0© V ^5^=4:) BIBLIOTHEK »STAROSLOVAN« 1. BAND. Slavische Runen-Denkmäler. KREMSIER 1915. DRUCK UND VERLAG VON HEINRICH SLOVÄK IN KREMSIER. IN KOMMISSION BEI OSWALD WEIGEL, LEIPZIG, KÖNIGSTRASSE 1. SLAVISCHE RUNEN-DENKMALER VON MARTIN ŽUNKOVIČ, k. u. k. Major d. R. MIT 3 5CHRIFTTAFELN UND 102 TEXTILLUSTRATIONEN. TT T KREMSIER 1915. DRUCK UND VERLAG VON HEINRICH SLOVÁK IN KREMSIER. IN KOMMISSION BEI OSWALD WEIGEL, LEIPZIG, KÖNIGSTRASSK 1. Nachdruck und Übersetzungsrechf Vorbehalten. INHALT. Seite Vorwort.....................................................VII Einführung in die Runenkunde ............................... 1 I. Wendische Runendenkmäler.................................13 Allgemeines...........................................15 a) Die wendisch-heidnischen Devotionalien ... 17 b) Die wendisch-heidnischen Grab-Amulette . . 46 c) Die Urnensteine von Mecklenburg ...................53 Die Wegweiser von Mikorzyn ...........................60 Der Tonkopf von Pommern ... .... 63 Münzen................................................64 Schmuckobjekte .......................................72 II. Slovakische Runendenkmäler..............................77 Allgemeines...........................................79 Die Felsinschrift auf dem Velestur....................79 Die Steininschrift auf dem Smrcnik . ... 82 Ein gefälschtes Runendenkmal .........................84 III. Etrurische Runendenkmäler...............................87 Allgemeines.......................................... 89 Der Sarkophag von Perugia.............................97 Der Grenzstein von Rocchetta .........................98 »Muzina«-Spiegel .....................................98 »Muzina«-Figur.......................................100 »Losna« . 101 Urne mit der Aufschrift »LacnemD.....................101 Metallschalen mit Inschriften .......................101 Kameen...............................................107 Der Grenzstein von Monte Pore........................107 Das Mumienband in Zagreb................. . 109 Vorwort. Das vorliegende Werk, das als heftweise Beilage der wissenschaftlichen Revue „Staroslovan“ in den Jahrgängen 1913 und 19R erschien, ist hiemit abgeschlossen. Die ernste Absicht des Verfassers, noch den etrurischen Runendenkmälern eine breitere Behandlung zuteilwerden zu lassen, wurde durch den Kriegsausbruch unmöglich gemacht, daher auch schon das letzte Forschungsobjekt des Buches, das „Mumienband in Zagreb“ nicht mehr erschöpfend behandelt werden konnte. Nichtsdestoweniger zeigt aber das Gebotene, dass hier sozusagen mit dem Dampfpfluge ein grosses, die Sprach- und Kulturverhältnisse geschichtlich dunkler Zeiten ausserordentlich klärendes Wissensgebiet, das bisher als ein vollkommen steriles Phantasieland galt, plötzlich tief aufgeackert und dessen enorme Fruchtbarkeit erwiesen wurde. * Das Thema „Slavische Runendenkmäler“ bedeutet daher das plötzliche Aufkeimen eines völlig neuen Wissenszweiges, denn dass es konkrete Belege für eine slavische Literatur in Runenschrift, und noch dazu in so überwältigender Vielseitigkeit gibt, damit wollte sich bisher schon deshalb niemand befassen, weil allzuviel Schlagbäume davor niedergelassen waren. Der Verfasser musste daher vor allem auch beweiskräftig die irrlichternde Völkerwanderungshypothese vernichten, um den Auslauf für die Forschungstätigkeit auf diesem Gebiete bis in die graue Unendlichkeit unserer Vorgeschichte bahnfrei zu gestalten. Mit dem landläufigen und gedankenlos nachgesprochenen Hinweise, es seien dies alles gutgelungene Falsa, lässt sich daher nicht weiter spiegelfechten, denn jede Fälschung setzt ein Original voraus, und wir sind zweifellos und nicht vereinzelt auch schon in jene Zonen gedrungen, wo die echten Vorlagen offen aufliegen. Sollten es die Lebensschicksale dem Verfasser möglich machen, sich in dieses Forschungsgebiet späterhin nochmals vertiefen zu können, so dürfte dieses Werk noch eine wesentliche Inhaltsbereicherung erfahren; treten jedoch dies ausschliessende Verhältnisse ein, so mögen andere an dem abgerissenen Faden weiterspinnen; der schwierigste Teil der Arbeit liegt aber für jeden Fall hier schon bewältigt vor. — Standort der 3. oper. Armee im Februar 1915. Der Verfasser. Einführung in die Runenkunde. Es hat bis nun selten etwas darüber verlautet, daß es überhaupt slavische Runendenkmäler gäbe, denn Kollar wurde mit seinen Entdeckungen slavisch-italischer Runenschriften allgemein abgewiesen und verlacht, und die wendischen wie slovakischen Zeugnisse dieser Richtung wurden, um mit diesem Thema die bereits festgelegten wissenschaftlichen Hypothesen nicht zu belasten oder gar zu irritieren, nach alter Gewohnheit kurzweg als gefälscht und unterschoben erklärt, umsomehr, als man dazu nie eingeführt wurde, den Slaven eine besondere Kultur in älterer Zeit zuzubilligen. Schrieb man doch ständig die Phrase weiter ab, als ob die Slaven „vom Eichelnfraß und tierischen Gehaben“ erst in der historischen Kulturzeit in gesittete Verhältnisse übergegangen wären! Daß aber dem durchaus nicht so ist und so nicht gewesen sein konnte, läßt sich aus zahlreichen Umständen, namentlich aber aus alten Schriftdenkmälern logisch wie demonstrativ nachweisen. Man beachte vor allem die Leichtigkeit, mit welcher die Slaven einer fremden Sprache unterliegen, weil sie sich sprachlich leicht akkomodieren. So ist es wohl verständlich, wieso unter den verschiedenen slavischen Gruppen die Deutschen, Magyaren, Italiener, Osmanen dort die Hegemonie an sich gerissen haben konnten, wo sie selbst noch heute in Minorität sind. Aber so muß es da oder dort schon im Alterlume gewesen sein, denn die Gemeinsprache der Völker in Mitteleuropa vor einer höheren, sprachlich, staatlich und sozial differenzierlen Kulturstufe war wohl die slavische, denn es ist unter der unleugbaren Weichheit und Anpassungsfähigkeit der Slaven geradezu undenkbar, daß sie Europa je bevölkert hätten, wenn sie sich erst von einem kleinen Kerne im fremdsprachigen Milieu aus entwickelt hätten; ja, im Gegenteile, wir können doch der Geschichte wie auch den täglichen Vorgängen untrüglich entnehmen, l* daß aus dem unerschöpflichen slavischen Population sü b e r s chu s s e alle benachbarten Völker in Europa seit Jahrhunderten ihre Bevölkerungsziffer ununterbrochen ergänzen und — nie umgekehrt. Es kann daher nicht anders sein, als daß einst ein großer slavischer Block den massiven Grundstock an landessichernder, landwirtschaftlicher, gewerblicher und industrieller Bevölkerung bildete, der aber oft das Selbstbewußtsein und das Vertrauen in die eigene Kraft fehlte, sie sich daher, genau so wie mitunter noch heute, infolge steter kleinlicher Eifersüchteleien und mangelhaften Gefühles der Zusammengehörigkeit, vom Diener zum Herrn nicht überall emporschwingen oder als Herr nicht dauernd behaupten konnte. Soziale Ober- und Unterströmungen, Mangel an politischer Klugheit und Einigkeit, wirtschaftliche wie kulturelle Zurücksetzungen, falsche Statistik u. drgl. sind es daher, welche heute das Mißverhältnis zwischen Zahl und Macht begründen, und kann dies bei dem gewiß berechtigten Schlüsse die Gegenwart der Vergangenheit zu applizieren, auch einst nicht anders gewesen sein. — Aus mehr oder minder verläßlichen Quellen weiß man sogar, daß schon die Römer, Griechen, Perser, Spanier aus der Vorgefundenen einheimischen Bevölkerung ihre Heeresmacht ergänzten; so hatte z. B. Xerxes die „mozi" vom Pontus Euxinus, also Russen in seinem Heere. Da aber der Name „Slave“ in der ältesten Geschichte oder Geographie nicht vorkommt, schließt die Wissenschaft die Existenz der Slaven in jener Zeit a priori aus. Dabei ist immer der grundfalsche Schluß maßgebend: der Schriftsteller A sagt, hier wohnte dieses Volk, der B nennt an derselben Stelle ein anderes; der C bringt einen dritten Namen und darauf wird der eitle Trugschluß und verschobene Plan einer Phantasievölkerwanderung aufgebaut, ohne zu bedenken, daß die Verhältnisse dermalen die gleichen sind, denn wenn verschiedene Schriftsteller heute: Böhme, Ceche, Mährer, Hanake, Slo-vake und ähnlich schreiben, so können dies ethnographisch immer die gleichen Begriffe sein, ln dieser Außerachtlassung des Vergleiches liegt die Wurzel aller Unstimmigkeiten und Unverständlichkeiten der älteren Phase der Völkergeschichte: dieVolksnamen wechseln, die Sprache wechselt, aber das Volk bleibt in Hinsicht auf die Rasse im großen dasselbe. Es ist daher ganz falsch heute z. B. von Germanen als einer eigenen Rasse oder spezifischer Sprache zu sprechen, wo doch nur von einer sprachlichen Umwertung derselben die Rede sein kann. Weiß man z. B., daß die heutigen Preußen nur germanisierte Wendo- Slaven sind, da die Diffusion erst vor wenigen Jahrhunderten endete, so ist es folgerichtig und selbstverständlich, daß auch die ältesten Kultur- und Schrifffunde daselbst von Slaven, stammen und den Charakter der Sprache und Eigenart derselben tragen müssen; ja, sie wären gerade dann verdächtig, wenn dies nicht der Fall wäre. — Es fiel bisher auch noch niemandem ein babylonische, hebräische oder chinesische Kulturfunde nicht den Babyloniern, Hebräern oder Chinesen zuzuschreiben, nur bei den Slaven wird sonderbarerweise immer eine Ausnahme gemacht, weil der überzeugende Nachdruck seitens der Wissenschaft hiebei normal versagt. Einen rein pathologischen Charakter hat daher auch die empirische Feststellung, daß in der Regel keine Runenschrift so lange als verdächtig angesehen wird, als sie nicht sprachlich gedeutet erscheint ; erst in jenem Momente, als das dunkle Mysterium fällt und deren slavisch - sprachliche Provenienz erkannt wird, beginnt man grundsätzlich die natürliche Herkunft derselben anzuzweifeln oder sie gleich als Fälschung zu proskribieren. Einer ähnlichen Auffassung oder Fehlerquelle entspringt auch unsere Verwunderung, daß unter der Unzahl von Schriftdenkmälern altitalischer Heimat an 7000 solcher anzutreffen sind, die keine lateinischen Schriftzeichen aufweisen, oder wenn ja, keine lateinische Interpretation zulassen. Es sind dies die Münzen, Grabsteine, die Kultus- und Gebrauchsgegenstände der Bauern, Gewerbetreibenden, Industriellen u. ä. an den verschiedensten Orten aus einer Zeit, als die Stammbewohner selbst wohl in Majorität, aber nicht zugleich die Regierenden waren. Ähnliche Verhältnisse finden wir ebenso noch heute genug. In Österreich-Ungarn ist die Regierungssprache deutsch bezw. magyarisch, obschon die Slaven nummerisch in Majorität sind, ja die militärische Dienstsprache ist in beiden Gebieten die deutsche; nichtsdestoweniger sind aber z. B. die Grabschriften in allen gangbaren Sprachen des Reiches gehalten und wird es einer, selbstredend humanen Behörde nicht beifallen, dies etwa zu verbieten. — Es scheint daher, daß die Römer alle Stammbewohner Italiens niemals zur Gänze latinisiert haben konnten, was sehr wahrscheinlich klingt, da sich bekanntermaßen die Römer das gewaltsame Aufdrängen ihrer Sprache niemals besonders angelegen sein ließen. Es ist daher heute, nachdem sich die mit der Urgeschichte der Sprache und Kultur der Altslaven beschäftigende Literatur sehr erfreulich hebt, ganz sinnlos geworden, die gangbare Mähre zu verteidigen, daß die alten Slaven keine Schrift gekannt oder gebraucht und deshalb auch keine schriftlichen Denkmäler aus ihrer Urzeii zurückgelassen hälfen. Die Gegenbeweise sind entschieden da, und wenn darunter Steine sind, die seit dem Jahre 79 n. Chr. unter harter Lavadecke in Herculanum und Pompeji ruhten, so war es wenigstens durch ungefähr 1900 Jahre nicht mög-glich, sie etwa zu fälschen, denn die Geschichte von heute sagt, daß die Slaven vierJahrhunderte späterkamen, und überdies in.Süditalien nie waren. Hoffentlich werden die folgenden Beweise die Klärung dieses Geschichts- und Gelehrtenirrtums besiegeln. Es ist auch nicht verständlich, weshalb gerade die Slaven keine eigene Schrift besessen hätten, da es in der Natur eines jeden Volkes, zumal mit einer solchen Kultur, wie man sie gerade an den Gegenständen der Grabstätten vorfindet, liegt, allgemein oder relativ Wichtiges in irgendeiner Weise festzuhalten, umsomehr als doch einzelne Indianerstämme, die Urbewohner von Celebes, Java, Äthiopien, der Philippinen u. a. ihre eigene Schrift besitzen, ohne in kultureller Hinsicht je eine nennenswerte Rolle gespielt zu haben. — Die Slaven hatten in alter Zeit eine, heute als „Runen“ benannte Schrift, welche derart eingebürgert gewesen sein muß, daß selbst die christlichen Missionäre, um Lehrbüchern bei den Slaven Eingang zu verschaffen, ohne weiters auch deren Schrifizeichen annahmen. Am treuesten scheint dies durch den dalmatinischen Priester Hieronymus im III. Jahrhunderte geschehen zu sein, vom dem das glagolitische oder hieronymische Alphabet (Bukvica) der slavischen Kirchenbücher herrühren soll, während sich Cyrill und Method im IX. Jahrhunderte mehr an die griechische Schrift lehnten, wenn dies nicht umgekehrt der Fall war, d. h. diese längst vorhandene Schrift von den Griechen selbst weitergebildet worden ist, denn die ältesten griechischen Schrifttexte, wie sie z. B. auf Melos, in Korinth u. a. vorgefunden wurden, sind den primiliven Runen weit ähnlicher, als dem heutigen griechischen Alphabete. — Man muß da auch wieder einmal gewisse, in der Praxis erstarrte schultechnische Begriffe überprüfen. — So lesen wir bei Strabo, daß die Bewohner Massilias mit „griechischen“ Zeichen schreiben. Desgleichen erzählt Caesar (De bello gallico), daß im Lager der Helvetier mit griechischen Lettern geschriebene Tafeln vorgefunden wurden. Wären nun diese Texte tatsächlich griechisch gewesen, so hätte sie Caesar oder jemand aus seiner Umgebung, die doch griechische Bildung genossen, lesen können, so war ihnen aber die Schrift ihrer Form nach äußerlich allerdings nicht ganz fremd, wohl aber der Inhalt, welcher augenscheinlich der den Römern unverständlichen „keltischen" oder „gallischen" Sprache angehört haben mag. Es ist aber sicherlich nicht leicht heute den Schriftext auch einer bekannten 5prache zu entziffern, wie sie vor zweitausend und mehr fahren gesprochen und geschrieben wurde, da man nicht mehr den Artikulationsmodus und die schriftliche Darstellungsmethode der Aussprache von Einst nachprüfen kann, und bilden namentlich die Zischlaute oder die Sibilanten dabei die größten Lösungsschwierigkeiten. Wir müssen uns daher bei den Entzifferungen an die, wenn auch nicht ganz klare Buchstabierung der Lautfolge im kleinen einerseits, andererseits aber an den logischen Inhalt im großen anlehnen, denn auch unsere ältesten Vorfahren werden auf einem bestimmten Objekte nur das aufgeschrieben haben, was mit diesem organisch zusammenhängt, denn das entscheidende Machtwort spricht dabei doch immer die Impression. Wir müssen daher vor allem die Bedeutung unserer primären Wortformen kennen, denn erst dann kann das Verstehen der alten Schriften eine wissenschaftliche Bereicherung bedeuten. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich auch daraus, daß man nicht weiß, wie weit verschiedene Völker dieselben Alphabete und die gleichen Runenzeichen gebrauchten, denn es sind Beweise da, daß ein und dasselbe Volk in verschiedenen Zeiten und Gegenden, aber ebenso auch gleichzeitig verschiedene Schriften gebrauchte, sowie daß die Lesung einmal von rechts nach links, ein anderesmal von links nach rechts wie auch ackerlinienartig (bustrophedontisch) geschah, also demselben Zeitgeschmäcke unterlag, wie wir ja auch heute diesen oder jenen Schrifttypus bevorzu genoder vernachlässigen, sowie in demselben Schriftstücke lateinische, kurrente, griechische, hebräische u. a. Schriften anwenden können. Man behauptet überdies ziemlich allgemein, das die Runenschrift eine Geheimschrift war, weil „runo“ gleichbedeutend sei mit Geheimnis, denn das deutsche „raunen“ bedeute: Geheimnisse zuflüstern, welche Ansicht allerdings nur richtig wäre, wenn „raunen“ Geheimnisse verhüllen bezeichnen würde. Diese Etymologie ist aber hier zweifach widerlegbar. — Als Geheimnisse können die Runen allerdings auch angesehen werden u. zw. vor allem für den Analphabeten, genau so wie die heutige Schrift einem solchen ein Geheimnis ist; überdies bildeten die Runen wohl auch seit jener Zeit, als man sie nicht mehr zu lesen verstand, und dieses währt bis heute, ein allgemeines Geheimnis. — In ganz analoger Weise entwickelte sich im Slavischen der Begriff: čarodej, čarodelnik, čarodelec, čarovnik, d. i. derjenige, der „čare“ ( Striche) macht, mithin schreiben kann, was aber heute schon der Bedeutung: Zauberer, Zauberkünstler gleichkommt. Was er schrieb, verstand der des Lesens Unkundige einst natürlich nicht, daher solche Zeichengruppen für den Analphabeten eine geheime oder apokryphe Bewertung annehmen mußten. Andererseits aber kann eine öffentlich verwertete Schrift keine Geheimnisse enthalten, die man in Bronze, Eisen, Stein und Holz mühsam einmeißelt oder in gebrannten Ton eingräbt, und so der Welt offen darbietet, wie z. B. auf Waffen, Schmuckstücken, Weihobjekten und sogar Naturfelsblöcken längs einer für den allgemeinen Verkehr bestimmten Kommunikation. — Die sogenannten „Buchenstäbe“ waren sonach auch keine geschnitzten Einzelrunen oder Typen, sondern enthielten einen gedankengemäß geordneten Text größeren oder kleineren Umfanges, also zwecks Fixierung von Gedanken, die man erhalten oder jemand anderem mitteilen wollte, waren also eine primitive Form von Briefen. Es ist daher schon im Prinzipe nicht ernst zu nehmen, daß man je solche beschriebene „Buchenstäbe“ wahllos hingeworfen und daraus geweissagi hätte, weil man ja daraus gleich fertige, inhaltlich geschlossene Texte erhalten mußte, daher nichts zu deuten übrig blieb. Es ist daher das deutsche Wort „Buchstabe“, analog wie das slavische „buki, bukva, bukvica“ ( Buchstabe, bildlich dargestellter Laut) nicht von „Buche“ (botanisch), sondern von „Buch“, d. i. Laute, die zusammengesetzt ein Buch, eine Rolle, also einen zusammenhängenden Text geben, abzuleiten. Hingegen mag es vollkommen richtig sein, daß man im Uranfange Wichtiges als Einschnitte (Einkerbungen), die gewisse Naturformen des darzustellenden Objektes nachahmten und zugleich als mnemotechnische Hilfsmittel dienten, im Holze einkerbte, denn auch in der Edda wird wiederholt darauf angespielt, wie : „Urgötter gruben, Urredner ritzte, Asenhaupt schnitt sie ein, weißt du zu ritzen u. ä., wodurch eine Art Bilderschrift entstand, die erst dadurch zu einer Lautschrift wurde, daß sich der phonische Begriff für ein Objekt mit dessen graphischer Darstellung identifizierte und konventionelle Werte annahm. Die Bildung der Runen ging aber genau so vor sich, wie jede Original-Schriftbildung vor sich geht, d. i. durch Analphabeten. Haben sich solche etwas vorzumerken, so wenden sie hiefür naheliegende Zeichen an, und diese sind bis zu einer gewissen Grenze immer dieselben und sozusagen dem äußeren Eindrücke angepaßt, denn das „o“ ist z. B. in fast allen Sprachen durch eine Einkreisung dargestellt, weil der Mund bei der Aussprache eine ähnliche Form, wie das „o“ einnimmt; „i“ ist immer das einfachste Zeichen, weil der Lau! sozusagen durch die Zähne gepreßt wird u. ä. — 5o paradox nun auch die Erklärung klingt, so klar ist es, daß an verschiedenen Punkten und zu verschiedenen Zeiten durch Analphabeten die Grundzüge einer Schrift entstehen, wobei die Grundformen bis zu einer gewissen Grenze die gleiche äußere Beeinflussung zur Schau tragen. Die Schriflvarianien hingegen sind Folgerungen persönlicher Auffassungen und manueller Fertigkeiten, die daher immer eine Art Individualitätscharakter annehmen. Über den Ursprung der Runen wurden seit jeher die abenteuerlichsten Ansichten verbreitet, die nur den einen Kern haben, daß die Runenschrift eben sehr alt ist. Nebstbei hielten sie die einen für eine Art Bilderschrift oder Hieroglyphen, die anderen für eine magische Schrift. Die einen, wie CJoh. Magnus (Historia de ómnibus Gothorum Sveonumque regibus. Romae 1554), Olaus Magnus (Historia de gentibus septentrionalibus. Romae 1555) und Olaf Rudbeck (Atlántico. Upsalae 1689) sehen in den Runen Denkmäler aus der Sintflutepoche; doh. Perinskiöld (Vita Theodorici etc., Stockholmiae 1699) glaubt, daß Magog, ein Sohn daphets, die Runen nach Schweden gebracht habe; Ole Worm (Danica literatura antiquissima. Hafnicae 1651) meint hingegen, sie sei in Asien entstanden und mit den ersten Besiedlern Europas mitgebracht worden, dan Ihre (um 1770) schreibt die Erfindung der Runenschrift den Skythen, Sjöborg (1805) hingegen den Phöniziern zu, kurzum es spinnen sich da die phantastischesten Kombinationen über die Runengenesis durch alle Zeiten bis heute fort. Nach Skandinavien brachte angeblich der Fürst Odin im 111. dahrhunderte n. Chr. den Gebrauch zum Andenken an tapfere und verdiente Männer große Steine aufzurichten und sie mit Runeninschriften zu versehen; so erklärt es sich auch, daß man in der schwedischen Provinz Upland an 700 Runensteine fand, weil dort augenscheinlich diese Sitte allgemeiner war als wo anders; man weiß aber überdies auch, daß es früher weit mehr solcher Steine gab, aber sie wurden mit der Zeit bei allerlei Bauten verwertet. Die Summe aller bezüglichen Erfahrungen führt aber zu folgendem begründeten Schlüsse: a) die Runenschrift ist die älteste erhaltene Schrift-form phonetischer Richtung; sie ist daher weder eine exotische noch eine geheime Schrift; b) die meisten bekannten und gangbaren Schriftarten entwickelten sich aus den runischen Vor-b ildern; c) scheint es, daß die Runen die Urschrift der Slaven bildeten, weil die Etymologie des Begriffes „Rune“ die Selbstdefinition bietet, denn im Slavischen bedeutet „ruti“ ausreißen, Vertiefungen machen, und „riti“ eingraben, ritzen, was auch natürlich erscheint, denn die Buchstaben wurden in harte Gegenstände, wie: Stein, Metall, Knochen, Holz, Baumrinde, Wachs u. drgl. eingegraben. Solche Schriften finden sich vor auf: Speerblättern, Lanzenschäften, Schwertern, Messern, Scheidenbeschlägen, Schildbuckeln, Helmen, Glocken, Vasen, Tellern, Diademen, Spangen, Kämmen, Ringen, Goldhörnern, Münzen, Brakteaten, Urnen, Grabsteinen, Grenzzeichen, Wegweisern, dann Naturfelsen und Steinblöcken. Es sei aber hiemit auch keineswegs behauptet, daß alle vorhandenen Runendenkmäler s 1 a v i s c h e Texte aufweisen, denn ebenso wie man z. B. mit lateinischer Schrift Slavisch, Deutsch, Lateinisch, Französisch, Magyarisch u. s. w. wiedergeben kann, können auch die Runen verschiedenen Sprachen zugleich als Schriftbehelf gedient haben, und ist dies ja auch festgestellt, wie es später an einem lateinischen Beispiele gezeigt wird. — Wir kennen doch epigraphische Runendenkmäler von Skandinavien, England, Rhätien, Etrurien, Griechenland, Phrygien, Äthiopien, Amerika (Mississippi-Tal) u. a., nur wissen wir heute noch gar nicht, welcher Sprache sie zuzuschreiben seien, so lange uns die sprachliche Deutung des Geschriebenen ein Rätsel bleibt.*) Was die Schrift- und Buchstabenform selbst betrifft, läßt sich im allgemeinen nur sagen, daß jenes Runendenkmal umso älter ist, je einfachere Buchstaben es aufweist und je ärmer das Lautinventar ist. Unterschiede zwischen Majuskeln und Minuskeln wurden bisher an keiner Runenschrift festgestellt; nur das slovakische Runenalphabet fällt insofern von den übrigen auf, daß es die Vokale zumeist verkleinert darstellt. Ligaturen (Buchstabenverbindungen) weisen im allgemeinen auf eine jüngere Entstehungszeit des Runendenkmals. Es ist nun auch die nichi unwichtige Frage zu beantworten, in welcher Zeit die Runenschrift in Verwendung war, doch besitzen wir *) Sven Hedin fand bei den Ausgrabungen in der Wüste Gobi (Zentralasien) ein beschriebenes längliches Brettchen, dessen Schrift keiner asiatischen oder sonst bekannten Sprache entspricht und bis heute auch nicht gelöst wurde. An der Fundstelle stand einst ein großes Geschäftshaus, denn an gleicher Stelle wurden auch viele hunderte Papierfetzen mit kommerzieller Korrespondenz in chinesischer Sprache vorgefunden. Augenscheinlich stammt dieser runenartig beschriebene »Brief« aus einer vollkommen fremdsprachigen Gegend. » für die Beantwortung nur allgemeine Zeilgrenzen. Das Hindernis für konkretere Angaben besteht vor allem darin, daß wir schon überhaupt nicht wissen, wann die Runen bei ihrer großen Verschiedenheit und Gebrauchsverbreitung auf diesem oder jenem Gebiete verwendet wurden. Es kann nur als bekannt angenommen werden, daß die Runenschrift in Italien älter ist, als die lateinische; die etruskischen Runendenkmäler können daher ein oder mehrere ¿Jahrtausende vor der christlichen Zeitrechnung schon dort im Gebrauche gewesen sein; sie müssen aber auch später nach Einführung der lateinischen Schrift in Verwendnng gestanden sein, da auch bilinguische Denkmäler gefunden wurden, auf denen der Runentext durch die lateinische Sprache und Schrift kommentiert wird. Auf jeden Fall verliert sich aber schon in der römischen Kaiserzeit die Runenschrift auf italischem Gebiete nahezu spurlos. — Die jüngsten russischen Münzen mit der Aufschrift „Rurik“ in Runen gehören augenscheinlich in die zwei ersten Jahrhunderte des Mittelalters. — ln Schweden und Norwegen wurden Glocken mit nordischen Runeninschriften gefunden, die man der Zeit von 1150—1250 zu schreibt; sie können aber ebensogut 5—6 Jahrhunderte älter sein, nachdem der Glockengebrauch in den nordischen Ländern schon im VI. Jahrhunderte n. Chr. festgestellt erscheint. Eine solche, in Schweden gefundene Glocke (Museum Kopenhagen) hat sogar den lateinischen Text „yesuz krisias afe maria grasia“ — in Runen eingraviert. Allerdings kann die < Inschrift, die noch von rechts nach links'' zu lesen ist, auch erst später angebracht worden sein. (Museum Kopenhagen). Eine Mystifikation in einwandfreier slovakischer Runenschrift leistete sich noch i. J. 1872 ein intelligenter Waldheger in Kremnitz, der die Sache wohl sehr anachronistisch ausführte, aber damit mittelbar bewies, daß er zum mindesten einen reellen Behelf, also ein altes Runenalphabet, hiebei benützt haben mußte; er täuschte auch die Gelehrienwelt damit, trotz der urplumpen Weise, durch volle 40 Jahre, nachdem den Text bis zum Jahre 1912 doch niemand entziffern konnte. Bedauerlich ist es auch, daß unter den Tausenden der bekannten Runendenkmäler bisher kein einziges entziffertes eine positive Zsitrechnungsangabe bietet, und ist dies, obschon die Texte erst in geringer Zahl geklärt sind, aus bekannten Gründen auch für die Zukunft nicht zu erwarten. — Die christliche Zeitrechnung hat erst der Abt Dyonisius Exiguus um die Mitte des VI. Jahrhundertes angeregt. Verbreitet wurde diese Ära erst im VIII. ¿Jahrhunderte, und Karl d. Gr. war angeblich der erste Fürst, der sich in Urkunden schon gelegentlich dieser Zeitrechnung bediente; doch erst im X. Jahrhunderte war sie im Abendlande allgemeiner geworden. Alle wichtigen Geschichtsdaten stützen sich daher bis zu dieser Zeit auf Regentennamen; dadurch aber, daß wir dabei off auch erfahren, wie viel Jahre einer regierte, sind uns weitere Kombinationen erst ermöglicht worden. — In kleineren Verhältnissen dienen aber oft nur Elemenfar-ereignisse, Mißjahre, Heuschreckenplagen, große Brände u. ä. als Fixierung einer bestimmten Zeit, wovon wir aber wieder nichts haben. Wenn daher z. B. eine ziemlich umfangreiche slovakische Felsinschrift angibt, daß damals der Herr von Silian das ganze Turocz-Szt.-Martoner Gebiet verwüstete, so wissen wir dabei noch gar nicht annähernd, ob dies etwa tausend Jahre vor oder nach Ghr. geschehen ist, umsomehr als die jetzige Inschrift doch schon seit dem Geschehnis eine nachgetragene und ebenso eine schon ein- oder mehreremale übertragene sein kann. Ebensowenig bieten die Alterseindrücke irgendeine annähernde Orientierung, denn der Grad der Verwitterung eines solchen beschriebenen Steines, die Oxydierung einer Münze, Waffe oder eines Schmuckgegenstandes hängt wieder von dem Einwirken der Witterungseinflüsse und der unmittelbaren Umgebung ab, deren lokale Intensität man doch nicht skalamäßig ablesen kann; kurzum es ist äußerste Vorsicht geboten, sich in dieser Richtung in konkrete Zeitangaben einzulassen. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei der Klassifikation der Sprache einer Inschrift, da die ethnographischen Verhältnisse keines einzigen Gebietes bis ins graue Alter als geklärt angesehen werden können; es kann daher nur die Sprache des Textes maßgebend sein. Doch da handelt es sich wieder darum, ob diese Sprache konsequent eingehalfen wurde, denn wir haben genug Inschriften, die zum Teile gut verständlich sind, oder einzelne bekannte und richtig gedeutete Begriffe aufweisen, der Rest ist jedoch wieder ein Sprach-rätsel. Es gibt Runendenkmäler von Schweden, Norwegen, Dänemark, Jütland und England, die rein slavische Begriffe im modernen Sprach-sinne enthalten, also auf einen slavisch-sprachgenetischen Zusammenhang die Impression üben, aber doch nicht voll verständlich sind. — So stehen z. B. auf einer prächtigen Kleiderspange, die in Etelhem (Schweden) gefunden wurde, zwei Worte; das letztere lautet zweifellos „vrtal“; das ersfere ist aber augenscheinlich der Name des Erzeugers ; „vrtal“ bedeutet jedoch im Slavischen: gebohrt, gedrechselt, ziseliert; es ist dies also eine Art Firmadruck des Meisters. Allerdings kann die Spange ja auch aus anderer Gegend hierher gebracht worden sein. — Die Erklärung kann wissenschaftlich nur dahin gelenkt werden, nachdem wie schon W. Grimm („Über deutsche Runen“, Göttingen 1821) aussprach, bisher kein unbezweifelt deutsches Runen- Spange von Etelhem (Museum Stockholm). denkmal entdeckt wurde, daß diese slavischen Begriffe noch alsUrbestandteile der allgemeinen Sprachverwand-schaft anzusehen seien, daher bei dieser Forschung gerade die slavischen Sprachen als die originelleren am allerwenigsten ausgeschlossen werden dürfen, wenn man der Sache überhaupt einen Ernst entgegenbringen will. Nachstehend werden nun alle bekannten Denkmäler, welche slavische Texte in Runenschrift aufweisen und menschlich verläßlich als solche angesehen werden können, beschrieben und bildlich dargestellt. Dieselben wurden gebietsweise nach ihrer spezifischen Eigenart und äußeren Form gruppiert, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, daß sich bei einem mobilen Objekte heute der Fundort mit dem Ursprungslande durchaus nicht mehr zu decken braucht, sowie es andererseits auch kein Zweifel ist, dass die Ähnlichkeit der pelasgischen, altgriechischen, lateinischen, etrurischen, iberischen, keltischen, ägyptischen, phönikischen, samarischen und sonstigen morgenländischen Runen mit den slavischen ebenso auf einen ge- meinsamen Ursprung deutet, wie alle die genannten Sprachen selbst. — Es wäre sonach im Prinzipe garnicht nötig von Runendenkmälern als einer Spezialität von Schrifturkunden zu sprechen, weil sie doch nur die archaische Form unserer heutigen Schriften bilden; aber die Wissenschaft und Kulturgeschichte haben ihnen eine Sonderstellung gegeben, welchem Ausnahmsverhältnisse wir nun gezwungen sind auch weiter Rechnung zu tragen. — Es ist jedoch auch schwer und unsicher die Runenschriften der Slaven selbst nach den einzelnen Völkerschaften oder Sprachnuanzen zu gruppieren, weil sich die politischen wie ethnographischen Übergänge mit jenen der Sprache nicht immer decken, daher die Merkmale keine genauen Umrisse zurücklassen. Aus diesem Grunde werden hier alle jene Runendenkmäler, die sprachlich ein ziemlich homogenes Alphabet mit slavischem Texte aufweisen, in drei grosse Gruppen vereinigt, u. zw. in a) die wendischen, d. i. nordeuropäischen; bj die s 1 o v a ki s chen, d. i. die mitteleuropäischen, und c) die etruri sehen, d. i. die südeuropäischen. — Wendische Runendenkmäler. TAFEL I, (zur Seite 15). Wendisches Runenalphabet. a XAN 4J1/IM 1 1 X f f b ttxtt \ m ItfY c JL 4-' 4^ i n kT\ K d . P P M- 4 4 0 A ^1 +■ T i e iLS-TL/T P nrin f IfFf r V P n 9, k r n c s MNirV i(y) 1 j J Y t t i M • ) X (?) u n n p t t h u, y X • i 1 v, f, u $ je > z, z, c > k > ju X 1 V li Anmerkung. Das Alphabet ist einfacher und variiert nicht so in den Formen, wie das wendische. — Von Ligaturen wird häufiger Gebrauch gemacht. — Die Vokale sind hier meist als Minuskeln geschrieben. Allgemeines. Aut dem von den Slovaken bewohnten Gebiete wurden einige Runeninschriften gefunden, die ein von dem wendischen völlig abweichendes Alphabet aufweisen. Cb sich Inschriften dieser Art auch auf Waffen, Schmuckobjekten, Münzen u. drgl. befinden, ist bisher nicht verlässlich festgestellt; was wir an solchen Denkmälern besitzen, sind nur Gravierungen auf Stein. — Die Tafel 11 zeigt das normale „51ovakische Runenalphabet“. Die Felsinschriff auf dem Velestur. Auf dem höchsten Punkte des Kremnitzer Gebirges, „Velestur“ genannt, fand Paul Krizko im Jahre 1865 eine grössere Runeninschrift. Den Text entzifferte später der Entdecker selbst mit Zuhilfenahme von Kollars „Staroitalija Slavjanska“ (Wien, 1853), welches Werk die verschiedenen etrurischen Runenalphabete enthält; freilich war diese Lesung zum grossen Teile unrichtig. Der Text der beigegebenen Figur lautet: „prjechach silian od morane zrumich kremenitju te tum i vsia grada i bje gode po turn dvje-stje te osemdst“, d. h.: „es kam der Silleiner von der Grenze, zerstörte Kremnitz und Tur, sowie alle Burgen und alle befestigten Punkte im Turgebiete an 280.“ — Dieser zur Gegend vollkommen passende geschichtliche Text ist vor allem deshalb von hervorragendem geschichtlichen Werte, weil er umfangreich ist, daher die meisten Laute des Alphabetes enthält. — Der obige Text bildet für das Verständnis des Slaven keine besonderen Schwierigkeiten, namentlich wenn er folgendes weiss: a) „silian“ ist der Herr von Sillein, einem Orte mit einer Burg am linken Waagufer; Zunkovic: „Slavisclie Runendenkmäler“. 6 b) „für“ ist augenscheinlich identisch mit dem heutigen Komitate Turocz Szt. Marlon; c) „morana“ ist eine erweiterte Form von „mor, mar“ (= Grenze), also Grenzgebiet; d) „god“ (auch „chod“) kennzeichnet etwa: Wachthütte, Wachthaus; e) „bie“ ist offenkundig ein Schreibfehler, denn es ist wahrscheinlich das „s“ ausgefallen, muss demnach dem ganzen Sinne nach als „vsje“ gelesen werden. Felsinschrift auf dem Velestur. Auch dieses slavische Runendenkmal wurde gleich nach dem Bekanntwerden als eine Fälschung des Entdeckers selbst bezeichnet, ja sogar noch in demselben Oahre von missgünstigen Gegnern zerkratzt, was jedoch weiter wissenschaftlich nicht empfindlich störend wirkt, da rechtzeitig mehrere Gipsabklatsche gemacht wurden. Für die Fälschung liegt übrigens nicht der geringste Beweis vor, gegen dieselbe jedoch folgendes: a) Der Entdecker Paul Krizko wurde erst durch Erzählungen der Bauern, dass es auf dem „Velestur“ nicht geheuer sei, dass dort geheimnisvolle Zeichen eingegraben seien, dass man dieser Stelle ausweichen müsse u. ä., auf die Schrift aufmerksam gemacht; b) ist dieses unzutreffend, dann ist es widersinnig, wenn Krizko die Schrift eingeritzt hätte, dass er dann nicht weiss, was sie besagt, denn er las sie wohl lautlich richtig, aber seine Erklärung derselben ist unrichtig, da er folgenden Text ermittelte: „Es kam der Silian vom Norden, zerstörte Kremnitz und Tur und alle Burgen; es war dies 280 Jahre nach dem Tur,“ wobei namentlich der den Zeitpunkt ergänzende Satz weder dem Texte entspricht, noch sonst etwas besagt. Es ist aber doch anzunehmen, dass der Fälscher einer so umständlichen Arbeit etwas aufschreibt, was er vor allem selbst versteht, denn es wird wohl niemand eine so sinnlose Kratzerei auf einem fünf Stunden Gehweges enlfernten, 1266 m hoch im Gebirge sich befindlichen Felsen zwecklos vornehmen; c) will jemand Moderner etwas aus eigenem oder nationalem Ehrgeiz in historischer Hinsicht fälschen, so wird er wohl einen Text wählen, der einen Forschungseffekt bilden soll; diese Inschrift erzählt uns wohl ein lokales Ereignis, lässt uns aber in bezug auf die handelnde Person, namentlich aber betreffs des Zeitpunktes vollständig im Unklaren ; ja, der Entdecker rechnete autosuggestiv damit, dass die Zahl 280 eine Jahreszahl sein müsse; d) den Fälschungscharakter vernichtet aber vollends der Umstand, dass im Texte Begriffe, wie: morana, god, tur — Vorkommen, deren Bedeutung der Fälscher selbst nicht versteht, die aber jetzt durch diese toponomischen Klärungen, welche übrigens der Kenntnis dieser Felsinschrift seitens des Verfassers der „Slavischen Runendenkmäler“ weit vorausgegangen sind, zeigen, dass sie in dieses Milieu vollkommen passen, beziehungsweise gerade dadurch deren richtige Etymologisierung bestätigt wird; e) der Felskopf hat einen Umfang von 26 m, ist 6 m hoch und ringsum von Steinmetzen gemeisselt; an einer Seite sind sogar zwei verschieden hohe Säulen ausgehauen — eine Arbeit, die eine Person, namentlich wenn sie nicht vom Fach ist, nicht nur in einer kurzen Zeit nicht bewerkstelligen, sondern auch ungesehen gar nicht ausführen kann, da dort auch der kürzeste Weg zwischen Kremnitz und Neusohl vorüberführt. Die Inschrift befindet sich auf einem Punkte mit grossartiger Fernsicht über die ganze Umgebung; dort läuft auch die Komitats-grenze. Dass sich dort ein ständiger Beobachtungsposten befunden, ist naheliegend, und hatte die Inschrift wohl auch den Zweck, die Wachthabenden an die gewissenhafte Pflichterfüllung zu erinnern, damit sich das einstige Unglück nicht wiederhole. Dass einst ein bestimmtes Gebiet tatsächlich nach seinen verteidigungstechnischen Potenzen klassifiziert wurde, geht aus zahlreichen Chroniken und geographischen Schriften unzweifelhaft hervor. Es sei hier nur auf das „Fragmentum geographicum de terris Slavorum“ des IX. Jahrhundertes (München) verwiesen, das 58 slavische Gebiete in Europa aufzählt und bei jedem die Zahl der befestigten Städte beifügt, welche zwischen 5 (Bulgaren) und 516 (Stadici) variiert. — Wollte sich jemand der Mühe unterziehen, alle die Schutz- und Wachtpunkte der zwei erwähnten Gebiete, die teils toponomisch erkennbar sind, teils durch Nachgrabungen festgelegt werden könnten, zu verzeichnen, so wäre es auch möglich, die einstigen Grenzen jenes vom „Silian" gebrandschatzten Gebietes zu rekonstruieren. — Allem Anscheine nach muss sich diese Begebenheit in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung abgespielt haben, und dürfte jene schriftliche Verewigung auf dem Velestur kaum nach dem VIII. Jahrhunderte erfolgt sein. — Die Steininschrift auf dem Smrcnik. Auf dem Smrcnik, einer anderen Kuppe des Kremnitzer Gebirges, fand derselbe Krizko schon im Jahre 1861, gleichfalls angeregt durch allerlei phantastische Erzählungen der Umwohner, einen etwa 1-5 m langen Stein mit der in der beigegebenen Illustration ersichtlichen Inschrift. Eine glaubwürdige Entzifferung gelang bis jetzt niemandem, daher diese Inschrift bis nun auch noch nicht als gefälscht verdächtigt wurde; hätte man geahnt, dass sie einen slavischen Text hat, wäre dies wohl kaum ausgeblieben. Die Lesung selbst ist auf Grund des Alphabetschlüssels so weit sicher und leicht, als einfache Laute folgen: die ersten 7 Zeilen besagen: „mb hury“, d. i. die Kante (Krete) des Berges; in der Fortsetzung folgt ein Bündel von Ligaturen, wobei es für die Reihenfolge der Laute keinen Anhaltspunkt gibt. Wahrscheinlich war dies ein Grenzstein, denn der Stein lag an der Komitatsgrenze und besagte die Inschrift höchstwahrscheinlich: „Die Rückenlinie des Gebirges ist zugleich die Grenze.“ — Dies wäre durch tote Zeugen, die man gewöhnlich unter den Grenzsteinen in die Erde vergrub, noch heute feststellbar, wenn nicht bald nach dem Bekanntwerden des Schriftfundes sofort habsüchtige Leute den Stein von der Stelle geschafft hätten, um nach Wertobjekten zu graben. Weiters fand Krizko auch in derselben Gegend auf der „Divcy skäla“ ( Aussichtsfels) mehrere Bruchstücke von Schieferplatten mit 5chriftfragmenten, deren erhaltener Text mit Rücksicht auf die wenigen Laute nicht einmal eine ernste Mutmassung zulässt, was sie besagen sollen. Dies ist alles, was an slovakischen Runendenkmälern bisher bekannt ist. Wie aber die Zeitschrift „Sokol“ (Turocz-Szt. Marlon) vom ¡Jahre 1861 schreibt, gibt es in der Slovakei noch etliche dem Volke traditionell bekannte, aber wissenschaftlich bisher unbeachtete Felsinschriften, die wahrscheinlich alle einst als Grenzweiser gedient haben. Solche sollen vorhanden sein: bei Liptau auf der Havranna Skala, also an der Komitatsgrenze; an der Grenze des Zvolensko-Novohradsko-Malohonter Komi-fates, etwa k Stunden Gehweges südöstlich von Hronec entfernt; in Mittel-Tekov, nördlich von Inovec; im Bezirke Handl gegen Nova Lhota; im Bezirke Boglar bei Bardijov befinden sich etwa auf der Waldlichtung „na Banisku“, welche Bezeichnung etymologisch tatsächlich auf eine Grenze oder den Zusammenstosspunkt mehrerer solcher deutet, unverstandene Felsinschriften; in der Umgebung von Sabinov sollen auf einem Felsen gleichfalls Runeninschriften gefunden worden sein; auf der Komitatsgrenze „na Zopole“ unter dem Bergstöcke Kri-van, der selbst die Grenze bildet, befinden sich auch Runenschriften; eine solche wurde auch „na Holach" von Rosenberg festgestellt. Eine offene Aufforderung (im Frühjahre 1913), diese Inschriften aufzusuchen, sie zu kopieren oder Gipsabklatsche zu machen, blieb bisher erfolglos. — Höchstwahrscheinlich slammen alle diese Inschrif-len von einem, geschichtlich freilich nicht mehr bekannten Herrscher jener Gegend her, der mit seinen Nachbarn eine Grenzregulierung vornahm und die wichtigsten Punkte der Grenzlinien mit Inschriften versehen liess. — Zu bedauern ist es nur, dass keine dieser Inschriften, sowie sie eben bisher bekannt sind, irgendeine für die Vorgeschichte der Gegend orientierende Zeit- oder Namenangabe enthält, und ist dies demnach von den noch ungelösten oder unbekannten auch kaum zu erwarten. — Ein gefälschtes Runendenkmal. Nachstehend sei, da fortgesetzt über Fälschungen von Runendenkmälern gesprochen wird, auch ein solches Beispiel angeführt, um die Verleumder endlich zu kurieren. Dieses Falsifikat zeigt nämlich einerseits an, dass es zweifellos alte echte Runenalphabetvorlagen gegeben haben muss, und andererseits, wie sich die Wis senschaft diametral irrte, indem sie gerade eine gefälschte Inschrift als echt anzusehen pflegte, weil sich über die Provenienz dieser Inschrift eben niemand eine Erklärung geben konnte. Im „Časopis musealnej slovenskej společnosti“ in Turocz-Szt. Marion, 1905, 5. und 6. Heft, beschreibt Dr. Clohann Petrikovich den hier ersichtlichen, mit Runen beschriebenen Stein, auf den er im Jahre 1875 bei einer Fussreise mit seinem Onkel unter Vysocina (Umgebung von Kremnitz) gestossen sei. Dem Onkel war es bekannt, dass der ärarische Waldheger Pilz diesen Stein schon im Jahre 1872 entdeckte, denselben senkrecht neben den Brunnen daselbst gestellt habe und zur Erinnerung an den Fund auch am Brunnen: „1872 — Pilz“ eingemeisselt habe. Die Runenschrift vermochte jedoch niemand zu lesen bezw. aus der Schrift einen Sinn zu konstruieren. Als Petrikovich im Jahre 1904 auf einer archäologischen Reise abermals an jene Stelle kam, zeichnete er die Schrift des 160 cm hohen und 84 cm breiten Trachytsteines ab, machte auch drei Abdrücke mit Papiermache, nach welchen dann Gipsabgüsse erzeugt wurden, und veröffentlichte nun diese Schrift im erwähnten „Časopis" mit der Aufforderung, es mögen sich Kenner der Runen mit der Lösung befassen. Doch fand sich bis zum Jahre 1912 niemand, der diese Schrift hätte entziffern können. Nun erhielt der Verfasser eines Tages die Aufforderung, den Text zu entziffern. Die Lösung war sehr einfach; allerdings mag der Fälscher mil seinen sekrelen Hilfsmilteln damii gerechnet haben, es werde die Schrift niemand mehr entziffern können, er sich daher zum Schlüsse auch noch selbst verewigte; es gelang ihm auch — unglaublicherweise — hiemit durch 40 Jahre die Mit- und Nachwelt zum besten zu halten. Der Text lautet nämlich: „u nas krjestanov panue sliepota! — Pils — 1872.“ — D. h. „bei uns Christen herrscht die Blindheit! —Pilz— 1872.“ — Die Nachforschungen über den Mystifikator ergaben, dass er schon lange tot ist, aber allgemein als ein sehr intelligenter Waldheger galt. Es ist auch klar, dass es sich dem Schreiber in seiner geistigen Überlegenheit dabei um eine heimliche Rache gegen irgend jemand handelte. Die Schrift ist tadellos durchgeführt, denn hier unterscheidet sich nur der Laut „n" unwesentlich in seiner Form vom normalen Alphabete; überdies fällt die Ligatur „li“ auf, die in den bisher bekannten Runendenkmälern noch nicht vorgefunden wurde. Bei alledem ist aber die Mystifikation doch so plump durchgeführt, dass sie für den Runologen sofort als Fälschung erkennbar ist, denn: a) hat doch Pilz seinen Namen wie die gleiche Jahreszahl sowohl in lateinischer wie in Runenschrift beigesetzt; b) ist jede Jahreszahl, namentlich aber jene von „1872" in einer altersechten Runenschrift undenkbar; c) ist in einer altersechten Runenschrift ein Ausrufungszeichen unbedingt verdächtig, nachdem die Interpunktionen, namentlich aber das Rufzeichen, jüngeren Datums sind. Es ist dies ein Schulbeispiel, welche gravierende Unterschiede sich zwischen einer echten und einer gefälschten Runeninschrift von selbst ergeben, und nebstbei ein typisches Satyrspiel des Zufalls, wie unverlässlich äie Wissenschaft in derlei Dingen ist. Man behauptete auch, dass Krizko das slovakische Runenalphabet selbst konstruiert habe. Dies ist aber unmöglich wahr, denn sechs dahre vorher ist bereits der erste Runenstein in Mikorzyn Is. S. 60 —63) ausgegraben worden, der zur Hälfte schon slovakische Runenformen aufweist. Da nun der ständig in Kremnitz lebende Krizko diesen sicherlich nicht erzeugt, nach Preussisch-Polen geschafft und dort vergraben haben konnte, ist es daher klar, dass das slovakische Runenalphabet schon längst früher bekannt gewesen sein musste. Ratsam wäre es, obschon es heute kaum mehr einen Erfolg verspricht, noch nachzuforschen, ob sich im Nachlasse Pilz’ nicht doch welche unbekannt gebliebene altslovakische Schriften befunden haben, denn darüber kann kein Zweifel sein, dass er eine reelle Vorlage besessen haben muss. — Die Entdeckung und Entzifferung dieser gefälschten Inschrift hat daher einen hervorragenden Beweiswert, weil hiemit homöopathisch dargelegt wird, wie die Fälschungen in der Wirklichkeit aussehen.— Sollten weitere slovakische Runeninschriften aufgefunden werden, so wird die Erklärung derselben durch Nachträge erfolgen. — TAFEL III, (zur Seite 87j. Etrurisches Runenalphabet. m r ^ tu >1' w m / bis w rNIHHU -VN A\ c c<0> U TH & cf f MHinrpUqMI18SFf: c n3^^'A3E 1 f ? q a MmoNr p/>aq1 D»IC< X + 1 f / 1 v/LUAU f ? t (D J ® © oov| X Z Anmerkung. Einen Unterschied zwischen etrurisch, oskisch und umbrisch zu machen, scheint nicht angezeigt, da sich ja die Uebergänge nicht fühlbar abheben. Desgleichen wurden die Buchstaben nicht konstant gleich bewertet und ausgesprochen. Ruuenalphabete wurden in Caere, Siena, Veji, Bomarzo, Clusium und Nola in Italien gefunden. — Dass alle Buchstaben auf beide Seiten konform gedreht Vorkommen, rührt wohl daher, dass auch die Stempel nicht immer als Negativum erzeugt wurden, daher die Buchstaben umgewendet erscheinen. . I III. Efrurische Runendenkmäler. $ AaAaAaAaAaAaAaAaAaAaAaAaAaAaAaA Allgemeines. Wenn hier etrurische, in Italien oder im Alpengebiete gefundene Runendenkmäler unter die slavischen eingereiht werden, so mag dies wohl die gesamte Wissenschaft gewaltig irritieren, weil man diese bisher jeder anderen Sprache zuschrieb, nur nicht der naheliegendsten, d. i. slavischen. Doch die Beweise hiefür sind vorhanden, so dass wir nun mit konkreten Dokumenten altslavischer Kulturarbeit, die nun Jahrtausende schlummerten, endlich sicher und überzeugend ans Licht treten können. Sie wurden bisher auch von niemandem als unterschoben verdächtigt, da sie auch noch von niemandem beweiskräftig als slavisch erklärt wurden, denn Kollar, der als erster die wahre Herkunft richtig vermutete, verfiel bei der Beweisführung sofort in den allgemeinen alten Fehler der Mythologi-sierung, weshalb auch der ganze immense wissenschaftliche Aufwand wirkungslos verpuffte. — Überdies hätte eine Fälschungserklärung hier schwerwiegende Kontradiktionen ausgelöst, denn die Slaven konnten sie nicht gefälscht haben, da sie nach der Völkerwanderungssage schon einmal jene Steine, die im Jahre 79 n. Chr. der Vesuv verschüttete, absolut nicht gefälscht haben konnten; es wäre daher immer etwas intakt geblieben. — Für die Erkenntnis der wissenschaftlichen Irrtümer ist es aber am lehrreichsten an konkreten Beispielen darzulegen, wo, wann und warum der Faden der Wahrheit riss. So schreibt z. B. Dr. Paul Schell-has unter dem Titel „An den Grenzen unseres Wissen“ und vorgreifend unter dem Motto „Ignorabimus“ noch im Jahre 1908 über dieses „nie mehr aufzuhellende Gebiet der Völkergeschichte", worunter er die etrurische Sprache meint, und zugleich den Extrakt von allem jenen zusammenfasst, was heute als die allgemeine Hypothese über die Efrurier gilt, folgendes: „In jenen fernen Zeiten des klassischen Altertums, als noch die spätere Beherrscherin der Alten Welt, das mächtige Rom, eine bescheidene Rolle als unbedeutendes Landstädtchen spielte, wo die Zunkovic: „Slavisclie Runendenkmäler“. sagenhaften Könige regierten, herrschte weithin in Mittelitalien ein blühendes, zahlreiches Volk, dessen Spuren lange vor die Gründung der Tiberstadt zurückreichen, das im Besitze einer alten, eigentümlichen Kultur war, und dessen Ursprung, Abstammung und Verwandtschaft — fügen wir es gleich hinzu — in undurchdringliches Dunkel gehüllt sind. Es bietet uns das interessante Beispiel eines Volksstammes, der, ein Fremdling unter seinen Nachbarn, mit keinem anderen Volke der Erde Verwandtschaft zeigt, ein Beispiel eines ausgestorbenen, isolierten Volkes, einer toten, isolierten Sprache fl). Denn längst schon ist dieses Volk von der Erde verschwunden und seine Sprache erloschen, und noch heutigentags bemüht sich die Forschung vergebens, das Rätsel zu lösen, das uns seine fremdartige Erscheinung auf klassischem Boden in der Menschheitsgeschichte darbietet, obgleich vor wenigen Dahren ein höchst wunderbarer Altertumsfund gemacht worden ist, der die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf das merkwürdige Volk gelenkt hat. Genes Volk sind die Etrusker und die bisher ungelöste und vielleicht unlösliche Frage nach ihrer Herkunft und Verwandtschaft knüpft sich vor allem an ihre Sprache. Das Etruskische ist eine isolierte Sprache, wie die rätselhafte Baskensprache (!), die noch heute in dem Winkel des Meerbusens von Biskaya, diesseits und jenseits der Pyrenäen, gesprochen wird. Während uns aber das Baskische als lebende Sprache im vollen Umfange bekannt ist, so dass sein Studium und seine Forschung an sich keinerlei Schwierigkeiten macht, sind wir beim Etruskischen auf die ziemlich spärlichen Inschriften und sonstigen Überlieferungen angewiesen und müssen daraus erst wieder die Sprache aufbauen und zu verstehen suchen. Denn obgleich wir die Schrift der Etrusker entziffern und lesen können, herrscht über die Bedeutung der meisten Worte Streit, und die Gelehrten lesen je nach ihrer Meinung über den Ursprung des Etruskischen bald dies, bald jenes heraus. Hat die Erforschung des Baskischen schon einen geheimnisvollen Reiz, wie jede Forschung auf den Grenzgebieten unseres menschlichen Wissens, so kommt bei dem Studium der Etruskerfrage noch ein besonders interessanter Umstand hinzu, ln der älteren Geschichte der Kultur der klassischen Völker ist noch immer vieles dunkel, und erst in unseren Tagen ist es teilweise gelungen, hier über manche Fragen Licht zu gewinnen. Die Etrusker waren, wie die Wissenschaft erst in neuerer Zeit erkannt hat, ein Volk, das in frühen Abschnitten der Kulturgeschichte des klassischen Altertums eine wichtige Rolle gespielt hat. Während die Basken als ein wildes, rauhes Gebirgsvolk eine Bedeutung für die Enlwicklung der Kulturgeschichte unserer Alten Well nicht besassen, haben die Etrusker in dieser Beziehung einen erheblichen Einfluss ausgeiibt. Ihre Kultur beherrschte vor dem Emporkommen der Römer weithin die italienische Halbinsel, und auch die Römer konnten sich ihrem Einfluss nicht entziehen, ein gutes Stück etruskischer Kultur ist auf die Bewohner Latiums und mithin auf die klassische Gesittung überhaupt übergegangen, so dass auch die Etrusker zu den Vorarbeitern unserer europäischen Zivilisation gezählt werden müssen. Auf manchen Gebieten Schüler der Griechen, waren sie ihrerseits wieder Lehrmeister der Römer. Die römische Kunst, und ganz besonders die Baukunst, hat vieles von den Etruskern übernommen, auch in den öffentlichen Einrichtungen der Römer ist vieles etruskischen Ursprunges, so z. B. die Beile tragenden Liktoren, die Sitte, nach siegreichen Kriegen Triumphzüge zu veranstalten, und manches andere. Das eigentliche Gebiet der Etrusker war das westliche Mittelitalien, zwischen dem Apennin und den Flüssen Arno und Tiber. Später dehnten sie sich erobernd aus, und zu den Zeiten ihrer Blüte herrschten sie vom Meerbusen von Salerno bis über den Po hinaus, vom Tyrrhenischen bis zum Adriatischen Meere. Die Überreste etruskischer Kultur, Grabdenkmäler, Inschriften, Gefässe und Bildwerke sind auf diesem weiten Gebiete verstreut, ja noch in den Rhätischen Alpen, als der äussersten Nordgrenze, sind etruskische Altertümer gefunden worden, so z. B. bei Bozen und Meran. Das merkwürdige Kulturvolk hat seinen in die modernen Sprachen übergangenen Namen der Etrusker von den Römern erhalten; die Griechen nannten sie Tyrrhener, während sie selbst in ihrer Sprache sich Rasenna nannten. Ihr Staatswesen bestand aus zwölf Republiken mit aristokratischer Verfassung, die untereinander verbündet waren. Die Städte Pisa, Perugia (Perusia), Arezzo (Aretium), Fiesoie, Pistoja und im Norden Bologna und Mantua sind etruskischen Ursprunges. Die Geschlechter des Priesteradels, die Lukumonen, waren die herrschenden Stände, welche die hohen Staatsämter ausschliesslich innehatten. Der Ahnenstolz war eine etruskische Eigentümlichkeit, und mit ihm verband sich die Vorliebe für Prunk und Pomp. Nächst dem Ackerbau betrieben die Etrusker den Handel und die Seefahrt. Sie waren kühne Seefahrer und gefürchtete Seeräuber und gehörten lange Zeit zu denjenigen Völkern, deren Schiffe den Handel des Mittelmeers beherrschten. Sie waren Nebenbuhler der Phönizier und der Karthager. Sie besassen ein eigenes, sehr altes Münzsystem, das sich auf ihren Handelswegen verbreitete, Kunst und Technik stand bei ihnen in hoher Blüte, berühmt waren ihre Tongefässe und Erzarbeiten und Vorzügliches leisteten sie in der Steinschneidekunst, ln Malerei und Bildhauerkunst haben sie vieles von den Griechen übernommen, aber der freundliche und heitere Sinn der Griechen fehlte ihnen. Das Rauhe, Finstere und Harte ist ein eigentümlicher und auffallender Zug der alten Etrusker. Ihre Religion, die vielfach von der italischen Götterlehre abwich, zeichnete sich durch einen düsteren und geheimnisvollen Charakter aus. Hart und rauh wie ihre Sprache sind ihre mythologischen Vorstellungen, auch ihre Kunst zeigt rauhe und eckige Formen. Grausame Menschenopfer waren bei ihnen üblich und ganz besonders war die Wahrsagerei zu einem vollständigen System entwickelt, das als die mystische Lehre eines Dämonen galt, die er dem Priestergeschlechte der Lukumonen offenbart hatte. Die Weissagung aus dem Vogelflug, aus den Eingeweiden der Opfertiere und aus den Himmelserscheinungen sind etruskische Eigentümlichkeiten, die sich von den Etruskern zu den Römern und damit über ganz Italien ausgebreitet haben. Sie rühmten sich geheimnisvoller Naturkenntnisse und schienen in der Tat gute Naturbeobachter gewesen zu sein. Die Etrusker sind im Kampfe ums Dasein von siegreichen feindlichen Völkern verschlungen worden und damit aus der Geschichte verschwunden. Um die Zeit der Geburt Christi erlöschen die letzten Spuren ihrer Eigentümlichkeiten als Volk. In Oberitalien wurden sie von einwandernden Kelten verdrängt (!). In Mittelitalien waren es die Römer, deren Eroberungslust das alte Kulturvolk zum Opfer fiel. Schon die ersten Jahrhunderte der römischen Geschichte sind reich an Kämpfen zwischen beiden Völkern. Der Ausgang dieser Kämpfe ist bekannt. Die Etrusker wurden mit ihren Bundesgenossen, den Samniten, in blutigen Kriegen besiegt, und um das Jahr 280 v. Chr. waren sie ganz unter römische Gewalt geraten. Römischer Einfluss verwischte allmählich die Eigenart der etruskischen Kultur, die etruskische Sprache und Schrift wurde durch die lateinische verdrängt, aus den Etruskern wurden Bürger des römischen Weltreiches. Woher kam dieses fremdartige Volk? Mit welchen anderen Völkern war es verwandt? Welcher Sprachenfamilie gehörte seine Sprache an? Diese Fragen sind bisher nicht gelöst. Schwerlich sind die Etrusker auf italischem Boden einheimisch gewesen; sie sind in unbekannter Vorzeit aus unbekannten Ländern eingewandert und haben sich vielleicht mit den Resten einer verschollenen Urbevöl- kerung Italiens vermischt. Sie selbst besassen sagenhafte Überlieferungen, aus denen hervorging, dass sie in grauer Vorzeit in das Land eingewandert sind, und die Tatsache, dass sie kein eingeborenes italisches Volk waren, scheint ihnen wohlbekannt gewesen zu sein. Auch von den Schriftstellern des klassischen Altertums wurde dies allgemein anerkannt. Die meisten Überlieferungen deuten darauf, dass die Etrusker von Süden her über das Meer kommend, an der Westküste Italiens gelandet sind. Manche heutige Gelehrte, z. B. Virchow, haben allerdings dessen ungeachtet die entgegengesetzte Herkunft verteidigt, indem sie die Etrusker von Norden her über die Alpen kommen Hessen. Wie dem auch sei, eines steht fest: Herkunft und Stammeszugehörigkeit der Etrusker sind uns bis heute unbekannt. Die Anthropologie, die körperlichen Eigentümlichkeiten der Etrusker, liefern uns keine Anhaltspunkte. Zahlreiche Skelette aus etruskischen Gräbern sind gemessen worden, sie zeigen uns eine Rasse von grossem Körperwuchs, und aus den Überlieferungen wissen wir, dass die Etrusker — eine auffallende Tatsache — vorwiegend blonde Haarfarbe besassen. Wie schon erwähnt, ist es aber vor allem die Sprache, die uns unüberwindliche Schwierigkeiten bereifet, ganz so, wie dies bei den Basken der Fall ist. Die Sprachforschung, die uns sonst über die ältesten Beziehungen und Verwandtschaften der Völker aufklärt, sie lässt uns hier im Stich; die etruskische Sprache will sich in keine der bekannten Sprachenfamilien einreihen lassen. Vergebens hat man sich bemüht, bald diesen, bald jenen Zusammenhang mit anderen Sprachen nachzuweisen; die Tatsache, dass jedem einzelnen Erklärungsversuche, jeder Hypothese immer wieder eine andere abweichende Erklärung, eine neue Hypothese gegenübergestellt wurde, zeigt zur Genüge, dass keine von allen überzeugend war. Was wir von Überresten der etruskischen Sprache besitzen, sind eine Anzahl Inschriften teils auf Grabdenkmälern, Sarkophagen und anderen Bestattungsgegenständen, teils auf Weihgeschenken an die Götter und auf Kunstwerken der verschiedensten Art. Die Etrusker besassen kein eigenes Schriftsystem, sie bedienten sich des phönizischen Alphabetes, das uns wohlbekannt ist; sie schrieben daher von rechts nach links. Sehr schwierig ist es nun aber, nach Entzifferung der Buchstaben den Sinn der Worte festzustellen. Die Bedeutung einiger weniger etruskischer Worte haben uns die alten Schriftsteller überliefert und einige andere Worte sind uns aus solchen Inschriften bekannt geworden, die neben dem Etruskischen die lateinische Übersetzung hatten, sogenannte doppelsprachige Inschriften. Aber solche Inschriften gibt es leider äusserst wenige, und es sind nur kurze Grabschriften, die sich fast ausschliesslich auf einfache Angaben von Personen- und Familiennamen beschränken, mit denen nicht viel anzufangen ist. Dennoch würde die Sprache bald zu erklären sein, wenn sie Verwandtschaft zeigte mit anderen uns bekannten Sprachen. Hier sind aber alle Versuche fehlgeschlagen. Fremd und gänzlich rätselhaft klingen die harten konsonantenreichen Laute dieser seltsamen Sprache und gewähren keinerlei Anhaltspunkte für die Deutung. Die nicht selten in etruskischen Inschriften vorkommenden griechischen Personennamen, die wir mit Bestimmtheit erkennen können, klingen rauh und merkwürdig, wie in eine Sprache wilder Barbaren umgewandelt : aus Achilleus wird Achle, aus Alexandros Elchsntre, aus Kassandra Casntra, aus Licinius wird Lecne, aus Cassius Kazi usw. An den verschiedenartigsten Hypothesen und den abenteuerlichsten Vermutungen und Erklärungsversuchen hat es denn auch in dieser Frage so wenig gefehlt wie bei dem Problem der Baskensprache. Einige Gelehrte haben trotz aller Bedenken nachzuweisen versucht, dass das Etruskische dem indogermanischen Sprachstamm angehörte, das Lateinische, das Griechische sind als nächsfliegende Sprachgebiete herangezogen worden, andere haben es für einen keltischen Dialekt erklärt, die skandinavische Sprache, das Irische, das Sanskrit ist verglichen worden. Da, ein englischer Gelehrter hat sogar in den Etruskern einen Stamm der alten Deutschen sehen wollen, indem er sich bemühte, darzutun, dass das Etruskische mit dem Gotischen und dem Altdeutschen Verwandtschaft besitze! Wieder andere haben semitischen Ursprung vermutet: die hebräische, die phönizische, die arabische Sprache sollte uns den Schlüssel liefern. Das Armenische, eine Mischsprache, hat herhalten müssen. Es sind ferner Gelehrte mit der Behauptung aufgetreten, dass das Etrus- kische zum finnisch-tatarischen Sprachstamm gehöre, die Türken, die Ungarn sind als Verwandte der Etrusker bezeichnet worden. Auch das Ägyptische und das Koptische sind verglichen worden, natürlich hat man auch, was nahe liegt, an die gleichfalls isolierte Basken- sprache gedacht, indessen, wie gleich bemerkt sei, ohne jede Spur von Berechtigung. Und schliesslich isl man sogar auf das — Chinesische verfallen! Was der eine Forscher für altdeutsch hält, sieht ein anderer für chinesisch an! Diese Probe der verschiedenen Theorien dürfte wohl genügen, sie zeigl jedenfalls, wie rätselhaft die Etruskersprache ist! Schon im Alterlume hal man diesen eigenartigen Charakter erkannt; römische Schriftsteller bestätigen uns, dass das Etruskische vom Lateinischen vollkommen abwich und für die Römer gänzlich unverständlich war. Dionysius von Halikarnass, ein Geschichtsschreiber, der zur Zeit der Geburt Christi lebte, erklärt bereits das Etruskische für eine ganz eigenartige und sehr alte Sprache, und die Mehrzahl der Forscher in unseren Tagen ist zu der Überzeugung gelangt, dass alle Versuche weiter nichts dartun können, als dass das Etruskische so isoliert ist wie das Baskische. Wie merkwürdig ist es, dass auf dem klassischen Boden Italiens, von wo aus sich das Lateinische über den grössten Teil der alten Welt ausgebreitet hat, eine so fremdartige Sprache bestanden hat usw.“ — So schreibt also jemand noch im Clahre 1908! — Es ist geradezu ein Rätsel, wieso es möglich war, dass aber dabei absolut niemand auf die Slaven verfiel, obschon diese Oberitalien zum Teile noch heute bewohnen und einst wohl die ganze apenninische Halbinsel bewohnt haben mussten, da verschiedene Momente diese Tatsache glaubwürdig erhärten. Erzählen doch arabische Schriftsteller (z. B. Ibn Haukal, X. Jahrhundert), dass Palermo früher eine zahlreiche slavische Bewohnerschaft mit einem eigenen Stadtvierfel hafte; in Syracus hiess die Burg im Alterlume „Achradina“ (=ohradina, d. i. Umwallung); die alten Rhätier leben noch immer in den slovenischen „Rezijani" in Oberitalien; in Nordafrika gab es sogar mehrere Ortschaffen, die ausschliesslich von Slaven bewohnt waren, wie in Afrika gefundene Handschriften erzählen u. ä. — Ein ähnlicher historischer Lapsus ist es, wenn man immer liest: die Kroatenreste in Kruc (Aquaviva Collecroce) in der italienischen Provinz Campobasso (östlich von Rom) stammen von einer Auswanderung aus Dalmatien zu Beginn des XI. Jahrhundertes her. Ebensowenig besagt der Umstand etwas, dass in der Kirche in Palata die Aufschrift lautet: „Dalmatiner besiedelten zuerst die Stadt und erbauten diese Kirche im Clahre 1531“, denn es können ja tatsächlich mehrere Familien aus Dalmatien hieher übersiedelt sein, aber diese hätten inmitten von ausschliesslich italienischen Bewohnern ihre 5prache gewiss nicht durch ^00 Jahre so gut erhalten. Alles dies sind fast ausschliesslich vage Ursprungserklärungen, und sind jene slavischen Reste im gebirgigen Teile der Provinz wie: Monte Mateso, Monte Miletto, Monte Sambuco die letzten Elemente der Urbewohner, die sich ihre 5prache und Eigenart ebenso erhalten haben wie die Basken in den Pyrenäen, die auch kein erratisches Volk sind, oder die Slovenen in den Alpen, weil im Gebirge der nivellierende Ein- Zunkovic: „Slavische Runendenkmäler". 7 fluss einer anderen Sprache weniger Angriffs- oder Berührungspunkte findet. Die Sprache verliert aber dabei doch an Originalität und wird an jenen Grenzpunkten am empfindlichsten, wo zwei oder mehrere gleich starke Sprachen zusammenstossen. Ein Paradigma hiefür ist die friaulische oder furlanische Sprache, wo sich am Zusammenstoss-punkte der slavischen, italienischen und deutschen Bewohner eine Verkehrssprache bildet, die eigentlich keine der drei Nationen obsiegen Hess, dafür aber allen dreien gewisse Konzessionen machte. Hätte nun dieser lokale Dialekt eine grössere Verbreitung genommen, so wäre er auch als selbständige Sprache angesehen worden; die Sprecher desselben wären nun eine eigene Nation und man müsste wieder zur „Völkerwanderung“ greifen, um sich die Entstehung dieser isolierten Sprache erklären zu können. Nun wissen wir aber auch, dass vor den historischen Römern anderssprachige Völker in Italien wohnten, denn Ticinus (ap. Festum) erzählt doch, dass jene obs.kisch und volskisch redeten, nachdem sie lateinisch nicht kannten („qui Obsce et Volsce Jabulantur, nam Latine nesciunt“). Tragen aber die zurückgelassenen Kulturresiduen, die noch durch Ausgrabungen immer mehr vermehrt werden, den slavischen Sprachcharakter, so können die verdrängten oder aufgesogenen Völker nur slavisch gesprochen haben, also Slaven (im modernen Sinne) gewesen sein. Die jüngeren Schriften dieser Provenienz, die auch daran erkennbar sind, dass sie sich den Formen der altlateinischen Schrift schon sichtbar nähern, sind mitunter auch schon von links nach rechts zu lesen; alle älteren müssen aber nahezu grundsätzlich von rechts nach links gelesen werden und sind die Buchstaben oft auch in der Vertikalebene umgedreht geschrieben, sie daher schon äusser-lich die Art der Lesung andeuten. Einige Inschriften sind in der Art der Ackerlinien, wissenschaftlich meist als „busirophedon“ benannt, zu lesen. Über die Zeit, wann die etrurischen Runen in Anwendung standen, lässt sich nur annähernd sagen, dass sie jedenfalls mit dem Ende der römischen Republik auch ihre Aktualität einbüssten, denn in den im Dahre 79 n. Chr. verschütteten Städten Herculänum, Pompeji u. a. finden sich bereits wenige Runeninschriften mehr vor, was aber nur besagt, dass sie eben früher daselbst im Gebrauche standen. Wie alt hingegen die ältesten Denkmäler dieser Art sind, kann wohl niemand nicht einmal auf ein Oahrtausend genau bestimmen, denn man fand z. B. auch Mumien in Ägypten mit Wickelbändern, die mit etrurischen Runen beschrieben waren. Die Zahl dieser Denkmäler hal dermalen schon 7000 erreicht, es ist also ein Beweismaterial so verschiedenster Art vorhanden, das unmöglich einer Zufälligkeit oder bewussten Mystifikationen zugeschrieben werden kann, also zweifellos als altersecht angesehen werden muss; allerdings gehört der grösste Teil dieser Denkmäler sprachlich nicht mehr dem Slavischen an, sondern ist schon teilweise lateinisch oder durch die lateinische Sprache korrumpiert ; aber an dem alten Alphabete wurde strenge weiter gehalten. Das auf der Tafel III ersichtliche „Etrurische Runenalphabet“ vermittelt die Möglichkeit der Nachprüfung der nachfolgend erläuterten Denkmäler. Dieses Alphabet darf jedoch durchaus nicht als vollständig oder für alle Fälle als vollgültig angesehen werden, denn ein solches lässt sich erst zusammenstellen, bis alle Denkmäler dieser Art lautlich und textlich verlässlich entziffert sind. Der Sarkophag von Perugia. Bei Perugia (alt: Perusia) wurde ein marmorner, etwa 1 ni hoher und noch etwas breiterer Sarkophag gefunden, in dem mutmasslich einst eine hohe Persönlichkeit beigesetzt wurde. Auf einer Breitseite befindet sich in Relief eine nackte männliche Figur, welche Fig. 1. von fünf Kriegern römischer Tracht gemartert, d. h. lebend zerstückelt wird. Die sprechende Szene klärt überdies die angebrachte Aufschrift „iputin a krul“ (= Statthalter und König). „Ipat“ wird im Russischen noch heute als Funktionsname für den Statthalter angewendet; 7' „krul“, sonsl „krai, kralj“, ist aber allen Slaven noch immer als Bezeichnung König geläufig. — Tatsächlich spielt sich in der Geschichte Perusias eine ähnliche Episode ab, denn im perusinischen Kriege soll Oktavian am 15. März 40 v. Chr. nach der Kapitulation der Stadt 400 vornehme Perusiner und darunter wohl auch den König, haben martervoll hinrichten lassen. Es ist daher möglich, dass unser Relief am Sarkophage (Fig. 1) direkte an jenes Ereignis anspielt, denn die Stammbewohner Perusias können damals noch nicht latinisiert gewesen sein, und dass dies Patroklos wäre, wie man gleichfalls annimmt, ist ausgeschlossen, da er nicht solchen Todes starb. _ Der Grenzstein von Rocchetta. Beim Dorfe Novi nächst Rocchetta (Mittelitalien) wurde ein Grenzstein mit der Aufschrift „mezu ne munjus“, d. h. „versetze nicht die Grenze“ („meza“ = Grenze; „ne“ = nicht; „munjati" = hin- und herbewegen) gefunden (Fig. 2). — Für jeden Fall entspricht diese Lesung auch dem praktischen Zwecke und der Tendenz desjenigen, der ihn herstellen liess, denn wer auf einem Grenzsteine eine Warnung anbringen lässt, kann nur eine solche dieses 5innes hiezu wählen. Eine solche Belehrung, die nur der Slave versteht, kann aber auch nur dem gelten oder gegolten haben, der sie beachten und befolgen soll, und dazu ist es unbedingt notwendig, dass er 1. dort lebt, 2. lesen kann und 3. diese Sprache auch versteht. Dieses Denkmal sagt uns in den drei Worten ausserordentlich viel über die Sprache und Bildung der damaligen Bewohner jener Gegend. — Tatsächlich wurde der Grenzstein an einem Punkte ausgegraben, der noch heute in der Grenzzone zweier Besitzungen liegt. »Muzina« - Spiegel. Auf elrurischem Gebiete wurden mehrere Metallspiegel gefunden, die alle in der Mitte oder am Rande der Spiegelfläche das Wort „mužina“ oder „mutjina“ (von rechls nach links zu lesen) auffallend gross aufgeschrieben haben. Dieses Worl bedeutete einst augenscheinlich so viel als: „Prostituierte" oder doch etwas organisch Ähnliches. — Das Wort kommt in dieser Form im Lateinischen nicht vor, obschon „muto" (= männliches Glied) eine verwandte Bedeutung hat; hingegen haben die meisten slavischen Sprachen, wie die slovenische in „mošnja", die böhmische in „mosna“ und das Russische in „motnja" (= Hoden, Hodensack) noch nahezu Fig. 3. formgleiche Begriffe. — Die Schrift selbst trägt schon mehr den griechisch-cyrillischen Charakter, obschon die Erzeugung dieser Spiegel sicherlich noch in die Zeit der römischen Republik zu verlegen ist. Man schrieb bisher diese Spiegel Mutina, einer gallischen Stadt zu und meinte, die Aufschrift sei nur die Erzeugungsmarke. Dass diese Annahme unlogisch ist, muss schon der Umstand beweisen, dass keine Fabrik ihren Firmadruck in der Mitte eines Gebrauchsspiegels anbringen wird, und noch weniger schafft sich jemand einen Spiegel an, der durch eine Reklameschrift in seiner Bestimmung illusorisch wird. — Es waren dies wohl Steckschilder einzelner He» tären, wobei die Aufschrift schon deshalb auffälliger war, weil sie einen spiegelnden Untergrund halle, was ja heule in gleicher Weise bei Reklame-und Firmaschildern vielfach angewendel wird. (S.Fig.3.) »Muzina«-Figur. Noch sprechender bestätig! diese Auslegung die in Fig. k abgebildete, eine nackte weibliche Gestalt darstellende Statuette, die mit der Rechten sozusagen regelrecht salutiert, in der Linken aber einen Hodensack hält; die Aufschrift „muzina“ („mut-jina“) ist vorne am Mittelleibe angebracht. Fig. 5. Die alten Etrusker waren in derlei Dingen äusserst realistisch. Fig. 6. Sehr häufig war auch an Freudenhäusern ein männliches Glied in Sleinskulplur an der Hausecke angebrachl. Ein solches Reklamezeichen zeigt z. B. Fig. 5, das auch eine Inschrift trägt, doch ist der Text, der nach dem normalen Alphabete als „tut nita phastiv velka reala ule vetru eruk“ nicht voll verständlich ist, obschon er verschiedene slavische Begriffe enthält, zumal man hier nicht sicher ist, in welcher Reihenfolge die Zeilen zu lesen sind. »Losna«. Auf einem Metallspiegel wurde die in Fig. 6 ersichtliche Darstellung einer weiblichen Gestalt mit der Beischrift „losna“ gefunden. „Los-na“ bedeutet: die Glänzende; slov. „lose“ = Glanz, Glasur; russ. „losnit“ = glänzen, polieren. — Man hat die Figur als die einer Mondgöttin angesehen, da ihr ein Halbmond beigegeben ist, doch ist dies nicht besonders überzeugend. Fig. 7. Urne mit der Aufschrift »lacnemi«. Die Urne (Fig. 7) trägt die Aufschrift „lacnemi“ d. h. dem Hungernden, wie der Slovene, Böhme und andere Slaven das Wort noch heute gebrauchen. Man sieht daraus, dass die Urnen sonach nicht nur zur Aufnahme von Asche, sondern auch zur Verwahrung der Wegzehrung dienten, sowie oft auch weitere Gefässe für Getränke, Salben und die Grablampe beigegeben waren. Metallschalen mit Inschriften. ln Italien sind zahlreiche Metallschalen mit Gravierungen und Reliefs gefunden worden, die man allgemein als Trink- oder Opfer- schalen, lat. als „patera“ bezeichnet. Auf der Innenfläche sind meist altklassische Mythologiemotive zu sehen, denen Aufschriften beigegeben sind, die sowohl lateinische wie griechische Götternamen, als auch reinslavische Begriffe enthalten. Fig. 8 zeigt z. B. vier Personen (drei männliche und eine weiblichej, die als: L a r a n, Turan, Menrva und Apu 1 in etrurischen Runen beschrieben sind. Die Namen „Menrva" (Minerva) und „Apul“ (Apollo) sind leicht erkennbar; Laran ist jedoch im Slavischen gleichbedeutend mit Beschützer, wird aber heute nur mehr für einen solchen von wertvollen Schriften, also in der Bedeutung Archivar gebraucht. Im Fig. 8. Lateinischen galten die „lares“ auch als Schutzgeister; im Baltischen ist „lar“ gleichbedeutend mit Burg, und galt auch im Griechischen als identisch mit Akropolis (z. B. „Larissa“); im Etruskischen hatte „lar“ die Bedeutung: Herr, Fürst, Herrscher. — „Turan“ ist ein Hoheitsbegriff, der etwa: Kämpfer, Verteidiger, der Starke, der Mächtige bedeutet. Im Keltischen verstand man unter „tur“ noch: Berg, verteidigungsfähig gemachte Höhe; der Befehlshaber eines solchen festen Platzes hiess demnach „turan“, im Griechischen „Tyrannos“, in der deutschen Mythologie „Tyr, Thor.“ Fig. 9 zeigt gleichfalls drei männliche und eine weibliche Person, die mit „Apulu“ und „Zemla" beschrieben sind; ein weiterer Name, der sich noch sonst wiederholt vorfindet, ist nicht lesbar, d. h. nicht verständlich (vuvluis?); der vierten, sitzenden Gestalt ist kein Name zugefügt. — Neu ist hier der Begriff „Zemla" (slav. Erde) für die Frauengestalt; es scheint jedoch, dass dies die ursprüngliche Form der mythologischen „Semele“ — die zu Staub Gewordene — war, wobei der Slave eine überraschende etymologische Übereinstimmung wahrnimmt, denn „zmeljem" (= ich mache zu Staube) „semleti“, rechtfertig! tatsächlich den mythologischen Untergang Semeles, denn sie wurde von Zeus Blitze zu Staub verzehrt. — Man muss daraus schliessen, dass die griechische Mythe bereits ein posthumer etymologischer Erklärungsversuch des Namens „Zemla“ ist, denn dieser selbst war im Anbeginne nur der weibliche Hoheitsname des „Sem, Zern“. Es scheint also, dass die griechischen Theogeneliker aus den Vorgefundenen Hoheitsnamen der Urbevölkerung unter Mitwirkung der unverstandenen sprachlichen Basis ihren Olymp konstruierten, ebenso wie sich der gleiche Vorgang später bei den Germanen nachweisen lässt. — Fig. 9. Fig. 10 zeigt den „Herme“ und die „Menerva“, die Fig. 11 wieder die „Menrka“ und einen Genius oder Engel mit der Beischrift „lazaveku". Letzterer Begriff ist wieder ausgesprochen slavisch und bedeutet „laza“, welcher auch in vielen anderen Verbindungen vorkommt, Verkünder, Überbringer, Spion, „vijek" = R a t, Beschluss, Entscheidung, sonach ist „lazaveku“ = Überbringer einer Botschaft, Verkünder eines Beschlusses o. ä. und ist in allen bekannten Darstellungen als eine Dugendgestalt mit Flügeln zu sehen. (Ver. Hermes = Götterbote.) Fig. 12 stell! Gestalten dar, die — von links nach rechts — als: Eris, Menrka, Herkul, Eris beschrieben sind. — Hier fällt besonders der Name „Herkul“ auf, der etymologisch nur: Held, Führer, Grenzverteidiger bezeichnen kann, wobei “ger“ (oder „her“) die Wurzel bildet, und diese war im Keltischen gleichbedeutend mit Grenze. Die Begriffe: Heros, Herr, Herzog, Fig. 10. Fig. ll. Fig. 12. Kerl, Geront, herec (böhm.), g e r o (lat.), g e r o b .(slav.) u. a. m. bestätigen dies; desgleichen sind die Namen: Hera, Hermes, Hermas, Hermann, Hermine, Eris, Erka (Herche), Erinnyen u. a. des gleichen Ursprungs. Auch die römische Schwurformel „me Herde“ („mehercle“) enthält daher nur die Anrufung eines Mächtigen oder Schützenden. Die Schale (Fig. 13) trägt die Inschriften „furan“ und „akun". Was letzterer Begriff bedeutete, ist dermalen noch nicht klargestellt; jedenfalls stand er aber einst auch als Hoheitsname in Verwendung, denn in Norwegen hat sich von altersher der Name „Hakön“ als Eigenname für die Könige daselbst traditionell erhalten. Augenscheinlich besteht hier eine sprachliche Verwandtschaft mit den griechischen „hägios“, d. i. der Geheiligte, der Geweihte. — Da die slavischen Sprachen die Vokale „a“ und „e“ im Anlaute eines Wortes meiden, dürfte die Originalform wohl „okun“ gelautet haben.. Fig. 13. Schalen dieser Art, die bereits in den Museen und auch bei Privaten der ganzen Welt zerstreut sind, gibt es eine ziemliche Menge. Die erwähnten mythologischen Namen lassen aber den Rückschluss zu, dass sie nicht ganz zufällig mit dem Slavischen Zusammenhängen können, d. h. sie deuten unbedingt dahin, dass sie älter sind, als die Zeit der Kultusblüte der Griechen und Römer, denn in letzterem Falle hätte man doch auch die griechische oder lateinische Schrift angewendet, und sicherlich nicht die Runen. Sind demnach diese Schalen etrurischen Ursprungs, so wohnten schon weit früher, als die Römer mächtig geworden sind, Slaven in Etrurien, die Gottheiten oder hohe Standespersonen dieses Namens verehrten, und da die bildlichen Darstellungen eine hohe Kunstfertigkeit erkennen lassen, müssen diese Bewohner zugleich eine hohe Kultur besessen haben; andernfalls ist es völlig unerklärlich, wie reinslavische, d. h. einzig nur dem heutigen Slaven verständliche Wörter hier eingraviert worden sein konnten, denn alles Unverständliche kann und darf man doch nicht konstant, so bald es ein slavisches Gepräge annimt, als Fälschung brandmarken. So haben wir bis jetzt ausschliesslich nur den griechischen „Apoll“ gekannt, sehen aber jetzt, dass es schon vor der Bildung der griechischen Theogonie bei den Slaven einen „Apul“ in menschlicher Fassung gab, daher er in erstere bereits als fertiger Gott aufgenommen worden sein musste. Wir wissen auch, dass „keltische“ Völkerschaften in vorrömischer Zeit apolloähnliche Darstellungen kannten, denen sie jedoch einen „barbarischen“ Namen, wie: Belenus, Grannus u. a. beilegten, wobei sich aber wieder der „Zufall“ einstellt, dass der Slave als der einzige das klärende Verständnis auch für alle diese Götternamen in seinem Sprachschätze besitzt und dass diese Etymologie zugleich organisch und logisch damit im Einklänge steht. — Bemerkenswert ist es überdies, dass alle diese Schriften noch von rechts nach links zu lesen sind, ein weiterer Beweis, dass die Fundobjekte noch nicht unter römischem oder griechischem Kultureinflusse standen, aber ebensowenig von den „eingewanderten“ Slaven herrühren können, denn diese werden sich bei ihrem vermeintlichen Barbarentum, da man sie doch nur als Hilfsvölker und Gepäckträger der Hunnen anerkennt, nicht sofort eine eigene Schrift zurechtgelegt und gleich ohne Vorentwicklung eine derartige kulturelle Selbständigkeit geschaffen haben, dass sie alle Vorgefundenen Bildungsmittel unbeachtet gelassen hätten. Übrigens rühren viele dieser Funde aus jenen etrurischen Städten her, die von den Römern zerstört wurden, also sicherlich bis zu ihrer Auffindung ohne Unterbrechung vergraben lagen, sonach Fälschungen ausgeschlossen erscheinen. — Auffallen mag auch der, wenn zwar nebensächliche Umstand, dass hier in den Darstellungen des menschlichen Körpers zumeist die männlichen Personen nackt dargestellt erscheinen, die weiblichen jedoch mehr oder weniger reichlich bekleidet. Dies ist aber auch vollkommen richtig, denn auch die Studien der ägyptischen und altgriechischen Skulpturen zeigen, dass einst als das Ideal körperlicher Schönheit und Vollkommenheit gerade der männliche Körper angesehen wurde. Es scheint daher, dass auch schon die Etrurier den weiblichen Körper für allzu weich in seinen Linien ansahen, und dass es sich ihnen dabei durchaus nicht um den Kult der Nacktheit handelte, sondern überhaupt um die Darstellung eines Körpers von Kraft und Ebenmass im allgemeinen. Kameen. Im Etrurischen wurden auch zahlreiche Kameen mit Aufschriften gefunden. („Kamee" ist ein Slavismus, entstanden aus „kamen" = Stein.j Die Fig. 14 zeigt Herakles, der sowohl durch die Inschrift „herkle“ sowie das umgehängte Fell des Kytharronischen Löwen erkennbar ist; er schlägt hier mit der Keule den „kukne“, d. i. den berüchtigten Wegelagerer Kykno nieder, was die Herakles-Mythe auch richtig bestätigt. Die Fig. 15 trägt eine Schrift zur Schau, die schon der griechischen ähnlich ist, die Inschrift ist als „sihan, cihan, cikan" zu lesen; die Gestalt daneben stellt augenscheinlich einen Bettler dar. — Die Slaven verstehen unter „cigati, cihati“ auf etwas warten, lauern, also hier: auf Almosen. Der besonders aufdringliche Bettelcharakter verschaffte sonach den Zigeunern, welche von den Slaven ja als „cigan, cikan“ bezeichnet werden, diesen berechtigten Namen, der sich seine vermutliche Urform sonach im Slavischen bis heute rein erhalten hat. — Ebenso ist es aber möglich, dass hier „sigan“ vorliegt, wie der Slovene den schwer Atmenden, den Asthmatiker nennt, und wofür auch der Deutsche den Begriff „siech“ hat, denn zu betteln pflegt nur jener, der nicht arbeitsfähig ist. Der so gravierte Stein kann sonach einst auch irgendeinem Wohltäter der leidenden Menschheit gewidmet worden sein. Bei diesen Kameen geht die Schrift schon von links nach rechts, was dazu berechtigt, sie für ein jüngeres Kulturdokument anzusehen. Der Grenzstein von Monte Pore. Im Jahre 1866 wurde auf dem Monte Pore, dem 2405 m hohen Gebirgsmassiv an der österreichisch-italienischen Grenze eine quadratische Säule aus dolomitischem Sandstein gefunden, die auf zwei gegenüberliegenden Seiten der Länge nach mit Inschriften versehen ist. Der Stein wurde von einem Bauern etwa 80x von der höchsten Spitze entfernt gefunden und war es augenscheinlich, dass er vom Scheitel einmal herabgekollert sein muss. Fig. 16 (Vorderseite). Die Inschriften wurden sogleich als rhäto-etruskische bezeichnet, deren Inhalt konnte jedoch nicht entziffert werden. Die auf der Vorderseite der Illustration ersichtliche Inschrift ist etwa als: „nos chine mezne i vovaikos nizica dikoi“ zu lesen; einzelne Zeichen hievon sind allerdings nicht verlässlich zu nehmen, da deren lautliche Bewertung Fig. 16 (Rückseite). nicht genau festgestellt ist. Die Slavizität der Inschrift lässt sich jedoch aus den drei ersten Worten ziemlich sicher annehmen, denn „nos eine mezne" versteht jeder Südslave als: die Nase bildet die Grenze. Tatsache ist, dass der Monte Pore noch heute einen nasenartigen Aussprung des österreichischen Gebietes in das italienische macht, d. h. die Grenze zieht sich hier südlich um den Ge-birgsstock herum. Die Inschrift auf der Rückseite ist dermalen gleichfalls unverständlich. Auf beiden Steinen muss es aber auffallen, dass sie am Schlüsse Zahlen beigegeben zu haben scheinen; z, B. auf der Rückseite : XVII. Es ist daher möglich, dass der Slein selbst hier einen wichtigen Grenzscheidepunkt kennzeichnete und zugleich über das Wegmass nach zwei Richtungen orientierte. Auch die Etymologie bestätigt dies, denn Monte Pore heisst etwa: Gebirgspfad (griech. „nöQos“). Die alten Talbewohner wissen noch zu erzählen, dass über diese Höhe seinerzeit der Weg ins Ampezzo-Tal führte. — Ein weiterer Name des Monte Pore ist „Fri-solelt“, was wohl nur ein slavisches „Brezole“ in romanisierter Form sein dürfte, umsomehr als alle slavischen Ortsnamen dieses Gebietes als solche trotz der Verballhornung leicht erkennbar sind, wie z. B.: „Cernadoi, Livina, Brenta, Glevazza, Lagosello, Posalz, Costa u. a. — Der Stein kam nach der Auffindung in den Besitz des Gymnasiums in Bozen und befindet sich heule daselbst im Stadtmuseum. Das Mumienband in Zagreb. Ein ungewöhnlich wertvolles Denkmal der altslavischen Sprache enthält das mit etrurischen Runen beschriebene Mumienband im kroatischen Landesmuseum zu Zagreb. Als Denkmal der altslavischen Sprache kann es deshalb bezeichnet werden, obschon die Schrift zum Teile schwer lesbar, zum Teile inhaltlich noch nicht gelöst ist, weil das j^and so viel prägnante slavische Begriffe enthält, dass die Slavizität des Textes be-gründetermassen nicht angezweifelt werden kann. Überdies haben wir schon etliche slavisch-etrurische Schriftlösungen vorausgesendet, um zu beweisen, dass es solche gibt und dass es sehr erfolgversprechend dünkt dem etrurischen Sprachrätsel von jener Seite näherzutreten, die trotz ihres einladenden Naheliegens noch niemals berührt wurde, d. i. von der slavischen. Jfyi*/ Um das CJahr 18S5 brachte ein kroatische^ Priester von seiner Reise aus Ägypten eine dort erworbene Mumie mit, die er sodann dem heimatlichen Museum spendete. Diese Mumie, eine jugendliche weibliche Person darstellend, hatte eine Anzahl von Leinwand-Bandagen, die mit etrurischen Schriftzügen versehen waren, was man allerdings anfänglich gar nicht bemerkte, als man diese vom Körper loslöste, weil sie durch die Verwendung des Asphaltes beim Einbalsamieren geschwärzt waren. Man nimmt nun allgemein an, dies sei eine Binde, deren Text mit der Person der Mumie im organischen Zusammenhänge steht, was auch kaum anzuzweifeln isf. Bei den Ägyptern war es eine Sepulkralsilte, dem Toten Schriftrollen beizugeben, die eine mehrweniger ausführliche Biographie des Verstorbenen enthielten. Ansonst hat man adhoc solche Daten auch auf die Leichentücher geschrieben, und wurde vielleicht schon eine Menge von solchen Schriften bei der Blosslegung von Mumien gefunden, aber bisher nicht beachtet. Die Einwendung, dass hier die Schrift im Verhältnis zu einem Totenleintuche zu klein gehalten sei, hat nichts zu sagen, demfwir wissen ja auch nicht, ob nicht das ganze Leintuch so beschrieben war, weil man über die Verstorbene, die wohl einer vornehmen Familie angehört haben mag, viel zu sagen hatte. Weshalb dieses beschriebene Leichentuch nun sozusagen zeilenweise in Streifen zerrissen wurde, ist schliesslich auch erklärlich, wenn man erwägt, dass dem Texte keine Einbusse geschieht, wenn die Streifen, ihrem Texte weiter folgend, um den Leib von oben bis unten gewickelt wurden, dann dass es sonst überhaupt nicht möglich ist mit einem ganzen Leintuch eine dichte Bandage um ein so unregelmässiges Objekt, wie es der menschliche Körper ist, anzulegen. Für alte Einwendungen dieser Art gibt es demnach immer irgendeine natürliche Erklärung. Wir kennen aber etwas Ähnliches noch heute bei den Slaven selbst. In Mähren hielt man seit jeher, namentlich in der Hana, dann bei den Slovaken und Walachen viel auf die sogenannten „uvodnice". Es waren dies normal 27a m lange und 2 m breite Leintücher, die in der Mitte mit verschiedenfarbiger Seide kunstvoll gestickt waren und zur Aussteuer jeder Tochter des Hauses gehörten. Man bewertete sie als H o c h z e i t s- oder auch als T a u f 1 e i n t ü c h e r. Die Braut trug dieses Tuch zusammengelegt bei der Trauung; darin trug sie auch ihre Kinder zur Taute, und darin wurde sie auch — namentlich bei den Walachen bis in die jüngste Zeit — begraben. Die Leintücher hatten aber auch Schriften und Zeichen, die wir heute gar nicht mehr lesen können, d. h. es wurden da jedenfalls immer weiter uralte Muster kopiert, bis mit der Zeit die Kenntnis des Originaltextes selbst in Vergessenheit geriet; trotzdem handelt es sich da nicht etwa um gleiche Schriften. — Dass demnach bei den Slaven tatsächlich und soweit bisher bekannt, bei dem weiblichen Geschlechte die Sitte herrschte, die Leichen in Leintücher mit Inschriften zu wickeln, steht hiemit zweifellos fest. Mit der Entzifferung unseres Mumienbandes beschäftigten sich bisher hervorragend 0. Krall („Die etruskischen Mumienbinden des Agramer Nationalmuseums," Wien 1892) und 6. Herbig („Die etruskische Leinwandrolle“, München 1911) und waren die beiden schon b deshalb auf einem praktikablen Wege, weil sie vor allem daran festhielten, dass zwischen der Mumie und dem Schrifltexte eine gewisse Koinzidenz bestehen müsse. Alle übrigen Ausleger haben sich jedoch durch ihre unlogischen Phantastereien selbst den Weg verrammelt, um den Spuren mit einiger Aussicht auf Erfolg nachgehen zu können. Wir müssen nun, solange nicht aus dem alten Ägypten ähnliche Schriftproben gebracht werden, annehmen, dass die mumifizierte Dame entweder aus Italien stammte, aber in Ägypten gestorben ist, oder es gab dort eine etruskische Kolonie, die selbstredend noch in ihrer Heimatsprache verkehrte, schrieb oder doch sepulkral an den heimischen Gebräuchen hing. Was der Schrifttext enthielt oder bezweckte, sind wir einstweilen nur auf Vermutungen angewiesen. Nahezu als sicher ist es anzunehmen, dass die Leinwandrolle für die Tote speziell geschrieben war, wir es daher hier entweder mit einem curriculum vitae, oder aber, was noch wahrscheinlicher ist, weil sich gleiche Stellen immer wiederholen, mit einem funerären Texte für die Verstorbene zu tun haben. Auffallend ist es auch, dass die beschriebenen Leinwandstücke, g — es gibt auch genug unbeschriebene dabei —, ein weit dichteres Gewebe aufweisen, als die unbeschriebenen. Die Erklärung ist übrigens naheliegend, denn auf einem dichten Gewebe lässt sich leichterer; schreiben als auf einem weitmaschigen; ja, es muss hiezu eine eigene^; Leinwand erzeugt worden sein, die man in Italien als Papier benützte, denn die „libri lintei“ werden seit dem Oahre kkk v. Chr. oft erwähnt. So waren z. B. die heiligen Urkunden der Samariter und der ana-; ; gninischen Priesterschaft, die Verzeichnisse der römischen Magistrate auf dem Kapitolium, die 5ibyllinischen Bücher u. a. auf leinenen Rollen geschrieben. Eine volle Entzifferung des Schriftinhaltes war einstweilen unmöglich und wird wahrscheinlich auch nicht eher gelingen, bis die etruskischen Schriftzeichen ihrer Artikulation nach überzeugend richtig gedeutet sein werden, und namentlich bis diese Schriftrolle, die doch an 1200 Worte enthält, mit Zuhilfenahme aller modernsten Reproduktionsverfahren lautlich lesbarer gemacht wird. Die beigegebene Illustration stellt z. B. ein Stück der Binde dar, auf welchem die Schrift noch am besten hervortritt, und doch ist es auch hier schwer verlässlich zu entscheiden, ob dieses oder jenes Zeichen wirklich dasjenige ist, das man vor sich zu haben vermeint. Es gibt aber im Texte eine Unzahl von Begriffen, die schon andere unbewusst als slavisch gedeutet haben, weil sie ihnen eine X i W Bedeutung und Auslegung gaben, die nur im 51avischen stimmt. So wiederholen sich die Begriffe: „velke, velkineš, velkite, velkina, vel-kinei“ u. ä. fortgesetzt. W. Deecke glaubt nun aus dem Zusammenhänge sei zu lesen, dass in „velke“ die Bedeutung „Heros“ verborgen sei, was im Slavischen auch einwandfrei stimmt, denn „velbog“ I grosser Gott), „velmož“ ( angesehener Mann), „velgrad“ ( grosse, feste Burg), „veltur“ ( grosser, hoher Turm), „velikan“ ( der Grosse, Ein Textstück der Agramcr Mumienbinde (in Originalgrösse). der Riese) u. dgl. m. weisen immer auf etwas Hohes, Ungewöhnliches, Erhabenes. Wir verstehen aus Analogien nun auch gut die Stelle: „velka ipe ipa“, d. i. grosser Zorneszorn; „eim (en) tul var“, d. i. eine geschützte Einfassung, vermutlich: ein geschütztes Grab; „pevah vinum“, d. i. trank Wein; „suti“, d. i. Schweigen usw. Die Stelle „cluce caperi zamtic“ ein andermal „zamkic“, d. i. Der Schlüssel versperrt das Schlösschen fGrabkammer?) weist mit seinem Wechsel des c, c, k, s, z auffallend auf das Alphabet der Grünberger Handschrift, denn auch hier hat dasselbe Zeichen die Bedeutung für: c, c und k; s ersetzt auch s und z; u ist zugleich v und f usw. — Die Formen „zusle, zusleva, zusleve, zusleves, zuslevac“ können allen ihren Varienten nach einzig und allein als slavisch angesehen werden, wenn wir auch deren Bedeutung erst aus dem Zusammenhänge richtig erfassen dürften. Dieses einzigartige und schon seines Umfanges wegen doppelt wertvolle Runendenkmal ist hiemit wohl noch nicht für jedermann überzeugend als altslavisch nachgewiesen, aber die Vermutung ist zweifellos berechtigt, dass es nur slavisch sein kann, weil, abgesehen von der Schrift, keine andere Sprache imstande ist ihre genetische Verwandtschaft auch nur annähernd so sachlich nahebringen zu können, wie diese. Zum Schlüsse sei noch die Echtheitsfrage kurz berührt. Es gab von jenem Momente etliche Zweifler an der Echtheit dieses Runen- denkmales, als es erwiesen war, dass hier ein etruskischer Text vorliegt. Die Besorgnis, es könnte hier die Suggestion Dan Kollars, der in seinem Werke „Staroitalia Slavjanskä“ ( Das slavische Altitalien. Wien 1853.), behauptete, dass die etruskische Sprache eigentlich eine slavische war, die Lust zur Fälschung angeregt haben, dann, dass der Erwerber und Spender der Mumie der Kroate Michael v. Baric , war, erzeugte nämlich einige Skepsis, doch wurde auch diese gerade' " durch nichtslavische Forscher bald beseitigt. Brugsch schreibt z. B. 1891 darüber: „Obwohl mehr als zwanzig Dahre seit meiner Bekannt-//ir :, i-'-Schaft mit der Agramer Mumie verflossen sind, so kann ich doch heute noch mit aller Bestimmtheit behaupten, dass an eine Fälschung irgendwelcher Art nicht zu denken ist.“ ,, Noch nachdrücklicher spricht sich Prof. D. Krall darüber aus, welcher schreibt (1892): „Wenn auf diesen zerfetzten, fleckigen, übelriechenden, verwahrlosten Binden mit der arg verwischten Schrift ein ägyptischer, hieratischer oder demotischer Text sich vorgefunden hätte, so würde niemand ernstlich mit der Frage nach der Echtheit sich beschäftigt haben. Tatsächlich sehen wir, dass die verschiedenen Forscher, welche das Denkmal gesehen, über den Schriftcharakter im Zweifel waren, an der Echtheit des Denkmals jedoch nicht den geringsten Zweifel gehegt haben.“ Die Echtheitsfrage wird, ganz abgesehen von den psychologischen Momenten, denn welche Motive sollen dem Fälscher hier vorgeschwebt sein, da es sich weder um materiellen Gewinn, noch um eine aufdringliche Reklame, die normale Begleiterin einer Fälschung, oder um einen persönlichen oder hypernationalen Ehrgeiz handelt, in erster Linie durch die naturwissenschaftliche Untersuchung beantwortet. Die Binde selbst hat sich auf die Untersuchung des Prof. Dul. Wiesner hier zweifellos als altägyptisches Fabrikat erwiesen, da sie ihrem Verhalten nach mit altägyptischen Binden identisch ist. Desgleichen ist die angewendete Tinte mit den Tinten echter ägyptischer Papyrus-und Leinwandinschriften identisch. Überdies müsste der Echtheitsgegner zum Beweise gezwungen werden, wieso diese Schriftbinden unter die Umhüllungsstücke der Mumie praktiziert worden seien, da dies völlig unerklärlich, ja unmöglich ist. Das Schlussurteil kann daher nur folgend lauten: so lange es nicht gelingt einen Mann nachzuweisen, der auf dem Boden ägyptischer Altertumskunde, etruskischer Sprachforschung und Paläographie in gleicher Weise zu Hause war, dem man daher eine Fälschung Zutrauen könnte, ist die Annahme einer Fälschung überhaupt als undiskutabel anzusehen. —