Ein Brief des slowenischen Komponisten Benjamin Ipavec an Leoš Janáèek In der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts gilt der Arzt und Komponist Benjamin Ipavec (1829-1908) als einer der bedeutendsten Vertreter einer slowenischen Romantik. Der in Šentjur (St. Georgen bei Cilli) in der Südsteiermark in eine gebildete Familie hinein Geborene war der Sohn des „wundertätigen Wundarztes“ Franc Ipavec und der äußerst intelligenten und musiktalentierten Katarina Schweighofer (Heirat 1814). Die Mutter spielte Klavier und Harfe, und sie war es auch, die ihre neun Kinder in die Welt der Musik einführte. Der älteste Sohn, Alois (* 1815), wurde Arzt, war aber auch ein talentierter Musiker, der mit seinen Walzern – besonders mit dem “Schneeglöckchen-Walzer” op. 4 – und anderen Stücken in Graz und Wien viel Erfolg hatte. Die Verleger seines nicht sehr umfangreichen Oeuvres waren Diabelli und Mollo in Wien. Als Militärarzt in Ungarn erkrankte er schwer und ging 1849 in den Freitod.1 Wie Alois waren auch Benjamin und sein Bruder Gustav (1831-1908) zugleich Arzt und Komponist; der ältere war Primarius an der Grazer Kinderklinik, der andere Arzt und Bürgermeister in Šentjur. Auch Gustavs Sohn Josip Ipavec (1873-1921)2 wurde später Arzt und Komponist und sollte mit seiner Pantomime „Moièek“ („Das Hampelmännchen“) nicht nur in seiner Heimat, sowie in Graz und Triest, sondern auch in Olomouc (Olmütz) im Jahre 1908 großen Erfolg haben. Seine Oper „Prinzessin Tollkopf“ mußte aber bis zum Jahre 1997 auf ihre Uraufführung warten. Und die drei Töchter von Benjamins Schwester Jeanette schließlich: Fanny, Maria und Amalia Èampa (Tschampa), bildeten zusammen mit Friede Perner das erste österreichische Damenvokalquartett, welches in den Jahren 1880 bis 1890 in ganz Europa erfolgreich auftrat und auch von Eduard Hanslick gelobt wurde. Benjamin Ipavec nun leitete schon während seines Studiums einen Studentenchor in Graz und komponierte für diesen verschiedenste Werke.3 Im Februar 1858 promovierte er in Wien und studierte danach in Graz bei Wilhelm Mayer (1831-1898) – bekannt auch als W.A. Rémy –, der Direktor des Steirischen Musikvereins geworden war, Kontrapunkt und Instrumentation. Später erklärte Benjamin Ipavec daß „die Melodie das Herz, die Polyphonie die Seele der Musik sind; die Harmonie, die Melodie und der Kontrapunkt sind unbedingt notwendig für jeden richtigen Musiker.“4 Weitere Schüler von Mayer waren u.a. Ferruccio Busoni, Felix Weingartner, Wilhelm Kienzl und Emil Nikolaus von Reznicek. Besonders geschätzt von Ipavec waren Felix Mendelssohn-Bartholdys Chöre und Quartette, die tschechische Musik im allgemeinen, der Komponist Albert Lortzing und später auch sein südsteirischer Landsmann Hugo Wolf. Benjamin Ipavec wirkte sein ganzes Leben in Graz. Er war ein geschätzter Arzt, verfaßte Artikel für medizinische Zeitschriften und komponierte auch für den Grazer Ärzteball: so z.B. 1887 eine „Polka française – Heitere Prognosen" oder später die 191 Ein Brief des slowenischen Komponisten Benjamin Ipavec an Leoš Janáèek 1 Vgl. Igor Grdina, »Skrivnostni Ipavec« [Geheimnisvoller Ipavec], in: Zgodovina za vse [Die Geschichte für alle] IV./2, Celje 1997. S. 41-58. 2 Igor Grdina, »Josip Ipavec« - “slovenski Mozart” “ [Josip Ipavec – slowenischer Mozart], in: Igor Grdina, Od rodoljuba z deele do mešèana. Ljubljana 1999, S. 171-297; oder Sammelband “Josip Ipavec in njegov èas” [Josip Ipavec und seine Zeit]. Ljubljana 2000. 3 Primo Kuret, Ipavci, Šentjur 1994. 4 Vgl. M. P., »Dr. Benjamin Ipavec, skladatelj slovenski«, in Zeitschrift “Dom in svet”. Ljubljana 1900, S. 277 „Annen-Quadrille" für Klaviertrio. Zu Ipavec’ Grazer Freundes- und Bekanntenkreis zählten u.a.: Wilhelm Kienzl, der Bildhauer Hans Brandstetter und Max Theodor von Karajan. Beide Brüder – Benjamin und vor allem Gustav – komponierten sehr im Sinne des sich entwickelnden nationalen Bewußtseins und des in dieser Zeit entstandenen Programms „Vereintes Slowenien“, und sie wirkten auch im 1872 gegründeten zentralen slowenischen Musikvere in Glasbena matica mit. Außerdem war Benjamin damals geschätzter Mitarbeiter der Musikzeitschrift Novi akordi, die Dr. Gojmir Krek, Jurist und Komponist in Wien, von 1901-1914 redigierte. Benjamin Ipavec profilierte sich besonders mit seinen Liedern, die ihm den Ehrennamen eines „slowenischen Schubert“ eingebrachten. Er vertonte erst deutsche Texte, später Texte slowenischer Dichter wie France Prešeren, Simon Jenko, Josip Stritar, Simon Gregorèiè, Anton Aškerc, Oton Zupanèiè, Josip Murn, Alojz Gradnik u.a., und er wählte auch für zwei Lieder Texte in deutscher Übersetzung von Michail Lermontov. Die slowenische Vokallyrik hat gerade mit seinen Liedern einen neuen künstlerischen Höhepunkt erreicht. Ipavec komponierte auch eine Operette (Tiènik) nach dem Lustspiel „Der Käfig“ des deutschen Dramatikers August von Kotzebue und einige Kantaten, von denen „Kdo je mar?“ nach einem Text von Jovan Vesel Koseski (1798-1884) ihm den größten Erfolg brachte. Sehr beliebt ist noch immer seine Serenade für Streicher in vier Sätzen aus dem Jahre 1898. Im Jahre 1891 ist die Oper „Teharski plemièi" („Die Adeligen von Teharje“) entstanden; von Ipavec als „lyrische Oper in drei Akten" betitelt, erlebte sie im folgenden Jahr im Ljubljanaer Opernhaus ihre Premiere. Die „Adeligen von Teharje" ist die erste slowenische historisch-romantische Oper. Das Libretto hat der erfahrene Dichter Anton Funtek geschrieben, der zuvor schon viele Libretti in die slowenische Sprache übersetzt hatte. Die Opertradition in Ljubljana reicht bis in das 17. Jahrhundert zurück, als italienische und deutsche Theatergruppen dort gastierten. Die erste Oper in slowenische Sprache – „Belin“ – komponierte Jakob Zupan im Jahre 1780 nach einem Libretto von Janez Damascen Dev. Ein Theatergebäude bekam Ljubljana erst im Jahre 1765. Der Grund dafür war der vorgesehene Besuch der Kaiserin Maria Theresia und des Kaisers Franz Stephan von Lothringen, zu welchem es jedoch nicht kam, weil der Kaiser in Innsbruck starb und die Kaiserin nach Wien zurückkehrte. Das neue Ständische Theater war mit seinen 850 Sitzplätzen recht groß, wenn man bedenkt, daß Ljubljana damals weniger als 10.000 Einwohner hatte. Es wurde im Jahre 1846 renoviert und vergrößert; die Vorstellungen waren in deutscher und slowenischer Sprache. In der Saison 1881/82 wirkte hier der junge Kapellmeister Gustav Mahler.5 Nach einem Brand 1887 wurde das Gebäude 1892 nach den Plänen des tschechischen Architekten Jan Vladimir Hrasky im Stil der italienischen Renaissance neu errichtet. Es hatte nur noch 600 Plätze, obwohl die Einwohnerzahl in Ljubljana deutlich angestiegen war. Die feierliche Eröffnung fand am 29. September 1892 statt und die erste Opernvorstellung folgte am 3. Oktober. Ein triumphaler Erfolg für Benjamin Ipavec war dann die Premiere seiner Oper „Teharski plemièi“ am 10. Dezember 192 PRIMO KURET (1935) 5 Primo Kuret. Mahler in Laibach. Wien 2001. 1892. Es waren Eisenbahnzüge aus der Steiermark organisiert worden, damit seine Landsleute die Oper sehen konnten. Nur seine Frau Ana, welcher die Oper gewidmet ist, konnte das Werk wegen ihrer Krankheit nie sehen. Es dirigierte der bekannte slowenische Komponist Fran Gerbiè; Regisseur war Josip Nolli, seinerzeit bekannter Sänger, der u.a. in St. Petersburg, Moskau, Madrid, Rom und Mailand aufgetreten war. Das Werk, das eine Geschichte aus dem 15. Jahrhundert über den letzten großen Grafen Ulrich II. von Celje (Cilli) erzählt, wurde von der Kritik sehr gelobt; sogar die Grazer Zeitungen, die besonders kritisch gegenüber slowenischen Leistungen waren, schrieben: „die Musik ist reizend“; die Aufführung hatte „einen wirklich glänzenden Erfolg“6 und „die Ausstattung darf prachtvoll genannt werden“.7 Nur die „Deutsche Wacht“ aus Celje (Cilli) zeigte sich nicht zufrieden mit der Oper und der Geschichte des „Edelbauern von Tüchern“. Die Oper wurde dann auch im Herbst des Jahres 1895 in Brno (Brünn) als „Teharsti slechtici“ aufgeführt. Kaum bekannt dabei ist, daß der damals 41jährige Leoš Janaèek (1854-1928) diese Aufführung in die Wege geleitet hatte. Im Janacek-Archiv in Brno fand ich mit der Hilfe des Kollegen Dr. Jiri Sehnal einen an Leoš Janacek gerichteten Brief von Benjamin Ipavec, der sich für das günstige Urteil über seine Oper bedankt. Dieser Brief wird hier zu erstenmal veröffentlicht: Graz. 22. 1. [18]95. Euer Wolgeboren! Durch Herrn Fediczkowsky,8 Baritonist am böhmischen Theater erfahre ich soeben, daß Euer Wolgeboren so freundlich waren meine Oper „Teharski plemièi“ günstig zu beurtheilen. Sie können sich denken, dass ein günstiges Urtheil von so berufener Seite dem Componisten grosse Freude macht. Nun habe ich mich wol vorerst zu entschuldigen, diese Arbeit eine Oper zu nenen. Unsere heutigen Opern haben ja fast durchwegs ein anderes Geprbge: die Instrumentation wiegt vor, die Singstimmen werden in der RegeI stiefmütterlich behandelt und kommen unter der Wucht der Instrumentation nicht zur Geltung. Ich hbtte mein Werk also vielleicht Singspiel oder Operette nenen sollen. Allein für ein Singspiel entbhlt es doch viel zu viel Musik; Operette aber kan ich es nicht nenen, da die Handlung in Operetten in der Regel eine frivole ist und die Musik sich mehr mit Pikanterien als tief empfundenen Musikstücken befasst. Ich fasse dieselbe also als Spieloper auf wie wir ja solche u. zwar von feinstem Geschmack u. mit genialer Musik (z.B. Lortzing) mehrere besitzen; ich spreche hier natürlich nur von der Form, dem Inhalte nach fællt es mir nicht ein, mich mit solchen Grössen zu messen. Die Handlung ist national und ich habe mit Lust und Liebe an der Musik gearbeitet. Für mich ist eine grosse Ehre, dass die Èehen, unter den Slawischen Stb‘men wol in der Musik am vorgeschrittensten, die Oper zur Aufführung bringen; sie sind uns 193 Ein Brief des slowenischen Komponisten Benjamin Ipavec an Leoš Janáèek 6 Grazer Tagblatt, 13. 12. 1892. 7 Südsteirische Post, 17. 12. 1892. 8 Marcel Fedyczkowski, der in der Saison 1892/93 sowie 1896-99 als erster Bassist in der Oper in Ljubljana aufgetreten war gilt als einer der wichtigsten Sänger dieser Zeit in Ljubljana. Er hat dort Ipavec’ Oper zwar nicht gesungen, weil in der Premiere nur slowenische Sänger auftraten, aber später in Brno sang er eine Rolle. Slovenen, wie sie es schon oft bewiesen haben, freundlich gesint und werden vielleicht auch mein bescheidenes Werk nicht zu rigoros beurtheilen. Schwierigkeiten gibt es, wie Euer Wolgeboren aus der Partitur ersehn werden, wol keine zu überwinden. Die Sbnger und Sbngerinen haben wol darin gar keine Gelegenheit zu glbnzen, aber sie werden, wie ich überzeugt bin, aus Sympathie für das sta’mverwandte Volk sich der Sache mit Wbrme annehmen. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass das Werk Herrn Labor9 (dem blinden Clavier u. Orgelvirtuosen) sehr gefallen hat u. Organisten sind ja in der Regel tückt tüchtige Musiker. Zudem ich nochmals für Ihre freundlichen Bemühungen danke, bin ich mit dem Ausdrucke der grössten Hochachtung Euer Wolgeboren ergebenster B Ipavec Einen Lorbeerkranz mit der tschechischen Trikolore erhielt Ipavec bei der Aufführung in Brno, wo er auch Janacek traf, als Zeichen der großen Anerkennung. Die hervorragenden tschechischen Kritiken betonten die national-affirmative Bedeutung der Oper. Die Musikzeitschrift Dalibor stellte weiterhin fest, daß man die Oper nicht nach den Kriterien der damals modernen Oper beurteilen könne10 und erwähnte den melodischen Reichtum der Partitur. So hatte auch Benjamin Ipavec sein Werk verstanden, wie aus seinem Brief hervorgeht. Die wohlwollende Aufnahme seiner Oper in Brno hat ihn sehr gerührt, wie sein Freund und erster Biograph Anton Schwab berichtet.11 Die Aufführung in Brno bedeutete für Benjamin Ipavec die Bestätigung seiner Erfolge von zu Hause und auch für die slowenische Musik einen Beweis ihrer Reife am Ende des 19. Jahrhunderts sowie der guten slowenisch-tschechischen Beziehungen, die vor allem in dieser Zeit einen bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung der slowenischen Musik hatten. Nach Ipavec’ Tod war in der „Grazer Tagespost“ zu lesen, daß der Komponist nicht nur als ausgezeichneter Pianist und Tondichter, sondern auch als ein großer „Menschenfreund“ bekannt war. Seine Devise lautete: „Nur nicht zu viel künsteln, eine schöne Melodie erfinden ist viel schwerer, den komplicirtesten Satz zu machen.“12 Objavljeno v: Zeit – Wart Gegen – Geist. Beiträge über Phänomene der Kultur unserer Zeit. Festschrift Sigrid Wiesmann. Herausgegeben von Hannes Grossek & Thomas Reischl. Wien – Sydney, Reischl&Grossek, 2001. Str. 137–144. 194 PRIMO KURET (1935) 9 Der blinde Wiener Pianist Josef Labor (1842-1924) spielte am 3. 4. 1900 in Ljubljana zusammen mit der Grazer Pianistin Bertha Gasteiger in einem Konzert, das Johannes Brahms’ drittem Todestag gewidmet war, Mozarts Sonate für vier Hande in D-Dur. 10 „Dalibor“, Hudebni listy XVII. No.24. 11. 5. 1895. 11 Anton Schwab, „Ipavci in jaz“ [Die Komponisten Ipavec und ich], in: Zbori IV, Ljubljana 1928, 10. 12 Vgl. Edvard Goršic. Dr. Anton Schwab 1868-1938. Celje 1989. 24. Povzetek Pismo slovenskega skladatelja Benjamina Ipavca Leošu Janáèku Potem ko so leta 1895 v Brnu uprizorili Teharske plemièe, je skladatelj Benjamin Ipavec Leošu Janáèku poslal pismo, v katerem med drugim pravi: »Pred kratkim sem izvedel, da ste dobro ocenili mojo opero Teharski plemièi. Lahko si predstavljate, da ocena iz stroke naredi èloveku veliko veselje. Najprej se moram opravièiti, da sem to delo naslovil opero. Današnje opere imajo povsem drugaène lastnosti: v ospredju je instrumentacija, pevski glasovi so po maèehovsko obdelani in zaradi goste instrumentacije ne pridejo do veljave. Verjetno bi moral svoje delo imenovati spevoigro ali opereto. Vendar je za spevoigro preveè glasbe, opereto pa je tudi ne morem imenovati, ker je preveè resna vsebina […] Vsebina je ljudska; delal sem z veseljem in ljubeznijo. Meni je v veliko èast, da so Èehi, med slovanskimi narodi najbolj napredni, da so opero uprizorili; to kae da so Slovencem zelo naklonjeni, kar je bilo e veèkrat dokazano, in mojega dela ne bodo prestrogo ocenili.« (Edo Škulj) 195 Ein Brief des slowenischen Komponisten Benjamin Ipavec an Leoš Janáèek