LINGUISTICA XXXVIII,1 BESEDILNE VRSTE V MEDKULTURNI KOMUNIKACIJI -XTSORTEN IN DER INTERKULTURELLEN KOMMUNIKATION LINGUISTICA XXXVIII,1 BESEDILNE VRSTE V MEDKULTURNI KOMUNIKACIJI -TEXTSORTEN IN DER INTERKULTURELLEN KOMMUNIKATION Ljubljana 1998 Revijo sta ustanovila jStanko Škerlj in tMilan Grošelj Revue fondee par jStanko Škerlj et tMilan Grošelj Zbornik so uredili - Melanges rediges par Janez Orešnik - Mitja Skubic - Pavao Tekavčić Siegfried Heusinger - Niko Hudelja Natis letnika je omogočilo MINISTRSTVO ZA ZNANOST IN TEHNOLOGIJO REPUBLIKE SLOVENIJE Ob sodelovanju ZNANSTVENEGA INŠTITUTA FILOZOFSKE FAKULTETE UNIVERZE V LJUBLJANI Sous les auspices du MINISTERE DES SCIENCES ET TECHNOLOGIES DE LA REPUBLIQUE DE SLOVENIE avec le concours de L'INSTITUT DE RECHERCHES SCIENTIFIQUES DE LA FACULTE DES LETTRES DE L'UNI VERSITE DE LJUBLJANA Oddelek za germanske jezike in književnosti Filozofske fakultete Univerze v Ljubljani Abteilung für germanische Sprachen und Literaturen der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana Zbornik mednarodnega simpozija BESEDILNE VRSTE V MEDKULTURNI KOMUNIKACIJI Ljubljana, 7.-9. maja 1997 Sammelband zu den Beiträgen des internationalen Symposions TEXTSORTEN IN DER INTERKULTURELLEN KOMMUNIKATION Ljubljana, 7.-9. Mai 1997 Programski odbor - Programmausschuß v prof. dr. JANEZ OREŠNIK Član SAZU - Akademiemitglied prof. dr. ANTON JANKO Filozofska fakulteta Univerze v Ljubljani -Philosophische Fakultät der Universität Ljubljana prof. dr. NEVA ŠLIBAR Filozofska fakulteta Univerze v Ljubljani -Philosophische Fakultät der Universität Ljubljana prof. dr. SIEGFRIED HEUSINGER gostujoči profesor - Gastprofessor Filozofska fakulteta Univerze v Ljubljani -Philosophische Fakultät der Universität Ljubljana prof. dr. MIRKO KRIŽMAN Pedagoška fakulteta Univerze v Mariboru -Pädagogische Fakultät der Universität Maribor Organizacijski komite - Organisationskomitee prof. dr. ANTON JANKO prof.dr. SIEGFRIED HEUSINGER Tajništvo organizacijskega komiteja - Sekretariat as. mag. ADA GRUNTAR JERMOL as. DARKO ČUDEN VORWORT "Textsorten in der interkulturellen Kommunikation" - unter diesem Rahmenthema veranstaltete die Abteilung für germanische Sprachen und Literaturen, Lehrstuhl deutsche Sprache, an der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana vom 7. bis 9. Mai 1997 ihr zweites Symposion zur Textsortenproblematik. Sprachwissenschaftler aus Deutschland, Italien, Kroatien, Österreich, dem Gastland Slowenien und Tschechien stellten ihre Forschungsergebnisse zur Diskussion. Wir haben die Referate in diesem Sonderheft abgedruckt und erhoffen uns mit ihrer Veröffentlichung die Weiterführung der Auseinandersetzung um dieses aktuelle und aspektreiche Thema. Bereits 1994 richteten wir ein Symposion zur Textsortenproblematik unter dem Rahmenthema "Prototypisches in Textsorten" aus (wir verweisen auf die Veröffentlichung der Beiträge in der Zeitschrift "Linguistica", Heft XXXV, 1 Besedilne vrste - Textsorten, Ljubljana 1995). Schon damals wurde die Diskussion in den meisten Beiträgen vom interkulturellen Aspekt mitbestimmt. Das ergab sich zwangsläufig aus der Behandlung des Gegenstandes von einem internationalen Teilnehmerkreis, der nicht nur theoretische Fragen zur Klärung der Problematik um das Thema "Textsorten/ Textklassen" aufwarf, sondern das Bedürfnis auch auf Fragen des Faches "Deutsch als Fremdsprache" lenkte. Der Wunsch, die Diskussion im Kreis der Teilnehmer fortzusetzen, wurde in der Abschlußrunde 1994 als ferneres Ziel formuliert. Im Mai 1997 trafen wir uns erneut unter dem spezielleren Thema der interkulturellen Kommunikation. Textsorten als kulturgeprägte Phänomene sind auf die Sprache bezogen, in der kommuniziert wird. So gesehen, ist Interkulturalität kein Merkmal textualer Muster, nach denen konkrete Texte gestaltet sind, es sei denn, daß sich "überkulturelle" Texte in der internationalen Kommunikation herausbilden bzw. bereits herausgebildet haben. Eine in diese Richtung gehende Beobachtung war (noch) nicht Gegenstand des Symposions. Vielmehr wurden Fragen nach der Kulturalität von Textsorten gestellt, die in der internationalen Kommunikation als Inhalte des Sprachwissens Verstehen und Verständigung sichern. Ulla FIX schlug deshalb in ihrem Beitrag (in diesem Heft) vor, die sieben Merkmale der Textualität (nach de BEAUGRANDE/DRESSLER) um das Merkmal der Kulturalität zu erweitern. Aus diachronischer Sicht haben Textmuster nur selten ein kulturelles Eigenleben bewahrt. Determinanten aus anderen, auch aus vergangenen Kulturen sind in ihnen aufgehoben. Auch dieser Aspekt spielte in einzelnen Beiträgen eine nicht unwesentliche Rolle. Viele Referenten wiederum setzten sich mit sehr praktischen Fragen der interkulturell bedingten Verstehens- und Verständnissicherung auseinander. Leider erfaßt der Abdruck der Referate in diesem Heft nicht auch die Diskussion dazu, der wir relativ viel Zeit eingeräumt hatten. Viele einzelne Fragen wurden konfrontativ - und über diese Auseinandersetzung weiterweisend - diskutiert. Ein besonderes Anliegen war es uns auch, junge Wissenschaftler, die erst am Anfang ihrer Laufbahn stehen, in die Diskussion einzubeziehen. Wir danken allen Beiträgern sehr herzlich. Siegfried Heusinger Anton Janko Siegfried Heusinger Universität Ljubljana UDK 8142:008 KULTURELLE ASPEKTE VON TEXTSORTEN 1. Die Lehnbezeichnung "interkulturell" gehört zweifellos zu den jüngeren Lexemen, wenngleich sie der neue Duden, Jahrgang 1996, noch nicht verzeichnet. Auch von einer "gewissen Inflationierung" ihres Gebrauchs - so jedenfalls Lutz Götze (1992, 3) - kann man wohl nicht reden. Die Etablierung neuer Lehrbereiche und Lehrdisziplinen an deutschen Hochschulen mit den Bezeichnungen "Interkulturelle Germanistik",1 Konzepte interkulturellen Lernens,2 "Interkulturelle Hermeneutik"3 zeigt allenfalls Unsicherheiten in der semantischen Bestimmung des jungen Begriffs an. Es bleibt aber ein positiv konnotiertes Verständnis, das getragen ist vom Willen zum Dialog der Kulturen und vom Geist der Toleranz. Weit häufiger werden parallele Entwicklungen in der Weltwirtschaft verbalisiert. Die Rede ist von "Globalisierung", "globalisierter Wirtschaft" bzw. (in einem Gespräch der Zeitschrift "Deutschland" mit einem Bonner Politiker, Heft 5/96, S. 8) von "globalisierter Weltwirtschaft". Kulturen umfassen bekanntlich alles im Leben menschlicher Gemeinschaften historisch Gewachsene wie auch das Aktuelle, gegenwärtig Gepflegte, d.h. Kunst und Wissenschaft, Gewohnheiten und Gebräuche, die Sprache in ihrem Werden und Sein, die materielle wie die geistige Produktion, Gesetze und Regeln im menschlichen Zusammenleben, Wertesysteme und die Art, sich zu verhalten. In dieser umfassenden Bestimmung tangieren sie auch ökonomische Entwicklungen. Kulturen sind anpassungs- und entwicklungsfähig, aber auch ebenso sensibel gegenüber Mißachtung und Intoleranz. Mit diesem Kulturverständnis ist die interkulturelle Kommunikation nicht zu begreifen als Kommunikation zwischen Menschen verschiedener kultureller 1 vgl. "Gesellschaft für interkulturelle Germanistik" wie auch das Studienfach "Interkulturelle Germanistik" an der Universität Bayreuth (nach Linguistik-Handbuch, hrsg. von Wilfried Kürchner, Tübingen 1994, S. 629 f.) - Das ist eine m. E. wenig geglückte (weil akollokative) Bildung, die partiell synonymisch für "Deutsch als Fremdsprache" steht. 2 Derlei Konzepte orientieren auf die Spezifik einer zu erlernenden Zweit- oder Drittsprache im Vergleich zur Erstsprache. 3 Zweifellos ist eine der kommunikativen Bedingungen zur Erklärung und zum Verständnis von Texten der kulturelle Hintergrund ihrer Entstehung. Zwar läßt sich der Begriff der Hermeneutik nicht nur im klassischen Sinne als "Methode des Verstehens" bzw. als "Verstehenslehre" definieren, sondern (z.B. bei K.O. Apel, nach H. Seiffert 12 f.) auch auf elementare schwer verständliche Aussagen anwenden, dennoch fällt es mir schwer, vor dem Hintergrund der HermeneutikGeschichte den Begriff der "interkulturellen Hermeneutik" zu akzeptieren. Bindungen in einer vereinbarten Sprache, sondern sie ist ethnisch wie auch ethisch angepaßtes Verhalten in der kommunikativen Interaktion. Ich möchte daraus herleiten, daß "interkulturell" bzw. das entsprechende Substantiv zunächst ein Verhalten verbalisiert, z.B. durch ritualisierte Höflichkeitsbezeugungen in verschiedenen Kulturräumen. Dabei wird die Kenntnis der Rituale vorausgesetzt. Um die Kenntnis des historisch Überlieferten und Gewachsenen in einer fremden Kultur geht es auch, wenn Texte übersetzt und an fremde Textmuster angepaßt werden müssen. Ich komme darauf noch zurück. Ganz anders zeigt sich das Interkulturelle in der sog. "Alltagshermeneutik", wie sie Helmut Seiffert einmal nannte (1992, 224). Hier geht es um das Verstehen bzw. Mißverstehen vor allem von Wendungen, deren Bedeutung oftmals bereits idiomatisiert ist. So wird beispielsweise die im Slowenischen häufig gebrauchte Höflichkeitsbezeugung izvoliti (in ihrer eigentlichen Bedeutung wählen, auserwählt sein) in der Bedeutung verwendet Bitte!, Bitte, nach Ihnen! wenn jemandem der Vortritt gelassen wird oder ihm eine Speise gereicht wird. Verläßt man am Abend ein Restaurant, grüßt man allenfalls beim Hinausgehen mit lahko noč, was übesetzt Gute Nacht! heißt. Im Deutschen würde man sich mit einem Auf Wiedersehen verabschieden, auch dann, wenn man gar nicht die Absicht oder vielleicht auch nicht den Wunsch hat, den Kellner oder einen zufälligen Tischnachbarn wiederzusehen. Es handelt sich um idiomatisierte Wendungen im zwischenmenschlichen Kontakt. Ebenso problematisch kann die Übersetzung von Termini in der interkulturellen fachsprachlichen Kommunikation sein. Zwar zeigt sich in den Fachsprachen eine Tendenz zur Internationalisierung. Aber es bleibt noch ein reicher Wortschatz, der mehr auf Vereinbarung und Überlieferung beruht als auf aktuellem Semantikverständnis. Schon der juridische Wortschatz in den deutschsprachigen Ländern Deutschland und Österreich weicht in vielem voneinander ab, weil er verschiedene historische Wurzeln hat. Ein österreichischer Minister wird beispielsweise angelobt, ein deutscher Minister vereidigt. Mit diesen Beispielen aus der Kommunikationspraxis referiert das Lexem "interkulturell" auf Unterschiede in der Benennungsmotivation. Es sind kulturspezifische semantische Gegebenheiten in der Alltags- und Fachkommunikation. Mit einer weiteren Bedeutung ist "interkulturell" auch zu beziehen auf den Austausch von Erfahrungen und Ideen, auf den Dialog von Kulturen, so daß folglich das noch recht junge Lexem bereits zu einem polysemen Wort mit positiver Konnotation geworden ist. 2. Im folgenden wird versucht, kulturelle Aspekte auch auf Textsorten zu beziehen. Kulturell deshalb, weil Textsorten bzw. Textmuster in ihrer kulturellen Tradition existieren. In einer fremdsprachlichen kommunikativen Situation werden sie der kulturellen Tradition angemessen, der auch die vereinbarte Sprache zuzuordnen ist. Die kulturelle Tradition von Textsorten kann für den Einzelfall in Frage gestellt werden. Das ist dann der Fall, wenn zumeist aus ökonomischen und verwaltungstechnischen Zwängen vornehmlich im Kommunikationsbereich der Direktive/ Administration Textmuster in der Form von Antragsformularen, Steuererklärungen, Vollmachten u.a.m. entstehen. Es sind vorgeschriebene Muster, die momentan als zweckmäßig angesehen werden und die nur insofern an Traditionen gebunden sind, als das Formularwesen in jedem Staatsgebilde seine Geschichte hat. Kulturprodukte sind sie allemal. Aber auch dieser sog. präskriptive Typus von Textsorten (vgl. S. Heusinger 1995, 15) hat seine Vorbilder. Es ist eine neue Situation, eine neue situative Anforderung, die bisherige Interna des Textmusters verändert hat. G. Diewald verneint deshalb, daß Textsorten auch textexterne Merkmale hätten: "Vielmehr sind ihre 'textinternen' Merkmale, also die gesamten Textsortenmerkmale, von den 'textexternen', also situativen, Merkmalen bestimmt" (1991, 266). Die Herausarbeitung kultureller Aspekte von Textsorten ist nicht unproblematisch, weil man nach dem Stand der Diskussion4 für die Musterbeschreibung - soweit sich daraus mehrfach Akzeptiertes herleiten läßt - mindestens auf folgende Merkmale schließen kann: 1. Die situative Einbettung (soweit sich aus der jeweils konkreten Situation für das einzelne Textexemplar ein situativer Rahmen für die Textsorte abstrahieren läßt. Ein Lebenslauf z.B. richtet sich meistens an eine Institution oder einen Betrieb. Folglich ist er hinsichtlich der sozialen Situation offiziell gebunden. Der Tätigkeitsbereich [Handlungsbereich] ist zumeist die Direktive/Administration, woran die Erwartung geknüpft ist, daß er authentisch und sachlich ist; die Situation ist auch durch die Kommunikationsrichtung und den Kanal charakterisiert: dialogisch, monologisch; mündlich, schriftlich, fernmündlich) 2. Die dominierende Intention bzw. die kommunikative Zwecksetzung. Sie korreliert mit der Textsortenfunktion (ein Lebenslauf will informieren, ein Kochrezept anleiten, unterweisen [instruieren]) 3. Das generelle Thema (als der Leitgegenstand, als die gesellschaftlich erwartete Grundidee) 4. Sprache/Stil (erwartbare sprachliche Existenzform und Stilschicht: z.B. Standardsprache, gehoben oder normal; Musterhaftes in der Stilgestaltung) 5. Komposition (Themaentfaltung, Anordnung der Inhalte, z.B. für einen Lebenslauf chronologische oder thematische Anordnung) Zu fragen ist, ob alle diese Merkmale auf jede Art von Textsorten bezogen werden können. Ist beispielsweise das Sprichwort eine "Textsorte"? Nach M. Wierschin sind Textsorten nicht als komplexe Muster sprachlicher Handlungen zu definieren, sondern als "feste clichehafte Denk- und Aussageschemata, als vorgefertigte Formeln, Phrasen, Zitate, Wendungen" (...) auch als "Phraseologismen und Sprichwörter in Einzeltexten" (1995, 69). Es sind - wie M. Wierschin gleichfalls betont - "stilistische Fertigteile" (1995,65). Nun sind Textsorten in der Tat keine Texte, sondern textuelle Muster, die als "wichtige Entscheidungsinstanz für Effizienz, Effektivität und Angemessenheit" dienen können (R.-A. de Beaugrande/ W.U. Dressler 1981, 193). Aber sie implizieren das semantische Merkmal "textuell", was für Phrasen, Formeln, Wendungen, also für 4 Einen weitgreifenden Überblick über den Forschungsstand zur Beschreibung von Textsorten gibt G. Diewald in ihrem Buch "Deixis und Textsorten im Deutschen", 1991, 272 ff. elementare Muster auf der Satzebene nicht zutrifft, obwohl es - wie bekannt - auch Texte gibt, die aus weniger als einem Satz bestehen. Die aus diesen Überlegungen entstandene Problematik kann auch nicht mit einem Hinweis auf etwa unzulängliche zeichentheoretische oder handlungstheoretische Textdefinitionen erklärt werden. Es sind offensichtlich randlinguistische Phänomene. Sprichwörter, selbst Wortgruppen, können erklärtermaßen als Texte angesehen werden, wenn sie als Produkte sprachlich-kommunikativer Handlungen in sich geschlossene thematische Einheiten bilden. Nur lassen sich beispielsweise Sprichwörter nicht auf ein formales Text- und Strukturmuster zurückführen. Aber sie folgen einem Intentionsmuster, denn bei weitgehender Generalisierung ihrer Sinnhaftigkeit vermitteln sie bewahrte Volksweisheiten, die mit persuasiver oder belehrender Funktion in der Kommunikation gewählt werden. Daraus ist zu schließen, daß (1) der Textsortenbegriff sehr weit oder sehr eng definiert werden kann (je mehr Textsortenmerkmale/Invarianten angenommen werden, desto enger wird der Textsortenbegriff) und (2) daß bei bekannter Dualität von funktionaler Varianz und freier Varianz im Textgestaltungsprozeß die freie Wahl der Mittel in den Überlegungen zur Anwendung der Muster in sprachlichen Handlungen noch mehr Aufmerksamkeit bei ihrer wissenschaftlichen Behandlung erfordert. Ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Geschichte erweisen sich Textsorten als kulturelle Entitäten. Für die Kommunikationsteilnehmer sind sie in der zwischenmenschlichen Verständigung erfahrene, weil überlieferte, zumeist unterbewußt gespeicherte Orientierungsmuster, die mehr oder weniger Entscheidungen der Kommunizierenden im Sprachgestaltungsprozeß steuern. Mit dem Verständnis, Textsorten als Erfahrungen zu begreifen, die im Alltagsbewußtsein bewahrt sind, sind sie Elemente einer Kultur, die dem Einzelnen wie der ganzen Nation gehören. Allerdings ist das National- bzw. Kulturspezifische in vergleichbaren Textsorten verschiedener kultureller Herkunft, das uns in der fremdsprachlichen Kommunikation sehr interessiert, vornehmlich in traditionellen Formulierungs- und Gestaltungsmustern zu suchen. Andere Textsortencharakteristika wie die situative Einbindung, die kommunikative Zwecksetzung, die thematische Bindung und die Komposition haben -wie ich behaupten kann - kaum eine kulturspezifische Prägung. Für gesicherte Aussagen fehlen jedoch noch Untersuchungen. Unterschiede in der Formulierung und Textgestaltung, die mit verschiedenen Sprachsystemen erklärt werden müssen, gründen sich auf verbalisiertes Verhalten, z.B. durch Gruß- und Anredeformen, durch die Verbalisierung von Distanz, Offizialität, Zuneigung, Rollenzuweisung. Im Traditionellen verhaftet ist auch der Grad der Informationsdichte (z.B. zwischen slowenischen und deutschen sog. ausführlichen Lebensläufen). Selbst die Geschlechterrolle mit der heute überlebten Auffassung, die Frau allein sei für die Küche zuständig, kann ein verbalisiertes Element des Textmusters sein, wie das beispielsweise noch im vergangenen Jahrhundert in slowenischen Kochrezepten der Fall war. Das Formulierungs- und Gestaltungsprofil des Textes - nennen wir es Textsortenstil - ist (wie W. Fleischer, G. Michel und G. Starke 1993, 35 betonen) nicht über einzelne Stilelemente des für eine Textsorte charakteristischen Stils beschreibbar, sondern über sog. Stilwerte. So kann beispielsweise durch die bevorzugte Verwendung von Indefinitpronomina, Passivkonstruktionen und dem erweiterten Inifintiv ein hoher Grad an Unpersönlichkeit für eine spezifische Textsorte realisiert und sozial erwartet werden. Das Unpersönliche im Ausdruck ist der Stilwert, der für einen bestimmten Textsortenstil kennzeichnend ist. Auch der o.g. Grad unterschiedlicher Informationsdichte für slowenische und deutsche Lebensläufe ist als Stilwert anzusehen. Beim Vergleich deutscher und slowenischer Textsorten ist von einer Affinität auszugehen. Einige wesentliche Gründe dafür liegen wohl — in der zeitweilig gemeinsamen Geschichte mit der Habsburger Monarchie und der daraus resultierenden gegenseitigen Befruchtung der Kulturen, was die jeweils eigenen Wurzeln, eigenen Lebenshaltungen, eigenen Gefühle aber nicht in Frage stellt bzw. jemals in Frage gestellt hat, — im Trend zur Internationalisierung der Textsorten, der mit den immer enger werdenden Bindungen der Volker in allen Lebensbereichen korreliert, — im entfalteten Dialog der Völker mit Unterstützung der Medien, der Reisetätigkeit und zwischenstaatlich geförderter Maßnahmen, — in der Eingliederung in die zum Beispiel europäische Kultur, der gemeinsame Stile, gemeinsame historische Epochen, gemeinsame aktuelle Fragen inhärent sind. In diesem Spezialfall möchte ich von "affinen Textsorten" sprechen. Sie verhalten sich zueinander wie verwandte Personen, die dennoch verschiedene Individuen sind. Verwandtes im geschichtlichen Prozeß und Trennendes liegen dicht beieinander. Das "kulturell Einmalige" in deutschen und slowenischen Brief-Textsorten (und nicht nur für diese Sprachen), wenn man es nicht diachronisch betrachtet, zeigt sich auffällig in den Anrede- und Grußformen. Nur geringe Unterschiede bestehen in der offiziellen schriftlichen Kommunikation, wie aus nachstehender Übersicht hervorgeht: Sehr geehrte Damen und Herren Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren Sehr geehrter Herr Meyer Sehr geehrter Herr Professor Nur bei gleichem Status Lieber Herr Meyer Spoštovani, Spoštovane dame, Spoštovani gospodje, Spoštovani gospod Majer Spoštovani/cenjeni gospod profesor Dragi gospod Majer ohne Damen, Herren nur in mündlicher Kommunikation "cenjeni" klingt veraltend nur selten verwendet Mit freundlichem Gruß/ freundlichen Grüßen Hochachtungsvoll Prisrčen pozdrav/ Prisrčne pozdrave Lepe pozdrave/ Lep pozdrav S spoštovanjem bei gleichem Sozialstatus bei ungleichem Sozialstatus Speziellere Anrede- und Grußformen z. B. im Schriftverkehr mit Ministern, Botschaftern habe ich nicht berücksichtigt. Der Gruß Prisrčen (herzlich) ist im deutschen offiziellen Schriftverkehr nicht zu finden. In slowenischer offizieller schriftlicher Kommunikation entsprechen die "herzlichen Grüße" den deutschen Grußformen Mit freundlichen Grüßen/Mit besten Grüßen. Es werden besonders gute, dennoch offizielle Beziehungen zu sozial Gleichgestellten angezeigt. Auch in persönlichen Briefen ist die Form Herzliche Grüße im slowenischen Briefverkehr zwischen nahen Verwandten mit sehr guter inniger Beziehung zu finden, z.B. in der Form Prisrčno te pozdravlja tvoja... (Sei herzlich gegrüßt von Deiner ...). Der Gebrauch des Adjektivs herzlich in slowenischer offizieller wie auch intim-verwandtschaftlicher Kommunikation zeigt weniger die Besinnung auf die konnotative Semantik an als vielmehr den rituellen Gebrauch. Es sind Formeln in Umgangs- und Grußritualen, die zu unserer Kultur gehören und die wir pflegen. Viele dieser Formeln beispielsweise im offiziellen Briefkontakt zu Institutionen sind zu leeren Formeln verblaßt. Dazu gehört zweifellos im Deutschen die Anrede Sehr geehrte Damen und Herren und der Briefabschluß Mit freundlichem Gruß. Dennoch haben diese Formeln eine Funktion. Sie sind notwendige rahmenbildende Elemente eines Textmusters. Fehlen sie oder weichen sie von der erwarteten Form ab, werden positive oder (zumeist aber) negative Effekte hervorgerufen. Man stelle sich eine schriftliche Mahnung des Finanzamtes mit der Anrede Lieber Steuerzahler vor. Es wäre ungewöhnlich schön.Vöm Unerwarteten ausgehende Effekte sind in interkultureller Kommunikation in der Regel nicht beabsichtigt, aber sie werden gern verziehen. Wie beständig Überliefertes in ritualisierten Formeln ist, zeigt ein Antrag zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs 1992 an das niedersächsische Landesgericht Hannover. Beantragt wurde, die offizielle Anrede Sehr geehrte Frau Meyer durch die amtliche Anrede Sehr geehrte Dame Meyer zu ersetzen. Begründet wurde der Antrag mit der gebräuchlichen analogen männlichen Form Sehr geehrter Herr Meyer. Es war davon ausgegangen worden, daß das weibliche Pendant zu Herr nicht "Frau" sondern Dame sei. Die Antragstellerinnen waren zweifellos im Recht, doch der Antrag mußte mit dem Hinweis auf geläufige Anredeformeln zurückgewiesen werden. Auffällig beim Vergleich von Anredeformen im Slowenischen und Deutschen ist die situativ bedingte Vermeidung des im Deutschen wohl häufigsten Anredeadjektivs liebe in solchen Verbindungen Lieber Herr Dr. Meyer; Liebe Mutter (Mutti), Liebes Fräulein Sonja, lieber Papa u.a.m. Die Anrede Ljubi gospod dr. Mayer ist völlig undenkbar, weil das Adjektiv ljuba im Slowenischen auf eine sehr intime Beziehung verweist und deshalb anders als das deutsche Adjektiv konnotiert ist. Entsprechend ist es auch in seiner Extension mit Bezug auf Personen wesentlich enger als das deutsche Adjektiv liebe. Mit Bezug auf Gegenstände, Sachen ist es in seiner Extension wiederum weiter anwendbar, z.B. in der Bedeutung "wertvoll", "teuer" wie das ljubi kruhek (das liebe Brot). Im Slowenischen wäre es sehr ungewöhnlich, den leiblichen Vater in einem Brief mit Ljubi ati oder Ljubi očka anzureden. Hingegen ist es üblich, 12 dafür das Adjektiv drag zu verwenden, welches die Bedeutung "wertvoll", "teuer" mit Bezug auf Personen trägt, also dragi ati bzw. dragi očka. Ich fasse meine Überlegungen zu kulturellen Aspekten von Textsorten zusammen: 1. Mit unserem Kulturverständnis ist die terminologisierte Wortgruppe "interkulturelle Kommunikation nicht zu begreifen als Kommunikation zwischen Menschen verschiedener kultureller Bindungen, sondern sie ist ethnisch wie auch ethisch angepaßtes sprachlich-kommunikatives Verhalten an kulturelle Traditionen, der auch die vereinbarte Sprache unterliegt. 2. Das Adjektiv "interkulturell" referiert auf idiomatisierte Wendungen im zwischenmenschlichen Kontakt wie auch auf kulturell gebundene Unterschiede in der Benennungsmotivation 3. Das Adjektiv "interkulturell" ist auch zu beziehen auf den Austausch von Erfahrungen und Ideen, auf den Dialog von Kulturen. 4. Textsorten existieren in ihrer kulturellen Tradition, wobei das Kulturspezifische vornehmlich in traditionellen (aber entwicklungsoffenen) Formulierungs- und Gestaltungsmustern zu suchen ist. Andere Textsortencharakteristika wie die situative Einbettung, die kommunikative Zwecksetzung, die thematische Bindung und die Komposition haben offenbar kaum eine kulturspezifische Prägung. 5. Im Trend zur Internationalisierung der Textsorten erweisen sich die kulturell geprägten Textmuster vor allem zwischen angrenzenden Nationen häufig als affin. Literatur: de Beaugrande, Robert/Dressier, Wolfgang Ulrich: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen 1981 Diewald, Gabriele: Deixis und Textsorten im Deutschen. Tübingen 1991 Götze, Lutz: Interkulturelles Lernen und "Interkulturelle Germanistik" - Konzepte und Probleme. In: Deutsch als Fremdsprache, 29. Jahrgang, Heft 1, München/Berlin 1992, Seiten 3 bis 9 Heusinger, Siegfried: Textsorten in der interkulturellen Kommunikation. - Ein Problemaufriß. In: Besedilne vrste - Textsorten. Hrsg. von S. Heusinger und A. Janko, Zeitschrift "Linguistica". Heft XXXV,1. Ljubljana 1995, Seiten 7 - 20 Seiffert, Helmut: Einführung in die Hermeneutik. Tübingen 1992 Wierschin, Martin: Sprache, Text und Textsorten: Zur Problematik von Texttypologie. In: Besedilne vrste - Textsorten. Hrsg. v. S. Heusinger und A. Janko, Zeitschrift "Linguistica". Heft XXXV, 1. Ljubljana 1995, Seiten 53 - 79 Zusammenfassung Ich fasse meine Überlegungen zu kulturellen Aspekten von Textsorten zusammen: 1. Mit unserem Kulturverständnis ist die terminologisierte Wortgruppe "interkulturelle Kommunikation" nicht zu begreifen als Kommunikation zwischen Menschen verschiedener kultureller Bindungen, sondern sie ist ethnisch wie auch ethisch angepaßtes sprachlichkommunikatives Verhalten an kulturelle Traditionen der jeweils für den Kommunikations- akt vereinbarten Sprache. 2. Das Adjektiv "interkulturell" referiert auf idiomatisierte Wendungen im zwischenmenschlichen Kontakt wie auch auf kulturell gebundene Unterschiede in der Benennungsmotivation (z.B. anloben /österr./, vereidigen /dt./) 3. Das Adjektiv "interkulturell" ist ebenfalls zu beziehen auf den Austausch von Erfahrungen und Ideen, auf den Dialog von Kulturen. 4. Textsorten existieren in ihrer kulturellen Tradition, wobei das Kulturspezifische vornehmlich in traditionellen (aber entwicklungsoffenen) Formulierungs- und Gestaltungsmustern zu suchen ist. Andere Textsortencharakteristika wie die situative Einbettung, die kommunikative Zwecksetzung, die thematische Bindung und die Komposition haben offenbar kaum eine kulturspezifische Prägung. 5. Im Trend zur Internationalisierung der Textsorten erweisen sich die kulturell geprägten Textmuster vor allem zwischen angrenzenden Nationen häufig als affin. Povzetek KULTURNI VIDIKI BESEDILNIH VRST Svoja razmišljanja o kulturnih vidikih besedilnih vrst povzemam takole: 1. Terminologizirane besedne zveze "medkulturna komunikacija" ne moremo z našim razumevanjem kulture razumeti kot sporazumevanje med ljudmi, vezanih na različne kulture, temveč gre za jezikovno-sporazumevalno vedenje, ki je etnično kot tudi etično prilagojeno kulturnim tradicijam vsakokratnega, za sporočanjsko dejanje izbranega jezika. 2. Pridevnik "medkulturni" se nanaša na na frazeme v medčloveškem stiku kot tudi na kulturno vezane razlike v motivacijah za poimenovanje (npr. anloben /avstr./, vereidigen /nem./) 3. Pridevnik "medkulturni" je prav tako treba navezati na izmenjavo izkušenj in idej, na dialog med kulturami. 4. Besedilne vrte obstajajo v kulturni tradiciji, pri čemer je treba specifično kulturno iskati predvsem v tradicionalnih (a razvoju odprtih) vzorcih formulacij in oblik. Druge besedilnovrstne karakteristike kot tudi situacijska vpetost, komunikacijski namen, tematska vezanost in kompozicija imajo očitno komajda kultumospe-cifični značaj. 5. Glede na trend internacionalizacije besedilnih vrst se kulturno zaznamovani besedilni vzorci pogosto pokažejo kot sorodni predvsem med sosednjimi narodi. Ulla Fix Universität Leipzig UDK 8142:81:1 DIE ERKLÄRENDE KRAFT VON TEXTSORTEN. TEXTSORTENBESCHREIBUNGEN ALS ZUGANG ZU MEHRFACH STRUKTURIERTEM - AUCH KULTURELLEM - WISSEN ÜBER TEXTE 1. Textsorten - Organisationsformen des Alltagswissens 2. Textsorten - kulturell geprägte Phänomene 3. Textsorten - spezifische Zugriffe auf die Wirklichkeit 4. Textsorten - "globale" und "lokale" kulturell geprägte Muster? 1. Textsorten - Organisationsformen des Alltagswissens "Wir können auch im Zusammenhang der menschlichen Kommunikation das Leben nicht hintergehen." Dieser Satz von Hugo Steger (1979, 28), obwohl schon vor fast zwanzig Jahren geäußert, hat bis heute nichts von seinem Anspruch verloren, auch nicht, wenn man ihn mittlerweile vor verschiedenen theoretischen Hintergründen, die ich im folgenden nennen werde, mit unterschiedlicher Akzentuierung interpretieren kann. Das Resultat der Interpretation wird in jedem Fall sein, daß wir unser alltagssprachliches Wissen über Texte nicht geringschätzen, nicht vernachlässigen dürfen.1 Steger betont, daß er bewußt "an unser gemeinsames, naives, vortheoretisches Wissen über die Angemessenheit von Texten in Situationen" (ebd. 27) anknüpfe, und fährt weiter unten fort: "/Wir lernen/ offenbar im Laufe unserer Sozialisation ..., einmalige Texte in Situationen einem generellen Typus zuzuordnen. Wir haben offensichtlich alle eine Typisierungsfähigkeit, wir erwerben Typenwissen" (ebd. 28f.).2 Im Grunde hat man es hier, wenn auch nicht so benannt - mit dem Prinzip der Ethnographie der Kommunikation zu tun, mit der Annahme, daß es einen "wechselseitigen Einfluß zwischen dem Alltagswissen der Sprecher" und "der Konstitution des Sprech- 1 Steger (ebd. 27): "Mit anderen Forschern teile ich die Meinung, daß das normgerechte Sprechen in Situationen und unsere Urteile darüber die einzige Grundlage sind, die als Erkenntnisbasis dem analysierenden Sprachwissenschaftler zur Verfügung stehen." 2 Mit 'Typus' ist hier gemeint, was mittlerweile fast durchgehend unter 'Textsorte' gefaßt wird. ereignisses" in den jeweiligen soziokulturellen Zusammenhängen (Bußmann 1990) gibt. Ich erinnere auch an Ordinary Language Approach, die Philosophie der Alltagssprache mit ihren Vertretern Austin, Searle, Strawson, Wittgenstein - ein Ansatz, der die alltägliche Sprache zur Basis der Untersuchung sprachlicher Kommunikation in ihren Verwendungszusammenhängen (vgl. Bußmann 1990) macht, ein Ansatz, mit dem gefragt wird, was wir tun, wenn wir sprachlich handeln. Zu ergänzen sind diese Theorien, die sich auf Alltagskommunikation beziehen, um Oksaars Kulturemtheorie (1984, 1989), wie sie sie unter dem Aspekt des Verstehens und der (interkulturellen) Verständigung entwickelt hat. Soziokulturelle Verhaltensweisen, auch sprachliche, lassen sich nach Oksaar isolieren als Wissen über Kultureme, darüber, daß man bestimmte (Sprach)Handlungen unter bestimmten Umständen zu vollziehen hat. Und die Kenntnis der Formen dieses Vollzugs läßt sich fassen als Wissen über Behavioreme, darüber, wie man sie (sprachlich) umzusetzen hat. Hier wird die kulturelle Einbettung bereits ausdrücklich ins Spiel gebracht, ohne daß freilich die Textsortenklassifikation eine Rolle spielte. Adamzik (1995) nun eröffnet mit ihrer Behandlung des Problems der Textsortenklassifikation einen Zugang zur Betrachtung von Textsorten als Elementen sprachlich-kommunikativer Kompetenz. Sie setzt sich mit der Berechtigung und der Rolle von Alltagskategorien in der linguistischen Untersuchung von 'Textklassen' auseinander und verteidigt deren Wert.3 Textsorten sind in ihrem Verständnis - und darin kann ich ihr aus weitreichender Analyseerfahrung nur zustimmen - "durchaus unsystematisch, nämlich nach dem jeweiligen kommunikativen Bedarf, sich ausbildende Konventionen oder Schemata zur Bildung bestimmter Texte /.../ so etwas wie Routineformeln auf der Textebene" (Adamzik 1995, 28). Das Ziel der Untersuchung von Textsorten ist nach Adamzik nicht die widerspruchsfreie theorieorientierte Top-down-Klassifikation, sondern die vom Gebrauch ausgehende Bottom-up-Einteilung von prototypischen Gebrauchsmustern, eine Einteilung, die nicht jeweils von ein und demselben Kriteriensatz4 ausgehen muß. Auf diese Weise gelingt es, die beim Sprachgebrauch unvermeidbare Vagheit und Heterogenität in die Beschreibung nicht als Störfaktor, sondern als "normale", übliche Erscheinung einzubeziehen. Das Wissen von Routineformeln auf der Textebene, wie sie Adamzik beschreibt, gehört zu dem, was Feilke mit Common sense-Kompetenz meint. Auch Textsorten mit den ihnen zugehörigen Mustern sind "notwendigerweise kompetenzbasiert" (Feilke 1994, 10). Textmusterwissen ist demnach wie anderes sprachliches Wissen auch Teil eines "durch eine bestimmte Kommunikationsgemeinschaft hervorgebrachten Sprachwissens" (ebd. 16), Teil einer von der Gemeinschaft 3 "Wer - mehr oder weniger bewußt - an alltagssprachlichen Kategorien ansetzt, um zu einer Texttypologie zu gelangen, benutzt in aller Regel die normalsprachlichen Lexeme lediglich als Anhaltspunkt für die Auffindung von Differenzierungskriterien, und zwar in der (wahrscheinlich nicht irrigen) Annahme, daß in einer prätheoretischen Klassifikation Differenzierungen mit Lexemen belegt werden, die für die Kommunikationspraxis relevant sind und daher auch für eine Texttheorie und einen Typologieansatz wichtig sind, die den Blick auf die Kommunikationspraxis nicht vernachlässigen wollen". (Adamzik 1995, 24) 4 Vgl. Isenberg 1983: 'homogen', 'exhaustiv', 'monotypisch'. geschaffenen und geprägten Kompetenz. Und auch für Textsorten trifft zu, was Feilke (ebd. 23) ganz allgemein feststellt: In dem Maße, in dem die eigene Spracherfahrung sozial kalkulierbar und in ihrer Wirkung auf den anderen berechenbar wird, wird sie ein intersubjektives Wissen der Sprecherinnen und ein zur wechselseitigen Orientierung einsetzbares Steuerungsmittel im Meinen und Verstehen. Der gleich-sinnige Gebrauch der entsprechenden Mittel (auch der Textmuster U. F.) setzt dabei notwendig ein allgemeines Wissen über deren aus dem Gebrauch erwachsene Bedeutung für die Kommunikation voraus. Wir haben Textsortenwissen demnach als Teil unserer im sozialen Handeln erworbenen Kompetenz zu verstehen und können demzufolge nicht rigoristisch auf einer widerspruchsfreien und ausnahmslosen Textklassifizierung für alle möglichen Texte bestehen, vorausgesetzt wir haben den realen Umgang mit Texten vor dem Hintergrund von sozial geprägter Kompetenz im Blick. Darauf daß die Vorstellung von im sozialen Handeln einer Gemeinschaft erworbener Kompetenz auch kulturelles Wissen impliziert, gehe ich im folgenden ein. 2. Textsorten - kulturell geprägte Phänomene Mit ihrer Auffassung von Textsorten als "kommunikativen Routinen" (1995, 28) legitimiert Adamzik den Ansatz, Texte und Textsorten als kulturell geprägte Phänomene zu betrachten, auch wenn sie selbst den kulturellen Aspekt nicht erwähnt. Sie weist jedoch ausdrücklich auf die "kontrastive/n/ Aspekte" von Textsorten hin und darauf, daß "der Bedarf an expliziter Vermittlung von einzelsprachspezifischen kommunikativen Routinen besonders groß" sei, dies sicher vor dem gedanklichen Hintergrund der Interkulturalität von Textsorten (ebd. 30). Mittlerweile besteht wohl kein Zweifel mehr daran, daß einzelsprachliche Spezifik immer auch kulturelle Spezifik ist. Dies ist eine Vorstellung, die weder in Isenbergs Texttypologisierungs-vorschlägen (1983, 1984) noch bei der Bestimmung von Textualität bei de Beaugrande und Dressler (1981) - um zwei wichtige Textbeschreibungsansätze zu nennen - eine Rolle spielen konnte, da Isenberg sich um allgemeine, nicht unbedingt einzelsprachgebundene Grundtypen bemühte und de Beaugrande und Dressler den 'Text an sich' im Blick hatten. Eine Bestimmung des 'Textes an sich', wie die Autoren sie mit den sieben Kriterien der Textualität gegeben haben, hält heutigen Vorstellungen von dem, was ein Text ist, aber nicht mehr uneingeschränkt stand. Während es Texte gibt, denen ein Kriterium auf der "unteren Ebene" durchaus fehlen kann, z. B. das der Kohäsion und unter bestimmten Umständen auch das der Situationalität, etwa in literarischen Texten,5 ist kein Textexemplar denkbar, das das Merkmal kultureller Geprägtheit nicht aufwiese. Hier setzt mein theoretisches und analytisches Interesse 5 Vgl. Fix (1998): Die Wörter auf dem Papier und die Grammatik in den Köpfen. Zur Textualität und zu Lesarten von "grammatikarmen" Texten. ein. Der im folgenden zu begründende Vorschlag besteht darin, die Kriterien der Textualität um das - notwendige - der Kulturalität zu erweitern. Der Kulturbegriff, wie ich ihn hier verwende, ist an den Alltagsbegriff gebunden. Unter 'Alltag' verstehe ich mit Bausinger (1980a, 66) "auch und gerade all jene Selbstverständlichkeiten des Denkens und des Sich-verhaltens ..., die sich weder durch besondere Feierlichkeit noch durch Exklusivität auszeichnen, die aber das Leben ganz wesentlich konstituieren". Und Kultur ist, auch hier folge ich Bausinger (1980a, 65f.) das "große Zwischenfeld des Verhaltens und der Attitüden". Einen solchen Fonds von Selbstverständlichkeiten, der das Miteinander regelt, bilden auch Sprache und Sprachgebrauch mitsamt dem kulturellen Wissen und den kulturellen Traditionen, die sie transportieren. Problematisch wird es, wenn beim Übergang in eine andere Kulturgemeinschaft diese Selbstverständlichkeiten nicht mehr gelten. Nach meiner Beobachtung sind unter den kommunikativen Mustern vor allem die Textmuster ein geeigneter Ansatzpunkt, um kulturell geprägte Kompetenz zu erfassen. Textmuster sind Schnittstellen zwischen verschiedenen für sprachlich-kommunikatives Handeln relevanten Wissensbeständen, Komplexen von Wissenssystemen, zu denen neben Weltwissen (im Sinne des Verfügens über Frames, Prototypen und Begriffe), Kommunikationsnormenwissen, und Sprachwissen auch Kulturwissen gehört. Es umfaßt u. a. Wissen über die Tradition von Texten (vgl. Schlieben-Lange 1983, 28), über deren kulturelles Prestige (literarische Texte gelten mehr als Alltagstexte), über den Wert, den das Medium hat (geschriebene Texte gelten im nachaufklärerischen Mitteleuropa mehr als gesprochene); es umfaßt weiter die Kenntnis zugrundeliegender Kultureme: Wissen über die Angebrachtheit verbalen Handelns und über nonverbale und extraverbale Begleithandlungen. Und es umfaßt auch die "Geistesbeschäftigung" (Jolles 1930), "die gesellschaftliche Funktion" (Jauß 1972), die einer Textsorte mit ihrem Muster eigen ist. Bevor ich auf diese "Eigenheit" näher eingehe, soll ein Vorschlag für die Beschreibung von Textmusterwissen gemacht werden. Feilke und Äugst (1989, 301) stellen ein sich an A. N. Leontjews Handlungsbegriff anlehnendes Wissensmodell vor, das einen Überblick vermittelt über "die Ebenen der Organisation des Wissens", über "Konzeptionswissen", "Realisierungswissen" und "Routinewissen" bzw. über "Wozu-Wissen, Was-Wissen und Wie-Wissen" (vgl. Anhang Abb. 1). Aus dem Kommentar der Autoren (ebd. 303) ergibt sich, daß Textsortenwissen als ein Wissensbestand unter vielen betrachtet wird, der in den Bereich des Realisierungswissens, des Was-Wissens gehört und unter "linguistischen Makrostrukturen" geführt wird. Wenn es aber so ist, daß Textmuster (als Schnittpunkte von Wissensbeständen) alles nötige Wissen - freilich nur als einen beschränkten, weil nach der Spezifik ausgewählten Bestand - einschließen, dann ist es gerechtfertigt, das beschriebene kognitive Modell auch umzustülpen. Es erschiene dann nicht das Textmusterwissen als ein Wissensbestand unter vielen, sondern das Textmuster selbst bildete den großen Rahmen für alle anderen Wissensbestände, die dann freilich nur in der für die jeweilige Textsorte zutreffenden Auswahl und Ausprägung erscheinen. So dürfte z. B. für Werbetexte und politische Texte nicht nur die Konversationsmaxime +Aufrichtigkeit erscheinen, sondern es müßte -Aufrichtigkeit als Möglichkeit verzeichnet sein.6 Wenn man das Textmuster aus dem Rahmen des kognitiven Modells herausnimmt und es selbst zum Rahmen eines Modells macht (vgl. Anhang Abb. 2), gewinnt man die Möglichkeit, Textmuster nach Wissensbeständen zu beschreiben und Textmusterwissen um Kulturwissen - Wissen über kulturelle Kodes - zu erweitern. Damit erhält man ein Instrumentarium für die vergleichende Beschreibung und Zuordnung von Texten verschiedener Kulturgemeinschaften mit anderer, durch ihren anderen Gebrauch hervorgebrachter kultureller Prägung (vgl. Feilke 1984, 225). Wie diese Prägung beschrieben werden könnte, in welcher Form sie in das Modell eingehen könnte, soll nun überlegt werden. Kognitives Modell von Wissenskomponenten (Feilke/Augst) Konzeptionswissen Kommunikationsnormenwissen - Aufrichtigkeit - Objektivität - Verständlichkeit - situative Angemessenheit Weltwissen - frames - Prototypen - Begriffe Realisierungswissen Linguistisches Makrostrukturwissen - Planungstechniken Kohärenzprinzipien Routinewissen Linguistisches Mikrostrukturwissen - Kohäsionstechniken - Syntax - Lexik (Formulierung) - Schreibmotorik - Schreibung und Interpunktion - Literale Routinen 6 Vgl. Fix, Ulla (1991): Vorbemerkungen zu Theorie und Methodologie einer historischen Stilistik. In: ZfG 1991, H, 2, S. 304f. Modell von Textsorten wissen' Konzeptionswissen Realisierungswissen « Routinewissen Kommunikations- Linguistisches normenwissen Makrostrukturwissen Aufrichtigkeit Kohärenzprinzip Objektivität Textaufbau Verständlichkeit Textgliederung situative Angemessenheit Weltwissen Linguistisches Mikrostrukturwissen Schreibung und Prototypen Kohäsionstechniken Interpunktion Begriffe Syntax literale Lexik (Formulierung) Routinen Wissen über kulturelle Wissen über kulturelle Kodes Kodes Verhaltenssysteme Komm. u. Wertsysteme Zeichensysteme Tabus proxemische Kodes gesellschaftliche kinesische Kodes Funktion parasprachliche Kodes ordnender Zugriff auf visuelle Kodes die Welt ästhetische Kodes 3. Textsorten - spezifische Zugriffe auf die Wirklichkeit Die wissenssoziologische Erkenntnis, daß der Mensch, indem er handelt, sich ordnend und gestaltend zur Wirklichkeit verhält, gilt selbstverständlich auch für die Art seines sprachlichen Handelns. Wenn man zur Kenntnis nimmt, daß dies auch beim Umgang mit Textsorten (und ihren Mustern) bzw. mit Gattungen und Erzählformen der Fall ist, so führt dies bei der Beschreibung von Texten und ihren kulturellen Prägungen einen entscheidenden Schritt weiter. Dann nämlich nimmt man eine Texteigenschaft wahr, die in der Textlinguistik bisher nicht beachtet wurde und die auch nur über einen kulturbezogenen Zugriff faßbar ist, die Eigenschaft nämlich, daß Textsorten jeweils einen spezifischen Zugriff auf die Welt ermöglichen. Diese noch näher zu beschreibende Eigenschaft muß als allgemeinstes Merkmal von Texten gelten. Wir finden vorläufige Anmerkungen dazu bereits in Arbeiten der Volkskunde. So spricht Bausinger (1980b, 56) von der "ordnende/n/ Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt", und Jolles (1930,10) von der "Geistesbeschäftigung", die einer Textsorte eigen ist. Er vertritt mit seinen Erklärungen zu dieser Kategorie die Auffassung, daß der gestaltende sprachliche Zugriff die Welt auf spezifische Weise ordne, daß dieser Zugriff, indem er selbst musterhaft sei, Strukturen widerspiegele, und schließlich, daß sich aus der Intention des zu gestaltenden Textes Anforderungen an die Textgestalt ergäben. Was bei Humboldt eine Bindung von Lautgestalten an die innere Formung der Welt ist, begegnet bei Jolles als Bindung von Textgestalten/Textmustern an bestimmte "Lebenshaltungen", "Geistesbeschäftigungen". "Geistesbeschäftigung" ist zu verstehen als die einer Gruppe von Menschen gemeinsame Einstellung, Haltung und Handlungsweise gegenüber ihrer Wirklichkeit, das FRAGEN beim Rätsel, das ANTWORTEN bei der Mythe, das MITTEILEN EINER ABSCHLIESSENDEN ERFAHRUNG beim Sprichwort. Ein ähnlicher Gedanke begegnet uns in der literaturwissenschaftlichen Textsortenbetrachtung, wie sie Jauß (1972, 132) vornimmt, wenn er feststellt, daß "literarische Gattungen ihren 'Sitz im Leben' und damit ihre gesellschaftliche Funktion haben". Das ist gemeint, wenn Texten die Fähigkeit des ordnenden Zugriffs auf die Wirklichkeit zugesprochen wird. Jauß führt, dies sei am Rande vermerkt, durchaus schriftliche Texte an, während bei Jolles (ebenso bei Günthner s. u. ) nur mündliche Texte im Blick sind. Festzuhalten ist: Schriftliche sowohl wie mündliche Texte mit ihrer jeweiligen "gesellschaftlichen Funktion", ihrer "Geistesbeschäftigung" sind Bestandteile einer "Textgemeinschaft", die ich oben als Kulturgemeinschaft zu beschreiben versucht habe. Texte gehören zu den Selbstverständlichkeiten dieser Kulturgemeinschaft, mit denen das Zusammenleben, der Alltag (und darüber hinaus auch der Feiertag) bewältigt wird. Andere Kulturgemeinschaften können andere Textsorten, andere Selbstverständlichkeiten haben, was die Notwendigkeit mit sich bringt, die Selbstverständlichkeit der anderen kennenzulernen. Aus gegenwärtiger sozialwissenschaftlicher Sicht stellen Bergmann und Luckmann (1993) der Kategorie "Geistesbeschäftigung" die der "kommunikativen Gattungen" an die Seite, unter der sie "historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte Lösungsmuster für strukturelle kommunikative Probleme" (ebd. 2) verstehen. Die Funktion kommunikativer Gattungen sehen sie darin, daß Erfahrungen der Lebenswelt "in einigermaßen verbindlichen Formen thematisiert, bewältigt, vermittelt und tradiert werden" (ebd. 2). In der Weiterführung dieser Überlegungen durch Günthner (1995) ist dann von "Binnenstruktur" (ebd. 201ff.), den verbalen und nonverbalen Gestaltungsmitteln, die Rede und von der "Außenstruktur" (ebd. 204f), vom Zusammenhang der kommunikativen Gattungen mit sozialen Milieus, mit ethnischen und kulturellen Gruppierungen. Textsorten müßten sich demnach beschreiben lassen nach ihrer von einer bestimmten Kulturgemeinschaft geprägten Art des Zugriffs auf sprachliche Wirklichkeit und nach den daran gebundenen Formmerkmalen, und diese Beschreibung müßte in ein Textsortenmuster aufgenommen werden. Am Märchen läßt sich beispielhaft zeigen, was Jolles unter "Geistesbeschäftigung" versteht und was wir heute eher den ordnenden Zugriff auf die Welt nennen. Das Märchen berichtet über Wunderbares, das aber als das Selbstverständliche aufgefaßt wird. Die "gesellschaftliche Funktion" des Märchens ist es, eine naive Moral darüber, wie es in der Welt eigentlich zugehen müßte, zu entwickeln - in einem Rahmen unbestimmter Zeit, unbestimmten Ortes und unbestimmter Personen, in einer Welt, die nicht an die Bedingungen unserer Welt geknüpft ist. Sprechakttheoretisch ist das Märchen beschreibbar als gebunden an eine Textproposition, die Bezug nimmt auf das Wunderbare, realisiert durch die Sprachhandlung des ERZÄHLENS mit dem Ziel zu UNTERHALTEN und zu BELEHREN, und durch einen relativ festen Bestand an formulativen Mitteln. Bei Günthner (1995) finden wir andere, im Alltagsleben geläufige Gattungen genannt: Dem Mokieren als Gattung wird das herablassende SICH-LUSTIGMACHEN und der Gattung der Frotzelei das SPIELERISCHE KRITISIEREN als Form des Zugriffs zur Welt zugeordnet. Der Kulturspezifik dieser den Textsorten eigenen ordnenden Zugriffe zur Welt ist nun nachzufragen. 4. Textsorten - globale und lokale kulturell geprägte Muster Im folgenden will ich der bisher eher unterstellten als nachgewiesenen kulturellen, d. h. der einzel- und interkulturellen Spezifik von Textsorten nachgehen. Zweifel an der Existenz von einzelkultureller Spezifik könnten von Beobachtern der "Textszene" angemeldet werden, die sich vorzugsweise mit religiösen und spielerischen Texten z. B. oder auch mit erzählerischen Texten oraler Volkspoesie beschäftigen. Ihr Standpunkt könnte sein, daß es durchaus Texte gibt, deren wesentliches Merkmal gerade nicht die Geprägtheit durch eine Einzelkultur darstellt, sondern im Gegenteil die Tatsache, daß sie in mehreren oder vielen Kulturen zu Hause sind. Ich werde darauf am Beispiel der 'modernen Sage' zurückkommen. Beobachter, die sich vor allem den Gebrauchstexten zugewandt haben - informierenden, argumentierenden, kontaktierenden Texten -werden den einzelkulturellen Ansatz nicht infragestellen.7 Deren Perspektive werde ich am Beispiel der Textsorte 'Wohnungsanzeige' zu erläutern versuchen. Meine Überlegungen laufen, um dies vorwegzunehmen, darauf hinaus, daß beide Perspektiven Geltung haben, daß sie freilich jeweils auf eine andere Gruppe von Texten mit einer anderen Art von ordnendem Zugriff auf die Welt bezogen sind. Ich gebe zunächst eine Beschreibung der beiden genannten Textsorten und stelle dann meine Schlußfolgerungen vor. Was nicht auf den ersten Blick auffällt, ist, daß die 'moderne Sage' die uneingeschränkte Fortsetzung der traditionellen oralen Gattung der 'Sage' ist. Die durch die Grimmsche Sammlung 'Deutsche Sagen' (1816-1818) geprägte Vorstellung von der einfachen Form 'Sage' wird von Brednich (1990, 6) beschrieben als "mündlich 7 Wie wichtig dieser Ansatz vielen Autoren ist, zeigt die Vielfalt der Untersuchungen, die Adamzik in ihrer Bibliographie unter dem Stichwort 'kontrastive Aspekte' auflistet. überlieferte Erzählungen und Berichte von außergewöhnlichen Erlebnissen, Ereignissen als Erscheinungen, die mit dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit erzählt werden". Glaubwürdigkeit soll erreicht werden, indem z. B. Orte und Personen benannt werden und so Unwahrscheinliches an Reales geknüpft wird. Bausinger (1958, 248) beschreibt die Geistesbeschäftigung, Jolles hier ergänzend, mit den folgenden Worten: Der Form Sage liegt eine Geistesbeschäftigung zugrunde, in welcher die Welt sich in ein Innen und Draußen, in Heimat und Fremdheit, in Haus und Ausgeliefertsein, in Hier und Jenseits aufteilt; eine Geistesbeschäftigung, die an der Grenze zwischen diesen Bereichen wacht, damit das Draußen, die Fremdheit, das Ausgeliefertsein, das Jenseits, das 'Andere' nicht vergessen werde in dem eigenen Bereich, - damit dieses aber auch nicht zerstört werden kann durch die jenseitigen Mächte. Die daraus abzuleitende dominierende Sprachhandlung ist BERICHTEN mit den Funktionen ANGST AUSDRÜCKEN, ERKLÄREN, BELEHREN, EXEMPLIFIZIEREN und WARNEN. Die sprachliche Form ist viel weniger fest als die des Märchens. Es wird sachlich erzählt, der Anspruch auf Glaubwürdigkeit wird erhoben. Sicher auch aus diesem Anspruch heraus wird kurz, klar, zielgerichtet dargestellt, Fakten wie Namen von Orten und Personen werden gegeben. Charakterzeichnungen werden nicht vorgenommen, denn nicht Personen, sondern das in den Alltag dringende Unerklärliche ist beschreibenswert. So wie die Sage eben dargestellt wurde, tritt sie als reine Form noch heute auf. Handlungstheoretisch gesagt: Wir finden heutzutage Texte - und nicht wenige - die die Textproposition, Textillokution und (soweit erfaßbar) die Textlokution der traditionellen Sage aufweisen. Gemeint sind Texte, die in der volkskundlichen Literatur als 'moderne Sagen', 'urban legends', 'belief legends', 'sagenhafte Geschichten von heute' (Brednich 1990) bezeichnet werden. Moderne Sagen sind mündlich weitergetragene Geschichten von unglaublichen Ereignissen, z. B. von dem auf dem Basar für immer verschwundenen Mädchen, von der tödlichen Spinne in der Zimmerpalme, von Todesprophezeiungen, die ein Anhalter während einer nächtlichen Autofahrt ausgesprochen hat. Die Texte nehmen in der Regel Bezug auf etwas, was die Erzähler und Hörer mit Unruhe erfüllt, was nicht erklärbar ist. Daß das Unerklärliche anders als in den Volkssagen der Vergangenheit nun oft die Technik, der Verkehr oder die unbekannte Fremde der Urlaubsländer ist, steht nicht in Widerspruch dazu. Der Rahmen hat sich zwar geändert, nicht aber das Verhältnis zum "Außen", zum "Anderen", zum "Fremden". Das heißt, auch die Sprachhandlung des BERICHTENs mit den Funktionen des EMOTIONALEN ENTLASTENs, des EXEMPLIFIZIERENs und vor allem des WARNENs - ganz in der Tradition der alten Warnsage - ist geblieben. Das gleiche gilt für die Sprachgestalt. Wir finden in der modernen Sage einfache Erzählstrukturen, die man sich leicht merken und gut weitergeben kann. Dem Glaubwürdigkeitsanspruch wird durch eine Formel wie z. B. "Das ist wirklich passiert. Das hat mir der Freund meiner Schwester erzählt" Rechnung getragen. Auch hier wird wie in der traditionellen Sage im Drinnen auf das fremde Draußen verwiesen. Diese Beschreibung der modernen Sage trifft nicht nur auch auf die älteren Sagen zu, auf das also, was wir vorfinden, wenn wir die Zeitgrenzen überschreiten und zurück in die Vergangenheit sehen. Sie trifft auch zu, wenn wir lokale Grenzen überschreiten. Moderne Sagen gelten als interkulturell gängige Formen. Man kann manche Erzählmotive weltweit finden und den Weg, den manche Motive genommen haben, über die Welt, zumindest die westliche, verfolgen. Genau betrachtet lassen sich, was ihre Interkulturalität betrifft, drei Typen moderner Sagen feststellen: Sagen, die in Plot und Szenarium in verschiedenen Kulturen übereinstimmen (Themenbereiche wie Tiere, Haus und Wohnung, Technik, vgl. Anhang); Sagen, in denen zwar der Plot, nicht aber das Szenarium gleich ist. Es passiert dasselbe, aber unter landestypischen Begleitumständen (Anhaltergeschichten, vgl. Anhang). Schließlich eine minimale Gruppe von spezifischen Geschichten, die tatsächlich nur in einer Kultur oder einer begrenzten Menge von Kulturen vorkommen können (DDR-Geschichten, vgl. Anhang). Allen diesen Geschichten ist immer eins gemeinsam: die Geistesbeschäftigung, der ordnende Zugriff, die symbolische Dimension. Textsortenkonstituierend wirken der propositionale Anteil: das Unerklärliche, die dominierende Illokution: das WARNEN und das lokutionäre Grundelement: die einleitende, das Wahre bekräftigende Formel. Auch die Textsorte Verkaufs- und Kaufanzeige ist wenig variabel, der Variationsrahmen ist eng gesteckt. Nach Heinemann und Viehweger (1991, 223) gehören zu einer Verkaufsanzeige in der Presse an propositionalen Elementen 1. Gegenstand/Merkmale, 2. (Preis), 3. zu verkaufen, 4. Anschrift. Durch diesen Rahmen sind auch die formulativ-stilistischen Elemente beschränkt. So kann man z. B. wählen zwischen verkaufen, zu verkaufen, abzugeben, Billigangebot, biete u. a., und man kann sich zwischen einem ausführlichen und einem weniger ausführlichen Text entscheiden. Die Illokution dieser Texte ist ANBIETEN, um AUFMERKSAMKEIT zu WECKEN und möglicherweise eine EINSTELLUNG (zum angebotenen Gegenstand) HERAUSZUBILDEN, um, wenn möglich, Interesse und Kauflust zu wecken. Diese Beschreibung trifft auf deutsche Verkaufsanzeigen durchaus zu, nicht aber, um ein extremes Beispiel zu nennen, auf die gegenwärtig in Rußland gebräuchlichen Wohnungsanzeigen. Die Schreiber der Anzeigen bewegen sich in dem vorgegebenen Rahmen der Textsorte auf bisher ungewöhnliche Weise. Auf der Ebene der Mikro- und Makrostrukturen des Textes treten gravierende Veränderungen auf. Genaugenommen gibt es keine Strukturen mehr; denn die Annonce besteht lediglich aus einer Telefonnummer. Die Informationen über Proposition und Illokution, die mit denen der üblichen Ausgestaltung der Textsorte übereinstimmen, entnimmt der Leser der Spalte, in der die Annonce steht, mit ihrer Überschrift. Die Anzeigen werden rigoros reduziert, um möglichst keine privaten Daten in die Öffentlichkeit zu geben und sich so vor kriminellen Handlungen wie Einbrüchen und Diebstählen zu schützen.8 Die Unterschiede zwischen den zum Teil sehr ausführlichen Immobilienverkaufsanzeigen in deutschen Tageszeitungen und diesen Kürzestformen sind eindeutig soziokulturell 8 Das ist jedenfalls die Erklärung, die mir russische Informanten gegeben haben. 24 bedingt, und sie werden verschwinden, sobald sich die soziokulturellen Umstände, wie auch immer, angleichen. Auf der einen Seite die "internationalen Fassungen" (Shenhar 1986, 245) der modernen Sagen, auf der anderen Seite die an die aktuelle Situation einer Kulturgemeinschaft gebundene Textsorte der 'Wohnungsanzeige' im gegenwärtigen Rußland. Der grundsätzliche Unterschied zwischen der über Zeit und Raum hinaus gültigen Form der Sage und der eng an Zeit und Raum gebundenen Ausprägung der hier beschriebenen Anzeigentexte läßt sich über die Kategorie des "ordnenden Zugriffs" erklären, der uns in den Texten in zwei Spielarten begegnet. Der in der modernen Sage realisierte ist ein geistig-ordnender Zugriff auf die Welt. Es geht um die mental-reflexiv-emotive Bewältigung von Lebenssituationen, die man als anthropologische fassen und von denen man annehmen kann, daß sie sich so oder ähnlich als Herausforderung an die geistige Lebensbewältigung immer wiederholen werden. Von daher ist der Zugriff weniger den Anforderungen der Alltagspraxis und der aktuellen Kulturzustände unterworfen, er ist - im Gegenteil - überkulturell und langfristig zu denken, inhaltlich und auch formal. So sind die Formen auch beständiger und elaborierter. Der in der Wohnungsanzeige realisierte Zugriff ist praktischordnender Natur. Die Texte dienen lebenspraktischen Zwecken, der Bewältigung des Alltags. Man muß sie sich kulturell kurzfristig denken, leicht veränderbar, sobald sich die soziokulturellen Umstände verändern. Sie sind offen, nicht elaboriert und neuen Bedürfnissen leicht anpaßbar. Textsorten, die den geistig-ordnenden Zugriff auf die Welt ermöglichen, sind eher globaler Natur und weniger an die Einzelkultur gebunden. Textsorten, die eine praktisch-ordnende Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit möglich machen, sind erfahrungsgemäß eher lokal und einzelkulturspezifisch geprägt. Wer dies akzeptiert, muß die gängige Vorstellung von der kulturellen Geprägtheit der Textsorten differenzieren, indem er den jeweiligen Zugriff auf die Welt in seine Betrachtung einbezieht und die Existenz sowohl lokaler als auch globaler kulturell geprägter Muster in Rechnung stellt. Literatur: Adamzik, Kirsten (1995): Textsorten - Texttypologie. Eine kommentierte Bibliographie. 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Povzetek RAZLAGALNA MOČ BESEDILNIH VRST - OPIS BESEDILNIH VRST KOT PRISTOP DO VEČPLASTNEGA - TUDI KULTURNO POGOJENEGA - VEDENJA Članek povzema več vidikov, s katerimi je mogoče razložiti besedilne vrste, in je zato razdeljen na naslednje dele: 1. Besedilne vrste kot organizacijske oblike vsakdanjega vćdenja, 2. kot kulturno pogojeni fenomeni, 3. kot specifični pristopi k dejanskosti in 4. kot vzorci s samo lokalnim oz. tudi globalnim značajem. Besedilne vrste, ki vsebujejo duhovno urejajoč pristop do sveta, so bolj globalne narave in manj vezane na posamezno kulturo. Besedilne vrste, ki omogočajo praktično urejajoč prikaz resničnosti (npr. oglasi za stanovanja) imajo glede na izkušnje bolj lokalni in kulturnospecifični značaj. Kdor sprejema takšno razdelitev, mora spremeniti običajno predstavo o kulturni pogojenosti besedilnih vrst tako, da v svoje opazovanje vključi vsakokratni pristop do sveta. Ingo Warnke Universität Kassel UDK 81-112-26:8142 POLYLINGUALE INTERTEXTUALITÄT UND KONSTITUIERUNG VON KULTURSPRACHEN Der Schreiber übt keine essentielle technische Aktion auf das Wort aus. Er verfügt über eine allen Schreibern gemeinsame Schreibweise, eine Art Koine, innerhalb derer man zwar Dialekte unterscheiden kann, selten aber Stile. Roland Barthes (1969,49f) Die Auseinandersetzung mit Textsorten oder textuellen Mustern als Relata der interkulturellen Kommunikation entbehrt wie viele textlinguistische Theoriebildungen und Konzeptionen schnell der historischen Tiefenschärfe, insofern allein gegenwartsbezogene Aspekte grenzüberschreitender Kommunikation zum erkenntnisleitenden Interesse erhoben werden. Fraglos ergeben sich gerade bei solcher Ausblendung der Gewordenheit von Textmustern, ihrer kulturellen Determiniertheit über große sprachgeschichtliche Perioden hinweg, wichtige aktuelle Einsichten. Nicht zuletzt leisten textgestützte Untersuchungen mit kontrastiver Methode zur Gegenwartskommunikation in verschiedenen Kulturen linguistische Argumente a forteriori gegen stereotype Dequalifizierungen des Fremden und begegnen wirkungsvoll den Vorurteilen zur vermeintlich bewertbaren Kulturspezifik sprachlichen Verhaltens. In jüngster Zeit darf dabei die These, textuelle Muster seien als sprachliche Handlungsschemata weit weniger kultur- als vielmehr domänenbedingt, als besonders gewichtig beurteilt werden. Kann es also nicht um einen Zweifel am Wert synchron-gegenwärtiger Erörterungen und Analysen zum Textbezug der interkulturellen Kommunikation gehen, so beantworten solche Arbeiten doch nicht die sich aufdrängenden Fragen nach dem terminus post quem jeweiliger sprachkultureller Sachverhalte. Konsistente Erklärungen zum status quo der Textsorten in der interkulturellen Kommunikation benötigen folglich Bestimmungen des status quo ante. Wir präferieren also keineswegs eine Historie als kostbaren Erkenntnisüberfluss, gegen die sich bereits F. Nietzsche (1873) entschieden wandte, sondern eine geschichtliche Fokussierung der in diesem Sammelband behandelten Thematik zwecks Vollständigkeit der sachgemäßen Perspektiven. Die sprachgeschichtliche Betrachtung soll dabei auf eine grundlegende Problematik im Zusammenhang der Verbindung von Textsorten und interkultureller Kommunikation beschränkt werden, auf den Konnex von Textmusterkonstituierung und interkultureller bzw. polylingualer Kommunikation. Anders ausgedrückt geht es im Weiteren um die Frage nach der Bedeutung von Polylingualität und Textsorten bei der Ausprägung kultursprachlicher Strata. Damit sind wir sogleich in der Notwendigkeit, den polysemen wenn nicht sogar vagen Ausdruck der Kultursprache näher zu definieren. Denn es liegt auf der Hand, dass Kultursprache ex negativo durchaus als ein provozierender Begriff eingesetzt werden könnte, dem dann eine implizite Abwertung nicht-kultureller Sprachen inhärent wäre. Doch Kultursprache soll in unserem Zusammenhang nicht als ein solcher Wertbegriff verstanden werden, sondern als Terminus zur Bezeichnung von Sprachen, die ein konkretes Bündel von kommunikativen Merkmalen ausgeprägt haben; sie sind damit Zweck der intrakulturellen Kommunikation, universell einsetzbar und stellen eine Bedingung der Möglichkeit interkultureller Kommunikation dar. Eine Kultursprache im hier gemeinten Sinn zeichnet sich durch weitgehende Etablierung der Merkmale Literalität, Überregionalität, Polyfunktionalität, Literarizität, Intersozialität und Philologität aus.1 Als besonders gewichtige kultursprachliche Konstituente ist dabei die Polyfunktionalität einer Sprache anzusehen. Hierunter ist die kommunikative Leistungsfähigkeit in unterschiedlichsten Domänen der gesellschaftlichen Organisation zu verstehen. Eine polyfunktionale Sprache ist als kommunikatives Medium in diversen Domänen geeignet und kann folglich unterschiedlichste Funktionen erfüllen. Auf die besondere Bedeutung der Polyfunktionalisierung einer Sprache im Verlauf ihrer Etablierung als Kultursprache bin ich bereits in I. Warnke (1995) eingegangen. Im Zusammenhang der interkulturellen Perspektiven soll die dort allein nationalsprachliche Untersuchung des Deutschen erweitert werden. Dabei wird weiterhin davon ausgegangen, dass die Polyfunktionalisierung einer Sprache immer als Folge der Ausweitung von Handlungsabsichten zu beurteilen, also ein Resultat pragmatischer Intentionen ist. Sprachlich werden solche Handlungsabsichten immer über die Ebene des Textes eingelöst, jedenfalls unter der Voraussetzung, dass Texte bzw. Textmuster "konventionalisierte Mittel des Sprachhandelns zur standardmäßigen Lösung gesellschaftlicher Probleme" (B. Sandig 1996, 359) darstellen. Die textgestützte Polyfunktionalität einer Sprache resultiert nun nicht allein aus der bloßen Okkurenz von singulären Texten in unterschiedlichsten Domänen der communicatio. Jede historische und auch gegenwartsbezogene Analyse lässt schnell erkennen, dass die Funktionalität einer Sprache nicht vermittels von Textunikaten erfassbar oder gar systematisch beschreibbar ist. Vielmehr zeigt die empirische Prüfung, dass die Vernetzung der Textokkurenzen, also der Grad ihrer Komplexität ein Movens bzw. eine Variable der polyfunktionalen Geltung einer Sprache ist. Dabei gehe ich soweit, die Vernetzung von Texten untereinander sowie ihre domänenspezifischen Referenzen aufeinander als diachrone Universalie der Ausprägung von Polyfunktionalität zu bestimmen. Es wird kaum eines besonderen Hinweises bedürfen, dass hiermit der m. E. oft auch überstrapazierte Begriff der Intertextualität in die 1 Zur Erklärung der Begriffe sei auf die eingehenden Erörterungen des kultursprachlichen Kriterienbündels in I. Warnke (1995) verwiesen. Modellierung der Kultursprachenetablierung eingebracht ist. Wenn auch Intertextualität unter anderem ein weitgehend literaturwissenschaftlich reservierter Modebegriff des Dekonstruktivismus ist, kann dies jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die damit bezeichnete Konnexion von singulären Textvorkommen eine auch sprachgeschichtlich höchst bedeutsame Ebene der Diskursorganisation bestimmt. Julia Kristevas (1969, 146) These von der absoluten Intertextualität setzen wir daher als Axiom der weiteren Überlegungen ein: "(...) tout texte se construit comme mosai'que de citations, tout texte est absorption et transformation d'un autre texte." Dieselbe folgenreiche These hat unter anderen auch V. Leitch (1983, 59) nochmals in die Diskussion eingebracht, er schreibt: "The text is not an autonomous or unified object, but a set of relations with other texts". Vor diesem theoretischen Hintergrund erklärt sich Polyfunktionalisierung folglich als fortschreitender Prozess der intertextuellen Referentialität, der Knüpfung eines textuellen Netzes. Dieses erst weist den Einzeltexten je spezifische Positionen in der Organisation eines Diskurses zu, und die Diskurse wiederum sind maßgebliche Felder der sprachgeschichtlich wirksamen Kommunikation. Denn wie der Einzeltext kaum geeignet ist, textmusterbezogenen Sprachwandel zu motivieren, so kann eine diachrone Dynamik nachdrücklich erst erfolgen, wenn Texte Bezüge auf die bereits gesetzten kommunikativen Inhalte vornehmen. Der Begriff der Intertextualität supponiert nun zumeist eine Beschränkung des analytischen Zugriffs auf Vernetzungen von Texten mit sprachlicher Identität. Für die Beschreibung oder Untersuchung von Phasen einer bereits ausgeprägten nationalsprachlichen Autonomie mag dies auch noch cum grano salis legitim sein, für Perioden jedoch, die in hohem Maße durch interkulturellen Kontakt bzw. durch praktizierte Mehrsprachigkeit geprägt sind, darf eine nationalsprachlich begrenzte Bestimmung von Intertextualität kaum als angemessen gelten. Ein monolingualer Intertextualitätsbegriff nimmt Einschränkungen des Untersuchungsgegenstandes vor, die geschichtlichen Epochen ohne sprachlich definierte nationale Identität und autarke Texttraditionen nicht gerecht werden. Zeigt sich dies greifbar in den gegenwärtigen Tendenzen zur Internationalisierung von Kommunikation und der damit einhergehenden Auflösung von nationalsprachlich gekennzeichneten Textmustern, so ergeben sich im Blick auf Phasen der Konstituierung von Kultursprachen im definierten Sinn similäre Verhältnisse. Vor einer polyfunktionalen Geltung des Deutschen steht bekanntlich eine ausgeprägte Latinität, denn das Latein war als lingua franca ein bis zum Beginn des Spätmittelalters in der öffentlichen Kommunikation des deutschen Sprachraums kaum in Frage gestelltes Primärmedium der Vertextung. Die Untersuchung der Substituierung mittelalterlicher Latinität durch volkssprachige Vertextungen führt unter der Voraussetzung der Annahme einer intertextuellen Vernetzung als Bedingung der Möglichkeit von Polyfunktionalität zwangsläufig zur Analyse von Textreferenzen, die über die Grenzen nationalsprachlicher Geltungsradien hinausgehen. In concreto ist damit eine Behandlung des Texttransfers insbesondere von lateinisch vorgeprägten Textmustern zu volkssprachigen Textualisierungen zu verstehen. Die weiteren konzeptionellen und methodologischen Implikationen der geschichtlichen Behandlung der interkulturellen Aspekte von Textmustern sollen hier am Beispiel der juridischen Diskursdomäne behandelt werden. Die Konzentration gerade auf diesen Ausschnitt öffentlicher Kommunikation begründet sich aus dem wichtigen Beitrag, den die Rechtsvertextungen an der Ausprägung volkssprachiger Texttraditionen in allen europäischen Kultursprachen geleistet haben. Im Segment des juridischen Diskurses entstehen in ganz Europa frühe volkssprachige Prosatexte, die damit nicht nur maßgeblich zur Etablierung volkssprachiger Verständigungsformen beigetragen, sondern zudem wirksame Größen bei der Substituierung lateinischer Vertextungs-traditionen dargestellt haben. Insbesondere die überlieferten Quellen des juridischen Diskurses zeigen, dass weder für das Spätmittelalter noch für die Frühe Neuzeit von einer autonom volkssprachigen Texttradition ausgegangen werden kann. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der Filiation frühester volkssprachiger Vertextungen als auch für die Tradierung bereits früh etablierter Textmuster kommt dem Latein eine unbezweifelbar wichtige Bedeutung zu. Die Frage nach dem Grad der intertextuellen Relationierung weist mithin eine Verbindung zur allgemeinen Einordnung des Lateins innerhalb der deutschen Sprachgeschichtsschreibung auf, wobei in unserem Zusammenhang allein der Konnex mit dem interkulturellen Movens der Textmustergenesen interessant ist. Wird dem Latein in der neueren Forschungsliteratur2 auch nicht der Rang einer überdachenden Kultursprache des Mittelalters abgesprochen, so herrscht doch Uneinigkeit darüber, ob die abnehmende Bedeutung des Lateins in einen kontinuierlich zu modellierenden Prozess der Wandlung des Deutschen vom Althochdeutschen bis zur Gegenwart als ein Teilaspekt einzupassen ist, folglich als koordinierter Faktor neben anderen Vereinheitlichtungsursachen zu gelten hat, oder ob nicht vielmehr die volkssprachige Prosaokkupation der zuvor lateinisch besetzten Kommunikationsdomänen als einer der Brennpunkte in der Geschichte der Etabliemng einer ausgebildeten deutschen Kulturprache anzusehen ist. Die Gewichtung der Substitution des Lateinischen über volkssprachige Mittel differiert also bei übereinstimmender Annahme des generellen Einflusses der Latinität. Gerade deshalb ordnet sich das sprachgeschichtliche Interesse an volkssprachigen Vertextungen des juridischen Diskurses den funktionsbezogenen Desideraten der Historiolinguistik in besonderem Maße zu. Die Vertextungsgeschichte von normierenden Quellen seit dem Spätmittelalter ist ohne Berücksichtigung der lateinischen Prädeterminanten nicht angemessen zu beschreiben, so dass die entsprechenden polylingualen Intertextua-lisierungen als strukturelles Charakteristikum des juridischen Diskurses zu bestimmen sind. Nicht zuletzt wegen der bis in das 18. Jahrhundert bei einer Vielzahl der gebildeten Schreiber/Sprecher vorauszusetzenden deutsch-lateinischen Bilingualität ist das Latein als "Muttersprache Europas" (C. Vössen 1979) in der Rechtskommunikation des deutschen Sprachraums noch lange Zeit präsent. Diese Tatsache bedeutet jedoch 2 Einen nach wie vor ausgezeichneten Überblick zu den wichtigsten Forschungen gibt die Publikation der Vorträge des Regensburger Kolloquiums "Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100-1500" (N. Henkel/F. Palmer [Hg.] 1992). nicht, dass sich bis in das 18. Jahrhundert das Lateinische als Primärmedium juridischer Vertextung gehalten hat. Diese perpetuierte Fehleinschätzung, die selbst in neueren Sprachgeschichten des Deutschen noch zum Ausdruck kommt,3 wird durch die Quellenlage falsifiziert, nehmen doch die deutschen Texte im Gesamtkorpus juridischer Vertextungen einen breiten Raum seit dem 13. Jahrhundert ein. Dass dieser offensichtliche Befund bisher nicht hinreichenden Eingang in die Gesamtdarstellungen zur Geschichte der deutschen Sprache gefunden hat, resultiert unter anderem aus der fehlenden oder nur marginal ausgeprägten funktionsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit den domänenspezifischen Geltungsgraden der Latinität im deutschen Sprachraum bzw. einer Beschreibung der Ablösung der lateinischen communicatio durch volkssprachige Kodifikation. Die weit überwiegende Mehrzahl der sprachwissenschaftlichen Publikationen zum historischen Verhältnis von Deutsch und Latein setzt sich mit sprachstrukturellen Analogien, Divergenzen oder ganz allgemein mit den Auswirkungen des Sprachkontaktes beider Sprachen auseinander, wobei zudem noch eine Konzentration auf lexikalische Aspekte unübersehbar ist. Ohne lexikalische Interferenzen in Frage stellen zu wollen, erhebt sich die Frage, ob die für Sprachwandlungsvorgänge des Deutschen maßgeblichen Einflüsse des Deutschen tatsächlich grosso modo auf den Wortschatz beschränkt sind oder ob nicht vielmehr die Substituierung des Lateins als Superstratum zumindest noch des Hochmittelalters durch das Deutsche ein funktionsgeschichtlich wesentlicher Vorgang ist, den es domänenspezifisch zu beschreiben und in den Kontext interkultureller Dimensionen zu rücken gilt. Bereits H. Munske (1982, 238) hat bezüglich der Rolle des Lateins als Superstratum im Deutschen und in anderen germanischen Sprachen als Gegenstand der Sprachgeschichtsschreibung neben dem Wandel des Sprachsystems auch die bedingenden Faktoren desselben als "Geschichte und Wandel des Sprachverkehrs in einem bestimmten Sprachraum" angeführt. Trifft zudem N. Palmers (1984, 579) Feststellung zu, dass es vielen Bereichen der Übersetzungsliteratur gelang, "ihre lateinische Vergangenheit abzuschütteln", so kann daraus nur die Forderung resultieren, die Emanzipation des Deutschen als Kultursprache nicht nur vor dem Hintergrund der sprachstrukturellen Prägungen durch das Latein einzuordnen, sondern überdies auch als Faktor der Konstituierung eigener volkssprachiger Vertextungsverfahren überhaupt. 3 Vgl. etwa C. Wells (1990, 330): "Fachbücher, besonders juristische, blieben noch geraume Zeit in lat. Sprache; bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hatten die deutschen Publikationen die lateinischen in Naturwissenschaften, Philosophie und Medizin jedoch überholt." Abgesehen davon, dass bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts populär adressierte Fachliteratur zur Vermittlung des römischen Rechts in deutscher Sprache publiziert wurden und insofern eine Relativierung der Aussage sachgemäß ist, hat C. Wells für das Fachschrifttum durchaus Recht. Doch suggeriert seine Ausführung bei fehlenden Angaben zum sonstigen juridischen Sprachgebrauch eine Dominanz des Lateinischen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Rechtstexten überhaupt. Dies trifft nicht im mindesten zu. Im Gegenteil ist die juridische Diskursdomäne eine der ersten, die zur Entfaltung volkssprachiger Vertextungen beitragen hat, während Naturwissenschaft, Philosophie und Medizin eine späte Substituierung lateinischer Vertextungstraditionen vornehmen. Nun haben wir es im Hinblick auf die hier zu erörternde Verbindung von polylingualen Aspekten des Sprachwandels einerseits mit Fakten des interkulturellen Kontaktes und andererseits beim Lateinischen mit einer besonderen Größe zu tun. Das Latein repräsentiert nicht eine der deutschen Kultur grundsätzlich gegenüber zu stellende Tradition, sondern ist fraglos in nachantiker Zeit ein Träger der europäischen Kulturgeschichte des Mittelalters insgesamt. Lateinische Prätextualisierungen können daher in Bezug auf deutsche Texte ein Relatum interkultureller Kontakte darstellen, möglicherweise handelt es sich jedoch auch lediglich um Quellen der deutschen Latinität, womit eine interkulturelle Dimension derartiger polylingualer Intertextualität nicht mehr gegeben ist. Weniger prototypisch für die Prätextualisierungen und Testmustertransfers im juridischen Diskurs des deutschen Mittelalters und der Frühen Neuzeit, dafür jedoch in jedem Fall interkulturelle Dimensionen der Vertextungsgeschichte betreffend, sind solche hypertextuellen Relationen, die über die Grenzen volkssprachiger Strata im eigentlichen Sinn hinausgehen. Wenn auch das Latein als Sprache der meisten Prätexte in diversen kommunikativen Domänen in Betracht kommt, kommt eine um Vollständigkeit der Beschreibung bemühte Darstellung texthistorischer Tendenzen nicht umhin, Prätextualisierungen und Texttradierungen anderer europäischer Sprachen zu berücksichtigen. Und dies besonders, wenn es um die Erfassung von polylingualer Intertextualität als Bedingung des Ausbaus einer polyfunktionalen Leistungsfähigkeit von Volkssprachen ebenso geht wie um die Interpolation auf interkulturelle Faktoren des Sprachwandels. Ferner ist die deutsch-lateinische Intertextualität selbst noch nach der Tradierungsrichtung zu differenzieren. Es ist keineswegs unwesentlich, ob ein Text ziel- oder ausgangssprachig mit dem Latein gekoppelt ist. In der Regel ergeben sich für den juridischen Diskurs intertextuelleVerschränkungen in der Richtung vom Lateinischen zum Deutschen. Die zahlreichen Textüberlieferungen dieses Typs entsprechen dabei der Einordnung deutscher Textgeschichte als Ablösung vom Latein bzw. dessen Substituierung. Wenn auch nicht mit dieser Auftretenshäufigkeit belegt, so doch sprachgeschichtlich ebenso wichtig, weil kulturgeschichtlich bedingt, sind die Textverschränkungen der Richtung vom deutschen Ausgangstext zum lateinischen Zieltext. So wurden etwa die Landläufigen Kulmischen Rechte in ihrer verbesserten und überarbeiteten Version aus dem Jahr 1553 zwecks besserer Verständlichkeit für die polnischen Textadressaten als Jus Culmense emendatum von Caspar Schütz, der sich auch als Casparus Schutzius bezeichnete, in das Lateinische übersetzt; im 17. Jahrhundert folgt dann eine Übersetzung in das Polnische von Paul Kuszewicz. Ähnlich motiviert ist die lateinische Übersetzung des Landrechts des Herzogtums Preußen aus dem Jahr 1620, das als Jus Provinciale Ducatus Prussiae in Rostock 1623 gedruckt wurde. Ebensowenig wie also die polylinguale Intertextualität als Faktor der Konstituierung deutscher Kultursprachigkeit auf eine Transferrichtung zwischen Deutsch und Latein zu beschränken ist, sollten die Bezüge zwischen deutschen Vertextungen und Quellen anderer europäischer Sprachen bei einer Perspektive auf interkulturelle Aspekte des Sprachwandels ausgeblendet werden. Bei diesem Intertextualitätstyp ist das Deutsche jedoch weitgehend Ausgangssprache. So wurde das Magdeburger Weichbild aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts nicht nur in das Lateinische, sondern im 14. Jahrhundert zudem ins Tschechische und Polnische übersetzt. Ein weiteres Beispiel für derartige Tradierungen sind die Übersetzungen der spätmittelalterlichen Rechtsbücher in osteuropäische Sprachen. Dabei ist der Transfer vom Deutschen zu anderen, insbesondere osteuropäischen Sprachen ein zuverlässiger Indikator für die geistes-, kultur- und rechtsgeschichtliche Bedeutung eines Textes in Bezug auf seinen Verbreitungsradius und seine Rezeption. Wir halten folglich für die Etablierung deutscher Polyfunktionalität drei Typen der polylingualen Intertextualität fest: Den Standardfall des Transfers vom Lateinischen zum Deutschen, dieser Umkehrung die Tradierungsrichtung, die insbesondere im ausgehenden Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit als Reflex auf Humanismus, gelehrtes Recht und Rezeption des römischen Rechtes belegt ist, und schließlich die intertextuelle Relationierung vom Deutschen zu anderen europäischen Sprachen. Mit der so vorgenommenen Bestimmung von Tradierungslinien und der damit erreichten einfachen Typologie ist noch keine Aussage über die textuellen Ebenen der Intertextualität in Subdomänen des juridischen Diskurses bzw. in anderen Domänen gemacht. Hierfür gilt es, die Systemreferenz und die Einzeltextreferenz zu unterscheiden. Sind Folientexte Übersetzungen bzw. weitgehend am Ausgangstext orientierte Übertragungen, so ist fraglos von einer Einzeltextreferenz auszugehen. Dieser Referenztyp ist sprachgeschichtlich allein mit Bezug auf Bestimmungen domänenspezifischer Texttradierungen von Interesse. Ob ein überlieferter Text x einem lateinischen Ausgangstext y oder einem anderen fremdsprachigen Zieltext z zuzuordnen ist, darf losgelöst von einer allgemeinen Analyse von Domänenspezifika als funktionsgeschichtlich weitgehend unwesentlich gelten. Hier setzen eher überlieferungsgeschichtliche Einzelstudien an, deren Ziel von der historischen Dimensionierung der Polyfunktionalisierung weitgehend abweicht. Funktionsgeschichtlich verwertbar ist die Kenntnis von Übersetzungen nur, wenn die jeweiligen Basis- bzw. Folientexte als Repräsentanten einer Funktionsdomäne fungieren. Es ergibt sich also ein erkennbares Primat der Bestimmung von intertextuellen Relationierungen in Teildomänen des juridischen Diskurses gegenüber der Detailanalyse von hypertextuellen Vermitttlungen singulärer Rechtsquellen. Das heißt, dass Einzeltextreferenzen lediglich dann von Bedeutung für die Aufgliederung textueller Relationen in der Funktionsdomäne des Rechts sind, wenn ihnen ein für die entsprechende Teildomäne verallgemeinerbarer Status zukommt; aufgrund der verbreiteten Homogenität juridischer Vertextungsverfahren ist dies bei der Mehrzahl der überlieferten Texte der Fall. Es folgt daraus, dass das Hauptinteresse der funktionsgeschichtlichen Historiolinguistik auf den Systemreferenzen liegt. Und um diese geht es auch, wenn wir uns fragen, welche kommunikativen Absichten zu welcher Zeit mit welchen textuellen Mitteln realisiert wurden und welchen Anteil dabei interkulturelle Determinanten des Sprachwandels haben. Dass der Textmustertransfer tatsächlich eine Voraussetzung zur Ausprägung eigener volkssprachiger Vertextungs-traditionen darstellt, zeigt beispielsweise die Quellengruppe der für die spätmittel- alterliche Verfassungsorganisation des Deutschen Reiches bedeutsamen Reichslandfrieden, stehen diese doch in evidenter hypertextueller Verschränkung zu vorausgehenden lateinischen Landfrieden bzw. leiten sich aus den älteren Gottesfrieden ab. Die mit dem noch in deutscher und lateinischer Sprache überlieferten Mainzer Reichslandfrieden von 1235 einsetzende volkssprachige Tradition des Textmusters 'Reichslandfrieden' ist ein charakteristisches Beispiel für polylinguale Systemreferenz und damit für die Substitution des Lateins auf der Ebene textueller Muster. Nun bleibt zu bedenken, daß die einzelnen Textmustertransfers in Abhängigkeit von ihrer Domänenzugehörigkeit und den jeweiligen Zeiträumen in unterschiedlicher Dynamik erfolgen. Dennoch ergibt sich ad summam ein klares Bild der durchgängigen Vorprägung bzw. Tradierung von textuellen Mustern im juridischen Diskurs über die Grenzen volkssprachiger Kommunikation hinaus, oder anders ausgedrückt, der textuellen Referenzen im Kontext interkultureller Kontakte. Im Segment des juridischen Diskurses zeigt sich einzig die juristische Fachliteratur bis in die Frühe Neuzeit hinein als ausgesprochen immun gegen deutsche Vertextungsabsichten; so setzte sich noch Thomas Murner (1475-1537) für seine laienadressierten juristischen Erörterungen in deutscher Sprache erheblicher Kritik durch seine Fachkollegen aus, und Ulrich Zasius (1461-1535) formuliert als einer der Hauptvertreter der humanistischen Jurisprudenz an der Schwelle zur Frühen Neuzeit ein vernichtendes Urteil über die volkssprachige Vermittlung juristischer Inhalte: Diejenigen verdienten Züchtigung, welche jetzt die Wissenschaft des Civilrechts, die sie selbst kaum von außen kennen gelernt hätten, in die Muttersprache und allerlei Spielereien übertrugen: denn nicht genug, daß sie selber völlig unwissend seien, machten sie auch andere zu Narren.4 Der hier zum Ausdruck gebrachte Wille zum Festhalten bzw. zur Aktivierung lateinischer Schrifttraditionen in Deutschland ist im 15. und vor allem im 16. Jahrhundert eine vielfach zu beobachtende Folge des humanistischen Strebens nach einer Einheit des Geistes, die auch lingual vermittelbar sein sollte. Das gelehrte Ausbremsen von volkssprachigen Vertextungsabsichten ist jedoch wie gesagt weitgehend auf die Funktionsdomäne des juridischen Fachdiskurses beschränkt. Während das Schrifttum der gelehrten Jurisprudenz im Deutschen Reich bis in das 18. Jahrhundert lateinisch dominiert wird, erfolgt im Zuge von Aufklärung und Naturrechtslehre für die Gesetzes spräche sogar ein verstärktes Bestreben nach volkssprachiger Allgemeinverständlichkeit, wie es in den großen Kodifikationen des 18. Jahrhunderts auch eingelöst wurde. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte dabei Charles L. Montesquieus (1689-1755) Forderung nach nationaler Eigenheit jeweiligen Rechts und nach Verständlichkeit auch für die minderbegabte Bevölkerung.5 4 Zitiert nach R. Stintzing (1880, 170). 5 Charles de Secondat Montesquieu: De l'esprit des loix. 1748. Seit 1748 sind deutsche Übersetzungen in mehreren Auflagen belegt, darunter: Des Herrn von Montesquieu Werk vom Geist der Gesetze. Nach der neuesten und vermehrten Auflage aus dem Französischen übersetzt und mit vielen Anmerkungen versehen. Altenburg 1782. Wenngleich nicht für die hier interessierende Frage nach den interkulturellen Determinanten der polylingualen Intertextualität relevant, so sei doch vermerkt, dass die Verbreitung und der Einfluss von Montesquieus Gedanken im Europa des 18. Jahrhunderts ein weiterer Beleg für die transnationalen Dimensionen der europäischen Rechtsgeschichte ist.6 Es bleibt jedoch für die Geschichte der deutschen Rechtstexte immer zu bedenken, dass in den meisten Subdomänen die volkssprachige Vertextung bereits im 13. Jahrhundert ihren Ausgang nimmt und seit dieser Zeit eine zunehmend autonome sprachliche Geltung erhalten hat. Im Zusammenhang dieser Darstellung kann jedoch allein auf die Bedeutung der polylingualen Intertextualität im Kontext einer funktionsgeschichtlichen Historiolinguistik im Allgemeinen eingegangen und darauf verwiesen werden, dass die polylinguale Intertextualität ein wesentlicher Aspekt der Konstituierung von Kultursprachen ist. Demzufolge hat die Sprachgeschichtsschreibung ihre Perspektiven und ihr dezidiertes Forschungsinteresse auf interkulturell konstituierte Textsorten stärker als bisher zu beziehen. Wie weit die polylinguale Präfiguration und Tradierung von textuellen Mustern dabei de facto geht, soll am Beispiel des juridischen Diskurssegmentes der Seerechte gezeigt werden. Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Seerechte ordnen sich der Textgruppe der Sonderrechte zu, zu denen etwa auch die Deichrechte und insbesondere die zahlreichen Bergrechte gehören. Gerade das Beispiel der Sonderrechte macht deutlich, dass ein isolierter textgeschichtlicher Blick auf nationalsprachliche Okkurenzen wesentliche Traditionslinien und Herleitungen von Textmustern ausblendet. Das Seerecht ist als Handelsrecht von überregionaler und häufig auch transnationaler Bedeutung und mit den handelsbedingten internationalen Implikationen a priori wiederum in den Zusammenhang der europäischen Rechtsgeschichte gestellt.7 In allen Küstenregionen Europas waren im Spätmittelalter bereits Seerechte ausgeprägt, was auf die allseits notwendige Normierung des Seehandels bezüglich der besonderen Gefahren des Wassertransportes verweist. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang bereits die antike Lex Rhodia. Dieses Seerecht der griechischen Antike erlangte unter anderem durch die subsidiäre Geltung im römischen Recht eine "universale Bedeutung" (G. Landwehr 1990, 1597) im Mittelmeerraum. Die europäischen Dimensionen der Seerechtsentwicklung gründen neben dem in einzelnen Territorien ähnlichen Normierungsbedarf dabei vor allem auf den europäischen Handelsräumen, denn der Seehandel war von vornherein national nicht begrenzt, so dass seine rechtliche Regelung bereits frühzeitig die Kontakte mit anderen Regionen einbezieht. Bereits das niederdeutsche Hamburgische Schiprecht aus dem Jahr 1299 berichtet vom Handel mit Skandinavien, Flandern, England und Frankreich, so dass G. Landwehr (1990, 1601) für das Spätmittelalter zusammenfassend festhält: 6 Eine ausführliche Darstellung des europäischen Rechtsverbundes gibt H. Hattenhauer (1992) in seiner Europäischen Rechtsgeschichte. 7 Eine Darstellung zur europäischen Quellenüberlieferung gibt bereits C. v. Kaltenborn (1851, 14-70). Für die Entwicklung des Seerechts an der Atlantik- und der Kanalküste sowie in der Nord- und der Ostsee erlangten die im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen Rechtsgewohnheiten im Seehandel zwischen Bordeaux und Flandern sowie zwischen den Seehäfen an der Zuidersee und den Handelsorten im nördlich gelegenen Europa (in Norwegen, an der Ostsee und Hamburg) eine herausragende Bedeutung. Bereits die sprachexternen Faktoren der Etablierung europäischer Seerechte zeigen, dass eine sprachhistorische Beschreibung der hierfür maßgeblichen Vertextungsvorgänge nicht ohne Berücksichtigung der polylingualen Vernetzung einzelner Textokkurenzen auskommt. Ein ausgezeichnetes Beispiel für die interkulturelle und interlinguale Bedingtheit konkreter Textexemplare ist das sogenannte Wysbische Seerechte, das nicht nur Ergebnis einer über 300 Jahre währenden Seegesetzgebungstätigkeit im Hanseraum ist, sondern überdies vielfältige Bezüge zu europäischen Seerechten aufweist. Die 1505 erstmals in niederdeutscher Sprache gedruckte Sammlung seerechtlicher Normen, deren Einfluss auf die Rechtspraxis der Frühen Neuzeit und auf spätere Kodifikationen sehr groß war, geht im propositionalen und textstrukturellen Kern auf die französischen Roles ou Jugements d'Oleron zurück, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts aufgezeichnet wurden.8 Die Roles d'Oleron haben im Spätmittelalter aufgrund ihrer umfassenden Kompilation seerechtlicher Verordnungen eine weite Verbreitung gefunden und wurden ins Englische, Kastilische und weitere europäische Sprachen übersetzt, so im 14. Jahrhundert auch ins Flämische. Als Vonesse van Damme wurde der Text in Verbindung mit frühen Hamburger Seerechtssätzen im ausgehenden 14. Jahrhundert zur niederdeutschen Ordinancie, de de coplude unde scippers mit malcanderen holden kumuliert. In Verbindung mit lübischen Seerechtsnormen wurde dieser Text wiederum zum sogenannten Waterrecht kompiliert und erlangte in dieser Textgestalt bereits im 15. Jahrhundert im Hansegebiet normative Bedeutung. Mit der ersten Drucklegung des Textes durch Gottfried van Ghemen im Jahr 1505 in Kopenhagen setzt sich schließlich die Bezeichnung Wisbysches Seerecht durch, daneben ist die Bezeichnung Gotlansches Waterrecht gebräuchlich. Unter der Bezeichnung Wisbysches Seerecht wurde der Text "unzählige Male gedruckt, ins Hochdeutsche übertragen sowie ins Dänische, Schwedische und Englische übersetzt und von den Gerichten, teilweise bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, als Seegewohnheitsrecht angewandt" (G. Landwehr 1990,1602).9 Mit Blick auf überlieferungsgeschichtliche Zusammenhänge des Textes - in unserem Verständnis also im Fokus polylingualer bzw. interkultureller Bezüge - ordnet I. Rosier (1993, 132) die Quelle als "ein Beispiel für die Weite und das Ausmaß der kulturellen Beziehungen zwischen den Seefahrt treibenden Völkern Nord- und Westeuropas" ein. Bereits die noch vereinfachte Übersicht zur Textgenese des Wisbyschen Seerechtes zeigt uns also den hohen Grad interkultureller Vernetzungen von Textmustergenesen. 8 Zu Ursprung und textgeschichtlichen Wurzeln der Roles d'Oleron vgl. K.-F. Krieger (1970). 9 Eine ausführliche Darstellung der Textgenese und insbesondere der Besonderheiten des Kopenhagener Druckes des Wisbyschen Seerechts gibt I. Rosier in ihrer Abhandlung zum Gotlanschen Waterrecht und seinen Beziehungen zum Kopenhagener Druck von 1505 (1993). Dabei können die europäischen Traditionslinien auch am Gebrauch einzelner Fachtermini abgelesen werden. So unterscheidet bereits das Hansische Seerecht von 1614 in den Abschnitten VIII und XII.2 verschiedene Formen der Haverei, also des Verlustes der Ladung oder sogar des Schiffes während der Seefahrt. Die Begrifflichkeiten beziehen sich dabei auf fachterminologische Bedeutungsspektren, wie sie bereits Mitte des 13. Jahrhunderts in den norditalienischen Hafenstädten ausgeprägt wurden (vgl. G. Landwehr 1985, 5). Unter Berücksichtigung derart vielfältiger überstaatlicher Bezüge hält H. Pöhlmann (1973, 805) fest: Noch stärker als beim europäischen Land-Fernhandel und seinen aus ökonomischen Zweckdienlichkeiten an internationalen Messen, Börsen- und anderen Handelsschwerpunkten erwachsenden Verkehrs- und Rechtsgemeinsamkeiten zeigt sich die verbindende Kraft des Ökonomischen beim überregionalen Seehandel. Erstaunlich bleibt, daß angesichts einer solchen gesamteuropäischen Vernetzung der Rechtstradition das Latein als lingua franca mit seiner übereinzelsprachlichen Verständigungsfunktion nicht weit mehr Bedeutung bei der Seerechtskompilation hatte. Wir sehen mithin, dass die volkssprachige Überlieferung seit dem Spätmittelalter einen dominanten Beitrag zum Ausbau jeweiliger Seerechte leistet, wobei die polylingualen Vernetzungen unterschiedlicher Rechtstraditionen ohne das Latein auskommen, also im Zuge vieler Übersetzungs- und Übertragungsprozeduren hergestellt werden. Zu erklären ist diese komplexe Transferstruktur mit K.-F. Krieger (1987, 246), der feststellt, dass gerade das ältere Seerecht "in der Regel aus jahrzehntelanger gewohnheitsrechtlicher Übung, weitgehend unabhängig von der offiziellen staatlichen Rechtssetzung erwachsen" ist und damit nicht nur "in besonderer Nähe zur Rechtswirklichkeit, d.h. zur jeweiligen Seehandels- und Seeverkehrspraxis" steht, sondern auch zur volkssprachig-regionalen Kommunikation. Das Beispiel der seerechtlichen Quellen respektive der Herleitung des Wisbyschen Seerechtes zeigt, wie konstitutiv polylinguale Bezüge bei der Etablierung von Textmustern sein können und wie diese kaum auf die Herleitung volkssprachiger Texte aus lateinischen Prätexten zu beschränken sind. Wobei der Texttransfer vom Lateinischen zum Deutschen durchaus auch bei den Seerechten eine Rolle spielt. So sind die ältesten Rechtsaufzeichnungen Lübecks aus dem 13. Jahrhundert, die passim auch das Schiffrecht behandeln und damit Grundlage späterer seerechtlicher Normen sind, zunächst lateinisch vertextet. Das von Albrecht von Bardewick, einem wohlhabenden Lübecker Ratsmitglied kodifizierte Lübische Schiffsrecht aus dem Jahr 1299 geht unter anderem auf eben diese frühe lateinische Stadtrechtssammlung zurück, womit die Standardtransferachse vom Lateinischen zum Deutschen zumindest noch paradigmatisch belegt ist. Die Beipiele für polylinguale Intertextualität im Spannungsfeld von interkultureller Kommunikation und Ausbildung nationaler Textmuster sind derart zahlreich, dass die vorangehenden Konkretisierungen fraglos nur zur ersten Exemplifizierung geeignet sind. Es wird Aufgabe zukünftiger sprachgeschichtlicher bzw. funktionsgeschichtlicher Diskursanalysen sein, die interkulturellen Determinanten bei der Ausprägung von Diskursdomänen und ihren typischen sprachlichen Handlungsmustern empirisch im Einzelnen zu belegen und damit die These von der interkulturellen Vernetzung als Voraussetzung der Ausprägung von Intertextualität und damit wiederum Bedingung der Möglichkeit polyfünktionaler Geltung einer Sprache zu verifizieren. Damit ist Roland Barthes' (1969, 49) Verdikt von der Einbindung des Schreibers in eine Schreibweise oder anders ausgedrückt in eine kommunikative Domäne im Hinblick auf interkulturelle Strukturrahmen der Vertextung als sprachgeschichtliche Konzeption reformuliert. 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Povzetek VEČJEZIKOVNA MEDBESEDILNOST IN OBLIKOVANJE KULTURNIH JEZIKOV Avtor v svojem prispevku izhaja iz jezikovno-zgodovinskega vidika, na podlagi katerega predstavi temeljno povezavo med besedilnimi vrstami in medkulturno komunikacijo. Pri tem se osredotoča na vlogo polilingvalnosti in besedilnih vrst pri oblikovanju kulturno-jezikovnih sistemov. Rolf Müller Universität Gesamthochschule Kassel UDK 82-343.4:81'42:81'342 TEXTUNIVERSALIEN - BETRACHTUNG AN KONKRETEN TEXTEN/TEXTEREIGNISSEN Unter diesem Titel möchte ich zunächst auf die Diskussion über linguistische Universalien vor fast einem halben Jahrhundert zurückgreifen. Damals wurde der Universalienbegriff in die Linguistik, welche sich von der philologischen Sprachwissenschaft absetzte und gern als "modern" apostrophierte, eingeführt. Sie verstand sich als universelle, über einzelsprachliche Besonderheiten hinaus am lingual Wesentlichen interessierte Wissenschaft. Die Hinwendung zur Muttersprache, zu deren innerer Form und zur Deskription als inhaltsbezogener Grammatik wurde als weniger oder gar nicht mehr aktuell empfunden. Struktur und strukturaUstrukturell erfaßten als Termini statt dessen die leitenden Aspekte des Sprachverständnisses. Am weitesten gehend wurde durch die sog. "TG" die Formulierung der sprachlichen Äußerung als prozessualer Vorgang erklärt. Der ideale Sprecher/Hörer ist danach kompetent, unter Anwendung eines Apparates von Formulierungsregeln sowie entsprechender Auswahl aus einem Inventar von grammatischen Komponenten Sätze zu generieren, auch wenn diese völlig neu und nicht wiederholt sind. Aufgrund des prozessualen Vorgangs ist der Sprecher auch kompetent für die Auflösung einer Ambiguität von oberflächig gleichen Sätzen, indem er diesen differente Tiefenstrukturen zuordnet. Lange blieb die klassische Semantik eine Disziplin der Lexikologie. Die Semantik wurde erst nach einer Phase der Fortentwicklung als ein Aspekt in diese Grammatik eingeführt. Es ist klar, ich habe hier auf Grundzüge des mit dem Namen Noam Chomsky verbundenen Grammatikmodells hingewiesen. Die berühmten Titel markieren die Entwicklung: Syntactic Structures (1957) und Aspects of the Theory of Syntax (1965)/(Dt. 1969). Es ist da von Syntax die Rede, und wirklich zielt diese Grammatik auf die Erklärung der Kompetenz des Sprechers/Hörers für die Formulierung der Sätze, also auf die Erklärung einer Satzkompetenz. Von Text, worauf sich in dieser Studie das Interesse richten soll, ist noch keine Rede. Die weitere Entfaltung der Grammatik hin zur Erklärung der Textkompetenz trat als Aufgabe der Sprachwissenschaft wegen der Hinwendung zu interdisziplinären Aspekten, die unter den Bezeichnungen Pragmalinguistik, Soziolinguistik und Psycholinguistik laufen, in den Hintergrund. Diese Positionen sind interdisziplinär zu nennen, weil angrenzende Wissenschaften daraufhin befragt werden, was sie zur Lösung von Problemen sprachlicher Form und Funktion oder der Sprachverwendung beitragen können. Es gilt auch die Umkehrung dieser Frage. Die Faszination für die "moderne" Linguistik hatte auch ein weitgehendes Zurücktreten klassischer Teildisziplinen der Germanistik wie Namenkunde des Deutschen, Dialektologie des Deutschen oder Sprachgeschichte des Deutschen zur Folge. In diesem Rahmen der Wissenschaftsgeschichte sollen die Bemühungen um die Erkenntnis sprachlicher Universalien positioniert werden. Das Selbstverständnis der Linguistik als übereinzelsprachlich, als am Phänomen Sprache insgesamt interessiert, begründet natürlich ein universelles Interesse am Sprachlichen. Und wirklich begleitet die Diskussion um sprachliche Universalien und die Suche danach frühzeitig die Einführung oder Rezeption der Linguistik. Folgende Titel und ihr Erscheinungsjahr kennzeichnen diesen Zusammenhang: Joseph H. Greenberg. Ed. (2. Aufl. 1963): Universals of Language. (Bericht eines Kongresses vom April 1961, dessen mitgegebene Teilnehmerliste sehr vielsagend ist); Emmon Bach u. Robert T. Harms. Eds. (1968): Universals in linguistic Theory. (Beiträge zu einem Symposion im April 1967). Diese Titel können als klassisch bezeichnet werden. Im damit eingeleiteten Diskurs werden die Umrisse einer speziellen linguistischen Disziplin sichtbar, welche darin grundgelegt und repräsentiert ist. In diesem Diskurs über sprachliche Universalien sind die Bemühungen um die Begründung einer Theorie zu erkennen, sowie um die Suche nach einem Inventar sprachlicher Universalien und um die Klassifizierung der erkannten Universalien. In der Übersichtsliteratur vom Typ Lexikon der Sprachwissenschaft oder Linguistisches Wörterbuch wird ein Aufriß über die Ergebnisse konzipiert.1 Für die deutsche Sprachforschung sind die Initiativen von Hansjakob Seiler repräsentativ, dokumentiert z.B. in Hansjacob Seiler. Hrsg. (1978), auch dies die Sammlung der Beiträge einer Tagung 1976 in Gummersbach/Köln, und in der beitragsreichen Forschungsübersicht Gunter Brettschneider/Christian Lehmann (1980). In die Sprachtheorie will Eugenio Coseriu (1975) das Universalienproblem einrücken. Zum Standard eines Handbuchs über Universals of Human Language mit vier Bänden endlich hat Joseph H. Greenberg. Ed. (1978) die Ergebnisse dieses Diskurses erhoben. Trotzdem hat die Linguistik diese in ihren Umrissen deutliche Disziplin nicht systematisch eingeordnet, und hat deshalb auch keine Bezeichnung für sie.2 Das mag auch damit zusammenhängen, daß man die Thematik bei der herkömmlichen Allgemeinen und Vergleichenden Sprachwissenschaft mit ihren Interessen für die Sprachtypologie, von der auch Greenberg herkommt, angesiedelt sah. Diese Erörterung über die sprachlichen Universalien muß sich auf einen Begriff beziehen. Unter Universalien sollen die Eigenschaften verstanden werden, welche jede menschliche Sprache besitzt, also Züge oder Merkmale der Sprachstruktur und 1 H. Bußmann (1990); Th. Lewandowski (1990). 2 Man könnte analog zu Linguistische Pragmatik die Bezeichnung Linguistische Universalistik vorschlagen und ihr eine Position im System der linguistischen Einzelaspekte entspr. dem LGL zuweisen. Funktionen der Sprache im Leben von Sprachgemeinschaften, die allen Sprachen gemeinsam sind.3 Und W. Nöth (1990: 268) faßt sprachliche Universalien mit Bezug auf Universalsprache (Universal Language) fast genauso auf. "Finally, no universal Language project can afford to ignore the results of research in language universale, i.e., those features common to or at least statistically dominant in all languages." Um dieses anschaulich zu machen, seien einige Universalien aufgezählt, und zwar in dem Bewußtsein, daß diese Qualifizierung hypothetisch bleibt. Diese Nennungen sind so ausgewählt, daß sie für die weitere Argumentation förderlich sind. Die Form der sprachlichen Zeichen ist linear. Diese Feststellung der Linearität der Zeichen ist von de Saussure als Eigenschaft für alle Sprachen angenommen. Die grammatische Organisation aller Sprachen folgt auch dem Prinzip der Zweifachen Gliederung (double articulation), d.h. die bedeutungstragenden Einheiten der Sprachen (Lexeme, Morpheme, Moneme) auf der ersten Gliederungsebene sind auf der zweiten Ebene in eine Folge von Elementarzeichen (Phoneme), welche lediglich bedeutungsdistinktive Funktion besitzen, zerlegbar. Die Grammatik jeder Sprache weist auf den Deskriptionsebenen Inventare der entsprechenden Zeichen aus, die nach Funktionsklassen (Paradigmen) gruppiert sind, z.B. nach Vokalphonemen und Konsonantenphonemen auf der phonemischen Ebene. Die Gegliedertheit der Sprache zwingt zudem, das Wort und die Klassifizierung nach Wortarten aufzufassen und als sprachlich universell zu akzeptieren. Überhaupt kann man die Sprache überall als nach dem Prinzip der Superisation (Superierung) gebildet erklären. Damit ist auf einen Begriff der Allgemeinen Zeichenwissenschaft zurückverwiesen. Man versteht darunter die Fähigkeit, Elemente eines Inventars so zu konfigurieren, daß ein neues, umfassendes Zeichen gebildet wird, das hierarchisch höher steht.4 Nach diesem Prinzip kann man hierarchisch aufsteigend die Folge Phonem/Graphem > Wort > Satz > Text vorhersagen, womit als Satz und Text weitere sprachliche Universalien benannt wären. Bezüglich des Satzes liegt durch die Arbeit von Christian Lehmann (1984): Der Relativsatz eine beachtliche Studie der universellen Implikationen vor. Der Nachweis von Textuniversalien muß weiter Anliegen dieser Erörterung bleiben. Die Superisation kann eigentlich als die zeichenwissenschaftliche Veranschaulichung des Prozesses gelten, welchen W. von Humboldt mit seiner Aussage über die Sprache "Sie muß daher von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen, und vermag dies durch die Identität der Gedanken und Sprache erzeugenden Kraft" meint.5 3 Angelehnt an die Charakterisierung bei Th. Lewandowski (1990). 4 Zu Superisation (Superierung, Superzeichenbildung) und Superzeichen vgl. Th. Lewandowski (1990). 5 Das Humboldtzitat, hier nach N. Chomsky (1971: 28), stammt aus dessen Werk Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus. Bezeichnend ist die Spannung, die zwischen diesem Titel und der universellen Feststellung im Zitat besteht. In der Semiotik gilt die Superisation als konstitutiv für die Sprachzeichenbildung, und geradezu für die Struktur des Textes. "In its internal text syntactic and text semantic structure, the text is characterized as an autonomous and in certain respects closed system. The systemic wholeness of the text is created by a process of integration of individual signs into an integral sign or, in the terminology of information theoretical semiotics, into asupersign. Lotman characterizes this process as follows: 'A text is an integral sign and all the seperate signs of the general linguistic text [i.e., of natural language] are reduced in the text to the level of elements of this sign.' "6 Unter anderen aus der Quelle W. v. Humboldt, die er in den Zusammenhang der rationalistischen Sprachwissenschaft stellt, leitet N. Chomsky die Ansicht her, mit seiner Grammatiktheorie universelle Spracheigenschaften aufgefaßt zu haben. Dazu gehört die Auffassung der Sprache als gebunden an eine Kompetenz des Sprechers, und zwar eines idealen Sprechers, womit dann kein konkreter Sprecher gemeint sein kann. Es muß dies idealtypisch der sprachbesitzende und -beherrschende Mensch sein. Ihm eigen ist die psychische Disposition zum Spracherwerb. Chomsky vertritt in diesem Zusammenhang die nativistische Auffassung, jedoch ist diese Disposition auch mit behavioristischer und/oder kognitivistischer Begründung als natürlich, als universell erklärt. Daß die Performanz dann Einzelsprachen zutage bringt, liegt an der kulturellen Differenzierung der Menschheit. N. Chomsky dürfte auch für seine Theorie der Satzformulierung universelle Geltung beanspruchen, wie das auch für die Vertreter der Strukturalen Grammatik gelten dürfte, die der Sprache ein Inventar von Grundmustern ihrer Sätze, auf eines von denen sich jeder realisierte Satz beziehen läßt, zusprechen. Damit ist die Bildung des Satzes Möglichkeit, Ziel und Zweck sprachlichen Formulierens. Die linguistische Grammatiktheorie ist bis dahin vornehmlich Syntaxtheorie, die in der Chomskyschen Auffassung kulminierte. Auch bei Greenberg. Ed. (1978) haben wir über die Bände 1. Method and Theory, 2. Phonology, 3. Word Structure eine Aufnahme der Universals of Human Language bis hin zu 4. Syntax. Die Linguistik des Textes war erst in der Entwicklung begriffen, und so hat der Text unter dem Universalienaspekt noch keine Berücksichtigung gefunden. Empirisch ist aber leicht zu beobachten, daß es den isoliert erscheinenden Satz oder den Satz für sich in der sprachlichen Kommunikation nicht gibt. Der existiert so nur für den Grammatiker. Wenn es um das Kommunizieren von Mitteilungen geht, entstehen sprachliche Äußerungen, welche sich als Zusammenhang von Sätzen konstituieren. Der Satz ist demnach nicht die finale Einheit der sprachlichen Äußerung, sondern dies ist eben der Zusammenhang von Sätzen, welcher sich als Text darstellt. Demgemäß sind Aussagen über die Funktion und den semantischen Beitrag des Satzes vor allem aus Recherchen am Text herzuleiten. Das war implizite schon immer akzeptiert, wie sich durch die Etablierung des Begriffs Kontext erweist. Auch die schon 6 Zitiert ist der erste Teil des Abschnitts 3.2.2 TEXT AS A COHERENT STRUCTURE aus dem Kapitel Text Semiotics: Introduction bei W. Nöth (1990: 332f.). Die dortigen bibliographischen Verweise sind weggelassen. erwähnte Superisation als sprachliches Organisationsprinzip fordert heraus, den Satz auf der vorletzten Etage der Hierarchie von Sprachzeichen anzusiedeln und damit die grammatische Realität des Textes auf der höchsten Etage anzuerkennen. So wird der Text zwangsläufig zum Gegenstand der Linguistik.7 Zunächst ergibt sich das Ziel, eine Erweiterung der Grammatik vorzunehmen, und zwar mit synthetischer, induktiver Orientierung, bzw. bottom up. Es ist weitgehend erforscht, wie der Satzzusammenhang den Text konstituiert. Die grammatischen Mittel der Anzeige des Zusammenhangs werden unter den Begriffen Kohärenz und Kohäsion etc. erfaßt. Dieser methodische Weg führt zur transphrastischen Konzeption der Textgrammatik. Die Folgerichtigkeit dieser schrittweisen Expansion der Grammatik läßt sich gut an Problemanalogien veranschaulichen. Es ist früher problematisiert worden, ob ein Wort ein Satz sein könne bzw. umgekehrt. Man hat positiv befunden, und der Terminus Einwort-Satz repräsentiert einen grammatischen Begriff. Analog sollte man nach der Möglichkeit des Einsatz-Textes fragen. Den Nachweis kann man an der Formulierung Lügen haben kurze Beine führen. Sie ist ganz klar ein Satz. Die syntaktische Struktur ist einfach. Wenn man jedoch darüber hinaus schaut, beobachtet man eine weitere Ausgestaltung. Dieser Satz ist aus gleich langen, zweisilbigen Wörtern zusammengesetzt, gestaltet wie ein mit 4 Hebern des Trochäus gemessener Vers. In der Ausgestaltung weist der Satz über seine syntaktische Funktion hinaus. Man kann ihn als lehrhafte Aussage verstehen, als Sentenz, als Lehrsatz also. Es liegt die linguale Konfiguration vor, welche man als Sprichwort auffaßt. Als Sprichwort wird der Form und Funktion nach ein Text bezeichnet, womit die Realität des Einsatz-Textes evident wird. Lügen haben kurze Beine versteht man deshalb nicht als simple Tatsachenfeststellung, die semantisch zudem in sich nicht stimmig wäre, weil die Mitteilung sich durch die Beobachtung des Kotextes erschließt.8 Dabei erkennt man einen Zug sprachlichen Handelns in einer bestimmten Situation. Mit diesem Beispiel wird außer der Weiterförderung der Syntaxlinguistik zur Textlinguistik auch die der Semantik zur Pragmatik verfolgt. Bekannt ist aus dem frühen Rezeptionsgeschehen der Pragmatik in die Linguistik die exemplarische Erklärung der sprachlichen Aufforderungshandlung. In der Äußerung Monika, es zieht respektive Monika, ich wundere mich, daß es dich gar nicht stört, daß das Fenster aufsteht soll unter Auswertung der situativen Verhältnisse, unter denen "kommuniziert" wird, und durch die Berücksichtigung einer erschlossenen Intention des Sprechers 7 Eben weil der Text die finale Einheit der sprachlichen Formulierung ist; vgl. R. Müller (1997: 109f./Anm. 14). Die in diesem Abschnitt vertretenen Auffassungen vom Text treffen sich weitgehend mit den Darlegungen 3. Criteria ofTextuality und besonders 3.2.1 TEXT AS MESSAGE WITHIN A CONTEXT bei W. Nöth (1990: 332). 8 Nach R. Müller (1990: 124) ist Kontext der ältere Terminus, der die Zusammenhänge der sprachlichen Formulierung insgesamt umgreift. Mit der Erweiterung des Gegenstandsinteresses in das Gebiet der Linguistik des Textes hat sich die Notwendigkeit einer begrifflichen Erweiterung und Differenzierung ergeben. In einem terminologischen Lexikon werden daher Kontext und Kotext auseinander gehalten; vgl. H. Bußmann (1990, 417f., 427). Monika sich aufgefordert fühlen, die Bedeutung "Monika, schließe doch das Fenster" zu verstehen.9 Es liegen wieder Äußerungen als Einsatz-Texte vor, aber im komplexeren verbalen Handeln wird man mehr elaborierte Texte formulieren müssen, zumal wenn Expedient und Rezipient nicht gleichzeitig in einer Kommunikationssituation beisammen sind. Ich verweise nur auf das Erzählen eines Witzes oder das Schreiben eines Briefes. Die Etablierung der Textlinguistik erforderte die der linguistischen Pragmatik (et vice verse), so daß man feststellen könnte, die Pragmatik sei Komponente einer Semantik des Textes}0 Außer der Verfolgung der Superisation hat es noch einen anderen Weg der Identifizierung des Textes gegeben. So stellt sich bei einer ganzheitlichen Auffassung von Äußerungspassagen heraus, daß sie als ein Text erscheinen oder aber sich dann in Texte gegliedert erweisen, wenn umfassende Konfigurationen vor Augen stehen, etwa die Feuilletonseite einer Zeitung. Diese Perspektive veranlaßt eine analytische, deduktive Auffassung des Textes, bzw. top down, in dem Bewußtsein, daß man ein Superzeichen vor sich hat.11 Systematisch wurde diese Perspektive bei der Erforschung der gesprochenen Sprache, also der mündlichen Sprachereignisse, genutzt.12 Man konnte als richtig erweisen, daß sich die Unzahl von Einzeltexten typisieren und einer geringeren Anzahl von Textklassen zuordnen lassen. Für das Ergebnis stellte schon die Umgangssprache Bezeichnungen bereit, so: Diskussion, Interview, Reportage, Gespräch, Erzählung etc. Auch im schriftsprachlichen Bereich wurde diese Textklassifizierung betrieben. Für diese Textklassen setzte sich immer mehr der Terminus Textsorte durch. Die Inventarisierung und Systematisierung der Textsorten einer Sprache erweist sich als wesentliche Aufgabe der Textlinguistik, und diese Aufgabe ist nach wie vor aktuell, wie sich an der Thematik des Symposions in Ljubljana 1995 u. 1997 und dem Inhalt vieler Beiträge des Symposions 1995 und des gegenwärtigen (1997) zeigt.13 Die kontinuierliche Entwicklung der Textlinguistik läßt sich verfolgen ab dem frühen Aufruf Textlinguistik als linguistische Aufgabe von P. Hartmann in 1968 über den Beitrag Aufgaben und Methoden der Textlinguistik. Kritischer Überblick über den Forschungsstand einer neuen linguistischen Teildisziplin von K. Brinker in 1971 bis zur vollen fachlichen Ausgestaltung in der Gegenwart.14 Die Anliegen und Methoden der 9 Dieses Beispiel stammt aus Funk-Kolleg Sprache, Bd. II (1973: 113-123), 9. Sprechakte von Dieter Wunderlich. 10 Bei R. Müller (1990: 90) wird dieser Zusammenhang von Textlinguistik und Pragmalinguistik hergeleitet. 11 Zum Superzeichen vgl. vorn Zitat bei Anmerkung 6. 12 Forschungsbericht G. Schank u. G. Schoenthal (1983) und Erörterung bei R. Müller (1995: 40ff.) 13 Zu Textsorten vgl. R. Müller (1995); Dokumentation des Symposions 1995 in Linguistica XXXV,1 -Textsorten (1995). 14 P. Hartmann (1968) wiederveröffentlicht in W. Dressier Hrsg. (1978). K. Brinker (1971) in Wirkendes Wort 21, 217-237. Textlinguistik werden in Handbüchern und Lexika der Linguistik umrissen und mit umfangreichen Bibliographien belegt. Es wird ein differenziertes System von Begriffen mit beispielsweise Text, Textern über Texttheorie, Textsorte, Textualität bis Textwissenschaft ausgebildet. Als Fach in der sprachwissenschaftlichen Lehre weist sie sich durch viele sog. Einführungen in die Textlinguistik aus, z.B. K. Brinker (1988), W. Heinemann u. D. Viehweger (1991), H. Vater (1994), um nur die neueren zu nennen. Eine gewisse Irritation zeigt sich bei der Einordnung der Textlinguistik in die Linguistik insgesamt, weil sie als Teil der Grammatik, mit dem diese über die Syntax hinaus expandiert, angesehen wird, oder auch als zusätzliche linguistische Disziplin neben Grammatik, Pragmalinguistik, Soziolinguistik, Psycholinguistik, Historio-linguistik etc. Die Perspektive, ob struktural oder funktional, bestimmt wohl die Tendenz der Zuordnung. Ein Eindruck dieser Unbestimmtheit ergibt sich aus folgendem. Es gibt in der systematischen Übersicht der Linguistik zwei diskrete Bereiche, die bei W. Kürschner (1994: 70f.) folgendermaßen umrissen werden: I. Linguistische Untersuchungs- und Beschreibungsebenen; II. Linguistische Teildisziplinen und angrenzende Wissenschaften. Bei A. Linke, M. Nussbaumer, P.R. Portmann (1994: Inhaltsverzeichnis) erscheinen diese Positionen einfach als Teil I und Teil II. Diese Zweiteilung (Teil I, Teil II) soll hier auch als Grundkonzeption der Linguistik aufgefaßt werden. Interessant ist, wo die Textlinguistik zugeordnet wird. Bei Funk-Kolleg Sprache, Bd. II (1974) erscheint sie nur implizit, also ohne ausdrückliche Nennung, speziell in den Kapiteln Redekonstellation und Sprachverhalten I, II, obwohl hier ein früher Beleg für den Terminus Textsorte vorliegt. Bei W.A. Koch, Hrsg. (1973/74) wird man sie Teil II zuordnen, während sie im Lexikon der Germanistischen Linguistik (1980) unter "Sprachstrukturen", also eher Teil I, geführt wird. In Kleine Enzyklopädie: Deutsche Sprache (1983) wird der Text sowohl in dem dem Teil I zuzuordnenden Zusammenhang als auch in dem dem Teil II zuzuordnenden behandelt. Bei H.-D. Kreuder (1993) steht die Textlinguistik bei Untersuchungsebenen der Sprache, also Teil I, während Pragmalinguistik bei Aspekte der Sprachbetrachtung, also Teil II, steht. A. Linke u.a. (1994) haben Textlinguistik in Teil II, aber Pragmatik in Teil I. Schließlich stehen bei W. Kürschner (1994) Textlinguistik und Pragmatik zusammen unter Linguistische Untersuchungs- und Beschreibungsebenen, also Teil I. Eine Disziplin Universalienlinguistik oder Universalistik taucht in diesem Horizont der Linguistik gar nicht auf. Die wissenschaftsgeschichtliche Epoche, in welcher die Sprachwissenschaft hauptsächlich als Philologie der Einzelsprachen betrieben wurde, erfuhr also in den letzten Jahrzehnten oder gar im letzten halben Jahrhundert eine Weiterung zur "modernen" Linguistik. Es ergaben sich neue Aspekte für den Gegenstand Sprache und neue Methoden für die Erforschung der Sprache. Die Linguistik des Textes oder Textlinguistik gehört in den Zusammenhang der Expansion der Grammatik über die Syntax hinaus und wurde auch als ganz neue Disziplin in die Sprachwissenschaft eingebracht. Interessant ist, dies im Aufriß der Wissenschaftsgeschichte der Linguistik widergespiegelt zu finden, wofür folgendes zeugen soll: Nach G. Heibig (1974) kulminiert diese Geschichte, wie auch hier zuvor festgestellt, in der Linguistik von N. Chomsky mit der Generativen Grammatik und der TG, wobei mehr beiläufig auf den Anspruch von Chomsky hingewiesen wird, daß seine linguistische Theorie auch einen Bericht über linguistische Universalien inkorporiere.15 Vom Text ist laut Sachregister noch keine Rede, geschweige denn von Textlinguistik. G. Heibig (1990) ist eine Fortsetzung der "Geschichte der neueren Sprachwissenschaft", und zwar mit der Entwicklung seit 1970. Im Zusammenhang mit der sog. kommunikativ-pragmatischen Wende in der Linguistik konstituieren sich die diversen Einzeldisziplinen, von denen die Textlinguistik eine ist.16 Von Universalien ist keine Rede mehr, umso mehr aber von Text, sogar Textsorte etc. Gehen wir noch einmal auf die Einordnung der Textlinguistik in den besprochenen Systematiken zurück, so erweist sich die Textlinguistik bei G. Heibig (1990) in Teil II eingeordnet. Im Verlauf der linguistischen Orientierung der Sprachwissenschaft wurde auch die Diskussion über sprachliche Universalien geführt, aber ohne daß damit eine Disziplin der Linguistik explizit ausgebildet wurde. Für diese Universaliendiskussion muß eine Ungleichzeitigkeit gegenüber der Entfaltung der Textlinguistik konstatiert werden. Während die Erforschung der sprachlichen Universalien ihre Aktualität einbüßte, konsolidierte sich die Textlinguistik. Gleichzeitig verlief die Universaliendiskussion mit der linguistischen Diskussion der Syntax und der grammatischen Subebenen. Die Beantwortung von Fragen an die Textlinguistik hinsichtlich des Problems der sprachlichen Universalien ist noch nachzuholen. In diesem Beitrag wird also gefragt, ob der Text und auch die Textsorte als Ergebnis der Klassifizierung des Textaufkommens in der menschlichen Sprache zu den sprachlichen Universalien gehören. In einer empirisch begründeten Darlegung, d.h. am Beispiel von Texten, welche zu den Einfachen Formen gehören, wird hier eine positive Antwort gefunden. Dem Anliegen entsprechend sind Texte gewählt, deren Herkunft und Fundort sehr unterschiedlich sind, deren Verwendung, Thematik, kommunikative Funktion jedoch als übereinstimmend bzw. einander sehr ähnlich erkannt werden können. Als erster wird ein sehr bekannter Text, der im alten Testament der Bibel steht, herangezogen. 15 G. Heibig (1974: 306); kursiv bei Heibig. 16 G. Heibig (1988: 152-179). Text l17 Genesis 111-119 Der Turm von Babel 111 Es hatte aber die ganze Erde die gleiche Sprache und die gleichen Worte. 2 Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinear und ließen sich dort nieder. 3 Sie sprachen zueinander: "Wohlan, wir wollen Ziegel formen und sie brennen!" Der Ziegel diente ihnen als Stein, und das Erdpech diente ihnen als Mörtel. 4 Dann sagten sie: "Wohlan, laßt uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis zum Himmel reicht! Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen!" 5 Da stieg Jahwe herab, um die Stadt und denTurm anzusehen, den die Menschen gebaut hatten. 6 Und Jahwe sprach: "Siehe, sie sind ein Volk und sprechen alle eine Sprache. Das ist erst der Anfang ihres Tuns. Fortan wird für sie nichts mehr unausführbar sein, was immer sie zu tun ersinnen. 7 Wohlan, wir wollen hinabsteigen und dort ihre Sprache verwirren, so daß keiner mehr die Sprache des anderen versteht!" 8 Da zerstreute Jahwe sie von dort über die ganze Erde, und sie mußten aufhören, die Stadt zu bauen. 9 Darum nennt man sie Babel. Denn dort hat Jahwe die Sprache der ganzen Erde verwirrt, und von dort hat sie Jahwe über die ganze Erde zerstreut. Es ist der Bericht vom Turmbau zu Babel. Er kann nach Mesopotamien in die babylonische Geschichte zurückverfolgt werden, gehört also zu den ganz alten Erzählungen der Menschheit. Für die Tradierung sind viele Sprachen in der Vergangenheit und Gegenwart sowie in unterschiedlichsten Gegenden in Anspruch zu nehmen; zuerst die semitischen mit Akkadisch, Hebräisch, Aramäisch, dann das Griechische und das Lateinische. Eigentlich sind auch die Sprachen beteiligt, in welche die Bibel später übersetzt worden ist. Und das sind so gut wie alle. Hier wird die deutschsprachige Version vorgelegt. Der zweite Text steht an nicht so repräsentativer Stelle. Er erzählt von der Findung eines besonderen Käses. Text 218 "Es war einmal vor mehr als 2000 Jahren, als das Schicksal in Gestalt einer geheimnisvollen jungen Frau die Entstehung des Roquefort bewirkte", so sagt die Legende. Ein Hirte, der gerade sein Mittagsmahl in eine Felsengrotte gelegt hatte, um es ganz frisch zu halten, bemerkte ein junges, wunderschönes Mädchen. Sie zog ihn so sehr an, daß er ihr nacheilte. Tagelang lief er hinter ihr her, bis sie plötzlich am Horizont der Hochebene verschwand. Als er eines Tages zur Grotte zurückkehrte, fand er dort sein Roggenbrot und den Schafkäse wieder. Aber welcher Schrecken! Das Brot war verschimmelt und der Käse von zartgrünen Äderchen 17 Aus: DIE BIBEL. Die heilige Schrift des alten und neuen Bundes (1965), 20. Auflage, 9. Man hätte auch die Erzählung von der Sintflut o.a. als Text aus der Bibel wählen können. 18 Prospekt der Socićtć des Caves et Producteurs reunis de Roquefort. F-12250 Roquefort-sur-Soulzon, 7. durchzogen. Doch da er hungrig war, probierte er von dem Käse. Und ein Wunder war geschehen: Der einfache Schafkäse hatte sich in eine Köstlichkeit verwandelt. Die Geschichte steht im Prospekt einer französischen Firma, welche diesen Käse produziert und vertreibt. Der Name der Produktionsstätte in Frankreich ist zugleich der Name des Produkts: Roquefort. Man kann annehmen, daß die Erzählung in einer der historischen Sprachen, die man in der Landschaft des Larzac jemals sprach, formuliert wurde. Seit längerer Zeit nun vermittelt man auf Französisch diese Mär. Hier wird eine deutschsprachige Version vorgelegt. Es wird hier angenommen, daß der Text die Geschichte des Produktes seit langem begleitet und nicht etwa zum Zwecke der Werbung eigens "nachempfunden" wurde.19 Der dritte Text stammt aus Hessen. Er präsentiert die Deutung des Namens einer adligen Familie in Nordhessen zum Sächsischen hin: Von der Malsburg. Text 320 Ursprung der von Malsburg Die von der Malsburg gehören zu dem ältesten Adel in Hessen und erzählen: Zur Zeit als Karl der Große den Brunsberg in Westfalen erobert, habe er seine treuen und versuchten Diener belohnen wollen; einen Edelmann, namens Otto, im Feld vor sich gerufen, und ihm erlaubt, daß er sich den Fels und Berg, worauf er in der Ferne hindeute, ausmalen (d.h. eingrenzen, bezeichnen) und für sich und seine Erben eine Festung dahin bauen dürfe. Der Edelmann bestieg den Felsen, um sich den Ort zu besehen, auszumalen und zu beziehen; da fand er auf der Höhe einen Dornstrauch mit drei weißen Blumen, die nahm er zum Mal-, Kenn- und Merkzeichen. Als ihn der König hernach fragte, wie ihm der Berg gefalle, erzählte er, daß er 19 Dieser Gedanke wurde durch einen Text hervorgerufen, der in die aufwendige Werbeanzeige einer Kaffee-Firma mit dem farbigen Kopffoto eines Massai einmontiert ist. Die Analogie zum Roquefort-Text ist frappierend und beweist, daß eine Vergewisserung hinsichtlich dieser Textart und -funktion aus den Einfachen Formen (Legende) besteht, welche diese für veränderte Kommunikationszwecke (Warenwerbung) instrumentierbar macht. Eine Änderung der Pragmatik dieser Textsorte wird so herbeigeführt. Text 2a: In Afrika liegt der Ursprung des Kaffees. Seine Vorfahren erzählten, ein Pilger habe einst den Kaffe entdeckt. Er steckte seinen Wanderstock tief in den fruchtbaren Boden Afrikas um zu beten. Überrascht sah er, wie sich das trockene Holz seines Stockes in einen blühenden Kaffeestrauch voll roter Früchte verwandelte. Ein Wunder war geschehen. Seither reifen in dieser afrikanischen Erde die Bohnen für einen der besten Kaffees der Welt. Der würzigste aller Privat Kaffees läßt dieses Wunder wieder wahr werden: African Blue 20 U. Diederichs u. Ch. Hinze (1978: 77). Der Text ist über die Sagensammlung der Brüder Grimm von 1818 letztlich aus J.J. Winkelmann, Beschreibung der Fürstentümer Hessen und Hersfeld von 1697 überliefert. oben einen Dornbusch mit drei weißen Rosen gefunden. Der König aber sonderte ihm sein gülden Schild in zwei gleiche Teile, obenhin einen Löwen und unten drei weiße Rosen. An dem ausgemalten Ort baute Otto hernach seine Burg und nannte sie Malsburg, welcher Name hernach bei dem Geschlecht geblieben ist, das auch den zugeteilten Schild bis auf heute fortführt. (85) Die Erzählung ist nur von regionalem Interesse. Sie zeugt jedoch von einer allgemeinen Neigung, nämlich den Namen nicht lediglich als identifizierendes Sprachzeichen und bedeutungsarmes Etikett des Trägers aufzufassen, wie die Onomastik es nahelegt,21 sondern als Zeugnis, welches eine Erklärung und Würdigung der Namensträger abgibt. Dieses Bedürfnis nach Namensdeutung erscheint übrigens auch als universell. Die Namen werden "beim Wort genommen". Auch der Wappenschild, der den Adel auszeichnet und die Adligen unterscheidet, wird im Rahmen dieser bedeutsamen Sage beschrieben und aufgewertet. Zuletzt, als vierter Text, sei jener mit der unkonventionellen Interpunktion dokumentiert. Text 422 Erzählung. Thema: Schöpfungssage der Philippino. es gibt auf den z+ Philippinen +z eine +p+ alte Geschichte ,+ die im Volk erzählt wird +„+ wie die z+ Philippinen +z entstanden sind +,. +p+ zunächst gab es nur den Himmel und das Wasser. es gab noch kein Land. aber der Schöpfer hatte auch schon einen Vogel erschaffen. dieser Vogel flog nun zwischen dem Himmel und dem Wasser . nach einigem Flug ermüdete er und suchte ein Plätzchen i+ um sich niederzulassen zu können +i. er fand aber kein Land und konnte sich nicht niederlassen. nun sann der Vogel darauf,+ wie Land geschaffen werden könnte +„+ wie er einen Platz finden könne +, i+ um sich einmal auszuruhen +i. er hetzte zu diesem Zweck das Meer gegen den Himmel auf. das Meer schlug Wogen ,+ die gen Himmel spritzten +,. / der Himmel wurde darüber ärgerlich und setzte sich nun gegen das Meer zu Wehr ,+ indem vom Himmel herunter Steine geworfen wurden immer und mehr und immer mehr +,. durch dieses Abwerfen der Steine wurde schließlich das Meer beruhigt . und ,+ nachdem viele Steine abgeworfen waren +, schaute schließlich aus dem Meer an einigen Stellen Land hervor . dieses Land (das erste Land auf dieser Welt) waren die z+ Philippinen +z. es wird dadurch auch erklärt ,+ daß die z+ Philippinen +z ein so inselreiches Gebiet sind +, (ein Gebiet ,+ das etwa siebentausend Inseln umfaßt +,). denn durch die unregelmäßig abgeworfenen Steine sind nun an verschiedenen Stellen eben einzelne Landstücke aus dem Meer aufgetaucht. und dieses alles zusammen bildet die z+ Philippinen +z . damit gab es also die z+ Philippinen +z . aber es gab damit noch nicht den Philippino . wie ist nun dieser Philippino dieser Mensch in die Welt gekommen ? . +p+ die Götter fanden, + daß das Land ,+ was es nun gab +, doch recht einsam leer und unbewohnt sei +,. und sie beschlossen i+ den Menschen zu erschaffen +i. sie formten 21 Danach haben Namen identifizierende/indizierende Funktion und kaum begriffliche Bedeutung; vgl. R. Müller (1995b: 21). 22 Texte gesprochener deutscher Standardsprache I (1971: 76ff.). Es handelt sich um die Transkription der Tonbandaufnahme aus der Sendung "Zwischen Hamburg u. Haiti" des NDR Hamburg am 22.1.67. zu diesem Zweck einen grossen Lehmklumpen . und +p+ nun +p+ wollten sie diesem Lehmklumpen Leben einhauchen . hierzu schoben sie den Lehm zunächst in einen Backofen i+ um ihn zu backen +i. nach einiger Zeit schalteten sie den Ofen ab zogen den Lehmklumpen heraus mußte aber bestürzt feststellen ,+ daß sie offenbar zu lange gebacken hatten +, . der Lehmklumpen war dunkel finster . aber ,+ nachdem sie sich schon einmal die Mühe gemacht hatten +, hauchten sie ihm trotzdem Leben ein. und so entstand der Schwarze. sie wiederholten den Versuch ,+ da das erste Ergebnis nicht ganz befriedigte +,. sie formten einen neuen Lehmklumpen. sie schoben ihn in den Ofen. sie heizten den Ofen an und waren nun sehr vorsichtig. schon nach kurzer Backzeit zogen sie den Klumpen aus dem Ofen heraus, aber nun mußten sie feststellen ,+ daß sie die Backzeit doch zu kurz gewählt hatten +,. der Lehmklumpen war sehr hell geblieben . trotzdem auch jetzt (sie hatten sich einmal die Mühe gemacht) hauchten sie auch diesem Klumpen Leben ein . und so kam der Weiße auf diese Welt. bei einem dritten Versuch hatten sie nun genügend Erfahrung gesammelt ./ der nächste Lehmkloß ,+ den sie jetzt formten und in n Ofen schoben +, den buken sie eine +p+ genau richtige Zeit. und mit Freuden zogen sie nun einen leicht braunen Klumpen aus dem Ofen heraus . ihm hauchten sie Leben ein . und so entstand der wohlgebackene braunhäutige Philippino. Es ist eine Geschichte, die ein Reisender im Rundfunk erzählt hat, sie wurde in dieser Art transkribiert, um den mündlichen Stil hervortreten und auch in der schriftlichen Version ansichtig sein zu lassen. Der Reisende bedient sich hier der deutschen Sprache, aber der Inhalt deutet darauf hin, daß es sich um die Erzählung aus einer fernöstlichen Kultur handelt, welche zuerst in einer dort gebräuchlichen Sprache formuliert worden sein wird, vielleicht in der indonesischen Sprache Tagalog, von dem die Amtssprache der Philippinen unter dem Namen Pilipino hergeleitet ist. So auf Deutsch kommt sie sprachlich aus zweiter, vielleicht auch dritter Hand, wenn diese paradoxe Metapher hier einmal gebraucht werden darf. Bei diesen vier Texten soll es zunächst belassen werden. Es wurde die Diversifikation ihres Herkommens in mehrfacher Hinsicht, der Sprache, der Region, der Zeit, vorgenommen. Die Diversifikation ist aber gegen den Eindruck durchzusetzen, daß sich die vier Beispieltexte in wesentlichen Zügen auch gleichen. Da ist die Mitteilung des episodischen Inhalts und die sprachliche Reproduktion eines fiktionalen Geschehnisses, welche in konzentrierter Prosaformulierung mitgeteilt wird. Als Form haben sich narrative Texte angeboten, für die die deutsche Umgangssprache schon die bisher gebrauchten Benennungen eine Geschichte, eine Erzählung bereitstellt. Hier zeigt sich, daß Texte die finalen Gebilde der sprachlichen Äußerung sind. Früher ist das schon am Sprichwort, welches musterhaft als Ein-Satz-Text gebildet ist, angesprochen worden. Es soll mit der Weitung als finales Gebilde darauf hingewiesen werden, daß realistische Äußerung in Sprache überhaupt nur als Text erfolgt, und um auch damit zu zeigen, daß der Text an sich sprachliche Universalie ist. Das war auch schon vorherzusagen, als die Erkenntnis des superierten Aufbaus der Sprache eine transphrastische Ebene der grammatischen Deskription, die Textebene, verhieß. Als deren funktionale und formale Einheit muß der Text begriffen werden. Sein theoretisches Gewicht als sprachliche Universalie rechtfertigt die Textlinguistik als sprachwissenschaftliche Disziplin, welche die Existenzbedingungen des Textes erforscht und darstellt. Für eine weitere Auskunft werden die Texte wieder herangezogen, und zwar geht es um das für alle vier Gemeinsame und Übereinstimmende. Alle vier beschäftigen sich mit auffälligen Gegebenheiten, deren reale Existenz oder deren Herkunft bzw. Entstehung rational nicht erwiesen werden kann. Im ersten Text ist diese Gegebenheit die leidige Teilung der Menschheit in Völker mit unterschiedlichen Sprachen; im zweiten die erstaunliche Bindung des Roquefort und das Heranreifen des Käses durch Zusammenwirken von Mensch und Natur an einem bestimmten Herstellungsort, der landschaftlich exponiert ist. Im dritten Text ist es die Gegebenheit des hervorragenden Standes, der begüterten Ausstattung und der repräsentativen Wohnverhältnisse einer Familie mit Tradition, was alles begründet und legitimiert zu werden beansprucht. Der vierte Text zeugt von der Faszination der Philippinos von dem Archipel, der ihre Heimat ist, und von der Überzeugung, daß sie eigens als Bewohner dieses inselreichen Gebietes geschaffen wurden. Als weitere Auffälligkeit beachten die Philippinos ihre ideale Hautfarbe, die sich von den Extremen Schwarz und Weiß wohltuend unterscheide. Es handelt sich wohl um die Kontamination zweier Geschichten, von denen die zweite jünger ist und aus der Begegnung mit Menschen weißer und schwarzer Hautfarbe resultiert. Die Gegebenheiten, die für die Philippinos geheimnisvoll bzw. rätselhaft sind, liegen auf der Hand. Nimmt man die Zuordnung der vier Geschichten zu einer Textsorte vor, so wird zum Argument, daß die narrative Kurzform und die Funktion, eine Erklärung für nicht beweisbare Gegebenheit beizubringen, konvergieren. Das Ereignis, das die Erklärung bietet, wird in mythische Zeiten verlegt. Die Funktion, solcher Art Erklärungen zu schaffen, ist exemplarisch einer Textsorte zugeschrieben, der Sage. Dem würde auch A. Ohler (1986) beipflichten, die die auch hier herangezogene Turmbauerzählung aus dem Pentateuch in den methodischen Schritten der Literarkritik, der Textkritik und der Gattungskritik der Sage zuordnet. Die Turmbauerzählung erfülle weithin die Bedingung: "In Sagen sprechen Menschen, die von einer Erfahrung so beeindruckt sind, daß sie sie weitergeben wollen, die Hörer sind wiederum von der Erzählung so angetan, daß sie sie weitersagen, so entsteht die Sage, und so lebt sie fort: im Weitersagen", so daß sie die Turmbauerzählung weder historischen Bericht noch Mythos nennen will, sondern am ehesten eine Sage.23 Gleiches kann man für die drei anderen Beispieltexte in Anspruch nehmen.24 Das Klassifizierungsergebnis ist also, daß die vier Texte Sagen sind. Aus dieser Feststellung muß man zugleich auf die Existenz einer Textsorte schließen. Für die Sage ist dies bekannt. So wird sie von A. Jolles (1958) unter den Einfachen Formen 23 A.Ohler (1986: 29-34; Zitat 32). 24 Bei den Beispieltexten 2 und 2a (Anm. 19) tendiert man wegen des Frömmigkeitstopos "Wunder" zur Einschätzung als Legende, eine der Sage als Einfache Form nächstverwandte Textsorte. Es dominieren m.E. jedoch die Kriterien für Sage. aufgeführt und gedeutet. Eine Subklassifizierung wird von L. Röhrich (1971) vorgeschlagen. Eine Subklasse "Erklärungssagen", denen die vier Textbeispiele zu subsumieren wären, ist dort isoliert.25 Da die Identifizierung dieser Textsorte das Ergebnis von Textklassifikation ist, muß man damit rechnen, daß sie eine unter mehreren ist. Ein Textsorteninventar ist also zu konstatieren. Was hier für die eine Textsorte Sage demonstriert ist, hat man auch für Textsorteninventare anzunehmen, nämlich die Existenz in vielen weit voneinander entfernt existierenden Sprachen. Textsorte muß man also als sprachliche Universalie erkennen, und zwar in dem Sinne, daß jeder realisierte Text in irgendeiner Sprache zu einer Textsorte gehört. Der Terminus Textsorte steht für einen Begriff, hier z.B. für den alle Sagen umfangenden. Man kann die Textsorte als Universalie auffassen, ohne daß die Textsorteninventare verschiedener Sprachen übereinstimmen müßten. Die Textsorteninventare sind kulturbedingt und kulturabhängig, sowohl was den Umfang des Inventars, als auch was dessen Differenzierung betrifft. Mit der Veränderung und Entwicklung von Sprachkultur gehen Textsorten verloren, und neue entstehen. Das Ergebnis dieser Studie im Rahmen des übergreifenden Themas "Textsorten in der interkulturellen Kommunikation" konnte erreicht werden, indem Nachweise an Texten geführt wurden, die eine weite interkulturelle Verbreitung versprechen. Diese sollten zu Texten einer Textsorte, die schon in einfachen und ursprünglichen Kulturen vorhanden und damit weit verbreitet sind, also zu einer archaischen, am besten aus oraler Erzähltraditon stammenden gehören. Dies alles ist für Sagen der Fall. Sie gehören zudem zu den Texten, welche in großer Zahl existieren und, wie bei den Einfachen Formen zugehörigen typisch, in Sammlungen publiziert werden. Die Textsorte "Sage" wird mit H. Bausinger (1980) den Erzählformen der "Völkspoesie" subsumiert,26 was auch einen übereinzelsprachlichen Aspekt bietet und für die interkulturelle Verbreitung der Textsorte spricht. Die Allgegenwart der Textsorte "Sage" in den Sprachen erlaubt, sie zu den sprachlichen Universalien zu zählen. Somit lassen sich alle anderen Textsorten und der Begriff Textsorte, als sprachliche Universalien, als Textuniversalien auffassen. Literatur Bach, Emmon u. Harms, Robert T., Eds. (1968): Universals in Linguistic Theory. London, New York, Sidney, Toronto. Bausinger, Hermann (1980): Formen der "Volkspoesie". 2. Auflage. Berlin. 25 L. Röhrich (1971: 28-34). 26 H. Bausinger (1980: 179-195). Zur Standortbestimmung der Texte oraler Tradition in der Dichtung vgl. auch L. Röhrich u. E. Lindig. Hrsg. (1998). Brettschneider, Gunter u. Lehmann, Christian, Hrsg. (1980): Wege zur Universalienforschung. Sprachwissenschaftliche Beiträge zum 60. Geburtstag von Hansjakob Seiler. Tübingen. 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Als Universalien werden die Eigenschaften und Funktionen verstanden, welche allen Sprachen oder zumindest den allermeisten Sprachen eigen sind. Die Universalienforschung verebbte in der Phase der linguistischen Wissenschaftsgeschichte, als die Grammatikforschung mit ihrem Interesse über den Satz hinaus zum Text hin expandierte. Die Wissenschaft vom Text, Textlinguistik und Textpragmatik, wurde etabliert. Ihre Haupterkenntnisse liegen in der Erfassung des Gegenstandes Text als finale Einheit der sprachlichen Äußerung, in der Identifizierung der transphrastischen Zusammenhänge der Textstruktur, was zur Textgrammatik führt, und in der Entwicklung des Begriffes Textsorte im "emischen" Auffassungsbereich für das Sprachsystem. Im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext wird die Ungleichzeirigkeit der Universalien- und der Textforschung festgestellt, so daß die Frage nach Textuniversalien noch aussteht und Angelegenheit dieser Studie ist. Die Fragestellung wird anhand von vier Sagen, also vier zu den Einfachen Formen gehörenden und allenthalben vorfindlichen Texten mit bestimmter Funktion, abgehandelt. Im Ergebnis erweist sich der Text als sprachliche Universalie, und zwar in seiner Funktion als finale Einheit der sprachlichen Formulierung, und als Universalie erweist sich auch der Begriff der Textsorte, unter dem Texte gleicher oder ähnlicher Funktion zusammenzufassen sind, wie hier die Sagen. Povzetek BESEDILNE UNIVERZALIJE - OB KONKRETNIH BESEDILIH/BESEDILNIH POJAVIH Iskanje besedilnih univerzalij je deziderat jezikoslovnega diskurza. S zanimanjem za lastnosti, ki niso značilne le za en jezik, so si jezikoslovci priskrbeli slovnična spoznanja, ki so v skladenjski teoriji in določevanju LAD (language acquisition device) dosegla vrhunec pri N. Chomskyju. Hkrati je ločeno potekalo iskanje jezikovnih univerzalij, ki se je izkazalo kot uspešno in pripeljalo tudi do prikazov v priročnikih. Kot univerzalije razumemo lastnosti in funkcije, ki so lastne vsem jezikom ali vsaj večini jezikov. Raziskovanje univerzalij je uplahnilo v fazi lingvistične znanstvene zgodovine, ko se je raziskovanje slovnice razširilo od stavka na besedilo. Uveljavila se je znanost o besedilu, besedilna lingvistika in besedilna pragmatika. Njena glavna spoznanja temeljijo v pojmovanju predmeta besedilo kot dokončna enota jezikovnega izreka, v identifikaciji transfrastičnih povezav besedilne strukture, kar vodi v besedilno slovnico, in v razvoju pojma besedilna vrsta v distinktivnem področju pojmovanja za jezikovni sistem. V znanstvenozgodovinskem kontekstu je ugotovljena neistočasnost raziskovanja univerzalij in besedila, tako da vprašanje besedilnih univerzalij še ni rešeno in je predmet pričujoče študije. Vprašanje je obravnavano s primeri štirih sag, torej štirih besedil z določeno funkcijjo, ki spadajo med enostavne oblike in jih je mogoče najti vsepovsod. Rezultat študije je besedilo kot jezikovna univerzalija, in sicer v svoji funkciji kot dokončna enota jezikovnega oblikovanja, rezultat pa je tudi pojem besedilne vrste, ki zajema besedila z enako ali podobno funkcijo, kot so tukaj sage. Stojan Bračič Universität Ljubljana UDK81'373.612.2:81'42 INTERKULTURELLES UND INTERTEXTUELLES IN GEBRAUCHSTEXTEN A. RENAULT TWINGO. DER MACHT DIE WELT VERRÜCKT. APPARTEMENT, CA. 6 M2, SCHLAFZ., GÄSTEZ., GR. ABSTELLRAUM, WARM, MÖBLIERT UND AB SOFORT. EIN ZIMMER MIT AUSSICHT UND DIE LAGE NACH WUNSCH. FÜR TWINGO KEIN PROBLEM. DAZU GIBT'S SEIN UNSCHLAGBARES RAUMANGEBOT OHNE MAKLER, (freundin 1191 IS. 151) Wenn man sich die Werbung für den PKW Renault Twingo anschaut, sieht man, daß das Ganze eigentlich metaphorisch gedacht ist. Es handelt sich offenbar um eine komplexe Metaphorik, die nicht nur auf ein Lexem beschränkt ist, sondern fast über den ganzen Text hin entfaltet ist, jedoch nicht konsequent bis Ende durchgehalten wird. Ähnliches können wir auch im Text "Stellensuche: Vorsprung für Internet-Surfer" (freundin 19/96/S.126) feststellen, wo wir u. a. folgendes lesen können: "Wer sich online nach einem Job umsieht, ist Mitbewerbern einen SCHRITT voraus: Meist ist der Weg zum neuen Job eher ein HOLPRIGER PFAD als eine Autobahn: ENGPAß auf dem Arbeitsamt - interessante Angebote sind Mangelware. Mehr Auswahl bieten die Anzeigenmärkte der Tageszeitungen. Doch da antworten Hunderte - AKUTE STAUGEFAHR für Ihre Bewerbung. Die SCHNELLSTE ROUTE führt über den Daten-HIGHWAY: Das Internet ist die neueste Möglichkeit zur Jobsuche. In den USA seit Jahren erfolgreich, bieten jetzt auch deutsche Anbieter interessante WEGE, die passende Stelle zu finden - ganz OHNE SCHLAGLÖCHER. ... Bei allen Online-Jobbörsen kann man auch selbst ein Stellengesuch aufgeben. Und gelangt so vielleicht auf ALTERNATIVROUTEN zum Ziel." In dem ebenfalls der Zeitschrift freundin entnommenen Text "Das Geheimnis unseres Immunsystems" finden wir folgendes vor: "Eine starke TRUPPE: Ständig sind die ABWEHRZELLEN im Körper unterwegs, schwimmen durch das Lymphsystem auf der Suche nach FEINDEN... Für fast jeden EINDRINGLING gibt es eine SPEZIALEINHEIT, die sich sofort auf ihn STÜRZT. An VORDERSTER FRONT stehen die Freßzellen ... Die 'GENERÄLE' des ABWEHRSYSTEMS sind die T-Zellen: Sie IDENTIFIZIEREN unbekannte FEINDE, ORGANISIEREN über chemische Botenstoffe die ABWEHR und ZERSTÖREN auch selbst ERREGER. ... Aber die ABWEHRKRÄFTE sind nicht bei allen gleich STARK. Während sie bei manchen Menschen so gut wie jeden Bakterien- oder VirenANGRIFF problemlos ZURÜCKSCHLAGEN, müssen sie bei anderen schon vor minimalen ErregerINVASIONEN KAPITULIEREN... Ernährung. Ohne BAUMATERIAL, TREIBSTOFF und TRANSPORTMÖGLICHKEITEN ist auch die STÄRKSTE ARMEE hilflos." (26/96/S.55) In diesen drei Fällen geht es darum, daß Wissensmuster (vgl. Sandig 1989: 134) aus einem Bereich der menschlichen Tätigkeit, der bekannt und vertraut ist, auf andere Gebiete übertragen werden: Angenehmer Komfort eines Appartements wird auf das Auto angewendet, das Wissensframe (vgl. auch sog. globale Muster bei Heinemann/ Viehweger 1991: 68 ff.) aus dem Bereich Verkehrswesen (Straßennetz und Bewegungsschnelligkeit auf Autobahnen) auf Wege und Umwege, wie man zu einer neuen Stelle kommen kann, und im dritten Fall unser allgemeines Wissen von den militärischen Organisationsstrukturen auf unser körperliches Abwehrsystem und seine Aktivität im Fall einer Krankheit.1 In allen drei Fällen haben wir somit ein Tertium comparationis als die Bedingung dafür, daß man bei zwei Bezeichnungsobjekten (Schippan 1984: 93), zwischen denen Ähnlichkeitsrelationen vorhanden sind, von metaphorischer Übertragung sprechen darf. Was dabei unsere Aufmerksamkeit weckt, sind folgende zwei Fakten: a) es geht um keine Einzelmetaphern auf der Lexemebene - wie z. B. spitze Bemerkung: eine solche, die wie spitze Gegenstände verletzen kann - sondern, wie oben bereits angedeutet, um komplexe, entfaltete, "umfassende" (a.a.O. : 211) Metaphern, die sich über den ganzen Text oder mindestens über größere Textsegmente hinweg erstrecken, und b) diese komplexe Metaphorik ist nicht nur in literarischen Texten vorzufinden, sondern auch in Sach-, d. h. Gebrauchstexten. Diesem Phänomen möchte ich in meinem Beitrag nachgehen und stelle mir dabei in Anbetracht der oben hypostasierten Problemstellung folgende Fragen: 1. Wie ist es um die komplexe Metaphorik auf der Textebene bestellt? Kann man in diesem Fall schlechthin von einer besonderen Textsorte sprechen, etwa von der Parabel, Allegorie, vom Gleichnis? 2. Welche Funktionen kommen der komplexen Textmetaphorik in Sachtexten zu? 3. Welche interkulturellen und intertextuellen Implikationen lassen sich dabei nachweisen? B. Um diese Fragen beantworten zu können, versuche ich den unten angeführten Text aus der Zeitschrift Elle, der ein Gebrauchstext ist, zu analysieren. Für Gebrauchstexte ist es bekanntlich charakteristisch, daß sie einem mehr oder weniger 1 Sandig spricht in solchen Fällen von der "Militärmetaphorik" (1989: 134). 62 praktischen Zweck im alltäglichen Leben dienen, z. B. dem Informieren, Berichten, Instruieren u. d. m. Nach Dimter (1981: 35) werden unter Gebrauchstexten jene Texte verstanden, mit denen in der Regel "kein besonderer ästhetisch-literarischer Anspruch" verbunden wird. Rolf sieht das Typische der Gebrauchstexte darin, daß in ihnen "mit der Realisierung einer Gebrauchstextsorte ein praktischer Zweck, ein in der Praxis auftauchendes Problem angegangen wird" (1993: 314), weshalb sie nicht für ein Publikum hergestellt werden und sich dadurch grundsätzlich von literarischen Texten unterscheiden, die in erster Linie dem ästhetischen Vergnügen frönen und künstlerische Ziele verfolgen (vgl. Wilpert 1969: 324). Daß Grenzen zwischen ihnen manchmal schwer zu ziehen sind, gilt auch als unbestritten. (Vgl. Brinker a.a.O.) Rolf hat in seiner Monographie zu Gebrauchstexten (1993: 165) über 2000 verschiedene Gebrauchstextsortenbezeichnungen herausgearbeitet, die lexikalisiert sind und zu denen u. a. auch Textsorten gehören wie z. B. Fahrplan des Zuges, Hausordnung, Rechtsmittelbelehrung, Vermißtenanzeige, Speisekarte, Korrekturvorschriften u. a. m. Der Rolfschen Klassifikation liegen die fünf Klassen der Sprechakte nach Austin und Searle zugrunde, so daß er assertive, direktive, kommissive, expressive und deklarative Gebrauchstextsorten unterscheidet (a.a.O.: 172). Das Basiskriterium ist somit die kommunikative Intention, die Illokution und die damit zusammenhängende Funktion einer jeweiligen Textsorte (a.a.O.: 311). Der Text: Was uns stark macht Die richtige Einstellung und intelligente Strategien - das gibt Power für den Alltag. Elle sagt, was Goliath-Frauen falsch machen (viel Energieverlust, wenig Effekt). Und wie Sie eine David-Frau (gezielter Einsatz, perfekter output) werden (I.) Die Puderdose liegt auf ihrem Schoß, der Schminkbeutel auf der Ablage rechts. Warum machen diese Deppen auf der Fahrerseite keinen Spiegel auf die Sonnenblende, flucht sie in sich hinein. Erste Ampel: Lippenkonturen, Lippenstift. Zweite Ampel: Kajal hinmalen. Kurz nach Ampel drei passiert es: Sie tritt so fest auf das Bremspedal, wie sie kann. Zu spät. Hastiger Griff zum Handy. "Ich komme leider erst um zehn, weil ich einen kleinen Auffahrunfall hatte." Beinahe dankbar ist sie für den Blechschaden: Zu spät gekommen wäre sie nämlich sowieso zu der seit langem angesetzten großen Konferenz, nur eben ohne triftige Entschuldigung. (II.) Die Kollegin im Büro, der sie die Unfallursache gesteht, meint nur: "Sei froh, daß du noch beide Augen hast. Warum schminkst du dich auch beim Fahren?" Und sie antwortet in klassischer Selbstverteidigung: "War eben wieder dieser verdammte Streß." (III.) Nur: Woher kam der? Die Kollegin hat zwei Kinder (wovon immer mindestens eines eine Kinderkrankheit durchmacht), einen Ehemann, einen kranken Vater im Stock darüber, und für ihren Weg zum Büro braucht sie eine halbe Stunde länger. Ihr Job ist mindestens so anstrengend wie der der anderen, und außerdem ist sie eine hingebungsvolle Gastgeberin mit einem kunterbunten großen Freundeskreis. Trotzdem wirkt diese Frau eigentlich nie gestreßt oder genervt. Sie dagegen hat einen betuchten Freund, keine Kinder, ein pflegeleichtes Appartement, und zweimal die Woche kommt eine Putzfrau. Trotzdem ist sie ständig im Streß oder einfach fertig mit den Nerven. (IV.) Immer mehr Frauen kriegen einen Herzinfarkt, denn immer mehr Frauen leiden unter Streß. So triumphierten eine Zeitlang alle, die es schon immer gewußt hatten: Gratis gibt's die Emanzipation nicht. Und diese Superfrauen, die Kindererziehung, Karriere und Sex mit dem Partner gleichermaßen bravourös durchziehen, wären sowieso für den Infarkt prädestiniert. So paßt es ins Programm der Neider. Wahr ist es deshalb noch lange nicht. (V.) Diejenigen, die beim Psychotherapeuten liegen und drei Tage krankgeschrieben werden wollen wegen vegetativer Dystonie, die Magen- und Hautprobleme haben, Spannungskopfschmerzen und alles andere, was unter "psychosomatisch" läuft, haben meistens nicht zuviel zu tun, sondern zuwenig Strategie. Wer wissen will, wie die richtige Strategie aussieht, möge nicht zum Telefonbuch greifen, um einen Kurs zu buchen bei den derzeit modischen Zeitplanunternehmen. Sondern zur Bibel. Dort findet sich im Alten Testament im 1. Buch Samuel die Geschichte von David (schön, aber schmächtig, unmuskulös und unerfahren) und Goliath (athletisch, erfahrener Schläger, Typ Bodybuilder). Im Schaukampf der beiden gewinnt bekanntermaßen der zarte David: Sein Sieg ist ein Sieg des Hirns über den Bizeps, der Intelligenz über die Potenz. Der Hirtenbub David setzt den Bodybuilder Goliath außer Gefecht, indem er mit einer Steinschleuder auf dessen Stirn zielt. Und trifft. (VI.) Was David auszeichnet, zeichnet auch jene Frauen aus, die es schaffen, beruflich erfolgreich und privat glücklich, gutaussehend und dabei auch noch gutgelaunt zu sein. Die David-Tugenden. 1. David ist offen und beweglich. Er ist nicht bewehrt wie Goliath, der einen bleischweren Schuppenpanzer, Beinschienen und einen Helm aus Erz trägt. David tritt zum Kampf im Hemd an. Das heißt: David-Frauen wappnen sich nicht ängstlich mit Argumenten. Denn wer gnadenlos und perfekt gerüstet in einen Kampf geht - ob das eine Konferenz, eine private Diskussion oder ein Vörstellungsgespräch ist - hat es schwer. Ist zu sehr mit dem Ballast beschäftigt und nicht imstande, schnell und wendig die Richtung zu ändern. Wer unbeschwert und unbelastet reingeht, kann schnell, spontan und flexibel auf Unerwartetes reagieren. Die David-Frau sagt sich: Verpennt? Gut, dann geh ich eben ungeschminkt in die Konferenz. Die Goliath-Frau baut statt dessen den Auffahrunfall. 2. David läßt sich nicht bluffen. Goliath plustert sich vor dem Kampf fürchterlich auf, was alle verschreckt, nur David nicht. Er vermutet zu Recht hinter Goliaths Gerede eine unsichere Persönlichkeit. Das heißt: David-Frauen lassen sich von Verbalprotzen nicht einschüchtern. Sie nehmen instinktsicher wahr, wo und wie der andere zu verunsichern ist. Und sparen sich die Kraft, auf das Selbstlob von anderen einzugehen (genausowenig, wie sie von sich selbst behaupten müssen, sensationell zu sein). Goliath-Frauen verschleißen viel Energie und Phantasie, um mehr oder weniger wahrheitsgemäß zu berichten, wer sie alles unwiderstehlich, blitzgescheit etc. gefunden habe. 3. David ist sich sicher, daß er für die richtige Sache kämpft. Er glaubt daran, daß sein Ziel und sein ethischer Rückhalt richtig sind. Bei David-Frauen ist das ähnlich. Sie haben ein inneres Selbstverständnis, über das sie allerdings nicht ständig reden müssen. Daher sparen sie Zeit und Kraft, nach Motiven und Rechtfertigungen zu suchen für das, was sie tun oder lassen. Sie sagen sich beispielsweise: Meine Familie ist mir einfach am nächsten. Und haben dabei keine Gewissensbisse. Bei Goliath-Frauen haben Aktionen häufig nur ein Ziel: andere zu beeindrucken. Und sie neigen wie ihr Namenspatron dazu, sobald sie nervös werden, den Gegner zu beleidigen oder schlechtzumachen. 4. David ist ein geborener Stimmungsaufheller - obwohl er sieben Brüder hat, die nicht gerade nett sind zu ihm. Im Kapitel vor dem einschlägig bekannten wird erzählt, daß David den depressiven und daher oft bösartigen König Saul in gute Laune versetzte, indem er ihm auf der Zither vorspielte. David-Frauen beherrschen das ebenfalls: Sie lächeln, streicheln oder blödeln Widerstände einfach weg. Kaum legt so eine Frau der ergrimmten Kollegin oder dem streitbaren Gatten die Hand auf den Arm, werden die mild wie Sahnejoghurt. Goliath-Fauen schaffen das nicht: Sie tun sich schwer, über den eigenen Schatten zu springen, denn es ist ihnen wichtiger, recht zu haben als Frieden zu finden. 5. David beherrscht die Techniken, die für ihn wichtig und ihm nützlich sind. Und die ihm liegen. Er kann eines perfekt: mit der Steinschleuder umgehen. Die angebotene Rüstung des Königs probiert er zwar brav an, zieht sie aber gleich wieder aus. Das ist nicht sein Ding. David-Frauen wissen auch genau, was sie beherrschen, wo sie treffsicher sind. Sie wollen nicht alles können, konzentrieren sich auf ihr besonderes Talent und haben deswegen Erfolg. Goliath-Frauen wollen überall die besten sein (schon eine Freundin, die fünf Kilo weniger auf den Knochen hat, ist ihnen ein Dorn im Auge). Das streßt natürlich und entmutigt sie schließlich. 6. David ist ein Einzelkämpfer. Goliath tritt mit Schildträgern auf, David hingegen, das schmale Hemd, ohne jeden Geleitschutz. Und daher entscheidet er auch schnell und allein, nachdem der Riese bewußtlos am Boden liegt: Jetzt heißt es hingehen und den Kerl köpfen. David-Frauen sind trotz Familie oder anderer Bindungen Einzelkämpferinnen. Was allerdings nicht heißt, daß sie nicht teamfähig sind. Aber sie wissen, daß es bestimmte Entscheidungen gibt, die sie alleine fällen müssen, ohne vorher eine Meinungsumfrage zu starten. Goliath-Frauen geben sich zwar selbst- und siegessicher. Weil sie aber im Grunde unsicher sind, holen sie vor einer Entscheidung so viele Meinungen ein, daß sie schließlich nicht mehr wissen, was ihre eigene war oder ist. Was sie natürlich nie zugeben würden: Sie machen das auch, um einen Schuldigen zu haben, falls sich die Entscheidung als falsch entpuppt. 7. David kann seine Kräfte einschätzen, seine Schwächen zugeben. Und ist sich immer dessen bewußt, daß es etwas Größeres gibt auf dieser Welt als ihn. "Der Herr führt den Kampf", erklärt er den Gegnern. Im Fall Davids ist es sein Glaube, der ihn angstfrei macht. Er kann seine eigene Bedeutung relativieren. Anders gesagt: Er nimmt sich nicht zu wichtig. David-Frauen überschätzen sich und ihr Einzelschicksal genausowenig. Daher hadern sie auch nicht mit ihrem Schicksal. Goliath-Frauen fühlen sich dauernd vom Unglück verfolgt, weil sie in ihrer Nabelschau das Leid der anderen nicht wahrnehmen. Und weil sie nichts kennen, das ihnen wichtiger wäre als ihr eigenes Wohlergehen. (VII.) Wenn eine Goliath-Frau zur David-Frau werden will, muß sie damit beginnen, sich selber aus dem Mittelpunkt zu rücken. Sie muß lernen zuzugeben, daß ihr Streß selbstgemacht ist. Und sie muß es schaffen, über ihre Streß-Reaktionen zu lachen. Was sich übrigens trainieren läßt: Wer sich beim Ausrasten und entnervten Rumfuhrwerken einmal zuschaut wie bei einem Film, muß das Ganze zwangsläufig saukomisch finden. Die Folge ist ebenso einleuchtend wie hilfreich: Wer sich selber auf den Arm nehmen kann, nimmt manches andere auch viel leichter. EVA GESINE BAUR Elle 12 (Dezember)/96, S. 78-84. Die Proposition unseres zu analysierenden Mustertextes ist die gegenwärtige aktuelle Problematik der Frauen, ihre Überlastung und der damit zusammenhängende Streß, mit dem sie meistens nicht fertig werden, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Es wird aber auch ein Ausweg aus dieser schwierigen Lage suggeriert, und zwar in der richtigen Strategie, die den Frauen in den alltäglichen Auseinandersetzungen mit anfallenden Verpflichtungen meistens fehlt. Nach Rolf ginge es in unserem Fall um einen z. T. assertiven Text (subsidiäre Funktion), denn "die assertiven Textsorten dienen der Informationsvermittlung" (1993: 172), hauptsächlich aber um eine direktive Textsorte (dominierende Funktion), u. zw. um einen "nicht-bindenden" direktiven Text "bei Textrezipienteninteresse" (a.a.O.: 257), denn darin "richtet sich das Interesse des Textrezipienten auf ein Problem" (ibid.), das vom Adressaten nach Möglichkeit bewältigt werden soll (vgl. a.a.O.: 223 u. 245). Mit anderen Worten haben wir es in diesem Fall mit einem psychologischen Beratungstext oder mit Franke (1996: 249 ff.) mit einem ratgebenden Aufklärungstext zu tun. Welche Strategien sich Frauen aneignen sollten, damit sie Herr der Lage werden, wird vermittelt, und zwar so, daß in Gedanken beim bekannten David-GoliathZweikampf aus der Bibel zugesehen wird.2 Diese Bibelgeschichte wird als Folie dem gesamten Gebrauchstext unterlegt, sie dient als komplexe Metapher, auf der die Autorin unseres aufklärenden Gebrauchstextes Schritt für Schritt erklärt, was eine Goliath-Frau 2 Ein entscheidendes intertextuelles und interkulturelles Moment im Text, welches auf das enzyklopädische Wissen der Verfasserin hindeutet. - eine solche ohne Strategie - zu tun hat, um eine David-Frau zu werden - eine solche, die - mit richtiger Strategie gewappnet - erfolgreich den Alltag meistert.3 Der Reihe nach werden jene Tugenden Davids geschildert, die ihn, obwohl schmächtig und unmuskulös, dazu befähigt haben, den athletischen Schläger, Typ Bodybuilder, Goliath, zu besiegen. 1. Im VI. Absatz (1) lesen wir: "David ist offen und beweglich. Er ist nicht bewehrt wie Goliath..." Das ist jenes Tertium comparationis, auf dem eindeutig und explizit eine Parallele zu David-Frauen gezogen wird: "Das heißt: David-Frauen wappnen sich nicht ängstlich mit Argumenten." Dieses Tertium comparationis - Offenheit und Beweglichkeit -ist der Bibel entnommen, es ist eine Tatsache, von der ausgegangen wird, eine thematische Problemstellung (vgl. Bračič 1994: 15), die analysiert und erklärt wird. Hier drängt sich der Begriff des Explanandums von Brinker auf, wenn er von der explikativen thematischen Entfaltung (1988: 64 ff.) spricht. Diese verläuft in der von mir analysierten Textpassage jedenfalls nicht ganz linear und durchsichtig: während äußere Umstände - nach Brinker (1988) sog. Anfangs- oder Randbedingungen (65) ("Er ist nicht bewehrt ..., ... tritt zum Kampf im Hemd an") - noch aus der biblischen Sphäre des Zweikampfes stammen, so greift die allgemeine Gesetzmäßigkeit der erklärenden Kategorie, nach Brinker (a.a.O.) eine Komponente des Explanans, z. T. schon auf die Sphäre der David-Frau über: "... wer gnadenlos und perfekt gerüstet in einen Kampf geht - ob das eine Konferenz, eine private Diskussion oder ein Vorstellungsgespräch ist - hat es schwer. Ist zu sehr mit dem Ballast beschäftigt und nicht imstande, schnell und wendig die Richtung zu ändern." Aufgrund dieses Vergleichs wird auch das erwünschte Explanandum auf der Ebene der David-Frau herbeigeführt: /"Wer unbeschwert und unbelastet reingeht (z. B. in eine Konferenz, S.B.)/, kann schnell, spontan und flexibel auf Unerwartetes reagieren." Und diese David-Frau-Tugend wird noch zusätzlich exemplifiziert4: "Die David-Frau sagt sich: Verpennt? Gut, dann geh ich eben ungeschminkt in die Konferenz. Die Goliath-Frau baut statt dessen den Auffahrunfall" (vgl. Absatz I.). In diesem einen Absatz begegnet eine kunterbunte, stark verschränkte Mischung verschiedener Elemente, die jedoch aufeinander abgestimmt sind und überzeugend wirken. Mit Barbara Sandig (1989: 136) könnte man von verschiedenen Mustermischungen sprechen: Das Wissensmuster der Bibel wird mit dem Wissensmuster der Alltagserfahrung der Frau gemischt, das Handlungsmuster des Beschreibens kombiniert sich mit Elementen der Handlungsmuster Vergleichen, Erklären und Explizieren. David steht Goliath gegenüber, David-Frau der Goliath-Frau, was David Goliath überlegen macht, wird auf Frauen übertragen und angewendet. Das Ergebnis dieser Mustermischung ist ein effektvolles metaphorisches Bild. Die zu vermittelnden Sachverhaltszusammenhänge werden also nicht direkt versprachlicht. Eine 3 Im folgenden metaphorischen Textgestaltungsprozeß sehe ich eine Komponente der Textlokution. Auf die Begründung dafür werde ich im weiteren noch zurückkommen. (S. Anm. 5.) 4 Vgl. zur Frage der Exemplifizierung bei Greule 1995: 64. unmittelbare Darbietungsform würde nämlich der Überzeugung von Medienpraktikern und -Wissenschaftlern zuwiderlaufen, daß Ratschläge und Informationen in Ratgebertexten auf anschauliche und unterhaltsame Weise darzubieten seien, um die anonyme Monotonie und Unidirektionalität der massenmedialen Kommunikation zu überspielen (vgl. Franke 1996: 258). Mit der Metaphorisierung wird über Assoziationsbeziehungen in die Darbietungsform eine neue Sichtweise, eine Perspektivierung gebracht, denn mit Weinrich werden "Analogien ... der Natur nicht abgelesen, sondern in sie hineingelesen als unsere Entwürfe, als unsere Hypothesen" (zit. nach Lewandowski 1994: 708). Diese Metaphorik zieht sich praktisch durch den ganzen restlichen Text hindurch. Auf ähnliche Weise werden so auch weitere Tugenden Davids erklärt und auf die David-Frau übertragen. In gedrängter Form führe ich hier die weiteren David-Tugenden, wie sie im Text geschildert sind, an: — Wie sich David nicht von Goliath bluffen ließ (Absatz VI./2.), weil er hinter Goliaths Gerede zu Recht eine unsichere Persönlichkeit vermutete, so lassen sich auch David-Frauen nicht von Verbalprotzen einschüchtern. — David ist sich sicher, daß er für die richtige Sache kämpft (Absatz VI./3.) und einen ethischen Rückhalt hat, auch David-Frauen haben ein inneres Selbstverständnis, aus dem sie Kraft schöpfen. — David ist ein Stimmungsaufheller (Absatz VI./4.), auch David-Frauen lächeln, streicheln oder blödeln Widerstände einfach weg. — David probiert zwar die angebotene Rüstung des Königs brav an (Absatz VI./5.), zieht sie aber gleich wieder aus und bleibt bei dem, was er beherrscht, bei der Steinschleuder, mit der er dann Goliath auch besiegt - auch David-Frauen wollen nicht alles können und konzentrieren sich auf ihr besonderes Talent. — Sowie David ein Einzelkämpfer ist (Absatz VI./6.) und somit genau weiß, wann Goliath zu köpfen ist, genauso fällt die zwar durchaus teamfähige David-Frau selbst wichtige Entscheidungen und wälzt die Verantwortung nicht auf andere ab, wenn in der Folge was schief geht. — David kann seine Kräfte einschätzen und seine Schwächen zugeben. Auch David-Frauen beherrschen die Kunst des Relativierens (Absatz VI./7.) und überschätzen sich und ihr Schicksal nicht. Daß gerade das Gegenteil jeweils für Goliath bzw. Goliath-Frauen zutrifft, muß nicht extra hervorgehoben werden. C. Aufgrund des bisher Ausgeführten erhebt sich erneut die eingangs bereits gestellte Frage: Haben wir in unserem Fall neben der oben erwähnten Wissensmuster-und Handlungsmustermischung auch eine Textsortenmischung? Ist unser Text ein Gleichnis, ist er eine Parabel, eine Allegorie oder doch nur ein aufklärender Sachtext? 68 Bevor diese Frage beantwortet werden kann, müßten wir uns einer anderen Problemstellung zuwenden. Bekanntermaßen sind Allegorie, Gleichnis und Parabel literarische Textsorten, die, häufig auf biblische Ereignisse züruckgreifend, eine Lehre vermitteln. Allegorie wird dabei als Symbolisierung nicht unbedingt auf der Textebene realisiert, ein Gleichnis beruht auf direkten Verknüpfungen und Parallelen im Sinne von "so ...wie" (Meyers Lexikon 1981: 10/455), während Parabeln unter Berufung auf andere Geschichten mehr indirekt zu belehren suchen. Propositions- und illokutions-mäßig kämen also für unsere Zwecke in Frage Gleichnis und Parabel: beide beziehen sich referentiell auf eine Geschichte, aus der eine Lehre zu ziehen ist. Bezüglich der Textlokution, d. h. der sprachlich-formulativen Mittel, die bei solchen Analysen als dritter zu beachtender Parameter heranzgezogen werden (vgl. bei Fix 1993: 122), möchte ich zwei weitere Aspekte unter die Lupe nehmen: die Textstruktur und die Textsyntax.5 Textstrukturell scheint es im Text einen zentralen Punkt, eine Art Achse zu geben, um die sich der Text dreht. Dieser zentrale Punkt ist repräsentiert durch die Äußerung im V. Absatz: "Diejenigen, die beim Psychotherapeuten liegen und drei Tage krankgeschrieben werden wollen wegen vegetativer Dystonie, die Magen- und Hautprobleme haben, Spannungskopfschmerzen und alles andere, was unter 'psychosomatisch' läuft, haben meistens nicht zuviel zu tun, sondern zuwenig Strategie." Das ist eine von der Textautorin aufgestellte These, die durch den Modaloperator meistens in ihrer Extension relativiert wird. Tatsachenfeststellungen, auf die sich diese These stützt sind (IV. Absatz): "Immer mehr Frauen kriegen einen Herzinfarkt, denn ..." Im letzten (VII.) Absatz befindet sich die Regel, die besagt, weshalb die These plausibel ist: " Wenn eine Goliath-Frau zur David-Frau werden will, muß sie damit beginnen, sich selber aus dem Mittelpunkt zu rücken. Sie muß lernen ..." Das in den ersten drei Absätzen enthaltene Textsegment ist eine Art Einbettung, die die These und Tatsachenfeststellungen situiert. Diese Untergliederung stimmt mit den Kategorien der argumentativen thematischen Entfaltung nach Brinker (a.a.O.: 68 ff.) überein, u. zw. mit den Parametern Einbettung, These, Argument, Schlußregel, Modaloperator. Es fehlt eigentlich die sog. Stützung mit der Wertbasis, und diese Stützung ist eben das mittlere Textsegment (ab Zeile 4 des V. Absatzes), wo auf die oben bereits dargelegte Art und Weise explizit erläutert wird, was David und David-Frauen einerseits bzw. Goliath und Goliath-Frauen andererseits gemeinsam haben. Unter Berufung auf die Bibel, auf die christliche Tradition als Fundament der 5 Zur Textlokution gehören m. E. verschiedene oben dargelegte Mustermischungen, aber auch der Einsatz von Sprachhandlungstypen, aus der Überlegung heraus, daß bei der durchaus berechtigten Transposition der Sprechakttheorie von Satz auf Text, der Text als Träger ein und derselben Handlung verschiedene Illokutionen realisieren kann. Als Beispiel sei die Erzählung mit den Intentionen des Unterhaltens oder Werbens angeführt. Sprachhandlungstypen können m. E. nicht als Textillokutionen gelten, sie sind vielmehr das Mittel, der Weg, der zum Ziel, d. h. zu einer Textillokution führt. Ansonsten geraten wir bei jeder Textmustermischung als indirektem Sprechakt in eine Aporie: Erzählen wird etwa in Werbetexten eingesetzt, um zu werben, und nicht, um zu erzählen. (So auch bei Fix 1993: 124.) deutschen Kultur (Schlosser 1983: 251) wird eine Art Stützung, eine moralische Kraft und Berechtigung für das Argumentieren gesichert. Was die Textsyntax anbelangt, läßt sich folgendes vermerken: Die Textsyntax zeichnet sich hier dadurch aus, daß sie klar und explizit ist: keine Komprimierungen und Verdichtungen sind vorhanden, die häufig in poetischen Texten vorkommen und deren Auflösungen zwangsläufig zu einseitigen Festlegungen führen (vgl. Fix 1997: 11). Die Textkohäsion ist evident, es gibt keine Syntax "in den Köpfen" der Leser (a.a.O.: 1), deren Rekonstruktion auf dem Papier mit einer Bedeutungsvagheit verschiedener Lesarten verbunden ist. Zur Bekräftigung dieser Feststellungen führe ich für den mittleren Teil des Textes (Kapitel VI./1.-7.) zwei Beweise auf: 1. Eindeutige Vergleichskonnektoren: daß heißt (in VI./1. und VI./2.):"Das heißt: David-Frauen wappnen sich nicht ängstlich mit Argumenten"; ähnlich (in VI./3.): "Bei David-Frauen ist das ähnlich"; wie (Absatz VI./3.): "Sie neigen wie ihr Namenspatron dazu ..."; ebenfalls (VI./4.): "David-Frauen beherrschen das ebenfalls ..."; auch (VI./5.): "David-Frauen wissen auch ..."; genausowenig (VI./7.): "David-Frauen überschätzen sich ... genausowenig." 2. Präzise Erklärungen des Tertium comparationis und dessen Anwendung auf Frauenverhältnisse (z. B. in VI./2. oder in VI./5.): Die Metaphorik wird auseinandergenommen, es geht beinahe um eine Vivisektion des metaphorischen Mechanismus bis ins Eingeweide hinein. Wozu? Wir müssen uns vor Augen führen, daß es sich in unserem Fall um einen aufklärenden Gebrauchstext handelt. Und die Devise dieses aufklärenden Gebrauchstextes könnte heißen: Sprachliche Bilder ja, aber keine Zweideutigkeiten. Die grundlegende Intention eines aufklärenden Sachtextes liegt (nach Franke 1996) darin, daß das vorhandene Wissensdefizit bei einem dispersen Publikum behoben wird (257). Das deckt sich mit der Erwartung des potentiellen Leserkreises und hängt langfristig mit der redaktionellen Politik einer Zeitschrift zusammen. Vor diesem Hintergrund läßt sich auch der wesentliche Unterschied zwischen der sprachlichen Bildlichkeit in Gebrauchstexten und in literarischen Texten erörtern. In literarischen Texten scheint alles Übertragene, so auch die Metaphorik, im Dienst eines ästhetischen/künstlerischen Genusses zu stehen, Doppelbödigkeiten sind erwünscht, der Rezipient sieht mit voller Akzeptanz seine Rolle darin, sich aufgrund verschiedener Inferenzbeziehungen mit uneigentlichen Versprachlichungen auseinanderzusetzen, um unterschiedliche Lesarten herauszufinden. Das Bildliche in Sachtexten dagegen ist -wenn auch bisweilen auf kleinere Rezipientengruppen beschränkt - eindeutig und auf keine Verfremdungseffekte bedacht, hauptsächlich dient die Bildlichkeit in Sachtexten der Argumentation und Verlebendigung, Ästhetisches und Unterhaltung können dabei nur als nebensächliche Begleiterscheinungen betrachtet werden. So wird es plausibel, daß Mustermischungen auf der Textebene in erster Linie der Textfunktion dienen: Daraus ist zu schließen, daß in unserem Fall das in das mittlere Textsegment (Absatz VI./1.-7.) eingebaute Gleichnis - um die Differenzierung von der Parabel außer acht zu lassen - ein demontiertes, verzerrtes ist, weil die prototypische Gleichnislokution mit ihrer Verschlüsseltheit ein zu hohes Risiko für die Akzeptabilität seitens des Rezipienten in sich birgt.6 D. Die beiden eingangs gestellten Fragen scheinen mir damit beantwortet zu sein. Es bleibt noch die dritte bezüglich der Interkulturalität und Intertextualität in Sachtexten. Hierbei scheint interessant zu sein, daß die Bibel nicht nur in unzähligen literarischen Werken intertextuell überarbeitet wird,7 sondern daß auf sie nach 2000 Jahren auch noch so aktuell referiert werden kann, wie in unserem Beispieltext. Die Bibel gehört mit der antiken Mythologie und der altorientalischen Philosophie (man denke nur an den Westöstlichen Divan bei Goethe; orientalische Motivik finden wir bekanntlich auch bei Brecht) zu jenen Schätzen menschlichen Schaffens, die nicht nur interkulturell von Bedeutung sind, sondern die über alle Grenzen hinweg mit einem geradezu transkulturellen Gepräge in allen menschlichen Tätigkeitsbereichen, allen Textsorten, Gattungen und Stilen direkt oder indirekt ihren Niederschlag finden. Ich möchte diesen meinen Beitrag mit einer unwissenschaftlichen Bemerkung abschließen. In unserem Text geht es um einen Topos, der womöglich vor allem bei kleineren Nationen - wie Juden, aber auch Slowenen - in vielen Variationen bekannt ist: Dem Schwachen, Verschmähten wird plötzlich wie durch ein Wunder eine Kraft zuteil, mit der er den bösen Riesen besiegt. Wir Slowenen kennen z. B. in unserer Literatur die Geschichten von Martin Krpan oder von Peter Klepec. Die Tatsache, daß der Name David bei uns besonders bei der jüngeren Generation sehr verbreitet ist, deutet auf einen vielleicht mehr unterbewußten Sinn des Volkes für die Metaphorik hin. Es steht außer Zweifel, daß die oben dargebotenen Empfehlungen, wie ein GoliathMenschenschlag sich David-Tugenden aneignet, auch für die männliche Welt Geltung haben können. Bibliographie: Bračič, Stojan (1994): Statische und dynamische Komponenten der Textkonstitution. In: Haiwachs, Dieter W./Stütz, Irmgard (Hrsg.): Sprache - Sprechen - Handeln, Akten des 28. Linguistischen Kolloqiums, Graz 1993. Band 2, S. 15-20. 6 Zu verweisen wäre dabei auf Kallmeyers Ansichten bei der polyfunktionalen Vertextung in einer komplexen Isotopie: Während auf komische Effekte bedachte polyfunktionale Vertextungen im Analyseverfahren monosemiert werden müssen (etwa in Witzen), "findet in ästhetischen Texten eine solche Reduzierung nicht statt. Diese sind gerade durch ihre semantische Offenheit charakterisiert" (Kallmeyer et al. 1980: 159). 7 Ich verweise hier lediglich auf Dietrich (1995: 252), der die biblische David-Goliath-Geschichte bei vier modernen Autoren (Stefan Heym, Joseph Heller, Torgny Lindgren und Grete Weil) verfolgt, sowie auf Meyers Enzyklopädisches Lexikon (1980 : Bd.6: 309), dem zufolge das Schicksal Davids in zahlreichen Bearbeitungen dichterisch gestaltet wurde, wobei zu den bevorzugten Themen eben auch der Kampf mit dem Riesen Goliath zählte. Brinker, Klaus (19882): Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin: Schmidt. (Grundlagen der Germanistik 29) Dietrich, Walter (1995): Der Fall des Riesen Goliat: Biblische und nachbiblische Erzählversuche. In: Ebach, Jürgen/Faber, Richard (Hrsg.): Bibel und Literatur. München: Fink. S. 241-258. Dimter, Matthias (1981): Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Kommunikationssituation, Textfunktion und Textinhalt als Kategorien alltagssprachlicher Textklassifikation. Tübingen: Niemeyer. (Reihe Germanistische Linguistik 32) Fix, Ulla (1993): Die "Gattung Grimm", Andersens Märchen "Das häßliche junge Entlein" und das "Märchen vom häßlichen Dieselein". Ein Textmustervergleich. In: Wellmann, Hans (Hrsg.): Grammatik, Wortschatz und Bauformen der Poesie in der stilistischen Analyse ausgewählter Texte. Heidelberg: C. Winter. (Sprache -Literatur und Geschichte 10) S. 113 - 128. Fix, Ulla (1996): Was ist aus Andre Jolles 'Einfachen Formen' heute geworden? Eine kulturanalytische und textlinguistische Betrachtung. In: Hertel, Volker/Barz, Irmhild/ Metzler, Regine/Uhlig, Brigitte (Hrsg.): Sprache und Kommunikation im Kulturkontext, Beiträge zum Ehrenkolloquium aus Anlaß des 60. Geburtstages von Gotthard Lerchner. S. 105-120. Fix, Ulla (1997): Die Wörter auf dem Papier und die Grammatik in den Köpfen. Zur Textualität und zu Lesarten von "grammatikarmen" Texten. Unveröffentlicht. Franke, Wilhelm (1996): Ratgebende Aufklärungstexte. Überlegungen zur linguistischen Beschreibung ratgebender Beiträge der Massenmedien. In: ZGL 24, S. 249-272. Greule, Albrecht (1995): Möglichkeiten und Grenzen der textgrammatischen Analyse. In: Studia Germanica Posnaniensia XXI, S. 55-65. Heinemann, Wölfgang/Viehweger, Dieter (1991): Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Niemeyer. (Reihe Germanistische Linguistik 115) Kallmeyer, Klein, Meyer-Hermann, Netzer, Siebert (19803): Lektürekolleg zur Textlinguistik. Band 1: Einführung. Königstein/Ts: Athenäum. Lewandowski, Theodor (1994): Linguistisches Wörterbuch 2. Heidelberg, Wiesbaden: Quelle & Meyer. (Uni-Taschenbücher 1518) Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. Bd. 6 (1980), Bd. 10 (1981). Mannheim: Bibliographisches Institut. Rolf, Eckard (1993): Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. Berlin, New York: de Gruyter. Sandig, Barbara (1989): Stilistische Mustermischungen in der Gebrauchssprache. In: Zeitschrift für Germanistik 2, S. 133-150. Sćhippan, Thea (1984): Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig: VEB: Bibliographisches Institut. Schlosser, Horst Dieter (1983): dtv-Atlas zur deutschen Literatur. Tafeln und Texte. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Wilpert, Gero von (19695): S ach Wörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner. Povzetek MEDKULTURNI IN MEDBESEDILNI ELEMENTI V NELITERARNIH BESEDILIH Metaforika se ne kaže samo na besedni, temveč v kompleksnejši obliki tudi na besedilni ravni. Vendar ne le v literarnih besedilih, temveč tudi v neumetniških besedilih vsakdanjega življenja. V literarnih besedilih je metaforika sama sebi namen, je kot cilj komunikacije estetsko vprašanje. V neliterarnih besedilih pa služi predvsem slikovitosti podajanja in povečanju pozornosti bralca/poslušalca in ne sme biti dvoumna, zlasti če gre za svetovalna besedila s sporočevalno intencijo, pomagati naslovniku iz zanj neugodnega položaja. Mešanje besedilnih vzorcev pripelje v literarnih besedilih do novih podvzorcev, kot so alegorija, parabola, prilika. Takšno kombinacijo besedilnih vzorcev zasledimo tudi v neliterarnih besedilih, je pa v njih zaradi zgoraj navedenih razlogov manj dosledna, saj se ravna po načelu: biti slikovit, a ne dvoumen. Biblija ni le vir za kompleksno metaforiziranje v umetniških besedilih, ampak se njena medkulturna, če že ne kar nadkulturna potenca kaže tudi v tem, da se bolj ali manj neposredno sklicujejo nanjo tudi neliterarna besedila. Gabriele Diewald und Kerstin Fischer Universität Erlagen, Universität Bielefeld UDK 811.112.2'367.635:81 '42 ZUR DISKURSIVEN UND MODALEN FUNKTION DER PARTIKELN ABER, AUCH, DOCH UND JA IN INSTRUKTIONSDIALOGEN 1. Einleitung: Im folgenden geht es um zwei Funktionsbereiche der Partikeln aber, auch, doch und ja, die gemeinhin der Pragmatik zugerechnet werden. Zum einen werden wir die diskursive Funktion, also die verschiedenen Aufgaben dieser Partikeln bei der Organisation und Strukturierung des Gesprächsablaufs, untersuchen. Die Strukturierungseigenschaften der Diskurspartikeln betreffen die Argumentsteuerung und den Dialogablauf, ebenso wie die Regulation der Beziehungsebene zwischen den Kommunikationspartnern und die Organisation der Rede. Zum anderen geht es um die Funktion dieser Lexeme als Modalpartikeln (auch Abtönungspartikeln genannt, z.B. Burkhart 1994). Diese Funktion definieren wir als Indizierung des pragmatischen Prätextes, d.h. als Verweis auf eine vom Sprecher als relevant vorausgesetzte Proposition, an die durch die partikelhaltige Äußerung angeknüpft und die gleichzeitig modifiziert wird. Das Ziel dieses Aufsatzes ist ein zweifaches: Erstens soll gezeigt werden, daß den verschiedenen Funktionen der Partikeln ein abstraktes semantisches Schema zugrunde liegt, das wir als relationale, genauer als verweisende bzw. indexikalische, Struktur spezifizieren werden. Diese relationale Basisstruktur qualifiziert die interaktiven und modalen Funktionen der Partikeln als grammatische Funktionen. Zweitens werden wir zeigen, daß die semantischen Oppositionen der vier Partikellexeme keineswegs diffus oder gar linguistisch nicht beschreibbar sind, sondern mit wenigen Merkmalen notiert werden können. Vorwegzuschicken ist hier, daß mit dieser Analyse nur die konstantbleibende Kernbedeutung der Partikeln erfaßt werden soll, kontextuelle Nuancierungen, z.B. unter Kontrast oder Emphase, oder Partikelverkettungen werden nicht beschrieben. Sie sollten sich jedoch aus der Kernbedeutung ableiten lassen. Dieser Zielsetzung liegen die folgenden vier Thesen zugrunde: 1.) Die genannten "pragmatischen" Funktionen der Partikeln sind Bestandteil der Grammatik, wobei Grammatik hier zu verstehen ist als diejenigen Regeln und Mechanismen, die dazu dienen, das, was wir sagen wollen, also den darzustellenden kognitiven Inhalt, im linearen Kontinuum der Zeichenproduktion anzuordnen. Diese Anordnung betrifft nicht nur die Enkodierung des propositionalen Gehalts, sondern auch seine Verankerung im Textkontinuum und seine Verortung in Bezug auf die kommunikative Situation. 2.) Die Partikeln weisen ihr Funktionsspektrum nicht zufällig auf. Vielmehr lassen sich alle Funktionen auf eine gemeinsame relationale Basissemantik zurückführen, d.h. die verschiedenen Funktionen ergeben sich über die Modifizierung und Spezifizierung der relationalen Basissemantik. 3.) Die relationale semantische Basis besteht im wesentlichen aus zwei Elementen: erstens aus einer allen Partikeln gemeinsamen indexikalischen Struktur und zweitens aus den die Einzellexeme unterscheidenden semantischen Merkmalen (ihrem denotativen Gehalt). Der verweisende Anteil verknüpft die Äußerung, in der sich die Partikel befindet, mit einem weiteren Element außerhalb der Äußerung. Der denotative Gehalt der Partikel qualifiziert die durch die relationale Struktur hergestellte Verknüpfung, d.h. er bringt zum Ausdruck, in welcher Hinsicht etwas verknüpft wird. 4.) Die verschiedenen modalen und diskursiven Funktionen lassen sich aufgrund der Art des Bezugselementes unterscheiden, d.h. sie ergeben sich daraus, daß die Verknüpfung Entitäten verschiedener linguistischer und kommunikativer Ebenen betrifft. Die Modalpartikelfunktion verknüpft propositionale Entitäten, d.h. sie strukturiert die inhaltlich-argumentative Ebene der Kommunikation. Die Diskursfunktionen der Partikeln strukturieren code-, partner- und handlungs-bezogene Einheiten. Unsere Materialgrundlage ist ein Korpus aus Instruktionsdialogen (Sagerer et al. 1994). Es handelt sich um natürliche spontansprachliche Dialoge, die im Szenario einer Konstruktionsaufgabe aufgenommen wurden. Bei teilweise blockierter, eingeschränkter oder freier Sicht auf den Kommunikationspartner war die Aufgabe des einen Sprechers (Instrukteur (I)), seinem Partner (Konstrukteur (K)) beizubringen, ein Spielzeugflugzeug zusammenzubauen. Die Aufnahmen wurden auf DAT mit Studierenden der Universität Bielefeld in einem Büroraum (nicht in einem schallisolierten Raum) durchgeführt, so daß eine relativ natürliche Gesprächsatmosphäre entstehen konnte. Männliche und weibliche Sprecher sind zu gleichen Teilen vertreten. Ein systematischer Einfluß der Variable Sicht auf die Verwendung von Diskurspartikeln konnte nicht gefunden werden. Die Dialoge werden daher im folgenden als ein Korpus betrachtet. Das Korpus umfaßt 22 Dialoge mit insgesamt 25914 Wörtern, davon 1826 verschiedene Lexeme (Fischer & Johanntokrax 1995). Der Anteil von Diskurspartikeln an der Gesamtwortzahl liegt bei 9,8%, der Anteil an den 150 häufigsten Lexemen bei 9,3%. 2. Funktionale Differenzierung der Partikellexeme Die Kategorisierung und Abgrenzung der Partikeln ist, wie auch immer man diese Wortgruppe definieren mag, ein viel diskutiertes und ungelöstes Problem. Für unsere Aufgabenstellung ist diese Frage jedoch nicht von Belang, und wir wollen nur festhalten, daß die hier zu verhandelnden vier Lexeme ja, aber, auch, doch unbestritten zum Kernbereich der Partikelklasse im Deutschen gehören und sich, wie fast alle Partikeln, durch Polyfunktionalität auszeichnen.1 Wir sprechen hier von Polyfunktionalität und nicht, wie es oft getan wird, von "Homonymie", da damit die Existenz mehrerer Zeichen mit zufällig gleichem Zeichenkörper postuliert und der semantische Zusammenhang übergangen wird. Stattdessen gehen wir von einer in allen Funktionen konstant bleibenden relationalen Semantik für jedes der Lexeme aus. Die verschiedenen Funktionen korrespondieren mit bestimmten formalen und semantischen Kriterien, die in Helbig/Buscha (1986:475ff.) ausführlich erörtert werden. Für die Funktion als Modalpartikeln sind folgende Kriterien relevant: Modalpartikeln sind nicht flektierbar, nicht satzgliedfähig und an die Position im Mittelfeld gebunden, also an die Stelle nach dem finiten Verb und vor den infiniten verbalen Elementen (Abraham 1990, 1991). Modalpartikeln "modifizieren" den ganzen Satz, d.h. sie haben Satzskopus. Weiterhin ist festzustellen, daß die meisten Modalpartikeln auf bestimmte Satzarten beschränkt sind. So tritt laut Gelhaus (1995:372) ja nur in Aussagen auf, denn nur in Fragen (vgl. Ickler 1994:377). Doch andererseits ist sehr flexibel und nur in Entscheidungsfragen mit Frageintention ausgeschlossen (Helbig/Buscha 1986:487). Diese Kriterien werden üblicherweise zur Abgrenzung der Modalpartikeln von konjunktionalen und adverbialen Funktionen verwendet, und sie werden auch hier als Ausgangsbasis für eine Einteilung der verschiedenen Funktionen der vier Partikeln gebraucht. Dies sei anhand einiger Beispiele aus dem Korpus kurz illustriert: Für aber wird üblicherweise unterschieden der Gebrauch als adversative, nebenordnende Konjunktion wie in (1), der Gebrauch als Adverb wie in (2) und der Gebrauch als Modalpartikel wie in (3): (1) ich kann wohl die Rhombe mit der Schraube und dieser einen Schiene zusammenmachen, aber dann habe ich die immer noch nicht an dem ganzen Gerät (2) also den mit fünf und den mit drei, und zwei Löcher überlappen sich, zeigen aber in die gleiche Richtung ... (3) das ist aber keine gute Konstruktion. 1 Vgl. Helbig/Buscha (1986:475ff.), die die Partikeln ausführlich behandeln und eine relativ geschlossene Klasse von insgesamt etwa 40 Wörtern ansetzen. Die 15 häufigsten Modalpartikeln sind aber, auch, bloß, denn, doch, eben, eigentlich, etwa, halt, ja, mal, nur, schon, vielleicht, wohl (nach Gelhaus 1995:371 und Helbig/Buscha 1986:487ff.). Die häufigsten Diskurspartikeln in den hier untersuchten Dialogen sind dagegen: ach, äh, ähm, also, gut, hm, ja, nee, nein, oh und okay (Fischer & Johanntokrax 1995). Ähnliches gilt für auch: In (4) fungiert auch in Verbindung mit und als Konjunktion, in (5) ist auch Adverb, in (6) Modalpartikel. (4) und dann halt vorne reinsteckst und auch zuschraubst mit einer kurzen gelben Schraube (5) und die mit Kerbe brauchst du auch (6) ja, das ist auch erstmal so richtig Wie Beispiel (1) zeigt, ist die Konjunktion aber nicht satzgliedfähig, sondern steht vor der ersten Satzgliedposition und bewirkt eine adversative Anknüpfung des zweiten Teilsatzes an den ersten. An den Beispielen (5) und (6) wird deutlich, wie die Modalpartikelfunktion von der adverbiellen Funktion getrennt werden kann: in der adverbiellen Funktion ist eine Frontierung möglich, also z.B. für (5) auch brauchst du die mit Kerbe. Die Modalpartikel auch in (6) dagegen kann nicht frontiert werden. Sie ist nicht satzgliedfähig, nicht erststellenfähig und ans Mittelfeld gebunden. Diesselben Kriterien gelten für doch, das in (7) adverbiell gebraucht ist, während es in Satz (8) als Modalpartikel vorliegt (als Konjunktion ist doch im Korpus nicht belegt). (7) ja dann war es nee nee dann ist es mit dann war das weiße Ding doch, falsch rum (8) ist doch ein Klacks für Dich Die Festlegung auf die Mittelfeldposition trennt die Modalpartikeln nicht nur von den Konjunktionen und Adverbien, sondern auch von den Diskurspartikeln. Letztere sind nicht in die syntaktische Struktur des Satzes integriert, und viele Diskurspartikeln können - in unterschiedlichen Funktionen (Fischer 1996) - an verschiedenen Positionen eingesetzt werden, sind also meist nicht an ein bestimmtes Syntagma gebunden. Zum Beispiel kann ja als Diskurspartikel äußerungsinitial und -final aufreten, häufig auch in zweiter Position oder allein. Dies zeigen die Beispiele (9) bis (12). (9) ja und damit da von die zweite Stelle verschraubst Du jetzt mit der gelben runden Schraube (10) dieser diese Siebener ja die waren nicht beide auf einer Seite? (11) und dann kommt der Querflügel, ja? (12)1: hast Du? K :ja. Diese stellungsgebundene Polyfunktionalität trifft auf die meisten Diskurspartikeln zu; eine Ausnahme bildet z.B. ne, das nur äußerungsfinal auftritt. Die Positionen, die die Diskurspartikeln einnehmen können, sind jedoch, im Gegensatz zu den Adverbien und Modalpartikeln, immer ohne direkte grammatische Bindung an das Satzgefüge. Schließlich trennt die oben genannte Skopuseigenschaft der Satzmodifizierung die Modalpartikeln von anderen Partikeln, wie den Gradpartikeln und den Fokuspartikeln, die einzelne Satzglieder modifizieren, also z.B. gradieren oder hervorheben (Gelhaus 1995:370ff.).2 So modifiziert auch in (13) das temporale Adverbial schon wieder, in (14) modifiziert es die Nominalphrase dieses Fünflöcherige: (13) nee nee so ist es auch schon wieder falsch ich weiß auch nicht. (14) auch dieses Fünflöcherige direkt auf diesen Klotz legen, oder? In prototypischen Fällen erlauben die genannten Kriterien, die hier nur skizzenhaft erläutert wurden, durchaus eine klare Abgrenzung der verschiedenen Funktionen, oder genauer: die Berechtigung des Ansetzens verschiedener Kategorien ergibt sich erst durch die Anwendbarkeit solcher Kriterien. Allerdings führen die genannten unterscheidenden Merkmale nicht in jedem Fall zu einer eindeutigen Differenzierung der verschiedenen Funktionen. Da z.B. Adverbien ebenfalls im Mittelfeld stehen können, ergibt sich oft eine Ambiguität zwischen Adverb und Modalpartikel (vgl. Helbig/Buscha 1986:340). Ein weiterer Überschneidungsbereich zeigt sich in Beispiel (15), das einen Auszug aus dem Korpus bietet, wo nicht sicher entschieden werden kann, ob auch und aber als Diskurspartikeln mit Segmentierungsfunktionen in derselben Funktion wie also auftreten, oder ob es sich um Adverbien, bzw. Konjunktionen handelt: (15) dann schraubst Du von unten an den Klotz einen einen Dreier auch mit einer roten Schraube und zwar so, daß sie zum öh zur oberen Leiste 90 Grad ergibt, aber mit der letzten mit dem letzten Loch also nicht in der Mitte, genau. Auf diese Fälle der kategorialen bzw. funktionalen Ambiguität werden wir später noch genauer eingehen. Gerade in dialogischen Texten sind derartige Übergangsfälle und Grenzverwischungen ausgesprochen zahlreich. Unseres Erachtens ist die Existenz dieses Kontinuums zwischen den prototypischen Zentren der einzelnen Kategorien ein stichhaltiges Argument für das hier vorgebrachte Postulat einer gemeinsamen semantischen Grundstruktur, die sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner die funktionale Variablität überhaupt erst ermöglicht. Bevor wir auf die Übergänglichkeit der Partikeln eingehen, wollen wir in den folgenden beiden Abschnitten die Semantik der modalen und der interaktiven Funktionen darstellen. 3. Relationale Basisstruktur von Diskurs- und Modalpartikeln Unsere These, daß die Modalpartikeln und die Diskurspartikeln im heutigen Deutsch zumindest im Kernbereich eine "ordentliche" grammatische Funktion 2 Helbig/Buscha (1986:477) verzichten hier auf eine Subklassifikation und teilen die gesamte Gruppe der Partikeln in "solche Partikeln, bei denen die kommunikative Funktion dominiert" - das entspricht den Modalpartikeln - und "solche Partikeln, bei denen die semantische Funktion dominiert" (477), "die ein Wort im Satz näher bestimmen, erläutern, spezifizieren oder graduieren" (476); in diese Gruppe fallen u.a. die Gradpartikeln. Zur Abgrenzung der Modalpartikeln von den "scalar particles" s.a. Abraham (1991:243ff.). aufweisen, die auf ein abstraktes semantisches Basisschema zurückzuführen ist, ist keineswegs selbstverständlich. Was die Modalpartikeln betrifft, um die es im folgenden Abschnitt zunächst geht, so lautet eine ihrer inzwischen etwas altmodischen Benennungen "Würzwörter", und wenn man unter Würze zwar Angenehmes, aber Überflüssiges, unter Grammatik dagegen das absolut notwendige Grundgerüst einer Sprache versteht, dann wird sofort augenfällig, daß den Modalpartikeln unter diesem Namen keinerlei ernsthafte grammatische Funktion zugestanden wurde. Selbst Eisenberg (1994:206) nennt in seiner Grammatik die Partikeln "die Zaunkönige und Läuse im Pelz der Sprache" und schließt sich expressis verbis der Tradition des Übergehens dieser Wörter an. Gelhaus in der Duden-Grammatik hält fest, daß die Partikeln " - anders als Präpositionen und Konjunktionen - keine grammatische Funktion haben" (1995:369). Selbst Helbig/Buscha (1986:479), die die Partikeln ausführlich behandeln, treffen eine Unterscheidung zwischen den "kommunikativpragmatischen Funktionen" der Modalpartikeln und "eigentlichen" grammatischen Funktionen der Sprache, an denen die Modalpartikeln ihrer Auffassung nach offenbar keinen Anteil haben. Nun hat zwar die Partikelforschung - ausgehend von Wey dt 1969 - in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen, doch trotz der vielschichtigen Forschungslage, die hier nicht referiert werden kann (einen Forschungsbericht gibt Ickler 1994), ist der Frage ihrer konstitutiven grammatischen Funktion, soviel uns bekannt, bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden. Der grammatische Status der Partikelfunktionen muß also im folgenden noch erwiesen werden. Dieser Frage werden wir uns zunächst für die Modalpartikeln und anschließend für die Diskurspartikeln widmen. 3.1. Modalpartikeln Worin also besteht die hier postulierte grammatische Bedeutung und Funktion der Modalpartikeln? Die Beschreibungen in den Grammatiken sind meist allgemein gehalten: Eisenberg (1994:206) hält fest, daß die Modalpartikeln "den Inhalt des Satzes auf die Sprechsituation [...] beziehen". Gelhaus (1995:371) schreibt dazu: "Mit Modalpartikeln drückt der Sprecher eine Annahme, Erwartung oder innere Einstellung aus, oft in der Absicht, daß sie der Hörer teilt. Der Sprecher kann mit Modalpartikeln seinen eigenen Aussagen eine bestimmte (subjektive) Tönung geben, er kann damit aber auch auf vorausgegangene Äußerungen Bezug nehmen und Zustimmung, Ablehnung, Einschränkung, Erstaunen, Interesse anzeigen." Helbig/Buscha (1986:476) sprechen davon, daß die Modalpartikeln "Indikatoren für bestimmte Sprechhandlungen [sind oder dazu dienen,] die Äußerung im konversationeilen Kontext zu verankern, den Sprechakt im Sinne des Sprechers zu modifizieren, den Interpretationsprozeß des Hörers und die Interaktion zu steuern bzw. - allgemein gesprochen - die Äußerung und den Sprechakt auf die Gegebenheiten der Interaktion zu beziehen." Derart vielschichtige Funktionsbeschreibungen lassen zunächst Zweifel aufkommen, ob man hier wirklich eine einheitliche grammatische Grundfunktion finden kann. Ein gemeinsames Merkmal aller Modalpartikeln ist jedoch aus diesen Beschreibungen abzulesen, nämlich ihr abstrakter relationaler Gehalt, also ihre verweisende, indexikalische Funktion, die auch schon mehrfach bemerkt wurde (Henschtel 1986, Petri 1995). Diese indexikalische Funktion ist nun eine genuin grammatische Funktion, ja ein wesentliches Kennzeichen aller grammatischen Kategorien. So markieren die grammatischen Kategorien Tempus und Modus am Verbum die Verortung des dargestellten Sachverhalts in bezug auf den Sprecher, d.h. auf die deiktische Origo (Bühler 1982 [ 1934]: 102ff., Diewald 1991:27ff.). Diese ist der Ausgangs- und Bezugspunkt, von dem aus das Dargestellte eingeordnet wird. Zum Beispiel hat die deiktische grammatische Kategorie Präteritum die Funktion, den dargestellten Sachverhalt in bezug auf die Sprechzeit temporal als vergangen, d.h. entfernt von der Sprechzeit, einzuordnen. In Satz (16) (16) Sie machte einen Umweg durch den Park wird also durch das Präteritum der Sachverhalt Sie macht einen Umweg durch den Park in bezug auf die temporale Dimension als 'entfernt vom Sprecher' (im Gegensatz zum Präsens) gekennzeichnet. Auch die textverweisende Funktion der Proformen basiert auf dieser indexikalischen Struktur. Die anaphorische Proform sie im folgenden Satz (17) Die Katze wollte ins Haus zurück. SM sprang auf das Fensterbrett und drückte sich an die Scheibe, verweist zurück auf die Nominalphrase die Katze, die das Bezugselement für die Proform darstellt und deren Gehalt von der Proform vermittelt übernommen wird. Den Konjunktionen liegt ebenfalls eine verweisende Komponente zugrunde, die bereits anhand von Beispiel (1) erläutert wurde. Die Konjunktion aber weist auf den vorausgehenden Satz zurück, mit dem sie den angeschlossenen zweiten Satz verknüpft: (1) Ich kann wohl die Rhombe mit der Schraube und dieser einen Schiene zusammenmachen, aber dann habe ich die immer noch nicht an dem ganzen Gerät Die genannten grammatischen Zeichen bzw. Kategorien (es könnten weitere angeführt werden) haben also eine indexikalische Komponente, die darin besteht, daß das grammatische Zeichen die von ihm modifizierte Einheit mit einem Bezugselement verbindet bzw. auf ein Bezugselement zurückverweist. Diagramm (18) gibt eine grobe Skizze dieses Prozesses, die zwar stark vereinfacht, aber für unsere Zwecke ausreicht: (18) Bezugselement (grammatisches Zeichen & vom grammatischen Zeichen modifizierte Einheit) Für die verschiedenen grammatischen Funktionen kann diese Skizze spezifiziert werden. Für Tempusflexive z.B. hat sie folgende Form: (19) Sprechzeit <- (Tempusflexiv & Sachverhaltsdarstellung) Für anaphorische Proformen wie sie in (17) kann Schema (20) angeführt werden: (20) Textuell vorausgehende Nominalphrase 4- (Pronomen & Satzgliedfunktion) Die konjunktionale Variante der grammatischen Relationsstruktur ist in (21) illustriert: (21) Sachverhaltsdarstellung 1 (Konjunktion & Sachverhaltsdarstellung 2) Die Schwierigkeit, die analoge verweisende Funktion bei den Modalpartikeln exakt zu erfassen, ergibt sich daraus, daß die grammatische, relationale Funktion der Modalpartikeln weder im Bereich der Darstellungsfunktion des Satzes liegt (wie z.B. bei den Proformen), noch im Bereich der Verknüpfung von Teilsätzen (wie bei Konjunktionen), noch im Bereich der deiktischen Verankerung des Dargestellten in bezug auf die Sprechzeit (wie bei den Tempusflexiven). Die Modalpartikeln kodieren also keine syntaktischen und semantischen Relationen zwischen Satzgliedern oder Teilsätzen, noch bringen sie eindeutig deiktische Relationen zwischen Zeichenbenutzer und Sachverhaltsdarstellung zum Ausdruck. Kurz gefaßt, das Problem der Explizierung der grammatischen Funktion der Modaipartikeln liegt in der Bestimmung ihres Bezugselements, also des Elements, auf das sie als zur Interpretation der Äußerung relevant zurückverweisen. Dieses Bezugselement und damit die relationale Funktion der Modalpartikeln läßt sich erfassen, wenn man eine modalpartikelhaltige Äußerung mit der entsprechenden Äußerung ohne Modalpartikel kontrastiert. Beispiel (3) wieder aufgreifend ergibt sich also ein Kontrast zwischen (3) und (22): (3) Das ist aber keine gute Konstruktion. (22) Das ist keine gute Konstruktion. Der Vergleich der beiden Sätze zeigt, daß aber ein Bedeutungselement hinzufügt, das man zunächst als "Verweis auf ein Auseinanderfallen, einen Gegensatz, von Sprechererwartung und vom Sprecher wahrgenommener und dargestellter Realität" kennzeichnen könnte. Während Satz (22) eine bezüglich modaler Inhalte neutrale Sachverhaltsdarstellung ist, drückt (3) zusätzlich aus, daß der Sprecher etwas anderes erwartet bzw. vorausgesetzt hatte als das, was er nun in der partikelhaltigen Äußerung als Sachverhalt darstellt. Im konkreten Fall (3) bringt die Partikel zum Ausdruck, daß der Sprecher die Proposition daß das eine gute Konstruktion ist als vorgegeben betrachtet, daß die aktuelle Situation jedoch von der Vorgabe abweicht. Die Funktion der Partikel ist es also, die Äußerung mit einem Sachverhalt zu verknüpfen, den der Sprecher als relevant, als im Raum stehend, betrachtet und auf den er die partikelhaltige Äußerung bezieht. Damit ist die zentrale Funktion aller Modalpartikeln erfaßt: indem Modalpartikeln einen Verweis auf Vorgegebenes enthalten, markieren sie die Äußerung, in der sie stehen, als nicht-initial. Der vorgegebene Sachverhalt ist typischerweise nicht im Vörtext genannt, die Modalpartikeln sind also keine textverknüpfenden Elemente im engeren Sinn. Damit ist gleichzeitig gesagt, daß der Inhalt der Vorgabe, auf die der Sprecher Bezug nimmt, erst durch die partikelhaltige Äußerung selbst explizit wird. Der vorgegebene Sachverhalt ist'daher, was die Kernproposition betrifft, mit dem geäußerten Sachverhalt identisch: im obigen Beispiel enthält sowohl die Vorgabe als auch die Äußerung die Proposition daß das eine gute Konstruktion ist. Durch die partikelhaltige Äußerung wird diese Proposition thematisiert, d.h. es wird gekennzeichnet, daß es um die Proposition daß das eine gute Konstruktion ist geht. Durch die Semantik der Partikel selbst (und durch die Negation) wird eine vom Sprecher gesetzte Modifikation der Vorgabe ausgedrückt, in diesem Fall ein Gegensatz zwischen der vorgegebenen Proposition und dem tatsächlichen Sachverhalt. Die Partikel verweist also auf eine noch nicht vertextete Vorgabe; dies ist ihre indexikalische Komponente, die allen Modalpartikeln gemeinsam ist. Gleichzeitig wird die Vorgabe durch die Partikel modifziert bzw. qualifiziert; dies ist die denotative Komponente der Partikeln, die je nach Partikellexem verschieden ist. Die vorgegebene Proposition bezeichnen wir im folgenden als den pragmatischen Prätext. Von Prätext sprechen wir deshalb, weil es sich um eine inhaltliche bzw. propositionale Einheit - nicht um emotionale oder expressive Komponenten - handelt, von pragmatischem Prätext sprechen wir deshalb, weil diese Proposition typischerweise vorher nicht versprachlicht ist. Damit vertreten wir eine Auffassung von der Funktion der Partikeln, die der von Ickler 1994 nahekommt. Er argumentiert überzeugend gegen eine Funktionsbestimmung im Sinne "illokutiver Indikatoren" (Helbig/Buscha 1986:480) ebenso wie gegen eine Bestimmung im Sinne emotional-expressiver Sprechereinstellung:3 "Die Modalpartikeln passen bestimmte Äußerungen in größere, grundsätzlich dialogisch zu interpretierende Textzusammenhänge ein. Sie haben daher [...] viel mehr mit der natürlichen Logik des Gesprächs zu tun als mit der 'expressiven' oder 'emotionalen' Seite der Kommunikation" (1994:377f.). Weiter beschreibt Ickler (1994:404) die Partikeln in ihrer unbetonten Normalfunktion als "eine Art von Kommentar zu der jeweiligen Äußerung, in der sie vorkommen, einen Kommentar, der die logische oder rhetorische Einordnung der Äußerung in den Kommunikationszusammenhang betrifft". Auch Doherty (1985:15), die die Partikeln zu den "positionalen Ausdrucksmitteln" zählt, bezieht sich auf deren relationale Funktion; desgleichen Hentschel (1986:31), die von der "metakommunikativen Deixis" der Modalpartikeln spricht. Abraham (1990:129) bestimmt die Leistung der Modalpartikeln als "textdeiktische, textkohärenzschaffende", was zwar keinen Zweifel an ihrem relationalen Charakter läßt, was aber dann zu kurz greift, wenn man unter "Text" nur die versprachlichten Anteile der Kommunikation zusammenfaßt. Die relationale Funktion der Modalpartikeln betrifft nicht den Text als sprachlich realisierte Größe, sondern implizite Vorgaben. 3 Auch Doherty (1985:66) argumentiert gegen diese Auffassung. Die verweisende Struktur der Modalpartikeln ist in Diagramm (23) wiedergegeben, was die Parallelität zu den übrigen indexikalischen grammatischen Kategorien deutlich macht (vgl. (18)-(21)): (23) Pragmatischer Prätext (Partikellexem & Äußerung im Skopus der Modalpartikel) Der Unterschied zu der indexikalischen Funktion der Konjunktionen verdeutlicht die Eigenheit der Modalpartikeln: Konjunktionen beziehen sich auf ein sprachlich realisiertes Element des Vortextes, die Partikeln auf ein nichtrealisiertes. Konjunktionen verbinden typischerweise zwei Einheiten mit unterschiedlichem propositionalem Gehalt, also z.B. zwei Sätze mit je einer Sachverhaltsdarstellung: sie drücken die Relation zwischen zwei verschiedenen Propositionen aus, also z.B: (24) Sie wollte telefonieren, aber sie hatte kein Kleingeld. Proposition 1 Konjunktion Proposition 2 Modalpartikeln dagegen verbinden zwei im Kern gleiche Propositionen, sie drücken ihre Modifizierung aus. (25) (nicht versprachl.: daß das eine gute K. ist) das ist aber keine gute Konstruktion pragmatischer Prätext: Proposition 1 (Modalpartikel & modifizierte Proposition 1') Nachdem nun das indexikalische Grundschema der Modalpartikeln erörtert ist, ist zu fragen, wie ihre spezifische denotative Komponente (also das adversative Element von aber, das affirmierende Element von ja etc.) in die Beschreibung eingebracht werden kann. Dazu verwenden wir ein Schema, das sowohl den pragmatischen Prätext als auch die relevante Situation, die den Sprecher zu einer Modifizierung des pragmatischen Prätextes veranlaßt, darstellt. Wir lehnen uns hierbei an Wierzbickas (1986, 1991) Konzept der universalen semantischen Metasprache an, ohne jedoch deren Postulat zu übernehmen, daß die für die Bedeutungsbeschreibung verwendeten Lexeme universale semantische Primitive repräsentieren. Unsere Bedeutungsexplikationen sind also tentativ und sollten als Vorschläge aufgefaßt werden. Das Grundschema ist in (26) gegeben: (26) Grundschema zur Bedeutungsbeschreibung der Modalpartikeln pragmatischer Prätext im Raum steht: Proposition relevante Situation: Sprecherbewertung bezüglich der im Raum stehenden Proposition Äußerung: Modifizierte Proposition mit Partikel Für eine Beschreibung der Bedeutung von aber in Beispiel (3) (3) Das ist aber keine gute Konstruktion. wird das Grundschema folgendermaßen konkretisiert: (27) Bedeutungsschema der Modalpartikel aber 84 pragmatischer Prätext: im Raum steht: daß das eine gute Konstruktion ist. ich denke: das ist keine gute Konstruktion Das ist aber keine gute Konstruktion! relevante Situation: Äußerung: Der Satz mit Modalpartikel ist quasi das Ergebnis der Einbeziehung und Komprimierung des pragmatischen Prätextes in die aktuelle Äußerung. Die Modalpartikel weist auf den pragmatischen Prätext zurück und bringt ihn mit der geäußerten Sachverhaltsdarstellung in Beziehung. Die Formulierung "im Raum steht" soll anzeigen, daß es sich um einen vom Sprecher als vorgegeben betrachteten Sachverhalt handelt, auf den er mit seiner Äußerung Bezug nimmt. Dabei legen die Partikeln typischerweise nicht fest, von wem diese Vorgabe stammt bzw. woher die Information kommt, die im Raum steht. Zwar wird in partikelhaltigen Äußerungen häufig auf dem Hörer bekannte Vorgaben Bezug genommen, bzw. es wird unterstellt, daß der Hörer diese Vorgaben macht, jedoch ist dies keine Bedingung zur Verwendung der Partikeln, und nicht selten beziehen sich die Partikeln auf generell gültige Standardvoraussetzungen. Das heißt, der Sprecher nimmt allgemein auf eine Einheit Bezug, die seiner Meinung nach im Raum steht bzw. vorgegeben ist, ohne sich festzulegen, wer diese Vorgabe macht. Durch die partikelhaltige Äußerung wird ausgedrückt, daß der Sprecher diese Vorgabe aufnimmt und seine Äußerung auf sie bezieht, also keinen initialen Gesprächszug durchführt. 3.2. Diskurspartikeln Unter Diskurspartikeln verstehen wir im folgenden Lexeme mit Strukturierungs-eigenschaften (Gülich 1970), die nicht flektierbar und nicht in das Satzgefüge integrierbar sind, und die sich inhaltlich auf mentale Vorgänge beziehen (Schourup 1983). Diese Klasse umfaßt die Klasse der traditionellen Interjektionen (Wierzbicka 1992), die der Gliederungssignale (Willkop 1988), sowie die Häsitationsmarker, z.B. äh und ähm. Wir gehen davon aus, daß die Diskurspartikeln ebenfalls eine grammatische Funktion besitzen. Für die Diskurspartikeln einen grammatischen Status anzunehmen, scheint einerseits noch problematischer als für die Modalpartikeln, da erstere nicht in die syntaktische Struktur integriert sind und auch keine offensichtlichen syntaktischen Bindungen zur Satzstruktur aufweisen. Andererseits hebt bereits Gülich (1970) hervor, daß Gliederungssignale nur in Hinblick auf die Dialogstruktur überhaupt erst als Klasse erkennbar sind, d.h. die Diskurspartikeln sind ihrem Wesen nach relational auf den Diskurs bezogen. Auch Wilkins (1992) stellt Interjektionen als wesentlich indexikalisch dar. Es gilt also auch hier, die Bezugselemente, die für die Klasse der Diskurspartikeln charakteristisch sind, zu identifizieren, um die Zuschreibung eines grammatischen Status zu erlauben, wobei sich die Dialogstruktur bereits als ein zentrales Bezugselement für die Diskurspartikeln darstellt. Die These ist hier nun, daß sich die verschiedenen Funktionen von Diskurspartikeln wie die der Modalpartikeln durch eine gemeinsame relationale Basissemantik bestimmen lassen, die durch Merkmale der Diskurssituation ergänzt wird. Im Gegensatz zu der für die Klasse der Modalpartikeln charakteristischen Rolle des pragmatischen Prätextes als Bezugsgröße beziehen sich die Diskurspartikeln auf verschiedene Aspekte des Kommunikationssystems. Das, was bei den Modalpartikeln die Rolle des pragmatischen Prätextes erfüllt, kann bei den Diskurspartikeln sowohl durch den außersprachlichen Kontext, z.B. die Handlungssituation, gegeben sein als auch durch versprachlichte Propositionen, wie beispielsweise im Fall von Antwortpartikeln. Die Polyfunktionalität der Diskurspartikeln kommt dabei dadurch zustande, daß sich die relationale Basissemantik desselben Lexems auf verschiedene kommunikative Ebenen beziehen kann. Bei der Beschreibung der Diskurspartikeln als Elemente mit relationaler Basissemantik ergeben sich einige Schwierigkeiten, die durch die Eigenschaften der Diskurspartikeln bedingt sind: Interjektionen und Antwortpartikeln sind grundsätzlich als satzwertig anzusehen, aber auch Gliederungssignale und Häsitationen können eigenständig verwendet werden. In der Bedeutungsexplikation der Modalpartikeln ist die relevante Situation, zu der der pragmatische Prätext in Beziehung tritt, jeweils durch die Äußerung gegeben, in der die Partikel verwendet wird. Bei Diskurspartikeln, die eigene Äußerungen konstituieren, ist ein solcher Kontext nicht gegeben. Er muß also noch zusätzlich zu dem Bezugselement erschlossen werden. Aber auch für Diskurspartikeln, die beispielsweise innerhalb von größeren intonatorischen Einheiten geäußert werden und die somit einen direkten Äußerungskontext aufweisen, ist die relevante Situation nicht automatisch gegeben, da sich Diskurspartikeln auf verschiedene Elemente der Kommunikationssituation beziehen können, die nicht explizit thematisiert werden. So konstituieren die Diskurspartikeln sozusagen einen Nebenschauplatz neben dem, was explizit geäußert wird. Eine Ausnahme bilden hier die Antwortpartikeln, die sich auf die propositionale Information aus der Vörgängeräußerung beziehen. Für alle anderen Funktionen der Diskurspartikeln gilt, daß sie sich auf nicht-thematisierte kommunikative Ebenen beziehen, wobei erschwerend hinzukommt, daß meist mehrere Aspekte gleichzeitig involviert sind. Wir gehen davon aus, daß diese Bedeutungen sprachlich erfaßt werden können, auch wenn diese Aspekte meist mentale Zustände des Sprechers beschreiben, die nicht zu unserem gewöhnlichen Gesprächsstoff gehören. Wie für die Bedeutungen der Modalpartikeln werden diese Bedeutungsaspekte in natural semantic metalanguage (NSM) (Wierzbicka 1986) formuliert, wobei wir annehmen, daß NSM ohne Probleme von der englischen Sprache in die deutsche übertragen werden kann. Trotz einiger Vorbehalte gegen NSM (vgl. Fischer demn.) halten wir NSM für eine geeignete Metasprache, sich den Bedeutungen der Diskurspartikeln anzunähern. Die Bezugselemente der Diskurspartikeln können daher ebenfalls sprachlich formuliert werden. Da nun verschiedene Aspekte des Kommunikationssystems die Bezugselemente der 86 Diskurspartikeln bilden, d.h. sie sich auf Merkmale der Gesprächssituation beziehen, sprechen wir im folgenden vom pragmatischen Kontext als dem Bezugselement der Diskurspartikeln. Es werden nun drei kommunikative Ebenen, auf die sich die Diskurspartikeln beziehen können, exemplarisch dargestellt. Das Antwortsignal ja z.B. bezieht sich auf die propositionale Information der Vorgängeräußerung, mit der Übereinstimmung ausgedrückt wird. Im Schema, das wir an den Modalpartikeln demonstriert haben, läßt sich die relationale Bedeutung von ja als Antwortsignal folgendermaßen verdeutlichen: (28) Bedeutungsschema der Antwortpartikel ja in Frage-Antwort-Paaren: Äußerungskontext: Du fragst: hast Du? relevante Situation: ich habe Äußerung ja Das Bezugselement der von ja ausgedrückten Bedeutung der Übereinstimmung ist hier also eine versprachlichte Äußerung über einen Zustand in der Welt, die als Frage, aber auch als Aussage, gefaßt sein kann. Bei der Antwortpartikel doch konstituiert dagegen keine Übereinstimmung sondern ein Widerspruch die Relation zwischen Äußerungskontext und relevanter Situation: (29) K: das hält gar nicht I: doch, du mußt die andere weiter, äh Das Bedeutungsschema für die Antwortpartikel doch (hier in Reaktion auf eine Feststellung) kann folgendermaßen skizziert werden: (30) Bedeutungsschema für die Antwortpartikel doch: Äußerungskontext: Du sagst: das hält gar nicht, relevante Situation: ich denke: das hält -> Äußerung: doch. Als Antwortpartikeln beziehen sich ja und doch also auf die propositionale Information aus dem Äußerungskontext. | Diskurspartikeln können sich aber auch auf die thematische Struktur des Dialogs beziehen wie in dem folgenden Beispiel mit aber, wo der Konstrukteur sich schon nach dem nächsten Bauschritt erkundigt: (31) K: und das wird dann da so seitlich draufgeschraubt oder ? I: ja genau, aber mach das erstmal so. Die schematische Repräsentation bezieht sich dabei auf das herrschende Thema einerseits sowie den Wunsch des Sprechers, das Thema zu wechseln, andererseits: (32) Bedeutungsschema für aber als Themensignal: pragmatischer Kontext: wir reden über etwas relevante Situation: ich möchte über etwas anderes reden Äußerung aber mach das erstmal so Diskurspartikeln können weiterhin zur Verständnis- und Zustimmungsabsicherung gebraucht werden. In Äußerung (33) wird beispielsweise ein Signal über die grundsätzliche Übereinstimmung von Sprecher und Hörer elizitiert. Die Semantik von ja in dieser Verwendung könnte daher formuliert werden als: "denken wir dasselbe?" Gleichzeitig kann mit Brown & Levinson (1987) dem Sprecher unterstellt werden, daß die Übereinstimmung Ziel des Dialogs ist: "Ich wünsche, wir denken dasselbe". Mit der Verwendung von ja und oder doch in (33) und (34) wird also eine zustimmende Rückmeldung vom Hörer erwartet: (33) den Querflügel, ja? (34) die gucken nicht beide auf eine Seite oder doch? In den folgenden Bedeutungsexplikationen deutet das Verb "sagen" darauf hin, daß von dem Hörer explizite Zustimmung gefordert wird: (35) Bedeutungsschema für ja als Zustimmungsabsicherungssignal pragmatischer Kontext: ich sage: den Querflügel relevante Situation: ich wünsche: Du sagst: den Querflügel -> Äußerung den Querflügel, ja? (36) Bedeutungsschema für doch als Zustimmungsabsicherungssignal pragmatischer Kontext: ich sage: die gucken nicht auf eine Seite relevante Situation: ich frage, ob Du sagst, daß sie auf eine Seite gucken Äußerung die gucken nicht beide auf eine Seite oder doch ? Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Funktion der Diskurspartikeln in der Verankerung der sprachlichen Äußerungen in der Kommunikationssituation besteht mit dem Ziel, den Ablauf des Dialogs in der Situation zu motivieren (cf. Östman 1981). Die Polyfunktionalität der Diskurspartikeln resultiert dabei aus der Bezugnahme auf verschiedene kommunikative Ebenen. Diese Relation wurde für die Bezugselemente Äußerungskontext, thematische Struktur und schließlich Verständigungsebene dargestellt. Trotz der verschiedenen Bezugselemente weisen die Diskurspartikeln eine lexemspezifische einheitliche relationale Grundstruktur auf, die sich für ja beispielsweise als grundsätzliche Übereinstimmung kennzeichnen läßt. Das Postulat eines grammatischen Status dieser spontansprachlichen Einheiten scheint damit gerechtfertigt. Neben dem formalen Kriterium der Stellung außerhalb der Satzstruktur kann daher zur Abgrenzung der Diskurspartikeln gegen die Modalpartikeln und Konjunktionen, bzw. Adverbien auch die Art der Bezugselemente angeführt werden, die bei den Diskurspartikeln verschiedenen Aspekten des Kommunikationssystems entstammen. 4. Einzelanalysen In diesem Kapitel steht einerseits die Bedeutungsexplikation der vier Partikeln im Mittelpunkt; es werden die lexemspezifischen Bedeutungsaspekte dargestellt, aufgrund derer die Partikeln ein geordnetes semantisches Feld bilden. Andererseits geht es um Fälle, die hinsichtlich ihrer Funktionen schwer einzuordnen sind. So gibt es zahlreiche Beispiele im Korpus, für die eine eindeutige Klassifikation als Adverb, Konjunktion, Modalpartikel oder Diskurspartikel nicht möglich scheint. Diese Vorkommen unterstützen unsere These, daß die Partikeln mit einer einheitlichen relationalen Basissemantik beschrieben werden können, da ohne eine relationale Basissemantik, die unabhängig von der jeweiligen Funktion konstant bleibt, die funktionale Ambivalenz in verschiedenen Vorkommen nicht zu erklären wäre. 4.1. Aber Aber ist als Modalpartikel vorzugsweise in Äußerungen mit exklamativer Funktion zu finden, die unterschiedlichen Strukturtypen (Aussagesätze, Fragesätze) angehören können: (3) Das ist aber keine gute Konstruktion. (37) Ja oh das ist aber schwierig Die Auflösung in den pragmatischen Prätext, die relevante Situation und die adversative Lexembedeutung für Satz (3) wurde oben schon durchgeführt; sie ist hier wiederholt: (38) Bedeutungsschema der Modalpartikel aber pragmatischer Prätext: im Raum steht: daß das eine gute Konstruktion ist. relevante Situation: ich denke: das ist keine gute Konstruktion Äußerung: Das ist aber keine gute Konstruktion! Die Grundbedeutung von aber kann also paraphrasiert werden als 'Indizierung einer adversativen Relation zwischen pragmatischem Prätext und in der Äußerung dargestellter Situation'. Ferner tritt aber als Modalpartikel in direktiven Sprechakten auf, wie in (39) und (40), die allerdings nur als indirekte Sprechakte direktive Funktion haben, als Strukturtyp liegt ein Aussagesatz vor: (39) Das ist echt alles ein klappriger Kram. Mußt aber gucken, ob da auch zwei Gewinde aneinander sind. (40) Und zwar dann in den blauen Würfel, da mußt Du aber drauf achten, der Wülfel hat verschieden große Löcher. Auch hier bleibt die relationale Grundfunktion und die adversative Semantik erhalten. Allerdings ist das Schema in Rücksicht auf den direktiven Sprechakt abzuändern; (41) zeigt dies für Beispiel (39): (41) Bedeutungsschema der Modalpartikel aber in direktiven Sprechakten Bei Äußerungen wie (39) und noch deutlicher bei (40) zeigt sich ein sozusagen schleichender Übergang zwischen der zentralen Modalpartikelfunktion von aber und seiner adverbiellen bzw. konjunktionalen Funktion. Die direktiven Sprechakte schließen nämlich an eine Vorgängeräußerung an, und obwohl diese nicht in einem im engen Sinn adversativen Verhältnis zur partikelhaltigen Äußerung steht, ist es doch ganz offenkundig, daß letztere, also die partikelhaltige Äußerung, sich in unspezifischer Form auf die vorhergehende Äußerung bezieht, während die prototypische Modalpartikel ja ohne textuellen Bezugspunkt ist. Solche ambigen Verwendungsweisen sind in den Instruktionsdialogen durchaus häufig. Die folgenden Beispiele sind ebenfalls schwer zu interpretieren in Hinblick darauf, ob aber hier nur als Konjunktion zweier Äußerungen fungiert, von denen eine abgebrochen wurde, oder ob es hier als satzwertig zu betrachten ist, also eine eigenständige Äußerung konstituiert: (42) ähm ja aber ähm genau (43) Also irgendwas habe ich wahrscheinlich falsch gemacht aber (44) I: Haben wir vorhin nicht gesagt aber K: jaja nee ist klar Wie die Reaktion des Konstrukteurs in (44) zeigt, hat aber in dieser Verwendung die Funktion, eine zustimmende Reaktion des Hörers zu elizitieren, wobei die Äußerung des Konstrukteurs sogar als explizite Zusammenfassung des fehlenden Teilsatzes aufgefaßt werden kann: obwohl es vorher nicht gesagt wurde, ist es klar gewesen. Die Häufigkeit, mit der diese Konstruktion auftritt, deutet darauf hin, daß es sich hier tatsächlich nicht um einen Abbruch handelt. Stattdessen scheint aber hier als eine Diskurspartikel verwendet zu werden, die als satzwertig anzusehen ist und sich auf einen pragmatischen Prätext bezieht, nämlich die Erwartung des Gelingens des Konstruktionsschritts trotz inexpliziter Information. Auch als Modalpartikel tritt im Korpus in Aussagsätzen und Fragesätzen auf; (45) und (46) sind Beispiele für diese Verwendungsweisen: (45) Achteck? Ach so, ja, ist auch egal. (46) Kann ich auch so mit Händen alles? (an Versuchsleiter gerichtet) 90 pragmatischer Prätext: relevante Situation: Äußerung im Raum steht: du mußt nicht gucken, ob... ich will: du mußt gucken, ob... mußt aber gucken, ob... 4.2. Auch Der Sprecher konstatiert ein iteratives bzw. augmentatives Verhältnis zwischen pragmatischem Prätext und relevanter Situation. In eine Formel gebracht kann man die Grundbedeutung der Modalpartikel auch angeben als 'Indizierung einer augmentativen Relation zwischen pragmatischem Prätext und in der Äußerung dargestellter Situation'. Das Bedeutungsschema für Äußerung (45) ist in (47) gegeben: (47) Bedeutungsschema für die Modalpartikel auch: pragmatischer Prätext: im Raum steht: daß es egal ist. relevante Situation: ich denke: es ist egal. Äußerung: Ist auch egal. Für den Fragesatz (46) gilt das Schema analog, die illokutive Funktion ist bereits in den pragmatischen Prätext integriert (vgl. auch Ickler 1994:385): (48) Bedeutungsschema für die Modalpartikel auch in Fragesätzen: pragmatischer Prätext: im Raum steht: ob ich alles so mit Händen kann relevante Situation: ich frage: kann ich so mit Händen alles Äußerung: Kann ich auch so mit Händen alles? In einigen Verwendungsweisen der Partikel auch in den Instruktionsdialogen wird deutlich, daß der pragmatische Prätext bzw. das Bezugselement durchaus einen Aspekt der aktuellen Handlungs- oder Wahrnehmungssituation erfassen kann. Die Bedeutung von auch ist dann paraphrasierbar als 'Feststellung der Übereinstimmung (d.h. iteratives bzw. augmentatives Verhältnis) von zwei Situationen'. So wird in Beispiel (49) ausgedrückt, daß beide Sprecher dasselbe sehen, in (50) bezieht sich die Übereinstimmung auf die beiden möglichen Perspektiven, unter denen das Spielzeugflugzeug betrachtet werden kann. In Beispiel (51) dagegen bezieht sich auch als Adverb auf eine vorhergegangene Situation. (49) sehe ich auch gerade (50) das ist bei mir auf der rech/ ich kann es auch umdrehen (51) .so stimmt es ja auch schon wieder nicht Im folgenden Beispiel wird auch mit Segmentierungsfunktion gebraucht: (52) hast Du die runde, auch gelb? Die Bedeutung von auch in dieser Äußerung kann sich entweder auf einen vorhergegangen Bauschritt beziehen, in dem bereits eine gelbe Schraube verwendet wurde; hier wird diese zusätzliche Spezifikation als Apposition eingefügt. Oder auch bezieht sich auf die sprachliche Erweiterung selbst, in dem Fall wäre diese Verwendung von auch als Diskurspartikel zu sehen. Für auch läßt sich daher ebenfalls ein Bedeutungskontinuum für die verschiedenen Wortarten Modalpartikel, Adverb und Diskurspartikel aufzeigen. 4.3. Doch Doch als Modalpartikel ist sehr flexibel und - wie schon erwähnt - nur beim Strukturtyp Entscheidungsfrage mit Frageintention ausgeschlossen. Im Korpus kommt es in sogenannten Vergewisserungsfragen (53), Aufforderungen (54) und Aussagen (55) vor: (53) aber so ein Dreierteil hast Du doch genommen, ja? (54) dann nimm doch mal als erstes (55) das war doch richtig (56) gibt das Bedeutungsschema für den Aussagesatz (55) an. (56) Bedeutungsschema für die Modalpartikel doch: pragmatischer Prätext: im Raum steht: ob das richtig war. relevante Situation: ich denke: das war richtig Äußerung: das war doch richtig. Für die Vergewisserungsfrage (53) kann das gleiche Schema angewandt werden. (57) Bedeutungsschema für die Modalpartikel doch: pragmatischer Prätext: im Raum steht: ob Du das Dreierteil genommen hast. relevante Situation: ich denke: Du hast das Dreierteil genommen Äußerung: aber so ein Dreierteil hast Du doch genommen, ja? Die Sprechaktfunktion der "Vergewisserungsfrage" wird im Schema (57) nicht expliziert (für das Bedeutungsschema des verständnisabsichernden ja s. 4.4.). Das Bedeutungsschema unterscheidet sich nicht von dem für die Aussage in (55), was auch dadurch gerechtfertigt ist, daß in (53) dem Strukturtyp nach eine Aussage vorliegt. Für Aufforderungen wie in (54) muß im Schema als relevante Situation statt "ich denke: p" "ich will: p" gesetzt werden. Im folgenden Beispiel wird deutlich, wie ähnlich sich die Bedeutungen der Modal-und der Antwortpartikel doch sind, da sie als Paraphrasen füreinander verwendet werden können: (58) Habe ich doch gesagt, Mädchen. Doch, habe ich gesagt, da habe ich extra aufgepaßt. Die Bedeutung von Äußerungen mit doch wird allgemein als 'Widerspruch, Gegensatz' bzw. als adversatives Verhältnis beschrieben (vgl. Ickler 1994:401ff., Abraham 1990:131, Doherty 1985:66, 70). Wir hingegen gehen davon aus, daß die adversative Bedeutung von modalem doch erst durch seine Betonung entsteht und daß die Grundbedeutung von doch nur durch das Aufzeigen von Alternativen gekennzeichnet ist. Entsprechend formuliert der in den Schemata gesetzte pragmatische Prätext, auf den sich doch bezieht, eine Alternative, aus der der Sprecher eine Option auswählt. Man könnte von der Indizierung einer konzessiven Relation sprechen: der Sprecher legt sich auf eine der beiden Alternativen fest, wobei er die Existenz einer entgegengesetzten Entscheidung anerkennt. Der Sprecher entscheidet sich für seine Äußerung trotz einer entgegenstehenden Alternative. Diese Auffassung wird von den Korpusdaten insofern gestützt, als in den Instruktionsdialogen doch sehr häufig in Selektionsaufforderungen gebraucht wird, die dann meist durch Diskurspartikeln, die die Zustimmung des Hörers absichern, begleitet werden (Beispiel (54)). In der Verwendung von doch als Antwortpartikel, wie in (29), ist das adversative Element dominant. (29) K: das hält gar nicht I: doch, du mußt die andere weiter, äh Dies rechtfertigt es jedoch nicht, Adversativität als Grundbedeutung von doch anzusetzen. Zum einen ist die Antwortpartikel immer betont, was unsere These bestätigt, daß die adversative Komponente erst suprasegmental entsteht und nicht zur Kernbedeutung der Partikel selbst gehört. Zum zweiten wird das adversative Element der Antwortpartikel dadurch verstärkt, daß die vom Sprecher abgelehnte Alternative, die ja sonst nicht versprachlicht, sondern im pragmatischen Prätext impliziert ist, in diesem Fall vom Partner explizit formuliert wird. Wie die betonte Modalpartikel kennzeichnet die Antwortpartikel die Auswahl der unwahrscheinlicheren Alternative. Die adversative Bedeutung der Antwortpartikel ergibt sich also aus dem intonatorischen und versprachlichten Kontext. Dagegen ist die Grundbedeutung der Partikel doch die Indizierung einer Auswahl aus zwei Alternativen. 4.4. Ja Ja tritt als Modalpartikel (fast) nur in Aussagesätzen auf, d.h. es legt den Sprecher auf eine "assertive Haltung" fest (Doherty 1985:78). Mit ja wird die Übereinstimmung des Sprechers mit dem vorausgesetzten mentalen Zustand des Hörers ausgedrückt. Dabei bezieht sich modales ja im Gegensatz zu modalem auch immer nur auf mentale Zustände, nicht auf Äußerungskontexte etc. Es besteht ebenfalls eine Ähnlichkeit zu doch, mit dem Unterschied, daß letzteres einen Kontrast zum Prätext konstatiert, ja dagegen eine Übereinstimmung darstellt (vgl. Doherty 1985:78). Die Modalpartikel ja, die entweder eine gemeinsame Wahrnehmungsebene, wie in Beispiel (59), oder gleiche Vorannahmen, wie in Beispiel (60) voraussetzt, bezieht sich auf die Annahmen des Hörers (oder einer anderen Person): (59) Oh dann mußt Du es ja nochmal abmachen (60) es soll ja auch fliegen Die Bedeutung des Beispiels (60) läßt sich folgendermaßen auflösen: (61) Bedeutungsschema für die Modalpartikel ja: Pragmatischer Prätext: im Raum steht: jemand denkt, daß es auch fliegen soll. relevante Situation: ich denke: es soll auch fliegen. -> Äußerung: es soll ja auch fliegen. Die Bedeutung von modalem ja ist somit paraphrasierbar als 'Indizierung einer Übereinstimmung zwischen den Annahmen des Hörers oder einer anderen Person und des Sprechers'. Die verschiedenen Funktionen der Partikel ja liegen somit zum einen im modalen Bereich, zum anderen wird ja in den Dialogen als Diskurspartikel verwendet. Hier ist die relationale Grundstruktur am stärksten ausdifferenziert, indem verschiedene kommunikative Ebenen den pragmatischen Kontext und die relevante Situation bilden können. In 3.2. wurde schon gezeigt, wie sich Diskurspartikeln auf den Äußerungskontext, die thematische Struktur und die Verständnisebene beziehen können. So kann auch ja dazu gebraucht werden, ein neues Thema einzuleiten (das Beispiel für diese kommunikative Ebene in 3.2. war aber): (62) ja ganz genau und jetzt nimmst Du ja jetzt wird es ein bißchen schwierig Die äußerst poly funktionale Diskurspartikel ja kann sich allerdings auf mindestens vier weitere Ebenen beziehen: den Dialogablauf, die Handlungssituation, die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern sowie die Redeformulierungsebene. Die Ebene des Dialogablaufs betreffend finden sich in den Instruktionsdialogen z.B. Signale der Zustimmung, die sich auf die Gesprächsorganisation beziehen. So geht es in den sogenannten feedback-Signälen nicht um die Zustimmung auf der propositionalen Ebene, sondern um eine Unterstützung im Gesprächsablauf. Den pragmatischen Text konstituiert hierbei der lokutive Akt, d.h. die Äußerungshandlung selbst, die relevante Situation wird konstituiert durch die Wahrnehmung und das Verstehen der Äußerung. Ein Beispiel ist (63), in dem positive Rückmeldung gegeben wird. In dieser Äußerung fungiert ja als Signal der Aufmerksamkeit, des Verständnisses und des Kontakts, also als feedback-Signal, ohne direkte propositionale Zustimmung auszudrücken. (63) I: Ah ja das das ähm ja das sind die Lager nachher dafür aber ähm K: Ja (64) Bedeutungsschema für ja 2lIs, feedback-Signal pragmatischer Kontext: Du hast etwas gesagt relevante Situation: ich habe gehört, was Du gesagt hast Äußerung ja In den hier untersuchten Instruktionsdialogen findet sich zudem eine Verwendung von ja, die sich auf die außersprachliche Situation bezieht: (65) K: Mhm huch ja Um diese Verwendungsweise zu verstehen, muß man die Situation kennen, in der diese Diskurspartikel geäußert wird: Der Instrukteur gibt eine Bauschrittanleitung an den Konstrukteur, der zunächst die Aufnahme der Instruktion mithilfe von mhm bestätigt, dann diese Instruktion ausführt und schließlich die Komplettierung des jeweiligen Bauschritts mit ja signalisiert. Hier bezieht sich ja also auf die Handlungsebene. Die Übereinstimmung hinsichtlich der Handlungssituation läßt sich in dem relationalen Schema folgendermaßen darstellen: (66) Bedeutungsschema für ja als Signal einer abgeschlossenen Handlung pragmatischer Kontext: Du möchtest, daß ich etwas tue relevante Situation: ich habe es getan -> Äußerung ja In dem folgenden Austausch bezieht sich die Diskurspartikel ja auf die Beziehungsebene zwischen den Kommunikationspartnern. Als Redeübernahmesignal bestätigt ja das gemeinsame Thema und signalisiert eine grundsätzlich harmonische persönliche Beziehung zwischen den Gesprächspartnern. Diese Interpretation wird dadurch unterstützt, daß ja vor allem in dieser Verwendungs weise gefunden wird, wenn durch den propositionalen Gehalt der Äußerung die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern gefährdet ist, wie z.B. in dem folgenden Austausch, in dem der Konstrukteur erklärt, einen Fehler gemacht zu haben: (67) I: und dann müßtest du noch den mit fünf übrighaben K: ja genau ja ich habe eben I: ja macht ja nix wir haben es ja gemerkt K: einfach den noch rausgegriffen den ich mir nicht zur Seite gelegt hatte I: ja wir haben es ja gemerkt In dieser Verwendungsweise mildert ja daher potentiell face-threatening acts (FTAs) (Brown & Levinson 1987) ab. Hier ist die Äußerung, die eingeleitet wird, die Ursache für einen pragmatischen Text, der die Übereinstimmung der Sprecher in Frage stellt. Diese Relation läßt sich folgendermaßen darstellen: (68) Bedeutungsschema für ja in FTAs pragmatischer Kontext: Du hast gesagt: weglegen & im Raum steht: ich denke nicht wie Du relevante Situation: ich denke auch: weglegen & ich habe eben einfach... Äußerung ja ich habe eben einfach... Es ist klar, daß der hier ausgewählte pragmatische Text mit dem Rekurs auf grundsätzliche Arbeitsstrategien (hier: die einzubauenden Teile vorher herauszulegen) nur stellvertretend stehen kann für eine Menge an möglichen Aspekten der Übereinstimmung, deren Mitteilung den Sprechern ermöglichen kann, ihre "Gesichter" zu wahren. Dazu gehört beispielsweise das gemeinsame Ziel, das Flugzeug zusammenzubauen, genauso wie die Beziehungsebene zwischen den Sprechern oder die ebenfalls vorhandenen Signale bezüglich der Übernahme desselben Themas. Des weiteren kann sich ja auf die Formulierungstätigkeit beziehen, zum Beispiel, um Zeit zur Sprachplanung zu gewinnen: (69) ja ahm Diese Verwendung ist für ja recht selten. Meist wird in dieser Funktion einer der Häsitationsmarker benutzt. Häufiger fungiert ja als Reparaturmarker (Levelt 1983), wobei ja immer vorwärts gerichtet ist, d.h. nicht signalisiert, daß Probleme in der Formulierung auftauchen, sondern daß diese jetzt behoben sind: (70) ahm diese ja diese Rillen Ja signalisiert hier also, daß der Sprecher jetzt weiß, wie er weiterreden kann, daß die Sprachplanung als erfolgreich abgeschlossen betrachtet werden kann. Ja als Reparaturmarker signalisiert eine Übereinstimmung der erforderlichen Sprach-planungsaktivität mit dem tatsächlichen "ich weiß jetzt, was ich sagen will". Insgesamt ergibt sich somit für die verschiedenen Verwendungsweisen von ja eine relationale Basissemantik, die für die Modal- und die Diskurspartikel ja übereinstimmt, und die in NSM (Wierzbicka 1986) als "ich glaube, wir denken dasselbe" ausgedrückt werden kann. Die Polyfunktionalität von ja entsteht durch die Bezugnahme der relationalen Bedeutungsstruktur auf verschiedene kommunikative Ebenen wie die Annahmen des Hörers für die Modalpartikel und die propositionale Ebene, bzw. den Äußerungskontext, die Redeformulierungsebene, die Handlungssituation, die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern, die Dialogstruktur, die thematische Struktur und die Verständigungsebene für die Diskurspartikel. 5. Ausblick: Partikeln und Textsorten Im Vorhergehenden wurde gezeigt, daß Modal- und Diskurspartikeln eine einheitliche relationale Basissemantik aufweisen. Sie erfüllen verschiedene verknüpfende und verweisende Funktionen, die ihre Einordnung als grammatische Elemente rechtfertigen. Die Polyfunktionalität der vier untersuchten Lexeme resultiert vor allem aus den verschiedenen Bezugselementen, auf die sich die verweisende Komponente der Partikeln richtet. Abschließend sollen noch einige Anmerkungen zur Textsortenspezifik der verschiedenen Funktionen der Partikeln angefügt werden. So sind z.B. in den untersuchten Instruktionsdialogen aufgrund der gemeinsam zu lösenden Aufgabe die Aspekte der Kooperativität und Partnerbezogenheit stark hervorgehoben. Daher könnten für diese Textsorte die oben dargelegten Bedeutungsschemata diesbezüglich spezifiziert werden. In der Beschreibung des pragmatischen Prätextes für modales ja, zum Beispiel, könnte die Position des "jemand" in der Formulierung "im Raum steht: jemand denkt, p" durchweg durch ein "Du" substituiert werden. Ein anderes Beispiel für den Einfluß der Textsorte auf die Verwendung der Partikeln ist die Tatsache, daß modales auch nicht in den Aufforderungen des Korpus gefunden werden konnte. In der Literatur wird diese Verwendungsweise in Sätzen wie (71) Sei auch brav zitiert. In den auf Kooperativität ausgerichteten Dialogen des untersuchten Korpus dagegen ist eine solche Verwendung nicht auffindbar, da mit dieser Verwendung eine hierarchische Beziehung zwischen den Sprechern verbunden ist. Textsortenspezifische Untersuchungen reduzieren zum einen die Komplexität der zu bewältigenden Beschreibungsaufgabe, indem z.B. bestimmte Kommunikationsziele vorausgesetzt werden, die die Interpretationen der Partikeln beeinflussen können. Zum anderen läßt sich umgekehrt durch die Funktionen der Modal- und Diskurspartikeln auf Textsorten zurückschließen: Da sich Diskurspartikeln auf Aspekte des Kommunikationssystems beziehen, ergibt sich eine Eingrenzung ihrer Verwendung auf situierte gesprochene Sprache. In dem Maße, in dem sich Modalpartikeln auf vorausgesetzte Annahmen des Hörers beziehen, sind auch sie an Textsorten gebunden, die in eine Sprecher-Hörer-Situation eingebunden sind. Zusammenfassung Anhand von Äußerungen aus einem Korpus situierter gesprochener Sprache wird für die Partikeln gezeigt, daß ihren modalen und diskursiven Funktionen eine gemeinsame relationale Basissemantik zugrunde liegt, die zwei Aspekte umfaßt: Zum einen eine Verweisstruktur, zum anderen eine lexemspezifische Bedeutung, die die Art der Relation spezifiziert (z.B. als adversative, iterative etc. Relation), die zwischen dem Bezugselement und der partikelhaltigen Äußerung besteht. Diesen Verweischarakter teilen die Partikeln mit grammatischen Morphemen, wie z.B. Tempusflexiven und Proformen, weshalb für die Partikeln ebenfalls ein grammatischer Status angenommen werden kann. Die Polyfunktionalität der vier untersuchten Lexeme als Adverbien, Konjunktionen, Modal- und Diskurspartikeln resultiert aus der Verschiedenheit der Bezugselemente, auf die ihre relationale Basissemantik gerichtet ist. Bei Modalpartikeln ist das Bezugselement ein pragmatischer Prätext, bei Diskurspartikeln sind die Bezugselemente durch verschiedene Aspekte des Kommunikationssystems gegeben. Literatur Abraham, Werner (1990): Zur heterogenen Entfaltung der Modalpartikel im Ahd. und Mhd. In: Anne Betten (Hg.). Neuere Forschungen zur historischen Syntax des Deutschen: Referate der Internationalen Fachkonferenz Eichstätt 1989. Tübingen: Niemeyer. 124-138. (RGL 103). Abraham, Werner (1991): Dicourse particles in German: How does their illocutive force come about? In: ders. (ed.)- Discourse particles. Descriptive and theoretical investigations on the logical, syntactic and pragmatic properties of discourse particles in German. Amsterdam, Philadelphia: Benjamins. 203-252. (Pragmatics and beyond, new series, 12). Brown, Penelope & Levinson, Stephen (1987): Politeness: Some Universals in Language Usage. Cambridge: Cambridge University Press. Bühler, Karl (1982 [1934]): Sprachtheorie. 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Povzetek O DISKURZIVNI IN MODALNI FUNKCIJI ČLENKOV ABER, AUCH, DOCH IN JA V NAVODILNEH DIALOGIH Na podlagi analize iz korpusa situacijsko vezanega govorjenega jezika avtorici opozorita na dejstvo, da modalne in diskurzivne funkcije členkov temeljijo na skupni relacijski pomenski osnovi, ki obsega dva vidika: po eni strani gre za strukturo navezovanja, po drugi pa za leksemsko specifični pomen, ki opredeljuje vrsto relacije (npr. protivno, ponavljalno idr.), ki obstaja med nanašalnico in povedjo, ki vsebuje členek. Ta nanašalni značaj si delijo členki s slovničnimi morfemi kot npr. temporalni morfemi in zaimki, zaradi česar lahko predpostavljamo, da imajo tudi členki svoj slovnični status. Polifunkcionalnost štirih raziskanih leksemov kot prislovov, veznikov, modalnih in diskurzivnih členkov izhaja iz različnosti nanašalnic, na katere je usmerjena njihova osnovna relacijska semantika. Pri modalnih členkih je nanašalnica predhodno pragmatično besedilo, pri diskurzivnih členkih pa temeljijo nanašalnice na različnih vidikih sistema komunikacije. Daniela Veronesi Europäische Akademie Bozen UDK 811.112.2'276:811.131.1'276:34 RECHTSTEXTE IM VERGLEICH. DAS BEISPIEL VON DEUTSCHEN UND ITALIENISCHEN UNIVERSITÄREN LEHRBÜCHERN 1. Einleitung Die kontrastive Fachsprachenforschung hat sich seit einigen Jahren die Aufgabe gestellt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Fachtexten/Fachtextsorten unterschiedlicher Fächer und/oder unterschiedlicher Sprachen zu zeigen. Dadurch soll einerseits die Annahme über die Existenz kultur- und nationalspezifischer Denktraditionen bewiesen werden, die fachsprachliches Handeln prägen und steuern;1 andererseits sollen durch den interlingualen Vergleich für dieselben Textsorten konkrete Hinweise für Bereiche wie Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachendidaktik - wo der kontrastive Ansatz immer mehr an Bedeutung gewinnt - gegeben werden. Die Untersuchung zu deutschen und italienischen Rechtstexten, die hier vorgestellt wird, ist innerhalb des Projekts zur kontrastiven Rechtstextlinguistik entstanden, das im Fachbereich "Sprache und Recht" an der Europäischen Akademie Bozen angesiedelt ist. Bei diesem Projekt geht es darum, Ähnlichkeiten und Besonderheiten von Rechtstexten unterschiedlicher Art - normative, wissenschaftliche, didaktische Texte - am Sprachenpaar Deutsch-Italienisch hervorzuheben, um einen sowohl theoretischen als auch praktischen Beitrag zur Fachsprachenforschung zu leisten. Das Projekt begann mit der Analyse von normativen Texten: so wurden deutsche und italienische Gerichtsurteile im Hinblick auf die Makrostruktur analysiert, während der Vergleich von Gesetzesstexten auf die sprachliche Realisierung von typischen gesetzlichen Inhalten wie Rechten, Pflichten, Verboten und Erlaubnissen fokussierte.2 Nun wird die Aufmerksamkeit auf weitere juristische Textsorten gelenkt, die eher der wissenschaftlichen bzw. didaktischen Kommunikation dienen. Im vorliegenden Beitrag werden die ersten Ergebnisse der kontrastiven Analyse von universitären Lehrbüchern vorgestellt, die Studenten der Rechtswissenschaft oder der Politikwissenschaft in das Europarecht einführen sollen. Ziel einer solchen 1 Vgl. dazu Fiedler (1994: 68), Busch-Lauer (1994: 71), Gläser (1992: 78ff.), Gnutzmann (1992: 268), Clyne (1993). Für eine allgemeine Einführung zur Thematik siehe Pöckl (1995). 2 Vgl. Arntz (1995: 137-162 ) und Veronesi (1997). Untersuchung ist es, Strategien und Mittel hervorzuheben, die der Autor zur Didaktisierung der Inhalte verwendet; damit soll ein Bild über den Dialog gewonnen werden, der zwischen einem Rechtswissenschaftler (als Fachmann) und einem Studenten (als Laien in der Ausbildung) innerhalb zweier verschiedener juristischer, didaktischer und kultureller Traditionen entsteht. 2. Zur Definition des Untersuchungsgegenstandes 2.1. Die Textsorte "universitäres Lehrbuch" und die kommunikative Situation Von einem typologischen Gesichtspunkt aus können Lehrbücher als Textsortenklasse betrachtet werden, die verschiedene textuelle Realisierungen hat (Schullehrbücher, universitäre Lehrbücher) (vgl. Göpferich 1995). Solche Realisierungen sind weiter je nach Fachsprache und Ausbildungsniveau zu differenzieren, da sich die Didaktisierung der Inhalte vermutlich je nach Fachgebiet und je nach angenommenem Wissensniveau der Adressaten anders vollzieht. Weiterhin ist das Lehrbuch auch innerhalb der jeweiligen Fachtexttypologie zu sehen; für das Rechtsgebiet gehört das Lehrbuch zusammen mit Monographien, Fachzeitschriftenartikeln, Kommentaren und Vorarbeiten für die Gesetzgebung den Textsorten an, die für die Rechtslehre typisch sind.3 Bei solchen Textsorten sind Lehrbücher expositorische Texte, die (ähnlich wie Enzyklopädien) eine erklärende Funktion haben. Sie erfüllen die Aufgabe, im Rahmen der Ausbildung jemandem einen neuen Sachverhalt darzustellen und deutlich zu machen. Im Vergleich mit anderen juristischen Textsorten wie normativen Texten, wo Textstruktur und sprachliche Mittel stark konventionalisiert sind und wo daher der Autor formalen und sprachlichen Zwängen unterliegt, sind Lehrbücher für den Autor nicht so verbindlich,4 so daß hier eine größere Auswahl an Strategien und Mitteln getroffen werden kann, deren Analyse daher auch im Hinblick auf eventuelle nationalspezifische Denk- und Argumentationsstile nutzbar sein kann. Was den konkreten .Kommunikationskontext betrifft, in dem die hier analysierten Lehrbücher zum Europarecht verwendet werden, so muß man sich vor Augen halten, daß Europarecht sowohl in Deutschland als auch in Italien ziemlich am Ende des 3 Siehe dazu Cavagnoli / Veronesi (1996). 4 Sabatini (1990: 694-700) schlägt für die Textklassifikation eine Makrotypologie vor, die aufgrund des pragmatisch orientierten Parameters "Grad der Verbindlichkeit, die der Autor von der Interpretation des Lesers verlangt" ("grado di rigiditä del vincolo che l'autore pone all'inter-pretazione del lettore") drei Grundkategorien enthält: Texte mit sehr verbindlichem Diskurs, mit mittelmäßig verbindlichem Diskurs und mit wenig verbindlichem Diskurs. Lehrbücher gehören hierbei zusammen mit Traktaten, Essays und Enzyklopädien zu den expositorischen Texten, welche wie die informativen Texten (Sachtexte, Pressetexte u.a.) durch eine mittelmäßige Verbindlichkeit des Diskurses gekennzeichnet sind. Studiums behandelt wird: es ist ein komplexes Gebiet, bei dem viele juristische Kenntnisse vorausgesetzt werden. Solche Lehrbücher sind als Begleithilfe zu Vorlesungen oder Seminaren gedacht und werden vom Studenten autonom verwendet. 2.2. Die Korpusanalyse Das analysierte Korpus wurde fünf italienischen und fünf deutschen universitären Lehrbüchern zum Europarecht entnommen; dabei wurden die Kapitel bzw. die Kapitelabschnitte untersucht, die dasselbe Thema behandeln, nämlich das Verhältnis vom EG-Recht zum nationalen Recht und die daraus folgende Problematik der Anwendbarkeit/Anwendung des EG-Rechts in den Mitgliedstaaten, was auch zu den am meisten diskutierten Fragen dieses Rechtsgebiets gehört.5 Bei der Analyse wurde versucht, einerseits von außen nach innen und anderseits vom Ganzen zum Einzelnen zu gehen, um solche Texte in ihrer Komplexität einigermaßen fassen zu können. Die Lehrbücher wurden deshalb zunächst als textuelle Objekte betrachtet, wie sie sich einem Leser darbieten: a) mit einem Vorwort, das sie vorstellen und begründen soll, b) mit einer gewissen Gliederung und einer gewissen graphischen Gestaltung, an welcher sich der Leser orientieren soll, c) mit zusätzlichen Hilfen, die die Arbeit am Text erleichern sollen. In einer zweiten Phase wurde auf die sprachliche Ebene eingegangen, um herauszufinden, wie sich der Dialog zwischen Autor als Fachmann und Leser als Laien, der aber am Ende seiner Ausbildung steht, im Text selbst konkret realisiert. So wurden explizite Signale des Autors gesucht, die die Informationsvermittlung erleichtern und den Leser in der Textrezeption unterstützen können: a) deiktische Ausdrücke, die die Orientierung des Lesers im textuellen Raum steuern; b) Erklärungen und Präzisierungen, die komplexe Sachverhalte deutlich machen sollen; c) Explizierung von kausalen Verhältnissen, die die argumentativen Schritte des Autors für den Leser hervorheben. Solche Parameter erschienen im Hinblick auf die Didaktisierung von komplexen rechtlichen Inhalten, wie es bei Europarecht-Lehrbüchern vorkommt, besonders aussagekräftig; allerdings kann die vorliegende Analyse aufgrund der Begrenztheit sowohl der Vergleichsgrößen6 als auch des analysierten Korpus ausschließlich als 5 Insgesamt umfaßt das Korpus 108 'effektive' Seiten (d.h. ohne Zitate) für das Italienische und 72 Seiten für das Deutsche, wobei sich die Seitenzahl in den beiden Sprachen durch das Vorhandensein von kleingedruckten Textabschnitten in allen deutschen Texten ungefähr gleicht. Im Folgenden wird auf die Lehrbücher durch die Autorennennung Bezug genommen (Beutler/Bieber; Bleckmann; Oppermann', Schweitzer/Hummer; Streinz; Ballarino; Ferrari Bravo-, Lauria', Pocar; Zanghi)', genaue Angaben zum Korpus im Quellenverzeichnis. explorativ betrachtet werden, in der Hoffnung allenfalls, Tendenzen der Textualisierung in den beiden Sprachen aufzuzeigen, die weiter zu überprüfen sind. Ziel dieser Analyse war also in erster Linie, eine Basis für gründlichere Untersuchungen an solchen Texten zu schaffen und die Anwendbarkeit der ausgewählten Vergleichskriterien für die Textsorte "universitäres Lehrbuch" zu erproben. 3. Der Ansatz von außen 3.1. Das Vorwort, oder wie der Autor den Leser sieht Bei der Analyse der Vorwörter ging es darum, ob bzw. inwieweit der Autor seine Leserschaft direkt anspricht und wie er diesen Dialog durchführt. Das Vorwort wird in diesem Zusammenhang als 'Eingang' zum eigentlichen Text, also als textueller Ort7 gesehen, wo der erste Kontakt zwischen Autor und Leser stattfindet, und vor allem, wo der Autor sich explizit in seiner Rolle als Textproduzent - d.h. mit bestimmten Intentionen und Zwecken, mit bestimmten Methoden und mit einer bestimmten Leserschaft im Auge - vorstellt. Es ist der erste 'offizielle', institutionalisierte Moment, wo sich die Beziehung Autor-Leser konstituiert.8 Bei allen Vorwörtern kommen bestimmte Handlungen - wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung - vor, die zur textuellen Charakterisierung zu gehören scheinen: Der Autor erklärt, wie das Werk entstanden ist; ggfs. nimmt er Bezug auf vorherige Auflagen; er äußert seine Meinung über die Besonderheiten des dargestellten Stoffes (hier die zunehmende Bedeutung und die letzten Veränderungen im Europarecht); er dankt Mitarbeitern, Kollegen, Familie, Sachbearbeitern und Verlag 6 Zu den verschiedenen Analyseansätzen in der kontrastiven Fachsprachenforschung und zur Problematik der Auswahl des tertium bzw. der tertia comparationis siehe insbesondere Oldenburg (1995). 7 Genauer gesagt zählt das Vorwort zu den internen paratextuellen Elementen (Peritext) (vgl. Genette 1987), die zusammen mit den externen paratextuellen Elementen (Epitext) die Aufgabe haben, die Lektüre zu steuern. Streng genommen, stellen Vorwörter nicht unbedingt den ersten Kontakt zwischen Autor und Leser (der schon durch Elemente wie Titel, Autorname usw. entsteht) dar; im Zusammenhang dieser Untersuchung erscheint jedoch eine solche Präzisierung nicht besonders relevant. Über das Vorwort als Textsorte siehe I. Thonhauser-Jursnick, "«Mein besonderer Dank gilt» - Das Vorwort. Strukturen wissenschaftlicher Dankbarkeit" in diesem Band. 8 Das bedeutet natürlich nicht unbedingt, daß Vorwörter auch tatsächlich von den 'institutionellen' Adressaten - den Studenten - gelesen werden; Vorwörter können auch gleichzeitig als Kommunikationsmittel innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft dienen, was das Vorhandensein von Handlungen wie 'Danken', 'Loben', 'die persönliche Meinung über gewisse Themen äußern', 'von sich selbst erzählen' - die alle in Vorwörtern vorkommen können -, zu begründen scheint. Dadurch verliert aber das Vorwort seinen 'offiziellen' Charakter als Einleitung für den primären Leser (hier Studenten) nicht, so daß dessen Analyse interessante Hinweise auf die Beziehung Autor - Leser geben kann. (was in größerem Maße bei den deutschen Texten gemacht wird, wo z.T. auch Rechtsreferendaren und Lektoren gedankt wird). Hinzu kommen Inhalte, die eher dem persönlichen Stil des Autors zuzuschreiben sind: Ein italienischer Autor (Ferrari Bravo) äußert z.B. scharfe Kritik an den Veränderungen, die in der Studienordnung eingeführt wurden; ein deutscher Autor (.Bleckmann) erklärt sich bereit, Hinweisen und Verbesserungsvorschlägen "an die unten genannte Adresse" entgegenzukommen, nachdem er seine Bemühungen erwähnt hat, die "z.T. zu Recht kritisierten" formalen Mängel der vorherigen Auflage zu beseitigen (für "Hinweise, Anregungen und Kritik" sind auch Schweitzer/Hummer "jederzeit" dankbar); der Autor öffnet dem Leser seine/ihre persönliche Sphäre, indem er/sie, wie die italienische Felicetta Lauria, über den vorbildlichen Väter spricht oder indem er, wie Oppermann, die behandelte Disziplin als "einen der liebsten Forschungsgegenstände" bezeichnet, seine Erfahrung in der Europa-Abteilung des Bonner Bundesministeriums als "eine mit vielen guten Erinnerungen verknüpfte Zeit" erwähnt und hofft, daß ihn das Gespräch mit seiner Frau vor "zu viel juristischem Rigorismus" bewahrt habe. Neben solchen obligatorischen und fakultativen Teilen ist aber auch ein Bezug zur Leserschaft immer vorhanden, sei es als explizite Erwähnung der Adressaten, sei es als Darstellung des zugrundeliegenden didaktischen Konzepts, sei es als Begründung für die vom Autor vollzogene Themenauswahl. In dieser Hinsicht scheint sich eine erste Differenzierung zwischen deutschen und italienischen Vorwörtern abzuzeichnen: Obwohl der Bezug zur intendierten Leserschaft in beiden Sprachen vorhanden ist, ist bei den deutschen Autoren - insgesamt gesehen -eine etwas größere Aufmerksamkeit bzw. eine höhere Thematisierung des Kommunikationspartners festzustellen. Bei drei deutschen Texten (Bleckmann, Schweitzer/Hummer, Streinz) wird nämlich schon im ersten Abschnitt des Vorworts auf die "Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für Juristen", auf "Studenten der Rechts-, Sozial- und Politikwissenschaften" und auf die "juristische und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung und Praxis" Bezug genommen, was auch als Begründung für die getroffene Themenauswahl benutzt wird. In den drei Vorwörtern werden dann weiter im Text das didaktische Konzept und die angebotenen Hilfsmittel erwähnt (so z.B. die Einbindung von "Fällen mit Lösungen" in der Darstellung bei Streinz, oder die Ausstattung des Textes mit Randnummern in Bleckmann, der auch ein "ausführliches" Sachverzeichnis, ein Rechtsprechungsregister und ein Artikelregister zum "raschen Zugriff auf die Problemfelder" zur Verfügung stellt). Bei Schweitzer/Hummer nimmt die Darstellung des didaktischen Konzepts - in Form einer Auflistung - den größten Teil des Vorworts ein, wo auch auf weitere Lernmaterialien (Textbuch, Übungsbuch, Fälle-Buch) verwiesen wird, die die Autoren selbst als Begleitwerk zum Lehrbuch verfaßt haben. Bei den zwei übrigen Texten (Oppermann, Beutler/Bieber) stellt man hingegen eine gewisse Polarisierung fest: Während das Vorwort Oppermanns sehr persönlich und 'autorenzentriert' wirkt, was immerhin den Autor nicht daran verhindert, auch Studenten zu danken, wird der Adressat "Studenten" im Vorwort des gemeinsamen Werkes von den vier Autoren Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil gar nicht thematisiert, selbst da nicht, wo es um das "Ziel" der vierten Auflage geht. Bei den italienischen Vorwörtern ist das Bild etwas anders: Nur bei einem Text (.Pocar) werden im ersten Abschnitt Adressaten und Ziele des Buches erwähnt, während bei den übrigen vier Texten zunächst über Probleme und Entwicklungen des Europarechts gesprochen wird, um erst nach mehreren Absätzen zur Didaktik überzugehen. Alle italienischen Autoren zeigen weiterhin die Neigung, eine persönliche Perspektive als 'Autoren' anzunehmen, bevor von Didaktik und Studenten die Rede ist: die Thematisierung der Adressaten entsteht nämlich durch die vorherige Thematisierung des Buches als persönliches Produkt, als Ergebnis von universitären Vorlesungen oder als Ergebnis einer akademischen bzw. beruflichen Erfahrung. So bei Pocar La presente trattazione, che trova la sua origine nelle lezioni di diritto delle Comunitä europee da me tenute diversi anni orsono presso la Facoltä di scienze politiche dell'Universitä degli studi di Milano, risponde in via primaria all'esigenza di offrire agli študenti, agli operatori del diritto e a quanti si accostino al fenomeno comunitario uno strumento aggiornato [...]. bei Ballarino Rileggendo il testo del mio manuale, con tutte le varianti e le modificazioni introdotte nel corso delle quattro edizioni che ha avuto, credo di poter presentare le seguenti riflessioni. a) [...]. b) [...]. c) Nella didattica della disciplina, destinata a študenti universitari, occorre tenere conto dei termini di riferimento che ha lo študente. Questo proposito mi ha indotto a...[...]. bei Zanghi Oltre dieci anni di esperienza didattica presso la Scuola Superiore della Pubblica Amministrazione [...] mi hanno indotto ad un approccio pragmatico della materia [...]. II continuo confronto con i funzionari dell'Amministrazione centrale e regionale mi ha consentito di affinare nel tempo le conseguenti metodologie didattiche. Rientrando adesso nell'insegnamento universitario d'origine, ho ritenuto opportuno porre a profitto del diverso pubblico l'accennata esperienza. A ciö mi ha spinto la consapevolezza che la formazione universitaria, specie in una Facoltä come quella di Scienze Politiche [...]. bei Lauria,9 wo die Autorin im Vorwort zur zweiten Auflage schreibt: II rapido esaurirsi della prima edizione di questo Manuale, destinato in origine ai miei študenti dell'Universitä di Milano ed agli allievi ufficiali dell'Accademia della Guardia di Finanza di Bergamo, e prova del profondo interesse [...]. 9 Hier wird die Einleitung von einem anderen Autor verfaßt, der erst am Ende seiner Präsentation die Entstehung des Buches erwähnt: "[...] č certo che il lavoro della prof. Lauria, nato dai corsi di und Ferrari Bravo: II rapido esaurimento delle mie Lezioni di diritto delle Comunitä Europee, apparse nel 1992, mi ha creato una serie di problemi. Die Themenauswahl wird in drei Lehrbüchern direkt auf die besondere Leserschaft bezogen, während nur in zwei Lehrbüchern (Pocar, Zanghi) auch die Hilfsmittel (detaillierte Bibliographie und Verzeichnisse der Rechtsprechung und der zitierten Gesetzgebung in Pocar, ähnliche Verzeichnisse in Zanghi) erwähnt werden. In den zwei übrigen Lehrbüchern wird über den "Leser" in einer ziemlich allgemeinen und konventionellen Weise gesprochen (der Leser werde schließlich über die Wirksamkeit des Werkes urteilen, so heißt in Ferrari Bravo), bzw. er wird gar nicht erwähnt. Was weiterhin die Darstellungshaltung des Autors gegenüber dem Gegenstand und dem Adressaten betrifft, die durch die Verwendung von Personalpronomina der ersten Person Singular und Plural oder aber durch die Verwendung von unpersönlichen Formen wie dem Passiv signalisiert wird,10 so wirken die italienischen Texte persönlicher, da vier von fünf Gebrauch von der ersten Person Singular machen, während bei den deutschen Texten eher die Neigung zur distanzierten Darstellungsweise (mit vorwiegenden Passiv-Konstruktionen) festzustellen ist.11 3.2. Das Lehrbuch als Text: Gliederungsebenen, Hilfsmittel, nichtsprachliche Textteile, typographische Signale Nach der Analyse des Vorworts als ersten textuellen Ortes der Kommunikation zwischen Autor und Leser ist es nun möglich, einen Schritt in den Text "Lehrbuch" zu machen und nachzuprüfen, unter welchen Bedingungen deren Dialog stattfinden kann, d.h. mit welcher Textstruktur und mit welchen Hilfsmitteln sich der Leser im Text zurechtfinden muß. Es geht hier um formale (paratextuelle) Merkmale des Textes, die zwar noch nicht zur Textpartitur gehören, die aber eine Steuerungsfunktion in der Textrezeption ausüben können, indem sie den Text nach einem gewissen Schema organisieren, thematische Einheiten signalisieren und die 'rohen' sprachlichen Zeichen mit zusätzlichen Vertiefungs- und Orientierungsmitteln ergänzen. Es wurde deshalb als erster Schritt in den Text die Textstruktur untersucht: die Art und die Tiefe der Gliederung des K. itels, dessen interne Struktur, die Verwendung von nichtsprach- diritto coniuiiitario tenuti da ormai cinque anni nella Facoltä di Scienze Politiche dell'Universitä di Milano costituisce uno strumento essenziale [...]"). 10 Vgl. Gläser (1994: 75-78). 11 Wenn die italienischen Autoren durch die Verwendung von Personalpronomina nicht so distanziert wie die deutschen wirken, so ist dabei auch zu berücksichtigen, daß eine solche 'Personalisierung' auch dadurch entsteht, daß die ersteren einem persönlicheren Duktus haben. liehen Elementen (Schaubildern, Tabellen) und das Vorhandensein zusätzlicher Nachschlagmittel (Register, Literaturhinweise).12 Was die Gliederung der einzelnen Kapitel angeht, so zeichnet sich bei dem Vergleich eine größere Detaillierung bei den deutschen Texten ab: Während nämlich im italienischen Korpus zwei Lehrbücher drei Gliederungsebenen aufweisen, weitere zwei nur eine Ebene (bei einem Lehrbuch - Ballarino - ist diese auch nicht formal alphabetisch und/oder numerisch markiert) und ein Lehrbuch (Ferrari Bravo) sogar keine interne Gliederung aufweist (was auch mit seinem Status als "Vorlesungsbuch" zusammenhängt), sind drei deutsche Texte in drei Ebenen gegliedert und die übrigen Texte (Streinz, Bleckmann) weisen jeweils vier und fünf auf. Bei den deutschen Autoren ist somit die Tendenz zu erkennen, Themen in Unterthemen zu gliedern und diese weiter zu zerlegen, so daß jedes Thema bzw. Unterthema sozusagen getrennt und graphisch isoliert behandelt wird, was auch die inhaltliche Hierarchie der Themen hervorhebt. Bei den italienischen Autoren hingegen werden nicht so viele 'Unterteilungen' gemacht: Unterthemen werden innerhalb eines und desselben Kapitelteils in einer einheitlichen Behandlung präsentiert. Bei der internen Struktur des Kapitels werden Unterschiede in der Stoffdarbietung noch deutlicher: In allen deutschen Texten kommen neben einem Haupttext auch kleingedruckte Textabschnitte vor, die in den meisten Texten (vier von fünf) nicht nur zum Zitieren von Urteilen oder Gesetzestexten, sondern auch zur Vertiefung der einzelnen Themen dienen. Hingegen kommen solche graphisch isolierbaren Texteinheiten nur in zwei italienischen Texten vor, wobei sie in einem Text nur für Zitate verwendet werden. Bei den italienischen Texten (vier von fünf) ist auch das Fehlen von Fußnoten zu bemerken, was sonst typisch für expositorische und wissenschaftliche juristische Texte ist; dieser Verzicht ist im Deutschen weniger ausgeprägt (Fußnoten werden bei drei Texten verwendet). Was weiterhin besondere didaktische Hilfen innerhalb des Kapitels betrifft, so enthalten alle Texte in den beiden Sprachen (außer einem italienischen Text, der allerdings dieselbe Information in Fußnoten vermittelt) weitere bibliographische Hinweise, sei es nur am Ende des Kapitels oder auch zu den einzelnen Abschnitten (in zwei ital. und in vier deutschen Lehrbüchern). Was aber noch mehr auffällt und ein wichtigeres Zeichen für 'Leserfreundlichkeit' ist, ist die didaktische Verwendung, bei zwei deutschen Texten, von Fragen am Ende eines Themas, von Fällen, die vom Studenten selbst gelöst werden können (mit Lösungen am Ende des Kapitels) und von (graphisch hervorgehobenen) Beispielen zu den erläuterten Prinzipien, die im italienischen Korpus gänzlich fehlen. Zusätzliche 12 Einige der hier genannten Elemente könnten auch als "advance organisers" gesehen werden. Diese beschreibt Gläser (1995: 87) folgendermaßen: "Metacommunicative disposition signals (advance organisers) [...] alleviate the reader's orientation in the progression of the text and the reception of the information conveyed. These may be sub-headings, the enumeration of items by means of numbers or letters, different types of print, ect." Orientierungshilfen bekommt der Leser bei zwei italienischen Lehrbüchern durch ein Inhaltsverzeichnis zum jeweiligen Kapitel (das betrifft gerade die zwei Texte, die drei Gliederungsebenen haben), während bei drei deutschen Texten die Abschnitte mit Randnummern versehen sind. Schaut man dann auf andere zusätzliche Hilfen, die zum Instrumentarium eines Lehrbuchs bzw. eines wissenschaftlichen Buches gehören, wie z.B. Literaturangaben, Sachregister u. ähnliches, stellt man fest, daß bei allen Lehrbüchern ein sozusagen 'minimaler harter Kern' vorhanden ist, der aus Inhaltsverzeichnis und Literaturhinweisen besteht, um den sich weitere zusätzlichen Hilfen für den Leser gruppieren und die auf eine größere Aufmerksamkeit für den deutschen Leser zu deuten scheinen: so ist z.B. in zwei deutschen Texten vor dem eigentlichen Inhaltsverzeichnis auch eine Inhaltsübersicht zu finden, was in keinem italienischen Text vorkommt; alle deutschen Texte sind außerdem mit einem Sachregister und mit einem Rechtsprechungsverzeichnis versehen, welche nur in zwei italienischen Büchern zu finden sind. Was nichtsprachliche Textteile wie Bilder und Tabellen angeht, werden solche Mittel, deren didaktische Wirkung weitgehend anerkannt ist13 und deren Verwendung also gerade für die Textsorte "Lehrbuch" zu erwarten wäre, in sehr begrenzten Maße angewendet.Allerdings ist dabei bemerkenswert, daß die wenigen Schaubilder und Tabellen gerade in (drei) deutschen Texten vorkommen. Einerseits hängt das mit dem besonderen Charakter der Rechtstexte im allgemeinen zusammen, wo (außer eventuell in Enzyklopädien) von Bildern kaum Gebrauch gemacht wird; andererseits kann das auch mit dem höheren Fachlichkeitsgrad von Europarecht-Lehrbüchern zusammenhängen, die sich aufgrund ihrer späteren Benutzung im Studium von anderen (juristischen) Lehrbüchern zu unterscheiden scheinen. Gliederung, Kapitelstruktur, nichtsprachliche Mittel - aus diesem ersten Vergleich von Strukturmerkmalen ergibt sich für die beiden Sprachen das folgende provisorische Bild: Einerseits sind die deutschen Texte auf den ersten Blick 'didaktischer', indem sie dem Leser mehrere Hilfen zur Verfügung stellen und indem sie direkt an seine Kooperation durch Fragen, Beispiele und Fälle, die gelöst werden sollen, appellieren; andererseits scheinen sie 'leserorientierter' als die italienischen Texte zu sein, indem sie einen Lesertyp implizieren, dessen Orientierung im Text durch eine starke graphische Signalisierung der einzelnen Textteile (durch die vielen Gliederungsebenen, durch die Alternanz Haupttext/Vertiefungstext, durch mit Randnummern versetzte Absätze) ermöglicht werden soll. Eine solche Annahme, nach der die deutschen Texte einen stärkeren 'graphischvisuellen' Charakter haben als die italienischen, wird auch von der Analyse der 13 Vgl. dazu Kalverkämper ("Abbildungen [...] bekommen durch die Signale der Fachlichkeit [...] eine instruierende Funktion und haben so eine didaktische Wirkung, die ein fachliches "Ersehen" der Objekte steuert" (1993: 221) und Ylönen ("Tabellen und Abbildungen [...] ermöglichen ein schnelleres Orientieren über den Textinhalt und eine schnellere Rezeption der Informationen des Textes als ein fortlaufender Text ohne nichtsprachliche Teile, und dienen somit zur Sicherung von Verständlichkeit") (1993: 91). typographischen Mittel wie Fett, Kursiv, Unterstrichen oder Sperrdruck bestätigt, die zur Hervorhebung von wichtigen Inhalten (Schlüsselwörter, Prinzipien, Verweise) eingesetzt werden können. Im deutschen Korpus kommen ein Minimum von 7 Hervorhebungen14 (Bleckmann) über 20 (Streinz), 22 (Schweitzer/Hummer), 33 (Beutler/Bieber), bis zu einem Maximum von 85 Hervorhebungen (Oppermann) vor, während es in den italienischen Texten jeweils keine Hervorhebung (Pocar), 5 (Ferrari Bravo), 10 (Zanghi), 11 (Lauria) und höchstens 24 (Fett, Kursiv, Sperrdruck, Ballarino) gibt. In all diesen Fällen handelt es sich um die Hervorhebung von Schlüsselwörtern, die das Thema des Abschnitts bzw. des Absatzes zusammenfassen, wie in Streinz (SS. 54-55), aa) In der Literatur vertretene Auffassungen Unhaltbar und daher weitgehend aufgegeben wurden folgende Auffassungen: Lösung anhand der allgemeinen Regeln des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht ohne Berücksichtigung [...] Bundesstaatliche Lösungen, die [...] Eine verfahrensrechtliche Lösung dahingehend, daß [...] Pragmatische Lösungen wie eine gemeinschaftskonforme Auslegung [...] Vertreten wird ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts [...] Die rein europarechtlichen Lösungen gehen [...] um die Hervorhebung der wichtigsten Elemente im Satz, wie in Beutler (S.95), [...] Doch wird damit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht hinreichend, nämlich nur gegenüber früherem nationalen Recht, nicht aber gegenüber nachfolgendem nationalen Recht gesichert. oder um die Hervorhebung ganzer Sätze, die einen wichtigen Inhalt (eine Folgerung, ein Prinzip) ausdrücken, wie in Ballarino (S. 241), wo über eine bedeutende Passage in einem Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofs gesprochen wird: Essa ha tuttavia escluso che il giudice italiano possa autonomamente disapplicare le norme interne successivamente incompatibili con i regolamenti comunitari. 14 Bei der Analyse der typographischen Mittel wurden Hervorhebungen von lateinischen Wörtern und Prinzipien, Fremdwörtern, Titeln von Gesetzen oder Urteilen und Literaturverweisen nicht miteinbezogen, da sie wegen ihres konventionellen Charakters dem Autorziel der inhaltlichen Hervorhebung nicht zugeschrieben werden können. 4. Der Ansatz von innen 4.1. Der Text als Raum und als Diskurs: textuelle Deixis und Metakommunikation Nach der Analyse formeller Elemente der Textstruktur als Orientierungssignale werden nun sprachliche Elemente behandelt, die, wie textuelle Deixis und metakommunikative Äußerungen, eine wichtige Rolle in der Steuerung des Lesers im Text spielen können. Mit deiktischen Ausdrücken nimmt ein Sprecher auf räumliche und zeitliche Umstände Bezug; sie liefern dabei die "Person-Raum-Zeit Koordinaten" (Lewandowski 1990: 205). Wenn sich die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger durch einen Text vollzieht, stellt dieser Text für die Kommunikationspartner also den Raum dar, wo die Interaktion zwischen den beiden stattfindet, und wo die Elemente im Text sich auf eine zeitlich-räumliche Achse strukturieren. Bei diesem textuellen Raum dienen deiktische Ausdrücke dazu, auf vorherige oder nachfolgende 'Zeiten' und 'Räume' im Text zu verweisen und somit eine Verknüpfung zwischen den Elementen herzustellen. Daneben haben sie die Funktion, den Leser zu steuern: sie sind wie Wegweiser für das deiktische Feld und dienen zur globalen Textstrukturierung.15 Im Hinblick auf den besonderen Dialog, der zwischen einem Lehrbuchautor und einem Lehrbuchleser entsteht, wurden hier solche deiktischen Mittel isoliert und analysiert, die intratextuelle Verweise zu vorher behandelten Themen herstellen (die somit wieder in Betracht gezogen werden) oder aber die auf später zu behandelnde Themen und Begriffe verweisen (welche daher in der Behandlung antizipiert werden). Weiterhin erschien es interessant zu überprüfen, ob und inwiefern der Autor metakommunikative Äußerungen über seinen eigenen Diskurs macht, die dazu dienen, dem Leser zu signalisieren, was, wie, wann und warum er etwas behandeln wird. Durch solche Angaben macht der Autor die Struktur seiner Behandlung explizit und erleichtert dem Leser die Aufgabe, ihm in seiner Themenentfaltung zu folgen. Eine solche Explizitierung der inhaltlichen Progression - so wichtig, wie sie auch scheint - ist bei den deutschen Texten nicht vorhanden: nur bei einem Lehrtext {Beutler/Bieber, S. 77) werden am Kapitelanfang Thema und 'Unterthemen' des Kapitels eingeleitet: Die folgende Darstellung betrifft vor allem die Stellung der Mitgliedstaaten im Rahmen der drei Gründungsverträge. Die [...] Beziehungen der Mitgliedstaaten haben nicht die gleiche Intensität [...]. Sie werden daher im Anschluß und Vergleich abschließend dargestellt (3.4.). Weiter im Text wird in dem Abschnitt, der die eigentliche Thematik des Rangverhältnisses einleitet, Bezug auf vorher behandelte Themen genommen, um dann 15 Hierzu (Conte 1984: 189), (Gislimberti 1987: 42), Ehlich (1984: 38-40), Vanelli / Renzi (1995: 347-350). das neue Thema darzustellen; ähnliches gilt auch für den Abschnitt, der in das Thema der Rechtsprechung der staatlichen Gerichte einleitet, wo am Ende die Themenorganisation der nachherigen Abschnitte erläutert wird (S. 98): Im folgenden soll daher zunächst ein Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung in den ursprünglichen Mitgliedstaaten und dann in den neu beigetretenen Mitgliedstaaten gegeben werden. Bei einem weiteren Lehrbuch (Bleckmann) sind auch ähnliche Signale zu finden (vier insgesamt, wobei zwei davon eher einem bibliographischen Hinweis ähneln, da der Autor den "folgende[n] Abschnitt" bzw. den "Text der folgenden Seiten" als überarbeitete Fassungen von vorherigen Veröffentlichungen vorstellt), die allerdings keine genaue 'operative' Information geben: Wir werden sehen, daß der erste Teil dieser Ausführungen den EuGH und das BVerfG entscheidend beeinflußt hat (S. 744). Es ist natürlich nicht der Ort, die zahlreichen Schwachstellen der Kelsenschen Theorie umfassend darzulegen. Für unseren Problemkreis kommt es nur auf die Sicht der Existenz und der Kompetenzen der Staaten an (S. 330). Schließlich finden wir in Oppermann als letzten Satz des Kapitels eine zusammenfassende Bemerkung, die auch als solche signalisiert wird ("Zusammenfassend gesehen, stehen so die Grundsätze der Ausführung des EGR [...] gegenüber dem nationalen Recht unter dem Leitgedanken, die reale Verwirklichung der "Rechtsgemeinschaft" EG so leicht, vollständig und dauerhaft wie irgend möglich zu machen [...]", S. 206); ansonsten ist in den deutschen Texten keine weitere metakommunikative Angabe mehr zu finden. Was hingegen im Deutschen in großem Maße vertreten ist, ist die Verbindung durch Verweise auf vorherige oder nachfolgende Themen, sei es durch bloße Angabe der entsprechenden Randnummer, der Seite oder des Abschnittes, sei es - wenn auch in geringerem Maße - durch verbale Hervorhebung. Solche deiktischen Signale verweisen oft auf Stellen, wo für die erwähnten Begriffe (Institute, Maßnahmen usw.) eine Definition und eine Erklärung zu finden ist, so daß der Leser in die Lage versetzt wird, schnell und praktisch (auch dank der Randnummer- bzw. Randziffermarkierung) auf Grundlagenwissen zurückzugreifen, wie im folgenden Beispiel aus Oppermann (S. 200), wobei unter der zitierten Randziffer die Rede von "perfekten" Richtlinien ist: Vergleichbares gilt, wenn "perfekte" Richtlinien oder an Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen von den MS nicht fristgemäß durchgeführt werden (Näher oben Rz. 466). Verweise werden darüber hinaus auch verbal expliziter signalisiert, wie in den Beispielen Wie schon anderwärts bei den Fortentwicklungs- und Auflösungsmöglichkeiten der EGen festgestellt wurde (oben Rz. 187ff.), widerstrebt zwar der einmal erreichte, definitiv gemeinte "Gemeinschaftsbestand" in starkem Maße jedem Rückschritt. Dennoch bleiben die Gemein- Schäften und ihr Recht bis auf weiteres fragilere Gebilde als ihre MS und in ihrer Entwicklung von deren politischem Willen und dem "europäischen Erfolg" abhängig (Oppermann, S. 198). Allerdings waren, wie oben gezeigt, damit nicht alle Fragen gelöst (Bleckmann, S. 316). Alles in allem scheint die Orientierung des Lesers in den deutschen Texten aber eher durch die starke Gliederung und Strukturiertheit der Kapitel gesteuert zu werden als durch (verbalisierte) textuelle Deixis und metatextuelle Hinweise durch den Autor; in der Ökonomie dieser Texte würde sich der Einsatz solcher Mittel vermutlich auch nicht als so produktiv erweisen, da Themenwechsel und inhaltliche Einheiten, wie vorher gezeigt, sowohl struktural als auch graphisch hervorgehoben werden. Dasselbe gilt nicht für das italienische Korpus, das durch eine höhere Frequenz auktorialer Hinweise hinsichtlich der Progression der Behandlung gekennzeichnet ist. Bei vier von fünf Lehrtexten erwähnt der Autor nämlich in den einleitenden Sätzen oder im ersten Abschnitt des Kapitels das zu behandelnde Hauptthema, wobei er auch erklärt, aus welcher Perspektive die Darstellung erfolgen wird. Bei dieser Themaeinleitung wird auf das Thema des vorherigen Kapitels Bezug genommen und dadurch die Kontinuität zwischen den Kapiteln gewährleistet. Eine solche Verknüpfung geht bei einem der Lehrbücher (Pocar) so weit, daß am Ende jedes Abschnitts das Thema des folgenden Abschnittes im voraus thematisiert wird (siebenmal insgesamt). Diese Tatsache ist um so bedeutender, wenn man bedenkt, daß gerade Pocar nur eine Gliederungsebene aufweist und daß bei ihm keine typographischen Hervorhebungen eingesetzt werden. Auch in Ballarino zeigt der Autor seine Präsenz im Text sehr deutlich, indem er am Anfang des Kapitels das Problem nach einzelnen Aspekten gliedert (und somit auch die thematische Gliederung des Kapitels deutlich macht), indem er die besondere ausgewählte Perspektive erwähnt und indem er die Hauptthemen des Kapitels einigemal explizit wieder aufgreift. Themaeinleitung, Verknüpfung mit vorher behandelten Themen und Themaantizipierung sind auch in Ferrari Bravo zu finden; hier werden außerdem Themaänderungen und Digressionen signalisiert. Ähnliche Explizitheit ist auch bei Zanghi festzustellen (Themaeinleitung am Kapitelanfang und bei zwei Kapitelabschnitten); die wenigsten metatextuellen Orientierungsmittel verwendet Lauria, wo nur in einem Abschnitt Bezug auf das vorherige und auf das aktuelle Thema genommen wird. Auch bei intratextuellen Verweisen, die sprachlich ausgedrückt werden und die auf Stellen in vorhergehenden oder nachfolgenden Abschnitten verweisen, scheint sich bei den italienischen Autoren eine etwas höhere Frequenz und damit eine größere Kohäsion zu bestätigen (10,7, 5, 2, 0 im Vergleich zu 2, 1, 1,0), während die deutschen Autoren mehr Verweise verwenden, die aus einfachen Formen wie "siehe oben/unten" und aus Seiten- bzw. Zifferverweisen bestehen. Insgesamt gesehen, scheinen die italienischen Autoren eine stärkere Tendenz zu haben, den Leser mit Hilfe verbaler Mittel (insbesondere metatextueller Hinweise) zu orientieren, was die geringere Anwendung von strukturellen oder graphischen Verfahren ausgleicht; hingegen sind die deutschen Texte visueller organisiert, so daß sie auf die sprachliche Signalisierung verzichten. 4.2. Komplexität auflösen und Komplexität darstellen: Erklären und Präzisieren Unter den metakommunikativen Verfahren, die eingesetzt werden können, um -wie Baumann erklärt - "die Verständlichkeit sprachlich-kommunikativen Handelns zu sichern" (Baumann 1995: 121) schienen solche Verfahren zur kontextspezifischen Rezeption des Fachtextes wie Erklärungen und Präzisierungen für juristische Lehrbücher besonders relevant zu sein, da es hier darum geht, komplexe Sachverhalte so zu vermitteln, daß sie in ihrer ganzen Komplexität völlig klar verstanden werden.16 In der Korpusanalyse wurde daher nach Elementen gesucht, die explizit eine Erklärung oder eine Präzisierung einleiten: Es sind dies Junktoren wie das heißt, nämlich, und zwar, die jeweils eine "nachgeschobene Erklärung" oder eine "erklärende Präzisierung eines vorhergehenden Ausdrucks oder Satzes" einleiten und "nachträgliche Erläuterungen, Präzisierungen" zum Ausdruck bringen (Engel 1988: 742-747). Hinzu kommen Ausdrücke wie mit anderen Worten, anders ausgedrückt und ähnliche, die eine Paraphrase und letzten Endes eine Erklärung einleiten. Für das Italienische werden solche Funktionen von Junktoren wie cioe, ovvero, ossia und Ausdrücke wie o meglio, in altri termini, in altre parole und ähnliche ausgeübt. Beispiele dafür sind: Entscheidend für eine "europäisch" inspirierte Lösung der Vorrangfrage ist die Anerkennung des Grundgedankens, daß das Europäische Gemeinschaftsrecht eine eigenständige Rechtsordnung mit einer autonomen Gemeinschaftsgewalt darstellt. Sie ist von derjenigen der Mitgliedstaaten unabhängig, d.h. das EGR entsteht aus sich selbst heraus gemäß seinen besonderen Grundregeln (Oppermann, S. 196). Kelsen steht vor einem zweiten Problem bei der Frage, welche Befugnisse das Völkerrecht den Staaten denn eingentlich einräumt. Um die Souveränität, d.h. die Fülle der Hoheitsgewalt kann es sich dabei wohl kaum handeln [...] (Bleckmann, S. 331). Begründet hat [der EuGH] das damit, daß bestimmte Normen so formuliert sind, daß sie: a) rechtlich vollkommen sind, d.h. ohne jede weitere Konkretisierung anwendbar sind; [...] (Schweitzer/Hummer, S. 213). [Art. 24 GG] eröffne deshalb nicht den Weg, die Grundstruktur der Verfassung, auf der ihre Identität beruhe, ohne Verfassungsänderung, nämlich durch die Gesetzgebung der zwischenstaatlichen Einrichtung, zu ändern (Bleckmann, S. 317). Indem Art. 189 II Konstitutionsnorm der Gemeinschaft geworden sei, habe die Bundesrepublik verfassungskräftig, und zwar mit Art. 241 GG als "Integrationshebel", die Existenz, die Geltung und die Wirksamkeit von Gemeinschaftsnormen in ihrem Staatsgebiet neben der nationalen Rechtsmasse anerkannt [...] (Bleckmann, S. 301). 16 Zur Rolle der Erklärung als metakommunikativer Strategie bei didaktischen Texten siehe auch Gläser (1995: 90). [...] successivamente si e posto il quesito se vi sia luogo per distinguere l'effetto diretto, cioe la possibilitä aperta ai singoli di invocare una norma di diritto comunitario diversa dai regolamenti avanti ad un organo giudiziale nazionale, dall'applicabilitä diretta [...]. (Ballarino, S. 231) E degno di nota comunque il limite che la Corte costituzionale pone a tale suo atteggiamento: "II sindacato di costituzionalitä puö esercitarsi solo sulle statuizioni della legge interna, denunciate avanti ad essa in quanto dirette a pregiudicare la perdurante osservanza del Trattato di Roma". In altre parole, il metodo della "disapplicazione" da parte del giudice comune non e sufficiente [...] per le leggi interne che fanno ostruzionismo alia costruzione comunitaria. (Ballarino, S. 253) Nun zeigt die Textanalyse, daß solche expliziten Mittel nur in begrenztem Maße verwendet werden, besonders in den deutschen Texten, wo sich die Okkurrenz solcher Junktoren innerhalb einer Skala von 2 bis 8 bewegt (2, 3,4, 6, 8, bei einem Textumfang von 10 bis 25 Seiten), während dieses Verfahren in den italienischen Texten in einem etwas höheren Maße (2, 2, 5, 13, 15, bei einem Textumfang von 12 bis 32 Seiten) eingesetzt wird. Dieses Bild verändert sich leicht, wenn man dazu auch anders signalisierte Erklärungen zählt wie z.B. solche, die durch graphische Zeichen wie Klammer eingeleitet werden. So werden in den deutschen Texten jeweils 3, 6, 12, 17, 18 Erklärungen sprachlich oder nichtsprachlich signalisiert und bei den italienischen Texten jeweils 2, 8, 9, 18, 42. Beispiele dafür sind: In den kleineren MS (Belgien, Dänemark, Griechenland, Irland, Luxemburg, Niederlande) ist der Vorrang des EGR vor dem nationalen Recht bisher nicht ernsthaft in Frage gestellt worden (Oppermann, S. 198). Dem Gemeinschaftsrecht kommt vor nationalem Recht Vorrang zu. Die dafür gegebenen Begründungen unterscheiden sich allerdings nicht nur in den einzelnen Argumenten, sondern auch im Grundsätzlichen, und auch die Art des Vorrangs (Geltungs- oder Anwendungsvorrang) wird unterschiedlich gesehen (Streinz, S. 54). Tuttavia, il fenomeno comunitario c'era e a un certo punto cominciö ad infittirsi la presenza delle norme derivate (regolamenti, direttive, decisioni) ed iniziö lo sviluppo della giurisprudenza della Corte di Giustizia [...] (Ferrari Bravo, S. 152). Wahrend Erklärungen nicht so sehr signalisiert werden, wie man von Lehrbüchern erwarten könnte - was auch den relativ hohen Fachlichkeitsgrad des analysierten Korpus beweist -, so werden Präzisierungen sehr oft im Korpus graphisch repräsentiert und somit hervorgehoben, selbst wenn sie formal nicht zur Hauptdarstellung gehören und sozusagen eine zweite, vertiefende Ebene der Informationsvermittlung darstellen. Präzisierungen werden dabei eingesetzt, um eine vorhergehende Information zu ergänzen oder begrenzen, um historisches, politisches oder fachliches Hintergrundwissen zu liefern, Beispiele anzuführen und die Meinung des Autors widerzuspiegeln. So findet man z.B. im deutschen Korpus: Die europarechtlichen Lösungen können - insbesondere was ihr Ergebnis des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts anbelangt - als die herrschende Lehre bezeichnet werden [...] (Schweitzer/ Hummer, S. 215). Zum Teil mußten erst erhebliche Schwierigkeiten überwunden werden, die - wie die Überprüfung von Gemeinschaftsrecht an nationalem Verfassungsrecht - auch heute noch nicht vollständig gelöst sind (Beutler/Bieber, S. 98). 1979 hat das BVerfG den "Solange I-Beschluß" durch den sog. "Vielleicht-Beschluß" - wohl als Reaktion auf die heftige Kritik von Seiten der Wissenschaft - ein wenig relativiert, indem es ausführte [...] (Schweitzer/Hummer, S. 218). Ähnliches ist auch im Italienischen dokumentiert: La Corte nella sentenza afferma: "[...] La norma significa che, quando ricorrono certi presupposti, e possibile stipulare trattati con cui si assumono limitazioni della sovranitä ed e consentito di darvi esecuzione con legge ordinaria" (e questo e corretto) {Ferrari Bravo, S. 157). La relazione diritto comunitario/diritto interno (dirö subito che questa relazione non puo essere esposta in termini di rapporto "diritto internazionale/diritto interno quanto alle materie regolate dai trattati") deve quindi essere configurata in termini different! (Ballarino, S. 229). Soltanto le direttive ele decisioni - in quanto, naturalmente, si tratti di direttive non suscettibili di applicazione immediata e di decisioni che si rivolgono a Stati membri e non ad individui -abbisognano dunque di misure di esecuzione negli Stati membri [...] (Pocar, S. 316). Die Häufigkeit solcher Präzisierungen, Ergänzungen und Einschränkungen scheint höher als diejenige der Erklärungen zu sein, bedingt vermutlich auch durch die Komplexität des Stoffes; bei dem Vergleich zeigt sich eine größere Ausgewogenheit in der Verwendung solcher Verfahren in den deutschen Texten (mit 21, 19, 19, 16, 15 Okkurrenzen), während es bei den italienischen Autoren von einem Extrem ins andere geht (49, 19, 13, 3,0). Die Analyse dieser beiden Strategien zeigt den schon relativ hohen Fachlichkeitsgrad solcher Lehrbücher: der Student steht fast am Ende seiner 'Sozialisierung' als Jurist und muß in der Lage sein, sich mit komplexen Sachverhalten, die auch in komplexer Weise präsentiert werden, zurechtzufinden; ihm müssen die wichtigsten juristischen Begriffe schon vertraut sein und er muß den vielen 'Sprüngen' zwischen Haupt- und Nebeninformation, wie sie z.B. bei Präzisierungen realisiert werden, folgen können. 4.3. Die Signalisierung der kausalen Beziehungen als Rezeptionssteuerung Unter den Mitteln, die einem Autor für die Steuerung der Textrezeption zur Verfügung stehen, spielen Kohäsionsmittel eine wichtige Rolle. Kohäsionsmittel dienen dazu, semantisch-logische Relationen explizit an der Textoberfläche zu zeigen; sie können damit dem Leser das Textverstehen erleichtern, indem sie gewisse Signale zur Interpretation der Beziehungen zwischen den einzelnen Texteinheiten liefern.17 Bei Lehrtexten scheint deswegen die Verwendung von Kohäsionsmitteln von besonderer Relevanz zu sein, weil sie dem Autor sozusagen die 'Kontrolle' über die potentielle 17 Vgl. dazu de Beaugrande / Dressler (1981), Gislimberti (1988). 116 Rezeption seitens des Lesers garantiert und damit auch eine Garantie über die Qualität der gelieferten Information (die vom Studenten gelernt und aufgenommen werden soll) gibt. Das ausgewählte Thema - das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht - gilt seit Beginn der Gemeinschaft als eines der kontroversesten; der Autor behandelt dieses Thema, indem er die Argumente verschiedener Instanzen (Europäischer Gerichtshof, nationale Verfassungsgerichte, die in der Rechtslehre vertretenen Positionen) darstellt, kommentiert, unterstützt oder widerlegt. Die ausgewählten Textabschnitte sind also zwar expositorisch, sie besitzen aber wegen des besonderen Themas auch einen argumentativen Charakter, indem sie externe Argumentationen wiedergeben und erklären und auktoriale Positionen ausdrücken. So wurde bei der vorliegenden Untersuchung besonderes Augenmerk auf die Signalisierung von kausalen Relationen (wobei auch konsekutive Beziehungen einbezogen wurden) an der Textoberfläche gelegt, d.h. auf das Vorhandensein von kohäsiven Elementen, die eine Ursache-Wirkung-Beziehung oder eine Grund-FolgeBeziehung kennzeichnen. Hier wurde in erster Linie nach den "Nexusadverbien" gesucht, die unter der Argumentationsadverbien die Aufgabe haben, eine Feststellung so in den Argumentationsgang einzubinden, daß sie zu dem voraufgehenden Kontext oder zur Situation in Beziehung gesetzt wird. Diese Adverbien bringen eine Begründungsbeziehung zwischen zwei Prädikationen zum Ausdruck. Sie haben daher das primäre Merkmal (BEGRÜNDUNG). Mit Nexus-Adverbien kann der Sprecher zum Beispiel seinem Gesprächsparnter mitteilen, daß der zuvor festgestellte Sachverhalt als Stütze seiner Argumentation anzusehen ist. Umgekehrt kann er aber auch anzeigen, daß ein vielleicht naheliegendes Argument von einem Sachverhalt nicht gestützt wird (Weinrich 1993: 600). Dazu gehören in der deutschen Sprache die Adverbien daher, darum, denn, deshalb, deswegen, nämlich und Adverbien wie also, folglich, demnach, mithin, infolgedessen, demzufolge, insofern, somit, die "für einen Argumentationsschritt, der eine längere Argumentationskette mit einer Folgerung abschließt" (Weinrich 1993: 603) gebraucht werden. Neben solchen "textuellen Operatoren" (Gislimberti 1988: 75) wurden auch "Satzoperatoren" wie die Konjunktionen weil und da berücksichtigt. Im Italienischen stehen ähnliche Operatoren zur Verfügung (quindi, dunque, perciö, di conseguenza, infatti; perche, poiche, dato che, dal momento che, tanto piü che).1& Bei dem Vergleich zwischen den beiden Korpora zeigt sich die Tendenz, kausale Verhältnisse im Italienischen in höherem Maße als im Deutschen explizit zu signalisieren; italienische Autoren scheinen somit einen etwas höheren Gebrauch von argumentativen Mitteln als deutsche Autoren zu machen, um dem Leser den komplexen Sachverhalt zu vermitteln (siehe Tabelle 1). Eine solche Annahme sollte natürlich durch die detaillierte Analyse aller Kohäsionsmittel bestätigt werden, die für die Argumentation und sonderlich für die 18 Zum Italienischen siehe insbesondere Gislimberti (1988) und Desideri (1991: 121). Signalisierung kausaler Verhältnisse verwendet werden;19 allerdings scheinen diese ersten und begrenzten Beobachtungen die Ergebnisse kontrastiver Untersuchungen zur Kausalität zu bestätigen, die eine stärkere Tendenz des Italienischen zur Kohäsion sowie eine stärkere Tendenz des Deutschen zur Kohärenz (wobei kausale Beziehungen nicht explizit an der Textoberfläche signalisiert werden, sondern implizit sind) belegen. Es handelt sich dabei um Analysen zu den Textsorten "Wirtschaftszeitungs-kommentar" (Gislimberti 1988) und "richterliche Entscheidungsbegründung" (als Teil des Gerichtsurteils) (Wiesmann 1994); bei der Textsorte 'Zeitungskommentar' wird stärkere Signalisierung von Kausalität und folglich stärkere Empfängergerichtetheit "mit einer tendenziell persuasiven Textfunktion verbunden, schwächere Signalisierung und folglich schwächere Empfängergerichtetheit dagegen mit einer tendenziell informativen Textfunktion" (Wiesmann 1994: 6). Bei der Textsorte "Entscheidungsbegründung" wird parallel dazu die stärkere Tendenz zur Kohäsion im Italienischen und die schwächere Tendenz zur Kohäsion im Deutschen als Ausdruck unterschiedlicher Senderintention geweitet und in Zusammenhang "mit einer Textfunktion gesehen, die sich zwischen den Polen informativ und persuasiv bewegt" (Wiesmann 1994: 6). Wenn bei der Textsorte "Lehrbuch" eine höhere Verwendung von kausalen Konnektoren im Italienischen zu finden ist, so scheint dies die eben genannte Tendenz italienischer Autoren zu bestätigen, einen Sachverhalt eher argumentativ als deskriptiv darzustellen; andererseits übt eine solche Signalisierung bei den italienischen Lehrbüchern eine besondere Orientierungsfunktion aus, die bei den deutschen nicht so notwendig zu sein scheint. Die italienischen Texte - wie vorher gesehen - verwenden nicht die ganze Palette an Gliederungs- und Orientierungsmitteln, die bei den deutschen eingesetzt werden (starke Strukturierung, graphische Hervorhebung); Sätze sind in der Regel im italienischen Korpus länger, was auch die Rezeption nicht erleichtert. Dadurch scheint der größere Einsatz sprachlicher Elemente, darunter auch kausaler Konnektoren, eine fast notwendige Maßnahme zu sein, um die Textrezeption zu steuern. 19 Solche Verhältnisse können durch Präpositionen (wie z.B. wegen, aufgrund, durch, infolge, mittels, zufolge bzw. per, di, da, a causa di, per causa di, per motivi usw.) lexikalische Mittel (Grund, Ursache bzw. causa, motivo, ragione\ Anlaß geben zu, Anlaß sein für, zur Folge haben, auslösen, begründen, mit sich bringen, bringen zu, ergeben, erzeugen, führen zu, veranlassen, verursachen bzw. avere come conseguenza, avere come risultato, conseguire, causare, comportare, condurre a, indurre a, motivare, usw.) und implizite Formen (Partizipialkonstruktion im Deutschen, Partizipial-konstruktion, Gerundium und Infinitiv im Italienischen) ausgedrückt werden. Vgl. dazu Gislimberti (1988: 73-74). 5. Abschließende Bemerkungen Bei der hier dargestellen Analyse wurden intuitiv ausgewählte Vergleichsparameter auf ein Korpus von juristischen Lehrbüchern angewendet, die gewisse Unterschiede aufzuweisen schienen. Es sollte nachgeprüft werden, inwieweit sich solche Vergleichsgrößen für die kontrastive Untersuchung von didaktischen Texten eignen; konkret konnten einige Tendenzen gezeigt werden, die auf eine Differenzierung zwischen deutschen und italienischen Texten hindeuten und die durch größere Untersuchungen zu bestätigen sind. Bei dem Vergleich haben Vorwörter als erster 'Begegnungsort' zwischen Autor und Leser eine stärkere Adressatenorientierung bei den deutschen Texten gezeigt; Elemente wie Gliederung und typographische Signale haben eine größere 'visuelle' Tendenz im Deutschen gezeigt. Die Analyse der deiktischen Ausdrücke, insbesondere der metakommunikativen Äußerungen des Autors über die Progression seiner eigenen Darstellung hat hingegen eine stärkere Tendenz des Italienischen zur Versprachlichung und zur expliziten Signalisierung ergeben. Die relativ geringe Verwendung von (expliziten) Erklärungen hat vor allem den hohen Fachlichkeitsgrad der analysierten Lehrbücher gezeigt, der auch durch die besondere Rolle von Präzisierungen als Vertiefungsebene bestätigt wird. Schließlich wurde durch die Analyse von kohäsiven Elementen (Nexus-Adverbien und Konjunktionen), die ein kausales Verhältnis signalisieren, die schon bei anderen Arbeiten anerkannte Tendenz im Italienischen bestätigt, Kausalität expliziter als im Deutschen zu signalisieren und damit den Leser in der Textrezeption in größerem Maße zu steuern. Die ausgewählten Parameter haben sich insofern für eine solche kontrastive Untersuchung als geeignet erwiesen; deren Anwendung hat auch gezeigt, in welche Richtung die Analyse weitergehen könnte, um einerseits die hervorgehobenen unterschiedlichen Tendenzen in den zwei Sprachen zu bestätigen und um andererseits Ähnlichkeiten im Rahmen einer allgemeineren Beschreibung des juristischen Diskurses einbetten zu können. Dabei ist insbesondere auf die Bereiche der Argumentation und der Kohäsion gedacht: eine umfangreichere Analyse der argumentativen Mittel, die Meinung und Haltung des Autors gegenüber dem behandelten Thema explizit machen,20 wird es ermöglichen, die angenommene Tendenz des Italienischen zur größeren Explizitheit zu bestätigen oder zurückzuweisen; die Erweiterung der Untersuchung auf kohäsive Mittel wie z.B. Rekurrenz, Paraphrase und Elemente, welche die (temporale, lokale oder logische) Artikulierung des Textes21 unterstreichen, wird ein angemesseneres Bild der Strategien geben, die ein Fachmann in der Vermittlung von komplexen Sachverhalten an einen 'fortge- 20 Dies sind z.B. Geltungsadverbien, Adverbien zum Ausdruck von Konzessivität und Adversativität und von Bedingung und Folge, lexikalische Operatoren. 21 Man denke an kohäsive Ketten wie zunächst...dann...inzwischen...schließlich, auf der einen Seite...auf der anderen Seite u.ä. Vgl. dazu auch Sabatini (1990: 689). schrittenen' Laien einsetzt und mit denen er zu dessen wissenschaftlicher Sozialisierung beiträgt. Der Vergleich mit anderen juristischen Lehrbüchern einerseits und mit Lehrbüchern anderer Fächer andererseits könnte schließlich die Besonderheiten des juristischen Diskurses in vertikaler und horizontaler Hinsicht deutlicher machen. Italienisch Deutsch B F L P Z BL. BEU OPP SCH ST Satzzahl 195 298 130 146 122 212 201 130 109 146 Textuelle Operatoren quindi 8 17 11 10 6 daher - . 10 3 3 4 pertanto 3 1 2 2 - deshalb 8 10 - - 3 perciö 2 3 - 3 - darum - - - 2 - dunque 1 2 3 7 - also 17 3 3 2 1 infatti 8 4 5 12 5 nämlich 6 - 2 2 di conseguenza - 1 4 - 2 folglich 2 - - 1 - deswegen 1 - - 3 somit - - 1 2 - denn 9 5 3 Gesamt (absolute Zahlen) 22 27 25 34 11 43 21 7 12 16 Verhältnis 1/8 1/12 1/5 1/4 1/11 1/5 1/10 1/18 1/9 1/9 Satz-Operatoren perche, poiche, dato che, dal momento che, tanto piü che 8 11 14 9 4 weil, da, zumal 12 11 2 4 11 Gesamtsumme 30 38 39 43 15 55 32 9 16 27 Verhältnis 1/6 1/8 1/3 1/3 1/8 1/4 1/6 1/14 1/7 1/5 Tabelle 1: Distribution der kausalen Konnektoren Legenda: Italienische Lehrbücher: B = Ballarino; F = Ferrari Bravo; L = Lauria; P= Pocar; Z= Zanghi. Deutsche Lehrbücher: BL= Bleckmann; BEU= Beutler/Bieber; OPP= Oppermann; SCH= Schweitzer/Hummer; ST= Streinz. Verhältnis: die Gesamtzahl der Konnektoren steht hier im Verhältnis zur Gesamtzahl der Sätze (durchschnittliche Frequenz der Konnektoren). Zusammenfassung Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht die explorative Analyse von deutschen und italienischen juristischen universitären Lehrbüchern zum Europarecht. Um herauszufinden, wie sich der Dialog zwischen Fachmann und Laien bei solchen Texten profiliert und wie sich die Didaktisierung der Inhalte in den zwei Sprachen realisiert, wurden paratextuelle und textinterne Vergleichsparameter wie Vorwörter, Gliederung, graphische und typographische Gestaltung, deiktische und metakommunikative Ausdrücke, Erklärungen und Präzisierungen, und kausale Konnektoren untersucht. Aus der vergleichenden Analyse geht eine größere Aufmerksamkeit der deutschen Autoren gegenüber dem Leser hervor, was Hilfsmittel und strukturelle, graphische und typographische Orientierungsmittel anbelangt; italienische Autoren scheinen hingegen mehr Gebrauch von verbalen Mitteln (Metakommunikation, Explizierung von Kausalität) zu machen, um den Leser im Text zu orientieren. Diese Ergebnisse, die keine Repräsentivität beanspruchen sondern exemplarischen Charakter haben, sollen in einer zweiten Phase der Untersuchung, die weitere Vergleichsparameter einbezieht, bestätigt werden. Bibliographische Hinweise Quellenverzeichnis Deutsche Lehrbücher: Beutler, B. / Bieber, R. / Pipkorn, J. / Streil, J. (1993): Die Europäische Union: Rechtsordnung und Politik, Baden Baden, 4. Auflage, 94-112. Bleckmann, A. (1990): Das Recht der Europäischen Gemeischaft, 5. Auflage, 297-333. Opperman, T. (1991): Europarecht. Ein Studienbuch, München, 194-206. Schweitzer, M. / Hummer, W. (1993): Europarecht, 4. 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Povzetek PRIMERJAVA PRAVNIH BESEDIL NEKAJ PRIMEROV ZA JEZIKOVNI PAR NEMŠČINA-ITALIJANŠČINA Avtorica v prispevku govori o primerjalni analizi nemških in italijanskih univerzitetnih pravnih učbenikov s področja evropskega prava. Da bi ugotovila, kako poteka pri tovrstnih besedilih dialog med strokovnjakom in laikom ter kako so vsebine didaktično podane, je nemška in italijanska besedila analizirala glede na para- ter notranjebesedilne dejavnike, kot so denimo predgovor, zunanja členitev besedila, grafična in tipografska oblika, deiktični in metakomunikativni izrazi, razlage in natančnejša pojasnila ter jezikovna sredstva za ponazoritev vzročnih povezav. Rezultati analize kažejo, da nemški avtorji posvečajo več pozornosti bralcu, in sicer tako, da za njegovo lažjo orientacijo pogosteje uporabljajo pomagala (vsebinski pregled, stvarno kazalo ...), optična sredstva za ponazoritev zunanje zgradbe besedila ter grafična in tipografska sredstva. Avtorji italijanskih besedil pa bralca vodijo skozi besedilo bolj s pomočjo verbalnih sredstev (metakomunikacija, eksplikacija vzročnih relacij). Rezultati, ki niso reprezentativne, temveč eksemplarne narave, naj bi bili potijeni v drugi fazi raziskav, ko bo treba pri analizi besedil upoštevati še nekatere druge parametre. Zrinjka Glovacki-Bernardi Universität Zagreb UDK 811.112.2'276:811,163.42'276:07 DIE TEXTSORTE "FERNSEHNACHRICHTEN" -KONTRASTIV BETRACHTET Die Kenntnisse und Erfahrungen des einzelnen reichen heutzutage immer weniger hin, um die auf ihn einstürzende Flut zusammenhangloser Daten zu verarbeiten, so daß einmal mit der sich ständig ausweitenden Informationsdichte die Wahrscheinlichkeit geringer wird, daß der einzelne die für ihn wichtige Information erreicht. Und weiterhin wird durch die zunehmend der Öffentlichkeit entzogenen Entscheidungsinstanzen und Übermittlungswege die Einsichtmöglichkeit in den Zweck, in das erkenntnisleitende Interesse einer Information immer undurchsichtiger, so daß die Information nicht mehr als Grundlage rationaler Entscheidung, bzw. Handlung dienen kann. Seit das Fernsehen in den 50er Jahren in Westeuropa und dann in den 60er Jahren im östlichen Mitteleuropa seinen regelmäßigen Programmdienst aufnahm, wurde die Mediendiskussion ständig durch die sich immer neu zu stellende Frage nach den Wirkungen und Möglichkeiten des Fernsehens belebt. Der vorliegende Beitrag stellt einen Versuch dar, einerseits interkulturelle Einflüsse in der Gestaltung der Textsorte Fersehnachrichten bzw. Tagesschau zu beschreiben und andererseits spezifische sozio-kulturelle Merkmale festzustellen. Die Nachrichtensendungen kann man als Textsorte definieren, wenn im Bereich des Sprachlichen die Ebene des Textes zugleich als die Ebene der Redeakte bzw. der Gefüge von Redeakten bestimmt wird, die von einem bestimmten Sprecher in einer bestimmten Situation realisiert werden. Textsorten sind nicht nur als Medium für die Verständnisbildung bei Formulierern zu deuten. Aus der Sicht des Rezipienten haben sie den Status von Angeboten, sich auf der Basis des vorgegebenen Textes selber ein Verständnis zu bilden. Die Nachrichtensendungen stellen eine Form der interpersonellen Kommunikation dar; der Kommunikationsprozeß ist indirekt und einseitig. Hinsichtlich der Gerichtetheit der kommunikativen Tätigkeit an die Adressaten handelt es sich bei den Nachrichtensendungen um eine öffentlichkeitsbestimmte Kommunikation. Für den Redakteur sind die Rezipienten zwar ein disperses Publikum, aber die Grundprinzipien der Informationsübermittlung sind trotz der Heterogenität der Empfänger durchführbar. Eines dieser für unseren Kulturkreis charakteristischen Grundprinzipien ist das Prinzip des objektiven Berichtens. Auf diesem Prinzip beruht auch der informative Wert der Nachrichten, denn ihrem öffentlichen Auftrag gemäß sind die Fernsehanstalten verpflichtet, ihren Beitrag zur politischen Meinungsbildung zu leisten und zwar so, daß sie streng zwischen Nachricht und Meinung unterscheiden. Politische Informationen sollten fürs Individuum kognitive und normative Funktionen erfüllen, obwohl sie sich quantitativ meistens ins Unübersehbare ausweiten - die Tagesschau bietet eine mit Formen und Inhalten überfrachtete, hektische Viertelstunde, in der pausenlos Nachricht an Nachricht gereiht und damit der gedankliche Nach Vollzug nahezu völlig ausgeschaltet wird. Gegenstand unserer Analyse waren die Sendungen Dnevnik 1 im kroatischen Fernsehen (täglich um 19.30 Uhr) sowie die ZDF-Sendung heute (täglich um 19 Uhr) und die Ö2-Sendung Zeit im Bild 2 (täglich um 22 Uhr). Diese Sendungen wurden zunächst unter dem Aspekt der Strukturierung der Nachrichtenblocks analysiert. Sowohl die Nachrichtensendungen im deutschen wie auch im österreichischen und im kroatischen Fernsehen werden nach dem gleichen Grundschema strukturiert: Nachrichten aus dem In-und Ausland, Sport, Wetterbericht. Eine immer bestehende Gefahr in der Informationsübermittlung ist die Gefahr der Manipulation. Diese Gefahr besteht nicht nur auf der Ebene der sprachlichen Formulierung einer Nachricht; indirekt kann man auch durch die Übermittlung einer Nachricht, durch ihre Positionierung sowie durch die Zeitdauer der Präsentation den Rezipienten beeinflussen. Dabei ist Informieren mit Wertung engstens verbunden, denn die Struktur von Massenkommunikationsprozessen ist dadurch gekennzeichnet, daß Sprecher- und Hörerrollen von vornherein als fest und auf verschiedene Personengruppen bezogen definiert werden. Im Falle der Nachrichtensendungen gibt es nur den Redakteur bzw. Nachrichtensprecher und ihnen jeweils gegenüber die Menge der Zuschauer, die in bezug auf ihre Zuschauerrolle, d.h. in bezug auf ihr Interesse zu rezipieren, als Gruppe definiert werden kann. Die Informationsübermittlung in der Textsorte Nachrichtensendung wurde anschließend unter den folgenden zwei Aspekten analysiert: Strukturierung der Sendung und Sprach- bzw. Sprechverhalten des Redakteurs. Die Grundstruktur ist in allen drei Nachrichtensendungen gleich. Am Anfang werden zusammenfassend die wichtigsten Ereignisse des Tages angeführt. Die Struktur dieser zusammenfassend angeführten wichtigsten Nachrichten ist mit der Struktur der Schlagzeilen in Zeitungsartikel vergleichbar - es handelt sich nämlich um knappe, elliptische und meist substantivische Konstruktionen: Neues Indiz, Eingeständnis, Einems Antwort, Gelbard u Sarajevu, Tudman primio Kleina. Die ersten Unterschiede zwischen den analysierten deutschen und österreichischen Nachrichtensendungen zeigen sich im Sprach- bzw. Sprechverhalten der Redakteure. Die deutschen Redakteure verwenden nämlich auch in der Meldung selbst elliptische Konstruktionen, die in den analysierten Sendungen von ihren österreichischen Kollegen nicht verwendet werden - z.B. Gazelle statt Reh, Angeklagt unter anderen X.Y. Ein besonderes Merkmal des Sprachverhaltens österreichischer Redakteure sind dagegen komplizierte Satzstrukturen mit Nebensätzen ersten und zweiten Grades, vor allem in Gesprächen mit ihren Gästen im Studio. Der Wortschatz in den analysierten deutschen Nachrichtensendungen entspricht dem binnendeutschen Standard. In den analysierten österreichischen Nachrichtensendungen werden fast ausnahmslos österreichisch markierte Lexeme verwendet, z.B. Spital, Spitalsreform, Meldungsüberblick, Betriebsobmann. In der phonetischen Realisation besteht ein klarer Unterschied in der Artikulation und in der Intonation der deutschen Redakteure, die eine dialektal gefärbte Aussprache vermeiden, und der österreichischspezifischen Aussprache ihrer Kollegen im ZIB2, bei einigen Sprechern vorwiegend wienerischer Prägung, Die analysierten kroatischen Nachrichtensendungen unterscheiden sich von den deutschen und österreichischen durch die Produktions- bzw. Entscheidungsprozesse der Nachrichten. Deshalb rückt der Schwerpunkt der Analyse auf die spezifischen politischen Restriktionen der Nachrichtenerzeugung und ihrer (manipulativen) Verwendung. Das, woran die Redaktionspolitik des kroatischen Fernsehens erkannt wird, ist die Personalisierung der Nachricht. An erster Stelle stehen immer Informationen aus Kroatien, unabhängig von der Bedeutung ausländischer Nachrichten. So wurde beispielsweise am 1. Mai 1996 zunächst über eine lokale Feier in Zagreb berichtet und erst dann über das historische Treffen Arafat - Rabin. Ein Merkmal des phonetischen Verhaltens kroatischer Redakteure und Nachrichtensprecher ist die strikte Befolgung der standardisierten Aussprache, ohne dialektale Färbung. Ein Vergleich mit den deutschsprachigen Sendungen auf der Ebene der Realisation syntaktischer Strukturen ist wegen unterschiedlicher Sprachstruktur nicht sinnvoll. Der Kommentar gehört nicht zur Grundstruktur der Nachrichtensendung. Kommentare werden nur gelegentlich gesendet - der Kommentar sollte nämlich, im Unterschied zur informativen Qualität der Nachricht, analytische Qualität haben, wobei aber die Gefahr besteht, daß je nach dem Interessenstandpunkt und den Fähigkeiten des Kommentators das subjektive Element zu deutlich anzumerken ist, was das ungebrochene Vertrauen in die Information erheblich abschwächen könnte. Kommentare kommen sowohl in heute, im ZIB2 sowie in Dnevnik vor, mit dem Unterschied, daß die Kommentare im ZDF und 02 vor allem analytisch orientiert sind, wogegen die Funktion der Kommentare im kroatischen Fernsehen nichts anderes als die Rechtfertigung der offiziellen Staatspolitik der regierenden Partei ist. Viel häufiger als Kommentare sind in der Tagesschau Korrespondentenberichte. Ein Korrespondentenbericht ist nach ähnlichen Prinzipien wie eine Meldung zugeschnitten; durch die Art seiner Aufmachung der Augenzeugenillusion leistet er dem Glauben Vorschub, das Ereignis selbst mitzuerleben. Das gemeinsame Merkmal des Sprechverhaltens der Korrespondenten in den analysierten Nachrichtensendungen ist das mundartlich gefärbte Sprechen. Die Grundmerkmale der Textsorte Fernsehnachrichten sind die indirekte, einseitige Kommunikation sowie die streng schematisierte Einteilung der Nachrichtenblocks. Der wesentliche Inhalt von Nachrichten besteht in der Personalisierung politischer Ereignisse, die - vor allem im kroatischen Fernsehen - eher zu einer Werbung für die Personen wird, die genannt werden, als zu einer politischen Information. Dies führt zu einer Hierarchie zwischen Politikern, die in der Tagesschau auftreten dürfen und solchen, die es noch nicht geschafft haben. Die vielen, eigens fürs Fernsehen gestellten Berichte von Ereignissen, deren einzige Bedeutung eben nur gerade darin liegt, daß sie vom Fernsehen verarbeitet werden, und das Auftreten schon altbekannter Personen in ebenso bekannten Posen lassen die Welt wieder überschaubar werden. (B. Badura - K. Gloy, Soziologie der Kommunikation, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972). So schaffen die Fernsehnachrichten eine Art Pseudoumgebung, vielleicht sogar Pseudowirklichkeit, die der Realität nicht standhält. Zusammenfassung Aufgrund der Kriterien der Merkmalhomogenität wird die Nachrichtensendung als Textsorte bestimmt. Ein Vergleich deutscher, österreichischer und kroatischer Sendungen zeigt, daß sie die gleiche Grundstruktur aufweisen. Ein Merkmal kroatischer Nachrichten ist die Personalisierung politischer Ereignisse. Povzetek BESEDILNA VRSTA 'TELEVIZIJSKA POROČILA' - KONTRASTIVNO Besedilna vrsta 'televizijska poročila' je opredeljena na podlagi homogenosti njenih značilnih elementov. Primerjava tovrstnih nemških, avstrijskih in hrvaških oddaj pokaže enako osnovno strukturo. Ena od značilnosti hrvaških poročil je personaliziranje političnih dogodkov. Martin Wierschin Universität Hradec Krälove UDK 811.112.2' 373.7:811.111 (73)' 373.7 HINKELBEINCHEN UND "LITTLE CHICKEN'S LEG": DEUTSCHE UND AMERIKANISCHE IDIOME ALS KOMMUNIKATIVE TEXTSORTEN-PROBLEMATIK Hyeonmi zum zehnten Jahrestage Als Marin Luther 1522 seine Übersetzung des Neuen Testaments nach der griechischen Edition des Erasmus von Rotterdam abschloß, hatte er dabei zwar mit größtem Sprachgefühl nicht nur dem deutschen, sondern auch dem idiomatischen 'logos' des Griechischen "auf das Maul" gesehen. Aber er mußte in seinem "Sendbrief vom Dolmetschen" 1530 dennoch zugeben, daß selbst er - zusammen mit seinen beiden Assistenten Melanchthon und Aurogallus - sehr oft zwei bis vier Wochen lang nach einem einzigen idiomatisch treffenden Wort zu suchen hatte. Damit wird von einem eminenten Kronzeugen, nämlich vom Schöpfer des protestantischen 'Hausbuches' Lutherbibel und vom eigentlichen Begründer einer einheitlichen deutschen Schriftsprache, samt ihrer sprach- und literargeschichtlich wirkungsmächtigen Idiomatik, die Schwierigkeit und Problematik idiomatischer Äquivalenzen und Transferenzen zwischen den Einzelsprachen verbürgt. Die Lutherbibel mit ihrem Lutherdeutsch war und ist zunächst Sprache als Kommunikation, und zwar Sprache als reformatorische Mitteilung, als reformatorisches Postulat eines neuen direkt-kommunikativen Verhältnisses zwischen menschlichem Individuum und Gott. Luther-Bibel und Luther-Deutsch waren und sind aber zugleich generative 'Text'-Ausformungen aus der kompositioneilen UniversalitätsKategorie 'deutsche Sprache' durch einen thematisch determinierten Akt kreativer sprachlicher Autonomie des Individuums Martin Luther in den quantitativen und allen qualitativ-formalen Bereichen des Deutschen nach einheitlich-kategorialen Selektionsprinzipien, den ich hier im November 1994 als "Stil" definiert habe.1 Sie sind folglich -als 'Stil'-Leistung - Sprache als Kunstwerk, das der kommunikativen Zeit-Kategorie enthoben ist. Was ich damit ansagen will, ist eine mir bewußte und vorausgesetzte Unterscheidung von Sprache als Textsorten-orientierte, zeitgebundene Kommunikation und von Sprache als zeitloses, Stil-orientiertes Sprachkunstwerk. Wobei sich gerade 1 Vgl. meinen Beitrag: "Sprache, Text und Textsorten: Zur Problematik von Texttypologie". In: Linguistica XXXV,1: Textsorten. Ljubljana 1995, S. 53-79, hier: S. 64-66. anhand von Luthers Auslassungen im "Sendbrief" zeigen läßt, wie integral zu dem 'bewußten Kunst-Akt' des Lutherischen 'Stils' die ebenfalls 'bewußte' und 'gewußte', mithin kognitiv-integrierte und selektiv-einsichtige Verwendung von 'stilistischen Fertigteilen', also Textsorten, als konstituierende idiomatische Matrix gehört, obwohl es sich dabei scheinbar um ein plagiatorisches Vorgehen handelt. Denn auch die heute nach meiner Definition antistilistisch determinierte, stereotyp-formelhafte EinzeltextKomponente 'Textsorte'2 ist im historischen Kontinuum der Sprache ursprünglich als durchaus einmalige, aktiv-autonome Stil-Leistung eines Individuums entstanden, das in der Anonymität verschwunden ist und das seine Stil-Leistung der Muttersprache als Allmende zum allgemeinen Gebrauch überlassen hat. Wie dominant-virtuos sich idiomatische Textsorten sogar und gerade im zeitgenössischen Wörtkunstwerk einsetzen lassen, hat Walter Kempowski in seinen familienhistorischen Prosawerken demonstriert. Das heißt, wir Heutigen - die wir nicht mehr 'naiv' am phylogenetischen 'Anfang' unserer Sprache partizipieren, es nur noch, mit Schiller, 'sentimentalisch' tun - müssen uns in der Regel damit bescheiden, möglichst gekonnt und treffend auf der geradezu unendlichen Klaviatur der vorgegebenen idiomatischen Textsorten einer Sprache kommunikativ-stilistisch zu improvisieren und dabei auf den richtigen Anschlag zu achten. Das gilt besonders, wenn wir auf der Textsorten-Klaviatur einer uns nicht angeborenen Sprache intonieren, weil wir uns dabei in eine uns fremde Tonart und Kompositionsform begeben. Nur wer zu den seltenen Meistern des 'puren Stils'3 einer Nationalsprache gehört, kann die magische Potenz seiner Sprache aktivieren und das leisten, was Luther zu Beginn des Johannes-Evangeliums, trotz aller Goethisch-Faustischen Umdeutungsversuche, endgültig formulierte als: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort... Alle Dinge sind durch dasselbe (= das Wort) gemacht, und ohne dasselbe ist nichts...", was Rilke knapp 2 1/2 Jahre vor seinem Tode in dem Gedicht "Magie" als Schöpfungsakt einer "unbeschreiblichen Verwandlung" der Dinge unserer Existenz durch den Stil lyrisch-orphischer Sprache begriff4 und was Gottfried Benn 1941 so ausdrückte: "Ein Wort, ein Satz-: Aus Chiffren steigen/ erkanntes Leben, jäher Sinn,/ die Sonne steht, die Sphären schweigen,/ und alles ballt sich zu ihm hin..."5 Daß nicht nur - und sogar - Martin Luther an den Schwierigkeiten idiomatischer Äquivalenzen bei der stilistischen Erarbeitung seines Bibel-Textes wochenlang hängenblieb und - nach eigenem Eingeständnis im "Sendbrief" - das gesuchte Idiom 2 Zu meiner Textsorten-Definition vgl. ebd., S. 68ff. 3 Vgl. dazu ebd., S. 75ff. 4 Vgl. R.M. Rilke, Die Gedichte. 7Frankfurt/Main 1995, S. 960: "Aus unbeschreiblicher Verwandlung stammen/ solche Gebilde -: Fühl! und glaub!/ Wir leidens oft: zu Asche werden Flammen;/ doch, in der Kunst: zur Flamme wird der Staub.// Hier ist Magie. In das (!) Bereich des Zaubers/ scheint das gemeine Wort hinaufgestuft.../ und ist doch wirklich wie der Ruf des Taubers,/ der nach der unsichtbaren Taube ruft." 5 Vgl. G. Benn, Gesammelte Werke. Hg. von D. Wellershoff. Bd. 3: Gedichte. Wiesbaden 1960, S. 342. "dennoch zuweilen nicht gefunden", ergibt sich aus einem eklatanten Beleg im uvre des international geehrten Übersetzers Ralph Manheim. Manheim publizierte 1977, zum ersten Male in englischer Sprache, die Gesamtausgabe der Grimmschen "Kinder- und Hausmärchen". Zuvor waren die Märchen lediglich in unterschiedlicher Auswahl erschienen, sicher wegen der Problematik einer idiomatisch adäquaten Übersetzung für englischsprachige Leser. Für diese beachtliche Übersetzungs-Premiere eines Textes der Weltliteratur erhielt Manheim sogleich einen Pulitzer-Preis und im Jahre 1988 den deutschen "Schlegel-Tieck-Übersetzerpreis", obwohl seine Übersetzungen gelegentlich an idiomatischen Verzerrungen kranken, wie im folgenden Beispiel: In KHM 25, "Die 7 Raben", begibt sich die unschuldig-schuldige schwesterliche Anima auf die Suchwanderung nach den in den Glasberg des Totenreiches verwünschten sieben Brüdern. Um die Brüder erlösen zu können, erhält sie vom hilfreichen Morgenstern ein "Hinkelbeinchen" als Schlüssel zum Glasberg. Nach dem etymologischen 'logos' der deutschen Sprache handelt es sich bei diesem "kleinen Knochen" (= Beinchen) um das Schlüsselbein eines (ahd.) "huoni(n)kli(n)" (= nhd. Hinkel), also eines kleinen, folglich jungen (ahd.) "huon" (= nhd. Huhn). Denn das Huhn, besonders das junge Huhn, war dem Zeus-Sohn Hermes heilig, dem Gotte der (Such-)Wanderer und Reisenden, dem Gotte des Findens, dem Gotte des Einganges und des Ausganges. Interessanterweise besitzt der kleine Finger, den sich die Schwester abschneiden muß, um das verlorene Hermes-Schlüsselbein zu ersetzen, eine astrologisch-chiromantische Beziehung zum Planeten Merkur, somit ebenfalls zu dem griechisch-römischen Götterduo Hermes-Merkur. Ich bezweifle, daß der 1907 in Deutschland geborene Manheim sich - wie weiland Martin Luther - wochenlang Gedanken über die treffende Wiedergabe des doch recht 'merk-würdigen' und mythologisch aussagekräftigen Wortes "Hinkelbeinchen" gemacht hat. Sonst hätte ihm das beim obligatorischen amerikanischen Truthahnessen für die abergläubischen Kinder wichtige Äquivalent "wishbone" (= Wunsch-Knochen) einfallen müssen. Denn vom englischen "bone" zum deutschen "Bein" braucht es keiner großen etymologischen Vorstellungskraft. Und wer noch nie ein altdeutsches beinernes Schachspiel bewundert hat, dem sollte wenigstens die anatomische Wortsequenz "Nasenbein, Jochbein/Wangenbein, Brustbein, Schlüsselbein, Schienbein etc." anhand des eigenen Körpers in den Sinn kommen, vielleicht auch noch das "Beinhaus" auf alten Friedhöfen. Manheim übersetzt jedoch schlicht dreimal "a chicken's leg",6 also "ein Hühnerbein", das der Morgenstern dem Schwesterchen - so muß man konjizieren - als Wegzehrung zusteckt, wobei er zudem - damit die Portion nicht zu klein ausfällt - das Diminutivum des Deutschen unterschlägt. Dieses "Hühnerbein" als simple sprachliche Fehlleistung aus Unwissenheit des etwa 70-jährigen Manheim abzutun, dürfte den Nagel nicht ganz auf den Kopf treffen. Vielmehr hat der in der amerikanischen Sprache verwurzelte Übersetzer das dieser 6 Vgl. "Grimms' Tales for Young and Old: The Complete Stories". Translated by R. Manheim. Garden City/New York (Doubleday & Co) 1977, S. 97. Sprache für ihre Perzeptionen und Apperzeptionen, damit für ihre Sprachinhalte eigene Analyse- und Bezeichnungssystem naiv auf die perzeptorisch und apperzeptiv anders strukturierte deutsche Text-Vorlage übertragen. Das "Hinkelbein-chen"/Junghuhn-nknöchelchen des Hermes, im Deutschen der noch für die Brüder zu leistenden Erlösungs-Aufgabe als Instrumentalis zugeordnet, wird im 'logos' des Amerikanischen eine pragmatisch rückbezogene Referenz auf das Ich-Subjekt der Protagonistin und dessen egozentrische Bedürfnisse, so daß dem Deutschen gegenüber eine Referenz-Umkehrung vorliegt. Was ich unter dem Terminus "Referenz" verstehe, ist die vom Sprachbenutzer durch seine 'Rede' oder durch seinen 'Text'7 mit Hilfe seines Kognitionssystems auf eine ganz bestimmte, d.h. idiomatische Weise kreierte, weil stilistisch 'ausgedrückte' Beziehung zwischen seinem eigenen Ich und den erst im sprachlichen Ausdruck ureigentlich 'ver-wirklichten' konzeptionellen Gegebenheiten menschlicher Existenz, die als empirisch voretablierte und vordefinierte kognitiv-mentale Wirklichkeiten zu verstehen sind. Mit diesem Hinweis komme ich zum methodischen Ansatzpunkt und zu den Prämissen meiner Überlegungen. Zum einen gehe ich aus von meiner im November 1994 hier vorgetragenen zweiten Definition der 'Sprache' als Einzelsprache, d.h. als eines absolut 'geschlossenen', dennoch 'offenen' Systems, dessen 'Geschlossenheit' gerade die für mein Thema relevanten Idiome als historisch gewachsene, latent-potente 'subsyntaktische Textsorten' - sprich: Phraseologismen, Redensarten, Redewendungen - permanent speichert8 für die virtuelle Reaktivierung durch jeden 'bewußten Stilisten'. Mir war in diesem Kontext bedeutsam, daß diese idiomatisch strukurierte 'Geschlossenheit' der Nationalsprachen auch von einem so experimental-avant-gardistischen Lyriker und Essayisten wie dem im September 1996 verstorbenen Helmut Heißenbüttel als "unaufhebbare Abhängigkeit des Subjekts von den Vorgaben der Sprache, aus der nur das deutliche Bewußtsein dieser Abhängigkeit befreien ... (kann)" erfahren und anerkannt wurde.9 Da ich weiterhin von dem Axiom ausgehe, daß jede Nationalsprache ein Perzeptions- und Apperzeptionssystem sui generis darstellt, das sich beim sprachlichen Ausdruck seiner Perzeptions- und Apperzeptionsinhalte ganz eigener, idiomatisch angelegter und festgelegter Referenz-Strukturen bedient, muß man über eine selektiv-repräsentative phänomenologische Bestandsaufnahme idiomatischer Textkomponenten das prototypische Wie und Was, d.h. den "Geist" amerikanischer Idiomatik begreifen können, somit auch die damit verbundenen interferenzialen Kommunikations-Schwierigkeiten deutscher und amerikanischer Sprachbenutzer. Anders ausgedrückt: Es geht mir um eine empirische Applikation und 7 Zur Definition der Termini "Rede" und "Text" vgl. meinen Beitrag: "Sprache, Text und Textsorten: Zur Problematik von Texttypologie". In: Linguistica XXXV, 1: Textsorten. Ljubljana 1995, S. 53-79, hier: S. 64 und 69f. 8 Vgl. ebd., S. 57f., S. 68f„ S. 70-75. 9 Vgl. Fachdienst Germanistik, 14. Jg., Nr. 11 (Nov. 1996), S. 10. 132 Verifizierung der beiden Humboldtschen Sätze: "Die Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Volker; ihre Sprache ist ihr Geist, und ihr Geist ist ihre Sprache... daß er (der Mensch) nichts aus sich hinauszusetzen vermag, das nicht augenblicklich (als idiomatischer Struktur-'logos' seiner Muttersprache nämlich) zu einer auf ihn zurückwirkenden und sein fernes Schaffen bedingenden Masse wird."10 Um die Crux idiomatischer Textsorten-Übersetzungen und idiomatischer Referenzen in nuce, gewissermaßen prototypisch zu demonstrieren, zitiere ich als Präludium zu meiner anschließenden, etwas konstruierten phänomenologischen Bestandsaufnahme eine zu 100% authentische amerikanische 'Einfache Form'im Sinne von Andre Jolles. Ich selbst habe die 'Rede' erstmals Ende 1996 in der Originalfassung des neuen Hollywood-Films "Tin Cup" von Kevin Costner gehört, der sie seinen Bierkumpanen als Rätsel präsentierte. Mein amerikanischer Gewährsmann jedoch -einer meiner ehemaligen Studenten und wie Gottfried Benn sowohl Mediziner als auch sprachgewandter Autor - versichert mir, für die amerikanische Sprach-Mentalität sei das kein Rätsel, sondern ein aus den fünfziger Jahren stammender soziologischer Witz. Denn - so wurde mir erst post festum klar - dem nativen Englischsprachigen sollte der "doctor" des 'Witzes' als Utrum bzw. 'nomen commune' bewußt sein, was bei Costners Bierseligen freilich nicht der Fall war: "A father and a son take a ride together and get into a crash. Each of them is taken to a different hospital for treatment. When the son is taken into the operating room, the doctor takes a look and says, 'I can't operate on the boy, he is my son'." Ich lehnübersetze zunächst mit direkten idiomatischen Transferenzen, weise im voraus auf die auch hier dominante idiomatische Verwendung von "to take" hin, auf die ich am Schluß nochmals eingehen werde: - Ein Vater und ein Sohn nehmen zusammen einen Ritt und geraten in einen Zusammenstoß-Krach. Jeder von ihnen wird zu einem unterschiedlichen Hospital für Behandlung genommen. Wenn der Sohn in den Operierraum genommen wird, nimmt der Doktor einen Blick und sagt: "Ich kann an dem Jungen nicht operieren, er ist mein Sohn." - So übersetzt, bleibt der Text dem Deutschsprachigen ein Rätsel im Sinne der zugehörigen Jolleschen 'Geistesbeschäftigung' eines von Mensch zu Mensch durch das Aufzeigen einer zu lösenden Frage etablierten Wissens-Zwanges.11 Als Witz, dessen 'Geistesbeschäftigung' nach Jolles das Komische bzw. die Komik ist,12 fungiert der Text für die deutsche Sprach-Mentalität nicht; dafür ist die Proposition zu seriös. Hier scheiden sich die (deutschen und amerikanischen) Geister. 10 Vgl. Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften. Hg. von der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften. 17 Bde. Berlin 1903-1936. Bd. IV, bes. S. 14. 11 Vgl. A. Jolles, Einfache Formen. 2. Aufl. Darmstadt 1958, S. 126-130. 12 Vgl. ebd., S. 252 - 261. Meine zweite Übertragung, mit den 'richtigen' deutschen Idiomatik-Kategorien vorgenommen, annulliert die für amerikanische Sprachbenutzer virtuelle Einfache Form 'Witz', beseitigt auch das dem Deutschsprachigen lexeminhärente Rätselhafte und macht den Text damit banal. Er hat - erstaunlicherweise - seine ursprüngliche Referenz durch eine idiomatisch richtige Reproduktion in einem anderen Sprach- und Denksystem völlig verloren: - Vater und Sohn machen einen gemeinsamen Ausflug mit ihrem Wagen und verunglücken dabei schwer. Die beiden werden zur ärztlichen Behandlung in verschiedene Krankenhäuser eingeliefert. Als man den Sohn in den Operationssaal fährt, schaut ihn die Ärztin an und sagt: "Ich kann den Jungen nicht operieren, er ist mein Sohn." - Nach diesem ersten Kurz-Beleg kommunikativer Textsorten-Problematik, der zeigt, wie Witz oder Rätsel eines Sprach-Systems bei der Übertragung in ein anderes zur propositionalen Banalität schrumpfen, verwende ich im folgenden mir indikative Lehnübersetzungen aus der amerikanischen Idiomatik in einer syntaktisch deutschen narrativen Alltagsepisode. Die von mir benutzten Lehnübersetzungen stammen aus 'Reden' und 'Texten' amerikanischer Deutschstudenten und College-Absolventen, amerikanischer Germanistik-Kollegen sowie deutscher Auswanderer. Um die problematische kommunikative Effizienz und propositionale Valenz dieser Lehnübersetzungen für ein monolinguales deutsches Publikum zu belegen und zu testen, lasse ich auf die idiomatisch verfremdete Textversion I als komparativen Kontrast eine idiomatisch korrekte Textversion II folgen, in der die Divergenzen kursiv notiert sind. Vorauszuschicken ist noch, daß meine Belege von im Lexikon des Deutschen durchaus bewanderten Sprachbenutzern stammen. Allen Benutzern gemeinsam war und ist jedoch eine Verankerung in den idiomatischen ReferenzStrukturen der amerikanischen Sprache. Das heißt, die amerikanischen DeutschAspiranten haben das schöpferische 'Übertragen' vom muttersprachlichen in den deutschen 'Bewußtseinsstrom' idiomatischer Sprach-Referenzen noch nicht geleistet, und den Auswanderern ist der ursprüngliche idiomatische 'Bewußtseinsstrom' ihrer deutschen Muttersprache im alltäglichen 'Flusse' praktizierter amerikanischer Idiomatik und Sprach-Referenzen versandet; die deutschen Strukturen ihrer Sprach-Kompetenzen sind durch andersartige amerikanische überlagert und verdrängt worden. Text I: Trotz einer voll-befiederten Erkältung (a full-fledged cold) war Eric allen Totlinien seiner juristischen Abschlußexamen begegnet. (Eric met all deadlines.) Er war niemals spät (He was never late.), obwohl er oft kalt war (though he was often cold). Anschließend feierte er seinen erfolgreichen Studienabschluß ausgiebig, nahm durchaus zahllose Getränke (took quite a lot of drinks). Als der ihm sowieso verhaßte Trainer seiner Korbballmannschaft daraufhin meinte, er solle es leicht nehmen (to take it easy) und solle nicht Nüsse über das bestandene Juraexamen sein (should not be nuts about the degree), legte Eric seinen Fuß in den Mund (Eric put his foot into his mouth.) und antwortete ihm, er sei falsch (that he was wrong) und solle sich in Urin auflösen (should piss off). Denn der Trainer hatte ihn für Jahre (for years) wie den niedrigsten Mann am Totempfahl behandet (like the lowest man on the totem pole). Nur hatte Eric nie zuvor die Eingeweide besessen (Eric never had the guts.), ihm ein Stück seines Geistes zu geben (give him a piece of his mind). Nunmehr jedoch trafen die Exkremente den Ventilator (The shit hit the fan.), und der Trainer feuerte ihn (fired him) wütend aus der Mannschaft. Ein Freund, der die Auseinandersetzung überhört hatte (who overheard the dispute), sagte: "Oh, mein! (Oh, my!) Du trägst dein Herz heute wirklich am Ärmel. (You really wear your heart on your sleeve today.) Laß ihn allein! (Leave him alone!)" - Sie gingen zusammen auf die andere Seite des Lokals, und Eric nahm einen Sitz (took a seat) neben einer Studentin in rotem Wollpullover, die er für durchaus etwas Zeit (for quite some time) datieren wollte (wanted to date her). Denn er war ganz genommen mit ihren guten Anblicken. (He was quite taken with her good looks.) Nach der Begrüßung sagte Eric: "Bist du nicht heiß, Anna?" (Aren't you hot, Anna?) Weißt du, ich wollte dich schon immer datieren. (I always wanted to date you.) Kann ich dir an einem dieser Tage (on one of these days) ein Mittagessen kaufen (buy you a lunch)?" - "Meine Mutter meint, es gibt kein freies Mittagessen (There is no free lunch.); aber ich mag dich; ruf' mich morgen (Call me tomorrow.); hier ist meine Nummer (my number)." — Eric war froh, daß sein Datum (his date) nicht den Abfluß hinuntergegangen war (did not go down the drain). Er dachte: "Was ein glücklicher Hund ich bin! (What a lucky dog I am!)" Und weil er wegen seines Blutalkohols kein Risiko nehmen wollte (He did not want to take a risk.), nahm er einen Ritt in einem Taxi (He took a ride in a taxi.) nach Hause. An einer Kreuzung rannte der Fahrer ein rotes Licht (The driver ran a red light.), aber Eric merkte nichts. In seinem Appartement konnte er gerade noch seinen Sakko an einen Hänger hängen (hang on a hanger), bevor er das Heu traf (hit the hay). Denn er hatte wirklich zu lange auf der Feier ausgehangen (hung out too long at the party). — Am nächsten Morgen schlief Eric ein (slept in), weil er einen ganzen Überhang hatte (quite a hangover). Halbschlafend (half asleep) dachte er: "Nimm dir deine Zeit! (Take your time!) Ich habe so ein Darmgefühl (a gut-feeling), daß ich heute schlechtes Glück habe (bad luck), wenn ich zu früh aufstehe." Er ließ seine Vorstellungskraft wild laufen (He let his imagination run wild.), dachte an seine Berufsaussichten. Sein Vater hatte ihn an (to) die Parteipeitsche (party whip) der Republikaner in Sacramento empfohlen. Doch er wollte sein Leben vom Riß (from scratch) selbst aufbauen, dabei auch Chancen nehmen (take chances): "Ich bekreuze mein Herz! (I cross my heart!)"Er fühlte nicht wie (He did not feel like...) fürs Amt in einer Partei rennen (running for office in a party), lieber wollte er als Staatsanwalt Verdächtige zur Gerechtigkeit bringen (bring suspects to justice). — Erst gegen 13 Uhr war er besser (was better), war offenbar auf seinem Wege zur Gesundung (on his way to recovery), obwohl sein Rippenkäfig (his rib cage) noch leicht schmerzte. Als nächste Tür (next door) jemand hämmerte, stand er auf und rief seine stets besorgte Mutter (called his mother). Zuerst hörte sie das Telephon nicht, denn sie nahm - wie jeden Mittag - eine Noppe (took a nap) und war gesund im Schlaf (sound asleep). Bevor Eric das Appartement verließ, aß er zwei Heferollen (yeast rolls) mit Butter, blauem Käse (blue cheese) und heißen Hunden mit heißem Senf (hot dogs with hot mustard), bürstete seine Zähne (brushed his teeth) und nahm eine Dusche (took a shower). Nach dem Nehmen einer Dusche (after taking a shower) behandelte er auch noch seinen Athleten-Fuß (his athlete's foot). — In der Gartenanlage hatte der letzte Donnersturm (thunderstorm) viel Schmutz (dirt) weggewaschen (washed off), deshalb luden die Gärtner gerade eine Ladung Obererde (topsoil) ab. Er nahm einen Ritt (took a ride) mit dem Nr. 10-Bus (number 10-bus) zum nächsten Sportgeschäft. Am Eingang stolperte er, weil er das Zeichen (the sign) "Beobachte deinen Schritt!" (Watch your step!) übersehen hatte. Ein paar Fischenruten (fishing-rods) fielen dabei gegen einen Angestellten, zu dem Eric sagte: "Ich bin besorgt! Entschuldigen Sie mich!" (I am sorry! Excuse me!) Der meinte jedoch nur: "Niemals beachten, mein Herr! (Never mind, Sir!) Kein Schweiß, das wieder zu richten! (No sweat fixing it again!) Wie sind Sie, mein Herr? (How are you, Sir?)" - "Danke Ihnen! Wie sind Sie? (Thank you! How are you?)" - "Kann ich Ihnen helfen, mein Herr?" (Can I help you, Sir?)" — Eric kaufte eine leichte Fischenrute (fishing-rod) und ließ sich das Senkblei gleich 30 Zentimeter vor dem Fischenhaken (one foot in front of the fishing-hook) an der Fischenleine (fishing-line) befestigen. Leider waren die preiswerten Fischenspulen (fishing reels) schon ausverkauft. Doch Eric bekam einen Regenscheck (rain-check), und der Geschäftsführer überreichte ihm zudem einen Satz Fischenhaken (fishing-hooks) als freies Geschenk (as a free gift). Da Eric erst in zwei Tagen eine Geldüberweisung seiner Eltern erwartete und er seine Schweinchen-Bank (piggie bank) nicht geschlachtet hatte, datierte er seinen Scheck nach (postdated his check). Er freute sich, daß er beim Einkauf nicht hineingenommen worden war (that he had not been taken in), und nahm ein langes Zufußgehen heim. (He took a long walk home.) Dabei nahm Eric sogar einen Umweg (even took a detour) durch den herbstlichen Park, um bei seiner favorisierten Schokoladenküche (at his favorite chocolate kitchen) Schokoladen mit wirklichem Schokoladengeschmack (chocolates with real chocolate flavour) zu kaufen. Die mütterliche Verkäuferin rief ihm noch nach: "Hab' ein gutes Dankengeben, Honig! (Have a Good Thanksgiving, honey!)" Text II: Trotz einer ausgewachsenen Erkältung hatte Eric es geschafft, alle Termine seiner juristischen Abschlußprüfungen einzuhalten. Er kam niemals zu spät, obwohl ihn oft fröstelte. Anschließend feierte er den erfolgreichen Studienabschluß ausgiebig und sprach dabei dem Alkohol reichlich zu. Als der ihm sowieso verhaßte Trainer seiner Korbballmannschaft daraufhin meinte, er solle die Kirche im Dorfe lassen und wegen des bestandenen Jura-Examens nicht durchdrehen, geigte ihm Eric unverblümt die Meinung und trat bei ihm ins Fettnäpfchen, indem er ihm entgegnete, er irre sich und solle für immer und ewig verduften. Denn der Trainer hatte ihn seit Jahren wie den letzten Deppen behandelt, auf dem jeder ungestraft herumhacken konnte. Nur hatte Eric nie zuvor den Mumm und die Traute besessen, seinem Ärger Luft zu machen. Nunmehr jedoch kamen ihre heimlichen Spannungen zum Ausbruch, und der Trainer entließ ihn wütend aus der Mannschaft. Ein Freund, der die Auseinandersetzung zufällig mitbekommen hatte, sagte: "Um Gottes willenl Du machst heute aus deinem Herzen wirklich keine Mördergrube. Doch laß ihn in Ruhe]" — Sie gingen zusammen auf die andere Seite des Lokales, und Eric setzte sich neben eine Studentin in rotem Wollpullover, mit der er sich schon lange hatte verabreden wollen. Denn er war von ihrer Schönheit geradezu besessen. Nach der Begrüßung sagte Eric: "Ist es dir nicht zu warm, Anna? Weißt du, ich wollte mich schon immer einmal mit dir verabreden. Darf ich dich morgen oder übermorgen zum Mittagessen einladen?" - "Meine Mutter meint zwar, man müsse für alles bezahlen; aber ich mag dich; ruf' mich morgen an; hier ist meine Telephonnummer." — Eric war froh, daß er bei seiner Verabredung keinen Korb bekommen hatte.13 Er dachte: "Was bin ich doch für ein GlückspilzV Und weil er wegen seines Blutalkohols kein Risiko eingehen wollte, fuhr er mit einem Taxi nach Hause. Einmal raste der Fahrer bei Rot über die Kreuzung, aber Eric merkte nichts. In seinem Appartement konnte er seinen Sakko gerade noch auf den Bügel hängen, bevor er ins Bett fiel. Er hatte wirklich zu lange gefeiert. — Am nächsten Morgen schlief er sich aus, weil er einen Mordskater hatte. Im Halbschlaf dachte er: "Immer mit der Ruhe; du hast Zeit. Ich habe so eine Ahnung, daß heute alles schiefgeht, wenn ich zu früh aufstehe." Er verlor sich in Phantasien, dachte an seine Berufsaussichten. Sein Vater hatte ihn einem Fraktionsvorsitzenden der Republikanischen Partei in Sacramento empfohlen. Doch er wollte sein Leben von Grund auf selbst aufbauen, dabei auch Risiken eingehen: "Das schwöre ich mir\" Er hatte keine Lust, sich um einen Parteiposten zu bewerben, lieber wollte er als Staatsanwalt Straftäter vor Gericht stellen und bestraft sehen. — Erst gegen 13 Uhr fühlte er sich besser, war offenbar auf dem Wege der Genesung, obwohl sein Brustkorb noch leicht schmerzte. Als nebenan jemand hämmerte, stand er auf und rief seine stets besorgte Mutter an. Zuerst hörte sie das Telephon nicht, denn sie machte - wie jeden Mittag - ein Nickerchen und war tief eingeschlafen. Bevor er das Appartement verließ, aß er zwei Brötchen mit Butter, Schimmelkäse (Gorgonzola) und heißen Wienern mit scharfem Senf, putzte seine Zähne und duschte. Nach dem Duschen behandelte er auch noch seinen Fußpilz. — In der Gartenanlage hatte der letzte Gewitterguß viel Erde weggespült, deshalb luden Gärtner gerade eine Ladung Muttererde ab. Er fuhr mit dem Zehner-Bus zum nächsten Sportgeschäft. Am Eingang stolperte er, weil er das Warnschild "Vorsicht StufeV übersehen hatte. Ein paar Angelruten fielen dabei gegen einen Angestellten, zu dem Eric sagte: "Es tut mir leid\ Entschuldigung!" Der meinte jedoch nur: "Das macht gar nichts. Es ist im Nu wieder in Ordnung. Guten Tag, der Herr!" - "Besten Dank. Guten Tagl" - "Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?" — Eric kaufte eine leichte Angelrute und ließ sich das Senkblei gleich 30 Zentimeter hinter dem Angelhaken an der Angelschnur befestigen. Leider waren die preiswerten Stationärrollen schon 13 Zur kulturgeschichtlichen Etymologie der Redewendung "einen Korb geben/bekommen" vgl.: M. Wierschin, "Wie es (nicht) im Buche steht". In: Der Schiern 70/6 (1996), S. 364f. ausverkauft. Doch Eric bekam einen Gutschein dafür, und der Geschäftsführer überreichte ihm zudem einen Satz Angelhaken als Werbegeschenk. Da Eric erst in zwei Tagen eine Geldüberweisung seiner Eltern erwartete und er sein Sparschwein nicht geschlachtet hatte, datierte er seinen Scheck vor. Er freute sich, daß er beim Einkauf nicht übervorteilt worden war und machte einen langen Spaziergang nach Hause. Dabei machte er sogar noch einen Umweg durch den herbstlichen Park, um bei seiner Lieblings-Konfiserie mit Kakao und Kakaobutter bereitete Pralinen zu kaufen. Die mütterliche Verkäuferin rief ihm noch nach: "Ich wünsche Ihnen ein schönes Erntedankfest, junger Mannl" Wie ein Vergleich von Text I und Text II zeigt, ruft meine Verwendung lehnübersetzter amerikanischer Idiome in Text I beim deutschsprachigen Rezipienten einen distanzierenden Brechtschen Verfremdungseffekt hervor. Verdeutlichen und belegen diese Idiome doch den oben zitierten unterschiedlichen "Geist", d.h. den reversiven idiomatischen Struktur-'logos' zweier Sprachen. Folglich bricht sich an den in deutsche Kontexte und in eine deutsche Syntaktik eingebetteten amerikanischen Idiom-Inseln der deutsche Apperzeptions-Strom, obwohl diese fremdartigen Pseudo-Idiome sprachlich 'eingedeutscht' worden sind. Vor allem durch ihre fremdartigen Propositions- und Referenz-Valenzen wird für den deutschen Rezipienten eine verzerrte Mimesis der dargestellten Wirklichkeiten geleistet. Konkret heißt das: Obwohl auf Grund einer stetig zunehmenden Flut von Anglizismen und amerikanischen Lehnwörtern im Deutschen manche der in Text I eingesetzten Lehn-Idiome gerade noch verstanden werden können, müssen die meisten rätselhaft, mißverständlich oder unverständlich bleiben. Gerade noch bzw. vage verständlich sind - auf Grund von kognitiver Analogie oder anhand des Kontextes - folgende selektive Beispiele: "Fischenruten, Fischenspulen, Fischenhaken - Er war niemals spät. Er nahm durchaus zahllose Getränke. Du trägst dein Herz heute wirklich am Ärmel. Er nahm einen Sitz. Es gibt kein freies Mittagessen. Er war besser. Er nahm einen Ritt in einem Taxi. Er nahm eine Dusche. Er nahm ein langes Zufüßgehen heim." Als 'rätselhaft' verstehe ich diejenigen Lehn-Idiome, deren Komponenten für den deutschsprachigen Rezipienten eine inhärente Frage konstruieren, die seine Apperzeption weder anhand der dem Idiom immanenten Auto-Semantik eindeutig beantworten kann noch anhand der aus dem deutschen Sprachsystem transferierten Assoziativ-Semantik. Unter diese Kategorie fallen zum Beispiel: "schlechtes Glück; vom Riß/Gekritzel selbst aufbauen; Rippenkäfig; blauer Käse; Obererde; 30 Zentimeter vor dem Fischenhaken an der Fischenleine befestigen; als freies Geschenk; Schweinchenbank; bei seiner favorisierten Schokoladenküche Schokoladen mit wirklichem Schokoladengeschmack kaufen; gutes Dankengeben." — Dazu ein paar Glossen: Das Neuhochdeutsche hat die dem Mittelhochdeutschen "lücke/gelücke/ glücke" (die etymologische Verwandtschaft von englisch "luck"mit der mittelhochdeutschen Form ist deutlich) und dem amerikanischen "luck"gemeinsame Semantik von 'metaphysische Kraft/Geschick/Zufall mit positiver oder negativer Valenz' seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zur ausschließlich positiven Bedeutung von "Glück" verengt. Das Amerikanische (und das Englische) dagegen hat die alte Semantik bewahrt; es gibt folglich "bad luck" und "good luck", schlechtes Glück und gutes Glück. - Das amerikanische "scratch" verweist semantisch auf alles, was mit der Hand bzw. Klaue oder mit einem Werkzeug in oder auf einer beliebigen Oberfläche markiert worden ist. In unserem Kontext ist an einen in den imaginativen 'Boden der Gegebenheiten' geritzten Grundriß bzw. Aufriß oder an eine Startlinie zu denken, den bzw. die jemand seiner Zukunft zugrundelegt. - Die deutsche Anatomie-Metapher "Brustkorb" beruht auf funktionalen Analogien und besitzt zugleich eine lokative Referenz: Die vordere obere Hälfte des menschlichen Rumpfes, "Brust" genannt, besitzt die Form eines Korbes, in dem die lebenswichtigen Organe enthalten und geschützt sind. Die amerikanische Metapher "Rippenkäfig" (= rib cage) ist wegen der Polysemie ihrer Komponenten "rib" und "cage" weder anatomisch signifikativ festgelegt noch besitzt sie eine lokative oder logisch-funktionale Referenz, "cage" ist ein ubiquitäres, oft mobiles Behältnis unbestimmter Größe mit mehr oder weniger großen Öffnungen und einer Tür, das Menschen (Gefangene, Aufsichtführende, Magazinverwalter) oder Tiere zumeist ungewollt oder (seltener) gewollt so einschließt, daß sie durch die Öffnungen sichtbar bleiben, aber nicht ins Freie gelangen können, sondern allein durch die Tür. Dem rein deskriptiven Pseudo-Kompositum "Rippenkäfig" (d.h. "Käfig aus Rippen") fehlt zudem, im Sinne von Aristoteles und Quintilian, das entscheidende Kriterium der 'immutatio', nämlich die Analogie der Öffnungen; es ist somit eine rätselhafte Leer-Metapher. - Die gleichen Kriterien gelten - mutatis mutandis - für das Idiom "piggie bank" (= Schweinchenbank); auch dieses bleibt dem Deutschsprachigen eine nicht gerade einleuchtende Leer-Metapher. -"Blauer Käse" und "Obererde" demonstrieren ebenfalls die Präferenz des Amerikanischen, monoseme Idiome durch rein empirisch-desriptive OberflächenPhänomene der Signifikate zu etablieren, wobei bei den Farbzuweiseungen "grün" und "blau" recht autonom-willkürlich verfahren wird (s.u.). So ist die berühmte "Green Card" (Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung der USA) nicht grün, sondern blau getönt. - Für den deutschen Perzeptions-'logos' räumlicher Gegebenheiten muß es rätselhaft bleiben, wie ein Senkblei 30 cm vor dem Angelhaken an der Schnur befestigt werden kann. Denn der Deutschsprachige geht über die referentiell auf das eigene Ich bezogene fragmentarisch-sinnliche Perzeption des Englischsprachigen hinaus und abstrahiert die perzeptorischen räumlichen Gegebenheiten von Angelschnur und Angelhaken zu einem apperzeptiv vorgestellten Gesamtbild, bei dem sich vor dem Angelhaken nichts als Luft befindet, also auch keine Angelschnur, an der sich etwas 'be-festigen' ließe. Im Amerikanischen dagegen, wo das Versalien-'T nicht nur zum zeitlichen (s.u.: "to postdate a check"), sondern auch zum räumlichen Zentrum des idiomatischen Referenz-Systems gemacht wird, entspricht die idiomatische Sprachlogik den autonomen Konzepten eines 'an-ordnenden' Individuums. - Was dem Deutschsprachigen als Pleonasmus und Paradox erscheinen muß, nämlich das "freie Geschenk", ist auf dem Hintergrund amerikanischer Zivilisation und Ideologie, die sich im Humboldtschen "Geist" ihrer Sprache niedergeschlagen haben, eine propositionale Notwendigkeit. Der Amerikaner weiß von früher Jugend an, daß alles seinen Preis hat, daß nichts geschenkt wird, daß man für alles zu bezahlen hat. Das Textsorten-Idiom "Es gibt kein freies Mittagessen!" beinhaltet eine Maxime amerikanischer Wirklichkeit und Lebensweise. Auch die Anna des Textes I weiß, daß Eric mit dem "Kaufen" eines Mittagessens ("Can I buy you a lunch?") sich zugleich eine genau festgelegte weibliche Gunst 'erkaufen' will. Ohne erotische Absichten hätte er gefragt (etwa seine Großmutter): "May I invite you for lunch?" Die amerikanischen Spielregeln interpersonaler Beziehungen verwirklichen sich in ihren Textsorten. Wenn also tatsächlich ein anscheinend absichtsfreies Geschenk ohne erwartete Gegenleistung gemacht wird, muß das der Amerikaner durch eine verstärkende, weil semantisch unbedingt erforderliche Tautologie ausdrücken. - Die Polysemie von "kitchen" als 'jede Räumlichkeit, in der durch Erhitzen Eßwaren produziert werden' und von "chocolate" als 'alle Süßigkeiten mit schokoladenartigem Aussehen und Geschmack' sowie die Tatsache, daß es profitabler, daher in den USA üblich ist, Aussehen und Geschmack von schokoladenartigen Süßigkeiten durch braune Speisefarbe und synthetisches Schokoladenaroma zu fabrizieren, erklären Erics Umweg zu seiner LieblingsKonfiserie. - Der lehnübersetzte Wunsch "gutes Dankengeben" - mit einer für das deutsche Singularetantum "Dank" rätselhaften Pluralform - erreichte mich brieflich nicht zum ersten Oktobersonntag, sondern zum 4. Donnerstag im November 1996, dem mit Ferien und großen Familienfesten verbundenen "Thanksgiving Day" der USA, gesetzlicher Feiertag ersten Ranges und zugleich - als "Thanksgiving" - eines der seltenen echten, weil anscheinend apperzeptiv als Ganzheit verstandenen und folglich graphisch realisierten Komposita des Amerikanischen. Daß dem amerikanischen Begriff die deutsche Komponente "Ernte" fehlt, beruht darauf, daß dieser Tag generellen Danksagungen ("thanks") für 'göttliche Güte und Gnaden' ("divine goodness and mercies") gewidmet ist. 'Mißverständlich' bedeutet in meinem Paradigma, daß der deutschsprachige Rezipient anhand von transferierter Assoziativ-Semantik aus der Muttersprache bei seiner Idiom-Apperzeption getäuscht wird. Die von ihm für das betreffende Lehn-Idiom etablierte Semantik ist falsch, weil sie auf fremden, also 'falschen' Signifikationen beruht. Die semantischen Parameter einer Einzelsprache sind nämlich grundsätzlich nicht übertragbar. Bekannt ist das in diesen Kontext gehörige Phänomen der sogenannten 'Falschen Freunde/false friends/faux amis'. Als Beispiele falsch zu verstehender Lehn-Idiome zitiere ich: "Eric war oft kalt. - Er solle es leicht nehmen. -Er war falsch. - Ihn wie den niedrigsten Mann am Totempfahl behandeln. - Ihm ein Stück seines Geistes geben. - Der die Auseinandersetzung überhört hatte. - Laß ihn allein! - Bist du nicht heiß, Anna? - Ich wollte dich schon immer datieren. - an einem dieser Tage - Chancen nehmen - Verdächtige zur Gerechtigkeit bringen - Sie war gesund im Schlaf. - heißer Senf - Der Donnersturm hatte Schmutz weggewaschen. -Beobachte deinen Schritt! - Wie sind Sie? - Kann ich Ihnen helfen? - Er datierte seinen Scheck nach. 140 Eine Reihe dieser Beispiele lassen sich auf die agentive, ichbezogene amerikanische Ausdrucksweise existentiell-transitorischer (= 'Existentia') Erlebnisinhalte durch das Verbum 'sein' zurückführen, die im Deutschen unagentiv zuweisend und zuordnend formuliert werden, weil das Verbum essendi - besonders in seiner finiten Form 'ist' - für den Deutschen dem durativ-finiten Zustand, der 'Essentia' der 'persona', vorbehalten bleibt. Eric ist für den amerikanischen Sprachbenutzer keine kalte Persönlichkeit (He is no cold person.), ihm war nur - wegen seiner Erkältung -öfters kalt. Und Anna ist keine brünstige Nymphomanin (She is not on/in heat. She has no hots for Eric.) sie trägt lediglich einen zu warmen Wollpullover. Analog besitzt Erics Trainer keinen falschen, minderwertigen Charakter, er hatte bloß unrecht; weshalb man ihn "in Ruhe", d.h. "mit sich allein" lassen sollte. Und auch die Leer-Frage (s.u.) "Wie sind Sie?/How are you?" erkundigt sich keineswegs nach dem Wesen oder Charakter der oder des Angesprochenen. - Die semantische Crux beim amerikanischen "take it easy" (d.h. 'übertreibe es nicht') basiert auf den irreführenden deutschen AnalogieIdiomen (= 'Falschen Freunden'): "Nimm es nicht so schwer, nimm es leicht! - etwas auf die leichte Schulter/Achsel nehmen - etwas von der leichten Seite nehmen". Auf grundsätzlichen kognitiven Apperzeptions-Differenzen, die ich jedoch erst am Schluß zusammenfassend interpretiere, beruhen (Die idiomatisch korrekten deutschen Bedeutungen und eventuelle Anmerkungen stehen in Klammern.): "to give him a piece of his mind/ihm ein Stück seines Geistes geben" (= (ihm gegenüber) seinem Ärger Luft machen; "mind" - ags. gemynd, ahd. gimund; lat. ment-/mens- - ist, vergleichbar dem mhd. "muot", komplex polysem und verweist auf die Gesamtpotenzen des menschlichen Verstandes, des Wahrnehmens, Denkens, Begreifens, Erinnerns, Wöllens, Empfindens, Fühlens und Verlangens; die jeweilige Bedeutung wird erst signifikativ-kontextuell konkretisiert; das vorstehende amerikanische Idiom ist eindeutig negativ-signifikant, nicht so ambivalent wie das deutsche 'die Meinung sagen') - "overheard/überhört" (= zufällig akustisch mitbekommen; 'Falscher Freund') - "to date/datieren" (= sich auf ein Datum einigen, eine Verabredung mit einem Mitglied des anderen Geschlechts treffen; nicht: das Alter erraten/bestimmen; 'Falscher Freund') - "to take a chance/eine Chance nehmen" (= ein Risiko eingehen, weil - wie bei "luck/g(e)lück(e)" - gegenüber dem Deutschen das Negativ-Zufällige von "chance" dominierend mitverstanden wird; nicht: eine Chance wahrnehmen, beim Schöpfe ergreifen; 'Falscher Freund') - "sound asleep/gesund im Schlaf" (= in tiefem Schlafe; denn der Gesunde schläft tief) - "dirt/Schmutz" (= Erde; wie auch "topsoil/Obererde/ Muttererde" belegt, begreift das Amerikanische seine Umwelt rein empirisch-utilitär) -"How are you?/Wie sind Sie?" (= Guten Tag, der Herr! Denn auf die pseudopersönliche Frage nach dem eigentlich implizierten essentiellen Sein des Befragten erwartet der Fragende keine Antwort, sondern er erwartet eine identische, gleich unverbindlichrhetorische Leer-Frage, die dem deutschen "Guten Tag, der Herr!" entspricht. Interessant ist die in identischer Funktion, doch weniger essentiell, vielmehr agentiver formulierte britische Variante dieser exemplarischen Gruß-Textsorte: "How do you do?", die in den 40er Jahren vom deutschen Völksmund parodiert beantwortet wurde mit: "Hau du zuerst." In beiden Fällen reagieren Englischsprachige verdutzt bis schockiert, wenn man als Deutscher die Grußformel als tatsächliche Frage nach dem Befinden 'mißversteht' und beantwortet.) - "Can I help you?/Kann ich Ihnen helfen?" (= Womit kann ich (Ihnen) dienen? Der Befragte ist nicht hilfsbedürftig, sondern möchte - als Kunde - bedient werden. 'Falscher Freund'.) - "to bring suspects to justice/ Verdächtige zur Gerechtigkeit bringen" (= Straftäter vor Gericht stellen und bestraft sehen; die Bisemie des Idioms wird dadurch kompliziert, daß nach dem auch sonst praktizierten euphemistischen Prinzip des Amerikanischen selbst ein in flagranti ergriffener Straftäter, der dabei einen Polizisten erschießt, bis zu seiner Verurteilung als "suspect"/Verdächtiger bezeichnet wird.) - " to postdate a check/einen Scheck nachdatieren" (= einen Scheck vordatieren; eine gegenüber dem Deutschen radikale Umkehrung der Zeit-Referenz; das Versalien-'T' des Amerikaners versteht sich autonom als zeitliches Zentrum, wie als räumliches Zentrum (s.o.), seines Referenz-Systems) - "like the lowest man on the totem pole/wie den niedrigsten Mann am Totempfahl" (= wie den letzten Deppen, auf dem jeder ungestraft herumhacken kann; angeblich und wahrscheinlich das einzige Idiom des Amerikanischen, das Komponenten aus dem Indianischen des pazifischen Nordwestamerikas enthält; "totem" bedeutet in der Algonkin-Sprache "Verwandtschaft/Schutzgeist"; der Totempfahl zeigt geschnitzte und bemalte Darstellungen des Totemtieres und der diesem Schutzgeist vertikal zugeordneten, also verwandten menschlichen Ahnenreihe; die vertikale Anordnung ergibt sich logisch aus dem benutzten Baum-Symbol und den künstlerischen Darstellungsprinzipien; nach amerikanischer, rein perzeptorischer Simplifikation, den indianischen Totem-Mythos verkennend, trägt jedoch der Unterste dieser Ahnenreihe die Last der über ihm angeordneten Totemsippe; darauf gründet die doppelt negative Semantik des Idioms, in Analogie zum transferierten amerikanischen Hierarchiedenken und seiner "pecking order"/Hackordnung (s.u.: "underdog" und "top dog"); bemerkenswert ist, daß der naturwissenschaftliche deutsche Terminus "Hackordnung", 1922 von Th. Schjelderup-Ebbe geprägt, als soziologische Lehnübersetzung ins Amerikanische übernommen worden ist, weil damit soziale Gegebenheiten der US-Gesellschaft treffend bezeichnet werden konnten.) Als 'unverständlich' fungieren schließlich diejenigen Lehn-Idiome bzw. LehnTextsorten, bei deren ursprünglicher Genesis eine komplexere, d.h. eine metaphorische 'Stil'-Leistung erbracht wurde. Die ursprünglich über die spezifischen Bild-Potenzen des Amerikanischen verschlüsselte und historisch bewahrte Semantik dieser Idiome läßt sich logischerweise nur dechiffrieren, indem man dem kognitiven 'Geist' amerikanischer Idiomatik nachgeht. Folglich sind einige, die kognitiv-mentalen Strukturen dieser amerikanischen Textsorten-Idiome aufschlüsselnde Kommentare angebracht. In diesem Kontext gehe ich auch noch auf zwei Belege meines Textsorten-Paradigmas ein, die dem Deutschsprachigen per Analogie bzw. Kontext in etwa verständlich werden können. Die global aus dem amerikanisch dominierten Medienverbund in alle Einzelsprachen hineinschwappenden Lehnwort-Wellen dokumentieren eine irritierende mentale Obsession der neuen 'Lingua franca' mit den anal-genitalen Lexemen und Idiomen einer, nach Freud,14 infantilen Ontogenesis-Phase. Diese durch non-verbale Kommunikationsformen gleicher Valenz unterstützten Wortschatz-Komponenten sind nicht nur auf die farbigen sozialen Unterschichten der amerikanischen Gesellschaft beschränkt, wo sie eine wahrhaft horrende Frequenz erreichen, sie finden sich auch häufig genug bei allen Mitgliedern der angelsächsischen Academia (daher meine Belege) und - wie etwa Präsident Nixons Watergate-Bänder zeigen - der übrigen amerikanischen 'Oberschicht' des sogenannten "establishment". Zum lehnübertragenen, im Deutschen bereits als Vulgärlexem etablierten "piss off/sich verpissen" genügt die Anmerkung, daß die Übertragung eine ModusVeränderung gebracht hat. Das amerikanische Verbum wird eigentlich nur als agentiver Imperativ, mit Exklusiv-Referenz auf die 2. Person Singular bzw. Plural, benutzt; es ist niemals - wie das deutsche Äquivalent - auch unagentiv-reflexiv beziehbar auf die 1. und die 3. Person. "Aus seinem Herzen eine/keine Mördergrube machen": Diese subsyntaktische Textsorte oder Redewendung basiert auf der metaphorischen lutherischen Lehnschöpfung "Mörder-grube", die im griechischen Original etwa "Räuberhöhle/Höhle der Räuber" lautet,15 so daß Luthers Metapher eine eigentliche, überaus bildhafteindringliche 'Stil'-Leistung darstellt. Denn die Räuberhöhle ist zwar ein verborgener, zugleich auch unwirtlicher und gefährlicher Ort, aber sie besitzt nicht die radikale Verborgenheits- und Geheimnis-Semantik, die der Grube eignet, in der Mörder ihre Opfer aus der Welt schaffen. Luther verwandte seine Metapher in Jeremias 7,11 und in Matthäus 21,13. Sie wäre austauschbar gegen das bereits in der Vulgata (Prediger 21,29) als chiastisches Sprichwort variierte Idiom "das Herz auf der Zunge tragen" (= in ore fatuorum cor illorum, et in corde sapientium os illorum = Im Munde (ist) das Herz jener (der) Schwätzer, und im Herzen (ist) der Mund jener (der) Weisen.), das Luther drastisch übertrug als: "Die Narren haben ihr Herz im Maul, aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen. "Luthers Übertragung der biblischen Sentenz ging die des Hugo von Trimberg um 1300 voraus: "Tren herze 1t im munde, der wsen munt im herzen gründe." Der Redewendung zugrunde liegt die Vorstellung, daß die im Herzen vor- bzw. außersprachlich generierten Empfindungen und Gefühle nicht erst - wie im 'selbstbeherrschten' Normalfall- nach einer Kontrolle und Zensur durch die rationalen Fakultäten des Menschen von der Zunge 'verlautet' werden dürfen, sondern daß die vorsprachlichen Emotional-Schwingungen des Herzens vom Sprachorgan Zunge durch unmittelbaren Herz-Zungen-Kontakt direkt empfangen und impulsiv in Sprache umgesetzt werden. - Die amerikanische Textsorte "to wear one's heart on one's sleeve/sein Herz an seinem Ärmel tragen" verfügt mit ihren der Ich-Hervorhebung dienenden, emphatisch gedoppelten Possessivartikeln über eine pleonastische Semantik-Redundanz. Nach dem 'logos' deutscher Idiomatik würde das Idiom lauten: 14 Vgl. S. Feud, Abriß der Psychoanalyse. Frankfurt/Main und Hamburg 1970, S. 15ff. 15 Zu diesem und dem Folgenden vgl.: L. Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 2. Freiburg/Basel/Wien 1994, S. 704ff. "das Herz am Ärmel tragen". Während das Herz im Deutschen wegen seiner Kontrollfunktion über das Seelen-Element Blut vornehmlich als Sitz seelischer Impulse und emotionaler Potenzen begriffen wird, verfügt das Herz im Amerikanischen zudem über ältere rationale Fakultäten, vor allem der Erinnerung, Einsicht und Organisation, d.h. im Herzen des Amerikaners entstehen nach landläufiger US-Meinung seine Überzeugungen und Meinungen. Auch in Europa wissen wir inzwischen, daß der Amerikaner mit seiner Weltanschauung, seinen Überzeugungen und Meinungen (auch mit den banalsten) nicht hinterm Berge hält, sie vielmehr mit Vorliebe emblematisch und als Piktogramm an Autos, Mützen, Jacken, Hemden, Unterhemden usw. zur Schau stellt, bei den genannten Oberbekleidungen nicht nur an Brust und Rücken, sondern auch an den Ärmeln. Das bedeutet, daß der "sein Herz" - als Emblem und Piktogramm - "an seinem Ärmel tragende" extrovertiert-autonome Amerikaner mit seinen Meinungen und Überzeugungen noch offenherziger umgeht als der Deutsche, der sie auf der Zunge trägt oder in keiner Mördergrube verheimlicht. Die im Idiom "full-fledged cold/voll befiederte Erkältung" enthaltene witzige Metaphorik geht auf die Kolonisationszeit Nordamerikas zurück, als wildes und zahmes Geflügel zu den allgemein genau bekannten, weil hauptsächlichen Proteinlieferanten gehörte. Voll befiedertes Geflügel ist völlig ausgewachsenes Geflügel, mit sämtlichen charakteristischen Federn. Eine ausgewachsene Erkältung zeigt, analog, sämtliche charakteristischen Symptome in vollem Maße. Die 'immutatio' von "full-fledged" ist nicht auf Erkältungen bzw. Krankheiten beschränkt; sie läßt sich auf alle einem Entwicklungsprozeß unterworfenen Konkreta und Abstrakta anwenden. Eine "deadline/Totlinie" war ursprünglich die innerhalb oder außerhalb eines Zuchthauses in den Boden gefurchte Linie, bei deren Überschreiten der Gefangene von den Wächtern erschossen wurde. Im Metaphorischen der Textsorte bedeutet die "deadline" den endgültigen Termin, dessen zeitliche Überschreitung auf das Vorhaben 'tödlich' wirkt, es unwiderruflich beendet. Das moderne Amerikanische hat damit räumliche und zeitliche Sprach-Valenzen willkürlich-autonom vertauscht. Auch die deutsche Idiomatik arbeitet mit einer Nuß-Metaphorik, die 'Nuß' als Kopf-Synonym benutzt. Dabei beruht die 'immutatio' auf den analogen Oberflächenstrukturen von Walnußkern und Menschenhirn (Gehirnwindungen), auf der Analogie von Hohlräumen zwischen Wälnußkern und Walnußschale bzw. zwischen Hirnmasse und Schädeldecke sowie der analogen Aufteilung von Walnußkern und Großhirn/Kleinhirn in zwei Hemisphären. Das Deutsche kennt taube/hohle Nüsse und 'Hohlköpfe', dazu das Idiom "eins auf die Nuß (= Kopf) geben"; man kann auch "aus der Nuß sein", d.h. (vor Zorn) kopflos werden, die Beherrschung verlieren. Kinder erhielten - früher - in der Schule gelegentlich vom Lehrer eine 'Kopfnuß'. Obwohl das Amerikanische ebenfalls "nut" als Synonym für "head" verwendet, wird das US-Idiom erst klar, wenn man eine zweite Bedeutung von "nut" in den Wendungen "You are nuts; to go nuts" ("nuts" stets im Plural) berücksichtigt. Was hier zum Tragen kommt, ist die Polysemie von "nut", die u.a. auch 'Schraubenmutter' mit einem Gewinde beinhaltet, welches überdreht, also 'durchgedreht' werden kann. In der Textsorte "to be nuts about = über/wegen etwas Nüsse/Schraubenmuttern sein" liegt also eine chiastische Metaphern-Semantik vor, die "nut" als '(Hohl)-Kopf' und "nut" als 'überdrehbare Schraubenmutter' zusammenfaßt. Denn "You are nuts/to go nuts" meint: Du bist bzw. du wirst gerade (to go) - wie eine Schraubenmutter - in deinem Kopfe ("in your nut") überdreht, also 'durchgedreht'. Beim 'Durchdrehen' kann die "nut/Nuß/Schraubenmutter" auch ihre Verbindung zum Rumpf verlieren; man reagiert daraufhin 'kopflos' und hat 'eine Schraube bzw. ein paar Schrauben locker'. Für das amerikanische Idiom "to put one's foot into one's mouth/seinen Fuß in seinen Mund legen" gelten die gleichen strukturellen Beobachtungen wie für "to wear one's heart on one's sleeve". Die Doppelwertigkeit des Idioms ("unverblümt die Meinung sagen/geigen und ins Fettnäpfchen treten") basiert auf einer doppelten Signifikation. Einerseits ist es infantil und unkontrolliert, zudem nur im noch irrational definierten frühen Kindesalter physisch möglich, den Fuß in den Mund zu legen, es sei denn, man verfügt über die Fakultäten des indischen Gottes Vishnu.16 Daher befindet sich derjenige temporär im Zustande einer rational unkontrollierten Infantilität, der indikativ-symbolisch "seinen Fuß in den Mund steckt", indem er naiv-unverblümt seine Meinung sagt bzw. 'geigt', ohne auf die Konsequenzen zu achten. Indem er das tut, tut er andererseits und zugleich etwas von den 'elterlichen' bzw. gesellschaftlichen Autoritäten Verbotenes; d.h. "er tritt" - mit seiner unverblümten Äußerung - "ins Fettnäpfchen". Denn ein der Infantilität und Naivität des Kindesalters entwachsener Erwachsener "legt seinen Fuß nicht mehr in den Mund", er tut vielmehr das Normativ-Rationale. Das amerikanische Verbum "to hang" ist überaus polysem und findet sich in einer ganzen Anzahl idiomatischer Wendungen, "to hang out (at a party)/auf einer Feier/Fete aushängen" hat nichts mit der deutschen Grundbedeutung von 'hängen' zu tun, nämlich 'von einem Festpunkt aus schweben oder festgehalten werden bzw. sich in einer genügend fixierten Schräglage/Hanglage befinden', was wiederum - in allen drei Teilaspekten - unagentiv ist. Vielmehr bezieht sich das "hang out" auf die berufliche Praxis der ruhelosen amerikanischen Pionierzeit, seine - mit der Wohnung stets identischen - Geschäftsräume, d.h. seinen eigentlichen Aufenthaltsort, durch ein agentives 'Aushängen' eines Namens- oder Firmenschildes zu bezeichnen. In diesem Sinne bedeutet das noch immer agentive und ursprünglich - als "to hang out my sign/my shingle" - transitive Idiom, nunmehr als elliptisches "to hang out", nichts weiter als '(meist temporär) an einem bestimmten Ort sein'. Was dann als "over/über", als 'Überbleibsel' also, von dem "hang out", dem temporären 'Sein an einem bestimmten Ort' am folgenden Tage noch übrig ist (nämlich ein 'Katarrh' = 'Kater'), wird prosaisch zum "hangover" = 'Übrigseienden', wird zu dem, was dem nunmehrigen Aufenthaltsort als Überbleibsel 'über-hängt'. 16 Merkwürdigerweise zeigen mythische Darstellungen, wie Vishnu kontemplativ auf dem Lotus liegt, mit dem linken Fuß bzw. dem linken großen Zeh im Munde. Vgl.: W. Bauer u.a., Lexikon der Symbole. 13. Aufl. Wiesbaden 1992, S. 60 und 71. Ebenfalls aus der Pionierzeit des Wilden Westens stammt das Idiom "to hit the hay/das Heu treffen, schlagen". Die Annahme, es habe sich dabei um eine mit Heu ausgestopfte Matratze oder um eine mit Heu gefüllte Bettstatt gehandelt, auf die der Cowboy mit Elan fiel, wäre freilich falsch. Vielmehr schaffte es der Spätheimkehrer eben nicht mehr vom "saloon" bis zum heimischen "hang out", sondern er 'traf' unterwegs den erstbesten Heuhaufen, um dort sein 'Überbleibsel-hangover' loszuwerden. Amerika ist das Land alluvialer Regengüsse, besonders während der Regenzeit in den Südstaaten. Dabei fiel früher öfter einmal der Zulieferverkehr der Geschäfte ins Wasser, so daß den Kunden auch heute noch für vorübergehend ausverkaufte Sonderangebote ein apologetischer Gutschein als kausative Leer-Metapher "rain-check/ Regenscheck" übergeben wird. Zu den willkürlich 'angeordneten', empirisch-funktionalen Leer-Metaphern des Amerikanischen gehört auch der "athlete's foot/Athletenfuß" als Bezeichnung eines allgemein bekannten, weil von allen amerikanischen Sportlern in Duschräumen und Kunststoffschuhen kultivierten Fußpilzes, für dessen Behandlung es überall zahlreiche, meist unwirksame Medikamente zu kaufen gibt. Die metaphorische 'immutatio' der Textsorte "party whip/Parteipeitsche", wodurch dem seine Abgeordneten mit eiserner Disziplin kontrollierenden Fraktionsvorsitzenden eine für Europa undenkbare Form der Autorität zugesprochen wird, illustriert die im Grunde sub facie weniger demokratischen als hierarchischen Strukturen der amerikanischen Wirtschaft und Politik. Auch im deutschen Idiom "das Kreuz über etwas schlagen" steckt eine magisch-segnende Valenz, die dem Unheil gegenüber sowohl präventiv als auch - nach abgewendetem Unheil - gratial sein kann. Wenn der Amerikaner "sein Herz bekreuzt/crosses his heart", dann handelt es sich dabei wiederum um eine durch den Possessivartikel und die Semantik des Idioms etablierte Ich-Referenz. Denn während das "Über" der deutschen Textsorte eine abstrahierende Distanz zum Gesegneten beinhaltet, der Segen selbst vom Ich aus gegen ein virtuelles oder gegen die Nachwirkungen eines gerade erst überstandenen Unheils gerichtet ist, bezieht sich der idiomatische Kreuz-Segen des Amerikaners agentiv und ichbezogen auf sein Herz ('Er bekreuzt sein Herz.'), d.h. auf das sowohl rationale (s.o.: "das Herz am Ärmel tragen") als auch emotionale Zentrum seines Ich. Der Segen ist also nicht gegen ein von außen kommendes Unheil gerichtet, sondern gegen eine potentiell von innen, aus dem eigenen Herzens-Ich kommende Schwäche, einen einmal rational gefaßten Entschluß emotional nicht durchhalten zu können. Wie kommt die "Noppe" zum "Nickerchen/nap"? Das amerikanisch-englische "nap" - entstanden aus mittelenglisch "noppe", altenglisch "(wull)hnoppa" - ist mit dem deutschen "Noppe" etymologisch-semantisch verbunden. Denn beide Lexeme bedeuteten und bedeuten: 'eine in Garn oder Gewebe als Knoten, Flocke oder Schlinge hervortretende weiche Oberflächenstruktur'. Folglich ist ein mit zahlreichen Noppen versehenes weiches Gewebe dem Amerikaner dafür prädestiniert, als Bettungsunter- läge zu dienen für ein Schläfchen während des Tages. Und zwar bezeichnet der schläfrige Amerikaner besagtes Gewebe doppelt metonymisch, d.h. impliziert ist eine zweimalige 'pars-pro-toto'-Reduktion, die das Noppen-Gewebe erstens reduziert zum Plural "Noppen/naps" und zweitens reduziert zum Singular "Noppe/nap". Damit nicht genug. Die "Noppe/nap" des Amerikaners wird weiterhin zum agentiv 'genommenen' Reduktions-Symbol, zum referentiellen Analogon für den 'leichten Mittagsschlaf'. Der Amerikaner "takes a nap", 'er nimmt eine Noppe', während der Deutsche deskriptiv-metaphorisch 'ein Nickerchen macht', das ihm - wie die Diminutivform anzeigt - lieb und wert ist. Mit dem Hinweis auf die Funktion des Verbums "to take" in dieser Redewendung wird eine auffällige Eigenart zahlreicher amerikanischer Textsorten-Idiome berührt, nämlich eine bevorzugte Verwendung des agentiven "to take", was im Deutschen gelegentlich einem 'machen' entspricht. Ich zitiere ein paar selektive Beispiele, verweise dabei außerdem auf meinen obigen Rätsel-Text und auf Text I: "to take a ride to the mountains "/einen Ausflug in die Berge machen; "to take it easy"/es sich bequem machen; "Don't take it seriously! "/Mache dir nichts daraus!; "to take pains "/sich große Mühe machen/geben; "to take stock "/Inventur machen; "to take a picture"/ein Photo machen; "to take the blame for'Vverantwortlich gemacht werden für; "He was taken with her good looks."/Ihr gutes Aussehen/ihre Schönheit machte ihn verliebt. - Das Amerikanische verfügt über eine überraschend große Frequenz von Textsorten mit "to take". Wie der vorstehende Rätsel-Text zeigt, kann man eigentlich alles 'nehmen'. Das läßt sich so interpretieren, daß das Ich des Amerikaners es offenbar bevorzugt, zu nehmen oder genommen zu werden. Mein amerikanischer Gewährsmann kommentierte, obwohl die deutsche Wiedergabe von "to take" durch 'machen' in der Minderheit ist: "Germans make, Amerikans take - the ultimate consumers." (Deutsche machen, Amerikaner nehmen - (als) die perfekten Konsumenten.) Für mich zeigt sich in den amerikanischen "to take"-Textsorten eine starke possessive Subjektivation, der im Deutschen eine transitive Objektivation gegenübersteht. Eine Subjektivation sehe ich auch in der Referenz-Umkehrung (wie bei Manheims "chicken's leg") des amerikanischen Idioms "to sleep in/einschlafen" gegenüber dem deutschen "sich ausschlafen". Das amerikanische Ich schläft agentiv in den vor ihm liegenden Zeitabschnitt des Tages hinein, ähnlich wie im deutschen Phraseologismus "in den Tag hineinschlafen". Allerdings ist diese deutsche Wendung akausal determiniert, während beim amerikanischen Idiom ein Kausalzusammenhang impliziert ist, in unserem Fall der des "hangover/Kater". Das deutsche "Ich schlafe mich aus." ist gegenüber dem agentiven "I sleep in." unagentiv. Es ist nicht - wie im Amerikanischen - das Ich, das hier 'aus-schläft', sondern das Patienssubjekt "mich", das wiederum determiniert ist durch den dahinterstehenden Kausalzusammenhang einer - wie immer begründeten - Müdigkeit. Mit anderen Worten: Der Deutsche schläft seine im "sich" des Idioms denotierte 'persona' aus einer sprachlich als abstraktes Konzept vorgestellten Müdigkeit hinaus. Zu einer semantisch ähnlichen Differenzierung führt die idiomatische Antithetik von "lucky dog/glücklicher Hund" und "Glückspilz". Über die differenziertere amerikanische Semantik von "luck" als "good luck" und "bad luck" habe ich bereits oben gesprochen. Gemeinsam ist dem Amerikanischen und dem Deutschen, daß sowohl "dog/Hund" als auch "Pilz" metaphorische Identifikationen des menschlichen Ich als symbolträchtige Allegorien sind. Doch fehlt dem amerikanischen Idiom wiederum die eigentlich konstitutive 'immutatio', das referentielle Analogon also. Es ist damit eine dem 'logos' der Sprache-an-Sich widersprechende willkürliche Leer-Allegorie. Denn weder ist das "luck/Glück" ein Hund bzw. hündisch noch ist ein "dog/Hund" glücklich bzw. eine Glücksallegorie. Das belegen die amerikanischen und deutschen Textsorten: "to go to the dogs" (vor die Hunde gehen, auf den Hund kommen) - "to lead a dog's life" (wie ein Hund leben/ein Hundeleben führen). Zur negativen Hunde-Symbolik gehören ferner: "dog-eat-dog" (Hund frißt Hund; jeder ist des anderen Wolf; außerdem: Zwei Hunde an einem Bein kommen selten überein.); "a dog in the manger" (ein Hund in der (Heu-)Krippe = etwas (das 'Heu') aus Neid keinem anderen gönnen, obwohl man selbst damit nichts anfangen kann); "to put on the dog" (den Hund anziehen = jemanden betrügen und täuschen; den Wolf im Schafspelz spielen); "a dogsbody" (ein 'Hundekörper' = jemand derein Aschenputtel-Dasein führt, alles tun muß, was den anderen zuwider ist); jemandem einen Hund antun = jemanden zu Tode beleidigen, entehren, indem er nach mittelalterlicher Rechtspraxis einen Hund öffentlich herumtragen mußte bzw. zusammen mit einem Hund gehängt wurde; außerdem ist an die Hunde-Schimpfwörter vieler Sprachen zu denken, deutsch etwa: Schweinehund, blöder Hund, falscher Hund, hundsgemeiner Kerl, Hundsfott. Der "glückliche Hund" des Amerikanischen ist demnach das agentive Ich in der Meute der übrigen 'Hunde' - man denke dabei an den "underdog/Unterhund" (den Benachteiligten, Unterlegenen)sowie den "top dog/Spitzenhund" (den Leithund, der alle anderen Hunde kontrolliert und beherrscht) der US-Soziologie - dem ein akzidentiell-transitorischer 'Zu-Fall' (im Sinne des Boethius oder des Angelus Silesius, als 'Eutychia') eine temporäre 'hündische', und das kann nur bedeuten, eine materiellsinnliche 'Be-vor-zugung' zugespielt hat, einen symbolischen 'Fleischknochen' also, der hier als positives "good luck" begriffen wird. Das ist eine durchaus pragmatischempirische, zugleich indikative Allegorisierung des amerikanischen Ich. Das deutsche Textsorten-Idiom "Glückspilz" dagegen wird zum metaphorisch-allegorischen Symbol, indem der Begriff des 'Glücks' - und zwar als zuständliche 'Eudaimonia' - aus dem sprachlichen Sinnbezirk der Philosophie auf den botanischen Begriff 'Pilz' aus dem sprachlichen Sinnbezirk der Biologie übertragen wird. Das referentiell exakte und potente metaphorische Symbol "Glückspilz" ist somit zugleich Allegorie einer positiv-permanenten, kreativ-geistigen Potenz, die sich im Verbum "glücken" manifestiert. Denn der Allegorie-'persona' "Glückspilz" 'glückt' alles, worum sie sich aktiv-kreativ bemüht; der "glückliche Hund" dagegen muß passiv auf den nächsten 'Zu-Fall' der Fortuna des Boethius warten. Das bedeutet, daß sich das deutschsprachige Ich über seine Allegorese "Glückspilz" mit einer geistigen Abstraktion identifiziert, in der dem Philosophem 'Eudaimonia' das magisch-volkskundliche Seelen- und 'ordo'-Symbol 'Pilz' zugeordnet ist. Die ausschließlich als Pluraletantum "guts" benutzte Komponente des amerikanischen Idioms "to have the guts/die Eingeweide haben" ist ein ursprünglich nur in der Vulgärsprache der englischen Gosse beheimatetes Lexem, dessen Grundbedeutung 'Bauch, Unterleib, Eingeweide' im gleichen Sprachmilieu zunächst bedeutungsverengt wurde zu: 'alle wichtigen Teile, im besonderen Herz, Leber, Magen der Eingeweide', schließlich als anthropozentrische Metapher benutzt wurde für die diesen Organen zugeschriebenen Empfindungen 'Mut, Tapferkeit, Charakterstärke, Widerstandskraft, Energie'. Jemand, der "lily-livered" war, eine 'Lilien-Leber besaß', verfügte über keine - so die phraseologsiche Umschreibung der Gebildeten für "guts" -"intestinal fortitude/Seelenstärke der Eingeweide". Während der Pionierzeit der Neuen Welt kam als idomatisch-semantische Anreicherung hinzu, daß man für ein gesundes Fortkommen und Überleben im amerikanischen Westen tatsächlich ein unempfindliches und widerstandsfähiges Verdauungssystem ("guts") brauchte sowie eine durch die wesentlichsten Organ-Komponenten dieser "guts" etablierte ausdauernd-kräftige Konstitution. Dieser Aspekt scheint mir jedenfalls die Popularität des Idioms im Vokabular der amerikanischen Westküsten-Intelligenzija zu erklären. Auf analoge Semantik-Strukturen verweisen deutsche Idiome, die sämtlich auf medizinischen Anschauungen der Antike und des Mittelalters zurückgehen, nämlich: "frei von der Leber weg sprechen; etwas frißt ihm an der Leber; ihm ist eine Laus über die Leber gelaufen; er hat nicht das Herz dazu; sich zu Herzen nehmen; etwas auf dem Herzen haben; sein Herz ist ihm in die Hose/Stiefel gerutscht; er kann das nicht verdauen; es liegt ihm schwer im Magen; dazu gehört ein guter Magen". Zu welchem Extrem sich die amerikanische ichbezogene Symbol-Metaphorik versteigen kann, zeigt die Wendung "to hate someone's guts" (jemandes Eingeweide hassen) in der Bedeutung: 'das ganze Wesen des betreffenden Menschen verabscheuen'. - In diesem Kontext sei auch nochmals auf die schon oben berührte semasiologische Ichbezogenheit amerikanischer Höflichkeits-Textsorten hingewiesen und einiges ergänzt. Wo der Deutsche unagentiv und indirekt, unter Zurücknahme seiner 'persona' sagt: "Es tut mir leid! Entschuldigen Sie bitte (was ich eben getan habe)! Ich freue mich schon jetzt auf unser Wiedersehen!", setzt der Amerikaner: "Ich bin besorgt! (I am sorry!) -Entschuldigen Sie michl (Excuse/Pardon me!) - Ich bin vorwärtssehend auf (das) D/c/i-Sehen! (I am looking forward to seeing you!)" Ich habe bereits in Parenthesis auf die starke Frequenz anal-genitaler Textsorten im Amerikanischen hingewiesen und auf die relative Häufigkeit von Leer-Metaphern ohne 'immutatio', ohne referentielles Analogon, bei denen sich das autoritäre Ich über den 'logos' der Sprache-an-Sich hinwegsetzt, indem es willkürlich 'ver-fügt' und 'an-ordnet'. Um idiomatisch-bildhaft auszudrücken, daß die progressiv aufgestauten heimlichen Spannungen zwischen zwei Individuen plötzlich in den vor allem verbalen Reaktionen des einen zum Ausbruch kommen können, hat das Amerikanische jedoch merkwürdigerweise eine syntaktische Vulgär-Metapher kreiert, die mit einer ausnahmsweise präzisen agentiv-anthropozentrischen Zweifach-'immutatio' arbeitet, nämlich das Idiom "the shit hits the fan/die Exkremente treffen den Ventilator". Etymologsich gehören althochdeutsch "sczan" und altenglich "sctan" zur gleichen indogermanischen Wurzel "*skei-" mit der Bedeutung 'scheiden, absondern'; eine gleiche Begriffsbildung gilt für das lateinische "excernere, excrevi, excretum" = 'ausscheiden, aussondern' und die Substantivierung "excrementum" = 'Ausscheidung'. 'Aus-scheidungen' ereignen sich kausal. Sie beruhen auf einem agentiv vom Ausscheidenden erzeugten Druck bzw. einer kausativen Spannung. Der plötzliche verbale Ausbruch einer seit langem akkumulierten mentalen Spannung zwischen zwei Opponenten beruht auf einem durch ständige verbale Reibereien erzeugten inneren Druck, der akustisch durch Atemstrom und Artikulationsdruck freigesetzt, 'ab-gesondert' wird. Hierin realisiert sich das erste referentielle Analogon, die erste 'immutatio' der amerikanischen Metapher. Die zweite objektiviert sich darin, daß sowohl der erregt-'durchgedrehte', seinen Ärger artikulierende Mensch als auch der 'durchdrehende' Ventilator des Idioms das von ihnen jeweils mit Hilfe eines Luftstromes Ausgedrückte bzw. Verteilte unstrukturiert 'ab-sondert'. In beiden Fällen entstehen akustische Turbulenzen. Die dagegen unagentiv zuordnende und mit anderen Referenz-Strukturen arbeitende deutsche Idiomatik verwendet für den gleichen Sachverhalt folgende Textsorten: "Mir platzt der Kragen. - Das Maß ist voll. - Mir reißt der Geduldsfaden. - Das schlägt dem Faß den Boden aus, bringt es zum Überlaufen. -Mit der Geduld am Ende sein." Gibt es für die von mir vorgeführten und diskutierten idiomatischen Phänomene des amerikanischen Englisch eine Exegesis? Ich offeriere abschließend folgende, empirisch begründete und oben belegte, Thesis: Das Ich, als Humboldtsche 'energeia' des personalen Verhaltens, dominiert beim amerikanischen Englischsprachigen als essentiell-geistiger Zustand einer betonten Ichbewußtheit die sprachliche Hervorbringung. Dem amerikanischen Englischsprachigen ist sein Majuskel-"I" - ganz im Sinne des deutschen Idealismus, besonders im Sinne von Johann Gottlieb Fichte - die zentrale Instanz autoritärer sprachlicher Erfassung und Benennung, autoritärer sprachlicher 'Ver-Fügung' und 'An-Ordnung', von materiellen und immateriellen Gegebenheiten der menschlichen Existenz, wobei sich dieses "I" oft mit einer extrovertiert-denotativen sprachlichen Perzeption begnügt. Das heißt, erst durch die mittels der Sprache vollzogene Referenz vom autoritärgenerativen Ich her erhalten diese Dinge oder Gegebenheiten oder Wirklichkeiten einen dem Ich spezifischen und in ihm agentiv verankerten und verwirklichten Sinn. Anders ausgedrückt: Für den amerikanischen Englischsprachigen ist sein Ich cartesianisch definiert als der solipsistisch-unabdingbare, stets agentiv-generative Ausgangspunkt aller als Daseinsdeutung und Daseinsbewältigung zu verwirklichenden SprachReferenzen. Für den Deutschsprachigen dagegen sind Wirklichkeiten, Gegebenheiten und Dinge menschlicher Existenz der 'persona' des Individuums17 durch 17 "persona" ist im Sinne des Anicius Boethius zu verstehen, der definierte: "Persona est naturae 150 introvertiert-kognitive Abstraktionsmodelle gegenübergestellte Bezugsgrößen, d.h. sie sind Ausgangspunkte, Koordinaten und Ich-Determinanten eines oft unagentiven sprachlichen Apperzeptions-, Ordnungs- und Zuordnungsgefüges, in dem die Vektoren der sprachlichen Bezugsreferenzen dem Amerikanischen gegeüber geradezu reversiv verlaufen oder zumindest verlaufen können. Die Textsorten-Idiomatik jeder Nationalsprache ist ein in ihrem 'offenen System' ständig expandierendes historisches Kontinuum, wenn sie nicht veröden soll. Diese kontinuierliche idiomatische Expansion und Regeneration, die auch in der interkulturellen Kommunikation stattfindet, muß freilich nach den historisch gewachsenen und etablierten, ganz eigenen inneren Parametern jeder Nationalsprache, d.h. in dem spezifischen 'geschlossenen System' ihrer Textsorten-Idiomatik geschehen, wie mein Idiomatik-Vergleich gezeigt hat. Eine perzeptorisch-geistig nicht assimilierte und idiomatisch nicht transformierte Transferenz aus einem fremden, vor allem referentiell anders gewachsenen und strukturierten Sprachsystem bedeutet eine Bedrohung und Zerstörung der eigensprachlichen kognitiven Kohärenzen. Wie das in der gegenwärtigen Praxis des Globalkommerzes aussieht, belegt ein eklatantes Text-Beispiel der deutschen Modemacherin Jil Sanders, in dem sich eine forcierte sprachliche Kolonisation durch amerikanisches Textsorten-Englisch so demonstriert, daß amerikanische Lehnwörter als unbegriffene Pseudo-'Metaphern' dümmlich in einer deutschen Syntax posieren und eine kommunikative Null-Leistung vollbringen18: "Ich habe vielleicht etwas Weltverbesserndes. Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-Denken haben muß. Meine Idee war, die hand-tailored Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sanders. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils."19 Zusammenfassung: Mein Beitrag beruht auf dem empirischen Axiom, daß sich sowohl das amerikanische Englisch als auch das Deutsche bei der sprachlichen Verwirklichung ihrer Textsorten-Idiome eines Perzeptions- und Apperzeptionssystems sui generis sowie spezifisch-eigenartiger Referenz-Strukturen bedienen, die in der Idiomatik rationalis individua substantia." ('persona' ist die individuelle Substanz einer vernunftbegabten Natur.) 18 Wie lächerlich diese angloamerikanische Kraftmeierei auf native Sprachbenutzer wirkt, hat der amerikanische Fernsehstar David Letterman deutlich verbalisiert in: "Zeit"-magazin Nr. 10 vom 28.2.1997, S. 12. 19 Zitiert ist der Text nach: "Der Spiegel" 14 (1996), S. 270. beider Sprachen angelegt und fixiert sind. Folglich ergeben sich, akzentuiert im idiomatischen Textsorten-Bereich, semasiologische Kommunikationsprobleme, die ich anhand eines mit authentischen amerikanischen Lehnübersetzungen deutscher Idiome ausgestatteten narrativen Paradigmas exemplarisch-empirisch belege und interpretiere. Ziel meiner Untersuchung war, das Wie und Warum amerikanisch-deutscher idiomatischer Sprach-Divergenzen zu beleuchten und zu beantworten. Mein schließliches Resultat - verkürzt referiert - lautet: Die Ich-'energeia' des amerikanischen Englischsprachigen ist, im Sinne von Descartes und Fichte, die zentrale Instanz einer ich-referentiellen, agentiv-generativen, solipsistisch-autoritären sprachlichen Erfassung und 'An-Ordnung' bzw. 'Ver-Fügung' menschlichen Seins, während sich die nach Boethius definierte deutsche 'persona' für ihr unagentives sprachliches Apperzeptions-, Ordnungs- und ZuOrdnungsgefüge kognitiver Abstraktionsmodelle bedient. Povzetek "HINKELBEINCHEN" IN "LITTLE CHICKEN'S LEG": NEMŠKI IN ANGLEŠKI FRAZEOLOGEMI KOT PROBLEMATIKA BESEDILOZVRSTNEGA SPORAZUMEVANJA Moj članek sloni na empiričnem aksiomu, da se tako ameriška angleščina kot tudi nemščina pri jezikovnem uresničenju svojih besedilnovrstnih idiomov poslužujeta posebnega percepcijskega in aperzepcijskega sistema kot tudi specifično-nenavadnih referenčnih struktur, ki temeljijo v idiomatiki obeh jezikov. Iz tega sledijo, predvsem v idiomatičnem besedilnovrstnem področju, semaziološki komunikacijski problemi, ki jih dokazujem in interpretiram eksemplarično in emprično s pomočjo narativne paradigme, opremljene z avtentičnim ameriškim prevodnim kalkom nemških frazemov. Cilj moje raziskave je bil pojasniti vprašanje, kako in zakaj prihaja do ameriško-nemških frazeoloških jezikovnih divergenc. Končni rezultat - na kratko - je: jaz-'energeia' ameriških angleško govorečih je, v smislu Descartesa in Fichteja, centralna instanca na "jaz" nanašajočega se, agentivno-generativnega, solisistično-avtoritarnega jezikovnega pojmovanja in razporeditve oz. razpolaganja človeške biti, medtem ko se po Beothiusu opredeljena nemška 'persona' za svoje neagentivno jezikovno apercepcijsko, ureditveno in določevalno zgradbo poslužuje abstrakcijskih modelov. Mirko Križman Universität Maribor UDK 82.08-84=112.2=163.6=124:8142 SPRÜCHE, SENTENZEN, ZITATE ALS KURZFORMEN ODER "EINFACHE FORMEN" DER TEXTSORTEN IN INTERKULTURELLER SICHT Einleitung Eine systematische sprachliche Behandlung der Sprichwörter in bezug auf die verschiedenen Sprachen und auf die sprachliche Varianz nur einer Sprache wäre eine umfangreiche Arbeit. Man kann aber doch in einem Beitrag, wo zwei oder drei Sprachen in Betracht gezogen werden, zuerst einige allgemeine Feststellungen erwähnen, womit die Varianz, die in den Bereich der Sprachwissenschaft gehört, einigermaßen prinzipiell zu lösen wäre und etliche Details der Stilistik (auch im ästhetischen Sinn) gezeigt werden können. 1. Die logische Grammatik, die man beherrschen muß, und die unterschiedlichen Akzeptabilitätsbedingungen, welche in bezug auf eine Gesamtsprache und -wenn notwendig - auch auf eine Sprachvariante (eines Diasystems) vorkommen, sind für das Verstehen der Sprüche, für die Konnotation ausschlaggebend. Aber das darf nicht auf die Wahl einer Subgrammatik wirken bzw. die Sprecher-Hörer-Relation beschränken, sondern alles soll sich im Prinzip auf alle Regeln - die Einsetzungsregeln der Lexikoneinheiten mit eingerechnet - beziehen, daß man sieht, wie deren Verwendung unterschiedlichen Akzeptabilitätsbedingungen unterliegt. 2. Die pragmatischen Zeit- und Ortsbestimmungen werden aus dem pragmatischen Bereich in die Allgemeingültigkeit übertragen: Heute rot, morgen tot. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus. 3. Die konnotativen Komponenten gehören zum Beschreiben dieses Typs, dieser Textsorte. Die Einführung der konnotativen Komponenten führt zum grammatischen und metagrammatischen Vergleich der verschiedenen Sprachen. Das kann für die Lexikologie als auch für die Textinterpretation und für die Stilistik von Bedeutung sein. Wir stellen die verschiedenen Subgrammatiken auf, deren obligatorische Regeln und allgemein verwendete Vokabeln mit der entsprechenden Leitkonnotation zusammenhängen, die fakultativen darüber hinaus mit den konnotativen Komponenten. 4. Man muß wissen, in welchen Grammatiken und Subgrammatiken gewisse Regeln vorkommen können. 5. Die im syntaktischen Bereich auftretenden Transformationen sind immer mit dem phonologischen Material verbunden. Die Veränderungen der Lautgestalt, die rhetorische Erscheinungen sind, beweisen, daß es sich beim Spruch um rhetorische Absichten handelt. 6. Reduktionen oder Ellipsen finden wir in den Sprüchen oft: Morgenstund' hat Gold im Mund Fleiß'ge Hand, gutes Land. Wie gewonnen, so zerronnen. 7. Es geht bei den Sprüchen nicht um die Formulierung einer neuen Grammatik, sondern um die Bereicherung des gewählten Sprachsystems, oft durch neue Ausdrucksmöglichkeiten, die in diesem System prinzipiell möglich sind, wenngleich sie bei seiner normalen Verwendung de facto nicht oder nur sehr selten benutzt werden. Viele von den Sprüchen können als rhetorisch bezeichnet werden; sie müssen auch so expliziert werden. Die Regeln der Kompetenz können nicht den grammatischen Regeln gleichgesetzt werden. Es handelt sich bei den Kurzformen trotzdem nicht nur um Sprechsorten, sondern auch um Textsorten, die aber auch autorenspezifisch sind. Deswegen handelt es sich auch um die Stilistik. Die spezifischen rhetorischen Erweiterungen des grammatischen Systems sind mit der spezifischen Kompetenz verbunden. Die rhetorischen Regeln müssen sich aber mit den grammatischen doch im Einklang befinden und die grundlegenden Gesetze des grammatischen Systems befolgen. Die Anwendungen verschiedener rhetorischer Regeln sind meist keine Verstöße gegen grammatische Regeln, sondern es sind neuartige Formulierungen, die auf Grund der Sprachkompetenz interpretierbar und im Prinzip möglich sind.1 Es ist nicht immer der Fall, daß den auf denselben sprachlichen Merkmalen beruhenden Relationen jeweils der gleiche poetische Wert zugeschrieben wird.2 Ein zum populärsten Spruch gewordener Grundgedanke und seine kontextuellen Abwandlungen Schauen wir uns einen Spruch an, der auch als Sentenz und Zitat betrachtet werden kann und der in drei Sprachen verschiedene Formen des Stils im breiteren Sinn 1 Zoltän Капуб: Sprichwörter - Analyse einer einfachen Form. Ein Beitrag zur generativen Poetik. Budapest. Akademiai Kiado 1981, S. 214. 2 Ebenda, S. 216. aufweist. Es gibt in den drei Sprachen jeweils verschiedene Wortkategorien, verschiedene grammatische Erscheinungen in den morphophonologischen sowie in den syntaktischen Strukturen, und somit gibt es auch in Details verschiedene Konnotationen. So entstehen auch unterschiedliche oder modifizierte soziokulturelle Beziehungen zur semantischen Struktur des Originals, das den jeweiligen Angehörigen der beiden anderen Sprachgemeinschaften vielleicht überhaupt nicht bekannt ist (bekannt sein kann oder zu sein braucht). Hesiod schrieb einen kurzen Text, der aus drei Aussagen besteht, von denen jede als ein selbständiger Spruch oder eine selbständige Sentenz, als eine sog. einfache Textsorte aufgefaßt werden kann und auch für sich selbst stehen könnte. So lautet der kurze Text in deutscher Übersetzung: Morgenfrühe gewährt immer ein Drittel vom Tagwerk; / Morgenfrühe verkürzt den Weg, macht kürzer die Arbeit. -Hesiod, Werke und Tage, 578.3 Der lateinische Spruch Aurora Musis arnica wird sehr häufig verwendet. In einigen deutschen Zitatensammlungen, Lexiken, Wörterbüchern, Sprichwörtersammlungen usw. wird der lateinische Spruch unterschiedlich übersetzt, z.B. Die Morgenstunde ist den Musen günstig. Mit der Anführung des lateinischen Sprichwortes Aurora Musis amica in der Klammer.4 Man findet für den Spruch Aurora Musis amica auch diese Variante der Übersetzung: Die Morgenröte ist den Musen hold. Es ist interessant, daß es dabei noch einen neuen Hinweis gibt: "Entsprechend dem deutschen Morgenstund' hat Gold im Mund." Bezeichnet ist auch die Ellipse.5 Im Grimmschen Wörterbuch wird zuerst das deutsche Sprichwort morgenstund hat gold im mund angeführt, dann kommt die lateinische Form Aurora musis amica. Für den lateinischen Spruch wird als Quelle Pistorius thes. par. 6,6 genannt.6 Interessant ist eine etwas willkürliche Erklärung des "Inhaltes", eigentlich eine soziokulturelle Deutung, die nur für den deutschen Sprachraum gelten könnte. So heißt es für den oben genannten deutschen Spruch: "Sprichwort; gemeint ist hier Mund im Sinn von Mündel, Schutz"1 Wir kennen wirklich beim Wort Mund, geschrieben Munt, die Bedeutung Schutz, Fürsorge (auch heute ist in Zusammensetzungen und Ableitungen diese Bedeutung zu erkennen - Vormund, mündig)', das Wort Mündel ist geblieben. 3 In: Karl Peltzer: Das treffende Zitat. Gedankengut aus drei Jahrtausenden. 4. erweiterte Ausgabe. Ott Verlag Thun und München 1957, S. 473. 4 Ebenda, S. 474. 5 Meyers Konversations-Lexikon. Fünfte Auflage. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut 1893. Zweiter Band, S. 187. 6 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. München. D TV 1991. Band 12, S. 2586. 7 Elke Gerr: 4000 Sprichwörter und Zitate. München. Humboldt Taschenbuchverlag Jacobi KG 1989, S. 144. Daß aber im lateinischen Spruch dieser Sinn enthalten ist, kann man bezweifeln. Vielleicht könnte man sagen, daß die Aussage alles einschließt, was den Geist und die Moral betrifft, und deswegen auch die oben angeführte Deutung der deutschen Variante möglich wäre. Wolfgang Mieder führt in seinem Buch "Morgenstunde hat Gold im Munde" (es wird im ganzen Buch mit 150 Seiten nur dieser Spruch behandelt)8 Richard Jente an, der behauptete, daß "keinerlei Beweise dafür vorlägen, daß das Sprichwort sich von einem etymologischen Schulmeisterwitz ableiten ließe."9 Mieder erwähnt weiter Jente, der doch glaubt, das deutsche Sprichwort sei aus dem lateinischen Sprichwort aurora musis amica abgeleitet.10 Natürlich gab es im Deutschen (so wie auch in vielen anderen Sprachen) Abweichungen, verschiedene eigenwillige Formulierungen, oft Parodien, die manchmal in den Bereich des Vulgären gerieten. Jente entdeckte auch einen frühen Beleg des lateinischen Sprichwortes aurora amica musis in Hermanni Germbergs Sprichwörtersammlung aus dem Jahre 1576.11 Den frühesten Beleg für das lateinische Sprichwort in der Form aurora musis amica fand jedoch Archer Taylor in einem Brief des Erasmus von Rotterdam aus dem Jahre 1497 an Christian Northaft in Lübeck, gedruckt zum ersten Mal in seinen Colloquies 1518.12 Das deutsche Sprichwort ist nach Friedrich Seiler13 zum ersten Mal in Michael Neanders Sprichwörtersammlung des Jahres 1585 zu finden. Auch Mieder stimmt Seiler zu und stellt fest, daß "sich nach etwa 100 Jahren die Version von 1585 (Die) Morgenstunde hat (das) Gold in Munde durchsetzen konnte. Dabei führt er wieder Jente an, der behauptet, daß das Wort "Mund(e)" um des Reimes willen mit Morgenstund(e) in Verbindung gebracht wurde, auch wenn dies 'sinnwidrig' erscheinen muß ,.."14 Man wollte das Syntagma Gold im Munde manchmal mit dem alten Brauch deuten, daß werte Geld- und Schmuckstücke bei einigen Volkern oft im Munde versteckt wurden. Es handelt sich jedenfalls um ein Sprichwort, dessen Beliebtheit von Jahrhundert zu Jahrhundert wuchs. Es wurde auch sehr oft von den Schriftstellern verwendet. Im 19. Jahrhundert ist es besonders in vielerlei erzieherischen Texten zu finden. 8 Wolfgang Mieder: "Morgenstunde hat Gold im Munde". Studien und Belege zum populärsten deutschen Sprichwort. Wien. Verlag Edition Praesens 1997. 9 Richard Jente: Morgenstunde hat Gold im Munde. In: Publications of the Modern Language Associations, XXXXII (1927), S. 865 - 872. 10 Siehe 8, S. 14. 11 Siehe 8, S. 14. 12 Archer Taylor, The Proverb; Cambridge/Mass. 1931, S. 48 - 49. Angeführt bei Mieder, S. 15. 13 Friedrich Seiler: Das deutsche Sprichwort. Straßburg 1918, S. 9 - 10. 14 Siehe 8, S. 14. Bei den Schriftstellen gab es bis in die allerjüngste Zeit oft Umformulierungen, Andeutungen oder direkte Zitate in neuen Zusammenhängen, angepaßt dem literarischen Werk. Auch die heutige Werbesprache macht von diesem Sprichwort immer wieder Gebrauch, oft mit Umdeutungen. Der lateinische Spruch wird mit den Musen verbunden. Das waren bei den Griechen die Schutzgöttinnen des geistigen Lebens, besonders der Künste. Sie wurden als Schwestern im Gefolge des Apollon vorgestellt. Ursprünglich waren es drei, später neun, für die damals bekanntesten Künste: epische Dichtung (Kalliopetragische Dichtung (Melpomene); komische Dichtung (Thalia)-, Lyrik (Euterpe)-, Chorlyrik und Tanz (Terpsichore)-, Liebesdichtung (Erato); Hymnendichtung (Polyhymnia); Geschichtsschreibung (Klio); Sternkunde (Urania). Es handelte sich also beim Spruch vorwiegend um die geistige Arbeit. Die Eingebung, das geistige Schaffen war im Mittelmeerraum noch viel stärker an die Kühle der Morgenzeit gebunden. Aurora war ja auch die Göttin des Morgenrotes. Aber es ist gewiß nicht nur die Kühle, die auf die Erfrischung des Geistes wirkt, sondern auch die Schönheit des Morgens, die dabei einen Einfluß ausübt. Beides ist aber auch für eine physische Tätigkeit günstig, mag es sich um ein Wändern (damals ging man ja weite Strecken zu Fuß) oder um eine physische Arbeit im Gewerbe und auf dem Feld handeln. Aus dem Mittelmeerraum stammt ja auch der Begriff Siesta (spanisch Mittagsruhe), da man in den heißen Mittagsstunden nicht arbeiten kann. Das Wort Siesta ist aus dem lateinischen (hora) sexta = "die sechste Stunde des Tages" abgeleitet, das heißt, nach dem Anbruch des Morgens. Dies zählte man nicht nach der heutigen Uhr. Daß dieser Spruch für die menschliche Tätigkeit überhaupt gilt, obwohl er manchmal mehr mit der geistigen, manchmal mehr mit der physischen Arbeit verbunden wird, ist aus den soziokulturellen Anwendungen ersichtlich. Am häufigsten kommt im heutigen Deutsch der Spruch Morgenstunde hat Gold im Munde vor. Da haben wir einen Reim, und wenn man das Hilfsverb hat wegläßt, sogar ein Metrum: Morgenstunde - Gold im Munde. Auf den ersten Blick scheint es, daß sich die deutsche Variante wirklich auch nur auf die geistige Tätigkeit bezieht. In Wirklichkeit wird aber der Spruch sehr häufig im Völksmund verwendet, unter der Landbevölkerung, wo es viel physische Arbeit gibt. Man will aber den Spruch immer wieder mit der geistigen Arbeit verbinden, sogar in Gesellschaftssystemen, wo die physische Arbeit hochgeschätzt wurde und wo die Arbeiterklasse die führende Rolle haben sollte. So hat man im Buch Deutsche Sprichwörter für Ausländer aus der ehemaligen DDR zum Spruch die folgende textuelle Erklärung (eine Veranschaulichung) geschrieben: Am Morgen ist man am leistungsfähigsten. Wie du das nur fertigbringst, Regina, jeden Morgen so zeitig aufzustehen und zu arbeiten! Ich bin immer froh, wenn die Vorlesungen nicht so zeitig beginnen und ich mich ausschlafen kann Morgens schaffe ich meine Arbeit am schnellsten. Probiere es doch auch einmal, und du wirst mir recht geben: Morgenstunde hat Gold im Mundet Durch den Kontrast schlechter - besser will man ein didaktisches Ziel erreichen. Es gibt also eine Textsorte mit Zielrichtung. In der großen deutschen Zitatensammlung Das treffende Zitat16 findet man unter dem Stichwort Morgenstunde und bei der Übersetzung des lateinischen Sprichwortes mit Die Morgenstunde ist den Musen günstig noch zwei Hinweise auf Zitate unter den Stichwörtern Arbeit und beten. Bei der Übersetzung des Originals von Hesiod wird das Wort Arbeit als Stichwort gebraucht. So ist es klar, daß die lateinische Version, die das Wort Arbeit nicht enthält, eine Anpassung der Aussage der römischen soziokulturellen Beziehung darstellt. Wenn man in der direkten deutschen Übersetzung Hesiods nur die Schlüsselwörter in Betracht zieht, wird die Aussage noch klarer: Das zentrale Wort ist gewiß auch bei Hesiod Morgenfrühe; die nächsten Schlüsselwörter wären Tagwerk, den Weg, die Arbeit. Es handelt sich doch um eine rege menschliche Tätigkeit im Leben, in dem Fall gebunden noch an eine gewisse Tageszeit, die wir auf unserer geographischen Breite als frisch kennen, meist verbunden auch mit der Ausgeschlafenheit. Daß aber mit all dem nur die physische Tätigkeit gemeint ist, kann man nicht behaupten. So sieht man auch aus den verschiedenen Übersetzungen verschiedene Aufnahmen, Auffassungen, auch Anpassungen des Sprichwortes an die jeweilige soziokulturelle Umgebung. Die oben erwähnte deutsche Zitatensammlung hat beim Spruch Die Morgenstunde ist den Musen günstig noch einen Hinweis, wo auch eine Verbindung mit der Frömmigkeit ausgedrückt wird. So finden wir unter dem Stichwort beten das folgende Zitat: Ein guter Tag fängt an mit Gottes Preis; / es ist kein Geschäft so eilig als das Beten. - Schiller, Macbeth, II, 5 (Pförtner)}1 Ob aus dem Macbeth oder bei Schiller wirklich zu entnehmen ist, daß es sich um eine Allusion an das Zitat aus Hesiod oder an den lateinischen Spruch oder an 15 Christa Frey, Annelies Herzog, Arthur Michel, Ruth Schütze: Deutsche Sprichwörter für Ausländer. Eine Auswahl mit Beispielen. VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig 1970, S. 52. 16 Siehe 3, S. 474. 17 Siehe 3, S. 72. irgendeine Übersetzung handelt, kann man nicht beweisen. Jedenfalls kann man aber sagen, daß dieses Zitat je nach dem soziokulturellen Kontext verstanden, gedeutet und in der Übersetzung angepaßt wurde. Die slowenische Variante ist sehr kurz, elliptisch. Sie lautet: Rana ura - zlata ura. ("Frühe Stunde - goldene Stunde"). Wir haben da einen elliptischen Satz ohne Hilfsverb, außerdem besteht im Spruch ein ausgeprägtes Metrum, eine Gemination des Wortes ura, was wie eine Epiphora wirkt und auch eine Betonung, eine Steigerung im Nennen der gewissen Zeit (Morgenzeit) ist. Es handelt sich weiters um das wiederholte Abstraktum ura mit zwei Attribuierungen - rana ura - zlata ura - was noch stärker wirkt. Die beiden Attribute könnten allein schon elliptisch alles sagen: rana (frühe) - zlata (goldene). Das gilt auch für das deutsche Kompositum Morgenstunde und für das Simplex Gold. Der slowenische Spruch wird als Ellipse, wo das Hilfsverb fehlt, mit einem Gedankenstrich oder mit einem Beistrich geschrieben. Interessant ist, daß im Buch Slovenski pravopis ("Slowenische Rechtschreibung") aus dem Jahr 1962 der Spruch unter dem Stichwort zlat ("golden") steht, im Buch Slovar slovenskega jezika ("Wörterbuch der slowenischen Sprache") aus dem Jahr 1994 aber unter dem Stichwort ran ("früh"). Logisch ist in solchen Büchern die alphabetische Reihenfolge der Stichwörter. Das sollte hier nach dem ersten Wort im Spruch wirklich ran(a) ("früh-e") sein. Warum man 1962 das Wort zlat(a) ("golden") als das zentrale Wort, nach dem der Spruch eingeordnet ist, empfunden hat, ist eine Frage. Die Rezeption, das Empfinden der gegliederten morphophonologischen und semantischen Struktur zeigt da wieder in einem gewissen Sinn den soziokulturellen Kontext, in dem Fall eines Autors oder einer Gruppe von Autoren. Das viel ältere Wörterbuch Slovensko-nemski slovar ("Slowenisch-deutsches Wörterbuch") von Maks Pleteršnik aus dem Jahr 1895 (reproduzierter Nachdruck 1974) hat den Spruch auch unter dem Stichwort ran(a) ("früh") angeführt. Der slowenische Spruch kann für jede Arbeit gültig sein. Weil aber das slowenische Volk jahrhundertelang überwiegend ein Bauernvolk war, wurde dieser Spruch am häufigsten unter der Bauernbevölkerung gebraucht, aber auch unter den Handwerkern und gleichfalls unter den slowenischen Städtern verschiedenen Berufes. Auch die Intellektuellen gebrauchen den Spruch bisweilen. Warum das Bauernvolk diesen Spruch so liebte, obwohl er im Slowenischen nichts von der physischen Arbeit sagt, kann man hypothetisch auch so erklären: Es gibt darin das Syntagma zlata ura ("goldene Stunde"). Das kann sich auf die Morgenröte (Aurora) und auf die aufsteigende Sonne beziehen. Es ist also auch etwas Ästhetisches, aber vor allem ist das die "goldene Zeit" für die Arbeit. Da darf man nichts versäumen, das ist den Menschen klar. Wir Slowenen haben auch den Spruch Čas je zlato ("Zeit ist Gold") besonders in intellektuellen Kreisen zu einem Spruch Čas ni zlato, je več kot zlato ("Zeit ist kein Gold, sie ist mehr als Gold") erweitert. Vom Beten ist in der slowenischen Variante Rana ura - zlata ura auf den ersten Blick keine Spur. Aber daß es ausgeschlossen ist, kann man nicht sagen. Fürs lange Beten gab es am Morgen auf dem Bauernhof keine Zeit. Man betete kurz beim Frühstück, später beim Morgenläuten, auch auf dem Feld. Am Abend, da betete man oft viel und lange. Weil es sich schon bei Hesiod um eine didaktische Dichtung handelt und weil auch die lateinische Version des Spruches und die Versionen in vielen anderen Sprachen, darunter auch in der slowenischen, didaktische Züge der Aussage haben, ist es klar, daß der Spruch oft für erzieherische Ziele direkt verwendet wurde und wird. Oft wurde er aber in eine andere Dichtung entweder umgearbeitet oder klar alludierend aufgenommen. Ob dabei der Dichter den Spruch wirklich direkt im Sinne hatte oder nur in weiterer Erinnerung, oder ob er sogar nur eine allgemeine Aussage schrieb, die daran erinnert, weiß man oft nicht genau. Es gibt ja für das frühe Aufstehen und für die schon in der Frühe notwendige Arbeit auch andere Sprüche, vor allem aber praktische Hinweise und moralische Einstellungen, die anders oder ähnlich ausgedrückt werden können. Der slowenische Bischof Anton Martin Slomšek (1800 - 1862), der 1859 die Diözese vom deutsch - österreichischen St. Adrä in Kärnten nach Maribor versetzte und der in dieser Stadt 1859 auch eine Theologische Hochschule gründete, war auch Dichter, Schriftsteller, Verfasser von Schulbüchern. Seine Gedichte sind hauptsächlich im Stil der Volkslieder und im Stil der didaktischen Dichtung geschrieben. Eins davon lautet verkürzt so: Veselo jutro (1836) Lepo jutro je -svetlo sončece mene razsvetli; zarja jutranja mi veselje da -v šolo mi veli... Vse na delo gre; mravlje, čbelice gredo živeč brat; ptičke mi pojo, rožice cveto, da grem v šolo rad .J8 18 Aus: Knjiga o Slomšku. Zbornik ob stoletnici njegove smrti. Sestavila: Janez Poljanec in Franc Hrastelj. Celje. Mohorjeva družba 1962, S. 53. Fröhlicher Morgen (18 3 6) Schön der Morgen strahlt -die helle Sonne wallt, mich erhellt sie wohl; 's gibt das Morgenrot mir Freude und Gebot, daß ich zur Schule soll... Alles an die Arbeit geht; Bienen und Ameisen steht ihre Nahrung fern; Vöglein singen mir, Blümlein blühen mir, zur Schule geh' ich gern ... (Übersetzt von Mirko Križman) Der Grundgedanke vom erwachenden Tag und vom Erwachen (im physiologischen und geistigen Sinn) des Menschen, der sich besinnt, daß er zur Arbeit (für die Kinder ist das die Schule) muß und die Pflichten am frischen, schönen Morgen mit allen himmlischen und atmosphärischen Erscheinungen auch mit Freude tut, ist aus dem Gedicht klar zu ersehen. Das Gedicht erinnert jedenfalls an den im Beitrag behandelten Spruch, es ist alles nur breiter, bildhafter, aber trotzdem auch knapp genug ausgedrückt. Eine solche Bildhaftigkeit kennt man auch in anderen Sprüchen und Volksliedern, obwohl die meisten Sprüche einen Gedanken, der auf vielen Erfahrungen beruht, prägnant, konzentriert ausdrücken. Aber wenn man vom Gehalt (Sujet) oder vom Thema eines Gedichtes spricht, kommt man auch zu einer knappen Äußerung darüber. In dieser Hinsicht ist das Gedicht doch dem behandelten Spruch ähnlich, mag es auch bildhafter und ausgearbeiteter sein. Es gibt in der Literatur auch direkte Verwendungen des Sprichwortes: Andreas Gryphius (1616 - 1664) hat in seinem Werk Horribilicribrifax im Kapitel Sempronius, wo er die lateinische und die deutsche Sprache kombiniert, den Spruch Aurora Musis amica verwendet. Ferdinand Raimund (1790 - 1836) hat im Drama Der Verschwender (Philipp Reclam, 1967, S. 15.) die deutsche Form Morgenstund tragt Gold im Mund gebildet. Bei Jeremias Gotthelf (1797 - 1854) findet man in der Erzählung Uli der Pächter die Form "... Golde, welches die Morgenstunde im Munde hat." (Sämtliche Werke in 24 Bänden. Erlenbach - Zürich. Eugen Rentsch, 1921, Bd. 11, S. 291 - 292.) Karl Arenz (auch im 19. Jh.) schrieb ein zehnstrophiges Gedicht, wo die beiden letzten Zeilen jeder Strophe wie ein Refrain das Sprichwort "Die Morgenstund / Hat Gold im Mund" enthalten.19 19 Siehe 8, S. 94 ff. Etliche Verwendungen, auch in verschiedenen abgeänderten Formen, kann man in der Literatur verschiedener Sprachen finden. Dasselbe gilt für besondere Intonationen, Anspielungen, Umdrehungen mit Parodie oder mit abgeänderten philosophischen und sozialen Pointen. So finden wir bei Bertolt Brecht (Gesammelte Werke, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967, Bd. 8, S. 396) diese Form: Ach, des Armen Morgenstund Hat für den Reichen Gold im Mund ...20 Das ist eigentlich schon ein Übergang in eine gereimte Sentenz. Dasselbe gilt für die beiden folgenden Verse von Mascha Kaleko (1907 - 1975 - aus Das lyrische Stenogrammheft. Reinbek: Rowohlt, 1982, S. 43): ... Das mit der goldgeschmückten Morgenstunde Hat sicher nur das Lesebuch erdacht ...21 Daß man aus vielen Sprüchen Erweiterungen, Gegensprüche, Parodien gemacht hat, ist auch aus der Literatur- und Kulturgeschichte bekannt. Wir haben in diesem Beitrag schon die Erweiterung oder den Gegenspruch zum slowenischen Spruch Čas je zlato (Zeit ist Gold) erwähnt. Es gehört zu den menschlichen Eigenschaften, daß sie die überkommenen Formulierungen lieben, daß ihre Gefühle mit großer Zähigkeit daran haften, oft wird aber "ein mißverständlich gewordener oder als widersinnig gewordener Spruch dadurch am Leben erhalten, daß die Phantasie ihn ergänzt oder an ihm weiterdichtet."22 Oft geht es aber um die Absicht, eine gewollte Burleske zu schaffen, namentlich wenn sie ihren Ursprung im Studentenwitz hat. Die Scholaren haben z.B. den Spruch Morgenstund hat Gold im Mund als schulmeisterlich empfunden und haben dazu die Antithese gebildet: Faulheit stärkt die Glieder.23 In Dr. Kokes Schlagworte des Humors. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte unserer Zeit. Leipzig. Carl Reißner, 1991, S. 1 gibt es eine Umdrehung des Spruches: Morgenstunde ist aller Laster Anfang. Bei Rudolf Rolfs finden wir in der Sammlung Inventur eines Hirns. Frankfurt am Main: Die Schmiere, 1970, S. 155 eine absichtlich triviale satirische Allusion in der Form Agitatorenstunde hat "Scheiße!" im Munde? Weiter wird durch die Abänderung des ursprünglichen Sprichwortes eine Allusion mit satirischer Zuspitzung bei Gerhard Uhlenbeck erreicht. In seinen Medizinischen Aphorismen (Heidelberg: Jungjohann, 1982, S. 69) gibt es diese Form: Private Zahnsprechstund'hat Gold im Mund 20 Ebenda, S. 111. 21 Ebenda, S. 112. 22 Werner Krauss: Die Welt im spanischen Sprichwort. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1975. Einleitung, S. 24. 23 Ebenda, S. 25. Breitere Aussagen und Knappheit als Variationen und Ü b e r s e t zun g s p r o b l e m e Besonders die Übersetzungen von Textsorten, die auf mehreren Konnotationen beruhen, sind eine "Auseinandersetzung zwischen dem Menschen und dem (literarischen) Gegenstand; hier fängt schon die Verwandlung an, die der Text erfährt, nicht erst bei der sprachlichen Erfahrung."25 Ein schönes Beispiel, wie die Sentenz, die in der heutigen knappen Fassung Irren ist menschlich (Errare humanum est) bekannt ist, in der Zeit und bei verschiedenen Völkern sowie bei verschiedenen Autoren variiert, werden wir hier ebenfalls kurz zeigen. Der Gedanke ist griechischen Ursprungs, man kann ihn aus Theognis, Elegeia 327 f. ableiten: "Denn Verfehlungen folgen den Menschen, den sterblichen, auf dem Fuße". In Sophokles' Antigone gibt es den folgenden Satz: "Denn den Menschen, ihnen allen, ist gemeinsam, daß sie sich verfehlen". Bei Menander, Phanion, Fragment 432 Körte heißt es: "Als ein Mensch, der ich bin, habe ich mich verfehlt - kein Grund, sich darüber zu verwundern." Mit der griechischen Komödie kommt der Gedanke nach Rom. Bei Terenz, Brüder 579, heißt es: "Censen hominem me esse? Erravi." (Glaubst du, daß ich ein Mensch bin? Ich habe mich geirrt). Plinius der Jüngere hat in seinen Briefen 9, 12 die folgende Äußerung: "Non omnes homines aliquo errore ducuntur?" (Lassen sich nicht alle Menschen von irgendeinem Irrtum leiten?)26 Ähnliche Beispiele kann man noch finden. Der Gedanke lebte im Mittelalter weiter. So gibt es ihn z.B. bei Hieronymus, Briefe 57, 12: "... quia et errasse humanum est et confiteri errorem prudentis," ... (... weil sowohl geirrt zu haben menschlich ist als auch den Irrtum einzugestehen klug ...") Augustin sagt in seinen Predigten 164, 10, 14 (in Migne, Patrologia Latina, Band 38, Spalte 901 f.) folgendermaßen: "Humanum fuit errare, diabolicum est per animositatem in errare manere." (Menschlich war es zu irren, teuflisch ist es, leidenschaftlich im Irrtum zu verharren.)27 In den heutigen Wörterbüchern für die breiteren Kreise der Studierenden finden wir meist die knappe Form der Übersetzung Irren ist menschlich. In einsprachigen 24 Die letzten Beispiele sind ebenso im Werk von Wolfgang Mieder "Morgenstunde hat Gold im Munde" angeführt. Siehe 8, S. 123 ff. 25 Fritz Güttinger: Zielsprache. Theorie und Technik des Übersetzens. Zürich. Manesse Verlag. Conzett - Huber 1963, S. 42. 26 Alle Zitate und Übersetzungen aus: Veni, vidi, vici. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen. Ausgewählt und erläutert von Klaus Bartels. München. Deutscher Taschenbuch Verlag 1992, S. 72 f. 27 Ebenda, S. 72. Wörterbüchern ist die muttersprachliche Form an erster Stelle. Oft ist die lateinische Form überhaupt nicht angegeben, wie z.B. im Deutschen Wörterbuch von Gerhard Wahrig 1986, im Wörterbuch der deutschen Gegenwartsprache 1984, im Deutschen Universalwörterbuch (Duden) 1989. Das Bedeutungswörterbuch von der Serie Der Große Duden hat die Sentenz nicht, auch keinen Vers. Wohl gibt aber das Stilwörterbuch (1963) einige Nuancierungen und Erweiterungen an: Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten, (bibl.) Irren ist menschlich. Mancher hat, aus Furcht zu irren, sich verirrt (Lessing). Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren. (Goethe). Es irrt der Mensch, solang er strebt. (Goethe). Es ist interessant, das eine sehr alte Ausgabe des Stilwörterbuches vom Großen Duden (aus dem Jahr 1937) nicht nur alle Zitate aus dem modernen Duden -Stilwörterbuch enthält (auch das Zitat aus der Bibel), sondern noch ein zusätzliches, das man auch als Allusion auf die Moral der (damaligen) Zeit verstehen könnte: Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt. (Goethe). Es ist aber eigentlich nur ein Zitat mit einem kritischen Gedanken für alle Zeiten. Einige von den Zitaten sind nur im breiteren Zusammenhang mit der knappen Form, die wir besprechen, zu verstehen. Aber sie zeugen doch davon, wie das Irren den menschlichen Geist aller Kulturen beschäftigte, auch davon, wie die übernommenen Erfahrungen und Äußerungen modifiziert, erweitert, in der Form gekürzt oder zusätzlich, manchmal aufs Neue bearbeitet wurden. Auch wählte man manchmal ein Zitat und übersetzte es nicht wörtlich, sondern schon mit einer Neubildung, entweder einer übernommenen oder zusätzlichen Form. Je nach dem Wissen des Autors, je nach seiner Bestrebung, nach seinem stilistischen Gefühl oder nach dem Bedarf des Buches. So findem wir im Buch Slovar slovenskega knjižnega jezika (Wörterbuch der slowenischen Standardsprache) aus dem Jahr 1994 nach der Bemerkung ekspr. (ekspresivno - "expressiv") nur die Prägung Človeška glava se lahko moti ("der menschliche Kopf kann sich irren"). Dagegen ist im Buch Slovar tujk ("Fremdwörterbuch") von France Verbinc (1958) das Original errare humanum est mit der Übersetzung motiti se je človeško (Irren ist menschlich), aber mit einer zusätzlichen Erklärung vsakdo se lahko zmoti ("Jeder kann sich irren") und mit der Angabe des Autors dieser letzten Aussage (Seneka). Silva Trdina hat in Ihrem umfangreichen Buch Besedna umetnost (Wortkunst) aus dem Jahr 1958 eine Reihe von Zitaten gesammelt, die nach ihrer Meinung wichtig sind und die jeder gebildete Mensch kennen muß. Da hat sie auch die Sentenz Errare humanum est und die "Übersetzung" Človek se moti, dokler živi. (Der Mensch irrt, so lange er lebt.) Das ist aber keine wörtliche Übersetzung, die wir kennen, sondern schon der modifizierte Vers aus Goethes Faust (Prolog im Himmel: ... Es irrt der Mensch, solang er strebt.) Auch keine genaue Angabe des Verses von Goethe hat Silva Trdina gewählt. Es war wahrscheinlich der Klang und der Wert der klassischen Dichtung (die Autorin war klassisch erzogen und sehr gebildet) maßgebend. Ein starkes Gefühl, ein Gedächtnis und auch eine ästhetische Bestrebung waren dabei beteiligt. Es könnten noch einige weitere Beispiele der Übernahme, der soziokulturellen Anpassung, der absichtlichen Modifizierung und Erweiterung von sog. Kurzformen der Textsorten gezeigt werden. Natürlich gibt es auch unabhängige Ähnlichkeiten. In diesem Beitrag mußte der Autor eine Auswahl treffen. S chluß Es handelt sich nicht immer nur um die Auffassung in einem einzelnen Kopf, sondern in einer soziokulturellen Gemeinschaft, auch im weitesten Sinne, bezogen auf eine historische Epoche. So können z.B. Sprüche, die von einem Individuum übersetzt wurden, Fuß fassen oder nicht. Wir kennen bei verschiedenen Nationen oder sozialen Gruppen Sprüche, die man in anderen Ländern nicht kennt. Dagegen sind viele allen oder den meisten Völkern bekannt. Daß es aber oft zu Nuancen oder Abänderungen kam, ist eine natürliche Erscheinung. Parodien vieler Art gab es immer. Nicht alle Gründe, die auf den menschlichen Geist wirken, kann man feststellen, einige aber doch. Vergleiche mit den Sprach- und Literaturkenntnissen eines Verfassers oder Übersetzers, das Einleben und Kennen seiner mentalen Eigenschaften, der historisch bedingten materiellen und geistigen sowie der damit verbundenen kulturellen Besonderheiten, kann man bis zu einem bestimmten Grad ergründen. Ebenso welche Ähnlichkeiten und Unterschiede auftreten, zum Teil auch warum. All das läßt doch Forschungen zu, die sprachliche und etliche breiter zusammenhängende Feststellungen ermöglichen. Für die interkulturellen Sichten bei den kurzen Textsorten ist das wichtig. Besonders die ideologischen Grundlagen und Bestrebungen, auch nur Teile davon, eingebaut in Kontexte verschiedener Art, muß man berücksichtigen. Hierher gehören auch die didaktischen Bestrebungen. Verschiedene Kulturen sind nicht nur die verschiedenen Völker, die verschiedenen Religionen und die verschiedenen Literaturen, sondern auch das materielle und geistige Leben der Individuen sowie der politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Gruppen. Man kann immer von den einzelnen soziokulturellen Umgebungen in Zeit und Raum sprechen. Ein Individuum ist nie isoliert, es ist immer Teil eines sozialen und ethnischen, sprachlichen und kulturellen Gebildes, das jeden Menschen prägt und ihm auch Möglichkeiten gibt. Gleichzeitig reagiert aber auch das Individuum aus sich mit seinen Fähigkeiten und Bestrebungen. So wirkt es auf die Umgebung. Da zeigt sich die Beziehung zur Überlieferung. Die Einflüsse sind immer vielseitig. Übersetzungen erweitern die Einsicht in die Überlieferung, jener der Muttersprache und jener der Fremdsprachen. Dabei geht es nicht nur um die Konfrontation der Sprachen, sondern auch der soziokulturellen Umgebungen und des schöpferischen Vermögens. Affinitäten, Ablehnungen oder Anpassungen verschiedener Art sind oft einfachere, oft aber komplexere Erscheinungen. Povzetek PREGOVORI, SENTENCE, CITATI KOT KRATICE OBLIKE ALI "PREPROSTE OBLIKE" BESEDILNIH VRST Z MEDKULTURNEGA VIDIKA Zlasti za pregovore in reke (le-ti izražajo delno veljavne življenjske resnice) lahko ugotovimo nekatere pojave, ki sodijo na področje jezikoslovja, in nekaj detajlov stilistike, tudi s stališča estetike. - Za razumevanje, tudi za konotacijo, je treba poznati semantiko in logično slovnico celokupnega jezika, v katerem se te kratke oblike besedilnih vrst pojavljajo; če je potrebno, se je treba ukvarjati tudi z variantami (diasistemi) kakega jezika. Logična slovnica se ne poruši, ampak izraža nove ali dodatne odnose. Tako se npr. pragmatična prislovna določila časa in kraja prenesejo s pragmatičnega področja na splošno veljavnost. - Če primerjamo pregovore in reke medkulturno, ni dovolj, da poznamo le slovnico jezikov, iz katerih so vzeti, potrebni so odtenki v semantiki glede duha konteksta. Le-ta ni samo jezikoven, ampak tudi individualen in socialnokulturen, izžareva duha individua, okolja in epohe. - Treba je upoštevati, da so mnogi slovniški in semantični pojavi v takih kratkih besedilnih vrstah povezani še z glasoslovnimi pojavi, saj gre pogostokrat za ustno izročilo in ustno komuniciranje. - Pri prevajanju je treba upoštevati jezikoslovne in retorične prvine, paziti moramo, da dobimo skupaj s temi prvinami tudi ustrezno intelektualno ter estetsko vrednost. Prispevek obravnava pregovor rana ura - zlata ura (aurora musis amica) in omenja izvor misli pri Hesiodu, latinsko tvorbo ter prve vire v nemščini (16. stoletje). Nato prikazuje prispevek modifikacije pregovora vse do današnjih dni. Uporabljali so jih različni avtorji, bodisi za slovarsko gradivo, za zbirke pregovorov in rekov ali pa kot citate v literarnih delih. Zlasti v 19. stoletju so po uvedbi splošne šolske obveznosti omenjeni pregovor zelo pogostokrat uporabljali za vzgojne namene. Tudi v književnih delih, ki so vsebovala bolj ali manj vidne vzgojne tendence, najdemo izvirne citate ali razpoznavne predelave tega pregovora. Tudi A. M. Slomšek je jasno vkomponiral misel iz tega pregovora v pesem Veselo jutro. Izjemno popularnost je ohranil pregovor tudi v nemški književnosti 19. in 20. stoletja. Poznamo direktne navedbe, različne aluzije in mnoga parodiranja. Vse omenjeno s pridom uporablja tudi najsodobnejši jezik reklam, zlasti pa jezik moderne satire na različna početja gospodarstvenikov, politikov in ljudi raznovrstnih poklicev ter značajev. Veliko parodij so ustvarili že sholarji, v novejšem času komediografi in satiriki, tudi različni družbeni kritiki v literarni obliki (Hermann Kant, Mascha Kaleko, B. Brecht, K. Zuckmayer, Ulrich Erckenbrecht in drugi). V prispevku je nadalje obdelan izrek errare humanum est (motiti se je človeško). Pisno in ustno je uporabljen izredno pogosto. Vendar pa v taki kratki obliki ne izvira iz antike. Misel pa seveda najdemo živahno niansirano že pri grških in rimskih avtorjih in se nadaljuje z različnimi modifikacijami skozi srednji in novi vek. Najbolj znan je Goethejev verz iz Fausta (Prolog v nebesih) Es irrt der Mensch, solang er strebt (dobeseden prevod ali eden izmed možnih prevodov bi bil: človek se moti, dokler stremi). Avtor prispevka je izbral več zbirk citatov, tudi več splošnih slovarjev, slovarjev tujk, enciklopedij itd., ki navajajo sentenco. Le-ta je prešla v različnih oblikah v reke in pregovore ter pesniške podobe. Pri tem je včasih na prvem mestu latinska oblika, včasih domača. Prevodi pa niso enotni. Opazimo, da gre kdaj za dobeseden prevod, kdaj za modifikacije glede na znanje in okus avtorja (avtorjev). Nameni so modrovanja, pridigarstvo, psihologiziranja. Nemalokrat pozvanja v prevodu Goethejev verz; s tem je hotel kakšen avtor pokazati izobrazbo ali pesniško žilico. Različne kulture niso samo različni narodi, različne religije, različna literarna dela, ampak tudi materialna in duhovna stremljenja posameznikov in kulturnih ter znanstvenih skupin pa njih znanja in stremljenja. Seveda lahko govorimo o posameznih sociokulturnih okoljih v času in prostoru. Posameznik ni nikoli izoliran, ampak je vedno del socialne in etnične, jezikovne in kulturne tvorbe, ki mu daje pečat in možnosti. Hkrati se pa tudi posameznik odziva s svojimi individualnimi zmožnostmi in hotenji na okolje. Sem sodi tudi odnos do izročila. Vplivi so seveda mnogostranski. Prevodi niso samo konfrontacija jezikov, ampak tudi sociokulturnih okolij in ustvarjalnih sposobnosti. Afinitete, odklonitve ali prilagoditve so včasih preprostejši, včasih pa bolj kompleksni pojavi. Marja Bester Universität Ljubljana UDK 811.112.2'276:811.163.6'276:07(497.4)" 1941/1945" DEUTSCHE UND SLOWENISCHE PRESSENACHRICHTEN IM ZWEITEN WELTKRIEG AUF SLOWENISCHEM GEBIET 1 Einleitung Bekanntlich haben in den Massenmedien (also auch in Zeitungen) veröffentlichte Texte unterschiedliche Funktionen. Verschiedene Autoren führen diese unterschiedlichen Funktionen, bzw. deren divergierende Häufigkeit auf. Die Fachliteratur plaziert an vorderster Stelle Texte mit Benachrichtigungs- bzw. Informationscharakter (betreffend Ereignisse und Personen) (Dular 1974: 68-69, 1979: 54-56, Dular et all 1981: 50-51, Košir 1988: 14); es folgen Texte, die den Adressaten überzeugen (Dular et all 1981: 54) bzw. die (öffentliche) Meinung bilden wollen (Košir 1988: 14), und schließlich erzieherische (Dular 1974: 68, Dular et all 1981: 54, Košir 1988: 14) und unterhaltende Texte (Dular 1974: 68, Košir 1988: 14). Natürlich treten nicht sämtliche Funktionen in jedem Text auf, zumindest nicht im gleichen Verhältnis, sie sind vielmehr ineinander verwoben, wobei eine dieser Funktionen dominiert. 1.1 Sowohl in der deutschen als auch der slowenischen Fachliteratur (um nur zwei Beispiele zu nennen: Lüger 1995, Košir 1988) gilt die Textklasse der informationsbetonten Texte als jene, die bei einer Zeitung - und in den Medien überhaupt - neben der Textklasse mit meinungsbildendem bzw. interpretativem1 Charakter die eigentliche Grundaufgabe übernimmt (Lüger 1995: 70), d.h. über die aktuellen Geschehnisse berichtet, während Texte aus der Meinungs- oder Interpretationsklasse gegenüber diesen Geschehnissen eine bewertende Haltung einnehmen.2 1 Vgl. Košir (1988: 63): "Beim Lesen von Journalistentexten in der Zeitung stellt man bald fest, daß diese zuerst einmal in zwei große Gruppen aufgeteilt werden können. Die eine Gruppe /der Journalistentexte in Zeitungen/ setzt sich aus journalistischen Beiträgen zusammen, die den Anschein (unterstrichen von Košir) von objektiven Texten erwecken, in denen der Autor mit der eigenen Meinung nicht anwesend ist. Die zweite große Gruppe setzt sich aus Texten zusammen, die den Anschein (unterstrichen von Košir) von subjektiven Reports vermitteln; der Autor nimmt zum behandelten Thema eine engagierte Haltung ein und ist mit seiner Meinung im Text anwesend. Wir sehen also, daß die Intention des Autors, seine Absicht, die Art, wie der Adressat den Report zu verstehen (zu lesen) hat, im ersten Fall mit informativer Funktion und im zweiten Fall mit interpretativer Funktion verwirklicht wurde. /.../ demzufolge können wir alle beständigen Formen von journalistischer Berichterstattung, in denen konkrete journalistische Texte realisiert werden, in folgende zwei Hauptgruppen oder "Großfamilien" aufteilen: I. Die informative Textklasse und II. Die interpretative Textklasse." 2 Lüger (1995: 66 ff.) unterscheidet zwischen fünf Gruppen von Pressetexten: informationsbetonte Texte, meinungsbetonte Texte, instruierend-anweisende Texte und kontaktorientierte Texte. Für informierende Texte ist charakteristisch, daß deren Verfasser dem Leser den Sachverhalt vermittelt (vgl. Lüger 1995: 67: "Der Absender informiert den Adressaten darüber, daß p."), da er darauf abzielt, das mangelhafte Wissen des Adressaten zu verändern/zu vervollständigen. Dabei wird der Sachverhalt (d.h. Ereignisse, Vorgänge u.ä.) nicht bewertet.3 Der Adressat/Empfänger nimmt die Informationen zur Kenntnis und hält alles Mitgeteilte für wahrheitsgetreu. 1.2 Die beiden Grundtypen von informationsbetonten Texten sind die "Nachricht" und der "Bericht".4 Werfen wir einen Blick darauf, was in der Fachliteratur zu diesen beiden Textsorten steht. Die "Nachricht" ist die elementarste Textsorte bei der informationsbetonten Textklasse. Der Textverfasser berichtet dem Adressaten, daß sich ein Ereignis zugetragen hat (seltener, daß es sich zutragen wird), daß ein gewisser Zustand eingetreten ist/eintreten wird (vgl. Košir 1988: 68); für den Adressaten ist nur das Resultat interessant (Košir 1988: 74), "was zählt, sind Fakten, nicht Zusammenhänge oder Hintergründe" (Lüger 1995: 91) u.ä. Deswegen ist die "Nachricht" äußerst kurz. Da die "Nachricht" zur informationsbetonten Textklasse gehört, sind bei ihr natürlich keine Bewertungen des Textverfassers betreffend der Ereignisse bzw. Zustände u.ä. zu finden. Der Autor ist hier nicht anwesend, seine Haltung ist neutral (Košir 1988: 72). Der "Bericht" ist umfassender als die "Nachricht", da es sich hier im Gegensatz zur "Nachricht" nicht nur um das Registrieren eines Ereignisses handelt, sondern um die Vorstellung des Ereignisverlaufs (Košir 1988: 73); kurzum, dem Adressaten/ Empfänger soll ein ganzheitlicheres Bild des Ereignisses vermittelt werden (Košir 1988: 74), was also auch ein chronologisches Schildern des Ereignisses beinhaltet (Lüger 1995: 111). Der Autor ist hier ebensowenig anwesend; zumeist ist er ein neutraler Beobachter des Geschehens (Košir 1988: 77). 2 Forschungsmaterial Wie schon der Titel meines Beitrags besagt, waren Gegenstand meiner Forschung Texte, die während des 2. Weltkriegs (genauer gesagt: von 1941 bis 1945) auf 3 Manche behaupten, daß fast jeder Text irgendwie auch Bewertungen einflicht (Hindelang/ Viehweger 1991: 149). 4 An dieser Stelle möchte ich erwähnen, daß sich die von verschiedenen Autoren angewandte Terminologie ziemlich unterscheidet. In der deutschen Literatur trifft man auf die Ausdrücke "Nachricht" (vgl. Lüger 1995: 95, der zwei mögliche Wortbedeutungen anführt: es kann sich 1. um eine Neuheit, eine neue Information, oder 2. um eine journalistische Textsorte handeln), "harte Nachricht", "Meldung" (laut Lüger 1995: 89 die allerkürzeste Sorte, die sogar aus nur einer Äußerung bestehen kann), während in der slowenischen Literatur der Ausdruck "vest" (slowenisch für "Nachricht", z.B. Košir 1988: 72: "hard news" = "kratka vest"). In diesem Artikel werden die Ausdrücke "Nachricht" ("vest") und "Bericht"/"poročilo" verwendet. slowenischem Territorium entstanden. Alle wurden in den Zeitungen jener Zeit veröffentlicht, und zwar hauptsächlich auf der Titelseite der Zeitung. Es handelt sich nämlich um Texte, die den feindlichen Kriegsparteien zuzuschreiben sind: einerseits Texte, die im sog. Volksbefreiungskampf (Korpus NOB) entstanden, und andererseits Texte, die von Deutschen geschrieben und (wahrscheinlich) von Slowenen in deutschem Dienst (schlecht) ins Slowenische übersetzt wurden oder von mit den Deutschen sympathisierenden Slowenen in slowenischer Sprache verfaßt wurden (Korpus NEM)- Die Texte des Korpus NOB wurden in zahlreichen (illegalen) Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, z.B. in Slovenski poročevalec, Partizanski dnevnik, Mladina, wohingegen Texte des Korpus NEM in der Zeitung Karawanken-Boten, der von den Deutschen in Südkärnten, d.h. in Gorenjska/Oberkrain, herausgegeben wurde; die Zeitung hatte ihren Sitz in Klagenfurt und erschien in den Jahren 1941 bis Ende Januar 1945 als halbwöchentliche Zeitung.5 Die Zeitungen beider Seiten waren für die slowenische Bevölkerung gedacht. Dabei ist anzumerken, daß die Autoren anonym blieben.6 Inheiden Korpora sind Texte vorzufinden, die nicht von Journalisten verfaßt wurden, sondern von gewissen Institutionen (z.B. Das Oberkommando der Wehrmacht verkündet am 9. Juni, NEM 4; Vojno poročilo Vrhovnega štaba NOV in POJ /Kriegsbericht des Obersten Stabes von NOV und POJ/; NOB 5; Dnevno poročilo štaba IX. korpusa NOV in POJ za 31. 1. 45 /Tagesbericht des Stabes des IX. Korpus von NOV und POJ für den 31. 1.45/; NOB 6), wobei die Texte von den Zeitungen nur veröffentlicht wurden. Im ersten Fall handelt es sich um Informationen über internationale Kriegsschauplätze, im zweiten bzw. dritten um Ereignisse in Jugoslawien oder der Welt. 3 Ziel In meinem Beitrag möchte ich feststellen, - ob auch in informationsbetonten Texten eine Werbung für die eigene Seite bzw. von Beeinflussung des Adressaten zu finden sind. Verständlicherweise treten in Zeitungen (insbesondere im Ausnahmezustand "Krieg") auch appellative Texte auf, wo zweifelsohne eine Beeinflussung stattfindet. Bei informationsbetonten Texten jedoch erwartet der Adressat keine solche Beeinflussung; - wie diese Beeinflussung bei informationsbetonten Texten stattfindet; - ob Unterschiede zwischen den Textkorpora bestehen, bzw. zwischen den verschiedenen Autoren, die den feindlichen Seiten angehören. 5 Für diese Informationen danke ich Herrn F. Benedik aus dem Museum Gorenjski muzej Kranj. 6 Außer in zwei Fällen des Korpus NEM (NEM 3, NEM 5), wo das Kürzel vH steht - falls es sich hier überhaupt um den Autor handelt. 4 Zum Begriff Textsorte 4.1 Der Text wird als Resultat einer absichtlichen, bewußten Aktivität des Textverfassers betrachtet. Das Ziel des Textverfassers bei der Kommunikation ist, die Kenntnisse des Adressaten abzuändern/neue Kenntnisse zu vermitteln, gewisse Handlungsweisen zu verursachen oder auf dessen (emotionelles) Verhältnis zu sich selbst, zum Textverfasser und/oder zum Sachverhalt Einfluß zu nehmen. Die kommunikationsorientierte Textlinguistik betrachtet den Text als Verwirklichung einer bestimmten Sprechaktstruktur, und zwar auf der Ebene der Illokution -sog. Illokutionsstruktur. Wie jede andere Handlung ist auch die sprachliche Handlung strukturiert. Sie ist nicht nur die Summe der einzelnen Sprechakte, sondern ist hierarchisch organisiert.7 Die Illokutionsstruktur des Textes drückt die Kette der Sprechakte (welche verschiedenen Typen zugehören kann) und die Relationen zwischen ihnen aus. Ein Sprechakttyp nimmt in dieser Struktur eine bedeutendere Stellung im Vergleich zu den anderen ein (d.h. ist dominant). Es handelt sich um Textsorten, die als Standardmuster "unter den konkreten Situationsbedingungen als geeignet für die betreffende Intentionsverwirklichung angesehen /werden/ und sich als solche im Laufe der Zeit etabliert haben" (Lüger 1995: 77). Wenn der Verfasser mit dem Adressaten kommuniziert, benutzt er die Sprache als Einfluß- bzw. Handlungsmittel. Und weil die pragmatische Analyse von der Erkenntnis ausgeht, daß Kommunikation Handlung ist, faßt sie die Sprache als Mittel zum Vollziehen von Sprechakten auf. 4.2 Kehren wir zu unseren Textsorten zurück, d.h. zur Nachricht und zum Bericht. Auch die Nachricht und den Bericht kennzeichnet eine besondere Struktur, auf deren Grundlage der Adressat u. a. erkennt, zu welchem Zweck der Autor den Text verfaßt hat. Die beiden Textsorten verfaßt der Autor mit der Intention, dem Adressaten einen Ausschnitt des Sachverhalts zu zeigen, den dieser noch nicht kennt. Die Illokutionsstruktur der genannten Textsorten beinhaltet nur Sprechakte der "Mitteilung" (Lüger 1995: 91-92), d.h. stellt Äußerungen zum Sachverhalt dar, die er für überprüft hält; diese Äußerungen sind dem Adressaten unbekannt, für ihn jedoch relevant, und es besteht kein Zweifel, daß er ihnen Glauben schenken wird. Der Sprechakt der "Mitteilung" ist mit Aussagesätzen realisiert und nicht etwa z.B. mit performativen Verben oder anderen lexikalischen Mitteln. Die "Mitteilung" vermittelt die Überzeugung, daß es sich um etwas Wahres handelt; dies wird jedoch nicht sprachlich verwirklicht. 4.2.1 Die "Nachricht" als Realisierung von Sprechakten der "Mitteilung" stellt das Ereignis nach W-Fragen dar: Wichtig ist, daß etwas geschehen ist (WAS ist geschehen), 7 Vgl. Koch/Rosengren/Schonebohm (1981: 161), Brandt et all (1983: 112), Viehweger (1983: 378), Motsch/Pasch (1987: 72-73), Motsch/Reis/Rosengren (1990: 120). WO und WANN es geschehen ist und WER am Ereignis beteiligt war. Die Struktur ist also denkbar einfach (Košir 1988: 71), schabionisiert; all dies kann in einer einzigen Äußerung ausgedrückt werden (die "Nachricht" muß auch wegen des Aktualitätsbezugs kurz sein). Die "Nachricht" kann auch Antworten auf die Frage "weshalb" (Košir 1988: 71) oder "wie" (Lüger 1995: 93) enthalten, muß das aber nicht notwendigerweise (was beide Autoren - Lüger und Košir) betonen. Auch der "Bericht" besteht aus "Mitteilungen", die bestimmte Informationen liefern. Wahrend die "Nachricht" jedoch sehr kurz ist, werden beim "Bericht" detailliertere Informationen benötigt; der Adressat will genau über den Verlauf der Ereignisse informiert sein. Košir (1988: 74) meint, daß im "Bericht" Antworten auf die Fragen "was, wann und wo etwas geschehen ist und wer die Ereignisse herbeigeführt hat" zu finden sind, während Lüger die Auffassung vertritt, der "Bericht" beinhalte eine Einleitung, in der das Wesentliche gesagt werde, d.h., was sich zugetragen hat, wer beteiligt war und was die Folgen sind, wobei im mittleren Teil die Einzelheiten, d.h. die chronologische Schilderung des Geschehens ("wie das Ereignis verlaufen ist") wiedergegeben werden; "wie einzelne Aspekte des Ereignisses zusammenhängen, welche Folgen das Ereignis hat, in welchen sozialen, historischen, politischen, kulturellen Zusammenhängen das Ereignis steht" (Lüger 1995: 111-112). "Berichte", die alles Angeführte umfassen würden, gab es in unserem Forschungsmaterial nicht, wahrscheinlich wegen der schwierigen/unvorteilhaften Bedingungen für ein vertieftes Schreiben, so daß für uns v.a. die Information interessant ist, daß das Geschehen chronologisch wiedergegeben wird. 5 Analyse 5.1 Die Realisierung der Textsorte in den analysierten Texten a) Wir können sagen, daß die analysierten Texte zur Textsorte "Nachricht" gehören (z.B. NEM 1), in Ausnahmefällen zum "Bericht" (z.B. NOB 1), was durch eine chronologische Schilderung der Geschehnisse gekennzeichnet ist. "Berichte" sind nur im Korpus von NOB zu finden - bei erfolgreich abgeschlossenem Einsatz, versteht sich. Velik poraz komunistov pri Žireh Poraz pri bitki med. Nemci in domobranci na eni strani ter med Vojkovo komunistično brigado pri Žireh, je bil kakor poroča torkov Slovenec, naravnost velik. Komunističnih mrličev so po končani bitki našteli 111. Zaplenjeno je bilo veliko orožja, med tem več strojnic in mnogo pušk. To je zdaj že drugi poraz, ki so ga komunisti doživeli v okolici Logatca. Pri prvem je bil uničen cel bataljon, pri drugem pa izgube komunistov niso nič manjše. Pri tem porazu je bilo tudi ujetih šest komunistov. Med temi šestimi pa so tudi trije znani zločinci: /.../ (NEM 1) Große Niederlage der Kommunisten bei Žiri8 Die Niederlage in der Schlacht bei Žiri zwischen Deutschen und Heimatkämpfern auf der einen Seite und Vojkos kommunistischer Brigade auf der anderen war - wie die Zeitung "Slovenec" -berichtet, geradezu niederschmetternd. Es wurden 111 Kommunistenleichen gezählt. Darüber hinaus wurden viele Waffen, darunter mehrere Maschinengewehre und zahlreiche Gewehre, erbeutet. Das ist jetzt schon die zweite Niederlage, die die Kommunisten in der Umgebung von Logatec erlebten. Bei der ersten wurde ein ganzes Bataillon vernichtet, und auch beim zweiten waren die Verluste der Kommunisten nicht geringer. Bei dieser Niederlage wurden auch sechs Kommunisten gefangengenommen. Unter den sechs befinden sich auch drei bekannte Verbrecher: /.../ Nova borba - uspeh Bazoviške Dne 12. septembra so edinice Bazoviške brigade napadle na cesti nad Šempasem nemško vojaško kolono, ki oskrbuje postojanki v Ajdovščini in Vipavi. Kolona je štela okrog 40 vozil. Napad naše vojske je bil odličen. Kolona se je popolnoma razbila. Šele čez nekaj časa so si toliko opomogli, da so nudili odpor. Popoldne sta jim prišla iz Gorice na pomoč dva velika tanka. Svojo akcijo sta tanka usmerila predvsem proti civilnemu prebivalstvu, ter sta v Oseku poškodoval/a/ 6 poslopij. Borba je trajala od 9 dopoldne do 6 zvečer. Točnega števila nemških žrtev še nismo ugotovili, morajo biti precejšnje. Naši so uničili 3 kamione, 1 so zasegli nepoškodovanega, mnogo pa je bilo poškodovanih. (NOB 1) Neues Gefecht - Bazovica-Einheit siegt Am 12. September haben Einzeltruppen der Brigade von Bazovica auf der Straße oberhalb von Sempas die deutsche Armeekolonne, welche den Stützpunkt in Ajdovščina und Vipava versorgt, angegriffen. Die Kolonne bestand aus ca. 40 Fahrzeugen. Der Angriff unserer Armee war ausgezeichnet. Die Kolonne wurde vollständig zerschlagen. Erst nach geraumer Zeit hatte sie sich so erholt, daß sie Widerstand leisten konnte. Am Nachmittag kamen ihr zwei große Panzer aus Görz zu Hilfe. Ihre Aktion richteten die Panzer v.a. gegen die Zivilbevölkerung und beschädigten in Osek 6 Gebäude. Der Kampf dauerte von 9 Uhr vormittags bis 6 Uhr abends. Die genaue Anzahl der deutschen Opfer konnte noch nicht ermittelt werden; sie muß beträchtlich sein. Die unsrigen haben 3 Lastwagen zerstört und einen unbeschädigt in Beschlag genommen, viele wurden beschädigt. Schon vorher wurde erwähnt, daß in beiden Korpora Texte anzutreffen sind, die von einer bestimmten Institution verfaßt und von Zeitungen lediglich veröffentlicht wurden. In solchen Fällen handelt es sich nicht um einen (Zeitungs-) "Bericht", sondern um einen amtlichen Bericht über Armeeaktivitäten, d.h. eine Art Anhäufung, von Mitteilungen oder, wie wir im folgenden noch sehen werden, ein Aufzählen der eigenen Erfolge und der Mißerfolge des Feindes während einer gewissen Zeitspanne, z.B. eines Tages/einer Woche usw. (z.B. NEM 2 und NOB 2). 8 Texte und Beispiele sind von der Autorin ins Deutsche übersetzt. 172 Rdeča Armada bije sovražnika Napredovanje pri Varšavi. RA prekoračila južne Karpate. Nemške izgube RA je prebila močno utrjene nemške položaje severovzhodno od Varšave, osvobodila preko 100 krajev in ujela 4.000 Nemcev. Na južnem delu vzhodnega bojišča pa je RA prekoračila južne Karpate in osvobodila važno prometno križišče Brasov. V centralni Romuniji je RA uničila grupo nemških vojakov, ki so se skušali prebiti proti zapadu. Ujetih je bilo 3.500 nemških vojakov in 1 general. V čistilnih akcijah ob Donavi je bilo ujetih 5.000 Nemcev, med njimi 18 polkovnikov. Del teh čet je bil prepeljan iz Bolgarije. (NOB 2) Die Rote Armee bekämpft den Feind Vorrücken bei Warschau. Die RA hat die südlichen Karpaten überschritten. Deutsche Verluste Die RA hat die stark befestigten deutschen Stellungen nordöstlich von Warschau durchschlagen, über 100 Ortschaften befreit und 4000 Deutsche gefangen. Im Südteil des östlichen Kampfschauplatzes hat die RA die südlichen Karpaten überschritten und den wichtigen Verkehrsknotenpunkt Brasov befreit. In Zentralrumänien hat die RA eine Gruppe von deutschen Soldaten, die sich nach Westen durchschlagen wollte, vernichtet. Es wurden 3500 deutsche Soldaten und 1 General gefangengenommen. In Säuberungsaktionen entlang der Donau wurden 5000 Deutsche gefangengenommen, darunter 18 Oberste. Ein Teil dieser Truppen war aus Bulgarien herantransportiert worden. Uspešno napredovanje v trdnjavi Stalingrad Od 15. septembra smo uničili 91 oklopnjakov - V 2 dneh smo sestrelili 146 letal Oberkommando der Wehrmacht je dne 18. septembra objavilo: Ob Tereku so nemške skupine oklopnjakov, ki so jih podpirala rušilna letala, z obkoljevalnim napadom uničile maso dveh sovražnih bataljonov in uplenile 41 topov. V boju za Stalingrad smo v srditih bojih v ozkem sodelovanju med vojsko in letalstvom dosegli nadaljnje uspehe. Ponovne sovražnikove napade proti mostišču pri Voronešu smo odbili z velikimi izgubami sovražnika. Od 15. septembra smo v tem prostoru uničili 91 sovjetskih oklopnjakov. Napadi zračnega orožja so bili naperjeni proti sovražnim letališčem v njegovem ozadju. Južnovzhodno od Ilmenskega jezera in južno od jezera Ladoga so se z izrednimi zgubami zrušili ponovni krajevni napadi močnejših sovražnih sil. Sovjetsko zračno orožje je 16. in 17. septembra zgubilo 146 letal. Šest lastnih letal pogrešamo. Cilj podnevnih in nočnih napadov nemških bojnih letal so bile v vojni važne naprave na južnem in vzhodnem Angleškem. V Rokavskem prelivu je bil z bombnim zadetkom potopljen nek britanski predstražni čoln. Pomorsko topništvo je sestrelilo dva britanska letala. (NEM 2) Erfolgreiches Vorrücken in der Festung von Stalingrad Seit dem 15. September haben wir 91 Panzerfahrzeuge vernichtet - Innerhalb von 2 Tagen haben wir 146 Flugzeuge abgeschossen Das Oberkommando der Wehrmacht teilte am 18. September mit: Entlang des Terek haben deutsche Panzerverbände unterstützt von Kampfflugzeugen in einem Umzingelungsangriff zwei feindliche Bataillone radikal vernichtet und 41 Kanonen erbeutet. In der Schlacht um Stalingrad haben wir in erbitterten Gefechten in enger Kooperation mit Armee und Flugwaffe weitere Erfolge erzielt. Die erneuten feindlichen Angriffe am Brückenkopf bei Voronesch wurden abgewehrt, wobei der Feind erhebliche Verluste erlitt. Seit dem 15. September haben wir in diesem Raum 91 sowjetische Panzerfahrzeuge vernichtet. Unsere Luftwaffenangriffe richteten sich gegen feindliche Flugplätze im Hinterland. Südöstlich des Ilmenski-Sees und südlich des Ladoga-Sees sind unter erheblichen Verlusten erneute Ortsangriffe stärkerer feindlichen Verbände zusammengebrochen. Die Sowjetische Luftwaffe verlor am 16. und 17. September 146 Flugzeuge. Unsere Seite vermißt sechs Flugzeuge. Ziel der Tages- und Nachtangriffe durch deutsche Kampfflugzeuge waren kriegswichtige Anlagen in Süd- und Westengland. Im Ärmelkanal wurde ein Boot der britischen Vorhut mit einem Bombentreffer versenkt. Die Marineartillerie hat zwei britische Flugzeuge abgeschossen. b) Selten finden sich in den Texten neben dem Sprechakt der "Mitteilung" auch "zusätzliche" Sprechakte, die am Ende des Textes nachgetragen sind und der Erfolgssicherung des dominanten Sprechakts, d.h. des damit verbundenen Ziels, dienen. Sie versuchen, den Leser zu "überzeugen", dem Gesagten Glauben zu schenken. Es handelt sich um die Sprechakte des "Lobs" (NOB 3) und des "Aufrufs" (NEM 3). Stab II. grupe odredov izreka pohvalo 3. četi drugega bataljona za hrabro ponašanje, ker se je z orožjem vred rešila iz brezupne obkolitve in zadala sovražniku težke udarce. (NOB 3) Der Stab des Gruppenkommandos II. spricht der 3. Truppe des 2. Bataillons sein Lob für besondere Tapferkeit aus, weil sie sich mitsamt ihrer Waffen aus einer hoffnungslosen Umzingelung befreit und dem Feind schwere Schläge versetzt hat. Sveta dolžnost vseh pametnih Gorenjcev pa je, da se ne samo ločijo od banditskih svetoskruncev in sovražnikov naroda, ampak da se tudi aktivno in javno bojujejo zoper njo, dokler ne bodo ti banditi docela iztrebljeni. Domobranci so jim k temu pokazali pot. (NEM 3) Es ist die heilige Pflicht aller gescheiten Oberkrainer, sich von den frevlerischen Banditen und Volksfeinden zu trennen - und den aktiven Kampf gegen diese anzutreten, bis sie völlig ausgerottet sind. Die Heimatkämpfer haben uns dazu den Weg gezeigt. c) Alle behandelten Texte sind thematisch eindeutig: es handelt sich um Texte, die über Kriegsereignisse, d.h. Kämpfe, berichten.9 Charakteristisch ist hier, daß der Berichterstatter eine Selektion der Information vornimmt. Betrachten wir das Beispiel der "Nachricht" aus dem Korpus von NEM (siehe oben NEM 1) sowie des "Berichts" aus dem Korpus NOB (siehe oben NOB 1). Während im Text NOB 1 genau gesagt wird, WAS geschehen ist (vgl./"nasi"/ napadli sovražnika -/"unsere" Soldaten/ griffen den Feind an; kolona se je popolnoma razbila - Kolonne wurde vollständig zerschlagen', Točnega števila nemških žrtev še nismo ugotovili, morajo pa biti precejšnje. Naši so uničili 3 kamione, 1 so zasegli nepoškodovanega, mnogo pa jih je bilo poškodovanih. - Genaue Anzahl deutscher Opfer unbekannt, muß aber beträchtlich sein. Die unsrigen haben drei Lastwagen zerstört und einen unbeschädigt in Beschlag genommen, viele wurden beschädigt.), 9 Es ist zu erwähnen, daß sich die Korpora von NEM und NOB darin unterscheiden, daß der Korpus von NEM äußerst wenig Texte beinhaltet, die den Leser direkt über Konfrontationen/Kämpfe zwischen Deutschen und Partisanen in Slowenien informieren würden. Die Deutschen vermeiden Berichterstattungen über Kämpfe in der näheren Umgebung (auf slowenischem Gebiet), während sich die Partisanen gerne damit brüsten - wenn sie siegreich waren, versteht sich. WANN es geschehen ist (vgl. 12. 9. 1944 od 9. dopoldne do 6. zvečer - am 12. 9. 1944 von 9 Uhr vormittags bis 6 Uhr abends) und WO es geschehen ist (vgl. na cesti nad Sempasem - auf der Straße über Šempas), wird im Text NEM 1 nur sehr allgemein angeführt, WAS geschehen ist (bitka s porazom nasprotnika - Kampf endete mit Niederlage des Feindes, der schwere Verluste an Mensch und Material erlitt /vgl. 111 komunističnih mrličev - 111 kommunistische Leichen; ujetih 6 komunistov, med njimi znani zločinci - 6 gefangene Kommunisten, darunter berüchtigte Verbrecher; zaplenjeno veliko orožja, več strojnic in mnogo pušk - viele Waffen, mehrere Maschinengewehre und viele Pistolen erbeutet), WO (vgl. pri Zireh — bei Ziri) und WANN (nur das Erscheinungsdatum der Zeitung ist angegeben; der Kampf fand am Vortag oder vor einigen Tagen statt) es geschehen ist. Darüber, WER die Teilnehmer des Geschehens bzw. Kampfs, waren, erfahren wir im Text aus dem Korpus von NEM lediglich für die deutsche Seite (vgl. allgemein Nemci in domobranci - Deutsche und Heimatkämpfer); die feindliche Seite wird von den Deutschen exakt, obwohl auf "journalistische" Art nach dem Anführer benannt (vgl. Vojkova komunistična brigada -Vojkos kommunistische Brigade). Dahingegen führt der Schreiber des NOB-Textes den Namen seiner Einheit im Detail an (vgl. edinice Bazoviške brigade - Einzeltruppen der Brigade von Basovizza), der Gegner jedoch nur mit nemška vojaška kolona (40 vozil) -deutsche Armeekolonne (40 Fahrzeuge); erwähnt wird auch die Bewaffnung: dva velika tanka — zwei große Panzer. Ich möchte hier noch erwähnen, daß der Autor mit der Äußerung Der Angriff unserer Armee war ausgezeichnet explizit den Sachverhalt (das Ereignis) bewertet, was für die informationsbetonte Textklasse atypisch ist. Betrachten wir nun noch andere Texte, wobei wir eine Übersicht der folgenden Daten herstellen wollen. WAS hat sich ereignet, einschließlich der FOLGEN (Verlust an Mensch und Material)? Es ist interessant, daß unter Was ist geschehen? die Folgen eigentlich ganz genau angegeben werden (d.h. der Verlust an Mensch und Material), und zwar immer jeweils mit besonderer Präzision beim Feind. Das hat sich schon in den beiden obenstehenden Beispielen gezeigt (NOB 1, NEM 1). Selten trifft man auf das Beispiel, daß Verluste auf der eigenen Seite angeführt sind, während dies häufig beim Feind zutrifft, und zwar sehr allgemein oder auch präzise (sogar mit Angabe in Zahlen, die wegen des Abrundens fragwürdig scheint). Die Anzahl der Opfer ist beim Feind natürlich immer größer. Verlust Textverfasser über die eigene Seite Textverfasser über die feindliche Seite - Opfer Die genaue Anzahl der deutschen Opfer konnte noch nicht ermittelt werden; sie muß beträchtlich sein. (NOB 1) /Die RA/hat/.../4000 Deutsche gafangen. /D/ie RA /hat/ eine Gruppe von deutschen Soldaten/.../ vernichtet. Es wurden 3500 deutschen Soldaten und 1 General gefangengenommen. /.../wurden 5000 Deutsche gefangengenommen, darunter 18 Oberste. (NOB 2) Es wurden 111 Kommunistenleichen gezählt. /..J wurden auch sechs Kommunisten gefangengenommen. (NEM 1) /.../ zwei feindliche Bataillone radikal vernichtet. /.../der Feind erhebliche Verluste erlitt. (NEM 2) - materieller Schaden Die unsrigen haben 3 Lastwagen zerstört und einen unbeschädigt in Beschlag genommen, viele wurden beschädigt. (NOB 1) Unsere Seite vermißt sechs Flugzeuge. (NEM 2) /.../und/haben/41 Kanone erbeutet, /.../haben/.../91 sowjetische Panzerfahrzeuge vernichtet. /.../sind unter erheblichen Verlusten erneute Ortsangriffe /.../zusammengebrochen. /.../ verlor 146 Flugzeuge. /.../wurde ein Boot der britischen Vorhut/.../ versenkt. /.../hat zwei britische Flugzeuge abgeschossen. (NEM 2) /.../wurden viele Waffen, darunter mehrere Maschinengewehre und zahlreiche Gewehre, erbeutet. (NEM 1) In der Mehrzahl der Fälle legt der Autor die wesentlichen Erfolge seiner Seite schon im Titel dar, während er im Untertitel die Mißerfolge des Gegners anführt, z.B. Uspešno napredovanje v trdnjavi Stalingrad - Erfolgreiches Vorrücken in Festung Stalingrad mit dem Untertitel: Od 15. septembra smo uničili 91 oklopnjakov -V 2 dneh smo sestrelili 146 letal - Seit dem 15. September haben wir 91 Panzerfahrzeuge vernichtet - Innerhalb von 2 Tagen haben wir 146 Flugzeuge abgeschossen (NEM 2) oder Rdeča armada bije nasprotnika - Die Rote Armee schlägt den Feind mit dem Untertitel Napredovanje pri Varšavi. RA prekoračila južne Karpate. Nemške izgube -176 Vorrücken bei Warschau. Die RA hat die südlichen Karpaten überschritten. Deutsche Verluste (NOB 2). In den angeführten Fällen wird das zentrale Thema im Titel zusammengefaßt; der Untertitel führt die Nebenthemen ein. WO ist es geschehen? Die Antwort auf diese Frage ist in allen Texten zu finden, obwohl ziemlich allgemein (NEM 1, 2 u.a.) oder gar völlig allgemein, vgl. ein gewisses Dorf in der Region Primorska (NOB 4): V novembru so Nemci nenadoma vdrli v neko vas na Primorskem. Mladinke so pravočasno rešile ranjenega tovariša, kije ležal v vasi. Iz besa so Nemci zažgali hišo, v kateri je ležal ranjenec in so v njo zaklenili gospodinjo. Toda mladinke so jo rešile iz goreče hiše. (NOB 4) Im November sind die Deutschen plötzlich in ein gewisses Dorf in der Region Primorska eingedrungen. Junge Mädchen konnten einen verwundeten Genossen, der im Dorf lag, noch rechtzeitig retten. In ihrer Wut steckten die Deutschen das Haus in Brand, in dem der Verwundete lag, und sperrten die Hausherrin mit ein. Dem Mädchen gelang es jedoch, sie aus dem brennenden Haus zu retten. Nur in einem Fall ist der Ort der Berichterstattung angegeben: Stein, den 15. Dezember (NEM 3), während für mehr Überzeugungskraft beim Leser nur dadurch gesorgt wird, daß als Informationsquelle die höchsten Armeeorgane angegeben werden. Diese Pseudo-Berichte führen den Ort der Kampfhandlungen oberflächlich auf: NEM 2 NOB 2 - entlang der Terek - /vor/ Stalingrad - am Brückenkopf bei Voronesch - südöstlich, des Ilmenski-Sees südlich des Ladoga-Sees in Süd- und Westenengland im Ärmelkanal - nordöstlich von Warschau - im Südteil des östlichen Kampfschauplatzes - in Zentralrumänien - entlang der Donau WANN ist es geschehen? In einigen Texten wird auch das Kampfdatum erwähnt (vgl. am 7. November; NEM 3). Der Leser berücksichtigt natürlich auch das Erscheinungsdatum der Zeitung, weil - wie wir schon sagten - am Anfang des Textes weder Ort noch Entstehungsdatum des Textes angeben werden (mit Ausnahme eines Falls: Stein, den 15. Dezember, NEM 3). Bei den sog. Berichten der Armeeorgane ist das Datum (ev. mehrere) im Text zu finden (siehe NEM 2). WER war am Ereignis beteiligt? Bei einer detaillierten Schilderung des Ereignisses würde man die Anfuhrung der Namen der auf beiden Seiten kämpfenden Einheiten, die Anzahl der Soldaten, wenn dies nicht sowieso aus der Bezeichnung dem Namen der Einheit hervorgeht - sowie die Art ihrer Bewaffnung - erwarten. Die Resultate der Analyse sind äußerst interessant: Der Name der eigenen Einheit wird im Korpus von NOB nur einmal angeführt, wobei bemerkenswert ist, daß im Text aus dem Korpus von NEM lediglich der Name der feindlichen Einheit angegeben ist -der eigene Name fehlt (NEM 1); im übrigen wird v.a. die Bewaffnung des Gegners angeführt, was den Anschein einer guten Bewaffnung erweckt; wie jedoch in der Folge geschildert wird, erleidet eben diese sehr gut bewaffnete Einheit schwere Verluste (in der Tabelle unten mit * bezeichnet). Ist die Bewaffnung für die eine Seite angegeben, so fehlt sie für die andere. WER Textverfasser über die eigene Seite Textverfasser über die feindliche Seite Anführung der Namen der am Kampf beteiligten Truppen Einzeltruppen der Brigade von Bazovica (NOB 1) Vojkos kommunistischer Brigade (NEM 1) Anzahl der am Kampf beteiligten Soldaten *mehr als 4000 Deutsche gefangen *mehr als 3500 Deutsche Soldaten und 1 General gefangengenommen *mehr als 5000 Deutsche gefangengenommen, darunter 18 Oberste (NOB 2) * zwei feindliche Bataillone (NEM 1) 5.2. Realisierung der sprachlichen Mittel Die Gewinnung des Adressaten verläuft nicht mit einer gewöhnlichen Struktur, sondern auch/insbesonders direkt mit Auswahl der ungewöhnlichen/nicht neutralen/ expressiven sprachlichen Mittel seitens des Berichterstatters. Es handelt sich um emotionelle Bezeichnungen beider Seiten (d.h. der eigenen und jener des Feindes, bzw. deren Handlungen), z.B. als Bezeichnung der feindlichen Seite: OF-Banditen (NEM 3, NEM 5), frevlerische Banditen (NEM 3), "Befreier" (NEM 3), "Befreier des slowenischen Volkes" (NEM 5), Kommunisten (NEM 1), Faschisten (NOB 7), Lumpenpack (NOB 7), und für die Handlungen des Feindes: frevlerisches Banditenwesen (NEM 3), sowie die feindlichen Opfer: Kommunistenleichen (NEM 1). In institutionalisierten "Berichten" finden sich emotional unbelastete Ausdrücke bzw. weniger emotional geladene Ausdrücke: Sowjets (NEM 4), Feind (NEM 4), faschistische Miliz und Armee (NOB 3), Italiener (NOB 3), Faschist (NOB 3). Wenn der Schreiber von den Aktivitäten seiner Seite spricht, verwendet er die erste Person Plural, so als ob er, der Autor, aktiv dazu gehören würde: Wir haben vernichtet -wir haben erschossen - wir haben erreicht (NEM 2), der Angriff unserer Armee (NOB 1), unsere Truppe (NOB 3), unsere Kämpfer (NOB ?). Der Adressat wird folgendermaßen bezeichnet: alle ehrlichen und gläubigen Oberkrainer (NEM 3), alle gescheiten Oberkrainer (NEM 3). 6 Abschluß Die Analyse hat folgendes aufgezeigt: - Eine Beeinflussung des Adressaten ist auch bei der Nachricht bzw. beim Bericht als informationsbetonter Textsorte zu finden ist, wo dies eigentlich nicht zu erwarten wäre. - Die Autoren der Texte gewannen den Leser für sich/nahmen auf ihn Einfluß, indem sie nicht nur nicht neutrale/expressive sprachliche Mittel verwendeten -besonders bei der emotionell negativen Bezeichnung des Feindes und seiner Handlungen -, sondern auch/inbesondere mit der Strukturierung dieser Texte: es handelt sich um "Nachrichten", in denen v.a. angeführt ist, WAS sich ereignet hat (d.h. was für negative Folgen der Gegner erlitten hat); im wesentlichen fehlen jedoch genaue Angaben darüber, WO und WANN sich das Ereignis abgespielt hat und WER daran beteiligt war. "Berichte" sind kaum zu finden, und wenn sie als solche bezeichnet werden, so handelt es sich lediglich um Aufzählungen/Anhäufungen von Mitteilungen. Es muß gesagt werden, daß solche Beiträge nicht vom Autor unterschrieben sind. - Zwischen den Texten verschiedener Autoren treten keine Unterschiede auf (d.h. im Korpus von NOB und NEM): beide sind dadurch gekennzeichnet, daß eher zu wenig als zu viel gesagt wird (keine Präzision); der Leser kann in Ermangelung genauerer Angaben auch nicht nachprüfen, wie es um die Glaubwürdigkeit eines solchen Textes bestellt ist. Quellenverzeichnis NEM 1 Vesti iz Ljubljane in okolice (Karawanken Bote 26. 1. 1944) NEM 2 Uspešno napredovanje v trdnjavi Stalingrad (KB 23.9. 1942) NEM 3 OF je razstrelila cerkev na Gorenjskem (KB 16. 12. 1944) NEM 4 Oberkommando der Wehrmacht je dne 9. junija objavilo (KB 12. 6. 1943) NEM 5 Hud poraz of-arskih banditov (KB 28. 10. 1944) NOB 1 Nova borba - uspeh Bazoviške (Partizanski dnevnik 17. 9. 1944) NOB 2 RA bije sovražnika (PD 7. 9. 1944) NOB 3 Poročila s slovenskih bojišč (Slovenski poročevalec 21. 4. 1942) NOB 4 Primorska (Mladina konec decembra 1943) NOB 5 Vojno poročilo Vrhovnega štaba NOV in POJ (PD 4. 2. 1945) NOB 6 Dnevno poročilo štaba IX. korpusa NOV in POJ za 31. 1.45 (PD 4. 2. 1945) NOB 7 Napad na žandarmerijo v Zagorju (Spor 16. 8. 1941) Literaturverzeichnis Brandt, M. et all (1983), Der Einfluß der kommunikativen Strategie auf die Textstruktur - dargestellt am Beispiel des Geschäftsbriefes. In: I. Rosengren (Hrsg.), Sprache und Pragmatik, Lunder Symposium 1982, Malmö, S. 105-136. Hindelang, W., Viehweger, D. (1991), Textlinguistik, Niemeyer Verlag, Tübingen. Dular, J. (1974), Zvrstnost slovenskega jezika, v: Informativni zbornik SSJLK, Filozofska fakulteta, Ljubljana, 57-74. Dular, J. et all (1981), Slovenski jezik I, Založba Obzorja, Maribor. Koch, W., Rosengren, I., Schonebohm, M. (1981), Ein pragmatisch orientiertes Textanalyseprogramm. In: Lunder Germanische Forschungen 50, S. 155-203. Košir, M. (1988), Nastavki za teorijo novinarskih vrst, Državna založba Slovenije, Ljubljana. Lüger, H.-H. (1995), Pressesprache, Max Niemeyer Verlag, Tübengen. Mötsch, W., Pasch, R. (1987), Illokutive Handlungen. In: W. Mötsch (Hrsg.), Satz, Text, sprachliche Handlung, Studia grammatica XXV, Berlin, S. 11-80. Mötsch, W., Reis, M., Rosengren, I. (1990), Zum Verhältnis von Satz und Text, Deutsche Sprache, Berlin, 97-125. Viehweger, D. (1983), Sequenzierung von Sprachhandlungen und Prinzipien der Einheitenbildung im Text. In: R. Ružička, W. Mötsch (Hrsg.), Untersuchungen zur Semantik, Studia grammatica XXII, Berlin, 369-394. Povzetek NEMŠKA IN SLOVENSKA ČASOPISNA BESEDILA MED DRUGO SVETOVNO VOJNO NA SLOVENSKEM OZEMLJU Analiza časopisnih besedil, ki so nastala med 2. svetovno vojno v slovenskem jeziku na slovenskem ozemlju in katerih avtorji so pripadali nasprotnima "stranema" v vojni (korpus NOB /Slovenski poročevalec, Partizanski dnevnik, MladinaI in korpus NEM /Karawanken Botel), namenjena pa so bila slovenskemu bralcu, je pokazala, da 1) je najti vplivanje na naslovnika tudi v vesti/poročilu kot informativnih besedilnih vrstah; 2) so avtorji besedil pridobivali bralca/nanj vplivali ne le z izbiro nenevtralnih/ekspresivnih jezikovnih sredstev, ki se kažejo predvsem v čustveno negativnem poimenovanju nasprotnika in njegovih dejanj, ampak tudi/predvsem s strukturiranostjo teh besedil: navedeno je, kaj seje zgodilo, tj. kakšne posledice je utrpel nasprotnik, v glavnem pa manjkajo točni podatki o tem, fcjs in kda,i se je zgodil dogodek in kdo so bili njegovi udeleženci; 3) ni zaznati razlik med besedili iz korpusa NOB in NEM: za oboje je značilno, da povedo raje manj kot dovolj (avtorji so nenatančni); bralec zaradi tega, ker ima na razpolago premalo podatkov, tudi ne more preveriti verodostojnosti povedanega. Ingo Thonhauser-Jursnick Universität Graz UDK811.111'276:811.112.2'276:001.4 "MEIN BESONDERER DANK GILT..."-DAS VORWORT. STRUKTUREN WISSENSCHAFTLICHER DANKBARKEIT Vorbemerkung Zu Anfang einige Zeilen, um den etwas lang geratenen Titel und mein Vorhaben zu erläutern: Der Beitrag versteht sich als Fallanalyse auf der Basis einiger theoretischer Grundannahmen aus der Textsortenlinguistik. Jede Bearbeitung eines Themas hat eine "Entstehungsgeschichte", und ich stelle diese hier voran, da sie das Ziel der Arbeit selbst konturiert. In der Textsammlung war mein Interesse für eine Textsorte des wissenschaftlichen Alltags - das "Vorwort" - der Ausgangspunkt. In der Sichtung von Neuerscheinungen, im Überfliegen von Literatur, die zu einem bestimmten Zweck möglicherweise interessant sein könnte, suchen Leserinnen häufig im Vorwort nach Auskunft zu den Intentionen und Absichten der jeweiligen Publikation. Und man wird fündig, im besten Fall sind gar die Grundthesen kurz und überschaubar dargestellt. Manchmal jedoch auch nicht. In meiner Lektüre, die, wie erwähnt, keine systematische im Hinblick auf die Verfassung dieses Beitrags war, meinte ich, Konstanten und Variablen zu entdecken und begann, mir einzelnes zu notieren, mit einem Wort, eine Idee zu verfolgen. Mit einigem Recht kann man einwenden, daß ein solches Vorgehen wohl kaum einen brauchbaren Rahmen für eine Korpusbildung ergibt, da mein Vorgehen eher eine Art interessegeleitete Willkür war. Diesem Einwand kann ich zwei Dinge entgegenhalten: Einmal steht der theoriebezogene Aspekt für mich deutlich im Vordergrund: Es ist mir wichtig, Klarheit über eine bestimmte Klasse textueller Charakteristika zu gewinnen, die nicht nur individuelle Texte kennzeichnen, sondern die Zuordnung dieser Texte zu Textsorten erlauben oder mindestens deutlich mitbestimmen. Ich spreche hier von Merkmalen, die in der Literatur als "Textmuster", als "Makrostrukturen" u.ä. bezeichnet werden, deren Signifikanz gerade im alltäglichen Sprachgebrauch allenthalben hoch eingeschätzt wird: z.B.: "Das (intuitive) Textmusterwissen ermöglicht uns einen routinierten Alltags-Umgang mit bestimmten Textsorten" (Linke/Nussbaumer/Portmann 1991, 253). Der im Zitat in Klammer gesetzte Begriff "intuitiv" ist aus meiner Sicht wesentlicher, als die Klammern andeuten: Ich gehe im folgenden von einer, wie ich denke, ebenfalls intuitiv klar faßbaren Textsorte aus, um Textmusterwissen an einem konkreten Beispiel festzumachen. Zweitens - und dies ergibt sich aus dem eben Gesagten - geht es mir eher darum, hier einen Versuch zu unternehmen und zur Diskussion zu stellen, als um eine repräsentative Textsortenuntersuchung. Das Textkorpus ist allzu limitiert. Ich bin mir bewußt, daß gerade großangelegte Untersuchungen ein Desiderat der Textsortenlinguistik sind, die Rechtfertigung einer beispielhaften Textauswahl ist allein, daß sich auf dem Wege einer solchen Vorgangsweise ein möglicher Ansatz erproben läßt, der mit Modifikationen ein größeres Unternehmen rechtfertigen könnte. Abschließend ein Geständnis: So willkürlich war die Textauswahl nicht, sie sollte einen bestimmten Fachbereich erfassen und zumindest potentiell interkulturelle Beobachtungen zulassen: Ich habe daher englischsprachige und deutschsprachige Texte ausgewählt, die alle dem Bereich der Angewandten Linguistik und hier im besonderen des Fremdsprachenerwerbs und der Fremdsprachendidaktik entstammen. Die Beispieltexte sind Reihen entnommen, die linguistische Theorie und fremdsprachendidaktische Praxis zusammenführen. 1 Theoretische Überlegungen Ich beginne mit theoretischen Überlegungen, die eine Einordnung des Untersuchungsziels erlauben: Einmal stelle ich die Frage nach Klassifikationskriterien, die der Zuordnung zu Textsorten zugrunde liegen, und zweitens erscheint von Interesse, welche deskriptiven Kategorien zum Einsatz kommen? Die Relevanz der ersten Frage liegt auf der Hand: Ist das "Vorwort" bereits als eigene Textsorte anzusehen oder handelt es sich nur um den Bestandteil einer oder verschiedener Textsorten (z.B. der Textsorte "Dissertation" oder "Jahrbuch")? Die Zahl der Klassifikationsversuche von Textsorten ist Legion (vielleicht nicht ganz), und ich verzichte an dieser Stelle auf eine Darstellung und Diskussion der Problematik.1 Dennoch möchte ich der Frage nicht ganz ausweichen, sie aber hier sehr pragmatisch lösen: Elisabeth Gülich hat in ihrem Beitrag "Textsorten in der Kommunikationspraxis" (Gülich 1986) einen empirischen Zugang vorgeschlagen, der grundsätzlich von tatsächlichen Phänomenen der Kommunikation ausgeht. Dabei stellt sie eine im Grunde einfache Frage: Wie manifestiert sich Wissen über Textsorten und deren Klassifikation in der Alltagskommunikation? Sie geht dabei von konkreten Texten aus, die sie auf Äußerungen hin untersucht, aus denen sich die "Textsortenunterscheidungen der Kommunikationsteilnehmer" rekonstruieren lassen (Gülich 1986, 22). Wenn ich mich hier für eine ähnliche Vörgangsweise entscheide, ist damit systematischen, 1 Vgl. dazu etwa: von der Lage-Müller (1995, 7-19) oder Diewald (1995). Ich verweise aber auch auf die Arbeiten von Horst Isenberg (z.B. 1978), der die Grundfragen der Typologisierung auf den Punkt bringt. deduktiven Klassifikationsversuchen keineswegs die Sinnhaftigkeit abgesprochen, jedoch stößt dieser Zugang an Grenzen, die, wie ich meine, nur durch empirische Forschungsaktivitäten in der Textsortenlinguistik angegangen werden können. In diesem Sinne lassen es aus meiner Sicht folgende "Signale" plausibel erscheinen, daß das "Vorwort" zumindest im wissenschaftlichen Diskurs als eigenständige Textsorte angesehen werden kann: Der Begriff "Vorwort" gehört zu jenem sprachlichen Inventar, das wir gebrauchen, um über Texte zu sprechen und gehört zu den Textklassenbezeichnungen der Alltagssprache (vgl. Dimter 1981). Zweitens sind durchaus Normen für die Gestaltung von Vorwörtern und Vorgaben darüber, welche Textstruktur zu erwarten sei, formulierbar. Dafür läßt sich nicht nur das Wissen der Sprachteilhaberlnnen anführen, sondern auch Vorgaben von Verlagen, Richtlinien, die für Reihen, Jahrbücher usf. existieren. Dies weist daraufhin, daß es sich um etwas Eigenständiges handelt. Drittens erscheinen Vorwörter in unterschiedlichsten Kontexten und erweisen so ein Maß an Unabhängigkeit, d.h. sie sind nicht so stark an bestimmte Textsorten gebunden, daß sie jeweils nur als Teilstrukturen derselben anzusehen wären. So würde ich beispielsweise ein Verzeichnis der Adressen von Beiträgerinnen als Bestandteil der Textsorte "Sammelband" ansehen. Der Behauptung, daß Vorwörtern ein eigenständiger Status zukommt, ist hinzuzufügen, daß es sich jedenfalls um eine Textsorte handelt, zu deren Konstanten es gehört, daß sie nicht für sich allein steht, sondern prinzipiell im Verbund mit anderen Texten erscheint.2 Schließlich verweise ich auf die diachrone Dimension, auf aus rhetorischen Traditionen bekannte Konventionen und die Tatsache, daß sich Textsortengeschichten des "Vorworts" (z.B. Schwitzgebel 1996) verfolgen lassen. Dies ist ein weiterer Hinweis auf mögliches Textsortenwissen der Sprachteilhaberlnnen, freilich kein letztgültiger Beweis dafür, daß das Vorwort heutzutage als unabhängige Textsorte anzusehen ist. Dieser könnte durch umfangreichere Analysen sprachlicher Interaktion in verschiedensten Kontexten abgesichert werden. Ich bin mir bewußt, daß ich mich hier auf dem Boden der Plausibilität bewege und begnüge mich an dieser Stelle mit den vorgebrachten Argumenten. Ich halte fest, daß sich Hinweise finden, die das Vorwort im wissenschaftlichen Diskurs als eigenständige Textsorte ausweisen und komme zum zweiten Punkt: Für den zweiten, den deskriptiven Bereich liegen eindeutigere Forschungsergebnisse vor. In der Frage nach den Merkmalen, nach den Kategorien der Beschreibung von Textsorten zeichnet sich immerhin ein Konsens ab: Die grobe Unterscheidung eines textinternen und textexternen "Bündels von Merkmalen" (Linke/Nussbaumer/Portmann 1991,248) ist die Grundlage vieler Untersuchungen, die dann unterschiedliche Schwerpunkte setzen und einzelnen Charakteristika ihr 2 Dies bestätigt auch Timm (1996,458): "Die Besonderheit der Textsorte 'Vorwort' besteht darin, daß sie als 'Textsorte-in-Relation' nur durch eine 'Trägertextsorte' ihre Relevanz gewinnt. 'Trägertextsorte' und 'Textsorte-in-Relation' stellen die beiden Elemente eines asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnisses dar." Hauptinteresse zuwenden. Im textinternen Bereich wurden Thema-Rhema Strukturen, der Wortschatz, Textstrukturmuster u.ä. untersucht. Ich sehe in der Konzentration auf einzelnes nicht unbedingt einen Nachteil. Je vollständiger ein Merkmal erforscht ist, desto größer und abgesicherter wird das "Handwerkszeug" der Textsortenlinguistik insgesamt. Wenn ich an dieser Stelle noch einmal auf den Untertitel dieses Vortrags ("Strukturen wissenschaftlicher Dankbarkeit") verweise, wird auch klar, daß der vorliegende Beitrag zu der eben verteidigten Reihe kleinerer Untersuchungen gehört. Im Mittelpunkt meines Interesses steht ein wesentliches Element des textinternen Bereichs: Texte weisen in unterschiedlicher Gewichtung und in mehr oder weniger klar erkennbarer Ausprägung Strukturen auf. Diese können in vielen Fällen ein distinktives Merkmal in der Textsortenbestimmung sein. Als Beispiel verweise ich auf die Struktur formeller Briefe, die auch in der Didaktik (z.B. Killinger/Blüml 21991,68) explizit Ziel der Vermittlung ist. Gleichzeitig lehrt auch ein wenige Monate dauernder Auslandsaufenthalt mit seinen verschiedenartigen bürokratischen Hürden, daß die gewohnte Struktur keineswegs die schlechtweg gültige ist, mit einem Wort: Hier zeigen sich interkulturelle Unterschiede schon auf den ersten Blick. Eine weiterführende Fragestellung in diesem Zusammenhang wäre, ob es sich hier um prototypische Strukturen handelt. In der Literatur, v.a. aus dem Bereich der Kognitiven Linguistik, sind mehrere Termini für diese Strukturen gängig, ich entscheide mich an dieser Stelle für den Terminus "Textstrukturmuster", der am klarsten zum Ausdruck bringt, was gemeint ist.3 Sprachteilhaberlnnen verfügen über eine Textsortenkompetenz, die in der sprachlichen Sozialisation erworben wurde, und diese Muster sind Teil dieser Kompetenz. Dabei ist anzunehmen, daß dieses Wissen, je nach Sprachanwendungsbereich der/des Einzelnen, unterschiedlich entwickelt ist. Textstrukturmuster sind Schemata, durch die Wissen, genauer sprachliches Wissen, repräsentiert wird. Sie bestehen aus konstanten Merkmalen, die garantieren, daß das Muster identifizierbar bleibt, und variablen Merkmalen, die nicht in jedem Fall realisiert werden müssen. Diese Merkmale kann man sich hierarchisch gegliedert vorstellen, indem die Variablen der höchsten Ebene ihrem Status nach den Konstanten schon sehr nahe sind, während variablen auf niedrigeren Ebenen austauschbar und abänderbar sind, ohne daß die Gesamtstruktur nicht mehr identifizierbar wird. Ein Hinweis, der für die Eigenständigkeit des Vorworts als Textsorte spricht, ist wie gesagt die intuitiv festlegbare Struktur. Wie kann nun ein solches Textstrukturmuster des "Vorworts" aussehen? Der folgende Abschnitt gibt die Ergebnisse einer Durchsicht der Textbeispiele wieder. 3 Vgl. dazu Brown/Yule 1989, 236-255. 184 2 Textanalyse 2.1 Komponenten Wie die Formulierung des Titels zeigt, war meine intuitive Erwartung, daß sich "Strukturen wissenschaftlicher Dankbarkeit" feststellen lassen und das damit bereits ein Merkmal benannt ist. Ich schlage - mindestens in einem wissenschaftlichen Kontext - die folgenden Grundelemente vor. Vorwörter lassen einmal eine "Positionierung der Publikation im fachlichen Kontext" erwarten, zweitens "Angaben zu funktionalen Gesichtspunkten (Ziel und Zweck) und zu den intendierten Adressatinnen", als dritten Bestandteil setze ich "Aussagen zu Inhalten und Hinweise zur Strukturierung dieser Inhalte" an. Als viertes und letztes Element schließlich folgt die "Danksagung", wobei ich diesen Begriff hier weit fasse. Mitunter wird an dieser Stelle die Färbung von Vorwörtern entschieden: Hier kann kurz und bündig den geldgebenden Institutionen gedankt werden, aber ebenso, wie dies häufig bei Qualifikationsschriften (z.B. Dissertationen) zu beobachten ist, die Verknüpfung von persönlicher Biographie und Entstehungsgeschichte der Publikation zum Thema werden. Wesentlich ist, daß ich diese Aufzählung als Benennung von Konstituenten sehe, die noch keinerlei Rückschlüsse auf deren Anordnung in Vorwörtern zuläßt. Die ersten drei Bereiche dienen der "Präsentation" des Bandes, den Dank hebe ich als gesonderten Teil ab. Ich stehe mit diesem Raster nicht allein, wie ein Blick auf kürzlich erschienene Literatur zeigt. Timm (1996, 462f.) schlägt folgende Konstituenten vor: In der Grobgliederung unterscheidet er als "strukturelle Invarianten" die Überschrift, den Textköiper und den Namen des Autors. Der Bereich des "Textkörpers" wird wiederum in drei Bereiche unterteilt: "Einleitende Feststellung", "Angaben zur Publikation (Anliegen; Angaben zur Themenbehandlung)" und "Produktionsbedingungen (Quellennachweise; Dank)". Von diesen Konstituenten des "Textkörpers" wiederum seien nur die "Angaben zur Publikation" obligatorisch. Die Grobgliederung stimmt mit den oben vorgeschlagenen Kategorien durchaus überein, wobei ich die Positionierung im fachlichen Kontext nicht einfach zu den -darüberhinaus als fakultativ angesehenen - "einleitenden Feststellungen" zählen würde, sondern diese den "Angaben zur Publikation" zurechne und ihr damit größere Bedeutung zuspreche. Graphisch läßt sich somit der von Timm als "Textkörper" benannte Bereich auf folgende Weise darstellen: 2.2 Quantitative Anteile Ich bin von der kursorischen Lektüre ausgegangen, die der Anstoß für die dargestellten Reflexionen war, und komme nun zur Lektüre zurück. In einer Art Probe aufs Exempel habe ich aus der Vielzahl des Gelesenen ausgewählt. Im folgenden präsentiere ich daher die Ergebnisse einer nun textsortenlinguistisch interessierten Lektüre von Vorwörtern aus einem sehr klar definierten Feld: In der Fremdsprachendidaktik werden Forschungsergebnisse der Linguistik häufig in Reihen (z.B. die "Cambridge Language Teaching Library") publiziert, die Bezüge zur Praxis des Fremdsprachenunterrichts herstellen. Ich habe fünf Beispiele der deutschsprachigen Reihe "Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis (FITUP)" und ebenfalls fünf Beispiele aus englischsprachigen Reihen der Cambridge University Press und der Oxford University Press entnommen. Eine Durchsicht der Texte, die als "Vorwort", "Foreword" oder "Preface" ihre Textsortenzugehörigkeit auswiesen, ergab einige Überraschungen, die ich nun - immer vorausgesetzt, daß es sich dabei um die Erprobung einer Vermutung handelt - darstelle: Lassen sich die erwähnten Komponenten also tatsächlich wiederfinden? Ich gehe nur kurz auf die drei ersten Bereiche ein, die der Präsentation der jeweiligen Publikation dienen, besonderes Augenmerk ist dann in einem gesonderten Abschnitt dem Dank gewidmet. Meine Vörgangsweise war die, daß ich erhoben habe, ob die einzelnen Komponenten realisiert werden und welche Textanteile ihnen zukommen. 2.2.1 Präsentation Die ersten drei Komponenten waren in den deutschsprachigen Texten in insgesamt ähnlicher Gewichtung vorhanden, es fiel nie mehr als eine Komponente vollkommen aus, immer vorhanden war der Bereich "Ziel, Zweck und Adressaten". In den englischsprachigen Texten war der Bereich "Einordnung in den fachlichen Kontext" den anderen untergeordnet, nur in einem Fall fielen jedoch Angaben zu Bereich 2 aus. Es wäre unangemessen aufgrund dieser Textbasis Konstanten und Variablen bestimmen zu wollen, zwei Beobachtungen sind jedoch mindestens aufschlußreich: Einmal finden sich intuitive Annahmen grosso modo bestätigt, die Komponenten sind in nahezu allen Texten mehr oder minder ausführlich vorhanden. Doch werden diese so "selbstverständlich" erscheinenden Bereiche nicht in jedem Fall realisiert, wie dies im strengen Sinn bei Konstanten eines Textstrukturmusters der Fall sein müßte. Ein besonderer Unterschied zwischen den englischsprachigen und den deutschsprachigen Texten liegt nur im erwähnten geringeren Anteil des Bereichs 1, aber auch hier wäre der Anspruch einer gültigen Schlußfolgerung unangebracht. Prinzipiell kann somit für die ersten drei Aspekte festgehalten werden: Die Annahme, daß sich der Textsortencharakter von Vorwörtern im akademischen Bereich schon durch klar sichtbare Komponenten eines Textstrukturmusters erweisen würde, ist wohl zumindest mit Vorsicht zu genießen. Hier muß noch mehr im Spiel sein. Zusätzlich zu Textstrukturmustern sind hier pragmatische Zusammenhänge (Verlagsvorgaben, Reihen u.ä.) und individuelle abgetönte Funktionen der Vorwörter in Betracht zu ziehen. Doch wie gesagt, ich will die Folgerungen nicht zu weit treiben. 2.2.2 Dank Wie steht es aber nun um den Dank, schließlich nahm mein Interesse hier seinen Ausgangspunkt? Im wesentlichen lassen sich zwei Ergebnisse festhalten. 1. Der Dank ist beileibe nicht immer im Vorwort zu finden. Der Dankbarkeit werden gesonderte Texte gewidmet, in manchen Fällen fällt er sogar gänzlich aus.4 In englischen Texten wird häufiger und i.d.R. wesentlich ausführlicher gedankt. 2. Interessanter erscheint aber nun die Struktur dieser Dankbarkeit: Wem wird gedankt und in welcher Reihenfolge? Folgenden Personengruppen wurde in den untersuchten Texten gedankt: Mentorinnen: Mit diesem Begriff fasse ich Personen, denen Impulse zu verdanken sind, die zur Entstehung der Publikation führten. Herausgeber der Reihe: Dies erscheint eher als Charakteristikum der englischen Texte. Kolleginnen: Man dankt für fachlichen Rat und konstruktive Kritik, auch Studierende werden, v.a. in englischsprachigen Texten, genannt. Studierenden und Lehrenden: Hier handelt es sich i.d.R. um Gruppen, die bei empirischen Vörgangsweisen in die Arbeit eingebunden waren. Lektorat und Sekretariat: Dies ist in einem mitunter weit gefaßten Sinn der Personenkreis derjenigen, die mit der Fertigstellung des Manuskripts betraut waren. Lebenspartner/Familie: Der Dank im privaten Bereich erscheint im untersuchten Korpus nur in englischsprachigen Texten. Damit läßt sich im Vergleich mit den anderen Bereichen sagen, daß sich hier immerhin ein erkennbares Inventar der Dankbarkeit ergibt, eine Reihenfolge läßt sich, auch schon aufgrund der geringen Zahl der untersuchten Texte, nicht festlegen. Mit Sicherheit spiegeln sich hier auch pragmatische Begebenheiten, etwa die Erwähnung von Personengruppen, die in empirische Arbeit eingebunden waren. Eines steht aber außer Frage: Wenn der familiäre Bereich genannt wird - und in den vorliegenden Texten geschieht dies nur in den englischen - dann wird der Lebenspartnerin/dem Lebenspartner am Schluß gedankt, meist mit einer Bemerkung zu den Effekten auf das Familienleben. Die Dankesworte sind der Ort, wo man die eintönig-sachlichen Bahnen des Verfassens von Vorwörtern am ehesten verlassen kann, ja es scheint - und hier stütze ich mich auch auf zusätzliche Lektüre - das der 4 Dies bestätigt Timm (1996, 462), wenn er den Dank als fakultatives Element bestimmt. letztgenannte Bereich - die Familie - dem besonders dient. Sternkopf (1996, 472) bestätigt dies, wenn er in seinem Vergleich des "Vorworts" mit der "Rezension" bemerkt, daß "der Verfasser eines Vorworts auch eine größere Freiheit in der Wahl seiner sprachlichen Mittel im Sinn einer stärkeren Subjektivität" hat. Ich führe dies nicht weiter aus, sondern zitiere aus einem der untersuchten Texte: Dick Allwright und Kathleen Bailey fügen im Vorwort zu "Focus on the Language Classroom" an den Dank für familiäres Verständnis den Kommentar eines jungen Familienmitglieds und formulieren das so: We were both humbled and encouraged by Mark's comment upon seeing that the final manuscript had no colourful illustrations: "Well, it is sort of a boring book, but maybe teachers will like it." (Allwright/Bailey 1991, xii) 2.3 Schluß Die Analyse ergab, daß Vorwörter in erstaunlichem Maß variierbar sind, sodaß die Festlegung von konstanten Merkmalen auch bei Textkorpora, die in bezug auf die fachliche Domäne klar eingrenzten werden, nicht ohne weiters möglich erscheint. Dies wäre an einem größeren Texkorpus zu prüfen. Zur "wissenschaftlichen Dankbarkeit" ist festzuhalten, daß diese Komponente den breitesten Spielraum läßt. Die These, daß sich hier ein Freiraum eröffnet, der es Autorinnen gestattet, den Normierungen des wissenschaftlichen Diskurses zumindest kurzzeitig zu entkommen, erscheint plausibel und würde eine gesonderte und zudem unterhaltsame Untersuchung rechtfertigen. Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag geht von einem Aspekt "alltäglicher Textverarbeitung" im akademischen Kontext aus: der kursorischen Lektüre von wissenschaftlichen Vorwörtern. Als These gilt, daß Vorwörter eine eigenständige Textsorte darstellen, die als Bündel von textinternen und textexternen Merkmalen zu fassen ist. Konkret wird ein wesentliches textinternes Merkmal, das zugrundeliegende Textstrukturmuster, untersucht. Hier handelt es sich um ein Muster zur Repräsentation von sprachlichem Wissen, das als Bestandteil des alltäglichen, routine-geprägten Umgangs mit Texten und Textsorten zu sehen ist. Anhand von ausgewählten englisch- und deutschsprachigen Texten wird überprüft, inwiefern sich Elemente "Positionierung des Themas in den fachlichen Kontext", "Definition von Ziel, Zweck und Adressatinnen", "Angaben zu Inhalten und zur Strukturierung" sowie "Danksagung" tatsächlich als konstante oder variable Elemente identifizieren lassen. Literatur Brown, Gillian/Yule, George (1989), Discourse Analysis. Cambridge, New York, Melbourne (=Cambridge textbooks in linguistics.). Dimter, Markus (1981), Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache, Tübingen, (=Reihe germanistische Linguistik.32). Diewald, Gabriele (1995), "Textsortenklassifikation auf der basis kommunikativer Grundbedingungen", in: Linguistica 35/1, 21-36. Gülich, Elisabeth (1986), "Textsorten in der Kommunikationspraxis", in: H. Kallmeyer Hrsg., Kommunikationstypologie. Handlungsmuster, Textsorten, Situationstypen.-Jahrbuch 1985 des Instituts für deutsche Sprache, Düsseldorf, 15-46. 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STRUKTURE ZA IZRAŽANJE ZAHVALE V ZNANSTVENIH BESEDILIH Prispevek izhaja iz "vsakdanjega srečevanja z besedili" v akademskem kontekstu: iz kurzoričnega branja predgovorov znanstvenih člankov. Izhajamo iz teze, da predgovori predstavljajo posebno besedilno vrsto, ki jo lahko pojmujemo kot sklop znotraj- in zunajbesedilnih znančilnosti. Na konkretnem primeru obravnavamo eno od bistvenih znotrajbesedilnih značilnosti - vzorec besedilne strukture, na katerem temelji omenjena besedilna zvrst. Gre za vzorec kot odraz jezikovnega znanja, ki ga je mogoče pojmovati kot sestavni del vsakdanjega, rutinskega odnosa do besedil in besedilnih vrst. Na podlagi analize angleških in nemških besedil skušamo ugotoviti, v kolikšni meri elementi, kot so "umestitev teme v strokovno sobesedilo", "navedba cilja, namena in naslovnika/naslovnice", "podatki o vsebini in zgradbi" in "zahvala", dejansko nastopajo kot stalne ali spremenljive sestavine obravnavane besedilne vrste. Vida Jesenšek Universität Maribor UDK 811.112.2'276'373.2:07:32 DER WORTSCHATZ ALS "WAHRHEITS VERMITTLER" IM AUßENPOLITISCHEN PRESSEKOMMENTAR 0. Einleitung Bekannterweise weist die ausgewählte journalistische Textsorte eine spezifische textuelle Struktur auf; ihre inhaltliche (evaluative) und intentionale Komponente sind zunächst in Kürze zu erläutern. Es zeigt sich, daß die Bewertung als obligatorisches Element eines Kommentartextes textstrukturell und stilistisch-pragmatisch bedingt ist und daß sie im Prinzip mittels Lexik realisiert wird. Das Funktionieren der Lexik als Bewertungsträger wird anschließend aufgrund einer exemplarischen Fallanalyse dargestellt, wobei hauptsächlich Zusammenhänge zwischen textstrukturellen Besonderheiten der Kommentartexte und stilistisch-pragmatischen Eigenschaften der Lexik interessieren. 1. Zum Wesen des Kommentierens und des Kommentars Den kommunikationswissenschaftlichen1 und kommunikationspsychologischen2 Erkenntnissen entsprechend, wohl aber auch in Übereinstimmung mit dem allgemein verbreiteten und konventionell festgelegten Verständnis der Sprechtätigkeit des Kommentierens3 sind Kommentare typische Vertreter derjenigen journalistischen Darstellungsformen, welche persönliche, subjektive, bewertende Stellungnahmen, Meinungen und Einstellungen zum thematisierten Sachverhalt in die Öffentlichkeit zu lancieren haben. Die Sprechtätigkeit des Kommentierens gehört neben Informieren somit zu den grundlegenden und unabdingbaren Bestandteilen der massenmedialen Berichterstattung. Allerdings lassen sich das Informieren und das Kommentieren nicht 1 Vgl. z. B. Noelle-Neumann/Schulz/Wilke (1994). 2 Gemeint ist das Kommentieren als Verhaltensmuster im komplexen Kommunikationsverhalten des Menschen. Man erkennt es daran, daß der Adressat "auf die Rezeption einer Information mit einer Stellungnahme" reagiert (Posner 1980, 2). 3 Kommentiert wird regelmäßig auch in alltäglicher privater Kommunikation, und hier gilt, daß dabei persönliche, subjektive und insbesondere bewertende Anmerkungen gemacht bzw. Stellungnahmen zum kommentierten Sachverhalt abgegeben werden. als isolierte Komponenten sondern zwangsläufig als miteinander eng verbundene und wechselseitig abhängige Aufgaben der öffentlichen Kommunikation interpretieren. Kommentiert wird notwendigerweise vor dem Hintergrund des Informierens, was zur Folge hat, daß die textuelle Struktur eines Kommentartextes in der Regel eine informative Orientierung über kommentierte Sachverhalte beinhaltet. In gleicher Weise will auch das mediale Informieren auf kommentierende Inhalte üblicherweise nicht verzichten. Darüber hinaus kann die Sprechtätigkeit des Kommentierens auch als Informieren über die Meinung verstanden werden; es ist folglich das Informieren über des Autors Meinungen und Einstellungen zu den thematisierten Ereignissen und/oder Sachverhalten. Allerdings ändert sich dabei die Qualität des Informierens, der Charakter der Information im Sinne der modifizierten Betrachtungsperspektive und der damit verbundenen Absichten des Autors bei gleichbleibendem Kommunikationsgegenstand. Im Idealfall wechselt zugleich die Präsentationsform, so daß die Informationen über Einstellungen in den sogenannten interpretativen bzw. meinungsbetonten und meinungsbildenden journalistischen Textsorten erscheinen, welche sehr oft eben der journalistische Kommentar repräsentiert.4 Werden Texte aus der Sicht der Textlinguistik als Realisierungen bestimmter Textmuster aufgefaßt, so befolgt auch der journalistische Kommentar ein konventionell festgelegtes und prototypisches Muster.5 Wie schon oben ersichtlich, beinhaltet dieses hauptsächlich den Ausdruck der Meinung. Da jedoch ein jeder Ausdruck der Meinung unbedingt auch evaluativ ist, zählt das Bewerten zu den obligatorischen Komponenten der kommentarspezifischen textuellen Struktur. In handlungstheoretischer Hinsicht nimmt es innerhalb der Textstruktur eine zentrale Position ein, es ist die vorherrschende Sprachhandlung, welche als eine Art Superhandlung alle anderen Handlungen im Kommentartext dominiert (Lenk 1986, Lüger 1995). Es kommt als eigenständiges Element im Sinne von Bewertungshandlung oder Bewertungssequenz vor, es kann sich 4 In der Tat dienen nicht nur Kommentare und kommentarähnliche meinungsbildende journalistische Textsorten (Leitartikel, Glosse, Kolumne, Kritik) der medialen Meinungsäußerung und Meinungsbildung. Auch primär informative journalistische Textsorten (Nachricht, Meldung, Bericht) kommen üblicherweise ohne die bewertenden und beurteilenden Elemente bzw. Passagen nicht aus, zumal man bereits die Selektion von Informationen in den Nachrichten als meinungsbildend bzw. meinungsbeeinflussend interpretieren kann. Interessantes hierzu bringt Schneider (1984, 281), wonach Kommentare und andere meinungsbetonte Textsorten überhaupt nicht diejenigen medialen Texte sind, in denen in erster Linie die Meinungsäußerung und -beeinflussung vollzogen werden. Im Gegenteil: Meinungen werden "in ungleich höherem Grade durch die Auswahl und Aufbereitung von Informationen gesteuert". Der Selektion von Informationen ist folglich u. a. eine Steureungsfunktion in der Meinungsbildung zuzuschreiben. 5 Es kann angenommen werden, daß die inhaltlich-textuelle Musterhaftigkeit eines Kommentartextes auch von der Rezipientenseite weitgehend erkannt wird. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Verständnis der Sprechtätigkeit des Kommentierens, insbesondere aber aus den Erfahrungen mit der medialen Berichterstattung, über die ein regelmäßiger Zeitungsleser in der Regel verfügt. Seinerseits gelten somit verbalisierte Meinungen und Stellungnahmen zu den aktuellen und öffentlich relevanten Sachverhalten als erwartete Qualitäten eines journalistischen Kommentars. aber auch um ein Prinzip handeln, welches die gesamte Kommentartextstruktur durchdringt (Läzer 1988, Ramge 1994). In Kommentartexten werden somit komplexe Bewertungshandlungen realisiert (Läzer 1988), und zwar intentional mit dem Hauptziel, daß der Rezipient sie akzeptiert und übernimmt (Schneider 1984, Läzer 1994, Lüger 1995). Der persuasive Charakter läßt sich auf die kommentarspezifische Textintention zurückführen, die, wie schon oben angedeutet, hauptsächlich im Appellieren besteht (Lüger 1995). Die intendierte Reaktion des Rezipienten ist die Übernahme der im Kommentar ausgedrückten bewertenden Positionen.6 Aus der Perspektive des Kommentators bestehen die kommentarspezifischen persuasiven Aspekte darin, "Strategien zu verfolgen, die geäußerten Bewertungen als begründet, gerechtfertigt, folgerichtig, kurz: als einsichtig erscheinen zu lassen" (Läzer 1994, 124). Begründungen, Rechtfertigungen, Erläuterungen u. ä. existieren somit als kommentarspezifische subsidiäre Handlungen, um die Akzeptierensbedingungen beim Rezipienten zu verbessern, um die Gültigkeit der zentralen bewertenden Aussage zu untermauern, unterstützen, argumentieren und so für den Rezipienten verständlicher, akzeptabler und ausführbarer zu machen. Sie sind Elemente der kommentarspezifischen argumentativen Textstruktur. Die persuasiven Strategien der Textgestaltung bedienen sich hauptsächlich sprachlicher Einheiten und sprachlicher Strukturen, um dadurch die intendierten Effekte beim Rezipienten zu erreichen.7 Das Evaluativ-Persuasive im Kommentartext läßt sich somit primär auf der lexikalischen Ebene beobachten: Entweder ist es an expliziten sprachlichen Indikatoren erkennbar (deutlich bewertende Lexik, Vergleiche o. ä.) oder es beruht auf der pragmatischen Komponente der Sprachverwendung. Durch die Wahl der Lexik ist es möglich, bestimmte Einstellungen und Wertungen beim Rezipienten verdeckt zu suggerieren, und dieser erkennt sie in der Regel erst durch bewußte Umdeutungen bzw. Uminterpretationen. Die lexikalische Ausprägung der Kommentartexte ist jedoch nicht nur auf die besprochene kommentarspezifische textuelle Struktur zu beziehen; ebenso betrifft sie allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten der sprachlichen Kommunikation. Demzufolge ist sie von (mindestens) zwei wesentlichen Standpunkten her zu beurteilen: 1. vor dem Hintergrund der konventionellen Kommentartextstruktur, und 2. unter Berücksichtigung der für die Kommunikation schlechthin geltenden Prinzipien einer wirksamen sprachlichen Gestaltung von Texten. Der Kommentator gestaltet seinen 6 Die Auffassung des Kommentars als Textsorte mit persuasiven Zielen ist zwar stark medial und situativ bedingt, sie nähert sich aber zugleich denjenigen Auffassungen der sprachlichen Kommunikation, die das Kommunizieren schlechthin primär im Sinne der Rezipientenbeeinflussung verstehen und interpretieren (vgl. Keller 1990, von Polenz 1991). 7 Von der intendiert persuasiven Einsetzung des Bildes, die insbesondere in der Boulevard-Presse praktiziert wird, wird hier abgesehen, da auch der besprochene Beispieltext einem anderen Zeitungstyp, nämlich der überregionalen Tagespresse entstammt. Das bedeutet allerdings nicht, daß die sogenannte seriöse Presse auf sensationelle Aufmachung und intentionsgestützte Verwendung des Bildes verzichtet. Text nämlich nicht nur nach den Prinzipien des Kommentierens und des Kommentars als Textsorte, er realisiert nicht nur ein spezifisches Textmuster, sondern er schreibt auch einfach einen Text. Dabei bemüht er sich aber um eine optimale, in der Regel um eine lesewerbende und attraktive sprachliche Gestaltung, er strebt nach einer stilistisch und pragmatisch angemessenen Ausdrucksweise. Es ist hierbei anzunehmen, daß die Formen von sprachlichen Bewertungen im Kommentar auch aus den Bemühungen um einen stilistisch guten Text resultieren und daß sie insofern mit der Sprechtätigkeit des Kommentierens nur indirekt zu tun haben (Ramge 1994). Die obligatorische Bewertungskomponente eines Kommentartextes läßt sich somit in doppelter Hinsicht interpretieren: Den verbalisierten oder interpretativ gewonnenen Bewertungen liegen entweder kommentarspezifische strukturinterne Prinzipien der Textmusterrealisierung zugrunde oder sie beruhen auf strukturexternen stilistisch-pragmatischen Prinzipien der Textgestaltung. Allerdings lassen sich beide Prinzipien wiederum nicht strikt voneinander trennen: Eher korrespondieren sie miteinander. 2. Eine Fallanalyse Im folgenden wird versucht, die obigen Überlegungen zu den bewertenden und intentionalen Komponenten der Kommentartexte an einem Beispieltext zu überprüfen. Es wird dabei hauptsächlich der Frage nachgegangen, inwiefern sich nun Zusammenhänge zwischen den kommentarspezifischen Textsorteneigenschaften und der lexikalischen Ausprägung eines konkreten Kommentartextes identifizieren lassen. Erfolgt die Selektion der Lexik im Prozeß der Textgestaltung primär als strategiegeleitetes Handeln des Kommentators, wodurch er die textintentional begründete kommunikative Funktion der betreffenden Textsorte verfolgt oder ist die jeweilige Sprachwahl in erster Linie stilistisch-pragmatisch begründet und somit als Qualität des Individualstils interpretierbar? Der Beispieltext aus Der Süddeutschen Zeitung 1995, Nr. 289, S. 4 Seite 4 / Süddeutsche Zeitung Nr. 289 F Seelenlos und am Boden zerstört - VON JENS SCHNEIDER - War es früher nicht schön hier? In Zagreb oder Ljubljana ist es heute nahezu verboten, diese Frage zu stellen. Auch in manchen Zirkeln in Sarajewo oder Belgrad gilt sie als Zeichen von Jugonostalgie oder gar Verrat. Es soll schon einige den Job gekostet haben, öffentlich an vielleicht gute alte Zeiten zu erinnern. Also fragen die Menschen lieber leise: War es nicht beinahe schön damals, vor dem Krieg? Alle hatten ein Dach überm Kopf, oft ein sehr ansehnliches, und immer gab es zu essen - fett, würzig und reichlich. Das muslimische Bairam-Fest und zweimal Weihnachten gefeiert, jeden Sommer ans Meer - und Krieg? Krieg war in Afrika oder Beirut, aber nicht bei uns. Derlei Nostalgie hat immer etwas Verlogenes, die Erinnerung verklärt den Blick. Vergessen wird der Mangel an Demokratie, das unterdrückte Nationalbewußtsein und der wirtschaftliche Verfall. Es wird verdrängt, daß die Fehler Titos eine Ursache des verheerenden Krieges waren. Es gibt kein Zurück, und das ist wohl auch gut so. Dennoch drängt sich angesichts der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens die Frage auf: Was haben die Jugoslawen für ihr fröhlichmarodes Regime eingetauscht? Öde und verfallen, undemokratisch und moralisch verkommen, ethnisch gesäubert und dramatisch verarmt - das ist das neue Jugoslawien. Aufgesplittert in sechs Republiken; fünf hat der Verfall erfaßt, eine - Slowenien - ist davongekommen. Aber der Rest: Millionen Verlierer stehen einer Handvoll mafioser Kriegsgewinnler gegenüber, Hunderttausende starben, unzählige Menschen wurden vertrieben. Die Täter laufen frei herum, einige regieren. Klinisch tot ist das multikulturelle Bosnien; Dayton hat diesen Zustand - trotz aller gutgemeinten Bekenntnisse zur Integrität des Landes - einstweilen besiegelt. Das bettelarme, zerstörte Land besteht de facto aus drei ethnisch weitgehend gesäuberten Gebieten, beherrscht von jeweils allmächtigen Ein-Parteien-Reginien. Nur in wenigen Städten gibt es noch Spuren multikulturellen Zusammenlebens. Vorerst dürfte die Trennung der Volksgruppen sogar fortgesetzt werden, wenn Minderheiten lieber zu ihresgleichen ziehen, als unter feindseligen Regimen in der Heimat zu bleiben. Diese Aussicht dürfte auch viele Vertriebene von der Rückkehr abschrecken. Nicht vergleichbar, aber dennoch trostlos sieht es in den anderen Republiken aus: Manche wollen die Serben als Sieger sehen, weil ein Teil Bosniens von Serben beherrscht wird. Welch ein Sieg! Der Krieg und die Sanktionen haben Serbien und Montenegro an den Rand des Ruins gebracht; es herrscht beklemmende Armut. Kriminelle'':dofirfnierenr- 'das1 Gft-ecliäftsleben.1st das Land weiter entfernt als vor dem Krieg. Ungelöst bleibt das Kosovo-Problem, wo die unterdrückten Albaner zunehmend unversöhnlich auf ihre Rechte pochen; daß diese Zeitbombe entgegen allen Vorhersagen nicht losgegangen ist, heißt nicht, daß sie entschärft wäre. Fatal vernachlässigt schlingert die Teilrepublik Mazedonien in die Krise, gebeutelt von den Sanktionen, im Bestand bedroht durch Reibungen zwischen den Volksgruppen. Und wie lange wird - der Jubel der Kroaten über ihren eigenen Staat noch anhalten? Tudjman mag sich als Sieger wähnen, hat er doch die Integrität des Landes hergestellt und ungestraft großen Einfluß in Bosnien gewonnen. Dafür hält er Kroatien im Würgegriff und regiert nach Gutdünken; Absahner si- ehern sich in seinem Staat ihre Pfründe. Demokratie? Fehlanzeige. Armut quält auch die meisten Kroaten, immerhin läßt die Aussicht auf die Wiederbelebung des Tourismus hoffen. Und dann ist da in allen Republiken noch ein Verlust, den niemand wahrhaben will: Mit der Vertreibung ganzer Volksgruppen haben auch die Vertreiber verloren, haben fast alle Regionen einen Teil ihrer Seele eingebüßt. Im ohnehin repressiven Klima herrscht kulturelle öd-nis, dominiert schwulstiger Kitsch. Die Vielfalt mag die Geißel Jugoslawiens gewesen sein, sie war aber auch sein größter Reiz. Zu den Millionen Heimatlosen müssen auch jene gezählt werden, die sich bis heute als Jugoslawen verstehen und auf keiner Seite eine Heimat rehen. Das Ringen um Bewahrung ihrer Identität, wie es beispielhaft der geniale Regisseur Emir Kusturica versucht, scheitert, weil auf allen Seiten und auch außerhalb Jugoslawiens Bekenntnisse zu einer Seite verlangt werden. Dayton hat dieses Lagerdenken erst einmal gefestigt. Die Väter des Krieges sitzen fester denn je im Sattel. Man hat sie für diesen Friedensschluß gebraucht und wird sie weiter brauchen, um den Waffenstillstand zu festigen. Bestenfalls birgt das Abkommen mit seinen Bekenntnissen zu Frieden und Demokratie das Potential in sich, die fürchterlichen Regime zu Übergangslösungen zu machen. Viele Jugoslawen sehnen sich danach: Bei aller Düsternis gibt es in Belgrad, Zagreb oder Sarajewo eine große Schar Kriegsmüder, die hoffen, daß der Westen bereit ist, nach dem militärischem auch ziviles Engagement zu zeigen. Gerade jetzt besteht eine geringe Chance: Die politischen Führer sind derzeit empfänglich für Druck. Den aber müßten Europa und Amerika leisten; und dazu braucht es einen langfristigen Einsatz von Personal und viel Geld für Wiederaufbauhilfe auf allen Seiten. Dieser hohe Preis des Friedens dürfte noch immer geringer sein als die Kosten - dejs nächsten Kriege?. ., . . f-^ Der Beispielkommentar wurde in der Süddeutschen Zeitung Ende 1995 veröffentlicht, und er thematisiert Verhältnisse auf dem Kriegsgebiet Balkan nach der Unterzeichung des Dayton-Abkommens. Der Titel Seelenlos und am Boden zerstört signalisiert bereits eindeutig evaluative Positionen des Kommentators, die im weiteren Text immer wieder zum Ausdruck kommen. Zugleich kündigt er das Textthema8 an: Es ist die Befürwortung des internationalen militärischen und zivilen Engagements, wodurch der geistige und materielle Verfall des ehemaligen jugoslawischen Gebietes gestoppt und eventuell überwunden werden kann. Die thematische Entfaltung ist allerdings komplexer. Sie reicht von den nostalgischen und satirisch-ironischen Erinnerungen an das ehemalige Jugoslawien, wobei das anscheinend Banale etwa vergangene aber gute alte Zeiten ins Bewußtsein zu rufen hat (immer gab es zu essen -fett, würzig und reichlich) über die Problematisierung des ehemaligen fröhlichmaroden Regimes bis hin zur Verzweiflung am Friedensabkommen von Dayton. Zugleich fehlen aber auch ausführliche Darlegungen der Nachkriegsverhältnisse nicht. Makrostrukturell lassen sich im Text im wesentlichen drei thematische Einheiten erkennen: (1) Charakterisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien, (2) eingehende Informationen zum Verfall einzelner Republiken und (3) Generalisierung dieses Zustande auf das gesamte Gebiet des 8 In Anlehnung an Heusinger (1995, 121) verstehe ich das Textthema als "Leitidee bzw. Kern der Aussage, die im Prozeß der Textproduktion entfaltet wird". ehemaligen jugoslawischen Staates. Erschließbar sind sie etwa aus folgenden Topikketten: (1) der Mangel an Demokratie - das unterdrückte Nationalbewußtsein -der wirtschaftliche Verfall - die Fehler Titos - alles interpretierbar als Ursachen des verheerenden Krieges. Das bosnische Gebiet nach dem Krieg ist somit (2) öde und verfallen - undemokratisch - moralisch verkommen - ethnisch gesäubert - dramatisch verarmt - aufgesplittert - /meist vom/ Verfall erfaßt - Millionen Verlierer -Hunderttausende starben - unzählige Menschen wurden vertrieben - klinisch tot - das bettelarme zerstörte Land. Ähnliches gilt auch für andere ehemalige Republiken: Serbien und Montenegro befinden sich am Rand des Ruins - es herrscht beklemmende Armut - Kriminelle dominieren; Mazedonien ist fatal vernachlässigt - /es/ schlingert in die Krise - gebeutelt von den Sanktionen - im Bestand bedroht durch Reibungen zwischen den Volksgruppen. Auch Demokratie in Kroatien sei eine Fehlanzeige, denn Armut quält die meisten Kroaten. Im allgemeinen herrscht auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens ein (3) repressives Klima - eine kulturelle Ödnis und es dominiert schwulstiger Kitsch. Evaluatives ist in zitierten Belegen reichlich enthalten und entspricht wohl der spezifischen textuellen Struktur eines Kommentartextes. Ausführliche Erläuterungen samt expliziten Bewertungen lassen sich als Begründungen bzw. Argumentation der thematisierten Bemühungen um den Frieden in und vor allem nach Dayton interpretieren, was allerdings erst im letzten Absatz des Kommentars eindeutig zum Ausdruck kommt: Dayton hat dieses Lagerdenken erst einmal gefestigt - Die Vater des Krieges sitzen fester denn je im Sattel - Bestenfalls birgt das Abkommen /.../ das Potential in sich, die fürchterlichen Regime zu Übergangslösungen zu machen. -Gerade jetzt besteht eine geringe Chance für ziviles Engagement... Die zitierten Beispiele sind in erklärend-darlegenden Passagen des Textes plaziert. Es handelt sich eindeutig um Ausdrücke, die mit extrem negativen Konnotationen überlagert sind. Allerdings scheint es, daß sie nicht primär bzw. nicht nur in Funktion einer negativen Bewertung der thematisierten Sachverhalte selektioniert und eingesetzt worden sind. Zwar fungiert der zitierte Wortschatz im Prinzip als bewertende Benennung, stärker in den Vordergrund treten jedoch emotionale, expressive und assoziative Bedeutungskomponenten der Lexik. Die Aussagen werden somit nicht nur bewertet, sondern zusätzlich dramatisiert und emotionalisiert. Die Charakterisierung mit öde und verfallen, moralisch verkommen, ethnisch gesäubert, dramatisch verarmt, Millionen Verlierer, Hunderttausende starben, klinisch tot, das bettelarme zerstörte Land zielt nämlich eindeutig auf Emotionen. Es kann dabei jedoch die Annahme vertreten werden, daß diese mitkommuniziert werden eher als Unterstützung der bewertenden Haltungen und Stellungnahmen, die sozial reguliert sind und mittels deren auch persuasive Absichten verfolgt werden. Gemeint ist die Begründung bzw. Argumentation der thematischen Einheit, die im letzten Absatz des Beispieltextes verbalisiert wird: Die Verifizierung der Bemühungen um den Frieden auf dem Balkan, zumal am Textende sogar instruktive Aussagen hierzu getroffen werden. Weniger handelt es sich folglich nur um eine Mitteilung über individuelle emotional-subjektive Haltungen des Kommentators. Die Lexik fungiert somit nicht schlicht als Anzeichen des Individualstiis des jeweiligen Autors; sie vermittelt auch die konventionell festgelegte und kulturell beeinflußte Wahrnehmung der "Wahrheit" über die räumlich, wohl aber auch sozial und psychologisch distanzierte Welt. Aufgrund des Gesagten lassen sich mehrere Schlußfolgerungen ableiten: 1. die Lexik als Bewertungsträger wird im Text aus textstrukturellen und stilistischpragmatischen Gründen eingesetzt, 2. ihr Funktionieren im Text läßt sich u. a. handlungsbezogen bzw. textintentional und stilistisch-pragmatisch erklären. Allerdings zielt insbesondere die letztere Erklärung nicht unbedingt nur auf den Individualstil und auf die individuellen Absichten des Autors. Das stilistisch-pragmatische Potential der Lexik beinhaltet nämlich eher eine konventionalisierte und/oder angestrebte Sichtweise einer Sprachgemeinschaft als etwa persönliche und subjektive Einstellungen des jeweiligen Schreibers. Literatur HEUSINGER, S. 1995. Pragmalinguistik. Texterzeugung, Textanalyse; Stilgestaltung und Stilwirkungen in der sprachlichen Kommunikation. Ein Lehr- und Übungsbuch. Frankfurt am Main. KELLER, R. 1990. Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand der Sprache. Tübingen. LÄZER, R. 1988. Zur Illokutionsstruktur von Pressekommentaren - ein praktischer Beitrag zur Theoriendiskussion der handlungsorientierten Textanalyse. In: Zeitschrift für Germanistik 9, 472-479. LÄZER, R. 1994. Persuasionsstragien im Wandel. Wertewandel und Textstrukturen in Kommentaren der DDR-Presse zur Zeit der 'Wende'. In: MOILANEN, M./L. TIITTULA (Hrsg.): Überredung in der Presse. Texte, Strategien, Analysen. Berlin, New York, 121-147. LENK, H. 1986. Persuasionsstrategien in der Manipulation. Handlungsstrukturanalysen von Kommentaren der BRD-Presse. Diss. Berlin. LÜGER, H.-H. 1995. Pressesprache. 2., neu bearbeitete Aufl. Tübingen. NOELLE-NEUMANN, E.AV. SCHULZ/J. WILKE (Hrsg.). 1994. Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Frankfurt am Main. von POLENZ, P. 1991. Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 1. Berlin, New York. POSNER, R. 1980. Theorie des Kommentierens. 2. Aufl. Wiesbaden. RAMGE, H. 1994. Auf der Suche nach der Evaluation in Zeitungskommentaren. In: MOILANEN, M./L. TIITTULA (Hrsg.): Überredung in der Presse. Texte, Strategien, Analysen. Berlin, New York, 101-120. SCHNEIDER, W. (Hrsg.) 1984. Unsere tägliche Desinformation. Wie die Massenmedien uns in die Irre fuhren. Hamburg. Povzetek BESEDJE KOT "POSREDOVALEC RESNIČNOSTI" V ZUNANJEPOLITIČNEM KOMENTARJU Kot je znano, izkazuje izbrana besedilna vrsta komentar značilno besedilno zgradbo. Le-ta temelji na vzorcu sporočanja, ki pomeni obširneje, s pojasnili, pripombami in ocenami poročati o čem. Vrednostne presoje so torej obvezne sestavine komentarja, ki ga komunikologija uvršča med besedilne vrste, opravljajoče vlogo oblikovanja javnega mnenja in prepričevanja naslovnika. Z vidika teorije govornih dejanj je komentar skupek hierarhično prepletenih govornih dejanj, v katerem prevladuje govorno dejanje vrednostne presoje predmeta sporočila. Sporočevalno oz. sporazumevalno namero komentarja je mogoče razumeti in razložiti tako, da govorec želi vplivati na naslovnika in povzročiti, da le-ta prevzame izrečene vrednostne presoje. K temu bistveno pripomore besedje, vendar vsakokratnega izbora besed ni smotrno razlagati le na osnovi značilne zgradbe in namena vsakokratnega besedila. Prav tako je odvisen od splošno veljavnih načel jezikovnega sporočanja, saj si govorec načeloma prizadeva za slogovno in pragmatično primerno oz. učinkovito ubeseditev predmeta sporočila. Obeh vidikov, ki narekujeta izbiro in rabo besed v besedilu, ni možno popolnoma ločeno obravnavati, saj se prepletata. Na osnovi izbranega in analiziranega besedila pa je možno tudi sklepati, da besede, ki so že same po sebi nosilke vrednostnih sodb in vsekakor prispevajo k tipični besedilni zgradbi in slogovno zaznamovani ekspresivnosti besedila, ne izražajo nujno osebnih sodb posameznega govorca, pač pa pogosto podružbljene, ustaljene oz. željene vrednostne presoje širšega jezikovnega okolja. Njihovo rabo v časopisnem komentarju je torej možno razlagati tudi na osnovi tovrstnih pragmatičnih zmožnosti. Teodor Petrič Universität Maribor UDK81'42:81'367.335 KORRELATIONEN ZWISCHEN MERKMALHAFTEN ODER MERKMALLOSEN SYNTAKTISCHEN VARIANTEN UND VERSCHIEDENEN GRADEN DER TEXTSORTENKOMPLEXITÄT 1. GRUNDANNAHMEN Gemäß der Grundannahme über das Verhalten von sprachlichen Varianten gilt folgendes (vgl. Orešnik, Snedec, Teržan, Trobevšek-Drobnak 1991: 5-6): (1) Verstärkte Konstruktionen bzw. starke Varianten (d.h. semantisch und/oder funktional komplexere als auch formal komplexere Formen, rezipientenfreundlicher) behaupten sich zumindest im Väriantenstadium vorzugsweise in komplexerer grammatischer Umgebung. (2) Geschwächte Konstruktionen bzw. schwache Varianten (d.h. semantisch allgemeinere und/oder funktional undurchsichtigere als auch formal einfachere Formen, produzentenfreundlicher) behaupten sich zumindest im Väriantenstadium vorzugsweise in weniger komplexer grammatischer Umgebung. (3) Die Komplexität der grammatischen Umgebung wird hauptsächlich gemäß den Annahmen in der Natürlichkeitstheorie über die Markiertheit bzw. Natürlichkeit sprachlicher Kategorien und Elemente beurteilt (vgl. Mayerthaler 1981, Wurzel 1984, Dressler 1989 und Dotter 1990). Mit "grammatischer Umgebung" ist in (1) und (2) primär der unmittelbare Kontext einer sprachlichen Konstruktion gemeint, d.h. die Phrase oder der Satz, in dem eine sprachliche Variante auftritt, sekundär aber auch Phänomene auf Übersatzsebene. Im vorliegenden Aufsatz soll die Annahme geprüft werden, ob zwischen verstärkten bzw. geschwächten Konstruktionen einerseits und bestimmten Textsorten andererseits ("Umgebung" einer sprachlichen Konstruktion im weitesten Sinne), eine Affinität besteht. Oder in verschärfter Form ausgedrückt: (4) Verstärkte Konstruktionen bzw. starke Varianten treten im Väriantenstadium bevorzugt in markierteren Grundtextsorten auf (5) Geschwächte Konstruktionen bzw. schwache Varianten kommen im Väriantenstadium bevorzugt in weniger markierten Grundtextsorten vor. Zur Überprüfung dieser These muß zunächst die Frage geklärt werden, welche Textsorten man als grundlegender und welche Textsorten man als abgeleitet oder spezieller betrachten kann. Nach Diewald (1991) lassen sich aufgrund dreier situativer Merkmale, die laut Diewald den höchsten Rang in der Hierarchie der textsorten-konstituierenden Merkmale einnehmen, unter den acht theoretisch möglichen Textsorten die folgenden Grundtextsorten (nach Diewald 1991: 296, terminologisch modifiziert von T.P.)1 unterscheiden: (6) Grundtextsorten in Diewald (1991) nach situativen Faktoren geordnet Grundtextsorte (GTS) [+d] [+m] [+f] Diewald 1991 GTS mündlicher Nahdialog + + + Dialog 1 mündlicher Ferndialog + + - Telefongespräch 2 schriftlicher Ferndialog + - - Brief 3 mündlicher Nahmonolog - + + Mündlicher Monolog 4 schriftlicher Femmonolog - - - Schriftlicher Monolog 5 Ich nehme an, daß zwischen den situativen Merkmalen die Korrelationen unter (7) angenommen werden können. Unter (7a) wird behauptet, (aa) daß Fernkommunikation vorzugsweise nicht-mündlich und nicht-dialogisch sowie (ab) daß nicht-mündliche Kommunikation vorzugsweise nicht-dialogisch betrieben wird, unter (7b) wird hingegen behauptet, daß (ba) Nahkommunikation vorzugsweise mündlich und dialogisch sowie (bb) daß mündliche Kommunikation vorzugsweise dialogisch abgwickelt wird. (7a) [-d] -> [-m] -> [-f] (7b) [+d] — > [+m] — > [+f] Es wird außerdem angenommen, daß die Korrelation zwischen den Merkmalen unter (7a) stärker ist als die unter (7b). Diese Annahme wird aufgestellt aufgrund der Voraussetzung, daß der Dialog die weniger markierte Kommunikationsform und somit auch allgemeiner (d.h. in verschiedeneren Kommunikationssituationen) einsetzbar ist. Zwei Grundtextsorten bilden aufgrund der verwendeten situativen Merkmale die beiden Grundtextsortenpole. Das sind der mündliche Nahdialog (GTS 1) als weniger markierter GTS-Pol und der schriftliche Ferndialog (GTS 5) als markierterer GTS-Pol. Die Markiertheit der übrigen Grundtextsorten ist zwischen diesen beiden Polen einzuordnen. Die Markiertheitsskala der Grundtextsorten (auf der Grundlage situativer Merkmale) läßt sich im Diagramm folgendermaßen darstellen (8): 1 Merkmalsachse SITUATION: Kommunikationsrichtung [D]: [+d] [-d] [+dialogisch, -dialogisch] Medium [M]: [+m] [-m] [+mündlich, -mündlich] Kontaktart [K]: [+f] [-f] [+face-to-face, -face-to-face] (8) Markiertheitsskala der Grundtextsorten: 12 3 4 [markierter] -> 5 2. AFFINITÄTEN MERMALHAFTER/-LOSER FORMEN ZU BESTIMMTEN TEXTSORTEN 2.1 Variantenpaar 1: Freie Nominalisierung auf <-ung> mit Satzinhalt vs. Nebensatz Eine Nominalisierung in freier Fügung (9a) ist im Vergleich zu bedeutungsäquivalenten Nebensätzen (9b) eine syntaktisch geschwächte Konstruktion (vgl. Petrič 1990: 25-31, 1995c: 211-212). Nominalisierungen drücken bestimmte kommunikativ relevante Informationen nicht so explizit aus wie die entsprechenden Nebensätze und sind daher in ihrer Bedeutung weniger eindeutig. Im Gegensatz zu Nebensätzen sind Nominalisierungen verdichtende Ausdrucksformen für Satzinhalte, sie setzen beim Hörer bestimmte Inhalte als bekannt voraus (anaphorische Funktion) und verlangen daher von ihm mehr Inferenzarbeit. Aufgrund ihres geringeren formalen Aufwandes erleichtern Nominalisierungen (insbesondere prototypische Nominalisierungen, d.h. solche ohne attributive Ergänzungen) dem Sprecher die Textproduktion. Leicht erschließbare, voraussetzbare oder lokal weniger relevante Informationen können vom Textproduzenten ausgespart werden. Die Simplifizierung einer syntaktischen Struktur (sprecherseitiger Vorteil) wird allerdings mit Verdichtung der Informationsstruktur eines Satzteiles erkauft (hörerseitiger Nachteil). Eine lokal optimale syntaktische Simplifizierung wie die Linearisierung des komplexen Satzgefüges in (9b) schafft vermutlich eher eine sowohl Produzenten- als auch rezipientenfreundlichere Äußerungsstruktur (9a), d.h. einen Kompromiß zwischen sprecherseitigem und hörerseitigem Aufwand. (9a) erst einmal möchte ich sagen ,+ daß ich bedaure +, ,+ daß ich die einzige der Frauen hier bin +, ,+ die für die Abschaffung des Paragraphen eintreten +, . (Heutiges Deutsch 1974: 368, Z. 5-7) (9b) erst einmal möchte ich sagen ,+ daß ich bedaure +, ,+ daß ich die einzige der Frauen hier bin +, ,+ die dafür eintreten +, (i),+ daß der Paragraph abgeschafft wird +,. (ii) i+ den Paragraphen abzuschaffen +i. (iii),+ daß man den Paragraphen abschafft +,. Für die unmittelbare grammatische Umgebung von Nominalisierungen wird gemäß (2) angenommen, daß sie im Vergleich zur unmittelbaren grammatischen Umgebung von bedeutungsäquivalenten Nebensätzen weniger markierte Parameterwerte aufweist. Die Ergebnisse in Petrič (1990: 252-313,1995c: 231-243) scheinen die These weitgehend zu unterstützen. Die Gliedkerne solcher Nominalisierungen sind Verbalabstrakta und können im Vergleich zu den Hauptverben der bedeutungsäquivalenten Nebensätze aufgrund ihrer größeren semantischen und formalen Merkmalhaftigkeit als verstärkte Formen eingeordnet werden. Im Gegensatz zu den zugrundeliegenden Hauptverben gehören sie nicht zu den Default-Ausdrücken des Sprachsystems, werden im kindersprachlichen Lernprozeß relativ spät erworben und sind in der Sprachgeschichte relativ spät entstanden. Default-Ausdruck einer Proposition sind satzartige Konstruktionen, insbesondere solche mit finitem Verb. Das Verb ist jene lexikalische Kategorie, mit der man typischerweise Handlungen und Vorgänge ausdrückt. Wenn Nominalisierungen wie (9a) nicht zu den Default-Ausdrücken einer Proposition gehören, kann man weiterhin vermuten, daß Nominalisierungen aufgrund ihrer informationsverdichtenden Eigenschaften relativ häufig in markierterer "textueller" Umgebung auftreten. Der Sprecher verdichtet Informationen insbesondere in solchen Situationen, in denen hohe Abstraktion des Themas vorliegt und überdurchschnittlich hoher Informationsfluß notwendig ist. Nimmt man ebenenübergreifende Korrespendenzen an (d.h. zwischen der kognitiv-semantischen und textuellen Ebene), könnte daraus folgen, daß die Häufigkeit von Nominalisierungen wie in (9a) gerade in solchen Textsorten zunimmt, die oben als weniger grundlegend, d.h. als markierter eingestuft wurden. Unter den angeführten Grundtextsorten sollte daher insbesondere der schriftliche Fernmonolog (GTS 5) den typischen Erscheinungsort von Nominalisierungen dieses Typs darstellen. Vergleichen wir zunächst Häufigkeitsdaten aus zwei Dialogen miteinander und anschließend diese Daten mit jenen aus einem schriftlichen Fernmonolog. Die Auszählung der mündlichen Nahdialoge XEG und XAI aus dem Freiburger Korpus (Heutiges Deutsch 1975: 25-42, 87-106) unterstützt die oben formulierte These, daß die Gebrauchshäufigkeit von Nominalisierungen auf <-ung> mit höherem Abstraktionsgrad des Redegegenstandes und größerem Informationsfluß zunimmt. Wahrscheinlich spielt aber auch der verschiedene Öffentlichkeitsgrad der beiden Texte eine Rolle für die verschiedenen Gebrauchsfrequenzen von Nominalisierungen auf <-ung>. Im privat geführten mündlichen Nahdialog XEG (Thema: Gespräch über Familien- und Erziehungsprobleme) beschränkt sich der Anteil der Nominalisierungen auf 0,4% aller Textwörter, während er im öffentlich geführten mündlichen Nahdialog XAI (Thema: Schulklassengespräch mit Präses Scharf über die Denkschrift der EKD) 2,5% aller Textwörter ausmacht. Der diesbezügliche Unterschied zwischen den beiden Texten ist statistisch signifikant (Differenzindex DI = 7,3 > 2).2 2 Der Differenzindexwert (DI) zeigt statistische Signifikanz an, wenn der Betrag größer als 2 ist. Zur Berechnung der Differenzindices vgl. Pavlic (1971: 226-229). (10) Vergleich zweier mündlicher Nahdialoge hinsichtlich komplexer Aus drucksformen TEXT Wörter Nom. auf <-ung> NS mit V-Letzt NS mit V-2/V-L NS mit Vi XEG 3498 =100% 0,4% (DI = -7,3) 24,2% (DI=-3,0) 11,3% (DI=3,0) 2,8% (DI=1,9) XAI 4484 = 100% 2,5% 33,6% 5,6% 5,4% Den größeren Abstraktionsgrad des Redegegenstandes von XAI scheint übrigens auch der größere Anteil der V-Letzt-Nebensätze anzuzeigen. Im Text XAI beträgt der Anteil der V-Letzt-Nebensätze 33,6%, im Text XEG hingegen nur 24,2%. Der diesbezügliche Unterschied zwischen den beiden Stichproben ist statistisch signifikant (Differenzindex DI = 3,0 > 2). Entsprechendes gilt wohl auch für den Anteil der Infinitivsätze, da der Unterschied zwischen XEG und XAI (aufgrund der kleineren Stichproben) nur knapp unter der Signifikanzgrenze liegt (2,8% : 5,4%; DI = 1,9 < 2). Der Anteil der abhängigen V-2-Hauptsätze ist hingegen im weniger abstrakten Text XEG größer als im abstrakteren XAI (11,3% : 5,6%; DI = 3,0 > 2). Dies zeugt von einem größeren Anteil von Nebensätzen, die von den weniger markierten Verben des Sagens und Denkens u.ä. abhängen. Die Auszählung des relativ abstrakten mündlichen Nahdialogs XAI und des relativ abstrakten schriftlichen Fernmonologs GG (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1993: 12-91) nach Nominalisierungen auf <-ung> ergibt folgendes Bild: (11) Vergleich zweier mündlicher Nahdialoge hinsichtl. Nominalisierungen TEXT Wörter Nominalisierung auf <-ung> GG 18237=100% 874 = 4,8% (DI = 6,8 >2) XAI 4484 = 100% 112 = 2,5% Der Anteil von Nominalisierungen auf <-ung> ist im schriftlichen Ferndialog GG signifikant größer als im mündlichen Nahdialog XAI. Die angeführten Daten bestätigen die Vermutung, daß unter den angeführten Grundtextsorten insbesondere der schriftliche Fernmonolog (GTS 5) den typischen Erscheinungsort von Nominalisierungen des oben ausgezählten Typs darstellt. Oder anders ausgedrückt: Syntaktische Simplifizierungen mit Hilfe von Nominalisierungen als Nicht-Default-Ausdrücken von Propositionen scheinen häufiger in markierteren Textsorten aufzutreten. 2.2 Variantenpaar 2: Funktionsverbgefüge vs. Verb Ein Funktionsverbgefüge (12a) - zur Abgrenzung von freien Fügungen und Nominalisierangsverbgefügen siehe v. Polenz (1987: 170) und So (1991: 11-13), - ist im Vergleich zu einem bedeutungsäquivalenten Verb (12b) eine verstärkte syntaktische Konstruktion (vgl. Petrič 1990: 122-131, 1993b: 128-136, 1994: 190-194). (12a) Der Zug kommt in Bewegung. (12b) Der Zug bewegt sich. Funktionsverbgefüge sind prinzipiell formal aufwendiger und semantisch spezifischer als die entsprechenden bedeutungsäquivalenten Verben (vgl. z.B. bewegen mit in Bewegung kommen). Gemäß (1) bedeuten sie daher eine Komplikation für den Textproduzenten und eine Dekodierungserleichterung für den Textrezipienten. Funktionsverbgefüge gehören außerdem nicht zu den Default-Ausdrücken für Handlungen und Vorgänge im Sprachsystem, denn die Handlung oder der Vorgang werden nicht verbal, sondern nominal ausgedrückt (d.h. meist mit einem Verbalabstraktum). Diese sprachliche Variante wird im kindersprachlichen Lernprozeß relativ spät erworben und entwickelte sich im Deutschen und in jenen Sprachen, in denen vergleichbare Konstruktionen bereitstehen, später als die verbale Ausdrucksweise. Geht man von den angeführten Eigenschaften aus, scheint gemäß (1) die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß sich Funktionsverbgefüge im Vergleich zu den bedeutungsäquivalenten Verben vorzugweise in markierter grammatischer Umgebung (Satzebene) und insbesondere im schriftlichen Fernmonolog (Textebene) behaupten. In einem Korpus, das aus 15 Diskussionen (Heutiges Deutsch 1971 und 1974 sowie Protokoll eines Werkstattgesprächs 1971: 16-39) besteht, wurden Funktionsverbgefüge und Nominalisierungsverbgefüge ausgezählt. Es wurden folgende Zahlenverhältnisse festgestellt: Funktionsverbgefüge mit Satzgliedcharakter sind in 113 Haupt- und Nebensätzen sowie 13 Infinitivsätzen zu finden, Nominalisierungsverbgefüge mit Satzgliedcharakter hingegen in 427 Haupt- und Nebensätzen sowie 27 Infinitivsätzen. Die Ergebnisse in Petrič (1994: 136-144) scheinen die These weitgehend zu unterstützen, daß der Kontext von Funktionsverbgefügen im Vergleich zum Kontext der Hauptverben im Kontrollsample markiertere Parameter aufweist. Die oben angeführten Zahlen zeigen auch, wie selten Funktionsverbgefüge oder Nominalisierungsverbgefüge in mündlichen Nahdialogen auftreten. Der Anteil von Funktionsverbgefügen oder Nominalisierungsverbgefügen in schriftlichen Fernmonologen sollte gemäß der oben geäußerten Vermutung größer sein. Einen Hinweis auf die Richtigkeit der These bietet das Korpus von So (1991). Bei einem Vergleich der Anteile der Funktionsverbgefüge und der Nominalisierungsverbgefüge am Prädikatsausdruck zeigte sich folgendes: Während der Anteil der Funktionsverbgefüge bzw. der Nominalisierungsverbgefüge in 12 mündlichen Nahdialogen aus dem Freiburger Korpus (Heutiges Deutsch 1974) bei etwa 1,7% bzw. 6,3% liegt, beträgt der Anteil der Funktionsverbgefüge bzw. der Nominalisierungsverbgefüge in den 5 Texten aus dem 20. Jahrhundert, die So (1991: 160-199) als Datenbasis verwendet und die zur Grundtextsorte schriftlicher Fernmonolog gehören, etwa 2,7% bzw. 7,4%. Die Unterschiede zwischen den 206 miteinander verglichenen mündlichen Nahdialogen und den schriftlichen Fernmonologen sind statistisch signifikant (DI = 4,8 bzw. DI = 3,3). Die Frage, ob Funktionsverbgefüge dem Textproduzenten wirklich mehr Schwierigkeiten bereiten als die bedeutungsäquivalenten Verben, läßt sich nicht immer zweifelsfrei beantworten. Die als markiert geltenden Passivkonstruktionen (13b) können durch die ebenfalls als markiert bewerteten Funktionsverbgefüge (13a) ersetzt werden. (13a) die Tatsache +k daß ich für ( kann ich vielleicht darauf eingehen ) die Tatsache ,+ daß verhältnismäßig wenig +g+ derartiger Straftaten zur Anzeige und Aburteilung kommen +, macht keineswegs die Strafvorschrift unnötig. (Heutiges Deutsch 1974: 378) (13b) die Tatsache +k daß ich für ( kann ich vielleicht darauf eingehen ) die Tatsache ,+ daß verhältnismäßig wenig +g+ derartiger Straftaten angezeigt und abgeurteilt werden +, macht keineswegs die Strafvorschrift unnötig. Gegenüber Passivkonstruktionen haben Funktionsverbgefüge wohl prinzipiell den Vorteil, als Ganzes (ähnlich wie ein Phraseologismus) aus dem Lexikon abrufbar zu sein, während Passivkonstruktionen (vermutlich) erst speziell für diesen Kontext neu gebildet werden müssen. Die ganzheitliche Verarbeitung von Information bringt durchaus eine Erleichterung für den Textproduzenten als auch für den Textrezipienten mit sich. Auf dieser Grundlage könnten Passivkonstruktionen im Vergleich zu den entsprechenden Funktionsverbgefügen als markierter eingestuft werden. 2.3 Variantenpaar 3: W-Passiv vs. Aktiv Die Default-Ausdruckskategorie für die Geschehensperspektive ist das Aktiv (14b). Das Werden-Passiv (14a) ist in dieser Hinsicht markiert, denn die semantischen Rollen Agens und Patiens sind im Passivsatz nicht so serialisiert, wie das für Nominativ-Akkusativ-Sprachen typisch ist (vgl. dazu Leiss 1992: 149ff.). In den Nominativ-Akkusativ-Sprachen ist die Abfolge Subjekt vor Akkusativ grundlegend. Das prototypische Subjekt in solchen Sprachen ist Agens, belebt und thematisch, das prototypische Akkusativobjekt (direktes Objekt) in solchen Sprachen ist Patiens, unbelebt und rhematisch. Wenn ein Sachverhalt mit thematischem, unbelebtem Patiens versprachlicht wird, wird in Sprachen mit relativ starren Abfolgeregeln, z.B. im Englischen oder Deutschen, eine passivische Ausdrucksweise bevorzugt, d.h. das definite, unbelebte Patiens wird als Subjekt realisiert und damit in der syntaktischen Position des direkten Objekts vermieden. Auf kognitiv-semantischer Ebene könnte die Passiv-Perspektive eine Erschwernis sowohl für den Sprecher als auch für den Hörer bedeuten, insbesondere aber für den letzteren, der seine Erwartungen hinsichtlich der Geschehensperspektive an die vom Sprecher realisierte anpassen muß. (14a) Viele Frauen sind der Meinung, daß der Paragraph abgeschafft werden sollte, [vom Gesetzgeber?] (14b) Viele Frauen sind der Meinung, daß der Gesetzgeber den Paragraphen abschaffen sollte. Als Konstruktionstyp ist das Werden-Passiv eine weniger prototypische Ausdrucksweise für Handlungen oder Vorgänge, denn das Hauptverb wird aus der Rolle des finiten Verbs verdrängt und als Partizip ausgedrückt (d.h. nominaler). Die mögliche, aber selten genutzte Völlform eines Satzes mit Werden-Passiv (d.h. mit Agensangabe) ist formal komplexer als die eines Aktivsatzes. Im Textgebrauch ist ein Satz mit dem Werden-Passiv einerseits merkmalloser als ein Aktivsatz, denn die Angabe des Agens ist im Passivsatz - im Gegensatz zum Aktivsatz - fakultativ und fehlt in den meisten Fällen (wie bei den Nominalisierungen - vgl. (9a) mit (9b)). Andererseits ist das Werden-Passiv durch die Hinzufügung des Auxiliarverbs werden im verbalen Bereich merkmalhafter als das Aktiv. Auf Artikulationsebene bedeutet das Passiv mit nicht-realisierter Agensphrase und hinzugefügtem Auxiliarverb meist eine geringfügige Erleichterung für den Sprecher. Der größere Vorteil liegt aber wohl auf kognitiv-semantischer Ebene, denn der Sprecher braucht die vorausgesetzte Agensphrase nicht erneut aus dem Lexikon abzurufen. Ein Passivsatz ist wie eine Nominalisierung semantisch vager. Die Ermittlung der (meist) ausgesparten Agensangabe stellt eine Schwierigkeit für den Textrezipienten dar, insbesondere dann, wenn im Kontext nicht genügend Hinweise im Hinblick auf sein (lückenhaftes) Weltwissen vorhanden sind. Allerdings bringt das Passiv dem Hörer auch eine Erleichterung im Hinblick auf die Thema-Rhema-Gliederung des Satzes, denn durch das Passiv wird die üblichere Anordnung Thema vor Rhema wiederhergestellt. Liegt nämlich ein thematisches direktes Objekt vor, kann der Sprecher die vom Hörer erwartete Abfolge Thema vor Rhema realisieren. Passivsätze werden im allgemeinen später erlernt als Aktivsätze.3 In den Arbeiten von Teržan-Kopecky finden sich mehrere Anhaltspunkte für die Angemessenheit der Behauptung, daß das Werden-Passiv als verstärkte Konstruktion in Kontexten mit markierteren Parameterwerten auftritt (vgl. z.B. Teržan 1990: 93-97). Die Behauptung, daß das Werden-Passiv als verstärkte syntaktische Konstruktion besonders typisch im schriftlichen Fernmonolog ist, wird durch statistische Daten in Brinker (1971: 68) unterstützt. Im Mischkorpus IDS3 (Heutiges Deutsch 1975), d.h. einer Textsammlung mit hauptsächlich weniger markierten mündlichen Nahdialogen, scheint der Anteil des Werden-Passivs geringer zu sein als im Korpus IDS2 (Heutiges Deutsch 1974), das einheitlich aus markierteren mündlichen Nahdialogen -Diskussionen - besteht, sowie geringer als im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Ausgabe 1993: 12-91), denn der Anteil des Lexems werden bezüglich aller Textwörter beträgt 0,4% im Mischkorpus IDS3, 0,7% im Diskussionskorpus IDS2 3 Zwischen den Passivsätzen bestehen hinsichtlich ihrer Komplexität auch andere Unterschiede. Bekannt ist z.B., daß Kinder im Spracherwerb eher solche Passivsätze erlernen, in denen das Patiens im Kontrast zum Agens eine nicht-belebte Größe darstellt, und später solche, in denen das Patiens wie das Agens eine belebte Größe darstellt (Schwarz 21996: 134). und 0,6% im Grundgesetz. Der Unterschied zwischen dem Mischkorpus IDS3 und den markierteren Textsorten in IDS2 und im Grundgesetz ist statistisch signifikant (DI = 5,38 bzw. 3,21). 2.4 Variantenpaar 4: Futur vs. Präsens pro futuro Die Default-Ausdruckskategorie für den Bezug auf Zukünftiges ist im Deutschen nicht das Futur werden + Infinitiv (15a), sondern das Präsens pro futuro (15b). Als Konstruktionstyp ist das Werden-Futur eine weniger prototypische Ausdrucksweise für Handlungen oder Vorgänge, denn das Hauptverb wird aus der Rolle des finiten Verbs verdrängt und als Inifinitiv ausgedrückt (d.h. nominaler). Von 2000 zukunftsbezogenen Sätzen im Korpus von Brons-Albert entfallen 76,0% auf Sätze mit Präsens und lediglich 4,6% auf Sätze mit werden + Infinitiv (Brons-Albert 1982: 43). (15a) A: Aber es soll gut sein ! ((lacht)) B: Na gut, dann werd ich mal versuchen, es zu bekommen, ne. Ne? A: Ja. Dann wirst du mal en paar Buchhändler verrückt machen ! B: Ach, ich kann ja keinen verrückt machen, ich mach das auf die ruhige Art! A: Du has ein werden vergessen ! B: ((lacht)) Nein, d / das weiß ich, ne. Aber das is mir zuviel, das immer zu sagen. (Brons Albert 1982: 81) (15b) A: Ja. Dann wirst du mal en paar Buchhändler verrückt machen ! B: Ach, ich kann ja keinen verrückt machen, ich mach das auf die ruhige Art! Das deutsche Futur ist durch die Hinzufügung eines speziellen Auxiliarverbs merkmalhafter als das Präsens, außerdem wird das Hauptverb aus der (prototypischeren) Rolle des finiten Verbs verdrängt und als Infinitiv realisiert, d.h. in einer nominaleren Verbform. Relativ oft verlangt das Präsens für den Zukunftsbezug allerdings kompensierende situierende Ausdrucksmittel im umgebenden Satz, im weiteren Kontext oder im Situationszusammenhang, damit der Zukunftsbezug gewährleistet ist (vgl. dazu Brons-Albert 1982: 49; Terzan-Kopecky 1995: 237-238). Doch selbst das werden-Futur leistet oft keinen eindeutigen Zukunftsbezug, was wohl an der nicht seltenen Verbindung mit Zeitadverbialen sichtbar wird (Brons-Albert 1982: 102). Das (kataphorische) Futur hat sich als Tempus relativ spät herausgebildet (vgl. Saltveit 1962: 175). Sein typischer Erscheinungsort ist der schriftliche Fernmonolog. Daten aus Gelhaus (1975: 23-24) zeigen, daß der Anteil des werc/en-Futurs in schriftlichen Fernmonologen starken Schwankungen unterworfen ist, d.h. von 0,4% bis 6,0% aller in den Texten vertretenen Tempusformen. Im Korpus von Gelhaus zeichnen sich insbesondere die Zeitungen und Zeitschriften durch relativ höhere Futur-Anteile aus (l,9%-6,0), während die im Korpus vertretenen Dramen relativ geringere Futur-Anteile aufweisen (2,l%-2,7%). Die eben angeführten Daten könnten ein Anhaltspunkt dafür sein, daß die wrien-Konstruktion für den Bezug auf Zukünftiges in weniger markierten mündlichen Nahdialogen seltener vorkommen als in markierteren schriftlichen Fernmonologen. Zu einem ähnlichen Schluß kommt auch Brons-Albert (1982: 100), die wie Dittmann (1976: 235) im Freiburger Korpus die starke Textsortenabhängigkeit des werden-Futurs hervorhebt. 2.6 Variantenpaar 5: Perfekt vs. Präteritum Das Präteritum ist formal weniger salient als das Perfekt, denn der Vergangenheitsbezug wird nicht wie beim Perfekt durch die Kombination silbischer Morpheme und eines nicht nicht-silbischen Morphems (z.B. haben + ge- -t in hat gekauft) geleistet, sondern lediglich durch ein silbisches (-te, z.B. in kaufte) oder sogar nur durch ein nicht-silbisches (Ablaut, z.B. in rigf von rufen). Das Perfekt könnte demnach aufgrund seiner formalen Merkmalhaftigkeit als starke Variante angesehen werden. Hinweis für die Angemessenheit dieser These ist laut Orešnik (1996: 3-10) das Auftreten des Perfekts mit einer Reihe von markierteren Parameterwerten (im Vergleich zum Präteritum: z.B. häufiger mit nicht-dritten Personen, seltenere Verbindung mit sehr häufig auftretenden Hauptverben, vergleichsweise seltenes Auftreten in intransitiven Sein-Konstruktionen, selteneres Erscheinen in den als unmarkiert angesehenen Relativsätzen, häufigeres Auftreten in Fragesätzen). Als Konstruktionstyp kann man das Perfekt außerdem als weniger prototypische Ausdrucksweise für Handlungen oder Vorgänge einordnen, denn das Hauptverb wird aus der Rolle des finiten Verbs verdrängt und als Partizip ausgedrückt (d.h. nominaler). (16a) B: Also, Kinder, machts gut, bleibt brav, besauft euch nich / A: Du dich auch nicht! B: Ne, was meinsde, was das in Finnland kostet! A: Jaja, aber diese Feste in Finnland, von denen wir gehört haben, wie du das erzählt has, man säuft erst so viel, daß man nich mehr gehen kann / (Brons Albert 1982: 10) (16b) A: Jaja, aber diese Feste in Finnland, von denen wir hörten, wie du das erzähltest, man säuft erst so viel, daß man nich mehr gehen kann / Die Einordnung der beiden Vergangenheitstempora Perfekt und Präteritum als starke bzw. schwache syntaktische Konstruktion ist trotzdem nicht unproblematisch. Laut Grundannahme weist die starke Variante im Variantenstadium gewöhnlich einen höheren Informationsgehalt (d.h. eine komplexere Semantik) auf oder unterscheidet sich von der schwachen Variante zumindest durch stilistische Besonderheiten bzw. Beschränkungen. Das analytische Perfekt und das synthetische Präteritum sind annähernd synonyme Ausdrücke für den Bezug auf die Vergangenheitssphäre. Die Substitutionsmöglichkeiten sind eingeschränkt, denn bei Außerachtlassung stilistischer Unterschiede kann zwar ein Präteritum durch ein Perfekt ersetzt werden, aber nicht jedes Perfekt durch ein Präteritum (vgl. Hentschel/Weydt 21994: 100). Perfekt und Präteritum als Vergangenheitstempora unterscheiden sich hinsichtlich des semantischen Merkmals der zeitlichen Begrenzung oder Abgeschlossenheit (vgl. Sieh mal, es hat 210 geschneit mit *Sieh mal, es schneite). Das Perfekt weist den als markierter angenommen Parameterwert der Begrenzung auf, das Präteritum dagegen den als weniger markiert angenommenen Parameterweit der nichtspezifizierten Begrenzung (vgl. Es schneite mit Es hat geschneit). Dies steht in Einklang mit der Annahme in (1), daß das Perfekt als starke Variante einen höheren Informationsgehalt aufweist. Auffällig ist jedoch, daß gerade das als schwache Variante bezeichnete Präteritum stilistische Beschränkungen zeigt (d.h. speziellere Gebrauchsbedingungen fordert als das mutmaßlich starke Perfekt) und daß es eine relativ klare Affinität zu monologischen Texten zeigt, insbesondere zu schriftlichen Fernmonologen, und zwar vor allem in solchen, in denen die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Abfolge der dargestellten Ereignisse in der Vergangenheit gerichtet wird (vgl. Latzel 1977). Dieser Umstand scheint in Widerspruch zur Annahme in (4) und (5) zu stehen. 2.7 Variantenpaar 6: Modalpartikelhaltiger Satz vs. modalpartikelloser Satz Sätze mit Modalpartikeln (Abtönungspartikeln) können in synchronischer Sichtweise als starke Varianten modalpartikelloser Sätze mit derselben Proposition gewertet werden. (17a) A: Tag, B, hier is A. Hör mal, ich wollt dich fragen, mußt du denn nich zum Flughafen gebracht werden und abgeholt werden? B: Eh, nein, diesmal nicht, weil ich ja nicht wieder zum Flughafen zurückkomme. A: Ah so. B: Nich, ich werd ja, ich fahr ja mit dem Z zurück. (Brons Albert 1982: 1) (17b) A: Tag, B, hier is A. Hör, ich wollt dich fragen, mußt du zum Flughafen gebracht werden und abgeholt werden? B: Eh, nein, diesmal nicht, weil ich nicht wieder zum Flughafen zurückkomme. A: Ah so. B: Nich, ich werd, ich fahr mit dem Z zurück. Die deutschen Modalpartikeln (MPn) an sich sind einfache Wörter. Die prototypischen unter ihnen sind einsilbig, Simplizia, häufig vorkommende Wörter mit sehr allgemeinen denotativen Bedeutungskomponenten und vorherrschenden konnotativen Bedeutungsanteilen, im Satz unbetont, nicht isolierbar und nicht erststellenfähig. Von einigen Modalpartikeln (z.B. mal und denn - vgl. Lindner 1983: 21 Iff.) ist bekannt, daß sie von deutschsprachigen Kindern bereits vor dem vierten Lebensjahr erworben werden. Ich nehme an, daß die MPn zuerst als Gebrauchsvariante formal einfacher Worter mit allgemeiner denotativer Bedeutung entstanden (z.B. ja, doch, denn), daß sich jedoch in einem späteren Zeitabschnitt des Neuhochdeutschen auch MPn als Variante formal relativ aufwendiger Wörter einstellten (z.B. eigentlich, sowieso, vielleicht). Historisch gesehen ist laut Grundannahme wahrscheinlich, daß die heutigen MPn als schwache Gebrauchsvarianten autosemantischer Ausdrücke zunächst in einfacheren grammatischen Umgebungen entstanden, nun aber in den Sätzen, in denen sie auftreten, als modalitätsverstärkende Elemente wirken. Bei der Bewertung, ob modalpartikelhaltige Sätze im Vergleich zu modalpartikellosen Sätzen starke Varianten sind, berücksichtige ich die folgenden Kriterien: 1. den formalen Aufwand, 2. den Informationsgehalt, 3. die Sprecherfreundlichkeit, 4. die Hörerfreundlichkeit der zu vergleichenden Konstruktionen. Zusammenfassend läßt sich behaupten: 1. Ein MP-haltiger Satz ist nicht so zeit- oder platzsparend wie ein MP-loser Satz, denn er enthält eine zusätzliche syntaktische Stelle (d.h. die eines Adjunkts). Laut Krivonosov (1977: 188ff.) korreliert der Gebrauch einer Modalpartikel auch mit einer Anhebung der Grundfrequenz, die dem modalpartikelhaltigen Satz emphatischer erscheinen läßt. 2. Ein MP-haltiger Satz hat im Vergleich zu einem MP-losen Satz einen größeren oder zumindest eindeutiger bestimmbaren Informationsgehalt, denn durch das Hinzufügen einer MP signalisiert der Sprecher eindeutiger als mit anderen Mitteln (insbesondere dem Satzmodus und dem Intonationsmuster), welche Einstellung er gegenüber einem Satzinhalt (Proposition) einnimmt. In einigen Fällen wird erst durch Modalpartikeln deutlich, wie der Hörer den Satzinhalt einer Äußerung zu verstehen hat und welche verbalen oder nicht-verbalen Reaktionsmöglichkeiten sich für ihn eröffnen. Durch die Hinzufügung einer MP ist es dem Sprecher demnach möglich, den kommunikativen Sinn einer Äußerung zu verdeutlichen und den Fortgang von Gesprächssequenzen (das Fortsetzungsraster) unbewußt zu beeinflussen. Einzelsprachlich gesehen handelt es sich bei den Modalpartikeln um eine prototypische Ausdrucksweise für situative Verweise. Universell gesehen ist es allerdings weniger typisch, daß ein derartiger situativer Verweis mit speziellen Lexemen vorgenommen wird, denn üblicherweise geschieht dies mit Hilfe des Satzmodus und des Intonationsmusters. 3. Laut Grundannahme bereiten starke Varianten dem Sprecher größere Schwierigkeiten als schwache Varianten. Die Beurteilung der Sprecherfreundlichkeit von MP-haltigen Sätzen ist schwierig, weil empirisch relativ wenig darüber bekannt ist und wir vor allem auf Hypothesen angewiesen sind. Ein wichtiger Angelpunkt meiner Bewertung ist der (leichter nachweisbare) formale Aufwand. Da ein MP-haltiger Satz formal aufwendiger ist als ein MP-loser (siehe oben), könnte man davon ausgehen, daß er dem Sprecher größere Schwierigkeiten bereitet. Allerdings ist der formale Mehr-Aufwand relativ gering, weil MP meist einsilbige und unbetonte Lexeme sind. Die in Texten feststellbare Gebrauchshäufigkeit der MPn ist zwar vergleichsweise gering (vgl. Hentschel 1986: 238ff„ Petrič 1995d: 119-121), die den MPn zugrundeliegenden (etymologisch verwandten) Wörter gehören allerdings laut Frequenzwörterbüchern zu den häufigeren deutschen Lexemen (Meier 1978). Hypothetischer ist die Beurteilung des Aufwandes auf semantisch-kognitiver Ebene. Aus der Tatsache, daß es ganz spezifische Gebrauchssituationen gibt, in denen eine bestimmte MP verwendet, und solche, in denen eine bestimmte MP nicht verwendet werden kann, schließe ich, daß die Auswahl einer dem kommunikativen Sinn entsprechenden MP dem Sprecher Schwierigkeiten bereitet. Obwohl einige MPn nachweisbar früh erworben werden (siehe oben), scheint mir außerdem wahrscheinlich, daß die konnotativen Bedeutungskomponeneten der meisten MPn erst in späteren Phasen der Sozialisierung durch positive Evidenz gelernt und vor allem die grundlegenden denotativen Bedeutungskomponenten der MPn durch den Erwerb der ihnen zugrundeliegenden Wörter relativ früh gelernt werden. MPn gehören zu jenen sprachlichen Elementen, die unbewußt realisiert werden. 4. Dem Hörer erleichtert die MP das Verständnis des kommunikativen Sinnes der Äußerung. Eine MP stellt ein zusätzliches Signal oder in bestimmten Fällen sogar das deutlichste Signal für die Dekodierung des kommunikativen Sinnes einer Äußerung dar. Allerdings ließe sich einwenden, daß MPn aufgrund ihrer knappen Form ziemlich unauffällige (wenig saliente) sprachliche Elemente sind und damit den gebundenen Morphemen schon recht nahe kommen. Das scheint auch daraus zu folgen, daß sich sowohl Sprecher als auch Hörer nicht bewußt sind, welche MP in einem Satz verwendet wurde, wenn sie die Aufgabe haben, einen Satz vollständig zu wiederholen. MPn werden im Falle von Satzwiederholungen regelmäßig ausgelassen. Trotz einiger oben angeführter möglicher Einwände ist es m. E. sinnvoll, MP-haltige Sätze als starke Varianten MP-loser Sätze zu betrachten. Wie empirische Untersuchungen zeigen, ist der typische Erscheinungsort der MPn in mündlichen Nahdialogen zu suchen, insbesondere in solchen, die einen hohen Privatheitsgrad aufweisen (vgl. Hentschel 1986: 238ff., Petrič 1995d: 119-121). Im Gegensatz zu den anderen oben behandelten verstärkten Konstruktionen dienen die MPn nicht zur Verdeutlichung bestimmter denotativer Bedeutungskomponenten in der Proposition einer Äußerung, sondern vor allem als verdeutlichende (zusätzliche) Signale für bestimmte konnotative Bedeutungskomponenten, die die Beurteilung der Proposition betreffen (z.B. die MP eben die Einstellung, daß die Proposition einer Äußerung vom Sprecher als evidente Begründung für einen zuvor eingetretenen Umstand eingeordnet wird) und die meist auch vom Satzmodus und dem Intonationsmuster in rudimentärer Form angezeigt werden (können). Dies hat zur Folge, daß MPn vor allem in jenen Textsorten häufiger auftreten, in denen diesbezügliche Beziehungsaspekte zwischen den Kommunikationsteilnehmern im Vordergrund und präzise Beschreibungen und Argumentationen im Hintergrund stehen, d.h. in mündlichen Nahdialogen mit hohem Privatheitsgrad. Nach meiner bisher vertretenen Auffassung könnten denotative Bedeutungsaspekte ausschlaggebend für die textsortenspezifische Distribution von starken und schwachen Varianten sein. MPn sind, was ihre denotativen Bedeutungskomponenten anbelangt, schwache Varianten der ihnen zugrundeliegenden Wörter. Von daher scheint es mir nicht verwunderlich, daß sie in weniger markierten Grundtextsorten häufiger auftreten als in markierten. Aus einer alternativen Perspektive lassen sich MP-haltige Sätze als schwache Varianten MP-loser Sätze samt Äußerungssituation beschreiben (Petrič 1995a: 285). MPn wären demnach auffaßbar als kondensierte sprachliche Ausdrücke mit der Funktion des Verweises auf die sprachliche Umgebung und die Situation, d.h. ein Lexem, das bestimmte Szenarios aktualisiert. Diese Anschauung beruht auf der Vorstellung, daß man isolierten MP-haltigen Sätzen aufgrund der MP-Semantik bestimmte Kontexttypen und Typen von Äußerungssituationen zuordnen kann, in denen sie vorkommen können. Aus dieser Perspektive ließen sich folgende Behauptungen aufstellen: 1. MP-haltige Sätze sind im Vergleich zu MP-losen Sätzen + Kontext + Situation schwache Varianten, weil sie formal weniger aufwendig sind. MPn treten daher recht häufig in konventionalisierten syntaktischen Strukturen, sprachlichen Routinen und phraseologischen Prägungen auf. 2. MP-haltige Sätze sind im Vergleich zu MP-losen Sätzen + Kontext + Situation schwache Varianten, weil sie einen geringeren Informationsgehalt aufweisen. In einem ein- oder zweisilbigen Lexem lassen sich verständlicherweise nicht so viele Informationen unterbringen wie in einem ganzen Satz und in der ihn umgebenden Situation. 3. MP-haltige Sätze sind im Vergleich zu MP-losen Sätzen + Kontext + Situation schwache Varianten, weil sie vom Sprecher leichter zu realisieren sind. Die Produktion eines entsprechenden Kontextes und der Aufbau einer bestimmten Situation, die den Sinn einer Äußerung verständlich machen, ist schwieriger als die Produktion eines entsprechenden einzelnen Lexems. 4. MP-haltige Sätze sind im Vergleich zu MP-losen Sätzen + Kontext + Situation schwache Varianten, weil sie vom Hörer nicht so leicht zu dekodieren sind. Daß MP-Bedeutungen nicht so einfach zu verstehen sind, zeigt sich insbesondere im Fremdsprachenunterricht. Die Einordnung MP-haltiger Sätze als schwacher Varianten im Vergleich zu MP-losen Sätzen + Kontext + Situation wäre auch vereinbar mit der Annahme (5), nach der schwache Varianten häufiger in weniger markierten Grundtextsorten auftreten, d.h. in mündlichen Nahdialogen. MP-haltige Sätze als schwache Varianten kämen vor allem in solchen Texten vor, in denen ein expliziter Bezugskontext oder eine explizite Bezugssituation häufig fehlt. Möglicherweise sind gerade mündliche Nahdialoge mit hohem Privatheitsgrad, für die aufgrund der Personen- und Situationsvertrautheit elliptische Kontexte durchaus typisch sind, solche Texte. Ein grundlegendes Problem der Annahme, MP-haltige Sätze seien schwache Varianten, ist allerdings, daß sie nicht in allen Einzelheiten empirisch überprüfbar zu sein scheint wie die oben angeführte, nach der MP-haltige Sätze als starke Varianten MP-loser Sätze eingeordnet wurden. Hypothetische Kontexte und Situationen entziehen sich nämlich einer empirischen Untersuchung weitgehend. Ein weiteres Problem liegt darin, daß auch MP-haltige Sätze (wie MP-lose Sätze) gewöhnlich nicht isoliert vorkommen, sondern in bestimmten Kontext- und Situationstypen eingebettet 214 sind. Mit der Annahme, MP-haltige Sätze seien schwache Varianten zu MP-losen Sätzen mit Kontext und Situation, wird aber gerade davon ausgegangen. 2.8 Personalpronomina vs. Nominalphrasen Personalpronomina (d.h. er, sie, es) und Nominalphrasen sind paradigmatische Varianten im weiteren Sinne. Ein Personalpronomen wiederholt wie andere anaphorische Ausdrücke nur so viele Merkmale des Nomens (und der übrigen Nominalphrase), wie zur Herstellung eines eindeutigen Bezugs notwendig sind, d.h. Numerus und Genus. (18a) Sie sahen ihn schon von weitem. Er hatte ein ganz altes Gesicht, aber an seinem Gang konnte man erkennen, daß er jung war. (18b) Die Leute sahen den Mann schon von weitem. Der Mann hatte ein ganz altes Gesicht, aber an seinem Gang konnte jeder Mensch erkennen, daß der Mann jung war. Personalpronomina sind merkmallosere (denotativ schwächere) Ausdrücke als Nominalphrasen und weisen vorwiegend phorische Bedeutung auf. Demnach erwarte ich, daß sie in markierteren Textsorten seltener auftreten, d.h. seltener im schriftlichen Fernmonolog. Der Vergleich zweier mündlicher Nahdialoge aus dem Freiburger Korpus (Heutiges Deutsch 1975) zeigt, daß aufgrund von Abstraktionsunterschieden zwischen Texten bereits ein Variantengefälle vorliegen kann. Im Text XEG ("Smalltalk") werden konkretere Themen besprochen als im Text XAI ("öffentliche Diskussion"). Der größere Anteil der Personalpronomina im Text XEG korreliert übrigens auch mit einem geringeren Anteil an Nomina auf -ung (siehe oben), die den Abstraktionsgrad eines Textes recht deutlich anzeigen. (19) Anteil der Personalpronomina in den Texten XEG und XAI des Freiburger Korpus XEG XAI er + ihn 40 5 sie 13 15 es 48 50 sie 5 9 Summe der Personalpronomina 106 79 Summe aller Textwörter 3498 4484 Anteil der Personalpronomina % 3,03 1,76 signifikanter Unter.: XEG > XAI DI = 3,74 > 2 Ein Vergleich des mündlichen Nahdialogs XAI (einer öffentlichen Diskussion) und des schriftlichen Fernmonologs GG (Grundgesetz 1993, Rechtstext) offenbart, daß der Anteil der Personalpronomina im schriftlichen Fernmonolog wesentlicher geringer ist als im mündlichen Nahdialog, obwohl in beiden Texten abstrakte Themen behandelt werden. Juristische Texte sind in dieser Hinsicht unter den schriftlichen Fernmonologen extreme Beispiele (vgl. Brandt 1988:108ff.). (20) Anteil der Personalpronomina im Grundgesetz (GG) und in XAI (Freibg. K.) GG XAI er + ihn 24 5 sie (Sg. + PI.) 49 24 es 51 50 Summe der Personalpronomina 124 79 Summe aller Textwörter 18237 4484 Anteil der Personalpronomina % 0,68 1,76 signifikanter Unter.: GG < XAI DI = 6,90 > 2 2.9 Obersatz mit satzförmiger Konstituente vs. Obersatz mit nicht-satzförmiger Konstituente Ein Obersatz (d.h. ein übergeordneter Haupt- oder Nebensatz) mit satzförmiger Konstituente (d.h. mit abhängigem Hauptsatz, Nebensatz oder Infinitivsatz) ist im Vergleich zu einem Obersatz mit nicht-satzförmiger Konstituente (d.h. einer Nominaloder Präpositionalphrase) eine verstärkte Konstruktion. (19a) Der Junge freute sich über die schönen Spielzeuge. (19b) Der Junge freute sich darüber, daß man ihm so schöne Spielzeuge geschenkt hatte. Laut Grundannahme (1) behauptet sich die verstärkte Konstruktion vorzugsweise in komplexerem Satzkontext. Auf Textebene ist zu erwarten, daß die verstärkte Konstruktion eine Affinität zur Grundtextsorte 5 (schriflticher Fernmonolog) zeigt. Der Großteil aller Obersätze sind Hauptsätze. Daher soll im folgenden vor allem von dem Verhältnis zwischen (selbständigen) Hauptsätzen und abhängigen Sätzen die Rede sein. Hauptsätze sind aufgrund ihrer grundsätzlichen Selbständigkeit prototypische Sätze, Nebensätze aufgrund ihrer grundsätzlichen Unselbständigkeit hingegen nicht. Hauptsätze zeigen allerdings formal komplexere Züge als Nebensätze (Orešnik 1990: 117ff.). Der typische Erscheinungsort von Nebensätzen sind schriftliche Fernmonologe. Distributionsunterschiede zeigen sich auch zwischen mündlichen Dialogen, vermutlich vielfach in Abhängigkeit vom Abstraktionsgrad der Texte. Der Anteil selbständiger Hauptsätze (HS) steigt in weniger abstrakten Texten, während der Anteil von Nebensätzen mit V-Letzt-Stellung (NS) und Infinitivsätzen (IS) in abstrakteren Texten zunimmt. Einen Anhaltspunkt für die Angemessenheit der oben aufgestellten These sind die aus den Textsammlungen IDS2 und IDS3 gewonnenen Zahlenangaben in der unten folgenden Tabelle. Unter den dort vertretenen Dialogen (in der Mehrzahl handelt es sich um mündliche Nahdialoge) zeigen die Diskussionen den geringsten Anteil an (selbständigen) Hauptsätzen (etwa 55%), gefolgt von den Beratungsgesprächen (etwa 65%), während die Smalltalks und die Dienstleistungsgespräche einen hohen Hauptsatz-Anteil aufweisen (etwa 70% bzw. mehr als 75%). (21) Haupt-, Neben- und Infinitivsatzanteile in Texten des Freiburger Korpus TEXTE TEXTSORTE HS% ABH. HS% NS% IS% SUMME ids3xai Diskussion 55.31 5.64 33.62 5.42 100.00 ids3xau Beratungsgespräch 54.55 9.09 30.68 5.68 100.00 ids3xbc Dienstleistungsgespräch 77.57 3.74 17.76 0.93 100.00 ids3xbh Diensüeistungsgespräch 76.19 7.14 14.29 2.38 100.00 ids3xcr Beratungsgespräch 65.19 9.49 22.15 3.16 100.00 ids3xdq Beratungsgespräch 65.00 11.43 20.71 2.86 100.00 ids3xeg Smalltalk 61.71 11.34 24.18 2.77 100.00 ids3xel Beratungsgespräch 55.83 10.00 30.83 3.33 100.00 ids3xeq Beratungsgespräch 70.69 10.34 10.34 8.62 100.00 ids3xer Dienstleistungsgespräch 88.89 0.00 11.11 0.00 100.00 ids3xex Smalltalk 81.08 6.76 12.16 0.00 100.00 ids3xez Smalltalk 73.26 14.53 11.63 0.58 100.00 ids3xfu Beratungsgespräch 76.19 4.76 16.67 2.38 100.00 ids3xfv Smalltalk 90.00 0.00 10.00 0.00 100.00 ids3xhb Smalltalk 85.71 7.14 7.14 0.00 100.00 ids3yah Smalltalk 85.03 5.44 6.12 3.40 100.00 ids3ybk Dienstleistungsgespräch 83.58 1.49 11.94 2.99 100.00 ids3ybl Smalltalk 62.50 16.67 18.75 2.08 100.00 ids3 verschiedene 67.06 8.37 21.46 3.12 100.00 ids2 Diskussionen 54.87 7.46 32.78 4.88 100.00 Ein Vergleich zwischen der Textsammlung IDS2 (Heutiges Deutsch 1974), in der öffentliche Diskussionen zu finden sind, und der Textsammlung IDS3 (Heutiges Deutsch 1975), in der verschiedene Textsorten (vor allem Smalltalk, Dienstleistungsund Beratungsgespräche sowie eine öffentliche Diskussion) abgedruckt sind, zeigt, daß die Textsammlung IDS2 einen größeren Anteil von markierteren Konstruktionen aufweist (vgl. die folgende Tabelle), d.h. mehr Nebensätze mit V-Letzt-Stellung (1.), Infinitivsätze (2. ) und Nomina auf -ung (8.). Öffentliche Diskussionen stellen innerhalb der Grundtextsorte mündlicher Nahdialog eine markiertere Textsorte dar. In Texten, die zu den markierteren Grundtextsorten gehören, sind ähnlich hohe Anteile oder sogar höhere Anteile markierterer sprachlicher Konstruktionen zu erwarten. (22) Häufigkeit finiter und infiniter Satztypen im Freiburger Korpus Vorhersage IDS3 IDS2 DI abs. % abs. % 1. Nebensätze (V-Letzt) 512 24.67 2405 37.92 -11.00 Hauptsätze (selbständige) 1563 75.33 3938 62.08 Stichprobengröße (n) 2075 100.00 6343 100.00 2. Infinitivsätze 73 4.46 356 8.29 -5.09 Hauptsätze (selbständige) 1563 95.54 3938 91.71 Stichprobengröße (n) 1636 100.00 4294 100.00 3. Abhängige Hauptsätze 194 11.04 544 12.14 -1.21 Hauptsätze (selbständige) 1563 88.96 3938 87.86 Stichprobengröße (n) 1757 100.00 4482 100.00 4. Eingeschobene Hauptsätze 9 0.57 37 0.93 -1.33 Hauptsätze (selbständige) 1563 99.43 3938 99.07 Stichprobengröße (n) 1572 100.00 3975 100.00 5. Abhängige Sätze 788 33.52 3342 45.91 -10.55 Hauptsätze (selbständige) 1563 66.48 3938 54.09 Stichprobengröße (n) 2351 100.00 7280 100.00 6. Nebensätze (V-Letzt) 512 21.78 2405 33.04 -10.33 restliche Sätze 1839 78.22 4875 66.96 Stichprobengröße (n) 2351 100.00 7280 100.00 7. Infinitivsätze 73 3.11 356 4.89 -3.65 restliche Sätze 2278 96.89 6924 95.11 Stichprobengröße (n) 2351 100.00 7280 100.00 8. Nomina auf -ung(en) 340 1.47 1173 1.75 -2.86 andere Wörter 22746 98.53 65710 98.25 Stichprobengröße (n) 23086 100.00 66883 100.00 9. Nomina auf -ung(en) 340 82.32 1173 76.72 2.44 infinite Verben in Infinitivsätzen 73 17.68 356 23.28 Stichprobengröße (n) 413 100.00 1529 100.00 10 infinite Verben in Infinitivsätzen 73 0.32 356 0.53 -4.11 andere Wörter 23013 99.68 66527 99.47 Stichprobengröße (n) 23086 100.00 66883 100.00 3. ZUSAMMENFASSUNG UND ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN Gemäß der Grundannahme über das Verhalten von sprachlichen Varianten (vgl. Orešnik, Snedec, Teržan, Trobevšek-Drobnak 1991: 5-6) wird zwischen verstärkten Konstruktionen bzw. starken Varianten und geschwächten Konstruktionen bzw. schwachen Varianten unterschieden. Im vorliegenden Aufsatz wurde die Annahme geprüft, ob zwischen verstärkten bzw. geschwächten Konstruktionen einerseits und bestimmten Textsorten andererseits ("Umgebung" einer sprachlichen Konstruktion im weitesten Sinne), eine Affinität besteht. Mit Diewald (1991: 296) haben wir fünf Grundtextsorten unterschieden und diesen Grundtextsorten Markiertheitswerte zugeordnet (siehe (6)). Der mündliche Nahdialog wurde als die am wenigsten markierte Grundtextsorte eingeordnet, der schriftliche Fernmonolog dagegen als die markierteste Grundtextsorte. Die Markiertheits-zuordnung geschah aufgrund der Markiertheitsbewertung der situativen Faktoren [dialogisch - monologisch], [mündlich - schriftlich] und [face-to-face - zeitlich und räumlich fern]. Es wurde angenommen, daß der prototypische Erscheinungsort verstärkter Konstruktionen (starker Varianten) in den markierteren Grundtextsorten zu suchen sei, und umgekehrt, daß der prototypische Erscheinungsort geschwächter Konstruktionen (schwacher Varianten) in den weniger markierten Grundtextsorten zu suchen sei. Die folgenden sprachlichen Konstruktionspaare wurden in diesem Aufsatz berücksichtigt: Nominalisierungen auf <-ung> in freien Fügungen vs. Nebensätze, Funktionsverbgefüge vs. einfache Verben, Passiv vs. Aktiv, Futur vs. Präsens pro futuro, Perfekt vs. Präteritum, modalpartikelhaltige Sätze vs. modalpartikellose Sätze, Personalpronomina vs. Nomina, Hauptsätze vs. Nebensätze. Die Affinitäten der verstärkten Konstruktionen zu markierteren Grundtextsorten und die Affinitäten geschwächter Konstruktionen zu weniger markierten Grundtextsorten können folgendermaßen dargestellt werden: (23) Markiertheitsskala der Grundtextsorten: [Markiertheit] 2 3 la. Verbalabstraktum in FF 2a. FVG-- 3a. Passiv- 4a. Futur- 5a. Präteritum - -6a. Modal-/Abtönungspartikel -7a. Personalpronomen 8a. Obersatz+satzförmige Konstituente — (24) Affinitäten der verstärkten und geschwächten Konstruktionen zu den Grundtextsortenpolen Konstruktion Einordnung der Konstruktion m. N-Dialog s. F-Monolog la. Nominalisierung (in FF) geschwächt vs. satzförmige Konstituente - + 2a. Funktionsverbgefüge verstärkt vs. Satz mit einfachem Verb - + 3a. Passiv verstärkt vs. Aktiv - + 4a. Futur verstärkt vs. Präsens pro futuro - + 5a. Perfekt verstärkt vs. Präteritum + - 6a. Satz mit Modalpartikel verstärkt vs. modalpartikelloser Satz (geschwächt vs. Satz + Kontext + Situation) + 7a. Personalpronomen geschwächt vs. Nomen + - 8a. Obersatz mit satzförmiger Konstituente verstärkt vs. Obersatz mit nicht-satzförmiger Konstituente - + Zwischen den Kategorien verstärkte Konstruktion (starke Variante) und dem markierteren Grundtextsortenpol 5 (schriftlicher Fernmonolog) sind in folgenden Fällen Affinitäten zu erkennen, die mit der Annahme (4) übereinstimmen: Funktionsverbgefüge (verstärkt) vs. Verb (nicht-verstärkt), Passiv (verstärkt) vs. Aktiv (nicht-verstärkt), Futur (verstärkt) vs. Präsens pro futuro (nicht-verstärkt) und Obersatz mit satzförmiger Konstituente (verstärkt) vs. Obersatz mit nicht-satzförmiger Konstituente (nicht-verstärkt). Zwischen den Kategorien geschwächte Konstruktion (schwache Variante) und dem weniger markierten Grundtextsortenpol 1 (mündlicher Nahdialog) ist im folgenden Fall eine Affinität zu erkennen, die mit der Annahme (5) übereinstimmt: Personalpronomen (geschwächt) vs. Nomen (nicht-geschwächt). Nicht-Übereinstimmung mit den Annahmen (4) und (5) liegt in folgenden Fällen vor: Nominalisierung in freier Fügung (geschwächt, aber nicht-prototypische Ausdrucksweise, daher markierter) vs. Nebensatz (nicht-geschwächt), Perfekt (verstärkt, aber prototypischere Ausdrucks weise, daher weniger markiert) vs. Präteritum (nicht-verstärkt), Satz mit Modalpartikel (modal verstärkt, aber prototypische Ausdrucksweise im Deutschen, daher weniger markiert) vs. Satz ohne Modalpartikel (nicht modal verstärkt). Zusätzliche Faktoren, die die Affinität der Konstruktionen zu bestimmten Textsorten maßgeblich steuern, können angeführt werden (das Pluszeichen bedeutet zutreffende Merkmalsausprägung, das Minuszeichen bedeutet nicht zutreffende Merkmalsausprägung; zu den Faktoren vgl. Diewald 1991): • Faktoren des Handlungsbereichs: [+privat] [+soziale Nähe] [+symmetrisch] [+freie Themenwahl] (bei Modalpartikeln) • Faktoren des Redegegenstandes: [+hohes Abstraktionsniveau] (bei Verbalab-strakta, Passiv, Nebensatz), [+großer Informationsfluß] (bei Verbalabstrakta, Passiv), [+Kontextverschränkung] (bei Futur, Präteritum) • Faktoren der Textfunktion: [-Kontaktfunktion] (bei Verbalabstrakta, Passiv), [+Darstellung] (bei Präteritum] Zur Einordnung der Textsorten hinsichtlich ihrer Markiertheit sind neben den situativen Merkmalen auch bestimmte Merkmale anderer Merkmalsachsen (des Handlungsbereiches, der Textfunktion und des Redegegenstandes) relevant, sind aber in der Merkmalhierarchie rangtiefer als die situativen (zur Hierarchie der Merkmalsachsen - Diewald 1991). Bei der Beurteilung der Markiertheit sprachlicher Varianten ist die Berücksichtigung der Textsortendistribution sprachlicher Varianten insbesondere dann von Nutzen, wenn die Argumente auf anderen Ebenen nicht eindeutig sind: • Nominalisierungen in freien Fügungen sind hinsichtlich ihrer Textsortendistribution spezialisierter als (bedeutungsäquivalente) Nebensätze. Das ist ein Argument für die Markiertheit der Nominalisierungen. • Das Präteritum ist hinsichtlich seiner Textsortendistribution eingeschränkter als das Perfekt. Das ist ein Argument für die Markiertheit des Präteritums. • Funktionsverbgefüge sind dialogferne Formen. Das ist ein Argument für ihre Markiertheit. • Modalpartikeln zeigen ebenfalls Beschränkungen hinsichtlich ihrer Textsortendistribution. Das wäre ein mögliches Argument für die Markiertheit der Modalpartikeln. Allerdings spricht die Tatsache, daß sie häufig in mündlichen Nahdialogen erscheinen und eine prototypische Ausdrucksweise im Deutschen darstellen, eher für ihre Einfachheit. Daß derartige situative Verweise mit Hilfe von speziellen Lexemen vorgenommen werden, scheint jedoch übereinzel-sprachlich weniger typisch zu sein. • Passiv und Futur sind wiederum typisch für monologische Textsorten. Das ist ein Argument für ihre Markiertheit. Insgesamt gesehen scheint die Affinität zwischen starken Varianten und markierteren Grundtextsorten einerseits und schwachen Varianten und weniger markierten Grundtextsorten andererseits weniger ausgeprägt zu sein als die Affinität zwischen der Markiertheit von sprachlichen Varianten und markierteren Grundtextsorten einerseits und der Unmarkiertheit von sprachlichen Varianten und weniger markierten Grundtextsorten andererseits. Die Markiertheit von sprachlichen Varianten im Deutschen wurde mit der Fragestellung ermittelt, ob eine bestimmte Ausdrucksweise im Deutschen (d.h. einzelsprachlich) oder übereinzelsprachlich (d.h. auf typologischer oder universeller Ebene) als Default-Ausdruckskategorie für einen bestimmten Inhalt angesehen werden kann. 4. LITERATUR Boretzky, N. / Dressler, W. / Orešnik, J. / Teržan, K. / Wurzel, W. (1995) (eds.): Natürlichkeitstheorie und Sprachwandel / Teorija naravnosti in jezikovno spreminjanje. Beiträge zum internationalen Symposium über "Natürlichkeitstheorie und Sprachwandel" an der Universität Maribor vom 13.5.-15.5.1993. Bochum. Brandt, W. (1988): Die Wortlänge in der deutschen Gesetzessprache des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Sprache in Vergangenheit und Gegenwart. Marburg/Lahn. S. 108-121. Brinker, K. (1971): Das Passiv im heutigen Deutsch. München. Brons-Albert, R. (1982): Die Bezeichnung von Zukünftigem in der gesprochenen deutschen Standardsprache. Tübingen. 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Erarbeitet im Institut für deutsche Sprache, Forschungsstelle Freiburg i. Br. München. Heutiges Deutsch (1974): Texte gesprochener deutscher Standardsprache II [= IDS2], Erarbeitet im Institut für deutsche Sprache, Forschungsstelle Freiburg i. Br. München. Heutiges Deutsch (1975): Texte gesprochener deutscher Standardsprache IE [= IDS3], Erarbeitet im Institut für deutsche Sprache, Forschungsstelle Freiburg i. Br. München. Krivonosov, A. T. (1977): Deutsche Modalpartikeln im System der unflektierbaren Wortklassen. In: Weydt, H. (1977). S. 176-216. Latzel, S. (1977): Die deutschen Tempora Perfekt und Präteritum. München. Leiss, E. (1992): Die Verbalkategorien des Deutschen. Berlin, New York. Lindner, K. (1983): Sprachliches Handeln bei Vorschulkindern. Tübingen. Mayerthaler, W. (1981): Morphologische Natürlichkeit. Wiesbaden. Meier, H. (21978): Deutsche Sprachstatistik. Hildesheim, New York. Orešnik (1990): Main vs. Subordinate Clauses: Simple or Complex? 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Norberts Verdacht, daß seine Frau seit längerem eine Affäre mit einem Igel hätte, schien sich mehr und mehr zu bestätigen Für die modebewuSte Gerda war der Spanientrip ziemlich frustrierend: Selbst alte, ausgediente Kampfstiere hatten eindrucksvollere Rucksäcke als sie »Soeben habe ich die Nachricht erhalten, daB sich unter uns ein Betrager befindet!« Als der Yeti, der abscheuliche Schneemensch, seinen Vetter, den abscheulichen Sandmenschen, in dessen Heimat, der Sahara, besuchte, hatte er leider vom ersten Tag an enorme Kreislaufprobleme wegen der Hitze Cartoon 15 Zusammenfassung Gegenstand dieses Beitrags ist die Textsorte Cartoon in "Zeitmagazin". Der Cartoon besteht aus dem bildlichen und dem textuellen Teil. Der textuelle Teil wird in Form von Kurz- oder Langtext realisiert. Es lassen sich strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Cartoons und Witzen beobachten. Gut strukturierte Witze und Cartoons können die emotionale Reaktion herbeiführen, die in verschiedensten Lachreaktionen zum Ausdruck kommt. Der Cartoon als kulturelle Kommunikation übt die gesellschaftskritische und die spielerische Funktion (Spiel für Erwachsene) aus. Die beliebtesten Techniken zur Erreichung des komischen Effekts sind Personifizierung von Tieren und Sachen, Kontrastieren, Gebrauch von banalsten und absurdesten Einfällen, Wortspiele. Der Rezipient kann die Mitteilung verstehen oder nicht, er kann ihr zustimmen oder sie ablehnen. Je einfallsreicher, realitätsferner, absurder in ihrer Banalität die Inhalte der Cartoons sind, desto intensiver scheint die künstlerische Perzeption des Rezipienten zu sein. Literatur Bergson, Henri (1972): Das Lachen. Zürich Eco, Umberto (1991): Einführung in die Semiotik. Autorisierte deutsche Ausgabe von Jürgen Trabant. München. Kotthoff, Helga (1998): Warum lachen Frauen anders, Frau Kotthoff (Ein Interview von Dieter Wöhrle) In: Frankfurter Allgemeine Magazin, 13.2.1998, 50-51. Lixfeld, Hannjost (Hrsg.) (1986): Witz. Stuttgart.. Marfurt, Bernhard (1977): Textsorte Witz. Möglichkeiten einer sprachwissenschaftlichen Textsorten-Bestimmung. Linguistische Arbeiten 52. Tübingen. Nusser, Peter (Hrsg.) (1987): Schwarzer Humor. Stuttgart. Vater, Heinz (1992): Einführung in die Textlinguistik. München. Weber, Heinz (1984): Elements of Text-Based and Image-Based Connectedness in Comic Stories, and Some Analogies to Cinema and Written Text. In: Text and Discourse Connectedness. Proceedings of the Conference on Connexity and Coherence, Urbino, July 16-21, 1984. Urbino. Povzetek O NASTAJANJU IN RECEPCIJI KARIKATURE V "ZEITMAGAZIN-U" Predmet tega prispevka je besedilna vrsta karikatura v Zeitmagazinu. Karikaturo sestavljata slikovni in jezikovni del. Jezikovni del je kratek ali dolg. Med karikaturo in šalo je opaziti strukturne podobnosti. Dobro zgrajene karikature in šale lahko sprožijo čustveno reakcijo, ki se kaže v široki paleti smeha. Karikatura kot kulturna komunikacija ima dve funkciji: lahko je družbena kritika ali zgolj igra za odrasle. Priljubljena sredstva za doseganje komičnega učinka so poosebljanje živali in stvari, kontrastiranje, raba banalnih in absurdnih domislic, besedne igre. Bralec/gledalec sporočilo razume ali ne, lahko se z njim strinja, lahko ga tudi zavrača. Bolj ko je vsebina karikature domiselna, nerealistična, v svoji banalnosti absurdna, toliko intenzivneje jo doživlja bralec oz. gledalec. NASLOVI AVTORJEV - ANSCHRIFTEN DER AUTOREN Doz. Dr. Bester, Marja: Univerza v Ljubljani, Filozofska fakulteta, Aškerčeva c. 2, 1000 Ljubljana (Slowenien) Prof. Dr. Bračič, Stojan: Univerza v Ljubljani, Filozofska fakulteta, Aškerčeva c. 2, 1000 Ljubljana (Slowenien) Čuden Darko, Univerza v Ljubljani, Filozofska fakulteta, Aškerčeva c. 2, 1000 Ljubljana (Slowenien) Dr. Gabiele Diewald: Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft, Bismarckstr. 1, Haus B, D-91054 Erlangen (Deutschland) Fischer, Kerstin: Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Postfach 100131, D33501 Bielefeld (Deutschland) Prof. Dr. Fix, Ulla: Universität Leipzig, Institut für Germanistik, Augustusplatz 9, D-04109 Leipzig (Deutschland) Prof. Dr. Glovacki-Bernardi, Zrinjka: Universität Zagreb, Filozofski fakultet, Odsjek za germanistiku, J. Lučica 3, 10000 Zagreb (Kroatien/Hrvatska) Prof. Dr. Heusinger, Siegfried: Endelstraße 29, D-39106 Magdeburg (Deutschland) Prof. Dr. Janko, Anton: Univerza v Ljubljani, Filozofska fakulteta, Aškerčeva c. 2,1000 Ljubljana (Slowenien) Dr. Jesenšek, Vida: Pedagoška fakulteta, Oddelek za germanistiko, Koroška 160, 2001 Maribor (Slowenien) Mag. Krevs, Uršula: Univerza v Ljubljani, Filozofska fakulteta, Aškerčeva c. 2, 1000 Ljubljana (Slowenien) Prof. Dr. Križman, Mirko: Pedagoška fakulteta, Oddelek za germanistiko, Koroška 160, 2001 Maribor (Slowenien) Prof. Dr. Müller, Rolf: Universität, Gesamthochschule Kassel, FB 09, Georg-ForsterStraße 3, D-34127 Kassel (Deutschland) Doz. Dr. Petrič, Teodor: Pedagoška fakulteta, Oddelek za germanistiko, Koroška 160, 2001 Maribor (Slowenien) Prof. Dr. Teržan-Kopecky, Karmen: Pedagoška fakulteta, Oddelek za germanistiko, Koroška 160, 2001 Maribor (Slowenien) Mag. Dr. Thonhauser-Jursnick, Ingo: Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Germanistik, Mozartgasse 8/П, A-8010 Graz (Österreich) Dr. Veronesi, Daniela: Europäische Akademie Bozen, FB I "Sprache und Recht", Weggensteinstraße 12 a, 1-39100 Bolzano (Italien) Dr. Warnke, Ingo: Universität, Gesamthochschule Kassel, № 09, Georg-Forster-Straße 3, D-34127 Kassel (Deutschland) Prof. Dr. Wierschin, Martin: Frani Srämka 1165, CZ-50002 Hradec Krälove (Tschechische Republik) VSEBINA - INHALTSVERZEICHNIS Siegfried HEUSINGER, Anton JANKO, Vorwort - Predgovor .............. 5 Siegfried HEUSINGER, Kulturelle Aspekte von Textsorten - Kulturni vidiki besedilnih vrst .................................................... 7 Ulla FIX, Die erklärende Kraft von Textsorten. - Textsortenbeschreibungen als Zugang zu mehrfach strukturiertem-auch kulturellem-Wissen über die Texte -Razlagalna moč besedilnih vrst-opis besedilnih vrst kot pristop do večplastnega-tudi kulturno pogojenega-vedenja.......................... 15 Ingo WARNKE, Polylinguale Intertextualität und Konstituierung von Kultursprachen - Večjezikovna medbesedilnost in oblikovanje kulturnih jezikov 29 Rolf MÜLLER, Textuniversalien-Betrachtung an konkreten Texten/ Textereignissen - Besedilne univerzalije-ob konkretnih besedilih/besedilnih pojavih.......................................................... 43 Stoj an BRAČIČ, Interkulturelles und Intertextuelles in Gebrauchstexten -Medkulturni in medbesedilni elementi v neliterarnih besedilih.............. 61 Gabriele DIEWALD und Kerstin FISCHER, Zur diskursiven und modalen Funktion der Partikeln aber, auch, doch und ja in Instruktionsdialogen -O diskurzivni in modalni funkciji členkov aber, auch, doch in ja v navodilnih dialogih ......................................................... 75 Daniela VERONESI, Rechtstexte im Vergleich. - Das Beispiel von deutschen und italienischen universitären Lehrbüchern - Primerjava pravnih besedil. Nekaj primerov za jezikovni par nemščina-italijanščina ................... 101 Zrinjka GLOVACKI-BERNARDI, Die Textsorte "Fernsehnachrichten" -kontrastiv betrachtet - Besedilna vrsta "televizijska poročila"-kontrastivno .... 125 Martin WIERSCHIN, Hinkelbeinchen und "little chicken's leg": Deutsche und amerikanische Idiome als kommunikative Textsorten-Problematik -"Hinkelbeinchen" in "little chicken's leg": Nemški in angleški frazeologemi kot problematika besedilnozvrstnega sporazumevanja........................ 129 Mirko KRIŽMAN, Sprüche, Sentenzen, Zitate als Kurzformen oder "einfache Formen" der Textsorten in interkultureller Sicht - Pregovori, sentence, citati kot kratke oblike ali "preproste oblike" besedilnih vrst z medkulturnega vidika .... 153 Marja BESTER, Deutsche und slowenische Pressenachrichten im zweiten Weltkrieg auf slowenischem Gebiet - Nemška in slovenska časopisna besedila med drugo svetovno vojno na slovenskem ozemlju ....................... 167 Ingo THONHAUSER-JURSNICK, "Mein besonderer Dank gilt...."- Das Vorwort. Strukturen wissenschaftlicher Dankbarkeit - "Posebna zahvala velja...." - Predgovor. Strukture za izražanje zahvale v znanstvenih besedilih ... 181 Vida JESENŠEK, Der Wortschatz als "Wahrheitsvermittler" im außenpolitischen Pressekommentar - Besedje kot "posredovalec resničnosti" v zunanjepolitičnem komentarju ....................................... 191 Teodor PETRIČ, Korrelationen zwischen merkmalhaften oder merkmallosen syntaktischen Varianten und verschiedenen Graden der Textsortenkomplexität -Razmerje med oblikovno zapletenimi ali preprostimi skladenjskimi različicami in različnimi stopnjami besedilne zapletenosti........................... 201 Karmen TERŽAN-KOPECKY, Textsorte als natürlichkeitstheoretische Entität -Besedilna vrsta kot entiteta naravnega jezikoslovja....................... 225 Uršula KREVS, Argumentellipse in der "weichen" Nachricht im Deutschen und in Slowenischen - Elipsa argumenta v "mehki" vesti v nemščini in slovenščini....................................................... 233 Darko ČUDEN, Zur Produktion und Rezeption des Cartoons in "Zeitmagazin" - O nastajanju in recepciji karikature v "Zeitmagazinu".................... 247 LINGUISTICA XXXVIII, 1 Izdala in založila Filozofska fakulteta Univerze v Ljubljani Revue publiee et editee par la Faculte des Lettres et Philosophie de l'Universite de Ljubljana Glavni in odgovorni urednik - Redacteur en chef Mitja Skubic Tajnica redakcije - Secretaire de la redaction Jožica Pire Nasloviti vse dopise na naslov Priere d'adresser toute correspondance ä Mitja Skubic, Filozofska fakulteta, Aškerčeva 2, Ljubljana (Slovenija) Tel.: 386 61 176 92 00 Fax.: 386 61 125 93 37 Tisk - Imprimerie Tiskarna Littera pieta, d.o.o., Rožna dolina c. IV/32, Ljubljana Po mnenju Ministrstva za znanost in tehnologijo št. 415-01-033/98 z dne 13.3.1998 šteje publikacija med proizvode, za katere se plačuje 5% davek od prometa proizvodov.