Untersuehungen uber den Winterschlaf der Larven von Gryllus campestris L. Ein Beitrag zur Physiologie der Atmung und Pigmentbildung bei den Insekten. Von Prof. Dr. Johann Regen in Wien. Erweiterter Sonderabdruck aus dem »Zoologischen Anzeiger« Bd. XXX Nr. 6, 1906. Leipzig und Berlin, Wilhelm Engelmanu. Untersuchungen uber den UKinterschlaf der Larven von Gryllus campestris L. Ein Beitrag zur Physiologie der Atmung und Pigmentbildung bei den Insekten. Von Di*. Johann Regen, Professor atu k. k. Sophiengymnasium in Wien. Enveiterter Sonderabdruck aus dem »Zoologischen Anzeiger« Bd. XXX Nr. 5, 1906. Leipzig und Berlin, Wilhelm Engelmanu. #n u 45635 $i/ftf, Tami^z) O^oOk^ Zt? Untersuchungen iiber den VVinlerschlaf der Larven von Gryllus campestris L. Ein Beitrag zur Phjsiologie der Atmung und Pigment- bildung bei den Insekten 1 . Von Prof. Dr. Johann Regen, Wien. Meine diesbeztiglichen Untersuchungen wurden im Jabre 1903 be- gonnen und in den beiden folgenden Jahren fortgesetzt. Wahrend der Wintermonate nahm ich zunachst zahlreicbe Aus- grabungen vor, um den Verlauf des Ganges bloBzulegen und die Tiere in scblafendem Zustande zu erbalten. Hierbei ergab sich, daB der Gang stets unverzweigt und mit Aus- nahme des etwas erweiterten Ausganges iiberall gleich weit ist. Er verlauft meist in einer einfachen Windung und endigt ohne jede Er- weiterung. In andern Eallen beginnt er mit einer sanften Kriimmung, die mit der Tiefe an Intensitat zunimmt und dadurch mehr oder weniger einem Parabelaste ahnlich wird, oder er ist fast geradlinig; in diesem Falle betragt sein Winkel mit der durch den Endpunkt des Ganges gelegten Horizontalebene in vielen Eallen etwa 50°. Der Gang ist g'ewohnlich 30—40 cm lang. Der Abstand seines Endpunktes von der Erdoberflache variiert in der Regel zwischen 20 und 40 cm, betragt je- doch meist etwa 30 cm. In dieser Tiefe gefriert die das Tier umgebende Erde nur selten. Die Bodentemperatur betrug in einer Tiefe von 30 cm zur Zeit meiner Untersuchungen an einem einzigen Tage •—3° 2 (24. Januar 1905, Oberhollabrunn), etwa 2 Monate liindurch 0° bis —2°, sonst war sie hoher. Der Eintritt des Winterschlafes ist von der Tempera¬ tur, Witterung, Lage und Neigung des von den Tieren be- wohnten Erdbodens gegen die Sonne und von der Intensitat der Sonnenstrahlung abhangig. Eine bestimmte Temperatur, bei der stets der Winterschlaf beginnen wiirde, kann demnach nicht ange- geben werden. Doch laBt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit behaupten, 1 Diese Schrift ist bis auf einige geringfiigige Zusatze und Anderungen mit der unter demselben Titel im »Zoologischen Anzeiger« (Bd. XXX. Nr. 5, 1906) er- schienenen gleichlautend. 2 Alle Temperaturangaben nach Celsius. 4 daB sich die Tiere in ihre Gange zum AVinterschlaf zuriickziehen, sobald das arithmetische Mittel vom Maximum und Minimum der Tagestempe- ratur nicht mehr viel von 0° verschieden ist, vorausgesetzt, daB solche Temperaturen anhalten. Fast unzersetzte Nahrungsstoffe, die hier und da im Kropf der schlafenden Tiere angetroffen werden, lassen vermuten, daB der Ein- tritt des AVinterschlafes unter Umstanden sehr rasch erfolgt. Der einmal begonnene AVinterschlaf wird, falls keine Schneedecke vorhanden ist, unterbrochen, sobald das Mittel der Tagestemperatur bei gtinstiger AVitterung einige Tage hindurch steigt. Der Abbruch des AFinterschlafes im Fruhjahr gescbieht offenbar wegen des tiefer eingedrungenen Bodenfrostes im allgemeinen bei einer hoheren Temperatur als der Eintritt im Herbst. Eine bestimmte Temperatur laBt sich jedoch auch in diesem Falle nicht angeben, da hierbei ebenfalls die friiher angefiihrten Momente in Betracht kommen. An mehreren Orten beobachtete ich, daB dort, wo keine Schneedecke vorhanden war, bei einem mehrtagigen Maximum von etwa 7° und einem Minimum von etwa 2° der AVinter- schlaf abgebrochen wurde. Die Tiere uberwinternimvorletzten, seltener im drittletztenLarven- stadium in der Regel am Ende des Ganges, den Kopf entweder dem Ausgange oder der den Gang abschlieBenden Wand zugekehrt, die Ex- tremitaten eng an den Korper angezogen. Wiihrend des Winterschlafes gehen viele Tiere aus bisher nocb un- bekannten Ursaclien zugrunde, andre werden vom Maulvvurf vertilgt; denn bei zahlreichen Ausgrabungen wurden am Ende des Ganges zwar keine Tiere mehr, wohl aber hier und da noch deren Obitinreste ge- funden. Nicht selten fiihrte ein Gang des Maulwurfes durch den End- absclmitt des Grillenganges, in dem keine Grille mehr zu finden war. Bei Kalte ausgegrabene Tiere sind scheinbar tot, geben aber, heftig geschiittelt, bald Lebenszeichen von sich, indem sie die GliedmaBen und Eiihler etwas bewegen. In warme Umgebung gebracbt, werden sie innerhalb weniger Minuten munter. Je tiefer man jedoch die Tempe¬ ratur erniedrigt, desto unbeweglicher werden sie wieder. Bei 0° ist die Erstarrung fast vollkommen. Auf diese Weise war ich imstande, den Winterschlaf kiinstlich bervorzurufen. Da mir im Herbst 1904 353 mannliche und 255 weibliche Larven zur Verfiigung standen, konnte icb fiir meine Versuche stets ganz un- versebrte Tiere von annahernd gleicher GroBe — zur Hiilfte Mannchen, zur Halfte AVeibchen — aussuchen. 5 Einen Teil der Grillen hielt ich in gewohnlicher Zimmertemperatur. Jedes Tier wurde in ein besonderes Glas gegeben nnd taglich gefiittert. Einen andern kleineren Teil gab ich in ein groBes, in demselben Zimmer aufgestelltes Terrarium mit frischem Graswuchs. Die Larven bezogen die kleinen kiinstlichen Vertiefungen und vergrdBerten sie zn langen Gangen, die denen in der freien Natur vollkommen glichen. Alle diese Larven verfielen zwar nicht in den Winterschlaf, nahmen aber meist nur sehr vvenig Nahrung zu sich und entvvickclten sich mit Ausnahme eines einzigen Weibchens, das sich in derNachtvom 22. auf den 23. Februar das letztemal gehautet hatte, vvahrend des Winters nicht weiter. Viele gingen auch — meist wegen Austrocknung — zu- grunde. Die feuchte Erde, in welcher die Tiere in der freien Natur iibervvintern, ist fiir sie in dieser Beziehung ein sicherer Schutz. Einen dritten Teil endlich, 150 Tiere, lieB ich in einer mit Wasser- dampf gesattigten Atmosphare bei 0° durch 2 Monate hindurch den Winterschlaf halten. Von diesen Tieren gingen verhiiltnismaBig wenige zugrunde, und viele entwickelten sich im Friihjahr weiter. Wahrend bei wachenden Tieren die Atembewegungen deutlich wahrnehmhar sind, konnen sie bei Tieren im Zustand des Winter- schlafes nicht beobachtet werden. DaB jedoch auch in diesem Falle ein Austausch der Gase stattfindet, bewiesen genaue Untersuchungen. Em einBild von den Atmungsverhaltnissen der Tiere im wachen und im schlafenden Zustande zu erhalten, vvurde die C0 2 -Menge bestimmt, die ein Tier im vorletzten Larvenstadium in einer Stunde ausatmet. Hierbei ergab sich, daB ein wachendes Tier, teils hun- gernd, teils unter verschiedenen Ernahrungsverhaltnissen, bei etwa 15° durchschnittlich 0,2694 mg, einannaherndgleich groBes Tier von demselben Entwicklungsstadium vvahrend des AVinterschlafes bei 0° durchschnittlich 0,02452mg C0 2 ausatmet. Hervorheben will ich, daB die Feldgrille auch in der freien Natur unter Umstanden langere Zeit bei 0° den Winterschlaf zu halten ge- zwungen ist. So stellte es sich heraus, daB zur Zeit, als meine Tiere im chemischen Laboratorium bei 0° atmeten, die Bodentemperatur in einer Tiefe von 30 cm im Monate Februar 1905 (Oberhollabrunn) fast un- unterbrochen 0,0° betrug. Weitere Versuche ergaben, daB die Tiere auch einige Grade unter Nuli durch langere Zeit ohne zu gefrieren und ohne Nachteil ertragen konnen. Gefrieren sie bei tieferer Tempe¬ ratur voriibergehend ganz, so erwachen sie zwar wieder, erholen sich aber nicht mehr. 6 Nachdem sicli die Larven im Friihjahr das letztemal gehiiutet hatten, bemerkte ich, daB jene Tiere, welche die langste Zeit in einer Temperatur von 0° zugebracht hatten, sich auffallend von denen unter- schieden, die entweder gar keinen Winterschlaf gehalten hatten oder nur eine kiirzere Zeit der Kalte (0°) ausgesetzt worden waren. Erstere waren kleiner, und ihre Fliigeldecken waren schwarz, bei manchen Exemplaren sogar blau schimmernd. Die Elytren der andern Tiere hingegen wiesen meist groBere oder kleinere gelbe Felder auf, immer aber wenigstens an der Basis der Vorderfiiigel einen kleinen gelben Fleck. Als die Tiere alter wurden, waren bei allen die Elytren licbter, im extremsten Falle sogar mit Ausnahme des sclnvarzen Geaders ganz gelb. Das schwarze Pigment in den Elytren von Grijllus cam¬ pestris L. ist also nicbt ganz bestandig. Eine langer andauernde Einwirkung der Kalte auf die Larven von Grijllus campestris L. wahrend des AVinterschlaies bat aber im allge- meinen, wie aus obiger Beobaclitung bervorgeht, in den Elytren der Geschlechtstiere eine vermehrte Bildung des scbwarzen Pigments zur Folge. Unmittelbar nach der letzten Hautung \varen die Elytren audi bei jenen Tieren, welche die langste Zeit der Kalte ausgesetzt worden \varen, vveiB, gewohnlich mit einem Sticli ins gelbe, verfarbten sich jedoch innerbalb einer Stunde und wurden schwarz. Schnitt ich bei einem solchen Tier sofort nach der letzten Hautung das dorsale Feld einer Fliigeldecke vom inneren Bande aus quer in der Mitte durch, so vervvuchsen die durchschnittenen Teile innerhalb einer Stunde vollkommen 3 . Dabei farbte sich der vor der Narbe liegende basale Teil der Fliigeldecke friiher schwarz als der hinter der Narbe gelegene. Nach langerer Zeit wurden jedoch beide Teile in der Far- bung gleich. Fiihrte ich bei einem andern Tier oder an der andern Fliigeldecke desselben Tieres die gleiche Operation aus, sorgte aber dafiir, daB die durchnittenen Teile nicht ver\vachsen konnten, so verfarbte sich nur der vor dem Schnitt liegende Teil vollkommen, unmittelbar hinter dem Schnitt aber blieb die Elytra heller. Daraus folgt: Bei Grijllus campestris L. wird den Elytren die das schwarze Pigment liefernde Verbindung vom Blute zugefiihrt. Die Bildung des Pigments vollzieht sich erst nachtraglich, sei es unter 3 Spatere Versuche ergaben, daB ein solches Yerwaohsen nur unter gewissen Bedingungen stattfindet, die zur Geniige noeb nieht bekannt sind. 7 Einwirkung des Lichtes oder des Sauer- oder Stickstoffes der Luft oder unter dem Einflusse mekrerer dieser Komponenten zugleich. Dm diese Frage zu entscheiden, machte ich folgende Versuche: I. Ich brachte die Tiere mit ihren weiBen Fliigeldecken in Dunkel- heit. Die Fliigeldecken tvurden schwarz. II. Ich schnitt sofort nach der letzten Hautung die weiBen Fliigel- decken ab. Sie verfarbten sich bis zu einem gewissen Grade aucb im abgetrennten Zustand. III. Nun.brachte ich die frisch abgescbnittenen weiBen Fliigeldecken in eine Atmosphare von Sauerstoff. Sie verfarbten sich so\vohl im Licht als auch in der Dunkelbeit gleich stark. IV. In vollkommen reinem Stickstoff hingegen blieben sie sowohl im Licht als aucb in der Dunkelheit vollig unverandert. AusdiesenVersuchenergibtsichdemnach, daBdasoben- genannte Pigment bei Gnjllus campestris L. nur in Gegen- wart von Sauerstoff scliwarz wird. Die langsame Atmung der Tiere wahrend des Winterscblafes ver- anlaBte mich zu der weiteren Untersucbung, ob Tiere im wachen Zu- stande in einer Atmosphare obne freien Sauerstoff einige Zeit leben konnten. Hierbei kam ich zu folgenden Resultaten: Im Kohlendioxyd wird jedes Tier innerhalb 16 Sekunden bewuBtlos und, da die Atembewegungen vollkommen auf- horen, scheinbar tot. Doch erholen sich solche Tiere, selbst wenn sie langere Zeit (bis zu einer Stunde 4 ) in dem genannten Gase gehalten werden, nachdem man sie herausgenommen bat, vollstandig, und zwar im allgemeinen um so fruher,je kiirzer sie darin belassen werden. Ahnlich verhalten sich Tiere, die hochstens 1 Stunde in reinem Stickstoff zugebracbt baben, jedoch mit dem Unterschiede, daB sie zwar wieder erwachen, sich aber nicht mehr erholen. Die friiher erwahnte Wirkung von Kohlendioxyd auf die Tiere von QryUus campestris L. ist insofern von Interesse, als man nun imstande ist, operative Eingriffe zum Zwecke physiologischer Untersuchungen auch an so kleinen Tieren, wahrend sie sich in narkotischem Zustand befinden, auszufiihren. Die in der C0 2 -ISlarkose operierten Larven von Gryllws campestris L. entwickelten sich zu Geschlechtstieren weiter und lebten in der Gefangenschaft so lange \vie die Tiere in der freien Natur, ein Bevveis, daB das in richtigem MaBe angewendete Kohlendioxyd keine scbadlicben Wirkungen fiir diese Tiere zur Folge bat. 4 Die auCerste Grrenze wird damit jedoch nicht angegeben. NARODNA IN UNIVERZITETNA KNJIŽNICA 00000516936 Drllck von Braitkopf & Hartel in Leipzig.