^//^^M^ Studien über die innern Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Ginrichtungen Rußlands. Vo« August Frcihcrrn von Haxthauscn, KVmlM) Preußischem «rlmmm Rcgirnmsssiaihc. >^M5/ Europa, Oinl» «>^«u>u m!>x!lu ^üici!!,>,!i>> Ki» (Vc»< einem User abflcfthren mid >n'ch nicht am axdcvn qclmidsü) Rußland. t'.Ni!^ > »!»>>» u ?!^^ l!U!»>,^!,I. (Ich sitz? nm Nscv I!»d wc>rlc c!»s den Wmd!) (Hwci russische Sprichwällcr,! Zweiter Theil. Hannouer. In der Hahu'schen Hofbuchhandluug. 1847. Schrift mid Druck von stu<„na>»,, Inhalt. Slit« XVII Abreise von Kasan. Die dortigen Bauernhauscr. Hell v. Pitch. Millhei« / llingt!« über den russischen Volkscharaklcr. siinrichlung hiesiger Frohn- ^ wirthschaften, Ackerbau. Die »lumen von Äulghari. Herr v. Mo-lustow. Wirthschaflseinrichlungen. Ssimbirsk. Abreise nach Ssamara. Die s>roßcn Dörfer. Ulsachen dcr »nlstehung, lii, Hemmnis, des ssul' lursortschrüts. Wte drm adzuhclftn. Dorf Tuschinu und seine l?and-wirthschaf«. Vin Tschliwaschcndorf. Die Eldzungrn dcr Wol^a. Volks-sage. Die WindmM,lm. Oclrcidchanbcl. Sftnuira. Die Wicftnscttc der W^a. D^rf Woskresenskoje, Ackerbau. Die Mordwiinn, ihre lmden Släinms, HUcidunl^, Volkscharaftel, Hndcnlhum, HcniscmnchNmg. E'Nc Elcppcnqcgmd, Kmg^lc. Dorf Pabowka, ss,nrichtl!iigei,, Mistzi^cl ! statt Hol;, Ackerbau, da« Vaschkirenlanb. Die Stadt Nitolajewss. Die hiesige Colonismion. Nagabondirmbrr Ackerbau. Leichtsinli. Dorf Ncresliwa, Mischung von Krön- und Apanagebaucrn. Dorf ttuschmn, lussischcl Empfang. Dorf Sclza. Dic Macht des russischen cNemmlte-Princips. Die deutschen «olonim. Paninskm, russische Landtheilung bei den Deulschcn, Landbau, Tabacksbau, Lebensart, die Üandleutr. Orlowstoi, dcr alte ^!ot!,rrmc>rr. Katharinensiadl, der Gctreidchandel, Die Verhällniffc dcr dmlschm (Kolonien, ^akrowski, die KIcinrnssen, Wälzlager i,n Iellonsce. Vild eines Kosaken. Esaralow, Lage, Stadl-Verhältnisse, Allcrthümcr von Sarai. Vcrhältnissc des Gouvernements Ssaratow, frühere Bewohner Tataren, die neue Kolonisation, ihre Kämpfe mit den räubcrischm Horden, das Mädchen aus Mostow. Zl>-u^hm« der Vcvolfrrung, Ackerbau, Viehzucht, Fischfang, die Bevölkerung nach ihren Nationalitäten....................... l XVIll. Abreist nach Pensa. Leibeigenes Mordwinendorf, Charakter dcr Landschaft. Dorf Tschinaki. Pensa. Dcr butamschc Garten. Dcr leibeigene Varbicr. Monographien drcicr Dörfer. Solewka, die verfrurncn Oichcn. Sin-zola, sonderbare Modulation der Leibeigenschaft. Da« tatarische Dorf Mossalin, Ansicdlunq von zum Kricgödicnst verpflichteten Tataren. Die Tataren Vor russischen Gerichten. Tatarische« Metschet. Untcr-schied zwischen tatarischen und russischen Dörfern. Russische Blnurhauscr und Trachten. Die Scheremetjewschcn und Nwarowschcn Dörfer, An-wnst in Tambow. Abreise. Die alten Verwaltungen gegen die Ta- IV Eeiic tarcn. DaS Odnoworzendorf WiSgcgarah, Allmählicher Ucbcrgang des «haraktcrs dieser Gegend in Anbau, Trachten und Sitten zum Sndrlissischen. Üoselow. Scmianowka. Lipezf. Vadelcben, Bcobachtling eines Fnsenrs. Die Odnodworzcn u»d der klcinc Adel. Herr v. Paw-low. Ssclo Marfino. Herr v. Vunin, scine Frohndrnrinrichtungen. Die Pfcrdezlicht am Biljuk. Herr v. Philippow, häusliche Tcppichfa-bruation. DaS Gestüt in Paddi. Varschowa, 3^iu dcr Wchüfte, Vlutn^stivc für den Tschornüj-Dcn, Trachten. Daö Nosiopschiuschr Gestüt. Grcnuwna, das Vcstüt der Gräfin Orlow, dic Arabcualr. Merkwürdige Gastfreiheit. Vodrow, Anbau und Bevötterunq dcr Städte, Preist der Arbnlcn. Woronesch, dcr hcü. Mrtrophan, Miltagöessrn in ftinem ,si>!os!!'r, Herr v. Tulinow, brr Generalgouvrrnrur v. d. Hovcn ülur Sibirien. Mgcmcinc Bemrrkungcn nber daß ^!ol>v>'rncmrnl Tambow. LulnmunicatiunSmitlcl, das größlc Vctürfuiß Rußlands, Monographien einzelner Dorf« dei GuliverncmmlS Tambow und Wo-lünesch................................. j nach Nuslland, Ansiedelung am Dnjcpr, die 17 Dörfer des Amts sshortih, statistische 9iotizcu über Landvcrlhcillmg, Seelmzahl, Ackerbau, Viehzllcht, Hanrcl, Preise, Taglohu. Besuch dcr Scitc Mennunittn-«olon,cn an der Malotschnaja. Ihl Gottesdienst. Job. liurnies. Besuch rims nogaischen Tatarendorss. Die Ansiedelung der Nogaer dllrch I. ilomirs. Die Meierei des Ioh. Kornies, Holzan-^agen. Verfassung der Mcnnonilen. Bestich der andern deutschen sso-^onirn an der Malotschnai,a, Statistische Notizen über die hiesigen Mennonitenmlonicn, Vollszahl, Abgaben, Gewerbe, Vichsiand, Ackerbau, Waldbau, Wiesenbau, Eridenbali, Handel. Politische Bedeuttmg der Mrnnoinlcu sür ;ilns!land. Besuch bei den HlMerschcn Brüdern, deren Schicksale, interessantes Manuscript. Grabmal eines tatarischen Heiligen. Die Grdzcugm vm, Aiabat. Ankunft in Fcobossia und Krrlsch. . . . 17! XXl ^olonisationcil in Rußland, der ursprüngliche Volkstricb der Russen für dieselben, dessen Folge, die Verbreitnng dcö Volks über den fünst,!, Tlieil der krde, (Kolonisation nacl, dem Norden und dem Süden. Die Ko sakrn co lon i sati o n, die ukrainischen und donischen, und die von ihnen abstammenden, ihre Verfassung. Die M i l ita ireolonisatio' uen, ihre beschichte, ihr Bestand, 'Die sibirische Kolonisation, Sibiriens Verhältnisse zu Asien, sein Melallreicblhum, seine geographischen und lopographischrn Verhliltnissc, seine Völker, die rnss,sche Eroberung, die (^Ionisation durch Verbrecher, der jährliche Zu^izi, Kategorien der Verwiesenen, Ar» und Bedingungen ihrer Ansiedlung, Be-vollernng Sibiriens und deren Vrrthcilung, Wesssibirien, Ostsibiricn, A^erbau, Viehzucht, der sibirische Russe, die Tataren, die Bncharen, der sibirische Handel, der Handel mit sshina, dessen Perioden, Umfang und ssharalter, Bedeutung für Rußland und Sibirien, Inttrcssm Rußlands in Sibirien, Moralstatistik von Sibirien, Die Kolonisation der Ausländer in Rnßland. Ihr erster Anfang, die Kolonisationen unttl Nalhanna II., die spätern, ihr Umfang, Verölke-rung, Reichthum. Welche Kolonisationen sind für Rußland die nothwendigsten? Der Norden Rußlands, die Urwälder, dir jetzige Veuöl-lenmg, wlirum sie sich nicht ausdehnt, Vorschlag zur Auölichtung und Colonisation im Innern der Wälder durch die Armer. — Kolonisation , der Sleppenländer. Bcscbreibung der Steppe, die Nomadrnvölker, Rußlands ssroberung, die Hafenstädte, der Handel, der aber nicht die Vasiö drö Volkslebens sein kann. Landwirlhschaft in den Steppen, Unsicherheit derselben. Mangel an Wasser und an Wäldern, Abhülfe nur durch Anlegnng von Wäldern von Seilen des bouvernenieutS, Verwendung der Armee dazu. Politistl'r Wichtigkeit der (^olonisaliouen. Betrachtung über Rußlands politische Stellung und Tendenzen . , . , '2<1^< XXII. Die Hügel der Steppen (Kurganc oder Mogillcn). Die Steinbilder (Vüba), ihre Verbreitung und religiose Bedeutung. Männliche und weibliche . Steinbilder, Beftlreibung der von mir gesehenen bei Charkow, Iekatcri-noslaw, Terpeuie, Arabat, Welchen AMlcrn sie angehören? Dic sibirischen Steinbilder. Die verschiedenen Km'gaue. Die znirgane bei peitsch. Eine aufgedeckte Grundlage eines Kmgaus..........I,'j7 XXlII. Die Nogai-Tatarcn. GeschichOiche Sagen und neuere Geschichte. Geographische Beschreibung und Verfassung ihres Landes. Religionsvcrhält- Vl 2e>!c nissc. Charakter und Aeußcrcs des Volks. Kleidung, Häuser m,d Wohnung. Nahrung. Gesnndhritszusiand. Schulen, Sitten und Gebräuche, Familimvcifassung, Hochzeit - und Begräbnißgebräuche. Beschäftigung der Männer, Viehzucht und Ackerbau, Beschäftigung der Weiber. Ausfuhr und Vinfnhr. Monographie des tatarischen Dorfs ^ Acterman............................... 35? XXIV. Ankunft in Kcrtsih, das alte Pantikapcon, vortreffliche Handelslagr, die Alterthümer. Feodosia, Besuche bet Griechen, Armeniern und Karaim. Sitten der Karaim, derRabbincn. Besuch einer deutschen Kolonie. Der griechische Crrz-bischof. Die Synagoge der Talinndisten. Karassli-Basar. Simpheropol, der Mark». Baktschiserai, der Palast der Khane. Ritt nach Tschufulkale, das Kloster der Fclscnmutter, die Felscnwohnungen der Troglodyte,,, die geschichtlichen Sagen der Karaim, Bestandtheile ihrer B,bcl, die tatarische Stadt. Die Krinnn unter den Tataren, die Familie Girei, Abhängig-leil vo,n Großsultan, eigenthümliche Stellung des Khan, seine Einkünfte, Staatö- und Landesverfassung, Aehnlichlrit mit germanisch ^romanischen Einrichtungen, die l» großen Würdenträger, der hohe Adel, die 5 großen Familien. Der niedere Adel, der geistliche Adel, die Güter des Adels. Gintheilung des Landes, Gerichte, die Vasallen des Adels, die Nogai-Tataren, ihre 4 großen Horden, der Ade! der Nogai, Untergang des Khanats 1764. Auswanderung der Tataren. Zahl aller Tataren. Jetzige ländliche Verfassung, Charakter der Tataren, Sitten, Wohnungen, Nahrung und Ieileinthtilung..................... 38ll XXV Abreise von Baltschiserai. Sevastopol, die Flotte, die Hafcnbautcn, Vala-tlada. Das Vaidarthal. Die Südküste der Kriinm, Alupfa, Oreanda, die Weine der Krimm, Ialta, Simpheropol. ?likolajew, ^andwirth-schast eineS GutS. Der Hafen, Herr v. Istoniar, die Schissbauten, die Marine der Engländer, Franzosen und Amerikann. Odessa, dessen rasches Ausblühen, Sitten, Lebensart, die Strafbesscrungsanstalt. DaS Gouvcrne,ncnl (m,trallm-Zeit, d>e Juden, Nranntwciubrcnncreien. Die hiesigen Scheidungslinien der National!« «ätcn, Sitlrn, Nechtsverhaltnisse.................... XXVII. Abreise von Kijcw. Scheide dcr klcinrnssischcn und großrllssischcn Nationalitäl. ^ieshin. TabackSban, alte deutsche b'olonie. Kamatofski. ^"natsch. Ss'cwsk. Picicpp, dessen Mutöverhällmssc. Onll, dci,cn B.vc,!knun^-"crlMtmssc. physische Veschcisscuheit, ^'cibrissc.Uhumöverhaltmssc. ^ie Bnumwempacht, die vcrschndenc Trunksucht der Wns-nissm, GvoM'INn >lnd iUeiulussen. Dic nissischm Handwerker, Dic rus,i,ch»n Zc,u,Iellle. Die Häuser in Orell, durtigc Lebensweise. Tula. MuSkau.....0'"> XXVIII. Neise nach Tula. Dei Weg und die Gegend zwischen Moskau und Tula. Das Aeusicrc dcr letzteren Stab». Die dortige deutsch - lutherische Gemeinde. Das dortige Fabriiwlscn. Dir (Ycwrhi'falilik dcr Krone und deren «lrbeilcr. Achnlichkcit russischer und altgricchischcr Formen. Michailewsr. Die dortige Runicliildenzuckerfabrif. Rückkehr nach Moskau in russischen Telegen. Die Baurrnpost ..........."^" XXlX Der Frühling zu Moskau. Schöne Pnukir und Ansichten der Stadt. Pro-lessioncn. Vollß und Staatsscsir. Tpazirrgänge und Sammelplätze dcr feinen Welt. Ochotnoi^lljad. Zügc des russischen VoltScharallerS. Die, Ausstellung russischcr Manufaclurcrzengnisst. Fabriken. Die Fabrikarbeiter, Das Magazin russischcr Manufaclurprodmlc. Der Nazar am Schönen Platze. Unterrichts- nnd Erziehungsanstalten: die Univer- i silät, die adlige Pension, die Handlungs-Akademie, die Sttoganow'sche Zcichnenschnle, das Lasarew'schc Institut, daS Kaiserliche Erziehungshans (Findelhaus) und seine Filiale, das technologische Institut. Das ttaiser-l'che Mililairhospital und das Schercmcticw'schc Hospital. Kirchen und Klöster, L>ic talarischc Moscheh. Die Wasserleitung, Die Feucrlösch-"nstalten. Ocfängnissc. Das sibirische Dcportationswcscn. Theater, Musik und «lul's. Scenen in einem Vauerhause. «Mra-Piatnihkaja .^<» Vcrzilfichunq russischer Maßc mi« preusiischen und französischen......584 XVII Abrrift von Kasan. Die dorian BaulliihauslV, Hill l'. KnI'. Mitlhei-lunsse,, übll drn'russischtu VMscharat'ter. lf-inrichluin, hiesiger Frrhn-winhschafl!». Ackcrbau. Die Ruinen vun Vol^bari. Hen l>. Vll,-lostow. Wi,thschnn, ilirr bcidrn S!äm,nc, Klciduncz, Vulksch^r^Ncr, Hcidcilihlim, HautzcinrichtiiNl,. (^ine Vllppriijisssmd, Kurqanc. Dlirf ^adowfa, ssi,nichtuin,c!,, Mislzirgrl suitt Holz, ^Ickrrbau, das Baschlkrnland. Die Itadl Nilolajewsk. Dir !,ichgc (^lemsmi»!,. Nagadondinndci Ackelbcm. Lrichlsmn. Dors Betrsown, Mischung von Krön- und Apliiuisscliauci^, Turf iUlschum, russlschel Empfang. Dovf Srlza. Die Mmht drs nissischen Gemeinde. Princips. Die dmlschm Colonieu. Paninstt'i, russische Landlhciwnq bei dril Dculschen, ^andl'nu, Tabncksbau, ^rbcns^n, dic !>^nid>!l!te, Orlowökoi, der alte Rolhcrmelcr. Katharincnsiadl, der Gc, Die Verhältnisse dci deutschen Colonicn. Patrowsfi, die Klciinussm, Salzlager im Ieltonsre. Bild eines Kvsakm. 2sarc,«°w, Lage, Stadt Verhaltnisse, Alterthümer von Sarai. Verhältnisse des (Youvenlemcnls Sscualow, friihcn' Vcwohner Tataren, die mur (^»lonisatioil, ihlc Äcimftsc imt dcn räuberischen Horden, das Mädchnl aus Mostuw. Zunahme der Vcvülterunss, Ackerbau, Viehzucht, Kischfang, die Vcln'lkcrung nach ihren Nationalitäten. Kasan und seine Umgebungen waren die östlichsten Punkte, die ich auf meiner Neise erreichte. Man rechnete Kasan ehemals, und auswärtige Geoa/aphen thun es noch, zu Asien; '" Nußland wird das Gouvernement Kasan als das östlichste drs europäischen Rußlands angesehen. Ich reiste am 22> Juni von Kasan ab, und zwar blieb ich "uf dem linken Wolgaufcr, biö Ssimbirsk gegenüber. Die russischen Dörfer, die ich hier anfangs passirte, zeichne-trn sich v^. ^.,1^ ^js ^^ bisher gesehen, dadurch aus, daß sie alle durch hohe Zäun? völlig umschlossen waren, und daß man durch ein Fahrthor, wie ein Galgen gestaltet, in sie hineinfuhr. Wir setzten über einen breiten schönen Fluß, die Kama, welche in die Wolga fällt. Auf vcr nächsten Station war der größte Theil deß Dorfs aber abgebrannt. Die Einrichtung der Wohnhäuser war hier sehr dürftig und einfach. Die Wohnung war durch eine Wand in zwei Hälften getheilt. In der einen Stube lief eine Bank rundum, die, an der einen Seite sechs Fuß breit, zur Schlafbank diente, wie in den tatarischen Dörfern. An den übrigen Wirthschaftshäusern waren die Wände Flcchtwerk. Das VornRhshaus, Klct, sah wie ein von Zweigen geflochtenes rundes Zelt auö. Hin und wieder fanden mir sehr artiges Schnitzwerk an Dächern und Fenstern, jedoch nur bei den Russen, nicht bei den Tataren. Die in jeder Bauernstube an der Thür hängenden weißen Handtücher waren an den Enden einen halben Fuß breit mit rothem Garn, wie eine arabeskenartige Bordüre, durchnähet. In einem elenden Städtchen, Spask, blieben wir zu Mittag und erreichten Nachmittags, durch einen höchst fruchtbaren Landstrich fahrend, das Gut des Generals a. D. Herrn von Pirch, Krasnaja-Sloboda. Herr v. Pirch, ein geborner Deutscher, aber früh in russische Dienste gekommen, hatte eine Russin gchcirathet, und war durch sie ein vermögender Gutsbesitzer geworden. 6r war nunmehr ein eifriger russischer Patriot, hatte sich ganz in den russischen Volkscharakter hinein gelebt, und lebte namentlich mit seinen Bauern auf einem eigenthümlich guten Fuße. Er war ein Mann von Geist und von sprudelnder Beredsamkeit. Seine Erfahrungen waren mir wichtig, und seine rhapsodischen Bemerkungen über Volkscharakter, Lebensart, dortige Landwirthschaft schienen mir häufig schlagend. Solcher Bemerkungen will ich hier einige, so wie ein paar Anekdoten aus seinem Leben folgen lassen, sie zeichnen charakteristischer, als ausführliche Beschreibungen. „Die Befehle, die der Herr selbst ertheilt, müssen unabän- "llch irin, »lie darf ein Iota davon abgehen, man hüte sich ")", mcht zu viel selbst zu befehlen und anzuordnen ")." „Wenn einer meiner Bauern mich um eine Unterstützung sl^ ^ ^' lch ihm augenblicklich, und dann erst unter-nötl^' ° ^'"^ '"^ gründlich, ob die Unterstützung wirklich ^ 1'g war oder nicht. War sie es nicht, so bestrafe ich streng, "dem die Bauern dies wissen, werde ich nie ohne wirkliches "w unabweisliches Bedürfniß angegangen!" ^ Uls Herr v. Pirch vor vielen Jahren das Gut übernahm "w antrat, ließ er alle Bauern zusammen kommen, nnd hielt 'Wen folgende Rede: ! .,"^' ^"'^ h"" aufmerksam zu, was ich Euch sage, und prägt es Euch gut ein, nnd vergesset es nie, denn ich sag es ^ auch n.cht zum zweitenmal! - Ich bin .^ Jahre 7 Monate ' ..«.^ .^'^^"'^ ""' '"'" "'" ^'^ ""en auch nur em Stmide alter .st, dessen vernünftige Rede l.nd Vorstellung ^ !ün" ^i<. ^ 7^'"' "^"' ""' """ ^uch nur eine Minute die ^^' 7. ^' """^bt, das Maul aufzuthun, mir in w d ä" allen, oder gar sich mir in irgend einer Sache zu l m e k^ /'^"^"' l'll w vier und z,vanzig Stunden in l me,nem Dorfe :ncht mehr gefunden werden! Ich bin euer Pen- und mein Herr ist der Kaiser. Der Kaiser kann mir oeskylen, und tch muß ihm gehorchen, aber er befiehlt nicht euch! Huf memem Gute bin ich der Kaiser, ich bin euer Erdengott, b "I muß dem Gott oben für Euch verantworten! Aber ugt (5uch „ichs vor mir, sondern seht mir in die Augen, denn ^vm em Mensch wie ihr! -- Ein Pferv muß erst zehnmal w..Vl w !"" Striegel gekämmt werden, ehe man mit der mm .' ""ben kann! Ich werde Euch tüchtig striegeln ",'m, und wer weiß, ob ich je zur Bürste kommen werde! werd "s"'^'^ ^ mit Donner und Blitz, in meinem Dorfe glal b''" "'"''^" mit Donner und Feuer, sobald ich es nöthig Dle hier ausgesprochenen Grundsätze hatte er bald Gelcgen-/ praktisch auszuführen. Er hatte einen Weg auf das Gut -me von einem qrbonu» Nussrn, Hc,»n 0. Kaliiuwllsch aliögrsprochcnc lm rliü'„ B«iüdc «il'gcdruckte Maiimr stimmt hiermit völlig iU'nnn. seines Schwiegervaters projectirt, der dir (5'ntfermmg von ^2 Werst bis auf die Hälfte verkürzt haben würde, allein der Weg mußte zum Theil durch sehr morastiges Terrain geführt werden. Die Arbeiten begannen, die Leute stellten ihm die vollständige Unmöglichkeit vor, dem Boden irgend Haltbarkeit zu geben. Er ritt selbst hin, sank aber, als er vordringen wollte, mit dem Pferde bis zur Brust ein. Man hatte Mühe, dieses zu retten. Ein alter weißbärtiger Bauer hatte bei dieser Gelegenheit gelacht, und einige spitze Redensarten fallen lassen. Da wendet sich Herr v. P. zu ihm: „Du weißt, daß ich jeden, der älter ist als ich, anhöre und achte, ich verzeihe Dir Deine dreisten Worte, aber ich gebe Dir mein Wort als Dein Herr, daß ich heute über drei Jahre mit sechs Pferden über diese Stelle jagen will, und wenn ich das nicht halte, so Gott mir das Leben schenkt, so sollst Du mir hier ins Gesicht speien." 6s vergingen ein — zwei Jahre, dann kam ein ungcmcin strenger Winter. Es gelang nun Herrn von P. den Morast mit Beilen und Hacken aushauen, tiefe Gräben ziehen, Sand zu einem Damm aufführen zu können :c. So gelang es ihm wirklich, einen trocknen Weg zu gewinnen. An jenem dritten Jahrestage gab er an Ort und Stelle ein Fest, ließ Lebensrnittel und Branntwein anfahren. Als nun Alles lustig jubelte, kam er plötzlich in einer Kalesche mit sechs Pferden herangefahren, und hielt nun von seinem Sitze aus eine fulminante Ncdc, die ich leider nicht behalten habe, da er bei der Wiedererzählung abermals ins volle Feuer gcricth und die Worte wahrhaft rollten und polterten! Nur so viel erinnere ich mich, daß sie das sonderbarste Gemisch von Bibelsprüchen, kerngesunden Volktzsprüchwörtern, aber auch Flüchen und Schimpf-reden war, das man nur hören konnte! — Von nun an aber war auch sein Ansehen unter seinen Renten, wie in der ganzen Gegend, für ewig befestigt! Sein Wille gilt für ein eisernes Gesetz. -' Aber wir hörten nun auch außerdem nur Gutes von ihm, er sorgte auf das väterlichste für alle seine Leute imd war gefürchtet, aber auch sehr von ihnen geliebt. - In den letzten großen Hungerjahren, wo der Preis des Getreides ungeheuer gestiegen war, hatte er nichts verkauft, sondern seine Bauern damit unterstützt, und sir ernährt, damit sie nicht genöthigt seien, ihr Vieh und Inventarium zu verkaufen und sich so völlig zll rumircn. — Da kam auf einmal eine Deputation seiner "aucrn zu ihm — er war eben in dem Winter in Kasan - und "klärte ihm, „es sei kränkend für die Ehre ihres Guts, daß "n solches mächtiges Gut gar kein Korn zum Verkauf auf den «kl stndc, auch laufe es denn doch gegen ihr Gewissen, sich "Uem von ihrem Herrn füttern zu lassen mit dem Getreide, welches ihm gegenwärtig einen so bedeutenden Gewinn abwerfen könne? Der Winter sei bald zu Ende, daö nächste Jahr würde wohl wieder Korn wachsen, eö schade nicht, wenn sie "llch jetzt ein wcnig hungern müßten, er möge nur darauf los-"crkaufcn!" Er führte uns in seiner ganzen Wirthschaft umher. Das Gut, worauf er hier wohnte, bestand aus einem ganz modernen zweistöckigen Herrnhausc, ziemlich elegant eingerichtet, auf einem hübschen gutgchaltcln'n Hofe, der von einem Stacket von geschmiedetem Eisen eingefaßt war; an der andern Seite des Hauses lag ein ansehnlicher, parkartig angelegter Garten. Vor dem Hofe lag ein großes, militairisch gleichmäßig und regelmäßig gebautes Dorf. Eine gerade sehr breite Straße theilt es in zwei Hauptthcile, jeder Theil ist wieder von geraden Nebenstraßen durchschnitten. Jedesmal fünf Höfe sind in einem Viereck zusammengestellt, und die Bewohner derselben bilden cme sich auf die Frohndcnarbeitm beziehende Arbeitcrabtheilung. Herr v. P., das mächtige Vcrwandtschaftsgefühl der Russen im "luge haltend, hat Bücher über alle Verwandtschaftsuerhältnisse lemer Bauern angelegt und geführt; er sorgt dafür, daß mög-Uchst die näheren Verwandten in einer und derselben Arbciter-abtheilung zusammen leben und wohnen. Die gegenseitige Hülse in Gefahr und Noth, aber auch die Aushülfe bei den herrschaftlichen Arbeiten wird dadurch erhalten und erleichtert. Herr v. P. hat diese Regelmäßigkeit mit großer Mühe und "lelen Kosten in den ersten zwölf Jahren seines Hierseins durch völligen Umbau des alten Dorfs durchgesetzt. Die Häuser sind M gebaut und eingerichtet. Fast auf jedem Hofe ist ein eigener Brunnen. Die Leute sehen wohlhabend aus. Es waren 458 männliche Seelen im Dorfe. Etwas über drn Viertel der Feldmark ist den Bauern zu ihrem Unterhalt 0 überwiesen. Herr v. P. hat hier nicht der Gemeinde, wie es sonst gebräuchlich ist, die Vcrthcilung überlassen, sondern hat jcdcm Gehöfte unveränderlich 2 Dcssj. in jedem Fclde überwiesen. Es bleibt dann noch ein Residuum von 180 Defsj. in jedem Felde übrig. Au6 diesem wird jedem Alten, der drei arbeitsfähige Söhne gestellt hat, und in diesem Falle von jeder eigentlichen Arbeitspflicht befreit ist, >'/4 Dessj. in jedem Felde, jedem arbeitsfähigen noch unverhcirathcten Burschen aber '/4 Deffj. in jedem Felde zur Benutzung überwiesen. Was dann noch übrig ist, ist zur Ausstattung der allmählich sich neu bildenden Tjaglos bestimmt. Herr v. P. befördert dies jedoch nicht direct, er duldet keine Heirath des Burschen vor dem zwanzigsten, dcö Madchens vor dem achtzehnten Jahre. Der Ackerbau ist hier höchst einfach. Der Grundboden gehört schon dem Landstriche der schwarzen Erde an, er ist von so großer Fruchtbarkeit, daß er des Düngers nicht bedarf. ES werden daher Kühe nur der Milch halber gehalten. Die ganze Wirthschaft ist auf den Kornertrag, nicht auf Viehwirthschaft gestellt. Selbst Herr v. P. hielt auf seinem Hofe, der doch 600 Dessj. Ackerland enthält, nur 8 Kühe. Der Ackerpflug ist eine Art Haken ohne Eisen, die Egge zusammengeflochtene Tanncnzweigc. Der Boden wird fast nur geritzt, indem der Pflug nur drei Zoll tief eindringt. Man schneidet das Korn mit der Sichel, dann wird es im Freien gedorrct und schlecht ausgcdroschen. Die unzähligen Windmühlen mahlen es, alsdann wird es in findenbastsäcke gepackt und zum Verkaufe versendet. Am andern Morgen, den 24. Juni, verließen wir Herrn v.P. Statt uns durch seine Bauern fahren zu lassen, die hierzu verpflichtet sind, ließ er uns lieber, um der Bauern Pferde zu schonen, durch seine eigenen befördern. Wir erreichten zunächst gegen 8 Uhr das zwölf Werst entfernte Dorf Bolghari, neben welchem die berühmten Ruinen der Hauptstadt des alten bulgarischen Reichs sich befinden. Diese Hauptstadt des uralten, von den Mongolen und Tataren erdrückten (5ulturreichs der Bulgaren heißt eigentlich Brfächimof und muß eine mächtige Stadt gewesen sein? Ein Wall und tiefer Graben umgeben den Umkreis derselben. DaS jetzige russische Dorf liegt außer der Peripherie der ehemaligen Stadt, doch dicht daran, und die Kirche desselben, eine ehemalige Klosterkirche, Uspenskij genannt, welche ganz am Ende liegt, lst kaum 200 Schritte von einem noch völlig erhaltenen mu-hamedanischen Minaret entfernt. ") Dle Ruinen sind von früheren Reisenden i>epechin, Pallas, ^rdmann beschrieben. Ferd. Heinr. Müller in dem gründlichen Werke: Der ugrische Volksstamm, Berlin 18M), Th. I.. I'- 414, Webt eine sehr instructive Zusammenstellung von allen Nachrichten und Notizen, die darüber existircn. Ich kann daher die Beschreibung derselben hier übergehen, und bemerke nur, daß diese Ruinen ihrem völligen Verschwinden mit starken Schritten entgegengehen. Von dem, waö die ersten Reisenden Lepechin und Pallas vorfanden, ist kaum mehr die Hälfte vorhanden. Peter I. befahl die Erhaltung dieser Ruinen, welche unstreitig zu den merkwürdigsten und mächtigsten, die Rußland besitzt, gehören, allein gegenwärtig geschieht nichts dafür! Die Gräber der muhamedanischen Heiligen, welche hier begraben sind, genießen bei den kasanischen Tataren eine hohe Verehrung. Ich selbst traf hier einen Zug Wallfahrer, die ihre Gebete bei den Gräbern verrichten wollten. Das Volk der Bolgharen, welches die bedeutende Stadt gründete, welches mächtig und cultivirt war, ist übrigens gänzlich unter don icht dessen Sitz einnehmenden Russen, Tataren, Tschuwaschen?c. verschwunden. Ihre Physiognomie, ihre Sitten, ihre Sprache, sind hier völlig untergegangen. Die Bolgharen gehörten zum ugrischen Volkösiamme, sie waren zahlreich und mächtig, hatten andere Völker unterjocht, cmen organisirtcn Staat gebildet, trieben ausgedehnten Handel und besaßen für ihre Zeit und Stellung eine nicht unbedeutende Cultur, und doch sind sie hier spurlos verschwunden, während unbedeutende Völker, wie die Tschuwaschen, Tscherc-"Ussen, Mordwaö sich erhalten haben! — Das gehört zu den Räthseln der Weltgeschichte und ihrer Oekonomie! Wir bestiegen das hohe Minaret, wo man eine weite Um- ) Das Mmcnct und der Thurm dcr Kirche sind bridc clwas schief gclmucl, 'Mb migrn sich cmandcr zu, als ob sic sich bcgrüßm wolltm. 7 ficht hat, aber eigentlich nichts als Wald erblickt. An die Mauer hatten viele Reisende ihvc Namen geschrieben, wir fanden auch den Namen Alex. v. Humbolot's, der mit Herrn v. Fuchs von Kasan aus hier gewesen war. Nach der Verwüstung der Stadt, welche im vierzehnten Jahrhundert und dann vollständig im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts durch Auflösung des Reichs Kaptschak, des Khanats der goldenen Horde, geschah, überzog sich das ganze Terrain mit einem dichten Walde, und die Ruinen wurden erst unter Peter I. wieder entdeckt, wenn auch die Tataren wohl schon immer in die Wild-mß gewallfahrtet haben. Es entstand nun das Klosterdorf Bolghari, und der Wald, der die Ruinen bedeckte, ward immer mehr gelichtet; es entstanden Kornfelder mitten zwischen ihnen, und die Ackercultur zerstörte immer mehr die alten Denkmäler. Die Steine und selbst die Grabsteine mit arabischen, armenischen und türkischen Inschriften wurden zum Bau namentlich der Kirche verwandt. Es werden hier viele arabische, persische, türkische :c. Münzen, Zierathen, Ringe u. s. w. gefunden. Auch wir hatten Gelegenheit einiges der Art hier zu kaufen. Von hier fuhren wir neun Werst nach Tridserö, einem qro-sicn Gute, den drei Brüdern Molostow gehörig. Die Familie soll eine ursprünglich tatarische Fürstcnfamilie gewesen sein, die aber jetzt längst russisicirt ist. Der älteste der Brüder war General und ein ausgezeichneter Mann. Es fand sich, daß er bereits l8l? mit mir gleichzeitig in Pyrmont gewesen war, und er hatte sich von da an bis 1^3^ fortwährend in Deutschland aufgehalten, als Adjutant des Herzogs von Würtcmberg, alle seine Kinder waren dort geboren, er hatte eine deutsche Gouvernante und deutsche Bedienung, und so ward denn in seiner Familie und seinem Hause mehr deutsch, als irgend eine andere Sprache geredet. Es ward viel musicirt, und es war doch pikant, hier, bereits auf asiatischem Boden, deutsche Volkslieder singen zu hören! Auf meine (5'rkundigung nach hiesigen landwirtschaftlichen Verhältnissen hörte ich, dasi im Allgemeinen alle herrschaftlichen Bauern auf Frohndcn gestellt seien. Eine Folge des außerordentlich fruchtbaren Bodens, und des der nahen Wolga halber 9 nicht schwierigen Absatzes dcr Ackerbauproducte. In den nicht sehr fruchtbaren und nur schlechte Communicaiionsmittel besitzenden, daher schwachen Absatz gewährenden Gouvernements, die ich bisher durchreiset hatte, sind die Herren froh wenn sie den Bauern das Land überlassen, und sie auf Obrok setzen können. Ja die Bauern könnten da nicht einmal den jetzigen Obrok aufbringen, gewährte ihnen nicht ihre Industrie Hülfsmittel und Geld, was die Landwirthschaft sonst nicht zu gewähren vermag. Hier ist dies anders; in guten Jahren und bei guten Preisen steigt der Werth der Iahrescrnte von einer Dcssjatine Landes bis auf 15(1, ja 250 Nubel Banco! Hier läßt daher dcr Herr sein Land für sich selbst bestellen. Der Gutsherr behalt hier '/,, mitunter auch nur ^ oder '/4 der Ackerfelder für sich, und übergirbt den Nest seinen Bauern, welche jede Woche drei Tage frohndcn und das Gut bestellen müssen. Dcr jüngere M. meinte, wenn man alles in Geld berechnen wollte, was der Gutsherr dem Bauern an Land, Vieh, Holz, Saatkorn ic. gewähre, so könne man sicher annehmen, daß cr ihm jeden dcr Arbeitstage mit 4 Nubcl Banco vergüte. — Wir fanden das Dorf gut, aber nicht so militai-risch regelmäßig gcbaui, wie das des Herrn v. Pirch; die Eintheilung in Arbcitcrabtheilungcn fand sich auch hier. Die gutshcrrlichcn Felder bestanden aus mehr als :wW Dessj. des herrlichsten Bodens. Die Bcwirthschaftungsart war die einfache drcifcldcrigc, im Nintcrfelde Roggen, im Sommcr-felde Sommerweizen lind Hafer. Da hier schon nicht überflüssig Wald ist, so war eine Schonung deß Waldes, ja sogar etwas Waldwirthschaft, nämlich cinc Art Schlagwirthschaft sichtbar. Wir fulncn nm Mitternacht fort, wurden aber in einem Dorfe Namens Benjewa aufgehalten, indem wir Schwierigkeiten fanden, Pferde zu erhalten. (5s war cin schönes gutöhcrrliches Dorf, eben so regelmäßig gebaut, wie da3 des Herrn v. Pirch, nur bildeten statt wie dort fünf Gehöfte, hier vier Gehöfte eine durch vier Straßen abgeschlossene Abtheilung, vermuthlich auch eine Arbeiterabthcilung! Neben dem gutshcrrlichcn Hofe stand sogar cin Thürmchcn mit einer Fcuerwarte, wie in den größc-"n russischen Städten. Dic Kleidung der Weiber unter- 10 scheidet sich in dieser Gegend vortheilhaft dadurch, daß die Taille durch das Binden dcr Röcke unterhat!) des Busens gebildet wird, nicht oberhalb desselben, wie ich es bisher gefunden. Gegen Mittag am 23. Juni erreichten wir die Wolga, Ssim-dirsk gegenüber, und ließen nns übersetzen. Ich hiclr mich nur bis zum andern Morgen hier auf, da der Gouverneur verreiset war. Die eigentliche Stadt mit ihren breiten Straßen, großen leeren Plätzen macht einen langweiligen öden (Umdruck. Sie ist sonst eine bedeutende Handelsstadt, doch soll sie in letzter Zeit zurückgekommen sein, indem sie von dem aufblühenden Ssamara, namentlich im Getreidehandel überflügelt worden. Wir schlugen den Weg nach Ssamara, längs dem rechten Ufer der Wolga, ein. Der Boden, der Region der schwarzen Erde angehörig, ist überall von großer Fruchtbarkeit. Hier beginnt der Anbau deS Landes durch sehr große Dörfer, in dieser Gegend meist mit 3000 bis 40W Einwohnern! Sie liegen dann auch meist so weit aus einander, daß von Station zu Station gewöhnlich nur ein Dorf war. Daß hierbei die Ackercultur leidet, ist leicht zu begreifen. Die Ackerfelder liegen zum Theil 1,5, 20 bis 37> Wcrste weit vom Dorfe entfernt, und der Ackerbau wird dann ganz nomadischer Natur! Kommt die Reihe der Bebauung an solche entfernte Felder, so zieht daS ganze Dorf mit allem Vieh dorthin, schlagt Hütten oder Zelte auf, bestellt gemeinsam das Feld und zieht dann wieder heim. Zur Erntezeit geschieht dasselbe. Da der Acker hier nirgends gedüngt wird, so giebt es nur zwei Zeiten im Jahre, die Zeit der Einsaat und die der Ernte, wo dies Hinausziehen nothwendig wird. Dreierlei mag auf dieses Zusammenbauen und -Leben in diesen ungeheuer großen Dörfern eingewirkt haben *). Der dadurch gewährte größere Schutz, der Gcsclligkeitstrieb der Russen, und die Seltenheit der Wasserquellen. *) Im übrigen Europa lommcn so großr Dörfer nur vor, wo mächtige Industriezweige sich cnlwickell habe», wie z. B. in dc„ schlcsischm Gebirgen, wu die Lcinenfabrimlion herrscht, in der Schweiz, wo Uhren f<^ lnicirt werom, doch sind sie nirgends ft groß, wic in dirsm Theilen Rußlands, Merbmldiirfcr von duser Hiöße tumincn nngcnds vm. 11 Diese Landstriche sind erst spät durch cine Colonisation angebaut worden; sie wurden den Steppen abgewonnen, nnd der Anbau war noch bis Peters l. Zeiten den räuberischen Anfällen der "vmadisirenden Tataren, Baschkiren :c. ausgesetzt. Die Kolonisten hielten sich deshalb, um sich schützen und wehren zu können, in großen Haufen zusammen, und bauten große Dörfer. Hierzu kommt der ungemcm starke Geselligkeitstrieb der Russen, der die Einwohner eineS Dorfs hindert, sich zu theilen oder thcilwcisc umzusiedeln, wenn nicht Gewalt oder die dringendste Nothwendigkeit dazu zwingt. Endlich sind auch wirklich die trinkbaren Quellen in diesen Landstrichen selten, wiewohl man durch Brunnen, mitunter freilich sehr tiefe, sonst überall Wasser gewinnen kann. Diese großen Dörfer sind aber unstreitig ein großes Hemmnis; der Fortschritte in der Landwirtschaft, und da der erste Grund des nothwendigen Zusammenbaues ganz wegfällt, indem in Bezug auf die ehemals räuberischen Nomaden hier ticfc Sicherheit eingetreten ist, W sollte das Gouvernement billig Anstrengungen machen, die großen Dörfer in kleinere zu verlegen. Es gäbe hierzu cin höchst einfaches Mittel. Man kann in Nußland rechnen, daß jedes Dorf binnen dreißig Jahren einmal ganz, oder doch zum Theil abbrennt. Wenn man also einfach verordnete, daß nach jedem Brande die abgebrannten oder ein Theil derselben, sich nicht auf ihren alten Hausvlähen, sondern nur in anderen Theilen der Feldmark aufbauen dürften, w würde man binnen dreißig Jahren doppelt, vielleicht dreimal so viele Dörfer besitzen, als ictzt. EigenthumSvcrhältnisse bilden hier kein Hinderniß, wie etwa in andern Bändern. Auf der zweiten Station von SsimbirSk hielten wir eine Stunde an, und ich erkundigte mich nach den nähern Verhältnissen des Dorfs. Das Dorf heißt Tuschino, und ist cin Apana-gcndorf. (Im Gouvernement SsimbirSk giebt cS wenig Krön-dörfcr, desto mehr Apanagendörfer.) Es besteht aus 4W Gehöften mit 144l> männlichen Seelen. Bei jeder Revision wird das Land nun vertheilt, die Hcuschlägc werden noch jährlich neu vertheilt. Auf jede männliche Seele kommt gegenwärtig ' Dessj. Mcr in jedem Felde. Mit mehreren benachbarten 12 Dörfern haben sie die Benutzung eines 3ttM0Dessj. großen Waldes, doch ist einige Ordnung in der Waldwirthschaft eingeführt, nnd sie müssen eine Kleinigkeit für das Holz befahlen. Der Dünger lag in großen Gruben und Haufen in und vor dem Dorfe, da der Acker ihn nicht verträgt. Im Winterfelde wird Roggen, im Sommerfelde Weizen, Hafer, Buchweizen, und Hirse gebauet, zur Wintersaat wird zwei mal, zur Sommersaat ein mal gepflügt. Gesäet wird der Roggen Anfangs August. Dic Ernte beginnt Mitte Juli, die Sommersaat geschieht im Mai, die Ernte im August. Das Wintcrfeld gewährt daö sechste, das Sommerfeld das fünfte Korn. Man kann unter fünf Jahren ein volles und ein halbes Mißjahr rechnen. In den Gärten sahen wir Kohl, Gurken, Rüben, auch etwas Kartoffeln. In jeder Wirthschaft werden .">() bis 4 "5"hre als Heuschläge. Nach l> Jahren wird es von neuem Mtt Weizen bestellt, jetzt aber nur 2 Jahre hinter einander; dann wird es wieder 0 Jahre Weide und Heuschlag, lind nun beginnt der erste Vyclus von 4 Jahren als Acker wieder. <<> Unter sieben Jahren rechnet man hier nur zwei gute und cine mittelmäßige Ernte, Flachs und Hanf wird hicr nicht gebaut. Der Bichstand war hier, in Folge der letzten Mißernte und Seuchen, sehr schwach. Der Menschenschlag in diesem Dorfe war ungcmem schön. Spat am Abend erreichten wir Kammcnoi-brod, ein oon Mordwinen bewohntes Dorf. Ich sah hier zum ersten Malc Leute dieses Volks "°), nnd gebe hier einige allgemeine Notizen über dasselbe. Die Mordvas oder Mordwinen sind der am südlichsten wohnende Zweig des ehemals das ganze nördliche (5uropa bewohnenden, uralten Volksstamms der Finnen oder Tschuden. Sie wohnen gegenwärtig nicht in einem Landstriche vereinigt zusammen , sondern oascnartig in den Gouvernements Kasan, Nishmj-Nowgorod, Ssimbirök, Pensa, Ssaratow und Orenburg zerstreut. Die Hauptmasse wolmt in den zusammenstoßenden Theilen der Gouvernements Nishnij, Ssimbirbk und Pensa, wo sie auf einem zusammenhängenden Territorium wohnen, jedoch auch hicr überall mit Nüssen und selbst mit Tataren :c. gemischt **). Sir theilen sich in zwei Hauptstämme, die westlichen, die Ersad oder Ersancn, und die östlichen, die Mokschad oder Mvk- '> I» Müller's Tttomsyslem der Wolga, Berlin 1M9 >>l,x. 4l!8, s»,d nllc Rulizm und ?liich»1chten zusammengestclll, dir üdrr dilscß Volk sich lwlfindcu. ") Der Stalistitrr v. ^öpprn in: Rußlands Gtsammtbevölkerung im Jahre l838. ^rtnsbulg l84!t, gi>b« il,rc damuli^c Z^il'l i„ den l'l'rschifdrnr» Gouvlintmenlß an i In Kasan ...... 7944 maimlichc Ecrlrn „ Nishnij-Nowstolod 19,298 „ „ „ Ssimbirük . , . , ,','!,l!»>0 „ „ " Prusa......51,94^ „ „ SsarlUow , . . . ?I,70!» „ „ „ Orenblirl; , , . , :!.',,94!» „ ^,!,»»ü, . 2W,21'i männliche 2«lm, Dir Geftmmlzahl dlrsclt,!», das weibliche Geschlecht emirschlvssm, inockle daher damals etwa 424,l>0i) Köpfe dttragen haben, und j,ht »al,e an line l,all'e M,llil'", 17 Ichanen. Die Ersanen zeigen die finnische Körperbildung noch unverwischt, sind durchschnittlich blonden oder röthlichen Haarcö, die Mokschanen haben dunkle schlichte Haare und dünne Bärte, man erkennt die Zumischung von tatarischem Blute. Die Kleidung der Männer unterscheidet sich wenig von der russischen, die der Weiber ist dagegen sehr eigenthümlich. Auf dem Köpft eine bunt aufgenähete steife Mütze, einem Tschako ohne Schirm ähnlich. Um den Hals mehre Stränge Glas-Perlen. Ein weißes leinenes Hemd bis zur Hälfte der Wade, mit engen Aermeln *), darüber ein anderes Hemd, bitz an die Knie reichend, von beiden Seiten aufgeschlitzt, oben eng um den Hals schließend, überall am Saume mit rother und blauer Wolle bordürcnartig benäht; vorn und hinten laufen zwei, ct-waö breitere, genähete Bordüren parallel von den Schultern nach den Knieen herab, die diesen Oberhemden genau das Ansehen der Diakoncngcwänder bei der katholischen Messe geben. In der Mitte ist es mit einer rothen Schärpe gegürtet. Um die Füße Lappen gewunden, darüber Bastschuhe, Sonntags Stiefel. Von Charakter sind die Mordwinen sanft, ehrlich, gastfrei, fleißig. Sic haben nicht den Eigensinn oder die Charakterfestigkeit der Tschcrcmissen, Tschuwaschen, Tataren :c. und haben sich daher fast schon russificirt, find auch in der Mehrzahl bis auf etwa vier Procent wenigstens äußerlich Christen, wiewohl Heidenthum und Aberglaube noch stark durchblickt. — Der höchste Gott bei den heidnischen, und jetzt Gott im Allgemeinen, zugleich auch der Himmel, heißt bei den Ersancm Pas, bei den Mokschancrn Skai. Wie bei den Tschcremisscn, haben sie eine ganze Göttcrfamilie, eine Mutter Gottes, einen Sohn lc. Von den Nüssen haben selbst die heidnischen den h. Nikolaus angenommen, und erzeigen ihm göttliche Ehren, nennen ihn auch Nikolas-paö -^ Gott Nikolas. Cine unterirdische böse Gottheit heißen sie Master-pas. Bilder ihrer Götter kennen ') Das wcisic mcisi lcmmc Oberhemd oder Obcrklcid schein! dm weißen f»'"ischtn Stämmen gcmeinschastlich, wir f', dm «Wn, Sin-lanm, Mcschtriki, Tschuwaschen nnd Mordwinm, 2 18 die heidnischen nicht. — Sic haben offenbar im Allgemeine» dasselbe Götter- lind Ncligionssysiem, wie die Tscheremissen und Tschuwaschen. Sie haben, wie diese, das vor allen übrigen Festen gefeierte Frühlingsfest, jedoch nur mit einem, nicht mit sieben Feuern. Sie haben ihre Opferplätze, die ebenfalls Kcrc-mct heißen. Sie opfern vor dem Feuer dem höchsten Gott eine rothe, dem unterirdischen Gott eine schwarze Kuh, spritzen aber das Blut nicht ins Feuer, sondern machen eine Grube und schenken es der Erde. Nach Beendigung des Opfers rufen sie unter vielen Verbeugungen, wie die Tschcremissen: Amen. Sie opfern der Sonne (Tschi-pas) Kuchen und Getränk. Den Neumond begrüßen sie barhaupt und bitten ihn um Glück während seiner Regierung. Beim Gewitter beten sie: l'i>8«!iim^ plil^ini-^nl,. — Erbarme Dich, unser Gott Purgim!— Die Hausthür liegt stets nach Osten, auch ihre Gebete verrichten sie stets nach Osten gekehrt. DaS Dorf Kamenoi-brod, welches wir besuchten, hatte zwar die Anlage eines russischen, d. h. es bestand aus einer langen Hauptstraße und einigen Nebenstraßen, an denen die Gehöfte dicht gereihct lagen; diese Gehöfte aber waren anders eingerichtet. Die Gehöfte sind nämlich völlig geschlossen, das Vor-rathöhaus und die Sommerwohnung liegen längs der Straßenseite, daö Wohnhaus im Innern des Hofs. Deshalb hat das Ansehen des Dorfs von der Straße aus, da man keine Fenster und Hausthüren sieht, etwas Ocdes und Ungastliches. Die Einrichtung deö Hauses unterschied sich nicht wesentlich von der in den umliegenden russischen Häusern, aber es herrschte große Reinlichkeit. Auffallend erweise war in jeder Wohnstube ein vergittertes Fenster. AIs einer von meinen Begleitern eine Bemerkung machte über einige Aehnlichkeit mit den Tschuwaschen, schienen sie beleidigt: es herrscht nämlich eine National-abncigung zwischen beiden Völkern, die Mordwinen verachten die Tschuwaschen. Wir ließen uns die Zahlwörter vorsagen, welche im Laute ziemlich mit den esthnischen stimmen. In der Entfernung hörten wir singen, die Melodien schienen mir aber russische zu sein. Die Frau des Hauses brachte ihre Tochter im Sonntagsschmucke, sie nahm auch ein kleines Geschenk, 19 während der Mann für Milch und Brod, was wir genossen hatten, durchaus nichts annehmen wollte. Wir durchlogen am W. Juli an einem herrlichen Sommrr-morgcn eine ^andstrecke, die noch vollkommen unbedauete Etcppc war. Welch cm Reichthum an Wiesenblumen, jedoch nicht eben viele Arten! Dabei sta»iden sie stets familienweise zusammen, s" daß man immer ganze Felder rother, andere Felder gelber oder blauer Blumen vor sich hatte. Im Norden Rußlands schießt die Vegetation stets zum Wald auf, jcdcä brache Feld, jcdcr öde Fleck bewaldet sich binnen einigen Jahren von selbst: hier in der Stcppcngegcnd schießt die Natur stctü in Grau und Blumen auf; und welch üppiger Wucht?! Krauter, die bei uns m ihrer höchsten Hohe kaum die Wade erreichen, überragen hier Mannshöhe! - Nirgends erblickten wir hier Wald, nur hin und wieder etwas Buschwerk, meist verkrüppelte (5ichenbüsche. Man ficht daraus, daß mit einiger W^c lslxndigc Hecken, sogenannte Wallhcckcn, wie in der Vendee und im nördlichen Wcstphalen, anzulegen und zu erhalten wären; Dieses könnte eine große Wohlthat für den Landstrich werden, und die Cultur ungemcin ausbreiten und befestigen! Wir bemerkten zahllose Heuschrecken, die wie Regentropfen unter jedem Tritt unserer Pferde umhersprühtcn. Doch waren diese nicht von der dem Getraide gefährlichen Art. Auch sahen wir hier die ersten südlichen Todtenhügcl (Kur-gane). Sie sind sehr niedrig und flach, oft sich kaum über die Ebene erhebend, und dann nur daran kenntlich, daß um diese Zeit wenigstens nie grünes, sondern nur dürres Gras darauf zu finden ist. Die Mitte ist meist durch eine Vertic-sung angedeutet. Die umwohnenden Leute versicherten uns, Man fände oft Gebeine, aber sonst nichts unter ihnen. Bisher sah ich auf meiner ganzen Reise nirgends Wassermühlen, außer an der Wolga. Die kleinen Flüsse und Bäche Nußlands haben zu wenig Gefalle, um dem Bedürfnis an Mühlen Genüge zu leisten. Desto großer, namentlich in dieser ^'gcnd, ist der Reichthum an Windmühlen. Bei dem elenden Städtchen Nikolajew, das wir am Abend erreichten, zählte 2" 20 ich deren an der einen Seite, die ich übersehen konnte, licht lind zwanzig! In dem großen Domainendorfc Padowka hielten wir lins einige Stunden auf. Ich ließ mir über alle Verhältnisse desselben genaue Notizen geben. Die ?eute waren freundlich und gefällig. Während wir uns an der schattigen Wand eines Hauses Tisch und Stühle zurecht setzten und frühstückten, sammelten sich die weißen Häupter des Dorf um uns. Auf der Straße aber spielten die Kinder, was ich sonst selten in russischen Dörfern sah. Es waren allerliebste kleine blonde Buben, die mit dem Reife spielten. Zunächst nahm ich die Wirthschaftßvcrhältnissc unsers Wirths auf, der ein tüchtiger und vermögender Bauer war. Die Halls- und Hofeinrichtung »rar eine ganze verschiedene von denen, die ich im nördlichen Rußland gesehen hatte. FF' 7?' -"s ll Grundriß deS GchdftcS. Der Hof enthielt außer dem Wohnhause und davorstehendem Vorrathshause nur noch ein geschlossenes Haus, dessen Wände aber von Flechtwcrk waren. Rundum waren außerdem unterm Strohdach offne Schober, deren hintere Wand, die zugleich den Hof umschloß, von großen Lehmsteinen aufgeführt war. Hier war noch ein zweiter, ganz gleicher, rund herum von offenen Schobern umgebener Hof, weil zwei Brüder (---Familien) im Haufe mit abgesondertem Haushalt lebten. Hinter diesem zweiten Hofe war noch ein dritter, ganz offener, auf dem die Badstube und das Kornmagazin ganz frei standen, die erste, um die Fcuersgefahr entfernt zu halten, das andere, um es vor Feuer möglichst zu schützen. 2t Russisches VaucrngeMc im Dorfe Podowka auf dem lmlen Wolgauscr zwischen Sftmara und Allcolajcu'. Das Wohnhaus war klein, einstöckig, wie daö überall hicr Sittc ist, aber reinlich gehalten, und Thüren nnd Fenster mit hübschem Schnitzwcrk verziert. in > i!< ^^" '^""^ ^ "'" ^'^ ^^halle oder ossme Gallcric, ^ vclchev Tisch und Bänke stehen. Hier versammeln sich Fa- sci l-'s "'^ ^"^ im Sommer, und lcdm und essen hier. Auch ) "st ,n der Ncczcl der Hausherr im Sommer hier auf der Bank. stud Mcmgcl an Holz ist sehr sichtbar; nur die Wohn- en und Gallcncn sind ganz von Holz, dic hintere Wand 22 der Gebäude von Lchmsteinen oder von Feldsteinen, dic hier sich finden. Das Holz muß von Ickaterinow im Gouvernement Ssimbirsk, l>N Wcrste weit, herangcfahren werden. Ein Balken, an zwei Seiten beHauen, i) Arschinen lang und 5 bis U Wcr-schok dick, kostet 4 bis 5 Rubel Banco. Man heizt mit Mistziegeln, Kisjack genannt, einem Gemische von Mist, Stroh und Heu. Man bereitet sie im Frühjahr. Der Mist wird dann auf den Hof gebracht, mit kleingeschnittenem Stroh und Heu gemischt, durch Pferde gestampft, mit eisernen Schaufeln in viereckige Stücke geschnitten und dem Trocknen der freien Luft ausgesetzt, indem man sie, wie bei uns die Lehmsteine und den Torf, den Sommer über abwechselnd auseinander legt und aufhäuft. Im Anfange des Herbstes werden diese Mistziegcl dann unter Schauer gebracht. Beim Gebrauche entflammen sic sich sogleich. Die Hitze ist völlig so stark, wie die von den Steinkohlen. Die Hitze verbreitet sich aber, besonders im Backofen, nur nach oben und den Seiten, daher ist die untere Fläche des Brodes oder Kuchens nie gar. Der Kisjack verursacht wenig Rauch, aber vicl Nuß im Schornstein. Der Geruch ist dem des Torfs ähnlich und nicht unangenehmer. — Uebrigens giebt es in diesen Gegenden auch Torf, dessen Lagerung und Qualität aber noch nicht hinreichend untersucht ist. Das Dorf hat 800 männliche Seelen in 240 Höfen. Es besteht seit 1835, wo die Leute aus dem Medinskffchcn Kreise des Gouvernements Kaluga hierher übersiedelt sind. Diese ganze Gegend ist erst in neuern Zeiten colonisirt worden, und man hat die Leute meist aus dem Gouvernement Woronesch, Kursk und Tula hierher übersiedelt. Man hat aber nicht die mindeste Rücksicht genommen, sie nach ihrer Hcimath oder wenigstens nach dem Gouvernements sich zusammen anbauen zu lassen, sondern alle durch einander, geworfen, was anfangs vielen Streit verursacht hat. Als Grundsatz bei der Ansicdlung hat nach einem bekannten Gesetze gegolten, daß auf jede Seele 15 Dessj. (in einigen Gegenden sogar 30 Dcssj.) Land gerechnet worden, und hiernach das nöthige Territorium jedem Dorfe überwiesen werden sollte. Mein man hat die Dörfer so groß angelegt, und gestattet, daß sich so viele Familien darin angesiedelt, auch ist die Bevölke- 23 "mg so rasch gestiegen, daß in keinem Dorfe mehr daö vorgeschriebene Quantum von Land für die Seele zu rechnen ist. Meistens kommen gegenwärtig nur 7 bis 5 Dcssj. auf die Seele. Durchschnittlich bestellt jeder von seinen >5 Dessj. jährlich nur >, oder 7. Dessj., -/« bleiben stetö unbestellt. Von dem zu bestellenden Lande werden "/4 mit Weizen nnd nur der Rest Mit Winterroggcn, Gerste und Hafer bestellt *). Flachs und Hanf werden nur wenig, Oclgcwächfe gar nicht Ncballt. Kartoffeln gedeihen schlecht.' In den Gärten zieht man Kohl, Gurken, Rüben, Arbusen und Melonen. Gepflügt wird hier mit dem schweren Rädcrpflug, den auch die Russen hier Pflug nennen, daher wohl von den deutschen Kolonisten überkommen haben. Man spannt meistens Ochsen davor, 4 bis U Stück, bei Neuland oder frischem Torf aber 10 Stück. Die Arbeit für den Mann soll übrigens hierbei leicht sein. Da natürlich nicht jeder Wirth 1l) Ochsen hat, so spannen sie zusammen, und die Pslugochsen gelten daher für eine Art allgemeinen Eigenthums des ganzen Dorfs, auf welches jeder gleiche Rechte hat. Früher hatte das Dorf 24 vollständige Pflüge und 240 Ochsen. Die Mißernten haben den Bieh-stand ruinirt, jetzt waren kaum 100 Stück vorhanden. Der Viehstand muß hier sehr bedeutend gewesen sein: wohlhabendere, wie z. B. unser Wirth, hatten außer dem Arbeitsvieh, noch jetzt 10 bis 15 Stück Rindvieh, 12 bis 20 Pferde, 50 bis 00 Schafe. Die Schweine sind in den letzten Jahren alle verkauft. Der Preis eines hiesigen guten Bauernpfcrdes ist 150 Rub. Banco, einer Kuh 40 Rubel Banco, eines Schaafs 5 bis li Rubel Banco. Das sind aber nur die jetzigen Preise, da das Vieh rar geworden ist: in wohlfeilen Jahren ist etwa die Hälfte dieser Preise zu rechnen. In diesem Dorfe wird nur Ackerbau getrieben, andere In- *> Nur d« Wrizm gewährt hicr, ,mch dcr ^,'sichcnm.;c» ?a„bMchm, »'»c rrichMc «n,tt, dir übligcn ^ttrcidmrlm luhncu vnhältmßmüsiig schlcchl. Icdoch ist cS . 8'!, lebt die Vcvolkeruug dcö Gouvernements Ssaratow vorherrschend von Weizenbrod. da der No ^"dstrcckc von Ssamara bis Ssaratow gegenüber und . "lrr hinab war Steppe, aber ein höchst fruchtbarer Landstrich. U'' selten kamen die weiter östlich nomadisirenden Baschkiren Md Kirgisen, die Weiden benutzend, hierher. Zuerst wurde ein ^trlch oberhalb Ssaratow auf beiden Seiten der Wolga colo-"'M; Katharina II. rief 170:; deutsche Colonistcn hierher. Es ^'gtc sich, daß der Boden auf der Wicscnseite der Wolga, na-mentlrch in den Niederungen und längs aller Flüßchcn und fachen, yon ausicrordontlichcv Frllchtbarkeit sei. Die schwarze humusreiche Dammcrde steht fast überall eine Clle hoch und oft noch höher auf einer Grundlage von Thon- und Kalkmergcl *) Pflanzen, die andrrswo mit dem Grase in demselben Niveau stehen, erreichen hier mit diesem Mannshöhe! Korn und Weizen geben hier in schlechten Jahren das fünfte, in mittclmäßi-"M daö neunte, in guten Jahren das vierzehnte Korn. ^ Es baten nun viele Gutsherren und sonst zum Landbesitz Berechtigte "lls den mittlern und nördlichen Gegenden um Verleihung "vn ^ändercien zur Colonisation. Dies ward anfangs etwas zu "Mchwcndcrisch bewilligt! Und nun begann eine große Coloni-Wtwn aus dem Innern Rußlands nach diesen Gegenden hin. ^lc Gutsherren brachten alle ihre überflüssigen Leute hierher. >e Sache, cine in ihren Folgen unermeßlich wichtige, ward anfangs vom Gouverneur gar nicht beaufsichtigt. Die Gutsherren trafen keine Vorbereitungen, siedelten zu viele Menschen "us derselben Stelle an; die ausgesuchten Stellen hatten oft schlechtes Wasser, waren ungesund; ein anderes Klima, die veränderte und ungewohnte Kost, die großen Beschwerden, die sermgcn Hülfsmittel verursachten, daß viele Colonien ganz ) Unmittelbar bei Nifolajrwst soll jedoch »m- l'iiic dimm> Humnöschnh« auf tmer dickcn Schicht Lehm licgcn, daher »uin auch !,in uud wi>'dn sthon bi'ngcu muß. 26 nnßriethen, daß die Colonisten zu Hunderten und Tausenden wegstarben! Später nachdem viel llnglück geschehen, ist man vorsichtiger zu Werke gegangen, das Gouvernement hat selbst begonnen, Domainen- und Avanagcbauern aus dem Innern hier anzusiedeln. Was jetzt hier wirklich seit Jahren angesiedelt ist und die ersten bösen Jahre überstanden hat, das gedeihet recht gut, und man kann annehmen, daß alle ältern Kolonisten wohlhabend sind. Gegenwärtig ist der ganze Strich von Ssamara abwärts, 50 Werste breit von der Wolga ab, völlig colonisirt. Aber das weiter abliegende, bis zu 150 Wcrstc von der Wolga entfernte Land, das sogenannte Baschkircnland, eben so fruchtbar, erwartet noch die Ansicdlung! Bis dahin wird dort ein ganz nomadischer Feldbau getrieben. Die Leute aus dem colonisir-ten Lande miethen dies Land von der Krone, oft 70 — 100 Wcrste weit, wie oben bei einem Dorfe angefühlt ist, ziehen in großen Massen im Frühjahr hin und bestellen es, gehen dann zu Hause bis zur Erntezeit, wo sie wieder hinziehen, und dic Früchte mähen, außdreschcn, *) und das Korn zu Hause bringen, das Stroh aber zurück lassen. Diese Art zu wirthschaften ist sogar in den Dörfern selbst die vorherrschende, sie treiben nämlich meist nur eine Sommerftldwirthschaft, haben gar kein Wmtrrfcld! Sie säen 4 Jahre auf demselben Felde Sommerweizen (Bjcloturezk-Weizcn) und lassen es dann 5 — 7 Jahre zur Weide liegen. Hin und wieder zwingen jetzt thätige Do-maincnbcamte die Colonisten zu einer regelmäßigen Drcifclder-wirthschaft, und dabei sollen die Leute sich doch am besten stehen. — Die Ernten sind ungeheuer, sie gewähren in guten Jahren pro Morgen zuweilen 200 Nudel Banco reinen Ertrag; allein cs kommen noch oft ^ bis 4 völlige Mißjahre, welche nicht bloß die Wirthschaften ganz ruiniren und den Viehstand vernichten, sondern selbst zu entschiedener zuweilen entsetzlicher Hungersnot!) führen. ') Das Drcschc,, gcschichl h,cr rmchgäügig .n,f dm Fcidcm sttl'si, wo Tcimm duich Alnäumm, Slampfcn :c. Mcrciltt wcrdm, 29 Da die Leute keine anderen Industriezweige besitzen, nur 'M Sommer ein paar Monate hindurch eine leichte Feldarbeit haben, da sie oft in einem Sommer plötzlich reich werden können, so zeigen sich hier dieselben Folgen, die unter analogen Verhältnissen sich überall zeigen, nämlich der größte Leichtsinn, und lm Ganzen eine träge, luxuriöse und liederliche Wirthschaft, -"tan verschwendet in gntcn Jahren, und hat in schlechten Iah-"" '" Vich, oft nicht die Aussaat und fällt den Wucherern, Nllstschl'n und deutschen Kaufleuten in den Colonien, in die Pände. Eine Bevormundung der ganzen Wirthschaft der Leute, 's »nö Kleinste hinab, würde hier für dieselben eine wahre Wohlthat seyn! Sie müssen erst förmlich zu ächten und guten "ctcrwirthen erzogen werden, ehe man sie emanicipiren könnte, -"can sirht dies an manchen Apanagedörfern hicsclbst, die mehr unter einer solchen Bevormundung stehen, und deren ganze Physiognomie eine größere Ordnung und Wohlhabenheit zeigt, als d,e hiesigen Domainm-Dörfer. Das hier Gesagte M jedoch nur für diese Gegend, nicht im Allgemeinen für andere Theile Nußlands! ^ Ls waren hier aber bei dem Kreis-Chef der Starost und mnge Bauern aus dem benachbarten Krondorfe Dawidowßkoi gegenwärtig, die ich über ihre Dorfverhältnisse befragte, und ganz gleichartige Notizen wie in Padowka erhielt. Das Dors ^awldowskoi ist 1M2 durch Colonisten aus dem Gouvernement ^1"san angelegt. 6ß enthält jetzt 083 Seelen in 2l0 Höfen. Anfangs waren 15 Dessj. auf die Seele angewiesen, jetzt kommen nur 7 — 8 Dcssj. darauf. Die Leute bauen V, mit Weizen, und nur '/4 mit Roggen, Gerste ?c. Kein Flachs-, Hanf-, Del-dau. Wohlhabende Bauern hatten vor wenigen Jahren noch W — 50 Pferde, jetzt nur 10 — 12. Damals zog man sic Wn Verkauf. Jetzt haben die Mißjahre die Pferdezucht ruinirt. ")er Preis guter Baucrpfcrdc ist 100 — 150 Rubel Banco, kMcr Kuh 40 Rubel, eines Ochsen 00 Rubel, eines Schafes 7 ^ tt Rubel. Früher waren 25 volle Pflüge zu 10 Ochsen "l Dorfe, jetzt nur noch 15. Zur Erntearbeit werden Knechte Miseit der Wolga gemiethet. Es wird Vaschkirenland gepach-"> Bauholz wird in Balokowa gekauft, wohin cö die Wolga ""ab aus dem Gouvernement Wjatka kommt. 30 Wir vorließen Nikolajewsk Nachmittags. Ich sah hier zum^ erstenmal das große Kirgisenschaaf mit den, Fcttschwan^c. Auch große Pferdcheerdcn begegneten unö, welche von ihren Hirten zu Pferde gehütet wurden. Bei Ssaratow sah ich auch Dchscn-hecrden von solchen berittenen Hirten gehütet. Die zweite Station von Nikolajewsk war Bcresowo, ein großes Dorf aus Apanage- und Kronbaucvn zusammengesetzt. Von den erster» waren 423 Seelen, ron den andern 040 Seelen im Dorfe. Diese Zusammensetzung findet sich in diesem Landstriche häufig, und wir fanden sie bis Ssaratow hinab in den meisten Dörfern. Die Ursache, warum man dies gethan hat, öder warum man nicht noch jetzt durch Austausch unter den beiden Ministerien jedes Dorf nur dem einen der beiden Ministerien zutheilt, da das Verhältniß sich offenbar als ein schreiendes MißverlMm'ß herausstellt, ist mir unklar geblieben. « Die Krön- und Apanagebauern haben nicht etwa ge- U sonderte Felder, sondern bilden eine Gemeinde, und theilen das Land auf russische Weise nach Seclenzahl, „die Loose in einer Mütze («w-olii i» »lllwi 8<^ul<,!)", wie uns ein alter Bauer sagte, den meine Begleiter fragten. Aber ihre Abgaben sind gänzlich verschieden. Die Apanagcbaucrn geben 2!) Rubel 20 Kopeken Banco ab, die Krön-Bauern nur 16 Nu-bel 48 Kopeken Banco. Die crstern also doppelt so viel als die andern. Das muß doch nothwendig böses Blut setzen! Ja hätte jede Abtheilung ihre besondere abgeschlossene Feldmark, so wäre das Misiverhältniß nicht so in die Augen springend. Bei Privatbauern kommt es dann oft vor! Aber hier bei einer gemeinsamen Feldmark, wo jeder so viel wie der andere bekommt, jeder dieselben Rechte hat, ein so sehr verschiedenes Abgabcnvcrhältniß, das erscheint drückend! Vor den neuen Domainen-Einrichtungen wurden die Kronbauern von allen Seiten geplagt und gedrückt, die Apanagebaucrn aber stehen schon lange unter einer sehr wohlgeordneten und schützenden Verwaltung. Da trat daß Mißverhältniß in der Abgabe nicht besonders hervor, dies geschieht aber jetzt, wo auch die Kronbauern unter guter und schützender Verwaltung zu stehen anfangen, und sich also daß nackte directe Abgaben- 3l "crhältniß scharf gcgenübcrtritt. Dieses Dorf hatte bei seiner Unlage nur circa 5W Seelen, welchen wie gewöhnlich so viel Territorium angewiesen war, daß 15, Dessj. auf jede Seele kommen. Bei Mn Seelen kommen gegenwärtig kaum 7 Dessj. auf die Seele! Dies mag übrigens die Ursache sein, daß hier lucht die vagabondirende Ackcrwirlhschast herrscht, wie in den u ugen Dörfern, sondern vielmehr eine einigermaßen geordnete ^ N'lfelderwirthschaft. Gedüngt wird jedoch daß Feld auch hier "'«It, außer im Magazinsfcldc, wozn die Apanagebauern "ach Vorschrift >/i« ihres Besitzes haben abgeben und eS ^'stellen müssen. Die Bauern behaupten jedoch, daß dies Feld Mcchterc Ernten gebe, alö die ungcdüngtrn Felder. Der ^relS deö Tagelohnö, der Vieharten, des Holzes, Eisens :c. Nahrung, Lebensart, Kleidung waren mit geringen Abweichun-",cn dieselben, wie wir sie bci Padovka kennen gelernt hatten. Am Morden deß 2<». Juni kamen wir, dem Dorfe Kuschmn gegenüber, an den großen Irgis. Am andern Ufer versammelte sich die ganze Gemeinde und bewillkommnete unö, nachdem w,r übergesetzt, nach orientalischer und altrussischer Weise mit Darreichung von Salz und Brod! - Hätte ich Fortuna's Hunschhütlcin besessen, so hätte ich mögen den ganzen Haufen sur einen Moment in irgend einen Mittelpunkt europäischer ^lvlliiation versetzen! Welch schönes kräftiges Volk, nut charaktervollen Physiognomien und weit über seine Bildungsstufen Mtetligcntcm Ausdrucke, der aber ahnen läßt, was er werden kann und was er werden wird, wenn Zeit, Gelegenheit und nchtige Leitung an seiner Erziehung arbeiten werden mit mehr ^rnst und tieferer Erkenntniß seiner innersten Nationalität als blöhcr! ^ Was für helle scharf glänzende Augen sah ich hier noch bei Greisen. Man hätte ein Dutzend Apostclköpfe heraussuchen können! — Die Weiber sind durchschnittlich ungleich wenlgcr schön als die Männer, doch scheinen sie sich erst nach der Iicifc zu vclhäßlichen. Mädchen von 9 bis !2 Jahren waren ebenfalls von großer Schönheit. Unter den .'><» erwach-Wlcn Männern, die ich um mich herstehcnd zählte, war nur cmcr mit schwarzem Haar und Bart, und nur 8 mit braunem Haar, alle übrigen waren blond; die Kinder waren alle Blondköpfe. lt. 33 Dich Kuschum ist cm nach der Revision von l^34 aus 235 Apanagebauern und 12! Kronbauern zusammengesetztes Dorf. ^ie waren aus der westlichen Seite des Gouvernements Ssara-tow vor etwa <>U Jahren hierhin übersiedelt. Damals bestand bie Gemeinde nur aus 10."> männlichen Seelen. Diesen wur-^n die üblichen 17. Dessj, pro Seele überwiesen, und als sie ^rcl) hinzukommende Geburten und Einwanderungen auf 24« Seelen angewachsen waren, wurde ihr Territorimn nochmals ^ dahin, dasi jede Seele !.'» Dessj. erhalten konnte,vergrößert, ^ann wurde nach der Revision von lft34, wo sich 37>l> Seelen senden, jeder etwas über 12 Dessj. zur Benutzung überwiesen, seitdem ist nun aber wiederum die Bevölkerung um 100 'Nännliche Seelen gestiegen, für die aber bis jetzt noch gar kein ^and ausgesetzt ist. — Apanage- und Kronbauern haben kkMe abgesonderte Feldmark, sondern bilden eine Realgemeindc, ^ch haben sie diese Feldmark in eine Anzahl Flächen oder bannen nach ihrer Lage und O.ualität getheilt, und jede dieser bannen in 1l)0 Theile. Nun haben sich in der Gemeinde je ^ Haupter zusammengestellt, und hiebei natürlich möglichst ^ Apanagrbaucrn zusammen, und die Kronbauern zusammen, bann sind jene Wannen unter diese Gesellschaften von je l() ^rrlooset, wodurch dann einigermaßen die Apanagebaucrn ^n den Kronbauern, wiewohl sehr unvollkommen, getrennt Und. Die Apanagebauern haben ihren eignen Starschina und ihre eigene Verwaltung, die Kronbaucru desgleichen. Die Aftanagebauern zahlen pro Seele 2!> Rubel 20 Kopeken ^'vn-, Apanage- und Gemeinde-Abgabe, und für Postfuh-^n, welche sie durch Iämtschiks leisten lassen, an diese pro ^ecle 7> Nlibel 7l Kopeken Banco, also in Summa 34 Rubel ^! Kopeken Banco pro Seele. Die Kronbauern zahlen, alles 'U allem, nur !. Juni erreichten wir die erste deutsche Eolonie, Schafhauscn. Schon ehe wir ins Dorf fuhren, erkannten wir die uns umgebende deutsche Atmosphäre an einigen Weibern in deutscher Bauertracht, die vom Felde heimkehrten und strickten. Ich sah nie strickende Russinnen, wenigstens stricken sie nie im Freien umherwandelnd. Die Mehrzahl der ruffischcn Bauern trägt auch keine Strümpfe, sondern umwindet die Füße mit Lappen! Im Dorfe selbst zeigten uns auch die vor den Häusern gepflanzten Bällme und die in Hecken liegenden gut erhaltenen Gärten deutsche Sitte und Art. Die Anlagen der Gehöfte sind deutsch, die Bauart der Häuser aber ist fast ruffisch, mit kleinen Säulen, Gallerien, Borlauben. Die Einrichtung zeigt eine Mischung von Deutschem und Russischem; in der Ecke der Stube bangt das russische 85 Heckqenbild, trotz dem die Leute hier Lutheraner waren. Das . vbUiar, d'e Betten, das Haus und Küchengerät!), die Tracht oer Leute ist deutsch. Die ursprünglichen Colonisien kamen aus allen Gegenden Deutschlands, jeder brachte seine Kleidung, sei,,? Sitten mit. Das ist denn hier alles gemischt, araus aber am (5nde wieder eine constante Sitte geworden, ^llir m diesen Dörfern, wo die ersten Kolonisten aus einer und Melden Grgcnd sich zusannnendaucten, haben sich einige be-ndere Sitten und Gebräuche aus der speciellen Heimath er-)alten. Dies Stückchen Deutschland an Asiens Grenze, an er uiolga, macht doch einen eignen Eindruck! (5s ist nicht eine mzelne verkümmerte Colonie, sondern ein blühendes Land mit vett^über 100,000 Seelen, mit ganz deutscher Physiognomie. W,r hielten uns in diesem ersten Dorfe nur so lange auf, als nöthig war, um die Pferde zu wechseln. Dabei trat uns aber sogleich die Verschiedenheit der beiden Nationalitäten in kleinen Zügen frappant genug entgegen. Wir hatten nicht mehr den gewandten höflichen schlauen russischen Iämtschik auf dem Bocke, der einschmeichelnd und höflich bei jedem Worte die Mutze zog, und dessen Pferde uns im Galopp von einem Dorfe zum andern brachten; jetzt neigte sich auf demselben gemächlich der plumpe deutsche Fuhrknecht, der sich stets bedachte, ob er aus unsere Fragen die Pfeife aus dem breiten Munde nehmen und uns auch nur überhaupt antworten sollte. Von Galopp war bei den Pferden nicht die Rede, er schonte sie und forderte nur einen gemächlichen Trapp von ihnen. Dagegen war aber auch sein Anspanngeschirr solide, es saß alles fest; er brauchte mcht !, — 6 mal anzuhalten, herabzuspringcn, und hier einen Strick zu knüpfen, dort einen zu verlängern oder wegzunehmen u., wie wir es beim russischen Iämtschik auf jeder Station gewohnt waren! Wir fuhren in einigen Stunden von Schafhauseu über Glaris, Zürch, Solothurn (daS lautet doch curios genug an der Wolga!) nach Paninskoi, wo wir die Nacht zubrachten. Ich ließ mir von den Einwohnern genaue Notizen über dieses Dorf geben. Paninskoi ist wahrscheinlich die älteste deutsche Kolonie. Sie ist 1705 gegründet. Die ersten Ansiedler kamen größtenthcils vom Rhein und aus Wcsiphalen. Wir 36 fanden Nachkommen von Leuten aus Mainz, Trier, Bambcrg und Paderborn. In der Sprache war der rheinische Dialekt vorherrschend geworden. Der erste gewählte Schulz des Dorfs hieß Schöninger. Die Colonisten siedelten sich hier aus wildem Steppenbodcn an, etwa eine Werst von der Wolga entfernt. Das Terrain zwischen dem Dorfe und der Wolga besteht aus Wiesen und Weiden: und etwas Strauchwerk von Eichen, Nüstern, Espen und Weiden, vor dem Dorfe in die Steppe hinein liegen die Aecker. Dieser und einer andern Colonie ist 18l2 die Benutzung von einem etwas jenseit der Wolga liegenden Waldo angcwicsen worden. Anfangs, wo dir Bevölkerung noch gering war, hat ein jeder von dem überflüssig vorhandenen Boden so viel genommen, als rr beackern konnte. Als die Bevölkerung gestiegen war, haben sie freiwillig die russische Ackertheilung bei sich eingeführt. Sie theilen somit alle lj, 4 bis 7»<) Pud auf die Familie. (5r wird weithin an die Tschuwaschen und Mordwinen verkauft, die ihn hier selbst abholen. Etwas Oelbau wird getrieben, (das Pud Oel kostet gegenwärtig 30 Kopeken Banco, das Pud Talg 5l7» — 40 Kopeken Banko). Hanf und Flachs werden hier nicht grbauet. Da wir diese Gewächse auf dem ganzen linken Wolgaufer nicht finden, so müssen sie wohl entweder nicht gedeihen oder nicht vortheilhaft zu bauen sein.'") Hier wird nur mit Pferden ge- ') Professor Gllbel behauptet, Hanf und Flachs wurden in dm Cvlonieu l'icl grbauet, aber mehl um den Samen zu gewinnen, au« welchem Oel geschlagen wurde. Ich glaub?, dies wird sich wichl Jahre alt und hieß Rothermc-ler. Er war in Berlin geboren, sein Vater Lakai bei Friedrich ll. gewesen, seine Mutter aus der französischen Eolo-nie. Er war noch bei vollen Verstandeskräften und erzählte recht lebendig: „Die Eolonisten, bei denen er mit seinen Eltern gewesen, seien 17l', Bmno v. dcr Rcvisimisscele 4N5,I98 Nub. — ttop. 2. GcmcmdcleisslMg 25 ssoftclm Pio Scclc .... 7,7U« „ l^'/^ „ A. Für dic Wasscrcommunilcttion 5 Kop. plo Srelc 1,55'1 „ 22'/, „ 4. Zur UntcrhaNmlg dcr hühsicn Nchördm 95 Koft. pro S«I.'.................... 29,lN5 ,/ 27> „ 5. An Geistlich,,- und Schulen, Gemciudc- und KrriS- vorstchn, Schrcider :c..............?5«i,7^7 ,/ !^2 „ "" 7Ul,l7<> ^üb. 42 K»p" Da dic ^rooali^abc!, >»il d»r VrMfcrlmg steiqen, so wird »na» gegenwärtig gewiß mehr als 800MU Nuln! annchincn könnc». 43 tungen. Sind die Eltern todt und die Kinder minderjährig, so wird die ganze Wirthschaft unter Leitung der von der Gemeinde dazu bestimmten Vormünder verkauft und das Gelosete unter die Kinder nach den Bestimmungen des ruffischen Nechts, welches überhaupt bei jedem Streite, oder einer möglichen Aussicht dazu maßgebend ist., getheilt. Ein der Leibzucht ähnliches Institut, unter dem Namen „Ausgedinge oder Ausenthalt" ist bekannt und gebräuchlich. Ist die nachbleibende Witwe tüchtig, so darf sie selbst die Wirthschaft fortsetzen, auch wieder heira-lhen, doch giebt es keine eigentliche förmlich geordnete Interimswirthschaft und li'inkindschaft. - Solche natürliche Verhältnisse bilden sich überall von selbst, aber entbehren der gesetzlichen und gerichtlichen Bestimmungen und Bürgschaften, und sind daher nur usuell. Die Dorfverfafsung ist nach deutschem Muster. An der Spitze der Gemeinde steht der jährlich neu zu wählende Schulz nebst 2 Aeltesten, 2 Beisitzern und einem Gemeindeschreiber, die zusammen das Gemeindcgericht bilden: 4 — 6 Colonien bilden einen Kreis unter einem Obervorstehrr und 2 Kreisbeisitzern, die sämmtlich auf -i Jahre gewählt werden. Sämmtliche (5olonien stehen unter dem sogenannten Colo-nien-Comptoir in Ssaratow, welches aus ^ Director oder Oberlichter, 2 Beisitzern und 1 Sccretair besteht. Dieses leitet die ganze Administration, Polizei und (5wilgerichlsbarkcit, selbst einen Theil der Criminaljurisdiction. In Sachen der Colo-nisten unter einander ist das Comptoir allein competent. In Kriminalsachen hat es die Instruction allein, und spricht das Urtheil mit dem Kreisgerichte zusammen collegialisch. Civilsachen der ssolonistcn mit Personen anderer Jurisdiktionen werden von beiden betreffenden Behörden collegialisch geleitet und entschieden. Alle Appellationen gehen an das erste Departement der Neichödomainen. Früher standen die Colonien unter dem Ministerium des Innern. Seit Errichtung des Ministeriums der Neichsdomai-nen sind sie unter dieses gestellt. Die deutschen Kolonisten bewahren auf ächt deutsche Weise eine tiefe Anhänglichkeit an das kaiserliche Haus. Sie wußten mit großer und rührender Liebe von dem Besuche des Thron- 44^ folgers zu erzählen, der vor einigen Jahren hier gewesen war, freundlich mit ihnen gesprochen und sich nach ihren Umständen und Verhältnissen sorgfältig erkundigt hatte. In dem Dorfe Pakrowska, Ssaratow gegenüber, hielten wir uns eine Stunde auf. Es war das erste von Kleinrussen bewohnte Dorf, das ich sah. Ich werde später im eigentlichen Kleinrusiland, wo ich mich über die Verfassung dieses Volksstammes äußern werde, auch Gelegenheit haben, den Charakter und die Eigenthümlichkeiten dieses interessanten Volks zu zeichnen; hier will ich nur geben, was mir bei erster flüchtiger Bekanntschaft aufsiel. Daß südöstliche europäische Rußland besitzt einen unermeßlichen Reichthum an Salz. Alle Seen sind Salzseen, die Mehrzahl der Flüsse und Bäche führen Salzwasser. Gräbt man in der Salzsteppc ein Loch, so trifft man auf Salzwasser. Eins der mächtigsten Salzlager, vielleicht in der Welt! ist der Iclton- oder Elton-See, (kalmückisch Alton-Nor, der goldne See). Das Salz desselben hat schon lange dazu gedient, einen Theil Rußlands mit diesem unentbehrlichen Bedürfnisse zu versorgen. Aber der Transport war wenig regulirt, unsicher und ungewiß. Katharina II. regelte ihn. Es wurden 2 Straßen vom Ieltou-See nach der Wolga regulirt, welche von den beiden Ortschaften, die an den Endpunkten liegen, Pakrowska und Kiolajewsk, den Namen Pakrowski und Kiolajcwski erhielten. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß der Transport durch Ochsen der zweckmäßigste sei. So berief denn Katharina II. durch einen Ukas kleinrussische Eolonistcn aus dem Gouvernements Pultawa, Charkow und Tschcrnigow, mit ihrem schweren vortrefflichen ukrainischen Rindvieh hierher auf das linke Wolgaufer, um durch sic den Ealztransport zu bewirken. Die Wege mußten ihrer ganzen Länge nach lO Werste breit liegen bleiben und durften nicht bebauet werden, eben so l.'i Werst breit am Ielton-See selbst, damit die Ochsen überall hinreichende Weide fänden. Es wurde,, auf gewissen Stationen kleine Dörfer angelegt, und mit Iämtschik-Bauern (Postbauern) besetzt. Auf der Straße nach Pakrowska wurden auf Kosten der Krone 30, auf den nach Nikolajewsk A4 zum Theil sehr tiefe Brunnen gegraben: über die Flüsse Iaroslaw und Tar-gun wurden breite Brücken geschlagen. 45 Diese kleinrussischen Kolonisten nun haben alle ihre Volkseigenthümlichkeiten, ihre Sprache, Sitten, Lebensart, Kleidung vollkommen erhalten, und mischen sich auch im Ganzen nie mit den übrigen, um sie herwogenden Volksstämmen. Der Bau und die Einrichtung der Häuser ist anders, als bei den Großrussen. Nährend bei den Großrussen Blockhäuser von runden über einander liegenden Balken Sitte sind, dergleichen wir in den deutschen l5olonirn äußerlich und im Innern glatt abgehobelt fanden, waren hier Häuser von Fachwcrk, die Wände mit Steinen ausgesetzt, oder von Flechtwerk. Aber stets ist daö ganze Haus, von Außen wie von Innen, sorgfältig übertüncht. Während in deutchm (5olonien aber Schlösser und Klinken an den Thüren, sind hier nur hölzerne Riegel zu sehen. Die Klcinrussen lieben es, die Wände ihrer Zimmer mit Bildern zu verzieren. Nicht bloß hängen in den Vorzimmern stets mehrere, mehr ober weniger reich verzierte Heiligenbilder, sondern auch stets die Bilder russischer Czaren und dann manche der älteren saporogischcn Kosakenhetmanncn. Dann findet man häufig das Portrait eines alten Kosaken, dessen Name aber nicht genannt wird, was auch i?eopoldow in der oben angefühlten Beschreibung des Gouvernements Ssaratow anführt. Russische Maler aus den Malerdörfcrn copiren es stets von Neuem für sie, und es ist oft gar nicht übel gemalt. DaS Portrait zeigt das Wesen und die Tracht eines ächten kleinrussischen Kosaken: der Kopf ist geschoren bis auf einen auf dem Wirbel stehenden geflochtenen Haarzopf, der über das linke Auge herabfällt. In dem Munde die Pfeife (Wka), auö welcher der geringelte Rauch aufsteigt. Auf den Knieen liegt das Na-tionalinstrument, die Pandora, in der rechten Hand hat er ein gefülltes GlaS. Hinter ihm steht, in den Boden gebohrt, seine Lanze, daneben seine rothe Mütze, neben seinem Fuße ein Dolch, an einen Baum ist seine türkische Flinte gelegt, daneben steht sein Noß, an einem Zweige hängt seine Patrontasche, sein Pul-verhorn und Reisetasche, auch ein Bogen, Köcher und Pfeile, lim das Bild ist eine Umschrift in Versen. Der Klcinrusse ist nachdenklich, sinnig, er erinnert sich gern der Vorzeit seines Volks, er hat in diesem Bilde den Typus seiner Nationalität, er schwelgt in den Erinnerungen an die 46 Thaten seiner Vorfahren. Fragt man ihn, wer er sei, so antwortet er mit Stolz und Freudigkeit: „l5in Kosak!" Das ist der Ehrenname des Volks! *) Die Einwohner von Pakrowska waren hier, wie gesagt, angesiedelt, um das Salz vom Ieltonsee zu transportircn. Diese Verpflichtung ist ihnen gegenwärtig erlassen. Die Bevölkerung ist gestiegen, und die Verhältnisse haben sich so gestaltet, daß das Gouvernement jetzt das Salz an Ort und Stelle verkauft und den Transport dem freien Verkehr überlassen hat. Statt jener Verpflichtung sind den Einwohnern von Pakrowska jetzt die gewöhnlichen Kornabgaben auferlegt. Sie haben acht Dessj. Land' pru Seele, und beschäftigen sich mit dem Weben von sehr schönen Fußteppichen, die sehr gesucht sind. Mir wurde in Ssaratow ein sehr trefflicher geschenkt. Von Pakrowska fuhren wir noch eine halbe Stunde bis an das Ufer der Wolga, Ssaratow gegenüber. Die Lage ist prächtig! Die Stadt liegt nicht, wie die meisten Wolgastädte, auf der Bergscite, auf den bcrgartigen Höhen des Ufers, sondern in einem Thale, einem Kessel. Die Uferhöhen treten von oben wie von unten bis an die Stadt, und lagern sich dann in einem ziemlich weiten Umkreise um dieselbe her. Die Ansicht der ganzen Gegend hat Aehnlichkeit mit einer vaterländischen, mit der Wesergegcnd bei Hörtcr, nur im kolossalen Maßstabe, denn die Wolga ist hier mehr als eine halbe Stunde breit, und Ssaratow ist eine mächtige Stadt mit viel hundert Thürmen und Kuppeln! Ssaratow war eine alte Stadt, die schon unter Ivan Wa-siljewitsch exisiirte, lag ursprünglich auf dem linken Wolgaufcr; weil cS hier aber den Anfällen der Kalmücken- und Kirgisenhorden beständig ausgesetzt war, die es mehrmals überfielen, plünderten und niederbrannten, so ward es 1591 nach einem ') Leopoldow führt an, baß »s unter dm Klciinussm einige religiose Sei-tirci gabs, und daß in der Kirche währmb der Messe uud Lilurgie dos ganze Volk geistliche Lieber im Chore sänge. Ich habe es leider versäumt, in klemrussische» Kirchen dem Goltcöbieilst beizuwohnen. V« wäre höchst interessant, deu Inhalt lind die Melodie dieser geistlichen Volke-udet Kirchenlieder zu kcnum, 47 solchen Brande auf dem rechten Ufer wieder aufgebaut und mit Wallen m»d Gräben befestigt. Das hinderte jedoch nickt, daß die Stadt nicht später von dem berüchtigten Wolgarauber, dem Kosaken Stenka-Rasin, nachdem dieser kurz zuvor Astrachan geplündert hatte, 1071 erobert ward "). Auch Pugatschew er- ') Von diesem Stenfa-Nasin wissen noch die rlissischen Volkslieder zu er-zähim. Mir ward das folgende mitgetheilt: Lied vom Wolgaräuber Stenka-Rasin. UAMOMWWW lrsl>!.13 8ll - ^1N - ßl> - r«»>er, Ein Gewitltr hoch von oben nieder Wühlt hinein sich in die schöum'gcn Wellen. Auf den Wellen ist gar nichts zu schauen, N' Boot nur schwärz« dm Blick bald, nnd orlschwindci. Niemand sieht mau sitzen in dem Voote, Nur zuweilen schimmert weiß ein Segel, D'runtcr blicke» schwarz der Nudl» Hüte. Und jetzt siehl man auch die rothen Gürtel! ?Iuf dcS Voolcs Spitze sM der Räuber, Sitzt der Raul','!,' in drin Prachlgcwanbe, In dem stolzen brannrn Kaftan, In der feinen himmelblauen ilurlla, Nm den Hals daö Tuch, das lillascidn,', Auf dem iiopf bic schwarze Sammetmühs, A>« ter Mühe auch cin kleines Schirmchm, Er der tapfre Sohn des stolzen Vaters! — Sprich« mm z» den Mud'rern er qrl'ictcnd! 48 oberte sic 1774 , und lirß alle Beamte über die Klinge springen. Die Stadt soll jetzt gegen 60,000 Einwohner zählen. Bei Angaben über die Bevölkerung russischer Städte darf man stets nur vom „soll" sprechen. Nicht bloß sind die statistischen Angaben in Rußland überhaupt sehr unzuverlässig, bei den Städten können sie auch beim besten Willen der sie sammelnden Polizeibehörden niemals normirend richtig sein. Die durch den Zuzug und daS Wicderfortziehcn beständig wechselnde Fluctuation, das Ein- und Fortziehen des Adels mit seinen Leuten, das der an- und abziehenden Arbeiter:c. bildet in den verschiedenen Hahrszeitcn so ungeheure Unterschiede in den Bevölkerungen der Städte, daß sie, wie wir bei Rybinsk gesehen, im Sommer sich zum Zwanzigfachcn der Winterbevölkerung heben kann. Daß Ssaratow eine mächtige Handelsstadt sei, bringt schon die vortreffliche Lage mit sich. Sie soll gegen 3009 Kaufleute der verschiedenen Gilden und ltt,000 kleine Krämer zählen. Als Gemeinde ist Ssaratow wohl eine der reichsten russischen Städte. Peter I., der ihre vortreffliche Lage erkannte, schenkte ihr 5!0,000 Dessj. oder etwa 980,000 Preußische Morgen Grundeigenthum. Ein kolossales Geschenk! Es Ander auf! Dm Strom schlag? :m'l dem Nudcr, Rudert scharf die Mutter Wolga abwärts, Bis zu jenem Dorf an Ufers Hohe, Nach Aleiin, wo Iwanow hauset. — Ist Helena oft heraus getreten, Hat die Tochter jetzt hciauöM'ührt, Und zur Tochter sprach sie: „Kind geliebtes Deute es und nimm es ja nicht übel." — Wie sie ging, ist sie herausgekommen, Nur in einem weißen feinen Hemde Und im stoffucn glatten Seclenwärmcr! Die Räuber sind oft der Gegenstand russischer Volkslieder u,id Volks-sagen, So erzählen die letzteren auch von einem Mädchen, welches die Näube-r anführte, und welches in einer Höhle am Wolganfrr wohnte, die darüber liegende Hügelkette hrißt Dewitschnja Gorii, Imigfernberge. 49 giebt keine Stadt in Europa, die als Gemeinde ein Grund-eigeulhum, zur eigenen Benutzung, von 44 ^Meilen besitzt! — Allein in jener Zeit hatte der Grund und Boden in dieser Gegend noch gar keinen Werth. Die städtischen Behörden führten nicht die mindeste Aufsicht über ihr Territorium. Jeder wer Lust hatte, Private, Kronbauern, Colonisten nahmen davon, wie von einer i'i»to renlw des Miinsi^e dcs Innern von l8N4. (Storch, Nußland unter Alerander I. 180ö Liefenmg XXIII. p, 147) 51 bauten dari» Paläste von fabelhafter orientalischer Pracht. Hierher mußten die Fürsten kommen, unter ihnen auch die Großfürsten und Fürsten Rußlands, sich vor dem Herrn beugen, ihren Lehnskid schwören, ihre etwanigen Streitigkeiten unter einander vortragen, welche dann der Großchan entschied, und erhielten dann die Erlaubniß, ferner zu herrschen. Und jetzt kann man nicht einmal mit Sicherheit angeben, wo dieser noch vor vier- bis fünfhundert Jahren existirende mächtige Sitz einer Weltherrschaft gelegen war! — 3i« tl'nnsk stlulil» inuncii! Sarai lag an dem Flusse Achtuba, einem Arme der Wolga, der sich nicht weit vom Dorfe Bosrodny abzweigt und bei Astrachan wieder mit ihr vereinigt. Karamsin, auf Rubriquis und Pallas gestützt, meint, sie habe da gelegen, wo jetzt daS Städtchen Ssclitrcny im Gouvernement Astrachan liegt. Leo-poldow, der genaue örtliche Untersuchungen angestellt, führt in der oben bereits mehrmals angeführten Abhandlung mit großer Wahrscheinlichkeit aus, daß sie dort, wo jetzt das Städtchen Zarcw im Gouvernement Ssaratow liegt, gelegen war. Hier befinden sich wahrhaft grandiose und kolossale, ungeheure Raume einnehmende Ruinen. .Die Fundamente eineö großartigen Palastes, der fünfzig Faden ins Gevierte mißt, überall Bruchstücke von Säulen, Gallerten n., Ueberreste von Gewölben, Friesen, Mosaikboden, Kanälen, Wasserleitungen, Eteindämmen, unterirdischen Gängen, Befestigungen u. f. w. Die Gegend soll paradiesisch sein, von vier Flüssen durchschnitten: herrliche Wie-senfiächcn, kleine mit (5'ichen gekrönte Hügel, am Horizont ein großer Eichenwald, herrliche Seen, darunter der sagenreiche Zuckersce. Uebcrhaupt soll man sich keine günstigere Lage für den Mittelpunkt und den Sitz der Stcpvcnhcrrschaft und der damals weltherrschenden Nomadcnvölker denken können, als diesen. In der Umgebung von Ssaratow fanden wir vortrefflichen Garten- und Obstanbau, vorzüglich von Klcinrusscn betrieben. Wir wurden vom Vicegouverneur, Herrn v. Saphrano, nach einem außer der Stadt bclegenen, von dem ehemaligen Gouverneur angelegten Garten geladen, worin treffliches Obst und die Wartung und Zucht der Dbstbäume ausgezeichnet war. In 4* 52 der Mitte war ein Bassin, aus dem ein Schöpfrad daß Wasser in kleinen Holzrinnen zu jedem Baum des Gartens, sowie anch an die Gartenbeete zur Ueberricsclung führte, llm jeden Baun» war ein kleiner Kreis, ganz rein von jedem Unkraut gehalten. Eine große Zahl Kirschbaume, welche nns eben die vortrefflichsten reifen Früchte boten, waren mit Mauern ncibhausartig umgeben und wurden im Winter mit einem Dache von Strohmatten bedeckt, um sie gegen die zu strenge Kälte zu schützen. Der Gewinn an Obst von allen diesen Bäumen soU ganz außerordentlich sein: man sagte uns aber, daß sie nur 30 Jahre alt würden und dann abstürben, weil ihre Triebkraft zu sehr gefördert und angeregt würde. Am Abend des 2. Juli a. St. verließen wir Ssaratow auf der Straße nach Pensa. Ehe ich aber mcine Reisebcschreibung fortsetze, gebe ich noch einige allgemeine Notizen über das Gouvernement Ssaratow, wie sie mir der eigne Anblick des Landes , die von den verschiedenen Beamten mitgetheilten Nachrichten und jene oben bezeichnete Beschreibung des östlichen Theils des Gouvernements von Lcopoldow gewährt haben. Das Gouvernement Ssaratow wird durch die Wolga in zwei Theile getheilt, von denen jedoch der links gelegene der bei weitem größere ist. Im gemeinen russischen Eprachgcbrauche heißt das südliche Wolgaland das Niedcrland (NisowüjKraj), und mit einigem Rechte. Daß Land crschcmt als eine der niedern Landbildungen, einem Meere abgerungen, wenn auch freilich in einer vorhistorischen Zeit. Der ganze ungeheure Landstrich, nördlich dem caspischcn Meere, dem Caucasus und dem asow-schen Meere, scheint alter Meeresboden zu sei», wodurch das schwarze und das caspische Meer verbunden cin Meer gebildet haben. Eine Unzahl von Seen, die Moräste, die meisten Flüsse haben nicht dloß salziges, sondern mecrsalzigcs Wasser: man findet überall ganze Bänke von Scemuscheln. Daß man nicht weit vom Ieltonsce einen Anker im Moor gefunden, ist allerdings kein Beweis, da er auch auf andere Weise, ohne von einem Schiffe allsgeworfen zu sein, dorthin gekommen sein 53 kann. Die Zeit, wo hier daö Meer siuthete, möchte wohl vor dcr Sch'fff"brt der Menschen liegen! Das linke Wolgaufcr durchziehen die Bergausläufer des Urals, theils als Hügelketten, theils als Hochebenen oder hohe Steppen (Iablonowja Ssyrt). Sie sind thcilweise mit einer starken Humusschicht bedeckt, die reiche angebaute Fluren oder Steppen mit dichtem hohem Pfriemengras bilden. An den drei kleinen Tschischaflüssen enthalten die Hügel schöne Sand-und Kalksieinbrüche. Im Bezirk Nowoj-Uscn wird der Ssyrt sehr steinig, man glaubt in dcr Entfernung Ruinen und Pyramiden zu erblicken. Südlich beginnen die Salzsteppen, hier haben die meisten Flüsse salziges, zuweilen salzigbittcres Wasser (das Flüßchen Solcnoforkaja trägt davon den N.imen). Das l?and auf dem rechten Wolgaufer scheint biö uor et,ra 100 Jahren nur Steppe gewesen zu sein. Allein die russische Bevölkerung drang allmählich colonisirend vor, und jetzt ist daS Land, wenn auch noch lange nicht reichlich, überall bebauet. Es liegen nur noch kleine, nicht mehr im Großen zusammenhängende Steppen dazwischen. Die Russen scheinen hier die ersten stabilen Anbauer zu sein. Nicht bloß die Ortschaften, sondern auch die kleinen Flüsse haben russische Namen. Anders auf dem linken Wolgaufer! Hier ist eß offenbar, daß dcr ganze ^andstricb von Kasan bis Astrachan nicht bloß von Nomadenhorden durchzogen, sondern längs der Wolga und den meisten übrigen Flüssen zur Zeit der Mongolcnherrschaft angebaut und nicht unbedeutend bevölkert war. Nicht bloß die Ruinen bedeutender Städte bezeugen dies (an der Achtuba, wo Sarai lag, ist die ganze Strecke zwischen den Dörfern Bcsrodnaja und Kolobomtschina K."> Werst weit mit Ruinen überdeckt), sondern die Namen fast von allen zeugen daron, daß die Tataren hier stabil ansässig waren *). *) Hell Leopoldow bezeichnet folgende Flusinamm als tatarisch i Altala — von lllijnt«.', sich betrügen, bclrmie» werdm. Uscn — l'on .jli«»n, ff,r sich, getrennt. Tnlgun — <»!-, eng, ff«,,, eine Strecke, ein Faden. Darkul — l!il>-, lraurig, kul, Nebenfluß. Iaruslan— Wahlschein-lichlli-sln», dn Löwe. Tschagra — lei,«?,-, ein Hetnint .'j Seelen. Das Steigen ist aber mehr die Folge der Einwanderung, als der Ueberzahl der Geburten. Das Schlimmste, was ihr drohet, ist der Holzmangel. Die eigentlichen Stcppengegenden haben kein Holz, aber an den Flüssen, z. V. dem großen Irgis, dem Iaruslan, der Achtuba ic., findet man häufig hübsche Wälder. Aber sie standen bis jetzt unter schlechter Aufsicht und wurden nicht im mindesten geschont. Die Wälder am großen Irgis waren vor W Jahren fast undurchdringlich: jetzt sind sie ausgehaucn, die Eichen fast verschwunden. Nur die Waldungen der Klöster werden erhalten, und die deutschen Kolonien erhalten das Bischen Buschwerk, was ihnen überwiesen ist. Mit der Ausrottung der Wälder verschlechtert sich auch der Boden: die Feuchtigkeit erhielt bisher die Fruchtbarkeit. Von Holzarten sind hier die Eich?, Birke, Espe, Pappel (vorzüglich viel und schön), Weiden, der tatarische Ahorn, aber kein Nadelholz. Die so schnell zunehmende Bevölkerung macht schon den Mangel an Land fühlbar. Es sollen gesetzlich 15 Dessj. auf die Seele kommen, allein eS kommen schon jetzt selten mehr als « Dessj. auf die Seele *). Daß die Ursache aber mehr in den viel zu großen und volkreichen Dörfern zu suchen ist, als im wirklichen Mangel an tragbarem, wenn auch nicht überall gleich fruchtbarem Boden, ist bereits oben angeführt. Freilich wird ') Kaum bcr vn'llc Theil vm, dm Lmldnnm, wclchc nach dm sssschüchcn Blstimmliugm bei drr erste», Aosirdllmg liiicin l^lonlsirn angewiesen wmdm, M< jch< l's, der rasch „»gewachsenen VolkszM auf cincn der- 58 aber in den südlichen und südöstlichen Gegenden der Anbau durch das Wasser bedingt und eingeschränkt. Man findet überall beim Nachgraben Wasser, aber häusig nur salziges. Die Dörfer können nur da angelegt werden, wo süßes Wasser ist. Würden die nothwendigen Communicationömittcl gewährt, die kleinern Flüsse schiffbar gemacht, was meist nicht schwer wäre, würden die Wälder erhalten, und neue angelegt, würde der wahrscheinlich überall vorkommende Torf *) aufgesucht und benutzt, würde Sicherheit gegen die Räuberhorden gewährt (man behauptet, die Kosakenlinie am Iaik oder Ural sei zu schwach beseht), so müßte dieses Land bei seiner Fruchtbarkeit und seiner ungcmein vortheilhaften Lage binnen nicht langer Zeit eine der blühendsten Provinzen des russischen Reichs bilden. Wie der Ackerbau betrieben wird, ist oben angeführt. Der Gartenbau blühet vorzüglich um Esaratow, der Tabacksbau in den deutschen l5olonien. Hier sind auch Versuche mit Seidenzucht gemacht, aber die Maulbccrbäumc sind in einem der letzten kalten Winter erfroren **). — Die Viehzucht ist im allgemeinen gering, man kann sie nicht zu den Quellen des .Reichthums rechnen. Die natürlichen Wiesen geben nicht hinreichendes Heu; sich künstlich Futtcrkräutcr und Heu zu verschaffen, daran denkt Niemand. Im Sommer weidet das Vieh frei auf den Steppen. Die alten Leute behaupten, ehemals wären die Winter viel milder und weniger anhaltend gewesen, das Vieh habe den ganzen Winter hindurch draußen bleiben können, und habe wenigstens etwas Nahrung gefunden. Im südlichsten Theile überwintern übrigens die Heerdcn noch jcht. Die Hirten bauen Ställe von Schilf für dieselben und für sich Erdhütten. Die Pferde sind meist von kirgisischer Nace, klein und ') Bei Nikolajew findet sich z. B. cm großes Torflager, aber die Leute wissm ihn lnöhrr nichl zu behandeln und zu benutzen. Sie gebrauchen ihn nur zur ßinfticdiguug von Gärten und Fcldcrn. ") Au der Achluba, nicht weil von NeSiony, unter einem hohen steilen Felsm-ustl liegl ein funsilich angelegter uralter Maull'ccrhmn. Er rührt of, ftnbar von den ehemaligen Einwohnern, den Tataren her, die hier Tei-dlnzucht getrieben. Peter I. machte hier neue Vcrsuchc. Da« warb 1772 und l785 wiederholt, jedoch ohne gioßm Erfolg. 5^ ausdauernd, aber nicht stark, das Rindvieh tbeils von großrussischer Race, thetlö von ukrainischer. Die Schaase sind groß-tenthcils von russischer Rare mit grober harter, aber reiner Wolle. Das kalmückische Schaf mit dem Fcttschwanze findet sich auch häufig, aber es artet deß Klimas halber oft aus, und verliert den Frttschwanz. (5'inc große Quelle der Nahrung und des Reichthums bildet der Fischfang. Fast alle Flüsse und Seen sind außerordentlich reich an den vortrefflichsten Fischen: Karpfen, Eandart, Barsche, Forellen, Sterlete, Hechte, selbst Störe und Hausen kommen überall vor. Nur die Flüsse mit bittersal^igem Wasser, wie die Tschische, haben keine Fische. Es giebt Dörfer, deren Gewässer für 15,000 Rubel Fische liefern. Leopoldow führt an, daß ein Kaufmannn in der Achtuba in einem Zuge 1000 Pud (gegen ttOM) Pfund) Fische gefangen! Die ansässige Bevölkerung deß Gouvernements besteht vorzugsweise aus Grußrussen, dann aber auch aus Klciurussen, Deutschen, Tataren (erst wieder aus Kasan eingewandert), Mordwinen (ebenfalls erst aus Pensa eingewandert). Am Ia-ruslan gicbt es eigne stolonien von angesiedelten Nogajcr-Ta-taren, denen das Gouvernement Häuser gebaut, Ackerwcrkzeuge gegeben hat :c. Sie bauen auch wirklich Korn, haben gute Viehzucht, allein sie müssen doch noch starke nomadische Sympathien haben, denn sie werden beständig durch einige Kosaken bewacht, die auch außerdem Zucht und Ordnung unter ihnen aufrecht erhalten. *° XVIII Abreise nach Pensa. Leibeigenes Mordwincnborf, ssharakter der Landschaft. DorfTschinaki. Pensa, Der botanische Garten. Der leibeigene Barbier. Monographien dreier Dörfer. Solewka, die verfrornen lichen. Sin-zuka, sonderbare Modulation der Leibeigenschaft. Das tatarische Dorf Moffalin, Ansicdlung von zum Kriegsdienst verpflichteten Tataren. Dic TallirlN vor russischen Gerichten. Tatarisches Mrlschcl. llnlcr-schi'ed zwischcn tatarisch,!, und rnssischcn Dörfern. 3t>issische Pauerhimscr lind Trachten. Die Schrrenietjrwschcn und Uwarowschcu Dörfer. Ankunft in Tambow. Abreist, Dir alten Verwaltungen gegen die Ta-tarcn. Daö Odnoworzendorf Wis^essarah. Allmählicher Nrl>rrgailg des Charakters dirser Gissend in Anbau, Trachten u»d Sitten zlinl Slidrussischen. Kostlow. Semianowka. Lipczs, Badelebcn. Veobachtmig eines Friseurs. Die Odnodworzcn und dei kleine Adel. Herr d. Paw-low. Sselo Marfino. Herr v. Nnnin, scinc Frohndenrinrichtnn^en. Die Pferdezucht am Bitjick. Herr v. Philippow, häusliche Tepftichfa-bricalion. Das Ocstiit in Paddi. Bars6)owa, Ban dcr Gehöfte, (f-rnterrscrvc fur den Tschorniij-Den, Trachte». Das Nustopschinsche Gestüt. Grl'nowna, das Gestüt der Grasin Orlow, die Araberrale. Merk-windige Gastfreiheit. Vobrow, Anbau nnd Bevölkerung der Städte, Preise der Arbeiten. Wuroncsch, der heil. Mrirophan, Miltagsesscn in seinem Kloster, Herr v. Tulinow ^ der Generalgouverneiir v. d. Hovcn über Sibirien. Allgemeine Vcmcirungcn über das Gonvrrnement Tambow. Communicationömittel, das größte Bedürfniß Rllßlands. Monographien einzelner Ddiftl der Gouvernements Tambow und Wo-ronesch. 3öir fllhrcn am Abend des 3. Juli a. St. während eines heftigen Gewitters, auß Ssaratow und erreichten, als wir gegen Morgen aufwachten, Scla-Suchai-Karbulan, ein von ungefähr 500 Mordwinen bewohntes Dorf. Das Dorf ist ein Privat-besitz und gehört cincm Fürsten Golizin. Die Mordwinen sind sonst überall freie Leute, und dies Dorf soll das einzige in Nußland sein, wo sie leibeigen sind. Sie sollen sich freiwillig als Colonisten hier auf dem Grund und Boden des Fürsten Golizin angebaut und in Leibeigenschaft begeben haben. til Das Land auf der Bergseite der Wolga, das wir durchzogen, trägt ebenfalls dcn Charakter der größten Fruchtbarkeit, nur nicht so des üppigen fast wilden Wachsthums der Wiesen-seitc. Leichte Hügelreihcn, besonders auf der rechten Seite nach der Wolga hin, meist bis oben zum Gipfel als Acker benutzt, doch hin und wieder auch schon mit Buschwerk gekrönt. Je mehr wir unS Pensa näherten, desto mehr trat Waldvegctation hervor, zuerst Pappeln und Weiden, dann Birken, zuletzt Lichen, die wir in der Nähe von Pensa in bedeutenden Wäldern und großer Schönheit fanden. — Die Ackerfelder beginnen hier wieder zu überwiegen, die Weiden treten in der Qualität zurück, denn hior wird wieder eine ziemlich regelmäßige Dreifelderwirthschaft, jedoch ohne Düngung, getrieben. Die Wiesen und Weiden zeigten hier einen dichten und gleichmäßigen Gras-wuchs, die holzartigen wuchernden Unkräuter der Wiesenseite finden sich hier nicht. Mitunter sahen wir kurzgcschorene grüne Sammetteppiche, die eines englischen Parks würdig gewesen wären! Die Straße war belebt, es begegneten uns große Transportzüge mit Salz, sogenannte Tschumoki, auch Viehheerden von berittenen Hirten geführt. Eine ganze Heerde kirgisischer Schaase, Fettschwänze, weidete nahe an der Straße. Bei Pctrowsk passirten wir die Medwcdige, den ersten Fluß >m Stromgebiete des Dons. Der Straßcnkoth war hier nach einer eben beendeten Regenzeit wahrhast undurchdringlich, wir blieben mehrmals mit unseren Wägen in der Dorfstraße stecken! Im nahegelegenen Krondorfc Tschinaki sammelte ich durch Nachfragen die gewöhnlichen monographischen mir interessanten Notizen. In diesem Dorfe waren 180 Höfe mit Wl Seelen und 4528 Dessj. Land. Das Dorf ist angelegt auf 8 Dessj. pro Seele. (5s, fehlt nach diesem Anschlage für 95 Seelen das nöthige gesetzliche Land. Die Gcmeindcglieder besitzen Wald, Weiden und Wiesen (Heuschlägc) gemeinschaftlich. Die Heuschläge werden jährlich getheilt. Es herrscht Dreifelderwirthschaft. Düngung soll der Boden nicht vertragen. Es wird hier kein Weizen, sondern nur Roggen gebaut. DaS Wmterfcld (Roggen) wird zweimal, das Sommerfeld (Hafer, Buchweizen und Hirse) einmal gepflügt. Die Einlheilung der Felder zur l»2 Ausgleichung der Antbeile eines jeden ist so genau, daß für jede Seele in jedem Felde sieben verschieden bclcgene Ackcrstrei-sen (Polosskü) abgetheilt waren. In diesem Dorfe wird nur Ackerbau, kcin anderes (bewerbe betrieben: nur etwa 12 bis 17, Leute suchen als Burlaki im Sommer einen besondern Verdienst. Der Ackerbau wird sehr leicht und ohne Kraftanstrengung betrieben. Wie gering die Arbeit sein muß, kann man aus dem geringen Viehstandc ermessen: im gangen Dorfe mochten etwa 400 Pferde und eben so viel Stück Rindvieh und etwa 3000 Schafe sein! Es kommt daher auf jedeö Pferd die Bearbeitung von etwas über l l Dcssj. Acker. Im Magdeburgi-schen bei einem Ackerboden, der sich mit dem hiesigen an Schwere noch keineswegs messen kann, muß man schon auf 7l) bis !>0 Morgen Acker ein Gespann von 4 Pferden rechnen: hier kommen auf 4 Pferde 17li Morgen! Und nun gegen die leichten russischen Pferde die schweren deutschen Ackergaule gerechnet, die drei mal stärker ziehen und drei mal ausdauernder sind, als jene! — Dabei verfahren die Leute dieses Dorfs nicht einmal ihre Producte selbst: diese werden von Ankäufern abgeholt, die ihnen dagegen Eisen (zu 7 Nubcl Banco das Pud) und Salz (zu 1'/, Nudel Banco das Pud) zuführen. — In der Ernte steht hier der Tagclohn auf 70 bis 100 Kopeken Banco nebst Beköstigung. Ein gemietheter Knecht erhält für den Sommer Beköstigung, Kleidung und 40 bis 50 Rubel Banco Lohn. Wir erreichten Pensa am Morgen des 4. Juli. Die Stadt liegt sehr freundlich auf einem Hügel, so daß man fast von jedem Punkte der Stadt eine freie schöne Aussicht auf eine fruchtbare, hin und wieder mit Waldhügcln bekränzte Ebene hat, der nur Wasser fehlt, um sehr anmuthig zu sein. Ssaratow sieht sich prächtig von Außen an, Pensa ist ein Höhcnpunkt, von dem man von innen heraus eine schöne Gegend betrachtet. Das Innere der Stadt besteht, wie alle russischen Städte, aus einem neugcbautcn Theil mit geputzten Kirchen auf großen Plätzen, mit modernen Palästen und Häusern, und aus der allrussischen Stadt mit Blockhäusern an breiten, geraden Straßen. Ich machte zunächst dem Gouverneur, Gehcimerath Pant- 63 schalizow meinen Besuch. Er hatte die Kliege 1813—15 in Deutschland und Frankreich mit Auszeichnung mitgemacht, hatte eine europäische Bildung, lebte «m ^»imcl ^i^in'«,' nnd unterhielt sogar eine eigne Kapelle unter einem tüchtigen deutschen Aufikdircctor. Seine unverheiratete Schwester sprach das Deutsche wie ihre Muttersprache. Der Domainenpra'sident Prokofjew war erst seit Kurzem 5'er, und vermochte uns daher wenig Notizen über die hiesigen Verhältnisse zu gewähren. Er fuhr uns nach dem vortrefflich angelegten botanischen Garten, der unter seiner Obhut steht, ^'r liegt auf einer bedeutenden Anhöhe, erstreckt sich einen südlichen Abhang weit hinab, und war in vortrefflicher (iultur. Eine herrliche Ananaösiur gewährte vortreffliche Früchte, die aber in größten und schönsten Exemplaren des mangelnden Absatzes halber nur zu -j'/, Rubel Banco verkauft werden! Nie sah ich schönere Zwergkirschenbaume, ste waren an langen Spalieren , nicht höher als eine Elle von der Erde, gezogen, lind hatten besonders grosic und schöne Früchte. Ich besuchte dcn protestantischen Prediger, Hrn. Haken, einen braven Mann, der sich die Bildung seiner Gemeinde angelegen stin ließ. — Er hatte eine Bibliothek erbaulicher Schriften angelegt. Daß man 400 Meilen von Berlin die Hengstenbergischc Kirchenzeitung hielt, war doch auch ein Zeichen der Macht der dlirch dic Presse sich miaßmaartig verbreitenden Cultur! Wir waren in einem Gasthofe abgestiegen, dessen Wirth ein Deutscher war. Ich begehrte einen Barbier. Eö trat ein modern und elegant gekleideter junger Mann herein und bediente mich ganz geschickt. Es war cm russischer Bauerbursche. Sein Leibherr hatte ihn im dreizehnten Jahre bei einem Barbier in dle Lehre gegeben, und für Kost und Lehre, für drei Jahre 350 Rubel Banco dem Lehrhcrrn bezahlt. Als der Bursche ausgelernt, hat der Herr ihn auf Obrok gesetzt; er mußte ihm seit zwei Jahren jährlich l?5 Rubel Banco befahlen. Der Bursche war aber sehr zufrieden, er brachte dcn Obrok mit Leichtigkeit auf, verdiente viel, hatte hinreichenden Schutz, spielte durchaus den eleganten Stutzer, ging ins Theater, und war Hasenfuß und Narr in Folio! Ich erhielt später aus diesem Gouvernement einige amtliche ^64 monographische Notizen über einzelne Dörfer, die ich hier folgen lasse, da sie über Besitz-"und Ackcrbauverhältnifse ein anschaulicheres und richtigeres Bild gewähren, als allgemeine Beschreibungen. 1) Dorf Kotschclajew im Kreise Narowschät, 358 Gehöfte mit 12U8 männlichen und 1471 weiblichen Seelen *). Acker, Wiesen, Weiden und Wald mögen etwa 7000Dessj. umfassen. Es kommen also nur etwa si'/^ Dcssj. auf jede männliche Seele. (5s herrscht Drcifclderwirthschaft. Gebaut wird Roggen im Winterfclde, im Sommerfeldc Gerste, Hafer, Sommerweizen und Spelz. Der Vichstand besteht aus !)W Pferden, 500 Kühen und 1W5 Stück Kleinvieh. Die Einwohner sind nur Ackerbauern, sie treiben keinen Handel, gehen nicht auf Fabrik-arbeit. Der Preis des Getreides in den fünf, Jahren von 1838—1843 schlranl'te für den Roggen i»' .. 65 „ 1842 . 8 „ 75 „ „ 1843 . 3 „ 50 „ „ Erbsen, daö Tschctwcrt: 1839 . 28 Nubel — Kopeken Banco 1840 . 7 „ 98 „ „ 1841 . gab es keine im Handel 1842 . 12 „ 95 „ „ 1843 . 5 „ 95 ., „ 5 «6 Welches Schwanken in dm Preisen der Ackerbanproducte binnen fünf Jahren, mitunter lim das Vier- und Fünffache! Und welch völlig regelloses Verhältniß zwischen den verschiedenen Fruchtarten! Am 7. Juli verließen wir Pensa in der Richtung von Tam-bow und erreichten gegen 11 Uhr das Gut einer Familie von Howrin, Solcwka genannt. Ich hatte einen Empfehlungsbrief an die Frau des Hauses, und wir wurden sehr freundlich aufgenommen. 6s waren höchst gebildete Leute. Herr v. Howrin war Kunstkenner und Dilettant, er malte so hübsch, wie selten ein Dilettant. Er hatte schöne italienische Landschaften nach der Natur aufgenommen. Die Damen, Mutter und Tochter, beide blendend schön, hatten ganz die universale Bildung und die eleganten Formen der besten Gesellschaft. Die Familie war lange in Italien, Frankreich und Deutschland gewesen, und befand sich erst seit Kurzem wieder auf dcm Gute. Das war dem Gute anzusehn! Der an und für sich schöne Park war etwas verwildert! — Das Haus war auS alten und neuen Theilen zusammengescht, und daher nicht so monoton regelmäßig, wie die meisten russischen Häuser. Einzelne Theile darin waren allerliebst, namentlich waren die kleinen Zimmer des Fräuleins pikant hübsch! Das ganze Halls war nämlich ein Blockhaus, aus über emandrr gefügten Balken. In jenen Zimmern waren die Wände bloß abgehobelt, geglättet, ohne Tapeten, sahen wie getäfelt aus. Dazu nun die elegantesten Meublen, Nipptische, eine kleine zierliche Bibliothek, Porzrllan-vascn mit herrlichen Blumen, treffliche Fußtcppiche n., man konnte nichts Pikanteres sehen! Der Park lag längs dem hohen Ufer cineö kleinen Flusses. Mir siel hier zuerst auf, was ich auf dem ganzen Strich bis Woronesch zu beobachten Gelegenheit hatte. In den letzten Jahren war ein großer Theil der Eichen erfroren und trocken geworden. In diesem Park war über die Hälfte der herrlichsten hundert- und noch mehrjährigen Eichen theils gänzlich, theils in den Wipfeln und einzelnen Zweigen erfroren. Die dritte Station war das Dorf Sinzoka, einem Herrn v. Wsewolodsky gehörig. Das Dorf ist ganz neu und ganz regelmäßig gebaut. Die Straße gerade, die Häuser in gerade,- 07 ^lnie gleich wcit von einander, ganz gleichartig gebaut, und Zwar ganz unrussisch, von Backsteinen mit Ziegeln gedeckt. Wir "fuhren, daß dies nicht etwa nach einem Brande geschchen, sondern daß der Wille oder die Laune des Gutsherrn cs durchgesetzt hatte. (5r hat sie alle nach einem Muster aufbauen lassen, und dafür jedem Hausbesitzer eine Summe von 300 Nubcl Banco als eine Schuld auferlegt. Hiervon müssen sie jährlich 21 Rubel abtragen. Wer diese nicht baar beschaffen kann, der 'Nuß, außer den gesetzlichen dreitägigen Frohnden, noch eine Anzahl Frohndcn übernehmen, nämlich im Frühjahre und Herbst, wo die Ackerarbeit noch nicht anfängt oder beendet ist, wöchentlich zwei Tage, außer den gesetzlichen drei Tagen. Diese Arbeiten bestehen in Holzhauen und Verfahren nach einer drei Werst entfernt liegenden Branntweinbrennerei. ^ Ich glaubte schon, dieö sei eine Art ^'ontractverhältniß, wie sie der Ukas uom 2. April 1tt42 im Auge gehabt, dem war aber nicht so. Die Bauern haben durch die Uebernahme der Bezahlung der 300 Rubel nicht etwa das wirkliche Eigenthum der Häuser erworben, sondern diese, wie alles Vermögen der Leute, und diese selbst als Leibeigene gehören nach wie vor dem Herrn! -........ Ein Fremder begreift also die ganze Manipulation nicht recht. Warum schoß der Herr die .'M Nubel vor'!? warum zwang er die Bauern nicht geradezu, die Häuser nach seiner Willkür zu bauen, oder das Geld aufzudringen? — Das streitet nicht gegen das Gesetz, aber wohl wider die russische Sitte! Der Herr kann nicht willkürlich seinen Leuten die Zahlung einer Summe auferlegen, dies muß stets aus besondern Gründen auf einem Umwege geschehen! Man ahnet überall die Sehnsucht nach einer Normirung dieses Verhältnisses, und wird bald die Nothwendigkeit eines gesetzlichen Einschreitens erkennen! Die Leute des Dorfs waren übrigens wohlhabend. Sie haben hinreichenden und vortrefflichen Acker, der keines Düngers bedarf. Dieser ist ihnen sogar eine Last, da sie ihn nicht zur Heizung bedürfen, denn sie haben hinreichend Holz. Weizen wird hirr ,^cht gebaut, sondern nur Roggen, und man säet dirscn so dicht, daß man zwei Tschctwert auf die Dessj. rechnet. Man gewinnt das zehnte Korn. Der Gutsherr hat sich ein drittel des Ackers vorbehalten, welches von der Gemeinde in 68 Frohndcn bearbeitet wird. Auf jedes Tjaglo fällt gegenwärtig die Bearbeitung von l '/^ Dcssj. herrschaftlichen Ackers. An, ^. Juli früh erreichten wir in einer meist von Tataren bewohnten Gegend das große von 728 Seelen bewohnte tatarische Dorf Mussalin. Die Leute nahmen uns freundlich auf, der Borstand der Gemeinde und ein Mullah sprachen russisch und gaben uns auf Alles Antwort, was wir fragten, Ich gebe die Notizen, wie ich sie erhielt, ohne für die vollständige Richtigkeit einstehen zu wollen. Das gespannte, halb feindselige Verhältniß zwischen Tataren und Russen spiegelt sich darin ab, und dadurch erhalten die erzählten Facta immer eine Färbung» Die hiesigen Tataren sind, wie hier in der ganzen Gegend, Icssaschnie Tatare, d. h. zum Kriegsdienst verpflichtete. Peter l gab einem tatarischen Mursa Namens Iaruslan mit seinen Leuten in einer besondern, noch vorhandenen Schenkungsurkunde die Erlaubniß, sich hier anzusiedeln und Land in Besitz zu nehmen, so viel er brauche. Iaruslan bauetc sich mit 54 Kriegern hier an, nahm 50 Dcssj. für sich, und gab 32 seiner Krieger jcdem ebenfalls 50 Dessj., den übrigen 22 jedoch jedem nur 30 Dessj. Diese Besitzvcrschiedcnheit scheint nicht in dem verschiedenen Militairrang, sondern in der verschiedenen Militairpflicht seinen Grund gehabt zu haben. Das Land ward den Einwohnern ein für alle Mal als erbliches Eigenthum überwiesen, es ward nicht nach dem russischen Princip der jeweiligen, immer von neuem vorgenommenen Landtheilung von ihnen besessen. Es war Privateigenthum, was sie auf ihre Söhne vererbten. Diese looseten dann beim Tode des Vaters,, wem das väterliche Haus zufallen solle; das Land theilten sie m nu-tm'g, und die übrigen bauten sich neue Häuser. Es herrscht daher in diesen Dörfern die größte Verschiedenheit im Grundbesitz. Außer diesem gewissermaßen alten Fidcicommisigute des ursprünglich angesiedelten Kricgerstammcs besitzen die Dorfciitgc^ sessenen jedoch noch fast «500 Dessj. Land, welches sie nach russischem Grundprincip nach Seelenzahl theilen, und von dem etwa 2 Dcssj. auf die Seele kommen. An ihrem Landdi-strict haben nämlich früher die Güter einiger tatarischen Mur-sas gegrenzt, welche russische Leibeigene besessen, und durch sie «9 d"S Land haben bebauen lassen. Als nun auch hier das russische Gesetz publicirt ward, daß kein Nlchtchrist christliche Leute als leibeigene besitzen dürfe, haben jene Mursas lieber das Eigenthum ihrer Bauern, als ihr Glaubensbckcnntniß aufgeben wollen. Man hätte nun denken sollen, die Mursas würden die ihnen nicht mehr leibeigenen Bauern entlassen und das Land selbst bebaut haben, oder durch Tataren bebauen lassen; aber hier machte sich die alte traditionelle Ueberzeugung des russischen Leibeigenen geltend, der sagt: „Ich gehöre dem Herrn, aber der Grund und Boden gehört mir, er ist wi^ eines meiner Glieder, mit mir zusammengewachsen und nicht von mir zu trennen!" - Die Bauern blieben fest auf dem Grund und Boden sitzen, die Mursas gabcu gezwungen das Eigenthum von beiden auf. — Die Bauern hielten sich nun sieben Jahre als freie Bauern, dann sollen sie unter Katharina ll. einem General Schepelow geschenkt worden sein, der sie nicht ohne sanftes Zureden seines Regiments dahin gebracht haben soll, ihn als ihren Herrn anzuerkennen. — Er siedelte nnn ihrer Widerspenstigkeit halber den größeren Theil derselben nach andern Güiern über, und versetzte dafür aus diesen eine Anzahl hierher, und zwar eine viel größere Anzahl als bisher hier gewesen war, dotirte sie aber gleich hoch mit Land, indem er stark in die Grenzen seiner Nachbaren, unserer hiesigen Tataren, über^ griff. Diese besaßen nämlich außer jenem, jeder Familie zugewiesenen cultivirtcn Lande, ungcmcin wcitläuftigc Wcidedistricte, von denen jener Herr, wie angeführt, nicht unbeträchtliche Theile sich aneignete. Allein unsere Tataren verklagten seine Erben, haben ihnen glücklich bereits einen Theil des streitigen Terrains, das sie auf. 1l,<)00 Dessj. angeben, abprocessirt, und um einen andern liegen sie noch gegenwärtig im Rechtsstreite, der in der Kreisstadt Tschcmbar geführt wird. Auch die verdrängten Mursas, die gegenwärtig in diesem Dorfe leben, und sich durch nichts im Aeußern von den übrigen gemeinen Tata-N'N unterschieden, haben Ansprüche auf ihr früheres Land mit mehr »der minder Glück gemacht, und vrocessircn auch gegenwärtig noch! — Das auf diese Weise auögewonnene Land, insofern es sich zum Acker eignet, baben die sämmtlichen Eing^ sessenrn des Dorfs als Gem.'inde in Besitz genommen, und 7« vertheilen es nun nach dem Princip der russischen Gemeinde nach Seelenzahl unter einander. Das Dorf hat drei Mctschcds (Moscheen), die in ihrem äußern Ansehen viele Aehnlichkeit mit deutschen, aber nicht mit russischen Dorfkirchen haben. Mein Begleiter, Fürst L., zeichnete cine in einem benachbarten Dorfe Kutefka, die hier als Beweis des Gesagten dienen mag. Tatarische Metschcd in Kittcsl^ zwischen Pc»ft imd Tambmv. Früher gingen die Tataren mit ihren Streitigkeiten nie an russische Gerichte. Dies hat sich wenigstens in dieser Gegend seit einer Reihe von Jahren sehr geändert. Die russischen Gerichte stehen sonst eben nicht in dem Rufe integrer Rechtspflege; sollte sich das Kreisgcricht in Tschcmbar, zu dessen Bezirk die-scr tatarische Distrikt gehört, in dieser Beziehung rühmlich auszeichnen? — Es scheint fast! Die Tataren bringen ihre Klagen dort häufig an, während diese früher fast nur durch ihre Mullahs entschieden wurden. Gegenwärtig entscheiden dieselben fast nur noch in Ehcsircitigkeiten, und mitunter bei Erbschafts-angclegcnheiten; sind diese Letztcrn aber sehr verwickelt, so geht man doch an die Gerichte. Wir hörten von einem dergleichen tatarischen, beim Gerichte in Tschcmbar schwebenden Crbschafts-strcit. Ein Tatar stirbt, hinterläßt eine Frau und eine angenommene Pflegetochter, und sein auf Letztere lautendes Testa- 71 ment. So lange die Frau lebt, ist Einigkeit, da sic selbst dic Psicgctochter wie ein eigenes Kind liebt. Nun stirbt sie, und es erheben jetzt drei Parteien, nämlich ihre Erben, des Mannes natürliche Erben nnd die Pflegetochter, ihre Ansprüche an den Nachlaß. Die Erben der Frau wollten die Sache beim Mullah geltend machen, die beiden andern Parteien bestanden aber auf das russische Gericht in Tschembar, wo der Proceß jetzt eben wirklich schwebte. Die Mullahs sind in den Dörfern auf gleiche Weise, wie die Bauern, dotirt, und erhalten außerdem gewisse kleine Naturalabgaben von den Höfen. Wir verließen nach einigen Stunden die guten gastfreien Tataren, und fuhren nach der Kreisstadt Tschembar. Mir sielen hier die ungeheuer ausgedehnten Buchweizenfclder auf, der hier auf dem schweren Boden cultivirt wird, während er in Meinem Baterlande nur auf mager,» Sandboden gesäet wird und gedeiht! Ucberall ist hier das Land durch kleine Walddi-stricte und Büsche durchschnitten, was ihm ein freundliches Ansehen gewährt. Dic Totarcndörfer smd gleich beim ersten Anblick von den russischen zu unterscheiden, weniger durch die Bauart der Häuser, als durch die Anlage der Dörfer. Diese bestehen aus unordentlich durch einander liegenden Haufen von Häusern und Gehöften, während die russischen Dörfer auch hier stets gerade Straßen bilden. Daß die Baucrhäuser elend gebaut, klein und ärmlich sind, muß den Reisenden auffallen. 6s sind nicht mehr jene reichen mächtigen Häuser deß Gouvernements Wotogda! Aber das Material fehlt auch, und außerdem ist ver südrussischc Vauer, ungeachtet cr namentlich in dieser Gegend wohlhabend ist, ganz ohne Sinn für geräumiges und bequemes Wohnen. Die Tracht, namentlich der Weiber ist hier etwas anders. Um den Kopf derselben sieht man häufig ein rothes Tuch gewunden, die Röcke sind unter dem Busen gebunden und bilden Taillen. Es begegneten uns ausgezeichnet hübsche Weiber. Die Männer trugen zwar das über die Hüfte gegürtete Oberhemd, allein es war nicht von rothgestreiftem Kattun, sondern von weißem Leinen, an den Ernuln nnd den Rändern bunt ausgenäht. 72 Die Kreisstädte Tschcmbar und Kirsanow, die wir passirtm, sahen eben nicht sehr einladend aus, doch die zweite besser als die erste. Wir kamen durch ein großes Schcrcmetjewschcs Dorf, Pain, von 2A00 männlichen Seelen. ..... Es waren ganze Straßen prächtiger Häuser darin, die dem Orte ein ganz anderes Ansehen gaben, als jene elenden Städtchen haben! 6S waren steinerne Paläste darunter mit Säulen und Balkönen und eisernen Dächern! Es wird hier starker Vieh- und Talghandel getrieben. Herr von Schcrcmetjcw, der reichste Grundbesitzer Nußlands, setzt seinen größten Stolz darin, reiche Leibeigene zu haben, und er hat deren viele, die viele Millionen im Vermögen haben! In Birutschmschen Kreise besitzt er das Dorf Alcxejewßk, angeblich mit ^2,000 Seelen. Dort giebt es Bauern, die wieder auf seinen Namen (denn auf eigenen Namen dürfen dies die Bauern nach russischen Gesehen nicht) Güter mit 6 bis 70(1 leibeigenen Bauern gekauft haben und besitzen, ohne daß er sie im Mindesten stört, oder ihnen mehr abnimmt, ihre Abgaben erhöht, als seinen andern Leuten. Er giebt selten einem seiner Leute die Freiheit: die meisten wünschen sie auch gar nicht, da er ihnen größeren Schutz gewährt, als sie, wenigstens bis vor Kurzem, bei den Behörden fanden. Einzelne, denen aus besondern Ursachen die Freiheit von Werth war, haben gern K0 bis 100,000 Rub. dafür gezahlt. Schereme-tjew besitzt auch das Manchester Nußlands, das Dorf Iwanow», welches allein über 42,000 Menschen in und außerhalb seiner Kattunfabrikcn beschäftigt und jährlich gegen 900,000 Stück Baumowllenzeuge liefert, die den Gesammtwerth von 23,400,000 Nubel Banco betragen *). Er hat seine Leute nie gedrückt, und nimmt weniger von ihnen, als die Krone von den Kronbauern, aber ob nicht manche seiner Beamten sich vielen Druck erlauben, muß dahin gestellt bleiben, auch horten wir, daß in seinen Dörfern die reichen Einwohner die armen sehr drückten! — Dann kamen wir durch ein Uwarowsches Dorf. Es hatte nicht die Häuser, welche enormen Reichthum ankündigten, aber ') Siehe P. v. Mpftm likcr Nupl.inds Vtädtr mit besoabcrcr Hinficht auf deien BevöltVning, zil,K, 4. 73 mehr das Ansehen gleichmäßiger Wohlhabenheit. Die Leute sahen mehr wie tüchtige Bauern aus! Graf Uwarow soll hier 12 Dörfer in einer Gegend zusammen haben mit 5000 Seelen und 38,000 Dessj. Acker. Man soll in dieser reichen Gegend die Revenüen eines Tjaglo auf 200 Nudel Banco rechnen können. — Auf der Wicsenseite der Wolga soll ein Gutsbesitzer von 300 Seelen eine Revenue von 80 bis 100,000 Rubel Banco beziehen! Am 9. Juli, Morgens gegen 7 Uhr, kamen wir in Tambow an. Ich hielt mich nur den Vormittag hier auf, und lernte, da der Gouverneur verreist war, nur den Vicegouvn'neur, Herrn v. Samaitin, und ein paar Kaufleute kennen. — Hiesige Kaufleute miethen häusig .20 bis «0 Werst von hier große Strecken Bandes auf ein Jahr, lassen es für Geld bestellen, besäen eö Mit Hirse, und ernten oft das vierzigste Korn. Die Hirse wird hier mit 10 bis 20 Rubel Banco pio Tschetwert bezahlt. Auch Hanf und Lein wird auf solche vagabundircnde Art gebaut, noch mehr aber Mohn, wozu jedoch das Land gedünget wird. Einige Kaufleute hatten in den letzten Jahren 40,000 Tschetwert Mohn gecrntct und zum Preise von 25 bis 40 Rub. verkauft. In fruchtbaren Jahren fällt hier der Tschetwert Roggen auf 2 bis 3 Rubel Banco (der Berliner Scheffel zu 4'/, bis 7 Silbgr.!), in schlechten Jahren (zuletzt z. B. im Jahre 1838) steigt er auf 28 Rubel Banco (der Berliner Scheffel zu 2 Thlr. 4 Silbgr.). Um 3 Uhr fuhr ich vo»l Tambow ab nach Livezk. Auf der ersten Station, dem Dorfe Wisgegarah, hielt ich einige Stunden an, um die gewöhnlichen Notizen einzuziehen. Dieg Dorf liegt auf einer frühern Grenze des alten moskowitischen Großfürstenthums gegen die Tataren. l5inige Werste von hier führte der Weg erst längs einer alten hohen Verwallung mit tiefen Gräben her. Der Wall war noch gegenwärtig etwa 10 Fuß hoch, der Graben davor oft eben so wf. Alle 4 bis 5,00 Schritte findet sich eine erweiterte runde Stelle, man nennt es einen Thurm, wiewohl keine Spur von Steinen und von Mauerwerk zu sehen ist. Man sagte uns, daß diese Vcrwalluug !> bis 000 Werst lang von Zarizyn an der Wolga bis nach llssman, vielleicht noch weiter laufe, und 74 zur Abhaltung der Tatareneinfälle gedient habe. llnser Iämt-schik erzählte, l0 Werst von hier sei vor dem Wall ein großer runder Platz gelegen, dort habe die Burg eines alten Czaren gestanden, und der Wall sei gegen die Tscherkessen aufgeworfen worden! So legt die lebendige Sage einen Namen für den andern unter! Der Schrecken und die Furcht vor den Tataren ist bei dem jetzigen russischen Volke längst verblaßt, aber von den Tscherkessen hat jeder bebende gehört! — An dieser Grenzlinie und zum Schutz der Verwaltung siedelten nun die alten Großfürsten kriegödienstpstichtige Lcute an. Zu diesen gehörten die' Vorfahren der Bewohner deß Dorfs Wisgcgarah. Sie erzählten uns: es seien ihrer 12 Dörfer mit 7000 männl. Seelen in der Wolost Sagorst, „alle Ddnodworzen von echtem adligem Kosakenblutc." Früher hätten sie sich nie mit den anderen umwohnenden Leuten gemischt oder verheirathct und noch jetzt geschähe dies selten! Wie tief sitzt die Aristokratie im Blute aller Völker! — Ihre Privilegien und Ansi'edlungs-bricfe lagen beim Domainenhofe in Tambow. Sie zahlen daher auch nur Kopfsteuer, aber keinen Obrok, da ihr Grund und Boden ihnen eigenthümlich zugehört. Aber auch nur hierdurch unterscheiden sie sich gegenwärtig von anderen russischen Bauern. Das Land theilen sie jetzt ganz nach russischem Gemeindeprincip, nach Seclcnzahl. Ehemals sollen sie das Land nach gewisser Abstufung und nach Verdiensten besessen haben, doch ist dies bloß Tradition. — Sie nennen sich, wie angeführt, Ddnodworzü, allein sie unterscheiden sich von diesen wesentlich. Die Odnodworzü (Einhöfner) im nördlichen Rußland wohnen auf isolirt liegenden Höfen, und der Grund und Boden gehört zu diesen Höfen und ihnen eigenthümlich, sie stehen nicht im russischen Gemciildcverbandc und partizipircn nicht an der Theilung des Grundes und Bodens nach Seelenzahl. Diese sich Ddnodworzü nennenden Bauern sind freie Bauern in doppelter Hinsicht, nicht bloß persönlich freie, wie die Kronbauern, sondern auch frei von gutsherrlichen Abgaben und Diensten, wie es deren eine große Zahl in Rußland giebt. Alle Kosaken gehören dazu! — Das Dorf Wisgcgarah zählt etwa «47 Seelen, auf jede Seele kommen etwa 7 Dcssj. Acker. Das Land ist vortrefflich 75 Nur in den Gärten und zu Hanf wird gedünget. Es herrscht Dreifelderwirtschaft, im Wintcrfelde wird Roggen, im Som-Merfelde Buchweizen, Hafer, Hirse und Flachs gebaut. Das Stroh dient zur Feuerung, Misizirgel sind hierzu nicht gebräuchlich. ES haben sich einige Bürger aus Tambow bci ihnen niedergelassen, Häuser zu l.">0 Rubel Banco von ihnen gemiethet und FlchrmannSherbcrgcn darin angelegt: von den Aermern habcu sie daun ihren Gcmcindeanthcil dazu gepachtet. — Holz haben sie gar nicht, sie müssen das Bauholz K0 Werst weit holen, und ein Wohnhaus zu bauen kostet gewöhnlich 1500 Rubel Banco. Das ganze Land gewinnt hier schon einen andern Charakter. In den Dörfern stehen vor allen Häusern Bäume, meist Weiden, welche auch la'ngS den Landstraßen gepflanzt sind. In den Gärten sind überall Pflanzungen von Weidensiecklingen. Die Zäune sind häufig von Weidenruthen sehr zierlich geflochten, selbst die meisten Wände der Häuser, außer denen der Wohnstube, sind nur geflochten. Die Stalle sind meist offene Hallen mit geflochtenen Wänden, wie die tatarischen Aüsliks. Lebendige Hecken sah ich aber nirgends; wo jene Zäune nicht waren, da waren häßliche Einzäunungen von Mist und Erde. Die Häuser stehen meist mit der breiten Seite an der Straße, und der Eingang liegt in der Mitte. Unten im Hause sind Ställe, und die Bauern wohnen, wie dies auch in Nordrußland der Fall ist, oben. So führt denn eine Treppe zur Hausthür hinauf, aber diese bildet zugleich eine zuweilen offene, zuweilen brdeckte Vorlaube (Perron, Krülzü), einen Balcon, an dem einige Bäume stehen, und auf dem die ganze Familie im Sommer fast wohnt. Es stehen hier Tische und Bänke, und die Nachbarn versammeln sich, die jungen Leute singen. Das Ganze hat einen durchaus heitern südlichen Charakter! Wir passirtcn die Kreißstadt Kaselow, wo ein bedeutender Handel mit Getreide getrieben wird; es herrscht daher Wohlhabenheit, selbst Reichthum. Sie ist in Folge dessen gut, selbst elegant gebaut, und es waren sogar schwache Versuche einer Straßenpflasterung gemacht! Die Stadt liegt gar hübsch auf einer Anhöhe. Die Umgegend ist fruchtbar, aber ohne Wald. Die letzte Station vor Lipczk war das hübsche und rcgel- 76 mäßig gebaute Dorf Simionowka, dem Vicegouvernmr voil Tambow, Hrn. v. Samaitin, ssehörig. Mein Begleiter, Fürst L., zeichnete eine Häuserreihe, die als Typ dieser Gcgcnd sich hier präscntiren nmg. - Dors Eimiononika nahc bci Lipczl. Das Dorf war, wie ich hörte, vor einigen Jahren abgebrannt und auf Anordnung des Herrn neu aufgebaut, alle Häuser nach gleichem Plane, mit Ziegeln gedeckt, alle geweißt, lagen sie recht freundlich in Gärten und zwischen Bäumen. Alles Material hatte die Herrschaft geliefert. Der Bau eines jeden Gehoftö hatte dann baar 150 Rubel Banco gekostet. Es ist ein kleines Dorf von 2« Tjaglos, Die Hälfte des Ackers haben die Bauern, die andere Hälfte bildet den herrschaftlichen Hof. IedeS Tjaglo hat 3 Dessj. in jedem der 3 Felder. Im Wintcrfeldc bauen sie nur Roggen, im Sommcrfrlde Buchweizen, Gerste und Hafer. Aus dem gutsherrlichen Hofe war ein deutscher Verwalter, von dem wir alle diese Notizen erhielten. Das Gutöland war in eine Art Zchnfelderwirthschaft eingetheilt. Die Bauern frohnden Z Tage und geben außerdem einige Hühner, Eier und etwas Leinen ab. Die Tjagloö bestehen meist aus einer zahlreichen Familie, und haben daher überflüssige Arbeitskräfte. Der Gutsherr giebt deshalb im Winter, wo er so viele Frohndcn nicht nöthig hat, eine Anzahl Drescher an benachbarte Kaufleute in Li'pezk :c. ab, und zwar für die Kost 77 und 38 Rub. Banco pr« Mann. Dieses Geld, in Summa etwa 80(1 Nudel Banco, hat der Gutsherr der Gemeindecassc für etwanige Uuglücksfälle zur Aushülse :c. überwiesen.— Herr r. Samaitin besitzt in dieser Gegend .'j Dörfer mit 500 Seelen, die ihm etwa 2,^,000 Rubel Banco nl!U<> einbringen sollen. In der Umgegend sind die meisten Dörfer von Odnodwor-M der oben beschriebenen Art bewohnt, die viel freier über ihr Land dispomren dürfen, als alle übrigen Bauern. Das benutzen die Kaufleute der umliegenden Städte und miethen von lhnen, oder auch von Gutsbesitzern, die viel Land aber nicht hinreichende Bauern oder arbeitende Hände haben, einen Theil ihrer Ackerfelder, hier aber, wo möglich, auf mehre Jahre. Sie zahlen für die hiesige grosie Dcssiatine (zu 3200 ^Ssashen, die Krondessjatine ist nur 2400 ^HSsashcn oder etwa 4 preußische Morgen groß) 10 bis 12 Nubel Banco, bauen kleine Häuser für die Aufseher darauf, und lassen nun daS Land für Geld bestellen, besäen, abernten und ausdreschcn. Die Preise für diese verschiedenen Arbeiten sind folgende: Für das erste Mal Pflügen und Eggen srn Dessjatine 5 Rubel Banco, das zweite Mal .'! Rubel Banco, für das Zusäen 3 Rubel Banco, für das Abernten des Roggens 15 bis 1« Rubel Banco, des Hafers 18 bis 20 Rubel Banco, für eine Ko-pine zu dreschen (ein kleines Bauerfuder, welches etwa ein Tschetwert Ausdrusch gewährt) 1 Rubel Banco, alles dieses bei freier Kost. ..... Man schneidet den Roggen mit der Sichel, und nachdem er ausgcdroschen ist, wird er gedarrct. Das Korn, was nicht in Morscham, Kaselow oder Tambow verkaust wird, wird nach Moskau auf dem Landwege 460 Werste weit verfahren. Im vorigen theuren Jahre mußte für eine solche Fuhr pro Pud l Rubel 70 Kopeken Banco bezahlt werden. Man kann hinter jedes Pferd *) etwa 20 Pud laden, und die Fuhrleute sind auf dieser Tour gewöhnlich 14 Tage unterwegs. Als Rückfracht bringen sie dann Waaren für die Kaufleute von Moskau mit. Ein solcher Fuhrmann, wenn er gut lebt, verzehrt in den Herbergen täglich für seine Person 50 bis tt0 Kop. *) Dcr Pn-iS emcö gcwöhulichcl, Pscrbi'S ist hicr im Dllrchschnill 50 Mubel Vanco, der emer Kuh 35, Rubel Bantt', 78 Banco, ist er aber arm, auch wohl nur w Kop. Banco. Wo sie nichts verzehren, nehmen die Wirthe jetzt auch wohl Stall-geld, was sonst nicht Sitte ist. Hafer und Heu wird gekauft und ist meist in den Herdergen sehr theuer. Im Sommer campiren jedoch die Fuhrleute meist im Freien. Die kleinrussischen Ochsenfuhren sahen wir überall an den Landstraßen meist in großen Hausen sich lagcvn. Wir erreichten am 10. Juli gegen 11 Uhr die Stadt Lipezk und wurden bei einem Kaufmanne einquartiert. Das Aeußere dieser Stadt- gewährt einen merkwürdigen Anblick. Von der Seite, wo wir kamen, sahen wir schon in bedeutender Entfernung einen mit viclthürmigen Kirchen und aus Baumgruppen sehr hübsch hervorschauenden Ziegeldächern gekrönten Hügel. Als wir diesen hinaufgefahren waren, kamen wir in eine lange, grade, wohl-gcpsiasterte Straße, von beiden Seiten mit sehr eleganten, meist einstöckigen Häusern, die fast alle mit einer auf Säulen ruhenden Vorhalle, von der die Treppe in ein kleines an der Straße liegendes und von dieser durch ein eisernes Geländer getrenntes Blumcngartchen führte, geziert waren. Oben bei der Einfahrt lag, längs der südlichen Seite der Straße, eine kleine Strecke ein eisernes Geländer her, welches die Straße von einem herrlichen Park mit den prächtigsten Baumgruppen ^) trennte. Dieser Park zog sich hinter die Häuserreihen in ein hübsches Thal hinab, in welchem sich ein Gesundbrunnen, Badehäuscr, Restaurationen und Kaufbudcn befanden. Dieser ganze Theil der Stadt hatte ein höchst elegantes Ansehen, und man hätte wohl meinen können, statt in Rußland, nicht weit vom Don, etwa in Vlankencsc bei Hamburg zu sein!— Allein am Ende jener langen Straße sührt der Weg abwärts in eine ganz russische Stadt mit den gewöhnlichen Blockhäusern, einem sehr mittelmäßigen Bazar und kothigen, ungepsiasterten Straßen, und dieser Theil endet dann in einem gewöhnlichen hiesigen russischen Dorfe. Der Contrast zwischen diesem und dem obern Theile der Stadt ist wirklich frappant! ') Auch hier hattt ich Grlegmhnl zu b^bachtcn, was ich l'rnllö l'ci Pmsa bimrrlt habc, daß ein großer Theil d>'r Eichm in einm! dn lt'httn faltn« Wmtcr crfrorcn war. (5s warm l'»v^i>i>ich dir, w>!chc am südlichen Abhang des Höhnizllgs siaüdm. 79 6s ist hiev, wie erwähnt, ein Gesundbrunnen*). Peter I. soll die Quelle, als er einst die hiesigen Eisenschmelzcn besuchte, entdeckt haben. Ein reicher Kaufmann hat ihm deshalb hier einen Gedächtnißobelisk errichtet. Daß Wasser soll dem Pyr-monter ähnlich sein. Vor 4« bis 50 Jahren verbreitete sich der Ruf der Heilsamkcit. Das Bad kam eine kurze Zeit in Mode und ward sehr besucht, allein bald sank es wieder, und jetzt ist es fast nur ein Vergnügungsort für Beamte und den umwohuendcn Adel'"''). Die Färbung eines Badclebcns war aber noch zu erkennen, cs gab Abendpromcnadcn, mittelmäßige Musik, einen ReunionS-saal. Die Restauration war abscheulich: der russische Adcl bringt seine Küche mit, und jeder Fremde wird sogleich mit Gastfreundlichkeit von ihm überhäuft. Auch wir hatten nur am ersten Morgen Gelegenheit, recht schlecht für vieles Geld zu essen, dann stöberte uns ein alter Badrgarc-on auf, der ja in der Regel in keinem Bade fehlen darf. Zudringlich, neugierig, unverdrossen, höflich, gutmüthig machte er förmlich Jagd auf uns, stand auf dem Anstand, bis er uns als frisches Wild ergattert hatte! Nun wurden wir umhcrgeführt, bekannt gemacht. Der Badedirector gab uns ein Diner, des Abends ward ein Ball veranstaltet u. s. w.! ^ Was möchten wohl die Skythen des Herodot sagen, wenn sie ihre alten einsamen Grabhügel der Steppe verließen und unserem Treiben auf ihren ehemaligen Lagerstätten zugesehen hätten? Eisenerz ist hier reichlich und in guter Qualität vorhanden, es steht überall zu Tage aus. Mein der Betrieb hat eingehen müssen, es fehlt an Holz! — Es sind hier Steinkohlen aufzufinden, von denen sich Spuren zeigcu. Da ich einige Monate umhergereiset, so war es nöthig geworden, mir das Haar schneiden zu lassen. Es fand sich ein ) <5S giol't ein deutsches Buch: Reise von Vt. PNcrsburg nach dem <5>e-sundblumlcn zu Lipezk, vo» D. N. (Naupach?). Vrröscm 1809. <5s enthält über Lipczk nicht viel, aber sehr virle gcistnichc BemerNüigel, über be» russische,, Natwnalcharaktcr. ') Das Verbot drr H>ift,dspielc luu allm Väder» in Rußland dm Todes-stos, qsssel'm. 80 Friseur, ein alter Franzose, der schon über 30 Jahre in Nußland umhergezogen war. Er wußte nicht viel zu erzählen, aber was sein Handwerk betraf, da zeigte er sich als Beobachter und denkenden Kopf! — Er sagte, in ganz Nordrußland sei das Haar der Weiber sehr dünn und unelastisch, und daher für den Perruquicr wenig brauchbar, daß sei die Folge des beständigen warmen Badens. Die Pcrruquiers in Petersburg, Moskau :c. bezögen daher allen ihren Bedarf an Haaren aus Südrußland. Da existire denn unter anderen in der Gegend vo» Astrachan ein großes Dorf, dessen Weiber ihrer herrlichen Haare wegen berühmt seien. Sie wüschen ihre Haare nie mit warmem Wasser, hätten aber gewisse Oele, die den Haarwuchs ungemein beförderten, und herrlichen Glanz und große Elastizität gäben. Ihr Haar reiche ihnen bis zur Erde, und wenn sie es sich ab-rasiren ließen, so wüchse es in einem Paar Jahren wieder eben so lang herab. Wir waren hier an einen Beamten des Domainenministeriums gewiesen, an einen Herrn von Pawlow, der alles that, um unsere Nachforschungen zu befriedigen. Er erzählte uns, daß das Ministerium einige Stunden von der Stadt eine Ecntralmusier-Ferme angelegt habe. Die Lage soll sehr günstig sein, das Terrain, etwa 1200 Dessj., hat drei verschiedene Bodenarten, magern Sandboden, humosen Sandboden, und Schwarzerde mit zwei Arschin tiefem Humus. Wald und treffliche Wiesen fehlten nicht. Er legte uns Pläne und Risse vor, die von umsichtiger Ueberzeugung zeugten: da aber bis jetzt kaum 50 Dessj. cultivirt und die projectirten Gebäude noch nicht errichtet waren, so gab ich die Tour dahin auf. Man berichtete uns, daß in dieser Gegend ungemein viele Odnodworzcn seien. Die Mehrzahl derselben sind von der Art, wie wir sie oben kennen gelernt haben, zum Schutze der Grenze angesiedelte Krieger; beim Domainenhofc in Tambow sollen darüber eine Menge alter Urkunden dcponirt sein. Von ihnen scheint aber eine bedeutende Anzahl gänzlich um ihren Grundbesitz gekommen zu sein, durch Theilungen, Verkäufe :c. Diese sind in Krongcmcinden gezogen, nehmen Antheil an der ^and-theilung, zahlen den gewöhnlichen Dbrok, und unterscheide,, sich demnach in gar nichts von den übrigen Kronbauer». Nur 81 hat sich die Tradition ihrer Abstammung erhalten und sie nennen sich noch so (Daschrwije Odnodworzü). Allein außerdem soll es hier noch eine Anzahl Ddnodworzen geben, welche ans degradirtem Adel hervorgegangen sind. Sie wurden von Peter I., da sie sich weigerten, Dienste zu leisten, degradirt, nnd sind den Odnodworzcn zugeschrieben. Unter ihnen finden sich Glieder der ersten und vornehmsten Familien, z. B. der Galizin. Sie sind gegenwärtig gänzlich verbauert, doch giebt es noch welche unter ihnen, welche selbst Leibeigne haben! Einen Standeslmtrr-schied zwischen den Odnodworzen und Kronbaucrn giebt es nicht. Jeder Kronbaner oder freigelassene adlige Bauer kann sich den Ddnodworzen zuschreiben lassen, wenn er eigenthümliches Land erwirbt. Von den Odnodworzen ist ein natürlicher Ucbcrgang, die Verhältnisse deß kleinen Adels zu besprechen. Es giebt dessen in dieser Gegend eine große Anzahl. Manches Dorf ist unter 10 bis 17> Adlige vertheilt. l5ö giebt deren, die nnr 2 Tjaglos besitzen! Fast alle sind tief verschuldet. Früher lieh die Bank 27>0 Rubel zuu Seele, seit der Hcirath de5 Thronfolgers darf sie bis M) Rubel herleihen. Die Folge ist eine noch größere Verschuldung gewesen. ES wäre sehr wünschenswertb, daß die Krone diese kleinen Besitzungen mit den daranf ansässigen Leibeignen allmählich ankaufte, denn diese kleinen Edelleute sind der wahre Fluch des Landes, der Druck ihrer Leibeignen ! *) Ich fuhr am 12. Juli früh am Morgen mit Herrn von Pawlow von Lipezk ab. Ich hatte beschlossen, die interessante Landwirthschaft des Herrn von Bunin, eines Onkels des Herrn "on Pawlow und die berühmten Gestüte am Bitjuk in Augen- ) Mcin hat hier die Bemerkung gemacht, daß bei früherm Hausen und Verlaufen slttö mir nach Seelen gerechnet, ,mr diese verkauft smd, jetzt werden in der Ncgcl so und so »iel Dcssj. Landes mil den dasselbe be-"rl'cilmdm ä'aliern verkauft! stin Zeichen, daß der Werth des Grund lmd Bodens i>, Anschlag gekommen ist, w. Juli neuen Stils), — den ersteu diesjährigen Noggm einfahren. Das sind dieselben Tage, wo auch im mittleren und nördlichen Deutschland diese Ernte beginnt. Die Heuernte war völlig beendigt. Ich bemerkte hier viel Hanf, aber wenig Flachs. Die Ziegel werden hier im freien Felde in Oefen gebrannt, die mit Stroh geheizt werden. Ich hätte nicht gedacht, daß man damit die nöthige Hitze erreichen könnte, es musi eine besondere Manipulation zum Grunde liegen. Ein paar sehr unregelmäßig gebaucte Odnodworzen-Dörfer sahen nicht sehr glänzend aus. Die Tdnodworzen in diesen Gegenden sollen nicht besonders gute Wirthe sein, sind vielmehr sehr faul. Sie benutzen ihre persönliche und ihre Adgaben-freihrit dazu, um sich im Nichtsthun zu üben. Früher vermutheten sie ihr Land häufig au Kaufleute benachbarter Städte, die darauf, den oben beschriebenen, vagabundircndcn Ackerbau trieben. Das soll jetzt untersagt sein, und da lassen dann die Ddnodworzen alles Land, waü sie nicht zum unmittelbaren Unterhalt nöthig haben, gradezu wüst liegen. Das hat zur Folge gehabt, daß selbst die geringe öffentliche Abgabe de3 Kopfgeldes Jahre lang in Rückstand geblieben ist. Da haben die Beamten angefangen, das wüst liegende Land meistbietcnd auf eine Neihe von Jahren (10 Jahre) zu verpachten, wobei die Dcssj. durchschnittlich auf 7 Rubel iiKop. Banco gekommen ist. Dies Verfahren soll aber von der Gouvernemcntsregierung nicht gebilligt sein, da es Gelegenheit zu allerhand Unterschleifen gegeben hat. In den Dörfern, durch die wir fuhren, waren überall die schon oben beschriebenen, offenen Trepvenbalkone (Krylza), zum Theil mit einem schützenden Dache versehen. Daß die Leute lm Sommer fast ausschließlich hier wohnen, konnte man daraus sehen, daß sogar in einer Ecke das jeder Stube nöthige Heiligenbild nicht fehlte, Wir erreichtet, noch Vormittags Ssclo-Marfino, das Gut der vereinigten Familie Bunin und Pawlow. Es war eine hübsche Patriarchate russische Familie! Nirgends trat eine dic-tatorischc Herrschaft hervor, und doch herrschte große Eintracht 84 und Ordnung, und nur aus dcr Ehrfurcht, die alle jungen» Glieder dein alten Herrn von Bunin erwiesen, konnte man erkennen, daß er das eigentliche Haupt der Familie war. Er selbst war vcrhcirathet, hatte aber keine Kinder, Frau v. Paw-low war seine Schwester nnd hatte 5 bis 0 Kinder. Herr von Bnnin und Herr von Pawlow waren wissenschaftlich gebildete Männer. Feines Benehmen und europäische Bildung herrschten im ganzen Hcmse. Man konnte erkennen, daß es wohlhabende Leute waren. Im Hause herrschte ein gewisser Komfort, aber nicht dcr mindeste Luxus. Es war ein ächter russischer Edclsitz, einstöckig, von ineinander gefügten Balken aufgeführt, aber geräumig und bequem eingerichtet. - Das Prinzip, welches man von deutschen Häusern fordert, daß alle Hauptzimmcr einen Ausgang nach einer Flur oder einem Gange haben müssen, von welcher Pflicht nur Kabinette in Halisecken und Flügeln befreiet sind (Säle und Staatszimmer dürfen Vorzimmer haben, durch welche sie mit der Hausstur in Verbindung stehen) kennt man bei russischen Edclsihcn nicht. Die Hausthür, meist eine doppelte, führt entweder gleich in ein geräumiges Zimmer, oder auf eine kleine Flur, dic sämmtlichen Zimmer liegen aber dann, wie man sich auszudrücken pflegt, „durcheinander," d. h. eins liegt hinter dem andern, und man passirt oft fünf bis sechs, um in ein siebentes zu kommen. Diese Einrichtung ist aus dcr Natur des russischen Familienlebens hervor gegangen. Auf der Flur, oder dcm die Flur rcpräsentirendcn Vorzimmer, wohnt die Dienerschaft (natürlich die männliche: weibliche Dienerschaft ist wenig vorhanden, dcr Fremde sieht sie nie!). Stühle eristiren hier nicht, selten ein Tisch, breite divanartigc Bänke laufen längs den Wänden her. Von den Zimmern des Hauses hat dann in der Regel ein abgelegenes der Hausherr für seinen Privatgebrauch in Besitz. Auch die Dame dcS Hauses hat sich wohl cins reservirt. Einige dienen dann wohl zu Schlafzimmern, alle anderen, d. h. die große Mehrzahl der Zimmer, dienen zum gemeinsamen Gebrauch und Bewohnen, alle Thüren stehen stets offen, und man hält sich zusammen oder getrennt bald in diesem, bald in jenem auf. Im nördlichen Nußland sind im Winter nicht nur ein oder ein paar Zimmer geheizt, sondern das ganze Haus von unten bis oben, Flur und Treppen mit eingerechnet 85 Die Aussen verstehen es, dcn Winter zu behandeln, und es giebt wirklich für den Winter nichts Bequemeres und Wohnlicheres, als die russischen Häuser in Moskau und Petersburg! -^ Dieses Bewohnen des ganzen Hauses, diese Gemeinsamkeit des Besitzes für alle Glieder der Familie, wo nur das Haupt derselben des Vorzugs eines besondern Zimmers genießt, deutet, wie so vieles im russischen Volksleben, abermals symbolisch das Prinzip des russischen Volks, der russische», Gemeinde, der russischen Familie an: Gleichheit und Gemeinsamkeit unter dem Alten, dem Haupte! Herr von Bunin hatte seine Gutswirthschaft nach rationellen Prinzipien und nach vielen gemachten praktischen (Erfahrungen völlig umgestaltet. (5r hatte es den hiesigen örtlichen Verhältnissen angemessen gefunden, hier eine Art holsteinischer Koppelwirthschaft einzuführen. Wir fanden daher auch eine Anzahl der Kämpe lind selbst der Felder mit sogenannten Wallhecken oder Knicken eingelegt, die ich sonst nirgends in Nußland gefunden habe: andere waren durch Kampscheiden gegen den Andrang des Viehes geschützt. Das Grundprinzip der Wirthschaft war, die Fruchtfolge so oft zu wechseln als möglich, und zwischendurch (nicht eben alle drei Jahre) stets reine Brache mit zweimaligem Pflügen derselben zu halten. Die Düngung war stark zwischen 200(1 und M)0 Pud auf der großen Dessjatine! Die Fruchtfolge war folgende: Starke Düngung der Brache, dann erstes Jahr Winter-Weizen, zweites Jahr Hirse und Gerste, drittes Jahr reine Brache, viertes Jahr Roggen, fünftes Jahr Buchweizen, sechstes Jahr Brache, dann im Frühjahr gedüngt und Kartoffeln, siebentes Jahr Sommerweizen, achtes Jahr Hafer, neuntes Jahr Brache mit voller Düngung, womit der (5vclus wieder beginnt. Eine so gut eingerichtete und geleitete Wirthschaft soll grade das Doppelte des Strohertrags liefern als eine hiesige gewöhnliche Bauernwirthschaft. Db aber die Landrente in demselben Verhältnisse sich erhöhet hat, scheint mir, in Betracht der von m,! Garben, ebenfalls für eine Tagcsfrohnde. Allein die Leute sind fleißig, die Arbeit geht rasch, sie haben gewöhnlich schon um Mittag ihre Tagesftohndc beendet, und gewinnen meist von den drei Tagen einen sür sich, so daß sie statt drei Tage nur zwei Tage in der Woche frohnden! Der Herr und die i?eute stehen sich gut hierbei. Wcun eö dem Gouvernement in Nußland gelänge, die Frohnden auf diese Weise genau und fest zu normirrn, so wäre das für den Augenblick wünschcnswrrther, als die Aufhebung der Leibeigenschaft. Nur die ungebundene Willkür auS diesem Verhältnisse verbannt, gesetzliche Schranken gestellt, die wirklich 67 gehalten werden, der Sinn des Rechtö in allen Classen der Gesellschaft geweckt, das wäre die große Aufgabe deö Augenblicks! Am Nachmittage besahen wir das Gestüt des Herrn von Bunin, es bestand aus l<)0 Muttcrstuten. Man zieht hier die reine Raee der Drlow'schen Traber, und wir sahen auch schöne Pferde hiesiger Zucht. Noch interessanter war mir, über die Pferdezucht der hiesigen und überhaupt der Bauern längs dem Flusse Vitjuk Notizen einzusammeln. Diese Pferde sind in Rußland unter dem Namcn Bitjuki bekannt und berühmt. Wir sahen deren viele. Sie sind nicht eben sehr groß, selten über 2 Arschin .'! Werschok (nicht völlig 5 Fuß Preußisch) hoch. Der Kopf ist ctwas ramöförmig, die Brust ungemcin breit, wie man es nur bei belgischen und französischen Karrcngäulen findet. Die Croupe ist etwas abschüssig, das Pferd im Ganzen sehr lang. Die Breite der Brust bedingt die eigenthümliche Stellung der Vorderbeine, steil und weit auseinander. Die Farbe ist gewöhnlich braungclb oder Noth-schimmcl. ^" Ihre Stärke, ihre Ausdauer und Schnelligkeit im Trabe ist ungeheuer. Ein guter Bitjuk zieht 140 Pud ziemlich steil bergan, und auf ebenem Wege bis 180 Pud: liO, 70 bis ttOWerste mit einem Futter thun dem Pferde nichts, ja man erzählte uns von einem Falle, wo ein hübsches Pferd l'A)Wcrste (l7 Meilen) in 1."» Stunden ohne Futterung unterwegs gemacht haben sollte. Die Pferde kosten hier an Ort und Stelle 300 bis 500 Rubel Banco. Wenn man sie nicht zu früh braucht, d. h. nicht vor vollendetem viertem Jahre, so halten sie bis ins hohe Alter, den, 25sten, Lüsten Jahre, aus. Wir tranken mit der Familie unseres Wirths Thee im Garten, der besser angelegt und unterhalten, mit trefflicher Blumenflor und mamnchfaltigstem Strauchwerke geziert war, mehr, als ich noch auf einem russischen (5'delhofe gesehen hatte. Wir führe» dann noch einige Meilen nach dem Gute des Herrn von Philip-pow, eines Schwiegersohnes des Herrn von Pawlow, der uns ebenfalls sehr freundlich aufnahm. (5s siel mir auf, daß der Boden des ganzen Hauses mit Teppichen belegt war, und ich hörte, daß Diese, unter der Leitung der Frau des Hauses, von dem weiblichen Gesinde und den Bauerweibcrn gewebt würdcit. 8tt Solcher kleinen häuslichen Fabriken, unter Leitung der tzdel-srauen, sott cü im Gouvernement Tambow sehr viele gcbcn. Daö hat doch eine Homerische Färbung! — Hier, wie überhaupt in Rußland, konnte ich die Bemerkung machen, daß bei den russischen Damen die Musik viel weniger cultivirt wird, als bei der deutschen Damenwelt: dagegen haben sie eine große Vorliebe für Zeichnen und Malen. Früh am andern Morgen reisetcn wir weiter. Ich sah hier zum ersten Male große Züge Trappen. Die Jagd derselben soll sehr unterhaltend sein. Es war ein schöner Morgen, der Bitjuk, den wir ein paar mal auf Brücken passirten, gewährte allerliebste Ansichten; die Gegend ist leichthügelig, mit hübschem Buschwerk und Wald. Wir erreichten Paddi, wo der Graf Alexje Drlow im Begriff war, ein neues Gestüt anzulegen. Cö war auf 50l) Stuten berechnet. Der Bau schien rasch seiner Bollendung entgegen zu gehen. Die Facade des Hauptgebäudes war gegen 1 und gelben ledernen Kamaschcn, und führte uns in sein Reich ein. Leider waren die Pferde schon am Morgen geritten worden, und wir mußten uns begnügen, sie einfach vorgeführt zu sehen. Die Entschuldigungen des Engländers, daß die Pferde noch nicht geputzt wären, schien uns etwas Nenommagc, wenn man das glänzende Eeidenhaar dieser edlen Thiere sah und fühlte! Zuerst wurden uns die jungen Stuten, im vierten Jahre, die im Herbste zum Verkauf kommen, vorgeführt, und sorgfältig gegen die weiße Wand placirt, um sich vortheilhaft zu vräsentiren. Sein Handwerk versteht ein solcher Engländer doch immer, und setzt es bei keiner Gelegenheit aus den Augen! — Die angesetzten und uns genannten Preise variirten hier von 700 bis I'»00 Rubel Banco, offenbar Spottpreise für Pferde vom edelsten Blute! Sie würden im übrigen Europa das Doppelte, Drei- und Vierfache gelten! Unter diesen Stuten trug eine Rothschimmclstute, eine Tochter des berühmten Nadi, in unsern Augen den Sieg davon. Wir hatten das Por- 91 trait des Vaters schon unter den übrigen Zuchthengsten in der Gaststube bewundert. Dann kamen die jungen drei- bis vierjährigen Hengste. Diese wurden in der Menage gegeigt, weil draußen die Fliegen sie beunruhigen und leicht wild machen. Hier war die Perle, Leocadi, ein lichtbrauncr Hengst, ^/4 Wer-schock hoch, mit einem ganz eignen Goldglanz, wie man ihn nicht schöner sehen konnte, Sohn des hochberühmten Anabis, der 11 Nennpreise davon getragen, jetzt zwar nicht mehr rennt (er ist 24 Jahr) alt aber noch sehr wacker springt, wie sein jugendlicher, heldenkräftiger Sohn bewies. Der Preis dieser Hengste war auf 2.M) biö 50<)<) Rubel Banco angesetzt. Der letzte Preis wurde nur für einen außergewöhnlichen (5naks-Sohn von beinahe 7 Werschok gefordert. Zuletzt kamen die Gestüthengste, königlich schöne Thiere, eines edler, als das andere, unter denen die Wahl schwer! — Der Veteran Anabis ist noch vollkommen schön und kräftig, der edle Radi ist zu seinen Vätern versammelt; der eben so berühmte Mahomet ist gegen einen englischen Vollbluthengst in's Drlow'sche Gestüt gewandert, und bildet eine der größten Zierden desselben. Die hiesigen Pferde sind, nach der Versicherung unseres Engländers, das reinste arabische Blut, und haben sich schon lange unter einander fortgepflanzt, ohne daß die Race dcgene-rirt wäre und ohne daß man nöthig gehabt hatte, von dem ursprünglichen Blute dazu zu setzen. Im Gegentheil sollen derartige Versuche kein günstiges Resultat gewährt haben. Die Kraft und Schönheit der hiesigen Race ist bewunderungswürdig. Der Engländer erzählte, bei einem Rennen habe ein Rostopschmer Hengst die Bahn von 0 Wersten sechs mal, ohne anzuhalten, also W Werste in einem Athem durchlaufen, und sei dann mäßig naß gewesen, während alle anderen Pferde ohne Athem gewesen, und von weißem Schaum gestarrt hätten. — Man sieht diesen Pferden übrigens die Kraft trotz des leichten, schlanken Baues deutlich genug an; jede Muskel ist fein, schlank und zart, wie aus Elfenbein gcdrehet! Die Croupe ist ungeheuer stark, der Schweif erhebt sich bei jeder Bewegung wie eine Fahne in der Luft, und der kleine magere Kopf, die schönen, weichen Ohren, die geraden, reinen Beine, die steilen Fesseln, 92 der zarte, kleine Huf, man möchte sagen, das Füßchen! verrathen aufs beste das edle Blut. Der Gang dieser Thiere musi vortrefflich sein, wenigstens nach den kleinen Proben, die wir an einigen Stuten sahen, deren Stechen im Trabe wirklich ausgezeichnet war. Zwei Stuten, die uns vorgeritten wurden, erschienen unter dem Sattel etwas kurz, doch waren es auch freilich die billigsten unter allen. Beim Diner brachten meine Begleiter unsern armen Engländer in die Klemme mit der Frage, welche Pferde die bessern seien, die englischen oder die hiesigen arabischen aus seiner Zucht? Von hier fuhren wir nach Grenowna, der großen Besitzung und dem vortrefflichen Gestüte der Gräfin Orlow. Dieselbe besitzt hier ein Terrain von mehr als 2(10,000Dcssj. (über 36 ^Meilen), wovon sie aber vor Kurzem 40,000 Dcffj. an den Grafen Alercj Trlow in Petersburg geschenkt und abgetreten hat, welcher gegenwärtig das oben bezeichnete Gestüt darauf angelegt. 0000 Bauern wohnen auf diesem Territorium, von denen 40Tjaglos auf Dbrok (jeder l00Nubel Banco) gesetzt sind, die übrigen ftohndcn. Jedem Tjaglo sind 1^ Dessj. zum eignen Gebrauch angewiesen, wogegen es die vollständige Bearbeitung, Aberntung:c. von ^ Dessj. herrschaftlichen Landes zu übernehmen hat, welches etwa 5000 Deffj. betragen mag: 17,000 Dessj. sind Wald, der übrige Grund und Boden ist meist an Kaufleute verpachtet. Die Heuschlägc bringen 2'/2 biö 4 Rubel i'l-u Dessj., das Ackerland biö 7 Rubel ,>io Dessj. Pacht auf. Die Kaufleute als Pächter lassen das Land durch in anderen Gegenden gemiethete Leute bearbeiten und bestellen, und müssen hierbei für zweimaliges Pflügen zn <» Dessj. 20 Nubel Banco, für das Eggen 7 Rubel, für das Mähen deö Kopinair (04 Garben) 30 Kop., für das Dreschen desselben eben so viel, für sämmtliche landwirtschaftliche Arbeiten auf einer Dessj. in Summa etwa 45 Rubel Banco bezahlen. Wir fanden hier leider weder den Administrator des Guts, noch den Director des Gestüts, einen verabschiedeten ^bristen, zu Hause, sonst hätten wir wohl genauere Notizen über das Gut und das Gestüt, so wie über dessen Geschichte erhalten. 93 Das Gestüt ist von dem Vater der jetzigen Besitzerin bereits am Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts angelegt worden. Der alte Graf Orlow hat hier zuerst mit dänischen, dann mit friesländischen Stuten begonnen, welche er durch englische Vollbluthengste belegen ließ. Später sind auch persische und arabische Hengste benutzt worden. Es ist dadurch eine völlig constante Race vv„ Trabern erzielt worden, von der jetzt alles fremde Blut entfernt gehalten wird, und die nur durch Zuzucht regenerirt wird, und welche den besten holländischen Trabern gleich kommt, ja sie vielleicht übertrifft. Von diesen Trabern sind jetzt 250 Stuten und 14 Zuchthengste als permanenter Bestand des Gestüts vorhanden. Man scheint eifersüchtig den Alleinbesitz zu bewahren, denn es werden keine Hengste, sondern nur Wallachen verkauft, und Stuten nur, wenn sie Fehler haben oder abgängig werden. Die zum Verkauf ausgesetzten, in der Ziegel jährlich gegen 100, stehen hier an Ort und Stelle hoch im Preise. Man bezahlt ein hiesiges Pferd mit 3 bis 5000 Rubel Banco, ja man hat Postzügc von 4 Pferden mit 24,000 Rubel Banco (etwa 7000 Nthlr,) bezahlt. Schwarzbraun ist Modefarbe, doch giebt es auch viele Schimmel unter ihnen von allen Nuancen. Die hiesigen Pferde sind 2 Arschin 4 bis 5'/ Werschok hoch. Sie zeigen ziemlich deutlich die Spuren ihrer Abstammung, sowohl väterlicher als mütterlicher Seite, doch scheint das mütterliche Blut in der Figur vorwiegend; nur in dem kleinen schönen Kopfe, dem Feuer und der Schnelligkeit erkennt man die edlen Väter. — Der Bau verspricht durchaus eine solche Schnelligkeit deö Trabes nicht, indem die Race eigentlich eine schwere zu nennen ist. Die Pferde gewinnen im Anspannen und im ^aufe außerordentlich an Schönheit. ^ Merkwürdig ist, dasi die hiesigen Pferde bis in ihr achtes Jahr zulegen, und erst dann vollkommen ausgewachsen sind. Dafür dauern sie dann aber auch sehr lange, und 24 Jahre ist noch kein sehr hohes Alter für ein hiesiges Pferd! Die Hauptfache bei den hiesigen Pferden ist, wie dies auch schon ihr Namen andeutet, ihr merkwürdiger Trab. Im Durchschnitt läuft ein guter hiesiger Traber eine Werst in 1 V2 Minute 94 (die Meile in 1 l Minuten), es haben indeß auch manche schon wring über eine Minute (die Meile etwa in 8 Minuten) dazu gebraucht. — Man kann denken, daß das Einfahren mit großer Geduld und Sorgfalt geschehen muß, es werden daher täglich UcbungSrcnnen mit ihnen veranstaltet. Beim Traben stechen sie nicht, wie die englischen Pferde, sondern gehen hoch-bügclnd, und grade dies gilt für eine besondere Schönbeit. Die Hintcrkniee machen einen ganz eigenthümlich spitzen Winkel, der Hals wird nicht besonders vorgestreckt und der Leib erscheint überhaupt beim Bauch ziemlich ruhig. Am andern Morgen wurden nach und nach 10 solcher Traber uns vorgefühlt, an kleine Droschken gespannt, und in die Nennbahn gebracht. Da hatten wir denn reichlich Gelegenheit, die obigen Bemerkungen zu machen. Außer diesen Trabern werden aber in diesem Gestüt noch rein arabische Pferde gezüchtet wie bei Rostopschin, und rein englische, nicht aber Kreuzungen beider. Die hiesigen arabischen Pferde scheinen etwas leichter als die Nostopschin'schen, dafür freilich etwas schwächer, namentlich war die Croupe etwas abschüssiger, besonders bei den Stuten. Sie waren weniger wohlgenährt, was wohl auch zu jener Leichtigkeit beitrug, und viel schlechter geputzt und gehalten als bei Rostopschin. Dafür war auch kein Engländer Aufseher! Die Preise waren hier etwas höher, der Rus des Orlow'schen Gestüts ist größer, und das ist in Rußland von noch größerem Einfluß, als anders wo! Wir besahen die arabischen Pferde zweimal den Abend und am andern Morgen nach dem Rennen der Traber. Unter den jungen 3 bis 4jährigen Hengsten waren sehr schöne Thiere, weniger unter den Stuten. Hier sahen wir auch den früher Rostopschin'schen edlen Mahomet, einen Schimmelhengst vom herrlichsten Bau, jedoch nur 2'/. Wcrschok hoch! Die Krone des Gestüts, und vielleicht das schönste Pferd in Rußland sahen wir erst am Morgen, Iaschma, einen ^jährigen hellbraunen Hengst, mit jenem herrlichen Goldschmelz, ein wirklich königliches Thier! Die Administration dieses Gestüts ist sehr großartig ein- 95 gerichtet, und doch steht es lange nicht mehr auf der Höhe wie unter dem alten Grafen Orlow, der seinen Stolz darin suchte, die besten Pferde in Rußland und vielleicht das größte Privatgestüt in der civilisirten Welt zu haben, und daher nichts daran sparte. Damals war hier cm Bestand aus 2300 Pferden, bei denen 600 Stallbcdiente angestellt waren! Gegenwärtig ist der Bestand auf 900 Pferde reducirt, bei denen 250 Stallbedientc den Dienst verrichten. Es werden gegen 10,000 Tschctwert Hafer verbraucht. Das Gestüt wirft übrigens bedeutende Einkünfte ab, die Traber werden gut bezahlt, und auch die anderen Pferde finden raschen Absatz. Man sagte uns, der Iahröverkauf der Pferde habe schon 0 bis 700,000 Äubcl Banco Iiiuttu eingebracht. Auf diesen beiden Gestüten herrschte nach Anordnung der Herrschaft eine fabelhafte, kaum glaubliche Gastfreundschaft! Jeder Fremde, der das Gestüt besuchen will, wenn er auch keine Empfehlung hat, Niemanden bekannt ist, wird mit seinen Leuten und seinen Pferden in eigens gebauetcn eleganten Gast-häufern aufgenommen, von einem der Beamten empfangen, umhergeführt, auf das eleganteste bewirthet, ohne daß er daö Mindeste zahlen darf, und zwar nicht etwa nur zwei bis drei Tage, sondern so lange es ihm dort gefällt! Wir hörten unter andern von einigen österreichischen Offizieren, die in der Ukraine Pferde aufgekauft hatten, und dort vom Drlow'schen Gestüt gehört, dann einen Abstecher hierher gemacht, vier Wochen hier geblieben, das Gestüt gründlich kennen gelernt, und zugleich sich vortrefflich amüsirt hatten! Wie großartig diese Gastfreiheit ausgeübt wird, mag man daraus schließen, daß schon allein sür die Pferde der fremden Gäste nach dem Ausgabe-Etat der Gräfin Drlow jährlich 4000 Tschetwert Hafer verausgabt werden! Auch wir lernten diese Gastfreundschaft kennen; auf dem Rost opschin'schen Gestüt ward uns ein vortreffliches Frühstück und später ein splendides Diner scrvirt. In Grenowna erschien sogleich ein französischer Koch, bat um unsere Befehle für das Souper, und überreichte uns eine Weinkarte zur Auswahl, auf welcher der in Rußland unausweichliche Champagner natürlich nicht fehlte. ___W^ Wir rcisctcn noch am Vormittage des 1-i. Juli nach der Kreisstadt Bobrow, wo uns der Polizcimcistcr Metzger, ein Kurländcr, freundlich empfing. Wir waren hier am Rande einer großen Steppe, in welche aber die Cultur mit Macht einzudringen strebt. ^ Zum größerm Theil ist es noch der schon mehrmals beschriebene vagabundirende Ackerbau, der dort getrieben wird. Es sind meist Kaufleute, Kornhändlcr der Städte, die Steppenland von irgend einem Gutsbesitzer (der es von der Krone geschenkt erhalten, oder es auch wohl ohne Ncchtstitel in Besitz genommen) oder von einer Gemeinde, oder von Od-nodworzen pachten, es ein oder einige Jahre bestellen, abernten, und dann wieder liegen lassen, um anderes Land aufzusuchen und zu pachten. Aber auch neue Dörfer werden von Gutsbesitzern angelegt und mit ihren überflüssigen beuten aus den nördlichen Gouvernements besetzt. - Die Bebauung der Steppe steigt hier in einem ungemein raschen Grade, aber noch rascher steigt die Bevölkerung, nicht durch innere Zunahme, sondern durch Zuzug von Kolonisten. Der PoUzeimeister stellte uns einige Leute aus dem benachbarten Dorfe Sselo Bobrowskaje, um ihnen unsere gewöhnlichen Fragen vorzulegen. In diesem Dorfe waren TW Gehöfte mit A200 Seelen, theils Odnodworzen, theils (früher Apa-nagebaucrn, jcht seit ii-,40 durch Austausch) Domainenbauern. Die Odnodworzcn haben K00 Defsj. eignes Land, welches sie aber nach russischem Gemcindeprinzip theilen. Beide Theile bilden also gewissermaßen zwei Gemeinden, doch wohnen sie völlig gemischt durch einander. Ursprünglich sollten hier vor 100 Jahren nur acht Odnodworzcnfamilien gewohnt haben, welche sich aber jetzt auf 320 Seelen vermehrt haben. Die Apa-nagcbauern sind hier später bei ihnen angesiedelt worden. Bei ihrer jetzigen Zahl der Bevölkerung haben alle diese Leute viel zu wenig Land, so daß sie Steppculand von den Gutsbesitzern pachten. Sie zahlen eine enorm hohe Pacht, nämlich für frisches Steppcnland bis zu 25 Rubel Banco, für bereits cultivates K bis 9 Rubel Banco, für gute Wiesen, die hier bis 80 Pud Heu !>>'" Dessj. geben, <» bis 7 Rubel Banco, für Steppcnheu-schläge, die gewöhnlich nur 'l0 Pud Heu gewäbren, und für 07 Steppcnweide zu«» Dessj. 2 bio 4', Rubel Banco. In dieser Gegend kommt es auch vor, was sonst selten ist, daß Kronbauern Land kaufm. So haben 20 hiesige Wirthe 400 Dessj. Steppentand 18! 3 gckauft. Sie zahlten für die Dessj. damals 30 Rubcl Banco, die jetzt wenigstens 70 Rubel Banco kosten würde. In dem Dorfe find vier Gehöfte und Familien, jede von 10 männlichen Seelen, die jede ungefähr 20 Pferde, 20 Kühe, 1 bis 200 Schafe und 15 bis 20 Schweine besitzen. Es herrscht die Dreifelderwirthschaft, zum Roggen im Winterfcldc pflügt man zweimal, zmn Sommcrkorn, Hafer, Hirse, Buchweizen nur einmal. Nur zum Hans wird gedüngt. Flachs wird nicht gcbauct, aber Arbusen in großer Menge. Der Absatz des Kornes ist in Kosselow, 200 Werst weit. Der Preis der gewöhnlichen Pferde ist hier 00 bis l 00 Rubel Banco, der guten Pferde aber 200 bis 300 Rubel Banco. Der der Kühe ist 25 bis 40 Rubel Banco, der Schafe 5 Rubel Banco. Wenn man in dieser Gegend die landwirtschaftlichen Arbeiten für Geld verrichten läßt, so muß man für das Pflügen einer Dessjatinc Land <> Rubcl Banco, für das Pflügen frischen Steppenbodens aber 13 Rubel Banco, für einmaliges (5'ggrn (5 Nubel, für das Abernten 13 Rubel Banco bezahlen, für die Kopina zu dreschen früber 40 Kop. Banco, jetzt .^0 Kop. Banco (eine Kopina besteht aus vier Haufen, Krosize, die in Großrußland aus 13, in Klcinrußland aus 17, Garben, Snop, besteht). Wir sahen in dieser Gegend überall große Gctreidc-dimmcn, Skirdy, die oft Jahre lang unberührt stehen bleiben. Der Polizeimcistcr Metzger erzählte uuö, er habe vor acht Jahren 700 Dcssjatinen Land in der Steppe gekauft, Ni Bauern, darauf geseht, diese hatten 300 Dcssjatincn davon erhalten und allmählich in Cultur gesetzt. Den Rest des Landes lasse er abwechselnd durch gemiethete Leute bestellen. Vor acht Jahren habe er jedem 20 Kop. Banco Tagclohn nebst freier Kost gegeben, jetzt müsse er 120 Kop. Banco bezahlen! In solchem Maße ist aller Tagclohn hier gestiegen! Von hier fuhren wir direct nach Woroncfch. Auf der letzten Station vor dieser Stadt, wo wir uns etwas aufhalten mußten, zeichnete ich das vor mir liegende Bauernhaus. ? 98 Russisches Baucinhaus lil der Mhc von Woroxcsch. Wir kamen in dcr Nacht am 15. Juli im alten, schon im 12. Sec., wie man sagt, von den Chasarcn gebaucten Woroncsch an, und sahen uns am andern Morgen die Stadt an. 6s ist cine der hübschesten Gouvarnementsstädtc, schöne Platze, steinerne meist elegante Häuser, breite, und Notabene! gepflasterte Straßen. Alles deutete auf Leben und Reichthum! Die Stadt ist ein Hauptpunkt fur den Korn- und Talgbandel, so wie denn auch ein zum Theil reicher Adel des Gouvernements hier lebt und hier viel Geld verzehrt. Zuerst besuchten wir die Kathedrale und das Kloster des heil. Metrophan. Dieser Heilige war im Anfange des vorigen Jahrhunderts hier Bischof gcwcscn, und war ein persönlicher Freund Peter !. Er galt schon bei seinen Lebzeiten sür einen frommen und heiligen Mann. 18^2 eröffnete man sein Grab und fand den Leichnam unverweset. Das gilt nach dem traditionellen Glauben des russischen Volks für ein entschiedenes Zeichen der Heiligkeit. Das Volk strömte nun hinzu, es geschahen angeblich viele Wunder, und endlich sah der Synod sich veranlaßt, die Canonisation des Volks ««zuerkennen. Seit' dem ist das Grab ein berühmter und vom Volke ungemcin besuchter Wallfahrtsort geworden!*) ') Wir hörlen hier erzählen, daß bald nachdem sich das WallfahllSwefen zum heil. Mctrophan völlig organisirt habe, so daß täglich oft 80 bis 100 und mchr Wallfahrter sich emgefundm, sich zuerst ein, bald mchnic Im Kloster, welches N0 Mönche zählte, wurden wir vom Archirci freundlich empfangen, und da es eben Esscnzeit war, zu Gast geladen. Es war eine lange Tafel, grobes, aber reinliches Gedeck, spiegelblankes Geschirr, Holzbänke. Wir ließe,, uns zwischen den Mönchen nieder. Das Mahl bestand aus Botwinja, Sterlettsuppe und Hirsebrei, die Zubereitung war mager aber gut, es ward vortreffliches Brod, und zum Getränk guter Quaß gereicht. Man konnte nicht sagen, daß Ueppigkeit herrschte, ungeachtet das Kloster sehr reich ist. — Der Archirei gab alle Zeichen für die Bedienung der Tafel durch Anschlagen an eine neben ihm hängende Glocke, Novizen bedienten uns alle. Der Archirci war ein schöner, großer Mann mit etwas schwärmerischem Ausdrucke, unter den uns umgebenden Mönchen waren ausdrucksvolle, prächtige Köpfe! Neben mir ein Alter mit schönem, weißem Barte, mit dem wohlwollendsten, redlichsten Gesichte, das man sehen konnte. Mir gegenüber saß ein Mönch, nicht viel über.'M Jahre alt, mittelgroß, etwas fett, das Gesicht qelblich blaß; man mußte stets an den Shakespeare'schen Hamlet denken, das waren die edlen Züge, das matte geistreiche Auge, Weiber eingestellt, die, so wie sie in die Kirche vor dem Grabe des Heiligen angekommen, plötzlich niedergestürzt, llonlmlsionen bekommen, geheult, geschrien, gepfiffen, Töne wie ein Hund oder eine Katze von sich gegeben 'c. Nm> habe das Volk gerufen: es sei eine Besessene, der Teufel würde auf Befehl des Heiligen auöfahrcn. Jeder kreuzte sich dann den Mund, damil der Teuft! nichl von ihm Vcsitz nehmen könne ic. Der Skandal nahm im erhöwm Maße zu, der Bischof verbot jede Manifestation der ? Großcnthnls sind dieft Notizen wörtlich dcncu fiir dic Mimsinim 1^,l!) gedruckte!, und mir initgrtheiltcn Materialien für statistische Arbeiten, und zwar in gegenwärtig!» Falk' einem sehr mstructivm Berichte dcs Herrn A. Sawronow im Th. I,, -'lblh, -1, I'liß. 8 tnlnommm. Ml des schiffbaren Flusses Zna, der Wolga und der Eanalsy-steme in Petersburg statt. Es wurden in den verschiedenen Einladeplätzcn der Zna im Jahre 1835 bis 465, im Jahre VN bis 490, im Jahre 1836 bis 560, in Summa 1515 Schiffe mit Getreide beladen. In jedem Schisse fanden 3000 und zum höchsten 5000 Säcke oder Quart Raum. Folglich konnte die Versendung des Getreides des Gouvernements Tambow auf diesem Wege 7,500,000 Quart nicht übersteigen. Sie war aber viel geringer, da aus Theilen der Gouvernements Pensa und Ssaratow ebenfalls viel Getreide auf jene Einladeplätze der Zna gebracht ist. „Wir wollen aber rechnen, daß wirklich 7,500,000 Quart Getreide aus dem Gouvernement Tambow auf dein Wasserwege versendet sind, wir wollen ferner rechnen, daß eben so viel Getreide auf den Landwegen versendet und verkauft ist, wir wollen ferner dic Verluste an Mäuseftasi, an Getrcidcwür-merfraß, an Werderben des Getreides :c. eben so hoch rechnen, so blieben dennoch 1837 16 bis 2N Millionen Quart Getreide im Gouvernement liegen, welche nicht verkauft waren, und augenblicklich nicht verkauft werden konnten." Ich habe diese durch die gegebenen, ziemlich zuverlässigen Zahlenverhältnisse instructive« Notizen hier vollständig gegeben, weil man sür Nußland viel daraus lernen kann. Zuerst muß uns der ungeheure Reichthum des Bodens im Verhältnisse der darauf wohnenden Menschen auffallen. Welches Land in der Welt erntet in drei guten Jahren so viel, daß es nach Befriedigung aller materiellen Bedürfnisse seiner Bevölkerung diese noch 4 bis 5 Jahre aus den Vorräthen ernähren könnte? Aber welcher LmbÄrrn» cl^s i'l^1l«5«<>«! Man erstickt in seinem Reichthum, wenn Gott nicht aus Mitleiden zuweilen Mißjahre schickte! Diese kommen denn auch, durch die klimatischen Verhältnisse bedingt, viel häufiger, als in andern Ländern. Die Jahre 183 l, 1832 und 1833 waren hier ganz oder theilweise Mißjahre. Da vermochte denn das Gouvernement aus Tambow aus den Vorräthen der früheren guten Jahre nicht bloß das Bedürfniß zu decken, sondom auch nach 10 Millionen Quart Getreide nach dem Norden und Süden Rußlands zu 104 solch ho hm Preisen zu «erkaufen, daß Gutsbesitzer, Bauern und Aufkäufer reich wurden, und der Preis des GrundeigenthumZ um 50Va stieg. Diese ftuchtrcichen Gouvernements sind einer eigentlichen Hungcrsnoth nicht ausgesetzt, wenn nicht 4 bis .1 Mißjahre hinter einander kommen, was doch noch nicht der Fall gewesen ist. Die Grundbesitzer, Gutsherren und Bauern sehen sich auch in dieser Beziehung vor. Ich habe schon angeführt, daß ich überall bei den Bauern eine Iahresernte, ost noch mehr, in Dinnnen aufbewahrt fand für den l8<üwini ä«n, den schwarzen Tag! Anders steht es mit den kornarmcn Gegenden. Dicse sind stets auf Zufuhren aus diesen kornreichen Gegenden angewiesen. Kommen bei ihnen nun ein paar Mißjahre hintereinander, so vermögen die kornreichen Gegenden, ungeachtet sie hinreichende Vorräthe haben, und vielleicht nicht einmal zu gleicher Zeit Mißjahre erleiden, ihnen doch nicht genug Lebensmittel zuzuführen, und es treten dann, wie vor ein paar Jahren in einigen Gegenden, eine entsetzliche HungerSnoth und in Folge dessen furchtbare Ereignisse ein! Der wahre und tiefste Grund hiervon liegt in dem Mangel an <5o mmunicationsmitteln. — Das größte Bedürfniß Nußlands sind erleichterte und z w eckmäßige Communicationsmittel! Rußland, eine ungeheure Fläche, dessen innere besten Landstrecken weit von dem Meere entfernt, dessen nicht hinreichend schiffbare Flüsse ^ des Jahrs nicht zu beschissen, dessen Land' wege in Regenzeiten unfahrbar sind, welches keine Chausseen besitzt, wo an Eisenbahnen kaum gedacht ist, bedarf der erleichterten Communicationsmittcl mehr, als jedes andere Land! — Es ist ohne Eommuiücationsmittel ein kolossaler ungelenker, an Händen und Füßen gefesselter Riese! Es mag sein Auge auf Nordamerika richten, welches eine ähnliche, wenn auch etwas günstigere geographische Lage hat. Hier fehlt die staatliche Einheit, dic Energie der Monarchie, nur die rein persönlichen, die materiellen Interessen haben hier gewirkt und ihre Kräfte entfaltet, aber was hat Amerika für seine Communicationsmittel gethan, welche Massen von Chausseen hat es gebaut, welche Strecken Eisenbahnen angelegt! — 105 Außer England und Belgien hat es die übrigen Länder überflügelt. Aber dort war auch das Bedürfniß viel grösier, und das hat es richtig erkannt und danach gehandelt! Hätte das Gouvernement Tambow, statt 500 Schiffe auf der Zna mit seinem Getreide zu befrachten, deren tausend haben können, wären die Wege praktikabel gewesen, um von allen Seiten an die schiffbaren Flüsse und auch auf den Landwegen fortzukommen, wäre auf die Verbesserung der Pferdezucht mit Kraft gewirkt, daß man Pferde zöge, die statt 20 Pud 129 Pud zu ziehen vermöchten, wie die Bitjuki, so brauchte es nicht 10 bis 15,000,000 Quart Getreide müßig liegen zu haben, mit Verlust der Zinsen des Capitals, und mit V» Verlust durch Mäuscfraß, Verderbung lc. und könnte hiermit die kornarmcn aber gewerb- und geldreichen nördlichen Gouvernements unterstützen. Es wurden mir auch vom Gouvernement Tambow monographische Notizen über einzelne Dörfer zugeschickt, die ich hier zur Vergleichung mit andern folgen lasse. 1) Dorf Dobroje im Kreise Lipezk, 373 Höft, 1414 Männer, 1509 Weiber (abermals dieses große Ucbergewicht des weiblichen Geschlechts!), 4246 Dessj. Acker, 1211 Dessj. Wiese, 1509 Dessj. Weide, 310 Dessj. Wald, 557 Dessj. ödes, unfruchtbares Land. Es herrscht hier Drcifclderwirthschaft. Das Winterkorn giebt sechs, das Sommcrkorn vier Körner. Der Viehstand besteht aus 3770 Pferden, 3022 Stück Rindvieh, 4520 Schafen. Die Einwohner treiben nicht bloß Ackerbau, sondern auch Gewerbe und Handel, und suchen Arbeiten in andern Gegenden. Von den Abgaben ist der Obrok, bisher 2 Nubcl 50 Kopeken Silber pru Seele, bereits in eine Landrcnte von 60'/4 Kopeken Silber pra Dcffjatine verwandelt. Das Kopfgeld beträgt hier wie überall i„<> Seele 95 Kopeken Silber, Dorfgcbührcn (?) 10'/2 Kopeken, besondere Steuern V4 Kopeken Silber (?). Zur Unterhaltung der Landpolizei 9 Kopeken Silber, zum Hülfscapital i>) 6 Kopeken Silber; zum Gcmcindemagazm 0 Kop. Silber, für Nchörden und Gefängnisse (?) 4'/. Kopeken, zu 106 Gemeindesteuern 57 Kopeken Silber, Brandsieuer 7 Kopeken, für gemiethete Wache l Kopeke, zur Instandsetzung der Brücken 1 Kopeke Silber. In Summa pro Seele 4 Rubel 83'/4 Kopeken Silber oder 10 Rubel 9'!'/« Kopeken Banco. Man sieht, es giebt hier andere und mehrere Abgaben, als im Gouvernement Pensa! Die Gemeinde besitzt als solche 180 Dessj. Land, welche als Zinsgut ausgethan sind, und zieht, da sie Marktgc-rechtigkeit hat, von Gewichten und Maßen cine Revenue, im Ganzen jährlich 354 Rubel 28'/4 Kopeken Silber. Der Pope hat eine Schule von 15 Schülern. 2) Dorf Krilow im Kreise Spask, 410 Höfe, 1800 männliche, 1907 weibliche Seelen, besitzen 249!» Dessj. Acker, W Dessj. Wiesen, (i49 Dcssj. Weiden, 150 Dessj. ödes, unfruchtbares Land. Es kommen nicht einmal 2 Dessj. auf jede männliche Seele! Dreifcldcl wirthschaft. Das Winterkorn giebt fünf, das Sommcrkorn drei Körner. Viehbestand: 511 Pferde, 48.', Stück Rindvieh, 2250 Schafe. Sie treiben außer dem Ackerbau, Handel und Gewerbe, besonders mit allerhand Holzarbeiten, und suchen Arbeit in andern Gouvernements. Die Abgaben sind im Ganzen dieselben, wie im vorigen Dorfe, aber der Obrok, der auch hier in cine Landrente verwandelt werden soll, ist, weil hier das Land offenbar schlechter ist, nur auf 56'/4 Kopeken Silber l'ru Dcssjatine festgesetzt. Auch dieses Dorf hat Gememderevenücn von 3 Mühlen und von Marktabgaben, in Summa 380 Rubel Silber. Die monographischen Notizen, welche ich aus dem Gouvernement Woroncsch erhielt, sind sehr vollständig, und mit mehr Fleiß und Sorgfalt ausgearbeitet, alö die aus den meisten übrigen Gouvernements! Sie enthalten besonders gute Notizen über den Ackerbau und über die Iahresprcise der Produkte. 1) Dorf Nishmj-Studencs, 337 Häuser, 1404 männliche und 158? weibliche Seelen in 280 Familien. Grundbesitz: 52U9 Dcssj. Acker, keine Wiesen, 322 Dessj. Weiden, 1820 Dcssj. 107 Wald, 298 Dessj. ödes, untaugliches Land. Auf jede Nevisions-scele sind demnach etwas über 5'/- Dcssj. zu rechnen. Drci-felderwirthschaft, im Winterfelde nur Roggen, im Svmmerfelde Hafer, Buchweizen, Hirse, Erbsen und Hanf. Man rechnet das vierte Korn. Viehstand: 1200 Pferde, 510 Stück Rindvieh, 1671 Schafe, 2100 Schweine. Außer dem Ackerbau treiben die Einwohner etwas Kornhandcl. Abgaben: !)5 Kopeken Silber Kopfgeld, 2 Nudel 8« Kopeken Dbrok, 34 Kopeken verschiedene Grundsteuer (mir völlig unverständlich!), 6 Kopeken zum Gemeindcmagazin, 5tt'/2 Kopeken Gemeindesteuern, alles pi-u Seele in Summa 4 Rubel 77V2 Kopeken Silber oder 16 Rubel 71V. Kopeken Banco. Der Gemeindebesitz von A Mühlen und einer Brücke über den Don (die ihr 4572 Nudel Silber zu bauen gekostet), welche zusammen eine Nevcnüe von l>335 Rubel gewähren. Der Pope hat eine Schule mit 16 Schülern. 2. Dorf Dmitraschcwka im Kreise Scmljanök, 302 Gehöfte, N61 männliche und 1193 weibliche Seelen. 3483 Dessj. Acker, 15 Dessj. Wiesen, 285 Dessj. Weiden, 50 Dessj. Wald. Auf jede Nevisionsseele sind daher etwas über 3 Dessj. zu rechnen. Ackerbau: Roggen, etwas Weizen, Hirse, Buchweizen, Hafer, Gerste, Erbsen. Zuerst beginnt der Cyclus mit Hirse. Das Land wird im Frühjahr zur Aussaat gepflügt, welche am !). Mai und nach demselben geschieht, dann wird es noch ein Mal gepflügt und gecggct. In der Mitte Juni und Juli wird sie durch Jäten vom Unkraut gereinigt. Ende August ist sie reif und wird gecrntet, in Garben gebunden, in Schobern gebanset, und dann nach Bedürfniß ausgcdroschen. Das mit Hirse bestellt gewesene Land bleibt den folgenden Winter und Sommer unbcbauct liegen, wird im Juli umgepflügt und dann im Herbst mit Roggen oder Weizen besäet, dann abermals umgepflügt, damit die Saat rein von Unkraut wird. Nach der Ernte im folgenden Herbste wird das Land umgepflügt, und dann im Frühjahr mit Buchweizen, Hafer, Gerste und Erbsen bestellt. Nach der Ernte bleibt das Feld den Winter, Sommer und darauf folgenden Winter liegen, und im Frühling beginnt derselbe Eycluö mit der Hirse wieder. Das Land gewährt demnach in fünf Jahren nur drei Ernten. 108 Der Buchweizen wird Ende Mai oder Anfang Juni gesäct und Mitte August gemähct, der Hafer und die Gerste werden in der ersten Hälfte des Aprils gesäet, und werden mit dem Roggen gleichzeitig reif und gemäht. Die Erbsen werden gleichzeitig mit der Gersie gesäet, aber erst Ende August reif und gcemtet. Das Stroh vom Buchweizen und den Erbsen (!) dient zum Decken der Gebäude, das übrige Stroh zum Futter fürs Vieh. — Das Wintcrgctrcide giebt drei, das Sommergc-treive vier Korn. Viehstand: 720 Pferde, 420 Stück Hornvieh, 17,00 Schafe, 418 Schweine. Man sieht, daß die Einwohner dieses Dorfs bei dem wenigen und schlechten Acker vom Ackerbau nicht leben können, sie treiben außerdem Bienenzucht und haben große Steinbrüche, aus denen sie Mühlsteine, Grabsteine:c. brechen, bearbeiten und verkaufen. Fabriken besuchen sie nicht, da es in der Nähe keine giebt. Das Getreide findet seinen Hauptabsah in der Stadt Elap, wo bedeutender Gctrcidehandel getrieben wird. Steuern p»u Seele: 3 Nubel 81 Kopeken Silber Kopfsteuer und Obrok, 14 Kopeken Grundsteuer (?), 15 Kopeken zum Bau der Gefängnisse, !) Kopeken zur kandpolizci, 0 Kopeken zum Gemeindemagazin, 0 Kopeken zum Hülfscapital, 50'/^ Kopeken zu Gcmeindeausgaben, in Summa 4 Nubel 87'/^ Kopeken Silber oder 10 Rubel (»'/, Kopeken Banco. Man sieht hieraus, daß die Abgabenverhältniffc nicht in allen Dörfen, selbst nicht einmal in demselben Gouvernement gleich sind. Das Dorf besitzt Mühlen und einige verpachtete Ländcreien, welche eine Revenue von 374 Rubel 46'/., Kopeken gewähren. Der Pope hält eine Schule von 10 Schülern. 3) Dorf Nowaja Torostan im Kreise Nowochöpersk. Um nicht durch die Wiederholung der Zahlenverhältnisse zu ermüden, führe ich auä den monographischen Notizen nur an, daß hier auf jede Rcvisionssccle etwas über 4 Dessj. zu rechnen sind. Abgaben betragen i"'« Seele 10 Rubel 71»/- Kopeken Banco, Der Pope hält eine Schule mit 21 Schülern. 4) Dorf Turow im Kreise Nischedicwitzk, 570 Häuser 2880 männliche, 2955 weibliche Seelen. 12,185'/2 Dcssj. Ackerland, 1743 Dessj. Wiesen, 172 Dcssj. Weide, 800 Dessj. Wald, 109 445 >/l Dcffj. unbrauchbares Land. Auf jede Seele kommen 5 '/3 Dessj. Viehstand: 1510 Pferde, 1210 Stück Rindvieh, 1800 Schafe, 1000 Schweine. Der Absatz des Getreides ist in Woronrsch. Die Preise waren: Roggen, das Tschetwert: 1839 . 2 Rubel — Kopeken Silber 1l^40 . 5, „ — „ „ 1841 . 3 „ 20 „ 1842 . 2 „ - „ 1843 . 1 „ 10 Graupen, das Tschetwert: 1839 . 4 Rubel 20 Kopeken Silber 1840 . <» „ — „ „ 1841 . 4 „ 50 ., „ 1842 . 2 „ <>5 „ „ 1843 . 2 „ — „ „ Hafer, das Tschctwcrt: IM) . __ Rubel 85 Kopeken Silber 1840 . 1 „ 70 „ „ 1841 . - „ 90 „ 1842 . — „ 74 „ 1,843 . — „ l»5 „ „ Die Abgaben pro Seele 1<» Rubel 71 Kopeken Banco. Der Pope hat eine Schule von 20 Schülern. 5) Dorf PeLki im Kreise Nowoschopcrsk. Es kommen aus jedc Seele 0 Dessj. Im Wintergetreide sind sechs, im Sommergetreide fünf Körner zu rechnen. Die Einwohner treiben außer dem Ackerbau viel Fuhrwesen und Handel, und verfahren ihr Korn weit nach Borissoglcbök, Moskau :c. Die Preise waren: Weizen, das Tschetwert: 1839 . 5 Rubel 42 Kopeken Silber 1840 . 5 „ 72 „ „ 1841 . 4 „ 15 „ „ 1842 . 5 „ 29 „ „ 1843 . 2 „ N8 „ „ 110 Roggen, das Tschetwert: 1839 . 3 Nudel 42 Kopeken Silbn 1840 . 3 // 45 1841 . 3 tt! ' 1842 . 1 10 1843 . 1 40 s, „ Hafer, das Tschetwert: 1830 . 1 Nubel 72 Kopeken Silber 1840 . 2 /, 4 1841. . 1 71 ft 1842 . — »0 ft 1843 . — 80 ft ft Gerste, das Tschetwert: 1830 . 2 Rubel — /^ /, 1840 . 2 23 ft ft 1841 . 2 29 /, 1842 . 1 30 ft 1843 . — ft 93 ft ft Hirse, das Tschetwert: 1839 . 2 Rubel 40 Kopeken Silber 1840 . 2 02 1841 . 3 /, 9 ft 1842 . 3 — // 1843 . — 80 ft Buchweizen, das ! Tschetwert: 1839 . 2 Rubel 25 Kopeken Silber 1840 . 2 31 1841 . 3 ft 9 ft 1842 . 2 ,/ 20 ft 1843 . 1 10 Die Abgaben sind bei diesem Dorfe auf 14 Rubel 73 Kopeken Banco angegeben, es wird aber wahrscheinlich ein Schreibfehler zum Grunde liegen, cö wird heißen müssen 1<> Rubel W'/, Kopeken Banco. Das Dorf besitzt zwei Wassermühlen, die 2450 Rubel Banco und 1435 Dcssj. Land, welche 2817 Rubel Banco Pacht eintragen. Bei einem andern Dorfe sind die Preise des Getreides in der Kreisstadt DstrogowhSk angegeben: ill Noqqen, daß Ts 1830 1840 1841 1842 1843 Hafer, das Tsch 1839 1840 1841 1842 1843 Hilft, das Tschc 1830 1840 184l chetwcr . 1 . 0 . 2 . 1 . 1 ctwcrt: . 1 . 1 . 1 'twcrt: . 2 7 . 4 t: Nubel „ ft Nubel Nubel 2 7,4 75 55 25 51 44 21 84 60 75 l) „ „ Hafer „ 1 „ 80 „ „ — „ <»0 „ „ Hirse „ 5 „ „ ,/ 1 „ 20 „ „' Buchwciz. „ 2 ,/ — „ ,, ^— " l'0 „ „ Die Abgaben i>l-n Seele: Staatssteuer, Kopfgeld und Dbrok . 3 Rub. 81 Kop. Silber Zu Dorfgcbührcn.......— „29 „ „ Zum Gcmemdemagazin .....— s, <> „ „ Für Vermessung des Landes ... — „ 3 „ /, Zum Landwirthschaftscapital (?) . . — „ li „ „ Für Gefängnisse und Organisation der Behörden.........— „ 5 „ „ Zur Unterhaltung des Domaincnhofs — „ 14 „ „ Zu den Gcmeindeabgaben .... — „ 24^,, „ Zur Branvcasse.......— „ 3'/4,, ,/ Zur Gouvernements- und Beznksver-waltung.........— „ 1 ft ,/ 113 Zum Bau der Kornmagazine . . . — Nub. >-< Kop. Silber Zur Ergänzung aller Steuern statt der Nichtzahlenden......— „ 24'/.,, „ 5 Nub. 5 Kop. Silber oder 17 Rubel 67'/, Kopeken Banco, also um ein bedeutendes mehr, als in allen übrigen Dörfern. Die Krone besitzt hier 5 Wassermühlen, 14 Obstgärten, 18 Gemüsegärten, 4 fischreiche Seen, die besonders verpachtet sind (?). Die Gemeinde hat 550 Dcssj. besonders verpachtet. Der Pope hält eine Schule mit 5!) Schülern. 7) Dorf Bolschaja-Usman im Kreise Woroncsch, 001 Häuser, 3 l!)7 männliche, 3.'!05 weibliche Seelen, 18M0 Dessj. Acker, 3823 Dcssj. Wiesen, 520 Dessj. Weiden, !105 Dessj. Wald. Auf jede Seele kommen 7'/, Dessj. Dreifelderwirtschaft. Das Wintcrgetreide giebt vier, daß Sommergetreide fünf Körner. Bichstand: 2!>00 Pferde, 1859 Stück Hornvieh, 8250 Schafe, 0200 Stück Kleinvieh (?)> Die Einwohner treiben Ackerbau, Viehzucht, Bienenzucht, Gemüsebau, aber keinen Handel, noch andere Industriezweige. Durchschnittspreise des Getreides der letzten fünf Jahre pro Tschctwert Roggen 1 Rubel Silber, Gerste 1 Rubel 14'/, Kopeken, Hafer 85 Kopeken, Hirse l Rubel 28'/, Kopeken, Buchweizen 1 Nudel 42'/) Kopeken Silber. Sämmtliche Abgaben pio Seele 10 Rubel 82'/^ Kopeken Banco. Die Gemeinde hat einen Obstgarten von 2 Dessj., der 'N Nudel 42'4 Kop. Silber einträgt (das ist für Rußland eine enorm hohe Benutzung des Grund und Bodeus! Der preußische Morgen mehr als 4 Thlr.!) Der Pope hat eine Schule mit ,N Schülern, XIX. Abreise von Woronesch »ach (schlilt'ow. liebeiliang in ein «mdrres Land z>, einem andern Volte. Dors Scherenwsthnc, eigenthümliches Erbrecht. Charkow, die drei Perioden del Auöbilbung der russischen Städte. Einstus, von l8!2 anf dm ?mss und ^erfassuii^ dcr b'oloinr, dir vier NKIanm- und zirei Husaren-regimenter, das Terrilorilim cineö jeden, Stellung und Pf>ich,d Josephs II. Palast und Park PotrmlimS, die iirontuchfabrik, Herrn Neumann's Tuchfabrik. Die «ultivinmg des (Ymivcrnements, Mißständc dabei. Die Steinbilder nnf dem Hofe des Gouverneurs. N>ir il'iftten den 1»',. Juli früh 2 Uhr von Woronesch ab, und erreichten mit Tageöanbnlch den Don, dcr hier noch ziemlich schmal ist- Eine fthr schlecht geliauetc hölzerne Brücke führte uns hinüber. Jenseits veränderte sich dcr ganze Charakter des LandeS, das Städtchen Starai Oskol lieqt sehr malerisch zwischen Kreidefelsen. Felder, Hügel, Wälder, die den Lauf des Dökol begleiten, bilden die amnuthigste», Aussichten, die Dörfer l l5 sehen freundlich aus, die Häuser waren klein und unansehnlich, aber sorgfältig geweißt. Man sagt, die Leute weißten alle Monate ihre Häuser in- und auswendig! Nun Kreide giebt e5 hier in Uebersluß! Auch vor vielen Häusern eine kleine Fußbank. Hin und wieder sah man einzeln liegende lyehöfte. Wil' waren jetzt am Rande eines andern Landes, eines andern Volkes, nämlich Klcinrußlandes! Wir betraten daö Land der slobodischen Ukraine. Wir kamen durch die beiden Krcisstadtchen Korotscha und Brlogorod, ivovon die letztere einige gute Häuser hatte. Dic Formen und Bedeutungen, und der Laut einer großen Anzahl von Ortsnamen sind doch bei allen slavischen Volkern dieselben! Belgrad in Serbien, Belgard in Pommern, und hier Belo-gorad, und wie oft kommt noch sonst dieser Name zwischen dem baltischen, adriatischen, schwarzen und weißen Meere vor! Früh am Morgen des 17. Juli erreichten wir das Stations-dorf Scheremoschne, und da wir etwas aufgehalten wurden, so benutzte ich die Zeit, dein Starosicn und den weißen Häuptern einige Fragen über die hiesigen Verhältnisse vorzulegen, die sie mir freundlich und mit Beflissenheit beantworteten. Dies Dorf besteht gegenwärtig zum größeren Theil auö -Ddnodworzen, doch wohnen auch einige, an ein paar Gutsherren gehörige Bauern darin. Die Tdnodworzen bestehen aus 211 Seelen in 40 Höfen. Es hat sich bei ihnen die Tradition "halten, ihre Vorfahren seien vor 100 bis 200 Jahren aus dem Gouvernement Rjäsan hierher geigen, und hättet, sich hier auf wildem Lande (Steppe und Wald) angesiedelt, auch iiber das Eigenthum des Grund und Vodens ein Privilegium erhalten. Es sind ursprünglich '^7 Familien gewesen, und sie haben den ganzen Grund und Boden unter cinander für ewige Zeiten getheilt, so daß auf jeden Theil U Jahren mehrere hundert Orte in Nußland zu Städten ernannt, wie man etwa Jemanden zum Obristen oder General ernennt! Allein es ist nicht zu leugnen, die Kaiserin hatte ein Auge, einen Scharfblick, die Lage und die natür- IN lichen Verhältnisse der Orte richtig aufzufassen; es sind wirklich Städte und zum Theil mächtige Städte daraus geworden! Zunächst wurden sie der Sitz von den nnn organisirtcn Behörden, der Mittelpunkt der Verwaltung. Aber bald zogen sich auch Handel und Gewerbe dahin, und viele von diesen Städten haben eine große Blüthe und Bedeutung erreicht. -^ Der Reisende kann noch gegenwärtig in ihnen drei Stadtthcile und drei verschiedene Epochen ihrer Entstehungsgeschichte erkennen. Wenn man sich im Innern des Reichs einer russischen Stadt nähert, so kommt man nicht, wie im germanischen und romanischen Europa zuerst durch einen Gartentheil, der sich hier Meist rund um die Städte zieht, an Gärten vorüber, die sich oft eine Stunde weit vom Stadtthor längs allen Wegen, die dahin führen, ziehen, sondern man kommt >'n ein russisches Dorf, den Nest des alten Dorfs, welches man in eine Stadt hat verwandeln wollen. Dort wohnen auch noch die alten Baurrn, sie treiben jetzt meist Gartenbau, um der Stadt das Gemüse zu schaffen, nicht in geschlossenen von Hecken und Zäunm umgebenen Gärten, sondern auf Gartcnfcldern. - Hat man das Dorf passirt, so kommt man in die Stadt Katharina's II. Sie ist gcbauet wie die Außentheilc Moskau's, die im ersten Thcilc beschrieben sind; lange, gerade, breite Straßen, ungepsiastcrt, von beiden Seiten Häuser und Höfe, mit der Giebelseitc an der Straße liegend, von ineinander gefugten Balken einstöckig aufgeführt. Hier herrscht russisches Gewerbsleben. Hier wohnen Fuhrleute, Schmiede, Getreidchändler, hier sind die Fuhrmannswirthshäuser und Kadachcn, Krambuden u. s. w. Dann aber kommt man in die moderne europäische Stadt; gerade, mitunter gepflasterte Straßen, große Plätze, überall palastartige Gebäude, aber gewöhnlich etwas todt, auf der Straße wenig Verkehr und Leben, wenn man die auf den Plätzen und an den Straßenecken haltenden Droschken ausnimmt, die in keiner russischen Gouvernements- und selbst in den größten Distrikts-städtcn nicht fehlen. Die ältesten modernen Gebäude in diesem Stadttheile sind die öffentlichen, die Privatgebäude sind, mit geringer Ausnahme, alle erst seit !8l7> gebauet, - Diese uns vor Augen liegenden drei Epochen der Geschichte der Städte >m Innern Rußlands hängt genau mit den Entwickelungen des 118 socialen Lebens des rl,ssischen Adels, als des einzigen Sandes von europäischer Bildung, den Rußland bis jetzt hat, zusammen. Wir haben schon im ersten Theile flüchtig angeführt, daß bit, 1^12 der Theil des Adels, der nicht im Militair oder l^ivil diente (in welchem Falle er mit seinen Familien natürlich dort lebte, wohin ihn der Dienst rief), entweder in den Hauptstädten oder ans dem Lande lebte. Die Reichen lebten früher eigentlich nie auf dem Lande. Sie besuchten wohl mal im Sommer auf kurze Zeit ihre Besitzungen, die jedoch fast nirgends mit den Comforts eingerichtet waren, an welche die europäische Abglättung und Verzärtelung sie gewöhnt hatte, allein sie wohnten in Petersburg als Hofadel, oder in Moskau als Frondeurs. Die, welche nicht Vermögen genug hatten, um Jahr aus Jahr ein in diesen Städten zu leben, lebten dort wenigstens den Winter, oder auch wohl nur gewisse Zeiten, wenn sie eben so viel Geld zusammengescharrt hatten, um einige Zeit den Aufenthalt in der Hauptstadt durchsetzen zu können, und verkrochen sich dann die übrige Zeit in einem Winkel des Landes, um zu sparen. Der kleine oder arme Adel, früher nicht eben sehr zahlreich, roh, oft nicht viel mehr gebildet, als seine Vauern, lebte mit diesen ganz zusammen, war völlig verbauert. Die Katastrophe von 1812 bildete einen Wendepunkt für dies Alles. Der Theil des reichen oder mittelreichcn Adels, der in Moskau gewohnt, hatte seine Paläste und Häuser, Mobiliar, und selbst große Theile seines Vermögens eingebüßt, es fehlten ihm für die ersten Jahre die Mittel, sich dort wieder anzusiedeln, er zog, halb gezwungen, aufs Land, oder ward auch mehr als je in den öffentlichen Dienst, der, je mehr er sich curopäisirte, desto mehr Beamte nöthig machte, gezogen, lind dadurch überall auf der Fläche des ungeheuren Reiches zerstreuet. Alle, welche die Kriege in's westliche lHuropa geführt hatte, hatten dort das westeuropäische Leben kennen gelernt, und wollten es nach der Hcimath verpflanzen. Viele verarmten dadurch völlig, und an ihre Stelle traten Parvenus aus den Reihen der Beamten. Dann kam die Epoche der ungeheuren Entwickelung der Fabrikthätigkeit, welche zum großen Theil vom Adel ausging, da der größere Theil der Fabriken von ihm angelegt ist. Das Fabrikwesen aber bedingte meln- 119 Thätigkeit, Fleiß, Umsicht, Kenntnisse mehr persönliche Ol'gen-wart und Aufsicht an den Orten, wo dic Fabriken gelegn waren, als wir dies bisher an dem russischen Adel zu fthcn gewohnt waren. So ist denn allmählich eine große Revolution im socialen Zustande des russischen Adels vorgegangen. Der Adel lebt jetzt mehr auf dem Lande, als ehemals, freilich noch lange nicht genug, um ihn einen Landadel nennen zu können, aber er besucht doch seine Güter, beschäftigt sich sogar mit deren Bewirthschaftung, was wir daraus sehen, daß immer mehr Bauern auf Frohnden gesetzt werden, d. h. daß ein Theil des Landes ihnen genommen und dies für herrschaftlichen Acker erklärt worden ist, welchen die Bauern im Frohndienst bestellen müssen, während die Obrokzahlung, sonst die herrschende Bauern-belastung in ganz Großrußland, aufgehört hat. Der Adel kann sich aber jetzt nicht mehr so weit und so lange von seinen Oekonomien und Fabriken entfernen, als ehemals. Moskau ist selbst eine Fabrikstadt geworden! Daher kommt's, daß der Adel nicht mehr, wie ehemals, in Moskau wohnt. Da er aber seiner ganzen Natur, Weise und Erziehung nach, das gesellige Leben der Neuzeit und das Stadtlebrn nicht aufzugeben vermag, so zieht er in die benachbarten Provinzialstädte, besonders in die Gouvcr-nemcntsstädte, und diese haben daher seitdem einen neuen Stadttheil und in ihm ein neues Element des geselligen Lebens gewonnen. Die zahlreichen Angestellten, daS Militair lind ihre Familien und der Gouvernements-Adel bilden dies........ Wir halten dies für einen bedeutenden Fortschritt für die t5ultur und im Volksleben. (55 wird dadurch der Keim eines cultwirten Pro-vmziallcbcns gelegt, welches Nußland früher ganz fehlte, auch kann sich mit der Zeit ein Bürgerthum entwickeln, wiewohl bis jetzt der Keim noch sehr gering ist. Wir wollen nicht eben einen zu hohen Werth auf das moderne sociale Leben legen, es ist aber doch immer für die Geistcscultur mehr oder, weniger von Einfluß! Diese neuen russischen Städte werden, wie es scheint, wieder die Mittelpunkte des nationalen Lebens, die Mütter der (5nt-Wickelung, der Cultur und des Fortschritts; aber umgekehrt wie die Urstädte des alten Nußlands! In der Ur^it des Volks waren l20 nämlich dies die ersten Punkte, wo dasselbe sich fcst ansiedelte. Von ihnen, wie Strahlen aus einem Mittelpunkte, ging dic Ansicdlung und Cultur des Landes aus und weiter, es entwickelten sich aus dieser ersten Gemeinde neue Gemeinden, wie Bienenschwärme aus cincm Bienenstöcke, und siedelten sich in der Nachbarschaft an, mit der ersten Gemeinde in steter Verbindung bleibend. Die erste Gemeinde war also die Mutter der übrigen. Daher heißen noch im ganzen Mittelalter die Ur-städte: Mutter, die Mutter Suödal, die Mutter Nowgorod, die Mutter Wladimir ?c. — Jetzt umgekehrt: Die neuen Städte sind von oben herab zu Mittelpunkten und Müttern des Landes crcirt worden, aber so groß ist die ins Blut gewachsene Macht der Autorität beim russischen Volke, daß diese creirten Mütter erst Adoptivmütter, dann ancrkannnte wirkliche Mütter geworden sind, die Leben und Cultur um sich her verbreiten! Das russische Volk muß nun einmal Vater oder Mutter in allen seinen Lebcnövcrhaltnisscn haben. Ist der natürliche Vater nicht da, so bildet sich einer auS der Familie heraus, ein Bruder, ein Onkel, selbst ein ganz Fremder kann eä werden! Der nächste sociale Ning! Die Gemeinde sucht sich den Alten, den Starik, und wäre es das jüngste Gemeindcglied; die Gutöleute sehen im Gutsherrn den Vatcr, sie reden den sechsjährigen Gutsherrn mit Batuschka (Väterchen) an; das Volk sucht sich den Czaar, und kann nicht ohne ihn eristiren, und redet ihn ebenfalls mit Batuschka an! Charkow ist eine r>on diesen neuen Städten. Vor 250 Jahren bauete hier ein Kosak, Namens Charkow, sein einsames Gehöfte. Bald siedelten sich mehrere an, und es entstand ein Dorf. Seine günstige Lage machte eö blühend, und l lttU erhob es Katharina ll. zu einer Stadt, und machte es zum Mittelpunkt eines Gouvernements. ltt<)4 ward hier eine Universität errichtet. Jetzt ist es eine der schönsten, bedeutendsten und zu-kunstreichsten Städte des südlichen Nußlands, mit etwa .W,000 Einwohnern, vielleicht berufen, um einst die Stellung gegen Odessa einzunehmen, die Moskau Petersburg gegenüber behauptet! Die Stadt ist sehr elegant gcbauet, man sagte uns, und es war auch leicht zu sehen, daß kein Haus in dem modernen 12! Theile der Stadt über 30 Jahre alt sei;*) desto abscheulicher waren die Straßen. Wir waren hier auf dem Boden der 1 Arschin tiefen schwarzen Humuserde! Es war eben lange trockene Zeit gewesen, und da war denn der Staub in den Straßen so furchtbar, daß man von der einen Seite der breiten Straße die Häuser auf der andern Seite nicht erkennen konnte! Aber noch entsetzlicher soll es nach langem Negcmrettcr sein! Dann weicht der Boden ganz auf, die Fuße der Pferde und Menschen und die Nader der Wagen treten die Masse zu einem dicken Brei, und mcm kann zuletzt nicht zu Fuße von einer Seite der Straße zur entgegengesetzten kommen! Vor ganz leichten Wägen werden /,, '/2, ein ganzer Scheffel von dem Morgen :c. :c. Sie hatten sich sehr allmählich im Laufe der Jahrhunderte gebildet. Dies System in Nußland jetzt einzuführen, hat, ungeachtet es der Bildungsstufe des Volks eigentlich entspräche, unendliche Schwierigkeiten, und man wird daher wahrscheinlich bei der Geldrcntc stehen bleiben, und dabei wohl jene vom Minister versuchte Manipulation wenigstens thcilweise in Anwendung bringen. Herr von Majewski meinte, für Charkow möchte eine höchst einfache Vcrthcilung des Obrokö auf Acker und Heuschläge nach der Dessjalinen Zahl ganz zweckmäßig sein. Er sagte, das Gouvernement Charkow sei von vier fast parallel laufenden kleinen Flüssen sämmtlich zum Stromgebiete des Don gehörig 123 in vier fast ssleich große Theile abgetheilt. Alle vier Theile hatten fast ganz gleichmäßig einen glcich guten Boden, nur die vier rechten Ufer oder die Bergseitcn jener Flüsse hätten auf 2 bis ti Werst vom Ufer ab unfruchtbaren oder doch schlechten Boden. Wenn man nun jun Dessj. jenem guten Boden eine glcich hohe Geldrente auflegte, und auf dir Dessj. des schlechten Bodens '/t oder ^ dieses Betrages, so würden alle Bauern damit zufrieden sein. Wenn man den jetzt zu zahlenden Obrok auf diese Weise auf den uncultivirtcn Boden vertheile, so würde man den guten Boden etwa mit 1 Nubel 20 Kop. Banco die Defsj., und den schlechten mit 30 bis 60 Kop. Banco die Dessj. belasten. Ich kann nicht beurtheilen, in wiefern die Voraussetzungen richtig sind, dem einfachen Prinzipe aber muß ich beistimmen. Ich hörte von einem interessanten Versuche zur Bewaldung hiesiger Steppengegcnden. Ein Forstbeamter, Namens Abramow, hat aus eigenem Antriebe, zum Theil auf eigene Kosten, seit 18Att gegen 5(i0 Dcssj. sehr sandigen Bodens mit Pappeln und Weidenstecklingcn bepflanzt, die sehr gut gedeihen sollen. Daß Gouvernement sollte solche Versuche möglichst unterstützen und ausmuntern. Etwas Allgemeingültiges läßt sich über die Bewaldung der Steppen nicht sagen, sie mißlingen hier, mißlingen dort, gelingen hier, gelingen dort! Es ward mir noch folgende Beobachtung mitgetheilt, die einen Beitrag zur Beurtheilung der ^eibeigcnschaftsvcrhältmsse, und zugleich über daö, was ich über den Mangel an Com-municationsmittel gesagt habe,*) gewähren mag. In diesen kornreichen Gegenden verkaufen die Gutsherren, wenn fruchtbare Jahre eintreten, ihr Korn keineswegs, dulden meist auch nicht, daß ihre Bauern ihre Vorräthe verkaufen. Hicdurch kommt es, daß in solchen Jahren große Quantitäten Getreide nicht zu Markte kommen, so daß diese Märkte nicht zu sehr überführt, und die Preise nicht bis auf ein Minimum *) Ich führe hicbei noch an, daß aus dm mir gewährlen Notizen hervor-geht, daß der PreiS des Korns in diesen Gegenden, der besseren odci schlechteren Wege, der Nahe oder Ferne der schiffbaren Flüsse halber auf "0 Wrrst weit auseinander gelegen, oft mehr als dil Halste variiN. !2() Jahren entstanden, denn früher war der russische Adel wenig zahlreich, und die Theilungen der Dörfer wohl sehr selten! — Hier müßte das Gouvernement einschreiten, und dies scheint mir nicht schwer. Es braucht nichts im Erbrechte selbst zu ändern, es braucht nur die Realthcilungen der Dörfer für künftig zu verbieten. Sind mehrere Erben vorhanden, so mag einer es für einen bestimmten Preis annehmen und den übrigen auszahlen, oder werden sie nicht einig, so «nag cö sul> Im^ln verkauft werden, und die Erben theilen den Kaufpreis. Der Verkauf von Dörftrtheilcn bisher ungethciltcr Dörfer müßte verboten sein. Beim Verkauf von bereits vorhandenen Dorf-lheilen müßte denen, die bereits in demselben Dorfe Theile besäßen, ein Vorkaufsrecht eingeräumt werden. Die hier bezeichneten verwickelten Besitz- und Bcrechtigungsvcrhältnisse sollen auch der Catastrirung große Hindernisse entgegen stellen. Im Ganzen soll der hiesige Schlag von Bauern etwas saul sein. Es sind Klcinrussen, sie ziehen mit ihren Ochsen zu Frlde, und halten sinnig mit ihnen gleichen Schritt; der Großrusse 128 zieht mit seinen muntern Pferdchcn zum Acker und ist gewandt und kregel, wenn auch eben so wenig schwer arbeitend, wie dieö lustige Thierchen! — Die Kronbaucrn sind fauler als die Frohnbaucrn, am faulsten sind die Odnodworzü. Man erzählte mir, sie beriefen bei ihren Arbeiten, namentlich denen der Ernte, Großrussen aus benachbarten Gouvernements zu Hülfe. Im Kreise Starobjelsk überlassen sie dann diesen Arbeitern für die Uebernahme sämmtlicher Erntearbciten '/« bis '/; der ganzen Ernte. Bei der Heuernte sollen diese sogar die Hälfte statt des Arbeitslohns «halten (?)! Bei den gutöherrlichen Arbeiten müssen zwei Männer und drei Frauen als Tagesfrohude l Dessj. mähen, in Garben binden und i» Haufen aufstellen. Arbeiten sie mehr an einem Tage, so wird es ihnen zu gute gerechnet. In der Gegend von Charkow wird Land, welches mit Ar-bliscn bestellt werden soll, und welches zu diesem Zwecke ein paar Jahre geruhet haben muß, die Dessj. bis zu 21 Rubel Banco (6Nthlr. 12 Sgr.) verpachtet"'). Gewöhnliches und schlechteres Land gilt aber nur 2^ bis -^,4 Rubel Banco die Dessj. — Auch hier miethen Kaufleute aus den Städten häufig Land, um es einmal zu bestellen und abzuernten. Sie haben dann ihre eigenen Pferde, Pflüge, Wagen u. s. w. und miethen bloß Arbeiter in der Bestell- uud Erntezeit. — Bei Kronarbeiten werden hier 1 Rubel 50 Kop. Banco (fast 14 Sgr.) Tagelohn gezahlt. Die diesjährigen WoUprcisc in Charkow waren für Merinowolle das Pud (.'17 Pfund) gewaschen 40Rubel25Kop. (l2Nthlr. 8 Sgr., also der Centner, zu 110 Pfund, 30 Rthlr. 15 Sgr.), ungewaschen aber nur 1!) Rubel 25 Kopeken (5 Rthlr. 2<> Sgr.), man sieht, wie ungeheuer der Steppenstaub vom scharfen Ostwind aufgewirbelt in das Fließ eindringt. Wolle von derselben Feinheit kostete in diesem Jahre auf den norddeutschen Märkten der Centner <»0 bis 70 Rthlr. Von der gemeinen Landwollc kostete das Pud 7 bis 10 Nubcl Banco (also der Centner etwa 0 Rthlr. 10 Sgr. bis 9 Nthlr. 15 Sgr.)> ') Passet in seiner weiter Mlcn vielfach bemlhtcn Arbeit iiber dirs Gmwcr-nrmmt giebt die Pachtpreisr des Landes nahe bei ssharkow auf 10 biö 40 Rubel Vamu an. 12!) Wir hörten hier dm Generalgouverneur in Woronesch wegen seiner Gradhcit und Gerechtigkeitsliebe schr rühmen. Er ist deshalb sehr populair, und insbesondere die Krondauern und Ddnodworzen wenden sich bei jeder Gelegenheit mit großem Vertrauen an ihn. Allein das soll denn auch die Veranlassung sein, daß unzahlige Ansprüche dieser Bauern an benachbarte Gutsbesitzer wegen vieler ihnen, ihrer Angabe nach, von jenen entzogener Grundstücke wieder aufgelebt sind, und die heftigsten Processe veranlassen. Man sagte uns bei der Gelegenheit wenn beim russischen Bauern einmal die Proceßsucht erwache, so stifte sie unversöhnlichere Feindschaften als irgendwo, und ruinire die Leute geistig und leiblich! Ich besuchte die hiesigen Universitätsanstallen, und lernte mehrere ausgezeichnete Professoren, Lunin, Sftesniowsky, Ein-brod, Struve, die alle ihre Studien auf deutschen Universitäten gemacht hatten, kennen. Die Professoren auf dieser Universität erhalten 5 bis <><)<><) Rubel Banco Gehalt, was eigentlich sehr wenig ist. Honorare von Seiten der Studenten für die Collegia sind nicht üblich. Man begreift eigentlich nicht recht, warum diese Sitte nicht eingeführt ist, da es ein großer Sporn für Lehrer und Lernende ist, und die russischen Studenten im Ganzen wohlhabend sind? - Fast alle Professoren haben eine Anzahl Pensionaire, und die Studenten stehen unter strenger Aufsicht und werden scharf beobachtet. Vom eigentlichen deutschen Studentenwesen, Duellen :c. soll nichts zu merken sein. Um so auffallender ist die sich überall, wo sie nicht beobachtet und controlirt zu sein glauben, kundgebende politische Gesinnung, meist der allerdesiructwsten Art, und doch ist die Litteratur scharf überwacht, und von den Professoren hören sie in den Vortragen auch niemals nur die leisesten Andeutungen solcher Doctrine,, uud Meinungen. Es >st ein MiaSma! Die frühere gcringc Ueberwachung der Hofmeister und Gouvernanten, welche alljährlich aus Frankreich und der Schweiz nach Rußland strömten, trägt die Hauptschuld, daß diese Doctrincn sich dort im Schooßc aller Familien verbreitet haben, die spätern Verschwörungen unter Kaiser Alexander haben sie dann traditionell der Jugend überliefert. Die Lehren herrschen in großer Ausbreitung unter allen Studenten 130 und selbst in den Gymnasien und Seminaren, dann aber vorzüglich in den Kadettcnhäuscrn, dm (5rziehungöinstituten der Hauptstadt«', und unter den jungen beuten im Civil und Mili-tair, besonders den jungen Gardcossiciercn. In dem Professor Ssresniowöki lernte ich einen tüchtigen Slavistcn und Kenner des slavischen Alterthums kennen. Ich äußerte mein Befremden, daß ich in Rußland nirgend die Art der Anlage und Bauart der Dorfer gefunden hätte, die man in Deutschland die wendische nenne, und die sich in der Altmark und dem Lüncburgischcn noch vollkommen erhalten habe, und die ich für die urslavische hielte, daß nämlich die Gehöfte einet? Dorfs sämmtlich geschlossen, an einander in einem Kreise gelegen und gebauct seien, wo dann nur ein Eingang und Ausgang des Dorfs vorhanden ist. (5r meinte, früher möge das nuter den reinen Slaven in Rußland ebenfalls Sitte gewesen sein, Daß noch jetzt in der Regel das Dorf nur aus einer Straße bestände, deute darauf hin, vielleicht sei diese in alten Zeiten an einer Seite geschlossen gewesen, wodurch dann das Dorf die Gestalt eines Sacks gegeigt Hal. In Klcinruß-land gebe es noch wirklich dergleichen lauge Säcke. Die uralten runden Wälle, die Gorudischi in Böhmen und der Lausitz, fernrr drr Markt oder Ring in den polnischen Städten deute auch anf diese Sitte, endlich auch die Anlage der allrussischen Städte. Selbst, daß in Moskau ein Stadttheil rund um den andern her läge, wie die Häute der Zwiebel, möge damit zusammenhängen. Aber es existircn anch noch wirklich in abgelegenen Gegenden, z. B. in den Gouvernements Nishnij-Now-gorod und Kasan solche in einem Zirkel gebaute, ein Dorf bildende Gehöfte. Sie seien meist von RoskolnikS angelegt worden, und lägen abgelegen, oft nicht einmal gekannt, in den Wäldern. Diese Dörfer nenne man Skiti und ihre Bewohner Skitari. Auf dem runden Platze, den die Gehöfte bilden, hänge die Glocke zwischen zwei Ständern und einem Ueberdache, die Kapelle dagegen läge in der runden Reihe mit den übrigen Gehöften. Diese Noökolniks hätten keine Landtheilung wie in den übrigen russischen Dörfern, sondern bestellten den Acker gemeinschaftlich, und theilten erst die Ernte. Auf meine Fragen, ob sich nicht Spuren von uralten Volks- 13! gerichten mit eigenthümlicher traditioneller Jurisprudenz in Rußland fänden, versicherte er mich, in Klcinrußland namentlich im Kicwschcn Gourerncmeut z. B. im Dorfe Moschnc bei Kanilew existirten noch jetzt völlig organisirte Dorfgerichte, wo drei Alte, (weiße Häupter) über alles Recht sprachen. Auch bei den Donschcn Kosaken gäbe es organisirte Gerichte, die aber nur über Weide- und Viehzuchtaugelegcnbeitcn Recht sprächen 5). Bei dem lutherischen Prediger Landesen lernte ich einen griechischen Geistlichen, einen Mönch Ieroiu'mo kennen. Er war ein gcborner Esthländer und zur russischen Kirche übergetreten, Ich besuchte mit ihm ein hiesiges Kloster und später den hiesigen Erzbischof Inokenti. Dieser Erzbischof ist einer der ausgezeichnetesten, gelehrtesten und geistreichsten Geistlichen der russischen Kirche, ein berühmter Prediger, von dem würdevollsten Acnßrrcn. (5r kannte die deutsche Theologie gründlich, und stand mit Schleiermacher und Neander früher in litterarischem Verkehr. Cr würde arm sein, da die Gehalte der Bischöfe sehr gering sind "), und er sehr wohlthätig ist, wenn nicht der Ertrag seiner sehr beliebten Schriften ihm große Eummcn brächte. Seine eindringlichen Predigten haben eine große Anzahl (binnen einigen Jahren 25,000) Roökolniks zur russischen Kirche zurückgeführt. Ich besuchte dann auch noch das hiesige Gymnasium. Die Einrichtung ist die der alten Schulanstaltcn der Jesuiten, dasi ') Icl' IilN'c fiiii^r in mnr Abhandlung über dic Kasprl- und Kö hrgcrick »>- i >i Pummri», cmim lU'l't'Ni'str alttr Vottözimchtt', abgedruckt in d>ü Inhibüdnin fi>r di»' pn-uslischr (^cfttzssebunq 1^40, H>'ft 1 l2, dir Äl!!,ii>ng sscä»s!^!!, ^,s: dissc lrtzlnn l^nnb!,', »vclckc ,l'>!i falls niiv Wigrlr^nlliritm des Wcidn'cchls und dcr Vu^lichl zu ihrn ^c>!iniliuu zözrn, cin Ucbrrrest alter wendischer N o lfsge, icl'> >' srien. Die oben angeführten l^evichle d>r ^losaü'ü stl^iiilU dicft V»' Mu den StWls-"ssen „ich, ft viel «ehalt, als die Geistlichkeit der dortigen Katholik», Protestanten und Muhamedaner zusammen genommen. 132 nämlich die erste Schule die unterste Staffel ist. In der ersten Schule werden zehnjährige Kinder, die jedoch schon lesen und schreiben und vom Rechnen die vier Species können, aufgenommen. Sie erhalten Unterricht im Lateinischen, Deutschen und Französischen; in der zweiten Schule kommt der Unterricht der Geographie hinzu; in der dritten der der Geschichte, in der vierten wird Logik, in der fünften Physik tradirt; in der sechsten soll Philosophie gelehrt, und der Schüler für die Universität vorbereitet werden. Den 21. Juli früh fuhren wir zum Besuch nach dcn ukrainischen Militairrolonien und zwar zum Sitz des Stabes, der von Charkow 35 Werst entfernten kleinen Stadt Tschujujew. Auf der vierzehnten Werst erblickte ich zum ersten Mal auf einem künstlichen, runden, etwa 30 Fuß hohen Hügel, einem Kurgan, eine von jenen räthstlhaftcn Steinbildsäulen, deren es ehemals viele lausende in den Steppen im Norden des Caucausus und des schwarzen Meeres gab, und die völlig unbekannten Völkern und Zeiten angehören. Die Beschreibung der hiesigen vcrsparc ich für einen andern Ort, wo ich das, was ich über diese sonderbaren Denkmäler der Vorzeit auf der Reise gesammelt habe, zusammenzufassen gedenke. Wir erreichten gegen 9 Uhr Tschujujcw. Diese Coloniestadt liegt auf dem rechten steilen Ufer des Donez. Alles trägt hier den Stempel milttairischcr Ordnung, Regelmäßigkeit und Sauberkeit. Cine schöne lange Allee italienischer Pappeln führte uns nach der Stadt. Schon früh unterm Czar Ivan Wasiljewitsch wurden in dieser Gegend Kvsccken angesiedelt. Vom Czar Alexei sprechen Urkunden von I(>38 und 1lN7. Zugleich ward, namentlich Tschujujew und die umliegenden Kosakencolomen als Exil gebraucht, um aufrührerische Strelitzen dahin zu schicken. Auch unglückliche Ausländer wurden hierhergeschickt, und ihre Nachkommen sind noch jetzt unter den hiesigen Bauern an dem Namen zu erkennen. So giebt es hier mehrere russische Bauerfa-milien, die dcn deutschen Namen Stich führen, und von einem, vom Czar Alcrci ins Exil geschickten deutschen Arzt dieses Namens abstammen sollen. Auch der Name Ourke findet sich hier häufig unter den Bauern, es giebt aber eine bekannte Grafen- l33 familie dieses Namens in England und Livland, und der Zufall wollte es, daß gerade gegenwärtig ein General Graf d'Durke hier ein Commando hatte! Wir stiegen in dem niedliche» Quartier des Colonie-Inspec-tors ab, ein Adjutant empfing uns, und brachte uns zunächst in das Absteigequartier des Kaisers, ein allerliebstes kleines Landhaus, malerisch ans der Höhe über dem Donez gelegen, umgeben von einem, bis an dem Fluß sich hinabzichcnden blühenden Garten. Alle Meublcn im Hause sind von Arbeitern der Colonie, Soldaten des Arbeiterbataillons, gearbeitet; sie waren alle gut und geschmackvoll verfertigt, und im Hause herrschte vollkommncr (5omfort. - Dann kam der Brigadrchef Generalmajor von Lindgren, um uns zu einer Umschau des Ganzen abzuholen. Wir besahen das Stadthaus, die Kanzlei, das Archiv, (in ihm wurden auch die alten Perlcihungsurkun-den der (5zaren aufbewahrt?), eine Sammlung hiesiger Versteinerungen des geognostischcn Vorkommens, wobei wir Proben von Steinkohlen sahen, die wahrscheinlich in mächtigen Lagern nicht weit von hier anstehen, aber noch nicht zureichend untersucht sind. Auch Eisenerz findet sich, etwa 30 Proccnt Eisen enthaltend. Vortreffliche Pläne und Karten wurden uns vorgelegt, fast alle von hiesigen Cantonistcn und Soldaten ganz vortrefflich gezeichnet. Man verehrte mir eine kleine Statistik dieser Militaircolonie mit sechs allerliebst gezeichneten Karten der sechs Bezirke. Sie kann als ein merkwürdiges Document der russischen Anstelligkeit dienen, sie ist nämlich deutsch mit lateinischer Schrift ganz fehlerfrei von einem ruffischen Kantonisten, der kein Wort deutsch versteht, geschrieben, d.h. covirt worden! Ich habe die Zahlenvcrhältnissc daraus am Schlüsse benutzt. — Von hier gingen wir zur Kirche, die so wie sie da ist, mit Mauerwcrk, Holzzunmerung, Schnihwcrk, Vergoldung, Malerei der Ikonostase u., das ausschließliche Werk ber hiesigen Kantonisten aus dem hiesigen Arbcitnbataillon ist, wovon weiter unten die Rede sein wird. Dann bcsalicn wir dü' Ställe. Jeder Zug von 40 Pferden hat sein besonderes Gebäude, in dcnen natürlich auch die Kammern für Sättel, Waft -sen, Uniformen :c. Die Pferde waren vortrefflich, .1 Werschok (für Ulanen) hoch. Der Durchschnittspreis bmn Ankauf ist l-j4 240 Rubel Banco. Sir wcrdcn auf den Iahrlnarktctl de3 südlichen Rußlands, zu denen 29 bis 30,000 Pferde getrieben werden, aufgekauft. Nach <> bis 8 Jahren werden sie bereits wieder ausrangirt. Jedes Regiment hat gleichfarbige Pferde, dieses, von welchem wir die Pferde sahen, waren sämmtlich Schimmel. Die äußern Theile des Städtchens sind ein Dorf. Ich trat in das erste beste Gehöfte, und mußte mich auch hier über die Ordnung und Reinlichkeit wundern. Diese Gehöfte sind alle nach demselben Muster angelegt und gebaut, drei Fenster nach der Straße und kleine Gicbelkammern. Der Soldat wohnt ganz gemüthlich mit seinen Wirthsleuten, hat aber sein eigen Kämmerchen, hilft dem Bauern in seiner Wirthschaft, so viel ihm Uniform- und Pferdeputzen und Ercrciren Zeit übrig lassen. Dann besahen wir die Militairdepots, wo alles, was zum augenblicklichen Insfcldrücken einer vollzähligen Division nöthig ist, in jeder Minute zu Befehl steht, daö Hospital, welches nicht aus einem großen, sondern aus mehreren kleinen Gebäuden bestand. Die Einrichtung war musterhaft. (5s waren 140 Kranke, theils aus dem Rcgimcntc, theils aus den dazu gehörigen Bauern vorhanden. — Die großen Höfe und Locale des Arbciterbatailtons, welche wir nun besahen, waren höchst interessant, wir fanden die Werkstätten aller möglichen Handwerker hier zusammen, Grvbschmiede, Waffenschmiede, In-strumcntenmacher, Tischler, Holzschnitzer, Broncearbeiter, Sattler :c., ja sogar Maler, und die Gemälde, natürlich Kopien, Portraits des Kaisers :c., zeugten von großer technischer Fertigkeit! — Von den Meublen, die hier verfertigt werden, hatte ich bereits die besten in dem kaiserlichen Hause gesehen. Die geschnitzten Bildcrrahmm waren durchgängig sehr schön gearbeitet. Die Sattlerarbeit besonders tüchtig, vortreffliches Leder und sehr wohlfeil, ein Sattel mit doppeltem Zaum kcstrt 40 Rubel Banco l>2 Rthlr.), der in Deutschland gewiß das Doppelte gekostet hätte. Dergleichen Arbeitercompagnien sind bei allen Militaircolonien eingerichtet, haken besondere Officiere, besondere Uniformen und werden für sich, aber auf dieselbe Art, wie die übrigen recrutirt. Sie erhalten Löhnung und Provision gleich 135 dm übrigen Soldaten. Was sic in den Nebcnstundcn arbeiten, dürfen sic an Private verkaufen, doch ist auch hierbei ihre Arbeit wie die Preise derselben unter Aufsicht und Eontrole gestellt. Darauf besuchten wir die Manege und die Artilleriefchule, wo eben eine Anzahl Knaben vor hölzernen Kanonen erercirten. Zuletzt gingen wir noch zu einer neu eingerichteten Ackerbau-Ferme-Mvdelle, nebst Ackerbauschule für 32 Schüler, jenseit des Donez. Wir sahen hier unter einem offenen Schuppen eine sehr hübsche Sammlung von Ackcrwerkzcugen, namentlich alle mögliche Arten von Pflügen, und hörten bei der Gelegenheit, daß der gewöhnliche schwere klrinruffischc Näderpsiug für das Steppcnland, namentlich das frisch aufzubrechende, durchaus das zweckmäßigste Instrument sei. Er geht tief, und das ist bei dem dürren Boden nothwendig, freilich müssen wenigstens vier Qchscn vorgespannt werden. Wir hörten, daß die Bauern gebeten, auch von ihren Söhnen einige in die Ackcrbauschulr aufzunehmen, was auch geschehen ist. Bei diesen Bauern, die an militairische Zucht gewöhnt sind, wäre cs leicht, die Verbesserungen der ^andwirthschaft rasch und zweckmäßig einzuführen und ihre Wirkungen zu beobachten. Dies Land der Colonien könnte ein Beispiel für ganz Südrußland werden? Es sind in diesen Militaircolonien 4 Regimenter Ulanen und 4 Regimenter Kürassiere etatsmaßig zu 1K00 Mann statio-uirt, denen neuerdings 4 Husarenrcgimcnter, den Ulanen 2, den Kürassieren 2, aus dem Gouvernement Kherson zugetheilt worden, weil jene von 10 Escadron auf 6 reducirt worden sind. Jede Escadron besteht aus 3 Zügen. Jedem Regimente ist ein abgegrenztes Territorium angewiesen, über welches mir die gezeichneten Karten in der mir verehrten Statistik mitgetheilt sind, dies Territorium schwankt »wischen etwa 12 und 25 ^Meilen. Das Territorium dieser 4 Ulanen- und 2 zugetheilten Husarenregimenter, welche eine Division bilden, über die allein ich die nöthigen Notizen habe, d" ich die Kürassierdivision nicht besucht habe, mag im Ganzen etwas über 100 üM. ausmachen. Auf diesem Territorium sind "un Bauern angesiedelt, denen statt der Staats- und Domamcn- ^136 abgaben (Kopfsteuer und Tbrok), die Last der llntcrhaltung dieser Regimenter auferlegt worden ist. Das Regiment ist gewissermaßen der Leib- und Gutsherr seiner Bauern und ihres Territoriums! Jedem Baucrbause sind für immer 15 Dessj. Acker, li Dessj. in jedem Felde, und Heuschläge nach den Verhältnissen in jedem Dorfe bis zu 0 Dessj. zugelegt. Bau- und Brennholz erhalten sie, so viel tbunlich ist, frei. — Hiervon geben sie keine Gcldabgadcn, sondern müssen statt derselben eine beständige Einquartierung von einem mwerheirathcten Soldaten*) tragen, ihm Wohnung,'Feuerung, Licht und Beköstigung gewähren; ferner müssen sie bestimmte Naturalabgaben, Hafer für das Pferdemagazin, Weizen, Roggen :c. für das Getreidcmagazin leisten, endlich bestimmte Fuhrdicnste beim Verfahren des Getreides, bei Bauten und Reparaturen u. Man sagte mir, in dem Territorium der südöstlich liegenden Kürassierdivifion wären die Bauern nicht auf Naturalgctreideabgabcn, sondern lediglich auf Gutswirthschaft und Frohnden gestellt. Ein Theil des Ackers ist dort vorbehalten und wird von den Bauern bestellt, wie bei den Gutöhcrrschaften. Die Baltern sollen dort besser sioriren, sie haben aber auch fruchtbareren Ackcr, als die hiesigen **). Aus der mir mitgetheilten Statistik gebe ich nun folgende Zahlenverhältnisse, die deshalb sehr interessant und instructiv weil sie vollkommen zuverlässig sind, was bei den übrigen russischen statistischen Zahlen nie zu verbürgen ist. Das ganze Territorium umfaßt, insofern es der Krone angehört, 54l,5W Dcssj. Grund und Boden, wovon gegenwärtig etwa 160,0UU Dessj. als cultivirtcr Ackcr, 40,00« Dessj. ') Verhenatheten Soldaten wird ein eigenes Heischen mdst Glirten angewiesen, und sie erhalten bestimmte Pl00,si»nni fi>c sich lmd ihn> Familie aus den Magazinen. ") Dies war, was mail mif „u,>ie müudlichm Erkundigungen mii berichtete. Nach den mir mitgrthnltm statistischen Tabellen scheinen aber auch in diesen Colonien m miigm Brzilfen dic Bauern auf Frohnden gesetzt zn sein, gcben keine Naturalabgaben, sondern müssen fur die Regimenter riüe» leserdittm GMßack>'l bestellen. 137 Heuschläge, 37,243 Dessi. Wald und Strauchwerk, und der Rest fast300,000 Dessj. als noch nicht cultivirtc Steppe Oc-den n. zu rechnen sind. I,l diesem Territorium liegen aber noch einige Privatbesitzungen als Enclaven, so daß das ganzc Territorium, wie gesagt, etwa 100 ^Meilen groß sein möchte. - Dies Territorium, ist in 0 Districts für jedes Regiment einen, eingetheilt, jeder District in 3 Bezirke. Man hat ursprünglich etwa 1l,000 männliche Seelen der Bevölkerung auf die Unterhaltung eines Regiments gerechnet, es sind aber gegenwärtig in den meisten Districtcn über 13,000 Seelen vorhanden. Die Totalbcvölkcrung des ganzen Territoriums exclusive des Effectivbcstandeß der wirklich in den Regimentern die> ncuden Leute betrug 1843 bis 75,80! männliche und 7li,757> weibliche Seelen, in Summa 152,7,5!); 1825 betrug sie nur 54,,^ 12 männliche und 56,724 weibliche Seelen, in Summa 111,53l>. Sic hat also in l^ Jahren zwischen '>> und '^ zugenommen, oder jährlich beinahe l'/? Procent. Es sind somit 1564 Menschen ans die UMeile zu rechnen, 1825 nur 1154. Diese Bevölkerung zerfiel in folgende Bestandttheile: Zahl der Bauerwirthe erster Classe........ 8394 Zahl der Bauerwirthe zweiter Classe....... 35tt4 Nichtwirthe..................... 17,019 Männliche Kinder aller Kolonisten........ 37,770 Zahl der Cantonisten (Soldatenkinder)...... 404 Zahl der dienenden Invaliden........... 1383 Zahl der nicht dienenden Invaliden........ 2410 Zahl der Verabschiedeten oder unbestimmt beurlaubten aus den Colonien............ 1510 Zahl der Arbeiter in dcn Handwerks - Compagnien...................... 14W Zahl der ssurierschützcn, Fcldheermeister und Hoöpi- talbcdieuten................... 414 Zahl der nicht angesiedelten Unterofficicre und Gefreiten ...................... 27,4 In welchem Maße bei der steigenden Bevölkerung auch der Inventarien- und Wirthschaftsbestand der Colonicn sich gehoben hat, mag folgende klein? Tabelle zeigen. 138 Wie viel Tschettvcrt Aussaat die Colonisten gehabt. Zahl der Pfcrde. Arbcils-ochsen. dcS nicht lirl'sit!!! den Niud-vichrs. i ^ Zahl Schafe. 1825 .... 50,470 >843 .... 150,625 8627 I2,03L 28,217 48,955 41,610 59,411 89,440 l 31,007 also 1843 plu» 100,355 3409 20,738 17.801 42,22! Man sieht also, daß der Wirthschaftsbcstand der Volomsten in einem viel höheren Grade und Maße binnen l8 Jahren gewachsen ist, nnd also der Wohlstand nicht bloß des Ganzen, sondern auch der Einzelnen zugenommen haben muß, als die Bevölkerung. Die Mafsc des in Cultur gesetzten Bodens ist auf daö Dreifache gestiegen, die Zahl der Pferde um -'/«, der ArbeitSochscn um °/7, des übrigen Rindviehs um -'z,, der Schafe um fast die Hälfte! Nachdem wir unS über alle Verhältnisse dilser Militair-colonie, so viel es an eincm Tage geschehen konnte, informirt hatten, fuhren wir nach dem Diner nach Charkow zurück, hielten unS hier aber nur so lange auf, um Thee zu trinken und fuhren dann in die Nacht hinein auf der Straße nach Ieka-trinoslaw. Ehe ich jedoch meinen Reisebericht fortsetze, will ich einige allgemeine Notizen über das Gouvernement Charkow geben. Sie sind zum größern Theil einer in russischer Sprache geschriebenen, historisch statistischen Beschreibung dcö Gouvernements Charkow von W. Passck, welche in den für die Ministerien gedruckten Materialien zu statistischen Arbeiten aufgenommen, nnd eigens zu meinem Gebrauche überseht worden ist, entnommen. Es ist dies eine der besten monographischen Arbeiten, die nur über einzelne russische Gegenden vorgekommen sind. Die Landstriche, welche gegenwärtig das Gouvernement Charkow bilden, waren noch vor ^00 Jahren eine reine Steppe, nur ab und zu von Nomaden durchzogen. Damals war das GroWrstenthum Moskau eben in sich erstarkt, es hatte nach Innen Staatseinheil, nach anßcn die Unabhängigkeit von der Mongolenherrschaft in der goldenen Horde erkämpft. Diese war zertrümmert, und ans den Trümmern batten sich die drei Reiche Kasan, Astrachan und die Krimm gebildet, von denen die beiden erstem Moskau gegenüber zu schwach waren, nm gefährlich zu sein, auch bald der Uebcrmacht völlig unterlagen. Das Reich der krimmschcn Tataren war aber noch zwei Jahrhunderte lang der gefährlich? Feind Rußlands. — Zwischen den beiden Reichen lag die Steppe, durch sie zogen die Tataren auf ihren Naubzügen gegen Rußland. In der Steppe daher suchte Rußland festen Fuß zu fassen, lind vor allen Dingen einige feste Punkte zn gewinnen, um die heranziehenden Tataren beobachten und aufhalten zu können. Schon Ivan Wasiljcwitsch legte an dem Hauptorte der jetzigen Militaircolo-nien Tschujujew am Donez eine Verwaltung, eine Art Festung an, in welcher Strelitzen und später Kosaken die Vertheidigung übernahmen. M)!) legte Boris Gudunow 5,0 Werst südlicher am Oskol die befestigte Stadt Zarcwo-Borissow an, und bevölkerte sie mit Strelihen und Bojarcnkindcrn. Ihre Nachkommen haben nicht weit davon eine neue Stadt gebaut, nachdem die ältere untergegangen. Südlicher ward ein Wall aufgeworfen, dessen Spuren man noch bei der Stadt Sslawjansk sieht. Aber auch die Tataren befestigten einige Orte in der Steppe. Die Ortsnamen deuten dies an, die Namen der Orte Ifjum, Achbikra (tatarisch: weißes Ufer) und des Flusses Aidar sind tatarischen Ursprungs. — Hin und wieder findet man in der Steppe große kreisrunde Verwallungen mit kleinen Resten von Ruinen darin; ob es kleine Städte, oder ob es Lagerplätze ge-wcjen siud/ wer entscheidet es? Sie gehören viel älteren Zeiten und unbekannten Völkern an, so wie die Grabhügel, busier diesen welligen befestigten Orten aber war die Steppe "lie tiefstille Wüste. Sie war noch ohne Herrn, weder die 140 Bussen noch die Tataren machtm Anspruch aus die Herrschaft. Das von Nußland in Besitz genommene Territorium ward noch bis zum ersten Romanow durch eine Linie bezeichnet, die über Belgorod, Oskol, Korotscha, Iablonow, Beiluki :c. lief. Die oben bezeichneten festen Punklc waren meist von Großrussen bevölkert, in der Mitte deö sicbenzehnten Jahrhunderts begannen die Klrinrussen sich dauernd in der Steppe niederzulassen. Es war ein Theil von denen, die sich der religiösen und politischen Union mit Polen und der Ansiedlung des polnischen Adels unter ihnen widersetzten. Sie baten um mosko-witischcn Schutz, den ihnen auch der Czar Michael Feodoro-witsch versprach. Nun entstanden rasch eine Menge Sloboden und Dörfer, aber nach der instinctartigcn Natur, die alle russischen Ansied-lungen und Colonisationen geleitet hat, überall von Norden nach Süden, längs den Flüssen her, daher denn auch die Hauptorte ihre Namen von den Flüssen führen. Damals entstanden Charkow, Woltschi-Wody, Liptschik, Martschik, Lhatomlja-Bur-luck u. Ins Innere der Steppe drang damals aber noch Niemand. In diese hinein drang man erst, nachdem man Sicherheit vor den krmnnschen Tataren erlangt hatte, seit 79—80 Jahren, und zwar von klein russisch er Seite durch Filiation, indem ihre Slobodcn an den Flüssen Töchtercolonien aussandten, von großrussischer Seite dagegen, indem besonders Gutsbesitzer einen Schwärm von ihren überflüssigen Leuten in der Steppe ansiedelten. Die kleinrussischen Ansicdlungcn sind thcilö Dörfer, theils einzeln gelegene Gehöfte oder Meiereien. Dergleichen sind z. B. von den Städten Saltow ausgegangen: Djotschcuk, Nalkow, Klein-Saltow und Krassnoje:c. Vom Dorfe (Hatomlja gingen aus die Meiereien: Dudglowow, Tschischow, Lasarcw, Tomachow. Vom Dorfe Olchuwatka gingen gegen .10 Meier-Höfe auö. Uebrigcns ist noch jetzt an der Dichtigkeit der Bevölkerung zu spüren, daß die Hauptcolonisation von Westen nach Osten gegangen. Jene ersten klcinrussischcn Ansiedlunqen bedurften, da sie den Anfällen der Tataren beständig ausgesetzt waren, einer durch- 14! aus militairischcn Organisation. Diese bildete sich keineswegs von oben herab, sondern von unten herauf, von innen heraus. Es ist die alte volksthümliche Organisation der Kosaken! Die Ansiedler bildeten hier drei Stände und Abtheilungen, Kosaken, welche vorzugsweise in den Slobodcn angesiedelt waren, und allein die Artillerie in Bewahr hatten und bedienten; Kamp o-maitzen, die an den Kriegszügen Theil nahmen, aber in einem etwas untergeordneten Verhältnisse zu den Kosaken standen, und Bauern, welche das Land zugleich mit sür die Kosaken bearbeiteten. Ueber die innere militairische Organisation, die (5'lntheilung in Regimenter, die Attamanen, Iesaulen :c., ferner über ihre Gerichts- und Iusiizcinrichtungcn :c., werde ich an einem andern Orte, wo ich mich über die sämmtlichen Kosakenvcrfassungen zu äußern gedenke, weitläufiger auüsprechen. Die l5vlonisten bildeten vier Regimenter, deren Sitze m den Sloboden, Sumst, Charkow, Isjmn und Ostrogosch waren, welche anfangs von Moskau selbst aus regiert wurden, dann aber in Belgorod einen Mittelpunkt erhielten. Sie zeichneten sich durch Treue und Ergebenheit aus, besonders bei der Empörung des Brjuchowctz, weshalb sie auch der Czar Alexci Mi-chailowitsch vom Zoll und der Gewerbesteuer befreite. Alle ihre Privilegien wurden von den Czaren Feodor, Ivan und Peter befestigt. Peter 4. belegte 1ti!)7 die Kampomaitzen mit einem Kopfgclde von l Rubel. Auf Vorstellung der Obristen der Kosakenregimcnter ward dies aber wieder aufgehoben. Der Ukas vom 25. Febr. l7()0 darüber ist interessant und gewährt einen kleinen Blick in das Leben und die Verhältnisse der Co-lonistcn: „Wir Peter :c. erlauben den Obristcn der Dorftscherkessen-regimcntcr von Sumsk, Charkow, Isjum und Ostrogosch, desgleichen den Aeltesten und Kosaken für ihren treuen und tadellosen Dienst, ihre Gewerbe in den Städten zu treiben, Fischfang und Mühlen zu besitzen, Schenken zu halten ohne Abgabe, und nach ihrer tscherkcssischen Sitte Branntwein, und zwar zollfrei zu brennen; befehlen, durchaus sie abgabenfrei zu ') Dasi die itosakcn sich Mst Tscherkcffen nannten »nd dirs hin und wieder «och lhlm, darf ich als l'cfann» voraxsschm. 142 lassen, wic sie es früher waren. Zur Verbesserung der Ordnung im Heere sollei, zn je fünf Dorfregimentern .'U00 ge-mcine Kosaken zllgcschriebcn werden. Außer dem allgemeinen Kriegsdienste dürfen dieselben nirgends zu einer Lasten- oder Wagcnbegleitung geschickt werden ohne unsern ausdrücklichen Czarischcn Befehl. In den Slobodcn und Städten, wo sie den Zoll, ohne überboten zn sein, gepachtet haben, dürfen keine russische Schenkwirthe sein, sondern die Zollhäuser, Brücken und Ueberfahrten gehören den Aeltesten und den Kosaken, nnd sie können den Zoll von allen Reisenden und russischen Kaufleuten und von den Waaren der Tfchert'essen nach der Verordnung eintreiben, und das Zoll- und Pachtgeld in Belgorod entrichten. Zugleich bestätigen Wir die jetzigen Dbristcn dieser Regimenter für immer in ihrm Aemtern, dieselben, wie die Acltesten> und Kosaken erhalten die mit Unserm Kaiserl. Siegel versehene Bestätigung." tzs ist nicht zu leugnen, daß aus diesem Documente, welches aber keineswegs vereinzelt dasteht, so wie auö allen Nachrichten, die man hat, klar hervor geht, daß in den Kosakenländern eine demokratische Freiheit eine provincielle Selbständigkeit und Unabhängigkeit herrschte, wie sie außerdem sich bei keinem slavischen Stamme so frisch und lebendig ausgebildet haben. In der Ukraine mnßte aber dlesc Verfassung allmählich untergehen und umgebildet werden, da ihre Grundlagen, der Geist und Hauch ihres innersten Bebens, nach und nach völlig verschwand, dies war der kriegerische Geist, der das ganze Volk durchzuckte! Seit die krimmschcn Tataren verweichlicht sich unter dem russischen Scepter beugten, seitdem die Türken nicht mehr aus ihren Verpfählnngcn hervorzubrechen wagen, seitdem der Kosak der Ukraine nicht mehr auf dem hohen hölzernen Gerüste einsam Wache steht, um in die Steppe hinaus auf den von den Hufen der Tatarenrosse aufgewühlten Staub sein scharfes Auge zu richten, seitdem das ganze Volk überhaupt nicht mehr auf den Qui-vit-postcn steht, ist der lebendige activ-kriegerische Geist hier eingeschlummert und mit ihm allmählich wie von selbst das FreiheitS- und Unabhängigkcitsgcfühl. und die äußern Freiheiten und Privilegien! - Die europäisch 143 militairische Söldnerverfassung, die moderne Beamtenregierung und -Verfassung traten an die Stelle der kriegerischen kosakischcn Dorfverfassung und der patriarchalischen Selbstregierung. Nach der Schlacht von Pultava übergab Peter I. dem Di-visionsgencral Peter Mathjewitsch Apraxin die vier Dorfregi-menter der Ukraine. Damals begann recht eigentlich erst die Eolonisirung von großrussischer Seite aus. Aprarin und viele Glieder des Höft adels erwarben in der Ukraine durch Kauf, Schenkung von Seiten des Kaisers, auch wohl mitunter durch ganz willkürliche Aneignung vielen Grund und Boden, und versetzten Bauern von ihren Besitzungen Großrußlands dorthin. Das fand bald Nachahmung, aus allen Gegenden Nußlands wurden Colonisten dorthin geschickt, und bald siedelten sich auch selbst viele adlige Familien dort an. So kamen die Familien Kautcmir und Klnikow aus der Wallachai, Lhowata aus Ungarn u. s. w. hierher, und haben Familiensitze angelegt. — Dagegen sind aber auch einige Familien von unvordenklicher Zeit hier ansässig, wie die Donzer, Sacharschew, Quittka und Schidlow. 1731 ward eine Schutzlinie vom Einfluß des Orell in den Dnjepr bis zum Einfluß des Stör in den Donez angelegt, bestehend aus Wall und Graben mit kleinen 10 15 Werst auseinander liegenden Festungen. Diese Linie schloß sich an eine schon ältere, von Boris Gudunvw angelegte, unmittelbar an. Zwei Jahre später begann man schon diesen Theil des Kosakenlandes völlig neu zu organisircn, während den westlichen Gegenden noch ihre alten Einrichtungen belassen wurden. In der Stadt Sumach ward eine oberste Kanzlei errichtet. Es ward befohlen, einen der Kosakenobristen zum Brigadecommandcur aller slobodischen Regimenter zu ernennen, und die übrigen ^bristen zu Prcmiersmajors, den Negimentörathhausern künftig den Namen von Kanzleien beizulegen; ferner künftig nach russischem Rechte Recht zu sprechen, eine Kopfsteuer von 21 Kop. pro Seele einzuführen, aus allen slvbodischen Regimentern die tauglichsten auszuwählen und auf Kosten der Kosaken daraus ein Dragonerregiment zu bilden, auf den Fahnen und Sicheln das frühere Kreuz mit dem Staatswappen und der Bezeichnung 144 eines jeden Regiments zu vertauschen :c. Diese Maßregeln begannen die ganze bisherige Organisation in ihrem inneren Charakter umzugestalten, doch kamen sie damals noch, theils nicht ganz zur Ausführung, thcilö wurden sie wieder aufgehoben. So hob die Kaiserin Elisabeth 1742 daö Dragonerregimcnt wieder auf. -— (Statt dessen wurde 1752 das Husarenregiment von Sloboosk gegründet, zu dessen Unterhalt jede Seele in der Ukraine 11)'/, Kopeken steuern mußte.) Sie befahl, den Kosaken ihre altrn Freiheiten zu belassen oder wieder zu geben. Die Zahl drr ukrainischen ward auf 5000 festgesetzt. Unter der Kaiserin Katharina ll. ward die ganze klcinrussi-sche Kasakenverfassung gänzlich umgestaltet. Die Grenzen des Reichs hatten sich erweitert und befestigt, so daß die kleinrussi-schcn Kosaken nicht mehr Grenzwachen des Reichs übernehmen konnten, ihre volköthümliche kriegerische Organisation war nicht mehr nothwendig. — Von 170li an wurden die slobodischen Regimenter in Husarcnregimenter verwandelt. Sie behielten die alten Namen, ihre Obcrofficierc erhielten Armeerang :c. Aus dem Lande war ein eigenes Gouvernement gebildet, das Gouvernement Slobodskc-Ukraine. Die vier Negimcntssloboden Charkow, Achtyrka, Slumy und Isjum wurden zu Provinzial-städtcn erhoben. Statt der Summen, welche zur Unterhaltung für die Kosakenrcgimenter eingetrieben wurden, ward den kriegspflichtigen Einwohnern, die auf priviligirtem Lande, d. h. solchen, auf dem frei Branntwein zu brennen gestattet ist, pro Seele 95 Kopeken Silber, denen, die aber auf nicht priviligirtem Lande saßen, 85 Kopeken, den leibeigenen Gutsbauern 00 Kopeken Kopfsteuer auferlegt. Das Recht, Branntwein zu brennen, ward auf ein bestimmtes Maß eingeschränkt, nach Drtsbedürfnissm und persönlichem Ermessen des Gouverneurs. In der Regel ward gestattet, auf 1000 Seelen IM Eimer in 3 Kesseln zu brennen. Im Jahre 1780 erhielt die Ukraine den Namen Statthalterschaft Charkow. Damals ward die große Vermessung des Reichs vorgenommen. Es fanden sich in der Statthalterschaft Charkow in runder Zahl mit Hinweglassung der ^Faden 145 Ackerland............ «,074,988 Dessj. Heuschläge........... 7)49,49.'; „ Wald zu Bau- und Brennholz 468,4tt8 „ Meierhöfe und Weideplätze. . . 115,375 „ Untaugliches Land....... 143,293 „ ?,95l,0N Dessj. Der Nest des Territoriums war damals noch wüste Steppe. Die Bevölkerung bestand aus 403,334 männl. Seelen. 394,474 wcilbl. „ Zusammen ?<>7,KW Scelcn, die in 1182 Städten, Dörfern und (5olonicn wohnten. Darunter waren aber nicht begriffen: Adel, Beamte, die ehemaligen Aeltestm und ihre Familien, so dasi die Gefammt-bevölkerung auf 805,000 möchte zu berechnen gcwcfcn sein. Diese Einwohnerzahl war bei der fünften Revision auf 535,501, bei der siebenten Revision auf 910,000 gestiegen. Damals ward der Bezirk Starobclsk mit 70,000 Einwohnern mit der Statthalterschaft vereinigt. Im 1.179l> ward die Statthalterschaft Charkow in ein Gouvernement verwandelt, es wurden einige District? zu Kursk gelegt, 1«l9 auch ein District von Woroncfch mit Charkow vereinigt. Diese großen inneren und äußeren Umwandlungen haben den ganzen Charakter des Bandes und seiner Einwohner völlig verändert. Die Kosaken und ihre Verfassung sind verschwunden. Ihre Ucbcrrestc kennen noch traditionell ihren Ursprung, haben aber ganz den Kosakcncharaktev eingebüßt, sind ruhige Ackerbauern geworden, die sich durch nichts vor den andern Bauern auszeichnen, als daß der Grund und Boden ihr anerkanntes Eigenthum ist, und sie daher keinen Dbrok zahlen. In ofsiciellen Schriften heißen sie nicht mehr Kosaken ober Tichevkcssen, sondern Odnodworzen. Das Gouvernement Charkow liegt zwischen den 51" 55'und 5l>" 5' der Länge, und zwischen 45« 20' und 51« 20' der Breite. Die geographische Lage entspricht dein mittlern Deutschland, i4tt Belgien und dem nördlichen Frankreich. Seine Größe ist auf 4,835,339 Dessj. oder etwa 870'/, ^ Meilen berechnet ^). Von diesem Territorium waren 1838 in runden Zahlen (das Verhältniß ändert sich in jedem Jahre, da bald Wald in Acker, bald Acker in Wiesen u. verwandelt wird) 2,287,000 Dcssj. Acker, 1,488,000 Dessj. Wiesen, 672,000 Dess. Wald, der dann aber überall übergeht in 388,000 Drssj. Wege, Sümpfe, uncultwirtcn Boden. Die auf diesem Territorium lebende Bevölkerung berechnete man 1838 auf 504,238 männliche und 583,890 weibliche Seelen. Sie zerfiel in folgende Bestandtheile: Adlige, in die Geschlechts-Register ein-/loli.,^», 1NW männl. 1N41 weilil c^l'.'s«'», U'''^"»''" ..... Adlige, in die Gc- schlechts-Rcgister nicht eingetragen.... 2500 2708 Weltgeistliche u. Kir- chendiener .... 2007 ,/ 2534 Kinder derselben . 2872 // 3242 Mönche u. Nonnen 40 131 „ Subalterne Bediente der Gerichtsbehörden . 374 223 Verabschiedete Sol- daten ...... 228l» 3042 I^glus . . . . 12078 13521 ') Wic wmiz; man sich auf die großtm Verechinlngcn vcrlassm kann, zrigt sich srlbst bei dcr obcn angeführten sonst so auSgezrichnctm?llbeit Passcls. Er giebl die obig« Dessjalmenzahl, die sich wohl auf die alten, wenn auch nicht ganz zuverlässigen, Vermeffmlge« grimbtt. Dieö bildet 870»/« s^Meilen. Nach seiner Aufzählung dcr rinzelxen VodengaMmgm kommt aber schon eine kleine Differenz. Etwab früher giebl et 728 ^Meilen an. Schubclt giebt nnr 594 ^Meilen, Ärsseniew 720 ^Meilen, Sä-dlowski 750 ^Meilen, Bulgarin ?>2 ^Meilen an! — Wozu ich hier Zahlen gebrauche, dabei kommt es auf Grimuigfeil nicht an. Sie dienen als Veihällnißzahlen, um BMachtungm daran zu knüpfen, und da ist c« hinreichend, wenn sie nnl't ein zu unrichtiges allgemeines Bild der Perbällnissc gewähren. 14? i l «N8pl»I l . . . 12678 mannl,, 13521 wcibl. <5 3ec! Privilegirte (?) . . 1153 — Die keinen bestimm- ten Stand haben (?) 543 557 Simple Bürger . 4575 5095 Kaufleute.... 1042 1390 Krämer . . . . 22!) 221 // Handwerker . . . 5859 0279 Kronbauern aller Art 311,049 319,528 Leibeigne .... 220,009 504,337 237,329 583,920 Der Grund und Boden war auf folgende Weise unter die Bewohner getheilt: Die Krone (oder vielmehr dic verschiedenen Arten der Bauern, die freien Eigenthümer und die Militancolonisten mit eingerechnet) besaß........... Die Gemeinden der freien Ackerbauern besaßen...... Die Gutsherren besaßen. . . Acker u. Wirft«. Wcild. Dessj. Dcssj. 1,945,724 1,839,492 335,244 155,492 225,484 Der Nest dcö Grund und Bodens, 388,000 Dessj., war, wie angeführt, uncultivirt. Wäre alles Terrain gleichmäßig vertheilt, so würde auf einen männlichen Kopf von den Kronbauern 7^ Dessj. Acker, Wiesen und Wald, dagegen aufden Kopfeines leibeigenen Bauern 9'/20 Dcssj. kommen oder zu rechnen sein. Dies stellt sich im Einzelnen noch viel ungünstiger. Da nun dicö Gouvernement zu denen gehört, in dem man gesetzlich 15 Dessj. auf die Re-visionßseele rechnen soll, so wird über Mangel an Brod geklagt, ") Hllr V. Kuppen in: „Nllßlandö Gcsammlbcdüttcnmg von 1838. PrM's-bmg 1843," giebt nach bm Stcuerlistm etwas, doch nicht brdeutmd, di-vergirendc ZMlen. Ich folge aber hur dennoch dm von Passet gegc-l'mrn Zahlen^ da ich seinc Abhandlung M'«l)M,pt meim'N Vrlnichtungen Wm «runde gcicüt hade, hicr, wo es sich um die Ver^leichu».; der äw--haXniss« im Allgemeinen Handel», es auch nicht auf gründliche Genauigkit dcr einzelnen Zahlm ankommt, die in Nusiland nbnhaup: unzuverlässig sind. 10' !45 und das ist Veranlassung gewesen, daß mail in dcn letzten 10 Jahren (vor 1838) gegen 17000 Menschen nach andern Gouvernements übergeführt, und sie dort angesiedelt hat. Die Bevölkerung lebt in 10 Städten und 200!) Dörfern. Nicht der zwölfte Theil der Bevölkerung lebt in dcn Städten. Nur in den östlichen und südlichen Theilen des Landes und an den Flüssen giebt es große Dörfer/ im Innern sind die Dörfer meist klein. Unter jenen 2000 Dörfern giebt es nur 305, die über 100 Gehöfte groß sind: 300 haben zwischen 50 und 100 Feuerstellen, 70l> zwischen 10 und 50, und endlich haben 092 weniger als 10 Gehöfte. Bei dem Ucberblick der vorstehenden Notizen drängen sich uns folgende Bemerkungen auf. — Das Verhältniß von Acker, Wiesen und Wald ist hier ein ganz anderes, als im nördlichen Rußland. Der Wald tritt ganz in den Hintergrund *). Während er dort ' z, die Hälfte, ja oft '/4 des Territoriums einnimmt, bildet er hier kaum '/ desselben. Dagegen ist ein großes Uebcrgewicht der Wiesen gegen andere Gegenden sichtbar, weit über '/4 alles Grundes und Bodens ist Wiese. Fast die Hälfte des Bodens ist Acker, und gehört in dieser Beziehung zur Region der schwarzen Erde. Beim Anblick der Bcvölkerungszahlen muß uns das schon oft in Rußland bemerkte Uebcrgewicht dcs weiblichen Geschlechts auffallen. Es beträgt in diesem Gouvernement im Ganzen fast 2 Procent: auf 28 Männer kommen 29 Weiber **). Aber im Einzelnen stellt sich das Verhältniß noch ganz anders. Bei den Kronbauern hat das weibliche Geschlecht ein Uebergewicht von nur I'/. Procent, bei den Leibeignen aber von 2v« Procent. Wie ist das zu erklären? — Bei den Handwerkern beträgt das Uebergewicht 3',2 Procent, bei dcn simplen Bürgern ') <5migc Hlgmdm dcs «onvrrnemmlo smd röllig waldlos, z. B. der District Starol'ch's, wu man bah« mit Misizi'gcln (juschcy heizt. ") Nach dcn Listen drr Domainmlamnnr von Iaroslaw full dorl das Ucl'ci-gewichi dn- Wcil,«' im Ganze» wie 120 zu l0N zurechnen sein. also etwa ll) Piocrilt! Alich in Nischmj Nowgorod r«h„tt man rm Ucbcr-gewicht von 8 bis !> Prvmit, bri den dortigen Klonbalimi sogar 12Pro-«cmt? cc-in fast im^lmil'lichss Vn'hsiltmß in, (Nanzm imd (^rosim! 149 5'/, Procent. Aber zwei ganz sonderbare Verhältnisse bilden die Popen und die verabschiedeten Soldaten. Zwischen dcn Popen und ihren Frauen steht das Verhältniß zu Gunsten der Männer um l V, Procent. Das ist erklärlich, da nach allgemeinen Populationsgcsetzen zwischen erwachsenen Männern und Frauen daß Sterblichkeitsverhältniß in der Negel zu Gunsten der Männer steht; aber wie ist es zu erklären, daß unter den Povcn-kindern das Uebergcwicht so ungemein auf Seiten des weiblichen Geschlechts liegt, nämlich um <> Proccnt? — Noch seltsamer erscheint das ungeheure 14 Pvocent betragende Ueber-gewicht der Weiber bei dcn Familien der verabschiedeten Soldaten. Man sollte umgekehrt denken, hier müßten die Männer ein Uebergewicht haben, da doch so viele verabschiedete Soldaten gar nicht mehr heirathcn! Acußerst merkwürdig ist, daß in ältern Zeiten dies Ucbergcwicht der weiblichen Bevölkerung keineswegs vorhanden war. Die Populationslisten von 1789 ergcbcn vielmehr cin Uebergcwicht von "/» Procent zu Gunsten des männlichen Geschlechts! Bei den Zahlvcrhaltmssen dcr Stadic unter einander sieht man, daß der Adel hier etwa den IWsten Theil dcr Bevölkerung bildet. In den nordöstlich liegenden Gouvernements Woroncsch und Tambow bildet er nur dcn 2l>(»sten bis 270sten Theil. In den ältesten russischen Gegenden, z. B. in Nowgorod, bildet er dcn 197,sten, in Njasan dcn lNlcn Theil der Bevölkerung; dagegen ist er in dcn altpolmschcn Midern in einer ganz andern Wcisc zahlreich. Schon in dem Gouvernement Pultowa, welches mit Charkow so ziemlich dieselbe Entwickelung gehabt hat, bildet er etwa den I (Men Theil der Bevölkerung, dagegen im Gouvernement Kijew (wenn man den kleinen Adel, die Schljachta, hinzurechnet) '/-5, in Mohilcw Vi», in Podolicn '/,,,, in Wilna '12 der Bevölkerung! Wenn man die ungeheure Vermehrung des Adels in den letzten 140 Jahren, dadurch, daß allc Dfficicrc und Beamte ihn erworben, ins Auge faßt, so wird man einsehen, daß er im alten Nußland unmöglich sehr zahlreich gewesen sein kann. Anders war cö in Polen. Allein da war dcr Adel ein anderer später eingewmidcrter slavischer Volksstamm, cm erobernder Volköstamm, st> wic dcv 150 Bauer der im eroberten Lande vorgefundene unterjochte Bolks-stamm! Die Geistlichkeit ist in Rußland ein ebenfalls nicht sehr zahlreicher Stand, wenigstens nicht auf dem Lande und nicht in den erst später colonisirten Landstrichen. In den größern Städten ist er oft zahlreich, wie wir oben bei Arssamas gesehen. In Charkow kommt auf 434 männliche Seelen, also auf etwa 880 Einwohner ein Geistlicher. Im benachbarten Woronesch jedoch schon auf 580 Einwohner. Im Norden, in Olonetz, in Vologda kann man auf 300 Menschen einen Geistlichen rechnen, allein wie weit wohnen die Leute dort auseinander! — Es giebt im Gouvernement 18 Kathedralen, 5,80 Pfarrkirchen und 23 Kapellen. In den Städten sind davon 01 Kirchen, auf dem Lande 4U3 und in den Militaircolonien 74. Im Ganzen sind also 028 Kirchen vorhanden. 6s kommt somit auf 1828 Menschen eine Kirche, allein auf dem Lande ist nur auf etwa 2300 Menschen eine Kirche zu rechnen. Vom Bürgerstande besteht in Nußland überhaupt kaum der Anfang! Im Gouvernement Charkow bildet er, wenn man die Handwerker, Kaufleute und Krämer, die keineswegs bloß in den Städten wohnen, dazu rechnet, den 45sten Theil der Bevölkerung, ohne diese, die dabei zum größten Theil auf dem Lande wohnen, kaum den WOsten Theil. — In der vorherrschend gewerbreichen Gegend sind aber Kaufleute, Krämer und Handwerker doch in viel größerer Zahl vorhanden, als in den südlichen, lediglich auf Ackerbau gegründeten nencolonisirten Ländern: in Iaroslaw gehört der 20ste, in Nowgorod der 21ste, in Wologda der 2^ste Theil der Bevölkerung zu dieser Kategorie. In dem Altpolnischen bildet nach den statistischen Tabellen der Bürger- und Kaufmannsstand einen viel ansehnlicheren Theil der Bevölkerung, in Wilna den 9tcn, in Kijew den 8trn, in Mohilcw den 7tm, in Podolien den 0ten Theil der Bevölkerung, allein wenn man die Sache näher untersucht, so sind es fast lediglich Juden, die dort den Bürgersiand rcpräsentiren! Wie sehr in diesen Gegenden dcr Landbau der norvn5 ,-«-i-um ßm-«l>lwl'l,in ist, sieht man auL den Bcchällnißzahlcn der Bauern. Im Gouvernement Charkow bildet dcr Bauernstand -'/^ der ganzen Bevölkerung, und das ist auch in den benachbarten 151 Gouvernements der Fall: in Poltawa sind ^'/.2/ in Woronesch "/,8, in Tauricn '"/»» auf den Bauernstand zu rechnen. Unter den Bauern sind hier die Kronbanern aller Art, die Ddnodworzcn eingeschlossen, vorherrschend: '5 derselben gchöri zu ihnen, während die Zahl der Leibeignen nur ^5 ausmacht. Die Zunahme der Bevölkerung ist übrigens hier keineswegs so groß, als man bei der Zuströmung der Kolonisation seit 60 bis 80 Jahren denken sollte. Die Zahlung von 1780 ergab 493,434 männliche und 304,374 weibliche Seelen, in Summe 796,808, und 1838 564,238 männliche und 583,800 weibliche Seelen, in Summe 1,147,128. Allein die Bcsitzverhältnisse der jetzigen Einwohner sind ganz andere, als die der früheren, wie aus der vorstehenden historischen Relation leicht zu schließen ist. Damals waren noch wohl mehr als die Hälfte der Bewohner freie Bauern, Odnodworzen, Kosaken, mit eigenthümlichem Lande. Diese haben sich wohl kaum vermehrt, vielmehr im Gegentheil eher vermindert. Aber neben ihnen sind eine große Anzahl Kronbauern und leibeigne Bauern angesiedelt, welche die wüste Steppe allmählich fast ganz biö auf kaum '/,2 des Territoriums urbar gemacht haben. In Folge dessen, aber auch natürlich aus noch andern Ursachen, hat sich daS directc Abgabeverhältniß an den Staat un-gemcin verändert. Damals gaben die Bauern, die nicht pri-vilegirte Ländereien besaßen, 85 Kop. Silber, die privilegirte Ländereien hatten, 05 Kop. Silber, und die Bauern der Gutsherren 60 Kop. Silber ab. Gegenwärtig zahlen gutsherrliche Bauern, Odnodworzen, Kronbaucrn, Apanagebauern ?c. ohne Unterschied 05 Kop. Silber sür die männliche Seele Kopfgeld. Mein damals waren fast nur Ddnodworzen oder Kosaken und gutshcrrlichc Bauern hier ansässig, noch keine Kronbauern auf Kronlande, die den Obrok bezahlen. Deren sind jetzt eine große Menge. Dazu kommen nun auch noch mdirecte Steuern. Der Unterschied in den finanziellen Einnahmen zwischen damals uud jetzt ist daher sehr groß. Im 1.1786 betrugen nämlich die sammt, lichen directen Einnahmen der Krone in diesem Gouvernement 582,143 Rubel Silber, oder nach jetziger Rechnung 2,037,500 Rubel Banco, gegenwärtig aber 5,414,713 Rubel Banco. 152 Die Abgaben an die Krone, so gering sic im Grunde sind (kein Land hat so wenige directc Abgaben) "), sind dennoch in früheren Mißjahren ins Stocken gekommen, und in den meisten Gouvernements theilweise nicht eingekommen. Die Reste haben sich angehäuft, und betragen in vielen Gouvernements sehr große Summen. Im Gouvernement Charkow betrugen sie im Jahre 1^36 die ungeheure Summe von !l;M'j/)40 Rubel Banco, also fast den Betrag einer dreifachen jährlichen Einnahme. Diese Neste sind keineswegs geschenkt, sondern schweben wie das Schwert des Damokles über den Häuptern der Eingesessenen der meisten Gouvernements. Werden diese Neste, die sich auf viele hundert Millionen Rubel im ganzen Neichc belaufen sollen, jemals eingetrieben werden? In barem Gelde gewiß nicht! - Es gäbe aber wohl ein Mittel, wo sie ohne große Beschwerde des Einzelnen und zum großen Nutzen deö Ganzen bezahlt werden könnten. In den fruchtbaren Jahren, wo hier der Preis des Korns auf .'t Nudel Banco der Tschetwert sinkt, und mitunter und in gewissen Gouvernements solch ein lleberfluß ist, daß selbst zu diesen Preisen das Korn nicht verkauft werden kann, lasse man die Bauern, statt Geldes, Korn liefern, und zwar in Bezug auf jene Neste zu guten Mittclpreiscu, den Weizen etwa zu Id bis 20 Rubel Banco, den Noggeu zu 15 biß 16 Rubel Banco. Das wird die Bauern nicht im mindesten drücken! — Dieses Korn soll man dann in jedem Gouvernement, in jedem District ma-gaziniren, und für die Hungerjahre aufbewahren, und in diesen zu jenen Mittelpreisen verkaufen. Diese Manipulation hätte drei Vortheile: 1) Jene Neste verschwänden endlich aus dem Finanzetat, und das Schwert des Damokles würde den Häuptern der Unterthanen entrückt. 2) In jenen Jahren des Ueber-siusses würde ein großer Theil dieses Uebersiusses dem Verkehre entzogen, wodurch der Nest der Vorräthe das zu Markt gebrachte Korn einen höheren Preis erhalten würde, .t) In dem Hungerjahre hätte die Regierung die Mittel zur Abhülfe der ') l>'Süuitl' 153 Noth in den Händen, und vermöchte auch dem Kornwucher entgegen zu treten, und die Preise zu regulircn. In einem anders organisirtcn Lande wäre ein solcher Vorschlag keineswegs unpraktisch, in Nusiland aber scheitert er an Nebcnum-ständen! Die Anlegung, die Einrichtung der Magazinhäuser, vor allem aber die Auffindung eines geeigneten zuverlässigen Beamtenpersonals, dem die Hebung, Aufsicht und Aufbewahrung und der dcmnächstige Verkauf anvertraut werden könnte, bieten unendliche Schwierigkeiten dar. Das Gouvernement Charkow liegt hoch, es liegt auf der Wasserscheide zwischen dem Don und Dnjepr. In Bezug auf die Vodcnbildung gehört es der Region der schwarzen Erde an, doch kommen auch Streifen von Sandboden, wo sich dann auch gute Sandsteine finden, vor. Einzelne Steinkohlenlager, z. B. bei Tschujujew, sind bereits aufgefunden. Hat Rußland erst die nöthigen Communicationsmittrl, so ist die Aufsindung der gewiß an vielen Orten vorhandenen Steinkohlenlager für die südlichen Provinzen wichtiger, als etwa die mächtigsten Goldbcrgwcrke. Gipslagcr deuten auf Salzlager und Salz-qnellen. Sie erwarten noch aufgesucht zu werden. Schwefel findet sick) viel in der Erde der alten Grabhügel. Im Ganzen ist bei diesem tiefen Humusboden das Land nicht reich an Mineralien, desto reicher ist die Vegetation. Diese Gegenden bilden die Vegetationsgrenze zwischen dem nördlichen und südlichen Rußland. Ein Theil des Landes, die Disiricte Charkow, Wolikow, Achtyr und Isjum sind stark bewaldet, die Bergseitcn aller Flüsse enthalten viel Wald. Von Wildprct sind eigentlich nur Hasen vorhanden und sehr viel Federwild-pret, besonders Trappen. Das Klima soll rauher geworden sein, als es früher gewesen ist, der Ausrottung der Wälder hier und in benachbarten östlich und nordöstlich gelegenen Gegenden schreibt man dies zu. Die Dcssjatinmzahl der Wälder soll sich jedoch hier nicht verändert haben, allein sie sind ausgelichtet, die Feuchtigkeit in der Lust hat dadurch abgenommen, die scharfen Winde haben größeren Spielraum und werden durch nichts mehr abgehalten und gebrochen. Der Ackerbau ist die Hauptbeschäftigung der Einwohner. 154 Der Boden wird nicht gedüngt: man hat die Erfahrung gemacht, daß der gedüngte Boden viel Stroh und reifes, aber schwaches mageres Getreide erzeugt, welches so lose in dcn Aehren sitzt, das; der Wind es noch vor der Ernte auf das Fcld verwehet. Viel vorthcilhafter für dcn Körnerbau sind lange Brachen. Hat hier das Fcld 5 Jahre brach gelegen, so trägt cö 15 Jahre lang schöne Frucht! Als Ackerwerkzeug ist vor allem der schwere kleinrussische Nädcrpstug zu nennen. Er besteht aus einem hölzernen Bocke mit zwei Griffen, hat ein Pflugciscn und cm Messer. Es giebt kein anderes Ackcrwerkzeug, welches die Zähigkeit des Neubodrns dcr Steppe, und die Kraft von acht Ochsen aushalten könnte. Er bricht fast nie, und was etwa an ihm zerbricht, kann leicht überall reparirt werden. Die Tiefe und Breite seiner Furchen ist noch einmal so groß, als die des Hakenpstuges, der übrigens zum Nachpflügen hier ebenfalls gebräuchlich ist. Ein solcher Näderpstug kostet in bester Qualität höchstens 30 Rubel Banco, und man kann ihn auch noch vortheilhast in kleinerem Maßstabe bauen lassen, wenn man weniger als die Kraft von tt bis tt Ochsen verwenden will. Man ist hier der Meinung, er übertreffe für hiesige Verhältnisse alle modernen fein ausgcsonncnen Ackerwerkzcuge, die hier sehr theuer kämen, und die die Leute nicht gewöhnt seien anzuwenden. Der Kleinrusse pflügt hier in drei Tagen 2 Dessjatinen, ein Knabe leitet dabei seine 6 Ochsen und treibt sie an. — Der Hakenpstug hat 1, auch 2 Pstugmesser. Ein cmvcres Ackerwelkzeug ist hier mit in einer Reihe liegenden eisernen Zähncn, in Gestalt kleiner Pflugeisen versehen, es hat rme Deichsel, und ritzt den Boden nur stark auf. Die Aussaat des Winterkorns beginnt um den 6. August, die des Sommerkorns beginnt zwischen dem 15. und 2(1. März. Gegen Mitte Novembers fricren die Flüsse zu, und gehen in der ersten Hälfte des Märzes wieder auf. Man säet auf 1 Dessj. 1 Quart (Tschetwcrt?) Noggm, Weizen, Gerste und Hirse, und i'/i Quart Hafer, '/« Quart Buchweizen. Die Hirse wird mit Sand gemengt und gesäet, damit sie gleichmäßiger sällt. Als mittlere Ernte rechnet man vom Roggen und Weizen 4, vom Buchweizen 4'4, von der Gerste 5, vom Hafer 8 und von der 155 Hirse 75 Körner Ertrag. Man hat auch angefangen, kaukasische Hirse zu bauen, welche die Nachtfröste besser aushält und stärkern Ertrag gewährt. Die Ernte beginnt den 1. (13. a. St.) Juli. Man mähet oder schneidet hier mit Sensen. Ein Mann mähet 1 Dcssj. in drei Tagen. Man drischt und schwingt das Getreide im Freien oder in offenen Trockenscheuncn, wo möglich bei starkem Winde. Der Gebrauch der nördlichen Korndarren (Riegen) ist hier nicht mehr üblich, doch hat man hier eine andere mit Stroh zu heizende, nur im Süden gebräuchliche. Ein Mann drischt an einem Tage 1 bis 2/2 Schober. Frauen dreschen hier nicht, oder doch nur im höchsten Nothfalle. Beim Mähen helfen sie aber, binden und legen die Garben in Schober. Das Gouvernement Charkow erzeugt viel mehr Getreide, als cß bedarf. ES führt nach Kursk und Taganrog aus, im Kreise Woltschansk z. B. geht der Weizen nach Taganrog, der Noggen nach Charkow und von da nach Kursk, und der Hafer nach den Militaircolonien. Aber in Hinsicht des Absatzes ist die geographische Lage des Gouvernements sehr unvortheilhaft. Es ist von anderen eben so fruchtbaren Gegenden umgeben, ohne allen Verkehr zu Wasser, und leidet daher eben so viel durch die niedrigen Preise in fruchtbaren, als durch die hohen in unfruchtbaren Jahren. Der Doncz war ehemals schiffbar, auch der Dskol noch unter Czar Alcrci Mchailowitsch bis zur Stadt gleiches Namens. Der Psjol könnte schiffbar gemacht werden. Zum Theil können wohl die Ausrottungen der Wälder zur Versandung beigetragen haben, allein der Grund des Doncz zeigt, daß vorzüglich Stroh, Mist und Reisig, welche die Müh-lcngräben und Bäche hineingeführt haben, sein Bette seicht gemacht haben. Da Stroh und Mist nicht zum Düngen gebraucht werden, so sucht man sich auf jede Weise davon zu befreien, und wirft es, wo man kann, in die Bäche. — Was könnte Charkow werden, wcnn man die Flüsse reinigte und Ausfuhr-wege zu ihnen bauete! So bleibt nur fast als einzige Weise, das Getreide zu verwerthen, übrig, Branntwein daraus zu brennen! ES sind daher eine hübsche Zahl von Brennereien im Gouvernement vorhanden. Im Jahre 183tt zählte man deren in 10 Distritten (im Kreise 15« Starobelsk giebt es keine Brennereien, weil dic Einwohner kein Privilegium zur Anlage haben) 275 *). Ueber den Vcrpachwngspreis des LandcS in der Nähe von Charkow habe ich schon oben eine Notiz gegeben. In den Kreisen Woltschansk und Isjuin wird fiir die Dcssj. guten Bo-dens 1U bis 15 Nubel Banco Pacht bezahlt. Die landwirth-schaftliche Arbeit auf einer Dcssj. kommt auf l> Nubel Banco zu stehen. Der Kaufpreis einer Dessj. ist 35 bis 50 Nubel Banco. Der Gartenbau steht niedrig, die hiesigen Leute lieben das Gemüse als Nahrung wenig, die Kartoffel ist noch wenig verbreitet. Die' Starowerzen halten bekanntlich ihren Genuß für sündlich, und meinen, die Cholera sei eine Strafe ihrer Verbreitung; aber auch vernünftige Leute sagen hier, waS soll uns die Kartoffel, da wir nicht einmal unser Getreide aufzuessen vermögen! Der Tabacksbau nimmt sehr zu, da der gemeine Russe sich immer mehr an ihn gewöhnt, ungeachtet er früher (die Starowcrzcn noch jetzt) das Rauchen für Sünde hielt. Nur im Kreise Isjum wird kein Taback gebauet. Der hiesige Flachs- und Hanfbau ist ausgezeichnet. Der Hanf ist in einigen Kreisen von der vorzüglichsten Beschaffenheit. CS erisiirtc 1835, eine Bindfadcnspumcrei. Farbckräuter werden nicht gebauet, aber es wachsen dergleichen wild, welche die Klcinrussen zu ihrem Zcugfärbcn vortrefflich zu benutzen wissen. Seidenbau war schon ttt3tt stark im Aufblühen. Die hiesigen Fabriken verarbeiten größtentheilö hiesige Noh-producte, gehören also zu der Kategorie, die man möglichst ermuntern und unterstützen soll: Talg- lind Seifensiedereien, Lohgerbereien, Salpetersiedereicn, Wollfabrikcn, Eisen- und Kupfer- ') Passet behauptet, dic Branntweinbrennereien seien hier nothwendig und nicht schädlich. Die Trunksucht sei deshalb im Gouvernement nicht sehr emgerissen. Im Jahre 183« seien nur 2«, Menschen daran gestorben. Der frcic Brand mache hier den Branntwein viel wohlfeiler, als in den Guudcrcments, wo das Pachtsystem herrsche, hier grllc dasselbe Quantum 10 Kop., was dolt 5N Kop. koste. Deöhalb würde aber doch hiei nicht mehr getrunken, als dort. Mn russisches Spruchwort sage: Lust ist schlimmer als Zwang! — Man brennt übrigens hier nur von Mitte Oitobcr bis Millc April, 157 Hüttenwerke, Lederbereitung (hier trägt alles lederne Fußbekleidung) finden sich hier. Daß sich hier die russisch fabrikartig arbeitenden Gemeinden finden, versteht sich. Im Kreise Smijew giebt es ein paar Dörfer, wo alle Frauen Kleidungsstücke schneidern, trotz den besten Berliner Schneidcrmamsells. Dic Männer stehen dann aus den Jahrmärkten mit den Fabricaten in eignen Buden aus. - In der Negcl findet man nur auf den Privatgütern einigermaßen erträgliche Handwerker, Tischler, Sattler, Schloffer n. Nur die Herren erzwingen daß bei ihren leibeignen. In Krongemeinden fehlt dieser heilsame Zwang. Die Nüssen haben noch nöthig, zur Cultur und Freiheit erzogen zu werden! Die Schafzucht ist sehr im Steigen. Schon 1838 waren über 40,(100 feine Schafe vorhanden, .A) Jahre früher noch nicht eins. Die Teppichfabrication ist dem kleinrussischen Geschmack und Charakter angemessen. Der Kleinrusse hat Phan^ tasie, ihn entzücken die bunten Farben, die Blumen und Gestalten der Teppiche, wie er das kleine weiße Häuschen mit den Blumen davor, die bunten Kleider liebt. In den Wäldern, in welchen Eichen, Birken, Pappeln und Fichten vorherrschen, kommen außerdem Ahorn, Eschen, Ulmen, sibirische Zwergrüstern, rothe Rüstern, Weiden, Erlen, Espen, Linden, Elzbeerbäume, Ebereschen (deren südliche Grenze hier ist), dann wilde Kirschen- und Pfirsichbäume, wilde Aepftl- und Birnbäume, letztere in so großer Menge vor, daß man im Kreise Wolckow in Mißjahren die Früchte kocht, trocknet, zu Mehl mahlt, und Brod daraus backt, so wie QuaS daraus brauet! Einige Gutsbesitzer haben neuerdings angefangen, Holzculturen, namentlich von Fichten, anzulegen. Aber viele erkennen auch den Werth der Conservation der Wälder noch lange nicht, sie verkaufen !0 bis 10l) Dessj. zum Aushauen, und da dies der billigen Arbeitslöhne halber im Frühjahre geschieht, so rui-nirt der Aufkäufer mit den Bäumen auch allen jungen Aufschlag. Die Bauern sind hier, wie alle russische Bauern, die geschworenen Feinde jedes Baums. Sehr bedeutend ist die Pferdezucht in diesem Gouvernement. Die meisten und besten Stutereien sind in den Kreisen Isjum, Smijew und Starcbclsk. Es werden auf denen der reichen 158 Gutsbesitzer nicht bloß einheimische, sondern auch arabische, englische und die Trabcrrace der Gräfin Orlow gezüchtet. Auch die Krone hat mächtige Gestüte angelegt, bei welchen die Bauern, welche ihnen zugeschrieben sind, statt Obrok zu bezahlen, die Stalldiensie als Frohndcn übernehmen müssen. Jahrmärkte, jene Aushülse des Verkehrs cineö Landes, wo es mit dcn Communicalionsmitteln schlecht bestellt ist, giebt es daher im Gouvernement l5harkow in großer Anzahl, nämlich 288. Der Umsatz auf denselben soll gegen 80,000,000 Rubel Banco betragen. Das hiesige Bauerngehöft ist das rein kleimussischc, welches sich vom großrussischen, sowohl in der Anlage als der Structur der Gebäude und dem Material, aus denen sie gcbauct sind, wesentlich unterscheidet. Die Dörfer bestehen nicht mehr aus einer Straße eng an einander gcreiheter Gehöfte, wo die Wohnhäuser mit der Giebelscite an der Straße und meist immer zwei Wohnhäuser an einander liegen, mit einem langen, schmalen Hof, auf dem die Wirlhschaftsgcbäude in einer Reihe hinter einander stehen; sondern hier haben die Dörfer mehr den Charakter der deutschen: es ist ein Dorf, Dorp, Trup, es sind Gehöfte, längs mehreren krummen nicht gleichmäßigen Straßen, oft auch ganz unordentlich durcheinander liegend; das Gehöft ist viereckig, oft gleich breit wie lang, meist rundum von Wirthschaftsgebäuden umgeben. Das Wohnhaus liegt in der Regel, doch nicht immer mit der breiten Seite an der Straße, in deren Mitte der Eingang ist. Es ist nicht mehr hoch wie das großrussische, wo die untern Räume zu Vorrathskammern und Ställen dienen, und erst darüber die Familie wohnt, zu welcher dann eine Treppe von Außen hinauf führt, sondern es ist niedrig, man tritt gleich von der Straße ohne Treppe über die Schwelle auf die Flur, und rechts uud links liegen die Stuben und die Küche, die hier auch meist einen abgesonderten Raum bildet, während bei den Großrussen gewöhnlich in der Wohnstube selbst gekocht wird, und so Herd und Ofen identisch sind. Aber auch das Material, aus dem die Häuser gcbauet sind, ist ein anderes in Klemrußland. Wo hinreichend Holz ist, sindet man zwar auch hier die Häuser aus in einander gefügten Balken aufgebauet, allein dieser Holzübcrfluß ist hier schon selten, 159 Flcchtwcrk, Schilf und Lehm sind hier meist das Material, mit dem man sich behelfen muß! — Die Bauerngehöfte im Gouvernement Charkow haben nun schon ganz diesen klcinrussischm Charakter, ungeachtet ein großer Theil der Bevölkerung Großrussen sind, die sonst ihre Sitte, ihre Weise zu leben und zu wohnen, überall hingetragen haben, wie man denn, z. B. in Nordamerika, in den dortigen russischen Colonien überall das großrussische Haus des Gouvernements Moskau oder Iaroßlaw findet. Die Bauernhäuser im Gouvernement Charkow sind sehr schwach von Holz in Fachwerk gezimmert, die Wände oder Fächer sind entweder mit Lehmstcinen ausgesetzt, oder mit FIcchtwcrk von Zweigen oder Schilf, was dann mit Lehm ausgeschmiert ist. Stets sind diese Wände dann aber geweißt, was jährlich hausig geschieht, denn der Kleinrusse hält auf Reinlichkeit und Putz! Das Dach ist stark, mit Stroh ost sehr regelmäßig und schön gedeckt. Um das Bauernhäuschen wird ein Aufwurf, eine Art niedriger Bank von Reisig oder Schilf gemacht, der mit Lehm angeworfen, grad gemacht, und gelb angestrichen wird. Ost bildet diesc Bank ein Blumenbeet längs dem gan-zcn Hause her, was ganz allerliebst aussieht! In der Regel liegt die Wohnstube rechts an der Flur, und bildet eine Ecke des Hauses, hat dann auch stets zwei Fenster vom, und eins an der Seite. Die Ecke zwischen den Fenstern ist dann gewöhnlich die Stelle, wo das heilige Bild hängt, welches stets mit frischen und trocknen Blumen sorgfältig geschmückt wird. Links von der Flur ist meist eine Kammer, um allerhand Haus-geräthc :c. aufzubewahren. Die Wände sind sämmtlich geweißt, der Boden im ganzen Hause ist von festgestampftem Lehm, in der Stube der Wohlhabenden aber gedielt, wo dann aber die Dielen, so wie Bänke und Tische blank gescheuert sind. Dic Schornsteine und Defen sind aus Lehmsteinen (Backsteine sind selten) aufgeführt. Die Oefen sind im Allgemeinen leicht, bequem, hübsch und der Lebensweise entsprechend. An den Wänden laufen Bänke her. Die fensterlose Wand neben dem Ofen »st für Pritschen ober Schlafbänkc benutzt, auch der Ofen selbst wird zum Lager benutzt. Der Hof wird möglichst rein gehalten, die Wirthschafts- l2 mit Kränen von bestinnnten Blumen und Gräsern an einem Naffer, machen ein Feuer an, singen, es umkreisend, gewisse bieder, und springen dann hin und zurück wild durchs Feuer. — Im Winter, sobald es zu stieren beginnt, ziehen junge Leute und Kinder, bieder singend, vor die Fenster und bitten um Kuchen und Nüsse. Am Abend vor Weihnachten, hier, wie im katholischen Deutschland, der heilige Abend genannt, singen die (incise des Dorfs, vom übrigen Volk umringt, vor den Fenstern der Hauser geistliche Hymnen. Im Frühling versammeln sich Knaben und Mädchen an den ersten ausgcthauctcn Stellen und singen sogenannte Frühlingslieder. Ueberhaupt giebt eö für jede Jahreszeit besondere bieder, welche an den Wochen-abcndcn, wo sich Jung und Alt versammelt, gesungen werden. An den Feiertagen verstummt der Gesang aber fast gar nicht. Doch singen die Männer viel weniger, als die Weiber und Mädchen. Merkwürdig ist der Gesang der Großrussen und Klemrusscn in Bezug aus die Nationaltänze. Die großrussischen Tänze sind meist langsam, ernst, sigurirend. Sie sind dann so vertieft in ihrem ganzen Wesen, das; sie sich durch nichts stören lassen. Ich bin oft hinzugetreten und habe lange zugesehen, aber selbst der sremdgcklcidetc Mann, der fast die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfs rege gemacht, ward von den Tanzenden völlig ignorirt. Im Gegensatz zu seinem nachdenklichen Tanze ist der Grosirussc aber von Natur leichtsinnig, keck, munter, rasch in allen Bewegungen! ^ Der Kleinrusse ist dagegen sinnig, nachdenklich, poetisch, grübelnd, schwärmerisch, langsam und bedächtig in allen Bewegungen. Aber der größere Theil seiner Tanze ist im Gegentheil frisch, keck in allen Bewegungen, springend, voll Leben und Begeisterung! Bei den Grosirussen tanzen mehr dir Weiber, bei den Kleinrussen mehr die Männer. Die Kleinrussen haben viele Kunstfahigkeiten, sie haben meist eine reine volle Stimme, und ein so scharfes Ohr lind Gc^ dächtniß, daß sic ohne Unterricht ganz vortrefflich und präcis singen, und verschiedene Instrumente spielen lernen. Auch zum Zeichnen und Malen haben sie entschiedenes Talent, und bringen ohne Anleitung es darin oft unglaublich weit. Die Kleinruffen sind ungemcin fromm und andächtig, und 1N3 hangen mit großer Treue an ihrer Kirche. Ich habe schon angeführt, daß bei ihnen noch nie die Lehren irgend einer Sectc Eingang gefunden baben. Wir sichren den 21. Juli Abends aus Charkow. Als wir früh erwachten, waren wir in einer echten Stcppcngcgcnd. So weit der Horizont reichte, und Stunden lang fahrend nichts als Steppe! Dabei in dieser Jahreszeit nichts weniger als schön. Der Boden trocken, schwarzgrau, die Grasnarbe völlig vertrocknet, hie und da, meist Gebüsche bildend, riesenhohes Unkraut, Diesteln und Bunan (das beste Feucrmaterial der Steppenbewohner) ebenfalls schon völlig vertrocknet. Von Bäumen oder gar Wäldern nirgends eine Spur! Hin und wieder in einer Niederung hohes, grünes Schilf und einiges Weidengebüsch. Die kleinen Flüsse in breiten Sandufern schleichend. Ganz eben sind die Steppen, die ich sah, nirgends, überall wellige Erhöhungen, wie ein wogendes, plötzlich stehengebliebenes Meer. Es schien mir, als ob in diesen wellenartigen Erhöhungen ein gewisses Bildungsgcfch eMirc, eine gewisse Harmonie, als ob sie in bestimmten Strichen zögen. Für einen Naturforscher wäre das interessant zu untersuchen und zu wissen; aber um sich eine Uebersicht, ein Urtheil zu bilden, müßten genaue Spe-zialkarten, die selbst die kleinsten Erhöhungen angeben, eMircn. Gegen Abend erreichten wir, einige Stationen vor Iekare-rinoslaw, ein hübsches kleinrussischcs Dorf, Gubenicho, wo ich einmal wieder einige monographische Notizen einzog. Ein alter gescheuter Kleinrusse gab uns vortrefflichen Bescheid auf alle Fragen. Es war eine Freude, wie der Alte gut begriff, und Wie vernünftig und scheinbar wohl unterrichtet er antwortete, Das Dorf hat in 3l)4 Gehöften 1017 männliche Seelen. Von den zum Dorfe gehörigen 7000 Dcssj. ist '/4 zur Weide bestimmt. Das Uebrige wird nach Seelcnzahl getheilt. Allein Armuth und Reichthum, überall in der Welt in nothwendiger Eintracht zusammen, ist auch hier besonders in Bezug auf das Inventarium vorhanden! Ein Theil der ärmeren Leute ist außer Stande, sein Land ^lbst zu bearbeiten, und ist daher gezwungen, es an seinen wohlhabenden Nachbar zu verpachten. Hiebei ist Naturalpacht qe- 11" 104 bra'uchlich. Dcr Verpächter erhält für „curb Land (für solches gilt auch Land, das 4 bis 5 Jahre lang brach gelegen hat) ein Viertel der Ernte, für gebrauchtes sinkt die Pacht vcrhältniß-mäßig bis zu '/,. Die Fruchtfolge ist: im ersten Jahre Hirse und Flachs, im zweiten Jahre Sommerfrucht, nämlich Sommerweizen, im dritten Jahre Roggen. Dann bleibt das Land 4 bis 7 Jahre ungcpflügt als Weide liegen. Ein gewöhnlicher Wirth säet 5, bis li Tschetwert Roggen (wobei er 1 Tschetwert auf 1 Dcssj. säet), 1 Tschctwert Hirse ('/4 Tschctwert auf 1 Dessj.) und 3 bis 5 Tschetwert Gerste zum Unterhalt seines Federviehes und seiner Schweine. Ein solcher Wirth hat dann meist 2 Pferde, 4 bis 5 Paar Ochsen, 4 bis 5 Kühe, 100 Schafe. Mist wird nur zum Brennen verwendet, nicht zur Düngung. Das Getreide vor dem Dorfe schien in diesem Jahre vortrefflich zu stehen, doch meinte unser Alte, es sei zu sehr ins Stroh geschossen, die Frucht sei klein gerathen. Das Holz müssen dte Leute IN bis 15 Werst weit aus Privatgütern holen, und dort für den Faden 15 bis 2N Rubel Banco zahlen. Mit der Fuhr kommt eß auf 25 Rubel Banco. In dieser ganzen Gegend ist Holz nur in Privatgütern zu finden, die Kronbauern haben ihre Waldanthcile völlig verwüstet. Wir hörten hier im Süden überall, und es wurden uns weite Strecken gezeigt, wo Wälder gestanden, es war aber kaum noch etwaS Gestrüpp zu sehen, selbst bedeutende Fruchtbaumpstanzungcn waren völlig ruinirt. Es ist hohe Zeit, daß das Domainenministerium die Wäldcradministration scharf controlirt! - Gurken gedeihen hier schlecht, Arbusen nur auf reinem Lande und auch dann nur auf ein Jahr lang. Kartoffeln und Hanf gedeihen auch schlecht, da beide hier Niederungen, die nicht vorhanden, lieben. Es wird bedeutende sogenannte Erdbiencnzucht getrieben, wobei die Bienenkörbe im Sommer in dcr Steppe auf dcr Erde stehn, im Winter aber cingegraben werden. Es giebt hier Wirthe, die 1l)l) Bienenstöcke haben. Wenn die ärmeren Bauern ihr Land verpachten, so darf es nur an Gcmeindegcnosscu geschehen. Bei Vererbungen fällt in der Regel dem Jüngsten daß Haus zu. Tochter erhalten nur eine Aussteuer. AlimentationSpflicht der Geschwister existirt hier als u5„5, wie wohl überall auf niedern Clllturstufen. Die Nahrung der Menschen besteht aus Roggen- 165 und Weizenbrod, zuweilen auch Gerstenbrvd, ausHirsebrei, Schaffleisch, Schweinefleisch, Gänsen. Gemüse wenig, viel Fleisch. Man sieht, die Nahrung ist hier eine ganz andere, als in Nordrußland ! Eisen kostet hier k bis 10 Rubel Banco das Pud, Salz kaufen und holen die Bauern meist aus der Krim zu 94 Kopeken das Pud, mit der Fracht kommt es auf 1 Rubel 34 Kopeken. In den Buden der kleinen Städte wird es mit 1 Rubel 50 Kop. Banco bezahlt. Der Gctrcidevcrkauf geht meist nach Nowonwskofsk, 20 Werste weit. Die Tracht war die oben beschriebene, die jungen Männer trugen klcinrussische Schnurbartc, die älteren hatten den vollen Bart der Großrusscn. Im Ganzen waren die Männer nicht hübsch, sehr gemischte Physiognomien, doch meist Stülpnasen und starke Backenknochen. Die Weider sind hübscher, wenigstens runder und lebhafter. Längs diesem ganzen Wege, und eigentlich schon vom Bit-juk an, sahen wir überall an den Negcn einsam liegende (5'in-kehrhäuscr, was im nördlichen Rußland nirgends der Fall ist. Uebrigens ist das Wirthshausführen bei den Kleinrussen kein besonderes Gewerbe: man wird in den Dörfern in jedem Hause aufgenommen, gegen Bezahlung oder umsonst, meist nach eignem Belieben. Jene einsam gelegenen Cinkchrhäuser dienen nur als Stationen für die Fuhrleute. Die Posten werden hier fast alle von Juden verwaltet, die, wenn sie können, die Reisenden prellen. Ich selbst habe aber nie in Nußland darüber klagen hören, Dank dem mir mitgegebenen vortrefflichen Postillon Thimofc (ThimothcuS). Fünfundneunzig Werst von Ickatrinoslaw lag rechts an der Straße eine mächtige, merkwürdige und räthselhafte Verwaltung. Vielleicht ist es ein Rest jener oben angeführten ältesten Verwallung zum Schutz gegen die Tataren, ungeachtet sie mir dafür etwas zu tief südlich zu liegen scheint. Wir kamen spät in der Nacht in Ickaterinoslaw an, und kehrten in einem ganz elenden Wirthshause ein. Am andern Morgen sahen wir uns zunächst in der Stadt um. Sie hat das Ansehen einer großen Anlage, die aber nicht zur Ausführung grkommen ist, theilweisc sogar das der verfallenen Größe! ^insi unter Katharina ll. war sie bestimmt, die Sommcrresidenz der <5zarcn zu werden! - Der Ort lag früher auf dem linken Ufcr des Dnjepr, Potcmkim verlegte ihn auf daö rechte, 166 und begann ihn aufs großartigste auszubauen, worauf cr 1786 zur Stadt erhoben wurde. Wir besahen zunächst den vom Gouvernement schon vor etwa 40 Jahren angelegten, 35 Dcssj. großen öffentlichen Garten, mit dem eine Gartenschule verbunden ist. Der Director und sein Gehülfe waren Deutsche, und zeigten uns Alles auf das bereitwilligste. Der Blumenflor war vortrefflich, aber viel interessanter waren die Baumanlagcn. Der Director bewies uns durch sie bis zur Evidenz, daß wenigstens gewisse Gegenden der Steppe der Bewaldung sehr wohl fähig seien. Es waren hier alle Arten von Waldbäumen: Eichen (0us-lors ceux do Fr.uico vii]gaircm^t in beständiger Relation mit deu holländischen Mnuwnilen. ^) Vor dn Tauft müssen nach strengem Nilus die Kattchumemn das Versprechen grbcn: „der christlichen ^ftichl gemäß nicht zu regieren, und nichl die Waffen zu führen." Nach der jetzt meist geltenden lcncn O-b-strulinz wird nui die Erklärung gefordert: „cs sei besser zu gehorchen, alö zu regieren, besser zu leiden, als sich M-Wehr ;u sehen," Iu Nord-amelila haben sir dm Grundsatz cmfgegebm >md sind in die V^iliz ein-, getreten. Seitdem ist ihre Sittrnemfalt untergegangen, sie sind auöge^ lassener und sittenloser alö andere Gemeinden geworden. Vi0 Köpfe), ein Terrain von 32,l»48 Dcssj,, (beinahe (> ^Meilen) an. Jede Familie sollte 65 Dessj. erhalten, der Rest für die sich neu bildenden Familien verbleiben. Die heranziehenden Mennoniten waren keineswegs arm, doch schoß das Gouvernement zur ersten Etablimng -noch die bedeutende Summe von 341,800 Rubel Silber (l,1W,300 Rubel Banco) vor, welche jedoch gegenwärtig 1tt42 bis auf 30,000 Rubel Silber abgelegt sind. Ich erhielt über diese in 17 Dörfern lebenden Kolonien an Ort und Stelle folgende statistische Notizen. 170 Zuerst über die Bevölkerung. Im Jahre Zahl der Familien SecIenzaHl. männliche weibliche 1789 1813 1819 1838 1843 330 590 873 >! 1255 1489 2789 3178 1191 1399 3198 2446 2888 6376 Die rasche Vermehrung der Bevölkerung in 30 Jahren um fast 100 Procent ist nicht durch die Uebcrzahl der Geburten, sondern wohl durch das Hinzukommen neuer Colonisten aus Westpreußen zu erklären. Dies erklärt auch das Uebergcwicht des männlichen Geschlechts in den früheren Jahren, da wohl unstreitig mehr Männer als Frauen zugezogen sind. In den letzten Jahren hat dies aufgehört. D ß »Ulw U N 161!) 2 26 16 9 10 20 25 4!) i«; 1843 5, 31 2? 2 17 1l 40 Die Abnahme in so manchen Handwerken läßt sich wohl nur dadurch erklären, daß früher viele Handwcrksproducte an benachbarte Russen geliefert wurden, und jetzt in dieser Beziehung größere Concurrenz entstanden ist*). ') Bei den Notizen voil 1813 und 1819, su wie I'ci manchen über dm früheren Zustand ist rin Vnch benutz«: Br'irägc zur Kenntniß der Meu-nonitm-Wcmcinden in stnrofta nnd Amerika l»on Frhr. v, Neiwitz und Prof. Wabzeck, Berlin Itt2>, 177 Zahl der Wohnhäuser Zahl der Kirchm Zahl dcr Windinilh-lcn Zahl dcr Noßmühlcn Zahl der Grütz-mühlcn 1819 1843 47Ü .^50 2 2 22 43 l 3 Nur etwas über die Hälfte dcr Gehöfte sind eigentliche Ackcrwirthschaften, die andere Hälfte wird von sogenannten Anwohnern, Krämern, Taglöhnern, Handwerkern bewohnt. Zahl dcr Iahl dcr Zahl der Wagen Zahl dcr Pferde Zahl di'S Honwlthö Zahl drr Schaft Zahl dcr Schwmir 1813 ? ? ? 2735 4440 5921 2154 1819 345 532 2582 H090 11,774 2070 1843 631 1026 1194 347l> 5570 47,241 1209 Die fortschreitende Blüthe der Colonie ist am besten aus dcr Vermehrung und Verstärkung der Inventarienstucke zu ersehen: die Wirthschaftsgeräthe haben sich in 24 Jahren fast verdoppelt, die Zahl dcr Pferde ist fast um die Hälfte gestiegen, die Hornviehzucht und Schweinezucht sind zwar zurückgegangen, dagegen die Schafzucht so enorm gestiegen, daß sich die Zahl der Schafe noch mehr als vervierfacht hat. Rechnet mau !"» Schweine oder Schafe auf l Stück Hornvieh, so hat sich der Verlust in deren Zucht durch die vermehrte Schafzucht nicht bloß gehoben, sondern der Werth des ganzen VichinvcntariumS ist zusammen um mehr alö 50 Proccnt gestiegen. Den Colonien ist im Ganzen ein Territorium von 32,W3 Dcff. überwiesen. Hiervon sind i. I. 1843 Ackerland . 7120 Dessj. Geschlossene Gärten und Maulbcervflanzuugen . 15l> „ Gartenland zum Gemüsebau.......55'/, „ 12 178 Heuschläge oder Wiesen........N.'j2l Dcssj. Weiden für das Vieh.........«100 „ Weiden ausschließlich für Schafe.....10,077 „ Die Dorflagen, Wege, Teiche ^c. nehmen ein . 27,4^ „ Man sieht hieraus, daß die Viehzucht den Ackerbau bei weitem überwiegt. Der Verkauf des Viehs und der Product«.-der Viehzucht gewahrte daher auch folgende Einnahme: Rubel S. Kop. l^7 Pferde verkauft für ..... Aus dem verkauften Hornvieh gclös't 1326 Schafe, Hammel :c. auö der Ge-mrindeschäfcrci verkauft für . , . l7,<»17 Schafe :c. der Privaten verkauft für......... Für 2«',' Pud 2<> Pfund Wolle aus der Gemeindeschäferci....... Für 2777> Pud Wolle auö den Privatschäfereien ......... 1434 Pud Butter sind verkauft für . . 2!» Pud Käse......... 20 Pud geräuchertes Fleisch verkauft für 2 Pud 2 Pfund Seide verkauft für . . l (),l>7."> W,54I 7712 77,,7l0 13,504 275 INl 745 20 ')!) 15> j 1U4,."M <^0 Die Colonie hat eine wemrindrschäferei von 4493 Stück. Die Gemcindcmagazine besaßen einen Vorrath von 4020 Tschetwert Winterqctreide und 4i)7 Tschctwert Sommergetreide. Im Hcrst l^i42 war ausgesäet 14'i7 Tschetwcrt Winterkorn. Im Frühjahr 184'l war ausgesäet 3>!40 Tschctwert Smnmerkorn. Von Fabriken waren nur vorhanden 1 Branntweinbrennerei, 1 Bierbrauerei, l (Kssigbraucrei, 7, ^'einwandfärberrien. Das Terrain der (5olonicn ist der Nähe des Dnjeprs wegen nicht flach sondern hügelig, die Dörfer liegen alle in den kleinen Thälern und Schluchten, da auf den Anhöhen das Wasser gänzlich mangeln würde, die Dörfer Kronwrrde und Einlage sogar sehr schön zwischen bedeutenden felsigen Anhöhen 179 nahc am Dnjcpr. — Der Boden ist sehr fruchtbar und bedarf nur geringer Bearbeitung, aber Klima und Witterung, besonders Dürre vereiteln doch oft alle Hoffnungen. Neues Land zu pflügen bedarf man l> Pferde vor dem Pfluge, im zwcitcn Jahre nur 4, im dritten und den folgenden nur 2 Pferde. Weizen gedeihet selten, wird aber doch viel gebauet, weil er verhältnißmäßig sehr hohe Preise, oft das dreifache der Roggcnpreise gewährt. Im I. 15>9 kostete 1 Tschetwert Weizen 1,5 17 Rubel Banco, Roggen 5—7 Nubcl Banco, Gerste und Hafer 5 4» Nubel Banco. Da alle Arbeit sehr theuer ist, *) wurde damals (ob es jetzt noch geschieht, weiß ich nicht) zum Roggen nur einmal gepflügt und zweimal geerntet! Man ließ die Ernte überreif werden, damit ein Theil des Samens ausfiel und eine neue Ernte gewährte. Die Wohlfcilheit des Korns veranlaßt die Ansiedler, eine ungeheure zahme Geflügelzucht zu Hal' ten. Die Schifffahrt den Dnjepr aufwärts ist der Schwellen halber nicht practicabel, hcrabwärts versandet er immer mehr. Nur die Viehzucht gewährt daher Geldeinnahmen. Die Pro-ductc derselben finden um so leichtern Absatz, als die Nüssen und umhcrwohnenden Tataren dic deutsche Bereitung des Fleisches, der Butter, Käse n. allem vorziehen, ohne sie selbst nachzuahmen. Eigentliche Wälder besitzt die Eolonic nicht, doch haben sie eine Insel im Dnjepr mit einem hübschen Holzbestand, auch cultiviren sie in den Thälern, in Schluchten, so viel sie können, Holz, so daß sie ihr nothdürftiges Nutzholz, auch etwas Brennholz haben. Sie haben jetzt hübsche Obstanlagen, srüher mußte die Melone alles übrige Obst ersehen. Schon l«I9 behauptete man, daß seit dem Anbau der Gegend von 1790 die Winter stufenweise strenger und rauher geworden seien. Früher hatte man nicht nöthig gehabt Heu zur Winterfutterung zu mähen, das Vieh hätte stets im Freien ausdauern können und Futtev gefunden. ') !81!) stand del Tciglohil mn'ß Mamu's m,f !'/2 '>i»^l ,^cmw, in d>r <5rntr 2 Rubi'l VlNici,' inbst sni« ^rhn!,!,, (d>inm!S stolid drr Niilul Banco l0 S>,,',) <5m Mminr- >,Mr Zimmn'gsscll rrlmlt li'/,^ Nul'rl Vain» M.si lvssc». dl'l- Mchll'l' 5> Rllbcl ^anw lind freie Zllinmq. 12* 180 Die 17 Dörfer bilden eine Gcsammtgemcinde unter einer gemeinsamen Verwaltung, die Einkünfte von der Gemeinde-scha'ferei, von der Fähre über den Dnjepr, die Pacht der Brauerei und Brennerei bilden gemeinsame Einnahmen. Sie haben ein Gemeindemagazin, Brandversicherungßgescllschaft, zwei Kirchen, in jedem Dorfe eine Schule. Im Dorfe Ehortitz ist daß Gemeindehaus, der Sitz de8 Gemeindeamts, dem ein Obcrvorsteher präsidirt. Ein Eolonicschrciber, der deutsch und russisch kann, steht ihm zur Seite. Nach einigen Stunden Aufenthalt verließen wir diese Eo-lonie, um die neuern Mcnnonitencvlonicn an der Malotschnaja zu besuchen. Sie liegen etwa 60 bis W Werst südlicher, und wir erreichten gegen Abend ein Dorf derselben, Namens Halbstadt, wo uns ein reicher Mcnnonit gastfrei und freundlich aufnahm. Am andern Morgen dem 24. Juli, einem Sonntage, fuhren wir früh nach dem eine Stunde entfernten Sihe des Gebictö-amt8 Drlow. Wir wurden in einem hübschen, reinlichen Gehöfte freundlich aufgenommen. Da eben der Gottesdienst beginnen sollte, so gingen wir in die Kirche, oder vielmehr den großen Bctsaal, ich zum erstenmal einem mennomtischcn Gottesdienste beiwohnend. Der Betsaal war völlig schmucklos, ohne Altar, nur eine erhöhcte Estrade für den Prediger und außerdem gewöhnliche Kirchcnbanke enthaltend. Zuerst ein Kir-chcngesang, sie haben die alt lutherischen rccipirt, dann kam die Predigt. Die Mennoniten haben keine studirte Prediger, sondern die Gemeinde erwählt nach Gutdünken einen ihrer Mitglieder dazu, und dieser muß das Amt annehmen. Er erhält keinen Gehalt, außer wenn er ganz arm ware, und durch das Amt von anderm Erwerb abgehalten würde, lim so mehr mußte ich mich über die Predigt wundern, sie war offenbar nicht auswendig gelernt, ja nicht einmal vorher von dem Redner völlig ausgearbeitet und abgeschlossen, denn er brachte in einer ganz passenden Wendung die Rede auf uns, sprach fließend und ungezwungen, daß wir ilmen Grüße aus der Heimath 18! brachten, wohlwollend ihr hiesiges Leben und Wesen zu untersuchen gedächten, um dem Vatcrlande von ihnen Nachricht zu dringen, und wünschte uns schließend den göttlichen Schutz auf unserer ferneren Reise, die Gemeinde auffordernd, mit ihm für uns zu beten. Der Vortrag war verständig, logisch, ungesucht, schlicht, fern von aller Salbaderei, dennoch in richtigem und gutem Deutsch. — Wie kommt nun ein schlichter Landmann ohne Schulbildung zu einem solchen theologischen, sprachlich fehlerlosen Vortrage, der den von Hunderten „studirter" Prediger übertraf, die ich hörte? Es ist die Kraft des traditionellen Christenthums, in dem stets die vergangene Generation die lebende unterrichtet hatte, bei Leuten, die sonst die Tradition der Kirche rcrwerscn! Alle Scctcn, die sich von der Kirche getrennt haben, können sich dennoch niemals von dem innersten Kerne des Katholicismus, welches eben die Tradition ist, völlig losmachen! Als wir nun zu Hause kamen, lernten wir einen Mann kennen, der wohl unstreitig cine der interessantesten Persönlichkeiten ist, die unter den Deutschen in Rußland jetzt leben. — Johann Kornies, noch in Wcstpreußen geboren, zog als ein noch ganz junger Bursch mit seinen Eltern im Anfange deß Jahrhunderts zur Ansiedlung nach der Molotschnaja. Er hat in der Jugend keine Schulbildung erhalten, aber er hatte einen hellen unbefangenen Geist, scharfen praktischen Verstand und ein liebevolles Herz, ein tiefes Gemüth, und so hat er sich dann rein aus sich heraus in einem Grade gebildet, daß man ihn völlig als auf der Höhe der wahren geistigen Eultur stehend anerkennen muß. Und während er bloß durch das Uebcrge-wicht seineö Geistes und seines durchaus redlichen und erprobten Charakters eine der einflußreichsten Persönlichkeiten Südrußlands geworden, ist er in seinem ganzen Wesen, in seiner Familie, in seinem Hauswesen, der schlichte, einfache, anspruchslose Bauer geblieben. Der Kaiser von Rußland könnte ihn jeden Augenblick zum Gouverneur des LandcS ernennen, er 'vürdc an seiner rechten Stelle sein, aber er selbst will nichtc, anders sein als ein mcnnonitischcr Bauer, der bei seiner Taufe versprochen hat: ,.der christlichen Pflicht gemäß, nicht zu regie- ren, und nicht die Waffen zli führen!" Er hat keinen Rang und keine», Orden, er müßte beides sogar, seiner religiös«! Pflicht gcmäsi, ablehnen, unbeachtet er beides wohl mehr verdienen möchte, als so mancher Besternte in Rußland! Wie mächtig seine Persönlichkeit sein musi, ist nirgends klarer als in Nußland, wo so»isi ohne Rang und Orden niemand etwas gilt, aber selbst der Gouverneur von ganz Südrusiland, der cdlc Fürst Woronzow, that nicht leicht einen Schritt bei der innern Verwaltung dieser Gegend, ohne I. Kornies um Rath zu fragen. Wir brachten diesen Tag damit zu, die hiesige Colonie in allen ihren Einzelnheitcn zu besehen, wir besahen fast jedes Haus und Gehöfte, dic.Ackergeräthe, dcn Viehstand, die Gartengewächse, die Fcldfrüchte :c. Am andern Tage, den 27>. Juli, fuhr ich mit Herrn Kornies nach einem benachbarten nogaischcn Tatarcndorfe Akcima. Ich war nicht wenig verwundert, äußerlich ein vollständig deutsches Dorf nach mennonitischem Muster zu erblicken! - Herr Kornies hatte die Tataren angeleitet, ihre Dörfer auf diese Weise anzulegen, und hatte ihnen auf alle Art dabei geholfen. Es waren jetzt schon eine grosic Anzahl Dörfer nach seiner Anleitung von den Tataren gebauct worden. Andere Leute, nicht er selbst, saqtcn mir, er habe bereits 1?,Wl) Tataren auf diese Weise angesiedelt. Wir fanden eben in diesem Dorfe wieder eine Deputation von einem noch nicht ansässigen Haufen Tataren, welche zu ihm traten und ihm sagten: „Du bist der Vater unsers Volks, sei nun auch unser Vater und hilf uns, wie du den andern geholfen hast!" Die Häuser dieses Dorfs waren alle ganz regelmäßig und fest gebauet, sie hatten Schornsteine, lagen in einem geschlossenen Hofe, vor der Hausthür standen meist ein paar Pappeln, und rechts lind links kleine Blumenbeete, in den Gärten fanden wir eine Menge veredelte Obstbäume, im Hofe waren Pflüge, Eggen, Wagen nach mrnnonilischer Art, in einer Eckc desselben war ein großer Haufen von Msiziegeln als Brennmaterial sehr ordentlich aufgeschichtet. l«-z Ha»ö ci„cs »o.^iischcn T>i!aicn iin Dcift Akcima, nicht weit von dcr Vcmwuiwi-lioionic. Der Wirth des Gehöfts, ein schöner kräftiger Tatar, Vorsteher des Dorfs, empfing Herrn Kormcs freundlich und ehrfurchtsvoll, und geleitete uns ins Haus. Die Einrichtung war ebenfalls nach dem Muster der Mennonitcn, die Ausstattung der Küche und Wohnstube an Geschirr und Hausgeräth zwar nicht reichlich und altväterlich, wie bei den Mcnnoniten, aber doch auch nicht ganz ärmlich, eö waren Tische und Stühle vorhanden, Kessel und Cimer, und sogar eine Eicrknchcnpfanne! Da ich dm Wunsch äußerte, die Weiber in ihrer Tracht zu sehen, so willfahrte unser Wirth auch diesem, einem Muselmanne gegenüber, eigentlich ganz ungebührlichen Verlangen. Cr ging hinauä und kam nach einer Biertelstunde mit seinen drei auf das beste geputzten Weibern herein. Nur der Mund war wie bei allen muhomcdanischen Weibern streng verhüllt. Sie waren jung, aber klein, dick, und nicht schön. Von hier fuhren wir nach einer großen, von Herrn KornicS angelegten und ihm gehörigen Meierei. Unterwegs kamen wir an einigen von ihm angelegten Holzpslanzungen und An-saanuingen rorüber, die im besten Flor standen. (5ine Anvflan- W4 zung von Eichen und Ulmen, auf und um einen hohen Kurgan, stand in bestem Wachsthume, was um so mehr zu verwundern war, da sie doch so ganz besonders den Stcppenwindcn ausgc-gesetzt waren. Die von ihm angelegte Meierei war mehrere tausend Dcssjatincn groß. Die Gebäude alle neu von Backsteinen aufgeführt, ein vortrefflicher Viehstand von westprcußischcm Rindvieh und veredelten Schafen. Auf der einen Seite des Hofs begannen seine Holzsämercien und Holzanpstanzungcn. Man konnte hier alle möglichen Holzarten finden, jede Art hatte ihr Feld, worauf sie gesäet, ein anderes, wo sie zuerst ausgepflanzt, und an einem dritten Orte waren die größten gesetzt, um stehen zu bleiben. Aus den beiden ersten Feldern wurden die jungen Pflanzen verkauft. Fast alle Hauptarten der Bäume schienen vortrefflich zu gedeihen, doch wie mir es schien, die Laubhölzer besser, als die Nadelhölzer. Der Bruder des Herrn Kornics stand als Verwalter an der Spitze dieser Oekonomie. Je länger man sich unter den Mcnnoniten aufhält, desto angenehmer muß einem daö trauliche, brüderliche Verhältniß unter ihnen auffallen. Es ist nicht jene ccremoniöse Höflichkeit, die unter den russischen Bauern herrscht, nicht jene küß- und mnarmungßbcdürftigc Zärtlichkeit, die sich bei diesen zeigt, so bald der Branntwein in die Köpfe gezogen ist, es sind echte deutsche Bauern, steif und ungelenk in ihren Bewegungen, schweigsam, neben einander herrschend, aber wo es auf die That ankommt, da sieht man sie jeden Augenblick bereit, sich einander zu helfen, zu unterstützen, beizustehcn. Nirgends tritt die auf eine Verfassung (nämlich einer religiösen Verfassung) beruhende vollständige Gleichheit der Menschen strenger herrvr als bei den Mcnnoniten. Da der Ackerbau für sie eine religiöse Pflicht ist, so kann Niemand mehr und weniger sein als ein Bauer. Jedes Gewerbe, Handwerk, Kaufmannschaft subsumirt sich diestm Begriff, schließt sich dem Ackerbau an, und bezicht sich auf ihn. Ihre regierenden und verwaltenden Beamten, selbst ihre Prediger sind nicht bloß aus dem Bauernstande hervorgegangen, sic sind selbst Bauern. Die herrschende Gleichheit spricht sich am deutlichsten in dem Verhältnisse zwischen Herren und Knechten aus. DieS ward nur besonders klar, als ich das zwischen Herrn Kormeö 185 und dem Knechte, der uns fuhr, bestehende Verhältniß beobachtete. Es war durchaus sogar in den äußern Höflichkeitsformen mehr das Verhältniß eines Sohnes zu seinem Vater, als eines Knechts zu seinem Herrn. Als ich Herrn Kornieö meine Bemerkung mittheilte, sagte cr: „bei nns ist es Negel, daß jeder, selbst der Sohn des reichsten Bauern bei einem andern, einem Nachbaren, ein paar Jahre als Knecht dient, das Kncchtsein ist daher bei uns kein Stand, sondern ein Durchgang fürs Leben, eine Schule; ein jüngerer Bruder war eine Zeitlang Knecht bei mir, und ist noch jetzt mein Verwalter. Wir zahlen unsern Knechten und Mägden einen srhr hohen Lohn, 30 bis 70 Rubel Silber, und halten dies als Sitte aufrecht; das gleicht sich dann auch ohne Schaden aus. Da hat denn selbst ein Armer Gelegenheit, sich ein kleines Vermögen zu sammeln, unv hier, wo noch überall ödes fruchtbares Land vorhanden ist, eine kleine Wirthschaft zu etabliren und oft selbst Bauer zu werden. Da ist es dann auch etwas Gewöhnliches, dasi selbst die Töchter reicher Bauern den Knecht des Hofes hcirathcn, oft selbst den armen, wenn er brao und tüchtig ist. Auch meine Tochter kann heirathen wen sie will, selbst einen Knecht, wenn sie ihn mag und er nur brav ist." Herr Kornies hatte nur einen Sohn und eine Tochter, ein hübsches achtzehnjähriges, aber no ch n icht getaust e s Mädchen, und man behauptete, er sei weit mcbr als eine Million Rubel reich! Es wird damit nicht zu behaupten sein, daß nicht auch bei den Mennonitcn Reichthum und Armuth oft eine Schranke bildet, daß nicht auch bei einzelnen Geldhochmuth so wie andere Untugenden sich fänden. Ich hone namentlich von allerhand Uebelständen, die bei den Mcnnoniten des Amts Chortitz herrschten. Aber dergleichen findet wenigstens keine Anerkennung in der öffentlichen Meinung und in den Sitten dieser Leute! Es findet sich als Ausnahme, nicht als Negcl! Wir aßen den Mittag bei Herrn Kornics; das Essen war nur cchtc und sehr wohlschmeckende Hausmannskost. Alles was auf den Tisch kam, selbst der Wein, war Product aus der eignen Wirthschaft, Geschirr und Meublcn altväterlich und solide. Die Frau und Tochter aßen nicht mit, die Frau blieb 186 ill der Küche und ordnete das Essen an, die Tochter aber wartete ganz nach uralter deutscher Haussitte oen Gästen beim C ssm auf! . Den 2, rinigen Dörfern beginnt sich Wohlstand zu entwickeln. Von da fuhren wir nach dem von Duchaborzen bewohnten Dorfe Bogdonowka, welchen Besuch ich bereits im ersten Bande l»ll^. 4!Z beschrieben habe. Von Hcrrn Kornieö erhielt ich sehr ausführliche statistische Notizen über die hiesigen Mennonitcncolonie, die ich hier, insofern sie einen Blick in alle Wirthschaftsvcrhä'ltnisse dieser interessanten Kolonie gewahren, mittheile. Angeregt durch die glückliche Ansiedlung im Bezirke Chortitz, entschlossen sich im Jahre l.^M abermals .'l47 mennomtische Familien in Westpreußcn, nach Rußland auszuwandern. Das russische Gouvernement wies ihnen einen Bezirk an der Ma-lotschnaja zur Ansiedlung an. Diese ersten Auswanderer legten 1804 und 1^07> 17 Dorfer an. (is zogen nun immer mehr aus Westprcußcn hinzu,- auch stieg die Bevölkerung rasch. Zwischen 18W und 1822 wurden N» neue Dörfer angelegt und von da bis jetzt noch 11, das Ictztc erst vor einigen Jahren. Diesen 44 Dörfern ward vom russischen Gouvernement nach und nach ein Terrain von 00,812 Dcssj. zur Nutznießung verliehen, allein hiemit begnügten sich die industriösm Kolonisten nicht, sic kauften von ihren Nachbarcn, den Tataren, deutschen Kolonien, Malakanen, Duchaborzen noch viclc Ländcrcien im Gesammtbctrage von 48,44l> Dessj. hinzu. Endlich schenkte der Kaiser noch 3500 Dessj. zu besondern, Zweck, so daß das ganze Territorium 148,7.!34 männliche und 0227 weibliche Seelen in 2517 Familien. Diese zerfielen in 1041 Familien, die Land-wirthe, 038 Familien, die Taglöhner, und 538 Familien, die Handel- und Gewerbetreibende waren. Es standen 84 Personen, Kinder der Colonisten, im Knechtsdicnsi, und außerdem 242 russische Arbeiter. Das obige Territorium war, als die Mcnnoniten hierher kamen, eine völlig baumlose Steppe, wiewohl der Boden sehr fruchtbar war. Da sie das Schicksal und die ganze Lebensstellung ihrer Brüder im Bezirke Chortitz vor Augen hatten, so hatten sie sich zu ihrer Uebersicdlung gehörig vorbereitet. Sie brachten Pferde und Wagen, auf denen sie Betten und alle möglichen Geschirre und Meublcn geladen hatten, Rindvieh und Schafe mit, so dasi sie sich, als sie durch Polcn zogen, des Viehfutters halber, in mehrere (5olonnen vertheilen mußten. Sie bedürfen keiner Vorschüsse der Regierung zur Etablirung. Manche von ihnen hatten 10 bis 12/190 Ducaten baar Geld bei sich, und sämmtliche 347 Familien der ersten Auswanderung hatten zusammen 150,000 Ducatcn disponibel. Die Dörfer wurden ganz regelmäßig angelegt, jeder Hof erhielt 40 Faden Breite, und zwischen 2 Höfen war immer 14 Faden Raum. Vom Gouvernement erhielten sie 10jährige Steuerfreiheit, und das Versprechen, nie zum Soldatendicnst gezwungen zu werden. Jede Landwirthschaftsfamilie erhielt l»5 Dessj. zur Benutzung. Von dem obigen von der Krone verliehenen Terrain von N>,«!2 Dcssj. sind bis jetzt l»8,052 Dcssj. unter die vorhandenen Familien vertheilt, und 28,70!» Dessj. werden für fernere Ansiedlung noch rcscrvirt. Von jenen 68,052 Dessj. werden bis jetzt W,0!8 Dcssj. als Acker, das übrige als Heuschläge und Weide benutzt. Die Abgaben der Mcnnoniten betragen: 1) Statt des Obroks von jeder Dcssj. Land 4^ Kop. Silber und noch besondere Landgebührm, "/l Kop. Silber vvn jeder Dessj., 2) Kopfabgaben von jeder männlichen und weiblichen arbeitsfähigen Seele vom !4. bis 7»0 Milchkühe, es war deutsche Race: 1844 waren 13,01 l Stück vorhanden), Schafe, !17,W« (im Jahre 1844 waren 103,030 Stück vorhanden), Schweine, 4575 Stück. Der Viehbestand ist verhältnißmäßig in den Kolonien an der Molotschnaja schwächer, alö bei denen im Amte Chortitz. An Menschen leben in jenen etwa doppelt so viel, als hier, ihr Territorium ist aber drei und ein halbmal so groß, ihr Virhsiand ist dagegen nur etwa zwei ein fünftclmal stärkcr, als der in Chortitz. Die Fruchtbarkeit und Lage des Bodens erklärt dies hinreichend. Der Boden an der Molotschnaja ist fruchtbarer, daher der Ackerbau stärker, und der Absatz des Korns ist leichter, da das Meer näher ist. In Chortitz muß aus diesen Gründen die Viehzahl stärker hervortreten. Der Landbau ist auf folgende Weise geregelt. Der von den einzelnen Kolonisten angekaufte, privative Grund und Boden (4l-<,44lj Dcssj.) ist der völlig freien Disposition in Bezug aufAckcrbau-benutzung lc. überlassen. Die von der Krone jedem Gehöfte beigelegten <)."> Dcssj. (in Summa (j^,052 Dessj.) stehen dagegen in festem Gemcmdevcrbande und darauf gegründeten Fcldbau-verhältniffen. Seit 1tt3tt ist die schon bestehende Vicrfelder-wirthschaft regelmäßig geordnet und festgestellt worden. Von jenen (i5 Defsj. sind 27i Dcssj. eines jeden Wirths zum Ackerfelde gezogen, wovon jährlich drei Theile zum Getreidebau benutzt, ein Theil brach liegt, und nur etwa zum '/« mit Kartoffeln bepflanzt wird. Ausgesäet waren im Herbste 1^42 15W Tschctwert Winterkorn und im Frühjahr 1tt43 13,402 Tschet-wert Sommerkorn. Die Wiesen oder Heuschläge sind nach Beschaffenheit in den verschiedenen Dörfern in Bezug auf Ausdehnung und Größe sehr verschieden. Jeder Hof hat daher <> bis 10 Dessj. Bei den Hcuschlägen steht e6 aber jcdem Wirth frei, sie alö Wiese oder Privatwcidc oder als Acker zu benutzen. Der Rest des Territoriums ist zur gemeinen Viehweide für jedes Dorf bestimmt, wobei die Zahl, die jeder Wirth auf die Weide treiben darf, festgestellt ist. Sie schwankt zwischen 2,'. und 30 Stück Großvieh auf jeden Wirth, wobei zwei Füllen 191 oder Ninder, viev Schweine oder Kälber und sechs Schafe für ein Stück (Großvieh gerechnet werden. An ^andbauwcrkzeugcn waren in den Colonim 1842 vorhanden : I,")!?-, Wüge, 2.j1? Eggen, 277!> Wagen, und, als Zeichen des Fortschritts rationeller ökonomischer Bestrebungen, K!1 Dreschmaschinen, welche mit Pferdekraft betrieben wnrden, und 42 Hcchselschneidemaschinen, von denen 38 mit Pferdekraft, die 4 andern durch Menschen kraft betrieben wurden. Bei der Bewirthschaftung ihres Bodens herrscht bei diesen Mennoniten viel Verstand und Ucbcrlegung. Sie hängen keineswegs am Schlendrian, sondern sie schreiten nach sorgsamer Prüfung in allen Verbesserungen'fort. Als sie vor 40 Jahren hier zuerst ankamen, war, wie gesagt, kein Baum auf der ganzen Fläche zu erblicken. Sie brauchten zum Brennmaterial damals Stroh, Schilf, Burgan (riesiges Steppenkraut) und Mistziegel; gegenwärtig gewähren ihnen ihre Holzpstanzungen und Besaamungen selbst schon einiges Brennholz. Da haben sie denn seit einigen Jahren angefangen, den Mist, statt zu Mistziegeln, zur mäßigen Düngung zu verwenden, und es ist ihnen dadurch gelungen, die Fruchtbarkeit zu erhöhen und die Brachen bedeutend einzuschränken. Kornies versichert, *) im Jahre 1«4.1 hätten die Felder der Kolonisten, welche gedüngt und sorgfältig bearbeitet worden, eine vier-, fünf- und sechsmal größere Ernte gewährt, als die Felder, welche nur nach früherem Schlendrian bearbeitet gewesen. — Mißwachs, der früher sehr häufig war, stellt sich auf sorgfältig bebauetcm Acker selten cin, jetzt schon seit lO Jahren nicht. Besonders war der Weizen früher, wie schon bei <3hortih erwähnt, häufigem Mißwachs unterworfen. Jetzt vergrößert sich in jedem Jahre der Weizmbau, im Jahre 1^42 um fast 17)47 Dcssj. mehr gegen drei Jahre früher. In diesem Jahre waren überhaupt M)0 Dessj. Land mehr dem Ackerbau zugewendet. Um die Felder gegen Stürme und überhaupt die Ungunst dcS M'mas zu schützen, hat man angefangen, die Im Journal des MimstrrmmS dcr Kioiidrmam,'!! für I8-N: „Ucl'n dm Zustand dn' 3li,ldw,sthschlist dll' MrimomM! ,1>! drr Mplotsclmaia," 102 Felder mit Bäumen, besonders mit Maulbccrbäumen, hin und wieder auch heckeuartig zu bepflanzen. -^ Durchschnittlich wurden in diesem Jahr geerntct vom Weizen 7, vom Roggen 12, von der Gerste !>, vom Hafer, der in diesem Jahre miß-rathcn war, 7 Körner.*) — Die Preise stellten sich so, daß Weizen hier für den Tschetwert mit 14 Rubel Banco, am Verkaufsorte Bcrdjansk aber mit 17 Rubel Banco, Roggen hier mit 3'/» Rubel Banco, Gerste mit 4 Rubel 2'/, Kov. Banco, Hafer mit 3'/« Rubel Banco bezahlt wurden. Die Mennonitcn treiben starken Kartoffelnbau, sogar schon zur Vcrfütterung **). Die umwohnenden Russen haben ihn allmählich von ihnen angenommen. Aber vorzüglich 'hat Herr Kornies das Verdienst, ihn bei den Nogai-Tataren eingeführt zu haben. Noch im Jahre 1838 kannten die Nogaicr die Kartoffeln kaum dem Namen nach. Mit Ausnahme des den Mcnnoniten am nächsten liegenden Dorfs Ackcrman, wurde in allen hier belcgcncn 75 nogaischen Dörfern nirgends eine Kartoffel gebauet. Aber schon im Jahre 1843, wo sie eine Mißernte im Korn hatten, bildeten die Kartoffeln fast ihre einzige Nahrung. Der Flachsbau wird zum Bedarf hinlänglich betrieben. Mit Spinnen deß Flachses und Weben des Leinens beschäftigten sich im Winter 1842 gegen 2571 Personen. Auch der Anbau verschiedener Oclgewächse, vorzüglich dcö chinesischen Dclrcttigs, hat sich neuerdings sehr erweitert. Selbst die Wiescnverbefferungen durch Ucberriesclung u. s. w. haben die Mennoniten angefangen, die Einzigen, die ich in Rußland sah! in Nußland, welches meiner festen Ueberzeugung nach durch sie den zukunftreichsten und vorläufig einzigen großen, weil rentbaren, Fortschritt, dessen die jetzige Landwirthschaft dort fähig wäre, machen würde! — Es waren bereits 1384 Dessj. Hcuwiesen durch aufgeführte Erddämmc im Frühlinge überrieselt, und der Ertrag des Heues war gegen früher auf das Doppelte gestiegen. ') 1844 gab der Weizen 9V?, der Noggm 11 Vz, die Gerste 11, der Hasel 5 Körner. 2>i Weizen gal« in diesem Jahre mu 10 Rubel Banco das Tschclwcrt. ") Ich glaube, i» quii; Rußland gn'dl tS noch kemc ffartosselnl'lmntle,. 193 Auch mit dem Tabacksbau beschäftigten sich die Mcnnoniten etwas. Graf Woronzow hatte ihnen Samen von albanesischem Taback geschickt, der gut gedieh. Für die sogenannten kleinen Leute, die nur Gartenfelder haben, die sie mit der Hand bearbeiten, könnte der Tabacksbau von großer Wichtigkeit werden. Die Obstbaumzucht beginnt sehr bedeutend zu werden. Jedem der 104! großen Landwirthc ward eö gestattet, eine Dessj. von seinem Lande als Obst- und Gemüsegarten aus der Fcldordmmg auszuscheiden. Man berechnete, daß dann Jeder 500 Obstbäume besitzen könnte. (Die Besitzer der ältern Gärten verkaufen jetzt jährlich für 200 bis 300 Rubel Banco bloß frisches Obst. —) *) Im Jahre 1842 waren bereits 107,153 tragbare Obstbäume vorhanden. In diesem ^Iahre wurden 25,008 neue Bäume verpflanzt. Im darauf folgenden Jahre 1843 wurden wieder 35, U>!) junge Bäume versetzt, im Jahre 1844 39,512 Bäume. Man hatte noch mehr als 400,000 junge Obstbäumc in den Baumschulen. Die umwohnenden Russen wurden durch daß Beispiel angeregt, und begannen, sich ebenfalls auf Obstbaumzucht zu legen. Daß dies auch bei den Nogai-Tataren der Fall sei, habe ich schon oben erwähnt. Maulbcerbäumc waren über 000,000 vorhanden. 1836 gewann man zuerst 15 Pfund reine Seide. Im Jahre 1842 beschäftigten sich 71 Ansiedler mit der Seidrnzucht, und gewannen 8 Pud 32 Pfund (352 Pfund) rein abgehaspelter Seide, welche hier au Ort und Stelle mit 10'/2 Nudel Banco bezahlt wurden. Im Jahre 1843 wurden 14 Pud 20 Pfund gewonnen. Es waren fünf Seidenhasvelmaschmen vorhanden. Doch wird im Ganzen noch sehr ungeschickt gehaspelt, daher die hiesige Seide nur mit '/^ Rubel Banco bezahlt wird, während sie sonst 14 biß 17 Rubel Banco gilt. Im Jahre 1844 betrieben 129 Familien den Seidenbau, sie gewannen 23 Pud. Das Wichtigste für die Zukunft Südrußlands aber sind die Waldungen dieser Cowmen, da sie den praktischen Beweis der ') Im Iah,'.' l«44 war dic Obsternte ft crgill'ig, daß fur C.4U3 Rubel Bmnl) l'nrmis! wmdm, Mn biehrr lmcrhörttr Fall! 194 Möglichkeit gewähren, bestimmte Gegenden der Steppen zu bewalden. Nachdem schon von Anfang an vereinzelte Versuche gemacht waren, kleine Bcsaamungen anzulegen und allerhand Holzarten zu pflanzen, nahmen von 1834 regelmäßige Holzpstanzungcn ihren Anfang- In 39 Colonien setzten die darin lebenden 857 Wirthe jeder V- Dessj. zur Waldanlage aus, "3 davon sollte mit Maulbeerbämnen, das Uebrige mit andern Holzarten bepflanzt werden. Von diesen 428'/2 Dessj. waren 1842 bereits 103 Dessj. (052 preußische Morgen) mit 39 verschiedenen Holzarten bepflanzt. Im Ganzen waren 1843 über 2,300,000 gepflanzte Bäume' vorhanden, außer den Privatanlagen des Herrn Kornies. Der Verkauf der landwirthschaftlichen Produtte stellte sich 1842 in den Colonien folgender Gestalt. Es wurden verkauft: n) Ans der Getreideernte, die in allen Sorten zusammen 89,075 Tschetwert gewährte: 15,597 Tschclwert Weizen u. Roggen für 208,708 Rubel Banco 682 „ Kartoffeln für . . . 3,388 „ „ d) Aus dem Verkauf für Vieh: *) 425 Pferde verkauft für......33,292 „ „ 400 Stück Hornvieh.......20,660 „ „ 15,048 Stück Schafe.......«4,480 „ c) Aus der Wolle der Colonistcn für 7002 Pud 15 Pfund Wolle erhalten . . 145,992 „ „ (Im Jahre 1844 kamen 7053 Pud Wolle zum Verkauf, welche für 189,470 Rubel Banco verkauft wurden.) ä) Aus der innern Wirthschaft: für 7412 Pud 20 Pfund Butter erhalten 70,874 „ „ (Im Jahre 1844 10,15 l Pud, die für 81,000 Rubel Banco verkauft wurden) ______________ I^ws . . . 547,394 Rubel Banco ') Die Pftrdciacc ist sehr miltclmäsiig, die Hmnvichituc ist in nrurnn Zritm sehr vri-bcsseit, d.ihcr auch schon im foll,cndc>, Jahre ,„chi 38 „ „ für verkauftes Obst.......2,8 l 9 „ summn 8ulnin»,-lim ^)l u 1842 . 5^3,«93 Rubel Banco. Man könnte wohl die hiesigen Mennoniten in ihrer Isoli-rung nach Außen und ihrem Gcmcinsinn nach Innen als eine auf gemeinsames Eigenthum gegründete Gesellschaft ansehen, und dq würde dann von obiger Einnahme auf jeden Kopf der Bevölkerung 4l> Rubel 11'/2 Kop. Banco, oder etwa 14Nthlr. fallen, nachdem jedoch schon außerdem alle gewöhnliche Bedürfnisse des Lebens: Nahrung, Feuer, Licht, Hauskleidung :c. befriedigt wären. Gewiß ein sehr günstiges Resultat der vorhandenen Wohlhabenheit bei einem Volke. Zur Unterhaltung ihres Gemeinwesens bringen die Mcn-noniten theils Steuern und Abgaben auf, theils sind bestimmte Gcmeindcnutzungen gebildet. Es ist schon oben angeführt, daß zur Besoldung der Gcbn'tsältrstcn und Schreiber von jeder Fcuerstellc 1 Rubel 5 Kop. Banco, und für sonstige Gemeinde-bedürsnisse 49 Kop. Banco von jeder arbeitsfähigen Seele zwi-schen dem 14ten und 60stcn Jahre aufgebracht wird. — Es ^istivt ein Gemcmdcmagazin, zu welchem jährlich jeder ein bestimmtes Maß Getreide liefern muß. Am 1. Januar 1843 Waren darin vorräthig 5212 Tschetwcrt Winterkorn und 833 Tschctwert Sommcrkorn. Es cxistirte eine Gemeindeschäferci, deren Bestand am 1. Januar 1«4 j, die Lämmer mit gerechnet, 8220 Stück war, und die 1842 437 Pud 15Pfund Wolle geliefert 13 * 190 hatte, welche für N/125 Nubel Banco verkauft wurden. Endlich gewährte auch die Brcmntwcinspacht der Gemeinde eine jährliche Einnahme von 15,316 Nubel Banco. Die gesammte Geldeinnahme mochte gegen 30,000 Nubcl Banco betragen. Ich habe die landwirthschaftlichen Verhältnisse dieser Men-nonitencolonie an der Malotschnaja deßhalb so ausführlich beschrieben, weil sie von dem deutschen Fleiße, der deutschen Ordnungsliebe, der hohen Cultur und Sittlichkeit ein unwider-sprechliches Zeugniß ablegen, und weil sie zweitens von einer noch keineswegs hinreichend anerkannten Bedeutung für Nusi-land sind. In ganz Nußland cristirt kein Landstrich, wo im Ganzen eine so gleichmäßig hohe Cultur deß Bodens und der Bevölkerung herrscht, wie hier. Sie können dem Gouvernement als Maßstab, allen russischen Völkern aber als Muster dienen, wie weit man es mit Fleiß, Sittlichkeit und Ordnung bringen kann! Vor allem gewähren sie aber dem Gouvernement den sichern Maßstab, wie weit man eö mit der Bebauung, besonders aber mit der Bewaldung der Steppe und ganz Süd-rußlands bringen könnte, und das ist der wichtigste Punkt für Rußlands Macht und innere Politik! — Hätte Südrußland durchgchcnds die Bebauung und Cultur dieses Landstrichs, so könnte Moskau und Petersburg nicht ferner der Schwerpunkt und der Angclstcrn des Reiches sein, sondern diese Functioncn würden auf Charkow oder Iekaterinoslaw und Odessa übergehen. Am 27stcn fuhr ich mit Herrn Kornieö zu einen» andern seiner großen Meierhöfc, den sein einziger verheirathetcr Sohn verwaltet. Auf dem Terrain, unmittelbar an die Grundstücke dieses Meierhofs stoßend, bildet sich eine neue Colonie von Leuten, die ein ganz eigenthümliches Schicksal hierher geführt hat. Zur Zeit der Reformation bildete nämlich bei einem Geistlichen in Zwickau, Namens Huttcr, sich im Wesentlichen dasselbe theologische System aus, was etwas später Menno Simonis aufstellte. Es läßt sich jedoch nicht nachweisen, daß sie 197 die mindeste Verbindung mit einander gehabt haben. Dagegen hatte Huttcr mit Thomas Münzer im Briefwechsel gestanden, auch eine Zusammenkunft mit ihm gehabt; sie hatten sich aber nicht einigen können, da Hutter von einem irdischen Reiche Christi und seiner Auserwählten, und dessen Stiftung und Con-solidirung, allenfalls selbst durch Feuer und Schwert, nichts wissen wollte. Er lehrte vielmehr wie Menno, daß Niemand das Schwert führen dürft. Mit den übrigen Reformatoren jener Zeit scheint cr nicht im mindesten in Verbindung gewesen zu sein, vielmehr ganz isolirt gestanden zu haben. Er sammelte cine kleine Gemeinde, und wir finden ihn 1540 bei dieser im nördlichen Böhmen. Bald darauf von dort vertrieben, siedelte er sich mit ihnen in der Nähe von Innsbruck an. Er soll später in Innsbruck verbrannt worden sein. Zur Zeit des 30jährigen Kriegs von neuem verfolgt, zogen sie nach Ungarn und Siebenbürgen. Dort lebten sie lange ruhig und erhielten im Anfange des Itt. Scc. noch einen Zuzug von Glaubensgenossen aus Kärntcn. Um 1752 gelang es den Jesuiten durch ihre Predigten, etwa die Halste von ihnen, angeblich 1400, zur katholischen Kirche zurückzuführen. Der Nest, diese Gefahr erkennend, wanderte von neuem aus, und siedelte sich bei Bucharest in der Walachei an. Während des Türkenkriegs, zwischen 1770 bis 1775, wurden ihre Dörfer ausgeplündert und verbrannt, da wandten sie sich an den russischen Feld marsch all Grafen Numjänzow und baten, sie nach Nußland überzusiedeln. Er siedelte sie auch wirklich auf seinen Gütern in Podolien an. Dort ging es ihnen, so lange der Graf lebte .Und auch noch länger, gut. In neueren Zeiten aber sind die Güter in fremde Hände gekommen, und die Leute fühlten sich gedrückt. Sie baten den Domainenminister, ihnen Kronland zur Bebauung anzuweisen. Da ward Herr Kornies beauflagt, ihre Verhältnisse und Bedürfnisse zu untersuchen, und 'hre Ansicdlung in der Nähe der Mennonitencolonie an der Ma-lotschlwja zu beaufsichtigen. Es war doch ein eigenes Geschick, daß sie nach drei Jahrhunderten nach langem Umherirren, endlich in einem fremden Lande auf einmal neben Landsleuten und Glaubensgenossen sich jetzt ansiedeln, die wohl nie von ihrem Dasein etwas gehört hatten! Sic waren erst im zweiten Jahre hicr, und hatten bereits eine gute Ernte hier gemacht. Als ich diese sogenannten Hutterschcn Brüder besuchte, wohnten sie noch in Erdhütten, waren aber sehr fleißig daran mit Stcinefahren, Kalklöschen, Lchmbereitcn ic., um ihre Hauser ganz nach mennonitischcr Weise aufzuführen. Man sah ihnen an, es waren ordentliche, brave Leute. Ihre Nachbarn, die Mcn-nonitcn, unterstützten sie nach Kräften. — Wie verschieden und stabil sind doch die Nationalitäten ausgeprägt! Während man in den Mennoniten noch jetzt die alten Friesländer erkennen kann, haben sich bci den Hutterschcn Brüdern ebenfalls die süddeutschen nationalen Eigenthümlichkeiten vollständig erhalten, ungeachtet sie schon vor 300 Jahren völlig aus Deutschland fortgezogen sind. Dialekt, Tracht, Temperament unterscheidet sie sehr wesentlich von den Mennonitcn. Ich stieg mit Herrn KornieS in die Erdhütte ihreö Ge-mcindeältcsten hinab. Sie war geräumig, und bestand in mehreren Abtheilungen oder Kammern und einer Küche, es sah überall ordentlich und reinlich auö. Der Gcmcindcaltcsie legte mir ein höchst merkwürdiges Manuscript vor. Es ist zuerst angefangen von ihrem Stifter Hutter. Der Foliant enthält zum Theil seine Lehren, dann die Beschreibung seiner Schicksale und die Schicksale seiner Gemeinde. Nach seinem Tode ist das Buch fortgesetzt, immer von dem Aeltesten der Gemeinde bis auf die neueste Zeit. Ich hatte leider zu wenig Zeit und konnte es nur flüchtig durchblättern. Es enthielt außer den theologischen Erörterungen eine große Masse der interessantesten historischen Notizen, namentlich über die ersten Bewegungen der Reformation und über den Wjäh-vigen Krieg. — Die Leute betrachten das Buch natürlich als eine Art Heiligthum, und würden cS nie aus den Händen geben, aber sie würden ganz gern eine Abschrift, davon gewähren, wenn eine öffentliche Bibliothek ein paar hundert Thaler daranzuwenden gedächte. Daß diese Tau fg esin n ten (dieses ist der eigentliche von ihnen adoptirtc Sectenname), diese Mcnnoniten und Huttcr- schcn Brüder sich trotz ihres langen und weiten Umherziehend so vollständig in ihren nationalen Eigenthümlichkeiten erhalten haben, verdanken sie aber hauptsächlich dem Umstände, daß sie sich niemals durch Hcirathcn mit andern Völkern und Leuten mischen, und dies ist eine Folge ihrer religiösen Ueberzeugungen. Da sie die Kindertaufe nicht als eine wirkliche Taufe ansehen, so müssen sie alle übrigen christlichen Rcligions-uerwandte als nicht getauft ansehen. Mit Ungetansten sich vcrheirathen, verbietet ja aber jede christliche Religionspartei. Bei meiner Zurückkunft fand ich den Isprawnik des Districts, der von meiner Ankunft gehört, und sich mir vorstellen wollte. (3s war ein Stockrusse, und ich konnte mich nur durch meine Begleiter mit ihm verständigen. Es schien aber ein braver Mann zu sein. Ich fragte ihn, wie er mit den Mennoniten zufrieden sei. Er sagte, er habe nie eine Klage über sie gehört, so lange er denken könne, sei nie ein polizeiliches Bergchen bei ihnen vorgefallen, und sie lebten mit allen ihren Nachbarn im besten Frieden, und unterstützten sie, wo sie könnten! Wahrlich ein schönes und unverdächtiges Zeugniß! — Am 2^. Juli nahm ich Abschied von den braven Leuten. Herr Kornies begleitete mich noch biß Terpcnje, dem Hauptsitze der Duchaborzen, wo wir uns ein paar Stunden aufhielten. Ich habe diesen Besuch im ersten Bande, Seite 417, beschrieben. Hier sagte ich dem trefflichen Manne ein Lebewohl, und schte Meine Neise nach der Landzunge, welche das faule Meer vom Asowschen Meere trennt, fort. Wir kamen bei einer Menge von Kurganen vorbei, doch stand auf keinem eine Baba, allein auf der Station hinter Asbcrtinskoi sah ich in der Entfernung aus einer Höhe eine Anzahl geordneter Steine. Als wir hinzu kamen, fanden wir das Grab eines nogaifch-tatarischen Heiligen. Es mochte etwa !2' lang mid l/ breit sein, und hatte die Gestalt, wie die fol-^nde Illustration sie giebt. l«o y Grab eincö tatarischen Hciligcn, nahe der Stalion Asberünfto, am Kluck. Etwa 100 Schritte davon entfernt, am AbHange, sahen wir eine Erdhütte, nnd bald darauf kamen zwei schmutzige tatarische Mullahs oder Derwische daraus hervor, und traten zu uns. Es war auf cin Almosen abgesehen, und als sie es erhalten, erzählte der eine von ihnen, der russisch verstand, meinem Begleiter eine tatarische Legende, der man eben nicht den Vorwurf von geistreicher Erfindung machen kann. Bor langen Jahren sei ein vornehmer Tatar mit seinem Gefolge durch diese Gegend gekommen, der habe einen Mann vor sich herlausen sehen, welcher seinen eignen Kopf unter dem Arm getragen. Als er ihn nun verwundernd angerufen, sei der Mann plötzlich niedergestürzt, und als jener hinzugetreten, sei es ein Tatar gewesen, unter dem Kopfe aber habe eine Schrift gelegen, welche das Zeugniß enthalten, daß es ein wirklicher Heiliger sei! Nun habe man ihn hier an Ort und Stelle begraben, cin steinernes Grabmal darüber gesetzt, und eine Metschet, die aber jetzt schon lange in Ruinen läge. Nun sei es cin von vielen Tataren besuchter Wallfahrtsort, wo auch viele Wunder geschahen. Besonders treibe man viel krankes Vieh hierher, welches dann durch die Fürbitte des Heiligen gesund würde. — Auf unsere Fragc,,, ob dieS immer geschähe? antwortete er ganz naiv: zuweilen auch nicht! — Wir fuhren die Nacht durch, und erwachten am andern Morgen auf der schmalen Erdzunge, welche daß faule Meer vom Asowschcn Meere trennt. Diese Erdzunge mag etwa l2 Meilen lang sein. Nach dem Asowschen Meere hin bildet sie eine zwischen 20 bis 00 Fuß hohe Sanddüne, nach dem faulen Meere hin flacht sie sich ganz ab, und geht 201 meist in Sumpf über, der sich dann in diesem häßlichen an vielen Orten stinkenden Meere verliert. Die Erdzunge ist an den meisten Orten nicht über '/4 Meile, oft kaum 400 Schritt breit, und da ist dann der Blick von der hohen Düne zwischen zwei Meeren, wobei man aber über dem einen, dem faulen, in tiefer Entfernung die Spitzen des krimmischen Gebirges blau herauftauchen sieht, sehr eigenthümlich. Es sind auf dieser langen Erdzunge zwei Poststationen, sonst ist tieft Einsamkeit! Ein paarmal, begegneten uns einige Kamcelc und einige sie zn Pferde begleitende Tataren. Man fühlt sich demnach hier schon in der Nahe Asiens. Gegen d> Uhr erreichten wir die grade an der Wurzel der Erdzunge in der Krimm, von den Türken angelegte kleine Festung Arabat. Sie ist ziemlich verfallen. Wir fanden in der davor liegenden Pvsistation einen Juden, der gut deutsch sprach, weil er lange in Deutschland gewesen. Die meiste,: Poststationen Südrusilands sind in den Händen der Juden. Sie sprechen alle deutsch, selbst unter einander, da sie aus Polen herüber gezogen sind, aber es ist zuweilen kaum verständlich. Eine Werst von der Station traf ich einmal wieder auf eine Stcinsäule, Baba, die am rohcsten ausgehauen, und somit wohl die älteste war, die ich noch gesehen. Sie stand aber nicht auf einem Hügel, sondern mitten in einer Vertiefung der Steppe. Der Weg drehte sich von hier rechts lange durch eine Steppengegcnd, doch sah man von jeder Erhöhung die blauen krimmischen Berge. Endlich erblickten wir auch links zum erstenmale das schwarze Meer, und erreichten gegen 11 Uhr Feodossia. Dort blieben wir bis zum andern Abend, und fuhren dann nach Kcrtsch, welches wir am 3 l, Juli früh am Morgen erreichten. Am 1. August fuhr ich mit einem Dampfboote nach der mingrelischen Küste ab. Die Beschreibung meiner Reise in den kaukasischen Ländern habe ich sür ein anderes Werk aufgespart. Da ich nun am 22. September wieder in Kcrtsch landete, und noch einmal nach Feodossia zurückkam, so will ich meine beiden Aufenthalte in den beiden Städten, lind waS ich dort erfahren und gesehen, in eins zusammenfassen, und ein neues späteres Eavitcl damit beginnen. Hier will ich aber zunächst drei kleine Aufsätze geben, wozu 202 ich alls meiner ganzen Neise, jetzt aber zuletzt vorzüglich bei den Mennoniten und namentlich bei Herrn Kornies die interessantesten Notizen gesammelt habe. 1) Ueber die Colonisation und die Kolonien Sü'drußlandZ. 2) Ueber die Grabhügel Südrußlandö, oder die sogenannten Kurgane und die sich auf denselben befindlichen Steinbilder (Baba). Z) Ueber die Nogaitataren, ihren Sitten und Eigenthümlichkeiten. XXI. Tic ttoluuisalioncn in Rußland, der ursprüngliche Voltsiricb dcr Rufscn für dicsclbcn, dessen Folge, die Vcrl'rcitung des Nolls übcr den siinftcu Thcil der Erdc. Kolonisation nach dem Norden und dem Süden, Die Ko sakcn eol u n i sation, die ukrainischen und donischcn, und dic l'on ihnen adstammcndcn, ihre Vcrfassuug. Dir Militair>ol o n isatio^ nm, ihrc (^»schichte, ihr Bestand. Dic sil, irische ^.ul o n i sat io „. Sibiricüs Vi'rhällnlssr zu Asici,, ftin M^allrcichthiü», ftinl' g^rliph,-schiU lind tiip^^raphischm ^crhaltuisss, ftinc ^Ulkir, die russische Ero-l'cnmg, dir (u,on durch Vlrbrcchrr, dcr jährlichr Zuzug, Kalc-goricn drr Vcrwicscucn, ?lrt und Vcdingungcn ihrcr Äusublung, Bc-volkcrung Sibiricns und dcrcn Vcrthciluug, Wcstsll',ri>u, Ostsibiricn, Mnbmi, Virhzucht, dcr sibirische Russe, die Tatarm, dic Vucharcn, dcr sil'irische Haudcl, dcr Handcl mit (sscu Pcriodcu, Unifang ^ und M)lirattcr, Vcdcutung für >1lus!laub und Sibirmi, Intcrcssrn Nusillinds in Silm'im, Mora!stli-tlmden durch alle Zeilen hindurch kommen die Ausdrücke vom Land,,' Wilstock, vom Lande Naugard, dem Lande Frisack ". vor und sind ge-bräuchlich. Nein Geschichtsforscher hat die Vedeulimg dieses Ausdrucks bisher il',". 20ft sich miter ihnen befindet, so ist ihm wohl, sei es auch fern von dem Heimathsor^tc! Dies erklärt allein die Leichtigkeit, womit die Kolonisationen in Nußland sich gebildet haben. Die Geschichte des Volks beginnt kaum zu dämmern, so finden wir es schon an einzelnen Punkten fast der ganzen ungeheuren Ebene zwischen dem Eismeere und Kaßpischen Meere, zwischen dem Ural und Ungarn verbreitet. Ueberall siedelte es sich mitten zwischen andern Völkern, finnischen und scytischcn friedlich a„, aber nicht Familienweise, vereinzelt, und sich daher wie bei den Germanen mit den fremden Nationalitäten mischend, und in ihnen untergehend; sondern immer in geschlossenen engverbrüdertcn Gemeinden, die ihre Nationalität treu bewahrten, und stets mit dem ganzen übrigen mächtigen Volke der Nüssen in starker Gemeinschaft blieben. Diese Nationalität der Nüssen war so stark, so überwiegend, daß sie die Nationalität der Ureinwohner nach und nach zersetzte, und diese völlig russisicirte. Wir sehen dies noch gegenwärtig, und haben eS vor Augen. Die Zieste der sinnischen Stämme, die Karclcn, die Ingrcn, die Mordwinen russisiciren sich ungezwungen mit jedem Tage mehr, und selbst die zähcstcn Stämme, wie die Syrjanen und Tscheremissen werden ihrem Schicksale nicht entgehen! Selbst die Tataren, wenn sie zur russischen Kirche übertreten, werden, wie wir das bei so vielen tatarischen Adelssamilien sehen, unverkennbar Russen! — Die geschichtlichen Forschungen ergeben zur Genüge, daß die Urbe-wohner im Großen und Ganzen durchaus von den Russen nicht verdrängt und vertilgt sind, sie haben sich vielmehr allmählich mit ihnen gemischt, haben ihre Sprache und Sitten angenommen, und ihre Nationalität ist in der der Russen aufgegangen. Die Großrussen sind, wie ihr ganzer Habitus zeigt, durchaus kein ungemischter Bolköstamm, sondern ein zwar ursprünglich und im Kern slavisches, im Norden aber mit tschudischen (finnischen), im Süden mit tatarischen, kaukasischen und selbst mongolischen Stämmen stark gemischtes Volk, und gerade dieses giebt ihnen die Vereinigung der Eigenschaften, die glück- 207 liche Mischung im Charakter, dic sie zu cinrm großen Weltvolke befähiget. *) Die Kolonisation nahm in Nußland in den mittlern Zeiten wo die Tatarenherrschaft den Zug nach dem Süden zurückdrängte, von Nowgorod aus, vorzüglich die Richtung nach dem Norden und nach dem Nordosien, dem alten Biarmerlande (Permien). Seit den letzten zwei Jahrhunderten ist aber nun vorzugsweise der Süden colomsirt worden, und dirs in einem so ausgedehnten Maße, daß die Steppen, die sonst bis Tula und Pensa hinauf reichten, zu mehr als der Hälfte angebauet und, wenn auch mitunter wenig, bevölkert sind. Der größte Theil dieser Kolonisationen aus dem Centrum, dem Kerne deß Landes, Nadl'cnartig nach der Peripherie des Reichs hin, hat sich srüher stcts von selbst gemacht. Die natürlichen Triebe des Volks, die Interessen der Gutsherren haben sie entwickelt, sie sind auf dem Privatwege ausgeführt, das Gouvernement hat sie nur gestattet, mitunter die Direction oder den bestimmten Landstrich angedeutet, aber keineswegs das Ganze nach cincm allgemeinen Plane organisirt und geleitet. Vor Peter I. war das Gouvernement auch keineswegs so organisirt, daß es in dieser Beziehung eine große systematische, staatswirthschaftliche Thätigkeit hätte entwickeln können. Nur bei einem Theile der Kosakcnansicdlungcn hat das Gouvernement, wenigstens bei den Directioncn und der Wahl der ') Ich habe cS schon einmal V. I. pl,ß, 3i) gesagt, dic ungemischten und reinen Völker sind es nicht, dic zu einer großen Nolle in der Geschichte berufen zu sein scheinen, sondern die gemischten, wenn sich erst aus drr Mischung ein neuer homogener und stabiler Charakter entwickelt hat. So die Römer nnd dir Kriechen, und von den neueren dir Spanier, die Franzosen, die Engländer, selbst die ursprünglich stark wit Kellen, Slaven und vielleicht Finnen gemischten Deutschen. Die ungemischten Volker, die Vasken, die Galen, die finnischen Stämme, die Letten u. verkümmern allmählich, ober gehen in der Nationalität kräftigerer Völker auf. — Selbst bei den Thieren, namentlich dmn,, die dem Men-, schcn am nächsten stehen, findet sich dies Naturgesetz. Ist nicht aus der Mischung des arabischen und kellischen Pferdes die stabilste, homogenste und bcstc Race l5m'ovaß, die der englischen Pferde hervorgegangen? 208 Landstriche, unmittelbar eingewirkt. Seit Peter I. aber hat sie diese, wo sie bis dahin noch nicht waren, z. B. am schwarzen Meere, an der kaukasischen Linie :c. mnstcrhaft selbst organisirt. Schon Peter begann, wie wir das oben bei der Beschrci-bnng des Gouvernements Charkow gesehen, den Großen seines Hofes, z. B., Appraxin, Grundstücke, selbst weite Land-strccken in den ncuerworbencn, aber wüstlicgenden südlichen und südöstlichen Landstrichen zu schenken, damit sie dieselben durch ihre Leute sollten bebauen lassen. Unter der folgenden Negierung geschah dies Immer mehr, unter Katharina II. in so verschwenderischer Weise, daß es die Ursache großer Mißstände geworden ist. Der Ottschet oder (^«mpt« lendu des Ministers des Innern von 1803 (vicl« Storch, Nußland unter Alexander I. B. VI. pi»«;. 35) spricht es gradczu beklagend aus, daß der Zweck dieser Schenkungen, die Urbarmachung und Bevölkerung nur zu oft verfehlt sei, in Ncurußland habe die Krone so viel verschenkt, daß es bei beabsichtigten und staatswirthschaftlich nothwendigen Colomsationen dem Gouvernement dort schon häufig an Land fehle. Das beste und fruchtbarste an Private längst geschenkte Land 'aber bliebe viele Jahre unbenutzt wüst liegen, ungeachtet es nur zum Zweck der Colonisirung und Bebauung geschenkt sei. — Diese Schenkungen wurden daher unter Kaiser Alexander sehr eingeschränkt, und haben unter der jetzigen Regierung, wie ich meine, fast ganz aufgehört. Während das Gouvernement diese stille, aber seit 2 Jahrhunderten ununterbrochene mächtige Colonisation aus dem Innern nach den äußern Landestheilcn hin, bis in die neueste Zeit hin, größtcntheils sich selbst überlassen hatte, nur etwa hin und wieder den sich entwickelt habenden grellen Mißständcn entgegentretend, hat sie dagegen eine größere zum Theil die größte Sorgfalt einigen anderen Arten von Colonisationen an-gedcihcn lassen. Es sind dieö die Kosaken colonisation, die Militaircolonisation, die sibirische Colonisation, und die Colonisation von hereingezogenen Ausländern. 1) Die Kosaken colonisation. Das Kosakcnwescn ist eine der interessantesten Erscheinungen der ganzen slavischen Völkerwclt, es repräsentirt gewissermaßen ein demokratisches 209 modernes Nitterthum derselben! Ich habe die Absicht, ihm eine eigene Abhandlung zu widmen, und berühre es dccher hier nur in Beziehung der Colonisation. Der Ursprung des Namens wie der Verfassung der Kosaken ist noch sehr dunkel. Zuerst möchten sie wohl in ihrer neuern Verfassung bei den Kleinrusscn entstanden sein. — Zwischen Rußland und Polen waren weite wüste Landstriche, vom Dnjepr durchzogen. Hier bildeten sich zuerst, wie es scheint, freie Räuberbanden, die nach allen 3 Seiten gegen die Polen, gegen die Moskowiter, und gegen die krimmischen Tataren auf Beute auszogen. Bald vermehrten sich diese, vorzüglich durch Zuzug von Klemrussen und Russinnen, die sich unter polnischer Herrschaft in Bezug auf Abgaben, Dienste und Religion (sie widersetzten sich der Union) gedrückt glaubten. Ihre Zahl wuchs nun zu einem Wolke an, ihr Land nannten sic das Grenzland (Ukraine). Sie gaben sich eine sehr freie Verfassung, doch erkannten sie den polnischen König äußerlich als ihren Herrn an. Ihr frischer Kriegsmuth, ihre geordnete Verfassung, machten sie hier zu einem Vorposten der ganzen Christenheit gegen die Tataren und Türken. Allmählich wandten sie sich mehr von Polen ab, und neigten sich vorzugsweise, aus religiöser Sympathie, Moskau zu. Peter I. vereinigte sie gänzlich mit Rußland. Cine Vereinigung, die sich aber doch erst vollendete, als Katharina ll. das gesammte Klcinrußland ihrem Zepter unterwarf. Die Ansiedlung der Kosaken in der Ukraine ist gänzlich vhne Leitung und Anordnung irgend eines Gouvernements, Weder des polnischen noch des russischen, geschehen. Eben so unabhängig hat sich ihre Verfassung begründet und außgebil-det. Die Ansicdlung geschah vorzüglich längs den Flüssen, insbesondere dem Dnjepr, auf dessen Inseln auch jene berühmte Kvsakenrepublik der Zaporogen entstand. Ich habe schon oben angeführt, daß diese ukrainischen Kosaken die Vormauer der Christenheit gegen die Türken und Tataren waren. Allein unter Katharina U änderte sich ihre ganze politische Stellung. Die Türken wurden für immer gc-demüthigt, und die Kriege gegen sie wurden von da an sictS l4 210 auf türkischem Gebiete selbst ausgefochten, die Tataren der Krimm aber mußten sich völlig dem russischen Scepter unterwerfen. Nun wurde die ganze militainschc Verfassung des ukrainischen Kosakenlandcs un nöthig. Es war kein Grenzland mehr! Dann war aber bei dem UnabhängigkcitSsinnc dieser Kosaken, bei ihrer geschlossenen Kriegsverfassung, bei der geographischen ^age ihres Landeö, (damals nicht allzuweit von der polnischen, österreichischen und türkischen Grenze), bei der großen.Macht und Unabhängigkeit ihres AtamanZ, der in jedem Augenblicke 100,000 Mann ungehindert versammeln konnte, die ganze politische Stellung doch zu exceptionell, zu gefährlich, als daß ein monarchischer Staat wie Rußland sich dabei hätte beruhigen können. Katharina II. benutzte demnach die Gelegenheit, wo sich allerhand Misistände und Unordnungen gezeigt hatten, und hob 1775 die gan;e militairische und politische Verfassung auf, und stellte die Kosaken in dieser Beziehung in Niveau mit der übrigen Reichßverfassung, licß ihnen aber ihr Eigenthum, ihre Gemeinde- und Ackerverfassung, auch die wichtigsten ihrer materielle,: Privilegien. Ihr letzter Ataman Kyrill Rasumowöky legte seinen Fcldhcrrnstab nieder!— Ein Theil der berühmten Zaporogischen Setscha ward unter Po-temkims Leitung 1792 nach der kaukasischen Grenze an den Kuban übergesiedelt, ein anderer Theil derselben aber war über die Auflösung der Setscha so erbittert, daß er aufbrach, zu den Türken überging, und den Sultan bat, ihnen eine An-siedlung zu gewähren. Sie wurden zuerst an der Donau, dann l803 am schwarzen Meer am Ausflüsse der Donau angesiedelt. Allein 1838 wollten sie nicht gegen ihre Landöleute, die Russen, fechten, und baten den Kaiser, sie wieder in Nußland aufzunehmen. Dieser ließ ihnen einen Landstrich neben ihren alten Brüdern am asowschen Meere anweisen, wo sie sich niederließen. Man behauptet, diese sämmtlichen, ehemals zaporogischcn Kosaken zählten fetzt circa 170,000 Köpfe, und stellten etwa .'j0,000 streitbare Männer, die regelmäßig organi-sirt, 12 Kavallerie- und 0 Infanterieregimcnter nebst ^l reitenden leichten Batterien bilden, wovon stets '/« den Cordondicnst gegen die Gebirgsvölker des westlichen Kaukasus versieht. Durch einen Ukas von 1842 erhielten die sämmtlichen kleinrussischen 21! Kosaken am Kuban und schwarzen Meere im Allgemeinen ganz die Einrichtungen der donischrn Kosaken. Fast gleichzeitig, wenigstens nicht viel später, erschienen auch die Kosaken am Don auf dem Schauplatze. Diese gehören aber nicht zum kleinrussischen sondern zmn grofj.üssischen Stamme. — Auswanderer aus der Gegend von Nowgorod sollen sich zuerst hier niedergelassen haben. *) Mit ihnen mischten sich Tataren, die dort wohnten, tatarische Kriegsgefangene und Uebrrläufer. Später kamen Kleinrusscn und viele ruffische Leibeigne hinzu, die ihren Herrn entlaufen waren. Wir finden bei ihnen dieselbe Verfassung wie bei den kleinruffischen Kosaken. Ob sie sie von einander angenommen, oder von früher vorhandenen tatarischen Kosaken, ist nicht ansgeklärt. Aber von einem Herrscher, und namentlich vom moökowitischen Großfürsten erhielten sie ihre Einrichtungen und Verfassung nicht. Sie waren Anfangs auch nicht im mindesten von ihm abhängig, überfielen und plünderten vielmehr so gut die russischen als die tatarischen und selbst persischen Landstriche; vorzugsweise trieben sie ihre Räubereien auf der Wolga, dem Don, dem asowschen und kaspischen Meere. Sie waren damals so wenig Unterthanen des moskowitischcn Großfürsien, daß dieser, auf Klagen der tatarischen und persischen Fürsten über sie, 1549 diesen antwortete, sie möchten nur selbst dieses Raubgesindel züchtigen, die keineswegs seine Unterthanen seien, Der l5zar Iwan Wasiljcwitsch führte selbst einen blutigen Krieg gegen sie. Von diesen beiden ältesten Kosakenansiedlungen sind alle übrigen vorhandenen Kosakencolonien anögegangen. Was aus den klemrussischen Kosaken geworden, wie ihre Verfassung gänzlich aufgelöset, und wie ihr Rest den Kaukasus gegenüber angesiedelt und vom Gouvernement neu organisirt worden ist, haben wir oben gesehen. Von den donischcn Kosaken zweigten sich schon in uralten Zeiten wolgasche Kosaken ab. Als Iwan Wasiljewitsch 1577, die donischen und wolgaschen Kosaken ihrer Räubereien halber ') Siel,, H,lp,l nordische Miscellm Stiick 24 »»b 25 s>.-,ß. 4!> . 5»<>. 14* ^212 zu züchtigen, auszog, entfloh ein Theil derselben, und siedelte sich am Flusse Uralsk oder Iaizk an, ein anderer drang unter ihrem Führer Icrmak in Sibirien ein, und eroberte es 1581. Diese söhnten sich später mit dem Czar aus, und überließen ihm ihre Eroberung. Ihre Nachkommen sind der Kern der sibirischen Kosaken geworden, die zum Schutz gegen die Kirgisen, Samjorischen Kalmücken :c. auf einer Linie von 2379 Werst Länge angesiedelt worden, die militairisch in 3 Abtheilungen, die uschinskische, irtaschkische und koliwansche Linie zerfällt. Sie haben ihren Stab in Tomsk. Sie sind ciüe Mischung jener alten jcrmakischen Kosaken mit Tataren, Baschkiren, und kriegßgefangenen Kirgisen, Kalmükcn u. 1797 wurden auch 2000 russische Svldatcnkinder untcr ihnen angesiedelt. 1812 wurden ihnen viele gefangene Polen zugeschickt, denen es so wohl unter ihnen gefiehl, daß sie sich ansiedelten, und als ihnen 1814 gestattet ward, wieder in ihr Vaterland zurückzukehren, es vorzogen, bei ihnen zu bleiben. Sie mögen vielleicht im Ganzen 50,000 Kopfe zahlen, aus denen 8700 Mann, in 10 Regimenter einrangirt, beständig im Dienst sind. Sie sind sehr wohlhabend, treiben Ackerbau, Viehzucht, Jagd, Bienenzucht, Fischfang im ausgedehnten Maße. Die Chinesen haben ihnen den See Nor-sai-san abgetreten, dessen Fischerei allein ihnen jährlich 30,000 Rubel einbringt. Ihr militairischer Dienst, d. h. die Bewachung der Grenzen, ist jedoch sehr beschwerlich, da beständig 2000 Mann auf den verschiedenen Wachposten stehen müssen. Das Gouvernement hat übrigens einen Theil der Baschkiren, Burätcn (l Regiment), Tungusen (4 Regimenter) ganz auf kosakische Weise organisirt. Seitdem diese ganze großartige Organisation vollendet ist, sind übrigens die Grenzen vollkommen sicher. Während die ukrainischen, donischen, orenburgischen, urals-kischen Kosaken ganz ohne Zuthun und Leitung der Regierung sich angesiedelt, und ihre Verfassung gebildet und organisirt haben, hat das Gouvernement die sibirischen Kosaken theilweise, die zwischen dem kaspischcn und dem schwarzen Meere an der kaukasischen Linie vollständig und von oben herab angesiedelt und organisirt. Während auf der westlichen Seite am Kuban und schwarzen Meere die kleinrussischen Kosaken angesiedelt 213 sind, sind nämlich auf der östlichen Seite nach dem kaspischen Meere zu, am Terek, großrussische, nämlich Abzweigungen der donischen Kosaken, die sogenannten grebenskischen, mos-doskischen :c. Kosaken angesiedelt worden. *) Sie mögen im Ganzen 120,000 Seelen zählen, we 1? Cavallcrieregimenter nebst einer reitenden Artilleriebrigade von 3 Batterien, in Sum-Ma 16,000 Mann, als active Kriegßmannschaft aufstellen. Allein das Gouvernement hat diesen ihren neuen Schöpfungen keineswegs eine ideale nach rationellen Principien erfundene Verfassung gegeben, sondern lediglich die alte bewährte volksthümliche Verfassung, wie sie sie als Vorbild bei den ukrainischen und donischen Kosaken vorfand, hiebei zum Grunde gelegt. Die Civilvcrfassung aller Kosaken beruht auf der russischen Gemeindevcrfassung, und diese bat das Gouvernement völlig unberührt gelassen. Sie erhielten daß. Privilegium, daß kein russischer Adliger in dem Kosakcnlande Grundeigcnthum besitzen sollte. Auch die Krone darf kein Grundeigcnthum daselbst besitzen, sondern hat nur das Recht, Wege, Kanäle und Festungen dort anzulegen. Auch die Militair- oder kriegerische Verfassung ist in ihren wesentlichen Grundlagen so geblieben, wie sie sich volksthümlich ausgebildet hatte. Nur das, was in einem monarchischen Staate bedenklich erschien, die große Unabhängigkeit des Ataman und der ihm zur Seite stehenden obersten Kosakenversammlung ist gebrochen, und der Leitung und dem Willen des Gouvernements unterworfen worden. Db nicht die neuerdings eingeführte moderne militairische Disciplin den Charakter der ganzen Volksinstitution umzuwandeln droht, will ich nicht entscheiden! Die den donischcn Kosaken 1775 ertheilte Constitution bildet übrigens die Grundlage für alle. Das Land der donischen Kosaken mag 6 biö 700,000 Einwohner zählen. Für den Fall der Noth ist zwar jeder Kosak vom 15ten bis Wstcn Jahre zum Kriegsdienst verpflichtet. Die gewöhnliche regelmäßige Kriegsmacht besteht aber aus 54 Ca- ") Schon Pet« I. brgann 1711 dich' Kusakmlinim llim,s dsm Kuban und Tcriuk zu ovgcmisirm. 214 rallcrieregimentern, jedes zu 1044 Mann, in Summa 56,376 Mann. In runden Zahlen rechnet man etwa die kleinrussischen Kosaken Dlwon im Äüpfr. Klilgsdimsi, Mann. am schwarzen Meere auf.....125,00(1 18,000 ldie großrussischen Kosaken an der kau- 18,000 kasischen Linie auf.......150,000 die donischcn Kosaken auf..... 440,00(1 66,000 die lnalskischcn Kosaken auf .... 50,600 tt,000 die orenburgischcn Kosaken auf . . . 00,000 10,000 die sibirischen Kosaken *) auf , . . 50,000 9,000 875,000 120,000 Die Zahlen mögen eine Art Uebersicht und einen Begriff von der Wichtigkeit deg Kosakenwesmö gewähren, sie sind freilich ziemlich unzuverlässig, aber sie sind doch wahrscheinlich unter dem Effectivbestande. — Welcher Staat besitzt nun eine solche brauchbare leichte (5avalleriemacht von 1'i0,000 wohlbewaffneten und kricgcrischgesinntcn gut diSciplinirten Reitern? — Die Kosaken sind freie Leute, Leibeigenschaft oder irgend eine Gutsabhängigkcit cMirt bei ihnen nicht, das ganze Territorium geHort vielmehr der Kosake ngcmeindc als sol ch cr, und jeder Einzelne hat ein ganz gleiches Recht auf die Benutzung des Bodenö, so wie der Viehweide, Jagd, Fischerei:c. Die Kosaken geben nicht die mindesten Abgaben an das Gouvernement. Statt dessen sind sie zum Militairdicnst verpflichtet. Sie sind in dieser Beziehung in .'! 6lassen getheilt. 1) Unmündige (Maloletnije) bis zum vollendeten 16ten Jahre, 2) Dienende (Sluschilije) 25 Jahre lang, also bis zum 42stm Jahre. 3) Dimittirte (Otstawnijc), welche 5 Jahre, also bis ') An der oreublirgischen m,d sibirischen Link sind außer den russischen Kosakm noch die baökirischen und meschtschslsAschm Kosakm angrsic. dcll, nach Köppm 2l2,^00 männliche Scclcu (18^8) zälMld. 215 zum 47sten Jahre, in der Reserve bleiben. Dann werden sie als gänzlich entlassen, als invalid angesehen. Bei allgemeiner Landesnoth jedoch müßte jeder gesunde Kosak von 15ten bis Wsten Jahre aufsitzen. Jeder Kosak muß sich selbst auf eigne Kosten vollkommen equipircn, d. h. sich kleiden, bewaffnen, sein Pferd halten. Während des Dienstes außerhalb des Kosakenlandcs erhalten sie Rationen und Fouragc', eincn kleinen Sold und 15 Rubel für ein Packpferd. Artillerie, Munition und Trainwesen steht das Gouvernement. Um den donischen Kosaken den Verkauf ihrer Producte zu erleichtern, hat man bei ihnen 1834 eine Handelscompagnie von 5)00 Mann errichtet. Wer in sie eintritt, ist vom activen Militairdienst befreit, muß aber 200 Rubel zur Militaircasse bezahlen. Statt irgend eine Abgabe von den donischen Kosaken zu beziehen, zahlt die Krone vielmehr an die dortige Kosaken-vcrwaltung 21,31.0 Rubel Banco ständige Gagen oder Gehalte, '^0,000 Rubel Banco für Witwen und Waisen der nn Kriege Gebliebenen, und statt 10,000 Tschetwert Korn 30,000 Rubel Banco, in Natura aber 247 Pud Schießpulver und 150 Pud Blei. 2) Die Milita ircolonisationen. Während die Ko-sakencolonisationcn volksthümlichc und ursprünglich aus dem Volke selbst hervorgcwachscne Militaircolonisationcn sind, hat das Gouvernement aber seit 1K10 auch angefangen, nach rationellen Grundsätzen Kolonisationen des regulairen Militairs anzulegen. Ich habe eine derselben, die in Tschujugeff im Gouvernement Charkoff, die ich selbst besucht habe, beschrieben, und will hier nur eine kleine Uebersicht sämmtlicher bis jetzt im russischen Reiche angelegter, geben. ^) ') Mil fäll» ei» so cbm erschienenes kleine« Werk: Finige Worte ulu'l die russischm Miliwirculunicn im Vergleiche mit der k. t. östen'eichischen Militairssrenze von ss. Frhrn. v. Pidoll zu Quintenbach, Wien bri C. Gcrolb 1847, in die H.inde. (5S ist ein vortreffliches kleine« Blich! sss gehört zu dm wenigen Büchern, die mit Kleist, Einsicht und Nnpartei- 216 Die Stellung Rußlands im Mittclalter, wo es fast von den Mongolen unterjocht, kaum den Schein eines einheitlichen nationellen Lebens bewahrt hatte, brachte es mit sich, daß es auch bei erwachender Selbständigkeit zunächst nur defensive Kriege führte. Da entwickelte sich ganz von selbst aus dem Volke heraus das Defensionssystem des Kosakenwesens. Dieses hat ganz den Charakter des Grenzenmilitairs auf der östreichisch-türkischen Grenze. Nur wurden die Kosaken allmählich so kricgömuthig und keck, daß sie, außer der Vertheidigung des Vaterlandes, es auch bald unternahmen, die Feinde desselben durch unaufhörliche Strcisercicn und kleine Heereszüge im eignen Lande aufzusuchen. Mit der Entwickelung des modernen Staats, bei der naturgemäßen politischen Stellung, die Rußland in der großen Völ-kerfamilie Europas einzunehmen begann, wurde ein großes, stehendes Heer eine Nothwendigkeit. Außer einer Defensional-macht zur Vertheidigung des Landcö bedürfte es einer Activmacht zum Angriffskriege. Aber für keinen Staat ist das Halten eines großen, regu-lairen stehenden Heeres schwieriger und kostbarer als für Nußland. Nirgends ist es schwieriger, eine große Streitmacht im geeigneten Augenblicke auf einen Fleck zu vereinigen, als in Nußland. Bei den wenn nicht übervölkerten doch hinreichend bevölkerten westlichen Ländern Europas, wo im Ganzen ein Ueberstuß von Arbeitskräften vorhanden ist, entzieht da5 Halten . einer bedeutenden Armee weder dem Ackerbau, noch den Gewerben die nöthigen Hände, ja sie erscheint hier als eine wahre Wohlthat, als eine theilweise Absorbirung der einbrechenden Pro- lichkeit einen (Gegenstand des imicril Staatßlcbens Rußlands darstellen. Dem Verfasser scheinen authentische Quellen zu Gebote gestanden zuhaben. Die von mir gesammelten Notizen stimmen genau damit übeiein. Ich kann daher unr aus dieses Buch »erweisen, und was ich hiei gebe, ist fast nur mi kurzer AuSzug aus demselben. Ich würde ihn weg lassen, wenn mein Zwcck, eine allgemeine Uebersicht der Kolonisationen Rußlands vorzulegen, mich nicht zwange, wenigstens eine Uebersicht auch der Militaiicolonicn mit aufzunehmen. Man möge mir daher daS erzwungen« Plagiat verzeihen. 217 letariernoth. In Nußland hat der Ackerbau nicht hinreichende Hände, und Proletarier cristiren bis jetzt fast nicht. So reich Rußland an Naturprodukten ist, so standen doch noch vor 3(1 Jahren Ackerbau, Gewerbe und Handel auf sehr niedriger Stufe, es war daher arm an Geld, die Staatseinnahmen waren also verhältnißmäßig gering. Wenn nun auch der Sold der Armee niedrig stand, die Naturalverpstegung nicht theuer war, so kostete sie doch unermeßliche Summen, von denen auch noch sehr viel durch Unredlichkeit und Unterschleife verloren ging. Die zahlreiche Armee zerrüttete die Finanzen immer mehr. Die ungeheure Ausdehnung des Reichs, die Vertheilung der Armee über dasselbe, die schlechten Communicationsmittcl machten es unmöglich, im rechten Augenblicke rasch eine bedeutende Kriegsmacht auf einen Fleck zu vereinigen. Als der Krieg von 1812 ausbrach, hatte man, ungeachtet man denselben A Jahre vorausgesehen und sich gerüstet hatte, doch kaum 200,000 Mann dem doppelt so stark heranrückenden Feinde entgegenzustellen. Aber: «uutlo o»'<^<:il! kann als Wahlspruch Rußlands gelten. Bei Beendigung des Kriegs 1815 war die disponible Heercsmacht 300,000 Mann stark! Alles dies mußte beim Gouvernement den Gedanken und das Nachdenken wecken, ob nicht in ähnlicher Weise, wie bei der Defenfionalkricgsmacht der Kosakmcolonicn, auch eine Colonisation der activen Kriegsmacht möglich sei? — Man hatte das Beispiel von Schweden vor Augen. Das Landwehrsystem Preußens konnte auch als Vorbild gelten. Endlich bot die österreichische Militairgrenze, eine vortrefflich organisirte, völlig angesiedelte Kriegsmacht, ein nachahmungswerthes Beispiel dar. Man kann überzeugt sein, jedem großartigen Gedanken, jeder fruchtbaren Idee, die sich aus Rußland bezieht, schon bei Peter I. zu begegnen. Und das ist seine eigentliche Größe. In ihm ward eigentlich die ganze Zukunft Rußlands geboren! — So faßte denn auch schon Peter I. die Idee von (5vncentrinmg der Volksmassc, und von einem System militairischer An-sicdlungcn, wiewohl er selbst noch keine eigentliche Versuche machte. — Aber die Idee war geweckt, und seine Nachfolger begannen schon bald nach seinem Tode, dieselbe ins Leben zu rufen. Die Kaiserin Anna siedelte 1727 ein auö eingewandcrten 218 Serben gebildetes Husarcnregimcnt in der Ukraine an, 1737 ward eine ganze Linie von militairischcn Ansiedlungen in der Ukraine organisirt. Katharina ll. hcsasi bereits in Südrußland 9 angesiedelte Husarcnrrgimcntcr. Allein die ganze Einrichtung verfiel bald, und ging noch unter Katharina selbst wieder unter. Nur die Kosakcnansicdlungen am schwarzen Meer unter Katharina U. bestehen noch, wie wir oben gesehen haben. Der Sold der Armee ist noch jetzt gering in Nußland. Es sind die Kosten der Verpflegung, Fourage, Kleidung, die auf ossi-cicllen und auf Nebenwegen unermeßliche Summen absorbiren. Diese, wie bei den Kosaken dem Schatze zu ersparen, und sie der Ansicdlung aufzubürden, erschien als die Aufgabe. Dann hoffte man, durch eine Ansicdlung die der Landwirthschaft entzogenen Arbeitskräfte wenigstens einigermaßen dieser wieder zuzuwenden. Man versprach sich auch dadurch ein Anwachsen der Bevölkerung, indem die Rckrutirung aus den Gouvernements dann immer weniger nothwendig würde, da die Ansiedlungen selbst die Rekruten lieferten, und die Verheirathungen der Soldaten sehr befördert werden. Endlich wurde den Soldaten nach beendigter Dienstzeit dadurch eine feste Heimath, ein sorgenloses Alter bereitet. Kaiser Alexander nahm die Idee in einem größeren Maßstabe wieder auf. Ein erster Versuch, der 1810 mit einem Bataillon gemacht wurde, mißlang. Als er später 181-4 die österreichische Militairgrcnze kennen lernte, erwachte in ihm pon neuem der Vorsatz, ähnliche Einrichtungen zu treffen. Der fehlgcschlagcne Versuch von 18 U) zeigte, daß man Soldaten allein nicht füglich ansiedeln könne. „Man beschloß nun Soldaten und Landvolk zu verschmelzen, und durch gemeinschaftliche Einrichtungen und stetes Beisammensein die Soldaten zu Landwirthen, und die Landwirthe zu Soldaten zu bilden. Bei dieser neuen Ansiedlungsart sollten die Stammbewohner nicht in andere Gegenden versetzt, sondern jedem Bauer ein oder zwei Soldaten in daß HauS gegeben werden, die er gegen Befreiung von allen andern Lasten, und anderweitige Begünstigungen bei sich verpflegen sollte, wogegen der Soldat ihm auch in seiner Wirthschaft beizustehen hätte," (Pidoll.) 219 Es ward nun der erste Versuch 1816 mit einem Bataillon im Gouvernement Nowgorod gemacht, dem bald noch 2 Infanteriedivisionen und 2 Eavalleriedivisionen in Südrußland folgten. Sie wurden in Dörfer zusammengelegt, die regelmäßig eine ganze, eine halbe oder eine viertel Compagnie oder Eskadron als eine ewige Einquartierung erhielten. Die Höfe der Dörfer wurden in regelmäßige Ordnung gestellt, und ganz neu nach bestimmtem Plane, und vorgeschriebener innerer Einrichtung auf Kosten der Krone aufgebaut. Den Soldaten wie den Bauern ward die ganze innere Hof- und Hausemrichtung gegeben, der nöthige Viehstand completirt. Auf einen vollen Bauerhof, welchem in den Infanteriedistricten l>0, in den Ca-vallcricdistrictcn 99 Deffj. zugelegt wurden, wurden 3 Paar Ochsen zum Feldbau, 1 Paar Reserveochsen, 2 Pferde, 2 Kühe und 12 Schafe als erforderlich gerechnet. Es wurden aber auch Halbe- und Viertelbauern angesetzt, die mit andern ganze Pflüge bildeten, und im Verhältniß die Lasten der Einquartierung tragen sollten. Es ward unter dem Iten December 1826 ein umfassendes Reglement für alle Militaircolonicn erlassen. Doch warb dasselbe in Bezug auf die nördlichen Infanteriecolonicn durch Ukaß vom 20sten November 18A1 bedeutend modificirt. Die Colonisation der Cavallerie begann 1818. Die Steppe zwischen Dnister und Dnjepr war von zusammengelaufenem Gesinde! bewohnt und durchzogen, denn die wenigsten hatten feste Wohnsitze. Ein Theil der am Bug Anwohnenden jedoch hatte Kosakeliplivilegien; sie hießen die Kosaken am Bug. writer ihrer Egide trieb sich auch alles übrige Gesinde! umher, und verübte die ärgsten Räubereien. Die Privilegien waren aber nur auf einen bestimmten Zeitraum verliehen, der im Anfange des Jahrhunderts ablief. Sie wurven nicht wieder erneuert, sondern ein Ukas verwandelte diese sämmtlichen Kosaken, so wie die übrigen Einwohner, in KronbalU'M. — Dieß ward dann aber erst dadurch wirklich ausgeführt, daß man sie förmlich in bestimmten Bezirken colomsirte, und regulairc (5a-vaUcrie bei ihnen als ewige Einquartierung einlegte. General 220 Graf Witt hat sich das Verdienst erworben, mit großem Bestände und vieler Umsicht die Aufgabe gelöst zu haben. Gegenwärtig sind in den westlichen Theilen des russischen Reichs, Europa gegenüber, in den Gouvernements Nowgorod, Charkow, Cherson, Kiew und Podolien, in 4 großen Gruppen, 9 Regimenter und 3 Bataillons Infanterie in einem Fricdens-etat von 29,950 Mann, 4 Regimenter Kürassiere, 4000 Mann stark, die 2te leichte Gardecavalleriedivision von 3 Regimentern, in einem Bestände von 3450 Mann, 10 Regimenter Uhlanen, 13,810 Mann stark, U Regimenter Husaren zu 9210 Mann, 10 Batterien reitende Artillerie, 2670 Mann, 2 Bataillon Negimcntsfuhrweftn der Cavallerie, 1000 Mann stark, in Summa 82,2<'0 Mann angesiedelt, ohne die Arbeitscompagnien und mobilen Arbeitsbataillons zu rechnen. In politischer und militairischcr Hinsicht wird man die russischen Militaircolonien als völlig gelungen ansehen müssen. Durch sie und die 70,000 Mann Garden in Petersburg besitzt Rußland in jedem Augenblicke eine schlagfertige Armee zu einem Offensivkriege, während die bisherigen Erfahrungen zeigten, daß dies sonst für Rußland kaum binnen Jahr und Tag möglich war. Man behauptet, es sei Plan, die ganze Armee allmählich zu colonisireu, und zwar in einer Linie vom baltischen nach dem schwarzen Meere zu. Ein ganz kolossaler Plan, dem freilich große Hindernisse entgegen stehen möchten. Doch was ist in Nußland nicht möglich! In financieller Hinsicht sind die Vortheile nicht so groß als man denken sollte. Wollte man die Zinsen der ungeheuren Summen rechnen, die ihre Anlage gekostet hat, so möchte sich wohl kein pecutnärcr Vortheil herausstellen. Die Einrichtung eines einzigen Regiments soll 5 Millionen Rubel Silber gekostet haben! Sie bilden ungeheure Kornmagaziene für Krieg s-bcdarf und Hungersnot!). *) ') Dir Vt'bmtliclKitt» und (Ychihrm, welche Barm» Piboll in dem obm angeführten Werke von pNK. 69 an aufzählt, sind im huhm Grabe zu beachten. Nur einem möchte ich widersprechen, daß die Bmiem in dm llolonicn schlechter gestellt seien, als die übrige» Krmilmucrn. Die Berechnung dcr materiellen Vortheile und Kosten ist sehr schwierig, aber 221 3) Die sibirische Colonisation. Ich habe die sibirische Colonisation nicht selbst gesehen, auch fehlt es mir an ausführlichen und übersichtlichen Nachrichten über dieselben, ich muß sie aber hier der Vollständigkeit halber anführen, und gebe einige mitgetheilte und von mir gesammelte Notizen und einige sich auf sie beziehende Betrachtungen über dieselbe. Sibirien ist eins der Bänder (oder vielmehr einer der Welttheile!), welches einer ungeheuren und ganz unberechenbaren Entwicklung entgegengeht. Wenn man dies von den nordamerikanischen Staaten behauptet und ausspricht, so glaubt und weiß das ein Jeder, es ist eine ausgemachte und unbe-zweifelte Sache! Von Sibirien wissen es aber Wenige. Jeder hat eine Art Grauen, wenn er den Namen Sibirien ausspricht! Und doch ist dies Land sür die Betrachtung der großen socialen Weltverhältnissc wohl eben so wichtig wie Nordamerika! Für dic Zukunft Europas wird nichts cmflusirrichcr seiil, als die Verhältnisse zu den großen Reichen und Ländern des innern Asiens in der Linie von Kleinasien bis China. Bon zwei Seiten aber versucht nun gegenwärtig Europa einen Schlüssel zu dessen Erschließung! Den einen besitzen die Engländer in Ostindien, und sie sind bereits seit langer Zeit in großer Thätigkeit, zu Lande nach der Bucharci und Thibet vorzudringen, während sie mit dem rechten Arm China, mit dem linken Persicn durch ihre Flotten sich zu erschließen suchen. — Den andern Schlüssel hat Rußland in den Händen, es ist Sibirien! Bis jetzt ist ich gebe nur cjns zu bcdcnkm. Der Kronbauer hat in den meisten Gouvernements nur I—4 Dcssj., nirgends effccliu mchl als 10 Dessj. Der Colonist aber hat 6N — 9tt DM. Der Kroubauer zahlt nicht l0 Rubel, wie Varon Pidoll meint, sondern 15 Nudel. Der Colonist steht unter beständiger Aufsteht und Bevormundung. Das wäre bei andern Völkern unerträglich. Der Nuffc fuhll sich hieburch nicht gebrückt, das liegt in seinem Nationalcharakter. Der (solonist ist in jeder Beziehung in seiner vollen ltzristmz gesichert, vor Verarmung, Hungersnoth n. Das ist der Kronbaucr nicht. Nach meiner Ansicht und Erfahrung wild in den Colonisten ein sehr tüchtiger Bauernstand für Rußland erzogen. Db aber mehr Freiheit ersprießlich ist, wenn die Orzichnna, vollende», daö ist eine andere Fraqc, 222 von hieraus nur cm leiser Anfang zur Erschließung des innern Asiens geschehen. Nußland ist noch zu beschäftigt mit seinen Verhältnissen zu Westeuropa, und mit seiner innern (5onsoli-dirung, um auf das Innere Asiens eine große Einwirkung zu suchen, doch haben seine industriellen und commercicllen neueren Entwickelungen es in der letzten. Zeit ctwas nach diesen Richtungen hingewiesen, und es fängt an, vom Kaukasus her in Persien, von Sibirien her in Bokhora und (5hma sich mit England auf den Märkten zu begegnen. Dennoch würde Nußland, wie gesagt, nach andern Richtungen hin zu sehr beschäftigt und in Anspruch genommen, noch wohl lange Zeit hingehen lassen, ehe es cinc Hauptrichtung nach Asien aufnehmen, und die Entwicklung Sibiriens im Großen ins Auge fassen und in Angriff nehmen möchte, wenn nicht ein Ereigniß eingetreten, dessen Wirkungen, wenn nicht alles trügt, Sibirien nothwendig binnen 10 — 20 Jahren zu einem Hauptpunkte der Betrachtung, nicht bloß des dasselbe beherrschenden Rußlands, sondern der ganzen civilisirten Welt erheben muß. Dieses ist der neu entdeckte unermeßliche Goldrrichthum desselben! Die Sagen, von den einen unermeßlichen Goldschatz hütenden Greifen, dic uns Herodot aufbewahrt, sind keine Märchen! Sie sind vielmehr eine jetzt in Erfüllung gehende Prophezeiung gewesen. Die Gegend zeigt Herodot richtig in Nordosten an! — Hat aber nun nicht der slavische Volksstamm von Uralters her als mystisches Volkssymbol den Greifen im Wappenschild geführt?*) Schon die Urbcwohner, die alten Tschudcn, hatten in Sibirien Bergbau getrieben. Man findet ihre alten Gruben und Halden überall. Dann blieb alles liegen, bis die Russen Si- ') Man blicke nur auf Pommern, wo in Rügm der Mittelpunkt dcs (5ul-luS aller Slcwm, die gefeiertsten Heiligthümer warn,. Das Wappen dts Landes, wie das der meisten Stable, ist „och jetzt drr Greif. Die Städte Vreifswald, Grn;>nbrrg, Greifcrchaa.cn u'. haben daher ihren Namen. Auch das alte Wappen Rußlands ist dcr Drache mit dem Ritter Gl. Georg. (Freilich isl abcr auch daö laiscrlichr Wappen Chinas ei» Greif! —) Herberstem fuhrt eine alttnssische Sage von rinem goldenen Wvibr, Slntlija Bal'^, an, welches hoch im Norden Sibiriens Pud Gold, 1820 schon über 27 Pud, wovon die Privatleute etwaö über 7 Pud aufgefunden und gewaschen hatten, das Jahr 1830 ergab hier eine Ausbeute von 352 Pud, von denen 204 V2 Pud durch Private gewonnen wurden, und über diesen Höhepunkt ging dieselbe von da an nur in den ersten zwei Jahren etwas hinüber, sank dann aber bis auf circa 300 Pud herab. Neben dieser uralschen Goldgewinnung fanden aber nunmehr Privatleute, die sich in großer Anzahl über ganz Sibirien ") Das PrwM'gnnn, welches Iwan Wasiljewitsch der von Tataren der goldenen Orbc abstammenden Familie Slrogcmoff über den Bergbau im Ural 1574 ertheilte, behält sich ausdrücklich das etwa sich findende Kl'ld vor. — Die besten Notizen über das Woldvorkmnmm in Sibirien befinden sich in Ltman, Archw fin wissenschaftliche 5N>ndr von Rußland, bes. 3. Heft. 1842. ") Der erste, der Waschgold in großer Masse fand, wur dn ssommerzien-ralh Frbor Poftvff, der auch 1827 die leicken 8^er im südwestlichen Theile dcs Kreises Tomsk entdeckie. 224 verbreiteten, fast an den meisten östlichen Abhängen sämmtlicher Gebirge, bis in Kamtschatka hinein, solche Goldlager, und legten Goldwäschen an. Das Gouvernement folgte, aber nur in geringem Maße. Zuerst im Jahre 1828 fand sich eine kleine Ausbeute von 25 Pfund. Aber bereits nach 4 Jahren erreichte man den mehr als Machen Betrag hievon als Ausbeute, In den Kronwäschen waren hievon t> Pud, in den Privatwäschm gegen Ili Pud gewonnen. Neun Jahr später, 1841, stieg der Ertrag auf 355 Pud, wovon abcr in den Kronwäschen nur 37 Pud gewonnen waren. Im Jahre 1843 waren nach den officiellen Angaben gewonnen: im Ural, in Kronwerken 140 Pud, in Privatwäschen 199 Pud; in Sibirien, in Kronwerken 78 Pud, in Privatwäschm 925 Pud. Also in Summa 1342 Pud Gold! — Das Gold, welches von 1814 bis 1842 in Rußland vfficicll gewonnen, hat den Werth von mehr als 25 Millionen Friedrichsdor! Nach der Augsb. A. Z. vom 18. Febr. 1847 betrug die Goldausbeute von 1840 1722 Pud. Allein diese Summe ist noch bei weitem größer! Von dem, von Privaten gefundenen Golde ist bei weitem nicht alles angegeben, was gefunden ist. Wer vermöchte das in Sibirien zu controliren! — Die Privatleute nämlich, die sich melden, erhalten Districte, um Goldwäschen darauf anzulegen, sie müssen dann von dem Brutto-Ertrage eine Abgabe von, in einigen Gegenden 15, in andern 2l) und selbst 24 Procent an die Krone erlegen. Die Krone erhielt dann im Jahre 1843 gegen 170 Pud, im Werthe von 2 Millionen Silbcrrubel, als Abgabe von Privaten. Daß nun aber bei diesen Privatwäschm viele Untcrschleife vorkommen werden, und vicl gewonnenes Gold verschwiegen und auf Seite gebracht wird, ist mehr als wahrscheinlich, *) und wie viele Abenteurer ziehen in den öden Gegenden Sibiriens umher, und suchen und finden viel Gold, ') Ich vermuthe, daß vicl untclgcschlaa.cneö Gold nach sshina gegen Waaren, besonders Thee, wandert, da daö Gold in China eine» sehr viel höheren Preis hat, als in Europa. Siehe die Zeilschrift i Ausland 1845 Nr. 7. Die Chinesen haben alle Ausfuhr von Gold nach Nußland scharf veibolen. 225 ohne daß das Gouvernement es erfährt?*) Nach einer mir mitgetheilten Notiz möchten 1tt42 gegen 2000 Pud Gold im russischen Reiche gefunden sein, also ein Werth von mehr als 30 Millionen Thaler! **) Gegenwärtig gewinnt man in Sibirien jährlich etwa doppelt so viel Gold, als in allen Bergwerken und Goldwäschen der übrigen Erde zusammengenommen! Außer dem Golde sind aber die übrigen Metalle ebenfalls in ungeheurer Fülle vorhanden. Die Platinagewinnung, die 1824 im Ural noch kaum 2 Pud gewahrte, betrug 18'l8 fast 122 Pud, also das 01 fache. Die Platinagcwinmmg übersteigt jetzt hier die aller übrigen Länder der Welt um daö 4 bis 5fache! — Die Silbergewinnung ist ebenfalls ungemein groß. Graf Dcmidow soll ein Felsgcbirge von reinem Malachit besitzen, dessen Kupferwerth auf fabelbafte Summen berechnet wird. Diese ungeheure Metall- vorzüglich aber Goldgewinnung muß, wenn sie, wie kaum zu bezweifeln ist, noch zunimmt, ') Im Jahre 1843 fand man in einer Thalschlucht Kamschatkas dir Leichname zweier erschlagener Manner. Die neben ihnen liegenden ArbeitS-werkzruge waren von Blut gefärbt, nnd alles zeigte an, daß sie sich gegenseitig niedergeschlagen hatten. Zwischen ihnen al'er lag auf einem aufgewühlten Hansen ein 8 Pfund schwerer Goldllumftrn! — Im Museum der Bergakademie in Petersburg sah ich die gröfte Goldstufe von gediegenem Golde die ts wohl gegenwärtig giebt, sie wiegt 7"7, ^ Pfund preußisch, und ha» also einen Werth von 33,200 Nthlr. Die Privaten müssen das gefundene Gold abliefern, und erhalten den Werth desselben bezahlt. Welche Uuterschleist nnd Bestechungen hirbri vorgehen, ist in einem eben erschienene», sehr guten und wahrhaften Buche: Sibirien v. Ch. H. ColtreU, übersetzt v. Lindau. Dresden 1846 p»ß. 221 sehr gut beschrieben und angedeutet. Auch die Notizen die der Verfasser im 2tm Bde. p.iz;. 1 über Arbeitslohn, Goldgewinnung,r. giebt, sind wahr und lehrreich, aber sie reichen nur bis 1639, und seitdem haben sich diese Verhältnisse noch in einer Weise g^sieigrrt, wovon man sich kaum einen Begriff macht. "j Cottrcll a. a. O. pl>F. 221 giebt eine belehrende Beschreibung iibrr die Uuterschlrife, dic bei Ablieferung deS Goldes Passiren. Welche vorher passirrn mögen, kann man leiclit ermessen, da sie viel leichter sein »Nissen. l5 226 statt abzunehmen, einen unermeßlichen Einfluß auf alle Ber-hältnissc des russischen Neichö, ja der ganzen Wrlt ausüben, gewiß einen eben so großen als einst die Erschließung der amerikanischen Metallschätze. Das russische Gouvernement läßt diese abenteuerlichen Goldsucher*) vorläufig gewähren. Es hat nicht hinreichend ausgebildete Beamte, Bergleute und Arbeiter dazu, um selbst die Sache im Großen, und vollständig in die Hände nehmen zu können. Selbst die größte disponible Zahl Beamter vom Fach würde die unzähligen goldhaltigen Flußbette und Gebirgsschluchten nicht so schnell zu finden und auszuspüren vermögen, als diese goldgiengcn Abenteurer. Aber indem diese die goldhaltigen Stellen auffinden, lernt auch das Gouvernement sie kennen! Durch die aufgelegte Abgabe erhält es eine reine, ohne große Mühe und Abzüge gewonnene Einnahme, und durch daS aufgefundene Gold, selbst der Privaten, wird die Masse des vorhandenen edlen Metalls vermehrt, also der Nationalreichthum erhöhet. Aber dennoch wird das Gouvernement nicht viele Jahre mehr anstehen dürfen, die Leitung und Einschränkung dieser unermeßlich wichtigen Angelegenheit selbständig und im Großen in die Hand zu nehmen. Aus dem zu mächtigen und zu raschen Zufluß von Gold muß nothwendig der Werth dieses edlen Metalles sinken, was unberechenbare Folgen haben könnte. Dann wird aber auch die Moralität des Volks, namentlich des sibirischen, durch dies Vagabvndenlcben und diese aufgestachelte Goldgier, diese Geldlotterie, in einer Weise untergraben, wovon man kaum einen Begriff hat! ') Von ditsrn Privalleutm ssewannm ganz allein im Jahr? 1843 eil, Herr Astlischcss 111 Pud Gold bnitto, d. h. linen Wcrth von 1,701,630 Nthl,, ein Hcrr Njasanoff ls>6Pnd oder rinm Nrutwwn-lh v. 1,624 980 Rthl. ein Herr Galnbkoff 90 Pud oder l,379,700 Rlhl. Wrrtl/ Das ist doch wohl etwas, was die Abrntexrerlust erwecken ^nnte! — Die Lc-bcnsgeschichte des unermeßlich reichen Wascheff giebt Cuttrcll , Zwergen blickt durch. 229 Müller a. a. O. paß. 244 nennt es die kolossalste Stromgruppe dcr Erde. Vier ungeheure Ströme, fast auf demselben Punkte, auf der mittlern Gruppe des altaischen Gedirgssystcms entspringend, gehen dann in ihrem mittleren Laufe 500 — 600 Meilen weit divergirend auseinander, um sich in ihrem Mün-dungslande an den Küsten des Eismeers wieder auf höchstens 300 Meilen zu nähern. Indem sie sich von ihren Quellen zu der großen polarischen Niederung Asiens hcrabführen, nehmen sie noch eine solche Masse zum Theil großer Flüsse in sich auf, daß z. B. der Irtisch - Obistrom bei einer Länge von 460 ^ Meilen ein Stromgebiet von 64,000 m Meilen besitzt. „Diese ungeheuren Ströme sind in ihrem untern Laufe durch die Gcstadelandschaften deß Polarmcers während mehr als der Hälfte des IahrS mit EiS belegt. Da schwellen dann ihre obern Wasser zur Frühlingszeit sehr an, weil sie nicht so schnell einen Abfluß zum Polarmeere finden, sie reißen dann die umliegenden Ufer mit Gewalt ein, und wälzen ungeheure Schuttmassen von den Höhen nach den Tiefen hinunter. Mit diesen eingerissencn und fortgeschwemmten Erdmassen überschütten sie die Sumpfniederungen und Felsplatten des Tieflandes, und transportiren also stets das Culturland von Süden gegen Norden, wodurch die nördlichen Gegenden allmählich fähiger zur Ansiedlung der Menschen werden. Demnach sind diese Ströme noch ungebändigte Naturgewaltcn zn nennen, die noch kräftiger wirken, als es einst Hcrodot vom Nil beschrieb. Sie arbeiten stetö an der Umgestaltung der Oberfläche der Erde."*) Daß wichtigste dieser Stromsystcmc ist das des Irtisch-Dbi-Svstcmö. Müller a. a. O. sagt: „Es steht in Beziehung zu zwei ganz verschiedenartigen Gebirgssystemen, zu dem des Altai, aus welchen es herkommt, und des Ural, dessen Ostseite es mit seinen westlichen Zuflüssen von Süden nach Norden begleitet. Dadurch verknüpfen der Irtisch und Obi eine dreifache Welt, zunächst den asiatischen Osten mit den asiatischen Norden, und beide wieder mit dem europäischen Abcndlandc, jenseit des llrals." Er nrnnt dies Stromsystcm einen unvollendeten Versuch der Natur, hier ebenfalls Zwil- ') Mlillrl j häufig Selbstverbrennungen vorgekommen sind, hat man damals in !5rfahrung gebracht, wahrscheinlich geschieht es auch noch jetzt, aber man erfährt cö nicht. ') Storch, Rußland unter Alexander I.. Wd. VI. pag. 12l. Daß sie dort 1804 glücklich angekommen sind, wird Bd. Vl. berichte». 1805, folgten ihnen abermals 4NN Bauern dorthin. ") Die Verbannung nach entfernten wüsien Orten begann in Nußland schon früh. Ivan Wasiljcwitsch verbannte Hoflcutc, Bojaren, Priester u. f. w. meist »ach Wologda hin. Dann wurde Perm und Wiatka cm Haupt-vrrbannungsort, auch die Ukraine, wil- n,r oben gesehen. Falk in seinen Reisen führt z'!,^. 278 an, daß der ukraiuscht Knas Samoilow der Erste gewesen, der 1088 nach Tobolsk in Sibirien verbannt worden, tzs seien ihm täglich 30 Koft. zum Unterhalt gegeben. Diese Art vu» Verban- 235 Ich glaube, die Sache hat sich ganz von selbst gemacht, ohne voraus gefaßten Plan, und stets durch Verordnungen geregelt, wie sie das Bedürfniß eben hervorgerufen hat *). Gegenwärtig ist die Sache aber unstreitig vollständig und sehr sorgfältig und gut geregelt. Ich habe in Moskau die Gefängnisse und die Localitäten der Sperlingsberge, von wo die nach Sibirien Verwiesenen abgesendet werden, besucht, und werde meine Besuche weiter unten beschreiben. Ich kann nur bestätigen, was Cottrell in dem oben angeführten Buche über die Milde der Behandlung :c. anführt. Die Kost der Verbrecher ist gut. Die Gefängnisse sind hoch, luftig und im Winter warm, die Ketten, die sie während des Marsches an Händen oder Füßen (sie haben die Wahl, wählen aber in der Negcl die Fesselung des einen Fußes an dem Fuße des andern Gefangenen) tragen, wiegen nur 4 Pfund. Sie machen täglich nur zwei bis drei Meilen. Die Stationen sind gut eingerichtet, wie ich dies bereits im ersten Bande nach eigener Anschauung geschildert habe. In Moskau versammeln sich die zur Verweisung nach Sibirien Verurtheilten aus W Gouvernements, und in jeder Woche geht zweimal ein Transport derselben zu seiner Bestimmung ab. Es liegt mir eine in dem schon mehrmals angeführten für die Ministerien bestimmten statistischen Material abgedruckte oft ficielle Liste über die von 1823 bis 1832 nach Sibirien Verwiesenen vor, aus der ich folgende Notizen mittheile. nung geschah von den (>'zarm persönlich, >mb das geschieht mich noch häufig bei Hofleutm, Adel, Beamten. Verschieben hiervon aber ist, wenn Leute durch Gerichte zur Verweisung nach Sibirien verurtheilt werden. Dies wirb wohl seinen Anfang genommen haben, als die Kaiserin Elisa» beth die Todesstrafe zwischen 1751 und 1753 beinahe ganz abschaffte, wrnig-stenS ist in deren Stelle die strengere Verbannung nach Sibirien eingetreten. ') Dahin gehören: die Verordnung dun 1777. Ncbcr die Ordnung und Negel, wie die zur Verbannung Verurtheilten verschickt werben sollen. Vom 28. April 1783, aus welchem Gouvernement selbige nach den verschiedenen Vcrbannungsorten, und wie, abzusenden sind. Vom 12, Juli 1785. Von Versorgung derselben mit Kleidung. Vom 1«. September 1785, wie dieselben abzusenden sind n, s. w. Die neuesten sind die Er. ffanzungSverordnungm vom 15, August 1845, dic von Vorsorgüchkeit und Milde ein Zeugniß ablegen. 23tt Es sind darin die Verwiesenen aus den 48 europäischen und den beiden kaukasischen Gouvernements aufgeführt. Die Zahl sämmtlicher nach Sibirien binnen den obigen U1 Jahren Verwiesenen beträgt 72,904 Manner und 10,795 Weiber, also in Summa 83,099, oder durchschnittlich jährlich etwa 8000. Da aber die Weiber das Recht haben, ihren Männern, und umgekehrt, zu folgen, ja selbst ihre Kinder unter gewissen Modifikationen mitzunehmen, so möchte die Durchschnittszahl der dorthin Wandernden auf 1,9,000 anzunehmen sein. Die Sterblichkeit auf dem Transporte ist natürlich trotz aller humanen Einrichtungen sehr bedeutend, auch sterben anfangs viele, ehe sie an das dortige Klima und die dortige Lebensweise sich gewöhnt haben. Man wird wenigstens Vs Verluste binnen den zwei Jahren des Marsches und der ersten dortigen Gewöhnung annehmen können. Der effective jährliche Zuschuß der Bevölkerung für Sibirien beträgt also 8000 Individuen, unter denen vielleicht 6000 Männer und 2000 Weiber sein möchten. Jene 83,099 Verwiesenen zerfielen in 5 Kategorien: 1) Criminalverdrecher: 37,7M Männer und 5259 Weiber. Hierzu haben alle Gouvernements, außer Finnland, beigesteuert, aber in einem sehr verschiedenen Maße. Am wenigsten hat Grusien zu der Zahl der Verwiesenen beigetragen, nur etwa von je 91,320 Einwohnern Einen, wohl nicht, weil wenige Verbrechen dort vorkommen, sondern weil Polizei- und <5riminalgerichtl.'-Anstalten sehr mangelhaft sind. Hiernach hat Iaroslaw die wenigsten Verbrecher geliefert, es kommt hier jährlich nur auf 35,520 Eingesessene 1 Verwiesener. Beim Gouvernement Grodno kommt auf 29,700 Eingesessene 1 Verwiesener, bei Vologda und Witepsk 1 auf 28,970, bei Esthland 1 auf 28,220, bei Bialistok l auf 20,740, bei Olonetz. 1 auf 20,270. Bei den Gouvernements Twer, Minsk, Mohilew, Podolicn, Wolhinicn, Pultawa, Livland und Kurland kommt 1 auf 15,000 bis 20,000 Eingesessene. Bei den Gouvernements Archangel, Pskow, Wiatka, Wilna, Smolensk, Kiew, Charkow, Bcssara-bien, Saratow, Nischni-Nowgorod, Wladimir, Tula, Kaluga, Kostroma, Rjasan, Ssimbirsk, Tambow, Woroncsch, Kursk, Pensa, Nowgorod und Iekatermoölaw kommt 1 auf 10,000 biü 15,000 Eingesessene. In den Gouvernements Moökau, Tscher- 237 nigow, Orenburg, Taurien, Tschernomorien, Perm, Astrachan und Kasan ist 1 auf 5000 bis 9970 Eingesessene zu rechnen. Im Gouvernement Petersburg aber ist gar 1 auf 4020 und im Gouvernement Cherson 1 auf 3640 Eingesessene zu rechnen! — 2) Aufgegriffene Vagabunden: 30,703 Männer und 4605 Weiber. Zu diesen steuerten die Gouvernements Archangel, Wologda, Wiatka, Kasan, Kostroma, Kursk, Moskau, Dloncz, Drell, Orenburg, Pultawa, Pskow, Pensa, Rjasan, Simbirsk, Petersburg, Tula, Tambow, Twer, Grusien und Bessarabien am wenigsten bei, nämlich 1 von 30,000 bis 100,000 Eingesessenen. Dagegen war die Zahl der als Vagabunden Aufgegriffenen und nach Sibirien Verschickten sehr groß in den Gouvernements Iekaterinoslaw, Kiew, Minsk, Podolien, Tau-rien, Tschernigow, Cherson, Iarvslaw, in den beiden Kosakenländern am Don und am schwarzen Meere. Hier kommt mitunter 1 Landstreicher auf 5000 Eingesessene. 3) Wegen schlechter und ausschweifender Aufführung 2798 Männer und 579 Weiber. Die Gouvernements Petersburg und Moskau zeichnen sich hierbei zu ihrem Nachtheile aus, indem hier unter 30,000 bis 40,000 Eingesessenen einer von dieser Kategorie verwiesen wird. 4) Auf Urtheil und Antrag der Dorfgerichte wegen schlechten Betragens verwiesen: 71tt Männer und 20 Weiber. Nur in den Gouvernements Perm, Taurien und Cherson ist dies üblich. Sie haben allein "/ der ganzen Summe geliefert. Was hiervon die Ursache ist, habe ich nicht erfahren. 5) Auf Antrag der Gutsherren nach Verfügung des Gouvernements sind wegen schlechten Betragens nach Sibirien verwiesen: 931 Männer und 330 Weiber. Das Gouvernement hat dem Herrn das Recht eingeräumt, *) seinen Leibeignen „für freche Verbrechen und nicht zu duldende Führung" von sich und seinem Gute zu entfernen, und dem Gouvernement zuzustellen zur Versendung nach Sibirien. Es bedarf hierzu keineswegs richterlichen Spruchs, sondern die eigene Ueberzeugung des Herrn über den Thatbestand des Vergehens *) Der 8wnä (russisches Gesetzbuch), ssap, IV. §, »75, 238 reicht hin. Diese Willkür ist aber bei ihrer Ausführung an solche Formalitäten, Bedingungen, Kosten nnd Vcrmögens-verluste geknüpft, daß die Sache sehr selten vorkommt. Der Leibeigne muß es arg treiben, ehe der Herr sich zu diesem seinen reellen Interessen so sehr nachtheiligcn Schritt entschließt. In der Rcgcl sieht der Leibeigene eines strengen Herrn es gar nicht als eine Strafe, vielmehr als eine Wohlthat an, nach Sibirien verschickt zu werden! Es giebt, wie ich es auS eigener Erfahrung weiß und gesehen habe, unter den zu Verschickenden viele, die vagabundiren und sich dann mit Fleiß ausgreifen lassen, oder ein leichtes Verbrechen (kleinen Diebstahl) begehen, um nur das Glück zu haben, nach Sibirien verschickt zu werden *). Im vorsiehenden Falle hat der Leibeigene das Recht, sein Weib und seine unmündigen Kinder**) mitzunehmen, und alle werden, so wie sie den Boden Sibiriens betreten haben, freie Leute, werden angesiedelt, und sind, wenn sie steißig sind, in wenigen Jahren wohlhabend. Daß das Sachverhältniß so ist, wie ich hier angegeben, sieht man aus den geringen Zahlen dieser Kategorie. Wenn von 24 Millionen Leibeigenen, die etwa in Rußland zu zählen sind, jährlich 95 Männer und AA Weiber von den Gutsherren nach Sibirien verschickt werden, so wird man das wohl eben nicht für ein sehr gefährliches und zu folgenreiches Privilegium anerkennen können, wenn ich mich natürlich auch dagegen verwahre, die Gerechtigkeit deß Gesetzes darüber anzuerkennen. Die Verwiesenen werden, wenn sie in Sibirien angekommen sind, dort in verschiedene Gegenden vertheilt. Die größere Zahl kommt wohl jetzt nach Dstsibirien, da Wcstsibiricn in den besseren Gegenden schon ziemlich angebauet ist. Die Verwiesenen, die, so wie sie Sibiriens Grenze betreten, ihr früheres Leben hinter sich zurückgelassen haben, und nicht mehr ") Auch ssrttn'll a. a. O. pn^. 8 berichtet als Augenzeuge, dasi in dm Gefängnissen zl> Moskau ein alter Mann in seiner Gegenwart Dor dem Factor auf die Knie gefallen, und ihn gebeten, er möge es vermitteln, daß er nach Sibirien geschickt werde! ", 8>vl>l>, Cap, Vl. §. 9.'U, 239 als Verbrecher angesehen weiden, daher vom Volke, wie selbst in der amtlichen Sprache der Behörden nur: ^««t t^lmlni I.uäi, die u n glücklichen Lente, genannt werden, zerfallen in 3 Kategorien^) : 1) Kl»l,(,l'5<:1>l,il8wnn)^« >U5 i'ul»ula, Verwiesene, die man eine Zeit lang zu öffentlichen Arbeiten verwendet, ehe sie angesiedelt werden. 3) ^««liinn^« Nit pa««luli)o, Verwiesene, die gleich angesiedelt werden. Hierzu gehören die Vagabunden und die von den Dörfern und Gutsherren Verwiesenen. Von der ersten Kategorie, die als moralisch todt betrachtet wird, werden die schwersten Verbrecher in den Bergwerken von Nertschinsk verwendet. Ehemals soll hier ihr Loos sehr traurig gewesen sein; man sagt, ste seien, nachdem sie dort angekommen, in die Bergwerke zur Arbeit hinabgestiegen, und hätten dann nie daß Tageslicht wieder erblickt, indem unten Anstalten sür ihr Unterkommen und ihre Beköstigung getroffen worden! Gegenwärtig brauchen sie nur 8 Stunden in den Gruben zu arbeiten und sind die übrige Zeit und den ganzen Sonntag und die Feiertage oben in eigenen Wohnungen. Manchen sind ihre Familien gefolgt, und so ist ihr Looö nicht ganz unerträglich. — ^') Man muß diese Verbrecher, als Bergwerksarbeiter, aber nicht verwechseln mit den eigentlichen dortigen Bergleuten. (5s sind nämlich eine Anzahl Colonistcnbauern in Dörfern in der Nähe der Bergwerke angesiedelt und den Bergwerken als Arbeiter gegen Lohn zugeschrieben ^*). Die zweite Kategorie wird von dem Gouvernement eine ') Storch, Nußland unter Alerander I,, Vl.) pllß. 283, und Falk's Reisen pnß. 268. Ob neuere abweichende Einrichtungen getroffen sind, ist mir nicht bekannt geworben. ") Ueber die zu große Milde gegen die schweren Verbrecher, welche dann in Sibirien selbst neue ganz entsetzlich« Verbrechen hrrvorgerufc» und dann wieder grausame Strafen herbeigeführt haben, vgl. Cottrcll a. a. O. II,,pl>z.5I. '") Ueber die dc>, Bergwerke,, im Gouvernement Iiwhk zugelegten Vauern spreche» Ukase vom l). April 1763, vom 12, September 17t»3 und 28. November 17 Rubel Silber zum Unterhalt. Da nun aber bei der außerordentlichen Wohlfeilheit der Lebensmittel sie kaum die Hälfte hievon verbrauchen, so wird der Ueberrest siir sie aufgesammelt, und wenn sie dann 4 bis 6 Jahr gearbeitet und sich gut gehalten haben, werden sie angesiedelt, wobei sie das Land und Bauholz umsonst erhalten, ihre Häuser aber selbst aufbauen müssen. Das gesammelte kleine Capital wird dann verwendet, um Hausrath und Inventar anzuschaffen, doch erhalten sie auch etwas Beihülfe: Saatkorn, Proviant des ersten Jahrs u. Die dritte Kategorie ist lediglich zur augenblicklichen An-sicdlung bestimmt ^). Sie werden theils in den vorhandenen Dörfern untergebracht, theils werden eigene Dörfer für sie angelegt. Ein jeder erhält ein eigenes Haus, Land, Wiesen und Holz im russischen Gemcindetheil, 1 Pferd, 1 Kuh, 2 Schafe, 1 Pflug, Egge, Wagen, Sichel, Beil :c., als Saatkorn 0 Pud Roggen, 1 Pud Gerste, 1 Pud Hafer, 1 Pud Hanfsamen, drei Jahre hindurch den Proviant eines Soldaten, und täglich 1 Kop. Silber für sich, und wenn er Weib und Kinder hat, für jeden Kopf eine halbe Kop. Silber. Die ersten drei Jahre sind zugleich Freijahre, von da an zahlt er aber die gewöhnlichen Kronabgaben. — Die Anlage der Dörfer ist vorgeschrieben, und ganz regelmäßig, eben so die Anlage eines jeden Gehöfts. Alle Kolonisten, sowohl die der zweiten, als diese der dritten Kategorie, sind ^lodii« »c1«ori'j»ti. Sie dürfen ohne Erlaubniß das Dorf keine Nacht verlassen, keinen andern Stand erwählen :c. Einem jeden neuen Dorfe wird ein Soldat (wohl meist ein Kosak) als erster Vorstand vorgesetzt. Er hält ') In neueren Zcittu ist den Goldwäschen, gestattet, Lmte von dieser Kategorie zu miethen, jedesmal mit besonderer Erlaubniß auf ein Jahr. Die wohlthätige Absicht der Negierung hierbei, den Leuten dadurch Gelegenheit zu ^'bm, sich durch den ungeheuren Tagelohn rin ansehnliches Prmlium für die künftig Ansiedlung zu sammeln, gcht f^ch immer dadurch verloren, baß die Lcute völlig dcmoralisnt zurückkehren. — Am Nude war dn Apfel, der l5va verführte, cin goldener! 241 Ordnung und Polizei aufrecht, entscheidet auch ihre kleinen Streitigkeiten (natürlich meist mit dem Stocke). Fallen aber wirkliche Verbrechen vor, so arretirt er die Schuldigen und schickt sie an die Behörden. Diese soldatische Regierung hört jedoch in der nächsten Generation auf, und macht dcr gewöhnlichen russischen gewählten Starostcnleitung Platz. Die Erfahrung seit einem Jahrhundert hat gelehrt, daß ein großer Theil dieser neuen Kolonisten sehr bald friedliche, fleißige und ordentliche Leute werden. In der nächsten Generation werden sie schon wohlhabend, oft reich. Alle diese Colonien blühen, es herrscht viel Industrie. Da Ansiedler aus allen Gegenden Nußlands hier zusammen kommen, so bringt jeder das Gute, was er in seiner Heimath an Ackerbau und Handwerkskünsten gelernt hat, hierher mit. So gleichen sich die Kenntnisse aus, und es herrscht hier viel weniger Schlendrian und Kleben am Alten, als im eigentlichen .Nußland. Dabei haben sich alle russischen Nationalnüanccn, alle russischen Dialekte hier verschmolzen, und einen neuen aber constanten und sehr bestimmten Charakter, wie einen eigenen Dialekt erzeugt, den sibirischen, und alle Reisende stimmen darin überein, daß hier viel Thätigkeit, Bravheit und mehr Intelligenz herrsche, als im eigentlichen Nußland. Dabei sind die Sitten trotz der Abstammung von Verbrechern einfach und rein. Es herrscht grosie Ehrlichkeit, nirgends reiset man sicherer, *) an keinem Hause ist ein Schloß. Wenn ein hölzerner Riegel vorgeschoben ist, oder ein Pflock in dcr Thür steckt, so bedeutet das, daß der Eigenthümer nicht zu Hause ist, und dann ist das Haus für Jedermann ein unantastbares Heiligthum! Nur in den neuesten ^i^n hat die Einfalt der Sitten und die Ehrlichkeit einen Stoß bekommen, durch das sich mit jedem Tage steigende Aufsuchen des GoldcS! Ein Theil der Eolo-nisten hat selbst angefangen, diesem unseligen Gelüste nachzugehen, und hat das solide und edle Mugeisen verlasse», um ' ') Mi« Ausnahme jedoch von den Orlm, wu dir schweren ^'-'biecher unter-gebracht sind, z. B, Iatutzt. weil diese zu milde behandelt werden imb zu frei umhergehen tonnen. Cotttell a, a. O, ll., l»«^- ^- Neuerdings soll dem etwlis abgeholfen sein. 242 das trügerische, flüchtige Goldkom zu suchen! Aber auch c>n großer Thcil der eben angekommenen Verwiesenen, man rechnete 1^44 gegen 1<»,000, statt rhrsaiu sich als Kolonist anzusiedeln, hat sich von den vagabundirenden Speculanten für die Goldwäschen anwerben lassen, angezogen von dem ungeheuren augenblicklichen Verdienst. Aber da ist dann auch die Demoralisation im raschesten Steigen die unmittelbare Folge gewesen. Wie viele Individuen von jenen binnen 10 Jahren Verwiesenen «3,0W Personen zu jeder der drei Kategorien zu rechnen sein möchten, ist für die erste und zweite Kategorie nicht genau auszümitteln. unter den 42,995 Verbrechern »raren folgende schwere Verbrecher: 375 wegen Kirchrnraub, 0585 „ Mord, 317 „ Sodomie :c., 743 „ Mordbrand, 2523 „ Raub l 0,543 schwere Verbrecher. Ob aber alle diese zu den schweren und den Bergwerksarbeiten viele Jahre oder lebenslänglich Vcrnrtheilten auch wirklich dazu lebenslänglich verwendet wcivcn, und nicht vielmehr, wenn sie sich eine Reihe von Jahren völlig tadellvö aufgeführt haben, dennoch am (5ndc noch colonisirt werden, scheint der neucrri: Gesetzgebung von 1,^45 nach anzunehmen. In diesem Falle wird man zur ersten Kategorie höchstens !MW Personen rechnen dürfen. Dann blieben für die zweite Kategorie 34,000 Per^ sonen. Die dritte Kategorie aber, der sogleich Anzusiedelnde!?, bestand auö 40,704 Personen. Die Verwaltung Sibiriens soll gegenwärtig gut sein. Sie wird troh, der grosien Schwierigkeiten, die aus den ungeheuren Entfernungen sich ergeben, scharf controlirt. Früher herrschten hier oft arge Mißbräuche, sie wurden z. B. einmal im Großen unter Alexander l. entdeckt, und scharf bestraft. Der damalige General-Gouverneur von Pcstel, „weil er 12 Jahre auö seinem eigentlichen Wirkungskreise sich entfernt gehalten, und durch diese lauge Abwesenheit jenen Mißbrauchen freies Spiel gelassen," ward cassirt, der Gouverneur von Tomsk abgesetzt und zur 243 Vertheidigung einberufen, tt7tt sibirische Beamte aber wurden abgesetzt, und zum Theil zu schweren Strafen verurtheilt! Der UkaS hierüber ist vom W. Januar 1822. Damals ward auch eine neue Eintheilung Sibiriens vorgenommen. Ueber den gegenwärtigen Zustand Sibiriens und seiner Kolonien gebe ich folgende statistische Notizen. Sibirien zerfällt in zwei Abtheilungen, Westsibiricn und Ostsibiricn. Wcstsibiricn wird auf 2,k7ili,tt00 l^Werst oder auf etwa 57,000 ^Meilen, und Ostsibirien auf 17,4,000 ^Meilen groß geschätzt. Das ganze unwirthliche Nordstbirien wird nur von umherirrenden, größtenthcils heidnischen Iägcrvölkcrn durchzogen. Nur an den Flüssen sind noch einige russische Niederlassungen, deren nordöstlichste, Obdorsk, bereits unter dem lasten Grade nördlicher Breite liegt. Unterhalb dieser Wüste, in der kalten und gemäßigten Zone, erstrecken sich die russischen Ansicdlungen vom Ural bis zum Südmecr, im westlichen Sibirien jedoch gemischt mit den Resten der sitzengebliebenen Tataren und Bu-charcn. Die südlichen Theile Sibiriens, insofern sie nicht zum altaischen Gebirgsstockc gehören, sind Fortsetzungen der ungeheuren Steppen Mittelasiens, die sich dann auch in einzelnen Strichen überall tief in Sibirien hinein erstrecken. Sie werden von nomadischen Tataren- und Mongolenstämmen durchzogen, so daß die angesiedelten Nüssen die südlichen Hirtenvölker von den nördlichen Iägcrvölkcrn scheiden ^). Die Tatarenstämme sind Muhamedaner, die Mongolen meist Buddhaisten, Man berechnete die ganze Bevölkerung Sibiriens im Jahre l,^!8 auf 2,«.1()M)0 Köpfe. Hiervon kommen auf die 154,000 ÜMcilcn Ostsibiriens nur ^li,00l>, auf die 7,7,000 ^Meilen Westsibiriens 1,770,000 Köpfe. Im Gegensatz zu Nußland überwiegt in Sibirien die männliche Bevölkerung die weibliche ') Das mssischc l^mivnncmmt ha! die Ncchtsgcwohnhcitm und bjclnäuchc drr IäiMwIker und Nomadcnslümmc m Sil'incn slimmrlli lassm, »m s»' dri Nsdmtim, dcr ^tcichogrsttz^lnnig z>, l'cnul;^!, Auch smd N'»!'!,ch, w>>' ich hm!.', Stt'PPcm'l^kml'nts cllnssl!,. In,c Snluussl'n, welche siir d'c Wisst'üschast qrwiß höchst nMn'ssnn! wävrn, st'Ilni im Iusti.zministcrii,,!, sill, 1'ssmden/ rs hcit nur abr, nicht gclingc,i wull,", sic zu erhallen. 244 bei weitem, man berechnet sie, vielleicht zu hoch, auf 20 Procent stärker. Daß dies bei den Russen der Fall ist, ist natürlich, da unter den jährlich hinzukommenden 10,000 Verwiesenen wohl nicht über 2000 Weiber sein möchten. Ader dieses Uebergewicht der Männcrzahl findet sich auch bei den meisten Nomadenstämmen, und noch mehr bei den umherirrenden Iägcr-völkern, und das mag wohl mit die Ursache sein, daß sie auch hier, wie in Nordamerika immer mehr zusammenschmelzen und allmählich auösterbcn *). Die ganze Bevölkerung zerfällt in 2,lW,000 angesiedelte oder zur Ansiedlung bestimmte Russen, aus 79,000 angesiedelten Tataren, Bucharen:c., die die Nüssen bei ihrer Eroberung hier vorfanden. Die im Norden und Nordosten umherirrenden Iägervölkcr sollen eine Gcsammtzahl von etwa !>7i,000 Köpfen bilden, die Nomadcnstämmc sollen im Ganzen 276,000 Köpfe zählen ^). Ueber die Ncligionsverhältnissc Sibiriens liegen mir die widersprechendsten Notizen vor. Während von Koppen z. B. für daö Gouvernement Tobolsk unter den Jäger- und Nomadenvölkern 1!>,405 Christen, w,7Ai Muhamedaner und 73l»8 Heiden annimmt, hat Knöminski .'l^74 Mnliamedanrr und 50Z0 Heiden! Ich gebe nach einer von mir versuchten Berechnung, ohne jedoch für die Richtigkeit derselben einstehen zu können, eine ungefähre Uebersicht in runden Zahlen, ') Das Nelici^ewiclil d>> Mmunrztihl scheint m Mitttlasim vuihnisckmd, wogeqen i» Westasieu, ^, V. ill Anü'ini, mi gn'ßcs Ucl'N'grwicht des wribüchl'i, «Hfschln! to <»nili !'r>sch»ct, »unit ich, mchr als das Doppelte) sul, snibl't, P!n>a»,h!0p^n l, ü'l,i lius d^ll letzlcrm Vtch.Ulüisft» die Nirl-weibrrli icchtfcrligln wollen. ssonscquciU müften sie auch dir Niel-„munclci, wclchr i„ eiuzcliun ^»'g^ldin Thibets hcrlscht, fix- bi>lig i,„d ^rrciht cslichirn! ") Ich bin bri diesen Zchleiidngaden meisi oo>, ^üp>,'e„, „^tußlaubs Ge-sammldrt'lilferllng oc», 18Üj3" gefolg«. Hus!iM!«si ynt für Wrstsibiiir,, ganz andere Zahlen. Alle Berechnungen siild wühl hier bei Sibirien mchr »der wenig« illusorisch, doch wochln, s,c lniisciche,,, eine allqcnnine Vor strllung der Verhälinisst zu bilden. 245 l) Glisten, n. der russischen Kirche . . 2,229,000 Köpfe li. Katholiken....... 20l)i» „ c. Lutheraner....... 700 „ 2) Juden................ !^00 „ 3) Muliamedaner............ 92,000 „ 4) Heiden, u. Buddhaisten oder Lamaiten 258,000 „ I,. der magischen Naturreligion 73,000 „ 2,050,500 Köpfe. Unter den griechisch-russischen Christen giebt cö eine große, aber nicht zu berechnende Zahl von Roskolniken. Die russische Kirche besitzt in Westsibirien (über Ostsibirien habe ich hierüber keine Notizen) bei einer Kopfzahl von 1,080,000 Individuen .'Mi Hauptkirchen und 748 Nebrnkirchcn, bei denen 1234 (Geistliche funglrcn, und 7 Klöster mit 37 Mönchen. Die Katholiken haben 2 Kirchen und <> Geistliche, die Lutheraner 3 Kirchen und l Geistlichen. Die Muhamedaner haben 170 Metschetö und 130 Mullahs. Die Zahl der Lamaü der Buddhaisten ist unbekannt. In ganz Sibirien befinden sich 45 Städte, und zwar: in Ost-sibiricn 25 Städte mit 29,300 männlichen und 22,!!lj<» weiblichen -- 52,260 Einwohnern; it, Westsibirien 20 Städte mit 52,204 männlichen und 39,270 weiblichen — 91,474 Einwohnern. (Nach Kuöminski 87,214.) Zusammen 143,740 Einwohner. In Ostsibirien ist daher auf eine Stadt ein Territorium von 0 ^Meilen, also viel größer als die preußische Monarchie, zu rechnen! Aber freilich ist in ganz Nordsibirien, so wie in den südlichen Steppen keine einzige Stadt zu finden, und man kann daher eigentlich nur das bewohnte Territorium von 30 biS 40,000 HMcilcn zur Anrechnung ziehen; aber auch dann kommen noch immer K00 ^Meilen auf eine Stadt! *) Die Bevölkerung der Städte verhütt sich zu der dcs Lande?, wie 100: 1472. In ') Nach dcr Zahl dcr Dorfe»' (597N) wän> uiigcstihr 1 Doif auf ll bis 7 ^Mtilcn zu rechnen. Allrin die Durftr sind nicht ssll'ichmüßig üli«- das 5>and vcrthcüt, smldcl» lirgm theils längs dcn Fliissni, lluils in Gnip-Pcn zusamnün, und dann ganz oasmaNig, so daß große Landstiiche völlig unbewohnt dazwischen lirgen. Auch ist eS nach Gegendm und iUcisrn rrrschi^cn. Im Meise Ischui» z, V. ist auf 2jHMcilsn 1 Durf zn rechnen. 246 der preußischen Monarchie kommt fast auf 5 ^Meilen eine Stadt, und die städtische Bevölkerung verhält sich zur ländlichen, wie 100 : 203. — Von Osisibirien fehlen mir die näheren Notizen über die dortigen Städte, von den westsibirischen gebe ich folgende nach Kusminßki. ^- Jene 20 Städte nehmen einen Flächeninhalt von 5,233 Dessj., oder beinahe einer Quadratmeile ein. Jene 87,214 Einwohner zerfallen in folgende Classen oder Stände. 7,05 männl. Personen vom Adel, darunter die Beamten a.D. 2092 „ „ Civilbeamte, die noch im Dienste sind, 19,702 „ . „ Militair, 432 „ „ Geistliche, 112 „ „ zum Pvlizeicommando gehörig, 23 „ „ Kaufleute erste Gilde, 77 „ „ „ zweite Gilde, 17,221 „ „ geineine Bürger, 2240 „ „ Kronbanern, 709 „ „ Verwiesene, noch nicht colonisirt, 2213 „ „ die keinem bestimmten Stande angehören, darunter die Fremden, 929 „ „ leibeigene Hofleute im Dienste des Adels u. s. w., 1214 „ „ von den eingeborenen sibirischen Völkerschaften, Die bedeutendsten Städte waren: Tobolsk mit einer Bevölkerung von 8903 Männern und 0493 Weibern, Tomsk mit 587)0 Männern und 4537 Weibern, Omsk mit 8531 Männern und 3559 Weibern, Tjumen mit 4088 Männern und 4800 Weibern. In sämmtlichen Städten waren 28 Wohlthätigkeitsanstalten, 18 Gefängnisse, 20 Salzmagazine, 13 Branntwcmmagazine, 9 Wassermühlen, 23 Windmühlen. Die Stadteinkünftc sämmtlicher Städte betrugen 290,400 Nubcl Silber, und die Ausgaben 208,892 Rubel Silber. Von Manufacture» und Fabriken sind in Sibirien natürlich nur die nothwendigsten. Die ältern waren von der Krone angelegt (34), in neuester Zeit haben aber auch Private welche angelegt. Sie sind zwar großentheilö, aber doch nicht alle, in den Städten. Im Ganzen waren außer den bergmännischen Fabriken und Gewerken 405 vorhanden, dar- 247 unter 24t» Lederfabriken,"') 4« Seifensiedereien, .^0 Ziegelbren-nereic», .'t! Talgsievereien, l4 Glasfabriken, !^ Branntivrindren-nereien, 4 Papiermühlen, 1 Tuchfabrik, 5 Lichtgießerrien u, f. w. Cs ivareil gegen -lOA) Schmiede vorhanden. Die ländliche angesiedelte Bevölkerung von Westsibirien besteht angeblich aus (>8),7^ männlichen Seclen Kronbauern, 4l5!^ „ s, Odnodwor^en, 7,^ männlichen Seclen. Diese wohnen in 7>!)7U Dörfern und !lj<),'l47 Gehöften. Es waren also durchschnittlich 25 Gehöfte, und darin i.^lZ männliche Seelen anf ein Dorf zu rechnen. Hiernach können die Dörfer nicht so groß sein, als man sie im größer»» Theile von Nußland sehr zum Nachtheil der Cultur findet. Derjenige Theil von Wcstsibirien, der von der Krone wirklich in Besitz genominen und oberflächlich vermessen ist, beträgt 204,075,212 Dcssj. oder 3liM> ^Meilen (20,000 ^Meilen völlig öde, größtentheils selbst baumlose Landstriche im Norden kamen gar nicht zur Berechnung, man könnte kaum sagen, daß sie in Besitz genommen wären, wenn nicht die darin umherirrenden Jäger einen Aelltribut, Iaffak, erlegten). Von diesen ist nun ein Territorium von 1.'l,017,042 Drssj. oder 2-34.'l'/2 UMeilm, also etwa der I.'ite Theil des gesammten Areals, der obigen ländlichen Bevölkerung zur Benutzung überlassen, nämlich i Gärten und Biehkämpe........ 0.'j7,K2,l,">0 „ Wiesen..................1,lW,l>2l „ Wald..................4,M1,7'!2 „ dazwischen liegendes unfruchtbares itand 3,.",.^>,270 ,/ l.j,0l7,l>42Dessj. '! Dio Haltte dclselbcn llhierc, di^ ^iiich n, s
    ,'p,' vmrl'nnncu. sind i„ Sil'irici, vicl ftsicr, ,md 'l'Ni lin virl drss^rs und d.ninhaflncs ^>dn, dic z>ält»' und dic vcinc «'„st soll dir Haliptuchnhr sci,,. Lrdrr büdtt daln'l >>, Sibilirn riii^n dcdn'tcndcn und vollhcilhaftm Äbsatzarlilel. 248 An dieser Zutheilung haben jedoch 4 Kreise dcö Gouvernements Tomsk mit einer Gesammtbevolkcrung von 312,406 Köpfen nicht Theil genommen, weil diese unter einer abgesonderten Verwaltung, nämlich der Bergwcrkßverwaltung, stehen, und ihnen ein eigenes, hier nicht mit aufgeführtes, Territorium überwiesen ist. 6s sind somit 483,252 männliche Seelen, denen jenes Territorium überwiesen ist, und auf jede Seele kommm also fast 27 Dessj. oder im Einzelnen etwa l'/, Dessj. Garten und Viehkämpe, 5 Dcjsj. Wiesen, IN'/, Dessj. Wald, 7'/, Dessj. unfruchtbares Land zur Weide. Als ganz spezielles Beispiel führe ich für das hier Gesagte zur Vergleichung dcn Kreis Ischim an. Derselbe ist 4,600,000 Dessj.---828 ^Meilen groß, hat eine Stadt mit 13W Einwohnern, und 448 Dörfer mit 135,812 Einwohnern beiderlei Geschlechts (also 303 auf jedes Dorf). Diesen ist an Areal überwiesen Acker.........155,667 Dessj. Wiesen........110,701'/, „ Wald.........136,457 „ Weiden........ 95,118'2 „ Unfruchtbares Laud . 238,80«) „ Dazwischen liegende Seen u. Gewässer N3,033 „ 799,786 Dessj. ^ 144 ^Meilen. Ischim ist einer der fruchtbarsten, angebauetcsten und bevöl-kertcsten Kreise Sibiriens, dennoch ist noch nicht '5 des Areals der Cultur anheim gefallen! Wie viel des fruchtbarsten Bodens mag hier von den Menschen noch völlig unbemcht seit Jahrtausenden der nahenden Cultur harren! Ueber die vorstehenden Bcvölkerungüverhältnisse bemerke ich noch Folgendes. Einen gründ- und daucrnbesihendcn Adel giebt es in Sibirien eigentlich nicht. Ich finde in den mir vorliegenden Notizen nur eine einzige adelige Familie *) und ') Im Kreise Ischim beim Dolfc Vclowojci, wrlches selbst von dicstm Adeligen, dem Hosrath von Below, »44 Seelen angegeben ist. Ich hörte, daß ein förmliches in diesem Jahrhundert erlassenes Verbot bestände, in Sibirien Leibeigne anzusiedeln. Jene geringe Zahl, die einmal dort angesiedelt war, hat man denn nicht weiter beachtet. Es giebt daher in Sibirien nur Leibeigne, die mit ihren Herrschaften (dorthin versetzten Militair- und Civilbeamten) jeweilig herüber gekommen sind, und deren persönliche und Hausdienste versahen, doch ist auch ihre Zahl sehr gering, in Westsibirien (bei der städtischen Bevölkerung aufgeführt) M0, in Ostsibirien 3Z.j. Das Bürgerthum existirt in Sibirien noch kaum im Keime! Die Bürger bilden nur etwa V2 der Bevölkerung der Städte, und also etwa den 53sten Theil der Gesammtbevöl-kcrung! Verwiesene nennt man in Sibirien nur diejenigen, die als solche persönlich aus Rußland herüber geschickt worden sind. Sie bleiben ihr Leben hindurch unter einer strengen oder milden polizeilichen Aufsicht je nach ihrer Führung, ihre Kinder werden aber nicht als Verwiesene angesehen, sie haben schon alle Ncchte der sibirischen Eingesessenen. Der Verwiesenen werden stets 100,000 bis 1.10,000 sein. Der von mir oben beschriebene Kreis Ischim ist, wie gesagt, einer der angcbauctestcn nnd völkcrreichsten in Sibirien, aber er hat eine mächtige Vorzeit gehabt, wo dies noch in einem höhern Grade der Fall war. Nicht bloß dort, wo jetzt das Land angebauet ist, sondern über alle im Kreise vorhandenen Steppen hin, finden sich nicht nur unzählige Todtenhügel, sondern auch Ueberrcste und Ruinen mächtiger Städte und Vcr-wallungen zerstreuet. — Welchem Volke haben sie angehört? 'j Cottrell a. c>. O. II., p-'ss. 50, führt ebenfalls au, daß mn cmc riuzige adrüssc Aamün' in TsWmcn vorhanden sci. 250 Bis jetzt herrscht cm undurchdringlicher Schleier über dic Geschichte Mittclasicuö, *) der aber vielleicht einst bei einer Durchforschung der Archive (5hinas und Tibets, wenn diese sich dereinst Europa erschließen sollten, gelüftet werden könnte. Das Erste, waö die Nüssen nach der Eroberung Sibiriens thaten, war, daß sie an geeigneten Orten befestigte Städte anlegten, um Halt- und Stützpunkte für die Eroberung zu gewinnen. Damals muß die Eolonisirung rasch gegangen sein, denn die meisten Städte Wesisibiriens sind aus dem Ende des !li. Sec. So ist Tobolsk I/,65 gegründet, Tjumcn 17,«U, Berrzow 15Mi, Pelim 15!)3, Tara 1594, Sirgut 15!)5, Narim l5,W, Wer-schoturic l.^)8, Turinsk 1N00, Tomsk llil)l :c. Mehr als die Hälfte aller Städte ist in den ersten 50 Jahren nach der Eroberung gegründet, und dann tritt ein hundertjähriger Stillstand ein, und erst dann steigt Sibirien wieder in der großen Bedeutung, die es für Rußland hat, und es werden wieder allmählich eine Anzahl Städte gegründet. Doch noch viel zu wenig für das dortige reale, wie für das administrative Bedürfniß. Wahrscheinlich hat es an Eolonistcn für die Städte gefehlt, Alles drängte sich zum Landbau, der größere Vortheile als die gcwcrbloscn Städte versprach. Die russischen Dörfer in Sibirien sehen etwas anders aus, als die in Rußland. Die Straßen sind breit, mehrfach durchschnitten, und unregelmäßig angelegt, die Gehöfte sind groß, die Häuser nicht, wie in Rußland, städte-, straßcnartig aneinander gedrängt. Die Gehöfte sind eingezäunt und liegen so nebeneinander,, daß die Feucrsgcfahr nicht groß ist. In dieser Beziehung gleichen die Dörfer in ihrer Anlage mehr denen, wie ich sie bei den adeligen Dörfern im Gouvernement Kasan gefunden und beschrieben habe. Dagegen ist die Bauart und Einrichtung der Häuser mehr den nordrussischen ähnlich, d. h. viel geräumiger, opulenter und hübscher durch die überall angebrachten Zicrrathen von Schnitzwerk lc. Die meisten Gehöfte haben ein Sommer- und Wintcrhaus neben einander, wir ich *) Nci dem großen Vmndc in Tobolsk sind dic sU'irischm Lcmdarchivs, und in ihlu'ü mn' Mmgc lnsiorischcr Doinmcnlc und Mchrichlm rclbnmüt. 251 es bei dem Gouvernement Wologda beschrieben habe. Im Allgemeinen herrscht große Reinlichkeit in den Häusern; selbst in den kleinsten Häusern werden die Hausthiere niemals in den Wohnstuben (Isba) geduldet, wie dieö in Nordrußland häufig ist, vielmehr ist der Boden stets gediehlt und wird oft gescheuert, und das ganze Haus wird im Innern, wie in Kleinrußland, mit Kalk geweißt, zweimal im Jahr, Ostern und Weihnachten. In der Regel ist in der Isba ein russischer Ofen, dagegen in der besten Stube ein holländischer Ofen. Kurz man findet das Gute von ganz Nußland hier in Sibirien zweckmäßig vereinigt, angewandt, und das Schlechte vermieden. — Der Grund und Boden in dem angebaueten Theile Sibiriens ist durchgängig gut, zum Theil im höchsten Grade fruchtbar. Ein großer Theil ist eine Fortsetzung jener sogenannten schwarzen Erde, die wir in Mittelrußland kennen gelernt haben, und die sich somit in einem mehr oder weniger breiten Gürtel von den Karpaten biö zum Südmcer hin erstreckt, unterhalb vom Stcppcnbodcn, dem mehr oder weniger salzigen, oberhalb nördlich von den überall von Granitgeröllcn und Sand durchzogenen, sonst aber sehr verschiedenartigen Boden begleitet. Der gewöhnlichste Boden in Sibirien gewährt eine (i- bis lOfältige Ernte, aber besonders fruchtbare Gegenden, wie der südliche Theil des Gouvernements Tomsk, geben das I.'itc bis 2()ste, ja z. B. bei Nertschinsk zuweilen das lil)ste Korn! Der Ackerbau wird überall leicht und nachlässig betrieben, ein kleiner nur von einem Pferde gezogener Psiug ritzt in den meisten Gegenden die Erde kaum auf. Aber das ist auch hinreichend, um die herrlichsten Ernten zu erzielen; auf den besten Boden darf man niemals Dünger bringen. Das Korn wächst darauf seit Jahrhunderten, wenn nicht böse klimatische Einflüsse, Dürren:c. eintreten, gleichmäßig gut. Auch den mittel guten und schlechten Boden düngt man nicht, man gewährt ihm nur nach einigen genossenen Ernten mehr oder weniger Ruhe, durch I, 2 bis 15 Brachjahre. In den holzärmeren Gegenden dient der Dünger zum Brennmaterial. Doch hat man neuerdings in den minder guten Gegenden von Tobolsk und Tjumen angefangen, den Acker zu düngen, und dies mit gutem Erfolg. — Die Landproducte, welche gcbauct werden, find besonders viel Sommerweizen, Roggen, Gerste, 252 Hafer, Erbsen Mohn, Hanf, Lein. Die Härte des Klimas verursacht, daß das Sommerfeld in vielen Gegenden sechsmal mehr ausgedehnt ist, als das Winterfeld. In den nördlichen Gegenden ist das Wachsthum der, Früchte während des kurzen, aber heißen Sommers merkwürdig rasch, man berechnet es nach Tagen, wie anderswo nach Wochen. Da die Sonne im Hochsommer den Horizont fast nicht verlaßt, so erkältet Lust und Boden während der Nacht nicht. Unmittelbar vor den Dörfern und um dieselben her liegen meist eingezäunte Viehweiden. Die Aecker liegen dagegen 8, 10 bis 20 Werst weit von- den Dörfern entfernt. Die Leute behaupten, sie müßten das Vieh mehr unter Augen haben, um es eventuell leichter vor Raubthieren schützen zu können. Die Entfernung der Aecker, da sie keinen Dünger hinzuschleppen brauchten, und hinreichendes Zugvieh hätten, hindere sie wenig. Die Bauern haben eingezäunte Gemüsegärten bei ihren Gehöften, und ziehen darin Kohl, rothe Nübcn, Mohrrüben, Bohnen, Gurken Kürbisse, Melonen u. Obst aber findet man nirgends, nur hin und wieder etwas Kirschen. Wälder sind in ungeheurer Ausdehnung, im Norden bis an die Polarzone hinauf, und im mittleren Sibirien vorhanden, im Süden fehlen sie. Als Waldbäume herrschen die Kiefer, Fichte, Lärche, sibirische Zeder, Birke lc. vor. Die Eiche kommt jenseit des Ural nicht mehr vor, nur, jedoch in krüppeliger Gestalt, bei Nertschinsk. Auch giebt eö in Sibirien keinen Nußbaum. Die Viehzucht ist sehr bedeutend, mancher Bauer hat K0 bis 100 Pferde, 40 bis 50 Kühe, 100 bis 150 Stück Kleinvieh. Die Verhältnisse des Vichstandes in Sibirien sind so ganz anders, als in anderen Ländern, daß dadurch auch ganz andere Lebens- und Wirthschaftöverhältnissc hervortreten müssen. Der Pferdebcstand überwiegt in Sibirien an Zahl bei weitem jede andere Viehart. Ails einigen speziellen Notizen über einzelne Gegenden, z. B. den des Kreises Ischim, geht hervor, daß die Pferdezahl verhältnißmäßig gegen die Bevölkerung 7mal so stark ist, als z. B. in der preußischen Monarchie. Die Pferde in Westsibmcn find von der kirgisischen Race, klein, aber rasch und unermüdlich. Sie laufen vor einem leichten Wagen 20 Werst, 25^ fast A Meilen, in der Stunde, vhnc daß es sie im mindesten anstrengt! Man kauft sie für ^ bis 150 Rubel Banco. - - I„ Ostsibirien giebt es eine vortreffliche Pferderace, die jakutsche, groß, starkknochig, ungeheurer Anstrengungen fähig *). Das Hornvieh ist von der dortigen kleinen Steppenracc, und giebt wenig Milch, die Schaft sind kirgisische, deren Wolle sich nicht zu Tuch eignet. InoustrioS ist der Bauer nicht, doch wird viel grobe Leinwand fabrizirt; drei Sorten: zu 35 Kop., zu 50 Kop. und zu 70 Kop. Banco die Arschin. Der sibirische Ruffe ist kräftig qebauet, von mittlerer Statur. In den nördlichen Theilen ist der Typus dcr großrussischen Gesichter durchaus hervortretend, sie sind vorherrschend blond und blauäugig. Im Suden merkt man ihnen die starke Mischung mit asiatischen Stämmen an, schwarze Haare, kleine schwarze Augen, heruorstchendeBackenknochen, eine tiefe, gewaltige Stimme. Sie sind alle sehr heißblütigen Temperaments, sehr lebendig in allen Bewegungen. Stets sieht man den sibirischen Bauern bewaffnet, selbst beim Pflügen hat er immer das Gewehr auf dem Rücken, er ist dabei ein leidenschaftlicher Jäger und vortrefflicher Schütz. Die Weiber sind nicht hübsch, aber kräftig gebauet; sie sind ungemein arbeitsam, oft führen sie nicht dloß die innere Hauswirthschaft, sondern pflügen, säen und ernten, wenn etwa die Männer mit Fuhrwerken Geld zu verdienen suchen. Sie halten fest an den alten Trachten, allein in diesen herrscht ein großer Luxus. Es sott bei den sibirischen Russen viel Aberglauben, aber auch viel Poesie sich finden. Sie sind sehr gesangrcich, aber noch Niemand hat ihre Volkslieder, Sagen und Märchen gesammelt. Einen großen Theil haben sie aus ihrer russischen Heimath herüber gebracht, abcr es lebt auch viel loml-sibirischc Volkspoesie unter ihnen **). ') CoM'tll a. !1. O. I!., I'!!«. l.i5). ") (5ju Frnmd rrzähltc mir mu' v»ht hübsche wi^ls silmis^ Sage, dic die Russen dort wohl vorgefunden, aber niclit milgsl'Mcht halmt. — Zwischen dm Ourllrn dn Tum lmd Salda lir.it das ungchmrr Gebier Vlagodat. <5s hat 5l» Klafter hohe Wcinde von, icinsten Eisenstein, mld 254 Der vor den Russen das mittlere und südliche Westsibirien bewohnende und damals beherrschende Volkssiamm der Tataren ist in seinem, wiewohl nicht mehr zahlreichem Neste auch jetzt noch dort vorhanden und ansässig. Die Tataren sind ein Zweig jenes uralten Wcltvolks, das in den mittelasiatischen Sagen und Märchen als Turanier im Nachtreiche Turan, den kämpfenden Gegensatz zum Lichtreiche Iran bildet. Von ihnen gingen ihre Stammgenossen, die vielleicht von dem großen Hunnenstrom zuerst fortgerissenen Türken, auß, bemächtigten sich des arabischen Chalifats und stifteten später da3 mächtige Neich der Dsmanen, welches Jahrhunderte lang von der einen Seile wieder den uralten Dualismus und Gegensatz zum alten Iran oder Pcrsicn in politischer wie religiöser (als Schiiten und Sunitcn) Beziehung aufnahm, von der andern Seite das gcsammte Europa und das Christenthum bedrohte! Die im alten Turan sitzengebliebenen Stämme wurden dann zum Theil von den weltbewegenden Mongolen unterjocht und mit fortgerissen, allein weil sie viel mehr Geschick zu staatlichen Organisationen hatten, so ward ihnen, namentlich im in den höchsten Spitzen giebt es Spaltn«, ,n demn man DlmnaiMn findet. Hur wohnten einst vor der Emidflulh die Bogatir, wilde Niesen, doli unermeßlicher Elarle. Sic hatten dm ganzen Erdkreis bezwungm, und sich alle Erschöpft, Voller und Thiere, nuter>vorftu. Da siiegcn sic auf die Spitze drö Gcbirgs und forderten- dic hninnlischen Mächtc (Nr-bcsnia Ssiuli) zum Kampf heraus. Tie Erzengel Michael und Gakriel stiegen hrral', und stellten sich ihnen gegenüber, Nun trat der stärkste B»-ssatir hervur, nnd hieb mit seinem Schwert den Michael mitten durch, el'M so hieb ein anbeier den Gabriel durch, aber augenblicklich bildeten sich aus den vier Hälften vier neue Erzengel, und als auch diese durch-gehauen, bildeten sich 8, und s» weiter, biö die Vogatir ganz mit Erzengel» umgeben waren. Da fiele» sie auf ihre Knie und fiehtten Gott um Verzeihung. Sie bekannten, cs sli Sünde gegen die himmlischen Machte zu streiten! — Wn' Lust an »imalischrn Auslegungen und Parabeln hat, tönillc sie auch in dieser Legend finbm, dcun Bogatir be deutet sprachlich auf russisch die reichen «cute. vielleicht ist alur dich' Sage vm, den älteren Vcwohnem Sibiriens entlehnt und geerbt, den» es giebt einen »atarischcn Namen Vahatir. Ei>he das veränderte Rusi-land I. l>»^, ?). 255 Westen, die ganze Bente zu Theil, und sie bildeten eine ganze Zahl wohl organisirter Reiche (Chanate), von denen die Reiche Kasan, Astrachan, Sibirien und zuletzt die Krimin von der sich allmählich bildenden Uebermacht Rußlands erdrückt nnd zersetzt wurden, von denen aber noch jetzt mehrere im Innern AsienS bestehen. Die Khanate Bokhara nnd Chiwa sind die mächtigsten oder bekanntesten unter ihnen. Die Russen haben bei ihren Eroberungen die Tataren nicht vertrieben, sie nicht zu Leibeignen gemacht, sie nicht gezwungen, ihrer Neligwn untreu zu werden. Doch hat in dieser letzten Beziehung das (Gouvernement allerdings früher fthr gewünscht, dir Tataren für die russische Kirche zu gewinnen, allein es hat sich dabei begnügt, gewisse weltliche Vortheile in Aussicht zu stellen, z. B. tatarische Edle sollten mit der Conversion die russische Knäsenwürde erlangen, talarische ^eibeigno (es gab deren nur wenige) die Freiheit. — Von dem tatarischen Adel blühen auch wirklich noch jetzt sehr viele unser den edlen russischen Geschlechtern, wie die Stroganow, Mansurow, Narischkin, Rostop-schin, Malosk'w n. s. w. Die Tataren sind ein Volksstamm von den besten nnd edelsten Anlagen. Sie sind im Ganzen treue Anhänger des Islam, und es ist nicht zu leugnen, daß dieser den ansässigen Stämmen unter ihnen (in Kasan, Astrachan, Sibirien) einen großen moralischen Halt, und sogar eine große Bildung und Cultur gewährt hat; allein ich bin doch fest überzeugt, wären sie oder würden sie Christen, so möchten sie wohl dereinst berufen sein, eine hohe Stelle unter den cultivirtesten Völkern der Erde einzunehmen? Die sibirischen Tataren sind zum größeren Theil ansässig, nnd die geben dann dieselben geringen Abgaben, wie die dortigen Kronbaucrn. Ein kleiner Theil nomadisirt, und zahlt, wie die schutzverwandtcn Horden, gar nichts. Ein Theil endlich ist auf Kosakcnart militairisch organisirt, und leistet die Dienste, genießt aber auch die Privilegien der Kosaken. Die ansässigen Tataren halten zwar fest an Religion nnd Sitten, haben aber doch in ihrer Lebensart viel von den Russen HI« angenommen, sprechen fast alle russisch, selbst oft unter einander*). Sie sind arbeitsam, sparsam, nüchtern, daher meist wohlhabend. Sie haben gute Schulen in den Dörfern, und jeder Vater, der es versäumte, seinen Kindern den Schulunterricht zu gewähren, würde allgemein verachtet werden. Fast jeder kann lesen und schreiben, und kennt die Lehren deö Koran gründlich. Es eri-stiren gedruckte Bücher in tatarischer Sprache. Sie schreiben mit Nohrfedern und einer Tuschtinte, und nach asiatischer Sitte die zu beschreibenden Blätter gern auf die Knie gelegt. Wer sich höher ausbilden will, namentlich in theologischer Hinsicht, besucht die berühmten hohen Schulen in Samarkand und Bokhara. Dort soll große Gelehrsamkeit besonders in den geheimen Wissenschaften, den mystischen, kaballistischen und astrologischeil herrschen. Bücher dieses Inhalts werden in Leipzig von bucha-rischcn Kaufleuten bei bestimmten Buchhandlungen und Buchdruckereien angekauft, und wandern dann mit Karavanen nach Bokhara und von dort bis in Thibet und l5hina hinein! Man findet bei den Tataren viel Poesie, und die schönsten Märchen und Legenden **). *) Sie nehmen cö in Sibirien sogar übel, wcim man sir Tataren nennt, vermuthlich Weil dirs bci dcii Nussm ein Schimpfname ist, sie wollen nur nach ihrcm Wohnorte gmmmt warben: Tobolsk,, Tomsli, Ischimsfi. Ihre tatarische Sprache nennen sic die turkestanifchc, ") Als Prob« mag hier cine tatarische Legende folgm, die mir ein Freund erzählte: Vor Adam lebte auf Erden ein anderes Geschlecht erschaffener Wesen, keine reinen Geister, wie die Engel, aber auch nicht so materiell, wie dle Menschen, mit eimm ätherische» Körper. Sie heißen auf tatarisch Maglukat, auf arabisch Dschaubinudschcm (von Dschan, die Seele). Abrr sie widerstanden dem Neizc des Hochmuths und dcr Sinnlichkeit nicht, und verfiele»» in Sünde, woraus zu ersehen ist, daß die Sünde schuu vor Erschaffung der Menschen Vorhände!« war. Da traten zwri Angel nüommen. Da stürzt sie sich vcrzwriflungS-voll, daft selbst die heiügsnn und gerechtesten Richter der Sünde nicht widerstehen können, in den Strom! — Aber eine Stimme erschallt vom Himmel zu den Richtern: ,/Seht ihr sündigen ^ngcl dir Morgenröthe, und den hellglänzenden Morgenstern in ihr? Vs ist das arme, sündige, nun aber geheiligte Mädchen!" Zugleich werden die beiden Richter in einen sehr tiefen Brunnen gestürzt, und an eisernen Haken schwebend aufgehängt. So lange es Tag ist, sind sie ruhig, aber wenn in der Nacht der Morgenstern aufgeht, und sich im Wasser des Brunnen» spie? gelt, ergreift sie eine unendliche Angst und Qual, und sie windeil und drehen sich, um den Morgenstern nicht erblicken zu muffen, os! d.i^-sialt, daß die Vrde erzittert, welches dann der Nrsprung dc5 «rdlnlens 'st. Dort weilen sie in ihrer Qual, bis einst die l?rdc in Flammen aufgeht lind das jüngste wrricht auch über ihr Schicksal entscheidet. — (Man «crglrichc die kabbalistischen Sagen von dem präadamilischen Geschlechte, Adameadmai.j 17 258 von Moskau 1812 seiner gewaltigen Ahnherren nicht unwürdig gezeigt! Ein Stamm der Tataren, die Bucharen, *) behaupten, vom reinsten turkestanschen Blute zu sein. Sie treiben keinen Ackerbau, sondern Handel. Man trifft sie überall, in Moskau, Petersburg, Odessa, Niga, Warschau, selbst auf der Leipziger Messe. Die bucharischen Tücher, die sie aus Mittelasien, zum Theil ') Da ich vorstehend eine tatarische Legende gegeben habe, so lasse ich hier auch eine bucharische folgen: — Mirjam, die Mutter des große,: Propheten Isai (Jesus), hatte schon als kleines Kind ihre Eltern verloren, und war eine Waise. Da traten ihre nächsten Verwandten zusammen und befragten das Loos, wer von ihnen sich des Kindes annehmen und es erziehn» solle. Sie setzten ein Gefäß mit Wasser zwischen sich, und warfen eine kleine Feder hinein, und machten aus, ein Jeder solle den FingeH in das Waffer tunken, und an wessen Finger dm,» die Feder hängen bliebe, dem solle das Kind zufallen. Aber als der erste seinen Finger in das Wasser steckte, sanl plötzlich die Feder auf den Grund des Gefäßes, und blieb dort ruhig liegen, bis zuletzt auch Zacharias, der Priester, seinen Finger eintunkte, da hob sich die Feder plötzlich und blieb an dem Finge, hängen. Zacharias trug das Kind freudig nach Hause und erzog es zu Gehorsam und Fiömmigkcil. Vr war allein und halte weder Weib noch Kind. Da trug es sich einst zu, daß er dm Dienst im Tempel hatte, und nach dessen Beendigung sich so im Gebet versenkte, daß er des Kindes, daS er in seinem Hause eingeschlossen hatte, gänzlich vergaß. Als er nun aus seiner Gcbctsdcrzückung erwachte, und sich nach der Tageszeit erkundigte, vernahm er zu seinem Schrecken, daß er bereits drei Tag« von seinem Hause entfernt geblieben war. Er fiirchlctc, das Kind don Hunger getödlct zu finden, aber es saß fröhlich und spielte, und rund um es her standen die herrlichsten Speisen, und das Kind erzählte ihm, es seien an jedem Tage Engel gekommen, um ihm Speise zu bringen und es zu bedienen. Als Mirjam l-4 Jahre alt war, ging sie in einen Wald, um an einer Quelle zu baden. Da erschien ihr der Engel Gabriel, und verkündigte ihr, sic würde den Propheten Isai gebären, den alle heiligen Männcr der Vurwelt angekündigt hätten. Da antwortete sie: Wic soll ich ein Kind gebären, da ich mr cinrn Mann erkannt habe? Aber der Engcl Gabriel legte ihr dao Geheimniß der Menschwerdung aus, und hauchte sie dreimal an. Und das Wort wurdc wahr! Als nun die Stunde der Niederkunft nahete, da ging Mnjam hinaus in den Wald, wo ihr der Engcl c>sch!cncn war, und setzte sich unter den Baum. wo er gestanden lMe. Da ünn ihre Zeit, und sie geb>n einen Sohn, Es 25!) aus Thibet bringen, sind allgemein bekannt. Ebenso haufnen sie mit europäischen Waaren durch ganz Mittelasien. Die russische Monarchie besitzt in ihrem Umfange ansehnliche Colonien jener drei Völker, die durch Anlage, Lust, Schicksale getrieben, in der Weltgeschichte bestimmt scheinen, den vaga-bundirendcn oder Hausirhandcl zu übernehmen. Es sind die Juden, die Armenier und die Bucharen. — Der Hausirhandcl ist im westlichen Europa lange nicht mehr von der Bedeutung, wie er früher war. Die steigende Cultur, die raschen und wohlfeilen Communicationsmittel haben den Hausirhandel größtentheils unnöthig gemacht. Jeder befriedigt seine war aber tiefer Winter, und Schnee bedeckte die Vrde und alle Bäume. Kaum aber schlug das Kind die Augen auf, so schlug der ganze Wald in Blättern auS, die Noscn blührten, und alle Vögel erwachten aus dem Winterschlaf, und zwitscherten zum Himmel ein Loblied hinauf, nahebei enlsprang Plötzlich eine Quelle, und zwei (^ngel lralen hervor n»d trugen das neugeborene Kind hin und tauchten es dreimal unter. — Nun ging Miijam mit dem Kinde nach Halls, aber ihre Verwandten empfingen sic mit bösen Worten und Schimpftcden. Sir aber erwiederte ihnen nichts, sondern bat ihr Kind, sic zu rechtfertigen. Da sing das Kind plötzlich an zu rede», lind legte den Verwandte» das (Geheimniß aus, nud alle lobten (yott nnd priest» sich selig, daß sie erlebten, wovon seit Jahrtausenden die heiligen Schriften sprachen. — Isai aber wuchs heran, und ward ein großer Prophet lind Lehrer des Volks, abcr die Menschen, vorzüglich die Vornehmen und Reichen, verfolgten ihn, und schickten endlich zwei Männer ab, die ihn ermorden sollte». Aber Gott vernichtete ihre Rathschläge, nnd entrückte Isai in den Himmel, ja er verblendete die Augen der Menschen, dasi sie jene beiden Mörder für Isai ansehen mußten, und grausam hinrichteten. — Der Freund, welcher mir diese bucharische Legende erzählte, meinte sie vor laugen Jahren irgendwo bei den Tataren gelesen z» haben. — v? G. Weil hat biblische Legende» der Muselmänner, Fraukfutt 1845, herausgegeben. Es ist mterssaul, die dort Seile 280 gegebene Legende mit der gegenwärtigen zu ver-glcichm. Mch in einem deutschen geistlichen Voltsliede begegnen wir demselben Wedaukcn, daß dir (Geburt Christi ch,'»: „Maria ging durch den Dornenwald, Dcr halle in siebe» Iahrm kein Laub getragen! — Da babrn die Dorne» Rosen getragn', Als Maria das Kind durch den Wald gettageu," l7* 260 Bedürfnisse leicht aus den unmittelbaren Quellen, bedarf der dritten, vierten Hand, also deß Hausirens nicht. Die Juden haben daher hier in dieser Beziehung ihre Bedeutung verloren, wiewohl sie noch immer als Unterhändler und Commissionaire eine wichtige Nolle spielen; sie haben dagegen sich des Geldmarkts in einer Weise bemächtigt, daß ihr sozialer und politischer Einfluß sich unermeßlich gesteigert hat. Sie geben in materieller Hinsicht den mobilen Elementen der europäischen Welt jenes Uebergewicht, das an deren innerstem Kern nagt, während sie auch in geistiger Hinsicht die Prinzipien dieser Richtungen durch eine sich offenbar- in ihren Händen befindende geschickt geleitete Literatur ins Leben und die Ueberzeugungen der Völker einzuführen streben. Sie rächen sich für die früheren Unbilden! Gegenwärtig wagt kein Staat mehr, Einschränkungen der Juden als solche, ja die noch vorhandenen muffen nothwendig allmählich fallen, die Position ist nicht mehr haltbar! Die Juden sind im russischen Reiche nur in den westlichen Provinzen, im Süden, und einige wenige in Sibirien vorhanden. In den westlichen (ehemals polnischen) Provinzen sind sie zahlreicher, als irgendwo, und von der allergrößten Bedeutung. Nicht bloß der Hausir^ Handel und das vermittelnde (iommissionswescn, sondern aller Handel ist in ihren Händen; in den Städten repräsentiren sie den Bürgcrstand, auf dem Lande haben sie als die Factoren des Adels fast die ganze ökonomische, und unter der Hand auch die polizeiliche Verwaltung in den Händen. Man schreibt ihnen den depavirten Zustand des ganzen Landes, besonders des Bauernstandes zum größcrn Theile zu. — Aber sie siud einmal ein mächtiges, für den Augenblick sogar durch nichts zu ersetzendes Element des ganzen sozialen Zustandes des Landes, was man weder ignorircn noch vernichten kann. Nußland wird große Mühe haben, dort mit Gerechtigkeit und Milde radicale Ver-befferungen eintreten zu lassen! Im Kerne der Monarchie existircn keine Juden, und werden auch nicht geduldet. Der gemeine Ruffe nimmt sehr geschickt selbst deren Stelle ein, und weiß die etwaige Lücke des Hausirhandels mehr als zu gut auszufüllen! Dennoch ist der Mangel an Juden in einer Beziehung fühlbar. Es fehlt in Großrußland sehr an einem raschen lind tüchtigen kleinen Geld- 26! verkehr, cm einem nur einigermaßen soliden Banquierwesen i m Kleinen, ein Element deL Staatslebens, welches der Erfahrung nach durch Niemand besser revräsentirt wird, als durch die Juden. Datz zweite Volk für den vagabundircnden Handel sind die Armenier. Die Volkszahl sott zahlreicher als die der Juden sein, sie sind durch ganz Vorderasien bis nach Afrika hinein ungcmein zahlreich verbreitet. Aber auch selbst in Dstpcrsien, Ostindien, Thibet, ja man sagt auch in China sindct man sie häufig genug. Dies unter allen andern zerstreuete Volk hat eine wenig gekannte innere Verfassung und einen geheimniß-vollen Zusammenhang. Nußland hat den unermeßlichen Vortheil, den Mittelpunkt der armenischen Kirche, Etschmiatschin, in seinem Bereiche zu besitzen, und hiedurch einen Schlüssel für Vorderasien. Bis jetzt benutzt es diese Stellung noch nicht, aber eö wird wohl eine Zeit kommen! Wenn es nur den alten bewährten politischen Grundsätzen der religiösen Toleranz getreu bleibt, und die armenische Kirche schont und hebt, und so sich die Hinneigung und Hingabe der Armenier erhält, die es jetzt in so hohem Grade besitzt! — Das dritte Volk dieser Art sind die Tataren und besonders der bucharische Stamm derselben. Bokhara ist eine der mächtigsten Handelsstädte im Innern Asiens, von hieraus geht ein starker Karavanenhandcl nach China, Thibet und Persicn. Die Bucharm zeigen sich überall als unverdrossene und gewandte Handelsleute. In den Sibirischen Städten sind nun sehr viele Bucharcn ansässig, und durch sie hat Nußland viele Verbindungen mit Bokhara und den von dort auslaufenden Handelsstraßen. *) Auch die kasanschcn Tataren, besonders die von Kargala, in deren Händen der orcnburgschc Handel mit den Kirgisen liegt, dienen dazu, überall Verbindungen mit dem Innern Asiens anzuknüpfen. Omsk ist der Punkt, von wo Nußland sich einen Weg in "1 Durch dir Häubc von mu^li buchmischm KlUislmlm qm,, >wch n» vorige» Jahrhundert gaiiz allmi d>> »Inmals so wichtige Rhlil'arbcrhmidll. Sichc Mtrlwürdiqlrilni dcr <7si>"ü>! n, mW Pallas Ncisru, 3H. III. l'l'ss- 229. 2i>2 daß Innere Asiens zu bahnen sucht, die große Kirgisensteppe bildet keine locale Hindernisse, die Kirgisen sind fast als schutzverwandte Unterthanen Rußlands anzusehen. Schon gehen von hieraus russische Karavanen, zum Theil von buch arischen Kaufleuten geleitet, auf einer langen Strecke in der Steppe durch Kosakenstationcn geschützt, völlig sicher bis tief in Asien hinein, und bald wird man von hier eine völlig gesicherte russische Handelsstraße bis an die'Grenze Thibets eingerichtet sehen! Der ganze Handel längs der Linie von Orenburg bis an die chinesische Grenze ist völlig frei und ohne Hindernisse, außer etwaigen räuberischen Anfällen. Er wird von russischer Seite vorzugsweise durch die Tataren und Bucharcn betrieben. — Die Kirgisen in den zunächst liegenden Steppen treten in immer engere Verhältnisse zu Nußland, und können fast als dessen Schutzuntcrthanen angeschen werden. Dieser Handel ist von großer Ausdehnung, steigender Wichtigkeit, und dringt leise immer mehr nach dem Innern Asiens vor. Rußland hat hier beim Handelsverkehr durchaus keine Nebenbuhler. Das übrige Europa ahnet die Bedeutung desselben kaum, wie wichtig er aber für Rußland sein müsse, das hat der verunglückte Zug nach Khiwa gezeigt! Ganz anders verhält es sich mit dem chinesischen Handel. Bei diesem ist durchaus m dem Augenblicke kein wahrer positiver Vortheil für das eigentliche Rußland. Das Gouvernement unterstützt ihn, indem es große Weltverhältnissc und deren Zukunft ins Auge faßt, und läßt das eigentliche Nußland Opfer bringen, um das Ncbenland, Sibirien, zu heben. Die Eroberung von Sibirien hat Rußland und China zu Grenznachbaren gemacht. Die Kosaken und die ihnen folgenden russischen Behörden dehnten nach der Eroberung des Reiches Sibirien die Herrschaft immer weiter aus und es ist factisch, daß sich die russische Herrschaft bereits in der ersten Hälfte deß 17. Sec. unter andern auch fast über das ganze ungeheure Stromgebiet des sich inö stille Meer ergießenden Amur erstreckte. Die erobernden Kosaken crbauctcn hier 100 Meilen jenseit 263 Ncrtschinsk's die Stadt Albasyna. Diese Landstriche hatten früher nie zn China gehört, sie lagen diesscit der chinesischen Malier. *) Aber die Mandschu eroberten China, und so nahin die Mandschurei den Charakter eines Privatrcichs der kaiserlichen Familie in China an. Die Mandschu aber machten Ansprüche auf die Landstriche am Amur, und nun versuchten die Chinesen die Kosaken zu vertreiben, die Kosaken schlugen sie mehrmals zurück, endlich ward eine Armee von w,000 Mann mit Kanonen geschickt. Die Chinesen belagerten die Stadt Albasyna, die darin liegenden 500 Kosaken vertheidigten sich verzweifelt, mußten sich aber endlich ergeben. Sie wurden nach Peking geführt, wo ihre Nachkommen noch jetzt lcbcn. Diese Nachkommen jener Kosaken haben dem ruffischen Gou^ verncment den Vorwand gegeben sich beim Kaiser von China die Erlaubniß zu erwirken, daß in Peking ein russisches Kloster gestiftet und erhalten werden dürfte. Rußland ist dadurch vor allen andern Staaten immer in vie Lage gescht, directe Nachrichten aus China erhalten zu können. — Das von den Nüssen angelegte Nertschinsk ward damals ebenfalls von den Chinesen erobert, doch gaben sie es wieder auf. I(M schickten die Russen eine Gesandtschaft nach China, um einen Frieden zu unterhandeln. Dieser kam auch durch die Klugheit und Vermittelung der Jesuiten, die damals großen Einfluß in China hatten, und welche die Chinesen als Dolmetscher zugezogen hatten, zu Stande. Damals wurden die Grenzen regulirt. Rußland verzichtete auf das Stromgebiet des Amur, erhielt aber Nertschinsk zurück. Die von den Nüssen an der Sclinga gcbauete Festung Sclinginskoi ward zum Stapclort des Han^ dels zwischen beiden Reichen bestimmt. Dies war der Frieden von Nertschinsk von lttl-W. Allein er kam in Bezug auf die Grenzrcgulinmg nicht zur vollen Ausführung, doch nahm von da an der Handel einen regelmäßigeren Charakter an, wiewohl er noch immer wegen Räubereien und Ueberfallc der Nomaden ') Ueber die Verhältnisse sshimis mld Nußlcmds, in Bezug my den 5>üsi 'Amur, findet sich cin sehr insiruttiver und allc Verhältnisse Nar stellender älterer Aussatz lm Magazin fill Historie und (Ye^wphic von Vüsching. ^»ibnrg 1708. Th. ll. psg. 485. 264 sehr unsicher war. Peter I. faßte auch diesen Punkt ms Auge, und erkannte seine Wichtigkeit. Er sandte zwei Gesandtschaften nach China, allein er starb ehe die zweite zurückkehrte. Katharina I. schickte nun den Grafen Sawa-Ragusinski hin, um an Ort und Stelle den Frieden zu schließen. Die chinesische Gesandtschaft aber erschien damals unter den» Schutze cineö bedeutenden Armeccorps, und so kam denn 1729 in Bezug auf die Grenzen ein für die Nüssen schr unvorteilhafter Frieden zu Stande. Die Grenzen wurden wirklich so und im Einzelnen noch nachthciligcr gezogen, als der Vertrag von WttO stipulirt hatte, dagegen ward der Handel völlig hergestellt und in seinen Verhältnissen genau festgesetzt, was man damals für die Hauptsache und für den größten Gewinn hielt. Der Verlust des Stromgebiets des Amur zeigt sich aber jetzt bei der fortgeschrittenen Entwickelung Sibiriens von einer Wichtigkeit, daß man voraussehen kann, es wird nicht zu lange dauern, so wird man es von russischer Seite im Guten oder Bösen in Besitz nehmen. Was die Ufer der Ostsee für Nußland waren, der LebcnSathcm, die Bedingung der Eultur, das ist das Stromgebiet und die Mündung des Amur für Sibirien! — Erst wenn cö diese besitzt, kann es einer großartigen Entwickelung sicher sein! Besäße Nußland den Amur, so würde eine Wasscrcmnmunication zwischen Petersburg und dem stillen Meere ohne große Schwierigkeiten herzustellen sein; jener großartige Gedanke, mit dem sich schon Peter I. trug, der aber weil er den Amur nicht besaß, zunächst in Kamtschatka den Hafen suchte, von wo er sich in Verbindung mit Japan, Indien und Amerika setzen wollte! *) Den gegenwärtig mit China bestehenden Handel muß man in 4 Perioden betrachten. Die Iste Periode von 1729 bis 1763. Von Zeit der Ab- ') (5s ist auch lwch zu bemerken, das? d>c Ial'lmn'iqll'irge, wclchc in dir-frm Sttomgcbictt dcö Amur ürgm, und lwn dcim, viclc Auailiufcr nach OMilitn sich hinzichm, mich Sagm und Nachrichlcn, di< man m Si birim hat, an Goldrcichlhum vicllmht allc andern iU'crtrrffm müchtm, schlicßung des Friedensvertrags bis zur Zeit, wo der Handel aufhörte, durch Karavancn, welche der Krone angehörten, betrieben zu werden. Katharina II. gab nämlich die nnmittel-bare Betreibung des Handels als eine Ansialt der Krone auf und überließ ihn dem freien Privatverkehr. Die 2tc Periode von 1703 bis 1600, wo der Tarif von Kiachta den Handel nru regelte. Beim freigelassenen Handel hatte der Verkehr eine üble Richtung genommen, Unordnungen aller Art rissen ein, die Chinesen klagten bestandig. Sie brachen sogar mehrmals plötzlich allen Verkehr ab, und setzten dadurch dic russischen Kaufleute, die ihre Waaren taufende von Meilen hergebracht hatten, in die größten Verluste. Die russischen Kaufleute, vereinzelt, ohne Zusammenhang, weit herge-reiset, waren den schlauen, gewandten, geduldigen, engzusam-mcnhaltenden Chinesen durchaus nicht gewachsen. *) Das Gouvernement sah sich endlich genöthigt, den bisher ganz freien Handel wieder einzuschränken, es ordnete durch das Reglement vom 15tcn März 1800 ein neues Douanengesetz an, und for-mirte aus den zugelassenen Kaufleuten eine Compagnie. Während dieser Periode brachten die chinesischen Karavancn allerhand Seidenwaaren, Nanquing, Edelsteine, Porzellan, Muscus, Bibergeil, Gold und Silber in Barren zum Markt. Rhabarber war der Krone vorbehalten, ward aber 1762 ebenfalls dein freien Verkehr überlassen. — In der 2ten Hälfte der Regierung Katharina's ll. sing der Thee an, allmählich ein Con-sumtionsartikel in Nußland zu werden, und sehr bald überwog der Thee alle übrigen von den Chinesen begehrte Handelsartikel bei weitem. Die 3tc Periode läuft von 1800 bis 1622 von Publication des Reglements von Kiachta bis zu der des Schutztarifs von 1822. In dieser Periode bildete der Handel sich ganz regelmäßig aus, die russischen Kausieute hielten zusammen. Die Chinesen stellten eine große Masse ihrer Manufacturwaaren ") Ueber den ältern Haudel mit (ihiim vnl, lNcorgi und Pallas Mcrkwm-bisskcitcn vcischkdmcr unbrkam,ttl 5M'lkcl dcs russischen Mrichs. ?cipziq. l777, Th. zu. ,,„„. i5l). 200 zum Verkauf, dic Russen vermochten nun aus den eignen Fabriken ihnen nicht so viel entgegen zu stellen, sie brachten fremde Waaren, aus andern Ländern bezogen, auf den Markt. Es war die Zeit, wo man aus Prcnßischpolcn und Schlesien ungcmein viel wollenes Tuch bezog und in Kiachta an die Chinesen unter dem Namen meseritzer Tuche verkaufte. Die 4te Periode ist die gegenwärtige, von Publication des Schutztarifs von 1822 an bis jetzt. In diese Periode fällt die große, durch Schutzzölle angeregte und beschützte Entwicklung des Fabrikweftnö in Nußland. Hiemit verlor sich allmählich die Einfuhrung fremder Waaren, um sie in Kiachta zu Markt zu bringen, und russische Manu-factur- und Fabrikwaarcn traten allmählich an deren Stelle. — Der wichtigste hierbei in Frage kommende Artikel ist der der wollenen Tuche. Die russischen Fabricantcn haben es allmählich gelernt, den cavriciöscn Geschmack der Chinesen, welche nur mescritzer Tuche kaufen wollten, genug zu thun. Es giebt eigne Fabriten in Moskau, welche diese Art Tuche, die besonders dicht und schwer sein müssen, fabriciren, und es läßt sich nicht leugnen, daß sie die Originale völlig erreichen, vielleicht theilwcise übertreffen. Es wurden noch eine Zeillang ächte meseritzer Tuche in Kiachta trotz der hohen Einfuhrzölle zu Markt gebracht, weil die Chinesen hartnäckig darauf bestanden, als sie aber erst die ruffischen Tuche, die ihnen natürlich viel wohlfeiler angeboten wurden, genau kennen gelernt hatten, zogen sie sie vor, und im Jahre Ih.'l!) wurden nur noch 015 Arschin ächte meseritzer Tuche in Kiachta verkaust. Gegenwärtig theilt sich der Handel in Kiachta in Engros-und Detailhandel. Der erstere befindet sich in den Händen großer moskauer Kaufleute, der andere wird von einer Menge kleiner Kaufleute aus allen Gegenden des Reichs, doch meist auö Sibirien und von einer großen Anzahl Burjaten, die eigne Handelsgesellschaften bilden, betrieben. Es ist sonderbar, daß W7 nur der Volköstamm der Burjaten und sonst kein anderer in Sibirien an diesem Handel Theil nimmt! — Der Engros-Handel, der vorzüglich herangebrachte Fabricate nnd Manu-facturwaaren des europäischen Rußlands umfaßt, wird nur einmal im Jahre, im Winter bis zum April, betrieben, der Detailhandel, der die sibirischen Producte, vorzüglich alle Arten von Pelz- und Lederwaaren umfaßt, wird das ganze Jahr hindurch betrieben. Eö liegt mir nur eine Notiz über den Handel des Iahrö 1830 vor, und ich gebe daraus folgende kleine Uebersicht. Die Nüssen brachten zu Markt und verkauften an die (5hmescn: 1) Pelzwaaren aller Art für . 2,433,049 Rubel Banco. 2) Tuchwaaren......... 3,444,700 „ „ A) Baumwollcnwaaren..... 805,230 „ „ 4) Lederwaarcn......... 755,044 „ „ 5) Leinen (besonders das sogenannte Tschrchujka) und Hanfwaaren......... 195,461 „ „ 0) Metallwaaren........ 39,120 „ „ 7) Spiegel und Spiegelgläser aus Njasan und Orel . . . 41,793 „ „ 8) Vieh aller Art....... 72,278 „ „ <)) Allerhand Getreide..... 40,195 „ „ 10) Salz, Kaviar, Fische, Fleisch, Butter, Honig, Syrup, Apo-thckerwaarcn :c....... 54,7l»0 „ „ 7,891,239 Rubel Banco. Rechnet man hiezu, was vorzüglich von Eingebornen Sibi^ riens gebracht, und in Detail verkauft wird, z. B. Hirschgeweihe, Muscus, Kamelott, Papier lc., so möchte hiernach etwa der Werth aller von den Russen zu Markt gebrachten Waaren in runder Summe auf 9 Millionen Rubel Banco zu berechnen sein. Der Handel ist ein reiner Tauschhandel, und die Chinesen bringen, um die russischen Waaren zu erhalten, ihre 268 Waaren zum Markt. Diese bestehen hauptsächlich in Thee, vorzugsweise schwarzem, wenig grünem Thee, und etwas Zicgel-thee, welchen die Tataren, Kalmücken, Kirgisen und Sibirier verbrauchen. Der Werth des schwarzen u. grünen Thees betrug 8,004,893, der deö ZicgeltheeS 387,852 Nub. Banco. Den Nest des Uebcr-wcrthö der russischen Waaren deckten die Chinesen durch etwas rohe Seide, einige Seidcnzcuge, Nanquin (früher in großen Quantitäten, jetzt unbedeutend), und allerhand zierliche kleine Waaren. *) Die vorstehenden Zahlen sind einer in der Commcrzakadcmie von Moskau 1841 öffentlich gehaltenen und dann gedruckten (also die Censur passirt habenden) Nede entnommen. Sie spricht sich mit emphatischem Lobe über den chinesischen Handel aus. Dennoch scheint sie mir viel zu niedrige Waarcnverhält-nisse anzugeben. Daß man in Rußland jährlich nur für 8 Millionen Nubel Banco Thee consumiren sollte, scheint mir eine viel zu niedrige Angabe. ^*) Die Art der Artikel welche ') In: Hcolha Zrttschrist von Bergbaus und Huffman». Stuttgart bei Cotta. Vd. lV. i»^, 4<». fi„det sich eine Notiz vom Jahr 1824 über den Tauschhandel i>, iuachta mil folgenden Zahlenverhältnissen, über deren Richligtcit ich nichts zu sagen ver,nag. n) Die RlisslN lnachlen zn MaM: Pelzwaarm für...........^,9l2,8N0 Nubrl Silber. Ledcr..........- .... 1,270,UU0 „ „ Wollc,,' und Nmlmwullm Zcnge . l,Nl»5,000 „ „ Zwillig.............. 182,000 „ „ l>) Die Chinesen biachtcn: 142,229 Pud Thee zu......5,7Nl,58N ,, « Nauquing ............ «72,000 „ „ Kandis Zucker .......... i)2,Ä3« „ „ Der Ncrih des ganzen Talischhandels auf jeder Seite wird für das Jahr angegeben auf «,872,70.'l Nubcl Silber. ") kulrell a. a. O. Th. II. p:>^. 1l0 mein», man könne nach zuverlässigen Quellen den Wcrth der ausgetauschten Waar.il alls l(10 Äiillliincn Äu-bel (^b Silber- oder Ban." Nabel isi nicht bemerkt, wahrscheinlich die erstern!) anschlagen. Die pelcrsbmger (ofsicielle) Zeitung l,on l83lj gebe an, daß die von den russischen Kanflentm auf die Einfuhr der von AW bei diesem Handel verwendet werden, ist dagegen gewiß richtig angegeben, und diese sind es, welche mir hier Veranlassung zu einigen Bemerkungen geben sollen. Rußland bringt auf diesen Markt vorzugsweise seine Pelz-waarcn, Tuchwaaren, Kattunwaarcn, Ledcrwaaren. Der Absatz der Pelzwaaren ist von großer Wichtigkeit, es sind aber vorzugsweise sibirische und nordamerikanische Pclzwaaren, welche in Kiachta abgesetzt werden. Sibirien hat hievon große Vortheile, daß europäische Nußland nur etwa die kaufmännischen Procente, welche die russischen Kaufleute, die einen Theil dieser Pelzwaaren von den sibirischen Ia'gervölkcm oder Stämmen aufkaufen, bei dem Wiederverkauf an die Chinesen gewinnen oder sich berechnen. Bei den Tuchwaarenverkauf ist der Vortheil allerdings allein auf Seiten des europäischen Nußlands. Ob aber wirklich ein großer staatSwirthschaftlicher Vortheil dadurch erreicht wird, ist mir sehr zweifelhaft. Ein bestimmtes Urtheil wage ich nicht aufzusprechen, dazu gehört eine eben so scharfe als tiefe Untersuchung, aber ich gebe folgendes zu bedenken. Daß die in Nußland selbst producirte Nolle auch dort zu Tuchen verwebt wird, ist unstreitig Vortheil hast, insosern das eigne Bedürfniß des Volks dadurch gedeckt wird. Wenn man aber mehr Tuch prodocirt, als jenes Bedürfniß erfordert, also zum Verkauf an andere Nationen, so muß man sich allerhand verwickelte Fragen stellen. Ist ein Uebersiuß von Wolle da? Ist dieser vielleicht künstlich auf Kosten anderer Branchen der Land wirthschaft hervorgerufen? d. h. hat man nicht den Schafbestand zu sehr erhöhet im Verhältniß des übrigen Vichstandes, und der Population? (nnbcdingt ist in Voraus zuzugeben, daß in Bczug auf die Ausdehnung des Grund und Bodens die Vermehrung in Rußland noch keineswegs zu stark ist!) Werden die Arbeitskräfte, die zur Fabricirung der ans Ausland zu verkaufenden Tuche verwandt werden, nicht den Kiachta bezogenen Waaren des Iahis 1834 l'szahltt» Zölle 11,262,ciN3 Rubel betrage» hätte,,. Ich selbst lnntt vo» mn'm einzigen Kaufmann, einem Thcchändler in> Moskau, das, n allei,, 2 Millionen Rubel Steuer fiir den eingeführten Thee bezahle. 270 dringend nothwendigeren landwirthschaftlichcn Arbeiten entzogen'^ Ist der Standpunkt Rußlands schon ein solcher, daß es mit wahrem, nicht illusorischem Vortheil für Fremde fabriciren darf? Dies aber auch alles zugegeben, ist in diesem speciellen Falle, beim Verkauf der Tuche an die Chinesen, wirklich pecuniärer Bortheil? — Die Tuche werden gegen Thee vertauscht, diesen Thee rechnen die Chinesen enorm hoch an, so daß sie die Tuche ungemein billig erhalten. Die Theeconsumcnten müssen also den Tuchfabricanten die Tuche bezahlen! Der Thee ist aber allmählich ein Bedürfniß des russischen Volks geworden, es könnte ihn aber' um '/., gewiß aber um '/, des jetzigen Preises zur See über Petersburg und Ddessa erhalten, wenn dieser monopolisirte chinesische Handel nicht wäre! Wenn es mir schon etwas zweifelhaft erscheint, ob, alles richtig abgewogen, beim Tuchhandel in Kiachta staatswirth-schaftlich sich ein wahrer Vortheil für Rußland herausstellt, so bin ich doch völlig überzeugt, daß bei dem Verkauf von Baum-wollcnwaarcn gradczu für Rußland staatswirthschaftlichcr Schaden ist. Die rohe Baumwolle ist kein russisches Product, sic muß gekauft werden, es geht hirfür eine Summe Geldes aus dem ^andc. Nun wird sie verarbeitet, dadurch werden anderen viel nothwendigeren Zweigen der ruffischen Staatswirthschaft, namentlich der Landwirthschaft, die Arbeitskräfte entzogen, zugleich wird ein Gcldcavital (der Arbeitslohn) in das Fabncat gesteckt. Alsdann wird dieses nach Kiachta geschickt, abermals Verlust von anderswo besser zu verwendenden Arbeitskräften beim Transport, und ein hineingestecktes Capital (Transportkosten). In Kiachta wird es gegen Thee getauscht, der um das Dreifache gegen seinen sonstigen wahren Werth und Preis erhöhet ist. Ich bin überzeugt, wenn man den Thee, der für die Baumwollenwaaren eingetauscht ist, auf seinen wahren Prcis, nämlich den in Petersburg frei zur See etwa bezogenen, zurück führte, so würde sich herausstellen, daß man kaum den Einkaufspreis der rohen Baumwolle wieder erhalten hat! Die Thccconsmnenlen in Rußland haben auch hier für die Chinesen den Preis der russischen Baumwollenfabricate bezahlt. Die in Kiachta vertauschten Lcderwaaren sind größtenthcils 27l sibirische, und der Vortheil des Absatzes kommt daher Sibirien, nicht dem europäischen Nußland zu gute. Eine gleiche Bc-wandtniß hat eö mit dem il, Kiachta verkauften Vieh, Getreide, Victualien, einem Theil der Leinen- und Hanfwaaren. Der Vortheil kommt lediglich Sibirien zu gute. Für Sibirien ist ebenfalls die ganze Handelsstraße und der Verkehr darauf von unermeßlichem Vortheil. Man kann wohl sagen, sie ist eine der Bedingungen für den Fortschritt der Cultur und Civilisation. Meiner Ueberzeugung nach würde Nußland die Wohlfahrt des ganzen Reichs am besten fördern, wenn etz diesen schlauen, berechnenden, temporisirendcn Chinesen gegenüber eine kecke und entschiedene Politik zeigte, und durchgreifende Maßregeln eintreten Keße. Diese würden meiner Meinung nach etwa darin bestehen können, daß man den Thcehändlem (wodurch es die Chinesen natürlich auch gleich erfahren würden) anzeigte, nach ein oder zwei Jahren würde die Einfuhr des Thees von der Sceseite mit geringem Zoll gestattet werden. Man glaube ja nicht, daß der Handel in Kiachta dadurch vernichtet würde! Es wäre möglich, daß die Chinesen einen Versuch machten, Rußland auszuhungern, nicht unter den bisherigen Preisen verkauften u., allein sie hielten es nicht zwei Jahre aus! Diese nördlichen Provinzen Chinas, wo der Theeanbau erst seit 30 — 40 Jahren in dieser großen Ausdehnung besteht, müssen ihr Product verkaufen. Ihn ans Mcer schicken, ist beschwerlich, dort ist auch schon Ueberslusi und sehr niedriger Preis. Sie haben keine Wahl, sie müssen ihn nach Kiachta bringen. — Die russischen Tuche und Pclz- und Lcderwaaren sind ihnen ein unentbehrliches Bedürfniß geworden, sie müssen sie kaufen. Von der andern Seite würden solche Maßregeln auch in Rußland nicht von so großer Wirkung sein, wie man etwa glauben könnte. Eine Anzahl Baumwollen-fabrikcn würden eingehen, dabei möchten einzelne verlieren, welchen man allenfalls einige Entschädigungen zustießen lassen könnte, das Ganze hatte nur Vortheil davon. Die Tuch- 272 fabrikcn würden höchstens einen augenblicklichen Stoß erhalten, und sich bald wieder erholen, da die Chinesen die Tuche am Ende nicht entbehren können, eben so die Lcder- nnd Leinen-fabricationen. Die Transportfuhrlcute, die Dörfer an jener großen Handelsstraße würden vielleicht momentan bedeutenden Schaden erleiden, doch wohl nicht nachhaltig. — Man glaube ja nicht, daß die Theecinfnhr von Kiachta aufhören würde. Die besseren Sorten von dort sind durch nichts zu ersetzen. Der Thee in den nördlichen Provinzen Chinas, der nach Kiachta kommt, ist ohne Vergleich besser, als der in den südlichen Provinzen, den die Engländer, Holländer :c. ausführen. Die reichen Leute, die an jenen gewöhnt sind, geben ihn nicht auf, es ist auch nichts daran gelegen, wenn sie ihn theuer bezahlen. Aber die niedern Sorten, die nun mit den über See eingeführten in (5oncurrenz treten müssen, werden ungcmein im Preise fallen. Und da der Thee, wie gesagt, ein immer mehr steigendes Nationalbedürfniß des russischen Volks geworden, so ist es Pflicht der Regierung, ihn so wohlfeil zu verschaffen als es angeht. Daß England eine solche Maßregel als eine Concession ansehen würde, und das ganze politische Verhältniß zwischen England und Rußland sich freundlicher dadurch gestalten würde, brauche ich kaum anzuführen. Auf zweierlei hat Nußland bei seinen; größten Colonien-landc Sibirien zunächst seine ganze Aufmerksamkeit zu richten, auf die Regulinmg der Mctallverhältnissc dicscS Landes, und die Verbindung der großen Wassercommunicationcn von Osten nach Westen. Daß dieses Goldsuchen und Goldwaschen binnen wenigen Jahren vom Gouvernement streng rcgulirt, und, vielleicht selbst in die Hände genommen werden muß, scheint mir durchaus nothwendig; ich habe es auch schon oben angedeutet. Ob das russische Gouvernement hinreichend tüchtige Bergofficianten und cingcborne zuverlässige Bergleute hat, um die Angelegenheit selbst mit Energie in die Hände nehmen zu können, weiß ich 278 nicht, bezweifle es aber. Vielleicht wären hier Lolonien von Bergleuten aus Deutschland angemessen und nützlich, dock müßte dieses eine Colonisation in größerem Stiele sein, von 20 — 30,000 Colonisten, ssolonien von Hunderten muffen lner nothwendig verkümmern! In Bezug auf die Waffercommunicationen bemerke ich folgendes. Sibiriens Hauptströme münden alle im Eismeere, während fie also die Communicationen von Süden nach Norden im Innern hinreichend unterstützen, gewähren sie doch keine Ausgangspunkte zum Meere für den großen Welthandel. Nach dem stillen Meere führt gegenwärtig kein einziger bedeutender sibirischer Strom, seit man im Frieden von 1729 auf den Amur verzichtet hat. Aus der vorbeschriebcnen Lage Sibiriens erhellt zur Genüge, daß große Wassercomnnmicatioilen von Osten nach Westen das eigentliche Bedürfniß Sibiriens wären. Nun hat dasselbe aber durch die Masse seiner Seen und Ströme im Innern die hinreichenden Hülfsmittel lind Bedingungen zur Anlage und Ausführung eines großen (5analsystcms vom stillen Meere bis zur Ostsee. So kolossal beim ersten Anblick eine solche Idee erscheint, so möchte die Ausführung doch gar nicht so schwierig sein. Cottrell a. a. D. Th. I. p"ss. !)3 hat alls eine plane und leichtfaßliche Weise angedeutet, daß nur etwa 400 Werst Canalbautcn nöthig wären, um dann zu Schiffe von Petersburg biö ins stille Meer (oder mehr als 2000 Meilen) zu gelangen. Nur müßte dann Rußland das Recht erlangen, mit seinen Schissen den Amur herab bis zur Mündung fahren zu dürfen. — Beiläufig bemerke ich, daß die Landwege in Sibirien auf den großen Straßen durchgängig gut sein sollen. Ich gebe schließlich noch einige Notizen zur Moralstatistik Sibiriens, welche ich officiellen Angaben, die mir mitgetheilt sind, entnehme. Zur Verglcichung füge ich ein paar statistische Notizen von 4 Gouvernements des europäischen Rußlands, des nördlichsten, des südlichsten, und der 2 Gouvernements der beiden Hauptstädte hinzu. 18 274 Sibirien. Gouvernements Tuning der Bevölkerung 2,636,000 Köptt Art dcr zerfallen in Verbrenn: "^" Nichliuffcn, Archangel, Petersburg, Moskau, Cherson, russische Be- Urbewohnei völtcrung Verwiesene Sibiriens Bevölkerung Bevölkerung Bcvölkeiung Bevölkerung 1,098,000 114.000 430,000 230,000 584,000 l,230,0«0 697.000 von ^, , 565 1921 191 38 293 257 333 Mord. 1 1823 bis 1832. Zahl ^^ sämmtlicher einemIahre. ^minal- ^ 275 — 21 237 271 530 Verbrecher. ^ 275 Die Zahlen der großen Verbrechen, des Mordes und des Raubes, hatten in Sibirien in neueren Jahren sehr zugenommen. In dem Jahrzehnt von 1810 — 1819 war die Zahl der Mörder 710, der Räuber 675; dagea.cn in dem Jahrzehnt von 1823 bis 1832: der Mörder 15!tt, der Räuber ll^. 53 führt erschreckende Beispiele an, und zugleich, daß das Gouvernement neuerdings stnngerc Maßregeln ergriffet, hat. Unter den Verwiesenen findet sich e i n Räuber oder Mörder unter 5!) Verwiesenen, oder vielmehr, da von einem Zeitraum von 10 Jahren die Rede ist, unter 5!>0 Verwiesenen, unter den übrigen sibirischen Russen......l unter 1943 oder vielmehr 19,430, unter den Nichtrusscn in Sibirien........! „ 2350 „ „ 23,500, unter den Eingesessenen des Gouv. Archangel . 1 „ 0052 „ „ 00,520, „ „ Petersburg 1 „ 1992 „ „ 19,920, „ „ Moökau . . l „ 4«<)'j „ „ 4!-!,0^0, „ „ Chcrson . . 1 „ 200^ „ „ 20,l), vergiftet 3, ertränkt 45 (und 1? Selbstmörder auf diese Weise). Die übri- 18* 276 gen 431 wurden: l59 mit Messern, 40 mit Beilen, 232 mit Knüppeln ermordet.- Unter den Ermordeten waren 1 General, 40 verabschiedete Soldaten, ihre Weiber und Hltttcnleute, 0 Stadtkosaken, 12 Bürger, 15 l Bauern (zum größeren Theil aus den Verwiesenen erst zu diesem Stande übergetreten). Die übrigen 2l>7 waren aus dem Stande der Verbannten, und waren meist von ihres Gleichen erschlagen. Die männlichen Verbrecher verhalten sich zu den weiblichen wie 7 zu 1. Die beim Justizministerium i»a 1842 ausgearbeiteten Tabellen geben in Bezug auf Diebstahl durch Einschleichung und Betrug folgend« Notizen.- Dil'l'sldhl Sum-ma: Einwohnen durch durch Män- Zah, (f'inschlnclnmg: Ntti'ug: ner u. Wei- Männer Weiber Männer Weiber ber Sibirien 2,0W dortige Einwohner fort und siedelte sie an vielen Orten im Reiche zerstreuet an. — Aber Katharina ll. faßte, gleich im Anfange ihrer Regierung, den Gedanken aus: „Durch Hereinberufung fremder Kolonisten, die damals menschenleeren und »rüsten südlichen Provinzen des Reichs zu bevölkern, und durch dir hineinkon^ menden Ausländer neue landwirthschaftliche Kenntnisse und Industrie unter ihren Unterthanen zu verbreiten," wie dies der Ukas von l7»i'! ausfpricht. Die erste große Kolonisation dieser Art begann bald darauf bei Ssaratow an der Wolga. Es ist dieselbe, die ich besucht und oben beschrieben habe. Sie bestand lediglich aus Deutschen. Diese Eolonicn haben lange gekränkelt, sie wären völlig untergegangen, wenn man ihnen lKOl nicht zu Hülfe gekommen wäre. Erst in den letzten 2(1 Jahren sind sie aufgeblühet, und gegenwärtig sind sie allerdings im besten Zustande. Den Erwartungen des Mas von N»».l haben sie jedoch nur theilweise entsprochen. Dieft früher wüste und menschenleere Gegend tst allerdings durch sie auf da9 beste bevölkert und angebauet, aber ihve 27tt Landwirthschafl ist nicht sehr ausgezeichnet; trenn sie auch der russischen überlegen ist, so kann sie doch nicht als Muster für dieselbe dienen. Diese Deutschen haben wenig „neue landwirth-schastliche Kenntnisse und Industrie unter die umwohnenden Nüssen verbreitet." Die Bedingungen und Vorrechte, welche Katharina II. diesen Colonisten bewilligte, sind dieselben, die auch allen später einwandernden Colonisten bewilligt worden, sie bilden eine Art gemeines Recht für sie durch ganz Nußland. Ich will sie daher hier aufzählen. 1) Freie Rcligionsübung und Dotirung ihrer kirchlichen Verhältnisse von Seiten des Staats. 2) Befreiung vom Kriegs- und Civildienst auf ewige Zeiten, .'i) Befreiung von allen Abgaben auf bestimmte Freijahre, dann aber die gewöhnlichen Abgaben aller russischen Kronbauern. 4) Eine Sclbstrcgierung in administrativer und polizeilicher Hinsicht und eine Unterordnung derselben unter eine für sie besonders geschaffene Behörde. Dieser Sclbstrcgicrung ist sogar das Recht allgemeiner Geldanleihen zum Nutzen der Colon ie, unter bestimmten Einschränkungen und mit Einholung der Genehmigung jener vorgesetzten BeHorden, eingeräumt. 5) Eigne Gerichtsbarkeit in Streitsachen unter einander. Die damaligen ersten Colonisten erhielten freie Reisekosten aus der Heimat!) bis zum Orte ihrer Bestimmung, einmalige zollfreie Einfuhr ihrer Effecten bis zum Werth von 3U9 Rubel Silber, auf Kosten der Krone erbauete Häuser, Proviant und Geld für das erste Jahr, eine große Summe als zinsfreie Anleihe auf eine Reihe von Jahren. Diese letzten bewilligten Vortheile sind nicht allen spätern Colonicn, und nicht in dem Umfange gewährt worden. Diesen deutschen Ansicdlungen folgten bald andere in Südrußland und der Krimm nach, zuerst von Ncugricchcn, die bei dem Kriege zwischen .Rußland und der Türkei sich compromit-tirt hatten, dann später von Deutschen, Schweden, Armeniern, Bulgaren, Serbiem, Walachen und Moldauern. Endlich sind noch einige Colonien von polnischen Juden etablirt worden. Im Jahre 18'N, bei der letzten oder 8ten Revision, stellte 379 sich nach mir vorliegenden amtlichen Quellen folgender Bestand sämmtlicher ausländischer Kolonien in Rußland heraus. Bcvölkrrling: N a m l' >l Zchl del Prol'mzm, der sso Io- in dcnen die Culoimn nian oder Männl. Weibl. sich brfindlii Dövftv <^rschlcchtS lychhlnhts Gcschkchtc,' 1. Beffarabicn. . 105 38,995 35,478 74.473 2. Cherson.... 55 20,790 19,795 40,7,l»l 3. Cis-Eaucasien. 3 230 245 48l 4. Grlisicn.... ? 1201 1187 2388 5. Iekatermoölaw 47 6750 0547 l3,2<»7 si. St. Petersburg 1t l522 1513 3035 7. Ssaratow. . . 03,717 03,311 127,028 8. Tauricn.... 80 1 !?,237 11,323 23,500 9. Tschcrnigow. . 8 802 890 1752 1l). Woronesch. . . 1 l>31 000 123l 421 ! 140,947 140,889 287,830 Diese Volkszahl möchte für den gegenwärtigen Augenblick in runder Summe etwa auf 330,000 Köpfe zu berechnen sein. Den Volksstämmen nach sind die Lolonicn in Bessarabien von Bulgaren (00,70l) gestiftet und bevölkert, auch im Gouvernement Chcrsvn findet man 7832 Bulgaren. Im Ganzen sind etwa gegenwärtig 70 bis 75,000 Bulgaren zu rechnen, Moldauer und Walachen gegen 0000, Serbier etwa 5000, fast alle in Beffarabien und Cherson (doch befanden sich auch in Taurien 1400 Bulgaren). Bon Neugricchcn befanden sich im Gouvernement Taurien einige tausend Individuen. Die Zahl der Armenier ist unbekannt, doch möchte sie wohl tausend nicht übersteigen. *) Im Gouvernement <5herson befinden sich 9 ') V« ist hicr nur von dm laudl'autnibmd»',» Almnm'M dir Nrdr, I„ allen südlichm Städlm wimnnlt eS von handclttcchmdm Aonnuel», die dort ansässig sind und dcrm Zahl man auf ?0,00U schätzt. 2«0 Colonie» Inden nut liircu 7500 Einwohnern. Bier Colonien Schweden zählten etwa 600 Köpfe. Alle übrigen oder über 230,000 Köpfe sind Deutsche aus den verschiedensten Gegenden, Schweizer, Badcncr, Würtemberger, Nassauer, Rheinländer, Westpreußcn. In Bezug aus die Religionöverhältnisse möchten sich unter den 330,000 Kolonisten gegenwärtig etwa befinden: 50,0(10 der griechischen Kirche Angehörige, 1000 der armenischen Kirche Angehörige, 181,000 Protestanten in«!, der Hcrrcnhuter in Ssarcpta, 21,000 Mcnvniten »»el. der Hutterschen Brüder, 40,000 der katholischen Kirche Angehörige, 77.00 Juden. Das Territorium, welches diesen Colonien überwiesen, ist bedeutend, da den fremden Kolonisten in der Regel mehr Land überwiesen worden, als den russischen Ansiedlern. DerSchwei-zercolonie (5habar in Bessarabien ist z. B. so viel Land zugelegt worden, daß 1^42 noch 24 — 25 Dessj. auf jede Revisionsseele zu rechnen war. Ueber die Größe des ganzen Territoriums, welches sämmtlichen Colonicn zugelegt worden ist, fehlen mir die offiziellen Nachrichten, ich besitze sie nur in Bezug auf die südrussischcn der Gouvernements Ickaterinotzlaw, Taurien, Cher-son und Vessarabicn. Hier besaßen 1tt42 105,050 Köpfe beiderlei Geschlechts zusammen ein Territorium von 1,212,403 Dcssj. 2309 Saschen brauchbaren und 107,707, Dessj. 2200 Saschrn unbrauchbaren Landes. Nach diesem Verhältnisse würden die 330,000 Köpfe sämmtlicher Kolonien ei»: Territorium von ungefähr 2,040,000 Dcssj. oder 475'/. ^Meilen besitzen. Ihr Territorium ist also größer als das Königreich Würtcmbcrg (300 ^Meilen), aber kleiner als das Königreich Belgien (540 lü Meilen). ES leben hier kaum 700 Menschen auf der ^ Meile, während in jenen stark bevölkerten Ländern wohl daS Achtfache der Bevölkerung auf der ^ Meile lebt. Da sie größtcnthcils vortrefflichen Boden besitzen, so können die Colonisten wohl nicht klagen, daß sie in Bezug auf Grund und Boden zu kärglich dotirt seien. Die preußische Nhcinprovinz ist nur um ein geringes größer als das Territorium der russischen Colonien, nämlich 487 ^ Meilen groß. Nimmt man von ihr grade 281 so viel ab, als die Colonicn groß sind, so ergeben sich folgende Bevölkerungs- und Viehstandsverhältnisse zur Vcrglcichung. ^) Iahi 1843. Einwohner Zahl Zahl der Pferde Stückzahl Horiwiehcö Stückzahl der Schafe 475 lH Meilen 2,l!13,47li 330,000 1l 9,304 169,250 757,3 l<» 459,400 501,020 1,038,490 der Rhcinprovinzen, der Russ. Colonien. So sehr die Bevölkerung in der Nheinprovinz überwiegt, so sehr tritt dagegen verhältnißma'ßig der Viehbestand der Rhcinprovmz gegen dcn der russischen Colonicn zurück. In den oben bezeichneten südrussischen Colomen waren im Jahre 1842 im Ganzen 7859 Dessj. Wald vorhanden, allerdings ein sehr kleines Territorium, nur '/i?, des Ganzen! Aber man hat zu bedenken, daß diese Colonien jene Waldungen in völlig baumlosen Steppen seit 40 — 50 Jahren angelegt haben, und daß also die Anlage von fast 1'/- H^ Meilen Wald schon als ein ganz artiger Fortschritt anzusehen ist. Der erste Anfang war ungemein schwierig, gegenwärtig hat man hinreichend Saamcn und Pflänzlinge, und so waren denn 1842 10,000 Dessj. oder fast 2 m Meilen Land völlig dazu vorbereitet, nm binnen wenigen Jahren bcsaamt und bepflanzt zu sein. In diesen südrussischcn Colonicn waren 1^-13 vorhanden: 2,846,300 Obstbäumc, 700,000 Maulbccrbäumc und 12,455,000 Weinreben. Es waren von letztem in diesem Jahre 775,^65 Vedro Wein gekeltert worden. Für die Viehzucht ist viel geschehen, in allen Kolonien sind gemeinschaftliche, sehr gute ') Die Zahlm für die preußische Rhmtprovinz sind nach Tmmi'6 stalislischm Tabellen, Nclii,, 1845 bcrcchntt. 2«2 Zuchtsticre, Zuchthengste und Stamlnschäfereien. Der Bestand sämmtlichen Viehes in diesen südrussischen Kolonien war 1843: 78,2 Seelen ein Geistlicher. Elementarschulen waren 270 mit 283 Lehrern und 20,532 Schülern vorhanden. Außerdem waren höhere Schulen gegründet, wo dann bei einer, nämlich der in Bolgrad in Bessarabien, auch eine Abtheilung zur Bildung von Feldmessern und Architekten eingerichtet war. Das Vorstehende mag einen Begriff von der großen Bedeutung dieser Kolonien von Ausländern in Rußland geben. Aber dennoch haben sie die, allerdings etwas überspannten Erwartungen des Manifestes Katharina's ll. von 1763 keineswegs erfüllt; ihr Einfluß auf die Fortschritte des Ackerbaues und der Industrie bei den Russen ist nicht so bedeutend gewesen, als man gehofft hatte, ja manche von ihnen, namentlich die großen Colonien an der Wolga, haben hierin fast gar keine Wirkung gehabt. Sie haben in Bezug auf den Landbau mehr von den Russen angenommen, als diese von ihnen. Die Landwirthschaft, insbesondere der Ackerbau, ist, grgen den in Deutschland vorhandenen, sehr zurück. Nur die Mennoniten machen eine rühmliche Ausnahme, ihre Landwirthschaft ist vor- 283 trefflich. Sie haben eincn großen Einfluß auf alle Umwohnen-den, auch auf die Nüssen, sie dienen ihnen durch ihre sittliche Haltung, ihre Redlichkeit, ihren klaren praktischen Verstand, ihre Einsicht, ihre Kenntnisse aller landwirthschaftlichen Zweige zum wahren Musier und zur Nachahmung. Ihr größtes Verdienst aber besteht meiner Meinung nach in dem praktischen Beweise über die künftige mögliche Bewaldung der Steppe an angemessenen Orten, den sie geführt. — Auch die 1A>5 gestiftete Herrnhutcrcolonie in Ssarepta bildet eine interessante Ausnahme. Sie ist eine Oase europäischer, industrieller Cultur mitten in einer Wüste, und diese verbreitet von hier aus ihr GuteS und ihr Böses, ihre Entwildcrung und Verführung der Sitten, bis in Asien hinein, besonders unter den Kalmücken aus. — Aber den großen Werth haben alle diese ausländischen Colonien für Rußland, daß ein, wie wir gesehen haben, nicht unbedeutendes, früher völlig wüst gelegenes Territorium durch sie in ein wohlbebauetcs Land umgeschaffen worden ist, daß sie cultivirte Oasen, meist in den Steppen bilden, Punkte, an denen sich eine fernere Cultur anlehnen kann, in deren Nähe neue, selbst kleine Colonien gedeihen und erstarken können. Diese Colonien haben Rußland große Summen, viele Millionen gekostet, jedoch nur als Anlagecapital; die Colonisten haben die Vorschüsse allmählich wieder zurückerstatten müssen, oder zahlen den Rest noch gegenwärtig zurück, das Gouvernement hat nur eincn Theil der Zinsen verloren. Die Mehrzahl der Colonien ist blühend, die Leute sind nach schweren Jahren, nach langer drückender Armuth, nach und nach wohlhabend, zum Theil reich geworden. Sie haben allmählich eine Heimath in dem fremden Lande gefunden, und ich kann eben nicht sagen, daß ich Jemand getroffen hätte, der sich nach Deutschland zurück gewünscht hätte, wie dies im Anfang vielfach der Fall gewesen sein soll. Das Gouvernement behandelt die Colonien mit Milde und großer Fürsorge. Das Gouvernement hat in neueren Zeiten keinen Schritt gethan, neue Kolonisten ins Land zu ziehen, es würde gegen-wartig auch wohl nur mit großer Vorsicht neue Kolonisten annehmen, nämlich nur solche, die landwirtschaftliche Kennt- 3tt4 nissc und Erfahrungen, und Fleiß und Capital ins Land bringen! Ja könnte eö noch 100M0 Leute wic die Mcnnonilcn erhalten, so würdc cs wohl keine Mühe und Kosten scheuen! Cine Art fernerer Colonisation, und zwar im größten Maßstabe, wird aber noch cine sehr lange Zeit, wohl mehr als ein Jahrhundert lang eins der größten und wichtigsten Bedürfnisse für die Zukunft Rußlands bleiben! Wirst man einen allgemeinen Neberblick auf die geographische Beschaffenheit des europäischen Rußlands, so treten uns zwei kolossale Territorialvcrhältnisse entgegen, die in gewisser Art mit einander corrcspondircn, aber zugleich auch Gegensätze bilden. Der ganze Norden wie der ganze Süden Rußlands zeigt uns nämlich unermeßliche Strecken völlig unbewohnten Landes. Wir sehen hier wie dort längs den sämmtlichen Flüssen eine ziemlich dicht gedrängte Bevölkerung, dagegen das dazwischenliegende Terrain völlig unbewohnt; aber diese unbewohnten Landstriche, die im Norden wohl 20,Ul)l) 1^ Meilen, und im Süden gewiß nicht weniger betragen möchten, sind dort mit einem dichten undurchdringlichen Walde bedeckt, während sie hier eine völlig baumlose Steppe bilden. Fragt man nun: sind diese Landstriche etwa vvn einer physischen Beschaffenheit, daß sie die Bebauung und menschliche Bevölkerung völlig hindern? so muß man dies verneinen, ja, man kann behaupten, eö giebt viele Landstriche im übrigen Europa von gleicher, häufig von schlechterer Beschaffenheit, die gut angebauet und bevölkert sind. Wir wollen dies im Einzelnen nachweisen. Die nördlichsten Theile des europäischen Rußlands jenseit des lasten Grades, das Land der Tundern, ist allerdings für eine stätige Bebauung uno Bewohnung nicht geeignet. Der Boden ist steinig, oder voll vvn Mooren, die in den Tiefen ewig gefroren, auf der Oberfläche nur nut Moosen und Flechten überzogen sind. Nur Samojcden und Lappen mit ihren Rennthicren ziehen jagend darüber weg. 385 Südlich hicvon beginnt die Region der Wälder. Die südlichen Theile des Gouvernements Archangel und die Gouvernements Wologda und Dlonetz sind eigentlich ein zusammenhängender Urwald von unermeßlicher Größe. Man berechnet die 3 Gouvernements Archangel, Wologda und Olonetz auf ungefähr 2.1,000 lü Meilen. Die bewohnte Fläche mit Acker, Wiesen, Gärten n. wird nach den alten Vermessungen, die freilich wohl mit dem jetzigen Bestände nicht mehr stimmen möchten, idic aber gewiß doch noch lange nicht um die Hälfte gegen ehemals diffcriren möchte, angegeben auf: 1,W0M) Dessj. ^ 2.^1 ^Meilen; das mitvermessene unfruchtbare Land 3,111,000 Dessj. --- 5(>1 ^Meilen; die Tun-dcrn des Eismeeres zu circa 10,000 ^> Meilen; die Waldungen 77,508,000 Dcssj. -^ 13,964 ^ Meilen. Hiernach wäre also kaum der KOste Theil dieses ungeheuren Landstriches cultivirt! Wie der Boden m diesen unermeßlichen Urwäldern beschaffen ist, weiß man freilich nicht. Es mögen große Seen, Sümpfe und Moore in denselben vorhanden, aber dennoch möchte der größere Theil des Bodens culturfähig sein, wenigstens hat sich bei den Versuchen der Anwohner dieß überall gezeigt, auch kann, wo guter Waldbestand ist, der Boden nicht ganz schlecht sein. In den ältesten Zeiten lebten hier, wie schon oben angc^ führt, nur finnische Iägervölker, als aber im Mittelalter die Russen von den, von Osten und Süden her sie bedrückenden Mongolen und Tataren gehindert wurden, ihren natürlichen Colonisationstriebe zu folgen, und sich nach dem Süden und Südosten auszubreiten, wandte sich dieser Volkstrieb nach dem Norden und Nordostcn, und aus jener Zeit stammt die ganze Bevölkerung längs allen Flüssen des Nordens. — Seit ein paar Jahrhunderten aber ist diese Cultivirung hier nirgends mehr bedeutend vorgerückt. Die Ursache hievon ist, daß seit einigen Jahrhunderten die südlichen und südöstlichen Landstriche für die Colonisation offen liegen, und sich daher der Zug derselben hierhin, wo ein milderes Klima, besserer Boden sich darbietet, gewendet hat. Dies wird sich auch von selbst nicht ändern, bis jene südlicheren Gegenden etwa hinreichend bevölkert sind und nun die Nolli' 286 wendigkcit dahin treibt, auch den Norden wieder in Anspruch zu nehmen. Dieser ganze Zug der russischen Colonisation aus dem Innern nach den Außcnländern hin, der schon seit Jahrhunderten dauert, und an Umfang und Größe nur mit der amerikanischen Colonisation zu vergleichen, ist durchweg aus dem Triebe deS Volks hervorgegangen, vom Instinkt desselben und der durch die augenblicklichen Interessen beherrschten Willkür der Einzelnen geleitet worden. Das Gouvernement hat bis jetzt keinen Versuch gemacht, die Leitung dieses Zugs auch nur im Großen und Allgemeinen zu übernehmen. Daß das Gouvernement ein großes Interesse haben müßte, diese nördlichen Gouvernements stärker zu bevölkern, den Boden gleichmäßiger auch im Innern in Cultur zu setzen, leuchtet ein. Ein Territorium von 12,009 Hj Meilen großcntheils cul-turfähigcn Bodens zu besitzen, der so gut wie gar nicht benutzt wird, ist schon an sich ein unermeßlicher Verlust für die Staatswirthschaft! Aber hiezu kommt noch, daß die Krone selbst die Eigenthümerm des großem Theils dieser Wälder, nämlich von mehr als 10,000 lUMeilcn ist. Aber mehr als °,<> dieser Urwälder ist ein bloß illusorisches Eigenthum! Seit Jahrtausenden wachsen hier die Bäume, sterben ab, und werden durch neue Generationen derselben ersetzt, ohne daß eine Menschenhand sie berührt, ohne daß sie zu irgend etwas benutzt werden. Welch ein unermeßlicher Vortheil für Rußland wäre es, wenn auf diesem Tcrritorio eine gleichmäßig vertheilte Bevölkerung von (i — tt Millionen tüchtiger betriebsamer Menschen lebte, die ohne Zweifel recht gut darauf eristircn könnten! Die Erfahrung lehrt, daß in den mäßig kalten Landstrichen die tüchtigste Bevölkerung lebt, und auch hier zeichnet sich schon gegenwärtig der Nordrusse fast vor allen andern russischen Stämmen durch seine Tüchtigkeit aus. In dem auf diesem Landstriche stehenden Holze steckt ein größerer, bis jetzt unbenutzter Werth, als alle Goldwäschen Sibiriens gewähren können! — Wir wollen annehmen, es ständen auf jeder Dessj. durchschnittlich nur' 300 Bäume, und diese hätten an Ort und Stelle nur einen Werth von 100 Rubel 387 Silber, *) so wäre der Werth des vorhandenen Holzbcstandcö in diesen Kronwäldern 5555 Millionen Nudel Silber. Fürwahr ein Capital, von dem die Zinsen zu heben schon der Mühe lohnte! Die gegenwärtige Bevölkerung in diesem nördlichen Lande ist auf die schmalen Streifen längs und an beiden Seiten aller großen und kleinen Flüsse zusammengedrängt, sie dehnt sich im Wesentlichen schon seit Jahrhunderten nicht weiter mehr auS. Schon zu den Zeiten der Republik Nowgorod finden wir hier überall eine russische Bevölkerung, wo wir sie jetzt sehen, und es möchten vielleicht nur einige kleine Nebenflüßchcn sein, wo sich in neueren Zeiten eigne neue Ansiedlungen gebildet hätten. Im Ganzen hat die Bevölkerung in neueren Zeiten kein erweitertes Territorium eingenommen, auf dem einmal wirklich angebauten Territorium hat sie jedoch allerdings zugenommen, ja sie ist im allgcml'inen gegenwärtig dicht genug, wic ich das bei der Beschreibung deß Gouvernements Wologda nachgewiesen habe. Von diesen schmalen Streifen längs den Flüssen hin benutzt die Bevölkerung die Wälder 10 bis 15 Werst tief hinein durch Barkcnbau, Holzstößen, die im Frühjahr beim großen Wasser daß Holz herab, meist nach Archangel zum Schiffbau:c. führen, durch Theer ^ und Pcchschwelcreien :c. Auf diese Weise werden also natürlich nur die Ränder der Wälder wirklich benutzt. Ins Innere der Wälder dringt nirgends die Holzaxt, nur einzelne Jäger durchstreifen ihr gcheimnißvolles Dunkel. Wic kommt dies, warum dehnt sich die doch jetzt jährlich zunehmende Bevölkerung nicht von beiden Seiten der Flüsse tiefer ins Land hinein aus, indem man Wälder ausrottete und neue Dörfer anlegte? —- Die Antwort ist einfach: weil dies im gegenwärtigen Augenblicke keinen Privatvortheil gewähren würde! ^ Wo kein Privatmchcn zu erwarten ist, da wird auch kein Privatmann etwas unternehmen!— Der Satz gilt überall, aber nirgend mehr als in Rußland! Der Nüsse sieht bei seinen Unternehmungen nur auf den *) In Deutschland wurde eine Dcssj. so herrlichm Lärchcnbcsiaudrö, wic ich ihn im Gouvcl'nnncnt Wologda gcschm, tinm Wcrth von wmi biö 50 Werst zu schwenden, wiirde zuvor einen Weg hinein nothwendig mache», der gebahnt werden müßte, um die gewonnenen Flüchte, Korn oder Flachs auö dem Walde zum Fluss« zu tranöpoXirm, und das ist zu mühevoll und tosibar, darmn geschieh» eö nicht. Ä50 viel nur immcr möglich, eine genaue Kenntniß des Innern dieser Wälder verschaffe. Das ist nicht ganz leicht, es sind nur Jäger, die in diese Walder dringen, meist Syrjancn. Diese kennen das Innere wohl, allein cS wird schwer sein, ihnen ihr Wissen abzufragen, und hierauf gegründet, einigermaßen richtige und instructive Karten auszuarbeiten. Zunächst würden dann wohl so viel möglich Wege und lange Durchhaue anzulegen sein. Hiedurch würde man Abtheilungen in den Wäldern gewinnen, die man dann bequem zu untersuchen vermöchte. Hatte man erst Wege, so würde man auch längs derselben Ansiedlungen bilden können. Daß solche Ansiedlungen möglich sind, zeigt sich daraus, weil wirklich cine Anzahl derselben, durch persönliche Noth hervorgerufen, existircn. Ungeachtet nämlich, wie oben angeführt, nicht zu hoffen ist, daß dergleichen Kolonisationen im Großen sich von selbst bilden, indem ein Privaiuntcrnchmcn der Art entweder gar keinen, oder doch nicht hinreichenden, und vielleicht auch mit zu viel Arbeit und Mühe zu erkaufenden Vortheil verspricht, so giebt es doch allerdings einige Ausnahmen. Eö giebt wirklich im Innern dieser Wälder einige Colonicn! ^ (5ö giebt nämlich im Norden viele Roskolniki, die sich aus leicht begreiflichen Ursachen gern der Aussicht der Behörden entziehen. Sie zerfallen in viele Secten, von denen manche Geld und die härteste Mühe und Arbeit nicht scheuen, um ungestört von der Polizei und in tiefer Verborgenheit ihr Wesen zu treiben. Diese haben hin und wieder im Innern der Wälder sich passende Stellen aufgesucht, den Wald weit umher niedergebrannt, ein Dors angelegt, und leben nun dort völlig abgeschieden von der übrigen Welt; die Wege zu ihnen sind nur einigen ihrer Glaubensgenossen bekannt. — Ich hörte unter anderm von einem solchen Dorfe in der Gegend von Usijug, welches 120 Werst tief in den Wald hinein liegt! Die Einwohner dieser Dörfer sind entweder den Behörden völlig unbekannt geblieben, oder sie sind in irgend einem Krondvrfe angeschrieben und bezahlen auch dort ihre Abgaben, erhalten dort ihre etwa nöthigen Pässe:c. Die Einwohner des Krondorfs verrathen die verborgenen Stellen ihrer Ansiedlungcn nicht, entweder aus Freundschaft und Mit- 390 leiden, oder aus Furcht, damit jme nicht etwa das Dorf an? zünden! Außer diesen, durch die Noth hervorgerlifenen, Kolonisationen giebt cS aber iu den Gouvernements Wiatka llnd Perm, nament-lich den südlichen Theilen derselben, nun auch schon wirklich eine Colonisation in den Wäldern, die ganz freinnllig geschieht, weil sie wirkliche reelle Vortheile bietet, und die uns eben zeigt, dasi sie in jenen nördlichen Theilen sich ebenfalls ausbildeil würde, wenn nur der reelle Vortheil überwiegend, und die zu überwindenden Schwierigkeiten nicht zu groß und zu kostbar wären. Hlcr im südlichen wiatkaschen und pcrmschcn Gouv. nämlich, findet sich oft ein junges, rüstiges Ehepaar, welches in den Wald zieht, dort eine Strecke desselben anzündet und niederbrennt. ...... Eö baut sich dann ein Haus, beginnt eine Wirthschaft, und bauet auf der niedergebrannten Strecke das erste Jahr Flachs, welches gewöhnlich eine ganz außerordentliche Ernte gewährt, von dnen Ertrag die Wirthschaft völlig zu Kräften kommt. Bald siedeln sich mehrere Familien neben ihnen an, und cö entstehen auf diese Weise neue Dörfer. Häusig bildet sich in einem solchen Dorfe auf ächt russische Weise ein alls ihre Lage im Walde :c. gegründeter gemeinsamer Industriezweig auS, so giebt es z. V. dergleichen Dörfer, wo nichts als Fcnstcrbcklcidungcn von allerhand Schnitzwerk, wic c5 als Verzierung der russischen Bauernhäuscr gebräuchlich ist, gearbeitet werden, die dann in großen Massen zum Jahrmarkt nach Nischni-Nowgorod gebracht werden. Eine solche neue Ansicdlung heißt Patschiniki — (Anfang). Sie gedeihen in der Regel vortrefflich, und erlangen meist einen großen Wohlstand. Zu bemerken ist dabei jedoch noch, daß die Ansiedler hier selten tief in den Wald eindringen, sondern meist an den Rändern bleiben, gewöhnlich liegen sie nicht über 10 Werst von den cultivirten Gegenden entfernt. Auch sind es meist Eichen- oder Laubholzwälder, welche sür den Anbau günstiger als Nadclholzwälder sind. Das hier Angeführte giebt den Fingerzeig, daß diese Art der Colonisations möglich ist, daß die entgegenstehenden Hindernisse zu überwinden sind, und daß Blüthe und Wohlstand sich dabei entwickeln könne. Die obigen Colonisationen haben sich ganz allein gebildet durch die eignen Kräfte der 29 l Kolonisten, ohne Beihülfe von irgend einer Seite, wie viel leichter müßten sich die Kolonisationen bilden, wenn das Gouvernement mit bedeutenden Hülfsmitteln zuträte? Die einzige wahre Schwierigkeit, die ich anerkennen möchte, wäre, daß es sehr schwer sein dürfte, tüchtige sich freiwillig Meldende Kolonisten zu finden. — Freiwillig werden die Leute aus einem mildern Klima, aus einem fruchtbareren Landstriche, nicht nach dem kalten Norden ziehen, wo der Boden nicht nachhaltig fruchtbar ist, wo es großer Mühe und Arbeit bedarf, um überhaupt Ackerboden zu erhalten, und dann ihn tragbar zu Machen, so lange sie noch in jenem mildern Klima sich erhallen können, oder die Aussicht ihnen offen bleibt, sich in den südlichen so sehr fruchtbaren Landstrichen Rußlands ansiedeln zu dürfen. Eine Anzahl Colonistcn würde man allerdings in diesen Nördlichen Gegenden selbst finden, da, wie gesagt, die Bevölkerung in den bereits seit lange bcbauctcn und bewohnten Gegenden ziemlich dicht ist. Da die oben genannten Noökolniki von der Noth gezwungen, auf eigene Gefahr und Kosten eine Kolonisation im Innern der Walder zu Stande gebracht haben, so würde der Ucberschuß der hiesigen Bevölkerung sich hiczu auch wohl willig finden lassen, wenn das Gouvernement Hülfen gewahrt oder Vorschüsse machte. Aber dieser Uebcrschuß der Bevölkerung ist doch lange nicht hinreichend, wenn man die Sache etwas im großen Maßstabe auöführcn wollte. Um dies zu können, würde ich am zweckmäßigsten erachten, wenn man einen Theil der Armee nach Beendigung der ersten 10 strengen Dicnstjahre dazu verwendete, die nöthigen großen Vorarbeiten zu beendigen, mit der Aussicht für diese Soldaten selbst, hier Zweckmäßig und gut dotirt angesiedelt zu werden. Der russische Soldat schied früher bei der 25jährigcn Dienstzeit völlig auö dem Volke aus. Die Erfahrung lehrte, daß er auch nach beendigter Dienstzeit selten in seine Hcimath zurückkehrte, dem früher auch manche Hindernisse entgegenstanden. Er blieb in den Städten, trieb allerhand kleine Geschäfte und kleine Dienste, ward Bedienter, Dwornik :c., fast nie ward er wieder Bauer. — Gegenwärtig wird der Soldat nach den ersten IN Jahren des strengen Dienstes, für die zweiten zehn 19' 302 Jahre in die Reserve gestellt. Er wird in seine Heimath entlassen, und nnr jährlich, oft auch nur erst in zwei Jahren, auf kurze Zeit zu Uebungen einberufen. Die letzten 5 Jahre sind kaum noch als eine Dienstzeit anzusehen. Wenn man nun z. B. die Soldaten nach den ersten 10 Jahren, statt sie in die Hcimath zu entlassen, zu den allerdings großen und langsam zu bewältigenden Arbeiten des Abräumcns, regelmäßig geleiteten Nicderbrcnnens :c. der für die Kolonien in den Wäldern bestimmten Landstriche verwendete, mit der Aussicht, daß sie diese Arbeiten eigentlich in ihrem eignen Interesse unternähmen, indem man sie etwa nach 0 Arbeitsjahren eben an den Orten ansiedelte, und als Colonisten ausstattete, die sie zur Colonisation tauglich gemacht hätten, so würde man viele staatßwirthschaftliche Vortheile mit einem Schlage gewinnen. Man hört in Rußland wohl die Klage, daß die Nccrutirung der Armee dem Ackerbaue und den Gewerben zu viele Hände und nothwendige Kräfte entzöge. In Westeuropa cMirt in Bezug aufAckerbau und die nothwendigen Gewerbe bereits ein Ueberfluß von arbeitenden Händen, die Necrutirung entzieht also nicht diesen die Kräfte, sondern absorbirt nur eine Anzahl Proletarier, sie bewirkt nach dieser Seite hin nur Gutes.— Durch eine solche oben angedeutete Colonisation würden nun die russischen Soldaten dem Ackerbau und den Gewerben zurückgegeben, und zwar in ihren besten Lebensjahren, etwa in der Mitte der Dreißiger, wo sie noch ganz dazu geeignet sind, tüchtige Familien zu bilden. Als Colonistcn würden sie sich im Durchschnitt vortrefflich arten, es giebt keinen tüchtigeren für alle Lebensvcrhältnisse brauchbareren Menschen, als die ausgebildeten russischen Soldaten! - Wenn sie sich in den 10 strengen Dienstjahren der Arbeiten des Landbaues auch etwas sollten entwöhnt haben, so würden dagegen die (i Jahre, wo sie zu den Vorarbeiten der Colonisation verwendet werden, dazu dienen, sie überall wieder an die schweren Arbeiten zu gewöhnen. ^ Der Militairdienst befreiet den Mann von der Leibeigenschaft, die Zahl der freien Familien würden daher in Nußland zunehmen. — Da die Söhne dieser Soldatencolonisten gesetzlich sämmtlich zum Mititairdienst verpflichtet sind, so würde sich aus den Nachkommen eine gute Landmiliz für Erhaltung der Ord- 293 Nung und für Nothfälle bilden lassen. Necrutirungen des Ncichs würden nicht bloß das staatswirthschaftlich Schädliche, sondern auch alles Harte verlieren. Der Soldatendienst winde eine Schule, einen Durchgangspunkt fürs Leben bilden, wo die Leute für ihre künftige Bestimmung die Schule einer strengen Disciplin und Ordnung durchgingen *). Würden auf diese Weise die Soldaten dem Ackerbau und den Gewerben zurückgegeben, Würden durch sie wieder Familien gebildet, so wären die Necrutirungen staatöwirthschaftlich gar nicht mehr schädlich, man könnte sie vielmehr dann noch sehr ausdehnen, und eine viel größere Zahl zu Soldaten ausheben. Es kann mir nicht einfallen, einen dctaillirten Plan zu einer solchen Colonisation hier zu geben oder überhaupt ausarbeiten zu wollen, dazu gehört unerläßlich die genaueste Detailkcnntmß, die mir natürlich abgeht. Doch will ich hier eine Idee geben, wie man etwa die Sache meiner Meinung nach angreifen könnte. Sie mag den Unbefangenen zeigen, dasi ein solcher oder ein ähnlicher Gedanke einer praktischen Ausführung fähig ist. Ich würde also vorschlagen, zunächst etwa 50 bis W Werst weit auseinander, von den Flüssen und deren bewohnten Ufern "us, grade Straßen in die Wälder hinein, jede 50 bis 00 Werst lang und etwa 100 Fuß breit, zu bahnen. Jedesmal nach !>> Werst brenne man 3 bis (i Quadratwerst deß Waldes an der neuen Straße nieder, und lege dort ein kleines Dorf von etwa l>0 bis 80 Häusern an. Es kämen sonach an jede Straße ') In Prcnßen ist die Organisation deö Militairwesexs dnrchaus nicht brüllend, und im Grosicn betrachtet den siaatsN'irlhschaftlichm Lebeilövelha'lt-nissen der Kation nicht schädlich. (5ö isi fast sm' Icdcrmaüü hnlsmn, daß «,'»,' einige Jahre Soldat ist i rr lnnt gchorchm, gewöhnt sich m, Pimtt-lichtnl lind Ordmmg, sein Verstand wird mehr ausgtt'ildet, sein (5l)i-s>efnhl geweckt. Dn nachhmgc Landwchrbn'ust hat seine UnbelMMlich-teitni fiir Ackerleute und ^ewcrbrtreilende, doch ist der Schaden nicht grusi! Durch dieseö Sysicm ist Püiifu» iin Sland»-, eine dopp^ll ft starli' Militairniacht im Verhaltmsi der ^oltszahl als Nusilaod, aufzl,snlle>,. llnd ini Vivlniltnif! ilner Tüchtigknt nnd Schlaqferli,si>tt laun sich die preu» !^s,I^' Ärinl'e »ut ,l^v li,iDnn „»essen, und losw von nllen Armeen am wnuMn! — Wlinull solllc ui Rnßland nicht nuc analoge Orgaul' s"Uun möglich ftin^ Ich deute sie ol'eu a»! 5W4 etwa 4 Dörfer zu liegen. DaS auf dem Grund und Boden der Straßen abgeräumte Holz wird zum Bau der Straße selbst und zwar in dcr Art benutzt, daß anf der einen Seite derselben eine Holzbahn mit Holz schienen in der Weise, wie es deren viele in Nordamerika und Oesterreich giebt, angelegt wird, wodurch der Verkehr der 4 an der Straße liegenden Dörfer mit der bewohnten Gegend und dem Flusse begründet und erleichtert würde. Sobald diese ersten Straßen beendet, und die daran liegenden Dörfer völlig consolidirt sind, was, meiner Meinung nach, etwa nach 5 Jahren zu erwarten wäre, beginnt eine zweite Operation. Nämlich alsdann sollten in derselben Weise Querstraßen von jedem Dorfe an der schon angelegten Straße, nach dem gegenüberliegenden Dorfe dcr nächsten Straße, gebauet, und abermals jedesmal nach !5 Werst eine Strecke von zwei Quadratwerst Waldes niedergebrannt und ein Dorf darauf angelegt werden. Es wäre auf diese Weise der Nand des Waldes rund um, <»0 Werst tief, der Bemchung geöffnet, indem Vierecke gebildet wären, jedes 17> Werst lang und 00 Werst breit, im Ganzen also etwa KO ^Meilen grosi. In welcher Weise und mit welcher Energie dcr auf diese Weise geöffnete Wald benutzt werden soll, das rann man ruhig 5er Zeit überlassen. Holz ist ein Material, daß für so viele Bedürfnisse nothwendig und nützlich ist, und das so mannigfachen Industriezweigen den Stoff gewährt, daß man diese Frage nicht weiter zu erörtern braucht. Daß demnach diese neuen Colonien blühen werden, ist auch nicht im mindesten zweifelhaft. Eine weitere Fortsetzung dieser Colonisation immer tiefer in den Wald hinein, wenn die Bevölkerung steigt, die Bedürfnisse der Krone größer werden, und der Verkehr und die Absatzwege sich vermehren, kann man ebenfalls der Zeit überlassen. Daß die Benutzung dieser Wälder mit der Zeit für die Bedürfnisse der Krone und für die Finanzen unermeßliche Vortheile gewahren würde, ist ebenfalls nicht zweifelhaft. Das auf die Colonisation verwendete Capital würde sich gar bald wieder gewinnen lassen! ES fragt sich nun abcr um die Ausführung. Hiczu gehört :>. ein die Ausfühnmg leitendes Bcamtenpcrsonal, nachdem 205, zuvor das Local überall untersucht und Plänc festgestellt sind; l>. Geld; <:. Arbeiter; cl. l5olouistcn. Die Untersuchung an Ort und Stelle ul,d die Feststellung der Pläne müßte tüchtigen Forstbeamten unter einer obersten Leitung anvertraut werden. Wegen der nöthigen Geldcapitalien kann Rußland nicht ver-legen sein, sobald es sich darum handelt, wesentliche und ren-tuende Verbesserungen vorzunehmen. Arbeiter und Kolonisten liefert, außer den beuten, welche aus dem Ueberschusi der dortigen Bevölkerung sich finden möch ten, vorzugsweise die Armee, wenn mcin Vorschlag über deren cheilwcisc Cownisirung genehmigt würde. Auf andere Weise smd sie für jene Gegenden allerdings nicht in hinreichender Al^ zahl zu haben. Ich vermag hier weder einen Kostenanschlag auszuarbeiten, Noch zu bestimmen, in wie langer oder kurzer Zeit solche Unter, nehmungen zu beendigen sein möchten, dazu gehören, wie gesagt, genaue Untersuchungen an Ort und Stelle. Das Folgende mag daher nur dazu dicncn, die allgemeine Idee der Sache aufzufassen, und eine Anregung zu geben, die Sache gründlich zu untersuchen und von Leuten vom Fach Vorschläge und Plane für bestimmte Localiiäten ausarbeiten zu lassen. Ich will also annehmen, man stellte 10,000 arbeitende Sol' d«ten für das Unternehmen zur Disposition, so könnte man ctwa 10 Straßen zu gleicher Zeit in Angriff nehmen. Nach-dcm man die Linie dcr aufzuräumenden Straße bezeichnet hat, vertheilt man die dafür bestimmten 1000 Mann auf derselben. Um eine Straße von >Mlnrrt wild, wird den Bau von 'M) Häusern durch l000 Man» nicht sin eine große Arbeit orachlcn. In gleicher Zeit 29crhin,Pt im Gnmdc wcnig odcr nichts grl'osttt, wcmi mau bcdcukt, dcisi mir drr m>. g'-zu^l, si„d. Dcv Rcst wild Mc>, jchl vrizinftt, und allmählich al^- 295! nur sehr langsam weiter schreiten darf, daß man die Holz-indlistne nicht zn rasch anfangen, daß man den Markt mit -Waldprrdlicten nicht überführen darf:c. versteht sich von selbst"). ') Ich liußl'vtr die >,'orstehendrn Gedliillrn gegen einen russischen StalUsm^n» erst mündlich, später ii»luquc oelui dc Mr. d« II. öchouo-riiil insaillihlemenl conlro rcxlroniu rigueur du clininl, la disli-ciille do ho ponrvoir de provisions de bouche Kusfisnntes, les ('■nianalions iiiorbifiquos dos sondriöres et des inarais qui alion-dciil dans res foiets etc., causes dislruclrices qni no inanqiii1-raierit pas d'enlever los 2/3 dos ouvrieru a einployor !\u\ travaux dont il s'agit. II y a plus. La colonisation inoine duvrail sc lairc par contrainle- Or Mr. de If. a Irop eu l'occasion de so ponotrer do 1'ospril palernel du Gouvernement nisse, quoi qifon disent sos dolraclours, pour nc pas compreridro combion de tellos tnoiisiiies doivenl lui ropu^nor; car janiais nous en ap-pollons au lonioignago des fails, co (iouverrieinonl laut d'oerio n'a songö n clablir de nouvelles colonies do vive Cone. Lo toi sous ce degre de latitude cst loin, Lion loin (P^tre aussi fertile ([ue ne lo ponse Mr. dc II. l/a^riculluro y est plutöl dans im elat precaire, osl il en resulle que le rajiporl des pro-duits agricoles sorail loin aussi do compenser, avec la pronip-lilude qu'il admel, les frais immense« de la colonisation." Dit hier gemachten Cinwülse ge^r» »lciiiul ^l'lschl»^ sind, wie mir schrillt, dmch das Verstehend« gli,'siteü!heils l'estiligt. I„ fiinnizicller Hi>,-sichl bin ich überzeugt, das, sein Sch^deü, vielmehr raller Vortheil sich hrlallüsllllen wird. kö ,ibcr d,r Zeit iil'erkissen, d«,s, sich dou selbst all->i>'U'l,^>> d,< (
      ,'ni^tio,l linodrhne, »em widersprich» der doch^üdenr Zusind i die (iolmiWi!,'!! H.U sich hier seit Icihlhlinterlen »icht liiiij^e. tehil», uüd wird sich >utf Pm^lw'^m „ic auvtehncn! Äbn daö ist w»chr, 2W Nur der Gedanke, lvie ich ihn hicr aufgedrückt habe, hat etwas Auffallendes, ja Abenteuerliches, weil er ein ganzes Bild eines künftigen Zustandes hinstellt, bei einer allmählichen und langsamen Ausführung fällt alles Abenteuerliche von selbst fort! Wie im Norden eine Colonisation für Nußland als ein Bedürfniß erscheint, im hicr eine tüchtige, kräftige Bevölkerung zu gewinnen, um durch sie die unermeßlichen Schätze der Wälder slch zur Benutzung zu eröffnen, eben so erscheint es für Rußland von gleicher vorzüglich politischer Nothwendigkeit, die Stcp-Prnländer des Südens allmählich vollständig anzubauen und zu bevölkern. Die ungeheuren Ebenen, welche sich von China bis zu den daß die Strenge des Klimas, dic Ungrsundhcil einiger Landstriche, Eümpsr und Moräste dem Anbaue und der Kolonisation unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzen fönnen; allein uuter lO,0UU s^Meilm wird cs auch viele gesunde und fruchtbare Landstriche geben. Das ist eben eine der Aufgaben, die ich auch oben bezeichnet habe, durch genaue Lokalunter-suchungen die geeigneten Landstriche auszusuchen. Als solche möchten z. B. wohl viele Gegenden von beiden Ufern der Suchona ins Laud hinein zu bezeichnen scin. In gesunden Gegenden aber wird die Arbeit den colonisircndcn Soldaten nicht verderben, das laiche jUima allein ist nie der Gesundheit schädlich! — DaS russische Gouvernement zwingt allerdings die Fronbauern nicht zur ssolouisalion, doch duldet es, daß die gutsherrlichen Bauern dazu gezwungen werben. Hier handelt es sich abcr zunächst um die Kolonisation von Soldaten, und da zeigen ja dir Militairrolonien dm Weg! Ich halte die Colonisation auch gradrzn füi eine Wohlthat, die man den Soldaten erweis't. Die Colonisation von Soldaten ist schon sehr nlt, schon die Kaiserin Anna siedelte N:jü vrrabschictetc Soldaten im tasanschm Hmivernemeut und an der Wolga, nicht unit von Zarizin, an; l?62 befahl ein Nfaö, dergleichen auch in anderen Gegenden anzusiedeln, die Ukase vom 4. Juli und 22. August 1763 reguliltm die Verhältnisse übel das zuzuweisende Land, 1765 179!) und 1^0N erschienen abermals Verordnungen. Diese Soldaten-colonien sollen überall blühend gewordm stin!— Man brauchte ubr,.;n,ü auch Niemand zu zwingen, man brauchte nur aufzufordern, wer freiwillig «ach dr» ersten ll) Dirnstiahren sich der Kolonisation anschließen wolle, es winde sich eine hinreichende Zahl melden! 300 Karpathen zwei tausend Meilen weit ziehen, werden von dcn Europäern unter dem allgemeinen Namen: die Steppen *) zu-sammen gefaßt. — Wir übergehen hier die asiatischen Steppen, ungeachtet ein Theil derselben in Sibirien unter Rußlands Botmäßigkeit sieht, und betrachten nur die europäischen zwischen dem Uralsk und den Karpathen liegenden Steppen, die übrigens wohl kaum den fünften Theil so groß sein möchten, wie die asiatischen. Der Umfang und die Grenzen des Landstrichs, der den Namen der europäischen Steppen führt, sind sehr unbestimmt. Der Volksgcbrauch nennt außer dcn unzweifelhaft so benannten Landstrichen auch noch die südlichen Theile der Gouvernements Njasan, Tula, Orell, so wie das Gouvernement Kursk und die nördlichen Theile der Gouvernements Tambow, Woronesch, Charkow und Pultawa, Steppenländcr, ungeachtet dieselben seit langen Zeiten völlig angebauet und bevölkert durchaus den ächten Charakter der Steppen (wenn sie ihn bei ihrer nicht unbedeutenden Bewaldung jemals gehabt) längst verloren haben. Herrn v. d. Brinkcn in dem angeführten Werke gebührt das Verdienst, die Grenzen der ächten Steppe geographisch und geognostisch festgestellt zu haben. Er giebt die charakteristischen Merkmale an, und fügt seinem Werke eine kleine Charte bei, auf welcher die Grenzen angegeben sind. Sie beginnen hiernach in dem Winkel, den Pruth lind Donau bei ihrem Ausflüsse ins Meer mit diesem bilden, ziehen sich durch Bcfsarabien bei Kischcnew durch eine kleine (5ckc Podoliens und KiewS auf Kremtschug, einen kleinen Theil des Gouvernements Pultawa, ') Vci dcn hier cmgcgl'ln'ttm Notizm iibrr die Slcppc» und ihrc Verhältnisse hdbe ich, außer bcn eigmcn Mschammgcü, A^'dachtlMHm imd ,iit den v-l'schn'dl'um Ortm selbst sscsammcltcn M.unmlicn drsoildnS bcnichl: „Msichlrn ül>«' die Bowaldimg drr Stcppm dcs Hliropciischm Nusilandö von I. l'. d. Viinlnl, ^nninschwcici l8.'!3." Ein sehr gnmdlichcs, biö icht zn wrnig lnachttt^ B»ch. Fniur: „Ncism in SublüßllNid r»n I. Kohl, Dn'ödm <84I," in dessm zw.ilem Thcilc sich eine mcisinh>,s,d cndlich cinln v^'ltreff-lichtn Aussatz iilnr tic Ellppc» Mßlandö, wcllhcr sich i», Il)!N!wl dcs lusslschcn Miilisiniums, Ianli^rhcfl !!^43, lxsmdct. 301 dann nahe oberhalb der Stadt Charkow her, den größeren Theil der Gouvernements Charkow und Woronesch durchziehend, ins Gouvernement Tambow, dicht bei der Stadt Tambow her, mehr als '/« des Gouvernements Ssaratow abschneidend, nnd so auf den Uralsk oder Iaik zulaufend, der die europäischen von den asiatischen Steppen scheidet. Vom Ausflüsse des Iaik bildet das kaßpischc Meer bis zum Einfluß des Tercck die Grenze, dann läuft sie längs dem Fuße des Kaukasus her bis ans schwarze Meer, wo dann wieder dessen Ufer bis zum Ausflüsse der Donau die Grenze bildet, mit Ausnahme des südlichen oder gebirgigen Theils der Krimm *). - Diese Linien umfassen ein Land von mehr als 21,000 ^Meilen. In geognosiischer Hinsicht zerfallt die Steppe in 5 Abthei- ") l'. d. Brmkcn l!U!»cuts, die dlizu gchijren, mif folgende Wcisc: G o u v c r n e «> e n t ö. ! Stcppmflächc 1. Astrachan.......... H. Land am Don........ A. Ssarmow.......... 4, Kaukasit!,...... ... 5. Orenburg.......... 6. sshelsun.......... 7. Iekatermoslaw........ 8. Wuroncsch.......... 9. Tauricn.......... 10. Nharkow.......... 11. Besscirabim......... 12. Tambow.......... 13. Pultawa.......... 14. Kitw........... 15. Pobolien.......... ^8!) 9 3U11 25«« 1600 1273 1152 1U05 965 50I 4«0 355 270 262 233 !>ili»i».'l . . . 21,445 Die vorskhmbc Vnechinnlg ist jedoch wohl nur mmähcrmd richti.,, indem die Grösic bei russischm Goli^crin'mmts noch nicht hinreichend festgestellt ist. .^02 lungcn oder Forlnalioncn. Im Westen tritt in Bessarabien, Podolicn lmd eincin kleinen Theile von Kherson die Formation des Tcrtiärkalks auf. Im Norden, die Stcppentheilc der Gouvernements Charkow, Woronesch, Tambow und einen Theil des donschen Landes und des Gouvernements Ssaratow umfassend, ist die geognostische Grundlage die Kreide. Südlich bricht ein Granilrückcn von den Karpathen ans durch, und bildet in einem langen und breiten Gürtel um das schwarze und asowsche Meev, bis zum Kaukasus hin, cine Granitfor-mation. Südöstlich liegt die Schlammsteppc längs dem Kuban und Tercck, und östlich vom Don bis zum Imk die Salzsteppc. Die A ersten Formationen licgen bedeutend höher über drin Niveau der Meere, als die Salz- und Schlammsteppc. Diese beiden letzten sind nach Pallas offenbar Meeresboden, der in alttn Zeiten das kaspischc mit dem schwarzen Meere verbunden haben mag, eine dc'r letzten Landformationen! Jene '^ ersten Formationen sind überall mit einer mehr oder weniger starken fruchtbaren Humusdecke überzogen. Die Schlammsteppc ist durchgängig, wo sie nicht zu morastig ist, außerordentlich fruchtbar. In der Salzsteppe wechselt Sand mit salzreichem Thon ab, die Humusdecke ist meist dünn, im Ganzen ist der Bodm nicht sehr fruchtbar, doch ist die Fruchtbarkeit durch <5ulmr hervorzurufen und einigermaßen zu erhöhen. Das Eigenthümliche aller Steppen ist mcht die Bodenmischung, sondern die Vegetation. Während im Norden Nußlands aller Boden sich von selbst sogleich mit Büschen und Bäumen bedeckt, schlägt der Boden der Steppe überall gleich zu Gras und Krautern aus, und bildet von selbst niemals Wälder. In der Waldlosigkeit besteht in ethnographischer Beziehung der Charakter der Steppen! Die Salzsteppc ist in Folge der abgelegenen geographischen Lage und der physischen Beschaffenheit in diesem Augenblicke und wohl noch auf lange Zeit für Nußland und die civilisirte Welt von geringer Bedeutung. Zu ihrem stärkeren Anbaue und ihrer Bevölkerung drängt bis jetzt keine Nothwendigkeit. Wir lassen sie daher im Allgemeinen außer dem Bereiche unserer Betrachtung. Wir haben es hier zunächst mit den pon-tischcn Steppen, den Steppen oberhalb des schwarzen und asow- schen Meeres, zwischen den Karpalhe» und den, Don ^« naden-völker gewesen. Die asiatischen Steppen sind dies auch noch im gegenwärtigen Augenblicke. - Die Stcppcn waren einst die Straße, auf welcher AsienS Völker nach Europa zogen, vielleicht zuerst sich ansiedelnd, wie die Germanen und Slaven, später in historischer Zeit erobernd, verheerend und plündernd, wie die Hunnen und Mongolen. Die pontischcn Steppen waren die letzte Station auf dieser langen Straße, sie waren in vieler Beziehung, sowohl in Bezug auf ihre physische Beschaffenheit, als ihre geographische !?age und ihre örtliche Stellung zur civilisirten Welt, der interessanteste Theil aller Steppcn. Schon in der mythischen Zeit »raren die Küsten der pon-tischen Steppen den Griechen bekannt, cä bestanden uralte, wenig gekannte religiöse Beziehungen nut dem Innern derselben und deren Eiwohm'rn (Skythen und Hyperboreer). I» welcher Zeit die griechischen Kolonien an den pontischcn Küsten und sogar zum kleineren Theil tief im Innern des Landes (Budinen — Grlonen) entstanden, ist unbekannt. — Später faßten auch die Römer wenigstens die Küsten ins Auge; ihnen gegenüber bildete sich die Macht des bosphorischen Reichs und der chcrsonrsischcn Republik aus. Dic byzantinischen Kaiser waren lange Herren eines Theils der Küsten. Von ihnen übernahmen die Genucsen dieselben, von deren Macht noch stolze Nuincn zeugen. Die Mongolen durchzogcn die Steppe nur, dic Tataren stifteten aber auf der Südküstc cm Reich, und beherrschten von hier aus lose ihre nomadischen Brüder in der Steppe. Dic Türken und Polen kämpfte» um die westlichen Ränder der Steppe. Aber alle Beziehungen der europäischen Völker und Staaten zu diesen Landstrichen hatten im Grunde nur eine commerziclle Bedeutung, die von Küsienpunkten aus, welche von civilisirtcn Wölkern angelegt waren, nach dem Innern hin unterhalten wurden. In dies Innere aber drang die Zivilisation nie, es blieb nach wie vor das grüne Meer für jene hin- und her-wogenden Nomadenstämme. Die Erschließung dieses Innern, 304 das Hereinziehen auch dieser unbewohnten Landstriche ,'n die Wirbel der Civilisation blieb den 3ü,ssen vorbehalten. Früher hatte man von Süden, vom Meer aus, versucht, ins Land einzudringen. Die Nüssen kamen aber von Norden. Icnc suchten vom Meere aus, auf friedlichem Wege, sich das Innere, aber vergebens, zu erschließen, die Russen wurden von den Nomaden der Steppe beunruhigt und angegriffen, und sahen sich in Folge dcr Vertheidigung *) gezwungen, das Land zu erobern. Daß diese Eroberung aber nicht eine flüchtige blieb, wie in ältesten Zeiten die des Darius, wie in spätern die der Mongolen war, wo dic Fußstapfcn der Eroberer, augenblicklich vom rasch überwuchernden Grase verschlungen, spurlos verschwanden, daß diese Eroberung zugleich eine ständige Cultivirung und Bevölkerung der Steppe geworden ist, das haben die Nüssen zunächst den Kosaken zu verdanke», welche durch ihr Dasein zeigten, daß es wirklich einen Ucbcrgang vom Nomadenleben zur Ansässigkeit giebt. Fast gleichzeitig hatten sich Vertriebene, Läuflinge, Abcn-teucrsuchende aus den beiden russischen Stämmen der Klein-und der Großrussen in die Steppe eingekeilt. Die Kleinrussen kamen von Nordwest, und sudelten sich längs dem Dnjepr an, dort die berühmte Sctschna der zaporagcr Kosaken stiftend. Die Großrusscn kamen von Nordost, bildeten auf gleiche Weise am Don die Ansicdlung der — donschen Kosaken. Diese Kric-gercolonisten, diese Ackerbauer und Hirten mit militairischer Verfassung, diese Ackerbauer mit nomadischen Sitten (wie sie Kohl a. a. D. nennt) waren ganz dazu gemacht, die ersten Keime fester Cultur in die Steppe zu bringen. Im Norden dcr Steppe hatte sich seit dem 10. Sec. Nußland consolidirt, beide Kosakensiämmc wurden allmählich vom russischen Staate abhängig, aber die Steppe zwischen ihnen war doch uoch fast zwei Jahrhunderte die Wiese der freien Nomaden, und zugleich der Tummelplatz ewiger Kämpfe zwischen den Türken und Nüssen, zwischen den Kosaken und Tataren, ') Noch lmll'l- dcr ^laiftliil Elistil'clh fm'chlclc mmi sich in Moskau v»r cnmn MbrrMc dcr Tatarm! 305 die ein Reich in der Krimm gestiftet, und von hier aus unaufhörlich dm'ch die Steppe brachen, und Polen und Nußland an-griffen. Unter Peter I. gelang es Nußland zuerst, das südliche Meer erobernd zu erreichen. Nußland hatte Kasan und Astrachan er-obert. AlS Peter I. sich nun am asowschen Meere festgesetzt hatte, waren die pontischen Steppen und die Tataren der Krimm von den östlichen Steppen gänzlich abgeschnitten, aus denen sie sich früher stets regencrircn konnten. Bon da an binnen einem Jahrhunderte siel die ganze Steppe und mit ihr die ganze Nordküste des schwarzen Meeres Rußland zu wie eine reife Frucht. Die zukünftige welthistorische Bedeutung der pontischen Landstriche für die civilisirte Welt Europas besteht, wie ich meine, im Folgenden. — Es wird eine Zeit eintreten, wo der größte Theil des civilisirten Europa übervölkert, ohne Kornzufuhrcn seine betriebsamen Einwohner nicht mehr ernähren kann. Dann werden ihm zunächst zwei Kornkammern zu Gebote und Hülfe stehen, Nordamerika und das ^and der schwarzen Erde im mittlern und südlichen Rußland. Hier in diesem letztem liegen (incl. der noch nicht angebaueten Steppen theile mit trefflichem Boden) 20 biö 25,000 H> Meilen des fruchtbarsten Bodens der Erde, wenig bevölkert, und auch ohne Aussicht im nächsten Jahrhundert bevölkert zu werden. (Es giebt hier Hindernisse, die dies fast unmöglich machen.) Hier werden sich unermeßliche Kornmagazine für Europa bilden, wenn die (5ommunications-Mittel durch die Steppe erst dergestalt organisirt sind, daß die Vorräthc zu jeder Iahrszeit und ohne zu großen Zeit- und Kostenaufwand die Hafen des schwarzen und asowschen MeerS erreichen können. Wenn sich hier dann erst ein großartiger Handel organisirt und befestigt (von dem ja bereits gegenwärtig Wehr als ein Anfang existirt), so werden sich noch andere Handelszweige und Handelsverbindungen hinzu finden. Es konnten sich von hier aus Handclswegc nach den mittleren Theilen Asiens ausbilden, ja wären die oben angedeuteten sibirischen Eommunicationen angemessen organisirt, ware der Don und die Wolga durch einen (5aual oder eine Eisenbahn ver-bllndcn, so könnte selbst ein Theil des chinesischen Handels den Weg zum schwarzen Meere und so weitev suchen. 2« 30« Eine unermeßliche und unmittelbare Bedeutung haben aber diese Landstriche für Nußland selbst! Das, was sie schon gegenwärtig für Rußland sind, läßt ahnen, was sie künftig sein werden! Ein Blick auf die Karte Rußlands kann uns dies leicht zeigen. Nordrusiland oder die Region der Wälder führt seine Prvducte theils dem Nordmecre (Archangel) zu, theils und in größerem Maße auf den nördlichen und nordöstlichen Zuflüssen der Wolga, diesem mächtigen Strome, der sie dann wieder zum Theil seinen nördlichen Anwohnern, zum Theil weiter durch die Canalsysteme Petersburg und der Ostsee, zum Theil endlich den Strom hinabwärts, dessen südlich anliegenden Landstrichen zuführt. Die gewerbstcißigen Gegenden Mittelrußlands bringen ihre Productc überall auf die Wolga, die Hauptlcbcnßadcr Rußlands, und hier finden sic hinabwärts bis über daö kaspischc Meer, hinaufwärts durch die Kanäle im baltischen Meere ihre Abnahme. Die fruchtbaren Landstriche an der Wolga und deren südlichen Zuflüssen bringen ihre Bodenfrüchtc auf dieser Wasserstraße, versorgen die weniger fruchtbaren und gewerblichen Di-stricte, und schicken den Uebersluß nach Astrachan und Petersburg. Nun liegt aber ein ungeheurer Landsirich dcs allerfruchtbarsteu Bodens in einer Linie unterhalb Pensa bis Kiew, dessen sämmtliche Ströme nicht mehr dem Norden oder Osten, oder der Wolga und dem baltischen Meere, sondern nach Südcn, dem schwarzen Meere zufließen. Für diese vielleicht tt bis 10,000 ^Meilen umfassende Landstriche ist demnach das schwarze Meer der einzige natürliche Ab^ zugsweg für die Producte dieses Landes. So lange Rußland nun die Küsten des schwarzen Meeres und die Steppen nicht besaß, konnten diese trefflichen Landstriche nicht gedeihen, sie mußten gewissermaßen in ihrem eignen Fette ersticken. Ihre Bebauung und Bevölkerung hat daher auch erst angefangen, bedeutend fortzuschreiten, nachdem Rußland im unangefochtenen Besitze der Südküsten ist. Aber nicht bloß für die russischen Binnenländer stnd diese Häfen an der Südküstc von unberechenbarem (5instuß, auch für die polnischen Provinzen, und selbst für Ost-galizicn sind sie die Mofuhrpunktc geworden. Alle diese Länder hatten ehemals keine anderen Wege für den Absatz ihrer 307 Bodenproducte, als die weiten Wege zu den Häfen der Ostsee. Ehemals, ja noch vor 00 Jahren, ging alles Getreide nach Danzig, Königsberg und Memel, gegenwärtig nach Odessa! Nußland hat bereits große Anstrengungen gemacht, auf den Südküstcn einen blühenden Handel zu consolidiren, und die darüber liegenden Steppen zu cultivircn und zu bevölkern. Das Erstere ist ihm bereits in einem überraschenden Maße und binnen der kurzen Zeit von kaum ,„ Imixnil dcs Mini sicriums dco Iuinri, spricht dicö undnhohle» aus. .U1 allen aus. Die Städte der innern Krimm, in denen sie sehr verbreitet sind, haben nnr dnrch sie einige städtische Bedeutung, würden sonst wohl elende Auls der Tataren geblieben sein. In allen diesen Städten ist es jedoch nur der Handel, und zwar eigentlich nur, der auswärtige, dem sie ihre Blüthe verdanken, und auf dem ihr gegenwärtiger Wohlstand beruht. Das Handwcrköwescn, sonst überall ein so charakteristischer Bestandtheil des Sladtlrbens, tritt in den Städten Südrußlands ganz in den Hintergrund. Dort, wo sich Städte in Europa ruhig und langsam, naturgemäß aus sich selbst entwickelt haben, ist nicht der Handel, sondern daS Handwcrkslcben die Grundlage gewesen! Der Handel hat etwas Aristokratisches, man kann ihn eher ein Spiel, als eine Mühe und Arbeit nennen. In jenen alt europäischen Städten bildet daher der Handwerkerstand die breite Basis der städtischen Bevölkerung, der Name Handwerker ist im Sprachgebrauche daher fast gleichbedeutend mit Bürger, der Kalifmannsstand bildet nur die höhere, wenig zahlreiche Bewohnerclasse der Städte, nicht ihre Basis. Hier in Südrußland ist dies anders. Ein Handwerkerstand, wie in den germanischen und romanischen Städten, cristirt hier säst gar nicht, nur in Odessa hat das Gouvernement Zünfte eingerichtet; von selbst wären sie wohl nicht hervorgcwachsen*). — ") Icnrr Aufsatz im Journal des Ministeriums des Iunern, dein obige Notizen entnommen smd, bemcrtl hiel'ei: Nach dem Berichte des Hriegs-gouvcrneur« zu Odessa gab es 1^4! dasilbsi 3l» vom Gouvernement angeordnete Zünfte mit 1N35 Meister» und 3752 Gesellen. Wenn man hiczu nn» auch die Familien mitrechnet, so betrug der HandwerlSsianb in Tdrssa doch nur V« der Bevölksriiua.! — In der Gmwnnements-stadt I^fatcrinoslaw ciistirten nach dem Berichte der OlMom!^ tt Zünflc mit 240 Mriskru, 1 «cftllc» (!), 47 Aideilcr!, „nd 26 Lehrlingen. In drr Stadt NowomuSkuwsk gab cs 3 Zünfte, die brr Schiuibrr, Schuster und Schmiede. In Tnaöpol gab cö bei einer Bevölkerung von lill!j»> Köpfen nur Ä Schneider, 2 Schuster und .'! Schuhssicker mit !> «escllen. In Karassu-Basal wa,,!, bei 1?,000 ilöpfeu Veoolfcrung 244 Hand-welker, McisU'r und b>csclleu. — Ich lü'in.'ite hicbei nur, waS ich fchun mehliualS angesührl !ial,'c, daß das ^erinanijch-roiuanische Zunftweftn de», (dcn haben wird. -^ Doch ist r6 .lI2 Aber auch ein eigentliches und mächtiges Fabriklcbcn hat sich hier in den Städten Südrußlands überhaupt bis jetzt nicht entwickelt. Nur in den großen Hafenstädten, wo die allgcmcine Thätigkeit durch die starke Bevölkerung angespornt wird, giebt es einige Fabriken, jedoch vcrhältnißmäßig nur wenige. In Kertsch z. B. cxistiren nur drei nicht sehr bedeutende. Cine merkwürdige Ausnahme macht der tatarische Flecken Karassu-Basar, wo sich !)7 kleine Fabriken mit 377 Arbeitern befinden. Von den 58 Städten Ncmußlands (Bessarabim nicht eingerechnet) hatten 35 keine Fabriken, in 23 aber waren 478 Fabriken mit 4024 Arbeitern. Wie schwach diese Fabriken im Betriebe stehen, sieht man aus der geringen Zahl der Arbeiter. Nimmt man Odessa mit 00 Fabriken und W3 Arbeitern und Taganrog mit 44 Fabriken und 390 Arbeitern ab, so arbeiten in jeder der übrigen Fabriken durchschnittlich etwa 7 Arbeiter. Daß diese Fabriken nur den gröberen Bedürfnissen des Lebens genügen, mag das Verzcichniß der in der glänzenden Stadt Odessa vorhandenen zeigen. Es waren hicr 1841: Dach-zicgeleien 8, Zicgclsteinhütten 0, Lichtcrfabrikcn 4, Talgsicde-reien5, Gerbereien 3, Seifensiedereien 2, Pchfnbrikcn U, Parik-fabriken 3 (?), Macaronifabriken 5, Hutfabriken 2, Wollfärbercien 2, Seiler-Reberbahncn 3, Tabacksfabrikcn 1, Brantwcinbrenne-reien l, Bierbrauereien 1, Gußeisen Fabriken 3. VondenFabrica-tcn dieser Fabriken werden nur Lcder und Seile zum Verkehr mit dem Auölande, namentlich nach Konsiantinovel, gestellt, alles Uebrigc befriedigt nur die Bedürfnisse von Odessa selbst! — Von Tuchfabriken cxisiiren nur die von mir selbst oben beschriebene in Ickatcrinoslaw und eine in Simpheropol. Die Städte Neurußlands erfüllen daher ihre Bestimmung, die Mittelpunkte des innern und äußern Verkehrs, des Austausches von Arbeiten, Capitalien und Vortheilen für daö umgebende Land zu sein, noch keineswegs. Ja daß selbst der äußere Handel noch nicht auf der Höhe drr Zeit steht, darüber führt auffallend. daß auch hin m wi Hafmsiäblm, wo cmr frcmlc Vcvöl-tening vorherrscht, taö HlNidwcrlslcbm mcht miMihm will. 3l3 Kohl a. a. O. ein entscheidendes Zeichen an. Ein Theil der podo-lischen Gutsbesitzer halt nämlich eigene Lagerungen seines Weizens in Odessa, und handelt unmittelbar mit dcn Schifföcafti-tainen, ohne Dazwischcnkunft der odessacr Kaufmannschaft. Auch der Kramhandel ist gering. Viele Städte (22) habe», gar keine offene Lade». Karassu-Basar zeichnet sich auch hicbei aus, es besitzt 914 offene Läden, allein der ganze Umsatz betrug hier 1835 doch nur 300,00« Rubel Banco. Die Tatarcnstadt Bachtschiscrai hatte 342 Läden, Odessa 713, Taganrog 420. Asse Städte haben Jahrmärkte, aber wie unbedeutend sie sein mögen, zeigt der von Odessa, der lediglich für den innern Handel bestimmt ist. 1tt41 betrug der Werth aller darauf zum Verkauf ausgestellten Waaren nur 1,1!)l,500 Rubel Banco, verkauft aber wurden nur für 173,400 Rubel Banco. Wenn die Seestädte lediglich durch ihren mächtigen Handel blühen, so bleibt den Steppenstädten, die weder innern noch äußern Handel, weder Handwerks- noch Fabriksleben haben, nichts anders zur Fristung ihrer Existenz übrig, als die Landwirthschaft. Hiezu besitzen sie nun auch hinreichend Ländereien, und sie treiben dcn Ackerbau, wie ich schon mehrmals beschrieben habe, in ganz vagabundirender Weise. Viele dieser Städte führen auch nur dcn Namen der Städte. Aleschki, Orechow, Slavenoserbsk, Nowomoökowsk werden zu mehr als der Hälfte von Kronbauern bewohnt, die gar nicht zum Bürgerstande übertreten wollen. Ili wolch rohem Zustande aber hier die Land-Wirthschaft getrieben wird, zeigt am besten, daß Gemüsebau nur im geringen Maße, Obstbau fast gar nicht betrieben wird. Nur in der Krimm treiben die Tataren einen ausgebreiteten Gartenbau. Odessa erhält sein meistes Gemüse von Konstantinopel. Das Gouvernement thut viel, um den Garten- und Weinbau in den Städten zu heben. Es hat jedem Hause laut Ukas oom 12. Januar 1,^42 Gartenland zugelegt, fordert keine Abgaben, hat öffentliche Gärten angelegt, wo Obstbäume vertheilt werden :c., Alles aber scheitert an der Indolenz der Einwohner ! 314 Der Verfasser jenes mehrmals angeführten russischen Aufsatzes bemerkt nach den von ihm über daö südrussische Städtc-wesen mitgetheilten Notizen eben so treffend als geistvoll: „So ist denn daß Stadtlcben in den Steppen Neurußlands, außer dem Einflüsse deü äußern Handels des Landes, bis jetzt beinahe nichts mehr als eine Episode der allgemeinen Entwickelung deß Landlebens, die sich fast nur durch die Eigenthümlichkeiten der Administration, welche den durch Staatsvcrordmmgcn gegrün-deten Städten gegeben worden, auszeichnet." Der äußere Handel der Seestädte hat sich auf bewunderungswürdige Weise in unglaublich schneller Zeit aus dem Nichts hcrvorgearbeitet. Zu seinem Schutze ist gleichzeitig eine mächtige russische Flotte entstanden, die Seestädte sind ungrmcm rasch zu großer Macht gekommen. Diese Städte bilden eine besondere Kategorie unter den russischen Städten, und außer den beiden Hauptstädten können die übrigen russischen Städte in Bezug auf die Fortschritte moderner Cultur sich nicht mit ihnen messen. Aber sie sind, wie gesagt, exotische Gewächse, in ein barbarisches Land verpflanzt, ihre Cultur steht nicht im mindesten in Gleichgewicht und Harmonie mit dem umliegenden Lande. Der Handel gehört zu den Hauptqucllen des Volkswohlstandes; aber auf ihn allein ist die Cultivirung eines rohen Landes nicht zu begründen. Der Handel hatte hier vielleicht Jahrtausende geblühet, und doch ward das umliegende Land der Steppe nicht cultivirt, ja als der Handel in späterer Zeit gestört ward, unterging, verfiel hier alles in tiefe Barbarei und Nacht! Der Handel der Seestädte hat, wie wir gesehen haben, wenig Einfluß auf das hiesige Land. Zudem ist der äußere Handel so unsicheren und unberechenbaren Schwankungen ausgesetzt, daß er nirgends als sichere Lebensbasis dienen kann. Selbst Neurußland hat in neueren Zeilen hierin schon eigene Erfahrungen gemacht *). ') Nach dm vom Mimsinmm jahrUch hrraus^'gfdknc» Vcnchlm übrr dm mlhcri! Handcl bctnig, uhm daß mm» du Ursachen mit Sichcrhcit an- .'ll.-i Die einzige sichere äußere Basis der fortschreitenden Culti-virung eines Landes ist die landwirthschaftlichc Bodcncultur in allen ihren Richtnngen und allen mit ihr zusammenhängenden Institutionen. Das russische Gouvernement hat dies gar wohl erkannt, und daher nicht unbedeutende Anstrengungen gemacht, die Steppen auch landwirtschaftlich zu cultiviren. Wie daö Gouvernement hier blühende Colomen von Ausländern an verschiedenen Punkten der Steppe gegründet, in der Hoffnung, daß sich von diesen Punkten aus, die Cultur in immer weiteren Kreisen verbreiten möge, haben wir oben gesehen.— Es hat ferner vieles Land an Private geschenkt, unter der Bedingung, es anzubauen, und mit Colonistcn zu bevölkern. Alles dieses ist seit etwa s>l) Jahren geschehen, und wir vermögen daher jetzt einigermaßen einen Neberblick des Geschehenen zu gewinnen, und können dann auch unsere Meinung über das äußern, was noch etwa geschehen könnte. Die pontischen Steppen haben eine durchaus andere Natur-beschassenheit, als die Länder unter gleichen Breitengraden, wie das südliche Deutschland oder das mittlere Frankreich. Das Klima ist ein anderes, und die Bodenverhältnisse sind andere.— Es tritt Vieles zusammen, um das Klima dieser Landstriche um Vieles rauher und kälter zu machen, als das unter gleichen Breitengraden. Sie sind nirgends gegen die Wmdströmungcn geschützt, und diese bilden daher einen ganz andern Charakter der Jahreszeiten aus. Im Allgemeinen zeichnen sich hier alle Jahreszeiten durch verhältnißmäßig wenigen Regen aus; nud er Frühling beginnt mit einer kurzen Negenzeit, von da an ziehen die Wolken stets in einer großen Höhe, Gewitter sind sehr selten, Iah« 1840 mn 5^ Million Nubel Silber wringer, <üö dcr von 183!)! Das Resultat von 164l war noch druckender. 316 fällt aber im Winter oft auf ^ 30" Kälte. Dic mittlere Tcm^ pcratur steht um mehrere Grade tiefer, als in Gegenden gleicher Breitengrade des übrigen Europa. Die pontische Steppe ist eine ungeheure, 100 bis 150 Fuß über dem schwarzen Meere erhobene wellige Fläche mit nicht sehr tiefen Thalcinschnittcn für Flüsse und Bäche. Wir haben oben angeführt, daß die Steppe in geographischer Hinsicht in 5 verschiedene Formationen zerfällt, welche als Unterlagen für die überall über dieselben gelagerte Humusdecke dienen. Diese verschiedenen Unterlagen, die dünnere oder dickere Humusschicht, und die klimatischen Einflüsse bedingen nun die Vegetation. Die große Gleichheit, aber auch die kleinen Verschiedenheiten der Vegetation werden hiedurch gebildet. Die Gleichheit besteht vorzüglich darin, daß alle Steppen, von selbst ohne menschliche Hülfe, nur Gräser, Kräuter und Blumen, aber keine Wälder hervorbringen. Die Verschiedenheiten werden theils durch die verschiedenen geognostischen Unterlagen, theils durch die dünnere oder dickere Humusschicht, theils durch die höhere oder niedere Lage in Verbindung mit den klimatischen Einflüssen gebildet. Die Granitsteppcn haben meist ein dichtes, nicht hohes Gras, die Kalk- und Krcidestcppen aber ein oft tt bis 7 Fuß hohes Gras. Die Kräuter, besonders alle Unkräuter und Blumen, stehen überall in großer Menge zusammen. Die Ufer der Flüsse sind mit dichtem Schilf oft mehrere hundert Fuß breit von beiden Seiten befetzt, welches namentlich in der Schlammsteppe riesengroß wird, an manchen Stellen ist es hier 30^ hoch! Hier finden sich auch einige Arten von Kletten, die 30 bis 40^ hoch, sich baumartig in einander verschlingen, und so kleine Wälder von Unkraut bilden *). Während die vontischen Steppen vorzugsweise Grassteppen sind, sind die Salzstcppen mehr Blumcnsteppcn; statt des Grases smdcn sich hier mehr Kali-pflanzen. ') Nahe bei den kleinen Kusakixschanzc,« Pctrowsk imd Kopyl an der Kau-lasuSlime giebt cS solche einjährige iUeltenwäldn- don mchirnl» hundert Schrillt« im Umfang, welche den Kosaken im Winter zur Feuerung dimm. 3l7 Che die Russen nlin diese Steppen in Besih tiahmen, warm sic völlig ode und unbewohnt, nur Nomadensiämme zogen mit ihrem Vieh darin nmher. Zwar führt Herodot an, daß einzelne Theile dieser Steppen, wahrscheinlich die Flußthäler, von ackerbautreibenden Skythen bewohnt gewesen sind, aber dieser Ackerbau war mit den Skythen völlig verschwunden. Die Mongolen und Tataren hatten an der Wolga Ansiedlungen, sogar Mächtige Städte, die pontischcn Steppen scheinen aber völlig leer von Anfiedllmgcn geblieben zu sein. Erst Rußland ist es gelungen, das Nomadenleben in den Steppen zu sistiren, und sie allmählich ständig zu bevölkern und zu bebauen. Vom 1s>. Sec. an gelang es, wie oben angeführt zuerst den Kosaken, von Osten und Westen in die pontischcn Steppen einzudringen, und sich am Don und Dnjcpr anzusiedeln. Seit W Jahren aber hat auch das Gouvernement angefangen, theils selbst Colonien in der Steppe anzulegen, theils die Privatansiedlungen nach Möglichkeit zu befördern und zu unterstützen. Gegenwärtig läßt sich das Resultat dieser Bemühungen ziem« lich übersehen. Wir finden, daß fast längs allen Flußuftrn die Kolonisation vollendet, ein schmaler Strich an denselben her völlig angebauet ist, ja die Bevölkerung beginnt hier schon ziemlich dicht zu werden. Die großen Steppenstächen zwischen den Flüssen sind dagegen noch fast ganz unbebauet, hin und wieder sind einzelne Meierhöfe (Chutorö) in sie hinein vorgeschoben *). ') Dieser sporadische Anbau durch einzeln gelegene sshutors ist für manche Theile bcr Sleppe, vorzüglich des Wassennangelö halber, der einzig mögliche. Ganz allgemein findet er sich im Kreise Alcschki und Taurien. Vor einign« Jahren berichteten dortige Lomlbcho'rdm, baß durch bicsti, sporadischen Anbau die Handhabung der Polizei außerordentlich schwielig wurde, baß jede Aussicht und ssontrole zuletzt fchlcu müsse. Sie trugen darauf an, zu befehlen, dasi die Leute in grosic Dörfer zusammen zögen. D,r Sache ging biß nach Pettrßburg. Mein der damalige General-Gouverneur Graf Woranzmv stellte, wie ich höre, die einfache Fragt: ob mau deun ben, jenen Gegenden so durchaus und einzig angemesscm» 3l8 Die Bebauung deß ?andeß bietet auf der Charte ungefähr denselben Anblick, wie die von mir beschriebene Waldregion in Nordrußland. Nur wo cL dort undurchdringliche Wälder zwischen den Flüssen unbewohnt und uncultivirt giebt, liegen hier offene Steppen, aber eben so unbewohnt und unbcbauet! Int'' Innere der Steppe dringt die Cultivirung noch nirgends mit einiger Energie ein. Nach offiziellen Nachrichten waren die Gouvernements von Neurußland und Vessarabien groß: Das Gouv. Iekaterinoslaw 5,192,775 Dessj.-- 934 l^Meilen, „ „ Chcrson . . . . 7,093,tt56 „ -1277 „ „ Taurien.... 8,542,800 „ ^1538 „ „ „ Bessarabicn . . 2,70«,500 „ ^ 498 „ Im Gouvernement Ickaterinoslaw betrug l84l der Um^ fang des cultwirten Terrains 1,.'i?si,277 Dessj. ^ 239 ^Meilen, im Gouvernement Lherson 2,l30,5l4 Dessj. -- 383 ^Meilen. Folglich war noch nicht der dritte Theil dieser beiden Gouvernements bebauet, ^ war noch uncultivirtc Steppe! — Bon Tauricn war der Umfang der bebauctcn Fläche nicht bekannt, betrug aber gewiß nicht mehr. Bessarabicn ist besser bebauet, Ueber die Bevölkerung NeurußlandS erhielt ich in Odessa eine angeblich zuverlässige Tabelle. Anbau gradezu zerstören wolle, und ob clwa die dost augcsiedcllcn Leute der Polizei wegen vorhanden wann, odcr umgckchrl, die Polizei der Leute wegcn? — Wir haben im übrigm Europa zuweilen cihnlichc überkluge Gedanke» des PulizeiswlitS erleb»! ZI 9 Gouvernements Stadtverwaltung Stände. ^ ^ ^ Cherson Taurien Ickatcrinaslaw Bcssarabicn Kcrtsch Odessa > 1823 1841 1823 1841 1823 1841 1823 184l 1823 1841 1823 1841 1823 1841 Beiderlei Geschlechter beiderlei Geschlechter dc^erlei Geschlechter beiderlei Geschlechter bciccrlei Geschlechter dcideilei Geschlechter beiderlei Geschlechter Adelige 2418 3520 2892 6997 — — ! — 5019 66 456 — — — — Geistlichkeit.. 1891 3329 1309« 18809 4945 6828 — 11770 13 40 - — — — büigei — 71— 14— — — 13^^ — __^ __ Kaufleute 887 3038 134 3028 1201 4715 333325 4011 — 396 20100' 73889 — — Mctfchane 27246 55263 33302 35048 29642 42910 — 116696 - 2407 — ^ — — — Neblige Stände 235796-395179 332094 454384 559370 738969 — 392764 719 1544 — — — — lala!. 268238^462400j403512^538280s595158 793422^333523!730273^ 798^ 4843 20100 j 73888^1621331,2603106! 320 Im Original vorstehender Tabelle waren bci drci Gouvernements auch die Zahlen des weiblichen Geschlechts angegeben. Da sic aber bri den andern nicht angegeben sind, so habe ich sie fortgelassen, bemerke aber, daß in Neurußland wie in Sibirien, im Gegensatze zu Altrußland die Zahlen des männlichen Geschlechts bci weitem prädomilmcn, z. B. bei Taurien 1823 um 7°/«, 1841 um 12"/,, bei Iekaterinoslaw 1823 um 5°/o, 1841 aber nicht mehr. — Die Bevölkerung hat sich nach dieser Tabelle binnen 18 Jahren beinahe verdoppelt. Dies ist ein Verhältniß, was sich außerdem in Rußland nirgends so günstig gezeigt hat, auch wohl im übrigen Europa bei größeren Landstrichen nirgends; nnr in Nordamerika mögen sich Bcispcile so großer Vermehrung sinden. Die Vermehrung war am stärkste,, in Bessarabicn, am schwächsten in Tauricn. In Odessa hatte sich die Bevölkerung um mehr als verdreifacht! Nach dem Flächeninhalt der Provinzen kamen bei l5hcrson auf 1 üMcile eine Bevölkerung von 322 Köpfen, Taurien „ 1 ,/ „ „ „ 349 „ Iekaterinoslaw „ 1 „ ,/ „ „ 848 „ Bessarabien „ 1 „ „ ,/ „ 14t)l> „ Vessarabien ist hiernach ein schon ganz wohl angebauetes und bevölkertes Land. Die Bevölkerung von Chcrson und Taurien erscheint allerdings sehr gering, sie ist dies aber gar nicht, wenn man das Terrain der Steppen abzieht und nur das bewohnte Land zur Berechnung zieht. Von Taurien und Bessarabien fehlen mir in dieser Beziehung die Notizen, aber von Lhcrson und Iekaterinoslaw sind sie oben angeführt. Hier kommen bci Chcrson 1U7«, bci Iekaterinoslaw gar 3314 Köpfe auf eine HüMeilc. Man möchte daher schon behaupten, daß bci letztcrem Gouvernement bereits eine Ucbcrvölkcrung eingetreten sei. (5s kämen durchschnittlich nur 3'/, Dcssj. bcbauetes Land auf den männlichen Kopf, ein Verhältniß, welches zu den ungünstigsten in Nußland gehört. Die Notizen über den Ausfuhrhandel der Südhäfen Odessa, Taganrog :c. ergeben, daß zu dem von dort verschifften Getreide die Steppenländer oder Neurußland so viel wie gar nichts beitragen. Das dort gezogene Korn reicht nur hin, die 321 vorhandene Bevölkerung zu nähren, es wird kein Neberschuß zum Verkauf gewonnen, ja diese Bevölkerung würde ihre übrigen Bedürfnisse, außer der Nahrung, nicht befriedigen können, sie würde nicht auf dem kärglich zugemessenen Boden e.ristiren können, hätte sie nicht im vagabundirenven Ackerbau und in der Viehzucht zwei mächtige Hülfsquellcn. Der vagabundircnde Ackerbau besteht darin, daß die Leute, welche Kräfte dazu haben, im Frühjahre ins Innere der Steppe ziehen, dort an ihnen paßlich scheinenden Orten einen Landstrich mit Korn bestellen, und dann nach Hause gehn, um zur Zeit der Ernte zurückzukehren und das gewonnene Korn heimzuführen. Zu einer sehr ausgedehnten Viehzucht gewahren aber die Steppen ebenfalls die nöthigen Mittel. Seit geraumer Zeit schon gewinnt hier zwar die Bevölkerung an intensiver Kraft, aber sie dehnt sich nur unbedeutend im Terrain aus. 6s läßt sich fast die Zeit berechnen, wann diese Ausdehnung aufhören wird, die der Erfahrung nach nur bis zu einem gewissen Punkt ins Innere der Steppe dringt, über diesen hinaus aber nie. Wie kommt es nun, daß die Bevölkerung und ständige Bodenbcbauunss von den Flußufcrn nicht tiefer ins Innere der Landstriche eindringt, ungeachtet der Boden fast durchgängig nicht bloß vcgctationsfähig ist, sondern meist sogar eine an sich höchst fruchtbare Humusmischung befW? Drei Hindernisse treten hier mit Entschiedenheit gegen den Fortschritt der Bebauung und gegen eine gleichmäßige und angemessene Culti'virung und Bevölkerung auf: die Ungunst des Klimas, der Mangel an Quellen und süßem Wasser, und der Mangel an Wald *). Ueber das Klima ist oben bereits Einiges angeführt. Es zeichnet sich durch eine unter diesen Breitengraden sonst ganz ') Ueber die obigen Hinbelnisse der fortschreitenden Cultur i» dm pontischen Steppen giebt eö rin kleines, aber classisches Vuch' Ueber einige Landes-vtilMlmsse zwischen dem untern Dnjepr unb drm asuwschen Meere, von Peter v. Koppen, Petersburg 1845, in dem sich n der pontischen Steppe verwaltenden ylmtsraths Teetzmnnn finden. 21 ^322 ungewöhnliche Unsicherheit und Ungleichheit aus. Ungeheure Hitze nnd eben so große Kälte nnd Dürre, dasi zuweilen in 20 Monaten (1^j2 und 1^3.t) kein Tropfen Regen, kein Flocken Schnee (in Tauricn) herabfiel, dann aber auch wieder eine so anhaltend feuchte Witterung (Ift.28), daß die Erdschicht wochenlang zu einem Brei ward, in welchem das Vieh versank und verkam, das Wintergetreide verfaulte, kein Gras in Heu verwandelt werden konnte. Die Dürre ist doch ,'m Allgemeinen beim Klima vorHerr schend. Man hat berechnet, daß durchschnittlich kaum '/>, so viel Feuchtigkeit in den Steppen niederfällt, als in Berlin *). In trockner Zeit bleibt sogar der Thau monatelang aus. Oft mehr als die Hälfte des Jahrs weht ein trockner, kalter Ostoder Nordostwind. Sogar ein die Getreidefelder in wenig Stunden versengender, glühender, dem Sirocco ähnlicher Wind fehlt nicht. Trotz der guten Humusmischung, und wenn auch die sorgfältigste und nachhaltigste Bodenbearbeitung einträte, würde dennoch der Ackerban durchschnittlich vielleicht nicht halb den Ertrag gewähren, den ein gleicher Boden in Deutschland oder Frankreich gewährt, und der Grund hievon liegt lediglich im Klima, in dessen Unsicherheit und Ungleichheit, und in dessen geringer Fcuchtigkeitsmittheilung **). Dieser Mangel an Feuchtigkeit im Steppcnbodcn ist theils die Folge, theils die Ursache des trocknen Klimas. Läge die Steppe nicht so hoch als ein Plateau über dem Meere, wäre sie gegen die scharfen, austrockenden Ost- und Nordostwindc etwa durch Gebirge geschützt, oder lägen auch an jener Seite Meere, wäre das Innere der Steppen überall voll Seen und Teiche, und wären endlich hinreichende Wälder vorhanden, welche die Feuchtigkeiten aus der Athmosphäre anziehen und festhalten; so würde auch der Steppenboden die Feuchtigkeit haben, dir der Boden unter gleichen Breitengraden überall hat. Wären die Steppen aber so gestaltet, so würde umgekehrt das Klima sich hiernach bilden und umwandeln! ') Tcetzmami, bei üöppm a. a. O. pl»ß. 97. ") Derselbe, hei Koppen a, a. O. pag. l3l. 323 Das Innere der Steppen hat nur sehr wenige Quellen, und selbst durch das Graben von Brunnen ist nicht überall mit Sicherheit auf süßes Wasser zu rechnen *). Dies ist natürlich ein sehr großes Hinderniß für eine ständige Cultivirung einzelner Localitätcn der Steppen. Das größte Hinderniß aber, das die Steppen einer allgemein sich über dieselbe ausbreitenden Cultur entgegenstellen, ist, meiner Meinung nach, der Mangel an Wäldern. Wären die Steppen im Großen bewaldet, so würde daä Klima ein anderes sein, würden sich Quellen und Seen bilden, der Boden hätte nachhaltig Feuchtigkeit, und wäre der Bebauung und Bevölkerung in einem Grade fähig, wovon man jetzt kaum eine Ahnung hat. Die jchigen sogenannten Steppenländcr des europäischen Rußlands bilden eine zusammenhängende Ländermassc von 21,443 ^Meilen. Auf diesem ungeheuren Raume befinden sich nur an den Ufern einiger Ströme, z. B. Bog, Dnjcpr, Wolga, Achtuba u. schmale Streifen Waldes, im Ganzen gewiß nicht den 200sicn Theil deß Terrains einnehmend. Im Ganzen ist dies wohl seit der ursprünglichen Formation dieser Landstriche nie anders gewesen. Nur in Bezug auf die oben angedeutete Granitformation mag es sein, daß in uralter Zeit einzelne waldige Districte cxistirt haben. Herodot kennt hier zwischen dem Dnjcpr und Gcrrhus (Berda oder Molotschna?) die waldige Landschaft Hylea. Und wirklich fand hier auch noch der Kaiser Konstantin Porphyrogeneta, und 300 Jahre später der Reisende Nubriquiö einen Wald. Gegenwärtig ist aber jede Spur dieses Waldes gänzlich verwischt. Die Erfahrung von Jahrtausenden lehrt, daß durch die Kraft der von selbst Wälder hervorrufenden Natur niemals hier ein Wald sich bilden wird. Die Ursache hiervon liegt weder in der Bodcnmischung als solcher, noch im Klima. Cs möchte kaum Gegenden in den Steppen geben, wo nicht eine oder die andere Baumart ganz gut fort käme. In der Formation, wo 'j Selbst in dm nicht sehr hoch über dem Meeresspiegel liegenden Mmno-nilm-Colonien an dci Molotschna giebt es keine Quelle, und die Brunnen haben alle eint Tiefe von !l» bis 50 Fuß. 2l* 524 der Granit dir lehte Grundlage der Erdschichten der Steppen bildet, gedeihen vorzüglich die Bälime mit horizontals Wur-zcln, ^) wie alle Pappclarten, Maulbeeren :c. Auf dc» Kalk-und Kreidesteppcn gedeihen die Vauinarten mit tiefer Bewur-zewng: Eschen, Ahorn, Eichen, Platanen ?c. Nur in den Salzsteppen giebt es Striche, die der Bewaldung nicht fähig sind, daS sind aber fast nur solche, die aller Vegetation feindlich sind, denn sonst wachsen auch hier wenigstens Pappeln, Birken, Maulbeeren und Kiefern. - Im Allgemeinen scheineil jedoch von allen Nadelhölzern nur überhaupt die Kiefern in den Steppen zu- gedeihen. Wenn man von Norden kommt, so kündigt sich die Steppe allmählich dadurch an, daß die Waldungen ihren Zusammenhang verlieren, vereinzelter werden. Die Grasflächen werden größer und zusannnenhäugender. Aber dann scheidet vlohlicl, aller Wald ab, und jenseits ist kein Baum, kein Buschwerr mehr zu erblicken, die Steppe in ihrer Ilncndlichkeit breitet sich vor uns aus. An diesen Randcrn der Steppe findet man wolü noch hin und wieder in der Erde Reste von Baumwurzeln und Stubben, zum Zeichen, daß in älterer Zeit die Wälder noch ctwaü tiefcr hinein sich erstreckt haben, allein, bald kommen auch die nicht mehr vor, und man sieht auö Allem, daß niemals ein Wald hier existirt hat. Auch an den .Rändern der Wälder ist deutlich zu erkennen, daß der Wald nirgends nach der Steppe hin von selbst sortschreitet und wachst. Es bildet sich nirgends durch Besamung neues Gebüsch. Dies liegt nicht darin, daß der Boden in seiner Mischung nicht den Holzsamen annähme, daß derselbe nicht darauf Wurzel zu schlagen und zu gedeihen vermöchte, sondern in etwas Anderem, in physischen Gesetze«,. '> Man ha« b,i Odrssa dic B^wck^unst gmicicht, daß fast all,' B»i»mr doi! iippig gednhm, aber mir .'W Iahrr ai! wi'ide», dam, stcrln,, sic plöhlic!' al>, weil Mdlimi ihre Wurzrln auf l«ldschich!r„ siosm», dlüch welchs sie nichl bloß nicht dmchdiin^m lönncu, soxdl'ln dic ci»e <ödt»'nt>t Krcisl auf sie ül'm. Äuf jrdc» Fall isi dics nur lvsal, »,,d nicht al!a.rmriin' l?-lfahr,i„>; beim Stcppcnl'odci'. Die Bäumr riliiu,,ni iibligrns in je,,,'! luizsn Wachsthumspsriodc nnm so mächtiqc» Umfa»^ daß dicscr ciuiss^!-maßm dü' sni^!' Daiili rrsstzl. Nördlich, westlich »nd südlich sind Wälder, uild z>var überall von der Natur von selbst hervorgebrachte, auch längs den Flüssen, in die Steppe selbst hinein, kommen noch Banmgruppen vor, selbst einzelne alte, verkrüppelte Birnbäume finden sich überall in der Steppe. Man sollte denken, die Saumwälder müßten nun überall vorgerückt, die Bäume würden von den Flußusern aus vorgeschritten sein, und so sich allmählich AlleS bewaldet haben. Weder die Thierwelt, noch die Menschen, die von jeher in so geringer Zahl und vor allen Dingen nicht als ständige Bevölkerung vorhanden waren, hätten Hindernisse gelegt. Cs ist aber dennoch nicht geschehen! Aber auch das wird man nicht etwa annehmen können, daß in alten Zeiten Wälder vorhanden gewesen, welche durch Menschenhand zerstört worden sind. Selbst wenn es wahr wäre, daß in alten Zeiten die (nomadische) Bevölkerung stärker gewesen, und daß diese wirklich die Urwälder zerstört, so ist sie doch jetzt seit vielen Jahrhunderten wieder so dünn, daß die Wälder längst wieder aufgeschlagen und ausgewachsen sein müßten! — Aber die Bevölkerung war nie dicht, stets verhältnißmäßig in Beziehung gegen das Areal gering. Die großen Völkerzüge sind hier durchgefluthet, nicht die vorhandenen Wälder zerstörend, sondern eben weil sie keine Wälder fanden, weil die Steppen das offene Thor waren, durch welches man bequem ziehen konnte *). Nördlich versperrten die Wälder den Zug, südwärts Meere und hohe Gebirge. Die Steppen waren die Veranlassung, daß die asiatischen Völker den Weg nach dem Wrsten fanden, nicht die Ursache! Wir kommen darauf zurück. C's liegen physische Ursachen zum Grunde, warum die Steppen sich nicht von selbst bewaldet haben. Die Bäume werden von der G rasvegeta tionj verdrängt"). Die ganze Pflanzenwelt bietet diesen Kamps ') Nur die Wald« der Landschaft Hylea oberhalb der Landzunge doil Pcrc-wp mochlen durch Mcnschm und Vieh zerstört sein. Hier war aber auch wvhl rm wahrer Wechsel des Hin- nud Herziehms, nicht bloß der Mltti zugc, sundern auch m diel grösiercm Maße der Näuberzü^r. ") d. d, Blinken a. a. O, i'Nß. 59, Die fast unbeviMerten Llaiws m,d 'pamp.iü Amerikas und dic völlia, menschmlceim Grasfimm Ausiraiimö lMm sich auch „icmale lwn selbst bewaldet! 32üß. ti!)l> befindet sich ein Vorschlag eines Herrn Kcrstling zu» Cul-twinmg dcr Bttppm, und >nSl'»'sondlrc auch zur Verbesserung von drrrn zui»ui, durch Abdännül» der Flüssc bedcülendc Ser» und Trichc zu bilden, t^cwiß rin frllchtt'lircr Gcddnkc! Dir rlcimussischen ssolonistcil thu» es wirklich zu>„ Theil schu», al'cr freilich nicht im kroßen, dies töuntc nur das Gliuverncincut! ^) Dliß dicS lri dcu cigriUlichen Russm der Fall >si, ist bekmm!. Ps wird dc»i genieineu Nussm schwer, einen V"u», stehen zu lassen, deshalb siildet man auch nicht einmal in den Dörfern einen Vamn, der den Allen den Schallen, den Kindern den Spielplatz gewährle! — Selbst die Holznoll, belehrt den Nüssen nicht! Russische Eolonisicn li>n!c!cn selbst in Südrus!-l.nid die wcuigen Välimc, die sie l'orfau^en, um, uhnc neue z» psiaxzlii. 33! hievon die deutschen Colonisten, die Mennonitcn, cine rühmlich«,' Ausnahme. Sic haben ganz von selbst angefangen, Holzpflan-zungm aller Art anzulegen, einer der Kolonisten, Herr Kornies, hat sogar, wie ich selbst gesehen und erfahren habe, hierin mehr geleistet, als irgend Jemand in Rußland! Er besitzt dazu im gegenwärtigen Allgenblicke Etwas, was sonst durch nichts zu ersetzen wäre, große Holzbesamungen, die als Baumschulen dienen, und womit man einen ausgedehnten Wald bepflanzen könnte! Hierauf könnte man folgendes Verfahren fundiren. Man lasse durch die Mcnnonitcn unter Leitung des Herrn Kornicö einen Wald in der Nähe der Mcnnonitcndörfer, von etwa K lüMeilen Größe, anlegen. Da den Mennoniten die Arbeitskräfte fehlen, so commandire man etwa 5000 Mann Soldaten dorthin zur Arbeit. Diese, von Hrn. Kornics angemessen angeleitet und gehörig vertheilt, würden im ersten Jahre die Vorarbeiten, Schutzwälle und Gräben, Abrämnung des zu bepflanzenden Bodens :c. beenden, und im zweiten Jahre dic Pflanzungen zu Stande zu bringen vermögen. Dann übergebe man den ganzen neuen Wald der Obhut der Mennoniten, gewähre ihnen aber noch als Schutzwachc eine dort ständig garni sonnende Compagnie Soldaten, die auch zur Erhaltung der Wälle und Gräben, zum Nachpflanzen :c. benutzt würden. Dieser Wald wird dann den Mennonitcn nach russischem Polowniki-Recht (Halsenrecht) übertragen, d.h. daß die Mennonitcn die Hälfte deö Genusses aller Waldprodutte zögen, das Gouvernement die andere Hälfte. Der Vortheil der Mcnnonitcn wäre allerdings enorm, aber das Gouvernement hätte den unberechenbareil Vortheil des Daseins eines Waldes in dieser Gegend, und würde auch wohl durch den Werth der Hälfte der Waldproducte das Anlagecapital und dessen Zinsen hinlänglich decken können, wenn auch erst nach einer Reihe von Jahren. Sir hliuetm bei TMlltaial'dN dc,l von Tlirttn Mlgclcglcn Obstwtlld z>! Vremcholz um, ' A>l,n», „Der Vcr gewandt, Und in dcs Herzens siillcr Dcmnlh Das Wl,'lt dcs Schöpfnö hast erkannt, Licsi sir Hon mir qes!hr,len bri ^h,irki,'w, Iekalcri-noslaw, Terpcnie, ?lnibat. ?^>1chcu Völscru sic nugchoren? Die sibirischen Steinbilder. Die berschicdeiien jNlrglinc. Die ,ss«flnd!,igc eincö NmganS. 38eiln dcr Nci'scndc die Steppe betreten hat, und nl«t> bald jcde6 Ml'nschlichc Lrbcn um sich her erloschen sieht, und nichts mehr erblickt, wic über sich den Himmel und um sich her einen un-bcssrcnzlen grünen flach ausgebreiteten Teppich, so taucht alsdann bald hier bald dort ein l'lemer regelmäßiger runder Hügel vor ihm auf. Dann erheben sich auch wohl rechts oder linkö leichte Höhenzüge, und auf ihnen ebenfalls, meist, wie es scheint, in bestimmten Entfernungen aus einander liegend, etwas größere regelmäßig-konische Hügel. — Hin und wieder erblickt Man dann auf ihnen plump gehauene steinerne Bildsäulen, 5 — 8^ hoch, die gespenstisch in die öde Stille hinabschauen. Bald sind diese Hügel in großer Zahl z.isammen, einen unermeßlichen Kirchhof bildend, bald ziehen sich, wie gesagt, nur einzelne größere in Linien auf den Höhen hcr, bald verschwinden sie ganz auS dem Gesichtskreis, oder eß taucht nur Hit» und wieder ein einzelner vor uns auf. — Grabhügel giebt es im ganzen keltischen, germanischen und slavischen Europa, so wie im ganzen Norden Asiens. Allein, diese in den Steppen vorkommenden Hügel unterscheiden sich wesentlich von jenen, sie sind im Allgemeinen höher und regele Mäßiger, sind auch nicht bloß Grabhügel, sondern haben offenbar wenigstens thrilweisc eine mythologische und religiöse Bedeutung, vielleicht auch im untergeordneten Sinne eine politische 22 338 oder militärische. ^) Ganz eigenthümlich aber sind diese,! Steppenhügeln jene Steinbilder, deren Territorium sehr ausgedehnt ist, indem sie nördlich noch weit über die eigentliche Steppe hinaus bis ins Gouvernement Kursk binauf reichen.") Wie weit sie sich westlich erstrecken oder erstreckt haben, habe ich nicht ausgcmittelt. In Süden kommen sie in der Krimm so weit vor, als die Steppe reicht, dann längs der Nordscite des Kaukasus, ja um dessen östliche Absenker her in Daghcstan hinein, endlich in den Steppen nördlich und östlich vom kaspi-schen Meer in unbekannter Weite. Das bis jetzt bekannte Territorium umfaßt gewiß mehr als 30,000 lüMeilen. Die Zahl der Hügel ist völlig unzahlbar, aber auch der Steinsäulen sind viele Tausende, und wie viel Tausende mögen zerstört sein, da seit Jahrhunderten jede religiöse Bedeutung untergegangen ist, jede religiöse Scheu, sie zu zerstören, aufgehört hat! Ein undurchdringliches historisches Räthsel liegt auf (Entstehung und Bedeutung der Hügel und Steinbilder! — Gehörten sie ursprünglich jenem uralten Cultus der Höhen und der Säulen auf den Höhen *) an, der in ganz Nordasicn herrschte, der in der Bibel oft genannt wird, und von dem es dort heißt, dasi König Hiskia im 8. See. vor Christus es zuerst wagte, „abzuthun die Hohen und die Säulen zu zerbrechen?" (2. Könige XVliI. 4.) Hängen sie zusammen mit jenen sogenannten Bildern der Skythen, die im Namasseum des hundcrtthorigen Theben in Egypten unter dem Namen Schcta aufgestellt waren, als Zeichen eines fremden großen Volks, das im religiösen ') Die Türken hatten noch im vorige» Jahrhundert die (Gewohnheit, durch lleinc von Erde aufgeworfene Hligcl, dic cinandcr im Gesichte stehen, be» Weg zu bezeichnen, den dic Armee genommen oder zu nehmcn hatte. Siehe Baron v. Tott. Nachrichten von den Türken und Tataren. 1788. ") Siehe Peter v. Klippen, lieber die Tumuli in Nusiland. Petersburg 18A6 p!,ß. 5. Ferner: Nordische Nel'mstundm von Echerer. Leipzig I77<» I, pllF. l8l), dcr sie bei Vachmut und in der Ukraine, im Gou vcrnemmt Astrachan zwischen der Wolga und Kama, und in Daqhcsian gefunden hat. Ich fand soqar in der Nähe do» Moßfa» im Walde e,n solches in einem hohen Vaumc stehendes Steinbild, Wie es dorilm, g^ kommen, ist l'öllni räihselhasl. '"> Biehc Koppen a, a O. I'.^ <»- 339 Cultus mit den Egyptern verbunden war? Bei der ungeheuren Zahl dieser Bildsäulen in dein nordpontifchcn Lande sollte Man denken, daß hier ein Hauptsitz dieses Cultus, daß dies nothwendig sehr bekannt gewesen sein und wir also bei den alten Schriftstellern Nachrichten darüber finden müßten. Dem ist aber nicht also! Wie kommt dies? Gehörte dieser Dienst vielleicht dcn Mysterien an, von denen man auß heiliger Scheu nicht sprach? Die Steinbilder sind aus einem Steine gehauen,, der an der Stelle, wo wir sie aufgerichtet finden, gar nicht vorkommt. Man findet sie an Stellen, wo man 100 Meilen rundum der Stcinart, aus der sie gehauen, nicht begegnet! ^) — Und wie gesagt, eß ist nicht die Rede von einer Bildsäule, sondern von taufenden! Wie sind sie hierher gekommen, und warum? Die jetzt hier lebenden Völker wissen fast nichts von ihnen zu erzählen, nur selten giebt es unbedeutende oder wenig Aufklärung gewährende Sagen von ihnen. **) Die Mehrzahl dieser Steinbilder hat mongolische Physiognomien und mongolischen Kopfputz, nichts destowcniger wissen die dortigen mongolischen Nomaden keine ') Von btnen. die ich gesehen, war bic eine ans Muschelwllsieiu, die andere auö groben Sandsteine» gearbeitet. ") In der Steppe Kiölar, wo der Tcrcck inS kaspischr Meer fließt, sieht lin solches Steinbild von liesiger Griisic aus grobem Sandstein roh gcar^ beitet mit mongolischer Physiognomie. Die nomadischen Tataren erzähle» davon, es sei der Niese Ack Nubuck Alp, der hier dm Niesen Nitcm Mft überwunden hal'e, dabn aber selbst schwer vmvlmdrj sri, wie ci,ie breite Ninuc oder Schlnarrr durchs Gesicht bezeuge. Siehe Falk's Bcilra'ar zul lopo-graphischen Kenntniß drö russischen Reichs. Petersburg 1785 ,>.iff. 95. Von Moßbock a,n Tereck am Fuße brS Kaukasus bis nach PctigorS! laufen län>ig dn' Straße ItO Meilen weit in einer Linie Hügel an .s,ügcl. Die Steinbilder darauf sind zum Theil zersiörl. Die Tataren habe,, davon die Sage, vor Tausenden von Jahren waren die Deutschen (Gcimanski) »on hier aus über den itaukasus und bann über das Asowsche Meer gezogen, und hatten diese Hügel als Dcnkzrichen aufgeworfen, um dereinst den Rückweg wieder finden zu könne». Siehe v. Hallbcrg-Broich's Meisen. Stuttgart 1844. ll, i»l>F. 43, — Solche Sagen sind offenbar spätern Ursprungs und bezeugen, daß die Völker dic mythischr Vedculimg jener Steinbilder längst vergessen haben, 22* .'j40 Sageil von ilinen, sic erzählen nicht etwa, daß sic von ihren vorfahren herrühren, sic Haben keine besondere SyNtpathie und Verehrung für sie, sie sind ihnen völlig gleichgültig! Die Steinbilder scheiden sich in männliche nnd weibliche. In welchen» Verhältnisse, und wo etwa die eine Art mehr vorkommt als die andere, ist noch nicht ermittelt. Schcrcr in den nordischen Nebenstunden. (Leipzig 1770 Th. I. ^,ss. 18!)) führt an, man habe bemerken wollen, daß die Steinbilder im Gouvernement Astrachan zwischen Wolga und Kama sämmtlich weibliche Gestalten wären, woraus einige schlössen, daß dies las Land der Amazonen gewesen sei. Pallas (Reisen von !793 bis 94. Leipzig NW. Bd. l. ,i«ß. 435) wollte bemerkt haben, daß die in den östlichen Gegenden vorkommenden unförmlicher und roher ausgchaucn seien, als die westlichen, namentlich die um das asowschc Meer her vorkommenden. Meine eigne Erfahrung bestätigt dies aber nicht. Alle Steinbilder, die man bisher beachtet hat (die von mir selbst gesehenen eingeschlossen), sind mit dem Gesichte nach Osten gekehrt. Alle halten mit den Händen vor dem Unterlcibe irgend einen Gegenstand, welcher von den Reisenden bald für dieses bald für jenes angesehen ist. Stralenberg sah es für einen PriapuS, Schcrer für einen Deckstein der Ehrbarkeit, Junker, Radöhizky und Zwick für ein Buch oder eine Schrift, Rubri-quiß, der sie schon im 13. Scc. beschreibt, für ein Gefäß an, *) dem auch Pallaß beistimmt und dabei bemerkt, daß auch einige tibetanische Götzenbilder solche Gefäße oder Schalen hielten. Koppen erinnert daran, daß Hcrodot (lV, 10.) anführt, die skytischen Könige hätten Schalen in ihren Gürteln getragen. Ein Theil dieser Steinbilder ist in sitzender Stellung, die andern sind stehend geformt. Der untere Theil ist meist nur vorn mit Beinen und Füßen hantrcliefartig angedeutet, die hintere Seite ist plumper viereckiger Stein, der oft mehrere Fuß tief in die Erde hineinreicht. •) Riiliriquis Cup. J 0 (inul. de Bergeron p. 19.): Ponrles Comans, ils ont coutume d'elever unc niotie de terre, sur la sepulture du mort, el lui dressent unc sUituc, la face tournče ä Toricnt, et tenant mie «asse a la main vers lc nonibril. .'j4l Im növdlichen Rußland, nanientlich im Gouvernement Twcr, heißen die Grabhügel Ssopki, Sapadni, Kopzy. ^) Die füd-»ussischen Hügel führen überall den Namen Knrgann, bei den Kleinrussen jedoch auch Mogily. Das Wort Kurgan soll auö dem tatarischen herrühren, wo Mir, Kyr, Kür ein Grab oder einen Hüqel, und Chane ein Haus bedentet, also wörtlich ein GrabhauS. Mogily, Moqila, Mohila soll aüö dcm Arabischen herzuleiten sein und einen Hügel oder eine Rast bedeuten. Die Steinbilder auf den Kurqanen haben keinen eigenthümlichen Rainen, das Volk nennt sie BabaS — alte Weiber oder Mütterchen. Ich will jetzt beschreiben, waö ich selbst gesehen habe. ') Ucl'cr die Alttlthüml-r im Twnschm >UNlllr». «->>, ^l,d,u^lrr lusslschcl Blirf voiu Dll. It-i^5 von Mmk.i an P. o, ziöppe». A. Voiderseilfl. Rückseite. B. C. n. * Voi'dcrseito. liiickseite. E. F. G. H. Vorderseite. Rückseite. l. K. L. M. 343 Als ich den 21. Juli 1^4^ von Charkow nach Tschujujew fuhr, erblickte ich, auf der Nten Werst nicht weit links vom Wege, alls einem etwa l5 — 20^ hohen ganz runden alleinstehenden Hügel oder Kurgan cin Steinbild. Ich stieg aus, um es näher zu betrachten. Die Leute der Umgegend nannten es Kaminza baba, die steinerne Frau. Siehe vorstehende Illustration Bild ^. Dies Steinbild war mehrere Fuß tics in die Erde gesenkt, und ragte etwa 5>' hoch darüber hervor. Es stand nicht in der Mitte des Hügels sondern etwas östlich. Die Figur »st eine männliche, nackt, nur auf dem Kopfe lag eine runde eng anschließende Kappe, die hinten wie ein Tuch auf die halbe Schulter herabfiel, jedoch ganz ohne die Spur einer Zierath, nur um den Hals war ein Halsband leicht angedeutet. Beide Arme und Hände hielten unten vor dem Bauch einen Gegenstand, meiner Meinung nach offenbar ein Gefäß, kein Buch oder Brett. Unter dem Halse auf der Mitte der Brust, und unten nahe über der Erde zwischen den Beinen sind zwei kleine runde Löcher, etwa ein Zoll tief zu bemerken, die in den Stein hinringebohrt scheinen. Besonders kam es mir curioö vor, daß deutliche Spuren davon zeugten, die Figur sei roth angestrichen, oder mit einer Art rothem Lack überzogen gewesen. Ueber den Augen, alls den Backen, den Schultern, der Brust waren handbreite Stellen Farbe ganz deutlich zu erkennen, wenn man mit dein Finger stark rieb. Es erschien dann eine schone hochrothe Farbe, die kittarlig sehr fest saß, und Messerrücken dick war. Daö Geficht dieser Figur hatte nichts Mongolisches, der Kopf war spitz und das Gesicht unten sehr breit, ich möchte eher sagen, daß cin sinnischer Typus im Eharaktcr des Gesichts und Kopfes lag. Die ganze Steinhauerarbeit war äußerst plump und roh. — Der Kurgan liegt auf der Feldmark des Dorfs Nogan, dem Fürsten Schafgowskoi gehörig, nicht wcit vom Dorfe Pctschenegi. (Ein Name der an cin ur-alteö Volk erinnert.) Das zweite Mal, wo ich dergleichen Steinbilder sah, war in Ickaterinoslaw. Ich erkundigte mich während des Diners beim Gouverneur nach dergleichen. Er sagte mir, sein Vorgänger habe von benachbarten Kurgancn zwei nach seinem :i44 Garten bringen lassen, wo sie noch lägen. Ich besah sie, lind gebe hier davon folgende Beschreibung. Siehe Illustration die Bilder N. und 6. Sie haben einen durchaus andern Charakter, als das eben beschriebene Steinbild, sie gehören offenbar einer viel spätern Zeitperiode an, das eine vielleicht der jüngsten, wo solche Steinbilder entstanden sind. Sie sind in Sandstein gehauen, während jenes erste ans Muschelkalk gehauen war. Das eine ist eine entschieden männliche Figur, von der andern bin ich in dieser Beziehung zweifelhaft. Die Arbeit der hintern Seite konnte ich nicht sehen, da sie beide auf den Rücken lagen. Aber es waren rollkommene Bildsäulen, die Beine waren nicht hautreliefartig auf dem rohen unbehauenen Stein angedeutet, sondern völlig ausgehauen lind standen wie auf einem Untergestell eines starken Steins, der nach unten 2 — 3 Fuß lang keilförmig zugespitzt war, um ihn in die Erde zu senken und dadurch die ganze Figur aufrecht zu stellen. — Der größeren Figur fehlte der Kopf, der abgeschlagen war. Mit dem Kopfe würde sie ohne das Picdcstal circa 8^ in der Länge gemeffen haben. Die Figur ist nackt, am Halse hängt ein eigenthümlicher Zierrath, an den Beinen ist ein Harnisch mit Schienen zu erkennen. Die Gestalt hat in ihrem Bau etwas entschieden Weibliches, doch fehlen die herabhängenden Brüste gänzlich, die man sonst bei allen weiblichen Steinbildern der Art charakteristisch findet. Stellt sie einen Hermaphroditen oder eine Amazone vor? Das was die Figur mit den Händen vor dem llnterlcibe hält ist offenbar ein Gefäß, oder ein lederner Schlauch. Auch an dieser Figur sind Spuren einer schwarz-grauen Farbe, womit sie angestrichen oder überdeckt ist, deutlich zu erkennen. *) Die zweite Figur maß ohne daS Picdestal 5,'. Es ist eine männliche Gestalt mit einem ganz gewöhnlichen tatarischen (später polnischen) Nock bekleidet, sogar die regelmäßigen quer vor der Brust bis zum Unterlcibe herabsitzcnden Litzen sind vom Bildhauer deutlich bezeichnet. Die ganze *) Ich tonnte mich, wmn ich mil dicsc schwaizr Figur mis' mnm rinsmns!, Kurgan der Steppe dachte, durchaus des Gedankens nn die Fclttmfcl der Vibcl (2 sshron. 1!, !5) nicht mvehrm. 345 Figur hat einen andern Charakter, nichts Mongolisches, und reicht gewiß nicht über die Tatarenzeit hinaus. Man versicherte mir, es gäbe dieser Art Figuren in dieser Gegend sehr viele. Das dritte Mal, wo ich auf solche Steinbilder traf und Gelegenheit hatte, sie naher zu untersuchen, war in Tcrpcnie, dem ehemaligen Sitze des Duchaborzcnhauptes Kapustin, welches ich am ?.">. Juli l64,'l mit Hrn. Kornirö besuchte. Auf dem innern oder 2ten Hofe des Kapustin standen in der Mitte drei Steinbilder in einer Reihe neben einander. Siehe Illustration, Bilder I). 15. und ^. Sie waren offenbar erst von benachbarten Kurgancn hierher transportirt worden. — Alle drei hatten durchaus denselben Charakter. Das größte stand in der Mitte, und maß 7'//, das rechts «'/2', das links 5/2'. Es waren 3 stehende weibliche Figuren, nackt bis zum Leibe, mit starken hängenden Brüsten, Leib und Beine waren bis zur Wade mit einem Rocke bedeckt, der bei der einen Figur geschloffen, bei einer andern geöffnet und bloß übereinander geschlagen erschien. Auf dem Kopfe war ein eigenthümlicher Hauben-artiger Kopfputz, der hinten allerhand Zierathen, A zusammenfallende Flechten :c. hatte, um den Hals war ein Halsschmuck und ein kragenartiger Umhang, in den Ohren hingen große Nlnde Ringe. Unter der Brust der einen war ein viereckiger, Unter der Brust der andern eine dreieckiger seltsamer Zierrath, wahrscheinlich ein Amulet vorstellend, angebracht. Die Hände l)iclten vor dem Leibe Gefäße; das der einen Figur war sehr groß, fast einen Fuß lang, einen halben breit, das der andern war kaum den vierten Theil so groß, und zierlicher in der Form. Die Beine von den Waden an, und die Füße waren l)antreliefartig, aber ganz deutlich herausgearbeitet, von der dritten Figur steckten sie jedoch nut der ganzen Unterlage zur Hälfte in der (5'rde. Die Physiognomie war unverkennbar Mongolisch, der Kopfputz ist dem der jetzigen gemeinen Kai-'Nürkiiinen sehr ähnlich. Die dritte kleinste Figur, Bild !<'., war vorn fthr zerstört, sie war völlig zu einer Fläche abgemeißelt "nd glatt gehauen. Anf dieser war eine Schrift eingehaucn, welche in russischer Sprache besagte, daß eine Division unter 346 General Berg N?0 hier gestanden, was dann Veranlassung gegeben, dieß Factum auf diesem Steine zu verewigen. Das vierte Mal, wo ich ein Steinbild traf, war nahe bei Aradat, der ehemals klemm türkischen Festung, wclchr in der Krimm gerade beim Beginn der schmalen Erdzungc liegt, die das asowsche vom faulen Meere trennt. Siehe Illustration, Bild <-. Es steht rechts vom Wege nach Feodosia, nicht auf einem Kurgan, sondern mitte», auf einer wiesenartigen Fläche, Es scheint ziemlich tief in die Erde versunken, und ragt etwa 4' über dem Boden hervor. Es ist von der rohesten Arbeit, nur der Kopf ist eben an dcr Figur angedeutet, aber keine Physiognomie zu erkennen. Nur der eine Arm mit der Richtung nach dem Bauche, um das Gefäß zu halten, ist eben am Steine angedeutet, der andere Arm nicht, oder doch jede Spur der Andeutung verwittert. Ich gebe außer denen von mir selbst gesehenen noch zur Vergleichung die Zeichnung von einigen andern, die sich in Pallas Reisen von !7!N -U-l Leipzig, I?W Th. I. pag. ^5 befinden. Siehe Illustration, Bilder II. I. K. I.. 51. Ich halte diese Steinbilder für die interessantesten urhistorischen Denkmale, welche Nußland besitzt, und das Gouvernement kömtte sich ein großes Verdienst um die Wissenschaft erwerben, wenn es cinigcö für die Aufklärung dieser räthsclhaf-ten mythischen Gestalten thäte. Dies müßte aber bald geschehen, denn sie gehen mit großen Schritten ihrer Zerstörung entgegen! Wir würden in dieser Beziehung vorschlagen, daß zunächst bei den überall hin und wieder vorgenommenen Vermessungen der Steppe die Stellen sämmtlicher größerer Kurgane genau auf den Karten bezeichnet würden, und von den kleinern wenigstens die Hauptlinien und die Zahl derselben. Eben so wären alle Kurgane zu bezeichnen, auf denen noch Steinbilder stehen. Endlich wäre allen Feldmessern, reisenden Offizieren, Domainenbramtcn :c. aufzugeben, gelegentlich von jedem Steinbild», das ihnen auf-stieße, eine Zeichnung dcr vorderen und hinteren Seite aufzunehmen und abzuliefern. — Es gehört hirl,u nur das Mini- i!4? Mum von Zcichcntalcnt, da es nicht um cine genaue und künstlerische Auffassung, sondern nur um eine sehr oberflächliche Darstellung, eben hinreichend, um die Kategorie zu bestimmen, zu welcher das Steinbild gehört, sich handelt. Wollte gar das Gouvernement eine kleine Prämie, etwa ^ Rubel Banco, für lcdes einzuliefernde Bild aussetzen, so würden wir vielleicht für 1W0 Rubel Banco eine geographisch genaue Bestimmung sämmtlicher noch vorhandener Steinbilder, und wie viel zu jeder Kategorie zu zahlen, gewinnen können. Erst dann würden Wir über die Fragen, welcher Zeit und welchen Völkern sie angehören, und welche Verbreitung jede Kategorie hat, eine einigermaßen genügende Antwort und ein übersichtliches Bild erhalten. So lange ein solches übersichtliches Material zur Beurtheilung nicht vorliegt, wird man kein gründliches Urtheil zu sällcn vermögen; nur so viel glaube ich schon jetzt aus den eignen Beobachtungen, die ich gemacht habe, behaupten zu dürfen, daß diese Steinbilder nicht sämmtlich einem und demselben Volke und daß sie auch nicht einem und demselben Zeiträume der Geschichte angehören. Der ungeheure Landstrich, in welchem diese Steinbilder sich finden, hat wohl nur in einer einzigen Zcitperiodc, eine nicht sehr lange Zeit, einem und demselben Volke gehört und gehorcht. Herodot nennt zwar diese sämmtlichen Landstriche als von Skythen bewohnt, und schreibt einem Stamme derselben, dem KönigSskylhcn, eine Art Herrschaft über die übrigen zu. Allein eine kritische Forschung hat längst nachgewiesen, dasi der Name Skythen bei Hero-dot ein l5olcctioname, wie der der Barbaren bei den Römern War, daß er bei ihm mehr Völker derselben Lebensart alü derselben Abstammung und Nationalität bedeutet, zudem haben die Skythen des Herodot auch keineswegs jemals längs der Kaukasuslinie her gewohnt und geherrscht, wo doch eben die Steinbilder in so besonders starker Verbreitung und großer Atizahl sich finden. — Das große Gothcnrcich des Hermanrich l'at wohl nie das ganze Territorium der Steinbilder umfaßt, auch haben diese nicht einen Zug germanischen Charakters an und in sich. Die Hunnen haben allerdings wohl das ganze Territorium beherrscht, jedoch nur gan; kurze Zeit, lange nicht Zeit genug, als daß diese Tausende von Steinbildern ihnen sämmtlich angehören könnten. Die Mongolen endlich haben allerdings dies ganze Territorium und auch lange genug beherrscht, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß ein Theil der Steinbilder ihnen angehören, die Physiognomien derselben zeigen es, auch ist eine Aehnlichkeit mit buddhistischen und tibetani-schen Götzenbildern nicht ganz fern, allein daß die ersten Steinbilder nicht von ihnen sind, daß sie sie nicht zuerst hierher gebracht haben, ist daraus klar, daß bereits die Schriftsteller vor ihnen der hier vorhandenen Steinbilder Erwähnung thun. Der erste bis jetzt bekannte Schriftsteller, der die Steinbilder erwähnt, ist Ammian Marcellin, der bei der Beschreibung der Hunnen sagt: „Sie sind von seltsamer Gestalt, man könnle sie für auf zwei Füßen gehende Thiere ansehen, oder für solche plump gehauene Säulen in menschlichcr G e-stalt, wie man sie an den Ufern des PontuS Eu.ri-nus sieht. Der als Gesandter König Ludwigs von Frankreich I^'l an Manchu-(5han geschickte Mönch Ruisbrock oder Nubruquis beschrieb die Steinbilder genau so, wie wir sie noch jetzt finden, schreibt sie aber mit Bestimmtheit, so wie auch die Kurgane, dem Volke der (5omancn zu. Rubruquis mag dies gehört haben, auch mögen die Comanen die Sitte der Kurgane und Steinbilder ebenfalls angenommen haben, wie die Völker vor ihnen, dasi diese Sitte aber bei ihnen nicht zuerst entstanden ist, zeigt sich aus dem einfachen Umstände, daß, wie angeführt, Ammian Marcellin die Steinbilder hier bereits kennt, zu einer Zeit, wo das Volk der Romanen wenigstens hier noch gar nicht cxistirte. Auch haben die Romanen niemals das ganze Territorium der Steinbilder besessen, sondern nur einen sehr kleinen Theil derselben. Wie die von nur vorgelegten Bilder zeigen, gehören diese Steinbilder offenbar verschiedenen Völkern an, es sind die verschiedenartigsten Physiognomien, Trachten lind Zieraihen daran ausgeprägt, anch geboren sie mcl'l einem und dcmselbcn Zeit- A49 >aume, nicht demselben Jahrhundert an. Es tnögrn vielmehr ^lle Völker, die die Steppe durchzogen und bewohnten, diese Sitte, die wahrscheinlich ursprünglich auf einem religiösen Cultus bernhcte, angenommen haben, und also zwischen der Ent-stehlmq der ältesten Steinbilder und der der letzten Jahrtausende liegen!*) Kurganc und Steinbilder sind eine Sitte, vielleicht ursprünglich ein Cultus der Steppe, alle Völker, bie iu ihr gelebt, haben sie angenommen, die ersten vielleicht al5 CultuZ, die spätern nur noch als Sitte bei den Begräbnissen der ihrigen. Wenn ich eine Vermutlmng aussprechcn Möchte, so wäre es die, dasi jene nackten rohen Steinbilder, lchne Zierathcn, wie ich das bei Charkow und daS bei Arabat ^'schrieben, die Bilder <>. und <;., die ältesten sind. Vielleicht Mören sie den llrbewohnern, dcu Kimericrn an, welche nach ^erodot von den Skythen verdrängt wurden. Auch die beideu sitzenden Gestalten, Bilder l.. und ^l. bei Pallas, könitten dazu Lehörcn. Dann könnte vielleicht das Bild k,, bei Pallaö, einem der Völker angehören, die unter dem Namen Skythen zusammen begriffen werden. Vielleicht gehört auch das Bild It., die ''älhselhafte Amazone oder der Hermaphrodit, dazu. — Dann kommen die Bilder O. 15. r. ll. I., alle mit mongolischen Physiognomien, die demnach den Hunnen, Avarcn und Mongolen angehören möchten. Endlich wäre Bild <'., als das neueste Steinbild, den Tataren zuzuschreiben. In den östlichen Steppen bis nach China hin und in ganz Sibirien giebt es ausier unzähligen Hügeln auch Steinbilder. Nan weiß von ihnen aber nicht viel. Sie scheinen sich in der ') Als ich vl,m Emiphcropol nach Pcrewp reisctc, suh ich rcchtö an, Wc.;r m>f ciuem Kurgdtt mi, wir cö nur in dcr l^illfcrmüig schim, nildliiicS Steinbild. Äls ich mihn' gi»g, wur es „ichlS als ciii gewöhnlicher 3' hoher sy.dmfstm! mil dein Tml'mi, wir man ihn auf allc,i Tatalcn-sslcilicn, findet. Hirr also war die uralte Sitte so eingewurzelt, daß die mnhamedcmischen Tataren, trotz ihres ?ll'schsiu's vor den> Heidenlhuiiic, doch den alten heidoischen Klirgan zxm Grabe benutzt, und dast s^, slalt des heidnischen Steinbildes, den mnhamedanischen Denkstein mil dl'm Turban darauf ^eseht hatten. 350 Form wesentlich von denen um das Pontische Meer zu unter-scheiden, namentlich fehlt ihnen jenes charakteristische Kennzeichen der pontischen Steinbilder, daß vor dem Bauch mit den Händen gehaltene Gefäß. Die Nachrichten der Reisenden darüber sind sehr unvollkommen. Bei Herbcrstein zuerst, später auch bei andern, findet sich die sibirische Sage von der Stara baba (der Altmutter) aufbewahrt. Hoch im Lande Obdora am Eismeere, nicht weit vom Ausflüsse des Ob, soll aus einem Berge die goldne Statue einer sitzenden alten Frau aufgcrich-tet sein, für alle sibirischen Völker ein heiliges .Denkmal. Sie hat in ihrem Schoße ihren Sohn liegen, und dieser wieder in seinem Schoße ein kleines Kind, ihren Enkel. Aus ihrem Innern tönt es beständig wie Trompeten- und Posaunenklang ! Ich lasse zur Vcrglcichung mit den pontischcn Steinbildern eine Illustration mit sibirischen Steinbildern folgen, die ich Falk's Reisen von 1768 — 73 (Petersburg 1785,) entnommen habe, und gebe dazu dessen eigne Notiz. Am linken Ufer des Flusses Abakan in der sogenannten chinesischen Steppe im kus-nehkischen Kreise stehen 2 Steinbilder, nicht weit von einander entfernt, welche die dortigen Nomaden Kurtajak-Tasch, d. i. Alteweibersteine nennen. Siehe Illustration, Bilder ^. und Ij. Sie sind in grobem röthlichem Sandstein sehr roh gearbeitet. Nicht ganz weit von dort stehen in der sajanschen Steppe am Bache Akscha, der ebenfalls vom Flusse Abakan auf dessen linker Seite aufgenommen wird, abermals 2 solcher Steinbilder, von den Sajanen ebenfalls Kurtajak^Tasch (Alte-weibersieine) genannt. Siehe Illustration, Bilder (^. und D. Endlich steht am rechten User das Tschcrno Ijus, gegen Je-mardekowa-Iurr über, ein langes Steinbild, das die Sajanen Kasan-Kisch-Tasch d. i. Mädchenfclscn nennen. Siehe Illustration, Bild N. Sie sind sämmtlich in röthlichcm Sandstein ausgehauen. Die dort gegenwärtig umherziehenden Völker wissen aber nicht daß mindeste von dem Ursprünge und der Bedeutung dieser Steinbilder zu erzählen. 351 A. B. C. D. E. Auch Georgi in seines Abhandlung über die udinskischen Bergtataren führt an, daß in Sibirien in der Steppe am Askisch und Icnisei eine Unzahl von Gräbern und Stcmdenk-malen sich fänden. Diese Gräber sind aber keine Kurgane, sondern sämmtlich mit großen Wacken oder Steinfliesen ins Viereck umpflanzt und innerhalb dieser Einfassung, theilß als ein flacher Erdhügel erhaben, theils ganz eben und oft mit einem Pflaster von kleinen Fliesen belegt. Hier finden sich dann auch Steine mit menschlichen, grob ausgehauenen Gesichtern. Die baltirischen dort vorhandenen Tataren nennen diese Steinbilder Ilgcnsök. Unter diesen finden sich 2 schmale, 3 Ellen hohe, auf beiden Seiten platt nach oben schmälere und abgestutzte Steine, welche sonst nebeneinander gestanden haben, jetzt aber auf der Erde liegen. Der eine, welcher um cinc halbe Elle höher ist und von den Tataren Küß-Tasch (der Tochterstein) 352 genannt wivd, hat auf dem S6)nitt dcsNandes zur Rechten dcs ausgchauenen Gesichts, von oben bis unten grob ausgchaucnc Figuren von zwei-bucklichten Kameelen, auf dem andern Rande ist ein ungestaltetes Bild von einem Kinde ausgearbeitet. Den andern Stein nennen die Tataren Küsi-Tasch (der Mannsstein), auf dessen Rande sieht man unten ein Mannsbild zu Pferde, mit vorausgerichteter Lanze, an welcher eine Fahne hangt, und etwas höher cincn gespannten Bogen mit daraufgclegtem Pfeil, ziemlich groß und deutlich autzgehauen. Auf dem andern Rande sind verschiedene undeutlich gewordene Figuren, oben noch eine Lanze mit dreizackiger Flagge, fast wie der Bart eines Schlüssels, dann einige Querstriche, zu unterst aber die Abbildung eines Kindes. Die künstlichen Hügel in der Steppe, die Kurgane, sind zum großen Theil Vcgräbnißhügel, und man findet dann darin Asche, Kohlen, Knochen von Menschen und Thieren, und allerhand Waffen und Geräthe. Allein einzelne, besonders hohe und hochgelegene, scheinen mehr eine religiöse oder auch eine politische Bedeutung gehabt zu haben. Dort mögen Volksversammlungen gehalten sein, auch haben sie wohl als Bcob-achtungswarten gedient. Diese enthalten dann keine Spuren von Knochen, Kohlen :c. „Diese größten und höchsten Kurgane ssagt Schlatter in seinen Reisen zu den Nogai-Tataren) befinden sich meist auf den höchsten Stellen der Strppr. Sie stehen auf der allmählich sich wölbenden, oft fast unmerklichcn (5rhöhung des Bodens, so daß, wenn man auf einen solchen Hügel zugeht, und das Auge eine horizontale Fläche vor sich zu haben glaubt, man doch gewiß sein kann, daß der Boden sich allmählich nach dem Grabhügel zu erhebt, und von dort sich wieder abwärts senkt. Auf den Höhen an dem Punkte, wo mehrere Abdachungen nach verschiedenen Richtungen ausgehen, stehen oft mehrere dieser Kurgane zusammen. Der Landesbcwohner hat an ihnen bestimmte Zeichen, nach welchen er sich in der Steppe orientiren kann. Sie zeichnen sich durch verschiedene Größe und Gestalt von einander aus, und es werden ihnen auch Namen beigelegt, z.B. Kara Mohille--die schwarze Mohille, Kock äiger -^ Schimmclhcngst ic." Herr Kornies versicherte mir, daß er in diesen großen auf den Höhenlinien der Steppe liegenden Kurganen niemals Begräbnisse, 353 Leichen :c. gefunden habe, dagegen wäre cin deutlich im Step-Pengrase sich abzeichnender künstlicher etwas crhöheter Weg von einem dieser Kurgane zum andern zu erkennen, so daß sie zusammenhängende lange Linien bildeten. In den nicht auf diesen Hohenzügcn liegenden Kurganen fand aber Kornies sehr hausia. Begräbnisse. Die Leiche lag immer den Kopf gegen Dstcn gerichtet. Es fand sich stets nur eine Leiche, aber dabei ofl die Knochen von mehreren Pferden und andern Thieren und große Haufen Asche. In einem Kurgane fand sich unge-sahr in halber Höhe in der Mitte eine Leiche, welche in einer Art Brcttersarg gelegen zu haben schien, aber 20^ tiefer unter dieser lag wieder ein Gerippe, und zwar schien dies, nach den Erdartcn zu urtheilen, in einem vorher vom Kurgan aus ausgeholten Gange beigesetzt zu sein, der schräg von oben nach Unten so lief, daß die Leiche gar nicht mehr unter dem Kurgan sondern daneben zu liegen gekommen war. Herr Kornics versicherte mir, daß an der Malotschna die Composition des Erdreichs, woraus die Kurgane zusammengeschüttet seien, sehr eigenthümlich wäre, die Erdlagen seien im-Mcr homogen, meist 2 Fuß dick angehäuft, eine Schicht Sand, eine Schicht Thon, eine Schicht Humusboden u. Was aber das sonderbarste sei, niemals fände man in den nächsten Umgebungen dcö KurganL Gruben und Vertiefungen, woraus man etwa schließen könnte, daß die Kurgane aus ihnen aufgeführt wären, vielmehr zeige die Untersuchung der Schichten deutlich, daß die Erde sehr weit her tranöportirt sein müßte. Er habe mitunter Erdschichten gefunden, die 20 — 30 Werst nngsum gar nicht vorkämen. Sie fand sich endlich, aber wohl 69 Werst weit vom Kurgan entfernt. Welch räthselhaftes Verfahren! — Die Grabhügel zwischen der Malotschna und Berda verdienten es ganz besonders, gründlich und vorsichtig untersucht zu werden, denn hier lagen ja nach Herodot wahrscheinlich die Königsgräber der Skythen! Der mächtigste von allen bekannten Kurganen möchte wohl der Zarewkurgan beim Dorfe Zarcwtschino nicht weit von Sa-Mara sein. Er liegt in ciner ganz stachen Gegend und mißt nach Pallas 20 Faden in der Höhe und 1'/- Werst im Umkreise. Es hat sich die Sage von ihm erhalten: einst sei ein 23 354 gewaltiges Kriegsheer dort hergezogen, der König und Heerführer desselben haben befohlen, jeder solle eine Mühe voll (5rde auf die Stelle, wo jetzt der Hügel sieht, ausschütten, daraus sei ein ungeheurer Berg entstanden. Allein am andern Tage habe das Heer eine Schlacht gehabt, und nun sei dasselbe abermals auf dem Rückzüge vorbeigezogen, da habe der König geboten, jeder solle wiederum cine Mütze voll Erde aufnehmen nnd forttragen, da sei dann dcr Berg wieder viel kleiner geworden, doch noch der jetzige Hügcl übrig geblieben, als Zeichen der Unzählbarkeit des ursprünglichen Heeres. — In Deutschland und Flandern giebt es ganz ähnliche Sagen. — In Flandern giebt c5 einen hohen Hügel, welcher nach der Sage entstanden sein soll, daß jeder Krieger des Heeres eine Hand voll Erde auf das Grab deS dort gefallenen Heerführers geworfen habe.— Ich hörte, ein Herr Tereschtschenko habe im Auftrage des Ministers des Innern diesen ungeheuren Kurgan durchgraben lassen, und darin 3 Kammern mit Gräbern, Mo-saiksiiesen :c. gefunden. In einem benachbarten kleinen Hügel fand er eine Urne, die mit Vogelknochen, Thonkugeln und Käfern von Thon gebildet gefüllt war. Bekanntlich findet man in den egyptischcn Gräbern den Ateuchus sacer oder Sca-rabäus. Wie wichtig wäre hier eine genaue Untersuchung! Sehr interessant sind die Kurgane bei Kcrtsch. Nirgends giebt es eine so große Anzahl und so hohe künstlich aufgeworfene Hügel, als in diesem Winkel der taurischcn Halbinsel! Diese Hügel enthalten zum grosien Theil eine Unzahl von künstlich gemauerten zuweilen ganz prächtigen Grabgewölben, unt> in diesen herrliche Marmorsarkophage, griechische Bildsäulen von hoher Schönheit, künstlich getriebene Arbeit von Gold u,s. w. *) ') Der Reichthum an Gold in diesen Gräber» ist außerordentlich. Ich sah in Petersburg ganze getriebene Masken dun Gold, 10 Pfund schwer! Doch übertrifft da«, was man in den Gräbern Sibiriens zuweilen findet, dies noch bei weitem. So fand man vur einigen Jahren im südlichen Eibiricn am Amnr ein Grab, wo der Leichnam ganz in Goldblech ein-gehüllt war! Man stellte die etwas kühne Vermuthung auf, das, rs das Grab DschmMchan'S sein miichtc! Anch bei Kcrlsch zeigt man einen hohen Kurgan, der den Namen: Grab des Mithridat führt, und desse» Leichnam enthalten soll, M'Nmdatts, Wirwohl in Pantikapcon gestorben, ,si 355 Alles aus dcr Zeit des griechisch bosphorischen Königreichs. In Kcrtsch, dem alten Pantikapeon, fand ich cm reiches von diesen Ausgrabungen angelegtes Museum. Ebenso giebt es in Petersburg eine Abtheilung deö Museums der Heremitage, welches die herrlichsten Alterthümer auö Kertsch enthält. — Allein man irret, glaube ich sehr, wenn man annehmen wollte, diese Hügel seien in jeuer Zeit über jene Grabgewölbe aufgeworfen worden. Ich bin vielmehr überzeugt, diese Kurgane sind viel älter und aus einer Zeit, wo daß griechische Pantikapeon noch gar nicht existirte! Sie haben nämlich durchaus das Ansehen, den Charakter, die Bodenmischung und Schichten-aufhäufung der Kurgane der Steppe, sie hängen mit ihnen in Linien durch die Steppe in Taurien zusammen, die etwas entfernter von Kertsch liegenden, aber auch einige unter den ganz nahen, enthalten sehr ha'usig gar keine griechische Grab^ gewölbe. Kurz ich glaube, daß die Griechen von Pantikapeon die vorhandenen uralten Kurganc blost benutzt haben, um ihre Grabgewölbe darin anzulegen und zu bauen, *) woher es denn auch kommt, daß oft in einem nicht großen Kurganc 3 —4 solcher griechischer Grabgewölbe sich gefunden haben. Mitunter sind auch solche griechische Gräber in die natürlichen Bcrge hineingearbeitet, zuweilen sogar unmittelbar neben leere Kur-Jane! Die Griechen jener Zeit hatten auch gar nicht die Sitte, solche hohe Todtcnhügel aufzuwerfen. Man findet sie sonst nirgends bei ihnen. Wie sollten sie grade in Pantikapeou jedoch nicht dort begraben, sondern in Sinope, Dieser Kurgan, dm die Tataren Allun-abo (Goldberg) nennen, ist 100' hoch und hat 150' im Durchmesser. ?li,f der Grundfläche ist cr mi» großen Stcinblöckm in der Weise der (lyllopm-Mauern gemauert. An icdcm IohmmiS-Tage erscheint nach del Sage anf seiner Spitze eine Jungfrau, die den erwartet, der dereinst mit ihr die Schätze theilen soll. Cir ward 1832 durchgegraben. Man fand ein Gewölbe 10' hoch, 4" breit, 6N' lang, aber völlig leer, wahrscheinlich schon früher beraubt. ') DicK ift der natürliche Gang; jedes nachfolgende Volk hat diese Sitle von dem volhelgehmbcn überkommen. Selbst noch dic zaporogischcn lsosaten setzen ihre verstorbenen Vltmnam in den vorhandenen MoMcn der Steppr bei. Siehe Bilder aus dem Kosalenlrl's!, von (lzakowsk, >. I.W. 23* 356 hierauf gekommen sein? Ich halte die Kurganc bei Kertsch also für eben so alt, und denselben Völkern angchörig, wie die Kurgane der Steppe. Ihr nahes Zusammenliegen, ihre große ZabI, ihre außerordentliche Größe deuten aber darauf hin, daß sie Herren - und Kömgögräber oder durch irgend einen l5ul-tus geheiligte Orte waren. — Es ist eigenthümlich, daß die Urvölker besonders gern Inseln und Halbinseln zu geheiligten Stätten ihres Kultus wählten, so hier am Pontischen Meere die Spitze der Halbinsel, so im baltischen Meere die Insel Rügen, in der Nordsee vielleicht Helgoland :c. Zum Schluß will ich hier in der folgenden Illustration die l^22 aufgedeckte Grundlage eines Kurganö in der Nähe der Stadt Nikolajew im Gouvernement lHcrson geben. Der Kurgan war einfach von Sand aufgeschüttet, der weiter nichts enthielt, nicht einmal Kohlen oder Knochen. AIs man aber den Kurgan ganz abgeräumt hatte, fand man 4 runde Kreise von aufgerichteten Steinen die 2 — Z Fuß hoch waren. In der Mitte war ein kreisförmiger leerer Raum, in welchem 5 Steine zusammen lagen. Das Ganze erinnert offenbar an die Steinkreise oder sogenannte Hühnenringc in der Altmark und dem Lüneburgischcn. Ein Freund in Petersburg theilte mir die Zeichnung mit. XXIII. Die Nogai-Tataren. (Geschichtliche Sagen und neuere Geschichte. ^co>ira' Phischc Beschreibung und Verfassung ihreS iianbcs. Nrligioüöl'erhält-nissr. Charakter uud Aeufterrs dcs Vl'Iks. jUridiln^. Häuser und Wohnung, ^lahrun^. Gesundheitszustand. Schulen. Sitten und Gebräuche, Familimverfassmig, Huchzcil - und Vegräbnisi ^ Gebrauche. Vcschäftignü^ dci Männer, ^iihzuchl und Äcksilian, Mschäftiiilmg brr Wriber, Ausfuhr und Einfuhr. Monographie dcs tatarischen Dorfs Actcrinan. «vch habe oben erzählt, daß ich von den Mcimolu'tencolonien auö, mit dem Mennonitcn Herrn Kornicö ein nogai-tatarisches Dorf besucht habe. Ich bin später mehreren kleinen Nomadenhorden dieses Volks bessessnet und habe in der Krimm dcn seit langer Zeit ansässige» Theil der Tataren kennen gelernt. Die Nogai-Tataren sind in Europa der lchte Nest, die lehten Zeugen jener ungeheuren mongolischen Weltbewegung, die im Mittelalter alleö ^and zwischen (5hina und Schlesien, zwischen Sibirien und dem indischen Ocean erschütterte. Die Mongolen und Tataren stifteten in der Krimm das westliche und noch biö gegen Ende deS Men Jahrhunderts bestehende Tatarcnrcich. Vor ihnen zitterte noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Moskau und Polen. Sie sind endlich gegenwärtig die letzten einsamen Nomaden Europas, die aber auch, von der modernen, Alles überwältigenden Cultur ersaßt, ihre stolze Hirteilfreiheit und Ungcbundenheit mit der Ansässigkeit, dem Ackerbau und den Gelvcrbcn ^l vertauschen im Begriff stehen. Es czistirt über dic Nogai-Tatarcn ein Buch von Schlattcr *). ') Bruchstücke aus einigen Rciftn nach dein südliche» Rußland in dcn Jahren 1822 l»S 4828, mit desoudner Rücksicht auf die Noga, ^ Talarm "M Ast'wschcn Meere, St, GMm lslW. 356 Es kann als Muster einer vortrefflichen Volksmonographie dienen. Man kann daraus erkennen, was ein Mann in gerechter und tiefsinniger Auffassung cincr Volksthümlichkeit zu leisten vermag, wenn er sich ihr mit wahrer ungethciltcr Liebe hingiebt. Nach Erscheinung jenes Buchs vermag ich nicht mehr etwas Vollständigeres über dies Volk zu geben, ich wäre sonst gezwungen eS ganz auszuschreiben! Ich kann daher nur etwa Ergänzungen jenes Buchs hier bieten. Ich erhielt aber viele, theils mündliche, theils (in einem eignen Aufsatze) schriftliche Notizen von meinem Freunde, dem Mcnnoniten Kornies, der seit vielen Jahren der nächste Nachbar der Nogai ist, den sie ihren Freund und Vater nennen, der sie bei allen ihren Bedürfnissen unterstützt, und besonders die unterrichtet, unterstützt und anleitet, die sich ansässig machen und Ackerbau und Gewerbe treiben wollen. Ich folge im wesentlichen dem Material und der Eintheilung jenes schriftlichen mir mitgetheilten Aufsatzes. Er beschreibt vorzugsweise die Verhältnisse derjenigen Nogai-Tatarcn, die im Kreise Melitopol des Gouvernements Taurien zuerst 1809 unter Leitung des Grafen Maison allmählich sich fest angesiedelt haben. Geschichtliche Sagen und neuere Geschichte. Die Nogai-Tatarcn haben keine geschichtliche Denkmale ihrer Vorzeit. Man spricht zwar von einem geschriebenen Buche, Towrik genannt, welches einzelne Geschichten über ihre früheren Schicksale enthalten soll, Niemand soll es aber bis jetzt gesehen haben. — Aus ihrer Neligionseinheit haben sie sich die Sage zusammengesetzt, daß sie mit den Türken und Arabern von dem geliebtesten und gesegnetesten Sohne Noah's, nämlich Sem, und demnächst von Abraham und Ismael abstammten. Dann behaupten sie, speciell von den Usbecken herzustammen und früher in der grosicn Tatarci, insbesondere in der Tschogatai, als Nomadcnvolk gelebt zu haben. Ihrer Räubereien halber hätten ihre ältern Brüder, die Usbccken, sie verflucht und ihnen den Namen Neongai (d. i. daß du ewig ohne Glück verbleibest) beigelegt. Nach ihrer Sage ist Dschin-giskhan unter ihnen geboren, und zwar von einer Jungfrau, I59 durch einen Strahl der Sonne erzeugt, ohne Zuthun eines Mannes. Unter dem Khan Dschanibcck zogen sie vor 7»7l> Jahren (Anno 12l>7) an die Wolga, wo sie lange jenseit derselben nomadisirten. Ans dieser Zeit haben sich die Sagen Und Traditionen erhalten von großen Kriegszügen, die sie mit dn goldnen Horde nach den Westen gemacht. Sie haben Erinnerungen an Batukhan, von dem eins ihrer Volkslieder sagt: „5mvu illcll! l)uü!Ni»^Il liiilllklmn juiliti, o. i. Batllkhan bauete kin Hans mit einer Vorlaube." Sie wissen von Lithauen und dem Fürsten Witoff und von dem großen Schlosse Maricnburg an vcr Weichsel, wo sie mit deutschen Rittern (Bogatirs) gc-kämpft, zu erzählen. Dann zog cm Theil an die Kuma und denTereck, an den Fuß des Kaukasus. Ein anderer Theil zog aus unbekannten Gründen später plötzlich über Wolga, Don, Dnjepr, Dnister und den Bug nach Vessarabien, wo sogar ein Theil sich in der Gegend von Akerman ansässig machte und etwas Ackerbau trieb. Die, welche Nomaden blieben, konnten sich mit den Türken und Moldauern nicht vertragen und zogen fort, theilten sich dann in mehrere Horden, von denen einige an den Kuban, eine andere in die Krimm :c. zog. Eine Horde zog im vorigen Jahrhundert in den jetzigen melitopolschcn Kreis an der Malotschna. Der Anführer Kalil Effcndi starb bald, und ist neben dem jetzigen nogaischcn Dorfe Keniges begruben. Nach ihm war Bey Iasioey 17 Jahre lang ihr Anführer. Dann setzte das Gouvernement ihnen einen Anführer Nl der Person des russischen Oberst Trmogin. Im Jahre 1808 übernahm der Graf Maison persönlich ihre Leitung. Die Nogai-Tataren sind jetzt in unzählige kleine Horden zertheilt und auf dem ganzen ungeheuren Landstrich zwischen Bessarabicn, dem Kaukasus und Astrachan zerstreut. Man findet sie jenseit der Wolga, an der Kama, in der Kabardci selbst mit Tscherkcssen gemischt, am Don zwischen den Kosaken, »n der ganzen pontischen Steppe, in der Krimm, in Bcssara-bien, ja selbst auf dem rechten Ufer der Donau, jedoch jetzt westlich von der Malotschna überall nur in geringer Zahl, da die ständigen Ansiedlungcn das Nomadenleben allmählich verdrängen. Der Graf Maison faßte den Plan, zunächst die No^ N"i im Kreise Melitopol ansässig zu machen. Er legte die 300 Stadt Nogaisk an, und brachte zuerst eine kleine Zahl des Volt's dazu, sich dort nicdcr zu lassen, Ackerbau hatte das Volk bisher hier nicht getrieben, nur einzelne hatten etwaö Hirse gcsäct. Graf Maison machte große Anstrengungen sie fest anzusiedeln. Ueberredlmg, Bitten, Belohnungen wurden verschwendet, aber auch bei Bergchungcn und Verbrechen wurden als Strafen Ackerbauarbeiten auferlegt. Dem Nomadenleben wurden möglichst viele Hindernisse in den Weg gelegt. Sie wurden gezwungen, Häuser zn bauen, vor denen sie aber Anfangs einen solchen Abscheu hatten, daß sie ihre Filzzelte neben ihren Häusern aufschlugen, und sie bewohnten. Doch nach und nach gewöhnten sie sich, die Civilisation machte sichtbare Fortschritte, und mit ihr der Wohlstand. — Aber Graf Maison legte 1821 daö Amt der Führung der Nogai-Tataren-nieder, und nun trat nicht bloß ein Stillstand, sondern ein offenbarer Rückschritt ein. Viele verließen ihre Häuser, legten ihre Habseligkeittn auf ihre Arba (zweirädrige Karren) und zogen wieder als freie Nomaden in die Steppe: „Allah hat eö so gewollt," sagten sie, „er gab dem Russen und dem Deutschen den Pflug, dem Armenier den Tisch szum Goldzählen), dem Nogaier aber das Rad!" — Geographische Beschreibung und Verfassung ihres Landes. Die Nogai-Tataren über dem Asowschen Meere sind vom russischen Gouvernement jetzt auf einen bestimmten scharf abgegrenzten Landstrich eingeschränkt, der von Norden nach Süden 50 Werst lang, von Osten nach Westen U0 Werst breit, und auf 800,000 Dessj, oder 144 lH Meilen zu schätzen ist. Südlich grenzt ihr i?and an daö asowsche Meer und dei Besitzungen des Grafen Orlow-Denisow, nördlich an die Colonie der Mennoniten und der Malakancn, östlich an die würtembergischcn Colonien und die russischen Ansiedlungcn im alexandrHwschcn Kreise, westlich an den Malotschnasce und die Colonien der Duchaborzen. Ehemals war das Land viel größer, es hatte eigentlich keine bestimmte Grenzen, gegenwärtig ist es durch die vorgenommene deutsche und russische Colonisation eingeschränkt. (5s ist das altc Mäotien, war später ein Theil der kleinen Tatarei, hieß auch wohl die Wüste Dngul. Das Land ist eben, doch 301 M)lt man 10 Niederungen oder Schluchten und 5 kleine Flüsse vder Bäche. Das Klima unter dem 47stcn Breitengrade ist gemäßigt, der Winter dauert von Mitte December bis Mitte März. Es herrscht Mangel an gutem Trinkwasser, beim Nachgraben kommt man bald auf Wasser, allein es ist meist salzig. Der Boden ist meist leichter Lehm, doch stark mit Humus gemischt und im Ganzen sehr fruchtbar, das Gras der Steppe ist dicht und stark, alles Getreide gedeihet. Das Land ist in 5 Wolostcn eingetheilt, steht aber unter einem besonders ernannten (5hef, der seine Befehle unmittelbar vom Gouverneur von Tannen in Simpheropol erhält. In Bezug auf die Justiz steht daS Land unter dem Niederlandgericht von Are-chow, welches jedoch nur die Criminalverbrechen zur Cognition zieht, kleinere Vergehen bestraft der <3hef der Nogaicr. An Abgaben zahlen die Nogaicr ungefähr >/, der gewöhnlichen russischen Abgaben, nämlich 4—5 Rubel Banco pro Ncvi-sionösrele. Sie sind nur milizpsiichtig, nicht militairpflichtig. Ihre MollahS, deren man circa .Ml zählt, und ihrc Mursas, deren es ungefähr 200 giebt, sind abgabenfrei. Das Volk ist seit 18 N entwaffnet. Sie dürfen nicht einmal ihren Streithammer (Kluk) mehr tragen, nur die Mursas haben ihr Vorrecht, den Kinschal (kleinen Säbel) tragen zu dürfen, behalten. Die Mursas genießen nur Lhreiworrcchtc unter ihnen, erhalten sonst keine Abgaben und Dienste von den gemeinen Nogaiern. Es giebt auch noch eine Art kleinen Adel unter ihnn», der Sait genannt wird. Der Adel mischt sich nicht durch Hcirathen Mit dem übrigen Volke. Obgleich er keine politische und reelle Vorrechte hat, so findet er doch eine große Anerkennung beim Volke. Jeder becifert sich den Mursa, wenn er ausreitet, zu begleiten. Jeder rechnet sich es zur Ehre, ihm einen Dienst zu leisten. Will ein Mursa heirathen so bringen die gemeinen Nogaier ihm Gaben, um den Kalim, den Mädchenpreis, aufzubringen. Die Zahl des Volks ist nicht zu ermitteln, indem viele Nomaden zuziehen und andere wieder fortziehen. Bei der letzten Revision wurden in runder Summe 18,000 männliche Seelen angegeben. Ich glaube, man wird zwischen 40,000 und 50,000 Köpfe beiderlei Geschlechts annehmen können. Der Hauptort des Gebiets ist Nogaisk, auch Ialangasch und Abi- 362 toschna genannt. Die Einwohner daselbst sind größtentheils Armenier, in deren Händen meist ocr ganze Handel des Bandes liegt, außerdem einige Juden, und eine Anzahl Tataren, die ebenfalls Handel treiben. Die Nogaicr haben alte Stammeseinthcilungen, die sie anf-recht zu erhalten suchen, jeder ist durch die Sitte verpflichtet, wenigstens 7 Generationen seiner Ascendentcn zu kennen und hernenncn zu können. Die hiesigen Nogaier theilen sich in 3 Stämme, den jedizanischen Stamm, der von den Bncharcn abzustammen behauptet, den jcdischkulschen, der seine Abstammung von Volgaren mit Tschcrkesscn vermischt, herleitet, und den diembuilukischcn, der von den Kalmücken abstammt. Der Stamm Ie,dizan bewohnt auf der linken Seite der Malotschna ,'N Dörfer und auf der rechten Seite 5 Dörfer. Der Stamm Iedifchkal bewohnt auf der linken Seite d.cr Malotschna !) Dörfer und auf der rechten Seite 1 Dorf. Der Stamm Dicmbuiluk bewohnt auf der linken Seite 19 Dörfer und auf der rechten Seite ,i Dörfer. Die auf der rechten Seite der Malotschna gelegenen Dörfer sind eine neuere Anlage, sie stehen unter besonderer Verwaltung, jedoch ebenfalls unter dem Chef der Nogaier. Sie haben keinen Antheil an der Gemeindecaffe der übrigen Nogaier dieses Gebiets. Diese Gemcindccasse wird aus Ncvcnüen gebildet, die aus der Verpachtung der Fischerei und dem Wcidegcldc durchziehender Nomadenhorden (Koschen) herstießcn, und jährlich circa 3700 Nubel Banco betragen. Rcligionsucrhältnisse. Die Nogaier sind ohne Ausnahme Muhamedaner. Eö befinden sich in diesem Gebiete 1 l Hauvtmoschecn mit Minarets und in jedem Dorfe ein Bethaus (Medsched). Ihre oberste Religionsbchördc ist der Obermufti in der Krimm. Im Gebiete ist im Dorfe (5maul ein Untermufti. — Sie haben Effendi-Mollahs, lwtcr-Mollahs und Kadis oder Richter. Die Mollahs nehmen vom Volke den Zehnten vom Getreide und das vierzigste Stück des Viehes. Sie rufen zum Gebet, beten über Kranke, sind bei Hochzeiten, Opfern und Begräbnissen gegenwärtig. Die Effcndi-Mollahö schreiben die Hcirathscontracte und Ehescheidungen, entscheiden Streitigkeiten und Religions- fragen nach dem Koran. Die Mollahs legen mit Zuziehung der Aeltcsten Streitigkeiten mit Weibern und im Wciberhandel bei. Die Kadis sind ein 3icst der alten Volksvcrfassung. Sie werden noch vom Volke aber nicht von der Regierung anerkannt. Sie sind Schiedsrichter, der Nogaier geht fast nie an die russischen Gerichte. Zwischen dem zehnten und fünfzehnten Jahre wird die Beschneidung vorgenommen. Das Amt des Beschlieiders ist erblich. Die Wallfahrt nach Mecca kann durch ^ftfcr und Almosen ersetzt werden, doch stehen die, welche die Nallfarth gemacht, in besonderm Ansehen, und tragen den Schalma, ein um den Kopf auf eigne Art gewundenes Tuch. Seit einer Anzahl von Jahren ertheilt das Gouvernement keine Paffe zu jener Wallfarth mehr. Man will bemerkt haben, namentlich wahrend des letzten Türkenkriegs, daß dadurch politische Verbindungen mit Konstantinopcl unterhalten würden. Daß unter den Tataren noch eine große Sympathie zu den Türken herrscht ist unzweifelhaft, doch sind sie sehr vorsichtig, den Russen etwas darüber merken zu lassen. Herr Kornics sagte wählend des letzten Türkenkriegs einem alten schlauen Tataren: „Freund! hast du gehört, man sagt, die Türken hatten gesiegt! —" Der Tatar antwortet ohne eine Miene zu verziehen: „Möge es Frieden werden! —" Später kam die Nachricht von einem Siege der Nüssen, auch jetzt antwortete der Tatar, als ihm Kornies dies wieder mittheilte, nichts als das vorige: „Möge es Frieden werden!" Als nun aber Kornies ihn weiter fragte: „Wenn nun aber die Türken kämen, mit wem hieltet ihr es?" antwortete er: „Wir sähen, wo Feld wäre!" Sie haben übrigens die traditionelle Prophezcihung, daß, wie das griechische Kaiserthum unter einem Konstantin sein Ende genommen und das türkische begonnen, so werde auch das türkische Reich ein Cndc nehmen, weim ein Konstan-tm den russischen Thron bestiege. Sie waren daher sehr besoffen, als nach dem Tode AlerandcrS zuerst Konstantin pro-clamirt ward, und waren sehr vergnügt, als Nikolas den Thron bestieg. Sie haben ein Sprichwort: 1«l,lui Ki,8ilul<, 'l'm1i(^lin> 8uUlm nä >v:n-, d. h. Deutschland (bei den Tataren heißen die Deutschen vorzugsweise Frenki) hat die Klugheit, Grusien die Schönheit, die Türkei alles vereint. 364 Opfer sind unter den Nogaiern gewöhnlich, auch außer dem großen Dpserfeste, dem Kurban, für Verstorbene, bei Hochzeiten, vor und nach Reisen, zur Entsündigung wegen Vernachlässigung von Ncligionspstichtcn. Gewöhnlich wird ein Schaf geopfert und dann von der Familie mit Zuziehung der Armen verzehrt. Zuweilen treten mehrere Familien zusammen und opfern auf diese Art ein Rind. Der 40tägige Fastenmonat Ramasan wird nur von den altern Leuten gehalten, und so lange die Sonne am Horizont steht, nichts gegessen, getrunken, und kein Taback geraucht; der darauf folgende Bairam dauert 3 Tage, wird festlich begangen auch mit allerhand Lustbarkeiten, man besucht und beschenkt sich. — Erst zwischen dem 40sten und 50sten Jahre wird das Gebet als eine Nothwendigkeit angesehen, das jüngere Geschlecht ist nicht durchaus dazu verpflichtet. Sie bedienen sich dabei, besonders die Pilger (Handsches), eines Rosenkranzes, der aus 33 Kügelchen mit bestimmten sich wiederholenden Gebeten besteht. Deß Weins enthalten sie sich, aber nicht des Branntweins, jedoch findet man ihn selten in den Dörfern. Die vorgeschriebenen Waschungen beobachten sie, ohne deshalb eben schr reinlich zu sein. Sie enthalten sich streng des Schweinsteisches und genießen daher bei Christen selten etwas anderes als Brod. Zwei Weiber zu haben ist häusig, drei selten. Almosen geben wird als die erste religiöse Pflicht angesehen. (5s giebt daher ein ganzes Heer von Bettlern; viele ziehen zu Pferde umher und halten vor jedem Hause still und rufen ihr klagendes ^ll-unsl^! worauf ihnen herausgebracht wird eine Hand voll Hirse oder Korn, etwas Fleisch oder Fett, selten ein Kopck. Der Bettler hat nun eine Menge Säcke, für jede Kornart einen besondern, ein paar Töpfe :c. am Pferde hängen. Besondere Armenanstalten existiren aber nicht. De/ Nogaier bringt keinem Armen etwaö, er giebt nur, wenn er darum gebeten wird. Charakter und Aeußercs der Nogaicr. Der Nogaicr ist stolz auf seine Nationalität, und demnächst auf seine persönliche Abstammung. Wie die Chinesen, schimpft er die Nüssen, Rothköpfe. Selbst die krimmischen Tataren, die 305 Bergbewohner sieht er nicht für ebenbürtig an, nur die Türken läßt cr als seines Gleichen gelten. Es ist eine sonderbare Mischung von Ehrlichkeit und Dicbs-gelüst in ihnen. Sir stcblen gern Vieh, besonders Pferde, aber als Besucher, wenn sie Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, als Arbeiter und Bettler in den deutschen Cowmen stehlen sie nie, sind sie durchaus ehrlich. Der Bettler sagt: „Da mir die Gaben Gottes gehören, wie käme ich dazu zu stehlen?" — Straßenraub kommt fast nie vor. Ein Geschäft, was dem No-gaier übertragen, wird cr mit der größten Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit ausführen, selbst wenn cr sonst ein entschiedener Dieb wäre. Uebcrhaupt sind sie bei der Arbeit sehr zuverlässig, sie arbeiten besser als die Russen, und sind daher von den Deutschen besonders in der Ernte sehr gesucht. Sie sind behende und aufgeweckt bei der Arbeit, das ist noch die Folge ihres frühern Nomadenlebens, wo das Hirtenleben besonders bei den wilden Pferden, die Jagd auf Raubthiere, das rasche Ausbuchen von einem Ort zum andern ihre Thätigkeit angespornt hat. Sie sind aufbrausend und zur Rache geneigt, doch auch wieder leicht versöhnlich, wobei sie sich dann wie billig auf den Koran berufen, der die Barmherzigkeit gegen Feinde anempfiehlt. Die Statur ist von mittlerer Größe, gedrungen und untersetzt, doch nicht dick, die Haltung ist edel, der Gang leicht, die Bewegung gewandt. In der Gesichtsbildung tritt die Mischung der kaukasischen und mongolischen Race deutlich hervor, besonders sieht man bei den Weibern häusig völlig ausgeprägte tschcrkcssische und eben so kalmückische Gesichter, ungeachtet diese angesiedelten Nogair jetzt keine tschcrkcssische Mädchen mehr kaufen, und selten eine Kalmückin heirathen. Dic Gcsichtssarbe ist bräunlich (bei den Weibern aber ost sehr weiß). Bei einigen ist die Farbe fast schwärzlich, und das 9tlt für besonders edles Blut, nämlich für arabisches, daher biese Farbe auch arud heißt. Ein ganzer Stamm, der kun-darowskische auf einigen Wolgainseln, hat dicsc Farbe und heißt daher Kara-Nogai, die schwarzen Nogaicr. Die Augen slnd schwarz von orientalischem Feuer, Nase und Mund hübsch, b'e Zähne vortrefflich. Der Bart ist in der Regel schwach, aber ein starker Bart wird auch sehr geehrt, und wer ihn dann völlig wachsen laßt, gilt für besonders heilig, weil er hiemit die Verbindlichkeit übernimmt, die vorgeschriebenen täglichen Gebete zu verrichten. Jüngere tragen meist nur den Schnurbart. Gesicht und Gehör ist von einer bewunderungswürdigen Schärfe. Wenn ihm ein Schaf gestohlen ist, so erkennt es der Nogaier unter Hunderten in einer fremden Heerde heraus, ohne daß es irgend ein Abzeichen hat. Er erkennt das Blöcken oder Wiehern seines Viehs unter tausend andern! s Kleidung. Die Kleidung der Männer ist malerisch und anpassend, weder zu wnt wie bei den Türken, noch zu enge. Im Sommer tragen sie eine kleine Pelzmütze. (Da sie das Haar glatt abscheeren, nur jüngere Männer lassen einen einzelnen Büschel sehen, so lieben sie warme Kopfbedeckung). Ueber dem Hemde tragen sie einen kurzen engen Rock, meist von buntem baumwollenem Zeuge, die reicheren aber einen Tuchkaftan, mit einer leinenen Leibbinde gegürtet, weite Hosen von Tuch oder Leinen, statt der Strümpse lederne Stiefeletten ohne Sohlen von Saffian, in denen er im Hause umher geht, geht er auö, so zieht er Schuh darüber. Barfuß zu gehn, gilt für eine Schande. — Im Winter wird über die kleine Mütze noch eine schwere Pelzmütze gesetzt, über den Kaftan ein Schafpelz gezogen, über die Leinenhosen noch Pelzhosen. Bei Schneegestöber und Sturm wird über die Mützen noch der Baschlik, eine Art Kapuze, die sich aus den kaukasischen Ländern herschreibt, gestülpt, über den Pelz der Schcchbun, der Mantel von Kamcelhaartuch, gehangen, der keine Nässe durchläßt. Statt der Schuhe werden dann rothe oder schwarze Stiefeln getragen. Auch die Kleidung der Weiber ist bequem und läßt den Leib ungezwungen, nur der Kopfputz, wenn er vollständig, ist überladen und steif. Alle tragen einen weißen langen Schleier, womit sie in Gegenwart von Fremden den untern Theil dcS Gesichts bedecken, nur die schwarzen Augen kokett daraus hervorleuchten lassend. Unter Bekannten lassen sie den Schleier aber frei hinten herabhängen. Um den Kopf winden sie sehr malerisch-ein buntfarbiges Tuch, dessen langes Ende ebenfalls 307 hinten hcrabhcmgt. Das Haar wird in herabfallende,! Flechten Ertragen. Mädchen tragen eine hohe rothc Mütze, a» welcher allerhand Flitterwerk, kleine und große Münzen hängen, an den Flechten tragen sie ein langes weißes Tuch geheftet, und keinen Schleier. Ueber ein weißes oder rothes Hemd wird der Kaftan gezogen, der um die Lenden mit einer Binde, die vorn eine grosie metallene oft silberne Schnalle hat, gegürtet ist. Alle Weiber und Mädchen tragen weite Beinkleider nnd rothe oder gelbe Schuh. Ringe tragen sie an den Fingern, am Arme, Ul der Nase, und sehr schwere in den Ohren. Um die Stirn Und den Hals tragen sie Bänder, an welchen silberne Plättchen, geschliffenes Glas und sonstiges Flechtwcrk hängt. Am Bai-l'amsfcste sieht man die Weiber im vollen Staat. Die ganze Kleidung kommt sehr theuer, es ist aber auch die einzige Freude oer Weiber! Die ärmcrn sind aber sehr schlecht und ärmlich gekleidet. Häuser und Wohuuug. Ich habe oben der Häuser des Dorfs Akima oder Akerman, bic ich selbst gesehen, beschrieben. Die Gehöfte und Häuser waren nach dem Muster der Mennonitengehöfte angelegt und bebauet. So sind jetzt die in neuern Zeiten von wohlhabenden Nvgaiern angelegten alle, sie folgen hiebe» dem Freunde und Wohlthäter ihres Volks, I. Kornies. — Die alteren Gehöfte smd aber ganz anders, und viel einfacher und ärmlicher angelegt und gebauct. Anfangs behalfen sich alle, und auch jetzt thuen es noch viele, mit ihren alten Erdhütten, die sie schon stets im Winter bewohnten, während sie im Sommer sich in Filzgurten aufhielten. Die Häuser der meisten werden jetzt aus an der ^uft getrockneten Erdziegeln aufgebauet. Ein gewöhnliches Wohnhaus ist meist ,l breit. Nur dic Thüren und das Dachgl'stell sind von Holz, was den Dnjcpr herabkommt und sehr theuer ist. Auf das Dach legen sie erst Schilf, dann leichtes Strauchwerk, darüber ürde und zuletzt Asche. Alle Arbeit und alles Material an Holz, Nägeln, kleinen Fenstern :c. kommt auf ldtt Rubel Banco zu stehen, während die Häuser, wie ich sie i„ Akima gesehen, über 500 Rubel Banco kosten. 3«8 Jedes einfache Haus hat nur 2 Abtheilungen, wovon die eine zur Schlafstube, die andere zur Küche und gewöhnlichen Wohnung dient. (Nur wenn mehrere Weiber vorhanden, wird für jcdcs ein besonderes Schlafgcmach eingerichtet.) In der Schlafstube befinden sich Matrazen, lederne Kissen mit Schafwolle gestopft, eine Kiste, um Geld, Putz und Kleinigkeiten zu verschließen, ans dem Boden ein Teppich, ein Ofen von Lehm aufgeführt. In der andern Abtheilung sieht ein. großer eiserner Kessel, auf Bettern an den Wänden hölzerne Schüsseln, Löffel, Milchgefäße, Mulden, ein Butterfaß, Eimer, Pferdegeschirr. Für die Ackergeräthschaften ist meist in den Vichställcn ein besonderer Abschlag. Alle Jahr wenigstens einmal weißt der Nogaier sein Haus innen und außen. Sonst haben sie wenig Bedürfnisse. Außer dem eisernen Kessel und einer kupfernen Wasserkanne ist bei ihnen alles von Holz. Wenn auch die Lust, bessere Häuser zu haben, zunimmt, so scheint ihnen doch nichts an Vermehrung und Verbesserung des Hausgeräths zu liegen. Die Reichen und die Armen haben stets dasselbe. Nahrung. Die Nogaier leben bei weiten mehr von animalischen als von vegetabilischen Speisen. Allen andern Speisen aber ziehen sie das Pferdefleisch vor. Sie behaupten, es erwärme im Winter den Magen. Diese Vorliebe ist um so seltsamer, da das Fleisch an sich grobfaserig und süßlich ist, sie auch in der Regel nur alte oder kranke schlachten, und selbst gefallene Pferde verzehren. Von dünn geschnittenem Pferdefleisch bereiten die Männer ein Nationalgericht, Turoma genannt. Kein Weib darf Hand an die Bereitung desselben legen. Es gilt als besonderes Zeichen der Brüderschaft und Freundschaft, zum Genuß dieses Gerichts geladen zu werden. Alle waschen sich dann vorher die Hände, und nehmen mit den Fingern die Stücke aus der Schüssel. — Die.übrige Nahrung besteht aus Nind- und Schaffleisch, Hühnern und sonstigem Geflügel oder Wild. Aus Hirse bereiten sie mehrere Speisen. Von Flüchten haben sie besonders viel Melonen. Als Getränke findet man bei ihnen die Bosa aus Hirse bereitet, Rührmilch mit Wasser, und Stutenmilch. Aus dieser bereiten sic das i^ieblingsgetränk, den Kommis; wenn cr gegohrcn hat, cii« sehr berauschendes Getränk, Im Schlachten des Viehes haben sie eine besondere Gc-schicklichkeit, es darf nie gestoßen, sondern »nnsi geschnitten werden. Sie wenden den Kopf des zu schlachtenden Viehs nach Mekka, und sprechen das Wort: „^smilla" (ein Namen Gottes) darüber aus. - Das Schafsleisch wild meist im Winde gc-dörret, und hält sich dann lange. Bon Wild essen sie nur die Hase». Die Kuhmilch wird gleich gesotten, dann mit saurer Milch gemischt. Nachdem sie kurze Zeit gestanden, gerinnt sie, und >si dann ein sehr angenehmes und beliebtes (5ssen, Tschurt genannt. Weizenmehl wird zu Kuchen, nicht zu Brod benutzt. Brod wird in der Asche gebacken, sie lieben es aber wenig, und viele essen es ost im Jahre nicht einmal. Sie haben ja auch noch keine Generation lang Roggen gebauet! Sehr beliebt bei ihnen ist der kalmückische Thee (Tschai). 6ö ist der sogenannte Ziegelthee. Sie zerschneiden ihn und kochen ihn mit halb Milch halb Wasser und etwas Butter und Salz. ^ Im Ganzen ist der Nagai sehr genügsam und wenig lecker. Gcsmldhcitözustlmd. Der Nogaier erreicht selten ein hohes Alter, s>0 Jahre gilt !>>r ein hohes, 70 Jahre erreicht fast Niemand. 6s sterben unglaublich viele Kinder bis zum dritten Jahre. Die Volksnah! vermehrt sich daher fast gar nicht, ja in manchen Jahren nimmt sie ab. Es werden ausfallend mehr Knaben als Mädchen geboren. Kauften die Nogaier nicht von ihren Nachbarn, besonders den krimmschen Tataren, Mädchen zum Hcirathen, ^ müßten viele im Zölibat leben. Von Krankheiten herrschen bei ihnen besonders Ausschlagskrankheiten, Blattern, Vcncrie, l'"d dann hitzige Fieber. Aerzte haben sie nicht. Als Heilmittel gebrauchen sie besonders Pfeffer, Alaun, Zucker und 5onig/ Am meisten aber werden Zaubermittel gebraucht, ein Bannzettcl wird an der Mütze, auf dem Rücken und am Halse 24 :j?0 befestigt, und das Fieber weicht! — Nebrigcnö huldigt der Nogaicr dem Fatalismus, und sieht dem Todc mit großer 3üihe entgegen. Schulen. In ven meisten Dörfern sind Schulen, von den Mollahs gehalten, doch werden sie wenig besticht, meist nur von denen, die sich dem geistlichen Stande widmen wollen. Die Nogaicr haben nur geschriebene Bücher, sie haben die arabischen Buchstaben angenommen, aber noch manche zugescht, sie schreiben von der rcchtcn zur linken Hand. In ihrcn Büchern herrscht ein sonderbares Gemisch vom Tatarischeil, Türkischen und Arabischen. In'der Ncgcl lernen sie nur Icscn und gewisse Gebete auswendig, ohne sie zu verstehen. Den Koran und das Arabische verstehen selbst die gewöhnlichen Mollahs nicht. — Uebri-gens herrschen auch bei dcn Tataren eine Menge Dialekte, die zum Theil bedeutend von einander abweichen. Nur die Knaben besuchen die Schulen, die Mädchen nicht. Des Abends singen die Schüler vor der Schule gewisse Gebete im schril-lendstcn Nascnton. Der Engel Gabriel hat Muhamcd dcn Koran vorgesungen, daher muß jedes religiöse Lesen im singenden Tone geschehen! Die Nogaicr haben von dcn Mongolen eine mystische Zeitrechnung angenommen, Perioden von 12 Iahreu, die jede den Namen eincs Thiers führen. Dies harmonirt mit der Ein-thciluug des Jahrs in 12 Monate, des Tages in !2 Stundcu. Der Tag wild nach den ."> Betstunden eingetheilt. Sitten und Gebräuche, Familicuvcrfassung, Hochzeit-Mld Bcgräbnißgcbrauchc. Es herrscht unter dcn Nogaiern eine große Ehrfurcht vor dem Alter. Niemand seht sich, ehe die alten sich nicht geseht haben, die Jüngern bedienen sie, zünden ihnen die Pfeife an, halten ihnen dcn Steigbügel:c. Nie wird sich der jüngere an den Alten thätlich vergreifen, selbst im höchsten Zorn nicht. Gastfreiheit herrscht, selbst ein Andersgläubiger wird freundlich aufgenommen, etwas wahrhaft Patriarchalisches hat die Aufnahme eines Pilgers (Asches). Er ist so zu sagen der Herr des Hauses. jeder Hausgenosse bedient ihn auf das ehrfurchtvollstc. Spiele und Belustigungen kennen sie wenig. Das Schachspiel ist beliebt. Am großen Bairam werden Pferderennen gehalten und Schaukeln errichtet. Die Jagd auf Wölfe und Hasin, die sie mit ihren vortrefflichen Pferden so lange verfolgen, bis sie völlig ermüdet, erreicht und mit dem Kantschuh todt geschlagen werden, dann das Besuchen der Märkte, das Zusammensihcn im Kreise, wobei Mährchcn und Sagen erzählt werden, sind die Vergnügungen der Männer. Sie haben viele Volkslieder und singen sie besonders gern, wenn sie reiten. Auch bei Trinkgelagen singt der Schenke, der die Gäste bedient ihnen bieder vor. Sie haben eine zweiseitige Leier, die Kuba (die Balalcika der Kalmücken). Ihre Tänze bestehen darin, basi der Tänzer auf derselben Stelle stehenbleibend die sonderbarste Mimik mit Kopf, Händen und Füßen ausführt. Die Weiber singen und tanzen nicht. Der Nogaicr ist cin leidenschaftlicher Tabackraucher, er kann Alles entbehren, nur den Taback nicht. Wer stark bei ihnen raucht, trinkt nicht und ißt wenig. 6r nennt es übrigens Ulcht rauchen, sondern Taback trinken. Die Nogaicr heirathen gern Mädchen aus entfernten Dörfern, cß gilt für ehrbarer, die Braut bis zum Hochzeitstage Uicht gekannt zu haben. Freunde berichten den Hcirathslusti-gcn über etwaige Kandidatinnen, ob sie hübsch rund und fett, was für ein Gesicht, welchen Haarwuchs sie haben. Dann fängt die Unterhandlung mit dem Vater an und man wird über den Preis einig. Dieser Preis wird immer in Kühen bedungen. (Die Kuh bedeutet überhaupt symbolisch das Vermögen. Das nogaische Wort Mal bedeutet Vieh und auch Vermögen, Gut, Geld, wie dies ursprünglich wohl bei allen Völkern gewesen ist; das lateinische Pccunia kömmt von Prcus, das deutsche Pfennig von Vieh her.) Alle übrigen Werthe werden hienach bestimmt. Eine Kuh gilt 20 Nudel Banco, ohne Rücksicht ob etwa der Marktpreis anders ist, 2 Kühe gelten "»en Ochsen oder ein Pferd, « Schafe gelten eine Kuh. 24* >'!72 Der gewöhnliche Preis eines echt nogaischen Mädchens ist meist 'w Kühe oder MW Rubel Banco, sic kommen aber auch bis alls 1000 Rubel Banco. Junge Wittwen sind wohlfeiler, alte erhält man wohl umsonst! — Man bezahlt entweder gleich, und dann ist auch gleich Hochzeit, oder der Liebhaber läßt durch den Mollah eine Verschreibung aufsetzen, und zahlt allmählich ab. Dann darf er aber die Braut nicht sehen bis der letzte Rubel bezahlt ist. Das Mädchen wird nie ssefragt, es crgiebt sich fatalistisch seinem Schicksale. Die Eltern geben der Tochter als Heirathsgut Kleidung, Betten, Schmuck :c., zuweilen, wenn sie reich sind, so viel an Werth, als der Kaufpreis (der Kalim) beträgt. Krimmisch? und kalmückische Mädchen qrlten viel geringeren Preis. Krimmische Tataren kommen oft in das (Gebiet der Nogaier mit ilircr Familie, und bleiben so lange, bis sie ihre Tochter verkauft haben. Die Mädchen beirathen meist im i-'jten bis 1.",ten Jahre und verblühen sehr schnell. 37ft werden schon Kinder in der Wiege von den Aeltern für einander bestimmt. Der Vater des Knaben zahlt dann allmählich den Kalim, und sind sie erwachsen, so ist Alles bezahlt und abgemacht, und die Hochzeit wird gehalten. Alle diese Weiber-t'äufe geben Gelegenheit zu unzähligen Streitigkeiten und Feindschaften. Am Hochzeitstage sind Bräutigam und Braut jeder in einem besondern Hause. Jeder Theil wählt sich einen Bevollmächtigten, und diese reichen sich in» Namen der Brautleute die Hände, wodurch die Ehe geschlossen wird. Am Hochzcits-abend wird der Braut von ihren Verwandten der Schleier angelegt und sie wird von den versammelten Weihern in das Haus ihres Mannes geführt, wo sich die Brautleute nun zum erstenmal sehen! 6s wird großer Schmaus gehalten, und Fleisch und Kuchen im Uebersiuß ausgetheilt. Die junge Frau darf vom Hochzeitstage an ein volles Jahr mit Niemanden als ihrem Manne, ihren Eltern und ihren Geschwistern, und auch da nur leise sprechen. Jedem andern gegenüber ist sie stumm, und spricht nur durch Zeichen und Geberden. Nach einem Jahr wird ein Fest gehalten, durch 37.j welches ihr die Freiheit zl> reden gewährt wird. Doch herrscht bei ihnen beständig Schell und Schüchternheit gegen den Fremden. Die erste Frau soll die Herrin im Hanse sein, sie soll den Vorrang vor der zweiten und dritten haben, doch üben Jugend und Schönheit auch hiebci ihre Macht. Die Vielweiberei ist liier übrigens oft eine" Art von häuslicher Nothwendigkeit. Sklaven und Sklavinnen dürfen die Nogaier in Rußland nicht halten. Gemiethete Mägde können sie nicht erhalten, dcnn ein nogaisches Mädchen dirnt nie außer dem Hause, und russi-sche und deutsche Mädchen dienen nicht bei Muhamcdanern, so kommt es dcnn oft, daß, wenn die erste Frau viele Kinder bekommt oder kränklich wird, sie ihren Hausarbeiten nicht nichr vorstehen kann, daß dann also ein zweites Weib im Hause nöthig wird. Es kommt in solchen Fällen sogar vor, daß dn> crste Frau selbst bei ihrem Manne darauf anträgt, ein zweites Neib zu nehmen. Die Stellung des weiblichen Geschlechts ist dir streng orien-talische. Es ist daS unbedingte Eigenthum des männlichm Geschlechts. Der Vater disponirt über seine Töchter uneingeschränkt, sie bilden einen Thcil seiner Verlassenschaft und (Erbschaft, hat er mehrere Söhne, so theilen diese sich in der Hinterlassenschaft lind die Schwestern werden hicbei zn gewissen Preisen von den Brüdern berechnet und angenommen. Die Brüder verkaufen dann die Schwestern. Stirbt der Mann, so erben seine Brüder oder nächsten männlichen Verwandten seine Weiber, und behalten sie für sich oder verkaufen sie. Nur der Aann kann seine Frau nicht verkaufen, er kann sie aber verstoßen, wo sie dann nicht wieder heirathen darf, oder sich förmlich durch einen Echeidcbricf des Mollah von ihr scheiden, wo s'e wieder heirathen darf, sobald der Kalim zurück gezahlt ist., Die Frau muß unbedingt gehorchen, sie darf oh»r den Mann Niemand bcsllchen, selbst ihre ältern und Geschwister uicht, auch nicht das Bethaus, sie darf nicht mit dein Manne "us derselben Schüssel essen, sie darf nicht bei dem Manne "ombcrgchn, sondern muß stehen bleiben bis er fortgegangen. 374 Viele Kinder haben ist Reichthum. Die Knaben, oder viele Söhne, gewähren Macht und Ansehen, Töchter gelten wie baares Gelo. Der erstgeborne Sohn hat große Vorrechte und ist nach des Vaters Tode Haupt der Familie. Stirbt ein Nogaier, so versammeln sich die Weiber dcö Dorfs vor dem Hause, stimmen laute Klagen mit verzweifc-lungsvollcn Gcbcrdcn an. (Die Mutler oder Wittwe wiederholt dies lange Zeit hindurch jeden Abend bei Sonnenuntergang.) Schon nach 12 Stunden (bei Kindern sogar nach 0 Stunden) beginnt das Bcgräbniß. Der Leichnam wird bekleidet auf eine Baare gelegt und unter Begleitung der MollahS und des Volks zum Grabe auf den Fricdhof vor dem Dorfe getragen. Er wird auf.die Seile, mit dem Gesichte nach Mekka gewendet, ins Grab gelegt. Die Priester lesen, oder singen vielmehr Stellen aus dem Koran, das Volk steht 40 Schritte vom Grabe entfernt, dann wird daü Grab zugeschüttet und ein kleiner Hügel aufgeworfen. Beschäftigung der Männer, Viehzucht und Ackerbau. Die Viehzucht ist noch jetzt die liebste Beschäftigung der Nogaier. Allem aber ziehen sie die Pferdezucht vor, ungeachtet diese bei dem eingeschränkten Territorium, bei dem geringern Absah, und bei den Uuglückßfällen, die sie in neueren Zeiten betroffen (sie verloren 1824 durch Hunger und Schnee-stürme ^ ihres Pferdebestandes), nicht mehr große Vortheile abwirft. Die Pferde sind von der kirgisischen Race, nicht groß, zum Ziehen etwas schwach, zum Reiten vortrefflich. Sie sind meist von brauner Farbe aller Schattirungcn, auch Grauschimmel, nie Rappen. Der durchschnittliche Preis der Pferde ist 30 bis 40 Nudel Banco. Ein guter Hengst wird aber auch mit 400—500 Rubel Banco bezahlt, ein gutes Reitpferd mit 60 — 80 Rubel Banco. Jedes Pferd führt rillen Namen, und ist hinten an der ^ende mit einem Zeichen gebrannt. Die Behandlung dieser eigentlich halb wilden Pferde ist schwierig, aber der Nogaier versteht sie gründlich. Die Pferde halten sich in kleinen Trupps, jeder mit einem regierenden Hengst, zusammen. Sie bleiben selbst im Winter auf der Steppe, und müssen sich ihr Futter unter dem Schnee suchen. Race sehr wenig milchreich isi. Die slitter ist schr schlecht. Der Preis einer Kuh ist ^U — ^0 Nllbcl Banco, der eines Achsen 25 — :W Rubel Banco. Die Schafzucht gewährt bedeutenden Nutzen, und würde »och größere» gewähren, wenn der Nogaier eine glitc Race besäße oder die seinigc veredelte. Die von ihnen gehaltenen sind s. g. Fettschwänzc, meist bnntgefleckt, die Wolle ist, sehr N'ob und gilt nur 3 — 4 Rubel Banco das Pud, während die benachbarten Deutschen 20 Rubel Banco für 1 Pud ihrer schlechten Wolle erkalten. Ein Schaf gilt 4—5 Rub. Banco, rin Schaffell ft Kopeken Banco. Dir Sclmfzucht mildert bei der leichten und bequemen Behandlung der Schafe die Sitten, wahrend die Pferdezucht bei den Gefahren und dem wilden Treiben ein eigenes wüstes l'ebeu erzengt, aber freilich erhält sie auch die Thätigkeit und Energie dcö Volks. Die Kameele (Dromedare), welche früher die N^gaier viel hielten, sind bei den ansässigen ganz verschwunden, nur bei 5m iwmadisirenden, besonders in der Kmnm, fmdet man sie noch ^ls das nothwendigste Hallsthier. Sie gebrauchen diesel-ben jedoch nicht zum Reiten und Lasten tragen, sondern znm liehen. Das Kameel vermag schwere basten zu ziehen. Die Nogaier fangen immer mehr an einzusehen, dasi der 'lckerban ihnen viel größere Vortheile gewährt als die bloße Viehzucht, und immer mehrere von ihnen werden aus Nomaden Ansässige und Ackerbautreibende, so sehr das freie stolze Nomadenleben auch lockt. Graf Maison zwang sie zuerst zum Ackerbau, l'r gcbot, daß für jede männliche Seele wenigstens 2 Tschetwert Getreide ausgesäet sein sollten. Allein nach sci-"cm Tode ging der Ackerbau wieder znrück, und erst in neueren leiten steigt er ganz von selbst zusehcns. Sehr harte Winter, lNoßes Viehsterbcn, besonders der Pferde, hat dic Nogaicr ^n seihst ^,m Ackerbau geführt, und da hat denn I. Kornies durch Veitlmg und Unterstützung sich unsterbliche Verdienste um dics Volt erworben. Die Nogaier aßen frühcr fast nur Hirse und Kuchen von 376 Weizen, gegenwärtig habe» sie gelernt, Roggenbrod zu essen. Man sieht jetzt sogar Weiber auf dem Felde arbeiten, was früher unerhört war. 'Ihre Ackerwerkzcuge waren plump und schlecht, sic spannten 10 Ochsen vor den Pssug. I. Kornies l,at ihnen zwecktnäßigere Werkzeuge verschafft, und ihre ganze Ackerwirthschaft ist jetzt besser, als die der benachbarten Russen. Interessant ist die Weise, wie die Ochsen zum Ziehrn und Pflüge»» angelernt werden, und ich kann mir nicht versagen, die betreffende Stelle aus Schlattcr's Buche hier einzufügen. „Die jungen Ochsen, frei auf der Steppe aufgewachsen, find gemeinlich unbändig wild, lind doch bedarf man ihrer viele zum Ziehen am Pflug und Wagen, Um nun die wilden Ochsm an das Joch zu gewöhnen, wird ein Paar derselben von der Heerde in den Hof neben dem Hause getrieben, mit Schlingen an den Hörnern eingrfangen, und ganz nahe an einen Pfahl angezogen, worauf ihnen das Joch an den Nacken eingelegt wird. So mit einander verbunden, treibt man sie nun wieder zur großen Heerde aus die Steppe, und läßt sie ruhig weiden. Alles Streben, sich des Jochs zu entledigen, hilft nichts. Sie gewöhnen sich endlich daran, und die beiden Ochsen selbst werden so anhänglich an einander, daß wenn sie einmal gezähml und frei vom Joche mit der Hecrdc auf der Weide sind, sie sich beständig zu einander haltm, so daß man dann immer zu zwei und zwei, und wo der eine hingeht, oder hingetriebcn wird, auch den andern gehen sieht. Haben sich nun die zwei Ochsen in einigen Tagen an das Jock) gewöhnt, so werden sie wieder ins Dorf getrieben, und man befestigt nun das Joch an die Deichsel des Arabas oder Wagens. Auf diesen setzt sich ein Tatar mit einem guten Stocke versehen, und eß wird vonti« :'» loio auf die Steppe gejagt. Den Ochsen wird alle Freiheit gelassen, zu rennen wohin sie nur wollen. Gewöhnlich laufen sie sehr lange herum, bis sie ermüdet, sich nach und nach etwas lenken lassen, welches so geschieht, daß, wenn der Tatar rechts fahren will, auf den linken Ochsen zugeschlagen, wenn er links fahren will, auf den rechten Ochsen zugeschlagen wird. Diese Arbeit scheint halsbrechcndcr zu sein, als sie es bei der Beschaffenheit der 377 Steppe und der Wagen ist. Das Joch liegt am Nacken und der Ochse ist übrigens ganz frei. Das Anbinden dcö Jochs "n den Hörnern des Thiers, so wie der Gebrauch, auch Kühe "n den Wagen zu spannen, halten die Nogaier für Sünde!" Die Ernte ist im Juli und wird mit einem Feste, bei welchem die Erstlinge des Jahrs und der Früchte verzehrt werden, ^feiert. Zum Verkauf bringen die Nogaicr Weizen, Hirse, Gerste und Roggen. Ihr arnautischer Weizen ist vortrefflich, s'e reinigen ihn sorgfältig. Sie bewahren das Getreide in Silos d. i. Löchern, die sie in den trocknen Steppenboden graben. Die Frucht wird nicht gedroschen, sondern durch Pferde ausgetreten, dies greift aber die Pferde außerordentlich an. ^ie Hcuschläge werden jährlich vertheilt, wobei viel Zank und Schlägereien, denn die Nogaier haben nicht die tiefe Ehrfurcht l'or dem Mir, vor der Gemeinde, und den Gememdeanordnun-Hen wie die Russen. Die etwa zu miethenden Arbeiter sind ^'soilders in der Ernte theuer, 1'/, Rubel Banco >>l'l) Tag. ^in Knecht erhält Essen und Kleidung und ^0 — 100 Rubel Banco ^ohn. Beschäftigung der Weiber. Die nogaischen Weiber müssen sehr viel arbeiten, daher, U'ie schon gesagt, die kränklichen, oder mit vielen Kindern ge-!rgneten durchaus der Arbeit nicht vorkommen können, und da Man keine Mägde erhalten kann, so muß der Mann eine zweite Frau zur Aushülse kaufen. Die Weiber haben, neben der Besorgung der Kinder und 5er Küche, zu waschen, die Kühe zu melken, zu buttern, die Ha'lchv zu reinigen, sie jährlich von Innen und von Ansien zu übertünchen, die Mistziegcl als Brennmaterial zu bereiten, den Dünger dazu auf dem Felde zusammen zu suchen, Hirse zu ^sten und in einem großen hölzernen Mörser zu stoßen, Hirse ">'d Weizen auf Handmühlen zu mahlen, Bosa (das Milch-^tränk) zu bereiten, das Wasser oft aus weiter Entfernung l'erbci zu schleppen :c. Die nogaischen Weiber verfertigen Talglichte, bereiten 378^ Seife aus dcr Asche einer Psianzc, die Alabata genannt wird. Sie gerben die Schaffelle, verfertigen daraus Mützen und Pelze für alle Hausgenossen. Hemden, Nöcke:c. werden vvn dcr Hausfrau genährt. Sie spinnen die Wolle, indem sie solche in die linke Hand nehmen, mit dcr rechten den Faden herausziehen und an die Spindel drehen. Auf eine sehr mühevolle und unvollkommene Weife weben sie dann daraus ein brau^ ncs oder weißes Tuch. Aus dcr Wolle wirken sie auch vcr^ schiedcne Arten von Matten und Teppichen, und sehr hübsche Bänder und Schnüre zu Verzierungen der Kleider. Ausfuhr nud Einfuhr. Die Nogaier stellen zum Verkauf alle Arten von Vieh, Butter und Fett in Häute eingenähet, so wie das überflüssige Getreide, besonders Wcizcn. Sie müssen dagegen ankaliscn: Bauholz, Holz zu Wagen und Ackergeräthen, hölzerne Gcfäßc, allerhand (5isenwaaren, Tücher, Lcimrand, Schuh und Stiefeln, Luruswaaren dcr Weiber, (Gewürze, Gartengewächse, Taback und selbst Salz, waö sonst leicht im ^andc zu gc-winncn wäre. Zum Schluß will ich noch einige kleine historische Notizen über das Dorf Akima oder Akcrman und dcsseu Bewohner, welches ich am 35. Juli 1843 mit I. Kornics besuchte, gebcn. Als dcr größte Thcil der jedisam'schcn Nogaicrhordcn im Jahre !?r unregelmäßig angelegtes, mit elenden Hütten bcbauetes Aul ordentlich umzubauen, und der auch nicht nachließ, bis cr seine Nachbarn und Aulsgenossen von der Zweckmäßigkeit eines solchen Unternehmens, ja von dessen Nothwendigkeit zur Sicherung ihrer ganzen Existenz überzeugt hatte. Als. nun im Jahr 1834 der Graf Woronzow mit dem Marschall Marmont das Gebiet der Nogairr besuchte, trug er mit den andern Deputirten des Auls, eingeführt von I, Kormes, dem Grafen ihr Anliegen vor, indem sie angaben, sich die Mennonitemolonirn zum Muster nehmen ^u wollen. In Folge dessen ward l^!5 ein förmlicher Plan des net! anzulegenden Dorfs ausgearbeitet, die Grundstücke für jeden Bewohner vermessen, die Baustellen abgesteckt, und dann unter ihnen verloset. Nun erbauete Kokan-Aga das erste Halls, und bezog es, ehe noch die Andern ihre Häuser fertig hatten. Ich habe schon oben angeführt, daß dieses Dorf, lvelchcs wieder den Namen Akerman oder Akima zum Andenken der Geschichte des Auls führt, ganz regelmäßig angelegt, daß die Gehöfte und Häuser nach dem Muster der mcnnonitischen jedoch mit Berücksichtigung nationaler nogaischer Gewöhnungen und Sitten erbauet sind. Kokan-Aga war der Erste unter den Nogaiern, der Kartoffeln pflanze und der sich mit Tabacks- und Sftelzbau beschäftigte. Er ließ einen Brunnen, um das Gemcindcvieh zu tränken, auf den entferntesten Grundstücken von Akerman auf seine Kosten graben. Bei der letzten Revision l!^!4) gab er sich den Familiennamen Akcrman. *) Zur Anerkennung ') I>!« l'2. lind 1^, I'ü'chuudclt, als die Familinmmm'» l'n dm gl'lma nischm und vomamschm Vi.'!kcin allskmnm, Irgtm sich dic lidügm F<^ 381 seiner Verdienste >,m die Fortschritte der Cultur vcrlirh ilnn das Gouvernement die silberne Medaille am Annenbande. Dieser nogaische Aul zeichnet sich auch in sittlicher Hinsicht l'or den übrigen Nogaiern aus. Seit .'N Jahren, seit die Mennonitcn in ihrer Nahe angesiedelt sind, ist hier kein Crimi-"alvcrbrcchen vorgekonnnrn. Als ich das Dorf besuchte, waren bereits 42 gut gebauete Häuser nach mennonitischem Muster vorhanden. Alle hatten ordentliche Fenster und Schornsteine, dic Fußböden der Stuben waren mit gehobelten Dielen belegt, die Fenster mit Laden Aschen, die Giebel, Fensterrahmen und Laden zur Conservi-"«»lg größtentbeils mit Oelsarbe angestrichen. In den Stuben ^nd ich Tische, Stühle und sogar Spiegel. Sämmtliche Hofbesitzer haben spanische Schasc, im T/bsi-U»d (Gemüsebau machen sie jahrlich Fortschritte. Die gleichmäßige (5'intheilung der Felder, die vielen Heu-, Frucht- und Strohschober, der reiche Vorrath an Brennmaterial zeigen die fortschritte moderner (5ultur, unt? daß sie angefangen, nach Eisern Begriffen ordentlich zu leben, und wohlhabend zu wer-^'n. Die ich darnin fragte (durch Dolmetscher) würden auch U'N keinen Preis ihre jetzigen häuslichen Einrichtungen gegen ll)r früheres Nomadenleben vertauschen wollen. Daß ihr Bei-!picl schon viele Nachahmung im Großen und im Kleinen her-^'gc-rnfen, habe ich schon bemerkt, und daß in solchem Falle "lles sich an I. Kornies um Rath und Hülfe wendet, habe 'ch im einzelnen Beispiele selbst gesehen. Man fragt sich, welche Wirkung wird nach und nach dies Eindringen moderner europäischer Cultur und Gesittung, mo-^krncr luxuriöser Gewöhnung, moderner Ideen unserer curo-pü'ischrn sozialen Zustände bei diesen Muhamedanern haben, während von einem (5'indringcn des positiven dogmatischen ^hrisieltthums sich auch nicht eine Spur findet? Wird der milien hiiusig bcn Namen ihreS Dorfs, mit drr V^cich>n»!ss l'i? n ^'dc, de, bei. Nach 5 Iahl'hlindMc,, wird ma„ d>i>,n auch w»hl an drr Malotschna an« aftwschcn Meere von dci äbli^m Familic von Akn'-man sprechen! 382 Islam dabei bestehen können? Wird or mit Verwerfung jeder Tradition sich vielleicht in cincn Deismus auflösen, der alles muhainedanischc Cercmoniell allmählich und nach und nach fallen läßt, wo dann der Muhamedanismus ungefähr auf demselben Punkte angekommen wäre, auf dem gegenwärtig die neue Entwicklung des Protestantismus, das Lichtfrcundethum, steht? Ist das Ganze der modernen Cultur, nachdem sie sich vom Christenthum cmanzipirt hat, und, wiewohl seine Tochter, von ihm abgefallen ist, eine neue Wcltrcligion, wie ihre Führer behaupten, die alle positive Religionen auflösen, und zuletzt den alten Gott absetzen, und den allgemeinen Menschengeist als Tagcsgötzcn auf den Thron setzen wird? Die neueren Entwickelungen bei den muhamcdanischcn Wölkern, die Secte der Wchabis, die Modernisirung Konsian-tinopels, Egyptens und Tunis geben viel ;u bedenken! XXIV. ?l„slMs'!thü-nur. Feodosia, Beftlchl dei kriechen, Arincniern und Naraim, Tillen der Karaim, der!)tadbine. Vesnch einer dentschrn Kolonie, Der griechische ß^rz-l'ischof. Die Synagoge der Talniudisien. Karassü-Vasar. Siinpheropol, der Markt. Baktschiserai, der Palast der Khane. Nitl nach Tschufntkalr, das jUostrr dn' Frlscinnüttcr, dic Fclftnwohinlnge,, dcr Trogl»dylrn, die ssssclnchtlichm Salic» dl'l K^raim, Vcstlindthlür ihn>r Bibvl, dic tatarische Stadl. Dir Rli»,m lüilcr dc» Talarlli, dir Fmmlie l^irci, ?ll'hä»cf' Stclllüig drö Nhmi, stine Ei„fünftc, Staats- und ^mldst'l'l'i'flifflma,, Achuüchfcit mit sicrnmnisch-lomanischi'N Eiüiichliül!;^!!, die (l qrosirn Würdcitträgrr, dcr huhc Adel, dic 5 großen Faüillic». Tcr nicdcic Adcl, drr geistliche Mel, die l^iitel des MciS. (f-inthsilling deß Gaudi's, berichte, die Vasallen deS Adels, die Nogai-Tataren, ihre 4 großen Horden, der Adcl der Nogai, Untergang dcS Khanats l?84. Aüt'wanderling der Tataren, Zahl aller Tataren. Jetzige ländliche Verfassung, (>l,aialtel dcr Talaren, Sittm, W^lMMgcn, Nahrung «nb Zcitcinlhcillmg. 9l "m Morqcn dcs 22. September erreichte das russische Kriegß- ^ampfschiff, alls dem ich mich befand, nach einem heftigen Slm'm, der die ganze Nacht dnvch anf der 3iiicksahrt von der MlllssVl'lischen Küste gewüthet hatte, den Hafen von Kertsch. Während ich mich im iidriqen Nnsiland in einem neuen ^nde mit nelicr Cultnr nnd riner kaum vom neunten Iahr-bundrrt an cben aufdämmernden Geschichte befunden hatte, ^ahrcnd ich dort eine glänzende Nrihe von Städten gesehen hatte, die ihren Ursprung meist nicht über zwei Jahrhunderte ^«auffuhren konnten, betrat ich jeht ein Land, von dem die Geschichte schon 14 Jahrhunderte früher, als jene eben auf-ba'Mmcrndc Geschichte der Nüssen, spricht; ich sah Städte, die 'lhon über 500 Jahre vor Christi Geburt gegründet wurden! Als die Urbcwohncr dcr Nordküstcn des Pontus werden die ^ymmcricr angegeben. In einer unbekannten Zeit wurden sie voi, den Skythen verdrängt, ein Theil entwich wohl westwärts 384 ein anderer aber warf sich in die Gebirge der Krimm, n>o sic unter dem Namen der Taurier den Griechen als besonders wilde und rohe Barbaren bekannt waren. Die Griechen gründeten längs der ganzen Nordküste oes Pontus cinc Zahl von Cvloniestädtcu, die schnell zu einer hohcn Blüthe der Cultur und des Reichthums gelangten. Unter ihnen zeichneten sich aus dcr taurischeu Halbinsel dic von Hc-racleaten gegründete Lolonic (5hcrsones und die milefischen (5o-lonien Theodosia und Pantikapeon aus. Pantikapeon, später auch Bvsphor genannt, das jetzige Kertsch, liegt an der östlichen Spitze der taurischen Halbinsel. Der Anblick vom Meere her, wenn man sich seinem Hafen nähert, ist wahrhaft imposant. Ein hervorspringendes Vorgebirge, welches auf einem Absah in seiner Mitte einen griechischen Tempel (das jetzige Museum) trägt, ragt links empor, und von da an liegt in einem Halbzirkcl um den Hafen her die Stadt amphitheatralisch nach den rings sie umgebenden Anhöhen hinauf. Die Stadt ist neu, und nach russischem Geschmack sind fast alle Häuser mit Säulen und Valconen verschen, was sich aber hier von der Sceseite ungcmcin malerisch ausnimmt. Das Ganze giebt wahrlich einen Eindruck, daß man sich in die griechische Zeit, in die Zeit Mithridats zurück versetzt glauben könnte! Pantikapeon ist einc uralte Stadt; vielleicht eMirtc sie schon, als milesische Colonistcn mrhr als 509 Jahre vor Christi Geburt hier sich niederließen und altgrichisches Leben hierher verpflanzten. 4^ Jahre vor Christo verlegten die Könige von Bosphorus, aus dem Stamme der Archäuaktiden, den Sitz ihrer Herrschaft von Phanagoria nach Pantikapeon. Es war ein kleines mit Griechenland in beständiger Verbindung verbleibendes <3ulturreich. Ungefähr ''j24 Jahre vor unserer Zeitrechnung wurden diese Könige den Sarmaten und Tauriern tributpflichtig, und fristeten von da an kümmerlich ihr Dasein, bis Mithridates Eupalor sich des kleinen Reichs, so wie dcr ganzen Krimm und sämmtlicher Küsten des pontischen Meeres bemächtigte, seine Residenz nach Pantikapeon verlegte, und von hier aus den gigantischen Plan verfolgte, mit Hülfe der Skythen, Sarmaten und aller nördlichen unabhängigen Völker 385 Noms Herrschaft zu stürzen. Pompejus besiegte ihn, und als Nun sein eigener Sohn sich gegen ihn empörte, gab er sich selbst ben Tod, indem er seinen letzten treuen Freund, den keltischen Fürstm Bitötus, bat, ihm das Schwert ins Herz zu stoßen, "vn da an waren die bosphorischcn Fürsten die Vasallen der 3iömcr. Im vierten Jahrhundert nach Christi machte, die Republik Ehersones, die alte Nebenbuhlerin des bosphonschen Erichs, diesem cm Ende. Dann kam Pantikapeon in die Hände bcr Hunnen, denen sie Justinian im 6. Jahrh, entriß. Von "a an blieb die Stadt, so wie die ganze Krimm, wenn auch späterhin nur nominell, ein Theil des griechischen Reichs. Im ^'. Jahrhundert siel sie mit fast allen Küstenstädtcn in die Hände der Genuesm, welche sich hier zwei Jahrhunderte hielten, bis Muhamrd ll. 1475 ihrer Herrschaft ein Ende machte. Nun blieb die Stadt, die, man weiß nicht in welcher Zeit, den Namen kertsch erhielt, unter türkischer Hoheit, die hier einen Pascha ^Nannte und eine Garnison hielt, bis sie 1774 an Rußland abgetreten ward. Seitdem hat sich Kertsch aus dem tiefen Zerfall unter türkischer Zeit allmählich erhoben. — Es ist nur Merkwürdig, daß es nicht schon jetzt ein zweites Odessa geworden ist! Der Hasen ist vortrefflich, die Lage scheinbar unendlich vortheilhaft, nördlich ist der Eingang zum asowschen Meere, östlich gegenüber der Ausstuß eines schiffbaren Flusses, "^ Kuban, die kaukasischen Gebirge hat man vor Augen! ^ann hat Rußland, namentlich der General-Gouverneur von ^'urußland, Graf Woronzow, Alles gethan, um Kertsch zu ^brn. Es ist bis jetzt noch nicht in dem Maße geglückt, wie '""" vernünftiger Weise denken sollte! Der Welthandel ist cine ^Ulncnhafte, unberechenbare, mysteriöse Macht, die ihren Weg ^' sich sucht, sich ihre eigenen Bahnen bricht, und sich nicht ^>l den menschlichen Mächten leiten und regieren läßt, wie sie wollen! Dem genialen Instincte einzelner Menschen gelingt es ^hl einmal, den richtigen Punkt anzugeben, um den Handel zu ^''ren, wie dies bei Peter I. in Bezug auf Petersburg der ^"ll war, aber der gewöhnlichen verständigen Berechnung ge-"'gt dies äußerst selten! ^ Wir bestiegen den Mithridates-Berg, wo eine wunderschöne ^'lssicht ist. Dort besahen wir in dem neu eingerichteten Museum 25 3tt6 einen Theil der hier insbesondere in den Grabgewölben auf^ gefundenen griechischen Alterthümer. Ein General, rin russischer Fürst Herkulizew, ein eifriger Altertumsforscher, war unser sehr freundlicher Führer. Dir ausgezeichnetesten Sachen, die nicht zu schwer zu transvortiren waren, sind freilich nach Petersburg gewandert, doch ist auch hier deren noch eine grosie Zahl. Es giebt keinen Ort Griechenlands, wo man so viel gefunden hat und noch findet, und doch ist vielleicht nicht der zehnte Theil bekanntgeworden, "/,<> von den,, was Metallwerth hatte, ist in vandalische Privathände gekommen, und fast Alles um-gcschmolzen und zerstört. Alles, was ich jedoch gesehen habe, war mehr interessant als schön, es hatte mehr antiquarischen als wirklichen höheren Kunst>rerth. Die Bildsäulen, Gesäße, Zierathen gehören nicht der besten griechischen Kunstperiode an, sondern sind von nüttlcrm Kunstwerth oder Nachahmungen der bessern. Man sieht, es war nicht die Metropole der Kunst, sondern eine reiche Provinzialstadt derselben! Auch liegt wic ein leichter Hauch deo Varbarculandes darüber, es ist nicht das Mutterland, sondern die Colonie, das verräth auch schon, daß man den Kunstwerth durch den Goldrcichthum hat ersehen wollen-Besonders interessant ist aber dieser ungeheure Reichthum an Gold-Gefäßen, Zierathen, Masken lc. allerdings, da gerade hie-von sich überhaupt sehr wenig aus altgriechischcr Zeit erhalte» hatte. Für diesen Zweig der Kunstgeschichte ist daher der hie-sige Fund von außerordentlichem Werth. — Der Metallwerth ist unermeßlich, man fand allein in zwei Gräbern goldene Kunst" werke und Zierathen, die zusammen 120 Pfund wogen, wovon aber leider nur 15 Pfund im Museum abgeliefert wurden, der Rest verschwand unter den Händen! 6in anderes Grab im Kurgan Koledach enthielt über 1 Pud Gewicht an Goldsache"- Wir reiseten in der Nacht ab und kamen am andern Morgen in Theodosia an. Wenn Kcrtsch wic eine griechische Stadt aussieht, so hat Theodosia mehr das Ansehen einer italienischen-Die mächtigen Thürme und Ruinen gehören dem Mittelalter, der Zeit, wo die Gcnuesen hier herrschten, an. Thcodosia, gegenwärtig Feodosia genannt, bei den Grieche" auch mitunter Theodosiopolis, von den Tauriern Ardanda (ode'' die Stadt mit 7 Göttern) genannt, war ebenfalls eine blühende 3K7 Kolonie dcr Milcsier. Sic wird bereits 7M Jahre vor Christo "wähnt. Dann ging sic unter. Im zweiten Jahrhundert war hier Alles völlig »vüst. Nachher scheint hier ein unbedeutender Drt eMirt zu haben. Die Genuefcn bauetcn sie im lt. Jahrhundert von neuem auf, und bald ward es wieder eine blühende Stadt, ja dcr Mittelpunkt dcr genuesischen Herrschaft, die von "'er aus mehrere kleine Kolonien an der taurischen Küste an-^kgte, cs erhielt sogar den Beinamen Krimm-Stambul und ^ll damals (gewiß übertrieben) ^0,000 Häuser gehabt haben!— 2m 4. Jahrhundert hatte die Gegend den Namen Kapha, und deshalb haben vielleicht die Gem,esen die Stadt Kaffa genannt. Feodosia heißt sie erst wieder, seitdem die Russen sie besitzen, "üihamed ll. eroberte die Stadt 14?.'» und führte die übriggebliebenen Einwohner nach Konstantinopel, wo sie die Vorstadt Pcra bevölkerten; alle Knaben wurden zu Ianitscharcn ^lzogcn. — Von da an besaßen die Türken die Stadt, bis ste hei der Ilnabhängigkeitserklärung der krimmischcn Khane im frieden von Kütschük-Kainardje 1774 diesen überlassen wurde. Der letzte Khan Vcr Krimm Schahin-Girci verlegte nun seine Residenz von Bakcschiserai hierher, crbanete sich einen Palast, einen Mimzhof ^c. Als N^l Potemtin, die Klilnm eroberte, ward "uch Kafsa 176-^ eingenommen. Damals wurden die herrlichen Denkmale dcr Vorzeit, unter Andern ein herrlicher Thurm, den die Griiuesen gebauet, und dcr als Minaret der Haupt-Moschee dimtc, zerstört. Die Stadt sank zur größten Unbedeu-^'»dheit herab, so daß der Reisende (5larke nur noch 5l) Fa-'Uilicn dort fand.- In neueren Zeiten hat sie sich aber völlig ^lls ihren Ruinen erhoben, und ist jetzt eine dcr schönsten Städte "kr Kvimm mit 7MU Einwohnern. Ich ward in einem Hause, welches am Quai deö Meeres lag, der hier einen Halbbogen bildete und daher eine entzückend »chöne Aussicht hatte, gastfreundlich aufgenommen. Das Hau6 ladete zugleich das Eckhaus einer Querstraße, welche nach dem "brrn Theile dcr Stadt führte. Das Haus gegenüber gehörte ^ Bezug auf seinen untern massiven Theil offenbar zu den Alteren Gebäuden, dagrgcn war cine moderne Etage aufgesetzt, "ch zeichnete es aus einem Fenster. — Die hier folgende Iilu-^alion zeigt eine kleine, aber eigenthümliche Mischung von 25* 388 antikein, bizantinischem, und sogar einen Anflug von maurischelN Wcschinack. Das Gebäude stammt »vohl auch aus der genl)c i» Tycodosi.i. Der Polizeimcister der Stadt nahm uns unter seine Fliigel, 6r war lft13 bis 1«l5, alS junger Ossizier in .Drlttschland qc-wcscn und sprach geläufig deutsch. Wir besuchten mit ihm zunächst das Museum dcr Stadt, in dem fich ^'iclc qcrcttetc Alterthümer aus der griechischen und genuesischen Zeit befinden. Ich glaube, eß ist der Verwaltung dc6 Grafen Wvronzow zu danken, daß der vandalischcn Zerstörung der Alterthümer ei» Ziel gesetzt worden ist! Man wirft sie deu Russen seit Potem-kimö Zeit in der Krimm stark vor, es lag aber wohl in der Luft von ganz Europa! Haben die Franzosen wahrend der Revolution, und selbst die deutschen Negierungen bei katholischen Klöstern, Kirchen, Bibliotheken :c. es anders gemacht? Die Einwohner der Stadt bestehen alls Russen, Tataren, Armeniern, Griechen, Juden (und zwar sowohl Talmudisten als Karaim), Bulgaren und Deutschen. Mit dem Poli^eimeister, der überall freien Zutritt hatte, besuchte ich Hauser von allen diesen Nationen, um die Einrichtungen und Lebensweisen derselben zu sehen. Er führte mich aber leider nur in die vornehmsten und reichsten Häuser, wo ich überall schon cingedrmigene europäische Sitten und modernen öu.rus bemerken konnte, und nicht mehr daß reine Nalionale vorfand! Ich konnte ihn nicht bewegen, 389 llnch in die mittlere Schichten dieser Nationalitäten cinen Blick wcrfm zu lassen. Das ist eine der schlimmen Seiten des russischen Tsch.inosnikswcsen! Sie sind es gewohnt, und haben barin eine große Gewandtheit, ihren inspizirenden Vorgesetzten alle Dinge und Verhältnisse nur von der glänzendsten Seite Hu zeigen, und alles Schlimme zu vertuschen, und da können ste es dann nicht lassen, auch die ihnen empfohlenen Reisenden ebenfalls so zu behandeln. Das Interesse, was ein solcher an den Eigenthümlichkeiten der Völker nimmt, selbst wenn sie uicht eben glänzend siud, oder gar modernen Culturbegrisscn wider-streiten, können sie schlechterdings nicht begreifen. Wir besuchten zuerst einen reichen Griechen. Das Haus l)sr meinte, die Karaim Lammten von denen von Nabuchodonosor in die Gefangenschaft Neführtcn Israeliten ab, sie seien nicht wieder ins gelobte ^and Zurückgekehrt, sondern nach Armenien gebracht, von dort wäre ^n Theil vor 2100 Jahren zuerst nach Taman gekommen, und hätte sich von dort aus in der Krimm, namentlich nachKertsch, Ther>dosia, Meajup, Starekrim und Tsufutkale verbreitet, ihre Zahl möge etwa liOOO männliche Köpfe betragen. ^ Man velche sein, sie lvaren aber erst nach der letzten Zerstörung Ierlisalems dorthin gekommen. In (5upatoria over ^oßlmr», !7l) Werst von hier, lebe ein Karaim, Abram Turko-witsch, der brsihe eine Bibelabschrift, welche noch aus Armenien bmibergebracht und l.'i^O Jahre alt sei, cü seien dann an» ^'nde eine große Menge historischer Notizen liber die Karaim Und ihre Schicksale hinzugeschrieben. Der (Yras Woronzow kenne den Mann und habe ihm Wohlthaten erwiesen, dem N'urde er wohl jenes Manuscript anvertrauen, sonst aber gewiß Aiemandcn. Wollte ich <ö aber sehen, so möge ich mich an Graf Woronzow wenden". Ehe ich ihn verließ beschenkte er mich mit einigen Blattern aus ciner Handschrift der Mischora, sie seien beim Umbau der Synagoge vor ttMl Jahren gefunden. Sie war von braunem ^'dcr mit einer ätzenden Flüssigkeit beschrieben. Der gute Mann 'Ueinte, sie mochten wohl einige tausend Ialne alt sein! In d'ch'm Falle wäven sie allerdings ein fthr interessanter Fund Hnvesen, auch schon für eine Kritik der Bibelte.rtc. Als ich "ber in Berlin Sachkundigen die Blätter vorlegte, erwiesen sie s'ch als der Ucberrest einer Thora, die schwerlich das neunte Jahrhundert überstieg. Früh Dm Morgen ritt ich zu einer kleinen deutschen Kolonie, l' Werst von Theodosia, Heilbron, die aber ihren Namen luit Unrecht führt; sie sieht etwas verkümmert auS, die bellte sagten, daß ihre Nachbarn ihnen das Wasser, welcheö ihnen zu der Bewässerung und zu Uebcrrieselungen ihrer Gärten unumgänglich nöthig sei, abschnitten und nicht zukommen ließen. Dir Gärten aber bildeten die eigentliche Grundlage ihrer Wirth- 392 schaft und Nahrung. Ich besuchte auch dcn liärbsten Nachbar dieser armen Deutschen, eiucn griechischen Erzbischof, der in der griechischen Befrciungssache verwickelt aus der Türkei hatte flüchten müssen, und mm in tiefer Verborgenheit hier in einem Gartcnhause im Gebirge von Unterstützungen lebte, die ihm das russische Gouvernement zukommen ließ. Wir fanden den ehrwürdigen Herrn, als er eben vor seinem Häuschen sich, und Erbsen und große Bohnen krüllte. Ich war ganz erstaunt, meine guten westphälischcn Landslcute, das vortreffliche Gemüse der großen Bohnen, welches die übrigen unaufgeklärten Deutschen Pferde- oder Saubohnen schimpfen, hier in den Händen eines griechischen Erzbischofs zu finden! — Der gute Mann war so erfreuet, daß ich die Bohnen kannte, daß er mir eine Hand voll schenkte, um ste im Vatcrlandc zu pflanzen. Er erzog sich ein Paar Zigeunerkindcr, die sich verlaufen hatten, und in einem Alter von 3 und 4 Jahren vor seiner Thüre liegen geblieben und von ihm liebevoll gepflegt waren. Der Polizei-meistcr meinte aber, wenn sic 111 bis 12 Jahre alt wären, würden sie ihm schon hübsch wieder weglaufen. — Zurück ritten wir einen romantischen Gebirgspfad mit den schönsten Fcrnsichten auf dcn Pontus. Nicht weit von der Stadt trafeu wir auf ein Zigeuucrdorf. Man kann nichts Elenderes, Schmutzigeres und Abschreckenderes sehen, als diese Erdhütten und schmutzigen Zelte und dcren Inneres, so gewandte und interessante Gestalten und Gesichter auch unter den Leuten zu finden waren. Als ich schon die Post zum Abreisen bestellt hatte, kam eine Deputation der lalmudistifchen Juden, die eifersüchtig auf meinen Besuch bei den Karaims, mich einluden, auch ihre Synagoge zu besuchen. Die Deputation bestand aus ursprünglich polnischen Juden, die deutsch sprachen. Da ich nicht viel Lust bezeigte, sagte der eine, ihre Synagoge sei viel schöner un^ älter als die der Karaim, auch enthielte sie in einem besonderen Gewölbe einen großen Schatz von Manuscripten. — Da vermochte ich denn nicht zu widerstehen. Mein Führer war Feifsel Nathan-sohn, ein polnischer Jude, der zugleich Kaufmann und Post-Halter und ein Stück Gelehrter war. Die Synagoge war allerdings ein großes interessantes Gebäude, auch in architektonischer 393 Hinsicht. Das Innere bestand in einem ungeheuren Gewölbe, welches auf vier byzantinischen, zwei viereckigen und zwei runden Säulen ruhete. Ich hörte, eß sei hier in genuesischer Zeit eine berühmte Schule für die Juden der Krimm und Griechenlands gewesen. Eine hier vorhandene Bibliothek hatte daö Gouvernement zur Untersuchung nach Simphcropol transportircn lassen. Hinter dem Stuhl des Rabbiner war ein Gewölbe, zu dem nur eine niedere Oeffnung, die man nur mit Händen und Füßen Passirrn konnte, führte. Darin war es tiefe Nacht, denn es waren keine Fenster angebracht! Es wurden Lichter geholt und wir stiegen hinein. Hier mochte nun allerdings ein großer Schatz von Manuscriptcn vorhanden sein, aber ich war nicht berufen ihn zu heben! Die Manuskripte lagen unordentlich, zum Theil zerrissen auf einem mehr als 1l) Fuß hohen Haufen vor uns, so daß 8 Tage nöthig gewesen wären, um nur oberflächlich zu sehen, was vorhanden sei. Mein Führer behauptete, ein großer Theil derselben seien kabbalistische Manuscripts Bei einzelnen Blättern zeigte er mir, wie man die kabbalistischen Manuscripte gleich an der Schrift erkennen könne. Beim Durchwühlen kamen wir auf eine Anzahl Blätter eines Ledermanu-scripts, und es zeigte sich, daß es das Gegenstück, vielleicht ein Theil jenes Manuscripts sei, von dem mir der Rabbi der Ka-l'aims einige Blätter geschenkt. Meine Führer schenkten mir diese hinzu, und baten mich, sie in Berlin dem jüdischen Gelehrten Joel vorzulegen, und ihnen eventuell zu schreiben, ob de? Fund Werth habe, dann wollten sie sich Mühe geben, den Rest aus jenen Wust von Manuscriptcn und einzelnen Biältern auch noch heraus zu suchen. Wir verließen Theodosia und schlugen die Strasie nach Sim-Pheropol ein. Wir kamen die Nacht durch Karassu-Basar. ES war heller Mondenschein, Alles lag im Schlaf und tiefer Ruhe. Die Menge Moscheen, die zierlichen Minarets, das leise Rauschen einer großen Zahl kleiner Wasserleitungen, die überall die Gärten bewässerten, Alles war ein rasch vor über schweb end es Bild, wie aus einem orientalischen Märchen! — Gegen Morgen erreichten wir Simphcropol. Simpheropol, die Hauptstadt des Gouvernements Taurien, liegt auf der Scheide der krimmischen Gebirgsgegend und der Steppe. Fährt man südlich aus der Stadt, so kommt «nan gleich in eine reizende Gegend. Hügclreihen, Felspartien, anlnuthigc Thäler mit herrlichen Gärten, ein hübscher Fluß empfangen die Reisenden. Fährt man aber nördlich aus der Stadt, so betritt man unmittelbar die unabsehbare Steppe. Ich fand den Gouverneur nicht hier, er war verreiset, ich hatte daher hinreichend Zeit, mich in der Stadt und deren Umgebung umzusehen. Sie besteht aus zwei Theilen, der alten tatarischen Stadt und der daranlirgendcn von den Russen gebaueten modernen europäischen Stadt. Die alte tatarische Stadt hat ein ärmliches Ansehen, selbst dic „weiße Moschee," von der die Stadt ihren tatarischen Namen Aki-Metschet führt, ist ein unbedeutendes Gebäude mit einem zierlichen Minaret. Interessant ist der große Markt oder Bazar, der in jeder Woche Freitags nud Sonnabends gehalten wird. Ein bunteres Gewühl, als mau hier trifft, kann man gar nicht sehen t Am Außenrande stehen in laugen Reihen die Kameelc und Büffel mit ihren zweirädcrigm Arbas, aber auch deutsche Pferde und Wagen von ehrlichen Schwaben hergeführt! Das Schwatzen, Schreien, lärmen auf dem Markte selbst übertrifft aber Alles, was ich je iu der Art sah liud hörte. Man hört ein halb Dutzend Sprachen, und sieht eben so viele Nationen, jeder in der Nationaltracht sich umhertrribcnd, Tataren, Russen, Armenier, Griechen, Iudcu, Deutsche lind Zigeuner, Männer, Weiber und Kinder! Die Waaren siud so mannigfaltig und eigenthümlich, wie ihre Aufstellung. Die schönsten Anhäufungen von Früchten, Aepfeln, Nüffeu, Melonen, Arbusen:c., allerhand rohe und gekochte ^ebensmittcl, große kochende Kessel mit Hammelfleisch, welches auf der Stelle verkauft, vertheilt und gegessen wird, ^cdcrwaaren ausgezeichneter Art, fertige Kleidungsstücke für alle die verschiedenen Nationen. Der Lärm der Käufer und Verkäufer ist ungeheuer, dazwischen aus den umliegenden Kaffrcbudcn der traurige Ton der Balalcika von einem Tamburin und vom wunderlichen Gesänge emeS Zigeuners begleitet. Der Orient und der Occident haben hier ihre Bestandtheile ungefähr in gleiche», Theilen vor unser Auge gebracht, und das macht den hiesigen Markt so höchst interessant! Simvhcropol hat ungefähr WOU Einwohner, deren Zusammensetzung der Art ist, daß etwa 5500 Tataren, 1800 Russen, Zl)5 !M) Zigeuner und die übrigen Deutsche, Armenier, Griechen, Vulgären und Juden sind. Wir fanden ein sehr gutes Wirthshaus, von einem französischen Koch gehalten, rciscten aber noch am selben Nachmittage nach Baktschiscrai ab. Der Weg war anfangs steppenartig, aber bald kamen wir in herrliche Thäler mit dem reichsten, lebendigsten gartcnartigen Anbau. Ueberall sieht man kleine Kanäle an den Anhöhen hergeleitet, von denen Wasserrinnen zur Bewässerung nnd Ucberrieseluug der Wiesen, Gärten nnd sogar der Fruchtfclder abstießen. Ucberall sahen wir Männer und Frauen beschäftigt, hier das Wasser abzudämmen, Bretter und Steine vorzusetzen, dort diese fortzuräumen, um das Wasser auf trockene Stellen zu leiten. Die Tataren nivelliren Alles Nach dem Augenmaße ohne irgend Instrumente dazu zn gebrauchen, dennoch war alles Wasser wie bei der sorgfältigsten Abwiegung benutzt. Gegen Abend kamen wir in Baktschiserai an. Man sieht die Stadt nicht eher, als bis man dicht davor eine Anhöhe erreicht hat, worauf man rasch hinunter in einer langen Straße herab auf einen offenen Plah fährt, an dem rechts, von einem kleinen Wassergraben mit einer Zugbrücke umgeben, das Schloß der alten Khane der Tatarei und Krimm mit seinen Höfen und weitläufigen Gärten liegt. Wir wurden im Schlosse selbst einquartiert. Ein invalider llntcroffizier, der als Aufseher fungirte, übernahm es, für unsere leiblichen Bedürfnisse zu sorgen. Wir richteten uns auf einer Gallrrie häuslich ein, und beschlossen möglichst lange den Abend und den Anfang einer herrlichen Mondnacht im Freien auf den Höfen und in den Gärten zuzubringen. Nur der Flügel über dem Thore des Schlosses ist von einem Commandanten und einigen Aufsehern bewohnt, alle übrigen weitläufigen Gebäude liegen todtcnstill. — Wir gingen in die Gärten, die wit herrlichen Bäumen, Pinien, Cnpresscn und Pappeln, mit ben üppigsten Weingeländen und (5pheurauken durchzogen, prangten. Die alten Fontainen plätscherten, der Wind säuselte burch die Zweige, aber kein menschlicher Laut drang zu unserm Dhr! Der Mond beleuchtete die Gräber der alten Herrscher, die lheilü draußen, theils in einer offenen Hatte begraben lagen, 3W auf jedem Grabe war eine einfache Sanle. Das waren dic Beherrscher lind Ansührer jener gewaltigen Horden, vor dc»,en einst Europa zitterte! — Wie war Alles jetzt so still und todt um uns, wo einst ein reiches, stolzes, brausendes Leben geherrscht hatte! — Da erschallte vom nahen Minaret in tiefklagenden Tönen die Stimme des Muezzin, der die Gläubigen zum Mitternachts-gcbete aufforderte. Dieser einsame Gesang von der Höhe wie ein Geisterruf zu den Gräbern dieser stolzen Männer herab-hallcnd, hat etwas unendlich Schwermüthigcö! Er ruft sie nicht mehr wach die Helden des jetzt einsam dahinsterbenden, unterdrückten und sich auflösenden und einst doch so gewaltigen Heldcnvolks! 'Er ruft nur in einer andern Zunge den alten Spruch: «i'j bis -^ breite Eingänge von Höhlen eingehaucn. Ungefähr auf der Mitte des Weges kamen wir an das sogenannte Kloster drr Fclsen-muttcr oder das Uspenski-Monastir. — Dieses war eigentlich nichts als eine jener in den Felsen eingehauenen Höhlen, aber die größte lind ausgedehnteste von allen, denn sie enthält gegenwärtig eine Kapelle, die gewiß 30' in Quadrat nnd 15' Höhe hat, und mehrere Zellen von 10 bis 12' Durchmesser und ll) bis 12' Höhe. Diese Felsenhöhle liegt mehr altz 100' über dem Boden. Nach einer neueren legende hat sich bald nach der Eroberung der Krimm, also seit 178^, in der spaltcnartigen Spitze des Eingangs ein altes byzantinisch-gemaltes Mutter- 397 gottcsbild gezeigt. Das hat die in dcr Krim,n wohnenden Russen vermocht, dorthin zu wallfahrten. Bald sind Wunder geschehen, und nun hat sich ein berühmter Wallfahrtsort ausgebildet, der wahrscheinlich bald der besuchteste Südrußlands sein wird. Dcr 15. August (Napoleons Geburtstag) ist dcr Tag des Hauptfcstes, wahrscheinlich weil an diesem Tage jcncö Bild sich zuerst gezeigt haben soll. Einige Mönche oder Einsiedler haben sich in jenen Zellen eingerichtet. Als ich dort war, war jedoch nur einer vorhanden. Man steigt eine in den Felsen gehauene Treppe, vielleicht 5,0^ hoch, hinauf und betritt eine Felsenterrasse. Von hier steigt man wohl noch einmal so hoch bis zum Eingänge der Haupthöhle oder des sogenannten Klosters. Diese Höhlen sind uralt, keinen der geschichtlichen Völker, welche die Bänder bewohnt haben, kann man sie mit Sicherheit zuschreiben. Es ist sogar mehr als wahrscheinlich, daß sie Völkern angehören, von denen die Geschichte nichts weiß. Diese Aushöhlungen sind mit unsäglicher Mühe, natürlich mit unvollkommenen Werkzeugen, und deshalb dem Anscheine nach nst jedesmal nach jahrelanger Arbeit zu Stande gebracht. Sie haben offenbar zu Wohnungen gedient, wenn sie auch später mitunter zur Beisetzung von Leichen benutzt sind. — Man findet sie durch die ganze Krimm, überall, wo Felsen sind, zerstreuet; am Ende der Nhcde von Sewastopol, zu Mangup und Iskikerman finden sie sich in großer Menge. Bei Inkermann findet sich eine ganze Stadt mit Zellen und langen Eorridoren, mit Kapellen, Thürmen, Befestigungen :c. *) in den Felsen aus-gchauen. Ganz ähnliche Aushöhlungen finden sich in allen kaukasischen Landstrichen, wo ebenfalls einige Meilen von der jetzigen Stadt Ghori in Grusicn sich eine völlig in Stein ausgehauene Stadt Upliß-Zighe mit Palästen, Kirchen, Häusern, wie es scheint auch mit einer Art von Bazar befindet. Ein schmaler, ') Manche Verzierungen, namentlich an den Säulen, sind im byzantinische,, odcl griechischen Geschmack. Die sind aber wahrscheinlich cin später angebrachter Zicrrath an der ursprünglich rohen und plumpen Säule, vielleicht vo>, den arianischen Gotheu, für dcrcn Ol)t erlauben. Auch er bestätigte, daß die Sage unter den Karaim bestände, ohne daß man dies jedoch geschichtlich nachzuweisen vermöchte, daß sie eine Abtheilung des Stammes Juda seien, Welche aus der babylonischen Gefangenschaft nicht zurückgekehrt, sondern nach dem Norden verdrängt, von Armenien ans sich "ach der Krimm, nach Konstanlinoprl, und bis nach Marokko, Spanien und Portugal hin verbreitet hätte. Von den zehn Stämmen seien ebenfalls viele Israelite,! nicht nach Palästina zurückgekehrt, sondern in Ostasien zerstreuet. In den weiter «lnten folgenden Notizen aus dem Journal des Ministeriums des Innern scheint es jedoch wahrscheinlicher, dasi die Karaiin nicht von dein Stamme Iuda, sondern von den zehn Stämmen abstammen. „So wüßten sic, die Karaim, durch ihre Handelsverbindungen, daß ein zahlreicher Theil derselben in Ehina wäre, die nicht mehr hebräisch verständen, jedoch noch die Thora (die 5> Bücher MoiseS) besaßen und in ihren Synagogen als Hciliglhum aufbewahrten, ob sie zu ihrem Unterricht etwa eine Ucbersctzung in der Landessprache brauchten, oder ob sich bloß traditionell die Lehren ihrer Religion bei ihnen erhalten, wisse rr nicht. Die Karaim seien deine Secte, die sich von den tal-Mudistischen Juden getrennt hätte, um etwa ein gereinigtes Iudeuthum darzustellen. Eine Verglcichung mit den Protestanten, die das Urchristcnthum wieder herstellen wollten, sn daher nicht treffend. Sie seien vielmehr die ältesten ursprünglichen Juden geblieben. Sie kannten den Talmud nicht, der erst kurz oder bald nach der christlichen Zeitrechnung in seiner jetzigen Form entstanden sei, weil sie natürlich die späteren Entwickelungen der palästinischen Juden, von denen sie gänzlich getrennt gewesen, nicht mit durchgemacht hätten. Sie hätten später, "ls sie wieder mit ihnen in Verbindung gekommen, den Talmud, ber bri ihnen nie vorhanden gewesen, nicht angenommen, allein sic seien deshalb keineswegs ohne Tradition, ohne feste traditionelle Erklärungen und Erläuterungen des Schrifttcxtes. Ihre Tradition sei aber viel einfacher und ohne die Sagen, dir sich im Talmud befinden. Wo sie aber eine Tradition bätten, stimme sie mit der der Talmudistcn im Wesentlichen 4W übercin. In ihren Dogmen seicn keine Verschiedenheiten. ^) — Daß die Karaim schon seit der Rückkehr aus der babylonisch-assyrischen Gefangenschaft von den übrigen Juden getrennt gewesen wären, zeige sich dadurch als wahrscheinlich, daß sie die späteren Theile der Bibel, die nach der Rückkehr nach Palästina entstanden, namentlich die der Makkabäer nicht besäßen". Auf meine Frage über die Bestandtheile ihrer Bibel, gab er mir folgende an: 1) die 5 Bücher Moses oder die Thora; 2) die 4 ersten Propheten: Iosua, Sephctim lM.ch der Nichter), Samail (Sanmel), Melachie (Bücher der Könige); A) die 15 letzten Propheten: Iesaias,IercmiaS,Hesekicl, Hosea, Joel, Amos, Jonas, Micha, Avadje (Obadja), Nachum, t5halakok (Habacuc), Icfanie (Zephanja), Haggai, Zacharja, Malachia (Malcachi); 4) die A heiligen Bücher: die Psalmen, Salomonis Wciohcit (der Prediger), Hiob; 5) die 5 kleinen Bücher: Schiraschirim oder Psalm der Psalme (das hohe Lied), Ruth, (5cha (daö Klaglied Iercmia), Esther, Kohelis (Salomons Sprüche); <») die letzten Geschichten: Daniel, Esra, Nehemia, und 7) Divre-Ka-jamin (die Bücher der Chronik). In Bezug auf die Schreibung der vorstehenden Namen verwahre ich mich, ich habe sie nach dem Klang und Laut niedergeschrieben, wie er sie vorsagte. Man sieht aus dem vorstehenden Verzeichnisse, daß die Ka-raim eine etwas verschiedene Ordnung der heiligen Schriften haben, lind daß ihnen sehr viele Theile des alten Testaments fehlen, nämlich die sämmtlichen sogenannten Apokryphen. Ich sagte den» Rabbi, wenn tue Karaim bereits vor der Rückkehr *) Die Karaim haben einige abweichende Cercmmiim beim Gottesdienst, die Art dll Bcschinibllng weicht ab, str haben eine eigene Mn'chmmg dcv Monate, eigenthümliche Vorschriften zur Beobachtung der Festtage und der Berechnung der Verwandtschaftsgrade, Abweichungen in den Ehe-gtsttzen. Der ssaraim darf z. B. dic Witwe seinrö Bruders nicht hei' rathen. Den Karaim sind bis 4 Weiber gestaltet, allein sie begnügen sich mit cmer, weil die allgemeine Sitte gegen dic Vielweiberei ist. Vielleicht hat Muhamcb die Gestaltung der 4 Weiber von den Karaims angenommen. In Odessa kommt ein im Lyeeum Richelieu gedruckter neu-russischer Kalender hcrauö, welcher die Berechnung der Monate und die Ordnung der Feste nacl, dem ^itnö der Karciim eittlmlt. ^0l aus dcr Gefangenschaft von dcn übrigen Illden getrennt wären und nach Armenien geführt seien, wie es dann käme, daß sie dennoch die Bücher Esra und Nchcmia besäßen, die doch erst Nach der Rückkehr geschrieben seien? Er meinte, sie seien deßhalb, daß sie von den übrigen Juden getrennt in Armenien gelebt, doch gewiß wenigstens anfangs nicht ohne Verbindung Mit diesen geblieben, und unter der milden, ruhigen Regierung der Perser sei es ihren Pilgern nicht verwehrt worden, nach Jerusalem zu wallfahrten. Dies möge wohl besonders in dcr Zeit des neuen Tempelbaucs, eines so freudigen Ereignisses für alle Juden, viel geschehen sein, und da würden dann jene Pilger die Bücher Esra und Nehcmia zum Andenken des Temprl-baucs mitgebracht haben. Er sagte dann ferner, da die Karaim die durch Jesus hervorgerufene religiöse Revolution in Palästina nicht mit erlebt, Und die Christen erst später kennen gelernt hätten, so eristire bei ihnen gar kein angecrbter Haß oder Fanatismus gegen das Christenthum, sie hätten vielmehr eine gewisse Vorliebe für den Propheten Jesus, dcr ja, wie sie, vom Stamme Iuda seine Herkunft habe. Ich sagte ihm, cs wäre merkwürdig, daß so wie die Tal-"!Ud-Iuden das Christenthum nach allen Ländern hin begleitet hätten, so hätten die Karaim den Muhamedanismus nach allen Bändern begleitet. 6r sagte, das sei wahr, man habe auch die Sage, der Lehrer Mllhamcds sei ein Karaim gewesen, daher babe ihnen auch Muhamed selbst ein Privilegium gegeben, was abschriftlich noch cxistire und von allen Muselmännern respectirt würde. Die Muhamcdaner seien gewissermaßen eine von ihnen ausgegangene Secte. Er behauptete, es ließe sich nachweisen, daß die Karaim schon 100« Jahre in Kalc (sie selbst nennen den Ort nie T sch u-sutkalc), welches aber früher den Namen Kürkiwli (soll „die '^ Stämme" bedeuten) oder Kyrkor geführt habe, gewohnt hätten. Es existire noch dcr Grabstein eines Karaim, der dcr ^hrer eines Fürsten dcr l5hasaren gewesen und 1300 Jahre "lt sei. (?) Vor 1500 Jahren hätte ein griechischer oder rö-'N'scher Kaiser den Karaims in Kcrtsch ein Privilegium gegeben, llrbrigcns sei allerdings ihre ganze Geschichte sehr dunkel, jetzt 2U 402 geschähe unter russischer Aufmunterung etwas dafür, so habe ein Nabbi in Eupatoria vom (jetzt verstorbenen) Grafen Ben-kcndorf Auftrag und Unterstützung erhalten. Er habe Ncisen nach Grusien gemacht und Manches gefunden, aber er sei nicht zuverlässig, er wolle durchaus AlleS zu alt machen. Uebrigrns seien früher alle Juden in Grusien und Armenien Karaim gewesen, hatten sich aber mit den Talmndistcn vereinigt. Am Kur liege jedoch noch ein Dorf, wag nur von Karaim bewolmt sei, die sich ganz grusinisch trügen. Auch in die Krimm seien vor 900 Jahren Juden aus Sion gekommen, und hätten den Talmud gebracht, ,j00 Familien der Karaim aus Kertsch, Thco-dosia und Eör'ikrim (Starikrim) hätten ihn angenommen und sich mit ihnen vereinigt, wodurch viele Spaltungen unter ihnen entstanden seien. Gegenwärtig bestände ein ziemlich vertragliches Verhältniß init den Talmudistcn. Es seien ja jetzt auch unzählige Juden in Frankreich, Deutschland, aber auch selbst in Polen und Rußland, die den Talmud bereits aufgegeben hätten, oder im Begriff ständen ihn aufzugeben. Ich fragte ihn, welcher Sprache sie sich in ihren Schulen bedienten? Er sagte: Bis vor 200 Jahren war unsere Schriftsprache das Chaldäische, gegenwärtig aber schreiben wir hebräisch und zwar punktirt. Er sagte noch beiläufig, er habe eine sichere Nachricht, daß in Alcxandricn in Egypten in der jüdischen Synagoge ein ur-alteö von Esra selbst geschriebenes Buch eristire, dessen Inhalt aber geheim gehalten würde. Er hatte grosic Lust nach (5hina zu reisen, um die dortigen Juden, die offenbar mit den Karaimö denselben religiösen Glauben hätten, kennen zu lernen, und mit ihnen in Verbindung zu treten. Natürlich könne er dies nur mit Unterstützung des Gouvernements und einer Vorbereitung von drei Jahren, um gründlich chinesisch zu lernen. Das russische Gouvernement sollte mit beiden Händen ein solches Anerbieten annehmen. Der politische Nutzen liegt klar vor Augen, und die Wissenschaft könnte bedeutend dabei gewinnen! Nachdem der Nabbi Salomon Beim uns die Synagoge gezeigt, und in seinem Hause ein Frühstück, aus allen möglichen 403 tatarischen Confitüren bestehend, wobei jedoch der Champagner nicht fehlte, vorgesetzt hatte, begleitete er uns zu Fuß nach dem Thal Iosaph,it, dem uralten Begräbnißplatze der Karaim. Es ist ein herrlicher Platz, ganz besetzt mit den schönsten Eichen und anderen Bäumen, unter denen dichtgereihct die Grabsteine von weißem Marmor, meist wie schmale Sarkophage gestaltet, liegen. Unser Wirth zeigte uns mehrere der ältesten, darunter einen Mit der Iahrßzahl 500!) s124l) u. Z.). Dschufutkale sott ungefähr 300 Häuser und 1600 Einwohner haben. Alle leben vom Handel. Jeder Hausvater der KaraimL hat unten /n Baktschiscrai eine Vude, und geht oder reitet regelmäßig jeden Morgen hinab, und jeden Abend seine Bude verschließend und unter den Schutz eines Tataren stellend, wieder Nach seinem Felscnncste herauf. Zur Zeit der Khane durften sie nicht die Nacht über in Baktschiserai verweilen, und gegenwärtig thun sie cß nicht aus alter Gewohnheit! Ich lasse hier, nach dem, was ich an Ort und Stelle von den Karaims selbst erfahren habe, noch aus dem russischen Journal des Ministeriums des Innern vom Februar 1643 den Auszug eines Aufsatzes über die Karaim folgen, der interessante Notizen enthält. Er beruht auf Berichten des Rabbi B. Stern, Director der hebräischen Schule in Odessa, einem der gelehrtesten und gebildetesten Juden in Nußland, und ich habe ihn mit einigen Bemerkungen und Notizen vermehrt, die mir sonst zugekommen sind. Im russischen Reiche befinden sich die Karaim in der Mehr' zahl in den Gouvernements Tauncn und Cherson, außerdem aber in den Gouvernements Volhynien, Wilna, Kowno und im Kaukasus. Die Karaim in Wilna und Kowno, einige hundert Familien, haben sich in Kleidung und Sitten fast ganz curo-päisirt. Sie beschäftigen sich außer dem Gartenbau, mitunter selbst mit Landbau. Zuverlässigkeit, Höflichkeit und Gefälligkeit zeichnet sie aus. — Die Karaim in Volhynien in der Stadt Luzka, etwa 50 Familien, haben ganz die Tracht der Talmudistcn angenommen, treiben außer dem Gemüsebau vorzüglich das Fleischcrhandwerk und daö Fuhrwesen. Die Zahl aller Karaim im russischen Reiche ist nicht mit Zuverlässigkeit ermittelt, sie möchte sich auf etwa 0000 bis 2«' 4tt4 8090 berechnen lassen. Sie sind im Allgemeinen wohlhabend, treiben einen ausgedehnten Handel durch ganz Rußland und selbst zur See nach der Türkei und nach England. In der Krimm besitzen sie große Fruchtgärten und Weinberge, auch Ackerfelder und ganze Landgüter. Unter einander haben sie als Haus- und Familiensprache einen Dialekt des Tatarischen den Tschagataiskischen angenommen. Selbst die im österreichischen Galizien in Goletsch wol^ ncnden Karaim sprechen unter einander diesen Dialekt. Außer dem russischen Reiche und Gallien giebt es bedeutende Gemeinden in Konstantinopel, in Kairo und in Gita am Euphrat. Die in Konstantinopel sprechen untereinander griechisch, die in Kairo und Gita arabisch. Früher geschieht der Karaim Erwähnung an sehr vielen Orten, im ehemaligen Polen und im Bereiche des ganzen türkischen Reichs, so wie der Nordküstc Afrikas, wo man sie jetzt nicht mehr findet. Wahrscheinlich haben sie sich mit den Talmudistcn vereinigt und sind unter ihnen verschwunden. In Jerusalem haben sie eine unterirdische Synagoge, die durch Beisteuer von sämmtlichen Karaims unterhalten wird. In welcher Zeit die Karaim sich als eine abgesonderte jüdische Secte constituirt haben, ist bis jetzt historisch nicht aufgeklart. Die Talmudisten leiten ihren Ursprung von dem Rabbi Aman her, der im Jahre 750 nach lH. G. gegen den Talmud auftrat. Sie behaupten, daß erst seitdem eine abgesonderte Secte entstanden, die man Kara'er genannt, die in Syrien verfolgt sich nach Egypten wandte. Ihre Häupter, die Nasi, spater Hachami genannt wurden, lebten lange in Kairo. Doch geben die Talmudisten zu, daß der Geist, die Richtung, selbst die Hauptlehren der Secte viel alter und schon in den Sadduzäcrn angedeutet seien. — Die Karaim selbst behaupten dagegen in Bezug auf ihre religiösen Lehren und Sitten, daß dnsc die ursprünglichen reinen, ungefalschten, von Abraham und MoseS auf sie überkommenen seien, die sich bei ihnen in ihrer Abgeschlossenheit erhalten hätten, während bei den übrigen Juden im Laufe der Zeit eine Menge Zusätze sich gebildet und Abweichungen sich gefunden hätten, die zuletzt in dem Talmud zu einem förmlichen und umfassenden 405 Lehrsystem sich ausgebildet hätten. In der babylonischen Gefangenschaft hätten die übrigen Juden sehr Vieles von den alten Traditionen und Lehren der asiatischen Völker, unter denen sie leben mußten, angenommen, dies bei ihrer Rückkehr mit nach Jerusalem gebracht, woraus sich dann später allmählich der Talmud gebildet habe, dessen erste Träger die Pharisäer gewesen seien, die ja auch Jesus ihrer willkürlichen Deutungen lind Zusätze zur reinen mosaischen Lehre halber hart anklage. Aber "uch die Sadduza'cr seien keineswegs die Vorfahren der Karaim, auch diese hätten die altjüdischen oder mosaischen Lehren durch Ideen und Spitzfindigkeiten verunstaltet, die größtcnthcilS dm Lehren des berühmten Nabbi Elias entlehnt seien. Als sich nach der Zerstörung Jerusalems zwischen I37> bis 74l) Jahren n. Ch. in den Schulen von Tiberias und Babylon die talmudistischc Lehre völlig ausgebildet, habe sich allerdings eine Apposition des reinen Iudenthmns gefunden, welche in dem systematisch-organisirtcn Proteste des Nabbi Ainan einen Mittelpunkt gefunden, man habe diese von den Talmudistcn verfolgten Juden Karäer oder Karaim genannt. Dieser Name sei aber damals nicht erst aufgekommen, sondern man habe sie nach den alten Karaim, nämlich den Juden, die aus Assyrien lmd Babylon nach Armenien verseht wurden, und bei denen sich das reine alte Iudenthum erhalten, benannt. Diese alten Judencolonicn in Armenien seien nun aber die Vorfahren der Karaim in der Krimin und in den übrigen russischen und polnischen Landstrichen. Wann die Karaim nach der Krimm gekommen sind, ist, wie gesagt, bisher historisch nicht aufgeklärt, doch haben die neuesten Ilnttrsuchungen des oben auch vom Nabbi Beim bezeichneten Abraham Firkowitsch aus Eupatoria und die von ihm aufgefundenen historischen Documente einiges Licht aus die dunkele ^orzrit geworfen. Die Resultate dieser Forschungen wurden dem V^'l-ine für Geschichte und Alterthum in Odessa mitgetheilt, und daraus ist der Aufsatz, dessen Auszug ich hier gebe, entstanden. Die von Firkowitsch vorgelegten historischen Documente bestehen in 5)8 Grabschriftcn und 7»! Manuscripten. Das älteste dieser Docnmente ist von l>40, das jüngste von 1<>7<> nach Christi Geburt. Die älteste Grabschrift ist die dcö Isaak San^ 4ttU gari im Thale Iosaphat bci Tschufutkale von 4727 nach Erschaffung der Welt oder 767 nach 6H. G. Diesem Sangari wird vorzugsweise die Bekehrung der Chasarcn zum Iudcn-thum zugeschrieben, cineS der sonderbarsten, aber noch nicht hinlänglich aufgeklärten Ereignisse der Geschichte. Hiernach waren also die Karaim bereits im achten Jahrhundert in der Krimm, sie müssen eine höhere Cultur besessen haben, daß es ihnen gelingen konnte, die wilden Horden der Chasaren, vor denen die Herrscher Persiens, Konstantmopcls und die Fürsten Rußlands zitterten, zu ihrer Religion zu bekehren *). ') ES liegt eigentlich gar nichl in der Natur des Iudmthumß, lindere Völker zu seiner Religion zu bekehren, da der Mittelpunkt dieser Religion der aus ihrer Mitle hervorgehende Messias ist, wobei die Grundlage dcö Ganzen die gemeinsame Abstammung von Abraham bildet. Nur m den Grenzen des russischen Reichs kamen zweimal Bekehrungen im Großen zum Iudenthum vor, einmal bci dem ^olke dn (ci der noch jetzt in Ruhland erislircnden Sette der Sabalniki, d. h. Ruffen, welche die judische Religion angenommen haben. Völlig räth-seihaft ist das Verschwinden der Chasaren vom Wellschauplatze. Wo ist dies mächtige Voll mit einer ssulturleligion geblieben? Ueber die Sabalmki findet sich eine Notiz in Wilhelm Müller's Bettler-Gabe 1845>, eines Schriftstellers, dcr tief und mit Liebe in die Eigenthümlichkeiten des russischen Volks eingedrungen ist. ßr führt die Sage an, es gebe eine Zahl von Juden vom Stamme Benjamin, welche zur Zcil Nabukhobonissor in die Thäler des südlichen Abhanges deö KaulasiiS eingewandert, dor» noch jetzt bis in die Gegend von Der-bcnl wohnen sollen, man nennt sie Nriani. Dort erhielten sie Nachricht von der Geburt des Heilandes in Bethlehem und von dessen Leben und Wundern. Sie sandten zwei Männer aus ihrer Mitte hin, um Gewißheit darüber zu erhalten, Vlias aus Mzchetha und Longmuß aus Karßni. Als diese aber kamen, war der Heiland schon gekreuzigt, KliaS brachte daK Hemd des Heilandcö mit, welches noch jetzt in Mzchetha aufbewahrt wird, Longinoß aber brachte heilige Urkunden von den Jüngern sshristi. Lin Theil von ihnen wurden nun sshristm, aber mit Beibehaltung des jüdischen Gesetzes. Jene heilige Urkunden, nichl die 4 Evangelien, aber mit ihnen übereinstimmend, wcrde» an geheimen Orten aufbewahrt, und sind »ur den AuScrwählten uuler ihnen zugänglich. Diese heißen Schtscheluiki, Spallenmänner, weil sie zu ihrem mystischen Golteodicnstc Höhlen auft suchen, in welche baö Licht nur durch eine Spalte eindringt. Ihre llehrr fand i» Rußland siingang, und hat dort die Sabaluiki begründet. - Ich vermag feine Kritik dieser Sage zu gehen. 407 Tie Manuscript sind größtentheilö Bibeln oder Theile derselben ails dcm 0. bis 14. Iahchundcrt. (55 sollcil sich merkwürdige Barianten des biblischen Textes der Massora darunter finden, die dm europaischen Kritikern völlig unbekannt sind. (Ich selbst habe ein Fragment einer uralten Abschrift der Massora, die ich, wie oben erwähnt, in Theodosia von den Karaim erhielt, ans der Königl. Bibliothek in Berlin deponirt, die vielleicht über diese Behauptung Gewißheit gewahren könnte.) Zwei Prachtvolle <5odcxe aus dein 13. Jahrhundert enthalten außer dem Urtexte des Pentateuch die chaldäischc Uebersetzung des Dnkelos, wohl höchst wichtig für die Ercgcse. Ganz besonders wichtig möchte auch ein Coder der letzten Propheten, der in Persirn >^ geschrieben und im 12. oder l.'l. Jahrhundert nach der Krimm gekommen ist, sein. Für Philologie und Palaographie versprechen diese Manuscripte große Ausbeute. Sie gewahre» den Beweis, daß diese krimmschen Juden oder Karaim cine besondere nationale religiöse Entwickelung des Judcnthums gebildet und durchlebt haben, deren Mittelpunkt nicht Palastina oder Babylon, wo der Talmudismus sich ausbildete, war, sondern Persicn. Bon hier aus kamen sie über den Kaukasus "ach den Ufern des schwarzen Meeres. Alle Manuscript? enthalten Postscripte, welche Notizen über den Geschenkgeber, 5>e Synagoge, welche den (5odex erhallen, auch mitunter Anspielungen auf gleichzeitige historische Begebenheiten enthalten. l5in solches Postscript auö dem dritten Jahrzehnt dcS lOten Jahrhunderts erwähnt des damaligen ersten (5'rschcinens tal-"uidistischer Juden in der Krimm. Aus dieser Stelle ist klar, 5aß die krimmschon Juden oder Karaim bis dahin vom Tal-Muo nichts wußten, keine historische Sage hatten, daß sie etwa vvm Talmud abgefallen, daß sie mit diesem im Kriege lebten, sondern daß sie reine Bibelisten waren, wie eö auch jetzt noch 'bre Stammgcnossen im Innern Asiens, in tzhina und Tibet, srm sollen. Dieses merkwürdige Postscript drückt sich ohne allcS kindliche Gefühl, nur mit Verwunderung und Bedenken über bicsc neue Lehre, den Talmud, aus, indem es dieselbe der ^itlmg und dem Gerichte der Vorsehung übcrliesert. Man s'eht auch daraus, daß die damaligen Karaim daö Gefühl und bn» Charakter einer vom Ganzen des Iudcnllmms abgesonderten 40.^ und geschiedenen Sccte noch nicht hatten, waö jetzt allerdings bei ihnen hervortritt, sondern vielmehr daö Bewußtsein des ererbten reinen uralten Iudcnthums, von dem vielmehr die Secte der Talmudisten abgefallen. Die Postscripte von vier andern Rollen des Pentateuch enthalten die Widmung an die Synagoge der Vhasarrn in Solchat (das jetzige Starykrim) von Mi."». Sie bezeugen also, daß bei den Chasarcn ein völlig positives kirchlich-orgamsirtes Iuden-thlun hcrvschte. Es erhellt auch daraus, daß die Ehasarcn ihre Synagogen, d. h. karaitischc bereits vor der Einwanderung der Talnuldistcn in der Krimm hatten. Auch würden sich wohl die freiheitswilden, halbnomadischcn Ehasaren nicht dcm eisernen Joche des Rabbiniömus unterworfen haben, welches ja selbst Christus eine unerträgliche Last nennt. Vielleicht hat das Eindringen der Talmudistcn, und der sich dann dadurch allmählich bildende Zwiespalt mit den reinen Bibclisten, denen vielleicht auch damals hier zuerst der Name Karaim beigelegt worden, den Abfall der Ehasaren vom Iudenthum herbeigeführt. Sie traten theils zum Muhamcdanismus, theils zum Christenthum über, und verloren sich unter anderen Völkern. Nach den hier angedeuteten Untersuchungen scheint es kaum zweifelhaft, daß die Karaim in der Krimm, und ihre Eolonien in Rußland und Polen die Nachkommen jenes besondern Zweiges der Juden sind, die sich in den ältesten Zeiten noch vor der babylonischen Gefangenschaft von ihren Stammgrnoffen getrennt hatten, und aus der Tiefe Mittelasiens nach dcm Kaukasus, der Krimm ic. vorgedrungen sind. Wann sie die tatarische Sprache angenommen haben, ist nicht zu ermitteln. Diese Sprache hat schon früh eine große Verbreitung gehabt. Bereits im 9. Jahrhundert führten viele Districts in der Krimm tatarische Namen. Den Karaim ist die ganze spätere Entwickelung und die Geschichte der palWnaischen Juden fremd geblieben, die Entstehung des Christenthums blieb ihnen lange verborgen, sie theilten nicht das bürgerliche und sittliche Verdcrbniß, welches 409 iene traf, ,md wie sie ohne nationalen Haß gegen Christenthum Und Mchamedamsmus wären, so hat sie auch nie der Haß und die Verachtung der Christen lind Muhamcdaner getroffen. Sie Andienen aber auch durch ihre sittliche Haltung, ihre Treue und ihren Gehorsam gegen die Obrigkeit der Länder, wo sie >lch niedergelassen haben, ihr freundliches, wohlwollendes und 'Ulfrichtigcs Benehmen die Achtung, die ihnen überall zu Theil Wird. Die Behörden geben ihnen überall das größte Lob, noch big disse Stunde ist keiner von ihnen wegen eines bedeutenden Verbrechens von den russischen Behörden bestraft worden. Sie Ncnießen daher aber auch großer, ihnen von Rußland verliehener »der bestätigter Privilegien, die den talmudisiischen Juden nicht verliehen worden. (5in Rescript der Kaiserin Katharina II. vom ^. Januar 1795 besagt: „Die im taurischcn Gouvernement Wohnhaften Karaite» sollen von der doppelten Steuer befreiet Werden, und zahlen eine derjenigen der Kaufleute und Bürger seiche Steuer. Zugleich ist ihnen das Recht zu ertheilen, unbewegliche Güter besitzen zu dürfen, doch mit dem Verbote, labbinistischc Juden in ihren Gemeinden aufzunehmen". Nachdem wir dem freundlichen Rabbi Beim in Tschufut-kale Lebewohl gesagt, ritten wir wieder zu Mittag nach Bakt->chiserai hinab. Wir gingen vor dem Essen noch etwas in dem ^rte umher. Es war der erste echt tatarische Ort, den ich ^h. Man sah dem ganzen innern Leben desselben den orientalischen Charakter an. Die Handwerker wohnen nach ihren Zünften zusammen, jeder in seiner offenen Bude sitzend und arbeitend, die Straßen sind nicht breit, die Häuser schmal und "'e ganze vordere Seite mit Holzklappcn versehen, die deö Nachts das vorn fensterlose Haus verschließen, am Morgen "ber dergestalt geöffnet werden, daß der untere Theil der Klappe "ut einem Stahlen nach der Straße hm fällt, und so einen ^lsch bildet; der obere Theil der Klappen wird abgenommen "der in die Höhe geschlagen. Nun sieht man in das ganz offene Haus hinein, wie auf die Bühne eines Theaters. Und l^cs Haus ist auch wirklich ein kleines Theater! Hier sieht Man eine Bäckerei, einige Burschen kneten den Teich, der Bäcker steht v»r dem Backofen, in dessen loderndes Feuer man hinein 4i0 sieht. Dort sieht man 20 Häuscrchen neben einander, ei» jedes ist cm solches kleines Theater, in jeden: ein Schneider und seine Gesellen und Lehrburschen, und wahrlich man glaubt den alten längst verschollenen Wurm als Schneider Fips auf dem Theater zu sehen! — Selbst diese tatarischen Schneider haben die Art zu sitzen, sich zu bewegen, dieselbe Hascnfüßig-teit in allen Gesticulations, wie die ganze edle Zunft in Europa! Dort ist eine Reihe von Häusern mit Messerschmieden, der Hausherr steht vor der offenen Esse und schmiedet, auf dein Klapptisch lieben die Messer und andere Eisen- und Stahlinstruincntc in der schönsten Auswahl. Wir versahen uus mit Allem nach Bedarf, denn die hiesigen Messer sind vortrefflich, die Tataren barbirm sich damit sogar ohne Seife bloß mit kaltem Wasser! — Wir gingen in ein tatarisches Kaffeehaus. Diese Habcnnach der Straßenseite hin bedeckte Batterien, auf welchen tatarische Gäste sitzen, rauchen und Kaffee trinken. Wir zogen es jedoch vor, zunächst inS Innere des Kaffeehauses zu gehen. Kaum eingetreten, brachte uns ein Tatar Thonpfeifen und Feuer, hierfür zahlt man nichts, es ist das Zeichen der Gastfreiheit, dann setzten wir uns auf einen schmutzigen Dwan, und ließen uns eine Schale Kaffee geben. Wir erhielten ihn in kleinen Porzellantassen von der Art, wie sie vor 00 Jahren in Europa überall waren, aber ohne Zucker und Milch, und mit dem dicken oder dem Kaffeesah, der ungcmcin fein zu Staub gemahlen wird, gemischt. Er schmeckte uns abscheulich, man soil sich aber bald daran gewöhnen, und ihn dann vortrefflich finden. — Uw unö herrschte eine schwcrmüthige Stille! Die Tataren saßen lautlos, uud sich nur eben so viel bewegend als Pfeife und Kaffee erforderte, längs den Wänden her. Der Tatar spricht auf der Straße und in seiner Budc sehr lebendig, aber ins Kaffeehaus geht er, um sich auszuruhen, nicht um Konversation zu machen, wie wir Europäer! Oft kommen Zigeuner in dic Kasscchäuscr und machen Musik, am Abend auch wohl ein Märchenerzähler, aber die Gäste sitzen dann schweigend, rauchend und zuhörend! Die Tataren erhielten von Katharina II. ein Privilegium, i" Baktschiserai völlig isolirt leben zu dürfen. Eü ist den Mssen, 41t visier den etwaigen Beamten, nicht gestattet, dort zu wohnen Und (Hny^'bs zu treiben. Die Bevölkerung war 1tt31 in fol-ycnder Weise zusamlncngesetzt: *) Nach Volköverschiedrnheit, I.chl der S c e l e n z a h I Männer. Weiber. Tataren...... Kara im...... Zigeuner im Dorfe vor der Stadt. Griechen..... Armenier..... Nüssen ...... Europäische Fremde 1050 212 237 14 21 1 4104 4!)2 608 427 54 40 2 3740 017 530 401 40 00 1 7!)04 l 109 N38 88« 103 100 3 2273 57l)3 5458 11,251 ') Valtschiserai zur Zeit der Cholera 1831 von Peter v. Koppen, abgedruckt i>» russischen McrNir, Pttclßblirg 1«.j l Vd. I. Dcr V^stisser wlii !)>>!-gsschtckt, um die Samtätöpolizci g'gcn die Vcrbn'itmig dcr Cholcr^ zu oibucn. Es ist sehr mtcrcssant, wic sich hicbri die Siltr», Grwohnhritcn und Anschauungen dri Tataren äußerten. Der Verfasser ließ die Mol' lahö und angcseheusten ssinun'hner von Battftbiserai zusammcnkonnnen, um mit ihn»,, sscmemsam ?UleS zu überlegen. Zunächst eMärle» sie sich über die Beerdigungen: ES sei ihnen v»>„ Gouvernement besohle», allc an einem und demselben Tage Verstorbene gemeinschaftlich zu begraben, das widerstreite aber ihren Religionögrundsatzcn. Sieben Mann sind erforderlich zu Begleitung einer Leiche, und da, wo nicht sieben (Geistliche vorhanden sind, begleiten den Todten wenigstens so viel weltliche Personen, als Geistliche an iener Zahl fehlen. — kin Umstand er heischte besondere Berücksichtigung. Unbedingt und unnachgiebig verlangten die Tataren dir Abwaschung der Todte», und zwar dem allen Gebrauche gemäß, d. h. st', das, an einer entlegene» Stelle des Hofes eine An von flacher Gruft, zwei Spannen tief ausgegraben wcrdc, wor^ über ein durchlöchertes Brett gelegt wird, und auf dem Nn!t der ;» 4N Der Handwerker warm 374 Meister und Ni5 Geselle». Es waren vorhanden 9 tatarische Hauptkirchrn (Dshami) und 28 Bethäuser (Metschet), die tatarische Bevölkerung theilte sich in 34 religiöse Gemeinden ab (Mahalleh, Pavochien). An Feiertagen wird der Gottesdienst nur in den Hauptkirchen, an Werktagen aber in allen übrigen gehalten. An den HauptkircheN stehen l) Chatipe (Obcrpriester), an den Metschets 2« Effendis (Priester). Jene wie diese heißen Imam iParochialgeistliche) oder Ulcma (Geistliche überhaupt). Mästn entspricht ungefähr dem geistlichen Diakon, ihrer waren 52, und außerdem 26 Chaime oder Kirchendiener. Die Gcsammt^ahl sämmtlicher Personen geistlichen StandeS männlichen Geschlechts betrug 165, »vozu ungefähr eben so viele Weiber zu rechnen sind. C's ist bei der Bevölkerung ein bedeutendes llebergewicht des männlichen Geschlechts sichtbar, fast 10 Proccnt. Bei den Karaim scheinbar aber nicht, aber diese haben zwar ihre Buden in der Stadt, die Familien der meisten aber von ihnen wohnen in Tschufatkale, und kommen des Morgens herab in die Stadt, um am Abend wieder hinauf zu gehen. waschende Leichnam. — Zu diesem Alt, welcher gleichsam eine Taufe nach dem Tode sei» soll, ist eine bestimmte Quantität Wasser festsetzt. — Sollte man nun aber gesunden Personen gestatten, bit an der Cholera Verstorbene!! auf diese Weise zu waschen? — Dir Tataren rrklarttil, sie tonnten dk Sillt nicht fallt» lassen, sie hätten die Sache aber bcreils selbst «wogen, rS hätten sich auS ihrer Mitte freiwillig Personen zu dem Geschäfte er boten, sowohl Sophus (Mönch,'), als auch Frauen, die alle furcht u»l Scheu voi dem Tode ihren religiöse» befühle» unterordnend, bereit wären, sich in die Zahl der Mortus (?) aufnehmen zu lassen. — ONeich dm Tataren bewitsen auch die karaim einen Abscheu gegen öffentliche Hospitäler, und wie dic tatarische Meisilichkrit erklär! lmtte, das; srinee von ihrer Ztalion einen .Nrant'en dahin geben werde, wedl'r a,lS seiner Familie, noch aus der Zahl der geringsten Diener, su sagten auch die Borstrhcr der Karaim, daß sie fast ertrankt wären bei dem bloßen Vernehmen des Raths des Hcrrn vo» «öppcn, ein lxsondcrrs Haus für kranke zu bestimmen! — „Was ist denn d,e Cholera so tigmtllch? Hast du sie gesehen?" fragte ein Meimusse stinen ^'andsmann, der n»' längst vom Don zurückgekchlt war. — „Frniich// aniworlttc Jener. — „Wie sieht sie denn anS?" ^ „Vö ist ein Wtili ill rolhc» Stiefel'!, das auf dem Wasser gehl und beständig seufz«!" — 4l3 Die Lagc der Stadt in einem Fclsenthale hinab, umgeben von einer herrlichen Gartcnvegetation, ist sehr lieblich. Der Hauptthcil der Stadt ist eine lange Straße, die durch den Palast der Khane in zwei Hälften getheilt wird. Bon ihr laufen nur ein paar Nebenstraßen aus. Eine Anzahl Gebäude "ber liegt isolirt in Gärten, und das sind meist die Wohnungen ber Reicheren, die kein (bewerbe treiben, für die die belebte Straße von besonderem Nutzen sein könnte. Was der Stadt ^on außen ein besonderes malerisches und zugleich anscheinend Mächtiges und weitläufiges Ansehen giebt, sind die vielen zier-I'chcn und schlanken Minarets, ich glaube, man zählt deren über 'j0. Zugleich hat ein jedes Haus einen hohen (oft 1U' l)ohcn) und mit kleinen architektonischen Zicrathen geschmückten Schornstein. Das giebt dem Ganzen ein allerliebstes Ansehen, "lan steht auf ein Meer von unzähligen großen und kleinen Spitzen! Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten, besahen wir den Palast und die Gärten der Khane, die, wenn auch weitläufig, doch keineswegs den Eindruck deß Großen und Imposanten machen. Viele Theile der Gebäude, ihre Hallen und Gallerten sind zicr-!'ch und eigenthümlich, die innern Räume sind hübsch decorirt, c>ne fremdartige orientalische Atmosphäre tritt uns allerdings ^'tgegen, aber grandios und in edlen Verhältnissen findet man ^ nicht. Alle orientalischen Bauten des letzten Jahrtausends haben diesen kleinlichen Charakter. Die Massenhaftigkeit der Bauten dcr uralten orientalischen Despotien ist untergegangen. Die Residenz der Khane der Krimin ist von Reisenden oft "^schrieben, am besten und anschaulichsten von Kohl in seiner 'üdrussischen Reise, ich will mich daher hier nicht damit bc-^!srn, will vielmehr einige allgemeine Notizen über die Tataren !"id ihr hiesiges Reich geben. Die Tataren sind nicht die ältesten Bewohner der Krimm. ^e kamen erst mit den großen Mongolenzügen nach Westen, ^'ter Dschingiskhan, in dieses Land, und machten in den üblichen Theilen sich ansässig, während Horden ihrer Stamm-^"ossni <„, Norden der Halbinsel, so wie in den übrigen 414 Steppen nordwärts des schwarzen und asowschen Meeres no^ madisirtcn. Die Urbcwohncr, die beim Dämmern der Geschichte hier zuerst genannt werden, sind die Kimmerier, wahrscheinlich später Taurier genannt, dann siedelten sich griechische Cowmen an den Küsten an, und stifteten blühende Städte. Während der Völkerwanderung kamen die deutschen Gothen und machten sich in einem Theile des Landes ansässig. Noch im 15teN Jahrhundert sprach man von einem Herzogthumc und einew Bisthume Gothien "'). Auch die Hunnen werden hier als ansässig erwähnt. Die Genucftn bemächtigten sich der Häfen und der Süd-küsien lind beherrschten sie 2l)0 Jahre. Ihre Städte wurde" dann von hen Türken erobert, die sie bis 1,774 behielten. Alle diese Nationalitäten sind untergegangen oder vielmehr in der tatarischen Nationalität aufgegangen, wenigstens hat es bisher nicht glücken wollen, Ueberrestc der Tanricr, alten Griechen, Skythen, Hunnen und vorzüglich der Gothcn aufzufinden. Auch Gcnucsen und Türken sieht man nicht mehr. Dagegen habe» sich unter tatarischer Herrschaft die ewigen Bagadundenvölker, die Juden, Armenier und Zigeuner eingefundcn, und bilden keinen unbedeutenden Theil der Bevölkerung. Seit der Herrschaft der Russen sind Kolonien von Neugriechen, Russen, Bulgaren, Arnautcn und Deutschen angelegt. Ob die Tataren der Krimm sich von Anfang an rein von mongolischem Blut erhalten, oder ihre Mischungen in der Krimw mit Gothcn, Griechen, Genuesen, Türken und Tscherkessen das mongolische Blut und mongolische Züge wieder ausgemerzt haben, möchte schwer zu entscheiden sein, aber das ist sicher, daß ihr jetziger ganzer Habitus nichts Mongolisches enthält, sondern durchaus die kaukausischc Korperbildung zeigt. Sie zeichnen sich durch ihre edle Haltung und ihre schöne Gesichts- ') Der Namc Gothicn als ciue Vparchic, cm vom Patriaichm in Kunsia'l' tinopel abhängiges Erzlnslhmn, lomml nmh im Htm IahrhunblN vo>'> DieS Glzl'iöthmn «losch auch crst dmiuilö. Pctrr v, Köppm fand >» der kinhl' zu Bi'isala ci„c Inschrift, dic bcsagtt, d>isi die Kirche tusä) dc„ ^rzpricsicl «onsiantiliS, Snpriil'r don Guthim, crl'auet sei. Sich« Vrmans Archiv 1842 Hrft I. >>!'^. 111. 415 bildung vor ihren Nachbarn und Stammgenoffen, den nogai-schen Tataren aus, bei denen die mongolische Zumischung unverkennbar ist. Die Geschichte der Mongolen und der von ihnen ausgegangenen Wcltcrschüttcrung ist noch sehr dunkel. Zwei Volkcr-rrihen, die mongolische und die tatarische, bildeten dic Grundlage der Macht Dschmgißkhans. Die mongolischen Völker scheint er vorzugsweise nach dem Osten und Süden, die tatarischen nach dem Westen und Norden gewälzt zu haben. Denn nachdem sich die Herrschaft befestigt hatte, treffen wir in Europa säst gar keine mongolische Völker (mit Ausnahme der nicht sehr zahlreichen Kalmücken), sondern nur tatarische, wenigstens blieben nur tatarische Völker in Europa zurück und machten s>ch dort ansässig. Nach dem Tode Dschingiskhans zerfiel sein Reich in sechs Hauptstaatcn, von denen der eine, welcher dießseit deö kaöpischcn Meeres die europäischen Eroberungen umfaßte, das Reich Kipt-schak war, dessen Fürsten sich die Khane der goldenen Horde nannten. Dies Neicl) zerfiel später in die drei Reiche Kasan, Astrachan und die kleine Tatarei oder die Krimm. Der Sitz der goldenen Horde an der Wolga verschwand, d>c Reiche Astrachan und Kasan wurden von Rußland erobert, Nur das Reich der krimmischen Tataren hatte sich bis vor W, ^ Jahren erhalten. Die Khane der Krimm waren seit dem 14tcn Jahrhundert ununterbrochen aus der erlauchten Familie der Girei oder Ge-lay entsprossen, welche directe Nachkommen Dschingiskhanö zu sein behaupten, und auch wohl unleugbar sind. Im j7>tcn Jahrhundert waren im Reiche Kiptschak große Verwirrungen durch Streitigkeiten unter den Kronprätendenten eingetreten. Menghli Girci Khan, der die gerechtesten Ansprüche hatte, ward vertrieben. Er flüchtete zuerst zu den Ge-'U'esen nach Mancup, und wandte sich später an den Eroberer Konstantinovels, den Großsultan Muhamcd ll., um Hülfe. Dieser s"gte sie zu unter der Bedingung, daß Menghli Girci sich zum Vasallen der Pforte bekenne. Worauf Muhamcd ihn auch wirklich wieder in sein Reich einsetzte. Man glaubt gegenwärtig in Europa, das Vasallenthum 410 Mebcmet Ali's in t>gvpten müsse nothwendig zur Losreißung von der Oberherrschaft der Pforte l>nd zur Unabhängigkeit Egyptens führen, ein so mächtiger und selbsiständiger Vasall könne unmöglich in einer, »renn anch noch so losen, Abhängigkeit gehalten werden. Ich glaube, Mchemct Ali ist viel zu klug, hiernach zu streben. Or hat vielleicht danach gestrebt (nach der Schlacht von Nishib) den Thron von Konstantinopcl zu besteigen, aber er wird gewiß nicht danach streben, ein unabhängiger Konig von Egypten zu werden! Im Verbände des türkischen Reichö genießt er alle Garantien desselben, die die nothwendige Politik von ganz Europa diesem gewährt, als unabhängiger König würde er bei der ersten besten Gelegenheit innern oder, äußern Feinden zus Beute werden. Er mag sich an dem Schicksale der Khane der Krimm spiegeln! Diese wurden auch im Frieden zwischen Rußland und der Pforte (177-l) auf eigene Bitte und auf Antrieb des ersteren für unabhängig erklärt und ihr bisheriges Vasallenverhältniß zur Pforte aufgelöset, — und 10 Jahre darauf eMirte kein Khanat der Krimm mehr! ' '- Dies Vasallenverhältniß der Khane der Krimm zur Pforte war wirklich höchst eigenthümlich, es beruhete ans einem eigenen Vertrag, den Muhamrd mit Mcnghly Girci abschloß*). ^Hicnacl) war dem Sultan das Recht eingerämnt, die Khane ein- und abzusetzen, doch hatte er nur die Wahl unter den Prinzen des Hauses Girei. Unter keinem Vorwande aber durfte der Sultan je einen Prinzen dieses Hauses am Leben strafen. Die Länder deö Khans sollten ein sicheres und unverletzliches Asyl für Jedermann sein. Nach dem Gebete für den Großsultan als Haupt der Gläubigen mußte auch für den Khan in den Moscheen gebetet werden. Jede Bitte, die der Khan bei der Pforte thun würde, sollte ihm bewilligt werden, er sollte nie einc Fehlbitte thun! Bei der Armee sollte der Khan 5 Noß-schwcife sich vortragen lassen dürfen, der Großsultan läßt sich 6 vortragen. Hierüber ward lange unterhandelt, der Khan bestand auf tt Roßschweife, weil daS Blut Dschmgiskhans eben so *) Peyssonels m smmn: A rail« «ur l« commerce liu I» mor noire 1787 hat ihn zuerst mitgelhcilt. 417 erhaben und heilig sei als das Blut Dsmans, mußte aber zu-letzt nachgeben. In Kriegszeiten sollte dic Pforte zum Unterhalt der Garde dcö Khanö jährlich 17><) Beutel (^4,300 st.) und für die des Mirsa Kapikulis «0 Beutel (44/100 st.) auszahlen. Dic Macht und der Einfluß dcö Khanö am Hofe in Kon-stantinopcl war ungcmein groß. AIs Dewlet Girei Khan im Anfange des Itttcn Jahrhunderts dem Großsultan seine Aufwartung machte, und schon Abschied genommen hatte, und zu Pferde steigen wollte, blieb er plötzlich mit einem Fuß im Steigbügel mit dem andern auf dem Boden stehen. Der Großsultan bemerkte eS und befahl, sich zn erkundigen, was seine Abreise verzögere? Da ließ der Khan antworten, er würde nicht eher aufsteigen, bis man ihm den Kopf des Großveziers Mehemet Vacha bringe. — Er erhielt ihn auf der Stelle, der Minister ward sogleich hingerichtet! — Hiezu smdet sich ein Pendant: Als der Vicckönig Mehemet Ali vor Jahr und Tag zum Besuch in Konstantinopel war, ward auf seine Bitte ein abgesetzter Minister nicht hingerichtet, sondern in seine vorige Stelle wieder eingesetzt! Das ist der Unterschied der Sitten »m l^tcn und im Men Jahrhundert selbst in der Türkei! Wenn der Khan nach Konstantinopel kam, so wurden ihm königliche Ehren erwiesen. Der Vezier und alle Große mußten ihn vor der Stadt empfangen, und er hielt einen feierlichen Einzug. Er hatte das Recht, sich in Gegenwart des Groß-Ulltanö zu setzen und mit ihm Kaffee zu trinken, er war dabei "Ut der Agraffe am Turban geschmückt, wie der Padischah. Eine merkwürdige Sage bestand unter allen Türken und Tataren, daß, wenn dereinst das Haus Osmann ausstürbe, die benschaft über alle Türken und Tataren und die Würde des padischah auf die Nachkommen Dschiugiökhans und namentlich 6lif das Haus Girei übergehen müßte. bestand bis 1774, und die Türkei besaß im Khanat der Krimm bis dahin eine luächtige Vormauer gegen Rußland und Polen. In dem damals ^geschlossenen Frieden mit Nußland erkannte die Pforte die Souvcraimtät und völlige Unabhängigkeit des Khans an. 17^3 '"ard das Khanat Rußland völlig einverleibt. Der Khan erhielt "ne Pension. Sein letzter noch lebender Sprößling, Kernn 2? 418 Kirei, lebte lange in England, und ist dort zum Christenthum übergetreten. Aus den Nebenlinien sollen noch einige Abkömmlinge des Hauses Girci als einfache tatarische Edelleute in der Krimm leben. Die Größe des Khanats ist nicht fest zu bestimmen, zwischen Nußland und dem Khanat schwankte sie in der Steppe beständig. Die Herrschaft in den kaukasischen Ländern war nur lose, und wurde von den Tscherkefsen oft nicht allgemein anerkannt. Dennoch war daß Reich des Khans gewiß größer, als dic preußische Monarchie! aber freilich nur sehv gering bevölkert, doch kann die Bevölkerung auch nicht gauz schwach gewesen sein, wenn es wahr ist, daß er in, Fall der Noth 200,000 Reuter aufsitzen lassen konnte. Merkwürdig gering waren die stabilen Einkünfte dieses Fürsten, aber er besoldete kein Heer, fast keine Beamte, und erhielt in jedem Kriege einen großen Antheil der gemachten Beute! Peyssonel a. a. D. hat uns den offiziellen Finanzctat der letzten Zeit aufbewahrt, und es ist interessant, dessen Positionen zu kennen. l) die türkischen Zölle und die Salzwerke bri Guslevc brachten.............. 7)0,00») Piaster, 2) die Zölle imd Salzwerkc bei Orkapi und die Münze................... .'i0,000 „ A) der Hetman von Dubussar gab Tribut . 5000 „ , 4) der Befehlshaber von Iali eine Art Pacht der Abgaben nach Weise der türkischen Paschas 15,000 „ 5) der Befehlshaber von Kawchan desgl. . 4000 „ si) die Hvniggelder, d. i. die Tribute der Hospodare der Moldau und Walachei..... 13,000 „ 7) die Zölle in Kassa............ 2000 „ 8) die vom türkischen Hofe ihm auszuzahlenden Apanagen.............'. . - 6000 „ l 27,000 Piaster. Nach damaligem Geldwerthe 400,000 Livreö oder 100,000 Nthlr. Man begreift nicht, wie der Khan hievon seinen Hof, seine Beamte, seine Leibgarde :c. erhalten konnte, aber es flössen noch viele unständige Einnahmen in seine Casse, die mehr eine" 4l<) orientalischen Charakter habeil. Ihm siel das Vermögen seiner Edelleute zu, die ohne Erben bis im siebenten Grade starben. Alle Großen des türkischen Reichs mußten ihm jährlich Geschenke machen, besonders aber die Hospodare der Moldau und Walachei, da ein Wort, eine Bitte beim Sultan von ihm hinreichte, sie zu stürzen. Aber auch selbst fremde Machte, Rußland, Polen, Oesterreich, ja sogar Frankreich und England zahlten ihm Iahrgelder. Dann bildeten die Kricgöbeuten große Schätze für Nothfälle. In Schreiben an fremde Mächte gab der Khan sich den Titel: Wir von Gottes Gnaden N. Girei, Kaiser der Tataren, Tschcrkcsscn und von Dagestan. Alle Prinzen seines Hauses Ehrten den Titel Sultan. Sie wurden nicht eingesperrt, wie die Söhne vom Hause Osman, sondern lebten frei, erhielten vom Khan freien Unterhalt, und jeder von der Psorte ein Iahr-geld. Ihre Person war heilig. Der Khan konnte sie unter keinem Vorwande mit dem Tode bestrafen. Sie wußten auf alle Weise, insbesondere von den türkischen Paschas Geld zu erpressen, daher ein türkisches oder tatarisches Sprichwort sagt: Fürchte einen Sultan, sobald er so groß als der Stiel einer Peitsche ist. Es waren mehrere Nebenlinien des Hauses vorhanden, die Hauptlinie, die von Hadjc Selim Girei, hatte aber zunächst km Thronrecht, erst wenn sie ausgestorben gewesen wäre, würde Man unter den andern Linien den Khan haben wählen dürfen. Fast alte Söhne der Khans und die übrigen Prinzen wurden "ls Knaben nach Tschcrkessicn geschickt, und daselbst von irgend kinem dortigen Adeligen erzogen, die dann auch besondere Ehre barm suchten, einen solchen Prinzen zu erhalten. Dort lernten sie bei den ewigen Kriegszügen der Tschcrkesscn den Gebrauch der Waffen und den Krieg kennen. - Etz war ein tapferes, ^vlzcs, großmüthiges Geschlecht!. Nie suchten sie Schätze zu erwerben oder festzuhalten. Sie verschenkten Alles, was sie hatten, ^ln Sultan hatte gewöhnlich nur einen Anzug, und am Tage, lvo er das Kleid zum erstenmale anzog, nahm einer seiner Bereiter oder Leute es in Beschlag. Sobald dann nur erst ein Neuer Anzug erworben war, ward der erste verschenkt! Wenn demand ihnen sagte, sie möchten doch für Nothfälle etwaß auf- 2?' 420 sparen, antworteten sie: Giebt cö ein Biespiel in der Geschichte, daß ein Fürst vom Hause Girei verhungert ist? Die Töchter der Khane wurden an die vornehmsten, tapfersten, ader gewöhnlich ärmsten Edelleute vevhcirathet, die dann durch die Aussieurr wohlhabend wurden. Zu dieser Aussteller gehörte das sogenannte Docuß-Docusleme oder das Neun-mal-neun. Das heisit !> -s- <» Pelze, <> -j- « Kleider, l» -^ 0 Matrazcn mit verschiedenen Gold-, Silber- und seidenen Stoffen überzogen, !> -^. i) reiche Decken und 9 > N Betttücher. Die Khane hatten niemals wirkliche gesetzmäßige Gemahlinnen, sonderen nnr tschcrkessische und georgische Sclavinncn, die gar keinen Einfluß hatten, und selbst von den Kindern wenig gcach/et wurden. Die Staats- und Landesverfassung dieses tatarischen Reichs beruhete durchaus auf feudalen Grundlagen, gleich dencn der germanisch-romanischen Volker. Sie hatte nichts ähnliches mit den übrigen bekannten orientalischen sogenannten Despotien.— 6s ist dies eine sonderbare geschichtlich noch nicht aufgeklärte Erscheinung. Die Tataren waren mit den Türken desselben Stammes, derselben Religion, seit Jahrhunderten staatlich verbunden, und dennoch in Bezug auf die socialen und Vcrfas-sungsvcrhältniffc im entschiedensten Gegensahe. Mit den fern-wohnenden germanisch-romanischen Völkern war nicht die mindeste Verbindung je gewesen, es bestand vielmehr ein aus der Verschiedenheit der Religion erzeugter tiefer Haß gegen dieselben, und dennoch diese unverkennbare Achnlichkeit in den Einrichtungen! Woher dies? Es war als wenn diese so verschiedenen Volkerreihcn aus derselben ursprünglichen Quelle die Grundlagen ihreS gesellschaftlichen Zustandes geschöpft hätten! Der Khan der Tataren war nichts weniger als unbeschränkt, seine Macht war vielmehr durch seine Großen, sowohl die höchsten Beamten als den Adel deö LandeS sehr eingeschränkt. Die erste Stelle nach dem Khan nahm der Kalga ein, den man etwa einen Vicekönig oder einen Major domus nennen könnte. Nach dem Tode des Khans führte er die Regierung bis ein neuer Khan von der Pforte ernannt war. Er befehligte das Heer, wenn der Khan es nicht selbst that. Er besaß ein eigenes Fürstenthum und residirte in dessen Hauptstadt 421 Akmeschid. Er hatte einen Hofstaat ganz ähnlich dem des Khan, auch einen Vezier und andere hohe Beamten, die er täglich in einem Divan versammclle. An diesen Divan appellirtc man von d^n Urtheilen der Kadis (Richter). Auch wurden von diesem alle Kriminalsachen in dem Fürstenthume des Kalga untersucht. Allein ein Todeßurtheil konnte der Kalga nicht sprechen, er Mußte den Illam oder die Species facti an den großen Divan des Khans schicken, und dann bestätigte der Khan persönlich den Auöspruch des Mufti. Der Kalga hatte eine Dotation von Revenucn aus gewissen Zöllen, Salzwerken, einen Tribut der Fürsten der Moldau und Walachai, etwas geringer als der, den dieselben an den Khan zahlten. (3r erhielt das Kopfgeld von den Christen in seinem Lande, und übte überhaupt fast alle Souverainitätsrechte in demselben aus. Die zweite hohe Stelle war die des Nuradin. 6r war gewissermaßen der Stellvertreter des Kalga, er regierte daß Reich, wenn etwa der Khan und der Kalga gleichzeitig todt gewesen waren. Auch er hatte eine eigene Rrvenürndotation, aber kein eigenes Land, er hatte einen Hofstaat ganz wie der Khan und der Kalga, einen Vczicr, hielt aber keinen Divan, hatte keine Gerichtsbarkeit, nur wenn er in Abwesenheit des Khans und des Kalga das Heer befehligte, ward sein Kadi erster Richter bei demselben. Die dritte Würde des Reichs war die des Orbei des (Gouverneurs von Orkapi. Dann kamen die drei Seraskiere der drei großen Horden der Nogai-Tataren, die jene Horden in Kricgszeitcn anführten, und deren Landstriche als Vicekönige regierten. Jeder von ihnen hatte einen Hofstaat wie der Khan, seinen Bczier und seinen Divan, der ohne Appellation alle ^wil- und l5riminalprozcsse der gemeinen Nogai entschied. Der nogaische Adel (die Mirsas) aber war excmt von der Gerichtsbarkeit des Scraökicrs; wenn er wollte, konnte er seine Strci-ligkeitcn vor den großen Divan des Khans bringen. Bei Cnminalvcrbrcchen aber stand auch der Adel unter der Gerichtsbarkeit der Seraskicre. - Die Seraskicre erhielten von jedem Hause oder Zelle ihrer Horde 1 Piaster, und von jedem Aul (Dorf) ein Schaf, und von der ganzen Horde beim 422 Antritt ihres Amts 50l) Ochsen, ferner dcn Zehnten vom Getreide, wenn dergleichen gcbauet wurde. Der Khan ernannte diese 6 Würdenträger. Der Kalga mußte jedoch von der Pforte bestätigt werden, welche ihm bei seiner Einsetzung einen Chrenpclz und 2000 Zcchinen übersandte. Den Kalga und dcn Nuradm konnte der Khan nur unter den Gliedern des Königlichen Hauses wählen, dcn Orbei eigentlich auch, doch durfte auch ein Glied deß Hauses Chirin gewählt werden. Die drei Seraskiere wurden aus dem hohcn Adel ernannt. Der Mufti, daß überhaupt der Kirche, hatte den Nang unmittelbar nach den Königlichen Prinzen (den Sultanen) und dem Chcrin-Bey. Seine Setawas oder Urthcilssprüche dienten den Kadis in ihren Sitzungen zur Richtschnur. Der Khan hatte einen Großvezicr, der ungefähr dieselbe Stellung wie der der hohen Pforte hatte,, doch konnte und durfte er nie das Heer anführen, er war eine Art Großkanzler. Auch er hatte eine bestimmte Rcvcnücndotation, den Zehnten und das Kopfgeld von (j Dörfern, Gefalle ron Zöllen, von der Münze ic. Dann kamen noch eine Menge hoher Beamte, der Kazi-Asker oder oberste Richter der Armee, der Chasnadar-Bachi oder Großschatzmcistcr der Krone, der Dcftcrdar oder Gencral-controleur, der Achtagibry oder Grosistallmeistcr, der dem Khan den Steigbügel halten mußte, wenn er zur Moschee ritt, der Kilcrdji-Bachi oder Haushofmeister, der Kuchcdji-Bachi oder Großfalkonicr, der Dioan-Esscndi oder Staatssecrctair, der Kapcdji-Bachi, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten :c. Alle großen Aemter konnten nur durch Mursen oder Adelige besetzt werden, ausgenommen die eines Mufti, eines Kazi-Askcr und eines Divan-Essend,', wozu Gesetzkenntniß nothwendig war. Der hohe Adel verschmähcte aber meistenthcils diese untergeordneten Aemter, er nahm nur die Würde der Scraskicre an. Von jenen hohcn Aemtern waren eigentlich die Hofbedicntm noch sehr geschieden, unter ihnen war auch der Mechtcr-Bachi oder Kapellmeister mit 12 Musikanten, der als seine Ncvcnücn das Kopfgeld aller Zigeuner, die im Lande waren, erhob. Das Volk der Tataren theilte sich in Adel, Freie und Frei- 4^ a/lassene. Leibeigenschaft erisiirte nicht unter ihnen, all? Tataren waren freie ^clite, aber wohl waren fremde Sclaven vorhanden, Kriegsgefangene und ihre Nachkommen und gekanfte Sclaven: Tscherkesscn, Abgasen, Georgier, Kalmücken und gefangene Nüssen und Polen. Der Adel hatte eine außerordentliche und hohe Meinung von sich, und ward vom Volke hoch geehrt. Er hatte eine stolze Haltung! Handel zu treiben hielt er für entehrend, nuv der Krieg galt für ein ehrenvolles Geschäft, aber der Zweikampf war unbekannt, ein Mann von Ehre solle seinen Muth nicht anders als im Kriege zeigen, sagten sie, dagegen war ein cere-Moniclles und rücksichtvollcs Betragen unter einander hergebracht. Bei ihren Versammlungen und Gastmählern herrschte die größte Wohlcrzogrnheit, der Rang unter ihnen stand überall fest. Nur dem hohen Alter räumte der Jüngere, wenn er auch vornehmer war, den Rang ein. Bei den Hochzeiten waren nicht bloß gebrannte Wasser, sondern selbst Wein erlaubt. War rin Prinz des Hauses Girci (ein Sultan) eingeladen und erschien er, so saß er an einem Tische allein, und der Herr des Hauses bediente ihn, die Mütze unter dem Arm (wie europäisch! Die Orientalen nehmen sonst nie ihre Kopfbedeckung ab). Selbst im Rausch brachen nie Streitigkeiten aus, die übrigen erdrückten sle augcnblicklicb, selbst mit Gewalt. Der Adel (die Mirsa) theilte sich in zwei blassen, in den hohen Nradcl, der mit dem ganzen Volke in die Krimm eingewandert war, und in den Dienstadel, die Kapikulis, welche dadurch, daß ihre Vorfahren hohe Aemter verwaltet hatten, in den Adelstand erhoben worden. Der hohe Adel bestand nur aus 5 Familien, deren jede aber in zahlreiche Linien getheilt war. Jede Familie, die einen Uralten Familiennamen führte, hatte ihre besondere Verfassung unter einem gewählten Haupte, dem Bey (in der Regel der Gelteste des Hauses), dem alle Glieder, selbst die entferntesten, deren Vorfahren sich schon vor Jahrhunderten in den Generationen getrennt hatten, nicht bloß Ehrfurcht, sondern unbedingten Gehorsam erwiesen. Die vornehmste dieser 5 Familien, die den Nang unmittelbar nach dem Königlichen Hause hatte, ja eigentlich behauptete, 424 gerechtere Ansprüche auf den Thron zu haben, als das Haus Girei, da ihr Vorfahr es gewesen war, der, nur der Verbündete, nicht der Unterthan Dschingiskhans, selbsiständig die Krimm erobert gehabt, war die Familie Schirm. — Der Bei dieser Familie stand im hohen Ansehen bei den Tataren, er wavd als der Schutz der Reichsgesctze, als der Hort der Freiheiten des Volks angesehen. Er hielt eS auch für seine Pflicht, jedem unrechtmäßigen Eingriffe des Khans oder der Pforte in die Rechte des Volks oder der Einzelnen entgegen zu treten, und that es auch, ja die Geschichte erzählt Beispiele, daß der Schirin-Bcy mehrmals die Absetzung eines Khans durchgesetzt hat *). Der Schinn-Bei war der angesehenste und einflußreichste Mann im Reiche, obgleich der Kalga und Nuradin den Rang vor ihm hatten, nicht weil sie jenes hohe Amt hatten, sondern weil sie Prinzen vom Geblüte waren. Im großen Dioan nahm der Schirm-Bey den Sitz unmittelbar nach den Prinzen ein. — Der Schirm-Bey hatte eine Hofhaltung ganz wie der Khan, er hatte sogar seinen Kalga und Nuradin, wozu er Edelleute seiner Familie ernannte. — Die Familie Schirm verband sich am häusigsten mit dem Königlichen Hause durch Hcirathcn. Die Tataren scheercn stets ihren Bart, nur der Khan ließ ihn vom Augenblicke seiner Thronbesteigung an wachsen, und außer ihm dursten nur der Schirm-Bcy', der Kalga und die 4 andern Häupter (Beys) der 4 hohen Adelsfamilien dies thun. Die zweite Familie war die der Mansur-Oglu, die ebenfalls ") Seadel^wirei-Khan hatte sich Grausamfciten gegen das Volk schuldig und den Adel mißvergnügt gemacht, Der damalige Schirin-Bcy Adje sammelte 20,000 Mmm, und kündigte dem Khan an, ei müßte die Krone niederlegen. Dieser gehorchte, ohne Widerstand zu leisten. Die Pforte " sah durch bit Finger mid ernannte Mehemel Girei zum Khan, aber auch dieser mißfiel dem Scherin-Vey, er zwang ihn, das Land zu verlassen. Nun beschloß die Pforte, dm aufrührerischen Ade! zu züchtigen, sie bot dem Kaplan Giiei den Thion an, mit der Bedingung, dicö vorzunehmen. Der antworlctt aber, er sei zum Kaiser der Talaren, aber nicht zu ihrem Henker geboren. Nm» ward Nmgkli - Girei ernannt, der die Vcstrastmg vorzunehmen versprach. Schiri»-Bey sollte beim ersten großen Dioan gerichtet werden, cr aber entwich nach Tschcrtcssien, und ging dann später auf seine Güter, wo er ungestört bis an seinen Tob lebte. 425 5ch mit der regierenden Familie häufig durch Heirathen verband. Ein Zweig derselben, die Karatscha, wohnte unter den Nogai-Tataren. Die dritte Familie war die der Sedjewud, sie stand den beiden ersten an Ansehen sehr nach, doch verhcirathcte der Khan auch an ihre Mitglieder Prinzessinnen seines Hauses. Die vierte Familie hieß Arguin, die fünfte Baron. Auch sie standen nicht in dem Ansehen der beiden ersten. Das Haus Baron hatte seit Undenklichem das eigene Geschick, daß immer nur ein Sohn in jeder Generation geboren wurde, oder wenigstens das mannbare Alter erreichte. Es gab daher durchaus keine Nebenlinien, und die Familie bestand nur immer aus zwei Männern, Vater und Sohn, den Baron-Bey und den Baron-Mirsa. Die Volkssage knüpfte das Geschick an den Fluch cines Heiligen. Die Edelleute aus diesen 5 Familien nahmen nie ein Amt oder eine Bedienung deß Khans an, außer etwa das der drei Seraskiere oder Vicckönige und Feldherren der Nogai. Nur dem Kriegsdienste widmeten sie sich. Es herrschte das feinste Gefühl der Ehre bei ihnen, sie waren daher einer unehrenvollen und niedrigen Handlung fast nicht fähig, und hätten sie sich eine solche Schande zu Schulden kommen lassen, so hätte ihnen die Verachtung des Volkes es unmöglich gemacht, ferner im Lande zu leben. Der niedere Adel, die Kapikulis, standen beim Volke lange nicht in dem Ansehen jenes Uradcls. Sie wurden nie einer Heirath mit der Familie des Khans gewürdigt, und selbst der hohe Adel hielt eine Verbindung mit ihnen für eine Mißheirath. ^s gab eine große Anzahl dieser Familien, sie hatten aber keine geschlossene Familicnverfassung, und durften eigentlich keinen eigenen Bey wählen, doch thaten dies einige der mächtigsten, Wie die Azie, Awlan und Kaga-Sobla. Dies fand dann aber keine öffentliche Anerkennung. Der Khan bekleidete sie nicht wir dem Ehrenkaftan, wie die Beys der 5 Familien. Nur der Bey des Kapikuli-Hauses Kudalak, welches man für das älteste hielt, hatte diese Ehre ebenfalls. Sobald der Bey dieses Hauses gewählt war, mußte er in das Dorf Iachelow, das Stammlehn des Geschlechts, ziehen, weshalb man ihn auch den Iachclow- 426 Bey nannte. — Wenn der Khan eine Prinzessin verheirathete, so war der Iachclow-Bey dcr Marschall dcr Festlichkeiten. (5r führte die Prinzessin an den Ort ihrer Bestimmung. Hiebei hatte er ein besonderes Vorrecht. Vom Augenblick an, wo er mit der Prinzessin Baktschiserai verließ, bis an den Ort ihrer Bestimmung lind zurück, sicl ihm die unumschränkte Gewalt, selbst über Leben und Tod aller derer zu, die ihm auf der Ncise begegneten. Alle Edelleute desselben Namens mit ihren Vasallen zusammen bildeten eine Kabile oder einen Stamm. Jeder war verpflichtet, Blutrache zu nehmen, wenn ein Glied seiner Kabile gefallen war, dagegen war keine Blutrache zu nehmen für auch noch so naye Verwandte von der weiblichen Seite, z. B. für dcr Mutter Bruder, oder der Schwester Sohn. Außer diesem Laien- oder Kriegsadcl gab es auch noch einen gelehrten oder geistlichen Adel im Tatarcnreiche. Es gab vier alte Familien von Gesetzkundigen (UlcmaS). Sie hatten Güter, auf denen Klöster von Derwischen (TeckcS) und Gräber tatarischer Heiligen gelegen waren, wohin das Volk eifrig wall-fahrtete. Dcr Aeltcste jeder dieser 4 Familien war dann immer dcr Scheikh (der Abt) des Fannlicnklostcrs. Die Güter, die der Adel benutzte, waren entweder Erbgüter, oder Lehngüter, oder Güter, die mit denen von ihnen verwalteten Aemtern verbunden waren. Eine Anzahl Güter und Dörfer bildeten ein Kadilik oder eine Generalität; es gab deren in der Krimm 48. Die Güter der 5 Familien deS Ur-adels bildeten 5 geschlossene Kadiliks. Die übrigen Kadilikö waren aus den Gütern mehrerer Kapikulis (Dienstadels) zusammengesetzt, sie bildeten aber dem Khan gegenüber ein Ganzes, und sämmtliche Kapikulis wurden vom Khan bei seiner Thronbesteigung mit ihrem Kadilik belehnt. Vier Kadiliks, die von Kassa, Sudak, Nankup und Ienikalc wurden von der Pforte zu Lehn getragen. Die Beyö dcr 3 großen Familien ernannten in ihren Familien-Kadilikö alle Kadis oder Richter, in dcn meisten übrigen wurden diese von dem Adel gewählt und vom Khan bestätigt, in den 4 Lehnen dcr Pforte setzte diese sie ein. Der Khan ernannte sie ebenfalls in 4 Kadiliks dcr Krimm und in den A nogaischen Stadthalterschaftcn. Die Kadis entschieden 427 w allen Civil- und Kriminalsachen, wo es sich nicht um Tod l>nd Leben handelte. Appellirt konnte von ihrem Urtheil nicht Werden. Aber Jedem stand frei, sie. vorbeizugehen, und als Kläger oder Verklagter seine Sache vor den Divan zu bringen. Der Adel war aber vom Gericht des Kadi ganz eremt, alle seine Streitigkeiten wurden vom Kazi-Asker, dem obersten Richter des HeereZ, entschieden. Die tatarischen Gerichte genossen den Nuf einer unparteiischen Gerechtigkeitspstege und der Unbcstcch. lichkcit, im Gegensatz der türkischen Gerichte. Der Khan übte die strengste Aufsicht. Der große Dl'uan des Khans war der höchste Gerichtshof. ^r bestand aus 2l Mitgliedern, darunter die l» hohen Würdenträger, der Schirm-Bey, der Mufti, der Vezier:c. Bei öffentlichen großen Verbrechen Mord, Straßenraub :c. war der Khan der öffentliche Ankläger. Der Divan untersuchte die Beweise, hörte die Zeugen ab, jeder sagte seine Meinung, und der Kazi-Askcr sprach nach der Entscheidung des Mufti das Urtheil. War das Verbrechen kein öffentliches, so trat der Beschädigte auf und klagte auf Genugthuung. Wenn z. B. ein Sohn den Mörder seines Vaters vor Gericht forderte, und der Divan sand ihn schuldig, so befahl der Khan, den Mörder dem Kläger zu übergeben, um ihn augenblicklich selbst umzubringen, oder wenn er das nicht mochte, jemand zu dingen, der dies für ihn lhat. War der Kläger nicht so beleidigt, um durchaus den Tod des Schuldigen zu verlangen, so konnte er sich von ihm ein Sühncgeld zahlen lassen. — Welche Achnlichkeit mit dem germanischen Gerichtsverfahren! Im Divan wurden auch alle Verfügungen, die die innere Negierung des Staats betrafen, beschlossen. Was den Krieg betraf, und Alles, was zu seiner Führung gehörte, so konnte brr Khan keineswegs unbeschränkt darüber entscheiden, sondern bics wurde im hohen Rathe, der aus 0 hohen Würdenträgern, den 5 Bcys des hohen Adels, einer Anzahl Dcputirter der Nebenlinien desselben, des Vcziers und des Kazi-Asker bestand, beschlossen. Zu Anfang jeder Ausfertigung ließ der Khan, wie der Groß-Uiltan, seinen Namen und Titel schreiben. Er führte ein großes ""d rin kleines Siegel. Das erste war das gewöhnliche, das 428 kleine war der Ning am Finger; wenn cr ihn brauchte, so war daß cin Zeichen scincs unveränderlichen Willens. Wenn er vom Großsultan in einem mit diesem Siegelring versiegelten Briefe eine Gunst crbat, so durste sie ihm nie abgeschlagen werden! Die Güter des Adels und seiner Vasallen waren frei von jeder Abgabe an den Khan, er erhielt nicht einmal die Kopfsteuer der auf denselben wohnenden Juden. Nur beim Auöbruch eines Kriegs mußte jedes Kadilik 1000 Piaster und einen zwcispän-nigcn Wagen mit Zwieback oder Hirse liefern. Der Adel ließ seine Güter entweder durch Sclaven bebaue«/ oder übergab sie an Vasallen, freie Tataren, oder Freigelassene. Bei den ersten geschah die Bebauung ganz auf seine Rechnung, die Vasallen dagegen gaben ihm den Zehnten vom Getreide und Honig und drei Stück von jedem Hundert des kleinen Viehes, Schafe, Ziegen, Federvieh :c. Vom Rindvirhe und von Pferden ward keine Abgabe gegeben. Auch kamen Frohn-dienste vor, deren Zahl bei freien Vasallen nach der Größe des verliehenen Guts bestimmt waren, bei Freigelassenen bestimmte sie die Willkür des Herrn, wenn cr von ihm die Freiheit erhalten hatte, und also zur Familie des Herrn gerechnet wurde, war es aber cin Fremder, so wurden sie, wie bei den Freien, nach der Größe des Guts festgesetzt. Sie bestanden in Handarbeiten und Fuhren. Beim Kriege mußten die Vasallen mit zu Felde ziehen. Der Adel erhielt von allen auf seinen Gütern lebenden Christen und Juden das Kopfgeld, 25 Bcschclit, ungefähr 3 Sgr. Die Zahl der Vasallen, welche beim Kriege jeder Adeliger mitbringen mußte, ward im Kriegsrathe deß Khans festgesetzt, ein Mann aus 2, 3, 4, 5 Häusern oder Höfen, je nach dem Bedürfnisse. Die Zurückbleibenden mußten die Ausziehenden mit Waffen, Kleidung, Pferden :c. versehen. Die Krieger versammelten sich unter der Fahne des Kabile oder ihres Stammes. Jede Familie mit ihren Vasallen bildeten einen Beirak (Compagnie), der sich durch die Farbe der Fahne, welche dic der Livree des Hauses gleich sein mußte, unterschied. Der älteste Edelmann des Stammes befehligte den Beirak, alle übrigen Familienglieder und Vasallen waren Gemeine, und es wurde kein Unterschied unter ihnen gemacht. 429 Die Khanc habcn früher den meisten Grund und Boden dem Adel, besonders dem der KapikuliS zu Lehn gegeben, später haben sie das nicht mehr gethan, sondern die Ländercicn gemeinen freien Tataren, den sogenannten Tschrlcbis überlassen, unter der Bedingung, daö Land urbar zu machen, und Dörfer zu gründen. Solche Güter und Dörfer standen unmittelbar unter dem Khan, sie gaben an ihn den Zchntcn. Diese Güter hatten aber nicht die Vorrechte der adeligen Güter, denn die Tschelebis hatten gar keine Herrschaft über ihre Leute. Im Kriege bildete die Mannschaft aus den Dörfern der Tschclebis ein besonderes <>orps mit einer eigenen Fahne. Die Nogai-Tatarrn bildeten 4 große Horden, deren jede ihr besonderes Land hatte. Der Horde Vudjeak, ehemals aus vier Stämmen bestehend, gehörte das Land zwischen der Donau und Dnister, der Horde Iedsan, aus 5 Stämmen bestehend, das Land zwischen Dnistcr und Dnjepr, der Horde Ianboiluk, aus vier Stämmen bestehend, das Land vom Dujcpr bis nach Asow, der Horde Kuban, aus 4 Stämmen bestehend, das Land von Asow bis an den Kuban und Kaukasus. Die Landstriche waren unter die Stämme vertheilt und die Grenzen bestimmt, Privateigenthum des Einzelnen an Grund und Boden existirte nicht. Ackerbau wurde gemeinsam betrieben, bald hier, bald dort ein Feld beackert und besäet, selten dasselbe Feld zwei Jahre hinter einander. Der Mirsa vertheilte die Ernte. An den Scrast'ier ward der Zehnte entrichtet von den Horden Budjeak und Kuban, die Horde Iamboiluk gab 'hn an den Khan, die Horde Iedsan statt dessen 12,000 Piaster an den Großsultan. Auch die Nogai theilten sich in Adel, Freie und Freigelassene. Die adeligen Familien behaupteten, alle gleiches Alterthum unter einander zu haben, doch war in jeder Horde eine Familie, die die angesehenste war, und große Vorrechte besaß. In jeder Horde war ein Oberhaupt des Adels (Bachemirsa), »Mmer der Acltestc des vornehmsten Hauses. Er hatte säst die Stellung des Bcys der 5 großen Familien. Der Seraskier Mußte immer in seinem Aul rcsidiren. Der Bachrmirsa hob die Abgaben, und verständigte sich darüber mit dem Seraökier. Dhne seine Einwilligung konnte kein Mirsa bestraft werden, 430 und keine Sache von Wichtigkeit im Iimcrn der Horde vorgenommen werden. Jeder Aul hatte dann- seinen Bachemirsa, der unter dem der ganzen Horde stand. Der Adel der Nogaier besaß keine Ländereien. Er hielt es sogar für schimpflich, den Acker zu seinem Vortheil bauen zu lassen, er hatte nur Viehherden und Sclaven. Vasallen in der Weise, wie der krimmische Adel, hatte er daher nicht, aber wohl Gefolgschaften, deren Entstehung völlig dunkel ist. Da er ihnen keine Ländcrcicn verlieh, sie nicht ernährte, vielmehr umgekehrt von ihnen Abgaben erhielt, da ferner die Tataren völlig freie Leute warcn, nicht etwa des Schutzes des Adels bedurften, so sieht man gar keine materiellen Ursachen, warum die Nogaier den Adel anerkannten, ihn hoch ehrten, ja ihm strengen Gehorsam leisteten. Das Verhältniß berührte auf Sitte, auf alte Stam-mestraditionen, auf einem feudalen Gefühle, was in der ganzen Nation vorherrschte. Die Gefolgschaft einer nogaischen adeligen Familie bildete ein Aul, d. h. im Winter ein Dorf, im Sommer eine kleine Horde. Der Aul gab, wenn er Ackerbau trieb, den Zehnten vom Getreide an den Seraskier, aber an das Familienhaupt seiner adeligen Familie 2 Ochsen, 10 Schafe, 10 Oken (Metzen) geröstete Hirse, 10 Oken Talkan (Hirsenmchl), 10 Curds oder Kugeln von saurer Milch, die an der Sonne getrocknet wurden, also eine Art Käse. (Sie werden im Wasser aufgelöset und geben ein nahrhaftes Getränk.) Jedes Zelt gab außerdem eine Oka Butter. — Die adeligen Familienglieder, die keine eigene Auls hatten, hielten sich beim Stamm-ältesten auf, der sie ernährte. Die Tataren hatten eine große Ehrfurcht und Liebe für ihren Adel, kein Adeliger ritt- aus, ohne daß sich sogleich ein kleines Gefolge bildete. Daß der Adel aber ungcmcin gastfrei war, und bei Hungersnot!) und sonstigen Nothfällen alles das Seinige mit seinen Leuten theilte, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Die Nogai-Tataren waren noch kriegerischer, als die ansässigen krimmischen. Bei einem Aufgebot des Khans stellten sie immer mehr Mannschaft, als gefordert ward. Die Kriegsverfassung dcö tatarischen Reichs war im höchsten Grade interessant, es würde mich aber zu weit führen, wollte ich eine Darstellung derselben hier geben, auch giebt es darüber 431 ziemlich ausführliche gedruckte Nachrichten von Lc Vasseur und Peyssonell *). Dieses Ganze ehemals so mächtige und wohl organisirte ^'eich der Tataren ist verschwunden. Gs ist seit 1784 der russischen Monarchic gänzlich incorporirt worden. Aber nicht blosi das politische Reich ist verschwunden, auch das Volk hat zum großen Theil seine Heimath verlassen. Ungeachtet Rußland die Tataren nach der Eroberung im Ganten milde behandelte und mit ihrem Schicksale auszusöhnen suchte, vermochte doch der stolze tatarische Adel sich nicht zu beugen. Der größere oder wenigstens der angesehenste Theil desselben wanderte aus, schiffte größtcntheils nach Kleinasien hinüber, und ihm folgten Tausende von seinen Vasallen. Sie verließen ihre Heimath, wo sic seit 1237 gelebt und geherrscht hatten! Dic der Eroberung vorhergehenden Kriege und Unruhen, cine verheerende Pest und jene Auswanderung hatten die tatarische Bevölkerung in der Krimm in den neunziger Jahren auf 50 bis 00,000 Köpfe hcrabgcbracht. Seitdem ist sie aber wieder angewachsen. Viele gemeine Tataren kehrten auch aus der Türkei zurück. Die tatarische Bevölkerung Südrußlands 'st gegenwartig auf mehr als 300,000 Köpfe zu schätzen. (Nach Koppen 1838 150,122 männliche Seelen.) Die Zahl aller Tataren im russischen Reiche ward in runder Zahl nach Koppen 1838 auf 1,057,000 Seelen beiderlei Geschlechts angegeben. Sie zerfallen nach den Ländergruppen, wo sie in verschiedenen Abtheilungen zusammen wohnen. Am zahlreichste,, erscheinen sie im Kasanschcn und Astrachanschen und den umliegenden Gouvernements des Innern, wo etwa 070,000 Köpfe wohnen möchten. In den transkaukasischen Ländern sind etwa 040,000 Köpfe zu rechnen. In Südrußland finden sich, wie gesagt, 300,000 Köpfe, in Sibirien etwa 50,000 und in ^itthaurn und den umliegenden polnischen Ländern ungefähr 4000 bis 5000 Köpfe. Nach der Eroberung nahm dab russische Gouvernement den ') Pcyssoiicl's obcn cmgcführtts Buch habe ich bci mmn'l vorstthcudm Darstellung zu», Grunde gckgl, hin und wieder rrganzmb, und wu n tmilVl w.i>', aufllmmd. 432 Grund und Boden, dcr den Khans als solchen angehörte, den der Pforte und den der Ausgewanderten, so wie den sonst herrenlos gewordenen (es waren z. B. ganze Dörfer durch die Pest ausgcstorbcn, andere im Kriege niedergebrannt), in Besitz. Diesig ward dann, wie es damals Sitte am Hofe Katharinas II. war, größtentheils verschenkt, zum Theil an russische Große, die ihn aber meist bald wieder verzettelten und verschleuderten. Auf den Gütern der Khane waren hausig die oben bezeichneten Tschclcbis-Dörfer angelegt, auf den Gütern des ausgewanderten Adels waren oft ein Theil der Vasallen zurückgeblieben und bebaueten dieselben, anderer Güter waren bloß durch Sclaven bebauet, kurz es waren sehr verschiedene und gemischte Verhältnisse vorhanden. Die neuen Herren wollten aber alle diese verschiedenen Arten von Bebauern als russische Leibeigene behandeln, welches zu starken Reibungen Veranlassung gab. Kaiser Alexander sendete eine Commission hin, die zunächst alle vorhandenen Verhältnisse des Eigenthums und dcr verschiedenen Neal- und Personalverpflichtungcn und Leistungen constatiren mußte, auf welche begründet dann eine Feststellung erfolgte*). Hiebci ward anerkannt, daß die Tataren freie Leute, keine Leibeigene, seien. Da viele Tataren, die nicht zum Adel gehörten, behaupteten, das von ihnen gebauete Land gehöre ihnen eigenthümlich, so ward bestimmt, daß dies nicht anerkannt werden könne, wenn nicht schriftliche Beweise beigebracht würden. In Bezug auf die Frohnde ward festgesetzt, daß der frühere bei den Tataren übliche Grundsatz, diese nach der Größe des überwiesenen Grund und Bodens zu bemessen, auch ferner gelten solle, und daß hienach jedes barttragende Glied einer auf solchem Grund und Boden angesiedelten ') Die Acten dieser Commission, so wie die einer neuern, welche vor einigen Jahren bei Ginrichtung des ichigcn Domaincumnlisiei'inms alle Verfas-suugsverhaltnissc des Gruud und Bodens aufgenommen hat, muffen nothwendig die interessantesten Nachlichten über die innere Verfassung des Tatarenreichs enthalten, aber wer hebl dicstn Schatz? Der, welcher ain besten ein Wer! darüber zu schreiben vermöchte, dei Staatsrath P. von Koppen, der selbst Mitglied der ssoimmsswn war, und lange an Ort und Stelle Mes untersuchte, wird durch andere Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen. 4^3 Tatarenfamilie 12 oder 8 oder 6 Tage im Jahre für den Grundherren arbeiten solle. Der Zehnte vom Getreide, von Heu und Gartenfrüchten sollte nach wie vor dem Herrn abgegeben werden, so wie drei Stück von jedem 100 des kleinen Viehes und des Geflügels. Den unterhabenden Grund und Boden solle der Tatar nicht verkaufen dürfen, ohne Erlaubniß deö Herrn. Kein Tatar soll das Grundstück und Dorf verlassen dürfen, wo er zum Kopfgclde angeschrieben ist. Seit dieser Negulirung ist Ruhe in diesen Verhältnissen eingetreten. Die ansässigen Tataren werden gegenwärtig eben nicht durch Abgaben gedrückt. An die Krone geben sie nichts, als das allgemeine Kopfgeld, die vorbezeichneten gutßherrlichen Lasten sind auch nicht hoch. Die Tataren der Krimm zerfallen in zwei Abtheilungen, in Steppentataren und Bergtataren. Die ersteren gehören zum Stamme der Nogai, die ich oben beschrieben habe, die anderen, welche auch Tat genannt werden, unterscheiden sich im Aeußern bedeutend von ihnen. Die Steppentataren sind kleiner, mager, Und eine mongolische Zumischung des BlutS ist in den Zügen unverkennbar. Die Bergtataren haben eine hohe, freie, leichte Gestalt, eine edle und graziöse Haltung, sie haben meist ein schön geschnittenes ausdruckvollcö Gesicht, ein feuriges, charaktervolles, schwarzes Auge. Sie haben Verstand und Geist, viel Gefühl für Poesie, sie drücken sich mit Leichtigkeit, Sicherheit und einem gewissen Adel der Gesinnung aus, selbst wenn das, was sie sagen, nur das Gewöhnliche ist. Ein tatarischer Bauer sieht ganz anders und ungemein viel edler aus, als alle Bauern Europas, die baskischen und die in einigen Gegenden Spaniens etwa ausgenommen. Im Allgemeinen sind die Tataren sehr rechtlich, genügsam, nüchtern und sehr gastfrei. An den großen Straßen, wo sich die Touristen und unter ihnen alle mögliche Abenteurer umher-trriben, hat die Gastfreiheit freilich abgenommen, aber im Innern des Gebirgs nimmt nicht bloß jeder Tatar jeden Frcm-ben auf, sondern fast in allen Dörfern findet man eine sogenannte Oda, eine eingerichtete Herberge, wo jeder fremde Tatar, "bcr auch meist jeder andere Fremde, aufgenommen und aufs beste ganz umsonst verpflegt wird. Meist ist es der reichste Tatar oder der Mollah, der die Oda eingerichtet hat und unter- 2« 434 hält. Man kann bci den Tataren alle seine Effecten frei umherliegen lassen, man hat kein Beispiels dasi etwas entsendet wäre. Man wirft den Tataren Faulheit vor, namentlich thun dies die Herren, denen die Tataren Frohndicnste leisten müssen. — Seinem angeborenen Mirsa lriiict der Tatar gern und mit Freuden jeglichen Dienst. Dasi er dem ihm aufgedrungenen russischen Herrn die Frohndc nur mit Nnmuth und Trotz leistet, ist mehr als natürlich! — Für uns Nordländer im kälteren Klima, mit plumperem Körper, stärkeren materiellen Bedürfnissen ist die Arbeit ein Bedürfniß und eine Nothwendigkeit. Die Natur ist karg, sie giebt nicht in allci, Jahreszeiten und Jahren die Fülle ihrer Gaben, wir müssen Borräthe sammeln, wir müssen erwerben. Bei uns wird allmählich der Erwerb der Zweck des Lebens. Nicht so der Südländer, er hat weniger Körper, — leichteres, rascheres Blut, die materiellen Bedürfnisse desselben sind geringer. Die reiche Natur schenkt ihm verschwenderisch ihre Gaben, er braucht nur geringe Mühe und Arbeit zu verwenden, um sie sich ihm geneigt zu machen. Warum soll er Vorräthe sammeln, warum soll er erwerben, da die Natur für ihn immer neue Gaben aufhäuft? Die Sonne brennt heist, sie ladet ihn zum Schatten des Baumes, zur Kühlung am Rande der klaren Bergquelle ei». Warum soll er ihr nicht folgen? warum soll er arbeiten, da er genügsam ist, keine Bedürfnisse hat, sein Geist nicht von Nahmngssorgen niedergedrückt wird, nicht am Materielle!» klebend, frei und stolz sich aufzurichten vermag? — Mich hat es immer gerührt und gefreut, wenn ich diese schönen, geistreich aussehenden Tataren unter einem Baume, au einer Quelle, oder vor ihren Moscheen in stolzer Ruhe, meist träumerisch die blauen Tabackswolken einschlürfend und von sich hauchend, selten ein Wort sprechend, zusammensitzen sah. Der tiefblaue Himmel über ihnen, die reiche Natur um sie herum, forderte sie zum Genuß und zur Contemplation, nicht zur Arbeit auf! Sie hatten die alte stolze Freiheit und Unabhängigkeit verloren, aber noch saß ihnen der moderne Polizeistaat mit Arbeit und Erwerb, mit Eisenbahnen und Musierreutcrn, mit Abgaben und Soldaten nicht auf dem Nacken, warum sollten sie der Zeit zuvorkommen, die früh oder spät sie doch einst fassen wird! ^ Wie kann man einem Volke 435 Trägheit und Faulheit vorwerfen, unter dem man nie einen Bettler findet? — Die hiesigen tatarischen Handwerker habcn seit Uraltem Zunftcinrichtungen. Jede Zunft feiert ihre Feste, auf denen auch die Gesellen losgesprochen und unter religiöser Feier in Gegenwart des Mollah zu Meistern ernannt werden. Der älteste Zunftmcistcr tritt dann zu dem Gesellen, und nachdem alle ein Gebet für den neuen Meister verrichtet haben, windet er ihm einen Gürtel dreimal um den Leib, und sagt dabei leise zu ihm: „Nie schließe deine Thür, nie öffne die Thür eines Andern, und arbeite so viel als du zum Unterhalt bedarfst." — Man könnte diesen Spruch den Sinnspruch, das Symbolum des tatarischen Volks nennen! — Der Tatar ist ein frommer und treuer Muselmann, aber er ist tolerant und ohne Fanatismus. -^ Wenn er sich auch von den Russen zurückzieht, die er jetzt als seine Herren ansehen muß, und von denen die alte Nationalfeindschaft ihn scheidet; so lebt er doch in Freundschaft und Einigkeit mit seinen Nachbarn, den deutsche,» Kolonisten. Er wird es nicht versäumen, am Bairamsfeste seinen, Gastfreunde unter ihnen von dem Dpfer-steische einen Braten zu senden, und würde empfindlich sein, wenn dieser ihm dann nicht auf Ostern alö gegenseitiges Andenken der Fortdauer der Freundschaft einen Osterkuchen sendete. Jeder Tatar trägt in einer Art Patrontasche, an einem Lcderricmen umgehängt, stets den Koran bei sich, und selbst die Weiber lesen ihn eifrig. Fast alle können lesen, aber wenige schreiben. Noch jetzt ist der Tatar mit seinem Pferde wie zusammengewachsen, nie begegnete ich auf den Landstraßen einem Tataren zu Fuß. Selbst der Taglöhner reitet aufs Feld, zäumt sein Pferd ab, und läßt es sich seine Nahrung suchen. Das kluge und treue Thier entfernt sich nie weit von ihm, er ruft es Mittags und Abends, und trabt vergnügt zu Hause. Im krimmischen Gebirge sehen dlc Dörfer seltsam aus, die Häuser liegen etagenartig am AbHange eines Hügels, sie sind von Stein gebauet, aber niedrig und haben nur vorn eine Facade. D«s platte Dach mit einer dichten Schicht Erde gedeckt tritt mit einer Gallerie vor, die auf kleinen hölzernen Säulen ruht. Das Dach fällt von der hintern Seite flach zur (5rde 28* 430 herab. Ist nun der Hügel steil, so ist man bcim Umherschlendern, shc man es sich versieht, aus einem Dache! — Der ziemlich hoch hervorstehende Kamin dient zugleich um das Innere zu erhellen, und durch ihn sprechen oft die Tataren zusammen, wenn sic sich was zu sagen haben *). Die Fenster sind klein, mit hölzernen Gitterstangen, die man im Winter mit geöltem Papier überklebt. GlaS kennt man nicht. Ein solcher. Dorf sieht malerisch aus, ist aber, wenn man darin ist, nicht eben einladend und wohnlich. Die Dörfer an den Landstraßen sehen schon besser auö, die Hauser sind dcncn in den ächt tatarischen Städten ähnlich. Jene einfachen Häuser haben meist nur einen Flur und ein großes Gemach. Im Innern findet man eine Menge Polster, Decken, Kissen? Matratzen, die statt der Stühle dienen. Auf einem kaum einen Fuß hohen Tische stehen die Speisen; einige irdene Gefäße von verschiedener Größe und von ganz allerliebsten, oft ganz antiken Formen stehen umher. Die Speisen der wohlhabenden Tataren sollen meist der Küche der Türken entlehnt sein, die bekanntlich sehr lecker sind. Wein trinken sie nicht, Branntwein wohl, doch selten. Ihr Lieblingsgericht im Sommer ist der Iugurt, eine besonders bereitete saure Milch, wovon sie behaupten, daß Gott selbst die Bereitung dem Patriarchen Abraham gelehrt habe. Der Iugurt wird getrocknet und dient dann im Winter als eine Art Käse. Dem Reisenden, dem Gaste werden bei reichen Tataren eine Unzahl von kleinen Schüsseln vorgesetzt, bleibt er aber länger, so wird er bemerken, daß nie eine Variation eintritt, es wird ihm an jedem Tage dasselbe vorgesetzt. Die Tataren haben eine eigenthümliche Zciteintheilung. Die Iahrscintheilung ist durchaus von der unserigcn verschieden. Der Frühling (Bahaar) beginnt bei ihnen den 2.'j. April und dauert U0 Tage, bis zum 22. Juni. Dann beginnt ihr sogenannter langer Sommer (Tochilla), der 40 Tage dauert und am 1. August endigt, dann kommen 25 Tage bis zum 25. August, für die sie gar keine besondere Iahreszeitbencnnung haben, sondern *) Guide du voyageur nc Ciimtic par C. H. Montandon. Odessa 1334 pag. 04. 437 sic Agostos nennen. Am 26. August beginnt ihr Herbst (Chous), der 60 Tage, bis zum 26. October dauert, dann kommen wieder >'l6 Tage, die zu keiner Jahreszeit gerechnet werden. Hierauf beginnt ihr großer Winter (Kutschilla), der mit dem 1. December anfangt. (5r dauert 66 Tage, und endigt am 4. Februar. Die darauf folgenden 24 Tage, bis zum 1. April, führen den Namen Gudschukat, und endlich die dann folgenden 3l Tage, bis zum 2.^t. April, führen den Namen Mart, und werden wiederum zu keiner bestimmten Jahreszeit gerechnet. Die Tage des 2i. Aprils und des 26. Octobers führen den Namen Kedreles. In der Periode des Mart haben die Tataren bemerkt und beobachtet, daß es noch A kurze kalte Perioden giebt, denen sie den Namen: Altenwriberwinter, Staarenwintcr, Nicdehopfswinter gegeben haben. In Deutschland hat man im Herbst für die letzten schönen Tage des Jahrs die ganz ähnliche Benennung Altenwcibersommer und Mädchensommer! XXV. Abreis« von Baltschiftrai. Sevastopol, die Flotte, die Hafcnbautcn. Äala« klava. Das Baitarthal. Dic Eüdkusie der ilriin»,, Alüpka, Oreanda, die Weine der Kriinm, Ialta, Sinipherc'pc'l. Nikolajew, Landwirth-schau rincö Guts, Der Haftn, Herr v. Istomar, bic Schiffbaulcn, die Mariiic, irr Engländer, Franzosen und Anierikancr. Odessa, disscn rasches Anfl'li,!)''!,, S,tic>!, ^cbcin^nt, die Ttnifbchi'nmgömlflalt. Das Gouvsrnemcni sshcrson, dessen beschichte und Coll'nisiliuui, Beschaffenheit des Bandes, wilde Thiere und Viehzucht, Ackerbau, Holzbau, Gartenbau, monographische Notizen. Bcssarabien, (^rschichle, Bevölkerung, Verfaffun,), Standesverhältnisse, bäuerliche Veihäliniffe. <^Vir verließen am 2(). Srptcmber nach dem Essen Baktschi-serai, und erreichten nach 2 Stnndcn Sevastopel. Der Weg führt durch lmbsch angcbalicte Thäler, die durch die Vorgebirge des krimmischen M'birqcs gebildet werden. Der Anblick von Sevastopol ist prächtig, es liegt amphithcatralisch, an einer Anhöhe hinauf, rechts hat man die engen Meeresbuchten, die sich eine Meile weit durch Felsenthore ino Land hinein erstrecken, links das unendliche Meer. — Wir fanden einen deutschen Gasthof, und nachdem wir die nöthigen Besuche gemacht und die Lrlaubniß erhalten hatten, am andern Morgen früh Flotte, Hafen, Arsenal lc. besehen zu dürfen, schlenderten wir etwaä in der Stadt umher. Vor wenigen Stunden waren wir noch in einer rein orientalischen Stadt gewesen, die von einem Volke, gebürtig aus dem äußersten Osten, dem Islam zugethan, voll großer historischer Erinnerungen, bewohnt war, und jetzt wie durch einen Zaubrrschlag in eine ganz moderne europäische Stadt versetzt, die kaum 50 bis 00 Jahre alt war! — Dort sah man orientalische Gesichter, Nationaltrachten, Häuser, Minarets, hier keinen Tataren mehr, nichts wie Uniformen und elegante Modekleidung, Häuser und Paläste mit Altanen und Säulen, russische Kirchen, 439 und statt daß die MoUahs die Mittags- und Mitternachtsstunde an^igten, indem sie die Gläubigeil zum Gebet riefen, zeigte hier ein Kanonenschuß der Admiralität den Einwohnern die Mittagsstunde an, denn die russischen Kirchthürme h^bcn keine Schlaguhren. Wir bestiegen noch den Thurm deö Telegraphen, von wo man eine entzückend schone Rundschan hat, von der wir uns nicht eher trennten, bis der Untergang der Sonne im Meere allmählich alles in Schatten verhüllte. — Früh am andern Morgen begannen wir mm nnsere Besichtigung. Der Haftn von Sevastopol ist bet'annllich einer der schönsten nnd sichersten Haftn der Welt. 6r dringt von Südwest aus über eme Meile tief ins ^and hiilein, ist hin und wieder bis zu einer Viertelmeile breit, nnd hat eine Tieft von bequeme Baien. Auf der von der Natur gegebenen Grundlage hat man dann fortgebauct, und zwar mit vielen, Verstände und großem Geschick. Die dortigen Hasenbauten sind das Kolossalste, was ich bisher in der Art gesehen hatte. Die Kais sind prächtig, sie waren dereitö eine halbe Meile lang, die Unterlage im Wasser ist von großen Kalksteinqnadern, der obere Theil von Porphyr, die Brüstungen, Pitaren ic. von Granit. Der Granit wird vom Bng, der Porphyr von der Südküste der Krimm herangeführt.— Auf den Docks können >! Linienschiffe und 2 Fregatten gleichzeitig gebauet werden. Vor den Docks liegt daö Dockoassain mit einer Wassertieft von W', in der vordem Reihe liegen die Baustätten der beiden Fregatten, dahinter die der drei Linienschiffe. Sind sie fettig gebauet, so könneu sie durch das in die Docks gelassene Waj>er von e Masten sehr bequem auf die Schiffe hob und einsetzte. Längs 440 den Kais liege», 4 ungeheure Kornmagazine. Zwei Bllchten bilden eine vorspringende Landzunge. Hier hat der Kaiser befohlen, die neue Admiralität zu bauen, sie soll im größten Maßstabe angelegt werden. Es ist ein hügelichtes Terrain von 00 biö W0' Höhe. Man war eben beschäftigt, diesen ganzen Berg bis zur Sohle abzutragen. Ein Kaufmann in Odessa, ein ehemaliger Offizier, hatte die Abtragung für 3,500,000 Nubel Banco in Entreprise genommen. Die neuern Bauten waren alle von einem Obrist Upton *) einem Engländer geleitet, sie zeichneten sich vor den älteren durch ihre große Solidität aus. Drei mächtige Batterien, jede, wie wir hörten, von 120 Kanonen, vertheidigen den Hafen. In einer Bucht liegen die abgetakelten Wraks alter Linienschiffe, sie dienen den unzähligen Hafenarbeitern zur Wohnung. Wir wurden eingeladen, ein Linienschiff, das am Eingang des Hafens höchst zierlich und malerisch auf den Wellen ruhete, zu besteigen und zu besehen. Es war das Schiff: die zwölf Apostel von 120 Kanonen. Der Befehlshaber empfing uns mit seemännischer Freundlichkeit und Offenheit. Es war ein vortrefflich gebauetes Schiff, die obere Garnitur bestand aus 24-Pfündern, die übrigen aus Ili-Pfündern. Auch eine Batterie Bombenkanonen, 0^-Pfünder, war vorhanden. Die Bemannung bestand aus 800 Mann, die im Kriege aus 1000 Mann erhöhet werden. Es kann alsdann auch noch eben so viel Soldaten aufnehmen. Das Schissbauholz kommt meist aus Rußland die Flüsse erab, das Holz in den krimmischenWä ldern ist zu kurz, an den Südabhängen deß Kaukasus giebt es vortreffliches Holz, ") Wir hiiltcn, baß Hr. Upton mit dem russischen Gouvernement m,m Contract über die von ihm zu leistenden Dienste auf eine Nrihc von Jahren geschlossen, ssr habe weder russischer Unterthau werden, noch auch in russische Dienste treten wollen. Äbrr als bloßer Privatmann auftretend, habe «r durchaus keine Amtorität, nicht einmal über die gemeinen Arbeiter gewinnen können. Man sei gezwungen gewesen, ihm den Obristrw rang zu verleihen! — stS ist merkwürdig, wic ticf das Tschinofuikö-wcsen ins russische Voll eingedrungen ist, wie sehr cs davon beherrscht wirb! 44l allein es sind noch nicht die Anstalten getroffen und die Mittel gefunden, es zu fällen und zu transportiren. Die Schwierigkeit für Nußland, eine schlagfertige Flotte zn rrhaltcn, wird noch lange, nicht in dem Mangel an Material, nicht einmal in dem Mangel an guten Seeoffizieren, sondern lediglich in dem Mangel an tüchtigen gemeinen Seeleuten, besonders Matrosen, liegen. AllcS nöthige Material hat es hinreichend, bei richtiger Benutzung vielleicht besser als irgend eine Seemacht, gute Seeoffiziere fehlen ihm nicht, aber wie ge-Dmne Seeleute erhalten? Die Handelsmarine gewährt sie nicht hinreichend. Die Flotte auf dem schwarzen Meere hat sehr viele Griechen, die geborne Seeleute sind, aber doch lange nicht hinreichend, auch sind sie seit Entstehung des Königreichs Griechenland nicht mehr so leicht zu erhalten. Ich hörte, Graf Woronzow habe die Verordnung veranlaßt, daß die Bewohner sämmtlicher Stranddörfer frei von jeder öffentlichen Abgabe sein sollen, dagegen alle junge Leute 5 Jahre in der Marine dienen müssen. Man hofft dadurch Lust am Scedienst zu cr> wecken, meint, wer erst 5 Jahre gedient habe, würde gern freiwillig weiter dienen, wenigstens dann zur Handelsmarine übergehen, und im Nothfalle habe man dann doch in den Entlassenen eine Reserve von geübten Seeleuten. Wir besahen dann noch das Monument des Eapitain Ka-sarski, der sich mit einer kleinen Brigg so tapfer gegen drei große osmannische Schisse schlug. Die Inschrift ist einfach und schön: Kasarski, der Nachwelt ein Beispiel. Am Nachmittage fuhren wir nach Balaklava. Dies ist eine griechische Kolonie. Vor Jahrtausenden hatten die alten Griechen, die Milesier, hier eine Pflanzstadt Symbolen, gegründet. Im Mittclaltcr war es unter dem Namen Cembalo eine blühende Handelsstadt der Genueser, ward von den Türken erobert, zuletzt von den Russen, und ist jetzt wieder eine griechische Colonic! Katharina II. verpflanzte nämlich nach dem ersten Türkcnkricgc 2000 Griechen, oder vielmehr Arnauten, die sich durch Empörung dem türkischen Gouvernement gegenüber com-Promittirt hatten, hierher. Die Colonic verkümmerte anfangs, sie schmolz auf 500 Köpfe zusammen, dann aber hob sie sich, "nd jetzt ist sie blühend. Sie besteht eigentlich auö 2 Orten, 442 dem zwischen steilen Bergen und dcm Hafen eingcklemnne» Städtchen Balaklawa, wo kaum ein Gärtchen beim Hause isi, und dem Dorfe davor in dem sich erweiternden Thalc Kadikoi, wo Gartenbau und Ackerbau getrieben wird. Die Einwohner bilden ein Bataillon von 500 Mann, denen die Strandwache auf der ganzen Siidküste anvertraut ist. Der Hafen ist vortrefflich aber klein, er wendet sich um einen vorspringenden Berg so herum, daß man in Balaklawa das Meer gar nicht sieht, den Haftn für einen Binnensee halten muß. Jener Berg ist mit einer prächtigen Nuine aus d«D Zelt der Genueser gekrönt, ron wo man eine entzückend schöne Aussicht längs den Küsten und aufs Meer hat. — Im Orte wurden wir nicht besonders freundlich aufgenommen, auf meine Fragen über die Verhältnisse des Landbaues, Handels, der Gewerbe :c. gab man mir keine Antwort. Am andern Morgen kamen wir durch cine waldige Gegend ins Baidarthal. Hier traf ich wieder meine lieben Buchenwälder, die ich außerdem in ganz Rußland nicht gesehen hatte. Das Baidarthal ist ein reizender weiter Bcrgkessel, unge-mcin fruchtbar und vortrefflich angebauet. Wir hielten im Dorfe Baidar eine Stunde an, um die Pferde zu wechseln und etwas zu genießen. Als wir dann etwas umherschlenderten, um uns die tatarische Wirthschaft ein wenig anzusehen, gesellten sich sogleich einige Tataren freundlich zu uns, die etwas russisch verstanden. Ich äußerte den Wunsch, das Innere eines Tatarcngchöfts zu sehen, und sogleich war der eine bereit, uns in sein Haus zu führen. Die Einrichtung war so, wie ich sie oben beschrieben habe. Der Tatar wollte uns nun gleich allerhand Essen und Trinken vorsetzen, und als ich es verbat, da wir eben gefrühstückt hatten, so sprang cr beim Abschied in den Garten, pflückte eine Rose und überreichte sic mir. Daö Dasein der Rose und ihre Ucber-reichlmg gab mir doch wohl die Ueberzeugung der hohen (5ul-turfähigkrit dieses Volks! — Von nun ging es allmählich eine gut gcbauete Chaussee immer bergan. Nach ein paar Stunden erreichten wir den Kamm des Gebirgs, und bald lag daö Meer vor uns, und hinab führte unö einc herrliche Serpentine zur Südküsie der 443 Ktimm! Ich enthalte mich jeder Beschreibung dieses Landes, da diese von vielen Reisenden vor mir geliefert worden ist, Die Eüdküste dcr Krimm ist ein .'jl) Meilen langer, schmaler, selten über eine Meile breiter Landstrich zwischen dem Gebirge, welches hier meist Fclsenwändc, die bis 4000' hoch sind, bildet, und dem Meer gelegen, mit vortrefflichem Boden und einer reichen Cultur, mit mehr Garten- und Weinbau als Ackerbau! Eine Menge kleiner tatarischer Dörfer, und eine Unzahl einzelner Villen und Gartenhäuser überdecken das Land. (5s giebt nicht viele Gegenden, die man damit vergleichen kann! Wir erreichten am Nachmittage die grandiose Besitzung des jetzigen Fürsten Woronzow, Alupka. Die Lage, Schönheit und Pracht dieser Besitzung übertrifft in ihrem Ensemble alles, was ich in der Art bisher gesehen hatte. Da5 Schloß von Mächtigen Dimensionen ist im gothisch- mauvischcn Geschmack aufgeführt. Man sagt, es hätte bis damals schon 7 Millionen Rubel gekostet, und ist im Innern noch lange nicht vollendet! Es ist von einem sich hier findenden grünlichen Steine gcbauet, dcr dem Ganzen in einer günstigen Abcndbcleuchtung einen eignen duftigen Farbcnton verleihet, und einen wahrhaft zauberhaften Eindruck gewährt. Dieser steigerte sich noch, als ich es nun spater beim Mondenschein noch einmal betrachtete. Die ungeheuren Felsen im Hintergrunde, vor mir der dunkle Spiegel des unendlichen Meers, die Pinien, Lorbeeren, die ganze reiche südliche Vcgetation um mich her, und nun vor mir das stolze mittelalterliche Schloß mit seinen Zacken, Zinnen und Thürmen, stumm und todt, da Niemand es bewohnt. Alle Sagen und Mährchcn der Kindheit stiegen vor mir auf! Dic-scL Schloß ist meinem Gefühle nach das schönste Gebäude, welches Russland besitzt! Fürst Woronzow hat eine hübsche russische Kirche gebauet und zugleich seinen um ihn wohnenden Tataren eine Mosches "ut einem allerliebsten Minaret! Am andern Tage besuchten wir die herrlichen Landsitze der ^rosisiirstin Helene und der Kaiscrm, beide Dreanda genannt. Für die Kaiserin ward eben ein neuer prächtiger Palast gcbauet. Wir wurden überall gastfrei aufgenommen, und namentlich >mn Weintrinken mehr als billig angeregt. Wir mußten wie 444 die Küfer jeden Wein probircn und llnser Urtheil darüber abgeben. Die 3i>eine dcr Südküste der Kriium sind schon immer nicht übel gewesen. Neuerdings hat aber vorzugsweise Graf Woronzow selbst, und durch Anregung und Aufmunterung anderer, unendlich viel für deren Verbesserung gethan. Es sind Reben aus allen Gegenden der Welt hierher verpflanzt, man hat Weinbauer ebenfalls aus den betreffenden Gegenden kommen lassen, und hat nun freilich Weine erzielt, die nichts zu wünschen übrig lassen. Namentlich waren die Weine von rheinischen Neben ganz vortrefflich, sie hatten die Tiefe und Kraft der Rheinweine, noch mehr Feuer, und nicht die Säure derselben. Dagegen °hattc ein Wein von Muskatcllertrauben alle Gluth und Kraft des Muskat ohne dessen zu große Süße. Der einzige Uebclstand ist bis jetzt, daß diese herrlichen Weine den Transport, namentlich den Landtransport, nicht sollen vertragen können, und auf demselben etwas abstehen. In Ialta fanden wir einen deutschen Gastwirth, einen Hamburger, und daher eine ganz deutsche Küche. Wie der Umschwung der Zeiten ist! Einst hatten die wilden Kimmerier hier gehauset, später siedelten sich hier die Gothrn an, dann die Tataren, und jetzt spricht man wieder deutsch hier! Bei Aluschta dreheten wir uns wieder links ins Gebirge, und fuhren am Fuße des Dschatertag, der höchsten (.">()0^ hohen) Kuvvc des krimmischen Gebirges her, und erreichten am Nachmittage des 29. September wieder Simvheropol. Ich fühlte hier die erste Anwandlung des krimmischen kalten Fiebers, welches dann in Odessa zum Ausbruch kam, und dort noch rasch durch ein Brechmittel kurirt ward. Nach sechs Wochen brach es aber in Moskau von neuem aus, und endlich unterlag ich ihm noch einmal acht Monate später in Berlin. Diese krimmischen Fieber haben eine unglaubliche Hartnäckigkeit, und manche werden viele Jahre, oft ihr Lebenlang von ihnen geplagt. Woher kommt die sonderbare Erscheinung, daß dieselbe Krankheit, an dem einen Orte erzeugt, eine ganz andere nachhaltige Wirkung hat, also einen andern Kein: in den Körper legt, als an dem andern, selbst wenn man jenen Ort nur flüchtig berührt hat, und längst a» 445 andern Orten sich aufhält, wo jene Krankheit gar nicht jenen hartnäckigen Charakter hat? Wir reiferen am .A). September von Simphcropol ab und erreichten, da wir uns unterwegs nicht weiter aufhielten am Morgen des 2. October Nikolajew. Wir fanden abermals einen deutschen Wirth, der verständig und redselig war. Er gab mir einige Notizen über Arbeitslohn und Kornprcise. Ich sah ein Paar russische Kellner umherlaufen und fragte, was sir an Lohn erhielten? Der Wirth sagte: „Jeder erhält freie Kost, Kleidung, Wohnung, Licht, Feuer ?c. und monatlich 20 Rub. Banco, also jährlich 240 Rubel (ungefähr 75 Rthl.) Meine Knechte erhalten 150 Rubel Banco und meine Mägde 120 Rubel Banco IahreSlohn. Der Taglohn schwankt zwischen 1 Rubel 20 Kopeken und 1 Rubel 40 Kopeken Banco (1! bis 13 Silbcrgr.), wobei des Mittags zu essen gegeben wird." Der Preis deS Tschetwert Hafer stand hier in diesem Augenblicke auf 7 Rubel Banco, dagegen m Pultawa, 5»0 Meilen weit ins Land hinein, Nur auf 1 Rubel 20 Kopeken Banco. Er erzählte, in der Umgegend von Nikolajcw sei eine Anzahl großer Gutöwirthschaftcn, die mit Leibeigenen bewirthschaftet würden, andere seien angelegt, ohne daß die Herren selbst Leibeigne besäßen, auch fänden sich ein paar von Deutschen angelegte. Die Gutsbesitzer reiseten dann im Frühjahr wß Innere, jenseit der Steppe, und mietheten von russischen Gutsherren eine Anzahl, oft einige hundert, Leibeigne für die Sommcrarbeit, die dann später im Winter wieder zu ihrer Heimath zurückkehrten. Auch sei es vorgekommen, daß einer bie gemeinen Soldaten eines ganzen Regiments auf einen Ronat im Sommer gemiethet hätte, der Kaiser dürfe davon Natürlich nichts erfahren. Wir hatten noch am selben Abend Gelegenheit, eine solche große Gutswirthschaft zu sehen. Ein Graf Lambert auS Petersburg besaß nämlich nahe vor Nikolajew ein bedeutendes Gut, Warworowka. Er nahm uns sehr gastfrei auf, und wir blieben die Nacht dort. Sein Gutsvcrwalter erzählte mir, das Gut sei gegen 11,000 Dcssj. groß, enthalte guten Stcppen-bodcn. Die Leibeignen desselben müßten 3 Tage in der Woche Frohndcn leisten, wogegen sie so viel Land in Cultur nehmen 446^ dürften als sic wollte, denn bis jetzt habe nuni kaum dc>' vierten Theil des Terrains in Cultur sehen können. Die herrschaftliche Gutsökonomic war dann aber höchst einfach. Man bestellte so vicl Land, als man mit den vorhandenen Arbeitskräften bewältigen konnte. Man brach im Frühjahr einen frischen Theil der Steppe um, und säete Hirse hinein, dann im zweiten Frühjahr Sommerweizen, im dritten Frühjahr abermals Sommerweizen, dann gleich nach der dritte nach einmaliger Umpsiügung im Herbst Winterweizen, darauf im folgenden Herbst Roggen oder Gerste, alles ohne Düngung. Nun läßt man das Land eine Aieihe von Jahren liegen, und nimmt anderes unter den Pflug. Man muß bekennm, daß eine solche Land-wirthschaft sich noch auf der Stufe der ersten Kindheit befindet! Nachdem wir vom Admiral die Erlaubniß erhalten hatten, den Hafen, die Arsenale lc. besehen zu dürfen, gingen wir zum Hafen hinab, (iin Capitain-Lieutenant der Flotte, Herr v. Istomar, ein Lsthländcr, der im Begriff stand, im folgenden Frühjahr eine Reife um die Welt anzutreten, übernahm es freundlich, uns alles zu zeigen, so viel dies in einigen Stunden geschehen konnte. Wir besuchten ein eben vom Stapel gelassenes Linienschiff, welches im Inner», völlig neu eingerichtet und ausgerüstet ward. Wir sahen diese ungeheuren Vor-räthc von Seegeltuch, Glas, Eisenwcrfzcugcn :c. alles bis ins kleinste und genaueste nach vorgeschriebenen Formen und Maßen! Bon jedem zu bauenden Schisse, seien es Linienschiffe, Fregatten, Corvctten mit ihren A Masten, oder Schoner und Tender mit ihren 2 Masten, wird ein vollständiges Modell, auf '/24 des wirklichen Maßeö rcducirt, angefertigt, wobei alle Theile bis auf jedes Schräubchcn hinab nummerirt werde». Jedes Schiff erhält dann eine Mappe mit Zeichnungen, jedes auch des kleinsten Theils, ebenfalls mit den corrcZpondirendeN Nummern jenes Modells. Der Kommandeur des Schiffs muß dann stets während des Gebrauchs des Schiffs berichten, ob er irgend einen Makel oder Fehler, sei er noch so klein, qc-funden hat. So wird auch das kleiuste Schräubchen contro-lirt, und wenn sich irgend ein Fehler findet, so kann er bciw nächsten Bau eines Schiffs vermieden werden. Ich hatte nun hier und in Sevastopol eine Anzahl russi- scher Schiffe aller Art besehen. Ich äußerte meine Verwunderung, daß die Schiffe von A(> und 84 Kanonen dieselbe Breite hatten, wie die von 120 Kanonen, was sie doch offenbar schwerfällig machen müsse. Man antwortete mir, dazu sei man gezwungen, scit die Dampfschiffe aufgekommen. Seitdem müßte jedes Seegelr'riegsschiff eine Anzahl Kanonen vom schwersten Kaliber, <>4- und 05pfünder führen, um sich die Dampfschiffe vom Leibe zu halten. Ein solches könne nämlich 1 oder 2 solcher Kanonen führen, und wenn man ihm nicht im gleichen Tone zu antworten vermöge, so könne es, da es seine Bewegung völlig in seiner Gewalt habe, das Segelschiff von allen Seiten umschwärmen und mit den schweren Kugeln in den Grund bohren, ohne daß dieses dasselbe unter dem Bereich seiner Kanonen vom gewöhnlichen Kaliber zu bringen vermöge. Unser fn'undlkhcr Führer hatte eben eine Reise durch Frankreich und England vollendet, und äußerte sich unter andern sehr günstig über die jetzige französische Marine, (ir meinte, sie habe ungeheure Fortschritte gemacht, ein etwaiger Zusammenstoß mit der englischen würde dies zeigen. — Das Uebcrgewicht der Amerikaner, selbst über die Engländer, bei Schiffen gleicher Art und Größe, welches bei dem letzten Kriege sich so oft gezeigt, hätte in dem Ucbergewicht der Bemannung gelegen, eine Fregatte, die in England mit 5>W Mann besetzt würde, würde von den Amerikanern mit 7W Mann bemannt. Wir erreichten den 3. October des Abends Odessa. Der Gencralgouverneur von Südrußland, Graf Woronzow, an den ich besonders empfohlen war, und von dem ich die meiste Belehrung über die Verhältnisse aller südrüssischen Provinzen zu erhalten hoffen dürfte, war leider abwesend, außerdem war ich die crsien Tage am Fieber krank, so daß ich von dieser interessanten Stadt lange nicht Alles gesehen habe, was zu sehen werth gewesen. — ") Odessa ward an der Stelle eines kleinen tatarischen Dorfs Hadschi-Be von Don Joseph de NibaS y Bajons, früher Adjutant bei Potcmkim, später Admiral, 17M gegründet. Die Kaiserin Katharina II. wieö 1793 2 Millionen ') Ueber Odessa ist Kohl's Vcschrciblmg m ftincr südrussischm Nrise N. l. pnss. 46 sehr misclmulich m,b l'slck'nnd, I^ kcmn' nMs bcsscrcZ dariil'rf. 448 Rubel zu öffentlichen Bauten an, und verlieh der Stadt ein Territorium von 30,000 Dcssj., wozu 1803 noch 12,000 Dessj. zugekauft wurden. Die Stadt entwickelte sich schnell, die Aus-und Einfuhr hatte 17!)5 einen Werth von 08,000 Rubel, 1796 bereits von 172,000 Rubel. Im Jahr 1803 hatte sie bereits 8000 Einwohner. Damals kam sie unter die Verwaltung des Herzogs von Richelieu, ihres zweiten Gründers, dem sie deshalb auch auf dem Boulevard über dem Haftn eine Statue gesetzt hat. In den 11 Jahren seiner Verwaltung stieg die Zahl der Häuser von 800 kleinen schlechten auf 2000 größten-theils prachtvolle, die Zahl der Einwohner von 8000 auf 23,000. Jetzt mag sie wohl 80,000 betragen, ist also in 40 Jahren um das Zehnfache gestiegen. Die Ausfuhr »ach » Damnter der Werth bcS dem Auslande hatte eincn Wcrlh von Wcizrus im Jahre Rubel Banco Nubel Vamo 1814 7,220,306 4,757,175 1815 14,000,000 11,005,320 181« 37,002,132 33,001,421 1817 41,!)30,000 38,298,000 Man rechnet jetzt den Werth der Ausfuhr auf 80,000,000 Rubel Banco. *) Nachdem ich die nöthigen Besuche gemacht, übernahm es ein Herr v. Solotarcff, ein junger sehr unterrichteter Mann, mich überall umher zn führen; wir besahen den Hafen, dic großen Quarantine-Anstalten, das Museum :c. Besonders interessant war mir der alte Bazar, wo sich die Garküchen und ") Ehemals ging, wie schon angeführt, alles Korn aus Molicn, Wolhy-nien, Galizicn nach Danzig, jetzt hat cö bc„ Weg nach Odessa gefunden. Dadurch haben sich dic Ncvcnücn des reichen Grafen Potozki von 200,000 Rubel anf 2,000,000 Nubel gehoben! Wmn neuerdings von dcr Sympathie der galizischm Edelleute fln Rußland gesprochen ist, so vergesse man nicht, dies ins Auge zu fassen. 440 die Buden mit Brod befinden. Auf dcm Markte, im Freien, auf Banken, an langen Tischen ficht man hier zu jeder Tageszeit, besonders natürlich Mittags, unzählige Menschen essen. Die Bettler und Tagediebe, aber auch der größere Theil der Arbeitslcute und Taglöhncr mit ihren Familien, haben in Odessa keine eigne kleine Haushaltungen, kochen zu Haufe nicht, sondern gehen auf diesen Bazar und erhalten das Essen aus den Garküchen. Ucberall treten hiebei die Sitten der verschiedenen Nationalitäten hervor. Die Russen z. B. zeichnen sich durch ein gewisses Ccremoniett aus. Ehe der Russe sich zum Wen setzt, nimmt er seine Mütze ab, wendet sich nach der nahen Kirche, bekreuzt sich u. s. w. Er läßt sich stets das Essen durch die Aufwärter in ihren weißen Schürzen bringen, er ißt nie etwas aus freier Faust, sondern setzt sich dazu, kurz cr zeigt sich stets als Mann von Erziehung; während dcr Grieche, der Walache viel weniger Umstände machen, und dcr Zigeuner wie ein Hund scin Essen sucht und verzehrt, wo cr rs findet. — Diese Art zu leben ist scheinbar theuer und luxuriös, denn der gemeine Mann nimmt hier eine reichliche Nahrung, größtentheils Fleisch und Fischspcisen zu sich; ist jedoch hier im Grunde die angemessenste und wohlfeilste. Die Frau braucht nicht die Lcbensmiltcl zusammen zu kaufen, sie braucht nicht zu kochen :c,, sondern fic kann selbst Arbeit und Verdienst suchen und finden. Die Lebensmitlcl im Großen zusammengekauft, wie es die Unternehmer dcr Garküchen thun, sind aber außerordentlich wohlfeil, so daß sie die Esscnöportioncn wohlfeiler geben können, als man sich selber das Esscn bereiten kann, wobei die Seltenheit und Thcumng des Brennmaterials besonders in Betracht kommt. Jede Arbeit aber wird hier außerordentlich hoch bezahlt, ein Arbeiter, ein Taglöhner, kann nnt Bequemlichkeit 1 Rubel 20 Kopeken bis 1 Rubel 50 Kop. Banco --- N — 14 Silbergr. täglich verdienen, während das Essen Morgens, Mittags und Abends n Person ihm nur 10 bis 20, Kopeken Banco kostet. Selbst gebrechliche Weiber und halberwachsene Kinder finden überall leichte Arbeit, und verdienen ohne Mühe 00 Kopeken Banco. Der bohe und Icichlc Verdienst erweckt Lust zur Arbeit, der sogenannte gemeine Mann in Odessa ist durchschnittlich arbeitsam, er ist ordentlich 29 45« ' und daher wohlhabend.*) Es giebt viele unter ihnen, dic etwa ^ 1000 Nudel Capital erwerben, dann 2 Pferde anschaffen und damit 5 Rubel Banco täglich verdienen. Von der ordentlichen Lebensweise zeugt, daß z. B. am letzten Ostcrtage, wo nach Beendigung der Fasten in Rußland gewöhnlich die halbe Bevölkerung betrunken ist, hier in Odessa nur 40 Betrunkene auf den Straßen gesunden wurden, während verhältnißmäßig in andern russischen Städten das zehnfache sich findet. Schwere Verbrechen finden sich selten, binnen 5 Jahren waren nur drei Morde vorgekommen. In keiner russischen Stadt ist so wenig Polizeiaufsicht nöthig, und ist daher auch so wenig Polizci-mannschaft vorhanden alö in Odessa, man sagte mir, sie zählte kaum 150 bis 180 Mann. Die in allen größcrn russischen Städten vorhandenen Buden der Butoschniks sind auch hier, und hübsch dauerhaft von Steinen gcbauet, allein tritt man heran, so findet man meist nur Weiber und Kinder darin. Der Butoschnik hat etwas Vernünftigeres zu thun, als Polizei treiben, er geht bei Tage auf Arbeit und verdient sich ctwaS, und schläft des Nachts ruhig! Aber die Strasicnleute in Odessa sollen auch besonders zahm und feig sein. Man erzählte nur, zur Cholcrazcit sei ein Arzt vom Pöbel auf der Straße verfolgt worden, da sei Graf Woronzow eben des Weges gekommen und habe zornig den Stock gehoben, darauf sei das Gesinde! sogleich auf die Knie gefallen und habe um Gnade gebeten! Da es in Südrußland so sehr an Arbeitskräften fehlt, so soll, wie ich hörte, der Kaiser erlaubt haben, Soldaten dazu abzugeben. Allein es wird dann nur gestattet, daß der Private einen förmlichen Contract über die auf eine bestimmte Zeit zu leistenden Arbeiten mit der ganzen Compagnie unter Leitung des Hauptmanns abschließt. Das Geld wird nicht rem Einzelnen gegeben, sondern in die Compagniecaffc gezahlt, wo es ') Armuth findtt man mir imttr d,r nicht matnicll mbciimdm b'wssc dcr vcnirmtm gshn'l', K^uslmtc !l. auch drr murrn TschmvfiMs, die ft sehr schlecht l'ch'lrtt sind, und die Gnif Woronzow mlgrmcin scharf controlnt. 45 l unter Verschluß eines vereidclen Sergeanten und zweier Unteroffiziere genommen wird. Beim Austritt aus dem Dienst erhält dann oft ein Soldat .'!00 bis 700 Rubel Banco als ein erspartes Peculium! Ich sah in Odessa etwas, was ich sonst in Nußland noch nicht gesehen hatte, nämlich cine Strafbcsserungöanstalt! — Ich ward in die Gefängnisse geführt, diese waren aber anders eingerichtet als die, welche ich sonst in Rußland sah. Alle Gefangenen saßen in großen geräumigen Gemächern und alle arbeiteten fleißig, der eine war ein Uhrmacher, der andere arbeitete als Schuster, als Schneider u. s. w. Von siebenhundert Gefangenen waren kaum vierzig gegenwärtig, die übrigen waren sämmtlich auf Arbeit außerhalb des Gefängnisse?. Ich begegnete nachher vielen derselben, die ganz frei ohne Ketten gingen. Nur anfailgs bekommen sie Fußschellen, aber bald, wenn sie sich ruhig, ordentlich, sittlich zeigen, Nimmt man sie ihnen ab, und nun arbeiten sie ganz frei unter Aufsicht älterer Sträflinge. In der ersten Zeit hat es lange gedauert, bis einige sich als gebessert und zuverlässig gezeigt haben, gegenwärtig aber wirkt Beispiel, Nachahmung, gutes Zureden, verbesserte Behandlung, Aussicht auf Freilieit und Belohnung dergestalt, daß dem Verbrecher meist schon nach einem Vierteljahr die Eisen abgenommen werden können. Sie werden meist alle sicißig und zuverlässig. — Sie arbeiten nicht umsonst, sondern für eigne Nechnuug, und bei der Höhe des Taglohns in Südrußland verdienen sie viel Geld. Sie behalten dies zwar nicht selbst, aber da sie auf russische Weise Artells (Arbcitsgcsellfchaslen) bilden, so wird eS in die Artellö-casse gethan, und zum Besten des Arbeiters theils verwendet, zu verbesserter Kost, zu warmer Kleidung lc., theils aufgespart für den Fall seiner dcreinstigen Losgcbung. Wer Arbeiter Nothig hat, nicht bloß in Odessa, sondern auch meilenweit in der Umgegend, schickt nach dem Gefängnisse und läßt auffordern. Wer sich dann freiwillig meldet, wird hingeschickt, natürlich immer mehrere zusammen unter Aufsicht eines Zuverlässigen, der als Starost nach rnssischer Weise an die Spitze tritt. Fast für jcve Art Arbeit findet man hier Arbeiter. Bei 29' 452 Fcuersbrünsten werden sie siets verwendet und da hat man noch keinen Fall bemerkt, daß einer von ihnen gestohlen hat. Wenn ein Verbrecher sich 10 Jahre lang hier völlig untadcl-haft aufgeführt hat, so wird er begnadigt und frei. Man versicherte mir, daß nicht U) Procent derselben länger als 10 Jahre hier waren. Wenn sic freigelassen, sind sie meist völlig gebessert, sehr fleißig, und verstehen viele Arten von Arbeiten. Sie haben dann meist ein erspartes Peculium von einigen hundert Rubeln. Den Bessern unter ihnen giebt man wohl einen kleinen öffentlichen Dienst als Wächter, Butuschnik :c., andere finden leicht Privaldienste. 6in alter würdiger Obristlieutenant, der uns alles auf daß freundlichste zeigte, steht an der Svihe des Ganzen. Odessa ist die eigentliche Hauptstadt Südrußlands. Ich will daher hier, ehe ich mich Westrußland zuwende, über einige Landstriche des erstern, nämlich die Gouvernements (5herson und die Provinz Bessarabien einige Notizen geben, die grö'ßten-thcils russischen gedruckten und daher im übrigen Europa wenig bekannten Quellen *) entnommen sind. Sie werden hin und wieder dazu dienen, das zu bestätigen, was ich über Südrußland im Allgemeinen im Capitel XXI. gesagt habe. ->, Im 17. Jahrhundert drangen in das jetzige Gouvernement Cherson zuerst Kleinrussen von Nordwcst her ein, und siedelten sich zwischen Bug und Dnjcpr an. Das Land war eigentlich als dem Khan der Krimm unterthänig angesehen, allein die Macht der Tataren war bereits im Sinken, und die westlichen ') ES sind dirs: Historisch statistische Uebersicht des Gouvernements ssherson von M. v. iUU'jakoff, abgedruckt in dm schon mehrmals amiefuhrtm für die Ministerien geknickten Materialien fur dir statistischen Arbeiten Bd. II. ii.i«-. 1«9, lind: Ncchtt der verschirdmm Etändr in Blsscral'im, abgedruckt im Journal drS Ministeriums des Innern 184^! Bd. VII. pnss, 48, 4.^ Kosaken, namentlich die Zapöroger dehnten sich immer mehr aus. Die Ansiedler waren meist Leibeigene, Deserteure lind sonstige Läustinge, die sich ihren Herren oder den Abgaben entziehen wollten. Sie siedelten sich in Dörfern an, in oder neben welchen sie kleine Festungen, mit der Kirche darin, an^ legten, wohin sie flüchteten, wenn sich ein Uebcrfall der Tataren zeigte. Wenn Polen oder Nußland etwas von ihnen wollte, so behaupteten sie, Unterthanen des Khans zu sein. Wollte der Khan Abgaben von ihnen erheben, so behaupteten sie, Unterthanen des Hetmanns der zaporoger Kosaken zu sein. Nach und nach ging daö Ucbergcwicht der Herrschaft in dieser Gegend an Rußland über. Es erwarb schon durch den Frieden mit den Türken von 1707) den größten Theil des jetzigen Gouvernements Chcrson, verlor ihn aber wieder in den Jahren 17 !2 bis 1720. Münichs Feldzüge und der Friede von 17^0 brachten einen Theil dieser Gegend dauernd an Nußland, dessen Grenzen sich hier von nun an immer mehr ausdehnten. Das russische Gouvernement gestattete nun in diesen Gegenden 1752 zuerst die Ansiedlung von einem bedeutenden Haufen Serbier, welche unter dem Obersten Chorwat aus den österreichischen Grcnzdisiritten vermeintlicher Neligionsbeschränkungcn halber ausgewandert waren. Als diese einmal angesiedelt waren, zogen ihnen viele Bulgaren, Moldauer und Walachcn zu, die die Türkei verließen. Diese Ansicdlungcn im fruchtbarsten Theile des jetzigen Gouvernements Cherson erhielten den Namen '—-Ncuserbien. Alle Dörfer, von denen die serbischen meist den Namen der südungarischen, von wo die Ansiedler ausgewandert, führten, waren durch viereckige Schanzen befestigt. *) Der Zweck der Regierung war damals, hier kriegerische Ackerbauern zu haben gegen Streifzüge der Tataren und Türken, aber zuverlässigere und anhänglichere als die Zaporogcr! Dcr Oberst Lhrowat ') Auch Herr v. KlirMss llagl über die großen Dörfer mi« 4 bis 5llU<> Einwohnern, und daß sie der Cultur hinderlich wären, „sic slim damals s»»stlind>n, wo die Msicdli'l sich in grußeu Haust» hällrn zusmmm'nhal: <>n muss,», um sich >i'^m die MMc tatmischlr lind zlipun'MI'cr Elni-sne,cn vertheidige!! ;l> lömmi." 454 bildete aus seinen Leuten die ersten Husaren- und Panduren-regimcnter, die Rußland besaß. — Die Gegend blühetc rasch «l,f, das Gouvernement verschenkte viele öde Landstriche an Private, unter der Bedingung, eine bestimmte Anzahl Bauer-Höfe anzulegen. Diese lockten, um die Bedingung zu erfüllen, aus den nächsten polnischen Gegenden viele Polen herüber, weshalb noch jetzt ein großer Theil der Bevölkerung polnisch spricht. Die Lage dieser Ansiedler war jedoch noch viele Jahre lang sehr unsicher, fast weniger in Bezug auf die Tataren als auf die Zaporoger, gegen die sie eine förmliche Linie von Wachtposten längs der Grenze ausstellen mußten, von wo auS dann auch auf jedem Hügel ins Innere hinein mit Stroh umwickelte Stanzn standen, die, auf daS erste Zeichen von Gefahr angezündet, die ganze Bevölkerung unter die Waffen riefen. — Die Zaporogcr fühlten die Gefahr des Zaums und Zügels, welches Nußland in diesen Ansiedlungcn ihnen ganz allmählich und leise anzulegen drohcte, und wollten sie schlechterdings nicht neben sich aufkommen lassen, in dem langwierigen Kriege zwischen den Russen und Türken von 17M bis 1774 benahmen sie sich überhaupt sehr zweideutig in Bezug auf alle ihre Nachbarn. Sie thaten ihr Möglichstes, um die Ansiedler an sich und unter sich zu locken, was ihnen auch gut gelang; viele Grenzdörfer wurden ganz leer, wogegen die Zaporogcr dann durch diese Ueberläuser auf ihrer Seite der Grenze neue Kosakendörfer anlegen ließen. Katharina II. benutzte daher die Gelegenheit der Ruhe nach geschlossenem Frieden, entwaffnete 1775 die Zaporoger, hob die berühmte Sctschna auf, und versetzte einen großen Theil derselben nach dem Kuban am schwarzen Meer. Die verlassenen Sitze wurden von bulgarischen, moldauischen u. Ansiedlern eingenommen, aus denen später das bugsche Kosakencorps gebildet ward. Die Bevölkerung nahm nun sehr rasch zu, die Bevölkcrungslistcn von 1774 zeigten 54,51« Köpfe, die von 1787 aber bereits 461,319 Köpfe! Der Friede von Iassy 1791 brachte alles Land, was gegenwärtig zum Gouvernement Kherson gehört unter russische Hoheit, und bald begann auch hier die (5olo-nisirung der öden Striche und der Bau neuer Städte bis zum Dnjestr. 17!> Kopeken Silber, oder A Kopeken Silber. Vergleicht man diese Abgaben mit denen, die ich aus andern Gouvernements mitgetheilt habe, so erscheinen bedeutende Verschiedenheiten. Ich vermag über die Ursachen hiervon nichts zu berichten. Die Gemeinden hatten als solche nicht unbedeutende Einnahmen. Nr. 1 hat einen Obstgarten, l> Fischfänge. Nr. 3. hat einen Prahm über dem Dnjestr, der 88 Rubel Silber eindringt. Nr. 4 desgleichen mit einer Einnahme von 44 Rubel Silber. Nr. 5 hat einen ^aden, einen Fischfang, eine Wollfärberei und eine Fähre über den Dnjcstr, die zusammen l50 Nudel Silber einbringen. Nr. l liegt am Dnjepr, Nr. 4 und 5 am Dnjcstr und die Fischerei ist daher ein Haupterwcrbszweig. Mehrcrc Dörfer bauen auch Taback und bringen ihn zum Verkauf nach Odessa. Die an den Flüssen liegenden Dörfer haben einigen Wald. Die jetzige Provinz Bcfsarabien, im Frieden von Bucharest 5812 von der Pforte an Rusiland abgetreten, liegt zwischen Donau, Prut und Dnjcstr und besteht auö 2 Theilen, dem Landc der Nogai-Tatarcnhorde Vudschak und der östlichen Moldau auf drm linken Prutufer. Die Bevölkerung giebt Koppen für 1838 auf 72(1,000 Köpfe beiderlei Geschlechts an. Die Größe wird von russischen Statistikern und Geographen sehr verschieden angegeben und berechnet, ihre Angaben schwanken zwischen 433 und «!)! ^Meilen! Das Land ist im nördlichen Theile hügelig, die Karpatcn strecken ihre Vorgebirge bis hier herab, der südliche Theil aber 4U0 ist cine vollkonnnenc Ebene und zieht mitten dlirch den llcber-rest eines mächtigen Walles und Grabens, den der Sage nach einst Kaiser Trajan an dieser äußersten Grenze des römischen Reichs graben »md auswerfen ließ, um dem Einsalle der Bardaren ein Hinderniß entgegen zu setzen. *) Der südöstliche Theil, daö Land Budjak, gehörte eigentlich ursprünglich dem Khane der Krimm, allein die Türken besaßen daselbst die befestigten Städte, wie Merman, Kahul :c. Das Land ist cine Steppe, und die in dieser nomadisirenden Nogai-Tatarei, waren früher dem Khane der Krimm unterworfen, erkannten aber später nach Auflösung deß Khanats ebenfalls den Padischah'alö ihren Oberherrn an, natürlich nur in soweit und so oft es ihnen gesicl. Der nordwestlichste Theil, die Spitze, die zwischen Podolien und der Moldau bis in Galizien hineinreichte, der jetzige Kreis Chotim, gehörte stets unmittelbar zur Türkei. Hier waren die Besatzungen und die Bürger der Städte, aber auch die Gutsherren des platten Landes, die Spahi, also Türken. Der mittlere Theil des Landes gehörte zum Fürstenthume Moldau. Hier gehörten auch die höhcrn Classen größtentheils *) Daß die Römer diesen Wall aufgeworfen, ist wahrscheinlich, ob aber grade Trajan, ist unsicher. Aber merkwürdig ist, baß daß Volk dort noch jetzt gradezu den Kaiser Trajan nennt, und von ihm allerhand Sagen erzählt. Ich hörte eine derselben, die völlig volksmaßig, nicht erfunden, und sehr hübsch ist: Jenseit der Dvnau lebte ein König mit Namw Trojan, der liebte eine Königin dicsseit der Domm, Bielajakejina (die weiße Fiirflm). Er ritt jeden Abend zu ihr hinüber, verließ sie ihm dadurch das Zeichen zum Auflnuch. Da lies, sie einst dem Mssc früh Haser vorwerfen, nun vergas, dasselbe das Wiehern. Als nun aber die Sonne ausging, verschwanden Neuter und Nuß wie ein Nauck,, — l«inc Variante der Barbaren l'on dcr h^hc» Mythe von Eros und Psyche! — 461 dcm walachischcn oder rumiunischen Stamme an, der als ansässige Landbcbaucr in allcn bcbaucten Landstrichen vorherrschte, Als das ganze Land durch den Frieden von Bucharest an Rußland abgetreten wurde, zogen die Türken fast alle fort, nicht bloß die Besatzungen sondern auch die Bürger und Gutsherrn. Auch die nomadisircndcn Nogai - Tataren verließen größtentheils das Land, gingen theils über die Donau, theils nach dcm Kuban. Die dadurch entstehende große Lücke in der Bevölkerung füllte das russische Gouvernement theils durch Colonisirung des Landes, wozu Deutsche, Bulgaren, Moldauer, Kleinrussen :c. hinein berufen wurden, theils in den Städten durch Aufnahme fast von Jedermann, der sich «neidete, ohne angstlich nach seiner Herkunft, seinein Paß :c. zu fragen, allmählich auö. Die ganze innere Verfassung des Landes, die sich noch aus der Zeit des alten walachischcn Reichs herschrieb, und allmählich ausgebildet hatte, wurde vom russischen Gouvernement aufrecht erhalten. Es ward 1827 befohlen, die Gesetze, Gewohnheiten, Herkommen zu sammeln und bekannt zu machen, was dann 1d3<) auch geschah. Es ist eigenthümlich bei dem walachischen Volk, daß es bei so kurzdauernder staatlicher Unabhängigkeit und Entwicklung, bei bisher so geringen Fortschritten der Cultur, eine so große Mannigfaltigkeit der bürgerlichen oder vielmehr Standcsver-hältnissc entwickelt hat. Hiebci scheint es fast, als ob diese Verfassungsvcrhä'ltnisse sich nicht auö dem Volksleben entwickelt haben, sondern aus Nachahmung fremder Zustände von oben herab eingeführt sind. Bei Betrachtung derselben muß nämlich die große Aehnlichkeit mit byzantinischen Verhältnissen auffallen, lind man wild wahrscheinlich bei einer tiefern Untersuchung, wenn die Quellen für eine solche vorhanden oder nicht verdunkelt oder verloren sind, bei jedem einzelnen Verhältnisse nachweisen können, wann und unter welchen Umständen es sich von Vyzanz herüber verpflanzt hat. Die Länder, welche der walachische Stamm bewohnt, Bess-arabien, Bukowina, ein Theil von Siebenbürgen, der Moldau, 462 Walachei und Streifen in Bulgarien und Serbien bis nach Mazedonien hinein, bildeten Theile drö großen bulgarischen Reichs, welches zwar politisch feindlich dem byzantinischen entgegen stand, sich aber der byzantinischen religiösen und weltlichen Cultur nicht entziehen konnte, Als bei der Zertrümmerung des bulgarischen Reichs die Fürstenthümer Moldau und Walachei mit einer Art von Selbstständigkeit übrig blieben, nahm der byzantinische (5insiusi noch zu. Die Hospodare wurden vom Großsultan stets auf 7 Jahre ernannt. In der Regel führten Geschenke, Bestechungen aller Art, die reichen Griechen Konsiantinopels auf dicsc Fürstcnsitze. Die Hospo-darc benutzten die kurze Zeit ihrer Regierung fast nur um, Schätze zu sammeln und in den Bändern Güter zu erwerben,/ wohin sie sich dann zurückzogen, sobald ihre Herrschaft zu Ende war. Die Mehrzahl der großen Familien in der Moldau und Walachei ist griechischen Ursprungs. Daß alle Hospodare ein großes Interesse daran haben mußten, die Rechte der Gutsherren auszudehnen, ist klar, daß sie als Griechen eine Vorliebe für byzantinische Ceremonien, Hofsitten, Hofeinrichtungen, Gliederungen ihrer Umgebungen hatten, ist eben so einleuchtend; somit verpflanzten sie das byzantinische Hof- und Verfassungs-lrcscn nach Möglichkeit hierher. Der alt-byzantinische Hof- und Adreßkalcnder mit alle» seinen wunderlichen, bizarren Ranglisten, Abstufungen, (5ere-monialien war an die Höfe dieser Pscudofürsten, die in elender Unterwürfigkeit gegen den Padischah und selbst dessen Vasallen, den Khan der Krimm, lebten, versetzt, und füllt auch jctzt noch, wo sie unabhängiger geworden sind, wenigstens zum Theil die Hof- und Adreßkalcnder der Höfc von Iassy und Bucharest! Allein das byzantinische Nangwesen unterscheidet sich vom germanisch- romanischen dadurch, daß es das Prinzip der Erblichkeit nicht in sich ausnahm. Die Fürsten der Moldau und Walachei hatten von dem erstorbcuen und untergegangenen byzantinischen Haiserhofe ihre Hofeinrichtungen überkommen, allein sie hatten bei ihren nächsten Nachbarn, den Polen, Ungarn, Deutschen, auch die erblichen Stande und ihre Privilegien 4lN vor Augen, und ahmten sie durch Einführung als ihren Privatinteressen günstig nach, und so sind dann in dicscn Ländern , so bunte Standes- lind Rangvcrhältnisse entstanden lind vor-s Handen, wie außerdem wohl in wenigen Ländern*). Nur über diese Standcsverhaltnisse will ich hier einige Notizen geben. Die erste Nang- und Standesstufe nehmen die Bojaren ein. Daß Wort ist offenbar auö den. slavischen Sprachen entlehnt. 6s kommt in der slavonischen Kirchmsprachc vor. Die Etymologie des Worts steht wohl noch nicht fest. **) Bojaren heißen in den Fürstenlhümcrn die Beamten, die die höchsten Aemter bekleideten. Diese waren eigentlich nicht erblich, allein die Bojarcnkinder hatten das erste Anrecht darauf, und daher ist der Titel Bojar jetzt daß erbliche Eigenthum der vornehmsten und reichsten Familien geworden. In Bessarabicn konnte dieser Titel, wegen der besondern Bedeutung, die sich in demselben bei den Russen erhalten hat, vom Gouvernement nicht anerkannt werden, allein man hat diesen Familien die Rechte des erblichen russischen Adels beigelegt. Aus der zweiten Standesstufe standen die Vojarinoschi. Dirs waren die untern Beamten in den Fürstenthumern, Capi-taine :c. Das russische Gouvernement erkannte die an, welche ') Das, dicS so isl, W» sich danniS schließen, baß in Bulgarien, dem eigentlichen Sitze des bulgarischen Reichs, a» dessen Hofe die byzaiNini-schcn Rluigvcrhältniffr sbrnfalls in vollci Ansdchmmg und Allöbildunc; w^irni und galim, dirst erblichen Stanbesveihällniffl' gcgr„wältig nicht riistinn. Abcr auch stlbst bci den Walachcn in Sicbcnbürgrn und UMMN sindcn s>c sich nicht, ein sichcrcs Zeichrn, daß sie erst von dm Hospudiil'm bcr Moldau und Walachei eingeführt sind. ") Dic Byzantiner haben unö die ?Iotiz aufbewahrt, baß cim billgarischcn Hofe die Wclin^sche», welche dic Hufbedicntcn waren, auch Woiludrn und 2^'iladen genannl wurden, ein Name drr vielleicht «paeisir« an, mit den auf ihren Grundstücken lebenden Zaranen durchaus schriftliche, auf freiwillige gegenseitige Einwilli-gung beruhende Verträge schließen sollten, in denen die gegenseitigen Rechte und Verpflichtungru ausführlich und gcnan angegeben würden. — Wie wohlthätig diese Verordnung auch schien, so fand sie doch selbst bei den Zaranen durchaus keinen Beifall. Viele derselben, um sich der Verpflichtung, schriftliche Verträge mit den Gutsherren zu schließen, zu entziehen, gingen zum Bürgerstand über, der in Bcssarabien, ganz wie in Rußland allgemein geordnet und constituirt ist. Viele Hunderte von Suppliken der Zaranen trugen anf die Grstattung dieses Uebcrgangs an. Dies drohetc aber dem Landbau und der ganzen ländlichen Verfassung den Untergang und zugleich den Städten mit einer Nrber-völkerung von Leuten, die weder die städtischen Gewerbe vev- 46« standen, noch die Mittel und Kräfte hatten, sie zur Blüthe zu dringen. Die Regierung sah sich daher genöthigt, eine Art Normalcontracte bekannt zu machen, der zwar die freiwilligen Privatcontracte, wenn die Parteien wollten, nicht ausschloß, der aber als Gesetz gilt, wenn kein solcher abgeschlossen wird. In diesen sind die Ncchte der Herren und Verpflichtungen der Bauern, denen Grundstücke zur Benutzung überlassen sind, mit Berücksichtigung der beiderseitigen Vortheile genau normirt und festgesetzt. Die Zarancn, welche eigne? Land besitzm, desgleichen die grundbesitzenden Masilcr und Ruptaschen und selbst die Bojarinaschen, die nur kleine Güter besitzen, werden auch mit dem Gesammtnamen Reseschen bezeichnet, was im Grunde nur: kleine Grundbesitzer bedeutet, keinen eignen Stand. Die Ncscschcn leben auf einzeln gelegenen Meierhöfen oder in ganzen Dörfern zusammen. Eigentliche Leibeigene sind in Bessarabien nur die Zigeuner. Diese sind schon seit alten Zeiten Leibeigene der privilcgirten Stände d. h. der Bojaren, Bojarinaschen, Masiler und Rup-taschen. Das ist doch ein Verhältniß, was sonst in ganz Europa nicht vorkommt! und eS ist völlig unbegreiflich, daß dieses frcihcitdursiige Volk nicht längst dem Lande Valet gesagt hat, welches ihm Kettcn zu schmieden gewagt hat! — Rußland fand das Verhältniß so vor, und ließ eö bestehen, doch muß sich jcdcr durch Documente über den rechtlichen Besitz des Zigeuners ausweisen. Die Kronzigcuncr, welche früher noma-disirtcn, sind gezwungen worden, sich anzusiedeln, und eine bestimmte Lebensweise und Beschäftigung zu ergreifen, oder einen Dienst nachzuweisen. Von den !)4M> Zigeunern männlichen Geschlechts (für Itt^) gehörten 1587 der Krone an, WOO waren Leibeigne von Privathcrren und nur !) waren freie Leute. Das Verhältniß der Bevölkerung der verschiedenen Stände giebt Koppen nach Skalkowtzki für 183? in folgenden Zahlen an: 407 Smnm a Maimüchm Wridlichrn l'i'idn' Grschkchlü «5« 524 1382 ««90 «477 17,373 194 422 7747 7121 14,80« 3951 3551 7502 2007, 1753 375« 52,55« 47,731 100,2«9 240,132 212,422 452,554 10,304 10,14« 20,452 3975 2«30 0805 30,317 27,345 57,002 077« 0400 13,244 «700 7889 10,589 824 1810 377,437. 337,275 714,710 — 1500 Erbliche Edelleute (ehemalige Bojaren)...... Geistlichkeit........ Bojarinaschen....... Masilcr.......... Ruptaschcn......... Kaufleute......... Bürger........... Zaranen.......... Angesiedelte Juden . . . . Angesiedelte Donaukosaken Transdanubische Ucbersied-ler ^Bulgaren)..... Deutsche Kolonisten .... Angesiedelte Zigeuner . , . Rasnotschmzen....... Dazukommen noch nicht angesiedelte Zigeuner «i-cn Armenier in unbekannter Zahl........... In Bessarabien ist noch nicht das russische Abgabensystem eingeführt, es scheint aber das beibehaltene ältere etwas auf russische Weise modifizirt. Die Zaranen zahlen die Abgabe Bir, nicht eine Kopfsteuer, sondern eine Familicnstcuer für die Familie 2 Nubel « Kopeken Silber und die Kronzaranen einen Dbrok ebenfalls für die Familie 0 Rubel 72 Kopeken Silber. Die Masilcr und Ruptaschen zahlen statt des Bir den sogenannten Daschdin 2 Rubel 07 Kopeken Silber für die Familie. lil)* 4<>5 Tann kommen als (^l'lnciudcstcucvn: dic Dorfgrbuhrcn .^.'j',2 Kopeken Silber für dn' Faniilir, d^ni« ^llgl'tucinc Strin-r ;u Ausgaben füv dlc Baucm, sic brlruq nach ciiu'r allc dlri Iahrc anzlilc^cndl' ,Pi,'rcchnlni^ für l<^4 1 Nubcl 2 Kopc-ken für dil' S«lc. XXVI ?llneise von Odcssci. Podlilien, dessen merkwürdige Völtrrtafrl. Ol',iapc'l, bäuerliche Verhältnisse, Äclinlichkrit mit den östlich-deutschen. Lipl, witch, Verhällnissc einer polnischen Mediatstadt. Kijess, b«iö Höhlen fluster, Entstehung der Katakomben. Die Tophienkirche, dir dort entdeckte» alten Fresken. Die llniversilat. Der polnische Ädrl >» den russischen lind ileinrussischen ^andstlichcil eingewandert, seine jehige SlclllMss, äis Brsitzthiin, des polnischen Adels mit Vergleichnng des russischen, >lluts'hi, Vollwtirt, Inventar und öusiralion, wodurch die ^cinze land lichc Vcifassun.; Nar qcnachl wird, Die Nossewrische Etarostei. Verfahre» deö cNmu'crnementö in Brzuq auf dir iehi^n bäuerlichen Vcr haltnissr. Rrchlc des Adels, Versuch einige VvlkSgcrichte einzufiihre», Zustimn,rnN>nft in Kijeff in der l5mttrcitten - ^jcil, die Juden, BnimU wcint'rrnncreien. Die hiesl^m Schcidungtzlinieu der Nalionalitälen, Sitten, Rechtverhältnisse. 'Äm i). October rciseten wir von Odessa nach Kijcff ab. Dic späte Iahrözcit qestattctc k«'ine lanqc Aufmthaltc Ml'hr. Doch hiclt ich mich einige Stunden in Ol'qapvl auf, wo mir ein wohllmtcrnchtclcr Krciochrf qnte Noti^cn übor die dortigen Verhältnisse qab. — So wie man die Grenze Podolicns überschreitet, kommt man in ein anderes Land, zu einem andern ^olke. Das Land ist lm.qelig, hat schöne Wälder, hübsche Geqendcn, die socialen Volköverhältnisse sind aber qanz eigenthümlich. Die Bevölkerung Podoliens besteht anS 10 Völkern: Grosirusscn, Kleinrnssen, Russniaken, Polen, Moldauern, Griechen, deutschen (5olonisten, Juden, A r m enie r n und Zigeun e r n. Jedes dieser Völker ist abgeschlossen und mischt sich nicht mit einem der andern, jedco hat seine eigne Sprache, eigne Tracht, eigne Lebensweise. Aber wa5 noch mehr ist, fast jcdeö dieser Völker hat seine cigne Religion und bildet einen besondern socialen und politi- 470 schen Stand. Die Großrussen bilden den Beamten- und Mili-tairstand. Die Uniformen sind ihre Tracht, sie sprechen ihren großrussischen Dialekt, sie gehören der russischen Kirche an. Die Klcinrussen bilden den Stand der Kosaken, haben ihre eigne Tracht, sprechen den kleinrussischen Dialekt, gehören ebenfalls der russischen Kirche an. Die Nussniakcn bilden den Stand der leibeignen Bauern mit eigner Tracht, sprechen ihren eignen in der Mitte zwischen dein polnischen und russischen stehenden Dialekt, gehörten früher der mit Rom unirten griechischen Kirche an, und wenn diese Union auch gebrochen ist, so sind doch noch kleine Verschiedenheiten von der russischen Kirche bemerkbar. Die Polen bilden den Adel, sowohl den großen der Gutsbesitzer als den niedern der Schljachta, sie sprechen polnisch, und gehören der lateinisch-katholischen Kirche an. Die Moldauer gehören zum Stande der Kolonisten, erhalten sich in eigner Tracht, sprechen walachisch, gehören der griechischen Kirche an. Die Griechen gehören theils dem Colo-nisten-, theils dem Kaufmannsstande an, haben ihre Tracht, sprechen neugriechisch, und gehören der griechischen Kirche an, die sich in sofern von der russischen unterscheidet, daß als liturgische Sprache das Griechische gebraucht wird. Die Eigenthümlichkeiten der deutschen Colonisten brauche ich weiter nicht auseinander zu setzen! Die Juden repräscntiren gewissermaßen den Bürgcrstand, in den kleinern Städten leben fast nichts als Juden, ihre Tracht ist eigenthümlich, sie sprechen ein verdorbenes Deutsch, haben ihre abgeschlossene Religion. Die Armenier gehören zum Kaufmannsstande, haben eigne Tracht, Sprache und Religion. Die Zigeuner endlich bilden keinen Stand, haben keine Tracht, keine Religion und radebrechen alle Sprachen. Die Verhältnisizahlen dieser verschiedenen Nationalitäten wurden mir in runden Zahlen in folgender Weise angegeben: Großmsscn...... 43,000 Köpfe beiderlei Geschlechts Kleinrussen...... 1i-WM0 „ „ „ Russniaken......1,044,000 ,. „ bail's 1,275,000 Köpfe beiderlei Geschlechts. 471 Transport 1,275,000 Köpft beiderlei Geschlechts, "polen......... W,000 „ „ „ Moldauer....... 1,600 „ „ „ Griechen....... 5,20 „ Deutsche....... 2,000 „ „ „ Juden........ 165,500 „ „ s, Armenier...... 420 „ „ „ Zigeuner....... 1,900 „ „ „ Also im Ganzen etwa 1,545,540 aus einem TerritoriutN von etwa 730 ^Meilen. Der Krcitzchcf von Dl'gapol gab mir einige Notizen über die hiesigen bäuerlichen Verhältnisse, die ich hier vorläufig, so rapsodisch sie sind, mittheile, weil ich nicht gewiß weiß, ob ich zu einer vollständigen und übersichtlichen Darstellung hinreichendes Material und dic Zeit gewinnen werde. Die Dörfer dieser Gegend sind häusig getheilt zwischen der Krone und PrivatgutSbesitzcrn. Sie sind in der Regel nicht klein, sondern von mittlerer Größe, mit 500 800 Einwohnern beiderlei Geschlechts, über 2000 Einwohner hat keins. Es herrscht überall einfache Dreifelderwirtschaft, im Winter-felde herrscht bei den Gutswirthschaftcn der Bau des Weizens, bei den Bauern der des Roggens vor, außerdem wird Gerste, Hafer, Mais und etwas Hirse gebauct. Die Krone besitzt hier Dvmaincn (Landgüter) und die Bauern srohnden auf denselben, doch sind auch jetzt schon eine Zahl derselben auf Gcldab-gaben (Obrok) gesetzt worden. Hin und wieder hat man angefangen, die Domaincn für den bisherigen Ertrag den Bauern selbst zu überlassen, jedoch vorläufig immer nur aus bestimmte Jahre (3 — ^ Jahre), wobei ihnen ein schriftlicher Contract auf dem Domainlnhoft angefertigt wird. Die Bauern sind nach der Größe ihres Besitzes in 5 Classen getheilt: 1) Die Plugowschikt (vom deutschen Pflug?). Von ihnen besitzt jeder 1« Morgi (Morgen) Acker i. 1300 ll^aden oder Sagen (also ungefähr 2 berliner Morgen) und Morgi theils Acker, theils Heuschlägc W bis 32 Morgen) besitzen. Sie leisten 12,^ Frohndcn'jährlich, halb Spann- halb Handdienste. 3) Die Pcsche besitzen 12 Morgi (24 Morgen) Acker und Hcu-schlägc, und leisten jährlich 100 Frohnden, aber nur Handdiensttage. 4) Agarodniki besitzen nur Haus und Garten, und leisten jährlich 24 Handdicnste. 5>) Nodotniki, (anderswo finde ich sie auch Kutniki und Bobuili genannt) sind solche, die weder Haus noch Garten haben, und bei Hausbesitzern mit einwohnen. Sie werden den Familien derselben zugezählt, leisten keine besondere Dienste, sondern müssen bei Krankheit oder sonstiger Verhinderung der Hausbesitzer, an deren Stelle die Dienste leisten. Das Inventarium wird als Eigenthum des Bauern angeschen, es wird ihm nicht von der Herrschaft (der Krone) übergeben, sondern er schafft es sich an, verbessert, vergrößert es. In ihm steckt seine Wohlhabenheit. Verringert und verschlechtert sich sein Inventarium, so setzt ihn wohl die Herrschaft auf eine Zeitlang in die untern Classen herab, bis er sich erholt hat. Die Leibeigenschaft der Kronbauern, die hier früher bestand, ist wie bekannt in ganz Nußland, so also auch hier aufgehoben. Der Domainenhof gestattet den Uebertritt von der Frohndc zur Gcldabgabe (Obrok) auf ihr Ansuchen, es wird dann jeder Spanndienst auf 22 Kopeken Silber, jeder Handdienst auf 15 Kopeken Silber berechnet und gestellt. Mau sieht auch hier noch, und wie viel mehr im eigentlichen Rußland, wie hoch die Mcnschcnarbeit im Prctsc sieht gegen die Spannarbeit. 473 Sie beträgt hier nur etwa ^ des Werths der letzten. Die Spannarbeit würde in Deutschland 4, 0 bis 8 mal höher geschätzt werden, als die Handarbeit! Wenn Familienglieder, jüngere Söbne, ein Gewerbe ergreifen, Handwerker werden wollen, so gehört dazu die Cr-l laubniß des Domaincnhofs, die aber natürlich nie versagt l wird. Auch Pässe, um zu wandern und Arbeit zu suchen, werden ertheilt. Diese Sitte ist aber erst von Rußland herüber gekommen, und seit nissischer Zeit eingeführt. Eigentliche Leibcigcnthumsabgaben giebt es nicht. Außer den Diensten giebt der Bauer keine Naturalabgaben. Beim Tode des Bauern wird der Hof nicht getheilt. Die ganze Wirthschaft geht auf die ganze Familie ungetheilt über, aber der älteste Sohn wird als das Haupt und alß der Wirth angesehen. Bei den gutsherrlichen Bauern ist im Allgemeinen dieselbe Verfassung, allein sie besteht dort nur gewohnhcitlich, während sie bei den Kronbauern gesetzlich besteht. Doch wird angenommen, daß auch bei gutsherrlichen Leibeigenen Inventar und Mobiliar Eigenthum deß Leibeignen sei, welches der Herr nicht antasten dürfe. Der Frcikauf auö der Leibeigenschaft ist hier nicht selten. Man sieht aus dem Vorstehenden, daß die hiesige Baucr-vcrfassung in ihren wesentlichen Grundlagen dieselbe ist, wie sie auch im ganzen östlichen Deutschland bestand; eö ist die westslavische, ^) die sich von der ostslavischm, der großrussischen, ') Das altz^cchiftl!!! (böhmische) Ml'lon'chl nud Vmierm'echl ist l>o>i >,ü schiedmem und iibnwi^mdl'm lviusius! auf die hmtwicklm!,, i^> ^u,',m pulnischcn und lithmuschcn kindlichen ä!rlsassnnq gcwcsm, und lm-nmü auch chcilwcisc inS ältti'c russische 5!iccht iilu'r^gmi^!', d^'ü aw'i später meist ivicdn virschwundtn, Dagc^c», win t'as ^iaoI> i„ gnnz 'polcu vl'ü Dmlschwnd entlehnt. Selb>! in Ui,lss hcnschtc n^'ch bis unter Kaisrr Al^ande,- das magdcbmger Sladtrccht. 474 wesentlich unterschied, aber von ihr scheidet sich auch westlich das germanische Bauerwcscn, welches mehr dem Boden anklebende Naturalabgaben als Dienste, und nur eine geringe persönliche Abhängigkeit der Besitzer kennt, an welche sich endlich in Südwesten die zeitweise Naturalpachten (Metairic-Wirthschaften), bei völliger persönlicher Unabhängigkeit anlehnen. Als Staatsabgaben zahlen die Domainenbauern wie alle andere Bauern und überhaupt alle steuerpflichtigen Stände das Kopfgeld mit 95 Kopeken Silber für die männliche Seele. Au-sierdem giebt es einige Provinzial- und Gemeindeabgaben, die wie in ganz Nußland auf die Seelen vertheilt sind, so zum sogenannten Hülfscapital 14 Kopeken Silber, zur Unterhaltung der Polizei 9 Kopeken Silber, zur Dorfsteucr an den Domaincnhos li'/i Kopeken Silber, und eine Gemeindesteuer von 29 Kopeken Silber von jeder männlichen Seele. An der Spitze jedes Dorfs steht der von den Bauern gewählte Wiber-nie (Ausgewählter), welcher alle Gemeindcangclegenheiten oe-sorgt und leitet, und ein ebenfalls von ihnen gewählter Sotzki (Hundcrtmann), der die Polizei übt, und der bei großen Dörfern noch einen oder einige Gehülfen hat, Disatzki (Zehntmänner). Das Amt des Wibcrnie ist bloßes Ehrenamt ohne Gehalt, der Sotzki aber erhält 25 Rubel Silber Gehalt. Der Weg von Dl'gapol führt durch freundliche hügclichte Landschaften, die Dörfer sind groß, aber die Häuser liegen nicht siraßenartig in Reihen, sondern jedes Gehöft ist abgesondert. Die Häuser liegen in gut eingezäunten Gehöften mit hübschen umzäunten Gärten voll schöner Dbstbäume. Die Wohnhäuser sind klein, einstöckig niedrig, aber mit hohen sehr schön und sorgfältig gedeckten Strohdächern, und haben Schornsteine; in der Mitte der breiten Seite befindet sich die Hausthür. Wir erreichten !?ipowltsch, eine dem Grafen Stradinöki gehörige Mediatstadt. Sie enthält .'!00 Häuser, größtentheils von Juden und einigen christlichen Krämern und Handwerkern 475 bewohnt. Von jedem Hausplatze wird nach der Größe desselben ein Zins bezahlt, außerdem laßt sich die Herrschaft auch von dcn Gewerben, nach deren Umfange, eine Art Gewerbesteuer bezahlen, ein jeder „Bürger" muß auf diese Weise 4 bis (> Rubel Silber jährlich aufbringen. Die „Stadt" geht aber an der einen Seite in ein Dorf über, und dort wohnen eine Anzahl seiner Gutslcute, die wöchentlich .'j Tage frohnden müssen. Sie transportircn das Getreide, den Weizen des Herrn, nach Odessa, und das muß ihnen für eine gewisse Anzahl Frohndcn angerechnet werden. Der Herr hat keine Gerichtsbarkeit, weder über die Bürger noch über die Leibeignen, er würde z. B. rückständige Grundzinsen beim Landgericht einklagen müssen, aber wohl hat er die Polizcige-walt, die sich jedoch in Bezug auf Strafen nur bis auf fünf Prügel erstreckt. Wir kamen nun durch den Skirschen District. Alle Dörfer, die wir berührten, waren groß, und mochten durchschnittlich üLcr 1000 Menschen enthalten. Bei einer Umspannung der Pferde in einem gutshenlichcn Dorfe war der Posihaltcr ein Jude, der gut deutsch sprach. Es war dies ein Dorf von doppelter Zusammensetzung. Eine Anzahl Gehöfte waren von Schljachtitschcn (niedern armen polnischem Adel) bewohnt. Die übrigen Gehöfte wurden von Leibeignen eingenommen. Sie lagen durcheinander, und die Höfe der Schljachtitschen unterschieden sich eben nicht von denen der Leibeigenen durch Größe, Reinlichkeit und vornehmeres Aussehen, aber sie bildeten eine besondere unabhängige Gemeinde mit einem von ihnen gewählten Aeltesten, der die Abgaben sammelte und ablieferte. Sie sprachen alle nur polnisch und waren Katholiken, hatten auch ihre eigne lateinische Kirche, und einen polnischen unverheira-theten Pfarrer, den ich besuchte, der aber leider den größten Theil seines Latein wieder verlernt hatte. Die hiesigen Schljachtitschen hatten kl in eignes Land, sondern waren auf Kronlande angesiedelt, und bezahlten davon einen seit langer Zeit gleichmäßigen Zins. Die Bauern waren Russniakcn, sprachen russinisch, gehörten der früher unkten Kirche an, hatten ihre 47« eigne Kirche*) und ihren russinischen verheirathctcn Geistlichen. Sie waren in Bezug ans die Ausdehnung ihres Grundbesitzes und der zu leistcnven Frohnden in zwei Classen getheilt: 1) Tjagli, die so viel Grund und Boden hatten, daß sie Gespann hielten. Sie mußten wöchentlich 2'/2 Frohnden mit ihrem Gespann thun; 2) Pieschc, welche nur HauÖ und Garten besitzen und 2'/2 Tag wöchentlich Handfrohndcn verrichten. Jener Posthaltcr erzählte, es seien Domaincngüter in der Umgegend gelegen, sie seien an Arendatoren, jedoch nur auf 3 oder 6 Jahre verpachtet, weil man das Fortschreiten der Lustrationcn erwarte, und dann in vieler Beziehung eine neue Ordnung der Dinge einsühren wolle. Bon den hier liegenden Domainen wäre bis jetzt keine an die Frohndebauern selbst verpachtet. Die Ackerwirthschaft, die wir hier sahen, war reine Drei-feldcrwirthschaft. Die Felder wurden nicht gedüngt. Sie wurden nur einmal, mit l> Ochsen vor dem Pflng, gepflügt, dann gecgget und gewalzt. Den 13., an einem herrlichen Octobcrtage, erblickten wir am Morgen gegen ^ Uhr Kijcss, die Mutter und alte Metropole der russischen Städte. Cine halbe Meile davon sahen wir rechts und links am Wege bedeutende alte Umwallungen, Gräben, Neste von Schanzen :c. ^) Die Kirchen der NniMn sind cillü gm,z glcichcnl,g gcbmict. Sn h.ibrn stels 3 lhurmarti^c imppcln, von drnm dir mittlcre hühlr cilö dir der bridci, andiln ist. Dn (<;ll'ckcnlb»l»l strht dann füi sich adqcsondcrt 477 Nachdem wir uns in einem ziemlich guten Gasthofc eingerichtet hatten, machten wir die nöthigen Besuche. Der General Gouverneur Herr v. Bibikoss, ein Mann von den feinsten Formen, und, wie wir hörten, voll Energie und Gewandtheit, beauftragte einen Herrn v. Ehadoiß, uns umherzuführcn, und über alles die nöthigen Notizen zu geben. Herr v. Chadois, der Sohn eines sehr reichen Gutsbesitzers und ein sehr unterrichteter, selbst gelehrter, junger Mann, führte uns zunächst nach dem berühmten Höhlcnr'lostcr. — Kloster und Kirche sind neu, in der Weise wie alle russischen der Art gebauet. Die ältern Gebäude brannten mehrmals ab, zuletzt 172^. Im Sanctuarium der Kirche wurden uns Wachslichter gerricht, der Archirci öffnete eine Seitenthür und führte uns eine tiefe Treppe hinab in die unterirdischen Gänge. Diese haben ungefähr das Ansehen von Vergwerksstollcn, sie sind selten über 7 Fust hoch und 4 biß 5 Fuß breit, und ziehen sich in labyrinthischen Windungen in 2 Abtheilungen wohl mehr als eine halbe Stunde weit in den Felsen, woraus der Berg besteht, umher. Alle 20 bis 5,0 Schritt ist rechts oder links eine Nische ausgehauen, worin ein Steinsarg ausgearbeitet ist. Hier liegen die alten Einsiedler, welche sämmtlich als Heilige verehrt werden, begraben. Die Körper verwesen in diesen Höhlen nicht, sondern trocknen nur zusammen. Sämmtliche Körper liegen offen in ihren MönchS-gcwändern in diesen steinernen Särgen ausgestreckt. Ueber jedem ist eine prächtige buntscidcn und goldgestickte Decke aus-qrcnbeit,'t. Der Archirei nahm sie von mehreren ab, und zeigte uns die darunter liegenden unverwescten Leichname, ein grau-cnvollcr Anblick! Einer der Heiligen hatte sich ledendig bis an die Schulter» in die Erde cingrabcn lassen, so dasi nur der Kopf hervorragte, und war so gestorben. Auch dieser war mit rinem goldgestickten Tuche bedeckt. Hin und wieder waren kleine Zellen neben den Gängen in die Felsen hinein gehauen, welche von den mönchischen Einsiedlern bewohnt grwescu wareu. Durch ein kleines Fenster hatten sie sich die Nahrung reichen lassen. Nie verließen sie die Zellen mehr, nie sprachen sie mit Jemand. Die Zelle des heiligen Antom'us, des Stifters des Höhlenklosters, und die in den Felsen gehauene steinerne Bank, auf der er gesessen und die Brüder lehrte, ward uns 478 gezeigt. Ueber der Grabhöhle Nestors, des berühmten Chronisten der russischen Geschichte, war eine metallene Votivtafel mit einer Inschrift zu seinem Gedächtnisse aufgehangen. Dann kamen wir in eine vollständig ausgezierte unterirdische Kirche, welche etwa -W' in8 Gevierte haben mochte. Noch ein paar kleinere Kapellen waren ebenfalls mit allem zum Gottesdienst Nothigen versehen. Zu gewissen Zeiten im Jahr wird hier unten noch Gottesdienst gehalten. Fragt man, wann sind diese Höhlen und Gänge entstanden? so gewährt die Geschichte darüber keine bestimmte Antwort. Der Stifter deö Klosters, Antonius, aus Ljubctsch in Rußland gebürtig, warb Mönch auf dem Berge Athos und zog (l0I3) sich dann in die Einsamkeit eines Waldes bei Kijeff zurück. Hier fand er eine Höhle, welche nach der Sage von den Warägern in den Felsen eingehancn war, später fand er noch eine zweite Höhle. Es sammelte sich eine Genossenschaft um ihn, mit der er ein Kloster stiftete, dem er die Regeln des sogenannten Studiaklostcrs in Jerusalem gab. ^) Die Genossenschaft stieg auf 1L Mönche, „mit ihnen grub Anton eine große Höhle zu einer Kirche und Zellen aus." — Wenn ich alles zusammen fasse, was ich gelesen, gehört und selbst gesehen habe, so ist es mir nicht wahrscheinlich, daß Antonius und seine Genossenschaft und die spätern Mönche diese Gänge und Höhlen zuerst ausgehauen und allsgegraben haben. Es sind nämlich ein paar tausend Schritt lange Gänge, in Felsen gehauen. Dies würde jetzt mit allen mechanischen Hülfsmitteln, mit der Hülfe des Sprengens durch Schicßpulver, eine kolossale, viele Jahre dauernde Arbeit sein, da gleichzeitig immer nur wenige Arbeiter beschäftigt werden können. Und nun in jener Zeit von einer Anzahl Mönchen ausgeführt, es ist ganz undenkbar! Und aus welchen Ursachen sollte Antonius mit unermeßlichen Anstrengungen Gänge und Höhlen ausgegraben haben, da er ja über der Erde Kirche und Kloster bauen konnte, dies auch wirklich that? Und wozu diese langen Gänge? ') Das H0hlenklusw' in Kijcss scheint das crste Kloster in Rußland gcwc-sm zu sm>, ?üich scinm N»'q>'!n smd split« all« 75,, wo auch cinigr Saqm von dirscn Hiihlcn cnvähüt wcrdm, z. B. cs führe von ihncu rlu mMnrdischcr Gang bis Smolmsk, bci vicle M) ^^ril^i wnt glinz mit jMosscncm Mct^ll gcfiittnt fti. 4W druck, steife Zeichnung. Was bereits rein gewaschen, waren lauter einzelne nebeneinander stehende Figuren von Heiligen über Lebensgröße ohne die geringste Gruppirung. ^ .Die Ikonostase dieser Kirche ist von der schönsten durchbrochenen No-cocoarbeit, die man sehen kann. Hier befindet sich auch das Grab deö heiligen Wladimir. Von der Treppe drr Andrcaskirche aus hat man eine ganz prächtige Aussicht über alle Theile Kijcffü und den Dnjepr. Die Kirche ist 1744 ganz im Rococostil, ich glaube von Ro-strelli, gebauct. Ein schöner von Potemkim für die Kaiserin Katharina angelegter Garten in der Stadt enthielt gegenwärtig eine künstliche Struveschc Mineralwasseranstalt. Mehr kann man doch nicht verlangen! ...... Ich sah auch eine große Erziehungsanstalt für adlige Fräulein, vom Adel des Gouvernements gestiftet. Viel Pracht und Eleganz! Es werden hier, wie in allen russischen Erziehungsanstalten, vornehme Salonsdamcn, aber keine Hausfrauen gebildet und erzogen! - Dann fuhr ich zur Universität; auf einer Anhöhe, einem großen Plahe, ein kolossaler trefflich gebauter Palast! Ich lernte mehrere Professoren kennen. Die Bibliothek ist bedeutend. Es ist Vieles von Wilna hierher gekommen, auch eine Facultät von dort hierher versetzt. Im naturhistorischen Cabinet sah ich eine abscheuliche Sammlung von Wcichselzöpfcn. Ein Professor Ivanoschew, ein sehr gelehrter und höchst liebenswürdiger Mann, führte mich, und gab mir im Gespräche manche Notizen über die hiesige ländliche Verfassung. Der Adel der umliegenden Gouvernements von Kijess ist polnischen Ursprungs, nur wenige großrussische Familien sind hier ansässig. Bei den Kleinrussen und Nothrussen (Nussinen) hat es, wie nach Procop ursprünglich eigentlich bei allen slavischen Völkern, nie einen einheimischen Adel gegeben. Erst als die Großfürsten von Lithauen diese Länder eroberten, und Lithauen sich mit Polen vereinigte, ist polnischer und lithauischer Adel in diese Länder eingedrungen. Die Zeit und Art, wie dieö geschehen, ist geschichtlich noch nicht aufgeklärt. Daß cr eingewandert und sich ansässig gemacht hat, mag sich leicht daraus erklären, daß diese fruchtbaren Landstriche zum großen 4dl Theil durch die Verheerungen der Mongolen und Tataren wüst und unbebauet lagen, weshalb auch namentlich die Einwanderung der Schljachta (des niedern Adels), die mit eigner Hand bauete, und sich meist gemeindcnweise ansiedelte, leicht erklärlich ist. Aber schwerer zu erklären bleibt, wie die Leibeigenschaft der früher freien Russinen entstanden ist, wie der höhere, der guts-hcrrliche Adel sich hier große Gutsökonomien eingerichtet und die russinischen Dörfer diesen gutspstichtig gemacht haben möchte. Weder die Geschichte noch die Gesetzgebung Polens geben hierüber Aufklärung. In Kleinrußland auf der linken Seite des Dnjepr war nur sehr wenig polnischer Adel eingedrungen, in die Kosakcnländcr gar nicht. Hier aber hat die Kaiserin Katharina vielen ihrer Hofleute Bauern geschenkt, und diese sind, vorher frei, der russischen Leibeigenschaft verfallen. In diesen Gegenden grenzt der russische und polnische Adel an einander und wohnt häusig gemischt. In den Kosakcnländcrn haben aber auch viele ehemalige KosakenoMcre, die einen russischen Tschin (Nangclasse) erlangten, den erblichen Adel erworben, und bilden nun daselbst einen angesessenen Adel. Der polnische Adel war hier in Podolien und Wolhynien in derselben Stellung und denselben Verhältnissen, wie im östlichen Galizien, wo ebenfalls dic ursprüngliche Bevölkerung aus Nussinen besteht. Die Behandlung der Länder von Seiten Nußlands und Oesterreichs ist aber cinc verschiedene gewesen. Oesterreich hat den gutsbesitzenden polnischen Adel namentlich in Bezug seiner Verhältnisse zu den Bauern nicht begünstigt, er hat die eigentliche Leibeigenschaft derselben nicht, sondern nur die Gutopsiichtigkeit derselben anerkannt, diese aber durch Gesetze, welche freilich theilweise nicht zur Ausführung gekommen sind, rcgulirt und festgestellt. Dabei soll der Adel sehr hohe Steuern zahlen müssen. *) In den russischen Landcs- ') Ich bin nicht in <^a!izirn gnvrsn,, taun d,chn, waö ich hier sas,c, nichl stil'st velbüigm, allein es wcnd mir von pulmschcn Odcllmtt», die in Pl'dolwl mid zuglcich n, Cializim brgüttl't waieu, misichnt, d,c Wcld ab.M'M m «Nalizim scim lm Vcrhällmssc der nicdrigm Prcisc alln Pro-duttc ft l,u'ch, das- sic die Land,e»te flist absmbircn; del Erzherzog sscnl 3l 482 theilen dcs ehemaligen polnischen Ncichß, welche von Russiin'n be>rol,nt werden, hat das Gouverneinent don gutsbeslhenden polnischen Adel in Bezug auf seinen Grundbesitz sehr milde behandelt, und behandelt ihn noch so. Da dic russische Gesetzgebung eingeführt ist, so ist der hiesige Adel durchaus in derselben günstigen Stellung wie der russische. Die Leibeigenschaft seiner Gutsunterthanen ist unbedingt anerkannt. Wenn auch gesetzlich die Willkür in Bezug auf die Zahl der Frohnden auf drei Tage wöchentlich eingeschränkt ist, so ist dem Herrn hierdurch doch im Grunde gar kein Recht genommen, denn es ist fast eine Unmöglichkeit, mehr Frohnden zu nehmen, »renn nicht der Bauer sein eigenes Feld unbedauet liegen lassen und also verhungern soll. Patrimonialgerichtsbarkcit, die im österreichischen Galizien noch vorhanden ist, eristirt jedoch in den russischen Landstrichen nicht, allein der für die materiellen Interessen wichtigste Theil derselben, die Polizeigcwalt, ist dem Adel belassen. Die Patrimomalgcrichtsbarkeit hat in Gallien für die Gutsherren gar keinen Werth, sie wird pon seinen Mandataren und Factoren geübt, und giebt diesen scheußlichen Blut-igcln des Landes nur neue Gelegenheit, die Bauern für Rechnung des eigenen Beutels zu drücken und zu plagen. Sie giebt zugleich neue Veranlassung dcs Hasses gegen den Adel. — Der polnische Adel zahlt hier gar keine Abgaben, so wenig wie der russische, er wird auch nicht einmal indirect hiezu herangezogen. Wenn nun auch der gutsbesitzcndc Adel hier noch keineswegs Altpolen vergessen hat, so ist dies doch viel weniger der Fall als beim galizischen. Während der Revolution von l^tl war daher der hiesige Adel wenig implicirt. l5s mögen etwa 27,000 bis .'t0,000 Bauern in diesen altpolnischen Landstrichen confiscirt worden sein. Das deutet aus eine geringe Zahl derer Hain- d!'t!haw vo,' tinigrn Iahvn, M di>- Koüipnisr schr m.'dn^ sian-tm, drin t^ül'cimllm li»g>'l>lM„, dic MiM, w»'k!>l' rr in Walizil» brsitzt, z» >'»'di»en, dmn dic hütlm ihm nich! l'k'ß gm mchls eingebracht, so» drin rr habe zuschttßcn müsse». Neliltn rosei-u! — Daß ein Vrzher-zog »icht cillzuviel rciür Nsvcnücu voi, fti,,^, (^iitcln hat, ist auch olme-dem begreiflich! — 483 hin, die sich damals compromiltirt haben, Der Theil des Adels, der zugleich in Galizien und hier mit Gutem angesessen ist, wohnt daher meist hier, wo er sich weniger gedrückt glaubt. Dabei hat sich die finanzielle Lage des hiesigen Adels unter russischer Regierung besonders durch die Entstehung Odessa's und des dadurch sich ungcmein hebenden Kornhandels sehr verbessert. (5s herrscht daher beim Adel viel mehr Sympathie^ für das russische als für das österreichische Gouvernement. Eine Bemerkung, die ich 1^4-'j zu machen Gelegenheit balle, und die sich 1K4<> glänzend bewährt hat. Anders steht es mit der Schljachta (dem polnischen niedern Adel.) In ihm steckt ein viel tieferes Nationalgefühl, als im französisch gebildeten abgeglätteten höheren Adel. Er ist völlig ungebildet, weniger als etwa unsere Bauern, er ist arm und roh, aber stolz*) und tapfer wie man es nur sein kann! — Cr hat sich in allen altpolnischen Provinzen MN tics in die Revolution eingelassen und verwickelt. Dies gab dann wohl später Veranlassung zur Revision seiner Verhältnisse. Er sollte seinen Adel beweisen durch Documente oder sonstige staatliche Anerkenntnisse. Das vermochte er natürlich nicht, so ward er dann größtentheils degradi'rt. Er erhielt die in russischen Gesetzen begründete Stellung der Odnoworzen. Saßen die ehemaligen Schljachtitschcn auf eigenem Lande, so wurden sie Wol-neludi (freie Leute) genannt, die keinen Obrok zahlten, aber wohl Kopfgeld, und mililairpflichtig waren. Saßen sie auf Kronlandc, so wurden sie ganz wie andere Kronbauern angeschen, die zwar persönlich frei, aber militärpflichtig sind, und Kopfgeld und Obrok zahlen müssen. Saßen sie auf Ländercien der Gutsherren, so zahlten sie Kopfgeld und Tschinz (unser deutsches: Zins) und waren also persönlich freie Zinsbauern. Die ursprünglichen Bewohner, die Molorussiancn (Kleinrussen) und Russinen (Nolhrussen), hatten nur geringe Sympathien zum polnischen Gouvernement und haßten eigentlich ') El hatte in dltpvlmschcr Znl das Gtsiihl dcs Naökm, dri vl'ii sich sagt: „(In !>if dm alk'idmgS lmcrmcsilich wichiigm Pmilt, den Echlllslsimi deß Wanze», die Anerkennung deö Papsteß, als On!,'»,» uni-llUi», geht aus H nicrkwm'digen Villcinmqtil i,ber die UniNe» hervur. Der Papst !,a, siets erklärt, daß das Dogma der Unirten vollständig katholisch sei, und das: sie in Bezug aller ihrer kirchlichm <5imich>N' «i vie ivir ihn in Deutschland fast überall m,d auch ill einem großen Theile des übrigen Europa finden. Es ist, "lö ob bei der ersten Besitznahme des Bandes von Seiten der Polen und Lithauer dasselbe, wie Engsand von Wilhelm dem Eroberer, in eine große Zahl kleiner Territorien eingetheilt und diese an adelige polnische Familien verliehen worden seien. Diese Territorien heißen hier Klntschi (Schlösser oder Herrschaften). Ein solches Klutsch besteht außer dem Herren-Hause nebst Park :c. aus einer Anzahl von Vollwarks (offenbar eine (^orrnmpirung dc5 deutschen Worts Vorwerk). Vollwark bedeutet im wcitern Sinne ein Oekonomiegut mit seinen Aeckern,' Wiesen und Weiden und dein dazu gehörigru Dorfe, auö welchem die i/eutc ihre Frohndcn bei diesem wüte leisten müssen; im engern Sinne bedeutet es den (HutsHof, das Haus des verwaltenden Dekonomen nebst Viehställen, Scheuern, Magazinen. Der Acker eines Vollwarks ist in drei Felder getheilt, und in den sehr fruchtbaren Gegenden gehört dann die Hälfte, in weniger fruchtbaren desselben V,, und zwar in jedem Felde, an den Gntöhof, die andere Hälfte, oder die andern -/,, sind unter die Bauern ver!heilt. Die Einlheilung der Bauern nach ihren Besitzverhältnissen und Frohndepsiichtcn ist schon oben angegeben. Bri den kleinen Vollwarks ist die Eintheilnng meist nur nach Tjagli (Svanndirnstvsiichtige) und Piesche (Handdienstpslichlige). Hin nnd wieder findet sich auch noch eine dritte Elasse, die der Galupniki, die nur ein Haus und nicht einmal einen Garten besitzen. Wenn man die ganze ländliche Versassung dieser Landcs-theilc studiren wollte, so könnte man dies sich sehr erleichtern, wenn man aus jedem Kreise eine Anzahl sogenannter Inventarien durchsähe nnd unter einander vergliche. Inventar bedeutet hier die detaillirte Beschreibung eines Klntsch, oder auch nur eines einzelnen Vollwarks, in der Art, wie sie auch in Deutschland bei Anschlägen zum Verkauf oder zur Verpachtung eines Landguts, bei gerichtlichen VerHand- 486 lungen, Erbschaftöthcilungen ic. aufgenommen werden. Lin solches Inventar enthält cine genaue Beschreibung des Territoriums eines Klutsch oder Vollwarks, Aufzahlung der Län-dereien, Angaben ihrer Größe, Aufzählung dcr Bauern und sonstigen Bewohner des Dorft, ihrer Dienste, Leistungen und Abgaben, deren Bemessung, dcr ihnen dafür überlassenen Grundstücke :c., kurz ein solches Inventar giebt ein anschauliches Bild des ganzen Landlebens einer Gegend. Bei jedem Gutsbesitzer findet man solche Inventarien seiner Besitzungen. Die Sitte, sie aufzunehmen und zu haben, ist wohl von Deutschland herüber gekommen, aber sie ist schon uralt in Polen. Reichstagsconstitutioncn aus dem 10. Jahrhundert erwähnen ihrer'schon als bestehend. Dic Sitte überschreitet aber nicht die Grenze des alten polnischen Reichs, in Rußland findet sie sich nirgends. Schon in uralter Zeit gab es deutsche Colonisten durch ganz Polen zerstreuet*). 6s war ihnen bei ihrer Einwanderung gestattet, nach ihrem eignen Rechte, welches in den polnischen Konstitutionen den Namen Insteutonicum führte, zu leben. Von ihnen, die den Polen in dcr Landwirthschaft weit voraus waren, haben diese wahrscheinlich die Einrichtung der Landgüter, der Baucrnvcrhältnisse, der Frohndenverfassung lc. gelernt und angenommen, und damit wohl auch die Sitte dcr Inventarien. Da der polnische Adel sich durchaus nicht selbst mit dcr Landwirthschaft befreunden konnte, so verbreitete sich nach und nach allgemein das System der Verpachtung. Es *) In diesen jetzigen westlichen oder allpolnischcn Gouv. finden sich in dcn Städten, schon aus dem Mittclaltei her, deutsche Liuwohncr, dic ihn-Sprache und Sittm, aber selbst ihre Rcchtsgewvlmhcitcn, und organischen Einrichtungen, z. B. ihre Zunftverhältnisse, hciiibcrgebracht und behalten haben. Ebenso sind cmf dem Lande l'icle alte deutsche ssolonicn, die einen Zins an die Krone zahlen, übrigens aber ganz deutsche Dorf-eimichllMgen, Hauö« und Familicnucrfassung haben. Hier erb« z. B. der jüngste Sohn den Hof, wenn der Mter nicht andcrS bcstmim«. Hmtcilä'sit der Bmicr blusi Wittwen und Töchlcr, so hcirathet eine in den Hof hinein. Sind keine Wittwen und Kinder vorhanden, so erbt dit männliche Seitenverwandlschast n. Man rechnet gegen 17,700 Seelen in diesen allen Coloilien. 457 fanden sich arme oder verarmte Edelleute, die sich den Mühen der ^andwirthschaft unterzogen. Nach und nach meldeten sich aber mit großem Zudrang die Juden zu dicscm Geschäft an. Zuerst waren es wohl die Kirchcngüter und Krongüter, bei welchen das System der Verpachtung eingeführt wurde, *) aber bald war es allgemein verbreitet. Bei dieftn Verpachtungen und bei den sich hier spater sehr häufig findenden antichretischcn Verpfandungen musite nun zu gegenseitiger Sicherheit des Verva'chters und Pächters das Inventar nothwendig die Grundlage des Geschäfts und Contracts bilden. Durch den beständigen Gebrauch bei jeder Art von Uebergängcn der Landgüter von einer Hand zur andern, bei Verpachtungen, Verpfändungen, Tauschen, Verkäufen :c. gewannen die Inventarien das Ansehen öffentlicher Documenlc. Die Inventarien konnten natürlich nur für eine bestimmte Zeit richtig und ausreichend sein, die Verhältnisse der Landgüter änderten sich ja wie Alles im Leben. Sie mußten also revidirt werden. Diese Revisionen nannte man Lustrationen, ein Ausdruck, der sich in allen Acten, gesetzlichen Bestimmungen :c. findet. Diese Inventarien geben nun, wie man denken kann, sehr viel Aufklärung auch über die Verhältnisse der Bauern, und wir entnehmen ihnen in dieser Beziehung folgende Notizen. In den altpolnischen Provinzen besteht eine Art Normalmaß für die Große eines Bauernguts. Es führt den Namen Uwolka und ist migrfähr 7^ prcufiische Morgen groß. Ich glaube, man hat hiebei angenommen, daß dies daß Terrain ') Im Grosifürsimthum Lithauen wmdc da« Pachtsyskm bei den Krön-gütcrn gleich nach dn Vncinistmig mit Pulm cin^ffuhrt. Daö mssi-sche !lll zn zerschlagc,,, llnd Baucrgülcr mit Zinszahlung daraus zu bildc». 488 sei, welches ein Bauer mit seiner Familie und dem nöthigen Viehinvcntar aus eigenen Kräften neben seiner Frohnde zu bebauen vermöge. In den wenigsten Gülcrn ist jedoch den Bauern eine volle Uwolka übergeben, meist haben sie nnr ^ oder V, Uwolka, und eine solche Bauernwirthschaft heißt dann ein Tjagli. In der Negel sind die Tjaglis in einem Dorfe alle gleich ausgestattet, doch giebt es auch hin und wieder mehrere Abstufungen, wie ich oben angeführt habe. Stets aber sind in jedem Dorfe neben den Bauern auch die Gärtner (Agorvdniki),"') die bloß Haus und Garten, aber keinen Ackerbau haben. Die erstcrn haben für das dominirende Gut die Verpflichtung zu Spanndiensten, die lehtern zu Handdiensten. In Bezug auf die Dienstleistungen und Abgaben herrscht aber eine große Mannigfaltigkeit. Den ersten Nang nehmen die Ackerbaudicnste (Pantschina) ein. Sie sind entweder Prigoni oder Sgoni. Prigoni sind die gewöhnlichen Arbeitstage in der Woche, Sgoni die außergewöhnlichen, wo bei einer nicht aufzuschiebenden dringenden Arbeit, z. B. in der Heuernte, alle Arbeiter und Arbeiterinnen zusammen berufen werden. Dann kommen die Vaudicnste bei den Bauten und Reparaturen der Gutsgebäudc, der Brücken, Wege, Canälc und Gräben. Dann kommen die häuslichen Dienste, das Fällen, Hauen und Tragen des Holzes, Tragen des Wassers, die Aufsicht und das Futtern des Viehes :c. ^ - Alsdann sind die Fuhren aufzuzählen, das Verfahren des Getreides nach den Märkten, oft die lange Fuhr nach Odessa. Das AlleS sind Dienste der Männer. Die Dienste der Weiber bestehen in Spinnen und Weben der Leinwand und des groben Tuchs, im Bepflanzen, Jäten und Begicßm der Gemüsegärten, Melken der Kühe lc. Außer den Diensten kamen aber auch noch Naturalabgaben von Getreide, Hanf, Flachs vor, dann Hühner, (5ier, (inten, endlich Honig, Pilze, Beeren, Nüsse. Nach den Orten verschieden, hier diese, dort jene. ') D>c tMiwM'trhällmssl' M'M cinc qrosic Vnl'mllmq durch «pnz Pl'lm, ScI)I»sic», Vöhmm n. 489 Man kann auö dem Mitgetheilten wohl abnehmen, daß der Bauer in diesen Landstrichen schwer von Abgaben niedergedrückt ist, uiw lange nicht die factisch so freie Stellung der Obrok-bauern im eigentlichen Rußland hat. — Bei den Domaincn-baucrn ist es hier gestattet, daß sic ihre Leistungen in weld bezahlen, allein daö wird ihnen in der Regel noch schwerer. Zum Beleg und Verständniß des Vorgesagten will ich den Auszug aus einem Inventar eines Kronguts geben, der mir mitgetheilt ist, *) und der, obgleich er etwaö unvollständig extraHirt ist, doch einigermaßen ein Bild der dortigen landwirth-schaftlichen Verfassung giebt. Das Gut der Nosscwskischcu Starostci im Kreise Rado-mlissl im Gouvernement Kijcw. Die lchte Inventaraufnahme von 1833 war auf Grund der Lustration von 17W vorgenommen. Die Rossewskifche Starostei bestand aus folgenden Ortschaften: Der Flecken Rossewo mit einer bäuerlichen Bevölkerung von 2.'!^ DasKirchdorf^ytnakow/, „ „ „ „ 208 Das Dorf Ncbelitza . . „ „ ., „ „ 178 Das Dorf Vorofka . . „ „ „ „ „ 75 Das Dorf Kvmarofka . „ „ „ „ „ 70 Die Slobod Schmurofka „ „ „ „ !2 Dic Slobodc Komarofka-Pydrcn „ „ „ .'!<> Die Slobode Komarofka-Tische „ „ ,/ !5 Die ganze Starostei mit einer bäuerlichen Bevölkerung von 827 in 1(i7 Familien, darunter 414 arbeitsfähige Männer. Ausier dieser bäuerlichen Bevölkerung lebten aber in der Starostei noch Bürger, Juden u. Die ganze Bevölkerung, nach ihren Rcligionöverhältnisscn geschieden, betrug: '1 Derselbe 'st jrdoch so imlcsnlich ^cschricl'en, daß ich vorzi'l.siich ,„ Brzu.i 1tichl,qkril dn Echrcil'liug cinzusilhrn 4W Griechische Z D Z 8 Z 8 R Msässiac V.unli,..... 829 813— — _ — ?t i ch t ansässige Edcllcutc .... l I — — __ _ 2 « ohnc bestimmten Sland ,r, . . . — — 19 3 — — 22 „ vl'rabschit'dctcEuI' dlitcn...... 3 1 — — — — 4 „ Soldaten mif mi-bestimmlcii Ur-lciub...... 4 2 — — — — (i „ I^ulcn,..... a 5i — — — ^ <> „ jiauflnilc.... - — — ^ 3^j 29 62 „ Mcschttschani «hli-ste>,...... 44 39 — — — .- 83 „ Juden..... — — — — 47 s.N 107 966! 927 47 33 142! 153 22Ltt Im Jahre 1tt35 ward ermittelt und festgesetzt, daß zl>r Bc-fviedigimg des Ia>idwirthschaftlichen Bedlirfnisscs der Vollwarkü an Frohndcn der Bauern nöthig seien 0 Spann- und 120 Fußtagc kommen. Die Revision von 1835 vertheilte hienach die Frohnden so, daß auf jcde Bauer-ftnnilie 104 gewöhnliche Frohndetagc und außerdem 10 Som-mcrhülfstagc und 12 Scharwerkötage kamen ^). Da gesetzlich von dcr Familie wöchentlich 3, also jährlich 156 Frohnden geleistet werden müssen, und dieselben nur, wie vorstehend angegeben, 12l> Tage leisteten, so ward ihnen zur Ergänzung der Arbeitstage ein Zins auferlegt und auf die Familien vertheilt. Dieser ZinS ward festgestellt, daß sie insgesammt zahlen sollten <^tt5 poln. Gulden — 132 3iub. 75 Kop. S. dazu kamen Wegegelder (?).....75« „ „ ---113 „ 40 „ „ (?) (unleserlich) . . . 190 „ „ --- 29 „ 40 „ „ ZinS v. Bienenstöcken 55, „ „ -- 8 „ 25 „ „ Der höchste Zins, den hiernach ein Bauernhof zahlte, betrug 60 polnische Gulden, der niedrigste 2 Gulden. Außerdem mußte jeder Hof an Naturalien liefern: 100 Pilze oder 1 Gulden, 2 Kapaunen oder 15 Groschen, 10 Eier oder '/« Kop. Silber, und die im Walde Wohnenden 2 Tschetwcrik Hafer oder 20 Kop. Silber. Im Jahre 1^35 ward die Oekonomie dcr Sta-rostei in Arrende (Pacht) gegeben. Nach dem Pachtanschlage betrugen die Gutöcinkünftc: vom Ackerbau und den Heuschlä'gen 1200 Nub. —Kop. Silber vom Branntwein Aufkommen . . . 717 „ 34 „ „ Pacht von den Krugen und Mühlen 1050 „ — „ „ (?) (unleserlich)........... 29 „ 40 „ (?) (unleserlich)........... 10 „ 50 „ „ Wegegelder............. 113 „ 40 „ „ Zins von den Bauern....... 132 „ 75 „ „ ZinS von den Nichtbauern..... 193 „ 20 „ „ Zins von vcn Bienenstöcken .... 8 „ 25 „ „ Summa . . 3453 Nlib. l4 Kop. Silber. ') Im Invmtai isi l'tmcrki, dlisi dic gclcistctcn Flohüdctagc allc 14 Tagc ailf Keiicholzcm ringcschinllcn würdcn. Älft «,u>ch dnsr Siltc ist v»n Deutschland hnübcr gell.'mmcn! 492 Das Territorium der Starostei bestand mis- Terrain der Gebäude, Höfe und Gärten . , . , 'N!> Dessj. Unter dem Psiuge, Bauernland......... -N^0 ., Unter dem Pfluge, Gutsland.......... 445 „ Heuschlägc der Baueril.............. l 14,^ „ Heuschläge des Gutö............... !!(»? „ Unbrauchbares Terrain, Wcgc :c......... VW „ Wald, dcr Admiralität I^IX zugewiesen .... l4 „ Streitig mit Privaten, unbrauchbares....... 102 „ Streitig mit Privaten, Wald...........4900 „ Dcr Ackerboden ist sandig, dergleichen der Waldbodr«» deö Nadelholzes der des ^aubholzes und der Hcuschläge ist schwarzer Humuö. — (beackert wird mit Ochsen, selten mit Pferden. Gedüngt wird nur in den Gärten lind auf den nahe liegeuden Feldern. Die Gemeiildcabgaben betrugen für dic männliche Seele 27 Kop. Silber. Das Gouvernement beabsichtigt, wie oben augeführt ist, allmählich die Domaincngütcr oder doch cinen Theil derselben zn zerschlagen, die Bauern auf denselben anzusiedeln und allen Bauern einen festen Geldzins aufzuerlegen. Zu dem (5nde sollen die sämmtlichen Inventarc rcvidirt und vervollständigt werden, dann sollen überall Lustrationen vorgenommen werden, d. h. alles Land wird vermessen, catastrirt, die Leistungen der Vauern in Bezug alls Entstehung und Dauer untersucht, die Frohnden aufgehoben, und statt deren ein Zins aufs Land nach der Bonität und den Arbeitskräften gelegt. Wenn auf diese Weise cms den VollwarkL eine Zahl Bauerngüter, ganze und halbc Tjaglis gebildet sind, dann wird mit den Bauern selbst über die Uebernahme cincö solchen Bauernguts unterhandelt. In jedem Dorse oder bei irden, Bollwark ist also die Grösic der Bauerngüter verschieden, diese wird nach dem ungefähr angeschlagenen und angcuommenen Bedürfniffe der zur Ueber- 49.'! nähme zu berufenden Bauern abgemessen. Die Güte oder Magerkeit des Bodens muß hirbei natürlich auch berlicksichtigt werden. Der Bauer übernimmt mm nach seinen physischen (incl. seines Viehstandcö) und geistigen Kräften. Ist er gesund und kräftig, hat er in seiner Familie arbeitende Hülfskräfte, bat er einen hinlänglichen Viehbestand, gute Ackerwcrkzeuge, st' übernimmt er ein volles Tjagli, ja wohl 1'/, oder 2, sonst nur ein halbes. — Besitzt er aber auch nichts und ist er nur gesund, kräftig und steißig, so überläßt ihm der Domainenhos, bloß etwa auf das Zeugniß des Akruschnoi, ein vollständiges Wirthschaftsinventarimn als Vorschuß, oder als eisernes. — Nur wo Grund und Boden überflüssig vorhanden ist, bleibt das Arrcndcgut bestehen, oder es wird ein neues gebildet. In diesem Falle wird den dazugehörigen Bauern die Wahl gelassen, ob sie auf Frohnden oder auf Obrok gesetzt sein wollen. Der festzustellende Obrok sott auf '/a des zu ermittelnden Reinertrags angesetzt werden. Diese Lustrationen hatten, als ich dort war, begonnen, es waren vorläufig etwa 5l) Feldmesser beschäftigt. Bei 1l Dörfern war die neue Ordnung der Dinge bereits völlig eingerichtet. — Der Unterschied zwischen unserm modernen Kataster und dieser russische olnischen Lustration besteht darin, daß das Kataster die Vermessung und Schätzung ll priori nach innerm Werth, nach rationellen Grundsätzen, die lustration aber eine Vermessung und Schätzung mit Berücksichtigung der vorhandenen Arbeitskräfte ist. Sie ist die natürliche und angemessene Schätzung für Gegenden, wo Leibeigenschaft herrscht. Wie alt die Leibeigenschaft in diesen Gegenden ist, ist, so viel ich gehört habe, bis jetzt geschichtlich noch nicht aufgeklärt. Unstreitig reicht sie wohl nicht höher hinauf als bis zu dem Zeitpunkte, wo diese Länder von den Großfürsten von Lithauen erobert wurden, ja vielleicht hat sie sich erst nach der Vereinigung Lithauens mit Polen entwickelt, da sämmtlicher Adl'l auö Polen besteht. — Selbst in Polen soll übrigens die eigentliche Leibeigenschaft erst in historischer Zcil entstanden sein. Der Bauer war in srüher Zeit nicht rechtlos, er nannte sich daher auch selbst Kmet oder Mann! Das russische Gouvernement hat auch hier Einiges gethan, 494 lim der Willkür der Herren entgegenzutreten. In der letzten polnischen Zeit soll sie völlig illimitirt gewesen sein, man forderte so viel Frohnden als man wollte, nur das Interesse, die Bauern einigermaßen zu erhalten, beschrankte den Willen. Man erkannte nicht einmal die Pflicht der Ernährung des Leibeignen an. Die russische Gesetzgebung schränkte die Frohndcn auf A Tage in jeder Woche als Maximum ein, sie verbot jede persönliche Mißhandlung, schränkte die polizeilichen Strafen bis auf 5 Prügel als Maximum ein. Aber freilich ist dem leibeignen keinerlei Art von Klagrecht gegen seinen Herrn beigelegt. Dieser und ihr Betragen sollen von dem Ispravnik, der in diesen Landstrichen nicht vom Adel gewählt, sondern vom Gouvernement gesetzt wird, überwacht werden. Bei vorkommenden Fällen beruft der Gouverneur die Adelsvorimmdschaft, den Vicegouverncur, Adclsmarschall und einige Besitzer, und der Schuldige wird unter Curatcl, sein Vermögen unter Administration gesetzt. — Daß dies nur eine schwache Garantie gegen Willkür ist, begreift sich leicht. Es giebt natürlich auch sehr wohldcnkende Edelleute, die ihre Gewalt über ihre Leibeignen benutzen, um sie geistig und sittlich auS ihrer Verkommenheit zu heben. Ein Herr von Poniatowßki und einige andere intelligente Landwirthc haben ihre Leibeignen so gut erzogen, vom Trunk entwöhnt, ihre Gc-schicklichkcit erweckt und geleitet, großen Fleiß hervorgerufen, daß sie der letzten Ursachen halber ohne eignen Schaden die Frohnden um '/, haben ermäßigen können. Einige solcher Gutsherren haben in neueren Zeiten eine Art Dorfgerichte bei ihren Bauern eingeführt, welche ihre Streitigkeiten unter einander schlichten, auch Polizeivcrgehcn und Vergehen gegen die Gemeinde bestrafen sollen. Man hat bemerkt, daß die Bauern als Beisitzer dieser Gerichte äußerst strenge abcr gerechte Urtheile fällen. Die höhern Behörden wissen nm diese sonst nicht gesetzlichen Einrichtungen, haben sich von ihrer Nützlichkeit überzeugt, und ignoriren sie daher amtlich. — Es sollen übrigens auch noch hin und wieder Spuren von Volksgcrichtcn aus der ältesten Zeit sich sinden und erhalten haben. Leider ist der größere Theil deL hiesigen polnischen Adels 497, theils roh und ungebildet, theils, und das ist das Schlimmere, auf französische Art überglättet l«nd übcrbildet, ja verbildet. Der reichere Adel wohnte sonst im Winter hier in Kijcw, jetzt zieht er sich meist nach Odessa, wo er freier leben kann, und namentlich Gelegenheit zu Hasardspielen °^) findet. Früher war in Kijew besonders die sogenannte Contractenzeit glanzend. Im Januar versammelte sich dort der ganze Adel, um seine l5on-tracte über Kornlicferung, seine Anleihen, seine Tausche und Verkäufe der Güter :c. abzuschließen. Auch dies geschieht jetzt mehr und mehr in Odessa, wohin sich der Hauptkonchandel conccntrirt. Man klagte auch, jene (5ontracte seien früher mehr auf Treue und Glauben nach polnischem Recht und alten Gewohnheiten abgeschlossen, das hatte ihnen eine große Sicherheit verliehen, es sei fast undenkbar gewesen, daß sie gebrochen und verletzt wären. Jetzt fordere man die Formen des eingeführten russischen Rechts, und da haben Treue und Glauben aufgehört. Ein großer Theil zieht es daher vor, jetzt auf seinen Gütern selbst die Lontratte abzuschließen, wo sie dann ihren alten Formen treu bleiben. Ein großes Uebel, womit die Gutsbesitzer zu kämpfen haben, aber auch ein qroßes Hemmniß alles Verkehrs ist der gänzliche Mangel an Geldcrcdit. — Der gewöhnliche Zinsfuß hier wie in Rußland uud in Odessa ist N» bis 1'/^, ja bis 2 Procent m onatIi ch. Der hiesige Adel ist im Ganzen aber doch wohlhabender alü früher. Er hat keine Gelegenheit mehr, im Auslande zu verschwenden, er ist jetzt gezwungen mehr auf seinen Gütern zu leben. Die durch das Ausblühen von Odessa so sehr erleichterte Kornauöfuhr hat seine Rcvenüen ungemein gehoben. Welchen Unterschied die Entfernung vom Meer und schlechte l^omnnmicationömittel m Bezug auf den Werth der landwirth-schaftlichen Producte, und somit auf den der Landgüter selbst üben, mag man daraus ermessen, daß man bei Kijew die Re-Venüen, welche der Besitz von 500 Bauern gewahrt, auf 20,000 ') Diese hei-i-schtm fnihrr in injrff so, d.iß stllsi die PM'röbmgtt hirrln'r tame», um oicsm, lwnnlünm Vcrgniigm zu fröhnm. 490 Nubel Banco anschlägt, bei Odessa aber auf 50,000 Rubcl Banco und nach diesem Maßstabe Güter kauft und verkauft. Die Einthcilung des Landes in Klutschi ist tief in die Tradition des Volks eingegrabcn. Die meisten Klutschi sind längst zersplittert, getheilt, verkauft, vertauscht, allein das Volk bezeichnet noch immer jedes Dorf als zu dem und dein Klutsch gehörig. Wir hatten Gelegenheit, dies zu bemerken als wir durch einige Güter und Dörfer kamen, die zu Klutschen gehört hatten, welche einst der reiche bizarre Pototzki besaß. Er verschenkte zuweilen ein Bollwark oder ein Dorf an den ersten besten! Er besaß 200,000 Bauern, das Vermögen war aber bei seinem T^)de so zusammengeschmolzen, daß jcdcr seiner sechs Söhne nur ungefähr 30,000 erhielt. Die Juden, die außerordentlich zahlreich sind, nehmen hier zwei Arten von sozialen Stellungen ein. In den Städten, besonders den kleinen, bilden sie die Hauptbevölkrrung, alle Gewerbe sind in ihren Handen. Auf dem Lande dagegen sind sie das Factotum des Adels. Noch vor einer Reihe von Jahren konnte der hiesige Edelmann und seine Familie gar nicht eri-stircn ohne ihren Juden, ihren Factor. Bedürfte er irgend etwas, irgend einen Theil seiner Kleidungsstücke, irgend einen physischen Genuß, bedürfte er Leute im Dienste, hatte er Geschäfte, sollte er vor Gericht erscheinen, er bekümmerte sich nie selbst, der Jude mußte es thun, der Jude mußte ihn vertreten. Der Jude administrirte jedes Landgut, der Jude pachtete die Dckonomie, die Mühle, die Brennerei, den Krug. Selbst die innersten Familicnverhältnisse gingen durch seine Hand, er stiftete die Heirathcn, er unterhandelte und contrahirte das Hei-rathsgut :c. — Etwas hat dies wohl in neueren Zeiten abgenommen, doch ist es immer noch arg genug. Die schlimmste und für das Land verderblichste Thätigkeit entwickelte aber der Jude in dem Branntwcinsverhältnisse. Das Brennen des Branntweins ist Monopol der Gutsherren, der Krone in ihren Dörfern, und der Städter. Die Gutsherren unterhalten entweder selbst Brennereien, und da haben sie dann erstens entweder Propinatia, d. h. sie halten selbst Kruge, die sie durch geschworene Leute administriren lassen, und dort ihren Branntwein in Detail verkaufen, oder zweitens Arrenden, d. h. 497 der Gutsherr verkauft seinen Branntwein nur «» ^rn», giebt allenfalls seinen Arbeitsleuten in Abrechnling, aber sonst nicht, im Detail ab, und hat seine Kruge an seinen Factor (und dieser meist wieder an kleine Juden als Aftcrpächter) verpachtet. Oder der Gutsherr hat die Brennerei selbst an den Juden verpachtet, und zugleich seine Kruge. Er selbst aber hält sein Korn für die theuren Hungerjahre zurück. Ucbcrall, aber besonders bei diesem letzten Verhältnisse, wo Brennerei und Krug in derselben Hand eines Juden vereinigt sind, treten schreiende Verhältnisse, die abscheulichste Anleitung, Anrcizung und Verführung des Volks zum Trunk hervor. Die Regierung hat die Verpachtung der Brennereien an die Juden verboten, das Verbot wird aber nur zu leicht umgangen, der Jude tritt als Administrator auf:c. Die Regierung hat den Borg des Branntweins an die Bauern verboten, der Bauer braucht die etwa auf diese Weise gemachte Schuld nicht zu bezahlen, kann nicht darüber verklagt werden. Aber der Bauer selbst sieht diese Schuld sonderbarer Weise als Ehrenschuld oder GewissenLschuld an, und zahlt sie freiwillig stets ehrlich ab! — Hier finden sich auch schon Kartossclbrennercien, die in Rußland sonst noch nirgends votzkommen. Vor ungefähr 12 Jahren hatte man die Juden aus der Stadt Kijew wegen ihrer schlechten Führung nach vielfach vorangegangenen Warnungen gänzlich verwiesen. Sie dürfen dort keine Häuser mehr besitzen, keine Buden und Laden halten :c,, keine Nacht daselbst schlafen. Seitdem klagt man dort erbärmlich, daß Alles so theuer und schlecht sei, die Prellerei aller Handwerker, Kaufleute und Krämer ungeheuer, alle Waaren betrügerisch! — Im Gouvernement Kijcw findet sich die Grenze und Scheidelinie von vielen Dingen und Verhältnissen. Wie schon angeführt, scheiden sich hier die Nationalitäten der Russincn und Malorussiancn, hier grenzt sich der polnische mit dem russischen Adel ab. Die Nationaltrachten bilden hier mehrere Scheidelinien, der Dnjepr macht die Grenzlinie zwischen dem russischen D,uas und dem wohl von Deutschland nach Polen cingewan-derten Bier (in Kijcw und einigen andern Städten, wo viele Großrussen leben, haben diese feit Einverleibung des Landes 32 496 den Quas neben dem Bier eingeführt). Im Gouvernement Kijew hat sich in neueren Zeiten auch die Grcnzscheidc des Kornverkaufs gebildet. Der nördliche Theil von Kijew und Wol-Hymen bringt sein Korn zur Ostsee, nach Danzig :c., der südliche Theil zum schwarzen Meer nach Odessa. Auch die Wolle theilt sich so, der nordwestliche Theil derselben wandert zu den schlcsischcn Märkten, der übrige nach Odessa. Auch eine bedeutende Scheidelinie in der Stadtverfassung findet sich hier. In Rußland können bekanntlich nur Krone und Adel"') Bauern besitzen. Die russischen Städte besitzen nirgends Bauern und Dörfer. Besitzen sie, außer Weiden und Waldungen, auch Grund und Boden, der sich zum Ackerbau eignet, so thun sie ihn gegen Grundzins an Bürger oder Benachbarte aus, oder verpachten ihn, wie wir oben bei Ssa-ratow gesehen haben. Dies ist aber anders auf der rechten Seite des Dnjepr in den altpolnischen Gegenden. Hier galt nicht bloß deutsches (Magdeburger) Stadtrecht, sondern auch alle Verhältnisse hatten sich auf deutsche Weise ausgebildet, es eMirten von Uralters her Gilden und Zünfte, auch besaßen die Städte eigene Territorien, auf denen sie die volle Patri-monialherrschaft grade wie in Deutschland ansübtW, ja einige, wie Thorn und Danzig, waren eben so sehr unabhängig und hatten durchaus die Stellung der deutschen Reichsstädte. Auf ihrem Territorium hatten diese Städte Dörfer und Oekonomie-guter (Vollwarks) angelegt, die Bauern mußten an diefc Vollwarks Frohnden leisten, grade wie bei den adeligen Herrschaften. In Nußland besitzt der Adel nirgends Städte, er hat keine Städte auf feinen Territorien angelegt, konnte ihnen keine städtischen Rechte verleihen, und kann gesetzlich keine Herrschaft über Städte ausüben. Die Dörfer Iwanowa und Pawlowa des Grafen Schermetew haben mehr städtisches Aeußereö, mehr städtisches Gewerbe, sind volkreicher, mächtiger und reicher als -/- aller Städte Rußlands, aber sie sind nur Dörfer, haben ') Einige Obnodwm'zen, die Bauern besitze,,, sind offenbar ursprünglich adlige Familien, die durch irgend ein Geschick ihren Adel oder die Be-lvrisc deffelbm verloren haben. 499 keine städtischen Rechte! Würden sic Städte, so müßte Scher-mctew seine Rechte über dieselben verlieren. — Anders ist es auf der rechten Seite des Dnjepr. Hier hat der polnische Adel in Nachahmung des deutschen anf seinem Territorium Städte angelegt, ihnen städtische Rechte und Freiheiten verliehen, sich aber die Herrschaft, die Patrimonialgcrichtsbarkeit und meist auch einen Grundzins von den Häusern vorbehalten. Es sind durchaus die Verhältnisse der deutschen Mediatstädte. In der Regel sind es aber elende nur von Juden bewohnte Nester, wie ich oben eins, durch welches ich kam, beschrieben habe. 32'" Eine klcm-nissischc Vaucrxfamilic. XXVII. Abreise vm, Kijcw. Scheide dn- klein, nssischcn mid großrussischen Nlitionalitäl, Nieshin, Tal', alte dentschc (ilt»isse. Ore!l, dessen Bevölkerungs-Verhältnisse, Pybsische Beschassenheil, ^eibmMlhumsverhaltnisse. Li»' VraniitN'li,!plicht, die vrrftliirdcüc Tl'lmksncht dri Wcisniisscii, (^iosirilffm l»id Klmnilssm. Dic russischen Hliiltwritcr. Dic russischen jUnlflcutl'. D>c Hällser ill Orel!, dortige Lebensweise. Tula. Moskau. Vm l7. Octobcv reiscten n'ir von Kijcw ab. Der Anblick dcr Stadt vom andern Ufer des brcitcn Dnjepr ^) auf den Anhöhen des Bergufcrs ist wahrhaft majestätisch, und es qicbt wenig Städte in Nllßland, die man damit vergleichen kaun, etwa Nishni Nowgorod. Daß Land und das Aussehen der Dörfer bekommt auf dem linken Ufer des Dnjepr allmählich einen andern Charakter, wenn auf dein rechten Ufer die Höfe der Dörfer in unregelmäßigen Haufen zusammen liegen, wie die in Nord-deutschland, so tritt hier schon mehr die Regelmäßigkeit der russischen Dörfer, die laugen, graden Straßen :c. ein. Doch liegen die Gebäude in den Gehöften, nicht, wie in den großrussischen Dörfern, aneinandergereihet an den Straßen. — Die Dörfer auf der rechten Seite haben fast immer drei Ausfahrten nach den drei Feldern ihrer Feldwirthschaft hin, und dann ist nur die Ausfahrt nach dem Brachfelde hin offeu, die beiden '1 D''r D„,rpr, die alle Hchl'ide zwischen West-und Osieurupli, an desso, User» sich alt>,cr»!anischc Gallien srlmlte» lnibeu sullen, hat ungmm» riel ^minii qefllhrl. IedeS Volk, das lm seinen Ufern erschien, hat ilun einen Name» 301 andern sind durch Schlagbämne geschlossen, damit das Vieh nicht ins Winter- und Sommerfeld einbrechen kann. Auf dem rechten Dnjcprufer sind die Wirthshäuser in den Dörfern (alle von Juden gehalten) gerade so gcbauct wie in Preußen, Lithauen, Kurland und Livland, nämlich in seiner ganzen Construction das alte westphälische Baucrnhauü! In IudüMvnthshauZ in Podolicn. jene nördlichen Gegenden haben es wahrscheinlich dir deutscheu Ritter gebracht, und von da hat es sich wohl mit den Juden herabgezogen biö nach Bessaradicn! Auf dem linken lifer findet sich jenes nicht mehr, dagegen eine Art Hof und Gebäude, wie man sie wohl in der Mark Brandenburg findet, mit einer Durchfahrt nach dem Hofe. Angenommen von Fremdet, scheint Wirthshaus in Klmuußl.mt', gcgcbrn, w.ihrcnd Mst "l dcr N.'^l rie giosim Fliissc '!)" Nam>>,, r,.' wie z. B, dic D»„al>, dcr Rhciu. dcr Dmi. In P^l°zt, v^^'^u l82!,» ll. Sclle Il?5 wnrc», mn gN'Itt Z^hl von Nm»c>, 5cS DnjcPv an.,c- 502 es mir jedenfalls, die Einrichtung ist nicht auö russischen Sitten hervorgegangen. Die Außenseiten dieser Ein fahl Häuser sind geweißt, wie dics bei den Kleinruffen überall Sitte ist, die innern Seiten der (Hinfahrt aber nicht. In einer Menge kleiner Züge sieht man, daß die Klcinruffen mehr Schönheitssinn haben als die Großrussen, llcbcrall haben sie kleine eingezäunte Blumenbeete vor den Häusern, sie treiben mehr Gartenbau, besonders trefflichen Obstbau. Die Zaune um die Gärten sind besonders zierlich geflochten. Die Stange mit dem Amselneste fand ich aber hier nirgends. Nach dem Gouvernement Orcll hin findet sich wieder großrussische Anlage der Dörfer, meist in einer langen und breiten Straße, allein die Häuser hängen nicht siadtstraßenmäßig dicht zusammen wie bei den Großrussen, sondern es sind große nebeneinanderliegcnde Gehöfte. Die Klcinrussen sind nicht so gesellig wie die Großrusscn. Im Allgemeinen scheinen mir die kleinrussischcn Weiber hübscher und wohlgewachscner als die großrussischen, die klein und dick sind, dagegen sind die großrussischen Männer offenbar schöner. — Das Rindvieh ist hier klein, schwarz oder roth, man sindet hier nicht mehr die in ganz Südrußland verbreitete große silbergraue podolische Race. 6s herrscht hier gute Schweinezucht und ausgedehnte Gänsezucht. Am 18. October erreichten wir die Stadt Njcshin, die gegen 18M0 Einwohner zählen soll, darunter etwa dNOO dem Bürgerstande, 400t) dem Odnodworzcn- oder Kosakenstande angehören, die übrigen sind Adelige, Beamte, ziemlich viel Griechen und noch mehr Juden. Früher war dies ein bedeutender Han^ delsplatz, daher sich so viele Griechen hierher gezogen haben. bei Iornandes im vierten Jahrhundert: Kon^I^in vndi: I5r«c, bei Konstliniin. PorplMog. in, 10. Iahrhundrrl: 1>«l>.ip ro«, die Utzcn oder Turfomamu'N nannlrn ihn im l2. Jahrhundert: Uz-su, auf Pct. Visconti'« Karle l318: I^lum inÄ «! LIexo, in Iosapha, Barl>mo5 Reise l439: Elice, in ssouturini's Reise 1473: der Fluß, dcr iu ihrer Sprache Danambrc, i>, unserer Lcresse hnßl, in Johann dc L»^ Reise: L'Eri, cmf Graaoso Vcuinmsa Kallcn 14^0 und Hottom.ini Fnducc Karten 1497: (5icrc, m,f dcö Genuesers Vablisic Karten ^5il4! Lussem, auf den Kartm dcS ?lt!as anonynnis v»n Wolstnbüllcl: Bo-risiineS, Lusem, Orerc. 503 Noch jetzt ist hier nährend des Karnewals ein großer berühmter Jahrmarkt, den besonders die Kaufleute aus der Ukraine beziehen. In der Umgegend von Njeshin wird viel Taback gebauet. Derselbe wird im December und Januar zu Schlitten nach Riga verfahren, wo sich der Preis nach dem Begehr regulirt. Kann man ihn dort nicht unterbringen, so geht er nach Moskau oder Odessa, aber zu viel geringeren Preisen. Es giebt hier zwei Sorten. Der bessere und stärkere heißt Magworski. Er kostete in diesem Jahre nur 2>2 Rubel Banco das Pud, in andern Jahren war er auf 7—tt Rubel Banco gestiegen. Dir Bauern rauchen ihn hier unzubercitct, in Riga wird er aber dann besonders präparirt. Die zweite Sorte heißt Papuschni, sie kostete nur «0 Kop. Banco das Pud, in anderen Jahren bis 4 Rubel Banco. Das zum Tabacköbau bestimmte Feld wird alle zwei Jahre stark gedüngt, und dann fortwährend jährlich mit Taback bestellt, wcnn es dann aber nach einer Reihe von Jahren nicht mehr tragen will, wird eS zwei Jahre hintereinander mit Sommcrkorn bestellt, dann aber wieder mit Taback. Früher bauetcn fast nur die Kronbaucrn Taback, gegenwärtig aber auch die Gutsbesitzer in solchen Massen, daß der Ueberstuß den Mangel an Absatz hervorgerufen hat. Die Juden sind die Aufkäufer. Sie sind eigentlich nur in den Städten geduldet, in den Krondörfcrn nicht, in den gutshcnlichen Dörfern nur mit besonderer Erlaubniß der Herren, die diese jedoch meist verweigern. Die meisten hiesigen Domainenbauern heißen Kosaken und besitzen den Grund und Boden eigenthümlich, zahlen daher nur Kopfgeld, keinen Obrok. Obrokbaucrn giebt es nur in geringer Anzahl, ein Dorf derselben, Lossenska, soll sich jedoch durch Reichthum auszeichnen. Die gutsherrlichen Bauern im Gouvernement Tschcrnigow sind meist auf Frohnden, ^! Tage in der Woche, gesetzt; sie haben die großrussische Landvcrthci« lung nach Taiglos. Man erzählte uns, daß 30 bis 40 Werste von hier eine sehr alte, angeblich von Peter l. angelegte, deutsche Colonic von etwa .'ll)l> Seelen cxistire, die zwar in der Bauart ihrer Gehöfte und in den Haussittcn ihr deutsches Wesen erhalten, 504 im llebrigen aber fast ganz russisizirt sci. Von ihnen soll der bedeutende Tabacksbau dieser Gegend herstammcn. Auch führten sie zuerst den Kartoffelbau hier ein, der jetzt ziemlich allgemein verbreitet ist. Auf der Poststation Kamorofski hielten wir uns einige Zeit auf. Ich benutzte sie, um mich nach den dortigen Verhältnissen zu erkundigen. Das Dorf giebt einer Wolost im Kreise Borsna den Namen. Die Wolost zählt 5114 männliche Seelen, darunter 4457 Kosaken und 627 Kronbauern, die in 12 abgesonderten Dörfern zusammen wohnen, daher wahrscheinlich eine großrussische Colonic sind. Die Kosaken besitzen ihren Grund und Boden eigenthümlich, sie haben ihn seit langer Zeit nach Familien unwiderruflich getheilt, und bei Erbtheilungcn wird er zu gleichen Theilen unter den Söhnen vertheilt, die Töchter erhalten nur eine Ausstattung. Dieser Grund und Boden heißt Tschetwertniga semli im Gegensatz zum Duschewoi semli (Serlenland), womit das Land der Kronbauern bezeichnet wird, welches nach russischer Weise stets von neuem nach männlichen Seelen getheilt wird. Ob dies Verhä'ltmß das vorherrschende unter den Kleinrusscn ist, konnte ich nicht erfahren. Im Winterfclde ist hier der Weizen vorherrschend, im Som-mcrfeldc wird Gerste, Hafer, Hirse und Buchweizen gebauet. Won den mir mitgetheilten Monographien einzelner Orte dieses Gouvernements lasse ich hier zur Verglcichung mit denen anderer Gouvernements den Auszug von einer derselben folgen. Bochmatsch, ein großer Ort im Kreise Baturin, hat eine aus Kosaken und Kronbaucrn zusammengesetzte Bevölkerung. Kosaken männlichen Geschlechts gab es 1405, weiblichen Geschlechts KM, Kronbauern 461 männlichen Geschlechts und 363 weiblichen Geschlechts. Die Kosaken wohnten in 462 Höfen, die Kronbauern in 147. — Die Kosaken besaßen 3044 Dcssj. Acker, 284 Dessj. Wiesen, 105 Defsj. Wald und 104 Dessj. geschlossene Kämpe und Gärten. Auf jede männliche Seele kommen also 2'2 Dcssj. — Die Kronbaucrn besaßen 309 Dessj. Acker, 30 Dessj. Wiesen, 41 Dessj. Wald und 2« Dessj. geschlossene, Ka'mpe und Gärten. Alis jede männliche Seele kommt also 1 Dcssj. Eö herrscht reine Dreifelderwirtschaft, und es werden gebauct Winter- und Sommerweizen, Roggen, Gersie, Hafer, 505 Buchweizen, Hirse, Hanf, Lein und Rapps. Der Vichstand der Kosaken war 405 Pferde, 1275 Stück Rindvieh, 1550 Schafe, 8tt0 Schweine, 5000 Stück Federvieh. Die Kronbauern besaßen 100 Pferde, 502 Stück Rindvieh, 1050 Schafe, 420 Schweine und 2!)40 Stück Federvieh. Außer dem Ackerbau haben die Einwohner keine andern Erwerbsquellen, als die Tranßportübcrnahme von Salz aus der Krimm. Es sind die sogenannten Tchumackifuhren. Es werden dazn ausgezeichnete Ochsen von wolossischcr Race verwendet, die schwere basten tragen und vortrefflich ziehen. Die Wagen sind eigenthümlich gebaut und führen 1000 Werste weit 00 bis 75 Pud Salz. Früher warf das Fuhrwesen bedeutende Vortheile ab, es wurde die Fuhr auf 00 biß 75 Pud berechnet und bezahlt, der Tschu-mak lud aber oft 10N, ja 140 Pud. Jetzt wird es pudweise bezahlt, und da bringen dann doch noch ein Paar gute Ochsen einen reinen jahrlichen Gewinn von 140 Nubel Banco. Auch gesalzene Fische werden auf diese Weise vom Don herübergcholt und auf den hiesigen Märkten verkauft. Von den Einwohnern dieses Orts gehen jährlich etwa 2(10 ins Land der donschen Kosaken zur Heu- und Getreideernte. Jeder verdient 70 bis 90 Nubcl Banco als reinen Ueberschuß. Die Abgaben der Kosaken betrugen für die Seele: Kopfsteuer u. zur Erhaltung dcö Verkehrs (?) 1 Rub. 45 Kop. S. Für den freien Branntweinsbetrieb.... — /, 55 „ „ Dorfgcbühren (?)............'. . — „ 35'/» ,/ „ Zum Magazin der Gememve.......— „ 0 „ „ Eigentliche Gemeindcabgaben.......— „ 5!) ,. „ 3 Rub. '/.Kop.S. Die Abgaben der Kronbaucrn betrugen für die Seele: Kopfsteuer und Erhaltung des Verkehrs ' - und der Wege............— Rub. 05 Kop. S. Obrok.................. 2 „ 20 „ „ Dorfgebühren..............— „ 55'/, „ „ Zum Magazin drr Gemeinde.....— „ 0 „ „ ^ Gemcindcabgabcn............— ,, 5^ „ „ 4 Rub, 44 l/4 Kop. S. 50U Die Krone besitzt hier noch 92 Dessi. Acker und Wiesen, die besonders verpachtet sind, und eine Wassermühle. Dies dringt zusammen 420 Nudel Banco ein. Wir erreichten jetzt die Grenze des Gouvernements Orcll, welche auch so ziemlich die Grenze zwischen den Kleinrussen und Großrusscn dildet. Physiognomie, Körperbau, Bart und Kleidung zeigten dieß, doch waren natürlich noch allmähliche Uebergänge bemerkbar. Die Kleidung ist hin und wieder aus beiden Nationalitäten gemischt. Die Anlage und der Bau der Gc-höftc und Häuser sind noch meist klcinrussisch, die breite Seite der Häuser nach der Straße hin, eine Vorlaube, die Wände geweißt, aber die Anlage der Dörfer, die langen breiten Straßen, die Gehöfte dicht in einer Linie ancinandcrgrreihcl, zeigen bereits die großrussische Art und Weise. DaS Stationsdorf Sewsk war schon ganz großrussisch, die Häuser lagen hier mit den Giebclseiten an der Straße, sie hatten die gewöhnlichen großrussischen drei Fenster in der Reihe, ja an einigen Häusern fehlte sogar das mittlere, an dessen Stelle ein gemaltes vorhanden war; die Fenster waren mit bunter ^elfarbc angestrichen, das Haus aber nicht mehr von außen geweißt. Bei der Feststellung und Ziehung der Grenze der Gouvernements scheint man doch zum Theil auf reale und nationale Grenzen Rücksicht genommen zu haben, wenigstens scheint man die größeren Unterschiede der Grosiruffcn, Klcinrussen und Weißrussen im Auge behalten zu haben. Wir erreichten Ssiewsk, die südlichste Hauptstadt des Gouvernements Orell. Am südlichen Rande dieses Gouvernements ist die Bevölkerung sehr aus Klcinrusscn und Großrusscn gemischt, letztere scheinen aber dort erst colonisirt zu sein und zwar zum großen Theil durch abgedankte Soldaten. Das zeigen die Benennungen Peschc — Fußsoldaten, Muökctari -- Musketiers, Puschkari — Kanoniere, Rcutari — Reuter, Strelitzi; dann giebt es Klostcrbaucrn, Ockonomicbauem:c. Allein alle diese Benennungen begründen keine reellen Unterschiede, sie habe«, sämmtlich Kronland, und stehen in denselben Verhältnissen, haben dieselben Abgaben wie die Kronbauern. Nur die Klein- 507 russen, unter dem Titel Kosaken, haben eigenthümliches Land und zahlen keinen Dbrok. Die hiesigen Privatbaucm sind sämmtlich auf Frohnden gesetzt. Nur die kleinen und armen Edelleute wohnen hier auf dem Lande, die wohlhabenden in den Städten, die reichen in Moskau. Letztere lassen meist durch Bauern, Starostcn, seltener durch gelernte Verwalter ihre Güter admiuisirircn. Ueber die Administration eines solchen Guts in dem benachbarten Kreise Dmitriew des Gouvernements Kursk erhielt ich einige Notizen, die die Art und Weise einer solchen Verwaltung zeigen. — Das Gut hat ein Territorium von etwa «00(1 Dessj. Acker, Wiesen, Weiden und nothdürftige Waldungen. Es sind darauf U Dörfer angelegt. Das größte heißt Prelcpp, und daö ganze Gut führt davon den Namen. Es leben in diesen fache übersteigt, und erhält, jedoch abermals nur für eine bedeutende zu bietende Summe Geldes, dafür das Recht uud Monopol, ihn in einen, bestimmten Gouvernement zu festgesetzten Preisen im Großen und im Detail verkaufen zu dürfen. Dcr Pächter (Olkuptschik) verkauft dann auf seinem tzomtoir den Branntwein in versiegelten Tonnen und Flaschen theils an Unterpächter, theils an die Kabakinhaber (Wirthe). Der Branntwein auf dem Comtoir ist in dcr Regel noch qut, aber theuer, allein in dcn Kabaken wird er auf das Greulichste verfälscht, besonders dcr auf Tonnen, weniger natürlich der in dcn versiegelten Flaschen. ES wird zuweilen die Hälfte Waffer zugeschüttet, damit er aber berauscht, werden narkotische Kräuter, Belladonna, Taback :c. zugesetzt. Könnten die Trinker stets ganze Flaschen oder Tonnen kaufen, so würden sie natürlich weniger betrogen. Der Branntwcintrunk ist cin6 der größten Uebel, ja die wahre Pest des russischen Reichs. Ihn» entgegen zu treten, wäre eine dcr größten und heilsamsten Maßregeln des Gouvernement!''. Es liegen aber auch große Schwierigkeiten im Wege, denn die Branntwcinöpacht bringt unermeßliche Summen ein, die nicht entbehrt werden können und kaum auf andere Weise zu ersetzen sind. Auch steht die Sache in den Gouvernements, wo kein Kronmonopol herrscht, nicht besser, vielleicht noch schlimmer! In Bezug aus Trunksucht herrschen Natwnalverschicdeiihciten. Die ärgsten gleichmäßigsten Säufer sind die Weißrussen, und dieö Volk ist wohl eben in Folge dessen am meisten entnervt. Dcr Großrusse trinkt nicht beständig, nicht täglich, cö giebt viele, die Monate lang kein Glas trinken, die daß angebotene ') Frliber lMttu auch wohl (Yutöl'csihcr, srll'si hohe Beamte das Monopol gepachtet, als aber selbst ein Mclsmmschall lind rin Wmivrmcur eine solche Pacht ül'cnn'mmm halten, und dciS zu Ohren dcs 5laist»s «islan^tt, fand dcrstlbc es MlanMidig lind lieft ihnen die Wahl, ob sie ihre Stellen niederlegen oder die Pacht aufgebe» wollle«. Seitdem haben sich Adel und Vramle »>r>n d,lsn Pacht zlinxt^ezogen. I!3 514 Glas Branntwein nicht annehmen, aber dann kommen Zeiten und Verführungen, und hat er dann einmal einen Tropfen geschmeckt, so ergreift ihn die Trunkwuth (Sappoi). (5r trinkt dann ohne Aufhören Tage, ja Wochen lang. (5r vertrinkt Alles, was cr besitzt, sein Letztes! und das ist denn der eigentliche Prosit des Kabaks, so lange er noch einige Besinnung hat, erhält cr unverfälschten Branntwein, später aber verfälschten, es wevden ihm mehrere Gläser angeschrieben als er bekommen hat. Der Preis des Glases ist zwar überall festgesetzt, aber es werden Naturalien Korn, Brod, Talg, Flachs zu willkürlichen niedern Preisen angenommen :c. — Ucbrigcns sind die Bauern weniger trinksüchtig als' die Handwerker, daher diese auch selten auf einen grünen Zweig kommen. — Die Klrimussrn trinken beständig, täglich, aber meist mäßig, bei ihnen kommt der Sappoi selten vor, sie trinken sich nicht um ihre Besinnung, Dadurch, daß bei den Kleinrusscn kein Monopol herrscht, ist auch natürlich der Branntwein besser, hier auf der Grenze suchen daher die Großrusscn häusig diesen bessern Branntwein nach ihrer Seite hin einzuschmuggeln, aber hierauf stehen die schwersten Strafen, Sibirien und Soldatenwerdcn? - - 6igcnt-lich ein wunderlich Verhältniß in demselben Lande, bei demselben Volke, welches doch offenbar das Gefühl der Ungerechtigkeit »recken muß! Den Reisenden überfällt ein Grauen, wenn er diese unseligen Kronkabaken mit dem Doppeladler darüber sieht. Wir waren durch ein Odnodworzendorf gekommen, die Häuser und Gehöfte waren hübsch, das Ganze sah wohlhabend aus, aber unser Icmlschik, den wir über die Verhältnisse fragten, sagte: „Ja, das war sonst ein reiches Ddnodworzcndorf, aber seht ihr jenes kleine Häuschen mit dem Adler? es steht erst 10 Jahre, aber es hat alle die reichen großen Häuser schon aufgefressen!" Die Privatgutöherren brauchen die Kabakcn in ihren Dörfern nicht zu dulden, allein die Branntweinpächtcr verführen sie nur zu oft, erkaufen sich das Recht von ihnen, und steht einmal ein Kabak im Dorfe, so darf er nicht wieder abgebrochen werden! Das Wedro Branntwein kostete damals in Oreli, der gewöhnliche 10'-, Rubel Banco, der Spiritus N Rubel Banco. 7,l,", Zu gleicher Zeit kostete das Wcdro s. q. griechischen Weins (aus der Krimm, Bessarabicn, Podolicn) nur 9 Rubel Banco. (3in Arzt, ci>» Livländcr und geistvoller Mann, führte mich in der Stadt umher, wir besuchten besonders die Theile, wo die russischen Handwerker wohnten. — Hier, wie in vielen Gouvernements, gehen die Handwerker meist aus den Leibeignen des Adels hervor, weniger aus den Kronbauern. Freiwillig erwählt der gemeine Russe selten ein Handwerk, er zieht daS vagabundircnde Leben als Krämer, Hausircr, Fuhrmann, vor, er wird nur Handwerker, wenn ihn seine Aeltern oder sein Herr zwingen, daher, wie gesagt, die meisten Handwerker Erb-Icute sind. — Der Edelmann sucht in der Negel unter seinen Hofleuten Knaben aus und schickt sie in die Stadt, um ein Handwerk zu lernen. Haben sie ihre Lehrzeit beendet, so kommen sie zurück, er behalt die besten, die er für seine eigenen Bedürfnisse nöthig hat, zurück, und schickt die übrigen wieder in die Städte, mit der Aufgabe, sich dort zu etabliren, und ihm einen jährlichen Obrok zu zahlen. Zur Etablirung haben sie nichts nöthig, als sich der Zunft zuschreiben zu lassen, eine Art Patentsteuer, WRub. Banco, an den Stadtrath zu zahlen und ein Schild auszuhängen. Von Bedingungen, um in die Zunft aufgenommen zu werden, von Lehrjahren, Wandcrjahren zur Ausbildung, von einem zu liefernden Meisterstück, von einer Los-sprechung ist nicht die Rede. (5s herrscht vollkommene Ge-werbefrcihcit. Daher alle Handwerksarbciter in Rußland so sehr schlecht. Von Natur leichtsinnig und nicht arbeitsclig arbeitet der Russe nur auf den Schein. Warum sollte er steißig und sorgfältig sein, es ist keine Sitte, alle um ihn her machen es eben so, die Kunden und Käufer müssen ihm doch kommen, weil sie keine Auswahl haben, und er betrügt sie und nimmt von ihnen so viel als er kann! — Dabei sind alle seine Lebensbedürfnisse unendlich wohlfeil, er kennt nichts als seinen Tschi, seine Grütze, sein Brod und QuaS. Lebensgenüsse, wie sie der westeuropäische Handwerker liebt und hat, Kegelbahnen, Tanzböden, Bierhäuser, Gärten :c., kennt der Russe nicht, nur un-zähligc Sonn- und Feiertage hat er, und da führt der Müssig-gang ihn in den Kabak, er wird ein unverbesserlicher Säufer! — Rußland hat in Bezug auf das Handwerkswesen das Mittel- 23* 5W alter nicht durchlebt, es hat in dieser Beziehung nicht die Erziehung zur neuern Zeit genossen. DaS gerinauische und romanische Mittelalter erzog durch die Zunfteinrichtungen dm Handwerkerstand nu't seiner eigenthümlichen Bildling, m>t seinem Handwcrksstolz, seinen ceremoniellen Handw'erkssitten, seinem Fleiß, seiner Zuverlässigkeit und Rechtlichkeit. Als nun die neuere Zeit die beendenden Schranken niederriß die Zunfc-privilegien aufhob, die Gewrrbefreilieit brachte, wirkte die Un-qebundcnhcit lange nicht so verderblich, als manche prophezeiten. Die Sitten waren constant geworden, die alten Traditionen wirkten fort, der Charakter des Standes hatte sich auüge-bildet, etz war cmc gewisse Mündigkeit vorhanden, die die Ge-werbefreiheit ohne eigenen und ohne Schaden deö Publicnmk' ertragen konnte. ^ In Rußland aber ist die Gewerbefreiheit ein großes Nebel. Wenn jedoch der russische Handwerker ordentlich ist, sich ctwaö erwirbt, so fühlt er sich, er sucht sich dann die Freiheit zu erwerben. Er benutzt das Wohlwollen oder eine Geldverlegenheit de3 Herrn und kaust sich frei, im lehtern Falle wird dann gewöhnlich Stunden, ja Tage lang bis cmf 1 .Ne>per' geschachert. Die Loskaufsummc schwankt gewöhnlich zwischen 300 und 2l>W Rubel Banco. Der Obrok der Handwerker in Orell ward mir als niedrigster Sal) auf ^0, als höchster auf 200 Rubel Banco jährlich angegeben. In allen russischen Städten finden sich ausländische, vorzüglich deutsche Handwerker und Gewerböleute. Sie haben einen alten Ruf größerer Solidität, den» sie jedoch in neuerer Zeit hänfig nicht entsprechen. Der fremde Handwerker, so lange er nicht russischer Unterthan ist, zahlt jährlich 20 Rubel Banco. Die Fremden sind in Rußland so prwilegirt gestellt, daß sie oft ihr ^cbcn beschließen, ja daß mehrere Generationen derselben dort leben, ohne daß sie ins russische Unterthanenverhältnisi eintreten. 6'rsi wenn sie Verheirathungen mit Russen eingehen, oder wenn sie für ihre Söhne einen Tschin (Beamtenrang) suchen, treten sie gewöhnlich in den Unterthanciwerband. Die Kaufleute in den russischen Städten, außer den Hauptstädten, sind in der Regel Russen, und zwar meist sogar Bart russen, sie tragen keinen Frack, sondern den Kaftan, und rasirrn 5l7 sich nicht. Sie sind überall ill drei Gilden eingetheilt. Diese Gilden sind aber keine Korporationen, die selbstständig auf^ nehmen, sondern Jeder, der die für jede Gilde vorgeschriebenen Abgaben bezahlt, tritt i'j>5('^,,'« ein. Die Kaufleute bilden in dcn russischen Städten fast einen erblichen Stand, die Söhne werden innner wieder Kaufleute. Mit 12 Jahren bringt sie der Vater schon in daS Geschäft, Schulbildung ist daher nicht vorhanden, kaum daß einige lesen und schreiben lernen, aber rechnen ans dem russischen Rechenbrette können sie alle! Cö gilt als Grundsah, daß der Sohn nicht mehr wissen dürfe als der ^ater. Unter'den Kaufleuten sind eine große Anzahl Sta-rowerzen, die sehr religiös sind und fest an den alten Sitten halten. Aber dennoch sind sie in den Handclögeschaften, außer untereinander, meist völlig unzuverlässig, oft betrügerisch. Sie bleiben oft ein paar Generationen hindurch zusammen wohnen in demselben Geschäfte, in derselben Haushaltung. Ich fand in einem Hanse in Orell 4 Familien, die Aeltern und .'! ver^ heirathete Söhne mit ihren Kindern. Die Söhne heirathen fast immer in ihrem Stande. Ueberall in Nußland sind die Pfingsten- oder Maigängr. An einem öffentlichen Orte kommen allc Kaufmannt'familien zusammen, die Töchter überladen und behängen mit Putz und Geschmeide. Man geht stumm durcheinander spazierend. Dort werden die Heirathen entreprenirt, aber Vie jungen ^eute haben wenig eignen Willen dabei, die Alten treffen die Auswahl mit gewaltigem Hin- und Herdingen über Mitgäbe ?c., die jedoch bei Lebzeiten der Aelirrn fast nie in Geld besteht, sondern in Mobilien, Schmuck :c. (56 besieht in allem diesen eine Art Gegensatz zwischen Kaufleuten und Handwerkern. Die Handwerker, wenn sie wohlhabend werden, und sich die Freiheit erkauft haben, modernisircn sich. Sie schecrcn sich den Bart, vertauschen den Kaftan mit dem Oberrock. Sie suchen für ihre Söhne eine Schulbildung, um sie wv möglich in den Tschin (den Beamtcnstand) zu bringen. Wenn eö irgendwie vermieden werden kann, so werden die Söhne nicht wieder Handwerker. Die Handwerker recrutiren sich daher immer wieder voll neuem aus den Erbleuten, die Kaufleute stets aus den Söhnen der Kaufleute selbst. In neueren Zeiten haben jedoch auch die Kaufleute angefangen, wenigstens für 518 ihre Töchter, Heirathen „ut Tschmofmks zu gestatten, so wic diese natürlich überall stark darauf ausgehen, reiche Kausmauns-töchter zu erhalten. Deshalb erhalten die Töchter jetzt oft mehr Bildung und Erziehung als die Sohne. Ich fand in einigen Kaufmannshäuscrn, bei ächten Bartrussen, Fortepiano's, auf denen die Töchter ganz artig klimperten. In Kursk soll sogar eine Erziehungsanstalt für Kaufmannstöchtcr sein, worin sie jedoch nur die unselige Abrichtung und Abglättung mit Fran-zösischplaudcrn, Musikmachen, Tanzen u. erhalten, ohne zu tüchtigen Hausfrauen gebildet zu werden. Die ächten altrussischen Kaufmannsfraucn thun jedoch ebenfalls fast'den ganzen lieben langen Tag nichts, um den Haushalt bekümmern sie sich fast gar nicht, weibliche Arbeiten kennen sie nicht, sie knuppern den ganzen Tag Sonnenblumcnsamen. Dieser Müssiggang führt denn nur zu oft zu allen Arten von Excessen, und Liebesintriguen und Liederlichkeit sind mehr als häufig! Nirgends in Rußland in den Bürgerhäusern sah ich Frauen und Mädchen sich mit Arbeiten beschäftigen, die Gäste und Kunden in den Gasthäusern und Kaufläden bedienen. Ein französischer Confisseur, bei dem ich eintrat, sagte in dieser Beziehung: „Um Alles möchte ich keine Russin heirathcn, und wäre sie reich und hätte 100,000 Rubel Banco! Sie würde sich zu vornehm dünken, 1 Pfund Bonbons zu verkaufen, sie würde nicht häuslich und arbeitsam sein, sondern verschwenderisch, luxuriös und untreu, lieber hci-rathc ich eine arme Deutsche, wo ich dann eine ehrliche fleißige Hausfrau erhalte!" Einige Plätze und Straßen in Orell sind in ihrer modernen Art sehr elegant und hübsch. Selten haben die Häuser in den russischen Städten mehr als zwei Stockwerke. Jeder Bauplan auch des geringsten Hauses in einer Gouvernementsstadt muß in Petersburg genehmigt werden. Es sind überall modern ausgebildete Architekten vorhanden, allein mit wenig Eigenthümlichkeit und Genialität ausgestattet; man folgt den vorhandenen Mustern, woran sich auch die Stadtbewohner gewöhnt haben, und es ist die größte Monotonie und Gleichmäßigkeit sichtbar! — In Orcll besitzt der umwohnende Adel theils selbst Häuser, die er gebaut oder gekauft hat, theils miethet er, dann aber stets cin ganzes Haus. Es gilt nicht für recht anständig, etwa die 519 obere Etage zu miethen, während die untere Buden und Kaufläden enthält. Der weniger Bemittelte miethet daher lieber ein einstöckiges russisches Blockhaus, welches dabei den Vortheil bequemerer und den russischen Sitten angemessenerer Einrichtung hat, um nur allein zu wohnen. — Auch die Kaufleute bauen moderne Häuser theils auf Speculation, um Traiteur-geschäfte darin anlegen zu lassen, theils zu eignem Gebrauch, wo sie dann unten ihr Geschäft haben, den Nest zu Buden ver-miethcn und oben wohnen. Oben giebt es keine Entreen und Gänge, sondern die Zimmer laufen alle in einander. — Die (Harmons find am übelsten daran, sie finden nur schwer eine Wohnung. Chambrc-garnie-Wohnungen cxistiren nicht, einige Stuben zu vermiethen ist nicht recht Sitte. Es giebt nirgends eine Table d'Hote, sie sind daher gezwungen, einen eigenen kleinen Haushalt einzurichten. Da Niemand ohne Equipage leben kann, so sind der Kutscher und sein Weib die Aushülse. Mit ihnen wird meist ein förmlicher Contract über Essen, Trinken, Pferdefutter :c. abgeschlossen. Man steht sich hierbei nicht schlecht, in einem solchen kleinen eignen Haushalte braucht man bei der Wohlfcilheit der Lcbrnsmittel, außer Wein, Zucker und Thee, nur etwa 30 bis 40 Rubel Banco zu zahlen, während dasselbe Essen, und obendrein viel schlechter bereitet, beim Traiteur W bis KO Nubel Banco kosten würde. Am 24. October rciseten wir gegen Abend von Orcll ab, das Wetter begann schon schlecht zu werden, die Wege waren abscheulich, wir fuhren langsam und erreichten ohne uns irgendwo aufzuhalten am 26. October Tula. Wir waren alle unwohl und hielten uns auch hier gar nicht auf, sondern eilten nach Moskau, welches wir am 20. October erreichten. Ueber Tula folgt hier ein Aufsatz meines Reisegefährten, v«. Kosegartcn, der sich an diesem interessanten Orte besser umzusehen Gelegenheit hatte, als ich. Derselbe war den grösiern Theil des Sommers in Moskau gewesen, und ich lasse daher, ehe it mit Lüttich. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner machen nämlich Metallarbci-ten mannigfaltiger Art cnis, welche meistens Gegenstand häuslicher Handwerksbeschäftigung sind, aber sich in mannigfache Verzweigungen theilen, so daß zwar viele verschiedene Personen an einem Gegenstande, z. V. an einem Gewehre, arbeiten, ') Kreml ist in dm al0,000 verfertigt, und je nach dem Grade ihrer Güte zu 1 bit' 15 Nubel das Stück verkauft. Sie wandern großcntheils nach Irbit m Sibirien auf die Messe, und von da nach l5hina. Wie ich hörte, sind in einem Local etwa hundert Knaben bei der Verfertigung dieser Instrumente angestellt, die aber die verschiedenen, darauf hervorzubringenden Töne unter sich vertheilt haben, so daß ein Jeder beständig nur einen Ton probirt. Der Bazar und sonstige Läden bieten die Erzeugnisse des dortigen Gcwerbflcißeö in Menge dar. Die Kaiserliche Gewchrfabrik befindet sich in der Vorstadt, am rechten Ufer der Upa, der eigentlichen Stadt gegenüber: die dazu gehörigen Arbeiter wohnen in der Nähe der Fabrikgebäude, meistens in der hölzernen Vorstadt Schulkowa, und verrichten einzelne Arbeiten (z. V. das Zusammenschweißen der Gcwehrläufe) in ihren Wohnungen. Es sind ihrer l>000, und man rechnet mit Inbegriff ihrer Familien 20,000 zur Fabrik gehörige Personen. Dieselbe ward in Folge eines Ukases Peter I. vom Jahre 1712 errichtet; jedoch gab es dort schon vorher kaiserliche Schmiedcarbciter, welche auf Verordnung der t5zare Feodor Iwanowitsch und Boriß Godunow sich eine besondere Vorstadt (wahrscheinlich Schulkowa) erbauctcn. *) Die Gebäude dieser Fabrik sind jetzt größtcnthcils neu, und waren zur Zeit meiner Anwesenheit noch im Baue begriffen. '> G. Pofsart, das Kaiserthum Rlisiland, Stltt!,Md 1844 Th. II. p-lS. 52l>. Von dm noch jetzt bcsichen so!lc>,dm besondern, («c-bniuchm i»,d Sitttll dcl Fal'rifml'i'ittr, su wie der C'inwohncr vmi Tlll>i illitlhaupt, wrick»' P»ssa,'l fchildeit, habe ich nichlS vmwmmm. 523 Einer del den Ban leitenden Herren, der Ingeuicuroberst von Sch., hatte die Güte mir Alles zu zeigen und zu erklären. — Ein altes Gebäude mit einer Dampfmaschine sollte künftig nl,r noch als Reserve dienen, da die Dampfkraft wegen dcr auch hier schon fühlbaren Thcurung des Holzes nicht Vortheil-haft ist. Die neuen Anlagen sind ganz auf die Wasserkraft berechnet, welche durch die gestauetc Upa hervorgebracht wird. Das Wasser wird durch ein starkes Gewölbe von Eisen und Mauerwerk unter einem Wege durch, in das dazu dienende Gebäude gclcitct, und setzt große, unterschlächtige, eiserne Räder in Bewegung. Eine eigne Einrichtung dient zur Bestimmung des Maßes des einzulassenden Wassers. Zur Beseitigung der FcucrSgcfahr, welche sich in Tula schon mehrmals auf verderbliche Weise verwirklicht hat, ist an den neuen Gebäuden fast AlleS von Steil, und Eisen, so daß daS Holz, mit Aus^ nähme der Fußböden einiger Säle, ganz ausgeschlossen ist. Selbst die schönen Treppen sind von Eisen. Ganz neu war mir die Einrichtung, daß die Gewölbe aus irdenen Töpfen von einer gewissen passenden Form erbauet wurden, um sic leicht und doch sicher zu machen. Wir durchgingen und besahen die verschiedenen, größtcnthcils fertigen Gebäude. Ein Gebäude, zu den vorbereitenden Operationen oder Arbeiten auö dein Rohen bestimmt, enthielt die Maschinen zur Dehnung odcr Verdünnung des Eisens, zum Abschneiden desselben, zur Verarbeitung des Stahls u. s. w.: ein anderes, so wie ein drittes enthielt Vie Einrichtungen zu den feineren Arbeiten, wozu namentlich die Schmiede, und waS mit derselben in Verbindung steht, gehörte. Dort sieht man das Drchen, das Hobeln, das Boh. reu dcr Gewchrläufe, die Handarbeiten an den Schlössern und Schrauben, das Ausschlagcn der Gcwchrschloßplattcn und Hähne auf Stampfen, die Verfertigung dcr Schäfte und Vade-stocke u. s. w. Beim Schleifen der Bajonette war mir eine neue Einrichtung merkwürdig, durch welche dcr, dcr Gesundheit schädliche, Metallstaub vermittelst eines Luftzuges wcggc^ schasst wird (cs ward mir dabci brmcrkt, dasi die mit dicser Arbeit beschäftigten Arbeiter bisher nicht über 40 Jahre alt geworden seien). Anstatt Blasebalgs dicnt cin grosicr Ventilator, welcher vortbcilhasler ist, wril er keiner häusigen Alapara- 324 turen bedarf. Ich sah auch, wie die Arbeiter ill eignen, dazu bestimmten Vocalen ihre fertigen Erzeugnisse einander abliefern, wobei alte und erfahrene unter ihnen die Beschaffenheit untersuchen nnd ctwanige Fehler bemerken. Die fertigen Stücke werden der Eontrole wegen mit dem Namen des Arbeiters der sie angefertigt hat, gestempelt. Endlich ward mir eine Sammlung von Gewehrschlössern gezeigt, wie sie seit Errichtung der Fabrik nach und nach in größerer Vollkommenheit verfertigt sind. Percussionöschlösscr wurden noch nicht gemacht. Ein fertiges calibel mäßiges Gewehr ist 18 Pfund schwer. (5s werden auch Pistolen n. dgl, verfertigt. Ueber die Upa führt eine von dem erwähnten Obersten von Sch. crbauete schöne eiserne Hängebrücke, unter welcher sich das Wehr zur Stauung des Wassers befindet. Tiefes ist so angelegt, daß es beim Eis-gange niedergelegt werden kann, so daß daS Eis darüber weggeht, eine Einrichtung, welche sich (wie er bemerkte), nirgends anderswo findet. Man hat die Zahl der Gewehre, welche jährlich in der Tulaer Fabrik verfertigt werden oder verfertigt werden können, verschieden angegeben. Nach Angabe des Obersten von Sch. ist die neue Einrichtung auf die jährliche Anzahl von 100,(100 Flinten berechnet, und zwar mit der Voraussetzung, daß nur bei Tage gearbeitet wird, welches die Regel sein soll. Eine gewöhnliche, für die Linieninfanterie bestimmte Flinte kommt, wenn man nur das Metall und die Arbeit rechnet, auf 18 Rubel zu stehen, mit allen sonstigen Kosten aber (wahrscheinlich mit Inbegriff der Zinsen des Anlagekapitals) auf 2« Rubel. Das Hauptmaterial, nämlich Eisen, kommt aus der Nachbarschaft. Die Arbeiter sind zugeschriebene Kronbauern, welche in der Arbeit bleiben, so lange sie fähig sind, und nicht das Recht haben sich los zu kaufen. Sie bekommen aber Stücklohn, und können auch für ihre eigne Rechnung arbeiten, so daß es Reiche unter ihnen giebt, und solche, welche gemiethete Arbeiter für sich stellen, während sie sich selbst auf andere Geschäfte, namentlich auf den Handel legen. Ich ward auf die schönen, ausdrucksvollen Gesichter mancher Fabrikarbeiter aufmerksam gemacht, welche, so wie über- 525 Haupt die großrussische männliche Gesichtsbildung mich stark an die altgriechische erinnert haben. *) Von Tula fuhren wir nach Michailowsk, einem Gute des Grafen Alcrei Bobrinskij, welches etwa 12 biö 15 deutsche Meilen von jener Stadt, in Südosten, unsern der Stadt Vo- ') Kohl, der die metallnen jlrpfbändei erwähnt, welche die russischen gc-mcincil Arbeiter häufig tragen, um ihi Haar in Ordnung zu halle», und deren ähnliche sich bei griechischen Vildsäulen singen, spricht dabei ebenfalls von der griechischen Gesichtsbildlü'g solcher russischen Arbeiter, die er „für Fnkcltinder des Sokrateö, Aristoteles" u, s. w. halten /möchte. In der That scheinen Diejenigen, welche die Slaven, iusbe-! sondere die russischen Slaven, für stammverwandt mit den alten Griecben hallen, Vieles für sich zu haben. Man denke an dic russische Bauart, wobei das Säulcnwesm cinc s» große Nolle spielt, an das russische Dreigespann (dic Troita), welches stohl mit Recht malerisch nennt, an den Witz und die Schlauheit des gemeinen Nüssen, an seinen Hang znm Handel oder Schacher, wobei auch wohl nicht selten die Kruocll iilics sich ausbildet, ferner an seine Gewohnheit und Neigung zu einer gewissen äußern Eleganz u. dgl. mehr. Wenn mau will, so kann zur Unterstützung dieser Meinung selbst das russische Gemein» und Slaals-wesen bicnm, welches mit dem griechischen, namentlich in sofern eine Arhnlichkeit darbieten mag, als in diesem daö Prnuip und Interesse der Gesammtheit, der Gemeinde oder des Etaatö, die absolute Herrschaft über die Privatintrrcssc» der Individuen übte, so baß das Privatrecht dem öffentlichen Rechte gegenüber kein,« Geltung hatte. Der griechische Staat, wie er bei Plato theoretisch, und in Sparta, selbst in Athen praktisch erscheint, war (nm die Sache mit den Worten nwdcrmr Politiker auszudrücken) vorzugsweise ein P o li z ei st a a t, weniger ein N c ch ts-staat. Man denke z. N. an dic spartanische Kindererziehung, an den athenischen OstracismuS u. a. m. So wird sich auch nicht leugnen lassen, daß der russische Staat im hohem Grade ein Polizcistacit ist, als es z. B. dic germanischen Staaten sind, wenngleich in ihm durch Christenthum, germanische yinflüssc und moderne Kultur dem Privatrechtc mrhl Gellung eingeräumt ist, als bei den Griechen war. Aber die Versas-sungsform, ob monarchisch oder repliblieanisch, ist in Bezug auf daö vorliegende Princip gleichgültig. Uebrigrns würde ein Staat der bloß Rechtsstaat im Sinne moderner Politiker und gar nicht Polizeistaat wäre, j nicht bestehen können: aber dic Volköthümlichreit und andere besondere ! Verhältnisse entscheiden darüber, ob ein Staat mehr das Einr ober das j Andere sei» muß. 520 gorodsk und der Grenze des Gouvernements Rjäsan, belegen ist. Die üppige Vegetation, welche wir auf dem Hv'ege dahin fanden, die reichen Getreidefelder insbesondere, mit ihren bunten Rändern von Feldblumen, und der im Regen dem Fuhrwerke viele Schwierigkeit bietende Boden, erinnerte uns daran, daß wir zu der Zone der Schwarzerde (tschemosem) gekommen waren. Das genannte Gut, zu welchem l0,000 Menschen gehören, liegt angenehm in einer weiten Vertiefung des wellenförmigen Bodens, welche ein großes, flaches Thalbecken bildet. In der Nähe des bescheidnen Herrenhauses (wo sich der Guts-Herr, der meines WiffcnS sich gewöhnlich in St. Petersburg aufhält, nicht befand) findet man die Gebäude der großen Nuukclrübenzuckerfabrik, welche von dem Besitzer dort errichtet ist, vielleicht der größten in Rußland. Außerdem wird die Ansicht des Thales, welches zum Theil mit Bauerhäusern besäet ist, mannigfaltiger durch einen ansehnlichen Park, so wie durch die Wohnungen der bei der Fabrik angestellten leitenden Personen, auch eines deutschen Arztes*) u. s. w. Ich ward freundlich empfangen von einem Landsmanne und Jugend-bekannten, dem Raffineur der Fabrik, Herrn M., welcher ein gcborner Hamburger ist, aber hier einen belohnenden Lebens-und Wirkungskreis gefunden hat. (5r rühmte mit Enthusiasmus seinen Prinzipal, den genannten Grafen, welcher (ohne Zweifel in Berücksichtigung der ihn» durch diesen Mann geleisteten Dienste) ihn mit Güte überhäuft hat. Nachdem M. 12 Jahre in seinem Dienste gestanden und auch Lehrlinge unterrichtet, hat er ihm, unter Anderem, lebenslängliche Pension und Sorge für seine Kinder versprochen. M. führte mich in seinen Garten, wo (wie überall in jener Gegend) der Humus die Gewächse ohne allen Dünger in üppiger Fülle gedeihen läßt. ") Ein bckamllcr Nliftbcschnib.i l'cilagl das L»os d,r Klauten in Rus^nd, wclchc auS Mmigcl cm Anzl cö m glöftcrrn Sl.idlm reichlich, und ftlbst auf dcm ?>mdc smdct man ftlchc. (?S vnsicht sich, txisi sir fill IcdrriNlN», zu h.ü'cn sind. Ich hal'c in dichr B»'zicl,uug dic ^iinichlu»^ >,„ VcllMwiffc wic i» T?ru!schl>uid gcsunecli. <5ö N'ild Vl,'M 2laa!r süi glplüs Rnbel. M. zeigte mir die Fabrikeinrichtungcn (wobei neuere Erfindungen benutzt sind), z. B. das Zerschneiden der Rüben vermittelst einer Maschine, das Macerlren in einer Nrihe von Kesseln, das Klären des Saftes mit thierischer Kohle, welche, wieder gereinigt, mehrmals auss neue zu demselben Zweck gebraucht werden kann, die Herstellung des Mclis und des Lumpcnzuckers in metallnen Formen, den Aerometer u. s. w. Dcr Augenschein dürfte die mir gegebene Versicherung bestätigen, daß die auf der Fabrik aus Rüben allein erzeugte Rassinade vollkommen so schön sei, wie die von Rohrzucker. Das für den Betrieb erforderliche Waffer wird aus benachbarten Quellen, welche höher liegen als die Fabrik, hergeleitet, und kann deshalb ohne besondere Kunstanwendung zum Steigen gebracht werden. Dcr Holzvorralh (Eichen) kommt 30 Werstc weit her, und kostet 20 Rubel der Faden, nebst 10 Nubcl Fracht, welche letztere die Bauern des Grafen verdienen. Doch kann man Torf gewinnen, welcher also später an die Stelle des Holzes treten wird. Die Runkelrüben werden auf dem Gute selbst in den Gärten der Bauern (Ogorodü) von deren Weibern, anstatt des frühern gebauctcn Gemüses und Hanfes gezogen, und vom Grafen mit 1'/, Rubel (Banco oder Assignaten) sür den Tschctwert (etwas über 3^ preußische Scheffel) bezahlt. Es werden 17 bis 18 Pfund Zucker aus dem Tschet-wert gewonnen, und da man darauf 7 Rubel Banco Schaf-fungökosien rechnet, das Pud (40 russische oder 35 preußische Pfund) aber zu 30 bis 35 Rubel verkauft wird, so kann man 50 Procent als reinen Gewinn rechnen. Doch kann man so 528 vorthcilhaste Verhältnisse auf die Dauer mir bei großem Betriebe »lnd großem kapital annehmen, zumal da die Rübe nicht in jedem Jahre gedeiht. Es werden dort jährlich 4'^Ml) bis 45,000 Tschctwert verbraucht. Nur freiwillige Arbeiter befinden sich in der Fabrik. Der Graf fordert von seinen (leibeignen? Gauern keine Frohndienste, sondern nimmt von ihnen eine mäßige Abgabe (Odrok). Es giebt Reiche unter ihnen, so daß sie, als er durch eine Feuersbrunst zu Kiew, wo er ebenfalls Fabriken hatte, ihrer Meinung nach in Geldverlegenheit gerathen war, 50,000 Nubcl für ihn unter sich zusammenbrachten, welche er aber nicht annahm. Auf der Rückreise mußte ich, da mich mein gefälliger Begleiter, lveil er weiter zu reisen hatte, verließ, mich einer Bauernpost bedienen und bis Tula in einer Tclege (einem gewöhnlichen Baucrnwagm, der, wenn er ein, etwa von Späh-ncn geflochtenes oder aus Leinen bestehendes Verdeck hat, Ki-bitkc heißt, was auch ein Nomadenzelt bedeutet) unbarmherzig zerstoßen lassen. Zu Tula aber schloß ich mich zur Weiterreise nach Moskau an einen reisenden Tschinownik (Beamten) an, der sich zwar auch derselben Reisemittel bediente, aber nach russischer Weise sich und mir einen bequemen Sitz von Sovha-und Bettkissen in der Tclcge bereitete. Nun war es auszuhalten. Die Baucrnpostcn sind ein Beispiel von dem Associa-tionsgcisie der Russen. 6s wird nämlich eine Wegestrccke, z. B. der ganze Weg zwischen Tula und Moskau (welcher 73 Werste beträgt), in Stationen getheilt, welche indessen gewöhnlich länger sind, als die Stationen der Negicrungspost. Natürlicherweise befinden sich die Anhaltspmikte in Dörfern, und Bauern von allen solchen Dörfern stehen mit einander in einer Gesellschaft (Artel), welche den Reisenden, unter den am Anfangspunkte der Reise mit ihm ausgemachten Bedingungen befördert, und auf den Stationen mit frischen Pferden und nö-thlgenfalls mit Wagen versieht. In Moskau bekam ich zur Reise nach Iaroölaw von den Bauern einen Schein, auf welchem alle Stationen mit der Länge und dem Preise einer jede» verzeichnet waren. Wer zum Artel gehört, und mit dem Reisende» den Accord abschließt, muß dem Artel eine Anzeige davon machen. Wie ich vernahm, ist es nicht ungewöhnlich, daß 529 die Fuhr dcm Mindestnehmenden in der Gesellschaft übertragen wird, so daß der etwanige Ueberschuß der von dem Reisenden gezahlten Summe der Gesellschaft zu Gute kommt, aber viel-leicht von dieser vertrunken wird. Auf der Rückreise hatte ich zwischen Tula uno Moskau, da ich zur Abendzeit durch Dörfer kam, Gelegenheit zu sehen, wie sich die jungen Dorfbewohner beiderlei Geschlechts unter freiem Himmel mit muntern Spielen ergötzten. In einem Dorfe sah ich einen eigenthümlichen Tanz, den zwei Knaben, in einem Kreise von Zuschauern, nicht ohne Kunstfertigkeit ausführten. Diese Belustigungen machten auf mich keineswegs den Eindruck, welchen ein Neisebeschreiber bei ähnlicher Veranlassung schildert, indem er sagt: L« »iloncu zii^ia« k tuu- tos ll)t> l<5tt>« tlu8 VlIlll"Lni8 l-U8l>«8. 24 Mini« in Mcökau. XXIX. Ginige Bemerkungen «bcv Moöka» und besonders nber die dortige Gewerbealtsstcllnng, gesammelt vom l>>. Wilhelm Kosegartcn, während seines Anfcnthalts daselbst im Jahre 1643. Der Frühling zu Moskau. Schöne Punkte und Ansichten der Stadt. Pro-cessiouen. Volks- und Etaatöfestc. Spazier^än^e und Sammelplähe der fcineu Welt, Ochotnm.Rjad. Züge dcS russischen VolkecharakterS. Dir Auosicllung russischer ?^linufttturr>zcng!Üsse, Fabri^u. Dir Fli-l'rikml'l'ittr. Das Mn^azin russischer Maüuftittlüprl'dlittr. Dcr Bazar n,n Schöiun Platze. Unterrichts- und Er,^chungsaustallen: die Universität, die adlige Pension, die Handlungö-Akademie, die Sli'^am'w'schc Zeichneuschulc, das Lasarew'schc Institut, das Kaiserliche Erzxhun^shaus (Fmdl'lhans) und sciue Filiale, das techiwk'qische Institllt. Das iuiiser-lichc Militairhoßftital und das Schereinetjew'schr Hospital. Kirchen und Klöster. Die tatarische Mosch«. Die Wasserleitung. Die Feunlösch-mislalten. Gefängnisse. Daö sibirische DepottationKwescn. Iheater. Mlisik llnd Clul'bs. Scenen iu cincin Baurrhause. Gora^Pjatnihsaja, Äm Mittage des Tassrß unscrcr Atcklllift in der Stadt sahen wir noch etwas von der großen Corsofahrt, womit dicscr Taa,, alß der erste Maisonntaq, dort liblichcrwcist bcgaua/n ward. Doch fehlte noch ganz der Frühlingöschmuck der Natur, und die nasikalte Witterung konnte nn5 glauben machen, daß wir 53 l uns noch im deutschen März befänden. Aber etwa 14 Tage spater hatte sich der Frühling völlig eingestellt, und wich schnell dem Sommer. Schon um Pfingsten war die Hitze drückend. Die garten- und baumreiche biegend in der Nachbarschaft der Stadt, die vielen Gärten innerhalb derselben, die schönen Boulevards, welche die verschiedenen Stadtthci'le von einander scheiden, der wunderschöne Alexandrrgartrn, welcher mit seinen Baumgängen, Rasenplätzen, Blumenbeeten und Blüthcngc-büschen neben der westlichen hohen weißen Mauer des Kremls und ihren Thürmen biö an das Ufer der Moskwa sich erstreckt, ^ Alles prangte im üppigsten Grün, und die reizendste Vlüthen-pracht verschönte die Gärten. Auf dem Kreml selbst, besonders von dem Ivan Veliki aus, oder wenn man auf die südwestliche Terrasse vor den Platz hintrat, welchen die drei Kathedralen der Himmelfahrt, der Verkündigung und des Erzengels Michael einschließen, erschien jetzt der licber-blick über die große und weite Stadt im zauberhaftesten Lichte. Wer hier stand und die Stadt wie ein unermrsiliches Feld von rothen und grünen Häuftrdächern, *) untermischt mit bäum-reichen Gärten, besäet mit unzähligen buntfarbigen Kuppeln und Thürmen, durchschlängelt von der Moskwa, im magischen Glänze der Abendsonne, deren Bild von den goldnen Kuppeln der Kathedralen wiebcrstrahlte, bis an den fernen Horizont vor sich ausgebreitet betrachtete, **) mochte sich wohl auf den ') Die Häuser in Moskau sind grosientheilö mit grün angestrichenem Eisenblech gedeckt. ") Moskau zahln-, der Angabe nach, im Jahre 18.'!5 etwa 288 Kirchen und 2l Klöster mit ihren Kirchen (worunter ohne Zweifel die vielen Privattapcllen nicht mit begriffen sind). Jede ächt griechische Kirche ist wenigstens mit fünf Nuppeln, meistens auch noch mit cinem Thurm daneben versehen. Der Umfang der Stadt mit Inbegriff der in die Stadtmauer mit eingeschlossenen Vorstädte beträgt 5V? deutsche Meilen, und eö ist daher leicht begreiflich, baß man beim Ueberblickr der Stadt nach gewissen HlichUMgm hin, bis an den fernsten Horizont, nichts als die Stadt sieht zumal da ter Kreml und die sonstigen Hligll in und neben der Stadt nirgends rrn beträchtlicher Höhe sind. Somit erscheint das Bild der Stadt, wenn man sich auf diesen Hügeln befindet, als ein fast nnermeßliches (Gemälde. 34* 5.N Schauplatz eines morgenländischen Mährchens verseht glauben! Vielleicht noch malerischer ist der Anblick der Stadt oder cin-zclner Theile derselben von dem am hohen Ufer der Moskwa bclcgencn Park des der Kaiserin gehörigen Lustschlosses Nies-kuschna (8i!ll8-3ulN!i), oder von dcn in Westen an der Moskwa belegencn sogenannten Sperlingsbergen aus, wo hin und wieder Baumgruppcn in dcn Zwischcnrällmen ein weites Gemälde, wie in einen grünen Rahmen eingefaßt, darbieten. Am meisten wird indessen eine Stelle der cbengcnannten Hügel (der Sperlingsberge) gerühmt, wo man die ganze Stadt in Form eines Halbzirkels oder etwa eines Halbmondes, die Höhen des Kremls mit den Goldknppcln in der Mitte, im Vordergründe die Moskwa mit ihren grünen Ufern, an welchen sich das wie eine Festung gestaltete Nonnenkloster Nowodcwitschej mit seinen prächtigen Thürmen erhebt, nnd die parkähnlichcn Gärten verschiedener Paläste überblickt. Eine abermals verschiedene Ansicht von Moskau bietet das in einer hohen Gegend der Stadtmauer belcgene Simonow'sche Kloster dar, welches noch einen Genuß anderer Art gewährt. Hier nämlich hört man den imposantesten griechischen Kirchengcsang (ohne Instrumentalbegleitung, wie immer) von dcn Mönchen in einer eigrnthümlichcn Weise mil gedämpfter Stimme, welches einen ganz wunderbaren Eindruck macht. In dieser Iahrszeit bevölkern sich die Sommerwohnungen in Vorstädten und benachbarten Dörfern, unter denen das sogenannte Sokolnikfcld, Petrowski, Nasumowski u. a. genannt werden können, wo man außer einigen Palästen bescheidene und freundliche Landsitze findet, welche im Sommer, jedoch meistens nur von Deutschen, eingenommen werden, deren eS auch in Moskau, in verschiedenen Ständen, besonders im Kaufmannsstande viele giebt. Ich erinnere mich mit Vergnügen der gastfreundlichen Aufnahme, welche ich bei mehreren derselben, z. B. bei dem Hamburgischrn Consul Hcrrn S>, den Herren K. und H., dem wirklichen Staatsrathc Hcrrn F. v. W., so wie bei dem Secretair der dortigen naturforschenden Gesellschaft Hrn. lil. N., und Andern gefunden habe. — Die große Volksmasse genießt die Sommerluft meistens an bestimmten Tagen, an denen es Sitte ist, nach gewissen reizenden Punkten 53.3 dcr Borstädte oder der Nachbarschaft zu wandern. Bekanntlich ist die griechische Kirche reich an Festtagen. So sieht man denn auch an einem bestimmten Tage zahlreiche Schaaren nach den Bcgr äbnißplätze n strömen, nnd sich dort neben und auf denselben im Freien und unter Bäumen lagern. Die Industrie verfehlt nicht sich dabei zu zeigen. 6s werden Schen-km im Freien angelegt, um die Wanderer mit Thee und anderen Erfrischungen zu versehen, und häufig sieht man di,> Grabsteine selbst alö Eß- und Trinktische dienen. An bestimmten Tagen der Sommerzeit finden ferner die kirchlichen Processionen statt, welche meistens vom Kreml ausgehen und nach Klöstern oder sonstigen kirchlich merkwürdigen Punk-ten dcr Stadt gerichtet werden. Eine solche geht z. B. am IN. August nachdem Kloster der heiligen Jungfrau vom Don (so benannt von einem wunderthätigcn Marienbild^, welches von den donischen Kosaken dem Ezarcn Demetrius Iwanowitsch gcschmkt, im Jahre 159! Moskau vor den Tataren rettete). Dieses, freilich innerhalb der Ringmauer der Stadt belegen, aber mit Gürten und parkähnlichen Anlagen umgeben, bietet die Annehmlichkeiten einer ländlichen Gegend dar. ES zeigt sich mit seiner hohen Ringmauer, über welche die vergoldete Kuppel seiner Hauptkirche hervorragt, in' der Ferne wie in einen» Walde liegend. An den ProccssionLtagen sieht man die Volksmenge nicht allein beim Gottesdienste in der Kirche, sondern noch mehr in den schattenreichen Umgebungen (zu denen auch ein mit reichen Grabmälern angesehener Männer und Familien geschmückter Fricdhof gehört) sich lagernd und umhertreibcnd, und glaubt fast auf einem Jahrmärkte zu sein. Unter den Volksfesten ist eines (am 28. Juni a. St.), welches mir alö das Fest der Frauen bezeichnet wurde. Es fand an diesem Tage (wie bei unS am MnaMsle) eine Ausschmückung mit Virkenzwcigcn statt, und ich meine gehört zu haben, daß die Frauen (deren sich sehr viele spazicrengehend zeigten) an demselben die Herrschaft führten. Ueber den Ursprung dieses Festes habe ich nichts erfahren. Als Staats-fest tage werden, außer dem ?.",. December, als dem Tage der Befreiung Rußlands von der französischen Invasion, auch 534 die GeburtS- und Namensfeste der Mitglieder der Kaiserlichen Familie gefeiert, insbesondere meistens durch eine Illumination in der schon früher beschriebenen Weise, nämlich, indem man die Trottoirs der Hauptstraßen mit Schaalen besetzt, in denen eine Flamme brennt. Line viel großartigere Illumination aber sah ich am Krönungßtage des jetzt regierenden Kaisers (den 22. August). Der ganze Alcxandergarten, so wie die kolossale weiße Mauer des Kremls, an welcher er liegt, war mit Lampen der sonst gewöhnlichen Art erleuchtet, welche an der Mauer Figuren bildeten. Auf der, in der Mitte dcS Gartens auö dein Kreml über ihn führenden Brücke stand hoch über dem großen erleuchteten Lampcngange ein von Lampen strahlender Tempel, welcher die von dem Baumgange gebildete Perspective mit seiner prachtvollen Lichtmasse schloß. Außerdem waren dir Häuser auf dem anstoßenden großen Platze erleuchtet. Ich erinnere mich nicht, sonst irgendwo eine Erleuchtung gesehen zu haben, die einen dieser gleichkommenden Eindruck gemacht hätte. Es war ein schöner stiller Sommerabend und die wogende Menschenmenge ungeheuer, aber auch hier die herrschende Ordnung merkwürdig, wenig eigentliches Gedränge und kein lärmendes Wesen. *) Will man die feine Welt zusammcngcschaart sehen, so gehe man an schönen Sommcrabendcn im Alerandergarten, oder auf einem der besuchtesten Boulevards, z. B. dem Twerschen, spazieren. Hier findet man, so zu sagen, dic verschiedenen ') ssin viclgcruhmler yieisebrschreiber hat bei Gelegenheit der Feste, welche tr in Petersburg erlebte, sich mehrmals so geäußert, daß man meinen könnte, man sehe in Nuftlaud daß Voll gar nicht beisammen (z. V. il l>'^ l, pninl clo su « le — n» ne sail, os que o'est ^ile In toll!« on ll!l55i« u. dgl.) Daraus zieht er denn Folgenmgcn in der von ihn, geliebten Weise (so spricht er z. B. von ^<»ie mlxUeiize, meint, cö sei nur 1'u»il»o ll'un peuplo vorhcmben, oder gar! In suulo c« »orlut Il> revul,illun!!). Wenn er Lärm, Geschrei, Gedränge und Balgerei zum Begriff einer Inillc für erforderlich hält, so mag er allerdings die luule nicht gesunden haben. Aber die schaulustige NollSmeuge haben wir in so großen Massm, wie sonst kaum irgendwo, nicht nur in Moskau, sondern auch in Petersburg, z. B. in der Osterwochc und bei der,Parade am Namenstage dcr Kaiserin, gesehm. 535 nationalen (!>K'mmlc, welche sich ill Rußlands cullioirten Re-gioin'n unter einander mischen oder neben einander bestchen, in dcn verschiedenen Classen von Spaziergängern rcpräsentirt. Hier wandeln moderne deutsche, französische nnd russische Stutzer mit ihren gleichfalls modernen Damen, neben bärtigen Alt-rnffen in ihren landen Kastancn und mit meistens wohlbeleibten Fraucn, *) welche nülunter auch mitten im Sommer die nut Pelzwerk gefütterte Duschagraika (d. h. wörtlich Seelen-w ä r m e r oder etwa H crzcnö w a rm e r), vielleicht von dickcin Seidenstoffe, tragen, größtenthcils abcr ebenfalls rinigcrmaßcn modern gekleidet sind und, was dcn Anzug betrifft, sich etwa nnr durch größere Einfachheit und ihre, aus einem, in Form einer Haube, um den Kopf gewundenen Ecidentuche bestehende Kopfbedeckung von ihren ganz modern. gekleideten Töchtern unterscheiden. Leicht erkennt man wohlhabende oder selbst reiche deutsche Handwerker mit ihren Familien einerseits und russische Adelsfamilien andrerseits, Letztere häufig auch an den ihnen folgenden Livrerbcdicnten, wenn sie auch Französisch sprechen und etwa nicht in vierspännigen Kaleschen von etwas altcrthümlichem Ansehen (wie man sie häusig sieht) zum Boulevard gefahren kommen. Dazwischen streifen Offiziere, Tschi-nowniktz (Beamte) und Studenten in Uniform hin und her. Doch sieht man nicht allein europäische Trachten, sondern auch Grusier, Perser, Armenier, Türken, Tataren in nationalen Kleidern (wenigstens mit solchen Oberklcidern und Kopfbedeckungen) und hin und wieder einen kriegerischen Sohn des Kaukasus, einen Angehörigen eines dem russischen Reiche befreundeten oder unterworfenen Volksstammcs, in seiner reichen Waffenkleidung. Besonders erkennbar sind die russischen Ammen, meistens vierschrötige Personen mit derben Gesichtszügen, Bauern- oder Soldatenwciber mit dem volksthümlichcn Frauen-kopfputze, dem Kokoschnik, häusig auch sonst, wie cs die dortige Sitte mit sich bringt, auffallend geputzt, in seidncm Mieder oder Mussrlinklcidc, vielleicht gar mit goldncn Frangen n. dgl,, ') Ausfallend sind ucbm dichr Wohll'il^I'tlicil die lnittMu timim, TMm d,'l' vl'l'Mlmni» modrlnm Dam,'>i, welche n-, wic man sa^t, nicht s>!!ll, tm,!, dcl (Vlchmdhclt, schädlich,,' Tmktlml'iwstc su gesonnt wndm 536 die Säuglinge auf den Armen tragend. An einzelnen Abenden werden die Spaziergänge im Alexandergarten mich dnrch eine von der Krcmlmauer schallende Militairmusik belebt. — Ausge-wähltere Gesellschaft kann man Morgens früh in der Anstalt künstlicher Mineralwasser treffen, welche in einem der vorzüglichsten Stadtthcilr, der Pretschistenka, belegen ist. Hier, in einem mit blühenden Gewächsen geschmückten Corridor, oder in dem anstoßenden Garten unter Gebüschen und Blüthen, machen die Brunncntrinker und Nichttrinker, meistens elegante Herren und Damen, ihre Spaziergänge, während ein gut besetztes Orchester sich mit guter Musik in die Unterhaltung mischt. Dek Sommer des Jahrs l«43 gewählte den Bewohnern von Moskau eine außergewöhnliche Unterhaltung durch die Ausstellung russischer Manufacturerzeugnisse. Sie ward im Monate Juni des gedachten Jahrs in dein Gebäude des adligen Clubs eröffnet, welches zu den modernen Palästen gehört, an denen Moskau jetzt reich ist. *) Die Eröffnung war begleitet von einer religiösen Feierlichkeit, welche der Metropolit selbst verrichtete. Dies war wohl eine in andern Ländern eben so selten vorkommende Eigenthümlichkeit, wie der Umstand, daß der Einlaß an gewissen Tagen und zu gewissen Stunden un- Natüilicherwcisc ist Moskau seit dem Brande von 1912 stall moderni-sirt. Doch hat eS seine hauptsächliche Eigenthümlichkeit behalten, weil fast alle Kirchen und der ganze, Kreml vom Brande verschont geblieben sind, auch der lion den Franzosen gemachte Versuch, den Kreml zu sprengen, nur geringen Erfolg gehabt hat, so daß der intcressanlestc Theil desselben unversehrt geblieben ist. — Der Palast des adligen Clubs liegt am Ochotnoi-Rjad (was so viel wie Jagd markt heißt.) Dort werben unter andern Dingen Vögel und Hunde zu Kauf gebracht, und man führt als einen Beweis der sanften Gemüthsart der Russen an, daß man an einem gewissen Festtage (dem Tage der Verkündigung), dort Vögel lauft, um ihnen die Freihcil zn geben. Dcr (Nrosnusse ist allerdings sanft. Zu den mancherlei Zügen, welche dieses bestätigen, gehört auch, daß er keine Tauben verzehrt, dagegen aber (wie man in Moskau häufig sehen kann) Schaaren von Taubenu>,terhalt, wenngleich diese Sitte mi< der Vorstellung, baß die Taube das Sinnbild des heiligen Geistes sei, in Verbindung gebracht wirb. 537 entgeltlich war, und namentlich auch den gemeinen Fabrikarbeitern gewährt ward, dennoch aber bei dem großen Zudrange die größte Ordnung herrschte, wie es vielleicht mir bei einem so sehr an Autorität gewöhnten und derselben so willig gehor^ chenden Volke möglich ist. Wir suchen hier hauptsächlich den äußern Eindruck anzudeuten, welchen diese Ausstellung auf den Beschauer machte, und begnügen uns, über den innern Werth der ausgestellten Gegenstände einige beiläufige Bemerkungen hinzuzufügen. Jener äußere Eindruck, namentlich was die Mannigfaltigkeit und Eleganz der ausgestellten Gegenstände betrifft, mochte im Ganzen (mit einigen Ausnahmen und Einschränkungen wollen wir cö gesagt haben) dem der Berliner Auösiellling vom Jahre 1844 wenig nachstehen, die russische Ausstellung aber hinsichtlich der, durch das Moskowischc Local sehr begünstigten, geschmackvollen Anordnung und Einrichtung der Berliner sogar vorangestellt werden dürfen. Die Gegenstände waren in 23 Säle und Zimmer vertheilt, so daß man von Roh- oder Grundstoffen zu fertigen Arbeiten der verschiedenen Zweige des Gewerkswcsenö überging. Daneben waren gewisse Gegenstände an passenden Orten als Verzierungen angebracht; z. B. bemerkte man schon auf dem Vorplätze, beim Hinanstcigen der großen Treppe, welche zu den Sälen und Zimmern führte, einige große buntfarbige wollene Tcppiche, die theils aus einer Fabrik, theils von einigen Damen auß den höhern Ständen herrührten. Einer davon war 13 Arschinen (Ellen) lang und 11 derselben breit. Die Abtheilung der Roh- oder Grundstoffe und der Halbfabrikate waren im Ganzen wenig reich, was auch von russischen Kritikern mit Tadel bemerkt worden ist. *) Einige Pro- ') Herr SlaatSrath von Maölmu zu Moskau hat hicrül'cr in einem gedruckten Belichte ciiic Ansicht ausgesprochen, wclchc wir an cinrm andern Olle näher auöführcu wndm. Man sieht daraus, daß er die Vodrn-erzeugmsse und dic Producle der denselben zunächslstchcndcn Aewerfc für die Hauptqegcnstände bcs russischen NcichthumS hall, und ci spricht die Mcimma miö, „daß die Grundstoffe der öandwirlhschast mit den glänzenden Mamlfacim'crzrugnissrn den Raum (der Ausstellung) zni Hälfte halten theilen sollen," 538 ben von Flachs »lnd Hanf kamen vor, erstere namentlich von einem Bauern des als Beförderer landwirthschaftlicher Verbcsserungen rühmlich bekannten, schon früher von uns crwahn-ten Gutsbesitzers, Hcrrn von Karnowitsch im Gouvernement Iaroslaw, herrührend. Aber am meisten ward in dieser Beziehung wohl die Aufmerksamkeit erregt durch die vielen Proben roher Schafwolle, worunter insbesondere schöne Vließe von Gutsbesitzern in den Dstseeprovinzen sich befanden. Auch au Gespinnsien aus solchen Stoffen fehlte es nicht ganz (als derartige Merkwürdigkeit sind die Leinengarne der Kaiserlichen Alex-androwschen Mauufactur, die mannigfaltigsten Grade der Feinheit von Nr. A bis 3-U) umfassend, zu erwähnen). Zahlreicher waren, die Baumwollengarne, theils aus chiwaischcn, theils aus amerikanischen Flocken durch die Maschinen russischer Fabriken gesponnen (meistens nur von niedrigen Nummern, nämlich bis zu Nr. ^0, jedoch auch eine Probe von Nr. IW), gefärbt und ungefärbt. Nohe und gefärbte Seide, so wie Cocons, hatten kaukasische Gegenden geliefert. (Als Kuriosität erschienen auch Proben der Seidcnzucht eines Einwohners von Moskau.) Daneben sah man Gegenstände verschiedener Art, wie Proben von gereinigtem Talgc und Talglichten, Karbolem, Weizenmehl, Tabacksblättern u. dgl. Zwei Zimmer waren.angefüllt mit fertigem Tuche und anderen Woll enzeu gen, mannigfach an Farben und Graden der Feinheit. Unter anderen waren im Katalog besonders bezeichnet solche Tücher, wie sie zum Gebrauche der Armee und insbesondere der Garde bestimmt sind, und ferner die sogenannten Meserih- und Maslotücher, d. h. solche, wie sie zum chinesischen Handel erfordert werden.*) Diese zeichnen sich durch ihre Dicke und Schwere, und zum Theil durch die Lebhaftigkeit der Farbe (Noth) auö. Aus Polen hatten zur Tuchausstcllung zwci und zwanzig deutsche Fabricauteu Beiträge geliefert. Zu den ausgezeichneten moskowischen Tuchfabriken gehören dic Nowikow'sche, welcher ein Deutscher, Herr Pclzer, ') Di'r N^imc Mcsslih ist dnimigc tiiu's prcnslischm Olles, w» ftiNirr viclc solche,, mich (>hi»a lnsummtcu Tiichcr vl'ch'rtiql wurdm. NiUir MaSlolüchtl» vclsllht >mi>, rim ftinnc ^alluüg. S39, vorsteht, und die Köhnemann'sche (Vorsteher Herr Leclair, der, wenn wir nicht irren, ein Belgier ist). Vielleicht mehr als diese Tücher zogen durch äußern Glanz die in dem folgenden Zimmer sich zeigenden feinen halbwollenen und halbseidenen Zeuge die Aufmerksamkeit der Beschauer und besonders der Beschauerinnen auf sich. Wir fanden hier Damast, Krepp, Musselin, Kamelot, Shawls (diese bis zum Preise von A)W Rubeln), bunte Taschentücher, Meublczcuge, Westcnzeuge, Schärpenbänder u. dgl., größtenthcils aus moskowischen Fabriken (unter denen die des Herrn Gutschkow eine der auöa/zeichnet-stcn ist). Durch dieses Zimmer aber gelangte man ferner zu dem fünften und dem sechsten Zimmer, welche lauter Sei-dcnwaarcn, als Taflet, Atlas, Sammet, Drap d'Or u.a.m. enthielten, die theilweise zu den glänzendsten Gegenständen der Ausstellung gehörten. Die moskowischen Seiden-Manufactc (z. B. von den Fabricanten Kondraschcw, Loktcw, Nochcfort) stehen auf einer bedeutend hohen Stufe, wenngleich sie, nach dem Urtheile Sachkundiger, etwa einzelne Ausnahmen abgerechnet, mit den französischen sich nicht messen können. Dagegen sind dic silber- und golddurchw irktcn Seidcngc-webe, namentlich die Priestcrgcwandcr (welche wohl schon seit älterer Zeit zu den Gegenständen der russischen Industrie gehören), das Schönste, was man in dieser Art in Europa sehen kann. Auch siel eine geschmackvolle Aufzicrung von Bandern, als Ordensbändern u. dgl. in Form einer Säule, besonders in die Augen. Noch mannigfaltiger waren die in vier Zimmern ausgelegten Vaumwollcngewebe aller Art, als Zitze (Milkal, In-dicnnes), Nesscltuch, Plüsche, Nankin, Tülle lc. Die Baum-wollrnmanufactur hat in Nußland in neuerer Zeit erstaunliche Fortschritte gemacht (eine der ersten Fabriken dieser Art zu Moskau ist wohl die schon seit dem Jahre 1U00 bestehende, nur durch dic französische Invasion unterbrochen gewesene der Gebrüder Prochorow). Wer könnte alle die hier ausgelegten, weißen und gefärbten, glatten und gewürfelten, gestreiften und geblümten Zeuge dieses Stosses aufzählen! Einen großen Antheil an der Production dieser Zeuche, so wie wir sie da sahen, hat die jeht einer Actiengcsellschaft gehörige großartige Färberei 540 und Druckerei zu Sarewa, unweit Moskau, welche von dem Schweizerischen Gencralconsul zu St. Petersburg, Herrn Bo-nenblust, geleitet wird. Derselbe sieht auch einer Petersburger Manufactur vor, aus welcher theils mit der Hand, theils mit Maschinen gestickte Tülle hervorgegangen waren, die in der Ausstellung die Bewunderung der Beschauer erregten. Den großartigsten Anblick aber in der allgemeinen Ueber-ficht gewahrte der große Ballsaal des adeligen 6lubs, welcher mit den verschiedenartigsten Erzeugnissen des Kunststeines nicht nur an den Wänden und in dem an diese sich hinziehenden Saulengange, sondern auch in seiner ganzen Länge und Breite, sowie auf der von den Säulen getragenen Gallcrie und der geschmackvoll drapirtcn Tribüne besetzt und ausgeschmückt war. — Auf langen Tischen in der Mitte sahen wir eine große Menge von Gold-, Silber- und Broncc-Arbei ten, metallenes (Hcräthc aller Art, Tischaufsähe, Lampen, Tafcluhrcn :c. — Am Ende der Tischreihen bewunderte man zwei riesige Kandelaber aus der Kaiserl. Glasfabrik zu St. Petersburg, aus welcher auch Vasen von facrttirtrm durchsichtigem Krystall eiii^ geliefert waren. Besonders in die Augen fallend waren ferner das silberne und vergoldete Kirchcngeräthe, Krucifixe, Heiligenbilder und (5hristusbilder, wie sie der Russe in jeder Wohnung und Bude anbringt, auch Folianten (Evangelienbüchcr) in vergoldetem und sonst verziertem Einbande. — Bescheidener in der äußern Anordnung zeigten sich seitwärts die Messing-, Eisen- und Stahlsachen von Tula, Pulkowa und einigen andern ^rtcn, welche sonst eigentlich zu den wichtigsten mid ausgebildetstcn Zweigen der russischen Industrie gehören. Unter ihnen ragten die großen Ssamoware (Theemaschinen) hervor, welche in dem russischen Haushalte eine so große Rolle spielen. — Aber auch unter der Menge von Messern, Scheeren, Schlössern, Leuchtern u. gab es Manches, was die Aufmerksamkeit des Beschauers verdiente: es sanden sich z. B. mit Perlmutter ausgelegte Messer, welche man an Güte sowohl als Wohlfeilheit den englischen gleichstellte. Ls wurden die Namen der Meister, Eawjalow, Kalakin und Gorschkow unter den Vcrfertigcrn solcher Dinge genannt. — In diesem Fache thut die nationalrussische Industrie viel, wenig aber bisher in 541 einer anderen Gattung der Industrie, wozu daö Land dcn Rohstoff ebenfalls in großer Menge und Gute liefert, nämlich in der Verfertigung feiner Lcinewand, wovon mir einige gllte Proben, namentlich z. B. von der Bleiche des obcngenann-ten Herrn v. Karnowitsch, neben den gr obern Flachs- und Hanfarbeitcn sich befanden, die bekanntlich schon lange einen sehr bedeutenden Gegenstand russischer Fabrication ausmachen: wir meinen Taue und Segeltuch, auch daö sogenannte Raventuch und die sogenannte flämische Leinewand. — Reliefplattcn von Kupfer, dcn Kreml und andere Gegenstände vorstellend, waren nicht ohne Kunstwcrth. Auch dagucrrotypirle Darstellungen fehlten nicht, sowie Stickereien, zum Theil Arbeiten von Damen aus den höheren Ständen, ferner Erzeugnisse des Petersburger Instituts der Galvanoplastik, z. B. Brustbilder Peters I. und deö jetzigen Kaisers, auch Büsten von Broncc und von Marmor. Manches an mathcma-thischen und musikalischen Instrumenten war auch vorhanden: die Uhrmach crkunst hatte sogar Chronometer geliefert. Neben sehr elegant gearbeiteten Pianofortcn sah man ferner künstliche und reichverzierte Tischlerarbeiten, wie z.B. Sccretairs und sehr geschmackvolle Schränke, aus deren einem ein Flötenwerk tönte (solche Werke werden in den eleganten russischen Restaurationen zu Moskau und in anderen Städten gebraucht, um Musik zu machen). Dergleichen Sachen rührten zum Theil von Nationalrussen, zum Theil aber auch von Ausländern her, die sich in Petersburg oder Moskau niedergelassen haben. Ein besonders prachtvoller Schrank von Ebenholz, mit Schildpatt und Bronce ausgelegt (zum Preise von W0U Rubel Silber) war aus der Wcrkstelle eines Kunsttischlers, Namens Blechschmidt, hervorgegangen, welcher seine Schule in Paris gemacht hatte und sich damals zu Moskau aufhielt, jeht aber, soviel uns bekannt, bei der Leitung der Mobilienfabrik des Kaufmanns Herrn Georg Ed. Müller zu St. Petersburg (eines gcbornen Hamburgers) angestellt ist, aus welcher auch höchst elegante Schreibtische, Arbeitstische sür Damen und ähnliche Sachen herrührten, die auf der Ausstellung zu sehen waren. Aus der Parkrtfabrik des Letztern waren Parkcttafeln zur Ausstellung geliefert, auf denen Blumen und andere zierliche 542 Figuren nach den außgewähltcsien und geschmackvollsten Zeich-mmgcn, mit glücklicher Anwendung verschiedener Holzarten (s. g. Holzmosaik) angebracht waren, so wie schöne Fournicrc aus dcr damit verbundenen Holzsägcrci. Diese Fabrik verdient deshalb so besondere Erwähnung, weil ihre Producte, nach dem Ausspruche Sachverständiger, an Kunststeiß und sorgfältiger Arbeit alle bisherigen Arbeiten dieser Art übertreffen. ^ Ein anderes Beispiel von Deutschen, welche binnen kurzer Zeit ihr Glück gemacht haben, gewähren die Fabricanten Krummbügel und Schönfcld, welche, dcr eine alö Klempner, der andere als Zinngießcr, ohne eigene Mittel nach Nußland kamen und ihr mit inländischer Privatuntcrstütznng zu Moskau angefangenes Geschäft nach und nach so erweiterten, daß sie jetzt in ihrer dortigen Fabrik etwa 150 Arbeiter beschäftigen und auch zu St. Petersburg eine Zöaarcnnicderlage errichtet haben. Von ihren Fabricate»! (bei denen sie auch die neuesten Erfindungen deß Auslandes benutzen), als Lampen, Krön- und Armleuchtern, sowie Zimmerverzicnmgen von mancherlei Art, wobei insbesondere die sogenannte birminghamcr Bronce angewandt ist, fanden sich manche Proben auf dcr Ausstellung. Die den chemischen Erzeugnissen gewidmete Abtheilung mit ihren Farbcstoffen, Delen, Salzen, Säuren, Firnissen, Proben von Olcin, Wachs-, Talg- und Stearinlichten (von denen die letzten übrigens als ausgezeichnet gerahmt worden sind), würde in der Beschreibung wenig Unterhaltung gewähren. AIs Kuriositäten bemerkte man die Büste des Fcldmarschalls, Fürsten Paskewitsch, von Stearin, aus Warschau eingesandt, und einen von Alaun crbauetcn kleinen Tempel, dcr als eine von seinem Erbauer dieser ihn bereichernden Stoffe dargebrachte Huldigung angesehen werden sollte. Besonders bemcrkcnswerth waren aber die schönen sesten und glänzenden Raffinaden von Runkrlrübcnzucker, welche wohl mit dem besten Rohrzucker wetteifern konnten (ich erinnere hiebci an die anderweitig beschriebene großartige Fabrik dcü Grafen Alexei 'Bobrinskij zu Michailowsk). Große Mctallarb ei ten, als Kessel, Oesen, Tiegel u. dgl., sowie rohe Metalle aus verschiedenen Hüttenwerken, waren in einem besonderen Naume ausgestellt. Interessanter aber erschienen zwei Säle, in welchen sich mcchcmische 543 Hülfsmittel der Gewerbe, insbesondere Maschinen und andere Instrumente, Zeichnungen :c. befanden. Das technologische Institut zu St. Petersburg, die Kaiserliche Alexan-drowsche Manufactur daselbst, die Handwert'Sschulc des Kaiserl. Erziehungshauscs zu Moskau, die (jetzt von der Regierung übernommene) Stroganowsche Zeichnenschulc daselbst und inanche Privatpersonen batten Beiträge geliefert. Man sah Iner einen Dampfkessel, eine Feuerspritze, sowie Modelle von Baumwollspinnmaschinen, dcu Iacquardschcn Webrstuhl für Scidenbänder, einen mechanischen Tuchwebestuhl aus der erwähnten Nowikowschcn Fabrik, *) verfertigt von einem russischen Bauerntischler, Iwan Masin, auch eine Flachßspinnmaschine von der bekannten Einrichtung (wo kleine sich gegen einandcr-drchende Wellen die Stellen der Finger vertreten). — Sachverständige wollten indessen die sich hier zeigenden Modelle von Fabrikmaschinen nicht loben. — Thurmuhren erregten ebenfalls die Aufmerksamkeit. Unter vielen anderen Gegenständen, die sich in dieser Abtheilung befanden, erwähnen wir noch der mannigfaltigen land w irth sch astIi ch e n Werkzeug e, welche aus der zu Moskau errichteten, von der Regierung unterstützten Fabrik der Gebrüder Bntenop (geborener Holsteiner) hervorgegangen sind. In einem andern Raume befand sich Fuhrwerk aller Art, von der einfachen Droschke bis zum Parade-Landauer. Schöne Equipagen sah man hier, die wohlfeiler, alS pariser ähnliche Arbeiten sein, jedoch den wienerischen an Güte und Wohlfcilheit nachstehen sollen. Den Wasfensaal hatten meistens Negierungsanstalten, wie das pctersburgi'sche und das kiewsche Arsenal, nebst Privatfabriken zu Tula, Moskau und Warschau gefüllt. Es fehlte nicht an Geschützen mancher Art, Kanonen wie Kleingewchr:e. Die in drei Zimmern ausgelegten Lederwaaren wollte man im Ganten nicht so loben, wie man bei diesem von älterer Zeit her in Rußland einheimischen Zweige der Industrie cr- ') Dieser Wrbeswhl wird in dcr Falnil dmch Dampf grtiichni, ist aber doll nur in miigcu wenigen sinmpl,nen lwlhmldm, da man die Hand- ' wcdtlci aus vm'ci'irdmm lsp"!cr zn n'wcilmmdcn) Gnmdm v>,n'tln'i>ba'!n findtt. 544 warten könnte, obgleich freilich manche hübsche Arbeiten, als Iuften, Fußzcug u. dgl. vorkamen. Daneben fand man auch schöne Sachen anderer Art, wie Tabacksdosen, Büchcrcinbändc :c. Die in anderen Räumen ausgestellten Glas-, Krystall-und Porzelanerz eug nisfe sind desto mehr gelobt worden. In reichlicher Menge waren solche von der Kaiserl. Fabrik zu St. Petersburg eingeliefert worden; doch sind auch Privatfabriken nicht zurückgeblieben. — Die Fayencesachm wollte man nicht besonders rühmen *). Es gab noch manche Gegenstände verschiedener Art, wie Proben von krimmischen und kaukasischen Weinen, auch Bier, Taback, Cigarren u. dgl., bei denen wir uns nicht besonders aufhalten. — Auch gutes Papier von verschiedenen Sorten, namentlich Schreibpapier und Velinpapier, konnte man finden, uno daran schlössen sich endlich sehr schöne Tapeten, namentlich unter andern aus den polnischen Fabriken von Moes und Vetters und von dem Petersburger Fabricanten Schäfer (einem gebornen Hamburger). Die große Ordnung, welche von den Mitgliedern der Aus-stellungs-Committee mit Artigkeit und Höflichkeit bei den zahlreichen Besuchen gehalten ward, erleichterte die Bcschauung so vieler Gegenstände auf der langen Wanderung durch alle die erwähnten Räume und durch die in den einzelnen Räumen vermittelst der Tische und sonstigen Barrieren bezeichneten Schlangenwege. Indem man den Palast verließ, trat man unter eine eigens zu diesem Zwecke angebauete hölzerne Vorhalle, vor welcher eine Menge von ein» und zweispännigcn Droschken, sowohl wie zwei- und vierspännigen Kutschen bereit war, die Besucher und Besuchcrinncn, der Sitte der russischen Hauptstädte gemäß (da man weniq zu Fuße geht) nach Hause zu bringen. ') Hcn von Masslow sagt in dcm erwähnten Berichte: „Man kann cutschieden behaupten, daß unsere Glas-, Krystall- und Porzclanerzciignisse an Reinheit der Glas- und Thonmassm. au Schönheit der Formen und Farben, der Malerei, d,rr Venioldlimi und Arbeit weder den böhmischen, noch den sächsischen nachstehe: die Fayencesachen aber sind weit hinter den englischen zurückgeblieben," — Uebrigenö führt er an, baß eine Porze-lanfabrik (im Gonverüciümt Moöka») scl'vn seit dem Jahre 17NN bestehe. 545 Eine Ausstellung von gewerblichen Erzeugnissen des russischen Reichs wird alle drei Jahre abwechselnd m Moskau, Petersburg und Warschau abgehalten. Unter diesen drei Städten ist ohne Zweifel die erstgenannte mit der sie zunächst umgebenden Gegend die reichste an Manufacture,!. Da ich mehrere der bedeutendsten dortigen Fabriken gesehen habe, so mögen die folgenden Bemerkungen über diesen interessanten Gegenstand hier ihre Stelle finden. Man zahlte im Jahre 1842 im Gouvernement Moskau flaut der offiziellen Zeitung dieses Gouvernements) 05 Wollfabriken, 125 Seiden- und Halbscidenmanufacturen, 19 Baumwollenspinnereien und 252 Baumwoll- und Halbbaumwollwe-bercicn. Die Baumwollweberei ist meistens Gegenstand der häuslichen Industrie auf dem Lande, daher anzunehmen ist, daß unter der angegebenen Zahl alle diejenigen Unternehmer mitbcgriffcn sind, welche ihre Gewebe von Bauern in deren Wohnhäusern verfertigen lassen. In einigen Fabriken wird Baumwoll- und Seidenweberei zusammen getrieben. Färberei und Druckerei ist in einigen Fabriken mit der Weberei verbunden, doch giebt es dafür auch großartige eigene Fabrikanlagen. — Die genannten Gegenstände sind der Menge nach die wichtigsten für die dortige Fabrikindusirie. Die Metallverarbeitung, welche vorzugsweise im Großen in andern Theilen des Reichs getrieben wird, beschränkt sich dort mehr auf feinere und für den Luxus bestimmte Gegenstände. Das ganze Gouvernement Moskau, auf den, Lande, sowie in den Städten, ist reich an Fabriken. Man zählte deren in allen Gattungen im Jahre 1tt42 1W5. Die Hauptstadt schließt ungefähr zwei Fünftel derselben in sich. Ucbrigens hat sie sich schon von älterer Zeit her durch Gewerbsamkeit ausgezeichnet, wie auch die alten Namen gewisser Straßen und Stadtviertel andeuten, z.B. die Schmiede brücke (nicht Marschallsbrücke, wie es in der deutschen Uebersetzung einer französischen Reisebeschreibung heißt), die Ar bate (von Arba, d. h. Wagen), die Ko-shewn iki (von Koshewnik, Gerber). Schon im l(i. Jahrhundert soll man grobes Tuch und Drap d'Or in der Stadt verfertigt haben. Was den crstgcdachtcn Fabrikzweig, die Verarbeitung der 35 540 Schafwolle, betrifft, so habe ich die oben erwähnten Tuchfabriken von Nowikow und Köhncmann gesehen, in welchen die Wolle durch alle Stadien der Verarbeitung, vom Sortiren an bis zum Fertigen gefärbter Tuche, hindurchgeht. — Die gewöhnlichen Operationen der Bereitung des Garns werden vermittelst der jetzt gewöhnlichen Maschinen bewerkstelligt. Auch die sogenannte Mule-Imny fehlt nicht. Die Nowikowsche Fabrik hat eine in Rußland verfertigte Dampfmaschine, aber diese wird nicht unbedingt gelobt, und die, welche sich in der Köhnc-mannschen Fabrik befindet, rührt aus der Anstalt von Coqueril her. Das Weben geschieht, mit Ausnahme einiger weniger Stühle, in der Nowikowschen Fabrik, wie oben bemerkt, vermittelst Handwcbestühlc. Das Schecren des Tuches geschieht nicht viel mehr mit der Hand, sondern mittelst einer künstlichen Maschine. Nowikow hatte seine Anlage vor 1^ Jahren, ohne Capital, klein begonnen, sie aber nach und nach erweitert, und beschäftigte um die Zeit meiner Anwesenheit mit Inbegriff von Weibern und Knaben etwa lOOl) Arbeiter. Seine Fabrik verfertigt Tücher bis zum Preise von 1l) Rubel (etwas über drei Thaler preuß. Courant) für die Arschin oder Elle. Dies ist eine gute Mittelsorte, und nach der mir von einem Sachverständigen gemachten Mittheilung sind die von russischen Fabriken verfertigten theureren Sorten nicht preiswürdig. Auch die meisten in der Köhncmannschen Fabrik verfertigten Tücher kosten nicht über 12 Rubel, einige Sorten jedoch bis zu 24 Rubel die Arschin. In der oben schon erwähnten Prochorowschen Seide n-, Wollen- und Baumwollenw eb crci wurden unS sehr mannigfaltige Musterzeichnungen und Malereien von der Hand und Erfindung der Lehrlinge der Fabrik, deren einer auch zu seiner Ausbildung nach Paris geschickt war, gezeigt: für Zitze jedoch, sagte man uns dort, seien ausländische Muster vorzuziehen.— Bei Roche fort und dem Stadtrathe, Herrn Loktew, hatten wir die Erzeugnisse der Jacquards in den mannigfaltigsten Seiden- und Halbseidcnzeugen, Sammet:c. zu bewundern. Der Letztgenannte gab an, daß er seine Sachen, als Westen-zeuche, Ordensbänder, Kaschemirs mit mannigfaltigen Figuren, wohlfeiler verkaufe, als ähnliche zu Paris verkaust würden: 547 was zu Paris zu !) Francs verkauft werde, gebe er zu 5 Rubel Banco oder Assignaten (ein Rubel Assignaten ist 1'/- Silbergroschen mehr mcrth, als ein Franc). In diesen Fabriken findet man den Dampf nicht. Bei Rochefort wird zwar auch gedruckt, aber nur Handdruck angewandt. Eine sehr große Weberei mit Färberei und Druckerei für Seide und meistens für Baumwolle (Merinos u. dgl.) ist die der Gebrüder Gutschkow, worin sich 600 Webcstühlc (aber ebenfalls keine zil»v«l-looms) befinden. Außerdem lassen sie in Dörfern weben. Unter den Erzeugnissen der Fabrik zeigte man uns auch baumwollene Shawls mit mannigfaltigen Farben und Figuren. Die Gebrüder Gutschkow gehören zur Religionßpartei der Altgläubigen (Starowcrzcn, Starowjerü). Sie führten uns auch in ihren mit Treibhäusern und einer Orangerie versehenen Garten lt., wo Ananas von außerordentlicher Größe gezogen werden. In der Orangerie, die einen geschmackvollen Wintergarten bildet, finden sich Bäume, die für 2000 Rubel gekauft sind. Bei Gutschkow werden die Maschinen-Operationen durch Wasserkraft hervorgebracht, dagegen aber in der großen Druckerei von Vinke in welcher Walzendruck vorkommt, durch Pferdekraft, welche, wie der Fabrikinhabcr angab, wohlfeiler ist als Dampfkraft, da die Dampfmaschinen so theuer sind. Doch werden diese angewandt in der oben erwähnten großen Zitzdruckerei und Färberei zu Sarcwa, zu den Operationen des Väschens, deS Färbens, des Walzcndrucks n. Diese Anlage beschäftigt etwa 800 bis !)00 Menschen, und es werden jährlich für etwa 2 Millionen Rubel Zitze gefärbt und bedruckt. Sie befindet sich in einem Walvthale, ungefähr 50 Werste von Moskau, an einem Flüßchcn, welches vermittelst eines Schleusen-werkcs einen Teich bildet. — Merkwürdig ist, wie mannigfaltige Operationen die dünnen und schwachen Zeuge durchmachen müssen, um die gehörige Farbe, Glätte:c. zu bekommen, und man begreift nicht, daß sie, z. B. durch das Sengen (indem man sie über einen glühenden Ofen wegzieht) nicht zerstört werden. Sie müssen, nach Kohl's Ausdruck, buchstäblich durch Feuer und Wasser gehen. — Auch nöthige Apparate, als Walzen, Violetten :c. werden in der Fabrik verfertigt, und die vom Auslande herbeigeschafften Mustcrzeichmmgen und Malereien 35,"' 548 copirt. Bei meiner letzten Anwesenheit in dieser Fabrik (am Ende des Jahrs 164,'y fand ich dort neue Einrichtungen, welche, wie man mir versicherte, sich sonst noch nirgends auf dem Kontinent fanden. Nicht weit von Sarewa, in einem Dorfe, Namens Wos-nesensk, befindet sich eine der größten B a u m wolIspinncrci >> n, einem Herrn Lcpeschkin gehörig, unter der Aufsicht eines Engländers. Diese Fabrik, welche mit Dampf und zum Theil mit Wasserkraft getrieben wird, beschäftigt wenigstens 700 Arbeiter, imd die Zahl der schon vorhandenen Spindeln wird zu 1L,0l)0 angegeben: es sollten aber noch 10,000 hinzugefügt werden. Ganz kürzlich erst in England gemachte Erfindungen, z. B. die sinnreiche öto^m^-mulion, welche darin besteht, daß sowie ein Faden reißt, der Spinnstuhl von selbst stille steht, wandte man hier schon an. Der Aufseher zeigte mir ein Gcspmnst von Nr. 00 vor, als das feinste Erzeugniß der Fabrik, bemerkte aber, daß eö nur zu der Moskauer Ausstellung gemacht sei, da solche feine Gespinnste nicht genug Absatz fänden: was am meisten Absatz sinde sei etwa Nr. 48 "°). Merkwürdig war mir auch eine von einem Lübecker, Herrn N., zu Moökau ncu eingerichtete Fabrik von mit Maschinen gewebtem Tüll oder Bobinet. Diese künstlichen Maschinen waren von einem russischen Grafen zu Nottingham für 15!>,000 Rubel gekauft und trotz des in England für Dergleichen besiehenden Verbots ausgeführt. Die ganze Anlage, mit Inbegriff der Zusammensetzung der Maschinen, kostete den Grafen 240,000 Rubel. Nach seinem Tode ward das Ganze wegen eines Rechtsstreites versiegelt. Nach der 6 Jahre später geschehenen Entsiegclung kaufte der jetzige Inhaber die Maschinen, welche nun ihn mit der Zusammensetzung nur 30,000 Rubel kosten. Es soll aber das Bestehen einer solchen Fabrik sehr ') Eine Maschmmspinnrrci für Flachsgarn hcibc ich in Nußlmid nicht gesehen, und außer der Kaiserl. yllciandrowschcn Manufattuv bei Et. Petersburg soll cs mii eine im ganzen Reiche geben. Aber zu Weliloc-Sclo, einem Flecken umvcil Iaroölaw, sah ich cinm Spiimsaal, in wclchcm etwa 3l) biö 4l) Mädchen smgmb mit ihrm Handspimlladcru arbcilctt». 549 schwierig sein wegen deS Schleichhandels, der bei einem leicht heimlich einzuführenden Fabricat den Zollschutz illusorisch macht. Was Metallverarbeitung betrifft, so habe ich zu Moskau nur von zweien dahin gehörigen Fabriken das Innere gesehen. Die eine ist merkwürdig durch den Werth des Stoffes und den Reichthum ihres Inhabers. Es ist die Silb erdrat hfabrik eines Herrn Alcreiew, von dem man sagt, daß er 40 Million Rubel in der Bank niedergelegt habe. — Von der Dchnarbcit des Silbers bekommt man hier einen Begriff, wenn man sieht, wie armdicke Stäbe durch verschiedene Operationen zu dünnen Fäden werden. Die andere Fabrik ist die schon obenerwähnte der Herren Krummbügel und Schönfeldt, m welchen Sachen sehr mannigfacher Art, namentlich Lampen von neuer Erfindung, Z-immerverzierungen, Spiegel- und Bilderrahmen von Birminghamcr Bronce u. s. w. verfertigt werden. Diese Bronce bekommt durch Beizen einen dem Golde ähnlichen Glanz. Der eine der beiden Fabrikinhaber ist meistens auf Rnscn, um ausländische Erfindungen und Musier zu sammeln. In Altem wird auf Wohlfcilheit hingearbeitet. Viele Sachen, z. B. Schreibzcuge n., die man sonst aus Messing machte, werden der Wohlfcilhcit wegen aus Zinn gegossen und dann gefirnißt, so daß sie ein elegantes Ansehen bekommen. Alle Zweige der Verarbeitung des rohen Materials sind hier vereinigt. Klempner, Zmngicßcr, Presser, Maler, Verfertiger der sogenannten Stampfen zum Pressen und dergleichen Arbeiten mehr findet man hier zusammen. Die Räder des Drehwerkes werden von Blinden gedreht, aber schon war eine kleine Dampfmaschine von drei Pferdckrästcn ausgestellt, welche bestimmt war, diesen Unglücklichen ihren Erwerb zu rauben. Einen nicht wenig interessanten Gegenstand der Beachtung in den russischen Fabriken sind die Arbeiter, welche uns in mehreren Beziehungen ein anderes Bild darstellen, als die Fabrikarbeiter in den westeuropäischen Ländern. Da sie fast alle Landleute oder Bauern sind, und in der Regel nur zeitweilig und mit Unterbrechung den Fabrikarbeitcn obliegen, so sinden wir bei ihnen die tzharakterzüge des russischen Landvolks, d. h. eigentlich des russischen gemeinen Volkes überhaupt, von welchem die niedern Elasscn der Städter nur einen geringen Theil 5b0 ausmachen, der sich wenig vom Landvolke unterscheidet. Außerdem aber zeichnen sie sich im Ganzen durch ihre bessere Lage und körperliches Wohlsein vor den Fabrikarbeitern anderer Länder aus. Ihr Verhältniß ist der Art, daß sie nicht Proletarier werden, und es folgt schon daraus, daß der Arbeitslohn nicht zu niedrig werden kann, weil der Arbeiter nicht durch die Noth gezwungen ist, sich den Lohn durch Gutdünken des Herrn bestimmen zu lassen. Außerdem ist im Allgemeinen noch kein Ueberstuß an Arbeitsuchenden. Der Arbeitslohn ist daher meistens reichlich, und namentlich bei den Webern in den Wollen- und Seidenfabriken so bedeutend, daß sie ein Erkleckliches ersparen können *). So müssen die Fabrikherrcn es sich meistens auch gefallen lassen, daß die Arbeiter zweimal im Jahre auf mehrere Wochen nach Hause gehen. Dies geschieht nämlich zur Erntezeit und zum Osterfeste. Einzelne verzichten freilich wenigstens auf das Erstere, aber dieser sind bisher vcr-hältniß wenige. Schon daraus erklärt sich das gesunde Aussehen und muntere Wesen der Arbeiter, welches mir in den meisten Fabriklocalen, jedoch nicht ganz ohne Ausnahme, aufgefallen ist, und wovon auch andere Rcisebeschrcibcr reden. Freilich trägt dazu gewiß auch die gesunde Luft in den Arbeitssälen bei, für deren zweckmäßige Einrichtung durch polizeiliche Vorschriften gesorgt ist, wie denn überhaupt die Sorge der Regierung für diese Elasse sich schon durch mehrere Maßregeln bethätigt hat*^). Dahin gehört die Verpflichtung der Fabricanten, ein Krankcnlocal einzurichten und einen Arzt dabei zu halten, und ferner, weil auch dort schon Kinder zu Fabrikarbeiten gebraucht werden, diese zum Schulbesuche anzuhalten. Es sind deshalb schon in einigen Fabriken selbst Schulen errichtet. Eine solche findet sich z. B> bei Gutschkow und wird dort Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen ertheilt. Am vollständigsten und ausführlichsten ist aber wohl die schon vor 20 Jahren eingerichtete Unterrichtsanstalt in der Prochorowschen Fabrik. In dieser Fabrik befinden sich als Lehrlinge moskauische Bürger- ') Urbtr die Lohnst wcrdm wir spätn nahcre Not,zcn b,, Waaren ergangen. 551 söhne, die ganz von den Fabrikherren unterhalten werden und denen für ihre Arbeiten Lohn berechnet wird, so daß sie bei ihrer Entlassung, welche nach siebenjähriger Lehrzeit, etwa im siebenzchnjährigcn Alter geschieht, ein kleines Capital mitnehmen. Sie haben täglich einige Unterrichtsstunden, die meisten aber Sonntags, und werden in der Religion, im Schreiben, Zeichnen, Malen und im Gesänge unterrichtet. Der Religions-lehrer, ein christlicher, ist zugleich Ausseher *). ' ) Auf die Verhältnisse der russischen Fabrikarbeiter werde ich noch an einem andern Orte zurückkommen. Hier will ich nur noch bemerken, das! ich im Allgemeinen die Darstellung, welche schon Storch ((Yemälde von St. Petcröbnra,, Riga 1794 Th, l. S. 153 u. Th. II. S. 376) von dem Zustande der russischen Arbeiter giebt, sowie was Kohl in seinem Werke über St. Petersburg Th. II. Bd. 16 sagt, auch zu Moskau durch den Augenschein und über-liustimmcnte Angabe» bestätigt gefunden habe. Der Erstere bemerkt, baß der geringste Tagelöhner zu St. Petersburg ungefähr dreimal so viel verdiene, als es ihn koste, aus die schlechteste Art satt zu werden, sowie daß seine Kleidung immer zulänglich sei. Die Stelle bei Kohl, wo er von der Stieglitzschcn Baumwollenspinnerei zu St. Petersburg spricht, ist folgende: „Auffallend war das gesunde und frische Aussehen dieser Fabrikarbeiter in Vergleich mit dem depravirten, kränklichen, dcmo-ralisirlcn und clendm Fabrikpöbcl, den man in den Mänufactnrdistrieten Belgiens, Frankreichs und Deutschlands findet (in England war Kohl damals noch nicht gewesen, als er dies schrieb). Die beweglichen Russen bleiben in keiner Lcbenssilualion so lange, daß dieselbe eigenthümlich schädlich aus sie einwirken tonnte. Auch ist die Tyrannei der Fabrikhcrren hier bei weitem noch nichl so auSgcbilbet, wie in andern Ländern." — Ferner spricht Kohl von den Gesängen, welche man auch in Fabriken härt, und sagt: „Schwerlich mllgte es bei jedem andern weniger poetischen und gesangreichcn Volke fich ereignen, das? sogar die prosaischen Maschinen dieser ncnrn Fabrik-käsige von Liedern umgaukelt werden, wie jene alten homerischen Wcbe-stühle der gesangreichen, stet« fleißig umwandelnden Ciree oder Calypso". — DaS interessanteste Beispiel von der zuletzt erwähnten ssigenthümlichkeit sahen wir zu St, Petersburg bei dem gro'fltm dortigen Tabacksfabrieauten Shnl'l.'w, der früher Schweinctreiber gewesen sein soll. Er hat aus seinen Arbeitern tin ganzes Sängerwrps errichtet, welches theils geistliche Gesänge, theils Volkslieder mit Begleitung einer Art Schalmei aufführt. Das Merkwürdigste dabei war mir ein lwjährigcr kleiner Mann, der als sshorfiihrcr gewisse Stellen der Lieder mit Tanzbewegiingen begleitete. Wie el ft m Tanzschritten, baß Tambourin oder ein paar Rasselbüchsm, wie ssastagneltcn, schwingend vor- und rückwärtsschwcbte oder sicli im 552 Zur Beförderung des Absatzes einheimischer Fabricate ist im Jahre 1d43 ein Magazin russischer Manufactur-producte errichtet, welches dem Präsidenten des Manufactur-raths zu Moskau, Geheimen Rathe A. von Meyendorf, seine Entstehung verdankt. Es befindet sich an der Schmiedebrücke (derjenigen Straße, wo die elegante Welt am meisten verkehrt). Man findet dort ausschließlich russische Erzeugnisse, Fabricate mancherlei Art, als Wollen-, Baumwollen- und Seidenzeuge, z. B. guteS, zwei Arschin breites Tuch zu 3 Rubel Silber die Ellr, Metallsachcn, Porzellan- und Glaswaaren, Stearinlichter, Papier, Tabacksdoscn :c. Die Preise sind fest und auf 5 bis 10 Procent über den Fabrikenpreis, wie er beim Verkaufe im Großen sich stellt, als Mittel zwischen Fabriken- und Budenpreis, angesetzt. Alle Theilnehmcr verbürgen dic Solidität der Waaren. Nach der, mir am Ende des Jahrs 1843 mitgetheilten, Angabe des genannten Herrn verkaufte man täglich im Durchschnitte für ungefähr 1200 Thaler. Im März des gedachten Jahres, dem Monate, in welchem das Unternehmen begann, befanden sich dort erst die Erzeugnisse von 12 Fabri-canten, im December aber schon von W. — Einer der Zwecke dieses Instituts ist, geringen, unbemittelten Fabrikanten Gelegenheit zum Absätze ihrer Erzeugnisse zu geben. Doch habe ich auch von einem Fabricanten die Klage vernommen, daß dieser Zweck nicht zur Genüge erreicht werde, weil der große Fabricant seine Kunden, mit denen er im Großen Geschäfte mache, für sich behalte und nicht an das Magazin verweise. Jener Fabricant hielt es deshalb für zweckmäßig, eine besondere Niederlage zum Verkaufe im Großen für kleinere Fabricanten zu errichten. Sollte aber dadurch das Uebergewicht der großen beseitigt sein, und wie soll die Schci-dungslinie zwischen kleinen und großen gezogen werden? — Ich vernahm auch den Tadel, das Local sei zu elegant, und würden dadurch Kauflustige, vielleicht weil sie zu theure Preise Kreise herumdrehte, j» bei lebhaften Stellen wie begeistert sich gebärde!« und jubelnd aufjauchzte, inußte ich unwillkürlich an den gritchischcn Chorführer (Xoyisvu^), an die Bacchuötänze, an das I o und Evoe u. dgl. denken. 553 vermutheten, entfernt gehalten. Aber auf die große Volksmasse wird ohnchm nicht zu rechnen sein. Diese wird ohne Zweifel noch serner, wie bisher, auf dem Bazar ihre Bedürfnisse befriedigen, wohin die alte Gewohnheit sie führt und wo sie ganz nach Belieben auswählen und feilschen kann, wie es die Russen lieben. Den Bazar von Moskau, welcher, nach Laveau, *) in seinen bedeckten Galerien 5228 Buden enthält, will ich nicht schildern, da man diese in allen, wenigstens in den größern russischen Städten sich sindenden Anlagen aus früheren Beschreibungen schon kennt. Namentlich paßt Kohl's Schilderung des LebenS und Treibens auf dem Petersburger Vazar *"') auch auf den moskauer, nur scheint es mir, daß er seine Farben etwas stark austrägt. Insbesondere kann man das Talent des Schacherers, welches die russischen Handelsleute auszeichnet, hier eben so gut bewundern. Aber die Lage des Bazars von Moskau an dem großen und hochgelegenen Rothen oder Schönen Platze (Krasnaja Ploschtschad), von welchem man einen Theil der Stadt Übersicht, der östlichen Kremlmauer und dem Thore des Erlösers gegenüber, im Angesichte der wunderbaren Kirche des Schützes der heiligen Jungfrau, ist viel imposanter und reich an interessanten Erinnerungen für den Nationalrussen, dem hier zunächst die in der Mitte des Platzes aufgestellte kolossale in (5rz gegossene Gruppe der BaterlandSbefreicr, Mim'n und Poscharski, in die Augen fällt, — der Erstere, der muthige Bürger Nisthnj-Nowgorods, den Letzteren, den schon im Streite für's Vaterland verwundeten Fürsten, zu neuem Kampfe aufrufend, mit der Linken das Schwert desselben ergreifend, mit der Rechten auf den in den Händen der Polen befindlichen Kreml und die durch Feuer verheerte Stadt deutend. — Auf einem der Basreliefs des Fußgcstelles sieht man die Opfer, welche die Vaterlandsliebe brachte, angedeutet: Reiche bringen ihr Geld, Väter ihre Söhne, Frauen ihr Geschmeide. — Der aus den Jahrhunderte hindurch immer erneuerten Kämpfen erwachsene Nationalhaß der Russen gegen die Polen versinnlicht sich *) Lavcau, descrinlion rl« Moscou, Moscou 1835. ") Kohl, Pttciölimg '» Bildern und Stizzm, Th, l. S. 108 ff. 554 hier dem Beobachter neben seiner Ursache, nämlich der die große Masse des Volkes durchdringenden, mit der Anhänglichkeit an die nationale Religion verbundenen Vaterlandsliebe, welche ein moderner Tagesschriftsteller, trotz des Jahrs 1812 und im Widersprüche mit allen geschichtlichen Zeugnissen, den Nüssen hat abstreiten wollen, weil sie Sclaven seien! Zu den weiteren Merkwürdigkeiten Moskaus, auf welche wir unsere Aufmerksamkeit zu richten vorzugsweise Veranlassung fanden, gehören die Unterrichts- und Erziehungsanstalten. Die eigentlich gelehrten Anstalten sind bekannt genug, 'um nur erwähnt zu werden: ich meine insbesondere die Kaiserliche Universität und die mit ihr in Verbindung stehenden Anstalten, nämlich theils ihre Sammlungen, wie das n a t ur-historische Museum, das merkwürdige Lodersche anatomische'Cabinet mit den Lieberkühuschen Präparaten und das chemische Laboratorium, sowie die Bibliothek, deren Bücherzahl mir aus 7<),<)()<) Bände angegeben ward, *) theils die Gymnasien, theils die verschiedenen gelehrten Gesellschaften, unter welchen die von dem berühmten Naturforscher, dem jetzigen wirklichen Staatßrathe Herrn Fischer v. Waldheim gegründete Kaiserl. natur h isto rische Societät sich schon durch eine Ncihe von Druckschriften in russischer und französischer Sprache allsgezeichnet hat. Ich kann jedoch nicht unterlassen zu bemerken, wie selbst in Moskau, diesem Mittelpunkte russischen Volkslebens und russischer Literatur, bei den Gelehrten deutsche Bildung herrschend ist. Alle, auch national-russische Professoren, welche ich kennen lernte (unter welchen ein rühmlich bekannter Geschichtsforscher aus dem Stande der Leibeignen hervorgegangen sein soll), sind der deutschen Sprache mächtig. Diese Gelehrten kennen die deutsche Literatur ihres Faches, sie legen auch häufig deutsche Werke, z. B. von Sa-vigny's, Heeren's, von Malchus, welche sie von ihren Zuhörern übersetzen lassen, **) bei ihren Vorlesungen zum Grunde. Dieses *) Schnitzle! giebt vom Jahre 1830 nur 2N,474, aber vom Jahre 1331 schon 22,777 Bände an. Sehr schätzbare Werke soll die Bil'liolheü di's Synods enthalten, aber schivel zugänglich scin. ") Dies geschieht so, dasi der Professor dic Arbeit dcS Uchersetzcnl! unttr 555 ist kein Wunder, da die Regierung die jungen Leute, welche sie zu Professoren bestimmt (meistens sogenannte Kronstudenten, d. h. die auf ihre Kosten im pädagogischen Institute zu St. Petersburg studircn und dafür verpflichtet sind, 0 Jahre der Krone zu dienen), gewöhnlich eine Zeit lang im Auslande, namentlich in Deutschland, reisen und studiren läßt. Bekanntlich haben deutsche Schriftsteller der russischen Regierung neuerdings vorgeworfen, daß sie das deutsche Element durch das russische unterdrücken wolle, während kürzlich ein russischer Buchschreiber es tadelte, daß sie die Deutschen in Rußland herrschen lasse. Ich glaube, daß man das Letztere als Thatsache in dem obigen Sinne in gewisser Maße anerkennen kann, ohne in den Tadel einzustimmen. Die wissenschaftliche Ueberlegcn-heit des deutschen Elements macht sich hier von selbst und mit einer gewissen Nothwendigkeit geltend, und daß es der volks-thümlichcn Entwickelung russischer Elemente nicht entgegen stehe, würde man schon aus der kosmopolitischen Natur jenes Elements schließen können, wenn man auch nicht beobachtet hätte, wie selbst die für die nationale und geschichtliche Entwickelung schwärmenden Russen, die sogenannten Slaw omatt en, deren ich mehrere interessante und achtungswcrthe zu Moskau kennen gelernt habe, ebenfalls deutsche Bildung habeu und durch deutsche Literatur angeregt zu sein scheinen *). — Nicht weit von dem großartigen Universitätsgebäude sieht man ein geschmackvolles Gebäude in italienischem Stile: dies ist die Pensionsanstalt für junge Adelige, welche den vorbereitenden Unterricht biß zum Besuche der Universität empfangen. Einer meiner moskowischcn Bekannten äußerte, die Pen- seine Zuhörer vertheilt, dcrm jeder somit nur nmugc Rogen zu verarbeiten hat. *) Der Vinftuß deutscher Philosophie erstreckt sich sogar auf die geistlichen Schulen. — E>" ocrühmtcr Prustssor dcr geistlichen Akademie des Klosters Troizk, Golobmsfi, hält, wie ich vernahm, VorlcstmaM «bei Hegelschr Philosophie. Einen Schüler von ihm, Putiatin, Protopresbyter an dcr Kathedrale zu Iaroölnw und Professor der geistlichen Beredsamkeit am dortigen Seminar, lernte ich dorl kennen. Dieser liebenswürdige Mann, mit dem ich mich nur in lateinischer Sprache unter- 556 sionßcinrichtung sei nothwendig, weil die jungen Leute in Folge der mangelhaften häuslichen Erziehung, wenn sie sich selbst überlassen wären, moralisch verdorben würden. Der um die Verbesserung dieses Instituts, wie ich hörte, sehr verdiente dermalige Vorsteher desselben, Tschcwilöw, zugleich Professor der politischen Ockonomic an der Universität, sagte mir, dasi man die Absicht hege, die Pensionairs auch als Studenten der Universität in der Anstalt zu behalten, was bisher wegen Mangel an Raum noch nicht ausgeführt sei. — Die Urtheile, welche derselbe Mann über verschiedene deutsche Notabilitäten seines und meines Faches auZsprach, schienen mir von gründlicher Kenntniß zu zeugen, obgleich ich andern seiner Aeußerungen, z.B. seiner nach der Ansicht der Smithschcn Schule gebildeten Meinung über Gewerbcfrciheit, nicht unbedingt beistimmen konnte. Eine besondere Erwähnung verdient die Handlung 8-Akademie, übcr welche wir dem jetzigen Director, Herrn Staatsrath von Schröder, ausführliche Mittheilungen verdanken. Sie entstand im Jahre 1804 und erhielt sich unter verschiedenen ungünstigen Verhältnissen durch die Mittel, welche moskowische Kaufleute hergaben, indem jedoch Unterstützung der Regierung hinzutrat. Doch sind die Geldverhältnisse des Instituts bei großen Ausgaben nicht befriedigend, zumal da ein Realgymnasium und ein Privatinstltut mit ihm in Concurrenz getreten sind. Lin Verein von Kalifleuten hat sich zu jährlichen Beiträgen verpflichtet: aus ihm geht der Verwaltungsrath hervor, an dessen Spitze ein vom Kaiser ernannter Curator, jetzt der frühere Gencralgouvcrncur von Moskau, Fürst Go-lizün, steht. Bekannte deutsche Gelehrte, wie Schlozer und der nachhcrige Bonner Professor Strahl, sind Lehrer an dieser Ansialt gewesen. Sie hat außer den kost- und lehrgeldzahlenden Zöglingen auch einige, die auf Kosten der Anstalt unterhalten hallen konnte, sagte bescheiden: nc>8eo Iloßolilim l?l 8cll«IIill-ßium, seil Hl:,!«. — Die Deutschen, äußerte er mich, seien die gclehlle Nation. El zeigte mir lateinische Uebungsstückc seiner Schüler. — Für dm Mclropoliten zu Moskau übersetzte einer meiner dortigen Freunde, Pastor S,, eine Abhandlung von Schilling ins Russische. Die russischen Geistlichen sind also nich! all« so ungebildcl, wk man wohl im A»ü lande glaubt. 557 werden. — Es bestehen vier Unterrichtsclassen, in deren beiden höchsten die Schüler meistens bin Alter von 15 bis 20 Jahren und darüber haben. — Die Lehrgcgenstände sind zahlreich und erstrecken sich in der höchsten Classe nicht nur auf Handeltz-wissenschaft, Buchhalterei, Technologie u. dgl., sondern auch ans technische Chemie und Mechanik, russische Handelsstatistlk, sowie neben der deutschen, französischen und russischen Sprache auf das Neugriechische für Zöglinge dieser Nation. Mehrere bei den jährlichen Prüfungen von Zöglingen in verschiedenen Sprachen gehaltene Reden, welche gedruckt worden sind, z. B. über den Einfluß der Chemie auf Künste, Gewerbe und Manufacture«, über die Geschichte und den Geist des russischen auswärtigen Handels u. A. m., scheinen von nicht geringer wissenschaftlicher Ausbildung zu zeugen. — Es ist jedoch die Meinung geäußert, daß das Institut besser gedeihen würde, wenn die Regierung den Unterhalt desselben übernähme. Bisher hat sie nur einzelne Unterstützungen an Gelde gewährt und außerdem den Vorstehern, Lehrern und Zöglingen Ehrenrechte zu Theil werden lassen. Es scheint sich hier die von mir auch sonst wohl vernommene Bemerkung zu bestätigen, daß, was in Rußland groß und gedeihlich hervortritt, in der Regel (Ausnahmen muß man auch zugestehen) von der Regierung ausgegangen ist. Man klagt auch, daß die jungen Leute sich meistens mit dem Unterrichte in den unteren Classen und etwa mit der Buchhaltcrei begnügen, wie es ja überhaupt den Nüssen vorgeworfen wird, daß sie gern auf einer gewissen Stufe der Ausbildung in Wissenschaften und Künsten stehen bleiben und sich nicht zur höchsten erheben; aber dergleichen kann man von einem ganzen Volke nicht ohne Ausnahme und Einschränkungen annehmen, und außerdem ist zu berücksichtigen, daß bei der großen Masse des russischen Volks im Allgemeinen Kunst und Wissenschaft noch neu ist und zu wenig durch alte Traditionen unterstützt wird. Unter den mittleren Untcrrichtsanstaltcn haben wir eine Bürgerschule in Augenschein genommen, welche von mos-kowischen Bürgern gestiftet ist und in welcher, wenn ich nicht irre, 270 Kinder unentgeltlich unterhalten und unterrichtet werden. Man bildet sie zu Handelsleuten (Ladenhändlern) und 558 Buchhaltern. Wir fanden bei dieser Anstalt Veranlassung, die schon bci andern gemachte Bemerkung zu wiederholen, daß man in Rußland zu viele Kosten auf die äußere Ausstattung zu wenden scheint. Sie befindet sich in einem palastähnlichen Hause, welches eine schöne Kirche mit einschließt und dessen Bau 27>0,000 Rubel gekostet hat. Auf der andern Seite muß man freilich auch hier die ausnehmende Reinlichkeit und gesunde Beschaffenheit der geräumigen Locale loben. Einige Specialschulen, außer der Ladetten- und Militair-waiscnanstalt, die ich nicht gesehen habe, sind der Ermahnung werth: so die vom Grafen Stroganow errichtete und jetzt von der Regierung übernommene Z eichnenschul e, welche ebenfalls nach einem großartigen Maßstabe angelegt ist. 6s werden Knaben und Mädchen darin unterrichtet. Man zeichnet Blumen und Landschaften, sowie den menschlichen Körper. Es wird mit Bleistift, Tusche, Kreide, selbst in Oel gezeichnet, auch in Thon modcllirt und in Gyps gegossen nach Gypsmodellcn, Knochengerippcn und lebenden Modellen. Wir sahen schöne gemalte Muster zu Geweben u. dgl., sowie Ornamente, Arabesken, Thiergestalten und Theile deS menschlichen Körpers in Gyps und Thon. Man sagte uns, daß es in Moskau 1500 Zeichncnschüler (in den Rcgierungsanstalten allein 600) gebe und diese Zahl noch nicht für das Bedürfniß genüge. Eine merkwürdige Untcrrichtsanstalt anderer Art ist das Lasare wsche Institut, oder die von Gebrüdern Lasarcw errichtete armenische Schule, worin Armenisch, Türkisch und Persisch gelehrt wird. Lavcau bemerkt dabei in dem angeführten Buche, daß es schon seit 300 Jahren eine armenische Eolonie dort gebe: es ist mir jedoch nichts Weiteres davon bekannt, als daß man zu Moskau eine armenische Straße und Kirche findet. Im vorzüglichen Grade haben diejenigen von der Regierung ausgegangenen und unter ihrer unmittelbaren Leitung stehenden Erziehungs- und Untcrrichtöanstalten, welche zugleich Wohlthätig kei t sau stalten sind, meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ueberhaupt kann mau Moskau, was milde Stiftungen betrifft, vielleicht mit Rom vergleichen, und hierin zeigt sich die Humanität der Regierung, sowie einzelner reicher russischer Privatpersonen, im schönsten Lichte. Obenan sieht das, freilich 559 schon oft beschriebene und, man kann wohl sagen, weltbekannte, von Katharina II. gestiftete Kaiserliche Erzichun gshauS. DieS ist die ofsiciclle Benennung für die Anstalt, welche man gewöhnlich Findelhaus nennt, was sie aber nur zum Theil ist, da sie zugleich zur Erziehung der Waisen von Officieren dient. Die dazu gehörigen Gebäude bilden ein großartiges 5 Höfe einschließendes Ganze, am Zusammenflüsse der Moskwa lind des Flüßchens Jause, unsern des Kremls belegen, von dessen Terrasse man es erblickt, wie es über die es umgebende Häuscrmasse hoch hervorragt. Man gab mir die Zahl der darin sich aufhaltenden Personen auf 7(100 an, die Zahl der Findlinge aber, welche auf dem Lande in die Kost gegeben sind, auf ungefähr 20,000. Jährlich kommen ungefähr 7000 Findlinge hinzu *). Indem wir unsere Aufmerksamkeit zuvörderst auf das Gebäude richteten, bewunderten wir die hohen festen Gewölbe, das prächtige Dach und besonders die großen Wasserbehälter unmittelbar unter demselben im obersten Stocke, welche durch eine Dampfmaschine gespeist werden und Sicherheit gegen Feucrsgefahr, so wie das nöthige Wasser zum täglichen Gebrauche gewähren, so daß man allenthalben im Gebäude, so wie man einen Hahn umdreht, Wasser erhalten kann. Wir sahen die geräumigen, höchst reinlichen Schlaf- und Speisesäle, sowie die Unterrichtslocalc für die verschiedenen Classen sowohl in der männlichen wie in der weiblichen Abtheilung, welche natürlicherweise von einander getrennt sind. Man gab die Zahl der Mädchen, welche dort erzogen werden, auf A50 bis 400, der Knaben, wenn ich nicht irre, auf 700 an"). Daß eine schöne Kirche nicht fehlt, versteht sich; sie ist so eingerichtet, daß die weiblichen Zöglinge den Blicken der männlichen entzogen ') Schmtzln'I'udl«»« ?s., S. 83, bcmcrkl, daß die Zahl aller von der Anstalt abhängigen Personen im Jahre 1831 22,557 Personen betrug, im Jahre 1824 aber erst 12,075. Also wird sich auch wohl hier die Zahl der Findlinge jährlich vermehren. Lavcan a. a. O, giebt im Jahre 1835 di« Zahl allcr während eines IahrS aufgenommenen Kinder (Findlinge und Waisen) bis auf 7000 an. ") Nach Ladean waren cö im Jahre 1835 nur 478 Knaben, dagegen aber 5»»5 Mädckcn. 580 sind. Es sind zwei griechische Geistliche angestellt, welche auch predigen. Krankensalc sind natürlicherweise ebenfalls vorhanden. Ferner zeigte man uns die zur Aufnahme der Findlinge, zum Waschen derselben und zur Taufe bestimmten Locale. Eine Drehmaschine (lum-, wie sie in Frankreich genannt wird) ist, soviel ich weiß, nicht vorhanden; aber wer ein Kind bringt, braucht nur eine Klingel zu ziehen und wird nur befragt, ob das Kind schon getauft sei, sowie im Bejahungsfälle nach dem Namen desselben. Das Kind wird mit dem angegebenen Namen und einer Nummer in ein Buch geschrieben, auch dem Ueberbringcr eine Karte mit der Nummer gegeben, damit er künftig nach dem Kinde fragen kann. Eine Untersuchung bei der Aufnahme einzuführen, wie eö z. B. in Paris, soviel mir bekannt ist, wegen des häufigen Mißbrauchs vor mehreren Jahren geschehen ist, hat man sich noch nicht veranlaßt gefunden. Aber wenn Jemand ein Kind zurückfordert, wird Nachfrage über ihn angestellt. Nach Befinden der Umstände werden Kinder auf Verlangen zurückgegeben, jedoch an keinen Noskolmk, d. h. Sectirer, der nicht der orthodorcn Kirche angehört. Diese letzte Bestimmung hat ihren Grund in der Proselytenmacherei der Noskolniks. Die Findlinge bleiben nur einige Zeit, soviel als zur ersten Pflege nöthig ist, im Hause und werden von Ammen, deren sich mehr, als nöthig sind, melden, versorgt, sodann aber aufs Land gegeben und zu Bauern erzogen: wenn sie sich verhei-rathcn, macht man sie zu Kolonisten auf Kronländcrcien. Dies Verfahren scheint, zumal für die russischen Verhältnisse, ganz zweckmäßig. Wir durchschritten die Sale, in denen die Ammen mit ihren Säuglingen sich befanden, alle mit dem nationalen Kokoschnik, den ein Schriftsteller mit der thurmähnlichcn Krone der Cybele vergleicht *). Die Farbe des Kokoschnik ist nach den Sälen verschieden, aber in je zwei Sälen bei allen ein und dieselbe, z. B. roth, blau u. s. w., also eine Art Uniform. Der Director erlaubt ihnen aber diese, wohl etwas beschwerliche ') Diese Aehnlichkcit ist mir mir bei bcm Vilde cincr Dame mit dem, vielleicht etwas idealisiitm, Kokoschnik eingefallen. Wie ich den Kokoschnik cider sonst gcschm habe, ist ei dcm diadmmrtigcn Kopsputzc ganz ähnlich, dcn mml häusig a» den Bildern altgricchischcr Frauengestaltm sicht. 561 Kopfbedeckung Nachmittags abzunehmen. Zur Untersuchung der Ammen ist ein eigenes Local vorhanden. Es sind Baucrweiber, die man aber nur aus bestimmten Dörfern nimmt, um Aufsicht halten zu können, daß sich nicht die Mütter der Findlinge melden. Was die Sterblichkeit (einen Punkt, wegen dessen bekanntlich die Findelhäuser überhaupt im üblen Rufe stehen) betrifft, .so gab man mir, soviel ich verstanden habe, an, daß von 30,000 etwa 4000 gestorben seien. Dies wäre ein sehr günstiges Verhältniß *), selbst wenn man, wie ich glaube, diejenigen von der Anstalt versorgten Kinder, welche keine Findlinge sind, mitgerechnet hat "'). l5s befindet sich auch, wie ich aus Laveau erfuhr, eine Stiftung für 7 Gebärerinnen, und eine dergleichen, von einem Herrn Demidow herrührende, für 44 als Opfer der Verführung zu betrachtende Mütter beim Findclhause. Was die im Hause erzogen werdenden Waisen betrifft, so werden die Knaben meistens zu Lehrern und Studenten gebildet, die minder fähigen nur zu Mementarlchrern und die Mädchen zu Gouvernantinnen. Die Letztcrn werden im Dcut- ') Storch, Gemälde des russischen Ncichs u. s. w. Th, l. V.4l>, sag<: «Die Entdeckungen, welche zur Errichtung des »nMuwischm Findelhauses die Veranlassung gabcn, lassen keinen Zweifel übrig, daß von allen bis jetzt in demselben erhaltenen Kindern vielleicht nicht das hundertste ohne dicsc Anstalt am Leben geblieben wäre." Nach M ohl, Polizciw isscn-schaft :c., Tubingen 1832 Th. l. S. ^88, ist jedoch die Sterblichkeit der Findlinge, obgleich sie sich gegen frühere Zeiten sehr vermindert hnt, noch jetzt in den am besten cingrrichletcn Anstalten dieser Art doppelt so groß als man sie unter andern Umständen findet. Nach dem Berichte des GenrralsonsuIS des Seinedcpartnuents zn Paris hat sich dort das Hingeben der linder anfs Land nachlhcilig erwiesen, weil Vo der Kinder starben, im Findclhausc selbst aber nur V, ^Journal ,!l'8 ll^utt« 18!i8 Oltbr. 25 ii. 2li). Dagegen führt schon Verging (Polizei- und Kamera!-magazin Bd. III. S, !)5») an, das? im englischen Findelhanse, wo man die Kinder freilich nicht saugte, sondern fütterte, von ,", Kindern, die man aufs Land gab, nur 29. Im Londoner Findelhause hat man eine Zeit lang eine Prämie an jede Amme gegeben, die ihr Kind durch das erste Jahr drachtt, ") Nach Lavcan waren im Jahre l8Z5i <»26 Kinder im Hanse an der Brust nnd sonst noch 48 im zarten Aller. Austcrdem aber befinden sich noch viele von der Anstalt versorgte Kinder iü anderen, zum Theil vmi ihr abhängigen Anstalten, die ich hernach erwähnen werde. 3« 562 schcn, Französischen, Zeichnen, Tanzen, in weiblichen Handarbeiten, in der Geschichte, Geometrie, Musik u. dgl. unterrichtet, im 18jährigen Alter entlassen und zuerst als Lehrerinnen, später als Erzieherinnen angestellt. Die Direction der Anstalt sorgt für die Anstellung, und behält sie noch tt Jahre unter vormundschaftlichcr Aufsicht, so daß sie auch bei Hcirathsan-trägen Erkundigung über die Bewerber einzieht. Dabei besteht die in mehrfacher Hinsicht zweckmäßig scheinende Verfügung, daß sic nicht in einer der Residenzen (Moskau oder Petersburg), sondern in Provinzialstädten oder auf dem Lande angestellt werden. Wir sahen die Knaben in dem Speiscsaale an den langen gedeckten Tischen zum Mittagessen sich reihen und wurden ergriffen von dem roll- und reintöncnden Chorgesange, der sich nun in dem weiten Raume erhob, um die Speise durch Gebet zu weihen. Sie bekommen zum Frühstücke einheimischen Thee und Brod, zu Mittag Suppe, Mehlspeise, Fleisch, und als Getränk KwaS, zu Abend zwei Gerichte. In der ähnlichen Petersburger Anstalt, in welcher sich ungefähr 1200 Mädchen befinden, aber, mit ihnen in dem dortigen Hause, keine Knaben (für die Knaben hat man ein besonderes Hans zu Gatschina) sah ich die Mittagstafel der Mädchen. Es machte einen außerordentlichen Eindruck, als die jungen Waisen, im Allgemeinen frische und liebliche Gestalten, in geordneten Zügen, nach den Classen abgetheilt, jeder Zug von den andern an Größe der Gestalten und durch die Farbe der übrigens einfachen Kleidung sich unterscheidend, mit den Borsteherinnen an der Spitze, freundlich grüßend an uns Zuschauern vorüberzogen, sich an den langen Tischen hinreiheten, den Gesang erhoben und sich dann fröhlich zum Mahle setzten. Doch machte dieser Gesang det" Mädchen nicht solchen Eindruck auf mich, wie ich ihn nach Kohl's fast begeisterter Schilderung erwartete. Der Gesang der Knaben, wie ich ihn zu MoSkan hörte, war vielleicht voller, reiner und länger anhaltend. In dem Petersburger Hause hatte ich auch gerade Gelegenheit, ein Beispiel von der überaus humanen und zarten Sorgfalt zu sehen, mit der man lebensschwache Findelkinder behandelte; doch kann ich als Nichtarzt nicht wohl eine Beschreibung des beobachteten Verfahrens geben. 583 Die Dotation dieser beiden Erziehungtzhä'user zu Moskau und Petersburg ist so großartig, daß mau sich über ihre großartige Einrichtung und Wirksamkeit nicht zu wundern hat. Es ist vielleicht nicht allen unsern Lesern bekannt, daß ihre hauptsächliche Einnahmequelle der Lombard ist, oder die Anstalt, welche auf Grundstücke, Kostbarkeiten und Sachen von Werth zu 5 Procent Geld leihet, während sie für Geld, was sie aufnimmt, nur 4 Prozent zahlt *). Auch nimmt das Institut Kinder gegen ein für alle mal zu zahlendes Kostgeld von 100 Rubeln, wenn sie übcrjährig, und iliO Rubel, wenn sie noch Säuglinge sind, an. So wie sich das Capital der Anstalt vermehrt, werden neue von ihr abhängige milde Stiftungen gegründet: so sind ein Wittwenhaus, ein Armenkran-kenhauS und das technologische Institut entstanden. Auch ist eine Stiftung für Stadtkinder dürftiger Eltern vorhanden, welche die Anstalt unterstützt, wie sie denn auch Kinder in verschiedenen andern Anstalten unterhält **). 6s ist kein Wunder, daß die jährlichen Kosten der Anstalt sich, nach den geringsten Angaben, auf ^j Million Rubel Banco belaufen. Die Anstalt des Wittwenhauses ist auf 000 Wittwen berechnet, die theils in dem Hause selbst unterhalten, theils in ihren Wohnungen unterstützt werden. Die Ersteren haben die Verpflichtung, auf Verlangen als Krankenwärterinnen, wie die barmherzigen Schwestern, zu dienen. Das Armenkrankenhaus nimmt Kranke von allen Classen auf. Es besaß, nach Laveau, schon im Jahre 1«I7, ein vom Findclhausc ihm zugetheiltes Capital von 3,490,000 Nubcl Banco, und 400,000 Rubel Banco an Ersparnissen. ') Von Lavean «. ?l. ist muh angegeben, daß das Spilttarlmregal drm Kaiscrl. l5rziehmla.sl)ausr Mmlassc» sti. Wic ich aber vmwmmei, habe, gilt dies nur von bei Petersburger Anstatt. ") Laveau giebt folgendes Verhältnis, von den derzeit, 1835, außerhalb des Hauscö unterhaltenen Kindern an: 3165 StadMndcr bei ihren si'liem, 47 im Wittwmhausc, 59 im Gasihausc drr öffentlichen Wohlthätigkeit, 475 in der Marien-Colonir, l8 m der Universität, 3l in der medimlisch-chirurgischen Akademie, 4 im Marien-Hospitale, 3 Apotheterlchrlinge, 1 in einem Kloster, >5 bei Handwcrtsmeistern, 2llll im technologischen Institute, 23,401 aufs Land gegeben. 3«* 564^ Das technologische Institut war im Jahre 1843 auf 360 Zöglinge berechnet und nahm damals nur Kinder aus dem Kaiserlichen Erziehungshause auf; aber der Kaiser hatte schon genehmigt, daß auch Kostgänger aufgenommen würden. Die Kinder werden im Alter von 1(1 Jahren, oder, wenn sie schon lesen können, von 12 Jahren aufgenommen. Es werden, wenn ich nicht irre, 17 Handwerke dort gelehrt. Der Unterricht ist theils theoretisch, theils praktisch. Der erstere ist in Gassen getheilt. So wird insbesondere Schreiben, Rechnen, Zeichnen, auch russische Grammatik gelehrt, letztere von einem Geistlichen, der zugleich Magister ist. Die ausgelernt habenden Zöglinge treten mit dem 21sten Lebensjahre aus dem Institute und lassen sich meistens als Handwerker in den Städten nieder, müssen aber in diesem Falle in die betreffende Zeche oder Zunft aufgenommen werden. Sie erwerben in der Anstalt durch ihre verkauften Arbeiten einiges Geld, wohl bis zu 7,0 Rubel Silber, welches sie bei der Entlassung mitnehmen. Man zeigte uns diese Anstalt, führte uns durch die auch hier geräumigen Hallen und überhaupt zweckmäßig eingerichteten Locale, wo wir Tischler-, Drechsler-, Gravir-, Ciselir-, Lederarbeiten :c. sahen. Eine kleine Dampfmaschine von vier Pfcrdckräften trieb die Drehbänke und andere Einrichtungen. Auch eine Modellsammlung war vorhanden. Im Magazin der in der Anstalt verfertigten und zu verkaufenden Sachen sahen wir Vielerlei, als Schreib- und Nähtische, Schreibkastcn, Mappen, broncirtc Sachen und mechanische Geräthschaften, auch solche, wozu ein bedeutender Grad von Geschick und Kunst gehört, z. B. eine Goldwage. In der Küche ward uns ein Mittagessen, bestehend aus Erbsensuppe, gerösteten Kartoffeln, Grütze, einem Stücke guten Schwarzbrods und Kwas, vorgesetzt, kein Fleisch, weil es in der Fastenzeit war. Es giebt noch eine Unterrichtsanstalt, wozu, nach Laveau, das Kaiserliche Erziehungshaus früher die Unterhaltungskosten hergegeben hat, welches aber jetzt nach Anordnung des Kaisers sein eigenes Capital besitzt: dies ist das Alcxandrinische Institut, eine Art von Gymnasium, mit einer Pension für Mädchen verbunden. Auch ein großes Cadctten - Institut und außerdem eine Militairschule besteht zu Moskau, welche 565 ich aber nicht besucht habe. In der letzteren hatte man, wie Laveau bemerkt, den wechselseitigen Unterricht eingeführt, aber, mit Ausnahme der unteren, für die kleinen Kinder bestimmten Classe, wieder abgeschafft. Außer den erwähnten Anstalten werden, von Laveau, noch mehr als 20 milde Stiftungen, namentlich Kranken- und Armenhäuser, auch Schulen und Erziehungsanstalten in Moskau aufgezählt*). Sie verdanken ihre Entstehung und Erhaltung theils der Regierung, theils russischen Großen, theils der Stadt, theils Vereinen von Privatpersonen, unter denen besonders das Kaiserl. philanthropische Comite", dessen Fonds freilich zum Theil aus Schenkungen der Kaiser Alexander und Nikolaus herrühren, und welches auch Arme in ihren Wohnungen unterstützt, zu bemerken ist. Ich erwähne insbesondere nur noch zwei Stiftungen, welche ich selbst gesehen habe, nämlich das Kaiserl. Militairhoßvital und das Sch?c?mct-jewsche Hospital. Beide befinden sich, wie dic meisten wohlthätigen Anstalten zu Moskau, in palastähnlichen Gebäuden. In dem ersteren waren, wie man mir dort sagte, damals zur Zeit ungefähr 700 Kranke, früher 1500. Diese Abnahme schreibt man der jetzt abgekürzten Dienstzeit zu, wobei man auch meint, daß der Soldat sich nun mrhr schone. Die Arznei kostet auf den Kopf täglich im Durchschnitte !> Kopeken, die Kost mit Heizung, Wäsche u. s. w. ^5 Kop. Man giebt täglich 2 Pfund Brod, bei scorbutischcn Uebeln .'j Pfund. Ob es wahr ist, was mir von einem Privatarzte gesagt ward, daß dort viel Unter-schleif von Beamten getrieben wird, und daher die Kranken schlecht versorgt werden, vermag ich, in Ermangelung von Beweisen, nicht zu beurtheilen. Das von einem der reichsten rus- ') Merkwürdig ist, daß man auch st viel für weibliche Erziehung durch Errichtung öffcutlichrr Anstalten in Moskau, sowie in Petersburg, gethan hat. So sind in Moskau daS Institut des Ordens del heiligen Katharina stir unbemiltcltc Bcamtentüchtcr, baS der heiligen Alexandra für Töchter der mittlern Klasse», daS von N. Demidow gestiftete, vom Kaiser und dcr Kaiserin unterstützte Erziehungöinstilut fur Hausfrauen oder Haushälterinnen unter den von Lavcau angefühlen Stiftungen. In Pclclsburg ist vor allem das große Tmo ln ainstitut bekannt. Die Kaiserin ha« das Patronat mchrercr dieser Institute. 566 fischen Großen, einen, Grafen von Scheremetjcw, gestiftete Hospital, eines der schönsten Gebäude in dcr Stadt, soll vortrefflich eingerichtet sein. Es enthält ungefähr 15t) Kranke und 200 Alte. Auch ist eine Stiftung zur Ausstattung armer Mädchen damit verbunden. Man sagte mir, daß es 9000 Bauern, d. h. Grundstücke, auf denen sich soviel männliche Leibeigene befinden, besitze und im Lombard 500,000 Rubel belegt habe. In der dazu gehörigen Kirche machte ich eine Erfahrung von dem Eindrucke des erhebenden Gesanges, der den griechischen Gottesdienst auszeichnet. Mit einer Beschreibung der schon oft beschriebenen mosko-wischen Kirchen und Klöster will ich meine Leser nicht aufhalten. Es ist wahr, daß die griechischen Kirchen in der Negcl beschränkter im Umfange sind, als unsere Kirchen gothischen oder romanischen Styls, aber die hohen Kuppeln verfehlen doch nicht einen Eindruck von Erhabenheit zu machen, welcher beim Gottesdienste durch den Gesang, die Kerzencrlcuchtung, die Weihrauchwolkcn und durch die den allcrheiligstcn Raum verbergende, sich abwechselnd öffnende und schließende Ikonostase (Bilderwand) gehoben wird. Wenn der Metropolit selbst mit der von Edelsteinen funkelnden Mitra auf dem Haupte, gottes-dicnstliche Handlungen verrichtet, wenn er das Crucifix, die niederfallende Menge der Gläubigen segnend, erhebt und senkt, so bleibt auch dcr anwesende Protestant nicht uncrgrisscn. Das festungsartige Aussehen dcr merkwürdigsten, von hohen Mauern mit Zinnen und Thürmen umgebenen Klöster erinnert an den nationalen und politischen Charakter der griechisch-russischen Kirche. Sie waren die Zufluchtsorte dcr volköthümlichm Elemente in FeindeSbedrängnisfen und von ihnen ging mehrmals die Befreiung des Vaterlandes aus. Welche Gefühle mögen die Brust des Wallfahrers erfüllen, wenn er sich den weithin glänzenden goldenen Kuppeln des Klosters Troizk, !) Meilen von Moskau, nähert, von dem die Besicgung dcr Tataren im 14. Jahrhundert und die Befreiung Rußlands von den Polcn im 17. Jahrhundert ausgegangen ist *)! Außer den Denkmälern *) Dcr heilige Scrgius, der Stifter dcs iUostsis, und stinc'Mönch« bc^ geisterten im Iahrc 138l) den Großfürstm Dimitrij Iwanowilsch zum 5V? der griechischen Religion sind aber für den Beobachter auch die Kirchen der geduldeten Konfessionen nicht ohne Interesse. Es giebt zu Moskau zwei deutsch-lutherische Kirchen, eine katholische, eine französisch-reformirte u. a. m. Die lutherische Gemeinde besitzt drei Schulen, deren eine, eine Knabenschule, einen bedeutenden llcberschuß über die Kosten abwirft, welcher für die beiden andern, eine Mädchen- und eine Armcnschule, verwandt wird. Von der angeblichen Intoleranz der herrschenden Kirche und der Regierung, namentlich gegen die katholische Kirche, habe ich dort und sonst in Nußland selbst, soviel ich mich erinnere, nichts vernommen *). Auch der nmhamedanischc Gottesdienst findet seine Stelle in einer kleinen tatarischen Moschch. Ich ging mit Ucbcrschuhen dahin, um sie vor dem Eintritte ausziehen zu können, welches erforderlich ist, wenn man nicht etwa auf bloßen Strümpfen hineingehen will, wie denn überhaupt in Rußland das sorgfältige Ausziehen der Ueberschuhe vor dem Eintritte in ein Zimmer an orientalische Sitte erinnert. Es mag zum Wesen des muhamcdanischen Gottesdienstes gehören, daß das Local alles Schmuckes entbehrt, wie denn überhaupt nichts dabei vorzukommen scheint, was die Phantasie anzuregen geeignet wäre, es möchte denn die leere Nische im Hintergründe sein, auf welche die Aufmerksamkeit der Versammlung, wie es mir schien, zu Zeiten durch den Priester besonders gerichtet wird. Die Theilnahme der Gemeinde an dem Gottesdienste besteht meistens darin, daß sie, auf einem Teppiche knieend, die Gesänge und Gebete oder gelesenen Vorträge ihrer Priester mit vielen Geberdm, als Niederwerfen des Ge- Siegc über bm Tatarenfürstcn Khan Mamai. Im Jahre 1l«Äii ,c. S. 6W) gelesen zu haben, wo derselbe die tatarische» Bewohner des Gon-vcrncme»!« Kasan, des HauptsitzeS diese» VolksstammrS im europäischen Rußland, beschreibt. Cc sortl, faflt ©cfyuifefer, do beaux homines, au nez aquilin, aux jcuz noirs, aux dieveux foncös, de taille rnoyenne, niais degagüe, foils ct ti'u n mainticn noble, • aimoiil I'ordre etla proprele. Dans les villes, ils font Ic commerce ou euLreticnncnt des sabriqucs; dans les campagnes iIn se livrcnt a ra^riciilluie, «^ I'educalion des aheillcs ct des bcsliaux. Jener Schriflsicllcr sftrichl dagegen von mi»e c k« li v o , i>i> »llll?, 569 In einer Beschreibung der Merkwürdigkeiten von Moskau sind auch einige musterhafte für die Erhaltung der Gesundheit und des Wohlstandes der Bewohner dieser großen Stadt getroffene Einrichtungen nicht zu übergehen. In ersterer Beziehung meine ich insbesondere, außer den schon erwähnten, im Innern der Stadt zum Theil auf ehemaligen Sümpfen und Morästen angelegten baumreichen Spaziergängen (die um so wichtiger sind, da es wegen des großen Umfanges der Stadt so viel Zeit kostet, außerhalb derselben die freie Luft zu genießen), die großartige Einrichtung, durch welche die Stadt mit gutem Trinkwaffer versorgt wird. Man klagte frübcr über das schlechte und ungesunde Wasser, mit welchem »nan sich behelfen mußte. Vierzehn Werste von der Stadt aber, im Norden derselben^ befinden sich herrliche Quellen, welche schon zu Wichelhau sen's Zeit (1803) ein General Baur zu vereinigen, und durch einen gemauerten bedeckten Canal der Stadt zuzuleiten angefangen hatte. Die Unternehmung ist aber unterbrochen worden, bis man vor einigen Jahren die Leitung über einen Thalgrund, wo sie einem römischen Aquäduct gleicht, bis in die Stadt fortsetzte. Dort wird das Wasser in den, aus der Geschichte Peters I. berühmten, Su charew-Thurm geleitet, in demselben aber durch eine Dampfmaschine auf eine beträchtliche Höhe und in einen großen Behälter hinaufgetrieben, um von dort durch unterirdische Röhren in der Stadt vertheilt und auch in die höher belegcnen Gegenden derselben geleitet zu werden. Es sind zur Benutzung dieses Wassers Brunnen angelegt, doch klagt man, daß es derselben noch zu wenige gebe. — Was die Sorge für das Eigenthum betrifft, so giebt es hier Budotschniks, wie zu Petersburg, doch fehlt es auch hier pguvre, crainlis, — l» « ill on», ^ouesetpommolle» 8»il1»nl««, lie» nsl ec^aze« «<,<:. Su widersprechen sich einander die Schriftsteller! Hier aber sull Schnitzel's Autorität» nicht augcfuchlm wcrdrn. Mrinc zu Moskau, und Nischnij-Nowssorod gemachten Wahrnehmungen slnumm mit sciml Schilderung im Wesentlichen übercin. Ich sichre das Obige aber als ein merkwürdig'S Beispiel der Manier gewisser Ncistbeschrcil'cr an, welche Alles so schildern, wic sie es sich dcntcn, Solche Reise-dkschrcibnnaen zu velferluicn, sollte man nicht reisen: man würde sic «m brsirn mach«,«, wenn man nichlö von allcn Dem sähe, was man beschreibt. 570 so wenig wie dort, an Taschendieben. Die Strasienerleuchtung ist, wenigstens in den Hauptstraßen, genügend und nimmt sich auf den langen Boulcwards prachtvoll aus. Aber musterhaft scheint mir die Feuerpolizei eingerichtet. In jedem der 21 Bezirke, in welche die Stadt eingetheilt ist, befindet sich auf dem Hause, worin die Polizeibehörde des Bezirks ihren Sitz hat, ein Thurm mit einer Stange, etwa wie ein Telegraphen-thurm, auf dem sich beständig eine Wache befindet, welche, sowie sie Feuer bemerkt, durch Anziehen einer Klingel in der nahen Caserne der Spritzenleute Lärm macht, und bei Tage eine Fahne aufsteckt, bei Nacht Laternen aushängt, welches Signal von Thurm zu Thurm wiederholt wird. Icdc der Be-zirköbehörden schickt zum Feuer 2 Spritzen, einen Wagen mit den Spritzrnleutcn, 4 Wagen mit Waffcrtonnen, und einen mit Leitern und Feuerhaken; außerdem kommt aus dem Vorrathshause der Feuerlöschanstalt eine Reserve, bestehend aus ^ Pumpen, 14 Tonnen, 6 Wagen für die Löschmannschaft und einem für die Feuerhaken u. s. w. Der Brandmajor oder Commandant der Löschmannschaft giebt jeden Morgen einen Tagesbefehl und jeden Abend einen Nachtbefehl aus, wonach ein jeder weiß, was er im Falle eines Fcuerlärms zu thun hat, und in 2'/z Minuten wird der Reservezug angespannt und in Ordnung gebracht. Ich schließe hieran einige Bemerkungen über das russische Gefängniß- und Deportationöwcsen, soweit ich in Moskau Gelegenheit hatte es zu beobachten. — Wir besuchten daS dortige Untersuchung sgefängniß, welches sich in einem fcstungsartigen, von Mauern umschlossenen Raume befindet und aus einstöckigen Wohnungen besteht. Die Gefangnen waren zwar in viele Zimmer vertheilt und nach den Geschlechtern getrennt, aber die nothwendige Regel, Mitschuldige nicht zusammen einzusperren, um Collusionen zu verhüten, war wie man mir sagte, nicht beobachtet. *) Ein anderer Uebel- *) Was die russischen Gesetze übel die Oldnung der Gefängnisse betrifft, so bezeichnet Golowin (I^Ä Ku88ie 80U» ^ieol«8 l.?»ri8 1845 p«ß. 389) sie folgrn-dcimaßm: Dans les prisons, les seinmcs doivenl elrc separ6cs des homines, les nobles, les (Jinpltvyös, les bourgeois ct les čtraugers des> 571 stand (den freilich wohl jetzt noch die Untersuchungsgefängnisse der meisten Länder theilen) war der Mangel an Beschäftigung der Gefangnen. Doch fanden sich in einigen Zimmern Bücher, und insbesondere durste ein Gefangener, ein gebildeter Edelmann, der ein besonderes Zimmer bewohnte und seinen Bedienten bei sich hatte, dort auch eine kleine Bibliothek haben. Uebrigenß war von den angeblichen Schrecknissen russischer Gefängnisse (von denen Neisebeschreiber sprechen, die sie nicht gesehen haben) nichts zu bemerken. Die Luft in den Zimmern war erträglich, Heizung und Erhellung (letztere durch vergitterte Fenster) genügend. Es waren Schlafbänkc vorhanden, aber nur ausnahmsweise, nämlich in Zimmern, wo Edelleute sich befanden, mit Matratzen versehen (was dort nicht zu verwundern, da der gemeine Nüsse in der Negel nicht an Betten und dergleichen gewöhnt ist, sondern auf seinem Schafpelze schläft). Auch eine hübsche Kirche gehört zu dem Gefängnisse. Wir sahen ferner einen Eßsaal und die Küche. Es wird täglich zweimal Essen gegeben, nämlich die russische Suppe (Schtschi), Grütze und I V2 Pfund Schwarzbrod. Die Haft in diesem Gefängnisse soll im Durchschnitte ungefähr ein Jahr dauern. Man sagte mir, daß das am häufigsten vorkommende Verbrechen Diebstahl sei; Mord oder Brandstiftung kommt wenig vor. In einem Zimmer waren Gefangene von der streng verpönten Sccte, bei welcher die Entmannung ihrer Mitglieder ein religiöses Gesetz ist. Zu der Verwaltungsbehörde des Gefängnisses gehört der deutsche Philanthrop Dr. Haase, von. dem ich unten noch sprechen werde, und einer der früher genannten Fabrikanten, nämlich Prochorow. Letzterer hatte die Absicht, für die männlichen Gefangenen militairische Erercitien als Beschäftigung einzuführen. prisonniers de basse classe. On ne doit pas confondre les accusses avec tes condamnes, ni meme ceux qui ne soni I'objet que de soupcons, avec ceux dont la culpabilile cut plus probable, les criminels importants sont separes de ceux qui le sont mains. Les enfants, les detenus pour delles el les coaccuses doivent enfin etre renfermes a part. - ^ Es wäre zu wimsche», daß su wcisc Gesetze nichl nur in Nußland, st'udcr» allmthMm nichl uur ^rgrb>,i,, sundem auch gcwissmhaf! dcfolgt würden. 572 Ein anderes Gefängniß, welches wir sahen, ist ein Straf-arb cits haus für geringe Verbrechen nnd nimmt auch Unter-suchungsgcfangnc auf. Diebstähle bis zum Betrage von 15 Rubeln werden hier bestraft (jedoch, wie ich anderweitig vernommen habe, nicht adlige Diebe, welche vielmehr, der Betrag des Diebstahls mag noch so gering sein, nach Sibirien deportirt werden). Die Haft dauert in diesem Gefängnisse nicht über 11 Monate. Auch hier waren die Locale hinlänglich reinlich und gesund: doch schien zu Arbeiten nur thcilweisc Gelegenheit vorhanden zu sein. Es werden namentlich Schlitten und Bastschuhe verfertigt. Indessen läßt man die Gefangenen auch außer dcm Hause arbeiten. Auch ein anscheinend gutes Krankenzimmer war vorhanden. Man gab die damalige Zahl der Gefangenen beiderlei Geschlechts auf 107 an, und bemerkte, daß sie 'früher wohl auf 400 gestiegen sei (über die Ursache der Abnahme habe ich nichts vernommen). Die Stadt hat noch ein zweites Strafarbeitshaus: ich hörte, daß die Gefangenen mit Neinigen von Wolle und dergleichen beschäftigt würden, daß sie übrigens streng gehalten würden und gut arbeiteten. Auch Fabrikarbeiter, wenn man sie zum siebenten Male auf dem Arbeitsmarkte (d. h. auf dem Platze, wo sich die Leute, welche Arbeit suchen, einzufindcn pflegen) antrifft, werden in eine solche Anstalt gebracht; freilich läßt sich denken, daß wer so vielmal den Herrn wechselt, kein tauglicher freier Arbeiter ist. Geht man auf dem Wege nach Kaluga zur Stadt hinaus, so findet man unweit der Barriere einige hölzerne Häuser mit einem ummauerten Hofe, welche zur einstweiligen Aufbewahrung der nach Sibirien bestimmten Verbrecher dienen, die aus 22 Gouvernements Hieher zusammengeführt werden. In der Regel geht jeden Sonntag ein Zug derselben von hier ab, nachdem man hier eine Revision mit ihnen vorgenommen und die nöthigen Anordnungen gemacht hat. An jedem Sonntag-Vormittage bcgiebt sich der oben genannte Dr. Haase (praktischer Arzt, Rheinländer, aus Münstereifcl, wenn ich nicht irre, gc-bürtig) dahin, um die Revision vorzunehmen und das Loos der Unglücklichen möglichst zu erleichtern. Dieser würdige Mann hat sich aus uneigennützigem Triebe zum Wohlthun diesem Geschäfte gewidmet, handelt aber jetzt gewissermaßen amtlich, 573 unter Autorität der Regierung, die ihn durch einen Orden lind den Titel und Rang cineL Staatöraths geehrt hat. Er ist bejahrt, jedoch noch rüstig und hat einige Gehülfen, die sich gleichfalls der Sache eifrig annehmen. Er richtete in meiner Gegenwart an dic aufgestellten Gefangenen einige Fragen, die sie in Masse mit einem kurzen Zuruft beantworteten; mit einzelnen aber, welche besondere Anliegen hatten, wurden besondere Verhandlungen vorgenommen. Er gab mir (da ich der Sprache nicht mächtig genug war, um die Verhandlungen zu verstehen) die Erklärung, daß er drei Fragen thue. Die erste Frage war die: ob sie sich wohl (gesund) befänden? Kranke werden untersucht, und etwa zu Wagen transportirt, Unheilbare (z. B. Blinde) zurückgeschickt., Zweitens ftagtc er, ob sie etwas zu bitten hätten? Wer z. B. noch Abschied von seinen Verwandten zu nehmen wünscht, wird bis zum nächsten Transport zurückbehalten, — einem Barbier wird sein Rasirzeug mitgegeben, damit er in Sibirien sein Geschäft treiben kann u. dgl. — Die dritte Frage ist die, ob sie zufrieden seien? Diese hat natürlicherweise nur den Zweck, zu erfahren, ob jemand irgend eine gegründete Beschwerde (z. B. über eine falsch geführte Untersuchung, Versehen u. dgl.) hat. Unter den Gefangnen war ein großer, juuger Kerl, der auf Verlangen seiner, dort anwesenden Mutter, wegen Trunksucht und nichtsnutzigen Lebenswandels nach Sibirien geschickt werden sollte. Man sagte uns, dies geschehe mit Einwilligung der Gemeinde, zu welcher Mutter und Sohn gehörten, nach an-aestelltcr Untersuchung und nachdem er ohne Erfolg mit Eor-rectionshaft bestraft sei. Wie ich verstand, redete man der Mutter zu, von ihrem Verlangen abzustchn, und meine ich, das; der Transport dicseö Menschen noch aufgeschoben wurde. Wie die Gemeinden der Freien und Kronbaliern ihre Angehörigen, so können cuich die Lcibhcrrcn ihre Leibeignen nach Sibirien schicken (welches bedenkliche Recht sie in der Regel, wie man dort meinte, nicht mißbrauchen, da sie sich dadurch des Arbeitsertrages des Leibeignen berauben und außerdem die Kosten für sie bezahlen müssen). Uebrigens kann die Negierung solche zur Verbannung vcrurtheiltc Bauern auch zu Soldaten machen. Den Ehefrauen ist es gestattet, ihre Männer zu begleiten: 574 wollen sie es nicht, so ist die Ehe aufgelöset. Auch dürfen sie ihre Kinder mitnehmen, ausgenommen leibeigne, falls der Leibhcrr es hindert, und Juden, weil man deren zu starke Vermehrung in Sibirien fürchtet. Wir sahen Frauen, die ihren Männern freiwillig folgen wollten: für solche werden von wohlthätigen Privatpersonen regelmäßige Untcrstützungsgelder gegeben. Bevor der Zug, welcher etwa aus ^0 bis 40 Personen bestehen mochte, sich in Bewegung setzte, ward griechischer Gottesdienst, sogar mit Zuziehung eines Sängerchors, welcher sich zu dem Ende aus der Stadt cinfand, abgehalten. Schließlich theilte Haase Gaben wohlthätiger Personen, nämlich Unterstützungsgelder, und Andachtsbücher nach den Bedürfnissen der verschiedenen Nationen nnd Religionäparteien, z. B. für Deutsche Exemplare des neuen Testaments in ihrer Sprache, für Juden hebräische Gebetbücher u. f. w., unter die Gefangenen aus (er selbst ist Katholik). Von der Regierung werden, wie ich vernommen habe, 16 (nach einer andern Angabe 12) Kopeken Kupfer täglich für den Kopf gegeben; aber dieses Geld brauchen sie in der Ncgcl nicht zu verzehren, weil der Wohlthätigkeitssinn der Russen sich auch besonders bei Gefangnen wirksam zeigt. Was etwa nöthig ist, kaufen die sie begleitenden Weiber ein. Die Männer sind in der Regel auf der einen Seite des Kopfes geschoren und gefesselt; die Kette ist, wie Haasc sagt, 4 bis 5 Pfund schwer; er hat veranlaßt, daß der letzte Ring derselben, welcher am Körper sitzt, horizontal sei, um nicht zu sehr zu drücken. Alö der Zug zum Abmarschiren aufgestellt war, bemerkte ich zwei Gefangne, welche in einiger Entfernung der Uebrigen voraus, unter besonderer Bedeckung von vier Soldaten standen, und vernahm, daß sie Mörder seien (die von einem Reisebcschrciber gemachte Bemerkung, daß auf dem Zuge etwa der geringste Verbrecher neben dem schwersten gehen müsse, scheint also wenigstens nicht durchaus richtig). ES werden nur 20 Werste (fast 3 deutsche Meilen) in einem Tage gemacht, und nur 2 Tage hinter einander, so daß der dritte Tag ein Rasttag ist. Die erste Nacht nach dem Abgänge von Moskau bringen sie in einem von der wohlthätigen Sectc der Altgläubigen (Starowerzen) zu ihrer Aufnahme eingerichteten Gebäude zu. I)>. Haasc sagt mir, daß i»/!) immer befriedigende Berichte von Tobolsk über die dortige glückliche Ankunft der Gefangenen einliefen. Bekanntlich ist die Deportation nach Sibirien die allgemeine Strafe in Rußland für schwere Verbrechen, mit Ausnahme des Hochverraths, der einzigen Gattung von Verbrechen, worauf Todesstrafe steht, und, wie ich glaube, gewisser Mili-tairverbrcchen, die mit Spießruthen und Arbeit am Festungsball bestraft werden. ^) Gegen diese allgemeine Strafart hörte ich in Rußland eine Einwendung, die freilich manchem nicht russischen Leser auffallen wird, nämlich daß ste nicht abschreckend genug sei. Namentlich bemerkte dieses einer meiner Freunde, der kein Russe von Geburt ist, aber seit langen Jahren in Moskau lebt und Viel beobachtet hat. Seiner Angabc nach kommen jährlich Hunderte von Briefen Deportirter an ihre Verwandten, die Aufforderung enthaltend, ihnen nach Sibirien zu folgen. Lr meinte, das Verbannungssystcm würde noch schlimmer auf die Moralität dcö Volkes einwirken, wenn dieses nicht so gutmüthig wäre und wenn die Noth, so wie in anderen Ländern, zu Verbrechen triebe:") daß bei schweren Verbrechen die Knute mit der Deportation verbunden werde, ändere die Sache nicht: diese sei jetzt nur noch ein Popanz, seit U) Jahren habe niemand mehr am Leibe oder Leben durch die Knute Schaden gelitten. Ich muß hiebci bemerken, daß die-scr mein Freund durchaus kein Lobredner russischer Zustände ist, nnd baß seine Angabe, wie die Knute keine Strafe von Bedeutung mehr sei, uns auch uon andern Seiten bestätigt worden ist; es soll auch selten auf mehr als ^0 Hiebe erkannt ^) Zum Festungsvau wurden, wie ich hurte, auch tscherkessische oder kau» tasischc Geißeln (wahlscheinlich wegen Tleubmchö deß Vollsstammcs, der sir gestellt hatte) gezogen. Wenigstens wurde mir dirs in Betreff von vier solchen jlmgc» ^nilen angebe», die ich unler anderen, nicht mich Sibirien besiimmlm (befangenen, in mum lch,^'sundcMN Locale sah. Doch war einer davon wegcn smn's ausgezeichnet guten Betragens bc-frciel worden. ") Die ssrimmaistntistik crgiel't iu Rußland ein uiM-mein günsiiges Verhältniß. Mcl, micr, kiiizlich in der Deuischrn Allqcmeium Zeitung enthaltenen Ängal'e, kommt ein Verbrecher dort auf ültti) Einwohner, bn-liegen z. B. in Oesterreich elwa auf 6l)0 ein ^crl'rccher. 576 werden, während ausländische Zeitungen, welche, wenn sie von Nnßland reden, oft nut der, Leichtgläubigkeit ihrer Leser ihr Spiel treiben, mehrere Hunderte von Hieben Diesem und Jenem ertheilen lassen. (5inc Kindsmordcrin erhielt zu Kasan nur 5 Hiebe. Anders ist es freilich mit der Spießruthenstrafe, welche bei schweren Militairverbrechen ausgeübt wird, und allerdings, wie behauptet wird, den Tod zur Folge haben kann. *) Die Behandlung der Dcportirtcn in Sibirien ist verschieden nach den Classen, worin sic nach dem Gesetze eingetheilt sind. Die schweren Verbrecher kommen iu die Bergwerke, jedoch nicht auf Lebenslang; die minder schweren werden zur Arbeit als Dienstboten auf die Dörfer vertheilt, und erhalten später Land und Bauholz zur rigncn Ansiedlung. Dann giebt es, oder gab es, nach Storch, wenigstens früher, eine dritte Classe, welche sogleich angesiedelt wird, also Land und sonstiges dazu Nothwendige sogleich erhält. Alle dürfen sich verheirathen, und die Angesiedelten sind in dem Verhältnisse der Kronbauem. Reiche sibirische Kaufleute, welche nach Kjachta Handel treiben, sind Kinder von Dcportirten. Der mittlere und südliche Theil Sibiriens ist unqemrlu fruchtbar, und thcilweise schon von einer tresslichen und wohlhabenden bäuerlichen Bevölkerung bewohnt. Allem Anscheine nach bewährt sich das russische Verbann ungssystcm in Bezug auf das Gedeihen und die Besserung der Verbannten selbst viel besser als das englische. Es wäre gewisi der Mühe werth, nähere Untersuchungen darüber anzustellen.^) Freilich hat über die Moralität der bei den reichen ') Die englische nenusch wanzige Katze, womit noch in» Jahr 1845, nach e„glischm Vl^tttni, cm Soldat zu Tode geschlagen sein soll, mag wohl nicht viel milder sein. Indessen ist noch zu bemelten, dasi die russische Spicsiriithensiraft auch bei einigen, eigentlich nicht militairischcn Nrrbrechnl, die dm militairischm aber gleichgesetzt und den Kriegsgerichten unterworfen sind, angewandt werden soll. ") Dic ol'igcn Angaben, betreffend dir verschiedenen Classen dcr bcportirttn Verbrecher, tann man zum Theil bei Storch (Rußland unter Alelander l. Vd. V!l. S. 2."i')), zum ,Tyeil auch bei Golowin b> ' Iahie als die gewöhnliche Strafzeit der Berg-weikoarbeittr, u»d 8 Jahre als die Dienstzeit dcr zweiten Klasse an, «lsterer sagt au einem andern Orte sGemälde ». s. w. Th. l. S. l>): 577 Goldwäschen angestellten Arbeiter, welche ebenfalls mcistenö Deportirte, aber frei gemiethet sind und für Gcldlohn dienen,*) ein an Ort und Stelle gewesener Beobachter mir eine sehr nachthciligc Schilderung gemacht. Hier wirkt aber ohne Zweifel die besondere Natur dieser Arbeit. Natürlicherweise wird auch niemand erwarten, daß aus Verbrechern und Taugenichtsen ohne Ausnahme lauter Tugcndhelden werden. Eben so wenig kann ohne Ausnahme Wohlhabenheit herrschen. So habe ich vernommen, daß stch in Sibirien arme Bauern für ihre Schulden an ihre (^laubiger auf Jahre vcnniethen und von diesen vielleicht wieder an deren Gläubiger vermiethct werden. In alter Zeit machte man sich im sonstigen Nußland so zum Sklaven, welches aber jetzt verboten ist. Dazu trägt Dcr mittlere und südliche ,?heil Sibiriens bis an die Lena erfreue sich einer höchst seltnen, beinahe unglaublichen Fruchtbarkeit, und ferner (S. 477): die Bevölkerung Sibiriens sei als ein Meisterstück dcr Staatsklughrit zu bewundern. Dieses ^'ob gehl wohl auch zum Theil auf die Kolonisation der Deportirten, zum Theil aber vielleicht auf die weise und zweckmäßige Politik, welche die russische Regierung den einher mischen Völkerschaften gegenüber in ihren asiatischen Landern überhäuft» beobachtet, und durch welche s',e dieselben allmählich und ohne druckende ZwangSmaßregeln zu civilisircn und die Nomaden seßhaft zu inachcn sucht, indem sie ihre Sitten, Gebräuche, Einrichtungen, Bedürfnisse und Vorstellungen genau untersuch« und jede Völkerschaft in Gemäßheit ihrer Gigmthlimlichttitm, mi» Beibehaltung ihrer nationalen Häupter, besonders behandelt. Manches Interessante kann man darüber bei Kohl Meise in Sudrußland 3h. ll. S. 245 ff.) und bei Gurowski (I.« <:ivili-sulion el l» Nll««ie. St. Petersburg 1840 S. 189 n.) nachlesen. Man sehe ferner Orman's Archiv n. Vd. IV. H. 4 sl845) S. 594. und Vachr und Hclmcrsen Beiträge n. Vd, Vll. (1845.) S. 1N3 ff. Die Regierung hat sugar den Russm verboten, sich in dem Gebiete solcher Völkerschaften, z. Ä. der Eamojedm anzusiedeln, und sonstige Maßregeln gclroffen, um die Verdrängung derselben durch die gebildeten Europäer zu verhüten. Die Vrrglcichung dieser Politik mil dem Verfahren der „freien und erleuchteten Bürger" der Nordameriiaiiischcn Frci^ siaatcn gegen die unglücklichen Indianer bietet sich von selbst dar. ') Ueber die VerhällM»' der sibirischen Goldwäscher sehe man einen Aufsatz in (Oman's Archiv sür wissenschaftliche Kunde von Nußland, Ichrg. I«-l?, H. >l>. S, 5Nl ff, 37 576 natürlich al>ch drr llmstand bei, daß unter den dortigen Baueril sehr wenig Geld im Umlauf ist. *) Nachdem ich Alles, was mich zu Moskau, außer den ganz bekannten und schon oft beschriebenen Sehenswürdigkeiten, z. B. den Gebäuden und Sammlungen auf dem Kreml, bedeutend in ernsterer Weise angesprochen hat, wie ich glaube, berührt habe, erwähne ich schließlich noch einiges Erheiternde. Unter den schonen Künsten blühen vorzüglich Schauspiel mid Musik. Das große, im Jahre 1824 crbaurtc Schauspielhaus gehört zu den größten ' die schweren Verbrecher zu sein. Vei den wunderlichen Vorstellungen, welche über Sil'i-lit» und das dortige Deportationswesen im westlichen Europa herrschen, mag c« nicht überflüssig sein, auf zwei neuere Schriften mlsmerksam zu machen, welche zur Berichtigung dienen tonnen. Die eine ist Tichat-schews merfwüldige Reise in den östlichen Altai :c., aus welcher sich ei» interessanter Auszug in der Kevuv h.nupaaner. Ein beulschcr Schuster zu Moskau soll ein Vclmögm von <5N,N00 Nu« beln erworben haben, sir kchrtc damit in sein Vaterland (wie ich glaube Sachscn) zurück, wi,' rö ihm abcr nun so wenig gefiel, daß er sich »rieder nach Moskau begal>, w» r, wohl scin 3sbm bcschlicsinl wird. 581 in einiger Entfernung von Iaroslaw liegenden Gute unseres gemeinschaftlichen Freundes, des schon früher von Mir genannten Hrn. v. K., welchen ich später ebenfalls besuchte. — Möchte man nur recht viele Gutsherren finden, welche auf ihren Gütern Seitenstücke zu v. K's. patriarchalischer, für seine Bauern so wohlthätigen Wirksamkeit, so wie zu seinen zweckmäßigen landwirthschaftlichen Einrichtungen lieferten! — In dem nahbclrgenen großen Dorfe Wclikoc-Selo konnte ich mich über den häuslichen Betrieb der Leinweberei freuen, welche in dieser Masse in Nußland selten ist. Ich sah in einer mäßigen Wohnung vier Webstühle mit feiner Leinewand, an denen die Hausgenossen arbeiteten. Der Hausrater war, wie ich vernahm, auch Dichter.-^ Zweimal mußte ich auf dieser Reise in Dörfern, und zwar in Baumhäusern, eine halbe oder ganze Nacht verweilen. Ich sah bei der Gelegenheit die bäuerlichen Bewohner eines Hauses in ihrem wohnlichen Gemache Thee trinken, und eine, wie es mir schien, nicht karge Abendmahlzeit halten. In dem andern Hause, wo ich, am späten Abend nach Dunkelwerden angekommen, die Nacht auf einer Bank im Wohnzimmer zubrachte, fiel mir eine ziemlich kolossale, aber schöne junge Frau auf, welche, die Nacht über in demselben Zimmer auf einer hölzernen Bank unausgekleidet liegend, ihr Kind in der Wiege neben sich hatte. Nur durch ihren untergelegten Pelzrock und ein Kopfkissen hatte sie sich die Lage etwas bequem gemacht, in welcher ihr das Kind ohnehin nicht viel Nuhe ließ. Die Wiege desselben war auö einer Matte gemacht, und hing an der Spitze eines etwas elastischen, mit dem untern Ende in der Wand oder dem Fußboden befestigten Baumastes. Schon in aller Frühe erhob sich die Frau von ihrem so wenig ruhigen Lager und beschäftigte sich mit Kochen und Backen, während eine ältere Frau, welche die Nacht auf der gewöhnlichen Schlafstelle, nämlich auf dem ziemlich nahe unter der Decke deö Zimmers neben dem Ofen angebrachten Brette, zugebracht hatte, das Kind versorgte und mit Milch fütterte. Ein bärtiger Mann von gesetztem Ansehen, wahrscheinlich der Hausherr, dessen Schlafstelle ich nicht bemerkt hatte, erschien auch sehr früh am Morgeu, verschwand aber bald wieder, und begab sich wahrscheinlich aufs Feld. Die zweite anwesende männliche 5tt2 Person dagegen, cin junger munterer Blllsche, in dem häufig vorkommenden roth-baumwollenen Oberhemde odcr Kittel, welcher schon bei meiner Ankunft sich mit mir beschäftigt und mich eingeladen hatte, cin in einer besondern Kammer stehendes Bett einzunehmen, was ich, weil mir das Bett nicht einladend schien, ablehnte, blieb am Morgen, nachdem er die Nacht vielleicht in jener Kammer oder in einem andern Theile deö Hauses zugebracht hatte, in meiner Nähe und reichte mir den geforderten Thee, dessen er sich selbst auch bediente, und wozu er sich von der jungen Frau etwas Zucker geben licsi. Sie reichte ihm diesen mit einer scherzhaften Gcbcrde, welche sagen zu wollen schien- „Ich muß dir Schalk wohl dcinrn Willen thun." Derselbe Mensch besorgtr mir auch die Kibitke, mittelst welcher ich nach einer kurzen, jedoch mehrere Dörfer in einer stark angebaueten Gegend berührenden Fahrt, weidlich durchgerüttelt und geschüttelt, zu Gora-Pjatn itzkaja sd. h. Frcitagsberg), dem Gute des Herrn v. K., ankam. Ich hatte nämlich in jenem Dorfe meinen damaligen Reisegefährten, einrn freundlichen russischen Beamten, in dessen mit Kissen und Matratzen wohl versehenen Kibitke ich bis dahin mit Bequemlichkeit gefahren war, verlassen, weil unsere Wege sich trennten. Das auf einem ansehnlichen Hügel belegene stattliche Wohngebäude des Herrn v. K. nahm mich gastlich auf. Die Fenster desselben zeigten mir eine reizende Aussicht auf daö am Fuße deß Hügels liegende Dorf, sowie weiterhin auf benachbarte Cdrlsitze, und über eine reiche Gegend, wo Feld und Wald, Hügel und Thäler abwechselten. Ich begleitete meinen freundlichen Wirth, indem er seine Bauern bei ihren Arbeiten besuchte, sie allenthalben mit dem dort gewöhnlichen „Gott helf" begrüßend. *) Wir besuchten auch verschiedene Bauer-wohnungen, für deren zweckmäßigere Einrichtung Herr v. K. ') Nei dirscr (yclegmheit ward mir bcr äusiere Unterschied zwischm »cm sinnischm lMd dcm giosinlssischnl Volkölypus n'cht cmgmsiülig, Vs befanden sich nämlich unter dm Arbeitern, welche ich dort sah, einia,,' a,, sprechen, obgleich er bei Herrn d. K., der dieser Sprache so mächtig wie ein gebl'rne, Franzose ist, Gelegenheit genug dazu batte. ^5tt4 Verglcichmiss russischer Maße mit preußischen und französischen. Der russische Fuß beträgt 135,^ pariser Linien, der preußische 1,^9,12? Pariser Linien. Ein russischer Zoll ist '/.2 Fuß, und ssleich 25,,,»o Millimetern. Ein Werschok beträgt 1^ Zoll. Eine Arschin ist gleich 10 Wcrschok und beträgt 2,,«^, Fuß preußisch oder O,,,,,!, Meter. Ein Sashen (russischer Faden) beträgt «4 Zoll russisch. Eine Werst ist 0,i,,,^7« einer geographischen Meile, und 6,,3o«u einer französischen Pvstmcilc, deren 25 auf einen Grad gehen. Eine Dessjatinc beträgt N7,«<><, russische l^Fuß, 4,27«»o eines preußischen Morgens, und i,<,»«5o einer Hectare. Ein Tschetwert hält 105^1,« pariser Kubikzoll, ein preußischer Scheffel 2770,, ^ pariser Kubikzoll. Ein Tschctwcrik ist der achte Theil eines Tschctwerts, und beträgt 0,4774 eines preußischen Scheffels. Ein Kruschki hält tt2,o<>2 Kubikzoll, ein preußisches Quart 57,72, pariser Kubikzoll. Ein Vcdro hält l),,«?« einer Gallone, und (),<,!»,> eineü preußischen (5'imers. Ein russisches Pfund beträgt O,«?^ cincs preußischen Pfundes, 1,7z»,« einer kölnischen Mark. Ein Solotnik ist '/.« eines Pfundes, eine Dolja '/«« eineö Solotniks. Ein Rubel Silber wird getheilt in 100 Kopeken Silber und ist ungefähr gleich 1 Rthl. 3 Silbergr. Pr. Courant oder 4 Franken A'/^ Cent. Ein Rubel Assignaten oder Banco, gewöhnlich schlechtweg Rubel genannt, wird getheilt in 100 Kopeken Kupfer, beträgt s^/7 KopHn^Silber, und ist gleich V7 eines Silberrubels.