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restellten Schaffellen die Lagerstatte zurecht und streckte mich auf der- selben aus. Der Schlaf mied meine Augen. Einerseits wurde mein Denk- vermogen von dem Erlebnisse in Krivobrdo vollauf in Anspruch genommen, andererseits aber hatten in meiner Bettunterlage zahllose Familien von dem „Stamme“ der Aphaniptera und vielleicht gar auch aus jenem der Aptera ihre Wohnsitze aufgeschlagen. In der Tiirkei liisst die Reinlichkeit trotz der im Koran vorgeschriebenen Waschungen alles zu wiinschen iibrig. Zudem darf man dort nur jene Thiere tbdten, die dem Menschen zur Nahrung dienen. Ich hatte oft Gelegenheit, selbst angesehene Mohamme¬ daner zu beobachten, die im Innern ihrer Kleider jagten und im giinstigen Falle die Beute hervorziehend, eine Weile betrachteten, dann aber \vieder *) Fremder (tiirk.). **) Nein! (tiirk.). ***) Salonich. 6 82 sachte zu Boden fallen Hessen, damit sich das Geschopf Gottes beim Be- riihren der Mutter Erde, nicht etwa einen Fuss verstaucht oder einen an- deren Schaden erleidet. Kaum eingeschlafen wurde ich durch den Larm einer zur Abreise sich riistenden Karawane geweckt. Auch meine Schlafkameraden richteten sich nach und nach auf die Beine auf, also blieb auch mir nichts anderes iibrig, als ihrem Beispiele zu folgen. Im Osten erglanzte die Morgenrothe in aller Pracht eines Mittelfruhlinefsmorsiens. Als nun der greschaftige O O o o Kaffeewirth den dampfenden Mocca vorsetzte, feierte die Sonne gerade ihre Wiedergeburt auf unserm Planet. Ich brachte meinen ausseren Menschen ein \venig in Ordnung und trat ins Freie, um dem Aufladen der Waaren auf die Saumthiere beizu- wohnen. Die armen Geschopfe hatten \vohl kein beneidenswerthes Loos. Manchem wurde soviel aufgeladen, dass nur der Kopi sichtbar war. Die Lasten wurden den Thieren erst am Ziele ihrer Reise abgenornmen, oder wenn dieselbe liinger als einen Tag dauerte, erst in der nachsten Ueber- nachtungsstation. Zudem sind die Saumpferde in der Tiirkei durchwegs unbeschlagen, also fehlt denselben die Unterlage zum festen und sicheren Auftreten. Gegen ein Uhr Morgens*) machte ich mich auf den Weg gegen Krivobrdo. Es \var ein herrlicher Tag. Das Waldconcert, ausgefiihrt von hunderten gefiederter Luftbevvohner, versetzte mich in meine Kinderjahre, in jene unvergessliche selige Zeit zuriick, wo ich in dem an unser Schloss grenzenden Walde mit kindlich frommer Seele dem Gesange der Vogel lauschte und das Wiedererwachen der Natur bewunderte. In solchen Gedanken vertieft erreichte ich die Anhohe. Die Wald- musik dauerte fort. Ich blieb stehen und horchte. Unvvillkiirlich schlossen sich meine Hande zum Gebet und „0 siisses Graun, geheimes Weh’n! Als knieten viele ungeseh’n Und beteten mit mir“ sangen mit zitternder Stimme meine Lippen. Was war aus mir geworden? Meine grossartig angelegten Zukunfts- pliine, die ich als Kind und Jiingling geschmiedet, waren zerflossen und zerstoben, wie die in herrlichen Farben ergliinzenden Seifenblasen, die ich oft aus dem Erkerfenster meines Vaterhauses durch einen leichten Schlag auf den Strohhalm von demselben trennte und in den unermesslich weiten Luftraum sandte. Fremd und von allen verlassen irrte ich in der Welt herum, ohne am Morgen zu \vissen , vvo ich nach dem Tagesende mein miides Haupt niederlegen werde. Und warum? Weil ich arm war und dennoch zu lieben wagte. O Welt, o — „Huaaaah!“ schallte es in unmittelbarer Nahe an meine Ohren. Ich fuhr erschreckt zusammen und wandte mich um. Ilinter einem Weissdorn- strauch sprang die Tochter des vidar hell auflachend hervor. „Du, schlimmer Kobold, hast mich aber gehbrig erschreckt!“ sagte ich zu Zlata, da ich in meiner Ver\virrung kein anderes Wort fand. ‘) Sieben Uhr Vormittag-s. 83 „Ist wahr?“ fragte sie mit zusammengezogenen Lippen. „Sei nicht bose, es war nicht schlecht gemeint." „Nein, nein, ich scherze nur. Gott helfe Dir,*) moje zlato !“ „Auch Dir moge Gott helfen, Perga! Heute habe ich meine Baja bei den Jungen angebunden, damit ich Dir zum Willkommgruss die Hand reichen kann. Du musst namlich wissen, dass sie es nicht duldet, dass mich Jemand beriihrt. Hier hast Du nun eine Hand fiir gestern, die zweite aber fiir heute." Ich ergriff ihre beiden Hiinde und hielt sie eine Weile in den meinigen fest. Ein leises Zittern derselben pflanzte sich auf meinen Kdrper fort. Ich presste ihre Hiinde fester zusammen. Zlata senkte ihre Augen zu Boden. „Wie schade, dass Du nicht blond bist!“ sagte ich nach einer Weile. Das Miidchen warf mir einen befremdenden Blick zu. „Warum?“ fragte sie. „Gefallt Dir das Briinett nicht?" „Mir gefiillt es ganz gewiss und dazu noch mehr als das Blond, aber wenn Du blond wiirest, so vviirest Du eine leibhaftige vila." Die vile — Feen — spielen in dem orientalisch-slavischen Volks- glauben und Leben eine sehr wichtige Rolle. Sie begleiten den Menschen von der Wiege bis zum Grabe und gliicklich Derjenige, dem sie gewogen sind. — „Wenn ich eine vila wiire, miisste ich mein Wohlwollen allen Menschen zu Theil \verden lassen, ich will aber nur Einem angehbren", erwiderte das Miidchen nach einigem Zogern. „Verstehst Du mich, nur Einem!" Bei dem letzten Worte \varf sie mir einen verzehrenden Blick zu. Gegen diese Behauptung konnte ich freilich nichts einwenden. Um die Liebesgluth des Miidchens nicht zu schiiren, Hess ich dessen Hiinde los und fragte es, ob hadji-Mulah wohl zu Hause sei. „Er ist schon vor Sonnenaufgang ausgegangen, um Kriiuter zu sammeln, wird jedoch nicht lange ausbleiben. Nach seiner Behauptung sind die in der Thauzeit ausgehobenen Wurzeln und Kriiuter von grdsserer Heilvvirkung als andere." Ich wandte mich zum Gehen. „Wenn Du willst, dass wir nebeneinander gehen, so miissen \vir nach rechts abschwenken“, sagte moje zlato. „Kaum zvvanzig Schritte von hier entfernt fiihrt ein ziemlich breiter Weg zu unserer Wohnung.“ Wir lenkten ab und gingen, das Miidchen voran, in gerader Richtung weiter. „Hier ist der Weg“, sagte vidars Tochter, als \vir eine kleine Lichtung erreichten, und trat an meine Seite. L?nterwegs schlich sich ihre Hand verstohlen unter meinen Arin. Ich presste sie an mich und blickte moglich unauffiillig nach rechts. Zlata war- iiber und iiber roth im Gesichte. Wir schritten eine Weile schweigend die Berglehne hinab. „Zlato — moje zlato!" rief der Rabe, vviihrend er iiber den Bitumen strich. „Hier bin ich, Dajko !“ rief das Miidchen dem Vogel zu. „Er hat mich vermisst und sucht mich." *) Gott helfe Dir! und die Antvvort darauf ist der fiir alle Tageszeiten iibliche Gruss und Gegengruss der Orientchristen. Er ersetzt alle bei den Westeuropaern ublichen Grussformeln, als: guten Morgen, guten Tag, guten Abend u. dgl. 6 * 84 — Der unheimliche Vogel flatterte bald darauf in unserer Niihe herum. „ Wir sind am Ziele !“ sagte Zlata, als \vir eine ziemlich ausgedehnte Ebene erreichten. Dieselbe bildete gewissermassen einen Einschnitt in der Berglehne. In dem Hintergrunde derselben an die Felswand angelehnt, stand die Behausung des Wunderdoctors. Die Wande derselben waren aus massiven Eichenpfosten gezimmert. Zu beiden Seiten derselben stand, gleichsam als Wache, je eine riesige Edeleiche, deren Aeste federbuschartig das Dach bedeckten. Vor dem flause breiteten noch andere Waldriesen ihre dichtbelaubten Aeste aus. Im Schatten der Baume standen im Halb- kreise ungefahr ein halb Dutzend kistenartige Hiitten, aus welchen ebenso viele Hundekopfe das Terrain iiberwachend hinauslugten. Um eine abseits stehende Linde lief eine niedere, aber breite Bank herum. „Baba!“ *) rief das Madchen gegen das Haus gewendet. In der Thiir erschien eine gebeugte Frauengestalt. „Der jabandjija, von welchem ich Dir gestern Abend erziihlt habe, ist wieder gekommen." Ich griisste hiniiber, die Alte aber brummte etwas vor sich hin und verschwand im Innern des Hauses. „Willst Du den vidar hier, im Schatten ervvarten, oder im selamlik**) ?“ fragte mich Zlata. „Ich bleibe hier unter der Linde 11 , erwiderte ich, wahrend ich mich auf der Bank niederliess. „Einen Augenblick nur, ich korame gleich wieder.“ Sie verschwand in dem Hause, kam aber schon nach \venigen Minuten mit dem sladko sammt Anhang zuriick. Das Glas- und Kaffeegeschirr ruhte auf einer massiven Silberplatte, ein Meisterwerk, wie ich solche bis dahin noch nicht gesehen hatte. Nach der Willkommengabe trug die Arztenstochter Geschirr sammt Platte zuriick, kehrte aber gleich vvieder und setzte sich mit gekreuzten Beinen an meiner rechten Seite nieder. Eine Weile stockte das Gesprach. „PHegt hadji-Mulah lange auszubleiben ?“ fragte ich das Madchen, um die Conversation wieder aufzunehmen. „Das ist nicht immer gleich; je nachdem er auf einen mehr oder minder ergiebigen Heilkrauterfund stosst. Er ist jedoch immer vor der zweiten igjindija ***) zu Hause.“ „Haltst Du auch die igjindija’s ?“ ,,Ich bete mit meiner GrossmutterA „Wie betest Du ?“ ..Vater unser, der Du bist in den Himmeln . . A Ich wusste genug. „Kommst Du nie nach Varcar-Vakuf oder sonst wohin unter die Menschen ?“ „Solange ich jiinger war, nahm mich die baba zuweilen mit, wenn sie in die umliegenden Ortschaften Lebensmittel einkaufen ging; seit ich aber grosser geworden hin, muss ich immer zu Hause bleiben. Auch sie *) Grossmutter. **) Das Gemach, wo man Besuche empfangt, also Visitzimmer. ***) Die im Koran vorg-eschriebene tiiglich fiinfmalig-e K6rperwaschung; und das ihr folgende Gebct. Die zweite ig-jindija wird um 5 Uhr (11 Uhr Morg-ens) vorgenommen. 85 selbst entfernt sich jetzt niemals von hier, sondern lasst sich Alles, was wir brauchen, von eigens dazu bestellten Personen ins Haus bringen.“ „Sehnst Du Dich nach der Beriihrung mit der Aussenwelt.“ „Unendlich ! Zuweilen fiirchte ich um meinen Verstand. Es zieht mich gar so miichtig vveg von hier und hinaus in die Welt. Bald mochte ich singen und springen, bald wird es mir so unheimlich und vvehmiithig ums Herz, dass ich Tag und Nacht weinen mochte. Ich muss fort von hier, oder ich \verde sterben." „Apropos, Du hast mir gestern gesagt, dass Du mich schon einmal gesehen hast. Tauschest Du Dich nicht?“ Zlata schlug verschamt die Augen zu Boden und schwieg. Nach einer Weile blickte sie verstohlen zu mir heriiber und sagte mit kaum vernehmbarer Stimme: ,,Dich in der Person habe ich nicht gesehen, sondern Dein Bild.“ „Mein Bild ? Wo?“ ,,Im Traume“, ervviderte das Miidchen fast unhorbar. ,,Potztausend, ist das mbglich?“ „Gewiss! Mir hat es vor einer Woche eetraumt, dass Du /2 Pf. 90 Von einem Dicner bis zur Thiir des selamlik geleitet, trat ich mit dem iiblichen Gruss ein. Auf einem niederen Divan lag, bis auf die Leibwasche entkleidet, ein Mann und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Ich hatte ihn in seiner Ruhe gestdrt. ,,Was ist Dein Begehr ?“ fragte er mich barsch. ,,Habe ich das Gliick, vor dem SuleVman-beg Kulenovič zu stehen ?“ fragte ich, nicht ohne ein Gefiihl der Angst. „Der bin ich, was willst Du ?“ „Ich uberbringe Dir von Deiner kaduna einen achtungsvollen Gruss und dieses Zeichen —“ Ich konnte den Satz nicht vollenden. Sulei'man-beg schnellte wie der Blitz empor, ergriff den an der Wand hiingenden yatagan*) und sclnvang denselben iiber meinem Kopfe in der Luft. „Pezivenk,**) Du erfrechtest Dich ..schrie er mich an. „Mit Deiner Gattin zu sprechen, die bei weitem edelsinniger ist, als Du,“ ervviderte ich scheinbar ruhig. In demselben Augenblicke erinnerte ich mich der Worte, die mir der alte Feldwebel von Kostajnica auf den Weg mitgegeben hatte. Wollte ich meinen bereits wackelnden Kopf vor dem Herabfallen bewahren, so musste ich vor allem kaltes Blut bevrahren. ,,Wo hast Du mit ihr gesprochen? 11 ,,Wenn Du willst, dass ich Dir Rede und Antvvort stehe, so musst Du vor allem die Mordwaffe versorgen. Daran werde ich erkennen, dass Du wirklich jener Kulenovič-beg bist, der vom koniglichen Gebliit abzu- stammen behauptet und . . .“ „Das gehort nicht hierher ! Beantworte meine Frage, sonst.. „Was, Du wolltest Dich an einem hadji aus fernen Landen vergreifen ? Du wolltest, anstatt Gastfreundschaft zu iiben, unschuldiges Blut vergiessen? Hier habe ich nichts mehr zu thun, denn Du bist nicht jener Kulenovič-beg, den ich suche!“ Bei den letzten Worten wandte ich mich zum Gehen, nicht ohne Furcht, dass er mir beim Urmvenden mit der fiirchterlichen Waffe in den Riicken einen Stoss versetzen konnte. Hatte er die Absicht, mich zu todten, so konnte ich, da ich wehrlos war, meinem Verhangnisse nicht entgehen. Meine einzige Vertheidigungswaffe war die Ruhe, mit welcher ich auftrat; verfehlte diese ihre Wirkung, so war ich verloren. „Bleibe hier und sei willkommen in meiner kula,“ sagte der beg, wahrend er mit der linken Hand meinen rechten Arm ergriff und den in der rechten gehaltenen yatagan in einen Winkel schleuderte. „Verzeihe mein Aufbrausen, ich habe geschlafen und wusste in dem ersten Augen¬ blicke des Erwachens nicht, was ich thue.“ „Die Reihe, um Verzeihung zu bitten, ist an mir, weil ich Dich in Deiner Ruhe gestdrt habe,“ erwiederte ich, wobei ich die freudige Auf- regung, die mein Herz beherrschte, kaum zu unterdriicken vermochte. Hatte ich geveusst, dass Du der Ruhe pflegst, so hatte ich Dich ganz ge- wiss nicht zu storen gewagt.“ ,,Wir sind also Freunde,“ sagte er, wahrend er mir die Hand reichte. „Du .. ., wie ist Dein Name ?“ *) Ein langes, nur auf einer Seite geschliffenes, breitriickiges Hautmesser (handjar). **) Elender (tiirk.). 91 — „Ich heisse Perga.“ ,,Du, Bruder Perga, wirst schon entschuldigen, dass ich Dich fiir eine kurze Zeit verlasse; ich muss ein Bad nehmen, nicht so sehr \vegen der igjindija, sondern weil ich dessen wirklich bediirftig bin.“ Suleiman-beg klatschte in die Hande, worauf ein Diener erschien und sich nach den Befehlen seines Gebieters erkundigte. Dieser sagte ihm einige Worte in tiirkischer Sprache, die ich nicht verstand. In der Tiirkei wird die Tischglocke durch das Hiindeklatschen ersetzt. Ich warf auf mein Gegeniiber einen priifenden Blick. Suleiman-beg Kulenovič war sichtlich leidend, allein sein Unwohlsein war voriibergehender Natur. In seinen Ziigen war jener leidende Zustand, den wir, Westeuropaer, Katzenjaminer nennen, unzweideutig ausgepriigt. Er schien der Lebensan- schauung bekri-Muja's*) zu huldigen. Der Diener brachte sladko, Kaffee und den tschibuk und stellte sich an der Thiir in Positur, zum Zeichen, dass er ganz und gar zu meiner Verfiigung da sei, Suleiman-beg aber nahm ein grosses Eeinentuch und entfernte sich mit demselben. Ich habe oben des bekri-Muja Erwiihnung gethan. Wer war dieser bekri-Muja? Er ist eine interessante Personlichkeit, deshalb will ich den verehrten Leser mit demselben naher bekannt machen. Sultan Mahmud II., ein Enkel des in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 1389 von Milosch Obilic, dem serbischen vojvoda**) und Schivieger- sohne des greisen Serbenkaisers Lazar in seinem Zelte auf dem kosovo polje***) auf eine unaufgeklart gebliebene Art und Weise ermordeten Sultans Murad I. war ein gerechter und fiir das Wohl seines Volkes sehr eingenommener Herscher. Er hielt auf die ihm seitens seiner Rathe iiber die Lage im Reiche erstatteten oder vorgelegten Berichte nicht viel, son¬ dern stieg haufig verkleidet unter das Volk hinab, um sich zu iiberzeugen, ob und in vvelchem Masse jene Berichte auf Wahrheit beruhen. In einer Nacht verliess er als Iiofgartner verkleidet und von zwei seiner treuesten Diener begleitet durch eine Gartenpforte seinen Palast und durcheilte die dunklen und engen Strassen von Constantinopel. Auf seinem Rundgange stiess er auf einen harten Gegenstand und stolperte iiber den- selben. Er tastete um sich und erkannte in dem Hindernisse einen Mann, der auf der Erde ausgestreckt lag und schnarchte. Umvillig beutelte er den Unbekannten aus dem Schlafe. Dieser war ob der Stdrung seiner niichtlichen Ruhe sehr ungehalten, schimpfte tiichtig darauf los und legte sich wieder nieder, um weiter zu schlafen. „Ich, der Sultan, befehle Dir aufzustehen!“ sagte der Monarch in ge- bietendem Tone. „Du bist der Sultan Mahmud ?“ lallte der Unbekannte. ,,Das freut inich! Wenn Du wirklich der Sultan bist, so s^ge mir, wieviel Du fiir Stambul verlangst, ich mochte es kaufen.“ — Der Monarch glaubte, es mit einem Wahnsinnigen zu thun zu haben, deshalb Hess er ihn, da iiber der Stadt bereits tiefste Ruhe der Nacht *) Mohammed der Saufer (tiirk.). **) Ileerfuhrer, General (slav.). ***) Amselfeld, wo am folgenden Tage auch Kaiser Lazar gefangen und angesichts des todten Murad enthauptet wurde. In Folge dieser fiir die Christen ungliicklichen Schlacht wurde das scrbische Kaiserreich zertriimmert und kam unter die Herrschaft des Halbmondes. 92 herrschte, in seinen Palast tragen uncl bis zum folgenden Tage dort unter- bringen. Bekri-Muja, so hiess der Unbekannte, war jedoch nicht wahnsinnig, sondern betrunken. Er hatte einst bessere Tage gesehen, war aber durch das Trinken so tief gesunken, dass er nur die Lumpen, in \velche sein Korper nothdiirftig gehiillt war, und eine abgeniitzte Dečke sein Eigen nannte. Als bekri-Muja am folgenden Morgen in dem Sultanspalaste envachte und erfuhr, welchen Vorschlag er in der vergangenen Nacht dem strengen Beherrscher aller Glaubigen gemacht hatte, erschrak er dariiber so sehr, dass der greuliche Katzenjammer in kiirzester Zeit von ihm wich. Er wusste, was seiner harrte. Vor den Sultan gebracht, fragte ihn dieser, ob er noch Willens sei, Stambul von ihm zu kaufen. Bekri-Muja fiel vor ihm auf die Knie nieder und flehte um Gnade. „Verzeihe, o Sohn allahs,“ bat der Schuldige, ,,ich wusste nicht, was meine Lippen sprachen; ich war unzurechnungsfahig.“ „Das glaube ich Dir, nun mochte ich aber \vissen, was Dich in jenen widerlichen Zustand versetzt hat.“ ,,Das ist mein Geheimniss; wenn mich aber Deine Majestiit frei von Strafe ausgehen lasst, so will ich Dir es enthiillen.“ „Es sei, aber Du musst mir die reine Wahrheit sagen.“ „Ein Getriink ist es, erhabener Beherrscher aller Glaubigen; ein Ge- trank, welches nicht nur angenehm zu geniessen ist, sondern, im gehbrigen Maasse eingenommen, alle Sorgen verscheucht und den iirmsten Menschen reich macht.“ Der Sultan schiittelte unglaubig den Kopf. „Wenn Du mir nicht glaubst, so werde ich Dir den' Beweis liefern, 4- sagte bekri-Muja, als er die ungliiubige Miene des Monarchen sah. Mahmud winkte zustimmend. Bekri-Muja entfernte sich, um bald darauf mit einem Kruge des kostlichen Rebensaftes und einem Becher \vieder vor dem allmachtigen Sultan zu erscheinen. Er fiillte den Pokal mit dem perlenden Wein und kredenzte ihn dem Sultan. Dieser kostete davon und war von dem unbekannten Getranke sichtlich befriedigt. ,,Deine Majestat darf beim Kosten nicht stehen bleiben, 11 sagte bekri- Muja, ,,sondern Du musst den Becher auf einem Zug zur Neige leeren und dem ersten den zvveiten, dritten . . . vierten.folgen lassen. Je mehr man trinkt, desto besser schmeckt es.“ Der Sultan befolgte den Rath bekri-Muja’s und gerieth dabei bald in eine rosige Laune, die sich mit jedem Becher steigerte. Aus Dankbarkeit ernannte er den bekri-Muja zum Statthalter einer eintraglichen Provinz, schenkte ihm einen mit Edelsteinen beslieten Sabel, ferner kostbare Kleider und dergleichen. Am folgenden Morgen wurde bekri-Muja-Pascha abermals in den Sultanspalast befohlen, Mahmud litt niimlich an einem heftigen Katzen¬ jammer, wusste aber nicht, wie er denselben von sich bannen konnte. ,,Trinke wieder!‘‘ erwiderte bekri-Muja. „Diese Krankheit kann man nur mit dem Safte der Rebenfrucht heilen.“ 93 Und Mahmud trank wieder und immer wieder, bekri-Muja aber ver- waltete die seiner Botmassigkeit anvertraute Provinz und vertrieb sich die Langeweile ebenfalls mit der Thrane der Rebe. Der Zustand Mahmud’s erreicbte mit der Zeit einen besorgniss- erregenden Grad. Er kam aus dem Weindusel gar nicht mehr heraus. Die Kronrathe waren iiber denselben verzweifelt, die Aerzte standen, da sie die Ursache des Uebels nicht kannten, rathlos da. Auch den Sultan widerte sein Zustand schliesslich an. Er Hess bekri-Muja nach Constantinopel kommen, um sich bei ihm wegen der Beseitigung des anhaltenden Katzen- jammers Rath zu erholen. „Trinke wieder!“ sagte bekri-Pascha. „Ein anderes Mittel dagegen gibt es nicht. “ „Wie lange soli ich so forttrinkenr‘ £ „So lange, bis Du so tief herabsinkst, als ich gesunken war, bevor Deine Giite mich aus dem Schlamme hervorzog. 11 Diese Worte erniichterten den Monarchen besser, als jedes andere Heilmittel. Er entkleidete bekri-Muja aller seiner Wiirden und verbannte ihn in eine Provinz, wo die Rebe nicht gedieh, er selbst aber entsagte fortan dem Weingenusse und wendete sich wieder dem .haschisch 1 *) zu. So erzahlt die tiirkische Legende. — Als Sulefman-beg Kulenovič wieder den selamlik betrat, war die Sonne bereits hinter den Bergen zur Ruhe gegangen. Er entschuldigte sein langes Ausbleiben mit einer wichtigen Angelegenheit, deren Erledigung keinen Aufschub erlaubte und befahl das Abendessen anzurichten. Der Diener entfernte sich, um schon in der nachsten Minute mit vier Standleuchtern, in welchen Wachskerzen steckten, zuriickzukehren. Er stellte dieselben in der Mitte des selamliks im Quadrat auf und ziindete die Kerzen an. Hierauf entfernte er sich wieder und kehrte mit einem kurzfiissigen Tische zuriick, den er zwischen die Leuchter stellte. Zum Schlusse legte er auf dem Boden noch zwei Polster zurecht und hiemit dachte ich .die Vorbereitungen vollendet. Meine Annahme war nicht richtig, denn schon in dem nachsten Augenblicke trat ein zweiter Diener ein und brachte auf einer Prasentirplatte eine Gabel nebst Messer und legte beides rechts, also auf dem fiir mich bestimmten Platze auf den Tisch. Hier muss ich einschalten, dass sich die Mohammedaner beim Essen anstatt des Besteckes, der Handfinger bedienen. Fliissige oder suppige Speisen kennt die mohammedanische Kiiche nicht. Die Speisen sind derart zubereitet, dass man dieselben ganz gut mit den Fingern ergreifen und dem Munde zufuhren kann. Das Fleisch kommt immer in kleine Stiicke geschnitten auf den Tisch, also ist ein Zerkleinern desselben nicht noth- wendig. Nach jedem Gange wird das Geschirr abgeraumt, dann wascht man sich die Hande und setzt das" Mahi fort. In manchem Herrenhause habe ich spiiter auch ganz eigenartige Servietten angetroffen. Zu Beginn der Tafel bekommt namlich jeder Theilnehmer eine nudelartig ausge- walgte und nach Art unserer Omletten zusammengerollte mundreife Mehl- speise. Ist man mit einem Gericht fertig, so reisst man von dem Teige *) Das aus verschiedenen Krautern und \Vurzelwerk und Hanfsamen mit Hilfe des Wassers zubereitete Lieblingfsgetriink der Mohammedaner. 94 ein Stiick ab, wischt sich mit demselben gehorig die Finger ab, forint dann eine Kugel daraus und befordert dieselbe in den Magen. Liindlich, sittlich. Wahrend des Essens sitzt man entweder mit gekreuzten Beinen aufrecht, oder liegt auf dem Boden ausgestreckt, den Oberkorper auf dem linken Ellbogen gestiitzt, wiihrend man mit der Rechten nach den aufge- tischten Herrlichkeiten langt. Die Grundessenz eines mohammedanischen Mahles bilden Hammel- fleisch und Reis, \velche unter Zusatz von Butter oder Rindsschmalz mit einander vermengt, den pilaf* **) ) liefern. Ausser Hammelfleisch wird noch das Rindfleisch und das Gefliigel genossen. Kalber werden erst im zweiten Jahre geschlachtet. Den Genuss des Schweinfleisches verbietet der Koran. Auf das Wild halt der Mohammedaner gar nichts. Auch der Fisch ist eine haufige Erscheinung auf dem Tische des Mohammedaners ; nur den Hecht weist er zuriick, weil er nach seiner Behauptung das Kreuz und die Marterwerkzeuge, mit welchen der Welterloser in den Tod geschickt wurde, in seinem Kopfe tragt. Fast alle Speisen der Mohammedaner sirni mehr oder minder stark gezuckert und gewiirzt, deshalb gewohnt sich der Europiier nicht leicht an den Genuss derselben. Auch Mehlspeisen sind bei den Mohammedanern nicht selten. In erster Linie steht die pita oder der Fleischstrudel. Zur Herstellung derselben nimmt man das Herz, die Lunge und die Leber vom Lamm oder Kitz und schneidet dieselben in kleine Stiicke, welche im siedenden Fett gerostet \verden. Diese Fiille wird sodann in sehr fein ausgezogenem Teig eingevvickelt, in eine niedere Backcasserole gelegt und in den Ofen eingeschoben. Das Getrank der Frauen und Kinder bildet das Wasser mit oder ohne Zuckerzusatz und die Milch. Die Mohammedaner sind, ohne Unterschied der Geschlechter, leiden- schaftliche Raucher. Die Kinder berinnen sich schon in dem zarten Alter o von sechs oder sieben Jahren darin zu iiben. Das starke Geschlecht zieht, besonders zu Hause, den tschibuk und das nargileh *) der Zigarette vor, \viihrend die Frauen und Madchen mit Vorliebe selbstgedrehte Spagnoletti rauchen. Deshalb haben die meisten derselben dunkelbraun oder schwarz gefarbte Enden des Daumens und der beiden Nachbarfinger. Das nargileh kann von mehreren Personen gleichzeitig geraucht werden und zwar je nach der Anzahl der aus Leder hergestellten biegsamen Rohre. Die tiirkischen Tabake sind im Vergleiche zu jenen des Westens sehr mild, konnen also auch leichter vertragen werden. Der Tabak von Jenidje und Trebinje ist geradezu wohlriechend. — Als der Tisch abgeriiumt wurde, verliess auch Suleiman-beg, \vie er sagte, fiir einen Augenblick den selamlik. Er kehrte wirklich schon nach \venigen Minuten zuriick. In jeder Hand trug er eine Weinflasche. „Das ist das Lebenselixir“, sagte er mit lachelnder Miene. „Diesen Schatz muss ich in eigener Person uberwachen, sonst verschwindet er in den stets durstigen Kehlen meiner Diener allzurasch.“ „Und \vas sagt Dein Mohammed dazu?“ fragte ich den ,,glaubigen“ Moslim. *) Risotto. **) Standpfeife. 95 „Oh unser Prophet ist ein toleranter Mann, der gern ein Auge zu- driickt. Uebrigens wird ihm im gjenet soviel Ehre erwiesen und soviel Weihrauch gestreut, dass er sich um die Erdenkinder und deren Treiben gar nicht kiimmern kann. Denke Dir die Unzahl huris,*) die ihn bedienend umflattern. Ich habe nur eine solche huri um mich und bekomme sie oft satt, deshalb habe ich sie zu meiner Erholung auf unbestimmten Urlaub geschickt.“ ,,Warst Du auch Soldat, Suleiman-beg ?“ „Habe die Hetze wohl ein paar Jahre mitgemacht, aber die Spielerei \var mir schliesslich zu theuer. Der Sultan zahlt in der Regel keinen Sold, auf eigene Kosten dem Vaterlande zu dienen, gefiel es mir aber auch nicht, deshalb hing ich den Sabel sammt den Offizier auf den Nagel und ging nach Ilause, wo es mir trotz der Abgeschiedenheit ganz gut gefallt. Hier giebt es freilich keine irdischen huris aus den verschiedenen Stammen der Franken, \vie in Constantinopel, aber deshalb braucht man aus stiller Sehnsucht nicht in Verzweiflung zu gerathen. Man richtet sich der Um- gebung anpassend ein und kommt dabei ganz gut aus. 11 Der Gutsherr von Varcar-Vakuf goss ein Glas nach dem anderen hinab. Seine miiden Ziige belebten sich; auch seine Augen bekamen nach und nach einen unheimlichen Glanz. „Nun erzahle mir aber, wo und wie Du mit meiner Gemahlin zu- sammen gekommen bist‘‘, sagte Suleiman-beg nach einer Weile. ,,Ich bin darauf sehr neugierig. 11 Ich schilderte ihm in kurzen Ziigen meine Absicht, zur Bereicherung meines geographischen und ethnographischen Wissens die Balkanhalbinsel zu durchstreifen und brachte mit derselben auch die angesuchte und mir von seiner Gemahlin gewahrte Audienz in Verbindung. „Sei vorsichtig!" ermahnte er mich, als ich geendet. ,,Du kennst den Fanatismus unserer Mohammedaner nicht. Ein zweites derartiges Wagniss konnte Dich Deinen Kopf kosten. Nun aber die Glaser frisch geleert, dann wirst Du mir etwas von Deiner J leimath erzahlen. In Stambul habe auch ich viel mit den Franken verkehrt, und wenn ich mich zu be- haupten erdreiste, dass ich meinen Landsleuten im Denken und in den Ge- sinnungen etwas vor bin, so habe ich dieses nur dem Umgange mit Deiner Rai^e zu verdanken. Doch was sage ich! Von Deiner Ra£e! Sind wir nicht ebensogut Europaer, als ihr? Dass wir uns zu einem andern Glauben bekennen, andert an der Sache gar nichts. Man nennt uns Tiirken, aber ganz und gar mit Unrecht. Wir sind wohl mohammedanische Slaven, aber Tiirken niemals ! Die wahren Tiirken wohnen jenseits des Bosporus. 1 ' Bei den letzten Worten erhob sich SuleVman-beg, ergriff die leeren Flaschen und entfernte sich mit denselben. ,,Lijepa naša domovina, Oj junačka »zemljo mila, Stare slave djedovina Da bi vazda cestna bila D**) tonte es von dem Corridor im reinsten Bosnischen zu mir herein. Das Lied sang Suleiman-beg. *) Huris sind schone Miidchen (= den Engeln der christlichen Religion), \velche die Gliiubigen im Himmel bedienen. **) O unser schones Vaterland, O du liebes Heldenreich, Alten Ruhmes Erbschaft du, Stets sei hochgepriesen! 96 „Schade um den Mann“, dachte ich in meinem Herzen. „Er ist nicht nur ein Freund des Rebensaftes, sondern huldiget augenscheinlich auch sonst fortschrittlichen Ideen und konnte bei gehoriger moralischer Unter- stiitzung seitens anderer ihm gleichgesinnter Miinner diesem ungliicklichen Volke das Sklavenjoch, unter \velchem es seit Jahrhunderten seufzt, \vesent- lich erleichtern.“ — Nach der Riickkehr des bestens aufgelegten Mohammedaners begann der Bacchuscultus von Neuem. „Was hiilt man im Westen von unseren Frauen?“ fragte mich Suleiman- beg im Laufe des Gespriiches. ,,Soll ich Dir die Wahrheit sagen ?“ entgegnete ich. ,,Gewiss, deshalb frage ich Dich.‘ £ „Wohlan so hore: Wir halten euere Frauen als unschuldige Opfer der Tvrannenherrschaft der Miinner. “ ,,FIabe es mir gedacht! Diese im Westen allgemein verbreitete An- sicht ist jedoch grundfalsch. Vor allem verdammt der Westeuropaer die Ausschliessung der mohammedanischen Frau von der Oeffentlichkeit. Die- selbe besteht in der Wirklichkeit gar nicht, sondern ist ganz einfach ein Phantasiegebilde der Schvvarzseher. Unsere Frauen konnen ausgehen, wann und wie oft sie wollen. Dass sie bei ihren Ausgangen von Dienerinnen oder Dienern begleitet werden, geschieht nicht so sehr zu ihrem Schutze, als vielmehr, um damit ihre hohe Stellung anzudeuten.“ „Warum gehen aber euere Frauen verschleiert einher.“ „So befiehlt es der Koran. Diese Anordnung hat jedoch sein Gutes. Gerade der Schleier macht das Weib interessant und begehrens\verth. Wiirde man sie unverschleiert einhergehen sehen, so wiirde ihre Erschein- ung dadurch an Anziehungskraft verlieren, \vogegen das Geheimnissvolle, das Verhiillte seine Zugkraft dauernd beibehalt. Oder bist Du einer anderen Meinung ?“ „Das hat jedenfalls et\vas fiir sich, aber ich frage Dich, warum haben euere Frauen im bffentlichen Leben und Verkehr nichts mitzureden?“ „Weil es mit der Weltordnung im Widerspruche steht. Das Weib hat mit der Oeffentlichkeit nichts zu thun. Dieses Zugestandniss hat sich an allen Nationen, die sich zu einem solchen Missgriff verstiegen, bitter ge- racht. Dafiir ist die Mohammedanerin aber unumschrankte Gebieterin in ihrem Hause. Ihre Herrschaft im Hause ist so gross, dass nicht einmal der eigene Gatte ihre Wohnriiume betreten darf, vvenn sie ungestbrt sein will. Wo kommt das im Westen vor? Hat sie Besuch oder will sie allein und ungestort sein, so stellt sie ein Paar Pantoffel vor ihre Thiir. In diesem Falle darf Niemand, selbst ihr Gatte nicht zu ihr. Das Gleiche gilt von der Zeit, die sie im Bade zubringt.“ „Aber \vas machen euere Frauen den ganzen lieben Tag zwischen den vier Mauern ?“ „Ich habe Dir doch gesagt, dass sie ausgehen konnen. Dass dies jedoch verhaltnissmassig seltener geschieht, als im Westen, ist wohl nicht zu leugnen, allein dies bringt ihre Lebensweise mit sich. Die Frauen des Westens haben in allen Volksklassen und Rangstufen mehr oder weniger das Hauswesen zu leiten, was bei unseren Frauen nicht der Fali ist. Die Mohammedanerin kiimmert sich um das Hauswesen nicht im geringsten. 97 Wenn es auf ihre Leitung ankommen wiirde, so miissten die Iiauser ihrer Manner bombenfest sein, um nicht aus den Fugen zu gehen. Zudem brauchen unsere Frauen gar nicht zu arbeiten. Die Frau des letzten hamal*) oder Handlangers arbeitet so \venig, als die Gemahlin des Pascha. Erlauben ihr die materiellen Verhaltnisse nicht den Luxus eines dienenden Geistes, so ist deren Gatte gleichzeitig ein Sklave seines Lebenserwe'rbes und seines Hauses. Wenn der christliche Arbeiter von der Arbeit miide, mittags oder abends heimkehrt, so findet er das Essen bereits fertig; er kann sich nieder- setzen und ausruhen, wahrend sein mohammedanischer Leidensgenosse das- selbe fiir sich und seine Familie erst herstellen muss. Es ist allerdings wahr, dass der Islam auch tiichtige Arbeiterinnen, besonders hervorragende Stickerinnen aufzmveisen hat, allein diese gehoren zu den Ausnahmen, wahrend ich hier von der Regel spreche. Wenn sie arbeiten, so geschieht dies nicht, weil sie miissen, sondern zum Zeitvertreib. Besitzt die mohamme- danische Frau eigenes Vermogen, so kann sie dasselbe nach Belieben ver- \valten und vervrenden, ohne dass der Gemahl etwas dareinzureden hat-.“ „Aber eine gekaufte Frau bleibt doch immer eine Sklavin ihres Be- sitzers," wagte ich einzuwenden. „Wer sagt denn, dass wir unsere Frauen kaufen?“ „Bei uns ist diese Ansicht allgemein verbreitet, 11 „Sie ist aber ebenso falsch, als so manche andere. Wir kaufen unsere Frauen nicht, sondern miissen vor der Eheschliessung sogar ihre Zukunft. sicher stellen.“ „Wie meinst Du das, Suleiman-beg ?“ „Der Brautigam muss der Braut fiir den Fali der Ehescheidung eine entsprechende Summe, die sich nach den Vermogensverhaltnissen des- selben richtet, sicherstellen und bei der Auflosung des Ehevertrages an die letztere auszahlen.“ „Wer aber kein Geld hat?“ „Der heirathet ganz einfach nicht, weil er keine Braut findet. Unsere geschiedenen Frauen sind also \veit weniger zu bedauern, als die christ- lichen, denn sie bekommen bei der Scheidung den im Ehevertrage stipu- lirten Betrag ausbezahlt, sie diirfen alles, was ihnen gehort mitnehmen und konnen sich wieder verheirathen.“ „Ist die Ehescheidung im islam mit Schwierigkeiten verbunden ?“ ,,Ganz und gar nicht. Sind beide Theile mit derselben einverstanden, so zahlt der Gatte seiner scheidenden Gattin den Sicherstellungsbetrag aus, der Ehevertrag wird vernichtet und dadurch die Ehe ohne Intervention, sei es der weltlichen, sei es der geistlichen Behorde aufgelost. Ist aber ein Theil gegen die Scheidung, so kommt die Angelegenheit vor den kadi.**) Geht die Scheidungsklage von der Frau aus, so ist deren Gatte immer der verlierende Theil. Eine der Gattin von ihrem Gatten vor Zeugen zugefiigte Beleidigung allein schon ist ein hinlanglicher Grund fiir die Ehescheidung.“ „Wird das mohammedanische Weib im allgemeinen gut behandelt ?“ „Gewiss! Man hat noch nie gehort, dass sich ein Mohammedaner an seinem Eheweibe thatlich vergriffen hiitte. Kann man so etwas von den Mannern des Westens behaupten? Ich glaube kaum!“ *) Packtrag-er (tiirk.). **) Richter. 98 „Also seid ihr gewissermassen Pantoffelritter ?“ ,,Ganz richtig. Weisst Du auf welche Weise die Mohammedanerinnen das Ehescheidungsbegehren stellen? !1 „Nein ! Ich bin neugierig darauf!“ Gefallt es einer kaduna nicht mehr mit ihrem Gatten zu leben, so geht sie ganz einfach zum kadi und iibcrreicht ihm einen Pantoffel. Dieser stellt die Ehescheidungsklage vor. Es ist auch schon vorgekommen, dass sich zwei geschiedene Ehegatten, mitunter sogar nach Verlauf von mehreren Jahren wieder vereiniget und den Rest ihren Erdenlebens in bester Har- monie zusammen zugebracht haben.“ „Wir sind also, wie ich sehe, von der Wirklichkeit sehr weit entfernt.“ ,,Gewiss!“ bestarkte der beg. ,,Wenn Du wieder in Dein Vaterland zuriickkehrst, so klare Deine Landsleute auf. Bei euch stellt man die Mohammedaner mit den reissenden Thieren auf die gleiche Stufe. Es ist allerdings wahr, dass unter dem Halbmonde nicht selten Menschenblut fliesst und zwar haufig aus nichtigen Griinden, allein das liegt erstens in dem Fanatismus der Anhanger des Propheten, zweitens aber in dem sozialen Abgrunde, welcher zwischen der herrschenden Klasse und der unterjochten rajah giihrt. Bei dem gegenseitigen tief eingewurzelten Ilasse sind blutige Zusammenstosse unvermeidlich. Es wird aber eine Zeit kommen, in welcher die schroffen Contraste geebnet und auf Grund der unanfecht- baren Menschenrechte ein modus vivendi geschaffen wird. Um dies zu erreichen, miissen beide daran betheiligten Partheien entgegenkommend und versohnend eingreifen. So lange sich aber ein Theil der Bevolkerung auf den Quarz, der andere aber auf den Stahl herausspielt, so lange wird der Anprall der beiden an einander immer Feuer und Blut erzeugen. Es wird \vohl eine Zeit kommen, in welcher diese Gegensatze ausgeglichen werden, allein dieselbe schwebt ohne Zweifel noch in weiter Ferne. —“ „Aber warum heisst es denn im al-koran, dass der Gatte der Herr iiber sein Weib ist, wenn bei euch die Frauen eine so grosse Freiheit ge- niessen? ;l fragte ich den beg, um das Gespriich auf das eigentliche Thema zuriickzufiihren. ,,Das ist er ja doch !“ ervviderte der Gefragte mit Warme. „Daraus folgt aber nicht, dass unsere Frauen ein Sklavenleben fiihren. Jene Lehre des Propheten driickt iibrigens in erster Linie die Oberhoheit des Mannes aus. Ist dies nicht auch bei euch, Christen der Fali ? Im Interesse der nichtmohammedanischen Frauen ware es zu wiinschen, dass sie hinsichtlich der Behandlung mit den Verehrerinnen des Propheten ein gleiches Loos hatten.“ — Ich hatte noch so manche Eimvendung machen konnen, allein Sulei- man-beg schwebte schon in den hoheren Regionen. Es war ihm anzusehen, dass er einen Widerspruch nicht geduldet hatte, also blieb ich stili. Zudem verkiindeten die Hahne das Nahen der Geisterstunde, deshalb bat ich ihn um die Anweisung meines Nachtlagers. Suleiman-beg entsprach bereitivillig meinem Wunsche und wenige Minuten spater ward es stili und ruhig in der altehrwiirdigen kula des Grundherrn von Varcar-Vakuf. 99 Achtes Capitel. Drei Tage in einem tekijeh. *) Das ist der Briider vereinter Chor, Die Andacht erhebt sie zum Herrn empor. Die Sonne hatte sich bereits hoch iiber dem ostlichen Horizonte erhoben, als ich am kommenden Morgen erwachte. Das Gerausch, welches mein Aufstehen verursachte, lockte den Diener, der vor meinem Schlaf- zimmer Wache hielt, herbei. Er brachte mir das mit Wasser gefiillte Waschbecken, ein Meisterwerk mittelalterlicher Ziselierkunst, und ein langes mit Goldstickerei umrandetes Handtuch von feinster Leinwand und er- kundigte sich nach meinen weiteren Befehlen. „Schlaft der beg noch ?“ fragte ich den Mann. „Jawohl, efendi, er steht immer spat auf“, erwiderte der Gefragte. Ich kleidete mich an und betrat den weiten Hof. Die Dienerschaft, Manner und Weiber, erstere vorherrschend, letztere aber ausschliesslich aus Christen bestehend, bewegte sich im echt orientalisch-tragen Tempo hin und her. Ein Mann, dessen Aeusseres von jenem des iibrigen miinn- lichen Gesindes vortheilhaft abstach, kam auf mich zu und griisste mich ehrerbietig. ,,Gehorst Du auch zu der Dienerschaft des Suleiman-beg ?“ fragte ich den Mann nach der Erwiderung seines Grusses. ,,lch bin der čauš**) auf der kula“, erwiderte der Gefragte. ,,Darf ich wohl den Blumengarten betreten ? 11 ,,Nach Belieben, denn die begovica ist, wie Du wissen wirst, nicht zu Hause, andere mohammedanische Frauen giebt es aber in der kula nicht.“ Hier erlaube ich mir einzufiigen, dass die Blumengarten in der Tiirkei ein ausschliessliches Territorium der Frauenwelt bilden. Ich werde mich in einem spiiteren Capitel dariiber ausfiihrlich ergehen und ervvahne hier nur, dass der Blumengarten der Gemahlin des Grundherrn von Varcar-Vakuf, trotzdem der Lenz seine ganze Pracht noch nicht entfaltet hatte, ein \vahres Paradies \var. Ich vervreilte unter den Kindern des Lenzes eine geraume Weile und ergotzte mich an der Fiille und an dem Wohlgeruche derselben. Eine Jasminlaube winkte mir so einladend entgegen, dass ich nicht widerstehen konnte. Ich betrat dieselbe und liess mich auf der niederen Rasenbank nieder. Auf dem Boden lagen verwelkte, mitunter auch zerknitterte Blumen, die wahrscheinlich die junge begovica am Vortage ihrer Abreise *) Mohammedanisches Klostcr. **) Sprich tschausch (tiirk.) = Aufseher, in der Militiirsprache Zugsfiihrer. 100 gepfliickt und verstreut hatte. Ein seltsam banges Gefiihl beschlich mich. Es kam mir vor, dass ich das traumerische Lied: ,,Alles freuet sich und hoffet, Wenn der Fr lihi ing sich erneut“ singen horte. Alles freuet sich und hoffet, nur in meiner Brust war die Hoffnung erstorben. Was hatte ich noch zu erhoffen? War ich nicht auch eine geknickte Blume ? Meine Gedanken flogen in die weite Ferne liber die stolze Adria, nach dem mir so grausam entrissenen Schatze. ,Lass alle Hoffnung fahrenb raunte mir eine Stimme ins Ohr. ,Verloren, verloren auf ewig!‘ — Hastige Schritte auf dem vom Regen weissgewaschenen Kieswege weckten mich aus meinen Traumen; Suleiman-beg naherte sich der Laube. „Bruder, wo steckst Du denn ?“ fragte er mich. ,,Ich suchte und rief Dich an allen Ecken und Enden.“ „Hier gefiel es mir so ausserordentlich gut, dass ich auf die Aussen- welt vergass“, erwiderte ich vervvirrt. „Hier hast Du etwas von mir!“ Bei diesen Worten iibergab mir der beg eine blassrothe halb auf- gebliihte Nelke. „Ich danke Dir, mein guter beg“, erwiderte ich. „Wolltest Du mir nicht auch die Bedeutung Deines Geschenkes erklaren?“ „Verstehst Du denn die Blumensprache nicht ?“ „Nein!“ „Du wirst sie schon erlernen; vielleicht noch friiher, als Du denkst. Die aufbliihende rothe Nelke bedeutet den Beginn aufrichtiger Freund- schaft. Ich habe in Dir einen Menschen kennen gelernt, der, ivenigstens in meinen Augen, Achtung und Freundschaft verdient und werde Dir eine solche stets treu bewahren. Aus diesem Grunde darfst Du nicht unge- halten sein, wenn ich mich Dir gegeniiber offen ausspreche. Ich habe heute Morgen iiber Dich nachgedacht. Weshalb solltest Du in der Welt herumirren ? Bleibe bei mir, es wird Dir an nichts fehlen. Ich werde Dir die Oberaufsicht iiber alle meine čauši iibertragen. Dabei wirst Du Dein Auskommen recht gut finden. Ich fiihle haufig das Bediirfniss, mit ge- bildeten Menschen zu verkehren, finde aber nur sehr selten eine Gelegen- heit dazu. Wenn Du aber unseren Glauben annehmen willst, so schenke ich Dir ein, meinetwegen auch zwei Dorfer. Auf diese Weise wirst Du ein aga und kannst Dir nach Belieben ein Miidchen unseres Glaubens als Lebensgefiihrtin aussuchen. Wo Suleiman-beg Kulenovič sein eigenes Ich in die Wagschale wirft, dort gibt es keinen Widerstand. Meine Gattin hat eine hiibsche Schwester, welche Dir gewiss keinen Korb geben wird, wenn ich mich bei ihr fiir Dich verwende. Willst Du?“ Ich war von dem Antrage des menschenfreundlichen beg derart ver- wirrt, dass ich kein Wort der Erwiderung fand. Als sich diese einiger- massen gelegt hatte, begann der Kampf in meinem Herzen. Nahm ich seinen Antrag an, so war ich mit einem Handschlage unabhiingig; meine Zukunft war gesichert. In meiner Heimath hatte ich ohnehin nichts zu suchen; hier aber konnte ich mir ein sicheres, vielleicht sogar ein gliick- liches Heim griinden. Doch nein! 101 „Dir ist die Wahl schwer, nicht wahr?“ fragte mich Suleiman-beg, der meinen Seelenkampf bemerkt haben mochte. ,,Der Religionswechsel bildet das Hinderniss, ich weiss es.“ „Errathen, mein guter beg.“ „Warum? Unser Glaube hat mit euerer Religion sehr Vieles gemein- schaftlich. Oder wolltest Du vielleicht gar behaupten, dass euere Religion besser ist als unsere ?“ „Ich behaupte gar nichts, aber meine Ansicht geht dahin, dass Jeder- mann, der den Glauben seiner Vater wegen materieller Vortheile ver- leugnet, ein elender Wicht ist.“ Der beg sah mich verwundert an. ,,In dieser Ilinsicht diirftest Du wohl Recht haben“, sagte er nach einer Weile. ,,Ich sehe, dass es auch unter den gjauri feste und ehren- werthe Charactere gibt. Wohlan, folge Du Deiner inneren Eingebung und ziehe wieder fort von hier. Wenn Du Deine Gesinnung einst andern solltest, so wirst Du mich stets bereit finden, mein Versprechen einzuhalten. Ich bin ein Kulenovič; ein Kulenovič ist noch nie wortbriichig gewesen. — Wann willst Du abreisen?“ „SogIeich!“ ,,Meinetwegen, aber Du musst Dir gefallen lassen, dass ich Dich bis Jajce begleite.“ — Wir verliessen den Garten und kehrten in die kula zuriick, wo uns ein iippiges Morgenmahl erwartete. Nach dem Friihstiick fiihrte mich der beg in seinen Marstall und hiess mich ein Reitpferd wahlen, worauf wir in den Sattel stiegen und von zwei ebenfalls berittenen Dienern gefolgt, die Reise nach Jajce antraten. Wir kamen viel langsamer fort, als mir angenehm war, nicht wegen der Gesellschaft, in welcher ich mich befand, sondern wegen des Besuches aller an der Strasse gelegenen han’s. Auch nicht die elendste Schenke wurde iibergangen. Aus diesem Grunde erreichten wir unser Endziel erst bei einbrechender Nacht. Wir stiegen im Haupt-han ab und sahen uns in vvenigen Minuten von einem Dutzend meist junger begs umgeben. Der Abend und ein grosser Theil der Nacht verlief in der animirtesten Art und Weise. Die Hauptrolle spielte dabei der Weinkrug, der unermiidlich die Runde machte. Wir sassen freilich nicht in der trapezarija, denn so etwas hatte ein nicht geringes Aergerniss erregt, sondern in einem in dem Hoftracte gelegenen Locale. Jeder han hat derartige mehr oder minder ausgedehnte Siindenraume, in welchen die Verehrer des Propheten von prophanen Augen unbemerkt dem Bacchus huldigen. — „Und dasPferd?“ sagte am folgenden Morgen Suleiman-beg, als ich mich verabschicden wollte. „Ich habe es, wie Du weisst, gestern Abends dem Stallknecht iiber- geben“, erwiderte ich. „Willst Du es nicht haben? Ich habe es Dir doch geschenkt; das heisst, wenn Du von mir ein Geschenk annehmen willst.“ Ich nahm das Geschenk dankbar an, erhielt von meinem "VVohlthater fiir einige an oder unweit des von mir zuriickzulegenden Weges wohnende beg’s Empfehlungen, sprang in den Sattel und trabte davon. 102 Ein Reiter! Ein Reiter auf eigenem Pferde! Diese Thatsache iiber- traf meine kiihnsten Erwartungen. Es ware schon gewesen, aber es hat nicht sollen sein. Sokol,*) so hiess mein Pferd, war ein Gemisch von arabischem und tscherkessischem Blut, dabei jung und viel feuriger, als mir angenehm war. Anfangs ging es noch an, mit der Zunahme der Sonnenhitze aber wurde die Zahl der uns umschivarmenden Fliegen von Minute zu Minute grosser und setzte dem Thiere arger zu, als demselben lieb war. Sokol feuerte in Folge dessen nach allen Seiten aus. Dadurch gerieth mein Korper nicht seiten gar bedenklich ins Wanken. Wenn der geehrte Leser zudem noch in Betracht zieht, dass ich von der Reitkunst nicht viel verstand und gleichzeitig mit den Folgen der letzten beinahe schlaflos durchlebten Nacht zu kampfen hatte, so wird er sich den Ritter von der traurigen Gestalt, den ich darstellte, unschwer ausmalen konnen. Hie und da winkte mir wohl ein han entgegen, allein ich blieb standhaft auf meinem Sokol sitzen, weil .... nun, weil ich das Ab- und Aufsitzen fiirchtete. Gegen Mittag zogen, vom Nordwinde gepeitscht, schwarze Wolken herauf. Der Himmel verfinsterte sich und in wenigen Minuten ergoss sich ein Platzregen in dem vollsten Sinne des Wortes liber mich herab. Ich befand mich ungefiihr auf dem halben Wege zwischen den beiden Ort- schaften Dubrava und Gosiči.**) Kein Haus, kein Dach in der Nahe. Ich lenkte von der Strasse rechts ab und ritt einem aus ungefiihr zwanzig Eichen von riesigem Umfange bestehendem Walde zu. Bevor ich denselben erreichte, war ich bis auf die Knochen nass. Unter dem ersten Baume, der als der starkste von allen gleichsam iiber die ubrigen zu wachen schien, angekommen, kroch ich, so gut meine halberstarrten Glieder es zuliessen, aus dem Sattel, band das Pferd an einen tief herabhangenden Ast, ich selbst aber verkroch mich in den hohlen, mit vorjahrigem Laub ziemlich hoch angefiillten Bauch des Baumriesen. Ich hatte mich in dem behag- lichen, mit trockenem Laube ausgepolsterten Raume kaum halbwegs hiius- lich eingerichtet, als auch schon der Morpheus seinen lahmenden Schatten iiber mich warf und mich dieser Welt entriickte. Als ich erwachte, stand die Sonne bereits tief im Westen. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und steckte den Kopf durch die Oeffnung hinaus. Mein priichtiger Sokol war nicht mehr da. Ja, habe ich denn wirklich ein Pferd besessen? Vielleicht hatte ich von einem solchen nur getraumt? Ich dachte nach. Geiviss besass ich ein Pferd, denn von den Knieen herab klebte an meiner Hose eine Menge kurzer Haare, die offen- bar von einem Pferd herriihrten. Aber wohin war das Pferd verschivunden? Hatte es Jemand gestohlen oder hatte es sich losgemacht und war instinkt- miissig gegen Varcar-Vakuf fortgaloppirt ? Diese beiden Fragen sind mir heute noch ein Rathsel, aber soviel steht fest, dass ic.h von meinem Sokol nie mehr etwas gehort habe. „Wie gevvonnen, so zerronnen!“ dachte ich mir und arbeitete mich mit einiger Anstrengung aus dem Laubhaufen heraus. Meine Kniee waren in Folge der Nasse ziemlich steif geworden; mit der Bewegung jedoch kam wieder Leben in dieselben und ich schritt *) Der Falke (slav.). **) Sprich Gossitschi. 103 riistig aus. Ich iibernachtete in dem Strassen-han von Gosiči und wollte am folgenden Morgen friih aufbrechen und von nun an gehorig ausschreiten T da mich das Leben in Bosnien anzuwidern begann. In der Nacht stellte sich ein hitziges Fieber bei mir ein; die Regen- nasse und das unregelmassige Leben in der letzteren Zeit hatten meine Gesundheit erschiittert. Gegen Morgen hatte das Fieber nachgelassen und ich brach, obwohl sehr leidend, auf. Anfangs ging es noch an, als ich aber Turbe erreichte, versagten mir die Fusse den Dienst. Ich betrat den han und hatte kaum noch die Kraft, mich in einen Winkel des iibrigens nicht besonders reinen Gemaches, niederzusetzen, ohne dabei zu fallen. Turbe ist ein aus vier Wohnhiitten und dem han bestehender Weiler. Das Wort turbd bedeutet in der tiirkischen Sprache die Grabstatte. Wie mir der handjija erziihlte, lag unweit davon ein mohammedanischer Fried- hof, auf welchem die todten Anhanger des Propheten aus der Umgebung beigesetzt \vurden. Die Graberstatte hatte auch dem Weiler den Namen gegeben. „Ist ein vidar in der Niihe ?“ fragte ich den Wirth, als ich sah, dass die Fieberhitze bedenklich stieg. „Es gibt wohl hie und da kmeten, die sich vidari schimpfen lassen, aber sie taugen alle zusammen nichts“, erwiderte der Gefragte. ,,Die Leute kennen sich nicht einmal bei den Krankheiten des Viehes aus, geschvveige denn bei den Leiden der Menschen. Wenn Du Dich nur bis Travnik fort- bringen konntest. Dort gibt es wohl mehrere hečims.“ „Konnte man nicht einen hierherkommen lassen ?“ „Das schon, aber erstlich sind sie sehr theuer und dann wiisste ich nicht, wo ich Dich unterbringen konnte. Ein kranker Mensch bedarf der Ruhe, die ich Dir bei dem beschriinkten Raume, iiber den ich verfiige, nicht sichern konnte. Hier ist ein ununterbrochenes Kommen und Gehen, eine Unordnung, die zuweilen selbst einem gesunden Menschen un- angenehm ist.“ „Schone Gegend!“ dachte ich mir. ,,Ich bin krank und ohne Obdach.“ Einen Augenblick wandelte mich die Reue an, dass ich den gross- muthigen Antrag Sule'iman-beg’s abgelehnt hatte. Doch nein! Die goldene Freiheit und Unabhangigkeit hatte ihr volles Recht, von mir auch Opfer zu verlangen. Auf meine feste Korperconstitution bauend, hoffte ich, das Uebel bald zu iiberwinden. „Ich hab’s efendi, ich hab’s!“ fuhr der Wirth auf, wiihrend er sich einen nicht sehr gelinden Schlag auf den Kopf versetzte. ,,Was hast Du, handjija ?“ „Ich begreife nicht, dass ich, nicht gleich daran gedacht habe! Kaum eine Viertelstunde von hier entfernt liegt das Ali Pascha - tekijeh, dort wirst Du freundliche Aufnahme und eine ausgezeichnete Pflege finden, ohne eine para*) bezahlen zu miissen. Die Monche kennen sich auch in der Heilkunst aus.“ „Aber Mann Gottes, ich bin doch ein Christ, wie kann ich als solcher in einem mohammedanischen Kloster Unterkunft und Plilfe suchen?“ ') Die kleinste turkische Scheidemiinze, ungefiihr 4 /s Pfennig. 104 „0, das macht nichts, die mohammedanischen Monche kennen keinen Glaubensunterschied, sondern behandeln alle, die bei ihnen vorsprechen, mit gleicher Freundlichkeit und Liebe.“ Ich schiittelte unglaubig mein Haupt. Das Wenige, was ich bis dahin von den mohammedanischen Monchen wusste, lautete dieser Behauptung ganz und gar entgegengesetzt. ,,Was der handjija sagt, ist reine Wahrheit,“ mischte sich ein alter Mann, der in dem entgegengesetzten Winkel hockte und den ich bis dahin garnicht wahrgenommen hatte. ,,In einem tekijdh sind alle Menschen gleich; wollte Gott, dass dies auch im Uebrigen so wiire 1“ ,,Aber ich habe bisher immer gehort, dass die mohammedanischen Monche die fanatischesten Moslims sind.“ „Das ist wohl wahr, schliesst aber die Gastfreundschaft, die jedem rechtglaubigen Mohammedaner heilig ist, nicht aus. Diese Satzung bildet den Glanzpunkt der mohammedanischen Religion.“ Ich konnte den Zweifel, der meine Seele beherrschte, noch immer nicht bannen. „Die mohammedanischen Monche sind im Allgemeinen gegen alle Menschen gastfreundlich, insbesondere aber gegen Reisende,“ fuhr der Alte nach einer Weile fort. ,,Die Gastfreundschaft wird aber nicht selten, besonders von arbeitsšcheuen Christen, missbraucht. Viele derselben durchziehen das Kaiserreich kreuz und quer, ohne arbeiten zu miissen.“ „Giebt es viele Klbster in der Tiirkei?“ „Stellenweise mehr als genug. Ausser den tekijfeh bestehen auch noch verschiedene manastiri *) der orthodoxen Christen, wie nicht minder šokčische**) Kloster. 11 „Also steht es mit den Christen nicht so schlecht, wie man bei uns glaubt. 11 „Das tiirkische Gesetz ist zwar nicht schlecht, aber es ist ohnmachtig. Die beg’s und aga’s kiimmern sich um dasselbe nicht, sondern verfahren mit der rajah nach ihrer Willkiir. Aber wehe dem Menschen, der sich ihren Anordnungen nicht fiigt; er ist 'verloren. Ist der Grundherr gut und menschlich gesinnt, so kommt man leicht fort, tritt das Gegentheil ein, so sind die Qualen der Holle im Vergleiche zu unseren Leiden, ich mbchte sagen, ein Linderungsmittel.“ — „Ich mochte Dir, efendi, wenn Du erlaubst, rakija mit Honig kochen; das wird Dir gut thun, 11 meinte der Wirth. ,,Aber das wiirde die Hitze nur noch vermehren, 11 entgegnete ich. ,,Das macht nichts. Je mehr Du schvvitzest, desto friiher wirst Du \vieder gesund werden. Du kannst Dich dann eine Weile niederlegen und ausruhen, gegen Abend aber gegen das Kloster aufbrechen. 11 ,,Meinetwegen.“ Der handjija entfernte sich, um mir das Heilmittel zu bereiten. „Mein pobratin***) Paja hat recht,“ sagte der Alte, als der Wirth fort war. „Ruhe nur aus, ich werde Dich, wenn es Dir recht ist, bis zum tekijžh begleiten. 11 — *) Kloster. **) Katholische von saka (spr. schaka), die Faust, weil sich die Katholiken mit der Faust bekreuzen. ***) Wahlbruder (slav.), siehe Capitel. — 105 War es Einbildung oder Wirklichkeit, aber es steht fest, dass ich mich nach dem Genusse der vermeintlichen Medizin und nach dem wahr- scheinlich von derselben hervorgerufenen kurzen Schlafe bedeutend wohler fiihlte. Ungefiihr eine halbe Stunde vor dem Sonnenuntergange machten wir uns auf den Weg. „Warum heisst das Kloster Ali Pascha-tekijeh ?“ fragte ich meinen Begleiter unterwegs. „Weil es von Ali Pascha gestiftet wurde,“ erwiderte der Alte. „Das Kloster war friiher ein Herrengut, und da sein Besitzer kinderlos war, so ■\yandelte er dasselbe in ein Kloster um und zog fort von hier, nach Mekka, wo er bald nach seiner Ankunft gestorben sein soll.“ Das Kloster, ein ausgedehnter, in gutem Zustande erhaltener Bau, lag in einemEichemvalde versteckt. Mein Begleiter stelltemich demVorstande scheik hadji-Nedir vor, verabschiedete sich von mir und trat den Riickweg an. Der scheik, eine hagere, gebeugte Gestalt, empfing mich zwar mit wenigen, aber freundlichen Worten, fiihrte mich in eine Zelle und Hess mich in der¬ selben allein zuriick. In derselben sah es zwar armlich, aber reinlich aus. Das einzige Mobel bildete eine weite, mit einer Strohmatte bedeckte Holz- pritsche. Auf den weissgetiinchten Wiinden sah ich mehrere Koran-Spriiche aufgeklext Hadji-Nedir brachte mehrere Kopfkissen, machte aus denselben auf der Pritsche ein Bett zurecht, half mir beim Entkleiden, deckte mich schliesslich zu und verliess wieder die Zelle. Die unheimliche Stille, die mich umgab, dauerte zum Gliick nur eine kurze Zeit. Ich vernahm auf dem Gange Stimmen, die sich meiner Zelle niiherten. Gleich darauf erschien der Klostervorstand, von zwei anderen derwischen*) begleitet, in der Thiir. Einer von ihnen, ein kleines Miinnchen, mit lebhaften Augen, trug eine Leuchte in der Hand. Er griisste, naherte sich meiner Lagerstatte und erkundigte sich nach meinem Befinden. Dieser Mann hiess, wie ich spater erfuhr, Mehmed und war zugleich auch der Klosterarzt. Nach den an mich gestellten Fragen glaubte ich schliessen zu diirfen, dass er von der Heil- kunst wirklich etwas verstand. Nach der Consultation wechselte er mit den beiden Monchen in tiirkischer Sprache einige Worte, worauf sich diese entfernten. ,,Dich hat ein rheumatisches Fieber befallen“, sagte derwisch Meh¬ med, als wir allein waren. ,,Die Folgen davon sind, wenn man nicht recht- zeitig dagegen wirkt, schwer zu beseitigen, deshalb wollen wir dem Uebel gleich entgegenarbeiten, damit Du, insch’-allah**), recht bald wieder auf die Fiisse kommst.“ Nach diesen Worten setzte er sich neben mir nieder, zog aus dem Giirtel die brojanica hervor und rvidmete seine Zeit dem dolce par niente. Brojanica ist ein slavisches Wort und bedeutet soviel als Zahlapparat, von brojiti, zahlen. Dieselbe besteht aus einer Anzahl von gleich grossen Kiigelchen aus Holz oder Bein oder Bernstein, die an einer Schnur an- gereiht sind, ungefiihr wie der sogenannte Rosenkranz der Katholiken. Die Orientalen, ohne Unterschied der Confession, bedienen sich derselben, um sich durch das Abrollen der Kiigelchen die Zeit zu verkiirzen. *) Monche (tiirk.). **) So Gott will (tiirk.). 106 Nach ungefahr einer halben Stunde kehrten die beiden Monche wieder in meine Zelle zuriick. Der Begleiter des Vorstandes brachte einen dampfenden Kessel und stellte denselben neben der Pritsche auf den Boden. Der dem- selben entsteigende. Dampf verbreitete einen gar nicht unangenehmen Pflanzen- und Gewiirzgeruch. „Das ist fiir Dich“, sagte derwisch Mehmed, der Arzt. ,,Die Ver- kiihlung muss man aus dem Korper vertreiben, bevor sie in die Knochen eindringt, sonst bringt man sie sein Lebtag nicht heraus. Bei den letzten Worten zog er meine Dečke hinweg, entblosste mich von der Leibwasche und nahm mit dem Pflanzenabsud die Einreibung meines Korpers vor. Die Manipulation war alles eher, als angenehm, denn der Klosterjiinger Aesculaps trug gehorig auf, d. h. er bearbeitete mich mit einer Kraftanwendung, dass ihm der Schweiss auf der Štirn perlte. Das war jedoch erst der Anfang. Nach ungefahr einer Viertelstunde trocknete er mich mit einem Leintuch ab und hiess mich auf die unterdessen von den beiden anderen Monchen auf der entgegengesetzten Stelle des minderluk bereitete Liegestelle gehen. Den zweiten Akt der Heilmethode derwisch Mehmeds bildete die Massage, aber auf eine Art und Weise, dass ich es in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Ich wurde gepufft und geknetet, dass mir Sehen und Horen verging. Ich jammerte und schrie wie der Vogel in der Springfalle vergebens. ,,Es muss sein!“ erwiderte der Klosterarzt auf alle meine Ein- wendungen. Da aber auf dieser Welt alles ein Ende hat, so musste endlich auch die Tortur meiner sterblichen Ilulle aufhoren. Derwisch Mehmed deckte mich zu und verabschiedete sich von mir mit den Worten: „Nun haben wir, insch’-allah, die Verkilhlung ausgetrieben. Ruhe gehorig aus, wenn es nothwendig sein solite, so \verden wir morgen die Procedur wiederholen.“ „Das wohl weniger!“ dachte ich mir, als sich die Monche ehtfernten. „Ich werde eher bei Nacht und Nebel durchgehen, als mich noch einmal kneten lassen.“ Ich betrachtete meinen Korper, um mich zu iiberzeugen, ob meine Knochen heil sind. Dieselben waren wohl unbeschadigt, allein mein ganzer Korper war so wehleidig, dass mir jede, auch die kleinste Bewegung sehr empfindliche Schmerzen verursachte. Dabei schvvitzte ich aber, wie man zu sagen pflegt, fiir die Lebendigen und fiir die Todten. Zudem wurde mein Kopf derart eingenommen, als ob ich den griisslichsten Katzenjammer gehabt hiitte. Ich verfiel in eine Art Taumel und schlief trotz der heftigen Schmerzen alsbald ein. Als ich am folgenden Morgen erwachte, sass Mehmed an meiner O o Lagerstatte und fragte mich, wie ich mich fiihle. Wahrend der Nacht waren alle Schmerzen von mir gewichen, nur die Korperoberflache war hie und da noch wehleidig. Ich wollte aufstehen. ,,Davon ist keine Rede,“ sagte derwisch Mehmed, als er meine Ab- sicht bemerkte. „Du musst heute ausruhen, morgen ein starkendes Bad nehmen und dann wirst Du in allahs Namen wieder fortziehen. Du kannst ohnehin, selbst als gesund, noch zwei Tage in dem tekijfeh verbleiben. 107 „Wie so?“ „Weil jedem Fremden ein dreitagiger Aufenthalt bei einer Bruder- genossenschaft freisteht. 11 „Wenn Jemand aber liinger als drei Tage bei euch bleiben wollte?“ „Das kann er immerhin thun, muss aber nach Verlauf obiger Zeit arbeitend miteingreifen. Der tekijdh-Vorstand schickt Niemand fort, sondern bringt dem Gaste Geriith oder Werkzeug und heisst ihn mitgehen. Wir sind arme Leute, die nichts ihr Eigen nennen. Die Gebaude, die wir bewohnen, und die Felder, die wir bebauen, sind uns von allah zur Ver- waltung iibergeben worden. Aus dem Ertrage derselben bestreiten wir unsere Lebensbediirfnisse, der Rest aber gehort den Armen und den Menschen, welche allah auf Reisen schickt. Drei Tage geniigen auch dem Miiden zur Rast und Gewinnung frischer Krafte. Bleibe also ruhig liegen und starke Dich; ich habe auch fiir Deine Verpflegung Sorge getragen. Du erlaubst schon, dass ich Dich einen Augenblick allein lasse . . Derwisch Mehmed entfernte sich, kehrte aber schon nach wenigen Minuten mit dem Friihstuck zuriick. „Greife zu, Bruder in allah!“ sagte er, wahrend er das Mitgebrachte auf den minderluk stellte. „Wenn der Magen befriedigt ist, ruht es sich besser.“ Das Friihstuck bestand aus pilaf und einer Tasse Wein. Ich betrachtete bald die Tasse mit ihrem Inhalt, bald den Monch. „Wie kommt der Wein in ein tekijžh?“ fragte ich venvundert den Arzt. „Ihr nennt es Wein und trinket davon nach Belieben, zuweilen sogar iiber das Mass, wir dagegen betrachten das Product der Rebe als ein Heil- mittel und nehmen dasselbe auch nur als solches ein. Zur Erhaltung der Gesundheit ist der Genuss jeder Gabe, die uns die Natur zur Verlangerung unseres Lebens beschert hat, erlaubt. Allah hat zwar dem Leben des Menschen feste Grenzen gesetzt, das hindert aber nicht, dass der Mensch sein Moglichstes thun muss, um fiir dasselbe zu kampfen. 'Trinket ihr, derwische auch keinen Branntwein?“ ,,Nein! Unsere Nahrung besteht aus Hiilsenfriichten, Getreide- producten und aus Wasser. Mit dieser Kost miissen auch unsere Gaste vorlieb nehmen, Kranke aber miissen eine bessere Nahrung haben.“ ,,Machet ihr in der Erweisung der Gastfreundschaft keine Ausnahme ?“ „Nein! Warum auch? Sind denn nicht alle Menschen Geschopfe allah’s ? Wir alle sind seine Kinder und seinem unerforschlichen Walten unterworfen. Es wird eine Zeit kommen, in welcher sich alle Kinder der Erde in einem Gott und in einem Glauben liebend umarmen werden. Wir leben in einer Zeitperiode der Zerwiirfnisse und des gegenseitigen Hasses, aber nach Regen und Sturm wird der Sonnenschein des Friedens, der Eintracht und der gegenseitigen Liebe kommen. Insch 'allah!“ ,,Giebt es in dem otomanischen Kaiserreiche verschiedene Bruder- schaften oder leben alle derwische nach einer Regel?“ „Der islam umfangt verschiedene Vereinigungen, von denen unsere jedoch am starksten sein diirfte, in Romania*) wenigstens. Die Bruder- schaft der bektaschi hat keine gemeinsamen Wohnsitze. Jedes Mitglied *) Europa. 108 ■derselben lebt fiir sich, wo und wie es will. Die bektaschi*) durchziehen alsVerkiinder des Glaubens das unendliche Reich der Glaubigen und leben von der Mildherzigkeit ihrer Mitmenschen. Sie tragen keine einheitliche Kleidung und erkennen sich gegenseitig durch Zeichen und Winke. Sie konnen auch heirathen. Ihre Frauen geniessen den Vorzug, dass sie sich vor den Mitgliedern dieser Vereinigung innerhalb der Grenzen ihrer Wohn- statten nicht zu verschleiern brauchen. Sie essen und leben, wenn sie zu Hause sind, mit ihren Frauen gemeinschaftlich, deshalb haben deren Wohnungen keinen Ilarem. “ „Sind sie auf andere Manner nicht eifersiichtig?“ ,,Nicht im Geringsten. Man hat auch noch nie von einem Treubruch ihrer Frauen gehort. — In Stambul, in Anatol**) und weiter hinaus lebt die weitverzweigte Bruderschaft der mewlews oder der tanzenden derwische, von denen Du jedenfalls schon gehort hast. Der Griinder dieser Bruder¬ schaft hiess Harzet Mewlawa, daher ihr Name. Ihre Gottesverehrung besteht im Gebet und in verschiedenen Drehungen und Bewegungen des Korpers, — Eine weitere Bruderschaft bilden die kopal, auch Zauberer oder Schlangenbeschworer genannt. Diese stammen aus Indien ab und kommen in unserem Welttheile nur in Stambul vor, wo man deren Hilfe zum Austreiben der Schlangen aus den Wohngebauden in Anspruch nimmt. Ausserdem bestehen noch die Bruderschaften der ruffai", saadi und der nakschibenti, die jedoch von untergeordneter Bedeutung sind. Unser tarikat***) heisst kadri f). Hie und da giebt es auch einzeln wohnende Einsiedler, allein diese halten sich an keine einheitliche Lebensregel und bilden auch keine Vereinigung.“ Wahrend der Schilderung hatte ich mein Friihstiick verzehrt. Mehmed nahm Schiissel und Schale und entfernte sich. Bald darauf drang ein \vellenformig steigendes und fallendes Murmeln zu meinen Ohren; es war das zweite Tagesgebet, welches die derwische verrichteten. Ich schlummerte bald wieder ein, allein der Schlaf war von kurzer Dauer. Nach dem Er- vvachen fiihlte ich mich vollkommen wieder hergestellt und ware am liebsten aufgestanden, wenn Mehmed nicht das Gegentheil angeordnet hatte. Ich blieb also liegen. Die Zeit verstrich sehr langsam; es wollte garnicht Abend werden. Endlich ging auch die Sonne zur Ruhe und die Abend- rothe iibergoss die Statte des Friedens und der Arbeit mit ihrem Gold, welches nach und nach die Nacht mit ihren schattigen Fittiehen bedeckte, um es wenige Stunden spater der Aurora bei ihrem Erwachen zur Ver- fiigung zu stellen. Neu gestarkt stand ich am folgenden Morgen auf, kleidete mich an und verliess meine Zelle. Ich blickte durch ein Gang- fenster in den Hof und bemerkte um den tschardivan ff) herum ungefahr zwanzig Monche, vvelche den abdest machten, d. h. die Morgemvaschung ihres Korpers vornahmen. Um sie in ihrer Andacht nicht zu storen —- die Waschung des Korpers gehort auch zur Andacht — zog ich mich moglichst stili in meine Zelle zuriick. *) Der in dem Beginn der osterreichischen Occupation von Bosnien und Herzegovina viel- jgenannte hadji-Loja war ebenfalls ein bektasch oder Bettelderwisch. **) Kleinasien (tiirk.) ***) Orden. -j*) Eremiten, Einsiedler. *j-f) Der von einem auf vier Pfeilern ruhenden Dache geschutzter Klosterbrunnen. 109 Nach der Waschung begann das Morgengebet, welches eine geraume Weile in Anspruch nahm. Das hauptsiichlichste Gebet der kadri macht. die Anrufung Gottes aus. Jeder derwisch muss wahrend einer jeden Gebet- verrichtung den Namen allah wenigstens neunhundertneunundneunzigmal aussprechen. Ungefahr eine Viertelstunde nach der Verrichtung der Morgenandacht erschien derwisch Mehmed mit dem Fruhstiick in meiner Zelle. Ich genoss das mir Vorgesetzte und verliess sodann mit dem Monche den gastlichen Raum. „Wo flnde ich eueren Vorstand ?“ fragte ich den derwisch unterwegs.. ,,Dedž scheik?*) Er ist in seinem Harem,“ erwiderte der Gefragte.. „Was hast Du gesagt, er ist in seinem harem? Kloster und harem,. wie reimt sich das ?“ „Nach Euren Begriffen reimt es sich wohl nicht, nach unseren dagegen ganz gut. Auch wir, derwische, konnten beweibt sein, wenn wir uns dies- beziiglich strenge an den koran halten wollten, denn der Prophet hat die Ehe fiir alle Mlinner obligatorisch erkliirt. In den ersten Zeiten unserer Wiedergeburt war dies wegen der schnelleren Vermehrung der Anhiinger islams nothwendig. Wie aber auf der Welt kein Gesetz und keine Ver- ordnung von bestiindiger Dauer und Wirksamkeit ist, so kamen in Folge der Zeiten von allah erleuchtete Manner und Vollstrecker der Satzungen unserer heiligen Religion zu der Ueberzeugung, dass die obligatorische Ehe der moslims nicht mehr absolut nothwendig sei; deshalb sind jetzt nur noch die scheiks der Klosterfamilien und selbst diese nicht immer verheirathet. Wir sind auch nicht an das Klosterleben gebunden, sondern konnen austreten und fortgehen, wann wir wollen; es kommt jedoch sehr selten vor, dass ein kadri-derwisch die Ruhe des tekijeh mit dem Gerausch der Welt ver- tauscht. — Doch was wolltest Du von dem scheik ? Vielleicht eine Geld- unterstiitzung auf den Weg?“ „Nein, sondern ich wollte mich nur fiir die mir gewahrte Gastfreund- schaft bedanken.“ „Bedanken? Wofiir? Wir erfiillten an Dir nur die Menschenpflicht; die Pflichterfiillung aber bedarf keiner Dankbezeugung. Gehe in allah’s Namen. Seine Hand geleite Dich an das Ziel Deines Strebens und schliesslich in das Reich seiner Herrlichkeit! Insch’ allah!“ Ein warmer gegenseitiger Ilandedruck und ich verliess das gast- freundliche Kloster. *) Vater Vorstand. 110 Neuntes Capitel. Meine erste Anstellung im Reiche des Halbmondes. „Oeffne mir, o junger Kerkermeister, Des Kerkers Thiir auf Gottes Biirgschaft, Meine Slava feiernd vierundzwanzig Stunden nur zu Hause will ich weilen.“ Serbisches Volkslied. Der Morgen war herrlich. Ich fiihlte mich nach zweitagiger Rast korper- lich vvohler, als vvahrcnd der ganzen Zeit meiner Irrreise. Die Heilmethode derwisch Mehmeds hatte sich an mir ausgezeichnet bewahrt. Ich be- schleunigte daher meine Schritte und erreichte nach zweistiindigem Marsche die Stadt Travnik. Travnik unterscheidet sich von den iibrigen orientalischen Stadten in garnichts. In den Gassen und Strassen herrscht gleicher Schmutz, als anderswo, nur glaubte ich in den engen Gassen mehr unreine Ilunde be- merkt zu haben, als in den Stadten und von den Mohammedanern bewohnten Ortschaften, die ich bis dahin gesehen. Da mir die Stadt also nichts Inter- essantes oder Sehenswiirdiges bot, so kehrte ich derselben nach zwei- stiindiger Rast den Riicken und setzte die Reise gegen Bosna Saraj *) fort. Der niichste Weg dahin fiihrt iiber Busovača und Kiseljak, allein man sprach soviel von Raubgesindel und Banditenbanden, die sich in jenen Gegenden herumtreiben sollten, dass ich Angst bekarn und den zwar etvvas liingeren, dafiir aber sicheren Weg iiber Zenica und dann langs dem Bosna- flusse hinauf zu nehmen beschloss. Warum solite ich einer moglichen Lebensgefahr entgegengehen, da es in meiner Macht stand, derselben aus- zuvveichen ? Auch der Weg zwischen Travnik und Zenica ist sehr eintonig und bietet dem Wanderer keine Augenweide. Ich iibernachtete in Gučjagora und wollte am folgenden Morgen friihzeitig aufbrechen, hatte aber die Rechnung ohne Jupiter pluvius gemacht. In der Nacht fiel ein ausgiebiger Regen auf die Erde nieder, deshalb wollte ich abwarten, bis das Regen- wasser zum Theil einsickerte und die Sonne die Strasse halbwegs wieder gangbar machte. Im Orient ist ein Nicht-Raucher ein Unding, was Wunder daher, dass auch ich endlich in den sauern Apfel biss und mir einen wohlfeilen tschibuk**) anschaffte. Mit der Ervverbung des Rauchapparates war aber auch die Anschaffung eines Tabakbeutels uud der Rauchvvaare verbunden. Das alles kostete Geld, aber es musste sein, schon wegen der Wahrung *) Das „goldene Heim* (tiirk.), Sarajevo. **) Pfeife. 111 der Manneswiirde. Der handjija rieth mir, das Rauchzeug sogleich zu ver- suchen; allein ich vvollte dasselbe nicht prophaniren und beschloss fiir die Jnauguration eine feierlichere Gelegenheit zu wahlen. Gegen Mittag verliess ich Gučjagora und schlenderte wohlgemuth gegen Zenica weiter. Die Sonne hatte in kurzer Zeit ihre Pflicht gethan und die Strasse leidlich trocken gelegt. Die Gegend, die ich durchschritt, bot ebenfalls nichts Erwahnenswerthes dar. Hie und da ein Strassenhan, eine Karawane, Reisende zu Fuss oder zu Pferd und ein paar Hiittendorfer, dies war Alles, was ich zu Gesicht bekam. Die Strasse zieht sich fast ausnahmslos ara Fusse des siidlichen Auslaufers der Vlasičplanina dahin. Ein des Weges zu Pferd kommender Mohammedaner erwiderte auf meine Frage nach der Entfernung meines Reisezieles fiir denselben Tag, dass ich Zenica ohne Anstrengung meiner Beine in einer halben Stunde erreichen konne. Die Sonne stand noch ziemlich hoch uber dem Horizonte, also brauchte ich mich nicht zu beeilen. Ich hemmte meine Schritte und gab mich meinen Gedanken hin. Es war das Heimweh, das mit aller Macht wieder in mir erwachte. Heimweh! Wie kann in dem Herzen eines Heimathlosen das Heim- -weh wiedererwachen ? Mein Gott, die Schwalbe hat auch keine Pleimath, vvenigstens keine solche im engern Sinne, aber von den Sandwiisten Africas in den gastlichen Norden zuriickgekehrt, sucht sie vor Allem die Statte, die ihr das Lebenslicht gab, auf und umflattert freudig zwitschernd dieselbe. Sie baut sich ein anderes Nest, eine neue Heimath, liisst aber, so oft sie an ihrer Geburtsstatte vorbeifliegt, ihren Freudenruf erschallen. Die Ileimath ist ein eigen Ding; in der Fremde lernt man sie erst lieben und schatzen. Sie gleicht einem Kinde, welches seine liebende Mutter verloren. Die echte und aufrichtige Liebe fiir dieselbe wird in dessen Herzen erst wach, nach- dem sie, fiir diese Welt verloren, in die kalte Erde gebettet wurde. Auch der braune Sohn der Natur, der tschergasch*), hat keine eigentliche Heimath, sondern irrt unstatt in der Welt herum, aber man solite ihn horen, mit welchem Stolze er von „seiner Heimath 1 * spricht. Es lastet vielleicht sogar der Fluch der Ortschaft, in deren Niihe ihn seine Mutter in die Welt setzte, auf ihm, denn die Hiihnersuppe, die dessen Mutter im „Wochenbett“ genossen**), riihrte aller Wahrscheinlichkeit nach, von gestohlenem Gute her. Vielleicht verstieg sich sein Vater wahrend der notlrvvendigen kurzen Rast noch weiter und beniitzte, um nicht miissig zu sein, die freie Zeit zur Veriibung von schwerwiegenden Eingriffen in das Eigenthum der Orts- bevrohner. Er hat von seiner Heimath also gar nichts als den Fluch, aber er liebt sie dennoch. In seiner Heimath ist alles besser und schoner, als sonst wo. Darum, wer sein Vaterland so recht von Herzen liebgewinnen will, der gehe in die Fremde, wexm auch nur voriibergehend. ,,Sei’s auch schon im fremden Lande, Doch zur Heimath wird es nie,“ sind Goldkorner, deren wahren Werth man erst in der Fremde kennen lernt. *) Nomadisirender Zigeuner. **) Die Zigeuner legen bei gewissen Familienanlassen im Essen und Trinken einen unglaub- iichen Luxus an den Tag. Wenn man das Nothige nicht finden kann — der Zigeuner stiehlt nicht, „Ich weiss selbst noch nicht“-, erwiderte ich; „am liebsten mochte ich in meine Heimath zuriickkehren. Ich habe, wie Du vveisst, ein paar hundert Ducaten erspartes Geld; danfit k-atth ich ganz gut ein kleines Ge- schiift anfangen oder \verde ich meinte Studie n fortsetzen.“ „Denke nicht an die Fortsetžbhg der Studien, Du weisst ohnehin gehug. Ein Geschiift anzufahgen ist zwar nicht schwer, besonders wenn man iiber die dazu noth\ve'ndigen Geldmittel verfiigt, aber dasselbe fort- zufiihren ist keineswegs so leitht, als Du Dir vorstellst. ,Die Uebung macht den Meister*, eine solche aber geht Dir vollends ab. Bis Du Dich aber in dem Geschiifte gehbrig auskennen \viirdest, konnte moglicherweise das eingelegte Geld in nichts zerinnen und dann wiirdest Du z\var um eine Erfahrung reicher, dafiir aber um eine Hoffnung armer dastehen.“ „Aber was soli ich machen ?“ „Ich wiisste einen Ausweg.“ „Lass horen!“ 12 178 ,,Du bleibst bis zum Jahresschluss in Deiner gegenwiirtigen Stellung. Mit den Bauern hast Du ohnehin nur noch ein paar Wochen zu thun, bis der Kukurutz eingebracht sein vvird, dann aber bist Du frei und kannst nach Belieben iiber Deine Zeit verfiigen. Ich werde Dich in mein Geschaft einfiihren, dann machen wir Hochzeit und ihr siedelt nach Oesterreich hiniiber. Ich werde hier die Schweine einkaufen, Du aber wirst sie dort verkaufen und ich bin iiberzeugt, dass wir dabei Beide gut auskommen werden. Dadurch entfallen auch alle Contumazplackereien, die mir bei jeder Reise vierzehn Tage rauben und mich wahrend dieser Zeit zur Un- thiitigkeit verurtheilen. Ist Dir recht so?“ „Willst Du mir wirklich ein Vater sein?“ fragte ich meinen Wohl- thater mit zitternder Stimme, \viihrend ich seine Rechte ergriff. ,,Ich habe es Dir gesagt und dabei bleibt es.“ Ich kiisste seine Hand, er aber meine Štirn. Ob er mit Danica iiber unsere bevorstehende Verbindung jemals ge- sprochen hat, weiss ich nicht, glaube jedoch das Gegentheil behaupten zu diirfen, da so etwas dortzulande — nicht iiblich war. Wieder \var eine Woche vergangen. Es war an einem Freitag, also Festtag. Nadir-beg erschien wider alles Erwarten zeitlich Morgens in meinem Schlafzimmer und forderte mich auf, mit ihm nach Zenica zu reiten, um in der Gesellschaft seiner Freunde ein paar angenehme Stunden zu verbringen. „Auf dem Lande hat man ohnehin nichts, als den Zank mit den Bauern, es ist also recht und billig, dass wir, -vvenigstens zuweilen, eine kleine Erholung geniessen“, schloss mein Wahlbruder seine Einladung. Wir ritten hinaus, allein die paar Stunden nahmen den ganzen Tag in Anspruch. Nach Vranduk zuriickgekehrt, sprang ich aus dem Sattel, warf meinem ka\vas die Ziigel hin und ging zu Glavanja. Mitternacht war nicht mehr fern, als ich den Heimweg antrat. Der Mond stand hoch iiber dem ostlichen Horizonte, war jedoch derart in eine Wolke gehiillt, dass sein Licht die Erde nur unmerklich erhellte. Ich befand mich in rosiger Laune und summte eine bekannte Heimathweise vor mich hin. Die kula meines Brodherrn feierte die Nachtruhe, wenigstens anscheinend. Als ich an derselben vorbeischritt, glaubte ich in dem im ersten Stockwerke ge- legenen harem ZoraVdas ein Gerausch zu vernehmen. Ich blieb stehen und sah zum Fenster empor. In demselben Augenblicke kam der Mond hinter der Wolke hervor. Ich erblickte eine weisse Gestalt hinter dem Fenster- gitter. Ein langgedehnter Seufzer liess mich keinen Augenblick dariiber im Zweifel, dass Zoraida am Fenster stand. Ich wollte eiligst die Flucht ergreifen, allein eine unsichtbare Macht hielt mich zuriick. Ich blieb noch stehen und sah unvervvandt zum Fenster hinauf. Meine Ausdauer solite gliinzend belohnt\verden, denn in dem nachsten Augenblicke drang, kaum hor- bar, eine mir wohlbekannte melancholische bosnische Weise zu meinen Ohren. ,,Gieb zuriick das Ringlein, Sag’ Dich los von ihr; Dafiir mein Herz, mein Alles Will ich ich geben Dir“ sang die mohammedanische Cirpe. — - 179 — Ich weiss nicht, wie es kam, aber kaum war am Fenster der letzte Laut verklungen, als der Troubadour in mir erwachte und sich durch meinen Mund also vernehmen liess: „Schlummre sanft in heibger Stille, Schliesse Deine Aeuglein zu Und ein siisser Traum erfiille Noch Dein Herz in guter Ruh’! Gute Nacht! Gute Nacht!“ Als Lohn war mir ein sehr langgedehntes Pst! zu Theil; wahrschein- lich hatte ich einen zu gerauschvollen Accord angeschlagen. Als ich mich zum Gehen wandte, fiel ein Gegenstand vor meine Fusse. Ich beugte mich zur Erde nieder und hob denselben auf. Es war ein Blumenstrausschen. Ich eilte in meine Wohnung, entkleidete mich im Finstern und legte mich nieder. Meine Mudigkeit \var so gross, dass sie selbst die kurz vor- her erlebte Scene in den Hintergrund drangte. Als Ich am kommenden Morgen erwachte, fiel mir das nachtliche Abenteuer ein. A.nfangs glaubte ich getraumt zu haben, allein das halb- welke Blumenstrausschen, das corpus delicti, lag auf meinem Tische, also war eine Tauschune ausgreschlossen. Ich machte mir im Geiste die bittersten Vorwurfe, allein die uniiberlegte Handlung konnte ich nicht mehr un- geschehen machen. Das Strausschen bestand aus drei Damascusrosen. deren Stengel mittelst eines griinen Seidenfadens zu einem Ganzen vereiniget waren. Von den Bluthenblattern einer jeden Rose war ungefahr ein Drittel ab- gezupft, gleichsam als ob sich die Mause daran giitlich gethan hatten. Dies •vvar jedoch kein Zufall, sondern hatte ebenfalls seine Bedeutung. Auch dieses Danaergeschenk war ein Liebesbrief im vollsten Sinne des Wortes und lautete: „Mich verzehrt (abgerissene Rosenblatter) die Liebegluth (Damascusrosen), Dich umfasst mein ganzes Hoffen (griiner Faden).“ „Oder was!“ sagte ich zu mir selbst, warf das verhiingnissvolle Ge- schenk unter den rninderluk und ritt hinaus, um erst am folgenden Tage wieder heimzukommen. Ich schiimte rnich, zu Glavanja zu gehen, obwohl ich iiberzeugt war, dass um mein nachtliches Abenteuer Niemand wusste. Zu Hause mied ich die kula wie das Hollenfeuer, um ja nicht ZoraVda zu begegnen. Auch die von dem Herrenhause nach Vranduk fiihrende Strasse betrat ich seit jenem Tage nicht wieder, sondern w;ihlte stets den hinter der kula in das Dorf fiihrenden Fussweg. Zwei Wochen nach jenem unerwarteten nachtlichen Stelldichein feierten die Christen das Fest der Geburt der Gottesmutter. Die Hauscommunion meines kawas feierte ihr Taufheiligenfest. Auf sein Ansuchen erlaubte ich ihm, an demselben theilzunehmen und schickte ihn schon am Vorabend des Festes nach Hause. Da ich nun allein \var, so beeilte ich mich, friihzeitig meine Wohnung zu erreichen und die Eingangsthiir von Innen zu verriegeln. Was war \vieder das ? Auf meinem Tische stanci eine feingearbeitete niedere Silbervase, aus welcher ein Strausschen emporragte. Diesmal liess mich die Kunst, die Bedeutung der Kinder der Flora zu entziffern, im Stich. Kein Wunder auch, denn die Blumensprache des Orientes ist sehr com- plicirt. Nicht nur jede Blume hat ihre besondere Bedeutung, sondern auch 12 * 180 die Stellung der einzelnen Bliithen, Ivnospen and Bliitter zu einander bringt eine verschiedenartige Bezeichnung hervor. Die Blumensprache ist der chinesischen Schreibweise, in vvelcher jedes Zeichen seine feststehende Be¬ zeichnung hat, nicht unahnlich. Der einheimischen Jugend, die in der Entzifferung derselben aufvvachst, verursacht die Aneignung der richtigen Interpretation keine Sclrvvierigkeiten, ein Auslander jedoch bringt es darin nur in den seltensten Fiillen zu einer gewissen Fertigkeit. Das Bouquet war iibrigens sehr einfach: in der Mitte wieder eine Damascusrose, \velche rings herum von Nachtviolen umgeben war. Die Garnirung bildeten Epheu- blatter, zwischen welchen eine gelbe Strohblume steckte. Auf der ent- gegengesetzten Seite des Durchmessers, dessen aussersten Punkt die Stroh¬ blume bildete, fehlte ein Epheublatt. Ich zerbrach mir mit der Entzifferung der mir unwillkommenen Liebes- botschaft gar nicht weiter den Kopf, sondern legte mich zur Ruhe und versuchte einzuschlafen. Vergebliche Miihe ! „Wie wird das enden ?“ fragte mich eine innere Stimme. „Wie wird das enden ?“ fragte ich mich selbst. Ruhte auf mir der Fluch oder verfolgte mich die Tiicke des Schicksals? Mit rechten Dingen ging es nimmer zu. Das Madchen verfolgte mich trotz aller meiner demselben entgegengebrachten Gleichgiltigkeit mit seiner Liebe, die ich nicht erwidern konnte, nicht erwidern durfte. Die aufgehende Sonne des folgenden Morgens fand mich schon bei- nahe auf dem halben Wege zwischen Vranduk und Zenica. Ich konnte nicht schlafen, deshalb ritt ich mit dem Beginn des Tagesgrauens hinaus. Auf Umwegen heimgekehrt, liess ich das Pferd einstellen und wollte \vieder fortgehen. Ein Gerausch in meiner Wohnung veranlasste mich, nach dem Grunde desselben zu forschen. Es vvar die alte Dienerin, die darin aufraumte. „Kata, hast Du mir dieses Geschenk gebracht?“ fragte ich sie. „Nein!“ „Wirklich nicht P “ „So wahr ich vor Dir stehe, nein!“ „Du kennst Dich in der Blumensprache besser aus als ich, erklare mir also die Bedeutung dieses Strausschens.“ Die Alte naherte sich verschamt dem Tische, betrachtete das Geschenk eine Weile und sagte: „Die Damascusrose bedeutet, wie Du weisst, brennende Liebe, die Nachtviolen entfallten ihre Bliithen bei dem Einbruche der Nacht, also bedeuten sie eine Zusammenkunft zur Nachtzeit —“ „Sonst nichts?“ murmelte ich zwischen den Lippen vor mich hin, doch so laut, dass mich die Auslegerin verstehen konnte. „Die griine Epheublattergarnirung bedeutet die Gartenmauer, die von Innen mit diesem Schlinggewiichs bewachsen ist, die offengelassene Stelle, niimlich wo ein Blatt fehlt, zeigt den Eingang in den Garten an, die auf dem entgegengesetzten Ende eingeflochtene .Strohblume aber die Stelle der Zusammenkunft. “ „Schade, dass Deine Gebieterin nicht schreiben kann‘ ! , sagte ich, als Kata mit der Erklarung der Liebesbotschaft zu Ende war. „Warum?“ fragte diese. „Weil sie als Musterbriefstellerin auftreten konnte.“ B Wer kann in Bosnien schreiben? Und schon gar unter der Jugend! Hierzulande wird die Schrift durch Blumen ersetzt." 181 „L'nd im Winter?“ „Es gibt auch im Winter Blumen.“ „Bei Eucb wohl, aber ich meine im Allgemeinen. a „Oh wer Blumen braucht, der weiss sich solche auch zu verschaffen, was um so leichter ist, da es verschiedene Gewachse gibt, die einen und denselben Begriff in sich fassen. — Was sagst Du zu dieser Botschaft, iierr?“ fragte mich Kata schliesslich, wahrend sie auf das Strausschcn hinvvies. „Sage Du Deiner Herrin, dass ich sehr bedauere, ihrer Einladung nicht folgen zu kdnnen.“ „Niiiicht ?“ „Findest Du meine Aeusserung nicht in Ordnung ?“ ,Das schon, ich habe nur gemeint . . „Was hast Du gemeint ?“ „Nichts, nichts. “ „Ich frage Dich, welchen Zweck hatte eine solche Zusammenkunft? Ware das nicht ein Wahnsinn?“ „Wie Du glaubst. 11 ,Du siehst doch, wie ich glaube! Bedenke nur, in \velche Lage wir Beide gerathen vviirden, \venn unsere Zusammenkunft entdeckt wurde. Ich miisste meine V^ermessenheit hart biissen, auch sie hatte keine ruhige Stunde in dem Hause ihres Vaters mehr. Und schliesslich, welcher an- gesehene Mohammedaner wiirde sich so weit vergessen, um sie anzuhalten, wenn es bekannt wiire, dass sie mit cinem Christen nachtliche Zusammen- kiinfte gehabt hat?“ „Du hast recht, Herr; ich werde ihr Deine Aeusserung getreulich iibermitteln.“ „Thue das, liebe Kata, denn dies liegt im beiderseitigen Interesse. kichte ihr meine Hochachtung aus, aber ihrem Ansinnen kann ich nicht \villfahren.“ „Da dobro — schon gut“, sagte die Alte und verliess meine Wohnung. Ich folgte ihr auf dem Fusse, aber nur bis zum Hofausgange, dann aber wandte ich mich seitwarts und verfolgte den in das Dorf fiihrenden Fusspfad. „Glaubst Du an Traume?“ fragte mich Danica, als wir nach der Unterrichtsstunde allein waren. „Nein, doch warum fragst Du?“ „Ich hatte heute Nacht einen sehr unangenehmen Trauin.“ ,,Lass hdren.“ „Wir sassen zusammen wie .jetzt, da kam eine veisse h rau, legte ihre Hand auf Deine Schulter und ihr schwebtet fort.“ „Wenn es eine vila war, so ist dies immerhin ein gutes Zeichen“, ervviderte ich lachelnd. „lch habe gehort, dass man immer an das Gegen- theil von dem zu glauben hat, wovon man traumt. Wenn Du also ge- traumt hast, dass mich die weisse Frau fortgezogen hat, so ist das ein Zeichen, dass ich hier bleiben werde.“ „Es war aber keine vila, sondern eine hassliche Alte.“ ,Um so besser, Du \virst wenigstens nicht eifersuchtig sein.“ 182 Das Miidchen errothete, ich aber gab dem Gesprach eine andere Richtung. — Als ich nach Hause kam, schlug mir Nadir-beg eine Reitparthie vor, die ich jedoch theils wegen des Morgenausfluges, theils \vegen der unver- meidlichen Besuche, die er den auf der Strecke liegenden Strassen-han’s abzustatten pflegte, ausschlug. Gegen Mittag brachte mir Kata, wie gewohnlich, mein Essen, stellte dasselbe auf den Tisch und blieb zogernd an der Thiir stehen. Ich machte. als ob sie gar nicht mehr an\vesend ware, setzte mich zum Tisch und be- gann zu essen. „Ich habe — habe der Zoraida Deine Botschaft ausgerichtet, Herr% sagte die Dienerin nach einer Weile. „Schon, ich danke Dir, Kata“, erwiderte ich und ass weiter. „Aber . . . „Was aber?“ fragte ich die Dienerin. „Sie will davon nichts wissen. Als ich ihr erzahlte, was Du zu mir gesagt hast, fing sie ernstlich zu weinen an. Sie \veinte, dass sich ein Stein erbarmt hatte. Nach einer Weile aber fing sie fiirchterlich zu toben an und drohte Alles zu zerstoren, was ihr unter die Hande kam. Ich und Staka wollten sie beruhigen, kamen dabei aber sehr schlecht weg. Staka erhielt mit dem Pantoffel einen Schlag ins Gesicht, mich aber biss sie in den Daumen — schau her —, dass ich fiinf Sonnen zu sehen glaubte. Als sie sich beruhigte, bat und beschwor sie mich solange, bis ich ihr ver- sprach, Dich noch einmal zu bitten.“ „Aber, meine liebe Kata, sage Du mir aufrichtig, ob ich recht habe oder nicht? Bedenke nur, wenn der alte beg davon erfahren wiirde! Was wiirde mit mir, mit Dir und mit ZoraVda selbst geschehen! Zudem ist Nadir-beg mein pobratim, also rviirde ich mich dadurch auch gegen ihn versiindigen. Habe ich recht oder nicht ? 11 ,,Freilich hast Du recht, allein sie von ihrem Vorhaben abzubringen, heisst gerade soviel, als Bohnen an die Wand werfen. a ,,Aber was will sie eigentlich von mir?“ „Ich \veiss es selbst nicht, sie sagt nur, dass sie mit Dir sprechen will.‘ L Ich dachte nach. Woriiber wollte sie mit mir sprechen ? Offenbar liber die Liebe, dies bewiesen deutlich ihre Blumenspenden. Vielleicht hatte sie mir aber noch etwas anderes Wichtiges zu sagen, was sie ihrer miitter- lichen Vertrauten nicht mittheilen wollte. Mein Entschluss war gefasst. „Meinetwegen“, sagte ich, ,,ich will ihrem Wunsche entgegenkommen, aber ich sage im Voraus, dass ich keine Verantvvortung tragen will.“ „Ich danke Dir, efendi, will ich sagen, Herr“, erwiderte die Alte mit zitternder Stimme. ,,Es thut mir auch so wehe um das arme Kind, welches auf meinen Knien und in meinen Armen aufge\vachsen ist. Die gute kaduna Fatima hat es noch im Sterben meinem Schutze anvertraut, hi—hi—hi! Zoraida hat keinen Menschen, zu dem sie in ernsten, wie in frohen Tagen emporblicken und an wen sie sich anlehnen konnte. Der alte beg ist immer kranldich und missmuthig, Nadir hat andere Miicken im Kopfe, die anderen Briider sind aber auch keine Gesellschaft fiir sie. Die einzigen Menschen, mit denen sie verkehrt, sind die Miidchen von 183 Glavanja, aber in letzterer Zeit geht sie auch dorthin nicht mehr. Was dazwischen gekommen ist, weiss ich nicht.“ „Aber wie kann ich mit ihr zusammenkommen? Ich kann doch nicht in den Garten steigen!“ „Das solist Du auch nicht, sonilern Du kommst, sobald ich Dich be- nachrichtige, zu der hinteren Gartenmauer. Wir werden Dir eine kurze Leiter, wie sich solcher der Gartner beim Stutzen der Baume bedient, liber die Mauer reichen. Sie sind zwar kurz, aber doch lang genug, um auf dem obersten Spriessel stehend in den Garten sehen zu konnen.“ ,,Wenn uns aber Jemand iiberrascht?“ ,,Das glaube ich nicht, denn ein Weg fiihrt in der Nahe der Hinter- mauer nicht vorbei, sonst aber hat dort und zumal zur Nachtzeit, Niemand etwas zu thun. Von der kula aus droht uns auch keine Gefahr, denn der alte Herr ist heute gar nicht aufgestanden, Nadir ist, wie Du weisst, fort- geritten und wird sicherlich spat nach Hause kommen, die jiingern beg’s aber gehen immer sehr zeitlich schlafen . 11 „Es bleibt also dabei, aber ich \viederhole, dass ich keine Verant- wortung tragen will.“ Kata dankte mir und entfernte sich mit einem stillen Seufzer. Merkiviirdige Logik des jugendlichen Leichtsinns! Der Dieb geht mit dem vollen Bewusstsein, Schlechtes zu thun, auf Beute aus, mochte aber im Ergreifungsfalle an der Strafe keinen Antheil haben, weil das Verbrechen in Gesellschaft begangen wurde und der Plan nicht von ihm ausging. Es schien, als ob das von Moses in der Wuste mit der Wundermacht seines Wortes inscenirte Schauspiel an demselben Tage eine Wiederholung erfahren solite. Die Sonne wollte sich nicht zu dem Untergange neigen. Um die Zeit todtzuschlagen, machte ich einen Spazierritt und hetzte dabei das Pferd halbtodt. Ich besuchte den obern han, den untern, Glavanja, Pavlovič, die Familie des popen und ich weiss noch nicht wen, aber es wollte noch immer nicht Abend werden. Endlich versclrvvand die Sonne hinter den Bergen. „Nach langer Zeit war heute Zoraida vvieder einmal bei uns , 11 sagte Danica, als wir in der Abenddiimmerung vor dem Hause sassen. „Sie war so ausgelassen frohlich, wie ich sie in meinem ganžen Leben nicht gesehen habe. Besonders mit mir lachte sie soviel, dass mir die Geschichte schliesslich unheimlich wurde.“ „Lass gut sein, morgen \vird sie weder lachen noch zu euch kommen , 11 \vollte ich ervvidern, allein die Worte blieben mir in der Kehle stecken. Ich machte eine nichtssagende Bemerkung und verab- schiedete mich. Ich hatte schon im Laufe des Nachmittags meinen Plan entivorfen. Zoraida solite vor allem erfahren, dass mein Schatz fiir dieses Leben in dem Hause Glavanjas aufbeivahrt \var. Ferner wollte ich ihr, abgesehen davon, darthun, dass ein Liebesverhiiltniss mit ihr einerseits ein LLiding \v;ire, andererseits aber auch fiir beide verhiingnissvoll werden konnte. Die Mondsichel des ersten Viertels stand bereits tief im Westen und beleuchtete mit ihrem entliehenen magischen Lichte die Wohnstatten der Menschenkinder fast unmerklich. Zum erstenmale seit zwei Wochen nahm 184 ich vieder den Weg an der kula vorbei. Zoraida stand, wie ich erwartete, am Fenster und machte sich durch ein leises Husten bemerkbar. In der kula herrschte sonst feierliche Stille. Ich schritt sachte an derselben vorbei und suchte meine Wohnung auf. In derselben angelangt, verwahrte ich, ohne zu wissen \varum, mein gesammtes, ohnehin nur aus einigen ivenigen Ducaten und Silbermiinzen bestehendes Baargeld in dem Giirtelbeutel, steckte fiir alle Falle cine Pištole hinter die Scharpe und trat ins Freie. In demselben Augenblicke kam, von der kula her, eine weibliche Gestalt auf mich zu und hustete. Es \var Kata. Ich antwortete auf gleiche Weise, worauf die Alte umkehrte und gerauschlos in dem ersten Hofe verschvvand. Ich blieb noch eine Weile stehen und horchte, ob die Luft rein sei. Feierliche Stille rings umher; nur in dem nahen Gebusch schien sich etwas zu be\vegen. Ich trat naher und horchte abermals. Nichts riihrte sich. Es war wahrscheinlich eine Katze, die der Mausejagd oblag, oder ein Reinecke, den der Geruch des Hiihnerbratens angelockt hatte. Ich wandte mich nach rechts, erreichte die linksseitige Gartenmauer und eilte liings derselben weiter. An der Mauerecke hielt ich im Gehen abermals ein. Vollstiindige Ruhe. Nun bog ich liings der Hintermauer nach rechts ab und blieb ungefahr in der halben Lange derselben stehen. „Hier bin ich, Gott zum Gruss, Perga!“ Korte ich eine Stimme ober meinem Kopfe. Ich blickte empor und sah Zoraida mit dem Kopfe und mit der halben Brust liber die Mauer vorgebeugt. Ob und was ich erividerte, iveiss ich nicht, ich war derart verivirrt, dass mir beinahe die Sinne schwanden. „Hier hast Du die Steigleiter, sie ist zwar etwas schivach, \vird Dich aber dennoch halten , 11 sagte sie, wiihrend sie den Kletterapparat hinunter- liess. Ich stieg empor und stand in dem nachsten Augenblicke dem Miidchen Brust an Brust, Kopf an Kopf gegeniiber. Im Garten, knapp an der Leiter stand Kata als Schutzgeist. Wir standen eine Weile sprach- los einander gegeniiber. „Du Schlimmer," begann Zoraida, ,,\varum fliehst Du mich?“ „Ich fliehe Dich nicht, wenn ich es aber thun wiirde, so kannst Du iiberzeugt sein, dass ich dafiir gewichtige Griinde hiitte. “ „Warum?“ „Vor allem steht der uniiberbriickbare Rangunterschied zvvischen uns. Du bist die Tochter des reichen und stolzen beg von Vranduk, ich dagegen nur sein Diener.“ „Wahre Liebe kennt keinen Rangunterschied und lasst sich durch alle Reichthiimer dieser Welt nicht in die Grenzen der menschlichen Willkiir zvvingen. Dieser Grund ist also hinfiillig; hast Du vielleicht noch einen andern?“ „Der Religionsunterschied ist immerhin auch eine Kluft, die zwischen uns gahnt.“ „Die Religion hat mit der Liebe nichts zu thun. Hast Du noch nie gehort, dass viele Mohammedaner Christenmadchen heirathen und mit den- selben gliicklich sind?“ „Allerdings, aber in diesem Falle verlassen die Christinnen die Religion ihrer Vater.“ 185 „Zuweilen wohl, aber nicht immer. Uebrigens welcher Unterschied besteht zvischen Deiner und meiner Religion ? Glauben wir nicht beide an einen und denselben Gott? Horst Du nicht den muezzin*) tagtaglich von dem minaret der Welt verkiinden: „ia ilahe il-allah — es gibt nur einen Gott?" — In Vranduk wohnten ausser der Familie des Ilalil-beg zwar keine Mohammedaner, aber in dem Orte stand dessen ungeachtet eine kleine Moschee, in welcher die durchreisenden Verehrer des Propheten ihre Andacht verrichteten. „Idast Du noch einen anderen Grund?“ fragte mich Zoraida mit unsicherer Stimme, wahrend sie mit ihrer rechten Hand nach dem Hinter- kopfe langte, \vahrscheinlich um den feredje zu befestigen. Bei dieser Ge- legenheit ging der jasmak auf und rutschte an dem Korper des Madchens zur Erde herab. „Behalte ihn unten!“ sagte Zoraida zu ihrer Dienerin. Ich stand sprachlos da und staunte die junomische Biiste des Madchens an, die das rothseidene Leibchen jetzt zu sprengen drohte. „Also welchen Grund hast Du noch?" wiederholte die Tochter Halil- begs die Frage. „Ich werde Dir die Wahrheit sagen, aber Du darfst mir deshalb nicht zurnen : ich bin bereits versprochen." „Das weiss ich, dem zu schliessenden Bunde fehlt aber der Kitt die Liebe, deshalb wurdest Du in der Ehe nicht gllicklich sein." „Woher veisst Du es?“ „Das ist meine Sache. Danica passt nicht fiir Dich. Du wiirdest ein Weib an Deiner Seite haben, welches Dich nicht verstehen wiirde und Deine Gefiihle nicht theilen kbnnte." „Danica ist gut,“ wagte ich einzuwenden. „ Die Giite ist nur eine Eigenschaft, die ein Eheweib haben muss, die iihrigen fehlen ihr.“ „ Aber ich kann doch nicht mehr zuriicktreten!" „Warum nicht? Man kann selbst vor dem Altare zuriicktreten." „Und was wiirden die Leute dazu sagen ?“ „Die Leute! Was geht das die Leute an? Werden vielleicht die Leute das driickende Joch, dass Du Dir dadurch aufbiirdest zu tragen helfen? Lass die Leute reden, \vas sie wollen! Ein mohammedanisches Sprichwort sagt: „Der Hund belit, aber die Karavane zieht weiter, d. h. sie kiimmert sich um sein Bellen nicht." „Und Glavanja?" ,Was Glavanja! Wenn Du.offen sein villst, so wirst Du gestehen, dass Du um das Madchen nicht angehalten hast, sondern man will es Dir geben in der bestimmten Voraussetzung, dass Du nicht nein sagen wirst. Habe ich recht oder nicht ?“ „Aber sage mir, woher vveisst Du das alles?" „Ich habe Dir schon einmal gesagt, dass das meine Sache ist; genug an dem, dass ich es weiss. Ich weiss noch mehr und werde Dir gelegentlich weitere Mittheilungen machen." *) Soviel als hodja, Moscheediener. 186 „Aber in diesem Falle konnte ich nicht mehr hier bleiben." „Warum nicht? Glavanja ist zwar reich, aber ohnmachtig, kann Dir also nicht schaden. Er ist im Grunde genotnmen doch nur ein rajah.“ Eine peinliche Pause trat ein. Nicht als ob mich die Einvvendung d er jungen Mohammedanerin in meinem Entschlusse wankend gemacht hiitte, gewiss nicht, sondern ich dachte dariiber nach, welche Argumente ich noch in das Gefechtstreffen schicken konnte, um das Madchen zur Ver- nunft zu bringen. Wahrend ich dariiber nachdachte, erhob ZoraVda ihre Hand abermals gegen den Scheitel. Dabei Gel der breite Hemdarmel biszurAchsel zuriick und liess eine alabasterweisse, \vundervoll geformte Hand sehen. Gleich darauf trug ein leiser Windhauch den Gaze-Schleier weg und das Madchen stand mit gesenkten Augen in einer von mir bis dahin noch nie gesehenen strahlenden Schonheit vor mir. Meine Rechte erfasste krampfhaft die Mauerkannte, denn mir schwanden die Sinne. Der Mond stand kaum mehr mannshoch iiber dem Horizonte und winkte uns den Scheidegruss zu. ZoraVda war, soviel ich unterscheiden konnte, auffallend weiss im Gesicht, welches von einem Walde von dunkelschwarzen Haaren umrahmt wurde. Ueber denunheimlich grossen Augen erhoben sich bergriickenartig die Augen- brauen, die selbst in den Beriihrungsflachen in der Starke der iibrigen Segmente beinahe nichts nachliessen. Den kleinen Kopf trug ein pro- portionirt langer Hals. Der kleine Mund mit sch\vellenden Lippen erinnerte lebhaft an anatolische Abstammung. „Bist Du in Vranduk geboren ?“ fragte ich ZoraVda, um das Gespriich wieder in Gang zu bringen. „Jawohl, doch warum fragst Du?“ „Weil ich noch nie ein so schdnes Madchen gesehen habe.“ „Meine Mutter war eine Cirkassierin. Sind die Madchen Deiner Heimath nicht auch schon?“ „Das schon, aber ich habe noch kein so schones gesehen.“ Wahrend ich diese Worte sprach, war die Mondsichel zur Ruhe ge- gangen. Zorai'da’s Rechte beschrieb einen Halbkreis in der Luft und zog sich um meinen Hals zusammen. „Ciiiuk!“ rief eine Stimme hinter einer rechts gelegenen Strohtriste. „Was ist das?“ fragten wir beide, wie aus einem Munde. „I2in Kauz, weiter nichts 11 , erwiderte die Alte, die wahrend der ganzen Zeit unserer Unterredung neben der Leiter im Garten stand. „Er verfolgt^die Mause, die sich im Stroh niedergelassen haben. 11 „ Ciiiuk! 11 meldete sich etwas von der linken Gartenmauerecke. „ ZoraVda 11 , sagte ich mit vor Erregung zitternder Stimme, „das ist kein Kauz! Fliehe, dass man uns nicht zusammenbemerkt! Lebe wohl!“ „Ich versichere Dich, dass es Kauze sind 11 , ervviderte ZoraVda, wahrend sie ihre Hand noch fester um meinen Hals schlang. ,,Was solite ein Mensch zu dieser Stunde hier zu suchen haben ?“ ,,Ich weiss selbst nicht, aber mir sagt eine innere Stimme, dass uns Gefahr droht. 11 Ich wandte mich nach rechts und glaubte mehrere dunkle Gestalten an der Mauer heranschleichen zu sehen. Auch ZoraVda beugte sich iiber die Mauer und sah nach links. 187 ,,Du hast recht 1“ sagte sie hastig, ,,es sind Menschen, die auf Dich abgesehen haben. Springe schnell in den Garten, sonst bist Du verloren!“ ,,Unmoglich!“ erwiderte ich, machte mich von ihrer Umarmung los und sprang auf die Erde. Anfangs \vollte ich schiessen, allein dadurch hatte ich das ganze Dorf alarmirt. In den Garten zu springen wšire jeden- falls ein Wahnsinn gecvesen, denn dadurch gelangte ich aus dem Regen in die Traufe. Kurz entschlossen nahm ich mit Riesenschritten die Welt unter meine Fiisse und lief in gerader Richtung weiter. Es fiel mir auf, dass meine Nachsteller, die mich auf der Flucht jedenfalls verfolgten. keinen Laut von sich gaben. Nach einer Weile blickte ich mich um und gevvahrte die wilde Meute kaum zehn Schritte hinter mir. Sie verfolgten mich, ge- wissen Hofhunden gleich, die sich dem ahnungslosen Menschen ohne Gebell niihern und beissen, voraussichtlich in der Hoffnung, dass ich durch die Stille irregefiihrt, stehen bleiben oder veenigstens meine Schritte verlang- samen werde. Die wilde nachtliche Jagd mochte ungefahr zehn Minuten gedauert haben, als sich mir ein Hinderniss in den Weg stellte, \velches mir fiir einen Augenblick das Blut in den Adern erstarren machte. Ein ziemlich breiter Bach mit triige fliessendem Wasser schnitt mir den Weg ah. Ich blieb nur einen Augenblick unentschlossen stehen, dann aber sprang ich in das Wasser und vvatete auf das jenseitige Ufer hinuber. Stellenvveise kam mir das Wasser bis zu den Hiiften. Ich kletterte gerade das linke Ufer hinauf, als meine Verfolger den Bach erreichten. Hier erst lbsten sich ihre Zungen. Greuliche Fdiiche und Verwiinschungen schwirrten durch die Luft, ich achtete jedoch nicht darauf, sondern eilte weiter. Das Geschrei blieb immer weiter hinter mir zuriick. Sie scheuten jedenfalls das Wasser, deshalb blieben sie zuriick und gaben die weitere Verfolgung auf. So calculirte ich und setzte den Weg, unbeveusst \vohin, im Schritt fort. Meine mit Wasser gesiittigten Tuchkleider hingen mit bleierner Schwere an mir. „Aufhalten! Aufhalten!“ horte ich auf einmal hinter mir rufen. Also noch nicht genug! Meine Verfolger hatten wahrscheinlich auf meine durch die nassen Kleider herbeigefiihrte Unbeholfenheit gerechnet, waren iiber den Bach entkleidet gegangen, hatten auf dem diesseitigen Ufer wieder ihre Kleider angelegt und nahmen die Verfolgung wieder auf. Ich hatte einen Vorsprung von wenigstens z\veihundert Schritten. Unweit vor mir sah ich mehrere Feuer leuchten. Es war eine Zigeunertruppe, die vor drei Tagen Vranduk passirte und auf jenem berrenlosen Grande ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Dort wollte ich Schutz suchen. Um meine Verfolger zu tiiuschen, lief ich nicht in gerader Linie gegen die voriibergehende Nomadenniederlassung, sondern beschrieb einen ziem¬ lich weiten Halbkreis und gelangte auf der entgegengesetzten Seite zu dem Zelte des baschi*). Die Zigeuner, durch das Geschrei der mich verfolgenden Meute auf- merksam gemacht, kamen aus ihren Zelten und horchten. Ich schoss in das Zelt des baschi und bat ihn um seinen Schutz. *) Hiiuptling (turk.), hier Acltester einer Truppe. 188 Ohne ein Wort zu erwidern fasste mich der Alte ura den Leib, hob mich in seinen iiberdachten Wagen und warf eine Dečke liber mich. Als dies geschehen, sagte er zu seinen Sohnen, oder was sie waren, ein paar Worte, worauf sie sich unter wildem Geheul in dem Dunkel der Nacht verloren. Ich begriff die Tactik des Alten sogleich. Auf diese Weise wollte er meine Verfolger glauben machen, dass ich an den Zelten vorbei- gelaufen sei und von den Angehbrigen seiner Truppe verfolgt werde. Gleich darauf stlirmte auch die wilde Jagd an der Niederlassung vorbei, ohne sich bei derselben aufzuhalten. „Siehst Du, efendi, so schickt man ungebetene Gliste in’s Blaue“, sagte baschi Samu, als die Stimmen meiner Verfolger in der Ferne ver- hallt \varen. „Nun aber sage mir was geschehen ist und vveshalb man Dich in der dunklen Gottesnacht \vie ein wildes Thier hetztd 1 Ich erzahlte ihm meine von keiner schlechten Absicht begleitete Zusammenkunft mit der Tochter des Grundherrn von Vranduk, liber die Verfolger jedoch konnte ich ihm keine Auskunft geben, da ich sie nicht kannte. „Das ist freilich schlimm“, meinte Samu, als ich geendet. „Warum schlimm, ich habe ja doch nichts Schlechtes gethan! 11 „Du kennst den beg nicht; er \viirde Dir unaus\veichlich nach dem Leben trachten und \ver weiss, sein Ziel vielleicht auch erreichen. Er hat viel Geld und das Geld ist in Bosnien machtiger als alle Gesetze; es ist allmachtig. Es handelt sich vor Allem darum, zu erfahren, wer Dich ver¬ folgt. Solite Dir eine Gefahr drohen, so miisstest Du baldmoglich un- gesehen von hier versch\vinden.“ „Aber wie ware das moglich? 11 „Einstweilen hat es damit noch keine Noth, fiir die Zukunft aber lass mich sorgen. Doch ich sehe, dass Du nass bist, ich will Dir die Ober- kleider abnehmen und zum Trocknen aufhiingen.“ Ich stieg aus dem Wagen, liess mich willig ausziehen und kroch dann zum Feuer, um meine ebenfalls nasse Leibiviische an mir zu trocknen. Ich dachte liber meine Lage nach. Anfangs kam mir das Ganze als ein schlechter Witz vor, als ein unzeitgemasser Scherz, den sich mir unbekannte Menschen mit mir erlaubt hatten. Je tiefer ich aber in die Sache eindrang, desto giihnender that sich der Abgrund vor mir auf. Nach etwa einer halben Stunde kehrten die Zigeuner von meiner vermeintlichen Verfolgung zuriick und erzahlten, dass ich von Spira, ferner von einigen entlassenen Aufsehern und von mehreren Bauern verfolgt werde. Nun ging mir ein Licht auf. Ich wollte sofort nach Hause fliehen, allein der Alte rieth mir davon entschieden ab. „Wer \veiss“, sagte er, „vielleicht haben sie um die kula Wachen auf- gestellt, die Dich auf dem Heirmvege hinterriicks iiberfallen und umbringen konnten. Bleibe bis zum Tagesgrauen hier, bis dahin werden auch die Kleider trocknen und dann kannst Du ohne Furcht den Riickvveg antreten, vorausgesetzt . . .“ „Was vorausgesetzt ?“ fragte ich Samu, da er in der Rede innehielt. „ Vorausgesetzt, dass der beg von der Zusammenkunft mit seiner Tochter nichts erfahrt.” 3 Aber die Leute haben es doch nur auf mich abgesehen.“ 189 „Gerade deshalb ist schwer anzunehmen, dass die Sache vertuscht werden konnte. Sie hofften Dich zu fangen und unschadlich zu machen, deshalb verfolgten sie Dich ohne Larm, um die Ortsbewohner nicht aus dem Schlafe zu wecken und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Da dies aber misslungen ist, so werden sie vor keinem Mittel zuriickschrecken, um Dich zu vernichten, oder zum Mindesten aus dieser Gegend zu vertreiben.“ Samu hatte recht, es handelte sich um meine Haut, Zorafda spielte dabei keine Rolle. Nun vermochte ich auch das Gerausch im Dickicht zu deuten, als ich den Hof verliess und den verhangnissvollen Weg zum Stell- dichein antrat. Die Strauchritter hatten jedenfalls in Erfahrung gebracht, dass mein kawas abwesend war und beschlossen, diese Gelegenheit zu be- niitzen, um mich aus dem Wege zu raumen. Ihre urspriingliche Absicht ging jedenfalls dahin, mich in meiner Wohnung zu iiberraschen, da ich die- selbe aber verliess, so theilte sich die dunkle Gesellschaft und wollte mich hinter dem Garten abfangen. Die Zahigkeit, mit welcher mich die Bande verfolgte, liess mich keinen Augenblick im Zweifel dariiber, dass sie auf diese Karte viel zu setzen Willens seien. Ein junger Zigeuner trat unter das Zeltdach und sagte zu dem Alten einige Worte in seiner Sprache. „Deine Verfolger kommen zuriick“, sagte Samu hierauf zu mir. ,,Verstecke Dich unter jene Dečke hinter dem Wagen.“ Ich gehorchte und kauerte mich nach Moglichkeit zusammen, um kleiner zu erscheinen und keinen Verdacht zu erregen. Unterdessen kamen die Stimmen mehrerer Miinner immer naher. Einige derselben kannte ich sehr genau, besonders jene meines Vorgangers. „Gott helfe euch,, ihr guten Leute!“ griisste Samu die Ankommenden. „Nicht eingeholt?" „Er ist schnellfiissig wie eine Hirschkuh“, sagte der Bauer, dem ich bei der Verfolgung Nadir-beg’s einen Stoss in den Bauch versetzt hatte. „Oder liegt er in einem dieser Zelte auf der faulen Haut und lacht uns im Stillen aus“, erwiderte Spira. „Was denkst Du von mir, Bruder Spira ?“ fragte der Zigeuner. „Bin ich Dir bisher nicht stets an die Hand gegangen, wo mir nur moglich \var? Kannst Du Dich vielleicht liber mich beklagen?“ „Das zwar nicht, aber bisher triebst Du mir meist die fukara*) zu, \viihrend der čata Halil-beg’s iiber Klingendes verfiigt, Dich also leicht be~ stechen konnte/ Samu ervviderte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. „Schon gut, schon gut!“ meinte hierauf Spira. „Auf Deine Worte halte ich gar nichts. Ich wiirde sogleich die Zelte durchstobern lassen, allein ich will keinen Larm verursachen und euere Weiber und Kinder im Schlafe nicht storen. Sobald aber die Morgenrothe im Osten erscheint, vcerde ich meinen Plan ausfiihren, unterdessen aber das Lager mit Wachen umstellen. Ich habe dann noch immer Zeit, mich zuriickzuziehen und von der nachtlichen Arbeit auszuruhen. Aber, Samu, das sage ich Dir: wenn ich ihn hier finde, wirst Du nicht zu lachen haben/ *) Arme Lente (tiirk.). 190 Die Antwort des Zigeuners verstand ich nicht. Die Bande entfernte sich nach verschiedenen Richtungen. Ich erhob leise den Oberkdrper und blieb auf dem Boden sitzen. „Hast Du gehbrt, wie der Vogel singt?* fragte mich Samu. „Es diirstet ihn nach Deinem Gelde, aber er soli es nicht bekommen, so wahr ich Samu heisse!“ Der geehrte Leser muss die Worte des alten Zigeuners richtig deuten konnen, um den eigentlichen Gedanken herauszuiinden. Er meinte durcli- aus nicht, dass mir mein Geld erhalten bleiben solite, sondern dass dasselbe, einzig und allein ihm zufallen \verde. „Er darf Dich hier nicht finden 11 , fuhr der Zigeuner nach einer Weile fort; „Du musst fort von hier, und zwar je friiher desto besser.“ „Aber wie? Das ist leichter gesagt, als gethan. 1 * „Dafiir lass mich sorgen. Einstweilen komm niiher zum Feuer; ich will an Deinem Aeussern eine kleine Veriinderung vornehmen . 11 Nichts Bbses ahnend setzte ich mich zum Feuer, Samu aber holte aus seinem Kram einen Topf hervor und gebot mir, die Augen zu schliessen. „Was willst Du?“ fragte ich ihn. „Ich muss Dein Gesicht, Hande und B^iisse braunlich anstreichen, um Dich desto leichter durchzuschmuggeln . 11 Ich war mit dieser Antwort nicht zufrieden, sondern \vollte vceiter fragen, ob sich das Farbemittel auch abwaschen lasst, allein der Zigeuner Hess mir dazu keine Zeit, sondern begann an meinem Hals und Gesicht mit dem Pinsel zu hantiren, bevor ich den Mund offnen konnte. Ich Hess ge- wahren, was ich nicht hindern konnte. Meine Korperkraft \var derart ge- lahmt, dass ich kaum im Stande \var, mich zu erheben. In wenigen Minuten prangten mein Gesicht und Hals, ferner die Hande bis zum Ell- bogen und die Fusse bis zu den Knien in einem ekelhaften Braungelb. „Aber das ist doch keine Hautfarbe!“ erwiderte ich lachelnd, nach- dem ich meine Extremitaten eine Weile beobachtet hatte. Ich hielt die Metamorphose als ein Uebergangsstadium, \velches demnachst eine giinstige Losung finden miisse. „Warte nur ein wenig, ich bin noch nicht fertig“, erwiderte Samu und begann mich gleich darauf mit einer Speckschwarte gehdrig einzu- reiben. „Jetzt halte Dich aber nur ganz nahe zum Feuer“, sagte er zu mir, als er mit der Operation zu Ende war. Ich folgte seiner Anordnung auch jetzt ohne Widerrede; hatte ich A gesagt, so musste ich auch B sagen. Nun gevvahrte ich, dass die Ilaut mit Hilfe der Feuerwarme eine dunklere und zwar gleichmassig braune Farbe erhielt. „Liisst sich die Farbe auch abwaschen? u fragte ich den Alten, wahrend er seinen Malkram einpackte. ,,Gleich wohl nicht, sondern erst in einigen Tagen, das macht aber nichts, die goldene Freiheit ist mehr werth als ein schbnes Gesicht. 1 ' Die Philosophie des braunen Sohnes hatte allerdings Einiges fiir sich, deshalb schwieg ich. ,,Die Wasche musst Du auch ablegen 11 , sagte Samu nach einer Weile. „Warum ?“ 191 „Du kannst in reiner und guter Wasche doch unmoglich als Zigeuner auftreten.“ Er stand auf und entnahm seinem Familienwagen ein Hemd und eine Unterhose, die so schmutzig waren, dass die urspriingliche Farbe selbst ein gevviegter Chemiker nicht herausgefunden hatte. Ich liess mich aus- und anziehen wie ein kleines Kind. „Jetzt aber noch diesen prusluk *) und die šubara **) auf den Kopf und der Zigeuner ist fertig u , sagte der baschi, wahrend er mir die be- treffenden Bekleidungsgegenstande rcichte. „Den prusluk musst Du immer zugeknopft haben, damit man nicht die weisse Haut auf Deiner Brust be- merkt. Ha—ha—ha! jetzt mag Spira immerhin zuriickkommen! Nicht einmal der iblis ***) ware im Stande, in Dir den čata von Vranduk zu erkennen. 11 ich verzom mein Gesicht zum Lacheln, aber die hervorstiirzenden o ' Thranen vereitelten meinen Versuch. Was war binnen wenigen Stunden aus mir geworden ? Gestern noch ein Mann in unabhiingiger und eintriig- licher Stellung, ein Mann, dem das Ehegliick mit ali seinem verfiihrerischen Reiz entgegenlachelte, heute ein Zigeuner, ein Paria der Menschheit, dem selbst der tiefststehende Mann aus dem Volke scheu aus dem Wege ging; ein Zigeuner, dessen Kommen und Gehen die Menschenkinder mit Schelt- \vorten und Fliichen begleiteten; ein Mensch ohne Heim, ohne Dach, ohne Freunde und ohne ein Anrecht auf das Mitleid der Nebenmenschen. Und warum ? Weil ich nicht genug Willenskraft besass, um den Verlockungen eines liebekranken Weibes zu widerstehen. Hatte ich dabei eine Neben- absicht gehabt, in Gottesnamen! In diesem Falle hiitte ich einen Grund gehabt, die Folgen als eine wohlverdiente Strafe zu betrachten, allein ich willigte in der edelsten Absicht ein, um der verliebten dilber - Zoraida reinen Wein einzuschenken und dadurch ihre Illusionen zu zerstoren. Und dennoch! So geht es in der Welt. Oft bringt man sich durch einen einzigen unbe- dachten Schritt um seine Existenz und um sein Lebensgliick. Doch was soli das Kopfhangen und das Wehklagen vor einer vollendeten Thatsache ? Daran war nichts mehr zu andern. Wer weiss auch, wozu es gut war ? Wir betrachten gewisse Ereignisse hiiufig als ein Ungliick, aber schliesslich wendet Gott Alles zu unserm Besten. Seine Rathschliisse sind unerforschlich. Unterdessen begann sich der Horizont im Westen zu rothen. Samu eroffnete mir, dass ich nun mit seinen Sohnen fort miisse, er werde uns mit seiner Truppe nachkommen. ,,Wohin?“ fragte ich. „Flussabwarts, damit wir aus dem Bereiche von Vranduk kommen. Man kann nicht wissen, wie man ih der kula Dein Verschwinden aufnehmen werde. Es ist immer besser, weit weg vom Schuss zu sein.“ „Gieb mir meinen Geldgiirtel!“ sagte ich. „Wozu ? Er ist bei mir gut aufgehoben.“ „Das glaube ich, aber ich brauche doch ein Geld auf den Weg. u *) Weste (turk.). **) Pelzmiitze (slav.). ***) Teufcl (tiirk.). 192 „Geld! Wožu? Kost und Qiiartier hast Du iiiiter meinem Zeltdache',- wenn Du aber rakija trinken willst, so werden Dir solche meine Sohne bezahlen.“ Ich liess jedoch nicht nach, sondern verlangte ganz entschieden mein Recht und drang solange in den baschi, bis er meinem Begehren wilb fahrte. Samu stand auf und brachte mir meinen Schatz. Ich zahlte das Geld, theilte dasselbe in zwei gleiche Theile, iibergab die eine Halfte davon meinem Beschiitzer, die andere aber verwahrte ich in dem Giirtel und band mir denselben um den Leib. „Fiinf Ducaten und einige elende Piaster!“ rief Samu wegwerfend aus, nachdem er das Geld durchgezahlt hatte. „Zahlt sich aus wegen lumpiger fiinf Ducaten eine Nacht durchzu\v r andern und dabei noch den Diener abgegeben! Wo hast Du denn das iibrige Geld?“ „Mein Geld ist sehr gut aufgehoben," enviederte ich, „wenn Du mich aber an die Grenze bringst und mir dadurch zu meiner Freiheit ver- hilfst, so werde ich es Dir ausfolgen lassen.“ „Z\veifelst Du an dem Gelingen meines Unternehmens? Sage Du mir nur, wo Dein Geld aufbewahrt ist, an der Ausfiihrung Deines Wunsches soli es sicherlich nicht fehlen. Samu ist ein Mann, der nichts verspricht, was er nicht auszufiihren im Stande ist.“ ,,Mache Du nur vorerst Deine Sache, dann werde ich mein Dir ver- pfandetes Wort sicherlich auch einlosen.“ Der Zigeuner machte noch einige vergebliche Versuche, um mir mein Geheimniss zu entlocken, dann aber schickte er uns fort, da er diass gestern Abends ein Reiter denselben Weg gemacht hat, weiss ich, kenne ihn auch, da er mir von Serbisch-Mitrowiz iiber die Ermordung eines Schweinehandlers den Rapport iiberbrachte“, sagte der Gerichts- prasident nach einer Weile. „Er halt sich meines Wissens auch noch in der Stadt auf. Ich will ihn sofort aufsuchen lassen und es wiirde mich gewiss freuen, wenn Du Dich wenigstens von dieser Anschuldigung rein- waschen konntest.“ DasWort: \venigstens hatte er besonders betont, gleichsam als ob er mir damit sagen wollte, dass ich wegen der beabsichtigten Entfiihrung des Madchens unausbleiblich der heiligen Vehme verfallen sei. Ich begleitete meinen Vorgesetzten unter dem Schutze des wachehabenden Officiers bis zum Elauptthore und bat ihn untenvegs, den Schneider Franz mit einem meiner Anziige und frischer Wasche in die Festung zu schicken, dass ich mich umkleiden konnte, denn ich \var iiber und iiber nass und mit Schlamm und Blut bedeckt. Vor dem Hauptthore standen acht, wie man zu sagen pflegt, bis auf die Zahne bewaffnete Panduren und eine nach hunderten zahlende Volks- menge, die auf meine Auslieferung wartete und nach meinem Blute lechzte. Man kann sich die langen Gesichter der Meute vorstellen, als sich der Gerichtsvorstand von mir beinahe freundlich verabschiedete, worauf das Thor zugerollt wurde. Ich athmete erleichtert auf. Die Hoffnung, dass meine Schuldlosigkeit an dem Brande recht bald erwiesen werden solite, verlieh mir frischen Muth. Wegen des Entfiihrungsversuches Hess ich mir kein graues Haar wachsen, sondern bedauerte nur, dass derselbe misslungen war, nicht so sehr meinetwegen, als vielmehr wegen der Ljubica, die ich in meiner Lage nicht mehr beschiitzen konnte. Gegen Mittag kam Franz mit meinen Kleidern in die Festung. Ich erschrack iiber sein Aussehen; er glich mehr einer Leiche als einem lebenden Menschen. „Aber Franz, um alles in der Welt wie sehen Sie aus! Ist lhnen ein Ungliick zugestossen ?' 1 fragte ich den Schneider. „Mir nicht, aber lhnen, “ erwiderte der gute Mann mit stotternder Stimme, \vahrend er sich vergeblich bemiihte, die hervorstiirzenden Thranen zuriickzuhalten. „Trosten Sie sich iiber mein Missgeschick, lieber Freund. Es \viire schdn gewesen, aber in den Sternen stand anders geschrieben . 11 „Ach wenn Sie \viissten!“ „Was denn?“ „ln der Stadt ruht jegliche Arbeit, selbst die Kaufladen sind ge- schlossen. Die Miinner stecken in den Wirthshausern und gebahrden sich wie Wahnsinnige, die Weiber aber stehen in grbsseren oder kleineren Gruppen vor den Hausern, schlagen die Ilande ober ihren Kbpfen zu- sammen und schreien: ,Das ist noch nicht dagewesen! Das ist noch nicht dagewesen!‘ Die Oesterreicher sitzen entweder beim Klein wie abgebriiht, oder halten sich in ihren Wohnungen versteckt, um von den Insulten der rohen Serben verschont zu bleiben . 11 275 „Und die Doppeltrauung ? 11 „Doppeltrauung! Ljubica wurde gestern Abends ohnmachtig nach Hause gebracht, ihre Stiefmutter aber ist fiir alle Besuche unsichtbar. Die alte Angja ist nun das Drum und Dran in dem Hause. An die Trauungen denkt heute Jedermann so wenig, als an den Besuch der Kirchen, obwohl die Serben einen hohen Feiertag haben.“ „Wissen die Leute, dass die Alte an unserm Fluchtversuche Antheil genommen?* „Es scheint nicht, denn dariiber horte ich kein Wort fallen, obwohl ich mich seit gestern Abends unter die Leute gemischt habe, um zu horen, wie sie sich dariiber ausserten. Die Flucht ware das grosste Uebel nicht, aber — “ „Sie meinen das Brandungliick, nicht wahr?“ „Leider ja! Schliesslich kann man den Leuten die Wuthausbriiche auch nicht verargen, denn heute besitzt in der ganzen Stadt Niemand ein Biindel Ideu, um es dem Vieh vorzulegen.“ „ Franz, ich bin nicht der Urheber des Brandes," erwiderte ich und wiederholte meine einige Stunden vorher dem Gerichtsprasidenten gemachte Erklarung. „Gott sei Lob und Dank, jetzt ist mir ein Stein vom Iderzen gefallen 11 , sagte Franz als ich geendet. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie es mir zu Muthe war, als ich Sie einstimmig als Brandstifter bezeichnen horte . 11 „Sie werden mir eine Gefalligkeit erweisen.“ „Nicht eine, sondern hundert wenn Sie wollen.“ „Hier haben Sie einen Ducaten, damit Sie nicht von Eigenem zu verausgaben brauchen. Gehen Sie zuerst zum Klein und klaren dort die Leute auf; dann aber gehen Sie von Wirthshaus zu Wirthshaus und ver- suchen die gegen mich gerichtete Anklage des Volkes abzuschwachen und auf die Gemiither beruhigend einzuwirken. Auch die librigen Landsleute sollen das Gleiche thun. Der Prasident hat mir versprochen, sein Mogliches aufzubieten, um in die Sache Licht zu bringen. Ich habe mich auch auf die Zeugenschaft Ljubicas berufen." „Ach jetzt verstehe ich!“ „Was verstehen Sie ? 11 „Den Grund, warum der Gerichtsprasident in Gesellschaft des Schreibers Vlada der Ljubica einen Besuch machte . 11 Franz packte meine abgelegte iiussere Hiille zusammen und entfernte sich mit dem Versprechen, zu meinen Gunsten alle seine Kriifte aufzubieten. Kurz vor Sonnenuntergang Hess sich der Gerichtsrath Vojin Adamovic bei dem Festungscommandanten anmelden und stellte an denselben das Begehren meiner Auslieferung. Nuri Pascha hatte dagegen nichts ein- zmvenden, allein ich weigerte mich ganz entschieden, mit ihm zu gehen und erkliirte gleichzeitig, dass ich nur in Gesellschaft des Gerichtsprasidenten die Festung verlassen werde. Mir war zwar ganz gleichgiltig, ob ich in der Gesellschaft des Gerichtsprasidenten oder seines letzten Panduren in den Kerker wandern musste, allein ich wollte auf diese Weise Zeit gewinnen und meine Escortirung in die Nachtzeit verlegen. Der Pascha stellte sich auf meine Seite und der Mann des Gerichtes musste unverrichteter Dinge 18 * 276 abziehen. Um die Christen zu argern, hiitte mir der tiirkische Machthaber noch grossere Concessionen eingeraumt. Als sich der Gerichtsprasident zu meiner Empfangnahme in der Festung einfand, war es bereits stockfinster. Aber selbst meinem Vor- gesetzten wollte ich mich nicht blindlings ergeben, sondern ersuchte den Pascha um Beistellung von acht Mann zu meiner Escorte und zu meinem Schutze. „Aber der vekil-bascha*) hat sicherlich doch seine Panduren mit- gebracht, die Dich auf dem Wege vor Misshandlungen schiitzen werden“, entgegnete der Pascha auf meine Bitte. „Sehr wohl, aber vor einem turkischen Soldaten haben die Christen mehr Respect, als vor zehn Panduren 11 , ervviderte ich. Meine Lobrede schmeichelte dem General derart, dass er auch diesen meinen Wunsch erfiillte. Ich bedankte mich fiir sein menschenfreundliches Entgegenkommen und trat an der Seite des Gerichtsprasidenten den Leidens- weg an. Ich segnete die turkischen Soldaten, die mir das Leben gerettet hatten. Ware ich den Serben in die Fauste gekommen, so hiitten sie mich, selbst wenn ich von der mir sonst zugedachten untnenschlichen Behandlung ganz absehen will, ohne alle Umstande gefesselt und in den Kerker ge- schleppt, weil ich mich aber unter dem Schutze dcs Ilalbmondes befand, so mussten sie um jedes Kornchen ihrer denselben von den Grossmiichten gewahrleisten Rechte mit mir unterhandeln. Ich kam viel schneller und besser fort, als ich dachte. Der tiirkische Piquetcommandant stellte vier Soldaten an die Spitze des Zuges, hinter diese aber drei Gerichtspanduren. Das dritte Glied bildete der Prasident, ich und zwei Panduren, das vierte drei Panduren, den Schluss aber wieder vier tiirkische Soldaten. Die Volksmenge, die uns vor dem Festungsthore ervvartete, stob bei dem Anblicke der turkischen Soldaten nach allen Richtungen auseinandcr •, einige Manner warfen, um sich unsichtbar zu machen, sogar die Fackeln in den Schnee. Der Officier eilte weiter, als ob er unter den Sohlen gliihende Lava gehabt hiitte; wir ihm nach. Der Prasident keuchte und bat den Anfiihrer wiederholt, seine Schritte zu miissigen, vergebens, er eilte in stets gleichem Tempo weiter. An der kapija**) brannte ein machtiges Feuer, welches die Umgebung weit und breit erleuchtete. Dasselbe umstanden vielleicht eintausend Per- sonen, die weder Nasse noch Kalte scheuend aus der Stadt geeilt waren, um mir die unverdiente Ehre des Geleites zu erweisen. Der Escorte- commandant hiess den Zug stehen, die Uintermanner vortreten und setzte sich mit seiner Mannschaft gegen den Volkshaufen im Laufschritt und mit Kriegsgeschrei in Bewegung. Die Folge davon war, dass sich der riesige Knauel sofort aufloste und in verschiedenen Richtungen gegen die Stadt verlor. Wir folgten dem Vortrab mit thunlichster Beschleunigung und so geschah es, dass wir, wahrend die Tiirken die Menschenmenge vor sich einher trieben, unbehelliget das Kreisgerichtsgebaude erreichten. Als iclj auf *) Das Haupt der Riithe, also Gerichtsvorstand (tiirk.). **) Thor (tiirk.). Zu derselben Zeit waren die Stadtthore bereits abget.ragen, aber die Be- nennunp blieb aufrecht. Nummer Sicher war, stellte sich das Piquet vor dem Hofthore auf und benahm auf diese Weise der blutdiirstigen Meute die letzte Hoffnung. sich an meinem Anblicke zu erfreuen. In wenigen Minuten herrschte auf der Strasse vollstšindige Ruhe. Ich Hess mich auf die Pritsche nieder und horchte. Rings herum herrschte tiefe Stille, die nur durch das Auf- und Abschreiten der \vache- habenden Panduren beeintrachtiget wurde. Ich erfreute mich niimlich der seltenen Ehre zweier Wachposten und zvear vor der Thiir und unter dem Fenster. Trotzdem blickte ich der Zukunft vertrauensvoll entgegen. Wurde der Verdacht der Brandlegung von mir abgewalzt, so hatte ich nichts zu befiirchten. Die Kalte und der Hunger gaben meinen Gedanken eine andere Richtung. Ich tappte zu der Thiir und fragte, wer vor derselben Wache halt. „Ich, Teja 11 , enviderte eine bekannte Stimme. „Ah Du, Teja, bist’s! Es freut mich! Sage dem hapsandji-bascha*) er mofre mir vom Klein eine Flasche Wein und etwas zum Essen holen o lassen, sonst muss ich in diesem Hundeloche noch erfrieren . 11 . „Soll geschehen ! 11 erwiderte der Wachter und zog ab. Damals hatte man in Serbien von der Stellung des Wachpostens noch keinen richtigen Begriff. Der Wachter Teja war jener Pandur, der zugleich auch mein Hausdiener war. Er war friiher, wie die bei weitem grdsste Mehrheit seiner Berufsgenossen, Bandit, hatte aber sonst ein gutes Plerz und war so \villig wie ein gutes Kind. Als solcher hatte er gegriindete Aussicht, friiher oder spiiter Bezirksvorstand zu werden, denn letztere recrutirten sich fast aus- schliesslich aus den Reihen der Gerichtspanduren. Hieraus wird der ge- ehrte Leser unschwer folgern kbnnen, \vie es zu derselben Zeit in dem jungen Fiirstenthume mit der Rechtspfiege und Amtsfiihrung bestellt \var. Nach etwa einer halben Stunde ging die Kerkerthiir auf und ein weibliches Wesen trat ein. Wegen der dichten Finsterniss konnte ich das Gesicht der Eintretenden nicht unterscheiden. „Gott helfe Dir, Herr Perga ! 11 rief mir eine bekannte Stimme zu. „Ah Du, Angja, bist’s!“ sagte ich nach der Enviderung des Grusses. Ich hatte sie an der Stimme erkannt. „Jawohl, ich bin’s; ich bringe Dir das Nachtessen . 11 „Was macht meine Ljubica ? 11 „Armes Kind! In der Nacht glaubten wir, dass sie jetzt und jetzt sterben werde. Nun hat sie sich theihveise erholt, aber sprechen will sie mit Niemand auch nur ein Wort. Nur mit dem Gerichtsprasidenten hat sie gesprochen, allein den Inhalt der Unterredung kennt Niemand . 11 „Grasse sie von mir und sage ihr, sie moge sich meinetwegen nicht gramen. Sie soli von dem Ausgange meines Processes das Beste hoffen und sich um das Gerede der Leute gar nicht kummern. Ich hoffe, dass sie die Sippschaft des rothen Nastas nun in Ruhe lassen werde. Solite ihr Vormund jedoch bei seinem Entschlusse verharren, so soli sie ihrn die paar Tage energischen VViderstand leisten. Die Schlussverhandlung gegen mich muss ohnehin in wenigen Tagen stattfinden und dann werden wir sehcn wie die Wiirfel fallen werden.“ ') Kerkermeister (tiirk.). „lch werde ihr Deine Botschaft getreulich ausrichten und morgen Mittag, wenn ich mit dem Essen komme, die Ant\vort iiberbringenA „Das wirst Du nicht thunA „Warum nicht ?“ „Weil Dein ofteres Erscheinen in meiner Zelle den Verdacht erregen konnte, dass wir unter einer Dečke spielen. Es dauert ohnehin nicht lange, bis dahin aber soli sich Ljubica in Geduld fassen. Heute konnen wir un- gestort mit einander plaudern, weil Teja vor der Thiir Wache steht, morgen aber wird sehr wahrscheinlich ein anderer an seiner Stelle den Dienst besorgen.“ ,,Wie Du glaubst. Ich muss Dir noch sagen, dass ich die Kleider und den Schmuck des Madchens in dessen Wohnung zuriickgeschmuggelt habe, ohne dass es Jemand bemerkt hat.“ „Um so besser. Von nun an soli mir mein Freund Klein das Essen durch seinen Knecht senden . 11 „Es wird geschehen", erwiderte die Alte und wollte rneine unheim- liche Wohnung verlassen. „Noch eine Frage, Angja!" „Ich hbre.“ „Auf welche Weise wurde unsere Flucht entdeckt ?“ „Durch den bosen Wind, Herr Perga. Du weisst, wie es gestern Abends gestiirmt hat. Ein Windstoss warf das Fenster ein und zertriimmerte die Glasscheiben in tausend Splitter. Die Neuerungen bringen selten Segen in das Haus, auch uns sind sie zum Fluche geworden.“ „Wie meinst Du das?“ fragte ich das Weib, da mir der Sinn seiner Worte nicht klar genug war. „Ware es im Hause der Wittwe bei dem Alten geblieben, so ware das Ungliick nicht geschehen. Bisher hielten die Papierscheiben wider die Kiilte wacker Stand und alles war in Ordnung. Erst vor einer Woche liess die Stiefmutter des Madchens Glasscheiben einsetzen und ihr Armen miisst die Folgen davon tragen. Stana wurde durch das ungevvohnliche Gerausch aus dem Schlafe gevveckt und eilte hinaus, um nach dem Grunde der nacht- lichen Storung zu forschen. Du kannst Dir leicht vorstellen, dass sie sofort Larm schlug und in wenigen Augenblicken die ganze Umgebung aus dem Schlafe brachte. Auch Milan wurde geweckt und machte sich gleich an euere ATrfolgung. In der Stadt brach sich der Sturrmvind die Hdrner ab, konnte also euere Fussspuren nicht so leicht verwischen als auf dem freien Felde; deshalb hatten die Verfolger leichte Arbeit. Kaum \varen die ersten an der kapija angelangt, als das Feuer auf dem Ileuplatze zu wiithen begann. Was weiter geschah, weisst Du ohnehin.“ Am folgenden Tage erwartete ich den Besuch Seitens einer oder der andern Gerichtsperson, aber Niemand liess sich blicken. An eine Unter- suchung meiner vermcintlichen Verbrechen dachte ich nicht einmal, da in Serbien zu jener Zeit nur die Schlussverhandlung iiblich war. Der Knecht Klein’s brachte mir nicht nur das Mittagessen, sondern auch ein Brieflein, in welchem mir dieser mittheilte, der Estafettentriiger hatte zugegeben, dass der Brand auf dem Heuplatze von einer von seiner Kienfackel sich los- gelosten Kohle herriihren konnte. Er sandte mir gleichzeitig einen Blei- stift nebst einigen Bogen Papier behufs allfalliger fiir ihn bestimmten 2/9 schriftlichen Mittheilungen. Dem Diener das Schreibmaterial abzunehmen, \viire wohl Niemand eingefallen. Ich vertrieb mir die Zeit mit einigen alten Nummern des „Beobachter“ so gut es anging. Nicht unerwahnt darf ich lassen, dass mir der Syrmier- Ausbruch aus dem K]ein’scben Keller dabei vorziigliche Dienste leistete. Am dritten Morgen, es war ein Donnerstag, ging gegen neun Uhr die Thiir meiner Kerkerzelle auf und vor derselben erschien, von zwei Gerichts- rathen begleitet, ein Gerichtsschreiber. Keiner griisste mich, deshalb blieb mir die Antwort erspart. Vlada, so hiess der Schreiber, entfaltete einen Papierbogen und las: ,,Im Namen Milosch Obrenovičfs, Gospodar von Serbien, hat das Kreis- gericht von Schabaz gegen den gewesenen Kreisgerichtsschreiber Peregrin Gorjanski, unbekannt woher stammend, die Schlussverhandlung \vegen Menschenraubes auf Freitag, den 6. Febr. a. St. angeordnet." „Sonst nichts ?“ fragte ich ironisch. Niemand gab mir eine Antwort. Die heil. Vehme entfernte sich, ohne mich eines Blickes zu wiirdigen. Als ich wieder allein war, verfasste ich ein an Klein gerichtetes Schreiben, in \velchem ich ihm fiir den Fali meiner Verurtheilung die zu meinen Gunsten zu unternehmenden Schritte darlegte. Ich war meiner Sache ziemlich sicher, allein, es konnte dessenungeachtet das Gegentheil eintreten, denn Gewalt geht vor Recht. Am nachsten Morgen horte ich im Hofe des Gerichtsgebiiudes anfangs ein Summen, welches aus menschlichen Kehlen zu kommen schien. Dieses Summen verwandelte sich alsbald in ein immer stiirker werdendes Brummen, \vas mich zur Annahme veranlasste, dass die Menschenmenge von Minute zu Minute amvuchs. Gegen acht Uhr brachte mir der Schneider meinen Anzug und bald darauf trat auch der Klein’sche Knecht mit einem oppulenten von zwei Jiouteillen begleiteten Morgenimbiss ein. Beim Oeffnen der Thiir bemerlcte ich mehrere Panduren, die ich bis dahin niemals gesehen hatte. ,,Gott sei Lob und Dank, dass ich einmal hier bin“, sagte Franz, als sich die Thiire hinter ihm schloss. „Warum ?“ „Draussen sind soviele Leute, dass ich mich nur mit grosser Muhe durcharbeiten konnte. Es scheint, als ob man die Bevvohner des ganzen Kreises zusammengetrommelt hiitte.“ „Soviel Larm um nichts“, meinte ich lachelnd. ,,Es ist wohl viel Larm, aber ob um nichts, ist eine andere Frage“, entgegnete der Schneider kleinmiithig. ,,Wie meinen Sie das, Franz ?“ Der Gerichtspriisident „hat alle knezi des Kreises hieherkominen lassen, also werden Sie vor das sogenannte grosse Gericht gestellt.“ „Und wenn alle knezi des Fiirstenthumes gegen mich zu Gericht sitzen, so fiirchte ich sie nicht.“ „Sie haben ein grosses Herz, Uerr Peregrin. 1 ' „Ganz und gar nicht, sondern ich besitze ein so machtiges Zaubermittel, dass es sogar die Macht der Richter zu lahmen im Stande ist.“ „Nicht moglich! Ach wenn das wahr ware!“ 280 „Sie werden sich voh der Stichhaltigkeit meiner Behauptung recht bald uberzeugen. Unterdessen packen Sie meine Kleider und Biicher in zwei Biindel ein, denn ich werde heute abreisen.“ Franz wollte etwas erwidern, brachte aber kein Wort aus der Kehle herausj sondern stand mit weitgeoffnetem Munde vor mir und glotzte mich an. Wahrscheinlich glaubte er, dass ich den Verstand verloren habe. „Es konnte moglichervveise auch anders kommenfuhr ich nach einer Weile fort. „In diesem Falle soli Klein meinen ihm ertheilten Auf- trag unvcrzuglich ausfiihren.“ Der Schneider fand noch immer kein Wort der Ervviderung. Ich schritt zum Wechsel meiner Hiille und setzte mich sodann zum Friihstiick, welches mir, zum gerechten Staunen des Nadelkiinstlers, vorziiglich mundete. Kurz vor neun Uhr verliess Franz meine Kerkerzelle. Ich bemerkte, dass ihm das Alleinsein mit mir Gruseln verursachte, desshalb hielt ich ihn nicht zuriick. Die Schneider sind schon von der Natur furchtsame Leute, desshalb konnte ich ihm sein Zittern und Zagen in meiner Nahe nicht veriibeln. Es ist sicherlich nicht angenehm, in der Nahe eines Irrsinnigen zu \veilen, und fiir einen solchen hielt er mich doch. Endlich gegen zehn Uhr ging die Thiire meiner Zelle wieder auf; meine Stunde war gekommen. Der Kerkermeister hiess mich mit einem Winke den entscheidenden Weg antreten. Ich trat auf den Gang und wurde sogleich von den Panduren umringt. Die den Hof belebende Menschenmenge schien ein Kdrper mit unzahligen Kdpfen zu sein. Ein mehrhundertstimmiges O o o h! begriisste mein Iirscheinen. Ueber die Stiege ging es noch an, allein die weite Vorhalle im ersten Stockwerk war derart mit Menschen vollgepfropft, dass die Escorte nicht weiterkommen konnte. Die zwei Vordermanner unterzogen sich nun der keineswegs leichten 'Auf- gabe, durch die Volksmenge eine Gasse zu bahnen. Ich musste mitten unter der mich angaffenden Christenschaar stehen bleiben. . „Gott weiss, wo sie ihn hiingen werden“, horte ich in meiner un- mittelbaren Nahe eine Frauenstimme sagen. Es war ein junges Bauern- weib oder ein Madchen, welches obige Worte, jedenfalls an eine an seiner Seite stehende Alte gerichtet hatte. ,,An Deinem Herzen“, er\viderte ich so laut, dass mich die ganze Umgebung horen konnte. „Juh, juh, juh!“ schrie die apostrophirte Bauernschdnheit auf, wahrend sie vergebens in dem Menschenknauel unterzutauchen sich bemiihte. ,,0 der bose MenschU seufzte die Alte und schlug drei Kreuze. Dieses kurze Intermezzo brachte das Volk in eine bedenkliche Auf- regung. Fragen und Fluchvvorte sch\virrten hin und her. Unterdessen hatten die beiden Panduren ihr Ziel erreicht und wir konnten eintreten. Nach der damals dort hcrrschenden tiirkischen Sitte konnte ich die Kopf- bcdeckung aufbehalten, nahm aber als vorsichtiger Mensch dennoch den Plut in die Iland, damit sich nothigenfalls die Plaare bequemer strauben konnten. Da sassen sie, wie die Recruten in der Schule, auf langen Biinken: in der ersten Reihe der hohe Gerichtshof, bestehend aus dem Prasidenten und sechs Beirathen, auf den drei Flinterbanken aber die knezi des Kreises. Rechts von der ersten Bank hockte bei einem Tischchen der Gerichts- schreiber Vlada. Den Saal fiillten zum weitaus grdssten Theile die Burger 281 der Stadt Schabaz aus. Der griine Tisch glanzte durch seine Abvvesen- heit. Wozu auch ein Tisch, da weder Acten noch Schreibmaterial vor- handen waren. Ich iiberflog das hohe Gericht mit einem Blicke. Es waren durchwegs Bauern mit rohem Gesichtsausdruck und blutliisternen Augen; Leute, die unter tiirkischer Herrschaft von Raub und Mord lebend, jahrelang mit dem Wolf und dem Baren das Waldquartier theilten; Miinner, die mit Vatagan und Steingewehr wohl umzugehen wussten, von der Rechtspflege aber nicht den blassesten Begriff besassen. ,,Wie nennst Du Dich?“ fragte mich der Vorsitzende. ,,Peregrin Gorjanski! 1 * „Du bist des Menschenraubes angeklagt, was hast I)u darauf zu erwidern?“ „Wer lclagt mich dieses Verbrechens an?‘‘ „Ich, das heisst das Gericht. 11 „Ich meine fiir ein so schweres Verbrechen als das meinige in den Augen des hohen Gerichtshofes ist, hatte sich schon der Miihe gelohnt, einen Ankliiger zu bestellen 11 , ervviderte ich mit scheinbarem Ernst. „Da- durch hatte sich das hohe Gericht einen nicht unbedeutenden Theil der Arbeit erspart. 11 „Antwo'rte Du ganz einfach auf meine Prage, alles Uebrige geht Dich nichts an!“ knurrte mir der Gerichtsprasident entgegen. ,,Wohlan, meine Herren, so belieben Sie auch meine Worte zu hdren. Ich bestreite zwar die Competenz dieses Gerichtes, in meiner Sache ein Urtheil zu fiillen, will aber dennoch auf die an mich gestellte Prage ant- worten. Ich — 11 Weiter sprcchen konnte ich nicht. In dem Gerichtssaale entstand ein so vviister Larm, dass die Wiinde zu wanken schienen. Und vranam? Weil ich die Competenz des Gerichtes bestritt. Mehrere Richter und Orts- iilteste ballten die Fauste und vvollten sich auf mich stiirzen. Die mich umstehenden Panduren hatten grosse Miihe, mich vor Thatlichkeiten seitens des Gerichtscollegiums zu schiitzen. Nun sah ich recht deutlich. was ein ohne geniigende geistige Unterlage emporgehobener Bauer ist. Er streift alles Menschliche ab und sinkt zu einem blutdiirstigen Raubthiere herab, vvelches nach jahrelanger Gefangenschaft den Zvvinger durchbricht, die Freiheit erlangt und seiner vvilden Vernichtungsgier vvieder alle Ziigel schiessen liisst. „Hat man schon so etwas geh6rt!“ keifte Vojin Adamovič. „Anstatt die Milde des Gerichtes anzuflehen, macht sich der freche Menscli iiber die Miinner, die auf Anordnung des Gospodar hier versammelt sind, lustig. 11 Ich vvollte dem Manne eine herausfordernde Antwort geben, besann mich jedoch eines Bessern. Solite ich mich mit der rohen Bande noch liinger hefumschlagen ? Es ware fiir jedes Wort schade gewesen, deshalb ging ich sogleich zur Hauptsache iiber und sagte, zu dem Vorsitzenden gewendet: ,,Ich halte meine Aussage vollinhaltlich aufrecht und lasse mich von ■euch weder richten noch verurtheilen. 1 ’ „Warum nicht, wenn ich fragen darf ?“ „Weil mein Consul hier nicht anvcesend ist.“ 282 Tableau! Die Gerichts-,,Herren“ offneten ihre unteren Gesichtshohlen kiefervveit, als ob sie mich verschlingen wollten. „Was ist das, Consul ? a fragte ein breitknochiger Bauer aus der zweiten Bankreihe. Bei dieser Frage richteten sich die Blicke der meisten Anwesenden auf den Priisidenten. Es war an ihm, diese hochwichtige Frage zu beant- worten. Eitles Hoffen! Er sah eine Weile zu Boden, dann aber wandte er sich mit einem bittenden Blick an den Schreiber. Dieser verstand ihn und erwiderte in seinem Namen. ,,Der Consul ist der Vertreter seines Kaisers bei unserem Gospodar.“ Dieser Aeusserung folgte eine ziemliche Stille. Vojin Adamovič, mein verbissenster Gegner, war der erste, der sich ermannte. ,,Glaubst Du vielleicht' 1 , fragte er mich in sarkastischem Tone, ,,dass Du, vveil Dein Consul nicht amvesend ist, deshalb vielleicht straflos aus- gehen \virst ?“ „Das habe ich weder gedacht, noch gesagt, sondern nur behauptet, dass ihr mich in seiner Abwesenheit nicht verurtheilen konnt. l< „Ist das auch wahr, pisar Vlada ?“ fragte er sodann den Schreiber. Der gute Mann blieb die Antwort schuldig. Er verstand vvohl ziem- lich verstiindlich zu schreiben, alles iibrige Wissen dagegen \varen ihm spanische Dorfer. Um den Fortgang zu beschleunigen und der peinlichen Situation, in der sich mein gewesener Amtsgenosse befand, ein Ende zu machen, musste ich eingreifen und sagte : „Der pisar Vlada weiss das vielleicht nicht, weil er noch ein Neuling ist, aber Peter, der liingere Zeit in Belgrad diente, muss es wissen.“ ,,Das kann wohl sein", meinte der Prasident, „aber er ist krank.“ „Wird nicht so arg sein mit seiner Krankheit, denn ich habe ihn Sonntag auf der Strasse gesehen." Der Schreiber Peter war ein sujet perdu; die Flasche war sein Ab- gott. Aus diesem Grunde wurde er von Belgrad nach Schabaz strafweise versetzt. Ware er ein Gerichtsrath oder sonst ein hoher Beamter ge\vesen, so hatte man ihm schon langst den Laufpass gegeben, vveil er aber ein Schreiber war, musste man ein Auge zudriicken. Nach einer geraumen Weile erschien Peter, noch gestrig oder vor- gestrig, in dem Verhandlungssaale und bestiitigte meine Aussage vollinhaltlich. „Aber warum hast Du uns dariiber nicht friiher aufgeklart?" kreischte der Vorsitzende. „Hat mich denn Jemand darum gefragt?“ ervviderte der Schreiber piquirt. ,,Weil Du nie im Amt bist!“ ,,Die Panduren vvissen um meine Wohnung recht gut! Dass ich dem Amte fern bleibe, ist leider vvahr, allein daran triigt meine Krankheit die Schuld. Uebrigens ist diese mit Oesterreich abgeschlossene Uebereinkunft von so grosser Wichtigkeit, dass sie jeder, auch der beschrankteste Richter, kennen solite." ,,Aber was sollen wir mit ihm thun?“ fragte der Vorsitzende, der die seitens des Schreibers dem Gerichtshofe entgegengeschleuderte Beleidigung nicht zu beachten schien. 283 ,,Was ihr mit ihm thun solit? Nach Belgrad miisst Ihr ihn schicken, was sonst? Ihr miisset ihn unmittelbar dem Gospodar selbst einliefern, was er dann mit ihm macht, ist seine Sache. Sprachs und verliess triumphirend den Saal; ihm folgten mehrere andere Zuhorer. Der vSchleier war entzweigerissen, mein Process fiel, fiir Schabaz wenigstens, in nichts zusammen. Die Richter warfen sich gegen- seitig iingstliche Blicke zu. Ein lihnlicher Gerichtsfall war seit dem kurzen Bestande des Fiirstenthnms noch nicht vorgekommen, oder kannte der be- treffende Angeklagte die Rechtswohlthat des Uebereinkommens nicht. „Also gut“, sagte der Gerichtspriisident nach einer Weile mit tonloser Stimme, ,,ich werde Dich morgen nach Belgrad escortiren lassen.“ ,,Warum morgen ? Wir haben nicht einmal Mittag, also kdnnen wir heute noch ziemlich weit kommen." ,,Meinetwegen, also nach einer Stunde.“ ,,Je friiher, desto besserA „Abfiihren!“ befahl er sodann. „Ich lasse mich in den Kerker nicht mehr abfiihren", protestirte ich mit Nachdruck. ,.Warum nicht ?“ „Weil ich kein Verbrecher bin und gewiss nicht durchgehen werde! Ich habe beim Klein noch meine Rechnung zu begleichen und nothwendig mit ihm zu sprechen, deshalb wirst Du die Giite haben, mich dorthin von zwei Panduren begleiten zu Iassen.“ Ich wusste, dass er meinem Ansuchen willfahren werde. Ich hatte dem Gerichtshofe das Pleft aus der Hand gerissen, also war ich gewisser- massen Herr der Situation. Iliitte er sich gegen die Erfiillung meiner Bitte gestraubt, so ware ich mit groberem Geschiitz aufgefahren. Anstatt der Antwort nickte er mit dem Kopfe bejahend, worauf ich, nur von zwei Panduren begleitet, den Gerichtssaal verliess. Vierzehntes Capitel. Milosch Obrenovič I., Fiirst von Serbien. Untejrvvegs bildete sich um uns ein so dichter Menschenknauel, dass wir nur mit Muhe und langsam weiterkommen konnten. Die feindselige Haltung der Volksmassen gegen mich war zwar theihveise gewichen, die Neugierde aber hielt ungeschwacht an. Einige liefen uns voraus, um sich im Klein’schen Gasthause ein Platzchen zu sichern. Dieses Gliick war jedoch nur wenigen Sterblichen zu Theil, denn die beiden ebenerdigen fiir die Gaste bestimmten Raume konnten hdchstens dreihundert Personen 284 fassen, selbst wenn diese dichtgedrangt nebencinander standen. Aber auch diese hatten die Rechnung ohne mich gemacht. Auf dem Platze ange- kommen lenkte ich nach rechts ab, erreichte das Gasthaus durch das Hinter- thor und schliipfte in das erste beste Fremdenzimmer hinein. Das Zimmer war klein, zudem hatte ich zwei Panduren um mich, also konnten nur wenig Personen Einlass erhalten. Unter den ersten, die mich besuchen kamen, war der Schneider Franz. „Habe ich heute morgen recht gehabt oder nicht, als ich von der Abreise sprach?“ fragte ich den Nadelfiihrer bei seinem Eintritt. „Ei freilich haben Sie recht gehabt", enviderte Franz mit vor Freude zitternder Stimme. „Gottlob, dass es so gekommen ist!“ „IIaben Sie meine Siebensachen zusammengepackt?“ „Noch nicht, ich werde es aber gleich thun. Ich konnte an die Moglichkeit Ihrer Freilassung nicht glauben, deshalb beeilte ich mich nicht." „Sie ir;ren, wenn Sie glauben, dass ich frei bin. Mit meiner Escor- tirung nach Belgrad tritt der Process erst in das richtige Stadium." „Aber dort ist unser Consul, der Sie schiitzen wird, also haben Sie nicht viel zu befiirchten." „Das glaube ich auch." Wahrend dieses kurzen Zvviegespraches sah ich die alte Angja an der Thiir vorbeihuschen. Niemand beachtete sie. Ich wusste, dass sie mit mir sprechen will und sandte, da ich mich ohne Bewachung aus dem Zimmer nicht entfernen konnte, Franz hinaus, um mich von ihm vertreten zu lassen. „Das bewusste Miidchen lasst Sie griissen und fragen, \vie Sie liber die Angelegenheit denken", sagte der Schneider in deutscher Sprache zu mir, als er nach wenigen Minuten zuriickgekehrt war. Meine Wachter hatten von dem Inhalte unseres Zvviegespraches keine Ahnung. „Sagen Sie der Alten, dass ich an meinem Entschlusse unverriickbar festhalte und mein dem Madchen verpfandetes Mannesvvort nach der Be- endigung meines Processes sogleich einlosen werde. Bis zur Losung des Knotens soli sie auf Gott vertrauen und entschlossen ausharren." Franz verliess das Zimmer, um sich seines Auftrages zu entledigen, dann eilte er aber in meine Wohnung, um meine I Iabseligkeiten abzuholen. Kaum war der Schneider fort, als der Oberpandur mit einem um den Hals geschlungenen Strick eintrat und mir aufzustehen befahl. „Weshalb soli ich aufstehen?" fragte ich ihn. „Damit ich Dir am Riicken die Hande zusammenbinde." „Du willst mir die Hande am Riicken zusammenbinden ? Auf vvessen Befehl ?“ „Des Kreisgerichtsprasidenten.“ „Sage Du demjenigen, der Dich mit diesem Auftrage hierher geschickt hat, dass ich mich nicht binden lasse, sondern als freier Mann den Weg antreten werde. Steht er von seinem unsinnigen Verlangen nicht ab, so werde ich einen Reitboten an meinen Consul und an den Gospodar schicken, bis zu seiner Riickkehr aber vcieder in die Kerkerzelle zuriick- kehren. Aber dann soli es ihn gar nicht vrundern, \venn er auf Urlaub geschickt vvird. Ich bin kqin Verbrecher, also lasse ich mich auch nicht 285 binden. Trachte fiir mich ein starkes Pferd auszusuchen, denn dasselbe muss nicht nur mich, sondern auch mein Gepack tragen.“ „Ein Pferd ?“ fragte der Pandur mit tonloser Stimme. „Gewiss! Oder glaubst Du vielleicht gar, ich werde den Weg von zwanzig Marschstunden durch das Kothmeer zu Fuss zuriicklegen? 11 Der Diener stand unschliissig vor mir und glotzte mich an. Mein Verlangen hatte sein Denkvermogen bedenklich aus dem Gleichgewicht gebracht. Er kannte sich in seiner Lage nicht mehr aus. „Was stehst Du wie ein Meilenzeiger da?“ sagte Klein, welcher der Scene angewohnt hatte. „Gehe fort und richte dem Kreisvorstande die Botschaft aus. Das Weitere ist dann seine Sache.“ Der Oberpandur befolgte den Rath des Gastwirthes und entfernte sich. In Serbien werden den unter dem Strafprocesse stehenden Personen vor der Escortirung die Hiinde auf dem Riicken zusammengebunden, aber nicht an den Gelenken, sondern ober den Ellbogen, wodurch das Marschiren wesentlich erschwert vvird. Hier hatte ich noch zu erklaren, was auf Urlaub schicken bedeutet, werde jedoch im Verlaufe dieses Capitels an einer passenderen Stelle darauf zuriickkommen. Nach etwa einer halben Stunde erschien der Oberpandur mit vier Gehilfen neuerdings in meinem Zimmer und erkliirte, dass nun alles meinem Wunsche gemiiss bereit sei. Ich hatte keinen Grund mehr, die Reise zu verschieben, deshalb nahm ich von meinen Freunden und Bekannten Ab- schied und wir bestiegen die im Hofe auf uns wartenden Pferde. ,,Bruder Marjan, ich zalile heute Abends fiinf oka Wein, wenn wir durch die Stadt im Galopp reiten“, sagte ich zum Oberpandur, \vahrend wir uns in die Siittel schwangen. „Meinetwegen“, enviderte er und sprengte aus dem Hofe, wir ihm nach. Die vor dem Gasthause versammelte, nach Hunderten zahlende Volks- menge stob unter Liirm und Geschrei nach allen Richtungen auseinander. Wir sprengten im gestreckten Galopp davon und ritten, ehe sich die Zu- schauer recht versahen, durch das Belgrader Thor hinaus. Es war aber auch die hochste Zeit, dass wir uns auf den Weg machten, denn die Sonne hatte sich bereits tief gegen Westen geneigt. Als wir die Stadt im Riicken hatten, setzten wir den Marsch im Schritttempo fort. Der Weg war sehr schlecht, daher schvver passirbar. Knietiefe Wasserlacken \vechselten hartgefrorenen Erderhohungen ab. Wir hatten kaum das zweite Dorf erreicht, als uns die Nacht iiberraschte und dort zu iibernachten nothigte. Ich hielt mein Wort und bezahlte meinen Wachtern die versprochenen fiinf oka Wein, welchen noch andere fiinf folgten. Die Strasse zivischen Schabaz und Belgrad schliingelt sich ihrer ganzen Liinge nach liings dem Saveufer dahin. Bei meinen Wachtern hatte der starke Rebensaft gut gewirkt. Sie schliefen der Reihe nach ein und iiber- liessen die Wache iiber mich wahrscheinlich meinem Schutzengel. Ich hiitte leicht entfliehen konnen, allein meine Flucht hiitte mir, da ich in jener Gegend unbekannt war, keinen Vortheil gebracht. Zudem verliess ich mich auf meinen guten Leitstern, der mich bis dahin stets noch rechtzeitig der Gefahr entriss und wieder auf den rechten Weg brachte. Der folgende Tag verlief ohne irgend welches nennensvverthes Ereigniss. Gegen Abend 286 errcichten wir das Stiidtchen Palež *), ivo raich der pflichteifrige kapetan mit der Einrichtung der dortigen Gefangnisse bekannt machen wollte. Es bedurfte eine gehdrige Menge Widerspriiche meinerseits, um seinen Gehirn- kasten \vieder in die normale Lage zu bringen. Am dritten Tage erreichten wir gegen Mittag die Hauptstadt des jungen Fiirstenthumes. Der konak des Fiirsten**) Milosch, welcher sich ausserlich von einem Biirgerhause der osterreichischen Kleinstadte in nichts unterscheidet, steht auf dem Domplatze. Dorthin lenkten wir unsere Reit- thiere. Zu meinem grossen Unmuth war Fiirst Milosch nicht zu Hause, sondern in Kragujevac, seiner ersten Residenz. „Warum hast Du ihn nicht gefesselt?“ fragte den Oberpandur eine edle Seele, die den Majordomus vorzustellen schien. „Ich habe nicht diirfen", enviderte der Gefragte. „Warum nicht ?“ „Weil er es nicht duldete. 11 „Armes Serbien!“ seufzte das ochseniiugige Hausmobel des ersten Fiirsten von Serbien. „Nun will ich es probiren.“ Bei diesen Worten niiherte er sich mir mit einem fingerdicken Lasso in der Hand, jedenfalls in der Absicht, mir denselben um den Hals und mich dann zu Boden zu werfen. Ich liess ihm jedoch keine Zeit dazu, sondern versetzte ihm, bevor mich der Oberpandur daran hindern konnte, einen so gewaltigen Stoss auf die Brust, dass er mit einem lauten Aufschrei auf den Riicken fiel und sich weiter nicht mehr riihrte. Ich erschrak liber meine That lieftig, allein daran war nichts mehr zu iindern. Die Verwirrung, die in Folge dessen in derVorhalle des konak ent- stand, beniitzte ich zur Flucht und erreichte mit \venigen Siitzen den Dom- platz. Wohin ? In die Stadt durfte ich nicht, denn dort hiitte man mich zweifelsohne eingefangen. Der Domplatz miindete im Westen gegen Kalimegdan, wo ich bei meiner Escortirung ein tiirkisches Bataillon exer- ciren sah, aus. Dieser Exercirplatz stand mit der von ciner starken tiirkischen Garnison belegten oberen Festung in Verbindung. Wollte ich meine Flaut retten, so musste ich mich unter tiirkischen Schutz stellen. Es gelang mir mit knapper Noth, meine Absicht zu erreichen. Ware mir ein tiirkischer Officier, der meine Noth sah, nicht entgegengelaufen gekommen, so ware ich verloren gewesen, denn meine Verfolger varen mir bereits auf den Fersen. Vor den Commandanten gestellt, erziihlte ich, vas man in der Hof- burg mit mir vorhatte und bat ihn, den osterreichischen Consul von dem Falle zu verstandigen. Der General ging auf mein Ansuchen um so lieber ein, da es galt, nicht nur der einstigen tiirkischen rajali, d.en Serben, sondern auch dem stolzen und rechthaberischen Fiirsten Milosch selbst ein Schnippchen zu schlagen. Die Tiirken konnten namlich den Sieg der Christen liber den Halbmond nicht ver\vinden, deshalb suchten sie die Serben auf alle erdenkliche Art und Weise zu iirgern. Nach ungefahr einer Stunde erschien auch der Dragoman des oster- reichischen Consulates, von z\vei lcawasi begleitet, in der Festung und *) Gegenvvilrtig Obrenovac. **) Jetzt Kassationshof. 287 brachte mich in Sicherheit. Der Consul, Graf B . ein noch jungerMann, lachte viher meine in Bosnien und Serbien erlebten Abenteuer aus vollem Ilalse undversprach mir, zu meinem Fortkommen sein Mogliches beizutragen. „Sie haben von dem Fiirsten gar nichts oder im schlimmsten Falle sehr \venig zu fiirchten“, sagte er zu mir, ,,aber ich muss Sie ihm dennoch ausliefern. Sobald er zuriickkommt, \verde ich zu ihm gehen und den Weg fiir Sie vorbereiten.“ Um die Zeit todtzuschlagen, ersuchte ich ihn ara folgenden Morgen um irgend eine Beschaftigung und wurde wahrend der ganzen Zeit in der Consulatskanzlei als Schreiber verwendet. Nach fiinf langen Tagen kehrte Milosch aus Kragujevac zuriick, allein der Consul stellte sich so, als ob er um dessen Riickkehr gar nicht gewusst hiitte. Am sechsten Tage wagte ich ihn darauf aufmerksam zu machen. „Lassen Sie nur gut sein“, ervviderte er, „mein Zdgern hat seinen Grund. Milosch ist ein aufbrausender Mensch, der sich in der ersten Auf- wallung nicht bemeistern kann und in diesem Zustande oft Handlungen begeht, die er spater bereut, aber nicht mehr ungeschehen machen kann. Schliesslich kann man auch nicht \vissen, in welchem Kleide ihm Ihr Be- nehmen dargestellt \vurde. Wir miissen daher abwarten, bis sein Groll verraucht.“ Gegen Mittag des folgenden Tages verfiigte sich Graf B. in den konak und kehrte erst nach zwei Stunden zuriick. „Sie werden gehenkt, ich kann, Ihnen nicht helfen I! , sagte der Consul, als er zuriickkam, konnte sich dabei aber nicht des Lachens ervvehren. ,,Aber hoffentlich nicht gleich“, erwiderte ich ebenfalls mit liichelnder Miene. „Das hoffe ich auch, allein ohnc Blitz und Donner wird es doch nicht abgehen.“ ,,Das beunruhigt mich nicht, sobald ich die Gewissheit habe, dass es nicht einschlagen wird.“ Der Consul erzahlte mir sodann, wie der Fiirst anfangs beleidigt that, schliesslich zu der Geschichte aber selbst lachte. — Endlich riickte der grosse Tag, an dem ich vor Serbiens hochsten Richter gestellt werden solite, heran. Ich muss gestehen, dass ich. obvvohl ich mich seitens des Consuls des vollsten Schutzes erfreute, den konak des Fiirsten mit Bangen betrat. „Nur Muth, mein Lieber", hatte der Consul im Vorsaale zu mir gesagt. „Antworten Sie auf seine-an Sie gestellten Fragen.ohne Furcht, aber stets der Wahrheit entsprechend. Es ist sogar moglich, dass er Ihnen eine Anstellung im konak antragt.“ „Und was soli ich in diesem Falle thun?“ „Den Antrag bedingungSlos annehmen. Dadurch erweisen sie auch mir einen grossen Dienst, denn ich habe in der Umgebung des Fiirsten keinen Menschen, auf den ich mich verlassen konnte, eine Vertrauensperson im konak ist mir aber gerade jetzt um so nothwendiger, da es dort zu gahren und zu brodeln angefangen hat und die Suppe demniichst iiber- schaumen konnte.“ Bei den letzten Worten des Consuls erschien ein Diener oder Beamter in der Thiir und winkte uns einzutreten. Fiinf Schrittc und ich stand vor 288 dem Allgewaltigen des jungsten Fiirstenthumes r on Europa. Ein leiser Schrecken durchzuckte mich. Fiirst Milosch war hoch von Statur, breit- schultrig, hatte buschige Augenbrauen, unter denen ein durchdringend stechendes Augenpaar ruhte. Den breiten Mund iiberschattete ein struppiger Schnurrbart. Der Gesammtgesichtsausdruck war der Wiederspiegel seiner Seele: Willkur, Hochmuth und Verschlagenheit. Er mass mich eine Weile mit seinem durchbohrenden Blicke, dann aber donnerte er mich an: ,,Bist Du der madchenraubende Schreiber von Schabaz?“ ,,Erlauchter Fiirst, ich war wohl Schreiber in Schabaz, allein von einem Madchenraub ist mir nichts bekannt,“ erwiderte ich. ,,So, nichts bekannt ? Und \vem hat man eine gewisse Ljubica Stojanovič, bei deren Stiefmutter ein Kreisgerichtsschreiber, namens Peregrin Gorjanski, wohnte, in der unmittelbaren Nahe der Save abgejagt?“ „Mir, Gospodar, allein jenes Madchen habe ich weder rauben noch in unehrlicher Absicht entfiihren, sondern als mein Weib heimfuhren wollen, um es vor der Gewalt gewissenloser Menschen schutzen zu konnen. Wenn ich die Wahrheit bekennen soli, so clarf ich nicht verschweigen, dass ich durch meine beabsichtigte Verehlichung mit Ljubica, ein Opfer brachte, da ich gerade jetzt weniger ans Heirathen dachte, als jemals in meinem Leben. a „Also erziihle mir die Geschichte von allem Anfange an, aber kurz und aufrichtig.“ Ich kam dem Befehle des Gospodar nach und erzahlte ihm den ganzen Hergang, ohne in demselben irgend etwas zu verblumen. Zu meiner grossen O O' o o Freude bemerkte ich, dass sich das Gesicht des Despoten immer mehr erhellte. Zum Schlusse spielte ich die bedeutendste Karte aus. ,,Abgesehen von der Unredlichkeit, von welcher sich die in jene Handlung verwickelten Personlichkeiten leiten liessen“, so schloss ich meine Vertheidigungsrede, „wiirde dem Madchen auch hinsichtlich der Lebens- aufgabe ein grosses Unrecht geschehen . . .“ „Wieso ?“ fiel mir Milosch in die Rede. „Das Madchen ist gut entwickelt und kerngesund, der demselben aufgedriingte Briiutigam dagegen krank an Leib und Knochen. Glaubst Du, erlauchter Gospodar, dass ein solches Ehepaar eine von Dir gewiinschte gesunde und kraftige Nachkommenschaft erzeugen kann ? Der Schwer- punkt liegt diesbezuglich, wie Du selbst weisst, in dem Manne.“ ,,Darin _hast Du wohl recht“, erwiderte Milosch mit lachelnder Miene. „Ich weiss nun genug und kann Dir nicht unrecht geben. Nun aber eine andere Frage. Mochtest Du nicht bei mir bleiben? Solche Leute kann ich sehr gut brauchen.“ ,,Erlauchter Fiirst, ich habe keine Heimath; wenn Du Dich meiner anzunehmen die Gewogenheit haben willst, so werde ich alle meine Kriifte anspannen, um mich Deiner hohen Gnade wiirdig zu zeigen. Bevor ich jedoch meine schvvache Schaffenskraft zu Deiner Verfiigung stelle, erlaube ich mir eine zweifache Bitte an Dich zu richten.“ „Lass horen!“ ,,Ich mochte das Madchen unter allen Umstanden aus den Krallen jener lieblosen Menschen befreit wissen.“ 289 „Das wird ohnehin geschehen, denn ich will vor Allem mit dem Milan die Vormundschaftsrechnung durchsehen. Bei dieser Gelegenheit werde ich auch das Miidchen hierherkommen lassen. Was liegt Dir noch am Herzen ?“ „Die menschenunwiirdige Behandlung Seitens eines Deiner Diener wahrend Deiner Abwesenheit. Man wollte mir in Deinem konak, \vo der letzte und verworfenste Zigeuner des Fiirstenthumes Schutz und Zuflucht zu suchen berechtiget ist, wie einem widerspanstigen wilden Thiere den Lasso um den Hals werfen, ohne dass dazu der geringste Grund vorhanden war. Ist es nicht traurig, dass sich ein Christ aus dem konak des Fursten von Serbien zu den Tiirken fliichten muss, um sein Leben zu retten ? Ich — — “ „Genug davon!“ unterbrach mich Milosch mit zorniger Stimme. „Der Herr Consul hat mir von dem Schurkenstreiche erzahlt und ich habe nicht gesaumt, das zu thun, was ich als Fiirst und Mensch thun musste. Das \vare also in Ordnung; hast Du noch ein Anliegen?“ Ich verbeugte mich vor dem gervaltigen Manne zum Zeichen, dass ich ihn um nichts mehr zu bitten habe. „Ich gebe Dir zwei Tage Urlaub, damit Du Dich in unserer arm- lichen Residenzstadt ein wenig umsehen kannst. Brauchst Du einen Fiihrer, so wahle Dir nach Belieben einen meiner Gardisten aus, die Kerle haben ohnehin nichts zu thun.“ Die Audienz war zu Ende und wir wandten uns zum Gehen. Milosch presste meine Rechte mit seiner grossen sehnigen Hand zusammen, dass ich nur mit Muhe einen Aufschrei unterdriicken konnte. „Ich werde fiir Sie in der Nahe des Consulates eine Wohnung finden lassen, damit wir um so leichter miteinander verkehren kbnnen“, sagte auf dem Heimwege der Consul zu mir. Am folgenden Tage besuchte ich die Stadt, beziehungsvveise die Ruinen derselben. Belgrad hatte als Orientschlussel im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert durch die fast ununterbrochenen Kampfe um den Besitz desselben mehr gelitten, als irgend eine andere Stadt. Zu derselben Zeit herrschten darin schon ziemlich geordnete Verhaltnisse, allein dessen- ungeachtet hielt man, solange in der Festung eine starke tiirkische Garnison lag, die Lage als unsicher. Aus diesem Grunde wohnten die Belgrader ausschliesslich in Nothbauten, mitunter auch in den Ruinen und unter- irdischen Raumen. Man vvusste am Morgen nie, wie der Tag enden, Abends nie, was die Nacht bringen werde. Unter den Ruinen fand ich nur eine von einiger Bedeutung und zwar die piringjana oder das Prinzen- haus *). Dieses Gebiiude wurde von dem Prinzen Eugen erbaut und von 1717.39 bewohnt. Die Ruine 1 ; deren Vorderfront vollkommen erhalten ist, steht in der Donauvorstadt oder auf dem sogenannten Dortjol. Eine Riickerinnerung bildet auch die Laudonschanze, so genannt nach dem be- riihmten osterreichischen Feldherren Grafen Laudon, der im Jahre 1789 die Tiirken aus Belgrad vertrieb. — Nach Ablauf meines Urlaubes meldete ich mich im konak zum Dienstesantritt und wurde der Hofkanzlei zugetheilt. Bald darauf erschien *) An dicscr Stelle wurdc im Jahre 1889 von dem Konige Alexander der Grundstein zum Vereinshause: Der Heil. Sawa gelegt. 19 •290 auch Milosch mit einem Pack Briefe, setzte sich zu meinein Tische und hiess mich, ihm den Inhalt der Correspondenzen vorlesen. Er selbst war sein Leben lang analphabet. In fremden Sprachen verfasste Briefe mussten entgegen iibersetzt werden, wozu eine ge\visse Fertigkeit in der betreffenden Sprache gehorte. War ein Brief durchgemacht, so dictirte er glcich die Antvcort, vvelche zuerst auf der Riickseite des betreffenden Schreibens skizzirt wurde, um spirter in der Reinschrift copirt zu werden. Fiir seine Unterschrift bediente man sich der Stamziplie, die seinen Namen trug. Wahrend wir in der besten Arbeit waren, erschien in der Hofkanzlei ein Gardeofficier, stelltc sich in Positur und sagte: „Erlauchter Gospodar, wir konnten nur einen Theil Deiner Anordnung ausfiihren.“ „Warum?“ fragte Milosch mit ernster Miene, wahrend er die buschigen Augenbrauen zusammenzog. „Das Madchen ist vorigen Sonntag unmittelbar vor der Trauung in der Kirche an Herzschlag gestorben, ihre Stiefmutter ist aber in Folge dessen erkrankt und ist derart leidend, dass sie der Arzt als untransportabel erklarte. Das Madchen \vurde gestern begraben.“ Mir versetzten die Worte des Officiers einen Stich in’S Herz. lis \varen unzweifelhaft meine Braut und ihre Stiefmutter, von denen er sprach. „Und die beiden Halunken? 11 fragt Milosch weiter. „Stehen im Vorsaale. Soli ich sie hereinfrihren? 11 „Natiirlich!“ Der Officier versch\vand in der Thiir, erschien aber schon in dem nachsten Augenblicke mit zwei Jammergestalten in der Hofkanzlei wieder. „Sind es die richtigen?“ fragte er mich, auf die gefesselten Miinner \veisend. Ich betrachtete die beiden Gefangenen. Der Schrecken hatte ihre Gesichter derart entstellt, dass ich sie kaum zu erkennen vermochte. „Vor AUem einem Jeden fiinfzig ,Heisse‘*), dann aber in‘s Loch mit ihnen: jetzt habe ich keine Zeit, mich mit solchem Pack zu besch;iftigen“, befahl Fiirst Milosch, nachdem ich seine an mich gestellte Frage bejaht hatte. „Es wird geschehen, Gospodar 11 , erwiderte der Officier und verliess mit den beiden Gefangenen die Hofkanzlei. Mir presste der Schmerz die Brust zusammen; ich konnte, so sehr ich mich auch bemiihte, die Thranen nicht zuriickhalten. „Mache Dir nicht soviel daraus, in Belgrad gibt es schone und ge- sunde Madchen in reicher Auswahl“, trostete mich der Bhirst. „Als Hof- beamter kannst Du in den angesehensten Hausern als Brautigam auftreten, Niemand wird Dir einen Korb geben.“ „Ich danke Dir, erlauchter Gospodar, fiir Deine vaterlichen Trostworte“, erwiderte ich, „aber nicht ein jedes Madchen ist so gut als Ljubica war.“ „Hierin hast Du wieder recht. Lass Du Deine Arbeit fiir heute. Laza“, sagte er dann zu einem jungen Beamten gevvendet, „lass einspannen und fahre mit Deinem neuen Collegen nach Toptschider, nach. Rakowiza**) oder wohin Du willst und trachte ihn nach Moglichkeit zu zerstreuen. Ihr konnt den ganzen Tag ausbleiben.“ *) Stockpriig^el. **) Lustschlosser des Fiirsten Milosch in der Umgebung von Belgrad. — 291 — Ich verbeugtc mich vor dem Fiirsten und verliess mit ineinem Amts- genossen den konak. Ljubica hatte Wort gehalten, Sie war, bevor sich der raudige Nastas ihres Besitzes riihmen konnte, gestorben. Armes Kind! Mich packte ein wilder Schtnerz. Warum war das Schicksal so grausam mit mir? Meine erste Braut entriss mir die mit der Gewinnsucht verbundene menschliche Herzlosigkeit, Danica musste der Eifersucht der dilber-ZoraVda geopfert \verden, ohne dass letztere dadurch einen Vortheil gewann und Ljubica theilte das Schicksal mit Aglae, aber mit dem Unterschiede, dass erstere sterben musste, wahrend Aglae am Leben blieb und noch immer hoffen konnte. Ich solite mich nach den Worten des Fiirsten nach einer anderen Braut umsehen! Um nichts in der Welt! Dreimal war meine Hoffnung zerstort, es war genug des grausamen Spieles. Ich nahm mir fest vor, kein weibliches Wesen, gleichviel ob jung oder alt, ob schon oder nicht schon, mehr anzuschauen und hielt an meinem Entschlusse fest, wenigstens in Serbien. Meine Thatigkeit in der fiirstlichen Hofkanzlei hatte zwar schlecht begonnen, aber die Urlaubsertheilung an demselben Tage that mir dessen- ungeachtet sehr wohl. Unter dem frischen Eindrucke eines unverhofft hereinbrechenden Schmerzes irrt der Gedankengang von dem richtigen Wege ab, auch der Schaffensgeist erlahmt. Von dem Ausfluge heimgekehrt suchte ich den Officier, der das zur Verhaftung des gewesenen Vormundes meiner verstorbenen Braut, sowie deren Stiefmutter und des Vaters des raudigen Nastas nach Schabaz ge- sandte Piquet befehligte, auf und ersuchte ihn um nahere Auskunft iiber den Tod des Madchens. „Die Geschichte ist kurz aber traurig“, begann der Officier. „Kaum waren die Fanduren nach Schabaz zuriickgekehrt, als sich auch schon das Geriicht von Deiner angeblichen in dem fiirstlichen konak begangenen Gevcaltthatigkeit und der damit im Zusammenhange stehenden Flucht unter tiirkischen Schutz mit Windeseile durch die Stadt verbreitete. Deine Gegner beniitzten diese giinstige Gelegenheit und liessen am folgenden Tage durch einen unbekannten Mann, den sie \vahrscheinlich auf der Landstrasse ge- kentert hatten, die Nachricht verbreiten, die Tiirken hatten Dich in kleine Stiicke zerhauen, Deinen Kopf aber aufgespiesst und auf der Festungs- mauer zur Schau ausgestellt. Hierauf wurden die Angriffe auf das Miidchen von neuem aufgenommen; Ljubica, von allen Menschen verlassen, konnte nicht langer widerstehen und ergab sich willenlos; aber Gott hat es nicht haben wollen . . . .“ * * * Nun solite ich in der Schilderung meiner Erlebnisse in Serbien fort- fahren, sehe mich aber gendthiget, eine Pause eintreten zu lassen. Das Leben des ersten Fiirsten von Serbien ist in vielfacher Beziehung so interessant, dass ich nicht umhin kann, den geehrten Leser in gedriingter Kurze mit demselben bekannt zu machen. Dies erachte ich als um so noth- wendiger, da iiber den Begriinder der neuserbischen Herrscher-Dynastie im Westen sehr wenig bekannt ist und selbst dieses wenige meist auf Unwahrheit, oder doch auf Unvollstiindigkeit beruht. 19 * 292 In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lebte in der nahie*) von Požega im siidostlichen Theile des Vezirates von Belgrad und zwar in der Ortschaft Mittel-Dobrinja ein armer rajah, namens Theodor Mihajlovič. Er gehdrte keiner Familiengemeinschaft an, sondern \var ganz allein, ein Umstand der vermuthen lasst, dass genannter Theodor von auswiirts zuge- reist kam und sich in jenem Dorfe niederliess. Fur seine Armuth spricht die Thatsache, dass seine Braut, namens Višnja, Wittwe eines gewissen Obren aus Brusnica, zwei Knaben, Milan und Jakob, in der Familien¬ gemeinschaft ihres ersten Gatten zuriicklassen musste, und nur ihr altestes Kind, die Tochter Stana, in die zweite Ehe mitnehmen k'onnte, da ihr Brautigam alle Kinder nicht erhalten zu konnen erklarte. Der Ehe Theodors mit Višnja entstammten drei Kinder und zwar: Milosch (1780), der nachherige Fiirst von Serbien, ferner Jo\van (1787) und Jewrem (1790). Unterdessen war Stana zum Mšidchen herangereift und wurde an einen gewissen Sawa Nikolič in Brusnica verheirathet. In Folge dessen kamen die beiden Sohne der Višnja in das Haus ihres Stiefvaters in der Hoffnung, in demselben ein neues Heim zu finden und bei ihrer Mutter leben zu konnen. Die Armuth in dem Hause Theodors war jedoch so gross, dass er sie fortschicken musste, worauf sie sich bei ihrem Schwager Nikolič als Schvveine- und Rinderhirten verdangen. Bald darauf starb Theodor in Folge Ueberanstrengung seiner Korper- kriifte. Konnte das Ehepaar mit vereinten Kraften das tagliche Brod fur ihre drei Kinder kaum erwerben, so erwies sich die Schaffenskraft der Wittwe ganz und gar als unzullinglich. Aus diesem Grunde musste Milosch '1'heodorovič, als der alteste Sohn, ebenfalls das viiterliche Haus verlassen, um als Schweinehirt, spiiter aber als Knecht seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Grosser geworden verliessen auch Milan und Jakob Obrenovič das Haus ihres Schvvagers Sawa Nikolič und kehrten in die Familiengemein¬ schaft ihres verstorbenen Vaters zuriick. Milan \var ein aufgeweckter junger Mann, der hoher hinauf strebte. Er begann mit Hilfe einiger Gonner den Schweinehandel, Anfangs natiirlich im bescheidenen Umfange. Der junge Mann hatte eine gliickliche Hand und gelangte alsbald zu Ansehen und Vermogen. Wahrend sich Milan Obrenovič von Tag zu Tag mehr in die Hohe sch\vang, kugelte dessen Stiefbruder Milosch Theodorovič von einem Brod- herrn zum andern, bis er schliesslich in dem Hause des Gatten seiner Stief- sc.hwester Aufnahme fand. Es war aber auch dort nicht seines Bleibens. Er iiberwarf sich mit seinem Brodherrn und siedelte zu seinem Stiefbruder MiTan Obrenovič ebenfalls als Knecht liber. Um sein Gesinde zu ver- mehren, verheirathete ihn letzterer mit einem Madchen aus der Familien¬ gemeinschaft der Vukomanovič aus Srezojevič in der Rudniker nahie, Namens Ljubica. Um dem Geschiifte einen noch grbsseren Aufschwung zn geben, ver- band sich Milan Obrenovič mit einem reichen Tiirken Namens Pjorzuk zu gemeinschaftlicher Thatigkeit. Derartige Geschiiftsverbindungen sind in der Tiirkei nichts seltenes. Der arbeitsscheue und denkfaule Mohammedaner ‘) Kreis (ttirk.). 293 stellt dem schaffenswilligen Christen das nothige Geld zur Verfligung, der Gewinn wird zu gleichen Theilen eingestriclien und beide fahren gut dabei. vSolche Verbindungen bieten den Gesellschaftern aber noch einen andern wesentlichen Vortheil: die Triiger einer solchen Geschaftsfirma finden aus leicht erklarlichen Griinden sowohl bei den Mohammedanern als auch bei den Christen Schutz und freundliches Entgegenkommen. Als Georg Petrovič, spater gemeinhin Kara-Gjeorgje*) genannt, eben- falls ein reicher Schweinehiindler im Jahre 1804 im Jassenicaer Thale den Aufstand gegen die Tiirken organisirte, zahlte Milan Obrenovič bereits zu den angesehensten Mannern seines Ueimatkreises. Er schloss sich sogleich dem Aufstande an und wurde von seinen Landsleuten zum vojvoda**) des Kreises von Rudnik gewahlt. Bald darauf stellten sich auch die Kreise Užica und Požega unter sem Commando. Zu seinem Gehilfen ernannte er seinen Stiefbruder Milosch Theodorovič. Dem vojvoda des Rudniker Kreises gebiihrt auch das Verdienst, dass der von Georg Petrovič organisirte Aufstand nicht in allen Anfangen in nichts zerfloss, wie so viele andere friihere Versuche, welche die Wuth der Tiirken gegen die Christen nur noch steigerte. Als Kara-Gjeorgje nach der Sauberung des Jasenicathales von den Tiirken die feindliche Citadelle am Rudnik belagerte, erwiesen sich seine Streitkriifte als un- zulanglich. Eine Katastrophe war unverineidlich. Da, in der Stunde der hochsten Noth, erschien Milan Obrenovič mit achtzig Freiheitskampfern und verhalf auf diese Weise den Christen zum Siege. Milan Obrenovič blieb jedoch dabei nicht stehen, sondern hielt auch fernerhin mit den Auf- stiindischen tapfer mit. So kiiinpfte er in demselben Jahre bei Jagodina, 1805 bei Užica, 1806 bei Bratačič gegen die Tiirken. Im Jahre 1807 iiber- trug er das Commando iiber die Aufstiindischen seines Kreises seinem Stiefbruder Milosch, er selbst aber reiste in die Walachei, in das russische Lager, wo es ihm gelang den General Issajeff fur die serbische Sache zu gewinnen. Seit derselben Zeit blieb er ununterbrochen im russischen Lager als serbischer Geschiiftstrager, bis er im Jahre 1810 auf Anstiften Kara- Gjeorgjes von seinem eigenen Schreiber in Bucarest vergiftet wurde. Wiihrend der Abwesenheit Milans befehligte Milosch Theodorovič als provisorischer vojvoda die Heeresabtheilung des Kreises von Rudnik. Nach dem Tode Milans wurde er von dem Senate definitiv zum vojvoda eimannt. In diese Zeit fallt auch der Wechsel seines Familiennamens. Milosch hatte seine ansehnliche Stellung in erster Linie seinem Stiefbruder Milan zu verdanken. Aus Dankbarkeit dafiir legte er seinen Familiennamen Theodorovič ab, nahm jenen seines Stiefbruders an nnd hiess fortan Obrenovič. Das Gleiche befahl er seinen Briidern Jowan und Jewrem zu *) Kara-Gjeorgje wird allgemein mit Schwarzer Georg- iibcrsetzt, was ganz entschieden un- richtig ist, denn er war blond. Kara heisst in der tiirkischen Sprache wohl schwarz, aber auch ver- flucht und diese letzte Bedeutung ist hier ain Platze. Als im Jahre 1813 die Macht der Serben gebrochen wurde, suchten die christlichen Anfuhrer, unter ihnen auch das Haupt derselben, Georg Petrovič, in der Flucht ihr Heil- Petrovi£’s greiser Vater weigerte sich entschieden, nach Oester- reich iiberzusetzen und hielt sich an einem Baumstamm fest. Sein wegen seines wilden Naturells be- riichtigter und gefiirchteter Sohn gerieth darob in Wuth und durehbohrte mit dem Yatagan das Herz seines Erzeugers. Seine Mutter soli, als sie die Unthat erfuhr, ausgerufen haben: „Peter, du solist verflucht sein auf dieser Welt und im Jenseits!“ Seit derselben Zeit hiess Georg Petrovič Kara- Gjeorgje d. h. der verfluchte Georg. **) Heerfuhrer (slav.). 294 thun uncl ordnete gleichzeitig an, dass dieser Familienname auch von den Nachkommen unverandert' fortzufiihren sei. Milosch ehrte das Andenken seines Wohlthaters und Stiefbruders noch in anderer Weise. Als er spater Serbien in seine Geivalt bekam, Hess er den Sitz der Behbrden des Rudniker Kreises nach der Ortschaft Despotovica unweit Brusnica, die \vegen ihrer ungiinstigen Lage dazu nicht geeignet war, verlegen, erhob das Dorf zur Stadt und gab ihr den Namen Milanovac, d. h. Milansstadt. Hier Hess er auch eine schone Kirche auf eigene Kosten erbauen. Nach siebenjahrigem Kampfe hatten die Serben, von Russland moralisch und materiell unterstutzt, ihr Ziel erreicht. Das achtzehn Kreise umfassende Land war von den Tiirken gesaubert und selbst die Festungen waren im Besitze der Christen. Letztere mussten wohl an die Tiirkei den jahrlichen Tribut bezahlen, \varen aber sonst [Ierren in ihrem Lande. Man solite glauben, dass man die mit Gut und Blut erkaufte Freiheit iveise aus- niitzen und das Land in jeder Beziehung zu kraftigen bestrebt sein werde. Doch nein! Kaum war der Erbfeind der Christenheit hinter die Landes- grenzen zuriickgedrangt, als auf dem heimathlichen Herd die Uneinigkeit und der Bruderzvvist zu heller Flamme aufloderten. Jeder wollte befehlen, Niemand mochte gehorchen. Kara-Gjeorgje \vollte von den Anordnungen des Senates nichts wissen, dieser dagegen trat mit jedem Tage anmassender auf und, um dem Werke die Krone aufzusetzen, Helen sich noch die vojevoden, Unteranfiihrer, und die nicht minder herrschsiichtigen Kreis- und Ortsaltesten gegenseitig in die Haare. Dieser Zustand gab der Pforte die sehnlichst er\vartete Veranlassung zum Einschreiten. Sie konnte dies gleich thun, blieb aber eine geraume Zeit miissige Zuschauerin des brudermorderischen Dramas und wartete die Zeit ab, in welcher Serbien durch innere Zerkliiftung derart geschivacht wurde, dass an eine wirksame Gegenwehr nicht mehr gedacht werden konnte. Im Jahre 1813 war der Apfel reif und die Tiirkei saumte nicht, denselben von dem Baume zu pfiiicken. Vier feindliche Heersaulen setzten sich von Bosnien, Novi-Bazar, Alt-Serbien und Donau-Bulgarien gegen Serbien in Bewegung. An einen Widerstand war nicht zu denken. Wer sich nicht fliichten konnte, wurde niedergemacht oder in die Gefangenschaft abgefiihrt. In der Flucht gingen die Ileerfiihrer den Vaterlandsvertheidigern mit gutem Beispiele voran; alle suchten in der Flucht ihr Heil, nur Milosch Obrenovič blieb im Lande. So hatten die Serben alles, was sie in einem Zeitraum von sieben Jahren mit unendlichen Opfern an Gut und Blut er- rungen hatten, in wenigen Tagen verloren und waren wieder das gevvorden, \vas sie durch mehr als vier Jahrhunderte waren - tiirkische rajah. Das neuerdings geknechtete scrbische Volk schrieb diese Niederlage einzig und allein auf das Kerbholz der Uneinigkeit und Ilerschsucht seiner Anfiihrer und fluchte ihnen, wohl nicht mit Unrecht, aus dem Grunde seiner Seele. Milosch Obrenovič kam nach der Niederlage bei Ravanj nach Schabaz, von wo er als Bauer verldeidet den Heimweg antrat. Unterdessen richteten sich die Tiirken in den meist ohne Schivertstreich eingenommenen Ufer- Festungen Schabaz, Belgrad und Semendria wieder heimisch ein. Auch die unter Kara-Gjeorgje aus Serbien vertriebenen mohammedanischen Grund- besitzer, ferner Kauf- und Gewerbsleute u. dgl. kamen nach und nach zuriick und nahmen ihre Thatigkeit \vieder auf. Der vezir von Belgrad 295 sandte in jeden Kreis einen musselini — kaiserlichen Commissar — , welcher gleichzeitig auch der Richter des betreffenden Kreises war. Den Christen blieb somit nichts anderes iibrig, als zu zahlen, die tiirkischen Garnisonen, sowie etwa durchziehende Truppen des Padischah zu verpflegen und sonst in allem zu gehorchen. - Milosch Obrenovič gelangte unbehelliget nach Brusnica. Seine erste Sorge ging dahin, seine Familie in Sicherheit zu bringen, deshalb schickte er sein Weib und die Kinder in das in der Waldeinsamkeit gelegene Kloster Nikolja, dessen Vorstand, hadji-Athanasius, sein personlicher Freund war. Als er die Seinigen in Sicherheit wusste, ergab er sich mit seinem Schreiber Demeter dem in jenem Kreise behufs Pacificatinn mit 2000 Mann an- wesenden Ali-aga Serčesma auf Treu und Glauben und streckte vor ihm die Waffen. Dieser war liber den unerwarteten Fang derart erfreut, dass er ihm nicht nur die Freiheit schenkte, sondern ihn auch auf der Stelle zum obor-knez*) ernannte. Als solcher hatte er die Aufgabe, fiir die tiirkische Regierung die Abgaben einzutreiben, fiir den Militiirproviant zu sorgen, sowie auch alle anderen behordlichen Anordnungen in Ausfiihrung zu bringen. Diese Anstellung war ihm um so ervviinschter, da er auf diese Weise mit seinen Glaubensgenossen in steter Fiihlung blieb und ohne Ver- dacht zu erregen, mit denselben verkehren konnte. Anfangs behandelten die Tiirken die christliche rajah gegen alles Er- warten glimpflich. Solches Vorgehen lag in erst.er Linie in ibrem eigenen Interesse, denn wenn die rajah abermals die Ackerschollen verliess und in den Bergen Schutz suchte, so blieb fiir den Betrieb der Landwirthschaft und fiir die Abnahme der von den Tiirken erzeugten oder zum Verkauf feilgehaltenen Waaren Niemand zuriick. Die Tiirken hatten fiir die schlechte Behandlung der Christen auch keinen Grund, weil sich den behordlichen Anordnungen Jedermann willenlos fiigte. Der Grund zu einem verhangnissvollen Umschwung machte sich leider in kurzer Zeit bemerkbar. In den Bergen hausten zahlreiche grossere oder kleinere Banditenbanden, die, den Toleranzversicherungen der Tiirken miss- trauend, das Waldleben der steten Lebensgefahr in der Ebene vorzogen und die Niederlage ihrer Glaubensbriider aus gedeckten Stellungen und Hinterhalten mit Messer und Blei an den Tiirken rachten. Anfangs gelang es Milosch und anderen Kreisaltesten, den Tiirken einzureden, dass der- artige Ueberfalle mit dem Gedanken neuer Auflehnungsversuche nichts gemein haben und von den Christen ebenso entschieden verurtheilt \verden, als von den Tiirken. Als aber im Herbst des Jahres 1814 ein gewisser hadji-Prodan im Trnaver Bezirke ein regelrechtes Aufstiindchen organisirte, brach iiber die Christen, die kaum wieder aufgeathmet hatten, ein neuer Sturm los. Auf Befehl des "vezir Ali Skopljak-Pascha — sogenannt von seinem Geburtsorte Skoplje im sandjak Kossowo (Amselfeld) — ergossen sich 12 000 Mann iiber das noch nach Menschenblut riechende Land, an- geblich um nach versteckt gehaltenen Waffen und Munitionsvorriithen zu fahnden und durch die Wegnahme derselben den Christen die Moglichkeit eines neuen Aufstandes zu benehmen, hauptsachlich aber, um an den Christen ihr Mrithchen zu kiihlen, Die Leiden, welche die Christen von diesen Un- *) Kreisaltesten, 296 menschen zu erdulden hatten, sind unbeschreiblich. Viele wurdcn lebendig gebraten, anderc auf die grausamste Art und Weise gemartert und gefoltert, um sie iiber den Ort der Waffen- und Munitionsdepots zum Gestandniss zu bringen. In Folge dessen trat ein, vas nothwendiger Wcise eintreten musste. In vvenigen Tagen standen die meisten Christendorfer in der Ebenc leer und verodet da, Der materielle Schaden traf in erster Linie die mohammedanischen Grundherren und Gewerbsleute, aber auch die Be- satzungen in den Festungen litten darunter recht empfindlich. Wenn keine rajah da ist, wer soli dann das Militiir mit Proviant versehen ? Dazu kam noch der Winter, der die Tiirken von den Verfolgungen der Christen zuriickhielt. Ilier muss ich noch einen andern Umstand erwahnen, der schwer in die Waagschale fallt. Skopljak-Pascha liess auf die angesehensten Miinner im Lande [agd machen. Wer von diesen in die Gewalt der Tiirken fiel, wurde in Ketten geschlagen und angeblich fiir das friedliche Verhalten der Landbevolkerung nach Belgrad als Geissel abgefiihrt. Auf diese Weise vvollte der tiirkische Machthaber dem Volke seine Anfiihrer entreissen und ihm dadurch den Stachel des Hasses der Wiedervergeltungsgeliiste benehmen. Diese bedauernsvverthen Opfer ihrer V T aterlandsliebe waren ausnahmslos und unrettbar verloren. Am 24. December 1814 liess sie der unmenschliche Pascha vor der Festung aufmarschieren und die Mehrzahl derselben in Stiicke zerhauen, deren Kopfe aber aufspiessen und die Festungsmauern mit denselben schmiicken. Dem Klostervorstande Paissius und sechsunddreissig Genossen \vurde ein noch schrecklicherer Tod bescbieden als den iibrigen. Diese Letzteren wurden auf kurze Pfiihle lebendig aufgespiesst und mussten tagelang unter unsaglichen Schmerzen mit dem Tode kampfen, wahrend sich an den unteren Extremitaten derselben die Hunde giitlich thaten. Der Pascha trachtete auch seinem Adoptivsohn Milosch — der Tiirke hatte den jungen Volksfiihrer aus materiellen Bevveggriinden adoptirt — nach dem Leben, deshalb hiitete sich letzterer, in die Nahe seines Adoptiv- vaters zu kommen. Er fiihlte sich auch in Brusnica nicht mehr sicher und iibersiedelte nach Crnuča im Rudnikgebirge. Es gelang ihm auch nach Semlin* *) iiberzusetzen, \vo sich seit der Wiederunterwerfung Serbiens mehrere Heerfiihrer und Waffengefahrten Milosch’s aufhielten. 1 lier wurde der neue Insurrectionsplan entvvorfen und durchberathen. Heimgekehrt liess er die angesehensten Gesinnungsgenossen des Landes zusammen- komrnen und theilte denselben den in Semlin gefassten Entschluss mit. Der Plan wurde mit Einstimmigkeit gutgeheissen, \vorauf zur Vorbereitung des Aufstandes geschritten wurde. Vor Allem var fiir die Anschaffung von Waffen und Munition Geld nothwendig, deshalb sandte Milosch die er- probtesten Miinner in das Land, um Beitrage zu sammeln. Die ihm fiir diesen Zweck zur Verfiigung gestellten Ochsen liess er durch seinen Bruder Jewrem nach Ostružnica an der Sa\ve bringen, um sie von dort nach Semlin zu iiberfiihren und zu verkaufen. Skopljak-Pascha hievon in Kenntniss gesetzt, liess die Rindviehherde confisciren, den Verkaufer aber in Ketten schlagen und in einen in der unteren Festung am Donau- ufer gelegenen Thurm**) werfen. — ') Donaustadt in der Militiirgrenze, gerade Belgrad gegeniiber. [*) Dieser Thurm heisst noch heute Jewremova kula, d. h. Jcwreins-Veste, 297 Am Palmsonntage wird in Takowa, einem unansehnlichen Dorfe des Rudniker Kreises, das Kirchfest gefeiert. Dorthin Hess Milosch im ]ahre 1815 seine Getreuen kommen, um sich uber die zu beginnende Action endgiltig zu entscheiden. Hier wurde Milosch Obrenovič von der von allen Seiten herbeigestromten Volksmenge einstimmig zum Ober- anfiihrer geiviihlt und nahm die Wahl auch an. Zu Hause angekommen pflanzte er, um den Sammelpunkt zu bezeichnen, die Landestricolore auf und erklarte auf diese Weise der Tiirkei den Krieg. Die Brandfackel des Aufstandes loderte, obwohl sich das Gros der Freiheitskampfer um die Fahne des neuerwahlten Oberfeldherrn sammelte, an mehreren anderen Orten zu gleicher Zeit auf. Dadurch erreicbten die Christen nicht unbedeutende Vortheile, weil sie die Tiirken zur Zer- splitterung ihrer Streitkrafte nothigten. Die Christen des Belgrader Kreises machten mit den Mohammedanern gemeinsame Sache. Als Suleiman - Skopljak-Pascha von dem Aufstande in Kenntniss gesetzt wurde, entsandte er seinen Untercommandanten Gjaja-Pascha mit 12 000 Mann in den Rudniker Kreis, welcher in wenigen Tagen in eine Wiiste umgewandelt ivurde. Die Aufstiindischen, etwa 3000 an der Zahl, konnten sich mit dem vierfach iiberlegenen, gut bewaffneten Feinde in einen offenen Kampf nicht einlassen, deshalb zogen sie sich gegen Cačak zuriick und verschanzten sich auf den Hdhen des Ljubičberges. Am folgenden Morgen griff der tiirkische General die Christen an, der Angriff wurde aber abgeiviesen. Mehrere feindliche Abtheilungen, die durch die Seiten- thiiler behufs Pliinderung vorzudringen versuchten, wurden ebenfalls zuriick- geworfen. Diese giinstigen Erfolge der Christen veranlassten den tiirkischen General zu der Annahme, dass die Streitkrafte der Aufstiindischen bedeutend hoher seien als sie in Wirklichkeit waren. Aus diesem Grunde stellte Gjaja-Pascha die Feindseligkeiten ein, zog seine Streitkrafte in Cačak zusammen und wartete auf Verstarkung. Diese Gelegenheit beniitzte Milosch Obrenovič einerseits, um den Aufstand noch mehr anzufachen, andererseits aber zur Anschaffung von Waffen und Munition. Er iibertrug das Commando seinem Bruder Jowan und noch zwei anderen Unteranfiihrern, er selbst aber reiste gegen die osterreichische Grenze ab. Als er an die Save kam, hatten die Auf- stiindischen unter Paul Cukič und Kapitiin Joviča Miljutinovič bercits die Stadt Palež erobert und in derselben ausser bedeutendem Proviant, ferner Waffen- und Munitionsvorrathen auch eine kleine Konone erbeutet. Das Freicorps des Paul Cukič bestand zum grossen Theile aus Militiirgrenzern, die ihren Glaubens- und Stammesbriidern zu I Iilfe geeilt waren. Eine zweite Kanone, die noch von dem ersten Aufstande in der Niihe von Palež in einer Waldgrotte versteckt war, wurde ebenfalls hervorgeholt, also verfiigten die Christen bereits liber zvvei kleinkalibrige Geschiitze. Wenige Tage darauf bel auch die Kreisstadt Valjevo in die Hande der Serben. Die Christen waren auch anderorts von Gliick begiinstiget. Im Herzen von Serbien -eroberten die Aufstiindischen zuerst die Kreisstadt Jagodina. Wenige Tage spater verliessen die Tiirken die strategisch wichtige Stadt Kragujevac; auch der an das Territorium von Belgrad grenzende Bezirk Grocka riss sich von der tiirkischen Botmassigkeit los. 298 Nach ungefahr einein Monat kehrte Milosch mit bedeutenden Waffen- und Munitionsvorrathen und ungefahr eintausend Mann in das Hauptquartier ain Ljubič zuriick. Noch an demselben Tage wurden die Tiirken von den Christen mit einigen Kanonenschiissen begriisst. Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Die von Gjaja-Pascha erwartete Verstarkung kam nicht, wss bei absolutem Mangel an Communicationsmitteln der damaligen Zeit nicht befremden durfte, also musste er mit den vorhandenen Streitkraften die Schlacht wagen. Diesmal vvandte das Gliick den Aufstandischen den Riicken. Die Christen wurden geschlagen, aus den Verschanzungen ge- worfen und nach allen Richtungen versprengt. In der obern Schanze blieb nur der vojvoda Rajič, der die beiden Geschiitze bediente und sich von denselben nicht trennen wollte, zuriick, bis er von den feindlichen Kugeln niedergestreckt den Heldentod starb. Auch Milosch Obrenovič wurde, ehe er sich versah, von seinen Getreuen verlassen und suchte in dem Walde sein Heil. Die Sache der Christen vvar abermals verloren. Am folgenden Morgen trat aber cin Umstand ein, der dem Laufe der Ereignisse eine andere, fiir die Christen giinstige Richtung gab. Unter dem Schutze der Nacht waren einige Christen in die untere Schanze zuriickgekehrt. Um unniitzes Blutvergiessen zu vermeiden, ritt Gjaja-Pascha an das rechte Moravaufer und rief den Insurgenten zu: „Ergebet euch, raj ah ! Was soli das unsinnige Blutvergiessen? Ergebet euch und ich versichere euch auf mein Wort, dass Niemandem auch nur ein Ilaar gekriimmt wird.“ Ein gewisser Wasa Tomič erkannte in dem Parlamentar den Pascha, verliess mit noch zwei anderen Kampfgenossen die Schanze und stieg zum linken Moravaufer hinab, um sich besser verstiindlich zu machen. „Wir wollen uns ergeben, Gospodar,“ erwiderte Tomič auf die Auf- forderung, „aber nur Dir. Komin heriiber, wir sind bereit, die Waffen zu strecken.“ Gjaja-Pascha ging auf die Einladung ein und sprengte in den Fluss. Als er die Mitte des Wasserbettes erreichte, zielte Tomič auf ihn. Der Schuss fiel und der General verschwand in den Wellen, sein Pferd aber kehrte um und sclrvvamm in das tiirkische Lager zuriick. Der Tod des Generals versetze die Besieger in die hochste Bestiirzung. Das flerr losste sich in wilder Flucht auf und suchte in den umliegenden Waldern Schutz und Rettung. Nun erst krochen die Christen aus ihren Verstecken hervor und setzten den fliehenden Tiirken nach, von denen die Mehrzahl theils unter den Ilieben der Yatagane der Christen, theils in den Schliinden und Abgriinden den Tod fanden. Die Christen siegten durch Verrath. Diese unervvartete giinstige Wendung der Christensache rief im Lande unendlichen Jubel hervor. Nun griffen selbst die Verzagtesten zu den Waffen. Den nachsten Angriffspunkt bildtete die Kreisstadt Požarevac, wo die Tiirken bedeutende Streitkrafte zusammengezogen hatten und das Christenheer in verschanzten Stellungen er\varteten. Auch hier kiimpften die Aufstandischen gleich anfangs entschieden zu ihrein Nachtheil. Dass die Christen vor einer ganzlichen Niederlage verschont blieben, hatten sie nur dem personlichem Muth ihres Oberanfiihrers und seiner Gemahlin zu ver- danken. Schliesslich kam es zu einem Uebereinkommen, auf Grund dessen 299 die Tiirken in voller Kriegsriistung Požarevac verlassen und nacb Čuprija abmarschieren durften. Von Požarevac eilte Milosch an die Drina, wo Ali-Pascha auf Befehl Ruschid-Paschas, der zu derselben Zeit vezir von Bosnien war, in der fruchtbaren Mačva eingefallen war. Bei der Ortschaft Dublje, wo sich der Feind verschanzt hatte, kam es zwischen den aus Oesterreich stammenden Frervvilligencorps und den Tiirken zu einem blutigen Zusammenstoss, wobei die Tiirken den kiirzeren zogen und zum grossen Theile niedergemacbt wurden. Auch Ali-Pascha wurde gefangen, von Milosch bevcirthet und be- schenkt, dann aber wieder freigelassen und an die bosnische Grenze ge- leitet. Hiemit endete das Blutvergiessen zwischen den Tiirken und Christen. Die Serben mussten sich behufs Anerkennung ihrer neuen Stellung und Gewinnung allfalliger \veiterer Vortheile auf den Weg der Diplomatie verlegen. Das von den Tiirken gesauberte Territorium war z\var nur ein Drittel kleiner als nach der ersten Insurrection, aber die zwoIf wieder- eroberten Kreise waren immerhin gross genug, um fiir weitere Eroberungen als Grundlage zu dienen. Wiihrend Milosch in der Mačva kiimpfte, erschien Maraschli Ali- Pascha mit 40 000 Mann vor Čuprija und Hess sich mit den Christen in Unterhandlungen ein. Letztere zogen dieselben bis zur Ankunft ihres Oberkommandanten absichtlich in die Lange. Zwischen Milosch Obrenovič und dem tiirkischen General wurde schliesslich der Waffenstillstand ab- geschlossen, \velcher nachstehende Punkte enthielt: Maraschli-Pascha zieht mit 8000 Mann nach Belgrad und schliigt ara Wratschar*j sein Lager auf, der Rest seincr Armee aber bleibt bis auf weiteres in Čuprija zuriick; die nach Belgrad entsandte Truppe wird von den Christen erhalten; die Christen wenden sich durch eine Deputation an den Sultan, um von demselben Ver- zeihung zu erlangen; Maraschli hat dafiir Sorge zu tragen, dass die Tiirken von Bosnien aus in Serbien keine Einfiille machen; das christliche Heer bleibt bis zur Riickkehr der nach Constantinopel zu entsendenden Deputation in ihren Positionen. Nach dem Abschlusse des Waffenstillstandes zog Maraschli-Pascha gegen Belgrad, die Deputation inachte sich nach Constantinopel auf den Weg, Milosch aber machte durch das von den Christen eroberte Gebiet eine Rundreise, um seine Stammgenossen zur Niederlegung der Waffen zu ver- anlassen und sie wieder auf den Weg der Arbeit und des redlichen Ervverbes zuriickzufiihren. Zu Beginn des Winters wurde der Friede geschlossen, laut vvelchem sich die Christen verpflichteten, die Staats- und andere Abgaben ohne Intervention der Tiirken einzubringen und dem vezir von Belgrad zur Verfiigung zu stellen. Auf dem flachen Lande konnte ein Christ ohne Anwesenheit eines christlichen'Beirathes von dem musselin**) auch nicht zu der geringsten Strafe verurtheilt werden. Fiir grdssere Verbrechen wurde ein aus zwdlf Kreisaltesten — aus jedem Kreise einer — das sogenannte Obergericht gebildet und an dessen Spitze der vojvoda Peter Nikolajevič, auch Maler genannt, gestellt. Auf Verlangen der Christen musste Skopljak- Pascha alsogleich Serbien verlassen. *) Eine Vorstadt von Belgrad. **) Richter (tiirk.). 300 Durch diesen Frieden hatten die Christen zwar nicht viel gevvonnen, aher der Anfang war immerhin gemacht. Milosch Obrenovič hatte als oberster Volksaltester einen sehr schweren Stand. Viele seiner Stamm- genossen \varen mit der neuen Lage nicht zufrieden, andere wollten sogar den Kampf fortsetzen. Aber selbst die Anfiihrer wollten sich seinen An- ordnungen nicht fiigen, vveil ein jeder ihm gleichgestellt sein wollte. Der erste der ihm den Gehorsam verweigerte, war der Gerichtsprasident, Peter Maler. Dies geschah im Jahre 1816. Milosch wollte in Folge dessen zuriicktreten. Um ihn zu besiinftigen, wurde Maler unter dem Vorsitze des Metropoliten Melentije Nikšič einstimmig zum Tode verurtheilt und dem Pascha ausgeliefert. Die Christen durften ihre Glaubensgenossen wohl zum Tode verurtheilen, allein das Recht des Vollzuges der Todesstrafe stand ausschliesslich dem Pascha zu. Kaurn ein Jahr spater wurde der Metropolit Melentije auf demselben Wege in’s Jenseits befordert. Ihm folgte Kara-Gjeorgje, der aus dem Bruderzwiste einen Vortheil ziehen wollte, um im Triiben zu fischen und die Macht wieder an sich zu reissen. Kaum gelandet vvurde er verhaftet und einstimmig zum Tode verurtheilt. Der Pascha Hess ihn erdrosseln, von seinem Kopfe die Haut abziehen, mit Baumvvolle anfiillen und dem Sultan als ein vverthvolles Geschenk iiberbringen. Die Uneinigkeit unter den Grossen beniitzten auch die Tiirken, um ihre an die Christen verlorenen Rechte wieder zuriickzugewinnen. Gleich- zeitig liess aber auch Milosch, der die Stadt Kragujevac zu seiner Residenz gevvahlt hatte, alle Gegenminen sprengen und machte sich von Tag zu Tag von den Tiirken unabhangiger. Im Jahre 1817 berief er die erste Nationalversammlung nach Kragujevac ein und liess sich von derselben zum Fiirsten von Serbien mit dem Nachfolgerecht proclamircn. Ilievon wurde der .Sultan durch eine besondere Deputation in Kenntniss gesetzt, fand es aber nicht der Muhe werth, auf die Motification eine Antvvort zu geben; er legte derselben keinen Werth bei. Im Jahre 1820 entsandte Milosch abermals eine Deputation an den Sultan mit der Bitte um Bestatigung der Friedensbedingungen und Gut- heissung der von der Nationalversammlung gefassten Beschliisse. In Folge der Bemiihungeri des russischen Botschafters stellte der Padischah den Serben einen ferman aus, der die Rechte und die Pflichten der Christen enthielt. Die Staatsabgaben \vurden auf Grund der Durchschnittsziffern der letzten fiinf Jahre fiir die Zukunft unverriickbar festgestellt und in Geld entrichtet; die musselims wurden abgeschafft und schliesslich Milosch Obrenovič als Statthalter iiber die Christen anerkannt und bestiitiget. Die Regierung arn Goldenen Horn hatte dem Helden von Rudnik den kleinen Finger entgegengestreekt, er war damit aber nicht 'zufrieden, sondern griff nach der ganzen Hand. Er schaffte das sogenannte Directorium, cine sehr weit entfernte Art Ministerrath und regirte unbekiimmert um den vezir unabhangig vveiter. Gegen das Plnde des obgedachten Jahres liess er vvieder die Nationalversammlung in Kragujevac zusammenkommen, welche an die Pfortc nachstehende Forderungen stellte: Jene sechs Kreise, \velche unter Kara-Gjeorgje zu Serbien gehorten, sind dem Fiirstenthume vvieder einzuverleiben; vollstiindige innere Autonomie, Unstatthaftigkeit allfalliger neuer mohammedanischer Niederlassungen, vveder gruppen- noch familienweise in Serbien und die Anerkennung der Erbfolge in der Fiirsten- wiirde in der Familie Obrenovič. Diesmal war die Pforte sofort mit der Antwort bereit. Sie Hess namlich die Dcputationsmitglieder in den Kerker \verfen. Alle Reclamationen des christlichen Statthalters von Serbien blieben unbeantwortet. Zur Ab- vvechslung machten die Christen gegen ihre eigenen Briider wiederholt Aufstandsversuche. Der Impuls hiezu ging ohne Zweifel von Maraschli- Pascha selbst aus, da er mit der neuen von ihm selbst geschaffenen Lagc nicht zufrieden war. Im Jahre 1824 starb der vezir, an seine Stclle aber kam Abdul-Rhamam-Pascha, der bis dahin Festungscommandant von Ada- Kaleh vvar. Im Jahre 1825 starb der Kaiser von Russland, Alexander I.; ihm folgte Nicolaus I. Dieser verlangte von der Pforte die sofortige Ausfiihrung allcr 'Punkte des Bucarester Friedens. In dem folgenden Jahre kam es zwischen den beiden Machten in Akerman zu einem die Rechte der Serben regelnden Einverstandnisse, allein es blieb anch diesmal beim Versprechen. Im Jahre 1829 iiberzog Russland die Tiirkei abermals mit dem Kriege. Beim Friedens- schlusse zu Adrianopel war abermals Serbiens gedacht. I )ie Pforte musste sich verpflichten, alle in der zu Bucarest ausgestellten Friedensurkunde angefiihrten, das Fiirstenthum Serbien betreffenden Punkte binnen Monats- frist in Ausfiihrung zu bringen. Diesmal hielt der Sultan sein Wort. Ein ]ahr spater (1830) unterfertigte der Padischah die hatischerif genannte Staatsurkunde, welche alle jene Rechte enthielt, welche die Christen seit fiinfzehn Jahren von der Tiirkei gefordert hatten. Milosch Obrenovič war nun anerkannter Vasallfiirst des Sultans mit dem Rechte der Erbfolge. Er hatte sich schon friiher um die Pforte sehr wenig bekiimmert, nach Erhalt des hatischerif aber stellte er sich giinzlich auf eigene Fusse. Er Hess die Nationalversammlung zusammentreten und sowohl dem .Sultan, als auch dem Kaiser von Russland den Dank des serbischen Volkes votiren. Der Wirkungskreis der serbischen Gesandtenversammlung war sehr eng be- grenzt. Die Deputirten hatten nichts anderes zu thun, als die denselben vorgelegten Antrage zu genehmigen; eine Discussion derselben war nicht zuliissig. Fiirst Milosch vvar sich seiner Pflicht vollkommen bevvusst und ging sofort an’s Werk. Um in seinem Lande Ruhe und Ordnung herzustellen, erliess er draconische Verordnungen. \ r or Allem riickte er dem Diebstahl, der in Serbien in der schonsten Bliithe stand, an den Leib. Die geringste widerrechtliche Aneignung fremden Eigenthumes wurde mit dem Todc bestraft. Nicht einmal auf der Strasse liegende fremde Gegenstande durften angeriihrt werden. Auch das Kartenspiel wurde mit schweren Strafen geahndet. Er legte auch den Keim zu der stehenden Armee, indem er zvveihundert Sbhne aus den angesehensten Familien in den Soldatenrock stecken Hess und sie russischen Officieren zur Ausbildung iibergab. An die Spitze seiner Armee stellte er eine Musikkapelle, welche von dem Kapellmeister Possinger geleitet wurde. Die Serben glaubten, dass Possinger gleichbedeutend mit Kapellmeister sei, deshalb heisst der Musikdirigent in ihrer Sprache noch heute Possinger. Milosch Obrenovič errichtete auch Schulen und Hess aus der ost' reichischen Militargrenze Lehrer nach Serbien kommen. Auch die in den 302 verschiedenen Aemtern noth\vendigen Schreibkrafte wurden ausschliesslich aus dem Auslande verschrieben. Ein Ministerium hatte Milosch nicht; er selbst war Fiirst, Minister, Diplomat, Polizeiprasident, Oberrichter, mit einem Worte Alles. Es gab auch keine Staatskassen; alle Einnahmen des Fiirsten- thumes flossen in seine Privatkasse ein, aus welcher sammtliche Staats- ausgaben bestritten wurden. Den grbssten Gewinn trug das Salzmonopol ein. Er blieb auch nach seiner Bestatigung als Fiirst von Serbien in Kragujevac und siedelte erst irn Jahre 1836 nach Belgrad iiber. Im Vorzimmer der Hofkanzlei standen zwei lange Banke, auf welchen die Strafe a posteriori applicirt wurden. Als Vollstrecker fungirten seine Gardisten, die starksten Manner des Fiirstenthumes. Eigenthiimlich war der Galgen, auf welchem ungezahlte Verbrecher, aber vielleicht noch mehr Opfer des wildaufbrausenden Temperamentes des Fiirsten Milosch ihren Geist aushauchten. In seinem Hofe stand ein machtiger Birnbaum. Unter demselben richtete und urtheilte Fiirst Milosch. Das Todesurtheil bestand aus dem einzigen Worte: hinauf! d. h. aufhangen. Kaum war das Wort ausgesprochen, so baumelte der Schuldige schon, haufig auch der Nicht- schuldige. Um mit jenem Birnbaum in nahere Beriihrung zu kommen, geniigte oft — je nach der Laune des Fiirsten — ein unbedeutendes Vergehen. Milosch Obrenovič war fčir das Wohl seines Vaterlandes sehr ein- genommen und that sein Mogliches, um dasselbe materiell und geistig zu heben, aber auch er war nicht ohne Fehler und Mangel. Vor allem fehlte ihm jene geistige Grundlage, die selbst bei weit geringeren Unternehmungen und Ausfiihrungen nothwendig ist. Er hatte die besten Absichten, bediente sich aber zur Erreichung seines Zieles unrechter Mittel. Das Meiste verdarb aber seine Willkiir und seine ungeziigelte aufbrausende Natur. Ein zweiter Fehler war das unbegrenzte Vertrauen, welches Milosch in einige seiner Diener setzte. Dieses Vertrauen wurde zum Nachtheile des Landes in un- verantwortlicher Weise missbraucht und rief unter dem Volke Missstimmung und Unzufriedenheit hervor. Ganz eigenartig war die Entlassung der Beamten aus Staatsdiensten. Machte sich Jemand eines Vergehens schuldig oder stand er dem Fiirsten nicht zu Gesichte, so wurde er ganz einfach auf un- bestimmten Urlaub geschickt. Der gegen seinen Willen Beurlaubte bezog kein Gehalt mehr, die Einberufung kam auch nicht; mit anderen VVorten, er wurde entlassen. Fiirst Milosch war auch ein eifriger Verfechter der Moral, glaubte aber fiir seine Person vveitgehende Ausnahmen eintreten lassen zu diirfen. Wie in Allem, so 'konnte Milosch auch in dieser Beziehung mit vollstem Rechte von sich selbst sagen: L’etat c’est moi! Ein solches Vorgehen rief, wie bereits erwahnt, im Lande Un¬ zufriedenheit hervor und drangte die Nothwendigkeit feststehender und geschriebener Gesetze immer mehr in den Vordergrund. Milosch selbst fand dieses Verlangen gerechtfertiget, konnte sich dazu jedoch nicht ver- stehen, da die geschriebenen Gesetze nothwendigerweise seiner Willkiir den Zaum anlegen mussten. Die Zahl der Unzufriedenen, mit dem vojvoda Vučič an der Spitze, wuchs von Tag zu Tag. Die Opposition wurde sowohl von Russland als auch von der Tiirkei kraftig unterstiitzt. Diese beiden Sta at e n hatten sich in Milosch empfindlich getiiuscht, denn beide glaubten in demselben ein \villenloses Werkzeug zur Ausfiihrung ihrer Plane zu 303 finden, \vahrend sich Milosch, als er sein Zicl erreichte, \veder um den Czar an der Newa, noch um den Sultan am goldenen Horn kiimmerte. Auch der machtige osterreichische Staatslenker Meternich gab sich alle Miihe, den Fiirsten auf seine Seite zu bekommen, konnte sich aber keines nennenswerthen Erfolges riihmen. Bezeichnend ist die Aussage, welche Milosch eines Tages diesbeziiglich in dem grossen Rathe machte. „Meternich beliigt mich, ich beluge den Meternich und wir sind quitt“, sagte er. Um dem Volke zu seinem Rechte zu verhelfen, wurden mehrere gegen den Fiirsten gerichtete Aufstande organisirt, die jedoch im Sande verliefen, bis im Jahre 1834 ein aufgeweckter Bauer von Katun, namens Mileta, 2 000 Unzufriedene um sich sammelte und dann gegen Kragujewac aufbrach, um den Fiirsten zur Decretirung geschriebener Gesetze zu zwingen. Milosch fiigte sich und leistete in der Kirche den Eid auf das Evangelium, dass er sogleich zur Verfassung feststehender Gesetze schreiten werde, \vorauf die Bauern wieder abzogen und sich zerstreuten. Er liess wirklich einen osterreichischen Rechtsgelehrten, namens Demeter Davidovič, kommen und betraute denselben mit der Zusammenstellung einer Verfassung, die den iibrigen Gesetzen als Grundlage dienen solite. Davidovič entledigte sich seiner Aufgabe, die Verfassung \vurde am Maria-Lichtmesstage 1835 von der Nationalversammlung bestiitigt und solite am Georgitage (5. Mai) desselben Jahres in Kraft treten, allein mit dem Inhalte derselben war weder Russland, als Schutzmacht, noch die Tiirkei einverstanden. Beide erhoben gegen das Inkrafttreten derselben Protest und es blieb wieder beim Alten. In demselben Jahre folgte Milosch einer seitens des Sultans Mahmut an ihn ergangenen Einladung und machte die Reise nach Con- stantinopel, wo er mit allen einein Fiirsten gebiihrenden Ehren empfangen wurde. Vor seiner Abreise schenkte ihm der Grossherr sechs griin an- gestrichene Kanonen nebst Bespannung. Nach Kragujevac zuriickgekehrt erfuhr er, dass wiihrend seiner Ab- vvesenheit, besonders in den hoheren Gesellschaftskreisen, um hohe Betrage gespielt wurde. Manche Ehemiinner hatten sogar den Schmuck ihrer Gattinnen im Spiele verloren. Milosch liess sovvohl die Gewinner, als auch die Verlierer in seine Burg kommen, nahm den ersteren ihre Gewinne ab und stellte solche den Verlierern zuriick, dann aber mussten alle auf die Priigelbank und erhielten, ohne Unterschied des Ranges und des Standes, je nach der Hohe des Gewinnes oder Verlustes, 25 bis 70 Heisse aufge- ziihlt und zwar auf diese Weise: Zuerst wurden die Verlierer von den Gewinnern, dann aber letztere von den ersteren am Sitztheile bearbeitet. Eine solche Procedur diirfte auch ausserhalb Serbiens nicht schaden. Im folgenden Jahre ubersiedelte Milosch mit allen seinen Behdrden von Kragujevac nach Belgrad" und begann sofort mit der Auffuhrung von fiir die verschiedenen Aemter nothvvendigen Gebauden. Diese Bauten fallen durch ihre solide Construction besonders auf. Kein Wunder auch, denn der Fiirst liess, sobald der Grundstein zu einem Gebiiude gelegt wurde, in der Nahe desselben einen Galgen errichten, der fiir den Bau- unternehmer hadji-Zirkovic bestimmt war, wenn er sich nicht strenge an den Vertrag gehalten hatte. Unterdessen wuchs die Unzufriedenheit unter dem Volke von Tag zu Tag. Um der ihm drohenden Gefahr auszmveichen, berief Milosch z\vei 304 andere Oesterreicher, und zwar den Rechtsgelehrten Johann Hadjič und den Major Lazarevič und iibertrug ihnen die Verfassung des Landesstatutes. Die Sache zog sich, jedenfalls auf Veranlassung des Fiirsten selbst, durch volle zwei Jahre in die Lange. Schliesslich rafften sich die beiden Schutz- machte zu einem entscheidenden Schritte auf und verlangten die sofortige Absendung von drei Vertrauensmiinnern nach Constantinopel, mit deren Hilfe die serbische Verfassung zusammengestellt werden solite. Das Statut wurde aus leichtbegreiflichen Griinden im Sinne der Gegner des Fiirsten verfasst und seiner Herrschergewalt sehr enge Grenzen gezogen. Milosch musste sich in das Unvcrmeidliche fiigen und berief am 24. Dezember die Nationalversammlung cin, welche dem von zwei despotischen Machten ver- fassen Statut die Sanction ertheilte. Nun hatten die Gegner des Fiirsten unter der Fiihrung seiner besten Freunde von einst, Vučič und Fetronijevič, leichte Arbeit und liessen kein Mittel unversucht, um dem Landesherrn je friiher, je besser, den Boden unter seinen Fiissen wanken zu machen. — So standen die Dinge, als ich zum serbischen Hofkanzleibeamten ernannt wurde. Milosch fand die Fesseln, die ihm die Verfassung anlegte, unertritglich und goss die daraus entspringende Galle meistentheils iiber seine nachste Umgebung aus. Wir alle hatten darunter viel zu leiden und selbst Sein zvveitgeborner Sohn Michael — der altere von Beiden, Namens Milan, litt schon seit geraumer Zeit an Schveindsucht und konnte sein Zimmer nicht verlassen — , der damals sechzehn Jahre zahlte und dem Vater mit Rath und That zur Seite stand, musste nicht selten in unserer Gegemvart kaum glaubliche Insulte iiber sich ergehen lassen. Fiirst Milosch glich einem in der freien Natur aufgewachsenen, dann aber gefangenen und in einem engen Kiifig gefangen gehaltenen Lowen, der obwohl seiner Ohnmacht sich bevvusst, seine Natur nicht iinderte, sondern mit grollendem Sinn seine Mahne schiittelte. Ich hatte mich in seine Launen bald gefunden und war mit meiner Lage zufrieden. Zu meiner grossen Ueberraschung theilte er mir einige Tage vor Ostern mit, dass ich nach den Feiertagen in den konak iiber- siedeln miisse, angeblich um ihm zu jeder Zeit bei der Hand zu sein. Ob er zu diesem Entschlusse nicht auch noch aus einem andern Grunde ver- anlasst wurde, konnte ich niemals erfahren, glaube jedoch annehinen zu konnen, dass er dadurch meine Verbindung mit der Aussemvelt enger be- grenzen wollte. Da jedoch mit meiner Uebersiedlung gleichzeitig mein Gehalt bedeutend erhoht \vurde, so hatte ich allen Grund, mit derselben zufrieden zu sein. Am ersten Juni theilte mir Michael-beg — seine beiden Sohne nannte das Volk nie anders als beg’s — mit, dass sein Vater mich und einen andern meiner Amtsgenossen zu Cassenrevisoren bestimmt habe und dass wir schon am folgenden Morgen abreisen werden. Meine Amtsreise ging liingst der Donau bis Negotin; dann aber am Timok hinauf gegen Alexinac und von dort iiber Faračin, Cuprija, Jagodina nach Belgrad zuriick, wahrend der zweite Revisor zu gleicher Zeit die entgegengesetzte Richtung, d. h. liings der Save und Drina nehmen und iiber Užica, Cačak, Gornji Milanovac und Kragujevac heimkehren solite. Wir hatten die Aufgabe, die Auf- zeichnungen iiber die Eingiinge und Abfiihrungen der Staatsgelder genau zu priifen und allfallig vorzufindende Baarbetrage mit thunlichster Beschleuni- gung nach Belgrad zu senden. Ich fand diese Massregel in vollster Ordnung und dachte nicht weiter daran, sondern bereitete mich fiir die Abreise vor. Am folgenden Tage verliess ich, von vier Gardisten begleitet, die Residenzstadt Serbiens. Als ich bei dem Fiirsten eintrat, um mich von demselben zu beurlauben, fand ich ihn in einer gedrucktcn Stimmung, wie niemals zuvor. Es kam mir vor, als habe er kurz vorher geweint. Er entliess mich mit wenigen Worten, aber nicht unfreundlich. Ich verkannte die kritische Gage, in der sich Milosch damals befand, nicht, allein hiitte mir beim Verlassen des konak Jemand gesagt, dass ich den Begriinder Neu-Serbiens niemals mehr sehen werde, so hiitte ich dariiber, wie liber einen schlechten Witz, hochstens gelacht. „Willst Du ein Volk kennen lernen, so greife in dessen volles Leben hinein“, sagt ein bekannter Ethnograph. Von der Richtigkeit dieses Aus- spruches hatte ich mich schon in den ersten Tagen meiner Amtsreise iiberzeugt. Unter den Volksmassen giihrte es gar bedenklich. Jung und Alt trug die Verfassung im Giirtel oder in Ermanglung eines solchen unter dem fez und verlangte auf der Grundlage derselben sein Recht. Wer nicht die ganze Verfassung sein Eigen nannte, begniigte sich auch mit einem Papierstreifen, worauf wenn nicht mehr, so doch einige Worte derselben gedruckt waren, aber man hiitte leichter einen Serben gefunden, der an seinem Korper nicht die schwere Cavallerie beherbergt hiitte, als ohne einen solchen Talisman. Welchen Begriff die Unterthanen des ersten Obrenovič von der Verfassung hatten, will ich durch folgendes Beispiel beleuchten: Als die Verfassung publicirt wurde, that man dem Volke kund zu wissen, dass dieselbe unverletzlich sei und dass die Dawider- handelnden strenge bestraft werden. Unweit von Grocka*) liegt eine dem Staatsiirar gehdrige Donauinsel, vvelche wegen ihrer Fruchtbarkeit die Bevvohner des obgedachten Marktes in die Augen stach. Dieselbe sich ividerrechtlich anzueignen, ging wegen der bekannten Strenge des Landes- fiirsten nicht an. Nun kam die Verfassung und diese solite den Abgrund iiberbriicken. Die guten Leute versahen sich mit je einem Exemplar der¬ selben und schritten wohlgemuth an die Vertheilung des Eilandes. Zur grbsseren Sicherheit befestigten sie je einen zweiten Abdruck den Ochsen an die Horner und ackerten wacker darauf los. Nach ihrer Meinung war Alles, was mit der Verfassung in Beriihrung stand, unantastbar. Die Ge- schichte klingt lateinisch, nicht wahr, lieber Leser, sie ist aber dennoch buchstiiblich wahr. Auf meiner Reise musste ich manche bittere Pille, die an die Adresse des Fiirsten gerichtet war, hinuftterschlucken. Je umvissender ein Individuum war, desto toller geberdete es sich. Das war aber noch nicht alles; selbst manche Beamte, die des Fiirsten Brod assen, standen ihm feindselig gegen- iiber. Zudem kam noch das Missgeschick, dass die Rechnungen in der letzten Periode nirgends klappten. Was solite ich mit den unredlichen Beamten anfangen? Liess ich dieselben verhaften, so jagte ich mir selbst das Volk auf den Kopf und konnte dabei mein Leben in die Schanze ! ) Marktlleeken, ungefiihr auf dem halben Wegc zvvischen Belgrad und Semendria. schlagen. Zum Gliick hatte ich in dieser Bežiehung einen Ausweg. Der Fiirst hatte mir, wahrscheinlich in dem Glauben, dass iiberall die beste Ordnung herrscht, fiir diesen Fali keine Verhaltungsmassregeln auf den Weg mitgegeben. Ich begniigte mich daher damit, iiber die vorgefundenen Veruntreuungen Befundprotocolle zusammenzustellen und solche mit den vorhandenen Geldern an die fiirstliche Cabinetskanzlei zur weiteren Amts- handlung einzusenden. Auf dem Wege zwischen Požarevac und Negotin holte mich ein tatarin mit einem eigenhandigen Schreiben Michael-beg’s ein. Der Inhalt desselben traf mich wie der Blitz aus dem heitern Himmel. Dasselbe war kurz und lautete: „Lieber Peregrin! Mein Vater wird in wenigen Tagen abdanken. Beeilen Sie sich, damit Sie noch vor dem Umsturze soviel als moglich ein- cassiren. Das Geld senden Sie durch eine Person, die Ihnen G ... . B. in Negotin namhaft machen wird. Gedachter B. ist meinem Vater blind ergeben und wird Ihnen auch andere Anhanger unseres Hauses nennen, bei welchen Sie auf der Weiterreise jede nothwendige Auskunft erhalten werden. Ihr vvohlgeneigter Michael mp. Ich stand langere Zeit sprachlos da; die Ueberraschung war zu gross. Milosch, der alle Intriguen der Tiirken zu Schanden machte; jener Milosch, der \vie er sich auszudriicken pflegte, seinen Kopf jahrelang im Hangesack trug und von dem Wunsche beseelt, seine Stammesbruder von der tiirkischen Knechtschaft zu befreien, vor keiner Gefahr zuriickschreckte und keine Opfer zu gross fand, musste gehen und einem andern Platz machen. Dass er nicht freiwillig abdankte, stand ausser allem Zweifel. Jenes Volk, welches seiner Zeit wie zu seinem Erloser zu ihm emporblickte, schrie nun aus vollem Halse: ,Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!‘ Ich beantwortete das Schreiben des Fiirstensohnes, ubergab dasselbe dem tatarin und eilte weiter. In Negotin herrschte Ruhe. Die Krajna, das Land des Heiduk Veljko *) war dem Hause Obrenovič treu ergeben; zudem grenzte der Negotinaer Kreis an das vilajet Donau-Bulgarien, also war er von Belgrad, dem Herde der Sonderbestrebungen, zu weit entfernt, um von demselben angesteckt zu werden. Auch die Cassa stimmte leidlich. Ich bereitete mich fiir alle Falle vor und schickte nur das Silber-, Kupfer- und Stahlgeld ab, das Gold aber verwahrte ich in meinem weiten Leibgiirtel, wo ich es sicherer glaubte, als in den Hiinden eines Dritten. Am zweiten Abend nach meiner Ankunft sass ich mit den Beamten in der glavna mehana. Wir plauderten in der grossten Gemiithlichkeit mit einander, als ein tatarin eintrat und dem Kreisaltesten ein umfangreiches Packet ubergab. Dasselbe enthielt zwei gedruckte Kundmachungen in un- gefiihr je fiinfzig Exemplaren: Die Abdankung des Fiirsten Milosch und die Proclamation der Regentschaft mit Vučič an der Spitze. Auf den Fiirstenthron wurde Milosch’s iiltester Sohn Milan**) erhoben. *) Bekannter Anfiihrer der Freiheitskarnpfer in der ersten Periode (1804—9), **) Er starb jedoch schon 26 Tage nach der Abdankung seines Vaters. Ihm folgte sein ein- ziger Bruder Michael, der aber schon im Jahre 1842 auf den Thron verzichten und sich ins Ausland fluchten musste. 307 Den Eindruck, den dieses Ereigniss auf die Anwesenden machte, kann ich nicht heschreiben. Alte Manner, Kampfgenossen des Helden von Rudnik, weinten wie kleine Kinder. In wenigen Minuten \var die Gaststube leer. Jedermann eilte seiner Behausung zu, um seinem Schmerze ungesehen freien Lauf zu lassen. Auch ich suchte meine Schlafstelle auf, um ungestort meinen Gedanken anhangen zu kdnnen. Wie gestaltete sich meine Zukunft? Wurde durch die Abdankung des Fiirsten nicht auch meine Stelle er- schiittert? Oder lief ich als vermeintlicher Anhiinger des abgedankten Herrschers nicht Gefahr, von der nun zur Ilerrschaft gelangten Gegenpartei gemassregelt und verfolgt zu werderi? Solite ich noch weiterreisen oder umkehren? Ich entschloss mich fiir das Erstere, schrieb aber, um sicher zu fahren, unverweilt an Michael-beg. Ich weckte einen Gardisten, iibergab ihm das Sehreiben und liess ihn sogleich abreisen. In der nachsten Kreisstadt Knjaževac wollte ich die Antwort abwarten. Am folgenden Tage feierte alle Arbeit, zur hellen Freude der Wirthe. Die Politik trat an die Oberflache und beherrschte Jung und Alt. Es fehlte auch nicht an Individuen, die nun ganz offen gegen ihren gewesenen Landes- herrn auftraten und ihrem Unmuth in keineswegs schmeichelhaften Worten Ausdruck verliehen. Dies hatte keinen Zweck mehr. Milosch hatte seinen Dienst gethan und wurde gegangen. — Mit der Abdankung des Begriinders Neu-Serbiens konnte ich das Capitel ganz gut schliessen, allein es drangt sich mir noch eine Personlich- keit, ohne welcher das Befreiungswerk wahrscheinlich in dem Sande ver- laufen ware, in den Vordergrund — Ljubica Obrenovič, die Gemahlin des Fiirsten Milosch. Aus dem Bauernstande hervorgegangen, blieb sie nach ihrer V"er- mahlung mit Milosch Theodorovič, spiiter Obrenovič, als Magd in dem Hause des Stiefbruders ihres Gatten und iibertraf an Fleiss und Ausdauer alle Ilausgenossinnen. Ilir Sohn Michael, nachheriger Fiirst von Serbien, erziihlte mir oft, dass sie bis zum Tagesgrauen fiir zwanzig Personen das Morgenessen bereitete, dann mit den anderen Familienmitgliedern an die Arbeit ging und dabei mehr richtete als irgend jemand. Abends, wenn das iibrige Ilausgesinde ihre Lagerstatten aufsuchte, um von der harten Tages- arbeit auszuruhen, brachte sie erst das Haus in Ordnung. Niemand wusste wenn sie zur Ruhe ging oder wann sie sich zu neuer Arbeit erhob. Als Milosch Obrenovič" den zweiten Aufstand organisirte, begleitete ihn Ljubica auf allen seinen Wegen nnd theilte die grossten Gefahren mit ihm. Sie war sein bester Rathgeber. In dem Kampfe stand sie stets an der Seite ihres Gemahls. Als am Ljubičberge die christlichen Kampfer den Muth verloren und nach allen Windrichtungen zu fliichten begannen, rief sie denselben aus vollem Halse zu: „Hierher, hierher unter meine Schiirze, ihr feigen Memmen; hier ist euer Platz! Auch in der entscheidenden Schlacht bei Požarevac griff sie wacker ein und hinderte mit vorgehaltenen Pistolen ihre Landsleute an der Flucht. 308 Ljubica war unter den Kampfern der besten einer, hatte dafiir aber nur schnoden Undank geerntet. Solange Milosch*) Knecht war und in ge- driickten Verhiiltnissen lebte, war ihm seine Gattin gut genug, als er aber emporkletterte und zu Ehren und Vermogen gelangte, passte sie ihm nicht mehr. Er machte es seinem Souveran, dem Sultan, nach und kiimmerte sich um seine rechtmassige Gemahlin nicht weiter. Alle Versuche derselben, ihren Gemahl vvieder auf den rechten Weg zuriickzubringen, erwiesen sich als ohnmiichtig. Eines Tages griff Ljubica zum Aeussersten. Der osterreichische, in Belgrad residierende Consul war nach Kragujevac unterwegs; er hatte dem Serbenfiirsten eine ihm von dem Kaiser von Oesterreich verliehene Ordens- decoration zu iiberbringen. Der Fiirst ritt demselben mit einem glanzenden Gefolge entgegen. An seiner Seite ritt seine Lieblingsfavoritin, wahrend Ljubica sozusagen im Nachtrab beinahe unbeachtet an dem Auszuge theil- nahm. Als die letzten Reiter die Stadt im Riicken hatten, sprengte Milosch’s Gemahlin vor und rief ihrer Rivalin zu: „Zuriick, hier ist mein Flatz!“ Die Bedrohte schwieg und vvarf ihrem Beschiitzer einen bittenden Blick zu. „Zuriick!“ rief die beleidigte Gemahlin noch einmal. Gleich darauf krachte ein Schuss und Ljubica Obrenovič hatte eine Nebenbuhlerin \veniger, fiir denselben Tag wenigstens. Sie hatte die Anmasserin ihrer Rechte durch das Herz geschossen. Diese offentliche Zurechtweisung machte auf den Fiirsten nicht die geringste Einwirkung. Er schritt auf dem eingeschlagenen Wege weiter, seine Gemahlin aber versetzte ihr Domicil nach Požarevac und gab sich mit vollem Plerzen der Kindererziehung hin. Ljubica blieb auch nach ihrer Abreise ihrem Gemahl gewogen und zugethan. Sie that ihr M‘6glichstes, um seinen Fali zu verhindern und liess auch nach seiner Abdankung kein Mittel unversucht, um seine Riickberufung zu erwirken. Als ihr z\veitgeborner Sohn Michael auf den Fiirstenthron von Serbien. erhoben wurde, zog sie mit ihm nach Belgrad und war sozu¬ sagen seine rechte Hand. Michael musste im Jahre 1842 nach Oesterreich fiiichten, seine Mutter folgte ihm und theilte dessen Verbannung. Im Jahre 1843 starb sie in Neusatz in Ungarn an gebrochenem Herzen und wurde in dem in der fruška gora gelegenen orthodoxen Kloster Krušedol beigesetzt, wo ihre Gebeine noch heute ruhen. Ljubica Obrenovič verrichtete bis zu ihrem Tode alle hauslichen Arbeiten, kleidete sich so einfach als die schlichteste Hand\verkersfrau und trug nie einen Schmuclt an sich, dagegen aber unterstiitzte sie die Diirftigen und die Arraen mit vollen Hiinden. Die unpartheiische Geschichte wird der ersten Fiirstin Neu-Serbiens einen Ehrenplatz anweisen, auf den sie als Ehe- gattin, Mutter, Heldin, Landesfiirstin und Miirtvrin vollen Anspruch hat. *) Milosch Obrenovič war nicht nur. der Begriinder Neu-Serbiens, sondern auch des hauslichen Zvvistes in seiner Familie. Sein Sohn Michael liess sich ebenfalls von der schonen Julie Grafin von Hunyady scheiden und Milani scandalose Ehescheidung ist noch in so frischer Erinnerung, dass ich dariiber kein Wort verlieren zu miissen glaube. Auf die Seite der Manner hat sich auch die Mutter Milan’s, die Ruiniinin Katargi, welche trotz ihres Alters ein derart scandaloses Leben fiihrte, dass sie im Jahre 1880 Knali und Fali aus der Hofburg von Belgrad verwiesen vverden musste und nach Serbien nicht mehr zuriickkehren darf, geschlagen. - • • • -s* t * NARODNA IN UNIVERZITETNA knjižnica ,n Al l 1 1