^;j^/ ^s/s^ Reisen und Länderbetchreibungen der alteren und neuesten Zeit. Mit Karte«. Nciiiiuiidzw»iizi$*stc Uescruiig. C^F" Aufgeschnittene oder beschmuote Exemplare werden nicht zurüttgenommen. Neisen und Länderbeschreibungen der ältern und neuesten Zeit, eine Sammlung der interessantesten Werke über Länder- und Staaten- Kunde, Geographie und Statistik. Herausgegeben von »5. Gduarö Widenmann, Redacteur deö AuölandeK, und «r. Hermann Hauff, Redacteur deö Morgenblnttes. ^ Kste Lfg. Irlands gegenwärtiger Instand. Preis 1 fi. ^ oder 16 gr. >^ Hte — 9llgier wie es ist. Mit einer großen Karte. 1 fl. 30 kr. ^ oder 21 gr. ^ 3te — Alexander Burneb' Reisen in Indien und nach Bukhara. Erster Band. Mit einem Steindruck. 2 fi. 30 oder 1 Nthlr. 12 gr. 4te — WaMngton IrvingS Vlusftug auf die Prai-^ rien zwischen dem Arkansas und Red-River. ^ 1st. oder Itt gr. 5te — Alfred Reumonts Reiseschilderungen. 1 fi 12 kr. oder 18 gr. Ate — Briefe in die Heimath, geschrieben zwischen October 1829 und Mai , 830 wahrend einer Rrise über Frankreich, England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika nach Mexico. 1 fi. 24 kr. oder 20 gr. ?te ___ Alexander Burnes' Reisen in Indien und nach Bukhara. Zweiter Band. 2 fi. 42 kr. oder l Nihlr. ltt gr. Me — John Barrow, jun , ein Besuch auf der Insel Island im Sommer t»H«. Mlt Holzschnitten. 1 fl. 45 kr. Zder 1 Nchlr. 4 gr. Vte — Nhomas Mringle, südafrikanische Skizzen. Aus dem Englischen überseht. Preis 2 fi. 15 kr. oder 1 Nchlr. 8 gr. / «Ote— Mexico in den Jahren R830 bis t833. Vom / Verfasser der „B riefe in die Heimat h." Erster Band. Preis A fi. oder 1 Rlhlr. 20 gr. ^ «>te— Montenegro und die Montenegriner. Em Bei-.^ nag zur Kenntniß der europäischen Türkei und des ser- bischen Volks. Preis 1 fl. 24 kr. oder 20 gr. AUte— V','»,,«^ U. C^«»,,»ßl, die Amerikaner in ihren moralischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Aus dem Englischen überseht vom Versasser. Prels 3 fi. 12 kr. oder 2 Nthlr. Reisen und Länderbeschreibungen der älteren und neuesten Zeit, eine Sammlung der iuteressa »testen Werke über Länder- und Staaten-Kurde, Geographie und Statistik. Herausgegeben von Pr. Eduard W i d e n m a n n, Redacteur drs AuSlandeS, uub Dr. Her m a n n H a u t t, N e u n u n d z w a n z i g st e L i e f e r u,i g. Stuttgart und Tüdingen, Druck und Perla,; der I. G. Cotta'schen Buchhandlung. l 8 ^l 5. Mrien und Dalmatien. Wmefe mnd OmnMeZmnMN von Heinrich Stieglitz. Stuttgart und Tübingen, -Verlag der I. G. Cotta'sä)en Buchhandlung. 18 4 5. Seiner Gxeellenz dem Königlichen Staatsminister Herrn Dr. Freiherr« K. A von Wangenheim in Ehrerbietung und Ergebenheit gewidmet. Die Widmungszuschrift als Zoll der Etikette, indem ich Ihnen, dem verehrten Freunde, ein Werkchen überreiche, das mit Ihrem Namen zu schmücken Sie erlaubt — mit Ihrem Namen, der, ein höherer Schmuck als Titel und Orden, allen Herzen von ächtvaterlandischer Gesinnung so werth und theuer ist. Nie werde ich die Stunden vergessen, welche Ihre Anwesenheit in Venedig uns bereitet. Mit Recht konnt' ich aus tiefstem Herzen damals an Sie die Worte richten, die ich heute wiederhole und ihrem Sinne wie ihrer Bedeutung nach bis zum letzten Athemzuge gläubig wiederholen werde —: Dem jungen Deutschland bring' ich Lebehoch, Das, gleich wie Du, aus ächter Manncrtugend Den Lebenswein, dic Milch der ew'gcu Jugend Aus nimmerwelkcr Weisheit Brüsten sog. Ich bring' ein Lebehoch der jungen Zeit, Die Aeschylos, die Platon uns verkündet, Der freien Drangs in Noth und Tod verbündet Die Besten allrr Zeiten sich geweiht. Wenn erst für dieß Palladium Alle stehn, Getreu vereint aus aller Zeit den Besten, Dann dürfen wir getrost aus Ost und Westen Bedroh'ndem Wettersturm entgegensehn. Venedig, im September 1844< Heinrich Stieglitz. Inhalt. I. Istrien. Gelte Trieft........... 3 Nachwort (1844)......... U Isola und Kapodistria ........ 29 Plrano ........... 24 Montona — Plsino — Dignano...... 4l Pola ........... 44 Quarner — Lussin piccolo - Lussin grande .... 67 Osero ........... 84 Cherso ........... 100 Veglin ........... 107 Fiume........... 118 II. Dalmatien. Die Schiffsgesellschaft........ 127 Zara........... 132 Canal von Zara — Oreskowitsch — Tommaseo ... 144 Fort San Niccolü......... 158 Sedenico........... 160 Weg nach Spalato ......... 167 Spalato und Salona........ 170 VIII Seite Pogliza........... 186 Lesina........... 190 Lissa — Curzola — Meleda....... 197 Bocche di Cattaro — Oesterreichisch Albanien .... 204 Weg nach Nagusa ......... 256 Ragusavecchia.......... 253 Ragusa........... 266 1 I st r i e n. Reisen und L^nterbcschleibungen. XXIX. (Istrien und Dalmatien.) 1 Trieft. Als Sie, mein theurer Leonard, von der rücktragenden Gondel ans das letzte Fahrewohl mir hinübergcrufen zum Verdeck des Mahmudie, dessen schwarzem Krater schon die brausenden Dämpfe entstiegen, die flüchtigen Schwingen des bewegten Feuerbergs, da ahnete ich nicht, daß außer dem Hafen solche Gährung herrschen könne, während innerhalb die tiefste Ruhe. Auch war in der Luft keine Spur von gewaltsamer Strömung; nur die Nachwirkung des Sturmes der verwichenen Tage hielt die Meereswellen noch in tosendem Hohlgang — das „Marvecchio" der Schiffer. So wogt und brandet es im Inneren manchmal noch gewaltig nach, wenn längst die Ursachen gewichen, die den Aufruhr erregt; auch in der Menschcnbrust spielt das Mar vecchio eine große Nolle, beängstigender oftmals als der frische brausende Sturm, es wirkt wie Nückfall, ohne die Widerstandsfähigkeit zu wecken unbedingten Anfalls. Die Nuhc der Lagunen, dieses friedumschanztcn Binnenmeeres mit seinen milden Ebben und Fluthen muthct an wie heimathliche Stille im Gegensatz zu den sich feindlich reibenden Kräften im großen Wcltgetriebe. Hier wird man inne, wie der Venezianer, überschwemmt von den Reichthümern entfernter Zonen, einmal hingegeben sorglosem Genusse des Errungenen, in jenen schwelgerischen Neutralitäts-schlummer sich konnte einlullen lassen bis zum Hereinbrechen des längst bedrohenden Ungewittcrs. Was frommte da die mahnende Stimme einzelner zum Kampf aufrufender Wächter? — Die Schläge sielen, ehe noch die Träumer zur Besinnung gekommen. 1 4 Lange stand ich auf dem Verdeck und betrachtete, nachdem wir eine gute Strecke schon ins Meer hinausgestcucrt waren, die auf den schwankenden Wogen sich wiegenden Sterne mit jener stillen Befriedigung, welche überall die Vermählung der Höhe mit der Tiefe uns gewahrt. Auch schienen die Wellen ^-möcht' ich mm an das Schwanken mehr mich gewöhnt haben oder möcht' es bei der Stille von oben wirtlich so geschehen -sich immer leiser zu bewegen nnd allmählich zu beruhigen. Die Ruhe nach dcm Sturme gleicht der Friedensbotschaft auf blut-gcdüngtcn Aucn. Der große, oft erflehte, öfter noch erträumte Weltfriedc, ob er jemals eintreten wird in tieferer Bedeutung? — So lange Kräfte gäbren in Natur und Mcnschenbrust, so lange diese uud die Wünsche und die Leidenschaften Boden verlangen nnd Naun» sich auszutoben, zu verwirklichen, ins Gleichgewicht zu setzen, nimmer wohl! Auch bleibt des alten Hera-tlit, des in der Tiefc klaren, Ausspruch: „Kampf ist Erz enger der Dinge" — ewig wahr, und reicht den Worten des göttlichen Erlösers aus den Banden starler Satzung, der in die Welt gekommen, nicht, den Frieden zu bringen, den alltäglichen kläglichen Frieden des Halbschlummers nnd der Betschwestern, sondern das Schwert des Geistes, nah entstandenen Gasthofe „zum Fürsten Metternich" konnte man nur in Kähnen, zu der Börse, dem Schaufviclhause, den besuchtesten Kaffeehäusern kaum anders als in Kutschen gelangen. Alles rannte und gaffte von den höheren Theilen der Stadt hernieder, um das ungewöhnliche Schauspiel anzusehen; an der Gränze, wo Land und Wasser sich schieden, hatte sich ein dichter Kranz von Zuschauern gebildet, während Einzelne sich einem der von allen Seiten dargebotenen Na- « chen, auch wohl scherzend einer Wanne, Andere, deren Ziel näher lag, dem Rücken eines hochaufgeschürzten stämmigen Trägers anvertrauten. Dieß Alles, in Verein mit der feuchtkalten Novembcrluft und dcm schmutziggraucn Wolkenhimmel, der jeden Augenblick mit Einstur; zu drohen schien, machte auf mich einen so eigenen Eindruck, daß in den Sälen der Gemäldeausstellung — ich glaube, der ersten des neu gestifteten Triester Kunstvereins — vor allen anderen mich das Werk Giuscppini's, eines jungen Malers aus Udinc, anzog, welches in ziemlichem Umfang eine Art Sündfluth darstellte — rings wild erregtes Meer, und drüber graue ^uft, und in der Mitte ein Mcnschenpaar, das auf einen aus den Wellen hervorragenden einsamen Felsen sich gerettet. Vor diesem Bilde habe ich lange gestanden, nur dcm Stoffe in seiner grotesken Keckheit hingegeben, unbekümmert um die technische Behandlung, und habe darüber die freundlich rings umher den Beschauer einladenden Landschaften und sonstigen Malereien fast vergessen. Die gänzlich sonnenlose Beleuchtung und die Erinnerung an die eben erst draußen erlebten Scenen wiesen den inneren Blick einzig auf das Werk des jungen Udinescn. Ja, ich war so einseitig befangen, so sehr aus dem Standpunkt künstlerischer Betrachtung heraus und in die Vorstellung von Meer und Fluch und überschwemmten Küsten hinein bugsirt, daß, als ich in dic Kirche Sant' Antonio trat, die große Leinwandflächc, auf welcher Lipparim das Märtyrthum der heiligen Thcrcse uud ihrer Mitjungfraucn hat darstellen wollen, ungeachtet der mit vieler Sorgfalt in himmlische Verzückung gebrachten Augen und der mit verschwenderischer Farbenpracht gemalten Glorie von Engclchörcn mir vielmehr vorkam wie ein Eklavenmarkt irgend einer Piratcnküstc, an welche eine Anzahl unglücklicher hübscher Geschöpfchen um ihrer Sünden willen mit Verlust der Kleider jämmerlich verschlagen worden, und der römische Proconsul und seine Handlanger erschienen mir Alle nur in antikes Costüm gesteckte Seeräuber. Auch wurde ich so ärgerlich auf meine verkehrte Anschauungsweise an diesem nassen Sturmtage, daß ich die anderen Gemälde der modernen Malercelebritäten mir kaum erlaubte näher zu betrachten, aus Besorgniß, die mit so viel technischer Meisterschaft behandelte Architektur in Schiavoni's Darstellung im Tempel gar für ein 13 Modell zur Arche Noe, und die eleganten Frauenfignren vor dem Oberpricster für Damen aus dem ninivitischeu Harem oder Politi's in den Lüften schwebenden Sanct Antonius für einen taumelnden Jupiter pluvius zu halten. Was doch ein erster Eindruck thut! — Ich habe mehrmals später vor jenen umfangreichen Kirchcnbildcrn gestanden, und niemals konnte ich ganz frei werden von der früheren Anschauungsweise. Eine Kunstausstellung Triests zu sehen ist mir nicht wieder zu Theil geworden; aber ich habe vieles Gute von deren fortschreitendem Gedeihen und mit besondrer Freude gehört, daß Werke deutscher Künstler dort auszeichnende Anerkennung gefunden; auch sah ich in den Häusern einiger Privaten erfreuliche Ankäufe der Art. lebhaft erinnere ich mich, daß damals - im Herbst 1841^-viel gesprochen wurde von jüugst stattgcfuudcncn Bankbrüchen und sehr empfindlichen Verlusten bedeutender Handelshäuser, und von der soliden Haltung, die auch iu dieser gefahrvolle» Krisis andere zu einzelnem und allgemeinem Wobl beobachtet, vor allen das auf den festesten Säuleu des Vertrauens begründete Haus des verehnmgswürdigen und allgemein verehrten Fran; Taodäus von Neper, und ich fand diesen trefflichen Greis mit seinem klaren Geiste und dem liebevollen allzeit jngendlichen Herzen auch dießmal in seinem nur am Wohlthun frohen Kreise unverändert Denselben, ein lcbenvolles Zeugniß, daß die ächte Güte allein die wahre Weisheit ist. Auch dich fand ich, wie immer, unverändert, wackerer Freund Ignatius, der dn, rauh und stürmisch iu dciucr Erscheinung, und scheinbar lebcnsfeindlich gesinnt, nicht müde wirst mit Herz und Hand wohlthuend einzugreifen und neben deinen dringenden Geschäften des Guten möglichst viel zu fördern. — Bauend übrigens auf die zu Gebote stehenden reichen Hülfsmittel und die Euergic der tüchtigsten Geschäftsmänner Tricsts, sprachen schon damals Einsichtige und untthig Vorschauende vou baldiger Wiederbelebung des allgemeinen Vertrauens, durch welches dann uufehlbar die erlittenen Verluste ausgeglichen und Alles uicht nur auf den vorigen Standpunkt, sondern durch Benutzung der gemachten Erfahruugen sogar vorwärts gebracht seyn würde. Und also ist es eingetroffen.— 44 Mein dritter Besuch Triests fällt in den Juni 18ä3. Noch schmückte die Höhenkettc an der anderen Seite der meerbespülten Stadt jenes wohlthuende frische Grün, das der Frühling und seine warmen Regenschauer hervorgerufen, und das späterhin nur allzu rasch von der an jene Kalkfelsen anprallenden Iulisonne versengt wird. Diese Höhen besuchte ich täglich und nach allen Richtungen in Begleitung einer Familie, die, seit Monaten erst in Trieft anwesend, sich auch hier bereits, wie früher in Venedig, die allgemeine Hochachtung erworben hatte, und in deren Kreise man auch hier allcs versammelt fand, was mehr einem geistigen als dem materiellen Interesse huldigt. Das Haupt dieser Familie, Dr. Paride Zajotti, war eine von jenen ganzen Men-schennaturcn, denen das, was einer im Leben vorstellt, nur als Kleid, als zufällige Hütte, der Kern dagegen, das Wesen Alles gilt. In diesem Sinne hatte er in früheren Jahren schon dem Vorwurf, daß er gar zu freundschaftlich mit Nnterbeamtcn umgehe und dadurch seiner Würde als Appellationsratb etwas vergebe, freimüthig entgegnct: „Es ist seltsam, daß mchr Würde in äußerlich angenommenem Stolze als in der Leutseligkeit liegen soll— Was ist ein Appellationsrath? und wenn ich mich nun hundertmal mchr fühlte als einen solchen und gerade darum so wenig Wichtigkeit darauf legte?" — Diesem Sinne getreu war er auch in seiner gegenwärtigen Stellung als Präsident geblieben, und während die Behörden und die Männer vom Fache in ihm den eifrigen Beamten und den gründlich umsichtigen Rechtskundigen ehrton, blieb in ihm jederzeit der Mensch die Hauptsache, und seine größte Freude war, daß ihm jetzt mehr Muße geworden, durch litterarische Bethätigung auf seine Nation, deren Besten er, ungeachtet streng beobachteter Anonymität, durch eine Reihe gediegener Arbeiten ein gefeierter Name war, und vornehmlich durch Würde der Gesinnung auf die Jugend zu wirken, welcher er stets mit ganzer Seele zuneigte. Die Wahrnehmung eines Funkens ächten Talents ließ ihn von jeher vielfache Verirrungen nachsehen — nur nicht Verkehrtheiten des Herzens. Dem entsprechend fühlten und dachten auch die Seinigen, in deren Kreise man entschädigt ward für die unzähligen Larven und Halbnaturen dieser sublunaren Welt und bestärkt in dem Glauben, daß Gott am sechsten Tage sich ein Ebenbild 15 habe erschaffen wollen. Um von diesem Kreise ein getreues Bild zn geben, greife ich mir selber vor nnd führe Worte an, die ich wenige Tage vor einem, damals in der Fülle des Glückes und der Freude noch nicht geahnten schmerzlichen Ereignisse an unseren Heinrich Zschokke schrieb: „ — — Ich kann Ihnen meine Freundschaft mit dieser strengkatholischcn Familie, die mei-ncn Protestantismus so wie alles auf Ueberzeugung Begründete zu ehren weiß, nicht besser schildern als Sie es selbst gethan in der Zueignung Ihrer Schweizerkantone an Ihren Freund den Fürsten von Hohcnzollern, in welcher Sie nicht anstehen Jedem, dem es zu wissen beliebt, öffentlich zu sagen, mit welcher Verehrung ein Republikaner einem Fürsten Deutschlands ergeben sey, und mit der Erklärung, schon der Seltenheit willen solle das in Tagen des politischen Fanatismus geschehen, selbst auf die Gefahr hin, von Zeloten in Acht und Bann erklärt zu wer-nen, deu wahrhaft frommen Wunsch verbinden, daß wir doch aus den Zeiten der Religionskriege, die unsern Zeiten uicht ganz unähnlich sind, Beispiele der Freundschaft hätten zwischen einem protestantischen Fürsten und einem Priester des alten Glaubens, oder umgekehrt. — Es gehören nämlich diese Menschen, deren Bekanntschaft ich gerade Ihnen wünschen möchte, weil Sie dergleichen aucrkcnnend würdigen, zu den im Hinblick auf Ihren Frennd als Muster gepriesenen, welche inmitten des Lebens schon sind, was Andre erst im Tode werden, ungetäuscht durch Schurzfell, Chorrock undPurpur; voller Achtung gegen Staats- und Kirchenformen, ohne in den Krücken des gesellschaftlichen Lebens das Höchste, nämlich das Ziel der gesellschaftlichen Ordnungen zu finden; auch sie sind ein schönes Zeugniß mehr zur Ehre der Menschheit, daß es nie an Gemüthern fehle, die ein erhabneres Interesse als das flüchtige Interesse des Jahrhunderts mit einander gemein haben; auch ihre Weltentsagung ist, wie bei Ihrem fürstlichen Freunde, nicht Entsagung ihrer Freuden, sondern ihres blendenden Scheinwerthes." Bedarf es nach allem diesem noch der Versicherung, daß 16 ich die in solcher Genossenschaft verlebten Tage den glücklichsten meines Lebens beizähle? — Von Lokalveränderungen seit meiner letzten Anwesenheit verdient besondere Erwähnung das Tergcsteum, diese großartige Versammlungsstätte vielseitiger Betriebsamkeit, dessen von oben erhellter breiter Kreuzgang es den an tägliches Lustwandeln Gewöhnten möglich macht sich zu ergehen, auch wenn es draußen stürmt uud wettert. Dergleichen Hallen, freilich dem griechischen Schönheitssinn entsprechend ausgestattet mit Werken der Kunst, dürften mitten in dem Hain des Akadcmos sich gefunden haben. Wie ein Wandeln in dem Hain des Atademos, wechselnd zwischen litterarischen Mittheilungen, Freude an der Natur und heiterer Geselligkeit, werden die durch keiu störendes Element getrübten, auch in der Erinnerung unvergänglich schönen Stunden meines dritten Triestincr Aufenthalts mir immer gegenwärtig bleiben. Ganz auderer Art war der vierte Besuch. Mit dem am letzten Tage des Jahres in den Lagunen einlaufenden Dampfschiff war die Nachricht eingetroffen von dem Tode des plötzlich in der Fülle seiner Kraft dahingeschiedenen Zajoiti — eine schmerzlich überraschende Kunde für alle, die den Werth dieses Mannes zu würdigen wußten; für mich, der in ihm einen innigen Freund verloren, und der ich das Weh der hochverehrten, von der Höhe des Glückes mit Einemmale so tief darnicdcrge-beugten Familie mir vergegenwärtigte, ein Donnerschlag aus heiterer Luft. Das rückkehrende Dampfschiff trug mich hinüber nach Trieft, wo ich am Morgen des zweiten Januars anlangte. Da fand ich nuu im Kreise der Leidtragenden jcuc a»f moralischer Kraft beruhende Haltuug, aus welcher freilich der Abgrund des inwohueuden Schmerzes nur um so gewaltiger hervorblickt, die aber den mitfühlend Hinzutretenden zugleich erschüttert und erhebt. Fülle der Erinnerung, in welcher der theure Vorangegangene als ein daurendcr Besitz fortlebte, gegenseitige Vergegenwärtigung vergangener glücklicher Stunden, die Er mit den reichen Schätzen seines Wissens, mit dem Springquell seines köstlichen Humors, mit dem Adel seiner tüchtigen Gesinnung verschönert und erheitert, bildeten die Vereim'gungs- und Am Haltspunkte unserer Gespräche, nachdem der uicht zu ersparende innere Sturm des ersten Wiedersehens sich gelegt. Es war am ueunundzwanzigsten December 1643 Abends, als Zajotti verschied, nachdem er noch am selben Tage mit gewohnter Energie den Vorsitz im Gcrichtssaalc geführt, ohne Rücksicht auf ein leichtes Unwohlscyn, um deßwillen einer der Näthe ihn gebeten hatte doch die Sitzung lieber früher zu beenden. Das Gefühl der doppelten Wichtigkeit seiner Gegenwart bei den Verhandlungen zum Jahresabschluß ließ ihn eigner Schonung nicht gedenken. „In demselben Augenblick" — meldet ein Berichterstatter der Favilla bei Aufzählung der an jenem Abend in der litterarischen Versammlung der Minerva gehaltenen Vortrage — „wo I)r. Formiggini eine Stelle aus einer jüngst erschienenen Schrift Zajotti's anführte, in demselben Augcublick zerstörte rasch hereinbrechend der Tod des gefeierten Litteraten und hochverdienten Staatsmannes, welcher das Vorgetragene geschrieben, eine Laufbahn, die eben mehr als jemals glückbcdeu-tend schien. Ein schmerzliches Ereigniß! Und der Sohn lauschte an meiner Seite den mit Nuhm ans fremdem Munde verkündeten Worten des sterbenden Vaters!" — Sein Verscheiden, eine Art Schlaganfall, hatte mit diesem wenigstens die Raschheit des Nebergangs aus kräftigster Lebens-fülle zur plötzlichen Lähmung aller Kräfte gemein. Ein leichter Schwindel, von keinen bedenklichen Symptomen begleitet, hatte ihm das Bette wünschenswert!) gemacht. Abends acht Uhr, beim Schall des Signals zum Hafenschlusse, grüßte cr noch in freudiger Gewohnheit die entfernten Freunde, als plötzlich ihm die äußern Glicdmaßen erlahmten; sein Kopf aber blieb so hell und frei, daß er sich zu deu schwierigsten Conceptionen nicht nur fähig, sondern geneigt erklärte. Halb nenn, nachdem er nur wenige Minuten zuvor die Nähe des Todes verspürt, war er nicht mehr. Ein so rascher, gänzlich unerwarteter Tod, der in wenig Augenblicken einen solchen Bau zerstört, und das Bcstürzcnde der kaum glaublichen Kunde gab Veranlassung zu den seltsamsten Gerüchten und Vermuthungen, als habc alte Nache, Neid und Mißgunst hier gewirkt — Vermuthungen, die eine nähere Untersuchung als grundlos entschieden zurückgewiesen hat. Jedenfalls ist bcach- Reisen und ^änderl'cschn'ilnmgen, XX4X. (Istrien und Dalmatien.) 17 2 !8 tenswcrth, wie derselbe Pflichteifer, der ^ wenn man höheren unwandelbaren Fügungen so mit menschlichem Maaßstabe nachmessen darf — vielleicht den frühen Tod des lcbcnsfrischcn Mannes herbeigeführt, in einer älteren Periode Veranlassung gegeben zu den schmählichsten Verleumdungen und boshaftesten Verunglimpfungen seines Namens und Charakters. Zajotti nämlich war im Jahre 1832, damals bereits Appcllationsrath in Venedig, um seines durchdringcndeu Blicks und seiner bedeutenden Rcchtskunde, zugleich auch wohl um seiner unverholc-nen Anhänglichkeit an das Haus Oesterreich willen an die Spitze der politischen Untersuchungen nach Mailand berufen worden. Bei diesem peinlichen Geschäft, dessen Uebernahme er stets als ein dem Staate dargebrachtes schweres Opfer betrachtet, und das er mit dem ganzen Ernste und der pflichtgctreucn Hingebung seines Wesens übte, hat er einerseits ebensoviel Scharfsinn in Entwerfung und Ausführung des Plans der Untersuchung, als Menschlichkeit in Behandlung und Beurtheilung der Angeklagten bekundet. Mit scharfem Auge und nicht selten mit überraschend günstigem Erfolg hat er den geheimsten Triebfedern aufrührerischer Bewegungen beizukommcn gesucht, und die Lenker derselben durften allerdings in ihm ihren gefährlichsten Widersacher erblicken ; denn es war ihm Angelegenheit, so weit seine Schnellkraft reichte, eine Macht in der Wurzel zu brechen, in der sein klarer, durch keine Illusionen getäuschter Blick nur eine Saat des Unheils und Verderbens sah. Verlangend nach dem Fortschritt menschlicher Gesittung, erfüllt von Hoffnungen geistiger Entwicklung für das Heil des Ganzen und vornehmlich seines Vaterlandes, dessen Nuhm und Wohlfahrt ihm über Alles galt, auch als Mann noch jugendlich erglühend für jede Bethätigung des Genius, ging er von der Ansicht aus, das Glück der Menschheit könne nur gefördert werden durch ungestörten Fortgang ihrer zugewogenen Geschicke, und ihm schien das heutige Europa der Art, daß in keiucr Weise zu bezweifeln sey, es werde die Zeit in ihrem stetigen Fortschreiten diejenigen Güter zur Neife bringen, die noch etwa vermißt würden. Von diesem Gesichtspunkt aus gewahrte er in jeder Art von Verschwörung oder Auflehnen gegen die bestehende Ordnung nur ein Hemmniß, das der folgerechten Entfaltung bereits vorhandener Keime sich entgegenstellte, 19 weil dadurch Mißtrauen erregt und der überwachenden Macht Veranlassung zu Gegenwirken und unabsehbaren Rückschritten aufgedrungen würde. Von dieser Ansicht ausgehend ist er verfahren auch in jener wahrlich nicht bcncidenswcrthen Stellung, und hat in seiner Pflichterfüllung wie Weuige die schwierige Mitte zu halten gewußt zwischen ernster eifriger Vertretung des Gesetzes und den Anforderungen edelster Menschlichkeit. Wahrend der ganzen Dauer seines Nichtcramtcs — vom Frühling 1832 bis gegen Ende 1634 — hat er, der sonst so gern Gesellige, nicht Einmal das Theater, nicht Eine erheiternde Gesellschaft besucht: Er könne es nicht über sich gewinnen — erwiederte er seinen zu dergleichen Zerstreuung ihn auffordernden Lieben — er könne es nicht über sich gewinnen sich zu erlustigcn, während ihm zur Untersuchung Ucbcrtragenc in Haft sich finden. Sein Eifer in Schützung der Regierung und ihrer Rechte und gleichzeitig sein Mcnschlichkeitsgcfühl ging so weit, daß er keine Ve-schränknng der Zeit und des Ortes kannte, um den Gang der Untersuchung zu beschleunigen. Nnd ans dieser ungewöhnlichen Thätigkeit, welcher vornehmlich es zn;nschrcibcn ist, daß beinahe drei Vicrthcilc der wichtigsten und talentvollsten Angeklagten, die ihm besonders überwiesen waren, in weit kürzerer Zeit der Entscheidung entgcgcngcführt wurdcu als von den übrigen Hülfs-arbeitcrn, hat, weil er ohne Rücksicht auf die eigne Erschöpfung oftmals ein Verhör bis in die späten Stunden der Nacht fortsetzte und hierzu die Amtswirksamkcit der verschiedenen Behörden mit ungewöhnlicher Energie in Anspruch nahm, ihm leidenschaftlicher Partcihaß nichts als feindselige Erbitterung und Härte angedichtet. Und während bei Bekanntmachung der Strafurtheile die öffentliche Stimme sich cher in Verwunderung aussprach über das augenfällig geringe Ausmaaß der Strafen als in Mißbilligung derselben, während von answartigcn Journalen — in dieser Hinsicht doch gewiß nicht Partei für! — eine Gegenüberstellung der von Seiten Oesterreichs gegen die Mitglieder der giovm« Ilaüli verhängten Urtheile in Vergleich zn denen anderer Regierungen znm lauten Preis der Menschlichkeit des Kaiserstaatcs sich vernehmen ließ, wurden abermals verleumderische Zungen nicht müde, dem Richter nur gehässige und finstere Absichten zuzuschreiben — zum Theil wohl ausgehend von sol- 2 " 20 chen, die, erzürnt, daß Zajotti, ihren Drohbriefen von Gift und Dolch keine Rücksicht gönnend, seine ein.aal betretene Bahn ruhig und fest nach den Tiefen der Ueberzeugung und dem Gebote des Gesetzes verfolgte. Andere, Nachplappcrer und Urtheilslose oder oberflächliche Leser, verwechselten dann auch wohl seine Wirksamkeit mit einer früheren bei weitem aufgeregteren Periode, die Silvio Pettico in dem vielgelescnen sentimentalen Noman seiner Gefangenschaft mit so bestechlichen Farben und Witt von Dörring mit soviel Aufwand von Beredsamkeit geschildert. Genug, der Mann, der, wo er nnr irgend konnte ohne seiner Pflicht Eintrag zu thun, das Loos der ihm zur Uutcrsuchung Anvertrauten zu erleichtern gesucht, der vermöge eines eben so begeisterten als klaren und ächt juridisch begründeten Vertrags, welcher zugleich den Verstand überzeugte und das Herz für sich gewann, stets auf Strafmilderung hingewirkt durch Hervorheben jugendlicher Unerfahrcnbcit, einer falsch verstandenen Vaterlands-liebe, der Macht der Verführung u. s. w., wurde vorzugsweise zur Zielscheibe des Parteihasses und der Vcrleumduug ausersehen. Ging dergleichen aus vou Neid und Mißgunst, daun möchte solch ein Charakter leicht sich darüber hinwegsetzen ^ er. der früher bei freimüthiger Vertheidigung eiues vcrkanuten und verunglimpften Edlen selber ausgesprochen: „Mancher Neid-hart wird sich erbosen über diese Worte; doch sein Zürnen kann uns wenig kümmern, die wir nächst der Freundschaft der Guten nichts Wünschcnswertheres kennen als die Vergessenheit oder den Haß der Schlechten/'") ^ Wenn aber Aehnliches ihm begegnete von solchen, denen er in ihrer Haft ein guter Genius gewesen, denen er Trost gebracht uud alle mögliche Erleichterung, die er ermuthigt und erhoben durch Gestatten der dem besonderen Studium eines Jeden angemessenen geistigen Beschäftigung, denen er aus seiner eigenen Bibliothek die gewünschten Bücher dargeboten und in Ermangelung derselben anderswoher zu verschaffen bemüht gewesen, wenn solche, nachdem sie frührr übergeströmt vou dankbarer Anerkennung und Verehruug, späterhin, nachdem sie, aus der Haft entlassen, sein nicht mehr bedurften, es sich angelegen seyn ließen am heimischen Herde sich zu erhitzen in feu- *) vibliotoca Italian« lom. XI.I. PZF. 333. Uar-o 4826. *) JJiblioteca Italiana Tom. XU. pag. 333, Marzo J826, 2l riger Schilderung der fürchterlichen Abenteuer ihrer Gefangenschaft, der Barbarei nnd Halsstarrigkeit ihrer Nichter, der Grausamkeit und Härte ihrer Henker, und so auf Kosten ihres Wohlthäters sich interessant zu machen suchten uüt einem erlogenen Heroismus und zu schmücken mit einem nachgcfchaffcncn Märtpr-thum — wie darf man sich verwundern, wenn auch ein starkes Herz dergleichen schnöden Undank schmerzlich empfunden und manchmal empfindlich gezuckt? ^ Als Beispiel nur eine Stelle aus seinen Tagebüchern — vom 23 Juni 1835 —: „Die Gattin des verhafteten L......kam gestern nach ihrer Rückkehr von Wien sogleich zu mir, um mir zu danken, weil sie dort erfahren, daß ich väterlich die Sache ihres M.mncs vertreten. Für Einen Erkenntlichen, wie viel Undankbare! Wäre der Vergleich nicht allzuhoch, wie oft dürfte ich versucht seyn zu fragen: „„Ich habe ihrer Zehne gereinigt — Wo sind die anderen neun?"" — — Der Wahrheitsliebe zur Ehre muß zugestanden werden, daß späterhin nach allmählicher Beruhigung der Leidenschaften und Abdämpfung aufgeregter Partciansichten die Stimmen der Verleumder immer mehr an Macht verloren, und daß von den Besseren und Einsichtigen Zajotti's edler nnbescholtener Charakter immer mehr in seiner Lauterkeit erkannt worden. Auch konnten wir manchen Lebenden auffuhren, welcher sich des menschenfreundlich gesinnten Wohlthäters aus trüber Zeit mit Hochschätzung und Liebe erinnert, und freudig gedenken wir Zajotti's wahrhaft kindlicher Freude, so oft wir ihm dergleichen mitzutheilen Gelegenheit hatten, und seines zuversichtlichen Ausspruchs: „Jedes Dunkel muß sich hellen, wenn man nur Geduld hat den Tag zu erwarten und ruhig auszuharren." ------- Da aber bald nach dem Dahinscheiden dcs Starken, welcher nun nicht mehr sich zu vertheidigen vermochte, aus dem Gehege der Lüge und dem Schlammpfuhl des Neides allerlei Gethicr sich wieder hcrvorgc-wagt zur Verlästerung des von Vielen laut Gepriesenen, ziemt es wohl einige Anhaltspunktc hinzustellen für die, so gern der Stimme der Wahrheit lauschen, und deren Ansichten vielleicht aus Irrthum oder auf Schein beruhender vorgefaßter Meinung hervorgegangen. Solchen sey mitgetheilt, daß einer der ihm zur Untersuchung Ucbergcbenen — leöolo Lono, ein Jüngling von dreiundzwanzig Jahren — als er im Gefängniß erkrankte und 22 sich dem Tode nahe fühlte, einen Theil seiner Bibliothek an ihn vermachte „um der vielen während einer unglücklichen Periode seines Lebens von ihm empfangenen Wohlthaten willen" — daß Zajotti aber, bei der Testamentscröff-nung eingeladen zur Uebernahme des Vermächtnisses, erklärt, „cr nchme solches der Gesinnung nach als Zeichen für die Milde seines Monarchen an, deren Vertreter seyn zu dürfen er sich erfreue, nicht aber den Gegenstand des Legats für sich"------- daß ein anderer seiner Inquisiten — Scalini — der nach vollendeter Untersuchung eine Neise in den Orient unternommen, von Acgyptcn aus geschrieben, er habe Zajotti's Namen als den seines größten Wohlthäters in die größte der Pyramiden cingegra-ben; daß ferner ein unter den neueren Autoren Italiens nicht unberühmtcr Litterat, der später bei Erwähnung von Zajotti's bedeutenden Verdiensten um die italienische Litteratur öffentlich ausgesprochen, man dürfe seinem Urtheil um so eher glauben, da cr in politischen Ansichten nicht zu den Freunden des Gepriesenen gehöre, von seines Gegners großmüthiger Vergebung, ja Verwendung erzählt zu einer Zeit, wo er denselben auf litterarischem Felde bitter gekränkt. Hielte nicht die Scheu zurück, durch zu viel zu ermüden, so könnte hier auch eine Reihe voil Briefen eines in jene Untersuchungen Verwickelten mitgetheilt werden, deren einer anhebt: ,Mcin Gefängniß ist nicht Gefängniß mehr; der hohe Sinn des edelsten Wohlthäters hat es in ein Studienasyl verwandelt" u. s. w. --- Diesen und ähnlichen Thatsachen stelle man auch nur einen begründeten Zug von Grausamkeit und Härte aus Zajotti's Leben gegenüber! — Und wenn seine bereits oben erwähnten Berichte und gerichtlichen Vorträge — von welchen Ohrcnzeugen sagen, daß sie als Muster selbst parlamentarischer Beredsamkeit gelten könnten durch die Kraft und Klarheit, mit welcher sie die größte Masse von Ergebnissen und Ansichten zusammenfassend den Mitrichteru die selbständige Beurtheilung erleichtert, und von denen nur zu bedauern sey, daß sie nicht zur Oeffcntlichkeit gelangen — wenn diese überall auf Milderung antragenden Vorträge von Kundigen angesehen werden als die erste Grundlage und gewissermaßen als Vorboten der 1838 verkündeten Amnestie, wie reimt sich das mit euren jüngst im Finstern ausgestreueten Gerüchten, 23 ihr Ritter der Verleumdung und der Lüge, als habe Zajotti gegen jeneu schönen Akt der Gnade sich geäußert?-------„Verdienst beleidiget die Majestät der Dummheit" sang vor hundert Jahren schon unser redlicher Ewald von Kleist. — Auf diese Stelle, die nur Authentisches enthält, werde ich mich berufen, wenn Umstände, über die der Einzelne nicht Meister ist, verhindern sollten, obige Verhältnisse an einem Orte wieder aufzunehmen, den ich mir eigentlich zu näherer Ausführung derselben ausersehcn hatte. Gegen jene Stelle also und deren faktisch bekräftigte Data ersuche ich diejenigen sich zu wenden, denen noch irgend ein Zweifel übrig bleibt, oder die Begründetes gegen das Gesagte glauben nnwenden zu können. So widerwärtig mir im Allgemeinen litterarische Fehden sind, die, wie sie großentheils geführt werden, meist nur zum Ergötzen skandallustigcr Zuschauer und zur Schmä'lcrung des letzten Rests von Achtung dienen, den die Besseren im Publikum noch dem Litteraten zollen ^ wo es die Ehrenrettung eines edlen Namens gilt, der sich nicht selber mehr vertreten kann, werd' ich ehrlichem Kampf nicht ausweichen. -^ Noch einen Punkt aus Zajotti's Leben, der vielleicht zu Mißdeutungen Anlaß geben könnte, fühl' ich mich aufgefordert zu berühren — seine jugendliche Begeisterung für Napoleon im Gegensatz zu der späteren männlichen Anhänglichkeit an das Haus Oesterreich. Beide fließen aus ein und derselben Quelle, der cingcborncn Liebe für sein Vaterland. Zajotti als Italicncr sah Napoleons Zwinghcrrschaft natürlich mit ganz anderen Augen an als wir Deutsche, die wir als Knaben schon von Befreiungskämpfen gegen die französischen Adler geträumt, bis uns — Manchem zu früh für die ersehnte eigne Theilnahme — die Schlachtgcsange, und bald darauf die noch von größeren Hoffnungen geschwellten Iubcllieder der heimkehrenden Sieger um-ranschten. Er sah in dem Gewaltigen zugleich den gcborueu Italiener und den einigenden Vorberciter künftiger Nuhmcstagc für das gesunkene und zerrissene Land. Dazu seine hohe Verehrung für den Genius, so kam es, daß in dem Augenblick, wo Napoleon auf dem Gipfel seiner aufsteigenden Größe den beherrschten Völkern und Völkergcbictern die Geburt des Königs von Rom als cm weltbeglückendcs, und als solches von den Mei- 24 sten festlich begrüßtes Ereigniß kund gethan, der damals kaum achtzehnjährige Paride Zajotti, nachdem er durch mehrere Improvisationen sich bereits einen Ruf erworben, in seiner Vaterstadt Tricnt vor den Angesehensten des Ortes und der Nmgegend in der aufgehobenen Kirche c!e! l^l-min« in prächtigen Terzinen den Stern der Gegenwart und Zukunft preisend feierte. Mehrere Schnellschreiber beeiferten sich die Verse des jungen Improvisators festzuhalten, und noch heute erzählen Augenzeugen von der hinreißenden Macht des begeisterten Vortrags und dem lauten Beifall des gesammtcn Auditoriums. Der Inhalt des Gedichtes war cm Tranm, in welchem der Redner zum Tempel des Ruhmes geführt wird; dort sieht cr drei Wände bedeckt mit Darstellung der Thaten des Helden der Zeit; auf die Frage, warum die vierte leer geblieben, erwiedert ihm sein Führer, die dort zu verzeichnenden Unternehmungen sepen dem Sohne aufbewahrt — ,l.6 lmprezzn qm 8» ßcolpirnn s!«! li^lin." — Auch der damals herrschenden Oeffcntlichkcit des Gerichtsverfahrens, als der wirksamsten Erzieherin zum Mündigwerdcn der Völker und der Wcckerin und Trägerin des ächten Talents, war cr von ganzer Seele zugethan und hat am Anfang seiner amtlichen Lauflahn, wo (bis 1816) in den italischen Besitzungen Oesterreichs der freie Zutritt zu den öffentlichen Verhandlungen noch fortbestand, als junger Advocat selbst glänzende Proben gerichtlicher Beredsamkeit abgelegt. So 1815 in Vertheidigung eines des Vatermordes Angeklagten, dem seine Ncde die vollkommene Freisprechung erwirkte — ein Act, begleitet von jubelndem Zuruf der versammelten Menge und dcn Glückwünschen der Richter für die eben so feurige als überzeugende Darstellung, während der damalige Präsident sich nicht erwehren konnte seinen anerkennenden Händcdruck mit der Bemerkung zu begleiten: „Junger Mann, wenn Sie erst vielerlei Geschäfte der Art haben, werden Sie nicht mehr mit soviel Vorliebe sich in das Einzelne vertiefen." Dieselbe Liebe für Italien, die ihn in Napoleon den Vorbereiter und Erwecker einer leuchtenden Zukunft begrüßen ließ, fioßte später, nachdem der überflügelnde Genius von der Weltbühne abgetreten, ihm dauernde Anhänglichkeit an das Haus Oesterreich ein. Sah er hiev auch nicht, wie früher, aller 23 Orten und aus allen Ständen dem Talent die freie Bahn geöffnet, auf welcher er selber bedeutsam würde geglänzt haben, so zog ihn auf der anderen Seite das Princip unverbrüchlicher Gerechtigkeit und die einfach patriarchalische Sinncswcise des Hcrrschcrstammes und des Verwaltungswcsens an, und er betrachtete unter den gegebenen Verhältnissen es als ein besonderes Glück für die nördlichen Staaten Italiens, unter Oesterreichs Obhut gekommen zu scpn. Aus diesem aufrichtigen Anerkennen und dieser Ueberzeugung ist die Verthcidignng der Regierung, die ihn vorzugsweise zu ihrem Anwalt gewählt, hervorgegangen, welche der unermüdlich thätige Mann um dieselbe Zeit, wo er als Richter die Untersuchungen in Mailand geleitet, den Angrissen Heinrich Mislep's gegenübergestellt.") Er geht die Gesetzgebung, die Civil- und Criminaljuftiz, die politischen und Ver-waltungsprincipicn, den öffentlichen Unterricht, den Handel, dic Auflagen und den bürgerlichen Zustand der italischen Provinzen des Kaiserstaates in einzelnen Capiteln durch und widerlegt Schritt für Schritt die bitteren Anschuldigungen des Gegners zugleich mit dem Thatbestand der Gegenwart und den Verheißungen der Zukunft, die sein vorschauender Blick als Keime in dem bereits Vorhandnen vertrauensvoll gewahrte. Den letzteren Gesichtspunkt, die zuversichtliche Vorschau des aus den Saaten der Gerechtigkeit uud Ordnung sich folgerecht Entwickelnden sollten diejenigen nicht anßer Acht lassen, die jener Darstellung allzu vorwaltendes Hervorheben der Lichtseiten zum Vorwurf machen; die vernichtende Gewalt seiner Worte und der an manchen Orten znr verzehrenden Flamme sich steigernde Feuereifer seiner Gegenrede wird Keinen verwundern, der Zajotti's für Wahrheit und Recht erglühendes Wesen kennt; es wirkt in ihm die moralische Entrüstung gegenüber einem gleißenden Truggewcbc absichtlicher Verunglimpfungen und den Grundsätzen eines raffinir-ten, keine Mittel scheuenden politischen Fanatismus. Für uns Deutsche besonders interessant ist der Schluß des Ganzen, wo *) Semph'ce verita opposla alic mcnzognc di Enrico MisUy nel suo libcllo „L'llalie sous la dominatiun autrichicnnc." — 1834. — 2HÖ Motto sind die Worte Misley's vorausgeschickt: „I.'jmpo«tur6 e«t sille cTune lache mechancete." 26 den persönlichen Angrissen auf Kaiser Franz das Spiegelbild des deutschen Herrschers im Gegensatz zu dem französischen entgegengehalten wird. Zajotti stellt hier Napoleon in seiner zweimaligen Wiederkehr von Niederlagen lI1814 nnd 1815) zweimal von der noch kurz zuvor ihm enthusiastisch zujauchzenden Nation verlassen dar, wahrend wir ihm gegenüber nach den so höchst unglücklichen Ergebnissen des opferreichen Jahres 1809 den in die Mitte seines Volkes zurückkehrenden deutschen Kaiser mit treuer Anhänglichkeit und Liebe und ungeschwächtem Aufopferungsdrang empfangen sehen — und daran reiht sich, schnöde Verleumdung abweisend, die Frage: „Ist es möglich, daß solch einen Herrscher der Vorwurf der Ungerechtigkeit und Härte treffen kann?" — — Als Ergänzung der Antwort dürften Napoleons eigene Worte (aus Las Cases Memoiren) nicht ungeeignet seyn: „— Hätte der Himmel mich als deutschen Fürsten in die Welt gesetzt, ich hätte, die mannichfachen Krisen unserer Zeit benutzend, die dreißig Millionen Dcutscheu sicherlich zur Einheit geführt. Nnd sie würden, wie ich sie beurtheile, nachdem sie einmal mich gewählt und anerkannt, mich nimmer wieder verlassen haben." — Der Ort, an welchem ich ursprünglich beabsichtigte das oben Berührte auseinanderzusetzen, ist die Vorrede zur Ucbcrsetzung eines bald erscheinenden nachgelassenen Werkes Paridc Zajotti's. Da solches aber unter den Anspielen einer Regierung gedruckt wird, die in ihrem väterlichen Walten sich zum Gesichtspunkt gestellt hat, nach ertheilter vollständiger Amnestie vergangener Schuld möglichst wenig Erwähnung zu thun, so dürfte mein Vorwort zu der l.ottLi-awl-a ^wvlmil«, mit Weglassung alles Politischen, ausschließlich litterarisch-biographischer Art werden, und Hauptbestandtheil werden Auszüge aus Zajotti's früheren Schriften bilden, ein lebendig fortwirkendes Denkmal dieses reichen Geistes. Kaum hatte in Trieft sich die Kunde verbreitet, es solle das genannte Werk von einem Freundeskreise in doppelter Gestalt als Erbtheil der Hinterlassenen herausgegeben werden, als die lebhafteste Theilnahme überall sich offenbarte. Wie beim Tode des nach kaum zweijährigem Besitz Dahingeschiedenen, in welchem die hcllblilkcnden Triestiner, wohl erkannt hatten, daß ihnen «7 ein außerordentliches Geschenk zu Theil geworden, alle Stände und Alter sich gedrängt ihm die letzten Ehren zu erweisen und man zugleich Anstalten traf, sein Andenken in Vild nnd Stein zu erhalten, so regte nicht minder allgemein und lebhaft sich der Antheil für dieses von ihm selbst ausgehende geistige Denkmal. Wir brauchen nicht die Namen aufzuführen, die auch hier mit rühmlichem Beispiel vorangingen — es sind dieselben, die bei jedem würdigen Unternehmen an die Spitze treten. Ihnen schlössen sich nach Kräften Alle an, die irgend Sinn für Höheres in sich bewahrt, so daß binnen kurzem für Trieft allein eine Anzahl Ercmplare nöthig wurde, die an sich schon für einc bedeutende Auflage gelten kann. Hat seitdem auch an vielen anderen Orten sich ein mehr oder minder entsprechender Erfolg bekundet, so ist bis jeitt doch keiner, der den Vergleich aushält mit dem preiswürdigen Vorgange Triests. Ja, Euch Triesti-nern bleibt auch in dieser Hinsicht die Palme, und Ihr werdet Euch einc Thatsache nicht schmälern lassen, die in ehrendem Anerkennen des Edlen zugleich Ench selber ehrt. - Schreite freudig vor in deinem Entwicklungsgang, du unternehmungslustiges Trieft, du unermüdlich rege, eifrig fördernde Vermittlerin zwischen Süd und Norden, Deutschland und Italien! — Unbekümmert nni die Spiele nicht eben ciecronischcr Etymologen, die in antiquarischem Eifer deinen Namen bald herleiten wollen von dem dreimaligen Zcrstörtseyn (les o^stum) in alter alter Zeit, wo du noch als römische Municipalstadt galtest, bald mit dein schlichten Sandmann von der Menge Schilfrohrs (Ini-zl!!^ ^ im gewöhnlichen Kraiuerischcn 'larst —), welches einstmals jene Ufer überzog, an welchen jetzt ein Wald von Masten sich erhebt und mächtige Dampfer brausen, die rasch ausgleichenden Vereincr ferner Küsten - - blühe und gedeihe melir und mehr und immer ungehemmter durch die Rührigkeit deiner Bewohner und die väterliche Fürsorge deiner Veukcr, und möge kein anderer Zerstörer je dir wieder nahen, als der Feind der Trägheit und des Mißtrauens und der Lüge, und kein wuchernd Nohr an deinen Ufern jemals wieder Naum gewinnen, wo die Palme des Friedens und des wachsenden Wohlstandes immer kräftiger gedeihe! — Blühe, junge Nebenbuhlerin der herrlichen Matrone drüben an der anderen Küste 28 Adrians, und nähre, wenn Eifersucht dich jemals stacheln sollte wegen ihrer unverweslichen Reize und ihres jugendlichen Wie-dcraufblühens, diese nur als Weckerin von Werken im Reiche des Schönen nnd des Wahren, die überflügelnd zu Tage fördern, was jene, einseitig in ihrer Große, auch in den Zeiten höchster Blüthe schuldig blieb! — 29 Isola und Kapodistria. Scharf eingreifend mit steinerner Zunge in die Meeresbucht, erscheint das Oertchen Isola, ein belebtes Fclsennest, von Amphitriten in heiterster Laune zu Tage gehoben, dem Sonnen-gotte zum Geschenk. Anf daß nun die Bewohner ihrer Schöpfnng nicht des Nothwendigen entbehrten, hat sie der Salzfluth geboten, den Quell süßen Waffers unter dcn Olivenhügcln nicht zu trüben, den einzigen, der in weiter Umgebung aufsprudelt, auch dem Gedeihen des jüngst erst aufgefundenen Mincralbrunnens keinen Eintrag zu thun. Dagegen hat der Sonnengott sich beeifert, seine wärmsten Strahlen auf den trefflichen Nibolla-Wein herabzusenden, damit die hohe Freundin aus dem Wcllcnreiche sich an dessen Feuer wärmen möge. Gern weilten wir im Vorüberziehen bei der sorglich ummauerten Quelle, ergötzten uns an der geschäftigen Bewegung wasscrschvpftnder Dirnen, ließen den würzigen Wein des Oertchens uns gefallen und schieden erst in später Dämmerung von unserem Ruhesitz, nachdem schon längst die Heerden und die letzten Eseltreiber heimgezogen waren und nur noch ein paar Wctterbubcn mit ihren klugen dunkeln Augen unterm rothen Feß neugierig uns begafften, lustig aus dem dargebotenen Becher schlürften - recht cinc Gruppe für Murillo! — und mit ihrem eintönigen Gesang das Fclsen-echo weckten, während von der anderen Seite, anbrandend in dumpfem Brausen, das immer tiefer blauende, immer stärker wogende Meer vor unseren Blicken sich ausdehnte. -- Ich war mit einem Maler, der Pirano sich zu ^andschafts-studien ausersehen, herübergekommen von Capo d'Istria, einst eine gewichtige Handelsstadt, und nicht ohne Bedeutung für Venedig zur Vertheidigung dieser Küsten, aber schon ein halbes Jahrhundert vor dem Fall der Dominante in merkantiler Hin- 30 sicht überflügelt durch den Aufschwung des nachbarlich sich hebenden Trieft. Wie es auf seinem Iusclfelsen vorspringt in das Meer, das, vielfach abgedämmt, soweit es die Mauern der Stadt umspült, eher einem Binnenmeere ähnelt, stellt Kapodistria dem von der Landscite Nahenden als eine Miniatur-Laguucnstadt sich dar. Mit dem Fcstlande verbunden durch cincu langen, ziemlich breiten Steindamm, erhält es von Alters her sein Trinkwasser durch eine unter den Lagunen fortlaufende Nöhrcnlcitnng. Dem offnen Meere gegen West gewinnt es eine große Menge Fische, dem Binnenmeere durch allsommerlichcs Verdampfen der eigens dazu abgedämmten seichten Stellen einen bedeutenden Vorrath von Salz ab, zwei Hauptartikel seines heutigen Vertriebs. Erfreulicher als das hohe weitläufige Zuchthaus, durch dessen Gitterfenster die Strafgefangenen der ganzen Provinz den ungefessel-ten Blick ins Meer hinaussendcn, spricht den am Ufer Wandelnden der Hafen an, belebt mit Hnudcrten vou Barken, deren Besitzer theils ruhen und ihre ausgespannten Netze an Luft uud Sonne trocknen, theils in raschen: Zuge heimkehrend beschäftigt sind die Segel einzuziehen, theils sich eben anschicken ihr Gc-räthe einzunehmen, ihre Masten aufzustellen, Segel und Ruder zu ordnen für bevorstehende Fahrt. In dem großen Hafen sind wieder verschiedene kleine durch Stcindämme abgetheilt mit besonderen Eingängen, das Eigenthum der Matadore dieser kleinen Welt. Die ganze Vucht, in der sich Fahrzeug au Fahrzeug drängt, scheint ein auf der Fluth umherschwankcndes Fischerdorf, das sein bewegtes ^cben auch an das Ufer hin erstreckt; überall Regsamkeit und rastlose Geschäftigkeit, überall cm stets sich erneuendes Wechselspiel der malerischesten Gruppen. Dort eine uctzestrickende Familie, die Männer mit keck überhangender phrygi> scher Mütze, pfeifend und singend und handthiercud, Fraueu und Mädchen im schwarzen, halb toga-, halb kaftanartigcn Ueberwurf, bald frei das volle dunkle Haar, bald verborgen unterm weißen Kopftuch, mit nimmer abreißenden Fäden des Gcplau-ders ihre Arbeit begleitend; dort Andere beschäftigt mit Zählen, Reinigen und Ordnen des vom Fange Heimgebrachten; nicht weit davon Lohgerber mit ^ederschurzfcll, umspült vom Schaum der unter den gebeizten Händen brauu gefärbten Salzfluth; am lautesten von ihrem Werke aber zeugten die Böttcher vor den frisch 3l umreiftcn Tonnen und Fässern der nahen Wcin- und Oliven^ crnte. Treten wir nach diesen Hafcnsccneu in die Stadt, die in ihren elfhundert Häusern heute nur uoch gegen fünftausend Einwohner birgt, so haben wir uns durchzuwinden dnrch ein Labp-riuth von engen Gassen, in denen manch nicht unansehnliches Gebäude, mitunter aufgehobene Klöster, während von den nenn zur Vcnezianerzeit bestandenen nur uoch drei ihrer ursprünglichen Bestimmung entsprechen; Kirchen in auffallend bedeutender Zahl. Haben wir auf diesen verschlungenen Pfaden den Hauptplatz erreicht, der auch hier schlechthin 1a ?inx?» genannt wird, so überraschen uns vielfache Erinnerungen an Venedig, das überhaupt, wie auf der Tcrrafirma, auch an diesen Küsten in Bau- und Lebensart immer mehr Vorbild der beherrschten Clientclstädte geworden. Zum Theil erklärt sich diese Erscheinung aus dem den Menschen angeborenen Nachahmungstriebe, zumal wo eine mächtige Hauptstadt vorleuchtct; häusig war aber anch wohl der Beweggrund, sich der Herrscherin gefällig zu erweisen. So finden wir auf dem Gerichts- und Domplatzc Kapodistria's auf der einen Seite Hallen, die als Miniaturbild der Proeura-tien gelten könnten, ihnen gegenüber das Nathhaus, vormals Sitz des Repräsentanten der Republik, mit seinen zahnartigen Zinken als Dachkranz, mit den hohen maurischen Fcnsterbogen und den zwischenstehcndcu Säulen, ganz wie es dem Venezianer Baustyl eigen ist. Daß der Löwe des heiligen Markus nicht fehlt, versteht sich von selbst. Hier fiuden wir ihu mehrfach neben und gegenüber Resten römischer, auch späterer Inschriften. So thront cr zweimal an der Stirnseite des einstmaligen Regie--rungspalastes, von welchem die Sage geht, daß er auf den Fundamenten cincs Pallastcmpels erbaut sey; und wirklich liest man unter einer Statue der Gerechtigkeit, die mit gehobnem Schwerte zwischen zwei Thürmchcn jener Facade steht, in gothischen Lettern: „I'allaclig ^Voten« luit line memoi^kil« 8^xum." — Merkwürdiger uoch als dieß Gebäude ist die den dritten Theil des Platzes, seine breiteste Seite mit ihrer Fronte einnehmende Kathedrale, ein hochbejahrter Bau, erneut zu Anfang des vcr-wichencn Jahrhunderts mit Benutzung der alten Marmorsäulen. Die nordwärts dem Platze zugewendete Vorderseite, ganz aus Marmor, soll zum Theil bestehen aus den Grabsteinen eines 32 Priesters der Cybele, e'ne Sage, bestätigt oder hervorgegangen aus fcliender In'chrift neben einem großen säulentragenden Marmorhaupte —: L. Pablicius Syntropus Archigallus V. F. Sibi et H. M. H. N. S. — Sie schütteln bedenklich den Kopf, lieber Leonard? Sie können vermöge der leuchtend aufflackernden Neste Ihrer Schulweisheit den Obcrpricster der großen Göttermutter, den Eunuchen — denn als solchen haben Sie den ^relu^Iws (siehe N. N's archäologisches Handbuch, Seite ...) alsbald erkanut — mit seinen Erben nicht zusammenreimen? — Aber fragen Sie nur unseren gelehrten Freund, Rudolf Kopisch, dieß am Alterthumshimmel aufgehende junge Sternbild schlefischcr Solidität; der wird Ihnen genau erklären, daß besagter Epbcle-Obcrpriester Spntropus zwar sich und seiner Schwester, oder Bruder, oder sonst Seiten-verwandten (denn die Ccnsurlückc der letzten Neihe kann bei seiner Leibesbcschaffcnheit unmöglich Anderes als Agnatcl, keineswegs Descendenz enthalten haben) bei Lebzeiten (V. I' ^ Vivu« tecit) dieses Denkmal errichtet und die Vcstimmuug getroffen, daß selbiges von dem Erbcu unangetastet bleibe (lloc wunum«»-lum liLreslum nan »oquiUir, wie aus den Chiifern der letzten Zeile deutlich hervorgeht —); er wird Ihnen aber, entsprechend dem geheimen Artikel der Ccnsurlücke, streng verbieten, unter dem mit dem zweiten II bezeichneten Erben etwa einen Sohn oder Enkel oder etwas dergleichen sich einfallen zu lassen. — Haben Sie genng des Antiquarischen für dießmal? — Der erste Aufbau dieser Kathedrale wird von einigen dem Papste Johann I um 526, von anderen Stephan N um 756 zugeschrieben; unbestritten ist, daß sie um 1221 von Honorius III bestätigt und mit einem Kapitel versehen worden — („wtul-ment6 Llndilit» con c«No e dvtyrmmuto t^pilolo"). In das höchste Alterthum hinauf deuten die Sagen von dem Ursprung Kapodistria's. Nach diesen soll eine Schaar Kolcher, von Medea's Vater ihr und dem flüchtigen Iason zur 33 Verfolgung nachgesandt, an diesem der Pallas geheiligten Vorgebirge gelandet seyn, daselbst eine Stadt crbant und dieselbe Palladia genannt haben. Obgleich bestritten mit allen Waffen der Gelehrsamkeit von den eigenen Chronisten ist diese dem Provinciellen Stolze schmeichelnde Mythe doch keineswegs er-storben in der Erinnerung der Bewohner, und sie wurde mir, als ich eben das säulentragcnde Haupt des muthmaßlichen Cybcle-Priesters betrachtete, in den lebendigsten Farben von einem herzu-tretenden Kapodistriancr vorgetragen. Bei Plinius finden wir den Ort aufgeführt als Römcrstadt unter dem Namen Aegida (sollte dieß in Zusammenhang stehen mit Pallas, als der Aegis-tragenden?). Auch hatte sie in alter Zeit den Beinamen Kapris oder Kapraria, eine Vencunung, der noch heute die unter den Slaven für sie gebräuchliche Bezeichnung Kopra entspricht. Während der Hunncnstürmc traf sie gleiches Loos mit Aquileja. Später wiederhergestellt durch Justin I (nach anderen war der Wicderaufbauer Justin I!) erhielt sie den Namen Iustinopolis, der ihr geblieben, bis die Benennung <^pc> il'l^trm — alten Dokumenten znfolgc ihr als dem Anfangspunkte dieses Landstrichs bereits früher eigen — mit ehrender Auszeichnung ihr zugetheilt wurde als der Hauptstadt des venezianischen Istriens, in welcher Eigenschaft, nach völliger Besicgung der Ge-nucsen endlich (1420) dauernd errnngen, sie mit Venedig treulich stand uud fiel. Hinter den festen, ictzt mehr und mehr verfallenden Mauern, welche die neue Patronin um 1478 erbaut, vertheidigten die Männer Kapodistria's um 1511 nicht allein die Stadt, sondern das ganze venezianische Gebiet umher aufs tapferste und mit Erfolg gegen den von Kaiser Marimilian mit Heeresmacht ausgesaudten Frangipani, und ebenso haben die Kapodistriancr späterhin überall als eifrige Anhänger der Dominante sich erwiesen. Diesi Alles sind Erinnerungen, bei welchen die Bewohner heut noch gern verweilen, und mit denen sie in gefälligem Selbstbewußtseyn ihrer Vorfahren und der über das Grab geliebten Veneziancrrcpnblik gedenken. Oveifen imb S^ifccvfrcssOvcituniücn. XXIX. Oftvicn imfe £)almatten.) 3 34 P i r a n o. Hier, in der Vucht von Pirano, an dcm nut Oliven be-wachscncn Vorgebirge, gegenüber dcm Dörflein Salvore, soll von dreißig venezianischen Galeeren unter Anführung des Dogen Ziani die Flotte Friedrich Barbarossa's, dnrch dcr Gcnuesen und Pisancr Unterstützung aus fünfundsicbzig Galeeren bestehend, nach sechsstündigem Kampf zum Theil vernichtet, zum größeren Theil erbeutet, Otto, der Sohn Varbarossa's und Anführer der Flotte, sammt dcm Admiralschiff in die Hände der Venezianer gefallen und somit die später zu Venedig erfolgende Versöhnung zwischen Kaiser und Papst vorbereitet worden seyn, wobei Ziani, der Sieger bei Pirano und Vermittler zwischen der weltlichen und kirchlichen Macht, von Papst Alexander III den Ning empfing zu der von diesem Tage an (dcm Himmelfahrtstage 1177) sich jährlich wiederholenden Vermählung des Dogen mit dcm adriatischen Meere, „auf daß es Venedig untcrthan sey, gleichwie das Weib dem Manne." Noch heute rühmen sich die Einwohner Pirano's, die später allzeit mit ausdauernder Treue an Venedig gehangen und jede Unternehmung der Republik nach Kräften unterstützt, daß sie schon damals nicht wenig beigetragen zu dcm glorreichen Siege dcr Venezianer über die vereinigte feindliche Flotte. Auch bewahrt das etwa fünf Miglien von Pirano auf der entgegengesetzten Landzunge gelegene Dorf Salvore in den: Kirchlein San Giovanni folgende Inschrift zur Verherrlichung des an diesen Küsten erfochtenen Sieges: „Heus! populi, celebrate locum, quem lertius olim Paslor Alexander donis coclestihus auxil; Hoc etenim pehigo Vonetac victoria classis Desuper cluxit, cociditqiic superbia magni 35 Noch einer Merkwürdigkeit Pirano's aus näher liegender Vergangenheit zu gedenken — es ist die Vaterstadt des weltberühmten Tartini, des Paganini seiner Zeit, bemerkenswerth vornehmlich anch als Komponist der vielbcwnnderten, von stimm-führenden Enthusiasten zu Anstoß und Aergerniß männiglichcr Superfrommen laut in den Himmel gehobenen „Teuselssonate", die der Schwarze leibhaftig bei nächtig versuchendem Traumbesuche ihm soll vorgegcigt haben, um damit die Kinder der Welt verwirrend zu berücken. Von jener Zeit au sott das zum Schreck vernünftiger Seelen hier und da unter fürchterlichen Pa-rorysmcn heftig grassirende Virtuoscnficbcr mit seinem un-gemcssenen Schweif zahlloser Narrheitcn unterm Hohngclächter der Hölle einen merklich stärkeren Aufschwung genommen und durch entfernten Kilzcl der Geruchsorgane bereits sich als ansteckend erwiesen haben, bis es in dem immer wachsenden O«8-ccml« unserer Tage unter obligater Fortepianobegleitnng seinen kaum mehr zu überbietenden Knlminationspnnkt erreicht. Wohin die gesprungene Darmscite gekommen, die eine schwärmende Prinzeß zum Andenken Tartini's an allerhöchst ihrem Arm getragen, weiß man nicht; allein das Fläschchen, in welchem er das Ocl zur Salbung seiner Geige bewahrt, soll späterhin um hohen Preis an einen entfernten Hof verkauft worden, und der Lappen, womit er seinen Bogen abzuwischen gepflegt, nach mannichfachcn Wanderungen endlich in die Hände einer Schauspielerin gerathen seyn, die durch Versteigerung desselben ihrm Vermögensumständen merklich emporgeholfen. Doch lassen wir die Virtuosen und ihre in wunderlichen Fieberparorysmen zuckenden Vcrgötterer. Treten wir auf den äußersten Punkt der Landspitze und blicken, im Vorwärtsschreiten gehemmt durch die anspülenden Wellen, hinan zu den verfallenen Kastellmaucrn, wie sie auf ihrem meerunterwnhlten Felsen, umgeben von Olivenwäldern und Weinpflanzungcn, den grauen Schlußstein bilden der Häuserppramidc, die im Mittelpunkt des Ortes ihre breiteste Basis hat. Seitwärts zur Rechten, fünf Miglien über die süd- 3 " Induperatoris Federici, ct reddita sanctae Ecclesiae pax alma suit, quo tcmpovc milk Sepluaginta dabat centum septemque siipenius Pacifcr adveniens ab originc carnis amiclac." — 36 liche Meeresbucht hinaus, erhebt sich auf der Spitze der hohen Landzunge Salvore der 1820 erbaute Leuchtthurm, von den Schiffern schlechthin l« I^-mtei-na genannt, dessen Licht, auf fünfundzwanzig Miglien sichtbar, die nach Trieft Zusteuernden in dunkeln und stürmischen Nächten vor den Gefahren dieser Küsten warnt; zur Linken zieht das Ufer in nordöstlicher Biegung sich über Isola und Capo d'Istria und das in seinem ärmlichen grauen .Kittel ans dem von ihm benannten Meerbnsen reizend hervorblickende Fischerdörfchcn Muggia — die Orte, denen wir bei der Wanderung von Trieft herüber bereits unseren Gruß gebracht. — Nachdem wir des freien Blickes über Land und Meer hinlänglich froh geworden, steigen wir südöstlich niederwärts und winden uns durch die engen dunkeln Straßen Pirano's zu dem Hauptplatze, in defscu Mitte der bequeme steiuumdämmte Winterhafen, ein Ausläufer des weiten geräumigen, den wir später be--suchen werden. Ringsumher, den breiten Umgang begränzcnd, die Hauptgebäude der Stadt, alte Klöster, Nathhaus (pglgx/o im!»d1ica), Gasthof und andere ziemlich ansehnliche Bauten. Anch hier ein unverkennbares Kleinvcncdig ^ Zinken auf den Dächern, hohe Spitzbogenftnstcr, zwischen deren breiten Flügeln schlanke Marmorsäulen; an den öffentlichen Gebäuden der Markuslöwe, hier überall in Eintracht mit Sanct Georg dem Drachentödtcr, dem erkorenen Schutzpatrou der Stadt, uud dem gewaltigen, gegenüber lauernden Drachen und in Schafpelz gehüllten Wölfen vielleicht allzu friedfertig beharrenden Schutzpatron so vieler Länder und Völker, dem Ianus, dessen Doppcl-adlcrblick es obliegt, in alter wohlgcübter Kraft und Schärfe unermüdlich Wacht zu halten gegen die verkappte Nänberbrut in Ost und Nest. Vorzüglich malerisch stellt alles dieß sich als Gesammtbild dar, von der südöstlichen Zugbrücke des Stadt-Hafens aus gesehen. Ueber diese Brücke schreiten wir nunmehr, um hinaus zu gelangen zu dem Vul!^ <1i 8ic)ic»I«, in welches das Meer tief cinschneidet, den mehrere Miglien breiten eigentlichen Hafen bildend, den berühmten I'orw cloll« Ii<>8«. beim Volk gewöhnlicher l>ol-w 8loi'w5o — ich weiß nicht, ob in Erinnerung der für Venedig glorreichen Ziani-Schlacht oder, was wahrscheinlicher, nur so in zufälliger Verstümmelung des ursprünglichen Namens. Die gegenüberliegende, diesen Hafen südlich begrän- 37 zendc Landzunge, welche in die punw cli salvor« ausläuft, ist ziemlich kahl; die diesseitige, weithin und weit hinan bebaut, erinnerte mich unwillkürlich an den bekannten Vrief Eassiodors, in dessen Eingang der umsichtige Minister Theodorichs zu den Tribunen der damals nur im Keime erst sich regenden Laguncn-stadt gewendet schon des außerordentlichen Wein- und Oelrcich-thumes dieser Küsten gedenkt. Ehrwürdig blickt das altergraue Karthäuscrklostcr von den grünen Hohen nieder. Am Ende dieses Meerbusens, wohl wegen seiner Breite I.arßon« genannt, in dem eigentlichen Vl>l!a cN siviolo, sind bedeutende Salinen, die ausgedehntesten in Istrien. Dasselbe Verfahren wie bei Muggia und Kapodistria, nur hier in größerem Maaßstabe und von ausgiebigerem Erfolg. Unzählige mit Lehmgrund bedeckte lehmumwalltc Beete sind durch ciue mit mehreren Thoren versehene Mauer längs dem Meerbusen zugleich geschützt vor Ueber-fluthung und offen gehalten dem nöthigen Eindringen des Seewassers, das, im Frühjahr eingelassen, etwa eine Hand hoch stehen bleibt um zu verdunsten. Eine Menge kleiner Holzhäuschen, mehrere hundert an der Zahl, sind für die Arbeiter bestimmt, die um dieselbe Zeit, wo bei uns die Kornfelder mit Schnittern sich beleben, hier sich cinfinden, die aus den verdunsteten Wassern niedergeschlagenen Salzschichtcn von den Beeten abzunehmen. Es soll bei diesem eigenthümlichen Erntefest eine ungemcinc Fröhlichkeit bei Sang und Klang in diesen Gegenden herrschen. Und bei dem überschwenglichen Salzreichthum des adriatischen Meeres ist an kein Mißjahr zu denken; im Gegentheil, es darf nur eine von der Regierung, welcher das Ganze als Negal zufällt, gesetzlich bestimmte Menge Salz gewonnen werden. In diesem Augenblick sind die Salzblumcnbcctc bereits abgeerntet, verstummt ist der Jubel der Arbeiter, die den gewonnenen Vorrath schon seit mehreren Wochen an die Salincn-oberintendanz zu Kapodistria geliefert, und die Hütten stehen leer. Wo noch vor einem Monat fröhliche Gesänge schallten, kreischen jetzt nur schwirrende Sumpfvögel, die mit dem nun immer üppiger aufwachsenden Uferschilf sich mehren uud bald das fröhliche Gewühl der Wciulcse, später das der Olivcnernte mit ihrem eintönigen Gekreisch begleiten werden. Ein ziemlich trotzig blickender Istrianer im dunkelgrauen Schisscrwamms gefiel 38 sich, die ganze Strecke bis zum Ende des Meerbusens Largone auf seinem Grauchen neben mir hcrreitend, von all diesen Herrlichkeiten weitläufig zu berichten. Zugleich ermunterte er mich, doch ja einmal zur Salzernte hiehcr zurückzukehren; Lustigeres siude man in der ganzen Welt nicht; das könne er, der weit herum gekommen, auf sein Schifferwort versichern. Wollen wir der Einladung folgen und gemeinsam nächsten Sommer zur Salzblüthe uns hiereinsindcn?— Es wär'eine hübsche Schwimmübung von den Lagunen bis Pirano! — Mein reitender Seemann hat mir auch erzählt, wie Pirano begründet worden durch Flüchtlinge aus dem zerstörten Aquileja, somit gleiches Alters sey mit Venetia, wie die von aller Welt verlassenen und bedrängten Bewohner in der ersten Zeit sich von Sceräubcrei genährt und davon ihren Wohnsitz benannt, der späterhin, wie er gläubig versicherte, ein Hauptstützpunkt der Venezianer geworden; denn ohne Hülfe der Piranescn habe der große Doge Zriny (sie!) weder den deutschen Sultan mit dem rothen Vart, der eigentlich ein großer Magier gewesen und ein Wind- und Wetter-beschwörer, in die Enge drängen, noch den Papst vermögen können, zu der Hcirath mit dem Meere seinen Segen zu geben, wodurch eigentlich Venedig erst so groß geworden. Die Art der Vesicgung Friedrich Barbarossa's aber schilderte er auf folgende Weise —: Der Sultan habe in dein rothen Vart ein Zaubcrmännlein sitzen gehabt, das er mitgebracht vom Berge Libanon; das hab' ihn, als ein Nachkomme des ungläubigen WeMctrügcrs Muhammed, der eigentlich der Antichrist sey, immer unterstützt bei seinen Teufelskünsten, weil er ein Feind des heiligen Vaters zu Nom gewesen. Nun habe ein Pirancscr Schissshcrr, der mit seinem Fahrzeug an des Sultans Galeere herangesteuert, das kleine Männchen im Vart eben seine Künste treiben sehen, als sich der Wind gegen die Venezianer gewendet; da hab' er sich im Namen aller Heiligen zur Mutter Gottes gewendet und sie mit dem Zeichen des Kreuzes wiederholt um Beistand angerufen; sogleich sey das Männchen aus dem Vart herausgefallen, der Wind sey umgeschlagen, und er mit seinen Leuten der erste gewesen auf dem Sultansschiffc, dessen Mannschaft sie dann über die Klinge springen lassen, mit Ansnahme des Sultans, den sie dem Dogen Zrinp überliefert, und der 39 nachher vor diesem und dem Papste baarfuß Abbitte thun und seine Ketzereien abschwören, auch bei der Verhcirathung des Dogen mit dcm Meere als Ruderknccht im großen Prachtschifft, das den ganzen Senat getragen, tüchtig habe arbeiten müssen. So scy die Rettung der Christenheit vor Uebcrantwortcn an den ungläubigen Muhammed und die Größe der Venezianer eigentlich das Werk der Piranescn. Wäre die Republik nicht durch ungeschickte Künste und Verrath zu Gruude gegangen, so würde Pirano heutzutage die erste Stadt in der Welt seyn nach Venedig und Rom; denn dazu sey schon Alles angelegt und vorbereitet gewesen, und verbrieft und besiegelt vom Dogen und vom Papste. Aber nun? — Es that mir leid, daß ein nachtrabender Trupp meinen feurigen Berichterstatter im Weitcrspinnen seiner Mythen unterbrach. Indessen waren die Gespräche, die sich nunmehr zwischen der reitenden Kohorte anspannen, keineswegs uninteressant, wenn gleich sie nicht mehr, wie die früheren Erzählungen, sich in fabelhaften Regionen bewegten, sondern auf festem Boden historischer Wirklichkeit. Ich schritt schweigend nebenher, aufmerksam lauschend, während der ritterliche Chorus in Bericht und Rc-flenon sich immer lebhafter erging. Wär' ich zu Rosse oder wenigstens zu Esel gewesen, es hätte diese Wanderung vielleicht einem stattlichen Komitat geglichen; so aber, der einzige Fußgänger neben all den Ncitersmännern, möcht' ich eher mich aus-nehmen wie ein zum Verhör oder in Haft beförderter Delinquent. Am lebhaftesten wurde verhandelt über einen Gcrichts-fall, dessen eben bekannt gewordener Ausgang den allgemeinen Antheil der Bewohner dieser Gegenden in Anspruch nahm. Ein auf der Nhedc westlich vor Pirano ankerndes Fahrzeug war vor etwa sechs Monaten durch einen Plötzlich in der Nacht sich erhebenden Windstoß an den Stcindamm der Stadt getrieben worden. Das Schiff, Staatscigenthum, war bei dieser Gelegenheit fast gänzlich zerstört, der Stcindamm des Molo bedeutend beschädigt worden, somit wurde dcm Capitän, der in jenem Augenblick nicht auf Schiffe, sondern nach längerer Abwesenheit bei seiner Familie in der Stadt sich befunden, ein bedrohlicher Proceß gemacht, dessen Endspruch gegen alles Erwarten sehr gelinde ausgefallen. Alsbald hatte sich, wie das bei dergleichen 40 Gelegenheiten zu geschehen Pflegt, gegen den Beklagten, der früher Gegenstand allgemeinen Bebaurens gewesen, eine heftige Partei gebildet, welche, da nunmehr kein Befürchten weiter als Fürsprecher eintrat, das Urtheil viel zu gelinde fand und solche Milde tadelte als verführerisch zu ähnlicher Fahrlässigkeit. Mein mpthenkundiger Gefährte, selbst Familienvater, billigte als solcher das menschliche Verfahren der Regierung, spielte aber das Thema aus der Gegenwart hinüber in die Vergangenheit, und entwickelte in diesem Falle abermals in unaufhaltsamem Redestrom seine seltsam mit Phantasmagoricn durchstochenen Kunden venezianischer Geschichte. Er erzählte nämlich seinen Genossen, immer von Zeit zu Zeit mich zur Bestätigung auffordernd, den Proceß Vettore Pisani's, des Admirals der Republik in den verhängnißvollen Genucserkämpfen, und begleitete seine freilich etwas labyrinthische Darstclluugsweise mit so viel Lebhaftigkeit und Wärme des Vortrags, daß ich manchem hochgelahrten Professor der Geschichte solche Beredsamkeit wünschen möchte zu Nutz und Frommen der nach Saft und Leben dürstenden Zuhörer. Auch war durch diesen Vortrag der Antheil aufhorchender Ritterschaft ganz von dem Ausgangspunkte ab, von dem armen Schiffs-capitän des Tages auf jenen glorreichen Admiral in die Vergangenheit gelenkt. Mich aber gemahnt während des Nicdcr-schreibeus eine unwiderstehliche Stimme an den mir so nahe liegenden Schauplatz der unheilvollen Pisani-Schlacht. — Auf denn nach Pola! — 41 Montona — Pisino — Dignano. Nachtfahrt bis Montona, dessen Lage auf waldiger Höhe an unsre reizenden Harzstädtchen erinnert. Die Kirche erhebt sich auf der äußersten Spitze des steil zulaufenden Kegels; kräftiger Baumschlag breitet sich rings umher, weiterhin lagern dunkle Berge. Montona ähnlich finden sich mehrere der folgenden Ortschaften gegen Pisino zu. Häufig begegnet man hinter beladcnen Eseln mit Spindel und Rocken einherschreitenden Weibern, die von den Männern sich nur durch die Kopftracht unterscheiden, bei diesen eine wollene plattaufliegende Mütze, bald weiß, bald schwarz, bei jenen ein turbanartig gewundenes helles Tuch. Die gewöhnliche Kleidung ist ein leichter ärmelloser Kalpak über dem weiten weißen Hemde. Dazu kommt bei den Männern häufig noch der mantclartigc braune Uebenvurf, erinnernd an die härenen Mantillen der Slowaken in den Karpathen. Zöpfe sind nichts Seltenes. — Auf einem Verge kurz vor Pisino springt die blank getünchte breite Vorderseite eines geräumigen sehr festen Staatsgcfängnisses dem Blick entgegen. „Auf den Bergen ist Freiheit!" singt der Chor in der Braut von Messina. — Pisino (Mitterburg) im Mittelpunkte des Landes, seit Jahrhunderten die Hauptstadt des österreichischen Antheils, und seit dem Sturze der Venezianerhcrrschaft des gesammten Istriens, als Felsenstädtchen ein malerisches Musterbild. Nings um den Ort reichlicher Feld- und Gartenbau; weiter südlich Abnahme der Vegetation; desto größer die Bemühung, dem kargen Erdreich hier und da doch Etwas abzugewinnen. Strecken des rothen stcindurchsäeten Bodens, zu Getreide- oder Obstbau benützt, haben zu ihrer Umwallung selbst das Material geliefert in den sorglich zusammengelesenen, ohne Mörtel ringsum auf- geschichteten Steinen. In den Niederungen sieht man häusig auf diese Art ummauerte, auch wohl umbuschtc Kessel, in deren Mitte cine einsame Weide aus verkümmertem Mais hervorragt während auf höher gelegenen Anpflanzungen Neben, bald von Pappeln zu Kirschbäumcn, bald von Pfirsich zu Aprikosen überrankend, schaukelnde Gewinde bilden. Ganz in der Nähe dann wieder sich selbst überlassene, schwerfällig nickende Farrenkrä'uter und Disteln. Dieß wechselnde Gemisch von Kahlheit und mühsam gepflegtem Anbau macht einen eigen melancholischen Eindruck, dann und waun unterbrochen durch freundlichen Gruß eines vor seiner Heerde im Busche lagernden Hirten, bald durch gastliches Entgegenkommen eines im Festschmuck — cs ist Sonntag — auf seinem Grundstück wandelnden Landmanns. Auch verkündigen von fern aufragende Epprcsscn hier und da größere Gartensorgfalt, hinausgehend über das bloße Bedürfniß. — Ein unterhaltendes und zugleich wegbeförderndes Intermezzo gewährte ein mit seiner ganzen Familie sammt hab' und Gut dcm Markte von Novigno zusteuernder Zahnarzt, der mich sammt meinem Tornister auf den einzigen noch freien Platz seines einspännigen Wägelchens einladet und mit freudigem Behagen mir seine Gcschicklichkeit anpreist, jeden schadhaften Zahn im ganzen weiten Weltall ohne weitere Vorbereitung, ohne Schmerz und ohne Nachwchcn gleich auf den ersten Ansatz und mit Einem Nuck herauszuholen — und das Alles unter lebhaftester Begleitung wohleingcübten Gcbärdenspiels, mit unermüdlich arbeitenden Augen und Händen, als mache er Probe zu seiner auf morgen frühe anberaumten ersten Vorstellung vor dem versammelten Novigno und dem herbeiströmenden Istricn — und Alles mit dem immer wiederkehrenden Refrain: „Iu sono il sam08o öontisw äa I'ium«?." So bildete ich nebst der geduldig mitlauschcndcn Familie, bestehend aus einer mit flammenden Augensternen versehenen Frau, die trotz der allgemach verwitternden Umrahmung noch nicht aufgegeben hatte in vermuthlich langgeübten Strcifzügen Zündraketcn auszusenden in fremde Forts, einer braungcsonnten Tochter, auf die der Mutter mehr und mehr im Abzüge begriffenen zigeunerhaften Reize mit frischem Saftdrange sich verpflanzen zu wollen schienen, einem Hunde, bei dem es zweifelhaft war, ob er dem Mops- oder dem 43 Spitzgcschlecht entstamme, und zwei Vubcn, deren Flachstöpfe dem Pechkranzc des Vaters, dessen Namen sie trugen, wenig ähnelten, wohl eine Stunde lang das ganze feierlich verblüffte Sonntagspublicum des unerschütterlich mit eben der Befriedigung, als stehe er schon in der Mitte der staunend aufhorchenden Menge, am eigenen Applaus sich vergnügenden Virtuosen, dem der Ehrcnsäbcl anerkennender Nationen wenigstens in seiner glücklichen Einbildung nicht fehlt, und der wie so manches andere Glied der zahlreichen Virtuoscnsippschaft unsrer Tage den mangelnden Inhalt eigner Composition durch allzeit fertiges Geklingel zu ersetzen weist, endlos wie diese zum Erschrecken langathmige, mit Epitheten überladene, von vcrbollwcrkcndcn Zwischensätzen, widerwärtig hemmenden Partikelchcn und unerträglich schleppenden Participialconstructioncn wimmelnde, eine unerschöpfliche Lunge voraussetzende Periode, der weder mein Freund Gottlob Regis, der feste ehrenhafte getreue Dollmetsch fremder Nationalität, noch mein geliebter und gestrenger Pyla-des, der lichte seclcnhaftc Freund der Klarheit und der Harmonie , vor ihrem uubcstcchlichen Nichterstuhle dürften Gnade an--gedeihen lassen. Nachdem der redselige Mundknochenvirtuose mich verlassen, schien es mir recht öde und todt auf meinem einsamen Pfade. Als jedoch, näher gegen Dignano, von der scheidenden Sonne bestrahlt das Meer mit seinen Inseln herüber-blickte, da war mit Eincmmalc wieder Alles Leben und Bewegung; dem todten Bilde war das Auge gegeben und die Seele. — Dignano im Sonntagsschmuck. Die Mädchen durch-gehcnds gescheitelt, während drei Reihen großer Nadeln mit Silbcrknöpfcn in dem dunkeln Haare einen diademartigcn Kopfschmuck bilden. — Von Dignano aus nach zweistündigem Marsch Ankunft vor Pola. Das grollende Meer, vom Scirocco gepeitscht. Schaukelnde Achter. Die Arena von der Mondessichel durchleuchtet. — 44 P o l a. Seit drei Tagen bin ich in Pola, gar Manchem wohl bloß wegen seiner berühmten Arena bekannt. Aber nicht die Arena allein ist es, obgleich das bei weitem glänzendste und großartigste unter den zahlreichen Denkmalen der Nömcrherrschaft in dieser einstmals blühenden Haupt- und ältesten Stadt des istrischen Ehcrsonesus, was fesselnd mein Schauen und Sinnen in Anspruch nimmt. Nach allen Seiten hin, außerhalb und innerhalb des Ortes hat man sich zu wenden, um all das Bedeutende aufzufinden, was die rohe Hand verheerungslustiger Barbaren und die ebenso barbarisch unheilvolle späterer Architekten von der großen Verlassenschaft einer mit ihren Fehlern und ihren Tugenden dahingeschiedenen Zeit unzcrstört gelassen. Bewährte Männer auf dem Felde der Alterthumskunde haben über die Arena zu wiederholtenmalen sich ausgesprochen. Schon Graf Carli widerlegt in seiner dem Amphitheater Pola's ausschließlich gewidmeten Abhandlung siegreich die Behauptung des berühmten Marchesc Massei, welcher trotz der Tradition und der beim ersten Anblick in die Augcn springenden Gewißheit des Gegentheils die Arena Pola's als Amphitheater läugnet und nur als Theater will gelten lassen. In neuester Zeit hat der gelehrte Kanonikus Stankowitsch den Streit im Sinne Carli's wieber aufgenommen und sich weitläufig über diesen Gegenstand verbreitet. Wenn Massels Bedenken hervorgegangen sind aus der Besorgniß, daß seine mit so gerechter Vorliebe behandelte Arena zu Verona möchte verdunkelt werden durch den Glanz ihrer Nebenbuhlerin am adriatischen Meere, so sind sie doppelt grundlos. Es können beide vielmehr als einander ergänzend betrachtet werden denn als einander den Rang streitig machend — so hat Zerstörungswuth im umgekehrten Verhältnisse an bei- 45 den gearbeitet. Zerstörungswuth; denn nur dieß blinde Unge-thüm konnte solchen Werken etwas anhaben, die in ihrer Kern-haftigkeit noch manche wechselnde Geschlechter überdauert hätten. Während nun in Verona eine wohlthätig schützende Macht das Innere der Arena vor vcrnichtungsfrohcn Horden geschirmt und für Zeiten achtungsvoller Rücksicht aufbewahrt, hat sie in Pola dagegen gerade über die Ningmancr ihre rettenden Flügel gebreitet und bei dieser früheren und späteren Varbarenfäusten Halt geboten. So steht sie nun da in Würde nnd Majestät, die mächtige Ringmauer, die einst Tausende von Schaulustigen umfaßt, ein großartiges Denkmal des Zusammenwirkens bedeutender Kräfte, und blickt übcr den hart angränzendcn weiten Hafen, der einst die ganze Nömerflotte nnd später die der Venezianer in sich aufgenommen, hinaus auf das Meer, das diese äußerste Spitze der istrischen Halbinsel in beständiger Verbindung hielt mit den Mittelpunkten der Herrschaft. — Auf dem Wege von der Arena in die Stadt fällt zunächst die vor dem nordöstlichen Thor gelegene weiß getünchte Caserne mit ihren schwarz und gelb gestreiften Pforten in die Auge»; in ihrer Nachbarschaft ein recht freundliches bei weitem niedrigeres Gebäude; vor demselben ein Wasserbehälter mit sauberen Stiegen in Stein gehauen. Dieß sey das Diancnbad der alten Römer, sagte mir ein Krieger, der im graulichen Linnenkittcl auf und ab spazierend mit beschaulicher Ruhe sein Pfeifchen abdampfte. Von Nömerbau war hier nun freilich nichts zusehen; aber es gilt wirklich dicscr Platz als der Standpunkt des einstmaligen Dianenbadcs, und mancher Römcrstein mag in dem artigen modernen Waschhausc vermauert seyn, auf dessen Stiegen eine Anzahl Mägde eben beschäftigt war eine zur Reinigung aufgeschichtete Niederlage theils einzuseifen, theils abzuspülen. Aus ihrem Munde klang in gellendem Unisono der Chor aus Norma: „Casla Diva, ehe inargenti Queste sacre änliche piante —" Während die wachthabenden Krieger ihnen gegenüber den Gesang mit allerlei Wiener Volksliedchcn durchkreuzten. Und dieß tolle Durcheinander mischte sich im Echo der gewaltigen Arena — eine grelle Parodie der Zeiten und der Künste! — 46 Im Mittelpunkt der Stadt, nördlich dem Hauptplatze, den sie überschauen, wie sie ohne Zweifel einst das alte Forum überschaut, finden wir zwei Tempel, die, wenig nur von einander entfernt, schon durch ihr ganz gleiches Verhältniß in Größe und Baustpl vermuthen lassen, daß sie zur selben Zeit, ein Zwillings^ tempelpaar, errichtet worden. Vier korinthische Säulen auf der gewöhnlichen Stnfenerhöhung bilden dieFayadc; die Ausdehnung des Inneren beträgt 26 Fuß Länge, 20 Fuß Breite. Der Tempel zur Linken bat auf dem Architrav die Inschrift: ROMAE. ET AUGUSTO. CAESAR1. INVI. F. PATRI. PATRJAE. — also Rom und Augustus geweiht, was unwiderleglich auf die Erbauung unter Augustus hinweist. Der andere, einst bis zur Unkenntlichkeit in den Palast des venezianischen Statthalters verbaut, seit einer Reibe von Jahren aber soweit wieder befreit, daß, obgleich auch jetzt noch integrirender Theil des Regierungs-gebäudes, doch aus seiner Fayadc, dem einen Seitenumriß und der Hinterwand als Zwillingsbruder jenes anderen deutlich heraus zu erkennen, gilt in der Volksmeinung als einstmaliger Diancntempel. Bedenken wir aber, daß Pola, als der pompe-janischen Partei anhangend, durch Cäsars siegende Trnppen zcr> stört und später erst auf die Fürbitte Julia's, Augustus Tochter, wieder aufgebaut und in seiner neuen Gestalt ^uliü I^t.^ zn-bcnannt worden, dann ergibt sich mit größter Wahrscheinlichkeit, daß dieser zweite Tempel gegenüber dem ganz gleichgestelleten, Rom und Augustus geweihten zu Häupten des Forums wohl füglich der Tochter des bei Lebzeiten schon vergötterten Kaisers gewidmet war, welcher die nencrbaute wieder in Gnaden aufgenommene Stadt Daseyn und Namen verdankte. Dazu kommt die alte Meinung, daß dieser Julia von den dankbaren Polesen auch das Theater gcwcihct worden, eine Verwechslung, die bei der späteren Zerstörung aller darauf bezüglichen Inschriften im Laufe der stürmischen Zeiten gar leicht stattfinden konnte. Daß es aber mit Sicherheit Julia, Augustus Tochter, nicht, wie einige Schriftsteller angenommen, vielleicht eine gleichnamige Favoritin des Kaisers gewesen, auf welche sich dieses Alles bezicht, geht deutlich hervor aus den in Pola aufgefundnen silbernen Münzen und Medaglien, deren eine Seite ein nicht gekröntes Brustbild 47 mit der Umschrift .?ulm ^uxu^w. die andere den Kopf Her Cp-bele mit dcr Mauerkrone und der Umschrift Nator Ooüm trägt. Die vier prächtigen Säulen von parischem Marmor, welche einst den Tempel der Inlia geschmückt, hat dcr kunstreiche Valtasar Conghena zur Verschönerung dcr ^631 vollendeten Kirche der Nacwlinn clelw 8nwto in Venedig verwendet. — Wenn schon jeder Fremde des Passes wegen gleich nach seiner Ankunft in Pola gezwungen ist in den Tempel dcr an diesem Orte nnr durch menschlich milden Sinn bekannten Inlia, als Theil des Bezirkscomnüssariatsgcbäudes einzutreten, so möchte ich doch keinem rathen, das Innere des freistehenden, von jedem fremden Einfluß fern gehaltenen Augustustcmpels unbcsncht zu lassen. Er würde eine Ueberraschu»»g entbehren, die gewiß jcder Frcnnd des Alterthums freudig mit mir theilen wird. Es wird nämlich dcr innere Naum scit einigen Jahren verwendet zu Aufbewahrung von Fragmenten, die in und um Pola sich gefunden, und die Absicht ist, in fortgesetzter Sorgfalt ein kleines Museum daraus zu bilden. Ein Augustustempcl als Museum — gewiß ein glücklicher Gedanke. Dcr, in dessen Kopfe er entsprungen, und dessen Bemühungen die Sammlung Bestehen und Wachsthum verdankt, ist ein anspruchslos bescheidener junger Mann, Giovanni Carrara, ein geborner Polese, dcr seit Rückkehr von den Schulen mit besonderer Vorliebe den dortigen Alterthümern sich zugewendet und bereits manchen: mit näherem Antheil Betrachtenden ein willkommener Führer geworden. Schon enthält seine kleine Schöpfung vieles Beachtenswcrthe, das zum Theil zerstreut bereits vorhanden gewesen, zum Theil durch seine Bemühung ausgcgrabcn und sorglich in dem Augustustcmpel aufgestellt worden, so daß in diesem Museum Alles antik ist, Gebäude und Inhalt. Carrara's sehnlichster Wnnsch ist, daß er Aufmunterung nnd Mittel finde seinen Plan erweitern uud vervollkommnen und zugleich durch eigne wissenschaftliche Arbeiten gemeinnütziger machen zn können. Gewiß darf man voraussetzen, daß die Negienmg früher oder später davon Kenntniß nehmen und einen solchen Zweck nicht ohne Unterstützung lassen wird. Würde doch durch uähcres Bekanntwerden und sorgfältigeres Beachten dcr bcdcntcndcn und reichhaltigen Denkmale Pola's selbst der Besuch des Ortes vermehrt und somit 48 auch ein materieller Vortheil mit dem geistigen Gewinn verbunden. — Nun zu den übrigen Alterthümern und Merkwürdigkeiten Pola's. Von der Kathedrale wird am Orte selbst fast allgemein geglaubt und findet sich auch hin und wieder in älteren und neueren Topographien, daß sie erbaut sey. auf den Fundamenten und aus den Trümmern eines alten Heidentempcls. Dieß aber gilt wohl nur von ihrer Vorgängerin, welche in dem, Venedig selbst den Untergang drohenden, auch für Pola insbesondere verhängnisvollen Jahre 1379 die Genuesen zugleich mit der Stadt von grundaus zerstört. Der heutige Dom ist ein ziemlich unschönes Bauwerk, dessen nicht vollendete Stirnseite offenbar aus dem vorigen Jahrhundert. Die vielgerühmten Vronze-thürcn des älteren Doms haben die Genucscu fortgeschleppt, um den ihrigen daheim damit zu schmücken. Von antiken Steinen, Kapitalen u. s. w. findet an dem Neubau sich nur Weniges, wohl aber in eine Scitcnwaud vermauert eine Inschrift, die von dem Aufbau aus antiken Temvelstcinen spricht. Diese Inschrift, früher wahrscheinlich über jenen Brouzcpforten, mag Veranlassung gegeben haben zur Fortpflanzung des erwähnten Irrthums. Im Inneren des Domes ist ein sehr schönes Gefäß vom weiße-sten Marmor, muchmaßlich einst der Venus oder ihren Priesterinnen heilig, ein antikes Waschbecken, jetzt zur Aufbewahrung des Weihwassers bestimmt; ferner ein Marmorkavitäl mit Hautreliefs - eine Tafel von vier Tauben getragen — und zwei Säulen von grünem Granit. — Trefflich erhalten ist die am Südendc der Stadt gelegene ?olw «me.-, oder nul-iltu. deren Ursprung dentlich hervorgeht aus der Inschrift an dem der Stadt zugekehrten Fries: Salvia Postuma Sergii Do Sua Pecunia. Es ist diese Triumphpfortc ein Werk der Pietät, von der liebenden Gattin dem siegreich aus dem stampf zurückkehrenden Tribun errichtet. Wichtig für die Zeitbestimmung ist ferner die Inschrift: L. Sergius L. F. Lepidus Aed. Trib. Mil. Leg. XXIX. Da nämlich aus Tacitus bekannt ist, daß Augustus die 45 49 römischen Legionen auf 25 (Dio Cassius sagt: auf 23) herab-setzte, so siele die Erbauung mit historischer Gewißheit vor diese Zeit — eine Bemerkung, die ich, wie so vieles Andere, meinem auf diesem Felde wohlbewanderten Führer Carrara verdanke. Unter den Basreliefs zu beiden Seiten des Triumphbogens, deren jede korinthische Doppclsaulcn schmücken, bemerken wir zwischen den zur Linken angebrachten Waffen einen Schiffsschnabel (.llnßlrum), ohne Zweifel auf einen Sccsieg deutend. Dieß mit der mutmaßlichen Zeitbestimmung zusammengestellt, läßt auf die Schlacht bei Aetium schließen. Den einer Schlange obsiegenden Adler, die Delfiucn und Tritoneu deutet Carrara als Anspielungen auf die Unsterblichkeit des siegreich heimkehrenden Triumphe tors, als allegorisches Geleite zu den Inseln der Glückseligen. Ists aber nicht einfacher, sie als Bczcichuer und Vcrherrlicher des Secsiegs überhaupt zu nehmen V — Dasselbe gilt von den über dem Bogen schwebenden kränzetragendcn Vietorien und von dem Zweigespann zu beiden Seiten der Hanptinschrift. Die Neben- und Fruchtgewinde, welche die inneren Wände des Bogens schmücken, dürfen wir wohl allerdings als Bezeichner der Fruchtbarkeit des Bodcus ansehen, um so mehr, weil angebracht in der Nähe des südlichen Stadtthores, welches zu den aus, gcdehutesteu Fruchtgesilden Pola's führte, zu den Hügeln, die noch heut durch Traubenfülle sich auszeichnen und damals ohne Zweifel mit den aumuthigstcn Villen bedeckt waren. Vieles spricht für Carrara's Annahme, daß dieses südliche Thor in schräger, etwas östlicher Richtung zu der Gräberstraße geführt, davon zu Dautc's Zeit noch Vieles muß bestanden haben, indem er singt (lnkinu IX. lor?. 3K): „Si com' a Pola, presso del Quarnero, Ch' Italia chiudc o i suoi termini bagna, Fanno i scpolcri Inlto '1 loco varo —v< Dankbar erkennt man, daß die Trinmphpfortc des Sergius über deren Nichtbeachtung die w^o^rulin V<>nLl,a vom Jahre 1787, ein für den Bcsnch aller Theile der erloschenen Venezia-nerrepublit höchst schätzenowerther Begleiter, sich mit Recht beklagt — durch neuere Bemühungen von Schutt und verdeckenden! Mauerwerk befreit und somit eigentlich erst jetzt gewissermaßen wiederhergestellt worden; beklagenswert!) aber bleibt, daß — (Istxjen,md Dsslmsttien.) 50 auf unbegreifliche Wcise — im Jahre 1826 das ihr benachbarte alte Stadtthor niedergerissen worden. Vcklagenswerther noch nnd unersetzlich ist vor demselben Thore die Zerstörung des römischen Theaters, die der französische Ritter Antoinc Dcville (Nqu« czui un ^ioi'no nki-a l«^u". rief mir ein vorübergehender Landmann zu, der mich in Betrachtung dieser Pforten sinnend fand und nach treuherzigem Gruße ein Gespräch anzuknüpfen suchte. Durch ihn erfuhr ich denn auch daß an dieser Stelle ein besonderer Zauber walte. Hier sey der Tempel des Herkules gewesen, eines alten Magiers, der ungeheure Schätze besessen, die er beim Heranrücken der Feinde so tief in die Erde vergraben, daß keiner sie ohne geheime Künste wieder aufsinden könne; der Tempel selber aber sey bald darauf verschwunden, und erst später diese Pforte, auf der noch der gewaltige Zauberstab und der Kopf des großen Magicrs in Stein gehauen sichtbar, wieder hcrvorgcscharrt worden. Nun habe ein Mann, der sich auf schwarze Kunst verstehe, nächtiger Weile unter diesem Kopf und Stabc ein Vrandopfcr gebracht und so eine goldnc Statue aus dem Boden herauf beschworen. Die Familie dieses Mannes sey jetzt die reichste in Pola und besitze auch den großen Weinberg und Olivengarten zwischen der Pforte des alten Zaubcrtempcls und dem neuen Kastell. — Die Sage von der aufgefundenen Goldstatue ist übrigens ihrem Ausgangspunkte nach nicht so ganz aus der ^nft gegriffen. Die alten Schriftsteller der späteren Zeit (andeutend ^mmi»-nu8 HInrett!Iinu8; ausführlicher Xosimu« und die späteren Griechen) berichten nämlich, daß Kaiser Konstantin seinen cben 4 " 52 so tapferen als keuschen Sohn erster Ehe, Krispus, zur Hinrichtung nach Pola gesandt, und zwar auf Anstiften seiner zweiten Gemahlin Fausta, einer anderen Potiphar und Phädra, die aus Nache mcht erwiederter Gelüste den cdclsinnigcn Stiefsohn der eigenen Schuld geziehen. Ein Jahr darauf habe der traurende enttäuschte Vater an derselben Stelle, wo der als unschuldig erkannte Sohn gestorben, ihm zur Sühne eine goldene Statue errichtet mit der Inschrift: „Meinem unschuldig hingerichteten Sohne." Wollen Sie eine sehr anziehende Untersuchung über diese in einiger Dämmerung schwebende Angelegenheit lesen, so wenden Sie sich an Gibbon, der im achtzehnten Kapitel seines Doolmo Wesen, die der Kaiser bei seiner Krönung in Rom getragen. Man zeigt den denkwürdigen Baum im Hofe des ehemaligen Minoritcnklostcrs, heutigem Vcrpflegsmagazin, und wie ein Geschlecht an das andere, so hat eine Anstalt an die andere die Sage von dem kostbaren Besitz übertragen. Seltsam, daß es gar kcin wirklicher Lorbeer ist, sondern ein Kirschlorbccrbcunn (^aurocor^uz), dessen breites fettes glänzendes Vlatt wohl nie zn einem Kranze ist verwendet worden. Auch hat der Baum ungeachtet seiner beträchtlichen Stärke und gewiß ansehnlichen Bejahrthcit schwerlich einen Stern des Angustischen Zeitalters gesehen. Aber wenn gleich sein Vlatt nimmer den Hcrzschlag eines Triumvhators noch irgend eines anderen Laureaten erhöhet, hat scin Saft vielleicht gar manchem an allzustarkem Herzschlag Leidenden Erleichterung verschasst. Hatte ich nicht selbst bei seinem Anschauen so mancher qualstillendcn Wirkung dankbar zu gedenken, die eine kräftige Dosis ^ug I.aui-ocoi-nsi als wahrer Erlöser von heftiger Vcdrängniß mir gebracht? — Auf rüstigen Wanderungen, wo Strapazen aller Art die Säfte regeln und das aufwallende Vlut bedampfen, wo der beständige Verkehr mit allen Elementen wohlthätig anf alle Fibern wirkt, den Herzschlag normal, das Auge, inneres wie äußcres, frei und klar erhält, da freilich ist kein ^ maligc Niva sey nichts als zum Zurückdrängen des Meeres aufgehäufter Schutt; die eigentliche Stadt habe auf den Hügeln über der gegenwärtigen hinaus begonnen, so daß die pott« ll«r-culig und Oomelln noch zu den Vorstädten gehört. Vielleicht 55 War Me Wiese ein Marsfeld zn Truppenübungen — daher die Verwechslung; das Forum bezeichnen mit unläugbarer Gewißheit jene beiden Tempel auf dem Platze, der uoch hcute dcr bedeu-teudstc des Städtchens. Auch läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit nachweisen, daß die alte Stadt nicht mehr umfaßte als einen einzigen Hügel, den Träger der römischen Burg so wie des venezianischen Kastells; drei benachbarte Hügel waren muth-maßlich mit Vorstädten besetzt, wenigstens nach dcr Mccrcsseite zu. Sie heißen San Martino, an welchen sich das Amphitheater lohnt, Zaro, auf dessen nördlichem Abhänge das Theater sich crhob, und San Michicl, wo keine Spnr mehr eines römischen Gebäudes, sondern nur Ncste einer Kamaldulcnscrabtei. — Fast hätte ich vergessen, Ihnen mitzutheilen, daß ich die vergangene Nacht cin paar recht angenehme Stunden auf einer istrischcn Hochzeit verlebt. Sie wurde, wie das hier zu Lande auch bei begüterten Familien gewöhnlich, die doch Naum genug in eigner Wohnuug hätten, im Saale des Wirthshauses begangen. Die Braut, eine frischwangigc Istriaucrin, hatte auch dicßmal nach dcr Landcssitte sich ruhig zwischen den erwählten Führcrinncn zu halten, ohne deren Begleitung ihr kein Schritt erlaubt ist, es sey denn, wenn aufgefordert zum Tanze; solch cinc Aufforderung aber kann von cincm anderen als dem Bräutigam nur mit dessen ausdrücklicher Erlaubuiß stattfinden. Sie trug das volle brauue Haar gescheitelt, nach dem Hintcrkopfc zu in einen Zopfwulst gewunden, mit welchem zwei zierliche Flechten von der Stirn ausgehend sich über den Ohren vereinigten; cin feines weißes Spitzcntüchlein, mit silbernen Nadeln am Hinterkopfc befestigt, bildete nach dcm Nucken herabfallend recht malerische Falten; außerdem keine weitere Kopfbedeckung. Die sonst wohl vorkommende ncstartigc Blumcnkrone war nicht der Vornehmheit angemessen, auf welche die Familie dieser patrizi-schcn Heirathscandidatin Anspruch macht; von einem Mprthcn-kranzc, dcr bei unsern deutschen Bräuten cinc so sinnige bedeutungsvolle Nolle spielt, weiß man hier zu Lande und weiter südlich, auch in gauz Italien, dcr eigentlichen Hcimath der Myrthe, nichts. Nur Ein junges Frauenzimmer, die eine Zeit- 56 lang bci Verwandten ,'n Trieft gelebt und sich auf ihre Weltkenntnis; etwas zu Gute that, auch neumodische Locken trug, erinnerte sich davon gehört zu haben. Die übrigen Mädchen trugen alle das Haar nach Art der Braut. Vci den meisten herrschte ein ungezwungener Anstand. In der Tracht war das Roth vorherrschend, vombeschcidnenVlaßroth desVrautklcidcs durch allcSchattirungcn bis zum schreiendsten Ponceau. Von Gestalt kann bei der auch hier herrschenden den besten Wuchs entstellenden Mode, den Gürtel dicht unter den Armen zu tragen, kaum die Ncdc seyn; nur das Weltdämchcn mit den Schmachtlocken paradirtc in zierlicher Taille; auch war sic die Einzige in Geiß. Der Bräutigam, ein ganz schmucker Bursch in nagelneuer blauer Jacke, schien sich trotz sciues täppischen Einhcrschreitcns gar nicht ängstlich zu fühlen und war besonders beim Tauzc rüstig auf dcu Beinen. Sein immerwährendes schmunzelndes Lächeln schien einen gewissen stillbcwußtcn Triumph seinen Kameraden gegenüber zu verkünden. Nur gegen Einen verhielt er sich stets ehrerbietig und ernsthaft, den Brautführer. Dieser (il t^mpar« doll' »nttN«), dicßmal ein feiner junger wohlhabender Mann mit vielem Anstand, hat auf einer istrischcn Hochzeit Alles anzuordnen und zu besorgen, Musik, Erfrischungen, Getränke, Tanz; sein Amt ist ebenso beschwerlich als kostspielig, daher man in Wahl und Annahme auch sehr behutsam verfährt. Gewöhnlich werden nur ganz uahc Freunde zu Brautführern gewählt, bci denen an kein Ablehnen zu denken. Die kleine gesprächige Weltdame erzählte, mir, es sey der Brautführer ihr Bruder; daher gehe es auch so nobel zu auf dieser Hochzeit; in vergangener Nacht sey eine gefeiert worden nur mit Dudelsack und Cymbal; dießmal aber, und dazu habe sie selber den Bruder veranlaßt, seyen es lauter Saiteninstrumente. Wirklich hielt der Baß die beiden Geigen und Guitarren ganz gut zusammen. Ich hätte wohl noch vielerlei erfahren über Sitten und Gebräuche, wäre nicht meine gesprächige Nachbarin von meiner Seite zum Tanze weggeholt worden. Es begann die sogenannte Mika!«/?^. cin Mittelding zwischen Contretanz und Masurka; die Musik dazu ist ähnlich unserm Großvatcrtanz, dessen ich aus meiner Kindheit ich mich noch lebhaft erinnere, wo er auf allen heimischen Bällen den Kehraus gemacht, bis später ihn der immer allgemeiner 57 werdende Cotillon fast überall verdrängt. Unmittelbar nach der villdnl^x/n, gewissermaßen als Coda, folgte der Manfrin, halb Walzer- halb Eeossaisentour, der gewöhnliche Volkstanz, dessen Sie von den Maskenbällen in Venedig sich erinnern werden. Am beliebtesten nntcr den Tänzen schien die l^urlnnn zu styn, die auch am häufigsten sich wiederholte, sehr verwandt dem Cotillon; es kommt darin sogar die Tour vor mit zwei Sesseln in der Mitte, auf denen cm Paar, welches die übrigen umkreisen, und das wechselnd wählt oder gewählt wird; daher auch l^üo cli ^ru^a (Sesseltanz) genannt. Diese Hochzeit, die über die unzertrennliche Vcbensreisc zweier Menschen entscheidet, hat auch über meine nächsten Pfade entschieden und meinen Planen einen wesentlich bessernden Umschlag gegeben. Ich lernte nämlich den Patron eines Fahrzeugs von Lnssin piccolo, dem Insclhafcn jenseits dem Quarnero, kennen, welcher den dortigen Kasscnrcndantcn herübergebracht. Sobald dieser von Pisino, wohin er zur Nechnnngsablegnng des letzten Monats sich begeben, hiehcr znrückckchrt, wird mit dem ersten günstigen Winde abgefahren, vielleicht also schon Morgen. Lussin mit seinen Umgebungen soll interessant genug seyn, um die Zeit bis zur Ankunft des Triestincr Dampfboots, das Samstags frühe vor der weiteren Fahrt dort cinc Stunde anlegt, reichlich auszufüllen; ja, ich freue mich, auf diese Weise auch die Inseln zwischen Istricn und Dalmatien wenigstens im Ueber-blick kennen zn lernen. Mittwochs 18 September. Abends spät. Mein Reisegefährte ist in vergangener Nacht schon zurückgekehrt und hofft eben so ungeduldig als der Schiffspatron auf günstigen Fahrwind. Ich habe mich nun einmal dieser Gelegenheit anheimgegeben; zur Landfahrt nach Trieft wär es ohncdicß auch schon zu spät, da Freitags erst das Postwägclchen nach Pisino rollt; hinnberschwimmcn zu den Steinbrüchen der Vrioni-Inseln, dem Dampfboot entgegen, will trotz aller Schwimmlust und aller unter Ihrer Leittmg errungenen Schwimmfertigkeit doch auch nicht wohl angehen — da bleibt nichts übrig als in Geduld 58 zuzuwarten. Ucbrigens sind wir, tritt einmal günstiger Wind ein, in vier bis fünf Stunden drüben in Lussin. Freilich geht durch diesen Verzug mir nähere Anschauung der Inselwelt verloren, aber für Pola habe ich kostbare Stunden gewonnen, einen ganzen vollen schönen Tag, der sich, wic mein hiesiges Leben überhaupt, von selber eingetheilt zwischen Verkehr mit den ein immer neues Interesse in Anspruch nehmenden Alterthümern und einigen lieben Menschen, recht eigentlich lebendige Säulen in dieser Trümmerwclt. Auster dem bereits erwähnten Carrara, der, noch an den Nachwehcn eines hartnäckigen Fiebers leidend, gleich jenen schlachtenlenkcndcn kranken Feldherrn in der Sänfte, von seinem Lager aus mit kundig umsichtigem Auge meine Schritte durch die Denkmale der Vorwelt leitet, habe ich hier einen deutschen Gastfrcund gefunden, einen von den Menschen, deren inneres Leben in der ewigen Jugend des Geistes und des Herzens ankert, während wir leider so viele in gedankenlosem Daseyn verkommen oder in der trockenen Alltäglichkeit des Geschäfts-lebcns vor der Zeit vcraltcrn und verkümmern sehen. Der Krcis-commissä'r Avvcltauer ist Freund des trefflichen Littrow, des himmelskundigcn und crdklaren, und Verwandter unsres hastig einhcrschrcitendcn Ignazio, des absoluten Feindes stiller Beschaulichkeit, der bei Uebcrrcichung des Empfehlungsbriefes nach Pola von seinem feurig überwachten Ncbactionstischc mit brennender Cigarre und der beizenden Frage mich verabschiedete: „Wic kann man aber nach Istricn und Dalmaticn reisen, wenn man Freiheit hat für Nom und Griechenland?" - Wahrlich, wenn die Nömer an diese ferne Gränzküstc einen Prätor hätten setzen wollen, durch Bildung, Sitte und Sinnesart geeignet, dem Vc-sucher den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen, keinen würdigeren hätten sie wählen können. Diesen Morgen, wo es ihm möglich war auf ein paar Stunden sich von seinen Amtsgcschäften frei zu machen, begleitete er mich zu dem etwa zehn Miglien entfernten Vorgebirge Promontory der Südspitze Istricns, da wo der Quarncro beginnt, und wo eine Miglie vom Lande ab auf einsamem Mecrfelscn eine Ncvcrbcrlatcrnc steht, scheinbar aus der schäumend umbrandenden Salzfluth aufsteigend, der Wegweiser des Schiffers durch diese von Alters her verrufenen Gewässer. In Veruda, den letzten Häusern der immer mehr zur bloßen Land- znnge sich verengenden Halbinsel, kehrten wir beim Ortsvorstehcr cin, der zugleich Schenkwirts) ist, und fanden, dasi weder sein Vino lii so«« noch sein l^losco — jener weiß, von den Landbewohnern gewöhnlich Uu^w genannt, dieser cin nicht minder würziger und bei weitem feurigerer Nothwein, beide die gcrühm-tcsten Istricns — zu verachten seyen. Freilich war cincm so chren-werthen und geehrten Gaste wie mein dicßmaligcr Führer auch nur vom ausgesuchtesten vorgesetzt worden. Dieser chrfurcht-bezeugendcn Rücksicht entsprachen anch die Becher, aus einem besonderen Behälter hervorgeholt, ehrwürdige Familienstücke, noch von der Hochzeit der Großmutter hcrstammend, der eine mit der Inschrift: ,Mv>. car»", auf dem anderen: .,8p«8«. dovi l'n s»i»en." — In Venedig hatte ich aus dem Munde eines Dalmatiners gehört, daß die Einwohner Vernda's von einer Montenegriner-eolonie abstammen sollten. Dieß Vorurthcil ließ mich in den bräunlichen schnauzbärtigen Gesichtern der stattlichen Männer mit ihren kapuzinerartigcn Wollkapots etwas Wilderes, Verwegeneres in Blick und Haltung suchen, als ich bisher in Istricn bemerkt, wozu denn freilich die frischen freundlichen Npfclgcsichter der dunkelhaarigen Frauen und Mädchen nicht recht stimmen wollten. Auch wußte man am Orte selber nichts von jener Sage, während unserem Wirthe doch die freiwillige Verpflanzung der vielen griechischen Familien aus Kandia zu Morosini's Zeit gar wohl bekannt war. Ja, er wußte sogar, dasi diese meist nördlich von Pola angesiedelten Griechen sich als l'-nm^li« (^an-cliot« noch bis auf den heutigen Tag genau unterscheiden von den Einwanderern aus Cypcrn, den Knm^iiu (^ipl-iow, und erwähnte dabei anderer, die sich der Abstammung in gerader ^inic von den Nömcrn rühmen und streng auf diesen uralten Adel halten; so ein gegenwärtig in Treviso lebender Graf von Pola (I'ttnw I'oln), der seinen Stammbaum zu dem römischen Proconsul Lucius Fcrgius hinauflcitet. Und woher stammt Ihr denn? fragte ich den in der Wappenkunde Istricns so bewanderten Ortsvorstchcr. „Von ehrlichen Christen", war die Antwort, „von denen auch uuser Herr und Heiland stammt." — Den Rückweg nahmen wir über die «»vo <1i Vincori,i, die auf der Hälfte des Weges gelegenen Marmorbrnche, aus dcncn so die Steine zur Arena und dcn übrigen Nömcrbauten Pola's genommen — straffe Felsenmauern, mit ihren gewaltigen Aushöhlungen wahre Kastelle darstellend. Deutlich erkennt man, wo zuletzt gearbeitet worden. Mächtige Blöcke liegen umbcr; andere, bereits angebohrt und umschrieben mit scharfem Eisen, hangen noch fest mit dem Ganzen zusammen. An der Stelle, wo am meisten entnommen, höhlt sich ein weiter Marmorsaal. Ein herrlicher Festsaal, für Hundertc von Thcilnchmcrn geräumig! Nebcr ihren Häuptern wuchern, gewaltige Kronen uud reiche Festons bildend, Mprthcn, Wein, Oliven, Lorbeer, hochstämmige Feigen;' südlich im Hintcrgruudc und zur Seite hohe Marmorwände, nordwärts die Aussicht auf frcuudlich grünende Hügel; das Ganze überwölbt die blaue Himmclsdecke. Die noch unangetasteten, unerschüttcrten Wände dieses weit sich erstreckenden Marmorbcrgcs, zu wie viel Riesenbauten dürften sie nicht ausreichen! — Ebeu trieb ein Schäfer drunten seine Hccrdc dein marmorummauerten Brunnen zu, dessen treffliches Wasser vor grauer Zeit die römischen Arbeiter in den Stciubrüchen erquickt, und das heute den Landleutcn zur Vichträuke dient. Man sagt, die ganze Straße von diesen altcu Brüchen bis zur Stadt sey zu der Nömcr Zeit mit Puzzuolancrde gepflastert gewesen, damit der Boden nicht den gewaltigen basten weiche. Näher gegen Pola zu kommt man auf diesem Wege an Höhlen, die tief in dcn Berg hinabgehen und einige Miglien weit unter dem Boden sich erstrecken. In diesen Erdunterhöh-lungcn wird der Kiessand (89!l tm-riliÜL «^mivoi-u) sagte der Patron, sein Pfeifchen von neuem auzünbcnd; und wie kann er lärmen und toben und sich dräuend aufbäumen in Sturm und Wetter! — Mein Reisegefährte, der, vorsichtiger als ich auf das Irdische bedacht, nicht mit dem leichten nahrungslosen Wandcrränzcl sich auf die Fahrt begeben, sondern mit gehörigem Proviant versehen hatte, bereitete die Kaffeemaschine und langte aus einem großen Korbe allerlei gar nicht zu verachtenden Mundvorrath herbei. Ich unterdeß nahm meine tosio^rasln livllo »lato V^neto heraus, und las auf die Frage, ob uicht in diesen Büchern etwas von unserer Station stände, den aufmerksamen Zuhörern folgende Stelle aus der Vorrede zum ersten Bande —: „— Uebcrall bietet Dalmatien treffliche Häfen, uud die Schifffahrt ist bequem und sicher durch die von den zahlreichen Inseln gebildeten Canäle. Nur der Golf, welcher den Namen Quarnaro führt, ist höchst gefährlich und fürchterlich zur Zeit der Stürme. Manche glauben, er sey Quarnaro oder Carnaro 70 benannt wegen des Menschenfleisches, das bei den häusigen Schiffbrüchcn in diesem Meerbusen begraben wird. Doch schein: diese rohe Ableitung nicht allzu wahrscheinlich; ohne Weiteres darf man als begründeter annehmen, daß dieser Golf, von den Alten ^inu5 I'lmmticu» genannt sauch (^i-ni«i,8. I'olllticu», I.i-l)ulN!l!U8), die spätere Benennung Carnaro erbalten, weil er umgeben ist von den Kärnthner Alpen OVI^i l'lnni«I,e) —". So sehr ihm auch das ehrwürdige Alter meines gewährleistenden Buches imponirte, lehnte sich der Schiffspatron doch hartnäckig auf gegen jeden Zweifel an der Unfehlbarkeit des mit der Muttermilch cingcsogenen Glaubens, dasi dieses Meer von dem seit Jahrhunderten verschluckten Menschcnfleische seinen Namen habe. Der Cassicr, mehr Doctrinär uud Skeptiker als der unter Stürmen ergraute Seemann, neigte sich zu der gedruckten Annahme, meinte aber, uns zum Frühstück einladend, man solle dem Wortstreit ein Ende machen durch tüchtiges Zugreifen, damit der Quarner, wenn er vielleicht uns zu verschlingen Lust bekäme, nicht sich zu beklagen habe über hohle Hungerleider. Der Schiffmann machte sein Kreuz über die verwegene Behauptung; dann bewiesen wir uns alle drei gleich tapfer. Kaffee, Schinken, Geflügel und Madcra, Alles in reichstem Maaße und in ungezwungener Aufeinanderfolge — und so bewährte sich auch hier, dast die Seeluft Appetit weckt und dasi eine unvorbereitete Tafel oft der köstlichste Genuß ist. — Mehrere Stunden gingen vorüber, Mittag kam heran, es wurde Nachmittag, die Sonne senkte sich zur Neige, und immer noch lagen wir unbeweglich, und als es zu dunkeln anfing, ließ die nicht unfcrne Lage der eben angezündeten Leuchte von dem einsamen Inselfelsen mich mit Schreck wahrnehmen, wie nahe wir noch der istrischen Küste seyen und welch kleine Strecke wir erst zurückgelegt. Icht wäre ein Sturm, wenn gleich unter Gefahren uns hinüberpcitschend, mir willkommener gewesen als diese verwünschte Nuhe. Ncber dem Quarner, der andre Male furchtbar getobt uud Opfer die Menge mag verschlungen haben in den Aequinoetialnächtcn verflossener Jahre, zog diese still und mild wie eine schöne Sommernacht herauf, zu still nur selbst für Erreichung unseres nahen Zieles. Meine Gefährten ver-svrachen einen günstigen Morgenwind und begaben sich abwcch- 71 selnd zur Nuhc. Mich aber ließ die Spannung nicht zum Schlummer kommen, ungeachtet der jedesmal Wachende mich ernstlich mahnte, doch auch ein paar Stunden Schlafes mir zn gönnen. Jedes scharf ins Auge gefaßte Ziel nimmt mehr oder weniger alle Kräfte in Anspruch. Dazu die herrliche Mondnacht, die aus dem friedlich klaren Meeresspiegel mit tausend Augen wicdcrglänzte. Solch eine Nacht muß es gewesen seyn, als Pa-linurus, allzu sorglos gemacht durch den tiefen Frieden der Elemente, am Steuerruder schlummernd überstürzte und dem erwachenden Aeneas Schmerz und Trauer zurückließ. Der Mond, der von seinem Aufgang klar heraufgezogen war am Himmel, neigte sich nach und nach dem Westen zu; der Silbcrschimmcr, den er über das feuchte Element verbreitete, wandelte beim Niedergang sich immer mehr in Goldglanz, bis er nach drei Uhr völlig entschwindend dem Hervortreten der Millionen Lichter der Milchstraße und ihrer funkelnden Umgebung Naum gab. Ueber unserem Haupte schimmerten die Plejaden, nach Osten zu bewegte sich der abrollende Wagen, ihm südlich zur Rechten Kassio-peia, über ihm der unwandelbare Polarstern. Gegen 4 Uhr übermannte mich denn doch der Schlaf, und als ich mit der Morgendämmerung erwachte, bemerkte ich an den mich umgeben-den Gegenständen, daß wir eine ansehnliche Strecke vorwärts gekommen. Schon waren wir dem östlich gelegenen Inselberge Oscro in gerader Richtung gegenüber und, wenn gleich viel weiter westlich ab von, Lande als bei einem unserem nächsten Vorhaben günstigeren Winde, doch höchstens nur noch sieben Miglien von dem Hafen Lnssin piccolo's entfernt. Indem ich mich darüber frcuc und nun dennoch hoffe zur rechten Stunde das gewünschte Ziel zn erreichen, macht der Schiffspatron mich aufmerksam, daß von der istrischen Küste her eine Rauchwolle heranziehe, die keine Wolke und kein Nebel scheine. Noch einige Minuten, und es zeigte sich deutlich, daß es das erwartete Dampfboot sey, das aber hart an den Inseln sich haltend in geradester Richtung auf Lussin zusteuerte, währcud uns der Wind nur westlich seitwärts zu lavircn gestattete. Nunmehr war das Spiel verloren, und es half kein Hoffen und kein Harren mehr. Der mit so gespannten Erwartungen entworfene, mit so vieler Vorliebe genährte Dalmatincrzug war vorläufig zerstört und 72 mußtc einem anderen Plane weichen; ich durfte nun dem Wunsche, die Umgebungen Lussins näher kennen zu lernen, mehr Naum vergönnen als mir lieb war. Zunächst aber, bis ein westlicherer Wind die Fahrt zum Hafen Lussin piecolo'o gestattete, stiegen wir in Sanscgo ans Land und fanden auf den Sandterrassen dieses Felsencilands die herrlichsten Trauben, die der Pfleger, ein Gevatter des Cassiers, höchlich erfreut über den unerwarte-ten Besuch, uns zur Erquickung darbot. — lustig umtanztcn uns in kecken Bogensprüngen auftauchende Delphine, als wir endlich gegen Mittag guten Wind gewannen zur Fahrt nach dem uus östlich gegenüberliegenden Lussin pie-eolo. Nnmutbig zeigt sich das Handels- und Fischcrstädtchcn nut seinen röthlich weißen Steinhäusern in einem weiten halb-monbartigen Bogen längs den grünen Hügeln, wenn man einfährt in den tiefen sicheren Hafen, der bald nach der Einfahrt ganz geschlossen erscheint wie ein langer ziemlich breiter See. ^<>6880 8iumu cnti-üti ncl!» VNÜL ^Vu^u8w, sagte mein Gefährte, und erzählte mir den im Volke herrschenden Glauben, daß der römische Imperator bei seinem Besuche Istricns sich vor den Stürmen des Quarner hicher gerettet und mit der Flotte hier den Winter zugebracht. Das alte venezianische Kastell und die verfallenen Thürme auf den Höhen werden nicht mehr benützt; neben ihnen sieht man zerstreute Windmühlen jüngeren Ursprungs, aber auch schon seit Jahren nicht mehr im Gebrauche uud ebenso wie jene, nur rascheren Schritts verfallend. Um so freundlicher blickt in der Nähe solch grauer Trümmer das frische Grün der sorglich bebauten Gärten hervor, zwischen den Häusern eingestreut mir eine gar freundliche Erinnerung an die liebe Heimath. In die Heimath versetzte mich auch mit herzlicher Erinnerung der freudige Empfang, der meinen Fahrtgefährtcn von Seiten ihrer am Ufer harrenden Familien zu Theil wurde, während ich ein von allen Seiten neugierig begaffter Fremdling unter dieß harmlose Völkchen der Phäalen trat. Vald erfuhr ich, baß im Dampfschiffsbureau Briefe an mich lägen, das Dampfboot auf mich gewartet und deßwegen um mehr als eine Stunde die für Lussin ihm anberaumte Zeit ausgedehnt hatte. 73 Die Briefe waren von unserm sorglichen Freunde, dem stürmischen Elegant in Trieft, der für den Nothfall mich bei allen ^loydcomptoirs dringlich empfohlen und mit Adressen an ihm Befreundete für alle Küstcnstädtc Dalmatiens versehen hatte. Eine Probe von dem Erfolg seines Eifers ward mir gleich hier in der zuvorkommenden Aufnahme, die wie so manches späterhin Erfahrene keincsweges übereinstimmt mit der alten vielfältig verbreiteten Annahme, als seyen die Bewohner von Lussin piccolo, nur dem Handelsgewinn zugewendet, unfreundlich und dem in anderer Beziehung nahenden Fremden abhold. Mit Dank jedes andere gastliche Anerbieten ablehnend zog ich vor, für die Zeit meines Auftnthalts mich bei dem I^nto lii 8anitÄ einzuquartieren, einem Dcutschungar, der froh der vaterländischen ballte sich nach Anschauung des Passes in patriotischer Freude mir angeschlossen hatte. Die Schicksale meines Wirthes, der die Befreiungskriege mitaMmpft und später bei dem italienischen Fcldzuge als Feldwebel bereits die Anwartschaft auf das Officicravanccmcnt hatte, als er, von leidenschaftlicher Liebe für cine Südländerin entbrannt, das Schwert des Kriegsgottcs mit den Noscnkctten der pavhischcn Göttin vertauschte, tonnten reichlichen Stoff zu einem Roman hergeben, der leicht sich mit so manchem seiner Brüder in den Leihbibliotheken ein paar Messen hindurch auf der Fluth erhalten würde. Besonders interessante Verwickelungen dürfte der Wechsel von Genuß und Entbehren, Fürchten und Hoffen, Gelingen und Mißlingen liefern, welcher der Zeit vor seiner Anstellung als I'miw cli ^»ml» in Lussin piccolo vorherging, als welcher er selbst meint nun wohl bis an sein Ende zu verharren. Ja, ja, wir haben was zusammen durchgemacht, Alte, sagte er nach Aufzählung so mancher Abenteuer zu seiner Frau, dereu immer noch feurig glühendes Auge gar nicht befremdlich erscheinen ließ, daß es vor zwanzig Jahren solch gefährlichen Brand in den Zelten des Kricgsgottcs angestiftet. Die Blüthe ihrer damaligen, noch immer in dcutlicheu Spuren vorhandenen Schönheit hatte sie auf ihr ältestes kaum sicbzehn-iälirigcs Töchterlein übertragen. Als die schlanke Maria, die cden in der Kirche ihr Gebet verrichtet hatte, hcrcintrat, sittig grüßend, und den schwarzen Schleier mit aumuthiger Bewegung 74 rücklings über dcn braunen Scheitel warf, und das Gebetbuch auf das Spiegcltischchen legte, würde kein Düsseldorfer Maler angestanden haben, sie als ein würdiges Gegenstück zu Louis Vlancs Kirchgängen« und so manchen anderen einstmals in raschem Kreisläufe berühmt gewordenen Bildern jener form-und farbsinnigcn Schule anzuerkennen. Das arme Kind war an einen Schiffscapitan verheurathet; aber schon einen Monat nach der Trauung mußten sich- die jungen Gatten Lebewohl sagen und er auf unbestimmte Zeit sich nach Amerika einschiffen. Zehn Monate schon war er abwesend seitdem, und die arme Verlassene ohne Nachricht. Solch plötzliche Trennungen nach eben geschlossener Verbindung sind an Schiffcrortcn nichts Seltenes; ja, mau erzählt Beispiele, daß junge Seeleute, denen eben ein günstig ungünstiger Auftrag geworden, von dem Traualtäre fort auf's Meer gemußt, ohne ihre Anvermählte in Jahren wiederzusehen. — Das Leben ist so kurz für dcn Glücklichen, und der Tod so unerbittlich. Muß er auch sich Vundsgenosscn suchen, daß die schönsten Augenblick! nicht zur Blüthe kommen? — Wenige Miglien von Lussin piccolo entfernt, am entgegengesetzten, den übrigen istrisch-dalmatinischen Inseln und der kroatischen Küste zugewendeten Ufer der hier am schmalstcn sich verengenden Insel liegt Lussin grande. Der Weg von Lus> sin piccolo nach Lussin grandc führt, vornehmlich an der östlichen Neigung der zu übersteigenden Höhe, einer solche Menge Mpr-then- und Lorbccrgebüschs vorüber, wic man schwerlich unter gleichem Breitengrade sie reichlicher findet. Beide werden viel' fältig zur Heizung verwendet. Oel- und Weinbau wird stark getrieben und gedeiht, nur daß der Oelbaum von der Macht der Bora häufig gegen Südwest gebogen erscheint. Zitronen und Orangen werden zwar nur hinter Gartenmauern, aber auf diese Weise mit glücklichem Erfolg gepflegt; auch blüht die Aloe im Freien, der Kaktus streckt seine fantastischen Nicscnfühlhörner hoch empor, und es finden sich, obgleich nur einsame Flüchtlinge auf diesen Felsen, deren Frucht niemals zur Neifc kommt, auch Palmen; vollwüchsig aber erhebt sich und bringt reichlichen Ertrag der Iohamnsbrodbamn mit seinen festen, unsern edleren 75 Birnsorten ähnelnden Blättern und seiner beliebten langschotigett Frucht, im Süden unter dem Namen Carobe vielfach verspeist zu Zeitvertreib und Nahrung. Nnr freue man sich nicht, dieselbe frisch vom Baume zu verzehren; da ist sie zäh und herbe und entbehrt noch ganz und gar des angenehmen Zuckerstoffcs, den ein längeres Liegen erst vollständig zu entwickeln scheint nnd durch den die cyprischc Carobc an Wohlgeschmack mit den edelsten Früchten wetteifert. Auch Ricinus wird gebaut, und einige Gartenbesitzer haben angefangen den großblättrigen Maulbeerbaum mit Glück zu pflegen, ein Erfolg, auf deu sie besonders sich etwas zu Gute thun und von dessen weiterem Gedeihen sie die günstigsten Ergebnisse für die Zucht des Seidenwurmes hoffen. Rosmarin, wilder Spargel, Kapern wachsen überall in Menge. Der Feigenbaum, wahre Vanancnspielc treibend, bildet in seinem üppigen Gedeihen nicht selten einen natürlichen Laubcngang. Es herrsche bei ihnen das Klima und die Vegetation Aegpptens, rühmte mir ein Gartenbesitzer, als er mich in seine Laube von Carobc, Zitronen und Orangen führte; worauf freilich das Geständnist folgte, daß ihm leider seine schönen Palmbäume in dem letzten harten Winter zu Grunde gegangen. Immer aber bleibt die dortige Vegetation zwischen dem vierundvicrzigsten und fünfundvierzigsten Grade nördlicher Breite (der besagte Garten 44 Grad 33 Minuten) bemcrkenswerth und nur trat, an einem schönen Morgen zwischen den Fclsengärten Lussin grande's wandelnd, unwillkürlich Mignons Gesang in die Erinnerung. Von Bäumen mächtigeren Wuchses zeigt sich auch hier am häufigsten die Steineiche (lnl^rc^ il«x), mit ihrem kräftigen Trotze zwischen all dcn Kindern des Südens einen angenehmen Wechsel bildend. Aus diesem mannichfachen Grün nun ragt das steinumgebeue, vom dem Meere aus auf steilen Höhen aufsteigende Lussin graude malerisch hervor. Wie der bebaute Boden rings erst dem Gestein abgewonnen, so ist das Fundament der Hauptkirche aus lebeudigem Fels gehauen. Unweit davon auf schroffem Fel-seuvorsprung steht die Kapelle Maria Verkündigung mit der Aussicht auf die weite insclrciche Dalmatiner Bucht und die weißgraucn kroatischen Gebirge, deren höchster Puukt der Wclle-bitsch (die hohe Spitze), über dcn die Landstraße von Agram 76 und Karlstadt nach Zara fuhrt. Die Kapelle ist zu jeder Tagest zeit angefüllt mit Andächtigen, deren Gesang sich mit dem Wellenschläge der Brandung mischend unwillkürlich znr Andacht stimmt. Von diesem Mcercsfclsen ans gewahrt man auch den alten festen Thurm, vor grauer Zeit erbaut znr Vertheidigung gegen die Seeräuber. Die Einwohner erzählen Wunder der Tapferkeit ans den Kämpfen gegen jene räuberischen „Hnnnen" — so nennen sie häufig, Zeiten und Stämme verwechselnd, die nzkokischen Piraten, der damals eben aufblühenden Handelsstadt besonders gefährlich und verhaßt. Lussin grandc hat viel stattlichere Hänser als Russin piccolo; es sind deren darunter, die als kleine Paläste gelten könnten, auch nach Art der venezianischen diesen Namen tragen und in ähnlichem Baustpl aufgeführt sind. Aber es ergeht den meisten auch ebenso wie manchem unter jenen; der alte Glanz und Reichthum ist daraus gewichen, und der einst berühmte Flor des Handels von Lussin grande ist übergegangen an die jüngst erst erblühte Nebenbuhlerin am entgegengesetzten Gestade. Russin piccolo vcrhält sich heut im Kleinen zu seiner namensverwandten Vorgängerin, wie Tricst zu Venedig. Diese Miniaturanalogic läßt sich noch weiter verfolgen. Während die junge Handelsstadt, von Trieft begünstigt, nur ihren Geschäftsinteressen lebt, bietet Lussin grandc dem freilich seltenen nichtgeschäftlichen Ve^ sucher auch Schätze freier Knnstschövfnng. So findet in der Kathedrale sich ein Vivarini — Maria mit dem Kinde in einer Heiligengrnppc — eine Madonna unter dem Namen der tizia-nischen und dieses Namens uicht unwürdig, uud ein San Francesco von der Hand Bernardo Strozzi's. Auch im Casino fand ich die zur Unterhaltung Versammelten umgeben von Gemälden verschiedenen Werthes, meist Landschaften und Genrebilder, nnd man war erfreut über die ihnen zu Theil werdende Beachtung. Diese Gemälde stammen meist von dem hier ansässigen Hause Craglictto, dessen jüngst in Venedig verstorbenes Obcrhanpt auch zwischen den Laguuen als Kunstliebhaber und Gcmäldesammler cm Name von gutem Klänge ist. Obgleich überflügelt von der jüngeren Nebenbuhlerin, zählt Lussin grandc, zn Zeiten seines Flors Lossininm genannt, immer noch in der Neihc der Handelsorte, und die Gesammtzahl großer Kanffahrteischiffe der beiden 77 Schwcfterstädte beläuft sich gegenwärtig auf hundertundvierzig, wovon auf Lussin piccolo zwei Drittbeile kommen. Ihr Verkehr mit allen Weltgegenden bekundet sich auch in den Gesprächen der in den Kaffeehäusern Versammelten, freilich meist beschränkt auf die Küsten, denn in das Innere ist von Hunderten dieser Seefahrer kaum Einer gedrungen. Die Schiffer der beiden Lus-sin nennen sich selbst die Engländer des adriatischen Meeres, und die unternehmenderen darunter bedauern nichts so sehr, als daß Oesterreich, das alle Mittel dazu besitze, sich nicht entschließe eine bedeutende, gewichtig in die Wagschalc der Weltbcgedcn-heiten fallende Seemacht aufzustellen; sie wollten, meinen sie, wenn es gelte, kciucm Seevolke der Welt nachstehn! — Unter den Bewohnern von Lussin herrscht ein Gemisch von Italiener- und Slaventhum. Mit dem Italicnischen kommt man überall durch, aber unter ihnen selbst ist das Illyrische gebräuchlich, auch im Kirchcngesang. Des Volkes Sinnesart ist gutmüthig und milde; Raub kommt sehr selten vor; Todtschlag ist in Lussin grandc binnen fünfzig Jahren nur Einer vorgefallen — aus Eifersucht. Die Lebensart ist einfach, die Luft gesund; es finden sich sehr viele Alte; rüstige Neunziger sind keine Seltenheit. Auch sott, so wurde mir gesagt, unter den Frauen und Mädchen große Sittfamkeit walten, überhaupt weit mehr auf einfach alten Brauch gehalten werden als in Lussin piccolo. Da es gerade Sonntag war, wo Alles sich doch mehr aus den Häusern hervorbcwcgt, sey es zu andächtiger Sammlung, sey es zu zerstreuendem Ergehen, so hatte ich reichlich Gelegenheit den Ruf von dem schönen Blut dieser Insulanerinnen bestätigt zu finden. Besonders anziehend war anch die Verschiedenheit der Trachten. Bei den Männern herrscht der gewöhnliche Schifferkapot und die Jacke; dabei knrzc Hosen mit sauberen Strümpfen, stramm über die stattlichen Waden gezogen und am Knie mit blaukcr Schnalle befestigt. Modern befrackter Ausnahmen, dieser Allerweltsunnatur, kann, wo von Tracht die Rede, überhaupt keine Erwähnung geschehen. Bei den Frauen, deren Kleidung halb antik, halb orientalisch, findet sich eine durch vielfache Nuancen durchgehende Abstufung von der ganz eigenthümlichen Matronentracht bis herab zu den Schleiern (Zendalin) oder Tüchlein der gescheitelten Jungfrauen. Die streng am Her- 78 gebrachten halten, die älteren zumal, tragen eine blendend weiße weite Kopfbedeckung von feinem Musselin mit ammonshornarti-gen, zu beiden Seiten halbbogig umspannenden Windungen von demselben Stoss. Zu manchen Gesichtern steht dieser auf den ersten Anblick wunderlich erscheinende geflügelte Kopfputz ausnehmend gut, und man merkt es denen wohl an, die ausdrücklich fühlen daß cs sie kleidet. Ein altes, noch äußerst liebenswürdiges Mütterchen, dem ich mein Wohlgefallen bezeigte über diese Art des Schmuckes, schalt herzhaft über die neumodischen jungen Mägdlein, die solchen aufgeben und sich was zu gute thun mit einem übergestülpten Deckel, der die hübschesten ver-.unziere, während das Turbangewinde auch die weniger schönen zu Etwas mache. Sicht nicht, fragte sie freundlich lächelnd, das Alter jünger aus in diesem? Machen jene nicht die Jugend alt vor der Zeit? — Und sie hatte nicht unrecht und lieferte, mit jugendkräftigem Auge unter ihrem schmucken Kopfputz leuchtend, selbst den schlagendsten Beweis zu dem Gesagten. — Bei der Rückkehr in mein Absteigequartier wurde mir der Besuch mehrerer Notabcln von Lusfm grandc gemeldet. Sofort erschienen dcr Herr Schulmeister, der Nichter, beides Eingeborene, der Arzt, ein Deutscher, und noch einige andere, die sich ihnen angeschlossen. Sie hatten gehört von dem Fremdling, der an ihre Küste verschlagen worden und hatten, zum Theil selbst Verschlagene aus dem Zusammenhang geselliger Cultur, halb aus Neugier, halb aus gastlichem Dränge sich zu ihm begeben. Der Einladung zu einem einfachen Mahle folgten ein paar recht heitere Stunden, und es wurde, da Niemand an Zcitberechnung dachte, so spät, daß an ein Nürkbcgeben nach Russin piccolo für diesen Tag nicht mehr zu denken war. Einquartiert wurde ich beim Arzte, dem unter Allen bei weitem vom lebendigsten geistigen Interesse Durchdrungenen. Seine Wohnung liegt gerade im Mittelpunkt des Ortes. Sein eifriges Hinneigen zur Naturkunde füllt ihm auf augenehme Weise die Stunden aus, die von Berufsbcschäftigungcn ihm übrig bleiben. In seiner kleinen Bibliothek fand ich auch Hciurich Zschokkc's Schriften. Dieser Mann, sagte mein junger Wirth, sey unter allen, die da geschrieben, seinem Herzen unbedingt der nächste; es vergebe kein Abend, wo er nicht vor Schlafengehen etwas von ihm lese, und 79 es ftp ihm das zugleich Erbauung und Erquickung, die Wün-schenswerthcste Gesellschaft in seiner Einsamkeit. Möcht' ich doch dem trefflichen Manne jemals danken können, fügte er hinzu, für all die Wohlthaten, die er einem auf entlegner Insel weilenden Landsmann täglich in so reichem Maaße spendet! — Dem edel-herzigen, dem liebenswerthen Heinrich Zschokkc, dem biederen reichlich spendenden Wohlthäter! rief er begeistert ans, indem er von neuem einschenkte und mir das Glas entgegenhielt; und von ganzem Herzen stimmte ich ein. — Am andern Morgen in aller Frühe begleitete mein Wirth mich über die Höhe des zwischen den beiden Lussin gelegenen Nonto (^Ivgria cU Nun Giovanni. Dieser Vcrg ist nnr sieben bis achthundert Fuß hoch, gewährt aber durch seine freie Lage eine weite unbeschrankte Aussicht über Inseln, Meer und Festland. Man spricht von den bei heitrer Luft zn erschauenden Thürmen Ancona's nnd Venedigs. Der Morgen war ausnehmend klar; man glanbtc die weißen Inselfclsen Arbe's und Pago's, ja sogar die kroatische Kette mit dem scharf umrisscnen Wcllcbitsch, mit den Augen greifen zn können, als die Sonne in goldiger Glut darüber auftauchte; ich gewahrte Masten in Menge, Spitzen in östlicher Nähe und westlicher Ferne; ob darunter die Glockenthürme Venedigs und Ancona's, wage ich nicht zn bchauvten. Der Weg den Berg hinan ist schroff und steil, voll scharfkantigen Gesteins, darunter, wie auf der ganzen Insel, viele versteinerte Thierknochcn; und doch betreten diese rauhen Pfade vielfältig die zartesten Füße, die Frauen weit hinausgezogener Schiffer, der Ankunft ihrer Männer sehnsuchtsvoll entgegensehend — ein wahrer Scufzerbcrg. Und Nonl« llei 808pisi nennen ihn nnd seinen nördlichen Nachbar wirklich die von ihren Fahrten heimkehrenden Schiffer, wenn sie schon von weitem verlangenden Blicks die Gipfel der geliebten Hcimatl) aufsuchen. Aber das Element achtet nicht der Menschen Sehnsüchten und Seufzer. Unbarmherzig in seiner einmal erregten Wuth verschlingt es die ersehenen Opfer, und Hoffnungen und Wünsche des Herzens finden zugleich mit den Erdcugütern ihr Grab. Manchem dieser Höhe geweihcten Seufzer mag die Thräne der Freude zum süßen Lohne nachgefolgt seyen, manchem endloser, nur mit dem letzten Seufzer ersterbender Jammer. - 8N Der Gipfel des istrisch-dalmatinischcn Iohannisbcrgcs Monte 8»n (liovilnni), auf dem wir eben jetzt angelangt sind, kann sich zwar nicht der Fußstapfen eines kirchlich anerkannten Heiligen rühmen, ist aber noch vor kurzem dnrch die Gegenwart eines frommen Mannes von heiligem Nnfc das Ziel vielfacher Wallfahrt gewesen. Hier lebte der erst vor einem Iahr;chent gestorbene Eremit Lang, cin Deutschungar, der bei seiner Rückkehr aus dem gelobteil Lande auf der Höhe dieses Verges sich so wohl gesicl daß er, statt in sein Vaterland heimzukehren, sich droben niederließ, wo er nach sicbenundzwanzigjährigem Einsiedlerleben als ein weithin verehrter Andächtiger seine Tage beschloß. In der Nähe seiner Wohnung und Schlafstätte stebt eine Kapelle. Wir traten in die allzeit offene Thür. Bilder und Schnitzwcrke aus Christi Leiden bedecken die Wände, die den Leichnam des frommen Mannes einschließen; er wurde eines Tages an derselben Stelle todt gefunden, wo er sein Gebet verrichtet und wo jetzt noch täglich Besucher an seinem Grabe beten, des Erfolges durch die Fürbitte des gottgefälligen Verstorbenen gewiß. Zu dieser Stelle, hochwillkommen den Umwohnenden und jedesmal nach Kräften beschenkt von allen Seiten, kommt von Zeit zu Zeit der berühmte Fastenpredigcr Von, Kanonikus an der Kathedrale des nordöstlich gegenüberliegenden Inselstädtchens Arbc, pflanzt das Kreuz auf vor der Kapelle des Kalvarien-berges und hält dann, umdrängt von zahllosen aufmerksamen Zuhörern, seine donnernde geharnischte Rede voll übersprudelnden Feuers. Mit dem Kreuze, woran das Bild des Erlösers in Lebensgröße hangt, hat es eine eigene Bowandtiuß. Bon erzählt, und wiederholt es zu Anfang jeder Predigt, wie ihn auf dem Meere, da er eben zu einem frommen Werke hinausgeschifft, plötzlich ein Sturm erfaßt, daß die Wellen zusammenschlugen über dem Schiff; da habe er in äußerster Noth und Vedrängniß das Crucifir ins Meer geworfen, und alsbald habe sich der Sturm gelegt, aber das Kreuz sey verloren gewesen und nicht wieder aufzufinden, alles Spähcns ungeachtet. Einige Zeit darauf schwimmt es unversehrt an Arbe heran, cin sichtbar Wunder Gottes. — Der Quarner, nicht bloß in seinem beschränkteren Bette, dem SI eigentlich um seiner Stürme und Gefahren willen berüchtigten zwischen der Südspitze Istriens und der Insel Oscro angenommen , sondern in der weitesten Ausdehnung von Fiume bis Zara, soll hier bei dcs Eremiten Ruhestätte gerade seinen Mittelpunkt haben. Es herrsche an den Steinwändcn dieser Insel zu Zeiten eine erstickende Hitze, klagen die Bewohner, ohne Regen, ohne Thau, trocken bis zum Breunen. Nur der eintretende Sciroceo bringe alsdann Feuchtigkeit; daher ersehnt wie der Frühling. Daß es zwei Monat nicht einen Tropfen regne, sey uichts Seltenes; so in diesem Jahre; manchmal aber auch fünf Monate nicht; so im vergangenen vom ersten Mai bis zum ersten October. Bei dcr größten Hitze lassen sich immer einige Erdstöße verspüren, was dann als günstiges Vorzeichen baldiger Wetterveränderung angenommen wird. Man fürchtet dergleichen nicht im geringsten, denn selten verursachen sie Schaden. Die Vögel sah man auch bei anhaltendster Trockenheit niemals die Insel verlassen. Die Bienen, die sehr häufig in den Felsschluchten sich anbauen, trinken zu solchen Zeiten selbst das sonst verschmähte Meerwafscr; auf ein Glas süßen Wassers, das man draußen hinstellt, sieht man sie schaarcnweise losstürzen. Eine große Plage bilden in den heißen Monaten die Mücken. Fliegen zeigen sich alsdann nicht; erst Ende Augusts fangen diese an, sind im September am häufigsten, wovon ich in meiner Wohnung sattsamcn Beweis erhalten, und beginnen Ende Octobers ihren Winterschlaf. Ein entsetzlicher Reichthum ist an Skorpionen; aber sie sind nicht giftig und nie über anderthalb Zoll lang; auch unter den Vipern keine giftige; die graue Ningelschlangc l^owdoi- mUiix), zwei bis drei Schuh lang, schlüpfte mehrmals beim Aufsteigen auf San Giovanni in zierlichen Windungen harmlos über unsern Pfad; mit ihr spielen die Kinder. Unter dem Wild ist, außer dem Geflügel, Ueberfluß an Hasen; obgleich aber die Jagd einem Jeden freisteht, zeigen doch Wenige nur dcr auf dem Meere keine Müh und Noth scheuenden Insulaner besondere Lust zu dem mühsamen Aufsuchen dcr Beute auf den holprigen Felswcgcn. So verschmähen die Bewohner Russin grande's auch einen Leckerbissen, der andrer Orten um hohen Preis weither geschasst wird, wah- Neistn m>o Lmidcrbeschreibungcn, XXlX. 0 (Istrien und Dalmatien.) 8« rend er jenen kosten- und mühelos sich darbietet. Hänsig nämlich finden sich in den Gärten der Stadt Schildkröten, über deren Ursprung die Bewohner keine Auskunft geben können. Wahrscheinlich waren früher einige von Südfahrten mitgebracht, die sich dann unter die Erde verkrochen und nach bedeutender Vervielfältigung wieder zum Vorschein gekommen. Die Einwohner ekeln sich davor und stimmen keinesweges übcrein mit dem Gelüste feiner Gutschmecker, für die eine wohlbereitete Schildkrötensuppe ein wahrer Hochgenuß; und der Widerwille dagegen hat sich auch auf Nichtcingeborene erstreckt. Als ich meiner aufmerksamen Wirthin in Lussin piccolo, die doch geborene Italienerin, eine dergleichen Schüssel vorschlug, wurde ich fast angesehen wie ein Kannibale. Nur noch einen Augeublick vor die Capelle des Einsiedlers, der ebenso friedlich hinübcrgcschlummcrt als er friedlich hier gewandelt und gebetet. Sehen Sie, sturmfestcr Seefahrer, weithin das kochende Meer aufbrausen von dem Hauche des bleigeflügelten Scirocco, der sich mit der aufgehenden Sonne erhoben; sehen Sie die schäumenden Seepfcrde anspringen an die Steinufer dcr umliegenden Fclseilande des Quarner. Dort drüben wenige Miglicn von Lussin grandc ist eines der kleinsten, das bei seinem Ursprung das Geschenk einer Quelle süßen Wassers erhalten, tiefgehend, mitten in der Salzfluth. Dort stand vor Zeiten ein griechisches Kloster und eine Kirche; auf der noch kleineren, nah angränzcndcn erhob sich ein Palast, ein sommerliches Erquickungshaus; jetzt liegen nur zerstreute Steine noch umher, und nur ganz kleine Fahrzeuge köunen landen an den seicht gewordenen Küsten. Schcn Sic Sanftgo im Westen, wo die Trauben uns erquickt, und drüber hinaus die Scgel gegen die Küsten des reizeuden Hesperiens hin. Ueberblickcn Sie noch einmal mit mir den langen Streif dcr Insel, auf der wir stehen, mit ihren grauen Höhen und grünen Pflanzungen; gen Osten die kroatischen Gebirge, unter uus zwischen seinen Orangen- und Citronengärten Alssin grande, endlich von Nordost herübcrleuchtend die blendendweißen Häuser des Inselstädtchens Arbc, einsam und wenig besucht und allen Träumen ideeller Bevölkerung Naum gebend. Und nun ein Lebewohl dem sinnigen Begleiter, den Verufsgejchäftc nach Hause treiben, und der 83 Müh und Arbeit genug haben wird den langen Tag über, bis ihm der Abend eine Mnßestunde gönnt, sich wieder einmal an seinem Zschokke zu erbauen. Lebewohl, und möge dein redlich Wirken dir und Anderen Segen bringen und dn recht bald dich einer liebenden Gefährtin erfreuen M Verschönerung dnner Lebenstage! — c * 84 Q s e r o. Es sind die von Nord nach Süden gegen sechzig Miglien langen, im Mittelpunkt durch eine schmale Landenge verbundenen Inselstreifen Oscro und Cherso nebst den umliegenden kleineren Felseilanden keine anderen als die Vrigeiden oder Dianeninseln, von denen Apollonius Nhodius in seiner Argonautica weitläufig handelt, die alle Autoren des Alterthums, Poeten und Prosaiker, welche die Argonautcnfahrt berühren, auch spätere Geographen als solche bestätigen, und die von der Zeit der Argofahrer an den Namen der Apsyrtides erhalten. Denn hier war es, und auf der südlichen Hälfte, der Insel Oscro, insbesondere, wo der Tempel der keuschen Göttin stand, bei deren Verehrern der die Raubritter vom goldncn Vließe verfolgende Apsyrtus nebst seinen Kolchcrn gastliche Aufnahme gefunden, hier, wo dcr Großcomthur Iason auf Anrathcn der Zauberin Medea den Bruder und Schwager geschlachtet und zerstückelt, damit der mit einer größeren Flotte nachsetzende königliche Vater durch den Schmerz und das Einsammeln der theuren Ucberreste aufgehalten den erlauchten Räubern Zeit zu weiterer Flucht gewähre. Ucberlassen wir den Männern vom Fache die immer wieder von neuem sich anspinnenden Entwirrungsversuche dieses verwickelten Knäuels einer der interessantesten Mythen, sammt den Für- und Gegenbeweisen der Denkbarkeit dieses Weges und Aufenthalts der Kolcher und der Argofahrer; genug, es finden bei den Alten sich ihres Ortes überall die darauf bezüglichen Stellen und ich könnte, wollt' ich meinen Brief mit gelehrten Citaten anfüllen, Ihnen gleich jetzt eine hübsche Zusammenstellung davon geben zur Benutzung für eine etwaige Doctor-dissertation, wobei ich nicht einmal weit zu gehen und mich viel zu bemühen brauchte; denn mcin Wirth, dermaliger Prätor von 85 Osero, Signore Malabottici, ein gescheidter und weit über das Bereich und die Geschichte seiner Insel hinaus kundiger Mann, würde mir den gcsammten kritischen Apparat als bereit liegendes Baumaterial zu solch löblichem Zwecke lul majoi-om patriae ß!onam gern aus seinen Collcctancen verabreichen. Mit ihm habe ich in diesen Tagen hübsche Ausflüge gemacht in und um den Ort seiner Pratur, wo noch viele Erinnerungen aus der Römcrzeit sich finden und au welche aus den nachfolgenden Jahrhunderten gar manches Denkwürdige sich anknüpft. Bieten auch die beiden Russin durch ihren Handel, ihre Bewohner, ihre unmittelbare Verbindung mit fernen Welttheilcn, ihr Seclcben und ibre eigenthümliche Vegetation mehr gegenwärtiges Interesse dar als das immer mehr verfallende Osero, welches schon mein Topograph von 1787 bezeichnet als einen „C^wvoro lli oittk. tm-i". so hoffe ich doch, daß Sie nicht ungern mir folgen werden durch die zerstreuten Neste venezianischen Waltcns, römischer Herrschaft, und heiliger Sagen dieses noch aus mythischem Dämmergrunde herüber mit ultraclassischcm Blute gedüngten Bodens. Dsero — vor Alters Absyrtium, Apsoros, Aurerum, auch Amcros — die einzige Stadt der Insel, wo noch Denkmale hohen Alterthums, erschaut in Form eines Dreiecks auf der Landenge, welche die gleichnamige Insel mit ihrer Zwillingsschwester Cherso verbindet. An ihrem schmalsten Ende durchstochen, gestattet diese Landenge vermittelst einer durch Thorflügel schleuscnartig zum Sperren und zum Ocffnen eingerichteten Zugbrücke den Fahrzeugen des von beiden Seiten herandrängenden Meeres den Durchgang. Der gelehrte Abbate Fortis, der auf seiner Dalmatinerreise um 1770 diese Gegenden besuchte, nimmt die beiden nur durch diesen schmalen Canal getrennten Schwesterinseln geradezu als eine einzige an. Augenscheinlich ist, daß sich die Stadt vor Alters um Vieles weiterhin nach Osten auf dem Boden von Cherso ausgebreitet. Darauf deutet schon die mehr und mehr verfallende Kathedrale 8.-mta Maria <^li ^n-ßeli auf dem östlichen Hügel nahe dem Hafen, mit ihren Särgen und dem rings umgebenden Friedhofe gewiß einst Mittelpunkt der Stadt. In ihr steht noch ein steinerner Bischofsstuhl, 86 reichverziert mit arabeskenartigen Thieren und Gewinden, wie sic vornehmlich in Venedig so geschmackvoll einheimisch geworden. Alich wird nach alten Tcstamcntsbestimmungen hier bisweilen noch Messe gelesen. Ueber dem Thor einer anderen noch weit mehr verfallenen Kirche gegen Nordost liest man die scharf ausgeprägte Inschrift: »Uan« Ü. 1'otro »licliotam ««^I^iam ve-llizlaw j>«mtu5 coüaz^am /Vu^ustinu» si^lidonicuz I^^isc,. ^oltvoli-815 ^l)l>!>5 <^ommen(IlNuri!.i3 <» 8<)Io segtiluit ^uno ll. lull!-, ni^tu, 1625." Jetzt bietet sie nnr noch die nackten Mauern dar, von Steinhaufen umgeben, zwischen denen, so wie zwischen den Mauern des angrenzenden Klosters <>l:Il' ^VKdaw cli 8. I'i^ti-o mit seiner grasübcrwachsenen verfallenen Cistcrne Schaft und Ziegen weiden. In dem Einen noch bestehenden Franziskancrklostcr hart am Hafen gegen Nord haust gegenwärtig noch Ein Fratc. Die Einkünfte der aufgehobenen Kirche San Pictro sind dem Scmi-narium m Zara, die der Santa Maria degli Angcli dem zu Görz zugewendet, mit ausdrücklichem Vorbehalt von Stipendien für Studirendc aus Oscro. Auch an der Ausdehnung der Mauertrümmer sieht man, wieviel bedeutender dieser Ort einstmals gewesen. Dazn vielfache Spuren alter Grundvesten rings-her, und in der Stadt selber überall völlig divcrgirendc Richtung alter Haus- und Mauerfundamcntc von den späteren. Aber auch in ihrem dcrmaligcn Umfang bietet Oscro eine nicht geringe Anzahl von Häusern und Kirchen, die eigentlich uur trüm-mcrhaft erhaltene hohle Mauern sind, welche, statt der einstmaligen Zimmer und Bewohner, Gartenbeete, und in ihrem vor Sturm geschützten Gehege üppig aufstrebende Fruchtbäumc umschließen, während die nicht umhegten auf den Bergen und sonst draußen umher von dem hier zur Winterszeit gewaltigen Nordost, der Bora, meist nach Südwcst gebogen erscheinen. Niedere Hausdächlcin über zertrümmerten Treppenaufgängen gestützt mit kurzen Säulen — mannigfache Wappen in und anßcrhalb der Stadtmauer, meist Familienwappcn, Restaurationen von venezianischen Prätoren, Avogadoren u. a. m., — hier und da in verlassenen Höfen gestürzte Capitale. Auch Sanct Markus geflügelter Begleiter findet sich von seinem Throne gestürzt und zerbrochen mancher Orten. Sanft hcrabgchoben, unbeschädigt, aber verlassen, sieht man ihn vor dem östlichen Stadt- b7 thorc. Ebenso steht er unverletzt vor dem westlichen Thore, wo auch die Trümmer des Palastes und Kastells der einstmals vielgeltenden Familie Drasa, an deren Namen die Oscrcscn manche Erinnerung eigenmächtigen Schaltens knüpfen. Sinnend weilte ich inmitten der Stadt vor einem verödeten Palast mit stattlichem Familicnwaftpcn. Ueber der Hofthür, die, zerbrochen und von Neben überrankt, den Eingang bildet in dieß ländlich städtische Quartier, liest man mit großen Lettern scharf in Marmor gehauen: ..^mieoium commoilu" — und darunter: ,,Naxi-IN26 sunt cel^i85!inn^m; llivitl««, s^onlßntmn 688N —". Das Weitere ist verwittert. Hier waltete in blühenderen Zeiten wohl ein reichbegüterter edler Lebemann, dessen Genuß und Freude Anderer Zufriedenheit und Freude war — Friede seiner Asche! und möge sein Beispiel einst den neuen Flor der wiedcrauf-lcbcnden Stadt, welchem der klassische Prätor so zuversichtlich hoffend entgegensieht, segnend erfüllen mit regem Sinne der Nacheifernng I — Das Geschlecht, welchem dieser Palast angehörte , konnte mir Niemand nennen, während von den gewaltsamen Eingriffen der Drasa's jeder zu erzählen wußte. So gewiß ist, daß uns reizsüchtigcn Erdkobolden weit leichter die Erinnerung stiller Tugenden als das Andenken verwegenen Beginnens verloren geht. Der Hauptplatz des heutigen Oscro, dessen südliche Seite die ncnere Kathedrale bildet, enthält noch andere bcmcrkens-werthe Gebäude, unter denen der westlich gelegene bischöfliche Palast hervorragt, seit Jahren schon verwaist. Dieser Palast datirt aus den Zeiten des heiligen Gaudcnzws, der hier Bischof war in den Tagen Peters von Amiens, mit welchem er auch Briefe soll gewechselt haben. Damals stand vor allen in Macht und Ansehen die Familie der Drasa's, deren einer, von Liebe entbrannt zu seiner leiblichen Schwester, trotz Sitte und göttlichem Gesetze dieselbe ehelichen wollte. Der fromme Bischof weigert seine Einstimmung. Aber eines Sonntags, als er eben vom Hochaltar aus den allgemeinen Segen ertheilt, tritt das adelige Gcschwistervaar in die Kirche und mit den wechselseitigen Worten: „t)uo8to i; il mw mnnto — <)uo8t» ö la mia mozün" einander die Hände reichend erklären sie ihre Ehe für geschlossen. Gaudcnzius aber mit den Worten: „Ihr seyd in den Segen 88 nicht begriffen!" spricht Fluch und Bann über sie und begibt sich nach vollendetem Gottesdienst ruhig in seinen Palast. Wie er auf dem Balkon erscheint, wird auf ihn geschossen von Seiten der gegenüber — da, wo später das soncl.^o l!ui Venexinm — lauernd aufgestellten Drasa's. Aber der Schuß verfehlt ihn, hart an ihm vorübcrstrcifend und den steinernen Balkon zertrümmernd, worauf sich dann Gaudcnzins auf den Berg Ofcro zurückzieht. Ueber dem Balkon des bischöflichen Palastes zeigt man noch heut die Stelle, in welche die dem gottbcschütztcn Manne zugedachte Steinkugel gedrungen, und die in erhabnen Lettern geschriebenen Worte: >Ml>iI clookt timnnlidu» Doum." Dieselben Worte liest man unter dem bischöflichen Wappen links ueben jener Stelle; rechts davon ist ein römischer Grabstein eingemauert. — Würdevoll stellt sich die neue Kathedrale dar. Ibre römische Fayade ähnelt der Kirche San Zacharia zu Veuedig, so wie die beiden Statuen der heiligen Gaudenzius und Nikolaus rechts und links über der Eingangspforte mit ihren länglichen Formen an die Gestalten Vitton'a's erinnern. Im Chor der Kirche über dem Altar ein von Engeln getragener Marmorsarkophag mit der Inschrift: »^ol-pu» 8ancti knuslentii Nps H.uxur«8." — Darüber zu beiden Seiten: >,I<«!iqm»« 8nncwrum Ngrtsl-um" —. Ein auffallend schönes Altarbild: Die Himmelsjungfrau mit dem Kinde, gekrönt von Engeln; jene mit still beschaulichem Ausdruck; zu beiden Seiten geflügelte Engel als Thronhaltcr; zu Füßen ein lautcnspielendcr Engel, ganz Bellinisch, nur mit bewegtere,», ich möchte sagen etwas irdischerem Ausdruck, als Schlußsäulcu zur Rechten und zur Linken S. Gaudcnzius und S. Nikolaus, die in Oscro Unzertrennlichen, beide im Bischofsornat mit dem Krummstabc; jener tragt die Stadt, dieser Acvfcl auf einer goldenen Schüssel; jedem zur Seite ein Mann mit würdevollem Ausdruck; der zur Linken neben Gaudenzius, ist unverkennbar Tizians Porträt in kräftigem Mannesalter, ein Vierziger. Formen, Gewandung, Architektur und Farben, Alles meisterhaft behandelt und harmonisch zum Ganzen stimmend; der Ausdruck voll hohen Adels; die Farbe etwas nachgedunkelt, das Fleisch von besonderer Frische und Lebenswahrheit. Ich zweifle nicht, daß die Oseresen in 89 diesem trefflichen Altarbilde einen echten Tizian besitzen, wiewohl die von Cherso, die ihren Nachbarn überhaupt wenig gönnen, solches nicht zugeben wollen. Ucbrigcns war der Bischof von Osero, der es gegen die Mittc des sechzehnten Jahrhunderts (also gerade um die Zeit, wo Tizian in reifem Manncsalter stand) für die Kirche sott haben anfertigen lassen, ein geborner Veronese. Unter den Grabdenkmalen zeichnet sich ein kostbares Marmormonument aus mit dem Familicnwcippcu der Drasa's als ^olnli wm in nobis »piri-täü lgio) 3ec!ilic»t!ON>lolur. ^V.X. 1797". — Das ist das verhängnißvolle Jahr, in welchem das vicrzchnhundcrtjährige Gebäude der Republik zusammenbrach, nachdem es länger denn sieben Jahrhunderte über diese Inseln geherrscht. Seit diesem Jahre steht auch der mit bedeutenden Quadern aufgeführte Thurm neben der Kathedrale unvollendet. ^ Wie viele Ucberrcste auch diese Insel aufzeigt in ihren überall in Menge sich vorfindenden Muschel- und Knochenpetre-facten aus der chaotischen Zeit der Erd- und Mcerrevolutionen, keine sichtbare Spur findet sich irgendwie aus dem vorhistorischen Chaos der Sage. Apsprtus, seine Kolchcr, die Argonauten leben nur noch in der Tradition. Zwar meint der Topograph von 1787, es sey am Rande des Berges Osero den Spuren des von Apollonius Modius erwähnten Diancutcmpcls nachzusuchen, welcher den brigeischen Inseln den Namen gab, bevor noch die Opferung des kolchischeu Königsohus ihu umgewandelt; an einer anderen Stelle sagt er ausdrücklich, es müsse dieser Tempel gestanden haben unweit dem Ocrtchcn Ncrcsina; Apsyrtus sey hier an der Pforte des Tempels dem Schwerte des Iason gefallen, und vielleicht dürften die Gebeine des kolchischen Prinzen hier an irgend einem dunkeln Orte aufbewahrt seyn, von Iasous w Händen begraben. Mein alterthumbcfreundctcr Wirth aber versicherte mich, dergleichen Nachsuchung scy vergebens mit aller Sorgfalt schon vor Jahren von ihm angestellt: eher dürfe man hoffen, auf Oscro einen Balken von der Arche Noc oder eine Rippe von dem Wallfische des Jonas aufzufinden, als vom bri-geischen Dianentempel oder den Gebeinen des Apsyrtus eine Spur. Desto eifriger machte er mich aufmerksam auf ein anderes Denkmal, den Kirchthurm von Nerefina, der zwar nicht aus mythischer Zeit stammt, dessen Entstehung aber wie ein Mythus klingt. Ein Drasa, Nachkomme jenes philadclphisch blutdürstigen Schützen, mächtig und selbst Besitzer von Galeeren, habe sich im Dienste der Republik ausgezeichnet und ciue Seeschlacht gewonnen zu Gunsten Venedigs. Ein anderer Führer sey ihm vorgezogen und statt seiner belohnt worden. Da habe der Gekränkte sich in sein Kastell zurückgezogen und von dort aus Sccräuberhandwcrk treibend alle venezianischen Fahrzeuge genommen, welche den Onarner durchstcuert, besonders die Getreideschiffe. So wird er eine Zeitlang der Schreck dieser Gewässer, bis er endlich angegriffen in seinem Kastell sich zwar tapfer vertheidigt, zuletzt aber der Uebermacht weicht und entflicht. Fortan lebt cr langc Zcit verborgen. Nach seinem Tode begräbt ihn die kluge Gattin in Nercsina, baut über seinem Grabe dcn Kirchchurm, und zeigt dann erst sein Absterben in Venedig an, nun au geweihter Stätte seine Asche nicht mehr konnte beunruhigt werden. Merkwürdig bleibt, daß die ins Meer vorspringende Erdzunge bei Neresina, vou der man glaubt, daß hier Apsyrtus sey geschlachtet worden, heut noch bei dcn Insulanern den halb-lateinischen Namen der Vunt<» Kmiw (Schuldspitze) führt. Auch nennen sie den Fels an dem Kanal von Osero !« koccn ci'^-518XM und behaupten, cr sey vou dem kolchischcn Prinzen bebaut worden, dieser also der eigentliche Begründer ihrer Stadt. Was zwischen jener mythischen Zcit und der Besitznahme durch die Nömer vorgegangen, liegt nicht klar zu Tage. Lucius, der dalmatinische Geschichtschreiber, nimmt au, es sey um 359 nach Roms Erbauung die damals blühende Adria auch Herrin gewesen der Inseln des Quarner, weil ohne diesen Besitz die Herrschaft des Meeres, dem jene Stadt dcn Namen gegeben, 91 nicht denkbar. Unser Topograph dagegen findet wahrscheinlicher, es dürften Istrier, Abriefen und Liburncr wcchscl^weise diese Inseln besessen haben, bis endlich nach der Einnahme Mttullinms sie unter die Flügel der römischen Adler gekommen. Io viel ist gewiß, daß Osero in Steinen, Inschriften, Münzen, die sich überall bei etwas tieferem Graben in den Gärten finden, cinc Menge Spuren römischer Herrschaft aufzeigt. So sah ich zwei kleine Vronzestatucn, die eine Herkules mit der Keule unterm Arme, drohend, gewissermaßen Rechenschaft fordernd; die andre, eine weibliche Gestalt, mit der Rechten auf die Brust zeigend, vermuthlich das Gegenstück zu jenem — recht eigentliche Kabinets-stückchen, die einen Sammler lüstern machen könnten und keinem Museum zur Unehre gereichen dürften; sie wurden von Weinbauern aufgefuuden und um ein Geringes weggegeben, weun nicht gar dem geistlichen Besitzer derselben geschcnlswcise dargebracht, um die frommen Hände zu befreien von heidnischem Gräuel und den Fluch des Himmels abzuwenden von dem Bo. den, der sie barg. Mein Wirth, der unermüdliche Archäolog und Sammler, hat erst kürzlich wieder bei Umrodung eines Stückes Feld westlich der Stadt eine Anzahl Münzen aufgefun-den; einige darunter mit dem Kopfe des Augustus und der Umschrift ..^u^usws plUor"; ferner goldne Glöckchen, Graburnen, Thränenkrüglcin, und sonstige Gcräthschaftcn des Lebens und des Todes, und er hofft bei Fortsetzung der Bodenkultur und Ticfergehn noch reichere Ausbeute für sein Privatmuseum. In Anbau des Maulbccrbaums, für dessen Einführung und Pflege er schon manches Opfer gebracht, gesteht der klassische Prätor, werde er wohl nie mit den Bewohnern Lussin grandc's wetteifern können; namentlich sey für das Gcdcihn der l^I»! I'Mppini hier die Bora gar zu rauh und anhaltend und nicht der Schutz wie dort durch Mauern und näher anrückenden Bcrghintergrund. „Aber was können die Lussincscn entgegenstellen der klassischen Ernte auf meinen Grundstücken, sie, an deren Eristcnz noch nicht gedacht war, da schon Osero als Haupt der Insel blühend dastand?" Hierbei citirtc er die horazische Stelle: „Komani pucri longis rationibus assom Discunt in partes centum diduccre-------" und steigerte durch Hervorheben der entsprechenden Folgerungen 92 aufs lebendigste den Gegensatz zwischen Osero und Lussin. Uebri-gens hofft er in Hinsicht auf das materielle Aufblühn des Städtchens und seiner Umgebungen viel von der nächsten Zukunft. Es sey schon jetzt bei weitem besser als in der letzten Zeit der Ve-neziancrherrschaft, unter welcher Osero sträflich hintangesetzt und nichts gethan sey zur Besserung der Luft, die durch Stagniren naher Gewässer und das unverständig rücksichtslose Ausroden der Wälder immer verderblicher geworden. Der Handel habe in den letzteren Jahren sich merklich gehoben. Nur seyen der zur Arbeit nöthigen Hände gar zu wenig. Wenn eine Anzahl Kolonisten sich entschließen wollte hier Fuß zu fassen, da wäre der Sache bald abgeholfen, meinte er; die Sümpfe müßten ausgetrocknet oder mit Abzugskanälcn versehen werden; dann böten sie wieder, wie früher, tressliches Land zum Bebauen; zweckmäßig angelegte Naumpstanzungen würden schützeu vor dem verderblich einwirkenden Nordost und zugleich die Luft verbessern helfen; fünfhundert Familien wenigstens würden hier reichlich zu thun und zu leben habcn. Er erinnerte dabei der bereits von Macchiavelli aufgestellten Ansicht, daß ungesunde Gegenden ihre Schädlichkeit verlieren durch Ansiedeln einer angemessenen Menschenmenge und den Fleiß rühriger Hände. Wie groß der Mangel an Bevölkerung schon zur Zeit des Abbatc Fortis (um 1770) war, beweist die Aufzählung der heterogensten Beschäftigungen ein und derselben Person. So fand Fortis, daß der Apotheker zugleich den Advokaten des Städtchens, der Gemeindcarzt zugleich den Feldbauer machte, bei welcher Gelegenheit der geistliche Herr die etwas maliziöse Bemerkung hinzufügt: „Wir waren sehr erbaut, daß der Arzt durch Bebauung des verlassenen Bodens einigermaßen die Uebel wieder gut zu machen sucht, die sciue Medizin hervorruft, allein der Herr Apotheker, meinten wir, hätte sich begnügen können bei Ausübung Eines Geschäfts zu schaden." — Der Topograph von 1787 gibt eine Bevölkerung von 250 Bewohnern an; heute zählt man deren 170, eine Abnahme, welche die Hoffnungen des Prätors von der zunehmenden Blüthe freilich etwas sanguinisch erscheinen läßt. — Die letzte Erwähnung der Insel in Zusammenhang mit dem Römerreiche findet sich bei Paulus Diaconus, welcher den auf 93 Befehl des Kaisers Konstans erfolgten Tod des Kaisers Gallus Hieher versetzt. Bald darauf schwingt Attila, der Wcltverwüster, seine Geißel auch über Osero, das nunmehr, ohne selbständige Bedeutung, bald vom griechischen Hofe, bald vom ungarischen, bald von Slaveufürstcn Gesetze empfängt, dann noch einmal im neunten Jahrhundert von verheerungslustigcn Sarazenen heimgesucht wird unter einem Führer, den die Chronik Saba nennt, bis der von Piratenunfug erlösende Doge Pietro Orseolo um das Jahr 1000 auch diese Insel unter die schützenden Flügel des Markuslöwen bringt und hiermit für eine Reihe von sieben Jahrhunderten ihr Loos feststellt. Die völlige Ergebung an die Republik datirt von 1018. Verwalter der Herrschaft wurden vom Volk erwählte Grafen; d. h. venezianische Nobili mit dem Titel ^onti cl'Og^o. Nach Lucius' Behauptung ging es bei dieser Volkswahl nicht immer allzuvolksthümlich her, sondern häusig nach Befehl und unter Einfluß der in Hcrrschaftsangclegcn-hciten von Alters her eifersüchtigen Dominante. Soviel ist gewiß, daß um 1200 mit der Vermählung der Daria Micheli, von Gottes Gnaden Gräfin von Oscro (,.p0i- ln Ow ^ra/iu tüon-ts88a tl'Osoro") an Nuggiero Morosini, die Verwaltung für ein volles Jahrhundert in der Familie Morosini erblich wurde, bis 1304 mit dem Tode des Conte Marino Morosini, des letzten erblichen HZnoi-o cN <ülim'8o o <1i ()50>x>. das Verhältniß dahin sich änderte, daß nunmehr von zwei zu zwei Jahren ein Eonte von Venedig aus nach Osero entsandt wurde. Die Republik vertheidigte die Insel gegen die Anfälle dcr Nzkoken, und diese unterstützte die Schirmherrin in ihren Kriegen mit Mannschaft und Schiffen. Allein es kam der Tag, wo die alt und morsch gewordene Patronin keinen Schutz mehr ihren trencstcn Anhängern zu verleihen sich zutraute und wo auch dcr Tapfersten selbstaufopfcrnde Unterstützung ihr nicht mehr aufhelfen konnte aus der schmählichen Lethargie. Der zwölfte Mai 1797 entschied, wie über die Beherrscherin des Dalmatinermcercs, so über ihre bis zum letzten Athemzuge ihr vertrauenden Vasallen. Um den Berg Osero zu besteigen, ward ich von meinem sorglichen Wirthe einem Schiffer überantwortet, der, erst Tags 94 zuvor heimgekehrt, nicht ungern sich herbeiließ ein unverhofftes Trinkgeld zu verdienen. Als Eingeborener bekannt mit allen Hügeln und Schluchten ward er mir von dein Prätor rühmlichst empfohlen als umsichtig Kundiger, ich ihm dagegen als begierig auch den unbedeutendsten Gegenstand möglichst genau kennen zu lernen, so daß ich für einen Augenblick mir beinah vorkam wie ein reisender Gelehrter in dem etwas anrüchigen Sinne, den unsre übcrrheinifchcn Nachbarn gern damit verbinden, wenn sie sich als das von Gottes Gnaden geniale Volk uns gegenüberstellen. Osero, der Berg, dieß einsam emporsteigende Kalksteingerippe mit seinem Ueberflnß an Pctrcfakteu, ist nur in den unteren Regionen von Buschwerk bewachsen, einige Partien sogar, die mehr geschützt sind vor der Vora, aufs glücklichste mit Wein bebaut; znm mindesten drei Vicrtheile ragen kahl empor, nnr leicht umhüllt von aschfarbenem Salbeimantel. In der untersten Region bilden Mprthc und Lorbeer gar hübsche Vuschwaldungen mit zum Theil schönen Stämmen und Kronen; letztere darum seltener, weil diese edlen Gewächse, die bei uns das innere Leben, die Phantasie erwärmen, hier vielfach zu äußerer Heizung Verbraucht werden und den anf den Höhen weidenden Ziegen-und Hammclhcerden, ihren Hanptfteunden — oder Hanptfcinden ^ zur Nahrung dienen. Häufig findet man den Erdbeerbaum (.ildutus un^iu) mit seiner röthlichgelbcn Frucht, von der mein Führer mir berichtet, daß sic vielfach zum Dcstilliren des Ro-soglio gebraucht werde und diesem einen vorzüglich angenehmen Geschmack verleihe. Als wir in die Region der Salbei kamen, wurde der Weg steiler und die Sonne brannte stechend auf die kahle Höhe. „Lieber hundert Miglien auf stürmischer See als zehn auf solchen Wegen!" rief der Schiffmann aus, da ihm die Sache denn doch etwas zu toll wurde. ^ Hier und da trafen wir eine Anzahl Schaft, die in großen Haufen ohne Führer sich Tag und Nacht anf diesem Berge umhcrtrcioen und bei unserem Nahen scheu wie aufgescheuchtes Wild aufsprangen und über Gestein und Schluchten abwärts und zur Seite raunten. Nur durch eiu dem Pelze eingebranntes Zeichen unterscheiden sie die verschiedenen Besitzer, die, wenn sie ihres Eigenthums habhaft werden wollen zur Schur oder zum Schlachten, sich förmlich zum Fang herbeilassen müssen. Es geht lner übri- 95 gens die Salbei recht eigentlich in Saft und Blut über; jedem Stück Hammelfleisch schmeckt, ja, riecht man die aromatische Nahrung der Thiere an. — Auf dem Gipfel angelangt, wo cine Stcinppramide, die punt» sli 0361-0, den höchsten Punkt dieser Insel und wcitumher, bezeichnet, erfreute ich mich noch einmal in erhöhtem Maaße des bereits auf der Höhe zwischen den beiden Lussin genossenen Panorama. Die istrisch-dalmatinischen Inseln bis hinanf nach Fmme, bis hinab nach Zara lagen noch freier vor mir, und besonders die istrische Küste, welche dort eben der Vcrg verdeckt, dessen äußerste Spitze gegenwärtig den durch nichts beschränkten Umblick gewährt. Das Meer ganz ruhig, keine Spur von Aufregung, glänzende Spicgelströme durchziehen die leise kräuselnde Fluth. Unten, auf der durchstochenen und überbrückten Landenge, Osero, die Stadt, wie ein Konvolut von Kartenhäuschcn, die sich Kinder auf ein Häuflein zusammengestellt. Mein stilles Schauen unterbricht der Führer plötzlich mit der Malmung,, daß wir die Höhle des heiligen Gaudenzius noch aufzusuchen hätten. Aber besser auf dem Meere zu Hause denn in seiner Erdheimath, verliert er die Richtung, und wir irren lange Zeit auf steilem Zickzack spitzigen, von der Sonne durchglühten Gesteins umher. „15 unn p oll« oi Im liMntn 3«n (^«u^enxio^ seufzt der Seemann zu wiederholten Malen. Endlich kommen wir zum Ziel und treten in die weitberühmte vielbesprochene Gaudcnziushöhle. Es ist eben eine Höhlung im Felsen, schmalen Eingangs, innen räumig genug für einen Einsiedler, welcher der Welt und ihrem Treiben den Nucken gewandt. Man sieht noch das stcrnartig geformte steinerne Waschgefäß dcs frommen Troglodyten: auch trifft man mannigfache Krystallisationen. Was abcr die Hauptsache, und warum die Oserescn von allen Umwohnern beneidet sind um dieses Stückchens Erde, das ist die Kraft der Steine in der Gau-denziushöhlc, jedes schädliche Thier zu todten durch bloße Berührung oder Umkreisung. Ja, diese Kraft erstreckt ihre Wirksamkeit iibcr die ganze Insel. Daher wurde seit deu Zeiten dcs Heiligen und bis auf den heutigen Tag von den Nachbarinseln häusig Erde von Osero geholt, um bei einem Hausbau einen Kreis zu ziehn zur Abwehr jedes schädlichen Einflusses; besonders nach Veglia, wo viele giftige Schlangen. Einst, fuhr mein 9« Führer in seinem Berichte fort, kam cin Schiffer aus der Levante mit einer Ladung giftiger Vipern; man warnt ihn, den Küsten Osero's zu nahen; er abcr spottet und handelt der Warnung zuwider, und mit einem Male sind alle seine Vipern todt. Das macht der Segen, den der heilige Gaudenzius gesprochen, daß kein giftiges oder sonst schädliches Thier auf dieser Insel weilen solle, daß, sobald ein solches von einem Kraut derselben fresse, ja, auch nur ihren Boden berühre, es alsbald sterben müsse. Daher hier kein Wolf, deren drüben auf der nahen Terrafirma doch so viele; daher keine giftige Schlange oder sonst cin schädliches Thier. Und wie er so erzählte, schlangelte über den Weg eine schöngezcichncte Natter, die er alsbald ergriff und ringelnd zu mir herüberspiclen ließ; und ich, von Natur nicht ungläubig, ließ die saubere Nachkommenschaft der alten Verführerin im Paradiese mir getrost um Hals und Nacken spielen. Wem fällt bei allem diesem nicht der Geist- und Kraft-verwandte des heiligen Gaudenzius ein, Sanct Patrick, der SäMpatron des grünen Erin, der scincu gläubig dankbaren Landslcutcu einen ähnlichen Dienst erwiesen durch die berühmte Verbannung der Kröten und Schlangen, die sein mächtiger Bannfluch alle in den atlantischen Ocean getrieben? — Zwar kennt Oscro nicht die Bedeutung des in Irland viclbeliebten tiefgchcimnißvollen Pflänzchens Shamrock, an welchem der heilige Kröten- und Schlangcnvertrciber dem damals noch heidnischen Volke die christliche Dreieinigkeit erklärt — : „Drei Blätter an Einem Stengel, und doch Eines nur" — aber die genügsamen Oserescn feiern auch den Namenstag ihres kindlich verehrten Gaudcnzins nicht, wie vorlängst noch die Mehrzahl unter den eifrigen Söhnen des grünen Erin durch Trink- und andere Gelage ihren vielbesungenen „simci, i'ntnclvg !)»)'", sondern nur durch kirchliche Umzüge, geistliche Gesänge nnd Wallfahrten zu der zauberkräftigcn Höhle, die gar mancher schon, gleich uns, im Schweiße seines Angesichts und dürstenden Mundes besucht, ohne darum eigens zu Vater Matthews segensreicher Fahne geschworen zu haben, der gottgcscndcteu Befreierin von verderblicherem Gifte, als der Kröte und der Schlange inwohnt. - Bicncn umschwärmten uns in Menge. „Nur ohne Furcht!" 07 rief mein Führer, als ich mit übergehängtem Schmlpftnch ihres Andrangs mich erwehren wollte — „nur ohne Furcht! die Bienen dieser Insel stechen keinen frommen Christen" - (^eszun Oiälinn licvolu). Zugleich erzählte er von den unzähligen Schwärmen, welche in den Höhlen dieses Berges bauen, aber so versteckt, daß cs schwer sep ihnen bciznkommcn. Von dem gepriesenen Honig, der seinen Wohlgeschmack der Menge Thymians und Rosmarins verdanke, von welchem die steißigen Thicr-chcn saugen, war nur schon frühmorgens beim Prätor cine Probe geworden, als er mich nach den Worten des Psalmisten mit dem besten Weizen speisete und mit Honig aus dem Felsen sättigte. Veim Hinabsteigen berichtete der treuherzige Seemann noch Folgendes aus dem Leben des heiligen Gaudenzius. Nachdem der fromme Mann lange Jahre dort oben in seiner Höhle geweilt und des Segens viel verbreitet, begibt er sich in hohem Alter nach Ancona. Eines Tages schwimmt ein Kasten herüber an das Gestade von Lussin. Dort übergibt ein Unbekannter einem am Strande beschäftigten Schiffer einen Brief mit der Weisung, denselben sogleich nach Osero zu tragen und daselbst dem Magistrat zu übergeben; er, der Uebcrhändigcr, werde bald nachkommen. Kaum abgegeben und gelesen — es war am frühen Morgen — kommt anch der Kasten angeschwommen mit der unversehrten Hülle des gottgefälligen Mannes, in gerader Richtung gegen die Stadt zu, und von selber läuten alle Glocken. Seitdem sind die Gebeine des heiligen Gaudenzius in der Kirche zu Osero aufbewahrt. Als wir wieder angekommen waren bei der Landzunge unten vor der Stadt, erwartete mich ein eigenthümliches Schauspiel. Schon zu Pola hatte ich gewünscht, dem Fang des Thunfische einmal beizuwohnen und war häufig deßhalb an die 3liva gegangen, das günstige Zeichen der auf ihren Leiter-Warten rings um den Hafen aufgepflanzten Wächter abzuwarten. Was ich dort Tagelang erfolglos gewünscht und erpaßt hatte, kam mir hier freiwillig und unverhofft entgegen. Ich theile Ihnen das Verfahren beim Fang dieses äußerst gesuchten Reise,, m,d Läudevl'c>chvcidu,,,;cn. XXIX. 7 (Istrien und Dalmatien.) 98 Leckerbissens, der eincu Hauptertrag dieser Küsten bildet und dem die Chiozzoten — natürlich als Frachtführer, denn der Fang ist nur den Eingeborenen vergönnt — mit ihren hohen Fischerbarken überall am meisten nachjagen, hier, wo ich demselben vom Anfang bis znm Ende beigewohnt, in kurzem mit. Der Thunfisch nimmt, gewöhnlich in größeren Zügen, seine gewohnte Straße längs dem Ufer hin. Da sind nun, wo man ihn besonders erwartet, Späher auf hohen Leiterwarten angestellt, die einander ablösend Stundenlang fortwährend aufpassen, den Blick auf das Wasser gerichtet. Sobald nun von solch einer Warte der Nuf: ,/ron, Ion!" erschallt, eilt Alles nach der bezeichneten Stelle hin, die Fischer, ihre in Bereitschaft gehaltenen, in cincr doppelten und dreifachen Neihe gegen das gewichtige Wasscrwild weithin ausgelegten starkmaschigen Garne zusammenzuziehen und so die bcfloßte Karawane in die Enge zu treiben, die Bewohner des Ortes, um mit Angeln und kleineren Netzen auch ihr Theil, nicht an dem kostbaren Thunfisch, wohl aber an geringeren Nachzüglern dahin zn nehmen. Es ist nämlich Sitte, daß der Fang gleich auf der Stelle abgeschlachtet und ausgeweidet wird; die starke Blutung und der Abfall, der vom Ufer aus sofort dem Meere wieder zukommt, lockt ciue Menge kleinerer Fische herbei, den Umwohnern ein willkommener Fang. Je bedeutender nun der Ertrag und die Schlächterei im Großen, desto unermeßlicher und andauernder der Troß nachzügelnder Trabanten — das Stück im Stücke, wie überall im Leben — desto fröhlicher und zahlreicher die Schaar der Angelnden. Dießmal bestand der Hauptfang in dreizehn Stück, jedes zu dreißig bis sechzig Pfunden. Mit dieser reichen Beute beladen fuhr ciuc Ehiozzotcnbarke alsbald ihrer Hcimath zu, während zwei andere zurückblicben, von demselben Sterne ähnlichen Erfolg erwartend, indeß die Späher auf ihren Leiterwarten ununterbrochen weiter schauten. Es ist ein alter, rechtskräftig gewordener Branch, daß das Gurgclstück des Ton, dieser delikateste Bissen des wohlbeleibten Fisches, dem jedesmaligen Schlächter zukomme, welchem selbst der Fischer, falls er es ebenfalls besitzen und mitnehmen will, es um gutes Geld besonders abkaufen muß. Dicßmal erstand ein paar dergleichen Leckerbissen auf der Stelle mein dermaligcr 99 Wirth, der Prätor, der sie alsbald seiner Hausfrau heimsandte, um sie zum Abendschmause zu bereiten als Labsal für uns Bergwanderer und Fcldarbciter. In der That konnte der Antheil, dcu die Opferpriester, die doch von jeher gut zu wählen gewußt, sich selber vorbehielten, nicht sorglicher erleseu werden als dieß Schlächterdeputat. — 7* 100 E h e r f o. ^dio. Osero! rief ich, als nach wiederholtem, trotz des Prätors Bemühungen lange vergeblichem Nachfragen in der menschenarmen Stadt endlich ein Führer nach Cherso sich gefunden, und zwar in Gestalt eincs Eseltreibers, der in Vocksschläu-chen Wein und Most dorthin zu schaffen hatte; und „^clcNo. Osero!" wiederholte ich auf der langsamen Schritts erstiegenen Anhöhe, von welcher aus zum lctztenmale das Städtchen mit seinen alten nnd neuen Trümmern sich darstellt; drüber hinaus das Hügelland bis Lussin grandc und der blaue Qnarnerolo mit dem bunten Inselkranze, welchen im Hintergründe die kroatischen Gebirge, ein weißgrauer Mantelgürtel, schützend abschließen. Ein paar Schritte nördlich abwärts, und der Blick nach Süden ist entschwunden, und vorliegt ein in krausen Wellen versteinertes Meer. Endlos wuchernde Salbei überdeckt dic weite Strecke, wie unsrc nördlichen Heidcgegenden die Erike, nicht aber wie diese in freundlich rother Blüthe, sondern aschfarben hervorschimmernd aus dem etwas hellgraueren Gestein; beide, Stein nnd Pflanze, bald mehr das eine, bald das andre vorherrschend, wirken in leisen Schattirungen das Grau in Gran des einförmigen Teppichs. Hier und da struppiges Dorngebüsch, hier und da Hecken von Weißdorn, Disteln, Vrombecr, untermischt mit einem bläulichen Wachholdcrstrauch. Steineichen von geringer böhe, meist von der Vora nach Westen gekrümmt, so daß oft der stärkste Stamm wie eine Nuthe fast rechtwinklig gebogen erscheint, wiegen zwischen den kleinen graugrünen Blättern ihre magre Frucht, die kurzen chinesischen Pfcifen-stunnmlchen. Einzeln darunter anch wohl eine deutsche Eiche mit ihrem länglich breiten dunkelgrünen Blatt befreundet zu dem Herzen sprechend. Die Ranken der Schlinggewächse, deren 101 Blätter mit der spitzig auslaufenden Formung fettglänzender und fleischiger als unsre Winden, blicken wie begierig nach Geselligkeit hier und da von einsamen Stämmen oder einem dürren Dornbusch nieder. Zwischen dieser kärglichen Vegetation weiden auf den salbcibcdcckten Stcinfcldcrn Schaft ohne Hirt. Bisweilen zeigt sich ein Einzelhaus oder mehrere beisammen mit niederem Kirchlein und Pfarrwohnung; in deren Nähe dann Wein- und Olivenpstanzungcn, Oasen in der öden Steinwüste. Dieß die Physiognomie dieser ödesten Strecke der Insel, die sich zwischen den Städten Osero und Ehcrso etwa fünfundzwanzig Miglicn in die Länge, sieben in die Breite hindehnt und von den Bewohnern passend ^i-akm putiaon zubcnannt worden. Eine überraschende Unterbrechung der Einförmigkeit gewährt, acht bis neun Miglien von Osero entfernt, ein weiter See, elliptisch zwischen überragenden Felsen in einem Kcssclthalc sich ausdehnend. Einst stand an seinen Ufern ein Kastell, von welchem nur noch geringe Spuren; aber die von der Natur errichteten Felsenmauern stehen unversehrt und unerschüttert, und dazwischen, geschützt vor dem Sturme von Nordost, gedeihen stattlichere Bäume; auch wird, da die Höhe des Wasserstandes in manchen Jahren weit geringer als gewöhnlich, zu Zeiten Ackerbau getrieben oder Jagd, wo andere Male Fischfang. Die wenigen Menschen, die dort unten an den Ufern sich bewegten, nahmen sich aus wie Irrende am stugischen Gestade. Es ist eine eigen schaurige schöne, eine phantastisch zu bevölkernde Ocde, recht ein Ort zu Entstehung romantischer Sagen. Mich gemahnte er in seiner Einsamkeit und Stille an den Hertha-See auf Rügen, nur daß er bei weitem größer und weit weniger bewaldet ist. Die Insulaner nennen ihn schlechtweg Iesero — der See; und es ist nicht unwahrscheinlich, daß davon durch anklingende Umbildung die alte Hauptstadt und die Südhälftc der Insel ihren neueren Namen erhalten. Mein Führer konnte nicht müde werden in Anpreisen dieses Eilands als eines wahren Eldorado; es sey Alles vorhanden, Wein und Honig, Oel und Schaft, Mais und allerlei Früchte in Uebcrfluß, Alles, was die Anderen draußen erst mühsam weither holen müßten. Er war noch niemals über die Ufer seiner Insel hinausgekommen; ihm einen Begriff von einem Wagen zu machen war mir schlechterdings l02 unmöglich; alle anderen Transportmittel kannte er, zu Fuß, zu Pferd, zu Esel, zu Schiffe; ein Wagen, dcn ich ihm beschrieb, erschien ihm etwas Zauberhaftes. Dieser Eseltreiber schien wirklich eines jener seltenen Exemplare, die vergebens in seinen weiten Reichen jener kranke König suchte, welchem die Fee, seine Pathin, verkündet hatte, daß er genesen würde, wenn er das Hemde eines Glücklichen anzöge, bis endlich er auf einen stieß, der sich als ganz glücklich bekannte - aber auch kein Hemd besaß. — Cher so, das Städtchen, das wir noch vor Sonnenuntergang erreichten, möcht' ich die Olivcnstadt benennen; so freundlich ragt es mit seiner tief einschneidenden, fast zum ^andscc sich gestaltenden Bucht zwischen den rings mit Oelbänmen überdeckten Hügeln hervor, wenn man die letzte Höhe abwärts steigend in das Thal blickt, das die Venezianer stets als unerschöpfliches Oelkrüglein betrachtet. Ich fand die Straßen bei weitem reinlicher als der Topograph von 1767, besonders um den in die Stadt einmündenden kleinen Fischerhafen. Man rühmt dcn gegenwärtigen Bezirkscommissär wegen seiner Tüchtigkeit und Sorgfalt für das öffentliche Wohl. Die schon von Fortis gemachte Bemerkung, daß fast gar keine Bettelei hier stattfinde, bestätigt sich nach so langer Zeit und so starkem Wechsel der Vcr, Hältnisse noch heute; doch hatte ich ein Gleiches au den übrigen Orten der Insel gefunden, wo im Allgemeinen Zufriedenheit mit Wenigem zu herrschen scheint. Die Bevölkerung Cherso's, um 1770 auf 3000 angegeben, beläuft sich gegenwärtig auf 4248. Der Boden war von jeher gut bebant und bietet außer dcn vorzüglich geschätzten Oliven auch Wein und Feigen die Fülle. Der Unterricht ist weit mehr verallgemeinert als zur Zeit der Venezianer; der Geistlichen, damals 120, sind bei weitem weniger. Unser Topograph von 1787 klagt, daß in dem ganzen Orte kein Gasthof zu finden sey. Ich traf deren zwei —. einen, eine Kneipe, in welche ich gestern bei später Ankunft mit meinem geuügsamcn Führer eingekehrt und wo ich Abends mich trefflich unterhielt an den ganz gescheidten Gesprächen und guten Witzen der bei ihrem Weine fröhlichen Schiffsleute und 103 Handwerker, Nachts aber gräulich geplagt wurde von allerlei kleinen ungebetenen Gästen, die ein grämliches, zum Gallerguß geneigtes Gemüth leicht zu bittern Flüchen und kläglichen Er-pcctorationen über den ganzen Ort dürften veranlaßt haben; demnächst daun einen sehr sauberen und anständigen, in den man heute mich übersiedelt, wahrscheinlich auf Anregung einiger Respektspersonen des Oertchcns, frühe Besucher, welche der Forschungstrieb (vul^o: Neugicr) gestachelt, wer eigentlich der von der Landscite hicher verschlagene Fremdling, r»^ »vig wv-roztris, seyn möge, und die in ihrem patriotischen Eifer nicht zugeben konnten, daß derselbe einen ungünstigen Eindruck von ihrer Vaterstadt mit in die Heimath nehme. Am pfiffigsten von Allen benahm sich der Herr Ortschirurg in seinen Bemühungen, mit leise prüfender Sonde Stand und Wandcrabsicht des bärtigen Hcrumzüglers herauszufühlen. Ein schlauer Odysseus versuchte er durch allerlei vorgelegte Fragen und Berichte von diesen und jenen Gegenständen die etwaige Lieblingsbeschäftigung des Inquisiten hcrvorzulocken; und da er mich besonders aufmerksam finden mochte bei Erwähnung dreifacher Arten von Valcriana — dieser in kritischen Fällen nicht genug zu schätzenden Nervcnbeschwichtiger! — welche die umliegenden Berge .hervorbringen, da war der Botaniker fertig, und es wurde nur bedauert, daß die Menge dringender Berufsgeschäftc nicht eine gemeinsame Ereursion gestatte. Die angenehmste Bekanntschaft wurde mir in dem achtund-siebzigjährigen Doctor Mictis, den ich mit einem Gruße von dem Prätor aus Oscro aufsuchend vor dem östlichen Stadtthore unter den Maulbecrbäumcn, seiner Pflanzung, wandelnd fand. In hohen Jahren erhaltene Iugendfrischc und geistige Lebendigkeit gehört mir stets zu den erfreulichsten Erscheinungen, weckt mir am raschesten Sympathie. Solche Naturen sind Gegenwart und Zukunft erhellende Sterne, kräftig verbürgcudc Anweisungen auf Unvergänglichkeit; bei ihnen hole sich Trost, wer vor dem herannahenden Alter bangt und zittert. Der liebe Mann geleitete mich den ganzen Tag über mit heiterem Sinne und erquicklichem Ernst. Erst gingen wir ein Weilchen unter den Bäumen, die er seine Kinderchen nannte, und an welche sich so manche freudige und schmerzliche Erinnerung ihm anknüpft. loi Den Wandalismus der Zerstörung des venezianischen Bannerträgers an den hoben Stadtmauern, veranlaßt durch geschäftige Unterbedienten, die bei der neuen Herrfchaft sich beliebt zu machen geschmeichelt zur Zeit der gestürzten Republik, beklagte auch er und nannte solch Verfahren den Vestialitätsstcmpcl menschlicher Natur. In der Kirche, wo ich vergebens nach dem Gemälde des Andrea Viccntino fragte — ii mii'ncolo <1«lla novo, vielfach als des Malers Meisterwerk gepriesen — fand ich an der Stelle des 1826 bei einer Feuersbrunst zu Grunde gegangenen ein ucue-rcs, mit einer Menge von Figuren und verschwenderischer Farbenpracht auch ein Wunder darstellend — aber kein Wunder der Kunst. Doch Wunder über Wunder der immerdar in alter Kraft neu schassenden Natur erschien mir in der Fülle blühender Gebilde, die lebend dort versammelt waren zur Sonntagsandacht, Gestalten edelster Formung und frischester Farbenmischung. So lange er nicht den Glauben an Gott uud das Wohlgefallen an seinen Geschöpfen verliere, meinte heiter lächelnd der hippokra-tische Greis, solange fühle er das Alter nicht. Eine freudige Neberraschung bereitete er mir durch Einführen in das Franzis-kancrtloster draußen vor dem südlichen Thore am Ufer der von Olivenhügcln umschatteten Meeresbucht. Die dortige Sakristei nämlich bewahrt einen Christuskopf von wunderbarer Hoheit — ein Verein tiefsten Ernstes und innigster Milde in dem dunkeln Auge und den reinen himmelklaren Zügen. Man glaubt bei seinem Anblick uubcdingt an das Göttliche der Sendung; man glaubt, so müsse er gewesen seyn, der erhabene Lehrer, wie er hervorgegangen aus der Schöpfcrhand des ewigen Vaters, unverstümmelt und unvcrrenkt durch Mcnschcnzuthun. Mein Begleiter erinnerte mich an die über ihn ausgesprochenen Worte: „tlumenlwz in impi-okan^a" — und ich setzte hinzu: „hui 5»!-V3n6o5 53lvat ß72li8." Ich möchte das Bild zur Erbauung aller Welt hervorziehen können aus der Verborgenheit, wo es wie ein Demant im Schachte ruht. Es ist etwas in diesem Christuskopfe , wogegen Worte Schatten sind; mich hat noch keine von ihm bestehende Darstellung so tief erfaßt — ausgenommen Ti-ziaus (^!5to öolla monLtg, der seit meinem ersten Besuche Dresdens mit unverlöschlichen Zügen mir in der Seele eingeprägt 105 steht. Sollte vielleicht auch dieser ein Werk Tizians seyn? -Dem Geiste nach könnt' er cs sicherlich; auch entspricht das Kolorit den besten aus der Veneziancrschule. Daß das Bild aus Venedig herüber gebracht seit Jahrhunderten seine Priester er-halten, ist mehr als wahrscheinlich. Und da man sich nicht erwehren kann, für jedes irdisch Gestaltete nach Namen zu suchen, durchkreuzten mich beim längeren Anschaun allerlei Erinnerungen würdiger Hände zu dieser Schöpfung. Doch lassen wir des Meisters Namen! Seine Hand war gesegnet, als sie dieses schuf, den Meister der Meister. Nachdem aber einmal des gcist-verwandtcn Schatzes Erwähnung gethan, so mögen hier auch Worte stehen, welche keine Worte sind, sondern Klänge der Seele — einer Seele, die, obgleich ihre schöne Erdcnhülle nun seit Jahren schon dem Staube anheimgefallen, mich fort nnd fort anf allen Pfaden begleitet, nnd die nach einem gemeinsamen Besuche Dresdens also sich ausgesprochen -: „ — Auf der reichen Vildergallcrie hat mich dießmal vor allen Tizians Christus gefesselt. Es ist lein großes Bild; nur Porträtgrößc, ist die ganze Vedeutsamleit in den Köpfen, höchstens in der Hand. Ich habe schon zu oft mich mit tiefem Widerwillen abwenden müssen von den immer wiederholt dargestellten Körper-leiden, worin nun schon seit Jahrhunderten die Künstler wetteifern (— auch das Berliner Museum ist ja so voll von diesen schwächsten Augenblicken: ,Mciu Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" —) um mich an dieser Auffassung nicht wahrhaft zu erheben und zu erbauen. Hier ist der Moment Ruhe und Milde, aber in seinen Zügen lebt ein abgethaner tief innerlicher geistiger Schmerz; die vierzig Tage des Kampfes in der Wüste schimmern durch diese verklärte Ruhe hindurch. Sein Leiden ist jetzt abgeschlossen, er steht über sich selbst. Daneben der braune materielle Kopf des Pharisäers mit dem Zins-groschcn, gleichsam nur der dunkle Hintergrund, aus dem cs sich licht hervorhebt —". Aus dem Franziskanerkloster führte mich mein liebenswürdiger Alter in das Parlatorium des bcuachbarten Nonnenklosters. Dort sey eine Enkelin von ihm, noch nicht eingekleidet, aber der 106 Einkleidung nahe und fest entschlossen nicht zurückzuweichen von dcm bereits in frühesten Jahren ins Auge gefaßten Ziele, als Christi Vraut zu leben und zu sterben. ^ Nachdem er gemeldet war, erschien an einem Fcnstergittcr des Svrachvorsaalcs an der Seite einer älteren Nonne die junge Eugenia, die jüngste der achtzehn von diesen Mauern umschlossenen Jungfrauen, eine edle Gestalt von mittlerer Größe, ticfglühendcn, etwas schwärmerischen Auges, sanft die Züge des ungemcin lieblich geformten frischen Köpfchens, die Stirne hoch, der Mund klein und nicht ohne sinnige» Ausdruck. „Ist sie nicht wunderschön?" fragte mich leise, aber mit fühlbarer innerer Bewegung der gute Alte, als das Gitterfenster sich öffnete. Dann sprach er mit ihr, und sie antwortete so unbefangen und treuherzig auf Alles, daß man deutlich erkannte, sie war im Reinen mit sich selbst. „Es ist ein Jammer", sagte der liebenswürdige Greis, nachdem wir draußen eine Zeitlang schweigend neben einander gewandelt. „Was haben wir nicht Alles versucht sie abzubringen von ihrem Entschlnsse. Sie ist kaum achtzehn Jahre alt, besitzt Alles was zur Lebensfreude erforderlich, ein hübsches Vermögen, liebende Verwandte, annehmbarer Vewerber mehr als einen, könnte Glück bereiten um sich her, selbst glücklich seyn, und will ihr junges ^eben als Nonne vergraben — Gewiß, des Himmels Wege sind wunderbar!" — 107 Veglia „signoi-. ii mlilili.il-0 I'ii8s»6tw" — hieß es gestern früh in herso. Die beiden Fährleute, denen ich vom Gastwirth überantwortet wurde, zugleich Schiffer, Fischer, Acker-, Wein- und Olivcnbaner, bei Gelegenheit auch Kaufleute — ein Verein, in Cherso nicht selten — führten mich über die wohlangebaute Höhe gegen Weste»:, wo, wie bei den dortigen Pflanzungen gewöhnlich, je ein Baum, oder je zwei und zwei, höchstens zu drrien, mit eigner Steinumwallung, der ersten Frucht und zugleich der Schutzmauer des widerspenstigem Gerölle abgewonnenen Erdreichs sorglich umhegt ist. Oben bietet sich ein angenehmer Rückblick hinab nach Cherso und hinüber nach Istticn. Ein paar Schritte weiter, das Rückliegende ist verschwunden, und der veränderte Scenenwechsel läßt über die breite Insel Veglia herüberragend die kroatischen Gebirge nnd das ungarische Küstenland erscheinen; auch zeigt sich der nördliche Theil der Mcl Cherso, mit seinem Baumrcichthum nächst Veglia einstmals von Bedeutung für Venedigs Schiffbau. Wie ein schöner Abschicdsgrnß eröffnet sich beim Niedersteigcn zu dcr östlichen Nebcrfahrt das üppige Fruchtthal Smergo, das sich der besten Feigen rühmt, von denen ein paar frisch vom Ast gepflückte Proben mich überzeugen sollten, daß sie kaum denen von Smyrna nachstehn. Während meine beiden Ruderer die Barke in Ordnung brachten und mancherlei herbeiholten aus dem wirthlichen Häuschen dcr Thalbucht, freute ich mich auf einer bamnbcwachscncn Echöhuug des von dcr Brandung unterwühlten Ufers an der ansprechend romantischen Umgebung. Das Meer, hier am Gestade schon von ziemlich ansehulicher Tiefe, auf der bewegten Fläche überspielend in den mannigfaltigsten Schattirungen von Grün und Blau zu dunklem Purpur, wimmelte von Fischen, die gewiegt auf breiter Wellen-» 108 schleppe schaarenweis hereindrangen in eine tiefe, mit wein-umranktcn Oelbäumen überwölbte Felsenschlucht, welche den Alles mit Göttern bevölkernden Alten ohne Zweifel eine Grotte Neptuns würde erschienen seyn. Und wie auch nicht? War doch der ganze Hofstaat des drei;ackgcwaffllctcn Wcllenhcrrschers vorhanden, weithin den marmornen Thronsaal in wohlgeordneten Abtheilungen umgebend. Eine Schaar Panzersische als Hat-schiere, ein Delphin Direktor der Hofcapcllc von Tritonen und Nereiden, Vranzine und feiste Thune die Lakaien, glänzende Goldbrachscn und muntre Sardellen die Pagen und Läufer, Makrelen die privilegirtcn Verwalter und Verweser des großherrlichen Harem, ein gewaltiger Plattfisch Oberccremonicn-meister, ein verschmitzter Noche Chef der Polizei, Seepferdchen und Mecrjunkcr und flüchtige Sechähne zur Disposition gestellt für allerlei verwickelte Sendungen an den Hof des Aeolus und in das Neich der Schatten; und in der Ferne lauernd aller Inquisitionen Obcrtribunalbirektor Hay, durch hastiges Vorgreifen seiner schlingsüchtig fanatischen Natur kaum dein Schwcrt> fische die ordnungsmäßige Verwaltung des Scharfrichteramtes gönnend. Dazu die Winde und die Wellen als beschwingte Adjutanten, jedes Winks gewärtig des erhabenen Monarchen, der cbcn auf moosigem Lager duftigkübler Grotte in heiterer Morgcnfrische seiner schönen Oalalhea sich erfreute. — Es war ausgemacht, daß wir zunächst an der Südküste Veglia's landeten, wo ein von der großen Insel abgetrenntes Inselchen, lcn, l:li« nella nnklrg Lurnna nan 51 tmvl UN<1 «ililil« j3s,l«ll.i", sprach, sich stolz enlporreckend, der hagere Zwerg: ,,^ lneltt'ro czu^kta in c^ollur», co»p«llc», elio piaco.,'«'." setzte der riesige Fährmann hinzu; hierauf jencr, cincn Lorbecrzweig abbrechend —: ,,<)u(?8ln s>l8lc) pnr mar genannt. Nun ziehen wir ein in die Stadt Veglia, Jahrhunderte lang wohlgcrüstct zu ständigem Trutz gegen die uzkokischcn Piraten , und bald nach der Erwerbung von bewußter Bedeutung für Venedig, jetzt ein friedliches Hafcnstädtchcn von eben nicht bedeutendem Verkehr, aber immer noch wie eine mit Thurm und Schild gerüstete Grenzwacht anzuschaun. Wohlthuend wirkt die Ill durchgehend sorgfältige Erhaltung venezianischen Andenkens. Ornamente nnd Inschriften nirgend dnrch Ucbermutb und Frcv^ lerhand beschädigt; wo etwas fehlt, da ist es verwittert an der Salzluft nnd der langsam bröckelnden Zeit; der Löwe der Republik, nicht nur sterbend, sondern auch im Tode unangetastet geblieben von frohlockend triumphircndcr Bestialität, erscheint bald unter einer stattlichen Marmorwölbung, von Frucht- und Blüthcnkränzen umgeben oder von urncntragenden Engeln, bald über dem Wappen eines fur das Gemeinwohl vorzüglich bedachten Proveditorc. Am Thurme des Kastells, dem alten Kriminalgefängniß, thront er über der gar seltsam mit dem düstern Orte kontrastircndrn Inschrift: „^.urolw Vmiotoi'ulil M^l-tal,," — an der mit Skulpturen reichverzierten Ummaucrung einer Cisterne innerhalb des Hafenthors besiegelt er eine lange Aufzählung der Verdienste des als Vekämpfer der Uzkoken und Nicderhcrsteller der Nuhe besonders verdienten Proveditore Angelo Gradenigo, dem die dankbar huldigende Stadt den Lorbeer überreicht mit den Worten —: „— 5ion siowlidci Iwnorullo com« cnnviono .1 imi m«Mi, llnddlgmo ltllto laro in m^rmo a 5U» ^rziewa ^losill «t a noztsg mLmm'ia <^uLst,i piccil)!« in?oi'ittio^o." — So scheint in diesem harmlosen, den Wcltstürmcn fernliegenden Phäakcn-eilandc die Veneziancrherrschaft mehr sanft entschlafen als in heftigen Zuckungen dahingeschieden zu sepn und ruhig fortzuträu-men in stcinumwölbtem Grabesschlummcr. — Manch freundliche Erinnerung knüpft sich mir an Veglia. Ich hatte einen Gruß zu überbringen von meinem Zschokke-Freunde ans Lussin an einen jungen Deutschen, der nach beschlossenen Univcrsitätsjahrcn seine amtliche Laufbahn dort im Bezirkskommissariat begonnen. Nicht lange dauerte cs, so war das ganze junge Vcglia, so weit es italienisch oder deutsch sich verständigen konnte, um den Ankömmling versammelt, und ein auserlesenes Konütat begleitete mich auf allen Wegen, so daß mir recht eigentlich heimisch zu Muthe wurde und ich in die Zeiten burschikos treuherziger Genossenschaft mich zurückversetzt fühlte. Nachdem es dämmerig worden und wir im (,v>s<) <^1 ^«mn uns niedergelassen, kam eine Einladung von Seiten dcr so eben von Dicnstgcschäftcu aus der Nachbarschaft zurückgekehrten obersten Behörde dieses kleinen Inselpaschaliks, einem Manne, dem ohne 112 vieles Bemühen, ja wider Wunsch und Willen vielleicht ein Ziel geworden, das dem großen Cäsar, dcm nach Weltherrschaft Dürstenden, im idyllischen Traume eines Alpenstädtchens als anderes Ideal vorschwebte, als er das zukunftschwangerc Wort sprach: „Lieber der Erste hier, als in Nom der Zweite!" — Daß der Mann, bei dem ich ein paar angenehme Abendstunden zugebracht, der Erste sey in Veglia, würde Niemand in Abrede gestellt haben, der das Staunen der Marqueurschaft und die mttcrthänigen Bücklinge des Kasscewirths gesehen, als die Einladung zur Herrenburg Ouißo: Bezirkskommissariat) an mich eingegangen; das Mindeste, wofür man mich halten mochte, war wohl ein Abgesandter vom kaiserlichen Hofe — ein Ziel, von dem ich aufrichtig versichern darf, daß es nie zu meinen Idealen gehört. — So vereinsamt als auf dem Wege von Veglia nach Castel-muschio habe ich mich lange nicht gefühlt. Man kann allein seyn, ohne sich einsam zu fühlen; aber im Verkehr mit Menschen, ohne irgendwie sich austauschen oder verständigen zu können, das heißt einsam und verlassen seyn; da fühlt man dankbar das Element, das uns menschlich eint und bindet, freilich auch mit dämonischer Gewalt entzweit und scheidet — aber der Kampf ist ja der Vater der Dinge, und tausendfach lieber umkommen in lebendigem Kampfe als vergehen im stummen dumpfen Hin-brütcn, wär' es selbst in Gold- und Demantschachtcn! — Mein Führer, und Alles was auf dcm ganzen Wege, der mir darum endlos lang erschien und den ich ohne Erquickung durch Trank und Speise zurücklegte, nur um ihn schneller zurückzulegen, Alles was auf dieser weiten Strecke an menschlichen Gestalten uns begegnete, wußte kein Wort, das über ihr unbehaglich des Fremdlings Ohr umrauschcndes Kroatisch hinauskam. Die Physioguo-mic der Insel aber ist ansprechend. Berg und Thal in beständigem Wechsel, in den Thälern frische Wiesen mit weidenden Heerden und Meuschcnwohnungeu, und auf den Hohen kräftige Stämme, vor allen die Steineiche in voller Größe und Umfang; die Bewohner ein schönes kerniges Geschlecht; die Pferde klein, aber stramm und lebendig, ein eigner eingcborner Schlag; das Hornvieh stattlich. Man wandelt lange, ohne daran erinnert zu 113 werden daß man auf einer Insel ist, denn die hohen Baumkronen decken fast überall die Aussicht auf das Meer. Endlich anf cincr Höhe wird der Blick frei über den Golf nach Fiume hin nnd die kroatische Küste entlang, deren kahle Kalkfelsen das ringsum herrschende frische Grün der Insel nnr noch mehr hervortreten lassen. Ein Bild dieser Inselwanderung bleibt mir gegenwärtig, dem ich zum entsprechenden Festhalten einen tüchtigen Maler gewünscht hätte. Auf einem mit weißgraucn Ochsen bespannten Wagen stand eine wunderhübsche rothwangigc Vegliotin, vor sich eine große Kufe eben gekelterten Nothweins, anf dem zierlich mit dunklem Tuche nach Art der Albanerinnen belegten Kopfe ein kleineres Kübel tragend, an der linken Seite den Nocken mit weißem Flachs, mit der Nechten den Faden, mit der anderen Hand die Spindel führend, Weinranken in üppiger Fülle um sie her — so stand sie da, mit ihrem dunkeln Auge unter dem schwarzen Haar hervorblickend, wie eine ernsthcitre Trinmphatrir ans dem Gefolge des Dionysos, nicht des erregenden, sondern des siegbewußt beruhigten. — Und nun werfen Sie einen Blick anf das felsenansteigende Kastell Mnschio, den nördlichsten Ort der Insel Vcglia und aller Inseln des Quarncr. Hier erhebt sich noch heut auf fruchtbarer Höhe, von Gärten und Feldern und Menschcnwohnnngcn umgeben der alte Thurm der einst so mächtigen Frangipani, denen schon im dreizehnten Jahrhundert die Insel von den Venezianern zu Lehen gegeben war unter Verpflichtung, mit eigner Mannschaft unermüdlich den Kampf zu betreiben gegen die uz-kotischen Piraten nnd, so oft die Ncpnblik dreißig Galeeren waffne, anf cigne Kosten eine anszurüsten. Bald daranf nahmen die Frangipani anch von den ungarischen Königen, denen sie durch angestammte Tapferkeit wichtig geworden im Kampfe gegen die Tartaren, Lehen an auf dem Festlandc Kroatiens, wurden somit Barone von Ungarn, und fingen an in hcrrschbegierigem Selb-ständigkeitsgcfühl die fremde Abhängigkeit unerträglich zu finden. Da begann das über zweihundert Jahre durchgeführte Spiel, daß sie bald vorzugsweise und im Widcrspicl gegen Venedig sich Reisen «„d ^andcrbeschvelbun^,,, XXIX. 8 (Istrien und Dalmaticn.) N4 der Krone Ungarn zuwandten, bald, wenn sie von dorther ihre Unabhängigkeit gefährdet glaubten, mit leisem Gegengewicht wieder zur Republik hinübcrucigten, nach Gelegenheit sich auch wohl in heimliches Verständniß mit den Türken einließen, bis gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Graf Johannes Fran-gipani förmlich entsetzt und mit nicht unbedeutendem Iahrgehalt als hcrrschaftloftr Nobilc in Venedig zu leben gczwuugcn ward, während die Iusel Vcglia von nun an unter in je zwciund-dreißig Monaten wechselnden Proveditoren für immer dem Gebiet des heiligen Markus einverleibt, wurde. ,,^«n 8s>mmn pi»-0^70 m^u^»>>> nannte ilm ein Schiffer, der sich dem Strand-Wanderer zugesellt. Es ist die alte Zuckcrrafft'ncrie, die einstmals Tausende genährt und bereichert, seit Jahren aber, nach Ablauf ibrer Privilegien eingegangen ist und nunmehr ausgestorben dasteht, ein verlassenes Schloß am Meere. Dagegen ist der Handel ^mine's, besonders wichtig für den Vertrieb ungarischer Erzeugnisse und nebenbei außerordentlich belebt durch die fortwährend hier in üppiger Blüthe stehende Schmuggelei, in aufsteigender Linie begriffen, und wird ohne Zweifel noch bedeutender sich heben, wenn mit dein Durchstich der Fiumara und der gleichfalls beabsichtigten Erweiterung des Hafens ein sicherer ersprießlicherer Landuugs- und Ankerplatz gewonnen ist. Schon hat die Negierung eine ansehnliche Snmme zur Verwirklichung dieses Planes angewieseu; nicht unbedeutenden Zuschüssen hofft man von reichen Privaten Ungarns entgegen sehen zu dürfen. Ungarische Patrioten zählen Fiumc, jetzt die dritte See-Handelsstadt der Monarchie, in sanguinischen Zukunftträmncn bereits den ersten Hafen- und Handelsstädten der Welt bei. — Soll ich länger hier mich aufhalten, um die nach vielfachen Bemühungen endlich für übermorgen zugesagte Eintrittskarte in die große Papiermühle zu benutzen, die ein Engländer besitzt? — Sie werden mir nicht zumuthcn, noch einmal das Dalmatiner Dampfschiff zu versäumen, das, diesesmal Fiume berührend, schon zu Morgen hier erwartet wird. Aber zum Schloß Tcrsatto müssen Sie noch mit mir hinauf, die alte Frangipaniburg an diesen dazumal vom Handel noch nicht so belebten Küsten, jetzt Eigenthum des Generals Nugent. Schreiten wir durch die 120 stattlichen Platanen am Ufer des nach kurzem Lauf vom Meere aufgenommenen Fiumarakanals, dann aufwärts über dic vierhundert in den Fels gehauenen Stufen der vielfach besuchten reichbewachsenen Wallfahrtshöhe, und treten zunächst in dic dem Franziskanerkloster nahe Kirche, wo die ..I^nln vor-^me <1i ^el-zatto" verehrt wird, die am zehnten Mai l291 wunderbar von Engelshänden aus Palästina herüber und nach sieben-monatlichcr Nast auf dieser Höhe am zehnten December sammt ihrem heiligen Häuschen von den Engeln weiter nach Lorcto getragene Retterin ans Sturmeonoth. Das erzählen Ihnen Hunderte von Votivbildcrn und Gebeten rings an den Säulen, alle dargebracht von dankbaren Geretteten, alle gerichtet an das Bild der Himmelsjungfrau, welches als ein Werk des Evangelisten Lukas, des Patrons christlicher Malerei, Papst Urban V im Jahre 1^62 Hieher geschenkt. Links vom Hochaltar erblickt man auf einem Grabmonument in Stein gehauen einen Frangipam, keck dastehend mit in die Seite gestemmten Armen, an der linken Seite das Schwert, in der rechten Hand die Fahne; darunter: . Ili« ^eet l)n"8 ^'ioo-laus <^o I>lMZ!p.midu5 Vs^io. 8^m>. Nociruni« (!0lnn8" — neben ihm zur Rechten seine Gattin Elisabeth. Das ist der früher verstorbene Bruder jenes Johannes, des letzten Herrn von Veglia, derselbe, welcher an der Stelle, wo die Engel das heilige Haus der l^aw Voi^m« niedergesetzt, eine dessen Form entsprechende Kapelle erbaut, zu welcher dann ein späterer Fran-gipani, Martin, das noch jetzt bestehende Franziskancrklostcr gestiftet. Nun etwas weiter aufwärts zum Kastell, dessen Hüter, ein invalider Korporal, nach wiederholtem Klopfen mit den Schlüsseln herbeihinkte und in den innern Hofraum führte. Es wird hier viel gebaut und vorbereitet, da man eifrig in Begriff ist die alte Veste neu herzustellen und unter anderen auch der Frangipani einstmaliges Burgverließ — die blutige Stätte manches un--gesühnten Schattens — zur Nugent'schen Familiengruft einzurichten. Interessante Stücke sieht man umherliegen, eine Granitsäule von dem Schlachtfelde zu Marengo neben dem venezianischen Flügellöwen, neufränkische und altrömische Consularinschrif-ten, napoleonische und österreichische Adler, Familien- und andere 121 Wappen — Alles herbeigeschafft von dem alten tapferen Herrn zu dereinstigcn Wächtern seiner Asche. Leider war in seiner Abwesenheit das Museum verschlossen, das noch viel mehr dergleichen nnd auch einige schöne Statuen enthalten soll. Während ich von dcr Mancr eines wohlbestellten Weingartens mich der Aussicht erfreute auf das nahe enge Flnßthal und die prächtige Kaiscrstraßc und über die Stadt hinaus auf das Meer und die Verge und die Inseln, unterhielt der greise Bnrgwart mit zwei einstweilen eingetretenen Kriegskameraden früherer Zeit sich eifrig über Nugents Thaten, wie er hereingebrochen drüben über den Nonte mcig^iorli dem Feinde in den Nucken, wie klng er Alles geleitet, wie so gern man unter ihm gefochten.--------Mir war, als rausche durch die ^'uft die herzergreifende, durch keine Bä'nkclsängcrci in ihrem ursprünglichen Werth zu beeinträchtigende Melodie des Gesanges: „Denkst du daran?" — Auf dieser schönen Höhe, auf dem Kastell Terfatto, das mir immer als der anziehendste Punkt cntgegenspringen wird, wenn ich Fiume's gedenke, biet' ich Ihnen dießmal Lebewohl. 2. Palmatien. „Adam ist worden wie unser einer" — dürften hastige Touristen jetzt von mir behaupten. Nachdem in einer Reihe von Streifzügcn und Irrfahrten der letztverflossenen Jahre mir zur klarsten Einsicht gekommen, daß Ein Fußbreit Erde gewonnen mehr werth ist als die halbe Welt durchlaufen, und daß nur aus einem ruhigen Insichaufnchmen bis zur Ersättigung daurender Gewinn hervorgeht, stehe ich gegenwärtig wieder unter der Botmäßigkeit eines — Eilmärsche? — Eilstüge com-mandirendcn Capitäns, dessen Machtgcbot ich fortan mich zu fügen habe, soll nicht das unaufhaltsame Räderwerk des einmal entfesselten Dampfers mich zurücklassen in Gegenden, wo man nicht versichert seyn kann morgen einzuholen, was man heute allenfalls versäumt. Mag nun auch Ihrer Walloncnnatur mehr das abenteuerlich Verschlungene, das unerwartet Wechselnde meiner istrischen Wanderungen zusagen, der Mathematiker in Ihnen wird sich jedenfalls mehr angezogen und befriedigt fühlen durch das Regelrechte, scharf Prädcstinirte des vorliegenden Zuges. Dieser ist ohne alles Zuthun, und aller etwaigen Launenhaftigkeit zum Trotz so fest geordnet, dasi ein Neischaudbuch-fabricant, das Reglement des österreichischen Lloyd und ein beliebiges statistisch-topographisches Notizenbuch zur Seite, ohne sein heimisches bequemes Schrcibepult zu verlassen, eine leidlich glaubhafte, in allgemeinen Umrissen getreue „Neise durch Dal-matien" mit derselben Zuversicht anfertigen könnte, mit welcher der Ceremonienmeister dieses oder jenes Duodczhofcs das infallible Festprogramm hcutabendlicher Feierlichkeiten sammt allen Details des dabei etwa Vorfallenden — wenn gleich noch Vorzufallenden — als Gcschichtsdocument zukünftiger krähwiukler 126 Annalen ohne Bedenken vorgreifend der Landcszeitung für ihre morgigen Spalten einsendet.-------- Die Glocke tönt zur Abfahrt. Und somit denn, falls Sturm und Montenegriner mich am Leben lassen, bald Näheres aus südlicheren Regionen. Die nächste Kunde erhalten Sie aus Cattaro mit dem rückkehrenden Dampfschiff. t«7 Die Schisssgesellschaft. Der zackige Keil der istrischcn Halbinsel liegt hinter uns; auch den Quarner — „Italiens Schluß und seines Saums Bespüler" (,,o!>' It«!in e^iuclo o i 8uoi t«rmini da^ng") — der vor kurzem mich so lange widerwillig aufgehalten, sind wir, wenig bekümmert um etwa eintretende Windstille oder sich erhebenden Luftzug, dicßmal rasch durchrollt. Die Maschine ist in guter Ordnung — was bedarf es weiter? — Nollt das Räderwerk so mancher Staatsmaschine doch in gleicher Weise fort, so wenig gestört als gefördert durch etwaigen Wechsel in den oberen Ne- gionen.--------Die Stunde des Morgcnaufenthalts in Lussin piccolo ging rasch vorüber, mir in Begrüßung freundlicher Bekannten, meiner Gastfreunde während des letzten robinsonischen Besuches, Anderen in flüchtiger Besichtigung des Oertchcns; und bald waren Alle wieder an Bord, um sich in südöstlicher Richtung zwischen den kleinen, von Alters her schon zu Dalmaticn gezählten Inseln in den Canal von Zara schaukeln zu lassen. Jetzt erst fingen die Fahrtgcuossen an, einander etwas näher in Augenschein zu nehmen und allgemach zu gegenseitiger Mittheilung zu schreiten, wozu das schöne Wetter, Alles auf dem Deck versammelnd, ganz eigens geschaffen schien. In den ersten Stunden abendlicher Fahrt war jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, am frühen Morgen die Stimmung allzu nüchtern gewesen. Jetzt aber, durch angemessene Stärkung über den Null-grad erhoben, durch ein sorglich übergespanntes Segeltuch vor den Strahlen der aufsteigenden Sonne geschützt und zugleich zu Zeltgenossen gestempelt, fühlten alle mehr oder minder den Trieb der Mittheilung. Es war übrigens in der Schiffsgescllschaft kein Mangel an wechselseitig sich anziehenden Elementen. Handeltreibende von allen Wcltgegcndeu; Beamte deutscher, slavi- 1s8 scher und italischer Zunge, darunter mehrere mit Familie, manche zurückkehrend, andere neu versetzt — verschlagen, wie es die meisten nennen — nach dem fernen, fernen Dalmaticn; Geistliche in verhältnißmäßig großer Anzahl, theils einfache Klosterbrüder, theils Professoren harrender lernbedürftiger Jugend; unter ihnen gcschcidte, scharf ausgeprägte Gesichter — zum größeren Theil in ehrerbietiger Grupvirung sich schaarend um den greisen Bischof von Nagusa. Neben dieser schwarz und weiß drappirtcn Miliz des Himmels stachen die bunten Uniformen der Officiere verschiedensten Ranges und verschiedenster Truppengattungen, der Erdcnmacht berufene Stützen, um so stattlicher hervor. Dazwischen hin und wieder auftauchend berußte Kohlenschürer, der Koch mit weißer Schürze, ihm zur Seite dienstbare Küchenjungen, Ober- und Unterkellner, der Steuermann und seine Gesellen, Ankerwärtcr, Bootsleute — Alle dem Commandoworte des geschäftigen Cavitä'ns lauschend — zusammen rin artiger Knäuel in- und auseinandcrlaufendcr Fäden babylonischer Sprachverwirrung, das bezeichnendste Symbol des in grauser Mischung durcheinander wimmelnden Menschengeschlechts mit seinen Sympathien und Antipathien, seinen freundlichen und feindlichen Begegnungen, seinen Miß- und Halbvcrständnisscn, in denen nur hier und da einzelne ;u wahrhaftem Seclcneinklang Geschaffene sich finden, Magnete, von ihrem Ursprung an bestimmt sich gegenseitig anzuziehen, harmonisch sich zu ergänzen, einer des anderen Kraft übend nud mehrend, einer den anderen fest und aufrecht haltend, sich in alle Ewigkeit nicht wieder zu verlieren. — Mich interessirtc von der bunten Fahrtgcnossenschaft am meisten Furl a net to, der paduanische Professor, der gelehrte Bearbeiter des Forcellini und sinnreiche Erklärer vieler Inschriften, welcher trotz den bereits vorgerückten Jahren mit jugendlichem Eifer zu Erforschnng einiger bisher minder beachteter Alterchumsrcstc in Dalmatien sich aufgemacht; nächst ihm Nic-colo Tommasco, welcher, zufolge der Mailänder Amnestie aus mehrjährigem Eril zurückgekehrt, jetzt seiner Vaterstadt Sc-bcnico zueilte, um eine geliebte Schwester wiederzusehen und das theure Grab der während seiner Verbannung verstorbenen Mutter zu besuchen. Anfangs mich von aller Mittheilung 129 zurückhaltend, lauschte ich den anziehenden Gesprächen dieser beiden, und so nahte rasch und unvermerkt die Mittagsstunde. Kaum hatten wir vom Mahle uns erhoben, als cin aufmerksamer Späher die in der Ferne auftauchenden Thürme und Mauern Zara's verkündete, eine Nachricht, die auf die verschiedenartigste Weist aufgenommen wurde. Die zum ersten Male Nahenden, auch wenn der Ort kein besonderes Interesse für sie barg, blickten doch mit einigem Antheil nach der Hauptstadt des Landes hin, in welchem sie künftig weilen sollten; die Heimkehrenden feierten schon im voraus das Wiedersehen lieber Bekannten, Freunde, Verwandten; unter den zu längerem Aufenthalt dorthin versetzten Beamten begrüßten einige mit resigni-rendem, andere mit hoffendem Sinne die neue fremde Hcimath; einen: jungcu Manne von feinen Gcsichtszügcn, der bisher ganz in sich zurückgezogen und fast ohne Antheil an der übrigen Gesellschaft geblieben war, entfuhr unwillkürlich der Stoßseufzer: „Das also ist der Ort meiner Verbaunung?'" ^ Da regte sich im Herzen einer jungen feurigen Brünette, ich weiß nicht ob in Zara geboren, ob nur dort erzogen, die gekränkte Vaterlandsliebe, und sie wendete in raschem Redefluß sich zu dem jungen Manne: „Wie aber kann man nur von einem Ort der Verbannung sprechen, wo Alles sich in einer Stadt vereinigt, sie so angenehm als möglich zu machen? Was vermissen wir in Zara? Vcrcüngnngspunkt aller höheren Behörden des gesamm-ten Dalmatiens, Buchhandlungen, Bibliotheken, Museum, Theater und Casino, ein Ort belebter Schifffahrt und des Handels, in Verkehr mit allen Theilen der Monarchie, trotz seinen Festungswerken offen und heiter, umgeben zu Wasser und zu ^'ande von Inseln, Thälern, Hügeln und Ortschaften, die zu freundlichen Ausflügen einladen, gesellig und geneigt zu allen Arten anständiger öffentlicher Vergnügungen — es ist die schreiendste Ungerechtigkeit, solch eine Stadt einen Verbannungsort zu nennen!" — Der überraschte junge Mann stand ganz verblüfft der feurigen Rednerin gegenüber, die in unbefangenster Weise ihrem Herzen i!uft gemacht, ohne zu bemerken, daß sie die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf sich gezogen uud daß sic in ihrer kräftigen Entrüstung Allen weit anziehender erschienen war als Neilen m,t> Läntelbclchrcil'imgcn. XXIX. 9 (Istrien und Dalmatien.) 180 irgend einer je zuvor geahnt. Der junge Mann suchte Einiges hervorzubringen zur Entschuldigung seiner doch nur aus Un-kenittniß hcrvorgcgangenen Aeußerung und hoffte sichtlich auf ein milderndes Wort nach der aus heiterem Himmel geschleuderten Philippic«; aber ihm ward nichts weiteres als: „Lernen Sie nur Zara erst kennen, dann werden Sie schon anders urtheilen" — Worte, von Blicken begleitet, die nicht undeutlich errathen ließen, daß der Umschlag in ein gefälligeres Urtheil, ein Gernverwcilen von Seiten des dermaligcn Gegners dem Herzen der geharnischten Vaterlandsvertheidigcrin vielleicht gar nicht unangenehm seyn möchte, ja, daß sie selber vielleicht wünschte zu solch gefälligcrem Urtheil beizutragen; und der junge Mann schien wirklich von Herzen zur Capitulation geneigt und mochte nicht ungern die Friedenspräliminarien in dem milderen Glanz der dunkeln Augen lesen, die noch vor wenigen Augenblicken so gefährlich und für ihn doppelt gefährlich gefunkelt. Er ging bald so weit, sich zum Mitvcrthcidiger der kurz zuvor noch als Verbannungsort betrachteten Stadt aufzuwerfen, als ein Anderer aus der Gesellschaft das von der feurigen Brünette gespendete Lob doch mit gar zu glänzenden Farben und sichtbarer Vorliebe entworfen fand; und man sah ihm die Freude an, als die in ihrer Ueberzeugung sichere Amazone dem Scirocco den regelmäßig eintretenden Maestro, den glühenden Sonnenstrahlen die Schatten zwischen den kühlen Steinwänden der Stadt und die noch angenehmeren des freundlichen Volksgartens entgegenstellte, dem aristokratischen Hochmuth und dem Mangel an Bildung aber begegnete mit der unumstößlichen Behauptung, von jenem fühle sich gedrückt wer keine innere Würde habe, von diesem störend berührt, wer nicht das Bessere aus der Masse herauszufinden wisse; über Einförmigkeit der Vergnügungen und Mangel an Wechsel, innen und anßen, werde nur klagen, und werde es aller Orten, wer dem sich Darbietenden nichts abgewinnen könne was auch in der Wiederholung Werth und Dauer verleihe, wer immer Neues verlange, nur um die innere Leere und die angeborne Langeweile auszufüllen. Täglich etwas Anderes biete sich nirgend dar, und auch in den größten und volkreichsten Städten müsse nothwendig sich Vieles wiederholen. Dic Hauptsache sey überall, empfänglich zu bleibe n 131 und fähig, das Sympathische herauszufinden in der Natur wie in der Gcscll,chaft; wer das vermöge, dem werde Zara gewiß nicht als Verbannungsort erscheinen. — Der junge Mann schrack sichtlich zusammen bei der Wiederholung des als Fehdehandschuh von ihr zuerst aufgehobenen Wortes und es schauerte ihn an wie cin verdienter Vorwurf. In der dießmaligen Betonung aber lag so viel Versöhnendes, daß ein divinatorisches Auge einen tieferen und innigeren Frieden der beiden kämpfenden Parteien als in naher Aussicht stehend mit Zuversicht hätte vor-ausverknnden können. 9 * !32 3 a r a. Während dieses kampflustig fricdgeneigten Intermezzo's rückten immer deutlicher die Thürme, Stadt- und Festungsmauern Zara's heran, die eine Reihe von Jahrhunderten hindurch den von dieser Seite Nahenden keinen solch friedlichen Anblick gewährt hatten. Gewohnt, die Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit zu schauen und mit dieser im Bunde erst in ihrer Wesenheit zu begreifen, gönnte ich willig den Erinnerungen Raum, die an diesen Mauern sich emporranken. Die Urzeit der Viburner, deren Hauptstadt einst auf dieser selben Landzunge gestanden, liegt zu weit ab in Hintergrund und Nebcldämme-rung und bietet zu wenige Spuren, um von ihr eine deutliche Vorstellung zu gewinnen. Immer aber bleibt so viel gewist, daß, während von den übrigen Murnerstädten kaum irgend eine zuverlässige Andeutung ihres alten Standpunktes geblieben, das Iadera der Nömercolonic an diesen Küsten, das während der Bürgerkriege tren den Panieren Iulins Cäsars und später denen Cäsar Octavians angehangen, das nach Auflösung des Römerreichs als Diodora Mittelpunkt der Gricchenhcrrschaft am adriatischen Meere gewesen und nach wiederholten Einfällen barbarischer Völkerschaften unter dem tyrannischen Scepter der Kroatenkönige als Zadar eine vorherrschende Nolle gespielt, derselbe Ort ist, welcher durch die Venezianer von den verheerenden Anfällen narcntinischer Piraten erlöst (997) freiwillig der errettenden Schutzmacht sich zn eigen gab und nunmehr als Zara eintritt in die Besitzungen der jetzt erst mit kühnerem Fluge nach Außen sich wendenden Republik. Niemals haben die Venezianer die Bedeutung Zara's verkannt für ihren Handel und ihre Herrschaft auf der eifersüchtig als ihr ausschließliches Eigenthum gehüteten Adria, haben stets sie als den wesentlichsten 133 Stützpunkt ihrer dalmatinischen Besitzungen und die vor allen anderen Orten als Haupt ersehene Stadt begünstigt. Aber Zara, seiner vorwaltenden Bedeutung sich bewußt, hat ungeachtet aller Begünstigungen und Bevorrechtungen Jahrhunderte lang mit Widerstreben nur die Herrschaft der gebieterischen Dogenstadt getragen. Dieser Kampf, der Wetzstein, der das Schwert Venedigs stets von neuem geschärft, der Mahner, welcher seine Kräfte wach erhalten und geübt zu größeren Unternehmungen, ist oft^ mals die herausfordernde Veranlassung zu bedeutenden, kaum vorher geahnten Resultaten geworden. Vor Zara, der Rebellin, die ;ur Bändignng und Wiedergewinnung vier Jahrhunderte hindurch unzählige Opfer gefordert, ist kein Blutstropfen vergossen, der nicht Venedig tausendfältige Ernte getragen. Den ersten, während innerer Unruhen der Dominante unternommenen Abfall macht Domenico Contarini rückgängig, indem er (um 1050) Zara dem Ungarukönige Salomon und den: Patriarchen von Aquileja Orado wieder abgewinnt. Dieß waren die Vorläufer zu den Kämpfen, in denen Venedig seine Macht in die Wagschale warf znm Schutze Italiens gegen Robert Guiscard, in denen seine Flotte bei dem alten Durrachium den ersten Seesieg errang, die Pisancr im Orient überwand, Besitzungen an der apulischen Küste gewann, und zuerst den später bei den Krcuzzügcn so erfolgreich werdenden Einfluß geltend machte. Kaum weiß Zara die Hauptstrcitkräfte Veuedigs im Orient bc« schäftigt, als es zu neuem Abfall bereit mit dem Ungarnkönige Stephan gemeinsame Sache macht. Ordelafo Falier, siegreich zurückkehrend von dem Hcereszugc, den er Kaiser Alexius zu beschützen unternommen, findet in einem mörderischen Kampfe vor den Mauern Zara's seinen Tod (1116). Sein Rächer wird Domenico Michicl, der Eroberer von Tyrus und der syrischen Küste, der erst dann die ruhmbegränztc flotte den Lagunen wieder zuführt, nachdem er den Schreck des Vcncziancruamens über Uugarn und Kroatien verbreitet und nächst Zara die übrigen Dalmatincrstädte unter Venedigs Botmäßigkeit zurückgeführt. Neuer Abfall und neue Triumphe über die mit den Feinden der Republik in Bund getretene unruhige Stadt uutcr seinen nächsten Nachfolgern, und stets an Umfang und Stärke wachsend Macht und Einfluß der umsichtigen Siegerin, die, auch in Gefahr und Wider? 134 wärtigkeit beharrlich gleich ihrem Vorbilde, der Römerrepublik, selbst aus Unfällen neue Vortheile zu ziehen weiß. Ader kein Abfall der widerspenstigen Stadt war von bedeutenderen Folgen als der gegen Ende des zwölften Jahrhunderts, zu dessen Bestrafung am Anfang des dreizehnten Enrico Dandolo, der eben so tapfere als umsichtige Doge, die von ihm geleiteten Kräfte des vierten Kreuzzuges benutzt. Vor den Mauern des wiedergewonnenen Zara war es, wo die Eroberung Konstantinopels beschlossen und sofort zu deren Ausführung geschritten wurde, eine Eroberung, die den ersten Ning zu der Kette aller ferneren Erwerbungen der Venezianer in den Griechenmccren bildet, die entscheidende Stufe der zu welthistorischer Höhe aufsteigenden Bedeutsamkeit ihrer Macht. Um die Mitte des dreizehnten und zu wiederholten Malen im vierzehnten Jahrhundert weckte immer neuer Abfall neue Kämpfe, deren letzter um so unhcildrohcn-der, als zugleich Genuesen und Ungarn, Erzherzog Leopold von Oesterreich und die benachbarten Carraresen gegen die allein stehende Republik sich verbündet hatten. Aber nachdem Genua besiegt, Padua gezüchtigt, mit dem Könige von Ungarn und dem Erzherzoge Friede geschlossen war, kehrte Zara, dicßmal auf friedlichem Wege, durch einen förmlichen Vertrag mit dem letzten nichtvenezianischen Beherrscher, dem aus ungrischcm Blute stammenden Könige Ladislaus von Neapel, unter Venedigs Votmäßigkeit zurück (1409). Es war die neunte Rückkehr. Die venezianischen Geschichtschreiber sprechen bei dieser Gelegenheit insbesondere von der hohen Wichtigkeit Zara's, ohne dessen Besitz eine dauernde Herrschaft über den Golf unmöglich sey. Auch erkannte der Senat, nachdem man in langen und wiederholten Kämpfen die Gefahr erprobt, welche Zara in Feindeshänden biete, diese Wichtigkeit factisch an, nicht nur durch glänzende Feier der Wiedergewinnung, sondern durch die bedeutende, mit großen Kosten und rastlosem Eifer unternommene Befestigung der Stadt zum Zügel sowohl innerer Ausstände als zum Schilde gegen äußere Feinde. Zara schickte Abgesandte nach Venedig, die beim Huldigungseide feierlich versicherten, die Zaratincr betrachteten es als höchstes Glück wieder unter den Flügeln des Markuslöwen zu stehen. Michael Steno, nach hergebrachter Sitte ihnen die Fahne des Schutzheiligen Venedigs als Panier 135 auch ihrer Stadt darreichend, cntgegnctc kurz, das Glück der Zaratiner hänge ab von ihrer Treue. Die nächste Folge war die Unterwerfung aller übrigen abgefallenen Inseln und Städte und eine bedeutende Gebietserweiterung in Dalmatien. Mögen nun die bei der Huldigung gegebenen Versicherungen hervorgegangen seyn aus Ueberzeugung und Gefühl oder hervorgerufen von dcm Dränge der Nothwendigkeit, mag die verstärkte Befestigung und die Furcht vor den immer mehr in Gebrauch kommenden Feucrschlünden ihr Theil beigetragen haben von ferneren Aufstanden abzuhalten — es ist Thatsache, daß Anhänglichkeit und später sogar ^icbe zu Venedig fortan in den dalmatinischen Besitzungen immer zunahm, und daß die Dogenstadt bald keine treuer ergebenen Unterthanen, keine eifrigeren, zuverlässigerm Kämpfer hatte, als ihre Dalmatiner. Diese Liebe und Treue, diese todesmuthigc Hin. gebung hat sich erhalten bis zum Sturze der sich selbst aufgebenden Vcnezia, in deren Vertheidigung sich nicht opfern zu dürfen im entscheidenden Augenblick der größte Schmerz der für den Nuhm der theuren Dominante erglühenden kampfdürstenden Dalmatiner war. Noch heut, nach mehrfach wechselnder Herrschaft, sprechen die Alten, deren Iugenderinucruugen auf die, Zeit der Republik zurückgeben, mit wahrhaft kindlicher Innigkeit < von> dor einstmaligen Patronin jenseits dem Meere, und man findet nirgeud wahrhaft religiöser das Andenken des MiM.gß^ lösten Verbandes festgehalten als in diesen Gegenden -n^i's-^ ^inAls Krösus von seinem Urbcrwmdcr Cyrus befragt wurde, wte wohl die kräftigen und kampflustigen Lyder am sichersten in Unterwürfigkeit zu halten seyen, gab der einstmalige Herrscher den sein Gedächtniß brandmarkenden Nath sie zu verweichlichen, und das folgerechte Durchführen dieser unwürdigen Maaßregel bewährte sich durch den entschiedensten Erfolg. T)ie Geschichte wirft den Venezianern in Beziehung auf Dalmatien das umgekehrte Verfahren vor» Wenn Venedig das allerdings mit patriarchalischer Milde behandelte, niemals durch schwere Auflagen gedrückte Volt wirklich mit Absicht in Dumpfheit und Rohheit gchaltew,. um desto blindlings 4M Mgehenere MM,, thanen in ihm sich zu erziehen, so hat die durch die Wettgeschichte wie durch das Einzellcben schreit.^ntlkV^rHclfunK solch 136 Verfahren hinlänglich bestraft durch den trüben, an warnenden Lehren unr allzureichcn letzten Act seines eigenen Daseyns. Die einst glorreiche Herrscherin der Mcerc und Gesetzgeberin der Völker erscheint in dem Augenblick, wo sie an sich selbst verzweifelnd die zu jedem Opfer bereite Hülfe ihrer eifrigst Ergebenen absichtlich lahmt, unfähig und ohne Entschluß die Jahrhunderte lang zur Stütze und zum Schutz erzogenen Kräfte zu benutzen, in ihrem tantalischcn Zustande nicht unähnlich dem Schätzcsamm-ler, der in der Mitte anfgchäuftcn Goldes das Nothdürftigste entbehrend frcundlos und freudlos zu Grabe geht. Tommaseo erzählt von einem zur Zeit des Sturzes der Veneziancrrepublit aus Zara geschriebenen Briefe, der in er. greifenden Zügen darstellt, mit welchem tiefen Schmerz das venezianische Banner eingezogen, wie es auf dem Wege zur Kirche unter Schluchzen vom Volke geküßt und mit frommer Sorgfalt in das Allcrhciligstc getragen worden zn desto dauren-dcrer Erhaltung — ein Schauspiel, welches die neuen Gebieter selbst zu achtungsvollem Mitgefühl bewegt. Nchnliches ging, wie sehr anch eine jakobinische Propaganda sich bemüht hatte, das Volk im entgegengesetzten Sinne zu bearbeiten und mit Haß zu erfüllen gegen die als finstere Tyrannin und als Feindin aller Freiheit dargestellte Republik, in allen Orten vor, wo die Venezianer ihre Herrschaft ausgeübt, vornehmlich aber und am lebhaftesten und unverhohlensten an diesen Küsten, wo die kräftigen Söhne der Natur mit wahrer Pietät an der als Mutter verehrten Patronin hingen und in der Standarte des heiligen Markus gewissermaßen die von Gott geweihte Bundeslade ehrten. — Der Anblick Zara's bietet aus der Ferne etwas mittelalterlich Vcstenartiges, wozu der beinah durchweg ungetünchte graue Stein der Häuser und die hohen Wälle kein Geringes beitragen. Beim Herannahen springen die neueren Werke mehr ins Auge, und wenn man hart an den Bastionen vorbei in den geräumigen Hafen einfährt — die einzige durch künstliche Vorrichtungen offen gelassene Straße in die von der Natur gebildete Bucht — so wird man inne, daß den feindlich Heranziehenden wohl ein anderer l37 Empfang erwarten dürfte als unsrem friedlichen Dampfer zu Theil wurde. Ufer und Walle wimmelten von Menschen; denn in diesen Gegenden bereitet das ankommende Dampfschiff immeri einen Festtag. Verwandte und Freunde, sehnlich erwartete," sollen begrüßt, Fremde in Augenschein genommen werden; wer irgend Zeit hat, wandelt in solcher Stunde vor das Meercsthor. Die heutige Versammlung auf dem ziemlich geräumigen Platze entsprach ganz der alten Bestimmung dieses Thores, dessen Bogen aus deu Trümmern einer römischen Triumvhpforte besteht, die eben dadurch crhalteu worden, während anderswo die Venezianer, welche ihren Staat so gcru als wiedcrerstaudene Roma betrachteten, was immer für Römcrrestc zum Festungsbau verwendet. Jung und Alt, Männer und Frauen harrten sonntäglich geschmückt der Ankömmlinge. Die Formalitäten der zuerst heranruderndcn Sanitätsbehörde waren bald beendet, und nun durfte, wer Lust hatte, mit seinem Kahn heran und an Bord. Da Jeder sich alsbald dem ihn Erwartenden anschloß, und die von Niemand Erwarteten sich zu einander hielten um eines freien Nachens habhaft zu werden, so war die eben noch auf so engem abgeschlossenem Naum vereinte Zcltgenosscnschaft bald auseinander gesprengt, uud an dem Ufer suchte jeder den ihm zugewiesenen Theil. Hier fand auch ich den für Zara mir bestimmten Geleitsmann, der aufs zuvorkommendste sich erbot, die noch übrigen Stunden des Tages mir bestmöglich einzutheilen zu Besichtigung des Sehcnswerthen innerhalb uud außerhalb der Stadt. — Der erste Besuch galt dem Dome, dessen Bcgrünbuug Heinrich Dandolo zugeschrieben wird. Die jetzige Erscheinung des Gebäudes spricht keineswegs für ein so hohes Alterthum; höchstens gehören die kleinen, dem Byzantinischen sich nähernden Säulchen an der Stirnseite einer älteren Zeit an. Sphim-artig streckt der Bau in langer Dehnung seine linke Seitenwand der ziemlich ansehnlichen Hauptstraße cutlaug, die mit der sie durchschneidenden Quergasse die Stadt bildet, deren Hauscrzahl auf 1050, die der Einwohner, die Garnison mit eingeschlossen, nahe an 8000 sich belaufen soll. Gegen Ende der Republik ward letztere von zuverlässigen gleichzeitigen Berichterstattern nur auf 6000 angegeben. Reichthum an Marmor darf uns in Kirchen des Südens nicht verwundern. Einige alte Gemälde sind für die 138 Kunstgeschichte bemerkenswerth; auch wird ein Tintoretto und ein Palma Giovane gezeigt. Mit größerem Stolze rühmen sich die Zaratiner ihres Tizian in Santa Katharina; besonders hochgehalten aber wird der vergoldete Silbersarg, welcher in der Kirche von San Simeone die Gebeine dieses Heiligen umschließt — ein Geschenk, das um 1380 Elisabeth von Ungarn bei Genesung ihres Gemahls Ludwig darbrachte und von dem die Sage geht, daß die Königin einen Finger des Heiligen zurückbehalten und in dem Busen versteckt, wo cr ihr aber einen so fürchterlichen Brand verursacht, daß sie sich bewogen gefühlt ihn dem Gesammtkörver zurückzugeben. Wirklich hängt ein Finger San Simeons zu Zara nur lose an der Hand. Der den Körper umschließende Sarg soll achtundzwanzigtausend Dukaten (wahrscheinlich <1uciüi cl'ili-^nto) gekostet haben, eine für jene Zeit bedeutende Summe. — Die Pforte der Kirche zum heiligen Chryso-gonus zeichnet sich aus durch Säulentrümmer aus dem Heidcn-thum. Auch werden als römischen Ursprungs zwei hohe Säulen angegeben, deren eine auf dcr i'ill^xli ^i 8,^01-1, die andere auf der ?i3xxg die zu Versteigerungen dient; vor Allem bemerkenswert!) aber die trefflich eingerichtete große Cisternc, wca/n der zum Schöpfen des-Wassers bestehenden fünfBrmmen, „einquc poxxi" genannt, angeblich ein Werk Scmmicheli's, neuerdings durch den Gouverneur Grafen Lilicnberg mit einer regelmäßigen Wasserleitung in Verbindung gebracht. Bedenkt man. die Bedeutung solch eines Geschenks für eine an Süßwasser arme Gegend, so braucht man nicht erst an thaletische Systeme zu erinnern, um das pin-, danschc ,/^lllrav /te„ ^^9", die Eingangspforte zu semn ersten olympischen Siegeshymne, zu begreifen. Es ist die einfachste Natmanschauung, aus der dieses Wort hervorgegangen. 139 Wo Wasser, da ist Leben, wo es fehlt, Oedc und Tob. So darf es auch nicht Wunder nehmen, daß der heutige Zaratiner noch mit dankbarer Erinnerung Trajans gedenkt, von dessen großartigem Aquäduet in der Umgegend sich Spuren finden, und daß das Andenken dieses väterlich fürsorgendcn Kaisers lebendiger fortlebt als selbst das des Augustus, den eine wohl erhaltene Inschrift als Vater der Iadertincreolonic lobpreist. Dankbares Andenken für ein jüngeres Werk, das nicht so viele Jahre zählt, als jenes Trajanischc Jahrhunderte, schuldet Zara dem Fcldmarschall--lieuteuant Varon Weldcn, der als Gouverneur der Stadt (1829) den Plan entwarf zu dem auf der südlichen Bastion nahe dem Herrcnplaijc und zuuächst der Fünfbrunncneisternc angelegten Volksgartcn, einer nicht umfangreichen, aber gar anmuthigcn Anlage, von wo man auf beschatteter Höhe ciuer angenehmen Aussicht sich erfreut. Den Weldcnschen Plan auszuführen ist sein Nachfolger, Graf Lilienberg, eifrig bedacht gewesen. In der Mitte der Anlage hat er sinnreich eine grottenartige Halle angebracht, ausgemauert mit historisch denkwürdigen Steinen und gefüllt mit Antiquitäten verschiedenster Art. Köpfe, Säulenreste, Inschriften, Römisches und Venezianisches, sind hier in bunter Mischung zusammengestellt, den von schaltendem Grün erquickten Blick zurückführend in Zeitcu schwerer Kämpfe. Eiu großartiges Werk ist das dem Volksgartcn nah anranzende südliche Thor, die I'arw toi-rn lm m.i, eine der vorzüglichsten Bauteu Sanmichcli's, nach der Weise dieses Architekten in festen Massen zugleich wohlgefällig für das Auge ausgeführt. Stattlich springt der Markuslöwc über den hoben Säulen hervor ungefährdet von dem Vandalismus einer, temporärer Herrschaft sklavisch huldigenden Zerstörungswuth. Nun überschreiten wir zwei Verbindungsbrücken, und mit ihnen den doppelten Graben, der die Landzuugc, auf welcher Zara liegt, von dem Festlandc künstlich scheidet. Dieser Pfad, der auf die Straße nach Sebcnico führt, ist der besuchteste Spaziergang außerhalb der Stadt. Hcntc, am Sonntag Nachmittag, fand sich hier Alles auf- und nicderwandelnd und fahrend und reitend, einander bccomplimentircnd und b estäubmd, was Zara an eleganten Fußgängern, an Kutschen und Reitpferden aufzu« 140 weisen hat — letztere beide Artikel in eben nicht allzu grosier Anzahl. Einen schroffen, aber keineswegs unwohlthuenden Gegensatz zu dieser modernen Staffage bildeten die kräftigen Gestalten der Morlakcn, die in ihrem Sonntagsputz, die Männer in rothen Leibchen und blauen ungarischen Hosen, den strammen Zopf mit dem saubersten Seidcnbande umwickelt, die Frauen in geblümtem Neberwurf und dem korscttartigcn Mieder, aus ihren ländlichen Hütten der Stadt zuwanderten. Seit dem Sturz des Serbcnrcichcs in größerer Anzahl in Dalmaticn eingewandert, haben die Morlaken vornehmlich in den Berggegcn-dcn des Zaratiner und Spalatincr Kreises sich angesiedelt. Den Schutz, welchen sie hier gegen die andrängende Türkenmacht gefunden, haben sie Jahrhunderte hindurch reichlich vergolten durch unerschütterliche aufopfernde Treue in den Kämpfen ihrer Schirmherren. Ein dem Frieden von Passarowitz gleichzeitiger Schriftsteller ") bezeichnet sie bei Aufzählung der Unterthanen Venedigs als diejenigen, welche Gott und dem Fürsten besonders getreu sind. Dieser Charaktcrzug ist ihnen heut noch eigen, ebenso wie ihre Einncnschärfc, ihre Liebe zu den Waffen, ihre Ausdauer und ungemeinc Genügsamkeit. Auch in ihrer Tracht und ursprünglichen Sitten hat sich nichts verändert. Hohes Alter ist unter ihnen sehr gewöhnlich; Schwächlinge und Krüppel sind eine Seltenheit. Früher in Unwissenheit und Nohhcit hinlebend, haben sie untcr der gegenwärtigen Regierung erst Schu^ lcn erhalten; werden diese nun mit dem rechten Eifer betrieben und von Stufe zu Stufe erweitert, so dürfte mit der Zeit an einem ganz jungfräulichen Beispiel sich herausstellen, in wie fern der von Vielen allen Slavenstämmen gemachte Vorwurf des Mangels höherer Entwicklungsfähigkeit begründet sey oder nicht. — Mehr noch als die am liebsten in den Bergen wohnenden Morlaken zeichnen vor den unmalcrischen, dürftig zugeschnittenen Fracks, den Alles uniformirenden Hütchen und Häubchen der Städter sich die Bewohner des benachbarten Albaneserdörf-chens aus, die ungeachtet mehr denn jahrhundertlanger Entfernung von der Hcimath ihre schmucke Nationaltracht beibehal- *) Bianchi, istorica relationc della pace di Passaroviz, Padova 1719. p. 162. - 141 ten. Auch von der Nauhhcit ihrer angestammten Lebensweise soll die Nähe der Stadtluft und „die Cultur, die alle Welt beleckt", wenig abgeschliffen haben. Die Unsitte, die ihre Väter in den Bergen ausgeübt, hat ungeschmälert von Geschlecht zu Geschlecht sich fortgeerbt, und ihre Nachbarn können nicht Vorsicht genug anwenden, um ihre Pflanzungen unbeschadet zu bewahren. Mein Begleiter erzählte mir, es werden nicht selten besondere Contraete mit diesen Albancscn gemacht, daß sie ausschließlich die ihnen nahe liegenden Besitzungen der Zaratiner bearbeiten sollen, und nur wer sich zu solch förmlichem Vertrag entschließe, könne unvcrtümmcrter Ernte auf seinen Feldern und Gärten sich getrosten; denn in solchem Falle ständen Alle, einer für den andern, ein. Das Albanescrdörfchcn ist zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts angelegt von römisch-katholischen Auswanderern türkisch Albaniens, die vor den Bedrückungen und Verfolgungen des Pascha Mahmud Begewitsch eine Zufluchtsstätte bei den Venezianern gesucht. Zum Dank ihrem vornehmsten Beschützer, dem Conte Erizzo, nannten sie ihre neue Ansicd-lung nach seinem Namen; die Deutschen aber nennen die Erizzo? Colonie das Albanescrdörfchcn. Der Boden um Zara ist steinig und erfordert viel Arbeit, um einigen Ertrag zu geben. Einen freundlichen Gegensatz bilden die grünen, reichlich mit Reben bepflanzten Höhen der Nachbarinscl Ugliano, deren langhingcstreckter ^eib mit dem gegenüberliegenden Fcstlande den Canal von Zara bildet. Von einer Höhe schauen die Trümmer des einstmals festen Schlosses San Michiel herüber, das die Venezianer im dreizehnten Jahrhundert erbaut zur Bewachung des unruhigen Zara und zur Abwehr kecker Seeräuber, die ringsum ihre Nester hatten. Jetzt dient der noch bestehende Thurm den Schiffern des adriatischeu Meeres fernhin zum Wahrzeichen. Als besonders berüchtigter Seeräuber einer vergangenen Zeit lebt im Munde des Volks der Name Ninaldo Montalbaus, welcher auf den Höhen Uglia-no's gehausct. Verderblicher als alle Seeräuber der Vorzeit sind für die Küstenstädte Dalmatiens während der Franzoscnherrschaft die Engländer geworden, die ihre Schiffe genommen und einen Handel vernichtet, der unter dem Schutze des Doppcladlers erst nach und nach sich wieder erholt. 14V Gern hätte ich einige als besonders anmuthig gerühmte Thäler der Umgegend besucht, oder das Dörfchen Wrcma mit seinem See und den Ncsten des aus Nömersteinen erbauten weiland berühmten Karavanserai sowie dem einstmaligen Hospiz der Tempelherren, dcrcn Macht so bedeutend war, daß einer ihrer Großpriorcn, Gianco di Palisna, gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Gefangennehmung und Ermordung seiner eigenen Gebieterin, der regierenden Königin-Wittwe Elisabeth von Ungarn unternommen — ein Vergehen, das selbst Kaiser Sigismund, der Gemahl ihrer Tochter Maria, nicht mit Strenge an dem Orden zu ahnden wagte, sich begnügend den überwiese-nen Großprior zur Rechenschaft zu ziehen. Auch die Wohnung des Pfarrers von Wrana hätte mich gereizt, die in Fortis Tagen noch von dem vor Zeiten in Pracht dort gebietenden türkischen Pascha den Namen trug der Gärten Ali Vci's. Aber die hereinbrechende Dämmerung mahnte an die Rückkehr zur Stadt. Im Inneren eines Hofes wurden mir noch einige in löblicher Sammlerlaune aufgehäufte antike Steine gezeigt, aber die Besichtigung des Zaratiner Nationalmuseums, das übrigens noch sehr in seiner Kindheit seyn soll, mußte auf einen nächsten Besuch verspart werden. Als keincsweges in ihrer Kindheit begriffen bezeigt sich verständig prüfenden Gaumen die Cultur der Zaratiner Weine, von denen einige Proben unsre Abendmahlzeit würzten. Ob der vielgepriesene Nosoglio Zara's seinem europäischen Nuf entspreche, mögen Kundigcrc entscheiden. Wie alt die Weincultur hier Landes ist, bezeugt schon der Tribut, den von diesem kostbaren Erbtheil des erfindungsreichen Vater Noah die Zaratincr um 827 an den Griechenkaiser Ba-silius zu entrichten hatten. — Abends im Theater, wo sich der Flor der Stadt zusammenfand, wie hätte ein durchzügclnder Gast fehlen dürfen? — komm» sli V0l-^, die Donizettischc Oper, modern im äußersten Sinne, jeder Akkord für sich und alle zusammen im Einlange ein vollgültiger Beweis für das einzige Streben dieser Richtung — momentanes Gefallen. Und es wurde hinlänglich geklatscht und sattsam Vravo nnd Vrava gespendet, und Alle waren zufrieden, denn sie hatten reichlich ihren Lohn dahin. Aber Theaterkritik Ihnen, dem spärlichsten aller Theater- t43 besucher? — Nnd so schicke ich mich denn an, nachdem ich in der friedlich feiernden Cajüte mein Tagebuch für Sie in Ordnung gebracht, dem Beispiel meiner schon seit mehreren Stunden mich umschnarchcnden Reisegefährten folgend endlich auch in mein Wandbette zu kriechen. 144 Canal von Java — Oreskowitsch — Tommaseo. Die Glut ist geschürt, der Dampf steigt auf, eine dichte himmelwärts gewandte Säule, von keinem Lüftchen seitwärts gebogen; der Salzschaum wirbelt unter den rastlos peitschenden Rädern; unser rasch bewegtes Zelt schießt brausend durch den Canal von Zara an der langgedehnten Insel Uglian vorüber ihrer ähnlich geformten NachbarinsclPasman zu, die gerade Wasserstraße nach Sebenieo. Durch eine Menge anmuthig im Kreise um-hcrgestreuter Eilande, von den Hellenen die Cvkladen des adria-tischen Meeres genannt, sind die Taufpathcn besser gerechtfertigt als in so vielen Fällen unsre mit classischen Ehrentiteln verschwenderischen Altvordern, welche, der brave Vater Gleim an der Spitze, der Karschin ehrlichen Angedenkens den Namen einer deutschen Sappho aufgcdrungcu, weil sie Verse ohne Bart gemacht. Die größeren dcr Cykladen Adria's sind reich bepflanzt mit Oliven und Reben; die kleineren, bald blendende Kreidefelsen, bald leicht bedeckt mit Fruchtbodcn und einem grünen Teppich, bilden mit den mainnchfaltigen Wasserdurchschnittcn recht malerische Gruppen. Stcinhäuschcn am Ufer und auch weiterhin hier und da ein Kirchlein auf dcr Höhc, die sonntägliche Vcrsammlcrm der kleinen Gemeinde. Mehrere dieser schmucken Felscnncster erheben sich wie Vulkane kegelförmig aus den Wellen. Einige derselben sind nur von wenigen Fischern bewohnt, die hier in mcerumspülter Abgeschiedenheit sich an> gesiedelt, den weit anlockenderen Boden in nächster Nähe verschmähend. ..I^co UN llllrn <'l>pi'!l!l!il' su'5l'nl<»!'<>!" rief einer unserer Reisegefährten beim plötzlichen Erscheinen solch einer Fischereremitage, als unser Fahrzeug eben eine rasche Wendung gemacht. Nah dabei ein etwas gröstcrcs, dicht bedeckt mit Steinhütten und versehen mit einem eigenen Gotteshause, Wie l4ü entsteht ein solches Oertchen? Ein Fischer legt an, macht guten Fang, kehrt wieder, weilt länger, schichtet sich ein Nachtlager aus reichlich umherliegenden Steinen; das Nachtlager erwächst zum Häuschen, in dem Häuschen erwächst eine Familie; Andere sehen die neue Ansiedlung; ein zweites Häuschen entsteht, ein drittes, ein viertes und so weiter, so lange Raum vorhanden; ein Kirchlein darf nicht fehlen; es wird dem nächsten Sprengel einverleibt, und die kleine Gemeinde ist fertig, ehe noch ein vor der Grundlegung dcs ersten Steines in die Ferne hinaus-gesegelter Kauffahrer zur Hcimath wiederkehrt. — Der bedeutendste Ort, an welchem wir vorübcrkommen, ist Zara vccchia, slavisch Uia^acl, oder 8wi-ixn6»r. ein Flecken von etwa hundert Häusern und nicht ganz fünfhundert Einwohnern, einst als Haupt- und Residenzstadt kroatischer Könige reich und groß und wohl befestigt, bis zu Anfang des zwölften Jahrhunderts der Doge Domenico Michicl, der nach Bewältigung der syrischen Küsten auch die Griecheninfeln nicht geschont, auf seinem beutereichem Hennzugc ihr nahte und als Nächcr seines hier gefallenen Vorgängers Ordelafo Falicr den Stolz des Kroatenrciches nach langem tapferem Widerstände von Grund aus zerstörte. Jetzt möchte in dem armseligen Neste, wo vor Zeiten Könige gethront, kein Schultheiß eines unserer nur irgend wohlhabenden Dörfer seinen Sitz aufschlagen wollen. NebrigenS hat Zara vecchia einen guten Hafen, und der Oclbaum gedeiht ringsumher in reichlicher Menge; aber der Erwerb ist spärlich, und nur selten wird das Dcrtchcn anders als von Fischerbarken besucht. Die Sonne fing an heiß zu brennen, und ein sich erhebender Luftzug brachte sehnlichst gewünschte Kühlung. Mit Wohlgefallen begrüßten wir in dem über Zara vecchia hinaus sich erweiternden Canale eine Kette hoher Fischerbarken, die mit kreuzartig gespannten Segeln rasch an uns vorüberflogen, getrieben von einem luftigen scii-aeco I^vante in puppa, während uns, den in entgegengesetzter Richtung Steuernden, der Gegenwind bei unsrer Dampfkraft keinen sonderlichen Eintrag that. Die Mittagstafel wurde auch heute auf dem Verdeck, nur vom Leinenzelte gegen die Sonnenstrahlen geschützt, aufgeschlagen, und während mich der Blick auf den Wechsel der vorüberziehenden Meisen und ^mdtlbcschreil'lm>,eli. XXIX. 10 (Istrien und Dalmatian.) !4s Erscheinungen ergötzte und die muntere Bewegung hier und da in der Ferne auftauchender Fische, freute ich mich ganz besonders der eben so lehrreichen als angenehmen Tischnachbarschaft, indem zur Rechten mir Tommasco, zur Linken der erst heut zu uns gestoßene Hauptmaun Oreskowitsch saß, Adjutant des Gouverneurs von Zara und seit einiger Zeit als Bevollmächtigter der Regierung zu Schlichtung der montenegrinisch-dalmatinischen Gränzstreitigkeiten verwendet. Oreskowitschs Mittheilungen waren mir doppelt willkommen um meines beabsichtigten Plans eines Besuchs auf Montenegro willen. Er selber hatte erst im vergangenen Sommer längere Zeit in Zetinjc bei dem Wladika gcwcil! und theils mit diesem, theils unter dessen Autorität das Land nach allen Seiten hin durchstreift. Da er bald crkanute, daß ich nicht so nach gewöhnlicher Touristenart aus bloßer Neubcgier mein Vorhaben auszuführen im Sinne hatte, sondern vorbereitend mit der Geschichte uud den Sitten des Volkes mich bekannt gemacht, so beantwortete er freundlich und offen meine Fragen, uud klarte über Vielerlei mich auf, was der Fernstehende doch immer nur halb und unzusammenhängend wissen konnte. Besonders gefiel mir sein ernster Sinn für historische Auffassung. Natürlich nahm ich das Versprechen eines Empfehlungsbriefes an den Wladila mit dem lebhaftesten Dank an, uud freute mich zum voraus auf Alles, worüber der gefällige und wohlunterrichtete Mann auf unsrer weiteren Fahrt in erneuerten Gesprächen mir Auskunft geben würde. — Ganz andere Gegenstände berührte das Gespräch mit meinem Nachbar zur Linken. Tommaseo ist Litterat durch und durch, ist es im entschiedensten und umfassendsten Sinne des Wortes. Er ist eifriger Patriot. Aber, obgleich Dalmatiner von Geburt und bis zu seinen Paduancr Studienjahren iu der Heimath erzogen, beschränkt sich seiu Patriotismus keineswegs auf dieses nächste Vaterland; ja, diejenigen unter seinen Landsleuten, die für Dalmatien nur Heil im Slaventhum erblicken, rügcu sogar mit Bitterkeit an ihm Vernachlässigung der illpri-schen Sprache und die Begünstigung der italienischen. Waltet diese nun auch bei den sogenannt Gebildeten im Lande überall vor, so machte jene doch von jeher nicht nur das eigentliche 445 heimische Grundclement, sondern überhaupt, in ihren vielfältigen Verzweigungen und Abweichungen selbst, das einzige Verbin-dungsmittcl der weithin zerstreuten, mannichfach zerrissenen Slavenstämme aus, und insofern hätten die Zeloten dieser Richtung und ihrer verfänglich bedeutsamen Consequcnzcn nicht so ganz Unrecht, ily Zorngefühl, daß ein so reich Begabter sich dem Volksvcrband entziehe, Tommaseo einen italianisirten Abtrünnigen zu nennen. Sein italienischer Patriotismus erscheint mir weitaussehcnd und in seinen ursprünglichen Regungen nicht ohne muthigcn, im guten ritterlichen Sinne vielleicht selbst abenteuerlichen Gedankenflug. Er ist Katholik mit Leib und Seele, ist es um so stärker und glühender, als die Vesicgung aller Zweifel seines zu scharfer Prüfung und zu selbständiger Berechtigung neigenden Geistes ihm nicht geringe Kämpfe mag gekostet haben; er ist es jetzt, nach dem Durchgang durch das classische Alterthum, nach mancherlei Erfahrungen auf der entgegengesetzten Seite, die ihm wider Willen Achtung abgezwungen, und in der gewonnenen Einsicht, daß Intoleranz heutzutage nicht mehr tauge, vielleicht ohne Fanatismus; ob aber in der Zeit der Autodafes ihm, dem bevollmächtigten Großinquisitor, cin In-quisit mit unverrückbarem Protestantismus lange dürfte gegenüber gestanden haben, ohne noch ein anderes Läutcrungsfcuer zu erproben als das der Rede? — Tommaseo's Kosmopolitismus , soweit ein gebildeter Geist sich solchem nicht entziehen kann, ist wesentlich katholisch, und nur soweit dieser Gesichtspunkt es erlaubt, universell. Ob er, wie Viele meinen, und wie manche seiner frühern Schriften vermuthen lassen, ernstlicher Republikaner sey in seinem innersten politischen Bekenntniß, oder ob sein geheimstes Seelenleben mehr dem endlichen Siege der Theokratie zuneige, wage ich nicht zu entscheiden, überhaupt nicht, ob er hierüber bereits mit sich zu einem entschiedenen Abschluß gekommen. Wie und vou welcher Seite man ihn aber auch auffasse; was mau immer lobend oder tadelnd über ihn aussprcche, Eines muß bei der Schilderung Tommaseo's überall hervorgehoben und festgehalten werden —: daß bei Allem was er unternimmt und beabsichtigt, denkt und schreibt, wie sehr auch eine manchmal vielleicht allzu künstlich gebildete Sprache das Gegentheil möchte vermuthen lassen, sein Herz dabei 10* <48 ist, daß er die Ausübung dcr Litteratur als einc ernste heilige Sendung betrachtet, welcher sich immer würdiger zu machen sein angelegenstes Bestreben, und daß wahre Liebe für Italien ihn beseelt, zu dessen Wohlfahrt durch Wort und Schrift von seinem Standpunkt aus nach Kräften beizutragen von jeher seine vorwaltende Leidenschaft. Merkwürdig ist seine ungemeine litterarische Fruchtbarkeit. Seit 1826, wo er, kaum dreiundzwanzig Jahre alt, in Florenz mit einer Ucbersttzung des Dionys von Halikarnaß hervortrat, bis zu seinem Eril, darf er als Haupt-mitarbeiter dcr vVntolo^ia
  • 0n6" (neu anfgclcgt 1836), seine fünf Bücher „veil' Itnlig" (1835), seinen historischen Nomau ,.ll Oucn (l'^ten«" (!836), seine „Umlwi-io l)oc;ti<:lj« o po«?5w" (1837), seinen Commcntar zum Dante (ebenfalls 1837), ferner einen Band ,.I>!l!a Iiülwx/n elwcnliicu", einen anderen: ..littlnxwm ll'^m!)g5m»wi-i Ven<;t> 3lll!<: cc>8« c!i l<^>n^i^", ins Französische übersetzt und mit Anmerkungen begleitet, einen dritten „8«!uctü s c1,l-!5tiam8 ^iiploridu-," enthaltend, alle drci 1836 erschienen. Ein Theil der genannten Schriften ist wieder aufgenommen in den eben jctzt (1839) mit der schönen Ausstattung der Druckerei des Gondoliere erscheinenden ,,c»pu«c)u!i <1'^t«n«" willen — eines nicht umfang- aber gehaltreichen historischen Romans voll Jugend-feuer, Kraft und einer meisterhaften Vollendung in Darstellung und Ansdrnck, der hier bei weitem naturwüchsiger sich entfaltet als in manchen seiner späteren Werke. Von dcu glühendsten und hoffnungstrunkcnstcn Enthusiasten wird er seit dem Märtyr-thume seiner Verbannung und mehreren daraus hervorgegangen nen Schriften sogar als Morgenroth einer neuen geistigen Acra, als banncrtragendcr Heiland der Zukunft betrachtet — eine gefährliche Klippe, ein schwieriger Standpunkt. Die Dalmatiner, diejenigen, die nicht vom Anschließen an das Slavcnthum allein das Heil der Nation erwarten, sind, seitdem er ausgebreiteten litterarischen Ruf gewonnen, stolz darauf, Tommaseo den Ihrigen nennen zn können; besonders erblickt die katholische Priesterschaft in ihm einen erleuchteten Vorkämpfer und freut sich seiner Heimkehr wie eines Triumphs. Ich hörte kurz vor Tische zwei ehrwürdige geistliche Herren ihre Unterhaltung über Vaterland und vaterländische Vitteratur mit den Worten beschließen: „6ko vo^limno cli siiü? ^dkmi»« i! lwzti'0 Ioimnn860." — Nach den ersten allgemeinen Anknüpfuugspunkten, welche das Verschiedenartigste berührten, um wo möglich irgendwo einander im Centrum zu begegnen, brachte Tommasco mit wahrhaft künstlerisch gesponnenen Ucbergängcn und in sorglich fein schat-tirtcn Ausdrücken, die ihm, dem ganz und gar Durchbildeten, in Schrift und Umgangssprache gleich eigen sind, das Gespräch auf Goethe, diesen, ungeachtet vielfältigster Ausbeutung von Kundigen und Unkundigen, Berufenen und nicht Berufenen, unerschöpflichen Schacht voll wunderbarer Schönheit und tiefer Weisheit. Ich meide gern dergleichen Themata, die allzu oft nur als Pa-radepfcrdc der Eitelkeit zu modisch aufgestutztem Puvpenspicl mit klassischen Berühmtheiten gemißbraucht werden; aber einem 15N Menschen von wahrhast geistigen Antheil gegenüber mag man wohl eine Ausnahme machen. Nebcrraschend war mir, meinen freudig bewegten Ausdrücken über Goethe's olympische Heiterkeit, über die selige Ruhe, mit welcher er, ein Adler, über dcn Strudeln und Stürmen niederer Regionen schwebt, über die gestaltende Kraft seiner jedeu Stoff beherrschenden Künstlernatur, über die Felsenstärke, mit der seine allen Erscheinungen des inneren wie des äußeren Lebens erschlossene Brust, sein alle Reiche der Natur spähend durchforschender Geist die Wogen des Lcbcns-mccres an sich abprallen läßt, ohne auch nur einen Augenblick aus dem Gleichgewicht verrückt zu werden, von Tommasco in ruhigster Gelassenheit mit dem Einwurf begegnet zu scheu, es gebe aber doch noch einen höheren Standpunkt als den eben geschilderten, einen Standpunkt ticfmcnschlichcn Mitgefühls für Wohl und Wehe der gcsammtcn Menschheit, einen Standpunkt, auf welchem im Erglühen für Religion uud Vaterland, im teilnehmenden Bewältigen des Elements die Kraft sich mehre, anstatt von den Wogen überwältigt zu werden, während jenes allzu sehr gepriesene objective Freiblcibcn von Sturm und Wogen, jenes diplomatische Gleichgcwichtssystem doch nur die Rolle eines Zuschauers sey, mit dem man schon deßhalb nicht so recht sym-pathisiren könne, weil er eben nur Zuschauer. Ich cntgcgnetc ihm, daß Goethe, weil er nicht das baare Herzblut gebe, sondern, wie die homerischen Götter, nur hcileudeu, duftenden Ichor, weil die 5!avaströme seiner Brust nicht, wie bei so manchem anderen Dichter, verzehrend und verheerend hcrvorbrauscn, sondern nach abgekühlter Glut befruchtend und gebärend, weil die tiefsten Wunden seines Herzens den Schmerz und sein Geleite bereits überwunden und seine 5!icbe nicht als zuckend fieberhafter Puls-schlag, sondern als mild versöhnte, befriedigte, und darum befriedigende Macht erscheine, nicht etwa minder tief und mächtig, sondern um so tiefer nur und mächtiger empfunden habe, aber freilich nirgend beengt von Vorurthcilcn oder dunkelnden Parteiansichten. Als Beispiel führte ich it)m, um Eines statt aller Anderen zu nennen, nur den durch alle Lcbenstöne dahinströmen-dcn Faust an, zugleich das deutscheste und weltumfassendste Gedicht. Hier nun war unwillkürlich der Fehdehandschuh geworfen. Tommaseo hatte vor Jahren einmal in einem kleinen kritischen 151 Artikel eine damals eben crschn'ncnc italienische Uebcrsctzung des Faust (von G. Scalvini) besprechend, sich in scincr Weise über das Werk unseres hohen Meisters ausgelassen uud dasselbe mit lakonischem Rigorismus zugleich von Seiten der moralischen Tendenz, der historischen Wahrheit und der dichterischen Vollendung angegriffen, wobei ihm damals Miltons tiefere Religiosität und gläubigerer Sinn zu nach seinem Dafürhalten auch poetisch mcderschnellendcm Gegengewicht dienen mußten. Aehnlichc Argumente wie die dazumal nur angedeuteten brachte er auch jetzt vor, wobei dann, ohne Berücksichtigung des einander steigernd durchdringenden Faust'schcn Doppclclcmentcs mächtigen Humors bei spiegclklarcr Lcbcnsanschauung und des in tiefen Furchen das Ganze durchziehenden gesundesten Protestantismus, die als Medusenhaupt entgegengehaltene Größe Dante's keine geringe Nolle spielte. Eine Zeitlang bemühte ich mich, ihn, dem es wirklich um nähere Kenntniß unserer Litteratur zu thun scheint, auf seinen mir durchaus als einseitig erscheinenden Gesichtspunkt aufmerksam zu machen. Aber das Selbstgefühl des gefeierten Litteraten, dessen Nussprüche vom kritischen Dreifuß herab schwärmerische Jünger einst gleich ppthischcn Orakclsprüchen aufgenommen hatten, ließ sich durch meinen Unglauben an deren Unfehlbarkeit gereizt in etwas schneidenden Entgegnungen vernehmen. Das Mißverhältnis) der Uiiglcichartigkcit der Waffen in Handhabung einer Sprache, die mein Gegner mit der Muttermilch eingesogen und wie nur Wenige zur Meisterschaft gebracht, ich aber erst unlängst nur so leidlich zur Verständigung erlernt, vielleicht auch der gekränkte Nationalstolz brachte mich endlich zu der kurzen Schlußerklärung, daß ich Keinen für berechtigt halte über Goethe's Faust zu urtheilen, der dieß Meisterwerk mit seinen unübcrtragbarcu Schönheiten und Schwierigkeiten nicht in der Ursprache durchfühlt, so wenig als ich von irgend einem jemals glauben werde, er kenne den wirklichen Dante, der diesen wunderbaren, Hölle, Erd' und Himmel durchsteucrn-den Schwan nicht in dem volltönig dahinfließenden harmonischen Strome seines durch kein Medium zu ersetzenden ursprünglichen Elements empfunden und verstanden habe. Ich weiß nicht, ob mein durch jugendgläubige Anerkennung verwöhnter Nachbar sich verletzt gefühlt durch meinen unverhohlen 152 ausgesprochenen Zweifel an seinem Verständniß eines Dichtwerks, über welches er doch als kritischer Dictator vor Jahren schon sein Votum abgegeben — ein in der Litteraturwelt aller Zungen vielfältig sich wiederholender Fall — oder ob er meine Einwürfe sich ungestört in nähere Betrachtung ziehen wollte--------genug, er entgcgnete Nichts, und schlug, ohne ein weiteres Zeichen des Antheils an seiner Nachbarschaft zu geben, die langen Wimpern in starrer Abgeschlossenheit nieder auf eine umfangreiche Schüssel, von welcher eben der beflissene Aufwärtcr den Gästen nach der Reihe darbot. — „Die Pause ist ein Zeichen des Stillschweigens", sagte ich mir, und dachte dabei in heiterem Rückblick an die damals noch von keiner Wolke getrübte Zeit im Vatcrhause, wo meine Schwester, die dermalen wackere Frau Pastorin, einmal mit diesem harmlos improvisirtcn Scherzworte das allgemeine Verstummen einer Thecgesellschaft auf anmuthigc Weise in ein allgemeines Gelächter verwandelt und so die Zuugen wieder gelöst hatte. Während der Pause in meiner Nähe hörte ich, wie mir gegenüber Professor Furlanetto seinem Nachbar, einem Geistlichen, von seinen Hoffnungen erzählte auf reiche Ausbeute antiker Inschriften, wobei er vornehmlich das noch nicht genug durchforschte Lcsina im Auge habe; ich hörte, im buntesten Gemisch und Wechsel, wie der Bischof von Nagusa dem Seminardirektor von Zara die Vortheile darthat, die aus eifriger Lesung des Thomas a Kcmpis der jungen Geistlichkeit und durch diese der Jugend im Allgemeinen, und somit dem Staate und der ge-sammten Christenheit unfehlbar erwachsen müßten; es drangen von dem Gespräche meines Nachbar Orcskowitsch mit einem ihm zur Seite sitzenden Major des Geniecorps Andeutungen über die Vortheile der marimilianischcn Thürme für Befestigung weiter Landstriche an mein Ohr; aus den Darlegungen einer nur um wenige Stühle von Tommaseo entfernten jugendlichen Putzmacherin, die einige Zeit in Wien geweilt und nunmehr nach dem dalmatischen Süden zielte, um daselbst die Haubencultur zu Verbreiten, klangen Lobpreisungen der städtischen Mode im Gegensatz zu der nachlässigen Tracht in den Provinzen. Die eifrige, pro ans ut so«!» kämpfendc Apologetin der Hauben mochte sich wohl nicht träumen lassen, welchen Eindruck sie auf den ernsten Tommaseo übte. Dieser war plötzlich homöopathisch geheilt, ein l53 größeres Mißbehagen hatte das kleinere verdrängt und außer Kraft gesetzt; die Anpreisung der Mode, schlichter angestammter Volkstracht gegenüber, stachelte ihn auf und ließ ihn die eben erst empfundene Unbill vergessen. Kaum hatte er den letzten Bissen eines schmackhaft zubereiteten Ragouts verzehrt, so löste seine Zunge sich wieder zu nachbarlicher Mittheilung und stellte mir die Frage: Da er vernommen, daß ich eifrig dem Studium venezianischer Geschichte obliege, und auch zu deren Darstellung mich anschicke, so sey er wohl begierig zu wissen, wie ich als Protestant es anfangen werde, den katholischen Staat mit katholischem Auge anzusehen, was doch für wahrheitgetrcue Behandlung dieses Stoffes der allein denkbare richtige Gesichtspunkt scv. Ich erklärte ihm freimüthig, daß, wenn sein Skrupel auf die Dogmen der verschiedenen Bekenntnisse ziele, er mich weder auf dem sogenannt katholischen noch dem sogenannt protestantischen Standpunkt sehen werde, sondern lediglich gcwaffnet mit dem Glase, welches das Wort des Apostels der Kraft und der Wahrheit für Betrachtung heidnischer wie christlicher Zustände darbiete, und das um seiner schlichten Treue und lebendigen Tiefe willen durch kein wandelbares Dogma jemals zu zerstören sey, das reimncnschlich göttliche Wort: „Prüfet Alles!" — Dieses Wort bestmöglich zu verwirklichen werde überall und immer mein Bestreben scpn, und somit auch bei dem von ihm berührten Gegenstände. Uebrigens gebe ich ihm zu bedenken, daß seine Forderung eines katholischen Auges uirgcnd weniger anwendbar sey als gerade bei Erforschung venezianischer Geschichte, indem das alte Sprüchwort: „6i,/«w ls«e5i»«i) e poi Oistta,«" auf jedem Blatt ihrer Annalen sich geltend mache, und in den glorreichsten Epochen gerade am meisten. Solches deutlich nachzuweisen möchte es wohl am wenigsten eines katholischen Auges in seinem Sinne bedürfen, wie denn weder Paolo Sarpi, der gelehrte klare Priester und scharfsinnige Anwalt der Nepublik in ihren Hauptkämpfen mit Nom, uoch der gewaltige Enrico Dandolo, der Doge mit der Iugendkraft im greisen Haupte, mir schienen allzu orthodore Katholiken gewesen zu seyn. Das war nun freilich, Tommaseo gegenüber, kein Thema, das eben noch zweideutig schwankende Vündniß unsrer innersten !54 Menschennaturen zu befestigen, aber die Nähe Scbcnico's und des Wiedersehens so mancher Theuren in der Vaterstadt, die er seit Jahren nicht betreten, und vazu das Gefühl des Dalmatiners, daß er auf diesem Boden als Gastfreund mir, dem Fremdling, gegenüberstehe, sänftigte, was sonst bei ähnlichem Bekenntniß wohl in seiner Brust sich geregt hätte. Vielleicht verwandelte des heiligen Hieronymus in Bezug auf die angeborene, an Sturm und Erdgehalt mit ihren Weinen übereinstimmende Heftigkeit der Dalmatinernatur ausgesprochene Gebet: „I'ni-c« inilii. vamin«, «zm« Dalmgtl» »um" gegenwärtig in Tommaseo's zur Milde gebändigtem Herzen sich in fromme Wünsche für das Seelenheil seines akatholischen Gegners. — Es versteht sich von selbst, daß ein Litterat wie Tom-masco nicht gefeiert, sondern seit jenem ersten Zusammentreffen bei seiner Heimkehr im Herbst 1839 bis auf den heutigen Tag — 1844 - in rastloser Arbeit sich bethätigt. Unter seinen neueren Schriften verdient vor allen wohl die Herausgabe und Erklärung toscanischer, torsischer, griechischer rmd illyrischcr Volkslieder Beachtung. Sein Noman /^l/« «? /^//<^N«^ als Dichtung und Wahrheit aus seinem eignen Leben von besonderem Psychologischen Interesse, erlebte, unter vielfältigem lebhaftem M'e und heftigem Tadel aufgenommen, noch im Jahre seines Erscheinens - - 1840 — eine zweite Auflage. In demselben Jahre erschienen seine H/l,H /li«««//'^ die Anfänge zur neuen Ausgabe der Synonymik, und das /^N^««,'^ ss. 361 und folgende) unverändert wieder abgedruckte Stelle über Schillers Maria Stuart ist übrigens so würdigend gehalten, baß wir sie deutschen Lesern hier mittheilen würden, wenn sie kürzer wäre. Vielleicht übernimmt ein anderer unsrer an der Quelle weilenden Landsleute an geeigneterem Orte dieses und Aehnliches. Von lebendigstem Interesse dürfte eine Zusammenstellung des von Tommasco am bezeichneten Orte Vorgebrachten mit der Darstellung seyn, die bei Gelegenheit eines 1826 erschienenen Werkes über die tragische Bühne Paride Zajotti mit cben soviel Begeisterung als Scharfblick über Schillers Wesen und Schaffen seinem Volk erschließt. Wenige Ausläuder haben so klar und durchgreifend und feurig an unserem geliebten Dichter erkannt und ausgesprochen, was die edle Charlotte einmal mit den Worten bezeichnet, er seu durch die Herzkammern mit dem Volke vereint. Auch gedenken wir in dem Vorwort zu der /,e//e,«/«,a Hstnv««/^ unter den Auszügen aus Zajotti's früheren Schriften jene in der Ijjl^iot^a Italicma (lom. XI.VI, p. 21—28) niedergelegte Charakteristik Schillers ohne Abkürzung wiederzugeben. Vor Allem wäre zu wünschen, daß ein Kundiger und der Sache Gewachsener einmal mit Unbefangenheit und Sorgfalt eine Beurtheilung der Tommaseo'schen 8tu6i lilozol^i unternähme. Es fände sich da Vieles zu berichtigen, was zu Aufklärung überhaupt fremdartiger Betrachtung und Deutung unsrer vorragendstcn Denker Anlaß gäbe. Wenn Tommasco unserem Niebuhr vorwirft, daß er Vico's Weisheit ausgebeutet ohne ihn zu nennen, und dabei klagend auftritt, daß die Fremden überhaupt Italien so zu behaudeln pflegen (8luD, mögen seine Landslcute ihn zur Rechenschaft fordern, über den in fanatischem Gelüste ohne alle Einsicht in das Wesen seiner Poesie gegen V6ranger geschleuderten Vannstrahl ^—„öe>il« ^«« l/i« pue/a"—) die Franzosen — oder vielmehr er sich selbst, d. h. Tommaseo, der Freund und Förderer des Volksgesanges, Tommasco den Kritiker und Dichter. — Diese Rügen entspringen keineswegs aus einer feindseligen Stimmung, indem ich bisher mit Tommaseo jederzeit in freundschaftlichstem Verhältniß gestanden, wie denn mein Anerkennen seiner reichen Begabung, seiner umfassenden Bildung und seines rastlosen Strcbcns aus allem über ihn Gesagten sattsam hervorgeht. Seine freundliche Gesinnung gegen mich hat er selber jüngst erst wiederholt offen ausgesprochen in einem Sendschreiben der 5lu«!i ciilici (II. p. I21 8^.). Wenn aber auch ich seine aufrichtig herzliche Begrüßung mit gleichem Gruß erwiedere, so wird er, der meine Anschauungsweise Italiens „italienischer als die vieler Italiener" nennt, mir zugestehen, im Interesse Deutschlands nicht anders denn als Deutscher erscheinen zu wollen, und, was mehr noch, in allem auf Ueberzeugung Beruhenden nicht anders als im Dienste der Wahrheit. Er selber verlangt doppelte Strenge gegen einen Bedeutenden; und aufmerksame Beachtung derer, die für südliche Litteratur sich intevessiren, verdient Tommaseo gewiß vor vielen Anderen. — !5S Fort San Niceol». Während der Mahlzeit waren wir von der Südsvitze Pasman auf dem freier sich ausbreitenden Inselmeere immer südlicher gesteuert, zur Linken die schmale, etwa zwei Stunden lange Insel Mortero (nach Einigen das alte Colentum), welche, bei dem Hauptort 8ll-«tta lii Mortoro durch eine bewegliche Brücke dem Festlande vereinigt, mit ihren Olivenhainen eine angenehme Augenweide bietet, rechts Incoronata nebst ihren käsereichen Nachbarinselchen, nahe dabei Zuri, das Surium der Alten mit seinen schon von Minus gerühmten Korallcnfischercien, und in geringer Entfernung das ebenfalls von den Römern bewohnte Capri, das mit seinen umliege,^ den Geschwistern den Namen der Isole cavrie führt, und Vodizza (Antonins Arausa) und Provicchio, und wie die kleinen bevölkerten Oasen zwischen unwirthlichcn Wellen alle heißen — und waren, in östlicher Richtung unsere Bahn verfolgend, eingelaufen in den Canal vonSebenico, dessen starre Felsenpforten einen eigenen Contrast zu drm noch eben uns umlachendcn Grün sorglich bebauter Eilande bilden. In einem jener Felsen mündet eine Grotte, wo man auf einem Pfade durch den lcbcudigen Stein eingeht in das Kirchlein Sant' Antonio, ein Miniaturbild jener riesigen Felscn-bauten Indiens, in welchen einst die großen Busier hausten. Bei dem Fort San Niccol<'> benutzte ich dankbar die Erlaubniß des Capitäns, auf einer uns entgegenkommenden Barke mich einzuschiffen und nebst einigen anderen schaubegicri-gen Reisegefährten dieß schöne Meisterwerk der Befestigung^ kunst, das ein Neffe Samnichcli's nach seines berühmten Oheims Bauplan ausgeführt, in der Nähe zu betrachten. Einen erfreulichen Eindruck macht über der, vornehmlich wegen Anord- lev nung ihrer Metopcn von Vauverständigen vielgerüpmten schönen Eingangspforte des Forts cin stattlich prangender erst in neue-» ster Zeit vollendeter Markuslöwe mit der Unterschrift: „I,-un- ciscus I Austriac Imperator Dalmatia porlustrata Leonem hunc Venetum Gallorurn vi prostratum arci instauratae restituit. H.. 182H." — In einem Hofe fanden wir den von den Franzosen herabgestürzten Mahner an eine frühere Herrschaft mit gebrochenen Flügeln. Einer unserer Schaugefährten, ein weitgereister Mann, bemerkte, daß selbst die Türken in vielen ihrer von den Venezianern zurück eroberten Städten und Inseln den phantastischen Repräsentanten der Dogenrepublik resvectirt; so habe er noch jüngst ihn unversehrt iu Metclino gefunden und dort vernommen, daß er auch in Candia und anderer Orten bestehe. Darüber müssen Sie ja am besten Zeugniß ablegen können, mein wackerer Scchcld, der Sie selbst jcne Lande besucht und das Vorhandene mit Ihrem klaren Auge angeschaut. — Das Fort San Niccolö war einst in seiner umstuthcten Stärke kaum anzugreifen. Nur nach Einer Seite, der süowest-lichen, verbindet es cin schmaler natürlicher Damm mit dem Festlande, durch welchen bei anhaltenden Wintcrstürmen, wo die Wasserfahrt für kleinere Fahrzeuge nicht thuulich, die Besatzung mit der Stadt in Verbindung bleibt. Natürlich ist dicscr im Bogen um den breiten Hafen sich windende Weg viel weiter als die gewöhnlichere Wasserstraße. Trefflich eingerichtet, fest, reinlich und geräumig sind die Kasematten, jede mit einem Ausfallthorc versehen. Diese Mauern dienten während der ersten östcrrcichi-chenBesitznahme als Gefängniß für lombardischc Jakobiner.— Bei der Fahrt nach Scbeuico umtanzte uns ein Zug von Thunsischen, deren Zuschauer uud kreisende Trabanten ein Chor schrillend umschwirrendcr Möwen bildete. In lustigen Bogensprüngen hoben sich die schweren Flosscnträgcr von Zeit zu Zeit dclphinenartig über den Wasserspiegel, ungestört durch die geflügelte Cohorte, die cs nicht auf sie, soudern auf ihre kleinen Vettern, die Sardellen, abgesehen hatte. Manchmal fchltc wenig, daß ein allzukcck niederstoßender Vogel von einem Massenhaften Thunfisch übersprungen wurde, was bei ungünstiger Coustcllation ihn leicht aus seiner luftigen Schwebe in ein winder vertrautes Element hätte niederdrücken können. — 1S0 Sebenieo. Ueberraschend ist der Anblick Sebenico's, wie cs am äußersten Ende der breiten Felsenbucht mit seinen siebenhundert rdth-lichwcißen Steinhäusern, ein fester Kran; an den noch festeren Berghöhen, amphitheatralisch sich emporrankt. In der Mitte das marmorne Dach dcr hohen Kathedrale; die alte Schutzmauer an der Mceresseite mit Thürmen reich besetzt; von dcr Höhe niederblickend die Trümmer dreier Bergschlosscr, Zeugen manches Sturmes und mancher tapferen That im Kampf mit östlichen Barbaren. Vorragend zeichnet sich das Fort Barone aus, das seinen Namen trägt von dem deutschen Frciherrn von Degenfeld, der es in langer muthiger Vertheidigung und wiederholten glücklichen Ausfällen gegen türkische Uebermacht gehalten ^ im Jahre 1648, demselben, wo wir daheim, nachdem wir dreißig Jahre lang hinlänglich einander zerrissen und geschwächt, endlich zum Schlüsse uns von Anderen zerreißen und das Reichs-panier der alten Kraft und Einheit jämmerlich zerfetzen ließen. ---------Am Ufer fanden wir unser Fahrzeug beschäftigt neue Speisung zu sich zu nehmen; denn in Sebenico ist die Niederlage der Steinkohlen des benachbarten Dcrnis, von welchen mehr denn siebcnzigtausend Centner jährlich zu den verschiedenen Meerfahrten sollen verbraucht werden und deren Lager für unabsehbare Zeit die reichste Ausbeute versprechen. — In der Nähe des Dampfschiffs erwartete uns ein anderes Schauspiel; das Resultat des jüngsten Thunfangs wurde eben ausgeweidet — ein Fest für Fischer, Käufer und Abfallerspäher. — Wir verließen den breiten Quai am freundlichen Hafen und kamen durch die Windungen der ziemlich steilen, thcilweisc durch Stiegen miteinander verbundenen engen Gassen der Stadt zu einem geräumigen Platze, auf welchem das Casino, cine freundliche Loggia, vor allem aber der stolze Bau der Kathedrale sich hervorthut, deren prächtiges gothisches Portal mit seinem Reichthum an Skulpturen nach Norden blickt, und deren auf sieben Säulen ruhrndes Marmordach trotz seiner festen Massen keineswegs das Gefühl von Druck und Schwere erweckt. Begonnen 1443 und vollendet 15,36, kostete die Aufführung dieses Domes achtzigtausend Dukaten; seine heutige Wiederherstellung verdankt er dein zweiten dalmatinischen Besuch des Kaisers Franz. Vorzüglich schön ist die Taufcapelle, unter den Bildern von besonderem Interesse ein Altarblatt Andrea Schiavoni's, des hier geborenen Zcitgenossrn der vorragenbsten Venezianer, ein Maler, der niemals eine gründliche Schule durchgemacht, aber als Naturalist, nur durch Anschauen bedeutender Werke geweckt und genährt, sich mit den Meistern seiner Zeit so erfolgreich in die Schranken gewagt, daß Tintoretto seinem eigenen Ausspruche zufolge ihn um des saftigen Colorits willen beneidete, durch welches er die Fehler seiner Zeichnung wirksam zu verdecken wußte. Der Sohn unbemittelter Eltern, hatte er eine Neihe von Jahren in Kummer und Entbehrungen jeglicher Art verlebt, nimmer lässig und gleichwohl in solcher Dürftigkeit, daß er manchmal um des täglichen Brodes willen einen Mauermeistcr um Arbeit anflehte, während heutzutage ganz Dalmatien sich seiner rühmt. — Auch die später in Venedig angesiedelte Familie Marco Polo's stammt aus Sebcnico. — Aus dem Tempel traten wir zugleich mit dem Bischof von Ragusa, unserem Reisegefährten, der in der Mitte zweier Ehrenpfeiler, der beiden Bischöfe von Sebenieo, griechischer und katholischer Confession, eiuhcrschritt unter dem Geleite zahllosen Volkes und unter festlichem Geläute ganz eigener Art, wie es hier zu Lande bei feierlichen Gelegenheiten üblich. Alle Glocken nämlich werden angezogen, aber in so seltsamem Ercsecndo und Decrescendo, daß man bald Sturmglocken, die das ganze Land zu Kampf und Wehr aufrufen, bald das Gebümmel eines Kinderspieles zu vernehmen glaubt. Wahrhaft wohlthuend klang d'N'ch dieses wechselnde Geklingel und Gebrause der sonore Hammerschlag, mit welchem ein benachbarter Schmied aufwohlgestimm-tem Amboß in Takt und Maaß harmonisch sich vernehmen ließ, nimmer der ruhigen Einhaltung des gewohnten Thema vergessend. leisen u„d Länlcrbeschrcibunge». XXIX. 11 (Istxien und Dalmatien.) 162 Um die lohte schöne Stunde des sonnigen Tages nicht zu verlieren, stieg ich den Berg hinan, von welchem das Fort Barone, der Denkstein unseres tapferen Landsmanncs herabschaut, eine zertrümmerte, aber gerade dnrch ihre Zerklüftung zum Ehrentempel gestempelte Krone. Schön war bei sinkender Sonne der Blick von oben anf das weitbin vergoldete Inselmeer und auf das Amphitheater der Stadt mit ihrem felsummanerten Hafen, anmuthig die Begegnung der Hirten, die ihre Hcerden heimwärts trieben, und der zu Dörfern und Hütten rückkehrenden Landlcutc in ihrer husarcnartigcn Kleidung, meist roth und blau, bewaffnet alle mit Flinte, Handschar und Pistole - Ringe und blinkende Knöpfe auch an den abgeschabtesten lumpen; stattliche Figuren zum Theil, aber im Ausdruck, namentlich im Auge vorherrschend etwas an China Erinnerndes, was durch die Bezopfung noch vermehrt wird. Näher der Stadt, auf der breiten Bandstraße traf ich mehrere Offieiere der Garnison, die cben ihre Schießübungen beendet. Der Fremdling ward freundlich begrüßt und gastlich in das Eafö geladen. Hier bei dem Duft des erweckenden Tranks vom Orient wurden dann auch Namen ausgetauscht und der zur Weiterreise Geschürzte mit reichlichen Empfehlungen von Garnison zu Garnison versehen. Besonders zuvorkommend erwies sich ein Graf Pückler, Verwandter des berühmten lebend Verstorbenen, von dessen angeborener und angcübter Ehcvaleric er Einiges geerbt zu haben schien — auch die Wanderlust; das ging aus seinem lebhaften Bedauern hervor, daß er, durch Dienstpflicht behindert, meine Streifereien nicht mitmachen könne. — Im Hause der Verwandten Tonnnaseo's, wo ich gegen acht Uhr eintraf, fand ich ächt dalmatinische Gastlichkeit. Jede Spur des Fremdartigen war alsbald aufgehoben, und ich weilte wie ein Angehöriger in einem großen Kreis von Verwandten und Befreundeten, die alle sich des lang entbehrten Niecoll» erfreuten. Bei der Abend-tafcl war Alles, was das nahe Meer und die Verge an Vorzüglichem spenden, in Fülle vorhanden, und das dem Lande besonders Eigenthümliche wurde nur als solches bezeichnet, um zu dessen Genusse ohne weitere Ceremonie einzuladen. So ließ «63 ich mir den weitgeschätztcn Nonta!« <1t>I!a ca^nn nicht vergebens rühmen, ein Fisch, der - eine Abart des 8pgl-u5 cl«ntex — außer dem benachbarten Canal des heiligen Antonius und dem von Castelnuovo bei Cattaro nirgend weiter im Bereiche des mittelländischen und seiner Nebcnmecre sich finden soll als im Eanal Konstantinopels. Da aber der Fisch schwimmen will und Meer- und Berglnft Appetit erwecken, so durften auch die trefflichen Weine des Landes nicht nnverkostet bleiben, und das rothe Blut des Vina «1i l'in tnrn. das Gewächs der nahen Tartarogcbirge, und der weiße Saft des nur von den ausgesuchtesten Trauben gepreßten N.ir^^lnno <1i sol.om^ standen in der Qualität, wie sie hier geboten wurden, keinem Ungarwcinc noch dem vorzüglichsten Spanier nach. Und es bedürfte solcher Stärkung; denn kaum hatte ich verlauten lassen, daß es mir besonders lieb seyn würde die berühmten Wasserfalle bei Seardona zu besuchen, so wurde spät am Abend noch Anstalt gemacht, daß ich zeitig geweckt, mit Pferden und einem wegewndigcn Begleiter versehen meinen Wunsch ausführen könne. — Ruhiger, nachdem wir uns bereits auf der Fahrt in scharfen Gegensätzen gehörig aneinander versucht, war trotz dem eingenommenen Weine nach der Abendtafel mein Austausch mit Tommasco. Er leitete ein Gespräch ein, dessen Thema die Schilderhcbung der ursprünglichen Liederstimmen im Volke vor der sogenannten Kunstpoesie bildete. Er rügte mit ernstlichem Bedauern das Verkünstcln und Verderben ursprünglicher einfacher Sagen unter den Händen effccihaschender Erzähler, die Versüßclung der sinnigen naiven Naturlaute auf der sentimen-taltsirenden Lyra neuerer Poeten, das Abnehmen der Empfänglichkeit für scclenvolle Einfalt bei den durch immer schärfere Würzen überreizten Gaumen. Und wer möchte in Beziehung auf so viele nur allzusehr mit seinen Klagen übereinstimmende Erscheinungen hierin widersprechend ^ Auch sciuer anerkennenden Erwähunng der Bemühungen so mancher tresslichen in Deutschland zum Hervorziehen und Verallgemeinern der alten im Volke erwachsenen Mährchcn- nnd Liederschätze zollte ich freudig Beifall und billigte von Herzen seinen Plan, auch den Italienern durch Darbieten ursprünglich im Volke geborener Gesänge der allzusehr im Conventionellen sich gefallenden Manier moderner Verskünstler 11 * !«4 einen Damm entgegenzustellen und dem stagnirenden See, auf dem sich diese Pseudoschwäne schaukeln, neue frische Lebcnswcllen zuzuführen. Als cr aber so weit ging zu behaupten, ein wieber-aufgefundenes Volkslied dürfe die griechische Jugend sicherer leiten und mehr fördern als die gepriesensten Oden Pindars, ebenso wie ein schlichtes Minnclied der guten alten Zeit den pathctischst tönenden Tiraden neuerer Kunstpocten vorzuziehen sey — da stellte ich ihm zur Betrachtung entgegen: mit der Voltspoesie sey es ein titzlich eigenes Ding; nicht jeder auf der Straße, oder hinter dem Pfluge, auf der Jagd, beim Kühmelken, oder in dieser und jener Werkstätte entstandene Vers, nicht jedes Lied, das wir auf Markt und Gassen zur Orgel, oder auf dem Felde beim Sensenklirren und Sichclwetzen absingen hören, sep darum preiswürdige Natur- und Voltspoesic, und was au Acchtem, wahrhaft Poetischem aus dem Volke uns überkommen, das sey eben von Dichtern gesungen, denen der Muse Weihcluß geworden, gleichviel ob ihr Name jemals gedruckt oder auch nur genannt worden, gleichviel ob sie Einmal oder hundertfach in ächter Begeisterung die Saiten angeschlagen, gleichviel ob sic am Guadalquivir Romanzen der Liebe, in den Bergen Serbiens und Griechenlands Schlachtliedcr, oder im schottischen Hochlande tiefsinnige Mährchen und Wunder gesungen — und wo unter dergleichen Goldkörncrn der Poesie Spreu mit unterlaufe, da sey es eben Spreu, gan; wie bei den gedruckten Liedersammlungen älterer und neuerer Zeit, nur mit dem Unterschiede, daß ein Garbenbündcl Spreu neben einem Bündel ternhaltigrr Garben widerlicher auffalle als Einzclähren, die unbeachtet neben den gehaltigen verschwinden, oft aber auch überschätzt werden wie so Manches von dem, was er und Andere mit dem verfänglichen Spitznamen Kunstpoesie zu belegen sich gefalle.--------- Wer weist, ob diese harmlos ausgesprochene Ansicht uns nicht abermals zu lebhaften Discussioncn würde geführt haben, wenn nicht Andere aus der Geselljchaft zu uns herangetreten, und somit das Gespräch auf allgcmeiuerc Gegenstände wäre über» geleitet worden. Gegen Mitternacht ging n,an zur Nuhe, und schon um drei Uhr wurde ich wieder aufgerüttelt aus kurzem Schlaf. Die Pferde standen gesattelt, und ich brach mit einem Vetter des t«5 Hauses auf zum anfangs nächtigen, dann immer mehr von der Morgendämmerung erhellten Nitt gen Osten. Ein plötzlich aus-brechender Platzregen zwang uns gan; in der Nähe unseres Zieles, als wir schon das Brausen des Skardinskislap — so heißt dieser letzte, bedeutendste Sturz des an Fällen reichen Kerka-flusses — zur Einkehr in eine Mühle. Aber auch fiir unvorhergesehene Ereignisse war gesorgt. Der Vetter holte aus einem Mantclsack ein paar weite Pandurenmäntcl hervor, und so schritten wir, reichlich übergössen von oben, dem Punkte zu, welcher den schönsten Vlick auf das herrliche Schauspiel gewährt. Die in weitem Halbbogen sich abschüssig lagernden zerrissenen Felsen, zum großen Theil von Moos und Epheu überwachsen, und das reich bewässerte saftgrüne Gestrüpp in den zahllosen Spalten, zwischen denen hier und da ein Stamm mit Zweigen und Krone sich hervorhebt, bilden eine breite Scenerie, über welche eine Menge kleinerer Strahlen von ansehnlicher Höhe fächerartig ausgespreitet nicderrauschcn, tanzende Kaskatellcn, während der mittlere volle Strahl mit seiner ungethcilten Wasscrmasse den eigentlichen Absturz ausmacht. In der Liebe wie bei Naturerscheinungen sind Vergleiche mistlich, oft den Eindruck schwächend, selten zureichend. Aber Eine Erinnerung drängte mitten im Genusse der Gegenwart mit übermächtiger Stärke sich hervor. Ich gedachte einer der schönsten und unvergeßlichsten Stunden meiner unvergänglichen Vergangenheit, Stunden, die ich in beglückcndster Nähe im Anschauen des Imatrasturzes gelebt, jenes gewaltigen Naturschauspiels im hohen Norden, das die verschwenderische Allmuttcr in einen selten nur besuchten Winkel Finnlands versteckt hat zum Ergötzen der einsamen Wald- und Berggeister und der wenigen menschlichen Besucher, die von Zeit zu Zeit dort vorsprechen, um einen nie verlöschenden Eindruck in sich aufzunehmen. Vergleichen wir den durch eine breite Doppelwand hoher Granitfelscn brausenden Strom des Imatra einem Völkerzugc, der gewaltsam sich Bahn bricht zur Gestaltung einer neuen Zeit, und nennen ihn ein Epos, so entsprechen die weiten Verzweigungen des Kerkafalles und seiner spielend aus moosbewachsenem Gestein hervorquellenden Strahlen mehr einem friedlich sich entfaltenden Idyll aus anmuthig bewegtem Schäferlcben, einem fröhlichen Ningeltanz zu Flöten 1ft« und Schalmeien, während dort Orkangcbraus den Orgelklang der Tiefe begleitet. — Wic der Negen nachließ, kam eine Menge Tauben aus den Stcinritzcn hervor, umflatterte das überströmte Gebüsch, und ließ von Zeit zu Zeit auf einem Felsblock über den Wassern sich nieder, die durch den gcrcinig-ten Aether wic schäumende Krystalle glänzten; und als nun gar die Sonne hervorbrach durch die immer mehr sich zertheilenden Wolken, da zeigte die Erscheinung sich in ihrer ganzen heiteren Schönheit. «57 V3eft nach Spalato. Die erste Hälfte der Fahrt von Scbenico nach Spalato ist ziemlich eintönig. Nicht, wie bisher, auf einem insclbcgränztcn Canal, sondern auf offnem Meere, aus welchem selten nur ein lahlcs Fclscnciland emporsteigt, gewahrt der Steurcnde von dem zurückweichenden Festland nichts als einc nackte Bergkette, deren spärliche Cultur nur wenig über den noch einigermaßen mit Fruchtbodcn bedeckten Fuß der Berge hinausgeht. Dann und wann erscheint auf dcn näheren Höhen ein wcißschimmerndes Kirchlein. Solcher Gotteshäuser, sagte einer unserer Fahrt-genossen, ein Bürger aus Spalato, seyen viele crbaut um der Schäfer willen, die nicht von ihren Hccrdcn hinweg können — damit den Abgeschiedenen doch von Zeit zu Zeit dic Wohlthat einer Messe zu Theil werde. Vor der Pforte eines solchen Ere-mitcntcmpclchcns, das besonders malerisch von einem Felsen-vorsprung niederbückt, stand cm einsamer Schäfer, während seine Heerdc rings über dic Klippen zerstreut die spärlichen Kräuter zwischen dem Gestein aufsuchte. Dieß Kirchlcin, berichtete der gefällige Spalatincr, heiße San Giovanni di Malvasia, und die benachbarte weitvorragende Klippe scp die berüchtigte Punta dclla Bianca, das einstmalige Vorgebirge des Diomedcs, von jeher eine von dcn Schiffern gefürchtcte Stelle, welcher sie ungern bei Nacht und nur mit Beben im Sturme nahten, wo der weiße Salzschaum die verderbenbringenden Klippen dem Auge entziehe, und von welcher die Alten viel Fabelhaftes und viel Schauerliches zu berichten gewußt. — 'X- Es ragt ein Fels im Meere So schroff, so starr empor, Dem Wellendrang z»r Wehre Springt trotzig cr hervor. , 166 Ein Schifflein kommt gezogen, Gepeitscht vom wilden Sturm Im Schwall empörter Wogen Grad' auf den Felsenthurm. ,,Und willst du mich erretten, O du des Heilands Freund, Der du auf Felsenbetten Geschaut, gejauchzt, geweint, So will ich dir begründen Ein Kirchlein auf der Höh, Bedrängten zu verkünden Dankbar des Retters Nah!" Wild gähren auf die Wellen, Das Schifflein fliegt empor — Will schwindelnd es zerschellen Die Fluth am Klippenthor? ^- Schau, wie es über die Klippen Sich hebt'. — es stürzt hinab Von nackten Felsenrippen Ins aufgewühlte Grab. Doch ungefährdet weiter Zieht es die schwanke Bahn — O sey auch uns Geleiter Und Schützer, Sanct Johann! — So klang es gläubig in meiner Seele, während Steuermann, Capitän und Passagiere, so viele ihrer zu der „alleinseligmachenden Kirche" sich bekannten, in hartnäckigem Für und Wider über die Möglichkeit eines Wunders stritten, welchem der Sage zufolge das Kirchlein San Giovanni seinen Ursprung verdanke. Wir hatten bereits das Vorgebirge des Diomcdes umschifft und rollten nunmehr, den beiden Fclfeneilandcn Groß-- und Klein-Zirona vorüber, vorüber Bua, der freundlich bebauten Rebhühnerinsel, einst Strafort der um politischer Vergehen willen von den griechischen Kaisern Verbannten, in östlicher Richtung dem Hafen Spalato's entgegen. Einen überraschenden Anblick gewährt auf dieser Fahrt die freundlich in die Bucht vorsprin- 1N9 gende Stadt Trau mit ihrer gothischen Kathedrale, und wenig davon entfernt die reizend zwischen dem Meere und der Bergkette gelegenen Caste lli, sieben vor Zeiten mit festen Thürmen gegen die Anfalle der Osmanen versehene, von der Republik mit Privilegien reich beschenkte Dörfer, denen ungeachtet ihres Verfalls der alte Namen geblieben, und deren schöner Beiname „der Garten Dalmaticns" auch in der Wirklichkeit nichts von seiner Bedeutung verloren. Ueberraschender aber als dieß Alles erschien uns bei allmählichem Herannahen immer deutlicher der gewaltige Palast des Diocletian, das Gehäuse der von seinen Mauern eingeschlossenen Stadt Spa lato. — 170 Spalato und Salona 1. Wenn Sic aus dem lachenden Insclmcere einfahren in die weite tiefe Bucht, an deren äußerstem Wcstendc die Stadt S p a-lato sich halbmondförmig ausbreitet, so werden Ihre Blicke unwillkürlich gefesselt von einem auch in seinen Trümmern und seiner durch ganz ungehörige spatere Verkleidungen kläglich vcr-schränkten und verengten Größe immer noch von Macht und Herrlichkeit zeugenden Säulenprachtbau, dessen Stirnseite wie ein Niesenschattcn untergegangener Zeit aus dem Hütten- und Manerwcrk alltäglicher Bedürftigkeit hcrvortauchcnd sich längs dem Mccrcsufcr hindehnt. Mit vollem Recht führt die Stadt Spalato ihren Namen. Ist sie doch, die späterhin reichste und bedeutendste unter den Städten Dalmaticns, erwachsen zwischen den Mauern des I^glium Diuclollmn. in dessen festen Marmor-mantel die dem Schwerte beutegieriger Barbaren nur mit Müh cntgangcncn Bewohner des von Grund aus zerstörten benachbarten Salona sich geflüchtet. Ja, selbst in den Zeiten höchster Blüthe, wo die noch heut bestehenden Vorstädte bereits erbaut waren, umschlossen und umschließen auch gegenwärtig dic Ringmauern des Diocletianischen Palastes zwei DrittlMe der Stadt. Wo ist die einstmals in der westlichen Säulenhalle prangende Fülle köstlicher Gemälde und Skulpturen, zwischen denen der kunst-liebcndc kunstverständige Kaiser Angesichts des mit blühenden Inseln übersatten Meeres am Abend seines Lebens sich erging? — An derselben Stätte, von wannen er, der Sohn eines unbedeutenden Freigelassenen, zu höchster Würde und Macht hervorgegangen, hatte er versucht eine Welt des Friedens und beschaulicher Nuhc um sich her zu bilden, nach welcher er vergebens auf dem ersten Thron der Erde sich gesehnt. Eine Stätte, die 17l zu ernstem Sinnen auffordert. Froher des Rückblicks auf sein Tagewerk in den mit eigener Hand bestellten Gärten zu Salona, als er jemals in den Hauptstädten seines ungcmesscnen Reichs gewesen, weilte hier der vicljahrige Besitzer glorreicher Weltherrschaft, welcher er freiwillig entsagt, um ungestört in den Schooß seines theuren Geburtslandes zurückzukehren. Hier war es, wo er den Gesandten des bedrängten Manmian geantwortet, als diese ihn zur Wicdcrannahmc des Purpurs bewegen wollten: Könnt' ich eurem Kaiser das Gedeihen der Kohlköpfc zeigen, die ich selbst gepflanzt und selbst gepflegt, er würde schwerlich mir zumuthen, diesen beglückenden Frieden wieder mit den Stürmen ungenügsamen Ehrgeizes zu vertauschen. Der Aussicht auf das inselrcichc Meer erfreuen sich noch heute die Bewohner dieser Seite der von den Palastmaucrn umschlossenen Stadt — aber nicht, wie einstmals Dioelctian, um-herwaudclnd in der freien, offenen, rcichgcschmückten Säuleuhalle. Diese blickt nur, wie Hercules aus dem unziemlichen Gewände Omphale's, beschämt hervor aus dem verunstaltenden Mauerwerk gewöhnlicher Häuser und Buden, die in dicsc grandiosen Hallen eingekeilt und eingepfercht sind, ohne Achtung und Schonung für die Reliquie des zu Grabe gegangenen Alterthums. Um die Jalousien der ziemlich unansehnliche» Fenster bequemer öffnen zu können, ist hier und da eine Säule rücksichtslos an einer Seite plattgehaucn; die meisten der zwischcngedrängtcn Häuser sind so angelegt, daß durch die Verbauung uur noch eine Halbsäulc zum Vorschein kommt, ihre ursprüngliche Wesenheit verrathend; in den Resten der bedeutenden Gewölbe des Unterbaues, in welchen eine prätorianischc Cchortc Raum hatte, sind schmutzige Kramladen angebracht, in denen Oel und Hanf und allerlei Gcräthc feilgeboten wird; dicht daran lehnt sich eine Reihe winziger Buden. Wo ist noch eine Spur im Innern von den kaiserlichen Straßen, welche das große Viereck dcs Gesammtbaues in vier gleiche Quadrate theilten? Wo von der Pracht der Haupt-thorc, der goldenen, der silbernen, der ehernen und der eisernen Pforte, die gleich den vier Lebensaltern die Eingänge zu der Wohnung des einstmaligen Herrn dcr Welt gebildet? — Von den sechzehn mächtigen Thürmen der Ringmauern besteht nur hin und wieder noch ein vereinsamter Stumpf; von der großen 172 Wasserleitung, die den zahlreichen Bewohnern des weitläufigen Kaiserasyles einst den frischen Bergquell zufuMe, zeugen wenige Nebcrreste; von all den sinnigen Sculpturen und den reichverzierten Marmor- und Porphprsäulen der inneren Gemächer, den jede Art von Bequemlichkeit darbietenden Bädern, den Frauen-sälcn, dem Atrium, den von Schönem zu schönerem führenden Stiegen ist zwischen den später errichtctcn Häusern nur hier und da noch einzelnes zerrissenes Gemäuer zu sehen, ein in den Neubau eingemauerter Bogen, ein Trägstem, eine gebrochene Säule. Nur von den Wohnungen der alten Götter sind zwei erhalten, freilich umgewandelt und umgcwciht zu anderem Bekenntnisse und anderem Dienst, gleichwie die alte Welt; und räthsclhaftc Sphinre liegen, stumme Fragcr, vor den altvertrauten Tempel-Pforten. Doch in all seiner barbarischen Zerstörung und mit allem wie von Amciscnlebcn wimmelnden Klcinvertchr der Gegenwart spricht dieser vielfach gegliederte kaiserliche Bau noch immer uns so majestätisch an, daß wir gedrungen sind dem byzantinischen gekrönten Schriftsteller beizustimmen in seiner Behauptung, kein Plan und keine Beschreibung könne jemals ihn erreichen. — Lassen wir den dichtverschlungcncn Knäuel von Häusern, den Vertriebene, Beraubte einst im Dränge der Noth in diesen verödeten Mauern aufgeführt, und wo betriebsame Nachkommen, nach vielfachen Wechselfällcn zu Glanz und Reichthum sich erhebend, durch die ausgcbreitetstcn Verbindungen den Karawanen-Handel zwischen der Westwclt und dem fernen Osten vermittelten, — Verbindungen, die mit dem durch sie hervorgerufenen Flor noch lange nach Entdeckung nener Handelswegc fortbestanden, bis endlich der gänzlich veränderte Zustand der Dinge auch diesc Stadt auf das gewöhnliche Maaß zurückführte; lassen wir das Nonnenkloster, welches in der Neuzeit dic Stelle des alten Atrium einnimmt, und so manches andere öffentliche Gebäude, das in Nichts sich wesentlich unterscheidet von denen anderer Orte. Werfen wir einen Blick auf das stattliche Dktagon des Doms, und treten dann m die schöne seelenerhcbcnde Rotunde, die einstmals, wie die meisten Tempel der Alten, ihr Licht durch das große Halbbogenfenster über der Eingangspforte empfing, jetzt durch die in der Kuppel angebrachten Fenster. Hier ruhen 173 in einer später angebrachten Capelle die Gebeine des beiligen Doimus, ersten Bischofs zn Salona; auch der Chor und die Altäre sind neueren christlichen Ursprungs. Aber es stehen noch die schönen Porphyr- und Granitsäulen korinthischer Ordnung, es besteht noch der Reliefschmuck mit den mamüchfachen Darstellungen aus dem Mythos der Göttin der Jagd, unläugbare Zeugen, daß diese Kathedrale einst ein Tempel der Diana und nicht, wie so Viele behaupten, Jupiters — eine Annahme, die wohl nur von der vorwaltenden Hinneigung Dioclctiaus zu dcm Vater der Götter herrührt, nach welchem er sich ja selber Jovius benannte. Von den verschiedenen, zwischen manmchfachem Plät. terwcrk znm Schmucke angebrachten Köpfen und Masken sagt cm venezianischer Schriftsteller, es halte das Volk sie für Bildnisse Diocletians. Und der akustische Gang — einst vielleicht benül/t zu Orakelallssvrüchcn? -- und der unterirdische Tempel ^ den» Dienste der Mysterien geweiht?--------Vor der Kathedrale erbebt sich kühn und ftci dcr Glockenthurm, ein edles Gebäude, dessen Baumeister auf sinnige Weise und mit ungewöhnlichem Geschmack zur äußeren Bekleidung Trümmcrreste des zerstörten Ealona verwendet hat. Auf dcr anderen Seite des Vorhofcs steht ein Tempel des Aesculap, bei weitem kleiner als der zum christlichen Dom geweihte Diancntempcl — ein Bau von merkwürdiger Erhaltung. In ihm finden wir ein Altarbild, dic Taufe am Jordan, das seine heutige Bestimmung ausfpricht - cr ist die Taufcapelle zum heiligen Johannes. Dcr Gott der Hcillunst bat sein Amt abgetretcu an den Arzt dcr Seelen--------„Wer des Wassers trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich uicht dürsten." Aeltcre Abschreiber sprechen noch von anderen Tempeln innerhalb der weiten Räume des Palastbaues, von denen aber keine Spur vorhanden. Die beiden noch bestehenden sind wahrscheinlich durch ihre neue Weihe bewahrt worden vor der zerstörenden Faust der das Hcidenthum ebenso tödtlich hassenden Nachgebor-nen als deren Erbauer dic Religion ihrer Vorfahren gehaßt und verfolgt hatten. — Welch eine wunderbare Verkettung dcr höheren Weltordnung, 174 die Umwandlung der Göttertcmpel des trotzig hartnäckigsten Christenverfolgers in Pfleger und Verbreiter des von ihm mit allen Waffen angefeindeten Bekenntnisses! — Und welch reines ursprüngliches Christenthum bekämpfte Diocletian! — Ist es die zürnende Nemesis, ist's liebende Versöhnung, die hier gewaltet? — Wenn die Geister der Verstorbenen solche Stätten, wo sie am liebsten geweilt, auch nach dem Scheiden noch umkreisen, was mag in seiner Brust sich regen? — Unmöglich können feindliche Elemente, die Ausgeburten irdischen Kurzblicks, da walten, wo alles Endliche abgestreift und aufgegangen ist in höherem Frieden. Daß Prometheus, der kühne Bildner und Vcsee-ler, au der Schwelle, Psyche, die liebend Duldende, Beseelte, an der Ausgangspforte des heidnischen Alterthumes steht, ist tiefster innigster Bedeutung voll. Beide schlingen sich mit der verklärten Niobc zu Einer Kette, mit Niobe, die schöner ist in ihrer erhabenen Trauer als selbst der allzeit heitere, schmerzlos in sich befriedigte Olymp. Nemesis und Fatum, ernst uud großartig von ihrem Ursprung an, als Warner und Nichter über Allem waltend und durch alle Erscheinung, menschliche wie göttliche, hindurchschrcitcnd, haben in dem dichte höherer Versöhnung ihr Dunkel abgestreift, und ihr nächtig Zürnen ist gesühnt im Friedcnsbogen des hehren Wclttcmvels, des nicht auf eine Länderscholle beschränkten, sondern allen Erleuchtungsfähigen aller Völker und Zonen zugänglichen, aus dessen Kuppeln unsichtbare Chöre nicdcrrauschend das ewige Evangelium verkünden, dessen Träger und Vollender Glaube, Liebe, Hoffnung. Ja, Glaube, Liebe, Hoffnung - aber die Liebe ist die größte unter ihnen! -— Das ist das neue Evangelium, welches alle Weisheit vergangener Zeiten — nicht etwa zunichte macht; denn die Offenbarung ist uralt und bricht sich, wie das ewige Licht, nur in verschiedenen Strahlen ^ welches die Weisheit aller Jahrhunderte verklärt in sich aufgenommen, und in dessen reiner Auffassung und Erfüllung allerdings ein Vorn des Lebens quillt, der überleitet in die Auen, wo, wenn uns nicht Alles trügt, die Besten aller Zeiten einander begegnen werden am Urquell des Lichtes, ungehemmt durch die Schranken der Endlichkeit. Denn das Göttliche kann nur Eines seyn. Noch waltet die Nemesis, als die allem Thun und Lassen seinem Wesen 175 nach inwohnende Vergeltung — Aber cs ist nicht mehr die dunkle, unnahbare, rachefrohe und rachebrütende Gewalt; es ist das läu^ ternde Feuer, das auf demselben Altare flammt, auf welchem die Thräne ächter Neue ein willkommenes Opfer. Noch herrscht das Fatum, als die auch die stärkste Kraft und den unbändigsten Willen nach ewigen Satzungen zügclnde Macht — aber diese Macht steht unter dem Gesetz der Nebe, die als schönstes Kind des Allvaters alles Andere in sich verschlingt und in der Strafe waltet wie in der Belohnung, der unzertrennliche Gefährte und der unerschöpfliche Ausstrom dessen, der am Anfang aller Zelten stand, wie er am Ende aller Zeiten stehen wird, das Aufgehen in das All-Eine, welches er selber ist, vermittelnd, innig v^ mittclnd durch die ^icbe, die Erfüllerin des Glaubens und der Hoffnung. — Dem unbekannten Gott — Das des Altares Weihe, An dem des Lichts Apostel in Athen Verkündete, das? losend er befreie Der Vorzeit Siegel, auf das! Alle sch'n Den ewigktaren Geist der Huld und Treue, Der Lieb' und Kraft, der sich in Sturmeswchn Gleichwie im milden Säuseln offenbare, Und dem das Weltall dient zum Hochaltäre. Dem unbekannten Gott!--------O meine lieben Brüder Warum in blindem (5iftr hadern wir'i — Der Sounc Strahl steuft aus dem Aether nieder Iahrrausende mildsegnend für und für; Sturm schüttelt wild erbnmlend sein Gesieder, Die Erde bebt — Schaut auf! erkennet ihr Den Geist der Geister nicht, der durch dle Wogen Des Urweltkampfs schon zog als Friedeuobogm? — Dem unbekannten Gott, deu alle jungen preisen, Der sich in Licht und DlmM offenbart, Den wirkend in den höchsten Sterneukreiftn Wie in dem Grudeulicht der Geist gewahrt, Dem einz'gen Quell der Weisheit aller Weisen, Um dessen ^clt sich Erd' und Himmel schaart, Ihm dienet rrcu in liebendem Vertrauen! Lieb' ist der Pfad zum Licht in Edens Auen. 178 2. Kaum eine Stunde nordöstlich von Spalato, in einer an-muthigen, von Berg und Meer begränzten Ebene, unweit dem am Fuße des benachbarten Gebirgs entspringenden Iader, liegt das Dörfchen Salona, auf derselben Stelle, wo an dem von Schiffen wimmelnden Gestade das durch seine Purpurfärbereien, Waffenfabriken, die Blüthcnfülle seiner Gärten und die Schönheit seiner Frauen berühmte Salonä stand, eine reiche ansehnliche Stadt, die alle Neize ländlichen Friedens und städtischer Pracht in sich vereinte. Ihre Lage gibt Lucan an mit den Worten: „Qua man's Adriaci longas forit unda Salonas, Et tepidum in inolles /ephyros excurrit Hyader. Und heut? — Noch blüht der Weinstock und der Oelbaum und so manches Gewächs südlichen Himmels, und bietet seinen Pflegern reichlichen Gewinn; noch fließt das Bächlein nüt den köstlichen Forellen, die der kaiserliche Gärtner so sehr liebte, daß er dessen Lauf verändernd es seinem Palast am Meere zuführen ließ; aber von der Pracht dieser einstmals so bedeutenden Römerstadt und alten Hauptstadt Illpricns zeugen nur zerstreute gebrochene Säulen, in die neueren Hütten eingemauerte Denksteine entschwundener Paläste, wenige Bruchstücke eines Amphitheaters, eines Thurms der Stadtmauer, hier und da eine Urne, der Arm, der Torso einer Statue, nahe der Landstraße auch ein Stück der herrlichen Dioclctiauischen Wasserleitung. Einst — so berichtet alte Sage — während der Bürgerkriege der Cäsar-Pompcjanischen Periode, war Salonä hart bedrängt von Uebcrmacht der Belagerer und kaum mehr Hoffnung zu längerem Widerstand. Da schnitten die Frauen ihre Haare ab und boten sie den Männern dar zu Bogensehnen, verkleideten sich in Furien, ergriffen Pcchfackeln und Waffen und brachen zur Nachtzeit hervor aus den Thoren, mit Lärmen und Geheul auf das römische Lager stürzend. Die Belagerer faßte Schreck und Entsetzen; in wilder Verwirrung flohen sie vor dem unheimlichen Feinde; die Zelte waren leer, die Stadt befreit. Auch bei dieser Gelegenheit geschieht der Schönheit der Salonitane-rinnen besondere Erwähnung, im ahnenden Gefühl, es werde der Glanz und die Bedeutung des abenteuerlichen Wagnisses 177 dadurch noch erböht. Und ist die Freude an dem Schönen nickt eine Bewährung mehr nnseres böheren Ursprungs? Ist nicht die Schönheit eine Schwester der Vollkommenheit, nicht eiuc wesentliche Saite zu dem Grundaccord ewiger Harmonie? — Wer dem Schönen nicht allein mit dem Zluge, sondern mit dem inneren Sinne huldigt, wer in der edlen Form den Träger edlen Anhalts abnend ehrt, in dem aus Gottes Hand hervorgegangenen Menschenbilde wie in dem von Künstlerhand belebten Marmor die Seele des Schöpfers sucht, der bekundet, daß es ihm Ernst ist um Verwirklichung des Ideales, und der Glaube an die Verkörperung des göttlichen Urbildes ist sicher eine wesentliche Stufe zu dem Schauen im Geist und in der Wahrheit. - Die beglaubigtsten Historiker setzen den Untergang Salo-nä's in das siebente Jahrhundert, bis wobin diese Stadt noch die angesehenste Illpriens und als solche Sitz eines Erzbisthumes war, und schreiben die Zerstörung Gothen und Awaren ;u> Me!> rere ungarische Chronisten behaupten, es babe Attila bei seinem Zuge von Ost nach West zunächst Dalmatien nberfluthet und erst nach Zerstörung Salonä's und anderer Dalmatinerstädte nach Istrien und nach Aquileja sich gewendet. In Betracht der Zeiten verdienen erstere wohl größeren Glauben. Aber. wer von ihnen auch Recht behalte, hier muß fürchterlich gehauset worden seyn, und, ob von Attila geschwungen, ob von Awarenhäuptlingcn, die Geißel Gottes hat die Tenne rein gefegt. Lebhaft wurde ich in dem verödeten Bereich des alten Salonä erinnert an Aquileia, diese einstmals nächst Nom vornehmste und blühendste Stadt des riesigen Weltreichs, deren kahlgemachte Stätte ebenfalls vielmehr ein Zeugniß hunnischer Vernichtungswuth als glanzreicher Römerherrschaft darbietet. ,M,,/,,, /ie,-,>,-e,-,„',„/e/" ruft man unwillkürlich mit dem Dichter aus. Auch nicht Ein unverletztes Denkmal vorhunnischer Zeit dort zwischen Taglia-mento und Isonzo; nur zertrümmertes Gestein hcrvorgewühlt aus der Erde, welche, eine mitleidsvolle Pflegerin, die verstümmelten Mcnschcnwerke Jahrhunderte bindurch in ihrem Schooße barg. Zerbrochene Granitsäulen lnn und wieder in den dürftigen Riiftn u»d 8z„delbeschrel-rcr Zeit deßhalb befragter Priester gab zur Antwort, daß, wenn Mansfcld wirklich in Spalato bestattet sey, das Grabmal in den damaligen Religionsunruhcn und bei dem Hasse gegen alles Ketzerische wahrscheinlich sehr bald zerstört worden. Das venezianische Archiv liefert darüber keine Auskunft. Die Historiker der Republik erwähnen zwar, es habe der Senat einmal die Absicht gehabt, ihn zum Anführer der Landtruppcn zu ernennen; da aber dieser Plan in jener aufgeregten Zeit ebenfalls an dem Protestantismus unsres Ritters ohne Furcht und ohne Dogmen scheiterte, so findet sich auch weiter keiuc Notiz von ihm in irgend einem officicllen Berichte. Und so bleibt für den edlen Kämpen uns nichts übrig als ein ideelles Kcnotaph an der Stätte, wo seine zerstreuten Gcbciuc vielleicht unter Nomertrümmern und Krämcrfchutt vermodern, und statt langer Leichenrede ein getreues Angedenken des auf wcchselvollcn Bahnen überall sich selber gleichgebliebenen Wackeren. Es haben andere Feldherren mehr erreicht an äußeren Ehren, lautem Dank, oder Besitz auf 184 dem weiten Gebiete des Weltpopanz Erfolg; aber keiner hat getreuer, fester, tapfrer seiner Aufgabe angehangen im Leben und im Tode, als Er, der durch sein Sterben noch sein rühmliches Daseyn ritterlich besiegelt. In seiner abenteuerlichen, nothgedrungen abenteuerlichen Laufbahn, mitten unter neuen Planen und Ent-würfen, überrascht ihn der Tod, und er stirbt, wie er gelebt, völlig gerüstet, aufrecht stehend — ein herrlich Bild glorreich untergehender Sonne nach heißem Tagcslauf. — Nachts, während all meine Reisegefährten rings in ihren Wandbetten schlummerten, stieg ich auf das.Verdeck und faßte die vom klaren Etcrnenhimmcl überwölbten großartigen Reste des Kaiscrpalastes einmal noch ins Auge, und sah den dunklen aus Nömertrümmern aufgeführten Glockenthurm die von den alten Ringmauern umschlossene Stadt riesig überragen, und sah das in nächtiger Stille von einzelnen Fischerbarten durchkreuzte Meer in weichem Silberschimmer leuchten. Und es belebte sich vor meinem inneren Auge immer herrlicher der Hafen, und der Palast belebte sich, und weithin erschien die Ebene bis an den Fuß der Berge hin zu wimmeln von geschmückten Römern und Römerinnen, die hin und wieder schritten und fuhren und getragen wurden über die stolzen Bogen des stattlich überbrückten Iader, und von den Bergen her kamen die Anwohner gezogen, schöne kräftige Gestalten, AllcS hcrbcibringcnd, was erforderlich für das Bedürfniß der rcichbevölkcrten Stadt; und auf dem Meere flatterten die Wimpel von Orient und Oecidcnt. Und ich sah den kaiserlichen Gärtner mitten in seinen Pflanzungen harmlos beschäftigt mit der Pflege junger Väumchen. Und es traten Boten heran aus Rom, und andere aus Nikomedien, und die Stirn des Weltgcbietcrs furchte sich, als durchzucke sein Haupt der Gedanke von dcm nahen Sturz des ungemessencn Reiches, uud er blickte schwcrmüthig auf seine Pflanzungen und hinüber auf seine herrlichste Schöpfung, den hohen prangenden Palast. Es schien ein Ueberdruß am ^!ebcn, dem wunderlich verschlungenen, wandelbar ungetreuen, ihn zu beschleichen, ein Mißtrauen gegen die Götter, für die er sein Leben lang so hartnäckig gestritten; und sein greises Haupt senkte sich sinnend nieder, und l85 „O Vater Jupiter!" bebte es von den kaiserlichen Lippen. Und die Abendsonne sendete ihre letzten Strahlen vom westlichen Meere und goß purpurenes Licht über das Grün nnd übcr die Blüthen. Und es hallte tosend aus den Bergen, wie ein fern heranziehendes Gewitter, und ein Blitz brach zuckend hervor von Osten, und übcrbrcitctc mit falbem Schein die Ebene und das Meer, in dessen Schoost die Sonne eben rothumglüht sich nicderscnktc. Und eine Schaar Prätoriancr stand in ehrerbietiger Ferne, den Winken des Gebieters harrend. Aber der Kaiser winkte nicht. Seine Lippen blieben stumm fortan, und er schien nicht mehr ein Lebendiger, sondern eine starre Bildsäule, und alles Leben um ihn her verwandelte sich in regungsloses Stemgebildc. Und das Gewitter aus den Bergen zog immer mächtiger heran, und Schlag auf Schlag, und Blitz auf Blitze fuhren prasselnd nieder und zertrümmerten die Marmorhallcn, und schlugen in die Thürme ein, und Stadt und Gärten wandelten sich plötzlich um in Oede, und von der eben noch bestandenen Herrlichkeit und Pracht blieb hier und da nur noch ein Säulenschaft, ein Maucrrest, ein schwellenloses Thor, und die Ebene weithin war besäet mit zer-borsteuem Gestein, das einstmals Künstlerhand zu edelster Go stalt beseelt. — 186 Pogliza. Von all den Völkcreigenthümlichkciten in der Nähe Spalato's will ich nur des südöstlich gelegenen Pogliza gedenken, das in seinen eigenthümlich revublicanischen Einrichtungen noch bis 1896 bestanden, wo die alles nivellirende Franzosenhcrrschaft der bis dahin unangetasteten alten Verfassung ein Ende gemacht. Schon Avpian, dessen Päonicr nirgend wahrscheinlicher zu suchen sind als unter den späteren, freilich jetzo ihrer Waldungen wie ihrer alten Einrichtungen beraubten Poglizanern, sagt von ihnen: „Der ganze Landstrich der Päoncn ist reich bewaldet, und erstreckt sich langgedehnt hin zwischen den Iapidcn und Dardanen. Unter ihnen gibt es keine Städte, sondern sie leben gauweisc oder in durch die Aeckcr zerstreuten Wohnungen; sie haben keine gemeinsame Regierung, keine Magistrate, sondern nach Verwandtschaft und Familien vertheilte Berathungen." Der treffliche Topograph der Vencziancrrepublik von 1787 gibt über sie im fünften Capitel seiner Darstellung des Bezirkes Spalato folgenden höchst interessanten Bericht —: „Die Abhänge des Berges Mossor verlängern sich zur Rechten des Flusses, dessen verschlungenen 5!auf sie von der Stadt Oardun, die Trigl gegenüber liegt, bis zum Meere hin verfolgen. Dieser Vcrgstrich, der zwischen Klifsa und Duare anhebt und sich durch die Schluchten der Charnovniza und der Cettina hinzieht, ist bekannt unter dem Namen Pogliza. Der Vauf dcs Flusses dient ihm zur Gränze durch dreißig starke Meilen, unterbrochen nur durch ein kleines Gebietstheil von Duarc. Die Provinz Pogliza enthält keine Stadt; auch weiß man von keiner solchen in älterer Zeit. Sie hat sich freiwillig dem Schutze der Republik übergeben nach Abschüttlung des otto-manischen Joches, unter welchem sie gleichwohl nach eigenen 167 Statuten sich regierte. Diese kleine Republik verdient näher bekannt zu werden. Drei Stammordnungcn bilden dort ein Völkchen von etwa fünfzchntausend Einwohnern. Zwanzig Familien behaupten von edlen Ungarn abzustammen, die sich in Zeiten der Zerwürfnisse dorthin zurückgezogen; eine größere Anzahl anderer rühmt sich der Sproß bosnischer Edlen zu seyn; die dritte Abtheilung sind Bauern. Jedes Jahr am Tage des heiligen Georg versammeln sich die Poglizaner zum Landtage, den sie in ihrer Sprache Zbor nennen; jeder der drei Stände bildet alsdann ein besonderes Lager in der Ebene von Gatta. Dort erwählen sie von neuem ihre Magistrate, oder bestätigen sie. Der Veliki Kn^s oder Großgraf — eigentlich Großfürst --ist der erste im Staate, und wird stets einer der edlen Familien aus Ungarn entnommen. Seine Wähler sind die kleinen Grafen oder Dorfschulzen, die dem bosnischen Adel angehören und mit der Vollmacht ihrer Gemeinde beim Landtage erscheinen. Während die kleinen Grafen den Großgrafen erwählen, kürt das Volk, vertheilt in verschiedene Versammlungen, welche die Bewohner der Dörfer vertreten, die kleinen Grafen für das ncue Jahr, oder bestätigt die so cs verdienen. Der erste Stand im Staate schreitet zu gleicher Zeit zur Wahl eines Kapetan und zweier Procuratoren. Selten geschieht cs, daß der Großgraf ohne Gewaltsamkeit erkoren wird, weil selten nur der Fall eintritt, daß nicht mehr als eine Partei vorhanden ist. Wenn in solchem Falle vergebens der Weg geheimen Abstimmcns versucht worden, pflegt einer der eifrigsten Partcimänncr den Kasten der Landesprivilegien zu rauben, das Unterpfand, welches die Nation dem jedesmaligen Großgrafcn anvertraut. Der Räuber flieht zum Hause dessen, dem er anhangt; jedes Nathsmitglied hat das Nccht, il)n mit Steinen, Flintenschüssen, Messern zu verfolgen, und viele üben vollständig ihr Recht. Hat der Räuber seine Maaßregeln gut getroffen und kommt mit heiler Haut zu dem beabsichtigten Hause, so ist die Wahl des Großgrafcn entschieden, und Keiner wagt sich ihr zu widersetzen. Die Gesetze der Poglizancr und ihre Gebräuche tragen noch starke Spuren von dem Zeitalter der Barbarei, in welcher sie entstanden; doch sind auch ganz vernünftige darunter. Entsteht Icrwürfmß wegen Ländcrcicu, so begibt der Richter sich an dcn 188 Ort und hört dic Gründe der beiden Parteien, sitzend auf seinem eignen über den Boden ausgebreiteten Mantel; er spricht das Urtheil, bevor er aufsteht, und gewöhnlich zu vollkommener Beschwichtigung des Zwists. Wenn ein Poglizaner von einem Mitbürger ermordet worden, begibt der Graf oder Schultheiß des Dorfes sich mit den Notabcln in das Haus des Mörders, trinkt dort, schmaust und plündert was sich nur an Brauchbarem vorfindet. Nach diesem Vorgang wird der Großgraf benachrichtigt, der nun ebenfalls alsbald sich zu dem Orte begibt und das Uebrige zerstört. Ist der Mord nicht von erschwerenden Umständen begleitet, so besteht die Straft des Mörders in vierzig Thalern, was etwa acht Zecchinen gleichkommt. Diese Buße heißt Karvarina, d. i. vergossenes Blut oder Vlutgeld. In früheren Zeiten waren die Mörder zur Steinigung verdammt; jetzt unterliegen sie Geldstrafen, weil der Graf nicht seinen eignen Spruch der Appellation aussetzen will. Gleichwohl kommt cs bisweilen vor, daß der Verurthcilte auf der Stelle gesteinigt wird, weil er nicht Zeit hat an den I'sovvLliiwrs ^nergl? von Dalmatian zu appellircn. Auch ist unter diesem Volke noch die Feuerprobe in Gebrauch, so wie die des siedenden Wassers; da-her man denn bisweilen dort Unschuldige halb gebraten und ge-lahmt findet. Eine Art der Tortur bei den Poglizanern kommt mindestens all dcn ähnlichen sauberen Erfindungen unter den gebildeten Völkern gleich; sie pressen dem eines Verbrechens Bezichtigten Tanncnkeile zwischen Fleisch und Nagel, und sie würden auf keine Weise sich irgend einer anderen Holzgattung dazu bedienen, um keine Neuerung zu machen, weil ausdrücklich ihr Gesetz den Gebrauch dieser Holzgattung vorschreibt. Trotz diesen Zügen gesetzlicher Barbarei sind die Poglizaner menschlich, gastfrei und gute Freunde, wo sie keinen Grund zum Mißtrauen haben. Die Unwissenheit macht sie argwöhnisch; daher es unmöglich ist, von ihnen irgend Aufschluß zu erhalten, ober alte Papiere zu untersuchen, oder irgend eine andere für den Reisenden bemerkcnswcrthe Sache; sie fürchten immer, der Fremde, der lesen kann, sey ein Schatzgräber. Dic Hirten von Pogliza haben eine besondere Verehrung für Sanct Veit, dessen Fest sic feiern durch Anzünden von Bündeln wohlriechenden Holzes vor ihren Häusern; eine Sitte, die in Verbindung zu 189 stehen scheint mit der alten slavonischen Völkerschaften großer Ehrfurcht vor dem Götzen Vid. — Sie glauben in ibrer Einfalt, daß das Hervorholen des Eises aus den Tiefen ihrer Verge wo es sich das ganz? Jahr erhält, die ihre Pflanzungen zerstörende Bora wecke; daher sie Niemandem erlauben es fortzutragen. Sie behandeln ihre grauen nut wenig Rücksicht, und niemals nennen sie dieselben, ohne eine Entschuldigungspbrase vorauszuschicken, ganz wie die Morlaken. Dieß mag genügen als Probe ihrer Nohheit. Die Stärke, die Schönheit ihrer Gestalt, die Mäßigkeit, die Gewöhnung zur Arbeit machen aus den Pogli-zancrn ein zum Kriegsdienst sehr geeignetes Volk. Sie bcwoh-nrn ein für große Truppenabtheilungen unzugängliches Land, können aber iu ziemlicher Anzahl von da herniedersteigcn. Der Geist der Rache trieb sie vor einigen Jahren gegen die Stadt Almissa, indem sie in ansehnlicher Menge von ihren Bergen bis zum Ufer des Flusses heranstürmten, und es bedürfte der Kanonen, um sie wieder in ihre Gränzen znrnckzuweisen. Im Gebiet von Pogliza ist ein Weiler, genannt Pirun Dubrava; das bedeutet Wald des Pirun. Vielleicht wurde vor Alters dort das Götzenbild des Perun verekrt, welches auf den Altären der Slaven auch zu Nowgorod sich fand, devor Iwan Wasiljewitsch Großfürst von Moskau jene Stadt und das ihr unterworfene Gebiet erobert batte."*) - Soweit unser wackerer Topograph über das in seiner abgeschiedenen Eigenthümlichkeit so interessante, Völkchen der Poglizaner. *) Cs brauckt kaum der Bemerkung, das» zu der Zelt, wo Iwan Wasiljewitsch NowM-od einnahm (1478), längst von keinem heidnischen Gottesdienst mehr die Rede war. Ä. d. R. 190 L e s i n a. Schon liegt die Küste mit dem stolzen Schloß am Meere hintrr uns. Die Insel Brazza, diesen reichsten Juwel im Inselgürtel der Dalmatinerküsten mit seinen kostbaren Marmor-brüchen und seiner Füllc von Heilkräutcrn haben wir zur Seite gelassen, nicht einmal den weltberühmten Vugauawein verkostend, und steuern, weder angelockt durch seinen von den Griechen schon mit dem des Hymetlns verglichenen Honig, noch geschreckt durch seine Vipern, hart an dem Inselchcn Solta vorüber, dem Olynth der Alten, in gerader Richtung auf ^esina zu. Lcsina, das klingt ganz hübsch — nicht wahr? - und bedeutet in getreuer Uebcrsetzung doch nichts Anderes als Schusterahle; und der Name entspricht getreulich der Gestalt dieses langgedehnt und schmal ins Meer sich hinstreckenden Eilands. Da tont freilich der antike Name Pharos, den die Slaven aufgenommen und erhallen in ihrer Benennung Far, poetischer und anlockender für ein classisches Ohr. — Noch lauschte ich dem lehrreichen Bericht des unermüdlich forschenden Fnrlanctto, der uns- erklärte, daß die Lage der heutigen gleichnamigen Hauptstadt dieser Insel unmöglich der von Parischen Colonistcn begründeten Wnria entsprechen könne, und der eben eine sinnreiche Begründung seiner Be-hauptnng durch Inschriften in Aussicht stellte, als wir in den weiten tiefen Hafen einliefen, der, wichtig schon den Nömern, von den Venezianern noch mit größerer Sorgfalt beachtet und umsichtig benützt ward. Ucberraschcnd ist der Anblick der Stadt am West-abHange des überragenden Berges, dessen Haupt das um die Zeit der Lepantoschlacht von einem spanischen Architekten erbaute Fort Spagnuolo krönt. Ich kann nicht einstimmen in die Ausrufungen derjenigen Reisenden, welche in ekstatischer Verzückung die Lage Lesma's mit Genua vergleichen. Eher fühlte ich mich an 191 die Nordküste Afrtta's versetzt und an Bilder von Algier erin« ncrt. Es war nahe an der Mittagsstunde, und Lcsina mit seinen steinernen Gebäuden und den zwischengestrcuten Gärten brei--tete sich in Sonncnglutb an der gegenprallenden Felswand ans. Einzelne Palmen, hochwüchsiger als ich sie bis jei?t gesehen, ragten zwischen den übrigen Gewächsen hervor gleich Königen auf erhabenem Thronsitz, sehnsüchtig hingewandt nach ihrem väterlichen Neich, dem fernen Orient. Vottblühcnder Oleander, als schmucker Hofstaat sich um die verirrten Herrscher drängend, lächelte freundlich in seinem aus Grün und Noth gemischten Kleide über die Gartengelände, die zum Theil von einer dichten Kette stachlichtcr Kak-tusstauden gebildet waren. Der Iohannisbrodbaum, die Orange, die Citrone, selbst der Lorbeer neigten sich in ehrfurchtsvoller Ferne vor den stillen Palmenbauptern; nicht so das rebellische Geschlecht der Baumaloe l,>V^.ivu ^mLi-ioinin), deren saftige Stämme hier und da auf der kahlen Steinhöbe die volle Herrlichkeit ihrer üppigen Wunderblume in stolzem Selbstgefühl zur Schau trugen; andere dagegen, bereits abgeblüht und somit ibrer Zaubcrmacht entäußert, dienten getrennt von ihrer Wurzel, demüthig den Neben als stützende Pfähle. Ein freundlich gefälliger Lesincsc, Gcmeindcsceretär der Stadt, der gehört hatte daß ich ein Deutscher sey — „un l'i-u^iano", die gemeinsame Benennung für alle Norddeutschen, ein Losungswort, das im ganzen Süden zu besonderer Empfehlung gereicht — ein Dcut< scher, der zu seiner Belehrung reise, gesellte sich unaufgefordert zu mir und erklärte aufs anschaulichste, wie die Fasern des Aloeblattes sorglich abgelöst und von dem Landvolle zu Spitzen versponnen würden; er machte mich aufmerksam auf den dieser Insel so eigenen Rosmarinduft, rühmte das aus dieser reichlich wuchernden Pflanze destillirte aromatische Wasser, welches als ^u» buu>,">> XXIX« 1^ (Istrjen und Dalmatten.) l94 hoch vom Uferfelsen herab aus einer iiefen Grotte hervorblicken. Beide sind der heiligen Domcnica geweiht. Mit gcwaffnetem Auge erkennt man deutlich cine dunkle Cppresse schlank emporsteigend inmitten des Klostergebäudes, dessen von dichtem Epheu umsponnene Mauern in den hohen Busen des Felsens hineingedrängt sind, wahrend ties unten am Fuße das Dörfchen liegt, zu welchem sie gehören. Dieft Grottenkloster, einstmals reich und vielbesucht, wurde von den Franzosen aufgehoben und fetzt wird nur noch jährlich einmal in dem Kirchlcin Messe gelesen. Das Ganze erscheint dem vorüberziehenden Beschauer wie eine Wun. derblumc, erwachsen in dem gähnenden Felsenschlunde. Mir schien bei längerem Hinblick ein Doppellicht sich zu begegnen, das dem Himmel entströmende von außen und das der Berges» tiefe sich enthebende von innen. Und in der Verinnigung dieses Doppellichtcs schien mir das gcsammle Menschendaseyn sich zu spiegeln, der Einzelcreatur gleichwie der Völker Schicksal, eins daS andere ergänzend und erklärend. Denn sprießen nicht von Zeit zu Zeit in unsrer eigenen Brust, entsprechend dem großen Ganzen der Wcltentwicklung, die wir nachgcborenen Betrachter dann Geschichte nennen, Blüthen Plötzlich empor, die, gleichverwandt der Tieft, welcher sie entstammen, und der Höhe, von welcher sic das ^icht empfangen, einen Wendepunkt bezeichnen und einen unlösbaren knoten bilden, in den Vergangenheit und Zukunft unzertrennlich sich verschlingen? — Mich überkam einmal in einer Frühlingsnacht ein seltsam wunderlicher Traum. Mein Herz, das auch in einem dem Vichtc unzugänglichen Kerker durch erhöhctcn Schlag den annähenden ^!enz verkünden würde, pochte noch während des Schlummers heftig fort in dem Brustvulfanc, der geängstet in den Tiefen bebte und sich sehnte nach Erlösung. Da mit Einem Male that das Herz einen so gewaltigen Schlag, daß ein Stück der es umschließenden Ninde hoch in die ^uft flog und alsbald — kein Vlutstrom, nein, ein Flammenstrahl aus dem geöffneten Krater hervorbrach, eine starlc lichte Säule, alles rings erleuchtend, und emporsteigend in gc-radcr Richtung nach oben; in das Innere aber senkte sich der Sonne milder Blick, und wo zuvor die unterwühlende ^ava geglüht, verzehrend und versengend, da begann ein Sprießen und ein Blühen, und Klänge wie begleitender Chorgesang zum jungen 195 Schöpfungsmorgen ließen sich vernehmen, und die nicht mehr geängstete Creatur athmete wieber frendig auf und frei und jubelte in der Erkenntniß: Es ward ^!icht! — Ja, es ward ^'icht. Und in dcm Lichte gilt es zu ringen und zu wirken und treu zu beharren in Wohl und Weh, in starkem Dulden und in rüstiger Bethätigung, cincs im anderen. Unsre Natur ist wunderbar durchleuchtet von zwei Flammen, die im Mittelpunkt der Brust einander räthsclhaft begegnen. Dlc cinc stammt von oben, ist Ausstrom des uranfänglichen M)t> quells und Vcrkündcrin ewiger Klarheit; dic andere ist Tochter der Erde und steht unter deren beschränkenden Gesetzen. Beide streben fort und fort zu innigster Vereinigung, beide werden durch cinc unsichtbare Macht von der hcißcrsehnten Verinnigung zurückgehalten, und jener Drang und diese Schranke sind der Qucllborn alles Schmerzes, aber auch die Vermittler zum Ueber-gang in ein höheres, vollendeteres Daseyn. Denn der Schmerz, der ächte, ist ein göttliches Geschenk der ächte Schmerz und die ächte Acbc allen: vermögen die Nebel zu zerstreuen und den Vorhang zu zerreißen, der das Ewige dcm Auge verschleiert, so lange es nur am Irdischen haftet. Darum scy unsre Liebe stark und unerschütterlich in Freud und ^!cid, und der Himmel ist unser! — Alles Andere ist citlcr Wahn nnd flüchtiger Schaum. Ich spreche nicht in Räthseln, ich spreche nur die uralte Wahrheit aus; die gchcimnißvoll offenbare, die ewigc Offenbarung alles zu neuen Keimen und Blüthen aufsprießenden Bebens. Denn das ^,'eben ist dcr Phönir, der bethätigend sich opfern muß, nnd nicht scheuen darf sich selbst zum Theil der Flamme zu machen, auf daß ncucs ^cbcn aufsteige aus dein freudigen Verzehr des altcu. Ist das nicht vielleicht auch die Bestimmung der Sterne, jener trotz aller Fernrohren unerforschten Sichtweiten, ln ihren räthselhaft unwandelbaren Bahnen?-------- Ich sah zwei lichte Sterne Am hohen Himmel zieh'n; )n ungcmcss'ner Ferne Schien ans dem Flammenkerne Des einen leuchtend Vlüh'n Dnn andern nur zu glüh'n. 13 * l96 Sie zogen weiter, weiter Die ungemess'ne Bahn, Erwählte Gottesstreiter Auf ew'ger Strahlenleiter ^ Sie müßten, war mein Wahn, Einander liebend nah'n. Eh' ging die Welt in Tr,immer, Eh ihre Bahn sich eint! Nur in des Lichtes Schimmer Begegnen sie sich immer — Ihr Flammenkern erscheint Entfernt und doch vereint. Wenn einst zum großen Tage Heran der Morgen bricht, Wo in des Lebens Wage Die Nacht der Sarkophage Hinsinkt — aus reinem Licht Ein Strahlenkranz sich flicht — Dann weicht der Trennung Wehe, Dann lischt der trübe Wahn, Dann wird die Ferne Nahe, Dann bilden Tief' nnd Höhe In unzertrenntem Nah'n Nur Eine Sternenbahn! — 197 Lissa - Eurzola - Mcleda. Heiter leuchtete die Sonne, und ein frisches Lüftchen kräuselte sanft die Wetten, als wir in bunter Ordnung zum Mittags^ mahle gereiht saßen und dem Verschiedenartigsten in unseren Gesprächen Naum gönnten. Eben zeigte in der Ferne sich das Fort von Lissa. Ein alter Kriegsmann, der die ganze Zeit über schweigend da gesessen, um nichts anderes bekümmert als die dampfende Schüssel, wurde bei dem Anblick Asia's wie elektrisirt, und seine Zunge löste sich bei Vergegenwärtigung vergangener Jahre in lebendiger Schilderung des beißen Märztages von 1811, wo er in jenen Gewässern an dem Kampfe Theil genommen, den Capitän Hoste siegreich an der Spitze weniger Schiffe der bei wcitcm zahlreicheren Flotte der Franzosen geliefert. Von dem damaligen Flor der Insel, von der Lebhaftigkeit des Verkehrs, von dem Zusammenfluß der Besucher aller Zungen zu den Waarenlagern der Engländer, dem einzigen zu jener Zeit in weitem Umkreise, konntr cr kcin Ende finden zu erzählen, und aus seinen Schilderungen, die an Farbenschmuck deu Erinnerungen aus glückseliger Kindheit glichen, tauchte immer reizender das Eiland eines Fcenmährcheus auf. Durch andere Gläser sehend und mit anderen Waffen ausgerüstet, den Stellen alter Classikcr, zog wetteifernd mit il)M Professor Fur-lanetto in das Feld, und wir hörteu, wie Schimnos der Chier unter allen illyrischeu Inseln ihr den Vorrang eingeräumt, wie Strabo ihrer mit Auszeichnung Erwähnung thut, wie Agatfteme-ros sie die edelste nennt, Ngatharchidas und Athenäus ihr den Ruhm der Erzeugung trefflichster Weine zusprechen, Apollomus Nhodius ihr in seiner Argonautica den Beinamen der begchrcns-wcrthen ertheilt. Auch Mophron der Dunkle wurde citirt und Verse aus der Kassandra angeführt, die von einem Aufenthalt lS8 des Kadmos daselbst sprechen und von einem Söhnlcin, das er dort erzengt, gleich stark in Waffen und der schmerzenreichen Gabe der Vorschau künftiger Dinge. Die Betheiligung Lissa's an den verschiedenen illyrischen Kriegen der Nömer wurde nicht vergessen, noch die spätere Umwandlung der Insel in ein See-räubernesl, das endlich, gleichwie all diese Gestade, der wachsenden Macht Venedigs unterlag. „Von all den alten Herrlichkeiten", bemerkte ein junger Kaufmann, „ist ihr jetzo nichts geblieben als die fräutcrbewachsenen Kreidefelsen und der Reiche thum an Fischen, der in besonders gesegneten Jahren an das Unglaubliche gränzt; ich habe Zügen beigewohnt, die an jene orientalischen Mährchen erinnern, wo ein Zauberer den Segen über das Neiz des Fischers gesprochen, und wo dic Barken den Fang weniger Stunden gar nicht fassen konnten." Unter solchem Wechsel des Gespräches hatten wir kaum bemerkt, daß das Lüftchen, welches anfänglich uns sanft umspielt, bereits zu einem ganz ansehnlichen Winde erwachsen war, und daß die Wellen immer vernehmbarer an die Wände unserer Arche platschten. Es begann jene auf Dampfschiffen so unangenehme Doppelbewegung immer heftiger zu werden, und die Diener beeilten sich, Tische und Stühle wegzuräumen und hinunter in die Cajüte zu bringen, wo sie zum Schutz gegen das überhandnehmende Schaukeln festgebunden wurden. Ger von den Reisenden nicht sturmfest war, der zahlte von dem eben eingenommenen Mahle reichlichen Tribut dem Meergotte und seinen bestoftten Trabanten, und der Hülfsbedürftigen waren mehr in der Gesellschaft als der Helfenden. So war denn Allen das Einlaufen aus dem offneren Meere in den Canal von Curzola besonders willkommen. Westlich begränzt durch die bewaldeten Höhen der gleichnamigen Insel, gegen Osten durch die Felsenwände der Halbinsel Sabionccllo, hatten die Wellen auch beim Fortbrausen des Windes keine Kraft mehr; dieser diente uns nur zu rascherem Einlaufen in den Hafen. Die Fahrt durch den Canal von Curzola weckt eine ernste Stimmung. Dunkle Cppressen, bald einzeln, bald in Reihen, bald in dichteren Gruppen, schmücken, je tiefer man vordringt, um so reichlicher die Felsen Sabioneello's, des Hpllis der Alten, vornehmlich in der Nähe eines Dörfchens, das auf einer mitt- 199 leren Höhe der Felsenlinie erbaut ist — zu besserem Schutze der schönen Sabioncellinerinnen gegen die Piraten. Dic Insel C ur z o l a aber, wenn auch nicht so baumreich mehr als vordem, wo sie durch ihr Schiffbauholz berühmt war, zeigt noch immer genug Pinien auf ihrcn dunkel bewaldeten Höhen, um den Namen ^0,-0)!^, m^i'tt zu rechtfertigen, welchen ilir die Alten beigelegt. Auch Wein und Oel, von dessen Vorzügen Constantin Porphy-rogenetus spricht, gedeiht noch immer dort in vorzüglicher Güte und wird sorgfältig gepflegt, wie denn auch die Kalksteinbrüche Curzola's noch immer weithin versendete Bansteine liefern. Der früher dort in großen Heerden, jetzt nur in geringer Anzahl noch getroffene Schakal hat Veranlassung zu den seltsamsten Fabeleien gegeben; haben ihn doch Einige sogar für die Hyäne gehalten. Der gleichnamige Hauptort am südöstlichen Ufer der Insel, vor welchem das Dampfschiff landet, ist ein anf den ^els hinausgeschobenes Städtchen. Neber dreihundert ans Stein erbaute Häuser, von denen kaum zwei Drittheile bewohnt sind, gleichen in ihrem von hoher Ringmauer umschlossenen dichten Knäuel immer mehr verfallenden Ruinen. Die meisten sind an der Vorderseite mit breiten Steinpfostcn versehen, einst Träger von Wallonen, von welchen aus ein zutraulicher Handschlag oder, je nach Umständen, ein Duell unter befreundeten oder befeindeten Nachbarn ein Leichtes war. Dazwischen enge feuchte Gäßchcn, ein Ghetto eigner Art das Ganze, bei welchem gar nicht zu verwundern, daß hier die Pest so stark gewüthet. Die meisten Häuser verfallen mehr und mehr, und immer häusiger ziehen die Bewohner aus den verödeten dumpfen Winkeln sich in die geräumigere heitere Vorstadt gegeu Süden. Einen hübschen Rundblick bietet der Spaziergang nm die hohe Stadtmauer. Die von einem sehr beschränkten Plätzchen umgebene Domkirchc ge. währt nirgend einen Standpunkt zu genügendem Hervortreten ihres schönen altdeutschen Steingewandes. Innerhalb derselben, hinter dem Hochaltar, wurde mir ein Bild gezeigt, angeblich von Paolo Veronese; in der Mitte der Erlöser, zur linken Sau Marco, San Pietro zur Rechten. Soviel man in der Verbauung und Vcrsinsteruug bemerken tonnte, scheinen es bedeutungsvolle Köpfe, ein Schatz, zu dessen Besitz gar manch ein namen- 2l)0 beflissener Galcriedireetor sich Glück wünschen wurde, wenn es, aus seiner dunkeln Einsamkeit hervorgezogen, auf besuchtem Markt erschiene. Hier ist es eine Perle im — Versteck. ^ Aus der Vergangenheit Curzola's nach Unterwerfung unter die Obmacht Venedigs sind vornehmlich zwei Punkte denkwürdig, die tapfere Vertheidigung gegen die zurückgedrängte Nebermacht Friedrichs vou Arragom'en im Jahre 1485, und der Heldenmuth der Frauen gegen die vergeblichen Versuche eines türkischen Piraten, der mit mehreren Schiffen zu nächtigem Ucberfall herangezogen war — letzteres 1571, in demselben Jahre, in welchem bei den nicht mit unsrer Insel zu verwechselnden Curzolarischen Klippen von der vereinten venezianisch-spanischen Armada der berühmte, unter dem Namen der Lrpantoschlacht allgemeiner bekannte Sieg über den Halbmond erfochten wurde, den venezianische Historiker häufiger als den Kampf bei den Eurzolarcn zu bezeichnen pflegen. — Dankbar gedenke ich dcr zuvorkommenden Gastlichkeit Doctor Solitro's, der, ein geborner Spalatincr, Alles aufbot, die kurzen Stunden meines Aufenthalts mir so angenehm und nützlich als möglich zu machen. Als wir Abends beisammensaßen in seiner einsamen Klause, umgeben von bibliothekarischen Schätzen, den sauber eingebundenen Gefährten seiner insular«'-scheu Abgeschiedenheit, und er mir erzählte von den Freuden seiner Universitätsjahrc, und von den langen einsamen Winterabenden in dieser Einodc, wo man vergebens sich sehne nur nach einer Stunde geistigen Austausches, nach menschlichem Verständniß - und dazn der Maestral vom Meer herüber sauste, daß die Fcnstcr klirrten — da fühlte ich mich lebhaft in die Zelle eines jener Büßer versetzt, die in stillem Beschauen, entfernt von allem menschlichen Treiben, auf einsamem Thurme hausen, Befriedigung nur noch im Bewußtseyn dcs Entsagens findend, das ilincu ein traulicher Gefährtc wordcn. — Am andern Morgen ging ich nach einem erfrischenden Meerbade am Steindamm auf und nieder, bald auf die Mauern Curzola's den Blick gerichtet, bald hinüber zu den Cyprcssen Sabioncello's — da zog ein Nachen heran, in welchem mehrere Frauenzimmer saßen in ganz absonderlichem Aufzug. Ein selk sam geformter Strohhut, phantastisch aufgeputzt mit kostbaren Federn, Blumen und seidenen Bändern aller Farben; cmch die 20l Mieder von bunten Schleifen umflattert und behängen mit Ko^ rallen und Münzen ^ nicht geschmackvoll angeordnet in gewobn^ lichem Sinne, aber äußerst nett nnd säuberlich Alles, und zu den frischen freundlichen Gesichtern gar wohl stehend. Wollen die uns ein Schäferspiel aufführen vor unserer Abfahrt? fragte ich den eben herantretenden Solitro. Er aber entgegnetc, das sey die gewöhnliche Tracht der gegenüberliegenden Halbinsel, und keine Sabioncellincrin wurde sich so leicht entschließen, anch während der Arbeit nicht, ihren mit besonderer Vorliebe gepflegten Kopfputz abzulegen. Was bedeutet dcun der Palmzweig auf dem Hute der jungen hübschen Dirne mit den Schelmeuaugen? Ist es vielleicht das Abzeichen der Verlobten? - Keineswegs; ihr Liebhaber ist kürzlich heimgekehrt von einer Fahrt aus Aegpp. ten, und hat ihr unter anderen Geschenken auch diesen Palm-zweig mitgebracht; und all dergleichen muß nun dem übrigen Schmucke beigefügt werden; das ist so ihre Art von Alters her, und ihnen solcherlei Aufputz verwehren, hieße ihnen die Haupte frcudc des Lebens entziehen. — Die Fahrt von Eurzola nach Ragusa geht zum größten Tbeil dicht an dem langen Streifen der Halbinsel Sabionecllo s>in. Anfangs freundliche grüne Ufer, wie die dem Städtchen gegenüberliegenden, mit einzelnen Häusern wirthlich besäet; dann die Berge steiler, zerklüftet schon von unten auf, aber selten nur eine Strecke ohne buschige Begrünung. Bald zeigt zur Rechten sich die nicht unbedeutende Insel Mcleoa mit ihrer dunkeln Kette rcichgeschmücktcr Berge - das Meleta der Alten, bekannt durch seinen tapferen Widerstand gegeu die Geschwader Cäsar Augustus. Porvhyrogenetus nennt sie als die Insel, wo Sanet Paulus Schiffbruch gelitten — wahrscheinlich wohl nur eine Verwechslung mit Malta. Hier soll ^Ppian sein Gedicht geschrieben haben über den Fisch- und Vogelfang, zum Troste, wie es heißt, des von Septimius Scverus verbannten Vaters; noch zeigt man im Norden der Insel die Trümmer des von ihnen bewohn-ten Palastes, nach welchem der Haupthafcn den Namen po>-w l'a!n/xn führt. In den zwanziger Jahren ist Meleda viel besprochen worden und hat weithin Aufmerksamkeit erregt. Es 202 ließen nämlich von Zeit zu Zeit sich unterirdische Donner boren, von leichten Crdcrschütterungen begleitet, ohne baß eine Stelle zu entdecken war, von wo die Donner ausgingen. Im Herbste 1823 wurden sie so bedeutend, daß ein großer Theil der Bewohner auf das benachbarte Festland floh und die seltsamsten Vermuthungen sich verbreiteten über den Ursprung dieser nie zuvor bemerkten Erscheinung — Vermuthungen, unter denen bei leichtgläubigen auch die Mährchen von Armcnsünderscclen aus dem Fegfcucr, von unheilverkündenden Vorzeichen, und was die aufgeregte Phantasie Alles erfinden mag, bereiten Eingang fanden. Von Wien aus zur Untersuchung abgesendete Naturforscher erklärten in ihrem später gedruckten „Bericht über das Detona-tions-Phänomen auf der Insel Meleda" die Sache für die Folge von Erdcrschütterungcn eigener Art - ein Resultat, das freilich auch ohne gelehrten Apparat bereits früher klar gewesen; und da seit dem September 1825 nichts Achnliches sich wieder zeigte, so kehrten die gcstüchtctcn Bewohner ruhig an ihren Herd zurück. Da bauen sie min nach wie vor ihren Wein, treiben Fischfang, beuten ihre Austerbänke aus, und sehen Geier und Adler um die Fichten der steilen Höhen schwirren, obne sie mehr für ruhelos umherirrende Seelen oder Vorboten verderblicher Ereignisse zu ballen. Sobald man die südliche Spitze von Sabionccllo vorüber ist, wo die Halbinsel nnr durch eine schmale Landenge - so schmal, daß die Franzosen einst zwei von den Engländern verfolgte Kriegsschiffe hinüber transportirt — mit dem Festlande zusammenhängt, sieht man zwischen den malerischen Buchten jetzt entwaldeter, einst baumreichcr Vorhöhen die Gebirge der Herzegowina herüberragen, liebliche Insclchen erscheinen in der Nähe des Festlandes, vor allen reizend Ginppana, die Oliveninsel. Wir saßen eben beim Mittagsmahlc, als mir das durch seine Gärten und vornehmlich durch seine herrlichen Platanen berühmte Canosa in der Ferne angedeutet wurde; und ich schloß, zumal da in Nagusa der allerkürzeste Stationspunkt zwischen Tnest und Cattaro, diese Gegenden gern in den Plan meiner späteren Wanderungen ein, nachdem ich den südlichsten Punkt unsrer Meerfahrt erreicht und dem rückkehrenden Dampfschiff für einige Wochen Valet gesagt. Um dieses Planes willen, «03 den mir hoffentlich kein böser Stern vereitelt, werden Sie, mein nachsichtiger Freund, der Sic das bescheidene Selbstgefühl hegen, allein ein ganzes Publikum zu ersetzen, dießmal auch das Ueberspringen, oder vielmehr Umgehen des reizenden Nagusa gestatten, von welchem ich hoffe bald Näheres und Ausführlicheres sagen zu können. Mußte doch das stolze Venedig selbst in den Zeiten höchster Blüthe sich bequemen, das ragusanische Gebiet, sein eignes Miniaturbild, um der wiverwillig anerkannten Umrahmung zwiefach einschneidender Türkengränze willen unberührt zu lassen, wenn es seine dalmatinischen Besitzungen musterte. — 204 Boecke di Gattaro — Oesterreichisch Albanien. Ich bin in einer eigenen Bedräuginß, Freund — Bedräng-niß aus Neberfülle. Sie kennen das, zum mindesten an Anderen; denn Ihre glückliche Wallonennatur fpühlt mit vergnüglichem Lächeln und leicht bewegter Blntwelle Alles fort, was irgend sie bedrängen will, dunkleren Lebenstöncn nur ausnahmsweise flüchtigen Besuch gestattend. Diese Ihre glückliche Natur möcht' ich zu Hülfe rufen, Kamälconischer, indem ich mich anschicke, nach so vielen zwischeuliegenden Tagen wenigstens die Grundzüge festzustellen aus der Galerie verschiedenartigster Gestalten und Erlebnisse dieser bewegten, aus Fäden der Vergangenheit und Gegenwart zu einem reichen Teppich sich verschlingenden Tage. Eines müssen Sie vor Allem mir vergönnen — sonst bin ich unfähig zum Vorwärtsschreiten, wie der Hirtenknabe, als ihm Saul die schwere Wucht der Rüstung angelegt zum Kampfe mit dem Riesen; Sie müssen mir gestatten, ein Stück dieses breiten Teppichs vorläufig auszuscheiden und bei Seite zu lassen; ich verspreche Ihnen dafür nach wiedergewonnener Ruhe zwischen den Lagunen eine desto ausführlichere Schilix'ruug meiner Erlebnisse auf Montenegro, diesem in jeder Hinsicht so höchst- merkwürdigen Stückchen Erde, welches die Natur zwischen das einstmals venezianische, jetzt österreichische Albanien, und das türkische Gebiet zu eigenthümlichster Wcltstcllung und Kraftent-wickluug hineiugcdräugt. Allerdings füllt mein Ausflug in jenes Bcrgländchen das bei weitem umfangreichste Blatt dieser au Anschauung und Ueberlieferung so reichen Tage; aber eben um dieses weiteren Umfangs und umfasseuderen Inhalts willen, an den sich imabweislich mehr und mehr anknüpfen will, ist eine genügende Darstellung in Brief- und Tagebuchstrcifcn unmöglich; 205 und so gebe ich denn vor meinem abermaligen Aufbruch nach Ragusa nur das, was sich als Schale um jenen Kern legt, meinen Aufenthalt in Cattaro und meine Strcifereien in seinem Gebiete vor und nach meinem Besuch auf Montenegro. Begleiten Sie mich noch einmal an die drei Mündungen des großen, von den Alten 5inu8 ll!>lxom«u8 benannten Meerbusens, der bald breiter und bald schmäler in mannichfachen Schncckengängcn und Buchten sich von dcr Punta d'Ostro bis zur Kreisstadt Cattaro erstreckt. Jene durch die entgegengesetzten Ufer und zwei gewissermaßen als Wächter vorgelagerte Eilande gebildeten Mündungen bat dcr Eigensinn der Volkssprache seit Jahrhunderten zur Benennung des gcsammten Meerbusens mit allem ihm Zugehörigen gestempelt. Selbst innerhalb hört man, wenn von dem ganzen Umfange die Nedc ist, nur selten den Namen (^uia!«;, seltener noch i.ollo, sondern vorwaltend ls üo seligkcitcn Haupt und Arme; bei den Franzosen trat wieder mehr das alte Verhältnis? ein; unter Oesterreichs Herrschaft, deren Panier streng unparteiische Gerechtigkeit gegen alle Nationalitäten und alle Bekenntnisse, haben auch die griechischen Unterthanen bei weitem mehr bürgerliche Rechte als unter den Venezianern, welche Fra Paolo Sarpi's Rath zufolge die Bekenner dos griechischen Cultus in jeder Hinsicht möglichst beschränkten und sie dcn katholischen Unterthanen überall hintansetzten; nichtsdestoweniger spricht Hast und wechselseitige Vcrketzerung der voneinander abweichenden Bekenntnisse sich heutzutage noch in den Bocchc stärker aus als irgend anderswo in der österreichischen Monarchie. An Tracht, Sitten und Gebräuchen sind gar mancherlei Schattirungen; allc Vocchcscn aber kommen darin über--ein, daß sie einen unvertilglichcn Hang zur Zurückgezogenheit und eine angestammte Vorliebe und Gcschicklichkcit zur Schifffahrt haben. Letzteres gab ihnen dic großc Bedeutung für die venezianische Marine, und vielleicht entschiedener noch als in dem übrigen Dalmatien herrscht hier der Glaube und dic Zuversicht, wenn dcr Kaiserstaat nur den Muth habe zu wollen, er könne cs, gestützt auf seine Dalmatiner (was in diesem Falle natürlich gleichbedeutend mit „Boechescn"), getrost mit jeder anderen Seemacht aufnehmen. Bedenkt man, daß beinahe die Hälfte aller bedeutenden Kauffahrteischiffe der Monarchie Bocche-sen angehören, und daß dieselben mit bcr größten Geschicklichkeit und stets sich mehrender Erfahrung auf allen Meeren kreuzen, so scheint dieß Selbstgefühl nicht ohne Berechtigung. Es ist gar viel und immer wiederholt die Rede gewesen von dem durch Goethe als beliebtes Bild in die deutsche Litteratur eingeführten rothen Faden der englischen Marine. Des weißen Fadens, dcr das Tauwerk dcr österreichischen Marine durchzieht, hat bis jetzt noch Niemand Erwähnung gethan; 207 gleichwohl kann sich jeder davon überzeugen, der den Riesensaal der Ankcrtanfabrication im Venezianer Arsenal besticht. Es ist dieser Faden, als Symbol ciner Seemacht, nnr unbedeutend. Aber zum Ankertau, dem sich an Kraft und Dauer keius vergleichen kann, erwächst er, wenn wir, durch alle Verschlingun> gen und Windungen ihn als Ariadnefaden festhaltend, den Hcl-densaal im Dome deutscher Sprache und deutscher Gesinnung durchwandeln. Der freudige Glaube, daß unser Culminations-punkt noch vor uns liegt, verschlingt sich in gerechter Zuversicht mit ihm. Oesterreich bat bio jctzo nur gezögert, wcil leine Nothwendigkeit vorhanden war die ihm zu Gebote stehenden Elemente aufzubieten zu entsprechender Hebung auch seines Seewesens; aber mit Nachdruck schützt seine Kriegsmarine jetzt schon seine Handelsschiffe, und ist zu diesem Zweck mehr als genügend. Ein immer innigerer Wiederanschluß an das gesammtc Deutschland, dessen Vorboten in Millionen Herzen so vertrauensvollen Gegenklang gefunden, wird seine gewaltigen Kräfte auch nach dieser Seite in lebendige Bewegung setzen. Das Arsenal Venedigs wird von neucm in alter Thätigkeit sich regen, die Wälder Istricns, Dalmaticns, und bald auch weiter in das Wälder-reiche ^.'and hinein werden ihrer einstmals so erfolgreichen Bc> ftimmung wiederum entsprechen, die Erze der ergiebigen Berg^ werke im Herzen Oesterreichs wieder zu bedeutenden Zwecken ausgebeutet, und die trefflichen Häfen des adriatischcn Meeres von einer Flotte angefüllt seyn, welche, allen Nationen Achtung gebietend, mit den Schiffen der Donaumündungcn in unzerrifse> ner Verbindung steht. Und reicht diese Flotte zu gegenseitig gem Schutz und Trutz der gleichbeflaggten deutschen Schwester im Ost- und Nordmeerr die Hand, dann ist anch für den ruhmwürdigcn Kaiscrstaat ein Ziel gewonnen, welches weiter führt und glänzendere Erfolge verspricht als selbst der Besitz der jonischen Inseln gewähren könnte, deren Aufgeben zn ciner Zeit dcs Wiedcrerwachcns und der Wiederherstellung wan so vielfach schmerzlich und bitter in Dalmaticn beklagen hört. iVtte/e/'evt ce«6t5l,) l^/'//ill uat. Und Lothringen? — und Elsaß?--------würden 208 Arndt und Iahn und manch ein ehrenwerther Burgwart glor< reicher Erinnerungen auch an dieser Stelle fragen. -. 2. Hat man, vom Meere aus nahend, einmal die Mündungen, die eigentlichen Bocchc, überwunden, die bald hinter dem weiter Segelnden dnrch scheinbar incincindergreifende Felsenurme geschlossen worden, so glaubt man nicht von einem Mccrcsarm getragen zn scpn, sondern von den Fluchen eines bcrgmnrahmtcn Sees. In schneckcnartigen Windungen bald sich erweiternd, bald verengend, bietet er nach allen Seiten hin den überraschenden Gegensatz grancr starrer Fclscnschanzcn und zu ihren Füßen in allen Schattirungen des mannichfachsten Grüns terrassenartig sich erhebender Gestade; im heitersten Wechsel eröffnet sich Scene an Scene, reiht sich an einander Bild an Bild — kaleidoskopisch vorübcrsticgende Erscheinungen, wetteifernd einander zu verdrängen, und eben dadurch einander hebend und ergänzend. Am nördlichen Nftr das freundliche Städtchen Castelnuovo mit seinen varkartigcn Umgebungen, hohen Mauern und durch Män-nerthatcn geadelten Kastellen; südlich Porto Nose mit Wacht-schissen und einer Neihc auf gutem Ankergrund den Stürmen trotzender Fahrzeuge verschiedenster Flaggen. Kaum ist man durch den Engpaß von Kunebur gesteuert, der zur linken von einer an sorglich bebantc Höhen sich anschließenden Ebene, zur Rechten von steilen Felswänden begränzt wird, so steuert man auf einer weiten Bucht, die wiederum ein See für sich erscheint -- so fest umschlossen halten sie von allen Seiten aufstrebende Gebirge. Grüne Inselchen taucheu auf aus dein tiefen Blau deo Wasserspiegels, und lieblich breiten am Saume der baumreichen Halbinsel Teod «^chwllu, deren im fünfzehnten Jahrhundert von Negropont herübergebrachtes Bildnist für ein Werk des Evangelisten Lutas gilt. Ihr wird alljährlich am fünfzehnten August (daher auch l» N woika zu deutsch Mägdesprung bedeutet. Von diesem Felsen, geht die Sage, habe ein von einem Türken verfolgtes Mädchen sich hinabgestürzt ins Meer und wunderbare Rettung gefunden. Ich grüßte in Gedanken so manchen theuren Punkt im Vaterlande, an den sich ähnliche Ueberlieferungen knüpfen. — Weiterhin erscheint anf einem Felsenvorsprunge San Stcfano, ein ummauerter Marktflecken mit gleichnamigem Castell. Darüber 238 hinaus beginnt das Gebiet von Bndua, fruchtbar und wohlbebaut, die eigentliche Kornkammer der Provinz, begränzt im Osten von der steilen Bergkette, hinter welcher die Montenegriner lauern, und deren vorragcndstc Spitze die Eingcborncn Kolorun benennen. In seiner Nähc ist es, wo in den Gränzstreitigkeiten des August 1838 Oberstlieutenant Noßbach von der einen, Hauptmann Spanner von der anderen Seite ihre Schaaren zu mehrtägigem heißem Kampfe gegen die in gewohnter wilder Angriffsweise von ihren Höben herabstürzenden Montenegriner geführt. — Vubua selbst, ein kleines ummauertes Städtchen mit befestigtem Schlosse, liegt auf der südlich vorspringenden Halbinsel am westlichen Saume einer weiten Meeresbucht. Die altcn Mauern und Thürme, die gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts noch einem Bclagcrungshecrc von zehntausend Türken widerstanden, bis der mit einer kleinen Schaar von Venezianern herbeieilende General Eornaro, unterstützt von dem Eifer der Eingeborenen, den überlegnen Feind zurückschlug, haben im Jahr 16L7 viel durch cin Erdbeben gelitten und liegen zum Theil in Trümmern. Vor dieser Zeit war die Stadt bedeutender, und sogar Sitz eines Visthums; jetzt hält sie kaum fünfhundert Einwohner, worunter nur eine geringe Anzahl katholischer Familien; dessenungeachtet ist die Kathedrale katholisch und die griechische nur eine Ncbcnkirche. Der Hafen ist offen und bietet wenig Schutz. Die Stadt wird beherrscht durch den nahen Verg San Salvatore. Das mecrbcsvülte Castell auf der Südseite ist in ncncrcr Zeit wieder ausgebessert und hat eine starke Besatzung. Ucberla ssen wir deit Etymologen die Namen spiele über den Ursprung des altcn Vutua oder Buthama — sind doch Einige so weit gegangen, es auf Kadmus zurückzuleiten, der mit Ochsen seine rasche Fahrt zu diesen Küsten vollbracht — /?»^ und Hoco^. Sollte nicht gar einmal einer darauf verfallen, in dem Namen Vudua eine Spnr weit gegen Westen verbreiteten Buddhadienstes zu sucheu? ^ oder eine der Stationen, an welchen König Wiswamitra angehalten, als er auf seinem tausendjährigen Vüßergang der Fährte von Wasischta's makelloser Kuh nachjagte?--------Frischer als dergleichen in Staub geborene Träume klingt ein unter den gemüthlichen, des Buddha- wie 239 des Bramacullus gleich unverdächtigen Buduanern sehr beliebtes Volkslied, das in wörtlicher Uebcrtragung also lautet: „Kolorun fehlt's nie an Wolken, Budua nie an starker Jugend, Immer wird sie Helden zeugen Mit der Falken Kraft und Tugend. Kühn sind alle Söhne Vudua's, Allesammt im Kampfe tapfer, Siegreich stets im Schlachtgewichte Schaffen sie den Türken Jammer." — Und einstimmend in die Sangcswcise der Vuduaner erlauben wir uns den jüngsten Vorfällen in diesen Bergen zur Erinnerung hinzuzufügen: Viel des Jammers hat den Türken Budua's Jugend schon bereitet, Budua's Jugend, die gleich Falken Im Gewühl des Kampfes streitet. Aber seit, dem Nord entstammend, Deutsche Kraft sich hier gemessen, Hat man rings der Falken Flüge Ob der Adler Flug vergessen. Roßbach, Spanner, eure Waffen, Mächtig wie des Sturmes Wehen, Wie der Schnitter Sensen sicher, Blitzten durch die grauen Höhen. Selbst bei jenen Bergessöhnen, Die nur sich als stark erkennen, Hört man preisend eure Namen Mit der Vorzeit Helden nennen. Und wenn deutsche Kraft sich dürfte Ganz in ihrer Fülle zeigen, Wahrlich, selbst des Neides Zungen Müßten scheu verstummend schweigen — Wahrlich, nie auf diesen Höhen Dürften fremde Adler schalten, Und der Ister und der Balkan Huldigten nur deutschem Walten! — 240 Bemerkenswerth als einstmaliger Besitz des Wladika von Montenegro, welchem sie die Venezianerrepublik zu Anfang des vorigen Jahrhunderts als Zufluchtsstätte gegen den Andrang seiner Erbfeinde von Osten großmüthig abgetreten hatte, sind die oberhalb Vudua gelegenen Klöster Stanjcwitsch und Pod Maini. In ihnen verlebte der alte Peter Petrowitsch die Sommermonate, bis die gleich dem Osmcmcnjoch verhaßte Nach-barhcrrschaft der Franzosen ihm die geliebte Stätte verleidete. Er hatte von dort herab so gern sein Auge geweidet an dem mit Kornfeldern und blühenden Gärten bedeckten Küstenstriche, dem seit Jahrhunderten erträumten Eigenthum der Montenegriner. In der letzteren Zeit hat die österreichische Negierung beide Klöster von dem jungen Wlabika zurück erkauft nnd deren Befestigung verstärkt. Zu dem gegen zwei Stunden aufwärts hart an der Gränze vou Montenegro gelegenen Stanjcwitsch wird gegenwärtig auch eine Kunststraße gebant und so die Verbindung dieser nicht unbedeutenden Bergfeste mit der Meeresküste erleichtert — freilich nicht zur Zufriedenheit der nach diesem Besitz ungemcin lüsternen Vergnachbarn. - Pod Maini, das nur eine halbe Stunde oberhalb Budua auf sanft abschüssiger Erhöhung liegt, enthält in cincr mttcrirdischen Eavelle interessante Fresken im altbyzantinischen Styl. Der Commandant dieses stark befestigten Punktes war zur Zeit meines Besuchs ein in den jüngsten Gränzstreitigkeiten verwundeter Ofsicier. — Lächerlich ist der Vorwurf, welchen Unkundige dem österreichischen General Nukavina gemacht, als sey er es, der jene Klöster dem Wladika abgetreten, während dieser doch bei Ankunft der Kaiserlichen seit beinahe einem Jahrhundert schon in deren Besitz gewesen, sich aber unter der um solcherlei Formalitäten vielleicht zu unbekümmerten Regierung nach und nach der Pflicht entzogen hatte, der obersten Behörde in Cattaro jährlich einmal seine Aufwartung zu machen - eine Formalität, durch welche die schlauen Venezianer wohl eine Art Vasatlenschaft bezeichnen wollten. — Auch in Budua fand ich die deutschen Officiere in heiterer Gemeinschaft verbündet und Alles aufbietend, dem Landsmanne den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Erfreulich ist es, wie in dieser Abgeschiedenheit Mehrere durch naturhistorische Beschäftigung das einförmige Garnisonleben auf nützliche 24! Weise zu vermannichfaltigen wissen. Einer sammelt Pflanzen, ein anderer Muscheln, ein dritter die Insecten der Umgegend; ein vierter, zugleich leidenschaftlicher Iagdfreund, beschäftigt sich mit Ausstopfen besonders merkwürdiger Vögel. — Ich kann nicht an Vudua zurückdenken, ohne Dir eine» bankbaren Händedruck zu reichen, wackerer Hauptmann Spanner, Du treuherziger Schlcsier, den ich ebenso aufrichtig rühmen darf als aufmerksamen Gastfreund, wie Deine Camcraden Dich preisen um des hellen umsichtigen Blicks und festen Muthes willen, den Du an der Spitze Deiner Jäger in den jüngsten Kämpfen mit den verwegenen Bergnachbarn bewiesen. Der Weg von Budua nach Cattaro führt durch das Gebiet der vier Grafschaften — Lazzarowitsch, Boikowitsch, Klubano-witsch und Tuikowitsch -- die unter dem gemeinschaftlichen Namen Zuppa von den Thälern längs der Meeresküste bis hinan zu dem Gebiet von Montenegro sich erstrecken — Ackerbauer, bei ihrer freiwilligen Unterwerfung von der Republik mit mancherlei Vorrechten beschenkt und mit so vielen Adclsdiplomen, daß noch heut der kleinen Conti dort eine unvcrhältnißmäßig große Anzahl in ärmlichen Steinhäuschen nistet und gleich den übrigen unbctitelten Bewohnern im Schweiße des Angesichts Jahr aus Jahr ein sich das tägliche Brod mit Arbeiten verdient. Die einfache Lebensweise dieser Landgrafen bezeichnet recht anschaulich die mtter den witzigen Bocchesen im Schwange gehende Legende, daß einmal vierundzwanzig Zuppaner Conti zu Tafel gesessen, aus einer großen Schüssel Alle mit Einem Löffel Mehlmuß essend, wobei der eine Löffel, so rasch von Hand zu Hand, von Mund zu Munde im Kreise dieser gräflichen Tafelrunde gewandert sey, daß keiner der vierundzwanzig erlauchten Hungerleider Zeit gehabt, einem Vorübergehenden sein Prosit mit Dank zu erwiedern.— Vornehmlich diese Zuppaner sind es, die in ihrem wilden Fanatismus zu wicderholtemnaleu den Aufwieglungen von Montenegro aus ein geneigtes Ohr geliehen, als nach dem Sturze der Republik die Vereinigung des Küstenlandes mit dem Gebiete des Wladika im Werke war; besonders 1.804 hat es wit ihnen harte Kämpft abgegeben; gegenwärtig sind sie ruhige Nelsen und Ländelbeschrelbungen. XXIX. 16 (Istrien und Dalmytien.) 24s Bebauer ihrer Felder und Berggärten. Das Vorrecht, ihre Vorsteher sich selbst zu wählen, ist nächst den vielen Adelstiteln diesen bäuerlichen Grafschaften ungeschmälert geblieben. — Eine Stunde oberwärts Cattaro steht das thurmartige Fort Troitza oder Trinitd, von welchem ein schöner Blick sich nach den Bocche, in die Zuppa und über das Meer hin eröffnet. Die Montenegriner behaupten, daß es auf ihrem Boden erbaut sey; sie sind aber in Zeiten der Unruhe stets an demselben abgeprallt. Nur einmal, im Herbst 1813, als der Glücksstern der Franzosen bereits im Niedergehen war, gelang es ihnen, diese durch einen kräftigen Sturm zu zwingen, den von sechs Stück Kanonen vertheidigten Thurm aufzugeben. Aber kaum war der Feind abgezogen, so flog das von ihm untermim'rte Fort in die Luft. Seitdem ist es von den Oesterreichern wieder hergestellt und stärker befestigt worden. — Und hier beim Wiedcrbegrüßcn der Vocche finde ein bereits oben erwähntes Scherz- und Spottgedicht seine Stelle, worin ein Eingeborener — ein Schiffer bei seinem Aufenthalt in Kon-stantinovel, wie mir berichtet worden - in anmuthigcr Weise alle Schattirungen seiner Landslntte in einem heiteren Prisma zusammenfaßt, dem er, seltsam genug! in dem einzigen unbedingt rühmlichen Farbentone, dcr Tapferkeit, die ketzerischen Preußen als Ncigcnführcr an die Spitze stellt — ein Zug, welcher nicht unwahrscheinlich auf Entstehen des Gedichts zur Zeit des siebenjährigen Krieges hinweist, als der Periode, wo die Thaten Friedrichs den preußischen Namen weltberühmt gemacht. Diese Vcrsc, in illvrischer Sprache abgefaßt, werden beim Zusammentreffen verschiedener Bocchcscn vielfach abgesungen, wobei dann der jedesmal Getroffene nicht leicht verfehlt, das im Namen seiner Gemeinde verletzte Selbstgefühl zu männiglichcm Ergötzen durch ein unwillkürliches Aufzucken kund zu thun. Wir geben die nach vorhergegangener Darstellung dcr Oertlichkeiten leicht sich selbst erklärenden Verse in getreuer Ucbersetzung wieder, ohne Beifügung der den einzelnen Zügen zugehörigen, nicht eben durchweg sauberen Localanekdötchen —: 243 „Woll' uns gnadig, Gott, bewahren Vor dem Säbel tapfrer Preußen, Vor den Cattareser Kerkern, Vor dem Froschmahl von Scagliari, Vor dem Fleischer von Spigliari, Vor dem Räuber Montenegro's, Vor der Dodrotaner Stolz — Vor dem Fischer auch ans Mula, Vor der Perzagnottm Mantel, Vor der Perastiuer Adel, Vor Orakowazens Hammel», Vor der Schuld der Risauotten, Vor Geschwätz von Stolivo — Vor den Feigen von Morigno, Vor den Kirschen aus der Bianca, Vor den Quadern Lepetane's, Vor der Freßgier der Znppaner, Vor dem Schäfer von Lustiza, Vor Verschwendern Castelnuovo's, Vor den Priestern Pastrowitschs!" — Am letzten Abend meines Aufenthalts in Cattaro weilte ich wieder am Strande vor dem Meeresthore, dem Ort, wo meine Gastfreunde mich aufzusuchen pflegten, wenn sie nicht an der entgegengesetzten Seite mich unter den Montenegrinern gefunden. Dießmal fesselte mich ein blinder Greis, der an eine der Pappeln nahe der Stadtmauer gelehnt auf einem Steine sitzend zu dem Strich der einsaitigen Gusli Lieder sang, denen die um ihn versammelten Schiffer aufmerksam lauschten. Der alte mehr denn siebzigjährige Gasparo, von Geburt ein Nisanottc, lebt viele Jahre schon in Cattaro, wo er seit seiner Erblindung durch Absingen der in treuem Gedächtniß bewahrten Nationallicder sein Brod erwirbt. Neben den allbekannten Hcldcngesangcn vom Könlgssohnc Marko, vom starken Ianku, von dem hcldenmüthigen Skandcrbeg, ist er besonders reich an Segcnssprlichen für die Meerfahrer, und diese halten viel auf seinen Segen und behaupten, es habe derselbe eine sonderliche Wirkung bei den Heiligen. Schon öfter ist es vorgekommen, daß Schiffer von cnt- 10 " 244 legener Küste in die Heimath geschrieben, man solle dem alten Gafso (Abkürzung von Gasparo) ein Geschenk machen, daß er ein Gebet für gnte Heimfahrt an die Madonna richte. Auch dießmal bceiferten sich viele der Umstehenden, durcb freiwillige Spenden ihre Erkenntlichkeit zu beweisen für ihnen zugewendeten frommen Wunsch. Als ich ihm meinen Dank bezeigt für die angenehme Unterhaltung und er erfuhr, daß die Gabe von einem Fremden komme, der vorhabe am anderen Morgen die Landreise durch die Verge nach Nagusa zu machen, improvisirte er einen gar hübschen Ncisegruß, worin auch der meinen Weg bezeichnenden Gegenden mit ein paar treffenden Zügen gedacht war. So sang er bei Erwähnung des zu durchwandernden türkischen Gebietes: „Alle Heil'gen schützen unsern Bruder Vor dem Fluch der gottverhaßten Türken, Ihrer Pest und ihrem Lugpropheten!" und dann weiter bei dem schönen Thal Canali —: „Da ist Gottes Segen ausgegossen Ueber Wasser, über Feld und Wiesen — Gottes Segen leite unsern Bruder!" — Nachdem ich am Schlüsse meinen Dank ihm wiederholt, bemerkte er, nun solle ich aber auch noch etwas Schöneres hören, einen Gesang, den der alte Tripo Radimir aus Dobrota im Jahre 1810 gedichtet, als es den Montenegrinern eingefallen, die Kirche San Matteo zu berauben. Da habe sich recht gezeigt, daß die Bergprahlhänse zwar gut seyen im Kampfe gegen die schwarzen Weiber (so nennen die Dobrotancr die Türken, unter denen sie behaupten, dast unter hundert immer Ein Tapferer sey und daß eiue Dalmatinerin zwei Türken gebunden wegschleppen könne) uud hinter Busch und Berg, nicht aber in freiem Felde Mann gegen Mann. Der Gesang Nadimirs ist zu bezeichnend für die Stimmung der Vocchesen gegen Montenegro, als daß ich nicht seinen Inhalt, soweit er mir verdolmetscht worden, unverkürzt hicher stellen sollte —: „Wein tranken drei tapfere Montenegriner in der Ebene von Nieguschi. Einer davon war Stanischewitsch Mitschow, der andere Bogdanowitsch Wukow, der dritte Werbizza Turow — drei unglückliche Häupter von Nieguschi. 245 „Nachdem sie sich ersättigt am Weine, fingen sie an untereinander sich zu besprechen, wo die beste Beute zu holen sey. „Da hub an Stamschewitsch Mitschow: Ich will euch den Ort wohl nennen — zu Dobrota die Kirche San Matteo, die einsam dasteht ucch dem Meere — Da sind weder Waffen noch Wachen, und da ist Beute genug für eine ganze Genossenschaft. Da wollen wir all ihr Silber rauben, all den Schmuck der Kirche und das Weißzeug der Altäre. Weun wir diese Schatze in Händen haben und die Dobrotaner sie zurückverlangen, dann wollen wir sie zu hohem Preise anschlagen, und die Dobrotaner werden gern für ihre Kirchcnschätze uns den hohen Preis bezahlen. Zugleich wollen wir dann unsere geschmückten Waffen zurückfordern, die seit Jahren schon in den Händen der Negierung von Cat-taro sind. „Es erwiedert Vogdanowitsch Wukow: Nichts zählen all die Reichthümer in jener Kirche, wenn es uns glückt, den Vicar von San Mattco zu erwischen, den die Dobrotaner so sehr lieben und für dessen Auslösung sie gerne all ihr Gut hergeben werden. „Und darauf Stanischewitsch Mitschow: Ich zähle so gewiß auf diese Schätze, als hätte ich sie schon in meinem Ranzen. „Nun versammeln sie alsbald lustig ihre Montenegriner, fünfhundert an der Zahl, und steigen Nachts hernieder von den Bergen gegen Dobrota. Auf dem Wege überreicht Werbizza Turow dem Vogdanowitsch Wukow ein klein Kanönchen, das dieser Turow WcrbiM ein paar Jahre zuvor in Dobrota gestohlen hatte und das cr hoch hielt wie ein Aebesvfand, und legte dem Vogdanowüsch Wukow aus Herz, daß er im Augenblick des Sturms mit diesem Böller Feuer gebe. „Langsam schleichen sie heran zu dcrKirchenpforte, glaubend daß Niemand sie vernommen, und fangen an die Pforte zu erbrechen. Aber der Diakon, welcher wachte, schrie mit lauter Stimme und rief: Don Vosco, erhebe dich, denn an den Pforten sind die Montenegriner und siud schon beim Erbrechen — Gib Feuer mit deiner Flinte und ruf Hülfe! Als Dou Bosco diesen Nuf vernommen, nahm er auf die Schulter seine Flinte, stieg hinan den hohen Thurm der Kirche, gab Feuer und schrie laut um Hülfe. Doch er nahm sich wohl 246 in Acht beim Schießen, daß er keinen Montenegriner tödte, weil sein heilig Amt ihm nicht erlaubte Mcnschenblut zu vergießen. „Als die Dobrotaner ihn vernommen, erheben alle sich, Männer, Frauen, Greise, und die einen von der Straße, andere von ihren Fenstern aus begannen die Kirche zu vertheidigen. Unter den wüthigen Dobrotanern voran war der Kapctan Kri-stoforo Nadonitschitsch, der mit zwei Gefährten nur gegen die Montenegriner heranzog und beim Nahen mit lauter Stimme den Gefährten zurief: Ihr Dobrotaner! dich ist der Augenblick all unsre Feinde von Montenegro zu todten! „Vei diesem fürchterlichen Rufe glauben die Montenegriner, ganz Dobrota sep gegen sie im Anzug. Heimlich nehmen sie die Flucht, und in der Eile lassen sie bei der Kirche die Geräthc zurück, mit denen sie die Pforten hatten erbrechen wollen. Um aber nicht ohne Veutc nach Montenegro heimzukehren, nehmen sie sich vor, ein kleines einsam am Wege gelegenes Haus anzugreifen. „In diesem Hause lebte eine arme Familie, die nichts besaß als drei Kühe, vier Schafe und ein Schwein. Der Besitzer hieß Giuseppe Klakowitsch, ein junger Mann von vicnmdzwanzig Jahren, und seine Familie bestand in einer alten Mutter, einer Schwester, und einer blinden Muhme. „Dieser junge Mann wehrte sich tapfer und vertheidigte sein Haus oben von dem Dache; denn die Montenegriner waren auf das Dach gestiegen, weit die Thür des Hauses ihnen zu fest war. „Nur einer, Filippo Morosch, ein Arambascha, hatte sich an die Thür gemacht, und da die Schwester von Giuseppe Klato-witsch ihn da bemerkt, nahm sie einen Stein und warf ihn an den Kopf des Nrambascha, daß er todt niederstürzte. „Als aber die Montenegriner den Tod ihres Arambascha bemerkten, begaben sie sich verzweifelt auf die Flucht und rannten wieder hinauf nach Montenegro, nachdem sie auch ihr Ka-nönlein unterwegs verloren und statt der Beute nur die Glieder ihres erschlagenen Cameraden mit sich schleppten." Ein wiehernder Applaus von allen Seiten brach am Schlüsse des Gesanges hervor, nachdem bei mehreren Stellen schon Zeichen des Beifalls erfolgt waren. Darauf dann wurde mir noch vielerlei erzählt von anderen satprischen Gesängen des Radlmir, 247 unter dcncn auch ein sehr beißender gegen cinc seit Iahreu ihm verhaßte Dobrotaner Familie, die mehr nach Südcn hin dem Berge Lowtschen zu wohnt, während sein Haus dicht unter dem Felsenqucll des Pcstingrad gelegen ist. Diesen Hohngesang aber hatte ein Mitglied der angegriffenen Familie so treffend beantwortet, daß der alte Tripo ans Wohlgefallen an seinem poetischen Nebenbuhler nach Lesung des Gedichts sich augenblicklich mit der Familie versöhnt. Gar sinnig führt der Beantwortende, alle Persönlichkeit ans dem Spiele lassend, die Wilcn des Ver> ges Lowtschen anf im Wettkampf mit denen des Felsen quells von Pestingrad, und läßt sie jeden der von letzteren erhobenen Vorwürfe siegend widerlegen — ein Kampf weit edlerer Art als ihn so manche Journalisten zur Schmach der Litteratur und zum Zeitvertreib neugieriger Abonnenten höchst unrittcrlich zu führeu pflegen. Allgemeineren Inhalts als dieß ansschlicßlich den Vocchesen zugehörige Gelegenheitsgedicht ist ein anderes von durchgehend didaktischer Richtung, welches der Verfasser, ein dalmatinischer Priester Namens Giovanni Vabitsch, „das Höchste der Schöpfung" oder: „die Gipfel der Natnr" benannt. Wie vieles auch von diesem unter den Dalmatinern sehr geschätzten und beliebten Gedichte verloren gehen mag von seinem ursprünglichen Klänge und der nationalen Färbung — ich konnte mir nicht versagen, dasselbe mindestens dem Sinne nach deutschen Lesern zugänglich zu machen — : „Ueber Gott ist kein Gebieter, Ueber die Nose keine Blume, Kein Metall ist über Gold, Kein Gehülfe über den Bruder, Ueber deö Vaters keine Freundschaft, Ueber Mutterliebe keine, Ueber Mais kein ander Brod; Ueber den Adler ist kein Vogel, Keine Süße ül'er den Schlummer, Kein Schuß überbietet das Pulver, Keine Schmach die Schmach der Schande, Keine Ehre Ehrlichkeit; Kein Schall übertrifft den Donner, . Ueber Schrift geht keine Rede, Ueber Frieden leine Ruh; 248 Kein Genuß ist über Gesundhett, Keine Stütze über den Glauben, Ueber der Hoffnung keine Hülfe, Keine Kraft über die der Liebe, Ueber den Quell kein andres Wasser, Ueber das Wasser kein Bedürfniß, Ueber Freiheit keine Freude, Ueber den Kerker keine Qual; Ueber Venus kommt kein Sternbild, Kein Weib über die Himmelsjungfrau, Kein Dienst über den Gehorsam, Kein Wild über den Leu der Wildniß, Ueber die Stiefmutter kein Tyrann; Kein Geschöpf ist über den Menschen, Ueber die Zunge kein Verderber, Keine Gerechtigkeit über Treue, Ueber den Frühling keine Iahrszeit, Ueber das Salz kommt kein Gewürz, Ueber die Sehnsucht kein Gedanke, Keine Schönheit über die Jugend, Keine Plage über das Alter, Ueber die Nacht kein andres Dunkel, Keine Weiße über den Schnee, Kein Glanz über den der Sonne, Ueber das Angesicht kein Adel, Ueber das Aug' kein Glied des Körpers, Ueber die Hand kein andres Werkzeug, Ueber das Feuer keine Warme, Keine Kalte über das Eis; Ueber den Papst kein andrer Priester, Kein Beherrscher über den Kaiser, Kein Verruchter über den Sultan, Ueber die Krankheit kein Verdruß; Ueber die Seide keine Kleidung, Kein Haus über eigne Wohnung, Ueber die Schuld kein Erdenjammer, Kein Entsetzen über die Lüge, Ueber die Wahrheit geht kein Schmuck; Keine Stadt kommt über Roma, Kein Band über den Bund der Ehe, Ueber den Selbsterwerb kein Reichthum, Ueber Crsparniß kein Gewinn, Ueber den Himmel keine Höhe, Ueber die Hölle keine Tiefe, Ueber die Einheit keine Macht." 249 9. Geduld! Dein Bäumen ändert nichts; Ergib dich still! — Gelassen spricht's Ein Mensch, der einst in Glückes hoher Fluth Den Himmel gern gestürmt voll Uebermuth. Geduld, Geduld! der Himmel stürzt nicht ein; Ergib dich still! der Sonne treuer Schein Harrt hinter Sturmeswolken stark und gut, Den Himmel und die Erde zu befrein, In Lethe zu versenken alle Pein. — Diese Accorde begleiteten mich auf der einsamen Rückfahrt gegen die, Catcnc, als der am Morgen so lichte Himmel immer nächtiger sich umhüllte und die tiefer und tiefer ziehenden Wolken anfingen gleichsam wetteifernd an Schwere mit den grauen Felskuvven sich um und über denselben zu lagern. Auch der schöne Wasserspiegel dunkelte sich und gab anstatt des Gegenscheines blauen Himmels und grüner Gestade bald nur ein trübes Grau in Grau zurück. Dann fing es aus fernem Hintergrunde im Osten an zu rollen, begleitet von einzelnen zackigen Feuerstreifen - dann ein Hallen und ein Schallen immcr näber, und dazwischen zuckende Blitze, und ein leises Träufeln, reichlicheren Nachguß verkündigend — und unser Nachen tanzte schwankend auf und nieder auf den unter Sturmeswehen wachsenden Wellen. Wir waren froh, die ersten Häuser von ^cpctane erreicht zu haben, eb der vollströmendc Gewitterregen über uns begann. ^ „Gott sey Dank! da kommen wir doch bci gutkatholischen Christen unter Obdach" — sagte der ältere Bootsmann, als wir bci einem Häuschen nah am Ufer anlegten; und ich ließ alsbald in dem Kramladen des Besitzers, der so zu sagen Alles feil hatte, für meine Fährleute und mich Essen und Trinken auftragen. Unsre Tafelmusik war der Donner um und über uns, und dazwischen die zackigen Lustfcuer — immcr lautere Schläge, immer leuchtendere Flammen. Plötzlich dröhnt' und rollt' es durch die wiederhalleuden Berge, als hätten alle Wetter sich verbündet in dem Einen Schlage. Unwillkürlich trat tiefe Stille ein unter den zuvor noch lebhaft sich Besprechenden; die Fährleute nahmen ihre Mützen ab und falteten die Hände zum Ge- 250 bet, der Krämer schaute ängstlich lauschend auf — da dringen mit leiser Stimme aus einem Winkel hinter dem Ladentische die Worte: „tttwx. Vogl, kg?»" — (Vater, Gott zürnt). — Es war der dreijährige Knabe unseres Wirths, der diese Worte lallte. Ich frage meine Fährleute, ob wohl Hoffnung noch zu besserem Wetter sep für die Weiterfahrt nach Castelnuovo? —^ „via « ^i-anli«," ist die Antwort. „I^xi^nxa <: la lno^lioi- o88Ln?i,/' sage ich mir, hülle mich in den Mantel getroster Erwartung, und trinke mit meinen Schiffern um die Wette von dem würzigen Marzcmin, der aus den Malagatraubcn dieser gesegneten Küste gewonnen wird. Als ich den Krämer frage, ob er denn auch wisse, wie schön er wohne hier am reizenden sicheren Ufer in dem umschließenden mächtigen Felscnrahmen, erwiedert er mit Kopfschüttcln: „Hier ist das Ende der Welt — Alles Wasser und Alles Stein - Alles was baut, baut Häuser für das Meer — da lebt sich's herrlich die beste Zeit des Jahres draußen, und wir armen Ladenhüter sitzen gefangen im Käfig und müssen zu unserem Aerger immerfort das verhaßte übermüthige Griechen-gcsindel um nns herum wirthschaften sehn". — — „Gott ver dämm' es!" fügte der ältere Fährmann hinzu, und that einen herzhaften Schluck aus dem hohen Glase. „Daß der Blitz sie alle iu den Boden schmettern möge!" murmelte der jüngere zwischen den Zähnen, und verschlang einen gewaltigen Bissen. Donnernd rollt es durch die Berge, leuchtend zuckt es übers Meer Geist des Lebens zieht auf Wolken mit dem Flammensaum daher. Und die Felsen hallet's wieder, und die Woge braust es nach, Was der Fürst des Lichts in Wettern zu den Staubgebornen sprach. Wie die Welt ist die Verkündung ewig alt und ewig neu, Daß im HMgthum des Herzens Herzenskünders Tempel sey; Soll der Geist zum Geiste sprechen, bleibe treu und fest die Vrust Ihres Gottentströmten Urquells ahnend, schauend sich bewußt. Ewig alt ist die Verkündun^ — du vergeßliches Geschlecht, Das mit blind verworrnem Cifcr ihren Abglanz trübt und schwächt, Wenn die Menschenbrust der Tempel Gottes ist, wie darf sich je Hader und Zerwürfniß dranqen in des Hohenpriesters Näh? «« Donnernd rollt es durch die Berge, leuchtend zuckt cs üders Meer Liebe ist der Geist des Lebens, und in» Geiste waltet Er, Der die Millionen Herzen, die zum Tempel er erkor, Einend zu des hohen Domes Lichtgewölbcn hel't empor! Die Donner schwiegen — die letzten Blitze zuckten noch in weiter Ferne ^ die Wolken zogen gegen Westen, und der Wasserspiegel nahm in erneutem Glänze wieder den blauen Himmel und das erfrischte Grün der Ufer in sich auf. Wind und Strömung begünstigten uusere Fahrt. Wir waren bald in rüstigem Nuderschlagc durch die letzten Windungen der Vocche an dem nördlichen Ufer angelangt, wo das Thal der Bianca mit seinen Tausenden von Kirschbäumen sich freundlich gegen die Berge hinzieht, an deren Fuße das Oertchcn Kumbur und weiterhin der Thurm des griechischen Kirchleins Santa Vcnc-randa einen malerischen Abschlust bilden. Einer der Fährleute nahm das Studcutenränzche», den vieljährigen Begleiter meiner Wanderungen, unter den Arm, und wir sticgcu vom Lazaretto vecchio aufwärts die Höhe gegen Castclnuovo zu, immer von Zeit zu Zeit einmal anhaltend, um des Rückblicks auf das gegen Südwest sich aufthueude Meer, die Südgcstade der Boechc und die am Hafeneingang einladend umhcrgestrcutcn Inseln froh zu werden. So erreichten wir langsamen Schritts die hohen, stark von Erdbeben zerrissenen Mauern Eastelnuovo's und traten durch das Seethor friedlich in das in älterer und neuerer Zeit durch so Viele Kämpfe heimgesuchte Städtchen ein. 10. Wer Castelnuovo kennen will, der folge mir. Ich führ' ihn unentgeltlich nach allen Seiten hin, erzähle auch bei denkwürdigen Stellen das Wissenswürdigste aus der Vergangenheit. Das kleine Castel di märe haben wir bereits betrachtet, als wir beim Lazaretto vccchio landeten. Auch die Gräber der Malthc-ser, die als Verbündete der Venezianer hier gefallen, als 1687 General Cornaro nach achtundzwanzigtägiger Belagerung sich «32 der Festung in mörderischem Sturm bemächtigte, haben wir bei der Capelle Santa Anna besucht. Waffen wir das seitwärts auf einem Felsen gelegene Castel di terra, welches zerfallen ist und kaum mehr zu vertheidigen; begeben wir uns Ueber eine Miglie aufwärts von den Stadtmauern, wo auf der höchsten Spitze des Bergrückens ein Fort emporragt, das seinen mit Strömen Bluts errungenen Namen bis zur Stunde trägt. Ja, ja, mein patriotisch monumentaler, von engherzig Deutelnden unter Ihren Landsleuten und den eifersüchtig Ihre Uneigennützigkeit Bemäkelnden aus Ihrer Sippschaft mit schlechtem Dank belohnter Freund Eugen Freiherr von Gutschmid! Fortezza Spagnuola oder F,ort Spagnuol beißt mit Recht das gepanzerte Viereck mit seinen rundlichen Bastionen. Lassen Sie sich nicht irre machen und unzufrieden über die Ihrem skeptisch bn'itcuden Sinne mißbräuchlich erscheinende Benennung durch die „arabische Inschrift über dem Thor mit fast ellenlangen Buchstaben," von denen bei Gelegenheit Ihrer Uebersetzung der Dalmatinerreise des Sachsenkönigs und Ihrer noch werthvolleren Anmerkungen nnser in vaterländischer Topographie so wohl bewanderter Freund Scheigcr zur Berichtigung des königlichen Reise-Historiographen Ihnen dargethan, daß sie die Türken als Erbauer jenes Forts verkünde. Was schadet es, daß Türken die Erbauer waren? Was hindert das die Nachkommen, bei dessen Anblick lieber derer zu gedenken und es nach denen zu benennen, die zweimal es mit Strömen Hcldenbluts getauft? — eine Inschrift, gewaltiger »nd flammender in die Seele dringend und von tieferer Bedeutung als jene „mit fast ellenlangen Buchstaben," mag auch aus jedem derselben ein dolmetschender Orientalist ein neues Lorberblatt zu seinem vielblätterigeu Kranze sich herausgchämmcrt haben. -^ Hören Sie: als der türkische Admiral Hapraddin Barbarossa im Jahre unsrer Acra 1539 — demselben Jahre, wo seine bedeutende Flotte vor Cattaro zurückgeschlagen wurde ^ das im vorhergegangenen Sommer erst durch die den Venezianern vereinten Spanier seinem Vorgänger abgenommene Fort von der Land- und Seeseite zugleich belagerte und mit seiner Uebermacht in wiederholten Stürmen berannte, gelang ihm dann erst die Eroberung, nachdem im letzten wüthenden Sturm die ganze spanische Besatzung dem mörderischen 253 Türkenschwert erlegen war. Noch heute zeigt man die weit über den Berg sich erstreckenden Grabhügel der viertausend Spanier, von denen auch nicht Einer sich dem Erbfeinde der Christenheit ergeben wollte. Gewiß, mein in bereitwilligem Anerkennen ächten Verdienstes nie von Zweifelsucht zurückgehaltener Freund, erscheint Ihrem ritterlichen Herzen nunmehr die Benennung dankbarer Nachwelt des zweimal durch spanische Tapferkeit geadelten Forts ein gerechtfertigtes Andenken und eine zu ehrende Gerechtigkeit, und Sic verzeihen mit gewohnter Nachsicht die Länge meiner im Eifer der Vertheidigung des Fort Spagnuol gegen dessen ungläubige Angreifer schier zu einer perückenhaftcn Inauguraldissertation herangewachsenen Erklärung. Nach der Bluttaufe von 15:)9 finden wir Castelnuovo gegen anderthalb Jahrhunderte unter Botmäßigkeit der Pforte, bis 4687 General Cornaro an der Spitze seiner Venezianer und der ihnen verbündeten Ritter von Malta heranzog zu einem Kampfe, würdig der preisenden Anerkennung seines glorreichen Zeitgenossen auf Kandia. Die Türken in der Festung vertheidigten sich gut. Als sie aber erfuhren, daß die sechstausend Mann Hülfstruppcn, die von Bosnien her ihnen Ersatz verheißen, sämmtlich in den Engpässen von Eamcno aufgerieben worden, hielten sie ferneren Widerstand für unnütz, und Castclnuovo fiel in die Hände der Venezianer. Noch heut erzählen die Landleute der Umgegend, die Uncrschrockenhcit und Unternehmungsgeist von jeher ausgezeichnet, gerne von den Tapfcrthaten ihrer Vorfahren in dem Engpaß von Cameno, wo in die Felsen eingehaltene Turbane und Kreuze die Gräber der Türken und der Christen bezeichnen, jedoch so, daß immer zehn Turbane auf eiu Kreuz kommen — so ungleich war das Verhältniß der von beiden Seiten Gefallenen. Von dieser Zeit an blieb die Stadt sammt ihrem Gebiete venezianisch bis zum Untergang der Republik. Obgleich aber die Regierung durch Adclsverleihungen und Belohnungen anderer Art sich vielfältig dankbar bezeigte gegen die Landbewohner mußten dennoch die Gemeinden ^ freilich verhältnißmäßig nur sehr geringe Abgaben entrichten; denn es war dieß Gebiet doch immer erobertes Land und sollte daher nicht steuerfrei erklärt werden wie Südalbanicn, das freiwillig dem Schutze der Republik sich unterworfen. Seitdem wohnte in Castelnuovo ein 254 Provveditore, welcher unter dem von Cattaro, der obersten Behörde venezianisch Albaniens, und gemeinsam mit diesem unter dem in Zara residirenden Provveditore des gcsammtcn Dalma-tiens stand. Nach dcr kurzen Zwischcnherrschaft Oesterreichs bemächtigten zu Anfang unseres Jahrhunderts sich die Russen dieser Gegenden, fanden bei der griechischen Bevölkerung willigen Beistand gegen die Franzosen, und es entspann sich ein Kampf, der diesen viele Opfer gekostet. Als nach Auflösung des napoleonischen Reiches der österreichische Doppeladler wieder einzog, wurde er in Eastclnuovo besonders freudig begrüßt. Auch hat die Stadt an Wohlstand und Handel sich bedeutend gehoben seit 1815, was schon die Vermehrung der Einwohnerzahl darthut. Castetnuovo gehört nicht zu den alten Städten, wie auch sein Name kundgibt. Erst 1373 wurde es begründet. Seit Jahrhunderten hatte sein Gebiet einen Theil des Hcrzogthmns San Saba gebildet, das unter dem alten Namen Zaklum sich weithin bis zu dem serbischen Novi Bazar erstreckte und unter tapferen Fürsten im Bunde mit den Königen Serbiens wiederholt gegen die Ungarn kämpfte. Aeußerst blutig war die Niederlage, welche diese um 1411 durch Herzog Sandiglo erlitten, denselben welcher 1414 den Türkenfeldherrn Musa, Sohn Baja-zed des ersten, auf das Haupt schlug. Jetzt aber wurden die Anfälle von Osten immer bedeutender. Muhammed der zweite, dcr Eroberer Konstantinopcls, verschlang die getheilten Staaten, deren letzte Herrscher Wtlak und Wladislaw, Söhne des 1466 verstorbenen Stephan. Wladislaw floh nach Venedig, und endete später in Ungarn. Wtlak hielt sich etwas länger, indem er sich zu einem Tribut an die Türken verstand; aber Vajazcd der zweite, Sohn Muhammed des Eroberers, vertrieb ihn; er starb anf Arbe, einer der Inseln im Quarncrolo, wo sich lange Zeit nachher noch seine Nachkommenschaft, die Familie Kossaz, als fürstlichem Blut entsprossen rühmte. Später ist der Name verschollen. Obgleich die Bevölkerung der Stadt sammt dem ihr zugehörigen Gebiet bei weitem mehr Vekenner des griechischen Cultus zählt, ist doch die Kathedrale, ebenso wie zu Eattaro und Vudua, katholisch, und den Griechen war nach unerschütterlich feststehender Politik der Venezianer von jeher nur eine Neben- 255 kirche erlaubt. Conti gibt es auch hier in Ueberzahl, und Prunken mit Rang und Titeln ist Erbfehler der sonst so einfachen Bewohner. Früher bestand wegen des bedeutenden Verkehrs mit der Türkei für die östlichen Karawanen ein besonderes Quartier vor dem Naguser Thore, ist aber seit 1804 in eine Caserne verwandelt worden. Wie der Handel mit den Türken, ist auch das alte Contumazgebäude unten am Meere nur noch eine in Trümmer zerfallende Erinnerung. Das Lazaretto nuovo, nach der anderen Seite mehr dem Inneren der Bocche zu gelegen, ist ein schöner Bau, aber auch nur wenig mehr im Gebrauche. Wer mich dahin begleiten will, den führe ich auf anmuthigem Schattengange immer am Rande des Verges, wo er gern von Zeit zu Zeit einmal anhalten wird, um der Aussicht über Höhen und Meer M zu erfreuen. Am liebsten aber wird er auf halbem Wege in dem griechischen Kloster Savina verweilen und von den Mönchen sich die reichen Kirchcnschätze zeigen lassen, während ich unter der gewaltigen Cppresse draußen am Eingang lagere, der bedeutendsten, die ich bis jetzt gesehn. Ihr stand vor kurzem noch eine vieljährige Gefährtin zur Seite, von welcher seit dem Sturm einer Dcccmbernacht nur der gebrochene kahle Stamm geblieben. «56 Weg nach Nagusa. Ich wecke Sie am frühen Morgen, lieber Leonard, damit Sie mich hinausbegleiten nordwärts auf die Straße gegen Ragusa, wo der Prätor Castelnuovo's uns freiwilliges Geleit gibt bis zum Wilbbach Suttoriua, die diesseitige Türkengränze, und ein Guardian von Amtswegen uns hütet bis zur anderen Seite, wo das ragusäische Gebiet beginnt, mit ihm der Staat der Cultur „der Intelligenz", würde ein Märkischer Philosoph frühreifen Bewußtseyns sagen. — Es ist ein seltsam Ding mit dieser Türkengränze, die krcbs> scheerenartig den langen schmalen Streif am Meere, die kleine Nagusanerrevublik, durch Jahrhunderte umschlossen und bei ganz veränderter Weltstellung dieses Gebiet noch jetzt umschließt, weil Oesterreich, in Völker- wie in Staatsverhältnissen überall dem Erhalten des Bestehenden zugethan, auch nicht den leisesten Eingriff in alte Nechtc und Verträge sich erlaubt. Die kleinen Hoch-mögendcn von Nagusa aber hatten in ihrer ohnmächtigen Weisheit diese Umtürkung ausgesonnen, weil sie vorzogen von den mißtrauisch wachenden Hörnern des Halbmondes nachbarlich berührt zu werden als den nach innigerer Umarmung lüsternen Tatzen des Flügellöweu; sie traten freiwillig zu beiden Seiten ihres Gebiets ein Stückchen an die Pforte ab, damit solches ihrem souveränen Freistaatc, diesem Miniaturbildchcn der mächtigen Matrone inmitten den Lagunen, zur Umrahmung diene; und so schlummerten sie denn sicher — gleichwie heute noch der morsche Nest des bleichenden Halbmonds sorglos ruht — zwischen der Eifersucht zweier nachbarlicher Großmächte, bis unvorhergesehene Stürme, wie so vielem anderen seit Jahrhunderten Bestandenen, auch ihrem gealterten Duodezleben ein Ende machten. 257 Bei Betrachtung ragusamscher Türkenumrahmung aus Furcht vor der nahen geistesverwandten Macht gedenkt man unwillkürlich eines neuesten unter unseren Augen spielenden Capriccio's schlau berechnender politischer Combinationen, die von Rechtswegen das Motto führen sollten: ..I'mwo »Minos «t clona le-i-onles". Der mit uns kleinen deutschen Staaten so wohlmeinend umspringende Pentarchist scheint mir ;um mindesten ragusano-türkisch gesinnt, obgleich er uns, statt an das heiße Türkcnparadies, nur so an eine Art nordöstlicher Vorhölle überantwortet, ein läuternd Vorsibirien, wo väterliche Knute und romantisch schwirrende Kosakenlanze uns vorbereiten sollen zu den künftigen Segnungen und Genüssen in Tobolsk und Irkutsk, an den Gestaden des Ienisci und in den Vleigcbirgcn von Nertschinsk. Drücken wir ihm dankbar die Hand für seine brüderlich aufrüttelnde Verwarnung, und versprechen wir ihm feierlichst, daß, wenn jemals die Zeiten wiederkehren sollten, wo die Glocken der Christenheit geläutet werden, auf daß der Halbmond nicht das Kreuz verschlinge, wir seines Nathcs uns bedienen wollen, die Teufel auszutreibcn durch Beelzebub. Es wähne ja Niemand, wenn er das südliche Horn des Nagusa umspannenden Halbmondes durchzieht, daß er nun orientalisches Leben und Treiben erblicken werde — Noßschweifc und Turban, phlegmatisch dampfende Moslems in stolzer Indolenz, oder Kioske von Reichen und Vornehmen, und sklavisch zügellose Dienerschaft-------- von allem dem findet er keine Spur, weder in diesem südlichen Streifen, der Suttorina, noch in dem nördlichen oberhalb Sabionccllo — beides sind Ausläufer der Herzegowina mit slavischer Bevölkerung christlichen Glaubens und denselben Gebräuchen wie die übrigen Bewohner Dalmatiens, nur ärmer und roher noch und gedrückt von den Paschas wie alle Naja. Ist man nach zurückgelegtem Wege über Bach und Berg hinaus, so hat man dcm rückkehrendcn kaiserlichen Sanitätsguardian sein gesetzlich Bestimmtes zu zahlen, empfängt freundlichen Dank für das die amtliche Tare Ucbersteigendc, und setzt nun mit Maulthicr und Führer seine Wanderung weiter fort in dem Gebiet der weiland Nagusanerrepublik. Reisen und Ländclbeschreibungen, XXIX. 17 (Istrien nnd Dalmatien.) «58 Der alte Vorzug dieses Ländchens, cine durch alle Zweige dringende Cultur, wird noch besonders auffallend durch den Gegensatz der zwittertürkischcn Nachbarschaft; es können in dieser Hinsicht die schützend umarmenden Streifen als ein das Bild verschönernder Nahmen betrachtet werden. Eben erst eine ansehnliche Strecke vernachlässigten Bodens, schmutziger Baracken voll armseligen zerlumpten Volkes, Zeugen brutaler Dürftigkeit. Kaum daß die Schcidungslinic überschritten, auf dem ganzen Wege, den man nunmehr zu durchwandern hat> bis an den östlich lagernden grauen Bcrgkranz hin Alles sorglich bebaut, Felder, Wiesen, Gärten; dic Begegnenden sauber gekleidet, angenehmer, ja feiner Gesichtsbildung, überall freundlich zuvorkommender Gruß. Durch eine Ebene, auf wohlbestellter Straße, trabte mein, ich weiß nicht durch welche Anregung emsig gemachtes Maulthier dem geleitenden Pandurcn weit voraus, und ich kam eine halbe Stunde vor ihm in dem Dörfchen Gruda an, wo ich erhaltener Weisung zufolge bei dem Ortsspndikus, der zugleich Serdar (Pandurcnofficier) ist, abstieg. Gastlich empfangen nach gelesenem Empfehlungsschreiben, erhielt ich anfangs einen angemessenen Verweis wegen des Vorauscilens auf meinem Maul-thicr, da man diesen Geschöpfen niemals tränen dürft, die, falsch wie alle Zwitternctturen, aus der scheinbar gelassensten Nuhe nicht selten Plötzlich umschlügen in ihre gewohnten Tücken. Nach der wohlgemeinten Strafpredigt folgte ein ländliches Mahl, das angenehme Gespräche mit dem sympathischen Hausherrn und feuriger Nagusanerwcin würzten. Da ich gern bei Zeiten in dem auch beim schärfsten Nitt doch immer noch um einige Stunden entfernten Nagusavecchia eintreffen wollte, wurde gleich nach Tische, nach Verabschiedung des Maulthiers und des Führers, ein anderes analoges Paar herbeigeschafft und ohne Säumen der Weg nordwärts fortgesetzt. Nach kurzem Nitt gelangten wir in das Gebiet von Canali (bei den Slaven Konawli), das seinen Namen von dem Canale trefflichen Gebirgswassers empfangen, der in alten Zeiten nach Epidaurus hin geleitet war. Diese schöne weite fruchtbare Ebene lehnt sich zum großen Theil an das Gebirge Snieschnizza — die Schncegränze — wahrscheinlich der 5lon8 ^adm^us der Alten. Ich habe zwar nicht die berühmte Acsculapsgrotte besucht, die 2lw in ben Zeiten kindlichen Glaubens dem Gotte der Heilkunde zum Wohnort diente und wo er jenes frische Sauerwasser braute, das noch heute als bestes Gegenmittel gegen hartnäckige Fieber gepriesen und angewendet wird; auch habe ich nicht die phantastischen Tropfsteingebilde gesehen und jene gigantische Schale, in welcher vielleicht einst Kadmus sich gebadet, als er, vertrieben von den wilden widcrspänstischen Argivern, bei den schlichten frommen Enchelern Schutz und Heimath gefunden. Aber die Grundcrben der frommen Enchelcr habe ich vielfach gesehen, wie sie mit ihrer dem Orient sich annähernden Kopfbedeckung und ihrem kaftanartigen Gewände still und stolz cinherschrciten um ihre niederen strohbedeckten Hntten, die so friedlich hin und wieder zwischen den Feldern und Gärten hervorblicken, und die ihnen die nachbarlichen Bergbewohner oft über dem Kopfe weggebrannt, wenn eine besonders gute Ernte sie zu räuberischem Einfall in das gesegnete Thal aufstachelte. Und all der Lorbeer am Wege, bald schmucke Kronen bildend, bald durch üppig wucherndes Schlingtraut zu dichtem Dache verbunden, und die traubenreichcn Rebenhügel, und die graulichgrünen Olivenpstan-zungen, und von Zcit zu Zeit ein Blick auf das mit glänzendem Auge durch eine Weitung herübcrschauende Meer, und zur anderen Seite die hohe kahle Bergwand, an welche leichte Wölkchen, vom Winde gewiegt uud geröthet von der Abendsonne, phantastisch wandelnde Schatten zauberten--------ich vergaß nach den Worten des Evangeliums Zeit und Stunde, und war ich am Vormittage dem Panduren unwillkürlich weit vorausgeeilt, blieb ich jetzt am Nachmittage immer eine gute Strecke hinter ihm zurück, so daß er nicht selten stille stand, sich umsah, und bald mit Winken, bald mit Worten mich anzutreiben suchte, doch des Maulthicrs Schritte zu beschleunigen. Mein Sinnen und Schauen war oft schon unterbrochen worden durch den Klang eines Gesanges, der in dem gewohnten Moll slavischer Melodien mit geringen Nuancen überall in Dalmatien sich gleicht und ein diesen Gegenden eigenthümlicher Tonfall zu seyn scheint. Mir draug er eigen vertraulich zum Herzen, wie Vcrkündung eines lieben alten Bekannten, wie Gruß aus einer schönen weit zurückliegenden Zeit. Wunderbare Erinnerungen stiegen in mir auf. Nicht die Kindheit und die früheste Heimath war cs, welche sie, wiewohl so 17" 260 manche andere Gesänge, mir vergegenwärtigten — es war ein anderer Iugcndmorgen, cine Zeit, wo an die Stelle der Genien, welche unsre frühesten Träume umgaukew, die Wirklichkeit als Verkörperung jener Träume uns beseligend sich an die Brust legt und alles Schöne, was je in unserer Vorstellung geschlummert, mit schöpferischer Macht erweckt und hervorruft. Eben war die Sonne im Nicderstcigen und scndcte nur noch schräge Strahlen herüber auf die freundlich bebaute Ebene und drängte die Nicscnschaiten der Bäume und der Thürme an die Wand der nackten Berge, als von einem nahen Hügel die traulich bekannte Melodie erklang. Ein Hirte saß am Rande des Hügels unter einer Esche und fuhr, unbekümmert um die Vorüberziehenden , in seinem eigenthümlich eintönigen Gesänge fort. Mit Einemmale schlug mir die Erinnerung deutlicher auf, und wie ein Nebel hob es sich vor meinem inneren Auge — diese Melodie hatte ich, nur in einigen weicheren Ausweichungen leise verändert, schon einmal vernommen, damals auf unserem Zuge nach Finnland, Ihr Freunde hinieden und drüben, auf jenem schönen, an innerem und äußerem Leben, an allcn Reizen der Natur und geistiger Genossenschaft so reichen Zuge, den Ihr, meine Theuren an der Newa, einem glücklichen Paare, damals Euren Sommergästen, bereitet und zum Theile selbst mit Eurer Gegenwart verherrlicht. Erinnerst Du Dich noch, mein wackerer Alexander, wie wir vor der Hütte jener treuherzigen Finnen am begrünten Bergeshangc nah dem Donncrstnrz des Imatra in kindlichheiterer Lust tanzten bei dem Klang der Zither zu der gewiß auch Dir unvergeßlich gebliebenen Volksmclodic? Erinnerst Du Dich noch des fröhlichen Mahles im Walde, wo Euer allzeit bereites Tischchendcckdich uns die saftigsten Südfrüchte in den hohen Norden zauberte, und wo wir, umhcrgelagert unter den Fichten und Birken auf den massigen Graintblöcken, abermals jcnc Melodie vernahmen wie ein Ständchen, dargebracht von freundlichen .Waldesgeistern? Erinnerst Du Dich jener Hohle im Granitfelsen, die unsre Phantasie bald mit dem Gefolge Mcrlins, bald mit den alten Nordlandsgöttcrn bevölkerte? Und des belebenden Gemisches von Heiterkeit und Ernst, das uns Alle durchdrang, unseren braven Nicolai, der nun auch seit Jahren schon, statt mit uns auf gemeinsamen Pfaden, über uns «a« auf einer lichteren Bahn wandelt, und deu fürsorglich an Alles und für Alle denkenden Sir Charles, den, wie Wenige nur seiner Landsleute, bei kräftiger Gesinnung zugleich zartbesaiteten gemüthvollen Sohn Albions ohne Spleen und ohne milzsüchtige Pedanterie, und die heiteren Mädchen, die nun Alle Frauen und Mutter sind, und die jungen Diplomaten, die im Schooße der Natur Diplomatie und Glacehandschuhe vergaßen, und den Engel des Lichtes mir zur Seite, das schöne wunderbare Erdenkind mit seinem mildleuchtcnden Auge und dem unerschöpflichen Reichthum an Huld nnd seelischer Begcistung, jenes Wesen, das die Genien des Lichtes allzufrüh zurückgerufen von der Bahn, wo seine Aufgabe war Freude, Liebe, Leben zu verbreiten — — Gedenkst Du noch der Zeit und ihres unvergänglichen Inhalts, mein geliebter Alexander?— Mir sind jene Erinnerungen Lebcns-melodieu, die bedeutsam durch mein ganzes Daseyn klingen. Nimm mir die Fülle der Erinnerung, die mir aus schöneren Tageu wie ein unveräußerliches Gut geblieben, und Du hast mein Leben und allen Klang des Lebens mir geraubt. Weißt Du, mein Theurer, wie unsre Erdenbahn mich an-muthct? — Wie ein großes Schlachtfeld, durch welches wir allzeit gerüstet unter dichtem Kugelregen schreiten. Immer neue Batterien entladen ihre todesschwangern Blitze, aber unser Muth bleibt ungcschwacht. Noch zählen wir zu den hinteren Ncihcn, während die vorderen immer mehr und mehr sich lichten. Vorwärts an die Stelle der Gefallenen! Der ihm bestimmten Kugel entgeht keiner "- Darum freudige Zuversicht! Es kommt nicht darauf an, wie lange man fechte — denn Einmal endet doch für jeden der Kampf— es kommt darauf an, daß man ehrenhaft und unerschüttert seine Stelle behaupte und, wenn die uns bestimmte Kugel pfeift, wir rühmlich fallen, auf dem Schilde scheidend, mit dem bis dahin wir getrost und fest im Kampf gestanden. Und bleibt uns nicht, was auch vor und um uus niedersinke, nächst der Freudigkeit am Kampfe der Gegenwart die Fülle der Erinnerung und das Musterbild der prciswürdig Vorangegangenen? Sind wir uicht reicher durch die Wunden, die der Schmerz geschlagen? — Leuchtet uns nicht mitten in dem Donner der Geschütze die Begeisterung für die göttliche Idee, für welche wir kämpfen, bis von Schlacken frei wir selber in ihr aufgehen? — ÜEI Ja, mein Theurer, daran wollen wir halten, darin aufnehmen was uns das Leben noch gewähren mag und keiner Gabe unsre Brust verschließen, nichts zurückweisen was es an Gehaltigem uns bietet — Wir wollen seiner freundlichen Geschenke uns erfreuen und gegenseitig uns ermuthigen, wenn unsere liebsten Kampfgenossen um uns fallen -— Und aus den Lcbcnswundcn sprießt neue Lebenssaat, erwächst neue Kraft und höhere Klarheit. Darum vorwärts und plus ultr«! Grüßen wir den Schmerz des Lebens als den Vringer höherer Freuden, gleichwie der erhabene Dante nach unverzagter Wanderung durch die Schrecken der Holle und das läuternde Feuer seine Veatriec, selbst ein Geläuterter, im reinen Lichte wieder grüßt! 263 Ragusavecchia. Ueber den Untergang des altcu Evidaurus herrschen vcr^ schiedene Angaben. Einige Schriftsteller nennen Attila, diesen Heerwagcn der Zertrümmerung um die Mitte des fünften Jahrhunderts, auch hier; andere geben das Jahr 510 an. Wie aber, fragt mit Recht Kattalinitsch in seiner Geschichte Dalma-tiens, hängt das zusammen mit der historisch feststehenden Nachricht, daß 536 die Streiter Konstantians in Epidaurus einige Tage ausgeruht? — Darin stimmen Alle liberein, daß auf den Trümmern der genannten Stadt Nagnsaveechia erbaut worden. Auch diese wurde später von erobernden Horden überwältigt und verheert — um die Mitte des siebenten Jahrhunderts, zur Zeit, wo östliche Slavcustämmc von neuem in völterwandernbc Bewegung gerathen und wo auch Salona dem Andrang deo Awa-ren siel — 64t), sechzehn Jahre vor Heimsuchllng Nagusavecchia's durch die Treburier. Walteten diese auch uicht wie ihre Vettern in Salona als geübte Mauerbrecher, so licßcu sie das Scharfrichteramt nicht minder sich gefallen und mähten schonungslos nieder was unter ihre Hände kam; doch entzogen viele der Einwohner noch zu rechter Zeit sich durch die Flucht ihrem vernichtenden Schwerte. Von diesen wendete ein Theil sich nordwärts und gründete in Gemeinschaft mit den Flüchtlingen anderer um dieselbe Zeit zerstörter Städte Nagusa; eine Anzahl, die sich verborgen gehalten bis zum Abzug der Eroberer, kehrte zurück in die geliebten Mauern; ihnen gesellten, angelockt von Sehnsucht nach dem alten Neste, immer mehrere sich zu von den gett Nord Entwichenen, und so erhielt die durch ihren eingeborenen Stamm von neuem bevölkerte Stadt den seitdem ihr gebliebenen Namen als Mutter von Ragusa. Ragusaveechia mit ihren grauen Mauern erhebt sich malerisch an cincr Meeresbucht; ihre west- 264 lichen Gassen ziehen steil den Berg hinan; sie zählt über achthundert Einwohner. In einem vor dem östlichen Thore gelegenen Hügcl zeigt man die berühmte Hilarionshöhle, wo Sanct Hilarion durch Berührung seiner gefeiten oder geweihten Ruthe den Drachen entzaubert. Einige wollen die Höhle und den Drachen gar mit Kadmus in Verbindung bringen. Am frühen Morgen weckte mich der freundlich zuvorkommende Prätor des Ortes, eine wahrhaft jungfräuliche Erscheinung unter den Bannerträgern der Themis, welcher Göttin cr mit leidenschaftlicher Liebe anbangt, zu einem systematischen Schau« und Musternngsgangc. Die spärlichen Reste des Alterthums von Epidaurus beschränken in dem Inneren des nachgcborenen Städtchens sich auf einige in die Wände vermauerte Steine. Die meisten fand ich in dem Framiscanerkloster. Am bemerkenswertesten erschien in dem Hause eines reicheren Privaten nahe bei der Hauvtwachc ein römischer Fahnenträger, den Adler in der Rechten, den Schild in der Linken haltend, unbeweglich, so oft auch der österreichische Zapfenstreich zu seinen Füßen tönt; dicht daneben in einem anderen ziemlich unansehnlichen Gebändc ein Triumphwagen, jetzt nur noch Zeuge günstig oder ungünstig einschlagender Oel- und Maisernte. Draußen hinter Hecken und rohen Steinmauern am Wege znm Campo Santo sind noch manche Inschriften erhalten auf Gräbern, deren Inwohner nach dem streng orthodoren Glauben schwerlich zn den Freuden des Paradieses erstehen dürften; darunter eine, das Grab einer siebenundzwaw zigjährigen Freigelassenen bezeichnend, die an einen Legionssoldaten verheiratbet war. Sey ihr die Erde leicht und der Tag der Auferstehung freudig! — Weiterhin, auf einer Anhöhe, sin-den sich dürftige Trümmer einer römischen Wasserleitung; unfern davon der Platz, wo ein mit derselben in Verbindung gebrachtes Badehaus gestanden, sichtbar im Halbkreise erbaut. — In einem Weingarten, neben einer epheuumranktcn Hütte unweit dem Wege nach Ragusa, liegt ein zerbrochener Stein mit der Inschrift PW MI... VOI^.MI.1^... — Dieser wurde mir von meinem aufmerksamen Führer mit besonderem Antheil gezeigt als der Grabstein seines Vorfahren im Amt, und zweifelsohne eines der ältesten namhafter Prätoren in den kaiserlichen Staaten. Zugleich bemerkte er, wie dieser Dolabella ein geschätzter 2S» Geschichtschreiber gewesen, eine Beschäftigung, wozu freilich bei dem gegenwärtigen Dränge wichtiger Amtsgeschäfte einem gewissenhaften Prätor keine Zeit verbleibe. Daß der jüngste Nachfolger Dolabclla's Jurist mit ganzer Seele sey, bezeugt seine kleine Hausbibliothck, in welcher, außer Nechtsbüchern, auch nicht eine litterarische Spur — gewiß ein Mangel, der ihm in aufsteigender Linie unter den Sternen nicht zum Nachtheil wird angerechnet werden; und die Rechnung über den Sternen scheint seine Seele, scharf auf das Realistische gewendet, ruhig der Zukunft anheimzustellen. Wie aber auch den trockensten Geschäftsmann je bisweilen eine liebenswürdige Schwäche anwandelt, so erwähnte mein dermalen ganz und gar in Jurisprudenz aufgehender Gelcitsmann, daß er bei Antritt seines Amtes sich habe beikommen lassen, den Hauptplatz des Oertchens mit Akazien zu bepflanzen, um den Bewohnern eine schattende Erquickung in der Sommerhitze zu verschaffen; die Undankbaren aber hatten in einer Nacht die jungen Stämmchen ausgerissen und an deren Stelle Zettel angeklebt mit der Mahnung, lieber Kukuruz zu bauen, den könne man doch essen. Dieser schlechte Dank für guten Willen und wohlgemeinte Bemühungen habe ihn noch mehr bestätigt in der Ansicht, sich für die Gegenwart um nichts mehr zu bekümmern als um seinen Geschäftskreis und um sein Fort" kommen in der Zukunft. R a g u s a. Der Weg von der alten heruntergekommenen Mutter Ra-gusa's zn der schmucken Tochter ist auf der Wasserstraße in wenig mehr denn zwei Stunden zurückgelegt; zu Lande, wo man eine nicht unbedeutende Höbe zu übersteigen hat, die sich in einem weiten Vogcn um die Bucht von Breno windet, braucht man auch mit einem gut ansschreitcnden Maulthier mehr als die doppelte Zeit. Aber der Weg belohnt reichlich die Verzögerung, und da nach dem frühen Mittagsessen eine ganze Reihe von Stunden vor mir lag, zog ich ihn der Wasserstraße vor. Unweit dem Grabstein seines ältesten Vorfahren im Amte nahm ich Ab. schied von mcincm legalen cpidaurischen Gastfreunde, und folgte dem Wegweiser auf einem steil den Berg hinanziehenden Pfade. Ein prächtiger Ritt über die Höhe, unter deren AbHange die weite Vucht von Vrcno sich ausbreitet und die einen erfreulichen Rückblick auf die rings mit Meer und Hügelland umlagerte Stätte des alten Epidaurus und über ferne Küsten gewährt. Den schönsten Punkt bietet die Stelle, wo der bis dahin in leiser Biegung gegen Norden laufende Pfad sich westwärts wendet. Hier stürzt zwischen üppigen Baumgruppen aus den Bergen ein schäumender Wildbach hervor, mit vollem weißem feuchtem Barte nicdcrbrauscnd in das Thal. Ragusa's erster Anblick macht den Eindrnck jener maurischen Bauten in Spanien, die, hoch und starr zu Schutz und Trutz ummauert, hinter ihren Thürmen und Steinwällen eine Fülle reichsten Naturlcbens umschließen. Ist nun auch, nach der russisch-montenegrinischen Heimsuchung mit Feuer und Schwert und den nur allzu glücklich durchgeführten Piratenunternehmungen gegen die Güter und Schisse der Nagusaner hier nicht an den alten Reichthum mehr zu denken, so ragen doch über die hohen 267 Stadtmauern und mittelalterthümlichen Festungsthürme hinaus terrasscnartig an den Bergen gelagerte Vorstädte, und eine Menge geschmackvoll ausgestatteter Landhäuser blickt mit ihren freundlichen Balkönen und schlanken Säulchen zwischen den Weingärten, Cvpressen, Feigen- und Granatpstanzungen einladend hervor. Die innere Stadt enthält nur eine einzige gerade breite Straße, den Corso, mit einer Doppelreihe stattlicher Häuser, deren untere Räume — merkwürdig genug! meist Schusterwerkstätten; die anderen Straßen, wenn gleich alle reinlich, sind uneben und enge. Die Kathedrale — nicht mehr jene alte, welche Richard Löwenherz erbaut, nachdem er 1192 aus einem heftigen Sturme Zuflucht an diesen Küsten gefunden, diese hat das Erdbeben von 1667 verschlungen — in italienischem Baustpl aufgeführt, erhebt sich zu Anfang der Hauptstraße; ihr gegenüber steht der einstmalige Negieruugspalast der Republik, jetzt Sitz des Kreisamtes; vor demselben die Säule mit dem Mast, von welchem in einer Reihe wechselnder Jahre und Begebenheiten verschiedene Flaggen hernicdergeweht, gegenwärtig der festtägliche Träger der österreichischen weiß und rothen Fahne. Thore, Brunnen, Festungswerke und andere öffentliche Gebäude, selbst viele Privathäuser in den Nebenstraßen tragen den Stempel der Gediegenheit und Dauer. Die bedeutenderen Häuser, einstmals Eigenthum reichbegüterter Nobili, haben jetzt meist Griechen zu Besitzern, in deren Händen heutzutage der Großhandel von Ragusa. Aber auch in den von Handwerkern, Kleinhändlern oder niederen Beamten und Landbauern bewohnten sind noch deutliche Spuren alter Herrlichkeit und Pracht. So fand ich in dem Hause einer Nebenstraße, das seit einiger Zeit ein Speisewirth bewohnt, palastartige Wölbung, und bis zum Dachboden hinauf, unter welchem nach hiesiger Sitte die Küche, hohe weite Räume, hier und da auch Neste reichgestickter und gewirkter Tapeten, und in meiner Schlafstube Sessel, Tische, vergoldete Spiegel mit dem Wappen einer altadeligen Familie. Die vielen Capellen, deren fast jedes bedeutendere Privathaus eine besitzt, zeugen für den religiösen Sinn ihrer Erbauer. Nagusa's Bildung war seit Jahrhunderten fast sprüchwörtlich geworden, und in der Vlüche-zeit der Republik that ein Nagusancr nicht wenig sich zu Gute auf seinen von Apoll und den Musen vorzugsweise in begünsti- 269 gende Obhut genommenen Culturstaat par «xcoliencs und seine eigene Privatintelligenz insbesondere. Es herrschte aber auch wirklich cine sehr gesteigerte Bildung in diesem kleinen Freistaate, der bedeutende Männer in allen Wissenschaften hervorbrachte. Bedeutende Historiker, bedeutende Astronomen stammen aus Ragusa; ein sauber geformtes Sonnctt zu drechseln war jedem Ra-gusaner fast ebenso angeboren wie unsern privilegirten Starkgeistern die von aller Befangenheit poetischer Illusionen freie Aufklärung; keine Festlichkeit, keine irgendwie erhebliche Begebenheit im öffentlichen oder Privatleben entbehrte ihres feiernden Gesanges; gleichwohl aber hat sich ihre Poesie niemals zu Vollkraft und Frische des Volksthümlichen erhoben, und selbst ihr bedeutendstes Gedicht, das illyrisch geschriebene Epos Osman, entbehrt nach dem Urtheil tieferer Kenner aller nationalen Färbung. An aristokratischem Dünkel, an Eifersüchtelei in Rang-und Titelsucht, an athemlosem Jagen nach Würden, Aemtern und äußeren Ehren der Familien wie der Einzelnen, konnte die Ragusancr Patricicrschaft zu amn Zeiten den Wettlauf eingehen mit jeder anderen, sey es an Höfen, sey's in Freistaaten, und selbst heute noch, nach mehr denn drei Jahrzehnten der Auflösung und der Verarmung, zcigcn sich davon die gleißenden Wahrzeichen in den straffen Zügen und dem stolz dahinwandclnden Schritte seiner entsattclten Herrlichkeiten. Auch der Glaube einer in den Windeln empfangenen höheren Bildung von Hause aus wuchert als unverkümmertcs Erbtheil in den jungen Nagusanern ungemischten Blutes fort, mögen sie nun in Padua ihre Studien betreiben oder daheim sich schöngeistisch ergehen; uud diesen unerschütterlich festen Glauben theilen selbst der Krämer und der Handwerker. Unter drn Kaffeehäusern innerhalb der Stadt ist gegenwärtig das der Griechen am besuchtesten. Da zeugt Alles von jungem Wohlstande, und bis auf die Spieltische der mit ihren goldgestickten Wämsern und dem kcckbetroddelten Feß umhersitzenden Emporkömmlinge des Glückes und der Betriebsamkeit spricht Alles von solide begründetem Selbstvertrauen, während die Reste der alten einst so stolzen Signoria, der kleinen Nebenbuhlerin der gewaltigen Dogenstadt, auch hier zum größeren Theil zurückgezogen und ärmlich von den spärlichen Resten vormaligen Reichthums, »6S häufig sogar von dürftigem Gnadenbrode leben, von ihrem alten Glänze nur noch den blüthelosen ftuchtberaubten Stammbaum und den süßen Traum einer weit über die übrige Welt sich erhebenden Bildungsstufe als Privilegium der Phantasie übrig behaltend. Ein anmuthig gelegenes Kaffeehaus findet sich draußen auf einer Anhöhe dicht vor dem nördlichen, zu dem Hafen von Graves« führenden Thore. Hier versammelt sich an heiteren Abenden, meist nach zurückgelegtem Spaziergang, alles was Anspruch macht auf Eleganz und feine Sitte; in den inneren Räumen wie unter den schattcnden Bäumen draußen ist es dem später Kommenden oft schwer noch ein Plätzchen zu finden. Nach Süden der Blick über die Stadt, gegen Norden hin eine Doppelreihe freundlicher Landhäuser und Gärten, westlich das bei vorwaltendem Sciroeco rauschend an das hohe Gestade anbrandende Meer, ostwärts die steilen Höhen des grauen Sergio mit dem stolz herniedcrblickenden Fort Imperial, cinem unvollendet gebliebenen Werke der Franzosenherrschaft. Eine andere Ruine aus der Franzoscnzeit wurde mir ganz in der Nähe gezeigt — eine ältliche Dame, um der hohen Gunst willen, welcher sie bei dem einst hier mächtigen Marschall und Zeitgenossen Napoleons, dem Jugendfreunde, welchem der Kaiser bis zum letzten Augenblick seines sinkenden Glückssterns unbedingt vertraut, in Hülle und Fülle genossen, von ihren Landsleuten noch heute!a vuol,«»»» «I, IigFU33 zubenannt. Spuren einstmaliger großer Schönheit sind auch in den verwelkten Zügen des alten Mütterchens noch unverkennbar; auch zeigt sich in Haltung und Benehmen etwas gebieterisch Selbstbewußtes; aber ich konnte mich bei ihrem Anblick und den durch ihre Vergangenheit angeregten Rückblick nicht der Erinnerung erwehren an so manches ägyptische Museum, wo uns die wohlerhaltencn Neste eines hohen Alterthumes plötzlich aus der frischen Gegenwart in eine untergegangene Zeit versetzen. Viel des Interessanten wußte an diese und ähnliche Erscheinungen der mich begleitende Professor Neumaier zu knüpfen, ein Mann, ebenso kundig und raschblickend in menschlichen Beziehungen als erfahren und beflissen in Mchruug seiner naturhistorischen Sammlungen. Bei solchen Gelegenheiten liegen Re-flerionen über die Vergänglichkeit des Glückes, über die tausendfäl- tig sich bekundende Unbeständigkeit menschlicher Neigungen sich so nahe. Ein weites Feld eröffnete sich uns, auf welchem die ganze Laufbahn des Frankenimperators, umgeben von den Marschällen und sonstigen Genossen seiner Größe, bic cr und das Gluck, ihre gemeinsame Mutter, zu schwindelnder Höhe emporgehoben, nach und nach sich auseinanderrollte. Mein naturkundigcr Begleiter kam in einer Kette wohl durch trübe Erlebnisse in seinem ursprünglich liebevollen Gemüthe erzeugter, etwas menschenfeindlicher Betrachtungen immer wieder darauf zurück, cr möge nach so vielfachen Erfahrungen in Ferne und Nähe lieber mit den stets sich gleichbleibenden Pflanzen verkehren, als mit den ewig wandelsüchtigen Adamskindern. Wie möchte ich es wagen, von den Festungswerken Ra-gusa's Ihnen zu berichten, mein militärischer Freund, der Sie, der conservativstc unter allen Menschenkindern, einstmals bei meinem Besuche auf Malghera so freigebig und beharrlich mit Mustcrübungen drr Zerstörung mich bewirthet? — Habe ich auch unter begünstigender Führung eines Ihrcr College« vom Genie> corps Alles genau in Augenschein genommen, die starken Mauern und die festen Thürme, die verschiedenen Bastionen und das kleinste Vorwerk, Sie Meister vom Stuhle würden doch nur lächeln, wollte ich, der Laie, in nähere Betrachtungen über Befestigungs-kunst mich einlassen und so dem zukünftigen Leser und Kritiker allzu hervorstechende Blößen zum Angriff geben. Zwar zweifle ich nicht, dast Sie, ein Geweihter aus dem Tempel Bellonens, gleichwie Achill bei den Töchtern des Vptomcdes von dcm verkleideten Odysseus die Waffen eher als den Schmuck erwählen würben; aber nur, Ihrem Berichterstatter, dem Sie so oftmals willig auf poetischen Ercurfioncn gefolgt sind, dürfen Sie auch dicßmal nicht versagen, lieber bei friedlichen Märschen zu verweilen als bei Wanderungen im Gefolge des Kriegsgottcs. Einer der schönsten Ausflüge wurde mit Professor Neu-maicr und seiner Familie unternommen. Der Sammelplatz war frühmorgens in der Wohnung des uaturkundigen Magus, einem Gartenhausc an der Straße von Gravosa, dessen eben nicht allzubequcme Räume diesen Genügsamen zum sommerlichen Lust- »7l zelt wie zum Winterquartiere dienen. Der Oberftriester Samuel würde schwerlich hier: „Sind das die Knaben alle?" — sondern eher ein: „Herr, höre auf zu segnen!" ausgerufen haben, wenn er die kleine Sippschaft nach und nach aus allen Winkeln hätte hervorquellen sehen, zahlreich wie die Stämme Israels. Vor Antreten der Erpedition wurde jedem der frisch und kräftig ausschauenden Buben sein Amt zugetheilt, dem einen das mineralogische Bereich, einem anderen die Blechbüchse für Pflanzen, einem dritten der Mpvarat zum Einfängen der Schmetterlinge, einem vierten die Schachtel für Käfer, der für Conchplien bc-stimmte Behälter einem fünften u. s. w. Dein zehnjährigen Töchterlein endlich wurde anbefohlen, bis zur Heimkehr des Vaters das Einlegen und Ordnen der gestern erworbenen Pflanzen vollends zu Stande zu bringen; der Mutter verblieb die Sorge für den Haushalt und die beiden jüngsten. Neumaier und ich hingen die Flinten über den Nucken, und so bewegte der wohl ausgerüstete Zug sich vorwärts "). Der nächste Haltpunkt war das nah gelegene Gravosa, der eigentliche Hafen Ragusa's, welcher auch der bedeutendsten Flotte die nöthige Bequemlichkeit und Sicherheit darbietet. Hier ankern die größeren Schiffe, im Winter und bei stürmischer Witterung auch das Dampfboot, das während der Sommermonate, ebenso wie andere Fahrzeuge die keines tieferen Ankergrunds bedürfen, die kleine Bucht dicht vor Nagusa vorzieht. Mit 'freudigem Entgegenkommen wurde ich von den in Lebhaftigkeit wetteifernden Knaben aufmerksam gemacht auf die Schönheit der mit Südgcwächscn und Villen übersäeten Gestade des *) Spätere Bemerkung. Nach meiner Rückkehr in Venedig erfuhr ich, daß dem trefflichen Neumaier, dessen Verdienste um die Naturforschung schon früher Männer vom Fache anerkannt durch Bczeich-nung mehrerer naturhistorischer Gegenstände mit seinem Namen (so die von ihm zuerst llassificirte Schlangenart, welche den Namen führt l^wi^r Aomiüum'N, von der Negierung ein angemessener nnd lohnender Wirkungskreis st« angewiesen worden. Aber dieser erfreulichen Nachricht folgte dald darauf die Trauerkunde, daß der rüstige Mann bei einem in seinem neuen Berufe durch die Berge vorgenommenen Ritt vom Maulthier gestürzt und in Folge einer empfangenen Kopfwunde verschieden sev. 272 Meerbusens, der wie ein weiter See zwischen Hügelung und Ebene sich ausdehnt. Der Vater aber knüpfte an die verschiedenen, noch immer in Trümmern ausgehöhlter Mände dastehenden Lusthäuser einstmals reichbegüterter Besitzer ernste Betrachtungen über die Unbeständigkeit des Glücks, und brachte mancherlei historische Belege zu deren Unterstützung vor. Er sprach im Hinblick auf die vcrhältnißmäßig geringe Anzahl von Schiffen, die in diesem so günstigen Raume gegenwärtig ankert, von der aus hundert Fahrzeugen bestehenden Flotte, die Kaiser Karl der Fünfte hier erbaut und dann auf seinem Zuge wider die Tunesen raschem Untergang cntgegcngeführt. Er gedachte des Flors und der Bedeutung der an Umfang so geringen Ragusaner-rcpublik, die trotz den Zcitstürmen, veränderten Handelswcgen, und Wechsclfällen des Schicksals, trotz Erdbeben und achttägiger Feucrsbrunst gleichwohl in ihrer scharfen Abgeschlossenheit ungestört in blühendem Wohlstand fortdauerte, bis endlich 1806 die brandschatzend eindringenden Franzosen ihrer Selbständigkeit, ihrem Wohlstand aber der methodische Vandalismus russisch-montenegrinischer Invasion vollends ein Ende machten. An vierhundert große Meerschiffe wurden theils zerstört, theils geraubt, die schönsten Villen rings umher in öde Brandstätten verwandelt. Die Stadt, welche vor der großen Pest in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts gegen vicrzigtauscnd zum größten Theil wohlhabende Bewohner zählte, unter denen eine nicht geringe Zahl von ansehnlichem Vermögen, und deren Bevölkerung unter den Franzosen auf viertausend meistentheils verarmte hcrabge-sunken war, hat sich zwar unter der gegenwärtigen Negierung allmählich erholt, und die Bevölkerung ist wieder bis gegen siebentausend (6593 nach amtlichen Quellen im Jahr 1840) angewachsen. - Aber zu ihrer vorigen Höhe wird sie schwerlich auch nur annähernd sich jemals wieder heben; dazu fehlen die Bedingungen, die einstmals für sie mitgewirkt. An diese ernsten Mittheilungen des Vaters reihetc einer der jüngeren Knaben Berichte ganz anderer Art. Er sprach von den vielen Schätzen, die rings um Gravosa verborgen lägen, konnte nicht müde werden in Darstellung von deren Größe, und verband damit die bei dergleichen gewöhnlichen Sagen. Als Hauvthinderniß des Hebens gab er an, daß die Bewohner, ab- 273 geschreckt durch die vielen Nnglücksfälle früherer Zeit, gar nicht mehr zugeben, daß einer solch verrufener Stätte sich nabe. Deß-ungeachtet habe ein armer Müllerknccht in einer stürmischen Nacht, wo kein Anderer sich vor die Thür getraute, solch einen Schatz gehoben, und sey dann verschwunden; viele Jahre darauf habe man gehört, daß er in der neuen Welt ein Königreich gekauft. — Der glückliche Junge, sprach lächelnd der Vater, der noch mit Millionen wie mit Rechenpfennigen, und mit Königreichen wie mit Fangbällen spielt! Nachdem wir noch die Dominicanerkirche angesehn und der hochwüchsigen Orangenbäume uns erfreut, welche die Cisterne des geräumigen Klosterhofes umgeben, bestiegen wir einen Kahn zur Fahrt nach Canosa, diesem verwilderten Paradicsesgarten am hohen Gestade nuchrcre Miglien nordwärts von Gravosa. Der Park des Grafen Gozzi, der in bedeutender Ausdehnung sich den Vergesabhang niederwärts bis nahe an das Ufer hinzieht und in seinen höhergelegcnen Partien die überraschendsten Blicke durch die mannichfachcn Vaumpflanznngcn weithin über das offene Meer darbietet, ist ein Jubelgreis, der bald sein viertes Säcularfest feiern wird. Er darf mit Necht von schöneren Tagen sprechen. Von ocn alten kräftigen Stämmen an den jetzt verwilderten und verwahrlosten Pfaden mag gar mancher aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der Zeit seiner ersten Anlage, herüberragcn. Vernachlässigtes, sich selbst überlassenes Buschwerk, zu hohen Wölbungen ineinander verwachsen, bildet hier und da natürliche Lauben, schöner oft als die aus ihrer ursprünglichen Form gewichenen künstlichen; die Marmorbänke überwucherndes Moos macht den einstmals adeligen Sitz geeigneter zu ciuem anspruchslosen Idyll, und zwar von weit bestimmterem Charakter als die von Daphnen und Chloen und süßschwärmendcn Myrtillcn wimmelnden Eelogcn parfümirter Phantasien des verwichcnen Jahrhunderts; auch was an Statuen nnd Brunnen und sonst zu Augenweide und Erholung in dcr weiten Umhegung angebracht ist, verräth durch Uebergrasung und Uebermoosung, daß seit längerer Zeit die sorgliche Hand fehlt, welche alles dieß ins Leben gerufen nnd Jahrhunderte hindurch von treu nacheifernden Enkeln abgelöst worden. Das Ganze macht den Eindruck überschwänglich spendender Natur Niift,i mid Landcrbcschv,'ilun!>is,!. XXIX. 1^ (Iftrien und Dalmatien.) 274 über Gräbern — ein kostbar gewebter Teppich anf einer Bahre! Wie angemessen von den alten Grafen Gozzi gerade dieser Platz gewählt worden zn einem Ruhesitz, davon zeugt die ganze Umgebung. Diese üppige Vegetation auf einem längs dem Meere mäßig ansteigenden Berge, in einem Lande, wo nackte Kalkfelscn die glühenden Sonnenstrahlen nur noch glühender zurückgeben, mnßtc einen Freund ländlichen Friedens anziehn. Schatten und Kühlung und reichlich von den Höhen zuströmendes Wasser in südlicher Abdachung, ein von der Natur bereiteter Lustwald, dem kein Winter etwas anhaben kann, und der nur geringen Zuthuns bedarf, um in ciucm Augenblicke aufs freigebigste und dauerndste hervorzubringen, was andere Zonen kaum durch jahrelange Anstrengung und fortwährendes Anfwcn-den von Mühe und Kosten als dürftiges Surrogat für kurze Monate. Denn das ausgebreitete GeHäge des Parks umfaßt mit den darin befindlichen Gebäuden zwar einc heimliche Zufluchtsstätte, wo in ungestörter Zurückgezogcnheit der Eigenthümer sich ergehen mochte, so oft er die Pforte seines von Blumen, Wald und Wicscn prangenden Gartens abschloß; aber ein Lustwald breitet sich auch außerhalb viclc Miglien weit um ihn her, und wenn er den Bewohnern Canosa's gestattete, zu manchen Tagesstunden die Freuden seiner Privatanlagcn mitzugcnießen, so verschönteil die zcrstrcnt inmitten eines weiten Waldbcrcichs gelegenen Wohnungen, Felder und Gärten der Bewohner des Oertchens schon durch ihr bloßes Daseyn wiederum deu in ihrer Mitte befindlichen Park, zu welchem ihre kleineren Besitzungen nur einc Fortsetzung zu bilden scheinen. Wie mächtig ragen auf diesem Bergrücken am Meere hier und da kräftige Eichen aus dem dunkleren Laube dichter Lorbcrhainc hervor! Wie freundlich wechselt mit dem Graugrün der Olive das lichtere Blatt des Weinstocks! Wie einladend heben die zerstreuten Wohnungen und das Kirchlcin Canosa's sich am Wege hervor, umgeben von Kastanien und Platanen, von Nuß> und anderen veichbcladencn Fruchtbäumen! Wie sprudelt so erfrischend der krystallene Quellbach aus dcu üppig überwachsenen Kalkfelscn, in fröhlichen Sprüngen bald rechts, bald links den Pfad durch 275 schattige Pflanzungen verfolgend bis hinunter in das rastlos verschlingende Mecr! Die größte Ueberraschung auf diesen an stattlichen Gewächsen so reichen Höhen bietet aber doch das Zwillingspaar der weltberühmten Niescnplatanen, die, nmspült von dem durch die mächtigen Wurzeln vielfach gctheiltcu Qucllbach, aus einer breiten Lichtung nieder iu die Tiefe blicken und von dem kundigen Schiffer aus der Ferne schon begrüßt werden. Kanin vermögen sechs Männer den stärksten dieser Stamme zu umspannen. Von der Menge dcr gewaltigen Acste reichten manche hin, selbständig einen ansehnlichen Vaum zn bilden. Unterm Schattendache dieser hochbejahrten Kroncnträger, die in Iugeudkraft und Fülle eine weite Strecke überragend die Freude und den Stolz der Bewohner Canosa's ausmachen, ließen wir uns nieder und genossen die von geschäftigen Händen herbeigebrachten Feigen und Nüsse, die fleischige Carobc und den trefflichen Wein, alles Erzeugnisse des nächst umliegenden Bodens. Von den Neumaier'-schcn Kindern, die nach dem ländlichen Mahle sich nach allen Seiten hin vertheilten, kam bald eines mit einem Käfer, bald mit einer Pflanze, bald mit einem Schmetterling zurück, und die Vcute wurde, sobald durch den streng nach Namen und Geschlecht fragenden Vater bestätigt, von dem Bctheiligtcn der kleinen natur-forschcnden Gesellschaft gehörigen Ortes in Verwahrung gebracht. So weilten wir eine Zeitlang in patriarchalischem Behagen, nm-drängt von den ncugiergcsclligcn Bewohnern, bis es Zcit zum Aufbruch schien. Auf dem Rückwege durch das fruchtbare Valle di Noce wurde mir ein Nußheher zu Theil, den ich von einem Nst herunterschoß und zum Ausstopfen dem Ornithologen der eifrigen Sammlcrgcmeindc überließ, ein Geschenk das mir diesen zum besonderen Freunde machte. Angelangt an dem Hafen Malst nahmen wir eine Barke und ruderten nunmehr durch das Vallc di Ombla — ein reizendes Thal, halb Frnchtgarten, halb Meeresbucht, in dessen friedliche Tiefe bald schroffe Felsen, bald anmuthige Villen, bald Fülle hochragender Cpprcsscn, bald freundliche Wcingcländc und zierliche Olivcnkroncn mcderblickcn. In Gravosa wurde noch einmal Halt gemacht und dann die fröhliche Jugend dcr bereits an dcr Gartenpforte harrenden Mutter zugeführt. Ich aber streifte mit Neumaier noch eine Zeitlang 18' 27» umher und weidete mich an dem lebendig zuckenden Feuer dieses merkwürdig aus scharfen Kanten und weicherer Masse zusammengefügten Menschengcbildes, das immer vom Nächstliegenden Gegenstände ans sich wcttcrlcuchtend über eine wachsende Weite verbreitet und in der Muschel wie in der Pflanze, auf dem Campo Santo wie auf dem benachbarten NichtPlatz reichlichen Stoss findet zur Entfaltung seiner kernig geschlossenen und doch so crpansivcn Natur. Nach Sonnenuntergang standen wir auf einer Höhe, dem Meere zugewendet, im Rücken die Stadt mit ihren vielen Lichtern und den wie schwarze Riefen aus den Mauern aufsteigenden Fcstnngsthürmen. Wenn ich mir dieß kleine Nestchen ansehe, sprach mein Begleiter, das, sich freiwillig absperrend gegen die dem Geiste nach verwandte und eben deßhalb in ihrem aneignenden Gelüste gefürchtctc Nachbarrepublik, lieber die Türkenmaner des absolutesten Despotismus um sich her gezogen, als daß es die venezianische Umarmung zugelassen, wenn ich mir dieß Miniaturchina vergegenwärtige, wie es Jahrhunderte hindurch in dieser unnatürlichen Umrahmung bloß durch die Macht der Gegensätze sich in Freiheit, Selbständigkeit, und einer Art republieanischen Glanzes erhalten, dann es plötzlich fallen sehe und, gleichwie seine gefürchtctc, weiland ruhmreiche Nebenbuhlerin ein Iahr-zchend früher, verschlungen gerade von denen, an die auch nur im Traume mit Vesorgniß zu denken ihm wohl niemals eingefallen, in seiner Unmacht geknechtet und in seiner Wesenheit vernichtet von denen, die noch ein Iahrzehend zuvor am eifrigsten den Ncpublicanismus unter dem Panier der Freiheit und Gleichheit geschützt, gepredigt und verbreitet, dann kann ich mich eines ironischen Lächelns nicht erwehren über das seltsam Verschlungene und Wandelbare im Gange menschlicher Begebenheiten, über die gewaltsamen Anstrengungen und zuversichtlichen Berechnungen, die immer anders ausschlagen als sie das Hirn der Klügsten ausgehegt. — Da sehe ich bei weitem mehr Sicherheit und zutreffenden Tact in dem Instinct der Thiere. Wenn wir ein dem thierischen Instinct verwandtes Element antreffen wollen, cntgegnctc ich ihm, dann müssen wir uns freilich abwenden von den Culturstaaten, wo Alles Berechnung, Alles grüblerisches Spintisixen ist, ein künstliches Gewebe seltsam ver- 277 schlungencr Fäden. Blicken Sie einmal hinüber zu den Montenegrinern; da finden Sie, wie bei allen Naturvölkern, noch viel von der ursprünglichen Kraft und Frische des Instincts, freilich mit all seinen Auswüchsen und Nohheiten, an welche nunmehr auch schon die Cultur ihre glättende Feile legt. Es wird bald kund werden, was diese Feile aus dem ursprünglichen Kern herausarbeitet. Einen Wechselbalg, meinte Neumaier, der weder Fisch noch Fleisch ist. Wir sehen ja die Folgen solcher an das Aeußerliche gehenden Culturfeile deutlich an dem modernen Türkenthumc, das aufgehört hat zu seyn, was es ursprünglich war, und nicht die Entwicklungsfähigkeit besitzt, zu einem Neuen, Selbständigen und durch sich selbst Haltbare« sich umzugestalten. Wir sehen es in Allem, was nicht seinem Ursprung treu bleibt. War nicht ein mächtiger frischer Drang und Quell in jenen ersten Ncpublicanern Frankreichs? Zeigt in ihrem Thun nicht durchgängig sich etwas uaturkräftig Neugeborenes, ein ur-gowaltigcr Trieb zum Bannen des Mißbräuchlichen und durch Stagnation Verdorbenen, zum Gebären einer mit innerem Augc durch all die Wirrnisse und Schrecken einer düstern Gegenwart leuchtend geschaueten Zukunft? Aber wie bald ward Grübelei und fanatischer Wahnwitz, gepaart mit knechtischem Herrschergclüst, des ursprünglichen Kernes Meister, und zerstörte wie scharfer Nachtfrost, wie giftiger Mchlthau auch die frischesten Keime! - Da bat sich die junge Lehrerin jenseit dem Oeean besser gehalten, diese moderne Republik mit ihrem kahlgcborcncn Materialismus und ihren im vollsten saftigsten Kerne schlummernden Nicscnkräften! Soviel scheint ausgemacht, der ächte Ncpublicanismus hat sich vom Nrboden der weltgeschichtlichen Entwickelung, von unserem Continent hinweg und hinübergezogen in den jungfräulichen Schoosi der neuen Welt, nachdem er in der alten all seine Phasen durchlaufen — in seiner Iugendschöne, mit dem vollen Reiz des Frühlings und dem Zauber ersten Morgcnhauchs im Gnechenthume, in männlicher Kraft und Größe in der Nömer-Welt, mit allen Launen und Eigenheiten, aber auch der gereiften Erfahrung des Greisenalters, und lange noch mit starker inwoh-nender Manneskraft in den späteren italischen Republiken, bis 278 die letzte, Venedig, die alle glorreich überflügelt hatte, in ihrem stumpf gewordenen gelähmten Daseyn vernichtet wurde von dem ungestümen Drang der neuen fränkischen. Diese hat ein kurzes Spiel nur getrieben, ein Spiel im eigentlichsten Sinne des Wortes; denn sie schnitzte nach raschem eigenthümlichen: Auftreten gar bald mit bluttriefend erbarmungslosem Messer das republicanism Gebälke der Vorzeit zurecht zu eleganten Brettern für ein weitläufiges Bühnengerüst und lud die Nachbarvölker ein zur Uebernahme der ziemlich einförmig vertheilten Rotten; und manche unter diesen, anfangs noch nicht die unbequeme Lage auf dein neuen Prokrustesbette gewahrend, und geblendet durch den Pomp des theatralischen Effectes ließen sich herbei, voll lärmenden Enthusiasmus mitzujubeln und mitzublu-ten bei der großen Mummcrei des festlichen Gelages, bis zuletzt der erste Hcld des Stückes, der überschauend Gewaltige, unter ziemlich allgemeinem Applaus der durch die unverhoffte Katastrophe überraschten Zuschauer und Mitspieler feierlichst sich zum Despoten coustituirte und somit dem großartigen Püppenfpiel ein Ende machte. Was überblieb an republikanischer Scenerie und etwa heute noch besteht nach scincm Abtreten von dem mit seinem Ruhme, seiner Willfür und seinen zukunftschwangcren Ideen überschwemmten Schauplatz des alten Continents, ist eben nur beiläufige Staffage, in seinem gegenwärtigen Zustand mindestens ohne Kcimleben und Entwicklungsfähigkeit. Dagegen hatte — als solle auf unserem Planeten eine im Abwelken begriffene bedeutende Republik jedesmal ersetzt werden — noch vor dem gänzlichen Dahinscheiden der venezianischen und vor dem plötzlichen Auftauchen der neufränkischcn, jcne ncuc Republik im Westen sich gebildet, eine neue Welt im vollsten Sinne, welcher die hastige Schülerin im Osten gerade das wesentlichste Geheimniß ihres Werdens und Bestehens nicht abgelernt hatte: männliche Ruhe und Gelassenheit — ein Geheimniß, das offenbar zu machen und lebendig zu erhalten freilich der an der Wiege schon zu ewiger Nüchternheit verdammten Lehrerin leichter werden mußte als der übersprudelnden Geistes und ungemessencr genialer Kräfte vollen Schülerin, Wird die grundverständige Lehrerin, gleich ihren Vorfahren und Nachkommen auf dem alten Continent, einstmals den letzten Act beschließen mit Erschöpfung und Alters- 279 schwäche ober gar Plötzlichem Umschlagen in Monarchic? — oder wird sie, ein Phönir stets sich aus sich selbst verjüngend, nach Jahrhunderten lcbenerneuende Asche herübcrtragcn zu ihrem alternden Neste? Stürmen Sie mir doch mit einer so gewaltigen Ladung politischer Stückkugeln heran, sprach lächelnd der Naturforscher, daß Sie all mein Geschütz zum Schweigen bringen und ich selbst verstummend mich zurückziehe, um nicht ins End- und Maaßlose mich zu verlieren! Ich mag zwar gern die Leiter aufsteigen von den kleineren Thier- und Pssanzcngebilden zu den größeren; jedoch von Stufe zu Stuft muß es hinangehen, keine Sprosse überspringend; und so lasse ich auch in Betrachtung von Welt-und Menschenleben gerne die Vergangenheit hcrübcrspielcn, aber allzeit so daß, wie bei dem in die Fluth geworfenen Steinchcn, um das kleine Ringlein sich ein größeres schlinge, und ein immer größeres, bis endlich sich das Auge in die weite Fluth verliert. Sollte ich gleich vou dem ersten kleinen Ncifchen aus meinen Blick der unbegränzten Fluth zuwenden und in dieser schweifen über alles Maaß hinaus, die Freude wäre mir verdorben und der Spiegel klarer ruhiger Anschauung getrübt. Um den durch allzuhcftigen politischen Wellenschlag aus seinem Gleichmut!) gebrachten wackeren Mann wieder in sein ursprüngliches Behagen zurückzuversetzen, schlug ich vor das Theater zu besuchen. Aber wir fanden die Thüren verschlossen — aus Mangel an Besuchern, wie es hieß. Das hätte wohl auch in der Vlüthczcit Nagusa's sich nicht ereignen können! Lassen wir für heut die Blüthezeit Nagusa's! die führt uns doch wieder in die Dornenhecke der Politik — cntgegnctc der Naturforscher und schlug den Besuch eines Wcinhauses vor zur Anfeuchtung der vom politischen Staube trocken gewordenen Kehlen. Aber, als hätte es sein Stern oder Unstern nun einmal für heute so gefügt, der Politik sollte er gleichwohl nicht entgehen. In dein von wahrhaft holländischer Sauberkeit glänzenden, ebenso schmucken als geräumigen Keller des Wcinhauscs erwartete uns ein kleines politisches Privatthcater, zu welchem die Entree gratis und nur das leiblich Genossene zu bezahlen war. Unter den um einen runden Tisch versammelten Gästen 280 befand sich ein Schneider, welcher hoch und stark betheuerte ein nokila Agßu3«a zu sepn, ferner ein Hutmacher, der sich als edlem venezianischem Hause entstammt verkündete, und ein Büchsen-schmied, der sich genuesischem Adelsvollblut entsprossen rühmte. Unter diesen drei tapferen Zechern, die schon weidlich mochten des Guten zu sich genommen haben, entspann sich ein hartnäckiger Streit über die beste der Republiken, und natürlich stimmte jeder für die scinige, mit Feuereifer seine Rede pix, clomo den beiden anderen entgegenhaltend. Endlich, nach vielen von dem Venezianer gegen den Genuesen beigebrachten Argumenten von der aufsteigenden und immer wachsenden Herrlichkeit Venedigs nach Vcsiegung der eifersüchtig heimtückischen Nebenbuhlerin, und ebensoviel Schmähungen von Seiten des Besiegten gegen heimliches Gericht, Angeberei, Härtigkcit der Zchenmänner und Staatsinquisitorcn, meinte der Schneider, seine Republik habe ungeachtet ihrer Kleinheit und trotz Türken und Venezianern sich doch am längsten gehalten, und müsse darum nothwendig die beste seyn - eine Argumentation, die mit lautem Gelächter aufgenommen und ohne weitere Erwiederung gelassen wurde. Den Beschluß dieser politischen Farce machte, in umgekehrter Weise des alten Drama, ein ernstes, mir besonders interessantes Nachspiel, indem ein älterer weitgereister Kaufmann, der während der Jahre 1806 bis 1808 in Konstantinovcl gewesen war, mit vieler Kunde des Einzelnen und warmem Antheil von den damaligen Vorgängen erzählte, wobei daun aus dem ^cbcn Sultan Sclim des Dritten und seines ehrenhaften Freundes, des muthvollen und edlen Mustafa Vairaltar, gar schöne Züge zur Sprache kamen. Die drei Republicaner aber, die, früher selbst Handelnde, jetzt friedlich unter den Zuschauern saßen, meinten mit bedenklichem Kopfschüttclu, das hätten sie doch nie geglaubt, daß an einem Sultan und einem Sultansknecht so viel zu rühmen seyn könnte. Am anderen Morgen zogen wir durch das südöstliche Thor, die Porta Plocce, den Saumpfad des Bcrgato hinan, von welchem dreimal wöchentlich die Türkenkarawanc zum Basar hcr-niederstcigt. Wir hatten uns zeitig aufgemacht, um den fremden 281 Gästen wo möglich noch auf eigenem Gebiete zu begegnen. Veim Hinanstcigen des Berges legt sich dic Stadt mit dem kleinen Haftn und den sic beschützenden Forts gar malerisch vor dm Blicken auseinander. Besonders freundlich hebt sich das nahe Fclseneiland ^acroma hervor, der Ort, wo Richard Vöwcnherz gelandet, und wo zweihundert Jahre später Konig Sigismund seine Anker warf, nachdem der Sturm der Türlen bei Nikopolis scinc Hecresmacht vernichtet. Weiter aufwärts überschaut man eine weite Hochebene, über welche die Höben des hartangränzcn-den türkischen Gebiets im Hintergrunde hervorragen. Das Dorf Vcrgato ist der letzte ragnsanische, die Veste Zarina der erste von Türken bewohnte Ort; zwischen beiden steht auf einer kleinen Anhöhe das Gränzsanitätswachthaus, ein Punkt, den man nicht überschreiten darf, wenn man nicht der Eontumaz verfallen will. Nicht lange hatten wir am trocknen Ufer dieses durch seine trübe Nachfluth vcr!)äugllißvollcn Rubikon geweilt, als wir die Türten-karawane von ihrem Sammelplatz unterhalb Zarina heranziehen sahen, ein langer Zug von mehr denn zweihundert hochbcladenen Pferden, neben denen die Turbanträger in einer Wolke von Tabaksqualm und Staub des Weges langsam cinhcrzogen. An der Gränze nimmt sie der kaiserliche Sanitätsbeamte nebst einer kleinen Truppcnabthcilung in Empfang, und nunmehr geht der Zug ununterbrochen westwärts über dic Hochebene und die Höhe nieder nach den ContumaMbäudcn und dem Vasar vor der Porta Ploccc. So lange der Pfad breit genug war, hielten wir uns so nahe als nur immer zulässig neben der Karawane; als aber bergabwärts der Paß sich zu verengen ansing, bedeutete uns der voranschrcitcndc Sanitätsbeamte, es sey gerathener uns zu ihm zu halten, nm nicht bei etwaigen Begegnungen ihm nnd uns Verlegenheiten zu bereiten; und so konnten wir, wie einstmals der bei Fulda der Hauptarmec mit seinen Kosakenschwärmcn vorangcciltc Czcrnitschef seinem Monarchen berichtet, er habe gegenwärtig die Ehre die Avantgarde Napoleons zu bilden, jetzt uns rühmen, den Vortrab einer Türkenkarawanc auszumachen. Als dic Ersten bei den Contumazgcbäudcn angelangt waren, öffneten sich die Pforten des Hofes und der Ställe; die Pferde wurden untergebracht, die Waaren abgeladen, und es begann unter den Bäumen des durch doppelte Schranken und dazwischen Reisen und ^ändcvbeschvcllnm.zrn, XXIX,. 1H (Istricu,md Dttlmatieu.) 232 freibleibenden Raum von der Straße abgesperrten Platzes der Handel herüber und hinüber, bald mit, bald ohne Dolmetsch, immer aber so, daß das Erhandelte so wie die Zahlnng nnr an langen, mit Eisenbeschlag versehenen Stangen seiner nächsten Vcstimmnng zubefördert wurde, wobei das tm-kischc Geld jedesmal zuvor sorglich in Essig abgewaschen werden mußte, um als unverdächtig weiter zu rollen. Wie oft die Nagusaner auch diesen Vasar erlebten, immer strömt, auch außer den Erhandelnden und Verhandelnden, eine zahlreiche Menschenmenge vor die Poria Plocee, wenn die Türkenkarawane naht, und fiuthct auf und ab den ganzen Tag, bis am Abend der Sanitätsbeamte mit dem dazu bestellten Häuflein Gewaffnctcr die fremden Gaste wieder bis an ihre Gränze zurückführt. Es tritt hier, außer der Anziehungskraft, welche überall die Menge auf die Menge übt, auch noch der Neiz des Fremdartigen hinzu, der nach der kleinsten Unterbrechung stets sich wiederholt. Konnte doch auch ich mir nicht versagen, nachdem ich die Turbanträger, ihren Handel und Wandel bereits sattsam angeschaut, den ganzen Tag über immer von neuem zum Basar zurückzukehren, bis beim abendlichen Rückzug ich im Hohlweg abermals den Vortrab, auf der Hochebene den vlä'ukclnd umschwärmenden Begleiter der Gaste vom Osten bildete, erst dann mich wieder westwärts wendend, als das Auge die Heimziehenden, in Dämmerung und Ferne Gehüllten nicht weiter verfolgen konnte. Und auf dieser Hochgränzc aufsteigender westlicher und immer mehr darniebersinkendcr östlicher Macht, die ernste Nück-und Vorblicke genug hervorruft, bringen wir gemeinsam ein herzliches Lebehoch dem Brenn- und Einigungspunktc alles inneren Lebens, der geliebten Heimath, in Bezug auf welche Alles, was die Fremde darbietet, doch erst tieferen Sinn und Bedeutung gewinnt! Werfen wir, aus innerster Seele ihr zugewendet, vor dem Scheiden noch einen Rückblick auf die Gesammtheit des in diesen letzten Wochen Geschauten und Erlebten, und fassen alles Einzelne noch einmal kurz zusammen. Wir können dieß nicht besser als mit den Worten, die ein Eingeborener, der öfters schon genannte Tommaseo, niederschrieb, als er nach mehrjähriger 283 Abwesenheit sein Vaterland wieder begrüßte, und die ich hier in treuer Ucbcrsctzung wiedergebe —: -------— Vornehmlich bemcrkenswcrth erschienen mir die vielen Eigenthümlichkeiten des Landes, die, vernachlässigt oder gemißbraucht, eine Saat des Unglücks, beherrscht von umsichtiger Willenskraft, starke Mittel zum Guten sind. Der Boden wechselnd; nackte Berge, lachende Hügel, Thäler, Ebenen, Inseln, Halbinseln, Sümpfe — benachbart Italien, Deutschland, Griechenland und die Türkei — unter den Stämmen Keime des illyrischen, italischen, griechischen, türkischen, ungrischen; von dem italischen insonderheit Puglicscn, Toseaner, Venetcr, Berga-masken — von Sprachen mehr oder weniger bekannt die slavische, italienische, latcini'che, deutsche, französische — der griechische Ritus neben dem katholischen — das lateinische, glagolitische, serbische Alphabet - römische Trümmer, griechische Münzen, Werke von Sanmichcli und Tintoretto — noch frische Erinnerungen volksthümlichcr Regierung in Pogliza, aristokratischer in Nagusa, gemischter in Montenegro, Gcmeindcverfafsungen hier und da — Spuren von Lehcnsherrschaft, Erbpacht und Afterpacht, eigener Grundbesitz — Gesandte an verschiedene Höfe Europa's, Gouverneure von Provinzen, Anführer von Heeren, Krieger mit dem Abzeichen der Ehrenlegion - mit Grundstücken in Italien Begüterte, Handeltreibende nach Amerika und den Orient -- kriegerische Seefahrer von Cattaro, demüthige Strand-schisscr, Fischer von Schwämmen, Korallen, Thunfisch — großherzige Räuber, gastliche Morlakcn, wilde Montenegriner - der geschniegelte Student, die ragusanische Dame, die Braut von Sabioneello mit dem Federhut, die Jungfrau vom Lande mit dcn von der Mütze herabhängenden Münzen, die gebräunte Mutter, die dem Sohne das blutige Hemd des in den Heimathbcrgen getödtctcn Vaters aufbewahrt — der männliche Schnurrbart und der weibische Spitzbart, der Handschar mit dem Silbergriff und das englische Federmesser, der Schmutzkittel der Felsbcwohuerin und das Modcbild aus Frankreich, der Nasch und der Brokat — der Most in den Schläuchen und der Champagner in den Flaschen — der Branntwein und Rosoglio, gerühmt und nachgemacht in ganz Europa — das feinste Ocl und die Kicnfackeln — der Kreistanz Kolo auf dem Lande getanzt und geheult beim 264 Weine, und der Galopp von ganz anderer Vcrauschtheit trunken — die Gusli und das Pianoforte, die Hochzeitssonnette und die Freltdcnschüsse -^ der barbarische Mädchenraub und die zärtlichsten Liebesbriefsein — die Steiuwürfe und die Satyren in Vcr-scn — die Maulthiere und das Dampfschiff — — Nur die Religion kann solche Verschiedenheit unschädlich und mächtig machen, durch Einigung zu würdigem Zwecke. Der Clcrus, welcher allzeit wahrer Bildung Gründer und Wächter war, der Clerus allein kann Dalmaticn wiedcrgebären." — So Tommasco. — Ich habe mein Versprechen gelöst, Freund, das Bemerkenswerteste meiner istrisch-dalmatinischen Wanderungen aufMeich-nen für zukünftige Erinnerung. Jetzt stehe ich gewissermaßen am Ziele dieser Wanderung. Jeden Augenblick darf ich das Eintreffen des Dampfschiffes erwarten, das von Cattaro rückkehrend nur wenige Stunden im Hafen von Gravosa anlegt, um die weitere Fahrt nordwärts fortzusetzen durch dieselben Gegenden, die wir bereits durchwandert. Ich werde diesen zweiten Besuch nützen zu nochmaliger Mustcritng beachtcnswcrther Gegenstände und etwaige neue Wahrnehmungen festhalten zu Berichtigung und Ergänznug der Mächst für Sie bestimmten Blätter. — Ich schließe nicht mit einem Lebewohl; denn dieser letzten Blätter Uebcrbringer bin ich ja selbst, und wäre ich es nicht, ich wählte zum Abschicdsgruße lieber das dem fremdländischen ^M'o entsprechende Gott befohlen! — eine bei weitem inhaltreichere Formel, die das ächte Wohlleben schon von selber in sich schließt. Nächst diesem „Gott befohlen" kenne ich keinen schöneren Grusi aus der Ferne als „Nuf Wiedersehen!" — mir einer der liebsten Kläuge in allen Sprachen. Was faßt nicht Alles sich zusammen in diesem schönen lebenweckenden Klänge — Erd' und Himmel, Zeit und Ewigkeit!---------Auf Wiedersehen! — das sey mein Losungswort im Kampfgcwühl des Lebens, sey mein Morgenroth, wenn cinst das erdcnmüdc Auge bricht — Auf Wiedersehen? z»te Lftg. Mexlcanische Iustände aus den Iaheen «83« bis t»:«V. Vom Verfasser der ,.Briefe in die Heimath :c." Zweiter Band. Preis 2 ft. 24 kr. oder 1 Nlhlr. 12 gr. AAte — Mstoria oder Geschichte einer Handelsezpe-ditio« jenseits der RokyMountainS. Aus den. Englischen des Washington Irving. Preis 2 st. 42 kr. oder l Rthlr. 16 gr. R5te — Reise durch Abyssinien im Jahr 183«. Von A. v. Katte. 2 fl. 24 kr. oder 1 Nthlr. 12 gr. ««te — Skizzen aus Irland oder Vilder aus Irlands Vergangenheit und Gegenwart von einen Wanderer. Preis 18 ar. oder 1 fi. 12 kr. 17te u. 18te Lfg. Der Geist des Orients, erläutert in einem Tagebuch über Reisen durch Numili während einer er-elgnißrcichen Zeit von Nr. Urquhart. A. d. Engl. überseht von Ur. F. G. Buck. 2 Bde. 5 fi. oder 3 Rthlr. 8 gr. 19te Lfg. Rußland und die Tscherkessen. Von K. F. Neu mann. Preis 1 fi. 30 kr. oder 21 gr. 20ste — Reisen aus den griechischen Inseln des ägäi-schen Mteeres. Von 1»,. LudwigRoß. Erster Band. Preis 2 fl. 15 kr. oder 1 Nthlv. 8 gr. 21ste __^ Gin Besuch auf Montenegro. Von Heinrich Stieglitz. Preis 2 fi. 45 kr. oder 1 Rthlr. 8 gr. 22ste — Acht Wochen in Syrien. Ein Beitrag zur Geschichte des Feldzugcs 1840. Mit einer Katte vom Knegschauplatz. Preis 2 fi. oder 1 Nthlr. 4 ar. 2gste — Reise durch Rußland nach dem kaukasischen Isthmus in den Jahren 183<>, 1837 und 1838 von Karl Koch. Vrosch. Preis 4 fi. ob. 2 Rthlr. 8 Gr. 24ste — Beschreibung von Kordosan und einigen angränzenden Landern, nebst einem Ueberblick über den dasigen Handel, die Sitten und Gebräuche der Einwohner und die unter der Negierung Mehe« med Ali's stattgefundenen Sklavenjagden. Von Ig-naz Pallme während dessen Anwesenheit in den Jahren 1838 bis 1839 verfaßt. Gv. 8. brosch. Preis 2 fi. 15 kr. oder 1 Nthlr. 8 gr. 23ste — Reisen auf den griechischen Inseln des ägäiscken Meeres. Von Nr. Ludwig Roß. Zweiter Band. Mit einem Kupfer, einer Karte und mehreren Holzschnitten, gr. 8. Velinp. brosch. Preis 2 fi. 3N kr. oder 1 Rthlr. 12 gr. 2Vste — Reise durch Rußland nach dem kaukasischen Isthmus in den Jahren «83N, 1837 u. 1838. Von KarlKo ch. 2ter Bd. brosch. Preis 4 fi. 48 lr, oder 2 Rthlr. 20 gGr. 27ste Lfrg. Geschichte der Entdeckung und Eroberung Peru's voll Francisco de Xcrez, Pizzaro's Geheimschreiber. Aus dem Spanischen von l^. Ph. H. Külb. Nebst Ergänzung aus Augustins de Zarate und Oarcilasso's be la Vega Berichten. Gr. 8. drosch. Preis 2 si. 15 kr. oder 1 Rthlr. 12 gGr. Stuttgart und Tübingen. 3. G. Cotta'lche Buchhandlung.