einer strengen Militarherrschaft unter- gestellt, deutsche und tschechische Beamte mit der Yerwaltung betraut und im Sinne Josefs II. das Deutsche als Amtssprache eingefiihrt. 6. Osterreich und Ungarn nach der UnterdrUckung der Revolution. Das Ministerium ScKwarzenberg, dessen wichtigstes Mitglied der Minister des Innem Freiherr von Bach war, loste im Marž 1849 den Reichstag auf, bevor er noch die Grundrechte und die neue Verfassung beschlossen hatte, und veroffentlichte gleich- zeitig eine Gesamtstaatsverfassung. 1 Doch trat sie niemals ins 1 Da hicdurch die staatsrechtliche Einheit Ostcrreichs und Deutschlands unmoglich gemacht war, siegte die kleindeutsche Partei bei der Kaiserwahl in Frankfurt. 1849 . 182 Dritter Zeitraum. Leben, sondern wurde infolge des Widerstandes der Magvaren sowie der Tschechen bereits im Jahre 1851 beseitigt und der Absolutismus in beiden Reichshdlften eingefiihrt. Mit Riicksicht auf die Stellung zn Deutschland wurde die Aufrichtung eines Einheitsstaates mit deutschem Charakter angestrebt, dessen Stiitzen die Kirche, die Beamten nnd das Heer sein sollten. Um die erstere zu gewinnen, 1855. \vurden ihr durch das Konkordat (1855) wichtige Zugestiindnisse auf dem Gebiete des Unterrichtswesens gemacht und iiberhaupt ihre volle Autoritat anerkannt. Grund und Boden blieben entlastet, die Rechtspflege und Yerwaltung wurden ausschlieBlich Staatsbeamten iibertragen, die Gleichheit aller Staatsbiirger vor dem Gesetze fest- gestellt. Das vormarzliche Osterreich war fiir immer zu Grabe getragen. Metternich kehrte aus England bald wieder zuriick, iiber- nahm zwar nicht mehr die Regierung, iibte aber 'trotzdem noch einen groben EinfluB auf die osterreichische Politik (f 1859), indem er von verschiedenen Seiten her um Ratschlage angegangen wurde. C. Die Revolution in Italien. 1. Pius IX. (1846—1878). Rach der Unterdriickung der Ein- wirkungen der Julirevolution kam neues Leben in die italieni- schen Verhaltnisse durch den Papst Pius IX., den LTackfolger Gregors XVI. Er fiilirte namlich liberale Reformen, wie PreB- freiheit, Zulassung der Laien zu den hochsten Amtern, Errichtung eines Staatsrates usw., im Kirclienstaat ein und veranlaBte dadiirch die Konige von Reapel und Sardinien zur Einfiihrung der Kon- stitution. 1848 u. 1849. 2. Osterreich im Kainpfe mit Sardinien (1848 und 1849). Als im Marž die Revolution in Oberitalien ausbrach, befand sicb der osterreichische Eeldmarschall Graf Josef Radetzkg 1 , der seit dem Jahre 1831 daselbst kommandierende General, mit 18.000 Mann in Mailand; nach fiinftagigem StraBenkampfe muBte er wegen Mangels an Lebensmitteln die Stadt riiumen und zog sich nach Verona zuriick. Inzwischen iiberschritt der Konig Karl Albert von Sardinien den Ticino und riickte bis an die Etsch vor. Da trat ihm Radetzky mit 20.000 Mann bei S. Lucia entgegen und schlug ihn trotz seiner zweifachen Ubermacht ganzlich; es war die glanzendste Waifen'tat 1 C. von DuncTcer, Das Bueh vom Vater Radetzky, Wien 1891. Die Revolution in Italien. 183 des ganzen Krieges, bei der auch der junge Erzherzog Franz Josef wiederholt in den Bereich der feindlichen Kugeln geriet. Radetzky zog sich hierauf wieder liber die Etsch zuriick, weil er von Wien keine Unterstiitzung erwarten konnte nnd vor allem Venetien zu sichern suclite; als aber Karl Albert Verona iiberfallen wollte, drang er abermals vor und schlug den Eeind bei Gustoza (I. 142) mit 55.000 gegen 75.000 Mann so entscheidend, daB dieser einen flucht- artigen Riickzug antrat und Unterhandlungen einleitete. So kam es zu einem Waffenstillstand, infolgedessen der Feind die Lombardei raumen muBte (1848). Trotzdem erneuerte Karl Albert den Krieg, \vurde aber von Radetzky bei Novara wieder vollstandig besiegt (1849), tveshalb er zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel II. abdankte. Dieser schloB mit Osterreicb den auBerst milden Frieden von Mailand, worin er sich verpflichtete, die Aufstandischen nicht \veiter zu unterstiitzen und 75 Millionen Franken Kriegskosten zu bezahlen. Einige Monate spater ergab sich auch Venedig, so daB die Kevolution im osterreichischen Italien unterdriickt war. AuBer RadetzTcg erwarb sich in diesen Kampfen besonders dessen General- stabschef IleB groBe Verdienste. Jener wurde nun Živil- und Militar- gouvemeur im Konigreich und trat erst im Jahre 1857 als 91jahri- ger Greis in den Ruliestand; im folgenden Jahre starb er. Er war nicht nur einer der groBten osterreichischen Feldlierren, sondern auch ein iiberaus wohlwollender Mann („Vater Kadetzky“). Als Osterreich schon der Auflosung nahe scbien, verschaffte er durch seine Siege der Staatshoheit Anerkennung 1 und ermutigte die regie- renden Kreise in Wien derart, daB sie seit August die Kevolution entschiedener zu bekampfen begannen. 3. Die Revolution im iibrigen Italien. Der Ausgang des Kampfes in Oberitalien entschied das Schicksal der Kevolution auf der ganzen Halbinsel. Der Papst und der GroBherzog von Toslcana verliehen zwar iliren Landern eine Konstitution, gleichwohl entfloh der erstere aus Sicherheitsriicksichten nach Gaeta, wahrend der letztere vertrieben wurde ; beide Gebiete wurden unter Mazzini zur romischen Republik vereinigt. Kach der Sclilacht bei Kovara aber fiihrte Osterreich den GroBherzog von Toskana zuriick und unter- 1 Vgl. Grillparzers Gedicht „T'eldmai'schall Radetzky“ mit dem oft ange- fiilnten Verse: „Iu Deinem Lager ist Osterreich." Dieser Vers ziert auch das von Zumbusch geschaffene Bronzestandbild des Feldherrn in Wien. 1848 1849 184 Dritter Zeitraum. warf dem Papste wieder Ancona und Bologna; aufSerdem schickte Napoleon III., um die Kirche fiir sich zu geivinnen, ein franzosi- sclies Heer nach Italien, das die Ewige Stadt trotz ihrer Verteidi- gung durch Garibaldi eroberte und den Papst wieder zum Herrn des Kirchenstaates machte. Pius IX. war von nun an ein entschie- dener Gegner aller liberalen Bestrebungen. Der Konig von Neapel stellte den Absolutismus wieder her und nur Viktor Emanuel II. lieB die Konstitution bestehen, weslialb sicb die Hoffnungen der Liberalen auf Sardinien richteten, das einzige Land Italiens, das nicht unter einem fremden Ilerrscher stand. Die dauernde Bedeutung der Februarrevolution ist, dafi sich durch sie die Zulassung des Biirgerstandes zu den hochsten Staats- dmtern, die im Jahre 1789 zum erstenmal, im Jahre 1830 nach langerer Keaktion neuerdings verlangt wurde und in Frankreich bereits durchgedrungen war, nunmehr auch im iibrigen Mitteleuropa vollzog. Drittes Kapitel. Die Zeit des Vorherrscliens der nationalen Be- strelbungen; die Einigung Italiens und Dentscli- lands; der wirtschaftlielie Aufschwung und die soziale Frage. I. Uas Ubergewicht Frankreichs unter Napoleon 111. Nach der Niederwerfung der Kevolution waren die beiden ein- fluhreichsten Ilerrscher Europas Nikolaus I. und Napoleon III. Beide galten als Hort der konservativen Bestrebungen, da sie die Bevolution mit Erfolg bekampft hatten. Napoleon stiitzte seine Ilerrschaft besonders auf die Armee, die Arbeiter und die Bauern, doch gewann er auch den Burgerstand durch Begiinstigung der Industrie (Weltausstellung in Pariš 1855) und Sicherung des inneren Friedens. In der harten Scliule seines Lebens hatte er sich Sch\veigsamkeit und Zuriickhaltung angewohnt; obgleich kein Feld- herr, suchte er doch durch kriegerische Hnternehmungen dem Stolze der Franzosen zu schmeicheln und dadurch auch ihre Aufmerksam- lceit von den inneren Angelegenheiten abzulenken. Das mulite ihn Napoleon III. 185 mit Kikolaus um so leichter in Widerstreit bringen, als er die ISTiederlage seines Olieims in KuBland zu rachen trachtete und ilm der Zar nicht als Kaiser anerkennen wollte. Der Gegensatz zwisclien beiden Herrschern fand im Krimkriege Ausdruck. A. Der Krimkrieg (1853—1856). Das Selbstgefiibl des Kaisers 1853 - 1856 . Nikolam auBerte sich namentlich darin, daB er vom „kranken Mann“, dem Sultan, die Schutzhoheit uber dessen chrislliche Unter- K tanen verlangte, eine Zumutung, die ilim jederzeit einen Vorwand zur Einmiscliung in die inneren Angelegenheiten der Tiirkei ge- geben liatte und darum auch entscbieden zuriickgevviesen -vvurde, zumal da England und Frankreich die Pforte in ilirem Widerstreben bestarkten (S. 172). Durcli das schroffe Auftreten des russischen Gesandten Menschikovj in Konstantinopel kam es gegen ISTikolaus’ Willen zum Kriege, nacbdem die Friedensberatungen der GroB- maelite in Wien erfolglos verlaufen waren. Da Osterreich im Sinne der Mettemichschen Politik die TJnverletzlichkeit der Tiirkei auf- recht erlialten vvollte und deshalb im Gegensatze zum neutralen PreuBen im Laufe des Krieges auf die Seite der Westmaclite trat, war die letzte Erinnerung an die Stellung der Staaten in der Zeit der ITeiligen Allianz beseitigt. Die Kussen begannen den Krieg mit dem Einmarsch in die Donaufiirstentumer und der Vernichtung der tiirkischen Elotte bei Sinope. Als nun England und Frankreich dem Sultan ein Heer zu Hilfe schickten, .zogen die Kussen aus der Walachei und Moldau ab, die nunmehr auf Grund eines Vertrages mit der Pforte von osterreichischen Truppen besetzt und erst im Jahre 1857 geraumt wurden. Die Hilfsheere der beiden Seemachte landeten auf der ITalbinsel Krim und schritten zur Belagerung der starken Eestung Sebastopol, dem vvichtigsten Ereignisse des ganzen Krieges und der groBartigsten Belagerung des 19. Jahrhunderts. Sie erlitten aber infolge der hartnackigen Verteidigiing der Stadt durch den beriilim- ten General Todlebenj infolge des strengenWinters und der Cholera, 1 die in ihren Keihen wiitete, so groBe Verluste, daB ihnen die Unter- stiitzung durch ein sardinisches Korps sehr ervviinscht kam. Da bald nach dem Tode des Žaren Kikolaus und der Thronbesteigung seines 1 Bei den Verbiindeten starb jeder sechste, bei den Russen jeder neunte Mann an einer Krankheit. Der Krieg kostete einer Viertelmillion Menschen das Leben. Eine englisch-franzbsische Flotte beschoB vergebens Kronstadt. 186 Dritter Zeitraum. 1855-1881. Sohnes Alexander II. (1855—1881) die Festung den heftigen An- griffen der Belagerer erlag, anderseits die Kussen ein Vordringen der Feinde ins Innere leicht hindern konnten und auch in Armenien iiber die Tiirken gesiegt hatten, war die beiderseitige Waffenehre gerettet und es konnten Friedensverhandlungen eingeleitet werden. Zu diesem Zwecke wurde auf Anregung Osterreiclis ein KongreB der europaischen GroBmachte nnd Sardiniens 1 in Pariš 1856. veranstaltet (1856), der sicli bald iiber die Friedensbestimmungen einigte. BuBland verzichtete anf das Protektorat iiber die clirist- lichen Fntertanen des Sultans, trat die Donaumiindungen an die Tiirkei sowie ein Stiick BeBarabiens an die Moldau ab, verlor das Becht der Durchfahrt dureb die DardanellenstraBe und verpflicbtete sich zu einer Beschrankung seiner Kriegsflotte auf dem Schwarzen Meere. Drei Jahre spater mirden die Walachei und die Moldau gegen den Wunsch Osterreicbs und auf Betreiben Napoleons zum Fiirsten- tume Rumanien vereinigt; es blieb unter tiirkischer Oberliolieit und L cm* erhielt nach der Vertreibung des ersten Fiirsten den Prinzen Karl von Hohenzollern, den jetzigen Konig des Landes, zum Herrscher C* m a (1866). Osterreich zog sich durch seine Teilnahme am Kriege den HaB KuBlands zu, der groBe EinfluB des Žaren, der seit dem Jahre 1812 bestand, war zuriickgedrangt, Englands EinfluB im Oriente erhoht und Napoleons Ubergewicht begriindet. B. Napoleon und der Osterreichisch - sardinische Krieg 1859. (1859). Die nationale Partei in Italien hoffte um so sicherer auf die Unterstiitzung Napoleons, als dieser selbst in seiner Jugend dem Carbonari-Bunde angehort hatte; auch erklarte er es offen als das Becht der Volker, nationale Einheitsstaaten zu schaffen, wodurch er den Best der Wiener Beschliisse zu beseitigen und Osterreich todlich zu treffen hoffte. Wirklich brachte auch der sardinische Minister Graf Cavour (1850 — 1861), der Begriinder der Einigung Italiens, einen Bund zuiischen Napoleon und Viktor Emanuel II. zur Bekampfung Osterreichs zustande, das damals vollstandig iso- liert. war, da auch das englische Ministerium Palmerston („Lord Feuerbrand“) mit seinen Sympathien auf Seiten Italiens stand. Als Osterreich infolge der fortgesetzten Ivriegsriistungen Sardiniens den 1 Sardinien wurde trotz des Widerstrebens der osterreichisehen Regierung zum KongreB zugelassen. Napoleon III. 187 Ilrieg erklart hatte, riickte der osterreichische Befehlshaber Graf Gyulai in die Lombardei ein, versaumte es aber, die Sardinier vor ihrer Vereinigung mit den Franzosen anzugreifen. Als diese erfolgt war, wurden zwar unsere Truppen bei Magenta 1 und Solferino trotz der tapfersten Gegenwehr besiegt, nalimen aber gleicbwolil noch, auf das Festungsviereck (Peschiera, Mantua, Verona, Legnago) gestiitzt, eine achtunggebietende Stellung ein, was die Beendigung der Feindseligkeiten durch den von Napoleon 2 angebotenen Wa£fen- stillstand von Villafranča erleichterte. Diesem folgte der Friede von Zurich, demgemaB Osterreich die Lombardei bis an den Mincio, jedoch mit Ausnabme von Beschiera nnd Mantua, an Napoleon abtrat, der sie Sardinien iiberlieB. C. Napoleon und das Konigreich Italien (1861—1870). Na- 1861 - 1870 . poleon lieB sich zum Danke fiir seine Unterstiitzung von Sardinien Savoyen und Nizza abtreten, wogegen er Viktor Emanuel bei der Erweiterung seiner Macht in Italien nickt entgegentrat. Schon vvahrend des Krieges mit Osterreich waren die Herrscher von Toskana, Medena und Parma vertrieben worden; ikre Bander wurden nunrnehr infolge von Vollcsabstimmungen mit Sardinien verbunden. Bald kam auch an das Konigreich Beider Sizilien die Beihe. Auf Sizilien, das von jeher ein unsicherer Besitz Neapels gewesen war, brach ein Aufstand aus (1860), zu dessen TTnter- stiitzung der Freischarenfiihrer Garibaldi mit 1000 Mann in Mar¬ šala landete. Ohne Schwierigkeit stiirzte er daselbst die bourbonische Ilerrschaft, fiel dann in' Unteritalien ein, notigte den Konig Franz II. zur Flucht nach dem festen Gaeta und ergriff im Namen des sardinischen Konigs vom Bande Besitz. Inzwischen riickten die Truppen Viktor Emanuels in den Kirchenstaat ein, schlugen die papstlichen Streitkrafte zuriick und zwangen Franz infolge der Be- setzung Gaetas, das Band zu verlassen. So wurden das Konigreich _ i _ 1 Die Osterreicher wurden nur auf dem rechten Dliigel uberwunden und der Sieg der Feinde war so unvollstiindig, daB sie an keine Verfolgung des Gegners denken konnten. 2 Napoleon besorgte das Eingreifen PreuBens am Rliein und wollte Sardinien nieht zu machtig werden lassen; Osterreich furchtete, es kiinnte PreuBen die Hegemonie in Deutschland an sich reiBen und die Magyaren sieh erheben. Kossuth und andere politische Fliiehtlinge waren im Lager Napoleons und die Eranzosen besehossen Žara, um allenfalls in Ungarn oinzufallen. „Der ICrieg in Italien 1859.“ Bearbeitet vom k. k. Generalstabsbureau fiir Kriegsgeschiclite, 3 Bde., Wien 1872—76. 188 Dritter Zeitraum. Beider Sizilien und der grdBere Teil des Kirchenstaates mit Sar- dinien vereinigt. Den Best des Kirchenstaates aber schiitzteNapoleon aus Riicksicht fiir den Klerus durch die September-Konvention (1864) gegen Sardinien und durch den Kampf bei Mentana (1867) gegen einen neuen Einfall Garibaldis. Doch war die vollstandige Einigung der Halbinsel nur mehr eine Frage der Zeit. Der Krieg des Jahres 1866 verschaffte Viktor Emanuel, der schon im Jahre 1861. 1861 den Titel Konig von Italien angenommen hatte, den Besitz 1870. Venetiens und der Krieg des Jahres 1870 auch den Best des Kirchenstaates , nachdem die franzosische Besatzung Kom verlassen hatte. 1861-1867. D. Napoleons Beziehungen zu Amerika (1861—1867). Wah- rend Napoleon bisher nur erreichbare Ziele angestrebt hatte, wagte er es auf Grund seiner Erfolge, sich aucli in die Verhaltnisse des fernen Amerika einzumisclien, ohne sich durch das Beispiel seines Oheims warnen zu lassen. Dah aber das Unternehmen in der neuen Welt mit einem vollstandigen MiBerfolge Napoleons endete, bewirk'te besonders die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika. 1 1861-1865. 1.) Der Burgerkrieg in der Union (1861 — 1865). Das Gebiet der Union war allmahlich durch neue Kolonisation, durch Vertrage mit Frankreich (Kauf von Louisiana) und Spanien (Kauf von Florida) sowie durch einen gliicklichen Krieg gegen Mexiko (Er- werbung von Neu-Mexiko, Texas, Kalifornien) bedeutend erweitert v; or den, •vvalirend gleichzeitig ilire Bevolkerung durch fortgesetzte Einwanderung aus Europa 2 auf mehr als 30 Millionen anmichs. Aber bald kam es im Innern zir einem Oegensatze zivischen den nordlichen und siidlichen Staaten, der in volkswirtschaftlichen Ver- haltnissen v/urzelte. Die nordlichen Staaten mit mehr als der dop- pelten Bevolkerung der siidlichen betrieben hauptsachlich Industrie und suchten diese durch hohe Zolle zu schiitzen, die Siidstaaten da- gegen den Ackerbau und vvaren daher fiir freie Einfuhr fremder Waren. Hiezu kam der Zwiespalt wegen der Sklaverei. 3 Die Siid- 1 E. O. Hopp, Bundesstaat und Bundeskrieg in Nordamerika (bei Oncken). 3 Aus Europa sind bis jetzt etwa 18 Millionen Menschen in die Union ein- ge\vandert, die griiBte Volkerwanderung, die es je gegeben hat. Im Gebiete der Union ftihlten sich die Mitteleuropaer so heimisch, wie die Grieehen und Bdmer an den fremden Gestaden des Mittelmeeres. * Im Jahre 1852 veroffentliehte Stoice-Beecher ihr vielgelesenes Buch „Onkel Toms Htitte", das die Leiden der Sklaven in ergreifender Weise schildert. Napoleon III. 189 staaten betrieben namlich ihren Plantagenbau auf Reis, Zlicker, BaumAVolle und Tabak mit TTegersklaven, vrahrend die ISTordstaaten aus Griinden der IVIenschlickkeit die Aufhebung der Sklaverei Aviinsehten („Abolitionisten“). Da die BeAvohner der Siidstaaten die Sklaverei als eine innere Angelegenheit der einzelnen Staaten erklarten, nannten sie sicli „Demokraten“, Avahrend sich die Be- Avohner der ISTordstaaten als „Republikaner“ bezeicbneten. Jahre liindnrch A 7 erstanden es die einfluBreichen Plantagenbesitzer, den Prasidentenstuhl mit Anhiingern ihrer Partei zn besetzen. Als aber Abraham Lincoln, ein entschiedener Gegner der Siidstaaten, znm Prasidenten geAA r ablt Avurde (1860), sagten sich diese A r on der Union Jos und errichteten eine eigene Republik, die Konfoderation, mit der ITauptstadt Richmond. Da erklarten ihnen die ISTordstaaten behufs Erhaltung der Einheit des Staates den Krieg; es ist der groBte Biirgerkrieg, den die Geschichte kennt, reich an geAvaltigen Schlachten. Anfangs Avaren die besser geriisteten Siidstaaten im Vorteil. Als aber General Grant die Fiihrung der nordstaatliclien Truppen iibernalim (1864), lahmte er die Widers'tandskraft des Gegners durcb riicksichtslose Vernichtung des Privateigentums und bammerte nacli seinen eigenen Worten so lange am Steine lierum, bis dieser zersprang. Die Entscheidung erfolgte bei Petersburg ; hier streckte namlich General Lee nach viertagigem Kampfe gegen den iiberlegenen Eeind mit seinen ausgehungerten Truppen die Waifen. Der Krieg verursachte infolge der zunehmenden Grausamkeit auf beiden Seiten einen Verlust von einer balben Million Mensclien und steigerte die Staatsschuld der Union von 300 auf 3000 Mil- lionen Dollars. Die ISTordstaaten maeliten einen selir maBvollen Ge- brauck von ihrem Siege, indem sie den Gegnern allgemeine Am- nestie erteilten, obAvokl Lincoln von einem ihrer Anhanger ermordet Avurde. 2.) Napoleons Krieg mit Mexiko (1861 — 1867). klexiko litt 1861-1867. seit dem Abfalle von Spanien unter fortivahrenden inneren Wirren und finanziellen Verlegenheiten. Als nun Juarez, der damalige Pra- sident der Republik, die Zahlungen an europaische Glaubiger ein- stellte, schickten England, Spanien und Frankreich Truppen ab, um ihn zur Einhaltung der Verbindlielikeiten zu ZAvingen. IVahrend aber die beiden ersteren Machte nach der Erfiillung ihrer Forde- rungen Mexiko verlieBen, beschloB Napoleon, das Land zu besetzen, 190 Dritter Zeitraum. daselbst die klonarchie zu errichten, die romanische Rasse zu kraf- tigen und dadurch die Bedeutung der germanischen Union herab- zudriicken, ein Plan, dessen Ausfiihrung der Blirgerkrieg in den Vereinigten Staaten zu erleichtern schien. Nach der Eroberung der Hauptstadt Mexiko lieJ3 Napoleon durch eine willkiirlich berufene Notabelnversammlung die Einfiilirung des Kaisertums beschlieBen und Ferdinand Maximilian, dem Bruder des osterreichischen Kaisers, die Krone anbieten (1864). Der edle Erzherzog, iiber die wahre Stimmung der Bevolkerung getauscht und vom Streben be- seelt, das verfallene Land emporzuheben, nabm die Krone an; docli konnte er wegen des fortwahrenden Krieges mit den Republikanern, die weitaus die Mehrzahl der Bevolkerung bildeten, zu keiner fruchtbringenden Tatigkeit gelangen. Als nach dem Siege der Kord- staaten die Union auf Grund der Monroe-Doktrin die Zuriickziebung der franzosischen Truppen verlangte und Napoleon notgedrungen nachgeben muBte, war die Stellung Maximilians vollstandig haltlos ge\vorden; gleidnvolil setzte er, zu stolz, um seine Person in Sicher- heit zu bringen, und zu edel, um seine Anhanger zu verlassen, den aussiehtslosen Kampf gegen die Ubermacht fort, vmrde aber in Queretaro eingeschlossen, durch Verrat gefangen genommen und 1867. infolge Ausspruches eines Kriegsgericlites erschossen (1867). Das Scheitern seiner „groBten c< Idee schwachte Napoleons Stel¬ lung in Europa und so wurde allmahlich Deutschland der machtigste Staat des Erdteiles . 1 II. Der Kampf um die Vorlierrseliaft in Deutschland und die 1863 - 1870 . Einigung der deutsclien Staaten (1863—1870). A. PreuBen nach dem Regierungsantritte Wilhelms I. 1. Wilhelms I. Thronbcsteigung. Die Einigung Italiens stei- gerte die nationalen Hoffnungen auch in Deutschland, wo der Bundestag ohne alles Ansehen war und die groBartige Schillerfeier 1859. (10. November 1859) die Macht des nationalen Gedankens zeigte, der anch auf den zahlreichen. Schiitzen-, Siinger- und Turnfesten 1 Napoleon, der schon friiher im Bunde mit England China zweimal be- klimpft und einen Teil Annams erobert liatte, strebte zugleich die Griindung eines grofien Kolonialreiehes und die Vorherrscliaft 'in Europa an; er verlor daher die letztere, \vie Ludwig XIV. Kongrefi zn Frankfurt. 191 Ausdruck fand. Die fernere Geschichte Deutschlands wurde wesent- lich durch den preuBischen Konig Wilhelm I. (1861—1888) be- 1861-1888. dingt. 1 Durch und durch Soldat, war Wilhelm von strengster Selbst' zucht und unbedingter Wahrhaftigkeit, dabei bescheiden und inaBvoll. Um PreuBens Stellung in Deutschland und Europa zu starken, betrieb er schon als „Regent“ fiir seinen schwer erkrankten Bruder (seit 1858) die Heeresreform („sein eigenstes Werk“), deren Zweck eine bedeutende Vermehrung der preuBischen Streit- krafte ,war. 2 Da aber die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses („Fortschri'ttspartei“) die hiefiir erforderlichen Mittel nicht be- \villigte, berief Wilhelm im Jalire 1862 den damaligen Ges&ndten in Pariš Otto von Bismarck (f 1898) an die Spitze des Ministeriums, weil dieser ihm die Biirgschaft fiir die Durchfiihrung der Reform zu bieten schien. 3 Bald wurde Bismarck, der groBte Staatsmann des 19. Jahrliunderts, der ausschlaggebende Ratgeber Wilhelms in allen wiclitigen Angelegenheiten; das zeigte sich sofort bei der Prage der Bundesreform. 2. Der FiirstenkongreB zu Frankfurt. Von osterreichischer Seite tvurde ein Reformentwurf fiir den deutschen Bundestag aus- gearbeitet, demzufolge die ausiibende Gewalt einem Direktorium von fiinf Mitgliedern unter osterreichischem Vorsitze und die gesetz- gebende 300 Abgeordneten der einzelnen Landtage iibertragen werden solite. Kaiser Franz Josef I. lud behufs Beratung dieses Entwurfes die deutschen Fiirsten zu einem Kongresse nacli Frank¬ furt ein (1863), bei dem er selbst als Vorsitzender die Verhand- 1863. lungen leitete. Doch scheiterte der Versuch trotz der groBen Sym- 1 E. Marcks, Wilhelm I., deutscher Kaiser, Konig von PreuBen, in der Allge- meinen deutschen Biographie (42 Bde.). — W. Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, 2 Bde. (in seinem Sammehverke). — E.Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 — 1806, 2 Bde., 5. Aufl., Stuttgart 1901. — Gute tlbersichten iiber die neueste Geschichte bieten H. Sehultliep’ Europšiischer Ge- schichtekalender und K. Wippermanns Deutscher Geschichtskalender. 2 Obwohl die preuBische Bevolkerung seit dem Jahre 1814 von 12 auf 20 Millionen gestiegen war, vrurden doch jahrlich nui', wie friiher, rund 40.000 Re- kruten ausgehoben. Naeh der beabsichtigten Reform sollten in das FuBvolk jahi - - lieh '63.000 Rela-uten eingestellt werden. 3 Bismarck liatte sich seit dem Jahre 1847, in dem er seine politische Lauf- balm begann, stets als sclilagfertiger und riicksichtsloser Gegner des Liberalismus enviesen. Er war bisher PreuBens Vcrtreter beim Bundestage, Gesandtcr in Petersburg und in Pariš gewesen. Im Jahre 1890 wurde er entlassen. 192 Dr it ter Zeitraum. 1848 . pathien, die sich der Kaiser durcli die sichere und umsichtige Leitung der Beratungen erwarb, an dem Widerstreben des Konigs Wilhelm, der sich auf Bismarcks Rat deshalb fernliielt, weil er Gleichberechtigung mit Osterreich im Bunde und ein unmittelbar von der Bevolkerung gewahltes Parlament verlangte. B. Die schleswig-holsteinische Frage und der Deutsch-danische Krieg. 1. Die schleswig-holsteinische Frage. Im Jahre 1846 verfiigte der danische Konig Christian VIII. in dem „Offenen Briefe“, daB das in Danemark iibliche Recht der weiblichen Hachfolge auch in Sclileswig gelten und daB auch. Holstein niemals von Danemark ge- trennt \verden diirfe. Diese willkiirliche Bestimmung verletzte das deutsche Hationalgefiihl um so mehr, 1 als dadurch die Bedingung, unter der im Jahre 1459 die Stiinde von Schleswig-Holstein den danischen Konig zu ihrem Herzoge gewahlt hatten (II. 163), ge- brochen wurde. Als nun Friedrich VII. infolge des Drangens der „eiderdanischen“ Partei, die Schleswig von Holstein trennen und durcli Einfiihrung der danischen Amtssprache allmahlich danisieren wollte, die Einverleibung Schleswigs in Danemark anordnete (1848), nalim sich der Bundestag der Herzogtiimer an und beauf- tragte PreuBen, Schleswig zu besetzen, was auch nach der Eroberung des Danetverkes, einer Reihe von Verschanzungen, die sich von der Schlei bis zur Treene hinzogen, geschah. Allein England und RuB- land veranlaBten PreuBen im Frieden von Berlin zur Raumung der Herzogtiimer; als diese den Kampf allein wieder aufnahmen, er- lagen sie bei Idstedt der Dbermacht und wurden in demselben Jahre durch die Olmiitzer Vereinbarung den Danen preisgegeben. Da aber der Mannsstamm des danischen Konigshauses dem Erloschen nahe war und in den Elbeherzogtiimern nur die mannliche Hachfolge galt, bestimmten die Grofimachte durch das sogenannte Londoner Protokoli (1852), daB die weibliche Linie des Hauses Oldenburg auch in den Elbeherzogtiimern nachfolgen, diese selbst aber, ude bisher, nur durch Personalunion mit Danemark verbunden, un- getrennt bleiben sollten. So regelten fremde Miichte eine nationale Angelegenheit Deutschlands. 1 Im Jahre 1844 diehtete Chemnitz das Lied: „Schleswig-Holstein meer- umsehlungen". Per Krieg des Jalires 1806. 193 2. Der Deutscli-danische Krieg (1864) . Die Danen begniigten sicli mit diesem Erfolge nicht. Als namlich Eriedrichs VII. JSTeffe Christian IX. auf Grand des Londoner Protokolles die Kegierung auch in den Iilbeherzogtiimern antrat (1863), machte er mit der Durchfiihrung der eiderdanischen Bestrebungen Ernst. Aber in- zivischen war der nationale Geist in Deutschland so miicbtig er- starkt, daB Bundestrnppen Ilolstein besetzten nnd, da Danemark in der Hoffnung auf englisclie und franzosische Ililfe aucb jetzt nicht nachgab, Osterreich und PreuBen ihm den Krieg erkldrten. Die bsterreichischen Truppen (21.000 Mann) siegten unter dem General Gablenz bei Oversee und Veile und drangen bis in den auBersten Morden Jiitlands vor, wahrend die PreuBen die Diippler Schanzcn im Sturme nahmen und die osterreichische Kriegsflotte unter Tegett¬ hoff die feindlicbe Elotte trotz ihrer Uberlegenheit in der ISTalie von Helgoland mit Erfolg bekampfte. 1 Da Danemark keine Aussicbt auf Einmiscliung des Auslandes zu seinen Gunsten batte, trat es im Frieden von 1 Vien Schlesivig, Ilolstein und Lauenburg an Osterreich und PreuBen ab. C. Der Kampf zwischen Osterreich und PreuBen um die Vorherrsehaft in Deutschland und der Osterreichisch-italienisehe Krieg (1866). 1. Die Ursache und Veranlassung. Die Ursache zu dem nun folgenden Kriege zwischen Osterreich und PreuBen war die Kifer-, sucht , die zwischen beiden Staaten seit Friedrich II. bestand,\uhd der damit zusammenhangende Streit um die Vorherrsehaft .in Deutschland. Die Veranlassung dazu gab das Schicksql ^r ^lbe- herzogtumer. Osterreich war geneigt, die im Wiener Trie _ _ .. , .. ~ . \.i fi D rob - ge- ugiimnog dren der Ohlenburger, . dem Herzoge Friedrich von Augusven$urg a , zipufe- jdAiit.lu.o-icf _: I meden wonnenen Bander dem nachsten mannlichen Seitepverjvarj.ciffen der .tfiflino lassen, womit sich PreuBen aber mir unter der Bedingung einver . ... , „ , . jutod uiubu ftOBgrniCr „ standen erkliirte, daB der Herzog seine. (tfu unterstelle. Da der Augustenburger di^s objemite, beiden deutschen GroBmachte zunachst aurcn rf f)*o H*b. r \ i enmacM PreuBen 9gOaidoiOTi9Jao mb arri Hi on- vention (1865) dahin, daB OsterreiKfh,JpreuBejnSchles- wig verwalte, walirend LauenbuignmitoHiičksidhtBahBfEdibanspriichd -- agalrahsiH i9f> nov nstalisv/TO ssaiCI s 'Tegetthoff brach hiedurch die Sperrung des HaiiktiiirgeailHnfens unniima^hte die Nordsee fiir den deutscheniHgnjdelilfačl. IlBfioBUBmbh/l ,-nvAamvG Jto i . 1864 . 1866 . 1865 . Zeehe, Geschiclite der Neuzeit III. 13 194 Dritter Zeitraum. gegen eine Geldentschadigung an PreuBen abgetreten wurde. Damit war nacli Bismarcks Ausspruch der RiB zwischen beiden Staaten nur verklebt. Als nun Osterreicli die Angelegenbeit vor den Deutschen Bund brackte und der osterreicbische Statthalter Gablenz die bol- steinischen Stiinde einberief, damit sie liber das Schicksal des Landes entschieden, erklarte PreuBen beides als einen Brucb der Konvention und lieB Truppen in Holstein einmarschieren, worauf Gablenz das Land raumte. jSTunmehr bescbloB der Bundestag die Kriegsriistung gegen PreuBen. Deshalb trat letzteres aus dem Bunde aus, erklarte ibn fiir aufgelost 1 und scbloB mit den meisten nord- deutschen Fiirsten ein Scbutz- und Trutzbiindnis, nachdem es sicb sclion friiher unter Vermittlung Hapoleons III. mit Italien iiber einen gemeinsamen Angriff auf Osterreich verstandigt hatte. Als jetzt der Ausbruch des Krieges erfolgte, stellten sich die drei siid- deutschen Staaten, ferner Sachsen, Hannover, Hessen und Hassau auf die Seite Osterreichs. Daselbst herrschte, von den Magyaren ab- gesehen , 2 einmiitiger Kriegseifer, wahrend in PreuBen die offent- liche Meinung dem Waffengange vollig abgeneigt war. 2. Der Verlauf des Krieges. Der Krieg wurde auf drei Scliau- platzen, namlich in Deutschland, Italien und Bohmen, gefiihrt; die Entscheidung erfolgte in dem letzteren Bande. In Deutscbland be- setzte PreuBen infolge seines raschen Vorgehens noch im Juni Hannover, Sachsen und Kurhessen und zwang die hannoveranischen Truppen, als sie sicb nach Siiddeutschland durcbschlagen wollten, bei Langensalza zur Waffenstreckung. Die siiddeutschen Truppen, die in zwei Korps aufgestellt waren, wurden durch gliickliche Ge- fecbte (bei Kissingen, Aschaifenburg u. a.) und geschickte Mano ver der preuBischen Mainarmee trotz ihrer doppelten Kopfzahl zuriick- gedrangt, so daB die PreuBen bereits bis Hiimberg vorgedrungen waren, als die Hachricht vom Abscblusse des Waffenstillstandes eintraf. Dagegen nahm der Feldzug in Italien einen glanzenden Verlauf fiir die osterreichiscben "VVaffen. Hier siegte namlicb zu Lande der Sohn des Erzherzogs Karl, der Eeldmarschall Erzberzog Albrecht 3 1 Im Laufe des Krieges iibersiedelte der Bundestag nach Augsburg, wo ihn der osterreichische Gesandte Kiibeck am 14. August fur aufgelost erklarte. 2 Diese erwarteten von der Niederlage Osterreichs die Wiederherstellung der Gesetze vom Jahre 1848. * C. von Duncker, Feldmarschall Erzherzog Albrecht. Wien und Prag 1897. 195 Der Krieg des Jahres 1860. (f 1895), der von Jugend auf fiir den Kriegsdienst erzogen War nnd sicli dnrch groBe Feldherrngaben auszeichnete, beraten vom Eeld- marschalleutnant John als Generalstabschef, mit 74.000 gegen 89.000 Mann bei Gustoza (24. Jnni, Jahrestag der Schlacht bei Sol- ferino) iiber den sclilecht gefuhrten und mangelhaft betvaffneten Gegner. Z ur See wnrden die Eeinde am 20. Juli trotz ihrer TTber- maclit (34 starke italienische gegen 27 und noch dazu weit schwacher ausgeriistete osterreichische Schiffe), als sie auf Lissa landen wollben, bei dieser Insel von dem trefflichen Konteradmiral Tegetthoff 1 , neben Nelson dem groBten Seehelden des Jahrhunderts (f 1871), vollstiindig geschlagen, so daB sie im Hafen von Ancona Schutz suchten. Ebensotvenig gelangen die italienischen Einfalle in Siidtirol; denn General Khun verteidigte das Land gegen die mehr- fache tTbermacht in der ruhmvollsten Weise, verdrangte die Frei- scharen Garibaldis aus Judikarien sowie dem Ledrotale und ver- hinderte das Vordringen des Generals Medici gegen Trient. Doch wurden alle Erfolge im Siiden durch den ungliicklichen Verlauf des Krieges in Bohmen zunichte gemacht. Daselbst riickten nach dem vom Generalstabschef Moltke aus- gearbeiteten Plane drei Armeen ein: die Elbearmee unter Herwarth von Bittenfeld, die bei Rumburg, die erste Armee unter dem Prinzen Friedrich Karl, dem Neffen des Konigs, die bei Reichen- berg, und die schlesische Armee unter dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, die bei Trautenau, iiber Eipel und bei Nachod eindrang (S. 86); den Oberbefehl fiihrte Konig Wilhelm selbst. Dagegen waren die osterreichischen Truppen in der Annalime, daB die PreuBen von Schlesien aus angreifen wurden, bei Olmiitz zusammen- gezogen worden, wurden dann aber von ihrem Befehlshaber Benedelc, dem der zaghafte Krismanič als Generalstabschef beigegeben war, nach Bohmen gefiihrt und bei Josefstadt aufgestiellt. Nach der Be- setzung Sachsens, dessen Truppen.„zum osterreichischen Heere ge- stoBen waren, riickten zunachst die erste und zweite Armee in Bohmen ein, vereinigten sich nach mehreren Gefechten an der Iser, 1 Tegetthoff s Kommando war: „Den Feind anrennen und zum Sinken bringen." Auch hier loste sich die Schlacht in Einzelkiiinpfe auf (1.91). Bei Lissa traten einander zum erstenmal Panzerscliiffe 'in offener Seeschlacht gegeniiber. Die.se selbst dauerte l 1 /* Stunde, Italien verlor drei Seliiffe. Der Erzherzog Fer¬ dinand Max, der zehn Jahre lang an der Spitze unserer Kriegsfiotte gestanden war, hatte sich grofie Verdienste um sie erworben. 13 * 196 Dritter Zeitraum. schlugen den General Clam Oallas iind den sachsischen Kronprinzen Albert bei Gitschin und drangen gegen die osterreichische Ilaupt- armee vor. Benedek versaumte es ; den preuBischen Kronprinzen rechtzeitig mit aller Kraft anzugreifen; nur dem General Gablenz gelang es, einen Teil der schlesischen Armee bei Trautenau zu scblagen. Anderseits befolgten aber aucb die Korps-Kommandanten nicbt immer genan die ihnen erteilten Auftrage nnd war der Nach- ricbtendienst ungeniigend geregelt. Am 3. Juli erfolgte die Entscbeidung bei Kdniggratz. Hier hatte Eeldzeugmeister Benedek die Armee derart aufgestellt, daB ihr nordlicher Eliigel nacli Osten gegen den preuBischen Kronprinzen umgebogen war, wahrend das Zentrum im Scbeitel des Winkels bei den Dorfern Lipa und Oblum stand. Von der Elbe- und der ersten Armee am Morgen angegriffen, hielten sich die tapfer kampfenden Truppen, dank ihrer vorziiglichen Stellung und ilirer vortrefflichen Artillerie, bis Mittag; als aber aucb der preuBisclie Kronprinz auf dem Scliauplatz erscliien und die Eeinde bei Chlum eindrangen, 1 war die Kiederlage unvermeidlicb. In der rulimvollsten Weise kampft-en Artillerie und Kavallerie fiir einen geordneten Kiickzug der Armee. Es ist die groBte Schlacht des Jahrbunderts, indem 220.000 PreuBen 215.000 Osterreichern gegenuberstanden; noch dazu waren die ersteren mit Zundnadelgewebren bewaffnet, die ein mindestens dreimal scbnelleres ScbieBen als die osterreicbiscben Vorderlader gestatteten, was fur unsere Truppen um so verhangnis- voller wurde ; als diese seit dem Jahre 1859 zum ungestumen An- griffe mit dem Bajonette iibergegangen waren. Mit der Scblacht bei Kdniggratz war der Feldzug im wesent- lichen zu Ende. Z'war trat Kaiser Franz Josef, wabrend die PreuBen in Mabren einriickten, Venetien an Kapoleon ab, um dadurcb dessen Vermittlung zu erlangen; da dieser aber durch den uneiuvartet schnellen Siegeszug der PreuBen iiberrascbt und nicbt genrigend geriistet war, bescbrankte er sich darauf, den AbscliluB eines Waffen- 1 Vgl. tlie Schlaehten bei Leipzig und Waterloo. -— Weil bei Leipzig in drei Tagen mehrere groBere und kleinere Iviimpfe stattfanden, bei Koniggratz dagegen innerhalb aeht Stunden auf beiden Seiten die gesamten Streitkriifte ins Feuer kamen, muB die letztere Schlacht, trotzdem bei Leipzig 470.000 Mann lcampften, als die gibBte des Jahrhunderts bezeichnet werden. Vgl. O. Berndt, Die Zalil im Der Krieg des Jahres 1860. 197 stillstandes anzuraten. Dieser erfolgte denn auch, nachdem es in- zwisclien neuerdings bei Blumenau zmn Kampfe gekommen war, zu Nikolsburg. 3. Der FriedensschluB. Mit PreuBen wnrd e der Priede zu Prag abgeschlossen (23. August). Osterreich verpflichtete sicli d arin, aus dem Deutsclien Bunde auszutreten, auf seinen Anteil an Schleswig- ITolstein zu verzichten, die Anderungen, tvelche PreuBen im Horden des Main vorbehaltlich der Unverletzliclikeit Saehsens treffen wiirde, anzuerkennen und 60 Millionen Kronen Ilriegskosten zu zahlen; 1 2 dagegen wurde ihm trotz des eifrigen Verlangens Willielms und der Militarpartei auf Anraten Bismarcks und infolge der Vermittlung des preuBischen Ivronprinzen keine Gebietsabtretung zugemutet. Mit Italien kam erst am 3. Oktober der Priede zu Wien zustande; es wurde ihm darin der Besitz Venetiens, das inzwischen jSTapoleon infolge einer Volksabstimmung an Italien abgetreten hatte, zuer- kannt. Mit den deutsclien Staaten scliloB PreuBen einzeln den Frieden in Berlin, verlangte von Bagern und Ilessen-Darmstadt unbedeutende Grenzberichtigungen und legte beiden sowie Buden und Wurttemberg eine Kriegskostenentschadigung auf. Hannover, Kurhessen, Nassau , die Elbeherzogtumer und Frankfurt a. M. wurden PreuBen einverleibt f dadurch kamen auch die rheinischen Besitzungen mit dem iibrigen preuBischen Gebiete in unmittelbare Verbindung. Die Staaten nordlich von Main (Hessen-Darmstadt also zur Ilalfte) rvurden zum Norddeutschen Bunde vereinigt, dessen militarische und politische Fiihrung PreuBen iibertragen vmrde (I. 70), wahrend fiir die Gesetzgebung, soweit sie nicht den einzelnen Staaten vorbehalten war, eine durch unmittelbare und allgemeine Wahl gebildete, Volksvertretung festgestellt wurde. Da PreuBen bei den Friedensscliliissen mit den siiddeutschen Staaten in geheimen Artikeln durchsetzte, daB diese fiir den Fali eines Krieges ihre Truppen unter seine"Fuhrung stellten, war Deutsch- land bereits jetzt militarisch geeinigt. 1 Auf Wunseh Napoleona III. wurde in den Frieden der Punkt aufgenommen, daB Nordsehleswig, dessen Bevdlkerung iiberwiegend danisch ist, durch eine Ab- stimmung iiber seine Zugehiirigkeit zu Deutsehland oder Diinemark entscheiden solite. Dieser Paragraph ist niemals ausgefiilut und 1878 aufgehoben \vorden. 2 Der Konlg von Saehsen verdankte die Rettung seiner Krone wesentlich unserem Kaiser. 198 Dritter Zeitraum. So entschied ein Krieg iiber die Doppelstellung Osterreichs in Deutschland und in Italien (S. 157) und verwies den Kaiserstaai um so mehr auf eine besonders dem Osten zugewandte Politik. D. Der Deutsch-franzosische Krieg 1870 - 1871 . und die Einigung Deutschlands (1870—1871). 1 1. Die Ursache und Veranlassung. Je mehr das Ansehen Napoleons durch das Abenteuer in Mexiko geschadigt worden war, desto unliebsamer war ihm die rasche Beendigung des Osterreickisch- preuBischen Krieges, zumal da er PreuBen eine so bedeutende Jlacht- steigerung verschafft und ihn dadurcli der Moglichlteit beraubt hatte, ein entsclieidendes Wort iiber die Neugestaltung Deutschlands zu sprechen. Hiezu kam, daB die lange unterdriickte Opposition sich in der Presse und in Versammlungen immer lauter erhob, woran auch die konstitutionellen Zugestandnisse Napoleons nichts anderten; denn die Eranzosen betrachteten denAufschwungDeutsch- lands, das sie jahrhundertelang geistig und zum Teile auch poli- tisch beherrscht hatten, als eine ihnen zugefiigte Schmach, fiir die Napoleon verantwortlich sei. 2 Dieser strebte daher nach dem ver- geblichen Versuche, die Pfalz, Mainz und Saarbriicken im Wege der Abtretung oder Luxemburg 3 durch K auf zu gewinnen, die Er- werbung Belgiens an, ein Plan, dem PreuBen aber ebenfalls mit Entschiedenheit entgegentrat. So war denn Napoleon schon im In- teresse der Sicherung seiner Dynastie gesonnen, die nachste Gelegen- heit zur Kriegserlcldrung an PreuBen zu beniitzen. Diese hoten ihm die Verhaltnisse in Spanien. Hier wurde namlich Isabella infolge eines Pronunziamentos vertrieben (1868), sodann bemachtigten sich die revolutionaren Generale der Kegierung und hoten nach dem vergeblichen Versuche, in dem monarchisch gesinnten Bande die Republik zu begriinden, die spanische Krone dem Prinzen Leopold von Ilohenzollern-Sigmaringen , dem Bruder Karls von Rumiinien, an, der sich sehlieBlich nach dreimaliger Ablelmung zu ihrer An- 1 H. von Moltlce, Der Deutsch-franzosische Krieg. In seinen „Gesammelten Sehriften und Denk\yiirdigkeiten“, III., Berlin 1891. 2 Thiers sagte damals im gesetzgebenden Korper: „Frankreieh ist zu einem Staate dritten Ranges herabgesunken.“ 3 Auf der Londoner Konferenz (1867) \vurde die Schleifung der Festungs- werke von Luxemburg besclilossen, wogegen Napoleon auf die Erwerbung des Gebietes verzichtete. Der Deutsch-franzdsische Krieg. 199 nahme bereit erklarte. Da verlangte Napoleon von Wilhelm I., daB er dem Prinzen die Annalnne der Krone verbiete, was aber der preuBische Konig ablehnte. Obwohl durch die freiwillige Verzicht- leistung des Prinzen die Sache beigelegt schien, forderte doch Napoleon den Konig zur Abgabe der Erklarung auf, daB er diese Thronbewerbung anch in Zukunft nicht gestatten werde, eine Zu- mutung, die den Konig demiitigen solite nnd daher von ibm zuriick- geiviesen wurde. Die Antwort darauf war die iibereilte Kriegs- erhldrung Napoleons (19. Juli); dieser glaubte namlich, daB sich die neuerworbenen Lander gegen PreuBen erheben, Siiddeutschland neutral bleiben und melirere andere Staaten (Osterreich, Danemark, Italien) sich an ihn anschlieBen mirden. Aber alle seine Hoffnungen tauschten ihn; Deutscliland erliob sich einmiitig gegen ihn, die fremden Staaten wurden durch den Siegeszug der deutschen Ideere von dem AnschluB an ihn abgehalten und KuBland beobachtete eine Deutschland wohlwollende Neutralitat. 1 Den Kriegsplan hatte auch diesinal Molthe entworfen, die Oberleitung iibernahm wieder der Konig selbst. 2. Der Verlauf des Krieges. a) Der Krieg mit Napoleon (2. Angust bis 2. September). Die deutsche. IIeeresleitung stellte drei Armeen auf: die erste unter dem General Steinmetz (60.000 Mann) bildete den rechten Fliigel, die ziveite unter Prinz Friedrich Karl das Zentrum mit 194.000 Mann, die dritte unter dem preuBi- schen Kronprinzen mit 130.000 Mann den linken Fliigel; alle drei riickten geschlossen gegen die Saar vor. Dagegen gliederten die Franzosen ihr IPeer in zwei getrennte Armeen, die unter dem Be- fehle der Marschalle Mac Mahon und Bazaine standen. Der Ivronprinz eroffnete den Angriff mit dem blutigen Treffen bei WeiBenburg, nahm die Stadt und zersprengte hierauf durch die Schlacht bei Wdrth die Annee Mac Malions, die sich erst jenseits des Wasgaus wieder sammelte. An.demselben Tage siegte Steinmetz in morderischem Kampfe tiber die zahlreicheren und gut geschiitzten Feinde bei Spicheren, wodurch auch diese Armee zum Riickzuge gedrangt wurde. Es kam nun zu den iiberaus blutigen Kampfen bei Metz. Am 14. August siegte die erste Armee, verstarkt durch Ab- teilungen der beiden anderen, bei Golombeg und Nouillg, wodurch 1 Der Zar hatte dem preufiischen Konig versprochen, in Galizien 300.000 Mann einriicken zu lassen, falls Osterreich als Bundesgenosse Napoleons am Kriege teilnehmen solite. 200 Dritter Zeitraum. der Riickzug der Feinde unter brochen und ein Tag fiir den tJber- gang der zweiten und dritten Armee liber die Mosel gewonnen ward. Diese siegten am 16. August bei Vionville nnd Mars-la-Tour nacb zivolfstiindigem Kampfe; es war eine der glanzendsten Waff entaten des ganzen Krieges, kostete aber auch jedem Heere 16.000 Mann. Endlicb ivurde Bazaine am 18. August trotz seiner vortrefflichen Stellung bei Gravelotte und St. Privat nacb auBerst erbittertem Kampfe geschlagen. Das Ergebnis dieser drei Schlachten ivar, daB sich Bazaine nach Metz iverfen mulite; hier aber ivurde er durch die erste und ziveite Armee unter Friedrich Karl eingesclilossen. Inzivischen erneuerte und verštarkte Mac Malion seine Armee, bei der sich Napoleon befand, im Lager von Chalons, ivahrend die deutsche Heeresleitung eine vierte (die Maasarmee) unter dem sachsischen Kronprinzen Albert, 130.000 Mann stark, aufstellte. Diese und die dritte Armee, die auf 220.000 Mann gebracht ivurde, ivaren zum Angriff auf Mac Mahon bestimmt. Als dieser die Nach- richt erhielt, daB Bazaine liber Sedan nach Chalons zu entkommen beabsichtige, ivandte er sich gegen Norden, wohin ihm die dritte und vierte Armee folgten. Albert von Sachsen schlug ihn bei Beau- mont und drangte ihn dadurch gegen die belgische Grenze. Hier ivurde er durch die vereinigte dritte und vierte Armee bei Sedan am 1. September besiegt und eingesclilossen; da sich die Franzosen in dem kleinen Stadtchen nicht halten konnten, muBten sie sich am folgenden Tage ergeben. Es ist die groBte Kapitulation, die bis daliin vorgekommen ivar; mit EinschluB der in der Schlaclit Gefangenen gerieten 104.000 Mann in Gefangenschaft. Napoleon teilte das Schicksal seines Heeres und ivurde nach Wilhelmshohe gebracht. Unter diesem schiveren Schlage brach das Kaisertum zusammen. b) Der Krieg mit der Republik (4. September 1870 bis 31. Janner 1871). In Pariš riefen Volkshaufen die Republik aus, einige Mitglieder der liberalen Kammerminderheit und der General Troehu bildeten die Regierung der nationalen Verteidigung und beschlossen, den Krieg bis aufs Messer zu fiihren. Die Seele dieser Regierung ivar der Advokat Gambetta, der das Kriegsministerium iibernahm und durch die Aufstellung immer neuer Mobilgarden den Krieg verlangerte, oline aber das Ergebnis andern zu konnen. Nach der Schlacht bei Sedan hatten die Deutschen nur 150.000 Mann von der dritten und vierten Armee zur freien Verfiigung. Diese be- lagerten seit dem 19. September Pariš, das von 300.000 Mann ver- Der Deutsch-franzosische Krieg. 201 teidigt wurde; gleichwohl schlugen die Deutsehen alle Ausfalle zuriick. Um die Hauptstadt zu entsetzen, riistete zwar Gambetta, der sich nach Tours begeben hatte, drei Armeen aus, diese konnten aber infolge der Kapitulation von Metz in Schacb gehalten werden. Metz muBte sich namlich, gerade einen Monat nach dem Ealle StraBburgs, am 27. Oktober wegen Mangels an Lebensmitteln er- geben; hiedurch gerieten ungefahr 170.000 Mann in deutsclie Ge- fangenschaft nnd nun wurden zivei neue Armeen unter Manteuffel und Friedrich Karl gebildet, von denen die erstere die EinschlieBung der Ilauptstadt im ETorden und die letztere im Siiden (gegen die Loire-Armee) sicliern solite. ETamentlich die Kampfe im ISTorden von Orleans zeigten, daB die ungesehulten Mobilgarden den waffen- geiibten Deutsehen selbst bei mehrfacher Uberlegenheit an Zahl nicht gewachsen waren; liier sowie im Westen und im ETorden von Pariš kam es mitten im Winter zu zahlreichen Schlachten, welclie die Auflosung der Entsatzarmeen zur Folge liatten. Da tat Gam¬ betta einen letzten, verzweiflungsvollen Schritt. Er scliickte den General Bourbaki nach dem Siidosten, damit er mit Garibaldi, welcher der franzosisehen Republik zu Hilfe geeilt war, vereint Dijon nehme, die Belagerung von ■ Belfort aufhebe und samtliche Verbindungslinien der Deutsehen absclineide. Gegen Bourbaki be- hauptete sich General Werder (mit 45.000 gegen 145.000 Mann) infolge der blutigen -Janner-Kampfe an der Lisaine, die zu den ruhmvollsten des ganzen Krieges gelioren, bis General Manteuffel in Eilmarschen heranriickte und in Verbindung mit Werder durch ein wahres Ivesseltreiben die Eranzosen auf schiveizerisches Gebiet drangte, wo sie, ungefahr 80.000 Mann stark, d,ie Waffen strecken muBten. Schon vorher hatte sich Pariš nach 132tagiger Belagerung infolge Mangels an Lebensmitteln ergeben miissen. 1 3. Der Friedensschlufi und die Folgen des Krieges. ISTach dem AbschluB eines Waffenstillst:andes wai’d die Nationalversammlung 1 In diesem Kriege \vurden 20 Sclilachten gdschlagen und 20 Festungen genommen, kein Tag verging ohne ein groBeres oder kleineres Gefecht. Die Deutsehen verloren iiber 0200 Offiziere, 123.000 Mann, 1 Fahne und 6 Geschiitze. Der Ge3amtverlust der Franzosen ist unbelcannt; die Zahl ihrer Gefangenen mit EinschluB der in der Schweiz Entwa£fneten betrug iiber 21.000 Offiziere und 700.000 Mann. Von den Deutsehen wurden 107 Fahnen und Adler, 855.000 Ge- wehre, 1900 Feld- und 5500 Festungsgeschiitze erbeutet. Der ganze Krieg kostete Frankreich ungefahr 14 Milliarden Franken. 202 Dritter Zeitraum. nach Bordeaux einberufen und in deren Anftrage wurden von Thiers, der zum Chef der Exekutivgevoalt eingesetzt worden war, die Bedingungen vereinbart, die zum Abschlusse des Friedens in 1871. Frankfurt a. M. (10. Mai 1871) fiihrten. Frankreicli mulite das Elsab ohne Belfort, einen Teil Lotkringens mit Metz abtreten und 5000 Millionen Franken Kriegskosten zaklen (S. 136, 2). 1871. Am 18. Jamier 1871 wurde auf Vorscklag des bayrisclien Ivonigs Ludiuig II. nack langeren Verkandlungen mit den siid- deutscken Staaten in den Prunkgemackern von Versailles Wilhelm zum erblichen Deutschen Kaiser ausgerufen. Er nakm die Eaiser- krone an, um nack seiner Erklarung „Mekrer des Reickes zu sein auf dem Gebiete nationaler Woklfalir't, Freikeit und Gesittung". So ward der Korddeutscke Bund zum Deutschen Reiche enveitert. 1 Bereits im September 1870 war die Einigung Italiens zum Abscklusse gekommen. Als namlich die franzosiscken Truppen Bom verlieken, rtickte Viktor Emanuel II. vor die Ewige Stadt und be- setzte sie olme Widerstand; im nacksten Jakre scklug er seinen Sitz ■ daselbst auf. Der Papst wurde auck fernerkin als souveran an- erkannt, es wurden ilim die Ilokeitsreckte iiber den Vatikan, den Lateran scvvie das Kastell Gandolfo eingeriiumt und ein bestimmtes Jahreseinkommen auf Kosten Italiens zugesickert („Garantie- gesetz“), das aber der Papst niemals angenonimen kat. In Pariš dagegen brack im Marž die Sckreckenskerrsckaft der Kommune 2 aus, die ganze Stadtteile und viele offentliclie Gebaude durck Petroleum niederbrennen lieB und erst nack zweimonatlicker Dauer und blutigem Kampfe von der Regierung gestiirzt wurde. III. Osterreichs Neugestaltung unter dem Einflusse der liberalen und nationalen Stromungen. 1. Die Verfassungsgesehichte. Der ungliickliche Krieg des Jahres 1859 ftihrte das Ende des Absolutismus und die honstitutio- nelle Neugestaltung Osterreichs kerbei, wobei anfangs nock an dem Gedanken einer Gesamtstaatsverfassung festgekalten wurde (S. 181). Kein Staat katte bei der Einfiikrung der Konstitution auck nur 1 Ahnlich hatten unter Otto I. gluekliehe ICriege das Gefiihl der Zusammen- gehorigkeit der einzelnen deutschen Stiimme gekraftigt. 2 Die Kommune strebte abermals die Auflosung des Staates in selbstiindige Stadtrepubliken an (S. 114). Osterreichs Neugestaltung. 203 annahemd mit ahnlichen Scluvierigkeiten zu kampfen wie das viel- sprachige Donaureich. 1 Der erste Versucli hiezu war das fodera- listische Oldober-Diplom unter dem llinisterium Goluchovuski (1860). Es zerlegte die Monarcliie in vier nicktdeutsche (Ungarn, Polen, Bohmen, Krain) und nur ein deutscbes Gebiet, jedes mit ausgedehnten Rechten, trat aber wegen des Widersprucbes der Deutschen und Magvaren niemals ins Leben. Audi der zweite Ver- such, der unter dem Hinisterium Schmerling mit der Februar- Verfassung des Jalires 1861 gemacht vrurde, hatte nur einen teil- weisen Erfolg; denn die Maggaren wollten von einem Zentralparla- mente niclits tvissen und audi die Tsdiechen traten bald wieder aus dem Reichsrate aus. Infolge des passivenWiderstandes der ]\lagyaren wurde Sdimerling entlassen und das Ministerimn Belcredi berufen (1865), das die Februar-Verfassung sistierte. Aber der Doppelkrieg des Jalires 1866 macbte abermals dem Absolutismus ein Ende. 2 Das Ministerium Beust beivilligte den Maggaren auf Grundlage des Ent- wurfes Franz Dealcs durdi den AusgleicJi vom Jahre 1867 eine selbstdndige Verivaltung und Gesetzgebung, worauf durcli die De- zember-Gesetze desselben Jalires die Eebruar-Verfassung entspre- chend abgeandert wurde. Seitdem zerfallt die Monarcbie, von nun an die osterreicliisdi-uijgarisdie genannt, in zwei konstitutionelle Reidisliiilften. Sie sind dureh eine Realunion miteinander ver- bunden, d. h. das Heerwesen und die auBere Politik mit EinschluB des AuBenhandels sind beiden Reicksteilen gemeinsam; zu ilirer gesetzliclien Regelung (mit Ausnalime der auBeren Politik, die dem Kaiser vorbelialten ist) sind die Delegationen, Ausschiisse der beiden Parlamente, eingefiilirt. 1 Besonders der Gegensatz zwisehen den Deutschen und den Tschechen rief den haufigen Wechsel der Ministerien in Osterreich hervor. Es folgten einander seit dem Jahre 18G7: das Burgerministerium, zuerst unter der Prasidentschaft des Fursten Auersperg, dann des Grafen Taaffe und des Ritters Hasner (1867 — 70); Potočki (1870 — 71); Hohemvart (1871); Fiirst Auersperg (1871 — 79); Taaffe (1879 — 93); Windiseligratz (1893—95); Badeni (1895 — 97); die Mini¬ sterien Thun und Clary (1897—1900); Korber (1900 — 1905) und naeh der kurzen Priisidentschaft von Gautsch und Ilohenlohe (1905—00) Beck. Im Jahre 1905 kam in Miihren zivischen den Deutschen und den Tschechen eine Verstiindigung zu- stande, derzufolge die Wahl 'in den Landtag, die Schulbehorden und die meisten Gesehiifte des Landesaussdiusses naeh Nationen getrennt wurden. In derselben Zeit waren Minister des AuBern: Beust (1866 — 71), Andrassy (1871—79), Haynierle (1879 — 81), Kalnoky (1881 — 95), Goluehowski (1895 — 1906),Aehrenthal. 2 Eimvirkung der auBeren Politik auf die innere (1.171). 1860 1861 .1865 1867 204 Dritter Zeitraum. Im iibrigen ist die Gesetzgebung und Verwaltung in den beiden Reichshalften vollig selbstandig. Die erstere kommt in Osterreich dem Reichsrate, der aus dem Abgeordneten- und dem IJerrenhause besteht, in Ungarn dem Reichstage, der in die Reprasentanten- und in die Magnatentafel zerfallt, zu; auBerdem hat in Osterreich jedes Kronland fiir die Landesgesetzgebung einen Landtag, wahrend in der ungarischen Reichshalfte nur fiir Kroatien-Slawonien ein eigener Landtag vorhanden ist. Die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten liegt den Reichsministem in Wien, die der beiden Reichshalften den Landesministerien in Wien und Budapest ob. 2. Osterreichs Aufscliwung. GroBartig ist der Aufschwung, den die Monarcliie unter Kaiser Franz Josef I. auf allen Gebieten der geistigen und materiellen Kultur genommen hat. Die ITniversi- taten vmrden nach deutschem Muster reformiert, die Gymnasien verbessert, die Real- und zahlreiche Fachschulen neu errichtet, die Volkssehule vollstiindig umgestaltet, die Zahl aller Arten von Unter- richtsanstalten sehr bedeutend vermehrt. Iirfolgedessen verbreitete sich ein groBeres MaB von Bildung in allen Kreisen der Bevolkerung. Keben der Wiener Akademie der 'VVissenschaften entstanden neue gelehrte Gesellschaften in Ofen-Pest, Krakau, Agram und Prag: wissenschaftliche ITnternelimungen zur Erforschung Samothrakes (I. 136) und Kleinasiens wurden von der Regierung unterstiitzt, die Erdumseglung der „!Srovara a machte Osterreichs Kamen in den fernsten Gegenden bekannt, die Offiziere Weyprecht und Payer en1> deckten auf ilirer Polarreise (1872 — 1874) das Franz-Josefs-Land. Hervorragende Dichter, wie Hamerling, Anzengruber, Rosegger und die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach, groBe Meister der Baukunst, Plastik und Malerei, beriihmte Gelehrte auf allen Ge¬ bieten brachten den Kamen Osterreichs auch im Auslande zu Ehren. Durch die Verbesserung des Unterriclitswesens ; eine zweck- maBige Gesetzgebung, den Ausbau der Eisenbahnen und die lange Friedenszeit wurde auch die materielle Kultur wesentlich gefordert. Besonders die Industrie nalim einen machtigen Aufschwung; das zeigte schon die groBe Weltausstellung in Wien (1873). So gehort jetzt Osterreich zu den vorgeschrittensten Staaten und nimmt eine achtunggebietende Stellung in Europa ein; die letztere beruht haupt- sachlich auf seiner Kriegsmacht, die infolge der Einfuhrung der allgemeinen Welirpflicht (1869) vollig umgestaltet und durch An- schaifung neuer Geschutze sowie die Verstarkung der Kriegsilotte im Jahre 1904 zeitgemaB fortgebildet mirde. RuBland und die Tiirkei. 205 IV. Der Osten (Ruflland und die Tiirkei). 1. Alexander II. Nacl) dem Krimkriege widmete Alexander II. seine Kraft zunachst der Ausbreitung der russischen Maclit in Z entralasien und der Durclifulirung v on Reformen im Innern. In Asien erweiterte RuBland seinen Besitz in riesigem MaBe; es erwarb nach der vollstandigen Bezwingung der aufstandischen Kaukasier durch Vertrage mit Oliina das Gebiet am unteren Amur sowie durch eine Reihe ruhmvoller Eeldziige ganz Zentralasien bis an die Grenzen Irans und besetzte Pamir, das hochste Gebirgsland der Erde, so daJ3 es Grenznachbar der Englander in Indien geworden ist. Auf dem Gebiete der inneren Politik war die wicbtigste MaB- regel Alexanders die Aufhebung der Leibeigenschaft, wodurcb 23 Millionen ein menscbenwiirdiges Dasein erhielten. Doch hat die Befreiung der Bauern den gebegten Erwaxtungen nicbt vollig ent- sprochen; denn teils sind die den einzelnen zugewiesenen Giiter zu klein, teils gelten die Bauernacker als Gemeindeland und werden von Zeit zu Zeit neu verteilt. AuBerdem forderte Alexander das Eisenbabn- und namentlich das Unterrichtswesen; kein russisclier Herrscber hat so viele neue Bildungsanstalten gegriindet wie er. Im Jalire 1863 brach unter dem Einflusse der nationalen Bestrebungen 1863 . im westlichen Europa aberrnals ein Aufstand in Polen aus, der aber nach kurzem Kampfe unterdriickt wurde. Hatte die Erhebung vom Jahre 1831 den Polen die selbstandige Verfassung gekostet, so ver- loren sie jetzt durch das „Organische Statut a auch die nationale Verwaltung. IVahrend des Deutsck-franzosischen Krieges erklarte Alexander, sich nicht weiter an die Beschriinkung der russischen Kriegsflotte im Scliwarzen Meere zu hal ten (S. 18G), was die Londoner Konferenz zur Ivenntnis nahm (1871). Die nationalen Bestrebungen fiihrten in BuBland zur Aus- bildung der pcmslaivistischen Idee, welche die verschiedenen sla.wi- schen Volker in kultureller und politischer Beziehung einander naher zu bringen suclit. Ein Zugestandnis an den Panslawismus \var der Tvrieg, den der an sich friedliebende Zar gegen die Tiirkei fiihrte. 2. Der Russisch-tiirkisehe Krieg (1877 — 1878). Die Tiirkei 1877 - 1878 . hatte zwar auf Verlangen der europaischen Mach te wiederholt Re¬ formen und Gleichstellung der Christen („Rajah“ = Ilerde) mit den Mohammedanern zugestanden; aber alle Versprechungen 206 Dritter Zeitraum. 1878. muBten, selbst weim der Sultan den guten Willen zu ihrer Durch- fiihrung gehabt batte, an der Bestechlichkeit der Beamten scheitern, die unregelmaBig bezahlt wurden und ilires Amtes niemals sicher waren. Der leeren AVorte miide, erhoben sicb die Christen, unter- stiitzt von Serbien und Montenegro, in der Herzegowina, in Bosnien und Bulgarien, ohne jedocli eine Verbesserung ihres Loses zu er- reichen; desbalb erklarte Alexander nach der Einfiihrung der all- gemeinen Wehrpilicht, einer neuen Heeresbewaffnung und person- liclier Verstandigung mit Kaiser Franz Josef zu Keicbstadt an die Pforte den Krieg. 1 An ibn scblossen sich Rumanien, Serbien und Montenegro an. Die russiscbe Armee iiberschritt unter dem Befeble des GroBfiirsten Nikolaus bei Szistowa die Donau. Die Tiirken wehrten sich iiberraschend lange und scblugen unter der Anfubrung des tuchtigen Osman Fascha drei Angriffe der Bussen auf ihre befestigte Stellung bei Plewna zuriick. Als aber die feindlicbe Dber- macbt Plevma vollstandig eingeschlossen und alle Entsatzversuche der Tiirken vereitelt batte, wagte Osman Pascba einen Durchbruch, bei dem er mit semena Ideere gefangen genommen wurde. Die Bussen uberschritten hierauf mitten im AVinter unter auBerordentlichen Scbwierigkeiten den Balkan, besetzten Adrianopel und ruckten bis gegen Konstantinopel vor. Deshalb schloB die Pforte mit BuBland den Erieden von S. Stefano, der die Existenz der Tiirkei in Europa fast vernicbtet und die Oberherrschaft der Bussen auf der Balkan- balbinsel begriindet batte. Da dies Osterreicb und England nicbt dulden wollten, trat der KongreB in Berlin zusammen, der die Be- stimmungen von S. Stefano mehrfacb abanderte (18Y8). ITier wurden folgende Punkte vereinbart: 1.) BuBland bekommt einen Teil von Turkisch-Armenien mit dem vielumstrittenen Kars und eine entspreckende Kriegskostenentscbadigung; 2.) das Band zwi- schen Donau und Balkan und im Sudwesten bis zum Bilo Dagh wird zu einem selbstandigen, der Pforte tributpflichtigen Fiirsten- tume Bulgarien erhoben, 2 das Band sudlicb vom Balkan bis gegen Adrianopel, Ostrumelien genannt, bleibt zwar bei der Tiirkei, erhalt 1 In Reichstadt Avurde bestimmt, daB Osterreich in einem Kriege RuBlands mit der Tiirkei neutral bleiben vrnile, dafiir Bosnien und die Herzegowina besetzen diirfe. 2 Die kirchliche Befreiung Bulgariens war bereits im Jahre 1870 durcli seine Trennung vom griechischen Ratriarehat und die Errichtung des bulgarischen Ex- archats erfolgt. Die gegenwiirtige politisehe Lage. 207 aber einen christliclien Gouverneur; 3.) Osterreich besetzt Bosnien und die IBerzegowina, um diese Landschaften zu beruhigen und zu verwalt