Ideale und Opker ksligiöss UsUon au; clsr SvangslUcken Ltirittuskircke in kcübcicti, gsticiltsn von Piarrer Or. Ottmar kegemann liciiback Zelbltverlcig kuckärucksrsi 2g. v. tir für die eigene Überzeugung Achtung fordern, so sind wir jeder fremden Überzeugung Achtung schuldig. Nie so« niedere persönliche Gehässigkeit unsere beiligbobe Zache beflecken, so werden wir frei werden von allem boblen Chauvinismus. Der Pfarrer aber bleibe ferne allem politischen Kampfe. Venn alle Politik ist Zeitlich, nur das Evangelium ist ewig. So sei es auch gehalten gegenüber den sozialen Machtkämpfen unserer Zeit, welche die nationalen Kämpfe mit der Leit rurückdrängen werden, kin Nachfolger ghrisü wird allezeit auf Seiten der Enterbten, der Schwachen und geringen stehen müssen. Aber auch hier verbietet sich dem Pfarrer das Eintreten in politische Kämpfe, durch die er sich in gegensack ru einem Leüe seiner gemeinde stellen würde. Und selbst im konfessionellen Kampfe gibt es im gründe keine andere Stellung für den Pfarrer. Vieser Kampf soll und muss gekämpft werden, bis dereinst ein ehrenvoller Friede ihn endigt. Aber die kcinrel sei nicht der Ort, wo er ausgetragen werde: „Nur ewigen und ernsten Dingen Sei dieser beii'ge Ort geweibt!" vur eine Polemik sei hier gestattet, die Polemik gegen die Sünde! Und wenn für irgend einen, so gilt für den Diener ghristi das Mort der heidnischen Jungfrau: „Vicht mickuhassen, mickulieben bin ich da." Aber wenn in dem allen die Aufgabe des evangelischen Pfarrers nickt liegt, worin liegt sie denn? gine allgemein verbreitete Vorstellung, auch unter euch Protestanten, ist die, dass der geistliche im klesicke über¬ natürlicher Kräfte sei, durch die er mittels der Sakramente magische Wir¬ kungen ru erzeugen vermöge. 6r sei daher berufen, neugeborene Kinder durch die Laufe in eine übernatürliche Sphäre ru erheben, dem Schuld¬ beladenen die Sündenlast mit einem (Dort hinwegrunehmen, im Abend¬ mahle das Fleisch und Mut des gottmenschen in Zauberhafter Meise mit- ruteilen, noch den Sterbenden von seinen Sünden ru reinigen und ihm dadurch den kingsng in den Himmel ru bahnen. Auch das vermag ich nicht ru bieten, wenn wir wirklich für möglich hielten, dass es solche Lauberwirkungen gäbe, wir müssten auf sie verrichten! varu sind wir ja Protestanten, dass wir allein rlsm V?orts vertrauen. „Äussere Mittel tun es freilich nicht, sondern das Mort Lottes und der glaube, so solchem Morte traut," steht in unserem Katechismus geschrieben. 4 Uber geraäe deshalb hält man es aus protestantischer 8eile Mr äie Ausgabe c>es CvangolisÄtLN geistlichen, äass er als hausbalter über Lottes keheim- nisse äie unfehlbare Mahrbeit äes göttlichen Wortes xu verkünäigen habe. Man schilt uns evangelische Pfarrer beule wieäer, wie in äen klagen äer Aeformation, Zumeist Drääikanten. Man ruft uns ru: Nichts habt ibr, als äas arme, tote, kalte, nüchterne Mort! bekämt ibr euch clenn nicht ciieser eurer Armut? Nun, in ciieser Armut liegt unser heichtum! prääikanlen ru sein, cias sei unser höchster 8tol^, unsere seligste Treuäe. Mir baben äas Mort unä äen glauben: ,,cter aus äem Wort gereuget, Unä äurch cias Wort sich nährt, Unri vor äem Wort sich beuget, Unä mit riem Wort sich wehrt," „Deine Zeugnisse sinä mein ewiges Lrbe, äenn sie sinä meines gerbens Monne." Denn wir baben clarin äas Lvangelium von äer freien Lnaäe äes himmlischen Osters in ghristus, äie uns M Lotteskinäern macht. Diesen köstlichsten 8cbsM, äiese Dotschalt äer Freiheit, Mahrbeit, Liebe äer Menschheit ru erhalten, sei unser heiliger löerul. Unä äoch: Nie höchsto uncl lotrts ölukgabs ist auch äas noch nicht! gz ist im Morte Lottes für äie Melt äes Lemüts, äes innersten Heilig¬ tums äer 8eele, äie volle Mahrbeit erschlossen, Aber auch äie kibel ist ein iräenes gefäss, äas äen ewigen Inhalt in menschlicher Unvollkommen¬ heit umschliesst. 80 gewiss sie Mahrbeit äem gläubigen Lemüte bietet, so stellt äoch äiese Mahrbeit jeäer neuen 2eit äie neue Aufgabe, äen ewigen Inhalt in äen Normen ihres eigenen Denkens ausruprägen. Mir können äie Mahrbeit nicht fertig übernehmen, sonäern müssen aus äsr eigsnan parsönlicirkLit heraus, subjektiv, äie Lösung äer Lebensrätsel versuchen. Die Protestanten hanäeln unfolgerichtig, äie eine anäere Offenbarung als äie vheubaruug Sottos im Sewissen äes einzelnen als letzte mass- gebenäe Richtschnur erkennen. Mir sinä ^uleM gebunäen nur in Lott, in äem Sott in uns. Das ist äas, was äer Apostel „äas Zeugnis unseres gewissen;" nennt. Keine Offenbarung äusser äer im gewissen — mag sie noch so heilig unä ehrwüräig sein — äars eine Herrschaft über äas gewissen beanspruchen, so sehr wir jeäe Offenbarung sreuäig gebrauchen weräen, um äie Offenbarung im gewissen xu befruchten unä ?u klären. Der Protestantismus wirä äiese letrie Folgerung seines eigenen Prinzips voMieben oäer äem veräienten Lntergang verfallen! s Uon da aus ergibt sich erst äie leckte, eigentliche Antwort aut äie ?rage: Mas bietest du? Vie Antwort lautet: Ich biete euch eine ringende, kämpfende Persönlich¬ keit mit allen ibren Mängeln unä Irrtümern, von äer aber äas (vor! äes Apostels gilt, „ässs wir in Hinfälligkeit unä göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Aeisbeit in äer Lnaäe Lottes wanäeln." „Als aus Lauter¬ keit unä aus Lott, vor Lott in Lbristus." Äie es einer äer grössten germanischen Leistesbeläen gefasst bat: "6öctistC5 Sluck äer Eräsickiliäsr ist nur clis Persönlichkeit.» Vicht äurch äie Liefe äer Leäanken, nicht äurch äen weiten Klick- Kreis, nicht äurch Missenschaftlichkeit, nur äurch unsere Persönlichkeit können wir wirken. Ls gilt einen schöpferischen neuen Lebenst^pus äar- rustellen, inäem wir, im Lusammenbang mit äem Überlieferten, äie Strömungen äer Legenwart rusammenfassen. vur so weräen wir im lebenäigen ?luss äer Leit äie äenkenäen Leister unserer Lage ru gewinnen vermögen. So möge äenn alles, was bier gereäet wirä, verballen, wie alles Iräjzche verballt, bleiben soll äer Linäruck äer Persönlichkeit, unä wenn auch äieser Linäruck schwinäet, so soll noch wie ein fernes Leuchten am Abenäbimmel eine Meile äie Lrinnerung bleiben an einen, äesseu Persön¬ lichkeit Ulrich von Küttens Mort verkörperte: -iZck kiab's gewagt!» Oäer wie äer 5ürst Molfgsng von Anbalt in äenselben Lagen riet: „Ich babe so manchen kitt in meinem Leben getan, so will ich auch einmal für meinen Herrn Lbristus auts pferä steigen." Ich sebe so viele, äie ibr Leben einsecken für Laster unä Lorbeil, für Lanä unä Nichtigkeiten, warum soll nicht ich äas körslein satteln für meinen Herrn Lbristus xum rechten Streit unä mein Leben dafür einsecken? „Trischaut ctrum, äen kappen geräumt, Vie brust im Setechte gebtttel! Vie gugenä brauset, äas Leben schäumt, frischauf, el>' äer Seist noch veräüttet. Unä setret ihr nicht äas Leben ein, Vie wirä euch äas Leben gewonnen sein." Unä so möge euch vorangeben in diesen Lagen, da ich äie schwache unä doch äie beste Kratt für euch einsecken will, eine Persönlichkeit, der trotr 8ünden und 8chwächen etwas aufgeprägt ist von dem, was geschrieben stebt im Hause des Papstes in pattaels herrlichster 8tanre: „kumine skflatus." (Ion der Gottheit angewebt! Mrwahr, ein (veg äes Leidens und äer 8chmerren! Mit den Morten eines eälen katholischen Priesters: „Vie wahre Vachfolge Christi ist äer Meg äes hreures. 8ie bringt nicht Vang unä Keichtum ein unä ein be¬ quemes, sorgenfreies Leben, wohl aber äie Liede unä Dankbarkeit äer äer Leitung äes Priesters anvertrauten Lhristengemeinäe." Liebe unä Anhänglichkeit meiner gemeinde Laibach mehr unä mehr ru erringen unä ru behaupten sei mein höchstes irdisches Äel! Ihr ruft mir ru: Du bist unser rechter Pfarrer! 80 rufe ich euch ru: Ihr seid meine rechte gemeinde! Mögen andere mein Bekenntnis Unglaube schelten, euch genügt es unä Mr euch ist es ja doch bestimmt, ihr habt mir gereizt, dass ihr mir den Kesonanrboden bieten wollt, auf äem anklingt, was meine 8eele erfüllt. 80 seid ihr meine rechte gemeinde. Mohl, diese gemeinde, einsam in fremdes Konfessionsgebiet vor¬ geschoben, rusammengesetrt aus den verschiedenartigsten, rasch wechselnden glementen, entbehrt freilich äer festen kirchlichen 8itte unä kraftvoller re¬ ligiöser Überlieferung. Mie wenig freudige Erkenntnis Lottes, wie viel Kottverlorenbeit ist in unseren Leihen — äie Vesten haben es mir ja selbst bekannt. Aber grade darum, weil ihr mich brauchen könnt, seid ihr ja meine rechte gemeinde. Auf äer weiten (Veit wüsste ich mir keine Aufgabe schöner, wichtiger, beseligender, als diese, den gottes- geäanken unter euch in ernster, geduldiger Arbeit allmählich entfachen ru helfen. 80 will ich denn auf diesem voden, auf dem einst der Reformator Primus Lruber inmitten eines ganr evangelischen Krainer Landes gewaltet, auf dieser Ksnrel, aus welcher Lheoäor Lire und Otto 8chack in 8egen gewirkt, in dieser gemeinde, in der vor mir Hans ^jaquemar dreizehn ^jahre in unermüdeter Lreue und vorbildlicher gewissenbaftigkeit gearbeitet, mit Lottes gnädiger Hilke meine Lätigkeit als Pfarrer beginnen. Und so grüsse ich euch denn, ihr (vahrreichen Laibachs! Du vurg, die aus Laibach herabschaut, in ihrer äussern krscheinung ähnlich der (vartburg ob Lisenach. von ihr hat Anastasius grün, Laibachs grösster 8ohn, dessen hundertjährigen Geburtstag wir demnächst begehen, gesungen: »Du ?els, daraus die vonnerwolke, Vas Lenrgewitter, Luther, brach, fv; der Prophet ru seinem Volke verhüllt aus tvolkenschleiern sprach." 7 vu solist eine immerwabrenäe preäigt uns halten: „hin' feste 6mg ist unser Lott," äass um in gutem Protestantenmut uns äessen getrosten: „Vas heich muss uns äoch bleiben!" vnä von äer 6mg schauen um binüber ru äen ewigen 6ergen, „von «jenen uns Hilke kommt." Ich grüsse äich, äu hranr bochragenäer 6erge im herrlichen 6Ipenlsnä, von äeren höbe wir, „umstarrt von bunäert chlpenriesen, ltalien schauen unä äie blaue 5ee." 6uch ihr sollt preäigen: „Hs sollen wobl 6erge weichen uncl Hügel binfsllen, aber 6ottes 6naäe soll nicht von uns weichen unä äer 6unä seines?rieäens soll nicht bin- lallen." „Solang äie 6erge steben auf ibrem 6runäe," solange soll such äer Leuchter äes hvangeliums nicht von seiner Stätte im Lanäe hrain gestossen weräen, so wabr uns 6ott belke unä äas Schwert seiner kvabrbeit. vnä wenn äie 6erge äann äennoch fallen in äiesem 6ereich äer Lrädsbeii, äs schon mebr wie einmal alles wich unä kiel, nun, äann müssten wir es ballen mit äem beiänischen (veisen: „vlenn krachenä Zerbirst äer hräkreis, wirä auf Lrllmmern aufrecht noch steben äer 6eberrite." ^?ir bciuen cillein ciuk Sott k „Himmel unä hräe weräen vergeben, aber seine vlorte weräen nicht vergeben." lbm, äem ewigen (veltengeist, äer in ^jesus hhristus sich als unser Vater offenbart, sei alles geweicht unä anbeimgestellt, was in unserer evangelischen gemeinäe gearbeitet unä erstrebt wirä, weil wir sieben aus äem 6ekenntnis: „Ich weiss, an was ich glaube, Ich weiss, was lest bestebt, Unä in äem 6räenstaube Nicht mit äem Staub verwebt. 6s ist äas Licht äer höbe, 6s ist mein chsus Christ, Der?els, auf äem ich stehe, Der äiamsnten ist. »er nimmermehr kann wanken, Mein heilanä unä mein hort, Vie Leuchte äer Leäanken, Vie leuchtet hier unä äort." 6 m en. Du Verlage äer 6vang. Lirchengemeincie in Laibach. — Druck von LIeinmavr 8t Lamberg in Laibach. 452—H. „Eins ist not!" Predigt, gehalten am 21. Immer 1906 in der evangelischen Christnskirche zu Laibach von Dr-. Aegerncrnrr. «Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist not, Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.» Lukas 10, 41 n. 42. Was wir suchen, ist das Glück! Wir suchen es durch unseren Beruf, wir suchen es in unserer Familie, wir suchen es in trener Arbeit an unseren Mitmenschen, wir suchen es in Kunst und Wissenschaft, wir suchen es auch in der Religion. Wir ziehen aus als Glücksucher, um das Glück auf Erden zu finden, freilich nur, um auf die mannigfachste Weise zu erfahren: «Hier ist sie nicht, Die Heimat der Seele ist droben im Licht.» Auf Erden ist das Glück als ungestörtes Genießen und heitere Ruhe für keinen Menschen zu finden, unselig jeder, der noch diesem unerreichbaren Traumbild nachjagt. Und dennoch läßt das Glück sich finden: als ein verborgener Schatz, deil wir mit Furcht und Zittern in Händen halten, im irdenen Gefäß der oft so unvollkommenen Lebensformen unseres äußeren Daseins, ein Schatz, der uns immer wieder zu entschwinden droht, den wir aber dennoch im Glauben als sicheren Besitz innehaben. «Ich gebe den Meinen das 2 ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen», sagt der Heiland. Nur dann aber werden wir diesen Schatz finden, wenn wir Christi Mahnung erfassen und befolgen: -Du machst dir viel Sorge und Mühe, eins aber ist not, das ist das gute Teil, das nicht genommen werden soll.» «Eins ist not», in diesem Worte liegt das ganze Geheimnis aller echten Lebensknnst. Eins ist not: das soll uns hinweghelfen über die schweren Hemmnisse unseres Lebens. Eins ist not, das soll uns hinleiten zu den Quellen des ewigen Lebens. Es möge erlaubt sein, zum Teile mit den Worten des edlen Russen Leo Tolstoj, der wie kaum ein zweiter von allen Mitlebenden ans den Hohen der Erfahrung, des Ruhmes, der Erkenntnis steht, Christi Ge¬ danken zu verdeutlichen. Wenn ungezählte, die diesen Gedanken verstehen könnten, es nicht wollen, andere die ihn verstehen wollen, es nicht können, so mag es uns eine starke Ermutigung sein, daß einer der besten aus den Millionen der heutigen Menschheit des Lebens Aufgabe so voll und tief erfaßte.* * * -i- Wir möchten alle so gerne glücklich sein! Aber wir können es nicht! Immer anfs neue werden wir durch Entbehrung, Fehlschläge, Ent¬ täuschungen, Unglücksfülle, Krankheit, Mißgeschick, Widerwärtigkeiten, seelische Kümmernis aus der Bahn geworfen, in unserem Gleichgewichte gestört. Gerade wenn wir das Glück zu Haschen wähnen, erkennen wir es so oft als täuschendes Irrlicht. Solange wir das Glück in Genuß und Vermeidung von Unlust setzen, ist und bleibt das Glück ewig unerreichbar. Und doch setzen fast alle Menschen das Glück gerade in diese beiden Dinge. Wohl gibt es ja überhaupt sehr wenige, die ein klares Bewußtsein davon hätten, was sie überhaupt an allgemeinen Gütern erstreben. Aber wenn man es ganz vorurteilslos prüfen und abschätzcn würde, so würde man entdecken: der Lebensinhalt der meisten ist Streben nach Genuß und Furcht vor Unlust. Weil dies Streben sie ganz allein regiert, suchen sie mit ängstlicher Sorge und heißem Bemühen: Vermögen, Vorwärtskvmmen, Familienglück, Gesundheit, für sich und die ihrigen. Denn dies alles ist ja die notwendige Voraussetzung für ungestörten Lebensgenuß und Bewahrung vor Leiden. Und doch kann im Trachten nach diesen Dingen unmöglich der eigentliche, letzte Zweck des Lebens liegen. Unmöglich ist das Trachten, nur genießend leben und dem Leiden um jeden Preis entfliehen zu wollen. * Bergt. Leo Tolstoj: -Der Sinu des Lebens.» München, Albert Langen, I90t. Preis L 1'20. 3 Ein Leben, das nur in Genüssen besteht und von keinem Leiden gestört wird, ist nicht möglich. Die Welt ist nun einmal so eingerichtet, daß unzählige sich mühen müssen, um wenigen Genuß zu bereiten, ein Genuß, der dann viel verlockender der heißen Sehnsucht derer vorschwebt, die ihn entbehren, als er den Genießenden tatsächliche Freude bietet. Wenn aber auch das ganze Leben nur aus Genüssen bestände, das Ende des Lebens, der Tod, ist immer mit Leiden verbunden. Der Tod ist die dunkle Pforte, die wir alle durchschreiten müssen, der tragische Ausklaug, mit dem jedes einzelne Leben abschließt. Wie verhüllen die Menschen vor diesem Ende ihres Trachtens ihr Angesicht! Sie wollen es nicht wissen: »Nach Trübsal, Angst und mancher Not Kommt endlich noch zuletzt der Tod.» Als wenn der furchtbare Schnitter Tod damit aus der Welt geschafft wäre, daß man ihn zu vergessen sucht! Ganz zweifellos ist der Tod unser allerletztes irdisches Ziel. Kann darin der Zweck des Daseins liegen, kann er liegen in einem erträumten Genuß, den es auf Erden gar nie¬ mals gab noch geben kann? Kann es des Schiffers Zweck sein, die Wellen, die sein Schiff hin und her schleudern, zu meiden? Doch nur daun, wenn er kein Schiffer mehr wäre! Kann es des Soldaten Zweck sein, den Kampf zu meiden? Doch nur daun, wenn er kein Soldat mehr wäre! Kann es des Menschen Zweck sein, die Leiden zu vermeiden, die Genüsse zn erlangen? Dann wäre er kein Mensch mehr! Genüsse und Leiden sind notwendig. Sie sind das Ein- und Ansatmen der Seele, Nahrungsaufnahme und -aus- scheidnng. Aber so wenig wir leiblich leben nm zu essen, sondern essen um zu leben, so wenig können wir im Aufsuchen der Genüsse und im Ausweichen vor den Leiden des Lebens letztes, höchstes Ziel erkennen. Das Ziel des Lebens muß ein allgemeines und geistiges sein. Darum sagt der Heiland: «Tut Buße», das heißt: Bedenkt den Wahnwitz eures irdischen Trachtens nach Lust und Ehre, begreift euch selbst, wer ihr seid, wozu ihr existiert. Das Wohl eurer selbst als einer Einzelperson oder eurer Familie oder des Standes oder Staates oder Volkes, das alles kann nicht der letzte Zweck eures Lebens sein. Ihr habt gar nicht das Recht, dies Ziel euch nach eigener Wahl zu setzen, da euch das Leben nicht gehört, sondern der Macht, die euch kunstvoll und wunderbar hervvrgebracht hat. Diese Macht hat durch alle Wunder der Natur, der Weltgeschichte, der geistigen Schöpfungen, der Heilsoffen¬ barung dargetan, daß sie Gedanken besitzt. Gedanken, soviel höher als unsre Gedanken, wie der Himmel höher ist als die Erde. Um dieser 4 wunderbaren Geisteskraft willen, die in allen Schöpfungswerken ausgebreitet ist, kann diese ewige Macht Vertrauen von uns beanspruchen, Vertrauen, das wir in der Gestaltung der kleinen Wege unseres eigenen Lebens betätigen müssen. Aus Natur, Geschichte, Gottes Wort enthüllt sich uns aber der Lebenszweck als ein geistiger und gemeinschaftlicher, als ein Reich der Geister: «Du ahnest es hiemeden, Doch droben bricht es an. » Wenn wir dies Eine erfaßt haben, was not ist zu erfassen, dann wissen wir, auch in all unserem Handeln und Schaffen ist doch nur Eines not. In den Stunden seelischer Depression, des Kummers, der Furcht, des Zorns und Ärgers über die Menschen, sollten wir uns daran halten: Nicht daß wir verschiedene Werke schaffen, Kinder erziehen und glücklich machen, Geld erwerben, Ehrenstellen erlangen, für die Menschheit wirken, nicht alles das ist not. Not ist ja doch nur das eine einzige, daß wir geistige Wesen werden, die in Gottes Reich hineinpassen. Daß unsere äußern Verhältnisse, daß unser Beruf ungestört, unsere Familie gesund, unsere Ehre unbefleckt, unser Glück vollkommen sei, das ist nicht not. Aber das Eine ist not, daß unser Leben selbst ein ganzes, gutes, vernünftiges Werk sei. Und zwar nicht in den Augen der Menschen, nicht in unseren eigenen Augen, sondern in Gottes Augen. Und solange wir leben, haben wir die Möglichkeit, mit einem einzigen Ruck es dazu zu machen, wenn es auch noch so schlecht, unvernünftig, unvollkommen gewesen wäre. Durch diese eine Erkenntnis aber erscheint uns mit einem Mal alles Sinnen, Trachten, Rennen, Jagen, Loben, Tadeln, alles Reden und Handeln auf dem Markt und in der Kammer als blinde Unvernunft. Es fällt auf alle Lebenserfahrungen ein ganz neues Licht, daß wir mit dem Apostel sprechen lernen: »Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es alles für Schaden gegen der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu meines Herrn.» Und umgekehrt: Was mir Schaden war, das habe ich um Christi willen für Gewinn geachtet! Hemmung ward mir Förderung! Was not ist, ist dein seelisches Leben zu heben. Dein seelisches Wesen aber kannst du nur dadurch heben, daß du in deinem tierischen Leben Reinheit, in deinem menschlichen Leben Demut, in deinem göttlichen Leben Liebe erstrebst. Mit wahrhaft prophetischem Geiste hat Tolstoj damit des Lebens Zweck nach seiner Entfaltung in seinem dreifachen Verhältnis zu uns selbst, zu nnsern Mitmenschen und zu Gott bestimmt. 5 Um deiner Reinheit willen sind dir Entbehrungen, Enttäuschungen, Schmerzen völlig unentbehrlich. Wenn Gott dir alles gäbe, was du so heiß verlangst, so innig wünschest; wenn du nicht hindurch müßtest durch qualvolle Entbehrung, wie weichlich, sinnentrunken, leidensscheu, mit einem Wort: wie unrein würde deine Seele. Nur das, wofür wir opferten, achten wir. Reinheit der Seele muß dem Leibe, dem Tierischen an uns, fast immer mühsam abgernngen werden. Das kann nur durch Opfer, durch Entbehrung geschehen. In all den Stunden, wo wir zu verschmachten scheinen im heißen Durst nach Freuden, da sollten wir bedenken: Eins ist not! All das andre mag wertvoll, köstlich sein, aber doch nicht not. Eins ist not. Darum soll sich in deinem göttlichen Leben Liebe gestalten. Sie ist ja das eigentlich Göttliche, Geistige im Menschen. Liebe im echten Sinne ist die Kraft der Seele, in unermüdetem Wohlwollen, in nie versagender Treue die geistigen Zwecke unserer Mitmenschen, unseres Volkes, des Reiches Gottes zu fördern. Das Tier kennt nur die Erhaltung seines Leibes und seiner Gattung. Ob der Mensch ein geistiges Wesen ist, muß sich darin offenbaren, ob sein Sinn sich erschließt für geistige Aufgaben, die niemals ein einzelner lösen kann, die vielmehr immer Sache einer Gemeinschaft sein müssen. Damit aber solche Liebesgesiunung erwachsen und sich bewähren könne, sind alle die Hindernisse, die uns so oft das Leben fast unerträglich machen, ganz unentbehrlich. Wenn wir nicht Haß, Stumpfheit, Bosheit, Verständnislosigkeit bei unfern besten Absichten kennen lernen würden, wenn wir nicht in böse Gerüchte hineinkämen, so würde sich unsere Liebe nie bewahren können. Auch hier macht nur Übung den Meister. «So ihr nur die lieb habt, die euch lieb haben, was tut ihr Sonderliches», sagt der Heiland. Er selbst hat die heftigste Feindschaft, den größten Undank erfahren, der sich jemals gegen einen Menschen richtete. Aber wäre das nicht gewesen, hätte dann die Welt die Feier der allergrößten Liebe je gesehen, die in Gethsemane und Golgatha sich abspielte? Und so auch bei uns. Wenn unsere Liebe erwidert wird, aus Dank und Anerkennung stößt, da ist sie im Grunde nicht von versteckter Selbstsucht zu unter¬ scheiden. Solange jeder Liebesbeweis reichen Lohn trägt, solange ist die Liebe nichts Starkes, nichts, was in sich eigenes Leben hätte. Anders wenn die Liebe zunächst etwas Aussichtsloses ist, mit Bosheit und Un¬ verstand zu kämpfen hat und sich doch nicht abschrecken läßt. Dadurch beweist die Liebe, daß es ihr wirklich um die Sache und Person zu tun ist und nicht um äußern Lohn. Darum achtet es zuletzt eitel Freude, wenn euch die Menschen so oft nicht verstehen, wenn ihr unerkannt, ver- 6 dächtigt, angefeindet über diese Erde geht. Denn das alles ist notwendige Voraussetzung und Bewährung eurer Liebe. Und durch beides, durch Entbehrung wie durch Feindschaft der Menschen, kann allein das echteste Kleinod eines bewährten Christen, die Demut, euch zufallen. «Den Hoffärtigen widerstehet Gott, den Demütigen gibt er Gnade.» Die Demut ist die köstlichste Perle in der Strahlenkrone, die das Haupt jedes echten Christen schmückt. Demut aber erwächst nur durch Demütigung. Wir alle gedenken wohl mit brennender Scham, wie mit anfkochender Entrüstung, der vielen Demütigungen und Herabwür¬ digungen, die wir zu erdulden hatten. Gerade der, welcher viel Ehren und Würden empfängt, muß auf der anderen Seite durch empfindlichere Demütigungen hindurch, wie einer, der sich an hochfahrende, geringschätzige Behandlung gewöhnt hat. Wie es denn einer der größten Vorzüge eines niederen Standes ist, daß der Mensch durch ihn unempfindlicher wird gegen Kränkungen und Widerwärtigkeiten. Wie sehr aber steht eine solche Behandlung im Widerspruch mit allem, was wir nach unserem berechtigten Gefühl von Menschenwürde erwarten dürften. Des Reichen Stolz, des Mächtigen Mißhandlung, das wird von Shakespeare aufgeführt unter den schwersten Geißeln und Schmerzen des Lebens. Und doch ist uns nichts so not, wie solche Erfahrungen, die uns in der Demut üben. Wie leicht wird doch das arme Menschenherz hoffärtig, überhebend, indem wir «Fleisch zu unserem Arm machen», wie die Schrift sagt. Wir sollten «auf nichts Vergängliches bauen, nicht Eitelkeit uns frenn» und doch, wie leicht bauen und pochen wir auf Ehre, Gut und eigene Kraft, statt allein auf ihn zu bauen, der allein dem Menschen Leben und Odem gibt. Darum tun uns Demütigungen not, damit wir unserer eigenen Erbärmlichkeit innewerden. Wir wissen ja alle so viel zu schelten über fremde Schlechtigkeit! Ach wenn wir doch nur von unseren eigenen Mängeln immer voll überzeugt wären, wir würden leichter durchs Leben finden. Solche Demut aber ist eine Kunst, die nur sehr schwer erlernt und nur allznleicht vergessen wird. -Eins ist not», eins, daß wir geistig uns läutern, rein und treu und demütig werden. Weil dies Eine not ist, darum ist auch so viel anderes not, was wir gar nicht für nötig halten, was aber Gott in seiner Weisheit dennoch so geordnet hat. Aber der Heiland spricht: -Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht, ich will euch erquicken.» Wenn er uns das Eine anbietet, was not ist, so meint er damit doch zuletzt etwas, was uns trösten und stärken, nicht aber niederbeugen soll, eine köstliche Perle, die an Wert alle irdischen Güter übertrifft, so daß wir durch deren Besitz entschädigt werden für den Verlust aller übrigen Güter. Das meint das Lied, wenn es sagt: -Wie dies eine zu genießen sich Maria dort befliß, Als sie sich zn Jesu Füßen voller Andacht uicderließ, Das Herz ihr entbrannte, nur einzig zu hören, Was Jesus, ihr Heiland, sie wollte belehren, Ihr alles war gänzlich in eines versenkt Und wurde ihr alles in einem geschenkt.» Dies Eine ist Jesu heiliges Wort! Je reicher die menschliche Er¬ fahrung wird, um so mehr wird sie irre werden an dem, was menschliche Weisheit über die letzten Ziele und Aufgaben des Daseins ersonnen, wie an dem, was die Kirche als heilige Lehre aufgestellt hat. Aber inmitten dieses Meeres von Irrtum gibt es doch ein heiliges Land der Wahrheit, ein -Hilligenlei», wie es ein Dichter unserer Tage sich ersehnt, das ist Jesu göttliche Wahrheitslehre. In ihr erfüllt sich, was der Apostel ausspricht: -Christus ist unser Friede. Er hat verkündigt im Evangelium den Frieden, euch, die ihr ferne wart, und denen, die nahe waren.» Mögen denn die Träger des kirchlichen Christentums in noch so vielen Punkten irren, im Mittelpunkte ihrer Überzeugungen, daß sie Christus (wenn auch einen unverstandenen Christus) als das Eine erkennen was not ist, haben sie dennoch Wahrheit. Und auf der anderen Seite, die Träger moderner Kultur: mit ihrem besten, reinsten Wahrheitsstreben können sie nichts Höheres, Wahreres finden als das Evangelium. -Das Evangelium ist eine durch religiöse Genialität ge¬ fundene Darlegung der Gesetze des geistigen Lebens, es ist also wesenlich Beschreibung, so sehr Beschreibung, wie die Chemie und Physik Be¬ schreibungen sind. Durch Beobachtung des Lebens ist das Evangelium bisher noch immer bestätigt worden: man kann daher ruhig jedem freistellen, das Evangelium stückweise aus der Geschichte und dem Leben zu sammeln, während er es einfacher (bei Jesus) so leidlich schon beieinander finden kann» (Lagarde). Je länger, je tiefer wir in diese reine Jesuslehre eindringeu, um so mehr werden wir inne, daß hier das Eine ist, was not tut allen Zeiten und allen Menschen: -eine reine, reiche Quelle, die nun dorther sich ergießet, unergründlich, ewig Helle, rings durch alle Welten fließet» (Goethe). Dies Eine, Notwendige kann uns helfen, daß wir das andere erlangen, was uns not ist: echte Geistesmenschen zu werden: «Eins ist not, ach Herr, dies Eine, lehre mich erkennen doch, Alles andre, wie's auch scheine, ist ja nur ein schweres Joch, Darunter das Herze sich naget und plaget und dennoch kein rechtes Vergnügen erjaget, Erlang' ich dies Eine, was alles ersetzt, So bin ich mit einem in allem ergötzt. - Amen. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach. — Druck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach. Karfreitag. predigt, gehalten am 13. April 1906 in der edangel. Christuskirche zu Laibach von H'fcrvvev Dv. Httmcrv Kegerncrnn. «Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt.» Paulus an die Galater 2, 19. Gesetz wider Gesetz! Was ist ein Gesetz? Ausdruck eines Willens, der sich Geltung zu verschaffen vermag. Draußen in der Natur und drinnen im Leben der Menschen finden wir Gesetze, einheitlich wirkende Kräfte, in denen das Walten eines bestimmten Willens offenbar wird. Ein solches Gesetz ist das Sittcngesetz: ein Ausdruck des in der großen Mehrzahl einer Gemeinschaft lebendigen Willens. Jeder Staat hat eine Fülle von Gesetzen, durch die er das äußere Verhalten seiner Bürger regelt. Und wo immer Menschen auf irgend eine Weise in Be¬ rührung treten, da stellen sie Satzungen aller Art auf, durch die sie ihre Beziehungen festsetzen. Gemeinschaftlich ist diesen Gesetzen, daß sie durch Zwang wirken, durch Hoffnung auf Belohnung oder Furcht vor Strafe. Einer der erhabensten Vertreter dieses äußeren Gesetzes war Kaiser Wilhelm I. Auf seinem großen Denkmal in Berlin sehen wir ihn auf hohem Roß, umringt von brüllenden Löwen und umstarrt von Waffen. Das ist das beste Sinnbild für das äußere Gesetz! Es wirkt durch die äußere Gewalt und muß durch äußere Gewalt wirken. Der Staat muß seine Machtmittel äußerlich zeigen, nm das Bose im Zaum zu halten. 2 Und dennoch hat diese Gewalt etwas Bestialisches, Brutales. Es ist ja doch eine offenkundige Tatsache, daß alle die äußeren Veranstaltungen, alle Belohnungen nud Strafen des Gesetzesweseus keine wahre, innere Gerechtigkeit zu wirke» verwogen. Kirche und Staat erzeugen Schein¬ heiligkeit, äußeres wohlanständiges Verhalten, aber keine Heiligkeit. Und selbst dieser äußere Schein der Heiligkeit wird in all dein Gesetzeswesen in Staat und Kirche oft genug nicht einmal gewahrt, die nackte Un¬ gerechtigkeit bricht oft genug durch. Es ist eigentlich ein offenes Geheimnis, daß man sich da gegenseitig eine Art Komödie vorspielt, nur daß man das nicht laut lassen werden will, weil so viele daran beteiligt sind und Schaden fürchten oder Nutzen hoffen. Gewiß, Millionen von Menschen, wohl die große Mehrzahl, plätschern behaglich umher in den seichten Untiefen äußerer Vorschriften, sonnen sich in dem Gefühl, daß sie ihr Verhalten in Übereinstimmung brachten mit allerlei Satzungen, und finden im Gesetzesdienst ihr Genüge. Daher kommt es auch, daß, so oft auch religiöse Freiheitshelden auf dem Gebiete der Religion der Freiheit die Bahn brachen, doch immer wieder ihre Nach¬ folger in die Gesetzesreligivn znrncksanken, die einzig dem Wesen der großen Mehrzahl entspricht. Daneben aber gibt cs doch andere, und sie sind es, die dann immer wieder den Gang der Geschichte bestimmen, die in furchtbaren Kämpfen die ganze Nichtigkeit des äußeren Gesetzes¬ dienstes an sich selbst erfahren. «Das Gesetz richtet nur Zorn an.» «Das Gesetz ist dazwischen gekommen, damit die Sunde um so mächtiger werde», sagt der Apostel Paulus, der doch vorher ein glühender Anhänger der Gesetzesreligion gewesen war. Und genau dieselben Erfahrungen hat Luther in dem wieder zur Gesetzesreligion gewordenen Christentum gemacht. Solche Menschen — die ja wahrlich nicht alleinstehen — lernen dann zuletzt sprechen: -Ich bin dem Gesetz gestorben.» Das Gesetz hat seine Bedeutung, seinen Wert für mich verloren. Ich habe erkannt, daß es für unmündige Menschen und Völker nötig ist, daß es aber für den gereiften Geist wertlos, ja schädlich wird. So zu sprechen vermag aber nur der Geist, der es dem Apostel nacherleben kann: «Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben.» Das Gesetz, als eine geistige Willensmacht, kann nur durch etwas Höheres überwunden werden, durch ein höheres Gesetz. Dieses höhere Gesetz ist dem Apostel in Jesus Christus aufgegaugen. Hier fand er eine höhere Geistes- und Willensmacht als in allen früheren Gesetzen. Im Leben und Tode Jesu Christi fand er eine Erkenntnis über die höchsten ent¬ scheidenden Lebensfragen, und zwar nicht allgemein und verschwommen, wie sonst auch bei den größten Denkern, sondern von der größten 3 Bestimmtheit, und diese Lehre war vorgctragen mit dem Einsatz der größten Gewißheit und dem größten Nachdruck. Der französische Staatsmann Talleyrand hat dem Philosophen St. Simon die bekannte Antwort gegeben: - Wenn Sie wollen, daß sich Ihre Lehre allgemein verbreite, so lassen Sie sich doch für dieselbe kreuzigen.» Damit ist sehr gut ausgesprochen, daß die Menschen nur vou dem höchsten Ernst, der sich in einem wirklichen Opfer ausprägt, überzeugt werden. Gewiß, alle Weisheitslehren des Heilandes hätten die Welt nicht überzeugt, wenn nicht die gewaltigste Predigt aus dem brechenden Auge des sterbenden Erlösers am Kreuz hiuzugekommcn wäre. «Was ist Wahrheit?» fragt Pilatus. Und genau in demselben Sinne sagte mir kürzlich ein angesehener Bürger dieser Stadt, gewiß im Sinne unzähliger Gleichgesinnter: «Was Religion! Wer wird denn heute noch wegen Religion, d. h. also wegen Erkenntnis der letzten entscheidenden Lebensfragen, irgend ein Opfer bringen?» Das ist die völlige Verzweiflung an jeder Wahrheitserkenntnis. Jesus Christus aber hat um der Wahrheit willen das Leben gelassen. Indem er das Leben gering achtete gegenüber der Wahrheit, hat er für alle Zeiten bezeugt, daß er sie für das höchste, einzig wertvolle Gut halte. Er hat seine Wahrheitserkenntnis verfochten gegenüber der heiligsten, ehrwürdigsten Vertretung der Frömmigkeit, nämlich gegenüber der alttestamentlichen Gesetzesanstalt, und damit bezeugt, daß auch die ehrwürdigsten Mächte gering geachtet werden müssen gegen¬ über der Wahrheit. Damit hat Jesus ein neues, höheres Gesetz aufgestellt: «Em großcs Vorbild weckt Nacheiferung Und schreibt dem Urteil höhere Gesetze.» Dies Gesetz aber ist die Aufhebung aller Gesetze, denn es besteht in der Lehre, daß der Mensch niemals durch Zwang und äußere Ordnung, sondern nur durch eigene Erkenntnis und eigenen Willen znm Guten geführt werden kann. Deswegen hat Jesus lieber den Tod erduldet, als daß er die Freiheit der Menschen angetastet hätte. Indem Jesns aber diese Tat der größten Freiheitsliebe vollbrachte, hat er auch das höchste Gute geoffenbart. Das, was Jesus tat, konute ihm keine fromme Überlieferung, kein Sittengesetz, keine Weisheitslehre zeigen, er mußte es selbst finden durch das Gesetz, das in ihm war, durch seine eigene heilighohe Menschennatur. Und für jeden, der ehrlich um das höchste Gut ringt, hat dies Gesetz etwas Überwältigendes, denn es schenkt ihm die höchste Freiheit und zugleich die Erfüllung mit Kräften 4 des Guten, wie sie durch keine äußerliche Frömmigkeit erlangt wird. Dies ist eine Frömmigkeit und Gerechtigkeit, die frei ist von aller Enge und von allem Dünkel, durch welche der Mensch abstirbt allem äußeren Gottesdienst, allen Sakramenten und aller Scheinheiligkeit. Wir haben ja doch alle die eigentümliche Erscheinung vor Augen, daß die Menschen die äußere Religion verachten. Im Grunde beteiligt sich ja fast niemand mehr, der irgendwie auf eigenes Denken Anspruch macht, weder am Gottesdienst der evangelischen noch der katholischen Kirche. Geradezu verschwindend klein ist die Zahl der Teilnehmer am hl. Abendmahl. Die Menschen verachten die äußere Religion und können sie doch nicht missen. Sie erkennen die Scheinheiligkeit ihrer Priester und bleiben doch ihre Knechte. Woher das kommt, ist leicht zu erklären! Bewußt oder unbewußt haben wir alle das Gefühl der Unheiligkeit und Ungerechtigkeit. Wir erkennen auch die Unfähigkeit, aus eigener Kraft das Gute zu verwirklichen. Da bietet sich die Kirche mit ihren Sakramenten an und verspricht, ans übernatürliche Weise den Mangel zu ersetzen, an dem wir kranken. Und weil die Menschen keinen andern Weg erkennen, um zur Heiligung zu gelangen, darum fühlen sie sich immer wieder unwiderstehlich hingezogen zu den kirchlichen Heilsmitteln. Alle Aufklärung und aller Freisinn wird es nicht erreichen, daß die Menschen diesem äußeren Kirchenwesen absterbcn. Das wird nur möglich sein, wenn sie in sich selbst eine wirkliche Kraft¬ quelle des Guten empfangen, jenes «Gesetz», von dem Paulus redet, wie es allein durch das höchste Ideal im Herzen lebendig wird. Dies allein kann frei machen vom äußeren Kirchentum, weil es etwas Besseres an die Stelle der kirchlichen Scheinheiligkeit setzt, nämlich das Tun des Guten aus eigener Erkenntnis und eigenem Willen durch Erkenntnis des höchsten Ziels. So besteigt der einen hohen Berggipfel und erreicht trotz aller Fehltritte und Umwege dennoch das erstrebte Ziel, der beständig die vor ihm liegende Bergspitze im Auge hat. Das ist die wahre Sittlich¬ keit, die des Führers nicht mehr bedarf, weil aus eigenem Antriebe und eigener klarer Einsicht das Gute sich deutlich dem Auge darstellt, während — auf diesem sittlich-geistigen Gebiete — die Führer nur allzuleicht uud allzuoft nichts sind wie «blinde Blindenleiter», wie sie der Heiland ge¬ nannt hat. O möchten wir darum alle so sprechen lernen: «Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben.» Dann würden wir mit dem Apostel fort¬ fahren können: «Ich bin mit Christus gekreuzigt», oder wie er ein anderesmal sagt: «Durch Christus ist mir die Welt gekreuzigt und ich der Welt.» Es schwebt über der Welt unsichtbar für uns das Kreuz. Richard Wagner hat in seinem «Parsifal» in erhabenen Wciheklängen diese Stimmung eines vvm Karfreitagszauber umwehten Menschen wieder¬ gegeben: «Nun freut sich alle Kreatur Auf des Erlösers holder Spur, Will ihr Gebet ihm weih'n. Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht erschauen: Da blickt sie zum erlösten Menschen auf; Der suhlt sich frei von Sündenlast und Granen Durch Gottes Liebesopfer rein und heil.» Wir dürfen hier auch eines andern Sängers gedenken, des größten Sohnes unserer Stadt Laibach, Anastasius Grün, dessen hundertjährigen Geburtstag wir vorgestern feierten. Er hat einst von seinem Freunde Nikolaus Lenau gesagt: «Das Kreuzeszeichen schwebtunleugbar, oft zwar verschleiert, oft wieder verherrlicht, über allen seinen Geisteswerken und stempelt gerade ihn zum vorzüglich christlichen Dichter.» Das gilt in besonderem Maße auch von Anastasius Grün selbst. Schließt er doch seine wohl schönste Dichtung mit den Worten: «Ob sie's auch keimen nicht, doch steht's voll Segen Aufrecht in ihrer Brust, in ew'gem Reiz. Es blüht sein Same rings ans allen Wegen, Denn ivas sie nimmer kannten, war ein Kreuz.» -So steht das Kreuz inmitten Glanz nnd Fülle Auf Golgatha, glorreich, bedeutungsschwer.» Und wie hat er in derselben Dichtung das Kreuz verherrlicht, «der Schande, Schmach und Untat blusigen Pfahl»: «Von aller Kön'ge Kronen, allen Fahnen, In alles Land, von allen Bergen dar, Ans allen Masten, allen Ozeanen Strahlt glorreich jetzt, was einst ein Galgen war! Sein Zeichen muß jetzt Heldenpanzer schmücken, Auf Domen flammen, hoch in Glanz und Pracht, Als schönster Schmuck am Fraueubnscn nicken, Und siegreich flattern im Panier der Schlacht. « Er war unser», so dürfen wir von diesem edlen Manne auch vom evangelischen Standpunkt aus sagen, er, der über die Kreuzeszeit des Evangeliums in Kraiu die schönen Worte gesprochen: «Merkwürdig bleibt es, daß die Reformation, die wie ein glänzendes Meteor auch über Kraiu 6 geleuchtet, in dem Adel und den Ständen des Lundes mächtigen Anhang und Schirm, in seinen Predigern und Gelehrten energische Organe ge¬ funden, dennoch in dem Volksliede keine Spuren zurückgelassen; erklärlich aber wird dies, wenn man in der Geschichte des Landes von jenen, an die ältesten Christenverfolgnngen erinnernden Gewalttaten liest, durch die es den Männern des Staates und der Kirche jener Zeit gelungen, die keimkräftige Saat Luthers in diesem Laude mit Stumpf und Stiel aus- zurotten.» («Lieder aus Kram.» Berlin 1877, S. 15.) Gewiß, äußerlich ist das Kreuz, wie es ein Grün schildert, auf¬ gepflanzt in der ganzen Welt. Aber es soll auch ini Herzen der Menschen aufgerichtet werden. Der bekannte Philosoph Schopenhauer, ein Gegner des Christentums, hat beim Anblick des Bildes von Dominique Rancö, des Gründers des Trappistenordeus, erschüttert ausgerusen: «Das kann nur die Gnade wirken», denn es sprach ihn aus diesem Antlitz der Aus¬ druck unerschütterlichen Friedens, innerer Freudigkeit, wahrer Himmelsruhe an. Nur dem, der sich aus den Stürmen der Sinuenlnst, der Ehrbegier und Erwerbssucht gerettet und das Ich, den dunklen Despoten, besiegt hat, nur dem wird solche heitere Ruhe geschenkt. Ach, wenn der Sinnen- meusch etwas ahnen konnte von dieser Glückseligkeit, wie gerne würde er sich abwenden von seinen schalen Freuden. Und doch könnten wir die Wahrheit des Apostelwortes: «Ich bin mit Christus gekreuzigt- in noch viel tieferem Sinne erfahren, wenn wir nämlich die evangelische Weise beherzigen: -Lasset uns nut Jesu ziehen, Seinem Vorbild folgen nach. In der Welt der Welt entfliehen, Auf der Bahn, die er uns brach.» Nicht der ist der wahre Weltüberwinder, der die Welt flieht, sondern der die Welt besiegt, indem er den Kampf mit der Welt anfnimmt. Das können wir nur, wenn wir in der Welt aushalten, in ihren Versuchungen, Freuden und Leiden. Dann aber gilt es, mitten in der Welt zu handeln nach dem Worte des Apostels: -Die der Welt gebrauchen, daß sie ihrer nicht mißbrauchen.» Wir genießen der Welt, aber unser Herz hängt nicht mehr an ihr, wir empfinden ihre Schmerzen und Entbehrungen, aber wir verzweifeln darum nicht. Die Welt mit all ihrer Lust und all ihrem Schmerz ist dann nur eine Übungsschule für uns, die wir treulich benutzen wollen, aber nicht um ihrer selbst willen. Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir, für das ewige, innere Leben. Fassen wir so 7 unser Leben auf, daun wird kein Mißerfolg und keine Enttäuschung uns verbittert und trostlos machen, keine Lust und Ehre uns mehr berauschen. So nur leben wir ein Leben wahren Gehaltes, wie es der Apostel mit den Worten beschreibt: -Ich lebe Gott. Ich lebe, doch nur nicht ich, sondern Christns lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Goties, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben.» Denn nun werden uns alle Formen des vergänglichen Lebens in Hans, Beruf und Gesellschaft zu Stufen, auf denen wir einem höheren Leben entgegenschreiten. Wie arm ist doch das Leben so vieler Menschen, die nur aus der Welt für die Welt leben! Ost möchte man sie fast mit Tieren vergleichen, die sich im Schmutze der Lüste weiden, oder dem Hamster, der von allen Seiten in seinen Bau schleppt, was er zu seiner Nahrung zu bedürfen meint, oder der Elster, die aus Freude an glänzenden Dingen allerlei in ihr Nest trägt. Und sie alle, die nur dem Genuß, dem Besitz, der Ehre leben, gleichen solchen, die ihr Angesicht vergraben in irdischem Tand, statt es in freiem Adel zu Gott zu erheben, wozu sie doch geschaffen sind. Wohl, man verlacht ja jeden Aufschwung zu ewigen, unvergänglichen Gütern als Unvernunft. Jeder, der Ernst zu machen versucht in praktischer Erprobung dieses Gedankens, den uns der große Apostel vorträgt, der wird gar oft durchschauert werden vom Gefühle tiefster Vereinsamung, weil die breite, platte Alltäglichkeit sich entweder nur in stumpfem Aber¬ glauben oder in ebenso stumpfem Unglauben bewegt. Möchten wir uns trösten mit jenen Riesengeistcrn, die von der Höhe der reifsten und tiefsten Erfahrung denselben Gedanken aussprechen, wie hier der Apostel. So läßt Goethe den zweiten Teil seines -Faust» auskliugen in der Mahnung: -Steigt hinan zu höherm Kreise, Wachset inaner unvermerkt. Wie nach ewig reiner Weise Gottes Gegenwart verstärkt. Denn das ist der Geister Nahrung, Die im freisten Äther waltet, Ew'gen Liebens Offenbarung, Die zur Seligkeit entfaltet.» Durch der Liebe höchstes Gesetz frei von allem Gesetzesdruck, wahr¬ haft frei und wahrhaft fromm! Das ist der Gedanke, den der Apostel als Karfreitagslosung uns gibt. Und es ist kein anderer als der, in welchem Richard Wagner das titanenhafte Werk -Der Ring der Nibelungen» 8 ausklingen laßt, von dem er sagt, «daß sein Sinn in der Wirkung des musikalisch ertönenden Dramas mit höchster Bestimmtheit ausgesprochen Jin Verlage der Evangelischen zrirchengemeinde Laibach. — Druck Vvn .Aeininavr L Bamberg in Laibach. Der Heiland lebt! predigt mn Hlterfeste 15 April 1906 in der evangelischen Christuskirche zu Laibach von H'fclvvcv Dv. HLtmcrv Kegemcrnrr. «Christus sprach zu seinen Jüngern: ,Jch lebe und ihr sollt auch leben/- Evangelium des Johannes, 14, 19. Es war in alten Zeiten ein König hoch und hehr. Mit seinen Kriegsscharen zog er in sreinde Länder, führte die Einwohner in die Gefangenschaft und gründete ein gewaltiges Weltreich. Seinen Namen ließ er in die Felsen eingraben und einen gewaltigen Grabespalast aus Steinquadern ließ er sich errichten. Als er zum Sterben kam, da ordnete er an, daß seine Gebeine in köstliche Salben gelegt und so vor Ver¬ wesung geschützt würden. Aber wenn wir heute seinen Namen hören, schlagen unsere Herzen nicht höher, unsere Augen leuchten nicht, denn die Taten jenes Mächtigen bedeuten für uns nichts mehr. Und kommen wird der Tag, wo Sturm und Regen die letzten Spuren seines Namens in den Felsen verlöschen wird, wo der Wüstensand über den letzten Stein seines Grabgewölbes dahinwehen und es sein wird, als wenn er nie gelebt hätte. 2 Und es war auch ein anderer Mann, der arm nnd gering über diese Erde ging. Er hatte keine Soldaten, er vergoß kein Blut, er brannte keine Häuser nieder. Er ließ seinen Namen nicht in Felsen schreiben, aber in die Herzen der Menschen drückte er ihn ein. Er neigte sich zu den Ärmsten und Verlorensten nieder, dem Kranken legte er die Hand auf die brennende Stirn, den Sünder richtete er auf, dem Ver¬ zweifelten bot er milden Trost. Nur gegen Heuchelei und Scheinheiligkeit erhob er sich in flammendem Zorn. Wohl baute er sich kein Grabeshaus, aber in allen Zonen erheben sich die Häuser, die seinem Namen geweiht sind. Und noch hoch über allen menschlichen Wohnungen, an der Grenze des ewigen Schnees, läutet das Glöcklein, das sein Gedächtnis verkünden soll. Der Heiland lebt. Die Unschuld lebt, die Liebe lebt, die Wahrheit und Freiheit lebt, wenn auch die höchsten irdischen Gewalten sie äußerlich morden. Das ist unser beseligender Osterglaube. Was ist Tiberius, der stolze Kaiser, in dessen Namen einst über Jesus von Nazareth das Urteil gesprochen wurde? Eiu düsterer Schatten, der um Capris sonniges Eiland schwebt, der nur die Erinnerung weckt an unheimliche Schandtaten, mit denen sein Thron befleckt ward. Was ist Pilatus, der Statthalter im kaiserlichen Purpur, der Jesus in den Tod gab? Ein schroffes Felsen¬ gebirge am Vierwaldstättersee kündet seinen Nanien, der durch Jesus eine Berühmtheit wurde fast ohne Gleichen, aber die traurigste Berühmtheit der Weltgeschichte. Und was ist Kaiphas, der Hohepriester, der über Jesus das Urteil sprach: -Er hat Gott gelästert. Er ist des Todes schuldig!»? Der Vertreter des priesterlichen Heilsmittlertums, welches durch das Kreuz Christi für immer als heilzerstöreud erwiesen ist. Jesus aber lebt! Ungezählte Tausende versammeln sich heute am Ostertage, um sein Leben zu feiern, und wenn sie auch nur eine undeut¬ liche Vorstellung vou diesem Leben haben, sie legen doch durch ihre Osterfeier Zeugnis davon ab, daß sie gerne an dies Leben glauben möchten. Worin besteht aber das unzerstörbare Leben des Heilandes, das ist die Frage, die das Osterfest ihnen allen vor¬ legt. Wenn dies Leben gesucht wird im Hervorgehen eines getöteten Leibes aus der Grabeskluft, so sollen wir alle ohne Unterschied uns das Eine klar machen, daß wir über den Zustand eines solchen Leibes nichts wissen. -Wir wissen nicht, was wir sein werden,» wenn wir gestorben sind, sagt der Apostel Johannes. Und mag man noch so fest überzeugt sein von der Tatsache der leiblichen Auferstehung Christi, es sollte doch 3 nicht bestritten werden, daß die geschichtlichen Berichte über diesen Vor¬ gang höchst widerspruchsvoll sind. So gut ehrliche und fromme Menschen von seiner Tatsächlichkeit überzeugt sein können, so gut gibt es andere ehrliche und fromme Menschen, die jene Tatsächlichkeit mit gutem Ge¬ wissen abweisen. Eine solche «Tatsache» kann aber nicht der Grund unseres Glaubens sein. Wie Jesus auferstanden ist, darüber wissen wir nichts Sicheres. Daß Jesus lebt, dessen können wir im Glauben inne werden. Dieser Glaube gründet sich aber nicht auf die Vorgänge der Osternacht, die uns in den Evangelien auch gar nicht erzählt werden, sondern er gründet sich auf Vorgänge, die wir noch heute mit unfern eigenen Sinnen Prüfen und erleben können, damit wir einznstimmen vermögen in das Apostelzengnis: «Das ist das Zeugnis, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat und solches Leben ist in seinem Sohne- (l. Joh. 5, 1l). Die beiden Tatsachen aber, auf welche sich solcher Osterglaube zu gründen vermag, sind das Todesleiden Jesu und die Entstehung der C h r i st e n g e in e i n d e. t. Unter das Kreuz müsseu wir uns erstlich stellen, wenn wir etwas von der Osterfreude erleben wollen. Wenn wir mit den Augen des Glaubens den Kreuzestod Christi betrachten, so ist uns zu Mute, als sähen wir die scheidende Sonne in finsteren Wolkenmassen untergehen. Aber der scheidenden Sonne verlöschendes Licht übergießt diese öden Wolkenmassen mit Purpur und Gold und offenbart gerade im Unter¬ gehen ihren gewaltigsten Zauber, daß wir ausrufen möchten: -Goldne Abendsonne, wie bist dn so schön, Nie kann ohne Wonne deinen Glanz ich sehn.» Und daraus schon dürfen wir schließen: sie stirbt im Tode nicht, «sie eilt dahin und fördert neues Leben.» Einst lebte ein Kaiser aus Habs¬ burgs Stamme, von dem man sagte, daß in seinen Landen die Sonne nicht nntergehe. Nun, in Gottes Landen geht die Sonne niemals unter, allezeit geht sie nur unter, um neuen Welten zu leuchten. Jesus, «das Licht der Welt,- stirbt gleichfalls im Tode nicht. Für jeden fühlenden und denkenden Geist offenbart sich in seinen letzten Worten, in seiner Treue und Gewißheit auch im Tode eine wunderbare Lebensmacht, daß wir ansrufen müssen mit jenem heidnischen Haupt¬ mann: «Das ist wahrlich Gottes Sohn gewesen!» das ist einer, den der 4 Tod nicht töten kann. Wir sehen in seinem Tode nicht das Erlöschen der Natur, nein, einen Strahl schon eines höheren Lebens. Ilm das recht zn verstehen, müssen wir uns klar zu machen ver¬ suchen, worin überhaupt alles geistigen Lebens Nahrung und Förderung besteht. Jesus hat das ausgesprochen in den Worten: «Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat und vollende sein Werk.» Die Taten eines Menschen sind es und unter seinen Taten wieder am vollkommensten die Opfer, die er zu bringen vermag, welche sein innerstes Wesen offenbaren. Indem sie die verborgene Innerlichkeit des Geistes offenbaren, werden sie dann aber auch zur Stärkung und Förderung des innersten Lebens. Die Taten sind die Nahrung des Geistes. Nicht die Gefühle, nicht die Gesinnungen, nicht die Bekenntnisse, sondern die Taten. «An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,» sagt der Heiland und in seinem Geiste sein größter Apostel: «Hätte ich nicht (Taten wahrer) Liebe, so wäre ich nichts.» Andächtige Stimmungen, tief- fromme Kundgebungen haben wir in der heutigen Christenheit übergenug, aber kein quellfrisches Leben, weil es an Taten, an Opfern mangelt. Mit Anastasius Grün, diesem Ostersohne, der sich nach Ostern benannte und der Ostern Hoffnungspanier sich erwählte, sollten wir sprechen: -Und der jchönen Tat in Worten Könnten wir beinah entraten. Was uns nottut allerorten Ist ein schönes Wort in Taten.» «Das Wort aber ward Fleisch,» ward Tat, wie es unser allergrößter Dichter deutete, als er sprach: «Im Anfang war die Tat.» Und die größte Tat des fleischgewordenen Wortes war sein Verzicht ans die äußere Tat um des inneren Duldens, des Sichvpferns willen. Und dieses größte Opfer war die größte Tat, die jemals auf Erden geschehen ist. Wichtiger als alle Erfindungen und Entdeckungen, als alle äußeren und inneren Schätze der Menschheit ist diese eine Tat, ans der uns un¬ erschütterliche Gewißheit des göttlichen Willens, weltüberwindende Ver° zeihung, Treue bis in den Tod, Geduld in tiefster Erdenschmach entgegen¬ leuchtet. Jesu Geist entwickelt hier eine Kraft, durch die er jeder Macht der Welt sich überlegen erweist. Er macht dadurch den Tod des Leibes zu einem Akt des höchsten Lebens und entreißt ihm dadurch seinen ver¬ nichtenden Stachel. So wird die Tat des Todes zur höchsten Förderung, Kräftigung und Belebung seines Geistes. So darf der Apostel frohlocken: «Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unfern Herrn Jesus Christus.» Denn wir sehen 5 den in mächtiger Kraft hervvrbrechenden Geist, so daß das Brechen der Leibeshülle nnr als Wirkung der Entfaltung dieses Geisteslebens er¬ scheint. Und daß der Tod Jesu diesen Eindruck machte und machen mußte, sehen wir an seiner Wirkung in den Herzen der Jünger. Gerade Jesn Tod offenbarte ihnen Jesu Lebeu. Wo Leben ist, wachst neues Leben hervor. Alles Lebendige zeugt neues Leben. Und Jesu Tod beweist sich als Sieg des Lebens dadurch, daß er ueues Leben weckte in den Herzen der Jünger. Das ist die andere Tatsache, die unfern Osterglaubeu: «Der Heiland lebt!» begründet, nämlich die Entstehung der Christengemeinde. Wohl waren die Jünger Jesn eine Weile betäubt, als das Furchtbare hereinbrach: der Hirte geschlagen und die Schafe zerstreut. Aber gar bald erkannten sie die Bedeutung des Todes ihres Meisters, daß hier nicht Niederlage, sondern Sieg sei. Die furchtsamen Schafe verwandelten sich in heldenkühne Löwen, die sich um die rote Messias¬ fahne scharten, sich zum lebendigen Leibe sammelten, nm das Heilands¬ werk fortzuführen. Die Welt konnte ihn nicht mehr sehen, aber sie sahen ihn innerlich in der Kraft ihres eigenen neuen Lebens. Daß sie ihn auch äußerlich gesehen, das ist nach dem Worte eines der geistvollsten und freisinnigsten Forscher die sicherste Tatsache der Weltgeschichte. Es war wohl notwendig, daß das geistige Bild, welches in ihren Herzen auf¬ gelebt war, sich ihnen nach der phantastischen Weise des Morgenlandes auch äußerlich verkörperte. Aber was sind diese äußeren Erscheinungen, die sich hier, wie so oft in Zeiten religiöser Erregung, einstellten, anders als ein Zeugnis für den ungeheuren Eindruck, den sie empfangen hatten von dem «Haupt voll Blut und Wunden,» das keiner, der -es einmal mit weitgeösfneten Augen geschaut, je wieder vergessen kann, das ihn begleitet bis zum letzten Atemzug, seine höchste Wonne, sein tiefster Friede» ? (Fritz Zaugger.) «Christ ist erstanden von der Marter alle!» Mögen die äußeren Erscheinungen das von Gott geordnete Mittel gewesen sein, um diesen Glauben zu erwecken, der innere Grund und die wahre Ursache dieser Erscheinungen war die Lebenskraft des im Tode triumphierenden Christus, der leiden mußte, um zu seiner Herrlichkeit einzngehen. Im apostolischen Christentum aber, in seinem Reichtum an «Gnade und Wahrheit,» wie er ini Neuen Testament vor aller Augen liegt, sehen wir nun im Ostersouncnglanz daliegen ein Meer göttlichen Erbarmens, ans dessen Rauschen uns die süße Weise erklingt: «Also hat Gott die Welt geliebt, auf daß alle das ewige Leben haben.» 6 II. Ja, alle füllen sein Leben haben. So wirkt er fort, -unendlich Licht an seinem Licht entzündend.» -Ich lebe und ihr sollt auch leben.» «Er, der Erstgeborene unter vielen Brüdern!» Schon darum können wir sein Auferstehnngsleben nicht anders fassen, als das Auferstehungsleben, das uns allen bereitet ist, ein rein geistiges, unzerstörbares Leben. Wir werden leben durch sein Leben, so wie der Apostel es aus¬ legt: -So wir Gott versöhnt sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nnn versöhnt sind.» Jesus stand einer sündigen Welt gegenüber. Und ans dieser Masse von Sünden heraus, die ihn umgab, die er selbst ererbt hatte, ist er durch die ihm geschenkte göttliche Geistes¬ kraft zu vollkommener Gerechtigkeit gelangt und sein ans andere über¬ fließender Geist führt auch diese zu gleicher Gerechtigkeit. Dadurch werden wir inne, daß die in Jesus sich offenbarende Geisteskraft eine viel ge¬ waltigere Macht war, als die in tausendjähriger Gewöhnung und Ver¬ erbung angehäufte Macht des Wahns und der Sünde. «Der uns mit seinem Blute erkauft aus Nacht uud Wahn, schafft, daß mit Hellem Mute wir wandeln unsere Bahn.« In seinem Auferstehungsleben sind Lebensmächte entbunden, die es mit Hölle und Tod aufnehmen können: «Mag Hoffnung auch erschrecken, Mag jauchzen Grab und Tod, Es muß ein Morgenrot Die Schlummernden erwecken.» -So wir nun versöhnt sind,» sagt der Apostel. Durch die Macht dieses guten Beispiels ergriffen, zur Überzeugung eines göttlichen All- waltens uud Alliebens gebracht, erwacht in uns die freudige Gewißheit, daß wir nun zu immer neuem Leben aufwärtssteigen. «So werden wir nun selig werden durch sein Leben.» Denn er lebt und wird nun bei uns sein, wenn alles uns verläßt. Wohl, wir können nur hoffen und ahnen! -Wir wissen nicht, was wir sein werden.» Wir wissen nur, daß wir leben können wie er. «Wir wissen, daß wir ihm gleich sein werden,» sagt der Apostel. Gleich seinem Tode in äußerem Erliegen, gleich seinem Leben in innerem Triumphieren. Wenn auch Leib und Seele verschmachten, wenn nur er, der Lebendige, in uns lebendig bleibt. 7 Darum stimmen wir ein in den Ostergesang, der um 1200 erklang: «Christ ist erstanden von der Marter alle; Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Halleluja!» Die Form unseres Osterglaubens mag sich gewandelt haben, «er¬ kennen wir doch immerdar nur stückweise,- der Kern und Inhalt unseres Osterglaubens bleibt der alte: «der Heiland lebt,» daß wir mit Martin Luther singen: «Das war ein wunderlicher Krieg, Als Tod und Leben rnngen. Das Leben, das behielt den Sieg, Und hat den Tod bezwungen.» Amen. Anmerkung. Die Eingangserzählung ist dem ausgezeichneten Buche: «Jugend« lehre» von Dr. F. W. Foerster entnommen. Die Predigt selbst folgt vielfach den Gedanken von Gottfried Schwarz in dessen von t89ö ab erschienenen Zeitschrift: «Das Evangelium». Jin Berlage der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach. — Druck vvn Kleininayr L Bamberg in Laibach. Treue bis irr den Tod predigt crnr 2t>. April', gehalten irr Abbcrzicr von Pfarrer Dr. Ottmar Heqeinann. «Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.» Offenbarung 2, 10. Wir kommen her vom Charfreitag und von Ostern. «Sei getreu bis in den Tod!- Das ist die Losung der Passions¬ zeit, die uns die höchste Treue bis in den Tod hinein vor Augen stellt! Gott gibt «die Krone des Lebens», das ist des Osterglaub ens wunder¬ barer Inhalt: Jesus hat durch seine Treue bis in den Tod die höchste Vollendung des Lebens empfangen. Aber nicht für sich allein, sondern damit uns allen die gleiche Herrlichkeit zufalle: «Du gingst, o Jesus, unser Haupt, Durch Leiden himmelan Und führest jeden, der da glaubt, Mit dir die gleiche Bahn.» «Sei getreu», darin finden wir die große Mahnung, die den ganzen Inhalt des Christentums zusammenfaßt. «Du wirst die Krone des Lebens empfangen», das ist die herrliche Verheißung, die alles umschließt, was wir im Glauben erhoffen können. 2 I. «Sei getreu!» Auch von dieser Mahnung könnte man sagen: «Ist doch alles vollbracht, wenn das eine vollbracht ich» Gewiß, wir stecken uns andere Ziele: ein Lebensglück, Gewinn, Genuß, Weisheit, Ehre. Wie wenigen aber hält das Leben, was sie sich von ihm versprochen! Es kommt Mißerfolg, Enttäuschung, Entbehrung, Krankheit und Not! Da fallen so viele in Verbitterung oder gar Verzweiflung. Wozu aber ist das Leben da, wenn es die äußere Existenz versagt, ohne die wir nicht bestehen können? Nun, ob reich oder arm, glücklich oder unglücklich, gesund oder krank, begabt oder talentlos: eines können wir immer, treu sein. Die äußeren Ziele, die uns vorschweben, können wir so selten erreichen. Wollen haben wir, aber so selten das Vollbringen. Treu sein aber kann ein jeder. Mit Zuversicht ausharren auf dem Standort, auf den uns das Geschick gestellt im Vertrauen auf eine höhere leitende Hand. Wie so viele gibt es, die auf einsamen, verlornen, kaum beachteten Posten ausharren ohne äußern Erfolg. Treu können sie sein und in dieser Treue gegen sich selbst liegt Aufgabe und Lohn. Denn letztlich kämpfen wir alle nicht um den Sieg und Erfolg, der ja immer unzulänglich bleibt, wir kämpfen um der Treue willen. Wie es Goethe aussprach: «Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.» Alle die Unterschiede in Stand, Besitz, Begabung, Erfolg: vergängliche Fornien, die nicht um ihrer selbst willen da sind, sondern um einen höhern Gedanken in ihnen zu verwirklichen. Oder, um es anders zu fassen: Sind wir Menschen Mittel oder Zweck? Sind wir dazu da, um in einer glücklichen Ehe; als Mitarbeiter an allerlei Aufgaben des äußern Lebens; in Anhäufung eines Vermögens unser Leben nützlich zu verwerten oder aber: haben wir in uns selbst so viel Wert, daß wir auch ohne irgend einen äußern Erfolg ganz und allein durch die Macht der Gesinnung, die uns beseelt, etwas bedeuten? Der Heiland will uns die Antwort lehren im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden. Nicht ob wir wenig oder viel besitzen, ob unsere Talente oder Erfolge klein oder groß sind, entscheidet über unfern Wert, sondern ob wir treu waren in der Verwertung dessen, was uns an¬ vertrant ist. Alles andere sollen wir dem Herrn überlassen, der uns zu Haushaltern gesetzt hat. «Nun aber suchet man nicht mehr an den Haus¬ haltern, denn daß sie treu erfunden werden.» 3 So wie es geschrieben steht an einer Brücke in meinem Heimat¬ lande, am Fuße des Schwarzwalds. Goethe soll dort zum Besuch seiner Schwester Cornelia in Emmendingen geweilt haben, auf ihn wird die Inschrift zurückgeführt: «Alles ist Übergang — Der Heimat zu.» Alle die äußern Formen des Daseins in Besitz, Genuß uud Ent¬ behrung, sie sollen eine Brücke nur sein: «Die Welt mit ihrem Gram und Glücke, Will ich, ein Pilger frohbereit, Betreten nur wie eine Brücke Zu dir, Herr, überm Strom der Zeit.» Solange ein Mensch bei seinem Handeln nur den Erfolg, die äußere Wirkung im Auge hat, bleibt er eine Sklavenseele, mag er auch äußerlich noch so glänzend dastehen, wie umgekehrt der Geringste, der sein Tagwerk tut in Treue gegen sich selbst, weil er weiß, daß es trotz seiner Unscheinbarkeit ihm zur Schule und Bewährung für Höheres ist, eine Königsseele hegt. Würde das beherzigt in unserer Zeit furchtbarer sozialer Mißgunst, des fressenden Neides und Hasses, die Maßstabe müßten sich wandeln, mit denen wir messen. Die Besitzenden und Vornehmen würden erkennen, daß der wahre Wert des Menschen nicht in Äußerlichkeiten des Besitzes, Standes, der äußern Sitte beruht. Die Geringe», Enterbten, Benach¬ teiligten aber würden erkennen, daß die äußern Unterschiede nötig sind, um in mannigfachen Formen die Treue zu bewähren, die nicht anders als in Unterordnung der Niedergestellten oder Entsagung der beiseite Geschobenen, in Fürsorge der Höhergestellten sich entfalten kann. Vor allem aber würden sie erkennen, daß sie durch Neid und Mißgunst die eigene Seele beflecken. Sie sind dann nicht bloß äußerlich arm oder unglücklich und müssen alle Entbehrungen solcher Armut tragen, sie machen sich auch innerlich arm, sie verzichten auf den Reichtum, den sie bei aller äußern Armut besitzen könnten, die innere Vornehmheit der Seele. Denn worin besteht eigentlich Vornehmheit der Seele? Darin, daß wir nicht immer durch Vergleiche mit andern unfern eigenen Wert feststellen müssen. Die wahre Vornehmheit gründet sich auf sich selbst, nicht auf äußere Abzeichen und Rangunterschiede. Echter Adel kann dieser Dinge entraten. Und wenn ich ganz allein stehe und von allen verachtet werde, das darf mich nicht irre machen, treu habe ich zu sein: 4 mir selbst, der hohem Bestimmung vor mir und dem himmlischen Herrn über mir. Tren wie jener edle Admiral Gaspard von Coligny, der die Treue gegen seinen himmlischen Herrn mit seinem Blute in der Bar¬ tholomäusnacht besiegelte. Einst stand er als Kommandant seines irdischen Königs in einer heißumlagertcn Festung. Da flog ein feindlicher Pfeil herüber: «Ergib dich der erdrückenden Überzahl, dein Widerstand hilft dir nichts.» Da rief der Held: «RoZora llabanans!» (Wir haben einen König.) Oder wie es ein armes Hugenottenweib — eingesperrt in der Tour de la Constance in Aigues Mortes in Südfrankreich — mit un¬ geübter Hand einkritzelte in den Fußboden in langer Onal der Gefangen¬ schaft: «Uösistori!» (Haltet Stand bei der einmal erkannten Wahrheit.) Das ist die uralte Germanentugend: «auszuhalten, durchzuhalten, was auch das äußere Schicksal verhängt! Das ist der alte germanische Trotz, der auf dem einmal eingeschlagenen Wege vordringt trotz Dornen und Wunden, der eher ein Lachen erkrampft, als durch Wehrnfe Leiden, also Schwäche bekundet.» So ist das Heldenepos unseres Volkes, das Nibe¬ lungenlied, ein einziges Hvheslied der Treue; der Gattentreue bei einer Kriemhild, der Mannestreue bei einem Hagen, einem Rüdiger von Bech- laren. Und wie die Führer, so die gewöhnlichen Krieger: kein Mann wird untreu bei Kriemhildens Aufforderung, Hagen gegen freien Abzug der übrigen auszuliefern, Mann für Marin fallen sie in dem klaren Be¬ wußtsein und der Ausübung der Treuepflicht. Treue auch im Geringsten, im Verborgenen, Unscheinbaren! Sie, die so oft viel schwerer als die Treue auf blutiger Wahlstatt. «Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu,» sagt der Heiland. An den Statuen, welche die griechischen Künstler für die Giebelfelder hoch oben am Tempel arbeiteten, war die Rückseite, die nie ein Mensch zu sehen bekam, gerade so sorgfältig ausgemeißelt wie die Vorderseite. Denn die Arbeit war ja für die Gotter, die Allwissenden. Was Menschen nicht sehen, — an uns selber wird es gerächt oder gesegnet, wie wir die Arbeit vollbringen. Wie es einst der große Bismarck, der «treue deutsche Diener seines Herrn», an seinem Konfirmationstage gelobte: «Lasset euch dünken, daß ihr dem Herrn dient und nicht den Menschen.» Das ist die Treue, deren wir bedürfen. Und gewiß, die wir auch oft gehalten, wenn schmeichelnd, lockend, ängstigend der Pfeil der Ver¬ suchung in unser Herz schwirrte. Und doch, wie ein ganz anderes ist es doch, die Treue einmal, oftmals zu halten, als sie alltäglich, als sie immer zu halten! Bis an das Ende unserer Tage, in der breiten Ausdehnung des Lebens, in all seinen Niederungen und Wüsten. Wie ein anderes ist es, einmal, oftmals aufzuflannnen zu begeistertem Treuschwur, als aus- 5 zuharreu bis ans Ende. Sei getreu «bis in den Tvd». Ach wie oft, wie fast alltäglich kommen die wilden Lnstgedanken, fesscllos das Herz überflutend wie ein wallendes Meer, oder die heftigen Zorn-, Haß-, Ver- zweiflungsgedanken, wie ein tobender Sturm, oder die lastenden Sorgen¬ gedanken, die sich zentnerschwer auf uns legten. Da haben wir nicht gerufen: «LoZoin llulloinus!- Wir haben einen König, für den das Volk sich opfern muß, der uns schützt und für uns sorgt, da haben wir diesem König die Treue aufgesagt und sind Rebellen wider ihn geworden. Bis an den Tod treu zu sein und bis in den Tod, das aber ist die Aufgabe. Märtyrer sollten wir werden. Daß der Herr das Allergrößte von uns verlangt, um groß lohnen zu können, das wird in unseren Tagen nicht verstanden. Wie leidens-, wie opferschen wir alle, alle! Und doch, wenn sie heute die wahren Christen nicht mehr vor die Löwen und auf die Scheiterhaufen führen, der Tod ist ihnen noch heute gewiß. Ob wir in unserm Beruf als Beamter, als Arzt, als Kauf¬ mann in der Schreibstube, als Arbeiter im Fabrikssaal, als Handwerker in der Werkstatt, als Hausfrau in häuslicher Arbeit stehen, der Tod der Vereinsamung, der Schmach, des Mißerfolgs wäre uns noch heute be- schieden, wenn wir treu wären. In entschlossenem Eintreten für die Über¬ zeugung, nicht in ewigem Zurückweichen vor dem Unrecht, nicht in ewigem Paktieren mit der sittlichen Entartung würden wir es erfahren, was es heißt, «treu sein bis in den Tod-. Treue, die keine Schranken, kein Hindernis kennen darf, die eher den Tod, den Ruin wählt, als zu wanken und zu weichen. II. So erst wird auch der Sinn der Verheißung verstanden: -Ich will dir die Krone des Lebens geben.» «Siegespalmen rauschen dem Gerechten.» Wer in Treue sein Leben einem hohem Ziele weiht, dem wird Leben zuteil. Nicht solches Leben, wie sie cs alle leben, ein zermürbtes, verängstetes Sklavenleben, sondern ein hohes Leben der Freiheit, das voll und mächtig in uns einströmt. Das ist gemeint mit der Krone des Lebens. Was ist die Krone? Der Ausdruck aller Macht uud Herrlichkeit in einem Lande, einem be- bestimmten Lebensbereich. So kann der Mensch selbst genannt werden: «die Krone der Schöpfung». Weil in ihm zum Ausdrucke uud zur Voll¬ endung kommt, was seit Jahrtausenden im weiten Gebiet der Schöpfung nach Entfaltung und Vollendung rang: -das sehnsüchtige Harren der Kreatur wartet ans die Offenbarung der Kinder Gottes». Aber wie der 6 Mensch einerseits durch sein Selbstbewußtsein und seine eigene Willens- entscheidnng den Abschluß einer unendlich langen Entwicklung bildet, die von den niedersten Stufen zu immer hohem empordrängte, so ist er ans der andern Seite doch erst ein Anfang. In seinem Selbstbewußtsein und seiner eigenen freien Willensentscheidung ist er bestimmt und berufen, das Tierische in sich zu überwinden, als freier Geistesmensch alle seine Kräfte zusammenznfassen zu einer höhern Einheit. Als «Erstling unter denen, die da schlafen,» steht Jesus Christus vor uns, die Krone des Menschentums, der wahre Mensch, wie er sein sollte, der in Treue bis in den Tod das Niedere dahingibt, um Lebensvollendung zu gewinnen. Die Lebenskrone, die Christus empfangen, ist aber uns allen zu¬ gedacht. Schon heute stehen hier die wahren Adelsmenschen, königliche Menschen, von deren Stirn das Diadem ewigen Lebens funkelt. Menschen im Königspurpur oder im Arbeitskittel, die in Reinheit des Herzens und Treue bis in den Tod sich für nichts verkaufen, für keinen Gewinn, für keine Ehre, für keine Lust um des Adels der eigenen Seele nullen. Und dort? Wenn wir die Tausende, die hier und an so viel andern Stätten der Erholung ihr Leben genießen in allen Wonnen und Wundern der Natur, in der Üppigkeit aller äußern Bequemlichkeit, prüfend betrachten, ob aus ihren Augen etwas leuchtet von jener vollen Kraft der Lebens- empfindunq: «Ob blitzen im Grund ihrer Augen Die Zinnen der ewigen Stadt?» Es ist ja kein Geheimnis, was wir sehen! Wie mancher, der äußerlich eine Krone trägt, ist der unselige Sklave verworfener Begierden, wie mancher, der das Leben in vollen Zügen genießt, ist alles echten Lebens bar. Wenn wir das erst klar erkannt und - nicht geblendet von äußern. Schein — den wahren Lebensgütern nachtrachten, dann erfassen wir erst die Herrlichkeit der Verheißung: «Ich will dir die Krone des Lebens geben.» Lebensmächte sind in Christus aufgeschlossen, die uns entschädigen können für alle Entbehrungen nnd Enttäuschungen. Ein Leben, «Das uns bleibet in, Grauen Des Todes ungeraubt. Und schmückt auf Himmelsaueu Mit Kronen einst das Haupt.» Wohl, wir wissen nichts von dem Leben, das nach diesem Leben anheben soll. (1. Joh. 3, 2.) Hoffen und ahnen aber können wir es dennoch. So stark und mächtig ist das Leben im echten Christen, daß es 7 auch vor dem leiblichen Tode nicht erschrickt, sondern auf die Verheißung des Herrn traut: -Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe und wer da lebt und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.» -Das Wasser, das er uns geben wird, das wird in uns ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.» Sv dürfen wir in die junge Frühlingsherrlichkeit, in ihrer wunder¬ baren Pracht, rufen das Wort unseres Ludwig Uhlaud: «Es blühet jedem Jahre Ein Frühling hold und licht. Auch jener große, wahre, Getrost, er fehlt dir nicht. Er ist dir noch beschicken Am Ziele deiner Bahn, Du ahnest ihn hienieden, Doch droben bricht er an.» Aber solche Hoffnung und Ahnung ist's ja nicht, die den Inhalt des Lebens ausmachen, dessen wir uns getrosten wollen. Nicht um an¬ dächtige Empfindungen zu wecken, sondern um zu mutiger Tat zu be¬ feuern, ist unser Glaube da. -In Treue fest», -Furchtlos und treu» steht geschrieben auf den Wappenschildern zweier deutscher Königshäuser. In solcher Treue wollen auch wir feststehen, in der Treue bis in den Tod voll der großen Gewißheit: «Die Treue kommt zuerst zuletzt Im Leben und im Sterben. Wer ganz die Seele eingesetzt, Dem soll die Krone werden.» Amen. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach. — Drnck von Kleinmavr «L Bamberg in Laibach. Was wir am Allen Testamente haben? H>vedrgt crnr 24. Auni 1906 gelictl'ten i»r Lcribcleb von Pfarrer Dr. Ottmar Hegemana. 1. Mos. 32, 24-31. «Jakob blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgen¬ röte anbrach. Und da er sah, daß er ihn nicht Übermächte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an nnd das Gelenk ward über dem Ringen nnt ihm verrenkt. Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel. Denn du hast mit Gott nud mit Menschen gekämpft und bist ob¬ gelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen. Und als er vor Pniel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf, und er hinkte en seiner Hüfte.» Liebe Gemeinde! Los von Rom! So rnfen heute viele der Besten unsres Volkes. Viel tiefer, viel umfassender als die meisten ahnen, ist die Bedeutung dieses Rufs. Los von Rom, das bedeutet ja im tiefsten Grunde: Los von allem römischen Geiste, der in nnser Religionswesen eingedrnngen ist, los von dem harten Zwang der äußeren Ordnung in religiösen Dingen, von allen Einflüssen des Römertums, die auch in uuserm evan¬ gelischen Kirchenwesen noch immer so mächtig sind. Aber nicht mit Unrecht hat man einen zweiten Ruf neben jenen Ruf Los von Rom gestellt, der dem ersten völlig gleichwertig ist: Los von Juda, los vom Semitengeist in unsrer Religion. Es gilt ein Glaubenstum zn schaffen, das unsrer arischen, unsrer germanischen Art entspricht, den Christenglauben im deutschen Sinne lebendig zn erfassen. — 2 Jedem christlichen Jugendbildner drängt sich ja immer wieder diese Frage ans, wenn er genötigt ist, biblische Geschichten des Alten Testa¬ ments zn behandeln. Mit starkem Widerwillen müssen wir gar vieles, was unsre Vorfahren für heiliges Gotteswort gehalten haben, ver¬ abscheuen. Schon bei der ältesten Geschichte der Erzväter drängt sich uns wieder und wieder die Empfindung auf: Das Volk der Juden ist nicht deshalb so entartet, weil es durch Jahrhunderte so furchtbar gequält wurde, sondern im letzten Grunde erregte es von Anfang an den Wider¬ willen aller andern Völker durch seine schlechten Eigenschaften. So manches wenigstens, was noch heute den Charakter der Juden bezeichnet: der niedere Schachergeist, die feige Hinterlist, die Grausamkeit, Gemütlosigkeit, Sinn¬ lichkeit, finden wir schon in jener Erzvätergeschichte deutlich ausgeprägt. Gewiß, wir sind darin einig mit so manchen radikalen Christen- tnmsgegncrn, daß wir unsre Jugend vor Eindrücken, wie sie aus solchen Charaktcrzügen ausgehen, bewahren möchten. Andrerseits läßt sich bei ruhiger Erwägung doch nicht bestreiten, daß die Kenntnis der wichtigsten Geschichten des Alten Testaments nicht bloß zum Verständnis des Neuen Testaments nötig ist, sondern auch zur allgemeinen Bildung gehört, weil wir ohne solche Kenntnis gar vieles in den bedeutsamsten Werken der Kunst und Dichtung nicht verstehen. Anderes wieder (wir denken vor allem an die Josefsgeschichte) bietet für die erste Stnfe kindlichen Ver¬ ständnisses einen unübertrefflichen und unersetzlichen Anschauungsstoff. Aber die Frage nach der Bedeutung des Alten Testaments ist doch noch unendlich bedeutungsvoller, sie berührt sich mit der Frage nach dem tiefsten Wesen aller Religion! Wollen wir doch gleich an einem ganz bestimmten Beispiel diese Frage beleuchten: am Beispiel Jakobs und Esaus. Zwei Gestalten, von denen die eine, Esau, fast nur anziehende Eigenschaften aufweist. Wir finden bei ihm Treuherzigkeit und Großmut, rasch ist er im Zorn und rasch im Vergeben. Daneben Jakob, der eigentliche jüdische National¬ heros, da sich in ihm alle guten und alle bösen Eigenschaften seines Volkes verkörpern; ist es doch nicht ohne tiefem Sinn, daß das ganze Volk von ihm, dem - Gotteskämpfer -, den Namen Israel empfing. Damit werden wir aber auf das geleitet, was wir gerne beant¬ worten möchten: Wie stehen wir zum Alten Testament? Esau, bei seinen guten Eigenschaften doch nur ein Vertreter jener zahllosen harmonisch veranlagten Menschen, die sich erfolgreich und glück¬ lich für dieses Leben entwickeln, aber, religiös oberflächlich, allem Höheren verschlossen bleiben. Jakob, bei allen seinen schlimmen Eigenschaften doch beseelt von einem tiefen religiösen Zuge, von jenem inneren Heim¬ weh, das den Zugvogel mit ungehaltenem, sehnsuchtsvollem Fluge über 3 Berge und Meere zum ferne» Lande treibt. Es brannte in ihm etwas von dem Feuer, das nicht irdisch ist, in dem die Schlacken des Erden¬ lebens verglühen, «eine Flamme des Herrn», die zum Himmel lodert. Stets gab es zwei Arten von Menschen. Solche, deren inneres Leben in ruhiger Flamme niederbrannte, die ohne schwere Konflikte, ohne innere Katastrophen, ohne heftige Qualen und Hemmnisse ein ehrliches Tagwerk vollbrachten. Daneben andere: -Die oft in Zweifeln wehevoll gerungen Mit Gott und sich und mit der Welt entzweit.» von denen aber auch das andere gilt: -So sind sie durch das dunkle Tor gedrungen Zum Strahlenthrone seiner Herrlichkeit.» Anders wie bei jenen Menschen, die sich harmonisch entfalten, geht ihre Entwicklung durch die heftigsten inneren und äußeren Stürme hindurch, lange Zeit machen sie den Eindruck der Zerrissenheit und Verworrenheit. Solche aber sind es, die in ganz besonderem Maße für die Erfahrung der Religion vorbereitet sind. «Aus zerrissener Seele treten da und dort Lichter hervor, neue Lichter, entzündet durch die Elektrizität, die sich aus Oual und Glaube ent¬ wickelt.» Solche Menschen gleichen einem qualmenden, schwelenden Feuer, an dem nur Rauch und Dampf zu sehen ist. Dann aber ist es, als ob die ganze Kraft dieses Feuers sich zusammenfasse, ein Knall — und gewaltig lodert in reiner Flamme das Feuer empor. So ist der seelische Vorgang in den eigentlich religiösen Naturen. Menschlich angesehen, sind es gar oft nicht die edeln, harmonischen Charaktere, die religiös kraftvoll sich entfalten. -Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt und das Unedle vor der Welt hat Gott erwählt, daß er zunichte mache, was etwas ist.» (1. Kor. 1, 26 ff.) Religion ist nur dort, wo Leidenschaft ist und Kummer! Das meint auch der Heiland mit den Worten: «Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen.» (Matth. 9, 13.) Dem Sün d er, der sich mit seiner Sünde von Gott trennt, erwächst doch auch mit der Empfindung der Trennung von Gott (wenn sie einmal erwacht) die Fähigkeit, den Wert der Gottesnähe recht zu erfassen. Gerade der Sünder wird zum tauglichen Gefäß der Religion! Das ist das tiefe Geheimnis aller Religion, und nur, wer dies Geheimnis verstanden, vermag etwas davon zu erfassen, warum grade das Volk Israel vor allen andern Völkern das Volk der Religion wurde. Wie das Römervolk das Volk des Staats- und Rechtslebens, wie das Griechenvolk das Volk der Wcltweisheit und Kunst in Vorbild- 4 licher, einzigartiger Weise wurde, sv ist das Vvlk Israel in vorbildlicher, einzigartiger Weise das Volk der Religion geworden. Grade deshalb, weil es an menschlich edeln Eigenschaften hinter andern Volkern zurück- stand, weil aber durch eine Reihe von Gottesfügungen der sehnsuchtsvolle Zug nach dem Ewigen wie in keinem andern Volk hier erwachte, haben die edelsten Geister dieses Volkes Prophetenworte geredet, wie sie nie sonst geredet worden sind. So konnte der Heiland sprechen: «Das Heil kommt von den Juden.' (Joh. 4, 22.) Gewiß werden wir dem Rufe: «Los von Juda!» sein volles Recht widerfahren lassen. Los von allem jüdischen Unrat! Im Geiste des echten Luther, der von mehreren Büchern des Alten Testaments sagte: «Ich bin ihnen so feind, daß ich wollte, sie wären gar nicht vorhanden; denn sie jndenzen gar zu sehr und haben viel heidnische Unart.» Was gemein und hinterlistig ist, soll nicht beschönigt oder gar als göttliche Offenbarung hingestellt werden. Daneben aber wollen wir doch, unbeirrt durch Tagesmeinungen, es offen bekennen, daß in den Propheten, den Psalmen, wie in so manchen andern Stellen des Alten Testaments sich Ewigkeitsklänge finden, die niemals verrauschen werden, solange es noch sehnende und hoffende Menschenherzen ans Erden gibt; Klänge, die bleiben werden, wenn alle andern Bücher der Weisheit und Schönheit, die uns heute entzücken, vielleicht vermodert sind. Lernen wir doch am Beispiel des Volkes Israel besonders ein¬ drucksvoll die hohe Wahrheit: «Der Geist ist's, der lebendig macht, das Fleisch ist kein nütze.» (Joh. 6, 63.) Mögen die natürlichen Voraussetzungen für die Berührung mit dem Höchsten noch so ungünstig sein, «der Geisteswind bläst, wo er will» (Joh. 3, 8), er erwählt sich zu Organen oft grade die, die wir mit unfern Menschenaugen für die allerunfähigsten halten würden. Nicht die Rasse, nicht irgend eine andre Beschaffenheit des Fleisches entscheidet, sondern der Geist. Müßten wir nicht anders — bei der Beschaffenheit alles Menschenwesens — völlig verzweifeln? Kein eindrücklicheres Beispiel für diese Wahrheit als das Jakobs, des tückischen, berechnenden Stammvaters des Judcnvvlkes, der doch zu¬ gleich der große Gottesheld, der Gotteskämpfer Israel wurde. Laßt uns sein Schicksal, in dem sich das seines Volkes zusammen¬ faßt, vor Augen stellen. Einst zog er aus, mit Schuld beladeu. Beim Antritt der Wande¬ rung durch die weite Wüste zeigt sich ihm in lichtem Traum die Leiter, ans der Gottes Engel auf und nieder stiegen und der Herr stand oben darauf. Es war ihm eine Weissagung, daß der Herr ihn nicht lassen werde in Schuld und Not. Gar oft mag es ihm wie eine trügerische b'ata inorgmm in der Wüstenreise seines Lebens erschienen sein, was er 5 dort im Nachtgesicht geschaut. Aber in allen Verlockungen eines heißen, gierigen Herzens, in allen Kämpfen und Leiden mag doch auch etwas mitgeklungen haben von jener großen Gottesverheißung, die er in jener Nacht gehört: «Ich will dich nicht lassen, bis daß ich tue alles, was ich dir geredet habe.» (I- Mos. 28, 15.) Und nun stand er am Ziele eines Weges voll an Erfolgen und Beschwerden. An der Schwelle seines Heimatlandes, in das er nach langer Abwesenheit zurückkehren darf, ruft er aus: «Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knechte getan haft; denn ich hatte nicht mehr, denn diesen Stab, da ich über diesen Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere geworden.« (I. Mos., 32, 10.) Da verkörpert sich ihm in jenem Gebetskampfe an der Furt Jabot, von dem unser Textwort erzählt, der ganze Kampf seines Lebens im Ringen um Gott. «Er blieb allein, und da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgen¬ röte anbrach.» Wer ist dieser Mann? Er weiß es nicht. Wie wir lesen: «Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße?» Es ist eine unbekannte Macht, mit der er ringt, es ist das Geheimnis des Lebens, um das er kämpft. Jeder Mensch, der um irgend einen großen Gedanken kämpft, der irgend ein Werk schaffen möchte, weiß es, was dies Ringen um ein Un¬ bekanntes bedeutet, das doch wie eine Last auf der Seele liegt und nach Enthüllung seines Wesens verlangt. Wieviel mehr der Mensch, der um das höchste Werk, um einheitliche Lebensgestaltung, kämpft. Dieser unbe¬ kannten Macht muß der Mensch zurufen: «Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.» «Wer Gott ist, wird in Ewigkeit kein Meuschenherz ergründen.» Unser Gott wird immer ein Geheimnis bleiben, das wir auf Erden nie erfassen werden. Aber seine Segens nähe können wir erfahren. Einst hatte ja Jakob den Vatersegen listig sich erschlichen. Nun kämpft er um deu Segeu seines himmlischen Vaters. Dieser läßt sich durch keinen Trug erschleichen, nur durch geduldiges Harren, durch inneres Kämpfen mit den finsteren Mächten, die in jeder Menschenbrust wohnen. In diesem Kampfe aber gilt es auszuharren. «Und ob es währt bis an die Nacht und wieder an den Morgen,» durch die tiefsten Dunkelheiten hindurch sollen wir aushalten, bis es endlich Tag wird in unserm Innern. Bis — wie in unsrer Geschichte — die Sonne aufgeht. Bis es sich erfüllt, worum das Herz gerungen: «Er segnete ihn daselbst.» Seinen Namen wollte der Unbekannte nicht neunen, aber seinen Segen spendete er, als er sah, daß der Mensch, der ihm gegenübergetreten war, gerungen hatte bis zur äußersten Erschöpfung seiner Kräfte. 6 Da tönte dann die Siegesbotschaft: «Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen.» Unser ganzes Leben ist ein Kampf, ein Kampf ums Dasein. Wir haben manchen Streit mit Menschen durch¬ zukämpfen, keinem bleiben solche Kämpfe ganz erspart. Aber, «so jemand auch kämpfet, wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht- (2. Tim. 2, 5). Und recht kämpft doch nnr der, der nicht bloß mit Menschen kämpft um Besitz, Ehre, Lust oder um das Herz eines Menschen; die höchste Krone der Vollendung wird doch nur der empfangen, der in all' diesem andern Kampf und über all' diesem Kampf den einen großen Kampf nm Gott kämpft: Gottes gewiß und froh zu werden. Solches Ringen wird schwere Wunden hinterlassen. Wie es in unserer Geschichte heißt: «Da ersah, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an und das Gelenk seiner Hüfte ward über dem Ringen mit ihm verrenkt.- Wenn wir die großen Helden der Religion im Christentume ansehen, einen Panlus, Augustin, Luther, so können wir wohl einen tiefen Sinn in diesen Satz hineinlegen. Es waren dies, wie nicht ganz mit Un¬ recht gesagt wurde, «sehr gequälte, sehr bemitleidenswerte, sehr unange¬ nehme und sich selber unangenehme Menschen-, keineswegs Menschen, die wir in ihrem Charakter durchweg für vornehm und edel erklären können, Menschen, die außerdem in verzehrenden seelischen Kämpfen tiefe innere Narben davon getragen haben. Ein qualenvoller Riß ging durch ihr ganzes Leben, der immer miss neue anfbrach und der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl erneuerte. Doch was bedeutet aller dieser Schmerz neben der Seligkeit des Sieges, wenn es schließlich heißt: «Die Sonne ging ihm auf. Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen.» Nur an Gott kann die Seele genesen: «Der von dein Honigseime der Ewigkeit geschmeckt, Der Pilger ist daheime erst, wenn das Grab ihn deckt.» Daheim fühlt sich der Pilger auch hier auf Erden nur in jenen Stunden, da er seines Gottes Angesicht schaut. Da fühlt er sich genesen von der Qual alles Irdischen, weil er den gefunden, in dem alles: Zeitliches und Ewiges, sich znsammenschließt und der darum allen Gram und alle Schuld des Erdendaseins überwiegt. Wem das Angesicht Gottes so aufleuchtet nach langer Nacht, dem ist ein Heller Schein ins Herz gegeben: -die Sonne geht ihm auf». Im Lichte dieser Erfahrung erhellen sich ihm die dunkeln Pfade, auf denen er bis dahin gewandelt. 7 -Jede Klage muß sich enden, Jeder Schmerz wird Seligkeit. Kann er mm von diesen Höhen Ganz sein Schicksal übersehen O dann spricht er tiefgerührt: Selig hast du mich geführt.» Auch die dunkelsten Führungen, so dürfen wir vertrauen, können einst im Lichte endigen, wenn wir hoffen und nicht zweifeln, wenn wir zu jeder Schmerzensführnng sprechen: «Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn». Da kann es sich zeigen, daß grade die unharmonischen Charaktereigenschaften, die demütigenden, quälenden Erlebnisse die Ele¬ mente sein konnten, aus denen die lichtspendende Elektrizität dieses höchsten Lebens sich bildete. Was liegt denn daran, wenn die Mittel, durch die allein uns dieses höchste Licht zuteil werden konnte, garstig waren? Wie es uns ja auch nicht bekümmert, daß der Bergmann im tiefen, oft atem¬ benehmenden Schacht schaffen mußte, nm die lichtspendenden schwarzen Diamanten emporzufördern. Wenn das Ziel erreicht wurde und durch dies Ziel auch alle Mittel als nötig und heilsam erscheinen, so können wir mit dem großen Apostel ausrufen: -Ich achte alles für gering gegen¬ über der überschwenglichen Erkenntnis» (Phil. 3, 8), die mir nun zuteil ward. Im Lichte dieser Gedanken wird uns auch die Bedeutung des Alten Testaments klar. So wenig wir uns das Recht der freiesten Kritik an diesem Buche verkümmern lassen, so wenig wollen wir doch verkennen, daß es neben viel wertloser, ja ekelerregender Schlacke unvergängliches Gold enthält: Antriebe nnd Verheißungen, wie sie nirgends sonst zu finden sind. Eine Jakobsgeschichte, wie die in unserm heutigen Teptwort, findet sich im Schrifttum aller andern Völker nicht. Eindrücklicher wie jede andere Geschichte stellt sie vor uns die Mahnung: «Bei der Hand will er dich fassen, Scheinst dn gleich von ihm verlassen: Glaube nur und zweifle nicht! Bete, kämpfe ohne Wanken: Bald wirst du voll Freude danken, Bald nmgibt dich Kraft und Licht.» Amen. In, Berlage der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach. — Drnck von Kleinmayr L Bamberg. Luther. Der Wann und das Werk. Laibach, 28. Oktober 1906. Leitwort: -Ich sah einen Engel fliegen, mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evange lium zu verkündigen Denen, die aus Erden sitzen, und sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre.» Osfenbarung Johannes 14, 6 und 7. «Männer machen die Geschichte», dies Wort steht geschrieben am Denkmal eines der größten deutschen Geschichtschreiber Alle großen Um¬ wälzungen nnd Fortschritte der Weltgeschichte ans allen Gebieten des Geisteslebens sind bedingt vom Auftreten großer schöpferischer Persön¬ lichkeiten. Gewiß sind auch diese Persönlichkeiten wiederum bedingt von Strömungen, die Unzählige erfaßt haben; Strömungen, durch die sie emporgetragen werden mußten, nm ihren Beruf erfüllen zu können. Aber um das gesteckte Ziel zu erreichen, bedurften diese Strömungen eines Organs, einer persönlichen Verkörperung, wie sie nur in großen Gestalten, in Helden der Weltgeschichte, möglich ist. Und es läßt sich urteilen: ebenso wie jene großen Männer bedingt sind durch die hinter ihnen stehenden Geistesströmungen, so sind doch wiederum die Wirkungen, die von diesen Geistesströmungen ausgehen, bedingt von der schöpferischen Gestalt, in denen eine jede ihr Organ finden muß, um nicht wirkungslos zu zerschellen. Gewiß, das ist heute eine altmodische Weisheit. Die größte Massen¬ bewegung aller Zeiten, die heute durch alle Kulturländer hindurchgehende proletarische Klassenbewegung, stützt sich auf die sog. «materialistische Ge¬ schichtsauffassung», wonach alle großen Veränderungen der Weltgeschichte lediglich durch wirtschaftliche, rein materielle Vorgänge bedingt seien. Die Männer, die sich dabei an die Spitze stellen, aber seien nur die rein zu¬ fälligen Vollstrecker des übermächtig wirkenden Willens der unpersönlichen Verhältnisse. In bestrickender Form ist diese Lehre für die verschiedenen Gebiete menschlichen Schaffens von bedeutenden Forschern nachgewiesen worden. Dem Diener Jesu Christi aber muß es gestattet sein, die alte Lehre: «Männer machen die Geschichte», noch immer festzuhalten. Noch immer sandte Gott, wenn eine Zeit sich erfüllt hatte, seine Diener, die 2 allbeherrschend in das Chaos der Ereignisse eingriffen, damit neue Bildungen auftauchten. Der eine Mann ist's, mag er nun Bnddha oder Jesus oder Mohammed, Napoleon oder Bismarck heißen, der die neue Welt schafft, nicht die übermächtigen Verhältnisse. Das gilt auch von der größten Umwälzung der neueren Geschichte, der Reformation des 16. Jahrhunderts. Die Kirchentrenuung des 16. Jahr¬ hunderts bedeutete die Zerreißung eines umfassenden Zusammenhanges, der anderthalb Jahrtausende bestanden hatte, und sie ist insofern eine Tatsache, die an grundlegender Bedeutung nur mit einer einzigen anderen Tatsache verglichen werden kann, nämlich mit der Begründung dieses Zu¬ sammenhanges. Danach wären es drei Grundtatsachen, auf denen unsere ganze neuere Geschichte fußt: Römisches Weltreich, das Christen¬ tum, das in diesem Weltreich das Gefäß fand, um der Welt sich mit¬ teilen zu können, die Reformation, die das Gefäß zerbrach, als es seinen Dienst getan, damit nun erst wahrhaft der innere Gehalt dieses Gefäßes der Welt erschlossen werden könne. Der Mann aber, der dies Werk vollbrachte, war Luther. Die Ge¬ walt der von ihm ausgegangenen Bewegung war eine so mächtige, daß sie trotz der mannigfachsten und schwersten Hindernisse unaufhaltsam fort¬ schritt, einem Meere gleich, das sich bis au die Alpen und über die Alpen ergoß, bis dann die Gegenbewegung kam, die von der einen großen Persönlichkeit des Ignatius von Loyola ausging, eine Zeitlang das ganze Lebenswerk Luthers in Frage stellend, bis dann offenbar wurde, daß dies Werk in seinem Kern doch nie mehr zu vernichten war. Heute zum Gedächtnis der Reformation haben wir darum zu be¬ trachten 1. den Mann, 2. das Werk. 1. Den Mann! Es war ein Mann, der vor vier Jahrhunderten lebte. Das allein sollte uns, wenn wir anders etwas von Geschichte wissen, in der Betrachtung dieses Mannes vorsichtig und umsichtig machen. Denken wir an unsere eigenen Großeltern. Wie so ganz anders waren schon bei ihnen die Anschauungen, Urteile, der ganze Geschmack. Wie so ganz anders war das, was die Menschen vor fünfzig Jahren lasen und dachten, womit sie sich vergnügten, wie sie sich ausdrückten, als das, was uns beschäftigt. Wenn sie heute unter uns träten, sie würden uns erscheinen wie Gestalten ans einer fremden Welt. Und nun eine Gestalt, die volle vier Jahrhunderte hinter uns steht! Und was für eine Gestalt! Man mag Luther flucheu oder segnen, das kann man nicht wohl leugnen, daß man von ihm reden wird in Liebe und Haß, in Verachtung oder Bewunderung, solange dieser Wcltlanf währt, solange als der Erdball Menschen tragen wird. Als einer der ragenden Gipfel der Welt wird er hinüberragen über die Jahrhunderte und Jahrtausende! Daraus schon sollte für jeden, der guten Willens ist, die Pflicht sich ergeben, an einen Luther einen anderen Maßstab anzulegen, wie an irgend einen Durchschnittsmenschen unserer Tage. Wer überhaupt mit irgend einem großen Geiste in irgend einem Gebiet der Kunst oder 3 Wissenschaft sich beschäftigt, sollte von vornherein sich klarmachen, daß es sich nicht darum handelt, höhnisch über einen solchen großen Mann abzusprechen, sondern ihn in seiner besonderen Stilweise zu verstehen. Nicht das ist unsere Aufgabe, einzelne Äußerungen eines übergewaltigen Temperaments znfammenzustellen und daraus ein Zerrbild zu gestalten, sondern zunächst in liebevoller Versenkung die Persönlichkeit in ihrem innersten Kern zn erfassen, die ganz veränderten Anschauungen nnd Aus¬ drucksweisen zu erkennen nnd erst von da aus die einzelnen Äußerungen zu beurteilen. Gerade bei Luther haben wir zu berücksichtigen, daß die Ausdruck- und Denkweise seiner Zeit eine von der unfern völlig ver¬ schiedene war, daß Zeiten schwersten Kampfes nnd großer Neubildungen anders zu beurteilen sind, wie Zeiten des Friedens. Und wenn von irgend einem Mann, dann gilt für Lnther das Dichterwort: «Nehmt alles nur in allem, er war ein Mann.- Worin aber besteht der innerste Kern dieser großen Persönlichkeit? Mit einem Bilde möchte ich versuchen, dies klarzulegen. Versetzen wir uns im Geiste in einen jener erhabenen mittelalterlichen Dome, jenen wunderbaren Schöpfungen germanisch-christlichen Geistes. Wohl der ein¬ drucksvollste ist der Dom zu Köln. Auch uns überzeugte Protestanten überkommt hier ein Verständnis dafür, daß man hier stolz darauf sein kann, katholisch zu sein. Hier fügen sich Tausende und Tausende von Steinen zu einem Ganzen, gewaltig scheinen die himmelstrebenden Pfeiler, die hohen Gewölbe den erdgebundenen Geist himmelwärts zu ziehen. Gewiß, für den mystischer Erhebung zugänglichen Geist hat die Suggestion des römischen Kultus,- wie sie hier überwältigend sich entfaltet, etwas Hin¬ reißendes. Und doch, was bedeutet diese ganze Suggestion gegenüber der Suggestion, die von einer tiefen und frommen, dabei wahrhaftigen, lebendigen Persönlichkeit ausgeht? Dort sind ja nur tote Steine, hier aber das wirkende Leben Gottes. Eine solche Persönlichkeit aber war dem deutschen Volke Martin Lnther. In einer tiefen, gottinnigen Seele hatte er anfgesaugt alles Echte und Wahre der mittelalterlichen Frömmigkeit, jener Vermählung deutschen und christlichen Geistes; in sich aufgenommen hatte er die andächtige Wirkung gotischer Kathedralen, wie er sie in Magdeburg und Erfurt sah, brausender Orgeltöne, qualmender Weihrauchsäulen, alle Schauer des Meßopfers. Was er da in sich ausgenommen, voll mystischer Versenkung in die Tiefen der Gottheit, das äugt und strahlt uns nun entgegen in der wunderbaren Innigkeit und Gewalt seiner Schriften, aus denen jeder, der unvoreingenommen ist, den Mann lieb gewinnen muß. Das hat Anastasius Grün, unser Laibacher Dichter, in die Worte gefaßt: «Ein neuer Tom steigt herrlich in Deutschland nun empvr. Da wacht mit Lichteswaffen der heil'gen Streiter Chor. An seinen. Pforten möge der Spruch des Weisen stehen: Jst's Gottes Werk, soll's bleiben, wo nicht, selbst nntergeh'n.» Das ist das wunderbare an Luthers Gestalt, daß er nicht bloß zerstörte, sondern auch aufbaute, weil er die Geistesheimat, die das deutsche Volk im Dom des Mittelalters gefunden, hinübertrug iu den neuen Dom, 4 den sein Schöpfergeist ihm anfrichtete. Das, was ein Ulrich von Hutten, der kühne kampfesfrohe Ritter, was ein Desiderius Erasmus, der um¬ fassende, feinsinnige Gelehrte, dem deutschen Volke nicht zu bieten ver¬ mochten, weil sie die tiefste Gemütssehnsucht dieses Volkes nicht verstanden, das bot ihm Martin Luther, dessen Geist alle Schätze des Gemüts in verschwenderischer Fülle umfaßte, indem er sein Volk aufrief zum Kampf gegen Rom: «Tief Gedenken, froh Vertrauen, Trost und Weisheit nimmer alt, deutsche Zucht und deutsche Sitte und ein ewiger Gehalt. - Gewiß, sie haben es dann von je verstanden: -Das, was der Zorn und was der frohe Mut Ihn sprechen ließ im Überfluß des Herzens, Zu künstlichem Gewebe zu vereinen Und eine Klage furchtbar zu bereiten, Dagegen er verstummen soll.» Es ist wahrlich nicht schwer, aus Luthers eigenen Worten ein Zerr¬ bild seiner Person zn zeichnen, davor wir heute uns entsetzen. Wir aber wollen um das Einzelne nicht streiten. Mag er in Worten zu weit gegangen sein als ein Mann voll Laune, Witz und Ironie, derb und polternd bei innerer Gutmütigkeit und Gleichmut. Im Grunde aber wollen wir alle, ob Protestanten oder ehrliche, denkende Katholiken, nur eines: Wir wollen frei sein, wollen -Los von Rom», los von wälscher Tücke und Herrschsucht, los von priesterlicher Bevormundung und Volks¬ vergiftung. Das aber hat Luther erreicht, unendlich weit mehr wie je irgend einer vor ihm oder nach ihm. Und weil er es erreichte, weil ' sein Weg zum Ziele führte, wird es der rechte Weg gewesen sein und der Mann, der ihn gegangen ist, war der rechte Mann. Gewiß, kein glatt polierter Obelisk, an dem nirgends ein Riß war oder eine Unebenheit, wie der große Antiluther Ignatius von Lohvla, aber groß wie ein Alpengebirg, weit nnd fern in den Himmel ragend, mit schauerlichen Abgründen nnd wilden, zackigen Klüften, aber auch mit rauschenden Quellen, grünen Matten, schattigen Wäldern, holdseligen Tälern voll Blumeuschmelz. Leidenschaftlich bewegt, in Liebe und Zorn reizbar, melancholisch in schweren Anfechtungen, aber in Lust und Leid ein echter Mensch. Und wenn eine neueste Schmähschrift schreibt: -Die Sprache St. Pauli ist immer anständig, heilig und erhaben, jene Luthers öfters frivol uud bodenlos gemein, im Schimpfen, Lüstern und Schmähen unerschöpflich,» so ist das eben nicht richtig. Auch aus dem Munde Jesu und des Paulus besitzen wir viele Worte, Worte des Kampfes und der Übertreibung, vor denen sich die Kinder unserer Zeit entsetzen würden, wenn sie in unseren Tagen fallen würden. Denn noch heute kämpft man ebenso wie in alten Tagen, aber die Worte sind heute, heuchlerisch genug, viel gemäßigter. Und daun ist zu bedenkeu, daß wir vvu jenen nur wenige Aussprüche besitzen, die auf einigen Seiten Platz finden, von Luther aber besitzen wir eine unermeßliche Fülle von Äußerungen, ans fast zahllosen Schriften, Predigten, Gutachten, Briefen, Tischgesprächen, 5 Äußerungen oft ungezwungenster, vertrautester Art eines gebannten und geächteten Mannes, der sein Leben hindurch mit rücksichtslosester Offen¬ heit den Kampf führte auf Leben und Tod gegen eine Welt der Hindernisse. Daß aus dieser unübersehbaren Fülle von Äußerungen einer sinnlich-derben, wilden Zeit sich gar manches zusammentragen läßt, was uns heute befremdet, das leugnen wir nicht, weisen aber auch darauf hin, daß seine Gegner allezeit an tückischer Entstellung und gewissenloser Verleumdung das Äußerste getan haben. Was tut es, wenn sie diesem Maune das Werk, welches er voll¬ brachte, doch nicht Hinwegstreiten können. 2. Der wohl bedeutendste Polemiker gegen Luther, der katholische Theologe Döllinger, hat vom Werke Luthers geurteilt: «Er hat seinem Volke mehr gegeben, als jemals ein christlicher Manu seinem Volke gegeben hat: Sprache, Volkslehrbuch, Bibel, Kirchenlied.« Gewiß, seine Verdienste um die neuhochdeutsche Sprache, um Übersetzung der Bibel, nm deutsche Volkserziehung und deutsches Geistesleben sind nie genug zu preisen. Der eigentliche Herzpunkt seines Werkes ist ein anderer. Das Zauberwort, welches Luther gesprochen hat, hieß: «Allein durch den Glauben!« In Luthers Rechtfertignngslehre haben wir den Mittelpunkt seiner Lehre und seines Werkes. Damit erschütterte er stoßweise alle Kirchen Europas, und die Predigt Zwinglis, die «Jnstitutio« Calvins, die Artikelakte des Englandkönigs Eduard VI., das Wirken des John Knox in Schottland, die Reformpredigt des Kapuzinergenerals Oechino in Italien wie die Arbeit des päpstlichen Nuntius und Bischofs Vergerio in Istrien sind nur das Echo dieses Evangeliums, mit dem Luther die Welt überfallen hatte und das die Gestalt der Kirche veränderte. Gewiß, unserer Zeit ist dies erlösende Wort Luthers: «der Gerechte wird seines Glaubens leben,« wiederum zur unverständlichen Hieroglyphe geworden! Unsere Zeit vermag ebensowenig wie im Me߬ buch der Römischen im Bekenntnisbuch des Luthertums die Antwort auf ihr Suchen nach Gott zu finden. Dazu war eben Luther gesandt, daß er für seine Zeit das lösende Wort sprach, kommende Zeiten bedurften kommender Männer. Es ist ja ein Gesetz der Religionsgeschichte^ daß Altes nur überwunden wird, indem das Neue mit den Begriffen der Vergangenheit ausgeprägt wird. So hat Paulus den Opfergedanken des Alten Testaments überwunden, indem er den Opferbegriff auf das neue ihm aufgegaugene Lebeu auwandte, so hat Luther das Gesetzeschristen¬ tum der mittelalterlichen Kirche überwunden, indem er mit Begriffen des Rechts das neue Leben, das ihm aufgegangen war, anszndrücken ver¬ suchte. Unsere Zeit sucht nicht mehr den gnädigen Gott, der die Sün¬ den der Menschen übersieht, sondern sie sucht Gott selbst. Daß dem so ist, ist, wie wir glauben, eine Frucht christlich-evangelischer Einflüsse. Es ist den Menschen unserer Zeit in Fleisch und Blut übergegangen, daß Gott gnädig ist. Darum ist es ihnen selbstverständlich geworden, sowie es dem Heiland selbstverständlich war, 6 Seiner Zeit aber brachte Luther das lösende Wort, als er ihr auf Grund seiner eigenen innersten Erfahrung predigte: «Gerecht nicht durch des Gesetzes Werk, sondern durch den Glauben.» «Die ganze Frömmigkeit von dem ersten Horaläuten bis zur Mitternachtsmesse, vom Paternoster am Morgen bis zum Ave am Abend, das Fasten und Geißeln, Kirchenlanfen und Wallfahren, Kreuzschlagen und Kirchenknien, die neun Gebetstunden, die Festtage und Fasttage und Karenzzeiten» und die Ab¬ lässe und Vollmachten aller Art, das alles war nun abgetan und damit unerträglicher Geistes- und Gelddrnck. Gewiß, es gibt Unzählige, denen alles das Friede» bringt, was Luther beseitigt hat. Unzählige wollen nichts anderes, als kleine Befriedigungen, kleine Ablässe, kleine Tröstungen. Die Gesetzesreligion, die ihnen tausend kleine Opfer auferlegt, aber sie verschont mit dem einen großen Opfer, vor dem sie zurückscheuen, der vollen Hingabe des Herzens an Gott, ist wie für sie geschaffen. Es gibt aber auch andere.und sie sind die wahrhaft religiösen Naturen, denen ist nicht genug getan mit einzelnen abgeleiteten Bächlein, nur mit dem vollen Strom der Gewißheit, — nicht Stücke wollen sie, sondern das Ganze, nicht allerlei fromme Dinge, sondern Gott selbst. Ein solcher war Luther, einer der Patriarchen des Menschen¬ geschlechts, die getrunken haben von den ewigen Quellen des Lebens. In ihm war das Doppelte: das Gefühl der Nichtigkeit, der Schwachheit, Unvollkommenheit alles Menschenwesens, aus dem heraus seine Worte stammen: «Ein Christ wird gerecht genannt, nicht weil er cs ist, sondern weil er es wird«; «Der Christ ist nicht im Wordensein, sondern im Werden»; aber mitten in dieser Schwäche und Sünde die felsenfeste Ge¬ wißheit in Gottes Hand so fest geborgen zu sein, daß nichts, nichts ihn von ihm reißen könne. In dieser Gewißheit ist er aufrechtgestanden ein langes stürmisches Leben hindurch, bis er verhauchend noch auf die Frage: «Ehrwürdiger Vater, wollet Ihr auf Christus und die Lehre, wie Ihr gepredigt, beständig bleiben?» sein «Ja» antwortete. Und darin liegt der «ewige Gehalt» seines Evangeliums. Auch wir wollen frei sein von allem religiösen Werkdienst. Wir wollen eine Ge¬ wißheit haben, ans uns selbst, die kein Priester uns geben und kein Priester uns nehmen kann. Stehen wollen wir wie Luther mit beiden Füßen auf Gottes Erde, die Bedingungen der Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren, das Schwache, Sündige, Unvollkommene, das uns immer¬ dar anklebt, nie ablengnen, da keiner von uns je auf Erden ein «Heiliger» wird oder werden kann, aber daneben soll unser Haupt doch empor¬ schauen zum Himmel, Sterne spähen, Gedanken säen». So, wie es das andere Geburtstagskind des 10. Novembers, Schiller, ausgesprochen: «Werft die Angst des Irdischen von euch, fliehet ans dem engen, dumpfen Leben in des Ideales Reich.» Im Bewußtsein unserer Geisteswürde, fest ge¬ gründet in ewigem, unzerstörbarem Leben, wollen wir mitkämpfen im großen Kampf der Menschen, äußerlich gebunden durch die mannigfachen Pflichten der Liebe, im Innersten doch frei und niemand untertan. So hat Luther den großen Kampf seines Lebens geführt, gegen die Schwärmer, die Aufrührer, die alles verspottenden Gelehrten zur Linken, wie gegen das ganze Heer der Finsterlinge zur Rechten, gegen die alle 7 Vergangenheit Leugnenden hier, wie gegen die Macht des ewig Gestrigen dort. Von ihm wollen wir lernen, nicht das, was er im einzelnen ge¬ lehrt, sondern wie er es gelehrt, nicht seinen Buchstaben, sondern seinen Geist. Auch die, die sich um Luther geschart haben im Lauf der Jahr¬ hunderte, sind oft genug in die Fehler verfallen, gegen die Luthers Werk gerichtet war. Sie haben von ihm das Wort gebraucht: «Gottes Wort und Luthers Lehr', Vergehen nun und nimmermehr», als wenn der Buchstabe an Luthers Lehre so unantastbar sei, wie die Lehre des Papstes, die Luther abgetan hat. Wir aber wollen dies Wort denten auf seinen Geist, sowie es manchmal geschah von seinen begeisterten Anhängern, die in ihm den Engel der Offenbarung erkannten, der für alle Menschen ein ewiges Evangelium hatte, das Gottes Ehre verkündete. Luther verkündete Gottes Lehre und darum heißt es in Wahrheit: «Gottes Wort ist Luthers Lehr, Darum vergeht sie nun und nimmermehr.» Amen. Dr. Ottmar Hegemon», Pfarrer. Im Berlage der Evangelischen Kirchengemeinde in Laibach. — Drnck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach. Die Unsterblichkeit der Seele. H^eöigt zu ZMevseeLen, 1. Wovembev 1906. Von Dr. Ottmar Hcgcmann, Pfarrer in Laibach. -WennderHerr die Gefangenen Zions erlösen wird,sowerdenwir sein wiedie Träumenden.- Psalm 126, l. Es ist der ergreifende Schluß eines wohl auch euch bekannten Gedichtes: -Und cs kam die Nacht und wir ritten hindann, Der Regen rann — Und wir dachten der Toten, der Toten.» Auch heute ist der Abend hereingebrocheu und draußen rinnt der Regen und auch wir gedenken der Toten, der Toten. Und kein besserer Tag zum Gedächtnis der Toten als der erste Tag des November! Das letzte Leuchten des Oktoberglanzes, da Baum und Strauch sich färben, will verglimmen, mählich sinkt Blatt um Blatt von den Ästen, es ist eine Predigt davon, daß wir alle nur Blätter sind am großen Lebensbaume, die bald, ach wie bald niedergleiteu werden zu der Erde, davon wir genommen sind. Gar bald wird der Schnee ein weißes Leichentuch über die stille Flur breiten, wo alles Leben dann in Haft liegt. In diesen Tagen durch¬ zieht wohl jedes Gemüt etwas wie wehmütige Todeserinueruug. In das dunkle Land des Todes führen uns so viele Fäden. Wir denken der eigenen Sterblichkeit, wir gedenken vor allem der Toten, die uns voran¬ gegangen sind «ans dem Eiteln, aus dem Nichts in das Land des ew'gen Lichts». Wie viel Gute, Treue, Edle sind unter ihnen, ein Stück unseres eigenen Lebens liegt mit ihnen schon unter kühlem Rasen, in deren Gestalt das Beste aus unserem Lebeu verkörpert war. Aber die eigentlich entscheidende Frage ist doch die, ob sie alle, die in immer wachsender Schar uns verließen, ob sie alle versunken sind im Nichts oder ob sie in irgend einer Gestalt noch lebendig sind. 2 Sein oder Nichtsein?, das ist die Frage von Allerseelen. Aller Seelen tiefste Frage, des Allerseelentages tiefstes Rätsel. Sagen wir es offen: Wie unendlich wenig Licht über dies Rätsel findet sich unter uns! Auf den Särgen stehen noch immer geschrieben die Worte: -Wiedersehen unsere Hoffnung», auf den Grabsteinen ist zu lesen von Unsterblichkeit, aber in den Herzen wie wenig lebendiger Zukunftsglaube! Wenn heute der Apostel an uns schriebe, mußte er nicht auch von uns, wie einst von den Heiden, sagen: -Ihr habt keine Hoffnung und seid ohne Gott in der Welt.» (Eph. 2, l2.) Und doch können wir das Rätsel von Allerseelen nicht loswerden! Versuchen wir miteinander das Rätsel zu lösen, in voller Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit und Einfalt, aber auch in rückhaltloser Aufrichtigkeit und Treue gegen uns selbst. Ob jener lange Schlaf, der uns allen bevorsteht, Träume habe, be¬ lebt sei von lebendigen Gestalten, das, so hat jener Große im Reiche der Geister gemeint, sei die Frage. Die Antwort des Psalmisten aber lautet: «Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.» Wir können und müssen träumen über das, was wir als Zukunft erwarten. Solche Träume haben die Israeliten in der babylonischen Bann¬ zeit gehabt. In jenen Tagen, da sie -an den Wassern zu Babel saßen und weinten, wenn sie an Zion gedachten» (Psalm l37, 1), da träumten sie von einer Zeit, in der -ihr Mund voll Lachens und ihre Zunge voll Rühmens- sein werde. Sie träumten von der glänzenden Wieder¬ herstellung des Davidsthrones, von Macht und Größe ihres Volkes. Je trauriger ihre gegenwärtige Lage, desto goldener wurde ihnen die Zukunft. Gewiß, diese Träume sind dann nicht voll in Erfüllung gegangen. Wie arm und dürftig war das, was das Volk Israel erlebte. Wird doch erzählt, daß die, welche noch den alten Tempel gesehen hatten, «laut weinten, als der Grund zum neuen Tempel gelegt wurde, so daß man nicht das Tönen mit Freude vor dem Geschrei des Weinens im Volk unterscheiden konnte». (Esra 3.) War es doch nur eine bescheidene Verwirklichung der Träume, die man in Babel gehegt hatte. Und doch dürfen wir urteilen: das. Volk Israel wäre nntergegangen, wenn es diese Träume uicht gehabt hätte. Hunderte von Völkern des Altertums sind längst versunken und vergessen, dies eine Volk hat sich erhalten durch die starke Kraft einer Zukunftshoffnung. Gewiß, anders, als jene Gefangenen im babylonischen Lande es gehofft, haben sich ihre Zukunftserwartungen erfüllt! Aber wir dürfen doch auch sagen, besser haben sie sich erfüllt. Welcher Gewinn wäre 3 es denn gewesen, wenn wirklich ein mächtiges Davidsreich am Jordan anfs neue erstanden wäre? Viel mächtigere Reiche sind erstanden und längst spurlos verschwunden. Die Zukunftshoffnung Israels aber ist noch heute eiu Segen für die ganze Menscheuwelt. Die religiösen Vorstellungen im ganzen abendländischen Kulturkreise bauen sich auf den Grundlagen auf, die vor Jahrtausenden das Prophetentum Israels gelegt hat. Jene gefangenen Juden in Babylon, die in Bann nnd Spott ihren Glauben festhielten, haben damit das heiligste Erbe der Menschheit gehütet. Millionen¬ fache Frucht, unendlich viel reicher, als jenes Häuflein von Juden ahnen konnte, hat diese Treue getragen. Wir können und müssen träumen über die Zukunft! Das lehrt uns die allergrößte Gestalt Israels, Jesus Christus. Auch er hat geträumt. Hinter Tod und Grab sah er glorreiche Auferstehung, ein Kommen in den Wolken des Himmels in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, um zu sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit. (Matth. 2ö, 31.) Da er des Schicksals furchtbare Gewalt, das sich über ihm entlud, mit Seheraugeu erkannte, bedurfte er ein Gegengewicht, um nicht erdrückt zu werden von dieser Last. Ein solches Gegengewicht vermochte ihm nur sein Zukuufts glaube zu bieten. Dieser Zukunftsglaube hat ihn in Kreuzesschmach und Todesgrauen erhalten. Gewiß, anders, als Jesus gehofft, war die Erfüllung. Er ist nicht wiedergekommen in den Wolken des Himmels, die Welt ist ihren Gang nach denselben Gesetzen wie einst gegangen, nun schon neunzehn Jahrhunderte! Sünde und Tod regieren noch immer wie einst. Und doch! Anders, aber besser hat sich Jesu Hoffnung dennoch erfüllt! Er ist nicht sichtbar wiedergekommen, aber geistig herrscht er mitten unter den Feinden. Von Jahrhundert zu Jahrhundert hat sein Geist Einzug gehalten in allen Völkern und Zeiten. Und diese schrittweise, aber unaufhörliche und unaufhaltsame Eroberung ist im Grunde viel herrlicher als eine ein¬ malige äußere Machtoffenbarung. Wir können und müssen träumen über die Zukunft! Das lehrt uns auch der Mann, der am Tage vor Allerheiligen den Kampf begann wider aller Heiligen Dienst, um aller Seelen vom Dienst der Heiligen zum Dienst des wahrhaft Heiligen zu führen. Martin Luther war beseelt von einem ungemein starken Zukunftsglanben. Er lebte in Träumen des baldigen Weltuntergangs, der unmittelbar bevorstehenden Katastrophe des Antichrist?. Hätte er solchen Zukunftsglanben nicht gehabt, hätte er dann zu stehen vermocht wider Papst und Kaiser? Auch er bedurfte ein Gegen¬ gewicht gegen den furchtbaren Druck der Gegenwart. Nichts Irdisches 4 und Gegenwärtiges, allein sein trotziger Zukunftsglaube vermochte ihn: dies Gegengewicht zu bieten. Auch hier müssen wir sagen: anders wie sie erhofft wurde, war die Erfüllung. Des päpstlichen Antichrists Reich blieb bestehen die Welt ging wieder ihren Gang weiter, ärmlich und dürftig blieb äußerlich der Sieg des Evangeliums. Und dennoch auch hier: anders die Erfüllung, aber besser! Auch hier war der Sieg ein vollständigerer, gewaltigerer, wenn er von innen heraus allmählich kam, als äußerlich und plötzlich. Alles das, was wahr und lebenswert war an Luthers Gedanken, hat sich ja doch durchgesetzt und wird sich noch durchsetzen, wenn auch auf Umwegen. Und selbst eines Luthers kühner Hoffnnngsmnt hätte nicht von ferne ahnen können, wie unendlich reich und mannigfaltig in,: Laufe der Jahrhunderte die Früchte seines Werkes sein würden. Können wir nicht aus dem allen auch für uns selbst eine Lehre ziehen? Die Lehre, daß anch wir träumen sollen und müssen! Wir be¬ dürfen eines Zukunftsglaubens, wenn wir nicht der Last der Gegenwart erliegen sollen! Über unfern innersten Lebenswert entscheidet zuletzt die Frage, wieviel an solchem Zukunftsglauben wir haben. Mit den Ma߬ stäben der Gegenwart läßt sich unser seelisches Leben nicht abschätzen, erst im Spiegelbild unseres Znkunftsglanbens schauen wir unser wahres Angesicht. Gehen wir auf in Selbstsucht und Genußsucht, so wird dieses Zukunftsbild dunkel und verschwommen sein. Je mehr wir große, allgemeine, ewig gültige Ziele aufnehmen in unfern Lebensinhalt, um so kraftvoller, deutlicher wird sich jenes Zukunftsbild gestalten. Wir sollen und müssen träumen! Aber nicht vergessen wollen wir, daß wir träumen, daß wir, wie der Apostel sagt, sehen «durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort». (1. Kor. 13, 12.) «Als wir Kinder waren, da redeten wir wie Kinder und waren klug wie Kinder und hatten kindische Anschläge.» Wir träumten vom kommenden Leben und in diesen Träumen zeigte sich, daß unser geistiges Leben erwacht war. Wie so ganz anders ist dann das wirkliche Leben! Wie so viel rauher und wüster als der Kindheitstraum. Und doch, wir sagen es frei, wieviel besser, würdiger, wertvoller ist das wirkliche Leben als ein müßiger Kindertraum. So träumen wir jetzt von einem Leben nach dem Tode. Wir wissen, daß wir träumen. Träume sind nichts anderes — soviel wenigstens mir scheint — als bunte Mosaikbilder, die wir mit den Anschauungen des vergangenen Lebens hervorbringen. Es ist immer nur ein Bild der Vergangenheit, daß wir in die Zukunft übertragen. So ist's auch 5 mit allen Träumen über das Jenseits. Alle die Bilder, die aus der Bibel wie von den Frommen aller Zeiten stammen, sind gemalt mit Farben des Diesseits. Daraus geht hervor, daß alle diese Bilder nur Ahnungen, Hoffnungen, keine wirklichen Anschauungen bieten. Der Apostel des neuen Testaments sagt: «Es ist noch nicht er¬ schienen, was wir sein werden.» (I-^oh. 3, 2.) Es ist uns verborgen. Das einzige, was wir wissen können, ist dies: «Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden.» Wir wissen also nur, daß wir geistig sein werden, wie Gott geistig ist. Wie wir beschaffen sein werden, das wissen wir nicht; alle Vorstellungen darüber sind nur bunte Tränme. Was der Apostel aber festhält und was auch wir unbedingt fest¬ halten müssen, ist die unbedingte Gewißheit des geistigen Fort¬ lebens. Wie wir fortleben, wissen wir nicht, daß wir fortleben, das muß uns gewiß werden, wenn anders unser Leben im Unendlichen Wurzel gefaßt hat. Daß wir fortleben, das lehrt uns die Natur um uus, unser geistiges Meuschenwesen in uns, die Gottheit über uns. l. Die Natur um uns! Was lehrt denn die ganze moderne Natur¬ wissenschaft am nachdrücklichsten? Die Unzerstörbarkeit der Kraft. Die Formen, in denen die Kraft sich äußert, wechseln ewig, die Kraft bleibt. Gar oft vermögen wir mit unseren Sinnen die gänzlich veränderte Kraft nicht mehr zu erkennen, das ausgebrannte Feuer erscheint uns spurlos erloschen. Darum ist die Kraft, die das Feuer hervorbrachte, dennoch in anderer Form tätig. Inmitten dieser unzerstörbaren Kräfte soll nun grade die Kraft des Menscheugeistes, diese größte aller Kräfte, jedem Spiel des Zufalls zu völliger Vernichtung preisgegebeu sein? -Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch,» hat der große Grieche gesagt. Und da soll der Stich einer Mücke genügen, um diese Kraft des Geistes aus¬ zulöschen, welche doch die wunderbarsten Offenbarungen wahrhaft gött¬ licher Schöpfcrweisheit in Kunst und Wissenschaft erzeugt? Sollte es nicht auch hier wahr sein: die Formen der Erscheinung wechseln, die Kraft bleibt? So gut die sinnlich wahrnehmbare Kraft bleibt in allem Wechsel der Erscheinungen, so gut bleibt auch die Kraft des Geistes ewig, so oft auch die äußere Verkörperung wechselt. Die Natur in ihrem ewigen Wechselspiel von «Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht», in dem sie selbst doch ewig bleibt, lehrt es uns: Zu was besserem sind wir geboren, als nur um zu verwesen. 6 2. Und zum andern, wie jener große Prophet unseres Volkes es meinte: -im Herzen kündet es laut sich au». Die Beschaffenheit des Menschenwesens zwingt uns immer wieder zu der Annahme, daß der mensch¬ lichen Persönlichkeit ein unzerstörbarer und darum unvergleichlich wertvoller Kern innewohnt. Darauf beruht die Annahme, daß die schuldvolle Ver¬ nichtung eines Menschenlebens durch gar nichts sonst ausgewogen werden kann. Wenn wir es recht erwägen und erfassen, so beruhen alle unsere Ordnungen und Anschauungen in Recht und Sitte, in Staatsleben und sozialer Fürsorge im Grunde ans dieser Annahme. Mögen noch so viele einzelne diese Annahme verwerfen, die Gesamtheit aller unserer staatlichen und sittlichen Ordnungen beruht dennoch auf der Vorstellung, daß jede Meuschenseele ein unvergleichlich wichtiges Gut ist. Denken wir uns diese Voraussetzung hinweg und es wird — wie ich wenigstens überzeugt bin — ein Chaos hereinbrechen, in dem die Menschen wie entfesselte Bestien sich gegenseitig anfallen, wenn sie einmal ernst machen mit jenem «Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem Glauben und dreimal Fluch auch der Geduld!» Gewiß, der Spötter, der höhnisch alle jene Vernunftgründe gegen ein Fortleben nach dem Tode aufzählt, wie sie ein Schiller seinem Franz Moor, ein Shakespeare so manchen seiner Gestalten in den Mund legt, mag übergenug Beweise für seine Ansicht haben. Aber das wenigstens sollte er nicht leugnen, daß Unzählige in einem freudelosen, ärmlichen Dasein mit ihrer Arbeit ihm sein Dasein erhalten, ohne dieses zeitliche Leben je angenehm und schön gestalten zu können. Das aber, was allen jenen Enterbten zuletzt die Kraft und Freudigkeit zu ihrer Arbeit verleiht, ist die in unserem Volke noch immer lebendige Überzeugung, daß nicht die äußeren Lebensumstände über den Wert des Menschen entscheiden, daß es eine innere Vergeltung gibt, die unabhängig ist von den Glücks¬ zufällen dieser Zeitlichkeit. Laßt jene Vernnuftgründe zur allgemeinen Überzeugung aller werden, wäre da wirklich noch ein geduldiges Ertragen von Leid und Niedrigkeit möglich, wie es doch den allermeisten auf¬ erlegt ist? Unzählige mag es in unseren Tagen geben, denen jeder Gedanke an ein Fortleben nach dem Tode wie der größte Widersinn erscheint. Sonnenklar ergibt sich ans ihrem Verstände, daß mit dem leiblichen Tode alles zu Ende ist. Diese alle aber vergessen, daß ihr kleiner Durchschnitts¬ verstand nicht das Maß aller Dinge ist. Sie vergessen, daß es schon in der Welt der Erscheinung Dinge gibt, die über alle menschliche Schul¬ weisheit hiuausgehen. Die Unendlichkeit und Ewigkeit der sichtbaren Welt 7 ist uns genau ebenso unbegreiflich, wie uns die räumliche und zeitliche Begrenzung dieser sichtbaren Welt unbegreiflich ist. Wir stehen hier, wie in so vielen anderen Fragen, vor einem auch dem tiefsten Verstände unlösbaren Rätsel. Daß schon die sichtbare Welt unendlich viel reicher und größer ist, als es die kühnste Phantasie sich ansmalen kann, das wenigstens sollten wir nicht leugnen. Und nun erst die Geisteswelt. Platte Alltagsweisheit hat zu alleu Zeiten alles Geistige geleugnet. Aber die tiefsten, umfassendsten Geister, um nur einen Goethe, einen Kant, einen Bismarck, einen Richard Wagner zu nennen, haben wahrlich ganz anders gedacht. Goethe faßt Kants Meinung mit den Worten zusammen: «Du hast Unsterblichkeit im Sinn; Kannst du uns deine Gründe nennen? Gar wohl! Der Hauptgrund liegt darin, Daß wir sie nicht entbehren können.» So sehr er mit dem großen Denker wußte, daß der Begriff der Unsterblichkeit nichts anderes ist als ein Gleichnis, so sehr war er doch überzeugt, daß ihm zuletzt vielleicht mehr Wirklichkeit zukommt, als den Begriffen Zeit und Raum. Mußte er doch bekennen: «Lange hab ich mich gesträubt, endlich gab ich nach. Wenn der alte Leib zerstäubt, wird der neue wach. Und solang du dies nicht hast, dieses Stirb und werde, Bleibst du nur ein trüber Gast auf der schönen Erde.» 3. Darum sagen wir, unser Menschengeist in uns zeugt von einem Fortleben nach dem Tode, am gewaltigsten aber die Gottheit über uns. Allen Zweiflern und Spöttern ruft Jesus zu: «Ihr irret und wisset die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes.» (Matth. 22, 29.) Im Lichte der Ewigkeitsgedanken der Heiligen Schrift erscheint uns vieles gar anders als im trügerischen Lichte menschlicher Meinungen. Diese ewige Weisheit redet zu uns von einem Gott, dessen «Gnade währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über uns» (Psalm 103, 17), der ein Gott ist «nicht der Toten, sondern der Lebendigen». Wer die Führungen dieses Gottes an sich er¬ fahren, wer es erlebt, daß auch die dunkelsten Wege im Lichte endigen, der wird vertrauen lernen, daß «uns weder Tod noch Leben scheiden mag von der Liebe Gottes». (Römer 8, 38 ff.) Der Gott über uns gibt uns Hoffnung auch im finsteren Tal des Todes. Wo lebendiger Glaube an Gott ist, da wird auch Uusterblichkeits- glaube sich finden, wo letzterer gänzlich dahingefallen ist, wird auch der Gottesglaube erblassen. 8 Gewiß, -es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden»! Ob wir uns das Fortleben zu denken haben als Läuterung der in uns waltenden Geisteskraft in anderen Formen bis zu endlicher Vollendung oder als ein sofortiges Eingehen in ewige Ruhe des Geistes, wir wissen es nicht. Genug, daß wir ausharren und kämpfen in der Gegenwart nach unserer besten Kraft. Gott, -der größer ist als unser Herz» (l. Joh. 3, 20), wird mit uns sein, hier und dort, damit sich erfülle das Sehnsuchtslied aus grauester Vorzeit: «daß unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein wird, daß man sagen wird: der Herr hat Großes an uns getan». Amen. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde in Laibach. — Drnck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach. Arbeiten lind nicht verzweifeln. Predigt am 0. Jänner ItM in der Christnskirche in Laibach I von Kegemcrnn. Textwort: «Wer gestohlen hat, der stehle Z nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit '< seinen Händen etwas Gutes, auf daß er Ii habe zu geben dein Dürftigen.» K Brief an die Epheser 4, 28. ^Tsin neues Jahr, ein neuer Lebensabschnitt! Frisch Vertrauen, froher Mut, ein neues Hoffen zieht durch unser Herz. «Gluck zum ueuen Jahre!» Das ist doch nicht bloß eine leere Redensart, sondern lebendige Zuversicht in vielen Herzen. Und es darf und soll so sein. Alter Fluch soll immerdar sich wenden, neuer Segen immerdar sich erfüllen. Wie die reinen Fluten eines Stromes allen Unrat der Menschen auflösen und klären, so tilgt der Zeitenstrom, dessen Rauschen wir um die Jahreswende » deutlicher vernehmen, vergangene Schuld, vergangene Not. Nicht ewig soll sich die Schlammwelle der Vergangenheit fortwälzen, einmal muß sie doch in sich versinken. Für alles gibt es Sühne, und die Zeit, die alles heilende und versöhnende, sie läßt aus allen Ruinen neues Leben H erblühen. Ein Vorgang aus der wunderbar tiefen Entwicklung des alt- testamentlichen Prophetentums kann uns diese Überzeugung stärken. Durch Jahrhunderte hatten die Propheten einem welttrunkcnen, selbstbewußten Völkchen das Unglück geweissagt, da kamen die betäubenden Schläge, die alles das erfüllten, was die Unglücksboten gedroht. Der Tempel war in «i Schutt gesunken, das Volk gebannt, der Gottesdienst vorüber. Da ging die Rede: «Unsere Sünden lasten auf uns und wir vermodern darin.» Jetzt schlügt die Weissagung um, aus der Drohung wird die Verheißung. Waren die Propheten früher den Illusionen der Zeit entgegengetreten, 2 so traten sie nun ihrer Hoffnungslosigkeit entgegen und richteten den Glauben an die Zukunft auf. Ein Hesekiel trat dem Sprichwort entgegen: «Die Väter haben Herlinge (unreife, saure Trauben) gegessen und den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.» Denn wenn Gott auch die Sünden der Väter an den Kindern Heimsucht bis ins dritte und vierte Glied, so ist doch auch das andere wahr: «Alle Seelen sind sein; wie des Vaters Seele, so auch des Sohnes Seele, sein sind sie beide.- «Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Gott hat kein Gefallen am Tode des Sterbenden, darum bekehret euch, so werdet ihr leben.- (Hesekiel 18.) Und der prophetische Schriftsteller, dem wir Jesaias 40 ss. verdanken, predigt in majestätischem Hymnus: «Laßt die Trauer fahren, die Erlösung steht vor der Tür. Leidet nicht immer unter euch selber, Jehova nimmt die Last der Vergangenheit von euch ab nnd vergibt euch, wendet euch dem Neuen zu, das er schafft. - Laß fahren, was dein Herz betrübt und traurig macht. Laß fahren die Last der Vergangenheit, sie ist verschwunden nnd dahin und aufsteigt der goldene Tag der Zukunft: 1. ) Wer gesündigt hat, der sündige nicht mehr, das sei unsere Buße für die Vergangenheit. 2. ) Arbeit und durch die Arbeit das Wirken zum Wohl unserer Mitmenschen, das sei uns Halt nnd Hort für die Zukunft. I. Der Apostel legt uns die Ermahnung vor: «Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr.- Gewiß mag mancher sagen: Diese Predigt gilt mir nicht, da ich nie gestohlen habe. Und es mag sein, daß keiner unter uns gestohlen hat. Aber wir sind doch berechtigt, das Stehlen hier als einen Einzelfall für ein Allgemeines anzusehen. Gestohlen haben wir vielleicht nicht, gesündigt haben wir alle und damit Gott ein Kleinod veruntreut. Da ist keiner, in dessen vergangenem Leben nicht Flecken wären, blutigrot, keiner, der nicht Schuld und Schande auf sich geladen hätte. Gewiß, unzählige sind sündlos — nach ihrer eigenen Behauptung. Der Durchschnittsmensch hat keine Sünde begangen, — wenn man ihn selber hört. Aber jeder edlere, ernstere, tiefere Mensch hat Sünden, vielleicht nicht immer solche, die in den Augen der Mitmenschen schwer wiegen, aber solche, die er selbst schwer erträgt. «Behandle jeden nach Verdienst, und wer ist vor Schlügen sicher?- Um einen der Edelsten und Besten zu nennen, den heidnischen, verkrüppelten Sklaven Epiktet, der zur Apostelzeit in Rom lebte, der da sagt: «Redet dir jemand Übles nach, so beginne keine Rechtfertigung dem Gesagten gegenüber! Antworte nur: Er hat eben die anderen Fehler, 3 die mir anhaften, nicht gewußt. Sonst hätte er nicht jenes allein gesagt.» Oder um einen anderen zu uennen, der von hohem und berechtigten, Selbstgefühl erfüllt war, Goethe: «Man darf nur alt werden, um milde zu sein; ich sehe keinen Fehler begehen, den ich nicht auch begangen hätte.» Also keiner, keiner hat das Recht zu sprechen: »Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie ein Dieb.» Aber keiner soll auch sprechen: Ich bin nun einmal so, also sündige ich weiter, oder ich bin verurteilt, die Last der Vergangenheit weiterzuschleppen, an mir ist nichts mehr zu bessern. So spricht Leicht¬ sinn oder Verzweiflung Die göttliche Stimme aber spricht durch den Mund des Apostels: «Wer gesündigt hat, der sündige nicht mehr.- Wer den Mitmenschen gekränkt hat, der unterlasse es künftig; wer durch Aus¬ schweifung oder Trnuk gefehlt hat, der tue es nicht mehr; wer durch Träg¬ heit und Nachlässigkeit seine Verhältnisse zerrüttete, der meide diese Fehler. Die beste, ja die einzig wahre Buße ist die, daß wir das Böse lassen. Um jenen eben genannten Epiktet nochmals anzuführen: -Der in der Weisheit Ungebildete zeigt sich darin, daß er anderen Vorwürfe macht, wenn es ihm selber übel ergeht; der Anfänger in der Weisheit verrät sich dadurch, daß er sich die Vorwürfe macht; der wahrhaft Gebildete aber macht weder einem anderen noch sich selber Vorwürfe.» Gewiß, der natürliche Mensch schlägt immer um sich, der Mensch aber, welcher eintritt in den Tempel der Erkenntnis, schlägt in sich. Er sucht die Schuld nicht draußen, da sucht sie der Tor, er findet sie in sich, er bringt sie ewig hervor. Aber höhere Weisheit noch ist cs, «zu vergessen, was dahinten ist, und sich zu strecken nach dem, was vor uns ist-. Wie wenig wird doch in allen Religionen dies verstanden und befolgt! Mit Weihungen, Büßungen, Opferungen sucht man Vergangenes auszutilgen, als wenn Gott über das Vergangene zürne. Von einer Hölle träumt man, da Sünder zur Strafe für Vergangenes schmachten müssen. Uralte Prophetenweisheit ist noch immer unverstanden: -Gott hat nicht Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre von seinem Wesen und lebe.» Alles, auch das Furchtbarste, was an Folgen des Bösen sich anfhäuft, sollte doch, für den Christen, sich unterstellen, nicht unter den Gedanken der strafenden Gerechtigkeit, sondern der erziehenden Liebe, jener «Gnade, die da währt von Ewigkeit zu Ewigkeit», auch hinüber über die finstersten Schandtaten, wie ein Friedensbogen, der sich über Abgründe wölbt. Der Christ mit seinem Glaubeti an die Liebe in der Allmacht und die Allmacht in der Liebe sieht immer Anfang, nimmer Ende, in aller Ernte doch auch Saat, iu allem Verderben unzerstör¬ bares Leben. 4 Gewiß, man will nichts wissen mehr von dieser allmächtigen Liebe. Aber hinter all den spitzfindigen Gründen für die Leugnung Gottes steht nur ein Wunsch: der Verantwortung ledig zu werden für die Vergangen¬ heit. Verblendete Toren! Sie leugnen die allwaltende herrschende Geistes¬ kraft, die in und durch und über allem Naturgeschehen wirkt, und sie sehen nicht, daß sie sich durch diese Leugnung für rettungslos in dem Natnrmechanismns verflochten erklären, der sie zermalmen müßte, wie ein Getriebe von tausend eisernen Rädern und Zähnen, in das wir hincin- stürzen, uns zermalmt. Wenn wir aber mitten in diesem ehernen Natnr- mechanismus die Hand des ewigen Geistes, der ihn hervorgerufen, fassen können, als Geist von seinem Geiste, sind wir zwar belastet mit sittlicher Freiheit und Verantwortlichkeit, aber damit auch begnadet mit der Möglichkeit völliger Erneuerung. Wie es jener Prophet Hesekiel einem verzweifelten Volk predigte, das in dem sündigen Zusammenhang des Ganzen zu versinken glaubte: «Die sittliche Freiheit legt zwar dem einzelnen eine schwere Verantwortlichkeit ans, aber sie gewährt ihm auch den Trost, daß er aus der Kausalität heraus kann, daß er sich bekehren kann und leben.» Darum nie zu früh und nie zu spät! Nie zu früh! Das wäre mutwillige Verstocktheit. Jedem Sünder verzeiht Gott unbedingt, mittel¬ los, denn jede Bekehrung ist Sündenvergebung, und jede Sünden¬ vergebung, die nicht Bekehrung ist, ist Priestertrug. Einem Sünder aber verzeiht Gott nicht, dem, der sündigen will. Wer morgen sich bessern will und heute fehlen, wird sich niemals bessern, bevor sein «Heute» kommt. Dieses «Heute» ist aber in Wahrheit ein «Niemals!», sofern sein Sinn nicht völlig anders würde. Und doch, ist nicht dies «Zu früh — zu früh für das Heil!» die Stimmung der allermeisten? Aber auch das andere: -Zu spät» ist nicht minder verhängnisvoll! Niemals zu spät! Wir wissen es alle: es ist oftmals zu spät! Zn spät! Bei wieviel versäumten Gelegenheiten, nach wieviel schweren Fehlern, an wieviel Gräbern, nach wieviel endlicher Versöhnung! Da ist's zu spät. «Was du der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.» Das ist eine düstere Weise, die ewige Melodie von tausend gebrochenen Herzen. Aber «wenn du auch noch so viel verloren, du selbst doch nie verloren bist». Für vieles mag es zu spät sein, für dich ist es nicht zu spät! Wenn du tausendmal fehltest, so ist es nicht zn spät, das Böse zu lassen. Nicht dein Fehler, sondern dein Gedanke, daß es zu spät sei, ist dein Fluch, nud gegen diesen Gedanken eben sollst du kämpfen. Und in allen 5 neuen Fehlern, die sich hänfen, wie Welle um Welle zum Ufer sich drängt, sollst du des Fehlers Segen nicht vergessen: «Fehlst du, laß dich's nicht betrüben, Denn der Mangel führt zum Lieben: Kannst dich nicht von: Fehl befreien, Wirst du andern gern verzeihen.» (Goethe.) Des Fehlers äußere Folgen willig tragen mit gefaßtem Geiste, durch keinen Fehler dich entmutigen lassen, ihn unermüdet zu bekämpfen, das ist gewiß in Gottes Augen genug und die Gewähr, daß du einmal deine Fehler überwinden wirst. II. Dazu bedarf es dann freilich auch des großen Heilmittels, das der Apostel uns reicht: «Wer gesündigt hat, der sündige nicht mehr, sondern arbeite.» Die Segensmacht der Arbeit ist's allein, der aller Fluch Weichen muß. Ein Dichter unserer Tage fragt: «Warum hat keine Religion vor allem anderen das Gebot: Du sollst arbeiten!?» Und mau hat es Jesus Christus immer häufiger vorgeworfen, daß er den Kulturwert der Arbeit ganz verkannt, ja die Arbeit verboten habe, als er sprach: «Sehet die Vögel unter dem Himmel an; sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Und die Lilien, sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.» Also nur beten, nicht arbeiten sei Jesu Evangelium! Sollte aber der nicht gearbeitet haben, der im Dienste der Brüder sich verzehrte, zu helfen und zu heilen? Ermattet von ernster Tätigkeit für die Elendesten wird er uns öfters geschildert. «Ich muß wirken, solange es Tag ist, es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.» Und hat er nicht unvergängliche Worte der Weisheit und Schönheit gesprochen? Glaubt man denn wirklich, daß ihm diese ohne ernste, eindringende Geistesarbeit zugefallen seien? Oder will man im Ernste behaupten, daß nur die Arbeit der Hände Arbeit sei und nicht auch die des Kopfes? Gewiß, wir finden die Mahnung zur Arbeit im Evangelium nicht Aber doch nur, weil sie dem, der das Evangelium verstauben, völlig selbstverständlich ist. Luther deutet es mit Recht: «Der Glaube ist ein lebendig, schäfstig, tätig, mächtig Ding; er fragt auch nicht, ob gute Werke zu tuu sind, sondern ehe man fragt, hat er sie schon getan und ist immer im Tun.» Der Glaube ist Vorwegnahme der Zukunft. Wie sollte er nicht alles in rastlosem Tätigkeitsdrang einsetzcn, um diese Zukunft heraufführeu zu helfen. Die ganze unendliche Regsamkeit unserer 6 Kultur ist nichts anderes als die Entfaltung des Schöpfungsbefehles: «Machet die Erde euch untertan-, wie der Naturforscher Dnbois-Rcynwnd urteilte, daß erst die christliche Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf die eigentliche Naturkenntnis möglich gemacht habe. Arbeit ist Fluch und Segen! Mühseliges Los geplagter Menschen, denen Dornen und Disteln der Lebensackcr trägt ihr Leben lang. Er¬ schütternder Klageruf auch des Frömmsten: «Wie ein Knecht sich sehnt nach dem Schatten und ein Tagelöhner, daß seine Arbeit aus sei, also habe ich wohl ganze Monden vergeblich gearbeitet nnd elender Nächte sind mir viele geworden.» (Hiob 7, 2 f.) Und dennoch, zugleich der höchste Segen: «Der größte Sinnengenuß, der gar keine Einmischung von Ekel bei sich führt, ist, in gesundem Zustande, Ruhe nach der Arbeit- (Kaut). Müßiggang ist aller Laster Anfang, «in der arbeitenden, dürftigen Klasse finden sich die wenigsten Narren, wohl aber unter Reichen, Mächtigen, Müßigen». Und Arbeit aller Tugend und Erneuerung Anfang. Wir finden viele Menschen mit den schwersten Mängeln nnd Sünden; solange sie der Zucht geregelter Tätigkeit noch gewachsen sind, sind sie im Kerne noch gesund. Und umgekehrt, die allerbesten Eigenschaften sind fast wertlos, wo der ernste, anhaltende Wille zur Arbeit und rastloser Betätigung mangelt. Also «greif entschlossen zur Arbeit! Was die Träne nicht löst, löst, dich erquickend, der Schweiß». Der heutige Sonntag ist der Epiphanien- oder Erscheinungstag mit seiner sroheu Botschaft: «Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen», und seiner Mahnung, die zu¬ gleich der tiefste Sinn jener Botschaft ist: «Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter; bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.» Dieser Tag der Mission erinnert uns an die große Arbeitsmission, die einem jeden von uns gestellt ist, nicht Vergangenem nachzutrancrn, nicht müßig der Zukunft zu harren, sondern als Gottes Werkzeuge der Gegenwart abzuriugen, was sich aus ihr machen läßt. Alles echten Lebens Geheimnis ist dies, daß es nicht darauf ankommt, was uns das Leben bietet, sondern was wir ans dem uns ge¬ schenkten Leben zu machen wissen. Ist doch kein Leben so ver¬ dorben, daß nicht noch ein Segen daraus stammen konnte. Darum verdirb es nicht völlig, weil es zum Teil verdorben, sondern lege mit Herz nnd Hand hinein, was du mit bester Kraft hineinlegen kannst. Aber nicht zu selbstsüchtigem Genießen und Erwerben, s o wäre alle unsere Arbeit ein sinnloser Frondienst, sondern zu selbstlosem Dienst für andere. «Arbeite, ans daß du habest zu geben dem Dürftigen.» So reich ist keiner, daß er auch nur einen Bruchteil seines Gutes mutwillig ver- 7 geuden dürfte. Ein anvertrautes Pfund und Pfand sei jedem das, was er ererbt oder erarbeitet hat, dessen höchste, ja dessen einzige Bestimmung die Verwertung im Dienste der Mitmenschen sein muß. Nicht mit bloßen Almosen aber helfen wir am besten dem Bedürftigen, sondern indem wir ihm den höchsten Goltessegen, den wir selbst empfingen, die Arbeit, weitergebcn. Und selbst der von Kunst und Geschmack verklärte Luxus des Reichen kann dieser Bestimmung dienen. Ist er doch ein Mittel im großen Haushaltplan der Gesamtheit, um auch die feineren Formen der Arbeit zu ermöglichen, die ohne solchen Luxus nie in Erscheinung treten könnten. Auch der gibt dem Bedürftigen, wer durch Werke der Kunst und der höheren Fertigkeiten besondere Gaben in Tätigkeit setzt. Nur daß ein jeder, auch der Vornehmste, vor Augen behalte, daß er als Haus¬ halter im Dienste der Mitmenschen seine Mittel verwende. Aber auch der Ärmste mag Lebcnserhöhung empfangen, wenn er zum wenigsten den ehrlichen Willen hat, anderen zu helfen, unbeirrt durch all die verbitternden, verhärtenden Einflüsse des Lebens. Wohl dem, der noch arbeiten kann, solange der Lebenstag ihm leuchtet, und wer es nicht mehr kann, der kann noch sterbend segnen. Und ist nicht auch dies Arbeit genug? Es ist eine kleine Lebensgeschichte, die uns der Apostel erzählt: Aus rechtloser Selbsthilfe und Schädigung anderer heraus, zu sittlicher Umkehr und Einkehr hin, zu unermüdeter Arbeit im Dienste der Liebe. Möchte es die unsere sein! Hinter uns die Vergangenheit, voll Schmach und Fehlern, die uns doch nichts anhaben kann, weil uns starke Segens¬ mächte überwältigten, die stärker waren als aller Fluch, ja, die den Fluch selbst in Segen wandelten, und vor uns eine Aufgabe des Wirkens für solche, die unserer bedürfen: so ist die Gegenwart unser, so überschreiten wir die Schwelle des neuen Jahres in ein neues Leben: -Vor uns der Tag und hinter uns die Nacht.» Amen. Im Verlage der Evaiigelisch-u Kirchengemeinde Laibach. — Druck von Kleiumayr L Bamberg iu Laibach. Ann und Keich. PredigL- gehalten am 28. April 1907 non H'fcrvvev IN'. Gttmcrv Kegemcrnn in Laibach. Lukas 16, 19—31. Ostern und Himmelfahrt! Feste, die wie Brücken in die Welt eines jenseitigen Lebens der Christenheit vor und hinter uns liegen. Die Frage nach dem Jenseits wird uns durch diese Feste vorgelegt, wie sie Jesus im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus beantwortet hat. Nichts hat durch Jahrhunderte so die Phantasie der Christen bewegt als das farbenprächtige Gemälde von Himmelsfreuden und Höllen¬ qualen, das uns in diesem Gleichnis anfgerollt wird. Vor kurzem stand ich auf jenem Laguneneiland Torcello, einst ein Sitz eines blühenden städtischen Gemeinwesens, das mit dem jungen Venedig wetteifern konnte, heute nur noch mit einigen einsamen Häusern besetzt. Geblieben ist nur die bischöfliche Kathedralkirche, ein Denkmal der ältesten christlichen Jahr¬ hunderte! Hier auf der Rückwand ein großes Gemälde des Weltgerichts in altertümlichem Mosaik. Wie ergreifend predigen uns doch diese primi¬ tiven Darstellungen aus grauer Vorzeit längst versunkener Geschlechter das Eine, was ihrer Seelen tiefster Inhalt war, jene erschütternden Bilder von den Qualen der Verdammten und den Freuden der Seligen. Wo: «Die Posaune tönt! Die Gräber beben! Und das Herz, Aus Aschenruh Zu Flammenqualen Wieder aufgeschaffen, Bebt auf.- 2 Nirgends hat Jesus sich so ausführlich über das Jenseits geäußert wie in unserm Gleichnis, wenn wir absehen von jenen längeren Gerichts¬ reden (Matth. 24, Mark. 13, Luk. 21), von denen wohl mit Recht be¬ stritten wird, ob sie im einzelnen wirklich von Jesns stammen. Was aber ist die Lehre unsres Gleichnisses über das Jenseits? Daß wir, wie es oft geschah, nicht jeden Eiuzelzug allzu wörtlich zu nehmen haben, sollte von vornherein feststehen. Es ist unzulässig, aus unserm Gleichnis Aufstellungen über die Beschaffenheit von Himmel und Hölle, von ihrer gegenseitigen Entfernung und vom Hingelangen des Menschen an diese Orte zn entnehmen. Wäre das möglich, so müßten wir aus diesem Gleichnis ja freilich hier lernen, daß sich im Reiche der Toten zwei getrennte Räumlichkeiten befinden, die durch eine unübersteig- liche Kluft getrennt sind, obgleich man sich gegenseitig von beiden Orten ans beobachten kann. In der einen ruht der Arme, nachdem er von Engeln in das unterirdische Paradies getragen worden ist (nach Luk. 23, 43), an dem Busen des Erzvaters Abraham und genießt dort die höchste Er¬ quickung; in der andern wird der Reiche von Feuerflammen gequält und von brennendem Durst gepeinigt. Beider Schicksal ist völlig unwider¬ ruflich, jede Linderung ist ausgeschlossen. Aber es muß doch zunächst betont werden, daß alle diese Vor¬ stellungen einfach den Anschauungen entlehnt sind, welche Jesus bei seinen Zeitgenossen vorfand. Diese aber, so gewiß ihnen tiefe geistige Wahrheit zugrunde liegt, sind doch völlig sinnlich aufgefaßt und ausgemalt, können also dem Übersinnlichen nicht wahrhaft entsprechen. Vor allem aber ist es überhaupt gänzlich falsch, Gleichnisse Jesu zu mißbrauchen, als seien es Katechismusabschnitte, in denen eine Reihe einzelner Lehrstücke aufgezählt werden. Vielmehr sollten wir Jesu Gleich¬ nisse als Organismen fassen, bei denen mancherlei dienende Nebenteile einem Hauptgedanken unterstellt sind. Jene Nebenteile bilden ein Wurzel- und Rankenwerk, das nicht um seiner selbst willen da ist, das vielmehr abgelöst und beseitigt werden kann und soll, wenn der eine frucht¬ bringende Gedanke herausgestellt ist. Oder anders ausgedrückt: Jene Gleichnisse bieten eine «Pointe» und daneben mancherlei Einzelzüge, die nur zur Ausmalung uud Verdeutlichung in Betracht kommen. So erhebt sich denn also die Frage: Worin besteht bei dem Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus der Grundgedanke, dem sich alles andere unterordnet? Wir werden zunächst auf den Ge¬ danken geführt: Es gibt eine Ausgleichung. Unzweideutig heißt es: Der reiche Mann hat sein Gutes bereits im Diesseits empfangen, er hat im Jenseits nichts Gutes mehr zu beanspruchen. Dem armen Lazarus 3 aber wird alles Gute, das er im Diesseits noch nicht empfangen hatte, nun nachträglich geboten. Also wem es auf Erden schlecht ging, der wird im Jenseits dafür «getröstet», wem es auf Erden gut ging, der wird gepeinigt. Gewiß hat der Evangelist Lukas, der uns dieses Gleichnis über¬ liefert, eine solche Anschauung gehabt. Wenigstens lassen sich die Weh¬ rufe über die Reichen und die Seligpreisungen der Armen (Luk. 6, 20—25) kaum anders deuten. Aber Jesu Evangelium, auf dessen Grundgedanken wir doch immer wieder zurückgehen müssen, steht gewiß in schneidendem Widerspruch mit dieser Annahme. Das ist ja das Wesentliche und grund¬ legend Neue an diesem Evangelium, daß Jesus immer wieder hervor¬ hebt: es kommt auf das Innere und nicht auf das Äußere an. Der Arme, dessen Herz von giftigem Neid verzehrt wird, steht dem Heil wahr¬ lich nicht näher als der Reiche, der sein Besitztum als anvertrautes Gut treulich zu verwalten sucht. Wohl hat Jesus in seinen grundlegenden Worten die Gefahren des Reichtums in furchtbaren Worten ausgemalt, zwischen Gott und dem Mammon, d. h. dem um seiner selbst willen er¬ strebten Geld, uns die Wahl gestellt, aber doch auch den Reichen das Trostwort gesprochen: «Bei den Menschen ist es unmöglich, daß sie selig werden, aber bei Gott sind alle Dinge möglich» (Matth. l9, 26). Wie kann derselbe Meister die Lehre haben aufstellen wollen, daß Reichtum als solcher den Besitzer zum Höllenfeuer verdammt, Armut als solche An¬ wartschaft auf die Seligkeit gewährt? Nein, das kann nicht der Grundgedanke dieses Gleichnisses sein. Aber auch nicht das, was man ganz allgemein dafür hält. Der Reiche, so sagt man, hält in immerwährendem Wohlleben und Sinnengenuß alles Göttliche und Ewige für einen abergläubischen Traum. Sein Herz ist erstarrt in Selbstsucht und Unbarmherzigkeit, so daß er den armen leidenden Mitmenschen, der vor seiner Türe liegt, nicht wahrnimmt. Statt ihm von seinem Überfluß zu spenden, läßt er ihn im Elend ver¬ kommen, die Hunde selbst, die dem Armen die Schwären lecken, sind barmherziger als er. Und wie der Heiland gesagt hat: «Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen,» so gelte auch das Umgekehrte: «Wehe den Unbarmherzigen, denn sie werden unbarm¬ herzig gestraft werden,» denn wer nicht Barmherzigkeit in sich selbst trägt, kann auch nicht der Barmherzigkeit teilhaft werden. Umgekehrt Lazarus, der an schwerer, unheilbarer Krankheit dahinsiechende Bettler, der schon durch den Namen, den ihm Jesus beilegt, als das gekennzeichnet sei, wofür ihn der Heiland erklären will — Lazarus d. h. «Gotthilf-, der Mensch, dessen alleinige Hilfe der Gott ist, ans den er traut. So gelte von ihm, wie Martin Luther so schön von ihm ausfnhrt, das herrliche Propheten- 4 wort: «Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verläßt und der Herr seine Zuversicht ist» (Jer. 17, 7). So wertvoll alle diese Betrachtungen sind, so scheint es doch, als ob das Gleichnis selbst nicht auf sie hinleitete. Wenn wir das Gleichnis nehmen so wie es ist, so finden wir, daß mit keiner Silbe angedeutet ist, ob Lazarus ein Gerechter, ob der Reiche ein Gottloser war. Auch Abraham, der in diesem Gleichnis wie ein katholischer Heiliger eine Heilsmittlerstellung hat, sagt nichts davon, daß die Seligkeit des Lazarus Belohnung und die Qual des Reichen Bestrafung sei. Wäre denn nicht auch eine solche Auffassung eine im Grunde jüdische und nnchristliche? Nämlich, daß gute Taten mit reichen'sinnlichen Freuden im Jenseits belohnt, böse aber mit furchtbaren Höllenqualen bestraft werden! Jesu erhabenste Lehre, an der alle übrigen Lehren sich messen lassen müssen, ist doch die, daß Gott die allmächtige Liebe ist. Wie kann er haben lehren wollen, daß ein Mensch für endliche Ver¬ irrungen unendliche Höllenstrafen zu erdulden habe? Gilt denn nicht für alle menschlichen Versündigungen zuletzt doch das große Heilandswort: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.» Ist denn nicht alles Böse zum größten Teile Unwissenheit und Frucht schlechter Einflüsse, die fast unwiderstehlich die Menschen ergreifen? Gilt denn nicht immer wieder das französische Sprichwort: «Alles verstehen heißt alles verzeihen?» Und verzeiht denn nicht Gott nach unsrer christlichen Überzeugung alles, auch das Furchtbarste, reichlich und täglich aus lauter göttlicher Güte und Barmherzigkeit? Alle Leiden und Übel des Lebens müssen im Glauben nicht als Strafe, sondern vor allem als Erziehungs¬ mittel, also als Liebeswege erfaßt werden. Ein Leiden aber, das un¬ widerruflich nur Pein wirken würde, wäre kein Liebesweg mehr, sondern nur ein Beweis furchtbarer, unversöhnlicher Rache. In dem allen kann also der Grundgedanke des Gleichnisses vom reichen Mann und armen Lazarus nicht liegen. Diesen Grundgedanken werden wir nur dann recht verstehen, wenn wir uns vor Augen halten, daß Jesus das Heil, wie er es vor allem als etwas Innerliches erfassen lehrt, so auch als etwas Gegenwärtiges, Erfahrungsmäßiges. Niemals will uns Jesus in seinen Reden und Gleichnissen eine Anweisung auf die Zukunft geben, sondern immer will er uns das Heil als einen gegen¬ wärtigen Schatz ergreifen lehren. Das Heil, das uns Jesus bringt, ist uns nahe, es ist in uns. Und alle Widersprüche der Außenwelt können und sollen daran nichts ändern. Gerade das aber ist die gewaltige Lehre dieses Gleichnisses, die uns hier in eindrucksvollen Bildern gepredigt wird: Es ist das wahre 5 Heil in weitestem Umfang unabhängig von den äußeren Verhältnissen. Hier der reiche Mann, der sich kleidet in Purpur und köstlicher Leinwand. Nehmen wir Jesus beim Wort, wie wir ja wohl dürfen: «Er lebte alle Tage herrlich und in Freuden.» Alfo nicht, wie so oft, wo tiefer Ekel ans deni Grunde des Freudenbechers lauert, sondern ein ge¬ nußfroher und alle Tage seines Lebens genußfähiger Mann, der die Freuden des Lebens ausfchöpft, wie einer ein Bergwerk anbaut, bis die letzte Mine erschöpft ist. In wenig Strichen ein Bild dessen, was wir uns als höchstes Glück erwünschen. Und daneben das Bild des entsetz¬ lichsten Jammers. Entwürdigende Armut, der nur Brosamen, die von des Reichen Tisch fallen, gegönnt sind; tiefste Verlassenheit, der nnr die Hunde, die mitleidig oder gar ekelerregend Gesellschaft leisten; qualvollste, widerwärtigste Krankheit. Es soll das Bild eines Zustandes gegeben werden, der in jeder Hinsicht das äußerste Gegenstück ist zu den glück¬ lichen Verhältnissen des Reichen. Und doch stimmen wir alle in tiefstem Seelengrunde dem Heiland zu, wenn er uns sagen will, daß der wahre Wert des Menschen nicht abhängig ist von diesen äußeren Verhältnissen. Das, was Jesus über das Jenseits sagt, welches beiden Personen des Gleichnisses nach ihrem Tode bereitet ist, das ist doch zuletzt nichts anderes, als ein Ausdruck für das, was schon im Leben des Diesseits in beiden innerlich lebendig war. Daß einer lächeln kann und immer lächeln — in Prunk und Glanz, in Freuden und Ehren — und doch ein Schurke sein, ein Verworfener, Unseliger, ist es nicht das, was wir so ost erfuhren? Und ebenso das andere, daß einer ein Jammerbild äußeren Elends sein kann, seines Lebens Losung die Qual, und dvch ein Edeling, vor dessen innerer Größe wir uns ehrfurchtsvoll beugen? Es ist, als wolle Jesus in diesem Gleichnis den täuschenden Schleier, den verdeckenden Vorhang wegziehen, der uns in diesen dunklen Regionen das Auge verhüllt, damit wir durch den Schein hindurch das Wesen schauen, hier die züngelnden Gluten der Verdammung im Herzen des Reichen, dort die reichen Fluten des Seelenfriedens im Herzen des Armen. Ist es denn nicht gerade das, was uns mit Flammenbuchstaben, so wie sie der Heiland in "diesem Gleichnis braucht, in die Seele ge¬ schrieben werden muß? Immer wieder sicht es uns an und macht uns am Glauben irre, daß wir den ungeheuren Widerspruch zwischen innerer Würde und äußerer Lage an uns oder andern nicht verwinden können? «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,- gewiß, aber er lebt doch 6 auch vom Brote, von seinen äußeren Verhältnissen und diese sind in unzählig vielen Fällen derart unzureichend oder schmerzbringend, daß wir klagend, verzweifelnd, zürnend immer aufs neue daran irre werden, ob es denn wirklich wahr sei, daß «überm Sternenzelt Muß ein lieber Vater wohnen.» Nun, der Heiland will uns zurufen, daß kein Widerspruch des Lebens so schreiend ist, daß er nicht ausgeglichen werden könnte durch des Menschen iunern, unzerstörbaren Wert, den kein Tod töten kann. Was wir als Jenseits nach außen hin setzen, das ist ja nichts anderes, als ein Ausdruck des Innenlebens, das wir auf seinen tiefsten innern Gehalt hin prüfen, wie es jener tiefsinnige Angelus Silesius ausgedrückt hat: «Du sprichst: .Versetze dich aus Zeit in Ewigkeit! Ist denn an Ewigkeit und Zeit ein Unterschied?'» Also des Menscheu wahres Heil uud wahrer Wert ist unabhängig von den äußern Verhältnissen. Diese heldenhafte, himmelerstürmende Ge¬ wißheit will uns Jesus lehren im Gleichnis. Aber derselbe Gedanke läßt sich nun auch in sein Gegenteil wenden: Heil und Wert unsres Lebens ist abhängig von unsren! innern Zustand. Was sind sie denn anders die emporzüngelnden Gluten des Höllenfeuers, iu dessen der Reiche des Gleichnisses sich windet und vergebens nach Erquickung schmachtet, als die Beschreibung der Seele eines Menschen, in dessen Seele das Feuer der Lüste unauslöschlich entzündet ist? Wer kennt es nicht in den Tiefen seiner Seele das Feuer der ungezähmten Begierde, das uns, wenn es einmal keinen Sinnengenuß mehr gibt, verzehren müßte mit unstillbaren Wünschen, wo wir vergeblich lechzen nach einem einzigen Wassertropfen der Erquickung. Ist es denn nicht bitter not, daß uns zugerufen wird von Anfang an, bevor jenes Feuer entzündet ist und dann immer wieder, wenn es entfacht ward: Hüte dies Feuer! Zähme und bewache es, bevor es zu spät ist. Alle Wollüste des Orients können die Glut nicht stillen, wenn sie zum feurigen Moloch wurde, dem wir opfern müssen. Und die heiligen Grenzmarken des Guten und Bösen, die wir ja doch kennen oder ahnen, wir dürfen sie nicht überschreiten, wenn auch die Leidenschaft oder Natur noch so gebieterisch es fordert. Uud wenn wir dabei umkommen, so kommen wir um, besser, als daß jene unheimliche Gewalt aus den Tiefen der Seele die Herrschaft erlange. Und jener andere, in dessen Seele Himmelsfriede wohnt trotz allen Jammers und aller Erniedrigung! Ist seine Gestalt nicht die beste Ver¬ körperung der Wahrheit, daß die Kräfte des Innern mächtiger sind als das Äußere, mag es iu noch so furchtbarer Weise das Innenleben zu 7 unterdrücken scheinen? Daß kein äußerer Zustand, keine Entbehrung und keine Qual uns ausschließen kanu von der inneren Erquickung, die aus einer höheren Welt in diese niedere herabströmt? Wenn wir so oft das Gegenteil erfahren, so liegt die Schuld doch an uns selbst und nicht am Druck der Außenwelt. In allen Nöten, die über uns kommen, gilt uns darum das Wort, mit welchem unser Gleichnis ausklingt: «Ihr habt Moses und die Pro¬ pheten, höret sie.» Die ewigen Wahrheiten der Sittlichkeit, die in jedes Menschen Herz eingegraben sind, wenn auch oft die Schrift kaum lesbar ist, Wahrheiten, die in Gesetz und Propheten bezeugt sind, sie sollen uns leuchten als glanzende Sterne in der Nacht der Trübsal und der inneren Zerrüttung. So blicken wir empor aus den trüben Nebeln der Vergäng¬ lichkeit auf die lichte Himmelsfeste, vom Schein weg in das Wesen, ans der Lüge in die Wahrheit, aus dem Dunkel in die Klarheit, aus dem Tode in das Leben, aus der Welt ins Himmelreich. Damit sie immer aufs neue lebendig werde die alte Mahnung: «Denk nicht in deiner Triibsalshitze, Daß du von Gott verlassen seist, Und daß ihm der im Schoße sitze, Den hier die Welt als glücklich preist. Die Zukunft ändert oft sehr viel Und setzet jeglichem ein Ziel.» Amen. Im Berlage der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach. — Druck vo» Kleinmayr L Bamberg in Laibach. „Betet vhne Unterkatz!" (1. Thessalonicher 5, 17.) "Ureöigt ain iso-Oktober k9O7 geholten in der evang. Kirche in Laibach von Pfarrer Dr. O. Hegemann. Die Lehre des Amerikaners Ralph Waldo Trine ist die, daß der Gedanke die eigentlich herrschende Macht unsres Lebens ist. «Nicht in den sichtbaren Tatsachen unsrer Berufswahl, unsrer Verheiratung, unsres Eintrittes in ein Amt und Ähnlichem sind die großen Wendepunkte unsres Lebens zu finden, sondern in einem stillen Gedanken, der uns kam, wie wir auf unsrem Wege dahingingen, in einem Gedanken, der unsre ganze Lebensweise prüft und sagt: ,So hast du getan, aber es wäre besser so/ Und alle unsre späteren Jahre sind ihm untertan und folgen ihm wie Diener und fuhren nach ihrem Vermögen seinen Willen aus.» Nichts gleicht au umwandelnder Kraft der stillwirkenden Gedanken¬ arbeit, die Zelle an Zelle unsres Seelenlebens ansetzt und damit Lcbens- richtnngen schafft, deren aufbanende und erneuernde oder zerstörende Kraft zuletzt auch äußerlich offenbar werden muß. Wenn wir das anerkennen und ferner die Möglichkeit der Beein¬ flussung unsres Gedankenlebens durch bewußte Geistestätigkeit zugeben, dann ist uns damit eine Waffe gegeben, mit der wir zum Guten oder Schlimmen das Allergrößte ausrichten können. Die kühnsten Verheißungen Jesu Christi, an die wir wohl nie ernstlich geglaubt haben, rücken damit herab in das Gebiet einfacher, nüchterner Erfahrung. «So ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zn diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin, so wird t'r sich heben, und euch wird nichts unmöglich sein.- Oder: «So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.» Es sind Vertreter des praktischen Volkes der Amerikaner, Emerson, Trine u. a., welche diesen höchstgesteigerten Idealismus überzeugend gelehrt haben. Noch scheint unsre Zeit für diese Gedanken nicht reif zu sein, auch in den kleinen Kreisen, die für Religion zugänglich sind. Im Grunde kann freilich niemand die ungeheure Bedeutung der Gedankenübertragung leugnen, um nur an das Beispiel zu erinnern, daß der junge General Bonaparte durch sein bloßes Erscheinen im Pestspital zu Jaffa die Macht der Seuche brechen konnte, daß so oft der Blick einer Willensstärken Per¬ sönlichkeit Menschen zu den außergewöhnlichsten Leistungen entflammte. Es handelt sich eigentlich nnr darum, daß die Macht des Gedankens, die als Ausnahmsfall von jedem zugestanden werden muß, als Gegcnstaud tagtäglicher Erfahrung und Benutzung anerkannt werden soll. Wer dafür eintritt, dem wird wohl die Antwort zuteil, wie sie mir zuteil geworden ist: eine solche Methode bedeute nichts anderes, als die jesuitischen Gebets¬ exerzitien in anderer Form einführen wollen. Diese Antwort beweist, daß wenigstens der Kern der Sache verstanden worden ist. Und sie ist im Grunde die beste Rechtfertigung des Versuches, den wir anstellen mochten. Denn gibt es etwas, was unserm Geiste größeres Staunen entflößen könnte, als die Willenstat, welche die Jesuiten vollbracht haben? Einige spanische Studenten, die durch die Kraft ihres eisernen Willens, vermittelst der von ihrem Führer ersonnenen Methode der Willenslenknng und Willensübertragung, eine halbe Welt umgewandelt, auf Jahrhunderte ihre Hand gelegt haben wie auf Wachs. Gewiß, es geschah das im Dienste der Finsternis und der Knechtschaft. Aber hebt denn irgendwann der Mißbrauch den rechten Gebrauch einer Sache auf? Sollte es nicht möglich sein, im Dienste des Lichts und der Freiheit zum Heil der Welt dieselbe Kraft, den Willen zu lenken, nutzbar zu machen, die in der Hand der Jesuiten so großes Unheil gestiftet hat? Wir wollen darum versuchen, jene Methode der Selbstbeeinflussuug, jene moderne Erfassung des alten Mittels «Gebet-, die im Grunde die wichtigste Aufgabe unsrer Zeit ist, uns klar zu machen. Nehmen wir als Beispiel irgend eine Maschine. Wir wissen es alle, daß wir keine Maschine, sei es auch welcher Gattung immer, benutzen können, ohne sie nach dem Gebrauch durch Reinigung und Bedienung instand zu setzen. Jeder kunstvolle Organismus bedarf einer unaufhör¬ lichen Pflege, um arbeiten zu können. Die kunstvollste Maschine aber ist unser Leib, ein Organismus, in dem die mannigfachsten Funktionen zur Erreichung eines Zwecks, nämlich der Erhaltung unsres Lebens, zusam- menwirken. Wie umständlich ist Pflege und Unterhalt des Leibes. Wollten wir nur einen einzigen Tag diese Pflege unterlassen, so wären tiefgreifende Störungen die Folge. Je höher die Ansprüche der fortschreitenden Kultur an uns werden, um so allgemeiner wird sich gewiß die Erkenntnis ver¬ breiten, daß wir durch methodische Abhärtung und Gewöhnung unfern 3 Leib gegen die zerstörenden Wirkungen dieser Kultur stählen müssen. Was früher unbewußt geschah infolge naturgemäßerer Lebensbedingungen, wird mehr und mehr bewußt und absichtlich geschehen müssen. Ist aber nicht das seelische Leben des Menschen ein noch kunst¬ vollerer Organismus als sein leibliches Leben? Hier greifen die mannig¬ fachsten Kräfte des Bewußten und des Unbewußten ineinander, die ver¬ schiedenartigsten Einflüsse aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Nähe und Ferne kreuzen sich in diesem geheimnisvollen Kraftzentrum. Und doch gibt es unzählige Menschen, die für ihre Seele keine Sorge notig zu haben glauben. Ihr Seelenleben lassen sie wuchern wie einen verwil¬ derten Garten, in welchem niemals gepflanzt, nie Unkraut ansgerottet, ja iu den noch achtlos verpestender Unrat hineingeworfen wird. Oder ist es etwas anderes, wenn die meisten ganz unbesorgt den schlechten Ein¬ flüssen der Lektüre, der Vergnügungen, der Geselligkeit Einlaß in ihr Seelenleben gewähren, ohne zu bedenken, daß sie die Quelle aller ihrer geistigen und leiblichen Wohlfahrt vergiften, wenn sie ihre Seele ver¬ giften lassen? Sollte denn nicht doch einmal die Erkenntnis allmählich aufdämmern, daß auch der kunstvollste Organismus, den wir kennen, unser Seelenleben, der Pflege bedarf? Das aber würde uns die Pflicht auferlegen, auf Mittel zu sinnen, um die in unserm Seelenleben verborgenen Kräfte zu erhalten und immer mehr zu steigern. Nur so wird es gelingen, in das noch immer fast unentdeckte Land seelischer Gesundheit und seelischer Kraftentfaltung einzndringen. In jener Botschaft vom Übermenschen ist doch gewiß das eine tiefe Wahrheit, was Nietzsche verkündet: -Tausend Pfade gibt es, die nie noch gegangen sind, tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschenerde.» «Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde werden. Und schon liegt ein neuer Geruch nm sie, ein heilbringender — und eine neue Hoffnung.» Wahrhaft hinreißend ist es, wenn er redet von seiner Sehnsucht nach jenen Zukunftsmöglichkeiten: «So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere; nach ihm heiße ich meine Segel suchen und suchen.» (Zarathustra.) Ein jeder von uns hat. es in seiner Macht, in einem Reiche, in dem er unumschränkt gebieten kann, wenn er nur ernstlich und anhaltend will, diesem Zukunftslande Boden zu gewinnen. Dies ist der Bereich unsres eigenen Seelenlebens. Jetzt, wenn wir uns selbst prüfen, wie jener mannhafte Dichter unsrer Tage (Fontane), heißt es bei uns: 4 -Ich bin ein unglückselig Rohr: Gefühle und Gedanken Seh rechts und links, zurück und vor In jedem Wind ich wanken.» Wäre es denn möglich, daß wir nicht für immer Sklaven quälender und knechtender Gedankenrichtnngen, entwürdigender und schädigender Gewohn¬ heiten, zerstörender Ausbrüche unsres Temperaments bleiben müssen? Wäre es möglich, der Erde Schönheit zn genießen — nnd nur die willenlose Betrachtung läßt uns wirklich genießen -- nnd dabei doch frei würden von der Sklaverei des blinden Willens, des -dunklen Despoten», die uns tief elend macht? Wäre es möglich, daß wir, statt beherrscht zu werden von dunklen Seclenregungen, vielmehr die gesammelte Seelenkraft so sicher lenken könnten, wie der Steuermann mit sicherer Hand sein Schiff neuen Welten znlenkt? Möglich wäre es, wenn es uns möglich wäre, liber uns selbst nnd die eigene Unreinheit hinanszukommen, indem wir eintauchen in Lebens- flnteu, in denen der trübe Strom unsres Lebens zu kristallheller Klarheit sich läutert, wie es Nietzsche meint: «Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muß schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zn können, ohne unrein zu werden. - Was ist es denn andres, als Beten, was nvttut? Eintauchen in das Leben der Unendlichkeit, um das eigene kleine Leben zu läutern. Beten — sich in Kontakt versetzen mit dem großen Kraftzeutrum, das der Erscheinungswelt zugrunde liegt, denn alle Erscheinung ist doch Ausdruck eines verborgenen Wesens. Jeder Blick in die unendlichen Himmelsräume überzeugt uns, daß wir Teile sind einer Unendlichkeit, die wir uns nur deutlich vor Augen zu stellen haben, um zu erkennen, wie oft wir Kleines überschätzen, Wertloses für wichtig halten. Gewiß, nichts ist heute sv verachtet, wie das Beten. Fast kein Ausdruck so herabwürdigeud wie Betbruder oder Betschwester! Und mit nur allzu gutem Grunde! Was ist Gebet sv oft anders, als gedanken¬ loses Hersageu überlieferter Formeln, ein Tun, das den Menschen ent¬ würdigt, weck es ihn geistesdumps nnd tatlos macht. Es bleibt noch das Gebet, so scheint es, wenn alle andern Türen versperrt sind, als Ver¬ zweiflungsakt des Hilflosen, als Zeitvertreib des Gedankenlosen, als leeres Spiel des sittlich Entnervten. Ist es ein Wunder, wenn man solches Beten gründlich verachtet? Ist eS ein Wunder, daß immer mehr die innerlich längst geringgeschätzte leere Form auch äußerlich verworfen wird? 5 Und doch gibt es in unser» Tagen auch schon Tausende, die etwas ahnen von der wahren Bedeutung des Gebets. Von einem, der unsern kirchlichen Betätigungen recht ferne steht, erhielt ich einen Brief, der Pessimisiuns und Zweifel als die eigentlichen Feinde der Seele hinstellt. Die daran leiden, meint er, --gebrauchen die Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, zum Zerstöruugswerk an sich selbst — denn der Zweifel ist ein Zerstörer. Wer festen Untergrund zuerst in seiner Seele gefunden habe, der werde dann eine sichere, leuchtende Bahn ziehen.» Ein solches Wort erscheint mir wie eine Schwalbe, die dem kom¬ menden Lenz vorauzicht, Botschaft einer neuen Zeit, die einmal so ganz anders urteilen wird über Zweifel, Glaube, Gebet, Gott und Ewigkeit, als es heute so viele der Besten tun. Seit Jahrhunderten hat man den Zweifel gefeiert als den großen Befreier, von dem aller Fortschritt der Menschheit ansgegangen ist. Alle Geistesgrößen, alle tiefen Denker waren Ketzer, Zweifler. Sie setzten an Stelle überlieferter Satzung die Wahrheit der eigenen Brust, nm Bahn zu machen im Moder und Wust der Vergangenheit, der dem Zukunfts¬ leben den Raum sperrt. Heute können --die Frostlawinen alter Lügen des Frühlings Macht und Leben» nicht mehr ernstlich den Raum sperren, nun beginnen allmählich einzelne es zu erkennen, daß dec Zweifel eine zweischneidige Waffe ist, die auch unendlich viel Schaden stiftet. Als Erkenntnismethode, als PrüfuugSmittel, nm das Überlieferte von allen Seiten zu beleuchten, ist der Zweifel eine Segensmacht. Aber als Störung eines klaren, einheit¬ lichen Lebensgefühls, als Zerstörer praktischer Lebenswcrte ist der Zweifel das Verhängnis müder, kraftloser Zeiten und Menschen. Auf diesen Zweifel trifft das Wort des Neuen Testaments zu: «Wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswvge, die vom Winde getrieben und gewebt wird.» (Jak. l, ti.) Der Nußschale, die von empörten Wogen umhcr- geschleudert und zuletzt an Klippen zerschellt wird, gleicht eines Zweiflers Seele. Wo man die Zweifel noch immer als das Höchste preist, da versteht man nicht das Wort jenes nordischen Dichters (Ibsen), der eine Zweifler- natur war wie wenige: «Leben Heißt, dunkler Gewalten Spuk bekämpfen in sich.» Schöpferisch dein Chaos um uns und in uns feste, sicher in sich ruhende Gebilde abringen, etwas, was nur gelingen kann durch klare, einheitliche Lebensempfindung, das erst heißt wahrhaft leben. Und wo man so zu leben trachtet, da wird man wieder Verständnis für das Gebet 6 bekommen. Denn was ist ein solches Leben andres, als ein beständiges Gebet, weil es ein Leben ist, das fest verankert ist auf dem ewigen Grunde des Seins, eingestellt auf die letzten Ziele und Aufgaben, die uns gestellt sind. So gewinnt die Losung des Paulus: «Betet ohne Unterlaß!» für uns moderne Menschen eine ganz neue vertiefte Bedeutung. Was uns zunächst als der größte Widersinn erscheinen will, wird gerade für uns, von unscrm Gottesgedauken und unsrer Welterfassung aus, mit neuem Sinn erfüllt. Das Wort ladet uns ein, das, was wir errungen haben, wirklich zu erwerben, nm es zu besitzen. Wir haben errungen eine ganz andre Weltbeherrschung, als jemals Menschen früher, wir haben äußerlich die größte Veränderung durchgemacht, die jemals in einem kurzen Zeit¬ raum erreicht wurde. Die Kulturmenschheit unsrer Tage ist dem Manne zu vergleichen, der aus der Dunkelheit plötzlich in einen hellerleuchteten Saal eiugetreten ist und, zunächst geblendet, sich nur unbeholfen zurecht¬ findet. So sind wir alle geblendet von der Überfülle technischer Um¬ wälzungen und Fortschritte, die uns in wenigen Jahrzehnten beschieden waren. Wir alle sind geneigt, das Errungene zunächst zu überschätzen, allen Lebenswert in diese äußeren Erfolge zu setzen, so daß wir in ihnen einen Zweck statt ein Mittel erkennen. Die höchste Bedeutung aber, die wir Viesen unendlich segensreichen Erfolgen beimessen dürften, wäre doch die, wenn wir sie als Mittel für etwas noch Höheres erfassen könnten. Und das ist es doch, worauf sich die tiefste Sehnsucht unsrer Zeit richtet. Je mehr das unendlich mannigfaltige Räderwerk neuzeitlicher Kultur nach allen Seiten hin sich ausgestaltet, um so mehr muß sich doch die Frage aufdräugen: Wozu denn das alles? Wenn wirklich nur blinde Kräfte hier sinnlos walten, dann wäre es ja doch besser gewesen, »vir wären in den einfachen Verhältnissen der Vergangenheit verblieben. Gerade unsre machtvoll aufstrebende Kultur leist uns immer brennender die Frage nahe, wo denn der feste Mittelpunkt zu finden ist, von dem aus diesem immer verwickelter sich gestaltenden Leben Bedeutung und Wert znfließt? Diesen Mittelpunkt suchen und finden wir im Gebet. «Betet ohne Unterlaß!» sagt der Apostel. Er kann gewiß nicht gemeint haben, daß wir alle andern Pflichten hintansetzeu sollen, um tatlos der Betrachtung zu leben. Seine Meinung ist die, daß durch alles Denken und Tun hin¬ durchklingen soll ein Unterton, der uns an den höchsten Lebenswert erinnert, damit wir nicht verzweifeln im Mißgeschick und im Erfolg uns nicht überheben. Denken wir an einen mutigen Durchqueren eines uner¬ forschten Weltteils, der durch Urwalddickichte und Moräste seinem fernen 7 Ziele entgegenzieht. Gewiß wird er die vor ihm liegenden Hindernisse nicht leicht nehmen, er wird alle Kraft einsetzen, sie zn bezwingen. Aber indem er mutig init allen Gefahren den Kampf aufnimmt, verliert er doch nie das letzte Ziel ans den Augen, wie wäre er sonst ein Durchguerer, ein Erforscher? Nein, dieses Endziel bildet den Untergrund, von dem alles Mühen und Leiden sich abhebt, es ist die tragende Kraft, die den Er¬ matteten vorwärts treibt. Sollte es nicht ähnlich im Leben eines jeden von uns sein können, daß wir unser Tagewerk tun mit unsrer besten Kraft, aber unser Tage¬ werk dennoch immer völliger einzuordnen wissen dem höchsten Ziel, von dem das Leiden und Mühen gerechtfertigt wird, jenem Lebenswert, dessen wir mehr und mehr in allen Schicksalsproben bewußt und froh werden, einem Wert, den wir nicht außer uns, sondern in uns finden? Um dahin zu gelangen, werden wir allerdings auch Stunden der Betrachtung, der völligen Konzentration auf unsre höchste Bestimmung, der ernsten Selbstbesinnung, der Gedankenvertiefung, der inneren Kräf¬ tigung uns sichern müssen. Wir werden uns darin einer anhaltenden Gewöhnung und ernsten Schulung unterwerfen müssen. Welche Stunden wären dazu geeigneter, als die ersten Morgenstunden, da der Spiegel der Seele den Glanz einer höheren Welt noch ungetrübt wiedergibt, da von dem noch unentweihten Altar unsres Herzens ein heiliges Rauchopfer anfsteigt? Dazu haben die wenigsten Zeit. Aber wenn wir erwägen, daß ost durch ein einziges unbedachtes Wort ganze Menschenschicksale vergiftet werden, daß durch eine einzige unüberlegte Handlung das Gedeihen eines Geschäftes, die Wohlfahrt vieler zertrümmert, durch eine verkehrte Geistes¬ richtung so oft die heiligsten Familienbande zerrissen werden, dann sollten wir uns überzeugen, wie wichtig es wäre, den entscheidenden Regulator dieser so wichtigen Seeleuvorgänge immer besser in unsre Gewalt zu bekommeu. Kann das wirklich Zeitverschwendnng genannt werden, was uns die Herrschaft sichert über das Seelenleben, von dem doch alle Wohl¬ fahrt zuletzt abhängt? Dann wäre es auch Zeitverschwendnng, wenn ein Mensch, um seine Gesundheit wieder zu erlangen, keine Kosten und Zeit- Versäumnis scheut, weil er weiß, daß die Gesundheit die notwendige Voraussetzung aller seiner Arbeit ist. N. W. Trine führt das Beispiel einer Dame an, die sich über einen vielbeschäftigten Mann nicht genug wundern konnte, der täglich Stunden der Betrachtung widme und doch noch Zeit finde für seine mannigfachen Berufsgeschäfte. Trine meint, daß jene Dame es ganz verkannt habe, daß jener Mann nicht trotz, sondern gerade wegen dieser täglichen Vcr- 8 tiefung in sein Inneres so leistungsfähig für das verwirrende Vielerlei seiner Bernfsgeschäfte fei. Eine sehr komplizierte Maschine — und das ist doch unser Seelenleben — wird ja doch nicht dadurch am besten ausgenützt, daß sie jede einzelne Stunde arbeitet, unbekümmert darum, ob das Räderwerk in Unordnung kommt, sondern vielmehr dadurch, daß sie, wenn auch mit scheinbarer Zeitverschweudung, ausgiebig kontrolliert und durchgesehen wird, um daun um so zuverlässiger und ausgiebiger und länger arbeiten zu können. Wie ganz anders würden wir alle im ver¬ wirrenden Lebensgewühl uns zurechtfiuden können, wenn wir innerlich ganz fest und ganz stille zu werden trachteten. - Es ist eine scheinbar fast unerfüllbare Leistung, die wir von der ganzen Menschheit erwarten. Noch befinden wir uns erst im Kindergarten des Lebens, in dem wir uns auf das große volle Leben, das uns erwartet, erst vvrbereiten. Aber auch die eigentliche Lebensaufgabe wird dereinst gelernt werden. Es sollte uns nicht schwer fallen, das zuver¬ sichtlich zu glauben, wenn wir etwas von dem erfaßt haben, was in dem Worte liegt: «Viribus unikis.- Mit vereinten Kräften. Jene Worte aus dem Schluß von Goethes Faust: -Laßt uns läuten, knien, beten Und dem alten Gott vertrauen,» sollten sie nicht doch noch einmal eine ganz neue Bedeutung für ein kommendes Geschlecht gewinnen, ein Geschlecht, das es wieder erfährt: «O der wunderbaren Macht Von der Frommen Beten! -Ohne sie wird nichts vollbracht. So in Freud' als Nöten.» A M e n. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde in Laibach. Druck von Kleiumahr L Bamberg in Laibach. Unsre Schuld und unsre Schuldiger. Predigt, am 20. Oktober 1907 in dev ennnget'. KHvistnskivche in Lcribcrck gehalten von Pfarrer Dr. O. Hegcmauu. Text: Das Gleichnis vom Schalksknecht. Matth. 18, 23 — 35. Alle Religion redet in Sinnbildern und Gleichnissen. Was wir tief innen im Herzen erfahren, wir können es in Worte nicht kleiden, denn das beste Wort ist doch nur ein unvollkommenes Abbild des zu¬ grunde liegenden Wertes. Das Wort ist zu allgemein, es besagt mehr als wir meinen, und es ist doch auch nur ein Ausschnitt aus der Er¬ fahrung, die wir vermitteln mochten, nnd auch dieser Ausschnitt ist nicht erschöpfend, weil das, was in der Seele glühte, durch ein blasses Symbol nicht wiedergegeben werden kann. -Warum kanu der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen? Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr.» Jedes religiöse Gespräch lehrt es uns ja neu, wie schwer auf diesem Gebiete eine Verständigung ist, weil alle übersinnlichen Begriffe unendlich vieldeutig sind. Was ist Gott? Ein Wort, das für jeden einzelnen Menschen eine besondere Bedeutung hat: «Wie einer ist, so ist sein Gott.» Schon die eine Tatsache, daß Jesus Gleichnisse wählte, um den tiefsten Sinn seiner Lehre zu verdeutlichen, weist nns darauf hiu. Diese Gleichnisse sind Versuche', die zartesten, duftigsten Geheimnisse der Seele, ihre tiefsten Leiden und seligsten Freuden, ihre Verlorenheit und ihre Begnadigung zu schildern. Es muß sich dem Heiland aufgedrängt haben, daß das nicht unmittelbar möglich ist, nur -in farbigem Abglanz schauen wir dies Leben». Was aber dabei an Anschaulichkeit gewonnen wird, wird verloren an Bestimmtheit nnd Deutlichkeit. 2 Jesus faßt im Gleichnis vom Schalksknecht die eigentlich grund¬ legende Beziehung zwischen Gott und Mensch in ein Sinnbild. Er gibt ein inneres Gesicht wieder, das vor seiner Seele gestanden haben muß, wie der Mensch vor Gott niedersinkt, unfähig, die unendlich große Schuld zu bezahlen, die er zu zahlen verpflichtet ist, und doch auch un¬ fähig, dem Mitmenschen die, vergleichsweise, unendlich kleine Schuld, die er selbst zu empfangen hat, zu erlassen. Es liegt im Wesen des Gleich¬ nisses, daß hier Widersprechendes gelehrt wird. Wir haben ein Symbol, das nichts andres besagt, als daß wir unser tiefstes, eigenstes Verhältnis zum Mitmenschen wie zu unsrer ewigen Bestimmung nicht als Rechts¬ verhältnis, d. h. als Schuld und Sühne, erfassen dürfen, daß vielmehr bei der Abmessung unsres eigentlichen Lebenswertes ein Verhältnis freier Gnade waltet, so daß wir, wenn auch verurteilt vor deni Richterstnhl des Sitteu- gesetzes, nicht verurteilt siud in nnserm wahren innern Wesen. Diese tiefe Wahrheit, die uns hier zur Betrachtung vorgelegt ist, ist mm aber doch wieder versinnlicht durch das Bild vom Gläubiger und Schuldner, also durch ein Rechtsverhältnis. Jesus wählte dies Bild, weil nur durch dieses Bild die Schwere der Verschuldung, die auf uns lastet, ins Licht treten kann. Der Inhalt aber, der in dieses Bild hineingelegt ist, sprengt den Rahmen, führt uns zuletzt auf die Erkenntnis, daß Gott nicht mit uns rechtet um unsrer Schuld willen, noch daß wir rechten dürfen mit unfern Mitmenschen um ihrer Schulden willen. Das heißt: Das Gleichnis ist ein Gleichnis! Im Wesen des Gleich¬ nisses aber liegt es, daß «es hinkt«, daß es nur eine Seite des Gegen¬ standes, den es klar machen soll, deutlich machen kann. I. Unser Gleichnis steht aber außerdem iu einem tiefgreifenden Gegen¬ satz zu nnserm ganzen Gottesempfinden. Daß Gott aus freier Bewegung dem Menschen die Schuld erläßt, daß wir diesen Schulderlaß annehmeu dürften als etwas außer uns Gegebenes, das erfahren wir nicht. Die Kirchenlehre behauptet es, uud diese Kirchenlehre steht noch immer in allgemeiner Geltung, aber diejenigen, die das Erlebnis machen, um das es sich hier handelt, erleben in Wirklichkeit etwas anderes. In allen unfern religiösen Verkündigungen und Glaubenslehren tritt eben immer deutlicher der tiefe innere Zwiespalt zwischen äußerlich angenommener Form und tatsächlichem Wesen klaffend hervor. Unsre Religion ist eine Musik, die sich ein Teil der Zeitgenossen Vorspielen läßt, der viele noch immer gerne lauschen, die aber schon längst den wirklichen Schwingungen unsres Seelenlebens nicht mehr entspricht. 3 Und doch wird noch hente ein Erlebnis gemacht, und ich halte dies Erlebnis sogar für die eigentliche Grnndtatsache unsres Lebens, ein Erlebnis, das dein entspricht, was Jesus hier im Gleichnis schildert. Wir alle erfahren Lebeushemmungen, indem wir unsrer Schwache, unsrer Unzulänglichkeit, unsrer Schranken und schlechten Anlagen qualvoll inne werden. Jede Erfahrung dieser Art hinterläßt einen Eindruck in nnserm Gedächtnis, und ob wir wollen oder nicht, wir summieren unbewußt alle diese Mängel, die wir an uns wahrgenommen haben, wegen deren wir diese oder jene törichte Tat begangen haben. Wie mit eisernem Riegel sperrt uns diese angesammelte Masse von Mißerfolg den Weg zu einer erfolgreichen, glücklichen Zukunft. Das ist das Bild der Menschen, die von Sorge und Furcht beherrscht werden, und das sind gewiß die aller¬ meisten. Nun aber können wir die Erfahrung machen, um die es sich hier handelt. Es kommt über uns die Gewißheit, daß jeder neue Tag uns die vollgültige Gelegenheit gibt, etwas Großes zu schaffen und alles Vergangene gut zu machen. Dieser Tag, den du heule lebst, kann für dich der Tag der Rettung sein für jeden Schaden, wenn nur du willst. Kraft deiner Natur und deines Willens kannst du die furchtbarsten Übel, die dich bedrücken, beseitigen oder ihnen wenigstens den quälenden Stachel ansreißen. Es steigt in der Seele die Erkenntnis empor: Meinem innersten, meinen: wirklichen Wesen nach bin ich nicht jener gehetzte und herab¬ gewürdigte Mensch, als der ich vor andern und vor mir selbst dastehe. Im Lichte einer höheren Erkenntnis bin ich ein Teil der ewigen Liebe. Diese Liebe verleiht mir Weisheit, diese Liebe gibt mir die Freude an der Erkenntnis des Wahren und Guten. Diese Liebe macht mich fähig, über die mich einengende Umgebung emporzuwachsen. Neue Freudigkeit, das Dasein zu leben, weil es ein für das Ganze unentbehrliches, höchst wertvolles Dasein ist, zieht ein. Wir erfassen die Bedeutung unsres Lebens, auch wenn es ein beschmutztes, von allen Seiten eingeengtes, furchtbar belastetes Leben wäre. Mit einem Schlag wird durch dieses große schöpferische Erlebnis, das die Menschen in den allerverschiedensten reli¬ giösen oder philosophischen Formen machen können, das Dasein, das eben noch eine drückende Last, ein quälender Alp war, plötzlich zu einem hohen Geschenk, zu einer hehren Gottesgabe, die wir — begnadet von einer unerforschlichen, unergrnndeten Macht — dankbar empfangen. An dem Tage, wo du zum erstenmal diese neu belebende Empfindung erlebst, hast du zum erst en mal Gott erlebt. Denn was heißt Gott erleben? Es heißt, ihn inne werden als den verborgenen, alles 4 ersetzenden, alles überwiegenden Lebenswert, als Freudigkeit und Mut, des Lebens Schlacht zu kämpfen. Gott ist nichts anderes als der --heilige Daseinswille». Gerade das ist's, wie mir scheint, was Jesns im Gleichnis vom Schalksknecht uns lehren will: das ost so schwer belastete, tief entwertete Leben kann allezeit und überall zu vollem Lebenswert neu erhoben werden. Gewiß ist das für unendlich viele eine Botschaft, die sie als ganz unglaublich beiseite schieben, zumeist nicht einmal anhöreu wollen und können. Zwar müßte eigentlich jeder bekennen, daß er die köstliche Lebens¬ perle in den Staub getreten, daß er selbst sein Seelenleben ties ent¬ würdigt hat. Aber wie soll sich aus diesem selben Leben ein Kleinod von unendlichem Wert und hoher Pracht gestalten, wie können wir jenen Gottesglanben wieder neu erfassen, der als unsres Menschendaseins Krone unser Leben mit lichtem Glanze erfüllt? Und doch gibt es Mittel, um uns von dieser Möglichkeit zu über¬ zeugen. Überall da, wo Kraftanspaunung, Reibung eiutritt, da entwickelt sich Kraft und Leben. Keine starke Anstrengung kann ohne Kraftergebnis bleiben. Unsre Schuld aber gibt uns Gelegenheit zu solcher Anspannung, sie kann uns ein Mittel werden, mit Gott in Berührung zu treten, und insofern ist sie zu preisen. Der Mensch, der in der Tiefe sich befindet mit dem beschämenden Bewußtsein des eigenen Unwerts und nun ans dieser Tiefe znr Höhe des göttlichen Lebens emporschant und sich einen Mut faßt, emporzusteigeu, erlebt eine spannungsvolle, tief erregende innere Geschichte, in der Kräfte ausgelöst werden, die ihn mit mächtiger Schwinge emportragen. Dem Glücklichen, dem äußerlich und innerlich harmonischen Menschen, wird niemals die volle Bedeutung des Gottesglaubeus als Überwindung eines die Tiefen der Seele anfreißendeu Zwiespalts aufgehen. Ihm ist der Kampf erspart, aber damit auch der Triumph, es fehlt seinem Bekenntnis die schmerzliche Leidenschaft und darum die Kraft und Tiefe, weil sein Gottesbekenntnis im Grunde eine Selbst¬ verständlichkeit ist. Sobald wir dies verstanden haben, so müssen wir erkennen, daß uns durch große Charakterschwierigkeiten, durch schlechte Anlagen und widrige Umstände gewiß ganz besondere Hemmnisse in den Weg gelegt sind, bis wir Gottes inne werden, aber gerade damit auch eine besondere Verheißung, daß wir einen um so herrlicheren Sieg erkämpfen werden. 5 Darum sollten wir mit felsenfestem Vertrauen unser eigenes Leben und das aller andern, auch der Verlorensten und Elendesten, daraufhin ansehen, daß jedes einzelne Leben befähigt ist, das Gefäß einer unend¬ lichen Beseligung zu werden, jeder einzelne berufen, mit erhobenem Haupte, mit eisernem, unbeugsamem Willen eine Welt sich zu erringen, die voll Schönheit und Gnade ist. Mögen finstre Dämonen unsrer Vergangenheit drohend ihr Haupt emporrecken, sie haben nicht Macht, uns den Zugang zu -den tausend Quellen neben dem Durstenden in der Wüste» zu sperren. Das Furchtbarste selbst, was andre an dir gesündigt und du selbst gefehlt, es kanu dennoch ein heiliger Segen werden, der dich nur um so tiefer in die Erkenntnis der göttlichen Liebesmacht wird führen, einer Liebesmacht, der es nicht zu tun ist um deine Würdigkeit, sondern allein nm deine Empfänglichkeit. Oder um es zu fassen mit Gedanken jenes Weisen von Sils-Maria: Du vermagst -Recht dir zu nehmen zu neuen Werten-, weil du ans dem Knechte ein Kind wardst, ein Kind, wie es Nietzsche beschreibt: -Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neu¬ beginnen, ein Spiel, ein ans sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Jasagen. Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Jasagens: seinen Willen will nun der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene.- - — Es sind das alles ganz andere Gedankenbahnen, Wege, die wir uns heute noch durch Urwälder von Vorurteilen suchen müssen, als die Wege kirchlicher Verkündigung. Dennoch Wege, die wir suchen müssen, damit endlich das religiöse Erleben mit der religiösen Lehre wieder zusammenstimme. Es handelt sich um die Aussöhnung des Ungeheuern Widerspruches, das; Gott gerecht ist und dennoch die Sünde vergibt. Daß der Mensch das erntet, was er gesät, und daß er dennoch unendliche Gnade jeden Tag aufs neue erfahren darf. Die alte Kircheulehre des Christentums hat diesen Widerspruch zu lösen versucht mit der Lehre von der stellvertretenden Genugtuung des Sohnes Gottes, der mit seinem Blute den Zorn Gottes versöhnte, so daß Gott nun verzeihen kann. Es war dies ein Versuch, klar zu machen, warum die Heiligkeit Gottes ihn nicht hindert, in völlig schrankenloser Liebe sich auch zu dem Verwor¬ fensten herabzuneigen, warum es heißt: -Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder, Unsterbliche heben verlorene Kinder Mit feurigen Armen zum Himmel empor.» Wir können das uralte Geheimnis so nicht mehr fassen. Wir fassen cs, indem wir uns die Tatsache klar machen: Es wohnt im Geiste des 6 Menschen die gewaltigste aller Kräfte — der Gedanke. Wer die Be¬ deutung des Gedankens erkannt hat, blickt voll Vertrauen in die Zukunft und auch die qualvollste Vergangenheit hat jeden Schrecken für ihn verloren. Und diese Anschauung, was ist sie denn anderes als die Jesnslehre, daß wir Kinder Gottes sind, die als solche jeder Verkettung von Schuld und Sühne entronnen sind? Als Träger des Gedankens sind nur Teile des ewigen Weltengeistes, der frei nnd schöpferisch sich jederzeit ans uns herniedersenken kann, um mit feuriger Lohe alle Schlacken menschlicher Unvollkommenheit zn verzehren. Damit kehren wir immer wieder zurück zur schlichten Kinderlehre Jesu: «Vater, vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unfern Schuldigem», zu jener Lehre, die in unserin Gleichnis zu einer leuchtenden Blüte sich entfaltet. Es ist in ihr die Lehre erschlossen: Willst du wirkliches Menschentum dir erwerben, so fasse beides in eines, was der Heiland zusammenschloß, der Demut und Kraft doppelte Palme zugleich. Die weiche Stimmuug, in der wir unsres Sündenelends eingedenk bleiben, um frei zu bleiben von allem Hochmut und aller Selbstüber¬ hebung, weil wir als arme Schächer uns fühlen, als Ton in des Töpfers Hand, der mit Recht verworfen werden könnte; weil wir nur in solcher Demut frei werden von all dem erbitternden Gezänk, der Rechthaberei und Kleinlichkeit, die das Leben der Menschen vergiften. Und dann doch wieder die Kraft, einer Welt der Widerstände uns entgegenzustellen kraft der Majestät unsrer Geisteswürde, die auch im Bettlergewaude sich enthüllt, wenn wir sie nur geltend machen. Wird so die Sündenvergebung erfaßt und erfahren, dann erhält Martin Luthers Wort aus dem kleinen Kate¬ chismus eine ganz neue, unendliche Bedentung: »Wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit.» Nnr wo Sündenvergebung ist, wo das Leben nicht mehr gelebt wird aus der eigenen kleinen Kraft heraus, sondern von Gottes Gnaden, zerbrochen in sich, gefestigt ans höherer Macht, nur da ist Leben, so reich, so groß, daß es als Seligkeit beschrieben werden muß, weil es über alles Glück ist. ll. Es ist Leben und Seligkeit, weil ein solches Menschentum, wie es hier beschrieben ist, auch unser Verhältnis zu andern Menschen völlig wandelt. Du sollst deinen Frennd lieben und deinen Feind hassen, das war -die Tafel der Überwindung», die seit Jahrtausenden das Menscheuvolk über sich hängte und die noch jetzt als der Pflichten höchste anerkannt 7 ist. Es war ein Hohes, als die Menschen aus tierischen Zuständen zu der lichten Erkenntnis sich emporrangen, daß es höchste Pflicht sei, Gutes zu schirmen, Böses auszurotten, dem Freunde die Brust, dem Feinde mutig die Stirne zu bieten. Alles, was an Mannhaftigkeit und Helden¬ tum auf Erde» erblüht ist, das liegt beschlossen in dieser Tafel: den Freund zu lieben und den Feind zu hassen. Doch es kam Jesus von Nazareth! Er gab den Menschen neue Waffen! Zwar heißt es: «Sie sagen, du wärst als Lamin verstummt. Wehrlos verblutet unter ihrem Hohn?» Doch in Wahrheit brachte er Waffen, erfolgreicher als die alten: «Als sie hörten, wie du für sie batest, Dein Röcheln bat: ,Vater, vergib dn ihnen!°, Da schlug das Volk sich heulend an die Brust Nud floh von Golgatha — — du wehrtest dich!» Er wehrte sich, doch nicht, indem er Böses mit Bösem vergalt, sondern indem er das Böse überwand mit Gutem und lehrte: «Liebet eure Feinde», weil Haß nur durch Liebe ausgetilgt werden kann. Und so ist es der tiefste Sinn seiner Lehre, daß wir unfern Schul¬ digem vergeben, gleichwie unsre Schulden vergeben sind. Die höchste Pflicht des Christentums, die aber dann erst recht verstanden und geübt werden wird, wenn wir erkennen, diese höchste Pflicht sei unser seligstes R e ch t. In ewigem Zwiespalt werden wir liegen und Haß wird immer neuen Haß erwecken, bis wir einmal erkannt haben, es ist ja gar nicht unsre Pflicht zu hassen, und indem wir hassen, vernichten wir uns selbst. Das gilt nicht in irgend einer überweltlichen Beziehung, sondern an unserm sichtbaren Körper. Es ist erwiesen, daß Haß und Zorn Gifte im menschlichen Körper erzeugen, die die Gewebe zerstören und früh altern machen. Jeder Gedanke der Lieblosigkeit ist eine zerstörende Macht an andern, aber auch an uns selbst. Das wirklich zu erfahren, daß wir allen Groll und Zorn fahren lassen dürfen, daß wir vergangen sein lassen dürfen, was vergangen ist, indem wir urteilen, aber niemals verurteilen, das wäre in Wahrheit das seligste Recht, das uns beschieden ist. Und wenn vor kurzem geschrieben wurde: Alle Tugenden des Christenthnms hätten die Germanen angenommen, nur mit Recht die eine 8 nicht: «Liebet eure Feinde!», so beweist das, daß das wahre Wesen der Lehre Jesu noch nicht begriffen ward. Höchste Mannhaftigkeit und höchste Freiheit hätten wir dann erst erreicht, wenn wir frei würden von allem Haß und aller Wiedervergeltung. So erst lebten wir ein Dasein frei vom Knechtssinn, denn alles Knechtsein rnht auf einem Schnldverhältnis der Vergangenheit. Wir lebten dann als Kinder, die aus dem freien Liebesverhältnis der Gegenwart heraus ihr Leben führen. Wie wir selbst aus dem tiefsten Seelengrunde heraus unser Leben täglich neu erschaffen und uns nicht beirren lassen durch Mängel der Vergangenheit, so würden wir dann auch dem Mitmenschen die gleiche Vollmacht aus¬ stellen, frei von Schuld und frei von Schuldigem. A m e n. Im Berlage der Evangelischen Kirchengemeinde in Laibach. Druck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach. Predigt, am 5. Jänner 1908 gehalten in Laibach von Pfarrer Dr. O. Hrgemami. «Sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.» Matthäus 6, 34. Ein Mensch stand am Meercsstrande, sich damit zu vergnügen, ans einem Säcklein kleine Dinger zu nehmen, um zu seheu, wie weit er sie ins Meer werfen könne und wie sie dann das Wasser bewegten. Als er eben die letzten werfen wollte, trat ein anderer hinzu uud sagte: «Was wirfst du da? Zeige mir's! — — Du Narr, das sind ja Perlen, wert¬ volle Perlen! lind die konntest du achtlos uud leichtsinnig fortschleudern?! Du hast ein Vermögen weggeworfen!» Wie raufte sich der Manu die Haare, daß er um achtlosen Spieles willen seinen höchsten Schatz weggeworfen hatte! Und doch, wie viel besser, wenn er, statt über den Verlust zu klagen, die Perlen, die ihm noch geblieben waren, wenigstens verwertete, um sich ein Vermögen zu verschaffen. Dein und mein Bild ist das, was diese Geschichte uns vorhält. Unsre vergangenen Jahre sind die Perlen, die wir besaßen und oft so achtlos wegwarfen, ohne zu ahnen, welcher Schatz uns mit ihnen gegeben war. Wie es jener Weise Amerikas ausdrückt: «Die Tage sind immer göttlich. Sie sind von der geringsten Präteusion nnd von der größten Fähigkeit unter allem, was lebt uud ist. Sie kommen und gehen wie vermummte und verschleierte Gestalten, aus fernem Freundesland gesandt, aber sie sagen nichts, und wenn wir die Gaben nicht benutzen, die sie bringen, so tragen sie sie ebenso schweigend wieder fort.» — — Welch unendlicher Inhalt liegt in jedem Jahr, in jedem Tag! Aber Ivie viel besser, wenn wir, statt über den Verlust zu klagen, die Perlen, die uns geblieben sind, verwerten, um den Inhalt, den sie uns bieten, uns anzueignen. 2 Aber sowie wir diese Aufgabe angreifeu, erhebt sich rwr uns die Sorge vor der Zukunft, die Furcht, die uns lähmt, als ob wir so wenig künftig wie in der Vergangenheit das hohe Ziel, das uns gesteckt ist, erreichen könnten, weshalb wir lieber gar nicht beginnen. Nicht mit Unrecht wird gesagt: Der einzige Feind, vor dem wir uns zu fürchten haben, ist die Furcht oder, was dasselbe ist, die Sorge. Vielleicht gibt es nur einen Feind, der in ähnlicher Weise unsre Kraft zerstört, unser Bestes uns raubt: der Haß! die Feindseligkeit, die so oft das Leben verbittert und vergiftet, die unnötig die vorhandenen Gegensätze zuspitzt, ätzende Säure in die Wunden gießt, statt sie zu lindern und zu heilen. Aber ist nicht auch der Haß, der furchtbarste Zerstörer, ein Sohn der Furcht? Einen Menschen, von dem wir unter keinen Um¬ ständen mehr etwas zu fürchten haben, werden wir eher bemitleiden als hassen. Das Gefühl, das in unsrer Seele schlummert, Wiedervergeltung .für nnsern Haß fürchten zu müssen, das ist es, was die entscheidende Trennungswand aufrichtet zwischen den Menschen. Die Furcht, sie gebiert sie alle, jene geheimen Zerstörungsmächte, die fast unablässig an den Seelen nagen. Nervosität ist die älteste Tochter, jenes lastende Gefühl, den Aufgaben des Lebens nicht zu genügen und nicht genügen zu können. Neid, Mißgunst, Ärger, Reizbarkeit sind andere Nachkommen des ent¬ setzlichen Furchtgedankens, der noch niemand Nutzen gebracht hat, aber Schuld trägt am Scheitern von Tausenden und Abertausenden von Männern und Frauen, weil er ihre Energie lähmt, ihren Fortschritt hemmt, ihren Verstand schwächt und ihren Körper mit Krankheiten überschwemmt. Wo der Furchtgedanke weicht, ziehen Energie, Bestimmtheit, Mut, Ver¬ trauen, Ausdauer, Geduld, Freudigkeit, Würde, Sicherheit ein ins Herz. Dann halten wir keine Lebensaufgabe mehr für zu schwer, unser Glaube erstarkt, daß wir -willig werden zu unserm tiefsten Schmerze» nud unsrer schwersten Prüfung, weil der eiserne Entschluß, den Sieg zu erringen, in uns erwacht ist. Und nur, wer dies erreicht, ist glücklich. Darum sollten wir uns am Beginn des Lebensabschnittes eines neuen Jahres wie mit Hämmern in unsre Seele heften die große Hei¬ landsmahnung: »Sorget nicht für den andern Morgen, denn der mor¬ gende Tag wird für das Seine sorgen. - «Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.» Wenn wir nur dies eine Wort von Jesus besäßen, es würde genügen, jenen Mißverstand in seinem Ungrund zu zeigen, als lehre Jesus ein tatloses, sorgloses Leben ohne alle Rücksicht auf den harten Daseins¬ kampf des Diesseits. Wahrlich, seine Lehre, die uns znruft: «Nehmet auf euch mein Joch», «Einer trage des andern Last», sie ist nicht eine Ermunterung der Trägheit, sie fordert von uns, daß wir uns ehrlich mühen, den Schwierigkeiten des Lebens ins Auge zu sehen, um sie zu bemeistern. Gewiß, jenes Wort des großen deutschen Meisters, es ist voll Heilandssinues: Und cs sei ein heiliges Vermächtnis Brüderlichem Wollen nnd Gedächtnis: Schwerer Dienste tägliche Bewahrung, Sonst bedarf cs keiner Offenbarung. Jeder Tag habe seine Plage, denn nur wenn das Leben voll Mühe und Arbeit war, wird es köstlich gewesen sein. Freilich, daß wir ohne zu viel Besinnen uns auch mitten hiueinstellen in diese Plage in der Gewißheit: «Nur frisch hinein, es wird so tief nicht sein.» Frisch begonnen heißt zumeist schon halb gewonnen. Dann aber, wenn wir mntig den Kampf aufnehmeu mit der Plage jedes neuen Tages, ist es die größte Weisheit: -Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.» Er soll nicht beladen werden niit den Plagen aller kommenden Tage. Wenn wir uns ehrlich prüfen, werden wir wohl alle gestehen müssen: Nicht die eigene Plage jedes Tages ist es, was das Leben so schwer macht, daß so viele müde und verzweifelt fast znsammenbrechcn, sondern die Aussicht iu eine trostlose Zukunft mit ihres Dienstes immer gleichgestellter Uhr. Wie wenn ein Wanderer ins Hochgebirge hinanfzieht und sieht nicht bloß die vor ihm liegende Höhe, sondern hinter ihr türmt sich eine noch höhere nnd dahinter immer nene höhere Gipfel, und er sich sagt: «Wenn du auch den nächsten Gipfel ersteigst, es warten dein immer schwerere Aufgaben-, da wird er leicht entmutigt. -Der morgende Tag wird für das Seine sorgen.- Ist nicht grade dies die Erfahrung, die wir schon so oft machen konnten: «Kommt Zeit, kommt Rat.- Ein Mjähriger Greis sprach einst auf dem Sterbebett zu seinem Sohne: «Ich habe iu meinem laugen Leben mir viel Sorgen gemacht, aber die meisten Sorgen waren ganz grundlos.» Vielleicht müßte jeder Mensch auf seinem Sterbebett das gleiche bekennen: Viele Sorgen hast du vertrieben Und die schlimmsten doch überlebt, Aber am meisten doch vor Übeln, Die dich niemals trafen, gebebt. Ist es nicht die größte Torheit, diese Welt, in der es ja an wirk¬ lichen Übeln nicht mangelt, noch mit einer Menge eingebildeter Übel zn bevölkern, die uns gar nicht treffen? Jst's nicht Zeit genug, die Unglücks- sälle zu beweinen, wenn sie sich nahen und selber erscheinen? 4 Worin zeigt sich denn unser Gottvertrauen anders, wenn nicht darin, daß wir glauben: «Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns anch.> «Er läßt uns nicht versuchen über Vermögen.. Wenn wir mit den Nöten der Gegenwart fertig werden, so laßt uns mit wahrhaft sorglosem Ver¬ trauen in die Zukunft schauen und auf Gottes allmächtige Liebe bauen. Hat uns doch der Heiland gelehrt zu beten: -Unser täglich Brot gib uns heute, und uns nicht geheißen, um jährliche Versorgung zu beten. Wenn der Kohlenvorrat eines großen Hauses in den Keller geschafft wird, so müssen mehrere starke Männer die schweren Wagenladungen mit aller Anstrengung hinnutertrageu. Und doch genügt dann die Kraft eines einzigen kleinen Küchenmädchens, um die ganze Ladung wieder ans dem Keller heranfzubringen. Sie tut es tag- und kastenweise. So gewiß hat sie die vielen Zentner Kohlen vom Flecke gebracht, wie es nur immer die großen Eisenbahnwaggvns taten, aber sie tat es nach und nach und so fiel es ihr leicht. Gewiß, es ist ein Fortschritt über den Zustand des sorglosen Kindes und des Leichtsinnigen, der in den Tag hineinlebt, wenn wir Saaten in die Zukunft streuen, wenn wir mit sorgendem Geiste die Zukunft schon vorwegnehmen und ihre Möglichkeiten erwägen. Das ist ein Schritt vor¬ wärts, aber doch an und für sich noch ein unendlicher Abstand von der Reife eines vollendeten Gotteskindes, das zwar alle Kraft einsetzt, als käme es nur auf die eigene Kraft an, das aber doch zugleich alles von Gott erwartet, als hinge alles nur von seiner Gnade ab. Beim Jahresbeginn vor fünf Tagen wurde im Kaiserschlosse in Berlin das Johanneswort der Predigt zugrunde gelegt: «Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel-, und mit Recht betont, daß aller Tugenden höchste auf Erden die Demut sei. Selbst der Träger der höchsten irdischen Gewalt, was kann er denn andres tun als nehmen, nehmen das, was Gott ihm gibt, es sei Liebes oder Leides, getrost, daß beides ans seinen Händen quillt? Auch der glänzendst Begabteste, auch der Reichste und Mächtigste kann ja doch nur schalten mit dem, was eine höhere Gewalt ihm anvertrant. Demütig sein, das heißt dankbar sein für das, was wir empfingen, aber auch völlig vertrauensvoll in bezug auf alles, was wir nicht ändern können. Wenn wir Beides tief bedenken: Wir sind ans uns selbst nichts und können nichts ohne die Leitung jener höhern Gewalt, auf die wir allein angewiesen sind, und zum andern, jene höhere Gewalt meint es gut und verlangt von uns nur das Eine: die völlig zuversichtliche, innerlich ruhige Haltung, um uns stets aufs neue überschwenglich zu segnen, dann werden wir es fest glauben lernen: «Der morgende Tag wird für das Seine sorgen.» 5 Wir können ja freilich stets das düstre «iVIsmsnto inori- (Gedenke deines Todes) im Sinne tragen: «Nach Sorgen, Angst und mancher Not, kommt endlich sicher noch der Tod.» In engerm und stets engerm Kreise bewegt sich unser Leben dem engsten und letzten zu, wo alles Leben langsam stillsteht. Wie die Lampe ausbrennen und auslöscheu muß, so muß auch die Krast unsres Lebens sich mehr und mehr erschöpfen, um endlich unter oft ach wie qualvollen Leiden in sich zusammenzusinken. Gewiß, man kann das Leben so betrachten und wie es im Hebräer¬ brief heißt, «durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knecht sein müssen». Aber man kann es auch gerade umgekehrt ansehen. Man kann sich sagen, und es ist die lautere Wahrheit: Solange wir leben, sind uns unbegrenzte Möglichkeiten des Guten gegeben, solange wir leben, wenn auch in Schwäche aller Art, ist uns die Hebelkraft jenes unendlich reichen und herrlichen Kraftzentrums, das in Gott ruht, zugänglich, um in einer Weise, die oft wunderbar erscheint, das Größte zu wirken, oft mit der kleinsten Kraft. Nicht das ist Lebensweisheit, über der Gegenwart die Zukunft zu vergessen, aber ebensowenig durch die bleichen Gespenster einer unbekannten Zukunft die Gegenwart vergiften zu lassen. Höchste Lebens¬ weisheit ist jener Kindessiuu, von dem ein Weiser Amerikas erzählt: «Als ich eines frostigen Tages im Winter einer alten Frau einen Besuch machte, kam ihr neunjähriger Enkel hereingestürmt. Der kleine Bursche schien einem Eiszapfen zu gleichen; seine Wangen und sein Näschen schimmerten blaurot und seine Hände waren steif vor Kälte. Nichts¬ destoweniger fühlte sich das in der durchnäßten Kleidung stehende Menschen¬ kind sehr behaglich, denn es erwiderte der Großmutter, daß es zu schön bei ihr in der Küche sei. Lächelnd meinte die Greisin, ob Jack denn nicht froh sein würde, wenn der Frühling erst wiederkäme? «O ja,» entgegnete der Kleine mit altklug nachdenklicher Miene «aber das sage ich dir, solange der Winter da ist, werde ich ihn gründlich ausnützen und mich im Schnee und ans dem Eis famos amüsieren.» Ohne sich nutzlosen Träumereien hinzugeben, kostet der Lebensweise die Gegenwart ans, indem er ihr alles abringt, was sie zu geben ver¬ mag. Uber die Zukunft sollten wir vor allein den einen Gedanken tief ins Herz fassen, daß sie trotz aller Stürme noch viel schöner sein wird als die Gegenwart, ein Frühling licht und klar, der uns beschieden ist am Ende unsrer Bahn. Und wenn es hienieden, wie bei wohl manchem, vielleicht dunkler und immer dunkler werden soll, kann uns das wirklich irre machen an Lxr Wahrheit des Heilandswortes: «Der morgende Tag wird für das 'A'eine sorgen» ? Wenn unsre Kraft, unsre Gesundheit, unser Vermögen, 6 unser Ansehen sich mindert, werden wir dcirnm unfähig, noch etwas für unfern wahren Lebenszweck zu erreichen? Der große Geiger Paganini spielte einst in einem Konzert, als ihm das Unglück zustieß, daß während des Spieles eine der vier Saiten seines Instrumentes sprang. Ein anderer hätte wohl anfgehört zn spielen, er aber setzte seinen Stolz darein, trotzdem weiter zu spielen. Da aber geschah das Unerwartete, daß noch eine weitere Saite zersprang, ja zuletzt auch die dritte, so daß nur eine einzige übrig blieb. Der große Künstler aber machte sich eine Ehre daraus, auf dieser einzigen Saite seine Meister¬ schaft zu zeigen, um auch vermittelst dieser einen Saite dem Instrumente eine Musik zu entlocken, wie sie kein anderer dem vollbesaiteten In¬ strument abgewonnen hätte. Die größere Schwierigkeit reizte ihn zu um so größerer Betätigung seiner künstlerischen Fähigkeit. Was uns diese Geschichte lehren will, kann uns Tolstois Erzählung von jenem einfältigen Mönch verdeutlichen, der, durch steigende Krankheit aller seiner Kräfte beraubt, zuletzt völlig gelähmt, völlig hilflos ans Lager gefesselt war. Aber nichts vermochte die stille, strahlende Heiterkeit seiner Seele zu verdunkeln. Seine Klosterbrüder kamen zu ihm, um sich an diesem Seelenfrieden zu erquicken, ja, der Ruf seiner Frömmigkeit verbreitete sich, daß von den Enden Rußlands die Pilger kamen, um den heilig- frommen Mann zu schauen, der ohne Wort und ohne Tat eine Predigt von Gottes allmächtiger Liebe hielt, gewaltiger als die vieler geistig und körperlich Bevorzugten. «Der morgende Tag wird für das Seine sorgen-, sagt der Heiland. Er kann für das Seine sorgen, es gibt auf Erden keine Prüfung, keine Erniedrigung und keinen Verlust, die wir nicht durch die Macht des Geistes zu einem Segen umzuschaffen vermöchten. Wenn wir das als felsenfeste Gewißheit ins Herz schließen, dann können wir der Zukunft ihre Sorgen überlassen, weil wir wissen, für neue Aufgaben weiden sich neue Kräfte einstellen. Wie dort zu Wien vor der Burg am Denkmal Kaiser Josefs des Zweiten geschrieben steht: «Mn ckiu osä totus» — nicht lange, aber ganz — so wollen wir der Gegenwart leben. «Sorget nicht für den andern Morgen», nicht in dem Sinne, daß wir nicht alles, was die Zukunft bringt, eifrig überdächten, aber in dem Sinne, -daß wir alle diese Sorge werfen auf Gott, der allein für uns sorgt. Denn du bist an Bord eines Schiffes, das du nicht steuern könntest, selbst wenn der große Kapitän dich ans Steuer stellte. Auf dem dir nicht einmal soviel kannst, wie ein Segel reffen, und doch schaffst du dir Pein, als wärst du Kapitän und Steuermann. O, fei gelassen, Gott ist Meister! Oder denkst du, all dieser Lärm und Aufruhr bedeute, daß Gott seinen 7 Thron verlassen hat? Nein, Mensch, seine Renner stürmen rasend weiter nnd sein Wagen ist der Sturm, aber ein Zaum ist in ihren Mäulern und er hält die Zügel fest und leukt sie, wie er will! Gott ist uoch Meister! Sei ohne Furcht! (Spurgeon.) Allen Kummer, alle Befürch¬ tungen über die Zukunft dürfen wir werfen auf ihn, wie im Märchen - Hans im Glück» seinen schweren Stein in den Brunnen wirft — denn es «kann dir nichts geschehen», wo du ihn für dich wahrhaft sorgen lässest. Oder vielmehr, es muß dir Gutes und nur Gutes geschehen nach jenem Wort aus Prophetenmund: «Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Die Knaben werden müde und matt und die Jünglinge fallen. Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie anffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.» A m e n. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde in Laibach. Druck von Kleimnayr L Bamberg in Laibach. Gott im Dunkeln. Predigt irr der evangelischen Christuskirche in Laibach gehalten am 2. August 1908 von Pfarrer Hegemann. Text: «Der Herr hat geredet, er wolle im Dunkeln wohnen.» 1. Kön. ?, 12. Es ist eine tief beschämende Erfahrung, daß wir Christen, indem wir uns über Fragen unsres Glaubens streiten — ich selbst habe ja in den letzten Tagen einen solchen Streit in die Öffentlichkeit getragen, — doch in den allereinfachsten Voraussetzungen dieses Glaubens so oft und so leicht wankend werden. Laßt irgend einen erschütternden Unglückssall über eine Familie oder ein Gemeinwesen hereinbrechen — und ein solcher erschütternder Unglücksfall hat sich ja in unsrer kleinen Gemeinde vor kurzem ereignet, — wievicle sind es dann wohl, die ein solches Ereignis ernstlich mit dem Glauben an eine allwaltende Liebe vereinigen können? Die nicht vielmehr sprechen: «Was sollte Gott nach uns fragen? Was sollte der Höchste unser achten» (Psalm 73, I I). Nimmermehr läßt sich dies Furchtbare mit dem Glauben an den allmächtigen und alliebenden Gott vereinen. -Sein Vatcrherz würd' es nicht ertragen», seine Menschen so leiden zu sehen. -Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb-, das ist heute wie in den Tagen Hiobs die Schlu߬ folgerung, die man aus zermalmenden Unglncksfällen zieht. Nicht streiten über die begriffliche Ausprägung unsres Glaubens, sondern gewiß werden über den Grund dieses Glaubens, nicht einreißen, sondern bauen, das ist und bleibt gewiß unsre vornehmste Pflicht. Bleibt sie doch ewig wahr, die Schnsuchtsklage des Psalmisten: «Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin 2 kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?» (Psalm 42, 3). Gottes inne und gewiß zu werden, ist unser aller tiefstes, wenn auch vielleicht un¬ bewußtes Sehnen. Und es ist uns zum Trost gesagt, so oft sich Gottes Angesicht nns verhüllt in schwarzen Trübsalsschleiern, es ist uns gesagt zur Mahnung, ihn dennoch nicht zu lassen, mögen wir scheinbar auch von ihm verlassen sein, was wir heute als göttliche Botschaft vernehmen: «Der Herr hat geredet, er wolle im Dunkeln wohnen.» Es ist ein Tcmpelweihewort Salomos, der es noch nicht begriffen hatte, daß der Allerhöchste «wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind- (Apostg. 7, 48). Im tiefsten Dunkel des Allerheiligsten, in das kein Licht¬ strahl drang, dachte er sich Gott thronend, umhüllt von den Flügeln der Cherubim. Es war dieselbe Vorstellung, die bei den Griechen sich fand, wenn sie das Gottesbild im feierlichen Dunkel des fast lichtlosen Tempel- innern aufstellten. Gott seinem Volke gegenwärtig, in seiner Mitte wohnend, dennoch ihm verborgen, das ist der tiefe Sinn, der hier zugrunde liegt. Und das Nene Testament gibt dem ja recht, wenn es auch dort heißt: «der da wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann» (l. Tim. 6, 16). Gott ist verborgen! Und dennoch strebt das Menschenherz diesem verborgenen Gotte zu und ist unruhig, bis es Ruhe gefunden hat in diesem Gott, wie die Magnetnadel unruhig ist, bis sie im verborgenen Pol den Punkt der Ruhe gefunden hat. Einer der hervorragendsten Sprach- und Religionsforscher unsrer Zeit (Max Müller, Oxford) weist einmal darauf hin, daß unter allen Völkern und zu allen Zeiten der Gottesglaube sich findet und daß in dieser Allgemeinheit ein gewaltiges Zeugnis für die Wahrheit dieses Glaubens zu suchen ist. Nicht Priester¬ wahn und Pricstertrng, nicht Aberglaube und Irrtum der Denknnfähigen, wie so vielfach behauptet wird, kann ein Glaube sein, der mit solcher Bestimmtheit auf allen Stufen des Kulturlebens auftritt. Gewiß, es gab Zeiten, in denen dieser Glaube scheinbar zu verlöschen schien. Wir selbst leben in einer Zeit, in der Gottesbedürfnis und Gottessehnsucht vielfach erstorben zu sein scheint, in der «das wahrhaftige Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in die Welt kommen- (Joh. l, 9), nur matt zu brennen scheint. Aber die Geschichte lehrt uns doch auch, daß mitten in der Finsternis des Unglaubens und Aberglaubens das ewige Licht wieder zu leuchten begann. «Die Finsternisse haben es nicht begriffen-, aber auch nicht ans- znlöschen vermocht. In ruhiger Pracht, wie die leuchtende Mondesscheibe, di^ aus dunklen Wolkenmassen in Klarheit hervortritt, setzt cs seinen majestätischen Lauf weiter fort. Es mag in unsrer Zeit mit der Religion 3 noch trauriger werden, als es schon ist, die Religion kann darum doch nicht sterben. In Wellenbewegungen geht ihr Gang. Auf Wellental folgt Wellenhöhe. Die tiefe Erschlaffung religiösen Lebens in unfern Tagen soll uns vorbedeutend sein — im Zusammenhang größerer Zeiträume — auf eine Zeit, da «das Land voll Erkenntnis des Herrn sein wird, wie Wasser, welches das Meer bedeckt» (Habakuk 2, 14). Dieser Glaube, der so tief und allgemein mit der Menschennatur verknüpft ist, muß im Menschenherzen eine unzerstörbare Wurzel haben. Ich suche diese Wurzel in dem Gefühl von der Unzerstörbarkeit und Unüber- wiudlichkeit des Lebens. Gewiß, kostbares Leben wird zum Raub des Todes. Millionen von Samen werden ausgestrent, Millionen von Blüten keimen auf und aus den Blüten reifen Früchte und Samen, aber Er¬ füllung und Hoffnung können niemals völlig zusammenstimmen. Lebens¬ vollendung wird nur immer einem unendlich kleinen Teil des vorhandenen Lebens zuteil. Und doch, wenn noch so viel Leben zerstört wird, das Leben selbst, das aus aller Vernichtung heraus sich ewig erneut, das gerade aus Tod und Verwesung heraus Leben schafft, aus Ruinen Neues erblühen läßt, das bleibt. Andächtig stehen wir vor dieser Lebensfülle, die aus nie versiegendem Borne hervorsprudelt, die aus allem Winter neuen Frühling, aus allem Verblühen neues Saatkorn hervorbringt. Ein Lebensüberfluß unendlich reicher Kräfte spottet des Kleinglaubens, welcher Not nnd Untergang anschaut und dabei vergißt, wie übermächtig ein sieghaftes Leben allüberall über dem Staube triumphiert. Und wenn wir dann erschauernd dieser Unendlichkeit, die Zeit und Raum durch¬ flutet, iuue werden, wenn wir erkennen, vor ihr weniger zu sein als das Sandkorn am Ozean, als das Tröpflein am Eimer, da muß das Gefühl der Nichtigkeit über uns kommen, in tiefer Demut beugen wir uns vor dem Unendlichen, vor dem wir nichts sind. Und doch in dies Gefühl der Kleinheit nnd Ohnmacht mischt sich sofort ein andres, jenes Gefühl Jakobs: «Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit nnd aller Trene, die du an deinem Knechte getan hast» (l. Mos. 32, 10). -Seit der Jugend ersten Tagen hast du treulich mich geführt», diese Empfindung tiefsten Dankes vor dem Walten einer Macht, die unser Leben durch Schuld und Not hindurchführt zu Zielen und Zwecken, die wir nicht verstehen, ergreift uns. Vor jener Macht, -die unerforschlich, unergründet, dem tiefsten Herzen sich verkündet, doch schweiget vor dem Sonnenlicht». Was ist sie anders diese Empfindung, die unzählige Fromme gehabt haben, als die Gewißheit, daß wir bei aller unsrer Kleinheit dennoch ein Teil des ewigen Geistes sind, fähig, die 4 Weltgesetze zu erfassen und zu beherrschen und zur Geistesruhe mitten in allem Sturm uns dnrchzukämpfen. So erfahren wir an uns Ohnmacht unsres natürlichen und Macht unsres geistigen Lebens. Beides führt uns zu dem hin, dessen -Kraft in den Schwachen mächtig ist» (2. Kor. 12, 9), aus beidcm aber würde noch nicht die volle beseligende Gotteserkenntnis heranswachsen, wenn nicht ein drittes hinznkäme, was uns erst völlig Gottes gewiß macht: die Schuld.