received: 2005-08-10 UDC 343.819.5(430 Ravensbrück):316.47"1939/1945" original scientific article SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRÜCK 1941-1945: WEGE INS LAGER, KONFLIKTLINIEN UND GRUPPENDYNAMIKEN Silvija KAVČIČ Freie Universität Berlin, Osteuropa-Institut, DE-14195 Berlin, Garystraße 55 e-mail: silvija.kavcic@web.de AUSZUG Im größten Konzentrationslager für Frauen Ravensbrück waren zwischen 1941 und 1945 auch Sloweninnen interniert. In der Gruppe der jugoslawischen Gefangenen waren sie in der absoluten Mehrheit. Auf der Grundlage von mündlichen und schriftlichen Quellen beschreibt die Verfasserin die politischen, regionalen und sozialen Unterschiede unter ihnen. Ins Zentrum des Diskurses wird die Ambivalenz der Begriffe Nation und Staat gerückt, die aus historischen Gründen insbesondere in der Gruppe der slowenischen Lagerinsassen sehr aktuell waren. Die Verfasserin zeigt überdies auch auf, dass sich unter den ehemaligen Lagerinsassen eine gewisse Ambivalenz hinsichtlich der Frage der nationalen bzw. staatlichen Identität noch heute bemerkbar macht. Stichwörter: Zweiter Weltkrieg, Konzentrationslager, National- und Staatsidentität SLOVENE WOMEN AT THE RAVENSBRUCK CONCENTRATION CAMP, 1941-1945: THE ROADS TO THE CAMP, CONFLICT LINES AND GROUP DYNAMICS ABSTRACT In the years from 1941 through 1945, the population of internees at Ravensbruck, the largest concentration camp for women, also included Slovene women. On the basis of oral and written sources the author describes political, regional and social differences within the group of Yugoslav internees, in which the Slovenes represented an absolute majority. The focus of the discussion is the ambivalence of the terms nation and state, which was, for historical reasons, especially present in the group of Slovene women. The author further demonstrates that a certain degree of ambivalence 95 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 concerning the question of national or state identity survives among the former internees to this day. Key words: Second World War, concentration camp, national and state identities Bis zur Befreiung Ende April 1945 durch Soldaten der Roten Armee kamen etwa 2300 Sloweninnen, rund 100 Kroatinnen, ca. 270 Serbinnen und um die 40 jugoslawische Jüdinnen in das KZ Ravensbrück. Insgesamt betrug die Gruppe von Häftlingen mit einer jugoslawischen Vorkriegsstaatsbürgerschaft etwa 2750 bis 2800 Frauen, dies entspricht einem Anteil von ca. 2% an der Gesamtzahl aller Inhaftierten. Hinzu zu rechnen ist eine noch immer nicht genau bekannte Anzahl von Frauen, die als ungarische, italienische oder "reichsdeutsche" bzw. österreichische Staatsbürgerinnen interniert worden waren, sich selbst jedoch der slowenischen Gruppe zugehörig fühlten (Muser et al., 1971, 48-49). Im Nachkriegsjugoslawien zeichneten die Überlebenden in den Veröffentlichungen ein sehr einheitliches, ausschließlich solidarisches Bild von einander. Doch lassen die angeführten Zahlen Differenzen aufgrund unterschiedlicher nationaler und staatlicher Bezüge vermuten. Die Suche nach Brüchen in diesem einheitlichen und glatten Bild war die Ausgangsbasis für meine Dissertation, die sich mit der Geschichte slowenischer Häftlinge im FrauenKonzentrationslager Ravensbrück befasst.1 Im vorliegenden Beitrag werden einige Aspekte meiner Dissertation mit einem Augenmerk auf Frauen des Küstenlandes vorgestellt. Zunächst positioniere ich meine Untersuchungen innerhalb des deutschen und slowenischen Forschungskontextes und lege den methodischen Zugang dar. Danach erläutere ich die Beweggründe der Frauen aus dem Küstenland, sich der Befreiungsfront anzuschließen. Diese kamen zumeist ab der zweiten Hälfte des Jahres 1943 - nach dem Waffenstillstandsabkommen zwischen den Alliierten und Italien - als Häftlinge in das KZ Ravensbrück.2 Zu dieser Zeit bestand das KZ bereits vier Jahre, und seit zwei Jahren waren slowenische Frauen inhaftiert. Nach einer knappen Einführung in die Geschichte dieses Lagers, werde ich 1 Die Dissertation erscheint im Herbst 2006 unter dem Titel "Überleben und Erinnern. Slowenische Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück" beim Berliner Metropol Verlag. Eine Veröffentlichung in slowenischer Übersetzung ist ebenfalls in Vorbereitung. 2 Die Geschichte slowenischer Häftlinge im KZ Ravensbrück lässt sich in drei Phasen aufteilen: In der ersten Phase von 1941 bis 1943 stammten die Häftlinge primär aus der slowenischen Steiermark, Oberkrain und dem slowenisch besiedelten Teil Kärntens. Die Kapitulation Italiens und damit verbunden die ersten großen Sondertransporte aus Ljubljana und Umgebung markieren den Beginn der zweiten Phase. Die dritte Phase begann mit dem Winter 1944/45, sie war gekennzeichnet von zahlreichen Tötungsaktionen. 96 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 im Weiteren die Beziehungen slowenischer Häftlinge untereinander vorstellen, mit einer Schwerpunktlegung auf die unterschiedlichen Konfliktlinien, die in den Jahren der Haft entstanden. Forschungskontexte, methodisches Vorgehen, Quellen Innerhalb der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung ist die Konzentrationslager forschung inzwischen ein eigenständiger Zweig geworden. In den letzten Jahrzehnten entstand eine nahezu unübersichtliche Fülle an bedeutenden Arbeiten zu diesem Thema.3 Doch trotz zahlreicher Neuerscheinungen gibt es nur wenige Arbeiten, die nichtdeutsche Häftlinge als ein nationales Kollektiv im Lager untersuchen.4 Dieses marginale Interesse an Gefangenen anderer Nationalitäten verwundert mindestens aus zwei Gründen: 1. waren im Laufe des Zweiten Weltkrieges deutsche Häftlinge sehr bald in der Minderheit, mitunter betrug der Anteil nichtdeutscher Gefangener über 90%, 2. bildeten sich in der Extremsituation Lagerhaft Zusammenschlüsse primär nach nationaler Zugehörigkeit (Herbert et al., 1998, 30). Betrachtet man wiederum die slowenische Geschichtswissenschaft zum Themenkomplex Konzentrationslager, so zeigt sich, dass es dazu bis in die Gegenwart kaum wissenschaftliche Forschungen gibt.5 Analog zum öffentlichen Diskurs, der den siegreichen und heldenhaften Partisanenkampf in den Mittelpunkt stellte, blieben ehemalige KZ-Häftlinge - und mit ihnen auch andere weniger "heldenhafte" Kriegsteilnehmer/innen - von der Geschichtswissenschaft unbeachtet. Vorhandene Publikationen, entstanden in den 1970er und 1080er Jahren, sind ausschließlich von ehemaligen KZ-Häftlingen zusammengestellt und veröffentlicht worden (Muser et al., 1971; Ajdič et al., 1981; Ksela-Jasna et al., 1982). Obwohl seit der slowenischen Eigenstaatlichkeit auch die historischen Forschungen Wandlungen und Neuinterpretationen unterworfen sind, wurden KZ-Häftlinge bisher noch nicht in den Blick genommen. Gleichwohl bleibt der Zweite Weltkrieg ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Thema der slowenischen Geschichtsschreibung. Auffallend ist, dass die meisten Kontroversen und Veröffentlichungen um eine Neubewertung der Be- 3 Einen chronologischen Überblick bietet: Herbert et al., 1998, 17-40. Über die Kommunikations- und Fachinformation für Geschichtswissenschaften (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de) lassen sich aktuelle Rezensionen nach Schlagworten abrufen. Unter dem Stichwort "Konzentrationslager" gibt es derzeit 114 aktuelle Publikationen (Stand: 15. 8. 2005). 4 Eine seltene Ausnahme ist da: Bergner, 2002. Am Osteuropa Institut der Freien Universität Berlin arbeitet derzeit Ramona Saavedra Santis an einer Studie zu den sowjetischen Häftlingen des KZ Ravensbrück. 5 Sexualität in nationalsozialistischen Lagern untersucht hat (vgl. Jezernik, 1993). Im Sommer 2005 hat die Journalistin Dorica Makuc ein Buch über Frauen des Küstenlandes unter den Titel' Primorke v Nemčijo gredo' veröffentlicht, in dem sie auch das KZ Ravensbrück einbezieht. Leider konnte die Publikation in den vorliegenden Beitrag nicht mehr einbezogen werden. 97 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 freiungsfront ringen sowie um eine Einordnung der Rolle der tatsächlichen oder vermeintlichen Kollaborateure und der Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes bemüht sind (Lukan, 2002; Luthar, 2004; Nečak, 2002). Meine Annäherung an das Thema der slowenischen Häftlinge im KZ Ravensbrück fand anhand von lebensgeschichtlichen Interviews mit Überlebenden statt, die ich nach der Methode der offenen Interview- und Gesprächsführung führte (Schütze, 1983). Bei dieser Art der Interviewführung wird das gesamte Leben der interviewten Person erfragt. Durch eine offen formulierte Eingangsfrage, wie zum Beispiel "Mich interessiert ihr gesamte Lebens- und Familiengeschichte", kann die interviewte Person, unabhängig vom Relevanzsystem der Interviewerin, die Erinnerungen erzählen, die aus ihrer Sicht bedeutsam sind. Viele für meine Forschungsergebnisse wichtigen Aspekte, wie zum Beispiel die familiäre Tradition, in der die Entscheidung für die Befreiungsfront und ihren Kampf stand sowie die schwierige Situation ehemaliger KZ-Häftlinge im Nachkriegsjugoslawien, hätten ohne diesen methodischen Zugang nicht gewonnen werden können. Die Anwendung der Methode der Oral History erschien mir außerdem ratsam, da schriftliches Material zu dem Thema kaum vorhanden oder ideologisch überfrachtet ist. Auf viele Fragen, wie zum Beispiel den Lageralltag oder zur Hierarchie unter den Häftlingen, können auch nur autobiographische Zeugnisse eine Antwort geben. Zudem sind mündliche Quellen in der Konzentrationslagerforschung unerlässlich, da die Konzentrationslager-SS in jedem Lager unmittelbar vor Kriegsende große Aktenbestände verbrannt und damit das eigene Tun verschleiert hat (Jureit, 1999, 28f.; Rahe, 1995, 84 u. 94; Wagner, 2001, 34). Im Laufe meiner Forschungen stieß ich auf den Nachlass von Erna Muser, der in der Handschriften-Abteilung der Nationalen und Universitätsbibliothek in Ljubljana liegt.6 Außerdem erhielt ich Einsicht in den privaten Nachlass von Mara Čepic, die im November 1941 als fünfte slowenische Gefangene im KZ Ravensbrück interniert worden war. Durch die Verschränkung von schriftlichen und mündlichen Äußerungen, die zu unterschiedlichen Zeiten und somit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten entstanden, war es mir möglich, ein vielschichtigeres Bild von der Situation slowenischer Häftlinge im KZ Ravensbrück zu zeicken, als wenn ich mich auf eine Quellengattung beschränkt hätte. Durch Einbeziehung der jugoslawischen Nachkriegsgeschichte gelang es mir zudem, Gründe für das einheitliche und positive Bild der Überlebenden von ihrer Zeit im KZ zu benennen. 6 Siehe Handschriften-Abteilung der Nationalen und Universitätsbibliothek Ljubljana, Signatur MS 1432. 98 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 Vor dem Konzentrationslager Von insgesamt 31 Interviewpartnerinnen7 stammt etwa ein Drittel aus dem Küstenland bzw. war die Familie nach dem Ersten Weltkrieg von dort in das neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen emigriert. Viele verbanden mit dieser Region nach wie vor wichtige familiäre Bezüge. In dem Sample spiegeln sich auch die unterschiedlichen Schicksale dieser Familien nach Kriegsbeginn im Jahre 1941 wider. Einige lebten in der Zwischenkriegszeit in der slowenischen Steiermark und mit Beginn der deutschen Besatzung im April 1941 drohte ihnen die Umsiedlung (Ferenc, 1968, 60). Andere wiederum erlebten in Ljubljana die italienische Besetzung als eine Art der Retraumatisierung. Waren sie doch aufgrund ihrer antiitalienischen Haltung nach dem Ersten Weltkrieg von dort geflohen und sahen sich nun erneut vom italienischen Staat bedroht. Wieder andere waren nicht emigriert. Sie lebten bereits seit 1920 unter faschistischer Herrschaft mit allen damit verbundenen Repressalien (Kacin-Wohinz et al., 2000, 29f.). Die Mehrheit der Interviewten war aufgrund ihrer Unterstützung der 1941 auf Initiative der kommunistischen Partei Sloweniens (KPS) gegründeten Befreiungsfront verhaftet worden. Befragt nach ihrer Motivation für diesen gravierenden und mitunter auch lebensgefährlichen Schritt, machte eine Zeitzeugin die aufschlussreiche Aussage, dass sie bereit gewesen wäre, mit dem Teufel zu paktieren, wenn es der Befreiung Sloweniens gedient hätte (Interview mit Z. U., 1999, Transkript, 9).8 Auf welches familiäre Klima eine solche Aussage möglicherweise zurück zu führen ist, zeigt folgende Aussage: "Unser Vater hat uns viel erzählt [...] besonders von Erlebnissen, die er mit Italienern hatte - heute ist es schwer davon zu reden, heute sind wir Freunde [...], aber damals sagte unser Vater, dies sind für mich Zigeuner und er schätzte sie nicht, überhaupt nicht [...], wir haben diese Geschichten anstelle von Märchen gehört und dies hat in uns einen Art Hass gegenüber den Italienern geweckt" (Interview mit Z.U., 1999, Transkript, 10).9 Diese Aussage war jedoch kein Einzelfall. In einem anderen Interview hörte ich über die Sicht des Vaters auf Italien und die Italiener: 7 Die Interviews habe ich in der Zeit von November 1998 bis Juni 2000 geführt. Die Kontaktaufnahme lief zum Teil über das Ravensbrück-Komitee in Ljubljana und zum Teil über persönliche Kontakte. Die Zeitzeuginnen waren zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 75 und 85 Jahre alt. 8 Da allen Interviewpartnerinnen vollkommene Anonymität zugesagt worden ist, werden hier nur die Initialen genannt, das Jahr in dem das Interview stattfand und die Seitenzahl des Transkriptes. 9 Dieses sowie alle weiteren Zitate in diesem Beitrag sind von mir aus dem Slowenischen ins Deutsche übersetzt worden. 99 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 "So hatte er seine außerordentlich patriotische Haltung und seinen Hass gegenüber den Italienern, weil sie das gesamte Küstenland besetzt haben, auf uns übertragen, so dass wir schon von Geburt an sehr Heimat verbunden waren" (Interview mit B.D., 2000, Transkript, 12). Aus diesem Blickwinkel betrachteten die damals jungen Frauen die Situation der slowenischen Minderheit in Italien und fanden die familiäre Sicht bestätigt: "Und ich war, als dieses Gebiet noch Italien war, dort häufig während der Ferien beim Onkel und da habe ich gesehen, wie arm die Slowenen waren, wie sie verfolgt werden, wie sie wirtschaftlich unterdrückt werden, so habe ich gesehen, dass meine Verwandten dort keine Rechte haben [...]" (Interview mit K.L., 2000, Transkript, 8). Die Entscheidung, die Befreiungsfront und ihren bewaffneten Kampf gegen die Besatzungsmächte zu unterstützen, beruhte bei den interviewten Frauen auf antiitalienischen Grundüberzeugungen innerhalb der Familie, die in der Erziehung verankert waren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Mitglieder einer Familie gemeinsam politisch aktiv waren und mitunter auch gemeinsam deportiert wurden. Besonders durch die Einbindung nahezu aller Familienmitglieder in den Kampf gegen die Besatzungsmächte unterschieden sich diese Familien von anderen. Deutlich wird anhand solcher Aussagen, wie dominant der Patriotismus als Motor für den Anschluss an die Befreiungsfront war. Das KZ Ravensbrück: Entstehung und Funktionsweise Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück wurde wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, im Mai 1939, nahe der Stadt Fürstenberg an der Havel, etwa 80 Kilometer nördlich von Berlin, errichtet. Das Gelände des Lagers wurde durch einen See und umliegende Waldgebiete begrenzt und war somit gegen Einblicke geschützt. Durch den See und die Havel war der Transport von Baumaterial sowie anderer Rohstoffe auf dem Wasserwege möglich. Der Bahnhof Fürstenberg befand sich knapp zwei Kilometer entfernt, so dass auch die Anbindung an das Eisenbahnnetz vorhanden war (Philipp, 1999, 23). Konzipiert war das KZ Ravensbrück als zentrales Frauen-Konzentrationslager innerhalb des nationalsozialistischen KZ-Systems, und bis zum Frühjahr 1942 - der Errichtung des Frauenlagers in Auschwitz - war es auch das einzige (Strebel, 1998, 217). Die Entscheidungsmacht über Ravensbrück, wie über alle übrigen Konzentrationslager, lag bei Heinrich Himmler, dem Reichsführer-SS, in Absprache mit Adolf Hitler. Bereits Ende 1934 hatte Heinrich Himmler als übergeordnete Verwaltungsinstanz die Inspektion der Konzentrationslager (IKL) eingerichtet. Im März 1942 wurde die IKL dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) angegliedert (Strebel, 2003, 48f.). 100 Silvija KAVClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 Die Geschichte des Lagers Ravensbrück wird allgemein in drei Phasen eingeteilt, und mit jeder Phase verschlechterten sich die Bedingungen für die Häftlinge. Zwar vergrößerte die Lagerleitung das Areal ständig, doch änderte dies an der unablässigen Überbelegung, unter der die Inhaftierten litten, nichts. In der ersten Phase, von 1939 bis Anfang 1942, galt Ravensbrück innerhalb des KZ-Systems als "Musterlager". Der Alltag war geprägt von militärischer Ordnung und Disziplin. Dazu gehörten Schikanen und ständige Kontrollen durch die SS-Aufseherinnen (Strebel, 1998, 246). Es waren zunächst überwiegend deutsche politische Häftlinge und als "asozial" stigmatisierte Frauen, inhaftiert. Die ersten nichtdeutschen Gefangenen kamen mit Beginn des Zweiten Weltkrieges ins Lager: Sie waren polnischer und tschechischer Nationalität (Strebel, 1998, 222; Arndt, 1987, 125; Wagner, 2001, 48). Im Laufe des Krieges wurde die Zusammensetzung der Häftlinge immer heterogener und bis Kriegsende waren Frauen etwa 40 unterschiedlicher Nationalitäten inhaftiert. 1941 entstand auch ein Männerlager, das mit etwa 20.000 Häftlingen deutlich kleiner war als das Frauenlager. (Strebel, 1998, 321). Die zweite Phase, die etwa von 1942 bis Ende 1944 reichte, war geprägt vom Anstieg der Häftlingszahlen, verstärkten Selektionen und Tötungsaktionen sowie vom Wandel des Stellenwertes von Häftlingszwangsarbeit. Im Mai 1942 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft des Konzentrationslagers das sogenannte Jugendschutzlager Uckermark. Hier sollten minderjährige weibliche Fürsorgezöglinge diszipliniert werden (Merten et al., 2000, 87-96).10 Zwischen Sommer 1942 und Sommer 1943 fanden im Lager Ravensbrück medizinische Menschenversuche an 74 polnischen Gefangenen statt (Strebel, 2003, 256f.). Im Jahr 1943 häuften sich die Deportationen oder sogenannte Sondertransporte aus dem besetzten Europa, so dass die Häftlingszahlen 1943 um ca. 10.000 und im Jahr 1944 um etwa 70.000 Frauen anstiegen (Strebel, 1998, 219 u. 243). Im September 1942 entschied Adolf Hitler, Gefangene auch an die Privatindustrie zu verleihen. Dies war der Auftakt für die Entstehung eines weit verzweigten Netzes von Außenlagern, die in der Nähe von Rüstungsbetrieben errichtet wurden. Ausgehend von den derzeitigen Forschungen unterstanden dem KZ Ravensbrück als Stammlager im Sommer 1944 etwa 33 Außenlager. Das KZ Ravensbrück wurde immer mehr zu einem Lagerkomplex (Strebel, 2003, 428). Im August 1942 nahm das Unternehmen Siemens & Halske seine Arbeit in der Nähe des Lagers auf. Es errichtete Ende 1944 neben dem Stammlager eigene Unterkunftsbaracken. Die dritte Phase von Ende 1944 bis zum Kriegsende war geprägt vom weiteren Anwachsen der Häftlingszahlen. Es wird davon ausgegangen, dass bis Kriegende etwa 132.000 Menschen das Lager durchliefen. Mit dem ständigen Anstieg der Inhaftierten war eine drastische Verschlechterung der Existenzbedingungen verbunden: Hunger, Krankheiten, auch Seuchen und drangvolle Enge addierten sich zu der körperlichen 10 101 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 und psychischen Erschöpfung der Gefangenen. In diesem Zeitraum fanden weitere unzählige Tötungsaktionen statt, Selektionen kranker und schwacher Frauen waren an der Tagesordnung. Es entstanden unterschiedliche "Todeszonen", u.a. auf dem Gelände des Jugendschutzlagers Uckermark, das im Dezember 1944 teilweise aufgelöst worden war. Ravensbrück erhielt eine eigene Gaskammer und bekam Merkmale, die an ein Vernichtungslager erinnerten (Strebel, 1998, 215 u. 247 u. 383). Das gesamte System des Konzentrationslagers war darauf ausgerichtet, die inhaftierten Frauen vom ersten Augenblick an zu demütigen, ihnen ihre Individualität und jegliches Gefühl für ihren Selbstwert zu nehmen und sie durch allgegenwärtige Gewalt zu disziplinieren. Die Häftlinge waren einerseits gezwungen, innerhalb dieses Gewaltsystems zu agieren, schafften es andererseits dennoch, sich trotz der Gewalt Handlungsspielräume zu schaffen. Nur vor diesem Hintergrund können Handlungen von KZ-Häftlingen betrachtet und interpretiert werden. Konfliktlinien innerhalb der Gruppe slowenischer Häftlinge Nimmt man die jugoslawische Staatsbürgerschaft als Bezugsrahmen, waren slowenische Häftlinge in dieser Gruppe im KZ Ravensbrück deutlich in der Mehrheit.11 Vieles in den vorliegenden Quellen deutet jedoch darauf hin, dass es vor allem die gemeinsame Sprache und das Bekenntnis zur slowenischen Nationalität war, die, ungeachtet der insgesamt vier unterschiedlichen Vorkriegsstaatsbürgerschaften, einen engen Zusammenschluss im Lager hervorriefen. Dennoch sorgte schon die Frage, welche Region nun tatsächlich eine slowenische sei, für Diskussion. "Es war interessant, dass die Oberkrainerinnen - ich möchte nicht behaupten alle - aber viele, uns Steirerinnen nicht für Sloweninnen hielten, besonders die alten Mütterchen. 'Ihr wisst doch, wir Sloweninnen...'- 'Ja, bin ich keine Slowenin?' - 'Nun, wissen Sie, Steirerinnen haben wir nie für Sloweninnen gehalten, die sind halt Steirerinnen.' Dies passierte mir mehrmals, doch am Ende gaben sie zu, dass wir derselben Nation angehören, obwohl sich die steirische Sprache von der ober-krainischen unterscheidet (Cepic, 1963, 38). Betrachtet man die noch vorhandenen Zugangslisten für Ravensbrück, finden sich slowenische Häftlinge als Sloweninnen, Slowenierinnen, Jugoslawinnen und Jugoslawerinnen aufgelistet (Muser et al., 1971, 48). Auch Sloweninnen, Jugoslawinnen und Italienerinnen, so wird deutlich, befanden sich zusammen in einem Transport (Philipp, 1999, 284 u. 328). Erna Muser stellt in diesem Zusammenhang die These auf, die SS hätte die Zuordnungen aufgrund von Selbstzuschreibungen der Häftlinge vorgenommen und Sloweninnen hätten sich häufiger als Jugoslawinnen definiert als 11 In nahezu allen nationalsozialistischen Konzentrationslagern waren unter den jugoslawischen Häftlingen diejenigen mit slowenischer Nationalität in der Mehrheit. Doch detaillierte Studien, die diese Diskrepanz erklären, fehlen derzeit noch. 102 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 Frauen anderer jugoslawischer Nationen (Muser et al., 1971, 48). Diese Behauptung mag in einigen Fällen zutreffend gewesen sein. Indes weisen mindestens zwei registrierte "Sondertransporte aus Laibach" einmal einen komplett mit slowenischen und einmal einen als komplett mit jugoslawischen Häftlingen besetzten aus, was auf eine Fremdzuschreibung durch die Vertreter der Lagerleitung hindeutet (Philipp, 1999, 273). In den in der Nachkriegszeit erstellten Listen österreichischer und italienischer KZ-Überlebender finden sich Frauen, die den dort lebenden Minderheiten angehörten und die sich möglicherweise als Teil der slowenischen Nation sahen. Es ist daher davon auszugehen, dass die in den Zugangslisten notierte Nationalität bzw. Staatsangehörigkeit nicht immer mit der Selbstwahrnehmung der Frauen übereinstimmte. Auch die Erinnerungsliteratur zu diesem Thema ist ambivalent und widersprüchlich. Einmal suchten Häftlinge unter den Neuankömmlingen nach Frauen aus Jugoslawien, dann wiederum hielten sie Ausschau nach Sloweninnen (Interview mit Z. M., 1998, Transkript, 8; Interview mit A. E., 1999, Transkript, 23). Einmal bezeichnete sich eine Gefangene als Slowenin, in einem anderen Kontext konnte sich dieselbe Frau auch als Jugoslawin definieren. Möglich ist, dass diese Begriffe für sie Synonyme waren, oder aber ihre nationale Identität entsprach ebenso Elementen der Loyalität gegenüber dem jugoslawischen Staat wie der Zugehörigkeit zur slowenischen Nation. Ein weiterer Erklärungsansatz könnte sein, dass es sich dabei um rein pragmatische Entscheidungen handelte, je nachdem welche Schwerpunktsetzung in der jeweiligen Situation Vorteile bot.12 Die Erinnerungen an Häftlinge anderer jugoslawischer Nationen sind ebenso wenig eindeutig. Über Ana Horvat13 sagte Mara Čepic: "Ana Horvat, zwar Serbin, doch sie zählte sich zu uns, was das einzig richtige war" (Čepic, 1963, 43). Ebenso betrachtete man Dr. Radmila Jovanovic14 als Teil des slowenischen Zusammenschlusses, dennoch vergaßen Mitgefangene nie zu erwähnen, dass sie aus Serbien stammte. Andere Frauen aus Jugoslawien bleiben in den Erinnerungen erstaunlich kontur- und namenlos. Dies mag daran gelegen haben, dass viele von ihnen erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 interniert worden waren. Die Zustände im Lager ließen zu dieser Zeit eine verlässliche Gruppenbildung kaum noch zu, da der Überlebenskampf immer härter wurde. In nicht wenigen slowenischen Erinnerungsberichten bilden jugoslawische Häftlinge mitunter negative Projektionsflächen, wie beispielsweise eine Kroatin, die zeitweise im Block der Jugoslawinnen15 untergebracht war. 12 An dieser Stelle möchte ich mich bei Sabine Rutar für ihre sehr hilfreichen Anmerkungen bedanken. 13 kennen und arbeitete als Gefangene und angehende Ärztin ab Herbst 1943 im Häftlingskrankenbau. 14 Dr. Radmila Jovanovi kam bereits im Oktober 1941 nach Ravensbrück und wurde im Jahr 1943 in das Außenlager Nova Rola/Neu Rohlau überstellt. Dort arbeitete sie im Häftlingskrankenbau als Ärztin. 15 Im Jahr 1943 hatte die Lagerleitung für eine kürzere Zeit Häftlinge mit gemeinsamen Nationalitäten bzw. Staatsbürgerschaften in den Baracken untergebracht. 103 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 Über sie sagte eine Mitgefangene: "besser, es hätte sie nicht gegeben. Sie klaute, sah so vernachlässigt aus, aber sie verkehrte nicht viel mit uns" (Interview mit A. E., 1998, Transkript, 12). Aus slowenischer Sicht schien es nach der Haft kaum möglich zu sein, Negatives über Frauen der eigenen Nation zu äußern und sie damit zu brüskieren. In den Interviews fungierten jugoslawische Häftlinge als eine Art Katalysator für negative Erinnerungen. Im Interview erwähnt die Gefangene A. E. beispielsweise, dass diese Kroatin Essensreste gestohlen habe. Die genauen Umstände beschreibt sie jedoch nicht. Wer diese Frau war und warum sie stahl, bleibt unklar (Interview mit A. E., 1998, Transkript, 13). Vielleicht klaute sie, weil sie von den anderen ausgegrenzt wurde, vielleicht wurde sie auch ausgegrenzt, weil sie stahl. Es wird nicht deutlich, was Ursache und was Wirkung war. Die Frauen fühlten sich vom sichtbaren Beweis, wie stark die Lagerhaft eine Persönlichkeit beeinflussen und sogar zerstören konnte, bedroht. Angst überwog die Empathie. Welche weiteren Ambivalenzen mit den nationalen und staatlichen Bezügen verbunden waren, zeigt die folgende Aussage von Angela Vode, bei der sie über den Block der Jugoslawinnen reflektiert: "Ein hochtrabender Name, der im Lager nur die Baracke Nummer sieben war. In dieser brachten sie Sloweninnen unter, die die Quarantäne hinter sich gebracht hatten, und zwar nur diejenigen, die aus der Gegend von Ljubljana gekommen waren sowie aus dem so genannten adriatischen Gebiet, Oberkrainerinnen waren hier schon früher, während die Steirerinnen und Kärntnerinnen zwischen die Deutschen gemischt worden waren, weil sie sie für 'Volksdeutsche'16 [auch im Original auf Deutsch] hielten" (Vode, 2000, 257). Die geographische Lage Sloweniens mit vielen unterschiedlichen Nachbarstaaten und gemischtnationalen Grenzregionen macht eine eindeutige nationale Zuschreibung schwierig. Welche Region kann für sich reklamieren, das slowenische Kernland darzustellen? Wie gut mussten Deutschkenntnisse sein, damit eine Frau von anderen als Volksdeutsche angesehen wurde? Aufgrund von Selbst- oder Fremd-zuschreibungen bei der SS als Volksdeutsche zu gelten, hatte im Konzentrationslager konkrete Vorteile, da die Lagerleitung diese Gefangene nicht unter die Gruppe der "slawischen Untermenschen" subsumierte. Eine Selbstdefinition als Volksdeutsche kann daher als ein Aspekt im Überlebenskampf gewertet werden. Im Kontrast dazu kann das Pochen auf die nationale Zugehörigkeit angesichts einer konkreten Morddrohung durch Angehörige der Konzentrationslager-SS als bewusster Versuch in einer Extremsituation Autonomie zu bewahren, gewertet werden, wie folgende Schilderung zeigt. Im Zusammenhang mit Selektionen unmittelbar vor der Auflösung des Lagers fragte einer der SS-Ärzte eine slowenische Gefangene aus Kärnten: 16 Bisher konnte in keiner erhalten gebliebenen Zugangsliste ein Beleg für diese Aussage gefunden werden. 104 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 "Wo sind sie geboren ?', hat er sie am Ende überheblich angeschnauzt. 'In Kärnten' entgegnete sie ihm. Mit einem fragenden Blick bohrte er sich in sie, und wir alle fühlten, dass er grübelte. 'Slowenin oder Deutsche?', fragte er sie am Schluss. Deutsche haben sie damals schon nicht mehr umgebracht, dies wussten wir. 'Sag, dass du Deutsche bist:', flüsterten ihr die Zigeunerinnen zu, und es schien, als wenn auch Angelca irgendwie zögerte. 'Slowenin', erwiderte sie mit klarer Stimme. Und schon schnappten sie die 'zuvorkommenden' Aufseherinnen, schrieben sie auf und schoben sie zwischen die Ausgewählten. Nur weil sie Slowenin war!" (Piskernik, in: Muser et al., 1971, 263). Wie authentisch diese Geschichte ist und ob die Gefangene mit einer anderen Antwort tatsächlich der Ermordung durch Gas entgangen wäre, kann auf der Grundlage der vorhandenen Quellen nicht beantwortet werden. Vielmehr illustriert dieser Bericht, wie unterschiedlich der Themenkomplex nationale Zugehörigkeit und Staatsangehörigkeit erinnert wird. Einen weiteren Aspekt in der Frage nach staatlichen und nationalen Zugehörigkeiten und der jeweiligen Selbstdefinitionen zeigen die Diskussionen auf, welchen Buchstaben sich die Häftlinge zu ihrer Nummer an den Winkel stecken wollten: "Wir sollten uns einigen, wollen wir Sloweninnen oder wollen wir Jugoslawinnen sein, weil die Ungarinnen, die haben ihre Zeichen, die Polinnen haben ihre Zeichen, Tschechinnen ihre, die Deutschen hatten ihre und wir haben nichts, dann haben wir uns geeinigt. Wir sagten, Slowenien gibt es nicht mehr bzw. Jugoslawien gibt es nicht mehr, aber wir sind immer noch Jugoslawinnen, und dann gaben wir uns, haben wir uns unser J angenäht und blieben dann dabei, wir waren dann Jugoslavke oder Jugoslawinnen, so haben sie uns gerufen" (Interview mit A. D., 1999, Transkript, 3). Hier wird angedeutet, dass es zunächst Überlegungen gab, sich ein S für Slowenien anzuheften. Doch andere Hinweise für solche Diskussionen fehlen. Erna Muser führt an, dass Sloweninnen und Jugoslawinnen zunächst keinen Buchstaben auf ihrem Winkel gehabt hätten, da für die deutschen Besatzer Jugoslawien als Staat mit Beginn des Krieges am 6.4.1941 aufgehört hatte zu existieren. Mara Čepic ergänzt dazu, dass Frauen aus der Baracke Nr. 7 angefangen hatten, sich ein J für Jugoslawien aufzuzeichnen. Ihrer Ansicht nach sei es zu dieser Entscheidung ohne Diskussionen gekommen (Muser et al., 1971, 49; Čepic, 1963, 47). Welcher Aspekt für die Identität der Frauen im Lager bestimmender war, die Nation oder der Staat, kann lediglich vermutet werden. Denkbar ist, dass sich die Frauen im Konzentrationslager zwar als Sloweninnen sahen. Möglicherweise beeinflusste jedoch die Betonung des Jugoslawismus im neugegründeten sozialistischen Staat eine Verschiebung der Identitäten. Den Erinnerungen an das KZ wurde nun eine jugoslawische Identität hinzugefügt. Doch ebenso ist es möglich, dass diese Identitäten gar nicht in Konkurrenz zueinander standen und beides, Nation und Staat, für die Gefangenen gleichermaßen maßgeblich war. 105 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 Neben den nationalen und staatlichen Verschränkungen waren es auch noch regionale, soziale und politische Kriterien, die die Situation slowenischer Häftlinge im Lager differenzierten: "In den Jahren 1941/42/43 bis zur Ankunft des ersten Transportes aus Ljubljana rekrutierten die Sloweninnen sich aus Oberkrain und der Steiermark. Aus Oberkrain kamen vor allem Bäuerinnen, einige Arbeiterinnen, während aus der Steiermark auch Studentinnen, Gymnasiastinnen, einige Beamtinnen und Lehrerinnen kamen. 'Learned women' [auch im Original auf Englisch] (dieser Ausdruck gefällt mir sehr - bei uns würden wir möglicherweise 'studierte', nicht aber 'gelehrte' Frauen sagen) gab es damals im Lager nicht. Doch gab es einige gut (wie wir sagten) bewanderte Frauen, besonders die Also die gesamte intellektuelle Arbeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, lag bei einer Handvoll Frauen. Wir hatten mit gravierenden religiösen Fragen zu tun, mit der Frage, war der bewaffnete Widerstand überhaupt notwendig usw" (Čepic, sine anno a, 2). Die Trennungslinie verlief zwischen den Befürworterinnen des bewaffneten Kampfes gegen die Besatzungsmächte und den Frauen, die für diese militante Form des Widerstandes kein Verständnis hatten. Letztere stammten überwiegend aus den bäuerlichen, katholisch geprägten Regionen Sloweniens und waren mehrheitlich als Familienangehörige von Aktivist(inn)en der Befreiungsfront oder von Partisan(inn)en interniert worden Erstere repräsentierten die kommunistisch geschulten Teile der weiblichen Stadtbevölkerung, die - meist aufgrund eigener politischer Tätigkeit, die bis in die Zwischenkriegszeit zurückreichte - verhaftet und deportiert worden waren. Diese Konfliktlinie im Lager spiegelte Positionen wider, die die gesamte damalige slowenische Bevölkerung spalteten. In dieser ersten Phase (von 1941 bis 1943) im Lager - die Gruppe slowenischer Häftlinge war noch klein und überschaubar - hatte eine Handvoll politisch geschulter Frauen noch zeitliche Freiräume und den Ehrgeiz, andere slowenische Frauen zu informieren und zu schulen. Diese politische Schulungen,17 so die einhellige Darstellung der Überlebenden, gingen auf die Initiative von Marija Žumer-Potočnik18 zurück (Čepic, sine anno b, 2). Heute lässt sich schwer feststellen, in welchem Zahlenverhältnis jene beiden Gruppen zueinander standen. Insgesamt umfasste die Gruppe slowenischer Häftlinge in dieser Zeit nur wenige hundert Frauen. Die slowenische kommunistische Partei 17 Beim Begriff "Schulung" darf nicht von heutigen Möglichkeiten ausgegangen werden. Sicherlich waren dies nicht mehr als Zusammenkünfte in kleinem Kreis in den kurzen Pausen von der Zwangsarbeit in denen politische Gespräche geführt wurden. Eine besondere Bedeutung bekommen die Gespräche, wenn man bedenkt, dass den Häftlingen massive Strafen drohten, wenn die Aufseherinnen diese bemerkten. 18 Marija Žumer-Potočnik kam im September 1941 nach Ravensbrück und starb dort am 5.2.1944 an den Folgen der Lagerhaft. Sie war bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs Mitglied der kommunistischen Partei und besonders ihr Bericht "70 dni v Glavnjači - opis osebnih doživetij" hatte sie innerhalb der Arbeiterbewegung bekannt gemacht. 106 Silvija hatte kurz vor Kriegsbeginn etwa 10% weibliche Mitglieder. Es waren wohl tatsächlich nur wenige politisch geschulte und aktive Frauen, die im Lager mit den übrigen Häftlingen politische Diskussionen führten. Und doch fanden diese Zusammenkünfte über einen bestimmten Zeitraum statt. Welche Themen sie miteinander diskutierten und welche Gruppendynamiken dadurch in Gang gesetzt wurden, verdeutlicht die Aussage von Mara "Einige haben beispielsweise behauptet, dass der Kampf überflüssig sei, dass sie [die Partisaneneinheiten in Zusammenarbeit mit der Befreiungsfront] zu schnell begonnen hätten, dass der Feind in der Übermacht sei und dass sie deshalb alles verloren hätten und außerdem dieses elendige Leben führen müssten hinter dem elektrischen Draht. Hier war es wirklich notwendig, die gesamte Überzeugungskraft zu gebrauchen, um zu zeigen, dass es nicht anders gewesen wäre, sondern sogar schlechter, wenn wir nicht gekämpft hätten, weil sie alle Männer in die deutsche Armee mobilisiert hätten usw., usw. Teilweise gelang es. Doch ich bin überzeugt, dass manch eine im Stillen bei ihrer Meinung geblieben ist, auch wenn sie dies nach außen nicht gezeigt hat"(Čepič, 1963, 38). Die Motivation politisch geschulter Frauen, in dieser Extremsituation - oftmals auch kontroverse - Diskussionen zu führen, mag auf der Hoffnung begründet gewesen sein, dass es das Durchstehen der Lagerhaft erleichterte. Klare politische oder religiöse Überzeugungen konnten Stärke geben. Solange alle hinter den Zielen der Befreiungsfront standen und in den Besatzern den einzigen und alleinigen Feind sahen, festigte die gemeinsame Überzeugung den Zusammenhalt der Gruppe. Das angeführte Zitat lässt die Bandbreite der politischen Diskussionen erkennen. Sie erhellt aber auch einen Gruppendruck, dem sich manche Gefangene gegenüber kommunistischen, politisch geschulten Mitgefangenen ausgesetzt fühlte. Dieser Gruppendruck konnte sich entwickeln, weil die politisch aktiven und geschulten slowenischen Gefangenen über Kontakte zu deutschen, österreichischen und tschechischen Funktionshäftlingen verfügten, diese hatten meist ebenso eine politische bzw. kommunistische Vergangenheit. Diese Bekanntschaften konnten sie nutzen, um anderen slowenischen Häftlingen die Situation im Lager ansatzweise zu erleichtern. Doch da es nie möglich war allen zu helfen, waren sie gezwungen auszuwählen. Und bei diesen Entscheidungen spielten politische Überzeugungen sicherlich ein Rolle. Die ersten Transporte nach dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Italien und den Alliierten markieren den Auftakt für die zweite Phase (von Herbst 1943 bis zum Winter 1944) für slowenische Häftlinge im KZ Ravensbrück. Die geschilderten Differenzierungen hatten bereits vor der Ankunft erster Häftlinge aus dem Küstenland stattgefunden. Doch nicht nur Konflikte prägten die Situation dieser neu eintreffenden Häftlinge, sondern auch die lebensbedrohlichen Zustände im KZ, die auch das Verhalten der Gefangenen beeinflussten. Diese haben bei Angela Vode, die ebenfalls zu diesem Zeitpunkt inhaftiert worden war, zu folgender Beobachtung geführt: 107 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 "Hier wird ein unaufhörlicher Existenzkampf für die Verbesserung der eigenen Lage geführt, hier entfallen alle Rücksichten aufgrund derer sich Menschen in der zivilisierten Welt in möglichst gutem Licht zeigen [...]" (Vode, 2000, 263). Auch war es zu diesem Zeitpunkt noch schwieriger einen festen Gruppenzusammenhalt zu bilden, da in dieser Phase viele Gefangene nur kurzfristig in Ravensbrück waren, um schon bald in eines der zahlreichen Außenlager geschickt zu werden (Vode, 2000, 258). Der erste große "Sondertransport" (Strebel, 2003, 152f.) aus Ljubljana brachte slowenische Häftlinge nach Ravensbrück, die sich von denen der anderen Transporte unterschieden und dadurch zu einer weiteren Differenzierung unter den Häftlingen beitrugen: "Im November 1943, kam der erste Transport von learned women' [auch im Original Englisch]. Im wahrsten Sinne des Wortes: es kommen Frauen mit einem Doktortitel, Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen, Ingenieurinnen, Professorinnen, Dichterinnen und Schriftstellerinnen, andere Künstlerinnen, höhere Beamtinnen, Bank-, Post-, ehemalige Staats-[beamtinnen] usw., usw., also die Elite der slowenischen Frauen. Es erschien uns richtig großartig. Doch nun zeigt sich ein Unterschied, und die alten Gefangenen, Bäuerinnen und Arbeiterinnen waren irgendwie beleidigt, weil sie fühlten - ich sagte immer, dass sie es sich einbilden - (heute bin ich nicht mehr so überzeugt) - dass sie diese Intelligenz irgendwie 'von oben herab' [im Original auf Deutsch] ansieht" (Čepic, sine anno b, 2). Die beschriebene Entwicklung verstärkte sich 1944 mit weiteren Transporten.19 Wie diese Häftlinge die Begegnungen mit den schon länger Inhaftierten wahrgenommen haben, beschrieb Angela Vode: "Noch heute ist mir der Widerstand unverständlich, mit dem uns unsere Landsfrauen empfingen, die schon vor den Ljubljaner Transporten im Lager waren. Es fiel das Wort 'Dahergelaufene' und 'Herrschaften'. Ich gebe zu, dass wir, die so genannten 'Dahergelaufenen' manchmal auch ungeschickt waren, weil wir für eine solche Form der Gemeinschaft nicht erzogen waren, doch wenn sich die 'älteren' bewusst gewesen wären, dass wir Schwestern einer Nationalität sind, dass wir Leidensgenossinnen sind, dass uns derselbe Grund ins Lager geführt hat, der Kampf gegen denselben Feind, dass uns dasselbe Schicksal verbindet, hätte sich sicherlich eine Möglichkeit des besseren Miteinandersgefunden (Vode, 2000, 258). Die Zitate vermitteln den Eindruck, als ob durch die Internierung politisch aktiver und gleichzeitig akademisch gebildeter Frauen die bisherige Konstellation unter den slowenischen Häftlingen aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Doch können die Aus-und Abgrenzungstendenzen, wie sie sicherlich nicht selten vorkamen, auch andere Gründe gehabt haben. Jeder weitere Kriegsmonat verschärfte die Existenz- 19 Neue Häftlinge aus Slowenien kamen 1944 u.a. am 2. 3. 1944, 7. 3. 1944, 16. 3. 1944, 21. 3. 1944 (an diesem Tag sogar 100 Frauen gleichzeitig aus Veldes/Bled). Leider fehlen bei den anderen Transporten Angaben über die Orte aus denen die Frauen deportiert wurden. Siehe: Philipp, 1999, 276f. 108 Silvija KAVČIČ: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 bedingungen der Gefangenen. Das distanzierte Verhalten könnte seine Ursache in der Angst um die eigenen begrenzten Überlebensmöglichkeiten gehabt haben. Die katastrophalen Lagerbedingungen zwangen die Gefangenen dazu, sich auf das eigene Überleben zu konzentrieren und ließen wenig Raum für Empathie. Möglich wäre, dass politische und persönliche Differenzen vielmehr vorgeschoben waren, um das von heute aus betrachtete Gefühl von mangelnder Solidarität - damals aber eine verständliche Reaktion - nachträglich zu erklären. In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 und im Jahre 1944 machten soziale Unterschiede die slowenische Zwangsgemeinschaft noch heterogener: "In allen größeren Ljubljaner Transporten waren auch einige unpolitische Delinquentinnen, vor allem Prostituierte, möglicherweise auch Schwarzmarkthändlerinnen. Mara Cepič sagt in ihrem Erinnerungsbericht, dass einige von den Neuen aus den Ljubljaner Transporten in den Begleitpapieren die Anmerkung it.h. hatten - italienische Hure, dass sie sie später in Ravensbrück aber nicht getroffen habe. Sie haben sie in die Außenlager geschickt, wo sie sich den Politischen anpassten, waren sie doch unter ihnen eine verschwindende Minderheit, und überhaupt haben sie dem roten Dreieck, auch wenn sie es nicht 'verdientermaßen' bekommen haben, keine Schande bereitet. Sie waren eben größtenteils Opfer der Verhältnisse - der Rückständigkeit, Armut, Arbeitslosigkeit"(Muser et al., 1971, 48f.). Die Internierung von Prostituierten bzw. der Prostitution verdächtigten Frauen durch die deutsche Besatzungsmacht mag dem erhöhten Arbeitskräftebedarf seit 1943 geschuldet sein.20 Die Bezeichnung "italienische Hure" sollte die Frauen zusätzlich diskreditieren.21 Das Adjektiv "italienisch" konnte in bewusstem Gegensatz zu slowenisch gewählt worden sein, um die Frauen über eine andere möglicherweise als falsch empfundene nationale Zugehörigkeit zu beleidigen; ebenso denkbar ist, dass den Frauen damit die Prostitution für die Italiener, die nach der Kapitulation im September 1943 von der Deutschen Wehrmacht als Verräter bezeichnet wurden, vorgeworfen wurde. Bekannt ist auch, dass die Konzentrationslager-SS jederzeit an einer Spaltung innerhalb der Häftlingsgruppen interessiert war. Obwohl diese "Prostituierten" von der Lagerleitung den roten Winkel - also den der aus politischen Gründen Inhaftierten - zugewiesen bekommen hatten, entsprach dies nicht der Definition von "politisch", den die politisch aktiven und organisierten Häftlinge favorisierten. Diese fußten vielmehr auf einer Unterstützung des Befreiungskampfes gegen die Besatzungsmächte. 20 Genauere Forschungen zu diesem Sachverhalt stehen noch aus. Bisher ging man innerhalb der Forschung davon aus, dass Nationalsozialisten sozial unangepasstes Verhalten ausschließlich bei der deutschen Bevölkerung ahndeten. 21 In den noch erhalten gebliebenen Zugangslisten konnte bisher keine Bestätigung für diesen Zusatz gefunden werden. Vgl. Schikorra, 2001, 219. 109 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 Die Ausführungen haben gezeigt, wie differenziert die Gruppe slowenischer Häftlinge war. Im multinationalen Kosmos des Konzentrationslagers bestanden außerdem innerhalb der jeweiligen nationalen Zusammenschlüsse interne Gruppierungen die mit Mitgliedern anderer Gruppen enge Verbindungen und auch Freundschaften pflegten und dadurch versuchten, einander zu helfen. Innerhalb der slowenischen Gruppen waren dies besonders Frauen, die bereits vor ihrer Deportation in politischen Kreisen bewegt hatten. Sie waren es, die sich um Kontakte zu anderen nationalen bzw. politischen Gruppen bemühten, da nur über diese ein gewisses Maß an Einflussmöglichkeiten zu erlangen war. Sie waren dazu nicht zuletzt aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Kenntnisse des Regelwerks politischer Organisationen in der Lage (Strebel, 1994, 85). Vorstellbar ist, dass sie auch die Definitionsmacht darüber hatten, welche Slowenin ausreichend "politisch" war und ihr daher die geringen Unterstützungsleistungen gewährt werden sollten. Doch diese internen Kategorien waren nicht starr und unüberwindlich. Durch entsprechendes Verhalten - zum Beispiel wenn ihre Mitgefangenen sie als "patriotisch" wahrnahmen - konnten unpolitisch eingeschätzte Frauen eine gewisse Akzeptanz bei ihren politischen Mitgefangenen erhalten. Ausblick Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrten die Frauen in denkbar schlechter körperlicher Verfassung in ihre jeweiligen Heimatorte zurück. Dabei schlossen sie sich entweder der organisierten Repatriierung an oder sie versuchten, durch das zerstörte Deutschland den Weg eigenständig zu gehen. Nicht selten wurden sie auf diesen Wegen Opfer sexueller Gewalt durch Soldaten der alliierten Streitkräfte. Sie kehrten zurück in Gesellschaften, die gebeutelt von Kriegsschäden waren sowie geprägt von ideologischen Auseinandersetzungen. Eines der postulierten Ziele der slowenischen Befreiungsfront war es, alle slowenischen Bevölkerungsgruppen in einem Staat zu vereinigen. Dieses Ziel erreichte sie nur zum Teil. Nach den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit war bald deutlich, dass Teile der slowenischsprachigen Bevölkerung sowohl in Italien als auch in Österreich leben würden. Slowenische Überlebende des KZ Ravensbrück lebten in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, die sich mit den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg unterschiedlich auseinandersetzten. Die österreichische Gesellschaft stilisierte sich beispielsweise schnell zum ersten Opfer des nationalsozialistischen Deutschland und blendete die eigene Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen aus. Andere Stimmen hatten kaum Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. In Italien wiederum wollte man an die einstige "Achse Berlin - Rom" nicht erinnert werden. Wichtiger erschienen nun die Tatsache des Waffenstillstandes mit den Alliierten im Jahre 1943 und eine Betonung der eigenen Opfer in den letzten Kriegsjahren. Auch in Slowenien und Jugoslawien 110 Silvija KAV'ClC: SLOWENISCHE FRAUEN IM KONZENTRATIONSLAGER RAVENSBRUCK ..., 95-114 wurde auf eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Besatzungsherrschaft in Slowenien und den Internierungen in Gefängnissen und Konzentrationslagern jahrzehntelang verzichtet. Eine solche findet erst in den letzten Jahren allmählich statt. In Jugoslawien brachte das siegreiche Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Seite der Alliierten den kompletten gesellschaftlichen Umbau. Es entstand ein Staat nach sowjetischem Vorbild und mit deutlich ausgeprägten stalinistischen Zügen. Den Überlebenden der Konzentrationslager begegnete diese Gesellschaft mit Misstrauen, wie es auch in anderen sozialistischen Staaten geschah. Hatten die Häftlinge nicht mit dem Feind kollaboriert, um zu überleben? Bereits 1948 stellte die kommunistische Partei in Slowenien Überlebende des KZ Dachau vor Gericht und verhängte auch Todesstrafen. Als KZ-Häftlinge hatten sie keinen Platz im öffentlichen Gedächtnis der Helden- und Siegergesellschaft. In den 90er Jahren war die slowenische Eigenstaatlichkeit eine Folge der Auflösung Jugoslawiens. Nur noch wenige hatten das Bedürfnis, sich öffentlich mit dem Vielvölkerstaat zu identifizieren. Am 50. Jahrestag des Kriegsendes setzten slowenische Überlebende bei den großen offiziellen Feierlichkeiten in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück im jugoslawischen Gedenkraum einen ausdrücklich slowenischen Akzent. Sie hängten Fotos von 20 Frauen auf, denen aus nationaler Sicht während der Zeit im Lager eine besondere Position zukam. 10 Jahre später trafen sich die Überlebenden erneut, um den 60. Jahrestag der Befreiung zu begehen. Sloweninnen, die in Österreich lebten, hatten sich nicht der österreichischen Gruppe angeschlossen. Sie waren gemeinsam mit ihren Familienangehörigen gekommen. Und sie hatten für diesen Jahrestag eine ganz besondere Demonstration vorbereitet. Sie stellten sich an der offiziellen Gedenkwand, an der an zwanzig Staaten mit Opfern im KZ Ravensbrück gedacht wird, unter die Inschrift "Österreich" und begannen, vor der laufenden Kamera des Kärntner Fernsehens slowenische Partisanenlieder zu singen. Anwesende Sloweninnen aus Slowenien waren in einer Zwickmühle, die sich in den nachfolgenden Diskussionen offenbarte. Sollten sie mitsingen, weil diese Partisanenlieder auch Teil ihres Selbstverständnisses sind? Einige entschieden sich dagegen, weil sie nicht unter der Inschrift "Österreich" stehen wollten und weil sie ihren Kameradinnen übel nahmen, dass sie sich nicht unter "Jugoslawien" gestellt hatten. Anderen jedoch war der staatliche Bezug gleichgültig, sie wollten an diesem Ort mit ihren ehemaligen Mitgefangenen Lieder slowenischer Partisanen singen. Ambivalenzen sowie unterschiedliche Identifikationen bleiben bis in die Gegenwart aktuell. Mit dem Unterschied, dass die gemeinsame Zeit im Konzentrationslager nun die Klammer bildet. 111 Silvija SLOVENKE V KONCENTRACIJSKEM TABORIŠČU RAVENSBRÜCK 1941-1945: POTI V TABORIŠČE, KONFLIKTNE LINIJE IN SKUPINSKE DINAMIKE Silvija Svobodna univerza v Berlinu, Inštitut za vzhodnoevropske študije, DE-14195 Berlin, Garystraße 55 e-mail: silvija.kavcic@web.de POVZETEK V koncentracijskem taborišču Ravensbrück so bile med drugo svetovno vojno zaprte ženske iz več kot 40 držav. Poleg ženskega taborišča v Auschwitzuje bilo to eno največjih koncentracijskih taborišč za ženske. Od leta 1939 dalje so bile ženske tu zaprte iz političnih in verskih razlogov, ker so bile žrtve nacionalsocialističnega rasizma ali ker so nudile odpor proti zasedbi svoje dežele s strani nemškega Wehrmachta. V šestih letih obstoja tega taborišča, so se pogoji za ujetnice nenehno zaostrovali, dokler niso v zimi 1944/45 deli taboriščnega kompleksa spominjali na razmere v V oblastni strukturi koncentracijskega taborišča so bile povezujoče in zanesljive strukture neobhodno potrebne za preživetje. Mnoge ujetnice so se iz tega razloga organizirale po svoji nacionalni pripadnosti. Ob primeru slovenskih taboriščnic avtorica kaže, kakšne konfliktne linije so se v tem skrajnem položaju - kljub občutku nacionalne pripadnosti - izoblikovale na podlagi političnih in socialnih razlik. Ključne besede: Druga svetovna vojna, koncentracijsko taborišče, narodna in državna identiteta ABKÜRZUNGEN IKL - Inspektion der Konzentrationslager KPS - Kommunistische Partei Sloweniens KZ - Konzentrationslager SS - Schutzstaffel (der NSDAP) WVHA - Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS QUELLEN UND LITERATUR Muser, E., Zavrl, V. (1971): FKL Žensko koncentracijsko taborišče Ravensbrück. Ljubljana, Partizanska knjiga. 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