7' Alerander von Humboldt's Reisc in die Acyuinoctial-Gegenden des neuen Continents. In deutscher Bearbeitung «on Hermann Hauff. Nach der Anordnung und nn!cr Mitwirkung des Verfasset. Einzige von ?i. v. Hi'mboltt anerkaimte Ausgab« <» teutsch«! Sprach». Dritter Band. Stuttgart. I. G. C o t t a ' s 'chen Onchhandlung in Stuttgart und AuM'iirg 0HX)O^22^ Zwölftes Kapitel. Allgemeine Bemerkungen iiber die Provinzen von Venezuela. — Ihre verschiedeneu Interessen. — Die Stadt Caracas. — Ihr Klima. Die Wichtigkeit einer Hauptstadt hängt nicht aNein von ihrer Volkszahl, von ihrem Reichthum und ihrer Lage ab; um dieselbe einigermaßen richtig zu beurtheilen, muß man den Umfang des Gebiets, dessen Mittelpunkt sie ist, die Menge einheimischer Erzeugnisse, mit denen sie Handel treibt, die Verhältnisse, in denen sie zu den ihrem politischen Einfluß unterworfenen Provinzen steht, in Rechnung ziehen. Diese verschiedenen Umstände modisiciren sich durch die mehr oder weniger gelockerteil Bande zwischen den Colonicn und dem Mutterland; aber die Macht der Gewohnheit ist so groß und die Handclsinteresscn sind so zäh, daß sich voraussagen läßt, der Einfluß dcr Hauptstädte auf das Land umher, auf die unter den Namen lißinos, <^»pit»ma8 Aenerale») kieni^snoms, <3ovi6l'nc>8 verschmolzenen Gruppen von Provinzen werden auch die Katastrophe der Trennung dcr Provinzen vom Mutterland überdauern. Man wird nur da Stücke losreißen und anders verbinden, wo man, Humboldt, Ntist. III. 1 mit Mißachtung natürlicher Grenzen, willkürlich Gebiete verbunden hatte, die nur schwer mit einander verkehren. Ueberall wo die Cultur nicht schon vor der Eroberung in einem gewissen Grade bestand (wie in Merico, Gualimala, Quito und Peru), verbreitete sie sick von den Küsten ms Binnenland, bald einem großen Flußthal, bald einer Gebirgskette mit gemäßigtem Klima nach. Sie setzte sich zu gleicher Zeit in verschiedenen Mittelpunkten sest, von denen sie sofort gleichsam ausstrahlte. Die Vereinigung zu Provinzen oder Königreichen erfolgte, sobald sich civil'firte oder doch einem festen, geregelten Regiment unterworfene Gebiete uümittclbar berührten. Wüst liegende oder vou wilden Menschen bewohnte Landstriche umgeben jcht die von der europäischen Cultur eroberten Länder. Sie kennen diese Eroberungen von einander, wie schwer zu übersetzcndc Meercsarme, und meist hängen benachbarte Staaten nur durch urbar gemachte Landzungen zusammen. Die Umrisse der Seeküsten sind leichter aufzufassen als der krause Lauf dieses Binnengestades, auf dem Barbarei uud Civilisation, undurchdringliche Wälder uud bebautes Land au einander stoßen und einander begrenzen. Weil sie die Zustände der erst in der Bildung begriffenen Staaten der neuen Welt außer Acht lassen, tiefem so viele Geographen so scnderbar ungenaue Karteu, indem sie die verschiedenen Theile der spanischen und portugiesischen Colonim so zeichnen, als ob sie im Innern durchaus zusammenhingen. Die Localkenntniß, die ich mir aus eigener Anschauung von diesen Grenzen verschafft, sctzt mich in Stand, den Umfang der großen Gcbiets-übschnitte mit einiger Bestimmtheit anzugeben, die wüsten und die bewohnten Striche mit einander zu vergleichen, und den 2 mehr oder minder bedeutenden politischen Einfluß, den sie als Regierungs- und Handelsmittelpunkte äußern, zu schätzen. Caracas ist die Hauptstadt eines Landes, das fast zweimal so groß ist als das heutige Peru und an Flächengehalt dem Königreich Ncu-Grenada wenig nachsteht. < Dieses Land, das im spanischen Regierungsstyl CÄpitania F6N«rsl 6y Oar«-o»s oder 6s I»8 ?rc»vinoiä8 äk Venexuelk heißt, hat gegen eine Million Cinwolmcr, worunter 60,000 Sklaven. Es umfaßt längs den Küsten Neu-Andalusien oder die Provinz Cu-mana (mit der Iusel Margarita), Barcelona, Venezuela oder Caracas, Coro und Maracaybo; im Innern die Provinzen Va-rinas und Guyana, erstere längs den Flüssen St. Domingo »nd Apure, letztere längs dem Orinoco, Cassiqniarc, Atabapo und Rio Negro. Ueberblickt man die sieben vereinigten Provinzen von Terra Firma, so sieht man, daß sie drei gesonderte Zonen bilden, die von Ost nach West laufen. Zuvorderst liegt das bebaute Land am Meeresufer und bei der Kette der Küstengebirgc; dann lommen Savanen oder Weiden, und endlich jenseits des Orinoco die dritte, die Waldzone, die nur mittelst der Ströme, die hindurch laufen, zugänglich ist. Nenn die Eingeborenen in diesen Wäldern ganz von der Jagd lebten wie die am Missouri, so könnte man sagen, die drei Zonen, in welche wir das Gebiet von Venezuela zerfallen ' Die <'i>,!ll«i!in ^n<'!-«I uon Naraca« hat 48.U00 Quadrat-meilen (25 <,„f he,, Grad) Umfang, Peru 3l',N0N, Neu-Grenaba «5,0NN. Cs ist dieß das Ergebniß rml Ollmanns Berechnung, wrbei die Veränderungen zu Grunde gelegt sind, welche die Karten uon Amerika durch meine astronomische» Vestimmunge« erlitten habe». 3 lassen, seyen ein Bild der drei Zustände und Stufen der menschlichen Gesellschaft: in den Wäldern am Orinoco das rohe Jäger-leren, auf den Savanen oder Llanos das Hirtenleben, in den hohen Thälern und am Fuß der Küstengebirge das Leben des Landbauers. Die Missionäre und eine Handvoll Soldaten besetzen hier, wie in ganz Amcrika, vorgeschobene Posten an der brasilianischen Grenze. In dieser ersten Zone herrscht das Nccht des Stärkeren und der Mißbrauch der Gewalt, der eine nothwendige Folge davon ist. Die Eingeborenen liegen in bestän» digem blutigcm Krieg mit einander und fressen nickt selten einander auf. Die Mönche suchen sich die Zwistigkeitcn unter den Eingeborenen zu Nutzen zu machen und ihre kleinen Missionsdörfer zu vergrößern. Das Militär, das zum Schutz der Mönche daliegt, lebt im Zank mit ihnen. Ueberall ein trauriges Bild von Noth und Elend. Wir werden bald Gelegenheit haben, diesen Zustand, den die Städter als Naturzustand preisen, näher kennen zu lernen. In der zweiten Region, auf den Ebenen und Weiden, ist die Nahrung einförmig, aber sehr reichlich. Die Menschen sind schon civilisirter, leben aber, abgesehen von ein paar weit aus einander liegenden Städten, immer noch vereinzelt. Sieht man ihre zum Theil mit Häuten und Leder gedeckten Häuser, so meint man, sie haben sich aus den ungeheuren bis zum Horizont fortstreichendcn Grasebenen keineswegs niedergelassen, sondern kaum gelagert. Der Ackerbau, der allein die Grundlagen der Gesellschaft befestigt und die Bande zwischen Mensch und Mensch enger knüpft, herrscht in der dritten Zone, im Küstenstrich, besonders in den warmen und gemäßigten Thälern der Gebirge am Meer. 4 Man könnte einwenden, auch in andern Theilen des spanischen und portugiesischen Amerika, überall, wo man die allmählig? Entwicklung dcr Cultur verfolgen kann. sehe man jene drei Stufenalter der menschlichen Gesellschaft neben einander: es ist aber zu bemerken, und dieß ist für alle, welche die politischen Zustände der verschiedenen Colonien genan kennen lernen wollen, von großem Belang, daß die drei Zonen, die Wälder, die Savanen lind das bebaute Land, nicht überall in» selben Ven hältnis; zu einander stehen, daß sie aber nirgends so regelmäßig vertheilt sind wie im Königreich Venezuela. Bevölkerung, Industrie und Geistesbildung nehmen keineswegs überall von der Küste dem Innern zu ab. In Mexico, Peru und Quito findet man die stärkste ackerbauende Bevölkerung, die meisten Städte, die ältesten bürgerlichen Einrichtungen auf oen Hochebenen und in den Gebirgen des Binnenlandes. Ja im Königreich Buenos Anres liegt die Region dcr Weiden, die sogenannten Pampas, zwischen dem vereinzelten Hafen von Buenos Ayres und der großen Masse ackerbauender Indianer, welche in den Cordilleren von Charras, la Paz und Potosi wohnen. Dieser Umstand macht, daß sich im selben Lande die gegenseitigen Interessen der Bewohner des Binnenlandes und der Küsten sehr verschiedenartig gestalten. Will man eine richtige Vorstellung von diesen gewaltigen Provinzen erhalten, die seit Jahrhunderten fast wie unabhängige Staaten von Vicckönigen oder Generalcapitänen regiert wurden, so muh man mehrere Puilkte zumal ins Auge fassen. Man muß die Theile des spanischen Amerika, die Asien gegenüber liegen, von denen trennen, die der atlantische Ocean bespült: 5 man muß, wie wir eben gethan, untersuchen, wo sich die Hauptmasse der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der Küsten, oder concentrirt im Innern ans kalten nnd gemäßigten Hochebenen der Cordisleren; man mnß die numerischen Verhältnisse zwischen den Eingeborenen und den andern Menschenstämmen ermitteln, sich nach der Herkunst der europäischen Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksstamm die Mehrzahl der Weißen in jedem Tlieil dcr Provinzen angehört. Die andalusischen Canarier in Venezuela, die „Montanneses" l und BiZcayer in Mexico, die Caralonier in Buenos Ayres unterscheiden sich hinsichtlich des Geschicks zum Ackerbau, zu mechanischen Fertigkeiten, zum Handel und zu geistigen Beschäftigungen sehr wesentlich von einander. Alle diese Stämme kaben in der neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten, der ihnen in der alten zu-tommt, die rauhe oder sanfte Gemüthsart, die Mäßigkeit oder die ungezügelte Habgier, die leutselige Gastlichkeit oder den Hang zum einsamen Leben. In Läudern, deren Bevölkerung großen Theils aus Indianern von gemischtem Blut besteht, kann der Unterschied zwischen deu Europäern und ihren Nachkommen allerdings nicht so auffallend schroff seyn, wie einst in den Colonien jonischer und dorischer Abkunft. Spanier, in die heiße Zone verseht, unter einem neuen Himmelsstrich der Erinnerung an das Mutterland fast entfremdet, mußten sich ganz anders umwandeln, als die Griechen, welche sich auf den Küsten von Kleinasien oder Italien niederließen, wo das Klima nicht viel anders war als in Athen oder Corinth. Daß der Charakter ' So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von Santander. 6 7 des amerikanischen Spaniers durch die Physische Beschaffenheit des Landes, durch die einsame Lage der Hauptstädte auf den Hochebenen oder in der Nähe der Küsten, durch die Beschäftigung mit dem Landbau, durch den Bergbau, durch die Gewöhnung an das Speculiren im Handelsverkehr, in manchen Beziehungen sich verändert hat, ist unleugbar; aber überall, in Caracas, in Santa Fe, in Quito und Buenos Ayres macht sich dennoch etwas geltend, was auf die ursprüngliche Stammcs-eige^it zurückweist. -Betrachtet 'man die Zustände der Capitanerie von Caracas nach den oben angegebenen Gesichtspunkten, so zeigt es sich, dah der Ackerbau, die Hauptmasse der Bevölkerung, die zahlreichen Städte, kurz alles, was durch höhere Cultur bedingt ist, sich vorzugsweise in der Nähe der Küste findet. Der Küstenstrich ist übrr 200 Meilen lang und wird vom kleinen Meer der Anlillen bespült, einer Art Mittelmeer, an dessen Ufern fast alle europäischen Nationen Niederlassungen gegründet haben, das an zahlreichen Stellen mit dem atlantischen Ocean in Verbindung steht und seit der Eroberung auf den Fortschritt der Bildung im östlichen Theil des tropischen Amerika sehr bedeutenden Einfluß geäußert hat. Die Königreiche Neu-Grenada und Mexico verkehren mit den fremden Colonien unh mittelst dieser init dem nicht spanischen Europa allein durch die Häfen von Carthagena und St. Martha, Vera Cruz und Campeche. Diese ungeheuren Länder kommen, in Folge der Beschaffenheit ihrer Küsten und der Znsammendrängung der Bevölkerung auf dem Rücken der Cordilleren, mit Fremden wenig in Berührung. Der Meerbusen von Mexico ist auch einen Theil des Jahrs wegen 8 der gefährlichen Nordstürme wenig besucht. Die Küsten von Venezuela dagegen sind sehr ausgedehnt, springen weit gegcn Ost vor, haben eine Menge Häfen, man kann allenthalben in jeder Jahreszeit sicher ans Land kommen, und so können sie von allen Vortheilen, die das innere Meer der Antillen bietet, Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen Inseln und selbst mit denen unter dem Wind stärkn seyn als durch die Hafen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto-Cabello, Coro und Maracaybo, nirgends war der Schleichhandel r^ dem Ausland schwerer im Zaum zu halten. Ist es da zu verwundern, daß bei diesem leichten Handelsverkehr mit den jreien Amerikanern und mit den Völkern des politisch aufgeregten Europas in den unter der Gcncralcaftitanerie Venezuela vereinigten Provinzen Wohlstand, Bildung und das unruhige Streben nach Selbstregierung, in dem die Liebe zur Freiheit und zu republikanischen Einrichtungen zur Aeußerung kommt, gleichmäßig zugenommen haben? Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden nur da einen sehr ansehnlichen Theil der ackerbauenden Bevölkerung, wo die Spanier bei der Eroberung ordentliche Regierungen, eine bürgerliche Gesellschaft, alte, meist sehr verwickelte Institutionen vorgefunden, Hie in Neuspanien südlich von Durango und in Peru von Couzco bis Potosi. In der Gcneralcapitanerie Caracas ist die indianische Bevölkerung des bebauten Landstrichs, wenigstens außerhalb der Missionen, unbeträchtlich. Zur Zeit großer politischer Zerwürfnisse flößen die Indianer den Weißen und Wsck'Imgen keine Besorgnisse ein. Als ich im Jahr 1800 die Gcfammtbevölkerung der sieben vereinigten Provinzen auf 900,000 Seelen schätzte, nahm ich die Indianer zu einem Neuntheil an, während sie in Mexico fast die Hälfte ausmachen. Unter den Racen, aus denen die Bevölkerung von Venezuela besteht, ist die schwarze, auf die man zugleich mit Theilnahme wegen ihres Unglücks und mit Furcht wegen einer möglichen gewaltsamen Auflehnung blickt, nicht der Kopfzahl nach, aber wegen der Zusammendrängung auf einen kleinen Flächenraum, von Velang. Wir werden bald seden, daß in der ganzen Capitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehntheil der ganzen Bevölkerung ausmachen; auf Cuba, wo unter allen Antillen die Neger den Weißen gegenüber am wenigsten zahlreich sind, war im Jahr 1811 das Verhältniß wie 1 zu 3. Die sieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben 60,000 Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner ist, hat 212,000. Betrachtet man das Meer der Antillen, zu dem der Meerbusen von Mexico gehört, als ein Binnenmeer mit mehreren Ausgängen, so ist es wichtig, die politischen Beziehungen ins Auge zu fassen, die in Folge dieser seltsamen Gestaltung des neuen Continents zwischen Ländern entstehen, die um dasselbe Becken gelegen sind. Wie sehr auch die meisten Mutterländer ihre Colonien abzusperreil suchen, sie werden dennoch in die Aufregung hineingezogen. Die Elemente der Zerwürfnisse sind überall die gleichen, und wie instinktmäßig bildet sich ein Einverständniß zwischen Menschen derselben Farbe, auch wenn sie verschiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen Küsten wohnen. Dieses amerikanische Mittelmeer, das durch die Küsten von Venezuela, Neu-Grenada, Mexico, die der Vereinigten Staaten und durch die Antillen gebildet wird, zählt an seinen Ufern gegen anderthalb Millionen 9 10 Neger, Sklaven und Freie, und sie sind so ungleich vertheilt, daß es im Süden sehr wenige, im Westen fast keine gibt: in großen Massen finden sie sich nur auf den Nord- und Ostküsten. Es ist dieß gleichsam das afrikanische Stück dieses Äinnenmeeres. Die Unruhen, die vom Jahr 1792 an auf St. Domingo ausgebrochen, haben sich naturgemäß auf die Küsten von Venezuela fortgepflanzt. So lange Spanien im ungestörten Befih dieser schönen Colonien war, wurden die kleinen Sklavenauf-stände leicht unterdrückt: aber sobald ein Kampf anderer Art, der für die Unabhängigkeit, entbrannte, machten sich die Schwarzen durch il,re drol'ende Haltung bald der einen, bald der andern der einander gegenüberstehenden Parteien furchtbar, und in verschiedenen Ländern des spanischen Amerika wurde die allmählige oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt, nicht sowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, als weil man sich des Beistandes eines unerschrockenen, an Entbehrungen gewöhnten und für sein eigenes Wohl kämpfendcn Menschenschlags versichern wollte. Ich bin in der Ncisebeschrei-bung des Girolamo Benzoni auf eine merkwürdige Stelle gestoßen, aus der hervorgeht, wie alt schon die Besorgnisse sind. welche die Zunahme der schwarzen Bevölkerung einflößt. Diese Besorgnisse werden nur da verschwinden, wo die Negierungen die Umwandlung zum Bessern, welche durch mildere Sitten, durch die öffentliche Meinung und durch religiöse Ansichten in der Haussklaverei nach und nach vor sich gcht, ihrerseits durch die Gesetzgebung unterstützen. „Die Neger," sagt Benzoni, „haben sich auf St. Domingo dergestalt vermehrt, daß ich im Jahr 1545, als ich aus Terra Firma (an der Küste von Caracas) 11 war, viele Spanier gesehen habe, die gar nicht zweifelten, daß jene Insel binnen Kurzem Eigenthum der Schwarzen seyn werde." Unser Jahrhundert sollte diese Prophezeiung in Er-füllung gehen und eine europäische Colonie in Amerika sich in einen afrikanischen Staat verwandeln sehen. Die 60,000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von Venezuela sind so ungleich vertheilt, daß auf die Provinz Caracas allein 40,000 kommen, worunter ein Fünftheil Mulatten, auf Maracaybo 10—12,000, auf Cumana und Barcelona kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger und die Farbigen auf die öffentliche Nuhe im Allgemeinen äußern, ist es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt, man muh auck ihre Zusammendrünqung an gewissen Punkten uud ihre Lebensweise als Ackerbauer oder Stadtbewohner in Betracht ziehen. In der Provenz Venezuela sind die Sklaven fast alle auf einem nicht sehr ausgedehnten Landstrich beisammen, innerhalb der Küste und einer Liuie, die (12 Meilen von der Küste) über Panaquire, Jare, Sabana de Ocumare, Villa de Cura uud Nirgua lauft. Auf den Llanos, den weiten Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare uud Varquecimcto, zählt man nur 4—5000. die auf den Höfen zerstreut und mit der Hut des Viehs beschäftigt sind. Die Zahl der Freigelassenen ist sehr beträchtlich, denn die spanische Gesetzgebung und die Sitten leisten der Freilassung Vorschub. Der Herr darf dcm Sklaven, der ihm dreihundert Piaster bietet, die Freiheit nicht versagen, liätte der Sklave auch wegen des besondern Geschicks im Handwerk, das er treibt, doppelt so viel gekostet. Die Fälle, das, jemand im letzten Willen mehr oder weniger Sklaven die Freiheit 12 schenkt, sind in der Provinz Venezuela liäufiger als irgendwo. Kurz bevor wir die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Valencia besuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe la Victoria auf dem Todbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven, dreißig an der Zahl, freizulassen. Mit Vergnügen spreche ich von Handlungen, die den Charakter von Menschen, die Bonpland und mir so viel Zuneigung und Wohlwollen bewiesen, in so schönem Lichte zeigen. Nach den Negern ist es in den Colonien von besonderem Belang, die Zahl der weißen Creolen, die ich Hispano-Ameri-kaner^ nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen. Es hält schwer, sich über einen so kitzlichen Punkt genaue Auskunft zu verschaffen. Wie in der alten Welt ist auch in der neuen die Zählung dem Volk ein Gräuel, weil es meint, es sey dabei auf Erhöhung der Abgaben abgesehen. Andererseits lieben die Verwaltungsbeamten, welche das Mutterland in die Colonien schickt, statistische Aufnahmen so wenig als das Volk, und zwar aus Rücksichten einer argwöhnischen Staatsklugheit. Diese mühsam herzustellenden Aufnahmen sind schwer der Neugier der Colonisten zu entziehen. Wenn auch die Minister in Madrid richtige Begriffe vom wahren Besten des Landes hatten und von Zeit zu Zeit genaue Berichte über den zunehmenden Wohlstand der Colonien verlangten, die Localbehörden haben diese ' Nach dem Vorgang von Anglo-Amerikaner, welcher Ausdruck iu alle europäischen Sprachen übergegangen ist. In dcn spanischen Colonien heißen die in Amerila geborenen Weißen Spanier, die wirllicheii Spanier au» dem Mutterland Europäer, Gachu-pin« »der Chapetons. 13 guten Absichten in den seltensten Fällen unterstützt. Nur auf den ausdrücklichen Befehl des spanischen Hofes wurden den Herausgebern des „peruanischen Merkurs" die vortrefflichen volks« wirthschaftlichen Notizen überlassen, die dieses Vlatt mitgetheilt hat. In Mexico, nicht in Madrid habe ich den Vicekönig Grafen Revillagigedo tadeln hören, weil er ganz Neuspanien kundgethan, daß die Hauptstadt eines Landes von fast sechs Millionen Einwohnern im Jahr 1790 nur 2300 Europäer, dagegen über 50,000 Hifpano-Amerikaner zählte. Die Leute, die sich darüber beklagten, betrachteten auch die schöne Post-einrichtung, welche Briefe von Buenos Ayres bis nach Neu-Californien befördert, als eine der gefährlichsten Neuerungen des Grafen Florida Blanca; sie riethen (glücklicherweise ohne Erfolg), dem Handel mit dem Mutterlande zu lieb, die Reben in Neu-Mexico und Chili auszurechen. Sonderbare Verblendung, zu meinen, durch Voltszählungen wecke man in den Colonisten das Bewußtseyn ihrer Stärke! Nur in Zeiten des Unfriedens und des Bürgerzwistes kann es scheinen, als ob man, indem man die relative Stärke der Menschentlassen ermittelt, die ein gemeinsames Interesse haben sollten, zum voraus die Zahl der Streiter schätzte. Vergleicht man die sieben vereinigten Provinzen von Venezuela mit dem Königreich Mexico und der Insel Cuba, so findet man annähernd die Zahl der weißen Creolen, selbst die der Europäer. Erstere, die Hispano-Amerikaner, sind in Mexico ein Fünftheil, auf Cuba, nach der genauen Zählung von 1811, ein Drittbeil der Gesammtbevölkerung. Bedenkt man, daß in Mexico drittehalb Millionen Menschen von der rothen Nace 14 wohnen, zieht man den Zustand der Küsten am stillen Meer in Betracht, und wie wenige Neiße im Verhältniß zu den Eingeborenen in den Intendanzen Puebla und Oaxaca wohnen, so läßt sich nicht zweifeln, daß, wenn nicht in der <Üapitam'n F6N6i-a1, so doch in der Provinz Venezuela das Verhältniß stärker ist als 1 zu 5. Die Insel Cuba, auf der die Weißen sogar zahlreicher sind als in Chili, gibt uns für die OapitHm'a ßensral von Caracas eine „Grenzzahl", das heißt das Maximum an die Hand. Ich glaube, man hat 200,000—210,000 Hispano-Amerikaner auf eine Gesammtbevölkerung von 900,000 Seelen anzunehmen. Innerhalb der weißen Race scheint die Zahl der Europäer (die Truppen aus dem Mutterland nicht gerechnet) nicht über 1,2,000—15,000 zu betragen. In Mexico sind ihrer gewiß nicht über 60,000, und nach mehreren Zusammenstellungen finde ich, daß, sämmtliche spanische Colonien zu 14—15 Millionen Einwohnern angenommen, höchstens 3 Millionen Creolen und 200,000 Europäer darunter sind. Als der junge Tupac-Amaru, der in sich den rechtmäßigen Erben des Reiches der Incas erblickte, an der Spitze von 4^,000 Indianern aus den Gebirgen mehrere Provinzen von Oberperu eroberte, ruhten die Befürchtungen aller Weißen auf demselben Grunde. Die Hispano-Amerikaner fühlten so gut wie die in Europa geborenen Spanier, daß der Kampf ein Nacenkamvf zwischen dem rothen und weißen Mann, zwischen Barbarei und Cultur sey. Tupac-Amaru, der selbst nicht ohne Bildung war, schmeichelte Anfangs den Creolen und der europäischen Geistlichkeit, aber die Ereignisse und die Rachsucht seines Neffen Andreas Condorcan rissen ihn fort und er änderte sein 15 Verfahren. Aus einem Aufstand für die Unabhängigkeit wurde ein gransamer Krieg zwiscken den Nacen; die Weißen blieben Sieger, es kam ihnen zum Bewußtseyn, was ihr gemeinsames Interesse sey, und von nun an faßten sie das ZahIenverlMniß zwischen der weißen und der indianischen Bevölkerung in den verschiedenen Provinzen sehr sckarf ins Auge. Erst in unserer Zeit kam es nun dahin, daß die Weißen diese Aufmerksamkeit auf sich selbst richteten und sich mißtrauisch nach den Bestandtheilen ihrer eigenen Kaste umsahen. Jede Unternehmung zur Erringung der Unabhängigkeit und Freiheit trennt die nalionale oder amerikanische Partei und die aus dem Mutterland Herübergekommenen in zwei Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere eben der Gefahr entgangen, die sie in dem von Esftana angezettelten Aufstand für sich erblickt hatten. Dieser kccke Anschlag hatte desto schlimmere Folgen, da man, statt den Ursachen des herrschenden Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die Sache des Mutterlandes nur durch strenge Maßregeln zu retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer des Rio dc la Plata bis Neu-Mexico auf einer Strecke von vierzehn hundert Meilen ausgebrocheu sind, stehen Menschen desselben Stammes einander gegenüber. Man scheint sich in Europa zu wundern, wie die Spanier aus dem Mutterlande, deren, wie wir geichcn, so wenige sind, Jahrhunderte lang so starken Widerstand leisten tonnten, uud man vergißt, daß iu alleu Colouien die europäische Partei nothwendig durch eine große Menge Einheimischer verstärkt wird. Familienrücksichten, die Liebe zur ungestörten Ruhe, die Scheu, sich in ein Unternehmen einzulassen, das schlimm ablaufen 16 kann, halten diese ab, sich der Sache der Unabhängigkeit anzuschließen, oder für die Einführung einer eigenen, wenn auch vom Mutterland abhängigen Repräscntativregierung aufzutreten. Die einen scheuen alle gewaltsamen Mittel und leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Colonialregiment allgemach weniger drückend werden: Revolution ist ihnen gleichbedeutend ' mit dem Verlust ihrer Sklaven, mit der Beraubung des Clerus und der Einführung einer religiösen Duldsamkeit, wobei, meinen sie, der herrschende Cultus sich unmöglich in seiner Reinheit erhalten könne. Andere gehören den wenigen Familien an, die in jeder Gemeinde durch ererbten Wohlstand oder durch sehr alten Bestand in den Colonien eine wahre Municipalaristokratie bilden. Sie wollen' lieber gewisse Rechte gar nicht bekommen, als sie mit allen theilen; ja eine Fremdherrschaft wäre ihnen lieber, als eine Regierung in den Händen von Amerikanern, die im Rang unter ihnen stehen,- sie verabscheuen jede auf Gleichheit der Rechte gegründete Verfassung: vor Allem fürchten sie den Verlust der Ordenszeichen und Titel, die sie sich mit so saurer Mühe erworben, und die, wie wir oben angedeutet, einen Hauptbestandthcil ihres häuslichen Glücks ausmachen. Noch andere, und ihrer sind sehr viele, leben auf dem Lande vom Ertrag ihrer Grundstücke und genießen der Freiheit, deren sich ein dünn bevölkertes Land unter dem Druck der schlechtesten Regierung zu erfreuen hat. Sie selbst machen keine Ansprüche auf Amt und Würden, und so fragen sie nichts darnach, wcun Leute daniit bekleidet werden, die sie kaum dem Namen nach kennen, und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre ihnen eine nationale Regierung und volle 17 Handelsfreiheit lieber als das alte Colonialwesen, aber diese Wünsche sind gegenüber der Liebe zur Ruhe und der Gewöb-nung an ein trägrs Leben keineswegs so lebhaft, baß sie sich deßhalb zu schweren, langwierigen Opfern entschließen sollten. Mit dieser nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen entworfenen Skizze der verschiedenen Färbung der politischen Ansichten in den Colonien habe ick auch die Ursachen der langen friedlichen Herrschaft des Mutterlandes über Amerika angegeben. Wenn die Ruhe erhaltet blieb, so war dieß die Folge der Gewohnheit, des großen Einflusses einer gewissen Zahl mächtiger Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das sich zwischen feindlichen Gewalten herstellt. Eine auf Entzweiung gegründete Sicherheit muß erschüttert werden, sobald eine bedeutende Menschenmasse ihren Privathaß eine Weile ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinsamen Interesses sich verbündet, sobald dieses Gefühl, einmal erwacht, am Widerstand erstarkt uud durch fortschreitende Geistesentwicklung und die Umwandlung der Sitten der Einfluß der Gewohnheit und der alten Vorstelluugen sich mindert. Wir haben oben gesehen, daß die indianische Bevölkerung in den vereinigten Provinzen von Venezuela nicht start und nicht altcivilisirt ist; anch sind alle Städte derselben von den spanischen Eroberern gegründet. Diese konnten hiev nicht, wle m Merico nnd Peru, in die Fußstapfen der alten Euliur der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana und 6or° ist nichts indianisch als die Namen. Von den Hauptstädten des tropischen Amerika, ' die im Gebirge liegen und ' Merico, Tante Fc de Ävgota u»d Quito. Humboldt. Neist. m. ^ 18 eines sehr gemäßigten Klimas genießen, ist Caracas die am tiefsten gelegene. Da die Hauptmasse der Bevölkerung von Venezuela den Küsten nahe gerückt ist und der cultivirteste Landstrich von Ost nach West denselben parallel läuft, so ist Caracas kein Mittelpunkt des Handels, wie Mexico, Santa Fe de Bogota und Quito. Jede der sieben in eine Oapikmm A6U6i'»I vereinigten Provinzen hat ihren eigenen Hafen, durch den ihre Products abfließen. Mau darf nur die Lage der Provinzen, ihren mehr oder minder starken Verkehr mit den Inseln unter dem Wind oder den großen Antillen, die Richtung der Gebirge und den Lauf der großen Flüsse betrachten, um einzusehen, daß Caracas auf die Länder, deren Hauptstadt es ist, niemals einen bedeutenden politischen Einfluß haben kann. Der Apure, dn Meta, der Orinoco, die von West nach Ost laufen, nehmen alle Gewässer aus den Llanos oder der Region des Weidelandes auf. St. Thomas in Guyana muß nothwendig einmal ein wichtiger Handelsplatz werden, namentlich, wenn einmal das Mehl aus Neu-Grenada oberhalb der Vereinigung des Rio Negro und des Umadea eingeschifft wird und auf dem Meta und dem Orinoco hinunter kommt, und man dasselbe in Cumana und Caracas dem Mel)l aus den Vereinigten Staaten vorzieht. Es ist ein großer Vorzug der Pro-inzen von Venezuela, daß nicht ihr ganzer Vodenreichthum in Einem Punkt zusammenfließt, wie der von Mexico und Neu-Grenada nach Vera Cruz und Carthagena, sondern daß sie eine Menge ziemlich gleich bevölkerter Städte haben, die eben so viele Mittelpunkte des Handels und der Cullur bilden. Caracas ist der Sitz einer ^udisnoia (hoher Gerichtshof) 19 und eines der acht Erzbisthümer, in welche das ganze spanische Amerika getheilt ist. Die Bevölkerung war, nach meinen Erkundigungen über die Zahl der Geburten, im Jahr 1800 etwa 40,0001 die unterrichtetsten Einwohner geben sie sogar zu 45,000 an, worunter 12,000 Weiße und 37,000 freie Farbige. Im Jahr 1778 hatte man bereits 30—32,000 geschätzt. Alle unmittelbaren Aufnahmen blieben ein Viertheil und mehr unter der wirklichen Zahl. Im Jahr 1766 hatte die Bevölkerung von Caracas und des schönen Thals, in dem es liegt, durch eine bösartige Pockenepidcmie sehr stark gelitten. In der Stadt starben 6—8000 Menschen; seit diesem denkwürdigen Zeitpunkt ist die Kuhpockenimpfung allgemein geworden, und ich habe sie ohne Arzt vornehmen sehen. In der Provinz Cumana, die weniger Verkehr mit Europa hat, war zu meiner Zeit seit fünfzehn Jahren kein Pockenfall vorgekommen, während man in Caracas vor dieser schrecklichen Krankheit beständig bange halte, weil sie immer an mehreren Punkten zugleich sporadisch auftrat: ich sage sporadisch, denn im tropischen Amerika, wo der Wechsel der atmosphärischen Zustünde und die Erscheinungen des organischen Lebens an eine auffallende Periodicität gebunden scheinen, traten die Pocken (wenn man sich auf einen weitverbreiteten Glauben verlassen kann) vor der Einführung der segensreichen äluhpockeuimpfung mn alle 15—16 Jahre verheerend auf. Seit meiner Rücklehr nach Europa hat die Bevölkerung von Caracas beständig zugenommen; sie betrug 50,000 Seelen, als das grosie Erdbeben am 26. März 1812 gegen 12,000 Menschen unter den Trümmer» ihrer Häuser begrub. Durch die politischen Ereignisse, die dieser Catastrophe folgten, !am die Einwohnerzahl 20 auf weniger als 20,000 herunter; aber diese Verluste werden bald wieder eingebracht seyn, wenn das äußerst fruchtbare und bandclsthätige Land, dessen Mittelpunkt Caracas ist, nur einiger Jahre Ruhe genießt und verständig regiert wird. Die Stadt liegt am Eingang der Ebene von Chacao, die sich drei Meilen nach Ost gegen Caurimare und Cuesta d'Auyamas ausdehnt und zwei und eine halbe Meile breit wird, und durch die der Rio Guayre fließt. Sie liegt 414 Toisen über dem Meer. Der Boden, auf dem Caracas liegt, ist uneben und fällt stark von Nord-Nord-West nach Süd-Süd-Ost ab. Um eine richtige Vorstellung von der Lage der Stadt zu bekommen, muß man die Richtung der Küstengebirge und der großen Längen-tbäler zwischen denselben ins Auge fassen. Der Guayrefluß entspringt im Urgebirge des Higuerote, das zwischen dem Thal von Caracas und dem von Aragua liegt. Er erhält bei las Ayunlas nach der Vereinigung der Flüßchen San Pedro und Macarao seinen Namen und läuft zuerst nach Ost bis zur Cuesta d'Auyamas und dann nach Süd, um sich oberhalb Uare mit dem Rio Tuy zu vereinigen. Letzterer ist der einzige Fluß von Bedeutung im nördlichen, gebirgigen Theile der Provinz. Er läuft 30 Meilen lang, von denen über drei Viertheile schiffbar sind, geradeaus von West nach Ost. Auf diesem Stromstück beträgt nach meinen barometrischen Messungen der Fall des Tuy von der Pflanzung Manterola bis zur Mündung 295 Toisen. Dieser Fluß bildet in der Küsten kette eine Art Längenthal, während die Gewässer der Llanos, das heißt von fünf Scchs-theilen der Provinz Caracas, dem Abhang des Bodens gegen Süden nach, sich in den Orinoco ergießen. Nach dieser hydro- 21 graphischen Skizze erklärt sich die natürliche Neigung der Bewohner derselben Provinz, ihre Produkte auf verschiedenen Wegen auszuführen. Das Thal von Caracas ist zwar nur ein Seitenzweig des Tuythals, dennoch laufen beide eine Strecke weit einander parallel. Sie sind durch einen Vergzug getrennt, über den man auf dem Wege von Caracas uach den hohen Savanen von Ocumare über le Valle uud Salamanca kommt. Diese Savanen liegen schon jenseits des Tun, und da das Thal dieses Flusse« weit tiefer liegt als das von Caracas, so geht es von Nord nach Süd fast beständig bergab. Wie das Vorgebirge Codera, die Silla, der Cerro de Avila zwischen Taracas und Guayra und die Verge von Mariara den nördlichsten und höchsten Zug der Küstenkette, so bilden die Berge von Panaquire, Ocumare, Guiripa und Villa dc Cura den südlichsten Zug. Wir haben schon öfter bemerkt, daß die Schichten dieses gewaltigen Küsten-gebirges fast durchgängig von Südost nach Südwest streichen und gewöhnlich nach Nordwest fallen. Es ergibt sich daraus, daß die Richtung der Schichten des Urgebirgs von der Richtung der ganzen Kette unabhängig ist, und, was sehr bemerkens-werth ist, verfolgt man die Kette von Porto-Cabello bis Mani-auare uud zum Macanao auf der Insel 2'argarita, so findet man von West nach Ost zuerst Granit, dan,' Gneis;, Glimmerschiefer und Urschiefer, endlich dichten Kalkstein, Gips und Conglomerate mit Seemuscheln. ., Es ist zu bedauern, daß Caracas nicht weiter ostwärts liegt, unterhalb der Einmündung des Anauco in den Guayre, da wo, Chacao zu, sich das Thal breit, und wie durch stehendes 22 Gewässer geebnet, ausdehnt. Als Diego de Losada die Stadt gründete, l hielt er sich ohne Zweifel an die Spuren der ersten Niederlassung unter Farardo. Der Ruf der Goldminen von los Teques und Baruta hatte damals die Spanier hergelockt, aber sie waren noch nicht Herren des ganzen Thals und blieben lieber nahe am Weg zur Küste. Die Stadt Quito licgt gleichfalls im engsten, unebensten Theil eines Thals zwischen zwei schönen Ebenen (Turupamba und Rumipamba), wo man sich hätte anbauen tonnen, wenn man die alten indianischen Bauten hätte wollen liegen lassen. Vom Zollhaus la Pastora über den Platz Trinidad und die I>1nx» major nach Santa Rosalia und an den Rio Guayre geht es immer abwärts. Nach meinen barometrischen Messungen liegt das Zollhaus 39 Toiseu über dem Platze Trinidad, wo ich meine astronomischen Beobachtungen gemacht habe, letzterer 8 Toisen über dem Pflaster vor der Hauptlirche auf dem großen Platz, und dieser 32 Toisen über dem Guayrefluß bei la Nona. Trotz des abschüssigen Bodens fahren Wagen in der Stadt, man bedient sich ihrer aber selten. Drei Bäche, die vom Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und Caraguata, laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; sie haben sehr hohe Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgswassern, welche darin auslaufen und das Terrain durchschneiden, erinncrn sie im Kleinen an die berühmten Guaicos in Quito. 2 Man ' <5«7, später als Emnana, Coro, Nueva Barcelona und ssara. valleda. 2 E. Na»d I. Seite ^38. 23 trinkt in Caracas das Wasser des Rio Catuche, aber die Wohlhabenden lassen das Wasser aus Valle, einem eine Meile weit südwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieses Wasser, so wie das aus dem Gamboa gelten für sehr gesund, weil sie über Sassaparillwurzeln ' laufen. Ich habe keine Spur von Arom oder Ertractwstoff darin finden können; das Wasser von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr Kohlensäure als das Wasser aus dem Anauco. Die neue Brücke über den letzteren Fluß ist schön gebaut und belebt von den Spaziergängern, welche gegen Candelaria zu die Straße von Chacao und Pctara aufsuchen. Man zählt in Caracas acht Kirchen, fünf Klöster und ein Theater, das 15 bis 1800 Zuschauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre, in dem Männer und Frauen gesonderte Sitze haben, nicht bedeckt. Man sah zugleich die Schauspieler und die Sterne. Da das nebligte Wetter mich um viele Trabantenbeobachtungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus bemerken, ob Jupiter in der Nacht sichtbar seyn werde. Die Straßen von Caracas sind breit, gerade gezogen und schneiden sich unter rechten Winkeln, wie in allcu Städten, welche die Spanier in Amerika gegründet. Die Häu'.r sind geräumig und höher, als sie in einem Lande, das Erdbeben ausgesetzt ist, seyn sollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze Alta Gracia und San Francisco sehr hübsch: ich sage im Jahr 1800, denn die furchtbaren Grderschüttcrungen am ' I» ganz Amerika glaubt man, das Wasser nchmr die Eigenschaften der Or'.vcichsc an, in der?» Schatten rs fließt, So rülmit man an der Maa,rllanschcn Meerenge das Wasser, das mit den Wurzeln der WiiNesiinu Tunell» ln Vernhrimg lonnnt. 24 26. März 1612 haben fast die ganze Stadt zerstört. Sie ersteht langsam aus ihren Trümmern: der Stadttheil la Trinidad, in dem ich wohnte, ward über den Haufen geworfen, als ob eine Mine darunter gesprungen wäre. Durch das enge Thal und die Nähe der hohen Berge Avila und Silla erhält die Gegend von Caracas einen ernsten, düstern Anstrich, besonders in der kühlsten Jahreszeit, in den Monaten November und December. Die Morgen sind dann ausnehmend schön i bei reinem klarem Himmel hat man die beiden Dome oder abgerundeten Pyramiden der Silla und den gezackten Kamm des Cerro de Avila vor sich. Aber gegen Abend trübt sich die Luft,- die Verge umziehen sich, Woltenstreifen hängen an ihren immergrünen Seiten und theilen sie gleichsam in über-einanderliegendc Zonen, Allmählich verschmelzen diese Zonen, die kalte Luft, die von der Silla herabkommt, staut sich im engen Thal und verdichtet die leichten Dünste zu großen flockig« ten Wolken. Diese Wolken senken sich oft bis über das Kreuz von Guayra herab und man sieht sie dicht am Boden gegen la Pastcra und das benachbarte Quartier Trinidad fortziehen. Veim Anblick dieses Wolkenhimmels meinte ich nicht in einem gemäßigten Thale der heißen Zone, sondern mitten in Deutschland, auf den mit Fichten und Lerchen bewachsenen Bergen des Harzes zu seyn. Aber dieser düstere, schwermüthige Charakter der Landschaft, dieser Contrast zwischen dem heitern Morgen und dem bedeckten Himmel am Abend ist mitten im Sommer verschwunden. Im Juni und Juli sind die Nächte hell und ausnehmend schön- die Luft behält fast beständig die den Hochebenen und hochgelegenen 26 Thälern eigenthümliche Reinheit und Durchsichtigkeit, so lange sie ruhig bleibt und der Wind nicht Schichten von verschiedener Temperatur durcheinander wirft. In dieser Sommerzeit prangt die Landschaft, die ich nur wenige Tage zu Ende Januars in schöner Beleuchtung gesehen, in ihrer vollen Pracht. Die beiden runden Gipfel der Eilla erscheinen in Caracas fast unter demselben Höhenwinkel l wie der Pic von Teneriffa im Hafen von Orotava. Die untere Hälfte des Bergs ist mit kurzem Rasen bedeckt: dann kommt die Zone der immergrünen Sträucber, die zur Vlüthezeit der Befaria, der Alpenrose des tropischen Amerika, purpurroth schimmert. Ueber dieser Wald-region steigen zwei Fclsmassen in Kuppelform empor. Sie sind völlig kahl und dadurch erscheint der Berg, der im gemäßigten Europa kaum die Schneegrenze erreichte, höher, als er wirklich ist. Mit diesem großartigen Prospekt der Silla und der Verg-scenerie im Norden der Stadt steht der angebaute Strich des Thals, die lachende Ebene von Chacao, Petare und la Vega im angenehmsten Contrast. Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen Frühling nennen, und dasselbe findet sich überall im tropischen Amerika auf ver halben Höhe der Cordilleren, zwischen 400 und 900 Toisen über dem Meer, wenn nicht sehr breite Thäler und Hochebenen ' und dürrer Boden die Intensität der strahlenden Wärme übermäßig steigern. Was läßt sich auch Köstlicheres denken als eine Temperatur, die sich bei Tag zwischen 20 und 26, bei ' Ich fand auf dcm Platze Trinidad die scheinbare H3he der Silla ,l« 12' HU". Ihr Abstand beträgt etwa ääUN Tolsen. 26 Nacht zwischen 16 und 18 Grad hält, imd in der der Bananen-baum, der Orangenbaum, der Kaffeebaum, der Apfelbaum, der Aprikosenbaum und der Weizen neben einander gedeihen! Ein einheimischer Schriftsteller vergleicht auch Caracas mit dem Paradiese und findet im Anauco und den benachbarten Bächen die vier Flüsse desselben. Leider ist in diesem so gemäßigten Klima die Witterung sehr unbeständig. Die Einwohner von Caracas klagen darüber, daß sie an Einem Tage verschiedene Jahreszeiten haben und die Uebergänge von einer Jahreszeit zur andern sehr schroff sind. Häusig folgt z. V. im Januar auf eine Nacht mit einer nnttleren Temperatur von 16" ein Tag, an dem der Thermometer im Schatten acht Stunden lang über 22" steht. Am selben Tage lommen aber Wärmegrade von 24 und von 18" vor. Dergleichen Schwankungen sind in den gemäßigten Landstrichen Europas ganz gewöhnlich, in der heißen Zone aber sind selbst die Europäer so sehr an die Gleichförmigkeit der äußeren Reize gewöhnt, daß ein Temperaturwechsel von 6 Grad ihnen beschwerlich wird. In Cumana und überall in der Niederung ändert sich die Temperatur von 11 Uhr Morgens bis 11 Uhr Abends gewöhnlich nur um 2—3 Grad. Zudem äußern diese atmosphärischen Schwankungen in Caracas auf den menschlichen Organismus stärkeren Einfluß, als man nach dem bloßen Thermometerstande glauben sollte. Im engen Thale wird die Lnft so zu sagen im Gleichgewicht gehalten von zwei Winden, deren einer von West, von der Seeseite weht, während der andere von Ost, aus dem Binnenlande kommt. Ersterer heißt der „Wind von Catia," weil er von Catia, westwärts von Cabo Blanco, 27 durch die Schluckt Tipe heraufkommt, deren wir oben bei Ge« legenheit des Projekts einer neuen Straße und eines neuen Hafens, statt der Straße und des Hafens von Guayra, erwähnt haben. Der Wind von Catia ist aber nur fcheinbar ein Westwind, meist ist es der Seewind aus Ost und Nordost, der, wenn er stark bläst, sich in der Quebrada de Tipe fängt. Von den hohen Bergen Aguas Negras zurückgeworfen, kommt der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des Kapuziner-tlosters und des Rio Caraguata. Er ist sehr feucht und das Wasser schlägt sich aus ihm nieder, im Maaße als er sich abkühlt : der Gipfel der Silla umzieht sich daher auch mit Wolken, sobald der Catia ins Thal dringt. Die Einwohner von Caracas fürchten sich sehr vor ihm: Personen mit reizbarem Nervensystem verursacht er Kopfschmerzen. Ich habe welche gekannt, die, um sich dem Winde nicht auszusehen, nicht aus dem Hause gehen, wie man in Italien thut, wenn der Sirocco weht. Ich glaubte während meines Aufenthalts in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia reiner (etwas reicher an Sauerstoff) sey als der Wiud von Petare: ich meinte auch, seine reizende Wirkung möchte eben von dieser Reinheit herrühren. Aber die Mittel, die ich angewendet, sind fehr unzuverlässig. Der Wind von Petare kommt von Ost und Südost, vom östlichen Ende des Guayrethals herein und führt die trockenere Luft des Gebirgs und des Binnenlandes herbei; er zerstreut die Wolken und lüßt den Gipfel der Silla in seiner ganzen Pracht hervortreten. Bekanntlich sind die Veränderungen, welche die Mischung der Luft an einem gegebenen Ort durch die Winde erleidet, auf 28 eudiometrischem Wege nicht zu ermitteln, da die genauesten Methoden nur 0,003 Sauerstoff angeben. Die Chemie lennt noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaschen zu unterscheiden, von denen die eine während des Sirocco oder des Catia mit Luft gefüllt worden ist, und die andere, bevor diese Winde wehten. Es ist mir jetzt wahrscheinlich, daß der auffallende Effekt des Catia und aller Luftströmungen, die im gemeinen Glauben verrufen sind, vielmehr dem Wechsel in Feuchtigkeit und Temperatur als chemischen Mischungsvercwderungcn zuzuschreiben sind. Man braucht keine Miasmen von der ungesunden Seeküste nach Caracas heraufkommen zu lassen - es ist sehr begreiflich, daß Menschen, die an die trockenere Gebirgs-luft gewöhnt sind, es sehr unangenehm empfinden, wenn die sehr feuchte Seeluft durch die Tipeschlucht wie ein aufsteigender Strom in das bohe Thal von Caracas heraufkommt, hier durch die Ausdehnung, die sie erleidet, und durch die Berührung mit kälteren Schichten sich abkühlt und einen bedeutenden Theil ihres Wassers niederschlägt. Diese Unbeständigkeit der Witterung, diese etwas schroffen Uebergänge von trockener, heller zu feuchter, nebligter Luft, sind UebelMnde, die Caracas mit der ganzen gemäßigten Region unter den Tropen, mit allen Orten gemein 5at, die in einer Meereshöhe von 4—800 Toisen entweder auf Neinen Hochebenen oder am Abhang der Cordilleren liegen, wie Xalapa in Mexico und Guaduas in Neu-Grenada. Beständig heiterer Himmel einen großen Theil des Jahres hindurch kommt nur in den Niederungen an der See vor, und wiederum in sehr bedeutenden Höhen, auf den weiten Hochebenen, wo die gleichförmige Strahlung des Bodens die Auflösung der Dunst, 23 bläschen zu befördern scheint. Die dazwischen liegende Zone beginnt mit den erstcu Wolkenschichten, die sich über der Erdoberfläche lagern. Unbeständigkeit und viele Nebel bei sehr milder Temperatur sind der Witterungscharakter dieser Region. Trotz der hohen Lage ist der Himmel in Caracas gewöhnlich weniger blau als in Cumana. Der Wasserdunst ist dort nicht so vollkommen aufgelöst, und wie in unserem Klima wird durch die stärkere Zerstreuung des Lichts die Farbe der Luft geschwächt, indem sich Weiß dem Blau beimischt. Die Intensität des Himmelsblau war auf den: Saussureschen Cyanometer vom November bis Januar im Durchschnitt 18, nie über 20 Grad, an den Küsten dagegen 22—25 Grad. Ich habe im Thal von Caracas die Bemerkung gemacht, daß der Wind von Petare das Himmelsgewölbe zuweilen auffallend blaß färbt. Am 23. Januar war das Blau des Himmels um Mittag im Zenith heller, als ich es je in der heißen Zone gesehen. Es war gleich 12 Grad des Cyanometers; die Luft war dabei vollkommen durchsichtig, wolkenlos und auffallend trocken. Sobald der starte Wind von Petare nachließ, stieg das Blau im Zenith auf 16 Grad. Zur See habe ich häusig, wenn auch in geringerem Grade, einen ähnlichen Einfluß des Windes auf die Farbe der Luft beim heitersten Himmel beobachtet. Welches ist die mittlere Temperatur von Caracas? Wir kennen sie nicht so genau wie die von Santa Fe de Bogota und Mexico. Ich glaube indessen darthun zu können, daß sie nicht viel über oder unter 21,-22" beträgt. Nach eigenen Beobachtungen fand ich für die drei sehr kühlen Monate November, December und Januar als Durchschnitt des täglichen 30 Maximum und Minimum der Temperatur 20",2, 30',1, 20^,2. Nach dem aber, was wir jetzt über die Vertheilung der Wärme in den verschiedenen Jahreszeiten und in verschiedenen Meereshöhen wissen, läßt sich annähernd aus der mittleren Temperatur einiger Monate die mittlere Temperatur des ganzen Jahres berechnen, ungefähr wie man auf die Höhe eines Gestirns im Meridian aus Höhen, die außerhalb des Meridians gemessen werden, einen Schluß zieht. Das Ergebniß, das ich sür richtig halte, ist nun aber auf folgendem Wege gewonnen worden. In Santa Fe de Bogota weicht nach Caldas der Januar von der mittleren Jahrestemperatur nur um 0",2 ab: in Mexico, also der gemäßigten Zone schon sehr nahe, beträgt der Unterschied im Maximum 3". In Guayra bei Caracas weicht der kälteste Monat vom jährlichen Mittel um 4",9 ab: aber wenn auch im Winter zuweilen die Luft von Guayra (oder von Catia) durch die Quebrada de Tipe ins hohe Thal von Caracas heraufkommt, so erhält dasselbe dagegen einen größeren Theil des Jahrs hindurch die Ost- und Südostwinde von Caurimare her und aus dem Binnenland. Wir wissen nach unmittelbaren Beobachtungen, daß in Guayra und Caracas die Temperatur der kältesten Monate 23°,2 und 20^,1 beträgt. Diese Unterschiede sind der Ausdruck einer Temperaturabnahme, die im Thale von Caracas zugleich von der hohen Lage (oder von der Ausdehnung der Luft im aufsteigenden Strome) und vom Con-ftitt der Winde von Catia und von Petare herbeigeführt wird. Nach einer kleinen Reihe von Beobachtungen, die ich in drei Jahren theils in Caracas selbst, theils in Chacao, ganz in der Nähe der Hauptstadt, angestellt, hielt sich der hunderttheilige 31 Thermometer in der kalten Jahreszeit bei Tage meistens zwischen 21 nnd 22°, bei Nacht zwischen 16 und 17«. l In der heißen Jahreszeit, im Juli und August, steigt er bei Tag auf 25—26°, bei Nacht auf 22—33". 2 Dieß ist der gewöhnliche Zustand der Atmosphäre, und dieselben Beobachtungen, mit einem von mir berichtigten Instrument angestellt, ergeben als mittlere Jahrestemperatur von Caracas etwas mehr als 21 «,5. Eine solche kommt aber im System der cisatlantischen Klimate anf Ebenen unter dem 36—37 Breitengrade vor. Es ist wohl überflüssig zu bemerken, daß dieser Vergleich sich nur auf die Summe von Wärme bezieht, die sich an jedem Punkte im Laufe des ganzen Jahrs entwickelt, keineswegs auf's Klima, das heisit auf die Vertheilung der Wärme unter die verschiedenen Jahreszeiten. Sehr selten sieht man in Caracas im Sommer die Temperatur ein paar Stunden laug auf 29°, ^ steigen; sie soll im Winter unmittelbar nach Sonnenaufgang schon auf 11", < gesunken seyn. So lange ich mich in Caracas aufhielt, waren das Maximum nnd das Minimum nur 25" und 12 ",5. Die Kälte bei Nacht ist um so empfindlicher, da dabei meist neblig-tcs Wetter ist. Wochenlang konnte ich weder Sonnen- noch Sternhöhcn messen. Der Uebcrgang von herrlich durchsichtiger Luft zur völligen Dunkelheit erfolgt fo rasch, daß nicht selten, wenn ich schon, eine Minute vor dem Eintritt eines Trabanten, ' Nach Reaumur bei Tag ,6°.8-18°, bei Nacht <2°.8-13°.6. ' Nach 3le.,um»r b,i Tag ^"-LU"^, bei Nacht , , In den drei Monaten April, Mai und Juni regnet es in Caracas sehr viel. Die Gewitter kommen immer aus Ost und Südost, von Petare und Valle her. In den tief gelegenen Landstrichen hagelt es nicht unter den Tropen; in Caracas aber kommt cs so ziemlich alle 4—5 Jahre einmal vor. Man hat sogar in noch tieferen Thälern hageln sehen, und diese Erscheinung macht dann einen ungemeincn (5'indruck auf das Volk. Vin Mctcovsteinfall ist bei uns nicht so selten als im heißen Erdstrich, trotz dcr häusigen Gewitter, Hagel unter 300 Toisen Mcereshohe. 5i Hm kühlen, köstlichen Klima, das wir eben geschildert, gedeihen noch die tropischen Gewächse. Das Zuckerrohr wird sogar in noch höheren Landstrichen als Caracas gebaut', man pflanzt aber im Thale wegen der trockenen Lage und des steinigten Bodens lieber den Kaffeebaum, dcr nicht viele, aber ausgezeichnet gute Früchte gibt. In der Vlüthezeit des Strauchs gewährt dje Ebene nach Chacao hin den lachendsten Anblick. Der Vanancnbaum in den Pflanzungen um die Stadt ist nicht der gvosie 1'IlUuno Imrtou, sondern die Varietäten Camdnri und Domiuico, 1W,, weniger Wärme nöthig haben. Die großen Bananen alls dem Markte von Caracas kommen aus den Ha-cicndas von Turiamo an der Küste zwischen Burburata und Porto^C^beUo. Die schmackhaftesten Ananas sind die von Ba-ruta, Empodrado Md, von den Höhen von Bucuavista auf dem ^ii^iS. Vand, l,,Seite 85. , l ^> M>1 0! Humboldt, Mtlse. IN. 3 3t Wege nach Victoria. Kommt ein Reisender zum erstenmal in das Thal von Caracas herauf, so ist er angenehm überrascht, neben dem Kaffeebaum und Bananenbaum unsere Küchenkräutcr, Erdbeeren, Weinreben und fast alle Obstbäume der gemäßigten Zone zu finden. Die gesuchtesten Pfirsiche und Apfel kommen von Macarao, am westlichen Ausgang des Thals. Der Quittenbaum, dessen Stamm nur vier bis fünf Fuß hoch wird, ist dort so gemein, daß er fast verwildert ist. Eingemachtes von Äpfeln und besonders von Quitten ist sehr beliebt, da man hier zu Lande meint, ehe man Wasser trinkt, müsse man durch Süßigkeiten den Durst reizen. Je stärker man in der Umgebung der Stadt Kaffee baute und je mehr mit den Pflanzungen, die nicht älter sind als 1793, die Zahl dcr Arbeitsneger stieg, desto niehr hat dcr Mais- und Gemüsebau die zerstreuten Apfel- und Quittenbäume auf den Savanen verdrängt. Der Reisfeldes die man bewässert, waren früher in der Ebene von Chacao mehr als jetzt. Ich habe in dieser Provinz, wie in Mexico und in allen hochgelegenen Ländern der heißen Zone, Vie Bemerkung gemacht, daß da, wo der Apfelbaum vortrefflich gedeiht, dcr Birnbaum nur schwer fortzubringen ist. Man hat mich versichert, die ausgezeichnet guten Apfel, dis niän auf dcm Markte kauft, wachsen bei Caracas auf ungeimpften Stämmen. Kirschbäume gibt es nicht- die Olivenbäume, die ich im Hof des Klosters San Felipe de Neri gesehen, sind groß und schön: aber eben wegen des üppigen Wachsthums tragen sie keine Flüchte. Wenn die Luftbeschaffenheit des Thals allen landwirthschaft« lichen Produtten, die in den Colonien gebaut werden, ungc-mein günstig ist, so läßt sich von der Gesundheit der Einwohner 35 und der in der Hauptstadt von Venezuela lebenden Fremden nicht dasselbe sagen. Das äußerst unbeständige Wetter und die hilufige Unterdrückung der Hautausdünstung erzeugen catarrha-lische Beschwerden, die in den mannigfachsten Formen auftreten. Hat sich der Europaer einmal an die starke Hitze gewöhnt, so bleibt er in Cumana, in den Thälern von Aragua, überall, wo die Niederung unter den Tropen nicht zugleich sehr feucht ist, gesunder als in Caracas und all dm Gebirgsländern, wo der gepriesene beständige Frühling herrschen soll. AIs ich uom gelben Fieber in Guayra sprach, gedachte ich der allgemein verbreiteten Meinung, daß diese schreckliche Krankheit fast eben so wenig von der Küste von Venezuela nach der Hauptstadt wandere, als von der Küste von Mexico nach H'alapa. Diese Meinung stützt sich auf die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre. Von den Epidemien, die im Hafen von Guayra herrschten, wurde ill Caracas fast nichts bemerkt. Es sollte mir leid thun, wenn ich durch eingebildete Besorgnisse die Bewohner der Hauplstadt aus ihrer Sicherheit aufschreckte; ich bin aber durchaus nicht überzeugt, daß der amerikanische Typhus, wenn er durch den starken Verkehr im Hafen auf der Küste einheimischer wird, nicht eincsTags, wenn besondere klimatische Verhältnisse ihm Vorschub leisten, im Tbal sehr oft auftreten könnte. Denn die mittlere Temperalur desselben ist immer noch fo hoch, daß der Thermometer sich in den lieisiesten Monaten zwischen 23 und 26 Grad l hält. Wenn sich nicht wohl bezweifeln läßt, daß dieser Typhus in der gemäßigten Zone durch Berührung k ' 17 — 20« 3l. 35 alisteckend ist, wie sollte man da sicher seyn, daß er bei großer Bösartigkeit nicht auch in der heißen Zone in einer Gegend ansteckend wird, wo vier Meilen von der Küste die Sommer-lemfteratur die Disposition des Körpers noch steigert? Die Lage von .talapa am Abhang der mericanischen Gebirge bietet ungleich mehr Sicherheit, da die Stadt weniger volkreich und fünfmal weiter von der See entfernt ist als Caracas, da sie lim 230 Toisen höher liegt und ihre mittlere Temperatur 3 Grad weniger beträgt. Im Jahre 1696 weihte ein Vischof von Venezuela, Diego de Vanos, eine Kirche (ernut») der heiligen Rosalia von Palermo, weil sie die Hauptstadt vom schwarzen Erbrechen, voinito iwßrq, erlöst, nachdem es sechzehn Monate gewüthet. Ein Hochamt, das alle Jahre zu Anfang Septembers in der Hauptkirche begangen wird, ist zum Andenken an diese Seuche gestiftet, wie denn in den spanischen Colonien auch die.Tage, an denen große Erdbeben stattgefunden, durch Prozessionen im Gedächtniß erhalten werden. Das Jahr 1696 war wirklich durch eine Gelbesieberepidemie ausgezeichnet, die auf allen Antillen herrschte, wo die Krankheit sich erst seit dem Jahr 1683 eigentlich festzusetzen begonnen hatte- wie soll man aber in Caracas an eine Epidemie des schwarzen Erbrechens glauben, die ganze sechzehn Monate gedauert, und also die sehr kühle Jahreszeit, in der der Thermometer auf 12 oder, 13 Grade fällt, überdauert hätte? Sollte der Typhus im hohen Thale von Caracas älter seyn als in den besuchteren Hasen von Terra Firma? In diesen war er, nach Ulloa, vor dem Jahr 1729 nicht bekannt, und so bezweifle ich, daß die Epidemie von 1696 das gelbe Fieber oder der ächte amerikanische Typhus 37 war. Schwarze Ausleerungen kommen in remittirenden Gallen-siebern häusig vor und sind an und für sich so wenig als das Blutspeien für die schreckliche Krankheit charakteristisch, die man gegenwärtig in der Havana und in Vera Cruz unter dem Namen Vomiw kennt. Wenn aber keine genaue Beschreibung vorliegt, aus der hervorgeht, das; der amerikanische Typhus in Caracas schon zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts geherrscht habe, so ist es leider nur zu gewiß, daß diese Krankheit in dieser Hauptstadt im Jahr 1802 eine Menge junger europäischer Soldaten weggerafft hat. Der Gedanke ist beunruhigend, daß mitten in der heißen Zone ein 450 Toisen hoch, aber sehr nahe an der See gelegenes Plateau die Cinwohner keineswegs vor einer Seuche schützt, die, wie man meint, nur in den Niederungen an der Küste zü Hause ist. Vrchehntes Kapitel. Aufenthalt in Caracas. — Verge um die Stadt. — Besteigung des Giftfels der Silla. Ich blieb zwei Monate in Caracas. Vonpland und ich wohnten in einem großen, fast ganz frei stehenden Hause im höchsten Theil der Stadt. Auf einer Galerie übersahen wir ^ mit Einem Vlick den Gipfel der Silla, den gezackten Kanim des Galipano und das lachende Guayrethal, dcsscn üppiger Anbau von den finstern Bergwänden umher absticht. Es war in der trockenen Jahreszeit. Um die Weide zu verbessern, zündet man die Savanen und den Nasen an, der die steilsten Felsen bedeckt. Diese großen Brände bringen, von weitem gesehen, die überraschendsten Lichtessekte hervor. Ueberall wo die Savanen längs der aus- und einspringenden Felsgehänge die von den Bergwassern eingerissenen Schluchten ausfüllen, nehmen sich die brennenden Aodenstreifen bei dunkler Nacht wie Lavaströme aus, die über dem Thale hängen. Ihr starkes, aber ruhiges Licht färbt sich röthlich, wenn der Wind, der von der Silla herunter kommt, Wollenzüge ins Thal niedertreibt. Andere male, und dann ist der Anblick am großartigsten, sind die Lichtstreifen in 39 dickes Gewölk gehüllt und kommen nur da und dort durch Risse zum Vorschein, und wenn dann die Wolken steigen, zeigen sich ihre Ränder glänzend beleuchtet. Diese mannigfaltigen Erscheinungen, wie sie unter den Tropen häusig vorkommen, werden noch anziehender durch die Form der Berge, durch die Stellung der Abhänge und die Höhe der mit Alpenkräutern bewachsenen Savanen. Den Tag über jagt der Wind von Petare von Osten her den Rauch über die Stadt und macht die Luft weniger durchsichtig, n'.'^l^. Hatten wir Ursache, mit der Lage unserer Wohnung zufrieden zu seyn, so waren wir es noch viel mehr mit der Aufnahme, die uns von den Einwohnern aller Stände zu Theil wurde. Ich habe die Verpflichtung der edlen Gastfreundschaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalcavitün der ProviuM von Venezuela, Herrn von Guevara Vasconzelos, genossen. Cs ward mir das Glück zu Theil, das nur wenige Spanier mit mir theilen, hinter einander Caracas, Havana, Santa Fe de Bogota, Quito, Lima und Mexico zu besuchen, und in diesen sechs Hauptstädten des spanischen Amerika brachten uüch meine Verhälmisse mit Leuten aller Stände in Verbindung; dennoch erlaube ich mir nicht, mich über die verschiedenen Stufen der Cultur auszusprcchen, welche die Gesellschaft in jeder Colonie bereits erstiegen. Es ist leichter, die Schattirungen der Nationalcultur und die vorzugsweise Richtung der geistigen Entwicklung anzugeben, als zu vergleichen und zu classificiren, was sich nicht unter Einen Gesichtspunkt bringen läßt. In Mexico und Santa Fe de Bogota schien mir die Neigung zu ernsten wissenschaftlichen Studie» vorherrschend, in Quito und Lima 40 fand ich mehr Sinn für schöne Literatur und Alles, was eine lebendige, feurige Einbildungskraft anspricht, in der Havana und in Caracas größere Bildung hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse, miifassendere Ansichten über die Zustände der Colonien und der Mutterländer. Der starke Hani delsverkehr mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als ein Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beschrieben, haben auf die gesellschaftliche Entwicklung auf Cuba und in den schönen Provinzen von Venezuela gewaltigen Einftus; geäußert. Nirgends sonst im spanischen Amerika hat die Civilisation eine so europäische Färbung angenommen. Die Menge Ackerbau treibender Indianer in Mexico und im Innern von Neu-Grenada gibt diesen großen Ländern einen eigenthümlichen, man könnte sagen exotischeren Charakter. Trotz der Zunahme der schwarzen Bevölkerung glaubt man sich in der Havana und in Caracas näher bei Cadix und den Vereinigten Staaten als m irgend einem Theil der neuen Welt. - ^ -' ., Der Gencralcapitän Guevara verschaffte' uns Führer durch 47 den Teniente von Chacao. Es waren Schwarze, denen der Weg, der über den Bergkamm an der westlichen Spitze der Silla vorbei zur Küste führt, etwas bekannt war. Dieser Weg wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unsere Führer, noch die erfahrensten Leute in der Miliz, welche die Schleichhändler in diesen Wildnissen verfolgen, waren je auf der östliche,: Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla gewesen. Während des ganzen Decembers war der Borg, dessen Höhenwinkel mich das Spiel der irdischen Refraction beobachten ließen, nur fünfmal unumwölkt gewesen. Da in dieser Jahreszeit selten zwei heitere Tage auf einander folgen, hatte man uns gerathen, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, sondern zu einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch steben und man hoffen darf, über der ersten gleichförmig verbreiteten Dunstschichl in trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des 2. Januars in der Estancia de Gallegos zu, einer Kaffeepflanzung, bei der in einer schattigen Schlucht der Vach Chacaito, der vom Gebirge herab kommt, schöne Fälle bildet. Die Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines beschwerlichen Marsches gern einiger Nnhe genossen hätten, harrten wir, Von-Pland und ich, die ganze Nacht auf drei Bedeckungen der Iu-Piterstvabauten. Ich hatte die Zeitpunkte der Beobachtungen zum voraus bestimmt uud doch verfehlten wir alle, weil sich in die (^»nnki88uno6 6e« temp« Rcchmingsfehler eingcschlichcn batten. Ein böser Stern waltete über den Angaben hinsichtlich der Bedeckungen für December und Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechselt. Dieses Mißgeschick machte mir großen Verdruß, und nachdem 18 ich vor Sonnenaufgang die Intensität der magnetischen Kraft am Fuße des Verges beobachtet, brache» wir um fünf Uhr Morgens mit den Sklaven, die nnserc Instrumente trugen, auf. Wir waren unser acht;ehn Personen und gingen auf schmalem Fliftpfad in einer Reihe hinter einander. Dieser Pfad läuft über einen steilen, mit Rasen bedeckten Abhang. Man flicht zuerst den Kipfel eines Hügels zu erreichen, der gegen Südwest hin eine Art Vorgebirge der Silla bildet. Derselbe hängt nlit der Masse des Verges selbst durch einen schmalen Damm zusammen, den die Hirten sehr bezeichnend „die Pforte", ?uo»tn Mitten im Nebel machte ich den Versuch mit dem Vol-ta'schen Elektrometer. Obgleich ich ganz nahe an den dicht gedrängten Heliconien stand, erhielt ich deutliche Spuren von Luftelektricität. Sie wechselte oft zwischen negativ und positiv und ihie Intensität war jeden Augcnblick anders. Diese Schwankungen und mehrere kleine entgegengesetzte Luflströ« mungen, die den Nebel zertheilten und zu scharf begrenzten Wollen ballten, schienen mir untrügliche Zeichen, daß das Wetter sich ändern wollte. Es war erst zwei Uhr nach Mittag. Wir hofften immer noch vor Sonnenuntergang auf die östliche Spitze der Silla gelangen und wieder in das Thal zwifchen beiden Gipfeln herabtommen zu können. Hier wollten wir von den Ncgern aus den breiten dünnen Blättern der Heliconia eine Hütte bauen lassen, ein großes Feuer anzünden und die Nacht zubringen. Wir schickten die Hülfie unserer Leute fort, mit der Weisung, uns am andern Morgen nicht mit Oliven, sondern mit gesalzenem Fleisch entgegenzukommen. Kaum hatten wir solches angeordnet, so sing der Wind an ' Ode», Buch l. 31. '"« 64 stark von der See her zu blasen und der Thermometer stieg auf 12 ",5. Es war ohne Zweifel ein aufsteigender Luftstrom, der die Temperatur erhöhte und daniit die Dünste auflöste. Kaum zwei Minuten, so verschwanden die Welten und die beiden Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe vor uns. Wir öffneten den Barometer am tiefsten Punkt der Einsentung zwischen den Gipfeln bei einer kleinen Lache schlammigteu Wassers. Hier wie auf dcn Antillen findet man sumpfigte Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das bewaldete Gc-birge die Wolken anzieht, sondern weil durch die Abkühlung bei Nacht, in Folge der Wärmestrahlung des Bodens und des Parenchyms der Gewächse, der Wasserdunst verdichtet wird. Das Quecksilber stand auf 21 Zoll Z,7 Linien. Wir gingen jetzt gerade auf den östlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs l,ielt uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch Heliconien umhauen, aber diefe baumartigen Kräuter waren jetzt nicht mehr hoch und standen nicht mehr so dicht. Die Gipfel der Silla selbst, wie schon öfter erwähnt, sind nur mit Gras und kleinen Befariasträuchrrn bewachsen. Aber nicht wegen il,rer Höhe sind sie so kahl: die Baumgrenze liegt in dieser Zone noch um 400 Toisen höher; denn nach andern Gebirgen zu schließen, befände sich diese Grenze hier erst in 1800 Toise» Höhe. Große Bäume scheinen auf den beiden Felsgipseln der Silla nur deßhalb zu fehlen, weil der Boden so dürr und der Seewind so heftig ist, und die Oberfläche, wie auf allen Bergen unter den Tropen, fo oft abbrennt. Um auf den höchsten, östlichen Gipfel zu lommen, muß man so nahe als möglich an den, ungeheuern Absturz 65 Caravallcda und der Küste zu hingehen. Der Gneiß hatte bisher sei» blätteriges Gefüge und seine ursprüngliche Streichung behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufstiegen, ging er in Granit über. Wir brauchten drei Viertelstunden bis auf die Spitze der Pyramide. Dieses Stück des Wegs ist keineswegs gefährlich, wenn man nur prüft, ob die Felsstücke, auf die man den Fuß setzt, fest liegen. Der dem Gneiß aufgelagerte Granit ist nicht regelmäßig geschichtet, sondern durch Spalten getheilt, die sich oft unter rechten Winkeln scheiden. Prismatische, einen Fuß breite, zwölf Fuß lange Blöcke ragen schief aus dem Boden hervor, und am Rande des Absturzes sieht es aus, als ob ungeheure Balken über dem Abgrund hingen. Auf dem Gipfel hatten wir, freilich nur einige Minuten, ganz klaren Himmel. Wir genoßen einer ungemein weiten Aussicht: wir sahen zugleich nach Norden über die See weg, nach Süden in das fruchtbare Thal von Caracas hinab. Der Barometer stand auf 20 Zoll 7,6 Linien, die Temperatur der Lllft war 13 0,7. Wir waren in 1350 Toisen Meereshöhe. Man überblickt eine Meeresstrecke von 36 Meilen Halbmesser. Wem beim Blick in große Tiefen schwindligt wird, muß mitten auf dem kleinen Plateau bleiben. Durch seine Höhe ist der Verg eben nicht ausgezeichnet: ist er doch gegen 100 Toisen niedriger als der Canigou in den Pyrenäen: aber er unterscheidet sich von allen Bergen, die ich bereist, durch den ungeheuren Absturz gegen die See zu. Die Küste bildet nur einen schmalen Saum, und blickt man von der Spitze der Pyramide auf die Häuser von Caravalleda hinab, so meint Humboldt, Mcisc, III. 5 66 man in Folge einer öfter erwähnten optischen Täuschung, die Felswand sey beinahe senkrecht. Nach einer genauen Berechnung schien mir der Neigungswinkel 53", 28': am Pic von Teneriffa beträgt die Neigung im Durchschnitt kaum 12« ZH<. An 6—7000 Fuß hoher Absturz wie an der Silla von Caracas ist eine weit seltenere Erscheinung, als man glaubt, wenn man in den Bergen reist, ohne ihre Höhen, ihre Massen und ikire Abhänge zu messen. Seit man sich in mehreren Ländern Europas von Neuem mit Versuchen über den Fall der Körper und ihre Abweichung gegen Südost beschäftigt, bat man in den Schweizer Alpen sich überall vergeblich nach einer senkrechten, 250 Toisen hohen Fclswano umgesehen, Der Neigungswinkel des Montblanc gegen die nI16e dlimolis beträgt' keine 45 Grad, obgleich man> in den meisten geologischen Werken liest, der Montblanc falle gegen Süd senkrecht ab. Auf der Silla von Caracas ist der ungeheure nördliche Abhang, trotz seiner großen Steilheit, zum Theil bewachsen. Vefaria- und Andromcdabüsche hängen an der Felswand. Das kleine südwärts gelegene Thal zwischen den Gipfeln zielit sich der Meeresküste zu fort: die Alppflanzen füllen diese Einsenkung aus, ragen über den Kamm des Verges empor und folgen den Krümmungen der Schlucht. Man meint unter diesen frischen Schatten müsse Wasser fließen, und die Vertheilung der Gewächse, die Gruvftirung so vieler unbeweglicher Gegenstände bringt Leben und Bewegung in die Landschaft. Es war jetzt sieben Monate, daß wir auf dem Gipfel des Vulkans von Teneriffa gestanden hatten, wo man eine Erdfläche, überblickt, so gwß als ein Viertheil von Frankreich. Der 67' scheinbare Meereshorizont liegt dort scchs Meilen weiter ab als auf der Silla, und doch sahen wir dort den Horizont, wenigstens eine Zeitlang, sehr deutlich. Er war scharf begrenzt und verschwamm nicht mit den anstoßenden Luftschichten. Auf der Silla, die um 550 Toisen niedriger ist als der Pic von Teneriffa, konnten wir den näher gerückten Horizont gegen Nord und Nord-Nord-Ost nicht sehen. Blickten wir über die Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, so siel uns auf, wie das rcflektirte Licht in steigendem Verhältniß abnahm. Wo die Ge-sichlslinie die äußerste Grenze der Fläche streift, verschwamm das Wasser mit den darüber gelagerten Luftschichten. Dieser Anblick hat etwas sehr Auffallendes. Man erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu sehen, und statt daß man in dieser Höhe eine scharfe Grenze zwischen dm beiden Elementen bemerkte, schienen die fernsten Wasserschichlen sich in Dunst aufzulösen und mit dem Luftocean zu mischen. Dasselbe beobachtete ich, nicht an einem einzigen Ltüct des Horizonts, sondern auf einer Strecke von mehr als 160 Grad, am Ufer der Südsee, als ich zum erstenmal auf dem spitzen Fels über dem Krater des Pichincha stand, eines Vulkans, der höher ist als der Montblanc. Ob ein sehr ferner Horizont sichtbar ist oder nicht, das hängt von zwei verschiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge, welche der Theil des Oceans empfängt, auf den die GesiäMinie zuläuft, und von dcr Schwächung, die das refleltirte Licht bei seinem Durchgang durch die dazwischen liegenden Luftschichten erleidet. Trotz des heitern Himmels und der durchsichtigen Luft kann die See in der Entfernung von 35—40 Meilen schwach beleuchtet seyn, oder die Luftschichten 68 zunächst der Oberfläche können das Licht bedeutend schwächen, indem sie die durchgehenden Strahlen absorbiren. Selbst vorausgesetzt, die Refraktion äußcre gar keinen Einfluß, sollte man auf dem Gipfel der Silla bei schönem Wetter die Inseln Tortuga, Orchila, Noques und Aves sehen, von denen die nächsten 25 Meilen entfernt sind. Wir sahen keine derselben, sey es nun wegen des Zustandes der Luft, oder weil die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu verwenden konnten, die Inseln zu suchen, nicht lang genug war. Ein unterrichteter Seemann, der den Verg mit uns hatte besteigen wollen, Don Miguel Areche, versicherte uns, die Silla bei den Salztlippen an der Rocca de Fuera, unter 12° l- der Vrcite gesehen zu haben, l Wenn die umgebenden Gipfel die Aussicht nicht beschränkten, müßte man von der Silla die Küste ostwärts bis zum Mono de Piritu, westwärts bis zur Punta del Soldado, 10 Meilen unter dem Wind von Portobello, sehen. Südwärts, dem innern Lande zu, begrenzt die Vergkette, welche Yare und die Savane von Ocumare vom Thale von Caracas trennt, den Horizont wie ein Wall, der in der Richtung eines Parallelkreises hinläuft. Hätte dieser Wall eine Oeffnung, eine Lücke, dergleichen in den hohen Bergen des Salzburger Landes und der Schweiz häufig vorkommen, so genöße man hier des merkwürdigsten Schauspiels. Man sähe durch die Lücke die Llanos, die weiten Steppen von Calabozo, und da diese Steppen in gleiche Höhe mit dem Auge des Beobachters aufstiegen, so übersähe man vom selben Punkte zwei gleichartige Horizonte, einen Wasser- und einen Landhorizont. ' Die EiNa liegt nntei 10° Il< g" der Breite. («9 Die westliche abgerundete Spitze der Silla entzog uns die Aussicht auf die Stadt Caracas: deutlich aber sahen wir die ihr zunächstliegenden Häuser, die Dörfer Chacao und Petare, die Kaffeepflanzungen und den Lauf des Guayre, einen silberglänzenden Wasserfaden. Der fchmale Streif bebauten Landes stach angenehm ab vom düstern, wilden Aussehen der umliegenden Gebirge. Uebersieht man so mit Einem Blick diese reiche Landschaft, so bedauert man kaum, daß kein Bild vergangener Zeiten den Einöden der neuen Welt höheren Reiz gibt. Ueberall wo in der heißen Zone der von Gebirgen starrende, mit dichtem Pflanzenwuchs bedeckte Noden sein ursprüngliches Gepräge behalten hat, erscheint der Mensch nicht mehr als Mittelpunkt der Schöpfung. Weit entfernt, die Elemente zu bändigen, hat er vollauf zu thun, sich ihrer Herrschaft zu entziehen. Die Umwandlungen, welche die Erdoberfläche seit Jahrhunderten durch die Hand der Wilden erlitten, verschwinden zu nichts gegen das, was das unterirdische Feuer, die austretenden gewaltigen Ströme, die tobenden Stürme in wenigen Stunden leisten. Der Kampf der Elemente unter sich ist das eigentlich Charakteristische der Natursccnerie in der neuen Welt. Ein unbewohntes Land kommt dem Reisenden aus dem cultivirten Europa wie eine Stadt vor, aus der die Einwohnerschaft ausgezogen. Hat man einmal in Amerika ein paar Jahre in den Wäldern der Niederungen oder auf dem Rücken der Cordilleren gelebt, hat man in Ländern so groß wie Frankreich nur eine Handvoll zerstreuter Hütten stehen sehen, so hat eine weite Einöde nichts Schreckendes mehr für die Einbildungskraft. Man wird 7ft vertraut mit der Vorstellung einer Welt, in der nur Pflanzen und Thiere leben, wo niemals der Mensch seinen Iudelschrei oder die Klagelaute seines Schmerzes hören ließ. Wir konnten die günstige Lage der Silla, die alle Gipfel umher überragt, »icht lange für unsere Zwecke nützen. Während wir mit dem Fernrohr den Seestrich, wo der Horizont scharf begrenzt war, und die Bergkette von Ocumare betrachteten, hinter der die unbekannte Welt des Orinoco und des Amazonenstroms beginnt, zog ein dicker Nebel aus der Niederung zu den Höhen herauf. Zuerst füllte er den Thalgrund von Caracas. Der von oben beleuchtete Wasserdunst war gleichförmig milchweiß gefärbt. Es sah aus, als stände das Thal unter Wasser, als bildeten die Berge umhe« die schroffen Ufer eines Meeresarms. Lauge warteten wir vergeblich auf den Sklaven, der den großen Ramsdcnschen Sertanten trug: ich mußte den Zustand des Himmels benutzen und entschloß mich, einige Sonnenhöhen mit einem Troughtonschcu Sertanten von zwei Zoll Halbmesser aufzunehmen. Die Sonnenschribe war von Nebel halb verschleiert. Der Längeinmterschied zwischen dem Quartier Trinidad in Caracas und dem östlichen Gipfel der Silla scheint kaum größer als 0° 3' 22". Während ich, auf dem Gestein sitzend, die Inclination der Magnetnadel beobachtete, sah ich, daß sich eine Menge haarigter Bienen, etwas kleiner als die Honigbiene des nördlichen Europa, auf meine Hände gesetzt hatten. Diese Nicnen nisten im Boden. Sie fliegen selten a»s, und nach ihren trägen Bewegungen konnte man glauben, sie seyen auf dem Berg starr vor Kälte. Man nennt sie hier zu Lande ^ngelito», "N Engelchen, weil sie nur sehr selten stechen. Trotz der Behauptung -mehrerer Reisenden, ist es nicht wahr, daß diese dem neuen Continent eigenthümlichen Bienen gar keine Angriffswaffe haben. Ihr Stachel ist nur schwächer und sie brauchen denselben seltener. So lange man von der Harmlosigkeit dieser Angelitos nicht vollkommen überzeugt ist, kann man sich einiger Besorgniß nicht erwehren. Ich gestehe, das; ich oft während astronomischer Beobachtungen beinahe die Instrumente hätte fallen lassen, wenn ich spürte, daß mir Gesicht und Hände voll dieser haarigtrn Bienen saßen. Unsere Führer versicherten, sie setzen sich nur zur Wehr, wenn man sie durch Aufassen der Füße reize. Ich fühlte mich nicht aufgelegt, den Versuch an mir selbst zu machen. Die Lufttemperatur auf der Silla schwankte zwischen 11 und 14 Grad, je nachdem die Luft still war oder der Wind blies. Bekanntlich ist es sehr schwer, auf Berggipfeln die Temperatur zu bestimmen, nach der man die Barometerhöhe zu berechnen hat. Der Wind kam aus Ost, und dieß scheint zu beweisen, daß der Seewind oder die Passatwinde in dieser Breite weit über 1500 Toisen hinaufreichen. Leopold von Buch hat die Beobachtung gemacht, daß auf dem Pic von Teneriffa, nahe an drr nördlichen Grenze der Passatwinde, in 1900 Toisen Meereshöhe, meist ein Gegenwind (vent, 6« remou), der Westwind herrscht. Die Pariser Academic der Wissenschaften hatte die Physiker, welche den unglücklichen La Peyrouse begleiteten, ausgefordert, zur See unter den Tropen mittelst kleiner Luftballons zu beobachten, wie weit die Passate hinaufreichen. Der-glcichen Untersuchungen sind sehr schwierig, wenn der Beobachter au der Erdoberfläche bleibt. Die kleinen Ballons steigen meist !72 nicht so hoch als die Silla, und das leichte Gewölk, das sick zuweilen in 3—4000 Toisen Höhe zeigt, wie z. V. die sogenannten Schäfchen, stehen still oder rücken so langsam fort, daß sich ihre Richtung nicht bestimmen läßt. Während der kurzen Zeit, wo der Himmel im Zenith klar war, fand ich das Blau der Luft um ein Bedeutendes dunkler als an der Küste. Es war gleich 26 ",5 des Saussurc'schen Cyanometers. In Caracas zeigte dasselbe Instrument bei hellem, trockenem Wetter meist nur 16 Grad, Wahrscheinlich ist in den Monaten Juli und August der Unterschied in dieser Beziehung zwischen der Küste lind dem Gipfel der Silla noch viel bedeutender. Was aber unter allen meteorologischen Elscheiuungen in der Stunde, die wir auf dem Berge zubrachten, Bonftland und mich am meisten überraschte, war die anscheinende Trockenheit der Luft, die mit der Entwicklung des Nebels noch zuzunehmen schien. Als ich den (Deluc'schen) Fischbeinhygrometer aus dem Kasten nahm, um damit zu erperimentiren, zeigte er 52 Grad (87« nach Saussure). Der Himmel war hell: aber Dunststreifen mit deutlichen Umrissen zogen vou Zeit zu Zeit zwischen uns durch am Boden weg. Der Deluc'sche Hygrometer ging auf 49 Grad (85° nach Saussure) zurück. Eine halbe Stunde später hüllte eine dicke Wolke uns ein; wir konnten die nächsten Gegenstände nicht mehr erkennen und sahen mit Erstaunen, daß das Instrument fortwährend dem Trockenpunkt zuging, bis 47 Grad (84 o Saussure). Die Lufttemperatur war dabei 12—13". Obgleich beim Fischbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht bei 100 Grad ist, sondern bei 84 ",5 (990 S.), so schien mir doch dieser Einfluß einer Wolke 73 auf den Gang des Instrumentes im höchsten Grade auffallend. Der Nebel dauerte lang genug, daß der Fischbeiustreifen durch Anziehung der Wasscrtheilchen sich hätte verlängern können. Unsere Kleider wurden nicht feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Reisender versicherte mich kürzlich, er habe auf der UontaAns psiek auf Martinique eine Wolke ähnlich auf den Haarhygrometer wirken sehen. Der Physiker hat die Verpflichtung, die Erscheinungen zu berichten, wie die Natur sie bietet, zumal wenn er nichts versäumt hat, um Fehler in der Beobachtung zu vermeiden. Saussure sah während eines heftigen Regengusses, wobei sein Hygrometer nicht naß wurde, denselben (fast wie auf der Eilla in der Wolke) auf 84«, 7 (48 0,6 Deluc) steken bleiben; man begreift aber leichter, daß die Luft zwischen den Regentropfen nicht vollständigt gesättigt wird, als daß der Wasserdunst, der den hygroskopischen Körper unmittelbar berührt, denselben nicht dem Sättigungspunkt zutreibt. In welchem Znstand befindet sich Wasserdunst, der nicht naß macht und doch sichtbar ist? Man muß, glaube ich, annehmen, daß sich eine trockenere Luft mit der, in der sich die Wolke gebildet, gemischt hat, und daß die Dunstbläschen, die ein weit geringeres Vc-lumen haben als die dazwischen befindliche Luft, die glatte Fläche des Iischbeinstreifens nicht naß gemacht haben. Die durchsichtige Luft vor einer Wolke kann zuweilen feuchter seyn als der Luftstrom, der mit der Wolke zu uns gelangt. Es wäre unvorsichtig gewesen, in diesem dichten Nebel am Rande eines 7—8000 Fuß hohen Abhangs länger zu verweilen. Wir gingen wieder vom Ostgipfel der Silla herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht nur eine neue, sehr interessante ^?H Gattung bildet, sondern die wir auch, zu unserer großen Ueberraschung, später auf dcm Gipfel des Vultans Pichiucha in der südlichen Halbkugel, 400 Meilen von der Silla, wieder fanden. ^ Folien tloriduZ, der iiu nördlichen Einopa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der Befaria und der (!nu!ie Ueberlieferung greift vorzugsweise nach allem Gestaltlosen und Wunderbaren, und bei großen allgemeinen Unfällen, wie beim Unglück des Einzelnen, scheut der Mensch das Licht, das ihm die wahren Ursachen des Geschehenen zeigte und die begleitenden Umstände erkennen ließe. Ich glaubte in diesem Werke niederlegen zn sollen, was ich au zuverlässiger Kunde über die Erdstöße zusammengebracht, die am 26. Mcrz 1812 die Stadt Caracas zerstört und in der Provinz Venezuela fast in Einem Augenblick über zwanzigtauseud Menschen das Leben gekostet haben. Die Verbindungen, die ich fortwährend mit Leuten aller Etändc unterhalten, setzten mich in Stand, die Berichte mehrerer Augenzeugen zu vergleichen und Fragen über Punkte an sie zu richten, an deren Auskläruug der Wissenschaft vorzugsweise gelegen ist. AIs Geschichtschreiber der Natur hat der Reisende die Zeit des Eintritts großer Katastrophen festzustellen, ihren Zusammenhang und ihre gegenseitigen Verhältnisse zu untersuchen, und im raschen Ablauf der Zeit, im ununterbrochenen Zuge sich drängender Verwandlungen feste Pnnttc zu bezeichnen, mit denen einst andere Catastrophe» verglichen werden mögen. In der unermeßlichen Zeit, welche die Geschichte 80 der Natur umfaßt, nicken alle Zeitpunkte des Geschehenen na!,e zusammen,- die verflossenen Iabre erscheinen wie Augenblicke, und wenn die physische Beschreibung eines Landes von keinem allgemeinen und überhaupt von keinem großen Interesse ist, so> hat sie zmu wenigsten den Vortheil, daß sie nicht verastet. Ne-trachtungen dieser Zlrt haben La Condamine bewogen, die deut-' würdigen Ausbrüche des Vulkans Cotovari, ^ die lange nach seinem Abgänge von Quito stattgefunden, in seiner „Neise zum Aequator" zu beschreiben. Ich glaube den, Vcispiel des großen Gelehrten desto unbesorgter vor irgend welchem Vorwurf folgen zu dürfen, da die Ereignisse, die ich zu beschreiben gedenke, für die Theorie von den vulkanischen Reactionen sprechen, das heißt für den Einfluß, den ei» System von Vulkanen auf einen weiten Landstrich umher ausübt. 3lls Nonpland und ich in den Provinzen Neu-Andalusien, Nueva Barcelona und Caracas uns aufhielten, war die Meinung allgemein verbreitet, daß die am weitesten nach Osten gelegenen Striche dieser Küsten den verheerenden Wirkungen der Erdbeben am meisten ausgefetzt seyen. Die Einwohner von Cumana scheuten das Thal von Caracas wegen des feuchten, veränderlichen Klimas, wegen des umzogcnen, trübseligen Himmels. Die Bewohner dieses kühlen Thales dagegen spräche»! von Cumana als von einer Stadt, wo man Jahr aus Jahr ein eine erstickend heiße Luft athme und wo der Voden periodisch von heftigen Erdstößen erschüttert werde. Selbst Gebildete dachten nicht au die Verwüstung von Niodamba und andern ' Am 3tt. November . <7l)Z „nd <80>. ^ ' E. Vand l. Seite 255. Humboldt. Reise, 1,1. ß 82 reagirt zu haben: fünfzehn Jahre später wirkte, wie es scheint, ein dem Festland näher liegender Vulkan, der auf St. Vincent, in derselben Weise bis nach Caracas und an den Apure hin. Wahrscheinlich lag beidemal der Heerd des Ausbruchs in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erdoberfläche, bis zu welchen die Bewegung sich fortpflanzte. Vom Anfang des Jahrs 1811 bis 1813 wurde ein beträchtliches Stück der Erdfläche zwischen den Azoren und den» Thal des Ohio, den Cordilleren von Neu-Grenada, den Küsten von Venezuela und den Vulkanen der kleinen Antillen fast zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erschüttert, die man einem unterirdischen Feuerherde zuschreiben kann. Ich zähle hier die Erscheinungen auf, welche es wahrscheinlich machen, daß auf ungeheure Distanzen Verbindungen bestehen. Am 30. Januar 1811 brach bei einer der Azorischen Inseln, bei St. Michael, ein unterseeischer Vulkan aus. An einer Stelle, wo die See 60 Faden tief ist, hob sich ein Fels über den Wasserspiegel. Die erweichte Erdkruste scheint empor gehoben worden zu seyn, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie dieß auch bei den Vulkanen von Iorullo in Mexico und bei der Bildung der Insel Klein-Kameni bei Santorin beobachtet wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war Anfangs nur eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein sechstägiger Ausbruch, durch den die Klippe immer größer und nach und nach 50 Toisen über dem Meeresspiegel hoch wurde. Dieses neue Land, das Kapitän Tillard alsbald im Namen der großbritannischen Regierung in Besitz nahn, und Sabrina nannte, hatte 900 Toisen Durchmesser. Das Meer scheint die Insel wieder verschlungen zu haben. Es ist dieß 83 das dritte mal, daß bei der Insel St. Michael unterseeische Vulkane so außerordentliche Erscheinungen hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieser Vulkane an eine gewisse Periode gebunden, in der sich jedesmal elastische Flüssigkeiten bis zu einem bestimmten Grade angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91 oder 92 Jahren wieder zum Vorschein. Es ist zu bedauern, daß trotz der Nähe keine europäische Regierimg, kcine gelehrte Gesellschaft Physiker und Geologen nach den Azoren geschickt bat, um eiue Erscheinung näher untersuchen zu lassen, durch welche für die Geschichte der Vulkane und des Erdballs überhaupt so viel gewonnen werden konnte. Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erschien, wurden die kleinen Antillen, 800 Meilen südwestwärts von den Azoren gelegen, häusig von Erdbeben heimgesucht. Vom Mai 1811 bis April 1612 spürte man auf der Insel St. Vincent, einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über zweihundert Erdstöße. Die Bewegungen beschränkten sich aber nicht auf das Inselgcbiet von Südamerika. Vom 16. December 1811 an bebte die Erde in den Thalern des Mississippi, des Arcansas und Ohio fast unaufhörlich. Im Osten der Alleghanys waren die Schwingungen schwächer als im Westen, in Tennessee und Kentucky. Sie waren von einem starken unterirdischen Getöse begleitet, das von Südwest herkam. Auf einigen Punkten zwischen Neumadrid und Little Prairie, wie beim Salzwerk nördlich von Cincinnati unter dem 34" 45' der Breite, spürte man mehrere Monate lang täglich, ja fast stündlich Eidstöße. Sie dauerten im Ganzen vom 16. December 1811 bis in>? Jahr 1813. Die Stöße waren Anfangs auf den Süden, auf 83 das untere Mississippitlial beschränkt, schiene» sich ab«' allmählich gegen Norden fortzupflanzen. Um dieselbe Zeit nun, wo in den Alanten jenseits der Alleghanys diese lange Neihe von Erderschiitterungen anhob, im December 1811 spürte man in der Stadt Caracas den ersten Erdstoß bei stiller, heiterer Luft. Dieses Zusammentreffen war schwerlich ein zufälliges,- denn man musi bedenken, daß, soweit mich dü> betreffenden Länder auseinander liegen, die Niederungen von Louisiana und die Küsten von Venezuela und Cumana demklben Vccten, dem Meere der Antillen angehören. Diesel Mittelmeer mit mehreren Ausgängen ist von Südost nach Nordwest gerichtet und es scheint sich früher über die weiten, allmählich 30, 50 und 80 Toiscn über das Meer ansteigenden, aus secundäreu G.'birgsartcn bestehenden, vom Olüo, Missouri, Arcansas und Mississippi durchströmten Ebenen forterstreckt zu habeu. Aus geologischem Gesichtspunkt betrachtet, erscheinen als Begrenzung des Eeebeckens der Antillen und des Meerbusens von Mexico im Süden die Küsteubcrgkette von Venszuela und die Cordilleren von Merida und Pamplona, im Osten die Gebirge der Antillen und die Alleghanys, im Westen die Anden von Mexico und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden Höhenzüge zwischen den canadischen Seen und den Nebenflüssen des Mississippi. Ueber zwei Drittheile dieses Beckens sind mit Wasser bedeckt. Zwei Reihen thätiger Vulkane fassen es ein: ostwärts auf den kleinen Antillen, zwischen dem 13. und 16. Grad der Vrcite, westwärts in den Cordilleren von Nicaragua, Gnatimala und Mexico, zwischen dem 11. und 20. Grad. Ve-denttman, daß da» große Erdbeben von Lissabon am I.November 85 1755 fast im selben Augenblick an der Küste von Schweden, am Ontariosec und auf Martinique gespürt wurde, so kann die Annahme nicht zu keck erscheinen, das; das ganze Becken der Antillen von Cumaua und Caracas bis zu den Ebenen von Louisiana zuweilen gleichzeitig durch Stöße erschüttert werden kann, die von einem gemeinsamen Hcerde ausgehen. Auf deu Küsten von Terra Firma herrscht allgemein der Glaube, die Erdbeben werden häusiger, wenn ein paar Jahre lang die elektrischen Entladungen iu der Luft auffallend selten gewesen sind. Man wollte in Cumana und Caracas die Beobachtung gemacht haben, daß seit dem Jahr 1792 die Regengüsse nicht so oft als sonst von Blitz und Donner begleitet gewesen, und man war schnell bei der Hand, sowohl die gänzliche Zerstörung von Cumana im Jahr 1799 als die Erdstöße, die man 1800, 1801 und 1802 iu Maracaybo, Porto Cabello und Caracas gespürt, „einer Anhäufung der Elektricität im Innern der Erde" zuzuschreiben. Wenn man lang in Neu-Andalusien odcr in den Niederungen von Peru gelebt hat, kann man nicht wohl in Abrede ziehen, das; zu Anfang der Regenzeit, also eben zur Zeit der Gewitter, das Auftreten von Erdbeben am meisten zu besorgen ist. Die Luft lind die Beschaffenheit der Erdoberfläche scheinen auf eine uns noch gauz un-bctannte Weise auf die Vorgänge in großen Tiefen Einfluß zu änßern, und wenn man einen Zusammenhang zwischen der Seltenheit der Gewitter und, der Häufigkeit der Erdbeben bemerkt haben will, so gründet sich dieß, meiner Meinung nach, keineswegs auf lange Erfahrung, sondern ist nur eine Hypothese der Halbgclehrtcn im Lande. Gewisse Erscheinnngen können 86 zufällig zusammentreffen. Den auffallend starken Stößen, die man am Mississippi und Ohio zwei Jahre lang fast beständig spürte, und im Jahr 181ä mit denen im Thal von Caracas zufammentrafen, ging in Louisiana ein fast gewitterloses Jahr voran, und dieß fiel wieder allgemein auf. Es lann nicht Wunder nehmen, wenn man im Vaterlande Franklins znr Erklärung von Erscheinungen gar gerne die Lehre von der Elektricität herbeizieht. Der Stoß, den man im December 1811 in Caracas spürte, war der einzige, der der schrecklichen Katastrophe vom IN.März 1813 voranging. Man wußte in Terra Firma nichts davon, daß einerseits der Vulkan anf St. Vincent sich rührte und andererseits am 7. und 8. Februar 1812 im Becken des Mississippi die Erde Tag und Nacht fortbebte. Um diese Zeit herrschte in der Provinz Venezuela große Trockenheit. In Caracas und neunzig Meilen in die Nunde war in den fünf Monaten vor dem Untergang der Hauptstadt kein Tropfen Negen gefallen. Der ä6. März war ein sehr heißer Tag; die Luft war still, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und ein großer Theil der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts verkündete die Schrecken dieses Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten Abends spürte man den ersten Erdstoß. „Er war so stark, daß die Kirchenglocken anschlugen, und währte 5—6 Secunden. Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10—12 Secunden dauernder, während der Boden in beständiger Wellenbewegung war, wie eine kochende Flüssigkeit. Schon meinte man, die Gefahr sey vorüber, als sich unter dem Boden ein furchtbares Getöse hören 1eß. Es glich dem Rollen des Donners: es war aber starker 8? und dauerte länger als der Donner in der Gewitterzeit unter den Tropen. Diesem Getöse folgte eine senkrechte, etwa 3—4 Secunden anhaltende Bewegung und dieser wiederum eine etwas längere wellenförmige Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegengesetzter Richtung, von Nord nach Süd, und von Ost nach West. ' Dieser Bewegung von unten nach oben und diesen sich kreuzenden Schwingungen konnte nichts widerstehen. Die Stadt Caracas wurde völlig über den Haufen geworfen. Tausende von Menschen (zwischen 9 und 10,000) wurden unter den Trümmern der Kirchen uud Häuser begraben. Die Procession war noch nicht ausgezogen, aber der Zndrang zu den Kirchen war so groß, daß drei bis viertausend Menschen von den einstürzenden Gewölben erschlagen wurden. Die Explosion war am stärksten auf der Nordseite, im Stadttheil, der dem Verge Avila und der Silla am nächsten liegt. Die Kirchen delta Trinidad uud Alta Gracia, die über 150 Fuß hoch waren und deren Schiff von 10—12 Fuß dicken Pfeilern getragen wurden, lagen als kaum 5—6 Fuß hohe Trümmerhaufen da. Der Schutt hat sich fo stark gesetzt, daß man jetzt fast keme Spur mehr von Pfeilern und Säulen findet. Die Kaserne el Hunrwl ö6 8»n (^rlftg, die nördlich von der Kirche della Trinidad auf dem Weg nach dem Zollhaus Paswra lag, verschwand fast völlig. Ein Regiment Linientruppen stand unter den Waffen, um sich der Procession anzuschließen; es wurde, wenige Mann ausgcuommen, nnter den Trümmern des großen Gebäudes begraben. Neun Zehnthcile der schönen Stadt Caracas wurden völlig verwüstet. Die Häuser, die nicht zusammenstürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzmer. 88 tloster, erhielten so starte Nisse, daß man nicht wagen konnte darin zu bleiben. Im südlichen und westlichen Theil der Stadt, zwischen dem großen Platz und der Schlucht des Caraguata, waren die Wirkungen des Erdbebens etwas geringer. Hier blieb die Hanptkirche mit ihren ungeheuern Etrebchfeilcrn stehen." > Vei der Angabe von 9—10,000 Todten in Caracas sind die Unglücklichen nicht gerechnet, die, schwer verwundet, erst nach Monaten aus Mangel an Nahrung und Pflege zu Grunde gingen. Die Nacht vom Donnerstag zum Charfreitag bot ein Vild unsäglichen Jammers und Elends. Die dicke Staubwolke, welche über den Trümmeru schwebte nnd wie ein Nebel die Luft verfinsterte, liatte sich zu Boden geschlagen. Kein Erdstoß war mehr zu spüren: es war die schönste, stillste Nacht. Der fast volle Mond beleuchtete die runden Gipfel der Silla, und am Himmel sah es so ganz anders aus als auf der mit Trümmern und Leichen bedeckten Erde. Man sah Mütter mit den Leichen ihrer Kinder in den Armen, die sie wieder zum Leben zu bringen hofften: Familien liefen jammernd durch die Stadt und suchten einen Bruder, eincu Gatten, einen Freund, von dem man nichts wußte und die sich in der Volksmenge ver-lorrn haben mochten. Man drängte sich durch die Straßen, die nur noch an den Reihen von Schutthaufen kenntlich waren. Alle Schrecken der großen Katastrophen von Lissabon, Messina, Lima und Riobamba wiederholten sich am UnglückMge des 26. März 1812. „Die unter den Trümmern begrabenen ' Delprche, «ur le tremblem<»nt 6e tei^e c!e Vimexuelil, en <8<2 (Manuscript). 89 Verwundeten riefen die Vorübergehenden laut um Hülfc an, und es wurden auch über zwei tausend hervorgezogen. Nie hat sich das Mitleid rührender, man kann sagen sinnreicher bethätigt, als hier, wo es galt, zu den Unglücklichen zu dringen, die man jammern hörte. Es fehlte völlig an Werkzeugen zum Graben und Wegräumen des Schuttes; man mußte die noch Lebenden mit den Händen ausgraben. Man brachte die Verwundeten und die Kranken, die sich aus den Spitälern gerettet, am Ufer des Guayre unter, aber hier fanden sie kein Obdach als das Laub der Bäume. Betten, Leinwand zum Verbinden der Wunden, chirurgische Instrumente, alles Unentbehrliche lag unter den Trümmern begraben. (5s fehlte an Allem, in den ersten Tagen sogar an Lebensmitteln, und im Innern der Stadt ging vollends das Wasser aus. Das Erdbeben hatte die Lcitungsröhren der Brunnen zertrümmert und Erdstürze hatten die Quellen verschüttet. Um Wasser zu bekommen, mußte man zum Guayre hinunter, der bedeutend angeschwollen war, und es fehlte an Gefässen." „Den Todten die letzte Ehre zu erweisen war sowohl ein Werk der Pietät, als bei der Bcsorgniß vor Verpestung der Luft geboten. Da es geradezu unmöglich war, so viele tausend halb unter den Trümmern steckende Leichen zu beerdigen, so wurde eine Commission beauftragt, sie zu verbreuneu. Mau errichtete zwischen den Trümmern Scheiterhaufen, uud die Leichenfeier dauerte mehrere Tage. Im allgemeinen Jammer flüchtete das Volk zur Andacht und zu Ceremonien, mit denen es den Zorn des Himmels zu beschwichtigen hoffte. Die einen traten zu Bittgängen zusammen und sangen Traucrchöre; andere, halb W sinnlos, beichtete« laut auf der Straße. Da geschah auch hier, was in der Provinz Quito nach dem furchtbare» Erdbeben vom 4. Februar 1797 vorgekommen war: viele Personen, die feit langen Jahren nicht daran gedacht hatten, den Segen der Kirche für ihre Verbindung zu suchen, schlössen den Vund der Ehe: Kinder fanden ihre Eltern, von denen sie bis jetzt ver-läugnet worden: Leute, die Niemand eines Betrugs beschuldigt hatte, gelobten Ersatz zu leisten: Familien, die lange in Feindschaft gelebt, versöhnten sich im Gefiihl des genieinsamen Unglücks." Wenn dieses Gefühl auf die einen versitllichend wirkte und das Herz für das Mitleid aufschloß, wirkte es in andern das Gegentheil: sie wnrden nur noch hartherziger und unmenschlicher. In großen Unfällen geht in gemeinen Seelen leichter der Edclmuth verloren als die Kraft; denn es geht im Unglück wie bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Natur: nur auf die Wenigsten wirkt sie veredelnd, gibt dem Gefühl mehr Wärme, dcn Gedanken höheren Schwung, und der ganzen Gesinnung mehr Milde. „So heftige Stöße, welche in einer Minute' die Stadt Caracas über den Haufen warfen, konnten sich nicht auf einen kleinen Strich des Festlandes beschränken. Ihre verlierenden Wirkungen verbreiteten sich über die Provinzen Venezuela, Varinas und Maracaybo, der Küste entlang, besonders aber l Die Dauer des Erdbebens, d. h. all der wellenförmigen mil» stoßende» Vewegmigen (ilni«!i!(-ini>), welche dir fnvcht-barc Katastrophe wm 2N. M.nz l«l'j herbeiführte», wlirde vcm deit ci'ien auf 50 Tecnnde», u?n andern anf < Minute 12 Secunden geschäht. 91 in die Gebirge im Innern. Gnayra, Mayauetia, Autimano, Varuta, la Vrga, Can Felipe mid Merida wurden fast gänzlich zerstört. In Guayra und in Villa de San Wipe bei den Kupferminen von Aroa kamen wenigstens vier bis fünftausend Menschen ums Leben. Auf einer Linie, die von Guayra und Caracas von OMord-Ost nach West-Süd-West den hohen Gebirgen von Niauitao und Mrida zuläuft, scheint das Erdbeben am stärksten gewesen zu seyn. Mau spürte es im Königreich Nen-Grenada von den Ausläufern der hohen Sierra de Santa Marta bis Santa Fe de Bogota und Honda am Magdalenen-strom, 180 Meilen von Caracas. Ucberall war es in den Cordilleren aus Gneiß und Glimmerschiefer oder unmittelbar an ihrem Fnß stärker als in der Ebene. Dieser Unterschied war besonders auffallend in den Savanen von Varinas und Casanare. (In dem geologischen System, nach dem alle vulkanischen und nicht vulkanischen Gebirge auf Spalten emporgestiegen sind, erklärt sich dieser Unterschied leicht.) In den Thälern von Aragua zwischen Caracas und der Stadt San Felipe waren die Stöße ganz schwach. Victoria, Maracay, Valencia, obgleich nahe bei der Hauptstadt, litten sehr wenig. In Valecillo, einige Meilen von Valencia, spie der geborstene Vodcn solche Wassennasscn aus, das; sich ein neuer Bach bildete: dasselbe ereignete sich bei Porto Cabcllo. Dagegen nahm der See von Maracaybo merkbar ab. Iu Coro fühlte man keine Erschütterung, und doch liegt die Stadt an der Küste, zwischen Städten, die gelitten haben." — Fischer, die den 26. März auf der Insel Orchila, 30 Meilen nordöstlich von Guayra, zugebracht hatten, spürten keine Stöße. Diese Abweichungen in der 92 Richtung und Fortpflanzung des Stostcs rühren wahrscheinlich von dcr eigenthümlichen Lagerung dcr Gesleinsschichlen her. Wir haben im Bisherigen die Wirkungen des Erdbebens »restlich von Caracas bis zu den Schnccgcbirgen von Santa Marta und zu dcr Hochebene von Santa Fe de Bogota verfolgt. Wir wenden uns jetzt zum Landstrich ostwärts von der Hauptstadt. Jenseits Caurimarc, im Thal des Capaya, warcu die Erschütterungen sehr stark und reichten bis zum Meridian vom Cap Codera; es ist aber höchst merkwürdig, das; sie an den Küsten von Nueva Barcelona, Cumana uud Paria sehr schwach waren, obgleich diese Küsten eine Fortsetzung des Littorals von Guayra und von Alters her dafür bekannt sind, daß sie oft von unterirdischen Bebnngen heimgesucht werden. Licße sich annehmen, dic gänzliche Zerstörung der vier Städte Caracas, Guayra, San Felipe und Merida sey von einem vulkanischen Herde unter der Insel St. Vincent oder in dcr Nähe ausgegangen, so würde begreiflich, wie dic Bewegung sich von Nordost nach Südwest auf einer Linie, die über die Eilande los Hermanos bei Blanquilla läuft, fortpflanzen konnte, ohne die Küsten von Araya, Cumana und Nueva Barcelona zu berühren. Ja der Stoß konnte sich auf diese Weise fortpflanzen, ohne daß die dazwischen liegenden Punkte, z. V. die Eilande Hermanos, die geringste Erschütterung empfanden. Tiefe Erscheinung kommt in Peru und Merico häusig bei Erdbeben vor, die seit Jahrhunderten cine bestimmte Richtung einhalten. Die Bewohner der Anden haben einen naiven Ausdruck für einen Landstrich, der an der Vebung ringsum keinen Theil nimmt: sie sagen, „er mache eine Brücke" (qus K»C6 pusnte), wie 93 um anzudeuten, daß die Schwingungen sich in ungeheurer Tiefe unter einer ruhig bleibenden Gedirgsart fortpflanzen. Fünfzehn bis achtzehn Stunden lang nach der großen Katastrophe blieb der Voden ruhig. Die Nachl war, wie schon oben gefagt, fchön und still, und erst nach dem siebenundzwanzigsten fingen die Etöße wieder an, und zwar begleitet von einen: sehr starken und sehr anhaltenden unteurdischen Getöse (braini^o). Die Einwohner ^on Caracas zerstreuten sich in der Umgegend; da aber Dörfer und Höfe so stark gelitten hatten wie die Stadt, fanden sie erst jenseits der Verge los Teaues, in den Thälern von Aragua und in den Llanos Obdach. Man spürte oft fünfzehn Schwingungen an Einein Tage. Am 5. April erfolgte ein Erdbeben, fast so stark wie das, in dem die Hauptstadt untergegangen. Der Voden bewegte sich mehrere Stunden lang wellenförmig auf und ab. In den Gebirgen gab es große Erdsälle; ungeheure Felsmassen brachen von der Eilla los. Man behauptete sogar — und diese Meinung ist noch jetzt im Lande weit verbreitet — die beiden Kuppeln der Silla seyen um, 50—60 Toisen niedriger geworden; aber diese Behauptung stützt sich auf keine Messung. Wie ich geHort, bildet man sich auch in der Provinz Quito nach allen großen Erschütterungen ein, der Vulkan Tuuguragua sey uiedriger geworden. In mehreren aus Anlas; der Zerstörung von Caracas ver-öffenllichcn Nachrichten wird behauptet, „die Silla sey ein erloschener Vulkan, man finde viele vulkanische Produkte auf dem Wege vou Gnayra nach Caracas, das Gestein sey do» t nirgends regelmäßig geschichtet und zeige überall Spuren des unterirdischen HH Feuers." Ja cs heißt weiter, „zwölf Jahre vor der großen Katastrophe haben Bolipland und ich nach unsern mineralogischen und physikalischen Untersuchungen erklärt, die Silla sey ei» sehr gefährlicher Nachbar für die Stadt, weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße von Nordorst her kommen müßten." Es kommt selten vor, daß Physiker sich wegen einer eingetroffenen Provhezcihung zu rechtfertigen haben; ich halte es aber für Wicht, den Vorstellungen von lokalen Ursachen der Erdbeben, die nur zu leicht Eingang finden, entgegen zu treten. Ueberall wo der Boden Monate lang fortwährend erschüttert worden, wie auf Jamaica im Jahr 1693, in Lissabon 175.5, in Cumaua 1766, in Piemont 1606, ist man darauf gefaßt, einen Vulkan sich öffnen zu sehen. Man vergißt, daß man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung weit unter der Erdoberfläche zu suchen hat; daß, nach zuverlässigen Aussageu, die Schwingungen sich fast im selbe» Moment tausend Meilen weit über die tiefsten Meere weg fortpflanzen; daß die größten Zerstörungen nicht am Fuß thätiger Vulkane, sondern in aus den verschiedensten Felsartcn aufgebauten Gebirgsketten vorgekommen sind. Die Gneiß-, Glimmerschiefer- und Urkalkschichteu in der Umgegend von Caracas sind keineswegs stärker zerbrochen oder unregelmäßiger geneigt, als bei Freiberg in Sachsen und überall, wo Urgebirge rasch zu bedeutender Höhe ansteigen; ich habe daselbst weder Basalt noch Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porfthyre gefunden, kurz keine Spur von erloschenen Vulkanen. Es konnte mir nie einfallen, zu äußern, die Silla uud der Cerro de Auila seyen für die Hauptstadt gefährliche Nachbarn, weil diese Berge in untergeordneten Schichten von 95 Urkalk Viele Schwefelkiese enthalten; ich erinnere mich aber, während meines Aufenthalts in Caracas gesagt zu haben, feit den« großen Erdbeben in Ouito scheine am östlichen Ende von Terra Firma der Vodcn so unruhig zu feyn, das; man besorgen müsse, mit der Zeit dürfte die Provinz Venezuela starke Erd-erschütterungcn erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land lange von Erdstößen heimgesucht worden sey, so scheinen sich in der Tiefe neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzustellen, und die in der Nichlung der Silla nordöstlich von der Stadt gelegenen Vulkane der Antillen seyen vielleicht Luftlöcher, durch welche bei einem Ausbruch die elastischen Flüssigkeiten entweichen, welche die Erdbeben auf den Küsten des Festlandes verursachen. Zwischen solchen Betrachtungen, die sich auf die Kenntniß der Oertlickkeiten und auf bloße Analogien gründen, und einer durch den Lauf der Naturereignisse bestätigten Vorhersagung ist ein großer Unterschied. Während man im Thal dcs Mississippi, auf der Infcl St. Vincent und in der Provinz Venezuela gleichzeitig starke Erdstöße spürte, wurde man am 30. April 1812 in Caracas, iu Calabozo mitten in den Steppen, und an den Ufern des Rio Apure, auf einem Landstrich von 4000 Quadiatmeilcn, durch ein unterirdisches Getöse erschreckt, das wiederholten Salven alis Geschützen vom größten Caliber glich. Es sing um zwei Uhr Morgens an; es war von keinen Stößen begleitet, und, was sehr merkwürdig ist, es war auf der Küste und 80 Meilen weit im Lande gleich stark. Ueberall meinte man, es komme durch die Luft her, und man war so weit entfernt, dabei an einen unterirdischen Donner zu denken, daß man in Caracas 9ft wie in Calabozo militärische Maßregeln ergriff, um den Platz in Verthcidigungszustand ?u setzen, da der Feind mit seinem groben Geschütz anzurücken schieu. Vein, Uebergang über den Afture unterhalb Orivantc, beim Einfluß des Nio Nula, hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die „Kanonenschüsse" eben so gut am westlichen (§nde der Provinz Varinas als ini Hafen von Guayra nördlich von der Küstenkette gehört. Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch ein unterirdisches Getöse crscbrcctt wurden, erfolgte ein großer Ausbruch des Vulkans auf der Insel St. Vincent. Der Berg, der gegen 500 Toisen hoch ist, hatte seit dem Jahr 1718 keine Lava mehr ausgeworfen. Man sah ihn kaum rauchen, als im Mai 1811 häufige Erdstöße verkündeten, daß sich das vulkanische Feuer entweder von Neuem entzündet rder nach diesem Strich der Antillen gezogen habe. Der erste Ausbruch fand erst am 27. April 1812 um Mittag statt. Der Vulkan warf dabei nur Asche aus, aber unter furchibarem Krachen. Am 30. floß die Lava über den Kraterrand lind erreichte nach vier Stunden die See. Das Getöse beim Ausbruch glich „abwechselnd Salven aus dem schwersten Geschütz und Klringewehrfeucr, und, was sehr bcachtenslverth ist, dasselbe schien weit stärker auf offener See, weit weg von der Insel, als im Angesicht des Landes, ganz in der Nähe des brennenden Vulkans." Voni Vulkan von St. Vincent bis zum Nio Apure beim Einfluß des Nula sind es in gerader Linie 210 Seemeilen (20 auf einen Grad); die Erplosionen wurden demnach in einer Entfernung gehört gleich der vom Vesuv nach Paris. Dieses Phänomen, dem sich viele Beobachtungen in der Eord.'llerc 97 der Anden anschließen, beweist, wie viel größer die unterirdische Wirkungssphäre eines Vulkans ist, als man nach den unbedeutenden Veränderungen, die cr an der Erdoberfläche hervorbringt, glauben sollte. Die Knalle, die man in der neuen Welt Tage lang 80, 100, ja 300 Meilen von einem Krater hört, gelangen nicht mittelst der Fortpflanzung des Schalls durch die Luft zu uns; der Ton wird vielmehr durch die Erde geleitet, vielleicht am Punkte selbst, wo wir uns befinden. Wenn die Ausbrüche des Vulkans von St. Vincent, des Cotovari oder Tunguragua von so weit herschallten wie eine ungeheuer große Kanone, so müßte der Schall im umgekehrten Verhältniß der Entfernung stärker werden; aber die Beobachtung zeigt, daß dieß nicht der Fall ist. Noch mehr: in der Südsee, auf der Fahrt von Guayaquil an die Küste von Mexico, fuhren Vonpland und ich über Striche, wo alle Matrosen an Bord über ein dumpfes Geräusch erfchracten, das aus der Tiefe des Meeres heraufkam und uns durch das Wasser mitgetheilt wurde. Eben fand wieder ein Ausbruch des Cotopaxi statt, und wie waren so weit von diesem Vulkan entfernt als der Aetna von der Stadt Neapel. Vom Vulkan Cotopaxi zur kleinen Stadt Honda am Ufer des Magdalenenstroms sind es nicht weniger als 145 Meilen, und doch hörte man während der großen Ausbrüche jenes Vulkans in Honda ein unterirdisches Getöse, das man für Geschützsalven hielt. Die Franciscaner verbreiteten das Gerücht, Carthagena werde von den Engländern belagert und beschossen, und alle Einwohner glaubten daran. Der Cotopaxi ist nun aber ein Kegel, der 1800 Toisen und mehr über dem Becken von Honda liegt: er steigt aus einer Hochebene empor, Humboldt, Äeisc. III. ? 98 die selbst noch 1500 Toisen mehr Meereshöhe hat als das Thal des Magdalenenstroms. All die colossalen Berge von Quito, der Provinz de los Pastos und von Popayan, zahllose Thäler und Erdspalten liegen dazwischen. Unter diesen Umständen läßt sich nicht annehmen, daß der Ton durch die Luft oder durch die obersten Erdschichten fortgepflanzt worden und daß er von da ausgegangen se.,, wo der Kegel und der Krater des Cotopaz-j liegen. Man muß es wahrscheinlich sindeu. daß der hochgelegene Tkeil des Königreichs Quito und die benachbarten Cor-dilleren keineswegs eine Gruppe einzelner Vulkane sind, sondern eine einzige aufgetriebene Masse bilden, eine ungebcure von Süd nach Nord laufende vulkanische Mauer, deren Kamm über 000 Quadratmeilen Oberfläche hat. Auf diesem Gewölbe, auf diesem aufgetriebcnen Erdstück stehen nun der Cotopari, der Tunguragua. der Antisana, der Pichincha. Man gibt jeden: einen eigenen Namm, obgleich es im Grund nur verschiedene Gipfel desselben vulkanischen Gebirgsklumpens sind. Das Feuer bricht bald durch den einen, bald durch den andern dieser Gipfel aus. Die ausgefüllten Krater erscheinen uns als erloschen» Vulkane; wenn aber auck der Cotopari und der Tunguragua in hundert Jahren nur ein- oder zweimal auswerfen, so läßt sich doch annehmen, daß das unterirdische Feuer unter der Stadt Quito, unter Pichincha und Imbaburu in bestündiger Thätigkeit ist. Nordwärts finden wir zwischen dem Vulkan Colopan und der Stadt Honda zwei andere vulkanische Vergsysteme, die Berge los Pastos und die von Popayan. Daß diese Sy-sl.'me unter sich zusammenhängen, geht unzweifelhaft aus einer 99 Erscheinung hervor, deren ich schon oben ssedacht habe, als von der gänzlichen Zerstörung der Stadt Caracas die Rede war. Vom November 1796 an stieß der Vulkan bei Pasto, der westlich von der Stadt dieses Namens am Thal dcs Rio Guaytara liegt, eine dicke Rauchsäule aus. Die Mündungen des Vulkans liegen an der Seite des Berges, auf seinem westlichen Abhang; dennoch stieg die Rauchsäule drei Monate lang so hoch über den Gebirgstamm empor, daß die Einwohner der Stadt Pasto sie fortwährend sahen. Alle versicherten uns, zu ihrer großen Ueber, aschung sey am 4. Februar 1797 der Rauch auf einmal verschwunden, ohne daß man einen Erdstoß spürte. Und im selben Augenblick wurde 65 Meilen weiter gegen Süd Mischen dem Chimborazo, dem Tunguragua und dem Altar (Capac-Urcu) die Stadt Riobamba durch ein Erdbeben zerstört, furchtbarer als alle, die im Andenken geblieben sind. Die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse läßt wohl keinen Zweifel darüber, dah die Dämpfe, welche der Vulkan von Pasto aus seinen kleinen Mündungen oder ventnmlws aussticß, am Druck elastischer Flüssigkeiten theilnahmen, welche den Voden des Königreichs Peru erschütterten und in wenigen Augenblicken dreißig bis vkrzigtausend Menschen das Leben kosteten. Um diese gewaltigen Wirkungen der vulkanischen Reactionen zu erklären, um darzuthun, daß die Vulkangruppe odcr das vulkanische System der Antillen von Zeit zu Zeit Terra Firma erschüttern kann, mußte ich mich auf die Eor-dillcre der Anden berufen. Nur auf die Analogie frifcher, und somit vollkommen beglaubigter Thalsachen lassen sich geologische Schlüsse bauen, und wo auf dem Erdball fände man großartigere 100 und mannigfaltigere vulkanische Erscheinungen, als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel und jedes Thal die Fülle ihrer Wunder ausgegossen hat? Betrachtet man einen brennenden Krater als eine vereinzelte Erscheinung, bleibt man dabei stehen, die Masse des Gesteins, das er ausgeworfen, abzuschätzen, so stellt sich die vulkanische Wirksamkeit an der gegen-wärtigen Erdoberfläche weder als sehr gewaltig, noch als sehr ausgebreitet dar. Aber das Bild dieser Wirksamkeit erweitert sich vor unserem innern Blick mehr und mehr, je näher wir den Zusammenhang zwischen den Vulkanen derselben Gruppe kennen lernen, — und dergleichen Gruppen sind z. B. die Vulkane in Neapel und auf Sicilien, die der canarischen Inseln, die der Azoren, die der kleinen Antillen, die in Mexico, in Guatimala und auf der Hochebene von Quito —; je genauer wir sowohl die Reactionen dieser verschiedenen Vulkansysteme auf einander, als die Entfernungen kennen lernen, in denen sie vermöge ihres Zusammenhangs in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit erschüttern. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei ganz gesonderte Theile. Der eine, rein mineralogische, beschäftigt sich nur mit der Untersuchung der durch das unterirdische Feuer gebildeten oder umgewandelten Gesteine, von der Trachyt- und Trapp-Porphyrformation, von den Basalten, Phonolithen und Doleriten herauf bis zu den neuesten Laven. Der andere, nicht so zugängliche und auch mehr vernachlässigte Theil hat es mit den gegenseitigen physikalischen Verhältnissen der Vulkane zu thun, mit dem Einfluß, dcn di? Systeme auf einander ausüben, mit dem Zusammenhang zwischen 101 den Wirlungen der feuerspeienden Berge und den Stößen, welche den Erdboden auf weite Strecken und lange fort in derselben Richtung erschüttern. Dieses Wissen kann nur dann fortschreiten, wenn man die verschiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit genau verzeichnet, ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke der Erschütterungen, ihr allmäliges Vorrücken in Landstrichen, die sie früher nicht erreicht hatten; das Zusammentreffen eines fernen vulkanischen Ausbruchs mit jenem unterirdischen Getöse, das so starl ist, daß die Bewohner der Anden es ausdrucksvoll unterirdisches Gebrülle und unterir-dischenDonner (bi-n,rnilio8 ^ truSuo» nubterraueos) nennen. Alle diese Angaben gehören dem Gebiet der Naturgeschichte an, einer Wissenschaft, der man nicht einmal ihren Namen gelassen hat, und die wie alle Geschichte mit Zeiten beginnt, die uns fabelhaft erscheinen, und mit Katastrophen, deren Großartigkeit und Gewaltsamkeit weit über das Maß unserer Vorstellungen hinausgeht. Man hat sich lange darauf beschränkt, die Geschichte der Natur nach den alten, in den Eingeweiden der Erde begrabenen Denkmälern zu studiren; aber wenn auch im engen Kreis sicherer Ueberlieferung nichts von so allgemeinen Umwälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Cordilleren emporgehoben und Myriaden von Seethieren begraben worden, so gehen doch auch in der jetzigen Natur, unter unsern Augen, wenn auch auf beschränktem Raum, stürmische Auftritte genug vor sich, die, wissenschaftlich aufgefaßt, über die entlegensten Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Innern des Erdballs hausen die geheimnihvollen Kräfte, deren Wirtungen an der 102 Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche von Dampfen, glühenden Schlacken, neuen vulkanischen Gesteinen und heißen Quellen, als Austreibungen zu Inseln und Verge«, als Er. schütterungen, die sich so schnell wie der elektrische Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdischer Donner, den man Monate lang, und ohne Erschütterung des Bodens, in großen Entfernungen von thätigen Vulkanen hört. . Je mehr im tropischen Amerika Cultur und Bevölkerung zunehmen werden, je fleißiger man die vulkanischen Systeme von Popayan, los Pastos, Quito, auf den kleinen Antillen, auf der Centralhochebene von Mexico beobachten wird, desto mehr muß der Zusammenhang zwischen Allsbrüchen und Erdbeben , welche den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen, allgemeine Anschauung werden. Die genannten Vulkane, besonders aber die der Anden, welche die ungeheure Hohe von 2500 Toisen und darüber erreichen, bieten dem Beobachter bedeutende Vortheile. Die Epochen ihrer Ausbrüche sind merkwürdig scharf bezeichnet. Dreißig, vierzig Jahre lang werfen sie keine Schlacken, keine Asche aus, rauchen nicht einmal. In einer solchen Periode habe ich keine Spur von Rauch auf dem Gipfel des Tunguragua und des Cotopari gesehen. Wenn dagegen dem Krater des Vesuvs eine Rauchwolke entsteigt, achten die Neapolitaner kaum darauf; sie sind an die Bewegungen dieses kleinen Vulkans gewöhnt, der oft in zwei, drei Jahren hinter einander Schlacken auswirft. Da ist freilich schwer zu beurtheilen, ob die Schlackenauswürfe im Moment, wo man im Apennin einen Erdstoß verspürt, stärker gewesen sind. Auf dem Rücken der Cordilleren hat Alles einen bestimmteren Typus. 103 Nuf einen Aschenauswurf von ein paar Minuten folgt oft zehnjährige Ruhe. Unter diesen Umständen wird es leicht, Epochen zu verzeichnen und auszumitteln, ob die Erscheinungen in der Zeit zusammenfallen. Die Zerstörung von Cumana im Jahr 179? und von Caracas im Jahr 1812 weisen darauf hin, daß die Vullane auf den kleinen Antillen mit den Erschütterungen, welche die Küsten von Terra Firma erleiden, im Zusammenhang stehen. Trotz dem kommt es häufig vor, daß die Stöße, welche man im vulkanischen Archipel spürt, sich weder nach der Insel Trinidad, noch nach den Küsten von Cumana und Caracas fortpflanzen. Diese Erscheinung hat aber durchaus nichts auffallendes. Auf den kleinen Antillen selbst beschränken sich die Erschütterungen oft auf eine einzige Insel. Der große Ausbruch des Vulkans auf St. Vincent im Jahr 1812 hatte in Martinique und Guadeloupe kein Erdbeben zur Folge. Man hörte, wie in Venezuela, starke Schläge, aber der Boden blieb ruhig. Diese Donnerschläge, die nicht mit dem rollenden Geräusch zu verwechseln sind, das überall auch ganz schwachen Erdstößen vorausgeht, hört man an den Ufern des Orinoco ziemlich oft, besonders, wie man uns an Ort und Stelle versichert hat, zwischen dem Rio Arauca und dem Cuchivero. Pater Morello erzählt, in der Mission Cabruta habe das unterirdische Getose zuweilen so ganz geklungen wie Salven von Steindöllern (p6-äi-ei-«8), daß es gewesen sey, als würde in der Ferne ein, Gefecht geliefert. Am 21. October 1766, am Tage des schreck« lichen Erdbebens, das die Provinz Neu - Andalusien verheerte, erzitterte der Boden zu gleicher Zeit in Cumana, in Caracas, 104 in Maracaybv, an den Ufern des Casanare, des Meta, des Orinoco und des Ventuario. Paler Gili hat diese Erderschütterungen in einer ganz granitischen Gebirgsgegend, in der Mission Encaramada beschrieben, wo sie von heftigen Donnerschlägen begleitet waren. Am Paurari erfolgten große Bergstürze, und beim Felsen Aravacoto verschwand eine Insel im Orinoco. Die wellenförmigen Bewegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war gleichsam das Zeichen gegeben zu den heftigen Erschütterungen, welche die Küsten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate lang erlitten. Man sollte meinen, Menschen, die zerstreut in Wäldern leben und kein anderes Obdach haben als Hütten aus Rohr und Palmblättcrn, fürchten sich nicht vor den Erdbeben. Die Indianer am Erevato und Caura entsetzen sich aber darüber, da die Erscheinung bei ihnen selten vorkommt, und selbst die Thiere im Walde erschrecken ja dabei, und die Krokodile eilen aus dem Wasser ans Ufer. Näher bei der See, wo die Erdstöße sehr häufig .sind, fürchten sich die Indianer nicht nur nicht davor, sondern sehen sie gern als Vorboten eines feuchten, fruchtbaren Jahres. Alles weist darauf hin, daß im Innern des Erdballs nie schlummernde Kräfte walten, die mit einander ringen, sich das Gleichgewicht halten und sich gegenseitig stimmen. Je mehr die Ursachen jener Wellenbewegungen des Bodens, jener Entbindung von Hitze, jener Bildung elastischer Flüssigkeiten für uns in Dunkel gehüllt sind, desto größere Aufforderung hat der Phy-filer, den Zusammenhang näher zu beobachten, der zwischen diesen Erscheinungen sichtbar besteht und auf weite Entfernungen und in sehr gleichförmiger Weise zu Tage kommt. Nur wenn 105 man die verschiedenen Beziehungen und Verhältnisse aus einem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet, wenn man sie über ein, großes Stück der Erdoberfläche durch die verschiedensten Gebirgs-arten verfolgt, kommt man dazu, den Gedanken aufzugeben, als ob die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben kleine lokale Ursachen haben könnten, wie Schichten von Schwefelkiesen und brennende Steinkohlenflöze. Wir haben uns in diesem Kapitel mit den gewaltigen Erschütterungen beschäftigt, welche die Steinkruste des Erdballs von Zeit zu Zeit erleidet, und die unermeßlichen Jammer über ein Land bringen, das die Natur mit ihren köstlichsten Gaben ausgestattet hat. Ununterbrochene Ruhe herrscht in der obern Atmosphäre, aber — um einen Ausdruck Franklins zu brauchen, der mehr witzig ist als richtig — in der unterirdischen Atmosphäre, in diesem Gemisch elastischer Flüssigkeiten, deren gewaltsame Bewegungen wir an der Erdoberfläche empfinden, rollt häusig der Donner. Wir haben von der Zerstörung so vieler volkreichen Städte erzählt und damit das höchste Maß menschlichen Elends geschildert. Ein für seine Unabhängigkeit tämpfendes Volt sieht sich auf einmal dem Mangel an Nahrung und allen Lebensbedürfnissen preisgegeben. Hungernd, obdachlos zerstreut es sich auf dem platten Lande. Viele, die nicht unter den Trümmern ihrer Häufer begraben worden, werden von Seuchen weggerafft. Das Gefühl des Jammers, weit entfernt das Vertrauen unter den Bürgern zu befestigen, untergräbt es vollends; die äußern Uebel steigern noch die Zwietracht, und der Anblick eines mit Thränen und Vlut getränkten Bodens beschwichtigt nicht den Grimm der siegreichen Partei. 106 Nachdem man bei solchen Greuelfcenen verweilt, läßt man die Einbildungskraft mit Behagen bei freundlichen Erinnerungen ausruhen. Als in den Vereinigten Staaten das große Unglück von Caracas bekannt wurde, beschloß der zu Washington versammelte Congreß einstimmig, fünf Schisse mit Mehl zur Vertheilung unter die Dürftigsten an die Küste von Vene« zuela zu senden. Diese großmüthige Unterstützung ward mit dem lebhaftesten Danke aufgenommen, und dieser feierliche Beschluß eines freien Volks, dieser Beweis der Theilnahme von Volk zu Volt, wovon die sich steigernde Cultur des alten Europa in jüngster Zeit wenige Beispiele aufzuweisen^hat, erschien als ein kostbares Unterpfand des gegenseitigen Wohlwollens, das auf immer die Völker des gedoppelten Amerikas verknüpfen soll. Mnftehntes Kapitel. Abreise von Caracas. — Gebirge von San Pedro und los Teques. — Victoria. — Thäler von Aragua. Der kürzeste Weg von Caracas an die Ufer des Orinoco Hütte uns über die südliche Kette der Berge zwischen Baruta, Salamanca und den Savanen von Ocumare, und über die Steppen oder Llanos von Olituco geführt, worauf wir uns bei Cabruta, an der Einmündung des Rio Guarico, hätten einschiffen müssen: aber auf diesem geraden Wege hätten wir unsere Absicht nicht erreicht, die dahin ging, den schönsten und kulti-virtesten Theil der Provinz, die Thäler von Aragua, zu besuchen , einen interessanten Strich der Küste mit dem Barometer zu vermessen und den Nio Apiire bis zu seinem Einfluß in den Orinoco hinabzufahren. Ein Reisender, der sich mit der Gestaltung und den natürlichen Schätzen des Bodens bekannt machen will, richtet sich nicht nach den Entfernungen, sondern nach dem Interesse, das die zu bereisenden Länder bieten. Diese entscheidende Rücksicht führte uns in die Berge los Teaues, zu den warmen Quellen von Vtariara, an die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia und über die ungeheuren Steppen von Calabozo nach 108 San Fernando am Apure im östlichen Theil der Provinz Vari-nas. Auf diesem Wege war unsere Richtung Anfangs West, dann Süd und am Ende Ost-Süd-Ost, um auf dem Apure, unter dem Parallel von 7" 36" 23" in den Orinoco zu gelangen. Da auf einem Wege von sechs bis siebenhundert Meilen die Längen durch Uebertragung der Zeit in Caracas und Cumana zu bestimmen waren, muhte nothwendig die Lage beider Städte genau und durch absolute Beobachtungen ermittelt werden. Oben ist das Resultat der am ersten Ausgangspunkt, in Cumana, angestellten Beobachtungen angegeben; der zweite Punkt, der nördliche Stadttheil von Caracas, liegt unter 10 o 30' 50" der Vreite und 69" 25' 0" der Länge. Die magnetische Declination fand ich am 22. Januar 1800 außerhalb der Stadt, am Thore bei der Pastora, 4° 36' 45" gegen Nordost, und am 30. Januar im Innern der Stadt bei der Universität 4" 39' 15", also um 26' stärker als in Cumcma. Die Inclination der Nadel war 42" 90; die Zahl der Schwingungen, welche die Intensität der magnetischen Krast angaben, war in zehn Minuten Zeit in Caracas 232, in Cumana 229. Diese Beobachtungen konnten nicht sehr oft wiederholt werden: sie sind das Ergebniß dreimonatlicher Arbeit. Am Tage, wo wir die Hauptstadt von Venezuela verließen, die seitdem durch ein furchtbares Erdbeben vernichtet worden ist, übernachteten wir am Fuße der bewaldeten Verge, die das Thal gegen Südwest schließen. Wir zogen am rechten Ufer des Guayre bis zum Dorf Antimano auf einer sehr schönen, zum Theil in den Fels gehauenen Straße. Man kommt durch la Vega und Carapa. Die Kirche von la Vega hebt sich sehr 109 malerisch von einem dicht bewachsenen Hügelzug ab. Zerstreute Häuser, von Dattelbäumen umgeben, deuten auf günstige Verhältnisse der Bewohner. Eine nicht sehr hohe Bergkette trennt den kleinen Guayrefluß vom Thale de la Pascua, l ^Z ^ der Geschichte dcs Landes eine große Rolle spielt, und von den alten Goldbergwcrken von Varuta und Oripoto. Auf dem Wege aufwärts nach Carapa hat man noch einmal die Aussicht auf die Silla, die sich als eine gewaltige, gegen das Meer jäh abstürzende Kuppel darstellt. Dieser runde Gipfel und der wie eine Mauerzinne gezackte Kamm des Galipano sind die einzigen Berggestalten in diesem Becken von Gneiß und Glimmerschiefer, die der Landschaft Charakter geben: die übrigen Höhen sind sehr einförmig und langweilig. Beim Dorfe Antimano waren alle Baumgärten voll blühender Pfirsichbäume. Aus diesem Dorf, aus Valle und von den Ufern des Macarao kommen eine Menge Pfirsiche, Quitten und anderes europäisches Obst auf den Markt in Caracas. Von Antimano bis las Ajuntas geht man siebzehn mal über den Guayre. Der Weg ist sehr beschwerlich; statt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man vielleicht besser, dem Fluß ein anderes Nett anzuweisen, der durch Einsickerung und Verdunstung sehr viel Wasser verliert. Jede Krümmung bildet eine größere oder kleinere Lache. Diese Verluste sind nicht l Thal de« Cortes oder Osterthal. so grnannt. weil Diego de Losada, nachdem er die Traue«-Indianer und ihren Cazileu Guay- caypuro i» de» Vergen von San Pedro geschlagen, im Jahr !567 die Ostertage daselbst zubrachte, ehe er in das Thal San Francisco drang, wo er die Stadt Caracas gründete. Ittt gleichgültig in einer Provinz, wo der ganze bebaute Boden, mit Ausnahme des Strichs zwischen der See und der Küsten, berqtette von Mariara und Niguatar, sehr trocken ist. Es regnet weit seltener und weniger als im Innern von Neu-Andalusien, in Cumanacoa und an den Ufern des Guarapiche. Viele Berge der Provinz Caracas reichen in die Woltenrcgion hinauf, aber die Schichten des Urgebirgs sind unter einem Winkel von 70—60« geneigt und fallen meist nach Nordwest, so daß die Wasser entweder im Gebirg versinken oder nicht südlich, sondern nördlich an den Küstcngebirgen von Niguatar, Avila und Mariara in reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus, daß die Gneuß- und Glimmerschieferschichten gegen Süd aufgerichtet sind, scheint sich mir größtentheils die große Dürre des Küstenstrichs zu erklären. Im Innern der Provinz findet man Strecken von zwei, drei Quadratmeilen ohne alle Quellen. Das Zuckerrohr, der Indigo und der Kaffcebaum können nur da gedeihe«, wo Wasser fließt, mit dem man während der großen Dürre künstlich bewässern kann. Die ersten Ansiedler haben unvorsichtiger Weise die Wälder niedergeschlagen. Auf einem steinig! en Boden, wo Felsen ringsum Wärme strahlen, ist die Verdunstung ungemein stark. Die Berge an der Küste gleichen einer Mauer, die von Ost nach West vom Cap Codera gegen die Landspitze Tucacas sich hinzieht; sie lassen die feuchte Küstenluft, die untern Luftschichten, die unmittelbar auf der See aufliegen und am meisten Wasser aufgelöst haben, nicht ins innere Land kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige Schluchten, die wie die Schlucht von Catia oder Tipe < vom « S. Vandlll. Ecite 2«. Ill Meercsufer in die hochgelegenen Längen thüler hinaufführen. Da ist kein großes Flußbett, lein Meerbusen, durch die der Ocean in das Land einschneidet und durch reichliche Verdunstung Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 6. und 10. Breitegrad werfen da, wo die Wolken nicht nahe am Boden hinziehen, die Väume im Januar und Februar die Blatter ab, sicher nicht, wie in Europa, weil die Temperatur zu niedrig wird, sondern weil in diesen Monaten, die am weitesten von der Regenzeit entfernt sind, die Luft dem Maximum von Trockenheit sich nähert. Nur die Gewächse mit glänzenden, start leder-artigcn Blättern halten die Dürre aus. Unter dem schönen tropischen Himmel befremdet den Reisenden der fast winterliche Charakter des Landes: aber das frischeste Grün erscheint wieder, sobald mau an die Ufer des Orinoco gelangt. Dort herrfcht ein anderes Klima und durch ihre Beschattung unterhalten die großen Walder im Boden einen gewissen Grad von Feuchtigkeit und schützen ihn vor der verzehrenden Sonnengluth. Jenseits des kleinen Dorfes Antimano wird das Thal be» deutend enger. Das Flußufer ist mit Lata bewachsen, der schönen Graoart mit zweizeiligen Blättem, die gegen dreißig Fuß hoch wird und die wir unter dem Namen Gynerium (Moolinl()i665) beschrieben haben. Um jede Hütte stehen ungeheure Stämme von Persea (I^urug korsea), an denen Aristolochien, Paullinien und eine Menge anderer Schlingpflanzen wachsen. Die benachbarten bewaldeten Berge scheinen dieses westliche Ende des Thales von Caracas feucht zu erhalten. Die Nacht vor unserer Ankunft in las Ajuntas brachten wir auf einer Zucterpflanzung zu. I« einem vierectigten Haus 112 lagen gegen 80 Neger auf Ochsenhäuten am Boden. In jedem Gemach waren vier Sklaven, und das Ganze sah aus wie eine Kaserne. Im Hof brannten ein Dutzend Feuer, an denen gekocht wurde. Auch hier siel uns die lärmende Lustigkeit der Schwarzen auf und wir konnten kaum schlafen. Wegen des bewölkten Himmels konnte ich keine Sternbeobachtungen machen' der Mond kam nur von Zeit zu Zeit zum Vorschein, die Landschaft war trübselig einförmig, alle Hügel umher mit Magueys bewachsen. Man arbeitete an einem kleinen Kanal, der über 70 Fuß hoch das Wasser des Nio San Pedro in den Hof leiten sollte. Nach einer barometrischen Beobachtung liegt der Boden der Hacienda nur 50 Toisen über dem Bett des Guayre bei Nona in der Nähe von Caracas. Der Boden dieses Landstrichs erwies sick zum Bau des Kaffeebaums nicht sehr geeignet: er gibt im Allgemeinen im Thale von Caracas einen geringeren Ertrag, als man Anfangs vermuthet hatte, da man bei Chacao mit dem Anbau begann. Um sich von der Wichtigkeit dieses Handelszweiges im Allgemeinen einen Begriff zu machen, genügt die Angabe, daß die ganze Provinz Caracas zur Zeit ihrer höchsten Blüthe vor den Rl'volutionstriegen bereits 50—60,000 Centner Kaffee erzeugte. Dieser Ertrag, der den Ernten von Guadeloupe und Martinique zusammen fast gleichkommt, muß desto bedeutender erscheinen, da erst im Jahre 1764 ein achtbarer Bürger, Don Bartholo-meo Blandin, die ersten Versuche mit dem Kaffeebau auf der Küste von Terra Firma gemacht hatte. Die schönsten Kaffeepflanzungen sind jetzt in der Savane von Ocumare bei Salamanca und inRincon, sowie im bergigten Lande los Manches, 113 San Antonio Hatillo und los Budares. Der Kaffee von den drei letztgenannten, ostwärts von Caracas gelegenen Orten ist von vorzüglicher Güte; aber die Sträucher tragen dort weniger, was man der hohen Lage und dem kühlen Klima zuschreibt. Die großen Pflanzungen in der Provinz Venezuela, wie Agua-catcs bei Valencia und le Rincon, geben in guten Jahren Ernten von 3000 Centnern. Im Jahr 1796 betrug die Ge-fammtausfuhr der Provinz nicht mehr als 4800 Centner, im Jahr 1804 10,000 Centner: sie hatte indessen schon im Jahre 1789 begonnen. Diese Preise schwankten zwischen 6 und 18 Piastern der Centner. In der Havana sah man denselben auf 3 Piaster falle«: zu jener für die Colonislen so unheilvollen Zeit, in den Jahren 1810 und 1812, lagen aber auch über zwei Millionen Centner Kaffee (im Werth von zehn Millionen Pfund Sterling) in den englischen Magazinen. Die große Vorliebe, die man in dieser Provinz für den Kasfeebau hat, rührt zum Theil daher, daß die Bohne sich viele Jahre hält, während der Cacao, trotz aller Sorgfalt, nach zehn Monaten oder einem Jahr in den Magazinen verdirbt. Während der langen Kriege zwischen den europäischen Mächten, wo das Mutterland zu schwach war, um den Handel seiner Colonien zu schützen, muhte sich die Industrie vorzugsweise auf ein Produkt werfen, das nicht schnell abgesetzt werden muß und bei dem man alle politischen und Handelsconjunkturen abwarten kann. In den Kasscepflanzungen von Caracas nimmt man, wie ich gesehen, zum Versetzen nicht leicht die jungen Pflanzen, die zufällig unter den tragenden Bäumen aufwachsen: man läßt vielmehr die Bohnen, getrennt von der Beere, aber Humboldt, Rtise, lll. 8 114 doch noch mit einem Tbeil des Fleisches daran, in Haufen zwischen Bananenblättern sünf Tage lang keimen lind steckt sofort den geleimten Samen. Die so gezogenen Pflanzen widerstehen der Sonnenhitze bester als die, welche in der Pflanzung selbst im Schatten aufgewachsen sind. Man setzt hier zu Lande gewöhnlich 5300 Bäume auf die Vanega, die gleich ist 5476 Quadrattoism. Ein solches Grundstück kostet, wenn es sich bewässern läßt, im nördlichen Theil der Provinz 500 Piaster. Der Kaffeebanm blüht erst im zweiten Jahr und die Vlüthe währt nur 24 Stunden. In dieser Zeit nimmt sich der kleine Baum schr gut aus: von weitem meint man. er sey beschneit. Im dritten Jahr ist die Ernte bereits sehr reich. In gut gejäteten und bewässerten Pflanzungen auf frisch umgebrochenem Vodeu gibt es ausgewachsene Bäume, die 16, 18, sogar 20 Pfuud Kaffee tragen: indessen darf man nur 1'/2"2 Pfund auf den Stamm rechnen, und dieser durchschnittliche Ertrag ist schon größer als auf den Antillen. Der Negen, wenn er in die Vlüthczeit fällt, der Mangel an Wasser zum Ueberrieseln und ein Schmarotzergewächs, eine neue Art Lorantbus, das sich an den Zweigen ansetzt, richten großen Schaden in den Kaffeevflanzungen an. Auf Pflanzungen von 8000 bis 10,000 Stämmen gibt die fleischige Beere des Kafseebaums eine ungeheure Masse organischen Stoffs, und man muß sich wundern, daß man nie versucht hat Alkohol daraus zu gewinnen. Wenn auch die Unruhen auf St. Domingo, der augenblickliche Aufschlag der Colonialwaaren und die Auswanderung der französischen Pflanzer den ersten Anlaß zum Bau des Kaffees auf dem Festland von Amerika, auf Cuba und 115 Jamaica gaben, so bat dock, was sie an Kaffee geliefert, keineswegs blos; das Deficit gedeckt, das dadurch entstanden war, daß die französischen Antillen nichts mehr ausführten. Dieser Ertrag steigerte sich, je mehr die Bevölkerung und bei veränderter Lebensweise der Luxus bei den europäischen Völkern zunahmen. Zu Necters Zeit im Jahr 1780 führte St. Domingo gegen 76 Millionen Pfund Kaffee aus. Im Jahr 1817 und den drei folgenden Jahren war die Ausfuhr, nach Colauhoun, noch 36 Millionen Psund. Dcr Kaffeebau ist nicht so mühsam und kostspielig als der Bau dcs Zuckerrohrs und hat unter den: Regiment der Schwarzen nicht so sehr gelitten als letzterer. Das sich ergebende Tchcit von 40 Millionen Pfund witd nun von Jamaica, Cuba, Suriuam, Demcrary, Varbice, Cmv.yao, Venezuela und der Insel Java weit mehr als gedeckt, indem alle zusammen 75,900,000 Pfund erzeugen. Die Gesammtciufuhr von Kaffee aus Amerika nach Europa übersteigt jetzt 106 Millionen Pfund französischen Markgewichts. Rechnet man dazu 4—5 Millionen von Isle dc France und der Insel Bourbon, und 30 Millionen aus Arabien und Java, so ergibt sich, daß der Gesammw-rbrauch von Europa in» Jahr 1819 auf ?twa 140 Millionen Pfund gestiegen seyn mag. Nel meinen Untersuchungen über die Cclonialwaaren im Jahr 1810 1 habe ich eine geringere Zahl angenommen. Bei diesem ungeheuren Kaffeeverbi auch hat der Verbrauch von Thee keineswegs abgenommen, vielmehr ist die Ausfuhr aus China in den letzten fünfzehn Jahren um mchr als ein Vier- ' S. Humboldt. N55U? smlitili'ie 5'" ^ 5l«i<,ul>. !'. ll, paß- 43ti. 1t6 theil stärker geworden. Im gebirgigen Theil der Provinzen Caracas und Cumana tonnte Thee so gut gebaut werden als Kaffee. Man findet dort alle Klimate wie in Stockwerken über einander, und dieser neue Culturzweig würde eben so gut gedeihen, wie in der südlichen Halbkugel, wo in Brasilien unter einer Regierung, die großsinnig dic Industrie und die religiöse Duldung in ihren Schutz nimmt, der Thee, die Chinesen und Fo's Glaubenssätze zumal eingewandert sind. Noch sind es nicht hundert Jahre her, seit in Surinam und auf den Antillen die ersten Kasseebäume gepflanzt wurden, und bereits hat der Ertrag der amerikanischen Ernte einen Werth von 15 Millionen Piastern, den Centner Kaffee nur zu 14 Piastern gerechnet. Am 8. Februar bei Sonnenaufgang brachen wir auf, um über den Higuerote zu gehen, einen hohen Gebirgszug zwischen den beiden Längenthälern von Caracas und Aragua. Nachdem wir bei las Ajuntas, wo die kleinen Flüsse San Pedro und Macarao sich zum Guayre vereinigen, über das Wasser gegangen waren, ging es an steilem Berghang hinauf zur Hochebene von Vuonavista, wo ein paar einzelne Häuser stehen. Man sieht hier gegen Nordost bis zur Stadt Caracas, gegen Süd bis zum Dorf los Teaues. Die Gegend ist wild und waldreich. Die Pflanzen des Thals von Caracas waren nach und nach ausgeblieben. Wir befanden uns in 635 Toisen Meereshöhe, alsu fast so hoch als Popayan, aber die mittlere Temperatur ist schwerlich höher als 17—18". ^ Die Straße ' t3°.e—l4°,4 Rraumul. ,17 über diese Berge ist sehr belebt: jeden Augenblick begegnet man langen Zügen von Maulthieren und Ochsen: es ist die große Straße von der Hauptstadt nach Victoria und in die Thäler von Aragua. Der Weg ist in einen taltigten zersetzten Gneiß gehauen. Ein mit Glimmerblättern gemengter Thon bedeckt drei Fuß hoch das Gestein. Im Winter leidet man vom Staub und in der Regenzeit wird der Boden ein Morast. Abwärts von der Ebene von Buonavista, etwa fünfzig Toisen gegen Südost, kommt man an eine starke Quelle im Gneiß, die mehrere Fälle bildet, welche die üppigste Vegetation umgibt. Der Pfad zur Quelle hinunter ist so steil, daß man die Wipfel der Baumfarn, deren Stamm 25 Fuß hoch wird, mit der Hand berühren kann. Die Felsen ringsum sind mit Iunger-mannia und Moosen aus der Familie Hypnum bekleidet. Der Bach schießt im Schatten von Heliconien hin und entblößt die Wurzeln der Plumeria, des Cupey, der Brownea und des ^iou8 ßi^kuw». Dieser feuchte, von Schlangen heimgesuchte Ort gewährt dem Botaniker die reichste Ausbeute. Die Brownea, von den Eingeborenen kosa äei inouts oder kal« 8lr, die (ület^i-ll sgZitoIia. Mitten nnter diesen, der schönen Region der Vaumfarn (region 6y los keiecl^os) eigenthümlichen Gewächsen erheben sich in den Lichtungen hie und da Palmbäume nnd Gruppen von Guarumo oder Lecropia mit silberfarbigen Blättern, deren dünner Stamm am Gipfel schwarz ist, wie verbrannt vom Sauerstoff der Luft. Es ist auffallend, daß ein so schöner Baum vom Habitus der Theophrasta und der Palmen meist nur acht bis zehn Kronblatter hat. Die Ameisen, die im Slamm des Guarumo hausen nnd das Zellgewebe im Innern zerstören, scheinen das Wachsthum dcs Baums zu hemmen. Wir hatten in diese» kühlen Bergen von Higuerote schon einmal botanisirt, im December, als wir den General-capitän Guevara auf dem Ausflug begleiteten, den er mit dem Intendanten der Provinz in die Vall es de Aragua machte. Damals entdeckte Aonvland im dicksten Wald ein paar Stämme des Aguatire, dessen wegen seiner schönen Farbe berühmtes Holz einmal ein Ausfuhrartikel nach Europa werden kann. Es ist die von Bredemayer und Willdenow beschriebene siokiußie». «r^tlirox^Ion. Vom bewaldeten Verge Hwuerote kommt man gegen Süd-west zum kleinen Dorfe San Pedro herunter (Höhe 584 Toisen), das in einem Becken liegt, wo mehrere kleine Thäler zusammenstoßen, und fast 300 Toisen tiefer als die Ebene von Buona-vista. Man baute hier neben einander Bananen, Kartoffeln und Kaffee. Das Dorf ist sehr klein und die Kirche noch nicht ausgebaut. Wir trafen in einer Schenke (pulperm) mehrere 119 bei der Tabakspacht angestellte Hispano-Euroftaer. Ihre Stimmung war von der unfrigen sehr verschieden. Vom Marsche ermüdet, brachen sie in Klagen und Verwünschungen aus über das unselige Land (68w8 tierlks infklioss), in dem sie leben müßten. Wir dagegen konnten die wilde Schönheit der Gegend, die Fruchtbarkeit des Bodens, das angenehme Klima nicht genug rühmen. Das Thal von San Pedro mit dem Flüßchen dieses Namens trennt zwei große Bergmassen, die des Higuerote und die von las Cocuyzas. Es ging nun gegen West wieder aufwärts über die kleinen Höfe las Lagunetas und Garavatos. Es sind dieß nur einzelne Häuser, die als Herbergen dienen; die Maulthiertreiber finden hier ihr Licblingsgetränk, Guarapo, gegohrenen Zuckerrohrsaft. Besonders die Indianer, die auf dieser Straße hin und her ziehen, sind dem Trunke sehr ergeben. Bei Garavatos steht ein sonderbar gestalteter Glimmer-schieserfels, ein Kamm oder eine steile Wand, auf der oben ein Thurm steht. Ganz oben auf dem Berge las Cocuyzas öffneten wir den Barometer und fanden, daß wir hier in derselben Höhe waren wie auf Buonavista, kaum 10 Toisen höher. Die Aussicht auf las Lagunetas ist sehr weit, aber ziemlich einförmig. Dieser gebirgige, unbebaute Landstrich zwischen den Quellen des Guayre und des Tuy ist über 25 Quaoratmellen groß. Es gibt darin ein einziges elendes Dorf, los Teaues, südöstlich von San Pedro. Der Boden ist wie durchfurcht von unzähligen kleinen Thälern, und die kleinsten, neben einander herlaufenden münden unter rechtem Winkel in die größeren aus. Die Berggipfel sind eben so einförmig wie die Thalschluchten; 120 nirgends eine Pyramidalische Bildung oder eine Auszackung, nirgends ein steiler Abhang. Nach meiner Ansicht rührt das fast durchgängig flache, wellenförmige Relief dieses Landstrichs nicht sowohl von der Beschaffenheit der Gebirgsart her, etwa von der Zersetzung des Gneißes, als vielmehr davon, daß das Wasser lange darüber gestanden und die Strömungen ihre Wirtungen geäußert haben. Die Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen dieselbe Bildung. Von las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter. Dieser westliche Abhang der Berggruppe los Teaues heißt las Cocuyzas: er ist mit zwei Pflanzen mit Agaveblättern, mit dem Maguey de Cocuyza und dcm Maguey de Cocuy bewachsen. Letzterer gehört zur Gattung Aucca (unsere ^ncoa aeaulis); aus dem gegohrenen, mit Zucker versetzten Saft wird Branntwein gebrannt, auch habe ich die jungen Blätter essen fehen. Aus den Fasern der ausgewachsenen Blätter werden ungemein feste Stricke verfertigt. ^ Hat man die Berge Higuerote und los Teques hinter sich, so betritt man ein reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern, unter denen welche sind, die in Europa Städte hießen. Von Ost nach West, auf einer Strecke von 1s Meilen, kommt man durch Victoria, San Matheo, Turmero und Maracay, die zusammen über 28,000 Einwohner haben. Die Ebenen am Tuy sind a!s der östliche Ausläufer der Thäler von Aragua zu betrachten, die sich von Guigue, am Ufer des Sees von Valencia, bis an den Fuß der Berge las Cocuyzas erstrecken. Durch barometrische l An der Uhr in der Hauplkirche von Caracas trug ,in 5 Linien dicker Maqueystiick seit !5 Jahren ein Gewicht von 330 Pfund. 121 Messung fand ich das Tuythal beim Hofe Manterola 295 Toisen und den Spiegel des Sees 222 Toisen über dem Meer. Der Tuy, der in den Bergen las Cocuyzas entspringt, läuft Anfangs gegen West, wendet sich dann nach Süd und Ost längs der hohen Savanen von Ocumare, nimmt die Gewässer des Thals von Caracas auf und fällt unter dem Winde des Cap Codcra ins Meer. Wir warcn schon lange an eine mäßige Temperatur gewöhnt, und so kamen uns die Ebenen am Tuy sehr heiß vor, und doch stand der Thermometer bei Tag zwischen eilf Uhr Morgens und fünf Uhr Abends nur auf 23—24°. Die Nächte waren köstlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17",5 ^ sank. Je mehr die Hitze abnahm, dest» stärker schienen die Wohlgerüche der Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus erkannten wir den köstlichen Geruch des I^irio kermoso, einer neuen Art von ?Nuoratium, deren Blüthe 8—9 Zoll lang ist und die am Ufer des Tuy wächst. Wir verlebten zwei höchst angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joses de Manterola, der in der Jugend Mitglied der spanischen Gesandtschaft in Rußland gewefen war. Als Zögling und Günstling Xavedras, eines der einsichtsvollsten Intendanten von Caracas, wollte er sich, als der berühmte Staatsmann ins Ministerium getreten war, nach Europa einschiffen. Der Gouverneur der Provinz fürchtete Manterolas Einfluß und ließ ihn im Hafen verhaften, und als der Befehl von Hof anlangte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der Minister bereits nicht mehr in Gunst. Es ' l4" Reaumur. 122 hält schwer, auf 1500 Meilen, von der südamerikanischen Küste, rechtzeitig einzutreffen, um von der Macht eines hochgestellten Mannes Nutzen zu ziehen. Der Hof, auf dem wir wohnten, ist eine hübsche Zuckerplanlage. Der Boden ist eben wie der Grund eines ausgetrockneten Eees. Der Tuy schlangelt sich durch Gründe, die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von llurg. orepitHus, Lr^tkrin«, oorullo-ljkn^roii und Feigenbäunnn mit Nvm-fthäcnblättern bewachsen sind. Das Flußbett besteht aus Quarz-geschieben, und ich wüßte nicht, wo man angenehmer badete als im Tuy: das krystallhelle Wasser behält selbst bei Tag die Temperatur von 16°,6. Das ist sehr kühl für dieses Klima und für eine Meereshöhe von 300 Toisen, aber der Fluß entspringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des Eigen-tl-ümers liegt auf einem 15—20 Toisen hohen Hügel und ringsum stehen die Hütten der Neger. Die Verheiratheten sorgen selbst für ihren Unterhalt. Wie überall in den Thälern von Aragua weist man ihnen ein kleines Grundstück an, das sie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen freien Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten Hühner, zuweilen sogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie gut sie es haben, wie im nördlichen Europa die gnädigen Herren den Wohlstand der leibeigenen Bauern rühmen. Am Tage unserer Ankunft sahen wir drei entsprungene Neger einbringen, vor Kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge einer der Prügelscenen sein zu müssen, die einem überall, wo die Sklaverei herrscht, das Landleben verbittern: glücklicherweise wurden die Schwarzen menschlich behandelt. 123 Auf dieser Pflanzung, wie überall in der Provinz Venezuela, unterscheidet man schon von Weitem die drei Arten Zuckerrohr, die gebaut werden, das creolische Rohr, das otaheitische und das batavische. Die erstere Art hat ein dunkleres Blatt einen dünneren Stengel und die Knoten stehen näher bei einander: es ist dieß das Zuckerrohr, das aus Indien zuerst auf Sicilien. auf den Canarien und auf den Antillen eingeführt wurde. Tie zweite Art zeichnet sich durch ein helleres Grün aus; der Stengel ist höher, dicker, saftreicher; die ganze Pflanze verräth üppigeres Wachsthum. Man verdankt sie den Reisen Bougainvilles, Cooks und Vlighs. Bougainville brachte sie nach Cayenne, von wo sie nach Martinique, und vom Jahr 1792 an auf die andern Antillen tam. Das otaheilische Zuckerrohr, der To der Insulaner, ist eine der wichtigsten Bereicherlingen, welche die Landwirthschaft in den Colonien seit einem Jahrhundert reisenden Naturforschern verdankt. Es gibt nicht nur auf demselben Areal ein Drittheil mehr Vezou als das creolische Zuckerrohr; sein dicker Stengel und seine feste Holzfaser liefern auch ungleich mehr Brennstoff. Letzteres ist für die Antillen von großem Werth, da die Pflanzer dort wegen der Ausrodung der Wälder schon lange die Kessel mit ausgepreßten; Rohr heizen müssen. Ohne dieses neue Gewäcks, ohne die Fortschritte des Ackerbaus auf dem Festland des spanischen Amerika und die Einführung des indischen und Iavazuckers, Hütten die Revolutionen auf St. Domingo und die Zerstörung der dortigen großen Zuckcrpflanzungen einen noch weit bedeutenderen Einfluß auf die Preise der Colonialwaarcn in Europa geäußert. Nach Caracas kam das vtaheitische Rohr von der Insel Trinidad, von 124 Caracas nach Cucuta und San Gil im Königreich Neu-Grenada. Gegenwärtig, nach fünfundzwanzigjährigem Anbau, ist die Ne-sorgniß verschwunden, die man Anfangs gehegt, das nach Amerika verpflanzte Rohr möchte allmühlig ausarten und so dünn werden wie das creolische. Wenn es eine Spielart ist, so ist es eine sehr conftante. Die dritte Art, das violette Zuckerrohr, Oann. äs Latavig, oder > 39' 14" Länge: nach dem Chronometer fand ich 4^ 39' 10". Dieß waren die letzten Bedeckungen, die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoco beobachtet; mittelst derselben wurde das östliche Ende der Thäler von Aragua und der Fuß der Berge las Cocuyzas ziemlich genau bestimmt. Nach Meiidianhöhen von Canopus fand ich die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10" 16' 55", am 10. Februar 10« 16' 34". Trotz der großen Trockenheit der Luft flimmerten die Sterne bis zu 80 Grad Höhe, was unter dieser Zone sehr selten vorkommt und jetzt vielleicht das Ende der schönen Jahreszeit verkündete. Die Inclination der Magnetnadel war 41« 60' und 228 Schwingungen in 10 Minuten Zeit gaben die Intensität der magnetischen Kraft an. Die Abweichung der Nadel war 4" 30' gegen Nordost. Während meines Aufenthalts in den Thälern des Tny und von Aragua zeigte sich das Zodiacallicht fast jede Nacht in un-gemciuem Glänze. Ich hatte es unter den Tropen zum erstenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr Abends gesehen. Die Spitze der Pyramide stand 53 Grad hoch. Der Schein verschwand fast ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit), beinahe 3 Stunden 50 Minuten nach SonnemüUcrgang, ohne daß der klare Himmcl sich getrübt hätte. Echon La Caillc war Humboldt, Rcifc, lll. 9 130 auf sciner Reise nach 3iio Janeiro lind dcm Cap aufgefallen, wie schön sich das Zodiacallicht unter den Tropen ausnimmt, nicht sowohl weil es weniger geneigt ist, als wegen der großen Reinheit der Luft. Man müßte es auch auffallend finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominic Cassini die Ecefakrer, welche die Meere beider Indien besuchten, die gelehrte Welt Europas auf diesen Lichtschimmer von so bestimmter Forin und Bewegung aufmetksam gemacht haben, wenn mau nicht wußte, wie wenig sie bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sich um Alles kümmerten, was nicht unmittelbar auf den Lauf des Schiffes und auf die Steuerung Bezug hatte. So glänzend das Zodiacallicht im trocknen Tuythale war, so sah ich es doch noch weit schöner auf dcm Nückcn der Cor-dillerm von Mexico, am Ufer des Sees von Tezcuco, in 1160 Toisen Meereshöhe. Auf dieser Hochebene geht der De-lucsche Hygrometer auf 15" zurück, mW bei einem Luftdruck von 21 Zoll 8 Linien ist die Schwächung des Lichts '/ic,ci5"'al geringer als auf den Niederungen. Im Januar 1804 reichte die Helle zuweilen mehr als 60 Grad über deu Horizont herauf. Die Milchstraße erschien blaß nebcn dein Glanz des Zo-diacallichts, und wenn bläulichte zerstreute Wölkchen gegen West am Himmel schwebten, meinte man, der Mond sey am Aufgehen. Ich muß hier einer sehr auffallenden Beobachtung gedenken, die sich in meinem an Ort und Stelle geführten Tagebuch mehrmals verzeichnet findet. Am 18. Januar und am 15. Februar 1800 zeigte sich das Zodkacallicht nach je zwei Minuten sehr merkbar jetzt schwächer, jctzt wieder stärker. Bald war es sehr 131 schwach, bald heller als der Glanz der Milchstraße im Schützen. Der Wechsel erfolgte in der ganzen Pyramide, besonders aber im Innern, weit von den Rändern. Während dieser Schwankungen dcs ZodiacallichtZ zeigte der Hygrometer große Trockenheit an. Die Sterne vierter und fünftcr Größe erschienen dcm bloßen Auge fortwährend in derselben Lichtstärke. Nirgends war ein Wolkenstreif am Himmel zu sehen, und nichts schien irgendwie die Reinheit der Luft zu beeinträchtigen. In andern Jahren, in der südlichen Halbkugel, sah ich das Licht einc halbe Stunde, ehe es verschwand, stärker werden. Nach Dominic Cassini sollte „das Zodiacallicht in manchen Jahren schwächer und dann wieder so stark werden wie Anfangs." Er glaubte, dieser allmähliche Lichlwechsel „hänge mit denselben Emanationen zusammen, in deren Folge auf der Sonnenschcibe periodisch Flecken und Fackeln erscheinen:"'aber der ausgezeichnete Veobach-ter erwähnt nichts von einem solchen raschen, innerhalb weniger Minuten erfolgenden Wechsel in der Stärke des Zodiacallichtes, wie ich denselben unter den Tropen öfters gesehen. Menan behauptet, in Frankreich sehe man in den Monaten Februar und März ziemlich oft mit dem Zodiacalschein eine Art Nordlicht sich missen, das er das unbestimmte nennt, und dessen Lichtncbel sich entweder um den ganzen Horizont verbreitet oder gegen Westen erscheint. Ich bezweifle, d.ch in den von mir beobachteten Fälleu diese beiderlei Lichtscheine sich gemengt haben. Der Wechsel in der Lichtstärke erfolgte in bedeutenden Höhen, das Licht war weiß, nicht farbig, ruhig, nicht zitternd. Zudem sind Nordlichter unter den Tropen so selten sichtbar, daß ich in fünf Jahren, so oft ich auch im Freien lag und das t32 Himmelsgewölbe anhaltend und sehr aufmerksam betrachtete, nie pine Svur davon bemerken konnte. blicke ich, was ich in Vezug ans die Zu- und Ab-nawe des Zodiacallichts in meinen Notizen verzeichnet habe, so möcbte ich glauben, daft diese Veränderungen doch nicht alle Heinbar sind, noch von gewissen Vorgängen in der Atnwftihäre abhängen. Zuweilen, in ganz heitern Nächten suchte ich das ^di.callicht vergebens, während es Tags zuvor sich lm größten Glänze gezeigt hatte, i Soll man annehmen, daß Emanationen, die das weiße Licht «flecken, und die mit dem Schweif der Cometen Aehnlichkeit zu haben scheinen, zu gewisien ZeUen schwächer sind? Die Untersuchungen über den Zodiacal,chem be- men noch mehr Interesse, seit die Matbenmtiker uns bewiesen wben, daß uns die wahre Ursache dcr Lychemung unbekannt ist Der berühmte Verfasser der m^mque es^w hat darqethan, daß die Sonne natmosfthäre nicht einmal bis znr Merki.rsbahn reichen kann, und daß sie m kelnem ,all m der Linsenform erscheinen könnte, die das Zodweall.cht nach der Beobachtung haben muß. Es lassen sich zudem über das We,en dieses Lichtes dieselben Zweifel erheben, wie über das der Eometen-schweife. Ist es wirklich rcfwirtes,- oder ist es direktes ^icht? Hoffentlich werden reisende Naturforscher, welche unter die Tropen kommen, sich mit Polarisationsapvaraten versehen, um diesen wichtigen Punkt zu erledigen. Am N. Februar mit Sonnenaufgang bracheu wir von der Pflanzung Mantcrola auf. Der Weg führt an den lachenden ' Mairan ist dirselbc Erscheinung in Gxwpa aufgcfallrn, 133 Ufern des Tuy hin, der Morgen war kühl und feucht, und die Luft durchwürzt vom köstlichen Geruch des I^nel-atium unäulawm und anderer großer Liliengewächse. Man kommt durch das hübsche Dorf Mmnon oder Consejo, das in der Provinz wegen eines wunderthätigen Muttergottesbildes berühmt ist. Kurz vor Mamon machten wir auf einem Hofe der Familie Monteras Halt. Cine über hundert Jahre alte Negerin saß vor einer kleinen Hütte aus Rohr und Erde. Man kannte ihr Alter, weil sie eine Creolin-Sklavin war. Sie schien noch bei ganz guter Gesundheit. „Ich halte sie an der Sonne (la Ui^o al soy", sagte ihr Enkel; „die Wärme erhält sie am Leben." Das Mittel kam uns sehr stark vor, denn die Sonnenstrahlen fielen fast senkrecht nieder. Die Völker mit dunkler Haut, die gut acclimatisirten Schwarzen und die Indianer erreichen in dor heißen Zone ein hohes, glückliches Alter. Ich habe anderswo von einem eingeborenen Peruaner erzählt, der im Alter von 143 Jahren starb und 90 Jahre verhcirathet gewesen war. Don Francisco Montera und sein Bruder, cm junger, sehr gebildeter Geistlicher, begleiteten uns, um uns in ihr Haus in Victoria zu bringen. Fast alle Familien, mit denen wir in Caracas befreundet gewesen waren, die Ustariz, die Tovars, Toros, lebten beisammen in den schönen Thälern von Aragua, wo sie die reichsten Pflanzungen besaßen, »md sie wetteiferten, uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Ehe wir in die Wälder am Orinoco drangen, erfreuten wir uns noch einmal an Allen,, was hohe Cultur Schönes und Gntcs bietet. Der Weg von Mamon «ach Victoria läuft nach Süd und 134 Südwest. Den Tuy, der am Fuß der hohen Verge von Guay-raima eine Biegung nach Ost macht, verloren wir bald aus dem Gesicht. Man meint im Haslithal im Berner Oberland zu seyn. Die .Kalttuffhügel sind nicht mehr als 140 Toisen hoch, fallen aber senkrecht ab und springen wie Vorgebirge in die Ebene herein. Ihre Umrisse deuten das alte Scegestade an. Das östliche Ende des Thals ist dürr und nicht angebaut; man hat hier die wasse» reichen Schluchten der benachbarten Gebirge nicht benützt, aber in der Nähe der Stadt betritt man ein gut bebautes Land. Ich sage Stadt, obgleich zu meiner Zeit Victoria nur für ein Dorf spneklo) galt. Einen Ort mit 7000 Einwohnern, schönen Gebäuden, einer Kirche mit dorischen Emilen und dem ganzen Treiben derHcmdels-industrie kaun man sich nicht leicht als Dorf denken. Längst hatten die Einwohner von Victoria den spanischen Hof um den Titel Villn, angegangen und um das Necht einen Cabildo, eincn Gemeinderach, wählen zu dürfen. Das spanische Ministerium willfahrte dem Gesuch nicht, und doch hatte es bei der Expedition Iturriagas und Solanos an den Orinoco, auf das dringende Gesuch der Franciscaner, ein paar Haufen indianischer Hütten den vornehmen Titel <Üiu6ää ertheilt. Die Selbstverwaltung der Gemeinden sollte ihrem Wesen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleichheit der Bürger seyn: aber in den spanischen Colonien ist sie in eine Gcmeindearistokratie ausgeartet. Die Leute, welche die unumschränkte Gewalt in Händen haben, könnten so leicht den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken dienstbar machen,- statt dessen fürchten sie den sogenannten Unabhängigkeitsgeist der kleinen 135 Gemeinden. Lieber soll der Staatskörfter gelähmt und kraftlos bleiben, als daß sie Mittelpunkte der Regsamkeit aufkommen ließen, die sich ihrem Einfluß entziehen, als daß sie der lokalen Lebensthätigteit, welche die ganze Masse beseelt, Vorschub leisteten, nur weil diese Thätigkeit vielmehr vom Volk als vou der obersten Gewalt ausgeht. Zur Zeit Carls V. und Philipps II. wurde die Municipalverfassung vom Hofe klugerweise begünstigt. Mächtige Männer, die bei der Eroberung eine Rolle gespielt, gründeten Städte und bildeten die ersten Cabildos nach dcm Muster der spanischen; zwischen den Angehörigen des Mutterlandes und ihren Nachkommen in Amerika bestand damals Rechtsgleichheit. Die Politik war eben nicht freisinnig, aber doch nicht so argwöhnisch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und verheerte Festland wurde als eine ferne Besitzung Spaniens ange« sehen. Der Begriff einer Colonie im heutigen Sinn entwickelte sich erst niit dem modernen System der Handelspolitik, und diese Politik sah zwar ganz wohl die wahren Quellen des Nationalreichthums, wurde aber nichts desto weniger bald kleinlich, mißtrauisch, ausschließend. Sie arbeitete auf die Zwietracht zwischen dem Mutterlande und den Colonisn hin: sie brachte unter den Weihen eine Ungleichheit auf, von der die erste Gesetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. Allmählich wurde durch die Centralistrung der Gewalt der Einfluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieselben Cabildos, denen im 16. und 17.. Jahrhundert das Recht zustand, nach dem Tode eiues Statthalters das Land provisorisch z» regieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Henunuissc der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichsten Dörfer trotz dcr Zunahme ihrer 136 Bevölkerung nur sehr schwer den Sladttitcl und das Necht der eigencn Verwaltung. Es ergibt sich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Colonialpolitik keineswegs alle sehr philosophisch sind. Man sieht solches sehr deutlich, wenn man in den I^kn <^o In6it>8 die Artikel von den Verhältnissen der nach Amerika übersiedelten Spanier, von den Rechten der Gemeinden und der Einrichtung der Gemeinderäthe nachliest. Durch die Art des Anbaus ist der Anblick der Umgegend von Victoria ein ganz eigenthümlicher. Der bebaute Boden liegt nur in I70—300 Toiscn Meercshöhe, und doch sieht man Getreidefelder unter den Zucker-, Kaffee- und Bananen-Pflanzungen. Mit Ausnahme des Innern von Cuba werden sonst fast nirgends im tropischen Theile der spanischen Colonien die europäischen Getrcidearten in einem so tief gelegenen Landstriche gebaut. In Mexico wird uur zwischen 600 und 1200 Toisen absoluter Höhe der Weizenbau stark betrieben, und nur selteu geht er über 400 Toisen herab. Wir werden bald sehen, daß, wenn man Lagen von verschiedener Höhe mit einander vergleicht, der Ertrag des Getreides von den hohen Breiten zum Aequator mit der mittleren Temperatur des Orts merkbar zunimmt. Ob man mit Erfolg Getreide bauen kann, hängt ab vom Grade der Trockenheit der Luft, davon, ob der Regen auf mehrere Jahreszeiten vertheilt ist oder uur in der Wiuterzeit fällt, ob der Wind fortwährend aus Ost bläst oder vou Norden her kalte Luft in tiefe Breiten bringt (wie im Meerbusen von Mexico), ob Monate lang Nebel die Kraft der Sonnenstrahlen vermindern, kurz von tausend örtlichen Verhältnisse«, die nicht sowohl die mittlere Temperatur des ganzen Jahrs als die Vertheiluug 137 derselben Wärmemenge auf verschiedene Iahrcszeitcn bedingen. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß das europäische Getreide vom Aeauator bis Lappland, unter dem 69. Vreitegrad, in Ländern mit einer mittleren Wärme von -j- 22 bis — 2 Grad, aller Orten gebaut wird, wo die Sommertcmperatur über 9—10 Grad beträgt. Man kennt das Minimum von Wärme, wobei Weizen, Gerste und Hafer noch reifen: über das Maximum, das diese sonst so zähen Grasarten ertragen, ist man weniger im Reinen. Wir wissen nicht einmal, welche Verhältnisse zusammenwirken, um unter den Tropen den Getreidebau in sehr geringen Höhen möglich zu machen. Victoria und das benachbarte Dorf San Matheo erzeugen 4000 Centner Weizen. Man säet ihn im December und erntet ihn am siebzigsten bis fünfundsiebzigsten Tag. Das Korn ist groß, weih und sehr reich an Kleber; die Deckhaut ist dünner, nicht so hart als beim Korn auf den sehr kalten mericanischen Hochebenen. Bei Victoria erträgt der Morgen in der Regel 3000—3200 Pfund Weizen, also, wie in Vucnos Ayres, zwei- bis dreimal mehr als in den nördlichen Ländern. Man erntet etwa das sechzehnte Korn, während der Boden von Frankreich, nach Lavoi-siers Untersuchungen, im Durchschnitt nur das fünfte bis sechste, oder 1000—1200 Pfund auf den Morgen trägt. Trotz dieser Fruchtbarkeit des Bodens und des günstigen Klimas ist der Zuckerbau in den Thälern von Aragua einträglicher als der Getreideban. Durch Victoria läuft der kleine Rio Calanchas, der sich nicht in den Tuy, sondern in den Rio Aragua ergießt, woraus hervorgeht, daß dieses schöne Land, wo Zuckerrohr und Weizen 138 neben einander wachsen, bereits zum Necken des Sees von Valencia gebort, zu einem System von Bmnenslussen d.e ,mt der See ^t in Verbindung stehen. Der Stadtthnl westl'ch von NI° Calanchas heißt w otra kl.n^ ..nd ,st der gewerb-samste Ueberall sieht man Waaren ausgestellt, und d,e Straßen bestehen ans Vudenrcihen. Zwei Handelsstraßen laufen durch Victoria, die von Valencia oder Porto Cabello und die von Villa de Cura oder den Ebenen her, eamino 66 !«3 I^l«°og aenannt. Es sind im Verhältniß mehr Weihe hier als m Caracas. Wir besuchten bei Sonnenuntergang den Calvanen-wg wo man eine weite, sehr schöne Aussicht hat. Man sieht aeqen West die lachenden Thäler von Aragua, em wettes mtt Ten, Bauland, Stücken Wald, Gelände. Gegen Süd und Südost ziehen sich, so wett das Auge reicht die hohen Gebirge von Palma, Guayrmma, Tmra und Guiripa hin, hinter denen die ungeheuren ^"en oder Steppen von Calabozo liegen. Diese mnere VerMte re,cht nach West längs des Sees von Valencia sort bls Villa de Cura, Cuesta de Yusma und zu den gezackten Bergen von Guigue. Sie ist steil und fortwährend in den leichten Dunst gehüllt, der in heißen Ländern ferne Gegenstände stark blau färbt und die Umrisse keineswegs verwischt, sondern sie nur stärker hervortreten läßt. In dieser innern Kette sollen die Berge von Guayraima bis 1200 Toisen hoch seyn. In der Nacht des 11. Februar fand ich die Breite von Victoria 10" 13' 35", die Inclination der Magnetnadel 40°,89, die Intensität der magnetischen Kraft gleich 236 Schwingungen in 10 Zeitminuten, und die Abweichung der Nadel 4 «40 nach Nordost. 139 Wir zogen langsam weiter über die Dörfer San Matheo, Turmero und Maracay auf die Hacienda de Cura, eine schöne Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir erst am 14, Februar Abends ankamen. Das Thal wird allmählig weiter; zu beiden Seiten desselben stehen Hügel von Kalktuff, den man hier zu Lande tiki'l», Klane», nennt. Die Gelehrten im Lande haben verschiedene Versuche gemacht, diese Erde zu brennen; sie verwechselten dieselbe mit Porzellanerde, die sich aus Schichten verwitterten Feldspaths bildet. Wir verweilten ein paar Stunden bei einer achtungswürdigen und gebildeten Familie, den Ustariz in Concesion. Das Haus mit einer auserlesenen Vücher-sammlung steht auf einer Anhöhe und ist mit Kaffee- und Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüsch von Balsambäumen (bälsÄmo) l gibt Kühlung und Schatten. Mit reger Theil« nähme sahen wir die vielen im Thale zerstreuten Häuser, die von Freigelassenen bewohnt sind. Gesetze, Einrichtungen, Sitten begünstigen in den spanische» Colonien die Freiheit der Neger ungleich mehr als bei den übrigen europäischen Nationen. San Mathco, Turmero und Maracay sind reizende Dörfer, wo Alles den größten Wohlstand verräth. Man glaubt sich in den gewerbsamstcn Theil von Katalonien versetzt. Bei San Mathco sahen wir die letzten Weizenfelder und die letzten Mühlen mit wagercchten Wasserrädern. VW" rechnet bei der bevorstehenden Ernte auf die zwanzigfache Aussaat, und als wäre dieß noch eiu mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob man in Preuße» und Polen mchr ernte. Unter den Tropen ist der 1 Amyris data. 140 Irrthum ziemlich verbreitet, das Getreide arte gegen den Ac-quator zu aus und die Ernten seyen im Norden reicher. Seit man den Ertrag des Ackerbaues in verschiedenen Erdstrichen und die Temperaturen, bei denen das Getreide gedeiht, berechnen kann, weiß man, daß nirgends jenseits des 45. Vreite-arads der Weizen so reiche Ernten gibt als auf den Nordküsten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu-Grenada, Pori, und Mexico. Vergleicht man, nicht die mittlere Temperatur des ganzen Jahres, sondern nur die mittleren Temperaturen der Jahreszeit, in welche der „Vegetationscyclus" des Getreides fällt, so findet ' man für drei Sommermonate im nördlichen Europa 15—29 Grad, in der Berbcrei und in Egypten 27—29, unter den Tropen, zwischen 1400 und 300« Toisen Höhe, 14—25 Grad. Die herrlichen Ernten in Egypten und Algerien, in den ! Die mittlere Sommertemperatur ist in Schottland (bei Edinburgh unter dem 5K. Grad der Vreitr) dieselbe wie auf den Hoch. ebenet u°n Neu-Grenada, wo in <4NN Toise» Meereshöhe und unter dem vierten Grad der Breite so viel Getreide gebaut wird. Auf der andern Seite entspricht die mittlere Temperatur der Thäler von Ai<,-gull (lU° i5' der Breite) und aller nicht sehr hoch gelegenen Ebenen in der heißen Zone der Soinmertemperatur von Neapel und Sieilie» (39" I kinoon äei Diadlo) und die Küstenbergkette bespüllen, waren diefe Felchügcl Untiefen oder Eilande. Diese Züge eines reichen Gemäldes, dieser Contrast zwischen den beiden Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft 1 Carnes tollendas; Bombax hibiscisolius. 156 an das Seegestade des Waadtlands, wo der überall angebaute, überall fruchtbare Boden dem Ackerbauer, dem Hirten, dem Winzer ihre Mühen sicher lohnt, während das savoyische Ufer gegenüber cin gebirgigtcs, halb wüstes Land ift. In jenen fernen Himmelsstrichen, mitten ,unter den Gebilden einer fremdartigen Natur, gedachte ich mit Lust der hinreißenden Beschreibungen, zu denen der Genfer See und die Fccsen von Mcil-lerie einen großen Schriftsteller begeistert haben. Wenn ich jetzt mitten im civilisirten Europa die Natur in der neuen Wclt zu fchildern versuche, glaube ich durch die Vergleichung unsrer heimischen und der tropischen Landschaften meinen Bildern mehr Schärfe und dem Leser deutlichere Begriffe zu geben. Ma" kann es nicht oft genug sagen: unter jedem Himmelsstriche trägt die Natur, sey sie wild odec vom Menschen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen Stempel. Die Empfindungen, die sie in uns hervorruft, sind unendlich mannigfaltig, gerade wie der Eindruck der Geisteswerke je uach dem Zeitalter, das sie hervorgebracht, und nach den mancherlei Sprachen, von denen sie ihren Neiz zum Theil borgen, so sehr verschieden ist. Nur Größe und äußere Formverhältnisse tonnen eigentlich verglichen werden; man kann den riesigen Gipfel dcs Montblanc und das Himalavagcbirge, die Wasserfälle der Pyrenäen und die der Kordilleren zusammenhalten; aber durch solche vergleichende Schilderungen, so sehr sie wissenschaftlich förderlich feyn mögen, erfährt man wenig vom Naturcharatter des gemäßigte» und des heißen Erdstrichs. Am Gestade eines Sees, in einem großen Walde, am Fliß mit ewigem Eis bedeckter Berggipfel ist es nicht die matcricllc Größe, was uns mii dem heimlichen Gefühle der 157 Bewunderung erfüllt. Was zu unserem Gemüthe spricht, was so tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wach ruft, entzieht sich der Messung, wie den Sprachformen. Wenn man Ncttnrschönheiten recht lebhaft empfindet, so mag man Landschaften von verschiedenem Charakter gar nicht vergleichen; man würde fürchten sich selbst im Genuß zu stören. Die Ufer des Sees von Valencia sind aber nicht allein wegen ihrer malerischen Reize im Lande berühmt; das Becken bietet verschiedene Erscheinungen, deren Aufklärung für die Naturforschung und für den Wohlstand der Bevölkerung von gleich großem Interesse ist. Aus welchen Ursachen sinkt der Seespiegel? Sintt er gegenwärtig rascher als vor Jahrhunderten? Läßt sich annehmen, daß das Gleichgewicht zwischen dem Zufluß und dem Abgang sich über kurz oder lang wieder herstellt, oder ist zu besorgen, daß der See ganz eingeht?. Nach den astronomischen Beobachtungen in Victoria, Hacienda de Cura, Nneva Valencia und Guigue ist der See gegenwärtig von Cagua bis Guavos 10 Meilen oder 26000 Toisci, lang. Seine Breite ist sehr ungleich; nach den Breiten an der Einmündung des Nio Cnra und beim Dorfe Guigne zu urtheilen, beträgt sie nirgends über 1, 3 Meilen oder 6500 Toisen, meist nur 4—5000. Die Maaße, die sich aus meinen Beobachtungen ergeben, sind weit geringer als die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man tonnte meinen, um das Verhältniß der Wasserabnahme genau kennen zu lernen, brauche man nur die gegenwärtige Größe des Sees mit der zu vergleiche», welche alle Chronitschreiber, z. B. Oviedo in seiner ums Jahr 1723 veröffentlichten „Geschichte der Provinz Vene- 158 zucla," augeben. Dieser Geschichtschreiber läßt in seinen, hochtrabenden Styl „dieses Binnenmeer, diesen monstrungf, «lwrpo ds I« laFunn 66 Vnlcnoia", 14 Meilen lang und 6 breit seyn: er berichtet, in geringer Entfernung vom User finde das Senkblei keinen Grund mehr, und große schwimmende Inseln bedecken die Secfläche, die fortwährend von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt sich auf Schätzungen Gewicht legen, die auf gar keiner Messung beruhen und dazu in I.?. Funs ausgedrückt sind, auf die man in den Colonien 3000, 5000 und 6550 Varas i rechnet. Nur das verdient im Buch eines Mannes, der so oft durch die Thäler von Aragua gekommen seyn muß, Beachtung, daß er behauptet, die Stadt Nueva Valencia de ei Rey sey im Jahr 1555 eine halbe Meile vom See erbaut worden, und daß sich bei ihm die Länge des Sees zur Breite verhält wie 7 zu 3. Gegenwärtig liegt zwischen dem See und der Stadt ein ebener Landstrich von mehr als 9700 Toisen, dcn Oviedo sicher zu anderthalb Meilen angeschlagen hätte, und die Länge des Seebcckens verhält sich M-Vreite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6. Schon das ' Da einigermaßen richtige Begriffe über die astronomische Lage und die Entfernungen der Orte ill deu spanischen Colonien zuerst «nd lange Zeit allein durch Seeleute sich verbreiteten, so wurde in Merlco uub in Südamerika ursprünglich die I^ua naulica von 665« Varas oder 28S< Toisen (20 Meilen auf dcn Grad) eingeführt; aber diese „Seemeile" wurde allmählig um die Hälfte oder um ein Drittheil verfiirzt, weil ma« in den Hochgebirgen, wie auf den dürren, heiße» Gbene» sehr langsam reist. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der Zeit und schließt auö der Zeit, nach willkürlichen Voraussetzungen a»f die Länge dcr zurückgelegten Strecke. 159 Aussehen dcs Bodens zwischen Valencia und Guiguc, die Hügel, die auf der Ebene östlich vom Cano de Cambury steil aufstciqen und zum Theil l>l Islow und I», I8I2 lls In. ^eßr«, oder <üll,vLwp0Nll) sogar noch jetzt Inseln Heißen, beweisen zur Genüge, daß seit Oviedos Zeit das Wasser bedeutend zurückgewichen ist. Was die Veränderung des Umrisses des Sees betrifft, so scheint es mir nicht sehr wahrscheinlich, daß er im siebzehnten Jahrhundert beinahe zur Haltte so breit als lang gewesen seyn sollte. Die Lage der Granitbcrge von Mariara und Gnigue und der Fall des Bodens, der gegen Nord und Süd rascher steigt als gegen Ost und West, streiten gleichermaßen gegen diese Annahme. Wcnn das so vielfach besprochene Problem von der Ab-nähme der Gewässer zur Sprache kommt, so hat man, denke ich, zwei Epochen zu unterscheiden, in welchen das Sinken des Wasserspiegels stattgefunden. Wenn man die Ilußtbüler und die Seebecken genau betrachtet, findet man überall das alte Ufer in bedeutender Entfernung. Niemand läugnet wohl jetzt mehr, daß unsere Flüsse und Leen in sehr bedeutendem Maaße abgenommen haben; ader zahlreiche geologische Thatsachen weisen auch darauf Imi, daß dieser große Wechsel in der Vertheilung der Gewässer vor aller Geschichte eingetreten ist, und daß sich seit mehreren Jahrtausenden bei den meisten Seen ein festes Gleichgewicht zwischen dem Betrag der Zuflüsse einerseits, und der Verdunstung und Versickerung andererseits hergestellt hat. So oft dieses Gleichgewicht gestört ist, thut man gut, sich umzusehen, ob solches nicht von rein örtlichen Verhältnissen und aus jüngster Zeit tso bcrrnkrt, ebe man eine beständige Abnahme des Nassers nn-nimmt. ' Ein solcher Gedankengang entspricht dem vorsichtigere,, Verfahren der hentigen Wissenschaften. Zu einer Zeit, wo die physische Weltbeschreibung das freie Geistescrzeugnis; einiger beredten Schriftsteller war und nur durch Phantasiebilder wirkte, hätte man in der Erscheinung, von der es sich hier handelt, einen neuen Beweis für den Contrast zwischen beiden Contincn-tcn gesehen, den man in Allem herausfand. Um darzuthun, daß Amerika später als Asien und Europa aus dem Wasser emporgestiegen, hatte man wohl auch den See von Tacarigua angeführt, als eines der Becken im innern Lande, die noch nicht Zcit gehabt, durch unausgesetzte allmählige Verdunstung auszutrocknen. Ich zweifle nicht, daß in sehr alter Zeit das ganze Thal vom Fuß des Gebirges Cocuysa bis zum Torito und den Bergen von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der Bergkette von Gigne, zum Guarimo und der Palma, unter Wasser stand. Ueberall läßt die Gestalt der Vorberge mch ihr steiler Abfall das alte Ufer eines Alpsees, älnlich den Steier-marker und Tyroler Seen, erkennen. Kleine Helir- und Valva-arten, die mit den jetzt im See lebenden identisch sind, kommen in 3 bis 4 Fuß dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero und Concesion bei Victoria vor. Diese Thalsa^cn beweisen m,n allerdings, daß das Wasser gefallen ist; aber nirgends liegt ein Beweis dafür vor, daß es seit jener weit entlegenen Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler von Aragna ge-hören zu den Strichen von Venezuela, die am frühesten bevölkert worden, und doch spricht weder Ovicdo, nock irgend eine alte Chronik von einer weltlichen Abnahme des Sees. lki Soll man geradezu annebmen, vie Erscheinung sey zu einer Zeit, wo die indianische Bevölkerung die weiße noch weit überwog und das Seeufer schwächer bewohnt war, eben nicht bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhundert, besonders aber seit dreißig Jahren fällt es Jedermann in die Augen, daß dieses große Wasserbecken von selbst eintrocknet. Weite Strecken Landes, die früher unter Wasser standen, liegen jetzt trocken und sind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und Baumwolle bepflanzt. Wo man am Gestade des Sees eine Hütte baut, sieht man das Ufer von Jahr zu Jahr gleichsam fliehen. Man sieht Inseln, die beim Sinken des Wasserspiegels eben erst mit dem Festlande zu verschmelzen anfangen (wie die Felseninsel Culebra, Guigue zu): andere Inseln bilden bereits Vorgebirge (wie der Morro, zwischen Guigue und Nueva Valencia, und die Cabrera südöstlich von Mariara): noch andere stehen tief im Lande in Gestalt zerstreuter Hügel. Diese, die man schon von weitem leicht erkennt, liegen eine Viertelseemeile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die merkwürdigsten sind drei 30—40 Toisen hohen Eilande aus Granit auf dem Wege von der Hacienda de Cura nach H^uas ockntss, und am Westende des Sees der Serrito de San Pedro, der Islote und der Caratapona. Wir besuchten zwei noch ganz von Wasser umgebene Inseln und fanden unter dem Gesträuch auf kleinen Ebenen, 4—6, foqar 8 Toisen über dem jetzigen Seespiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einst die Wellen hier abgesetzt. Auf allen diesen Inseln begegnet man den unzweideutigsten Spuren vom all-mähligen Fallen des Wassers. Noch mehr, und diese Erscheinung wird von der Bevölkerung als ein Wunder angesehen: im Jahr Humboldt, Reise, II! 11 162 1799 erschienen drei neue Inseln östlich von der Insel Caignire, in derselben Richtung wie die Inseln Burro Otama und Zorro. Diese neuen Inseln, die beim Volk I03 nuvvos penone« oder l»8 ^pNreoiclliZ heißen, bilden eine Art Untiefen mit völlig ebener Oberfläche. Sie waren im Jahr 1800 bereits über einen Fuß höher als der mittlere Wasserstand. Wie wir zu Anfang dieses Abschnitts bemerkt, bildet der See von Valencia, gleich den Seen im Thale von Mexico, den Mittelpunkt eines kleinen Systems von Flüssen, von denen keiner mit dem Meere in Verbindung steht. Die meisten dieser Gewässer können nur Bäche heißen; es sind ihrer zwölf bis uicr-zehn. Die Einwohner wissen wenig davon, was die Vcrdnnstnng leistet, und glauben daher schon lange, der See habe einen unterirdischen Abzug, durch den eben so viel abfließe, als die Väche hereinbringen. Die einen lassen diesen Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe lieacn sollen, in Verbindung stehen.- andere nehmen an, das Wasser fließe durch einen schiefen Canal in das Meer. Dergleichen kühne Hypothesen über den Zusammenhang zwischen zwei benachbarten Wasserbecken hat die Einbildungskraft des Volkes, wie die der Physiker, in allen Erdstrichen ausgeheckt: denn letztere, wenn si? es sich auch nicht cingcstchei,, setzen nicht selten nur Volksmeinungen in die Sprache der Wissenschaft um. In der neuen Welt, wie an« Ufer des casvischen Meeres, hört man von unterirdischen Schlünden und Canälen sprechen, obgleich der See von Tacariguci 222 Toisen über und die caspische See 54 Toisen unter dem Meeresspiegel lieg», und so gut man auch weih, daß Flüssigkeiten, die seitlich mit einander in Verbindung stehen, sich in dasselbe Niveau setzen. 163 Einerseits die Verringerung der Mass» der Zuflüsse, die seit einem halben Jahrhundert in Folge der Ausrodung der Wälder der Urbarmachung der Ebenen und des Indigobaus eingetreten ist, andererseits die Verdunstung des Bodens und die Trockenheit der Luft erscheinen als Ursachen, welche die Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich theile nicht die Ansicht eincs Reisenden, der nach mir diese Länder besucht hat, < der zufolge man „zur Befriedigung der Vernunft und zu Ehren der Physik" einen unterirdischen Abfluß soll annehmen müssen. Fällt man die Bäume, welche Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, so schafft man kommenden Geschlechtern ein zwiefaches Ungemach, Mangel an Brennholz und Wassermangel. Die Bäume sind vermöge des Wesens ihrer Ausdünstung und der Strahlung ihrer Blätter gegen einen wolkenlosen Himmc! fortwährend mit einer kühlen, dunstigen Lufthülle umgeben; sie äußern wesentlichen Einfluh auf die Fülle der Quellen, nicht weil sie, wie man so lang? geglaubt hat, die in der Luft verbreiteten Wasserdünste anziehen, sondern weil sie den Boden gegen die unmittelbare Wirkung der Sonnenstrahlen schützen und damit die Verdunstung des Ncgcnwassers verringern. Zerstört man die Wälder, wie die europäischen Ansiedler aller Orten ' Depons, l» seiner „Reise nach Terra Firma": „Vei der nnbcdeittenden Oberfläche de« Sees (er mißt übrigens l0en. dajj die Verdunstung allein, s? stark sie auch unter den Tropen seyn mag. so uiel Wasser wegschaffen kann. nls die Flüsse hereinbringen." In der F>,lge »'cheiiil aber der Verfasser selbst wieder .diese geheime Ursache, die Hy^lkese von einem Ahugsloch ' aufzugeben. 164 in Amerika mit unvorsichtiger Hast thun, so versiegen die Quellen oder nehmen doch stark ab. Die Fluhbetten liegen einen Theil des Jahres über trocken, und weiden zu reißenden Strömen, so oft im Gebirge starler Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs auch Rasen und Moos auf den Bergtupven verschwinden, wird das Regenwasser im Ablaufen nicht mehr aufgehalten; stc.tt langsam durch allmählige Sickerung die Bäche zu schwellen, furcht es in der Jahreszeit der starken Regenniederschläge die Bergseiten, schwemmt das losgerissene Erdreich fort und verursacht plötzliches Austreten der Gewässer, welche nun die Felder verwüsten/ Daraus geht hervor, daß das Verheeren der Wälder, der Mangel an fortwährend fließenden Quellen und die-Wildwasser drei Erscheinungen sind, die in ursachlichem Zusammenhang stehen. Länder in entgegengesetzten Hemisphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder-Peru zwischen dem stillen Meer und den Cordilleren der Anden, liefern einleuchtende Beweise für die Richtigkeit dieses Satzes. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Verge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald bewachsen. Große Bäume aus der Familie der Mimosen, Ceiba- und Feigenbäume beschatteten die Ufer des Sees und verbreiteten Kühlung. Die damals nur sehr dünn bevölkerte Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgestürzten Baumstämmen und Schmarotzergewächsen, mit dichtem Rasensilz überzogen, und gab somit die strahlende Wärme nicht so leicht von sich als der beackerie und eben deßhalb gegen die Sonnengluth nicht geschützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume, mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwillenbaus nahmen 165 die Quellen und aNe natürlichen Zuflüsse des Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, welch ungeheure Wassermassen durch die Verdunstung in der heißen Zone aufgesogen werden, und vollends in einem Thale, das von steil abfallenden Bergen umgeben ist, wo gegen Abend der Seewind und die niedergehenden Luftströmungen auftreten, und dessen Boden ganz flach, wie vom Wasser geebnet ist. Wir haben schon oben erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura, Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrscht, der stärksten Sommerhitze in Neapel und Sicilien gleich kommt. Die mittlere Temperatur der Luft in den Thälern von Aragua ist ungefähr 25^,5: ^ die hygro-metnschen Beobachtungen ergaben mir für den Monat Februar im Durchschnitt aus Tag und Nacht 71^,4 am Haarhygrometer. Da die Worte: große Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an sich haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter den Tropen sehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte, so kann man über diese klimatischen Verhältnisse nur urtheilen, wenn man verschiedene Orte in derselben Zone vergleicht. Nun ist in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht regnet, und wo ich zu verschiedenen Stunden bei Tag und bei Nacht sehr viele hygrometrische Beobachtungen gemacht, die mittlere Feuchtigkeit ver Luft gleich 86 ", entsprechend der mittcren Temperatur von 27«,7. Rechnet man die Rcgenmonate ein, das heißt schätzt man den Unterschied zwischen der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des ganzen Jahrs, wie man denselben ^ 2U^ Reaumur. 166 in andern Theilen des tropischen Amerika beobachtet, so ergibt sich für die Thäler von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von höchstens 74." bci einer Temperatur von 25",5. In dieser war^cn und doch gar nicht sehr feuchten Luft ist nun aber eine ungeheuere Menge verdunsteten Wassers. Nach der Dalton'schen Theorie berechnet sich die Dicke der Wasserschicht, die unter den oben erwähnten Umständen in einer Slunde verdunstet, auf 0 Millimeter 3b, oder auf 3,8 Linien in vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in der gemäßigten Zone, z. B.für Paris, die mittlere Temperatur zu 10 ",6 und die mittlere Feuchtigkeit zu 62 o an, so ergibt sich nach denselben Formeln 0,10 Millimeter in der Stunde und eine Linie in vierundzwanzig Stunden. Will man sich, statt dieses unzuverlässigen theoretischen Calculs, an die Er gewisse unmittelbarer Beobachtung halten, so bedenke man, da ß in Paris und Montmorency von Sedileau und Cotte die jährliche mittlere Verdunstung gleich 32 Zoll 1 Linie und 38 Zoll 4 Linien gefunden wurde. Im südlichen Frankreich haben zwei geschickte Ingenieurs, Clausade und Pin, berechnet, daß der Canal von Languedoc und das Bassin von Samt Ferr^ol, über Abzug des Betrags dcr Versickerung, jährlich 336 bis 360 Linien verlieren. In den pontinischen Sümpfen hat de Prony ungefähr das gleiche Ergebniß erhalten. Aus allen diesen Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grad der Breite und bei einer mittleren Temperatur von 10 ",5 und 16" ergibt sich eine mittlere Verdunstung von 1 bis 1,3 Linle im Tag. In der heißen Zone, z. V. auf den Antillen, ist die Verdunstung nach le Gaux dreimal, nach Cassan zweimal stärker. In Cumana, also an einem Ort, wo die Luft weit stärker mit 167 Feuchtigkeit geschwängert ist als in den Thälern von Aragua, sah ich oft in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 Millimeter, im Schatten 3,4 Millimeter Wasser verdunsten. Versuche dieser Art sind sehr sein und schwankend: aber das eben Angeführte reicht hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Masse des Wasserdunstes seyn muß, der aus dem See von Valencia und auf dem Gebiet aufsteigt, dessen Gewässer sich in den See ergießen. Ich werde Gelegenheit finden, anderswo auf den Gegenstand zurückzukommen: in einem Werke, das die großen Gesetze der Natur in den verschiedenen Erdstrichen zur Anschauung bringt, muß auch der Versuch gemacht werden, das Problem von der mittleren Spannung der in der Luft enthaltenen Wasserdämpfe unter verschiedenen Breiten und in verschiedenen Meereshöhen zu lösen. Das Maaß der Verdunstung hängt von einer Menge örtlicher Verhältnisse ab: von der stärkeren oder geringeren Beschattung des Wasserbeckens, von der Nuhe und der Bewegung des Wassers, von der Tiefe desselben, von der Beschaffenheit und Farbe des Grundes: im Großen aber wird die Verdunstung nur durch drei Elemente bedingt, durch die Temperatur, durch die Spannung der in der Luft enthaltenen Dämpfe, durch den Widerstand, den die Luft, je nachdem sie mehr oder minder dicht, mebr oder weniger bewegt ist, der Verbrettung der Dämpfe entgegensetzt. Die Wassermenge, die an einem gegebenen Ort verdunstet, ist proportional dem Unterschied zwlschen der Masse des Dampfes, welche die umgebende Luft im gesättigten Zustand aufnehmen kann, und der Masse desselben, welche sie wirtlich enthält. Es folgt daraus, daß (wie schon d'Aubuisson 168 bemerkt. der meine hygromcttischcn Beobachtungen berechnet hat) die Verdunstung in der heißen Zone nicht so start ist, als man nach der mMmcin hohen Temperatur glauben sollte, weil in den heißen Himmelsstrichen die Luft gewöhnlich sehr feucht ist. Seit der Ausbreitung des Ackerbaus in den Thälern von Aragua kommen die Flüßchen, die sich in den See von Valencia ergießen, in den sechs Monaten nach December als Zuflüsse nicht mehr in Vetracht. Im untern Stück ihres Laufs sind sie ausgetrocknet, weil die Indigo-, Zucker- und Kaffkcpflanzer sie an vieler. Punkten ableiten, um die Felder zu bewässern. Noch mehr: ein ziemlich ansehnliches Wasser, der Nio Pao, der am Rande der Llanos, am Fuß des la t-nleru. genannten Hügclzugs entspringt, ergoß sich früher in den See. nachdem er auf dcm Wege von Nueva Valencia nach Guigue den Cano de Cambury aufgenommen. Der Fluß lief damals von Süd nach Nord. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts kam der Besitzer einer anliegenden Pflanzung auf den Gedanken, den, Rio Pao am Abhang eines Geländes ein neues Bett zu graben. Er leitete den Fluß ab, benutzte ihn zum Theil zur Bewässerung seines Grundstücks und ließ ihn dann gegen Süd, dcm Abhang der Llanos nach, selbst seinen Weg suchen. Auf diesem neuen Lauf nach Süd nimmt der Rio Pao drei andere Bäche auf, den Tinaco, den Guanarito und den Chilua, und ergießt sich in die Portuguefa, einen Zweig des Rio Apure. Es ist eine nicl>t uninteressante Erscheinung, daß in Folge der eigenthümlichen Vodenbildung und der Senkung der Wasserscheide nach Südwcst der Rio Pao sich vom kleinen inneren Flußsystem, dem er ursprünglich angehörte, trennte und nun seit 169 hundert Jahren durch den Apure und den Orinoco mit dem Meere in Verbindung steht. Was hier im Kleinen durch Menschenhand geschah, thut die Natur häusig selbst entweder durch allmähliche Anschwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens in Folge starker Erbbeben. Wahrscheinlich werden im Laufe der Jahrhunderte manche Flüsse im Sudan und in Neuholland, die jetzt im Sande versiegen oder in Binnenseen laufen, sich einen Weg zur Meeresküste bahnen. So viel ist wenigstens sicher, daß es auf beiden Continenten innere Flußsysteme gibt, die man als noch nicht ganz entwickelte^ betrachten kann, und die entweder nur bei Hochgewässer oder beständig durch Gabelung unter sich zusammenhängen. Der Rio Pao hat sich ein so tiefes und breites Bett gegraben, daß, wenn in der Regenzeit der Oaiio ßrünäe äs Oamdur^ das ganze Land nordwestlich von Guigue überschwemmt, das Wasser dieses Cano und das des Sees von Valencia in den Rio Pao selbst zurücklaufen, so daß dieses Flüßchen, statt dem See Wasser zuzuführen, ihm vielmehr welches abzapft. Wir sehen etwas Aehnliches in Nordamerika, da wo die Geographen auf ihren Karten zwischen den großen canadischen Seen und dem Lande der Miamis eine eingebildete Bergkette angeben. Bei Hochgewässer stehen die Flüsse, die den Seen, und die, welche dem Mississippi zulaufen, mit einander in Verbindung und man fährt im Canoe von den Quellen des Flusses St. Maria in den Wabash, wie aus dem Chicago in den Illinois. Diese analogen Fälle scheinen ' Karl Ritter. Erdkunde Vand I. 170 mi? von Seiten der Hydrographen alle Aufmerksamkeit zu verdienen. Da der Boden rings uni den See von Valencia durchaus fmch nnd eben ist, so wird, wie ich es auch an den mcricanischen Scen alle Tage beobachten konnte, wenn der Wasserspiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit frucklbarem Schlamm und organischen Ncstcn bedeckter Strich Landes lroclcn gelegt. Im Maaße, als der See sich zurückzieht, rückt der Landbau gegen das neue Ufer vor. Diese von der Natur bewerkstelligte, für die Landwirthschaft der Colonicn scbr wichtige AuZtrocknung war in den letzten zehn Jahren, in denen ganz Amerika an großer Trockenheit litt, ungewöhnlich start. Icv rieth den reichen Grundeigenthümern im Land, statt die jeweiligen Krümmungen des Sceufers zu bezeichnen, im Wasser selbst Granilsäulen aufzustellen, an dcncn man von Jahr zu Iabr den mittleren Wasscrstand beobachten könnte. Der Marques del Toro will die Sache ausführen nnd auf Gneißgrund, der im See häusig vorkommt, aus dem schönen Granit der Sierra d? Mariara Limnometer aufstellen. Unmöglich läßt sich im Voraus bestimmen, in welchem Maaße dieses Wasserbecken zusammengeschrumpft seyn wird, wenn einmal das Gleichgewicht zwischcm dem Zufluß einerseits und der Verdunstung und Einsickcrung andererseits völlig hergestellt ist. Die sehr verbreitete Meinung, der See werde ganz verschwinden, scheint mir durchaus ungegründet. Wenn in Folge starker Erdbeben oder aus andern gleich unerklärten Ursachen zehn nasse Jahre auf eben so viele trockene folgten, wenn sich die Berge wieder mit Wald bedeckten, wenn große Bäume 171 das Seeufer und die Tbäler beschatteten, so würde im Gegentheil das Wasser steigen und den sckönen Pflanzungen, die gegenwärtig das Seebecken säumen, gefährlich werden. Während in den Thälern von Aragua die einen Pflanzer besorgen, der See möchte ganz eingehen, die andern, er möchte wieder zum verlassenen Gestade heraufkommen, hört man in Caracas alles Errstes die Frage erörtern, ob man nicyt, um mehr Boden für den Landbau zn gewinnen, aus dem See einen Canal dem Rio Pao zu graben und ihn in die Llanos ableiten sollte. Es ist nicht zu läugnen, daß solches möglich wäre, namentlich wenn man Canäle unter dem Boden, Stollen anlegte. Dem allmähligen Rücktritt des Wassers verdankt das herrliche, reiche Bauland von Maracay, Cura, Mocunda, Guigue und Santa Ciuz del Escoval mit seinen Tabak-, Zucker-, Kaffee-, Indigo- und Cacaopflanzungen seine Entstehung: wie kann man aber nur einen Augenblick bezweifln, daß nur der See das Land so fruchtbar macht? Ohne die ungeheuere Dunstmasse, welche Tag für Tag von der Wasserfläche in die Luft aufsteigt, wären die Thäler von Aragua fo trocken und dürr, wie die Berge umher. Der See ist im Durchschnitt 12—15, und an den tiefsten Stellen nicht, wie man gemeiniglich annimmt 80, sondern nur 35—40 Faden tief. Dieß ist das Ergebniß der sorgfältigen Messungen Don Antonio Manzanos mit dem Senkblei. Bedenkt man, wie ungemein tief alle Schweizer Seen sind, so daß, obgleich sie in hohen Thälern liegen, ihr Grund fast auf den, Spiegel des Mittelmeeres hinabreicht, so wundert man sich daß der Boden des Sees von Valencia, der doch auch ein 172 Alpsee ist, keine bedeutenderen Tiefen hat. Die tiefsten Stellen sind zwischen der Fclseninsel Vurro und der Landspitze Cana Fistula, so wie den hohen Bergen von Mariara gegenüber; im Ganzen aber ist der südliche Theil des Sees tiefer als der nördliche. 6s ist nicht zu vergessen, daß jetzt zwar das ganze Ufer flach ist, der südliche Theil des Beckens aber doch am nächsten bei einer steil abfallenden Gebirgskette liegt. Nir wissen aber, daß auch das Meer bei einer hohen, senkrechten Felsküste meist am tiefsten ist. Die Temperatur des Sees an der Wasserfläche war wäb-rend meines Aufenthalts in den Thälern von Aragua im Februar beständig 23°—23°,7, also etwas geringer als die mittlere Lufttemperatur, sey es nun in Folge der Verdunstung, die dem Wasser und der Luft Wärme entzieht, oder weil die Schwankungen in der Temperatur der Luft sich einer großen Wassermasse nicht gleich schnell mittheilen, und weil der See Bäche aufnimmt, die aus kalten Quellen in den nahen Gebirgen entspringen. Zu meinem Bedauern tonnte ick trotz der geringen Tiefe die Temperatur des Wassers in 30—40 Faden unter dem Wasserspiegel nicht beobachten. Ich hatte das Senkblei mit dem Thermometer, das ich auf den Alpenseen Salzburgs und auf dem Meere der Antillen gebraucht, nicht bei mir. Aus Saussures Versuchen geht hervor, daß zu beiden Seiten der Alpen Seen, die in einer Meereshöhe von 190—274 Toisen liegen, im Hochsommer in 900 bis 600, zuweilen sogar schon in 150 Fuß Tiefe beständig eine Temperatur von 4°,3 bis 6» zeigen: aber diese Versuche sind noch niemals auf Seen in der heißen Zone wiederholt worden. In der Schweiz sind die 173 Schichten kalten Wassers ungeheuer mächtig. Im Genfer- und im Bielersee fand man sie so nahe an der Oberfläche, daß die Temperatur des Wassers je mit 10—15 Fuß Tiefe um einen Grad abnahm, also achtmal schneller als im Meer und acht und vierzigmal schneller als in der Luft. In der gemäßigten Zone, wo die Lufttemperatur auf den Gefrierpunkt und weit drunter sinkt, muß der Boden eines Sees, wäre er auch nicht von Gletschern und mit ewigem Schnee bedeckten Bergen umgeben, Wasserthcilchen enthalten, die im Winter an der Ober-flache das Maximum ihrer Dichtigkeit (zwischen 3°, 4 und 4°,4) erlangt haben und also am tiefsten niedergesunken sind. Andere Theilchen mit der Temperatur von -s- 0",5 sinken aber keineswegs unter die Schicht mit 4" Temperatur, sondern finden das hydrostatische Gleichgewicht nur über derselben. Sie gehen nur dann writer hinab, wenn sich ihre Temperatur durch die Berührung mit weniger kalten Schichten um 3—4 Grad erhöht hat. Wenn das Wasser beim Erkalten in derselben Proportion bis zum Nullpunkt immer dichter würde, so fände man in sehr tiefen Seen und in Wasserbecken, die nicht mit einander zusammenhängen, welches auch die Breite des Orts seyn mag, eine Wasserschicht, deren Temperatur dem Maximum der Erkaltung über dem Frierpunkt, der jährlich die umgebenden niedern Luftregionen ausgesetzt sind, beinahe gleich käme. Nach dieser Betrachtung erscheint es wahrscheinlich, dal, auf den Ebenen der heißen Zone und in nicht hochgelegenen Thälern, deren mittlere Wärme 25°,5 bis 27" beträgt, der Boden der Seen nie weniger als 21—23° Temperatur haben kann. Wenn in derselben Zone das Meer in der Tiefe von 7—800 174 Faden Wasier hat mil einer Temperatur von nur 7", das also um 12—13" kälter ist als das Minimum der Luftwärme über dem Meer. so ist diese Erscheinung, nach meiner Ansicht ein direkter Beweis dafür, daß eine Meeresströmung i„ der Tiefe die Gewässer von den Polen zum Aeauator führt. Wir lassen hier das schwierige Problem unerörtert, wie unter den Tropen und in ocr gemäßigten Zone, z. B. im Meer der Antillen und in dcn Schweizer Seen, diese tiefen, bis auf 4 oder ? Grad abgekühlten Nasserschichtcn auf die Temperatur der von ihnen bedeckten Gestein schichten einwirken, und wie diese Schichten, deren ursprüngliche Temperatur unter den Tio-pen 27°, am Genfer See 10" beträgt, auf das dcm Frierftuntt nahe Wasser auf dem Boden der Seen und des tropischen Oceans zurückwirken? Diese Fragen sind von der höchsten Wichtigkeit sowohl für die Lebensprocesse der Thiere, die gewöhnlich auf dem Boden des süßen und des Salzwassers leben, als für die Theorie von der Vertheilung der Wärme in Ländern, die von großen, tiefen Mceren umgeben sind. Der See vc,n Valcnc'a ist sehr reich an Inseln, welche dmch die malerische Form d?r Felsen und dcn Pflar.zenwuchs, der sie bedeckt, dcn Reiz der Landschaft erhöhen. Diesen Vorzug hat dieser tropische See vor den Alpenseen voraus. EZ sind wenigstens fünfzehn Inseln, die in drei Gruppen zerfallen. Sie sind zum Theil angebaut und in Folgender Wasserdünste, die aus dem See aufsteigen, sehr fruchtbar. Die größte, 2000 Toisen lange, der Vurro, ist sogar von ein paar Mcstizen-familien bewohnt, die Ziegen halten. Diese einfachen Menschen kommen selten an das Ufer bei Mocnndo; der See dünkt ihnen 175 unermeßlich groß, sie haben Bananen, Manioc, Milch und etwas Fische. Eine Nohrhütte, ein paar Hängematten aus Baumwolle, die nebenan wächst, ein großer Stein, um Feuer darauf zu machen, die holzigte Frucht des Tutuma zum Wasser-schöpfcn, das ist ihr ganzer Hausrath. Der alte Mestize, der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine sehr hübsche Tochter. Unser Führer erzählte uns, das einsame Leben habe den Mann so argwöhnisch gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit Menschen geworden wäre. Tags zuvor waren Jäger auf der Insel gewesen; die Nacht überraschte sie und sie wollten lieber unter freiem Himmel schlafen, als nach Mocundo zurückfahren. Darüber entstand grofte Unruhe auf der Insel. Der Vater zwang die Tochter auf eine sehr hohe Achazie zu steigen, die auf dem ebenen Boden nicht weit von der Hütte steht. Er selbst legte sich unter den Baum und ließ die Tochter nicht eher herunter, als bis die Jäger abgezogen waren. Nicht bel allen Inselbewohnern findet der Reisende solch argwöhnische Vorsicht, solch gewaltige Sittenstrenge. Die See ist meist sehr fischreich; es kommen aber nur ore, Arten mit weichlichem, nicht sehr schmackhaftem Fleisch dann vor, die Guavina, tx'r Vagre und die Sardma. Die betten letzteren kommen aus den Bächen in den See. Die Guavina. die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, ist 20 Zoll lang, 3'/2 Zoll breit. Es ist vielleicht eine neue Art der Gattung Erythrina des Gronovius. Sie hat große, silberglänzende, grün geränderte Schupften; sie ist sehr gefräßig und läßt andere Arten nicht aufkommen. Die Fischer versicherten uns, ein kleines Crocodil, der Bava, der uns beim Baden oft nahe kam, 176 helfe auch die Fische ausrotten. Wir konnten dieses Reptils nie lmbbaft werden, um es naher zu untersuchen. Es wird meist nur 3—4 Fuß lang und gilt für unschädlich, aber in der Lebensweise wie in der Gestalt kommt es dem Kaiman oder Oooocklus 2outu8 nahe. Beim Schwimmen sieht man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das Schwanzende. Bei Tage liegt es auf kahlen Ufcrstellen. Es ist sicher weder ein Monitor (die eigentlichen Monitors geboren nur der alten Welt an), noch Eebas Sauvegarde (Lnoortn ikFmxm), die nur taucht und nickt schwimmt. Reisende mögen nach uns darüber entscheiden, ich bemerke nur noch, als ziemlich auffallend, daß es im See von Valencia und im ganzen kleinen Flußgebiet desselben keine großen Kaimans gibt, während diefes gefährliche Thier wenige Meilen davon in den Gewässern, die in den Apure und Orinoco, oder zwischen Porto Cabello und Guayra unmittelbar in das antillische Meer laufen, sehr häusig ist. Die Insel Chamberg ist durch ihre Höhe ausgezeichnet. Es ist ein 200 Fuß hoher Gneißfels mit zwei sattelförmig verbundenen Gipfeln. Der Abhang des Felsen ist kahl, kaum dah ein paar Clusiastämme mit großen weißen Blüthen darauf wachsen, aber die Aussicht über den See und die üppigen Fluren der anstoßenden Thäler ist herrlich, zumal wenn nach Sonnen. Untergang Tausende von Wasscrvögeln, Reiher, Flamingos und Wildenten über den See ziehen, um auf den Inseln zu schlafen, und der weite Gebirgsgürtel am Horizont im Feuer steht. Wie schon erwähnt, brennt das Landvolk die Weiden ab, um ein frischeres, feineres Gras als Nachwuchs zu bekommen. Besonders auf den Gipfeln der Bergkette wächst viel 177 Gras, und diese gewaltigen Feuer, die öfters über tausend Toisen lange Strecken laufen, nehmen sich aus, wie wenn Lavaströme aus dem Vergkamm quöllen. Wenn man so an einem herrlichen tropischen Abend am Seeufer ausruht und der angenehmen Kühle genießt, betrachtet man mit Lust in den Wellen, die an das Gestade schlagen, das Vild der rochen Feuer rings am Horizont. Unter den Pflanzen, die auf den Felseninseln im See von Valencia wachsen, kommen, wie man glaubt. mehrere nur hier vor; wenigstens hat man sie sonst nirgends gefunden. Hieher gehören die See-Melonenbäume (kspa^a 6e 1a lazuna) und die Licbesäpfel der Insel Cura. Letzlere sind von unserem solanum I^oopki-Lieum verschieden; ihre Frucht ist rund, klein, aber sehr schmackhaft? man baut sie jetzt in Victoria, Nueva Valencia, überall in den Thälern von Aragua. Auch die ?3p8^a 6« I«, lacuna ist auf der Insel' Cura und auf Cabo Blanco sehr häufig. Ihr Stamm ist schlanker als beim gemeinen Melonenbaum ((^ni-ioa kapg^a), aber die Frucht ist um die Hälfte kleiner und völlig kligelrund, ohne vorspringende Nippen, und hat 4—5 Zoll im Durchmesser. Beim Zerschneiden zeigt sie sich v?ll Samen, ohne die leeren Zwi-schcnräume, die sich beim gemeinen Melonenbaum immer finden. Die Frucht, die ich oft gegessen, schmeckt ungemein süß: ich weiß nicht, ob es eine Spielart der (^"' einer Neinen Vude, iu der man Gßwacne» und Getränke feil hat. 186 rheumatische Geschwülste, alte Geschwüre und gegen die schreckliche Hautkrankheit, Bub as genannt, die nicht immer syphilitischen Ursprungs ist. Da die Quellen nur sehr wenig Schwefel, Wasserstoff enthalten, muß man da baden, wo sie zu Tage kommen. Weiterhin überrieselt man mit dem Wasser die Indigofelder. Der reiche Besitzer von Mariara, Don Domingo Tovar, ging damit um, ein Badehaus zu bauen und eine Anstalt einzurichten, wo Wohlhabende etwas meh'. fänden als Eidechsenfleisch zum Essen und Häute auf Bänken zum Ruhen. Am 21. Februar Abends brachen wir von der schönen Hacienda de Cura nach Guacara und Nueva Valencia auf. Wegen der schrecklichen Hitze bei Tage reisten wir lieber bei Nacht Wir kamen durch den Weiler Punta Zamuro am Fuh der hohen Berge las Viruclas. Am Wege stehen große Zamangs oder Mimosen, deren Stamm 60 Fuh hoch wird. Die fast wagerechten Aeste derselben stoßen auf mehr als 150 Fuß Entfernung zusammen. Nirgends habe ich ein schöneres, dichteres Laubdach gesehen. Die Nacht war dunkel: d,e Teufelsmauer und ihre gezackten Felsen tauchten zuweilen in der Ferne auf, beleuchtet vom Schein der brennenden Savanen oder in röth-liche Rauchwolken gehüllt. Wo das Gebüfch am dichtesten war, scheuten unsere Pferde ob dem Geschrei eines Thiers, das hinter uns her zu kommen schien. Es war ein großer Tiger, der sich seit drei Jahren in diesen Bergen umtrieb und den Nachstellungen der kühnsten Jäger entgangen war. Er schleppte Pferde und Maulthiere sogar aus Einzäunungen fort: da es ihm aber nicht an Nahrung fehlte, hatte er noch nie Menschm angefallen. Der Neger, der uns führte, erhob ein wildes 1«7 Geschrei, um den Tiger zu verscheuchen, was natürlich nicht gelang. Der Jaguar streicht, wie der europäische Wolf, den Reisenden nach, auch wcnn er sie nicht anfallen will: der Wolf thut dieß auf freiem Feld, auf offenen Landstrecken, der Jaguar schleicht am Wege hin und zeigt sich nur von Zeit zu Zeit im Gebüsch. Den dreiundzwanzigsten brachten wir im Hause des Marques del Toro im Dorfe Guacara, einer schr starken indianischen Gemeinde, zu. Die Eingeborenen, deren Corregidor, Don Pedro Penalver, ein sehr gebildeter Mann war, sind ziemlich wohlhabend. Sie hatten eben bei der Audiencia einen Proceß gewonnen, der ihnen die Ländereien wieder zusprach. welche die Weißen ihnen streitig gemacht. Eine Allee von Carolmeabäu-men führt von Guacara nach Mocundo. Ich sah hier zum erstenmal dieses prachtvolle Gewächs, das eine der vornehmsten Zierden der Gewächshäuser in Schönbrunn ist. ^ Mocundo ist eine reiche Zuckerpflanzung der Familie Toro. Man findet hier sogar, was in diesem Lande so selten ist, „den Luxus des Ackerbaus," einen Garten, künstliche Gehölze und am Wasser auf einem Gneißfels ein Lusthaus mit einem Mirador oder Belvedere. Man hat da eine herrliche Aussicht auf das westliche Stück des Sees, auf die Gebirge ringsum und auf einen Palmenwald zwischen Guacara und Nueva Valencia. Die Zuckerfelder mit dem lichten Grün des jungen Rohrs erscheinen wie ein weiter Wiesgrund. Alles trägt den Stempel des Ueber- ' Sämmtliche Caroline» iirincp,)» in SchVnbrunn stammen au« Samen, die Vose und Vredemeyer von Gmrm nngehenel dicken Baum bei Chacao, östlich von Caracas, genommen. 188 flusses, aber die das Land bauen, müssen ihre Freiheit daran setzen ' In Mocundo baut man mit 230 Negern 77 Tablones oder Stücke Zuckerrohr, deren jedes 10.000 Quadrat-Varas ' mißt und jährlich einen Reinertrag von 200—240 Piastern qibt. Man setzt die Stecklinge des creolischcn und des otaheiti-schen Zuckerrohrs im April, bei ersterem je 4, bei letztcrem 5 Schuh von einander. Das Nohr braucht 14 Monate zur Reife. Es blüht i.n October, wenn der Setzling kräftig ist, man kappt aber die Spitze, ehe die Rispe sich entwickelt. Bei allen Monocotyledon«» (beim Maguey, der in Mexico wegen des Pulque gebaut wird, bei der Weinpalme und dem Zuckerrohr) erhalten die Säfte durch die Blütbe eine andere Mischung. Die Zuckerfabrikation ist in Terra Firma sehr mangelhaft, weil man nur für den Verbrauch im Lande fabricirt und man für den Absatz im Großen sich lieber an den sogenannten Papelon als an raffinirten und Rohzucker hält. Dieser Papelon ist ein unreiner, braungelber Zucker in ganz kleinen Hüten. Er ist niit Melasse und schleimigten Stoffen verunreinigt. Der ärmste Mann ißt Papelon, wie man in Europa Käse ißt; man hält ihn allgemein für nahrhaft. Mit Wasser gegohren gibt er den Guarapo, das Lieblingsgetränke des Volks. Zum Auslaugen des Rohrsafts bedient man sich, statt des Kalks, des unter-kohlensauren Kalis. Man nimmt dazu vorzugsweise die Asche des Bucare, der Nr^tkriim ooralloäsnärou. Das Zuckerrohr ist sehr spät, wahrscheinlich erst zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts, von den Antillen in die Thäler » Gin Tablon, gleich <849 Quadiat-Toisen, entspricht etwa I'/, Molgen. 189 von Aragua gekommen. Man kannte es seit den ältesten Zeiten in Indien, in China und auf allen Inseln des stillen Meeres: in Chorasan und in Persien wurde es schon im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung zur Gewinnung festen Zuckers gebaut. Die Araber brachten das Rohr, das für die Bewohner heißer und gemäßigter Länder von so großem Werthe ist. an die Küsten des Mittelmeers. Im Jahr 1306 wurde es auf Sicilien noch nicht gebaut, aber auf Cypern, Rhodus und :u Morea war es bereits verbreitet: hundert Jahre darauf war es ein werthvoller Besitz Calabriens, Siciliens und der Wamschen Küsten. Von Sicilien vprpfianzte der Infant Henrique; das Zuckerrohr nach Madera, von Madera kam es auf die Canarien, wo es ganz unbekannt war; denn die ^erula«, von denen Iuba spricht (qu»6 expressae liquorem fuu6unt powi stiounclum), sind Euvhorbien, lada^ba 6ulo6, und kein Zuckerrohr, wie man neuerdings behauptet hat. Nicht lange, so waren zehn Zuckermühlen (ingeniös 6s a^uos.i') auf der großen Canaria, auf Palma «nd auf Teneriffa zwischen Adexe, Icod und Garachico. Man brauchte Neger zum Vau, und ihre Nachkommen leben noch in den Höhlen von Tiraxana auf der großen Canaria. Seit das Zuckerrohr auf die Antillen verpflanzt worden ist, und seit die neuc Welt den glückseligen Inseln den Mais geschenkt, hat der Anbau dieser Grasart auf Teneriffa und der großen Canaria den Zuckerban verdrängt. Jetzt wird dieser nur noch auf Palma bei Argual und Taxacotte getrieben udd liefert kaum 1000 Centner Zucker im Jahr. Das canarische Nrhr, das Aiguilon nach St. Do-mingo brachte, wurde dort seit 1517 oder den fechs, sieden 1A> folgenden Jahren unter der Herrschaft der Hieronymiter-Mönche gebaut. Von Anfang an wurden Neger dazu verwendet, und schon 1519 stellte man, gerade wie heutzutage, der Rcgierunq vor. „die Antillen wären verloren und müßten wüste liegen bleiben, wenn mau nicht alle Jahre Sklaven von der Küste von Guinea herüberbrächte." Seit einigen Jahren haben sich der Anbau und die Fabrikation des Zuckers in Terra Firma bedeutend verbessert, und da auf Jamaica das Naffiniren gesetzlich verboten ist, so glaubt man auf die Ausfuhr von rofsinirtem Zucker in die englischen Colomen auf dem Wege des Schleichhandels rechnen zu können. Aber der Verbrauch in den Provinzen von Venezuela an Pa>. pelon und an Rohzucker zu Chocolate und Zuckerbäckerei (6ulo68) ist so groß, daß die Aussuhr bis jetzt gar nicht in Betracht kam. Die schönsten Zuckerpflanzungen sind in den Tbälern von Aragua und des Tuv, bei Pao de Zarete, zwischen Victoria und San Sebastiano, bei Gualire, Guarenas und Caurimare. Wie das Zuckerrohr zuerst von den Cananen in die neue Welt kam, so stehen noch jetzt meist Canarier oder Islengos den großen Pflanzungen vor und geben beim An, bau und beim Naffiniren die Anleitung. Diefer innige Verkehr mit den canarifchen Inseln und ihren Bewohnern hat auch zur Einführung der Kameele in die Provinzen von Venezuela Anlaß gegeben. Der Marques del Toro ließ ihrer drei von Lancerota tommen. Die Transportkosten waren sehr bedeutend, weil die Thiere auf den Kauffahrern sehr viel Raum einnehmen und sie sehr viel süßes Wasser bedürfen, da die lange Ueberfahrt sie stark angreift. 191 Ein Kamecl, für das man nur dreißig Piaster bezahlt, hatte nach der Ankunft auf der Küste von Caracas acht- bis neunhundert Piaster gekostet. Wir sahen diese Thiere in Mocundo; von vieren waren schon drei in Amcrika geworfen. Zwei waren vom Biß des Coral, einer giftigen Schlange, die am See sehr häusig ist, zu Grunde gegangen. Man braucht bis jetzt diese Kameele nur, um das Zuckerrohr in die Mühlen zu schassen. Die männlichen Thiere, die stärkcr sind als die weiblichen, tragen 40—50 Arrobas. Ein reicher Gutsbesitzer in der Provinz Varinas wollte, aufgemuntert durch den Vorgang des Marques del Toro, 15,000 Piaster aufwenden und auf einmal 14 bis 15 Kameele von den canarischen Inseln kommen lassen. Solche Unternehmungen sind um so lobens-werther, da man diese Lastthiere zum Waarentransport durch die glühend hcißen Ebenen am Casanare, Apure und bei Ca-labozo benutzen will, die in der trockenen Jahreszeit den afrikanischen Wüsten gleichen. Ich habe anderwärts bemerkt,' wie sehr zu wünschen wäre, daß die Eroberer schon zu An« sang des sechzehnten Jahrhunderts, wie Rindvieh, Pferde und Maulthiere, so auch Kameele nach Amerika verpflanzt hätten. Ueberall wo in unbewohnten Ländern sehr große Strecken zurückzulegen sind, wo sich keine Kanäle anlegen lassen, weil sie zu viele Schleußen erforderten (wie auf der Landenge von Panama, auf der Hochebene von Merico, in den Wüsten zwischen dem Königreich Quito und Peru, und zwischen Peru und Chili), wären Kameele für den Handelsverkehr im Innern 1 Essai polilique sur la nouvHle Espagne T. I. p. 23, T. II. p. 689. 192 von der höchsten Bedeutung. Man muß sich um so melir wundern, daß die Regierung nicht gleich nach der Eroberung die Einführung des Thiers aufgemuntert liat, da noch lange nach der Unterwerfung von Grenada das Kamecl, das Lieb-liugslhier der Mauren, im südlichen Spanien sebr häusig war.' Ein Viscayer, Juan de Neinaga, hatte auf seine Kosten einige Kameele nach Peru gebracht. Pater Acosta sah sie gcgen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts am Fuße der Andeni da sie aber schlecht gepflegt wurden, pflanzten sie sich spärlich fort und starben bald aus. In diesen Zeiten der Unterdrückung und des Elends, die man als die Zeiten des spanischen Ruhmes schildert, vcrmielhcten die Encomcnderos den Reisenden Indianer wie Lastthiere. Man trieb sie zu Hunderten zusammen, um Waarcn über die Cordilleren zu schleppen, oder um die Heere auf ihren Eroberungs- und Raub? zügcn zu begleiten. 2ie Eingeborenen unterzogen sich diesem Dienst um so geduldiger, da sie, beim fast völligen Mangel an Hauslhieren, schon seit langer Zeit von ihren eigenen Häuptlingen , wenn auch ni cht so unmenschlich, dazu angehalten wor-dcn waren. Die von Juan de Reinaga versuchte Einführung der Kamecle brachte die EncomcnderoZ, die nicht gesetzlich, aber faktisch die Grundherrn der indianischen Dörfer waren, gewaltig in Aufruhr. Es ist nicht zu verwundern, daß der Hof den Beschwerden dieser Herrn Gehör gab: aber durch diese Maaßregel ging Amerika eines Mittels verlustig, das mehr als irgend etwas den Verkehr im Innern nnd den Waarcn-austausch erleichtern konnte. Jetzt, da seit Carls III. Regierung die Indianer unter einem milderen Ncgimente stehen, 193 und alle Zweige des einheimischen Gewerbfleißcs sich freier entwickeln können, sollte die Einführung der Kameele im Großen, und von der Regierung selbst versucht weiden. Würden einige l'undert dieser nützlichen Thiere auf dem ungeheuren Areal von Amerika in heißen, trockenen Gegenden angesiedelt, so würde sich der günstige Einfluß auf den allgemeinen Wohlstand schon in wenigen Jahren merkbar machen. Provinzen, die durch Steppen getrennt sind, wären von Stunde an einander nssher gerückt: manche Waaren aus dem Innern würden an den Küsten wohlfeiler, und durch die Vermehrung der Kameele, zumal der Hedjincs, der Schiffe der Wüste, käme ein ganz anderes Leben in den Gcwerbflciß und den Handel der neuen Welt. ' Am zweiundzwanzigsten Abends brachen wir von Mocundo auf und gingen über los Guayos nach Nueva Valencia. Man kommt durch einen kleinen Palmenwald, dessen Bäume nach dem Habitus und der Bildung der fächerförmigen Blätter dem <^9m»6i-0s»8 l,umi1i8 an der Küste der Vcrberei gleichen. Der Stamm wird indessen 24, zuweilen sogar 30 Fuß hoch. Es ist wahrscheinlich eine neue Art der Gattung Oorvplm; die Palme heißt im Lande ?a1mn, c>6 sombrero, weil man ans den Blattstielen Hüte. ähnlich unsern Strohhüteu flicht. Das Palmengchülz, wo die dürren Blätter beim geringsten Luftzug rasseln, die auf der Ebene weidenden Kamecle, das Wallen der Dünste auf ciuem vom Sonnenstrahl glühenden Boden, geben der Landschaft ein afrikanisches Gepräge. Je näher man der Stadt und über das westliche Ende des Sees hinaus kommt, desto dürrer wird der Boden. Es Huml'l'ibt. üttisc. III. 13 194 ein ganz ebener, vom Wasser verlassener Thonboden. Die benachbarten Hügel, Norrol, 6ft Vtllenoi«, genannt, bestehen aus weißem Tuff, einer ganz neuen Bildung, die unmittelbar auf dem Gneiß aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an verschiedenen andern Punkten längs der Küstcngebirgslette wieder zum Vorschein. Die weiße Farbe dieses Tuffs, von dem die Sonnenstrahlen abprallen, trägt viel zur drüclendcn Hi^ bei, die hier herrscht. Alles ist wüst und öde, kaum sieht man an den Ufern des Rio de Valencia hie und da eincn Cacaostamm; sonst ist die Ebene kahl, pflanMlos. Diese anscheinende Unfruchtbarkeit schreibt man hier, wie überall in den Thälern von Aragua, dem Indigobau zu, der den Boden stärker erschöpft (oansn), als irgend ein Gewächs. Es wäre interessant, sich nach den wahren physischen Ursachen dieser Erscheinung umzusehen, über die man, wie ja auch über die Wirkung ^der Vrache und der Wechselwirthschaft, noch lange nicht im Reinen ist. Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß man unter den Tropen desto häusiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit des Baulandes klagen hört, je näber man sich der Zeit der ersten Urbarmachung befindet. In einem Erdstrich, wo fast kein Gras wächst, wo jedes Gewächs eincn holzigten Stengel hat und gleich zum Busch aufschießt, ist der unangebrochene Vodcn fortwährend von lwhcn Bäumen oder von Buschwerk beschattet. Unter diesen dichten Schatten erhält er sich überall frisch und feucht. So üppig > der Pflanzenwuchs unter den Tropen erscheint, so ist doch die Zahl der in die Erde dringenden Wurzeln anf einem nicht angebauten Boden gcringcr, während auf dem mit Indigo, 195 Zuckerrohr oder Maliioc angepflanzten Lande die Gewächse weit dichter bei einander stehen. Die Bäume und Gebüsche mit ihrer Fülle von Zweigen und Laub ziehen ihre Nahrung zum großen Theil aus der umgebenden Luft, und die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens nimmt zu durch die Zersetzung des vegetabilischen Stoffs, der sich fortwährend auf demselben aufhäuft. Ganz anders bei den mit Indigo oder andern krautartigen Gewächsen bepflanzten Feldern. Die Sonnenstrahlen fallen frei auf den Boden und zerstören durch die rafche Verbrennung der Kohlenwasserstoff- und anderer oxydirbaren Verbindungen die Keime der Fruchtbarkeit. Diese Wirkungen fallen den Colonisten desto mehr auf, da sie in einem noch nicht lange bewohnten Lande die Fruchtbarkeit eines seit Jahrtausenden unberührten Bodens mit dem Ertrag der bebauten Felder vergleichen können. In Bezug auf den Ertrag des Ackerbaus sind gegenwärtig die spanischen Colonien auf dem Festland und die großen Inseln Por'orico und Cuba gegen die kleinen Antillen bedeutend im Vortheil. Erstere haben vermöge ihrer Größe, der mannigfaltigen Vodmbildung und der verhällnihmäßig geringen Bevölkerung noch ganz den Typus eines unberührten Bodens, während man auf Barbados, Ta-bago, Santa Lucia, auf den Iungfraueninfeln und im französischen Antheil von St. Domingo nachgerade spürt, daß lange fortgesetzter Anbau den Boden erschöpft. Wenn man in den Thälern von Aragua die Indigofelder, statt sie aufzugeben und brach liegen zu lassen, nicht mit Getreide, sondern mit andern nährenden und Futterkräutern anpflanzte, wenn man dazu vorzugsweise Gewächse aus verschiedenen Familien 19k näbme, und solche, die mit ihren breiten Blättern den Voden beschatten, so würden allmälig die Felder verbessert und ilmen ihre frühere Fnichtbaikeit zum Theil wieder gegeben werden. Die Stadt Nueva Valencia nimmt einen ansctmlichcn Flächen.-räum ein: aber die Ncvölkernng ist kaum sechs- bis siebentausend Seelen stark. Die Straßen sind sebr breit, der Markt (p1n?,a ma^or) ist übermäßig groß, und da die Häuser sehr niedrig sind, ist das Mißverhältniß zwischen der Bevölkerung und der Ausdehnung der Stadt noch ausfallender als in Caracas. Viele Weiße von europäischer Abstammung, besonders die ärmsten, ziehen aus ihren Häusern und leben den grüßten Theil des Jahrs auf ihren kleinen Indigo- oder Baumwollen-Pflanzungen. Dort wagen sie es mit eigenen Händen zu arbeiten, während ihnen dieß< nach dem im Lande herrschenden eingewurzelten Vorurtheil, in der Stadt zur Schande gereichte. Der Gcwcrbfleiß fängt im allgemeinen an sich zu regen, und der Vaumwollenbau hat bedeutend zugenommen, seit dem Handel von Porto Cabello neue Freiheiten ertheilt worden sind und dieser Hafen als Hauftthafen, als puert« ml^or, den unmittelbar aus dem Mutterlande kommenden Schissen offen steht. Nueva Valencia wurde im Jahr 1555 unter Villacindas Statthalterschaft von Alonzo Diaz Moreno gegründet, und ist also zwölf Jahre älter als Caracas. Wir haben schon früher bemerkt, daß in Venezuela die spanische Bevölkerung von West nach Ost vorgerückt ist. Valencia war anfangs nur eine zu Vurburata gehörige Gemeinde, aber letztere Stadt ist jetzt nur noch ein Platz, wo Maulthiere eingeschifft werden. Man bedauert, und vielleicht mit Necht, daß Valencia nicht die Hauptstadt 197 des Landes geworden ist. Ihre Lage auf einer Ebene, am Ufer eines Sees würde an die von Mexico erinnern. Wenn man bedenkt, wie bequem man durch die Thäler von Aragua in die Llanos und an die Nebenflüsse des Orinoco gelangt, wenn man sich überzeugt, daß sich durch dm Rio Pno und die Pvltugueza eine Schifffahrlsverbindung im innern Lande bis zur Mündung des Orinoco, zum Cassiquiare und dem Amazonenstrom herstellen ließe, so sieht man ein, daß die Hauptstadt der ausgedehnten Provinzen von Venezuela in der Nähe des prächtigen Hafens von Porto Cabello, unter einem reinen, heitern Himmel besser läge, als bei der schlecht geschützten Nhede von Guayra, in einem gemäßigten, aber das ganze Jahr nebligten Thale. So nahe beim Königreich Neu-Grenada, mitten inne zwischen den gctreidercichen Gebieten von Victoria und Äarquesimeto, hätte die Stadt Valencia gedeihen müssen; sie konnte aber nicht gegen Caracas aufkommen, das ihr zwei Jahrhunderte lang einen bedeutenden Theil der Einwohner entzogen hat. Die Mantnanosfamilien lebten lieber in der Hauptstadt als in einer Provinzialsladt. Wer nicht weiß, von welcher Unmasse von Ameisen alle Länder in der heißen Zone Heimgeslicht sind, macht sich keinen Vegrifs von den Zerstörungen dieser Insekten und von den Bodensenkungen, die von ihnen herrühren. Sie sind im Boden, auf dem Valencia steht, in so ungeheurer Menge, daß die Gänge, die sie graben, unterirdischen Kanälen gleichen, in der Negcnzeit sich mit Wasser füllen und den Gebäuden sehr gefährlich werden. Man hat hier nicht zn den sonderbaren Mitteln gegriffen, die man zu Ansang des sechzehnten Jahr- ^98 Hunderts auf St. Domingo anwendete, als Ameisen schwärme die schönen Ebenen von la Vcga und die reichen Besitzungen des Ordens des h. Franciscus verheerten. Nachdem die Mönche vergebens die Ameisenlöwen verbrannt und es mit Räuche-nmgen versucht hatten, gaben sie den Leuten den Nath, einen Heiligen herausznlooscn, dcr als ^I)l»L.nc!o «ontrn In8 ttnr-m>8»8 dienen sollte. Die Ehre ward dem heiligen Saturnin zu Theil, und als man das erstemal das Fest des Heiligen beging, verschwanden die Ameisen. Seit den Zeiten der Eroberung hat dcr Unglauben gewallige Fortschritte gemacht, und nur auf dem Nucken der Cordilleren fand ich eine kleine Capclle, in der, der Inschrift zufolge, für die Vernichtung der Termiten gebetet werden sollte. Valencia hat einige geschichtliche Erinnerungen auszuweisen, sie sind aber, wie Alles, was die Celonien betrifft, nicht sehr alt und beziehen sich entweder auf bürgerliche Zwiste oder auf blutige Gefechte mit den Wilden. Lopez de Aguirre, dessen Frcvelthaten und Abenteuer eine der dramatischsten Episoden in der Geschichte der Eroberung bilden, zog im Jahr 1561 aus Peru über den Amazonenstrom auf die Insel Margarita und von dort über den Hafen von Vurburata in die Thäler von Aragua. Als er in Valencia eingezogen, die stolz den Namen einer königlichen Stadt, Villa, Temperatur. Dieselben Pflanzonarten kommen anderswo in diesem Gebirge an Bächen vor, in denen der Thermometer nicht auf 18« steigt. Noch mehr, vierzig Fuß von der Stelle, wo die 90" heißen Quellen entspringen, finden sich auch ganz kalte. Beide Gewässer laufen eine Strecke wcit neben einander fort, und die Eingebornen zeigten uns, wie man sich, wenn man zwischen beiden Bäche» ein Loch iu den Boden gräbt, ein Bad von beliebiger Temperatur verschaffen kann. Es ist auffallend, wie in den heißesten und in den kältesten Erdstrichen der gemeine Mann gleich fehr die Wärme liebt. Bei der Einführung des Christenthums in Island wollte sich das Volk nur iu den warmen Quellen am Hckla taufen lassen, und in der heißen Zone, im Tiefland und auf den Cordilleren, laufen die Eingeborenen von allen Seiten den warme» Quellen zu. Die Kranken, die nach Trinchera kommen, um Dampfbäder zu brauchen, errichten über der Quelle eine Art Gitter-wert aus Vaumzweigen und ganz dünnem Nohr. Sie legen sich nackt auf dieses Gitter, das, wie mir schien, nichts weniger als fest und nicht ohne Gefahr zu besteigen ist. Der tiio c!o KFUÄ3 oaliente« läuft nach Nordost und wird in der Nähe der Küste zu einem ziemlich ansehnlichen Fluß, in dem große Krokodile leben, und der durch sein Austreten den Uferstrich ungesund machen hilft. 203 Wir gingen immer rechls am warmen Wasser nach Porto Cabello hinunter. Der Weg ist ungcmrin malerisch. Das Wasser stürzt über die Felsbänke nieder, und es ist als hätte man die Fälle der Neuß vom Gotthard herab vor sich; aber welch ein Contrast, was die Kraft und Ueppigkeit des Pflanzen-Wuchses betrifft! Zwischen blühenden Gesträuchen, aus Big-nonien und Melastomen erheben sich majestätisch die weißen Stämme der Cccrovia. Sie gehen erst aus, wenn man mir noch in 100 Toisen Meereshöhe ist. Vis hicher reicht auch eine kleine stachligte Palme, deren zarte, gefiederte Blätter an den Nändern wie gekräuselt erscheinen. Sie ist in diesem Gebirge sehr häufig: da wir aber weder Blüthe noch Frucht gesehen haben, wissen wir nicht, ob es die Piritupalme der Caraiben oder Iacquins (üooos »culeata ist. Je näher wir der Küste kamen, desto drückender wuide die Hitze. Ein rölhlicher Dunst umzog dcn Horizont; die Sonne war am Untergehen, aber der Seewind wchte noch nicht. Wir ruhten in den einzeln stehenden Höfen aus, die unter dem Namen Cambury und Haus des Canariers (Oasa <^1 iLlengo) bekannt sind. Der liio äs aF»n8 onlitmte«, an dem wir hinzogen, wurde immer tiefer. Am Ufer lag ein todtes Krokodil- es war über neun Fuß lang. Wir hätten gerne seine Zähne und seine Mundhöhle untersucht: aber es lag schon mehrere Wochen in der Sonne und stank so furchtbar, daß wir dieses Vorhaben aufgeben und wieder zu Pferde steigen mußten. Ist man im Niveau des Meeres angelangt, so wendet sich der Weg ostwärts und läuft über einen dürren anderthalb Meilen breiten Sirand, ähnlich dem bei Cumana. 204 Man sieht hin und wieder eine Fackeldistel, ein Sesnvilim, cin paar Stämme (^o^olodl,. uvil^l-a,^ und längs der Küste wachsen Avicennie» ilnd Wurzelträger. Wir wateten durch den Guayguazo und den 3iio (^stcvau, die, da sie sehr oft austrctcn, große Lachen stehenden Wassers bilden. Auf dieser weite» Ebene erheben sich wie.Klippen kleine Felsen aus Mäan-driten, Madreporitcn und andern Corallen. Mau tonnte in denselben einen Beweis sehen, daß sich die See noch nicht sehr lange von hier zurückgezogen: aber diese Massen von Polypen-gehäusen sind nur Bruchstücke, !» eine Vreccie mit taltigtem Bindemittel eingcbackcn. Ich sage in eine Vrcccie, denn man darf die weiften frischen Coralliten dieser sehr jungen Formation an der Küste nicht mit den Coralliicn verwechseln, die im Uebcrgangsgebirge, in der Grauwacke und im schwarzen Kalkstein eingeschlossen vorkommen. Wir wunderten uns nicht wenig, daß wir an diesem völlig unbewohnten Ort einen starken, in voller Vlüthe stehenden Stamm der I'urliillLniii», koult^tu, antrafen. Nach unsern botanische« Werken gehört der Baum der neuen Welt an,' aber in fünf Jahren habe« wir ihn nur zweimal wild gesehen, hier auf der Ebene am Rio Guayguaza und in den Llanos von Cumana, dreißig Meilen von der Küste, bei Villa del Pao. Letzterer Ort tonnte noch dazu leicht ein alter Conuco oder eingehegtes Vaufcld sey». Sonst überall auf dem Festland von Amerika sahen >uir die Partinsonia, wie die Plumeria, nur in den Gärten der Indianer. Ich kam zu rechter Zcit nach Porto Cabello, um einige Höhen des Canopus nahe an, Meridian anfnchmen zu lömle»- 205 aber diese Beobachtungen, wie die am acht und zwanzigsten Februar aufgenommenen correfpondirenden Sonnenhöhen, siud nicht sehr zuverlüßig. Ich bemerkte zu spät, daß sich das Diopterlineal eines Troughtonschen Sextanten ein wenig verschoben hatte. Es war ein Dosensertant von zwei Zoll Halbmesser, dessen Gebrauch übrigens den Neisenden sehr zu empfehlen ist. Ich brauchte denselben sonst meist nur zu geodätischen Aufnahmen im Canoe auf Flüssen. In Porto Cabello wie in Guayra streitet man darüber, ob der Hafen ostwärts oder westwärts von der Stadt liegt, mit der derselbe den stärksten Verkehr Hal. Die Einwohner glauben, Porto Cabello liege Nord-Nord-West von Nueva Valencia. Aus meinen Beobachtungen ergibt sich allerdings für jenen Ort eine Länge von 3—4 Minuten im Vogen weiter nach West. Nach Fidalgo läge er ostwärts. Wir wurden im Hause eines französischen Arztes, Iuliac, der sich m Montpellier tüchtig gebildet hatte, mit größter Zuvorkommenheit aufgenommen. In seinem kleinen Hause befanden sich Sammlungen mancherlei Art, die aber alle den Reisenden intcressiren konnten: schönwissenschaftliche und naturge-schichtliche Bücher, meteorologische Notizen, Bälge von Jaguars und großen Wasserschlangcn, lebendige Thiere, Affen, Güttcl-thiere, Vögel. Unser Hausherr war Oberwundarzt am königlichen Hospital in Porlo Cabello, und im Lande wegen seiner ticfeingehenden Beobachtungen über das gelbe Fieber vorthcil-haft bekannt. Er hatte in sieben Jahren 600—800 von dieser schrecklichen Krankheit Befallene in das Spital aufnehmen sehen: er war Zeuge der Verheerungen, welche die Seuche im Jahr 1793 anf der Flotte des Admirals Ariztizabal angerichtet. Die Flotte 206 verlor fast cin Tritttheil ihrer Bemannung, weil die Matrosen fast sämmtlich nicht acclimatisirte Europäer waren und frei mit dem Lande verkehrten. Iuliac hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inseln gebräuchlich ist, die Kranken mit Vlullassen, gelinde abführenden Mitteln und säuerlichen Getränken behandelt. Nei diesem Verfahren denkt man nicht daran die Kräfte durch Reizmittel zu heben; man will beruhigen und steigert nur die Schwäche und Entkräftung. In den Spitälern, wo die Kranken dicht beisammen lagen, starben damals von den weihen Creole« 33 Procent, von den frisch angekommenen Europäern 63 Procent. Seit man das alte herabstimmende Verfahren aufgegeben hatte und Reizmittel anwendete, Opium, Venzoe, weingeistige Getränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend abgenommen. Man glaubte/sie betrage nunmehr nur 20 Procent bei Europäern und 10 bei Creolen, selbst dann, wenn sich schwarzes Erbrechen und Blutungen aus der Nase, den Ohren und dem Zahnfleisch einstellen und so die Krankheit in hohem Grade bösartig erscheint. Ich berichte genau, was mir damals als allgemeines Ergebniß der Beobachtungen mitgetheilt wurde; man darf aber, denke ich, bei solchen Zahlenzusammenstellungen nicht vergessen, daß, trotz der scheinbaren Uebereinstimmung, die Epidemien mehrerer auf einander folgenden Jahre von einander abweichen, uud daß man bei der Wahl zwischen stärkenden und herabstimmenden Mitteln (wenn je ein absoluter Unterschied zwischen beiden besteht) die verschiedenen Stadien der Krankheit zu unterscheiden hat. Die Hitze ist in Porto Cabello nicht so start als in Guayra. Der Seewind ist stärker, häufiger, regelmäßiger: auch lehnen sich die Häuser nicht an Felsen, die bei Tag die Sonnenstrahlen 207 absorbiren und bei Nacht die Wärme wieder von sich geben. Die Luft kann zwischen der Küste und den Beigen von Ilaria freier circuliren. Der Grund der Ungesundheit der Luft ist im Strande zu suchen, der sich westwärts, so weit das Auge reicht, gegen die kunta äs luoäoos beim Haftn von Chichi-ribiche fortzieht. Dort befinden sich die Salzwerle und dort herrschen bei Eintritt der Regenzeit die dreitägigen Wechsel-sieber, die leicht in atactische Fieber übergehen. Man hat die interessante Bemerkung gemacht, daß die Mestizen, die in den Salzwerken arbeiten, dunkelfarbiger sind und eine gelbere Haut bekommen, wenn sie mehrere Jahre hinter einander cm diesen Fiebern gelitlen haben, welche die Küsten krankheit heißen. Die Bewohner dieses Strandes, arme Fischer, behaupten, nicht daher, daß das Secwasser das Land überschwemme und wieder abfließe, sey der mit Wurzelträgern bewachsene Voden so ungesund, das Verdcvbniß der Luft rühre vielmehr vom süßen Wasser her, von den Überschwemmungen des Rio Guayzuaza und des Rio Estevan, die in den Monaten October und November so plötzlich und so stark austretcn. Die Ufer des Rio Estevan sind bewohnbarer geworden, seit man daselbst kleine Mais- und Pisangvflanzungen angelegt und durch Erhöhung und Befestigung des Bodens dem Fluß em engeres Bett angewiesen hat. Man geht damit um, dem Htevan eme andere Mündung zu graben und dadurch die Umgegend von Porto Cabcllo gesunder zu machen. Ein Kanal soll das Wasser an den Küstenstrich leiten, der der Insel Guayguaza gegenüberliegt. Die Salzwerke von Porto Cabello gleichen so ziemlich denen 208 auf dcr Halbinsel Nrava bei Cumana. Indessen ist dic (5rdc, die man auslaugt, indem man das Negcnwasser in kleinen Vccken sammelt, nicht so salzhaltig. Man fragt hier wie in Cumana, ob der Vodcn mit Salztheilchen geschwängert scy, weil cr feit Jahrhunderten zeitweise unter Mccrwasser gestanden, das an der Sonne verdunstet, oder ob das Salz im Boden enthalten sey wie in einen« sehr armen Steinsalzwc-lk. Ich siatte nicht Zeit, den Strand hier so genau zu untersuchen wie die Halbinsel Araya; läuft übrigens der Streit nicht auf die höchst einfache Frage hinaus, ob das Salz von neuen oder aber von uralten Ueberschwcmmungen herrührt? Da die Arbeit in den Salzwerken von Porto Cabello sehr ungesund ist, geben sich nur die ärmsten Leute dazu her. Sie bringen das Salz an Ort und Stelle in kleine Magazine und verkaufen es dann in den Niederlagen in dcr Stadt. Während unseres Aufenthaltes in Porto Cabrllo lief die Strömung an der Küste, die sonst gewöhnlich nach West geht, von West nach Ost. Diese Ström uug nach oben (oc>r-riont«? poi- ari-ib»), von der bereits die Nedc war, kommt zwei bis drei Monate im Jahr, vom September bis November bäufig vor. Man glaubt, sie trete ein, wenn zwischen Jamaica und dem Cap San Antonio auf Cuba Nord-Westwinde geweht haben. Die militärische Vertheidigung dcr Küsten von Tcrra Firma stützt sich auf sechs Punkte, das Schloß San Antonio bei Cu-mana, den Morro bei Nueva Barcelona, die Werke (mit 134 Geschützen) b« Guayra, Porto Cabcllo, das Fort San Carlos an der Ausmündung des Sees Maracaybo, und Carthagena. 209 Nach Carthagena ist Porto Cabello der wichtigste feste Platz; die Stadt ist ganz neu und der Hafen einer der schönsten in beiden Welten. Die Lage ist so günstig, daß die Kunst fast nichts hinzuzuthun hatte. Eine Erdzunge läuft Anfangs gegen Nord und dann nach West. Die westliche Spitze derselben liegt einer Reihe von Inseln gegenüber, die durch Brücken verbun» den und so nahe bci einander sind, daß man sie für eine zweite Landzunge halten kann. Diese Inseln bestehen sämmtlich aus Kalkbreccien von sehr neuer Bildung, ähnlich der an der Küste von Cumana und am Schloß Araya. Es ist ein Conglomerat von Madrevoren und andern Corallenbruchstückcn, die durch ein kaltigtes Bindemittel und Sandkörner verkittet sind. Wir hatten dasselbe Conglomerat bereits am Rio Guayguaza gesehen. In Folge der eigenthümlichen Vildung des Landes stellt sich der Hafen als ein Becken oder als eine innere Lagune dar, an deren südlichem Ende eine Menge mit Manglebäumen bewachsener Eilande liegen. Daß der Hafeneingaug gegen West liegt, trägt viel zur Ruhe des Wassers bei. Es kann nur Ein Fahr. zeug auf einmal einlaufen, aber die größten Linienschiffe können dicht am Lande ankern, um Wasser einzunehmen. Die einzige Gefahr beim Einlaufen bieten die Nisse bei Punta Brava, denen gegenüber eine Batterie von acht Geschützen steht. Gegen West und Südwcst erblickt man das Fort, ein regelmäßiges Fünfeck mit fünf Bastionen, die Batterie beim Riff und die Werke um die alte Stadt, welche auf einer Infel liegt, die ein verschobenes Viereck bildet. Ueber eine Brücke und das befestigte Thor dcr Estacada gelangt man aus der alten Stadt in die neue, welche bereits größer ist als jene, aber dennoch nur als Vorstadt Humboldt, gleist. III. 14 210 ailt. Hu hinterst läuft das Hafenbecken oder die Lagune um dicse Vorstadt herum gegen Südwest, und hier ist der Boden sumpfigt, voll stehenden, stintenden Wassers. Vie Stadt hat aeaenwartig gcqen 9000 Einwohner. Sie verdankt ihre Entstehung dem Schleichhandel, der sich hier einnistete, weil die im Jahr 1549 gegründete Sladt Burburata in der Nähe lag. Erst unter dem Regiment der Viscayer und der Compagnie vou Guipuzcoa wurde Porto Cabello, das bis dahin ein Weiler gewesen, eine wohlbefestigte Stadt. Von Guayra, das nicht sowohl ein Hafen als eine schlechte offene Rhede ist, bringt man die Schiffe nach Porto Cabello, um sie ausbessern und kalfatern zu lassen. Der Hafen wird vorzugsweise durch die tief gelegenen Batterien auf der Landzunge Punta Brava und auf dem Niff vertheidigt, und diese Wahrheit wurde verkannt, als man auf den Bergen, welche die Vorstadt gegen Süd beherrschen, mit großen Kosten ein neues Fort, den Mirador (Belvedere) de Solano baute. Dieses Wert, eine Viertelstunde vom Hafen, liegt 400__500 Fuß über dem Meer. Die Baukosten betrugen jährlich und viele Jahre lang 20—30,000 Piaster. Der General-cavitän von Caracas, Guevara Vasconzelos, war mit deu besten spanische» Ingenieurs der Ansicht, der Mirador, auf dem zu meiner Zeit erst sechzehn Geschütze standen, sey für die Vertheidigung des Platzes nur von geringer Bedeutung, und ließ den Bau einstellen. Eine lange Erfahrung hat bewiesen, daß sehr hoch gelegene Batterien, wenn auch sehr schwere Stücke darin stehen, die Rhede lange nicht so wirlsam bestreichen, als tief am Strand oder auf Dämmen halb im Wasser liegende 211 Batterien mit Geschützen von geringerem Kaliber. Wir fanden den Platz Porto Cabello in einem keineswegs befriedigenden Vertheidigungszustaud. Die Werke am Hafen und der Stadt-Wall mit etwa sechzig Geschützen erfordern eine Besatzung von 1800 bis 2000 Mann, und es waren nicht 600 da. Es war auch eine königliche Fregatte, die an der Einfahrt des Hafens vor Anker lag, bei Nacht von den Kanonierschaluppen eines englischen Kriegsschiffs angegriffen und weggenommen worden. Die Vlokade begünstigte vielmehr den Schleichhandel, als daß sie ihn hinderte, und man sah deutlich, daß in Porto Cabello die Bevölkerung in der Zunahme, der Gewerbfleiß im Aufschwung begriffen waren. Am stärksten ist der gesetzwidrige Verkehr mit den Inseln Curayao und Jamaica. Man führt über 10,000 Maulthiere jährlich aus. Es ist nicht uninteressant, die Thiere einschiffen zu sehen. Man wirft sie mit der Schlinge nieder und zieht sie an Vord mittelst einer Vorrichtung gleich einem Krähn. Auf dem Schiffe stehen sie in zwei Reihen und können sich beim Schlingern u,'d Stampfen kaum auf den Beinen halten. Um sie zu schrecken und fügsamer zu machen, wird fast fortwährend Tag und Nacht die Trommel gerührt. Man kann sich denken, wie sanft ein Passagier ruht, der den Muth hat, sich auf einer solchen mit Maulthieren beladenen Goelette nach Jamaica einzuschiffen. Wir verließen Porto Cabello am ersten Merz mit Sonnenaufgang. Mit Verwunderung sahen wir die Masse von Kähnen, welche Früchte zu Markt brachten. Es mahnte mich an einen schönen Morgen in Venedig. Vom Meere aus gesehen, liegt die Stadt im Ganzen freundlich und angenehm da. Dicht 212 bewachsene Verge, über denen Gipfel aufsteigen, die man «ach ihren Umrissen der Trappformation zuschreiben tonnte, bilden den Hintergrund der Landschaft. In der Nähe der Küste ist alles nackt, weiß, start beleuchtet, die Bergwand dagegen mit dicht belaubten Bäumen bedeckt, die ihre gewaltigen Schatten über braunes steinigtes Erdreich werfen. Vor der Stadt be, sahen wir die eben fertig gewordene Wasserleitung. Sie ist 5000 Varas lang und führt in einer Rinne das Wasser des Rio Estevan in die Stadt. Dieses Werk hat 30,000 Piaster gekostet, das Wasser springt aber auch in allen Straßen. Wir gingen von Porto Cabcllo in die Thäler von Aragua zurück und hielten wieder auf der Pflanzung Varbula an, über Welche die neue Straße nach Valencia geführt wird. Wir hatten schon seit mehreren Wochen von einem Baume sprechen hören, dessen Saft eine nährende Milch ist. Man nennt ihn den Kuh bäum und man versicherte uns, die Neger auf dem Hofe trinken viel von dieser vegetabilischen Milch und halten sie für ein gesundes Nahrungsmittel. Da alle milchigten Pflanzensäfte scharf, bitter und mehr oder weniger giftig sind, so schien nns diese Behauptung sehr sonderbar: aber die Erfahrung lehrte uns während unferes Aufenthalts in Barbula, daß, was man uns von den Eigenschaften des kaln 6 6 Vaoa erzählt hatte, nicht übertrieben war. Der schöne Baum hat den Habitus des Okl-^80p!^1Ium <ü»inito, oder Sternapfelbaums,- die länglichten, zugespitzten, lederartigen, abwechselnden Blätter haben unten vorspringende, parallele Seitenrippen und werden zehn Zoll lang. Die Blüthe bekamen wir nicht zu sehen; die Frucht hat wenig Fleisch und enthält eine, bisweilen zwei Nüsse. Macht 213 man Einschnitte in dem Stamm dcs Kichbaums, so fließt sehr reichlich eine tlebrigte, ziemlich dicke Milch ans, die durchaus nichts scharfes hat und sehr angenehm wie Balsam riecht. Man reichte uns welche in den Früchten des Tutumo oder Flaschenbaums. Wir tranken Abends vor Schlafengehen und früh Morgens viel davon, ohne irgend eine nachthcilige Wirkung. Nur die Klebrigkeit macht diese Milch etwas unangenehm. Die Neger und die Freien, die auf den Pflanzungen arbeiten, tunken sie mit Mais- oder Maniocbrod, Arepa und Cassave, aus. Der Verwalter des Hofs versicherte uns, die Neger legen in der Zeit, wo der Palo de Vaca ihnen am meisten Milch gibt, sichtbar zu. Bei freiem Zutritt der Luft zieht der Saft an der Oberfläche, vielleicht durch Absorption des Sauerstoffs der Luft, Häute einer stark animalisirten, gelblichen, faserigen, dem Käse» stosf ähnlichen Substanz. Nimmt man diese Häute von der übrigen wässerigen Flüssigkeit ab, so zeigen sie sich elastisch wie Cautschuc, in der Folge aber faulen sie unter denselben Erscheinungen wie die Gallerte. Das Volk nennt den Klumpen, der sich an der Luft absetzt, Käse: der Klumpen wird nach fünf, sechs Tagen sauer, wie ich an den kleinen Stücken bemerkte, die ich nach Nucva Valencia mitgebracht. In einer verschlossenen Flasche setzte sich in der Milch etwas Gerinsel zu Vodcn, und sie wurde keineswegs übelriechend, sondern behielt 'hren Valsamgcruch. Mit kaltem Wasser vermischt gerann der srilche Saft nur sehr wenig, aber die klebrigten Häute setzten sich ab, sobald ich denselben mit Salpetersäure in Berührung brachte. Wir schickten Fourcroy in Paris zwei Flaschen dieser Milch. In der einen war sie im natürlichen Zustand, in der 214 andern mit einer gewissen Menge kohlensauren Natrons verseht. Der französische Consul auf der Insel St. Thomas übernahm die Beförderung. Dieser merkwürdige Vanm scheint der Küstencordillere, besonders von Barbula bis zum See Maracaybo, eigenthümlich. Beim Dorf San Mateo und nach Vredemayer, dessen Reisen die schönen Gewächshäuser von Schönbrunn und Wien so sehr bereichert haben, im Thal von Caucagua, drei Meilen von Caracas, stehen auch einige Stämme. Dieser Naturforscher fand, wie wir, die vegetabilische Milch des?n!a tl« Vy^n, angenehm von Geschmack und von aromatischem Geruch. In Caucagua nennen die Eingeborenen den Baum, der den nährenden Saft gibt, Milchbaum, Hidol 6e leoke. Sie wollen an der Dicke und Farbe des Laubs die Bäume erkennen, die am meisten Saft geben, wie der Hirte nach äußern Merkmalen eine gute Milchkuh herausfindet. Kein Botaniker kannte bis jetzt dieses Gewächs, dessen Fructisicationsorgano man sich leicht wird verschaffen können. Nach Kunth scheint der Baum zu der Familie der Sapoteen zu gehören. Erst lange nach meiner Rückkehr nach Europa fand ich in des Holländers Laet Beschreibung von Westindien eine Stelle, die sich auf den Kuhbaum zu beziehen scheint. „In der Provinz Cumana," sagt Laet, gibt es Bäume, deren Saft geronnener Milch gleicht und ein gesundes Nahrungsmittel abgibt." "^-' .n^n Ich gestehe, von den vielen merkwürdigen Erscheinungen, die mir im Verlauf meiner Reise zu Gesicht gekommen, haben wenige auf meine Einbildungskraft einen stärkeren Eindruck gemacht als der Anblick des Kuhbaums. Alles was sich auf d:e 255 Milch oder auf die Getreidearten bezieht, hat ein Interesse für uns, das sich nicht auf die physikalische Kenntniß der Gegenstände beschrankt, sondern einem andern Kreise von Vorstellungen und Empfindungen angehört. Wir vermögen uns kaum vorzustellen, wie das Menschengeschlecht bestehen könnte ohne mehligte Stoffe, ohne den nährenden Saft in der Mutterbrust, der auf den langen Schwüchezustand des Kindes berechnet ist. Das Stärkmehl des Getreides, das bei so vielen alten und neueren Völkern ein Gegenstand religiöser Verehrung ist, kommt in den Samen und den Wurzeln der Gewächse vor: die nährende Milch dagegen erscheint uns als ein ausschließliches Produkt der thierischen Organisation. Diesen Eindruck erhalten wir von Kindheit auf, und daher denn auch das Erstaunen, womit wir den eben beschriebenen Baum betrachten. Was uns hier so gewaltig ergreift, sind nicht prachtvolle Wälderschatten, majestätisch dahinziehende Ströme, von ewigem Eis starrende Gebirge: ein paar Tropfen Pflanzenfaft führen uns die ganze Macht und Fülle der Natur vor das innere Auge. An der kahlen Frlswand wächst ein Baum mit trockenen, ledcrartigen Blättern: seine dicken holzigten Wurzeln dringen kaum in das Gestein. Mehrere Monate im Jahr netzt kein Ncgen sein Laub: die Zweige scheinen vertrocknet, abgestorben: bohrt man aber den Stamm an, so fließt eine süße, nahrhafte Milch heraus. Nci Sonnenaufgang strömt die vegetabilische Quelle am reichlichsten: dann kommen von allen Seiten die Schwarzen und die Eingeborenen mit großen Näpfen herbei und fangen die Milch auf, die sofort an der Oberfläche gelb und dick wird. Die einen trinken die Näpfe unter dem Baum selbst aus, andere bringen 216 sie ihren Kindern. Es ist, als sähe man einen Hirten, der die Milch seiner Heerde unter die Scinigen vertheilt. Ich habe den Eindruck geschildert, den der Kuhbaum auf die Einbildungskraft des Reisenden macht, wenn er ihn zum erstenmale sieht. Die wissenschaftliche Untersuchung zeigt, daß die physischen Eigenschaften der thierischen und der vegetabilischen Stoffe im engsten Zusammenhang stehen; aber sie benimmt dem Gegenstand, der uns in Erstaunen setzte, den Anstrich des Wunderbaren, sie entkleidet ihn wohl auch zum Theil seines Reizes. Nichts steht für sich allein da: chemische Grundstoffe, die, wie man glaubte, nur den Thieren zukommen, finden sich in den Gewächsen gleichfalls. Ein gemeinsames Band umschlingt die ganze organische Natur. Lange bevor die Chemie im Blüthenstaub, im Eiweiß der Blätter und im weißlichen Ansiug unserer Pflaumen und Trauben kleine Wachstheilchen entdeckte, verfertigten die Bewohner der Anden von Quindiu Kerzen aus der dicken WachZschicht, welche den Stamm einer Palme überzieht, l Vor wenigen Jahren wurde in Europa das (Üassum, der Grundstoff des Käses, in der Mandelmilch entdeckt; aber seit Jahrhunderten gilt in den Gebirgen an der Küste von Venezuela die Milch eines Baumes und der Käse, der sich in dieser vegetabilischen Milch absondert, für ein gesundes Nahrungsmittel. Woher rührt diese, r seltsame Gang in der Entwicklung unserer Kenntnisse? Wie konnte das Voll in der einen Halbkugel auf etwas kommen, was in der andern dem Scharfblick der Echeidekünstler, die doch 1 Ceroxylon andicola. 217 gewöhnt smd die Natur zu befragen und sie auf ihrem geheimnißvollen Gang zu belauschen, so lange entgangen ist? Daher, daß einige wenige Elemente und verschiedenartig zusammengesetzte Grundstoffe in mehreren Pflanzenfamilicn vorkommen: daher, daß die Gattungen und Arten dieser natürlichen Familien nicht über die tropischen und die kalten und gemäßigten Himmelsstriche gleich vertheilt sind; daher, daß Völker, die fast ganz von Pflanzenstoffen leben, vom Bedürfniß getrieben, mehligte nährende Stoffe überall finden, wo sie nur die Natur im Pfianzensaft, in Rinden, Wurzeln oder Früchten niedergelegt hat. Das Stürkmehl, das sich am reinsten in den Getreidekörnern findet, ist in den Wurzeln der Arumarten, der ^»oo» pinnktiiiäa und der ^tropw Mniwt mit einem scharfen, zuweisen selbst giftigen Saft verbunden. Der amerikanische Wilde, wie der auf den Inseln der Südsee, hat das Satzmchl durch Auspressen und Trennen vom Safte a us süßen gelernt. In der Pflanzenmilch und den milchigten Emulsionen sind äußerst nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käsestoff und Zucker mit Cautschuc und ätzenden schädlichen Materien, wie Morphium und Blausäure, verbunden. Dergleichen Mischungen sind nicht nur nach den Familien, sondern sogar bei den Arten derselben Gattung verschieden. Bald ist es das Morphium oder der narkotische Grundstoff, was der Pflanzenmilch ihre vorwiegende Eigenschaft gibt, wie bei manchen Mohnartcn, bald das Cautschuc, wie be« der U«v<32 und (Dillon, bald Eiweiß und Käscstoss, wie beim Meloncnbaum und Kuhbcmm. Die milchigten Gewächse gehören vorzugsweise den drei Familien der Euphorbien, der Urticeen und der Apocyncen an> v 2l8 und da em Blick auf die Vertheilung der Pflanzenbildungen über den Erdball zeigt, daß diese drei Familien i in den Niederungen der Tropenlander durch die zahlreichsten Arten ver» treten sind, so müssen wir daraus schließen, daß eine sehr hohe Temperatur zur Bildung von Cautschuc, Eiweiß und Käsestoff beiträgt. Der Saft des Palo de Vaca ist ohne Zweifel das ausfallendste Beispiel, daß nicht immer ein scharfer, schädlicher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käsestoff und dem Cautschuc ver-buuden ist: indessen kannte man in den Gattungen Eliphorbia und Asclevias, die sonst durch ihre ätzenden Eigenschaften bekannt sind, Arten, die einen milden, unschädlichen Saft haben. Hieher gehört der ^ub^bn 6u1e6 der canarischen Inseln, von dem schon oben die Rede war, 2 und ^.8o1poto»o und (.'urur-bjt»c<>2o. Die Plansäure ist der Gruppe der Nosaceae.im^ßliuloeeg« eigenthümlich. Bei den Monocotyledon?« tommt kein Milchsaft vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die so süße und angenehme Gmul, sioncn gibt, enthält ohne Zweifel Käscstoff. Was ist die Milch der Nilie? 2 Euphorbia balsamifera. 219 richtig bemerkt, es wäre möglich, daß die Eingeborenen nur den Saft der jungen Pflanze benutzten, so lange der scharfe Stoff noch nicht entwickelt ist. Wirklich werden in manchen Ländern die jungen Sprossen der Apocyneen gegessen. Ich habe mit dieser Zusammenstellung den Versuch gemacht, die Milchsäfte der Gewächse und der milchigten Emulsionen, welche die Früchte der Mandelarteu und der Palmen geben, unter einen allgemeineren Gesichtspunkt zu bringen. Es möge mir gestattet seyn, diesen Betrachtungen die Ergebnisse einiger Versuche anzureihen, die ich während meines Aufenthalts in den Tbälern von Aragua mit dem Safte der Oknoa kapn^ angestellt, obgleich es mir fast ganz an Reagentien fehlte. Derselbe Saft ist seitdem von Vauquelin untersucht worden. Der berühmte Chemiker hat darin richtig das Eiweiß und den käseartigen Stoss erkannt; er vergleicht den Milchsaft mit eiw'M stark animalisirten Stoss, mit dem thierischen Blut; es stand 'hm aber nur gegohrener Saft und ein übelriechendes Gerinsel zu Gebot, das sich auf der Ucberfahrt von Isle de France nach Havre gebildet hatte. Er spricht den Wunsch aus', ein Reisender möchte den Saft des Melonenbaums frisch, wie er aus dem Stengel oder der Frucht fließt, untersuchen können. Je jünger die Frucht des Melonenbaums ist, desto mehr Milch gibt sie; man findet sie bereits im kaum befruchteten Keim. ' Je reifer die Frucht wird, desto mehr nimmt die Milch ab und desto wässeriger wird sie: man findet dann weniger vom thierischen Stoss darin, der durch Säuren und durch Absorption des Sauerstoffs der Luft gerinnt. Da die ganze 220 Frucht klebrig i ist, so könnte man annehmen, je mehr sie wachse, desto mehr lagere sich der gerinnbare Stoff in den Organen ab und bilde zum Theil das Mark oder die fleischigte Substanz. Tröpfelt man mit vier Theilen Wasser verdünnte Salpetersäure in die ausgepreßte Milch einer ganz jungen Frucht, so zeigt sich eine höchst merkwürdige Erscheinung. In der Mitte eincs jeden Tropfens bildet sich ein gallertartiges, grau gestreiftes Häutchen. Niese Streifen sind nichts anderes als der Stoff, der wässeriger geworden, weil die Säure ihm den Eiweihstoff entzogen hat. Zu gleicher Zeit werden die Häutchcn in der Mitte undurchsichtig und eigelb. Sie vergrößern sich, indem divergirende Fasern sich zu verlängern scheinen. Die Flüssigkeit sieht Anfangs aus wie ein Achat mit milchigten Wolken, und man meint organifche Häute unter feinen Augen sich bilden zu sehen. Wenn sich das Gerinfel über die ganze Masse verbreitet, verschwinden die gelben Flecke wieder. Rührt man sie um, so wird sie krümelich, wie weicher Käse. Die gelbe Farbe erscheint wieder, wenn man ein paar Tropfen Salpeterfäure zusetzt. Die Säure wirkt hier wie die Berührung dcs Sauerstoffs der Luft bei 27—35 Grad; denn das weiße Gerinfel wird in ein paar Minuten gelb, wenn man es der Sonne ausfctzt. ' Diese Klebrigkeit bemerkt man auch an der frische» Milch des Kuhbaums. Sie rührt ohne Zweifel daher, daß das Cautschuc sich noch nicht abgesetzt hat und Eine Masse mit dem Eiweiß und dem Käsestoff bildet, wie in der thierischen Milch die Vntter und der Käsestoff, Der Saft eines Gewächses aus der Familie der Guphor-bie». de« snpium uucui^ri.-», der auch Cautschuc enthält, ist so klebrig, daß man Papagaien damit fängt. 221 Nach einigen Stunden geht das Gelb in Braun über, ohne Zweifel, weil der Kohlenstoff frei wird im Verhältniß, als der Wasserstoff, an den er gebunden war, verbrennt. Das durch die Säure gebildete Gerinsel wird klebrig und nimmt den Wachs« gcruch an, den ich gleichfalls bemerkte, als ich Muskelfleisch und Pilze (Morcheln) mit Salpetersäure behandelte. Nach Hat-chetts schönen Versuchen kann man annehmen, daß das Eiweiß zum Theil in Gallerte übergeht. Wirft man das frisch bereitete Gerinscl vom Meloncnbaum in Wasser, so wird es weich, löst sich theilweise auf und färbt das Wasser gelblich. Alsbald schlägt sich eine zitternde Gallerte, ähnlich dem Stäikmehl, daraus nieder. Dieß ist besonders auffallend, wenn das Wasser, das man dazu nimmt, auf 40—60 " erwärmt ist. Je mehr man Wasser zugießt, desto fester wird die Gallerte. Sie bleibt lange weiß und wird nur gelb, wenn man etwas Salpetersäure darauf tröpfelt. Nach dem Vorgang Fourcroys und Vauquelins bei ihren Versuchen mit dem Saft der Hevea, sehte ich der Milch des Melonenbaums eine Auflösung von kohlensaurem Natron bei. Es bildet sich kcin Klumpen, auch wenn man reines Wasser dem Gemisch von Milch und alkalischer Auflösung zugießt. Die Häute kommen erst zum Vorschein, wenn man durch Zusah einer Säure das Alkali neutralism und die Säure im Ueberschuß ist. Ebenso sah ich das durch Salpetersäure, Citroncnsaft oder heißes Wasser gebildete Gerinsel verschwinden, wenn ich eine Lösung von kohlensaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchigt und flüssig, wie er ursprünglich war. Dieser Versuch gelingt aber nur mit frisch gebildetem Gcrinsel. Vergleicht man die Milchsäfte des Melonenbaums, des 222 Kuhbaums und der Hevea, so zeigt sich eine auffallende Aehn-lichkeit zwischen den Säften, die viel Mscstoff ciithaltcn, und deuen. in welchen das Cautschuc vorherrscht. Alles weiße, frisch bereitete Cautschuc, sowie die wasserdichten Mäntel, die man im spanischen Amerika fabricirt und die aus einer Schicht des Milchsasts der Hevea zwischen zwei Leinwandstückcn bestehen, haben einen thierischen, ckligcn Geruch, der darauf hinzuweisen scheint, daß das Cautschuc beim Gerinnen den Käsestoff an sich reißt, der vielleicht nur ein modisicirter Eiweißstoff ist. Die Frucht des Vrodfruchtbaums ist so wemg Brod, als die Bananen vor ihrer Reife oder die stärtmchlrcichen Wurzel-tnollen dcr vioLLarea, des Ooi.volvulus Uuww8 und der Kartoffel. Die Milch des Kuhbaums dagegen enthält den Kasestoff'gerade wie die Milch der Säugethiere. Aus allgemeinem Gesichtspunkte tonnen wir mit Gay-Lussac das Cautschuc als den öligten Theil, als die Butter der vegetabilischen Milch betrachten. Die beiden Grundstoffe Eiweiß und Jett sind in den Organen der verschiedenen Thierarten und in den Pflanzen mit Milchsaft in verschiedenen Verhältnissen enthalten. Bei letzteren sind sie meist mit andern, beim Genuß schädlichen Stoffen verbunden, die sich aber vielleicht auf chemischem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird nahrhaft, wenn keine scharfen, narkotischen Stoffe mehr darin sind und statt des Cautschucs der Käsestoff darin überwiegt. Ist der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeßlichen Segcnsfülle der Natur im heißen Erdstrich, fo mahnt er uns auch an die zahlreichen Quellen, aus denen unter 223 diesem herrlichen Himmel die trüge Sorglosigkeit des Menschen fließt. Mungo Park hat uns mit dem Butter bäum in Vam-barra bekannt gemacht, der, wie Decandolle vermuthet, zu der Familie der Sapotcen gehört, wie unser Kuhbaum. Die Ba« nanenbäume, die Sagobäume, die Mauritien am Orinoco sind Brod bäume so gut wie die Rima der Südsee. Die Flüchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen: die Älumenscheiden mancher Palmen und Baumrinden geben Kopfbedeckungen und Kleider ohne Nath. Die Knoten oder vielmehr die innern Fächer im Stamm der Bambus geben Leitern und erleichtern auf tausenderlei Art den Bau einer Hütte, die Herstellung von Stühlen, Bettstellen und anderem Geräthe, das die werthvolle Habe des Wilden bildet. Bei einer üppigen Vegetation mit so unendlich mannigfaltigen Produtten bedarf es dringender Beweggründe, soll der Mensch sich der Arbeit ergeben, sich aus seinem Halbschlummcr aufrütteln, seine Geistesfähigteiten entwickeln. In Varbula baut man Cacao und Baumwolle. Wir fanden daselbst, eine Seltenheit in diesem Lande, zwei große Maschinen mit Cylindern zum Trennen der Baumwolle von den Samen; die eine wird von einem Wasserrad, die andere durch einen Göpel und durch Maulthiere getrieben. Der Verwalter des Hofes, der dieselbe» gebaut, war aus Merida. Cr kannte den Weg von Nucva Valencia über Guanare und Misa-gual nach Varinas, und von dort durch die Schlucht Calle-jones zum Paramo der Mucuchies und den mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgen von Merida. Seine Angaben, wie viel Zeit wir von Valencia über Varinas in die Sierra Nevada, 224 und von da über den Hafen von Torunos und den Rio Santo Domingo nach San Fernando am Avure brauchen würden, wurden uns vom größten Nutzen. Man hat in Europa keinen Begriff davon, wie schwer es hält, genaue Erkundigung in einem Lande einzuziehen, wo der Verkehr so gering ist, und man die Entfernungen gerne zu gering angibt oder übertreibt, je nachdem man den Reisenden aufmuntern oder von seinem Vorhaben abbringen möchte. Vei der Abreise von Caracas hatte ich dem Intendanten der Provinz Gelder übergeben, die mir von den königlichen Schahbeamlcn in Varinas ausbezahlt werden sollten. Ich hatte beschlossen, das westliche Ende der Cordilleren von Neu-Grenada, wo sie in die Paramos von Timotcs und Niauitao auslaufen, zu besuchen. Ich hörte nun in Varbula, bei diesem Abstecher würden wir fünf und dreißig Tage später an den Orinoco gelangen. Diese Verzögerung erschien uns um so bedeutender, da man vermuthete, die Regenzeit werde früher als gewöhnlich ein< treten. Wir durften hoffen, in der Folge sehr viele mit ewigem Schnee bedeckte Gebirge in Quito, Peru und Mexico besuchen zu können, und es schien mir desto gerathener, den Ausflug in die Gebirge von Merida aufzugeben, da wir besorgen mußtcn, dabei unsern eigentlichen Reisezwcck zu verfehlen, der darin bestand, den Punkt, wo sich der Orinoco mit dem Rio Negro und dem Amazonenstrom verbindet, durch astronomische Beobachtungen festzustellen. Wir gingcn daher von Vavbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungswürdigen Familie des Marques del Toro zu verabschieden und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen. 225 Es war Fastnacht und der Jubel allgemein. Die Lustbarkeiten, äs 0HM68 toUeuäkZ genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe ans. Die einen führen einen mit Wasser beladenen Esel herum, und wo ein Fenster offen ist, begießen sie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Düten voll Haare der Picapica oder voliekos pruriens in der Hand und blasen das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verursacht, den Vorübergehenden ins Geficht. Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Nir trafen da einige französische Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den spanischen Colonien gesehen. Trotz der Blutsverwandtschaft zwischen den königlichen Familien ron Frankreich und Spanien durften sich nickt einmal die französischen Priester in diesen Theil der neuen Welt flüchten, wo der Mensch so laicht Unterhalt und Obdach findet. Jenseits des Oceans boten allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsstätte. Eine Negierung, die stark, wcil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht ist, brauchte sich nicht zu scheuen die Verbannten aufzunehmen. Wir haben früher versucht über den Zustand des Indigo-, des Baumwollen- und Zuckerbaus in der Provinz Caracas einige bestimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küsten verlassen, haben wir uns nur noch mit den Cocaopflanzuna.cn zu beschäftigen, die von jeher für die Hauptqucllc des Wohlstandes dieser Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die O»piwnia 86U6I-2,!, also mit Ausschluß der Pflanzungen in Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und Humboldt, Reifen. M. 15 226 im spanischen Guyana) erzeugte am Schluß des achtzehnten Jahrhunderts jahrlich 150,000 Fanegas, von denen 30,000 in dcr Provinz und 100,000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreis zu Cadir, nur zu 25 Piastern an, so beträgt der Gesammtwerth der Cacao« ausfuhr aus den sechs Häfen der O«,pitani» Fynyrui von Caracas-4,800,000 Piaster. Der Cacaobaum wächst gegenwärtig in den Wäldern von Terra Firma nördlich vom Orinoco nirgends wild; erst jenseits dcr Fälle von Atures und Maypures trafen wir ihn nach und nach an. Besonders häusig wächst er an dm Ufern dcs Ventuari und am obern Orinoco zwischen dem Padamo und dem GeKette. Daß der Cacaodaum in Südamerika nordwärts vom sechsten Vreitegrad so scltcn wild vorkommt, ift für die Pflanzengcographie sehr interessant und war bisher wenig bekannt. Die Erscheinung ist um so auffallender, da man nach dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Cacao-vflanzungcn in Cumana, Nueva Barcelona, Venemem, Va-rinas und Maracaybo über 16 Millionen Bäume in vollem Ertrag rechnet. Der wilde Cacaobaum hat sehr viele Acste und sein Laub ist dicht und dunkel. Er trägt cine sehr kleine Frucht, ähnlich der Spielart, welche die alten Mricaner Tlalcacahuatl nannten. In die Conucos der Indianer am Cassiquiare und Nio Negro versetzt, behält der wilde Baum mehrere Generationen die Kraft dcs vegetativen Lebens, die ihn vom vierteil Jahr an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die Ernten erst mit dem sechsten, siebenten oder achten Jahr beginnen. Sie treten im Binnenland.: später 22? ein als an den Küsten und im Thal von Guapo. Wir fanden am Orinoco keinen Volksstamm, der aus der Bohne des Cacao-liaums ein Getränk bcreilctc. Die Wilden saugen das Mark der Hülse ans und werfen die Samen weg, daher man dieselben oft in Menge auf ihren Lagerplätzen findet. Wenn auch an der Küste der Chor ote, ein ganz schwacher Cacaoaufguß. für ein uraltes Getränke gilt, so gibt es doch keinen geschieht, lichen Vcwris dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der Ankunft der Spanier den Chocolat oder irgend eine Zuberciiung dcs Cacao gekannt haben. Wahrscheinlicher scheint mir, daß man in Caracas den Caca»baum nack dem Vorbild von Merico und Guamnala angebaut hat, und daß die in Terra Firma angcsicdclien Spanier die Behandlung des Baums, der juuq im Schatten der Ervlhrina und des Banancnbaums aufwächöt, die V^eitung der Chocolate tafeln und den Gebrauch des Getränks dieses Namens durch den Verkehr mit Mexico, Guaiimala und Nicaragua gelernt haben, drei Länder, deren Eimv: hner von toltetischcm und aztekischem Stamme sind. Vis zum sechzehnten Jahrhundert weichen die Reisenden m ihren Urll'eilm über den Chocolat sehr von einander ab. Ven;o:ü sagt in seiner derben Sprache, es sey ein Getränk vielmehr „<1« porci, c!,6 ^ ww.nim." Der I'esuit Acosta verstatt, die Spanier in Amerika lieben den Choeolat mtt närrischer Leidenschaft, man müsse aber an „das schwarze Ge-dräue' gewöhnt scrn, wenn einem nicht schon beim Anblick des Schaums, der wie die He'ö über einer gährenden Flüssigkeit slche, übcl werden solle. Er bemerkt weiter: „Der Cacao ist ein Aberglauben der Mericaner, wie der Coca cin Aber« 228 glauben der Peruaner." Diese Urtheile erinnern an die Prophezeiung der Frau von Sevignä hinsichtlich des Gebrauchs des Kaffees. Heruan Cortez und sein Page, der ßLnUI-komdre 6e1 Frgz, OonquiLtaöor, dessen Denkwürdigkeiten Ramusio bekannt gemacht hat, rühmen dagegen den Chocolat nicht nur als ein angenehmes Getränk, selbst wenn er kalt bereitet wird,^ sondern besonders als nahrhaft. „Wer eine Tasse davon getrunken Hal," sagt der Page des Hernan Cortez, „kann ohne weitere Nahrung eine ganze Tagereise machen, besonders in sehr heißen Ländern: denn der Chocolat ist seinem Wesen nach kalt und erfrisch erd." Letztere Behauptung möchten wir nicht unterschreiben: wir werden aber bei unserer Fahrt auf dem Orinoco und bei unsern Reisen hoch an den Cordilleren hinauf bald Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenschaften des Chocolats zu rühmen. Er ist ganz leicht mit sich zu führen und als Nahrungsmittel zu verwenden und enthält in kleinem Raum viel nährenden und reizenden Stoff. Man sagt mit Recht, in Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem Menschen durch die Wüsten. In der neuen Welt haben Chccolat und Maismehl ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure unbewohnte Wälder zugänglich gemacht. Die Cacaoernte ist ungemein veränderlich. Der Baum treibt mit sclcher Kraft, daß sogar aus den holzigten Wurzeln, wo die Erde sie nicht bedeckt, Blüthen sprießen. Er leidet von ' De? Pater Gilt hat au« zwei Stellen bei Torquemada Mo-„»i-qui» Indian») bündig dargethan, daß die M:ricaner den Aufguß lalt machten, und daß eist die Spanier den Brauch einführten, die Cacaomasse im Wasser zu sieden. 229 den Nordostwinden, wenn sie auch die Temperatur nur um wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach der Regenzeit in den Wintermonaten vom December bis März unregelmäßig eintreten, schaden dem Cacaobaum bedeutend. Es kommt nicht selten vor, daß der Eigenthümer einer Pflanzung von 50,000 Stämmen in einer Stunde für vier bis fünftausend Piaster Cacao einbüßt. Große Feuchtigkeit ist dem Baum nur förderlich, wenn sie allmählig zunimmt und lange ohne Unterbrechung anhält. Wenn in der trockenen Jahreszeit die Blätter und die unreife Frucht in einen starken Regenguß kommen, so lost sich die Frucht vom Stiel. Die Gefäße, welche das Wasser einsaugen, scheinen durch Ueberschwellung zu bersten. Ist nun die Cacaoernte äußerst unsicher, weil der Baum gegen schlimme Witterung so empfindlich ist und so viele Würmer, Insekten, Vögel, Säugethicrci die Schote fressen, hat dieser Culturzweig den Nachtheil, daß dabei der neue Pflanzer der Früchte seiner Arbeit erst nach acht bls zehn Jahren genießt und daß das Produkt schwer aufzubewahren ist, so ist dagegen nicht zu übersehen, daß die Cacao-Pfianzungen weniger Sklaven erfordern als die meisten andern Culturen. Dieser Umstand ist von großer Bedeutung m einem Zeitpunkt, wo sämmtliche Völker Europas den großherzigen Entschluß gefaßt haben, dem Negerhandel ein Ende zu machen. Ein Sklave versieht tausend Stämme, die im jährlichen Durchschnitt 12 Fanegas Cacao tragen können. Auf Cuba gibt allerdings eine große Zuckerpflanzung mit 300 Schwarzen ' Papageyeu. Affen, Agoutis, Eichhörner. Hirsche. 23ft im Jahr durchschnittlich 40,000 Arrobas Zucker, welche, die Kiste l zu 40 Piastern, 100,000 Piaster werth sind, und in den Provinzen von Venezuela producirt man für 100,000 Piaster oder 4000 Fanegas Cacao, die Fanega zu 25 Piastern auch nur mit 300—330 Sklaven. Die 200.000 Kisten Zucker mit 3,200,000 Arrobas, welche Cuba von 1812—1814 jähr« lick ausgeführt hat, haben einen Werth von 6 Millionen Piastern und könnten mit 24,000 Sklaven hergestellt werden, wenn die Insel lauter große Pflanzungen hätte; aber dieser Annahme widerspricht der Zustand der Colonic und die Natur der Tinge. Die Insel Cuba verwendete im Jahr 1811 nur zur Feldarbeit 143,000 Sklaven, wäbrend die OapilHnig. Aknerki von Caracas, die jährlich 200,000 Fanegas Cacao oder für 5 Millionen Piaster producirt, wenn auch nicht ausführt, in Stadt und Land nicht mehr als 60,000 Sklaven hat. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß diese Verhältnisse sich mit den Zucker- und Cacaovreisen ändern. Die schönsten Cacaoftflanzungen in der Provinz Caracas sind an der Küste zwischen Caravalleda und der Mündung des Rio Tccuyo, in den Thälern von Caucagua, Cavaya, Cu-riepe und Guapo; ferner in den Thälern von Cupira, zwischen Cap Codera und Cap Unare, bei Aroa, Varqucsimeto, Guigue und Uritucu. Der Cacao, der an den Ufern des Uritucu am Rande der Llanos, im Gerichtsbezirk San Sebastiano de los Reyos wächst, gilt für den besten; dann kommen die von Guigue, Caucagua, Cavaya und Cupira. Auf dem Handelsplatz ' Eine Kiste sea,«) wiegt lg'/,—46 Nrrobae. die Arroba ,u 23 spanischen Pfunde». ° 23l Cadir hat der Cacao von Caracas den ersten Rang gleich nach dem von Socomusco. Er steht meist um 30—40 Procent höher im Preis als der Cacao von Guayaquil. Erst seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts munterten die Holländer, im ruhigen Besitz der Insel Curasao, durch den Schleichhandel den Landbau an den benachbarten Küsten auf, und erst seitdem wurde der Cacao für die Provinz Caracas ein Ausfuhrartikel. Was in dieser Gegend vorging, ehe im Iatir 1728 die Gesellschaft der Biscayer aus Gui-Puzcoa sich daselbst niederließ, wissen wir nicht. Wir besitzen lediglich kcinc genauen statistischen Angaben und wissen nur, daß zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts aus Caracas taum 30,000 Fanegas jährlich ausgeführt wurden. Im Jahr 1797 war die Ausfuhr, nach den Zollregistern von Guayra, den Schleichhandel nicht gerechnet, 70,832 Fanegas. Wegen des Schmuggels nach Trinidad und den andern Antillen darf man kectlich ein Viertheil oder Fünsthcil weiter rechnen. Ich glaube annehmen zu können, daß von 1600^-1606, "lso im letzten Zeitpunkt, wo in den spanischen Colonien noch innere Ruhe herrschte, der jährliche Ertrag der Cacaopflanzungen in der ganzen ckpituiütl ßtmernl von Caracas sich wenigstens auf 193,000 Fanegas belief. Tie Ernten, deren jährlich zwei stattfinden, im Juni und im December, fallen sehr verschieden aus, doch nicht in dem Maaße wie die Oliven- und Weinernten in Europa. Von jenen 193,000 Fanegas fließen 145,000 theils über die Häfen der Halbinsel, theils durch den Schleichhandel nach Europa ab. 232 5 Ich glaube beweisen zu können (und diese Schätzungen beruhen auf zahlreichen einzelnen Angaben), das; Europa beim gegenwärtigen Stande seiner Civilisation verzehrt: 23 Mill. Pfd. Cacao zu 120 Fr. den Ctr. . 27,600,000 Frs. 32 Mill. Pfd. Thee zu 4 Fr. das Pfund . 128,000,000 „ 140 Mill. Pfd. Kaffee zu 114 Fr. den Ctr. . 159,600,000 „ 450 Mill. Pfd. Zucker zu 54 Fr. den Ctr. . 243,000,000 558,200.000'FrsI Von diesen vier Erzeugnissen, die seit zwei bis drei Jahrhunderten die vornehmsten Artikel im Handel und der Produktion der Colonien geworden sind, gebort der erste ausschließlich Amerika, der zweite ausschließlich Asien an. Ich sag« ausschließlich, denn die Cacaoausfuhr der Philippinen ist bis jetzt so unbedeutend, wie die Versuche, die man in Brasilien, auf Trinidad und Jamaica mit dem Theebau gemacht hat. Die vereinigten Provinzen von Caracas liefern zwei Drittheile des Cacaos, der im westlichen und südlichen Europa verzehrt wird. Dieß ist um sc bemerkenswerther, als es der gemeinen Annahme widerspricht; aber die Cacaosorten von Caracas, Maracaybo und Cumana sind nicht alle von derselben Qualität. Der Graf Casa-Valencia schätzt den Verbrauch Spaniens nur auf 6—7 Millonen Pfund, der Abb6 Hervas auf 9 Millionen. Wer lange in Spanien, Italien und Frankreich gelebt hat, muß die Bemerkung gemacht haben, daß nur im ersteren Lande Chocolat auch von den untersten Volksklassen start getrunken wird, und wird es schwerlich glaublich finden, daß Spanien nur ein Drittheil des in Europa eingeführten Cacao ver^ zehren soll. 233 Die letzten Kriege haben für den Cacaohandel in Caracas weit verderblichere Folgen gehabt als in Guayaquil. Wegen des Preisaufschlags ist in Europa weniger Cacao von der theuersten Sorte verzehrt worden. Früher machte man in Spanien die gewöhnliche Chocolate aus einem Viertheil Cacao von Caracas und drei Viertheilen Cacao von Guayaquil: jetzt nahm man letzteren allein. Dabei ist zu bemerken, daß viel geringer Cacao, wie der vom Maranon, vom Rio Negro, von Honduras und von der Insel Santa Lucia, im Handel Cacao von Guayaquil heißt. Aus letzterem Hafen werden nicht über 60,000 Fanegas ausgeführt, zwei Drittheile weniger als aus den Häfen der O»,pitHuia ßyusrai von Caracas. Wenn auch die Cacaopflanzungen in den Provinzen Cu-mana, Barcelona und Maracaybo sich in dem Maaße vermehrt haben, in dem sie in der Provinz Caracas eingegangen sind, bekannte Lichterscheimmg, dle man jede Nacht auf d-r See wie im innern Lande sieht. z. V. in Merida, wo Palacios dieselbe zwei Iah« lang beobachtet hat? Der Umstand, daß man das Licht über 4N Meilen weit sieht, hat zu der Vermuthung geführt, es könnte daher rühren, daß in einer Bergschlucht sich jeden Tag ein Gewitter entlade. Man soll auch donnern hören, wenn man dem Farol nahe kommt. Andere sprechen in unbestimmtem Ausdruck von einem Luftvulkan; au« asphalthaltigem Erdreich, ähnlich dem bel Mena. sollen brennbare Dünste aufsteigen und daher beständig sichtbar seyn. Der Ort. 241 welche mit den brennbaren Schwaden unbekannt sind, in die Höhle ciel ßerrito 66 Nlonn'i sührt, so erschreckt man sie durch Anzünden des Gasgemengcs, das sich im obern Theil der Höhle fortwährend ansammelt. Soll man annehmen, daß die ungesunde Lust hier dieselbe Quelle hat, wie auf der Ebene zwischen Tivoli und Rom, Entwicklung von Schwefelwasserstoff? ^ Vielleicht äußert auch das Gebirgsland neben den Llanos von Monai' einen ungünstigen Einfluß auf die anstoßenden Ebenen. Südostwinde mögen die faulen Effluvien herführen, die sich aus der Schlucht Villegas und Sienega de Cabra zwischen Carora und Earache entwickeln. Ich stelle absichtlich Alles zusammen, was auf die Ungesundhcit der Luft Bezug haben mag; denn auf einem so dunlem Gebiete kann man nur durch Vergleichung zahlreicher Beobachtungen hoffen, das wahre Sachverhältniß zu ermitteln. Die dürren und doch so sieberreichen Savanen zwischen Varauesimelo und dem östlichen Ufer des Sees Maracaybo sind zum Theil mit Fackeldiftew bewachsen: aber die gute Verg-cochenille, die unter dem unbestimmten Namen Krann ^6 wo sich die Erscheinung zeigt, ist ein »mbcwolMes Gebirgsland am Nio Vatatumbo. nicht weit von seiner Vereinign»«, mit dem Mo Sulla. Der Farol liegt säst ganz im Meridian der Einfahrt (docg) in den See von Maracaybo. so daß die Steuerleute sich nach chm richten, wie nach einem Lenchtfcucr. ' Don Carlo« de Pozo fand in diesem Vezirl. in der Yuow'ild» 6« Moroluro. einr Schichte schwarzer Thonerde, welche starl abfärbt, stark nach Schwefel riecht nnd sich von selbst entzündet, wenn man sie. leicht befeuchtet, lange den Strahlen der tropischen Sonne aussetzt; diese schlammigtr Materie verpufft sehr heftig. Humbrldt, Ncise, lll. 16 342 Oarorn. bekannt ist, kommt aus eincm gemäßigteren Landstrich zwischen Carora und Truxillo, besonders aber aus dcm Tbal des Nio Mucuju, östlich von Mcrida. Die Einwohner geben sich mit diesem im Handel so stark gesuchten Produkt gar nicht ab.