Lehrbuch der Geschicltte fiir die oberen Klassen der Grymnasien VOll Andreas Zeehe k. k. Gymnasial - Direktor in Villaeh. Zweiter Teil: Yoni Begin ies Mittelalters Ms ni Aiishcli Ses 30jalir. Krieges. Dritte, im wesentlickeii ungeanderte Auflage. Mit ErlaB des h. k. k. Miuisteriums fur Kultus und Unterricht vom 22. Oktober 1906, Z. 37.681, als zum Unterriclitsgebrauche allgemein zulassig erklart. Preis gebunden 2 K. 80 li. Laibach 1906. Druek und Verlag von Ig. v. Kleinmayr & Fed. Bamberg. O5005203Š V o rwort. I)er Text des zweiten Bandes meines Lehrbuches hat in der neuen Anflage mir sehr wenige Anderungen erlabren; einige Kiirzungen wurden bei der Darstellung der Zustande in der altgermanischen und in der Merowingerzeit vorgenommen. Bie im ganzen geringftigigen Zusatze in den Noten betreffen hauptsachlich die Aufnahme von Fremdwortern als Folge fremder Kultureinflusse, die sich zu verscbiedenen Zeiten gel- tend gemacbt, und den Himveis auf Redewendungen, die sich als Erinnerung an alte Rechtseinrichtungen bis zur Stunde erbalten haben. A n Bor dem ist nur noch in mebreren Noten der fortschreitenden Entwicklung des Stadte\vesens gedacbt \vorden. A. Zeehe. I n h a 11. Einleitung Seite 1 Vorgeschichte (bis 476 n. Chr.). Scito I. Name, Einteilung und Wohn- sitze der Germanen ... 3 II. Die religiosen, staatlichen und gesellschaftlichen Zustiinde; die Sitten deralten Germanen 4 A. Die Religion.4 B. Die staatliclien Zustande . 8 C. Die gesellschaftlichen Zu¬ stande .11 D. Charakterz iige der Germanen 12 II. Die Romer und die Germanen 13 A. Bis zum Einbruche der Hunnen und dem Be- ginne derVolkerwanderung (113 v. Chr. bis 375 n. Chr.) 13 1. Kriege.13 Das Mittelalter Erster Zeitraum. •• Vom Sturze des \vestromisch en Roiches bis zurThronbesteigung der Karolinger (476 — 751). Erstes Kapitel. Die germanisch- arianischen Reiche und die Herrschaft der Byzantiner in Italien. I. Das Reich Odoakers (476 bis 493) . 23 II. Das Reicli der Ostgoten (493 — 552) . 23 2, EinfluB der Romer auf die inneren Verhiiltnisse bei den Germanen . . 15 B. Vom Beginne der Volker- ivanderung bis zum Unter- gange des \vestromischen Reiclies (375 —476) . . 16 1. Vom Einbruche der Hunnen in Europa bis zum Auftreten Attilas (375 -445) .... 17 2. Attila (445 — 453) . . 19 3. Der Sturz des wesl- romischen Reiches; Odoaker (476) ... 21 4. Die iviclitigsten Folgen der Volkerwanderung . 21 (476 —1492). III. Justiniau I. (527 — 565) und die byzantinische Zwischen- herrschaft in Italien (555 bis 568). 26 IV. Die Herrschaft der Lango- barden (568 — 774) ... 27 iiveites Kapitel. Das Frankenreich unter den Meroivingern. I. Grtindung, Erweiterung und Verfall des Reiches ... 28 A. Die Frankeu vor Chlodvvig 28 VI Seite B. Cblodwig (481 — 511) . . 28 C. Chlodwigs Nachfolger . . 30 D. Die Wiedererhebung des frankiscken Reiches unter dem Einflusse der Arnulfinger (Karolinger) 32 II. Die Verfassung des fran- kiscben Reiches; gesell- schaftliche Zustande . . 33 Drittes Kapitel. Die Kirche im Zeitalter der Merowinger. I. Die zunelimende politischo Iiedeutung des Papsttums 38 11. Die Christianisierung der Angelsachsen und der Deutschen.39 III. Entsteliung neuer Irrlehren 41 IV. Das Monchswesen .... 41 Viertes Kapitel. Die Literatur und Kunst im Zeitalter der Merowinger. I. Die Literatur.42 II. Die Kunst im ostromischen Reiche; das Erbe d. Antike 43 Fiinftes Kapitel. Der Islam. I. Mokammed (f 632) ... 44 II. Das Wahl-Ivalifat (632-661) 46 III. Die Omejjadische Dynastie (661 - 750) 47 IV. Der Islam in Spanien (711 bis 1492). 48 V. Die Abbasiden (750 — 1258) 48 VI. Die Kultur des Islam . . 49 Zvveiter Zeitraum. Von der Thronbesteigung der Karolinger bis zum Beginne der K r e u z z ii g e (7 51 — 1096). Erstes Kapitel. Bltite des Franken- reiches. I. Pippin der Kurze (751—768) 61 II. Karl der GroBe (768 — 814) 52 A. Karl als Eroberer ... 52 5. Karls Cliarakter und F’ortleben in der Sage 63 Zweites Kapitel. Verfall und Auf- Msung des Frankenreiches. I. Ludvig der Fromme (814 bis 840). 64 II. Die Reichsteilungen; der Vertrag von Verdun (848) 65 III. Der Mangel einer inneren Einheit des Reiches . . 66 IV. Die Einfalle fremder Volker 66 Drittes Kapitel. Die zunelimende Macht der Kirclie; Nikolaus I. (858-867). 69 Viertes Kapitel. Die Begriindung und Bltite des Deutschen Reiches unter den Konigen aus dem sacbsischen und frankischen Hanse (919 —1125). I. Die sachsischen Kaiser (919 bis 1024). 71 A. Heinrich I. (919 — 936) . 71 B. Otto I. der GroBe (936 bis 973). 73 VII Seite C. Otto II. (973 — 983) . . . 77 D. Otto III. (983 — 1002) . . 78 E. Heinrick II. der Heilige (1002 — 1024) .... 80 II. Die frankischen (salischen) Kaiser (1024—1125) . . 81 A. Konrad II. (1024 — 1039) 81 B. Heinrick III. (1039 1056) 83 C. Heinrich IV. (1056 — 1106) 85 1. Die Zeit der Vormund- sckaft (1056 — 1065) . 85 2. Der Aufstand der Sack- / sen (1073-1075) . . 86 3. Die Emanzipation des Papsttums (1049 bis 1073). 87 4. Der Investiturstreit (1076-1122) .... 88 5. Der Abfall der Soline vom Kaiser (1093 bis 1106).91 D. Heinrick V. (1106 — 1125) 92 Dritter Zeitraum. Vom Beginne der Kreuzziige bis zur Thronbesteigung Rudolfs von Habsburg (109 6 — 127 3). Erstes Kapitel. Die Kreuzziige (1096-1270) I. Der erste Kreuzzug (1096 bis 1099). 94 II. Die geistlicken Ritterorden 96 III. Der ziveite Kreuzzug (1147 bis 1149).97 IV. Der dritte Kreuzzug (1189 bis 1193) ....'■. 98 V. Der vierte sogenannte Kreuz¬ zug (1202 — 1204) . . . 100 VI. Der fiinfte Kreuzzug (1228 bis 1229). 101 VII. Die damalige Stimmung in Europa.102 VIII. Der sechste (1248—1254) und siebente (1270) Kreuzzug 102 IX. Das Ende der ckristlichen Herrscliaftin Syrien(1291) 103 Seite Zweites Kapitel. Deutsckland unter der llerrschaft der Staufer (1138—1254). I. Konrad III. (1138-1152) . 104 II. Friedrich I.Barbarossa (1152 bis 1190) 105 III. Heinrick VI. (1190-1197) 111 IV. Philipp von Schivaben (1198 bis 1208) und Otto IV. der Welfe (1198-1214) 112 V. lnnozenz III. (1198 —1216) 113 VI. Friedrich II. (1212 - 1250) 115 VII. Der Untergang der Staufer (1250 — 1268) .... 119 Drittes Kapitel. Die Kultur im Zeit- alter der Kreuzziige und der Staufer. I. Die Religion und Kirche . 121 II. Der Ritterstand .... 122 III. Die Literatur.124 IV. Die Bildungsstatten der Zeit 126 V. Die Kunst.127 A. Die Baukunst.127 B. Die Plastik und Malerei . 130 VI. Die materielle Kultur . . 130 Viertes Kapitel. Verfassung, Recht u. Volksivirtschaft im Deutsehen Reiche. I. Die Rechtsquellen .... 131 II. Das Reich und seine Be- ivohner.132 III. Die Verfassung.133 IV. Die deutsclie Kolonisation . 137 Vierter Zeitraum. V on der Thronbesteigung Rudolf s von Habsburg bis zum Ende des Mittelalters (1273 — 149 2). Erstes Kapitel. Die Ivonige aus ver- sckiedenen Hausern (1273—1347). 1. Rudolf I. von Habsburg (1273 bis 1291).138 II. Adolf von Nassau (1292 bis 1298). 142 III. Albrecht I. (1298-1308) . 142 IV. HeinrickVII. von Luxemburg (1308-1313) .... 144 VIH Seite V. Ludwig IV. der Bayer (1314 bis 1347) und Friedrich der Schone (1314 —1330) . .145 Z\veites Kapitel. Die Luxemburger (1347-1437). I. Karl IV. (1347-1378) . .148 II. Wenzel I. (1378-1400) . 150 III. Der grofie Stande- und Stiidte- krieg in Siiddeutschland unter Karl IV. u. IVenzel 151 IV. Siegmund (1410 -1437) . 154 V. DerVerfallderKircheunddes Papsttums; die Reform- bestrebungen; die Hus- sitenkriege (1419 — 1436) 155 Drittes Kapitel. Die Habsburger (1438- 149 ). I. Albrecht II. (1438— 1439) . 162 II. Friedrich III. (1440-1493) 162 Seite Viertes Kapitel. Die Kulturstaaten im \vestlichen und sudlichen Europa. I. Italien.168 II. Frankreich.171 III. England.174 A. Die Angelsachsischo I)y- nastie (827—1016) . .174 B. Die Herrschaft der Diinen (1016-1042); EduardIII. (1042—1066) . . . .174 C. Die Normannische Dynastie (1066—1154) .... 175 D. Das Ilaus Anjou oder Plantagenet, (1154-1399) 175 E. Die Hauser Lancaster und Yorlc (1399 — 1485) . . 177 IV. Die Pyrenaische Halbinsel . 178 Das Ende des Mittelalters . . . 179 Vom Mittelalter zur Neuzeit. I. Die Erfindungen .... 180 II. Die Entdeckung Amerikas und die Auffindung des See\veges nach Ostindien 181 A. Die Entdeckung Amerikas 181 ]}. Die Auffindung des See- weges nach Ostindien und die Erricbtung der portugiesischen Herr- schaft daselbst . . .184 C. Die wichtigsten Folgen der Entdeckungen . . 185 1. Folgen ftir Europa . . 185 2. Folgen fiir Amerika . 186 III. Die Wiedererweckung des klassischen Altertums (der Humanismus) .... 186 A. Der Humanismus in Italien 187 B. Der Humanismus in Deutschland .... 188 C. Die wichtigsten Folgen der Wiedererweckung des klassischen Altertums . 189 IV. Die Renaissance .... 191 A. Die Renaissance in Italien 191 1. Die Baukunst, . . . .191 2. Die Plastik.192 3. Die Malerei . .193 II. Die Renaissance im Norden der Alpen . . . 194 1. Die Baukunst .... 194 2. Die Plastik.194 3. Die Malerei . . . .195 Die Heuzeit. Erster Zeitraum. Das Zeitalter dor Roformation und Gegenreformation (1492 his 16 48). Erstes Kapitel. Die Reformation. 1. Die Reformation in Deutseh- land.197 A. Maximilian I. und die all- gemeinen Zustande in Deutschland beim Be- ginne- der Reformation 197 1. Maximilian I. (1493 bis 1519) .197 IX Seite 2. Die allgeineinen Zu- stande in Deutschland beim Beginne der Re- formation.200 B. Martin Luther und das Prinzip der Reformation 202 C. Karl V. (1519—1556) und Luther; das Wormser Edikt.205 D. Die Hemmnisse der Re- formation.205 E. Die Forderungen der Re¬ formation .208 F. Die Ausbreitung der Re¬ formation in Deutsch¬ land bis zum Niirn- berger Religionsfrieden (1521—1532) . . . .209 G. Die Bekampfung des Protestanti smus durch Karl V. (der Sclimal- kaldische Krieg), das Interim und der Augs- burger Religionsfriede (1546 — 1555) . . . .211 II. Die Reformation in der Sckweiz.213 III. Derllohepunktdesdeutschen Protestantismus unter Fer¬ dinandi. u. Maximilian II.; die Begriindung der oster- reicbi sch-ungarischen Mon- arcliie; Kampfe mit den Standen; dieTilrkenkriege 215 A. Ferdinand I. (1556-1564) 215 B. Maximilian II. (1564 bis 1576). 217 IV. Die Reformation in Frank- reick(1498-1610); d.Dyna- stien Valois und Bourbon 218 V. Die Reformation in England und Schottland .... 221 A. Die Reformation in Eug- land unter dem Hause Tudor (1485—1603) . 221 Seite B. Die Reformation in Schott¬ land unter den Stuarts 224 C. Religiose und politisclie Kampfe unter den ersten zwei Stuarfs in GroB- britannien und Irland (1603 — 1649) .... 225 1. Jakob I. (1603 — 1625) 225 2. Karl I. (1625-1649) . 226 VI. Die Reformation in Dane- mark, Norwegen und Schweden.228 Z w e i t e s Kapitel. Die Gegen- reformation. I. Die kirchliclie Gegenrefor- mation.229 II. Philipp II. von Spanien an der Spitze der politischen Gegenreformation im west- lichen Europa .... 232 A. Philipp II. (1556 — 1598) . 232 B. Der Unabhangigkeitskampf der Niederliinder (1568 1648). 233 C. Die Fortsetzung der kirch- lichen Politik Pliilipps II. unter seinenNachfolgern Philipp III. (1598-1621) und Philipp IV. (1621 bis 1665). 237 Lage der weniger bekannten Orte 238 Beilagen. I. Stammtafeln ...... 241 II. Die Papste.250 III. Die StraBburger Eide (842) 252 IV. Urkunde uber die Belehnung der Habsburger mit den osterreichischen Landern (1282). 253 V. Stadtrecht.255 VI. Weistum.257 Eanleitung. 1. ) Der Inlialt der Geschichte des Mittelalters. Die geschicht- liche Entwicklung im Mittelalter (476 — 1492) berulit liauptsach- lich auf dem Aufeinanderwirken folgender drei Faktoren: a) Dein Erbe der antik-klassischen Kultur (I. 263). Dieses iiufiert sich namentlich auf dem Gebiete des staatlichen Lebens, der Literatur und Kunst. b ) Dem Cliristentume. Das Cbristentum iibt auf alle Zweige des staatlicben und Kulturlebens einen mafigebenden EinfluB aus; der Geist der Selbstentsagung und die Kiicksicht auf das Jenseits unterscheiden das Mittelalter wesentlich vom Altertume (I. 54). c) Dem Germanentuine. Dieser Quelle entstammen das Selbstandigkeitsgefiihl des Einzelnen dem Staate gegenuber, die zahlreichen Fehden und Kampfe scvvie die geringe Autoritat des mittelalterlichen Staates. Hiezu kornmen, von auBen wirkend, die iiberwiegend feind- lichen Beziehungen zum Islam. 2. ) Der Schauplatz der Geschichte des Mittelalters. Wabrend die Geschichte des Altertums hauptsachlich auf die Lander am Mittelmeere bescliriinkt ist, erweitert sich jetzt der Schauplatz iiber ganz Mitteleuropa, bis an die Kord- und Ostsee. Der Korden und Osten des Erdteiles nehmen noch nicht in selbstandiger Weise an der Kulturentwicklung teil. S.) Die Quellen. Die wichtigsten — literarischen — Quellen zur Geschichte des Mittelalters sind: a) Die Drkunden, von denen freilich viele gefalscht sind. Mit der Untersuchung der Echtlieit der Urkunden bescliaftigt sich die Diplomatih. Fiir die zweite Ilalfte des Mittelalters sind sie die wiclitigste Quelle. b) Die Annalen , die IIauptquellen fiir die altere Zeit. Sie bringen die bedeutsamsten Ereignisse, Jahr fiir Jahr erzahlt, ohne inneren Zusammenhang. Ahnlich den Annales maximi (I. 149) stehen sie mit dem Kalenderwesen im Zusammenhang, Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 1 2 Einleitung. indem den Ostertafeln, d. h. den Verzeichnissen der Tage, auf \velcben in den folgenden Jabren die Ostern fielen, kurze gescbicbt- liche Bemerkungen beigefiigt wurden. c) Die ChroniJcen. Sie sind meist kurze Abrisse der Weltgeschichte mit einer ausfiibrlicberen Darstellung der Zeitereignisse; im Gegensatze zu den Annaleu stellen sie den Stoff in zusammenbangender Weise dar. Die altere Zeit beruht fast immer auf der Ohronik des Kirchenvaters Hiero- nymus, der selbst wieder von Eusebius abhangig ist (I. 261). d) Die Briefsammlungen; z. B. Codex Carolinus, d. h. die Samm- lung der Briefe der Bapste an Karl den Groben, Registrum Gregorii, Briefe Gregors VII. u. a. e) Die Biographien , z. B. vita Oaroli Magni. /) Die Legenden der Ileiligen, die eine uberwiegend kultur- geschicbtlicbe Bedeutung haben. Die eigentumlicben Scbriftzuge des Mittelalters (und Alter- tums) lebrt die Paldographie lesen. In der alteren Zeit sind die Gescbichtscbreiber Geistlicbe, namentlicb Moncbe, in der spiiteren uberwiegend Angehorige des Ritter- und des Biirgerstandes, daber die Statten der Geschicbt- scbreibung die Kloster, bezw. aucli die Stadte. Seit dem 13. Jabr- hunderte tritt bei den meisten Volkern nach und nacb die Landes- spracbe an Stelle der lateinischen. P) Die Neuzeit. Die Geschichte der Keuzeit umfaBt die Er- eignisse von der Entdeckung Amerikas (1492) bis zur Gegenwart. In diesem Abschnitt erweitert sich der gesebichtliche Sebauplatz uber Amerika, das Christentum wird wahrbaft zur Weltreligion, der bisherige Kustenbandel zum Welthandel. Mit der zunehmenden Ausbildung der einheimiscben Spracben wird die lateiniscbe melir und inebr auf das Gebiet der Kirche und der Tbeologie ein- geschrankt. Vb r ge s c Y\ i c ti t e. I. Name, Einteilung und VVohnsitze der Germanen. Die Germanen zerfielen bei ihrem Eintritt in die Geschichte (I. 48) in zahlreiche Volkerschaften, fiir die sie keinen Gesamt- namen hatten. „Germanen“ ist ein keltisches Wort und bedeutet wahrscheinlich „]Srachbarn“. Die Romer unterscheiden die Ger¬ manen bestimmt von allen anderen Volkern; Tacitus hebt besonders ilire KorpergroBe, ihre blauen Augen und ihr blondes Haar hervor. 1 2 In sprachlicher Beziehung werden sie in Ost- und West- germanen eingeteilt; zu j en en gehoren die Volkerschaften der gotischen Gruppe und die Skandinavier, zu diesen die Langobarden, Angelsachsen und diejenigen Volkerschaften, aus denen sich spater das deutsche Volk bildete. Die Westgermanen hatten eine Ab- stammungssage (I. 49) ; sie leiteten namlich ihren Ursprung vom Gotte Tuisko, seinem Sohne Mannus und seinen Enkeln Ingo, Iško und Irmino ab. Kach den letzteren hieBen die Volkerschaften an der Nordsee Ingdvonen, die am rechten Rheinufer vom Main abwarts Istavonen und die im inneren Deutschland Ilermionenj 2 ein klei- nerer Kreis der letzteren waren die Sweben, von denen die Schwaben abstammen. Die altesten Wohnsitze der Germanen lagen an der Elbe und Oder nordlich vom Deutschen Mittelgebirge. Zur Zeit des Augustus sind sie im Osten bis iiber die untere Weichsel ausgedehnt, im Westen und Siiden bildeten in der Kaiserzeit im ganzen der Rliein imd die Donau die Grenzen der freien Germanen gegeniiber dem Romerreiche. Doch sind die Germanen damals schon im Vordringen iiber den Rhein begriffen und suchen sich weiter auf Kosten der 1 Časar (b. G. 1.39) betont bei den Germanen: acies oculorum et ingens magnitudo corporum (vgl. aueh IV. 1). 2 Diese drei Namen bedeuten wahrscheinlich Kultusverbiinde, nach Art der Amphiktyonien (1.83). 4 Vorgescliichte. Kelten auszubreiten, nachdem sie diese bereits aus einem Teile Deutschlands 1 verdrangt batten (I. 227). Deutschland war damals ein rauhes, von vielen Waldern und Siimpfen bedecktes Band, so dab mir selten das bellere Griin der Saaten das dunklere der Walder und Wiesen unterbrach. Zahlreiche wilde Tiere, wie Auerochsen, Bar en, Wolfe u. a., lebten in den VValdern; daran erinnern noch jetzt Ortsnamen, wie Aurach (Auer- ochswasser), Urach, Ebracb, und Personennamen, wie Wolfgang, Bernhard u. a. 2 II. Die religiosen, staatlichen und gesellschaftlichenZustande; die Sitten der alten Germanen. Quellen. Die Geschichte der Germanen konnen wir, dank den Berichten der Komer, namentlich Casars und Tacitus’, weiter zu- riickverfolgen als die eines anderen Volkes, namlich bis in die Zeit vor dem Ende der Wanaerungen. VerhaltnismaBig am sclileclitesten sind wir liber ilire Keligion unterrichtet, da uns die Romer nur ver- einzelte Bemerkungen dariiber binterlassen haben. Wir schopfen die Kenntnis der germanischen Beligion besonders aus volkstiim- lichen Sagen und Gebrauchen der Gegenwart, aus Inschriften, Graberfunden (Waffen und Schniuckgegenstanden) und aus ein- heimischen literarischen Denkmalern, wie den Skaldenliedern, vor allen denen der alteren Edda. Diese ist eine auf Island entstandene Sammlung von Gotter- und Ileldengesangen, deren alteste dem aus- gehenden 9. Jakrhundert angehoren diirften. Dbrigens sind die religiosen Anschauungen der nordisehen und der festlandischen Germanen miteinander zwar nahe verwandt, aber nicht gleich; selbst die einzelnen Stamme der letzteren hatten verschiedene Mythen (I. 50). A. Die Religion . 3 1. Weltschopfung und Weltuntergang. jSTach derEdda lierrschten anfangsFinsternis undiSTebel (1.50) ; spater entstand Ymir, der Stammvater der Riesen. ISTacli ibm kamen 1 Die Namen: Alpen, Taunus, Rhein, Donau, Lech, Isar, Main, uberhaupt fast alle groBeren Nebenfliisse des Rheins und der Donau, werden aus dem Keltisehen erklart. 2 B. Krnili, Historische Geographie Deutschlands im Mittelalter. Breslau 1903. Die Ortsnamen auf -seifm deuten auf einstige Sumpfgegenden hin. 1 E. Mogh in H. Pauls Grundrifi der germanischen Philologie, Strafiburg 1891; F. Kcmffmann, Deutsche Mythologie, 2. Aufl. 1893 (Sammlung Gosehen). Zustande bei den alten Germanen. 5 die Gotter, die jenen erschlugen; aus seinem Schadel bildeten sie das IIimmelsgewolbe, aus den Knochen die Berge, aus den Ilaaren die Baume u. s. w. Hierauf schufen sie die Zwerge und die Men- schen. Um die Erde windet sich das Meer, in dem die Weltschlange rulit, die Esche Yggdrasil verbindet Himmel, Erde und Ilolle. Einst Avird alles Geschaffene, einsclilieBlich der Biesen und Gotter, nach gewaltigem Kampfe zwischen beiden durcb Eeuer zugrunde gehen {Muspilli, d. h. Weltvernichtung; Gotterdammerung) ; es entsteht aber eine neue Welt, in der es kein Leid und keine Scliuld gibt. E euerc Forscbungen haben ergeben, dal.] Einzelheiten dieses Be- richtes der christliehen Lehre entlehnt sind. 2. Die Gottheiten. Die germanischen Gotter sind infolge der spateren Christiani- sierung der Germanen weit weniger scharf individualisiert als die griechischen (I. 150) ; docli sind sie iiber die Stufe der bloBen Personifikation der Naturkrafte (I. 48) sclion liinaus und daher vielfacli ins menschliche Treiben hineingezogen (I. 51). Da die Hauptleidenschaft der Germanen, welche, zwischen anderen Volkern seBhaft, steter Kampfe gewartig sein muBten, der Krieg war, so liaben aucli ikre Gotter einen Icriegerischen Cliarakter (I. 55). Sie wohnen im Himmel, Wodan selbst in der goldglanzenden Walhalla. Wieder ist der Kampf zwiscken den lickten und den finsteren Mach- ten der Mittelpunkt der Mytlienbildung (I. 29). Die wichtigsten Gotter waren AVodan, Donar und Ziu. a) W6dan (oberdeutscli AVuotan, nord. Odliinn) von vatan == wehen. a) Physische Bedeutung. AVodan ist ein Himmels- und Wind- gott. Er ist die alles durchdringende und schaffende Kraft, die durcli den Begen die Erde befruchtet. Seine Macht auBert sick im Sturme, wenn er mit seinen Genossen zur Jagd ausziekt. Aus dieser Vorstellung entstand vielleicht die Sage vom wiitenden Heere und \vilden Jager; nock jetzt sagt man in Mecklenburg: „Der AVode jagt“ und laBt fast in allen germanischen Landern ein Biiscliel A hren fiir ikn stehen. d) Ethiscke Bedeutung. Audi im menschlichen Leben ist AVodan die schaffende Kraft; er ist der Erfinder der Schlacktordnung, er verleiht den Sieg, die Gabe der Dicktkunst, AVeiskcit und Zauberei. Die Skalden macken ihn unter christlichem Einflusse zum Vater der Menschen (,,Allvater“) und Schopfer der AVelt. Er kalt sieh in 6 Vorgeschiehte. Bergen auf; daher gibt es zahlreiche Wodansberge in Deutschland (Odemvald), England nnd Skandinavien. Sein Verweilen in Bergen liegt der Sage vom bergentriickten Ivaiser zugrunde. b) Donar (nord. Thor), der starkste und nach Wodan mach- tigste Gott, war der besonders verehrte Volksgott. Er ist der Donner- gott, der den befruchtenden Regen sendet und mit seinem Hammer einscbliigt; daher wurde er der Schutzgott des Hauses und des Aekerbaues. Kach ihm sind der Donnerstag und der Donnersberg benannt. 1 c) Ziu oder Zio (I. 50, nord. Tyr), auch Er oder Ir genannt, wurde durch Wodan von der liochsten Stelle verdrangt. Er ist der eigentliche Kriegsgott; gleich Ares stiirzt er sich in den Kampf. Kach ihm ist der Dienstag benannt, der noch jetzt in Bayern und Osterreicli mundartlich Er- oder Irtag heiBt. Diese drei Gotter wurden bei den Germanen am meisten ver- ehrt. Kur im Kor den bezeugt sind der Sonnengott Freyr sowie der milde und weise Baldur, welcher der Tiicke Lokis, des einzigen bosen Gottes, zum Opfer fallt. Die Gottinnen haben eine besondere Vorliebe fiir die Be- schaftigungen und Kunste des Friedens und schiitzen den Land- mann. Sie ziehen belehrend, belohnend und strafend im Lande umher und gewinnen dadurch einen traulichen Charakter. In ihrem AVesen fallen sie fast zusammen und sind beinahe nur durch ilire Kamen unterschieden. AuBer Frija (nord. Frigg), der Gemahlin AVodans, nach welcher der Ereitag benannt ist, sind besonders zu erwiihnen: Nerthus, die von den Ingavonen verehrt wurde; Holda in Mitteldeutschland, die mit der siiddeutschen Perchta (Berta) zusammenfallt; H el, die Gottin der Unterwelt, zu der die an Krank- heit oder Altersschwache gestorbenen Menschen kommen. Kach der Christianisierung der Germanen -vvurde sie lokal aufgefaBt („Holle“). AuBerdem kennt die Edda untergeordnete Gottheiten im Dienste AVodans; so die Nornen, den Parzen vergleichbar, die man sich als spinnend oder webend vorstellte, und die Walkuren, Schlachtenjungfrauen, welche die im Kampfe gefallenen Helden (AVal) zu AVodan geleiten, wo sie sich an Kampf, Jagd und Gelagen erfreuen. 1 Zur Zeit des Tacitus war W8dan schon in vielen Gegenden Deutselilands der hocliste Gott. Zustande bei den alten Germanen. 7 3. Die Verehrung der Gdtter; Erforschung der Zukunft und Stellung der Priester. Die Gdtter wurden durch G eh el und Opfer / die iiberwiegend blutig tvaren, verelirt; auBer Haustieren, besonders Pferden, wurden auch Kriegsgefangene, Sklaven und Verbrecber dargebracbt. Den Germanen eigentiimlich \var das Anziinden von E euern, das Trinken zum Gediichtnisse (Minne) der Gotter, der Schwertertanz der Jiing- linge zu Ehren Zius. Die Gdtter wurden zumeist im Freien, nament- lich in Hainen, verehrt; doch gab es auch schon einzelne Tempel, in denen Symbole (I. 52, 87 u. 150) und Abbilder der Gottheiten verehrt wurden. Als besondere Eestzeiten galten die Zeit der Winter- (nord. Julfest, 1 2 * * unsere Weihnachten) und der Sommersonnenwende (von der Kirche auf den 24. Juni verlegt). Behufs Erforschung der Zukunft beobachtete man das Wiehem weiBer, zu Ehren der Gdtter gehaltener Pferde, den Elug der Vogel, das Rauschen der Baume und das Murmeln der Quellen (I. 52), man achtete ferner auf den „Angang“, die Begegnung von Tieren oder Menschen (noch jetzt teilweise bei Jagern erhalten). Am Avichtigsten aber war das Losiverfen, v r obei Buchenstabe (daher ,,Buchstabe a ), die mit geheimnisvollen Zeichen versehen waren, auf ein ausgebreitetes Tuch geworfen wurden;' aus den zufallig auf- gelesenen Štaben (daher „lesen“) mirde die Zukunft gedeutet. 8 Im Gegensatze zu den Kelten (I. 226) kannten die Germanen keinen geschlossenen Priesterstand, vielmehr verrichtete die reli- giosen Ilandlungen jeder Hausvater fiir seine Familie (I. 31), der Konig oder Fiir st fiir die Volkerschaft. Doch genossen die Priester als Hiiter des Gesetzes groBen EinfluB. Besonders angesehen waren die ,,weisen Frauen“, denen man die Gabe der Zauberei und Weis- sagung zuschrieb; daraus und aus Resten antiken Aberglaubens ent- Avickelte sich im Mittelalter der IIexenwahn. .4. Die Riesen. Die Riesen, denen gewaltige Korperkraft zugeschrieben wird, stellen die groBartigen, dem Menschen iiberwiegend feindlichen Krafte der JSTatur dar, daher werden Eis-, Berg-, Wind-, Wasser- 1 Noch jetzt werden in manchen Gegenden Kukuruzkolben an Bildstockcn aufgehilngt. 2 bcdeutct wahrscheinlich Scherz. Die bei dem Feste iibliehen ver- mummten Gestalten leben heute noch als Nikolaus, Rupreeht u. s. w. fort. Ciis. d. b. G. I. 50 (sortes). 8 Vorgesehichte. und andere Riesen unterschieden. Im Gegensatze zur griechischen Anschauung (I. 51) miissen die Gotter, namentlich Donar, bis zum Weltuntergange mit ihnen kampfen. Die Sage laBt sie mitunter in Steine verwandelt werden (Frau Iliitt bei Innsbruck); sie gelten als Erbauer der Hiinenbetten, der aus riesigen Steinen errichteten vor- geschichtlichen Graber im nordwestliclien Deutschland. In der er- haltenen Gestalt sind sie ganz nordisch, im Marchen erscheinen sie oft als Menschenfresser. 5. Die Zwerge (Elben, Elfen). Die Z\verge sind teils die Seelen der Abgeschiedenen, teils Diimonen, d. h. in der Natur wirkende Wesen (I. 48). Sie zerfallen in LicMeTben, die dem Menschen freundlich, und in Schwarzelben, die ihm feindlicli gesinnt sind; gerne necken sie ihn auch, wobei ihnen die Gabe, sich unsiclitbar zu machen, zugute kommt. Nach dem Aufenthaltsort unterscheidet man die grausamen Nixe und Nixen des Wassers, die eigentlichen Elben auf Bergen und in Waldern (die „saligen Fraulein" in den Alpen), 1 die Ilausgeister, wie IVichtelmannchen, Kobolde u. a., die sicb auf dem Ilerde auf- halten (I. 151) und ihre Dienste dem Menschen freiwillig anbieten. Wegen ihres Aufenthaltes in Bergen sind sie treffliche Schmiede (Wieland). Sie spielen eine grobe Rolle im Marchen. B. Die staatlichen Zustande . 2 1. Die staatliche Gliederung der Volkerschaften. Die An- siedlung erfolgte nach Geschlechtern und Familien (I. 156) teils in Dorfern, teils in Einzelhofen (Einoden). 3 Jede Volkerschaft (civitas) fiihrte, wie die Samniter beim Ausbruche der Kriege mit den Romern, fiir sich ein selbstandiges staatliches Leben. Ilir Gebiet 1 Salig (ahd.) = gliicklich, heilsam. 2 Die Darstellung beruht hier und spater auf: W. Arnold, Deutsche Geschiehte, 2 Bande, die mit Karl dem GroBen enden, 3. Aufl., Gotha 1881 ff.; K. W. Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes, 3 Bande (bis 1555), Leipzig 1883—85; H. Brunner, Deutsche Itechtsgeschichte (bisher 2 Biinde), Leipzig 1887—92; It. Schroder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Leipzig 1898; K. Lamprecht, Deutsche Geschichte (bisher 7 Biinde), die bis ins 18. Jahrh. reichen), Berlin 1891—1905; G. Freijtag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 4 Biinde, 20.—22. Aufl., Leipzig 1895; H. Brunner, Grundziige der deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Leipzig 1905. 3 Noch jetzt herrseht in Deutsehland die Ansiedlung nach Einzelhofen in abgelegenen Gebirgsgegenden und im Westen der Weser. Zustande bei den alten Germane n. 9 zerfiel in Gaue (pagi), dcren Zalil und GrbBe sehr verschieden war; cine Unterabteilung des Gaues bildeten die Hundertschaften, die eine Anzahl von Ortsgemeinden umfaBten. 1 2. Die Landesgemeinde. Die Volkerschafts-V ersammlung, an der alle Heerpflichtigen der Vdlkerschaft teilnahmen, liatte poli- iische Redite, und zwar: a) Walil der Konige, der Herzoge und k iirsten; b) Entscheidung iiber Krieg und Frieden; c) Wehrha£t- inachung der Jiinglinge; d) Verleihung des Waffenrechtes an Frei- gelassene; auBerdem kam ihr die Verurteilung der Staatsverbrecher zu (S. 10). Von einer Gesetzgebung kann kaum gesprocben iverden. In der Regel trat die Landesgemeinde bei Keu- oder Vollmond zusammen. Gemeinsame Verhandlungen mehrerer Volkerschaften fanden damals nur zu Opferzwecken statt (vgl. die Arnphiktvonien L 83). 3. Konig, Fiirst, Herzog; Gefolge. In der Urzeit gibt es nur Volherschaftslcdnige. Die Entsteliung des Konigtums bei den Ost- gcrmanen entzieht sich unserer Kenntnis, dagegen erfolgt der tTber- gang zum Konigtume bei den „republikanischen“ Westgermanen teilweise vor unseren Augen. Die Rechte des Konigs, der aus dem hocbsten adligen (dem konigliclien) Geschleclite stammte, waren beschrankt. Er war der Anfiihrer im Kriege, der oberste Beamte und Priester im Frieden. Seine Einkunfte bestanden im Ertragnisse seines bedeutenden Grundbesitzes, in einem groBen Anteil an der Bcute, in den Strafgeldern und freiwilligen Gescbenken (I. 64). Die republihanischen Volkerschaften liatten im Frieden nur Vorsteher (Fursten) der Gaue an der Spitze, die auf Lebenszeit. gewahlt wurden; sie waren die ordentlicben Ricliter im Frieden und die Anfiihrer im Ifriege. Die ropublikanisclien Volkerschaften setzten nur fiir die Dauer eines Krieges einen gemeinsamen Heer- fiihrer, Herzog genannt, an ibre Spitze. Die Konige, Herzoge und Fiir sten hatten das Recht, sich mit einem Gefolge (comitatus)" zu umgeben. Dieses beruhte auf einem Treuverhaltnisse, das den Herrn zum Schutz, TJnterhalt imd zur kriegerisclien Ausriistung der Gefolgsgenossen, diese dagegen zur unbedingten Hingabe an den Herrn verpfliclitete. 4. Das RechtsvvesGi. a) Die Gerichtsverfassung. Fiir die Rechtsprechung hatte jede Hundertschaft eine Ding- oder Malstatt 1 Die ausgedehnte Ebene rief im Osten grofiere, das umvegsame Waldgebirge iin Westen kleine staatliche Gtebilde ins Leben. 10 Vorgeschichte. (mahal = Sprache, Gericht), die an eine alte Opferstatte gebunden war. An dem Gerichte beteiligten sich auBer dem Eiirsten samtliche dingpflichtigen (waffenfahigen) Bewohner der Hundertscliaft. Wahrscheinlich wurde j eden 'Monat ein echtes 1 Gerichtsding ab- gehalten. b) Das Redit. In vorgeschichtlicher Zeit hatte der Yater un- beschrankte Herrschaft iiber Leben und Eigentum seiner Eamilien- mitglieder (I. 157); nocli in der Taciteischen Zeit konnte er neu- geborne Kinder toten oder aussetzen, Weib und Kinder in der Kot verkaufen. Spiiter sank seine Gewalt zu einem Sclrutzrechte (Munt, vgl. Vormund) herab, das bei Sohnen bis zur kVehrhaftmachung, bei Tochtern bis zur Vermalilung dauerte. Tacitus unterscheidet zwischen todeswiirdigen Verbrechen und suhnbaren Freveln. Zu den ersteren gehbrten Landesverrat, Feigheit im Kriege, grober Friedensbruch im Ileere und iin Ding, also Ver- brechen gegen den Staat; die letzteren wurden als Privatsache der verletzten Partei angesehen, welche, wenn keine Aussolmung er- folgte, zur Selbstliilfe sclireiten oder Klage erheben konnte. Es galt daher der Grundsatz: „Wo kein Kliiger ist, da ist auck kein Pichter.“ Die wichtigste Art der Selbstliilfe war die Blutrache (I. 64) ; kam es zur Klage, so verurteilte das Gericht den Schuldigen zur Be- zahlung einer Bufie in Vieli, die, wenn es sich um Totschlag han- delte, Manngeld (werigelt, wer = vir) hiefi. Wurde die BuBe, in die sich Klager und Richter teilten, niclit bezahlt, so verfiel der Schuldige in Eriedlosigkeit oder Achtung, d. h. er vvurde aus der Gemeinde ausgestoBen („Wolf“ oder „Waldganger“). 1 2 3 Blutrache und BuBe waren Sache der beteiligten Geschlechter. c) Das Gerichtsverfaliren. Kachdem der Klager die Klage vor- gebracht hatte, stand dem Angeklagten das Recht der Verteidigung zu. Die wichtigsten Bevveismittel waren der Eid, die Zeugen und Gottesurteiled Gewohnlich brauchte der Schworende eine verschie- den groBe Anzahl von Eideshelfern (Verwandte oder Kachbarn), welche die Reinheit des von jenem abgelegfen Eides zu beschworen hatten. Einige Gottesurteile, wie der Kesselfang (Herausholen eines Gegenstandes aus einem GefaBe mit siedendem Wasser) und die 1 Ein solches vurde an herkommlicher Uingstatte und zu herkSmmlicher Zeit abgehalten. 2 Daher noch jetzt die Redensart: „Jenianden fiir vogelfrei erklaren." 3 Ordal ist ein ags.Wort und \vird daher besser vermieden. Zustande bei den alten Germanen. 11 Feuerprobe (Tragen eines gliihenden Eisens oder Dariiberscbreiten), stammen aus der indogermaniscben Zeit. 1 Der Richter sclilug d as Urteil vor, die Versammlung batte das Recbt, es zu bestatigen oder zu verwerfen; ersteres erfolgte, wie bei der Volkerscbafts-Versamm¬ lung, durcb Waffengeklirr, letzteres durcb Murren. 5. Das Heerwesen. Die Ileerverfassung berubte, wie bei allen jSTaturvolkern, auf der Webrpflicbt aller Waffenf ahigen, die aucb dingpilicbtig waren, so daB Heer- und Landesversammlung zu- sammenfielen. Aucb das Heer war nacb Gauen, Ilundertscbaften und Gescblechtern gegliedert; 2 an der Spitze des Gaues stand der von seinem Gefolge umgebene Eiirst. Als Angriffsivaffen dienten be- sonders die Eramea (StoB- und V/urfivaffe), Scbleuder, Bogen und Pfeile, als Schut'zwaffen Scbilde, das Sahs (ein langes Messer), Streitaxte und Streitbammer: Scbwert und Lanze waren nocb selten. Die Reiterei spielte eine untergeordnete Rolle. Die Schlachtordnung war keilformig; wenn mebrere Volkerscbaften nebeneinander kampften, so bildete jede von ihnen einen eigenen Keil. Den Kampi eroffneten die Sebleuderer und Bogenscliiitzen, worauf die Pramen geworfen wurden. TJnterdessen begann der Ansturm gegen den Feind, dessen Reihen man zu durcbbrecben sucbte. Da die Ger¬ manen keine Reserve aufstellten, muBten sie entweder sofort siegen oder zugrunde geben. Bevor sie von der romiscben Kriegskunst lernten, berubten fast alle ihre Erfolge auf ibrer Kraft, weshalb sie den Hahe- und Einzelkampf liebten. C. Die gesellschaftlichen Zustande. 1. Die Stiinde. Das Volk zerfiel in vier Geburtsstande, und zwar: a) Die Adligen. Der Ursprung des germanischen Adels ist ima unbekannt, seine Mitglieder genossen ein hokeres Wergeld. b) Die Freien. Sie bildeten die groBe Masse des Volkes und gaben in politischen und richterlichen Dingen die Entscheidung. c) Die Horigen. Dieser Stand ist walirscheinlich durcb freiwillige Unter- werfung eines besiegten Volkes entstanden. Die Horigen waren an 1 Dah or die Redewendungen: Die Feuerprobe bestehen, fiir jemanden durchs Feuer gehen, sich die Finger verbrennen. Vgl. D. Gilnther, Deutsche lieehtsaltei- tiimer in unserer heutigen deutschen Sprache. Leipzig 1903. Aus der Starke dei Verletzung und der Raschheit der Heilung ersehloB man die Entscheidung der Gotter. s Cfis. h. G. T. 51; vgl. 11. 11. 362. 12 Vorgeschichte. die Scholle gebunden und dem Staate, nicht dem einzelnen, ver- pllichtet (I. 67). Sie besaBen Grund und Bodcn, der zinspllichtig \var; politische Kechte hatten sie nicbt. d) Die Unfreien. Die Un- freilieit entstammte der Gefangenschaft, seltener der Schuldkneclit- schaft oder der Verheiratung mit einer unfreien Person. Die Un¬ freien galten als Sache ihres Herrn, doch wurden sie milder be- handelt als bei den Grieclien und Iiomern. In der Hegel iiberlieB ihnen der Herr ein Ackerland gegen eine Abgabe. Ilire Zalil war gering. 2. Das Grundeigentum. Časar (b. G. VI. 22) berichtet von den Siveben, daB die Fiirsten den Grundbesitz jahrlich nacli Geschlech- tern und Familien zuweisen, was schon eine Privativirtschaft der einzelnen Hofe voraussetzt. Daneben gab es Almende, Wiese und Wald, fiir die allgemeine Beniitzung, vergleiclibar dem romiscben ager publicus. Obst- und Wiesenbau waren den Germanen noch un- bekannt, der Kornerbau auf die Sommersaat beschrankt. Im ganzen nahmen die Germanen eine Mittelstufe ziuischen Nomadentum und A.nsdssigkeit ein, weshalb auch ikre Hauptnahrung in Fleisch, Milcli und Kaše bestand. Wie leicht kann sich dagegen Časar in Gallien den notigen Proviant verschalfen l 1 3. Charakter des Staatsvvesens. Die patriarchalischen Formen der Geschlechterverfassung (I. 30 u. 36) haben die Germanen hinter sich und sind im Vbergange zum eigentlichen Staate begriffen. Die Spuren der einstigen Geschlechterverfassung erkennen wir noch in der Anordnung des Heeres und der Besetzung des Bandes nach Geschlechtern soivie in deren Befugnissen und Pflichten auf dem Gebiete des Bechts\vesens. In allen Staaten hatte die Volkerschafts- Versammlung die Entscheidung. D. Charakterziige der Germanen. Die Germanen zeichneten sich besonders durcli Einfachheit, Trene, Frommigkeit, Heldensinn und Mannestrotz, Keuschheit, Gastfreundschaft und IVertschatzung der Frauen aus. Ihre grdBten Fehler waren der Hang zum IViirfelspiel und zu Gelagen; im ersteren verspielten einzelne sogar ihre Freiheit, bei den letzteren wurden die Taten der Vorfahren besungen (I. 65). Der Krieg galt ihnen als nationaler Gottesdienst (furor Teutonicus!); im Frieden 1 Vgl. den oft iviederkehrenden Ausdruck: re frumentaria comparata. Kriege mit den Romeni. 13 betrieben sie eifrig die Jagd, die Arbeit dagegen iiberlieBen sie den Greisen, Weibern und Unfreien. Eiir ihre fernere Gescliichte war besonders ihre groBe Bildungsfahigkeit maBgebend, derzufolge sie Trager der weiteren geschichtlichen Entwicklung iver den konnten, tvahrend ihre Sittenreinheit sie vor dem Verderbnis der antiken Welt bewahrte, der die Kelten erlegen sind. III. Die Riimer und die Germanen. A. Bis zum Einbruche der Hunnen und dem Beginne der ^ Volkerwanderung (113 v. Chr. bis 375 n. Chr.). 375 n . Chr. 1. Kriege. a) Die friihesten vereinzelten ZusammenstoBe. Sie dauern von der Zeit des Marius bis auf Augustus. a) Der Krieg mit den Cimbern und Teutonen (113 101; 113-101. vgl. I. 210). Die Ziige dieser Volker (mit Weibem, Kindern, Greisen, holzernen Hausern, Zelten, den Geraten, die fiir jedes Haus mit eigener Marke versehen \varen, zahlreichem Vieh) er- offnen, soviel wir wissen, die geschichtlichen Wanderungen der germanischen Volker. 1 /9) Cdsars Kampf mit Ariovist (58; vgl. I. 227). Dieser war 58. Heerkonig, d. h. Fiihrer beutelustiger Scharen; er betrachtete sicli als Časar ebenbiirtig. Durch seine Miederlage wurde dem weiteren Vordringen der Germanen nach Gallien zunachst Einhalt getan. b) Die Riimer im Angriff auf die Germanen (12 v. Chr. 12 v. bis bis 16 n. Chr.). n ' C!ir ' a) Die vier Feldziige des Drusus (12 — 9 v. Chr.). Mach der 12-9 Ausdehnung der romischen Herrschaft bis an die Donau (I. 239) T - ^ lr - begann Drusus die Unterwerfung der zalilreichen germanischen Volkerschaf ten, die das nordwestliche Deutschland betvohnten und damals iiber den Eiederrhein" drangten. Es gelang ilim, Deutschland nordlich vom Taunus zwischen Rhein und Weser zu unterwerfen. ^ P) Die Tdtigkeit des Tiberius (8 v. Chr. bis 6 n. Clir.). Mach g n _Qj ir> •tein Tode seines Bruders iibernahm Tiberius den Oberbefehl am Rhein. Weniger durch Waffenge\valt als durch kluge Beniitzung der Streitigkeiten der Germanen untereinander und durch Bestechung 1 Cas.1.33 und Tac. Germ. 37 zeigen, wie lebendig die Erinnerung an die Cimbern und Teutonen blieb. 14 Vorgeschichte. ihrer Fiirsten machte er Deutschland zivischen Bhein und Elbe zu einer romischen Provinz. Als aber ein allgemeiner Aufstand gegen 6 - 9 . die Romer in Pannonien und Dalmatien ausbracb (6—9 n. Chr.), wurde Tiberius zu dessen Unterdriickung abberufen. y) Die Erhebung der Germanen gegen die Romar; Armin. Wah- rend Tiberius die Widerstandskraft der Illvrier und Pannonier mit auBerster Hiirte und Grausamkeit fiir immer brach, gelang den Germanen die Abschiittlung der Eremdherrschaft, dank der Tatkraft und Arglist Armins, des Tlerzogs der mit Rom Krieg fiihrenden Gaue der Cherusker (einige ihrer Gaue hielten es mit den Romern) und der iibrigen zum Kampfe gegen Rom verbundenen Volker- schaften. Der damalige Statthalter im nordwestlicben Deutschland, der sorglose und unfahige P. Quinctilius V ar us, der freie Germanen nach romischem Rechte geiBeln lieB und von verbiindeten Volker- schaften Abgaben einhob, lieB sich durch Armin tauschen und nahm infolge des falscben Geriichtes, daB eine im inneren Deutschland wohnende Volkerschaft sich erhoben habe, seinen Marsch durch weg- lose Waldgegenden. Im Teutoburger Walde wurde er von Armin angegriffen und fand nach zwei- bis dreitiigigem Kampfe unter Sturm und Regengiissen mit ungefahr 20.000 Mann seinen Unter- 9 . gang (9 n. Chr.). So luendete. Armin die drohende Romanisierung Deutschlands ab; Tacitus nennt ihn daher den JBefreier Deutsch- lands j 1 auch erwahnt er, daB sich sein Andenken in Liedern erhalten habe. Da er, wie es scheint, danach strebte, die herzogliche Gewalt zu einer dauernden, d. h. koniglichen, iiber alle cheruskischen Gaue zu machen, wurde er durch seine Verwandten, die sich in ihrer 21. Stellung bedroht fiihlten, ermordet (21). Die Schlacht im Teuto¬ burger Walde bezeichnet ein en Wendepunkt in der Geschichte, da die Romer bis dahin jedes Volk in Europa, mit dem sie zusammen- gestoBen waren, untemorfen hatten. 14 - 16 . d) Die Žuga des Germanicus (14 — 16). Die Erfolge der Romer waren zu Ende; denn die drei Feldziige des Germanicus, des Sohnes des Drusus, welche hauptsachlich Racheziige waren, erzielten keinen bleibendenGewinn. Tiberius erkannte klug die Grenze der romischen Kraft, beschrankte sich auf die Sicherung der Rheinlande und rief seinen Keffen ab. Jenseits des Rlieins behaupteten die Romer nur ein Gebiet im siidwestlichen Deutschland, das sie durch den Limes (I. 246) schiitzten. ' Kltists Hermannssehlacht, Armins Denkmal im Teutoburger Walde. EinfluB der Komer auf die Germanen. 15 c) Die Komer in der Verteidigung gegen die Germanen (167—375); der Markomannenkrieg. Im ersten Jakrhun er e nach Christus fanden wiederliolt Kampfe zwischen den omern un Germanen statt, die aber von keiner groBeren Bedeutung waren Wahrend der Grenzwall die Germanen am Bhein zurucklue , drangten sie zur Zeit des Kaisers Marčna Aurelius iiber die Donau- grenze, wodurcb der fiir Kom gefahrlichste Angriffskrieg < er e man en vor dem Beginne der V5lkerwanderu.ng ? namlicli er ar o ^ ^ mannenhrieg (167—180), ansbrach. . Die sivebischen Markomannen (Bewobner des Grenzlandes) hatten kurz vor Cbristi Geburt nnter der Eiihrung Mar o s le Maingegenden verlassen nnd Bohmen, wo friiher die keltisclien oier gewohnt hatten (daher der ISTame des Landes), besetzt. ^ on i&t aus hatte Marbod einen machtigen Bund ins Leben gernfen,. es ist die erste, auf eine bedeutende Streitmacbt gestiitzte Gewalt in er deutschen Gescbicbte. Das Bestreben des Tiberius, Marbo zu stiirzen, wnrde durcli den Ausbruch des pannoniscb-dalmatmisc en Aufstandes vereitelt, zehn Jalire nacli dessen Beendigung a er Marbod vertrieben, worauf sicb auch der das ganze nordostliche Deutscliland nmfassende Bund aufloste. Im Jabre 16 i ivurden die Markomannen und die mit ihnen verbiindeten Volkerschaften walir scbeinlich durch die W anderung der Goten von der un teren IVeichsel nach dem siidostlichen RuBland veranlaBt, die Donaugrenze zu iiber- sehreiten (I. 249). 2. Einflufi der Romer auf die inneren Verhaltnisse bei den Germanen. Infolge der vielfachen Beriibrungen mit den Romern erlitten die altgermaniseben Zustande manebe Veranderung. cl) Der Limes sowie die zahlreichen romischen Kastelle am Rhein und an der Maas siclierten Gallien bis gegen die Mitte des 3. Jahrhunderts vor den Einfallen der Germanen und z\vangen diese zu grdBerer SeBhaftigkeit, vveshalb der Ackerbau bei ihnen tiefere AVurzeln sclilug. Da infolgedessen der Wald immer mehr gelichtet \vurde, stieBen die friiher getrennten, aber nahe verwandten Volkerschaften aufeinander. Dies sowie die "V ereinigung zn m Kampfe gegen die Romer veranlaBte b) die Bildung groBcrer Verbande, der sogenannten Stamme, deren Kamen seit dem Anfange des 3. Jahrhunderts an Stelle der 16 Vorgeschichte. Taciteischen Volkerschaften genannt werden. Es sind dies besonders: a) die Alamannen oder Schivaben im siidwestlichen Deutschland; P) die Franken in den Wohnsitzen der friiheren Istavonen; y) die Sachsen, hervorgegangen ans der Grnppe der Ingavonen; d) die Got en, zu denen auber den eigentlichen Goten die Wandalen, ITe- ruler, Gepiden imd Rugier gehorten. Nadi diesen Stammen wurden fiir die fernere Geschiclite am wichtigsten: s) die Burgunder, ein gotisches Volk, im Rricken der Alamannen; £) die SAvebischen Langobarden am linken Ufer der unteren Elbe; tj) die Thiiringer, welche teilweise die Wohnsitze der friiheren Hermionen einnahmen und im Siiden bis an die Donau reichten. c) Dadurch, dali die Germanen seit Časar immer haufiger in romiscbe Kriegsdienste traten, wie dies auch Anilin und Marbod getan hatten, lernten sie die romische Bewaffnung und Kriegsweise kennen. d) Gegen die Abgabe von Sklaven, Pferden, Rindern, Kriegs- beute bezogen die Germanen im Grenzverkehre von den Eomem Wein, Kleider, Luxusgegenstande (Tauschbandel), wodurcb in ihrer Lebensweise manche Verfeinerung eintrat; vgl. Cas. b. G. IV. 2. B. Vom Beginne der Volkerwanderung bis zum Untergange 375-47(5. des Avestromischen Reiches (375—476). Die Ursachen und Bedeutung der Volkerwanderung. Die Germanen wurden hauptsacblicli durcb vier Griinde zur Wanderung bestimmt; es sind dies: 1.) Die Kriegs- und Abenteuerlust des Volkes; 2.) der Mangel an Lebensmitteln, der besonders durcb die Zunahme der Bevolkerung veranlafit wurde; 3.) die Lockungen der romischen Kultur; 4.) das ISTacbdrangen anderer Volkerschaften, vor allem der Ilunnen. jSTur die Volkerschaften der gotischen und swebisclien Gruppe sowie die Angeln sind vrirldich geivandert; die westgermanischen Stamme blieben fast durchaus im Zusammenhange mit ihren friiheren Wohnsitzen, so dab ihre Bewegung als fortschreitende An- siedlung und Kolonisierung bezeiclmet werden mufi. Die Volker- wanderung, die in der Hauptrichtung von Horden nach Siiden ver- lief (I. 62), ist das entscheidende Ereignis im Leben der Germanen; es beAvies ihre Fahigkeit, die Triiger der ferneren EntAvicklung zu Averden. Die Hunnen und die Goten; Alarieh. 17 1. Vom Einbruche der Hunnen in Europa bis zum Auftreten Attilas (375 — 445). 375-445. a) Die Hunnen und die Westgoten ; Alarieh. Die Hunnen. ein Zweig der mongolisclien Rasse, Avaren ein Avildcs Komaden- und . Reitervolk, das niclit nur die Homer, sondern aucli die Germanen mit Grauen erfiillte. Ammianus Marcellinus (I. 200) vergleicht sie mit rob zubehauenen Holzgestalten und mit den Tieren des Waldes. Tag und H aclit lebten sie auf den Pferden, unter furchtbarem Ge- sebrei begannen sie nacli Art der Steppenvolker aus der Perne mit Pfeilen den Angriff. Sie A\ r aren voli Lug und Trug und hatten keine Hcligion. n) Die Hunnen und die Goten. Kacbdem die Hunnen durcli das groBe Volkertor im Kordon des Kaspischen Meeres in Europa ein- gefallen Avaren und die Alanen, deren etknographische Stellung nicht sicher ist, zAviscben Wolga und Don unterAvorfen hatten, stieBen sie auf die Goten. Diese batten unter dem Konig Erma- narich ein groBes Heich gegrlindet, das aber kurz A r or dem Einbruche der Hunnen in das ost- und ivestgotische zerfallen Avar. Der greise Ennanaricb, damals Koriig der Ostgoten, totete sich selbst, Aveil die von ilun abhangigen Volker dem Kampfe mit den Hunnen A\ider- strebten. Ilierauf schloB sich einTeil der Ostgoten, denen der Kampi mit einem Reitervolke neu Avar, den Hunnen an. Die Westgoten aber, die damals unter zAvei Eiirsten standen, Avichen den Ilunnen aus; ein Teil zog sich nach Siebenbiirgen zuriick, ein anderer erhielt vom ostromischen Kaiser Valens gegen Leistung von Kriegsdiensten Wohnsitze auf der Balkanhalbinsel. Diese erhoben sich aber, als ihnen von den romischen Beamten (I. 257) die bedungenen Lebens- mittel vorentlialten Avurden, schlugen und toteten \ alens bei Adrianopel (378). Allmahlich gelang es dem Kaiser Theodosius 378. dem GroBcn, sie zu beruhigen und ibnen neue AVohnsitze zu beiden Seiten des Balkan anz\iAveisen. Die Hunnen schlugen sich unterdessen ins innere HuBland, avo sie mit slaAvischen und finnischen Volkerschaften kampften, Aveshalb sie fiir langere Zeit dem Gesichtskreise der antiken Schriftsteller entschAvanden. Die Aveiteren BeAvegungen gingen von den West- goten aus. ft) Die Westgoten unter Alarieh (395—hlO); Griindung des 395-410. Tolosanischen Reiches. Als nach dem Tode des Theodosius den West- goten die bedungenen Jahrgelder nicht entrichtet Avurden, setzten . Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 18 Vorgeschichte. sie in der Person des jugendlichen Balthen Alarich, der groBten Gestalt der germanischen Geschichte seit Armin, einen Konig ein und durchzogen unter seiner Anflihrung pliindernd die Balkan- halbinsel, bis sie vom ostromischen Kaiser Arcadius Wohnsitze im ostlichen Ulvrien und in Epirns erliielten. Von liier aus fiel Alarich mehrmals in Italien ein, das aber der groBe Minister des unfahigen Kaisers Honorius, der Wandale Stilicho , rettete. Uachdem dieser im Auftrage seines miBtrauisehen Kaisers ermordet worden war, zog Alarich abermals naeh Italien und riickte dreimal vor Kom, das 410 . aucli besetzt und gepliindert wurde (410). Alarich richtete nunmehr seine Blieke auf Afrika, starb aber noch im Jahre 410 in Unter- italien und wurde nach der tlberlieferung im abgeleiteten Bette des Busento begraben. Sein Scliwager Ataulf fiihrte die Westgoten nach Siidfrankreich, wo Alarichs zweiter IŠTaclifolger nach Abtretung von Aquilnnia II. seitens der Komer das Tolosanische Reich, so benannt 418 . nach der Hauptstadt Tolosa, begriindete (418). Hiemit kam dieses Wandervolk zur dauernden SeBhaftigkeit. h) Weitere Verluste des westromischen Reiches an die Germanen. Nachdem Stilicho die romischen Truppen zum Schutze Italiens aus Gallien und Britannien abberufen hatte, drangen die Germanen auch in dicse Bander ein. a) Die Alamannen. Sclion gegen Ausgang des 3. Jahrhunderts hatten die Komer die rechtsrheinischen Besitzungen an die Ala¬ mannen verloren; bald setzten sich die letzteren auch im ElsaB fest. ) Die Franken. Etwa von Mainz ab drangen die Franken liber den Rhein und lieBen sich in Gallien nieder. Komische Schriftsteller beriehten, daB gerade die Franken am schwersten zu besiegen seien. ) Die Alanen, Wandalen und Sujeben (ein Volk der swebischen Gruppe). Sie brachen in Gallien ein und zogen liber die West- pjrenaen nach Spanien, das sie mit Ausnahme des nordostlichen Beiles den Komern entrissen. Bei weitem am vichtigsten von diesen drei Volkern waren die Wandalen. Unter der Fiihrung des kiihnen Seehelden Geiserich, eines der groBten Konige der Volkervvanderung, setzten sie, hochstens 429 . 80.000 Kopfe stark, im Jahre 4-29 nach Afrika iiber und griindeten daselbst ein Reich mit der Hauptstadt Karthago. Dadurch war Rom seiner wichtigsten Kornkammer beraubt. Von hier aus brand- schatzten die Wandalen mit ihrer Kriegsflotte die Kiisten des west- Attila.. 19 lichen Mittelmeeres und pliinderten sogar Rom (455). 1 Bald aber verweichlichten sie 2 und im Jahre 534 wurde ilir Gebiet dem ost- romischen Reiche einverleibt. d) Die Burgunder. Sie errichteten zu beiden Seiten des Mittel- rheins ein Reich mit der Hauptstadt Worms. Ihr Konig Gundahar (Gunter im Eibelungenliede) vrarde von den Hunnen besiegt und getotet (437), worauf die Burgunder von den Romern Land im siidostlichen Gallien erhielten. e) Die Jiiten, Angelu und Sachsen (von der Elbe bis nacb Jiitland hinein). Mit den Angeln vereint und durch Jiiten verstarkt, zogen die Sachsen um die Mitte des 5. Jahrliunderts (Ilengist und IJorsa gelioren der Sage an) in wiederholten Eahrten nach Bri- tannien, da angeblich die romanisierten Bewohner dieses Landes sie gegen die keltischen Pileten und Skoten zu Hilfe riefen. Die Angeln und Sachsen leisteten die erbetene Hilfe, blieben aber im Lande (vgl. Ariovist) und begriindeten mehrere Reiche daselbst. In ihrer Rot berichteten die Briten damals nach Rom: „Die Barbaren treiben uns zum Meere, das Meer zu den Barbaren, wir \verden erwiirgt oder miissen ertrinken.“ 2. Attila (445 —453). a) Attilas Charakter und Reich. Der Hunnenkonig Attila (das gotische Wort heifit Viiterchen, im Ribelungenliede heiBt er Etzel), der furchtbarste und maclitigste Ilerrscher der Zeit, zeicli- nete sich durch sein Feldherrntalent und seine Klugheit aus. Seine Lebensweise war einfach; rvahrend seine GroBen aus goldenen und silbernen Geschirren tafelten, beniitzte er selbst holzernes, auch woliritc er in einem aus IIolz erbauten Ilause. In der allgemeinen Heiterkeit seiner Umgebung blieb er ernst; niemand wagte ihn an- zureden. Sein Hof war der eigentliche Mittelpunkt Europas und mehrere romische und griechische Gesandte, auBerdem auch Kiinstler, Feldherren und •Staatsmanner, fanden sich daselbst ein. Durch die Ermordung seines Bruders zur Alleinherrschaft gelangt, beherrschte er ein riesiges Reich, das hauptsachlich von germanisehen Volkerschaften bewohnt war und seinen Schverpunkt in der ungarischen Tiefebene hatte. Es scheint von den Grenzen 1 Zerstort haben sie es nicht; der unbegrundete Ausdruek „Yandalismus“ stammt erst aus der Zeit der franzosischen Revolution. 5 Vgl., was Cas. I. 1 von den Belgen und II. 15 von den Nerviern beriebtet 455. 534. 437. 445-453. s 20 Vorgesehichte. Galliens Lis zum Kaspischen Meere und von der unteren Donau und Sawe bis gegen die Ostsee gereicht zu haben. Freilich war die Verbindung der einzelnen Teile locker, da die unterworfenen Volker ilire Konige behielten und nur zu Tribut und Heeresfolge ver- pflichtet waren. b) Attilas Eroberungsziigc. a) Der Zug nach Gallien. Nach- dem Attila dureh einen Zug bis in die ISTahe von Konstantinopel die Erhohung des Tributs erzwungen hatte, brach er zum entscheiden- den Kampfe gegen das westromische Reich auf und fiel in Gallien ein. Ein Teil der Germanen, besonders die Ostgoten, leisteten ihm Kriegsdienste, wahrend sicb die Westgoten, die Burgunder und ein Teil der Eranken an dfe Komer anschlossen, deren Fiibrung Aetius, der leitende Staatsmann des Reiches, iibernommen hatte. Auf den 451 . Katalaunischen Feldevn kam es im Jabre 451 zu einer morderischen, den ganzen Tag wahrenden Schlaelit von weltgeschichtlicher Bedeu- tung. Zwar konnte sich keiner der beiden Teile eines vollstandigen Sieges rulimen ? docli raumte Attila das Scblacbtfeld und zog sich iiber den Rhein zuruck. 452 . ft) Der Einfall in Italien. Im Jahre 452 brach Attila in Ober- italien ein, zerstorte Aquileia (angebliche Griindung von Venedig, doch waren die Laguneninseln schon friiher bewohnt), Pavia, Mai- land und vervviistete das ganze Land bis gegen Modena hin; seinem Vordringen nach Rom schien kein Hindernis im Wege zu stehen. Da trat ihm Papst Leo der Grobe im Auftrage des Kaisers entgegen und bestimmte ihn nach der sagenhaft ausgesclimuckten Eber- lieferung zum Abzuge. 1 Die eigentlichen Griinde hiefiir sind nicht bekannt; man nimmt an, dab im verheerten Italien Mangel an Lebensmitteln und Seuchen herrschten, daJB Aetius in Attilas Riicken mit einem Heere bereit stand und daB das ostromische Reich zu einem Bunde mit dem vvestromischen gegen die Ilunnen entschlossen war. Dureh diesen Yerwiistungszug und die ziemlich gleiehzeitige Pliinderung Roms dureh Geiserich wurde die Widerstandskraft der Romer giinzlich erschopft. c) Attilas Tod; der Zerfall des Hunnenreiches. Im Jahre 453 starb der gewaltige Konig plotzlich. Da erhoben sich die unter- worfenen Volker, erkampften sich die Freiheit und die Ilunnen zogen sich nach dem Osten zuruck. 1 Raffaels Freske im Vatikan. Sturz des westromischen Reiches. — Folgen der Volkerwanderung. 21 3. Der Sturz des westromischen Reiches; Odoaker (476). Einen Einblick in die allgemeine Zerriittung, ivelche im Reste des romischen Reiches herrschte, geben uns das Werk des Bischofs Augustin von Hippo (I. 261): „Der Gottes-Staat“ und die Lebens- beschreibung des heiligen Severin , des Apostels von Noricami, von seinem Schiller Eugippius verfaBt. In jenem ist der Grundgedanke durchgefiihrt, daB die romisehe Verivaltung ihre Leistungsfahigkeit fiir immer erschopft habe; 1 in diesem werden die Leiden erzahlt, welche die romanische Bevolkerung von Ufer-Noricum infolge der Eberfalle der Germanen zu ertragen hatte. Ilier drangten namlich nach dem Zerfalle des Hunnenreiches mehrere gotische (Heruler im Marchfelde, Rugier westlich von ihnen) nnd andere Stamme, wie die Thiiringer, iiber die Donau. Von diesen Stammen ging auch der Sturz des ivestromischen Reiches aus, das damals bereits aui Italien nn d einen Teil Galliens beschriinkt war. Die eigentliche Gevralt iiber Italien iibten seit der Ermordung des Aetius durch den Kaiser Valentinian III. die Befehlshaber der germanischen Soldtruppen aus, welche die rasch einander folgenden Schattenkaiser ein- und absetzten. Um das Jahr 474 befeliligte diese Truppen der Romer Orestes. Kaum hatte dieser seinen eigenen Sohn Romulus, spater Augustulus zubenannt, zum Kaiser eingesetzt, so erhob sich unter der Anfiihrung Odoakers ein Teil der in Italien stehenden Soldtruppen aus den Stammen der Ileruler, Rugier und anderer zersprengter Volkstriimmer, weil ihnen die verlangte Land- abtretung nicht gervahrt wurde. Odoaker eroberte Rom, setzte den Schattenkaiser ab und nahm selbst den Titel „Konig der Germanen in Italien“ an (476). Damit Korte das ivestromische Reich auf und begann die I-Ierrschaft der Germanen auch in Italien. 4. Die wichtigsten Folgen der Volkervvanderung (vgl. I. 63). Sie betreffen teils Europa iiberhaupt, teils die Germanen im besonderen. Jene sind: a) Der Zerfall des westromischen Reiches und die Errichtung selbsta.ndiger germanischer Staaten. b) Die Entstehung der romani- schen Nationen, die aus der Vermiscliung der einheimischen Ro- manen mit den eingewanderten Germanen hervorgingen. c) Das Vordringen slaivischer VoTkerschaften bis an die Elbe. 1 Vgl. Augustins Aufierung tiber den Ruhm der Romer: Acceperunt mer- cedem suam, vani vanum. 22 Vorgeschichte. Die wichtigsten Folgen fiir die Germanen sind: a) Die Germanen nahmen zahlreiche Errungenschaften der romisehen Kultur an, so namentlich das lateinische Alphabet. 1 b) Das Christentum fand bei den Germanen, und zwar zunachst bei den Ostgoten Eingang. Ein kleiner Teil von diesen, der die Ilalb- insel Krim bewohnte, wurde namlich im Laufe des 3. Jahrkunderts durcli den EinfluB von Kriegsgefangenen fiir den Katholizismus gewonnen. Im 4. Jahrhunderte verbreitete das Christentum in der Form des Arianismus bei den Westgoten der groBte Solin dieses Volkes, der Bischof ~Wulftla, von den Griechen Ulfilas genannt (f 381), der auch fast die ganze Bibel ins Gotische iibersetzte. Durch die Verinittlung der Westgoten sind alle ostgermanisehen Stamme arianiscli geworden. c) Infolge der Kriegsziige entstand bei allen Germanen, mit Ausnahme der Friesen, Saclisen und Bayern, die KonigsJierrschaft. d) Die Volkerivanderung, das Heldenzeitalter der Germanen, ist der fiistorische Hintergrund des Nibelungenliedesj daber wurden Ermanarich, Gunter, Attila, Theoderich die Haupt- gestalten der deutschen Ileldensage, Armin aber vergessen. e) Seit dem 6. oder 7. Jahrhundert ist eine ivesentliche Anderung in der Abgrenzung der einzelnen Stamme nicht mehr eingetreten. 1 Vgl. 1.11, 14, 21, 41, 61, 132, 203. -— Die Himen, die an Stelle noeh Htterer Zeiehen (S. 7) um das Jahr 200 n. Chr. aus romisehen Buclistaben gebildet worden waren, \vurden besonders zu Zauberinsehriften beniitzt. Die altesten erhaltenen Runeninsehriften stammen aus der Zeit um 400 n. Chr. — Den romisehen Ursprung der betreffenden Kultureinrichtungen berveisen zahlreiche, aus der lateinisehen Sprache stammende Lehnworter fur Obst (Feige, Kirsche, Pfirsieh), fiir Gemiise und andere Pflanzen (Kohl, Lorbeer, Pfefifer), fiir das Bauwesen (Keller, Kammer, Kalk, Mauer, Pfalz, Ziegel), fiir Metalle (Kupfer) u. s. \y. Das Mittelalter. Erster Zeitraum. Vom Sturze des westromischen Reiches bis zur Thron- besteigung' der Karolinger (476—751). 476-751 Erstes Kapitel. Die germanistih-arianischen Reiche und die Herrschaft der Byzantiner in Italien. I. Das Reich Odoakers (476 — 493). 476-493 Odoaker gevvahrte denjenigen Soldnern, die sich an ihn an- geschlossen hatten, ilire Eorderung, indem er ihnen ein Drittel des Grundbesitzes zuwies; sie wurden in ganz Italien zerstreut an- gesiedelt. Im tibrigen \vard an den bestehenden Einrichtungen nichts VVesentliehes geiindert. Odoakers Herrschaft erstreckte sich auher iiber Italien und Dalmatien auch iiber Teile Ratiens und Noricums. II. Das Reich der Ostgoten (493 — 552). 493-552 1. Aufbruch der Ostgoten naeh Italien. ISTach dem Abzuge der Hunnen lieBen sich die Ostgoten mit Zustimmung des ostromischen Kaisers in Pannonien nieder; gegen holie Jahrgelder verpflichteten sie sich zu Iiriegsdiensten. Zur Biirgschaft fiir die Einhaltung des Vertrages wurde der jugendliche Theoderich, ein Sprosse des konig- lichen Geschlechts der Amaler, nach Konstantinopel geschickt, wo er die antike Bildung kennen lernte und sich teilweise aneignete. (Vgl. Philipp II., I. 116.) Da aber die Ostgoten in dem verodeten Pannonien nicht genug Eahrungsmittel fanden, besetzten si eMosien. Um sie von hier wegzubringen, ermunterte der Kaiser den Theo¬ derich, der nach dem Tode seines Vaters Konig geworden war, Italien zu erobern. Wirklich brach Theoderich mit etwa 250.000 Volksgenossen, Erauen und Kinder eingerechnet, nach dem Westen auf. Bei Aquileia,Verona und an der Adda besiegt, zog sich Odoaker 24 Erster Zeitraum. ins feste Ravenna zuriick, das er gegen. eidliche Zusicherung seines Lebens nach dreijahriger Belagerung iibergab; Theoderich totete ihn gleichwohl mit eigener Hand (493). 493 - 526 . 2. Theoderieh der GroBe (493 — 526). a) Seine Herrschaft in Italien und den angrenzenden Ldndern. Die Grenzen seines Reiches kennen wir nicht genau, doch gehorten auBer Italien und Sizilien auch der groBte Teil der osterreichischen Alpenlander, Istrien und Dalmatien dazu. An den bestehenden Verhaltnissen anderte er fast nur, daB seine Goten die Landereien der Anlianger Odoakers er- hielten. Auch er schlug seine Residenz in Ravenna auf, das er mit bedeutenden Bauwerken (zwei Kirchen und seinern Grabdenkmale) schmiickte. Er forderte die antike Kultur, wie denn sein leitender Minister, der Geschichtschreiber Cassiodorus, selbst ein Romer war, sorgte fiir das materielle Aufbliihen des Landes, so daB Italien Erzeugnisse des Ackerbaues und der Industrie wieder ausfiiliren konnte, was seit Jahrhunderten nicht der Fali gewesen war, und iibte strenge Rechtspflege, weshalb die Sage erzahlt, daB man damals in Italien Geld auf die StraBen legen und sogar nach Jahren noch iinden konnte. Aber sein Reich entbehrte einer festen Grundlage; denn die Goten standen den besiegten Romanen an Zahl bedeutend nach und wurden von diesen als Barbaren verachtet, als Germanen and. Arianer gehaBt. Diese Gegensatze fiihrten zu geheimen Ver- bindungen zwisclien hervorragenden Roinern und dem ostromischen Kaiser Justinian, die Theoderich durch Verhangung von Todes- urteilen zu unterdriicken suchte. Das bekannteste Opfer war Boetius, einer der letzten Vertreter der antiken Literatur, der durch seine Schriften mathematischen und physikalischen Inhalts ein Haupt- lehrer des Mittelalters wurde. b) Theoderichs Btellung zu den iibrigen germanischen Beichen. Er beanspruchte gegeniiber den Reichen der Wandalen, Burgunder, Thiiringer und Westgoten eine Art von Ilegemonie und suchte hauptsachlich den Frieden unter ihnen zu erhalten. Deshalb gab er den Ivonigen dieser Reiche nahe Yerwandte zu Erauen, wie er selbst eine frankische Konigstochter heiratete. Auch nahm er sich der von den Eranken besiegten Alamannen und Westgoten an. c) Theoderich in der Sage. Seine bedeutsame Stellung spiegelt sich in der Sage wieder, denn kein Konig der Volkenvanderung wurde von ihr so verherrlicht wie er. Weil er gerne in Verona, in der Sage Deutsch-Bern, weilte, heiBt er Dietrich von Bern; den Kampf Das Reich der Ostgoten. 25 um Kavenna behandelt das Gedicht von der „Rabenschlackt“; das Eibelungenlied macht ihn zu einem Zeitgenossen Gunters und Attilas. 3. Athalarieh und Amalasuntha (526 — 535). Da Tlieoderich 526-535 keinen Solin hinterlieB, folgte ihm sein minderjahriger Enkel Atha- larich, fiir den seine Mutter Amalasuntha, die bereits verwitwete Tochter Tlieoderichs, eine durcli ilire Bildung hervorragende Frau, die Regierung fiihrte. Weil aber die kriegerischen Goten einen Mann an der Spitze liaben wollten, nahm sie nach dem Tode ihres Sohnes ihren Vetter Theodahad zum Mitregenten an, der sie jedoch er- morden lieB. Die dadurch entstehende Zerriittung im gotischen Reiche beniitzte der ostromische Kaiser Justinian I., die Eroberung Italiens zu unternehmen, nachdem er schon durch die Unterwerfung des Wandalenreiches sein Bestreben, das westliehe und ostliche Reich wieder zu vereinigen, erfolgreich eingeleitet hatte. 4. Der zwanzigjahrige Heldenkampf der Goten um den Besitz Italiens und ihre Existenz (535—555). In diesem Kriege 535-555 hatte das ostromische Reich die ausgezeichneten Eeldherren Belisar und Narses und erfreute sich der Zuneigung der italischen Bevolke- rung (vgl. oben). Die Goten verrichteten wahre Wunder von Tapfer- keit, so dah die Geschiclite kaum einen zweiten derartigen Helden¬ kampf kennt. a) Vom Beginne des Erieges bis zur Schlacht bei Taginas (535—552). JSTach der Absetzung des unfahigen und verraterischen 535-552 Theodahad eiuviihlten die Goten den tiichtigen Witichis zum Konige. Vergebens belagerte er ein Jahr lang Rom, das Belisar erobert hatte; 69 Sturme, Ausfalle und Gefechte fanden damals vor Rom statt, dessen Bewohner die Statuen vom. Grabmal Hadrians auf die Goten herabwarfen. Hacli Witichis’ Gefangennalune wahlten die Goten zu seinem Hachfolger den glanzenden Ilelden Totila, der durch zalil- reiche Kampfe und Belagerungen die gotische Herrschaft in Italien wiederherstellte. Als er aber im Kampfe gegen die Ubermacht des Karses, der an Belisars Stelle getreten war, bei Taginas Schlacht und Leben verlor, war der Krieg im wesentlichen entschieden. b) Die letzten Kampfe der Goten um ihre Existenz (552 — 555). 552-555 Diejenigen Goten, welche sich aus der Schlacht gerettet hatten, wahlten den tapferen Teja zum Konige. Hachdem Rom, das Totila erobert hatte, zum fiinftenmal in diesem Kriege in die Hand der Ostromer gefallen war, kam es auf dem Mons lactarius zum letzten 26 Erster Zeitraum. Kampfe. Ilieher hatte sich namlich der Rest der Goten zuriick- gezogen; vom Ilunger bezwungen, stiirmten sie plotzlich gegen die iiberraschten Feinde vor. Aclit Stunden bindurch kampfte Teja an der Spitze seiner Getreuen; als er wieder einen von zwolf Speeren starrenden Schild wechselte, wurde er durcli einen AVurfspieB ge- totet (552). Nachdem die Goten noch bis in die Kadit binein und den ganzen folgenden Tag gekampft hatten, erliielten sie, nur mehr 1000 Mann stark, auf ihre Bitte freien Abzug; sie verschwanden in den Alpen. Im Jahre 555 ergaben sich die letzten Reste des Volkes, 7000 an der Zahl. Eines der begabtesten germanischen Volke r war vernichtet. 527 - 565 . III. Justinian I. (527 — 565) und die byzantinische Zvvischen- 555 - 568 . herrschaft in Italien (555 — 568). 1. ) Die Bedeutung Justinians. Wahrend Justinian sein Reich (dessen Grenze im Westen s. I. 259) durch Anlegung von zahl- reichen Festungen gegen die Angriffe der Slawen und Awaren schiitzte und sich den Persern gegeniiber (I. 250) zu einem Tribute verpflichten mufite, gelang ihm im Westen infolge der Schwache der arianisch-germanisclien Reiche die Eroberung Afrikas und Italiens sowie die Besetzung einiger Kiistenstriche in Spanien. Justinian war rnehr ein gliinzender als groBer Herrscher. Er beforderte Handel und Industrie (Beginn der Seidenzucht), fiikrte groBartige Bauten auf, vor allen die Sophienkirche in Konstantinopel, und lieB den Codex Justinianeus abfassen, der noch jetzt die Grundlage fiir da3 Studium des romischen Rechtes bildet. Aber er erhohte auch den Bruck der romischen Verwaltung, besonders des Steuervvesens. Der Mangel einer gesicherten Thronfolge erschiitterte wiederholt den Staat, der die festesten Stiitzen in seiner tiichtigen Armee und iiber- aus schlauen Diplomatie hatte. 2. ) Das Exarchat von Ravenna. Die Herrschaft der Byzantiner in Italien brach bald nach dem Tode Justinians zusammen; denn fiir die Dauer ltonnte der Anspruch auf die IVeltherrschaft nicht fest- gehalten werden, weil die Kriege mit Soldnern gefiihrt \vurden, zu deren Bezahlung die finanziellen Mittel des Reiches nicht gcniigten. Der Sitz des byzantinischen Statthalters (l'fap/og = magister mili- tum, I. 255) war Ravenna; diese Wiirde bekleidete auch einmal Karses, der wegen einer ihm vom byzantinischen Hofe zugefiigten Beleidigung die Langobarden nach Italien gerufen haben soli. Die Langobarden. 27 IV. Die Herrschaft der Langobarden (568 — 774). 1. ) Die Langobarden bis zu ihrem Einbruch in Italien. Die Langobarden, der Zalil nach eine der kleinsten germanischen Volker- schaften, drangen wahrend der Volkerivanderung allmahlich nacli Siiden vor nnd erhielten von Justinian Pannonien. Ostlichvon ihnen wohnten die germanischen Gepiden, mit denen sie zahlreicke Kriege fiihrten. In Verbindung mit den mongolischen Awaren vernichteten sie ihre Feinde, iiberlieBen aber ihren Verbiindeten ihre eigenen "VVohnsitze und zogen im Jahre 568 nnter der Fiihrung ihres Konigs Alboin nach Italien. Infolgedessen wurden die Germanen fur immer der Balkanhalbinsel entfremdel und diese groHenteils von Slawen besetzt. 2. ) Die Besitzergreifung Italiens. FToch nnter Alboin eroberten die Langobarden ganz Oberitalien, das nach ihnen den Plamen Lombardei erhielt, sowie Teile von Mittel- und Unteritalien, konnten aber, da sie keine Kriegsflotte besaBen, die Griechen weder aus den Seestadten noch von Sizilien und Sardinien vertreiben; audi Kom widerstand ihren wiederholten Angriffen. Dagegen wurde allmahlich das Exarchat auf die Bomagna und die Pentapolis beschrankt. Die FTordgrenze des Reiches, dessen ILauptstadt Pavia war, laBt sich nicht genau angeben; in der Plahe von Božen und Meran beriihrte sie das Gebiet der Bayern. Seit dem Jahre 568 blieb Italien bis ziom Jalire 1870 zerstuckelt. 8.) Die ferneren Schicksale der Langobarden. ISTachdem Alboin auf Veranlassung seiner Gemahlin, welche fiir die Ermordung ihres Vaters, des Gepidenkonigs Ifunimund, durch ihren Gatten Blut- rache iibte, ermordet sowie sein Sohn und Rachfolger wegen seiner Grausamkeit getotet ivorden \var, wahlten die GroBen des Volkes 10 bis 12 Jahre lang keinen Konig, bis sie die Furcht vor den Byzantinern und Franken zur Einigung ihrer Krafte notigte. Die Wahl fiel auf Autharis, den Enkel Alboins, der sich mit der bayri- schen Ilerzogstochter Theodelinde vermahlte. Diese veranlaBte durch ihren EinfluB und durch die Unterstiitzung des Papstes Gregor I. den Ubertritt der Langobarden zum Katholizismus. Wenn auch da- durch eine Annaherung zivischen den Langobarden und Komanen erfolgte und die ersteren infolgedessen romanisiert ivurden (Siidtirol ist daher romanisch), so hatte ihr Reich doch keine lange Dauer; 568 - 774 . 568 . 28 Erster Zeitraum. 774 . 481 - 511 . tlenn das Streben, Rom zu gewinnen, fiilirte die Einmischung der frdnhischen Konige und den Untergang der Langobardenberrschaft herbei (774). J/-) Die inneren Verhaltnisse. Die Langobarden zogen den ganzen Grundbesitz ein und nahmen die Yerwaltung des Landes, die nocli in der Gotenzeit romische Beamte inngehabt hatten, selbst in die IIand, wobei sie die bisherige Einteilung durch Erriclitung von Herzogtiimern, z. B. Friaul, Trient, Spoleto, Benevent, beseitigten. Beim Mangel einer festen Thronfolge kam es zu zahlreiclien Kampfen um die Krone, so dab von 25 Konigen 16 eines gewalt- samen Todes starben oder abgesetzt wurden. Die fernere Entwicklung beruhte auf den Franken und den Oermanen ostlich vom Rhein. Zwe ites Kapitel. Das Frankenreich unter den Merowingern. Das Frankenreich wurde das luichtigste aller aus der Volker- wcvnderung hervorgegangenen Reiche; denn einerseits nabm es die iibrigen germanischen Staaten auber den angelsachsischen und skan- dinavischen in sich auf und anderseits wurden die von den Franken ausgebildeten Verfassungsverhaltnisse mabgebend fiir die iibrigen Staaten des christlichen Mittelalters. 1. Grundung, Erweiterung und Verfall des Reiches. A. Die Franken vor Chlodwig. Die Franken (— Freie) driingten seit der ilitte des 3. Jahr- hunderts iiber den Mittel- und Unterrhein nach Gallien vor. Sie zerfielen in die zwei Gruppen der Salier und Ripuarier.Die ersteren, welche wahrscheinlich vom Flusse Sala (Yssel) iliren Kamen liaben, breiteten sich seit dem Anfange des 5. Jahrhunderts im Wege der Kolonisierung vom Unterrhein her allmahlich bis an die Somme aus; die letzteren, nach dem Worte riga benannt, wohnten ostlich von der "Maas zu beiden Seiten des Bheins um Koln. B. Chlodwig (= Ludwig), 481—511. Chlodwig stammte aus dem Geschlechte der Merowinger, das seinen Kamen vom sagenhaften Merowech, dem GroBvater Chlod- wigs, ableitete. Als er zur Regierung gelangte, war er mir Konig Bie Merowinger. 29 eines oder mehrerer salischer Gaue. 1 Durch seine Siege wurde er der Begriinder des frankischen Beiches. 1. Die Kriege Chlodvvigs. a) Der Kampf mit Syagrius (486). 486. Seit dem Untergange des \vestromischen Beiches hatte Syagrius im Hord en der Seine eine selbstandige Herrschaft inne. Durch dessen Besiegung bei Soissons machte Clilodwig dem letzten Beste romi- sclier Herrschaft ein Ende und ervveiterte sein Beich teils durch Waffengewalt, teils durch freiwilligen AnschluB der Bevolkerung bis an die Loire. b) Der Kampf mit den Alamannen und Chlodivigs Bekehrung zum Christentum (496). Die Alamannen, welche das Gebiet von der 496. oberen Seine bis zum Lech und mittleren Main in Besitz liatten, grenzten an der mittleren Mosel an die ripuarischen Franken. Wir wissen nicht, weshalb es zwischen ihnen und Chlodwig zum Kampfe kam; die Schlacht fand an einer unbekannten Stelle statt und endete nach hartnackigem Bingen zugunsten Chlodwigs. Die Alamannen verloren ihre linksrbeinischen Besitzungen und muJBten rechts vom Bhein das Land vom unteren Heckar bis an den Main abtreten, das von frankischen Kolonisten besetzt und daher „Eranken“ genannt wurde. Eine Tat von weltgeschichtlicher Bedeutung war es, daB Chlodwig in der Gefahr, besiegt zu werden, den Hbertritt zum Christentum gelobte und nach dem Siege — der erste germanische Konig — dauernd den Katholizismus annahm. Dadurch ward der kirchlicheGegensatz, der die anderen germanischenBeiche zerruttete, verhiitet imd die Franken mirden schnell romanisiert. Dem Bei- spiele des Konigs folgten sofort nur 3000 Volksgenossen, doch gab es spatestens nach zwei Menschenaltern in Gallien keine heidnischen Franken mehr. c) Der Kampf mit den Westgoten (507). Bach der Schlacht 507. auf den Katalaunischen Eeldern hatten die Westgoten ihr Beicli allmahlich bis an die Loire, iiber die ganze P_yrenaische Halbinsel, mit Ausnahme des auBersten Bordwestens, wo sich ein Best der Sweben unabhangig erhielt, und bis an den Alpenkamm ausgedehnt. Chlodwig trieb seine Eroberungslust zum Kampfe mit den Westgoten. Von den Katholiken als Befreier begriiBt, iiberschritt 1 Wie gering seine Maeht urspriinglich war, zeigt der Vorfall, daB ihm selbst naeh dem Siege liber Syagrius ein Franke trotz seiner Bitte ein geraubtes Kirchengefiifi nieht lassen wollte. Erster Zeitraum. 30 er die Loire. FTachdem der feindliche Konig Alarich II. bei Voullon Selil acht und Leben verloren hatte, nahm Chlodwig den ganzen in Gallien gelegenen Tcil des westgotischen Reiches mit Ausnahme Septimaniens in Besitz; das Land ostlieh von der Mundung der Rlione besetzte Theoderich der GroBe, der das westgotische Keicb vor ganzlicher Verniclitung rettete. Der Schwerpunkt des •vvestgotischen Reiches wurde nnn nach Spanien verlegt, wo Toledo die Hauptstadt wurde. Verhangnisvoll \vard dem Reiche, d aB es ein Wahlreich urar, in dem die weltlicken und geistlichen GroBen in der Regel die Entscheidung hatten. Die ITalfte aller Konige verlor dureb Mord oder Entthronung die Krone. Die fortrvahrenden Thronstreitigkeiten fiihrten auch, obwolil der letzte Rest des Swebenreiches unterworfen und durch den Bbertritt der Westgoten zum Katholizismus zur Zeit des Papstes Gregors I. der konfessionelle Friede im Bande hergestellt wurde, zur Ein- 711. mischung der Araber und Unterwerfung Spaniens (711). 2. Die Einigung aller frlinkischen Gaue. Kachdem Clilodwig seine Residenz von Soissons nach Pariš verlegt hatte, schritt er zur Einigung aller Franken. Durch List und Mord beseitigte er viele Konige der Salier und Ripuarier unter dem Beifalle derjenigen, iiber welche diese bisher geboten; die Zeit fur das Gaulcdnigtum mar voruber (Gegensatz zur Zeit Armins). 3. CliIodwigs Charakter und Bedeutung. Von jeher bezeich- i leten die Romer die Franken als besonders wild, hartherzig und treulos; auch Chlodmg zeigt sittliche Roheit, woran selbst sein (Jbertritt zum Christentum nichts anderte, den er nur in der naiven Annahine vollzog, daB der Christengott machtiger sei als die friiher von ihm angebeteten Gotter. Selbstsucht, Ehrgeiz, Hinterlist treten an ihm besonders hervor; jedes Mittel war ihm recht, \yenn es zum Ziele fiihrte. Er ist der groBte Staatsmann, den die Zeit der Volker- wanderung hervorgebracht h at. C. Chlodwigs Naohfolger. 1. Die Sohne Chlodrvigs. Chlodwig hinterlieB vier Solme; sie teilten nach salischem Erbrechte das Reich wie ein Privatgut unter sich und machten neue Eroberungen. Um B3I. a) Die Eroberung Thiiringens (531). Das Reich der Thiiringer erstreekte sich damals von der unteren Elbe bis an die Donau und vom Bohmerwalde bis an die frankische Saale. Der alteste Sohn Die Merowinger. 31 Ohlodtvigs, Theoderich von Metz (Hugdietrich der Sage), schlug in Verbindung mit den Sachsen den feindlichen Konig Hermenefried (Irnfrid im Kibelungenliede) an der Unstrut vollstandig. 1 Das Reich der Tliiiringer mtrde geteilt: der Korden fiel an die Sachsen, der grohere siidliche Teil an Theoderich, wodurch anch die obere Maingegend frankische Kolonisten erhielt. b) Die Eroberung Burgunds (532). Sie war das gemeinsame Werk der zwei jiingeren Briider. c) Die Untemverfung der Alamannen. Um dieselhe Zeit erfolgte die Untenverfung der bisher noch freien Alamannen in Siiddeutsch- land und in der Schweiz unter uns nicht naher bekannten Bedin- gungen. d) Die Bayern. 2 Die Bayern oder Baiuvarier == Hanner von Baias (Bohmen) sind aus der Vereinigung swebischer Stamme er- wachsen, von denen die Markomannen den Kern bildeten. Es ist der einzige deutsche Stamm, dem ostgermanische Bestandteile bei- gemischt sind. Ilire Einivanderung in Bajern erfolgte in der ersten Halfte des 6. Jahrhunderts; rasch breiteten sie sich bis an den Lech, das Fichtelgebirge und die Alpen aus und besetzten im Wege der Kolonisation im 8. Jahrhunderte teihveise auch Karnten und Steier- mark. Sie gerieten jedenfalls nur in eine lose Abhangigkeit von den Franken (um 540). Ergebnis. Somit war das frankische Reich iiber ganz Gallien auJBer Septimanien (die Provence hatte Witichis abgetreten) und iiber alle deutschen Stamme auBer den Sachsen und Friesen aus- gedehnt. 2. Die spateren Merowinger. Das gesamte frankische Reich wurde zwar noch ziveimal vereinigt, das erstemal durch Chlodwigs jiingsten Sohn Chlotar I. (558 — 561) und das ziveitemal durch dessen Enkel Chlotar II. (613—628); gleichwohl verficl es rasch. Die vichtigsten Ursachen liievon sind: a) die wiederholten Reichs- teilungen; b) die zahlreichen Kriege der Konige miteinander; c) die 1 Nach Gregor ivurden so viele Thiiringer getotet, da8 auf ihren Leichen die Franken wie auf einer Briieke die Unstrut iiberschritten. 2 Fiir Osterreich wurde besonders beniitzt: F. Krones, Handbuch der Ge- schichte Osterreichs von der altesten bis neuesten Zeit, 5 Bande, Berlin (1876 bis 1879); A. Iiuber, Geschiehte Osterreichs (bis 1648). 5Bande,Gotha(1885—1896); M. Mni/er , Geschiehte Osterreichs mit besonderer Riicksicht auf das Ivulturleben, 2 Aufl., 2 Bande, Wien und Leipzig (1900 und 1901). 532 . Um 540. 558-561. 613-628. 32 Erster Zeitraum. sittliclie Venvilderung an den Konigshofen, die in den Kampfen der Koniginnen Brunhilde und Fredegunde in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Wiedervereinigung ihren Hohepunkt erreichte. Es war eine Zeit fast ununterbrochener Biirgerkriege und der sclrvversten Verbrechen (Mord, Totschlag, Ehebruch, Meineid) ; 1 * 3 d) die korperliche und geistige Schtvache der spateren Merowinger; e) die UnbotmaBigkeit der GroBen; f) die nationalen Gegensatze im Reiche. Das gesamte Reich zerfiel in der Regel in drei Teilreiche, namlich Austrasien, Neustrien und Burgund. Austrasien (Ostland) umfaBte das rein germanische Gebiet im Osten der Schelde und Maas, Reustrien (Westland) das Land westlich davon, Burgund die Rlionegegenden. Aguiianien, d. h. das Land siidlich von der Loire, war mitunter von Reustrien abgetrennt. D. Die Wiedererhebung des frankischen Reiches unter dem Einflusse der Arnulfinger (Karolinger). Das verfallene Reich wurde durch die Tiichtigkeit der Arnul¬ finger gerettet. Der Ausgangspunkt ihrer Tatigkeit war ihre Stellung als Herzoge (duces) in Austrasien, woneben sie zeitweise auch die Wiirde eines Maiordornus, d. h. das hochste Hof- und Staatsamt in Austrasien wie auch im ganzen Reiche erwarben. 1.) Pippin der Altere. In Verbindung mit Arnulf von Metz, dem z\veiten Stammvater der Arnulfinger, die spiitcr nach Karl dem GroBen Karolinger genannt wurden, stellte er in den germanischen Gebieten die Ordnung wieder her. Er war Maiordornus und der eigentliche Herrscher in Austrasien. 688 - 714 . 2.) Pippin der Mittlere (688—714). Seit Chlotar II. waren Neustrien und Burgund unter einem Konig und meist auch einem Maiordornus vereinigt, hatten aber infolge der Ausschreitungen der GroBen viel zu leiden. Da rettete der reichbegiiterte Pippin, der Enkel des alteren Pippin, das ganze Reich. Infolge seines glanzen- 687 . den Sieges bei Tertrg (687) iiber den Adel Keustriens wurde er 1 Chlotar II. lieB seine Tante Brunhilde drei Tage lang martern, zur Be- lustigung des Heeres auf einem Kamel herumfuliren und endlich, mit den Haaren, einem Arme und einem FuBe an den Schvveif eines wilden Pferdes gebunden, zu Tode schleifen. Zustiinde im Merovvingerreiche. 33 namlich Maiordomus des ganzen Reiches, das er tatsachlich be- herrschte. Dieser Sieg begriindete daher die Macht des karolin- gischen Hauses. S.) Karl Martell (714—741) setzte das Werk seines Vaters fort. Durch zwei Siege iiber die Keustrier, die sich wieder selb- standig gemacht hatten, wurde er Maiordomus des ganzen Franken- reiches. Er hatte fast fortivahrend Austrasien gegen die Einfalle der Friesen, die er nach furcbtbarem Ringen unterwarf, zu schiitzen und mit Aquitanien, den Alamannen und Bayern zu kampfen, um sie in Abhangigkeit zu erhalten. Seine groBte Tat war der glanzende Sieg zwischen Tours und Poitiers iiber die Araber (732), die unter grauenhaftenVerheerungen iiber die westlichen Pvrenaen in Gallien vorgedrungen waren. Es war dies ein Sieg von weltgeschiehtlicher Bedeutung, durch den die christlich-abendlandische Kultur gerettet ward. J/..) Die Entthronung der Meroivinger. Karl war infolge seiner Siege so maclitig, daB er wie ein selbstandiger Konig das Reich unter seine beiden Soline Karlmann und Pippin teilte. ISTachdem der erstere in ein Kloster gegangen war, maclite der letztere audi dem Kamen nach dem merowingischen Konigtum ein Ende. Er schickte namlich „nach dem Rat und mit Zustimmung ali er Eran- ken“ einen Bischof und einen Abt an den Papst Zacharias, der auf die ihm vorgelegte Frage, ob das Doppelkonigtum bei den Franken noch iveiter bestehen solle, antwortete: „Es ist besser, daB derjenige, Avelcher Konig ist, auch den Kamen fiihre und daB kraft apostoli- scher Autoritat Pippin Konig werde, damit die Ordnung keine Storung erleide.“ Hierauf berief Pippin einen Reichstag nach Soissons; hier wurde der ohnmachtige 1 Childerich III. abgesetzt, in ein Kloster vervviesen und Pippin als Konig anerkannt (751). II. Die Verfasspng des frankischen Reiches; gesellschaftliche Zustande. Wie bei den romanischen Sprachen, kommen auch in der frankischen Verfassung germanische und romanische Bestandteile vor, von denen jedoch im Gegensatze zu den Sprachen die germani- schen bei weitem das ITbergewicht haben. 1 Neque regi aliud relinquebatm- quam ut, regis tantum nomine eontentus, crine profuso, barba commissa, solio resideret (Einhard, vita Caroli 1). Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 3 714-741. 732. 751. 34 Erster Zeitraum. 1. Das Konigtuin. Der Umstand, daJ3 die Romanen langst an eine absolute Herrscliergewalt gewohnt waren (I. 254), erhohte die Maeht des Konigs anch seinen Volksgenossen gegeniiber, die nun Untertanen \vurden. Er hatte, wie der mittelalterliche Konig iiber- haupt, z'wei Hauptaufgaben: den Schutz des Friedens nacb auBen und die Wakrung der Rechtsordnung im Innern. Eiir den ersteren Zweck hatte er die Fiihrung des Heeres sowie die Entscheidung iiber Krieg und Erieden, fiir den letzteren verfiigte er iiber die Gerichts- hoheit und den Bann. 1 Die Redite, die der Konig besaB, iibte er auch selbst aus (I. 241). 2. Die staatliche Gliederung des Rciches. Das Reich zerficl in Provinzen, Gaue und Hundertschaften. 2 3 Die Provinzen waren die Stammesgebiete, z. B. Austrasien, JSTeustrien u. s. w. Die Gaue der frankischen Zeit traten an die Stelle der Volkerschafts-Staaten, teihvoise auch der Gaue der Urzeit und waren die eigentlichen V erivaltungsbezirlce. 3. Die Beamten. a) Die Staatsbeamten. Der Gliederung des St.aates entsprechend, gab es Hundertschafts-, Gau- und Provinz- beamte; es waren dies der SchultheiB, der Graf und der Herzog. Der SchultheiB (= Schuldeneinforderer, daher „Schulze“) war der Gerichtsvollzieher und Steli vertreter des Graf en, der ihn einsetzte. Der Graf (grafio, comes) war der ordentliche Richter, er laandhabte die Polizei, iiberwachte alle offentlichen Einnahmen und befehligte die Mannschaft des Ganeš. J Er bezog ein Drittel der gerichtlichen Gefalle und hatte gewisse, mit dem Amte verbundene Giiter. Der Herzog (dux) fiihrte den Oberbefehl iiber alle Aufgebote der Provinz. Infolge der Willkiir der Konige und der Zugellosigkeit des Volkes fand ein fort\vahrender Wechsel der Beamten statt. Wenn trotzdem das Reich einheitlich verwaltet wurde, so riihrt dies daher, daB die Sohne der Vornehmen schon als Knaben an den Konigshof kamen, der daher die eigentliche Schule der Beamten bildete(1.40). b) Die Ilofbeamten. Ob\vohl diese zunachst nur fiir den Dienst am Hofe bestimmt waren, iibten sie doch infolge des personlichen Charakters der Regierung den groBten EinfluB auch auf die staat- 1 Bann bedeutet Strafrecht und Strafe. 2 Provinzen oder Herzogtiimer gab es iibrigens nur in einzelnen Teilen des Reiche s. 3 Die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung kannte das Mittelalter nieht (I. 171). Zustande im Mercnvingerreiche. 35 lichen Angelegenheiten aus. I) i e hochsten vi er Beamten waren: der Seneschalk 1 , der Vorstand des ganzen Hauses, unter den Karo- lingern TruchseB genannt; der Marschalk, der Aufseher iiber die Marstalle; der Schatzmeister, der Aufseher iiber den Hausrat sowie die Wohnung, und der Schenk. Am einfluBreichsten unter allen wurde der Seneschalk, der spater unter dem ISTamen Maiordomus (Ilausmeier) der Vorgesetzte aller Hofbeamten wurde und auch die Rechte des Ivonigs an sich riB. Pippin schaffte nach seiner Kronung das Amt ab. 4. Das Reehtswesen. Das Strafrecht zeigt bereits einen Fort- schritt, da die Fehde hauptsaehlich auf Totung, Entfiihrung und Ehebruch eingeschrankt ist und die beiden Sippen nicht mehr zur Teilnahme daran verpflichtet sind. Zu den alteren Beweismitteln kamen noch die UrJcunden. Strafbestimmungen sind der Hauptinhalt der leges barbarorum , wie man die vierzehn germanischen Stammes- rechte im Gegensatze zum rdiriischen genannt hat. Sie hatten person- lichen Charakter, d. h. jeder Germane wurde nach seinem Stammes- rechte gerichtet, wo immer er sich aufhalten mochte. Eiir die Itomanen blieb iiberall das romische Recht verbindlich. Die Rechtspflege fand in den Ilundertschaften statt. AuBerdem bestand das konigliche HofgericM, an das infolge des personlichen Oharakters der Regierung jeder Rechtsfall gelangen konnte (so blieb es auch im spateren Mittelalter) ; ihm waren die Verhangung der Reichsacht, Todesurteile iiber freie Franken u. s. w. vorbehalten. 5. Das Heerwesen. Die Franken dehnten die Wehrpflicht auch auf die Romanen des Reiches aus, die daher allgemeine Untertanen- pflicht war. Rur der Konig konnte das Ileer aufbieten; wer dem Aufrufe nicht folgte, wurde zu einer hohen Geldstrafe, dem Heer- banne 2 , verurteilt. Zu Chlodwigs Zeit fand jahrlich eine allgemeine Versammlung des Heeres (Mdrzfeld ) statt, die nach dem Tode Karls des GroBen eingi-ng. 6. Die Entstehung des Lehenswesens. Das Lehenswesen ent- stand aus der Vereinigung von zwei urspriinglich getrennten Ein- richtungen, dem Vasallitdts- und dem Benefizialwesen. Unter dem 1 Ui spriingliche Bedeutung: „der alteste Knecht", womit die unfreie Geburt bezeichnet ist. 2 Erst seit dem 13. Jahrhunderte wird mit diesem Worte das Heer selbst bezeichnet. 36 Erster Zeitraum. ersteren versteht man ein Schutz-, Dienst- und Treuverhaltnis des Mannes (Vasallen) 1 gegeniiber dem Herrn (senior), einem Grob- grundbesitzer, auf Lebenszeit, unter letzterem die tlberlassung eines Stlick Landes zn lebenslanglichem Genusse. a) Die Vasallitat. Sie umfabte die Kommendation, d. li. Er- gebung des Vasallen in den Scliutz des Herrn, ferner die Dienst- pflicht und den Treueid des ersteren. Ain wichtigsten war der Dienst im Jcriegerischen Gefolge des Herrn. b) Das Benefizialwesen. Die Kirclie, der Konig und weltliclie Grobe gaben Grundstiicke zum Hutzgenusse weg. Solehe „Lehen“ nannte man Benefizien 2 ; Teile hievon konnten als Afterlehen an andere iibertragen werden. c) Die Verbindung der Vasallitat mit dem Benefizialwesen. Die Uberlegenheit der arabisclien Reiterei (732) hatte gezeigt, daB man mit einem fast nur aus FuBvolk bestehenden Ideere auf die Dauer das Auslangen nickt finden konne. Deslialb zog Karl Martell einen groben Teil der Kirchengiiter ein (Sakularisation) und bildete daraus Benefizien fiir die Senioren, wogegen sich diese fiir sich und ihre Vasallen zum Reiterdienste verpflichteten. Damit war im wesentlichen die Verbindung der beiden Einriclitungen vollzogen. 7. Das Finanzwesen. Infolge der Abliangigkeit des Menschen von der Katur geht uberall die Natural- der Geldiuirtschafl voran. Daher sank auch damals die stadtisclie Kultur der Romerzeit in die bauerliclie zuriiek, die im Gegensatze zu jener Katuralwirt- schaft ist. Bei dieser werden die Bedurfnisse eines Wirtschafts- lcreises, z. B. eines Bauernliofes, durch die Brzeugnisse desselben Wirtschaftslcreises gedeclct, verlangt der Staat von den IJntertanen besonders Haturalleistungen sowie Haturallieferungen und ent- schadigt die Beamten fiir ihre Dienste durcb tlberlassung von Lan- dereien. 3 Infolgedessen muBte auch das romische Finanzwesen (I. 255) verfallen. 1 Das Wort ist gallischen Ursprungs, wie die ganze Einrichtung. 2 Die dafiir verlangten Dienste waren so gering, daB das Lehen als Wohltat (beneficium) betrachtet wurde; spiiter wird dafiir auch die Bezeiehnung feudum gebriiuehlich. Um 700 diirfte etwa ein Drittel des Grundbesitzes in Gallien Kirchengut gewesen sein. 3 Inama-Slernegg in Pauls GrundriB. —- Die Grieehen gingen im 7. und 6., die Romei' im 5. und 4. Jahrhunderte zur Geldwirtsehaft iiber. Heutzutage sind noch die Einquartierung von Soldaten, der Vorspanndienst u. a. Naturalleistungen. Zustande im Merowingerreiehe. 37 a) Die Einnahmen des Staates. Die meisten Einualimen liefer- ten die iiberaus zahlreichen Krongider, die teils fiir den Hof bewirt- schaftet, teils gegen Leistungen (Abgaben, Dienste) anderen iiber- lassen waren. Hiezu kamen Zolle, Tribute, Beute, Banngelder, namentlich der Ileerbann. b) Die Ausgaben. AuBer der Erhaltung des Ilofes kamen fast nur Geschenke in Betracht, da sicb die Wehrpflichtigen selbst aus- riisteten und verpflegten (I. 165), die Kechtspflege Einnahmen lieferte, die Yerwaltungsgeschafte nnbedeutend waren und sicli der Staat um Kulturaufgaben, wie Unterricht u. s.w. (T. 181), niclit kiiminerte. c) Das Miinzwesen. Der romische Goldsolidus (Scbilling), den Konstantin an Stelle des Aureus 1 (I. 232) gesetzt liatte, \vurde bei- behalten, sein Ge\vicht aber auf Vsi Pfuud herabgesetzt; sein Metall- wert betragt ungefahr 13 K. Als Scheidemiinze bestand der Silber- denar (Pfennig) = 1 / 40 Solidus (32 li). Unter den Karolingern wurden wegen Goldmangels nur Silbermiinzen (Denare und Teil- stiieke davon) gepriigt, und zwar nach dem von Karl dem Groben eingefuhrten und lange beibehaltenen MiinzfuBe, demzufolge 240 Denare aus dem karolingischen Pfunde (pondus, talentum, 400 g) gepragt wurden. Bei dem geringen Geldvorrate wurden groBere BuBen in Hunderten von Kindern bezahlt. 2 8. Die Stande. Der alte Geburtsadel wurde durch den Dienst- adel verdrangt. Dieser setzte sich aus den koheren Beamten, den Bischofen, den GroBgrundbesitzern und den Gefolgsleuten des Konigs zusammen. Die Freien hatten sicli teils auf den Giitern der GroBgrundbesitzer angesiedelt und waren unter deren grundherr- liehe Gewalt geraten, teils hatten sie ilire alte Freiheit gewalirt. Die letzteren nahmen an Zalil immer mehr ab. Die Horigen waren nicht mehr Staatseigentum, sondern einem Herrn verpflichtet, von dem 1 Der Aureus war ursprunglicli = Y <0 , der Solidus = 1 / ri Pfund (1.159). 2 12 kg Roggenbrot oder zwei Hiihner kosteten 1 karolingischen Denar, ungefahr 46 h (vgl. 1.165). Die Naturalwirtsehaft bedarf keines bedeutenden Geldumlaufes. Noch im 10. und 11. Jahrhunderte bedeutet „gelt“ besonders ,,Ersatz, Vergleichung“ und nur ausnahmsweise „Geld“. Der Scliilling = 12 (in Bayern und Osterreieh = 30) Pfennigen und das Pfund — 20, bezw. 8 Schillingen iraren nur Reehnungsmilnzen. Erst als seit der Mitte des 13. Jahrhunderts Gold- niiinzen allgemeiner wurden, konnten auch wertvollere Geldstucke hergestellt \verden. A. Luschin v. Ebengreuth, Allgemeine Munzkunde und Geldgesehichte des Mittelalters und der neueren Zeit, Miinehen und Berlin ] 904. 38 Krater Zeitraum. sie gegen Zins und Frondienste ein Ackerland erhielten, das sie nicht willkurlich verkaufen durften (glebae adscripti). Die grobe Menge abhangiger Boinanen (T. 250) mirde zu diesem Stande ge- schlagen. Die Horigen konnten freigelassen werden. Die Unfreien galten zwar noch immer als Sache, docli fanden sie auch scbon staatlichen Schutz gegen Ungerechtigkeiten ihres Ilerrn. Die Bes- serung ihres Loses nahm so zu, daB sie unter den Karolingern von den Horigen nicht mehr unterschieden vrarden. So wurden in der Merowingerzeit die altgermanischen Geburtsstande zersetzt. Ergebnis. Die alte Volksfreiheit ist durch das Konigtum sowie den Dienstadel und das letztere durch das tTbergewicht der GroB- grundbesitzer eingeschrankt. Drittes Kapitel. Die Kirche im Zeitalter der Merowinger. Der Sieg des Christentums brach den Absolutismus der romi- schen Kaiserzeit und schuf im Gegensatze zum antiken Staate (I. 55 u. 152) ein selbstdndiges hirchliches Gebiet neben dem iveltlichen. Hiedtirch mirde die ganze Folgezeit machtig beeinfluJBt. I. Die zunehmende politische Bedeutung des Papsttums. 1. Das Papsttum bis auf Gregor I. Das Ansehen der Papste, die infolge zahlreicher Schenkungen schon im 4. Jahrhunderte den groBten Grundbesitz („Patrimonien“) in Italien hatten, stieg bald bedeutend. Dies veranlaBten besonders: a) die trostlosen Yerhalt- nisse des 5. Jahrhunderts; b) die Verlegung des Kaisersitzes von Bom nach Bavenna; c) die Angriffe der Langobarden auf Bom, gegen tvelche die Papste die Verteidigung der Stadt iibernahrnen; d) die Tatigkeit einiger besonders hervorragender Papste, so Leos I. und vor allen Gregors I. 590 - 604 . 2. Gregor I. der GroBe (590—604). Einer senatorischen Fa- milie entsprossen, wurde er Prafekt, entsagte aber seinen Ehren, verkaufte seine Giiter, um den Erlos ivohltatigen Zwecken zu widmen, trat in ein Kloster und wurde endlich wegen seiner Bildung und Frommigkeit vom Volke zum Papste gewahlt. Seine wichtigsten Taten als Papst sind: a) Er forderte den Hbertritt der Langobarden und Westgoten zum Katholizismus; b) er hielt auf strenge Zucht Die Bekehrung der Angelsachsen und der Deutschen. 39 und Ordnung bei der Geistlichkeit; c J er erhohte die Feierlichkeit des Gottesdienstes und verbesserte den vom h. Ambrosius eingefuhr- ten Kirchengesaiig, der die Grundlage des katholischen Kirchen- gesanges geblieben ist (Gregorianischer Choral) ; d) er leitete die Bekehrung der Angelsachsen ein. Bezeiclmend fiir seme Stellung ist seine AuBerung, er wisse oft nicht, ob er das Amt eines Bischofs oder das eines weltlichen Eiirsten bekleide. So bildete er den gei- stigen Mittelpunkt des christlichen Europa und ist der eigentliche Begrunder der mittelalterlichen Papstgewalt. II. Die Christianisierung der Angelsachsen und der Deutschen. Von den germanischen Stammen Avaren nur noch die in Deutschland zuriickgebliebenen, die Angelsachsen und die Skan- dinavier heidnisch. 1. Die Bekehrung der Angelsachsen. In fortgesetzten Karnp- fen drangten die Angelsachsen die Briten, an deren Spitze Konig Artur (Artus der Sage) stand, bis nach Wales zuriick, wo sich in der Abgeschlossenheit des Gebirgslandes bis lieute Kelten er- halten haben. Als einst Gregor I. in .Rom angelsachsische Jiinglinge sak, die als Sldaven dahin gekommen Avaren, beschloh er, das Volk zu bekehren und scliickte deshalb den Abt Augustin mit 40 Monchen nach England, der den Konig Ethelbert von Kent bekehrte und das erste Bistum in Canterburg begriindete. Innerhalb eines Jahr- hunderts war das ganze Volk christlich. 2. Die Bekehrung der Deutschen. a) Die irisclien Monche. Irland, das einzige Land Europas, das von den Stiirmen der Volker- wanderung unberiihrt blieb, war durch den h. Patricius (um 440) (Jm 440. bekehrt worden. Die Insel scliickte die ersten Glaubensboten nach Deutschland, die im 7. und 8. Jahrhundert in Schwaben und Bajern soAvie in Hessen und Thiiringen das Christentum predigten. Dort verkiindeten besonders Columban 1 , wolil der bedeutendste von allen, und sein Schiiler Gallus, der Griinder von St. Gallen, hier der h. Kilian das Evangelium. Ihre Tatigkeit Avar aber mehr vorberei- tender Art, da die abgeschlossene irische Kirche einer festgeglieder- ten Hierarchie und des engen Anschlusses an Rom entbehrte. Um so bedeutsainer Avar es, dah sicli seit dem 7. Jahrhunderte die Angel¬ sachsen, vor allen Winfried (Bonifazius), der Mission Avidmeten. 1 Columban ist die lateinische Namensform, Columba die einheimiselie. 40 Erster Zeitraum. b) Bonifazius. a) Aus seinem Leben. Bonifazius begann seine Tatigkeit um 720 bei den Friesen, predigte dann narnentlicb in Thiiringen and Hessen, errichtete iiberall Kirchen (Vorfall in Geismar) und kleine Kloster, mackte drei Reisen nach Rom und wnrde vom Papste zum Erzbischofe von Deutsehland erhoben, als vrelcher er seinen Sitz in Mainz nahm, das dalier die angesehenste deutsche Metropole des Mittelalterfe war. Da ihn diese Stellung nicht befriedigte, begab er sich als Missionar nach Westfriesland, das zwar schon zum frankischen Reiche gehorte, aber noch grofitenteils heidnisch war. Schon hatte er bedeutende Erfolge erzielt, als er bei Dokkum von Heiden iiberfallen und samt seinen 52 Genossen er- 754. schlagen ward (754). 1 Hach drei Tagen wurden die Morder von den Ohristen des Landes getotet, die iibrigen Heiden bekehrten sich. d) Seine Tatigkeit als Missionar. Als Bonifazius nach Deutsch- land kam, fand er Schwaben und Bayern (in dem letzteren Lande hatte der Franke Ruprecht um 700 mit Erfolg gepredigt) groBten- teils christlich, Thiiringen und Hessen fast noch ganz heidnisch, Sachsen dem Christentum ganz versperrt, in Friesland geringe Anfange der Bekehrung. Als er starb, war Deutsehland mit Aus- nahme von Sachsen dauernd fiir das Christentum gewonnen; 2 er heiBt daher mit Redit Apostel der Deutschen. Diesen groJBen Erfolg verdankte er: 1.) seiner Personlichkeit, die durch Ernst und Milde, Ausdauer und Tatkraft, gelehrte Bildung und praktische Tiichtig- keit ausgezeiehnet war, so daJ3 er einen iiberwaltigenden EinlluB auf andere ausiibte; 2.) dem engen AnschluJB an Rom; 3.) der Unterstiitzung der Karolinger; 4.) der Begriindung der kirchlichen Organisation in Deutsehland. Er errichtete, beziehungsiveise er- neuerte 3 narnlich fiir Bavern vier Bistiimer, und zwar in Regens¬ burg , Freising, Salzburg und Passauj auBerdem erhielten sich dauernd die von ilim begriindeten Bistiimer Wurzburg und Eichstddt. y) Seine hirchliche Reformtdtigheit. Bonifazius hat eine sitt- liche Hebung der frankischen Kirche herbeigefiihrt. Es war damals 1 Er venvelnte seinen Begleitern einen ernsteren Widerstand und sagte: Tam enim diu optatus adest dies et spontanemu resolutionis nostrae tempus i mminet. Natiirlieh fehlte es nicht an heidnischen Erinnerungen; im ganzen 9. Jalu-- liunderte inuBten die Verbote, Wodan und Donar zu opfern, eingeschširft und noch im 11. Jahrhunderte wiederholt die Feier des Donnerstags untersagt werden. Versuche, in Bayern eine kirchliehe Organisation zu schaffen, lassen sich seit der Tatigkeit Ruprechts daselbst nachweisen. Irrlehren. 41 keine Seltenheit, dafi Biscliofe Krieg, Jagd und Gelage iliren Berufs- geschaften vorzogen. Namentlich durch Abhaltung von Kirchen- versaminlungen hob er die verfallene Kirchenzucht, ordnete die Biscliofe wieder den Erzbischofen unter und brachte die frankische Kirc-he in ein engeres Abhangigkeitsverhaltnis vom Papste. Bonifazius bat die Deutschen dauernd dem Christentume ge- Avonnen, er hat die angelsachsisclie Gelebrsamkeit in Deutschland verbreitet und durch die Griindung des Klosters Fulda fiir mehr als 100 Jalire eine geistige Hochschule in Deutschland geschaffen, er ist endlicli einer der miichtigsten Forderer der piipstlichen Gewalt. III. Die Entstehung neuer Irrlehren. Wahrend durch die Beseitigung des Arianismus im Abendlande die Einheit des kirchlichen Glaubens hergestellt wurde, entstanden im ostromischen Reiche verschiedene Irrlehren, welche namentlich die Doppelnatur des Erlosers zum Gegenstande hatten. Dies hangt mit der Freude der Griechen an der Spekulation und mit der Stel- lung der Kaiser gegenuber der Kirche zusammen. Wahrend sicli namlicb im Abendlande die Kirche frei entwickelte, geriet sie im Orient, dessen Beherrscher absol-ute Gewalt hatten, namentlich unter Justinian in ganzliche Abliangigkeit von den Kaisern (Casareo- papismus), die sicli selbst an den kirchlichen Streitigkeiten lebhaft beteiligten. Am meisten wurde der Staat durch den Bildersturm erschiittert, der iiber die Frage der Verehrung der Bilder ausbrach und nach mehr als lOOjahriger Dauer durch das Konzil von Kon¬ stantinopel gegen die Bilderstiirmer entschieden ward (842). Durch 842 diese Verhaltnisse wurde friihzeitig die morgenlandisclie Kirche der romischen entfremdet. IV. Das Monchswesen. Im Gegensatze zum Morgenland erfuhr im Westen das Monchs- \vesen eine hoclist segensreiche Entwicklung. Entscheidend hiefiir war die Tatigkeit des h. Benedikt, der im Jahre 529 zu Monte 529 Casino das Mutterkloster des Benediktinerordens griindete. Er ver- piliclitete namlich die Afonche nicht nur zum Gebete, sondern auch zur Arbeit (ora et labora!). Diesem Orden verdankt das Mittelalter die ivichtigsten Fortschritle in geistiger und materieller Beziehung; denn: 1.) die Monche wirkten durch die zweckmaBige Bebauung des Bodens sowie die Vei-breitung der Obst- und Weinkultur anregend; 42 Erster Zeitraum. 2.) sie retteten durch Absclireiben der antiken Werke wenigsteus einen Teil derselben; 3.) sie waren vielfach als Missionare tatig; 4.) sie schufen fast die gesamte kirclilicbe Bildung des Mittelalters, die sie in Scliulen der Jugend vermittelten; 5.) sie iibten als Rat- geber der Fiirsten auch einen bedeutenden politiscben EinfluB aus. Da die Monche im Westen mitten im \veltlichen Leben standen, wurde ancli das Monchswesen daselbst im Gegensatze zum Orient wiederbolt verweltlicht, wogegen dann wieder Reformbestrebungen nnd neue Ordensgriindungen Abliilfe zu schaffen sucbten. Viertes Kapitel. Die Literatur und Kunst im Zeitalter der Merowinger. 1 . Die Literatur. Um 600. 1. Die Dichtkunst. Um das Jahr 600 fallt die Bliite des deut- schen Heldengesanges, der stets in groBen Yolkerbewegungen seinen Ursprung bat (I. 33 n. 63). Der Inhalt der altdeutscben Heldensage nmfaBt die GroBtaten der Volkervvanderung; er erstreckt sicli liber ungefahr 300 Jalire, indem er mit dem gotischen Kdnig Ostrogota (um 250) beginnt und mit dem Einzuge der Langobarden in Italien eridet. Die Sanger begleiteten die Heldenlieder mit der Harfe; sie waren an den Fiirstenhofen gerne gesehen (I. 65) und wurden erst im 10. Jahrhunderte von possenreiBenden Spielleuten verdriingt. Von den zahlreichen deutschen Heldenliedern ist nur das Bruch- Um 800 . stiick des Hildebrandsliedes erhalten (um 800). Dagegen besitzen die Englander aus der zweiten Halfte des 7. Jahrhunderts das Beowulf-Epos, dessen Ileld einen Unholden totet, aber im Kampfe- mit dem feuerspeienden Drachen sclnver verwundet wird. 2. Die Prosa. Da im Abendlande die AVissenschaften wabrend des Mittelalters von der Kirche gepflegt wurden, war die lateinische- Sprache aucb die Sprache der AVissenschaften. Die beiden kervor- ragendsten Schriftsteller der Merowingerzeit sind Gregor, Bischof Um 550 . von Tours (um 550), dessen AVerk „Zelm Biicber frankischer Ge- schichte“ die Hauptquelle fiir die zweite Halfte des 6. Jahrhunderts- Um 700 . ist, und Beda venerabis (um '700), ein angelsachsischer Monch, der durch seine geschichtlichen und mathematisch - aslronomischen Schriften einer der einfluBreichsten Lehrer des Mittelalters wurde. Literatur und Kunst. 43 Der Orient ging seinen eigenen Weg, denn schon seit Justinian wurde im byzantinischen Reiche die griecliische Sprache vorherr- schend. Der Tatigkeit der byzantinischen Gelehrten verdanken \vir die Erhaltung des groBten Teiles der auf uns gekommenen alt- griechischen Literatur. II. Die Kunst im ostromischen Reiche; das Erbe der Antike. Die Kunst steht im Mittelalter wesentlich im Dienste der Kirche. Weitaus am wichtigsten ist die Baukunst, der die beiden anderen Kunste untergeordnet sind. Die wertvollsten Bauten sind die Kirchen, die Baumeister Geistliche, erst seit dem 13. Jahr- hunderte wird die Kunst auch von weltlichen Meistern geiibt. 1. Die Baukunst. Wahrend das Abendland am Basilihenstil (I. 261) festhielt, wurde in Konstantinopel der byzantinische aus- gebildet. Die Unterschiede liegen in der Anlagc des Baues, in der Kapildlform und in der Art der Ausschmuckung. a) Im Orient wurde die Aufgabe gelost, liber einem mehr- schiffigen, viereckigen Gebaude eine Kuppel aufzusetzen. Zu diesem Zwecke wurden vier oder acht starke Pfeiler in der Mitte des Kaumes als Trager der Kuppel errichtet; sie wurden mit Gurtbogen verbunden, dariiber wurde ein vier- oder achtseitiger Bau auf- gefiihrt, in dessen Ecken man Gewolbstiicke einfiigte. Dadurch wurde eine kreisrunde Basis fiir die Errichtung der Kuppel ge- wonnen. Man bezeichnet dalier die Bauten dieses Stils als Zentral- und Kuppelbauten. b) Das Kapital ist ein abgescliragter Steimviirfel, dessen vier trapezartige Seiten von einem Flachornament eingerahmt sind. c) Unter Vermeidung fast aller plastischen Gliederung durch Gesimse, Profile u. s. w. werden die Wande mit bunten Marmor- platten bedeckt und wird die Kuppel mit Mosaiken auf Goldgrund geschmiickt (I. 17), im Gegensatze zur plastischen Gliederung der griechisch-romischen Bauten. Das Innere zeigt daher Pracht und Glanz, gleich dem Leben am kaiserlicken Hofe. Das gefeiertste Bauverk dieses Stils ist die Sopliienkirche; sie wurde im Orient, wo noch heute dieser Stil herrscht, nicht iiber- troffen. Der byzantinische Stil verbreitete sicli liber alle Lander, die von Byzanz das Christentum erhielten, so nainentlich nach KuBland, wo aber die Kuppel nach islamitisch-persischem Vorbilde die un- schone Zwiebclform erhielt. Im Abendlande gehoren ilnn S. Vitale 44 Erster Zeitraum. in Kavenna aus der Zeit der byzantinischen Zwisckenherrschaft, die Marienkirche Karls des GroBen in Aachen und die Markuskirche in Venedig, letztere freilich nur in ihrer Ilauptanlage, an. 2. Die Plastik und Malerei; das Kunstgewerbe. Wahrend infolge des Bildersturmes die Plastik im Orient fast ganz einging, bildete die byzantinische Malerei die Typen Cliristi und der Heiligen aus, die dann auch im Abendland Eingang fanden. Sehr wicbtig waren auch die Leistungen des Orients auf dem Gebiete des Kunst- geiverbes , da er die Technik mehrerer Zweige desselben (der Mosaik- und Emailmalerei, Goldscbmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei), die im Abendlande wahrend der Volkerwanderung in Vergessenheit geraten waren, rettete._ Das Erbe der Antike. So hat das byzantinische Reich auf dem Gebiete des staatlichen Lebens (im Eortleben der Konstantinischen Staatsordnung), in der Literatur und Kunst wertvolle Errungen- schaften des Altertums bewahrt. Auch im Abendlande fehlt es nicht an Kachwirkungen der antiken Kultur; dahin gehoren manche Ein- richtungen des frankischen Reiches (s. o.), die Bedeutung der lateinischen Sprache, die Lekture der romischen Schriftstellcr und die Einfliisse auf dem Gebiete der Kunst. In letzterer Beziehung ist besonders bcachtcnswert, daB der GrundriB der Kirche sowie die Anwendung der Wolbung aus dem Altertume stammt und das Orna- mentale in der Architektur bis tief ins 11. Jahrhundert hinein im wesentlichen noch immer klassisch ist (attische Basis, Kachbildung des jonischen und korinthischen Kapitals, das Gebalke). Fiinftes Kapitel. Der Islam. I. Mohammed. Wahrend das Innere Arabiens groBtenteils Wiiste ist und deshalb seine Geschichte in Kampfen der Beduinen um den Besitz von Brunnen oder Weideplatzen besteht, entwickelte sich an der Westseite infolge der reicldicheren Kiederschlage ein stadtischcs Leben. Den nordwestlichen Teil der Halbinsel (ILedschas) bewohn- ten die Ismaeliten, den siidostlichen (Jemen) die Joktaniten. Beide Stamme leiteten ihren IJrsprung von Abraham her; dem ersteren gehorte Mohammed an. Mohammed. 45 Die Araber waren vor Mohammed Ileiden. Ihr groBtes Heilig- tum war die Kaaba, ein kleines, wiirfelformiges Gebaude in Mekka, das einen schwarzen Stein (Fetisch, I. 8), wahrscheinlich ein Meteor, enthielt. Dieser war dem hochsten Gotte Allah lieilig; auBer- dem standen in der Kaaba die Gotzenbilder der einzelnen arabischen Stamme. 1. Aus dem Leben Mohammeds. Mohammed wurde in Mekka geboren und nach dem friihen Verluste seines Yaters von einem armen Oheim aufgenommen, der ihn dem Kaufmannsstande zu- fiihrte. Auf Handelsreisen nach Syrien lernte er die Vorziige des Christentums und Judentums kennen. Infolge seiner Vermahlung mit einer reiclien Witwe konnte er sich einem beschaulichen Leben ergeben; jahrlich brachte er einen Monat in der Iiohle bei Mekka zu und irrte oft wochenlang auf oden Bergen herum. In der Meinung, daB ihn Gott zum Glaubensboten bestimmt habe und der Weltunter- gang nahe sei, trat er zunachst als BuBprediger auf. Doch fand er nur bei den nachsten Verwandten Anklang; als er offentlich zu predigen begann, wurde er aus Mekka vertrieben (622). Er Boli nach Medina (Hedsclira = Auswanderung, Beginn der inoham- medanischen Zeitrechnung nach Mondjahren). Da er hier mehr An- hanger fand, so konnte er einige Stamme und endlich auch Mekka zur Annahme seiner Lehre zwingen. Als er ohne Hinterlassung eines Sohnes starb (632), war bereits ganz Arabien fiir seine Lehre ge- wonnen. Er war ein hervorragender Agitator, milde und leutselig, ein groBer Meister des Wortes, auch auf der Ilohe seiner Maeht ein- fach; er milderte das Los der Sklaven, verbot die Blutrache und setzte der Vielweiberei Schranken. Mohammed ist der groBte Sohn seines Volkes, das er zum Monotheismus bekehrt und zu welt- geschichtlicher GrdBe erhoben bat (vgl. Chlodwig) ; dadurcli hat er eine Erschiitterung des ganzen Orients, der Yolkerwanderung ver- gleichbar, hervorgerufen und den Orient aus seiner Erstarrung auf- geriittelt (I. 40). 2. Der Islam. 1 Die fiinf Hauptforderungen des Islam sind : der Glaube an den einen Gott Allah und seinen Propheten 1 Daher Moslrm, Pl. Moslemin, woraus im Abendlande Musrlmfiimer gemaclit wurde. Dadurcli, daB sich die Semiten und Iiamiten im Osten und Siiden des Mittelmeeres dem Islam anschlossen, wurde die kulturelle Einlieit der Mittel- meerlander (1.232) zerrissen; erst in der neuesten Zeit maeht sich wieder europaischer EinfluB im Norden Afrikas geltend. 46 Erster Zeitraura. Mohammed; taglich fiinfmaliges Gebet, das Antlitz gegen Mekka ge- richtet; Fasten; Almosengeben und mindestens einmal eine Pilger- fahrt zur Kaaba. Fiir besonders verdienstlich erklarte Mobammed die Ausbreitung seiner Lehre mit den Waffen. Da er den Glauben a n ein unabanderliches Schicksal lehrte, stiirzten sich seineAnhanger mit wilder Begeisterung in den Kampi'. Das Christentum faBt Gott als Vater, der Islam dagegen als strengen Herrn anf. Der letztere kennt aucb nicht das Wesen der Siinde, sondern nur die Dbertretung einzelner Vorschriften; da er somit von einer Erldsungsbediirftigkeit nicbts weiB, will er aucb von einer Erlosung nichts wissen, weshalb die Mohammedaner so schwer fiir das Christentum zu gevdnnen sind. Mohammed hat seine Lehre nur auf losen Palmenblattern, Steinen u. dgl. aufgezeichnet; bald nach seinem Tode wurden diese gesammelt, wodurch der Koran, die Bibel der Mohammedaner, ent- stand. Einige Jahrzehnte spater fand eine Hachlese von angeblichen Ausspriichen des Propheten statt (Sunna). 632-B61. II. Das Wahl-Kalifat (632 — 661). Die Kalifen, d. h. Machfolger, bekleideten die hochste geistliche und weltliche Wiirde, die sie durch Wahl erhielten, und nahmen ihren Sitz in Medina, wo Mohammed begraben worden war. Als ihre Hauptaufgabe betrachteten sie die Ausbreitung des Islam mit dem Schiv.erte, weshalb sie besonders mit dem byzantinischen und dem persischen Reiche in Ilriege gerieten. Die Wahl-Kalifen sind Abu Bekr., Omar, Othman und Ali; unter ihnen war Omar 634-644. (6 34—644) der eigentliche Eroberer. Er vollendete die Unter- verfung Syriens, die bereits Abu Bekr begonnen hatte, und eroberte 635. durch den groben Sieg bei Kadesia (635) dag Sassanidenreich, wahrend sein Feldherr Amru, begiinstigt durch die Streitigkeiten zwischen den Griecken und Ilopten (I. 11), Agypten gewann. Seit Omar blieb der Islam in ganz Vorderasien herrschend; sein Fort- schreiten wurde auch dadurch nicht aufgehalten, daB die letzten drei Kalifen ermordet ivurden. KeinWeltreich umrde so schnell aufgerichtet wie das arabische; die wichtigsten Erklarungsgriinde hiefiir sind: 1.) der Fanatismus der Araber; 2.) ihr Patriotismus, welcher den der Byzantiner und der Perser bei weitem iibertraf (letztere muBten zum Teile in Ketten auf das Schlachtfeld gefiihrt werden) ; 3.) die zalilreichen religiosen Die Omejjaden. 47 Streitigkeiten im bvzantinischen Reiche; 4.) die gute Besoldung des Heeres, das auch ein Fiinftel der Beute erhielt; 5.) die Araber hatten am Kamel ein vorziigliches Lasttier und an der Wiiste einen sicheren Zufluchtsort; 6.) in die Kachbarlander waren schon fruher zahlreiche Araber eingewandert. III. Die omejjadische Dynastie (661—750), Seit der Thronbesteigung des Omejjaden Muaivia I. wurde das Kalifat erblich , die Residenz das glanzende Damaskus. Die arabiscbe Herrschaft wurde imOsten und imWesten rasch weiter ausgebreitet. 1. Die Eroberungen auf Kosten des byzantinischen Reiches. Die Araber entrissen diesem in Asien einen Teil Klein asiens, in Afrika den ganzen Kordrand (Vernichtung Karthagos), wo seitdem Arabisch die Verkehrssprache geblieben ist, in Europa Sizilien, Korsika und Sardinien. Die Eroberung Konstantinopels scheiterte zum ITeile des Christentums an der festen Lage der Stadt und ihrer Verteidigung durch das griechische Feuer. 2. Die Eroberung Spaniens. Diese wurde durch die unseligen Zustande im westgotischen Reiche veranlaBt. Als daselbst die Gr o Ben Roderich, von dem die Geschichte fast nur den Kamen kennt, zum Konige wahlten, rief eine Gegenpartei die Araber aus Rordafrika herbei. Durch die siebentagige Schlacht bei Xeres de la Frontera (711) machten die Araber dem -vvestgotischen Reiche ein Ende. Kur das nordwestliche Gebirgsland erhielt sich unabhangig; von ihm ging die Wiedereroberung der Halbinsel aus. 3. Der Sturz der Omejjaden 1 und die Spaltungen im Islam. Der Sturz der Dynastie wurde durch Streitigkeiten im regierenden Jrlause selbst herbeigefiihrt. Abul Abbas, ein Verwandter Moham- rneds, erhob sich und schlug den letzten omejjadischen Kalif en am Zabflusse (750). Der Sieger lockte 90 Prinzen des gestiirzten Ilauses nach Damaskus, wo sie bei einem Gastmahl ermordet wurden; der einzige Abderrhaman en tkam gliicklich nachSpanien und begriindete daselbst ein eigenes Reich, das Emirat von Cordova (755). Da dieses die Unabhangigkeit von den Abbasiden behauptete, war die politische Einheit des Islam beseitigt. Alter noch ist die religidse Spaltung der Mohammedaner in Sunniten, welche die Sunna an- erkannten, und in Sc.hiiten, vvelche sie verwarfen. 1 Gleichzeitig (751) erfolgte der Sturz der Merovvinger. 661 - 750 , 711 . 750 . 755 . 48 Erster Zeitraum. IV. Der Islam in Spanien. Die Geschiclite des Islam in Spanien zerfallt in drei Abschnitte, und zwar: in die Ilerrschaft der Omejjaden (711—1081), in die maurischer Iderrscher bis zur Eroberung Sevillas durch die Christen (1031—1248) und in die der inaurischen Konige von Granada (1248—1492). Im ersten Abschnitt liberwog die Pflege der mate- riellen Kultur (Garten- und Bergbau, Industrie, Ilandel); im z\veiten die Pflege der humanistischen Wissenschaften, vor allem das Studium des Aristoteles; im dritten die der Kunst, besonders der Bauleunst, namentlicb in Cordova, Sevilla und Granada. Die Ilerrschaft des Islam in Spanien wurde durch die forh- gesetzten Angriffe der Christen, die Streitigkeiten im regierenden Hause und die groBe Macht der Statthalter gestiirzt. Schon mit den ersten arabischen Eroberern waren zahlreiche Mauren (Berber) nach Spanien gekommen; auch spater erhielt der Islam daselbst ofterTTnterstiitzung durch die Mauren, deren Piirsten daher auch nach dem Sturze der Omejjaden an die Spitze der einzelnen Teilreiche traten. 750-12B8. V. Die Abbasiden (750-1258). 1. Bliite und Verfall des Reiches. Die Abbasiden schlugen ihren Sitz in Bagdad auf, das bald der Mittelpunkt eines hoch- entwickelten Kulturlebens wurde, und setzten zunachst das Werk der Eroberungen in Asien fort. Der beriilimteste Abbaside ist Karun Arraschid, der Zeitgenosse Iiarls des GroBen. Doch schon im 9. Jahrhunderte begann der Verfall des Reiches (I. 40). 1 Die wichtigsten Ursachen hievon waren: a) das schwelge- rische Leben der Kalifen, welche bald die Bahn der Eroberungen aufgaben; b) die groJBe Gewalt der Statthalter, die haufig selbstan- dige Staaten errichteten; c) die Grundung einer tiirkischen Leih- wache, deren Befehlshaber die weltliche Gewalt an sich rissen; d) die Entstehung neuer Sekten, wie die der auBerst fanatisclien Assassinen, die sich besonders in Syrien verbreiteten; e) die groBe Kulturverschiedenheit der unterworfenen Volker ( Zerfall eines Universalreiches; I. 130 u. 259). 2. Die Errichtung des Seldschukenreiches; die Mongolen. Diese Verhaltnisse machten es moglich, daB die wilden seldschuki- schen Turlcen, die im 11. Jahrhundert aus Turan nach dem Westen 1 Zur selben Zeit fand die Auflosung des karolingischen Reiches statt. Die Kultur dcs Islam. 49 aufbrachen, den groBtenTeil des ehemaligcn Abbasidenreiehes unter- tvarfen, so daB die Kalifen auf die Herrsckaft iiber Bagdad und dessen nachste ITmgebung beschrankt mtrden. Aber das Keicli der Seidscbuken zerfiel ebenso schnell, wie es errichtet worden war, daher bestanden beim Beginne der Kreuzziige in Vorderasien meh- rere mohammedanische Teilreiclie, von denen das Sultanat von leonium am wichtigsten war. Dem Beste des Abbasidenreiehes machten die Mongolen, die groBten Menschenschlaehter der Ge- schickte, durch die Einnahme Bagdads ein Ende (1258). 1258. V. Die Kultur des Islam. 1. Die Literatur. Die Araber lernten in einem Teile der er- oberten Bander die hellenistische Kultur kennen, daher sind ihre literarischen Leistungen von den griechischen Vorbildern abliangig (vgl. den EinfluB der Komer auf die Germanen). Wahrend die philologischen Studien des Hellenismus auf das Abendland iiber- gegangen waren, wandten sieh die Araber besonders den physi- kalisch-mathematischen Studien zu. a) Die Poesie. Die Araber besaBen bis auf Mohammed kein Epos und kein Drama (I. 17 u. 27). Ganz besonders liebten sie das Marchen, wie die Sammlung „Tausend und eine Kacht en“. 2 Konrad von Burgund Rudolf III. Gisela Berta_ _ Gerberga f 1032 HeinrichII’ Odo Graf v. Champagne Gisela (3. Gemahl: Konrad II.) Ernst v. Schwaben Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 6 1024-1125. 1024-1039. 1033 . 82 Zweiter Zeitraum. gewonnen hatte, besetzte er Burgund, dessen letzter Konig ihn zum Erben eingesetzt hatte. Dadurch mirde der dritte Hauptteil des romiscb-dentscben Reicbes gewonnen, der im Osten von Deutselien, im Westen von Romanen bewolmt war. Wahrend die letzteren all- mahlich zu Frankreicli ablielen, wurde durcb die Verbindung mit Deutscbland der nationale Charakter Ostburgunds (zwischen dem Reuenburger und Vierwaldstatter See) erlialten. Weitere Folgen dieser Verbindung waren: a) In Burgund wnrde die durcb die Groben stets bedrolite Ordnung wiederhergestellt; b) die westliehen Zugange nacb Italien kamen an Deutscbland; c) dieses erbielt jetzt durcb die Erwerbung Marseilles Anteil.an einem Weltverkehrswege, wodurcb die Stadte am Rbein einen groben Aufscbwung nahmen; d) auch in Deutscbland fanden die Gesange der Troubadours Eingang. 4. Die beiden Ziige nach Italien. a) Erster Zug. (1026 und 1027). Damals empfing Konrad in Pavia die lombardische und in Rom die Kaiserkrone. Fiir die osterreicbische Geschicbte wurde dieser Romerzug besonders dadurch wichtig, dab der Kaiser, um die wicbtigen Tiroler Passe 1 verlablichen Mannern anzuvertrauen, die Biscbofe von Trient und Brixen mit mehreren Grafscbaften belehnte. b) Ziveiter Zug (1036 — 1038). Die Veranlassung zum zweiten Zug gab der Streit der kleinen Vasallen, der Valvassoren, mit den machtigen Bischofen Oberitaliens, deren Fiibrung der ebrgeizige Aribert , Erzbischof von Mailand, 2 ubernommen hatte. Da dieser die Mailander zur Erhebung gegen den Kaiser hinrib, erlieb Konrad ein Lehensgesetz, das die Grundlage fur das Lehensreclit in Italien wurde. Es bestimmte, dab die kleinen Leben im Mannsstamm erblicb sein, dab die Valvassoren nur von ibresgleicben gericbtet werden und dab von deren Entscheidung Berufung an den Kaiser statt- finden solite. Katurlicb gewann dadurcb Konrad die Zuneigung der V alvassoren. 5. Konrad als Gesetzgeber in Deutschland. Ilier ordnete er das Ministeriahvesen. Die Ministerialen oder Dienstmannen waren Unfreie, die von ihren Ilerren zur Besorgung der Heeresfolge das Waffenrecht erhielten und iiber andere Unfreie als Beamte ein- 1 Auf den Brenner entfallen von 144 Alpeniibergangen der Deutselien Kaiser 00. Im Westen spielte Piemont eine ivichtige Rolle. 2 Die Ottonen hatten die Bischofe in Italien, ahnlich wie in Deutschland, gefBrdert. Heinrich III. 83 gesetzt wurden. Da Konrad ihre Stellung durch „Dienstrechte“ regelte, gewann er an ihnen eine bedeutende Stiitze. Dasselbe gilt von den unfreien Bauern; auch deren Bechte wurden damals auf- gezeichnet („Baueriirechte“). Die Sklaverei verbot Konrad ganz. 6. Konrads Charakter und Bedeutung. Konrad war ein sehr tiichtiger Herrscher von scharfem Verstand und riicksichtsloser Strenge. Er ist seit Heinrich I. der erste Kdnig, der seine Krafte nicht in den Dienst der kirchliclien Ideen stellte. Auf die unteren Stande gestiitzt, konnte er den Herzogen kraftiger entgegentreten; Bayern und Schwaben iibertrug er seinem Soline Heinrich, den er schon als Knaben zum Konige kronen lieB, Franken behielt er selbst, Karaten lieB er unbesetzt; so kam or der Herstellung eines Einheits- staates nahe. Hach auBen sicherte er das kriegerische tTbergewiclit * der Deutschen in Europa. B. Heinrich III. (1039-1056). 1039-1056. 1. Der Krieg mit Bretislaw von Bohmen (1040 u. 1041). Seit Heinrich I. hatte jeder Thron%vechsel Hnruhen im Osten zur Folge gehabt. Hun wollte Bfetislaw durch die Eroberung Polens, wo eben Yerwirrung herrschte, ein groBes Slawenreich errichten (S. 68 u. 80) ; er eroberte Krakau und Posen und zog in Gnesen ein. Heinrich konnte weder den Angriff auf das Vasallenland Polen noch das Bestreben Bfetislaws, sich unabliangig zu machen, dulden. Durch einen zweinialigeri Feldzug zwang er ihn, die Eroberungen herauszugeben und seine Oberhoheit wieder anzuerkennen. 2. Die Kriege mit Ungarn (1041 — 1044). In Ungarn schuf der Arpade Stephan (995 — 1038) die kirchliche und staatliche 995-1038. Grundlage fur die fernere Entivicklung des Landes. Jene sicherte er durch die Begriindung der kirchliclien Organisation mit dem Erzbistum in Gran, diese durch die Einteilung des Landes in Komitate 1 und die Erlassung zahlreicher Gesetze, wobei ihmBayern als Vorbild diente. Da er keinen Sohn hinterlieB, ernannte er Peter den 1' enetianer, den Sohn seiner Sclrvvester, die mit dem damaligen Dogen vermahlt war, zu seinem Uachfolger. Weil dieser Venetianer ins Land zog und begiinstigte, entstanden unter der Eiihrung Abas, des Hauptes der heidnischen Partei, wiederholt Aufstande, die Peter zur Elucht nach Deutschland notigten. Heinrich unternahm zu 1 An ihrer Spitze stand ein comes, slaivisch župan; daraua entstand das magyarische ispany, aus diesem das deutsehe „Gespan“. 6 * 84 Zweiter Zeitraum. seinen Gunsten drei Eeldziige nach Ungarn; er drang bis Stulil- weiBenburg, der damaligen Hauptstadt, vor, lieB den gefangenen Aba enthaupten und setzte Peter \vieder ein, der den Vasalleneid 1045 . schworen muBte (1045), so daB damals das Deutsche Reich die groBte Ausdehnung nach Osten erhielt. Da aber Peter schon im nachsten Jakre gestiirzt ward, wurde Ungarn wieder selbstandig. Der einzige Geivinn dieser Feldziige war die dauernde Erwerbung eines Stiick Landes bis zur Leitha und March, das spater mit der Ostmark verbunden wurde. 3. Der Gottesfriede und der Landfriede; die Wiederherstel- lung' der Herzogsgewalt. Im 11. Jahrliunderte waren die Cape- ^ tinger, hauptsachlick infolge der groBen Macht der Herzoge und Grafen, die schwachsten Konige in Europa. Unter den vielen Fehden der GroBen litten besonders die unteren Stande; am schlimmsten war es in Siidfrankreich. Als hier nacb jahrelangem MiBwacbs endlich eine reiche Ernte in Aussicht stand, setzte (1041) die Geist- lichkeit zunachst in Aquitanien die Treuga Dei (vom abd. triuiva = Treue) durch, derzufolge bei Strafe des Bannes alle Eebden von Mittwocb abends bis Hontag friih ruhen sollten. Diese Einrichtung verbreitete sich iiber ganz Erankreich. Dagegen fiihlte sich Heinricli stark genug, um des Anscblusses an die Kirche entbehren zu konnen, und verkiindete fiir Deutschland einen allgemeinen Landfrieden. 1 Um jene Zeit setzte er wieder Herzoge in Bayern, Schwaben und Karnten ein; er wablte hiezu Manner, die kinderlos und im Lande fremd waren. Audi verldeinerte er Karnten, von dem bereits Konrad II. die obere Maric an der Mur , die bald darauf an die Grafen von Steier (daher „Steiermark“) kam, abgetrennt hatte, abermals, indem er die Mark Krain, einen Teil des jetzigen Unter- krain, davon losloste. 4. Heinrich und die Kirehenreform; sein Romerzug. a) Die Cluniacenser. Im Jalire 910 wurde das Kloster Cluny gegriindet, dessen Monche sieli durch eine besondere Sittenstrenge 2 auszeich- neten und auch die iibrigen Kloster sowie den weltlichen Klerus zu reformieren suchten (S. 42). Die Reform betraf die Beseitigung der Simonie und des Nikolaitismus, 1 die damals allgemein ver- 1 Er bestieg in Konstanz die Kanzel, erklarte, allen seinen Peinden ver- zeihen zu wollen, und forderte das Volk auf, seinem Beispiele zu folgen. 2 Schweigen, GeiBlung, Kerker und Fasten bei Vergehen. Heinrich IV. 85 breitet waren; unter jener versteht man den Kauf und Verkauf von geistlichen Wiirden, unter diesem die VerstoBe gegen den Zolibat der Geistlichen, die iiberwiegend verheiratet waren. Auch strebten die Cluniacenser die sittliche Hebung des Papsttums an nnd suchten dessen Macht soviel als moglich zn erhohen. Hein¬ rich III. unterstiitzte diese Bestrebungen; im innigsten Einver- nehmen mit Cluny brach er nach Italien auf. b) Heinrichs Rbmerzug (1046). Das Papsttnm war wieder der Spielball der romischen Adelsparteien geworden (S. 75), so daB damals drei Manner die hochste kirchliclie Wiirde in Anspruch nahmen. Deshalb zog Heinrich anf Einladung der Reformpartei mit zahlreichen Kirchenfiirsten nach Italien. Die Synoden in Sutri nnd Rom setzten die drei Papste wegen der gegen sie erhobenen Anklagen ab, \vorauf der Konig den Bischof Suidger von Bamberg, der sich Klemens II. nannte, auf den Stuhl Petri erhob. Dieser kronte Heinrich zum Kaiser und nahm sich der Reform mit Eifer an; das letztere taten auch die drei folgenden Papste, die ebenfalls Heinrich ernannte. Die Romer iibertrugen ihm namlich damals die Wiirde des Patricius und gestanden ihm sowie seinen jSTachfolgern die Ein- setzung des Papstes zu (S. 76). 5. Heinrichs Charakter und Stellung. Heinrich war dank seiner vorzuglichen Erziehung in der Theologie und in der Rechts- ■vvissenschaft bewandert, so daB er die gesamte Bildung der Zeit besaB. Wegen seiner Strenge war er gefiirchtet, wegen seiner Ge- rechtigkeit nannte man ilin „die Linie der Gerechtigkeit“. Kein Kaiser hat seine Wiirde ernster aufgefaBt als er. Sein Hof in Goslar war der Mittelpunkt des westlichen Europa; es ging aher iiber die Grenzen seiner Macht hinaus, wenn er an die Unterwerfung Frank- reichs dachte. Er starb schon im 39. Lebensjahre. C. Heinrich IV. (1056 — 1106). 1. Die Zeit der Vormundschaft (1056 — 1065). Die Regierung iibernahm zunachst die Konigin-Witwe Agnes, der aber die notigc Tatkraft fehlte. Schwaben, Bayern und Karnten, die erledigt waren, vergab sie wieder; ersteres erhielt ihr Schwieger- sohn Rudolf von Rheinfelden, Bayern der Sachse Otto von Nord- 1 Benannt nach Simon dem Magier und den Heidenchristen in Pergamum, die in der Offenbarung Johannis NiTcolaiten heiBen. 1046. 1056-1106 86 Zweiter Zeitraum. heim und Karnten Bertold von Zahringen. Ehrgeizige Kirchen- fiirsten suchten die Gewalt in die Hande zu bekommen. Der Erz- bischof Anno von Edin entfiihrte im Einverstandnisse mit Otto den Konig, worau£ Agnes in ein Kloster ging. Bald aber getvann Erz- bischof Adalbert von Bremen , der Hebenbuhler Annos, entscheiden- den EinfluB auf den Konig. TVahrend der monchisch gesinnte Anno ihn strenge bebandelte, gab der prachtliebende Adalbert den USTei- gungen des Konigs zn sehr nach. Darunter litt die Charakterent- wicklung Heinrichs, der sich natiirlicb mehr zu Adalbert hingezogen fiihlte. Dieser lieB ilm auch, wahrend Anno in Italien weilte, mit 15 Jaliren miindig erklaren und war nun er st recht einfluBreich am Hofe. 1073-1075. 2. Der Aufstand der Sachsen (1073 — 1075). a) DieVeranlassung. Wie Heinrich III., nahm auclr sein Solin seinen Aufenthalt in Goslar. Aus MiBtrauen gegen die Sachsen, die den frankischen Kaisern wenig geneigt waren, erbaute Heinrich in Sachsen Bur gen, darunter namentlich die Harzburg, wobei jene nach dem herkommlichen Redite Dienste leisten muBten. Infolge von Aussehreitungen, tvelche sich die Besatzungen dieser Burgen erlaubten, stieg die Aufregung im Bande. Als nun Heinrich den Herzog von Bayern wegen der angeblichen Absicht, ihn zu ermorden, absetzte und Magnus, den Sohn des verstorbenen Herzoga von Sachsen, als dessen Bundesgenossen in Ilaft hielt, reizte Otto die Sachsen zum Aufstande, die sich nun einmutig, Vasallen und Bauern, erhoben. Otto war ihr Anfiihrer. b) Der Verlauf. Heinrich war in Gefahr gefangen zu werden. Nur mit Miihe rettete er sich an den Rhein, wo ihm die Burger von Worms die Tore oifneten; es ist die erste politisclie Tat des deutschen Biirgerstandes . 1 Aher die suddeutschen Fiirsten, die er aufbot, gingen Verhandlungen mit den Sachsen ein, infolgederen Heinrich die Zerstorung der sachsischen. Burgen zugab. Da aber die Sachsen hiebei auch ein Kloster und eine Kirche nicht schonten und die Gebeine zweier Sprossen des Konigshauses aus der Gruft rissen, wurden sie von suddeutschen Fiirsten angegriffen und bei Hamburg 1075. vollstandig geschlagen (1075). 2 Die Sachsen wurden zwar unter- worfen, waren aber stets zu neuen Emporungen geneigt. 1 Unter den frankischen Kaisern kamen zu den bisherigen 79 deutschen Stlidten 65 neue hinzu. 2 In dieser Sehlacht fiel der lcaisertreue Markgraf Ernst von Osterreich. Heinrieh IV. 87 3. I)ie Emanzipation des Papsttums (1049 — 1073). a) Leo IX. (1049—1054). Je mehr die Papste seit der Mitte des 11. Jahrhunderts durch Sittenreinheit und Begabung hervor- ragten, desto mehr hoben sie audi das Ansehen des Papsttums. Zwar erfolgte unter Leo IX., dem zweiten Kachfolger Klemens’ II., wegen Streitigkeiten mit dem Patriarchen von Konstantinopel Michael Cerularius endgiiltig die Trennung der abend - und der morgenlandischen Kirche (S. 70) ; dagegen erhohte Leo die papst- liclie Macht im Westen besonders dadurch, daB er im Interesse der Kirchenreform zahlreiche Synoden in- nnd auBerhalb Italiens abliielt. b) Nikolaus II. (1059—1061). Unter ihm konnte bereits die AbhdngigTceit des Papsttums vom Kaisertume beseitigt werden. Im Jahre 1059 bestimmte namlich ein Lateran-Konzil, auf dem kein einziger deutscher Biscliof zugegen war, daB in Zukunft die Papste durch die Eardinalbischbfe, d. h. die sieben Bischofe des Sprengels von Pom, gewahlt werden sollten. Dadurch wurde die Papstwalil audi von den Geivalten in Rom, dem Adel nnd dem Volke, unab- hangig. c) Hildebrand. Er stammte ans einer ar men Familie, vrarde Monch in Pom und erhielt das wichtige Amt eines Kardinal-Sub- diakons, mit dem die Leitung der stadtischen Angelegenlieiten sowie die Verwaltung der papstlicben Pinanzen verbunden waren. Sclion in dieser Stelle war er die Seele der Beformpartei und der einfluB- reichste Ratgeber der Papste. Weil er iiberzeugt war, daB die papst- liclie Wiirde iiber jeder irdischen Macbt stehe, veranlaBte er das Wahldekret Kikolaus’ II., der ibn zum Archidiakon der romiseben Kirche erhob. Als ihn im Jahre 1073 der Zuruf des Volkes zum Papste erhob — er nannte sich Gregor VII. — , setzte er sicb die unbedingte Durchflihrung der Reform und die Sicherung der Un- abhangigkeit der Kirche von jeder Laiengewalt zum Ziele; letzteres muBte zur Theolcratie (I. 26), d. h. zur Ilerrschaft der Kirche iiber den Staat, fiihren. Durch seine Bestrebungen rief er den heftigsten Widerstand der verheirateten Geistlichen und des deutschen Konigs hervor, den er nur durch das Zusammentreffen mehrerer Umstande iiberwinden konnte; es sind dies: a) Die Schiuache der deutschen Konigsmacht infolge der Jugend des Konigs und der Selbstsucht der Fursten. 1049-1073. 1059. 1073. 88 Zweiter Zeitraum. (]) Der enge AnschluB des Papstes an Mathilde, die groBe Grafin v on Tuszien. Diese der Kirche unbedingt ergebene Fran verwaltete ein Gebiet, das sich vom Mincio bis zur mittleren Tiber erstreckte. y) Der Bund mit der Pataria. Gegen die verweltlickten Geist- lichen begann in den nnteren Volksschichten Oberitaliens eine Be- wegung, deren Anhanger von den Gegnern Pataria , d. b. Gesindel, genannt wurden. Die Papste unterstiitzten diese Bewegung, welche die lombardiscbe Geistlichkeit zwang, sich den Forderungen der Reformpartei zu fiigen. Besonders udchtig war d) die innige Verbindung mit den Normannen. Die Hormannen Um 1000. griffen bald nach dem Jahre 1000 in die Geschicke Unteritaliens ein. Damals kamen auf dem Riickweg aus Jerusalem einige nor- mannische Bitter dahin; bald folgten andere nnd kampften mit Erfolg gegen die Griechen. Konrad II. belehnte ihren Fiihrer Rainulf mit der Grafschaft Aversa, wodurcb er deutscher Reichs- frirst wurde. Durch Kachscbiibe aus der Kormandie verstarkt, ent- rissen die Kormannen den Griechen den groBten Teil Apuliens, wes- halb sie Heinrich III. mit dieser Grafschaft belehnte. Unter Kiko- laus II. gelang es Hildebrand, sie zu pdpstlichen Vasallen zu machen; es war dies einer der groBten Verluste der Salier. In der Zeit Gregors YII. stand Robert Guiscard an ihrer Spitze, der sich nach Vertreibung der Griechen aus Kalabrien Herzog von Apulien and Kalabrien nannte, wiihrend sein Bruder Roger den Islam auf Sizilien stiirzte. Durcli ihre Schlauheit, Tapferkeit und staats- mannische Begabung retteten die Kormannen Unteritalien vor der Gefahr, daB es eine Beute des Islam wurde. „Die Geschichte der Ilalbinsel hatte wieder einmal in Rom ihr Zentrum gefunden“ (Giesebrecht). 1076-1122. 4. I)er Investiturstreit (1076 — 1 122). a) Die Veranlassung. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. entbrannte uber die Frage der Investitur, d. h. der Ubergabe der Lehen an die Kirchenfiirsten (Erzbischofe, Bischofe, Reichsabte) durch tlberreichung von Ring und Štab als Zeichen ihres kiinftigen Amtes, das sie gleichzeitig erhielten. Gregor verbot namlich bei Strafe des Bannes den Laien die Erteilung, den Geist- lichen die Annahme dieser (Laien-) Investitur. Da aber die Kirchen¬ fiirsten auch machtige Reichsfiirsten waren (S. 74), konnte sich der Heinrioh IV. 89 Kaiser den EinfluB auf ilire Einsetzung unmoglich nehmen lassen. Von den Geistlichen schlugen sicli die Gegner der Reform auf die Seite des Kaisers, der auBerdem besonders von den Stadten unter- stiitzt vvurde; auf Gregors Seite standen auBer einem Teile des Klerus die Vollcsmassen, welche durch papstliche Schreiben und die Tatigkeit der Tlirscliauer Monche, der deutschen Cluniacenser, gewonnen wurden. Der Kampf wurde mit der gro&ten Erbitierung gefiihrt und das Reich durcb ihn tief erschiittert, da in mehr als einem Drittel der Diozesen zwei Bischofe einander fortwahrend bekfimpften. b) Der Veri auf des Kampfes. a) Die Exhommunihation des Kaisers; Canossa (1076 u. 1077). Im Jahre 1076 erschienen papst- liche Gesandte in Deutschland, die Heinricb unter Androhung des Bannes aufforderten, sicb von den fiinf Raten, die der Papst wegen Simonie gebannt hatte, zu trennen und wegen der ibm vorgeworfenen Vergehen, die aber niebt naher bezeichnet wurden, BuBe zu tun. Eine solche Sprache hatte noch kein Papst einem deutschen Herr- scher gegeniiber gefiibrt. Entriistet dariiber, berief Heinricb eine Versammlung deutscher Bischofe und Laienfiirsten nach Worms (1076), welcbe Gregor wegen derlJnregelmaBigkeit seiner Erhebung absetzten. Kun sprach der Papst wirklich den Bann iiber Heinricb aus und entband dessen Untertanen des Eides der Treue. Die Wir- kung hievon war so bedeutend, daB Heinricb die ganze folgende Zeit um seine Krone kampfen muBte. Alles kam darauf an, wie sich die Fursten verhielten. Diese traten gegen den Konig auf, da sie die Gelegenheit fiir giinstig eracbteten, um das Kaisertum zu scbwachen. Sie versammelten sich d aber zu Tribur (1076), um Heinrich der Krone fiir verlustig zu erklaren. Kur mit Muhe konnte der Konig dies verhindern, doch vereinbarten die Eiirsten seine Absetzung, falls er nicht binnen •Tahresfrist vom Banne gelost ware, untersagten ihm jede selbstan- dige Veiuvaltung der Reichsgeschafte in der Zwischenzeit und be- schlossen, im nachsten Jahre in Augsburg in Gegenwart des Papstes iiber ihn Gericht zu halten. Daher strebte Heinrich zunachst nach der Losung vom Banne. Da die Fiirsten die deutschen Alpenpasse besetzt hatten, zog er mitten im Winter des Jahres 1076/77 iiber den Mont Ceniš, begleitet von seiner edlen Gattin Berta und einem groBen Gefolge, nach Oberitalien. Ilier wurde er von den Bischofen und Grafen in der Meinung, daB er Gregor bekampfen werde, 1076 . 1076 . 90 Zweiter Zeitraum. freudig' begriiBt. Heinricli wollte aber nur moglichst schnell mit dem Papste zusammenkommen, der auf dem Wege nacb Deutschland bereits in Mantua angelangt war, sich aber infolge der Ankunft des Konigs auf die Burg Canossa begab, die der groJBen Grafin gehorte. Daselbst loste Gregor den Konig nach langeren Unterhandlungen 1077 . vom Banne; 1 doch muBte der letztere versprechen, sich nach dem TJrteile des Papstes mit den Piirsten zu vergleichen und Gregor an der Beise nach Deutschland nicht zu hindern. Die Dachriclit von der Versohnung des Konigs und des Papstes, die iibrigens nicht auf- richtig war, wirkte nach einer gleichzeitigen Quelle auf die deutschen Piirsten wie ein Donnerschlag; Gregors Iteise nach Deutschland verhinderten die Lombarden. 1078 - 1088 . ji) Der Kampf mit den Gegenlconigen (1078—1088). Den Piirstentag in Augsburg hatte Heinrich vereitelt. Gleiclnvohl ver- sammelten sich melirere Fursten in Gegemvart der piipstlichen Le- gaten zu Forchheim, setzten Heinrich ab und erhoben Kudolf von Schwaben zum Konige; gleichzeitig erklarten sie Deutschland fiir 1077 . ein Wahlreich (1077). Heinrich eilte iiber die Alpen; die Herzoge von Bayern und Kamten setzte er wegen ilires Anschlusses an Budolf ab, Leopold II. von Osterreich stand auf der Seite des Papstes, die Sachsen erhoben sich unter der Fiihrung Ottos aber- mals. Von Bavern und Schwaben durch Franken bis nach Thiiringen tobte der Krieg. Gregor hielt sich anfangs neutral, bannte aber spater auf Driingen der Sachsen den Konig neuerdings. Doch noch 1080 . in demselben Jahre (1080) kam es zur Schlacht bei Hohen-Molsen, 2 in der zwar Heinrich besiegt, aber sein Gegner todlich verwundet wurde. Da die Bevolkerung hierin ein Gottesurteil erblickte, war die groBte Gefahr fiir Heinrich voriiber; der zweite Gegenkonig, Her¬ mann von Luxemburg, brachte es zu keiner allgemeineren Anerken- nung und muBte sich nach dem Tode Ottos unterwerfen. Heinrich konnte den weiteren Kampf in Deutschland seinem Sclrvviegersohne Friedrich von Staufen, dem er Schwaben iibergeben hatte, iiber- lassen und nach Italien zum Kampf e mit Gregor aufbrechen. 1081 - 1085 . y) Der Kampf in Italien bis zum Tode Gregors (1081—1085). Da sich Gregor den Gegnern des Konigs angeschlossen hatte, berief 1 Die naheren Einzelheiten kennen wir nielit; jedenfalls erschien Heinrich barfufi und im hiirenen BiiBergewande erst, als er sich, des Losspruehes sicher, zu Gregor begab. 2 Die erste Schlacht in der Leipziger Ebene. Heiimcli IV. 91 dieser eine Versammlung von Bischofen nach Brixen, die Gregor absetzten und den Erzbischof von Ravenna zum Papste wahlten; er nannte sich Klemens III. (1080). Im folgenden Jahre zog Heinrich nach Italien, wurde in der Lombardei mit Jubel empfangen und eroberte Kom (1084). Walirend er von Klemens zum Kaiser gekront wurde, behauptete sich Gregor in der Engelsburg. Zu seiner Unter- stiitzung zog Kobert Guiscard lieran, vor dessen starkem Ileere Heinrich Rom verlieB, das von den Normannen gepliindert wurde; zahlreiche Kunstdenkmaler wurden schwer beschadigt, viele Burger an die Sarazenen verkauft. Als die Normannen abzogen, schloB sich ihnen wegen der Erbitterung der Komer Gregor an; er starb schon im folgenden Jahre, iiberzeugt, daB er nur fiir das Kecht gekiimpft habe. 1 Da auch die folgenden Papste in den Bahnen Gregors wan- delten, nahm der Investiturstreit seinen Fortgang. 5. Der Abfall der Soline vom Kaiser (1093 — 1 106). Die Reformpartei, welche an Urban II., dem zweiten Nach- folger Gregors, einen entschlossenen Fiilirer hatte, bewog den alteren Konrad, der bereits zum Nachfolger des Kaisers bestimmt war, zum Abfalle von seinem Vater. Heinrich lieB ihn durch ein Fiirsten- gericht der Naehfolge fiir unvviirdig erklaren und sie dem jiingeren Heinrich zusichem. Kach dem Tode Konrads emporte sich auch der verschlagene und herrschsiichtige Heinrich. Zum Vorwande nahm er, daB der Vater noch immer im Banne sei; er schlofi sich daher auch der Reformpartei an, obwohl er im Herzen ihr Gegner war. Vergebens suchte der alternde Kaiser eine Versohnung herbeizufiihren; bald standen sich die Heere des Vaters und des Sohnes am Regen gegen- iiber. Der letztere bestimmte den Markgrafen Leopold III. von Osterreich und den Herzog von Bohmen zum Abfalle von seinem Vater; dieser floh daher an den Rliein, wo er abermals bei den Stiidten Hnterstiitzung fand. Nun suchte der Sohn sich durch Ver- stellung des Vaters zu bemachtigen. Er bat ihn um eine Zusammen- kunft, heuchelte Keue, erhielt Verzeihung und veranlaBte den Kaiser, sein Heer zu entlassen. Ilierauf lieB er ihn auf die Burg Rocleelheim bringen, wo er wie ein Gefangener bewacht wurde. Mit dem Tode bedroht, verzichtete Heinrich auf den Thron und floh zu seinem Freunde, dem Bischof Otbert von Liittich. Da er von diesem 1 „Dilexi justitiam e.t odi iniquitatem, propterea morior in exilio.“ 1084 . 92 Zweiter Zeitraum. 1106 . 1106-1125. 1110 . 1122 . und von Koln Unterstiitzung erhielt, schien es zum Kampfe zu kommen, als der ungliicklichste der deutschen Kaiser unerwartet starb (1106) ; erst im Jahre 1111 wurde seine Leiche im Dome zu Speyer begraben. Heinrich war ein vrohhvollender Herrscber; er gab den Armen reichlick Almosen und widmete sicii eifrig der Sicherung des Land- friedens. GroJBe Freude batte er an Bauten. 1 Seine von allen Seiten angegriffenen Rechte bat er mit Kraft und Ausdauer verteidigt und auf keines von ibnen verziclitet. D. Heinrich V. (1106—1125). Der Idauptinbalt seiner Gescliichte ist die Fortsetzung des Investitur str eites. 1. Heinrich und Paschalis II. Heinrich zog im Jahre 1110 mit einem Heere von 30.000 Rittern — nocb nie batte ein Kaiser ein so starkes Heer iiber die Alpen gefubrt — nacb Rom, um mit dem Papste wegen der Investitur zu unterhandeln. Da er erklarte, die Investitur nicht aufgeben zu konnen, schlug der Papst vor, die Bischofe sollten auf die Lehen 2 verzichten. Heinrich stimmte diesem VorschlSge zu. Als aber der Inhalt desVertrages in der Peterskircbe, wo Heinrich gekront werden solite, verlesen wurde, erhoben die weltlichen Fiirsten, die sich im Besitze der Kirchenlehen bedroht fiihlten, einen gewaltigen Larm, und mehrere Bischofe erklarten den Vertrag fiir ungiiltig, sa dah er fallen gelassen werden muBte; der Papst weigerte sich daher auch, Heinrich zu kronen, und dieser nahm den Papst und die Kardinale gefangen. Endlich gestand der Papst dem Konige die Investitur zu, befreite die Leiche Hein- richs IV. vom Banne und gelobte, Heinrich zum Kaiser zu kronen und ilin niemals zu bannen. Hach der Ausfiihrung des Vertrages kehrte der Ivonig nach Deutschland zuriick. 2. Das Enile (les Investiturstreites. Da infolge der Unnach- giebigkeit der Reformpartei der Biirgerkrieg wieder auszubrechen drohte, schritten die deutschen Fiirsten ein. Durch ihre Vermittlung kam namlich mit dem Papste Kalixtus II. das Wormser Konkordat zustande, das dem nahezu 50jahrigen Streite ein Ende machte (1122). Seine Bestimmungen waren: a) Die Mitglieder des Dom- 1 Nur das 18. Jahrhundert kommt dem 11. an Baulust gleicli. 2 Ducatus, marchias. comitatus, advocatias, monetas, thelonia ceterorumque regalium, quae possident, summam. Die Kreuzzuge. 93 (Ordens-)Kapitels sollen in Gegenwart des Kaisers oder seines Stell- vertreters den Bischof (Abt) ohne Simonie wdhlen; b) der Gewahlte erhalt vom Kaiser durch LTberreichung des Zepters als Zeichen der weltlichen Gewalt die Reichslehen ; c) bierauf folgt die Tcirchliche Weihe mit tlberreichung von King nnd Štab. — Diese Bestim- mungen galten im wesentlichen auch fiir das spatere Mittelalter. Ergebnis. Der Investiturstreit endete mit dem Siege Roms ; denn die Emanzipation des Papsttums, das wicbtigste Ereignis des 11. Jahrhunderts, war endgiiltig vollzogen, weshalb auch tein vom Kaiser eingesetzter Papst melir allgemeine Anerkennung gefimden bat, und es gab jetzt lceine Reformpartei, sondern nur mebr eine reformierte Kirche. 3. Weitere Folgen des Kampfes. a) Durcb den Bund der Eiirsten mit dem Papste ward die Macbt des Kaisers ersehiittert, die papstliclie und fiirstliche bedeutend gesteigert; 6 ) nach auBen erlitt das Keicli grobe EinbuBen: Italien und Burgund gehorehten fast nur melir dem Kamen nacb dem Kaiser, in Polen und Ungarn war dessen Ansehen ganz beseitigt, im Wendenlande war seit Men- schengedenken kein Kaiser gewesen; c) das kirchlicbe Leben nabm einen machtigen Aufscbwung, was in der Griindung des Kartduser Zisterzienser- und Prdmonstratenserordens Ausdruck fand; d ) nur der Aufsehmmg des kircblicb-religiosen Lebens ermoglichte die Kreuzziige. IDritter Zeltraum. Vom Beginne der Kreuzziige bis zur Thronbesteigung Rudolfs von Habsburg (1096—1273), 1096 - 1273 . Erstes Kapitel. Die Kreuzziige (1096—1270). 1 1096 - 1270 . 1. Die Ursachen. Die Kreuzziige sind das Werk der Papste, die durch den Ausgang des Investiturstreites die geistigen und groBenteils auch die politischen Eiihrer des Abendlandes wurden. Das Ziel der Kreuzziige war die Eroberung Palastinas, das in der zweiten Halfte des 11. Jahrhunderts die Seldscbuken unterworfen hatten. Die grobe Teilnabme an den Kreuzziigen und ibre lange 1 Ji. Kugler, Geschiehte der Kreuzzuge (in Onekens Sammelwerke); R. RShricht, Geschiehte der Kreuzzuge im Umrisse, Innsbruck 1898. 94 Rritter Zeitraum. Dauer verursachten: a) der kirchlich-religiose Sinn der abend- landischen Christenheit; h) die grobe Zunahme der Bevolkerung (S. 16) ; c) die Abenteuerlust und d) die Hoffnung auf Beute. Die Kreuzziige bilden einen Abschnitt in dem Kampfe zwischen dem Morgen- und dem Abendlande (I. 88 u. 184). 2. Die Veranlassungen. Diese waren das Ili.lfegesuch des Kaisers Alexius aus dem Ilause der Komnenen , der vergebens Klein- asien den Seldschuken wieder zu entreiBen suchte, und die Klagen iiber die Bedriickungen, welche die christlichen Wallfahrer in Jeru- salem zu erdulden hatten. Man unterscheidet sieben Kreuzziige, doch fanden auch in den Zwischenzeiten fortwahrend Zuziige aus dem Abendlande statt. 1096-1099. I. Der erste Kreuzzug (1096 1099). l.DieTeilnehmer. Auf dem Konzile zu Clermont, dasUrban II. im Jalire 1095 versammelte, erschienen so viele Geistliche und Laien, daB keine Kirche sie fassen konnte. Der Papst stellte die Bedriingnisse der Cbristen im heiligen Bande eindringlich dar und einmiitig rief die Menge: „Gott will es! Gott will es!“. Das Ililfe- gesuch des Alexius trat in den Hintergrund, die Befreiung Pala- stinas von den L T nglaubigen wurde die Losung. Alle, die zu diesem Zwecke auszieben wollten ; befteten sich ein rotes Kreuz auf die rechte Schulter („Kreuzfahrer“) ; verschiedene Prediger, darunter Peter von Amiens, riefen zur Teilnahme auf. In allen Kreisen, den ritterlichen und den bauerlicben, fand der Ruf lebhaften Widerball. Scbon im Jahre 1096 zogen scblecht geriistete bauerlicbe Scharen, die sonst damals dieWaffen ni elit mebr tragen durften, unter der Anfiihrung Peters nach Asien, \vurden aber bei Nicda von den Tiirken zersprengt. Bald erhob sicli auch am Rhein besitzloses Volk, das liber die Juden herfiel und sich ihrea Geldes bemachtigte, aber schon in Ungarn wegen seiner Verwilde- rung groBenteils vernichtet \vurde. Inzwischen riisteten sich zum Kreuzzug auch einzelne Filrsten, denen aus den fernsten Landern, wie England, Danemark, Kor- ivegen, Ritter zustromten; da aber kein Kbnig mitzog, fehlte es an der rechten Einheit. Die wichtigsten Teilnehmer, hauptsachlich Rom.anen, waren: Gottfried von Bouillon, der letzte Herzog von Kiederlothringen, dessen Bruder Balduin von Flandern, Graf Raimund von Toulouse, Piirst Boemund von Tarent und sein Vetter Der erste Kreuzzug. 95 Tankred. Die einzelnen Fiirsten schlugen verschiedene Wege ein; so zog Gottfried liber Wien durcli das Morawa- ins Maritzatal, 1 Raimund iiber den GroBen St. Bernhard, durch Venetien und Dal- matien nach Durazzo und danil quer durch die Balkanhalbinsel; Boemund fulir von Brindisi iiber das Meer nnd lenkte dami in den Weg Raimunds ein. So sammelten sicb allmiililicb vor Konstan¬ tinopel etwa 300.000 gut geriistete Krieger, denen ein langer TroB folgte. Diese Macbt floBte Alexius Furcht ein, weshalb er er st die notigen Schiffe bereitstellte, nachdem die Fiirsten den Lebenseid fiir die zu erobernden, eliemals griechischen Bander geschworen hatten. 2. Der Verlauf des Kreuzzuges. Hach dem Siege bei Dory- Idum, wo sicli europaisehe und tiirkische Reiter bekampften, litt das Heer auf dem Zuge durch Kleinasien den groBten Mangel, weil Alexius nur schlecht fiir die Verpflegung sorgte. Wahrend Balduin in Edessa ein selbstandiges Fiirstentum errichtete, zog das IBaupt- lieer vor das feste Antiochia. Die Belagerung und Eroberung dieser Stadt war die entscbeidende Tat des ganzen Zuges. Sclion hatten die Cliristen ungeheure Verluste erlitten, als ein tiirkischer Emir, der mit dem Beherrscher der Stadt zerfallen war, dem Boemund die Festung durch Verrat in die Ilande spielte. Unmittelbar darauf erschien ein starkes Entsatzheer des Sultans von Mosul, das nun Antiochia belagerte. Die Christen waren bereits in arge Kot geraten, als sie, begeistert durch die angebliche Auffindung der heiligen Lanze, bei einem Ausfalle das feindliche Ileer vollstandig schlugen. 2 Durch Streitigkeiten unter den Fiirsten noch ein hal bes Jahr zuriick- gehalten, brachen sie endlich gegen Jerusalem auf, wahrend Boemund in Antiochia ein Fiirstentum griindete. Als sich die Christen Jerusalem, das kurz vorher die Fati- miden, die Beherrscher Agyptens, den Seldschuken entrissen hatten, naherten, bedeckten sie den Boden mit Tranen und Kiissen. Dank der begeisterten Stimmung erstiirmten, sie, nur mehr 20.000 Waffen- fahige stark, die heilige Stadt (1099), in der sie ein groBes Blutbad unter den Ungliiubigen anriehteten. Der Rat der Fiirsten beschloB, in Jerusalem ein Konigreich zu errichten und bot Gottfried die 1 Auf diesem ganz besonders wichtigen Wege zogen aueh romische, byzan- tinische, tiirkische und osterreichischc Truppen; letztere zur Zeit des Kaisers Leopold I. 2 Das fast ivunderbare Ereignis gab den Sagen liber Gottfried, Peter u. a. ihren Ursprung, durch welche diesen Miinnern eine Bedeutung zugeschrieben wurde, die ihnen in Wahrheit nicht zukam. 1099 . 96 Dritter Zeitraum. Krone an; dieser begniigte sich aber, weil Christus daselbst eine .Dornenkrone getragen hatte, mit demTitel „Beschiitzer desHeiligen Grabes“ und schlug die Fatimiden, welche Jerusalem wieder erobern wollten, bei Ashalon vollstandig (1100). Als er nocb in demselben 1100. Jahre starb, wurde sein Bruder Balduin zum Konig eingesetzt. 3. Das Konigreich Jerusalem. Bas Ergebnis des ersten Kreuz- zuges war die Griindung christlicber Staaten im Orient; 1 unter diesen war das Konigreich Jerusalem am wicbtigsten. Urspriinglich ein Wahlreich, wurde es spater in eine Erbmonarcbie umgewandelt. Mit Hilfe fernerer Unterstiitzungen aus dem Abendlande gelang es, das Reich zu erweitern und namentlich alle Kiistenstadte zu erobern; es konnte sieh aber nur so lange halten, als die mohammedanische Welt zersplittert war. Denn von Anfang an schadete ihm seine schwaclie Organisation (Lehens^vvesen); der Konig war in allen wichtigen Dingen an die Zustimmung der Groben gebunden, auch waren die langgestreckten Grenzen nur schwer zu verteidigen. Dazu kamen noch haufige Streitigkeiten der Konige mit den Elirsten von Antiochia und Edessa, die nicht einmal der Lehenshoheit Jerusalems unterstanden. Auch die hohe Geistlichkeit und die groben Stadte bereiteten nicht selten Schwierigkeiten, ebenso die geistlichen Ritter- orden durch ihren Starrsinn und ihre Tollkiihnheit. II. Die geistlichen Ritterorden. In ilmen sind die Grundsatze des Monchs- und des Ritter- standes zu einem idealen Zwecke, der Verteidigung des Christen- tums im Orient, vereinigt. Die drei wichtigsten Ritterorden ent- standen im 12. Jahrhunderte; sie gelangten bald zu grobem Reich- tume. 1. Der Templerorden. Er wurde von franzbsischen Rittern gegriindet. Der Orden der Tempelritter, die einen Teil des Konigs- palastes an der Stelle des Salomonischen Tempels beivohnten, wurde auf Betreiben Philipps IV. des Schonen vom Papste Klemens V. 1312. aufgehoben (1312), hauptsachlich weil sich jener franzosische Konig der groben Giiter des Ordens in Erankreich bemachtigen wollte. Als Vonvand dazu diente, dab sich der Orden der Ketzerei schuldig gemacht habe, was aber niemals enviesen worden ist; denn die Gestandnisse, welche Hunderten von Ordensmitgliedern unter den Qualen der Folter erprebt wurden, haben keine Beweiskraft. 1 Torqua,to Tasso, „Das befreite Jerusalem"; Kaulbaehs Freske in Berlin. Der zweite Kreuzzug. 97 2. Der Johanniter-(Hospitaliter-)Orden, eine Stiftung der Italiener. Schon im 11. Jahrhunderte hatten reiche Amalfitaner — Amalfi war damals eine sehr bedeutende Ilandelsstadt — zur Ver- pflegung armer kranker Pilger in Jerusalem ein Kloster nnd ein Krankenhaus errichtet, das dem h. Johann geweiht war. Die Erfolge der Templer veranlaBten die Umgestaltung dieser Genossenschaft in einen Ritterorden. iSTach dem Verluste des Heiligen Landes lieBen sieh die Johanniter auf Rhodus nieder (Bhodiserritter) nnd, als diese Insel in die Gewalt der Tiirken fiel, iibergab ihnen Karl V. die Maltagruppe (Malteserritter). 3. Der Deutsche Orden. Er ist eine Schopfung deutscher Pilger aus Liibeck nnd Bremen nnd ging aus einem Hospital hervor, das jene Aviihrend des dritten Kreuzzuges im Lager vor Akkon gegriindet hatten (1191). Seine weltgeschichtliche Bedentnng ge- wann er durch die Christianisierung PreuBens. III. Der zweite Kreuzzug (1147—1149). 1147 - 1149 . ■ 1. Die Veranlassimg; der h. Bernhard. Kachdem Imadeddin Ženki, der Snltan von Mosul, die kleinen Emirate in der Kahe seines Gebietes erobert hatte, griff er plotzlich Edessa an, das trotz tapferen Widerstandes fiel. Da der Papst damals von den Romern vertrieben war, iibertrug er die Kreuzzugspredigt dem h. Bernhard von Clair- vaux, dem zweiten Griinder des Zisterzienserordens, der „langst das Orakel Frankreichs in allen kirchlichen Eragen war“ (Giesebrecht). Vom Easten gebleicht, war er Avegen seiner Frommigkeit und hin- reifienden Beredsamkeit der einflnBreichste Mann in ganz Europa. Auf der Versammlung zu Yezelay, avo sich anBer dem Konige Ludwig VII. und den GroBen eine unzahlige Menge Volkes ein- gefunden hatte, predigte Bernhard mit solcher Begeisterung, dafi er seine Kleider zerschneiden muBte, um genug Kreuzeszeichen zu be- kommen. Viel sclrwieriger war es, den niichternen Konig Konradlll. von Deutschland zu geAvinnen; endlich gelang Bernhard, wie er selbst sagt, „das Wunder der Wurider“ im Dome zu Speyer. Zum erstenmal nahm die ganze Christenheit das Kreuz, es Avar das Werk Bernhards, den man „Geist des Pilgergottes“ (spiritus peregrini Dei) nannte. Die Begeisterung machte sogar dem FehdeAvesen ein Ende. 2. Der Verlauf des Kreuzzuges. Wahrend sich die Eranzosen in Metz sammelten, brachen die Deutschen von Regensburg aus auf Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 7 98 Dritter Zeitraum. und schlugen, von den Griechen teilweise angefeindet, den gewohn- lichen Landweg nach Konstantinopel ein. Konrad lieB sich durcli den byzantinischen Kaiser bestimmen, nocb vor der Ankunft Ludwigs nach Asien iiberzusetzen. Bald wurde er aber durcb den Mangel an Lebensmitteln und die Angriffe des Eeindes unter groben Verlnsten zur Umkehr genotigt. Wahrend er sich infolge seiner Er- krankung nach Byzanz begab, zog Lndwig nach der Siidkiiste Klein- asiens und schiffte sich hier mit einem Teile des Heeres nach An- tiochia ein; der Best zog langs der Kiiste weiter und wurde von den Tiirken fast ganz vernichtet. Kachdem sich Konrad erholt hatte, fuhr er uber das Meer nach Balastina. Da die Unglaubigen in- zwischen Edessa zerstort hatten, lieBen sich Konrad und Ludvig bereden, mit dem Konige von Jerusalem zur Belagerung von Damaskus auszuziehen, das unter einem tiirkischen Emir stand. Dieser verstandigte sich aber mit den orientalischen Christen, in¬ folge deren Treulosigkeit die Belagerung miBlang, so daB der Kreuz- zug ohne jeden Erfolg endete. IV. Der dritte Kreuzzug (1189 — 1193). 1. Die Veranlassung. Saladin 1 , der Sohn des Ejjub, hatte die schwachen Fatimiden gestiirzt und die Kegierung Agyptens selbst iibernommen. Es gelang ihm, der Zersplitterung des Islam ein Ende zu machen; er eroberte namlich Syrien und fast ganz Mesopotamien, so daB er Jerusalem umklammerte. Da fiihrte der tTbermut eines franzosischen Bitters die Katastrophe herbei. Dieser iiberfiel trotz des mit Saladin abgeschlossenen Waiienstillstandes eine Karawane, bei der auch eine Schwester Saladins war, und pliinderte sie voll- standig aus. Da der Konig von Jerusalem die verlangte Bestrafung des Schuldigen nicht vorzunehmen wagte, kam es zum Kriege, in dem nach der volligen Kiederlage der Christen beim Dorfe Hattin (1187) Jerusalem in die Hande Saladins fiel. 2. Der Verlauf des Kreuzzuges. a) Das deutsche Heer unter Friedrich I. Barbarossa. Die Nachricht vom Verluste Jerusalems rief die einmutige Erhebung Europas hervor, so daB damals die Kreuzzugsbeivegung ihren Ilohepunkt erreiclite. Eiir Deutschland wurde ein allgemeiner Landfriede verkiindet, Saladin in ritterlicher Weise der Krieg angckiindigt, mit den Herrschern der Bander, die 1 Lessings „Nathan der Weise“. Der dritte Kreuzzug. 99 durchzogen werden sollten, Vertrage \vegen der Verpflegung ab- geschlossen. Die Fiihrung der Deutschen iibernahm der greise Kaiser Friedrich. Durch die friiheren Erfahrungen belehrt, wurden mir waffentiichtige Krieger, wenn sie mindestens drei Mark Silber (ungefahr 144 K) besaBen, zur Teilnahme zugelassen; das gldn- zendste deutsche Heer des Mittelalters , zabite es 50.000 Reiter und 100.000 Mann FuBvolk. Es brauchte bis Konstantinopel ein halbes Jahr, muBte mit den Griechen wiederholt kampfen und sich durch Drohungen die tlberfahrt iiber die DardanellenstraBe erzwingen. Denn der Kaiser Isaak aus dem Hause der Angeli, die kurz vorher infolge einer Kevolution Kachfolger derKomnenen geworden waren, stand mit Saladin im Bunde. Trotz vielfacher Leiden 1 gelangte das Heer vor Iconium, die Hauptstadt des gleichnamigen Sultanats, das durch Sturm genommen wurde. Hachdem Friedrich das Heer noch iiber den Taurus gefiihrt hatte, ertrank er im reiBenden Bergstrome Saleph. In der ganzen Christenheit rief die FTachricht hievon die groBte Bestiirzung hervor. Die Triimmer des Heeres, das infolge der Pest schwere Verluste erlitt, fiihrte des Kaisers Sohn, Herzog Friedrich von Sebwaben, vor ATclcon, wo er starb. b) Die Droberung Akkons durch Richard I. Loiuenherz von England und Philipp II. August von Frankreich; der Ausgang des Kreuzzuges. Die Eroberung dieser Festung ist das wichtigste Er- eignis des Kreuzzuges. Zwischen den Christen und Saladin kam es daselbst haufig zu erbitterten Kampfen; wenn aber die Waffen ruhten, ergotzten sich die Feinde gemeinsam an Scherz und Spiel. 2 Als im Jahre 1191 zuerst Philipp, dann auch Richard vor Akkon eintrafen, brachen infolge der Bnvertraglichkeit des letzteren zahl- rciche MiBhelliglteiten zwischen den Kreuzfahrern aus, denen der Herzog Leopold V. von Osterreich ein kleines Heer zugefiihrt hatte. Dank der bewundernswerten Begeisterung der Kreuzfahrer fiel end- lich die Stadt; aber beim Einzug imdie Festung lieB Richard das osterreichische Banner, das Leopold auf einem von ihm besetzten Turme aufgepflanzt hatte, in den Kot werfen, worauf dieser, dem Beispiele Philipps II. folgend, nach Europa zuriickkehrte. Zwar verrichtete Richard in einzelnen Gefechten noch Wunder von Tapferkeit; aber infolge seines Eigensinnes, der Hneinigkeit der 1 Uhlands „Schwabische Kunde“. Tausende erlagen dem Hunger. \Freidank (ein fahrender Sanger des 13. Jahrliunderts): Kristen, Juden, Heiden sint ze Akers ungescheiden. 100 Dritter Zeitraum. orientalischen Christen und der iiberlegenen Kriegskunst Saladins errangen die Christen keinen entscheidenden Sieg, so daB ihnen nur die Kuste von Joppe bisTgrus und einige Besitzungen im nordlichen Syrien blieben; auBerdem dnrften sie als Pilger nach Jerusalem kommen. Die Lebensfahigkeit des christlichen Beiches in Syrien war vernichtet. 1202-1204. V. Der vierte sogenannte Kreuzzug (1202 — 1204). 1. Die Veranlassimg. Wahrend es dem Papste Innozenz III. gelang, einen nenen Kreuzzug zustande zu bringen, erschien der bjzantinische Prinz Alexius, dessen Yater Isaak der eigene Bruder vom Throne gestiirzt hatte, in Deutschland und bat seinen Schwager, den Konig Philipp, um Hilfe gegen seinen Oheim. Philipp unter- stiitzte dieses Ansuchen beim IMarkgrafen Bonifaz von Montferrat, dem Piikrer des Kreuzheeres, das wieder groBtenteils aus Franzosen bestand, und beim greisen Dogen Ileinrich Dandolo von Venedig, von wo aus die tJberfalirt stattiinden solite. Die Zumutung, gegen Konstantinopel zu ziehen, fand lebhaften Anklang, namentlich auch bei Dandolo, der nun der eigentliche Fiihrer des Zuges vrarde. Weil die Kreuzfakrer die tlberfahrtskosten nicht bezahlen konnten, dien- ten sie den fehlenden Betrag ab, d. h. sie zwangen Triest, den Yene- tianern zu liuldigen, und erstiirmten Žara, dessen seerauberische Bewohner den Idandel Yenedigs vielfach geschadigt hatten. In Žara versprachen Gesandte Philipps im Kamen des Alexius den Kreuz- fahrern freie Yerpflegung sowie eine groBe Geldsumme und stellten dessen Mitwirkung dazu in Aussicht, daB sich die Griechen der romischen Kirche unterwiirfen und Hilfe gegen die Unglaubigen leisteten. 2. Die Erstiirmung; Konstantinopels. Als die Abendlander vor Konstantinopel erscliienen, fanden sie das Goldene Horn durch die byzantinische Kriegsflotte und eine starke Eisenkette versperrt; die Kette wurde gesprengt und die feindlichen Schiffe vernichtet. Hier- auf erhoben die Kreuzfahrer Isaak wieder auf den Thron, doch erwies sich die Einhaltung der mit seinem Sohne vereinbarten Be- dingungen bald als unmoglich. Da sagte Dandolo zu Alexius, den sein Vater zum Mitkaiser erhoben hatte: „Schandbube, wir haben dich aus dem Kote gezogen und in den Kot werden wir dich wieder verstoBen!“ Die Kreuzfahrer erstiirmten die Stadt, die starkste Festung desMittelalters, m.ittelst Strickleitern, steckten sie in Brand Der fiinfte Kreuzzug. 101 und wiiteten in der grausamsten Weise. So biABten die Griechen ihre treulose Politik; die Bliite Konstantinopels war fiir immer dahin. Das Ergebnis des Kreuzzuges bestand in der Teilung des byzantinischen Reiches und der Erricbtimg des lateinischen Kaiser- reiches (Romanien, 1204 — 1261). Trotz ofterer Nachschiibe aus 1204-1261 dem Westen war aber die Zahl der Abendlander viel zu klein, um das Iieichj das nach den Grundsatzen des Lehenssystems eingerichtet wurde, kraftig beherrschen und den AnschluB an die romische Kirche erzwingen zu konnen. Da durch das Unternehmen viele Krafte dem Kampfe gegen den Islam entzogen wurden, war es ein Eehler und nur dieVenetianer, die mehrere Inseln und Kiistenplatze besetzten, hatten einen dauernden Gewinn davon. Ohne Miihe gelang es den Palaologen, die das Kaisertum Kicaa gegriindet hatten, dem Reiche ein Ende zu machen; nur die Ruinen zahlreicher Burgen franzosischer Ritter erinnern nocli heute an die Herrschaft der „Eranken“. VI. Der fiinfte Kreuzzug (1228 — 1229). 1228-1229 1. Die Veranlassung. Der deutsche Kaiser Friedrich II. gelobte bei seiner Kronung in Aachen, einen Kreuzzug zu unternehmen, verschob aber die Ausfiihrung des Gellibdes und sehwur, als der Papst drangte, im Jahre 1225, daB er in zwei Jahren den Kreuzzug unternehmen werde, , widrigenfalls er in den Bann verfallen solite. Die Kreuzfahrer, iibervviegend Deutsche, sammelten sich tatsachlich zur bestimmten Zeit in Brindisi, doch fehlte es an Schiffen und Lebensmitteln und es brachen Plungersnot und Seuchen aus. Kach- dem Friedrich bereits einen Teil derFlotte vorausgesandt hatte, stach er selbst in See, lcehrte aber wegen Krankheit wieder um, worauf er vom Papste gebannt wurde. 2. Der Verlauf des Kreuzzuges. Kach seiner Genesung fuhr der Kaiser trotz des Bannes ab und landete in Akkon. Obwohl ihm die Templer und Johanniter den Gehorsam versagten, erlangte er doch durch Unterhandlungen mit dem Sultan von Agypten AlTcamil die Abtretung Jerusalems, Bethlehems, Kazareths und eines Streifen Dandes von Joppe bis Beirut auf zehn Jahre. Als er hierauf in Jerusalem einzog, lieB der Patriarch die heiligen Statten mit dem Interdilde belegen, d. h. es durften die gottesdienstlichen IPand- lungen daselbst nur in sehr beschranktem MaBe vorgenommen ■vverden, was die groBte Erbitterung der Kreuzfahrer hervorrief. 102 Dritter Zeitraum. 1212 . 1251 . 1248 - 1264 . Bald darauf kehrte Friedrich nach Europa zuriick, nachdem er sicli die Krone von Jerusalem aufgesetzt hatte. Obwohl Friedrich das Konigreich von Jerusalem wiederher- stellte, mirden doch nur einige syrische Orte fiir langere Zeit behauptet. VII. Die damalige Stimmung in Europa. Die fortgesetzten MiBerfolge iibten eine zweifache Wirkung aus; in Deutschland driickten sie die religioseBegeisterung herab, in Frankreich steigerten sie dieselbe ins Phantastische. So bestimmten die staufisch gesinnten Biirger von Begensburg fiir j eden, der das Kreuz nehmen wiirde, die Todesstrafe und beteiligten sich die Deutschen an den letzten zwei Kreuzziigen nicht mehr; in Frank¬ reich dagegen kam es zum Kinderkreuzzug und zum Unternehmen der Pastorellen. 1. Der Kinderkreuzzug (1212). Um einen Hirtenknaben Stephan, der sich als Gesandten Gottes ausgab, sammelten sich als Kreuzfahrer trotz der Abwehr besonnener Geistlicher gegen 30.000 Knaben und Madchen, die Sklavenhandler in Marseille nach Agypten verkauften. Die Bewegung pflanzte sich auch nach Deutsch¬ land fort, aus dem etwa. 20.000 Kinder iiber die Alpen zogen; fast alle erlagen den Anstrengungen der Keise. 2. Die Pastorellen (1251). Im nordlichen Frankreich rief ein fanatischer Prediger, der „ungarische Meister“ genannt, Bauern und Hirten zu einem Kreuzzuge auf, weil Gott den Rittern ziirne; allerlei Gesindel schloB sich unter Veriibung von Mord und Raub an. Die Leute kiimmerten sich um keine Obrigkeit, nahmen selbst gottes- dienstliche Handlungen (Trauungen, Beichte) vor und toteten Geistliche, die gegen sie auftraten. Schon hatten diese Scharen, Pastorellen genannt, die Zalil von 100.000 Kopfen uberschritten, als ihr Meister erschlagen wurde, worauf sie sich zerstreuten. VIII. Der sechste und siebente Kreuzzug. 1. Der sechste Kreuzzug (1248 — 1254). Kach dem Abzuge Friedrichs II. bekampften sich in Palastina die weltlichen und die geistlichen GroBen, die Templer und die Johanniter gegenseitig. Unter solcben Verhaltnissen wurde Jerusalem abermals eine Beute Agvptens. Da unternabm der franzosische Konig Ludwig IX. der Heilige, eine ritterliche Katur, einen neuen Kreuzzug, und zwar gegen Agypten. Knde der christlichen Herrschaft in Syrien. 103 Schon in den Jahren 1217—1221 war ein maBig groBes Kreuz- heer, an dessen Spitze Konig Andreas II. von Ungarn und Herzog Leopold VI. von Osterreicli standen, gegen Agjpten gezogen, um die Herrschaft der Ejjubiten zu stiirzen. Damals wurde das ausgehun- gerte Damiette erohert. Als aher das Kreuzheer nach dem Abzuge der beiden Fiihrer gegen Siiden aufbrach, Avurde es infolge der liber- schwemmung des Landes durch den Kil vollstandig eingeschlossen, so daB die Triimmer des Ileeres um Frieden bitten muBten. Er Avurde gegen Herausgabe von Damiette gevvahrt. Einen ahnlichen Verlauf nahm der sechste Kreuzzug. Zwar Avurde Damiette ohne Muhe genommen; als aber das Heer landein- vvarts zog, Avurde es bei Mansura nach blutigem Kampfe vollstandig eingeschlossen. Koch dazu von Ilunger und Seuchen bedrangt, trat das Heer unter unablassiger Verfolgung den Kiickzug an, wobei ein groBer Teil getotet und der Eest gefangen genommen AAmrde. Gegen die Herausgabe von Damiette und Bezahlung eines hohen Losegeldes erhielt LudAAng die Ereiheit, die iibrigen Gefangenen Avurden fast alle getotet. Ludwig zog dann nach Syrien, kampfte hier noch mit den Unglaubigen ohne besonderen Erfolg und kehrte erst im Jahre 1254 zuriick. 2. Der siebente Kreuzzug (1270). LudAvig IX. geAvann seinen Bruder Karl fiir einen Kreuzzug gegen das maurisch-mohammedani- sche Tunis. Aber wiihrend der Belagerung der festen Stadt brach eine Seuche aus, der auch LudAvig erlag. Der ganze Erfolg des Unternehmens war, daB den Christen in Tunis die Ausiibung ihres Gottesdienstes gestattet Avurde. IX. Das Ende der christlichen Herrschaft in Syrien (1291). In dem Beste des christlichen Reiches dauerten die friiheren Feindseligkeiten und Kampfe fort, -Aveshalb es dem agyptischeu Sultan gelang, Ahkon, das letzte christliche BollAverk, nach tapferer GegenAvehr zu erobern. Vergebens versuchten die Papste bis ins 15. Jahrhundert hinein, die erloschene Begeisterung v?ieder zu ent- flammen. An Stelle der kriegerischen Unternehmungen begannen wieder friedliche Pilgerfahrten und es entAvickelte sieh ein bliihen- der Handelsverkehr mit Syrien. 1270 . 1291 . 104 Dritter Zeitraum. Zweites Kapitel. 1138 - 1254 . Deutschland unter der Herrschaft der Staufer (1138 1254). Den frankischen Kaisern folgten nacli der Zwischenregierung 1125-1137. Lothars ITI. (1125—1131) die Staufer, so benannt nach der Burg Staufen, unter denen Deutschland den Hohepunkt seiner mittel- alterlichen Kultur erreichte. Ereilich war auch diese Zeit im ganzen keine Zeit des Friedens; die Hauptereignisse sind die Kampfe mit den Welfen, den Piipsten und den lombardischen Stadten. 1138-1152. I. Konrad III. (1138-1152). 1. Die Welfen und die Staufer. a) Stellung der beiden H amer. Nach demTode HeinrichsV. hatte seinNeffe, der Staufer Friedrich, Herzog von Sclrvvaben, gehofft, zum Nachfolger gewahlt zu werden, doch hatten die Fiirsten Lothar, der nach dem Erloschen der Bil- linger Herzog von Sachsen geworden war, auf den Thron erhoben. Infolgedessen kam es zwischen ihm und den Briidern Friedrich und Konrad zu Kampfen. In diesen stiitzte sich Lothar auf die Welfen, die kurz vor dem Ausbruche des Investiturstreites das Herzogtum Bayern erhalten hatten, alte Hausgiiter in Schwaben besaBen und durch Erbschaft grobe Besitzungen in Sachsen gewannen. Lothar kettete die Welfen dadurch an seine Person, daB er den Herzog Heinrich den Stolzen mit seiner Tochter vermiihlte. Die staufischen Briider muBten sich demiitigen, doch blieb Friedrich im Besitze seiner Erbgiiter und Schwabens. b) Erster Kampf zwischen den Staufen und Welf en (1138 bis 1156). Da Heinrich der Stolze von Lothar auch mit der Mark- grafschaft Tuszien und dem Ilerzogtume Sachsen belehnt worden war, besaB er eine klacht, wie sie noch kein deutscher Fiirst inne- gehabt hatte. Eben deshalb aber wahlten nach dem Tode Lothars die Fiirsten nicht ihn, sondern Konrad zum Konig. Alsbald verlangte der letztere die Herausgabe Sachsens; weil aber Heinrich sie ver- weigerte, wirde er geachtet und Sachsens fiir verlustig erklart Als es dariiber zum Kriege kam, wurde dem Welfen auch Bayern abgesprochen, das Konrad seinem Stiefbruder, dem IVIarkgrafen Leopold IV. von Osterreich , iibertrug. Heinrich behauptete sich zwar in Sachsen und riistete sich auch zurWiedereroberung Bayems, starb jedoch schon im Jahre 1139 mit Ilinterlassung eines zehn- jahrigen Knaben Heinrich (der Lowe); fiir diesen setzte des Ver- storbenen Bruder Graf Welf den Krieg fort. Friedrich I. Barbarossa. 105 Baher schritt. Konrad /ur Belagerung der welfischen Stadt Weinsberg 1 . Ihrer Eroberung folgte der Vergleich von Frankfurt (114-2), demzufolge Sachsen Heinrich zuerkannt wurde, wogegen er im folgenden Jahre auf Bayern verzichtete; dieses erhielt nacli dem Tode Leopolds dessen Bruder Heinrich II. Jasomirgott. 2. Konrads Teilnahme am zweiten Kreuzzuge s. S. 97. II. Friedrich I. Barbarossa (1152 — 1190). Friedrich, der volkstiimlichste Kaiser des Mittelalters, hat das Beich zum letztenmal zu gewaltigem Ansehen emporgehoben. Sein Ilauptbestreben war, den verderblicben Streit mit den Welfen zu boenden und das kaiserlicbe Anseben in Italien wiederherzustellen. Bas erstere erreichte er durch die Bbergabe Bayerns an Heinrich den Lowen, zu dem letzteren Zwecke unterna. l i m er funf Zilge nach Italien , wo er ungefahr ein Brittel seiner Begierungszeit zubrachte. 1. Die Beendigung des ersten Kampfes zwischen den Stau- fern und denWelfen; die Erhebung Osterreichs zum Herzogtume (1156). Friedrich belehnte auf dem Keichstage zu Regensburg Heinrich den Lowen mit Bayern, auf das Heinrich von Osterreich nur gegen bedeutende Zugestandnisse verzichtet hatte. Osterreich wurde namlich zum Herzogtum erhoben und erhielt das sogenannte privilegium minus, dessen wichtigsteBestimmungen waren: o)Hach dem Tode Heinrichs und seiner Gemahlin soli Osterreich beim Mangel von Solmen auf ihre Tochter iibergehen, wenn jene aber keine Kinder hinterlassen, diirfen sie dem Kaiser einen beliebigen Bachfolger vorschlagen; b) der Herzog soli nur zum Besuche der Ifoftage in Bayern und c) nur dann zur Heeresfolge verpflichtet sein, wenn ein Krieg an der Grenze Osterreichs ausbricht. Damit war der Grund zur eigenartigen Entwicklung Osterreichs gelegt. 2. Die Lage in Italien. a) Die Stddte in Ober- und Mittel- italien. Im Investiturstreit erlangten"die groJBeren Stadte der Lom- bardei und Mittelitaliens die Selbstverwaltung und iibten nun die Regalien, d. h. das Zoll-, Miinz- und Marktrecht sowie die Gerichts- barkeit selbstandig aus. Bas Selbstgefiihl dieser Stadte erlangte 1 Sage von der Weibertreue, zu \velcher der Name der Burg „Weibertreu“ iu Weinsberg die Veranlassung gab (1.154). Hier sollen damals zum erstenmal die Schlachtrufe: „Hie Welf! llie Waiblinger!“ ersehollen sein. Aus „Waiblinger“ (nach Waiblingen, einem alten Hausgute der Staufer) machten die Italiener Ghibellinen; sie sind die kaiserliclie, die Welfen (Guelfen) die piipstliche Partei. 1152-1190. 1156. 106 Dritter Zeitraum. durch die Steigerung des Wohlstandes infolge der Kreuzziige eine weitere Erhohung (I. 65), so daB sie den Kaiser kaum mehr als ihren Herrn anerkannten; Venedig, Genua, Piša, Mailand waren geradezu selbstandige Staaten geworden. b) Die Papste. Koch vor dem Abschlusse des Wormser Kon- kordats war zwischen Heinrich V. imd dem Papste wegen des Mathildischen Erbes Uneinigkeit ausgebrochen. Die groBe Grafin hatte namlich den Papst zum Erben ihres Gebietes, das aus Eigen- giitern (Alloden) und Reichslehen bestand, eingesetzt. Da die letz- teren mir im nnmittelbaren Mannsstamm erblich waren, besetzte Heinrich das ganze Erbe und versprach dem Papste die Herausgabe derjenigen Gebiete, fiir die er den Beweis, daB sie Allode gewesen seien, erbringen konne. Da auch die Staufer an dem Reichsrechte festhielten, so blieb der strittige Besitz in den Ilanden des Kaisers, ohne daB die Papste ihre Anspriiche aufgegeben hatten. Als daher abermals der Kampf zwischen dem Kaisertum und dem Papsttum iiber den Vorrang ausbrach, konzentrierte er sich besonders auf eine territoriale Prage. c) Unteritalien. Nach dem Tode des Robert Guiscard war das normannische Gebiet geteilt worden; sein Sohn Boemund erhielt Tarent und Otranto, sein Bruder Roger vollendete die Eroberung Siziliens. Der Sohn des letzteren, Roger II., vereinigte das ganze Gebiet und erhielt von Anaklet II. die Konigsvuurde (1130), die seitdem den normannischen Eiirsten verblieb. Es war natlirlich, daB sich diese Machte vereinigten, als Friedrich die deutsche Herrschaft in Italien wiederherzustellen ver- suchte (S. 88). 3. Friedrichs Kampfe in Oberitalien Ms zur Zerstdrung 1168-1162. Mailands (1158—1162). Im Jahr,e 1153 wandten sich Lodi und Como wegenBedriickungen durch dieMailander an Friedrich, dessen Mahnschreiben aber die Konsuln (Biirgermeister) von Mailand mit FiiBen traten. Erst nach Ilerstellung des Friedens in Deutschland fiihrte er ein stattliches Heer iiber den Brenner und schritt zur Be- lagerung Mailands. Von Hunger und Pest bedrangt, ergab sich die Stadt unter der Bedingung, daB die Konsuln kiinftig vom Volke gewahlt und vom Kaiser bestatigt vdirden. Hierauf versammelte Friedrich auf den Ronkalischen Feldem einen Reichstag, auf dem sich auch vier beriihmte Rechtslehrer aus Bologna einfanden, das Irnerius, ein Zeitgenosse Heinrichs V., zur Hauptstatte des Friedrich I. Barbarossa. 107 Studiums des romischen Rechtes gemacht hatte. Daselbst spielte dieses zum erstenmal eine ivichtige politische Rolle, indem unter Be- zugnahme auf eine Stelle im Codex Justinianeus 1 dem Kaiser die gesetzgebende Gewalt, die Einsetzung derKonsuln und dieAusiibung der Kegalien zuerkannt -vvurden. Die letzteren warfen wegen der Bliite der Stadte ein bedeutendes Ertragnis ab (angeblicli 30.000 Talente) 2 ; dadurch ware Deutschland den iibrigen Staaten aucli finanziell iiberlegen geworden. Da Mailand, „die Blume der Stadte‘‘ nacb einer gleickzeitigen Qnelle, an dem Wahlrechte seiner Konsuln festhielt, belagerte es Friedrich und liefS es nach der Eroberung groBtenteils zerstoren. „Fast die ganze Lombardei“, sagt ein Mai- lander Chronist, „war mit Ansfiillung der Graben der Stadt beschaf- tigt.“ Bald war die ganze Lombardei unterworfen, sogar Genua liuldigte dem Kaiser, der in den unterworfenen Stadten Reichs- beamte (podesta), meist Deutsche, einsetzte, Tuszien als kaiserliclies kand behandelte und bereits die Eroberung Siziliens ins Auge fabte. 4. Friedrichs Beziehungen zu Hadrian IV.; Arnold v on Brescia und Friedrichs Kaiserkronung; der Ausbruch des Schismas (1155—1160). Der Monch Arnold von Brescia wollte 1155-1160. die Kirche zur Armut zuriickfiihren. Er kam nach Kom und erwarb sich durch seine Keden, die zum IJngehorsam gegen den Papst aufreizten, die TTerrschaft iiber die Stadt. Daher lud Hadrian IV., der einzige englische Papst, Friedrich ein, nach Rom zu kommen. Es gelang dem Konige, den demagogischen Arnold, dessen Ver- treibung der Papst durch die Verhangung des Interdikts iiber die ewige Stadt erreicht hatte, in seine Hande zu bekommen. Er iibergab ihn dem Prafekten von Rom, der ihn als Ketzer zum Tode ver- urteilte. Em dieselbe Zeit erfolgte Friedrichs Kronung zum Kaiser. Als nun Friedrich, auf die Ronkalischen Beschliisse gestiitzt, auf den Mathildischen Giitern und in der romischen Campagna Steuern eintrieb, naherte sich der Papst dem Konige von Sizilien und verlangte vom Kaiser die Herausgabe des Mathildischen Erbes sowie anderer Gebiete in Mittelitalien. Da Friedrich diese Zumutung ablehnte, wollte Hadrian den Kaiser bannen, starb aber plotzlich. Kun kam es zu einer stiirmischen Wahl; die Mehrzahl der Kardinale entschied sich fiir Alexander III., die kaiserlich gesinnte 1 Inst. I. 2, 6: quod principi placuit, legia habet vigorem, cum populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conoesserit. 3 Nach heutigem Geldwert iiber 18 Millionen Kronen. 108 Dritter Zeitraum. 1164 - 1183 . 1176 . 1174 . Minderzahl aber fiir Viktor IV., den aucli Friedrich, anerkannte, vveshalb er von Alexander gebannt wurde. Entscheidend war die Haltung Frankreichs, das schon seit langem in allen kirchlichen Fragen die wichtigste Stellung einnahm; als es sich fiir Alexander entschied, war dessen Sieg gesichert und weder Viktor nock seine beiden Eachfolger gelangten zn allgemeiner Anerkennnng. Da nam- licb die iibrigen Staaten die deutsclie tlbermacht fiirchteten, 1 folgten si e dem Beispiele Frankreichs, weshalb die Frage der Anerkennung Alexanders alle christlichen Staaten ergritf, wahrend der Investitur- streit auf Deutschland und Italien beschriinkt geblieben war. 5. Friedrichs Kampfe mit den Lombarden und dem Papste (1164—1183). a) Bis zur Schlacht bei Legnano (1176). Das Schicksal Mailands machte auch Venedig besorgt, daher trat der Doge mit Sizilien in Verbindung und stiftete durch Bestechung der Stadte in der Mark Verona den Veroneser Bund, den der Kaiser nicht zersprengen konnte. So hinderte Venedig im entscheidenden Augenblicke die Befestigung der kaiserlichen Gewalt. Als Alexander III. nach mehrjahrigem Aufenthalt in Frank- reich nach Bom zuriickkehrte, belagerte Friedrich die Stadt, die sich ihm nach der Flucht des Papstes ergab und Treue schwur. Er stand auf dem Ilohepunkte seiner Erfolge. Da brach eine schreck- liche Seuche im Bager und in der Stadt aus, weshalb Friedrich Kom verlassen muBte. Unterdessen hatten Cremona, Brescia, Bergamo und Mantua gegen die Bedriickungen der Podesta den Lombardi- schen Bund d ns Leben gerufen, dem sich auch Mailand, das wieder aufgebaut werden solite, und alle groBeren Stadte der Lombardei anschlossen; bald trat er mit Alexander und dem Veroneser Bunde in innige Beziehungen. Da der Kaiser zu schwach war, um des Bundes Herr zu werden, zog er nach Deutschland zuriick; in seiner Abwesenheit erbaute der Bund, liber den der Papst eine Art oberherrlicher Gewalt erlangte, eine neue Festung, die dem Papste zu Ehren Alessandria genannt wurde. Mit nur 8000 Mann zog Friedrich iiber den Mont Ceniš und schritt zur Belagerung von Alessandria (1174) ; er muBte sie aber wegen T)berschwemmung, der Strenge des Winters und Mangel an Lebensmitteln aufgeben. Es ist ein Wendepunkt in seiner Kegierung. Kachdem Friedensverhandlungen zu keinem Erfolge gefiihrt hatten, 1 Der Zeitgenosse Johann von Sali3bury sehreibt: Quis Teutonieos constituit judices nationum? Friedrich. I. Barbarossa. 109 beschloB der Kaiser im Vertrauen auf die Tapferkeit der Deutschen die Fortsetzung des Kampf es, wurde aber, da Heinrich der Lowe die erbetene Heeresfoige nicht leistete, durch dieHbermacht des Feindes bei Legnano vollstandig geschlagen. b) Von der Schlacht bei Legnano bis zum Frieden von Kon- stanz (1176—1183). Kun kniipfte Friedrich mit Alexander, den 1176-1183. Wiirde und MaBigung auszeichneten, Unterbandlungen an, die zum Frieden von Venedig fiihrten (1177). Hier vrarde der Kaiser, der 1177. den Gegenpapst fallen gelassen hatte, vom Banne befreit und Ale- xander als unabhangiger Herrscher im patrimonium s. Petri an- erkannt; iiber das Mathildische Erbe solite ein Vergleich stattfinden, tatsachlich blieb es aber in der Hand des Kaisers. So war der 18jahrige Kampf und das bisher langste Scbisma beendet. Mit Sizilien schloB der Kaiser einen 15jiihrigen Frieden, vrodurch der lOOjahrige Kampf mit den Kormannen zu Ende ging, mit den Lombar den wegen der Schwierigkeit der Verhandlungen bloB einen sechsjahrigen Waifenstillstand. Diesem folgte der Friede von Kon- ■stanz (1183) ; der Kaiser erkannte darin die Selbstandigkeit der 1183. Stadte an, verlieh ihnen gegen Entrichtung eines Zinses die Kegalien und behielt sich die Investitur ihrer Konsuln vor. So war die burger- lich-stadtisclie Freiheit neben Kirche und Adel als politische MacM anerkannt. 6. Zweiter Kampf zwischen den Staufern und den Welfen (Friedrich und Heinrich der Lowe). a) Ileinrich auf dem Ilohe- punlde seiner MacM. Seit dem Jabre 1159 hatte der Kaiser von Heinricb keine Heeresfoige mebr verlangt; er lieB ilim vielmehr freie Hand in Sachsen, das Heinrich im Kampfe gegen die Wenden erweiterte, wahrend er im Bunde mit Danemark den Raubziigen der Wenden auf der Ostsee ein Ende machte. Weil sich Heinrich die iibrigen sachsischen Fiirsten, wie Albrecht den Bar 1 von Branden¬ burg, unterordnen wollte, klagten diese iiber ihn beim Kaiser; gleichwohl begiinstigte Friedrich den Herzog. Trotzdem verweigerte dieser im Gefiihle seiner Macht dem Kaiser 2 die Heeresfoige gegen die Lombarden. 1 In JSTorddeutschland sagte man: „Hinrik de Leu und Albrecht de Bar, Dorto Frederik mit dem roden Har, Dat \varen dree Heeren, die kunden die Welt verkehren." tJber die Stellung Heinrichs sagt die Wendenchronik Helmolds: „Er gebietet den Wenden Friede und sie gehorchen, er ruft sie zum Kriege auf und sie sagen: ,Hier sind wir!’“ 2 Das dem 13. Jahrhundert angehorige Detail ist sagenhafte Ausschmuekung. 110 Dritter Zeitraum. 1180 . 1192. h) Heinrichs Sturz (1180). Als der Kaiser nacli dem Erieden von Venedig nach Deutschland zuriickgekehrt war, lud er Heinrieh viermal znr Yerantwortung vor. Heinrick erschien nickt. Darum wurde er geachtet sowie aller Lehen und Eigengiiter verlustig erklart. Da ikn seme Ministerialen im Sticke lieBen, warf er sick zn Erfurt dem Kaiser zu FiiBen. Die daselbst versammelten Fiirsten bestimmten, daJ3 Heinrick alle Leken und Giiter verlieren (nur mit Milke rettete ikm Friedrich die Eigengiiter Braunschweig und Liine- burg) und auf drei Jakre verbannt werden solle. Der Herzog fiigte sich und begab sick nach England an den Hof seines koniglichen Sckwiegervaters. Sachsen \vurde in zwei groBere und einige kleinere Gebiete geteilt; den siidliehen Teil Westfalens erkielt der Erzbischof von Koln, das nordliche Westfalen und ostlicke Sacksen Bernhard, der Sohn Albrechts, als Herzogtum Sacksen. Bayern kam an die Wittelsbacher, doch \vurde Steiermark davon abgetrennt und zu einem eigenen Herzogtum erkoben, das im Jakre 1192 an die Baben- berger fiel. So machte die Zerstiicklung der Stammesherzogtiimer ■vveitere Fortsckritte (S. 78). 7. Friedriehs Teilnahme am dritten Kreuzzuge s. S. 98. 8. Friedriehs Charakter und Stelliing. Friedrich war fromm, in allen ritterlichen Kiinsten wohlgeiibt, kiikn, maBig, freigebig, 1 mehr noch als wegen seines Mutes wegen seiner Hmsicht gefiirchtet. Er nakm noch einmal eine zentrale Stellung in Europa ein, wie der Hoftag zu Wiirzburg (1157) beweist, auf dem Gesandte aus Kon¬ stantinopel, England, Burgund, Ungarn, Italien mit Geschenken und Bitten erschienen. Die Stiitzen seiner Stellung waren: sehr viele Festungen, die von Goslar bis Viterbo verstreut lagen, zahlreiche Keichšministeriale, die Einkiinfte aus der Po-Ebene und ein groBes Domanengebiet. Seine groBen Taten erweckten in Deutschland Selbstgefiikl und Begeisterung. 2 1 Br veranstaltete wohl das gliinzendste Fest, das je in Deutschland statt- fand, zur Feier der Schwertleite (feierlichen Uberreichung des Sclnvertes) seiner beiden illteren Sohne (Mainz 1184); 40.000 Ritter waren damals drei Tage lang des Kaisers Gaste, dazu kamen viele Geistliche und Laien aus niederem Stande. 2 Otto von Freising, der groBte deutsche Geschichtschreiber des Mittelalters, sehrieb sein iilteres Werk „Chronik“ ex amaritudine animi, nubilosi temporis quod ante vos (Friderieus) fuit, turbulentia inductus. Heinrieh VI. 111 III. Heinrieh VI. (1190 -1197). 1190 119 1. Die Erwerbung Unteritaliens (1194). Diese hatte Friedrich I. dadurch vorbereitet, dab er Heinrieh mit Konstanze, der Erbin des Reiches, vermahlte. Da die JSTormannen von einer Eremdherrschaft nichts \vissen wollten nnd sich daher um einen Seitensprossen des alten Konigshauses scharten, mubte Heinrieh zwei Feldziige nach Hnteritalien unternehmen. Hach der Ent- deckung einer Verschworung veriibte er zur Sicherung seiner Herr- schaft Taten groJBer Grausamkeit gegen die Bewohner, die freilich schon von den friiheren Konigen teihveise so behandelt worden waren. Dieser grobe Erfolg der Staufer, der ihre Herrschaft iiber Italien zu sichern schien, veranlabte ihren Sturz. 2. Heinrichs Beziehungen zu Richard I. Lowenherz und der dritte Kampf der Staufer mit den Welfen (1192—1195). Als Richard gelegentlich des dritten Kreuzzuges auf Sizilien landete, bestarkte er die Hormannen im Widerstande gegen Heinrieh; auch stellte er sich auf Seite seines Schwagers, Heinrichs des Lowen, der mit anderen Reichsfursten eine Verschworung beliufs derWahl eines neuen Konigs gebildet hatte. Als daher bekannt wurde, dab Richard auf der Ruckkehr im Adriatischen Meere Schiffbruch gelitten habe, beauftragte Heinrieh die Fursten, ihn womoglich gefangen zu nehmen. Trotz seiner Verkleidung als Pilger wurde er in einem Dorfe bei Wien erkannt, von Leopold Y. von Osterreich gefangen genommen und dem Kaiser ausgeliefert, der ihn erst gegen An- erlcennung der deutschen Oherhoheit und Bezahlung eines hohen Losegeldes freigab. Damit war auch die Yersehworung des Lowen zu Ende, der bereits im folgenden Jahre starb. Durch die Yermahlung seines Sohnes mit einer Stauferin, die ihrem Gemahl die Rheinpfalz 1 verschaffte, wurde der Friede zwischen beiden Hausern hergestellt. 3. Heinrichs Bestrehen, Deutsehland zu einem Erbreiche zu machen (1196). Hm die Zustimmung der Fursten zur Umwandlung Deutschlands in ein Erbreich zu gewinnen, bot er den geistlicheu Fursten denVerzicht auf das Spolienrecht 2 , d. h. auf die Einziehung 1 Von den vier Pfalzgrafschaften, die Otto I. erriehtete, wurde die lotliri«- gische am wichtigaten. Friedrich I. iibergab sie seinem Bruder Konrad, der um Worms und Speyer groBe Besitzungen hatte und sich seitdem „l :> falzgraf am Khein“ nannte. 2 Friedrich I. iibte dieses ltecht aus. doch hatten es die Kirchenfiirstem niemals anerkannt. 112 Dritter Zeitraum. ihres berveglichen Hachlasses, den rveltlichen die Erhlichlceit ihrer Lehen auch in vjeiblicher Linie an. Aber der Plan scheiterte an dem Widerstreben der norddentschen Piirsten nnd Heinricli muBte sich mit der Wahl seines Sohnes Friedrich zum Hachfolger zufrieden- geben. 4. Heinrichs phantastische Plane. Auch ihn erfaBte der Wahn eines Universalreiches (S. '79). Er beherrschte ganz Italien, dachte an die Eroberung des bjzantinischen Keiches und des nordlichen Afrika und sclion war ein Teil des von ihm aufgebotenen Kreuz- heeres in See gestochen, als er in der Bliite der Jahre starb. Der Erbe seiner Stellung war dem Kamen nach ein Kind, in Wirklich- keit Innozenz III. (S. 85). 1198-1208. IV. Philipp von Schwaben (1198—1208) und 1198-1214. Otto IV. der Weife (1198 — 1214). 1. Die Doppelwahl und der Thronkampf. Da Friedrich erst drei Jahre alt rvar, verlangten die Eeinde der Staufer eine Keurvahl, wobei sie an die Erhebung eines Welfen dachten. Die staufische Partei, der die Mehrzahl der Eiirsten angehorte, gab nach und rvahlte Philipp, die rvelfische Otto, den Sohn Heinrichs des Lorven. Das war die erste Doppelwahl in Deutschland, das dadurch in einen verderblichen Biirgerkrieg — vierter Kampf ziuischen den Staufern und Welfen — hineingezogen vvurde. Walther von der Vogelrveide klagt: „Untriuwe ist in der saze, gervalt vert fif der straže, frid nnde relit sind sere wunt.“ Beide Ivonige bervarben sich um die Anerkennung des Papste3 Innozenz III.; er entschied sich nach langerem Hinhalten fiir Otto, weil dieser im Gegensatze zu Philipp die papstlichen Anspriiche auf Mittelitalien anerkannte. Der Kampf rvurde besonders in Uorddeutschland gefiihrt und ist im Gegensatze zum Thronstreite des 11. Jahrhunderts weniger durch grobe Schlachten als durch Pliinderungsziige und Stadte- belagerungen gekennzeichnet. Schon neigte sich der Sieg, namentlich infolge der Kapitulation Kolns, damals einer der groBten Stadte Europas, zugunsten Philipps und vvar auch der Papst geneigt, ihn anzuerkennen, als jener vom wilden Pfalzgrafen Otto von Wittels- 1208. bach aus Bache ermordet rvurde (1208). Kun fand Otto, der den Mbrder mit dem Tode bestrafte und sich mit der Tochter Philipps Beatrix vermahlte, allgemeine Anerkennung. Innozenz III. liči 2. Otto urni Friedrich II. Kaum war Otto zum Kaiser gekront worden, so zerfiel er mit dem Papste; es zeigte sich die Unverein- barkeit der kaiserlichen und der papstliclien Anspriiche. Otto wollte namlich die Reichsrechte in Mittelitalien nicht preisgeben und begann einen Angriff auf Unteritalien, um es Friedrich zu ent- reiben; er wurde deshalb von Innozenz gebannt. Da bescblossen die Fiirsten mit Zustimmung des Papstes die Reuivahl Friedrichs. Abermals kam es zum Tlironkampfe; die Entscheidung fiel in Frankreich. Da der Konig von England auf Seite der Welfen, der von Frankreich dagegen auf Seite Friedrichs stand und beideKonige initeinander verfeindet waren, so entschied die Schlaclit hei Bouvines (1214), in welclier der franzosische Konig liber Otto siegte, den Thronstreit zugunsten Friedrichs. Otto starb nach ivenigen Jahren in Vergessenheit. Zum erstenmal war die innere Geschiclite Deutsch- lands durch fremde Machte entschieden ivorden. V. Innozenz III. (1198-1216). 1. Innozenz’ Charakter und Bestrebungen. Wahrend nach Alexander III. das Papsttum bestandig gesunken war, erhob es sich unter Innozenz zur groBten Maclitfiille. Wegen seiner umfassenden Kenntnisse (er hatte in Pariš Theologie und in Bologna Jus stu- diert), seiner groben Begabung und seines makellosen Wandels wurde er bereits im 37. Jahre zum Papste geivahlt. Er verband monchische Beschaulichkeit mit seltener staatsmannischer Anlage und Streben nach Macht (S. 79). Innozenz hielt an der schon im 11. Jahrhundert aufgekommenen Anschauung fest, dab die konig- liche Gewalt dem Monde, die papstliche der Sonne gleiche und dab Gott beide Schiverter, die Abzeichen der weltlichen und der geist- lichen Gewalt, dem Papste gegeben habe, der das weltliehe dem Konig iiberlasse. 2. Die Rckuperationen. Innozenz-setzte die sogenanntenWieder- erwerbungen (recuperationes), die in Wirklichkeit Keuerwerbungen waren, in Mittelitalien auf Kosten des Deutschen Reiches durch. Er beanspruchte namlich das Exarchat, die Pentapolis, die Mark Ancona, das Ilerzogtum Siroleto, die Mathildischen Giiter und be- kampfte die staufischen Beamten daselbst. Otto IV. verzichtete zu¬ gunsten des Papstes auf alle diese Gebiete; doch mubte dieser bei der Zusammenkunft mit Otto Spoleto wieder herausgeben und anerkennen, dab das Reich in Tuszien Rechte habe. 1214 . 1198 - 1216 . Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 8 114 Dritter Zeitraum. . 3. Innozenz’ Stellung in Europa. Auch in die Gesehichte der meisten anderen Staaten griff Innozenz entscheidend ein. Durch den vierten Kreuzzug gewann er au£ der Balkanhalbinsel Anerkennung; um Philipp II. August in einem Ehestreite zur iST acligiebigkeit zu bestimmen, verhangte er das Interdikt iiber Frankreich; Aragonien and Portugal machte er tribntpflichtig; der englisclie Konig er- kannte seine Oberhoheit an; in TJngarn, Schiveden und Nonvegen entschied er Tbronstreitigkeiten; seine Legalen waren in allen Reicken tatig. Seine Stellung kennzeichnet auch das vierte Lateran- Konzil (1215), auf dem Tl Erzbiscliofe, darunter die Patriarchen von Jerusalem und Konstantinopel, 412 Bischofe, iiber 800 Abte und Prioren erschienen; fast alle Ilerrscher des Abendlandes sowie die von Byzanz und Jerusalem hatten Gesandte geschickt. Koch nie war der Papst so als Mittelpunkt des Erdteiles erschienen; es war eine vollendete TheoJcratie (S. 87). So groB ist die Macht der Ideen! Und gerade in der Zeit der groBten Machtfiille desPapsttums breitete sich als Biickschlag gegen die Verweltlichung der Kirche das Sektemoesen aus, wahrend die Papste in den neugegriindeten Bettel- orden eine feste Stiitze ihrer Macht gewannen. 4. Die Katharer und Waldesier. Die Katharer (daher „Ketzer“), d. h. die Reinen, verwarfen die Einrichtungen und Gnadenmittel der Kirche und erklarten, daB nur ihre Anhšinger selig werden konnen. Kehen ihnen entstand die Sekte der Waldesier, so benannt nach dem Lyoner Kaufmanne Waldes, der BuBe und Verzicht auf die irdisclien Giiter predigte. Die Verkiindiger dieser Lehre leugneten mehrere kirchliche Dogmen und versprachen ihren Anhiingern die Vergebung der Siinden. Beide Sekten verbreiteten sich seit dem 12. Jahrhundert iiber Oberitalien und einen groBcn Teil Frankreichs; die wichtigere von ihnen war die der Katharer. Wahrend Innozenz III. das Katharertum in Italien in wenigen Jahren im wesentlichen unterdriickte, behauptete es sich in Siid- frankreich, zumal da es an den Graf en von Toulouse eine kraftige Stiitze hatte. Deshalb lieB Innozenz gegen die Ketzer das Kreuz predigen, wodurch ein greuelvoller Biirgerkrieg aushrach, der mit 1209 - 1229 . Unterbrechungen von 1209 bis 1229 dauerte. Unter der Anfiihrung Simons von Montfort wurde das ketzerische Land besetzt und ver- wiistet, der Krieg selbst aber erst beendet, als Ludwig IX. an ilirn teilnahm. Der Konig erhielt den groBten Teil der Grafschaft Toulouse. Friedrich II. 115 Da es trotzdem im gelieimen noch immer Ketzer in Siidfrank- reich gab, so vrarde die Inquisition 1 , ein Glaubensgericht, zu ilirer Aufspiirung errichtet; Gregor IX. betraute damit den neugegriin- deten Dominikanerorden (1232). Als Beweismittel galten Zeugen und Folter; als Strafe wurde, gemaB den Bestimmungen Kaiser Friedrichs II., auBer der Giitereinzieliung fiir die reuigen Bber- wiesenen lebenslangliches Gefangnis, fiir die iibrigen der Feuertod festgestellt. So wurde seit der Mitte des 13. Jahrbnnderts die Ketzerei unterdriickt. 5. Die Bettelorden. Dem Grundsatze der Armut, welcher der reichen Kirche gefahrlich werden konnte, wurde dadurck die Spitze abgebrochen, daB er in den Diensi der Kirche gestellt ward. Dies tat zur Zeit Innozenz’ III. der edle Franz von Assisi, der Griinder des FranziskanerordenSj dessen Mitglieder (fratres minores) auck fiir den Orden selbst auf alles Vermogen verzichteten, so daB sie auf milde Gaben angewiesen waren. Kach demBeispiele des k. Franz griindete der Spanier Dominik den Orden der Dominikaner. Beide Orden fanden rasck eine weite Verbreitung; sie lieBen sich kaupt- sachlich in den Stddten 2 nieder nnd gewannen besonders durck eifrige Pflege der Predigt groBen Anliang. Sie waren entsckiedene Vorkampfer der Piipste gegen die Staufer. VI. Friedrich II. (1212-1250). 1212-1250. 1. Friedrichs Streitigkeiten mit den Papsten bis zum Frieden von S. Germano (1212'—1230). Friedrick lieB gegen das Innozenz gegebene Versprecken seinen Sokn Pleinrich, den Erben Siziliens, auch zum Konige von Deutschland waklen und verschob wiederholt den Antritt des Kreuzzuges. Unter dem milden Ilonorius III., dem Kachfolger Innozenz’III., blieb derFriede erhalten; dagegen sprack dessen Nachfolger Gregor IX. den Bann iiber den Kaiser aus, der nun den Kreuzzug unternakm. Inzwiscken lieB der Papst, weil Friedrich die Keichsrechte in Mittelitalien erneuert katte, die „Schliisselsoldaten“ in IJnteritalien einriicken, die aber Friedrich nach seiner Biickkelir rasck zuriickwarf. Ilierauf kam es unter Vermittlung des Hochmeisters des Deutschen Ordens Hermann von 1 Die Inquisition kniipfte an die alte Verpflichtung der Bischofe, die Ketzer aufzuspliren und zu bestrafen, an; Innozenz III. bewirkte die allgemeine Dui'ch- fuhrung dieses Gebotes. 2 Bernardus valles, montes Benedictus amabat, Oppida Franeiscus, elaras Ignatius urbes. 8 * 116 Dritter Zeitraum. Salza , eines hervorragenden Staatsmannes, und des osterreicliischen Herzogs Leopold VI. des Glorreichen, des groBten Babenbergers, zu S. Germano zum Frieden (1230), demzufolge Friedrich auf Mittel- italien verzichtete und vom Banne befreit wurde. 2. Die Zeit des friedlichen Einvernehmens mit dem Papst- tum und der Reformen Friedriehs (1230-1239). Es ist die frucht- barste Zeit seiner Regierung. a ) Die Reformen in Unteritalien. Hier schuf er an Stelle des Lehensstaates, in dem der Herrscher auf den guten Willen seiner Vasallen angewiesen ist, einen Beamtenstaai, indem er die Venvaltung Beamten iibertrug, die von ihm ernannt wurden, absetzbar waren und einen bestimmten Gehalt bezogen (Gegensatz zur Haturahvirtschaft). Zu diesem Ztvecke fiihrte er eine allgemeine Besteuerung ein. Da den Adligen das Fehderecht genommen \vurde, erfreute sich der Staat einer groBeren Ruhe als irgend ein anderer. Friedrich selbst bezeiclmet die militarischen Krafte Deutschlands und die finanziellen Siziliens als seine Ilaupt- stiitzen. 1 Sein Hof in Palermo war einer der ersten Musensitze der Zeit sowie ein Sammelpunkt von Gelehrten aller Volker und Reli- gionen. b) Seine Tatiglceit in DeutscJiland. Eine ganz andere Entwick- lung hatten die Verlialtnisse in Deutschland genommen, was sich 1231. besonders auf dem Reichstage zu Worms (1231) zeigte. Hier muBte namlich KonigHeinrich den Fiirsten, die bereits zahlreiche Regalien (S. 92) an sich gebracht hatten, 2 die volle Landeshoheit zuerkennen, so daB sie aus absetzbaren Beamten erbliche Landesherren (domini terrae) wurden. Als im Jahre 1235Heinrich von seinemVater abfiel, eilte dieser iiber die Alpen und zwang ihn zur Ergebung; Heinrich wurde bis zu seinem Tode gefangen gehalten, sein Bruder Konrad zum Thron- folger gewahlt. Der Kaiser besetzte damals auch Osterreich, dessen Herzog Friedrich II. der Streitbare, der Hachfolger Leopolds VI., wie es scheint, mit den Lombarden und dem Papste gegen den Kaiser in Verbindung getreten war; doch gewann der Babenberger bald sein Band wieder und versohnte sich mit dem Kaiser vollstandig. 1235. Im Jahre 1235 wurde auch derReichstag von Mainz abgehalten. Daselbst wurde beschlossen: 1.) die Einschrankung des Fehderechtes 1 Der Siiden Italiens galt damals als der reicliste Teil der Halbinsel. 2 Die Fiirsten tvvingent mit gewalt — velt^ steine, wazzer unde walt (Freidank). Friedrich II. 117 auf den Fali der Notwehr und die Festsetzung eines allgemeinen Landfriedens; 2.) die Erhebung Braunschvreigs und Liineburgs zum Herzogtum fiir Otto das Kind, einen FTeffen Ottos IV., wodurcb der hundertjahrige Kampf der Staufer und Welfen beendet wurde. Da Friedrich die mil i tari sohe Unterstiitzung der Fiirsten benotigte, anderte er an ibrer Stellung nicbts, trat vielmehr zu ibren Gunsten den Bestrebungen der Stiidte entgegen. 1 So regierte er im AnschluB an die geschiclitliche Entwicklung in Sizilien ab- solut, in Deutscbland aber mit Zustimmung der Fiirsten. 3. Friedriehs fortwahrende Kampfe mit den Papsten und den italienischen Stadten (1239—1250). Friedrich verbrachte fast die ganze folgende Zeit in Italien, wo es zum Kampfe mit den lom- bardischen Stadten kam, die sich den Konstanzer Bestimmungen nielit mehr fiigen wollten, den lombardischen Bund erneuert und sich an Heinrich angeschlossen hatten. Der Kaiser schlug sie im Jahre 1237 boi Cortenuova so entschieden, daB er an ihre voll- standige Unterwerfung denken konnte. Er stand auf dem Ilohe- punhte seiner Machi. Da brach abermals der Kampf mit Gregor IX. aus, der den Kaiser im Jahre 1239 bannte. Die Veranlassung dazu gab: a) daB Friedrich die Einmiscliung des Papstes in die ober- italienischen Angelegenlieiten zuriickwies; h) daB er die bisher anerkannten Anspriiche des Papstes auf Sardinien durch die Ver- mahlung seines Sohnes Heinz mit der Erbin dieser Insel beseitigen wollte; c) weil sich der Kaiser der Ketzerei und Gotteslasterung schuldig gemacht habe. Die Erneuerung dieses Kampf es war um so beklagenswerter, als damals die wiklen Mongolen, die unter der Anfiihrung Dschin- giskhans ein Peicli aufgerichtet hatten, das ungefahr so grofi war wie das heutige chinesische, nach der Hiederwerfung RuBlands in Deutschland ein Helen, den Herzog Heinrich von Hiederschlesien bei Liegnitz (1241) besiegten und nocli' in demselben Jahre Hngarn nach der Schlacht am Saj o grauenhaft verwiisteten. Zum Gliicke brachen Streitigkeiten unter ihnen aus, die sie zum Abzuge nach dem Osten bestimmten. Friedrich riickte in den Kirchenstaat ein und belagerte Rom. Als Gregor ein allgemeines Konzil nach Rom berief, nahm Friedrich iAber 100 dahin reisende Bischofe gefangen, wodurch das Konzil 1 In der zweiten Hiilfte des 12. Jahrhunderts wurden in Deutschland gegen 100 neue Stadte gegriindet. 1237 1239 1241 118 Dritter Zeitraum. vereitelt wurde. Gregor starb im Jalire 1241; sem zweiter JSTacli- folger war Innozenz IV. Dieser floh, wie Alcxander ITI., nach Frankreich und berief ein von deutschen Bischofen fast gar nicht 1245 . besuchtes Konzil nacb Lyon (1245), auf dem er iiber Friedrich wegen dessen angeblieher Ketzerei, Bruches der Vasallentreue und Meineides Bann nnd Absetznng aussprach nnd die Fiirsten zu einer Neuvvahl aufforderte. Wahrend Innozenz „als Stellvertreter des Konigs der Konige auf Erden“ die Gerichtsbarkeit liber den Kaiser beanspruchte und das Wahlrecht der Fiirsten als AusfluB der papst- lichen Gewalt hinstellte, beschwerte sich Friedrich in Briefen an die iibrigen Herrscher liber den MiBbrauch der papstlichen Macht. Damals erreichte der Kampf der beiden Gewalten den Ilohepunkt. Wahrend Friedrich in Italien mit tvechselndem Erfolge bis zu seinem Tode weiter kiimpfte, wurden in Deutschland der Landgraf Ileinrich Raspe von Thiiringen und nach dessen Tode der Graf 1247-1256. Wilhelm von Eolland (1247 — 1256) zu Gegenkonigen gewahlt. Doch brachte es keiner von ihnen zu einer Bedeutung, da die welt- iichen Fiirsten und die Reichsstadte Konrad treu blieben. 1 4. Friedrichs Charakter und Fortleben in der Sage. Geriihmt werden seine Flerrschergabe, Tapferkeit, Bildung, Verstandes- scharfe; er war aber auch miBtrauisch, treulos und selbstsiichtig, Hilde und Erbarmen waren ihm fremd, sein Ideal war der Despotis- mus eines mohammedanischen Herrschers. In Italien geboren und erzogen, fiihlte er sich stets mehr als Italiener denn als Deutscher. Der groBte Staatsmann des Mittelaliers, lieferte er in Sizilien den Beweis, daB der Staat ein Gemeinwesen sei, dessen Aufgabe hoher stehe als das Interesse einzelner Stande. Der Kampf mit dem Papst- tum war unvermeidlich, da auch er die hochste Vorstellung von seiner Wiirde hatte. In der Dahe von Sarazenen aufgewachsen, gewohnte er sich friih an eine objektive Auffassung der Dinge. In religioser Beziehung war er tolerant, wie die groBen Dichter der Zeit (IVolfram, Walter, S. 99). Die Sage vom Fortleben des Kaisers ist anfangs auf Frie¬ drich II. bezogen worden. Sie entstand aus einer doppelten Wurzel: einer italienischen, die den iviederkehrenden Kaiser als Vorlaufer des Antichrists auffaBte, der die Geistlichen verjagen und die 1 In der ersten Hlilfte des 13. Jahrlumderts \vurden ungefahr 400 Stadte neu gegrundet, besonders viele an der Donau und ihren reehtsseitigen Neben- fliissen. Ein Drittel aller Stadte lag am Ehein und an der Donau. Der Untergang der Staufer. 119 Kirche ausrotten, und einer deutschen, zuerst von einem Kaiser Karl erzahlt, der das Keicli reformieren, aber seine Krone in Jeru- salem niederlegen werde. Da Friedrich fhr mehr als 50 Jahre der letzte Kaiser war, \vurde auch diese Sage auf ihn iibertragen. Der Kern der Sage, die kirchenfeindliche Gesinnung des Kaisers, ver- liert sich seit der Reformation und es wird allmahlich die Sehnsucht nach der Wiederaufriclitung des Reiches der Grundgedanke der Sage. Warum die Sage im 15. Jahrhundert auf dem Kvffliauser lokalisiert wurde, ist unbekannt; ibre TIbertragung auf Friedrich I. hat endgiiltig erst Friedrich Riickert („Barbarossa“) veranlaBt. VII. Der Untergang der Staufer (1250—1268). 1250-1268. 1. Konrad IV. (1250—1254). Mach dem Tode seines Vaters 1250-1254. gab er den Kampf gegen Wilhelm auf und eilte nach Italien, um sein Erbe gegen Innozenz IV. zu sichern. Er behauptete sich bis zu seinem friihen Tode im Besitz Apuliens und Siziliens. 2. Manfred (1254—1266). Da Konrad nur einen zweij ahrigen 1254-1266. Knaben liinterlieB, den die Italiener Gonradino nannten, kam die Regierung des Konigreiehes an den ritterlichen Manfred, einen Sohn Friedrichs II. Aber die Papste ruhten nicht, solange ein Sprosse des verhaBten Geschlechts in Italien regierte. Daher belehnte Urban IV., der zweite Machfolger des Innozenz, nach langen ITnter- handlungen Karl von Anjou (S. 103) mit dem Erbe der Staufer. In der Schlacht bei Benevent (1266) wurde Manfred von jenem 1266. besiegt und fand den gesuchten Tod. 3. Konradin (1266—1268); Karl von Anjou. Karl war ein 1266-1268. liartherziger und grausamerllerrscher, der sich bald verhaBt machte. Es erschienen daher ghibellinisclie Gesandte in Deutschland, um Konradin zur Ileerfahrt nach dem Siiden zu bestimmen. Von seinem Jugendfreunde Friedrich von Baden begleitet, zog der ritterliche Jiingling iiber die Alpen, allenthalben von den Ghibellinen freudig begriiBt. Schon liatte er seinen Gegner bei Scurcola besiegt (12 68), 1268. als die Deutschen in einen Ilinterhalt gerieten und geschlagen \vurden, so daB Konradin mit einer Schar Getreuer zur Flucht ge- notigt war. Es gelang ihnen, bei Astura die Kiiste zu erreichen und in einem Kahne das Meer zu gevvinnen. x\ber der ITerr von Astura, Frangipane, schickte den Fliichtlingen ein Schiff nach, das sie ein- holte und zuruckbraclite, \vorauf er sie fiir eine groBe Geldsumme 120 Dritter Zeitraum. an Karl auslieferte. Dieser liefi, trotzdem das von ilim eingesetzte Kriegsgericht Konradin fiir unschuldig erklart hatte, ihn und Frie¬ drich zum Tode verurteilen; beide bestiegen zu Heapel das Blut- geriist, nachdem Konradin den Konig Peter III. von Aragonien, den Schvdegersohn Manfreds, zu seinem Erben bestimmt hatte (1268). Karl ward seines Sieges nicht froh; denn der HaB gegen die 1282. Franzosen rief die Sizilianische Vesper hervor (1282). Am Oster- montage dieses Jahres brach in Palermo zur Vesperzeit ein Aufstand aus, der mit der Ermordung ali er Franzosen auf Sizilien und dem Anschlusse der Insel an Aragonien endete. 4. Die nachsten Folgen des Sturzes der Staufer. Diese waren: 12B4-1273. a) das Interregnum in Deutschland , d. h. die Zeit von 1254—1273, bis zur Thronbesteigung Kudolfs von Habsburg, in der das Faust- s und Fehderecht herrschte und zwei fremde Fiirsten, Richard von Oornioallis und Alfons X. von Kastilien, den Kamen eines deutschen Konigs fiihrten; h) der endgiiltige Sieg der Reichsfiirsten liber den Konig; c) eine allgemeine Verutirrung in Italien, namentlich fort- gesetzte Kampfe der Guelfen und Ghibellinen in allen Stadten bis 1 ief ins 14. J ahrhundert hinein; d) die Beseitigung der deutschen Herrschaft iiber Italien; e) der Niedergang des Papsttums, das zunachst von den Anjou und spater von den franzosischen Konigen abhangig wurde; f) die Trennung Siziliens von Neapel. Drittes Kapitel. Die Kultur im Zeitalter der Kreuzziige und der Staufer. Die Kreuzziige enveiterten den geistigen Horizont der abend- landischen Bevolkerung (I. 132) ; denn diese lernte damals neue Lander sowie eine vorgeschrittene Kultur kennen (S. 51) und ge- wann im Verkehre der verschiedenen Volker untereinander vielfache Anregung. Damals erreichte das mittelalterliche Kulturleben seinen Hbhepunkt; viele seiner AuBerungen (der Kitterstand, die hofische Epik und Lyrik, die Ritterorden, Kriegskunst, Turniere, der Ban der Burgen, die Gotik, Kleidermoden) haben ihren Ursprung in Franhreich. Die Franzosen, die sich am lebhaftesten an den Kreuz- ziigen beteiligten, iibernahmen daher auch seit dem 12. Jahrhunderte die geistige Fuhrung des Abendlandes; viele franzosische Lelin- Die Kultur im Zeitalter der Kreuzziige. 121 worter kamen damals in die deutscbe Spracbe, 1 Franzosisch wurde bald auf allen Kitterburgen gesprocben und war bis nach Palastina hinein verbreitet (I. 228). I. Die Religion und Kirche. 1. Die Ausbreitung des Christentums. a) Endgultige Be- kehrung der Wenden. Sie ist das gemeinsame Werk der Kirclie und mebrerer deutscher Fiirsten (nicht mehr der Kaiser). Von kircb- licher Seite waren namentlicb die Prdmonstratenser und Zister- zienser , von weltlicber die drei zeitgenossischen Fiirsten Adolf Oraf von Holstein, Marhgraf Albrecht der Bar und Ileinrich der Lowe biefiir tatig. Diese Fiirsten eroberten das Wendenland und ver- drangten die einbeimische Bevolkerung teihveise durcb deutsch- christlicbe Kolonisten. Die letzte Zufluchtsstatte des wendiscben Heidentums war Riigen, wo erst im 12. Jabrliunderte das Seerauber- wesen unterdriickt wurde und das Christentum endgultig siegte. 2 b) Die Belcehrung der PreuBen. Audi ibnen wurde das Evan- gelium mit dem Scbwerte, und zwar vom Deutschen Bitterorden gepredigt, wobei freilicb der gr obte Teil von ibnen unterging. Im Jabre 1230 kamen angeblicb nur sieben Ordensbriider ins Kulmer- 1230. land, wohin sie zum Scbutze Polens gegen die PreuBen gerufen ivurden. Spaterbin bildeten die Ordensritter nur den Generalštab, tvahrend die Kreuzheere aus dem Westen und die deutscben Kolo¬ nisten die Eroberung vollzogen. Kocb vor dem Ablaufe des 13. Jabr- liunderts war ganz PreuBen, das damals auf das rechte Weicliselufer beschrankt war, unterworfen. Der Orden stiitzte sich auf zwei Ein- richtungen, die in jener Zeit den iibrigen Staaten auBer Sizilien fehlten, namlicb auf ein tiichtiges Heer und ein hierarchisch ge- gliedertes Beamtentum. Em 1300 erwarb der Orden aucli Po- Um 1300. merellen, d. h. einen Teil des jetzigen Westpreufien. Enter den Ein- wanderern waren am \vichtigsten die ^Burger, deren Stadte nnglaub- 1 Namentlich Ausdriicke der feinen Sitte (Manier, Form, Tafelrunde), der Jagd (Birsch, Koppel), der ltitterspiele (tjost, buhurt), der Ritterriistung (Zimier, Koller, Lanze, Abenteuer). Der junge Meier Helmbreeht sprieht, als ob er aus Brabant stammte, um Eindruck zu machen, Gottfrieds Tristan ist an manchen Stellen voli franzosiseher Worter. 2 Der Sturz Heinrichs des Lowen versehaffte den Diinen fur einige Zeit das tlbergewicht an der Ostsee, bis sie von den norddeutschen Adligen, Biirgern und Bauern in der furehtbaren Schlaeht boi Bornhoved (1227) besiegt wurden. 122 Dritter Zeitraum. lich sehnell gediehen (vgl. Amerika u. I. 81). 1 Im Anfange des 14. Jalirhunderts wurde Marienburg der Sitz des Hochmeisters des Ordens. c) Die Bekehrung der russischen Ostseelander. Sie f allt in die erste Hiilfte des 13. Jahrlmnderts nnd ist das Werk des Ritterordens der Schivertbriider , der sich bald mit dem Deutschen Orden ver- einigte. Er gewann Livland sowie die angrenzenden Teile Kurlands und Estlilands dem Christentume; da auch er die Einwanderung der Deutschen beglinstigte, ist noch jetzt ein Teil der dortigen Stadtebevolkerung deutsch. d) Skandinavien. Wiihrend das Christentum in Diinemark und FTorwegen schon unter dem Konige dieser Lander Knut dem GroBen, einem Zeitgenossen Konrads II., durchdrang, war dies in Schtveden erst im 12. Jahrhunderte der Fali. Von lSTorwegen aus wurde Island bekelirt. 2. Die Steigerung des christlichen Sinnes. Die Kreuzziige an sicb sind ein Beweis dafiir, daB damals der Geist des Christentums die Gemiiter lebhaft ergriffen hatte. Das zeigt sicb aucli im Schwin- den der Blutrache, im Aufhoren der Fehden der Geschlecbter, in den fortgesetzten Scbenkungen an die Ilircbe sowie im Verzicht auf die irdischen Giiter um Cbristi willen (die Bettelorden), 2 3 II. Der Ritterstand. Er wurde durcli die Kreuzziige idealisiert, da ihm ein ideales Ziel, die Eroberung Palastinas, vorgesteckt ward. 1. Der Ursprung des Rittertums. Ritter = Reiter ist jeder, der den Kriegsdienst zu Pferde leistet; es sind dies die edlen oder freien Herren (barones), d. h. die Reste des altgermanischen Ge- burtsadels, sowie die Ministerialen des Konigs und der Fiirsten, deren Stellung wegen ihrer hofischen Erziebung seit dem 11. Jahr- hundert erblicb -vimrde, wodurch allmahlich der Makel derDnfreiheit scbwand und sie mit den edlen Rittern verschmolzen. Friedrich II. entnahm seine Beamten und Heerfiihrer den Ministerialen. 2. Die Bildung des Ritterstandes. Den Adelscharakter ge- wannen die Ritter dadurch, daB sie sich gegeniiber den Biirgern und 1 Im Laufe eines Jahrhunderts entstanden alle Ostseestadte von Liiboek bis Kewal. 3 Die Blutrache ist in Deutsehland erst am Ende des Mittelalters infolge der Lockerung des Eamilienzusammenhaltes versehwnnden; in der Sclrvreiz kam sie noch im 10. Jahrhunderte vor. Die Kultur im Zeitalter der Kreuzziige. 123 Bauern zu einem eigenen Stande mit bestimmten Begriffen von Ehre und Berufspflichten abschlossen (I. 201), eine Entwicklung, die in Deutschland in die Zeit Eriedrichs I. fallt. Die Kennzeichen des Bitteradels waren: a) feine (hofische) Erziebnng; b) kunstgerechte Fuhrung der ritterlichen Waffen (Scbvvert und Speer) ; c) christ- lich-fromme Lebensweise. In diesem (weiteren) Sinne gehorten auch die Konige und der Kaiser dem Bitterstand an. Die Mitglieder des Bitterstandes, in den man durclr die 8chwertleite eintrat, zerfielen in Ritter (milites) und in Knechte (pueri); die ersteren sind die- jenigen, welche den Bitterschlag, d. h. einen Scblag mit der Iland von einem Bitter in den ISFacken, erhalten liatten, bei den letzteren war dies wegen der damit verbundenen Kosten nicht der Eali. a) Die hofische Erziehung. 1 Der Solin eines Bitters kam mit zwolf Jahren auf die Burg eines anderen Bitters oder an den Ilof eines Flirsten, wo er als Junkberr (Knappe, Garztln) einem Bitter diente, bis er selbst Bitter wurde. In der Bliite der Bitterzeit (um 1200) lernte der heranwachsende Knabe und Jiingling mitunter Um 1200. die sieben artes (S. 60), namentlich aber die sieben probitates, d. h. Bei ten, Schwimmen, PfeilschieBen, Fechten mit dem Sclvvvert und Schild, Jagen, Schachspiel und die Verskunst. Daneben \vurde grober Wert auf hofische Manieren, gewahlte Bede und die Kenntnis fremder Spraclien gelegt. So bildeten die Bitter ein heilsames Gegen- geivicht gegen das VbermaB der lateinischen Bildung. b) Die Tcunstgerechte Fuhrung der Waffen. Sie fand Ausdruck in den ritterlichen Spielen (I. 83), an den en nur Bitterbiirtige teil- nehmen durften. Die vdchtigsten Arten waren die Tjost, der Buhurt und das Turnier. Die Tjost war ein Zweikampf, sein Zweck, den Gegner mit dem Speere so zu treffen, dab er vom Pferde sank. Beriihmt sind die Tjostfahrten Ulrichs von Liechtenstein. Beim Buhurt, einem Haufenspiele, standen sich zwei ungeriistete Parteien gegeniiber; man stieb den Lanzenschaft auf den Schild des Gegners und drang, wenn der Speer zerbroclien war, mit dem Schilde gegen ihn ein. Das Turnier war ein Massenkampf mit scharfen Waffen, wobei es darauf ankam, die Scharen der Gegner zu durchbrechen und Gefangene zu machen. Beim Turniere waren Todesfalle nicht selten. 1 A. Zehme, Die Kult ur ver hiti In isse des deutschen Mittelalters. 2. Aufl. Leipzig und Wien 1905. 124 Dritter Zeitraum. c) Die christlich-fromme Lebensweise. Die ritterlichen Eigen- schaften sind auBer der Tapferkeit besonders Treue, Ehrgefiihl, Freigebigkeit, MaBigung, Barmherzigkeit; auch verlangte man vom Ritter genaue Einbaltung der kirchlichen Vorschriften und Be- schiitzung der Armen, Witwen nnd Waisen. Vergleiche den Sprnch der franzosischen Ritter: „Gott meine Seele, dem Konige meinen Leib, den Frauen mein Ilerz, die Ehre fiir rnicli!“ 3. DerVerfall des Ritterstandes. Diese Idealitat erhielt sich nicht lange, die bofischen Sitten verfielen, rvoriiber scbon Walter klagt, ja die Ritter sanken zu Raubrittern und Selilemmern herab. Am argsten war es im Zrvischenreiche. 1 lil. Die Literatur. Wahrend friiher fast nur Geistliche literarisch tatig gewesen rvaren, widmete sich im Zeitalter der Kreuzziige der Ritterstand der Poesie; dagegen blieb die Pflege der Wissenschaften bis ins 15. Jahr- hundert hinein Sache des Klerus. 1. Die Poesie. a ) Die hofische Dichtung. Hatten ehedem den Inhalt der Dichtung fast aussclilieBlick kirchliche Stoffe gebildet, so atmet die ritterliche Poesie Mannesmut und Frohsinn; ihr Atittel- punkt war vielfach die frou werlt. Die hofischeu Sanger waren teils Lyriker, teils Epiker; das Drama war damals noch nicht entwickelt (I. 98). Die Lijrik \vurde in Siidfrankreich, namentlich in der Pro- vence, von den Troubadours gepflegt; der beriihmteste unter ihnen, Bertrand de Bom 2 , war ein Zeitgenosse Richards I. Lowenherz. Sie beeinfluBten besonders in der Form die deutschen Mmnescinger, deren groBter, Walter von der Vogeliveide, nach seiner eigenen An- gabe in Osterreich singen und sagen gelernt hat. Der Hof in Wien unter den letzten drei Babenbergern und der Hof der Landgrafen von Thiiringen zu Eisenach sowie auf der ~Wartburg waren die wich- tigsten Pflegestatten der deutschen Dichtung. Die Epik bliihte in JSTordfrankreich, ihre Triiger hieBen Trou- veres. Die behandelten Sagenstoffe sind zum kleineren Teile antike, weit tibenviegend mittelalterliche (romantisclie). Von den ersteren rvaren am rvichtigsten die Sagen vom Troianischen Kriege und von 1 ttber die Zustande in Osterreich nach dem Tode des letzten Babenbergers klagt Ulrich von Liechtenstein im „Frauendienst“: sich huop n&ch im vil grOziu n6t, man roubt diu lant nalit unde tac, da von vil dorfer wlieste lac. 8 TJhlands gleichnamiges Gedicht. Die Kultur im Zeitalter der Ivreuzziige. 125 den Taten Alexanders des GroBen(L 129), wobei die Helden infolge des Unvermogens des Mittelalters, sich objektiv in ferne Zeiten zu versetzen , als mittelalterliche Eitter aufgefaBt wurden. Die be- liebtesten romantischen Stoffe waren die ArtusTristan- und Gral- sage (Parzival), alle drei britischen Ursprungs, endlich der Karo- lingische Sagenkreis von Karl dem GroBen und seinen Paladinen (Roland). Diese Stoffe behandelten nacb f ranzbsischemVorbild auch die drei groBen hofischen Epiker Deutschlands, namlich Hartmanu von Aue, Gottfried von StraBburg und Wolfram von Eschenbach. b) Pas volkstumliche Epos. Wahrend in den Frankreieb naker gelegenen Gebieten bereits die hofische Epik gepflegt wurde, bliibte in Osterreich, das damals das sagenreichste deutsche Land war, noeb der volkstiimliche Heldengesang, dessen Erzeugnisse von Spielleuten in den ritterlicben Kreisen vorgelesen (niebt mebr gesungen) wurden. In Osterreicb erbielt das Nibelungenlied und wohl auch die Kudrun die endgiiltige Gestalt (um 1200). Um 1200. Alle Gattungen der Poesie waren um 1300 verfallen. Um 1300. 2. Die Prosa. Wenn auch durcb die Beriihrung mit den Arabern die Pflege der Geograpbie, USTaturkunde, Mathematik und Medizin einen Aufschwung nahm, blieben doch diese Wissenszweige im ganzen Mittelalter vernachliissigt, besonders da es an selbstandigen Beobacbtungen fehlte. Die Pariser Dniversitat sucbte die Frage, ob 01, vor das Eenster gestellt, in kalten Winternachten gefriere, durch Eorschen in den Werken des Aristoteles und Plinius zu losen! Einen groBen Fortschritt bezeichnet im 13. Jahrhunderte der Franziskaner Roger Bacon in Oxford, weil er die Erfahrung als maBgebend er- klarte und somit das llecht einer selbstandigen naturwissenschaft- lichen Anscbauung anerkannte. a) Die Scholastik. 1 Sie ist keine eigentlicbe Fachwissenschaft, sondern eine missenschaftliche Richtmg, die das geistige Leben der Zeit von 1050 bis 1500 beherrschte und sich auf alle Wissenscbaften 1050-1500. erstreckte. Ihr PIauptwert beruht in den Leistungen auf dem Ge- biete der Theologie und Philosophie, besonders der Logik; fiir die Philosophie diente als Grundlage Aristoteles. Namentlich groB war die Scholastik in der Kunst des Disputierens oder in der Dialektik 1 So genarmt, weil sie in den Kloster- und Domsehulen und auf den Uni- versitiiten schulmiifiig gelehrt wurde. — G. Kaufmanu, Die Geschichte der deutschen Universitaten. 2 Bde., Stuttgart 1888—1896. 126 Dritter Zeitraum. (S. 60). Ihre Bliite fallt in die zweite Halfte des 13. Jahrhunderts, ihr groBter Meister ist der Dominikaner Thomas von Aquino, ein Schiiler des Scliwaben Alhertus Magnus. 1 b) Die Mystik. Die groBartigen Spekulationen der Scliolastik inocliten wohl den Verstand befriedigen, niclit aber das Herz der- jenigen, tvelche die Religion wesentlicb als eine Sache des Gemiites auffaBten. Deshalb entstand eine Riickstromung gegen die Scho- lastik, deren Trager die Mystiker waren. Der Kern der Mystik, in weleher der jSTeuplatonismus nachwirkt (I. 252), ist der Gedanke, daB die Seele eine Bratit Gottes sei; daher spridit der Meister der Um 1300. deutschen Mystik Eckhard (um 1300) sogar von einer „Vergottung der Seele“. Manche Mystiker, wie z. B. Bertold von Regensburg, der jiingere Zeitgenosse Eckhards, predigten im Ereien vor vielen tausend Zuhorern; sie haben wesentlicb zur Ausbildung der deut¬ schen Prosa beigetragen. IV. Die Bildungsstatten der Zeit. 1. Die Kloster-, Dom- und Stadtsehulen. Damals spielte der Privatunterricht in den hoheren Kreisen eine iveit groBere Kolle als heutzutage. Als bffentliche Bildungsstatten bestanden zunachst die Kloster- und Domschulen fort (S. 60) ; sie zerfielen in innere fiir die kiinftigen Geistlichen und in iiuBere fiir die Soline der Edelleute sowie der Freien und erreichten in Deutschland unter den sacbsi- Um 1200. schen und frankisclien Kaisern ihre hochste Bliite (S. 69). Um 1200 verfielen alle diese Schulen; um so -vvichtiger war es, daB gerade damals infolge des Aufbliihens der Stadte die Stadt- oder Pfarr- schulen aufkamen. Selbst in den kleinsten Stadten befanden sich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts Schulen, in denen die biirger- liche Jugencl Keligionslehre, Latein, Lesen, Sehreiben und Rechnen lernte. 2. Die IJniversitiiten. Die Anfange der Universitaten (studia Um 1200. generalia) fallen um das Jahr 1200. Kach der Art ihrer Entstehung zerfielen sie in: a) solche, die sich an die lokale Kirchengewalt an- schlossen und daher dem geistlichen Gerichte unterstanden; Typus: Pariš, der Ilauptsitz der Scholastik; b) solche, die der Tatigkeit der Stadtbehorde ihreEntwicklung verdankten; Typus: Bologna, die 1 Die Werke des Albertus sind in 21 Foliobanden gedruckt; wegen seiner umfassenden Grelehrsamkeit ivuide er doctor universalis genannt. Die Kultur im Zeitalter der Ivreuzziige. 127 Ilauptstatte fiir das Studium des romischen und des kanonischen Rechtes; c) Staatsuniversitaten, an denen die Lehrer Staatsbeamte waren; Typus: Neapel, beriihmt durch die Pflege der Medizin und der Katunvissenschaften (EinfluB der Araber). 1 V. Die Kunst. A. Die Baukunst. 1. Der romanische Stil. Dem Wesen nach beruht er auf der Verbindung von antik-romisclien ITberlieferungen 2 und germani- schen Erfindungen, namentlicb im Ornamente, das, dem indivi- duellen Geiste der Germanen gemaB, einen auBerordentliclien Formenreichtum zeigt (S. 61). Dieser Stil tauckt in verschiedenen Landern fast gleichzeitig auf; seine Bliite dauert etwa von 1000 bis 1200, sie \vurde zuerst in Deutschland erreicht. Da samtliche Bogen (an Eenstern, Portalen, als Verbindung der Saulen und Pfeiler 3 ) rund sind, heiBt er wohl auch der Rundbogenstil. In ihm findet der kriegerisch-religiose Sinn der Zeit sowie das gewaltige Emporstreben der einzelnen Volker kraftigen Ausdruck. a) Das Innere. Der Raum fiir die Glaubigen zerfallt durch Pfeiler- oder Saulenarkaden in drei Schiffe, von denen das Haupt- schiif gewohnlicb doppelt so breit und hoch wie die beiden Seiten- schiffe ist. Am Ende des Langschiffes schlieBt sich das Kreuz- oder Querschiff an, dessen Anlage die romanische Kirche ganz besonders von der Ba.sililca unterscheidet; es besteht namlich aus drei Qua- draten, von denen das mittlere, Vierung genannt, durch vier Pfeiler, die mit Bogen verbunden sind, gebildet wird. Jenseits der Vierung folgt ein viereckiger Raum, Chor oder Presbyterium, an das sich die halbkreisformige Nische (Concha, Apsis) anschliefit. So gewann der GrundriB der romanischen Kirche die Gestalt des lateinischen Kreuzes. In Siiddeutschland, Osterreich und Ungarn fehlt in der Regel das Kreuzschiff. Eigentiimlich- ist diesem Stile die Anlage einer Gruftkirche, Krypla, unter dem Chore; die beriihmteste Krvpta Osterreiclis ist in Ourlt. Das Kapital hat die Form einesWiirfels mit unten abgerundeten Fliichen (Wiirfelkapital), die mit verschiedenen phantastischen 1 Die Zalil der Universitaten stieg von drei im 12. auf 27 im 15. Jahrh. 2 S. S. 44. Vgl. die Entstehung der romanischen Sprachen. 3 Der Pfeiler ist sehr kriiftig, in der Hegel viereckig und entbehrt des Kapitala. 128 Dritter Zeitraum. Tieren, Pfianzen- oder Bandornamenten verziert wurden. Daneben kommt haufig die Kelehform mit Blatterschmuck nach romisch- korinthiscliem Vorbilde vor (S. 44). Bis tief ins 12. Jahrhundert hinein wurden Holzdecken an- gewandt, auberdem aber auch Tonnengewolbe, welche die Gestalt eines halben Zylinders haben und die wegen des groben Druckes sehr dicker Mauern bediirfen, sotvie Kreuzgevrolbe, die aus vier sphari- schen Dreiecken (Gewolbkappen) besteben. liber der Vierung erhob sich haufig eine Kuppel oder ein Turm. b) Das AuSere. Hier ist das Ilauptkennzeichen der Rundbogen- fries, der aus einer Keihe miteinander verbundener, sehr mannig- faltig gestalteter Halbkreisbogen besteht, die sich besonders unter dem Dachgesimse hinziehen. Hiezu kommen die Lisenen, pilaster- artigeWandstreifen, die, an denEcken des Gebaudes und in gewissen Zwischenraumen angebraciit, vom Socket bis zum Eriese reichen. Besonders prachtig geschmiickt wurden die Portale. Die wichtigsten Kirchen dieses Stiles sind in Deutschland: die Dome von Mainz, Spejer (mit der Gruft der Kaiser von Konrad II. bis Rudolf von Habsburg), Worms und Bamberg; in Osterreich: die Kirchen in Gurk, Seckau, St. Paul und Trient sowie die Kreuzgange, d. h. von Arkaden umgebenen Klosterhofe in Ileiligenkreuz, Lilienfeld und Zwettl; in Italien: Dom und Kreuzgang von Monreale. 2. Der gotische Stil. Die ersten Bauten in diesem Stile ent- standen in der Mitte des 12. Jahrhunderts um Pariš, im stark ger- manischen Teile Frankreichs; von hier aus verbreitete sich die Gotik rasch in die Rheingegenden, langsamer weiter nach Osten (vgl. die hofische Epik S. 125), 1 ihre Bliite fallt ins 13. Jahrhundert, ihr Ende in den Beginn der Keuzeit. „Got:isch“ nannten die Italiener den Stil, um ihn als einen barbarischen zu bezeichnen; wegen der folgerichtigen Anwendung des Spitzbogens heiBt er wohl auch der Spitzbogenstil. Vom romanischen zum gotischen Stile fand ein tTber- gang statt, weshalh man auch von einem Ubergangsstile spricht. a) Das Sgstem des Stiles. Die zwei Hauptgrundlagen des Stiles sind der Spitzbogen und das System der Strebepfeiler mit den Strebebogen. Der Spitzbogen, der schon in der IJbergangszeit vor- kommt, erhalt jetzt leonstruktive Bedeutung, d. h. er beeinfluBt den ganzen Aufbau. Wahrend namlich zwei Punkte durch einen einzigen 1 Naeh Osterreich gelangt die Gotik erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Die Kultur im Zeitalter der Kreuzziige. 129 Halbkreisbogen verbunden werden konnen, kanu dies durch den Spitzbogen, je nackdem er steiler oder stumpfer ist, in sebr ver- schiedener Art geschehen. Da ferner der gotische Stil allgemein das Kreuzgeivolbe anwendet, das nnr auf die Ecken des Viereckes, woruber es gespannt ist, einen starken Druck ausiibt, so suchte man diese dureh das System der Strebepfeiler und Strebebogen zu stiitzen. Die ersteren, kraftige Pfeiler, sind an der AuBenseite der Kirche gerade gegeniiber den Pfeilern, welcbe die Gewolbe /les Haupt- schiffes tragen, angebracht; die Strebebogen iiber den Seitenschiffen verbinden beide Pfeiler miteinander. Pernere Abiveichungen vom romanischen Stile sind: a) Die Krypta und Vierung entfallen; ff) die Nische wird polygonal ge- bildet; y) das Kapital hat gewbhnlich die Form eines Kelches, der mit naturalistischem Blattwerke gescbmiickt ist, wabrend die roma- nisclie Zeit stilisiertes Ornament liebt (I. 124) ; d) die groben Fenster, durch steinerne Štabe (Pfosten) gegliedert, werden durch Spitzbogen abgeschlossen imd tragen das MaBvueric, das aus Kreisen und Kreisteilen besteht. b) Das AuBcre. Es erhalt sein Geprage durch die Strebepfeiler und Strebebogen, die bei reicheren Bauten mit Kreuzblumen und Krabben geschmiickt sind; die ersteren sind kreuzformig gestaltete Bildungen, deren Querbalken und Spitze Blattornamente tragen, die Krabben kleinere Ornamente in Blattform. Bei noch reicherer Dekoration setzt man an die Spitze der Strebepfeiler Spitzsaulchen (.Fialen), deren Spitzen mit Kreuzblumen und deren Kanten mit Krabben geziert sind. Auch finden wir Fialen zwischen den Wimpergen (Windbergen), steilen Giebeln, die iiber Fenstern und Portalen angebracht wurden; ebenso \vurden die Portale und die Tiirme reieh geschmiickt. Die beiden groben viereckigen Westtiirme gehen oben haufig in ein achtseitiges Prisma iiber, iiber dem die steile Pyramide des Helmes, mit eiuer Kreuzblume an der Spitze, aufgesetzt ist. c) Allgemeiner Gharahter des Stiles. Wahrend in der griechi- schen Baukunst der Gegensatz des Tragens und Lastens in den senk- rechten Saulen und dem wagrechten Gebalke Ausdruck findet, ist in der Gotik, namentlich der deutsclien, das Wagrechte fast beseitigt, so daB sie den scharfsten Gegensatz zum griechischen Baue bildet. Im Aufwartsstreben der Massen kommt der dem tTberirdischen zu- gewendete Sinn des Mitteltalters, in ihrer Pracht das Aufbliihen der Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 9 130 Dritter Zeitraum. Stiidte zum Ausdrucke. Vergleiche die MaBe des Parthenon (I. 100) mit denen des Kolner Domes, der ungefahr 140 m lang, 45 m breit und im Mittelschiff 45 m hoch ist. Die vvichtigsten Denkmaler dieses Stiles gehoren Frankreich, England, Deutschland und Osterreich an; es sind die Dome von Pariš, Chartres, Amiens und Keims, von Canterburj und Salisbury, von Freiburg, StraBburg und Koln, von Wien und Prag. Die hochste Leistung des deutschen Profanbaues im Mittelalter ist das SchloB des Deutschen Ordens in Marienburg. B. Die Plastik und Malerei. Wahrend die monumentale Plastik und Malerei in der Zeit vom 10. bis zum 12. Jahrhunderte diirftig und roh ist, hat das Kunsthandiverk eine hohe Entwicklung erreicht. Damals vertrat der Goldschmied den Bildhauer, der Weber und Sticker den Maler; sie wurden namentlich bei der Herstellung kirchlicher Geratsehaften verwendet. Mit der groBeren dekorativen Pracht, die bei den Bauten im 12. Jahrhundert eintrat, nahmen Plastik und Malerei einen bedeutenden Aufschwung, der bis iiber die Mitte des 13. Jahr- hunderts anhalt, so daB damals die deutscke Plastik ihren Hohe- ■punld iiberhaupt erreicht. 1 Die dekorative Pracht der Gotik rief eine groBe Zahl plastischer Werke hervor (Gegensatz S. 43), wahrend die Malerei zuriicktrat, da ihr die groBen Fenster den Raum raubten. Einen teilweisen Ersatz hiefiir bot die Glasmalereij hiezu kommt die Pohjchromie (I. 87), indem verscliiedene Bauteile, wie Kapitaler, Gurten u. s.w., bemalt wurden. VI. Die materielle Kultur. Ackerbau, Gewerbe, Industrie und Handel nahmen damals einen groBen Aufschtvung. Der Ackerbau wurde nun rationeller betrieben; man. diingte den Boden, wechselte mit dem Anbau der Frucht, lieB den Boden nicht mehr jahrelang brach liegen u. s. w. Diejenigen Bauern, die aus dem Orient zuriickkamen, galten als frei; der groBe Verlust an Bauern verbesserte die Lage der iibrigen. Die hohe Entwicklung des Gewerbes und der Industrie im Orient reizte zur Hachahmung, so daB nunmehr in den Landern mit 1 Hieher gehoren die Skulpturen in der SchloBkapelle zu Wechselburg, an und in den Domen von Freiburg, Nauinburg, Bamberg und StraBburg. Verfassung, Recht und Volkswirtseliaft im Deutschen Reiche. 131 stadtischer Kultur (Italien, Frankreich, Flandern) das Fabrik- wesen, z. B. Spinnerei, Weberei, aufbliilite. Wie im Altertum (I. 251) wurden auch im friiheu Mittelalter ►Seide aus Cliina, Gewiirze, Spezereien, Perlen, Edelsteine und Elfenbein aus Indien eingefiihrt, wobei anfangs die Perser, spiiter die Araber den Zunschenhandel besorgten. Die Hauptstapelpliitze dieser Waren waren Konstantinopel und Alexandrien, von wo sie italienische Kaufleute, namentlicli aus Amalfi, Venedig, Piša und Genua, holten. 1 Wahrend der Kreuzziige nalim der Levantehandel einen hohen Aufsclrvvung; orientaliscbe Waren wurden damals nacli Flandern und England gebracht und deutsche Kaufleute fiilirten sie weiter nach den Landern der Ostsee. Die Eroberungen der Mon- golen im 13. Jahrhunderte kamen dem Ilandel sogar zugute, weil sie den Italienern das Innere Asiens ersclilossen. Ja, drei Venetianer aus der Familie Polo gelangten im 13. Jahrhunderte selbst bis nach Cliina; Marco Polo hat die von ihm besuchten Landschaften ge- schildert. Dieser Handel wurde im 14. Jahrhunderte namentlich durch den Sturz der mongolischen IJerrsclier in Cliina, das sich erst seit- dem dem Auslande gegeniiber abgeschlossen hat, sch\ver geschadigt. Von den Arabern lernte man den KompaB kennen, der im Abendland etwa seit 1300 verwendet wurde. Viertes Kapitel. Verfassung, Recht und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche. I. Die Rechtsque!!en. Die Stammesrechte und Kapitularien. gerieten infolge der Ver- nachlassigung der Gesetzgebung seitens der Kaiser in Vergessenheit, weshalb sich ei nGeivohnheitsrecht ausbildete und Landesgesetze eine solche Zersplitterung herbeifiihrten, daB jedes Gericht sein eigenes Recht hatte. Der vorhandene Rechtsstoff wurde durch die Bechts- biicher, die zu den iiltesten Erzeugnissen der deutschen Prosa ge- horen, bearbeitet. Das wichtigste Rechtsbuch ist der Sachsenspiegel 2 , 1 Daher sind die Lehnworter orientalischen Ui'sprungs dieser Zeit, wie Zucker, Sirup, Safrau, durch romanische Vermittlung in die deutsche Sprache gekommen. 2 Darin solite sich nach dem Willen des Verfassers Eike von Repgow das alte Recht abspiegeln. 132 Dritter Zeitraum. der -um 1230 fiir Norddeutschland abgefaBt wurde und die Grund- lage des siiddeutschen ScJiivabenspiegels bildete. Eine zeitgemaBe Fortbildung erfuhr das Recht durch die Stadt- rechte, d. b. Privilegien, die der Stadtberr dem zur Stadt erbobenen Gemeinwesen erteilte; sie enthalten besonders Bestimmungen iiber Gerichtsbarkeit und Vemvaltung. Die deutschen Stadtrecbte er- streckten sich bis nacb Ungarn (Ofen), RuBland (Nowgorod) und Gotbland (Wisby); fiir Osterreich wurde das Wiener Becbt (um 1200) am wicbtigsten. Das landliche Recht lernen wir besonders aus den Weistumern kennen; es sind dies miindlicbe Recbt,sweisungen durch die Altesten oder Schoffen auf Grund des Herkommens. II. Das Reich und seine Bevvohner. 1. Die staatliche Gliederung des Reiches. Die Stammesherzog- tiimer wurden infolge von Teilungen und Zersplitterungen (S. 78 u. 110) zu Landesherzogtumern, das letzte, Schwaben, ist mit dem Tode Konradins eingegangen. Die Grafschaftseinteilung ist im 12. Jahrhunderte zerruttet; dies veranlabten: a) die Immunitaten, deren Inbaber durch die Erlangung der hohen Gerichtsbarkeit vom Graf en unabhangig wurden; b) das Aufkommen der 'Beichsvogte zur Verwaltung der Reichsgiiter, die friiher eine Befugnis der Graf en gewesen war; c) die Erteilung von Stadtrechten, da die Stadte haufig dem Grafengericht entzogen wurden; d) besonders die Erb- lichkeit der Lehen, da hiedurch die Grafschaften denCharakter einer Eigenberechtigung erliielten, so dafi Teilungen und Vereinigungen von Grafschaften immer haufiger wurden. Deshalb vrarden auch die alten Gaunamen, z. B. Traungau, Donaugau, durch dynastische Landschaftsnamen verdrangt so\vie sich auch die Grafen, z. B. die Habsburger, nicht mehr nach dem Gau, sondern nach einer Burg benannten. 1 Die Hundertschaften haben sich im ganzen erhalten. 2. Das Lehenswesen. Es erreichte unter den Staufern seine Bliite, indem Friedrich I. auch die Kirchenfiirsten in den Lehens- verband zog. Gegenstand der Belehnung konnte alles sein, was einen dauernden Ertrag abwarf (S. 92), daher durchdrang das Lehens- wesen den ganzen Staat. Ein rechtes Lehen war mit Mannschaft, d. h. Vasallenverhaltnis und Kriegsdienst, verbunden; deshalb 1 In den osterreichisehen Urkunden versehwinden die Gaunamen seit dem 12. Jahrhunderte. Verfassung, Recht und Vollcswirtschaft im Deutschen Reiche. J 3 3 hatten auBer den geistlichen Fiirsten nur die Ritter volle Lehens- fahigkeit oder den „IIeerschild“, der selbst wieder in sechs einzelne Heerschilde oder Rangstufen zerfiel. Es waren dies: a) der Konig, b) die geistlichen, c) die weltlichen Fiirsten, d) die Graf en und freien Herren, e) die Ministerialen, f) die unfreien Ritter, die nickt melir Lehensherren sein konnten. Diese Ordnung geriet im 14. Jahr- hundert in Verfall. Die Erblichheit der Leben galt nur im unmittel- baren Mannsstamme, schloB also die Briider aus. Ealls die Person des Herrn oder des Vasallen wechselte, muBte biimen Jahr und Tag die Lehenserneuerung (Mutung) nachgesucht werden; wurden mehrere Personen gemeinsam belehnt, so hieB dies eine Gesamt- belehnung; war kein Erbe vorhanden, so trat der Heimfall des Lehens ein. 3. Die Stande. Die weitere Ausgestaltung der frankischen Ver- haltnisse (S. 37) wurde besonders durcb den EinfluB des Lehens- ivesens bestimmt. a) Der Adel. Zu ihm gehorten die Eiirsten, die edlen oder freien Herren und die weltlichen Immunitatsberren; ihnen ent- stammte der hohe Adel. b) Die Ministerialen; sie bildeten seit dem H. Jahrliundert einen eigenen Geburtsstand, der infolge des Lehens- wesens (denn sie erhielten fiir ihre Dienste Beneiizien) im Range unmittelbar hinter den freien Herren kam und die Quelle des mederen Adels wurde. c) Die freien Bauern, die teihveise iliren Besitz verloren hatten. d) Die Ilorigen, die ihrem Herrn einen Zins zahlten. e) Die Leibeigenen. Sie waren die Hausdiener und galten als Sache ihres Herrn; ihre Zalil nahm stetig ab. Das 13. Jahrliundert ist die Blutezeit des deutschen Bauern - standes; vielfach gab es damals nur mehr freie Bauern. Das anderte sich im 15. Jahrhunderte vollig. Das Aufhoren der Rodungen, der Kolonisation und der Stadtegriindungen („Stadtluft macht frei“) driickte den Wert des Bauern herab und Teilungen des Ackerlandes sowie der Druck der offentlichen Abgaben fiihrten seine Verarmung lierbei, so daB er mit Ausnahme der tapferen Dithmarschen, der Schiveizer und eines Teiles der Tiroler Bauern zum ujeitaus groBten Teile leibeigen wurde. III. Die Verfassung. 1. Der Konig. Seit Otto I. empiingen alle Konige auBer Ivonrad ITI., Philipp und Konrad IV. vom Papste die Kaiserk?one. Die Hachfolge beruhte auf einer Mischung von Erblichkeit und 134 Dritter Zeitraum. Wahl; das Erloschen mehrerer Dynastien erinnerte die Fiirsten immer wieder an ihr 'VVahlrecht. Aus dem Ehrenrechte, dab einzelne Fursten ihre Stimmen zuerst abgaben, 1 bildete sicb das ausschlieB- liche Wahlrecht einiger Fursten aus; so gelangte man zur Siebenzahl 1257. der Kurfursten, zuerst bei der Doppelivahl des Jahres 1257. Die Kurwiirde besaben die Erzbischofe von Mainz, Koln und Trier, der Konig von Bolimen, derPfalzgraf am Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg. Der Wahlort war Frankfurt, die Kronungsstadt, wenigstens seit dem 14. Jahrhundert, Aachen; eine feste Besidenz gab es nicht. 2. Die Reichsfiirsten. Man unterscheidet einen alteren und einen jiiageren Fiirstenstand; die Grenze beider fiillt in die Zeit Friedricbs I. Jener ist an die Ausiibung eines Beichs-, besonders des Grafenamtes, dieser an den Besitz eines Fiirstentums, z. B. eines Herzogtums, gekniipft. Die Beamtenfiirsten waren teils geistliclie, namlich die Erzbischofe, Bischofe und Reichsabte, teils weltliche, namlicb die Herzoge, Markgrafen, Grafen und Burggrafen. Fiir die Bildung des neuen Fiirstenstandes waren die mit dem Sturze Hein- richs des Lowen verbnndenen Veranderungen entscheidend. Damals wurde infolge der Ausscbeidung der Grafen die Zahl der weltlichen Flirsten auf 16 vermindert, wahrend die der geistlichen iiber 50 betrug. Die Landeshoheit der Fursten (S. 116), deren eigentlicher Kern die graflicbe Gericbtsbarkeit war, bildete sich durch die Er- werbung von immer mehr Begalien und die Hnterwerfung oder Beseitigung der fiirstlicben Vasallen, namentlich der Grafen, rveiter aus. 2 3 * Die Landeshoheit fand ihren starksten Ausdruck in den Landesteilungen; so teilten die Wittelsbacher in Oberbayern und die Pfalz 8 einer- und Miederbayern anderseits, die Wettiner in Sachsen AVittenberg und Lauenburg, die Gorzer Grafen in Gorz und Tirol. Audi die Habsburger teilten ipi 14. Jahrhundert ihre Bander. Seit der Ausbildung der Landeshoheit entivickelte sich all- mahlich die Pflicht der Fursten, die Groben ihres Territoriums, 1 Dieses Vorrecht berulite bei den vier weltliehen Fursten vermutlich auf dem Besitze des Erzamtes (S. 73). 2 Die Fursten gaben seit der Ausbildung der Landeshoheit die Gerichte ihrer Gebiete nicht mehr zu Lehen, sondern setzten besoldete Richter ein, wodureh sie die Lehen in Amter umwandelten. 3 Friedrich II. verlieh die Rheinpfalz den Wittelsbaehern; diese brachten es sogar auf 20 Linien. Verfassungj Redit und Yolkswirtschaft im Deutschen Reiche. 135 niimlich die Pralaten, Graf en, Edelherren, Ministerialen und die* A^ertreter der landesflirstlichen Stadte, d. h. derjenigen, die nur dem Landesherrn unterstanden, bei Entscheidungen liber wicbtige Landesangelegenheiten zu Rate zu zieben. So entstanden die Land- stande, die in Fragen der Gesetzgebung, Besteuerung, Verpfandung und Verauberung von Landesteilen u. s. w. um ihre Zustimmung befragt werden muBten. 3. Der Rciclistag. Zu den Beratungen des Reiclistages lud der Kaiser samtliche Reichsfursten ein. In seinen AVirkungskreis ge- borten: a) die Reichsgesetzgebung, b) die Reicbsheerfahrten, ein- schlieBlich der Romerziige, c ) die Reicbssteuern, d) die Vornahme von Veranderungen im Stande der Eiirstentumer und e) die Ver- trage mit dem Auslande. 4. Das Finanzwesen. Die wichtigsten Eirikunfte waren: a ) die Ertragnisse der Domiinen , die aber am Ende der Stauferzeit durch Schenkungen und Entfremdungen fast ganz zusammengescbwunden waren; b) die Geldleistungen Italiens (S. 107) und der slaivischen Volker , solange die letzteren dem Reiche nicht einverleibt waren, was unter Friedrich I. geschah; c ) die Gerichtsgelder ; d ) die Re- galien. Zu einer ordentlichen Reichssteuer hat es das Mittelalter nicht gebracht; neben den ldrclilichen Beden (S. 74) miren beson- ders die ordentlichen Beden der Reichsstiidte rvichtig. Die bedeu- tendsten Auslagen waren der Unterhalt des Hofes und die Geschenke an Kirchen, Fiirsten, den Papst u. a.; fiir jenen geniigten die Er¬ tragnisse der Domanen, diese waren eine druckende Last. Kultur- aufgaben spielten auch damals keine Rolle (S. 37). Each dem Verfalle des karolingischen Miinzsystems gab es infolge der Miinzhoheit der Fiirsten keine einheitliche Wahrung. 5. Die Gerichtsverfassung. Bis zur Ausbildung der Landes- hoheit hielt sie im groBen ganzen an den Karolingischen Grundlagen lest und hatte daher einen einheitličhen Charakter; seitdem nimmt sie einen territorialen Charakter an und zeigt daher groBe Ver- schiedenheiten. Infolge von Teilungen der Gerichtsbezirke litt die Rechtspilege sehr, ja sie ging gegen Ende des Mittelalter s stellen- weise ganz ein: die letzte Erinnerung an die Gauverfassung war beseitigt. An Stelle des Pfalzgerichtes (S. 35) ist das koniglichc Iiofgericlit als ordentliches Gericht fiir alle Reichsunmittelbaren, d. h. nur dem Konige Unterstehenden, getreten; seine Mitglieder tvahlte der Konig nach Belieben (unfertiger Zustand des Staates). 136 Dritter Zeitraum. AuBerdem gab es Spezialgerichte fiir die Vasallen eines Ilerrn in Lehenssachen, fiir die Horigen eines Gutsherrn, fiir Klagen gegen die Kleriker u. s. w. Allgemein galt als Grundsatz, daB man nur durch G-enossen oder Hoherstehende gerichtet werden komite. Das Wergeld und die Gottesurteile horten seit dem 13. Jahr- hundert auf, Hinrichtung und Verstiimmlung mirden allgemein fiir den Hord eingefiihrt und die Strafen wurden immer grausamer. 6. Die Stadte. a) Die Fortdauer der Naturahvirtschaft. Wah- rend sieh in Italien mit seinen aus der Romerzeit erhaltenen Stadten friib biirgerlich-stadtisches Leben entwickelte, verharrte Deutsch- land bis ins 12. Jahrhundert hinein in bauerlichen Zustanden. Koch um das Jalir 1000 war Deutschland mit groBen Siimpfen und Waldern bedeclct, zwischen denen viele Dorfer lagen, und bis zur Stauferzeit besaB es auBer den beiden rbeinisclien Tiefebenen kein weites Aekerland von groBer Lruchtbarkeit. Mit dem 13. Jahr- hundert ist die Zeit der groBen Rodungen im ganzen abgeschlossen. b) Das Entstehen und die Entwicklung der Stadte. Erst in der Stauferzeit entfaltete sich unter dem Einflusse der Kreuzziige und der A r erbindung mit Italien die biirgerlich-stadtisclie Kultur auch im inneren Deutscbland; es dauert demnach lange, bis ein Volk die Naturalwirtschaft ubervuindet. Am Rhein und an der Donau batten sich romische Stadte als Marktplatze erlialten; auBerdem entstanden Stadte bei koniglichen Pfalzen, an Bischofssitzen, um einzelne Burgen Heinrichs I., an liervorragenden Handelsplatzen und an Bergwerksorten. Die Stadte waren ummauerte, mit Marktrecht, Gerichtsimmunitat und Selbstverwaltung ausgestattete Orte! Alle Stadte waren urspriinglich von demjenigen Herrn ab- hiingig, dem der betreffende Boden gehorte. Man unterscheidet daher konigliche oder Reichsstadte, denen die Reichsstandschaft zukam, so daB sie Kriege fiiliren und Biindnisse schlieBen konnten, und landesfurstliche Stadte; die ersteren erinnern an den antiken Stadt- Staat. Fiir die stadtische Gerichtsbarkeit und Veriualtung setzte der Stadtherr gewohnlich einen seiner Ministerialen als Ammann oder StadtschultheiBen ein, dem in der Regel ein aus den hervorragen- 1 Am Ende des 12. Jahrhunderts gab es in Deutschland ungefiihr 240, am Ende der Stauferzeit etwa 640 Stadte; spiiter steigt die Zahl der Stadte nur wenig mehr. Verfassung, Redit und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche. 137 deren Bewohnern gebildetes Schoffenlcollegium zur Seite stand. Im 13. Jahrhunderte gelangten trotz des "VViderstandes der Stadtherren alle Stadte zu einem eigenen Selbstverwaltungsorgane, dem Stadt- rate, dessen Mitglieder vem den Biirgern gewahlt wurden. Der Charakter des Staatswesens. Es fallt uns die Unfertigkeit aller Zustiinde, die geringe Autoritat des Staates, die groBe Mannig- faltigkeit der Einrichtungen, die Unsicherheit der Person und des Eigentums auf; die letztere bat ihren Grund in der Selbstbilfe (Fehde), derzufolge sich der Einzelne aus jedem Anlasse zum Richter in eigener Sacbe macbte. Die Einwirkung des Konigs auf die versebiedenen Volkskreise trat sehr zuriick, die Gericbtsbarkeit wurde nur mebr teihveise in seinem ISTamen geiibt, die Streitmacbt stand ibm nicbt mehr unmittelbar zur Verfiigung, die finanziellen Krafte kamen mehr den Eiirsten und den Stadten als ihm zugute. IV. Die deutsche Kolonisation. Die Deutschen griindeten iiberwiegend Ackerbaukolonien (I. 80). Die Bliitezeit der deutschen Kolonisation, der groBten nach der romischen und der amerikanischen, fallt in das 12. und 13. Jahr- * hundert; seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, als der Schwarze Tod unter der Bevolkenmg wiitete, horte sie auf. Sie wurde besonders von den Klostern und den weltlichen Eiirsten begiinstigt und ging H and in Hand mit der Christianisierung der betreffenden Bander (S. 121). Es sind zwei Hauptgebiete der Kolonisierung zu unter- scheiden: 1.) ein siidliches, das die osterreichischen Alpen- und Sudetenlander umfaBt und mit der VergroBerung Bayerns (S. 76), der Tatigkeit der Babenberger und der Pfemysliden zusammen- hangt, aber auch Engarn und Siebenbiirgen teilweise ergreift, und 2.) ein nordliches, um das sich besonders die Vlamen und Hollander durch Urbarmachung der MoorflacKen Verdienste erwarben. Das Ergebnis der Kolonisation war, daB die ganze Siidkiiste der Ostsee, das Gebiet jenseits der Elbe in Korddeutschland sowie bedeutende Gebiete in den Alpen- und Sudetenlandern, somit fast drei Eiinftel des lieutigen deutschen Gebietes, germanisiert wurden. 138 Vierter Zeitraum. Vierter Zeitraum. Von der Thronbesteigung Hudolfs voii Habsburg bis zum Ende des Mittelalters (1273—1492). Die Vorherrschaft des Deutschen Reiches ist zu Ende, die groBe Politik der Staufer wird fallen gelassen und die Herrschaft der Papste in Mittelitalien anerkannt, so daB jetzt friedlichere Be- ziehnngen zu diesen eintreten. Die Kaiserkronung wird fast zur Ausnahme; sie verleiht nur mehr einen geivissen Glanz, aber keine hohere Maclit. Im Innern schreitet die Auflosung des Reiches fort; das Hauptbestreben dreht sich um Landereriuerb seitens der Konige und Fursten sowie um die Eniivicklung der Sttidte, in denen damals die beste Kraft der Ration rubte. Die Konige sind infolge des Ver¬ in stes der Reichsgiiter genotigt, sich eine Ilausmacht zu erwerben, um sich darauf gegen die Piirsten stiitzen zu konnen; sie sind in allen rvichtigen Dingen an die Zustimmung der Kurfiirsten gebun- den, die durch Willebriefe erteilt wird. Das Aufkommen einer Dijnastie wird moglicbst hintangebalten. Seit dem II. Jahrhunderte folgen alle Konige dem Zuge nacb Osten, wahrend friiher die Scbrverkraft des Reiches am Rliein gelegen tvar. 1 In den anderen Staaten rverden die Grundlagen der nationalen Verfassung gelegt, demzufolge wir fast iiberall standisch-gegliederte Reicksversainmlungen und erbliches Konigtum finden; nur Deutsch- land und Italien machen Ausnahmen bievon. Erstes Kapitel. 1273-1347. Die Konige aus verschiedenen Hausern (1273 — 1347). 1273-1291. I- Rudolf I. von Habsburg (1273 — 1291). 1. Ursprung und Stellung der Habsburger. Das schwabische Geschlecbt der Iiabsburger nannte sich so seit dem Ende des 11. Jahr- hunderts nach der Habichtsburgj es rvar an der Aar und ReuB wie zu beiden Seiten des Rheins von Basel bis unterhalb Breisach reich begiitert. Zu groBerer Bedeutung gelangten die Habsburger im 1 Otto von Ereising bezeichnete die oberrheinisehe Tiefebene als das Mark des Keiches. Rudolf von Habsburg. 139 12. Jahrhunderte; damals waren sie namlich bereits Landgrafen im OberelsaB (Sundgau), erhielten die Grafschaft im Ziirichgau und erbten grobe Giiter in Luzern sowie in TJnterwalden. Hiezu kam unter Friedrich II. die Grafschaft im Aargau und wahrend des Zivischenreiches die Grafschaft im Thurgau. Somit iibte Rudolf . der Griinder der GrdBe des osterreicMsclien Eaiserhauses , ; die Grafenrechte im ganzen Gebiete am linken Rheinufer von Breisach bis zum Bodensee aus. Audi besaB er ausgedehnte Eigengiiter, durcli deren musterhafte Bewirtschaftung er der reichste Mann in Sclnvaben, nach den Kurfiirsten und dem Erzbischofe von Salzburg in ganz Deutschland war. 2. Rudolf s Wahl. I)ie unseligen Verlialtnisse des Zvischen- reiches bestimmten endlich die Fiirsten, nach dem Tode Richards von Cormvallis dem Reiche ein allgemein anerkanntes Oberhaupt zu geben. Denselben AVunsch hegte auch Gregor X., da er nur in diesem Falle einen Kreuzzug zustande bringen konnte. Fiir Rudolf var besonders der Burggraf Friedrich III. von Eurnberg aus dem Hause der Ilohenzollern tatig; ihn empfahlen seine Frommigkeit, Tapferkeit, Einfachheit und Klugheit, so daB ihn die Kurfiirsten einstimmig vahlten. 3. Der zweimalige Kampf mit Ottokar (1276 u. 1278). 1 a) Ottohars Stellung. Als im Jahre 1246 der kinderlose Herzog Friedrich II. im Kampfe gegen die Magvaren an der Leitha fiel, waren Osterreich und Steiermark erledigt, da weder seine Schwester Margareta noch seine FTichte Gertrud erbberechtigt waren (S. 105). Der Kaiser Friedrich II. zog daher jene Lander ein, wahrend sich die beiden Frauen wegen der Anerkennung ihrer angeblichen Redite an den Papst wandten. Dieser entschied sich fiir Gertrud, die nach dem Tode ihres ersten Gatten Hermann von Baden ihre Anspriiche auf Bela IV., Konig von ITngarn, iibertrug. Als durcli den Tod des Kaisers Friedrich die Lage noch ver\vorrener geworden var, besetzte Ottokar, damals Markgraf von Mahren, Osterreich; hierauf ver- mahlte er sich mit Margareta, der AVitwe des Konigs Heinrich, um einen Rechtsanspruch auf das babenbergische Erbe zu gewinnen. Dariiber kam es mit Bela zum Kriege, der mit dem Frieden von O fen (1254) endete; in diesem erhielt Ottokar, seit dem Tode seines Vaters AVenzel auch Konig von Bohmen, Osterreich, ivahrend Steier- 1276 u. 1278. 1246. 1254. 1 Grillparzer, „Konig Ottokars Gliick und Ende“. 140 Vierter Zeitraum. mark an Bela fiel. Aus Abneigung gegen die Magyaren erhoben sich die Steirer und Ottokar bemachtigte sicb nacli der Besiegung Belas 1260 . bei KroiBenbrunn (1260,Wichtigkeit des Marchfeldes!) des La n des. 1269 . Hiezu erwarb er noch Karnten (1269), indem ihn sein Vetter Ulrich III., der letzte Sponheimer Herzog, widerrechtlich zum Erben einsetzte. Mit Karnten gewann Ottokar auch die Herrschaft Krain (Oberkrain) nnd die Windische Maric (Unterkrain), die damals mit jenem verbunden waren. Ottokars Kegierung war wohl geordnet; wahrend er den Adel im Zamne hielt, begiinstigte er die Geistlichkeit durch Zuriickgabe von entwendeten Giitern und den Biirgerstand durch Vermehrung der Stadte sowie die Erweiterung der Stadtrechte. So wurde damals zum erstenmal durcb die Verbindung der Sudeten- und Alpenlander die Errichtung eines Donaustaates ver- sucht. Das ermoglichten die Schwache des Deutschen Reiches und Ottokars Bund mit der Kircbe; mit der Beseitigung dieser Um- stiinde durch die Wahl Rudolfs war Ottokars Machtstellung unter- graben. I) Die Veranlassung zum Kriege. Ottokar erkannte Rudolf, den er in einem Briefe an den Papst „den wenig tauglichen Grafen, den der Bettelsack driickt“, nannte, nicht an, obwohl ihn Gregor X. dazu aufforderte. Deshalb beschloB der Reichstag in Niirnberg (1274): a) Rudolf solle alle seit dem LyonerKonzile heimgefallenen Lehen an sich ziehen; /?) Ottokar hat den Anspruch auf Bohmen und Mahren verloren, weil er binnen Jahr und Tag die Mutung nicht nachgesucht hat; y) der Pfalzgraf amRhein soli Ottokar wegen dessen rebellischer ILaltung nach Wiirzburg vorladen. Da sich Ottokar nicht fiigte, kam es zum Kriege. 1276 . c) Der erste Krieg (1276). Wahrend Graf Meinhard von Gorz- Tirol Karnten und Steiermark besetzte, riickte Rudolf langs der Donau gegen Wien vor und belagerte es, indes Ottokar, der den Angriff in Bohmen erwartet hatte, erst heranzog. Da sein Heer durch Desertion z us ammenschmolz, muBte er Erieden schlieBen; in diesem wurde die Herausgabe der Alpenlander, die Amnestie der beiderseitigen Anhanger und der AbschluB einer Doppelheirat zwi- schen den Kindern der beiden Ivonige vereinbart. Ottokar leistete im Lager vor Wien, das sich inzwischen ergeben hatte, Rudolf die Huldigung. Rudolf von Habsburg. 141 d) Der ziveite Krieg (1278). Ottokar komite die erlittene Demiitigung nicht verschmerzen 1 und erneuerte deshalb im Bunde mit Polen und einigen Reichsfiirsten, denen Rudolf zu machtig zu tverden schien, den Krieg. Wahrend er aber mit der Offensive zogerte, vereinigte sicb Rudolf mit den Hngarn, die er zu Bundes- genossen gewonnen hatte, und begann am 26. August den Angriff auf Ottokar, der ibm an schwerer Reiterei bedeutend iiberlegen war. Die Schlaclit fand am Weidenbache in der Ndhe von Durnkrut statt; sie endete mit dem vollstandigen Siege Rudolfs und dem Tode Ottokars. Bald kam es zum Frieden, demzufolge Ottokars Sohn Wenzel Bohmen und Mahren behielt und die friiher festgesetzte Doppellieirat vollzogen wurde. 4. Die Ubergabe des babenbergisehen Erbes an die Habs- burger. Rudolf hatte diese Bander durcb die Mittel seiner Erb- liinder und die Unterstiitzung seiner nachsten Freunde gewonnen; um so mebr dacbte er daber an ilire Erwerbung fiir sein Haus, wozu auch die Kurfiirsten nach langeren Unterliandlungen ikre Zustimmung gaben. Hierauf beleknte er auf dem Reickstage zu Augsburg (Weibnachten 1282) seine Sokne Albreckt und Rudolf 2 mit Osterreick, Steiermark, Karnten, Krain und der Windiscken Mark, dock wurden die beiden letzteren an Meinkard als Pfand fiir seine Auslagen im Kampfe gegen Ottokar, iiberlassen; iiberdies be¬ leknte ikn Rudolf im Jakre 1286 auck mit Karnten. Von nun an verwucks das Haus Habsburg so innig mit der Gesckichte dieser Lander, daB es bereits um das Jakr 1400 als „Haus Osterreieli“ bezeicknet -wurde. 5. Rudolfs Tatigkeit fiir die Sicherung des Landfriedens; seine Bedeutung. „Die kaiserlose, die sckrecklicke Zeit“ war zu Ende. Mit Eifer und Strenge nakm siCh Rudolf des Landfriedens an, zog als Richter im Reiche umher, brach eine Anzahl Raub- schlosser (in Tkiiringen allein 66) ,i und lieB viele Raubritter hin- rickten. Er hat unter den schwierigsten Verhaltnissen das Reich ivieder aufgerichtet. Seine nimmermiide Tatigkeit fiir das Wohl der Bevolkerung sicherte ibm deren Dankbarkeit sowie ikm seine Einfacbheit und seine Leutseligkeit die Blerzen aller gewannen. 1 Selbst die Ottokar freundlich gesinnten Annales Ottokariani werfen ihm vor, er habe kaum den Tag ervvarten konnen, an dem er seinen Zorn an Rudolf auslassen konnte. 2 Es war eine Gesanitbelehnung (S. 133), doch wurde auf Bitten der Stande die Belehnung im folgenden Jahre auf Albrecht eingesehrankt. 1278 . 1282. 1286. 142 Vieiter Zeitraum. 1292 - 1298 . 1298 . 1298 - 1308 . 1301 . 1306 1308 - 1382 . II. Adolf von Nassau (1292 1298). Dieser veranlaBte durch sein Streben nacli Selbstandigkeit, dafi die Mehrzahl der Kurfiirsten ibn absetzte und Albrecht zuiri Konige wahlte, der semen Gegner bei Gdllheim schlug (1298). Adolf fiel in der Schlacht, Albrecht wurde nun nochmals, und zwar einstimmig gewahlt. III. Albrecht I. (1298-1308). 1. Albreehts Beziehungen zu Frankreieh und dem Papste. Der damalige franzosische Konig Philipp IV. der Schone (S. 96) besteuerte die Geistlichkeit seines Landes, was Bonifaz VIII. als unkirchlich verbot. Dariiber brach ein heftiger Kampf zwischen beiden aus, in dessen Verlaufe der Papst den Konig bannte, dieser dagegen den Papst, weil er in der Bulle Tinam sanctam beide Schwerter beanspruchte, vor einem franzosischen Konzil der Ketzerei beschuldigte und an ein allgemeines Konzil appellierte. Deshalb schloB sich der Papst an Albrecht an, obwohl dieser auf Tuszien niclit verzichtete. Dies verhinderte jedoch nicht, daB Philipps Abgesandter Nogaret, ein Kechtsgelehrter (damals waren nicht mehr Geistliclie die einfluBreichsten Ratgeber), den Papst gefangen nahm, der aber bald wieder die Freiheit gewann. Dessen zweiter Kachfolger schlug seinen Sitz in Avignon auf und so siegte Philipp IV. liber das vereinigte Papst- und Kaisertum. Er ver- dankte dies dem Umstande, daB sich die Reichsstande, bei denen damals zum erstenmal die Stiidte vertreten waren, um ihn scharten. 2. Albreehts Versuche, seine Hausmacht zu erweitern. Da¬ mals starben die Arpaden (1301) und die Phmgsliden (1306) aus. Vergebens versuchte Albrecht Ungarn zu erwerben; vielmehr ge- wann hier nach langerem Burgerkriege das Ilaus Anjou, eine Nebenlinie des in Keapel regierenden Ilauses, das in weiblicher Linie mit den Arpaden verwandt war, die Konigskrone (1308 bis 1382). Dagegen gelangten die Ilabsburger voriibergehend zum Besitze Bohmens. Als namlich Wenzel III., der Sohn und Kaeli- folger Wenzels II., ermordet wurde, zog Albrecht das Band als erledigtes Beichslelien (S. 72) ein und iibergab es seinem Sohne Rudolf', als dieser aber schon im folgenden Jahre starb, \vahlten die bohmischen Stande Heinrich, den Sohn Meinhards von Karnten, einen Schvrager Wenzels III., zum Konige (1307). Albrecht I 143 3. Die Begriindung der Scliweiz. a) Die Sage. Angebliche Bedriickungen durch die osterreichischen Vogte Hermann GeBler und Beringer von Landenberg veranlaBten die Bewohner der Wald- statten, sich auf der einsamen Bergwiese Biitli zum Kampfe gegen die Habsburger zu vereinigen. Aber nocb vor dem festgesetzten Tage kam die Bewegung infolge einer neuen Willkiirtat GeBlers, der den beriihmten Selilitzen Tell zivang, einen Apfel vom Kopfe seines Sohnes herabzuschieBen, zum Ausbruclie; Tell totete den Vogt durch einen PfeilschuB, worauf die Schweizer das verhaBte Jocli abschiittelten. Die Entwicklung der Sage laSt sich schrittweise verfolgen. In abschlieBender Gestalt finden wir sie bei Tschudi im 16. Jalir- hunderte, der zuerst Albrecht fiir die Bedriickungen verantwortlich macht. Die angebliche Tat Teliš, dessen Hame erst mn 1470 ervvahnt wird, hat einen mgthischen ITintergrund. Sagen von be- riihmten Schiitzen finden wir in Asien, in Holstein, Danemark, Hor- wegen, am Rhein u. s. w.; ihnen liegt vermutlich die indogerma- nische Vorstellung vom Kampfe des lichten und des finsteren Elements zugrunde. (Vgl. Siegfried und Hagen und S. 5.) b) Die Geschichte. Die Urkunden belehren uns, daB die Schweizer die Angreifenden waren. Die Bildung der Schweiz ging von denWaldstatten oder Urkantonen Schwyz, Uri und Unterivalden aus 1 . Da die beiden ersteren und das ostliche Unterwalden zum Ziirichgau, das westliche Unterwalden zum Aargau gehorten, unter- standen die Ereien in diesen Landschaften der Grafengeivalt der Habsburger. Hun waren aber die Bewohner Uriš und Unterwaldens groBtenteils Horige, teils der Habsburger, teils verscliiedener Kloster; iiber diese Bewohner iibten die Habsburger ent\veder als Grundherren oder als Vogte mehrerer Kloster die Gerichtsbarkeit aus. Auf diese dreifache Stellung gestiitzt, konnten sie daran denken, sich nach Art der iibrigen Fiirsten eih geschlossenes Territorium zu schaffen. Dies verhindertenUri, dessen Bevolkerung Konig ITeinrich auf ihre Bitte im Jahre 1231 dem Reiche unmittelbar unterstellte, und Schwyz, das im Jahre 1240 vom Kaiser dieselbe Stellung erhielt. Als Rudolf Konig wurde, war die Rechtsfrage gleichgiiltig; dagegen schlossen im Jahre 1291 Uri, Schwyz und Hiedwalden (das 1291. 1 Alle drei senden ihre Gewiisser demselben See zu, der durch seine Ver- zweigungen die anstoBenden Gebiete innig vereinigt. 144 Vierter Zeitraum. ostliche Unterwalden) einen „Ewigen Bund“ gegen jeden fremden Richter, worunter Habsburger gemeint waren. Den Eidgenossen, vvie sie anfangs, oder Schweizern, wie sie spater nach der bedeutend- sten Landschaft genannt wurden, kam besonders zustatten, daB die Plabsburger langere Zeit vom deutschen Throne ferne gehalten v/ur den. 4. Der Tod und Charakter Albrechts. Des Konigs Netie Johann verlangte von Albrecht die Ilerausgabe eines Teiles von Osterreich und Steiermark und verband sich, als sein Oheim dies verweigerte, mit einigen unzufriedenen Adligen zur Ermordung des Konigs; sie iiberfielen und toteten Albrecht angesichts der Habsburg 1308. (13 08). Die Mitversclrvvornen Johanns (Parricida) wurden hin- gerichtet, er selbst von Heinrich VII. mit lebenslanglicher Haft bestraft. Albrecht ist einer der tiichtigsten Herrscher des spateren Mittelalters. Kriegskundig, scharfsinnig, gerecht und streng, wuBte er den widerstrebenden Adel und die Stadte in Osterreich nieder- zulialten, wodurch er die habsburgische Herrschaft daselbst dauernd gesichert hat. Gegen Reuige war er milde und versohnlich; aber die Leutseligkeit des Vaters fehlte ihm. 1308-1313. IV. Heinrich Vil. von Luxemburg (1308 — 1313). Abermals wahlten die Kurfursten mit tTbergehung der Habs¬ burger einen Graf en, namlich den tiichtigen Heinrich von Luxem- burg, zum Konige. Seine wichtigsten Taten sind die Erwerbung Bohmens und die Erneuerung der Kaiserwiirde. Da sich der unfahige Heinrich in Bohmen bald unbeliebt machte, belehnte Heinrich VII. mit Zustimmung eines Teiles der Stiinde seinen Sohn Johann, der Wenzels III. jiingere Schwester 1310. Elisabeth heiratete,mit Bohmen (1310) ; Heinrich wurde vertrieben. In Italien herrschte damals die groBte Verwirrung (S. 120). Da unternahm Heinrich, von den Ghibellinen, namentlich von Dante, dem Dichter der „Gottlichen Komodie“, dem groBten italienischen und mittelalterlichen Dichter, mit Jubel begriiBt, einen Romerzug. Wenn Dante noch an die Universalmacht des Kaisers glaubte und von ihr die Einigung des zerrissenen Italien hoffte, so tauschte er sich ebensosehr, wie sich kurz vorher Bonifaz VIII. iiber die Macht des Papsttums getauscht liatte. Zwar gelang es Heinrich, in Ober- italien die deutsche Herrschaft herzustellen, sich in Mailand die Ludwig IV. der Bayer und Friedrich der Schone. 145 lombardische und in Kom von drei papstliehen Legalen ,die Kaiser- lcrone aufsetzen zu lassen; aber schon im folgenden Jahre starb er, obne daB er den Widerstand der welfischen Stadte in Toskana hatte iiberwinden konnen. V. Ludwig IV. der Baver 1 (1314 — 1347) und Friedrich der Schone (1314 — 1330). Von nun an ist der Hauptinhalt der mittelalterlich-deutschen Geschichte in territorialer Beziehung der Kampf zwisehen den Wittelsbachern , Luxemburgern und Habsburgom. 1. Die DoppeIwahl (les Jahres 1314 und der Krieg. um die Krone in Deutschland (1314 — 1322). Die Mehrzahl der Fiirsten vabite den Herzog Ludvig von Oberbayern, die Minderzahl Frie¬ drich den Schonen, den altesten Solin Albrechta, zum Konige. Die Kraftc der beiden Gegner waren ungefahr gleich; daher zog sich der d'hronkrieg, an dem sich Horddeutschland gar nicht beteiligte (Gegensatz S. 90 u. 112), langere Zeit hin. Die beiden wichtigsten Waffentaten waren die Schlachten am Morgarten und bei Muhldorf (1315 und 1322). Da sich die Schweizer auf die Seite Ludwigs stellten, zog Friedrichs Bruder Leopold gegen sie, wurde aber in dem Gemetzel am Morgarten von den Sclrvveizern vollstandig geschlagen, so daB die Habsburger mit den Eidgenossen einen Waffenstillstand ab- schliefien muBten, demzufolge sie ihre Privatbesitzungen zuriick- erhielten, aber auf alle Hoheitsrechte iiber die Waldstatten, wenig- stens stillschweigend, verzichteten. Hiedurch war der Bestand der Eidgenossenschaft gesichert. Dagegen schien sich in Deutschland der Kampf zugunsten der Habsburger zu wenden. Da lieB sich der ritterliche Friedrich, ohne die Ankunft Leopolds abzuwarten, mit dem iiberlegenen Heere seines Gegners bei Muhldorf in eine Schlacht ein; denn, sagte er, ,,er het so vil ivitiben und waisen gemacht, das er der Kristenhait des ein endt wolt machen, wie es im erginge“. In dieser letzten gr o Ben. Schlacht deutscher Ritter vor der Verivendung der Feuervoaffen wurde der tapfer kampfende Friedrich besiegt und gefangen ge- nommen. Da sich aber Ludwig bald darauf mit Johann von Bohmen und dem Papste entzweite, muBte er mit Friedrich, der in Trausnitz gefangen saB, einenVergleich abschlieBen (1325), demzufolge dieser 1 Uhland, „Ludwig der Bayer“. Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 10 1314-1347. 1314-1330. 1314-1322. 1315 u. 1321 146 Vierter Zeitraum. die Freiheit erhielt, dagegen auf die Krone verzicktete und gelobte, in die Gefangenscliaft zuriickzukehren, wenn er Leopold nicht zum Frieden bestimmen konnte. Da letzteres nicht der Fali war, kehrte Friedrich zu Ludwig zuriick, der infolge des fortdauernden Zer- wiirfnisses mit dem Papste mit seinem Gegner den Vertrag von 1325. Miinchen schloB (1325), wonacli beide gemeinsam regieren wollten, eine Bestimmung, deren Ausfiihrung an dem Widerspruche der Kur- fiirsten sclieiterte. Da im folgenden Jahre Leopold starb, zog sich Friedrich nach Osterreich zuriick (f 1330). 2. Liuhvigs Kampf mit den Papsten. Damals wurde zum leiztenmal das Reich durch den Kampf mit der Kirche erschuttert. Die Veranlassung dazu gaben die Verhaltnisse in Oberitalien, wo Joliann XXII. nahe daran war, die papstliche Herrschaft aufzu- richten, als er durch ein von Ludwig entsandtes Heer daran gehin- dert wurde. Da gebot ihm der Papst, der dem franzosischen Konige die deutsche Krone verschaffen wollte, sich hinsichtlich des Thron- streites seinem Schiedsspruche zu unterwerfen (1323) ; weil Ludwig sich nicht fiigte, wurde er gebannt. Er gewann aber einen Bundes- genossen an einem Teile der Minoriten, welclie in der Auslegung ihrer Ordensregel im Gegensatze zum Papste daran festhielten, daB auch der Orden als solcher arm sein miisse. Sie verteidigten in mehreren Schriften die Šelbstandigkeit der I{^isergewalt und die [Jnterordnung der Kirche in weltlichen Dingen unter den Staat. Nach dem Friedensschlusse mit den Habsburgem zog Ludwig nach Italien, lieB sich in Rom von Sciarra Colonna im Namen des romischen Volkes zum Kaiser kronen, Johann XXII. absetzen und einen Minoriten zum Gegenpapst erheben. Gleichwohl konnte er keine Gervalt in Italien ausiiben; im nachsten Jahre ver lieB er das Land und der Gegenpapst legte die Tiara nieder. Der Kampf dauerte auch nach dem Tode Jolianns fort, da dessen Nachfolger, der versohnliehere Benedikt XII., aus Riicksicht auf Frankreich einen Ausgleich mit I,udwig ablehnte. Da schritten endlich die Kurfiirsten ein, um die Unabhangig- keit Deutschlands dem Papste gegeniiber zu rvahren. Auf dem 1338 Kurvereine zu Rense erklarten sie namlich einstimmig (1338), daB der von allen oder der Mehrzahl der Kurfiirsten gewahlte Konig recbtmaBiges Oberhaupt des Reiches sei und keinerlei Bestatigung seitcns des Papstes bediirfe. So hat.ten sich seit Gregor VII. die Dinge geandert! Ludvig IV. der Bayer und Friedrich der Sehone. ] 47 3. Ludwigs Streben nach Erweiterung seincr Hausmacht. Ludwig hat besonders sein riicksichtsloses Streben naeb Lander- gewinn die Znneigung der Kurfiirsten geraubt. a) Brandenburg. Der erste Markgraf von Brandenburg, dem Stammlande PreuBens, war Albrecht der Bar aus dem Ilause Askanien (S. 121), der sich nach der Erweiterung der sachsisclien Nordmark, mit welcher ihn Lothar III. belehnt liatte, Markgraf von Brandenburg nannte. Nach dem Aussterben der Askanier verlieh Ludwig Brandenburg seinem gleichnamigen Sohne, wodurch er sich Johann von Bohmen, der sich Hoffnung darauf gemacht hatte, ent- fremdete. b) Kdrnten und Tiral. Herzog in Karaten und Graf in Tirol war damals Ileinrich, der vertriebene Konig von Bohmen. Weil er keinen Sohn hatte, erbat er sich von Ludvig die Zusicherung, daB ihm seine Tochter Margareta Maultasch und deren Gemahl folgen sollten. Da sich aber diese mit Johann Heinrich, dem Sohne des Konigs von Bolunen, vermahlte, fiirchtete Ludwig die Ubermaclit der Luxemburger und schloB sich daher an die ILabsburger an. Als nun Heinrich starb, belehnte Ludvig in Linz die osterreichischen Herzoge Albrecht II. und Otto mit Karaten und Siidtirol (1335). IVahrend sich Krain(S. 141)sofort den IJabsburgern ergab, erbaten sich die Karntner Bedenkzeit; die Habsburger besetzten aber rasch das Land und lieBen sich auf dem Zollfelde huldigen. lin folgenden Jnhre verzichtete Osterreich auf Siidtirol und Johann auf Karaten. Die Ehe zvlschen Margareta und dem rohen Johann Heinrich war ungliicklich und der tirolische Adel iiber den EiniluB unwillig, den Bohmen im Lande ausiibten. Deshalb wurde der Luxemburger vertrieben und Ludwig von Brandenburg zum Gemahl Margaretens ausersehen. Der Kaiser gab liiezu, ohne daB Margaretens erste Ehe gelost worden ware, seine Zustimmung und belehnte seinen Solm mit Tirol (1342). Hiedurch entfremdete sich aber Ludvig viele Anhanger; daher fand der Auftrag des Papstes, einen neuen Konig zu wahlen, Gehor und erhoben fiinf Kurfiirsten den vom Papste empfohlenen Karl, einen Sohn Johanns von Bohmen, zum Gegen- konige. Doch behauptete sich Ludvig bis zu seinem Tode. 1335. 1342. 10* 148 Vierter Zeitraum. Zweites Kapitel. Die Luxemburger (1347—1437). Sie stiitzten das Kaisertum auf Bohmen, das ihnen infolge der BI lite des Bergbaues beden tende Geldmittel zur Verfiigung stellte. 1347-1378. I. Karl IV. (1347-1378). 1. Karls Tatigkeit als Landesfiirst. a) Die Ermeiterung der HausmacM. Schon Karls Vater Johann hatte von Lndwig den pfand- weisen Besitz des Egerlandes erhalten, das seitdem dauernd bel Bohmen blieb, nach dem Aussterben der Askanier die Oberlausitz erworben und die Lehenslioheit Bohmens liber den groBeren Teil Schlesiens, das infolge von Teilungen in mehrere Herzogtiimer zerfiel, ausgedelmt. Karl erweiterte seine Hausmacht durch Kauf, Heiraten und Unterhandlungen. So erwarb er die nordliche Halfte der Oberpfalz, die Niederlausitz, Brandenburg und dehnte die Lehenshoheit Bohmens iiber ganz Schlesien aus. Er war daher der maelitigste Reichsfiirst. b) Die Forderung der Kultur. Durch die Griindung der Prager 1348. Universitdt, der ersten im Reiche (1348), machte er die bohmische Hauptstadt zu einem Mittelpunkte der gelehrten Studien und erhob sie durch die Berufung beriihmter Kiinstler zur Hauptpflegestatte der deutschen Kunst. Besonders hervorzulieben ist der Bau des Domes in Prag und der Burg Karlstein. Auch veranlafite er die Erhebung des Prager Bistums zu einem Erzbistum. Er erweiterte Prag, gi-iindete Karlsbad, machte die Moldau schiffbar, zog Ko- lonisten ins Band u. dgl. So erhob Karl Bohmen auf den Hohepunkt seiner geistigen und materiellen Kultur. 2. Karls Tatigkeit als Kaiser. Um die Mitte des Jahrhunderts erschienen verheerende Heuschreckenschwarme, brach eine Hungers- not aus, verbreitete sich von Siidfrankreich her eine Verfolgung der Juden, die vregen ihres Wuchers verhaBt waren; endlich raffte „der Schwarze Tod“, den italienische Schiffe vom ostlichen Mittelmeere her eingeschleppt hatten, einen groBen Teil der Bevolkerung hinweg. Karls Tatigkeit als Kaiser beschrankte sich darauf, daB er einen 1356. Romerzug unternahm und die Goldene Bulle 1 erlieB (1356). Auf dem Bomerzuge erhielt Karl zwar die Kaiserkrone, im iibrigen beniitzte er die Gelegenheit in nnwiirdiger Weise, um sich 1 „Goldene Bulle“ ist eigentlich ein Siegel in goldener Kapsel (bulla). Karl IV. 149 durch den Verkauf von Privilegien viel Geld zu erwerben. Damals ging der Best des kaiserlichen Ansehens unter. Seitdem haben die Kaiser den in Italien ohne sie entstandenen Gewaltzustand nur noch durch Urkunden bestatigt. Die Goldene Bulle enthalt Bestimmungen iiber die Konigsivahl und erhoht die Bechte der Kurfiirsten. Das Becht , den Konig zu u>ahlen , wird endgiiltig zuerkannt den Erzbischofen von Mainz, Koln und Trier, dem Konige von Bohmen, dem Pfalzgrafen am Rhein, dem Herzoge von Sachsen-Wittenberg 1 und dem Markgrafen von Brandenburg. Die Wahl soli in Frankfurt stattfinden und die Mehrzahl der Stimmen entscheiden. Das Kurrecht baftet an den Kurlanden, die niclit geteilt werden diirfen. Die Kurfiirsten erhalten das Becht de non appellando und de non evocando, d. h. von ihrem Richterspruche darf nicht an den Kaiser appelliert und ihre Unter- tanen diirfen nicht vor ein fremdes (Konigs-) Gericht gezogen werden. So wurden sie unabhangige Herren in ihren Landern. Es ist bezeichnend fiir die Auflosung des Reiches, daJ3 diese Bulle in keiner Chronik erwahnt wird. 3. Karls Stellung zu Rudolf IV. dem Stifter von Habsburg (1358—1365) ; die Erwerbung Tirols durch Rudolf (1363). Albrechts II. altester Sohn Rudolf, ein hochsinniger Fiirst, iibertraf an Macht fast alle Kurfiirsten. Da er sich infolge der Vorrechte, velche Karl diesen eingeraumt hatte, zu einem Fiirsten zweiten Ranges lierabgedriickt sah, \vollte er einen vom Kaiser unabhangigen Staat errichten. Diesem Bestreben trat sein kaiserlicher Schwieger- vater entgegen, daher kam'es zwisclien ihnen zu MiBhelligkeiten, die erst im Jalire 1364 zu Briinn ausgeglichen ^vurden. Hier schlossen beide einen gegenseitigen Erbvertrag, naclidem Rudolf kurz vorher einen solchen aucli mit IJngarn eingegangen war. Damit war der osterreichische Staatsgedanke ausgesprochen. Die Bischofe von Brixen und Tj;ient (S. 82) liatten ihre Lehen veiter vergeben, fast alle Avaren an die Graf en von Tirol gekommen, die sich so nach der Burg Tirol benannten; der letzte dieses Ge- schlechts vererbte seine Besitzungen an seinen Schwiegersohn Mein- hard von Gorz, dessen Urenkelin Margareta Maultasch war. Da Albrecht II. die kirchliche Anerkennung ihrer zweiten Ehe herbei- gefiihrt hatte, sicherte sie fiir den Fali, daB ihr Sohn, der Sclrvvager 1358-1365. 1363. 1364. 1 Bisher beanspruchte aucb Sachsen-Lauenburg (S. 134) die Kunviirde. 150 Vierter Zeitiaum. 1365 . 1378 - 1400 . Rudolf s, ohne Erben stiirbe, diesem die Machfolge zu. Wirklich trat sie nacb dem Tode ibres Solmes das Land an Rudolf ab, dem Adel und Stadte olme Widerstand huldigten. In Briinn bestatigte Karl diese Sclienkung. Rudolf begann den TJmbau des Schiffes 1 der StephansMrche im gotischen Stile und begriindete die Universitdt in Wierl (1365). 4. Karls Landerteilung und Charakter. Karl teilte bei seinem Tode seine ITausmacht. Der al teste Sohn Wenzel erhielt Bohmen, Schlesien und die westlicheLausitz, Siegmund Brandenburg, Johann die ostliche.Lausitz; Mahren behielt Jobst, der Sohn Johann Hein- riehs, als bohmisches Lehen. 2 Karl ist der gelehrteste deutsche Kaiser; er sprach und schrieb deutsch, lateinisch, franzosisch, italienisch und tschechiseh. Er war ein Plug berechnender Mann, der die Unterhandlungen weit mehr als den Krieg liebte. Mit Petrarca, dem beriihmten Dichter und Gelehrten, stand er in freundschaftlichen Beziehungen. (Karls Denkmal von Ilalmel in Prag.) 11 . Wenzel I. (1378-1400). Wenzel \var zwar von Matur gutmiitig, aber aufierst jahzornig; dazu kam sein Hang zur Trunksucht und seine leidenschaftliche Jagdlust. Anfangs nabm er sich der Regierung eifrig an, trat den Aussehreitungen der GroBen entgegen und sorgte fiir eine geordnete Rechtspflege; aber es fehlte ihm die notige Ausdauer und durch seine Riicksichtslosigkeit geriet er mit dem hohen Klerus und Adel in erbitterte Kiimpfe. Daher stieg unter ihm in Bohmen und in Deutschland die Verwirrung auf den Hohepunkt. 1. Die Zustamle in Bolimen. Die Adligen ziirnten dem Konige, weil er auf Ordnung hielt und seine Ratgeber nicht aus ihrer Mitte nahm. Mit dem Erzbischofe von Prag zerfiel er vollstandig, als dessen Generalvikar Johann von Pomuk den Bann liber einen konig- lichen Giinstling aussprach und die von Wenzel geplante Errichtung eines Bistums im siidwestlichen Bohmen vereitelte; Wenzel lieB ihn foltern und in die Moldau stiirzen. Durch diesen Zwiespalt ermutigt, schloB der hohe Adel den Herrenbund, dem auch Jobst und Sieg- 1 Gew6hnlieh wurde der Umbau beim Chore begonnen; dies war hier schon unter Albrecht II. gesehehen. 2 Die Grafschaft Luxemburg erhob Karl IV. zu einem Herzogtum und iibergab sie seinem Bruder Wenzel; spilter wurde sie mit Buvgund vereinigt. Der groBe Stiinde- und Stadtekrieg in Suddeutschland. 151 mund beitraten, um Bohmen zu gewinnen. Wenzel wurde sogar gefangen gesetzt, doch erlangte er bal d die Ereilieit wieder. 2. Wenzel als Kaiser. Zwar suchte er anfangs auch in Deutsch- land fiir den Landfrieden zu sorgen, da er aber keinen Erfolg hatte, kiimmerte er sich spater um Deutschland fast gar nicht mebr. Dies, die Vorfalle in Bohmen sowie der Verkauf der Herzogswiirde von Mailand an Johann Galeazzo Visconti veranlafiten die rheinischen Kurfiirsten, "VVenzel „als einen unuiitzen versaumlichen Entgliederer des Reiches“ abzusetzen und den Pfalzgrafen RuprecJit am Rhein zum Konige zu wahlen (1400—1410), der aber keinen dauernden U0O-141O. Erfolg errang. Ilj e Auflosung des Reiches zeigt der groJ3e Stande- und Stadtekrieg in Suddeutschland; der Rorden kiimmerte sich um das Reich wenig (S. 145). III. Der grofie Stande- und Stadtekrieg in Suddeutschland unter Karl IV. und Wenzel. Da im Mittelalter die Reclitsunsicherheit grofi war, entstanden in seiner zweiten IJalfte viele Verbande, deren Zweck wesentlicli die grofiere Siclierheit ihrer Mitglieder war. So bildeten Klerus und Ritterschaft zwei internationale Stande, die Lehrer und Horer an den Universitaten Genossenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit, die Baumeister mit ihren Gehilfen die „Bauhiitten“; ahnlich ent¬ standen in den einzelnen Stadten die Zunfte und unter den Stadten selbst Bilndnisse. 1. Die Ziinfte. Unter den Ziinften versteht man die Ver- einigungen derjenigen Stadtbewohner, die das gleiche Geiverbe be- trieben, zur gemeinsamen Forderung ihrer Interessen. 1 Sie iibten eigene Gerichtsbarkeit aus und wachten iiber den Zunftzwang, d. h. die ausschliefiliche Berechtigung der Zunftgenossen auf den Betrieb eines bestiinmten Gerverbes. Infolge des zunelimenden Wohlstandes ihrer Mitglieder (I. 65) verlangten sie auch Anteil an der Bildung des Stadtrates, dem urspriinglich UUr die Patrizier, d. h. die wohl- habenden Grofigrundbesitzer und Eaufleute, angehorten. Da diese sich dagegen \vehrten (vgl. den romischen Standekampf), kam es im 14. und 15. Jahrhunderte haufig zwischen beiden Klassen von 1 Die Veranlassung zur Bildung der Zunfte war vermutlich nieht die gewerl>- liche, sondern die kaufmiinnisehe Seite des Gesehaftsl)etriebes; daher waren nicht selten Angehorige verschiedener Gewerbe in derselben Zunft vereinigt. — F. Keutgen, Amter und Ziinfte, Jena 1903. 152 Vierter Zeitraum. Biirgern zu blutigen ZusammenstoBen, die im allgemeinen mit dem Siege der Ziinfte endeten. D a s Zunftwesen hat zur Bliite der deutschen Stadte im 15. Jabrhundert in hervorragendem Malie beigetragen. 2. Die Stadtcbiindnisse. Ibr Zweck war der Scliutz desHandels und der politischen Selbstandigkeit der Stadte gegeniiber den F lir sten und Rittern, die aucli wieder eigene Verbande bildeten. Die bedeutendsten Stadteeinigungen waren der Rheinische, der 8chwd- bische Bund und die Hansa (— Genossenscbaft.). 1 Die Hansa war der wiclitigste dieser Verbande. Sie entstand seit dem 13. Jahrhundert aus den Verbindunggi der deutschen Kaufleute im Auslande, die daselbst den Handel ihrer Stadte, namentlich in der Ostsee, als einen einheitlichen vertraten und dadurcb auch die Verbindung dieser Stadte selbst in Deutscbland lierbeifiihrten. Die wicbtigsten Kontore (dauernden Hieder- lassungen) der Idansa waren in Noivgorod, London, Bergen und Brugge. Zur Zeit ihrer hochstenBliite (im 14. und 15. Jahrhundert) umfaBte sie gegen 80 Stadte, die teils an der Hord- und Ostsee, teils auch landeimvarts lagen, im ganzen so weit, als der nieder- deutsche Dialekt reichte. Ihre gemeinsamen Angelegenheiten be- rieten die Stadte auf den Hansatagen in Lubech, das an der Spitze des Bundes stand. Die Hansa beherrschte den Handel im nordlichen und ostlichen Europa, schloB Vertrage mit dem Ausland, erwarb fremde Gebiete und legte daselbst, z. B. in Siidschweden, Festungen an; doch fehlte es an einer eigentlichen Bundesverfassung sowie es auch \veder eine Flotte noch ein Heer der ganzen Hansa gab, so daB kriegerische Unternehmungen immer besondere Vereinbarungen erheischten. Die Hansa ist die groBte Tat des deutschen Burgerstandes im Auslande. Je mehr sie ihre Blicke nach dem Horden richtete, desto gleich- giiltiger wurde sie dem Reiche gegeniiber (S. 145), daher bestand auch zwischen den nord- und siiddeutschen Stadten kein politischer Zusammenhang. Mit dem Erstarken der nordischen Staaten, dem Ausbruche von Streitigkeiten unter den verbiindeten Stadten und der Veranderung der Handelswege am Ende des Mittelalters sank die Bedeutung der Hansa immer mehr, bis sie zuletzt auf Hamburg, 1 D. Schafer, Die Hansa. Bielefeld und Leipzig, 1903. Die Seeschlachten ver- liefen damals fast wie Landschlachtenj man suchte niimlich an Bord des feind- iichen Schiffes zu gelangen (I. 185). Der groBe Stšiude- und Stiidtekrieg in Siiddeutschland. 153 Liibeck und Bremen beschriinkt war. Auch war sie mangels einer starken Zentralgewalt der aufstrebenden Macht der deutschen Fursten auf die Dauer nicht gewachsen (I. 119). Fiir die siiddeutschen Stadte war auBer ilirer hochenfrvvickelten Industrie besonders der lebbafte Verkehr mit Venedig wichtig; dies gilt namentlich fiir Augsburg, Niirnberg, Linz, Enns, Steyr, Wien, Villach, Salzburg und Laibacb. Die Bedeutung des Biirgerstandes auf literarischem Gebiete zeigt das Aufkommen des Meistergesanges am Ende des 14. Jabrhunderts. 3. Der groBe Stadtekrieg. Die Fiirsten strebten behufs Ab- rundung ihrer Territorien nacb der Unterwerfung, die Bitter, deren Bedeutung seit der Erfindung des SchieBpulvers immer mehr sank, nacb der Beraubung der Stadte. Es muBte daber zwiseben diesen Standen zum Kampfe kommen; dies geschab gerade in Siiddeutsch¬ land, weil in Sclrvvaben und Franken, entsprecbend den geo¬ gr aphischen Verhaltnissen, die groBte territoriale Zersplitterung berrscbte. Der Ausbrueh des Kampfes erfolgte in Schwaben, wo nacb dem Erloschen des Herzogtums die Graf en von Wiirttemberg den groBten EinfluB gewonnen liatten. Eberhard der GreineF, der ritter- licbe, aber aucb raublustige Graf von Wiirttemberg, iiberiiel die schwabischen Stadte; diese besiegten aber bei Beutlingen (1377) seinen Solin Ulrieh vollstandig. Infolgedessen breitete sicb der Bund weiter aus und verband sich auch mit den rheinischen Stadten. Trotzdem erlagen die Stadte Eberhard und den mit ilrm vereinigten Fursten bei Doffingen (1388). So endete dieser Krieg mit dem Siege der Fursten , auf deren Stellung die \veitere Entwicklung beruht. 4. Der Krieg der Habsburger mit den Schweizern. Wiihrend die Habsburger bis zum Tode Budolfs IV. ihre Bander gemeinsam ver\valtet hatten, teilten dessen Brpder Albrecht III. und Leo¬ pold III. im Jahre 1379 die Bander so, daB der erstere nur Oster- reich,derletztere alle iibrigen erhielt; so entstanden dieAlbertinische und die Leopoldinische Linie. Leopold gewann durch Vertrag die Stadt Triest (1382), die bei ilirn Schutz gegen Venedig sucbte, auBerdem durch Kauf die Grafschaft Feldkirch. Da brach der Kampf mit den Schvceizern aus. 1377 1388 1379 1382 1 Uhland, „Graf Eberhard der Rauschebart". 154 Vierter Zeitraum. Als namlich die Luzerner das habsburgische Stadtchen Sem- pacb iiberfielen, zog Leopold gegen sie, wurde aber bei Sempach 1386. iiberfallen, geschlagen und getotet (1386). Die Schweizer ver- herrlichten den Sieg, den entscheidenden Wendepunkt in den Beziebungen zu den Habsburgern, durch die Sage von Winkelried. Als die Osterreicber gegen neuerliche TJbergriffe der Scbweizer ins 1388. Feld riickten, wurden sie bei Ndfels besiegt (1388), worauf ein z\vanzigjahriger Waffenstilltand abgeschlossen wurde, demzufolge die Habsburger auf Luzern, Zug, Glarus und Sempach verzichteten. Als die Scbweizer wabrend des Konstanzer Konzils aucb den Aargau und im Jabre 1461 den Thurgau besetzten, waren die Habsburger aus der Sclrvreiz fast ganz verdrangt. 1410-1437. IV. Siegmund (1410-1437). ’ Wie unter Karl und Wenzel der Verfall des Kaisertums, ist unter Siegmund der Verfall der Kirche und des Papsttums, der zweiten Saule des Hittelalters, bervorzuheben. 1. Sieginunds Wahl. Uach dem Tode Kuprecbts wahlte ein Teil der Kurfiirsten Siegmund, ein anderer Jobst, obne dali Wenzel den Anspruch auf die Krone aufgab. Da jedoch Jobst im folgenden Jabre starb und Wenzel verzicbtete, wurde Siegmund allgemein anerkannt. Er war ein beredter und kluger, aber aucb verscbwen- deriscber und gcnuSsiicbtiger Fiirst ohne Ausdauer. 2. Siegmund als Konig von Ungarn. a) Ungarn unter dem Hause Anjou. Der zweite Konig aus diesem Hause, Ludiuig I. der 1342-1382. GroBe (1342 — -1382), gab TJngarn die groBte Ausdehnung, die es je erreicht hat. Er macbte namlich die Fursten der Moldau und Walacbei, Bulgariens, Bosniens und Serbiens zu seinen Vasallen und entriB den Venetianern Dalmatien. Dieser Grollinacbtstellung Ungarns bereitete das Vordringen der osmanischen Turken ein Ende, die gegen Ausgang des 13. Jahrhunderts in Kleinasien ein selbstandiges Beich erricbtet liatten und von da aus nacb Europa ubergesetzt waren (1357). b) Ungarns Niedergang unter Siegmund. Auf Ludwig folgte nach langerem Biirgerkriege Siegmund, der Gemabl seiner Tochter Maria, unter dem die Erwerbungen Ludwigs auf der Balkan- balbinsel an die Turken verloren gingen. Diese besiegten namlich 1389. damals die Serben auf dem Amselfelde (1389, Bedeutung der Schlacbt fur die sudslawische Volkspoesie) und Siegmund, der dem Der Verfall der Kirche und des Papsttums; die Reformbestrebungen. 455 Fiirsten der Walachei zu Hilfe eilte, bei NiJeopolis vollstandig (1396). Diese beiden Schlachten baben fiir Jahrhunderte das 1396 . Scbicksal der Siiddonaulander besiegelt. Selbst die Hiederlage der Tiirken bei Angora (1402) durch den entsetzlichen Timur, der die 1402 . Herrschaft der Mongolen iiber Asien erneuerte, konnte die Fort- scbritte der Osmanen auf die Dauer nicbt hintanhalten, weil wenige Jabre daranf nach dem Tode Timurs das Mongolenreich wieder zerfiel und die Tiirken militarisch (sie hatten die ausgezeiclmete Reiterei der Sipahi und das fanatiscbe FuBvolk der Janitscharen) die christlichen Staaten Europas iibertrafen. Anderseits bemachtigten sicb damals dieVenetianer Dalmatiens und behaupteten endlich das vielumstrittene Land. 3. Die Verleihung Brandenlmrgs an die Hohenzollern (1415). Die schvabiscben Hohenzollern hatten unter Heinrich VI. 1415 . die Burggrafenwiirde von Hiirnberg erhalten. Durch Kauf und Erb- schaft erweiterten sie ihre frankischen Besitzungen und bildeten daraus die beiden Fiirstentiimer Ansbach und Bayreuth. Zum Danke fiir verschiedene Dienste verlieh Siegmund dem Friedrich VI. von Hiirnberg die Mark Brandenburg mit der Kurwiirde. Dieser trat den Ausschreitungen der trotzigen Bitter ltraftig entgegen; hiebei leisteten ihm die „Donnerbiichsen“ die besten Dienste, weil durch sie auch die starksten Burgen gebrochen werden konnten. V. Der Verfall der Kirche und des Papsttums; die Reformbestrebungen und die Hussitenkriege. 1. Der Verfall des Papsttums und das grotie Schisma. Klemens V ., der zweite Haelifolger Bonifaz’ VIII., verlegte seinen Sitz nach Siidfrankreich; Y0 Jahre lang (1309—1377) residierten 1309 - 1377 . nun die Papste in Avignon („babylonisches Exil“). Sie gerieten hier in Abhangigkeit von den franzosischen Konigen (S. 120 u. 142) ; anderseits suchten einzelne von ihnen, um ein glanzendes Hofleben fiihren zu konnen, durch" verschiedene Mittel ihre Ein- kiinfte zu erhohen. Solche Mittel waren: a) die Annaten, d. h. die Bezahlung inind^estens des halben Jahreseinkommens der Kirchen- fiirsten bei ihrer Einsetzung; b) die Reservationen, wonach die kirchlichen Amter, deren Inhaber zufallig am papstlichen Hofe starben, vom Papste besetzt werden sollten; c) die Exspehtanzen, denenzufolge die Papste einzelnen Personen im voraus eintragliche Amter zusicherten; d) die Unionen und Inhorporationen, d. h. die 156 Vierter Zeitraum. Verleihung zahlreieher kirchlicher Amter an einen einzigen Geist- lichen, der infolgedessen sehr bedeutende Einkiinfte bezog. Darunter litt die Kirche in sittlicher Beziehung, wie sie denn auch allmahlich aufhorte, an der Spitze der geistigen Bewegung zu stehen; es gab damals selbst Kirchenfiirsten, die kaum lesen oder schreiben konnten. 1 D as tlbel wurde noch groBer, als das groBe Schisma (das 1378-1415. langste, 1378—1415) ausbrach. Infolge des Drangens KarlsIV. iibersiedelte namlich Gregor XI. nach Rom; als er aber schon im folgenden Jahre starb, wahlten die franzosischen Kardinale einen Papst, der sich, wie seine Xachf olger, in Avignon niederlieB, wahrend die italienisehen Kardinale in Rom 1409. Papste wahlten. Als das Konzil von Piša (1409) beide Papste ab- und Alexander V., dem bald der nnwiirdige Johann XXIII. nach- folgte, einsetzte, hatte die Christenheit gar drei Papste, da die beiden anderen ihre Wiirde nicbt niederlegten. 2. Die Opposition und die kirchlichen Reformbestrebungen. Diese Zustande riefen eine allgemeine Unzufriedenbeit hervor, die sich auf verschiedene Art auBerte. a) Auf dem Boden der Kirche selbst. Wie einst Arnold von Brescia und die Waldesier, sahen auch jetzt zahlreiche Geistliche und Laien den Gruud’des tJbels im Reichtume der Kirche, weshalb sie gegen ihn ihre Stimme erhoben. Dies taten z. B. die Observanten, d. h. diejenigen Minoriten, welche die Regel des h. Franz von Assisi am strengsten auslegten (S. 146) ; die Beghinen und Begharden, Vereine von Frauen und llannern, die sich der Andacht und Krankenpflege widmeten; die GeiBler , die zur Zeit des Schwarzen Todes auftraten; endlich die Mgstiker, die durch ihre fromme Lebensweise eine praktische Opposition bildeten. b) Im Kampfe gegen die Kirche. Die Trager dieser Bewegung waren Wiclif und IIuB. a) Johann Wiclif (f 1384), Professor in Oxford, bekampfte auBer den tlbelstanden auch mehrere Glaubenssatze und Ein- richtungen der Kirche, wie die Monchsgeliibde, den papstlichen Primat, die Ohronbeichte, die Lehre von der Transsubstantiation, und erkannte iiberhaupt nur die H. Schrift als Glaubensquelle an. Obwohl ihn eine Synode in London als Ketzer verurteilte, 1 Um 1290 bekennen der Abt und das Kapitel von St. Gallen, daB sie nicht schreiben konnen. Der Verfall der Kirche und des Papsttums; die Reformbestrebungen. X 5 7 behauptete er sicb docb infolge des Schismas, der Rom feindlichen Stromung am Konigshof und des groben. Anhanges unter der Be- volkerung bis zu seinem Tode als Pfarrer. fi) Johann HuB. 1.) Seine Reformbestrebungen. HuB, Professor an der Universitat und Prediger an der Bethlehemskirche in Prag, eiferte gegen das Wohlleben der Geistlichen und sucbte anfangs im Einvernehmen mit den kircblicben Oberen eine Reform berbei- zufiibren. Erst als diese Bestrebungen scbeiterten, griff er aucli mebrere Dogmen an, wobei er sicb gewobnlich wortlicli an Wiclif anscbloB. 2.) Der nationale Zwiespalt in Bohmen. Die Be\vegung erlangte eine groBe Bedeutung dadurch, daB sicb mit ibrer kircblicben Seite auch eine nationale verband, der Gegensatz namlich zwischen den Deutscben und Tscbecben, der durcb die Abtrennung Prags von Mainz (S. 148) verscharft vrorden war. Der Brucb zwiscben den Deutschen und Tscbecben erfolgte im Jabre 1409 ; denn damals ent- scbieden sicb die tscliecbischen Professoren auf Wunscb des Konigs fur die Heutralitat im Kampfe zwischen Gregor XII. und dem Konzile von Piša, \vahrend sich die deutscben fur den Ilonzilspapst erklarten. Wenzel stieB bierauf die bisherigeUniversitatseinricbtung zugunsten der Tscbecben um. In Prag waren namlich nacb dem Muster der Pariser Universitat Professoren und Horer in (vier) „'Nationen“ eingeteilt, die groBe Befugnisse binsicbtlicb der Ge- ricbtsbarkeit, der Vergebung von Stiftungen u. s. w. batten. Wah- rend bisber die Deutscben liber drei Stimmen verfiigten, wies jetzt Wenzel den Tschechen, obwohl sie nur ein Eiinftel der Studierenden bildeten, drei Stimmen zu. Daraufbin verlieBen viele Studenten mit ihren Professoren Prag und veranlaBten die Griindung neuer Uni- versitaten, z. B. in Leipzig. Rocb im Jahre 1409 wurde HuB Rektor der Universitat und trat fur die nationalen Bestrebungen der Tschechen entscbieden ein. S.) HuB im Kampfe gegen die Kirche. Als der Erzbiscbof von Prag 200 wiclifitische Schriften verbrennen lieB und iiber HuB den Bann aussprach, entstand eine groBe Aufregung in Prag. Im folgen- den Jahre vrurde HuB, weil er dem Rufe des Papstes nicht folgte, auch von diesem gebannt, -wabrend der Erzbiscbof liber Prag das Interdikt verhangte, was freilich keine besondere Wirkung hervor- rief. Als nun im Jahre 1412 in Prag ein AblaB, dessen Ertragnis der Papst fiir den Kampf gegen Ueapel bestimmt batte, verkiindigt 1409. 158 Vierter Zeitraum. wurde und HuB dagegen auftrat, veranlaBte ihn Wenzel, Prag zu verlassen. Er begab sich auf das Gut eines Adligen in der X"ahe des jetzigen Tabor nnd verbreitete nun seine Leliren auch unter der Landbevolkerung. Inzwischen \var Siegmund zum deutscben Kaiser 1 gewahlt worden. Alsbald betrachtete er als seine Hauptaufgabe die Ein- berufung eines allgemeinen Konzils zur Behebung der kirchlichen Schaden; nach langeren Unterhandlungen lieB sicb Johann XXIII. auch dazu herbei. 3. Das Konzil von Konstanz (1414 — 1418). Es war eigentlich ein auBerordentliches Parlament des ganzen Abendlandes, denn es fanden sich hier die Zierden der Universitaten, iiber 18.000 Geist- 1414 - 1418 . liche, der Kaiser und eine groBe Zahl weltlicher Fiirsten, 80.000 Laien zu kiirzerem oder langerem Aufenthalt ein; noch einmal leuchtete der Glanz des Kaisertums, unter dessen Autoritat sich das Konzil stellte. Um nicht den besonders zahlreich erscliienenen Italienern die Entscheidung zu iiberlassen, wurde nach Nalionen (Deutsche, Eranzosen, Englander, Italiener, Spanier) abgestimmt. Die Gegenstande der BeschluBfassung waren die causa fidei, causa unionis und causa reformationis. a) Causa fidei. HuB mir de wegen Verbreitung ketzerischer Lehren vorgeladen; er begab sich nach Konstanz, nachdem ihm Siegmund einen Geleitsbrief ausgestellt und eine miindliche Zu- sicherung erteilt hatte. Anfangs komite sich HuB frei bewegen, spater wurde er zwar verhaftet, doch verschaffte ihm Siegmund die Moglichkeit, sich vor dem Konzile zu verteidigen. Da PIuB jeden Widerruf verweigerte und sogar die Autoritat des Konzils verwarf, wurde er nach dem bestehenden Gesetze, das aus der Zeit Erie- drichs II. stammte, zum Feuertode verurt;eilt (1415). Er wurde verbrannt, im nachsten Jahre auch sein Gesinnungsgenosse Magister Hierongmus von Prag. 1415 . b) Causa unionis. Das Konzil forderte alle drei Papste zur Abdankung auf; Gregor XII. entsagte seineiAViirde, BenediktXIII. in Avignon fiigte sich nicht und verlegte seinen Sitz nach Spanien, \vo sich bald niemand um ihn kiimmerte, Johann XXIII. entsprach dem Ansinnen des Konzils in der Hoffnung, durch Kachgiebigkeit 1 Nach seiner Kaiserkronung nahm er an Stelle des bisherigen einkopfigen Adlers einen zrveikopfigen ins Wappen; daher stamjnt der osterreicliisehe Doppeladler. Das Konzil zu Basel. — Die Hussitenkriege. 159 seine Wiederwahl zu sichern. Bald bereute er aber sein Entgegen- kommen, floh als Reitknecht verkleidet aus Konstanz und widerrief die Abdankung, worauf ihn das Konzil absetzte. Durch die Wahl Martins V. wurde das letzte grobe Schisma beseitigt (1417). c) Causa reformationis. Martin V. konnte sicb iiber die alk gemein gewiinschte Reform der Kirche an Haupt und Gliedern mit den verschiedenen Kation en nicht einigen; deshalb kam es hieriiber zu keinem Konzilsbeschlusse, sondern der Papst schloB mit den Deutschen, Englandern und Franzosen Konkordate, wodurch zwar einige -der iirgsten MiBbrauche beseitigt wurden, eine eigentliche Reform aber nicht zustande kam. Daher bestimmte noch das Konzil, es seien im Interesse der Reform von Zeit zu Zeit Kirchenversamm- lungen abzuhalten, so daB die Papste in ahnlicher Weise beschrankt werden sollten, wie die Landesfiirsten durch die Landstande. 4. Das Konzil zu Basel (1431—1449) und das Ende der 1431-1449. Reforinbestrebungen. Kach langeren Unterhandlungen berief Martin V. ein Konzil, das unter seinem Kachfolger Eugen IV. in Basel eroffnet wurde. Aber bald kam es iiber die Prage der Superi- oritdt zum Kampfe zwischen dem Konzil und dem Papste, weshalb dieser das Konzil fiir aufgelost erklarte, wahrend jenes den (letzten) Gegenpapst einsetzte. Der deutsehe Reichstag beschlofi, in dem Streite zwisclien dem Papste und dem Konzile neutral zu bleiben; auch Friedrich III., der zweite Kachfolger Siegmunds, trat diesem Beschlusse bei. Wahrend aber in Erankreich die wichtigsten Baseler Reformbestimmungen, ude Freiheit der kirchlichen Wahlen und Ab- schaffung der Geldabgaben naeh Rom, als Pragmatische Sanktion verkiindigt wurden, brachte Eriedrichs Sekretar, der beruhmte Ge- schichtschreiber Aneas Sglvius, gegen einige Zugestandnisse an den Kaiser den AbschluB des Wiener Konkordats zustande (1448), dem- 1448. zufolge die Reformbestrebungen fallen gelassen wurden. Kaiser und Papst hielten jetzt gegen die ubermdchtig geivordenen Beichsfursten zusammen (vgl. dagegen S. 89). 1 Damit war die konziliare Reform- bestrebung beseitigt. 5. Die Hussitenkriege (1419—1436). Die Kachricht vomTode 1419-1436. des HuB steigerte die Garung in Bohmen. Als nun im Jahre 1419 gegen eine hussitische Prozession vom Keustiidter Rathaus in Prag Steine geschleudert wurden, stiirzten die Hussiten den Biirger- 1 Aneas Sylvius sagt: „Papst und Kaiser sind nichts als schiine Namen, jedes Gebiet hat seinen Kiinig." 160 Vierter Zeitraum. meister, einige ldatsherren und Diener auf die SpieBe der unten harrenden Menge hinab. Infolge der Aufregung dariiber starb dej* kinderlose Wenzel; Siegmund versaumte es, sich durcb Hachgiebig- keit die Krone in friedlicher Weise zu verschaffen, wahrend ibm doch aueh die notigen Mittel fehlten, seinen Willen mit Waffen- gewalt durchzusetzen. Ersteres ware um so leicbter gewesen, als sich die Hussiten friih in mehrere Parteien spalteten, von denen die Utmquisten oder Kalixtiner und die Taboriten die wichtigsten tvaren. 1 Die ersteren, die ihre Stiitze an der BTniversitat und der Stadt Prag hatten, unterschiedeu sich dogmatisch kaum von den Katholiken; denn sie forderten in den vier Prager Artikeln nur die freie Predigt der christlichen Priester, den Empfang des Altars- sakraments unter beiden Gestalten, die Sakularisation der Kirchen- giiter und die Verantwortung angeklagter Geistlicher vor dem welt- lichen Gerichte. Dagegen verwarfen die Taboriten, denen haupt- sachlich Bauern und Handwerker angehorten, alle Sakramente auBer der Taufe und dem Abendmahle, verlangten die Beseitigung des TJnterschiedes der Stande, aller Vorrechte der Geburt, der Bildung und des Vermogens (Kommunismus) und predigten, dab die Zeit der Vergeltung gekommen sei; daraus erklaren sich ihr Eanatismus und ihre Grausamkeit. Wahrend die beiden Parteien einander aufs heftigste bekampften, hielten sie gegen die katholischen Deutschen, die damals in fast allen groheren Stiidten die Mehrzahl bildeten, dagegen auf dem Lande weniger zahlreich waren als jetzt, fest zusammen. 1419 - 1426 . a) Die Hussiten in der Verteidigung (1419 — 1426). Die Hussiten zwangen Siegmund durch den Sieg bei Wischehrad,Polimeri zu verlassen und notigten mehrere deutsche Stadte zum Anschlusse. An der Spitze der Taboriten stand der Kitter Johann Žižka; er war zwar ein ausgezeichneter Eeldherr, konnte aber die Ordnung nicht aufrecht erhalten, so daB das Band greuelvoll verheert wurde. Siegmund fiel spiiter wieder in Bohmen ein, muBte aber infolge seiner Hiederlage bei Deutschbrod das Band abermals raumen 1424 . (1422). Hach dem Tode Žižkas (1424) wahlte ein Teil der Ta¬ boriten den ehemaligen Monch Prokop den GroBen zum Anfuhrer. Dieser schlug die Deutschen bei Aussig vollstandig. 1 Die ersteren haben den Namen, aveil sie sub utraque specie, bezw. mit Bentitzung des Kelches kommunizierten, die letzteren von dem neu gegriindeten lab or. Die Hussitenkriege. 161 b) Die Hussiten im Angriffe (1427 — 1431). jSTachdem in 1427-1431. Bohmen infolge der Verwiistungen Mange! an Lebensmitteln ein- getreten war, untemahmen die Taboriten Raubziige nacli Schlesien, Osterreich, Bayern, Sachsen, Brandenburg, ja bis an die Ostsee. Daber verbanden sich die Hachbarn und entsandten groBe Kreuz- beere nach Bohmen, die aber alle besiegt wurden; so bei Mies (1427) 1427. und auf dem fiinften und letzten'Ivreuzzuge bei Taus 1 (1431). 1431. Die Hussiten verdankten ibre Erfolge a) ihrem Feuereifer, /?) der Tiichtigkeit Žižkas, y) der von diesem begrundeten FuBvolk- Taktik, welche die Terrainverbaltnisse sorgfaltig beriicksichtigte, Avabrend die liitter auch im Felde nacli den Regeln der Turniere manovrierten, endlicb č) der Uneiniglceit der Deutsclien. c) Die Verhandlungen mit dem Basler Konzil und der Friedens- schluB (1431 — 1436). Infolge dieser Hiederlagen leitete das Konzil von Basel TJnterhandlungen mit den Hussiten ein, die in Basel begonnen und in Prag abgesclilossen rnirden; daber heiBt ibr Er- gebnis die Basler oder Prager Kompaktaten. Diese beivilligten den Hussiten die Prager Artikel, docli blieben der Kircbe ibre Giiter. Da sich die Taboriten damit nicht begniigten und die Utraquisten das Iinde der langen Anarchie lierbeisehnten, verbanden sich dieso und die Katholiken und scblugen die Taboriten in dem Gemetzel bei Lipan (1434) so entscheidend, daB sie in der Folge nur melir 1434. als bohmische und mahrische Briider ein friedliches Dasein fiilirten. Im Jahre 1436 wurden die Kompaktaten auf dem Iglauer Landtage feierlich verkiindet und aucb Siegmund als Konig von Bohmen anerkannt, nachdem er \'ersprochen hatte, daB alle Amter in Bohmen den Tschechen A r orbebalten sein sollten. Mit ihm erlosch der Mannsstamm der Luxemburger (1437). 1437. 6. Die Folgen der Hussitenkricge. a,) In politischer Be- ziebung: Das Konigtum war sebr geschwacbt, der Klerus verlor die bandstandscbaft und der Adel gewann das Ubergenvicht, da ef fast ausscblieBlich die Fiibrung der Taboriten hatte. b) In sozialer Beziehung: Der Biirgerstand \var zu Boden geworfen und der berab- gekommene Bauernstand fiir die Leibeigenschaft reif geworden. c) In nationaler Beziehung: Die meisten Stadte waren tscbecbisiert, so daB jetzt die Tschechen aucb einen nationalen Biirgerstand batten, 1 Wiehligkeit der Einsenkung bei Taus. AucIl Heinrich III. drang hier in Bolimen ein (S. 83), ebenso fiilute Wallenstein im Jalire 1033 auf diesem Wege seine Tnippen aus Bayern nach Pilsen zm-iick. Zeehe, Gesclilchte des Mlttelalters. 11 162 Vierter Zeitrauiu. 1438 - 1439 . 1440 - 1493 . 1370 . der sie im Gegensatze zu den Wenden vor der Germanisierung schiitzte. d) In hultureller Bezieliung: Bohmen glich einer groBen Ruine; das flache Land war verwiistet, viele Kirchen, Stadte und Kloster waren niedergebrannt, die geistige Bliite des Landes ver- nichtet. So endete der volkstiimliche Reformversuch ebenso ergebnislos wie der konziliare. Drittes Kapitel. Die Habsburger. Mit Ausnalime einer kurzen Unterbrechung zur Zeit der Maria Theresia wurden von nun an nur Habsburger auf den deutscben Thron erlioben. 1. Albrecht II. (1438-1439). Knter ihm wurde zum erstenmal der osterreichische Staats- ge.danhe vervjirhlicht, woran die Habsburger seit Albrecht I. mit groBer Klugheit und Tatkraft gearbeitet hatten. Als Sprosse der Albertinischen Linie (Albrecht V.) verwaltete er namlich Osterreich und als Schwiegersohn Siegmunds wurde er zum Konige vonUngarn und Bohmen gewahlt; auBerdem beriefen ihn die Kurfiirsten auf den deutscben Thron. Auf einein Zuge gegen die Tiirken starb dieser hoffnungsvolle Fiirst. II. Friedrich III. (1440-1493). 1 1. Das Deutsche Reich unter Friedrich. Nach auBen erlitt damals das Reich manche EinbuBen, im Innern herrscliten groBe Verwirrung und Rechtsunsicherheit. a-) Die EinbuBen des Beiches. Sie betreffen Mailand, das Deutsche Ordensland und Schleswig-Holstein. Als in Mailand dieVisconti ausstarben (1441), machte sich der Soldnerfiihrer (Condottiere) Franz Sforza, der Schwiegersolm des letzten Visconti, selbst zum Herzoge, ohne sich mn Friedrich zu kiimmern. Das Deutsche Ordensland erlitt eine schwere Schadigung durch den Aufschwung Polens. Als daselbst der Mannsstamm der Piasten mit Kasimir dem Gr o Ben ausstarb (1370), folgte ihm sein Neffe 1 A. Bachmann ,Deutsche Eeichsgeschiehte im Zeitalter Friedrichs III. und Max’ I., 2 Bde., Leipzig 1884 — 1894. Friedrich III. 163 Ludwig I. von Ungarn. Kach dessen Tode horte die Verbindung Ungarns und Polens auf, denn die Polen iibertrugen die Krone ilires Reiches der jiingeren Tochter Budivigs Iiedwig ; diese vermahlte sich mit dem damals nocli lieidniscben Piirsten von BitauenWladi- slaw ans dem Hanse der Jagellonen, der nun mit seinem Volke zum Christentum iibertrat. Das erstarhte Polen strebte nach der Kuste und zwang den Deutschen Orden nacli einem 13jahrigen verheeren- den Kampfe zum Frieden von Thorn (1466), demzufolge er West- preuBen, das Kulmerland sowie das Bistum Ernieland an Polen abtreten und fiir den Rest die polnisclie Iloheit anerkennen muBte. Durcli die Vereinigung Schwedens, Norwegens und Danemarks zu einem Staate infolge der Kalmarer Union (1397) 1 liatte der skandinavische Korden einen politischen Aufscliwung genommen. Die Stiinde von Schlesivig-Holstein wahlten nach dem Aussterben der Graf en von Holstein (S. 121) die Unionskonige aus dem Hause Oldenburg miter der Bedingung zu iliren Ilerzogen, daB beide Bander niemals voneinander getrennt wtirden (1460). So wurden sie dem Verbande mit dem Reiche entzogen. b) Die Verhdltnisse im Innern. a) Die Erneuerung des Stddte- Icrieges (11/49 — Uj-50) und das Fehdeivesen. Der kiihne Markgraf Albrecht Achilles von Ansbach erneuerte im Vereine mit zalilreichen Fiirsten und Adligen den Kampf gegen die verbiindeten Reichs- stadte in Schwaben und Franken, besonders gegen Kiirnberg, die bedeutendste Gewerbestadt des deutschen Mittelalters. Die damalige Kampfesart kennzeiclmen die Worte dieses Albrecht: „Mord und Brand ziert den Krieg, wie das Magnifikat die Vesper Es war ein Verwu.stungsTcrieg, da liber 200 Dorfer und wehrlose Stadte nieder- gebrannt rvurden; er besiegelte den Niedergang der Reichsstadte j die damals geradezu um ihre Existenz kampften. Damals ging iiberhaupt wieder Macht vor Recht (S. 120); die Piirsten bekiimpften sich gegenseitig, die Ritter waren zu Wege- lagerern herabgesunken, die Burger und Bauern in der schlimmsten Bage. Das Rechtswesen war ganz verfallen (S. 135). Die offent- lichen Zustande glichen etwa den griechischen nach dem Antal- cidischen Frieden (I. 113) : auch Deutschland war damals wehr- los, in kleine Staaten zerrissen, unfahig zu einer einheitlichen 1 Die cliinisclie Konigin Margareta, die Gemahlin des norwegisehen Konigs Hakon Vlil., wurde nach dem Tode ilires Sohnes Konigin von Nonvegen und erhielt dureh die Wahl der GroBen auch die selnvedische Krone. n* 1466. 1397. 1460. 1449-1450. 164 Vierter Zeitraum. Politik, auf Soldnertruppen angeiviesen. 1 Vereinzelte Versuche, eine Wendung zum Besseren herbeizufiihren, scheiterten an der Selbst- suclit der Fiirsten, die auch die Ilauptschuld an den EinbuBen des Reiches nach auBen hin trug; auch blieben Friedrichs III. Be- miihungen, den Landfrieden zu sichern, erfolglos. (t) Die Feme (\vahrscheinlich = Strafe). Im Gegensatze zu dem iibrigen Deutschland erhielten sich die Grafengerichte in West- falen, weil sich hier zahlreiche freie Bauern behaupteten, liber die daher die Schoffen unter dem Vorsitze des Grafen („Freigrafen“) Recht spraehen. Dieses Gericlit, das alle 18 Wochen abgehalten wurde, hieB das echte oder ojfene Ding. Infolge der allgemeinen Rechtsunsicherheit erwartete man nur mehr von den westfalischen Gerichten ein ehrliches Urteil, weshalb diese seit dem Ende des 14. Jahrhunderts ilire Wirksamkeit liber das ganze Reich aus- dehnten und im 15. iliren Hohepunkt erreichten. tlber nicht west- falische Rechtssachen entschied die Feme in den heimlichen oder stillen Gerichten unter AusschluB des Angeklagten und seiner Eides- helfer. Seitdem suchten die angesehensten Manner im ganzen Reiche Freischoffen zu werden; da sich diese an geheimen Zeichen er- kannten, wurden sie Wissende genannt. Die geheimen Gerichte befaBten sich bloB mit todesiuurdigen Verbrechen und verurteilten nur zum Tode durch den Strang. Die Riickwirkung gegen die MiB- brauche, welche namentlich mit dem Notgericht 2 auf handhafter Tat verbunden \varen, sowie die allmahliche Verbesserung des Rechtswesens in den einzelnen Territorien braehen gegen Ausgang des Mittelalters die Macht der Feme. y) Kunst und Literatur. Trotz der unseligen offentlichen Ver- haltnisse trieb damals das geistige Leben des Volkes manche Bliiten ; besonders ivichtig sind die Leistungen der Kolner Malerschule, in denen die auf das Jenseits gerichtete Stimmung des Mittelalters (S. 129) den herrlichsten Ausdruck fand, sowie die Entivicklung des Dramas, das damals die einfluBreichste Dichtungsart war. Das ernste Drama des Mittelalters ist aus dem Gottesdienste (I. 98), und zwar aus der AVeihnachts- und Osterfeier hervor- gegangen. Die zur Feier dieser Feste in der Kirche veranstalteten 1 Das Soldnevivesen trat im 15. Jahrhundert allmahlich an Stelle des ver- fallenen Vasallenheeres. 9 Das Notgerieht wnrde am Orte des Verbreehens abgehalten und verlangte nur die Amvesenheit von drei Schoften. Friedrich 111. 165 Spiele hatten anfangs eineii lateinischen Text, der sich enge an die Evangelien anschlob; infolge des Anwachsens des Textes und der Aufnahme von derb-komisclien Szenen (die Juden, der Teufel) \vurden die Spiele allmahlich ins Freie verlegt. Ani \vichtigsten vurde das Passionsspiel , dessen Bliitezeit in das 15. Jahrhnndert fallt. Im Gegensatze dazn zeigt das komisclie Drama (Fastnacht- spiel), das wahrscheinlich auf die Spasse der fahrenden Spiellente zuriickgekt und jiingeren Ursprungs als das ernste Drama ist (I. 120), ziigellose Roheit. Vermummte Leute fiihrten in der Fast- nacht in biirgerlichen Hausern gegen Beivirtung kleine Spiele auf, die gerne Angehorige verscbiedener Stande, namentlich die Bauern, verspotteten. Die ersten schriftlicli iiberlieferten Fastnachtspiele gehoren dem 15. Jahrhundert an. 2. Die osterreichischen Lander zur Zeit Friedrichs. a) Die Vormundschaft Friedrichs III. uber seinen Miindel Ladislaus Postumus. Nach dem Tode Leopolds III. erliielt die Venvaltung St-eiermarks, Karntens, Krains.und des dsterreichischen Istrien sein alterer Solm Ernst der Eiserne, dieTirols und derVorlande, d. i. der Besitzungen in Schwaben und am Khein, sein jiingerer Solni Friedrich IV. (mit der leeren Tasclie), der wegen Begiinstigung der Flucht Jolianns XXIII. aus Konstanz gebannt und geachtet \vurde, was den Verlust des Aargaues zur Folge liatte (S. 154). Der alteste Sohn Ernsts war der Kaiser Friedrich, der die Vormund¬ schaft liber Ladislaus Postumus, den Solin Albrechts II., iibemahm. Er sorgte bestens fiir dessen Erziehung, trat aber fiir die Anspriiche seines Miindels auf Bolunen und Dngarn nicht entschieden ein. Die Ungarn wahlten den Jagellonen Wladislaiv zu ihrem Konige, nach dessen Tode in der Schlacht bei Warna (1444) gegen die tiirkische tlbermaclit in beiden Landern die Redite des Ladislaus anerkannt und einheimische Grobe mit der Regierung betraut wurden: in Ungarn der grobe Tiirkenheld Johann Hunyady, in Bohinen der Utracpiist Georg von Podiebrad , so dab Friedrich in beiden Landern ohne Einflub blieb. Ja, aueh in Kiederosterreich zwangen ihn die Stande durch die Belagerung in Wiener-Xeustadt (1452) zur Frei- lassung seines Miindels, der jedocli ivenige Jahre darauf starb. Mit ihm erlosch die Albertinische Linie (1457). b) Friedrichs Streitigkeiten mit seinern Bruder Albrecht VI. und seinern. Vetter Siegmund. liber das Erbe des Ladislaus geriet 1444 1457 1G6 Vierter Zeitraum. 1453. 1456. 1458-1471. 1458-1490- Friedrich wiederliolt mit Albrecht VI. in Streit, der ihn durch die Belagerung AViens zur Abtretung Osterreichs zwang, das aber Friedrich nach dem Tode seines Bruders wieder zufiel (1463). In diesen Streitigkeiten stand auf Seite Albrechts auch Siegmund von Tirol, der Sohn Friedrichs IV., dem der Kaiser einen Teil der Ein- kiinfte ausOsterreich iiberlassen muBte. Als dieser versclrvvenderische Fiirst die Regierung von Tirol und den Vorlanden zugunsten Maxi- milians niederlegte (1490), war die Vereinigung aller habsburgi- schen Besitzungen gesichert. c) Die Einfdlle der Tiirhen. Im Jahre 1453 machten die Tiirken durch die Eroberung Konstcmtinopels dem letzten Reste des Palaologen-Reiches ein Ende und schritten dami zur Belagerung Belgrads. Da gclang es dem groBen Prediger Johann Kapistran, die deutschen Fiirsten und die Ungarn zur Aufstellung groBerer Ileere zu bewegen, mit deren Ililfe Johann IIunyady die Tiirken vor Belgrad vollstiindig schlagen und die Stadt entsetzen konnte (1456). Als aber beide noch in demselben Jahre starben, fehlte es an jeder tatkraftigen Abwehr der Tiirken, die durch ihre zahlreichen Einfiille namenloses Elcnd iiber die Alpenlander brachten. Das MaB der Kot wurde durch die trostlosen finanziellen Verhaltnisse und die Aus- schreitungen der Soldner voli gemacht. d) Friedrichs Beziehungen zu Bohmen und TJngarn. Kach Ladislaus’ Tode versuchte Friedrich vergebens, die Kronen von Bohmen und Ungarn zu gewinnen. In beiden Landern ivahlten die Stande einheimische GroBe, dort Georg von Podiebrad (1458 bis 1411), hier Matthias Gorvinus, den Sohn Johann JIunyadys (1458—1490), einen eifrigen Gonner der AVissenschaften und Kunste. AA r ahrend Friedrichs Stellung zu dem ersteren wechselte, bestand zwischen ihm und Matthias ein iiberwiegend feindliches A^erhaltnis. Matthias suchte namlich den osterreichischen Staats- gedanlcen von Ungarn aus — die dritte Moglichkeit — zu verivirk- Hchen (S. 149); er gewann im Kampfe gegen Georg und dessen Eachfolger die bohmischen Kebenlander Mahren, Schlesien und die Lausitzen, vertrieb den Kaiser aus Osterreich, besetzte einen groBen Teil Steiermarks und Kiirntens und schlug seinen Sitz in AVien auf, \vahrend der Kaiser in Siiddeutschland weilte, wo ihn Kloster und Stadte bewirteten. Kach dem Tode des Matthias eroberte Maxi- milian Kiederosterreich, machte aber vergebens Anspriiche auf Friedrich III. 167 Ungarn; vielmehr er hoten die Stande den Jagellonen Wladislaw von Bohmen, der daselbst Georg gefolgt war, aucli auf den ungarischen Thron. e) Die steigende Bedeutung der Stdnde. Seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts wurden die osterreichischen Stiinde eine politische Machi. Dies veranlaBten besonders die zahlreichen Streitigheiten im regierenden Hause, wobei mitnnter die Stande zu Schiedsrichtern angerufen wurden, und die vielen Kriege, welche die Habsburger zwangen, sicli an die Stande um Geldbewilligungen zu wenden. Die Stande zerfieien in die Kurien der Pralaten, des Adels, der sich in die Herren und die Ritter teilte, und der landesfiirstlichen Stadte; der Bauernstand hatte nur in Tirol eine Vertretung. f) Die Eriverbung Burgunds. Der Hame „Burgund“ war nacb der Zerbrocklung des Konigreicb.es Arelate (S. 82) an dessen nord- lichem Teile liaften geblieben; er zeriiel in die ostliche Freigraf- schaft (Fr anche-Comte), die ein deutsches, und in das westlicbe Herzogtum (Bourgogne), das ein franzosisch.es Lehen war. AuBer diesen beiden Gebieten hatten die Herzoge von Burgund, Yerwandte des franzosischen Konigsliauses, durch Waffengewalt, Kauf und Erbschaft die durch Industrie, Handel und Pflege der Malerei hervorragenden Landschaften erworben, welche das heutige Holland und Belgien bilden. Mit dem damaligen Herzoge Karl dem Kuhnen unterhandelte der Kaiser, um dessen Tochter Maria, die Erbin dieser Gebiete, als Braut fiir seinen Sohn Maximilian zu gewinnen. Wenn auch die Zusammenkunft beider in Trier zunachst zu keinem Ergebnisse fiihrte, so gab doch Karl spater seine Zustimmung zur Vermahlung. Kun wandte sich Karl gegen die Schiveizer, die seinem Bundes- genossen, dem Herzoge von Savoyen, ein Stiick Landes entrissen hatten, 'vvurde aber bei Granson und noch entschiedener bei Murten geschlagen (1416), obwohl die Schv^eizer ihm an Streitkraften be- deutend nachstanden. Die Zeit der Bitterlieere war voruber (S. 145 u. 154). Zwar eroberte Karl hierauf Lothringen, verlor jedoch im Kampfe gegen die vereinigten Lothringer und Schweizer bei Nancy Schlacht und Leben (1477). Als nun Maximilian das Erbe seiner Gattin in Anspruch nahm, kam es deshalb zu mehreren Kampfen mit Frankreich, die erst durch den Frieden von Senlis (1493) beendigt wurden, demzufolge das Herzogtum Burgund an Frankreich, die iibrigen Landschaften 1476 1477 1493 1G8 Vierter Zeitraum. an Maximilian fieleii. Dadurch erstarkten die Habsburger so be- deutend, d a B sie trotz desZerfallesDeutscblands iveiterentJbergriffen Frankreichs entgegentreten konnten; freilicb begann seitdem auch die fast 300 Jahre dauernde Bekdmpfung der Ilabsburger durcli Frankreich. I)er Aufschwung des Ilaušes Habsburg bat auch der zerrissenen deutschen Nation einen Halt gegeben. 3. Friedrichs Charakter. Friedrich liielt mit zaher Ausdauer an der theoretischen Fiille der alten Kaisennacht fest und wehrte alle Angriffe auf seine Stellung als Kaiser und Landesfiirst ent- schieden ab. Er war ein Meister im diplomatiscben Hinbalten und Tlberreden; dagegen felilte ihm rasche Entschlossenheit, da er meinte, die Zeit zimi Handeln konne nicbt ausbleiben. Das gereichte ihm mehrfach zum Schaden. Aber selbst als landerloser Fliichtling gab er den Gedanken an die Grobe seines Hauses nicbt auf. Er war gebildeter als die meisten Fiirsten seiuer Zeit; auch sclnnuckten ibn Ehrenbaftigkeit, Frommigkeit, MaBigkeit und Sinn fiir ein gliick- liclies Familienleben. Wie viele seiner Zeitgenossen, bescliaftigte er sich mit Alchemie und Astrologie. Er fiihrte den Titel „Erzherzog“ im habsburgischen Hause ein (1453) und ist der letzte in Rom gekronte Kaiser. Ergebnis. So zeigt der Staat unter Friedrich allerorten Ver- ivirrung und Auflosung; er muBte, um seiner liohen Aufgabe: Forderung der Wohlfahrt der Bewohner, zu entsprechen, auf neuen Grundlagen aufgebaut werden. Dies geschali durcli Maximilian, dessen glanzende Anlagen einen trostlichen Blick in die Keuzeit eroffnen, die mit ihm beginnt. Viertes Kapitel. Die Kulturstaaten im westlichen und siidlichen Europa. I. Italien. ISTacli dem Sturze der Staufer bekampften sich in den meisten groBeren Stiidten Italiens die Burger mit wildem Ilasse (S. 120). Wie einst in Griechenland, wurden alle moglichen Verfassungs- formen ausgebildet; wie dort, bildete auch hier fast jede Stadt einen eigenen Staat. Diese Zustande begiinstigten das Aufkommen von Gewaltherrschern, die sich als Soldnerfiihrer (Condottieri) die Herrschaft errangen und durcli ihre Kiihnheit, Tapferkeit und Ge- wissenlosigkeit an die spateren griechischen Tvrannen erinnern. Italien. 169 1. Venedig. Venedig, die reicliste Handelsstadt Europas, stand im 15. Jalirhundert auf seinem Hohepunkte. Damals beherrsclite es ganz Venetien und die Lombardei bis zn in Oomersee, den groBten Teil Istriens, Dalmatien (S. 154), die Jonischen Inseln nnd Cypern. Das Vordringen der Tiirken nnd die Veranderung der Handelswege infolge der groben Entdeckungen der Portngiesen und Spanier machten der Bliite des Staates ein Ende. An der Spitze des Staates stand der Doge (dux), dem aber durcli die eifersiiclitigen Nobili, die eine streng oligarchische Re- gierung bildeten (I. 183), die Hande vollstandig gebunden waren; das Volk war politiscli rechtlos. Durch ein beispielloses Spionier- system, durcli Mord und eine iiberaus barte Gericbtsbarkeit mit Folter 1 und Bleikammern unterdruckte die auBerst mifitrauisclie Oligarchie die Versuche, sie zu stiirzen. Die prachtigen Banten der Lagunenstadt (Markuskirclie, Dogenpalast, zahlreicbe andere Ki roben und Palaste) zeugen nocli jetzt von dem Reichtum und dem verfeinerten Leben Venedigs in seiner Bliitezeit. 2 2. Mailand. BEier begriindete Ileinricb VII. die Herrsehaft der Visconti, indem er ihnen das Reichsvikariat iiber die Stadt und die Umgebung verlieh. Wenzel verkaufte dem Johann Galeazzo Visconti, der den Ban des Mailander Doines begann, die Herzogswiirde, die nach dem Aussterben der Visconti an den Soldnerfiihrer Eranz Sforza und dessen Kachkoinmen iiberging. 3. Savoyen. Urspriinglich' ein Teil Burgunds, wurde es allmahlich vom Genfer See bis ans Mittelmeer ausgedehnt und von Siegmund zu einem Herzogtum erhoben. 4. Genua, die zweitgroJ3te Handelsstadt des Mittelalters, \vnrde durcli viele Streitigkeiten im Innern zerriittet und durcli einen melir als hundertjahrigen Kampf mit Venedig selu- geschwacht. 5. Florenz. Hier gelangten ij,ach vielen erbitterten Kampfen, in deren Verlauf Dante verbannt wurde, am Anfange des 15. Jahr- bunderts die kunstsinnigen Medici oder Medicaer, almlicli wie 1 Die Folter ist im spfiteren Mittelalter, hauptsiLchlieh infolge der zu- nehmenden Ausbreitung des romischen Rechtes, immer allgemeiner geivorden; dater die Ausdrticke: Jemanden auf die Folter spannen, jemandem die Daum- schrauben ansetzen. 2 Aus dem 15. Jahrhunderte stammen die Verse: Venedigs Macht, Augsburga Praeht, StraBbru’gs Geschiitz’, Niirnbergs Witz ; Ulmer Geld regieren die ganze Welt. 170 Vierter Zeitraum. Perikles, als Fiihrer des Volkes im Kampfe gegen die adligen Ge- schlecliter an die Spitze der Verwaltnng. Die beriihm testen Medici sind Cosimo nnd seinEnkel Lorenzo derPrdchtige (fl492).Nament- lich der letztere rnacliteFlorenz zum Mittelpunkte der klinstlerischen nnd gelehrten Bestrebungen der Zeit, wogegen der strenge Sitten- prediger Savonarola nur eine voriibergeliendeReaktion herbeifiihrte; noch jetzt besitzt Florenz zwei der groBartigsten Gemaldesamm- lungen im Palazzo Pitti und in den Uffizien. Am Beginne der Eeuzeit erlangten die Medici die Herzogsiviirde iiber Florenz nnd Umgebung. 6. Der Kirchenstaat. Wahrend des babylonischen Exils war der Kirchenstaat in vollstandiger Auflosung. Er zerfiel in eine An- zalil von Stadtrepubliken nnd Tyrannenherrschaften, wahrend sich in Rom selbst, die welfLschen Orsini und die ghibellinischen Colonna mit der groBten Erbitterung bekampften, weshalb liier Raub nnd Mord etwas Gewohnliches waren. Diese Zustande ermoglichten es dem Wirtssohne Cola di Bienzo. der sich an den Schriften und Ruinen des alten Koms begeistert hatte, dnrcli eine unblutige Re- 1347. volution die Herrschaft des Adels zu stiirzen (1347) und als Tribun die unumschrankte Gewalt zu erringen. Er faBte zum erstenmal den Gedanken, Rom zum Ilaupte eines nationalen Staatenbundes in Italien zu erheben, weshalb er die Stadte des Landes aufforderte, Abgeordnete zu einem Parlamente nach Rom zu entsenden, was aucli mehrere Stadte taten. Aber auf der Ilohe seines Erfolges wurde Cola ein schwelgender Tyrann, de'r vom Volke Geld erpreBte, wor- iiber ein solcher Unwille ausbrach, daB er nach siebenmonatlicher Tatigkeit seine Wiirde niederlegte. Er begab sich spater an den Hof Karls IV., der ihn dem Papste auslieferte. Dieser setzte ihn zwar als Regenten in Rom wieder ein (1354) ; da er aber immer tyranni- scher verfuhr, erhob sich das Volk mit dem Rufe: „Tod dem Ver- rater, der die Steuern eingefuhrt hat und totete ihn. Erst die Riickkehr der Papste schuf in Rom bessere Zustande. Die Wiederherstellung des Kirchenstaates war das Werk des kriege- Um 1500. rischen Julius II. (um 1500), der die Stadte und die Tyrannen untenvarf. Damit war hier das Mittelalter zu Ende und die Papste behaupteten sich nun im Besitze des Kirchenstaates. 7. Neapel. II ier regierte das Hans Anjou his mn die Mitte des 15. J ahrhunderts, worauf daselbst eine Kebenlinie des in Sizilien herrschenden Hauses Aragonien die Krone erhielt. Seitdem erscheint der Hame „Konigreich beider Sizilien“. Frankreich. 171 II. Frankreich. Im Gegensatze zu Deutschland erstarkte gegen Ausgang des Mittelalters die Konigsmacht in Frankreich, England und Spanien so bedeutend, daB die Konige daselbst wirkliche Landeslierren wurden. In allen drei Staaten entwickelte sicli ein politisch berech- tigter Burgerstcind , der stets der beste Verbundete des Konigs war, weil beide die Kiederhaltung der GroBen mmschten. FiirFrankreich sind auBerdem di eKriege mit Bngland wichtig, die nach mancherlei Z\vischenfallen zngnnsten des ersteren endeten. 1. Die Erstarkung der koniglichen Macht. Obwohl die Capetinger bis zum 13. .lahrhunderte nur das Gebiet um Pariš besaBen und in Frankreich die Lehen friiher als in Deutschland erblich ivurden, gelang es dem franzosischen Konigtume doch, am Ende des Mittelalters den Sieg uber den Lehensstaat davonzutragen. Dies erleichterten folgende Umstande: 1.) Pariš war von jeher die ILauptstadt des Landes; 2.) die Capetinger regierten mit EinschluB der ISTebenlinie Valois das ganze Mittelalter hindurch; 3.) da auch die einzelnen Konige lange regierten, blieb Frankreich das Elend vormundschaftlicher Regierungen fast ganz erspart; 4.) die Konige begiinstigten die Entwicklung der Stadte, die seit den Kreuzziigen zu groBer Bliite gelangten, und fiihrten eine fest geordnete Reclits- pllege sowie eine geregelte Steuerverfassung ein (Gegensatz S. 135) ; 5. ) die Kampfe mit dem Papsttume blieben Frankreicli erspart, weshalb hier auch die Krongiiter erhalten, ja vermehrt wurden; 6. ) teils durcli Ileiraten, teils durch Kriege, teils durch das Aus- sterben der Kronvasallen ivurden die Konige die unmittelbaren Herren des ganzen. Landes. 2. Die Kampfe mit England. Diese ivurden dadurch ver- anlaBt, daB der Herzog der Kormandie und Bretagne (S. 67), ein franzosischer Vasall, Konig von England wurde, wodurch ein un- natiirliches Verhaltnis entstand. .. a) Der Kampf zur Zeit Philipps II. August. Als in der Mitte des 12. Jahrhunderts der Mannsstamm des Rormannischen Hauses in Englaneige zn trennen (I. 99); neben der Philologie entstand eine kritische Geschichtschreibung , ferner eine selbstandige Mathematih, Astro- nomie , Medizin und Jurisprudenz , so daB sich jetzt ein Gelehrten- stand bildete, \velcher der Trager einer im wesentlichen iveltlichen Bildung wurde (I. 120 n. 132). Der gelehrte Florentiner Staats- sekretar Macchiavelli ist der Verfasser des Buches „Der Fiirst"; darin fiihrt er den Gedanken durch, daB die Forderung des Staats- wohles das hochste Ziel eines Fursten sein miisse und daB in dem von Kampfen zerriitteten Italien nur dann eine Besserung eintreten konne, wenn sich ein Fiirst, der die Eigenscha.ften des Lowen und des Fuchses vereinigt, iiber die Vorschriften der Moral hinaussetzt und dadurch die unbeschrankte Maclit im Bande gewinnt (Macchia- vellismus). Der beriihmteste Mathematiker und A stronom des 15. Jahrhunderts war Johann Muller von Konigsberg, der eine Zeit- lang in Wien als Lehrer ivirkte. Im 16. Jahrhunderte lebte Nikolaus Kopernikus, Domlierr von Frauenburg (f 1543), der durch sein Werk „de orbium coelestium revolutionibus“ das Ptolemaisehe System endgiiltig. beseitigte (I. 134). 2 Sein Zeitgenosse Theo- phrastus Paracelsus war einer der bedeutendsten Arzte der Zeit; dessen Ilauptverdienst ist, daB er- die Naturbeobachtung in den Vordergrund stellte (I. 124). Durch den Humanismus vrarde aueh das systematische Studium des romischen Rechtes angebahnt (S. 107). 1 Del' Humanist Valla (15. Jahrliundert) wies nacli, daB die Urkunde, naeh der Kaiser Konstantin dem Papste das \vestromische Reich gesehenkt haben soli, eine Falschung ist; die Urkunde war in der Zeit Karls des GroBen entstanden und wm - de im Mittelalter fiir echt gehalten. 2 Kopernikus sagt selbst, daB ihn die Ansehauung einiger Pytliagoreer von der Bewegung der Erde zum Nachdenken iiber diesen StofT veranlaBt bat. 1543. 190 Vom Mittelalter zur Neuzeit. Da gegen den Ausgang des Mittelalters das Schulivesen verfiel (S. 126), war es von groBer Wichtigkeit, daB in der Lekture der antiken Schriftsteller ein neues hervorragendes Bildungsmittel ge- wonnen wurde. Gerade in Deutschland wurde durch die Humanisten das Unterrichtswesen selu - gehoben; klassisches Latein in Prosa und in Versen zu schreiben („Eloquenz“), war das vornelnnste Ziel des Unterricbtes. 1 2 Audi begann jetzt \vieder die Pflege der korperlichen Ausbildung der Schtiljugend, die in den mittelalterlichen Klostern ganz vernachlassigt worden war. Es fehlten aber auch die Bchattenseiten nicht (S. 187). Damals entstand ein tiefer Zunespalt zwischen den klassiscb Gebildeten und den Nichtgebildeten, wie ihn das Mittelalter auch nicht annahernd gekannt hatte; es kam, wenigstens in Deutschland, so weit, daB alles Einheimische als roli veraehtet wurde. Anders war es in Italien, das im 16. Jahrhunderte zwei hervorragende Dichter in der V olkssprache besaB, namlich Ariosto und Torguato Tasso , die beide eine Zeitlang ani Hofe der kunstsinnigen E ste in Ferrara lebten f der erstere ver- faBte das romantische Epos „Der rasende Eoland“, der letztere das historische Epos „Das befreite Jerusalem“. Endlich haben die Hu¬ manisten der antiken Astrologie (I. 239), teilweise auch dem ver- derblichen Hexenwahne, der seit dem Ende des 15. Jahrhunderts immer unheilvoller um sich griff, Vorschub geleistet, da sie selbst nicht selten dem antiken Zauber- und Wunderwesen Glauben schenkten. 3 Durch den Humanisnius wurde die geistige Selbstdndigkeit der Abendlander machtig gefordert; es ist kein Zufali, daB die Zeit der groBen Entdeckungen auch die des Humanismus ist. tlberall strebten die Menschen liber die engen Grenzen des mittelalterlichen Horizonta liinaus (S. 177). Den Umsch\vung der Anschauungen zeigen uns besonders Dante und Macchiavelli; wahrend der erstere Brutus und Cassius nebst Judas als Auswurf der Menschheit in die Holle ver- stoBt, preist der letztere Casars Morder als groBe Patrioten. ■ 1 Fr. Paulsen, Geschiehte des gelelirten Unterrichtes auf den deutschen Sehulen und Universitiiten vom Ausgange des Mittelalters bis zur Gegen\vart, 2. Aufl., 2 Bde., Leipzig 1896. 2 Vgl. Goetbes „Torquato Tasso". 5 Einzelne Humanisten glaubten sogar an Prodigien und Auspizien. Die Renaissanoe. 191 IV. Die Renaissance. Machdem das Altertum literarisch entdeckt Avar, erwachte auch das Verstandnis flir die antike Kunst. Wie man die Bibliotheken nach Handscliriften durchforschte, so veranstaltete man, namentlich in Rom, Ausgrabungen zur Auffindung antikerKunstwerke; dadurcli Avnrden n. a. der Apollo vom Belvedere (I. 53), die Laokoon-Gruppe und der Farnesische Stier (I. 136) aus dem Schutte hervorgeholt. Auch wurden die Reste der antilcen Bamverke sorgfaltig yer- messen und zum Vorbilde fiir die neuen Bauten genommen. So entstand ein neuer Baustil, der Renaissance (Wiedergeburt) genannt Avurde, weil man die klassisclie Vergangenlieit in Wissenschaft, Kunst und Leben wiederlierstellen zu konnen meinte. Wahrend ferner im Mittelalter die Kunst wesentlich im Dienste der Kirche gestanden AA^ar (S. 43), feierte die Baukunst der Renaissance ihre hochsten Triumphe in der Palastarchitektur und erweiterte sich das Gebiet der Malerei, ahnlich wie sich die einzelnen Wissenschaften trennten, allmahlich iiber alle Darstellungsgebiete (Geschichte, Mythologie, Portrat, Genre, Tierstiick, Stilleben, Landschaft). So wurde auch die Kunst lueltlich (I. 120). Gleichzeitig horte das dienende Verhdltnis der Skulptur und Malerei gegenuber der Bau¬ kunst auf; die Kiinstler, durchaus Aveltliche, schufen nun Werke der Plastik und Malerei ohne Eiicksicht auf die Bauten, die durch jene geschmiickt werden sollten. Wie der Humanismus, verbreitete sich auch die Renaissance von Italien aus in die iibrigen Bander. A. Die Renaissance in Italien. 1. Die Baukunst. Die Baumeister der Renaissance entnahmen den romischen Bberresten ziveierlei: sie venvandten die klassischen Saulenordnun- gen und Ornamente zur Ausschmiickung der Gebiiude imd studierten die schone Anlage des Grundrisses (I. 253), ohne jedoch dabei ihre hohe kiinstlerische Selbstiindigkeit einzubiiBen. Man teilt die Renaissance in die Friih-,. Ilochrenaissance und den Barockstil ein. a) Die Fruhrenaissance (1420—1500). Der Vater der Renais- 1420 - 1600 . sance ist Brunelleschi (f 1436), dessen Werke in und bei Florenz, der Geburtsstatte der Renaissance Avie des Humanismus, entstanden sind. Er Amllendete die kolossale Domkuppel in Florenz, die fast 150 Jahre ihres Ausbaues geharrt hatte, und schuf den PalazzoPitti, 192 Vom Mittelalter zur Neuzeit. der an Erhabenheit der Wirkung alle librigen Profangebaude iiber- trifft. AuBerhalb der Stadt Florenz ist das gefeiertste Baudenkmal der Zeit die unvollendete Fassade der Certosa bei Pavia, eines der reichstgescbmiickten Gebaude uberhaupt. In der Freude liber die neugefundenen Zierformen wurden damals die Gebaude mitunter et\Vas liberladen; auch unterschied man noch nicht, tvelche Motive der Bliite- und welche der Verfallszeit der Antike angehorten. 1500-1580. b) Die Hochrenaissance (1500 — 1580). FPunmehr \vurde jeder Anklang an die Got.ik fallen gelassen und in der Ausschmiickung weises MaB gehalten. Die einzelnen Stockwerke wurden durch edel gebildete Gesimse gegliedert, Fenster und Portale mit antiken Saulen- und Pilasterformen geselnniickt so\vie mit Giebeln gekront. Der Ilauptsitz der Hochrenaissance war Iiom, das unter Julius II. (S. 170) und seinem Hachfolger Leo X. fiir etwa zwanzig Jahre ein perikleisches Zeitalter erlebte. Der groBte Baumeister war damals Bramante (f 1514); er begann den Ban der neuen Peterskirche, deren GrundriB, ein tonnengewolbtes Langliaus mit gewaltigen Pfei- lern und einem Querschiffe mit einer Kuppel, fiir den ganzen folgen- den Kirchenbau maBgebend wurde. Die groBartige Kuppel dieser Kirche, die schonste der Erde ; erbaute Michelangelo Buonarotti (f 1564). Unter den Palasten ragt besonders die papstliclie Can- celleria (Kanzleibau) in Rom mit ilirem beriilnnten Hofe hervor, die iiberwiegend noch der Friihrenaissance angehort. Herrliche Paliiste vrarden auch in Genua und Venedig erbaut; liier ist nament- lich die reichgeschmuckte Bibliothek von Sansovino zu erwahnen. c) Der Barockstil. 1 Um groBere Wirkungen zu erzielen, w ur de n die antiken Saulenordmnigen, Pilaster, Giebel u. s. w. in der will- kiirlichsten Weise venvendet, die schmiickenden Motive gehauft, die Wandflachen gekriimmt. Der bekannteste Meister dieser Zeit ist Bernini, der die groBartigen Kolonnaden des Petersplatzes erbaute. 2. Die Plastik. Zum Studiuin der antiken Statuen trat das der Natur (Michel¬ angelo hat jahrelang anatomische Studien betrieben), so daB die 1 Man nennt auch die Ausartung eines Stiles iiberliaupt „Barockstil“ und spricht in diesem Sinne von einer griechischen (der spateren alexandrinisehen ) und gotischen Barockzeit. Im allgemeinen kann man die christliehe Kunst de,s 15. Jahrhunderts mit der griechischen kurz vor Perikles, die des 16. mit der zur Zeit des Perikles und die des 17. und 18. Jahrhunderts mit der hellenistisehen Kunst vergleichen. Dio Renaissance. 193 plastisclien Werke der Renaissance im Gegensatze zu den idealisti- schen des Mittelalters einen melir realistischen Char akter an sich tragen (1.87). Der beriihmteste Plastiker der Zeit war Michelangelo, der von Julius II. nacli Rom berufen wurde. Er schuf in Florenz die Kolossalstatue des jugendlichen David und die Grabdenhmdler zweier Medici, ferner die Riesengestalt des sitzenden Moses in Rom. Schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts war die Plastik in ganz Italien verfallen. 3. Die Malerei. Seit der Renaissancezeit ist die Malerei die Ilauptlcunst des Christentums geworden. Auch sie schlug die Wendung zum Bealis- mus ein; docli besclirankten sicli die groben Maler sowenig wie die Plastiker auf eine getreue Wiedergabe der Eatur, sondern stellten sie in idealer V erschonerung dar. Auch auf dem Gebiete der Malerei stand Florenz, \vie in den beiden anderen Kiinsten, obenan, bis es durch Rom zuriickgedrangt wurde. Die groBten Maler, die alle dem 15. (Quatrocento) und 16. (Cinquecento) Jahrhundert angehoren, sind Leo7iardo da Vinci, Michelangelo, Raffael und Tizian; an jeden schlossen sich zahlreiche Schtiler an. Leonardo (f 1519) war ein Universalgenie; er war nicht nuv Maler, sondern auch Baumeister, Dichter, Mechaniker, Musiker und Gelehrter. Er ist das Ilaupt der lombardischen Scliule, die in und um Mailand tatig war. Sein beriihmtestes Werk ist „das Letzte Abendmahl“ im Refektorium des Klosters S. Maria delle Grazie in Mailand, sclion lange eine Ruine. 1 Michelangelos Vorliebe fiir das Leidenschaftliche kommt namentlich in der Malerei zum Ausdruck; er bemalte in der Sixtinischen Kapelle (im Vatikan) die Dečke mit neun Bildern, die den biblischen Stotf von der Schopfung bis auf IšToah behandeln, und schuf als Altarbild der Kapelle das nahezu 20 m hohe „Jiingste Gericht“. Der Maler der vollendeten Anmut ist Raffael, den Julius II. nach Rom berief (-f- 1520). Er malte un- gefahr 50 Madonnen, von denen die Madonna della sedia infolge zahlreicher Kachbildungen ein wahres Familienbild geworden und die Sixtinische Madonna die beriihmteste ist; auBerdem scliuf er zahlreiche andere Tafelgemalde. Er selimiickte ferner vier Gemacher (Stanzen) des Vatikana mit Fresken, welche die geistige Macht des 1 Seit Pliidias war kein Kunstwerk von so allseitiger Vollendung geachaffen worden (Woermann). Zeehe, Geschichte des Mittelalters. 13 194 Vom Mittelalter zur Neuzeit. Papsttums verherrlichen, entwarf die Kartons (d. h. Zeichnungen) zu elf Tapeten, die in Briissel getvebt tvurden nnd Szenen aus der Apostelgeschichte darstellen („Arrazzi“), und bemalte die Loggien (Hallen) im Vatikan mit reizenden Dekorationen. Tizian (f 1576) ist das Hanpt der venezianischen Sclmle, die \veitaus iiberwiegend die Tafelmalerei pflegte nnd in der Schonheit des Kolorits ihre hochsten Triumphe feierte. In der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts veriiel die Malerei in ganz Italien; nnr die venezianische Sclmle trieb eine ISTachbliite, die bis zum Ende des Jahrbnnderts anhielt. B. Die Renaissance im Norden der Alpen. DDie Baukunst. Im JSTorden der Alpen bebauptete sicli die Gotik viel langer als in Italien (S. 128), so daB noch bis ins 16. Jahrhundert lrinein in diesem Stile gebaut wurde. Audi spiiter hielt man nocli lange ain gotischen Aufbaue (bobe Daeher und Giebel, vorspringende Erker und Eclcturme) fest und begnugte sicb mit der Verwendung der antiken Zierformen. 1 Augsburg und Danzig wurden von ihren reicben Biirgern fast ganzlich im Renaissaneestil umgebaut. IST ur vereinzclt ist die Frubrenaissance vertreten; dagegen gelangte uber- all der Barochstil zur ITerrschaft. Die beruhmtesten Renaissance- bauten in Deutschland sind das Bathaus in Koln und das SchloB in Heidelberg, in Osterreicb das Belvedere in Prag, ein LustsckloB Ferdinands I., und das SchloB des Flirsten Porzia in Spittal, in Frankreich der Louvre in Pariš. 2. Die Plastik. Auch im Vorderi der Alpen regte sich amAnfange des 15. Jalir- kunderts der realistische Sinn, wozu seit dem 16. Jahrkunderte der EinfluB der italieniscben Plastik kam. Am besten erforscht ist die deutsche Plastik, die damals ikre ziveite Bliite erreichte (S. 130). Die Holzbildnerei, deren hervorragendster Meister Veit Stoti war, schuf eine iibergroBe Zalil von Schnitzaltaren im gotischen Stile, die 1 Besondere beliebt wai‘en Bildnismedaillons, Delphine, Sirenen, Pilaster mit Laubwerkfiillung; in ganz Deutschland herrsehte eine Vorliebe fiir reiche Portale, Erker und Giebel, Die Renaissance. 195 reich vergoldet sowie mitGemalden und Relief s geschmiickt wurden; der schonste erlialtene Schnitzaltar ist wolil der in St. Wolfgang. FTicht minder eifrig wurde die Plastik in S tein betrieben; Adam lirafft ist der beriihmteste Yertreter dieses Kunstzvreiges. Der groBte ErzgieUer Deutschlands ist Peter Vischer, der das Sebaldusgrab in Niirnberg und die Statuen der Iionige Artur und Theoderich am Denkmale Maximilians I. in Innsbruck schuf. Alle drei Meister waren in Niirnberg, dem deutschen Florenz, tatig. 3. Die Malerei. Der Realismus in der nordiscben Malerei beginnt in Flandern, wo am Anfange des 15. Jahrhunderts Ilubert und Jan van Eyck einen groBartigen Aufsclrvvung der Malerei herbeifuhrten; ihr ge- meinsames Werk ist der groBartige Gen ter Fliigelaltar. Der EinfluB der beiden Briider verbreitete sicb den Rhein aufwarts und steigerte die realistisehe Formengebung aucb in Oberdeutschland. Da aber den deutschen Kiinstlern infolge der groBen Fenster der gotischen Kirchen der Raum fiir die Fresken febltej waren sie auf die Her- stellung von Miniaturen (S. 61) und Ta-felgemalden beschrankt. Deshalb liaftet ihren Werken ein Zug ins Kleinliche an, der nament- licli in eckigen Bewegungen , knitterigen Gewandfalten und iiber- triebener Betonung des Einzelnen seinen Ausdruck fand; dafiir ent- sebadigen sie aber durch die Kraft der G Tiar akter istih. In Oberdeutschland mirden die schivabische Scliule in Augs¬ burg und die frdnkische in Niirnberg am wichtigsten. Der groBte Meister der ersteren ist Hans Holbein der Jiingere (f 1543). Sein beriilnntestes Bild ist die Madonna des Biirgermeisters Meyer (von Basel) in Darmstadt; besonders volkstiimlich wurde sein IIolz- schnittwerk „Der Totentanz“, in dem er mit Humor und Ironie dar- stellt, wie der Tod auch die Reichsten und Machtigsten nicht ver- schont- AuBerdein ist er der hervorragendste deutsche Portratmaler. Das Haupt der frankischen Schule ist der groBte deutsche Maler, der Riirnberger Albrecht Dur er (f 1528), der zwar in der Formen¬ gebung hinter den groBen Italienern weit zuriickbleibt, an schopfe- rischer Fiille der Phantasie aber selbst Raffael erreicht und anKraft der Charakteristik ihn sogar iibertrifft. Er bat eine groBe Menge von Holzschnitten und Kupferstichen geschaffen, die besonders die Passion und das Leben der heiligen Maria darstellen; zwei seiner 13 * 196 Vom Mittelalter zur Neuzeit. beriihnitesten Gemalde: Die Marter der Zehntausend, und das Aller- heiligenbild, bewahrt die kaiserliclie Kunstsammlung in Wien. Diirer war auch ein sehr bedeutender Portratmaler. Der frankischen Sclinle gehort auch Lukas Granadi an, der Maler der Beformatoren. Infolge der Wirren der Beformation verfiel die Kunst in Deutschland rascli, die Grenel des DreiBigjahrigen Krieges machten ihr vollstandig ein Ende. Alle diese Erfindungen, Entdeckungen, wissenschaftlichen und kiinstlerisdhen Bestrebungen hatten eine gewaltige Ga^ung der Geister und eine Erstarkung der Cliaraktere zur Folge, ohne die der Eintritt der Kirchenspaltung undenkbar ware. Die Neuzeit Erster Zeitraum. Das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation ( 1492 — 1648 ). Erstes Kapitel. Die Reformation . 1 I. Die Reformation in Deutscliland. A. Maximilian I. und die allgemeinen Zustande in Deutschland beim Beginne der Reformation. 1. Maximilian I. ( 1493 - 1519 ). 1493-1519. Maximilian war ein tapferer Ritter und kiilmer Jager, der groBte Kenner des Turnienvesens. Ein Freund der alten Dichtung, lieB er das „Ambraser JIeldenbuch a anlegen und beteiligte sich an der Abfassung des metrischen „Teuerdank“, der seine Taten als Ritter und Jager, und des prosaischen „WeiBkunig“, der seine Erziehung und seine Kriege behandelt. Daneben begiinstigte er den Idumanismus und suclite Diirer, Vischer und Krafft in ihren Werk- statten auf; niemand bat damals die deutsclie Kunst so senr ge- fordert wie er. Sein lebbafter Geist verfolgte mitunter mehrere Plane auf einmal; daran, soivie an seiner Geldnot und dem Wider- streben der deutschen Eiirsten scheiterten nicht selten seine Ab- sicbten. Die letzteren wiinschten, daB sicli Maximilian vor allem auf die deutschen Angelegenheiten beschranke, wahrend er sich wieder- holt an den damaligen Yerwicklungen in Italien beteiligte (S. 199). 1 J. ./a>isse»,Gesehichte des deutschen Volkes seit dem Ausgange des Mittel- alters, 16. Aul. 3 Bde., Freiburg 1894 ff.— Ij.von Banke, Deutsche Gcschiclite im Zeitalter der Reformation, 7. Auf!., 6 Bde., Leipzig 1804. -— Ranice, Die romisehen Piipste in den letzten vier Jahrhunderten, 9. Aufl., 3 Bde., Leipzig 1889. — II. Ullmann, Kaiser Maximilian I., 2 Bde., Stuttgart 1884 — 1890. Vgl. ferner die in Band II, S. 8, 31 und 102 angeftihrten Werke, 198 Erster Zeitraum. Sein Vater hinterlieB ilirn zwei ungeloste Fragen, namlicli (lie Reform des Reiches und die der Kirche; die erstere ist unter seiner Mitwirkung teilweise zustande gekommen, fiir die Durchfiihrung der letzteren reichten seine Krafte nicht aus. a) Die Reiehsreform. a) Die Reformen in der Venualtung und Rechtspflege. Die dringend nottvendige Reiehsreform (S. 163) 1495 . kam auf dem Reichstage zu Worms zur Verhandlung (1495). Da- selbst einigte man sicli liber folgende Punkte: 1.) Die Peststellung des eungen Landfriedens, der das Fehdewesen bei Strafe der Acht verbot. 2.) Die Errichtung des Reichshammergerichtes, dessen Mit- glieder vom Konige mitZustimmimg desReichstages ernannt werden sollten. Es war die erste Instanz fiir alle Klagen gegen Reichs- unmittelbare und die zweite fiir Reichsmittelbare in biirgerlichen Sachen, wahrend es in peinlichen nur im Falle der Rechtsver- weigerung derLandgerichte einschreiten durfte. 3.) DieEinfiihrung des gemeinen Pfennigs , d.Leiner allgemeinen Reichssteuer (S. 135) zur Besoldung der Rate des Kammergerichtes und zur Bezahlung der Soldner. Die Durchfiihrung der Reformen lieB aber viel zu wiinschen iibrig; noch das ganze 16. Jahrhundert ist von Eehden der Ritter erfiillt, 1 das Reichskammergericht konnte mit den zald- reichen Prozessen nicht fertig werden und die Reichssteuer kam gar nicht zustande. Ja, die „Eidgenossen“ verwarfen die ganze Ein- richtung und Maximilian muBte sie nach einem Kriege im Frieden von Basel von der Verbindlichkeit der Wormser Beschliisse befreien 1499 . (1499); seitdem gehorten die Schweizer als „Reichsverwandte“ nur mehr dem Namen nach zu Deutschland. Eine Fortsetzung fand die 1512 . Reiehsreform auf dem Reichstage zu Koln (1512) ; daselbst wurde behufs leichterer Handhabung des Landfriedens das Reich in zehn Kreise eingeteilt. fi) Die Reformen im Ileenvesen. Maximilian schuf an Stelle des verfallenen Heerwesens (S. 164) die Einrichtung der Lands- hnechte, einer Soldtruppe, die aus den eigenen Landeskindern ge- bildet war. Mit Speeren, Schwertern und „Feuerrohren“ bewaffnet, hielten sie im Gegensatze zu den entarteten Soldnern des spateren Mittelalters auf militarische Ehre. 1 Daher „Dem Landfrieden nicht trauen." Ein Sprichwort der damaligen Wegelagerer war: „Rauben und Brennen ist keine Schande, das tun die Besten im Lande." Maximilian I. 199 h) Die Teilnahme Maximilians an den Kriegen in Italien. Italien war damals in politisclier Beziehung vollstandig zerriittet (S. 168) und Banke, Luge, Bestechungen, Verrat spielten eine groBe Bolle; fast alle italienisclien Staalen jener Zeit sind ge- legentlich auch mit den Tiirken verbunden gewesen. So betatigten die Fiirsten und Staatsmanner des Landes diejenige Politik, die Macchiavelli empfahl. Die vier groBeren Staaten, namlich Venedig, Mailand, der Kirchenstaat und Neapel, iiberwacliten sicb gegenseitig mit groBer Eifersuclit. Diese Zustande reizten das Ausland zur Ein- mischung. An den daraus entstandenen Kampfen beteiligte sich Maximilian als Oberbaupt des Deutschen Keiches, dessen Ansehen in Italien freilich langst dahin war (S. 149); auBer ihm Karl VIII. von Frankreich und dessen Nachfolger Ludwig XII., endlich Ferdi¬ nand der Katholische, der Neapel gewinnen ivollte. Auf dieses Konigreich erliob aber auch Karl Vlil. als Erbe des Hauses Anjou (S. 174) Anspriiche, \vahrend Ludwig XII., in weiblicher Linie mit den Visconti vemvandt, die Erwerbung Mailands ins Auge faBte. In diesen Kampfen um das Dbergewiclit in Italien (1495 bis 1515) wechselte die Stellung der einzelnen Machte vielfach; Biindnisse wurden geschlossen und gebrochen, ganz nach dem augen- blicklichen Vorteile. Als im Laufe dieser Vemvicklungen Maxi- milian einen Bomerzug zum Empfange der Kaiserkrone unter- nehmen wollte und ihm die Venetianer den Durchzug durch ilir Gebiet venveigerten, nalim er den Titel „erwaklter romischer Kaiser“ an (1508); seitdem nannten sich alle folgenden deutschen Konige „Kaiser“, der einzige Karl V. wurde noch vom Papste ge- kront. Das Ergebnis dieser Kriege war: Maximilian erhielt von Venedig einige Gebiete in Budtirol, Mailand iiel Frankreich zu, Neapel kam in den Besitz Spaniens und der Kirchenstaat erlangte einige Enverbungen in der Romagna. c) Die Gebietserwerbungen Maximilians. Infolge alter Erb- vertrage erhielt Maximilian beim Aussterben der Gorzer Grafen die Grafschaft Gorz und Gradiška (1500) sowie durch seine Partei- nalune in einem Erbfolgestreite zwischen den beiden Wittelsbach- schen Linien von Bavern-Munchen und der Pfalz auch Kufstein und andere Stadte in Nordtirol, wahrend ilun die Kampfe mit Venedig Rovereto, Riva u. s. w. in Siidtirol eintrugen. Besonders groBe Gebiete aber fielen den Habsburgern infolge von zwei Ileiraten zu. Maximilian vermahlte namlich seinen Solin Pliilipp den Schonen 1495 - 1515 . 1508 . 1500 . 200 Erster Zeitraum. mit Johanna, der Tocliter Ferdinands und Isabellens, die infolge des Todes mehrerer naher berechtigter Sprossen die spanischeMonardiie erbte. Sodann bereitete er durch die Doppelheirat seinerEnkelkinder Ferdinand und Maria mit Anna und Ludivig, den Kindern des Konigs Wladislaw, die Erwerbung Bohmens und TJngarns vor. So Avurden dank der klugen Politik Maximilians die Hdbsburger am Beginne der ETeuzeit das machtigste Herrscberbaus Europas. d) Die Begriindung des modernen Staates in Osterreich. Unter dem Einflusse des Humanismus siegte die Ansiclit, daB der Landesherr fiir das materielle und geistige Wohl seiner Untertanen zii sorgen habe (Gegensatz S. 37). Die Vermehrung der Geschafte veranlaBte Maximilian zu Reformen auf dem Gebiete der Yer- Avaltung, deren Grundgedanken die Ersetzung des feudalen durcli den Beamtenstaat (S. 116) und die Starkung der Staatsgewalt Avaren. So kam es zur Errichtung von zwei Regimenten und zwei Rait- oder RecTinungsJcammern; die ersteren waren die politisclien und Gerichts- (S. 34), die letzteren die finanziellen Bekorden. Die Beamten Avurden nicht mehr auf die Ertragnisse ihrer Lehen ange- wiesen, sondern mit einem bestimmten Gelialt angestellt (I. 238 u. S. 116). Da aber die Einnahmen der Herrscher damals noch iiber- wiegend auf der NaturaLvirtschaf t (Domanen und Lehensgefalle) beruhten, litt Maximili-an, wie die Eiirsten iiberhaupt, vielfach an Geldmangel. So steht Maximilian in jeder Beziehung an der Wende zAveier Zeitraume und mit Becht heiBt er daher der leizte Ritter. 1 2. Die allgemeinen Zustande in Deutschland beim Beginne der Reformation. AuBer den im Abschnitte „Vom Mittelalter zur ISTeuzeit''' an- gefiihrten allgemeinen europaischen Verhaltnissen ko m m en fiir Deutschland insbesondere noch in Betracht: a) Die Rezeption des rdmischen Reehtes. Die Einfiihrung des romischenZivilrechtes wurde durch denVerfall des deutschenRechts- Avesens am Ausgange des Mittelalters veranlaBt. Sie Avar ein Fort- schritt, denn das romische Recht kennt im Gegensatze zur mittel- alterlichen Dbertragung von Hoheitsrechten, z. B. der Gesetzgebung, an privilegierte Untertanen nur das Hoheitsrecht des Staates und 1 A. Griln, Der letzte Ritter. Zustande in Deutschland. 201 dann ist es gegeniiber der Zersplitterung des deutschen ein ein- heitliches Recht. Mit der Einfiihrung des romischen Rechtes anderte sich aucli das Rechtsverfahren; an Stelle der Geschwornen traten namlich jetzt Juristen als Urteilsfinder und der Gerichtsgang wnrdo schriftlich, geheim und kostspielig. Dazu kam, daB die Juristen ohne Riicksichtsnahme auf das bisherige Redit bei der Einfiihrung des romischen mit groBer Udrte vorgingen, weshalb sie bald sehr verhaBt waren. b) Der Sieg der Geldwirtsehaft. Im 13. Jahrhunderte wurde der Gebrauch des Geldes in den Stadten, seit dem Bcginne der ETeu- zeit audi auf dem Lande lierrschend; der ZinsfuB sank immer tiefer herab, 1 je mehr Edelmetall in Umlauf kam, und die kirchliche Lelire, daB den Christen das Zinsnehmen verboten sei, wurde nicht melir beachtet. EToch bildeten die Bauern den groBten Teil der Be¬ volkerung; sie empfanden die geminderte Kaufkraft des Geldes um so mehr (S. 185), als sie jetzt manche Gegenstande, die sie nicht mehr selbst erzeugten, kaufen muBten (Gegensatz hiezu S. 36). 2 Hiezu kam noch ein anderer Umstand. Die Bauern waren in ganz Deutschland, mitAusnahme des nordwestlichenTeiles, der Schweizer Urkantone und Tirols, mehr oder weniger ihren Gutsherren unter- tanig und an die Scholle gebundenj da nun diese von den Eiirsten zur Bestreitung der erhohten Staatsausgaben besteuert wurden, so belasteten sie wieder die Bauern mit hoheren Abgaben und Diensten, wobei sie sich aucli auf das rbmische Recht stiitzen konnten. 3 Der wirtschaftlich schwachere Teil der Bevolkerung litt ferner unter der Avucherisehen Ausbeutung seitens reicher Kapitalisten, wie der Fugger und Welser in Augsburg, die formliche „Ringe K zur 1 Vom 12. bis zum 14. Jahrhunrlerte galten in ganz West- und Mitteleuropa 20% als erlaubt. In Zeiten groBer Geldknapplieit war es ganz anders; so ivurde den Juden in Osterreich 1244 gestattet, 174% za nehmen. Dev englisclie Staat zahlt jetzt nur 2'5°/ 0 . 2 Die stadtische'Bevolkerung erzeugte nicht mehr so viel Getreide als sie brauchte, dagegen gewerbliche Gegenstande tiber den Bedarf; da es bei der Land- bevolkerung umgekehrt war, trat an die Stelle der Einzelivirtschaft der friiheren Zeit die gesellschaftliche. 3 Das romische Recht gestattete eine unbegrenzte Steigerung der Dienste, da es nur Kolonen und Sklaven, aber nicht die manniglach abgestuften biiuer- liclien Abhangigkeitsverhiiltnisse des Mittelalters kannte; dalier kam bei den Bauern als Spriehrvort auf: „Juristen sind bose Christen." Unter dem Einflusse des romischen Rechtes erlaubte die Reichsgesetzgebung die Leibeigensclraft (1559). 202 Erster Zeitraum. Erhohung der Preise, z. B. der Metalle, der Getviirze, des Leders u. s. w., bildeten. Es bestand daher damals in Deutsehland eine heftige Erbitterung gegen die groBen Kapitalist en . 1 c) Die Unzufriedenheit mit den kirchliehen Zustanden. Seit dem Konstanzer Konzil \var es in der Kirche nicht besser geworden.. Etwa ein Drittel des Bodens gehorte der Kirche und die geistlichen Fiirsten bezogen selir groBe Einkiinfte aus dem Zehnten, den from- men Stiftnngen nnd AblaBgeldern, wahrend sie von den stadtischen Abgaben frei \varen. Die weltlichenEiirsten \varen dariiber unwillig, dah die Piipste selir viel Geld (ungefahr 600.000 K jahrlich) aus Deutsehland bezogen (S. 155), das ilinen so \venigstens zum Teile entging. Audi jetzt nocli widmeten die Piipste nicht alle ihre Krafte der Reform der Kirche. Der umviirdige Alexander VI. vernach- lassigte vielmelir iiber der Forderung seiner nachsten Yerwandten das Wohl der Kirche vollig und sein zweiter Kachfolger Julius II. entwickelte eine iiberwiegend kriegerische Tiitigkeit. d) Die literarischen Zustande. Wie die Abneigung der Huma- nisten gegen die Geistlichen zum Ausdrucke kam, ist bereits auf S. 188 auseinandergesetzt worden; nicht minder heftig waren die Angriffe der volhstumlichen Literatur. Am Ende des 15. Jahr- hunderts erschien die niederdeutscho Bearbeitung des Reinelce Kos, die scharfe Ausfiille gegen die kirchliehen Zustande enthiilt; S. Brandt geiBelte im „Karrenscliiff“ die Schwachen aller Stande, namentlich aber die der Geistlichen; dasselbe tat der Eranziskaner Th. Murner in seiner „!Srarrenbeschworung“; auch bei Hans Sachs fehlt es nicht an satirischen Bemerkungen iiber den Klerus. So herrschte damals in ganz Deutsehland eine tiefgehende Garung, die alle Schichteri der Bevolkerung ergriffen hatte; das war der Boden, in dem die Saat Luthers gedeihen konnte. B. Martin Luther und das Prinzip der Reformation. 1483-1546. 1 . Dr. Martin Luther (1483 — 1546). Luther wurde zu Eis- lehen geboren. SeinVater, ein Bauer und Bergmann, -\var starrsinnig 1 Mit dem Siege der Geldivirtschaft sind verbunden: Zuruekdrangimg des Einflusses des GroBgrundbesitzes, Zunahme der Giitererzerigimg dureb Arbeits- teilung und das Aufkommen einzelner Stande, Hebung der Industrie dureb die Heranziehung des Kapitals, Steigerung des Handels, Erhohung der Einkiinfte und der Macht des Staates. Dr. Martin Luther. 203 uriti strafte den Knaben nach der Sitte der Zeit wegen der unbedeu- tendsten Anlasse mit Scblagen. Dieser besuclite zuerst die Scbule in Mansfeld, wo ebenfalls der Stock eine groBe Rolle spielte, sodann die lateinische Schule in Magdeburg und Eisenach, zuletzt die Uni- versitat in Erfurt. Gegen den Willen seines Vaters widmete er sicb der Theologie und trat in den strengen Orden der Augustiner- Eremiten in Erfurt. Obwohl er die Ordensregeln genau einbielt, fand er docli niclit die erwartete Befriedigung, so daB er Tag und Kadit liber den Verlust seines Seelenbeils klagte. Da verwies ihn ein alterer Klosterbruder auf die unendlichen Verdienste Jesu GJiristi, deren sich der Menscli durch die Liebe zu Gott und den festen Glauben an die gottliche Gnade iviirdig machen miisse. In dieser An- schauung vvurde er audi durch das Lesen einzelner Teile der Bibel, der Schriften des heil. Augustin und der Mystiker bestarkt. Sein Vorgesetzter Staupitz schickte ihn dann an die TTniversitat Witten- berg, wo er Philosophie und Theologie lehrte. Als er spiiter Seel- sorgedienste tat, hielt er sich fiir verpflichtet, auch auf andere in seinem Sinne einzmvirken. Das brachte ihn in Kampf mit der Kirche. Der Papst Leo X. hatte soeben einen AblaB ausgeschrieben, dessen Ertragnis dem Ausbaue der Peterskirche gewidmet war. Ent- gegen der kirchlichen Lelire herrschte damals vielfach die Meinung, daB der Kauf eines AblaBzettels zur Siindenvergebung geniige. Als nun der Dominikaner Johann Tetzel in der Nahe von Wittenberg den AblaB verkiindete, glaubte Luther, gegen die miBbrauchliche Auffassung der Lehre vom AblaB einschreiten zu sollen, und schlug deshalb am 31. Oktober 1517 95 Lehrsdtze (Thesen) an der ScldoB- kirche zu Wittenberg an, indem er sich gleichzeitig nach damaliger Sitte erbot, sie gegen Andersdenkende zu verteidigen. Der Vorfall rief groBes Aufsehen hervor und Luther ivurde nach Rom berufen. Aber sein Landesherr, der Kurfiirst Friedrich der Weise von Sachsen, brachte es dahin, daB Luther in Deutschland einvernommen wurde, und zwar ward der Kardinal Caietanus beauftragt, ihn zum Widerrufe zu bestimmen. Die TJnterhandlungen zwischen beiden (1518) in Augsburg fuhrten aber niclit zum Ziele und Luther appellierte in einer Schrift an den Papst, ferner an ein allgemeines • Konzil. Dochgelang es der Geivandtheit des papstlichen Kammerers Karl v. Miltiz, Luther zu dem Versprechen zu bestimmen, daB er schiveigen tvolle, wenn auch seine Gegner schwiegen. Da forderte der 1517 . 1518 . 204 Erster Zeitraum. streitlustige Dr. Eck, Professor der Theologie in Ingolstadt, den Kollegen Lutliers an der Bniversitat Karlstadt zu einer Disputation 1519. heraus, die in Leipzig abgehalten wurde (1519). Weil Luther schon friiher von Eck angegriffen worden war, nahm er ehenfalls an der Disputation teil und gab in deren Verlaufe seinem Ziveifel an der UnfehlharJceit der Kirche und der Konzile Ausdruck. Damit hatte er den Boden der Kirche verlassen und wurde nun auch mit dem Banne bedroht, wenn er nicht binnen 60 Tagen vviderriefe. Durch die Zustimmung, die er von vielen Seiten fand, ermutigt, wagte er 1520. es, die Bannbulle offentlicli zu verbrennen (1520). Nunmehr wurde der Bann iiber ihn tvirklich ausgesproclien. 2. Das Prinzip der Reformation. Der Angelpunkt der Re- formation ist die Lehre von der Rechtfertigung. Nach Luther ist sie ausschlieBlich das Werk der glaubigen ITingabe des Mensclien an Gott und des gottlichen Erbarmens; er verwarf daher die Verdienst- lichheit der guten Werhe (Kasten, Wallfahrten, Heiligenverebrung u. s. w.). Rascb bildete er seine Lehre \veiter aus und so entstanden folgende Hauptunterschiede zwischen den Katboliken und Prote- stanten: a) Llinsichtlich des Glaubens: Rach Luther ist die einzige Glaubensquelle die Heilige Schrift; nur die Taufe und das Abend- mahl, letzferes unter beiden Gestalten, werden als Sakramente bei- behalten. b) llinsichtlich des Gottesdienstes: An die Stelle der lateinischen Messe trat ein deutsclier Gottesdienst mit Gebet, Gesang und Predigt. c) Hinsichtlich der Kirchenverfassung: Die Lehre vom Primate des Papstes und der apostolischen Kachfolge der Bischofe vurde verworfen, die Geistlichen (Pastoren) erhielten ilire An- stellung teils vom Staate, teils von der Gemeinde. Der humanistiscli gebildete Theologe Philipp Melanchthon, der wegen seiner Ver- dienste um das holiere Schuhvesen praeceptor Germaniae hieB, wurde der eigentliche Dogmatiker der Reformation. Die neue Lehre entwickelte Luther besonders in drei Flug- schriften 1 J die durch den Druck allgemein verbreitet wurden und ungeheures Aufsehen hervorriefen. Von der groBten Wichtigkeit war es aber fiir den Fortgang dieser kircblichen Bev^egung, wie sich das neue Reiclisoberhaupt dazu stellte. 1 Diese Flugsehriften varen betitelt: „An den christlichen Adel deutsclier Nation von des christlichen Standes Bcsserung", „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium", „Von der Freiheit eines Christenmenschen". Karl V. — Die Hemmnisse der Reformation. 205 C. Karl V. (1519—1556) und Luther; das Wormser Edikt. 1. Karls Regierungsantritt in Spanien und seine Wahl zuin Deutschen Kaiser. Karl, als spaniseher Konig der erste seines N amen s, wurde in d en Niederlanden erzogen. Nacli dem Tode seiner GroBmutter Isabella und seines Vaters Philipp des Schonen (1506), von dem er die Niederlande erbte, iibernahm sein miitterlicher GroB- vater Ferdinand der Katholische die vormundschaftliche Regierung iiber ihn in Kastilien und behielt sie bis zu seinem Tode (1516). Hierauf leitete bis zur Ankunft Karls der beriilimte Staatsmann und Kardinal Ximenez die Regierung. Nach dem Tode Maximilians I. bewarben sich sein E nk el. Kar Z und der franzosische Konig Franz I. um die Kaiserkrone. Die Wahlverhandlung zog sicli langere Zeit hin; ancb muBte Karl eine sogenannte Wahlkapitulation unterschreiben, in der er sich unter anderem verpflichtete, ohne Genebmigung der Kurfiirsten keinen Krieg zu erklaren und keine fremden Truppen ins Land zu ziehen. 1 2. Der Reichstag zu Worms (1521). Karl berief bald nach seiner Wahl einen Reichstag nach Worms, auf dem auch die kirch- licheFrage ausgetragen werden solite. Luther erschien daselbst unter Zusicherung freien Geleites und bekannte sich als den Verfasser der von ihm herriihrenden Schriften; er erklarte, nur dann widerrufen zu konnen, wenn er aus der Ileil. Schrift widerlegt wiirde. Infolge- dessen wurde das sogenannte Wormser Edikt verkiindet, das Liber Luther die Reichsacht verhangte und die Verbreitung seiner Lehre untersagte. Auf der Riickreise wurde er im Auftrage seines Landes- herrn, der ihn nicht anders schutzen konnte, von Bewaffneten iiber- fallen und auf die Wartburg gebracht, wo er als „Junker Georg“ fast ein Jahr zubrachte. ILier beschiiftigte er sich besonders mit der Vbersetzung der Bibel, die infolge ihrer allgemeinen Verbreitung die Einheit der neuhochdeutschen Schriftsprache sicherte. D. Die Hemmnisse der Reformation. Den meisten Eintrag tat der Reformation der Widerstand des Kaisers, der freilich infolge der territorialen Zersplitterung des Reiches seinen Willen 'nicht durchsetzen konnte. Wahrend die Kirchenfiirsten init wenigen Ausnahmen treu zur alten Kirche 1519-1556. 1521. 1 Alle folgenden Kaiser mufiten eine derartige, naeh der Einteilung in Kapitel benannte Urkunde, die von Fali zu Fali Zusatze erhielt, unterschreiben. 206 Erster Zeitraum. hielten, wandten sicli die meisten iveltlichen Herren. und Reichs- stddte der neuen Lehre zn; von den grofieren Laienfiirsten blieben anf die Dauer fast nnr die Habsburger nnd Wittelsbacher feste Stiitzen des Katholizismus. Diesern kam audi der Ausbruch der Revolution in Deutschland zugute, die der konservativ gesinnte Luther entschieden bekarnpfte. 1522. 1. Die Revolution im Biirgerstande (1522). Damals bradi in Zvnchau , namentlich unter den schwer gedriickten Webern, eine Bewegung aus, welcbe die neue Lehre aus den „Offenbarungen der Propheten“, deren einfluBreichster Thomas Munzer war, schopfen rvollte. DieAnhanger dieserBewegung (Luther nannte sie„Schwarm- geister“), welche die Taufe nur an Erwachsenen vorgenommen wissen wollten und daher die Kindertaufe verwarfen („Wieder- taufer“ ) und die Bilder in den Kirchen vemichteten, fanden audi in Wittenberg Anhang. Da verlieB Luther die Wartburg und stellte durch die Macht seines Wortes die Ordnung rviederher; er blieb nunmehr in Wittenberg. Bald schritt er audi an die Einrichtung der neuen Kirche in Sachsen , wobei er von der Selbstandigkeit der einzelnen kirchlichen Gemeinden und dem Oberaufsichtsrechte des Staates iiber sie ausging. 1522-1523. 2 . Die Erliebung des Ritterstandes (1522—1523). Gleidi nach dem Wormser Iieichstage trat der Ritter Hutten entsdiieden auf die Seite Luthers; audi wollte er den schwer bedrangten Ritter- stand (S. 180) heben und verband sich deshalb mit seinem Freunde Franz von Sickingen zur gewaltsamen Durchfiihrung der Kirchen- reform und zur Bekampfung der Fiirsten. Als aber der letztere den Kurfiirsten von Trier iiberfiel, um ihn seines Landes zu be- rauben, erhielt dieser von anderen Reichsfiirsten Unterstiitzung und Sickingen fand bei der Belagerung seiner Burg Landstuhl den Tod. N odi in demselben Jahre starb audi Hutten als unsteter Fluchtling (1523). Im Kampfe mit dem Fiirstentume war die Ritterschaft endgiiltig unterlegen. 1524-1525. 3. Der groBe Bauernkrieg (1524—1525). Schon wiederholt waren seit dem Ausgange des 15. Jahrhunderts in Suddeutschland vereinzelte Bauernaufstande ausgebrochen; jetzt erfolgte die erste allgemeine Bauernerhebung in 8ud- und Mitteldeutschland, die ur- spriinglich einen wirtscliaftlicJien Charakter hatte (S. 201), durch Luthers Flugschrift: „Von der Freibeit eines Ohristenmenschen“ .Die Hemmnisse der Reformation, 207 und die Aufreiznng Miinzers aber auch eine religidse Seite gewann. Die Beivegung bradi im siidivestlichen Deutschland aus, wo der Bauernstand unter der groben Zerstucklung des Bodens litt, und verbreitete sicli rasch bis nacli Thuringen liinein. x\nfangs waren die Forderungen der Bauern niclit iibertrieben; sie verlangten namlich in den zwolf Artikeln freie Wahl der Prediger, freie Ilolzung, freien Fischfang, Milderung der Abgaben an den Gutsherrn u. s. w. Aber bald gingen sie weiter; so forderten sie die Abschaffung des Fiirsten- standes und veriibten die groBten Grausamkeiten gegen ikre Herren, so daB Luther die Fiirsten zu riieksichtslosem Kampfe gegen die Aufriihrer aufforderte. Die gefahrlichste Ausartung zeigte die BeWegung in Thiiringen, wo Thomas Miinzer eine auf allgemeiner Freiheit und Gleichheit beruhende Ordnung einfiihren wollte. An- fangs hatten die Bauern, die teilweise auch Ritter, z. B. Gotz von Berlichingen, zu Fiihrern hatten, Erfolge, bald aber wurde die Bewegung iiberall niedergeworfen. Das Los der Bauern wurde im allgemeinen noch weit sclilimmer, als es bisher gewesen war. Luther, der acht Jalire liindurch der volkstiimlichste Mann in Deutschland gewesen war, wurde dadurch, daB er der Revolution entgegentrat, flir langere Zeit der unbeliebteste. 4. DieWiedertaufer in Miinster (1535). Trotz derVerfolgung, welche die Wiedertaufer nacli der Beendigung des Bauernkrieges traf (Miinzer war gefangen und enthauptet worden), verbreiteten sie sich docli besonders nacli Mahren, in die Niederlande und nach Miinster. In dieser Stadt, die sich bereits der lutherischen Lehre zugewandt liatte, vertrieben sie den Bischof und bemachtigten sich der ganzen Stadtverwaltung. Das Dbel \vurde noch viel schlimmer, als Wiedertaufer aus den Riederlanden, darunter der fanatische Schneider Jan Boclcelson, nach Miinster kamen. Dieser fiihrtie Giiter- und Weibergemeinschaft ein und begann als „Konig des neuen Sion“ ein \vahres Schreckensregiment gegen alle gemaBigteren Einwohner. Nach langerer Belagerung fiel aber die Stadt in die Ilande des vertriebenen Bischofs; Bockelson wurde unter entsetz- lichen Martern hingerichtet und der Katliolizismus in der Stadt und in Westfalen iiberhaupt iviederhergestellt. Damit war die Bewegung des Taufertums in Deutschland fiir immer zu Ende. Die Wiedertaufer waren die groBten Feinde der Reformation; Luther selbst sagte, er habe nur drei gefahrliclie Feinde gehabt, namlich: Miinzer, Karlstadt und die Sclivvarmer. 1535. 208 Erster Zeitraum. E. Die Forderungen der Reformation. Die groBte Forderung erfuhr die Reformation durch die all- gemeine Garung iiberhaupt und die papstfeindliche Gesinnung der Bevolkerung insbesondere. Dazu kam, daB die Reichsstande beim Ubertritte zum Luthertume das Kirchenvermogen und die frommen Stiftungen in ilirem Gebiet einzieken konnten. AuBerdem waren der Reformation die Kriege giinstig, die Karl V. besonders mit Franz I. zu fiihren hatte und die es ihm unmoglicli macbten, der neuen Lehre mit allen Kraften entgegenzutreten. 1 Die Ursaebe dieser Kriege war die Eifersucht zmischen den beiden Herrschern; auBerdem erhob Karl Anspriiche auf Mailand und Burgund (S. 167), 'vvahrend Franz Neapel zu gewinnen suclite. Aucb unter- stiitzte Karl seinen Bruder Ferdinand gegen die TurTcen , die damals wiederholt in Deutschland einzubrecben drohten. 1521-1526. 1. Der erste Krieg zwischen Karl und Franz (1521 — 1526). Karl gewann in diesem Kriege den Papst, England undVenedig zu Bundesgenossen, ferner trat der franzosisclie Marscball Karl v on Bourbon auf seine Seite, weil ibn die Konigin-Mutter beleidigt 1525. hatte. Die entscheidendc Schlacht fand bei Pavia statt (1525) ; hier erfochten die spanischen Truppen unter Pescara und Karl v on Bourbon in Verbindung mit den deutscken Landsknechten unter der Fiihrung des beriihmten Obersten Georg von Frundsberg einen vollstandigen Sieg iiber Franz, der in der Sclilaeht gefangen ge- nommen wurde. Um seineFreiheit zu erlangen, muBte er imFrieden von Madrid auf Burgund und Mailand verzichten; das erstere bekam Karl tatsachlich nicht, das letztere iibergab er an Franz Sforza. 1527-1529. 2. Der z\veite Krieg zwischen Karl und Franz (1527 — 1529). Die harten Friedensbedingungen reizten Franz um so melir zur Er- neuerung des Krieges, als alle friiheren Bundesgenossen Karls auf seine Seite traten und er auch Genua, dessen Kriegsflotte damals Andreas Doria, der groBte Seeheld jener Zeit, befehligte, fiir sich gewann. Das wichtigste Ereignis des Krieges war die Eroberung mid 1527. grauenhafte Plunderung Boms (1527) durch deutsche, meist luthe- rische Soldner, die schon seit langerer Zeit unbezahlt waren und sich nun ohne Zucht durch die StraBen der ewigen Stadt ergossen, da Frundsberg wegen schwererErkrankimg in Bologna zuruckgeblieben 1 EinfluB der JluBeren Politik auf die innere (1.171). Die Ausbreitung der Eeformation. 209 und Karl von Bourbon beim dritten Sturme auf Kom gefallen war. Diese Gewalttat bereitete dem heiteren Leben der Renaissance ein Ende und machte den Papst zum Abschlusse des Friedens geneigt, der um so rascber zustande kam, als sich infolge einer Beleidigung dureb die Franzosen auch Doria dem Kaiser angesclilossen hatte. Der Friede wurde zu Cambrai (1529) vereinbart; 1 Franz verziciitete d arin auf Mailand und Neapel, erhielt aber Burgund zuriick. Im folgenden Jalire wurde Karl vom Papste zum Kaiser gehront. 3. Der dritte Krieg zwischen Karl und Franz (1536 — 1538). 1536-1538. Nadutem Karl einen siegreicken Feldzug gegen die mohammeda- nischen Seerauber von Tunis unternommen hatte (1535), brach abermals der Krieg mit Franz aus, da dieser nach dem Tode des Franz Sforza seine Anspriiche auf Mailand erneuerte. Wahrend die franzosischen Truppen in Italien einfielen, drang Karl in Siid- frankreich ein, olme iibrigens besondere Erfolge zu erringen. Da vermittelte der Papst zu Nizza einen zehnjahrigen Waffenstillstand, demzufolge der friihere Zustand hergestellt wurde. 4. Der vierte Krieg zwischen Karl und Franz (1542 — 1544). 1542-1544. Da die Seerauber von Algier aus ihre Pliinderungen fortsetzten, unternahm Karl einen Zug gegen sie, erlitt aber infolge von Stiirmen sehwere Verluste (1541). Diese Sch\vachung des Gegners ermutigte Franz zu einem neuen Kriege mit dem Kaiser. Da aber Karl im Bunde mit England bis gegen Pariš vordrang (S. 78), schloB Franz den Frieden von Crepy. In diesem verziciitete Karl endgultig auf Burgund und Franz auf Neapel. F. Die Ausbreitung der Reformation in Deutschland bis zum Niirnberger Religionsfrieden (1521 — 1532). 1521-1532. In den nachsten Jahrzehnten nach dem Erscheinen desWormser Edikts wandte sich die iiberwiegende Mehrzahl der hervorragendsten Fiirstengeschlechter der Eeformation zu. Besonderes Aufsehen rief das Vorgehen ATbrechts von Brandenburg, des Hochmeisters des Deutschen Ordens, hervor; dieser trat hamlich aus dem Orden aus 1 Er heiBt der Damenfriede, weil ihn die Mutter des Konigs und eine Tante des Kaisers vermittelten. Z e eh e, Geschichte des Mittelaltere. 210 Erster Zeitraum. und machte PreuBen unter Beibehaltung der polnischen Lehens- hoheit (S. 163) zu einem iveltlichen Herzogtum (1525). 1 Die Be- deutung der Anhanger Luthers zeigte sich auf dem Reichstage zu 1526 . Speyer (1526). Daselbst wurde namlich mit Zustimmung Fer¬ dinanda, der den Kaiser vertrat, beschlossen, dab sich jeder Reichs- stand bis zur Entscheidung durch ein Konzil hinsichtlich der Re- ligion so verhalten solle, wie er es gegen Gott und die kaiserliche Majestat zu verantworten getraue. Damit war das TVormser Edikt tatsdchlich beseitigt und die Reichsstande scbritten nun zur Ein- richtung der Kirclie innerhalb ihres Gebietes, so dab jetzt an Stelle des mittelalterlichen Grundsatzes der einen und allgemeinen Kirclie das Landeskirchentum trat. Als aber der ztveite Krieg mit Franz fiir den Kaiser gliicklich verlief und wieder ein Reichstag nacli Speyer 1529 . einberufen wurde (1529), verlangte Ferdinand im Kamen seines Bruders die Aufhebung des friiheren Beschlusses und wirklich ver- bot die Melirheit der Reichsstande die Weiterverbreitung der lutheri- schen Lehre. Dagegen legten einige Reichsstande Protest ein, wes- halb die Lutheraner spater als Protestanten bezeichnet wurden. Als der Kaiser von allen kriegerischen Verwicklungen frei war, eroffnete 1530 . er den Reichstag zu Augsburg (1530). Hier iiberreichten die Luthe¬ raner ihr Glaubensbekcnntnis („die Augsburger Konfession“), an dem sie trotz der von katholischer Seite abgefaBten Widerlegung festhielten, so dab keine Einigung erfolgte. 'Daher beschlob der Reichstag, die Protestanten sollten zur katholischen Lehre zuriick- kehren und die endgiiltige Entscheidung solite ein allgemeines Konzil treffen. Dieser Beschlub konnte aber nicht. ausgefiihrt wer- den, weil die Protestanten von Franz Unterstiitzung erhielten und die Tiirkengefahr ivieder drohte. Da nun liberdies die protestanti- schen Stande gegen den Kaiser den bewaffneten Bund zu Schmal- 1531 . kalden abschlossen (1531) und in ITnterhandlungen mit dem Gegen- konige Ferdinauds in Ungarn Johann Zdpolga traten, mubte der Kaiser in den Niirnberger Religionsfrieden willigen (1532), der den Protestanten die Ausiibung ihrer Religion bis zur Entscheidung durch ein allgemeines Konzil gestattete. 1 Sehon vorlier hatte er gegen Geldzahlung das deutsche und livlandische Ordensland abgetreten, so daB die Landmeister von Deutschland („Deutsch- ineister") und Livland unabliiingig wurden. Jener erliielt aueh die Hoehmeister- wiirde iiber den katholischen Rest des Ordens, daher „Hoeh- und Deutsoli- meister". Der Augsburger Religionsfriede. 211 G. Die Bekampfung des Protestantismus durch Karl V. (der Schmalkaldische Krieg), das Interim und der Augsburger Religionsfriede (1546—1555). 1. Der Schmalkaldische Krieg (1546—-154'/). Da Karl nacli dem Frieden von Crepy keinen auBeren Feind zu bekampfen hatte, hoffte er, die kirchliche Frage in Deutscliland endgiiltig losen zu konnen. Nach langen Unterhandlungen bewog er Paul III., das Konzil zu Trimt zu eroffnen; die Protestanten lehnten jedoch auf Anraten Buthers seine Beschickung ab, weil es infolge seiner Be- rufung durch den Papst nicht frei sei. Da beschloB Karl, mit Waffengewalt einzuschreiten. Er schloB mit dem ehrgeizigen und schlauen Herzog Moritz von Sachsen einen Vertrag, wonach dieser protestantische Fiirst gegen die Aussicht auf die sachsische Kur- wiirde auf die Seite des Kaisers trat und achtete die Haupter des Schmalkaldischen Bundes, den Kurfiirsten Johann Friedrich von Sachsen, den z\veiten Nachfolger Friedrichs des Weisen, und den Bandgrafen Philip p von Ilessen. Zwar hatten die Schmalkaldner anfangs iiberlegene Krafte, aber es lalunte sie die Sclrvverfalligkeit des Bundeskriegsrates (I. 119) und die Eifersucht zwischen den beiden Hauptern. Dagegen handelte der Kaiser rasch und ent- schieden in Siiddeutschland, wahrend Moritz in Kursachsen einfiel. Auf die Nachricht hievon eilte Johann Friedrich von Ingolstadt, wo die Schmalkaldner dem Kaiser gegeniiberstanden, nach Horden, ver- trieb zwar Moritz aus seinem Bande, wurde aber von den kaiser- lichen Truppen bei Muhlberg vollstandig geschlagen und gefangen genommen (1547). Moritz erhielt die Kurwiirde und einen Teil der Besitzungen seines Vetters Johann Friedrich; 1 Philipp von Blessen, der Schvviegervater des Moritz, bat den Kaiser fuBfallig um Gnade und rettete hiedurch zwar sein Band, wurde aber in Gewahrsam behalten; die siiddeutschen Stadte muBten groBe Geldsummen zahlen und biiBten ihre politische.Bedeutung vollig ein (S. 163). 2. Das Interim (1548). Karl stand damals auf dem Hohe- punTde seiner Macht, vergebens versuchte er aber, den Papst und das Konzil zu Zugestandnissen an die Protestanten zu bewegen. Deshalb erlieB er auf dem Augsburger Beichstage das sogenannte Interim, 1 Johann Friedrich stammte aus der Ernestinischen, Moritz aus der Alberti- nischen Linie der Wettinerj die arsteren residierten in Wittenberg, die letzteren in Leipzig und Dresden. Aus dem der Ernestinischen Linie gebliebenen Reste sind die jetzigen sSchsischen Herzogtiimer entstanden. It* 1546 - 1555 . 1546 - 1547 . 1547 . 1548 . 212 Erster Zeitraum. 1555 . 1552 . das den Protestanten bis zur Entscheidung durch ein Konzil die Priesterehe, den. Laienkelch, die Lelire von dem allein selig machen- den Glauben nnd den Besitz der eingezogenen Kirchengiiter zu- gestand. Das Interim wurde zvar von den meisten protestantischen Stiinden angenommen; aber die Stadt Magdeburg verwarf es, vurde deshalb geachtet und von Moritz im Auftrage des Kaisers belagert. 3. Der Augsburger Religionsfriede (1555). Die Machtstellung Karls erlitt bald einen scluveren StoB. Der Kaiser machte sich namlich dieReichsstande und auch seinen Bruder dadurch abwendig, daJ3 er die Wahl seines Sohnes Philipp zu seinem Hachfolger in Deutschland betrieb, obwohl Ferdinand bereits im Jahve 1531 zum romischen Konige gewahlt worden var. Ferner verriet Moritz den Kaiser, verband sich mit IJeinrich II. von Frankreich, dem Uach- folger Franz’ I., siclierte ihm gegen Zalilung von Hilfsgeldern die Stadte Metz, Toul, Verdun und Cambrai zu und gewahrte iiberdies Magdeburg einen billigen Frieden. Sodann bradi Moritz nach Siid- deutschland auf, schlug die kaiserlichen Truppen bei Reutte, drang iiber den FernpaB vor und var nahe daran, den gichtkranken Kaiser in Innsbruck gefangen zu nehmen, der sich nur durch die Flucht nach Villach rettete. Auf dem Wege dahin gab er Johann Friedrich frei. Unwillig liber das Scheitern seiner Lebensaufgabe, ermachtigte Karl seinen Bruder zu Unterhandlungen mit den Protestanten, in- folgederen es zum Passauer Vertrage kam (1552), der ihnen freie Religionsiibung bis zum nachsten Beichstage (nicht mehr Konzil) zugestand und die Entlassung Philipps von Hessen aus der Ge- fangenschaft bestimmte. Wahrend sich der Kaiser in die Kieder- lande begab, eroffnete Ferdinand im Jahre 1555 den Reichstag von Augsburg, auf dem endlich der Religionsfriede zustande kam. Dieser bestimmte: a) Zvischen den Katholiken und den Lutheranern soli ewiger Friede herrschen; b) die Keichsfiirsten und Beichsritter diirfen ihre Iieligion frei ausiiben und ihre Untertanen zu ihrem eigenen Bekenntnisse zvingen (cuius regio, eius et religio), die Widerstrebenden aber ihre Giiter verkaufen und auswandern (\vter- den also nicht mehr als Ketzer liingerichtet); c) die kirchlichen Ver- haltnisse der Reichsstiidte sollen so bleiben, wie sie gerade waren; d) diejenigen Kirchengiiter, welche die Protestanten bis zum Jahre 1552 eingezogen haben, bleiben in iliren IJanden; e) wenn ein geist- licher Reichsstand (Fiirst oder Reichsabt) zum Protestantismus iiber- tritt, muh er auf seine Stelle verzichten (reservatum ecelesiasticum). Die Reformation in der Sohweiz. 213 Die letztere Bestimmung erlieB Ferdinand „kraft kaiserlicher Volhnacht und Heimstellung“, da sicli die beiden Parteien liber diese Frage nicbt einigen konnten. So war die mittelalterliche Einheit der Kirche endgiiltig be- seitigt und das Furstentum neuerdings befesiigt. Der Angsburger Beligiorisfriede ist Tcein Toleranzedikt, da er nur wenigen Personen die IVahl des Bekenntnisses frei lieB/die Frage des kirclilichen Yor- behaltes war nicht gelost und so enthielt der Religionsfriede den Keirn zu neuen Wirren, wie einst das Wormser Konkordat. 4. Luthers Charakter und Bedeutung. In seiner bauerlichen Abstammung wurzeln seine Derbbeit und Geniigsamkeit, sein Aber- glaube und sein Starrsinn. Er war ein bedeutender Kanzelredner, ein genialertlbersetzer, ein gewaltigerYolksschriftsteller. GroBes Yer- standnis besaB er fiir Musik und Poesie. Durcli sein llalinschreiben „An die Ratsherren aller Stadte deutscben Xandes“ liat er sich um die Hebung des IJnterrichtswesens verdient gemacht. Kurz vor Aus- bruch des Schmalkaldišchen. Krieges starb er in seiner Yaterstadt. 5. Karls V. Charakter, Bedeutung und Tod. Karl besaB her- vorragende militarische und staatsmanniscbe Begabung und trotz seines schwachlichen Kbrpers eine seltene Arbeitslust. Ein Freund der Schweigsamkeit, pflegte er alles reiflicb zu iiberlegen, an dem ge- faBten Entschlusse aber unerschutterlich festzubalten. Eine feste Stiitze der TcatholiscJien Kirche, betrachtete er es als seine Haupt- aufgabe, die Einheit der Kirche zu retten, konnte aber sein Ziel nicht erreichen. Deshalb verlor er die Lust an der Regierung, ver- zichtete auf die Kaiserkrone zugunsten Ferdinands und trat Keapel, Mailand, die Kiederlande und Spanien samt den Kolonien an Philipp ab. Seine letzten Lebensjahre brachte er in der Nahe des Klosters S. Yuste in liindlicKer Abgesehiedenheit zu. II. Die Reformation in der Schweiz. Ahnlich wie Luther, traten Zmingli im deidschen und Calvin im franzosischen Teile der Schtveiz al-s Reformatoren auf; ilire Anhiinger werden Reformierte genannt. 1. Ulrich Zwingli (1484—1531). Nachdem er an der IJni- versitat in Wien eine humanistische Bildung empfangen hatte, wurde er Seelsorger in Glarus, in Einsiedeln und endlich in Zurich. Hier gewann er so groBen EinfluB, daB er das ganze Staatswesen des 214 Erster Zeitraum. Kantons leitete. Audi er begann mit der Bekampfung der Mili- brauche des Ablasses, ging aber viel iveiter als Luther; so erklarte er das Abendmahl bloB als eine Erinnerung an den Tod des Erlosers, ivahrend Luther hierin im wesentlichen die katholische Lelire bei- behielt. Er eiferte besonders gegen das Soldneriuesen („Reislaufen“), das eine Haupteinnahmsquelle der armen Urkantone war; in diesen fand auch die Reforination keinen Anklang, \veil daselbst die kirch- lichen Zustiinde im ganzen geordnete waren. Als mm Zivingli die Urkantone mit Waffengewalt und durcli Aushungern zum Glaubens- 1531. ivechsel zivingen wollte, kam es zum Kampfe bei Kappel (1531), in dem die Ziiricher geschlagen und Zwingli selbst getotet \vurde. Der hierauf geschlossene Friede gestattete jedem Kanton die freie Aus- ubung des Olaubens. 2. Johann Calvin (1509—1564). Calvin stammte aus Frank- reich, studierte Theologie und J us, muBte aber wegen seines Abf alles von der katholischen Kirche seinVaterland verlassen und nahm nacli langerem Wanderleben seinen Aufenthalt in Genf. Hier stand er iiber zwanzig Jahre lang, bis zu seinem Tode, an der Spitze des Gemeinwesens, in dem er eine theokratische Diktatur begriindete. Besonders bezeichnend fiir ihn ist die Pradestinationslehre, der- zufolge jedem Menschen wegen der Erbsiinde von vornherein be- stimmt ist, ob er zur Seligkeit oder Verdammnis gelangt. An die Spitze des Kirchemvesens stellte er das Presbvterium; dieses be- stand aus den vom Itate geivahlten Altesten (Presbvtern) und den Geistlichen der Stadt. Jeder Luxus, jede frohliche Unterhaltung ivurde untersagt, ja sogar mit dem Tode bedroht. Durch seine riick- sichtslose Strenge machte er dem sittlichen Verderbnisse, das friiher in Genf geherrscht hatte, ein Ende, begriindete daselbst aber auch einen finsteren und fanatischen Geist. Calvins Lehre verbreitete sich besonders nach FranJcreick, England, Schottland , Ungarn, in die Niederlande und einen Teil Deutschlands (Pfalz und Hessen-Kassel). Je mehr nach Luthers Tode seine Anhanger ihre Kraft im Doginenstreite verbrauchten, desto mehr traten die Calvinisten im Kampfe gegen den Katholizis- mus hervor; hiebei iibte die demokratische Kirchenordnung auch auf die staatlichen Verhaltnisse eine Riickwirkung aus, so daB das Vordringen des Calvinismus nicht selten mit dem Ausbruch einer Revolution verbunden war. Ferdinand I. 215 III. Der Holiepunkt des deutschen Protestantismus unter Ferdinand I. und Maximilian II.; die Begriindung der osterreicliisch-ungarischen Mon- arcliie; Kanipfe mit den Standen; die Tiirkenkriege. In den nachsten J alirzelmten nach dem Augsburger Keligions- frieden erreichte das Luthertum seine groBte Verbreitung in Deutsch- land. Von den Reichsstadten blieben schlieBlich nur Aachen, Koln und Augsburg katholisch und zahlreiche norddeutsche Bistiimer wurclen protestantisch, indem die Domkapitel evangelische „Admini- stratoren“ zur Verwaltung der Bistiimer wahlten. Da sich die Flirsten immer weniger um das Beichsinteresse kiimmerten, wandten aucli die Kaiser das Hauptaugenmerk ihren eigenen Ldndern zu; liauptsachlich nalimen dieses das Verhaltnis zu den meist pro- testantischen Standen und die Tiirkenkriege in Ansprucb. A. Ferdinand I. (1556—1564.) 1 1556-1564. Da die osterreichischen Alpenlander ein Gesamteigentum des Hauses Habsburg waren, liatten -Karl und Ferdinand Ansprucli darauf. Mit Rucksicht auf die groBe Ausdehnung seiner iibrigen Bander verzichtete aber Karl auf den Mitbesitz der osterreichischen Bander, in denen daher Ferdinand alleiniger Herrscher wurde (1522). Seitdem war das IBaus Habsburg in die altere spanische 1522. und die jiingere deutsche Binie geteilt. 1. Die Begriindung der osterr.-ungar. Monarchie (1526). In 1526. Ungarn und Bohmen war nach dem Tode seines Vaters Wladislaw Ludmig II., der Schwager Ferdinanda, Konig geworden. Gerade damals regierte der beriihmteste aller tiirkischen Sultane, Sulei- man II. der Prachtige, der die Tiirken auf den Ilohepunkt ihrer Macht erhob. Hach der Eroberung von Rhodus und Belgrad (S. 97 u. 166) fiel er mit einem geivaltigen Heere in Hngarn ein, das von Parteien zerriittet und daher keines ernsteren Widerstandes fahig war. 2 1 Ferdinand ist der letzte in Aachen gekronte Kaiser. 2 Der damalige piipstliche Gesandte Burgio schreibt: „Wenn Ungarn um 30.000 fl. von seinen gegeinviirtigen Gefaliren losgekauft werden konnte, so zweifle ich, daB sich drei Personen dazu bereit fanden!" Mitunter muBte man einige Dukaten ausleihen, urn die Kosten der konigliehen Tafel bestreiten zu konnen. 216 Erster Zeitraum. Gleichivohl zog Ludwig dem iibermachtigen Feinde entgegen, wurde aber bei MohaCs nacb kurzem Kampfe vollstandig besiegt und fand auf der Fluclit den Tod. Da er keine ]STachkoinmen liinterlieB, war Ferdinand der berechtigte Erbe beider Kronen. Das Jabr 1526 ist daber das Geburtsjahr der osterr.-ungar. Monarchie. In Bohmen mirde Ferdinand einstimmig anerkannt, dagegen walilte in TJngarn die Mehrzalil der Stande den AVojwoden von Siebenbiirgen Johann Zdpolga und nur die Minderzahl Ferdinand zum Konige. 2. Die Kampfe mit Johann Zapolya und den Tiirken. Da die Truppen Ferdinands iiber Johann Zapolya Erfolge davontrugen, wandte sich dieser um Hilfe an den Sultan, wofiir er sich als dessen Vasallen bekannte. Gegeniiber Suleiman komite Ferdinand das Ubergewicht um so weniger behaupten, als die Tiirken damals das beste IJeer in Europa hatten (S. 155), wahrend jener auf Boldner angewiesen war, die liaufig nicht bezahlt werden konnten. Das wichtigste Ereignis in diesem Kriege war die Belagerung 1529. Wiens (1529), die Suleiman nach der Vereinigung mit Zapolya unternahm. Trotz der groben Dbermacht — 100.000 gegen 20.000 Mann — muBten die Feinde infolge der tapferen Verteidigung der Stadt durch den Grafen NiTdas Salm, ferner wegen Eintrittes un- giinstiger Witterung und Ausbruches von Seuchen die Belagerung aufheben, ivodurch aucli Deutschland gerettet war. Vergebens er- 1532. neuerte Suleiman im Jahre 1532 seinen Zug gegen Osterreich, denn der wackere Niklas Juritschiisch leistete den Tiirken in Guns so lange Widerstand, daB der Sultan trotz der Einnahme der Stadt den Riickzug antrat. Die fortwahrende Tiirkengefalir bestimmte Fer¬ dinand zu Unterhandlungen mit Zapolya, mit dem der Krieg bisher fortgesetzt worden ivar; so erfolgte der FriedensschluB von Gro/3- 1538. ivardem (1538), in dem Zapolya Siebenbiirgen und die angrenzen- den TeileUngarns als Konigreich unter der Bedingung zugesprochen ivurden, daB diese Gebiete nach seinem Tode an Ferdinand fallen sollten. Als aber Zapolya nach zwei Jahren starb, riefen seine An- hanger seinen Sohn Johann Siegmund zum Konige aus, der aucli bei den Tiirken Unterstiitzung fand. Infolgedessen kam es abermals 1547. zum Kriege, doch ivurde im Jahre 1547 ein AVaffenstillstand ab- geschlossen, der die bestehende Dreiteilung Ungarns bestatigte: Fer¬ dinand erhielt einen Teil Kroatiens soivie das vrestliche und nord- liche Fngarn, Johann Siegmund Siebenbiirgen soivie das ostliche Maximilian II. 217 Ungarn und die Tiirken den Rest. So liatte Ferdinand wenigstens die ungarische Konigsiviirde gerettet, wenn er auch dem Sultan ein Jahresgeschenk von 30.000 Duha ten zalilen muBte. Gegen die fort- wahrendeh Einfalle der Tiirken schuf er die hroatische und win- dische Grenze, deren Einrichtung an die Marken des Mittelalters erinnert (S. 59). 3. Ferdinands Verhaltnis zur Reformation. Ferdinand war zwar ein entschiedener Katholiic , docli konnte er wegen der vielen Kriege der Ausbreitung der neuen Lehre in seinen Landern nicht nach Wunsch entgegentreten. Wenn er auch an dem Reformations- rechte des Augsburger Religionsfriedens festhielt, begniigte er sicli docli im wesentliclien damit, die Wiedertdufer mit der groBten Strenge zu verfolgen, wahrend er den Katholizismus durch Kloster- visitationen, Berufung.von Jesuiten zur Heranbildung eines tiicli- tigen Klerus und die Befiiiuvortung von Reformen beim Papste zu fordern suchte. 4. Ferdinands Landerteilung. Da Ferdinand an dem ISTach- folgereelite aller seiner Sobne festhielt, teilte er seine Lcinder unter sie; Maximilian erhielt Osterreich unter und ob der Enns, Bohmen und Ungarn, Ferdinand Tirol und die Vorlande (S. 165), Karl Innerosterreich, d. h. Steiermark, Karu ten, Krain, Gorz und Istrien. Die osterreichische Linie erlosch bereits mit den Solmen !VIaxi- milians urid die tirolische mit ihrern Griinder, dem Gemahl der Augsburger Patriziertoehter Philippine Welser, so daB die steirische Linie zum zweitenmal alle Bander vereinigte. B. Maximilian II. (1564—1576). 1564 - 1576 . 1. Maximilians Verhaltnis zum Protestantismus. Maximilian war der einzige Idabsburger, der in seinem Herzen zum Protestantis¬ mus neigte j gleichwohl liielt ihn die Riicksicht, auf die Erwerbung der Kaiserkrone und die Moglichkeit der ISTaclifolge in Spanien vom erwarteten Religionsvvechsel ab. In kirchliclier Beziehung war er tolerant. Vom Reformationsrechte absehend, gewahrte er den oster- reichischen Standen und den Bewohnern Bobmens Zugestandnisse hinsichtlich der Ausiibung ihres Glaubens. In Osterreich galt damals nur mehr der achte Teil der Bevdlkerung als katholisch. Da Ungarn nicht zum Deutschen Reiche gehorte, galt hier der Augsburger Friede nicht; es verbreitete sicli daselbst immer mehr die lutherische 218 Brstel' Zeitraum. Lehre unter den Dentsehen und die calvinisclie miter den M a gy ar en. So erreichte miter Masimilian der Protestantismus im Deutschen Reiche und in den habsburgischen Ldndern semen Hohepunkt. 2. Maximilians Krieg mit den Tiirken. Die Absicht Johann Siegmund Zapolyas, nach dem Tode Ferdinands sein Gebiet zu er- weitern, veranlaBte denWiederausbruch des Krieges mit den Tiirken. Mit etwa 100.000 Mann schritt Suleiman an die Belagerung von 1566. Sziget (1566), das Nikolaus Zriny mit ungefahr 20.000 Mann so tapfer verteidigte, daB die Tiirken nur einen rauclienden Triimmer- baufen in die Hande bekamen. Kock vor dem Falle der Festung war Suleiman gestorben; sein Kachfolger Selim schloB mit dem Kaiser auf Grand des bestehenden Zustandes den Frieden von Adrianopel 1568. (1568). IV. Die Reformation in Frankreich (1498—1610); die Dynastien Valois und Bourbon. 1 1. Die Steliung der franzdsisehen Konige. Die Erfolge, welclie Karl VIII., Ludwig XII. und Franz I. in Italien davontrugen, er- hohten das Ansehen des Kdnigtums in Frankreich so sehr, daB Franz nahezu absolut regieren konnte. Seine Macht steigerte er auch durcli den AbschluB eines Konkordats mit dem Papste, das ilnn die Be- setzung aller Bistiimer und Abteien in Frankreich zuerkannte und somit die Pragmatische Sanktion (S. 159) beseitigte. Diese Macht- erhohung kam den Konigen auch gegen die Protestanten zugute; Franz und seine Kachfolger bekampften sie in Frankreich, wahrend sie sich mit den Lntheranern inDeutschland aus politischenGriinden verbanden. Die neue Lehre verbreitete sich besonders in den hoheren Schichten der Gesellschaft; ikre (calvinischen) Bekenner hieBen Hugenotten 2 . 2. Die Parteien in Frankreich. Das Eindringen der Refor¬ mation in Frankreich veranlaBte den Ausbruch liochst erbitterter Glaubens- und Biirgerkriege, auf derenVerlauf besonders die Guisen und die Bourbonen groBen EinfluB iibten. Den ersteren gehorten damals Franz von Guise, der das Kriegstvesen, und sein Bruder Karl an, der die Finanzen und die auBere Politik leitete; den 1 L. v'Banke, Branzosisclie Geschichte, vornehmlich im 16. und 17. Jahr- hunderte, 6 Bde., 3. Aufl., Leipzig 1877—1879 (auch in den Gesamtausgaben). - Bas Wort ist nicht geniigend erklart. Die Reformation in Frankreich. 219 letzteren, einer Kebenlinie des koniglichen Hauses, entstammte Anton, der infolge seiner Vermahlung mit der Erbtochter von Na¬ varra 1 Konig dieses Landes war. Die Guisen waren die Fiihrer der Katholiken, die Bourbonen die der Hugenotten; beide Geschlechter rangen mn das Ubergewicht am Hofe. Zunachst trugen unter dem schwachen Franz II. (1559—1560), dem Sobne und Hachfolger Heinrichs II., die Guisen den Sieg davon. Sie gaben auch die Ver- anlassung zum Ausbruclie der acbt greuelvollen Hugenottenkriege, die mit mehreren Unterbrecbungen von 1562—1598 dauerten. An 1562 - 1598 . diesen beteiligte sich aus politischen Griinden auch das Ausland, und zwar leistete Spanien den Katholiken und England den Hugenotten Hilfe. 3. Die Hugenottenkriege. a) Der Beginn der Kriege. Dem friih verstorbenen Franz II. folgte sein minderj ahriger Bruder Karl IX. (1560—1574), fiir den seine rankesiichtige Mutter Katharina von Medici die Regierung fiihrte; man sagte von ihr, daB sie im Laufe eines Tages dreimal ihre Meinung andere. Aus Eifer- sucht auf die einfluBreichen Guisen begiinstigte sie die Bourbonen und getvahrte den Hugenotten freie Religionsiibung auf dem Lande. Da wurde eine Anzahl Hugenotten, die zum Gottesdienste ver- sammelt waren, von dem bewaffneten Gefolge des Franz von Guise niedergemetzelt (1562). Diese Gewalttat rief eine allgemeine Er- hebung der Hugenotten hervor und veranlaBte die Ermordung des Herzogs Franz von Guise. b) Die Bartholomciusnacht. Der dritte Krieg endete damit, daB den Hugenotten Religionsfreibeit zugestanden wurde. Ihre Fiilirer, zu denen auch der tapfere Admiral Coligng gehorte, erlangten am Ilofe groBes Ansehen, ja Heinrich von Navarra, der Sohn Antons, wurde mit des Konigs Schwester Margareta vermahlt. Da sich in- folgedessen die Konigin-Mutter um iliren EinfluB gebracht sah, beschloB sie inVerbindung mit den Guisen das Verderben der Huge¬ notten. Sie \vuBte namlieli dem unerfahrenen Konige durch Vor- spiegelung einer Verschworung die Zustimmung zur Verfolgung der Hugenotten abzugewinnen. In der Haclit vom 23. auf den 24. August 1572 (die Barlholomausnacht oder Pariser Bluthochzeit ) wurden 1572. sie in Pariš und in den Provinzen ermordet; die Gesamtzahl 1 Es ist nur das franzosische Navarra gemeint; den siidlich der Pyrenaen gelegenen Tell dieses Konigreiches liatte Ferdinand der Katholische mit Spanien vereinigt. 220 Erster Zeitraum. ie Gegenreformation. I. Die kircliliclie Gegenreformation. 1. I)as gute Beispiel der Papste. Koch vor der Mitte des 16. Jahrhunderts begannen die Papste, die Porderung der kirch- liehen Angelegenheiten als ilire Hauptaufgabe zu betrachten. Paul III. bestatigte die Errichtung des Jesuitenordens (1540), fiihrte die Inquisition ein und eroffnete das Tridentiner Kouzil. Julius III. stiftete das Collegium Germanicum in Rom (1552) zur Heranbildung von deutschen Jesuiten. Seiu zweiter Kacbfolger, der strenge Paul IV., setzte eine eigene Kongregation zur Hebung der Kirchenzucht ein und bestiminte, daB die Bischofe und Abte in ihren Sprengeln und Klostern leben sollten. Sein Nachfolger Plus IV. maclite dem Nepotenwesen, das nahezu 100 Jahre geherrscht iiatte, fiir immer ein Ende und setzte das kirchliehe Reformwerk eifrig fort; er wurde hiebei von seinem edlen Keffen Karl Borromeus, dem spateren Erzbischofe von Mailand, unterstiitzt. Pius V. war ein iiberaus frommer und gerechter Mann, der durch seiir eigenes Bei¬ spiel die sittliche Zucht der Geistlichen forderte. Gregor XIII., der Urlieber ;ler Kalenderreform (I. 9), setzte eine besondere Kardinals- kommission (congregatio Germanica) zur Forderung der Gegen¬ reformation in Deutschland ein. So erlangte das Papsttum wieder eine liochst einfluBreiche Stellung in der ganzen katholischen Welt. 2. Die Wiedereinfiihrung der Inquisition. Die alte Inquisition der Dominikaner (S. 115) war langst verfallen. Im Jahre 1542 fiihrte sie Paul III. in neuer Gestalt zur Ausrottnng der Ketzerei wieder ein. Sie beschrankte ihre Tatigkeit auf Italien und wurde auch mit der Fiibrung des Index librorum prohibitorum betraut, d. h. mit der Anlage des Verzeichnisses derjenigen Biiclier, deren Lektiire den Katholiken aus Glaubensriicksichten untersagt wurde. 3. Das Tridentiner Konzil (1545—1563). 1 Es befaBte sicli anfangs mit dogmatischen Fragen, indem es die Siebenzald der Sakramente, die Rechtfertigung durch den Glauben und die guten 1 tla das Konzil z\veimal vertagt wurde, var es tatsaehlieli n ur sechs Jalne versammelt. 1540 . 1542 . 1545 - 1563 . 230 Erster Zeitraum. Werke, endlich die Gleiclrvvertigkeit der Tradition mit der lleiligen Schrift als Glaubensquelle feststellte. Zuletzt beschaftigte es sich hauptsachlich mit der Kirchenreformcdion: fiir cine bessere Er- ziehung des Klerus wurde die Erricbtnng von Seminarien be- sclilossen, fiir die angestellten Geistlichen wurden Visitationen ein- gefiihrt, die Haufung von Pfriinden verboten, die Predigt in der Landessprache den Geistlichen zur Pfliclit gemacht u. s. w. 4. Der Jesuitenorden. Er wurde von dem heil. Ignatius von Loyola (f 1556) gegriindet und war der iveitaus ivirksamste Hebel der Gegenreformation. a) Aus dem Lehen des heil. Ignatius. Er war der Solin ein.es spaniscben Edelmannes und ergriff die militarische Laufbalm. Im ersten Kriege zvvischen Ivarl V. und Franz I. bei der Verteidigung von Pamplona verwundet, versenkte er sich in die Lekture des Lebens Christi und mehrerer Lleiligen, was in ihm den EntschluB hervorrief, gleich diesen ein Kampfer im Dienste der Kirche zu iverden. Kach seiner Genesung unterzog er sich den hiirtesten BuB- ubungen. So suchte er, ahnlich wie Luther, sich durch die strcngste Aszese die GeiviBheit der Kechtfertigung zu verscliaffen, gelangte aber zu dem gerade entgegengesetzten Ergebnisse, daB namlich vor allem die Beniitzung der kirchlichen Gnadenmittel die Versohnung mit Gott herbeifiihre, eine tTberzeugung, ivelclie die Eorderung des strengsten Gehorsams gegenuber der Kirche zur Eolge liatte. Kacli- dem er sodann von einer Pilgerfahrt nacli Jerusalem zuriickgekehrt war, begann er die Anfangsgriinde des Lateinischen zu erlernen und besuchte spiiter die Universitat in Pariš. Hier erfolgte die ent,- scheidende Wendung in seineni Leben, indem er in Verbindung mit Lainez und Franz Xaver beschloB, sich ausschlieBlich dem Dienste der Kirche und des Papstes zu widmen. In dieser Gesinnung griin- dete Ignatius den Orden der Gesellschaft Jesu (societas Jesu), dessen erstes Oberhaupt (General) er vrarde. h) Die Organisation des Ordens. Ignatius griindete den Orden auf den Grundsatz des strengsten Gehorsams 'aller Mitglieder gegen- iiher den Vorgesetzten im Orden und dem Papste. Der Novize wird einer jahrelangen Beobaehtung unterzogen, bevor er ivirkliches Mit- glied, und zwar zunachst Scholastiker („Lernender“) wird. I)ie nachste Stufe bilden die Koadjutor-en ; sie widmen ihre Krafte dem Kirehliclie Gegenreiormation. 231 Jugendunterrichte, der praktischen Seelsorge und der Ileiden- bekehrung. Den liochsten Rang nehmen die verhaltnismaBig wenigen Professen ein, die auBer den drei Monclisgeliibden ancli das des unbedingten Geliorsams gegeniiber dem Papste ablegen. Jedem Mit- gliede wird vom General diejenige Tatigkeit zugeiviesen, fiir die er nacli seinem Wesen am besten geeignet ist. So ist trotz des strengen Geliorsams, der den ganzen Or d en beherrscht, docli ancli der Eigen- art, des Einzelnen Reclmung getragen. c) Die Bedeutung des Ordens. Der neue Orden wurde die krdftigste Stiitze der katholischen Kirche im Kampfe gegen die neue Lehre. Die Jesuiten entwickelten eine vielseitige Tatigkeit; sie waren einfluBreiche Beichtvater an den Fiirstenliofen, predigten das Evangelium in Amerika nnd Asien (besonders beriilimt als Missionar ist der h. Franz Xaver, der Apostol der Indier) und betrieben eifrig theologische und philosopliisclie Studien. Die groBte Bedeutung aber verschaffte ilinen die tlbernalnne des Mittelschulunterrichtes in den katholischen Landern, wodurcb sie einen macbtigen EinfluB auf die Gesinnung der Bevolkerung gewannen. Bald fielen ilinen auch die Universitdten zu, so daB sie den gelebrten Unterriclit in den katholischen Landern, mit Ausnalime der juristisehen und rnedi- zinischen Studien, bis in die zweite Halfte des 18. Jahrhunderts liinein fast vollstandig beherrschten. Die Volksschule vernach- lassigten sie; dafiir suchten sie die unteren Stande durch einen besonders glanzenden Gottesdienst, der in pomphaft ausgestatteten Kirchen („Jesuitenstil“) gefeiert \vurde, zu gewinnen. Der Orden war in Europa zwei Jalirhunderte liindurch eine GroBmacht. 5. Die Forderung huinanitarer Zwecke. Diesem Ziele dienten inehrere neugegriindete Orden. So entstand im 1(>. Jalirhunderte der Orden der Barmiierzigen Bruder fiir die Pflege der Kranken, ein Jahrhundert spater der Orden der Luzaristen , \veleher sicli der Armen, der Orden der Barmiierzigen' Schmestern, ivelcher sich der Kranken annahm, der Orden der Piaristen , der namentlich in Oster- reich mehrere Gymnasien errichtete. Die Mitglieder ali er dieser Orden liatten natiirlieh auchGelegenheit, auf die religioseGesinnung derjenigen Kreise, mit denen sie verkehrten, EinfluB zu iiben. 232 Erster Zeitraum. 556 - 1598 . 1559 . II. Pliilix>p II. von Spanien an der Spitze der politisclien Gegenreformation im westlichen Enropa. A. Philipp II. (1556—1598). 1. Philipps Charakter untl Bestrebungen. Philipp war ein strenger, von MiBtrauen und Menschensch&u beherrschter Fiirst, der trotz seiner Arbeitslust und Begabung die Staatsgeschafte mir langsam erledigte, weil er jedes Aktenstiick selbst durchsali. Grobe CharakterStarke und ein seltenes Mafl von Selbstbeherrseliung zeichneten ilin aus. Von streng katholischer Gesinnung und bober Auffassung seiner Stellung, strebte er die Ausrottung des Pro- testantismus im ivestlichen Europa und die Aufrichtung eineri absoluten Gewalt uber seine Untertanen an. Nur hinsichtlich Spaniens liatte er Erfolge; die wenigen ketzeriseben Iiegungen da- selbst unterdriickte er mit Hilfe der Inquisition und es gelang ihm aucb, mit Waffengewalt die groBen Freiheiten der aragonensischen Stiinde einzuscbranken. 2. Philipp und sein Solin Don Carlos. Carlos war von der Natur stiefmiitterlicb bedacbt und in seiner Erziehung so vernacb- lassigt worden, daB er seinen Vater erst im Alter von vierzebn Jahren kennen ■ lernte. Als Philipp gegen die Niederlande die strengsten MaBregeln ergreifen wollte, verlangte Carlos, gegen sie geschiekt zu werden; die Ničliterfiillung seines Wunsches, eine Folge seiner Unfabigkeit, ist der Ausgangspunkt seines friihen Todes. Fr veriibte eine Reibe von Gewalttaten und verstieg sich sogar zu einem Mordplane gegen Philipp, der deshalb seinen Solin verhaften lieB. Nach siebenmonatlicber, keineswegs strenger Ilaft starb er im Gefangnis infolge seiner UnmaBigkeit im Essen und im Wasser- genusse. 3. Philipps Kriege. Philipp fuhrte zahlreiche Kriege, die teil- weise die Vernichtung des Protestantismus im ivestlichen Europa bezweckten. Ausnalunen davon bildeten: a) Der Krieg mit Hein- rich II. von Frankreich. Diesen Krieg erbte Philipp von seinem Vater, der gegen Ileinrich wegen der Besetzung deutschen Gcbietes die Feindseligkeiten eroffnet hatte (S. 212). Philipps Feldherr Graf E g morit schlug die Franzosen bei St. Quentin und Gravelingen, so daB Ileinrich den Frieden von Chateau-Cambresis schloB (1559). Darili verpflichtete er sich, Savoven, das noch vom vierten Kriege seines Vaters mit Karl her besetzt war, dem Herzoge zuriickzugeben. Philipp II. 233 b) Der Kampf mit den Tiirken. Als die Tiirken den Venetianern Cypern entreiJBen woll ten, wandten sich diese um Hilfe au Pius V der audi Spanien und Genua fiir den Kampf gegen die Unglaubigen gewann. Die christliche Flotte errang unter der Anfiihrung des ritterlichen Don Juan d’ A.ustria, eines Halbbruders Philipps, nach auBerst erbittertem Kampfe einen glanzenden Sieg bei Lepanto (1571), der aber \vegen der Zvvietracht unter den Verbiindeten niclit 1571. ausgeniitzt wurde. c ) Die Eroberung Portugals. Als der Manns- ■stamm des portugiesischen Konigshauses ausstarb (1580), erliob 1580. Philipp als Kacbkomme einer portugiesischen Prinzessin Anspruche auf das Land und lieJB es deshalb durch Alba besetzen. Die Ver- bindung Portugals mit Spanien gereichte jenem zn schwerem Schaden; denn die Aiederlander und Englander holten seitdem die Gewiirze niclit melir aus Lissabon, sondern aus Indien selbst, so dali Portugals Bliite dahin war. Alle anderen Kriege Philipps verfolgten neben dem politischen audi einen lconfessionellen Ziveck; so suchte er den Protestantismus in den Niederlanden zu unterdriicken, verband sich mit den Guisen zur Bekainpfung der Hugenotten, riistete die Armada gegen Eng- land aus und reizte die Iren zum Kampfe gegen Elisabeth. Die zahlreichen Kriege, welche Philipp fiihrte, trugen wesentlich zur V ernicMung des spanischen Wohlstandes bei; am meisten gilt dies von seinem Kriege mit den Kiederlandern. B. Der Unabhangigkeitskampf der Niederlander (1568—164:8). 1568-1B48. 1. Die Niederlande beim Regierungsantritte Philipps II. Die Niederlande bildeten geographisch, ethnographiseh und liistoriscli einen Teil Deutschlands (S. 167). Im fortwahrenden Kampfe mit dem Meere entvvickelten die Niederlander strenges Pflichtgefiilil, entschlossenen Mut und stolzen Fnabhangigkeitssinn, 1 Eigen- schaften, die noch durch ihren Wohlstand gesteigert wurden (I. 60). Philipp setzte seine Schwester Margareta , die Gemahlin des Herzogs von Parma, als Stattlialterm in den Niederlanden ein und stellte ihr einen Staatsrat zur Seite, dem die hervorragendsten Niederlander, ude die Grafen Wilhelm von Nassau-Oranien 2 und Lamoral von Egmont, ferner der Admiral Hoorne angehorten. Dem hohen -Adel 1 Vergleiohe die Volksszenen im ersten Akte von Goethe s „Egmont“. - Der deutsche Graf Wilhelm von Naasau erhielt von seinem Vetter Renatus das Fttrstentum Oranien (Orange) an der unteren RhOne. Krster Zeitraum. •ŽU \vurden aucli die Statthalter der einzelnen Provinzen entnomrnen; so war Oranien Statthalter von IPolland, Seeland umi Utrecht, Egmont von Handern und Artois. Aber M argareta unel der Staats- rat waren machtlos neben dem Kardinal Granvella, der von Pbilipp die eigentliche Pegierungsgevvalt erliielt. AuBerdem iibertrug der Konig im VViderspruche mit den Pechten der Kiederlander zabl- reicbe Amter an Spanier und lieB spanische Truppen in den Kieder- landen stelien. 2. Zunehrnende Unzufriedenlieit im Lande bis zum Aus- 3559-1568. bruche des Freiheitskampfes (1559—1568). Die Unžufriedeiffieit, rvelche Philipps Vorgeben bervorrief, fand neue Kabrung an sejnen JcircJilichen MuBnahmen. Um namlich die Eeformation ausznrotten, bescbloB Pbilipp die Vr.rmehrung der Bištumer, die Verhundigung der Tridentirver Beschlusse und die Einfuhrung der Inguisition. 1 )er Hab der Bevolkerung ricbtete sicb namentlicli gegen Granvella, der als Urbeber dieser MaBregeln galt, so daB sicb Pbilipp endlicli zu seiner Abberufung entscbloB. Da aber Pbilipp im iibrigen seine Politik den Kiederlanden gegeniiber nicht anderte, bildeten einige zivanzig Manner aus dem niederen Adelsstande, der sicli bier gerade so wie der Pitterstand in Deutsehland in ivirtscliaftlicber Kot befand, einen Bund, den sogenannten Kompromis; babi traten ibm Tansende bei, Adlige und Biirgerlicbe, Katboliken und Kefonnierte. Als nun die Mit- glieder des Bundes von der Pegentin die Bešeitigung derMaBnabmen Philipps verlangten, verspracb ibnen Margareta, daB sie die Sache ihrem Bruder vorlegen wolle. Da dieser aber nur ganz unbedeutendo Milderungen zugestand, macbte sicb der Fanatismus in einem lieftigen Bildersturme Luft, bei dessen Unterdruckung aber die Edelleute die Pegentin unterstiitzten. Die Pube war im wesentlicben iviederhergestellt, als der gefurcbtete Alba, ein unbeugsamer und barter Mann, mit einem Heere gegen die Kiederlande beranzog (1567). Sofort verlieBen iiber 100.000 Peformierte das Land, unter ibnen aucli Wilbelm von Oranien, ein tapferer Soldat und gewandter Diplomat, aber verschwiegen und binterlialtig, wahrend Egmont und lloorne im BervuBtsein ibrer Unscliuld im Lande blieben, jedocb alsbald von Alba gefangen gesetzt rvurden. Dieser ubernahm nacb der Abdankung Margaretens die Stattbalterscbaft und erricbtete den Rat der Unruhen („Blutrat“) zur Untersucbung ivegen Pliilipp II. 235 Ketzerei; Egniont, Hoorne und aclitzelin andere Adlige ivurden ver- urteilt nnd hingerichtet. Albas Vorgehen spracli allcn Formen des Reehtes Holm, ja er fiihrte ein ivalires Schreckensregiment ein (I. 217), das den Ausbruch des Freiheitskampfes unter derFiihrung der Geusen 1 zur Folge liatte. 3. Der Freiheitskrieg (1508 — 1048). a) Bis zur Utrechter Union (1579). Geradezu zur Yerzweiflung brachte Alba dje Nieder- lander dur el i. seine SteuerdeJcrete. Er fiihrte namlich mit Verletzung des Steuerbevilligungsreehtes der Bevolkerung selir bobe Abgaben ein und verbot den Ilandel mit England, vvodurcb der Wolilstand im Lande vernicbtet \verden mulite. l)a fiel eine Anzabl von Fliicht- lingen, die Wassergeusen , die ein verzweifeltes Leben unter Eaub und Drangsal fiihrteu, in Holland ein und eroberto Brielle (1572), ivahrend Wilhelm zum Statthalter von Holland und Seeland gewahlt ivurde. Da der Aufstand immer groBere Ausdehnung gewann, ivurde endlich Alba abber-ufen (1573). Oluvobl die beiden folgenden Statt¬ halter Luis de Requesens und Don Juan d’ Austria (1573 — 1578) mildere MaBregeln ergriffen, gelang es ihnen docb niclit, den Auf¬ stand zu unter dr iieken, zumal da ihm die grauenliafte Pliinderung Antmerpens durch spanische Soldner frische Nahrung zufiihrte. Deshalb beschloB der neue Statthalter A lexander von Parma (1578 bis 1592), der Solin der Margareta, ein trefflicber Heerfubrer und einsichtsvoller Staatsmann, durch politiscbe Zugestandnisse die tvallonisch - Tcatholischen Landschaften des Siidens von den ger- manisch-protestantischen des Nordens zn trennen; das gelang ihm mn so leic-hter, als das maBlose Vorgelien vieler Calvinisten die Katlioliken abstieB. Dagegen erriebteten die sieben nordlielien Pro- vinzen 2 die Utrechter Union, d oren Seele Wilhebn von Oranien war. t>) Von der Utrechter Union bis zur Anerkenniing der Un- abJuingigheit der Niederlande (1579—1048). Bereits im Jabre 1581 sagten sicli die nordlielien Staaten von Pliilipp formlich los. Als aber Wilhelrn durch die Kugel eines Meucbelmorders fiel (1584), gori eten die Niederlande in die grbBte Gefabr. Sie hoten daher die Ilerrsohaft der Konigin .Elisabeth an; diese besebrankte sicli aber darauf, ihnen den unfahigen Grafen Leicester mit geringen Ililfs- 1 Die Geusen v aren die Unterzeichner des Kompromisses und deren An- hilnger. lliren Namen erhiolten sie da von, daB einer der Ulite der ltegentin dieser zurief, sie mdge sicli doch vor solchen Bettlern (geux) niclit fiirchten. 2 Diese varen: Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Ober-Yssel, Groningen und Friesland. 1571 ) 1584 236 Brster Zeitraum. mitteln zu šcbicken, cler bald wieder nacli England zuriickkehrte, worauf Moritz, der Solin des ermordeten Willielm, die Statthalter- scliaft erhielt. Um sicb an Elisabeth zu racben und auch die Nieder- lande zu Boden zu wei'fen, riistete Philipp die OroBe Armada aus. 1 2 Obwolil deren Vernichtung ihm jede Iloffnung raubte, den Kampf in den Niederlanden gliicklich zu beenden, begniigte er sicb doch, bei der Nacbricht vom Scbeitern seines Planeš die Worte zu auBern: „Ich babe die Scbiffe wider Menschen und nicbt wider die Wellen gesendet.“ Die Niederlander erhielten Unterstiitzung von Frank- reicli, England und den deutschen Protestanten; a 0 Q 0 0 T) 0 •rH +j 0 ti a >> A 0 •rH A 01 h Oj B •rt (S V H 53 0) A B £ O 4 B 4) •rt Q o :5 c »N -T3 G ^ _rt C! 5/2 rt a> bX) m .. c toS 3 rt • a 5 1§ .2 *+- »3 rt a~a " t« ffii >.a p- OJ toK •2 § fl) C/2 bo - g** a :i ■g-a •g a •S o s 4 ) 0^-2 'g rt"} pa~ W p ^ . OJ ^ O rt ~ «2 g |II ls m o -0 ►' -:-| “s fcaš- ' -l 2 ® _rtf T 3 /- gxj J Ja V 5 d * ‘ 1§ S .sl 01 O), I Q) M 1 . to O) <2-0 rt e aS o o Otfi C/3 i r ^ •• "O T S 5 ^ g a£ •S E ® © £ ^ -o O rt g£ a 3 oT r S t-4 -3 Cii <5 '-C > 05 "S ^ .. -t— ^J= rt K rt .9 ShS Sffi 243 C c KJSJS S > rt p i o k 55 ■50 rt .. o__ ^ rt S CO rt OJ t-< rt bo ho a? a ja2 o rt 11 •SO a rt S :Sj !S > T rt '* s-s ^ O « w ho _bO ‘S * rto M 2 §-|«M rt 2 >0 g ^ S w «Q3 :rt TH 73 .J . 3 ^ to g O o 3 N ffi 16 * 1 Friedrich Heinrich Konradin Konstantia f 1251 t 1268 (Gemahl: Peter III. v. Aragonien) 244 Stammtafeln. Heinrich I t 1018 Die Babenber^er Leopold I., Markgraf von Osterreich, t 994 Ernst, Herzog v. Schwaben, Adalbert f 1015 f 1055 Ernst f 1030 Ernst f 1075 (Stiefsohn Konrads II.) Leopold II. f 1095 Leopold III. f 1136 (Gemahlin: Agnes, die Witwe Friedrichs v. Staufen) Leopold IV. t 1141 Heinrich II. Jasomirgott, Otto, erster Herzog, Bischof v. Freising, f 1177 f H58 Leopold V. f 1194 Friedrich I. f 1198 Leopold VI. f 1230 Margareta Heinrich Friedrich II. (Gemahl: Heinrich, f 1228 f 1246 Sohn Friedrichs II.) | Gertrud (Gemahl: Hermann, Markgraf v. Baden) f 1250 Friedrich v. Baden (v. Osterreich) t 1268 Stammtafeln. 245 •" ai 5 g J fl § (S J 1 } •H Q ra I ■£ 31*7! JI 5.g l a *i ^ rt as M P. :»5 ! <3 .2 N3 2 | -Q ^ .2 2 .S $ 00 ^ a> th oj > _ fcc^ n p oj? jacfi o g fe § 3^ S S pcj g So OJ p th j a o •*~s ‘c ® t •S .2 o i-4 o c! 2^5 o >-> .-p *i ■£% C« |g ■§•• g 3 oj C 3 *—< P3 I 1 -f— £ J3 M ^ C« a < S2 O ® O coO 1 « P o £3 rt g rt O f—t -Q g a> -C bO rt 00 ’* os 'g • O p o »H 05 -C I* T-< rt © *-» -S g - p .S g f- >-< O J 1 h ffi rt « ^ £ £ ^ a> C rt 33 f~* BSl aj rt o >30 s- SflS bo P c > «S "o 'o Jj rt »s S »N o ^ P C v w 1 -. e .g 2 £ ^ ffl ti . •Š-S* “ SŠ . 2 ^ o *2 3 J«« : 2 2 ” S rt > -0 33 bo £ c5 -g £ = £ P g s- c! 5 « gj« o S c C3 rt rt a> -C 0 -s - - g>o Jž ‘S ® N > Spanische Linje. Dentoche Liuie. Eleonore 6.) Karl V. (I.) f 1558 Isabella 7.) Ferdinand I. + 1564 Maria (Gemahl: Emanuel, (Gemahlin: Isabella v. Portugal, (Gemahl: Christian II., (Gemahlin : Anna v. (Gemahl: Ludwig II. Konig v. Portugal) Tochter Emanuels d. GroBen) Konig v. Danemark) Bohmen u. Ungarn) v. Bohmen u. Ungarn | I f 1526) 246 Stammtafeln. S .2 ' s‘S co 2 S ° - H P T3 a •— 1 ; s s p - o .O B -1|. - bC t- . CpH- rt m tiS ® rt o. •• c ČL, P rt g o- B c © 13 O © J* © C wW ,P hi w — '".s «sr ,!i=i .s či Ji ji "S s s H S o 5 • © 5 o ^ -a .IŠ rt--, g.Sfe s I^.sg S S |.aog> £fc " g II is o g '1S M rt ..-e C <— < G -4-3 © - S S g g,(X. E S t bo P • T rt >h a ^ g 1 d-l-ii ft g C5.g- •3 'HH © n 3 P P '5' c gp ;» C c ^ rt <3 © g CQ . > 'Z T "’ 25 rt* rt-i-%M s S > © co o r* W P 2 c« .t: co P o G p« »H O o s ^ rt ec C eo S| a £ © .rt O rt « S & © o -G ;g C g 01 © s . m g >5 3;£ c 73 J rt a) S 2 .a-§.2 2 tŽ fl © 3 ??.rt -n »Trt © { G-rt^rt J rt h- P 0 "rt g •‘“g rt O, ^3 -gtfj ■o S > §0 2 ■S © « •s-i-3 © J-c P ®-.rt ^ rt S s •S rt Š rd 2 g S 2.2 S, g, 1^(1» p. ^ c -s . © .2 P G •• a © o .2 .SP © rt|'g S 0* rt ^ rt G ..* G-rtP a © O ‘Stammtafeln. 247 e) Die Luxe m burger. 1.) Heinrich VII. f 1313 Johann, Konig v. Bohmen, t 1316 2.) Karl IV. t 1378 I Johann Heinrich v. Mahren f 1375 3.) Wenzel I. (IV.) Anna (Gemahl: Richard II. 4.) Siegmund f 1437 Johann v. Gorlitz Jobst Prokop f 1419 v. England) | f 1396 f 1411 f 1405 Elisabeth (Gemahl: Albrecht II.) Ladislaus Posthumus Elieabeth t 1457 (Gemahl: Kasimir v. Polen) Wladislaw II. v. Bohmen f 1516 Ludwig II. f 1526 3. Die Nor m a n n en in Unteritalien. Tankred v. Hauteville Robert Guiscard, Herzog von Apulien Roger I., Emma u. Kalabrien, f 1085 Eroberer Siziliens Roger, Herzog v. Apulien Boemund v. Tarent Roger II. v. Sizilien, Tankred (Antiochia) seit 1127 auch Herzog v. Apulien, Konig seit 1130 Wilhelm f 1127 Wilhelm I. Konstanze | (Gemahl: Heinrich VI.) * Wilhelm II. f 1189 -4. Die Konige von Jerusalem. Eustachius v. Boulogne 1.) Gottfried v. Bouillon 2.) Balduin I. .„ Ida (Gemahl: Balduin) f 1100 t 1H8 3.) Balduin II. f 1131 Melisende [Gemahl: 4.) Fulco v. Anjou] j f 1143 5.) Balduin III. f 1162 6.) Amalrich I. f 1173 7.) Balduin IV. f 1185 Enkelin Amalrichs, vermahlt mit 11.) Johann v. Brienne f 1237 Jolanthe (Gemahl: Kaiser Friedrich II.) 248 Stammtafeln. 5 . Die Capetinger urici Valois. Hugo (mit dem Beinamen Gapet) 987—996 Robert I. t 1031 Heinrich I. f 1060 Philipp I. f 1108 Ludwig V(. f 1137 Ludwig VII. f 1180 Philipp II. August f 1223 Ludwig VIII. f 1226 Ludwig IX. f 1270 Karl v. Anjou, Konig v. Neapel, f 1285 Philipp III. f 1285 Philipp IV. f 1314 Karl v. Valois Ludwig X. Philipp V. Karl IV. Isabella Philipp VI. f 1316 f 1322 f 1328 (Gemahl: Eduard II.) f 1350 Eduard III. Johann der Gute f 1364 Karl V. f 1380 Philipp der Kuhne v. Burgund f 1404 / ... ... .. ... ... .... * m \ /• 1 ^ Karl VI. f 1422 Ludwig v. Orleans f 1407 Johann f 1419 Karl VII. Katharina (Gemahl: Heinrich V. Philipp der Gute f 1461 v. England) t 1467 Ludwig XI. f 1483 Heinrich VI. v. England Karl der Kiihne f 1477 Karl VIII. t H98 Maria (Gemahl: Maximilian I. v. Deutschland) 6. Die Uvnastien in ECngland. sl) Die Normannische Dynastie. Wilhelm I. der Eroberer f 1087 Wilhelm II. Heinrich I. Adelheid f 1100 f 1135 (Gemahl: Stephan v. Blois) Mathilde Stephan f 1154 (Gemahl: Gottfried v. Anjou) Heinrich II. Stammtafeln. 249 3 O •n a < ■p D a o &JD a ■p a a a Q « rt * G & f- 2 O P5 O ° w vi >■ G a> na T3 .S-I- <13 X T-( . :i - W.s ( K 5 J J; i 5 - S :0 0 a a Jh 4 ) p D! a 0 a a J p D M 3 4 1 J) 5 fco o s« ® -* <5 ° Se (£ I ® 31 _ <13 33 ^ rt £ . . ta-c esw 1 oS •• ra? >*•*< .a .S g •~Soh c C!S . ■I a > w-( <33 »O 33 .33 •53 pa X 2 rt« W ec £ ^ <13 3 S <13 « m 03 • bo > pa . rt rt si « 1 o II. Die Papste. Die Taten der Papste tis weit ins 4. Jahrhundert hinein bedeckt tiefes Dunkel, aucli haben sie vor Leo I. keine groBere geschicbtliche Bedeutung; daher beginnt die folgende Zusammenstellung mit diesem Papste. 1 Irrtumlich mitunter Martin II. genannt. Die Papste. 251 1 Infolge der spateren irrtiimlichen Einschaltung eines Papstes Johann zur Zeit Ottos III. entfiillt Johann XX. III. Die Strafiburger Eide (842). Ludvig, der altere Bruder, schwur zuerst in lingua romana: Pro deo amur et pro Christian poblo et nostro commun salva- ment, dist 1 di in avant, in quant deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo et in aiudha et in cadhuna cosa, si cum om 2 per dreit son fradra salvar dist 3 , in o quid il mi altresi fazet, et ab 4 Ludher nul plaid 6 numquam prindrai 6 , qui meon vol 7 cist meon fradre Karlo in damno sit. Karl schwur in lingua theudisca: In godeš minna ind in thes cliristianes folches ind unser bed- liero gehaltnissi, fon thesemo dage frammordes, so fram so mir got gevizci indi mahd forgibit, so haldih thesan mlnan broudher, soso man mit rehtu slnan broudher scal, in thiu thaz er mig so sama duo, indi mid Ludheren in nohheiniu thing ne gegango, the minan willon imo ce scadhen verdhen. In neuhochdeutscher Sprache lautet der Eid: Aus Liebe zu Gott und um des christlichen Volkes und unser beider Heil villen will ich von diesem Tage an fiirderhin, soweit Gott mir Wissen und Macht gibt, diesen meinen Bruder halten, wie man seinen Bruder mit Recht halten soli, unter der Bedingung, dah er mir ein Gleiches tut. Und mit Lothar \verde ich keinen Vergleich eingehen, der nach meinem' Willen diesem meinem Bruder Karl zum Schaden gereicht. 1 de isto die. 2 homo. 3 scal. 4 apud. 5 placitum. 6 franz. prendre. wiilon. IV. Urkunde iiber die Belehnung der Habsburger mit den osterreichischen Landern (1282). Budolfus, Dei Gratia Bomanorum Bex semper Augustus, uni- versis sacri Bomani imperii fidelibus praesentes litteras inspecturis in perpetuum. Bomani moderator imperii, ab observantia legis so- lutus, legum civilium nexibus, quia legum conditor non constringitur et tamen legis naturae dominium, quod ubique et in omnibus prin- cipatur, necessario profitetur; huius enim legis imperiosa potestas sic regnat potenter, sic in dominii sui potentia exuberat affluenter, sic cunctos arcet et stringit, sic omnes dominii sui iugo laqueat et involvit, ut omnis caro et lingua statutis ipsius pareant et mandatis obediant, proliteantur dominium et imperium recognoscant. Ideoque et nos, licet in excellenti specula regiae dignitatis et super leges et iura simus positi, legis tamen naturae praeceptis et imperio caput nostrum sincere submittimus, et eidem fidelitatis debitum exsolvere cupientes, notum fieri volumus tam praesentis temporis quam futurae posteritatis imperii Bomani fidelibus, quod inter multa liberalitatis immensae benelicia, quibus a sublimationis nostrae primordio ple- rosque fideles imperii praevenimus, ad instinctum, imo potius im¬ perium et praeceptum, eiusdem legis naturae circa magnificentiam status prolis nostrae et sublimationem ipsius studia nostra conver- timus ac de liber o et expresso consensu imperii principum ius in electione regis Bomani ex longa consuetudine tenentium principatus sive ducatus Austriae, Styriae, Garniolae et IVCarchiae cum universis suis honoribus, iuribus, libertatibus et pertinentiis, sicut eos clarae memoriae Leopoldus et Fridericus, duces Austriae et Styriae, tenu- erunt ac possederunt, et aliis, quae in terris eisdem quondam Oto- cbarus, rex Boemiae, quocunque legitimo titulo conquisierat, illu- stribus Alberto et Budolfo, filiis nostris carissimis, apud Augustam sollempniter cum vexillis et sollempnitate debita concessimus in feodum ac principum imperii numero, consortio et collegio aggre- gantes eosdem et ipsis ius principum concedentes ab eis pro princi- patibus memoratis fidelitatis et homagii recepimus iuramentum. dSTulli ergo omnino hominum liceat hanc nostrae concessionis gratiam infringere vel eidem in aliquo ausu temerario contraire; quod qui facere praesumpserit, gravem nostrae maiestatis offensam se noverit 254 Urkunde. incurrisse. In cuius rei testimonium et perpetui roboris firmitatem praesentes litteras inde conscribi et bulla aurea typario regiae maie- statis inpresso iussimus communiri. Testes sunt bi: Venerabiles: Chunradus Argentinensis, Hartmannus Augustensis, Heinricus Ratisponensis et Wernhardus, Secoviensis episcopi; illustres: Lude- vicus, comes palatinus Reni, dux Bawariae, principes nostri Chun- radus, dux de Tekk, Hermannus, marchio de Baden, Heinricus marcbio de Burgow et Heinricus, marchio de Hahperch; et specta- biles viri: Albertus etBurcliardus, fratres deHobenbercb,Heinricus, Fridericus et Egeno de Vurstenberch, Eberhardus de Habspurcb, Ludewicus de Oetingen, de Vlugelow, Meinbardus Tirolefisis et Guntberus de Swartzenburch comites; item nobilis vir Fridericus, burchgravius de Hurenberch, Wernhardus de Schowenberch, Liu- toldus de Chunring, Fridericus dapifer de Lengebacb, Ulricus de Capella, Erchengerus de Landeser, Hertnidus et Liutoldus, fratres de Stadekk, et quam plures alii. Signum domini Rudolfi, regis Romanorum invictissimi. Datum in Augusta per manurn magistri Gotfridi, praepositi Pataviensis, nostri protonotarii, VI. Cal. Januarii, indictione XI., anno Domini millesiino ducentesimo octogesimo secundo, regni vero nostri anno decimo. V. Aus dem Stadtrechte von Enns. (Verliehen von Herzog Leopold VI. am 22. April 1212.) 1 In nomine sancte et individue trinitatis. Liupoldus dei gracia dux Austrie et Styrie universis fidelibus tam presentibus quam futuris in domino salutem in perpetuum. Gloria principum latius uberiusque per pacem et quietem subditorum elucescit, quando farna clementie et diligentia protectionis eorum extenditur in posteros, salutem quoque meretur a domino, cum eos quibus presunt, bonis et honestis consuetudinibus et institutis ab enormitatibus, quibus non solum corpora sed et anime perduntur, cohibent et ad iusticie tra- mitem conversationemque bonam et cuilibet proximoque suo utilem iuris severitate perducunt. Ilinc est quod nos civium nostrorum Anasensium devotionem petitionemque aifectuosam pia animad- vertentes consideratione donavimus ipsis ac posteris eorum et iuxta consilium et ammonitionem fidelium ac ministerialium nostrorum perpetua statuimus donatione iura, per que clementer eorundem providimus pači ac tranquilitati. Statuimus ergo, quod si aliquis civium quemquam occidat, si liabet valens triginta talenta super terram de bonis immobilibus infra fossatum et ambitum civitatis, non indigebit fideiussore aliquo pro se, sed vocabitur ad iudicium tribus viribus; et si vocatus venerit et confiteatur, se illum occidisse vitam suam vix defendendo, probet boe cum septem domesticis, qui credibiles liomines esse dicantur, et si reus appareat, iudicetur de ipso sicut iustum fuerit, si vero securus appareat, liber sit a potestate iudicii. Si vero legitimis ter vocatus induciis non venerit, iudex eum proseriptum pronuntiet et due partes bonorum suorum sint in potestate uxoris et liberorum, tercia pars in potestate iudicis; si non habeat uxorem vel pueros, antequam in proseriptionem de- veniat, disponat de illis duabus partibus, qualitercumque velit; si decesserit antequam in proseriptionem veniat, ita quod de rebus suis nichil disponat, due partes bonorum suorum reserventur annum et diem; et si infra terminum illum aliquis veniat cui reddere debeat de bonis illis, šibi reddatur dummodo hoc probare possit, quod ille qui 1 Dr. E. Srh. v. Sclmind und Dr. A. Dopsch, Ausgevvahlte Urkunden zur Verlassungsgesehiohte der deutseh-osterr. Erblande im Mittelalter. Innsbruck 1895. 256 Urkunde. mortuus est debitor suus extiterit; quicquid autem ultra debitum remaneat, pro anima ipsius impendatur. Si autem non habet nec potest ostendere valens triginta talenta talium bonorum, ut supra dictum est, et tamen fideiussorem pro se invenire poterit, ille fidei- ussor fideiubeat pro eo et eum recipiat super vitam propriam; sed si fideiussorem lrabere non poterit, iudex captivum ducat eum, doneč iudicet de ipso sicut iustum fuerit. Quicquid autem sit de bonis homicide, si in opere et manufacto deprehensus fuerit, statim de ipso secundum iusticiam convicto indicabitur. Ete. Das abgedruckte Bruchstiick umfaBt unter Berucksichtigung der Zeugen und der D ati er uri g ungefahr den vierten Teil der ganzen Urkunde. VI, Weistum. Stiftrecht zu Gasthof(15. Jalirh.), erstes Drittel, abgedruckt aus dem VI. Bande der osterr. Weistumer, S. 1. Das sind die frag in der stift 1 ze Gasthoff in der Fritz . 2 Von erst, ob die weil 3 sei an dem j ar und an dem tag. Darauf die urtail: das ain brobst rniig sitzen 4 , stiften, richten alles das fur in kumbt in der stift, ausgenomen dreilai sach, treu, ere und pluet, daz hat ain lantrichter ze richten. Die ander frag, item wie ain brobst das \veisen 5 sol, das die stift als auf heutigen tag gepotten sei. Darauf die urtail: er sol es weisen mit zwain in dem ampt. und mit ainem ausser des ambts. Die dritt frag, item was ain brobst stift und richt, ob das icht 6 als 7 guet kraft hab, als ob mein herr von Admund selbs da sazz und war. Die urtail: es hab ain brobst als volligen und starken gewalt ze richten, ze stiften, als der von Admund selbs da sezz und wer. Die vierd frag, ob der meines herren von Admund ainer oder meniger strafflich die stift 8 ubersazz 8 , was der darumb schuldig sei Das urtail: wer der wer, der von meinem herren von Admund urbar 10 innhiet, und die stift strafflich ubersazz und seinen beredt- boten 11 da nicht hiet, oder ob in ehaft not 1 ? saumet 13 , der war ver- fallen ein halb pfunt pfenning auf genad 14 . Die funft frag, item \vas der schuldig sei, der meines herren von Admund urbar zu krieg 16 pringt oder entlidt 16 , es sei mit ver- kaufen, mit versetzen, mit hinlassen 17 oder mit wen 18 das wer, an ein brobsts willon und wissen, was darumb recht war. Das urtail: wer meins herren von Admund urbar zu krieg pringt, entlidt, verkauft, versetzt oder hinlasst an eines brobsts tvillen und wissen, der selb ist von seinen rechten. 1 Versammlung zur ltegelung des Verhaltnisses zwischen dem Gutsherrn und den Hintersassen. 2 Bei Eadstatt; Gasthof unterstand der Admonter Propstei in der Fritz. 3 Zeitpunkt. 4 Zu Gericbt sitzen. 5 beweisen. 6 etwa. 7 ebenso. 8 Gericbt bei der Stift. 9 ubersitzen = versaumen. 10 Ilerrscbaftlicbes Gut. 11 Der Abgesandte, der den Ausbleibenden entschuldigen soli. 12 Das Ausbloiben recht- fertigendes Ilindernis. 13 hindern. 14 Begnadigung. 15 ProzeC. 18 abgliedern. 17 vermieten. 18 womit. 17 narodna rx univerzitetna KNJIŽNICA 00000510429