Wanderungen durch das Chinesische Reich von Huc und Gäbet. Leipzig, 1867. Vcilüg von G. Zcnf's Suchhandlung. Wanderungen durch das Chinesische Reich von Hur und Gäbet. In deutscher Bearbeitung herausgegeben von Karl Andree. Neue Ausgabe. Leipzig. 1867. Verlag von G. Zcnf's tl n ch!» a nd l n n g. Vorwort. ^n den „Wanderungen durch die Mongolei nach Thib et" *) erzählt der Missionair Huc seine Erlebnisse im Lande der Gräser und im Reiche des Dalai (Tale) Lama. Der Bevollmächtigte des chinesische« Kaisers hatte ihn sammt seinem Gefährten Gäbet aus Thibet verwiesen, nnd unter Bedeckung bis zur chinesischen Grenze schaffen lassen. Von dort geleitete man die beiden Lazaristenmönche nach Canton. Diese Reise schildert Hnc in seinem Empire «Kinoi8, lai-8kmt Luile ll 1'uuvlÄF« inliMio: souvenirs ä'un vo^ago <^2N8 Ia ^Ällälie el leitiibel, parlVl. N u e, Äncien miZLion^ire apo8lo1iMt Einleitung. verschieden. Das Land am Amur hat Winter. deren Strenge fast sibi. risch ist, und die Hitze in Canton gleicht jener von Hindustan. Im Norden streifen Nennthiere umher, im Süden leben Elephanten. Zwischen beiden Extremen finden wir eine Menge Abstufungen. In Peking uutel dem 40. Breitengrade fällt in den drei Wintermonatcn der Wärmemesser bis 30, Grad unter Null und steigt im Sommer bis auf 30 Grad über Null. Canton, das etwa unter 23 Grad N. Breite liegt, hat eine Mitteltemperatur von 23 Grad 9. Im Allgemeinen ist das chinesische Klima gesund und Beispiele von hohem Alter sind keineswegs selten. Das ist um so bemerkcnswertbcr. weil namentlich im Süden der Reisbau allgemein verbreitet ist. Die klimatischen Vorzüge Cbina's haben wobl zu nicht geringem Theil ihren Grund darin daß die großen Stromsysteme dem freien Luftzüge ausgesetzt find; auch sind viele zweckmäßige Vorkehrungen getroffm worden, welche d« Gesundheit zugute kommen. Die llfergelände der Seen und Marschen werden bebaut, man hat durch Canäle für Abwässcrnng gesorgt, und versteht sich vortrefflich auf die Bewässerung. Wir theilen die Oberfläche in drei verschiedene Gürtel, die mit dem Erdgleicher parallel laufen. Sie babcn verschiedene Temperaturen und Erzeugnisse. Die nördliche Zone reicht bis zum 35. Breitengrade und reicht nach Süden bin nicht über das untere Stromthal des Gelben Flusses hinaus. Diese Region ist nicht warm genug für den Anbau von Reis, Thee und Maulbcerbäumen; sie erzeugt viel Hirse und Hafer, und hat Eisenerz und Steinkohlen in Menge. Die letzteren kommen außerdem in vielen anderen Gegenden vor, insbesondere in der Provinz Kan su. und man bedient sich ibrer allgemein auch zu gewerblichen Zwecken. Die mittlere Zone wird vom 26. und 27. Greitegrade und dem Nan fing-Gebirge begrenzt; sie bat sehr milden Winter, Reis und Weizen ge^ deihen vortrefflich; in ihr wachst auch d« beste Thee; sie hat Brustbeerbäume, die Baumwollenstaude, Orangen, Zuckerrohr, das im achten Jahrhunderte nnserer Zeitrechnung aus Indien eingeführt wurde, und Bambus. Dieser letztere reicht nach Norden hin bis zum 38. Breitengrade. Im östlichen Theile dieser Zone blübt die Seiden - und Baum-wollenmanufactur; ihre mittlere Region gilt für die Getreidekammer China's, uud in der westlichen steht viel Bauholz. Die natürlichen Er. zeugnisse des südlichen Gürtels sind im Allgemeinen jene der vorigen Zone, doch sind manche derselben nicht so gut, weil die Hitze zu stark ist. Einleitung. XX,!I Veide haben großen Metallreichtlmm; Gold und Silber findet man sowohl in den südlichen als in den westlichen Provinzen; Kupfer. Zinn und Blei gewinnt man in der centralen Provinz Kiang fi; Quecksilber kommt in verschiedenen Gestalten häufig vor. Insbesondere sind die Gebirge im Südwesten, in den Provinzen Dun nan und Kuei tscheu sehr ergiebig an Metallen. China hat Lapislazuli. Rubine. Smaragde. Diamant« spM. Tovfstcin. aus welchen man Gefäße, insbesondere Schreibzeuge verfertigt; Speckstein, aus welchem man Figuren schneidet, manche Arten Schiefer. Griinftein und Serpcntinftein. Der unter dem Namen Yü so berühmte Nierenstein (Nephrit) wird auch bei Thai thung in der Provinz Sckan si gefunden. doch kommt dieser von den Chinesen so hoch. geschätzte Stein besonders aus Khotan. In Bezug auf die Producte des Thicrreiches wollen wir bemerken daß der Pferdestamm in China klein und keineswegs hübsch ist; im Norden hat man das baltriscke Kameel. den Büffel, mehrere Arten von Bären, Dachse, eine Tigerart, Leoparden und Panther. Rindvieh wird in China nicht so viel gezüchtet als in Europa, und die Schweine sind kleiner. Einige Hundearten haben schwarze Zungen. Die Katze ist Hausthier, eine im Süden sehr gemeine Art bat keinen Schwanz; auch weiße Katzen mit Seidenhaar sind häufig. Man findet Kaninchen, fliegende Eichhörnchen, das gewöhnliche Eichkätzchen. Ottern und Marder ; das Rhinoceros und der asiatische Tapir bewohnen die westlichen Theile von Kuang si. Mn nan und Sse tschuen (— Es wäre übrigens der Nachweis zu führen, daß diese beiden Thiere bis zum 30. Breiten» grade nach Norden sich verbreiten; wir bezweifeln es —). Besonders die westlichen Provinzen haben in Wald. Feld und Berg viele Rebe, Antilopen und Hirsche; das Moschusthier kommt gleichfalls vor, und im südlichsten Theile leben Assen. Diese allgemeinen Andeutungen finden im Werke selbst gelegentlich weitere Allsführung. In dieser Einleitung wollen wir noch zwei Punkte erwähnen, die von Belang sind. nämlich: das Christenthum in China und die Revolution, welche seit sechs Jahren dieses gewaltige Reich zerrüttet, und gegenwärtig noch fortdauert. Die Ruhe China's ist beinahe zweihundert Jahre lang ungestört geblieben; das Volk ließ sich die Mandschudynastie gefallen. obwohl sehr ungern. Den ersten auswärtigen Krieg hatte der Kaiser vor nun fünfzehn Jahren zu führen. und zwar gegen abendlandische Barbaren. Den , XXIV ' Einleitung. Engländern gegenüber zeigte China. wie mangelhaft es mit seinem Heerwesen bestellt ist. Die Volksmasse blieb auch nach dem unglückliche»! Ausgange des Kampfes in der alten Gleichgültigkeit, sie kümmerte sich um politische Dinge nicht; plötzlich wird sie aufgerüttelt, und in kurzer Frist lodert du Flamme der Rebellion im ganzen Lande auf. Huc äußert sich darüber in folgender Weise: Von den eigentlichen Gründen und Ursachen des Aufstandes weiß man in Europa wenig; über einzelne Erscheinungen ist man dagegen unterrichtet. Ansangs treten Rauberbanden auf; darauf schaaren sich Missethäter zusammen und erheben sich gegen die Mandarinen welche das Volk bedrücken. Ihnen schließen sich Menschen aus der niedrigsten Classe an, und ihre Zahl wächst dermaßen, daß der Vicekönig von Canton sich ernster Besorgnisse nicht erwehren kann. Der Bandenhäuptling fühlt sich bald nachher so stark, daß er sich zum Feldherrn aufwirft, Politik und Religion in den Aufstand hineinspielen läßt. und sich mit den über ganz China verbreiteten Geheimbünden in Verbindung setzt. Nun tritt er als Niederhersteller der chinesischen Vollsthümlickkcit und gegen die Usurpation der Mandschu-dynastie auf. nimmt den Titel Kaiser an und nennt sich Tien te, das heißt himmlische Tugend; er erklärt auch daß er der jüngere Bruder Jesu Christi sei, — und ein Reich das über zweihundert Millionen Seelen zahlt, sieht sich an den Rand des Abgrundes gedrängt. Der Leser erstaunt vielleicht darüber daß ein Räuberaufftand zu einer furchtbaren Revolution anschwellte. die in gewisser Beziehung ein nationales Gepräge hat; die Sache bat aber nichts Ueberraschendes, wenn man China und dessen Geschichte kennt. Das Land war von jeher classischer Boden für Revolutionen, und seine Jahrbücher enthalten eine lange Reihe von Aufständen und Umwälzungen. In der Zeit vom Anfange des fünftm Jahrhunderts unserer Zeitrechnung bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, also bis zur Thronbesteigung der Mandschudyna-ftie, hat China nicht weniger als fünfzehn Mal seinen Herrscherftamm gewechselt, und allemal nach gewaltigen inneren Zuckungen. Seit 1644 war die Nation allerdings ruhig; sie trachtet ganz und gar dem Materiellen nach, und die Volksmasse kümmert sich nicht um politische Dinge. Aber es blieb in ihr ein Element welches die Mandschu nicht auszurotten vermochten. Ueber das ganze Reich dehnten sich geheime Gesellschaften aus. deren Angehörige der Mandschudynastie feind sind und danach trachten sie zu stürzen, um eine nationale Regierung einzusetzen. Die Einleitung. XXV Zahl dieser Verschworenen war beträchtlich; sie waren bereit jedem Auf« stände sich anzuschließen. gleichviel von wem er ausging. Andererseits war das ganze Anfahren der Behörden, welche das Volk in jeder Bezie» hung Plackten und drückten, ganz geeignet, den Sturm entfesseln zu helfen. Das Maß war gerüttelt voll, und schlimmer als die Dinge waren, konnten sie nicht werden. So kam es, daß Viele aus Misvergnügen. Andere aus Elend und Verzweiflung sich der Rebellion anschlössen. Es hat vielerlei zusammen gewirkt daß die Sache so weit gedeihen konnte. Möglich ist auch daß europäische Ideen mit biuciugesvielt haben, insbesondere auch christliche Ansichten, welche durch die Missionaire verbreitet worden find. Die Menge kümmert sich allerdings nicht im Ge» ringften um das Thun und Denken der Europaer, von welchen sie kaun, etwas weiß; dagegen haben sich die unterrichteten Lcute. die Gelehrten, seit einiger Zeit viel mit Europa abgegeben, insbesondere mit dem Stu« dium der Geographie. Ich habe auf meinen Reisen viele Mandarinen gesprochen, welche über Lander und Völker sehr wohl unterrichtet waren Diese Gelehrten geben den Ton an und bringen Ideen in Umlauf. So mag es wohl sein daß in gewisser Beziehung die Masse europäischen Antrieben folgt, ohne es auch nur zu ahnen. Bemerkenswerth bleibt immer daß die Führer beinahe von Ansang an der Bewegung einen religiösen Stempel aufzudrücken suchten. Die neuen Lehren welche der Prätendent und seine Feldherren in ihren Aufrufen und Erlassen verkündigen find im höchsten Grade auffallend. Sie stellen ganz unumwunden einen einheitlichen Gott als eine Art von Fun-damentaldogma auf. und gruppiren um dasselbe eine Menge von Begriffen und Anschauungen, welche dem Alten und dem Neuen Testament entlehnt find. Sie haben nicht nur der Mandschudynastie fondern auch der Götzen-dienerei den Krieg erklärt; nachdem sie die Truppen des Kaisers geschla» gen und die Gewalt der Mandarinen beseitigt hatten. zerstörten sie die Pagoden und mordeten die Bonzen. Aus diesen Thatsachen haben Manche in Europa den Schluß gezo« gen daß die Chinesen nun sich dem Chriftcnthume zuwenden würden, und die Bibelgesellschaft nahm den Ruhm einer solchen Bekehrung für sich in Anspruch. Ich für meinen Theil glaube nicht an das vermeintliche Ehri-stfnthum der Rebellen, und die religiösen und mystischen Zuthaten in ihren Aufrufen haben mir nie viel Vertrauen eingeflößt. Man braucht nicht einmal die protestantische Propaganda in Anschlag zu bringen, um XXVI . Einleitung. zu erklären auf welche Weise in jene Proklamationen Ideen gekommen sind. die an das Christenthum erinnern. In allen Provinzen China's leben Mobamedcmcr; sie liaben ihren Koran nnd ihre Moscheen. Sie baben schon mehr als einmal danach getrachtet die Mandschudynastie zu stürzen, haben stets heftige Opposition gegen die Regierung gemacht, und man darf annehmen daß sie sich eifrig den Insurgenten angeschlossen haben. Vielleicht sind manche von ihnen Feldherren geworden und haben Einfluß im Rathe des Tien te, nnd in diesem Falle könnte es gar nicht Wunder nehmen in den Aufrufen der Nebellen das Dogma von der Einheit Gottes sammt wunderlich gestalteten Begriffen aus der Bibel zu finden. Uebri« gens besitzen die Cbinesen langst eine Sammlung werthvoller Bücher über die christliche Lehre; sie find von den früheren Missionairen verfaßt, und werden auch in literarischer Beziehung von den Chinesen geschätzt. Diese Werke haben eine weite Verbreitung gewonnen, und unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, daß die Neuerer weit eher aus dieser ihucn leicht zugänglichen Quelle geschöpft haben, als aus Bibeln welche die Methodisten vorsichtig am Mceresgestade niedergelegt hatten. Der neue Glaube, welchen die Regierung der Aufständischen verkündet, ist noch unbestimmt und verschwommen, aber ein Fortschritt liegt doch auch schon darin. Für den Augenblick jedoch kann ick iu dem Ober« Haupte der Revolution nichts anders erblicken als eine Art von chinesischem Mohamed, der seine Macht durch Feuer und Schwert begründen will, und seinen Anhängern etwa zuruft: Es giebt nur einen Gott und Tien te ist der jüngere Bruder Jesu Christi! Welchen Äusgang wird die chinesische Revolution nehmen? Wird Tien te einen neuen Hcrrscherstamm begründen, und einen Cultus einfühlen welcher den neuen Ideen entspricht? Oder wird der Sohn des Himmels, das heißt der Kaiser, stark genug sein um den Aufstand zu dämpfen? In Europa weiß man zu wenig vom eigentlichen Verlaufe der Dinge, um darüber eine feste Ansicht aufzustellen. Trotzdem erheben sich Stimmen und sagen uns: das ganze chinesische Staatswesen werde recon-ftruirt werden, und ins alte Geleise zurückkehren, sobald einmal die Mandschudynastie beseitigt worden sei. Wir sind anderer Meinnng. Ein chinesisches System im Gegensatze zu einem vermeintlichen tatarischen Systeme ist nämlich gar nicht vorhanden. Die Mandschu sind politisch Gebieter von China geworden, aber auf den chinesischen Geist haben sie nie Einfluß geübt. Höchstens konnten sie in der Kleidertracht einige Einleitung. XXVII Aenderungen vornehmen, auch das Volk zwingen das Haupthaar zu scher» ren und einen Zopf wachsen zu lassen. Darin besteht das «tatarische System". Das chinesische Volk hat vor und nach der Eroberung ganz dieselben Staatseinrichtungeu gcbabt uud ist unwandelbar den alten Ueberlieferungen treu geblieben. Noch mebr, es hat die Mandschu in sich ab. sorbirt, und ihnen seine Civilisation, seine Sitten aufgezwungen; ja sogar die chinesische Sprache ist an die Stelle der mandschurischen getreten. Die meisten und einftußreichsten Beamtenstellen, mit Ausnahme jener im Heer. wefen. und einiger hohen Aemter am Hofe. werden von Chinesen beklei. det. Die Mandschu verlieren sich unter der unendlich überwiegenden Masse von Clunesen; im Uebrigen bewachen sie die Grenze, liegen als Besatzung in Straßen und ziehen vor dem kaiserlichen Palast auf Wache. Es erklärt sich leicht weshalb die Eroberung dcr Mandschu an dem „chinesischen Systeme" nichts geändert hat. Auch die vielen Revolutionen welche China durchmachte, haben nichts daran verändert. Denn im chine» fischen Charakter liegt eine außerordentliche Hochachtung. eine gewisser« maßen religiöse Verehrung für das Ueberkommene und Althergebrachte. Nach jeder Umwälzung ging dieses eigenthümliche Volk an die Wieder« berstcllung des Alten, und sammelte die Traditionen, um sich ja nickt von den durch die Vorfahren aufgestellten Gebräuchen zu entfernen. Deshalb ist das „chinesische System" immer geblieben was es war; und so erklärt es sick auch wcsdalb das Volk seit Jahrhunderten stationair geblieben ist und keine Fortschritte gemacht hat. Und deshalb darf man denn auch wohl in Zweifel ziehen, daß die gegenwärtige Revolution das alte System wesentlich verändern werde. Wahrscheinlich wird auch künftig China keine Sympathien für die abendländischen Völker haben. Es ist auch heute noch keineswegs zugängig. es ist nicht „geöffnet", und schwerlich haben die Missionen etwas Gutes zu hoffen. Die Christen nehmen sicherlich keinen thätigen Antheil in der gegenwärtigen Krisis; sie find zu verftän» dig. alS daß sie eine politische Fahne entfalten möchten, auck find sie zu schwach an Zahl (— und wieHuc mehrfach erzählt, zu schüchtern—) als daß sie Einfluß üben könnten. Aber sie sind, eben weil sie sich neutral verhalten, beiden Theilen verdächtig geworden, und darum steht zu besorgen, daß der Sieger sie einst dafür büßen lasse. ES ist sehr möglich daß in Cliina nach Beendigung des Bürgerkrieges eine Ctiristenveifolgung stattfindet. Wenn über kurz oder lang einmal die Europäer durch die Umstände XXVIII Einleitung, gezwungen werden, sich in die Angelegenheiten des himmlischen Reiches zu mischen, dann kann es freilich nickt ausbleiben, daß in China viele Dinge eine andere Gestalt gewinnen. Vielleicht willen auch die neuen Ideen, welche in den letzten Jahren eine weite Verbreitung erhielten, in gewissem Sinne regencriiend. Christliche Sendboten kamen schon im fünften oder sechsten Jahr» Hunderte von Konftantinopel aus über Land bis ins „Königreich Kathay"; mit diesem Namen bezeichnete man im Abcndlande China. Lange Zeit hat die Ansicht gegolten, daß das Evangelium erst viel später, nämlich gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts dorthin gelangt sei'. aber seit man die Inschrift von Si ngan fu, das einst Hauptstadt war, entdeckt hat. unterliegt es kaum einem Zweifel daß schon im Jahre 635 die christliche Religion in China verbreitet war. Denn jene Inschrift, welche jetzt Viele für echt halten, spricht von vielen Kirchen, welche durch fromme Kaiser errichtet, von pomphaften Titeln welche dem Priester Olopen (wahrscheinlich einem Syrer) gegeben wurden. Cr heißt: ..Oberster Schutzhüter im Königreich des Gesetzes", das beißt Primas der christlichen Religion. Im Jahre 712 erregten die Bonzen cinc Verfolgung gegen die Christen, welche jedoch die Oberhand behielten. Die Inschrift sagt: „Nachdem die Religion einige Zeit unterdrückt worden war. begann sie damals sich wieder zu erheben. Der Stein der Lehre war eine Zeit lang ins Schwanken geratben, und wurde wieder ins Oleichgewicht gebracht. Im Jahre 744 kam ein Priester aus dem Reiche Ta thsin (dem oströmi-schen Kaisertbume) nach China, um den Kaiser zu begrüßen. Dieser befahl dem Priester Loban uud sechs anderen, gemeinschaftlich mit dem Abgesandten aus Ta thsin die christlichen Opfer im Palaste Him kim zu voll' ziehen. Damals ließ der Kaiser an der Kirchenthür eine von seiner eigenen Hand gemalte Inschrift aufhängen. Die erhabene Tafel strahlte im hellen Glänze, und deshalb hatte dic gesammteErde eine sehr große Hochachtung vor der Religion. Alle Dinge wnrden vollkommen gut verwaltet, uud die aus der Religion strömende Glückseligkeit war für das Menschengeschlecht ersprießlich. Alljährlich am Tage der Geburt Jesu Christi gab Kaiser Ta'i tsung der Kirche himmlischen Weihrauch; er vertheilte an die christliche Menge kaiserliches Fleisch. um sie beachteter uud berühmter zu machen" u. s. w. Die Inschrift schließt mit den Worten: «Dieser Siein ist gesetzt und ausgerichtet worden im zweiten Jahre der Negierung Ta'i tsungs (781 nach Christus). In dieser Zeit regierte der Priester Niu Einleitung. XXIX schu. Herr des Gesetzes, das heißt Hoherpriester der Religion, die Chri» stenmenge in der östlichen Gegend. Liu siu yen, Palastrath und früher Mitglied des Kriegsratbes. hat diese Inschrift verfertigt." Also im achten Jahrhunderte blühte das Christenthum in China; aber man darf annehmen daß es harte Kämpfe zu bestehen hatte gegen die Bonzen, und auch gegen die Nestorianer; diese letzteren gewannen gerade damals eine große Verbreitung in Hochasicn. Im Anfange des neunten Jahrhunderts schickte Timotheus, Patriarch der Ncstoriancr, Mönche aus, um unter den Hiung nu Tataren an den Gestaden des Caspischen Tees das Evangelium zu predigen. Späterhin erlosch die Fackel des Glaubens in jenen fernen Gegenden, loderte aber im drei» zehnten und vierzehnten Jahrhunderte wieder auf, nachdem in Folge der Kreuzzüge und des großen Mongolensturmes die Verbindungen und Berührungen zwischen Morgenland und Abendland sich vervielfältigten. Während der Negierung Dschingiskhans und seiner Nachfolger, wurden Missiouaire nach China und der Mongolei gesendet; sie nahmen Kirchen« schmuck und Geräthe mit um. wie Ioinville sich ausdrückt. zu versuchen „ob sie Leute zu unserm Glauben herüberziehen könnten." Sie hielten Gottesdienst im Beisein mongolischer Fürsten; diese gaben ihnen Wohnung in ihren Zelten, und erlaubten daß neben ihren Palästen Capellen errichtet wurden. Zwei Missionaire, Plano Carpino und Ruysbroek (Ru-bruquis). haben uns Reiseberichte hinterlassen. Der Erstere wurde 1246 von Papst Innocenz IV. an den Großkhan der Tataren geschickt, ging über die Wolga. nördlich um das Caöpischc Meer durck Mittelasien ins Land der Mongolen, in welchem ein Enkel Dschingislhans herrschte. Etwa um dieselbe Zeit war Ruysbroek von König Ludwig dem Heiligen mit einer Sendung an die westlichen Tataren beauftragt, und schlug ziem« lich denselben Weg ein. In Khara korum, Hauptstadt der Mongolen, sah er nicht weit vom Herrscherpalaste ein Gebäude, aus welchem ein klei« nes Kreuz angebracht war. Er trat hinein und erblickte zu seiner freu» digen Ueberraschuug einen prächtig geschmückten Altar. Er sah mit Gold gestickt die Bilder des Heilands, der Mutter Maria, Johannes des Tau« fers und zweier Engel. alle mit Edelsteinen verziert, sodann ein großes silbernes Kreuz mit Perlen, und vor dem Altare eine Lampe mit acht Flammen. Im Heiligthume saß ein armenischer Mönch, mit gebräuntem Antlitze, mager, und bekleidet mit einem Rocke, der bis auf die Lenden hinabhing; darüber trug er einen schwarzen, mit Seide gefütterten Man« XXX Einleitung. . ^ tel. Ruysbroek bemerkt ausdrücklich daß in jenen Gegenden viele Nefto< rianer und oftrömische Christen lebten, die ihren Cultus ungehindert ausüben durften. Fürsten, ja selbst Kaiser, wurden getauft und beschützten das Christenthum. Im Anfange des vierzebnten Jahrhunderts errichtete Papst Clemens V. zu Gunsten des französischen Missionairs Johann von Mont-corvin ein Erzbisthum in Peking. Dieser Sendbote war dort zweiund» vierzig Jahre lang thätig. Jenes Erzbisthum hatte vier Suffragane, und schon daraus gebt hervor daß damals in Asien die Anzahl der Clmften nicht ganz unbedeutend gewesen scin kann. Ueber ihre Verhält« nisse im fünfzehnten Jahrhunderte fehlt es an Nachrichten; Europa unterhielt keine Verbindungen mit dem fernen Osten, und verlor die Reiche Kathay und Zipangri. d. h. China und Japan, über welche Marco Polo so viele wunderbare und doch wahre Nachrichten gegeben, völlig aus den Augen. China mußte gleichsam aufs Neue entdeckt werden. Im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts wurden die Portugiese» in den indischen Gewässern mächtig. Der Vicekönig von Goa sendete 1517 acht Schiffe unter Ferdinand d' Andrada nach Canton; dort schloß dieser Gesandte einen vortheilhaften Handelsvertrag mit dem Vicckönige. Von nun an waren wieder Europäer mit Chinesen in Berührung. Die Portugiesen fanden Gelegenheit den letzteren einen Dienst zu erweisen, als sie einen gefährlichen Seeräuber gefangen nahmen. Aus Dankbarkeit erlaubte ihnen der Kaiser sich auf einer felsigen Halbinsel niederzulassen. Dort wurde die Stadt Macao gebaut; sie war lange Zeit der einzige Punkt auf welchem Europäer mit den Bewohnern des Reiches der Mitte Handel trieben. Gegenwärtig ist Macao im Verfalle, namentlich seitdem die englische Niederlassung auf Hong long so blühend geworden ist. Während die Portugiesen auf Macao Handel trieben, predigte der heilige Xavenus in Japan, wohin alljährlich chinesische Kaufleute mit großen Dschonken aus Ning po kamen. Von ihnen erfuhr er Nachrichten über China, die er nach Europa meldete. Er selbst starb, ehe er die Kü° ften dieses Landes erreichte. Aber sei» Beispiel munterte glaubenseifrige Männer an, in seine Fußstapfen zu treten. Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts erschien Pater Ricci in China. Von der Wirksamkeit der früheren Misfionaire fand er keine Spur mehr; 'Niemand wußte auch nur das Geringste vom Cliristentbume, oder daß es jemals in China verkündet worden war. So mußte Alles wieder von vorne augefangen werden. Aber Einleitung. XXXI nach zwanzigjährigen Bemühungen hatte Ricci noch nichts ausgerichtet. Als er jedoch am Hofe in Gunst gerieth, ließen Viele sich taufen. und es wurden mehrere Kirchen gebaut. Er starb 1610. Seine Nachfolger Adam Schaal und Verbicst arbeiteten in seinem Sinne; auch sie waren als wissenschaftlich gebildete Männer mit praktischem Sinne den Chinesen genehm. Verbiest ließ französische Geistliche nach Peking kommen. wo sie durch seine Vermittelung vom Kaiser wohlwollend aufgenommen wurden. Im Jahre 1685 schickte Frankreich Mission a ire nach China. Am 3. März schifften sich sechs gelehrte Jesuiten in Brest ein. und lan« deten am 24. Juli 1687 in Ningpo, Es waren: deFontaney, Tachard. Gerbillon, Le Comte, de Visdelou und Bouvet. In Peking erwarben sie bald durch Wandel und wissenschaftliche Tüchtigkeit hohes Ansehen. Der Kaiser gab ihnen ein Haus in seiner Gelben Stadt. d. h. im Quartiere des Palastes, um ihnen nahe zu sein und sich recht häufig mit ihnen unterhalten zu können. Er ließ »hnen eine große Kirche bauen, verfaßte selber eine chinesische Inschrift zu Ehren des einigen Gottes, welche über der Kirchenthür aufgehängt »erden sollte. Somit hatte Khang hi sich laut und öffentlich zum Beschützer der Christen erklärt; seinem Beispiele folgten die hohen Würdenträger, und die Zahl der Christen wuchs, weil die Missionaire auch in den Provinzen sehr eifrig wirkten. Die chinesischen Christen trugen den Kopf hoch und wurden übermüthig. Die Missionaire geriettien unter sich über theologische Angelegenheiten in Zwiespalt, und ihre Zänkereien ärgerten den Kaiser Khang hi. Nach seinem Tode erfolgte ein Rückschlag; sein Nachfolger Jung tsching ließ die üppig gewordenen Christen verfolgen. Im Jahre 1722 schrieb Pater Gaubil, der gelehrteste aller französischen Missionaire die in China gewesen, nach Europa: er finde die Kirchen zerstört, die Gemeinden auseinander gesprengt, die Missionaire verjagt und nach Canton verwiesen. Bald nachher wurde ihre Religion geächtet. Die einst durch kaiserliche Huld begünstigten Christen erfuhren die kaiserliche Ungnade; und wie bloß äußerlich ein großer Theil der Bekehrungen gewesen, zeigte sich dadurch daß viele ihr Christenthum rasch wegwarfen. Auf Yung tsching folgte Kien long. Unter ihm kamen die Missio» naire am Hofe wieder in Gunst. DaS Christenthum wurde bald geduldet, bald bedrückt, und unter dem nächsten Kaiser. Kia king, wurden die Ve» folgmigen so stark, daß viele Gemeinden völlig zu Grunde gingen. Eu» ropa war damals in voller Revolution, und sendete leine Mssionaire XXXII Einleitung. nach China; während der letzten verflossenen dreißig Jahre war aber ihre Zahl fortwährend im Steigen. Die Protestanten wirken zumeist in den Küstenstadten. die Katholiken mehr im Innern. Die Gesellschaft zur Verbrei» tung des Glaubens, welche ihren Mittelpunkt in Lyon hat, giebt beträchtliche Unterstützung, der Papst hat in jeder der achtzehn Provinzen China's ein apostolisches Vicariat errichtet, und Jesuiten, Dominicaner. Franciscaner und Lazaristcn find ununterbrochen thätig. Jedes Vicariat hat eine Anzahl Schulen für Knaben und Mädchen. ein Seminar um einheimische Priester heranzubilden, und Wohlthätigkeitsanstalten. z. B. Krippen. Die Misfionaire stehen nicht, wie ehemals, in kaiserlicher Gunst; sie find im ganzen Neicbe geächtet, schleichen sich. unter^ Nichtachtung der Gesetze und Verordnungen des Kaisers, ein. und müssen mit großer Vorsicht zu Werke gehen. Viele find ein Opfer ihres Glaubenseifers geworden. Huc schätzt die Zahl der Christen in China anf etwa acht« hunderttausend. Erstes Kapitel. An der Grenze von China. — Abreise von Ta tsien lu. — Hängebrücken und Palankinträger. — Karawanen von Lastträgern. — Z)a tscheu. — Chinesischer Charakter von Land und Leuten. — Triumphbögen und Gcmelndepaläste. — Chinesische Christen. — Die Aristokratie in Khiuug tscheu. — Das Ovinmrauchen. — Ein prächtiges Bonzen-klostcr. — Ein wüthiger Christ. — Ankunft in Tsching tu fu. 33or etwa zwei Jahren hatten wir von unserer Christengemeide im Thale der schwarzen Gewässer, nördlich von Peking, Abschied genommen. Seitdem waren wir. einen Ausenthalt von mehreren Monaten im mongolischen Lamakloster vonKunbum und ein Verweilen von etwa fünf Wochen in Lha Ssa, der Hauptstadt des Buddhismus, abgerechnet, ununterbrochen auf der Reise; erst in den Steppell der Mongolei, dann im thibetanischen Hochgebirge. Aber noch sahen wir das Ende unserer Beschwerden und Leiden nicht ab; wir mußten ganz China von Westen nach Osten durchziehen, nachdem wir es in früherer Zeit in seiner ganzen Lange von Süden nach Norden durchwandert hatten. Damals war es heimlich geschehen, wir hatten uns durch das Land gleichsam nur hindurch stehlen und überall Seitenwege aufsuchen müssen, um nicht erkannt zu werden. Jetzt war das Alles anders. Wir brauchten uns nicht mehr zu verstecken, reisten bei hellem, lichtem Tage auf der kaiserlichen Landstraße', dieselben Mandarinen deren bloßer Anblick uns früher Schrecken und Angst einjagte, weil sie gewiß nicht unterlassen hätten uns auf die Folter zu spannen, mußten uns jetzt das Ehrengeleit geben und mit Höflichkeit begegnen. Wir waren also an der Grenze von China, im Angesicht einer Civilisation, die allerdings von jener Europa's sehr wesentlich abweicht, aber in ihrer Art durchaus vollendet ist. Von nun an wurde auch das Klima ein anderes; wir durften auf milde Lüfte hoffen, der Schnee lag hinter uns; statt der Schluchten und Abgründe hatten wir weite Ebenen, statt der un- Huc, ühina. 1 2 Behandlung christlicher Missionaire. ll-Kap. fruchtbaren Steppen wohlangebauete üppige Aecker vor uns. statt der scwvar;en Nomaden>elte hübsche Dörfer und volkreiche Städte. Wir kann« ten mdessm die Cbineseu gut genug um uns völlig beruhigt zu fühlen. Ki Scdan. der chinesische Gesandte zu Lba Ssa. welcher uns von dort auswiesen, batte allerdings Befehl gegeben, uns aufmerksam und wolil-wollmd zn bebandeln; aber im Grunde waren wir doch verlassene Männer, und wie konnten wir uns im Nothfall wehren? Es kam Alles auf die Hallung an, die wir behaupteten. Wir wußten aus Beobachtung und Erfahrung daß die Chinesen, insbesondere die Mandarinen hochfahrend gegen den Schwachen und Nachgiebigen sind, daß sie aber dem Starken gegenüber sich schwach zeigen. Sie wollen ihre Umgebung beherrschen und niederdrücken. und verfahren dabei mit ungemeiner Feinheit und wunderbarer Elasticität; sie sind unerschöpflich in Ränken und Schlichen. Wer sie einmal die Oberhand gewinnen läßt, ist sicherlich verloren; wer es aber versteht sie zu biegen oder zu brechen, findet sie gelehrig und folgsam wie Kinder, und kann mit ihnen anfangen was er will. Aber nie darf er auch nur einen Schein von Schwäche zeigen, sondern stets lind immerfort muß er sie eine eiserne Hand füblen lassen. Die chinesischen Mandarinen haben viel Aebnlichkeit mit ihren langen Bambus, die man allerdings biegen kann. läßt man sie aber los, so schnellen sie zurück und werden wieder steif. Wir mußten uns dem« nach auf tagtäglichen Kampf gefaßt machen. Es gab keine andere Wahl als uns willenlos ihnen zu fügen, oder unsern eigenen Willen zur Geltung zu bringen; und wir hatten keine Lnft unsere langen und weiten Pilgerfahrten elendiglich in einem beliebigen Graben hinter den Wällen einer chinesische» Stadt zu beschließen. Daß voller Grund zur Nesorgniß vorlag, wird sich aus einigen Tbatsachen ergeben. In Macao erfuhren wir, daß die Chinesen einen französischen Lazariften, Carayon. in einer der nördlichen Missionen erkannt und verhaftet hatten. Gemäß der zwischen dem Peking« Hof und dem französischen Bevollmächtigten Lagrenc'e getroffenen Ueber, einkunft war es nicht mehr statthaft, die Misswnaire zu todten, sondern man war verpflichtet, sie „ehrenvoll" nach Macao zu schaffen. Carayon wurde auch dorthin abgeführt, aber zusammengekettet mit argen Verbrechern, und auf der Reise dermaßen mißhandelt und abgehetzt, daß er am Tage nach seiner Ankunft in Macao starb. Ganz dasselbe begegnete einem italic» nischen Missionair, der entsetzlich Hunger leiden mußte, uud in Canton begraben wurde. Im Jahre 1851 ergriffen die Chinesen den Misfionair Bacher und warfen ihn ins Gefängniß, wo er dann erstickt wurde. 1. Kap.I Abreise von Ta tsien lu. g In der Grenzstadt Ta tfien lu hatten wir langen und heftigen Streit mit dem ersten Mandarin. Wir wollten unsere Neise nicht zu Pferde fortsetzen. sondern verlangten Palankine, Tragsessel. Fast zwei Jahre lang waren wir nicht aus dem Sattel gekommen, jetzt sehnten wir uns darnach die Beine auszustrecken. Endlich gab der Mandarin nach. Dann kam ein anderes Zerwürfmß wegen unserer Kleidertracht. Wir erwogen daß überall, ganz besonders aber in China, der Nock welchen der Mann trägt, eine wichtige Rolle spielt; es war also gar nicht gleich« giltig in welcherlei Kleidung wir erschienen. Wir legten also unser thibetauisches Costüm ab, warfen Pelzstiefeln, Pelzröcke, Kappe von Wolfsfell und dergleichen fort, und ließen uns von einem tüchtigen Schneider einen himmelblauen Nock nach der neuesten Pekinger Mode anfertigen. Ferner kauften wir elegante Stiefeln von schwarzem Atlas mit hohen weißen Sohlen und Absätzen. So weit war Alles gut; das Tribunal der Gebrauche hatte dagegen keine Einwendung zu machen. Als wir aber einen breiten Gürtel von rother Farbe um die Hüfte gelegt und unser geschorenes Haupt mit einer schöngestickten gelben Mütze bedeckten, die noch dazu mit gelbseideuer Troddelquaste verziert war. entstand eine ganz ungeheure Aufregung sowohl unter den Beamtemnandarinen wie unter den Soldatenmanda-linen. Sie waren außer sich. Der gelbe Nock und der rothe Gürtel, sag, ten sie, gehören zu den Privilegien der kaiserlichen'Familie. und wer es wagt dergleichen zu tragen wird auf Lebenszeit verbannt. Das Tribunal der Gebräuche sei in diesem Punkte ganz unerbittlich, und wir wären ge» halten uns gesetzmäßig zu kleiden. Dagegen bemerkten wir, daß wir Fremde seien, als solche und auf Befehl einer Obcrbehörde uns auf der Reise befänden; wir hätten uns also um die Bräuche im Kaiserreiche gar nicht zu kümmern, sondern das Recht uns nach der Art unseres Vaterlandes zu kleiden. Dort aber stehe es Jedem frei seine Kleider ganz nach Belieben zu wählen. Dabei blieben wir. und erklärten, nicht einen Schritt gingen wir ohne gelbe Kappe und rotben Gürtel. Das half; wir ließen uns auf gar nichts ein, und die Mandarinen fügten sich. In Ly tang hatten wir einen mohamedanifchen Militairmandarinen zum Begleiter und Aufseher erhalten; er sollte uns nach Tsching tu, der Hauptstadt der Provinz Sse tschuen bringen, that es aber ungern, weil er uns eigenwillig und widerborstig fand; als Jünger des arabischen Propheten mußte er indessen sein Geschick mit Ergebung tragen. Die Mandarinen waren sehr erfreut als wir Ta tsicn lu endlich verließen. Die chinesischen Soldaten welche wir seit Lha Ssa als Bedeckung hatten, 1' LA Abschied vom Lama Dschiamdschan. I<. Kap. blieben auch jetzt bei uns. nur kamen noch einige jungeKrieger aus der Provinz hinzu. Ihr Befehlshaber war ein hochaufgeschossener magerer Corporal, der seinen Rock bis zum Gürtel aufgeschlagen hatte. und. einen mächtigen Negenschirm in der einen Hand, in der andern einen Fächer, barbeinig emherschritt. Der Leser wird uns glauben, daß er eben keinen heldenhaften Anblick gewahrte. Wir lagen höchst bequem in unseren Pa. lankins, deren jeder von vier kräftigen Chinesen über Stock und Stein so rasch vorwärts getragen wurde, daß unser Geleit in kurzer Zeit eine Strecke hinter uns zurückblieb. Wir hatten fünf chinesische Meilen (L i. deren zehn auf eine starke deutsche Wegstunde, oder eine französische Lieue gehen) zurückgelegt. Es wurde angehalten, und einer der Chinesen ersuchte uns höflich herauszutreten, und lächelte geheimnißvoll. Zu unserer Ueberraschung fanden wir hinter einem Felsen den Lama Dscbiamdschan, den Anführer der thibetani-schen Bedeckung, welche uns von Lha Ssa bis zur chinesischen Grenze geleitet hatte. Er war mit seinen Thibetanern gekommen, um uns nach heimatlichem Brauche ein letztes Lebewohl zu sagen. Auf dem« Rasen stand Trank und Speise, chinesisches Gebäck, Aprikosen aus Ladakh und Reiswein fehlten nicht. Wir Alle setzten uns in die Runde und genossen, zugleich traurig und freudig bewegt, ein Abschiedsmahl. Von Ta tsien Hingen wir abwärts, und gelangten bald in ein enges, tiefes Thal, dessen üppiges, frisches Grün unser Herz erfreute. Die Thränen quollen uns aus den Augen. Wer zwei ganze Jahre zwischen Eis und Schnee, zwischen Felsen, in Einöden und auf der Steppe gelebt hat, wird ermessen können, wie gewaltig uns der Anbli«^ einer reizenden Landschaft erfaßte. Unsere Träger gingen mehrmals von einem Ufer auf das andere, bald über kleine, mit Rasen überdeckte Holzbrücken, bald über große Steine, ohne eigentlich müde zu werden. Nur dann und wann setzten sie den Palankin nieder um eine Pfeife Tabak zu rauchen; dann schritten sie neugestärkt rüstig fürbaß. Das enge Thal war nicht eben belebt, doch begegneten uns mehrere Reisende, und wir konnten den kräftigen Thibetaner von dem civilisirten und verschmitzten Chinesen auf den ersten Blick unterscheiden. An und auf den Bergen weideten Ziegen und Uaks (Grnnzochsen); im Gezweige sangen Vögel. Die erste Nacht blieben wir in einer sehr bescheidenen Herberge. Am andern Morgen wurde die Gegend immer wilder, der Weg gefährlicher; es war eine Gebirgsge» gend so halsbrechend und romantisch man sie nur denken kann, mit Wasserfall und mächtigen Felsen. Durch das Thal mit gelbem Grase, Hoang 1. Kap.I Häugebrücken. — Das Gebirge Fey yiie ling. 5 tsao ping, das recht gut bestellt wird, gelangten wir zu der berühmten Brücke Lu ting khiao, über die wir zu Fuß und sehr laugsam gingen. DieBrückeLu ting khiao wurde 1701 gebaut: sie ist 32Klafter oder 192 Fuß lang, abernur 10 Fußbreit, und besteht aus neun gewaltigen eisernen Ketten,die von einemUfer bis zum andern gespannt sind. Aufden Ket» ten liegen querüber bewegliche Vreter. Der Fluß Lu strömt so reißend daß man eine Brücke anderer Art nicht herstellen kann. Beide Ufer sind hoch und steil. Auf der andern Seite des Flusses liegt eine kleine Stadt; dort waren die Leute zusammen gelaufen. nnd bereiteten uns einen lärmenden Empfang. Jener Ort war die Heimat unseres nmfelmännischen Manda« rinen, der nach langer Abwesenheit in Tbibet jetzt einen Tag bei seiner Familie blieb, und uns mit väterlichem Stolz seine beiden Söhne vorstellte, steife linkische Knaben. Diese Höflichkeit wußten wir nach Gebühr anzuerkennen; als der stolze Vater uns aber auf das armseligste zu be, Wirthen gedachte, erklärten wir ihm rundweg, in China wollten wir ganz anders speisen als in den thibetanischen Hochgebirgen. Er wollte siä> ent« schuldigen, wir aber mochten, Chinesen gegenüber, ein für allemal keine Entschuldigungen gelten lassen. In Lu ting khiao läßt sich in Sitten und Tracht noch einiges thibetanische Element erkennen; es verschwindet aber allmälig ganz, je weiter man nach Osten kommt, und macht dem rein Chinesischen Platz. Vor Lu ting khiao erstiegen wir einen hohen Berg. auf welchem wir eine weite Ebene mit einem kleinen See fanden. Die Wege welche hinauf führen sind so gekrümmt und beschwerlich, daß ein chinesischer Wegweiser, aus welchem wir uns schon während unserer Reise in Thibet Raths erhol» ten. bemerkt: „Die Pfade sind nur für Vögel bequem." Am andern Tage erstiegen wir den F ey yü o ling, „eine riesigeGebirgsmasse, deren ungeheure Felsen beinahe senkreckt abfallen. Ihre Spitzen verwuuden des Reisenden Blick. Alles ist das ganze Jahr hindurch mit Schnee bedeckt und bis zum Fuße des Gebirges von Wolken eingehüllt. Der Weg ist ganz abscheulich und geht über Felsen und durch Schluchten; er ist einer der beschwerlichsten in ganz China, und man findet keinen Ruheplatz." Diese Angaben des gedruckten chinesischen Wegweisers sind völlig genau. Wir glaubten uns in das eisige Hochgebirge von Thibet zurückversetzt. Unsere Träger verrichteten-wahre Wunder von Gcschicklichleit. Muth und Kraft; auch an den schwierigsten Stellen wollten sie uns nicht aussteigen lassen; sie sehten ihren Stolz darein gleich Gemsen die steilen Abhänge hinanzuklettern, und den schweren Tragsessel auf den Schultern auch an ß - Palankinträger. — Karawane von Lastträgern. sl. Kap. Abgründen hinwegzuschleppen. Hundertmal rieselte es uns kalt durch Mark und Gebein, denn beim geringsten Fehltritt wären wir olme Rettung verloren gewesen. 'Aber diese Träger sind unübertrefflich. Wäbrcnd sie auf so abscheulichen Pfaden sehr rasck vorwärts geben, oder man möchte sagen laufen, dabei unter ihrer Last kencben. und der Schweiß ihnen vom Leibe rinnt, lacben sie dock in einem fort, scherzen mit einander, ziehen sich auf und schwätzen als säßen sie ganz rubig und gefabrlos in einer Thee-schenke. Diese unglücklichen Menschen erhalten für ihre saure Arbeit nur eine geringe Vergütung, nämlich eine Sapeke für die Meile, das heißt etwa vier Pfennige für die Wegstunde, so daß sie noch keine fünf Neu-groschen täglich erwerben. Sehr oft treten aber Zeiten ein wo sie unbeschäftigt sind. Nun sind in China allerdings die Lebensmittel unglaublich wohlfeil, und der Palankinträger bat eine Art Vorrecht, dort überall Nachtlagerzu haltenwo es ihm gefällt, und wo er einenvassendenWinkel findet, z. B. in einer Pagode, in einer Herberge oder sonst wo. Auch kostet seine Kleidnng nicht viel. denn sie besteht in Sandalen aus Reisstroh, und einem kurzem Beinkleid; dazu bat er noch eine kurze Jacke. Der Palankinträger ist eine der eigentbümlichsten Figuren in Cbina; wir werden noch oft von ihm zu reden haben. Auf dem eben erwähnten Berge ruhten unsere fleißigen Leute ein wenig aus, nahmen einige Stücke Maisbrot zu sich und rauchten Tabak. Wir betrachteten inzwischen die wilde Scenerie des Gebirges, das doch sehr begangen ist. weil kein anderer Weg nach Ta tsien l u führt, einer Handelsstadt wo Chinesen und Tbibetaner einen sehr lebhaften Handelsverkehr treiben. Sehr häufig begegnet man auf den engen Pfaden lange Reihen von Leuten welche Ziegelthee tragen. Er wird in Khiung tscheu bereitet, nach Ta tsien lu gebracht, und von da gelangt er in die tibetanischen Provinzen. Dieser Thee wird gepreßt und der Länge nach in grobe Matten verpackt; diese Ballen trägt der Chinese vermittelst lederner Riemen auf dem Rücken. Gewöhnlich ist die Last sehr schwer, und es thut weh. wenn man sieht daß auch Frauen. Greise und Kinder unter ihr die steilen Gebirgspfade hinankeuchen, schweigend, langsam, auf eisenbeschlagene Stäbe gestützt und den Blick niedergesenkt. Lastvieh würde kaum tagtäglich solche Beschwerden aushalten. Von Zeit zu Zeit giebt der Erste in der Reihe das Zeichen zu einem kurzen Ausruhen; er schlägt uämlich mit seinem Stäbe an den Felsen, und jeder Folgende thutdasselbe. Dann bleiben Alle stehen, nehmen aber die Traglast nicht vom Rücken, sondern halten den Stab unter, und holen tief Athem. Nachdem sie sich etwa eine Minute lang Ruhe gegönnt. 1. Kap.1 Neugier der Chinesen. 7 treten fie ihren beschwerlichen Gang wieder an. Wir find dergleichen Karawanen oft begegnet. Der Ziegelthee nnd die K h at a oder Be« glückwünschungs-Tücher find wichtige Handelsartikel, und beide gehen in unglaublicher Menge aus den chinesischen Provinzen Kan su und Sse tschuen nach Thibet, wo man diese Waaren gar nicht mehr entbehren kann. Zumeist durch fie ist Thibet von China in Abhängigkeit. Das berüchtigte Fey yüe liug»Gebirge liegt an den Grenzen des Reiches der Mitte wie ein von Thibet aus vorgeschobener Posten. Als wir dasselbe überstiegen hatten, sahen wir uns endlich in China mit seinen fruchtbaren Gefilden, seinen vielen Dörfern nnd Städten und einer dichten Bevölkerung; die Temperatur stieg rasch, und wurde den Pferden welche aus Thibet mitgekommen waren, so lästig, daß fie die Ohren hängen ließen und schwer keuchten; einige konnten diesen raschen Ueber« gang aus der kalten Region in so warme Gegenden nicht ertragen, und starben. Elne Strecke vor Tsing kbi hien, einer Stadt dritter Classe, wehte der Wind so heftig, daß unsere Träger nur mit genauer Noth die Tragsessel im Gleichgewicht zu halten vermochten. In der Stadt schienen die Leute sich um das Sturmwetter gar nicht zu kümmern, und vom Gastwirth erfuhren wir, daß es damit ganz in der Ordnung sei, denn man habe dergleichen beinahe alle Tage im Jahre. Unser chinesischer Wegweiser bestätigte diese Aussage. Wahrscheinlich haben die vielen Thäler und Schluchten des nahen Fey yüc ling großen Einfluß auf die Atmosphäre. Seit unserer Abreise aus Ta tsien lu hatten die Chinesen sich eben nicht viel um uns gekümmert; seitdem wir aber in volkreiche Gegenden kamen, gafften nns Schaarcn neugieriger Leute au. Der Eilbote, welcher uns voraus war, um überall Quartier anzusagen, hatte ins Horn gestoßen und die Leute auf uns aufmerksam gemacht; die Bauern ließen die Arbeit auf dem Felde liegen und stellten sich am Berge ans; in den Städten kamen die Menschen in solcher Menge herbei, daß die Träger mit den Palankins kaum hindurchdrängen konnten; die Soldaten mußten mit dem Bambusrohre nach Rechts und Links schlagen. Nichtsdestoweniger »raren die stechenden Blicke ans den kleinen enggeschlitzten Augen auf uns gerichtet. Man erlaubte sich allerlei Anspielungen und Betrachtungen über den Schnitt unseres Gesichtes, über Bart, Nase, Augen und Klei» dung. Einige schienen von uns sehr erbaut zu sein, Andere erklärten unsere H. Chinesischer Charakter von Land nnd Leuten. ll. Kap. Physiognomie für komisch und lachten hell auf. Aber die gelbe Mütze und der rothe Gürtel brachten eine magische Wirkung hervor, und alle waren Plötzlich wie verblüfft. Einer meinte, wir hätten wohl einen außer» ordentlichen Auftrag vom Kaiser; Andere äußerten, wir möchten wohl europäische Spione sein. die man in Thibet aufgegriffen habe; nach der Untersuchung werde man uns wohl schon um einen Kopf kürzer macheu. Alle diese Bemerkungen waren an sich ergötzlich genug, sie fielen uns aber unbequem. In Ya tscheu, einer hübschen Stadt zweiter Classe, wo wir zunächst nach Tsing khi dien anhielten, verursachte unser Erscheinen eine große Aufregung. Unsere Herberge hatte einen sehr geräumigen Hof, der von den Zimmern umgeben war. in welchen die Reisenden Unterkommen finden. Als wir uns eben wohnlich eingerichtet hatten, kamen Schaaren von Neugierigen um uns zu betrachten, und bald war draußen ein betäubender Lärm. Wir bedurften der Nuhe und hatten keine Lust uns begaffen zu lassen. Wir traten auf die Thürschwelle, redeten etliche eindringliche Worte und begleiteten dieselben mit so nachdrücklichen Ge-behrden. daß der Erfolg augenblicklich war, denn die Leute rannten sporn» ftreichs fort. Wir ließen das große Eingangsthor schließen. und eine Zeitlang war Alles still. Dann aber begann der Tumult wieder; die süßen Chinesen wollten um jeden Preis Europäer sehen; sie klopften an den Thorweg und das Gedränge wurde so arg. daß die große Thür einbrach, und ein ganzer Menschenstrom sich übcr den Hofraum ergoß. Hier mußte Wandel geschafft werden, die Sache war ernsthaft. Wir griffen also nach dem ersten besten Bambusknüttel und schwangen ihn in der Lnft herum. Das war verstäudlich, die Chinesen rissen aus. Nun aber gingen wir in das Zimmer unseres Mandarinen, der sich versteckt hatte, weil er nicht recht zu wissen schien was für eine Rolle er bei dieser Gelegenheit zu spielen habe. Als wir ihn fanden, ließen wir ihm gar keine Zeit auch nur ein Wort zu sagen, stülpten ihm seine Ordonnanzmütze auf den Kopf, nahmen ihn am Arm und zogen ibn bis an den Thorweg, wo wir ihm den Bambusprügel in die Hand drückten und bemerkten, er möge nun für Ruhe und Ordnung sorgen. „Denn kommt noch Einer von den Leuten hier in den Hof, so bist Du ein verlorener Mann." Das Alles geschah so ernsthaft, daß der Muselmann gar nichts einwendete. Das Volk in der Straße lachte hellauf, und es muß sich auch wunderlich genug ausgenommen haben, als der militairische Mandarin mit dem Bambusknüttel an der Thür einer Herberge gleichsam Schildwacht stand. Er blieb bis wir schlafen gingen. 1. Kap.I Chinesischer Charakter von Land und Leuten. 9 Wer die Chinesen nicht genan kennt, wird vielleicht unser Benehmen anstößig finden. Wir mußten aber für unsere persönliche Sicherheit Sorge tragen, und jener Triumph, von so wunderlicher Art er auch erscheint, gab uns eine große moralische Gewalt; und einer solchen bedurften wir' wenn wir unbehelligt vorwärts kommen wollten. Es wäre kindisch, wenn man in China unter Chinesen raisonniren und handeln wollte wie in Europa. Uebrigens haben wir noch weit stärkere Dinge zu erzählen. Unser Auszug aus Ua tscheu war imposant. Der Vorgang am Abend vorher hatte uns in der öffentlichen Meinung so hoch gestellt, daß nichts Ungeeignetes vorfiel, obwohl die Straßen gedrängt voll Menschen waren. Aber sie zeigten eine wohlwollende säst achtungsvolle Haltung, und mach' ten in aller Rübe Platz für unsere Palankinträger. Wir unsrerseits be-mühten uns möglichst majestätisch zu erscheinen. Es war im Monat Juni, der schönsten Jahreszeit in der Provinz Sse tschuen. Das Land ist fruchtbar und in feiner Bodengestaltung ungemein mannigfaltig und vortrefflich bewässert. Die Ernte stand nahe bevor, die Obstbäume waren mit Früchten beladen, und große Anpflanzungen von Orangen» und Citronenbäumen verbreiteten einen köstlichen Dust. Ueberall gewahrten wir die fleißigen Chinesen, Dörfer mit Pagoden, Meiechöse zwischen Bambusgebüsch, und dem Wege entlang Gasthäuser und Speisewirth, schaften. Aus der Landstraße verkauften Händler an die Reisenden allerlei Früchte, Stückchen Zuckerrohr, Gebäck, Gemüse, Thee. Neiswein und viele andere chinesische Leckereien. Das Alles erinnerte uns an unsere früheren Wanderungen im himmlischen Neichc. Ein starker Bisamgeruch welcher China und den Chinesen eigenthümlich ist, duftete von allen Sei» ten her auf uns ein. Wer viel in fremden Ländern gereift ist, bemerkt leicht, daß alle Völker einen eigenthümlichen Geruch haben. Man unter» scheidet vermöge der Geruchsnerven sehr deutlich die Ausdünstung der Neger, der Malayen, der Chinesen. Mongolen, Thibetan«. Hindu und Araber. Auch das Land. der Boden welchen diese verschiedenen Völker bewohnen, verbreitet analoge Ausdünstungen, die Einem namentlich frühmorgens auffallen, wenn man die Gassen der Städte oder das Feld durchwandert. Man spürt sie namentlich in der ersten Zeit, wenn man noch nicht lange im Lande ist, ans die Dauer gewöhnt man sich daran und bemerkt sie späterhin gar nicht mehr. Die Chinesen ihrerseits finden, daß die Europäer eine eigenthümliche Ausdünstung haben, die aber. wie sie sagen, nicht so stark ist als wie bei anderen Völkern, mit denen sie in Berührung kommen. Als wir heimlich durch China wanderten, hat uns 10 Triumphbögen. II. Kap. keil» Mensch erkannt, wohl aber witterten uns die Hunde. bellten hinter uns her. und wußten wohl daß wir Ausländer waren. Unser Aeußeres war völlig chinesisch, aber der Genick sagte den Thieren, daß wir nicht zum großen Volte der Mitte gehörten. Unterwegs trafen wir eine Menge von Monumenten verschiedener Art, welche dem chinesischen Lande durchaus eigenthümlich sind. Dazu gehören die Triumphbögen zu Wren des Wittwenftandes und der Jungfräulichkeit. Manchmal kommt es vor daß ein Mädchen nicht hei« rathet, um desto ungestörter sich dem Dienste ihrer Aeltern zu widmen, oder daß eine Wittwe nicht zum zweiten Male in den Ehestand treten will, aus Hochachtung für ihren verstorbenen Mann. Solchen weiblichen Wesen errichtet man nach ihrem Tode ein Denkmal, dessen Kosten frei» willig von Freunden und Bekannte» bestlitten weiden; manchmal bethei« ligt fich ein ganzes Dorf oder Stadtviertel dabei. Man errichtet der» gleichen Triumphbögen aus Stein oder Holz. und wir haben an manchen derselben Schnitzarbeiten gesehen, die auch ausgezeichneten Künstlern des europaischen Mittelalters zur Ehre gereicht hätten. Viele dieser Sculpture« stellen Fabelthiere, Blumen und Vögel dar; auf dem Vordergiebel steht in großen Schriftlichen eine Inschrift zu Ehren der Jungfräulich« feit oder der Wittwenschaft; sie ist allemal horizontal geschrieben und tief ausgravirt; auf beiden Seiten des Bogens sind in kleinerer Schrift die Tugenden der Gefeierten verzeichnet. Dergleichen Denkmäler machen eine hübsche Wirkung; man findet sie häufig auf der Landstraße, manckmal auch in den Städten. In Ning po, dem berühmten Seehaftn in der Provinz Tsche kiang, besteht eine lange Gasse ausschließlich aus dergleichen Triumphbögen; sie sind aus Stein aufgeführt und von reicher, maje» statischer Architektur. Alle Europäer welche jene Stadt besuchten. baben die Schönheit der Sculpture« bewundert, und als die Engländer im Jahre 1842 Ning po besetzten, sollen sie mit dem Gedanken umgegangen fein. alle diese Triumphbögen nach London zu schaffen, um dorthin eine chinesische Straße zu verpflanzen! Wir waren nun wieder in das chinesische Wesen hineingekommen; China drang uns in alle Poren, und wir vergaßen nach und nach die Mongolei und Thibet. Wir kamen nach Khiung tscheu, einer Stadt zweiter Classe, in hübscher Gegend und mit wohlhabenden Einwobnern. Dort wohnten wir nicht wie seither in einer Herberge, sondern in einem kleinen Palaste, der reich und zierlich ausgeschmückt war. Die Bedienung war vortrefflich, und wir fanden Alles den strengsten Formen der Höflichkeit gemäß. 1. Kap.) Gemeindepaläste. — Ein betrügerischer Mandarin. 11 Einige Mandarinen begrüßten uns an der Thür und geleiteten uns in einen Saal, wo bereits ein ausgesuchtes Mahl aufgetragen war. Dergleichen Wirthshäuser nennt man K ungkua n oder Gemeindepaläfte. Es giebt dergleichen in den Etappenplätzen an allen großen Landstraßen in China; es darf aber kein gewöhnlicher Reisender in ihnen Herberge nehmen, weil sie für die Ausnahme der großen Mandarinen bestimmt find. wenn diese Dienstreisen machen. Ein solcher Palast hat einen Verwalter, der ihn im besten Zustand erhalten und dem Mandarin als Schaffner an die Hand gehen muß. Alle Kosten trägt der Gouverneur der Stadt, der zugleich die erforderliche Dienerschaft zu stellen hat. Die Kung kuan in der Provinz Sse tschuen sind im ganzen Reiche als vorzüglich bekannt. Wir waren anfangs überrascht uns in einer Herrschaftswohnung zu finden, wo man uns köstlich bewirthete, und wo die Diener prächtig in Seidenzeug gekleidet waren. Wir unterhielten uns lauge mit den städtischen Mandarinen, die so höflich waren uns zu besuche», und gewannen die Ueberzeugung, daß es die Pflicht unseres Mohamedaners war, uns in allen Stücken als Mandarinen ersten Ranges zu behandeln, demnach also nur in Gemeindepalästen unterzubringen. So hatte es der chinesische Gesandte in Llia Ssa. K< Schau, anbefohlen, theils um dem Antriebe seines hochherzigen Charakters eine Genüge zu leisten. dann aber ohne Zweifel auch aus patriotischem Stolze, um den Fremden, welche er aus Thibet verweise» mußte. einen hohen Begriff von der Macht und Größe seines Vaterlandes zu geben. Wir sollten sagen, daß uns in China überall ein glänzender Empfang geworden sei. Aber Ki Schau hatte seine Rechnung ohne unsem kleinen Muselmann gemacht, der ein schmuziger Speculant war. Er steckte mit der Estafette durch, die uns allemal emeu Tag voraus war um Quartier zu bestellen, und ließ den Mandarinen in den Städten sagen, wir seien eigensinnig, wollten in den Kung knan nicht übernachten. die Leute von unserm Volke seien nun einmal von wunderlicher Art. und so bleibe ihm nichts übrig als selber für uns zu sorgen. wie wir es eben wünschten. Das war natürlich den Mandarinen und den Schaffnern ganz recht, denn nun batten sie nichts zu thun. Der Muselmann meinte, es sei schon gut, wenn wir in einer armen Herberge schliefen uud mit etwas gekochtem Reis. gesalzenem Gemüse und einigen Schnitten Speck abgefüttert würden; auch mochte er :m In« teresse seines Geldbeutels glauben, im warmen Klima könne der Wein unserm abendländischen Magen schaden. und dünner Theeaufguß werde uns zuträglicher sein. Dieser betrügerische Mandarin verausgabte solcher- 12 Chinesische Christen. — Verkehr mit gebildeten Chinesen, 1.1. Kap. gestalt nicht den zehnten Theil der Summe, welche er für unsere Verpflegung erhalten hatte. Diese Entdeckung war für uns wichtig. Spät am Abend bemerkten wir. daß die Wächter des Kuug kuan sich auf eine geheimnißvolle Weise uns näherten, verstohlen einige bedeutungslose Worte sprachen, aber doch zu erkennen gaben, daß sie gern mit uns reden möchten. Endlich trat einer in unser Gemach, verschloß die Thür hinter sich. machte dann das Zeichen des Kreuzes und bat um un« fern Segen. Das war ein Christ! Bald kam ein zweiter, ein dritter, endlich war die ganze Familie, welcher die Bewachung des Kung luan oblag, um uns versammelt. Alle waren Christen, hatten aber bei Tage nicht gewagt, sich als solche zu erkennen zu geben. Wir waren mächtig und tief ergriffen, und jetzt, nach sechs Jahren, treten bei der Erinnerung an jenen Abend dem Schreiber dieser Zeilen die Thränen in die Augen und sein Herz pocht hörbar. Diese Menschen waren uns völlig unbekannt, und doch waren sie und wir Bruder und Freunde, uns umschlang ein gemeinschaftliches Band des Glaubens. Bevor wir am andern Tage aufbrachen, empfingen wir manche Besuche aus den vornehmen Kreisen vonKbiung tscheu. Früher, als wirverborgen in unseren Missionen lebten, waren wir meist nur mit Leuten der niedrigsten Classe in Berührung gekommen, auf den Dörfern mit Bauern, in den Städten wohl auch mit Handwerkern, denn in China wie überall treibt das Christenthum seine eisten Wurzeln im gemeinen Volke. Uns war es nun lieb mit der Aristokratie dieses merkwürdigen Volkes in nähern Verkehr zu treten. Die wohlerzogenen Chinesen sind wirklich liebenswürdige Menschen und der Umgang mit ihnen hat maoches An» genehme. Ihre Höflichkeit ermüdet nicht etwa. sie ist auch nicht langweilig , denn sie hat bei allem Ausgesuchten doch auch etwas Natürliches, und ist nicht affectirt, wie bci Leuten die zierlich sein wollen, ohne sich je das vornehme Wesen recht angeeignet zu haben. Die Unterhaltuug der Chinesen ist oft sehr geistreich; die übertriebenen Compliments und Lobreden, mit denen einer den andern überhäuft, ermüden allerdings, so lange man daran noch nicht gewöhnt ist. das Ganze hat aber einen so freundlichen Anstrich, daß man sich bald daran gewöhnt. Unter den Leuten die uns besuchten, fielen uns einige junge Männer sehr vorthcilhast auf. Ihre ganze Haltung war zwanglos und bescheiden, sie hatten zugleich etwas Schüchternes und doch Zuversichtliches, ei» Gemisch das diesen Iünglingeil sehr wohl anstand. Sie sprachen nur, wenn sie gefragt wurden. Alle diese Chinesen wußten den Fächer sehr anmuthig zu Hand» l. Kap.) Das Oviumrauchen. ^g haben. Wir thaten unser Mögliches, um zu zeigen, daß die französische Höflichkeit nicht hinter dem ceremoniöstn Wesen der Chinesen zurückbleibt. Unterwegs bemerkten wir, daß unsere Bedeckung zahlreicher war als seit« her. Neben unseren Palankinen trabten Lanzenreiter, welche der Gou» verneur von Khinng tscheu uns zum Schutze gegen Straßenräuber mit. gegeben hatte. Diese Opiumschmuggler machten das Land unsicher. Wir vernahmen. daß sie seit einigen Jahren in großen Banden aus der Provinz Yün nan und bis ins Land der Birmanen ziehen, um von dort Opium zu holen. Nach den Plätzen, wo sie es kaufen, wird es von den Engländern zu Lande geschafft. Die Schleichhändler gehe» mit der Centre» bände ganz offen über die Grenze, sind aber bewaffnet, und liefern den Mandarinen Gefechte. Der chinesische Soldat zieht gegen den Dieb und Schleichhändler in der Erwartung ihm Beute abzunehmen. Der leidige Hang der Chinesen zum Opiumrauchen ist bekannt; wir wis« sen auch, daß diese aus Mohn bereitete Waare im Jahre 1840 Veranlaffung zu einem Kriege zwischen England lind China gab. Doch ist das Opium nicht etwa schon seit langer Zeit in China eingebürgert. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts kamen zwei Beamtete der englisch - ostindischen Compagnie auf den unheilvollen Gedanken Opium aus Bengalen nach dem Reiche der Mitte zu bringen, es war der Oberst Watson und der Viceresident Wheeler; ihnen verdankt China diese Art Menschen zu Grunde zu richten. Kein anderer Handelszweig hat so rasch eine so große Ausdehnung gewonnen, denn gegenwartig kauft China von den Engländern jahrlich für etwa 75 Millionen rheinische Gulden Opium. Alles Opium wird auf dem Wege des Schleichhandels ins Land gebracht, insbesondere in der Nähe der fünf Häfen, welche dem Verkebr mit dem Auslande geöffnet sind. Große wohlbewaffnete Schiffe dienen den eng' lifchen Kaufleuten als Waarenmagazine, und dieser unerlaubte Handel wird nicht nur von der englischen Regierung sondern auch von den Man« darinen geschützt und befördert. Das Gesetz welches Opiumrauchen bei Todesstrafe verbietet ist nicht widerrufen worden, aber Niemand kümmert sich um das Verbot, man raucht das Gift ungestraft; in allen Städten werden Opiumpfeifen, Lampen und Alles was sonst dahin gehört, unge« hindert zum Verkauf ausgeboten. Gerade die Mandarine» geben dem Volk ein schlechtes Beispiel. und wir haben ans unserer langen Reise in China kein einziges Tribunal gesehen, wo nicht ganz offen Opium geraucht worden wäre. In Canton. Macao und den übrigen Hafenplätzen, wo Europäer zugelassen werden, haben wir Manner gesprochen. welche den. 14 Ein prächtiges Vonzenkloster. sl. Kap. Opiumhandel rechtfertigen zu können vermeinten. Das Opium babe nicht so böse Wirkungen. wie man wohl annebme. und nur Uebermaß und Misbrauch seien schädlich, gerade wie bei geistigen Getränken, ein maßiger nnd verständiger Gebrauch werde dagegen für das lymphatische Wesen des Chinesen sebr ersprießlich. So sprechen freilich nur Opiumlaufleute, die durch Sophisterei ihr Gewissen beschwichtigen zu können glauben. Es ist eine Thatsache, daß nm sehr wenige Opiumliebhaber sich innerhalb verständiger Schranken halten können, alle übrigen sind ohne Rettung dem Untergang verfallen. Seit einigen Jahren baut man in dcn südlichen Provinzen viel Mohn nnd verfertigt daraus ein Opium, das zwar noch nicht völlig die Qualität des bengalischen erreicht, aber doch schon sehr gut und preiswürdig ist. Das Opium welches die Engländer aus Bengalen bringen, wird aber gewöhnliä, verfälscht und kommt selten ganz rein auf die Pfeife des Rauchers; es ist dann auf keinen Fall so rein als das chinesische, welches man zudem billiger hat. Aber es wird nur von Leuten aus dem gemeinen Volke consumirt, weil die reichen Chinesen ts für unverträglich mit ihrer Würde balten das einbeimische Product zu rauchen. Es läßt sich aber voraussehen, daß «in solcher Zustand nicht an» dauern werde: ganz gewiß kommt die Zeit. da die Chinesen alles Ovium für ihren Bedarf selber liefern, und zwar weit billiger als die Engländer. Dann ist ein Rückschlag auf Indien unvermeidlich, und man wird ihn in London schon spüren. Von Khiung tscheu zogen wir durch eine herrliche Ebene. Wir mußten die Chinesen bewundern. als wir sahen was ihr Fleiß aus diesem Lande gemacht hat. Die Straßen wurden breiter, die Zahl der Dörfer mehrte sich. wir fanden die Häuser hübsch gebaut und zierlich geschmückt. Die kurzen Jacke» wichen den langen Paraderöcken. und Alles gewann mehr und mehr einen Anstrich von hoher Civilisation. Denn wenn wir auch noch viele Bauern mit Sandalen und Strohhüten sahen, so überwog doch schsn die Menge der Städter, die nachlässigen Ganges mit ihrem Fächer spielten und ihrem bleichen Gesichte Kühlung zufächelten ; sie trugen auch kleine Sonnenschirme von gefirnißtem Papier. Wir be« fanden uns in der Nähe von Tsching tu fu, Hauptstadt der Provinz Sse tschuen. Bevor wir die Stadt erreichten, machten wir Halt bei einem Kloster. Unser Mandarin ersuchte uns dort einzutreten, weil er selber, laut den Bestimmungen des Ceremoniels, vorausreiten müsse, um den Vicekönig unsere Ankunft zu melden und dessen Befehl einzuholen. Der Vorsteher der Bonzen empfing uns mit großen Ehrfurchtsbezeigungen 1. Kap.1 Ein muthigcr Christ. ^ und geleitete uns in einen großen Saal. Dort setzte man uns Thee vor, getrocknete Früchte. Gebäck von allen Farben, das mit Sesamöl bereitet war: dieses letztere nennen die Chinesen Hi an g yu, das beißt wohl» riechendes Oel. Mehrere Mönche kamen um uns Gesellschaft zu leisten, und uns durch Gespräche die Zeit zu vertreiben. Diese Bonzen waren nicht so unbefangen, offen und so von religiöser Ueberzeugung durchdrungen wie die Lamas in Thibet und in der Mongolei. Allerdings ließen ihre Manieren au Höflichkeit nicht das geringste vermissen. und an ihren langen aschgrauen Röcken war nichts zu tadeln, aber aus ihrem skeptischen listigen Geficht sprach weder Glauben noch Andacht. Dieses Bonzenkloster ist so reicli und wird in so gutem Stand erhalten wie wenig andere in China. Der Superior lud uns ein dasselbe zu besichtigen. Wir fanden Alles solid gebaut und reich verziert, und der herrliche Part mit seinen verschiedenen Theilen, welcher das Kloster umgiebt, erregte in der That unsere Bewunderung; man kann sich kaum etwas Anmuthigeres und Frischeres denken. In einem großen Weiher spielten Schildkröten um blühende Wasserpflanzen, in einem andern Teiche schwammen rothe und schwarze Fische, die ein junger Bonze mit Reis» kügelchen fütterte. Nach unserm Tpaziergang kehrten wir in den Saal zurück, wo sich inzwischen mehrere Leute eingefunden hatten, um uns zu begrüßen. Uns fiel sogleich ein junger Mensch auf, weil er eine ganz un-gemeinc Zungenfertigkeit entwickelte. Wir bemerkten bald, daß er Christ war, und fragten.' „Du bekennst Dich wohl zu der Religion des Himmels' Herrn?" — Statt aller Antwort warf er sich stolz auf die Knie, machte das Zeichen des Kreuzes und bat um unsern Segen. Eine solche Hand» lung in Gegenwart der Bonzen und vieler anderer Leute, zeugte von lebendigem Glauben und großem Muth. Er sprach ohne allen Rückhalt von der großen Menge Christen in der Provinzialhauptstadt, bezeichnete, die Stadtviertel in welchen die größere Anzahl derselben wohne, und wie sehr sie sich freuen würden, uns zu fehen. Dann griff er das Heidenthum und die Heiden ganz gewaltig an. hielt eine Lobrede auf das Christen« thum. dessen Lehren und Gebräuche, apostrophirte die Bonzen, verhöhnte Götzenbilder und Aberglauben, und fiel über die Bücher des Confucius, Lao tse und Buddha her. Dieser Redestrom wollte gar nicht verfiechen. Die Bonzen schienen verlegen, die Neugierigen lachten, wir aber waren stolz zu sehen, daß ein chinesischer Christ seine Ueberzeugung öffentlich bekannte und vertheidigte. DaS war eine Rarität. In dem langen Mono» loge dieses Chinesen ward mehrmals einer französischen Gesandtschaft er« 16 . Ankunft in Tsching tu fu. 12. Kap. wähnt die in Canton angekommen sei, man sprach von einer angesehenen Person die La ko nie (Lagrenee) genannt wurde. Dieser Mann habe mit dem kaiserlichen Commiffarius Ky yn wegen der Christen ein Uebereinkommen getroffen. Demnach dürfe man sie nicht mehr verfolgen, denn der Kaiser heiße ihre Lehre gut, nehme sie unter seinen Schutz und dergleichen mehr. Uns war das Alles nicht recht klar, weil wir seit Jahren fern von allem europäischen Verkehr gelebt hatten, und wir wollten eben den Christen um nähere Auskunft ersuchen, als vier Mandarinen, die aus der Stadt gekommen waren, uns einluden in unsere Palankins zu steigen. Die Träger schafften uns in eincm Athem bis an die Stadtmauer, wo wir Soldaten fanden. Sie waren unsere Bedeckung und zwar eine sehr nothwendige, denn ohne diese Kriegsleute wären wir gar nicht durch das Menschcngedränge gekommen. Unser Herz klopfte stärker als gewöhnlich, denn wir waren nun an dem Otte, wo wir auf Befehl des Kaisers vor Gericht gestellt werden sollten. Von Ta tfien lu, der Grenzstadt gegen Thibet, bis Tsching tu fu'). der Hauptstadt von Sse tschuen. hatten wir zwölf Tagereisen gehabt, und etwa tausend 3i oder hundert gute Wegstunden zurück gelegt. Zweites Kapitel. Unterhaltung mit dem Vorgesetzten des Blumengartens. — Herberge im Tribunal eiues Friedensrichters. — Unterredung mit zwei hohen Beamten. — Uns werden Ehren-Mandarine beigegeben. — Ueber uns wird feierliches Gericht gehalten. — Bericht an den Kaiser. — Kaiser» liche Erlaffe zu Gunstcu der Christen. — Audienz beim Vicekönig. Tfching tu fu, Hauptstadt der Provinz Sse tschuen, ist in drei Präfecturen oder Aemter getheilt; unter diesen steht die Polizei und die Verwaltung der ganzen Stadt. Jeder Präfect, Vorsteher. Vorgesetzte, hat einen Gerichtspalast, in welchem er die zuständigen Geschäfte erledigt. Dort hat er auch seine Familienwohnung, und ein Gleiches gilt von seinen Räthen, Schreibern, Trabanten und seiner zahlreichen Dienerschaft. Das Präfecturgericht, wohin man uns führte, hieß H oa yuen oder Blume n- ') In China bezeichnet Fu eine Stadt erster Classe, Tschöu zweiter > und Hien dritter Claffe. Alle derartige Städte sind mit Mauern yder Wasser umgeben. 2. Kap.) Unterhaltung mit dem Vorgesetzten des Blumengartens. 17 garten. Der Vorgesetzte desselben war ein Mandarin von etwa vierzig Jahren, klein und sehr dick; sein rundes Gesicht sah aus wie eine Fleisch, kngel unter welcher die Nase und die schräg geschlitzten Augen beinahe verschwanden. Wir lasen gerade mandschurische Sinnsprüche, die an der Wand standen, als er eintrat. Er fragte sehr leutselig, ob wir die Sprache verständen? Wir übersetzten ihm einen zweizeiligen Sinnspruch ins Chi« nesische! Derselbe lautete: „Wenn Du Dich in der Einsamkeit befindest, so denke über Deine eigenen Fehler nach. Verkehrst Du mit Menschen, so hüte Dich von den Fehlern Deines Nächsten zu sprechen." Der Man« darin war ein Mandschu, und eben so überrascht als hocherfreut darüber, daß wir die Sprache der Eroberer China's verstanden. Er bat uns auf einem Divan von rothem Seidenzeug Platz zu nehmen. Wir redeten über Literatur und Erdkunde, Wind und Wetter, barbarische und civili-sirte Länder, aber kein Wort über unsere Angelegenheit; nur bemerkte der Mandarin er werde uns eine geeignete Wohnung anweisen lassen, und sprach sich heftig gegen den Muselmann aus, der uns in gewöhnlichen Herbergen untergebracht hatte. Als wir schieden, fanden wir vor der Thür weit bequemere Tragsessel, und unser Geleit war ein anderes. Unsere neue Wohuung lag in einem ziemlich weit entfernten Stadttheile, im Gerichtsgebäude zweiter Classe. Der Vorsteher läßt sich etwa mit unserm Friedensrichter vergleichen. Jeder von uns erhielt ein hübsch möblirtes -Gemach und ein Empfangzimmer; doch stand im Uebrigen auch das ganze Tribunalgcbäude mit Höfen, Gärten und einer schönen Aussicht zu unserer Verfügung. Am andern Morgen erhielten wir vom Präfecten des Blumengartens ein langes breites Papier von rother Farbe; es war eine Ein« ladung zum Mittagessen. Znr anberaumten Stunde ließen wir uns hin< tragen. Die Tribunalgebäude haben in architektonischer Beziehung nichts Vemerkenswertbes; Alles ist Erdgeschoß, nur das verzierte Dach mit den Fähnchen läßt erkennen, daß man kein Privathaus vor sich hat. Das Tribunalgebäude ist allemal mit einer Mauer umschlossen, die beinahe so hoch ist, wie das Haus selber. Im Innern sieht man geräumige Höfe. große Säle und manchmal recht hübsche Gärten. Großartig erscheint nur die Reihenfolge von vier oder fünf Portalen, durch welche die Höfe von einander geschieden werden. Sie sind mit sehr großen historischen oder mythologischen Figuren allerdings plump aber in sehr lebhaften Farben bemalt. Diese Portale haben Flügelthüren und sind in der Weise gestellt, daß eins hinter dem andern in gleicher Linie liegt. so daß man 18 Unterredung mit zwei hohen Beamten. 12. Kap. durch alle hindurch sehen kann. Aus diese Art bilden sie einen grandiosen Corridor, den hinten in der Quere der große Saal schließt, in welchem der Richter seine Urtheile fällt oder verkauft. Dort sieht man auf einer Erhöhung einen großen, mit einem rothen Teppiche belegten Tisch; und an den Wänden hängen neben Waffen auch Folterwerkzeuge. Der Man« darin sitzt hinter dem Tische, die Räthe, Schreiber :c. stehen neben ihm. Die Flur ist für das Publicum. für die Angeklagten uud für'die Tra-.banten. Hinter dem Verhörsaale befinden sich die Familienzimmer des Mandarinen. Das Gerichtsgebäude enthält manckmal auch die Gefängnisse, die dann gewöhnlich im ersten Hoftaume sich befinden. Wir sahen eiue Menge von Verbrechern, abgezehrt, in Lumpen gehüllt, mit dem Halsblock über der Schulter, oder mit Ketten belastet. Der Prä sect des Blumengartens führte uns in den Speisesaal, wo wir noch einen Gast fanden, den Präfecten des dritten Stadtviertels. Er war ein echter Chinese, von mittlerm Wuchs und wohlbeleibt, mit feinerem Gesicht als sein Amtsgenosse, aber nicht so intelligent; dabei boshaften verschmitzten Blickes. Das Mahl begann mit dem was in Europa Nachtisch ist, mit Obst, Zuckerwerk und eingemachten Sachen; unsere kleinen Gläser wurden stets wieder mit warmem Wein gefüllt. Unser Wirth gab sich den Anschein als solle die Unterhaltung eine durchaus harmlose bleiben, wir suhlten jedoch bald heraus, daß die beiden Beamten allerlei aus uns herauszuholen wünschten. Wir machten ihnen aber allemal einen Strich durch die Rechnung, am liebsten gerade dann, wenn sie uns fest zu haben glaubten. Wir brachten das Gespräch etwa auf die Neisernte, die chinesische Dynastie, und sprachen manchmal Französisch. So kamen wir glücklich bis zu den Gemüseschüsseln, mit welcken das Mahl beendigt wurde. Dann tranken»wir Thee und rauchten Tabak. Der Maudschu ging einen Augenblick aus dem Zimmer und holte ein europäisches Buch und ein Päckchen. Er fragte, ob wir wüßten was das sei. Es war ein altes Brevier. Wir sagten: „Das ist ein christliches Buch. es enthält Gebete; wie kommt das Hieher?" — „Ich habe viele Freunde unter den Christen; mir hat es einer geschenkt." — Wir sahen den Mandarinen lächelnd an. denn die Höflichkeit verbot, ihn Lügen zu strafen. Der Mandschu fuhr fort, indem er ein Crucifix aus einer seidenen Umhüllung nahm: das hat er mir auch gegeben. — Wir waren tief bewegt. Als wir das Brevier durchblätterten. lasen wir auf der ersten Seite den Namen des Mousignore Dufraisse, Bischofs von Tabraca und apostolischen Vicars der Provinz Sse tschuen. Er war 1815 in Tsching 2. Kap.) Unterredung mit zwei hohen Veamteu. 4Q tu fll hingerichtet, und vielleicht in demselben Tribunalgebäude gefoltert worden, in welchem wir uns jetzt befanden. Wir äußerten : „Diese Sachen haben einem Würdenträger der christlichen Kirche gebort, einem Franzosen, dem ihr vor dreißig Jahren in dieser Stadt das Leben genommen habt. Dieser Mann war ein Heiliger und ihr habt ihn getödtet wie einen Verbrecher !" — Die Mandarinen waren erstaunt uns von einer schon so alten Begebenheit reden zu hören, und meinten, wir wollten uur scherzen; sie er« klärten die Sache für eine Fabel. Wir entgegneten: „Nein, hier kann von Scherz keine Nede sein. jene Ungerechtigkeit ist hier verübt worden, und gerade so wie wir sagen; alle Völker im Abendlande wissen sehr wohl. daß ihr eine Menge christlicher Missionaire gemartert und getödtet habt. Ist denn nicht erst noch vor einigen Jahren (1840) wieder ein Franzose, einer unserer Ordensbrüder (der ehrwürdige Perboyre), zu U tschang fu. der Hauptstadt der Provinz Hu vc, hingerichtet worden?" — Die beiden Mandarinen schrieen gegen uns ein, stampften mit den Füßen, und behaupteten mit unüberbotener Unverschämtheit, daß Alles was wir sagten, gar nicht wahr sei! Am Ende baten wir, man möge uns das Brevier und das Crucifix schenken; darauf ließen sich die Mandarinen aber nicht ein; der Mandschu behauptete steif und fest, er habe beide Sachen von einem Christen bekommen. Dann sprach er viel von der großen Anzahl unserer Glaubensgenossen in ganz Sse tschuen. Die Mandarinen wissen sehr wohl, wie große Fortschritte das Christenthum in China gemacht hat, sie kennen die Ortschaften wo neuer» dings Bekehrungen stattgefunden haben; und eben so genau sind sie davon unterrichtet, daß sich in den verschiedeneu Provinzen viele europäische Misswnaiie aufhalten. Es erscheint auch sehl begreiflich, daß die Christen trotz aller Vorsicht die Wachsamkeit der Beamten und der Polizei nicht völlig täuschen können. Wir unsererseits wußten recht gut, daß die Be« Horden von Allem unterrichtet waren, daß sie Ort und Stunde der Christenversammluugen kennen. und allemal Kunde haben, wenn Euro» paer zugegen sind. Es überraschte uns aber doch, zu erfahren, daß sie mit allen Einzelheiten ganz vertraut sind. In Lha Ssa hatte uns der chinesische Gesandte Ki Schan ausdrücklich gesagt, wir würden in Sse tschuen sehr viele Christen treffen; er bezeichnete uns sogar die Plätze wo sie am zahlreichsten sind. Er war Vicekönig in dieser Provinz gewesen, und wußte von Allem genau Bescheid, sogar die nächste Umgebung seines Palastes war. wie er uns erzählte, vorzugsweise von Christen bewohnt; er hatte in seinen Gemächern ihren Gesang hören können. „Ich weiß, 2' 20 Uns wcvdcn Ehrenmandanuc l'eigc^cbci!. 12. Kap. daß der Vorsteher aller Christen in der Provinz ein Franzose ist; er heißt Ma (Perocheau, Bischof von Maxula): ich kenne das Haus in welcbem er wohnte; er schickt in jedem Jahr einen Conner nack Canton, der Geld und Waaren für ilm holt. Es ist mir auch nicht verborgen geblieben, daß er von Zeit zu Zeit alle Bezirke besucht, in denen Christen wobnen. Ich habe ihn aber nicht belästigt, weil ich die Ueberzeugung gewann, daß er ein tugendhafter, barmherziger Mann ist." Uns scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß die Regierung mit leichter Mübe alle Christen und Missionaire in China aufbeben könnte. Aber die Mandarinen habcn gute Gründe es dahin nicht kommen zu lassen. Einmal würden sie da» durch mit einer Menge von Geschäften überhäuft, die ihnen keinen Profit brächten, zweitens wären sie selber dabei der Gefahr auSgescht, in die Verbannung geschickt zu werden, und nebenher ihr Amt zu verlieren. Denn es würde nicht ausbleiben, daß der Kaiser und die Oberbehörden in Peking sie der Pstichtverfäumniß beschuldigten, und die Frage auswürfen, weshalb man es habe so weit kommen lassen. So bildet oas persönliche Interesse der Beamten eine Art von Schutzwehr für die Christen. Der Präfect des Blumengartens hatte Geschäfte; wir nahmen also Abschied. Er hatte uns mit einem vortrefflichen Mahle bewirthet und wir waren ihm dafür sehr dankbar, aber doch nicht in dem Maaße, daß wir ihm die gewünschte Auskunft gegeben hätten. Als wir heimkehrten, meldete uns der Friedensrichter, daß unser Hausstand nach Befehl des Vicekönigs eingerichtet worden sei. Wir hatten nun zwei recht geschickte, wohlerzogene junge Leute zu Kammerdienern, und außerdem zwei Mandarinen niedern Ranges, vom kupfernen aber vergoldeten Knopfe, als Gesellschafter. Der Eine stieß mit der Zunge an; er war ein Opiumraucher und eben dadurch schon in seinen jungen Jahren sehr hinfallig; der Andere war schon bejahrt, zahnlos, sah sehr schlecht, und hustete oder seufzte unaufhörlich. Jener bekümmerte sich fast nur um seine Pfeife, dieser pflückte mit seinen langen Nägeln Melonenkerne aus der Schaale; sie waren sein Leibessen, und er trank dazu ungeheuer viel Thee. Die Gesellschaft dieser beiden Leute hatte nur geringe Anziehungskraft für uns; glücklicherweife erhielten wir mehrfach Besuche von hervorragenden Leuten, die uns entschädigten. Sse tschuen ist eine der gebildetsten Provinzen im himmlischen Reiche. Wir waren fckon vier Tage in Tsching tu fu. Dann wurde uns früh am Morgen kundgetban, daß wir nun vor Gericht gestellt werden 2. Kilp.1 Unser Auftüthalt im Wartezimmer. 21 sollten. Eine Untersuchung in China, auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers, — das war gewiß keine Kleinigkeit. Manche unserer Vorgänger hatte man gefoltert und hingerichtet. Der Tag war also entscheidend für uns; alle Ungewißheit mußte ein Ende nehmen. Uebrigens war unsere Lage doch eine andere als jene der meisten Missionaire, welche seither bei den Mandarinen ins Verhör kamen. Wir waren nicht etwa auf chinesischem Gebiet betroffen worden, kein Eingeborener der Provinz hatte je mit uns in irgendwelcher Verbindung gestanden, und wir waren überzeugt, daß kein Mensch durch uns in irgend'eine Verlegenheit gerieth. Es handelte sich demnach lediglich um uns Beide, und die ganze Sache war einfach. To traten wir denn. unter Gottes Beistand, unbefangen und heitern Ge» müthes vor das Gericht. Die obere Verwaltung jeder Provinz wird von zwei Sse oder Commifsaren verwaltet, welche ihre Tribunale in der Hauptstadt babcn; diese sind die höchsten nach jenem des Vicefönigs. Wir wurden in das Amtsgebäude des ersten Provinzialcommissars gebracht; er fübrtden Titel Pu--tsching-sse. Vei ihm hatte sich sein Kollege, eine Art General-procurator, nämlich der Ngan tscka sse oder Ausforscher der Verbrechen, nebst den angesehensten Mandarinen der Stadt eingefunden. Das Gericht sollte so feierlich als möglich sein. Das Gebäude war von einer zahlreichen Menschenmenge umlagert, welche die Teufel aus den westlichen Meeren, Uan kni dse. begaffen wollte. Einigen aus der Masse glaubten wir es ansehen zu können, daß sie Mitleid für uus hegten. Soldaten mit Bambusstäben machten Platz, und das große Portal öffnete sich vor uns. Wir traten ein. und wurden in einen Wartesaal geführt, wo wir unsere beiden Gesellschafter fanden. Mit aller Muße konnten wir uus das Treiben im Gerichtssaal anschcn. Die Mandarinen trngen ihre Galaklcider, aber ihr Gefolge, das hinterher zog, glich einer Diebs« und Mörderbande. Die Trabanten liefen bin und her; sie trugen rothe Nöcke, und auf dem Kopfe eine spitzige Kappe von schwarzem Filz oder Eisendraht ; diese war mit langen Fasancnfcdern verziert. Diese Trabanten hatten lmige schartige Säbel, trugen Ketten, Zangen, Klammern uud andere Folterwerkzeuge, denn abscheuliche und seltsame Formen wir näber zu beschreiben außer Stande sind. Die Herren Mandarinen hatten sich in kleinen Gruppen neben einander gestellt, schwatzten und lachten; die niederen Beamten, Schreiber. Trabanten und Folterknechte gingen ab und zu. und machten sick wichtig. Alle hofften auf eine recht pikante Sitzung, und dazu hatte auch Alles den besten Anschein. Aber in dieser 22 Der Konchtssaal. 12. Kap. ganzen Agitation, und in diesen Vorbereitungen die gar kein Ende nehmen wollten, lag etwas Gemachtes und UebertriebeneS. Offenbar wollte man uns einschüchtern. Endlicl, wurde es still; dann erhob sich plötzlich ein widerwärtiges Geschrei aus vielen Kehlen im Verhörsaale; es wurde dreimal zum Besten gegeben. Unsere Gesellschafter bemerkten, daß nun die Nichter ihren feierlichen Einzug balten und die Sitze einnehmen wiw den. Darauf traten zwei mit dem Krystallknopfe decorirte Beamte in unser kleines Wartezimmer, und gaben uns ein Zeichen zn folgen; fie schritten zwischen uns Beiden, unsere Gesellschafter gingen hinter nns, und so wurden wir abgeführt. Als man die große Thür vor uns öffnete konnten wir dieses ganze chinesische Schauspiel überblicken. Eine Tteintreppe von zwölf Stufen führte zu der Abtheilung, wo die Richter saßen. Zu beiden Seiten der Treppe waren die rothröckigcn Henker aufgestellt. Als wir gemcffen durch ihre Reihen gingen, riefen sie alle mit kreischender Stimme: Zittert! Zittert! und machten dazn mit ihren Folterwerkzeugen einen abscheulichen Lärm. Wir mußten uns mitten im Saale aufstellen; acht Beamte, die so etwas wie Gerichtschreiber sein mochten, sangen die übliche Formel: Angeklagte, nieder anf die Kniee! Die Angeklagten aber blieben stehen und regten sich nickt. Die Aufforderung wurde wiederholt; aber die Angeklagten knieeten nicht. Die beiden Beamten mit dem Krystallknopfe glaubten uns behilflich sein zu müssen. und faßten uns beim Arme; aber ein ernster Blick und ein paar gewichtige Worte reichten hin sie in ihre gebührlichen Schranken zu verweisen; sie traten in achtnngs» voller Entfernung zurück. Nun wendeten wir uns zu den Richtern: „Ie> des Land hat seine Sitten und Gebräuche. Als wir in Lba Ssa vor dem Gesandten Ki Schan zn erscheinen hatten, sind wir stehen geblieben, und Ki Schan fand es ganz vernünftig, daß wir unserm Landesgebrauche folgten." Wir dachten, der Vorsitzende werde eine Antwort geben, er rührte sich aber nicht; die übrigen Nichter sahen einander an und sprachen durch Gebehrden. Der Gerichtssaal war zu dieser Gelegenheit ganz besonders hergerichtet und ausgeschmückt; die ganze Verhandlung sollte auf uns einen recht majestätischen Eindruck machen. Die Wände waren roth behängt, und die in großen schwarzen Schriftzeichen auf dieselben gemalten Sinn-sprüche waren leserlich genug, von der Decke hingen große grellfarbene Laternen herab; hinter den Richtern standen Beamte in festlichen Klei- 2. Kap.) Vorverhör. 23 dern. »lnd hielten die Insignien der Gerechtigkeit. Eine Schaar Soldaten in Uniform stand unter den Waffen. Zu beiden Seiten bemerkten wir ein sehr ausgewähltes Publicum; wahrscheinlich hatte Gunst über den Einlaß entschieden. Der Pu tsching sse oder erste Commissarius nahm den Prasidentenstuhl ein. Er war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, hatte dicke, violette Lippen, Hängebacken, schmuzigweiße Gesichtsfarbe, viereckige Nase, platte, lange, glänzende Ohren, eine sehr faltige Stirn, kleine etwas geröthete Augen, die hinter einer mächtig großen Brille steckten; diese ihrerseits war vermittelst eines schwarzen Bandes hinter den Obren befestigt. Dieser Mann war prächtig gekleidet; auf seiner Brust erglänzte ein großes Wappenschild, mit dem kaiserlichen Drachen von Gold» und Silberstickerei; auf der Mütze prangte das Zeichen eines Mandarins erster Classe, der rothe Korallenknopf; um seinen Hals hing em parfümirter Rosenkranz mit Medaillons. Die übrigen Richter hatten nahezu dieselbe Tracht. Der Präsident gedachte uns durch seine Würde zu imponiren. Als wir das Niederknieen verweigerten hatte er auch nicht die leiseste Bewegung gemacht, und noch jetzt saß er da wie ein Bild. So konnten wir ihn ganz gemächlich betrachten und uns leise auf französisch unsere Wahrnehmungen mittheilen. Endlich brach der Präsident sein majestätisches Schweigen. und fragte mit näselnder Stimme aus welchem Lande wir gebürtig seien. — „Wir sind Männer aus Frankreich." — „Weshalb habt ihr euer edles Vaterland verlassen, und zu welchem Zwecke seid ihr in das Ncich der Mitte gekommen?" — „Wir wollten den Menschen in euerm berühmten Reiche die Lehre des Himmelsherrn verkünden." — „Ich habe sagen hören, daß das eine sehr hohe, schwer begreifliche Lehre sein soll." — „Das ist Ne allerdings; aber die Leute eurer berühmten Nation find klug. und sie können diese Lehre verstehen, wenn sie anhaltenden Eifer zeigen." — „Ihr redet die Sprache von Peking; wo habt ihr sie gelernt?" — Im Norden de« Reiches; dort ist die Aussprache am besten." — „Das ist richtig, aber wo im Norden, wer ist euer Lehrer gewesen?" — „Wir haben von vielen Leuten etwas gelernt, bald bier, bald da. durch Sprechen, Hören und durch selber Sprechen." — Nack diesem Vorverhör rief der Präsident einen Gerichtsdiener und ließ ein Kästchen bringen. das in Leder verpackt und mit mehreren großen rothen Siegeln versehen war. Er öffnete es feierlich in unserm Beisein und zeigte uns den Inhalt vor. Jetzt erinnerten wir uns. daß der Gesandte Ki Schan in Lha Ssa, als er unsere Koffer untersuchte, einige Gegenstände als Belegstücke zurück- 24 Ueber uns wird feierliches Gericht gehalten. >2. Kap. behalten hatte*). Es waren einige Briefe uud einige geschriebene Hefte, welche Uebersetzungen mongolischer und chinesischer Werke enthielten. Der Präsident fragte, ob nichts fehle, überreichte uns ein in Lha Ssa angefertigtes Verzeichniß das von Ki Schan und von uns selber unterschrieben war. Als wir Alles in Ordnung fanden, forderte man uns auf. darüber ein Zeugniß in chinesischer und französischer Sprache auszustellen. Das ge« schah, uud wir konnten nicht nmhin die Regelmäßigkeit und Genauigkeit des ganzen Verfahrens zu bewundern. Der Präsident stellte seine Fragen mit viel Gutmnthigkcit. und in seinem ganzen BeHaben lag etwas Leut» seliges. Dagegen bemerkten wir. daß sein Beisitzer zur Rechten, der Ngan tscha ffe oder Instructionsrichter, ein magerer Alter mit einem wahren Mardergesicht, unruhig wurde, zwischen den Zähnen murmelte, und offenbar unzufrieden war über die Wendung welche die Verhandlungen nahmen. Der Präsident betrachtete sich das Kästchen genau, uud nahm dann wieder seine unbewegliche und schweigsame Haltung an. Nun hatte der bösartige „Ausforscher der Verbrechen" das Wort. Sehr eindringlich und mit großer Znngenfertigkeit sprach er von der Majestät des himmlischen Reiches und der Unverletzbarkeit seines Gebietes; er schalt uns, daß wir so keck gewesen in dasselbe einzudringen, und daß wir uns als Landstreicher in den Provinzen und im Lande der tributpflichtigen Völker nmhcrgetrieben. Dann häufte er Fragen anf Fragen. aus denen allen deutlich hervorging, wie gern er genau und bis in alle Einzelheiten erfahren hatte, was uns anging. Er wollte wissen, wer uns nach China hineingebracht habe, bei wem wir Unterkommen gefunden hätten, mit wem wir in Verkehr gestanden; er fragte. ob in China viele europäische Mis« sionaire sich aufhielten und wo ihr respective! Aufenthaltsort sei; wovon> wir unsern Lebensunterhalt erwürben, und allerlei zur Sache und nicht zur Sache Gebörendes mehr. Ton und Verfahren dieses Mandarinen, entsprachen weder der chinesischen Höflichkeit noch den Vorschriften. und wir thaten wohl. wenn wir dem Mandarin eine Lection gaben. Wir hatten ihn ruhig angehört. Als er fertig war, entgegnetcn wir: „Wir Männer in Westen behandeln Geschäfte mit Methode und ruhigem Blute. Deine Sprache war verwirrt uud voll heftiger Leidenschaft; wir konnten deshalb nicht gehörig den Sinn von Dem fassen, was Du gesagt haft. Fang doch noch einmal vw, vorne an, und setze uns klar und ruhig Alles *) Diese Vorgänge sind ausführlich erzählt »s wird feierliches Gericht gehalten. 25 auseinander, was Du uns zu sagen haft." Da« sprachen wir langsam und mit ernster Würde. Der Erfolg war sichtbar; die Anwesenden fiü. sterteu einander etwas zu, lächelten, und die übrigen Richter sahen den Ausforscher der Verbrechen an, der seine Haltung verloren hatte. Er wollte wieder sprechen, es kam aber Alles so verwirrt heraus, daß er selber kaum noch wußte was er vorbrachte. Wir wendeten uns nun an den Präsidenten: „Wir bemerken in Dem, was der Ausforscher der Verbrechen sagt, lediglich Unordnung und Verwirrung; willst nicht lieber Du das Verhör weiter führen? Das wird wohl besser sein. Den» wir Männer aus dem Westen lieben eine klare würdevolle Sprache." Diese Worte titzelten die Eigenliebe des würdigen Präsidenten; er gab uns unsere schmeichelhaften Aeußerungen mit Wucher zurück; endlich fragte er, wer nns in das Reich eingeführt habe und bei wem wir Unterkommen , gefunden hätten. Unsere Entgegnung lautete: „Es betrübt unser Herz, daß wir in diesem Punkte Dir nicht willfährig sein können. Es giebt Fragen, die man platterdings nicht beantworten kann. Von uns selber wollen wir Dir sagen was D» willst; aber über die Lente mit welchen wir in Verbindung standen, erfährst Du kein Wort. Darüber steht unser Entschluß unerschütterlich fest, und keine menschliche Macht soll uns davon abbringen." — „Ihr sollt und müßt antworten, denn wie käme sonst die Wahrheit ans Tageslicht!" rief der Ausforscher der Verbrechen, und stampfte mit dem Fuße. — „Der Präsident hat seine Fragen an uns mit Adel und Würde gestellt, und wir haben ihm mit Freimut!) und Offenheit unsere Antwort gegeben. Dir aber, Ausforscher der Verbrechen, haben wir schon einmal gesagt, daß wir nicht verstehen was Du sagst." Der Beisitzer zur Linken machte dem Auftritte ein Ende, indem er uns ein großes Blatt Papier einhändigte, auf welchem lateinische Buchstaben ziemlich plump gezeichnet waren. Wahrscheinlich rührte dasselbe aus irgend einer christlichen Schule der, in welcher junge Chinesen, welche für deu geistlichen Stand gebildet werden, den ersten Unterricht erhalten. — ..Kennt ihr das?" fragte der Beisitzer zur Linken. — „Ja wohl; es sind die Grundzeichen, ans welchen alle Wörter unserer Sprache erwachsen." — „Könnt ihr sie lesen und uns die Laute mittheilen?" — Einer von uns sagte nun möglichst feierlich das ABC her. Alle Richter beeilten sich aus ihren Stiefeln, die in China bekanntlich benutzt werden wie bei uns die Taschen, ein Exemplar des Alphabets hervorzuziehen; in demselben war jeder europäische Buchstabe, so gut es eben ging, mit chinesischen Charakteren bezeichnet. Das Ganze war demnach vorbereitet 26 Entlassung ails dem ersten Verhör. ^2. Kap. worden. Der Beisitzer zur Linleu hielt Augen und Zeigefinger der rechten Hand auf den, A, bat den vortragenden Missionair, noch einmal langsam Alles zu wiederholen, und nach jedem Buchstaben ein wenig inne zuhalten. Dieser trat einige Schritte vor, überreichte dem philologischen Nichter sehr verbindlich sein Exemplar des ABC, und sagte: „Ich habe gedacht wir sollten bier abgeurtheilt werden; jetzt aber sehe ich daß wir Schulmeister find uud daß ihr unsere Schüler seid." Alle Anwesenden brachen in ein helles Gelächter aus. selbst die Richter konnten ihren (trust nicht behaupten; auch der Allsforscher der Verbrechen, so ärgerlich uud grämlich er war, mußte lachen. So nahm das Schreckensgerickt allmälig eine milde und ganz ergötzliche Wendung, uud die Angeklagten durften wenigstens boffen, daß 'man nicht obne Weiteres Bambusnadeln ibneu zwischen Fleisch und Nägeln einkeilen, oder das Fleisch mit rotbglühcnden Zangen vom Leibe reißen werde. Auch die Folterknechte schauten nicht mehr so grimmig darein, und die Marterinstrumente schienen nur noch zur Parade da zu sein. Der Präsident fragte, weshalb denn die Franzosen in China Christen mackcn wollten, und welcherlei Vortheil sie daraus zieben könnten? Die Entgegnung lautete: — „Irdischen Nutzen wollen sie nicht ziehen. Frank» reich bedarf weder Gold noch Sllber, noch Product« auderer Länder,, denen es im Gegentheil aus Großmuth beträchtliche Opfer bringt, denn es schickt Geld für die Gründung von Freischulen, um eure verlassenen Kinder zu nähren uud zu erziehe», manchmal auch um bei schlimmen Zeiten eure Hungrige» zu speisen. Vor allen Dingen aber schickt es euch die Wahrheit. Ihr sagt alle Menschen seien Brüder, und das ist auch wahr; deshalb müssen sie aber auch allc denselben Gott anbeten, der Aller Vater ist. Die Völker Europa's kennen diesen wahren Gott. und kommen, euch den» selben zu verkündigen. Der Vortheil der Misstonaire besteht in dem Glücke, daß sie die Wahrheit kennen und lieben lehren." — Der Präsi. dent und die übrigen Nichter, mit alleiniger Ausnahme des AusforsckerS der Verbreche», fragte» angelegentlich »ach Mauchem über die christliche Religion. u»d wir gaben ihnen willige Auskunft. Zuletzt bemerkte der Präsident mit Wohlwolleu, wir würden ohne Zweifel der Ruhe bedürfen, für heute sei es genug. Nun hob daS Gericht die Sitzuug auf. und wir mach» eine tiefe Verneigung. Die Soldaten uud Trabanten erhoben ein entsetz, liches Geheul, ganz nach Vorschrift. 2. Kap.) Vericht an deu Kaiser. 27 Dieses erste Verhör war sehr günstig abgelaufen, und während wir durch die Säle und Höfe gingen, wurden wir von vielen Seiten her beglückwünscht. Die Stadtmandarinen welche im Gerichtssaal erschienen waren, um die Würde und den Glanz der Verhandlungen auch ihrerseits zu erhöhen, grüßten uns freundlich, und bemerkten daß die Sache eine vortreffliche Wendung nel'me. In den Gassen trafen wir viele Christen, alle heiter und froh. Wir erkannten sie am Zeichen des Kreuzes, das sie schlüge» sobald wir in ihre Nähe kamen. Unsere beiden Gesellschafter, welche im Gerichtssaale hinter uns hatten stehen müssen, waren auch froh daß die Sache für heute zu Ende ging. Am Abend machten uns viele angesehene Männer ihren Besuch, und alle sprachen sich dahin aus, daß wir auf eine gute Behandlung rechnen dürften; doch könne es wohl sein, daß die Sache sich in die Länge ziehe, und daß wir nach Peking geschickt würden, wo dann entweder der Kaiser in eigner Person oder das Hiu po. das Obercriminalgericht, in letzter Instanz über uns aburtheilen würde. Wir wußten ganz bestimmt, daß der Kaiser eine auf uns bezügliche Depesche an den Vicekönig geschickt hatte, konnten aber keine Einsicht von diesem Documente nehmen; es erregte schon Anstoß daß wir so keck waren überhaupt einen Blick auf die Schristzüge des Himmelssohnes weifen zu wollen. Ein Jahr nachher verschafften wir uns in Macao den Bericht, welchen der Vicekönig vonSse tschuen über uns an den Hof geschickt hatte; derselbe enthielt einen Theil der kaiserlichen Depesche. Der Eingang des Berichtes lantet: „Bericht, erstattet an den Kaiser, am vierten Tage des vierten Mondes im sechsundzwanzigsten Jahre Tao-kuang (1846). In Gemäßheit der durch ein allerhöchstes Decret übertragenen Befugniß, meldet Ki Echan Eurer Majestät, daß er Fremde aus Fu lan si (Frankreich) verhastet, und zugleich Bücher, und Schrif» ten mit ausländischen Charakteren mit Beschlag belegt habe. Er fügt hinzu, es ergebe sich aus der Aussage der Fremden, daß sie über Canton und andere Ortschaften nach der Hauptstadt (Peking) gekommen sind; von dort gingen sie nach Schin king (d. h. Mokden. der Hauptstadt der Mandschurei) und reisten durch die Mongolei nach Si thsang (Thibet), in der Absicht dort ihre Religion zu verkündigen. Nachdem er diese Fremden verhört, hat er einen Beamten beauftragt, sie nach der Provinz Sse tschmn zu bringen tc. Da besagte Ausländer die chinesische Sprache verstehen, auch Mongolisch und Mandschurisch lesen und sprechen, so haben Ew. Ma> jeftät Zweifel gehegt, ob sie wirklich aus Fu lan si gebürtig seien; und M. Bemühungen de§ Bevollmächtigten Lagrcnee. s2. Kap. haben mir unter kaiserlichem Siegel eine Votschaft gesendet, welche nach. stehenden Befehl enthält: Nachdem sie in Tse tschuen angelangt sind. ermittelt Alles was auf ibre Reise Bezug bat. ferner die Namen der Plätze welche sie berührt haben, und sucht die Wahrheit zu entdecken. Laßt die in fremder Sprache geschriebenen Briefe. Bücher und alle anderen Gegenstände prüfen, die sick in ihrem Koffer befinden, und sendet mir eine Copie des ersten Berichts und ibrer Aussage; gebt mir überbaupt alle erforderliche Auskunft. Ich schicke euch diese kaiserliche Willensmeinnng zur Nachachtung." — Daraus geht dervor, daß man in Peking nicht wußte ob man uns für Franzosen zu halten batte. und der Vicekönig sollte diesen Zweifel lösen. Wir waren übrigens seit.Jahren dermaßen in der Welt umhergewürfelt worden, daß es uns einerlei war. ob. man uns nach Peking brachte oder nicht. Wir wünschten sogar nach der Hauptstadt befördert zu werden. Als wir nämlich aus dem Palast des ersten Provincial-commissars heimkehrten, hatte uns Jemand sehr geschickt ein kleines Packet in den Palcmkm geworfen. Wir verbargen es rasch. C'rst am Abend fan« den wir Muße den Inhalt zn prüfen. Es war ein langer Brief, den ein mit der geistlichen Verwaltung der Christen zu Tsching tu fn beauftragter Priester. Chinese von Geburt, an uns geschrieben hatte. Er gab uns ge< naue Auskuuft über die Gcsandtschaftsreisc des Herrn vonLagrmce. Nnn wußten wir, wie wir mit dem La ko nie daran waren. von welchem der junge Christ in dem Bonzenkloster so viel gesprochen hatte. Der Brief enthielt die Edicte, welche öagrcnce zu Gunsten der Christen erwirkt batte; es wurde aber hinzugefügt daß die Lage derselben trotzdem nicht cbeu besser ge« worden sei und in einigen Gegenden die Verfolgung ihren Fortgang nehme. Der Hauptzweck weshalb der französische Minister Guizot eiuen Be« vollmächtigten nach China sendete, war der Abschluß eines Handelsvertrages. Außerdem bemühte sich Lagrence das Schicksal der Christen und der Misfionaire in China zu verbessern. Er hatte dazu keinen amtlichen Auftrag, und die Sache war schwierig genug. In dieser Hinsicht verhan» delte der französische Gesandte nur mit dem kaiserlichen Commissarius als einer Privatperson, nicht mit den, Pekinger Hose. Er konnte nicht in Ludwig Philipps Namen verlangen daß der Kaiser Tao kuang seinen Unterthanen freie Ausübung der christlichen Religion gestatten solle. Doch wollte er die günstigen Umstände benutzen, um so viel als möglich zu erreichen. Die Chinesen hatten noch das englische Kartätschcnfeuer in frischem Angedenken; es stand zu erwarten daß sie viel versprechen würdeu, freilich mit dem Vorbehalte möglichst wenig zu erfüllen. Lagren ee unterhan« ?. Kap.) Kl, yu's Pflicht au den Kaiser. Ig delte mit dem Commissar Ky yn. und dieser stellte dann an den Kaiser ein Gesuch, in welchem es heißt: „Nach genauer Prüfling habe ich erkannt, daß die Völker im Abendlande die Religion des Himmelsherrn bekennen und heilig halten. Ihr Hauptzweck ist, zum Guten zu ermähnen und vom Bösen abzuhalten. Schon vor Zeiten unter der Dynastie der Ming, ist sie ins Reich der Mitte gedrungen*), und damals von keinem Verbote betroffen worden. Später ist es oft vorgekommen, daß unter ihren Anhängern in China Manche waren, die sie benutzten um Böses zu thun. Da haben die Behörden solche Schuldigen bestraft, und die Urtheile werden in den Acten aufbewahrt. Unter der Negierung Kia Kings wurde ins Strafgesetzbuch ein besonderer Artikel aufgenommen, nach welchem dergleichen Verbrechen bestraft werden sollen; aber im Grnnde will dieser Artikel nur die chrift« lichen Chinesen Verbindern Böses zu thun. nicht aber die Religion verbieten, zu welcher sich die Völker des Abendlandes bekennen, und die ihnen heilig ist. Gegenwärtig verlangt nun der französische Gesandte La ko nie, daß diejenigen Christen welche das Gute ausübeu. keinen Strafen unterliegen, und diese erscheint mir geeignet und gerecht. Demgemäß wage ich das Gesuch, Ew. Majestät möchten in Zukuuft geruhen, sowohl Chinesen als Ausländer, welche sich zum Christenthum betennen. und zugleich weder Unordnungen noch Verbrechen sich zu Schulden kommen lassen, der Be-strasung zu entheben. Den Franzosen und anderen christlichen Ausländern hat man nur im Gebiete der fünf dem Handel geöffneten Häfen erlaubt, Kirchen undCapellen zu bauen. Sie dürfen sich nicht die Freiheit nehmen, ins Innere des Reiches zu dringen. um dort ihre Religion zu verkündigen. Wenn Jemand dieses Verbot misachtet, die festgesetzten Grenzen überschreitet, und leichtsinnige Ausflüge wagt, so sollen die Ortsbehörden ihn festnehmen, und ibu an den Consul seiner Nation abliefern, damit dieser ihm seine Pflichten einschärfe und ihn bestrafe. Man darf ihn aber nicht übereilt züchtigen oder todten. Dadurch werden Ew. Majestät Ihr Wohlwollen und ihre Zuneigung für tugendhafte Menschen darlegen; die *) Im scchzehuten Jahrhundert. Das Christenthum kam aber schon viel früher nach China, im fünften uud sechsten Jahrhundert; dann aber auch im dreizehnte!!. -Damals hatten die Christen in Peking einen Erz. bischof, unter dcm vier >VNsflaganc standen. Nebrigens hat die christliche ^chrc unter dcn Völkern mongolischer Race immer nur fthr spora« disch und vorübergehend uie einige Bckeiincr zu gewinncu vermocht; es hat nie tiefe Wurzel schlagen könucn, außer eine Zeit laug etwa in Japan. A. It)' Kaiserliche Eilasse zu Gunsten der Christen. s2. Kap. Spreu wird nicht mit dem Korn vermengt, und Ihr Wohlwollen lind Ihre Gerechtigkeitsliebe werden hell erglänzen. Indem ich von Ew. Majestät erflehe, alle Christen, welche sich rechtschaffen und tugendhast betra< gen, einer Strafe nicht anheim fallen zu lassen, wage ich demüthig dieses Gesuch zu unterbreiten, damit Ihre erhabene Güte dasselbe genehmige lind die Vollziehnng desselben befehle." Die Genebmigung des Kaisers erfolgte am neunzehnten Tage des elften Mondes im vierundzwanzigsten Jahre Tao kuang (1844), und etwas später erging ein Erlaß an alle Vicetonige und an die Statthalter der Provinzen, in welchem die christliche Religion gelobt wurde; er verbietet allen Gerichten, die christlichen BeHorden ihrer Religion wegen zu verfolgen. Darüber erhob sich unter Christen und Missionairen großes Frohlocken; sie glaubten es sei nun die erselmte Zeit der Religionsfreiheit herangekommen, und das Christenthum werde fortan reißend schnelle Fort« schritte machen. Die Nesnltate entsprachen aber diesen Erwartungen nicht. Das kaiserliche Edict wurde in den sünf Häfen bekannt gemacht und ange» schlagen; Herr von Lagrenee verlangte daß überall im Lande ein Gleiches geschehe. Das wurde auch versprochen, ist aber nicht ausgeführt worden. Indessen wurden doch Abschriften des oben mitgetheilten Gesuches in großer Menge unter allen christlichen Gemeinden im Innern verbreitet. Nichtsdestoweniger wurden viele Christen von den Behörden zur Verantwortung gezogen, und wenn sie sich auf das kaiserliche Edict beriefen, wohl auch ausgepeitscht*). Lagrenc'e hatte ein Uebereinkommen mit einem chinefi. schen Diplomaten getroffen; die chinesische Regierung war nicht etwa eine bindende Verpflichtung gegen die französische Regierung eingegangen. *) Es bleibt bemerkcnöwerth. daß alle Ncligiousparteien für sich, ihre Lehre und ihren Eultus überall eine Freiheit in Anspruch nehmen, die sie selber Anderen nicht gewähren. So verlangen z. B. alle christlichen Bekenntnisse in nichtchristlichcn Ländern das Necht Prosely-ten zu machen, wahrend sie selber einander dieses Necht nicht einräumen. Man denke an neuere Vorgänge in Italien, Böhmen, Preußen, Portugal :c. Man hat nur dann ein Recht, Oleichberechtigung zu verlangen, wenn mau sie selber eben so ehrlich und rückhaltlos gewährt, und kann mit Fug nurdann salbuugsvolleReden fuhren,wenn man selbcraufallenäußcrnZwang verzichtet, nnd lediglich die Mewalr in Anwendung bringt, die in der Wahrheitliegt. Wo aber wäre denn das der Fall? Herr Huc beklagt sich auf mehreren Seiten über daö Verfahren der chinesischen Negierung, die früher manche Missionaire hinrichten ließ. Auch wir beklagen diese Europäer. Aber sie kannten die chinesischen Gesetze, sie wußten daß ihnen der Eintritt ins Neich der Mitte bei Todesstrafe ausdrücklich verboten war. Sie mußten also auf Todesstrafe gefaßt sein, wenn sie sich ins Land schlichen 2. Kap.) Audienz beim Vicekönig. gi Zwei Tage nach der obengeschilderten Gerichtssitzung, theilte uns der Präfect des Blumengartens mit. daß ein zweites Verhör nicht stattfinden werde, da man sich hinlänglich unterrichtet erachte. Wohl aber werde uns der Vicekönig rufen lassen, um uns mitzutheilen, was unsert' wegen beschlossen worden sei. Wir mußten dann viel hin und her streiten über das Ceremonie!. denn wir waren fest entschlossen, nicht niederzu-lnieen. An und für sich lag uns wenig daran, weil es sich dabei doch nur um eine durchaus äußerliche Höflichkeitsbezeigung handelte; wirdurf» ten uns aber nickt darauf einlassen, weil wir dann vor Jedem hätten kuieen müssen, der vermöge seines Ranges berechtigt war, eine solche Höflichkeit in Anspruch zu nehmen. Am Ende setzten wir durch, daß wir als Europäer die europäischen Formen beobachten durften. Gegen Mittag erschienen Träger mit zwei Tragpalankinen, und wir wurden, von einem glänzenden Gefolge begleitet, in den Palast des sebr erlauchten P a o hing, Vicekönigs der Provinz Sse tschuen gebracht. Sein Tribunal war ein Gebäude wie die übrigen, und bot nichts Bemerkenswerthes dar. Zum Vicekönige waren alle Mandarinen ohne Ausnahme befoblen worden. Sie nahmen je nach Rang und Würde iu einem großen Wartesaale Platz. Wir waren von den beiden ersten Vorstehern der Stadt ein» geführt worden, und hatten neben denselben auf dem großen Diwan Platz genommen. In einem anstoßenden Zimmer spielten Musiker sanfte chine« siscke Weisen. Bald wurde verkündet, daß der Vicekönig in seinem Oe» mach erschienen sei. Dann öffnete sich eine Thür. alle Mandarinen standen auf. traten in Reihe und Glied, und gingen schweigend in ein Vor< zimmer, wo sie sich gleich Schildwachen aufstellten. Die beiden Männer, welche uns einzufühlen hatten, geleiteten uns durch die Reihen der Man» darinen an ein Cabinet, dessen Thür offen stand. An der Schwelle kniee« ten sie nieder und hießen uns eintreten. Zugleich winkte uus der Vice« könig mit anmnthiger Handbewegung, naher zu kommen. Er saß mit und das kaiserliche Gesetz misachtetcn. Wie lange ist es denn her. daß Christen aiiderögläubisse Christe» aus dem Schcittl'lMfeil velbraNllttN s Und was würde mau sagen, wenn der Beherrscher des Reichs der Blume der Mitte bei uns volle Freiheit für eine buddhistische Propaganda verlangte? Nie rücksichtslos die christlichen Neovhyteu gegen die anerkannten Reli» Hionen iu China auftreten, erzählt Huc selbst weiter oben, wo er den jungen Christen im Bonzentloster von Tsching tu fu schildert. Die Herren Huc und Gäbet sind überall in Ostasien mit so viel Zartheit, so rücksichtsvoll und zuvorkommend aufgenommen worden, wie Uebertr ter des Gesetzes tanm erwarten dursten. Was wäre buddhistischen Propagandisten in Europa geschehen? U. 32 Audienz beim Vlcckönig. ^2. Kap. übereinaudergeschlagenen Beinen auf einem Diwan. Wir machten eine tiefe Verneigung und traten naher. Außer ihm war kein anderer Mandarin im Gemache, aber Alle die im Saale standen konnten Alles hören was gesprochen wurde. In dem Gemache des hohen Staatsbeamten herrschte die größte Einfachheit. Das Zimmer war nnr klein, mit blauem Papier tapezirt.' hatte einen kleinen Diwan mit zwei rothen Kissen, einen runden Tisch nnd einige Blnmenvascn. Der sehr erlauchte Pao hing war ein Greis von etwa siebenzig Jahren, groß und mager, mit mildem, wohlwollendem Ge-fichtsausdruck; seine kleinen Augen hatten noch Glanz, und deuteten auf feinen, durchdringenden Verstand; er hatte langen dünnen Bart, und sah ganz hübsch und majestätisch aus. Sein einfacher blauer Nock stach scharf ab gegen die Prachtgewänder der Mandarinen im großen Saal. Pao hing war ein Mandschu und Vetter des Kaisers, mit welchem er vertraute Freundschaft pflog. Zuförderst fragte er uns, ob wir in der Wohnung, welche er uns angewiesen hatte, Alles unserm Wunsche gemäß fänden, und bemerkte daß er den mohamcdanischcn Mandarinen abgesetzt habe, weil er uns in Privatheibergen und nicht in die Gemeindepalaste geführt. Dann schlug er die Arme übereinander uud fragte: „Weshalb hat man euch eigentlich in Thibet nicht bleiben lassen, weshalb seid ihr ausgewiesen worden?" — „Erlauchtester Mann. das wissen wir selber nicht, möchten es aber gern erfahren. Nenn uns in Frankreich unser Laudesherr fragt, weshalb man uns aus Thibet fortgeschickt babe, was sollen wir ihm zur Antwort geben?" Pao hing erlaubte sich hier einige scharfe Ausfälle gegen Ki Schan, als welcher der Regierung allerlei zu schaffen mache; er nannte ihn einen To schc, was man etwa übersetzen kann: Ein Mann der Verlegenheiten bereitet. Dann ersuchte er uns, näher heranzutreten; betrachtete uns sehr genau, und kaute dabei Arekanuß. wie das überhaupt die Mandschu gern thun. Dann nahm er einige Prisen Tabak aus einem Fläschchen und war so höflich auch uns eine Prise anzubieten. Wir mußten ihm ganz wohl gefallen, denn er fragte, ob wir etwa eine Arznei oder ein Recept besäßen, um uns unser frisches, gesundes Aussehe» zu bewahren. Wir entgegneteu, die ganze Leibesbeschaffenheit der Europäer sei anders geartet als jene der Chinesen, aber ein verständiger regelmäßiger Lebens, Wandel sei das beste Recept für gute Gesundheit. „Da hört ihr's!" rief er den Mandarinen im Saale zu, „da hört ihr's! Ein verständiger und regelmäßiger Lebenswandel ist in allen Ländern das beste Recept für gute Gesundheit!" Alle rothen, blauen, weißen und gelben Knopfkugeln ver- 2. Kap.) Unterhaltung mit dem Vorgesetzten des Blumengartens. 33 neigten sich tief. um anzudeuten daß sie völlig einverstanden seien. Pao hing nahm wieder eine Prise Tabak, und fragte, wohin wir zu gehen gedächten. Das überraschte uns; wir gaben aber entschlosscn'zur Antwort: „Nach Lba Ssa, nach Thibet." — „Aber von dorther kommt ihr ja. Was für Geschäfte hättet ihr denn in Lha Ssa?" — „Du weißt es wohl; wir haben kein anderes Geschäft, als unsere Religion zu verkün> den." — „Allerdings weiß ich es. Ihr dürft aber nicht mehr an Lha Ssa denken; predigt lieber in euerm Vaterlande. Thibet taugt nichts. Ich für meine Person hatte euch nicht von dort ausgewiesen, hätte euch da gelassen, weil ihr es wünsckt. Nun ihr aber einmal hier seid, werde ich euch nach Canton bringen lassen." — „Da wir jetzt nicht unsere eigenen Herren sind, so magst Dn uns hinführen lassen, wohin es Dir beliebt." — Der Vicekönig bemerkte, jetzt befänden wir uns in seiner Provinz, und er stehe mit seinem Kopfe für uus ein; es sei seine Pflicht uns dem Vertreter unserer Nation zu übergeben. „Ihr könnt lwch eine Weile in Tsching tu fu bleiben, euch ausruhen und Vorbereitungen zur Reise treffen. Ich sehe euch vor der Abreise noch einmal; inzwischen werde ich alles Nöthige anordnen, damit ihr es unterwegs möglichst bequem habt." Wir dankten ihm für sein Wohlwollen, und verneigten uns tief. Als wir uns verabschieden wollten. sprach er von unserer gelben Mütze und dem rothen Gürtel: „Eure Tracht ist nicht jene des Volkes der Mitte; ihr solltet damit nicht reisen," — „Du hast die Macht nickt nur zu bestimmen wohin wir gehen sollen, sondern auch zu verfügen wie wir nns nicht kleiden dürfen." Er lachte, winkte mit der Hand, und sagte, wir möchten die Kleidung nur tragen, weil es uns doch einmal so gefiele. Dann spielten die Musikanten wieder aus. der Vicekönig ging in seine Wohnung und die Mandarinen begleiteten uns bis an die Palastpforte; sie wünschten uns Glück zu der wohlwollenden Aufnahme, die wir beim Vicekönige gesuuden hatten. Wir haben schon weiter oben einer kaiserlichen Depesche erwähnt, die uns betraf. Auch der Bericht. welchen Pao hing über uns nach Pe< ling abgehen ließ, kam uns später zu Gesicht. Kr sagt darin, wir seien Leute, die kein anderes Geschäft treibe», als daß sie ihre Religion verkündigen ; wenn es ihnen au Geld fehle, so bezögen sie dergleichen aus Macao. Es gebe dergleichen Männer in allen Provinzen. Wir batten in Thibet die christliche Lehre predigen und über Nepal zurückkehren wollen. Dann spricht Pao hing über unsere Koffer und deren Inhalt; Hue, China. I .^4 Tschin^ tu fu, Hauptstadt von Sse tschuen. sZ. Kap. und seht auseinander, wie eine sorgfältige Prüfung ihn überzeugt babe, daß wir keine Eingeborenen des Ncickes der Mitte seien; vielmehr unterliege es feinem Zweifel, daß wir einem fernentlegenen Lande angehören. Wenn man wissen wolle, was der Inbalt der in fremder Sprache geschriebenen Bücher und Briefe sei, so könne man sie nach Canton schicken und dort von einem Manne prüfen lassen, der sich auf fremde Sprachen verstehe. — Der ganze Bericht ist freimüthig und wabrhaftig abgefaßt, und liefert den Beweis, daß der Vicekönig der Provinz Sse tschuen ein durchaus loyaler Mann war. Drittes Kapitel. Tsching ti, fu. Hauptstadt von Sse tschucu. — Die chinesische Regie» rung. — Der Kaiser. — Seltsame Organisation des chinesischen Adels. — Die ssentralverwaltnna, in Peking. — Die Amtliche Pekinger Zeitung. — Zeitungen in der Provinz. — Verwaltung der Provinzen. — Habsucht der Mandarinen und läufliche Nichter. — Dic Familie eines Friedensrichters. — Dcr Schulmeistor und der Volksunterricht. — Chinesische Höflichkeit. — Elcmcntarl'iicher und die vier classischen Bücher. — Die funs heiligen 'Lücher. — Vorbereitungen zur Weiterreise. — Abschiedsbesuch beim Vicckönig. Tsching tu fu ist eine dcr schönsten Städte im chinesischen Reiche. Sie liegt inmitten einer ungemein fruchtbaren Ebene, die vortrefflich bewässert und von anmuthigen Hügeln begranzt ist. Die Hauptstraßen sind ziemlich breit, ganz mit großen Quadciwnrftln gepflastert, und so reinlich, daß man sich die Frage aufwirft, ob man denn wirklich in China sei. Ueber und vor den Waarenladen hängen große prächtige Schilder; in den Magazinen ist Alles mit Ordnung und Geschmack ausgelegt: die öffentlichen Gebäude sind gut im Stande. die Zahl der Pagoden und Lehranstalten ist sehr beträchtlich. Kurz Tsching tn fu ist in China eine Ansnahmestadt. Unser Hauswirth, der Friedensrichter, erzählte uns, sie sei noch neu, und nach einem fürchterlichen Brande aufgebaut worden, der die ganze Alte Stadt in einen Schutthaufen verwandelt habe. Er gab uns bei dieser Gelegenheit eine echt chinesische Historie zum Besten. Einige Monate vor jener Feuersbrnnst ließ sich ein Bonze in den Straßen blicken, den Niemand kannte. Er schwang eine Glocke, blieb oft stehen und rief: I ko yen, leang ko yen tsing. das heißt: Em Maun . 3. Kap.) Ein geheimnißvoller Bonze. <>- und zwei Augen. Anfangs kümmerte man sich nur wenig um diesen wunderlichen Bonzen, der mit einer Glocke bimmelte und weiter nichts zu sagen wußte, als: Ein Mann und zwei Augen. Er wiederholte aber tagtäglich von früh bis spät diese paar Worte. Endlich fragte man ihn, was er denn eigentlich damit sagen wolle; er aber entgegnete lediglich: Ein Mann und zwei Augen. Auch die Behörden konnten weiter nichts aus ihm herausbringen. Alle Nachforschungen über seine Herkunft wollten zu nichts führen, kein Mensch hatte ihn je zuvor gesehen; er aß nicht und trank auch nicht; er ging den ganzen Tag durch die Gassen mit gemessenem Schritt und gesenktem Blick, rührte seine Glocke, und rief den Leuteil zu: Ein Mann und zwei Angeu. Das ging wohl zwei Monate so fort. und Niemand hörte mehr auf diesen Bonzen, den man für närrisch hielt. Eines Tages blieb er aus. Da brach um die Mittagszeit an allen vier Ecken der Stadt zugleich Feuer aus, und es griff so furchtbar rasch um sich. daß die Bewohner kaum noch Zeit gewannen, sich auf das freie Feld hinaus zu retten. Schon am Abend war die ganze Stadt nichts weiter als ein ungeheurer Schutt- und Aschenhaufen. Da erinnerte sich Jedermann der Worte des Bonzen, denn er hatte das Unglück prophezeit. Das Wortspiel läßt sich nur dann völlig begreifen, wenn man die beiden chinesischen Schriftzeichcn vor Augen hat, welche den Schlüssel zu diesem Räthsel bilden. Das Zeichen /^ bedeutet Mann; fügt man zwei Punkte oder Augen hinzu, so erhalt man das Schriftzeichen ^ und dieses bedeutet Feuer. Als er rief: Ein Malm und zwei Augen, wollte er eine große Feuersbrunst prophezeien. Die Einwohner von Tsching tu fu passen für ihre Stadt. Die höhere Classe ist sehr zahlreich, und zeichnet sich durch feines Benehmen und elegante Kleidung aus; die mittlere Classe bemüht sich es ihr an Höflich' keit und feinem Betragen gleich zn thun, und scheint sehr wohlhabend zu sein. Es giebt auch in dieser Stadt, wie überall in den größeren Centren der Volksmenge, viele Armen, aber in Tsching tu fu sind sie doch bei weitem nicht so schlimm daran als anderwärts. Die wohlwollende Aufnahme beim Vicekönig verschaffte uns manche Freunde, und wir kamen mit den angesehensten Männern in so genauen Verkehr, daß wir eine sehr erwünschte Gelegenheit fanden, die aristokratische!, Elemente der chinesischen Gesellschaft genau zu studiren. Das war uns um so lieber, weil wir früher, gleich anderen Missionairen, nur mit den unteren Volksclassen in näherer Berührung gestanden hatten. 9" ^6 Die chinesische Ncgieniug. — Der Kaiser. l3. Kap. , Bekanntlich laufen die Urtheile über China und die Chinesen weit auseinander. Wir wollen versuchen die Dinge so darzustellen, wie sie uns erschienen sind, und das Regierungssystem von China einfach zu schildern. Es versteht sich von selbst, daß auch hier die Praxis sehr oft der Tbeorie nicht entspricht, und die schönen Vorschriften und Gesetze, die in den Büchern steben, im Leben nicht die gehörige Anwendung finden. Das Hauptprincip welches der ganzen Gesellschaft in China zur Grundlage dient, ist die Idee der Familie. Die kindliche Ehrerbietung wird unaufbörlich in den Schriften der Moralprediger und Philosophen eingeschärft, in den Proklamationen des Kaisers empfohlen und in den Neden dcr Mandarinen hervorgehoben. Sie gilt für die Ur> und Grund-tugend, in welcher alle anderen wurzeln. Dieses Gefühl sucht man auf alle mögliche Weise lebendig zu erhalten und biszur Leidenschaft zu stet» gern; es dnrchdriugt alle Lebensverhältniffe, nimmt die mannigfaltigsten Gestalten und Ausdrucksweisen au. und ist der Angelpunkt der öffent« lichen Moral. Jede Missethat, jedes Vergehcn gegen Gesetz, Eigenthum oder Person wird als ein Verbrechen gegen die Familie, als eine Ver« letzung der natürlichen Würde betrachtet. Dagegen gelten alle guten Handlungen, Hingebnng, Barmherzigkeit und Theilnahme für Unglück« liche, Rechtschassenheit in Handel und Wandel, Muth im Kampfe als Handlungen eines guten Sohnes; sie werden gleichfalls auf die Familie bezogen. Im Kaiser ist dieses Princip zur Person geworden; es beherrscht und durchdringt mehr oder minder tief die dreihundert Millionen Seelen des himmlischen Reiches. Man nenut hen Kaiser Hoang ti, d. h. erhabener Herrscher, oder Hoang schan, erhabene Hoheit, vor Allem aber Tien dse, Sohn des Himmels. Nach den Ansichten des Confucius und seiner Schüler werden die großen Bewegungen im Reiche vom Him» mcl geordnet nnd geleitet; von ihm kommen auch die Umwälzungen, sein Wille stürzt Dynastien nnd läßt neue Herfcherfamilien emporsteigen. Der Himmel ist der wahre und alleinige Herr des Reiches, er wählt wen er will zu seinem Vertreter, und überträgt ihm seine Vollgewalt über die Völker. Die Souverainetät ist ein vom Himmel gegebener Auftrag, eine geheiligte Sendung, welche einem Einzelnen im Interesse der Allgemein-heit übertragen wird, die ihm aber der Himmel gleich wieder abnimmt, sobald er sich seines Mandats unwürdig macht und seine Pflicht vergißt. Aus einem derartigen politischen Fatalismus erklärt es sich, daß in Revolutionszeiten der Kampf schr hartnäckig ist, und so lange dauert, bis durch große Erfolge und offenbare Ueberlegenhcit den Unterthanen klar 3. Kap.) Dic chinesische Regierung — Der Kaiser. . I? wird, was des Himmels Wille sei. Glauben sie ein solches Zeichen er, kannt zu haben, so gehorchen sie dann willig und ohne Rückhalt auf lauge Zeit hinaus der neucn Gewalt. Der Himmel hatte einen Nepräse». tanten, einen Adoptivsohn; aber er verließ ihn u»d entzog ihm die Voll« macht; er erkor einen andern dem man fortan gehorchen soll. Das ist das gan^e System. Demgemäß nennt sich auch der Thronprätcndent. welcher gegeuwärtig der Mandschudynastie zu schassen macht. Tien tc, hinim« lische Tugend. Der Kaiser hat als Sohn des Himmels, und folglich als Vater und Mutter des Reiches, wie die Chinesen sich ausdrücke», ein Anrecht daranf. von allen seinen Kindern hochgeachtet und verehrt zu werden; sie find gleichsam zum Cultus gegen ihn verpflichtet. Seine Machtvollkommen« heit ist ganz unbedingt; er giebt ein Gesch und schafft es ab; er giebt den Mandarinen Vorrechte oder erniedrigt sie; er allein hat das Recht über Leben und Tod; alle administrative und richterliche Gewalt geht von ihm aus; Alles im ganzen Lande steht zu seiner Verfügung, mit einem Worte: Der Kaiser ist der Staat. Seine Allgewalt ist schrankenlos, und er kann sie übertragen wem er will. und nnter seinen Söhnen belobig seincu Nachfolger wäblen, denn er ist durch kein Erbsckiaftsgelftz an irgend etwas ge< bunden. Die höchste Gewalt ist demnach in Cbina in all und jeder Hiu-sicht absolut, aber darum nicht etwa anch despotisch. Sie steht da als der Mittelpunkt des Ganzen. Der Kaiser ist das Oberhaupt einer großen Familie; seine uneingeschränkte Gewalt absorbirt er nicht selber, sondern er überträgt sie an seine Minister, die ihrerseits wieder so viel als angemessen erscheint, an die übrigen Beamten davon abgeben. Die Unter« abtheilungen dehnen sich allmälig und stufenweis bis auf Gruppen von Familien und Individuen aus, deren natürliche Vorgesetzten die Vater sind; Alle haften gemeinschaftlich. Indcm diese absolute Gewalt sich in so viele Canäle vertheilt, Hort sie auf all^ugcfährlich zu sein. Auch hält die hergebrachte Sitte den Kaiser innerhalb gewisser Schranken, und er dürfte die herkömmlichen Rechte seiner Unterthanen nickt offen verletzen, okne den allgemeinen Unwillen auf sich zu Icnlm. Sodann stehen ibm zur Seite ein Geheimer Rath und ein Gcneralrath, deren Mitglieder die Vefugniß haben, ihm Vorstellungen über alle Gegenstände zu machen, wclcke sick auf Staatsangelegenheiten oder Privatoerhaltnisse beziehen. Man ersieht aus den chinesischen Jahrbüchern, daß diese Censoren ihren Beruf gar nicht selten mit preiswürdigem Freimuth und Nachdruck erfüllt haben. Endlich ist anch der Kaiser, obwohl so lang er lebt, Gegellstand 38 Die Körperschaft der Gelehrten. 13. Kap. vieler Huldigungen, doch nach seinem Tode einem Gericht unterworfen, dessen Urtheil sich an seinen Namen heftet und mit diesem auf die Nach. welt gelangt. Das stärkste Gegengewicht findet die Gewalt des Kaisers in der Körperschaft der Gelehrten. Sie ist eine uralte Einrichtung, die allermindestens bis ins elfte Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung hinausreicht, und noch heute auf einer sehr festen Grundlage ruht. Mau kaun sagen. daß die gesammtc Staatsverwaltung alle wirklichen und unmittelbaren Einflüsse von dieser Gelehrten «Oligarchie empfängt. Der Kaiser muß seine bürgerlichen Beamten aus dem Gelehrtenstande nehmen, und sich dabei an die Classen binden, die in Folge der Prüflingen vorhanden sind. Jeder Chinese hat das'Recht, sich für die Prüfung zum dritten Gelebrtengrade zu melde»; erlangt er diesen. so kann er sich für den zweiten Grad examiniren lassen, endlich auch für den ersten. Diesen muß er erworben haben, um hohe Staatsämter bekleiden zu können. Das Gesetz erkennt den Kaiser als den Eigenthümer von allem Grund und Boden im Reiche an. Er ist es aber nur in der Theorie; das uubeweglich'e Eigenthum ist in China auf eben so fester Grundlage constiwirt wie in Europa. Die Regierung hat in der Wirklichkeit nur das Recht der Enteignung gegen Solche, die mit Staatsabgaben im Rückstände sind, oder gegcn Staatsverbrecher. Die Dörfer haften dem Fiscus für die Bezahlung der Staatsabgaben solidarisch. An ihrer Spitze steht ein Dorfschnltheiß, dcrSian yo, welcher kraft allgemeinen Stimmrechts erwählt wird. Vielleicht ist in keinem andern Lande die Gemeinde so vollkommen eingerichtet, als gerade in China. Der Schultheiß wird in voll« ster Freiheit von seinen Mitbürgern ernannt, ohne daß die kaiserlichen Beamten etwa einen Candidate« aufstellten, oder sich herausnähmen, irgend welchen Einfluß auf die Abstimmung zu üben. Jedermann ist Wähler und wählbar; insgemein ernennt mau einen Mann in reiferm Alter, der durch Charakter und Vermögen Ansehn im Dorfe genießt. Wir haben manche dieser chinesischen Dorfschultheißen kennen gelernt, und können versichern, daß sie im Allgemeinen das Vertrauen rechtfertigten. Die Zeit ihrer Amtsdauer ist, je nach denOertlichkeiten, verschieden. Sie haben die Polizei auszuüben, und vermitteln in allen Dingen zwischen den Gemeindeallgehörigen und den Mandarinen. Die Körperschaft der Gelehrten bekommt alljährlich in Folge der Prüfungen neuen Zuwachs. Sie bildet eine bevorrechtete 3. Kap-1 Organisation des chinesischen Adels. gg Classe, den einzigen Adel welchen China kennt, und man kann fie als den Nerv des Reiches betrachten. Erbliche Titel führen lediglich die Mitglieder der kaiserlichen Familie und die Nachkommen des Confucius, dergleichen es in der Provinz Schang tong noch viele giebt. Mit den erblichen Titeln der Verwandten des Kaisers sind gewisse Vorrechte verknüpft, z. V. ein maßiges Iahrgehalt, das Necht einen rothen oder gelben Gürtel zutragen, eine Pfauenfeder auf die Mütze zu stecken, und acht oder zwölfTräger am Palankin zu haben. Aber auch diese Verwandten des Kaisers müssen ihre wissenschaftlichen Prüfungeu in Peking oder zu Mukden in der Mandschurei bestanden haben, wenn sie ein Staatsamt bekleiden wollen. Wir haben mauche dieser adeligen Maudschu gesehen, die ihr Leben in Dürftigkeit und Trägheit hiubrachten, sich auf ihr kleines Iahrgehalt verließen, und den rothen oder gelben Gürtel trugen. Eine eigene Be» Horde überwacht die Anverwandten des Kaisers. Die hohen bürgerlichen und Militairmandarinen. welche sich in der Verwaltung oder im Kriege auszeichnen, erhalten Titel, zum Beispiel Kung. Hou, Phy, Tse und Nan, was wir etwa als Herzog, Marquis, Graf, Baron und Ritter bezeichnen können. Diese Titel oder Grade sind aber nicht etwa erblich, und geben auch den Söhnen gar kein Anrecht irgend einer Art; sie können aber auf die Vorältern über» tragen werden. Das steht freilich nicht im Einklänge mit europäischen Begriffen. Die Chinesen haben diesen Brauch eingeführt in Rücksicht auf die Todtenfcierlichkeiten und auf die Titel. welche Jedermann den abgeschiedenen Aeltern beilegen muß. Ein Beamter, welchem der Kaiser einen höhern Grad ertheilt hat, könnte nicht wohl in geeigneter Weise eine Leichenfeier veranstalten, wenn nicht seine Vorfahren einen entsprechen» den Titel hatten. Die Annahme, daß der Sohn befähigter sei als der Vater, würde die Hierarchie über den Hansen werfen und das Fun^»a-mentalvrincip des Reiches beeinträchtigen. Ein Adel, der nnr zeitweilig gilt. und obendrein sich auf die Vorfahren erstreckt, dagegen nicht auf Nachkommen vererbt werden kann, erscheint einem Europaer seltsam, und er meint wohl. man müsse eben Chinese sein, um überhaupt nur dergleichen ausfindig zu macheu. Es verdiente aber doch ernsthaft untersucht zu wer» den, ob es nicht gescheidter uud mit weniger Nachtheilen verbunden sei die Auszeichnung eines Mannes auf den Vater als auf die Söhne zu übertragen. Sämmtliche bürgerliche und Militairbeamtc des chinesischen Reiches zerfallen in neun Nangclassen, Khiu ping, derm jede sich von der andern 40 Die Centra lverwaltung in Peking. 13. Kap. durch eine Kugel unterscheidet, die von den Europäern auch wohl als Knopf bezeichnet w rd; doch paßt dieser Allsdruck eigentlich nicht. Diese Kugeln haben etw, die Größe eines Taubeneics. und werden oben auf der Dienstmütze befestigt. Die erste Nangclasse hat eine schlickte rotbeKorallcnkugel; die zweite eiue listlirte rothe Korallenkugel; die dritte eine Kugel aus hellblauem oder durchsichtig blauem Stein; bei der vierten ist sie matt- oder dunkelblau; bei der fünften von Krystall; beider sechsten von Nierenstein oder Dunkelweiß; bei der siebenten, achten und neunten von vergoldetem Kupfer und verschiedener Arbeit. Jede Rangclasse zerfällt in zwei Abtheilungen; die eine ist activ und im Amte, die andere überzählig; aber die Kugeln sind bei beiden ganz dieselben. Alle Beamten der neun Classen werden als Kuaug fu bezeichnet. Den Namen Mandarin kennen die Chinesen gar nicht; er rührt von den ersten Europäern her die nach China kamen, und wurde vielleicht vom Portugiesischen man-äar, befehlen, hergeleitet. Die Verwaltung des himmlischen Reiches zerfällt in drei Ab« thcilungen, nämlich in die obere Neichsverwaltung, in dieLocalverwaltung zu Peking, und in jene der Provinzen und Colonien. Die höchste Lei» tung ist in den Händen von zwei Nathscollcgien. welche direct mit dem Kaiser verkehren. Das erste, Ne'i ko genannt, unterbreitet Entwürfe und fertigt die laufenden Angelegenheiten ab; es ist gewissermaßen ein kaiserliches Secretariat, und muß. wie das Amtebuch sich ausdrückt, „die Absichten und Gedanken des kaiserlichen Willens in Ordnnng bringen und veröffentlichen, auch die Form der Verwaltungserlasse regeln. Das zweite, Kiün ke tschu, berathschlagt mit dem Kaiser über politische An» gelegcnheiten; es besteht aus den Mitgliedern des Nci ko, den Präsidenten und den Viceprasidcnten der höchsten Collegicn. Die Sitzungen fin-den'sehr früh am Morgen statt, und der Kaiser selbst führt dabei den Vorsitz. Unter diesen beiden höchsten Körperschaften oder Generalräthen stehen die sechs souverainen Collcgien. Liu pu. die etwa den Ministerien europäischer Staaten entsprechen. und für alle bürgerlichen und militairi« schen Angelegenheiten der achtzehn Provinzen die zuständigen Oberbehör. den bilden. An der Spitze einer jeden derartigen Beamtencorporation stehen zwei Präsidenten, und zwar allemal ein Chinese und ein Mandschu, und vier Vicepräsidenten, wovon zwei Mandschu und zwei Chinesen sind. Jedes Collegium hat besondere Abtheilungen, Specialbureauz. wie man in Europa sagen würde, für die in seinen Geschäftskreis fallenden Angelegenheiten, und außerdem noch eine Menge von Unterabtheilungen. 3. Kap.1 Die sechs solioerainen Collegien. ^^ Das Li pu oder Collegium für die Civilämter, schlägt dem Kaiser geeignete Leute für Anstellungen im Civildienst vor, und hat die Oberaufsicht über die Beamten im ganzen Reiche. Es zerfällt in vier Abtheilungen, welche die Reihenfolge lind die Versetzung der Veamten bestimmen. Conduitenlisten führen, den Betrag der Gehalter bestimmen, denen, welckc Familicntrauer habeu. Urlaub geben, und Rangdiplome für die Vorfahren auofertia.cn. Das Hu pu ist Finanzcollegium', unter seine Zuständig« leit füllt Alles was auf Abgaben und Auflagen Bezug hat; es zahlt (Ho hälter und Pensionen aus, nimmt die Getreide- und Geldgefälle ein, und läßt den Land» und Nassertransport der Natnrallieserungen besorgen. Es verfügt über die Gintbeikmg des kaiserlichen Gebietes in Provinzen, Bezirke le., über Volkszählung und Kataster, vertheilt die steuerbeträge und ist auch Behörde für die Stellung der Soldateneontigente. Dieses Finanzcollcgium hat vierzehn 'Abtheilungen; von ihm hängt auch ein Be« rufungstribunal ab, welches streitige Fälle über Eigcntbum und Erbfolge entscheidet. Unter seiner Oberaufsicht stehen die Münze, die Naturalliefe« rungen an Seide- und Färbestosseu, und die Behörde, welche dafür zu sorgen hat, daß in der Hauptstadt fein Mangel an Getreide eintrete. Es hat sodann noch die Vertheilung der als Abgaben einlaufenden Getreide» und Rcisbeträge anzuordnen, und in schweren Zelten die Gaben auszu< theilen, welche der Staat den Hilfsbedürftigen unentgeltlich verabfolgt. Endlich liegt cs ihm ob, alljährlich dem Kaiser eine Liste hübscher Man« dsch ujungfranen vorzulegen, welche gecignct sind, in das Harem Seiner Majestät aufgenommen zu werden. Bci dem berühmten Ackerbaufest, das alljährlich veranstaltet wird, damit der Kaiser eine Fnrchc pflüge, hat ein Beamter des Hu pe die Oberleitung. Das Ly pu ist Collegium der Ceremonien. Unter seine Leilung und Oberaufsicht geboren alle Staatsfeicrlichkeiten, deren Einzel» heiten in den Auge» der Chinesen von höchster Wichtigkeit sind. Seine vier Abtheilungen beschäftigen sich mit dem 'gewöhnlichen und außerordentlichen Ceremoniel des Hofes. mit den Opfergebrauchcn bei dem Cul« tus. welcher den Seelen verstorbener Kaiser oder berühmter Männer ge< widmet ist. mit der Anordnung öffentlicher Festlichleiten; ferner bestimmen sie auch übcr Haar- und Kleidertracht der Negicrungsbcamlen. Dasselbe Collegium der Ceremonien ist auch höchste Behörde für das gesammte Schulwesen, für wissenschaftliche Prüfungen, für die Privilegien der Ge< lehrten und für die auswärtige Diplomatie. Es bestimmt, welche Formen 42 Die höchsten Staatscollegien. 13. Kap. im Verkehr mit auswärtigen Staaten und mit den zinspstichtigeu Fürsten beobachtet werden sollen, wie man es gegenüber fremden Gesandtschaften zu halten habe. Auch hängt die Geueraldircction der Musit von ihm ab. Das Ping pu oder Kriegscollegium hat gleichfalls vier Abtheilungen, und verfügt über Alles was die bewaffnete Macht anbelangt. Das Hing pu oder Criminalcollegium hat achtzehn Ab» theilungen, deren jede eine Provinz umfaßt; ferner ein Pensionsinspecto« rat, juridische Bureaux für die Ausgaben des Strafgesetzbuches und eine Strafcaffe. DaS Kung pu, Collegium der öffentlichen Arbeiten überwacht und leitet alle Staatsbauten, die Anfertigung der dazu erforderlichen Werkzeuge, der Kleider und Waffen für die öffentlichen Beamten und die Soldaten; es läßt Canäle graben, Deiche aufweifen, und sorgt daß beide in gutem Stand erhalten werden; auch läßt es Grabmäler für die kaiserliche Familie und Monumente zu Ehren berühmter Männer bauen; hat ferner die Oberaufsicht über Maß und Gewicht, und über die Anfertigung von Schießpulver. Zur höhern Staatsverwaltung gehört auch das Ly fan yüen zu Peking, ein kolonial amt, welches „die Fremden draußen" überwacht. So bezeichnet man die mongolischen Fürsten, die thibetanischen Lamas, und die mohamedanischen Häuptlinge im Westen. Die Mongolenhorden machen dieser Behörde allerlei zu schaffen; sie mischt sich auch mittelbar in die Regierungsangelegenheiten von Thibet und in jene des chinesischen Turkestan. Höchste Ueberwachungsbehörde ist das Tu tscha yüen, das allgemeine Censuramt, das außer allem administrativen Raderwerke steht. Es hat die Oberaufsicht über das Betragen des Voltes und in-sonderheit der Beamten. Minister, Fürsten; der Kaiser selbst, kurz Jedermann muß, gern oder ungern, die Vorstellungen des Censors anhören. Das Tun tschin sse. oder der Palast der Vorfiel lungeu, Übermacht dem Ne'i ko oder Geheimen Rath des Kaisers. die Berichte, welche aus den Provinzen einlaufen, und die Berufungen welche gegen Urthcilssprüche anhängig gemacht werden. Dicser Palast der Vorstellungen bildet, in Vereinigung mit den Beamten der sechs Collegien und des Censuramts, eine Art von Caffationshof, der über Berufungen in peinlichen Angelegenheiten und Todesurtheile entscheidet. Die Entscheidungen müssen ein- 3. Kap.) Amtliche Pekinger Zeitung. 4I stimmig sein; herrscht Meinungsverschiedenheit, dann giebt der Kaiser den Ausschlag. Wir dürfen die Amtliche Pekinger Zeitung nicht uner. wähnt lassen. Sie ist in der That ein Allgemeiner Staatsanzeiger, -ein Moniteur, in welchem nichts gedruckt wird. was nicht die kaiserliche Genehmigung erhalten hat oder vom Kaiser selbst kommt. Daran darf nicht das Allergeringste verändert werden. Das Blatt erscheint an jedem Tage in Gestalt einer Flugschrift von sechzig bis siebzig Seiten, und kostet jähr« lich etwa so viel als zwölf Francs oder etwas über drei Thaler. Aus dieser höchst interessanten Sammlung ist außerordentlich viel über die neueren Verhältnisse des Reichs zu lernen; denn es enthalt insbesondere die Entwürfe und Erlasse, welche dem Kaiser zur Genehmigung vorgelegt werden, nebst den Entschließungen; ferner die Verhaltuugsbefehle für die Mandarinen und für die Völker; auch eiuen Gerichtskalender, in welchem die wichtigsten Straffälle und Begnadigungen verzeichnet stehen. Ferner werden darin Protokolle über die Sitzungen der höchsten Collegien mitgetheilt. Die wichtigsten Artikel und alle amtlichen Erlasse gehen in die amtlichen Zeitungen der Provinzen über. Man wird nicht sagen, daß Blatter dieser Art die politischen Leidenschaften aufregen. Beim gewöhnlichen Lauf der Dinge. wenn keine Revolution das Land durchzuckt, bekümmern sich die Chinesen fast gar nicht um die Negierung. Im Jahre 1851. als der Kaiser Tao Kuang gestorben war. befanden wir uns auf der großen Pekinger Landstraße unterwegs. In einem Gasthofe trafen wir chinesische Bürgersleute beim Thee versammelt, und brachten das Gespräch auf das Ableben des Kaisers, und die möglichen Folgen, die ein Wechsel in der Negierung nach sich ziehen könne. Alle blieben durchaus gleichgiltig; zuletzt legte ein Chinese seine Hände väterlich auf unsere Schulter und sagte mit etwas boshaftem Lächeln: ..Weshalb, mein Freund, beunruhigst Du Dir Herz und Kopf mit eitler Besorgniß? Höre mich an. Für Staatsgesckäfte sind die Mandarinen da; sie werden dafür bezahlt, laß sie also ihr Geld verdienen. Wir wollen uns nicht mit Dem quälen was sie angeht, und es wäre bare Narrheit. wenn wir uns um Sachen bekümmerten, ohne dafür bezahlt zu werden." Die Anderen erklärten, das fei vernünftig gesprochen, uns aber sei der Thee kalt geworden und die Pfeift ausgegangen. Die Localverwaltung von Peking wird von eigenen Behörden besorgt, die zum Theil direct vom Hof abhängen. Dahin gehören die Aemter für die Opfer, für die Marställe und für das Ceremonie! bei 44 Verwaltung der Provinzen. 13. Kap. den kaiserlichen Audienzen. Die Palastverwaltung steht unter einem be» sondern Nath mit sieben Abtheilungen, je für die Herbeiscbaffuug von Lebensmitteln, für Besoldungen. Bestrafungen, Reparaturen, Ciuuahme der'Pachtgcfälle und Ueberwackung derHeerden auf den kaiserlichen Land» gütern. Zum Hufe geboren drei große wissenschaftliche Anstalten. Im Nationalcollegium werden die Söhne der hohm Würdenträger ausgebildet; das kaiserliche Collegium der Astrouomie verfertigt den Kalender, und macht astronomische und astrologische Beobachtungen; das dritte Collegium ist jeues der Medicin. Der Kaiser hat achthundert Leibwächter; den Garnisoxsdienst haben die acht Banner; dieser Soldatenkörper besteht ans Maudschu. Mongolen und Chinesen, lauter Nachkommen der Krieger, welche 1643 und 1644 China eroberten. Die Palast-Eunuchen, welche unter der frühern Dynastie eine so große Rolle spielten, und bei den Staatsumwälzungen thätig waren, sind jetzt vollkommen ohnmächtig. Als Khang hi, der zweite Kaiser des gegenwärtig regierenden Herrscher, ftammes. minderjährig war, nahmen die vier Reichsregenten die Gelegen» heit wahr, dem Einflüsse der Verschnittenen ein Cnde zu machen. Sie ließen auf eine tausend Psuud schwere Eisentafel ein Gesetz eingraben, welche den Mandschufürsten für alle Zeiten verbot, Eunuchen in Amt und Würden zu erheben. Diesem Gebot ist Folge geleistet worden, und viel, leicht hat es wesentlich dazu beigetragen, daß China so lange Zeit ruhig blieb. Die Verwaltung in den Provinzen ist gleichfalls sehr regelmäßig. Jede derselben bat einen Tsung tu, Generalstatthalter, den die Enropäer Vicekönig zu nennen pflegen, und einen Fu Yuen oder Unterstatthalter. Jener ist der höchste Beamte für alle Civil - und Militairangelegenheiten, dieser hat insbesondere die Civilverwaltung unter sich. die in fünf Aemter zerfällt: das der Verwaltung, der Wissenschaft, der Salzwerke. das Commissariat und das Handelsamt. 1) Das Ver-Waltungsamt. Von seinen zwei Obcrbeamten hat der eine die eigentliche Civilverwaltung, der andere die Justiz. Eie legen den Gouverneuren Reckenschaft ab; unter ihnen steben die Kreisverwaltungen. von denen jede Beamten hat, die man etwa als Präfecten nnd Unterpräfecten bezeichnen könnte. Die großen Prafecturen, Fu, haben eine besondere Verwaltung, die unter der Aufsicht der obersten Provinzialregicnmg steht; die Prafecturen zweiter Classe heißen Tscheu, ihre Beamten hängen theils von der Provinzialverwaltung, theils von jener einer großen Prä« ftctur ab. Die eigentlichen Unterpräfecturen, Hien, bilden eine Unter» 3. Kap.) Verwaltung der Provinzen. 45 abtheilung eines Fu oder Tscheu. Die Fu, T scheu und Hien haben jedes zum wenigsten Einen mit Mauern umzogeuen Hauptort, in welchem die Behörde wohnt. Es sind die Städte erster, zweiter und dritter Classe, von welchen in den Berichten der Missionaire so oft die Rede ist. Die Vorsteher der Prafecturen und Unterpräfectnren sind mit der Steuereiu« nähme und der Polizeiverwaltung beauftragt. — 2) Das Amt der Wissenschaft hat an seiuer Spitze einen Unterrichtsdirector; auf ihn folgen die Oberprofessoren in den wichtigsten Städten, lind unter ihnen stehen die übrigen Lehrer. Der Director macht alljährlich eine Rundreise, um die Studenten zu prüfen und ihnen den ersten wissenschaftlichen Grad zu ertheilen. Alle drei Jahre kommen Examinatoren, Mitglieder der Akademie der Hau lin, aus Peking, um den außerordentlichen Prüfungen beizuwohnen und den zweiten Grad zu ertheilen. Alle welche diesen schon haben, müssen zur geeigneten Zeit nach Peking gehen, um dort die Prü» fung für den dritten Grad zu besteheu. — 3) Das Salzamt besorgt die Verfertigung und den Transport des Salzes. — 4) Das C 0 mmis» sariat verwaltet die Getreidespeicher, und schickt nach der Hauptstadt so viel dorihin gefordert wird. — 5) Das Handelsamt erhebt die Zölle in den See« und Stromhäfen. Die Unterhaltung der Deiche am Gelben Flusse steht unter einer eigenen Bcbörde, welche in den Provinzen Tschi ly, Schang tung und Ho nan von der Provinzialverwaltung unab, hängig ist. Land» und Seemacht der Provinz hängt vom Tsung tu oder Vicekönig ab. Die Chinesen machen eben keinen Unterschied zwischen beiden Waffengattungen, und die Grade haben dieselben Benennungen. Die Generale heißen Ti tu; es sind ihrer sechzehn, wovon nur zwei aus' schlicßllck auf die Seemacht kommen. Jeder General hat ein Hauptquar, tier, wo der größte Theil seiner Brigade liegt, der Nest wird auf die ver« schiedenen Stationen vertheilt. Außerdem steheu in mehreren Festungen Mandschusoldaten unter einem Tsiang kiimg. der lediglich vom Kaiser abhängt, und der die hohen Civilbeamten im Zaume halten muß, damit sie nicht etwa auf Verrath und Nebellion sinnen. Die Admirale, Ti tu, und Viceadmirale. Tsung ping, wohnen gewöhnlich am Lande, und überlassen den Schisssbefehl ihren Officiereu. Außer den höheren Beamten giebt eS eine unzahlige Menge Unter« beamtc, deren Titel und Namen gauz genau im „Buche der Aemter" ver« zeichnet sind. Wer einen ltcberblick des Personenstandes der chinesischen Verwaltung gewinnen will, braucht nur den amtlichen und entsetzlich 46 Habsucht der Mandarinen und käufliche Nichter. ^3. Kap. langwelligen kaiserlichen Almanach aufzuschlagen, von dem alle drei Monate eine neue Auflage herauskommt. Aus diesen Angaben über das politische System und die Verwaltung wird man abnehmen können, daß die Regierung allerdings absolut, aber darnm doch nicht nothwendig tyrannisch ist. Wäre sie das letztere, so würde sie wahrscheinlich nicht mehr da sein. Um Ordnung unter einer so ungeheuern Menge von Menschen zu erhalten, war eine bis ins Kleinste hineingehende Centralisation erforderlich. die dann auch vom ersten Begründer der chinesischen Dynastie bis auf den heutigen Tag stehen geblie» ben ist, trotz so vieler Revolutionen und Dynastieveränderungen. Unter diesen starken, kräftigen und man kann sagen verständig ausgedachten Einrichtungen haben die Chinesen in ihrer Weise verhältnißmäßig ganz er» träglich gelebt. Es läßt sich aber nicht verkennen, daß sie gegenwärtig auf einem Punkte angekommen sind, wo das Gute bei weitem vom Schlimmen überwogen wird. Mit der Moralität, mit Künsten, mit Gewerben, kurz mit Allem geht es bergunter, und Elend uud Misbebagen machen reißende Fortschritte. Die Corruption in ihrer widerwärtigsten Gestalt dringt in alle Verhältnisse ein. das Recht wird an den Meistbietenden ver-» kauft, und die Mandarinen aller Classen schützen nicht etwa das Volk, sondern bedrücken und plündern es auf jede nur denkbare Art und Weise. Diese Unordnungen und Misbräuche, auf die wir im Fortgange unserer Erzählung zurückkommen, sind nicht etwa eine nothwendige Folge der chinesischen Staatseinrichtungen. Man darf nicht allzu geringschätzig auf die Chinesen herabsehen, denn man kann doch Vieles von ihnen lernen. Auf jeden Fall find sie ein interessantes Volk. Wir hatten namentlich auch in Tsching tu fu sehr gute Gelegenheit das Spiel der Regierungs« Maschine zu beobachten, und uns mit dem Privatleben der Mandarinen näher bekannt zu machen. Der Friedensrichter, bei welchem wir wohnten, war aus der Provinz Schau si, wo sein Vater ein hohes Amt bekleidete; er selber hatte es in seinem fünfzigsten Jahre noch nicht weit gebracht. Dieser Maun hieß Pao ngan, das heißt Versteckter Schatz. Er nabm die Dinge wie sie eben kamen, war spät Beamter geworden, suchte aber dafür das Versäumte nach besten Kräften einzuholen. Processe waren seine Liebhaberei und Leidenschaft. Ein paar Gerichtediener mußten tagtäglich in allen Winkeln seines Stadtviertels herumstöbern, um Vergehen und Verstöße ausfindig zu machen. Denn Pao ngan brauchte Geld. und ein guter Proceß bringt Silber, wie er uns sagte. Wenn man, so sprach er, mit 3. Kap.1 Betrachtungen über die Rechtspflege. 47 Handwerk und Handel Geld verdienen kann. weshalb soll man da nicht auch reich werden, wenn man dem Volle Vernunft eintränkt und ihm die Grundsätze des Rechtes beibringt? Man muß von Processen leben können. — Mehr oder wenigerdenken fast alle Mandarinen so. und sie äußern sich ganz ohne Rückhalt darüber. Die Rechtspflege ist eine Handelswaare geworden, hauptsächlich auch wohl deshalb. weil die Gehälter, welche die Negierung den Richtern zahlt, viel zu gering sind. Die niederen Beam» ten beim Tribunal erhalten gar keine Besoldung, und müssen Geld erwer» den wie sie eben können. Man kann sich denken, wie unter solchen Umständen Alle geschoren werden, die Processe führen. Als die gegenwärtige Dynastie auf den Thron kam, waren die Klagen über schreiende Misbräuche schon so allgemein, daß die Censoren dem Kaiser Kang hi eine Beschwerdeschrift gegen die Provinzialgerichte überreichten. Der Kaiser antwortete rasch lind zwar in sehr eigenthümlicher Weise. Indem er erwog, wie ungeheuer volkreich sein Land sei, wie getheilt der Grund und Boden, und wie chicanirend der Charakter der Chinesen, kam er zu der Ansicht, daß die Zahl der Nechtshändel ins Ungeheure anwachsen werde, wenn die Leute keine Furcht vor den Tribunalen hätten, sondern schnelle gerechte Justiz fänden. Er bemerkte: „Der Mensch ist einmal geneigt, sich über seine eigenen Interessen zu täuschen, die Strciiigkeiten würden kein Ende nehmen, und die eine Hälfte der Nation würde kaum ausreichen, die Processe der andern zu entscheiden. Ich will demnach daß ANe, die sich an das Gericht wendeu. unbarmherzig behandelt werden; man soll gegen sie dermaßen verfahren, daß kein Mensch Lust bekommt, Processe anzufangen; er muß zittern, wenn er nur an den Gerichtshof denkt. So wird das Uebel in der Wurzel angegriffen; denn wenn gute Bürger mit einander in Mishelligkeiten gerathen, so werden sie den Gemeindevorsteher und alte erfahrene Leute zu Schiedsrichtern wählen. Den Streitlustigen, Eigensinnigen und Unverbesserlichen geschieht aber ganz recht, wenn sie von den Gerichten erdrückt werden." So cutschied jener Kaiser, und wir unserer« seits können als Thatsache hinstellen, daß in China bei weitem die Mehrzahl der Processirendcn aus Leuten besteht, denen eine Züchtigung von „Vater und Mutter/- denn so nennen die Chinesen ihre Magistrate, nicht schaden kann. Unser Friedensrichter Pao ngan richtete sich genau nach den Vorschriften Khang hi's. Ihm galt der Stadttheil, welcher ihm we» nige oder gar keine Processe abzunrteln gab, für den allerschlechtesten. Viele Geschäfte hatte übngens dieser Beamte nicht. Am Morgen entschied er Processe; der übrige Theil des Tages wurde mit Essen, Trinken 48 Der Schulmeister und der Volksunterrlcht. st. Kap. und Nichtsthun verbracht. Pao ngan führte einen recht guten Tisch, da er von der Präfectur ein sehr erkleckliches Kostgeld für uns bezog; aber schon am dritten Tage verfälschte er den vortrefflichen Reiswein, um auch daran noch ein Profitchen zu machen. Der Chinese kann nun einmal ol'ne Gaunern und Betrügen nicht sein; jeder unerlaubte Vortheil hat für ihn einen unwiderstehlichen Neiz. Zwischen den verschiedenen Mahlzeiten wurde geraucht. Thee getrunken, ein Stück Zuckerrobr ausgesaugt oder eine getrocknete Frucht genascht; dazwischen kam ein Schläfchen, und die Hitze wurde durch Wehen mit einem Fächer aus Palmblättern gemildert. Dann und wann vertrieb man sich die Zeit mit Schach oder Kartenspiel; ab und zu erschienen müßige Mandarinen zum Besuch, und lamentirten mit Pao ngan über die vielen Unbequemlichkeiten des Beamtenlebens. Wir sahen den Friedensrichter nicht ein einziges Mal lesen oder schreiben. Uebrigens sind nicht alle Angestellten von dieser Art; wir selber haben manche kennen gelernt, die sebr fleißig waren; sie wollten höher steigen. Im Hause des Friedensrichters verkehrten wir viel mit einem Gelehr« ten, welcher die Kinder des Verborgenen Schatzes unterrichtete. Wir er« zählten ihm viel von Europa, er seinerseits gab uns viel über China zum Besten und spickte seine Vortrage reichlich mit Stellen aus den classischen Werken. Dieser Hauslehrer gemahnte nns an die Gelehrten alten Schla« ges in Europa, die nun mehr nnd mehr aussterben. Aber in China sind diese Leute noch in voller Blüthe. Solch ein Magister tritt mit großer Zuversicht und nicht ohne einige Eitelkeit auf, denn er ist sich seines Werthes bewußt. Er macht sich wichtig, führt in der Unterhaltung das große Wort. denn er ist ja ein gelehrter Manu, versteht zu reden, und hat insgemein eine sehr geläufige Zunge. Seine Worte begleitet er mit lebhaften, ausdrucksvollen Gebehrden. um sie deutlicher zu machen; denn er wählt sie gern aus den classischen Büchern, deren erhabenen Styl er nach' ahmt. Dieser ist aber nicht Allen verständlich; deshalb zeichnet der Magister mit dem Finger die betreffenden Schriftzeichen in die Luft. Wenn ein Anderer mitspricht, so schüttelt er wohl mitleidig den Kopf, und sein Lächeln will etwa sagen: Du bist ja nicht beredt. In seiner Stelluug als Lehrer kann er freilich so anspruchsvoll nicht auftreten. und muß we-nigsteus äußerlich bescheideu sein; denn er unterrichtet, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, und darf sich nicht viel gegen Leute herausnehmen, die ihn bezahlen. Diese Magisterclasse ist in China ungemein zahlreich. Ein solcher Lehrer ist gewöhnlich, ein unbemittelter Mensch, der studirt hat, es aber nicht bis zu einer Mandarinenstelle brachte. Es ist nicht gerade 3. Kap.1 Schulmeister und Vottsunterricht. 4a nöthig, daß er Prüfungen bestanden oder einen Grad erhalten hat, denn in China unterliegt der Unterricht keinerlei Beschränkung, lind Jeder kann Schule halten, obne daß die Regierung sich darum bekümmert. Sie meint, die Eltern würden am Besten wiffen, was sie in Betreff des Un» terricktes ihrer Kinder zu thun oder zu lassen haben. Die Vorsteher eines Dorfes oder eines Stadtviertels berathen über die Wahl eines Lehrers, der einer zu begründenden Schule vorstehen soll. stellen seine Besoldung fest. und weisen ibm seine Lehrzimmer an. Entspricht er den Erwartungen nicht, so dankt man ibn ab und wählt einen andern. Die Regierung hat nur einen mittelbaren Einfluß durch die Prüfungen, denen sich Jeder uuterweifen muß, wenn er der Körperschaft der Gelehrten einverleibt sein will. Er muß also die classischen Bücher studiren. Daß die Schulen überall in China einander so älmlich sind, ist nicht etwa Folge gesetzlicher Vorschriften, sondern das hat sich von selbst so gemacht. Reiche Leute halten Privat« und Hauslehrer. In keinem andern Lande bat der Elementarunterricht eine größere Verbreitung gewonnen, als gerade in Cbina. wo man auch in dem kleinsten Dorfe, und in jedem aus nur wenigen Häusern bestehenden Weiler einen Lehrer findet. Gewöhnlich unterrichtet er in der Pagode, und sein Gehalt wird entweder aus dem Ertrag einer Stiftung bestritten, oder vermittelst einec Art von Zehnten, welchen ihm die Bauern nach der Ernte geben. Iu den nördlichen Provinzen sind die Schulen nickt in solcher Anzahl vorhanden wie im Süden. wo das Volk von lebhaftem Cbarakter ist und mehr Neigung für die Studien zeigt. Beinahe alle Chinesen ohne Ausnahme, können so viel Lesen und Schreiben, wie für das tägliche Leben erfordert wird. Handwerker nnd Bauern führen Notizbücher, schreiben ihre Briefe selbst, lesen den Kalender und die öffentlichen Bekanntmachungen, nnd wobl auch Erzeugnisse der Tagesliteratnr. Selbst in den schwimmenden Dörfern, die mail in Menge auf Seen. Strömen lind Canälen findet, find Elementarschulen, und in jeder Barke findet man Pinsel. Tinte, Rechentafel. Kalender und allerlei kleine Bücher. Der chinesische Lehrer ist zugleich Erzieher. Er unterweist seine Zöglinge in den Vorschriften der Höflichkeit, lehrt sie alle Gebräuche des Ccremoniels kennen, zeigt ihnen die verschiedenen Arten zu grüßen, scharst ihnen die Haltung ein. welche sie ihren Eltern gegenüber zu beob» achten haben, und wie sie gegen Vorgesetzte und gegen Ihresgleichen sich be-nebmen sollen. In europäischen Büchern kann man ausführlich lesen, wie lächerlich hohen Werth angeblich die Chinesen auf äußres Formelwesen H«c, llhma. 4 50 Lhinesisclic Höflichfeit. s3. Kap. legen, und wie viel sie auf kleinliche Etikette geben. Man schildert sie als steife Automaten, a!s gezirkelte und gedrechselte Menschen, die nach Vorschrift des Gesetzes grüßen und einander vorschriftsmäßige Höflichkeiten sagen. Manche scheinen sogar zu glauben, daß selbst Palankinträger und Lumpensammler vor einander knicen, nnd zebntansendmal um Verzeihung bitten, nachdem sie sich geschimpft oder geprügelt haben. Aber dergleichen Uebertreibungen kommen in Clnna nicht vor; sie sind Phautasiegebilde der Europäer. Wer die Dinge ohne Voreingenommenheit ansieht. muß zugestehen, daß Höflichkeit einen Bestandtheil des chinesischen Nationalcharakters bildet; der Sinn dafür reicht bis ins höchste Alterthum hinauf, die altm Philosophen schärfen dem Volke genaue Beobachtung der Wohlanständigkeit in allen gesellschaftlichen Verhältnissen ein. Confucius bezeichnet die Ceremonien als das Abbild der Tugenden; sie seien be« stimmt diese letzteren zu erbalten, in Erinnerung zu bringe» und in manchen Fällen sie zu ersetzen. Derartige Grundsätze prägt der öcbrer seinen Schülern von frübester Jugend an scharf ein; es wird also begreiflich, daß man in allen Schichten eine Höflichkeit antrifft, welche die Grundlage der chinesischen Erziehung bildet. Selbst die Banern in China verkehren untereinander in einer so böflichen Art und Weise, wie sie unter der band-arbcitenden Classe in Europa gar nicht vorkommt. Im amtlichen Verkebr nnd bei feierlichen Gelegenheiten sind die Chinesen allerdings steif, voll Schwillst, und viel zu sehr Sclaven der Etikette und des Ceremoniels. Gezwungen und gemacht sind ferner das Heulen und Weinen bei Leichenbegängnissen, die übertriebenen Betheue-rungen von Zuneigung nnd Hochachtung Leuten gegenüber die man haßt oder verabscheut; seiner die dringenden Einladungen zum Mittagessen, die nicht angenommen werden dürfen. Dergleichen ist widerwärtig und wird schon von Confucius getadelt; er bemerkt, man solle mit Ceremonien lieber sparsam als verschwenderisch umgehen, namentlich wenn man nichts dabet fühle. So ist denn allerdings im amtlichen Verkehr viel Affectir« tes, im gewöhnlichen Umgang derrscht aber ein durchaus ungezwungener Anstand. Sobald der Chinese seine Atlasstiefeln, das Amtskleid und die Amtsmiltze abgelegt hat. gebort er der Gesellschaft, erkennt keine Fesseln der Etikette mehr an. und führt eine heitere lebhafte Unterhaltung. Die Freunde kommen zusammen, trinken Glühwein und Thee. rauchen den duftigen Tabak von Lcao tung, machen Wortspiele und geben einander Rebus auf. Der Schüler muß vor Allem die chinesischen Schriftlichen kennen 3. Kap.) Elementarbücher und die vier classischen Bücher. c;< lernen; sodann wird darauf gehalten, daß er sie richtig ausspreche und mit dem Pinsel nachmale. Um seine Hand zn üben, zeichnet er erst die ein« zelnen Theile aus welchen ein Schriftzeichen zusammengesetzt wird, und geht nach und nach zu verwickelteren Combinationen über. Sobald er einen festen Strich sich angeeignet hat, muß er gute Vorschriften copiren; der Lehrer corrigirt mit rother Tinte. Die Chinesen legen großen Werth auf das Schönschreiben, und man bildet sich etwas darauf ein recht zierlich zu schreiben, oder, wie der Ausdruck lautet, ein eleganter Pinsel zu sein. Beim Lestulehren wird folgende Methode eingeschlagen. Vor Allem soll der Schüler eine gute Aussprache sich aneignen. Zu Anfang der Unterrichtsstunde sagt der Lehrer jcdem Einzelnen eine Zahl von Schrift-charakteren vor; der Schüler geht an seineu Platz und wiederholt sie nun, indem er sich hin- lind herwiegt, mit lauter Stimme. Man begreift, daß in einer solchen Schule ein ungeheurer Lärm gemacht wird, denn je« der schreit seine Monosyllaben heraus, ohne sich um seiuen Nachbar zu kümmern, der nicht minder seine Kehle anstrengt. Dabei steht der Lehrer wie ein Capellmeister da. borcht genau auf, schreit dald da bald dorthin sobald er Fehler bemerkt, die er berichtigen muß. Cin Schüler der seine Aufgabe kennt, geht zum Lehrer, verneigt sich. überreicht sein Buch. dreht sich um. und sagt her was er gelernt hat. Man nennt das Pey schu, d. h. dem Buche den Nückm zudrehen. Die chinesischen Schriftzeichen sind so dick und deshalb so leicht zu erkennen, daß dieses Rückendrehen nothwendig ist, sonst konnte man nicht wissen, ob der Schüler wirtlich gut gelernt hat. Das erste Buch. welches man dem Schüler in die Hand giebt, ist ein altes, sehr volkSthümlichcs Werk, San dse ling oder das heilige Bnch in Trimeter», sss heißt so, weil es in kleine Doppelzellen zerfällt, von welchen jeder Vers aus drei Charakteren besieht. Die hundertacht» undsiebzig Verse dieses San dse king bilden cine Art Encyclopädie, in welchem die Kinder einen Ueberblick der Kenntnisse finden, welche die chi» msische Wissenschaft ausmacht. Es wild darin gehandelt vom Wesen des Menschen, von den verschiedenen Erziehungsweisen, von der Wichtigkeit der gesellschaftlichen Pflichten, ihrer Zahl und ihrem Entstehen, von den drei großen Gewalten, von den vier Jahreszeiten, von den fünf Himmels« gegendcu. den fünf Elementen, den fünf beständigen Tugenden, den sechs Getteidearten, den sechs Classen von Hausthielen, den sieben herrschenden Leidenschaften, den acht musikalischen Noten, den neun Verwandtschaftsgraden, den zehn beziehungsweisen Pflichten, den akademischen Studien 4' 52 Elementaibücher und die vier classischen Bücher. 13. Kap. und Compositions, der allgemeinen Geschichte und der Aufeinanderfolge der Dynastien. Das Werk schließt mit Betrachtungen und Beispielen über die Wichtigkeit des Studiums. Der San dse ling verdient in jeder Beziehung seine große Popularität. Der Verfasser, ein Schüler des Confucius, beginnt mit einem Distichon, das lautet: Jen dse thu, sin pen schan, d. h. der Mensch war bei seinem Ursprung durch und durch hei. lig. Ein christlicher Gelehrter hat für die katholischen Missionsschulen eine kleine theologische Encyclopädie nach dem Muster des San dse king entworfen; die Verse derselben besteben aber aus vier Charakteren. und er hat darum das Werk S se dse king oder das geheiligte Buch in vier Schriftzeichen genannt. Nach der Encyclopädie mit drei Charakteren erhält der Schüler die Sse tschu oder vier classischen Bücher. Das erste dieser vier moralischen Bücher ist das Ta hio oder große Studium, eine Art von politischer und moralischer Abhandlung mit kurzem Text von Confucius und Erläuterungen von einem seiner Jünger. Die gesammte Lehre des großen Stu» diums beruht auf dem Grundsatze, daß der Mensch an seiner Besserung und Vervollkommnung arbeiten müsse. Hier Einiges von dem Texte des Confucius. 1. „Das Gesetz des großen Studiums oder der praktischen Pdilo» sopbie besteht darin, daß entwickelt und klar gemacht werde das strahlende Princip der Vernunft, die wir vom Himmel erhalten haben, um die Menschen zu erneuern, und ihre eigentliche Bestimmung in die Vollkommenheit oder das höchste Gut zu setzen. 2. Man muß den Zweck kennen, welchen man erstrebt, oder die dee finitive Bestimmung, und dann einen Entschluß fassen. Hat man den Entschluß gefaßt, so kann man ein ruhiges Gemüth haben; bat man ein ruhiges Gemüth, so kann man sich ungestörter Ruhe erfreuen; ist man zu solcher ungestörten Nuhe gelangt, so kann man nachdenken und sich ein Urtheil über das Wesen der Dinge bilden; hat man nachgedacht, und sich ein Urtheil über das Wesen der Dinge gebildet, so kann man den Zustand der Vollkommenheit erreichen. 3. Die Wesen der Natur haben eine Ursache und Wirkungen; die menschlichen Handlungen haben ein Princip und Consequenzen. Die Ursachen und Wirkungen, die Grundsätze und die Folgerungen kennen, heißt sich der vernünftigen Methode annähern, durch welche man zur Vollkom» menheit gelangt. 4. Die Fürsten der Vorzeit, welche das uns von, Himmel zuge- 3. Kap.I Die vier classischen Bücher. gg kommene strahlende Princip der Vernunft in ihren Staaten entwickeln und ins Licht stellen wollten, haben vor Allem dabin getrachtet, ihre Län» der gut zu regieren. Die, welche dahin strebten, ihre Länder gut zu regie» ren. sahen zuvörderst darauf, daß in ihrer Familie gute Ordnung war. Die. welche darauf sahen, daß gute Ordnung in ihrer Familie war. gaben sich vorerst Mübe. sich selber zu bessern; die, welche sich vorerst Mühe gaben, sich selber zu bessern, bemühten sich vorher, ihrer Seele Aufrichtig, keit zu verleihen; die, welche sich bemühten, ihrer Seele Aufrichtigkeit zu verleihen, trachteten zuvor danach, daß alle ihre Absichten rein und aufrichtig waren; die, welche danach trachteten, daß alle ihre Absichten rein und aufrichtig waren, suchten vorher ihre moralischen Kenntnisse zu vervollkommnen. Die möglichste Vervollkommnung der moralischen Kenntnisse besteht aber in der Durchdringung und Begründung der Principien für Das was man thut. 5. Wenn die Principien der Handlungen durchdrungen und ergründet worden find. so erlangen die moralischen Kenntnisse ihren höchsten Grad der Vollkommenheit. Haben die moralischen Kenntnisse den höchsten Grad der Vollkommenheit erlangt, dann siud die Absichten rein und aufrichtig geworden, und die Seele wird von Rechtschaffenheit und Geradheit durchdrungen. Dann ist die Person geläutert und gebessert. Ist sie geläutert und gebessert, und wird die Familie gut geleitet, dann ist auch das Reich gut regiert. Ist das Reich gut regiert, so erfreut sich die Welt des Friedens und der Eintracht. 6. Für alle Menschen, vom höchsten bis zum niedrigste», find die Pflichten gleich. Die wahre Grundlage für allen Fortschritt und alle moralische Entwickelung besteht darin, daß der Mensch an seiner Verbesserung und Vervollkommnung arbeitet. 7. Wer Hauptsache» leichtfertig und Nebendinge wichtig behandelt, verfahrt, wie er nicht verfahren sollte." — Der Commentar zu diesem Bücke des großen Studiums besteht aus zehn Kapiteln. Er wendet die Lehren des Confucius auf die poli« tische Regierung an; diese erklärt Confucius als: Das was gerecht und Recht ist. Als Grundlage giebt er ihr die Zustimmung des Volks; sie ist im großen Studium in folgender Weise formulirt worden: Gewinne die Zuneigung des V»1kes. und Du wirst das Ncich behaupten; Verliere die Zuneigung des Volles, und Du wirst das Reich verlieren. Das Buch schließt mit folgenden Worte»: ..Wenn die. welche Staa» jen regieren, nur daraus denken, Reichthümer für ihren eigenen Gebrauch 54 Die vier classischen Bücher. ^3. Kap. aufzuhäufen; so werden sie ohne Zweu'el schleckte Menschen an sich ziehen. Diese Menschen macken sie glauben, daß sie gute und tugendhafte Diener seien; und diese Aber die Verwaltung dieser unwürdigen Diener wird auf die Regierung die Züchtigung des Himmels und die Rache des Volkes herabrufen. Und wenn die Dinge bis auf einen solchen Punkt gediehen sind. wie könnten dann noch tugendhafte und gereckte Diener dergleicken Misgesckick ab» wenden? Damit soll gesagt sein. daß Die. welche ein Reich regieren, die öffentlichen Gelder nicht als ihr Privatvermögen ansehen, sondern Ge» rechtigkeit und Billigkeit als ihren einzigen Reichthum betrachten sollen." Das zweite classiscke Buck. Tschuangyuu g oder die u n wan» delbare Mitte, enthält eine Abhandlung über das Thema, wie der Weise sich im Leben zu benehmen habe. Es ist nach mündlichen Aussagen des Confucius von einem seiner Schüler aufgesetzt worden, und grün» det das moralische System auf den Grundsatz, daß die Tugend allemal gleichweit von den beiden Extremen liege; die Quelle des Wahren. Schö» nen und Guten ist die harmonische Mitte, Sching ko. Auch hier wendet Confucius seine moraliscken Grundsätze auf die Politik an. Er sagt unter Anderen: „Würdig, die höchste Machtvollkommenheit zu besitzen und den Menschen zu gebieten, ist nur der Mann, welcher, durch und durch heilig, die Urgesetze für die lebenden Wesen vollkommen kennt und begreift; der eine große, erhabene, feste, unersckütterlicke und beständige Seele hat, und dadurch fähig ist, Gerechtigkeit und Billigkeit walten zu lassen; der immer achtbar, einfach, würdig, gerade und gerecht, und dadurch fähig ist, Ehrfurcht und Achtung zu erwerben; der durch die Zierde seines Geistes und durch Fähigkeiten, welche eifriges Studium ihm giebt und durch die Einsicht, welche eiu genaues Forschen nach verborgenen Dingen ihm verleiht, im Stande ist, das Wahre vom Falschen, und das Gute vom Bösen zn unterscheiden. — Seine Fähigkeiten sind so weit, umfassend und reif, daß er wie eine Quelle ist, aus welcher zu seiner Zeit Alles hervorgeht. — Sie find ausgedehnt wie der Himmel; der verborgene Quell ist tief wie der Abgrund. Nenn ein solcher hochheiliger Mensch mit seinen Tugenden hervortritt, seine gewaltigen Eigenschaften zeigt, dann werden die Völker seinen Worten glauben, uud wenn er sich rührt, werden die Völker jubeln. — Der Ruf seiner Tugenden ist wie ein Meer, welches von allen Seiten über das Land hinfluthet; es reicht sogar bts zu den Barbaren der südlichen uud nördlichen Gegenden. Alle menschlichen We« sen, welche leben und athmen, werden ihn lieben und verehren, überall, 3. Kap.^ Die vier classischen Bücher. ÜS wohin Schiff und Pflug gelangen können, wohin die Kräfte der mensch, lichen Betriebsamkeit dringen. wo das Himmelsgewölbe sich ausspannt an allen Punkten, welche die Erde umschließt, welche Sonne und Mond mit ihrem Strabl erhellen, welche Morgenthau und Wolken befeuchten.« Das dritte classische Buch, L ü n y ü. oder Plnlosophische Un« terbaltungen, ist eine Sammlung von Aussprüchen und Maximen, welche Confucius gelegentlich, sich gegen seine Schüler geäußert. Sie find verworren zusammengestellt und enthalten viele gauz triviale Sätze über Moral und Politik, neben einigen tiefen Gedanken, und allerlei Einzelheiten über Charakter und Art des Confncius. Das Lün yü bemerkt zum Beispiel daß er sehr rasch ging. wenn er Gäste empsiug, und daß er die Arme auseinander gebreitet hielt, wie der Vogel die Flügel. An seinem Rocke war der rechte Äermel kürzer als der linke; er aß nur solches Fleisch, das rechtwinkelig zerschnitten, und setzte sich auf keine Matte, die nicht ganz regelrecht ausgebreitet war. Auch zeigte er niemals auf etwas mit der Fingerspitze. Das vierte classiche Buch hat den Meng tse oder wie die Europaer schreiben. Mencius zum Verfasser. Dieses Werk zerfällt in zwei Abtheilungen und enthält alle die guten Lehren. welche er den Fürsten seiner Zeit und seinen Schülern gegeben. Seine Landsleute nennen ihn den Zweiten Weisen, und erweisen ihm in den Tempeln dieselbe Ehre, wie dem Confncius, dem Erstell Wc.isen. Abel-Nemusat bemerkt, „Meng tse's Ausdrucksweise sei nicht so erhaben und gedrängt, wie jene des Fürsten der Wissenschaften (Confucius), aber cbeu so edel, blumenreicher und zierlicher; seine Zwiegespräche haben mehr Mannigfaltigkeit, als die Lehr» sprüche des Confucius. Der Charakter ihrer Philosophien ist ein ganz verschiedener. Confucius ist immer ernst und oftmals auch streng; er preist die Guten und entwirft von ihnen eine ideale Schilderung; von den Bösen spricht er mit Kalte und Unwillen. Meng tse ist ebenso begeistert für die Tugend; dem Laster gegenüber zeigt er mehr Verachtung als Abscheu, und er verschmäht auch die Waffe des Lächerlichen nicht; er hat etwas von sokratischer Ironie/ Die Schüler lernen die vier classischen Bücher, ohne sich viel um den Sinn zu bekümmern; was sie etwa von diesem sich aneignen, verdanken sie nlcht dem Lehrer, sondern sich selbst. Dann erst. wenn sie die Bücher ohne Anstoß von einem Ende bis zum andern hersagen können, erläutert der Lehrer den Text Wort für Wort. Nächst den vier classischen Büchern, studiren die Chinesen die fünf heiligen Bücher, King, 5ß Die fünf heiligen Bücher. . 13. Kap. die ältesten Denkmäler der Literatur, welche die Fundamentalprincipien des alten Glaubens und der alten Gebräuche enthalten. Das älteste, zugleich auch berühmteste und am schwersten verständlich, ist 1. Das Yking oder Buch derVeränderungen. Der Inbalt bestebt in Prophezeiungen,- welche auf eine Combination von vierundsechzig Linien begrün, det werden. Diese Linien sind theils ganze, theils gebrochene, und werden Kua genannt; Fu hi. der Begründer der chinesischen Civilisation soll sie entdeckt baben. Gr fand die geheimnißvollen Zeilen, aus denen Alles erklärt werden kann. die aber Niemand versteht, auf dem Rücken einer Schildkröte. Confucius bat sich viel mit diesen rathselhaften Kua be, schäftigt, aber doch keine Klarheit hineinbringen können. Nach ihm haben sich Tausende von Auslegern damit beschäftigt; der kaiserliche Catalog zählt mehr als eintausendvierhundertsimf^ig Abhandlungen darüber auf. __ 2. Im Schu king oder Buch der Geschichte hat Confucius historische Erinnerungen aus der Zeit der ersten Dynastien aufgezeichnet, bis zum ackten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. C's enthält namentlich die Anreden, welche einige Kaiser an ihre Beamten bielten, und eine Menge wichtiger Nachrichten über das chinesische Alterthum. — 3. Das Sche king oder Buch der Verse, ist eine gleichfalls vom Confucius veranstaltete Sammlung alter Nationallieder vom achtzehnten bis zum siebenten Jahrhundert vor Christus. Dieses für die Sittengeschichte sehr belangreiche Werk wird von Meng tse und Consucius sehr gepriesen. — 4. Das Li ki oder Buch der Gebräuche, oder Vorschriften. Die Urschrift ging verloren, als auf Befehl des Kaisers Thsin sche hoang. am Ende des dritten Jahrhunderts vor Christus, alle alten Bücher verbrannt werden sollten. Das gegenwärtige Ritual ist nur eine Sammlung von Bruchstücken, von welchen die ältesten nicht über die Zeit des Confucius hinausreicken. — 5. Das Tschun thsiu oder Buchdes Frühlings unddesHerbstes. Os heißt so, weil sein Verfasser Confucius es in der ersten dieser Jahreszeiten angefangen, in der letzten beendigt hat, und enthalt die Jahrbücher des kleinen Reiches Lu (der heutigen Provinz Schau tuug). der Heimat des großen Weltweisen, vom Jahre 722 bis 480 vor Christus. Confucius schrieb es, um den Fürsten seiner Zeit Achtung vor den alten Gebrauchen einzuschärfen, und wies darauf hm, welches Unheil entstand, als dieselben in Verfall geriethen. Diese fünf heiligen und vier classischen Bücher sind die Grundlage der chinesischen „Wissenschaft". Ihr Inhalt ist freilich ungemein dürftig; 3. Kap.) Vorbereitungen zur Weiterreise. Z7 von eigentlicher Wissenschaft ist gar keine Rede, und neben einigen aller, dings wichtigen Wahrheiten ans dem Gebiete der Moral und Politik laufen Massen von Irrthümern und albernen Fabeln her. Uebrigens ist das chinesische Unterrichtssystem, in seiner Gesammtheit betrachtet, sehr geeignet, zweierlei einzuschärfen: Achtung vor den alten Gebräuchen und vor der Autorität. Diese beiden sind allezeit als die Grundlagen und Säulen des chinesischen Staatsgebäudes betrachtet worden, das ohne sie keine so lange Dauer hätte haben können. Wir waren nun schon einige Wocken in Tschung tu fu, und thaten dem Vicekönig zu wissen, daß wir gern weiter reisen möchten. Er ließ sehr verbindlich antworten: er werde mit Vergnügen sehen, wenn wir uns noch länger ausruhen wollten; es stehe uns aber vollkommen frei, den Tag der Abreise zu bestimmen. Der Friedensrichter Pao ngan that alles Mögliche, um uns noch länger bei sich zu behalten; er beschwor uns, es noch etwas anstehen zu lassen, „bevor wir ihm sein Herz ausrissen." Wir dagegen hoben hervor,'„wie tief unser Schmerz sein werde, wenn wir von ihm durch Seen. Flüsse. Berge und Ebenen getrennt sein würden." Die Abreise wurde auf den dritten Tag festgesetzt, und nun mtriguirten die verfügbaren Mandarinen, denn Jeder wäre gern uns« Reisebegleiter geworden. Ein Besuch drängte den andern; ein Wolkenbruch von weißen und vergoldeten Kugelknöpfen brach in die Zimmer des Verborgenen Schatzes ein. Natürlich waren alle diese Bewerber ganz perfecte Leute, Inhaber der fünf Cardinaltugcnden. und begriffen vollkommen, welch ungemeine Sorgfalt und Aufmerksamkeit fremden Männern gleich uns, er-wiesen werden müsse. — Wer uns beigegeben wurde, hatte alle Aussicht etwas zu erübrigen, denn vom Vicckönig war angeordnet worden, daß wir wie hohe Beamte reisen und als solche bebandelt werden sollten, natürlich auf öffentliche Kosten. Nun rechneten die Mandarinen darauf, daß. wir mit den Geldangelegenheiten nicht genau bekannt sein würden, und daß sie täglich ein Sümmchen bei Seite schaffen könnten. Wir hüteten uns wohl unsere Begleiter selber zu bezeichnen, und überließen die Wahl der Ober» behörde. Fiel sie nicht nach Wunsch aus. so konnten wir uns dann beschweren. Wir mußten zwei Mandarinen haben; einen Gelehrten, als „Seele" des Zuges, und einen Soldaten mit etwa einem Dutzend Kriegs« leuten, um unterwegs im Nothfall Ordnung zu haltet». Am Abend vor der Abreise kam unser Freund. der Präfect des Blumengartens, und stellte uns die beiden auserwäblten Mandarinen vor. Der Gelehrte hieß Ting, war mager, von mittlenn Wuchs, Pocken« 58 Abschiedsbesuch beim Vicclönig. 13. Kap. narbig, ein Opiumraucher, sprach viel und hatte wenig gelernt. Er that uns zu wissen, daß er große Ehrfurcht vor Kao wang, einer Gottheit im chinesischen Pantheon hege. und eine Menge Gebete und sehr lange Litaneien auswendig wisse, die er tagtäglich hersage. Man hatte offenbar ei« nen Litaneienbeter zu unserm Begleiter gewählt, um uns eine Aufmerksamkeit mebr zu erzeigen; unter den Gelehrten giebt es nämlich gar we» nige die fick, auf Litaneien verstehen. Der Militairmandarin wußte keine Gebete herzusagen; er war ein junger noch kräftiger Manu, aber das Opium fing bereits au. seine Gesuudbeit zu untergraben. Er war ge« zierter als sein College, und schien gelehrter zu sei» als dieser. — Am Tage uuserer Abreise begaben wir uns i>, aller Frühe zum Vicekonig. Der Präsect des Blumengartens führte uns ein. Wir fanden auch jetzt Alles bei diesem hohen Beamten ganz einfach. Er war gütig und wohl« wollend, erklärte uns alle Befehle, die er in Betreff unserer Reise gc« geben habe, und ersuchte uns dringend, nnverweilt zu reclamiren, sobald unsere Begleiter nur das Geringste versähen. Zugleich bändigte er uns eine Abschrift der ihnen ertheilten Verbaltungsregcln ein. Schließlich machte er uns eine vertrauliche Mittheilung. Er sagte, die Regierung werde bald wegen ihres Kalenders in große Verlegenheit geratben; schon jetzt sei er nicht mehr ganz richtig. Bekanntlich haben in früheren Zeiten die Missionaire, als sie am kaiserlichen Hofe in hoher Gunst standen, eine Art von immerwährendem Kalender entworfen, und eine Menge von Irr« thümern berichtigt, welche sie in der Berechnung des chinesischen Monden« jahres fanden. Jetzt schienen nun die chinesischen Mathematiker in Peking mit ihrer Weisheit am Ende zu sein. Wahrscheinlich hatte der Kaiser dem Vicekonig darüber Mittheilungen gemacht. Der Letztere fragte, ob die Missionaire nicht etwa geneigt wären, den Kalender zu verbessern? Wir entgegneten, „daß sie wahrscheinlich den Wunsch des Kaisers zu erfüllen geneigt seiu würden, falls er sie einlade, und knüpften daran Betrachtungen über die Art und Weise, wie man in Peking die Missiouaire behandelt habe, nachdem sie eine mathematische Anstalt gegründet, geographische Charten entworfen, und bei den Unterhandlungen mit Rußland die nützlichsten Dienste geleistet hätten. Zum Lohn für das Alles habe man sie dann schimpflich aus dem Lande gejagt, sich die Anstalten angeeignet, welche sie mit großen Kosten hergerichtet, ja noch in der neuesten Zeit habe man die Gräber dieser tugendhaften und gelehrten Männer die einst des Kaisers Kang hi Bewunderung erregt hätten. beraubt und verwüstet." Der Vicekonig war insbesondere über diese letzte Angabe er« Z. Kap.) Abschiedsceremonien. . 59 staunt. Die französischen Missionaire hatten bei Peking einen Friedbof in herrlicher Lage. den ihnen Kaiser Kang hi geschenkt hatte. Wir sind mehrmals auf dieser französische» Begräbuißstätte gewesen. Die Um« fassnngsmaueru fanden wir noch ziemlich erhalten. aber das Haus ist fast ganzlich verfallen und der Garten liegt wüst, seit die mit der Pflege des Friedhofes beauftragte Cbristenfamilie vertrieben worden ist. Räuber aus Peking haben Vieles fortgeschleppt; dann nahm die Regierung Alles in Beschlag, und binderte nicht daß selbst die Leichensteine weggetragen wurden. Der Vicekönig bemertte. daß er wegen dieser Angelegenheit an dcn Kaiser schreiben wolle. Dann sprachen wir Manches über die europäischen Regierungen, über das Christenthum und Lagrence's Unterhandlungen. Der vortreffliche Greis äußerte große Besorgnisse über die Zukunft der Mandschudynastie; er schien zu wissen, daß die Zeit nicht ferne sei. in welcher China von seinem bisherigen System abgehen und mit den europäischen Völkern in lebhafter» Verkehr treten muß. Endlich verabschiedete er uns mit den üblichen Worten: I lu fu sing; möge Euch der Glücksstern auf eurer Reise begleiten! Wir wünschten ihm ein langes und glückliches Alter, und begaben uns dann nach dem Hause des Frie. densrichtcrs zurück, wo die Geleitsmandarinen unserer harrten. Es war eine zahlreiche Gesellschaft von Bekannten versammelt, die uns Lebewohl sagen wollten. Pao ngan hatte. laut gesetzlicher Vorschrift. ein feines Mahl veranstaltet. Dann begannen die Abschiedsceremonicn. Man sagte uns auf Hundertsache Art, daß man uns höchlich gelangweilt und das Leben unangenehm gemacht habe; wir unsrerseits baten tausend Mal um Nachsicht und Verzeihung, daß wir so zudringliche und beschwerliche Leute gewesen. Nachdem Redensarten in Menge ausgetauscht worden waren, stiegen wir in unsere Palankins. Voran schritten zwölf Soldaten, mit Rohrstöcken und schafften freie Bahn, alle Welt wollte die abendländische» Teufel sehen, die Freunde des Viccköuigs uud des Kaisers geworden wa» ren. Man hatte uns nicht strangulirt, sondern sogar erlaubt, eine gelbe Mühe und eiueu rothen Gürtel zu tragen! 60 Das Christenthum in China. l.4. Kap. liiertes Kapitel. Abreise von Tschiug tu fn. — Das Christenthum in China. - Religiöse Gleichgiltigkcit der Chinesen und Feindseligkeit der Regierung. — Wir erhalten unterwegs Ehrenbezeigungen. — Herberge in einem Me-meindepalast. — Oaiinerei unseles Magisters Ting. — Schissfahrt anf dem blauen Ztrom. — Aukunft in Kien tscheu. Am südlichen Thore von Tsching tu fu bemerkten wir eine beträchtliche Anzahl von Christen, die das Kreuz schlugen und uns ihre Theilnahme zu erkennen gaben. Einer von ihnen warf uns heimlich einen Brief zu. Schreiber desselben war Monsignore Perocheau, Bischof von Mazula und apostolischer Vicar der Provinz Sse tschuen; er berichtete uns, daß an manchen Orten die Cbriftenverfolgung nock nicht eingestellt fei, und bat nns die Mandarinen, mit denen wir in Berührung kämen, an die kaiserlichen Zusicherungcn zu Gunsten der Christen zu erinnern. Leider konnten unsere Bemühungen sich nur auf einen engen Kreis be« schränken. Die Christen in China sind nach wie vor der Willkür der Man» darinen preisgegeben, und haben gegenwärtig auch unter dem Fanatismus und der Barbarei der Aufständischen zu leiden. Die große Masse der Chinesen widerstrebt nach wie vor dem Christenthum; alle Bemühungen fallen auf einen unfruchtbaren Acker und die Zeit der Ernte will immer noch nicht kommen. Während unsers langen Aufenthalts in China ist uns vollkommen klar geworden, daß man dort die Christen als Creaturen der europäischen Regierungen betrachtet, und diese Ansicht ist so tief eingewurzelt, daß sie nicht selten auf eine sehr naive Weise hervortritt. Man bezeichnet die christliche Religion als Tien tschu kiao, das heißt die Religion des Himmelsherrn, denn der Begriff (sott wird durch das Wort Tien schu ausgedrückt. Wir sprachen einst mit einem hochgestellten Mandarinen, der für einen eben so gelehrten als verständigen Mann galt, über religiöse Angelegenheiten. Er fragte, welche Bewandtniß es denn eigentlich mit dem Tien tschu habe. welchen die Cbristen anbeten, und der ihnen Reichthum und außerordentliches Glück versprochen habe. — „Du bist ein Gelehrter erster Classe, und hast die Bücher unserer Religion gelesen; wir sind deshalb höchlich erstaunt, daß Du nicht weißt, was der Tien tschu des Christen ist." — „Ihr habt ganz recht," entgegnete der Man-darin, und besann sich dabei, um alte Erinnerungen aufzufrischen. „aber 4. Kop.1 Das Christenthum in China. ßi ich hatte ganz vergessen, was der Tien tschu ist. Ich entsinne mich jetzt recht wohl. er ist der Kaiser der Franzosen!" — Wir wissen allerdings daß viele Mandarinen ganz andere Vorstellungen haben, aber im Allgemeinen sind die Cbinesrn der festen Ueberzeugung, daß die Politik bei der Verkündigung des Christenthums in ihrem Lande die Hauptrolle spielt. Es wird sehr schwer halten, die Ansichten der Regierung in dieser Hinsicht zu lautern, und eine freie Ausübung der christlichen Religion auszuwirken. Die unaufhörlichen Verfolgungen aller Art sind der Ausbreitung des Christenthums sehr hinderlich; doch stehen ihr auch noch ganz andere Hemmnisse im Wege, mit denen die Misgunst uud das Uebelwollen der Mandarinen nichts zu schaffen hat. Unter der Regierung des Kaisers Khang hi (1661 bis 1722) standen die Missionaire am Hofe zu Peking in höchster Gunst. Der Kaiser selbst schrieb Abhandlungen zu Gunsten des Christenthums, ließ aus seine Kosten Kirchen bauen, die Prediger er» hielten kaiserliche Patente, konnten überall wohnen, ihre Lehre verkündigen nnd taufen so viel sie wollten. Jeder Christ blieb unangefochten, und hätte im Nothfall Schutz und Hilfe beim eisten besten Misfionair gefunden. Aber damals hätte Niemand wagen dürfen, einem Christen auch nur die kleinste Unbilde zuzufügen; selbst die Mandarinen verfuhren gegen sie vorsichtig und wohlwollend. Die Lage der Dinge war demnach so günstig wie man sie nur denken kann. Hat aber darum in China das Christenthum so viele Anhänger und ausdauernde Bekenner gefunden wie zum Beispiel in Europa, als hier zuerst das Evangelium verkündigt wurde? Mit nickten. Es ist vielmehr mit einigen sehr seltenen Ausnahmen, auf Gleichgiltigkeit und Kälte gestoßen. Man braucht aber nickt einmal so weit zurückzugehen, um den chine« fischen Charakter richtig zu würdigen, und zu sehen wie er sich in Bezug aus christlicke Dinge auch dort äußerte, wo man die Mandarinen nicht zu fürchten hat. In den fünf Seehäfen, welche dem Verkehr mit den Europäern geöffnet sind, ist wirklich Religionsfreiheit vorhanden; sie steht dort unter dem Schutze von Consuln und Kriegsschiffen, und doch nimmt die Zahl der Christen in jenen Städten nicht etwa rascher zu als im Innern. In Macao. Hong kong. Singapore, Pulo Pinang und Batavia leben große Massen von Kolonisten unter europäischer Herrschaft, sie bilden eigentliche Colonien, sind fest angesiedelt, bleiben dort und treiben Ackerbau, Ge« werbe und Handel. Die Europaer würden gewiß am allerwenigsten etwas dagegen einwenden, falls diese Chinesen sich dem Christenthum zuwenden 62 Religiöse Gleichgiltigkeit der Chinesen. l>.Kap. wollten. Aber gerade dort kommen die Bekehrungen noch weit spärlicher vor als anderwärts. In Manila, der Hauptstadt der Philippinen ist die Zahl der Christen nicht ganz unbeträchtlich; das hat aber seinen ganz besondern Grund und rührt von einem spanischen Zwangsgcfctze her. Die Regierung hat nämlich verfügt, daß ein Chinese nur dann ein taga-lisches Weib heirathen darf. wenn er vorber Christ geworden ist. Will also ein Chinese sich mit einer Eingeborenen verbinden, so läßt er sich ohne Weiteres taufen und wird Katholik; er würde aber auch mit derselben Leichtigkeit und Leichtfertigkeit Mohamedaner oder MethodM werden. Man sieht, daß hier nur von einem sebr oberflächlichen Christenthum die Nedc sein darf. Aber kann von einem Christenthum unter solchen Umstan» den überhaupt die Nede sein? — Wenn es nach Jahren dem Chinesen einfällt, in sein Reich der Mitte heimzukehrcu. dann wird er auch äußer« lich wieder, was er im Innern stets geblieben, ein Glcichgiltiger und Zweifler. Das Haupthinderniß, welches der Verbreitung des Christenthums entgegentritt, ist eine äußerste Gleichgiltigkeit gegeu religiöse Dinge. Wer nickt selber in China mit Chinesen gelebt und verkehrt hat. kann sich von diesem völligen, radicalen Indifferentismus gar keine richtige Vorstellung machen. Der Chinese ist so völlig mit irdischen Angelegenheiten beschäftigt, er geht so durchaus im Sinnlichen auf, daß sein ganzes Leben und Weben materialistisch bleibt. Sein einziges Tichten und Trachten zweckt auf Erwerb und Gewinn ab'; er will Profit machen, großen oder kleinen, jagt nach Reichthum und Sinnenfreude. Was sich auf die Seele, auf Gott. auf Unsterblichkeit bezieht, rührt ihn gar nicht, er glaubt nicht daran, mag sich nicht einmal darum bekümmern. Liest er etwa ein morali» sches oder religiöses Buch. so thut er es nur zur Erholung, zum Zeitvertreib, um sich zu zerstreuen; aufkeinen Fall nimmt er eine solcheBeschäftigung ernster als das Ranchen einer Pfeife Tabak oder das Trinken einer Tasse Thee Er hört recht gern zu, wenn man ihm die Grundlebren des Christenthums auseiuander setzt, mit ihm von Erlösung und zukünftigem Leben spricht; denn das reizt seine Neugicr und unterhält ihn. Er gesteht Alles zu. bil« ligt Alles, was man ihm sagt, und macht gar keine Einwendungen. Das ist ja, sagt er. Alles schön, wahr, prächtig, er wirft sich wohl selbst zum Prediger auf, und redet zum Entzücken hübsch gegen seine Götzenbilder zu Gunsten des Christenthums. Er bedauert, wie verblendet doch die Menschen seien, welche Werth legen auf die vergänglichen Güter dieser irdischen Welt; er giebt uns wohl auch eine erhabene Declamation zum 4. Kap.) Religiöse Gleichgiltigkcit der Chinesen. ßg Besten, in welcher er preist, welch ein Nlück es sei, den wählen Gott zu kennen und ihm zu dienen, und da? ewige Leben zu ererben. Hört man ihn. so bat er den Glauben und ift ein fertiger Christ; und doch ist er trotzalledem auch nicht um einen Schritt vorwärts gekommen. Man muß aber nicht etwa glauben, daß es ibm dabei an Aufrichtigkeit feble. denn er glaubt was er sagt. wenigstens ist das was er vorbringt, nicht gegen seine Ueberzeugung, die freilich nicht darnach angethan ist, religiöse Dinge von der ernsthaften Seite zu nehmen. Er redet mitunter ganz gern darüber, aber er thut es wie er auch über andere Dinge spricht, die nicht ge» rade für ihn gemacht sind, und die ihn nicht besonders angehen. Der Chinese ist so durck und durch indifferent, so ohne alle religiose Faser, daß es ihm vollkommen glcickgiltig bleibt, ob eine Lehre wahr oder falsch, gut oder schlecht ist. Eine Religion ift ihm wie eine Mode, die man mit» mackt, wenn es Einem etwa paßt. In einer der beträchtlichsten Städte von China unterhielten wir ei« nige Zeit lebhaften Verkehr mit einem Gelehrten, der, wie wir annahmen, ganz entschiedene Neigung hatte, ein Bekenner des Christenthums zu wer» den. Wir nalmien mit ibm die schwierigsten und wichtigsten Lehren durch, und lasen nachher christlich»! Bücher, um dadnrck einen Abschluß zu erzielen. Unser lieber Katechmmnc gab ohne allen Vorbehalt zn, daß Alles, was er gehört und gelesen hatte. ncktig und wahr sei. Nur meinte er, es werde dock einige Schwierigkeiten baben, die Gebete auswendig zu lernen, die jeder gute Cbrist wissen solle, damit er Morgens und Abends sie hersagen könne. Den Zeitpunkt, wann er sich endgiltig erklären wolle, schob er immer weiter hinaus und ließ ihn unbestimmt, so viel wir auch trieben nnd drängten. Allemal sprach er: „Später ist auch noch Zeit, wir wollen das Ding ganz allmälig machen; wir dürfen nichts übereilen; die Sacke wird sich wohl schon machen." Endlich ging er mit seiner wah» ren Meinung heraus. «Hört mich a». heute wollen wir nur vernünftige Dinge reden. Mick will bedünken. es sei für den Menschen gar nicht gut, wenn er sich übertriebenen Besorgnissen hingebe. Ich zweifle nicht daran, daß die christliche Religion sehr hübsch uud recht erhaben ift; ihre Lehre erklärt mit Klarheit und Methode Alles, was der Mensch wissen muß. Wer gesunden Meusckenverstaud hat. begreift das wohl. und muß es mit aller Aufrichtigkeit in seinem Herzen bekennen. Aber zn was soll man sich denn das Leben durch Sorgen erschweren? Wir haben eineil Körper, der nimmt uns schon sehr viel in Anspruch; er will gekleidet, genährt, vor Wind und Wetter geschützt sein; er hat allerlei Gebrechen und ift man« 45 ° , 64 , Ehrenbezeigungen auf der Landstraße. 14. Kap. cheu Krankheiten unterworfen. Nun ist aber allgemein anerkannt, daß die Gesundheit das höchste G»t sei. Wir müssen also tagtäglich auf den Körper, welchen wir seben und fühlen, große Sorgfalt verwenden. Wir dür< fen ihn keinen Augenblick außer Acht lassen. Sollen wir uns nach alledem nun auck nock mit einer Seele befassen, die wir nicht sel'tn ? Das Leben des Menschen ist kurz und voller Mühsal; es besteht aus einer Reihenfolge schwieriger und wichtiger Dinge, die ohne Unterbrechung mit einander verkettet sind. Unser Geist und Herz reichen kaum aus für die Ansprüche welche das gegenwärtige Leben an uns stellt; wozu wäre es nun gut, sich auch noch wegen eines zukünftigen Lebens abzuquälen?" — Wir widerlegten diese Ansichten, er blieb aber dabei, der Mensch müsse sich beschranken, und sich nicht um zu vieleilei bekümmern; das sei von der Klugheit geboten. Wozu man sick denn um zwei Leben, ein diesseitiges und ein jenseitiges, zugleich bekümmern solle. Gin Reisender könne nicl't auf zwei Straßen zu gleicker Zeit wandern; wenn man über einen Fluß sehen wolle, müsse man nickt seinen Fuß auf zwei Nacken setzen, denn man laufe dabei Gefahr, ins Wasser zu fallen und zu ertrinken. Dabei blieb dieser im Uebrigen ganz wackere Mann steif nnd fest. und nichts konnte ihn davon abbringen. Auf der Landstraße von Tsching tu fu, lienscht ein ungemein reges Leben und Treiben, wie überhaupt in China, wo alle Welt handelt und fortwahrend in Bewegung ist. Fußganger, Neitcr und Lastträger in buu. tem Durcheinander rührten entsetzlich viel Staub ans, und wir hatten davon in unseren Palankinen manche Unbequemlichkeit. Als wir weiter kamen . mußten alle diese Reisenden anhalten. uns Platz machen und die Mitte der Straße freilassen. Die Reiter stiegen ab, wer einen Strohhut trug. mußte itm abnehmen. Wer sich nicht beeilte, den erlauchten Teu» feln aus dem Abendland'e diesen Respect zu betbätigen. wurde dazu durch Prügel mit dem Bambusrohr gezwungen, denn zwei Kerle hatten die Obliegenheit, streng daranf zu achten, daß das Ritual genau beobachtet wurde, und wir müssen gestehen, daß diese Diener des Gesetzes einen ganz ungewöhnlichen Pflichteifer an den Tag legten. Ja sie waren offenbar unzu-frieden darüber, daß manche Leute das Ritual genau befolgten. und deshalb nicht mit der Vambnslatte gezüchtigt werden durften. In Cbina muß das Volk den Beamten Ehrfurcht bezeigen, sobald dieselben in Amtstracht öffentlich erscheinen. Dann darf Niemand sitzen bleiben, die Palan, kiue müssen anhalten, Reiter vom Pferde steigen, breitränderige Stroh-Hüte abgenommen werden. Auch hat Jedermann im Beisein von „Vater 4. Kav.j Ehrenbeweise von Seiten des Vicekönigs. ßg und Mutter." das heißt des Mandarinen, Schweigen zu beobachten. Der Beamte passirt stolz vorbei, und blinzelt aus seinem Palankin mit stolzen, verächtlichen Blicken auf die Menge. Wer das Ceremonie! vernachlässigt, wird auf der Stelle von Trabanten gezüchtigt, die Peitsche und Bambus» knüttel spielen lassen, um den Leuten Achtung vor Vater und Mutter ein-zubläuen. Das Volk läßt sich im Allgemeinen das Alles gefallen und murrt nicht; es ist daran gewöhnt und findet die Sache in der Ordnung. Es kommt aber auch vor, daß Leute gegen die Trabanten rebelliren. wenn diese es gar zu arg treiben. Dann entstehen Schlägereien, in welche nach und nach eine Masse Menschen hineingezogen werden; das Publicum nimmt allemal Partei gegen die Trabanten, die dann verhöhnt, hin. und hergestoßen und ausgeschimpft werden; man packt sie beim Zopfe, und am Ende muß der Mandarin aus seinem Palankin heraussteigen und versuchen, ob er den Tumult stillen kann. Es gelingt ihm leicht, wenn er sonst ein beliebter und geachteter Mann ist; hat er aber die öffentliche Meinung nicht für sich. so nimmt das Volk die günstige Gelegenheit wahr. um ihm eine Lection zu geben. Er wird umzingelt, von allen Seiten gestoßen und gedrängt, seine Allmacht ist dahin, seine Amtswürde wird misachtet, und die im Uebrigen so unterwürfigen Chinesen lassen sich zu argen Gewaltthätigkeiten hinreißen; sie zertrümmern den Palankin, jagen das Gefolge des Mandarinen in die Flucht, und er selber ist fortan unfähig ein öffentliches Amt zu bekleiden, vorausgesetzt daß er mit dem Leben davon gekommen ist. Der Vicekönig Pao hing hatte Befehl gegeben. daß uns während der ganzen Reise alle Ehren erwiesen würden, auf welche ein Beamter ersten Ranges Anspruch zu machen hat. Gleich nachdem wir die Stadt verlassen hatten, konnten wir uns überzeugen. daß streng darauf gehalten wurde. Uns aber trat die Rölhe des Unwillens auf die Stirn, als wir sahen wie unbarmherzig die Trabanten auf die ruhigen friedlichen Wan< derer losschlugen. Wir drangen in unsere Mandarinen, dafür zu sorgen daß dieses Prügeln aufhöre; aber selbst das nahm eine schlimme Wendung, denn die Trabanten sahen nun daß ihr Amtseifer nicht unbt' merkt geblieben war, und hieben nur um so stärker auf die Leute ein. Nach etwa vier Stunden erreichten wir einen Kuang kuan (Ge-meindepalaft). wo ein Imbis genommen werden sollte. Die Bewohner desselben, festlich gekleidet, harrten unser an der mit rother Seide geschmückten Thür. Sogleich wurden Schwärmer abgebrannt. die man auf einer langen Vamvusstange befestigt hatte; rann führte man unS, unter dem Geräusch dieses Feuerwerks und mit tiefen Verneigungen und Ver« Huc, LlMa. 5 66 Herberge in einem Gemeindepalast. 1.4. Kap. beugungen, die wir reichlich zurückerstatteten, in den Empfangssaal. Dort stand auf einem glänzend lackirten Tische ein leckeres Mahl bereit; uns fiel eine riesige Wassermelone auf, deren dunkle Schale allerlei eingc. schnitzte Figuren zeigte. Auf einem kleinen Tische bemerkten wir eine große Porzellanschale mit Limonade. Bevor wir Platz nahmen. brachte ein Diener ein großes Mesfingbecken mit heißem Wasser, tauchte einige kleine Servietten hinein, drückte dann das Wasser wieder heraus und überreichte Jedem von uns ein solches Tuch. Mit dergleichen vor Hitze noch dampfenden Tuckern, benetzte man sich Hände und Geficht. Dieser Gebrauch geht durch ganz China; allemal nach Tische, oder wenn man auf der Reise stillhält, bedient man sich solcher heißfeuchten Tücher. Wir haben uns bald daran gewöhnt, und die Sache recht zweckmäßig gefun< den. Es überraschte uns, daß man uns in jenem Gemeindepalaft Limonade mit Eis vorsetzte, denn das ist sonst nicht Landessitte. Wenn die Chinesen reckt dürstet, trinken sie eine Tasse sehr heißen Thees. Wir erfuhren daß der Vicekönig an alle Halteplatze Befehl geschickt hatte, der bis in die kleinsten Einzelheiten anordnete, wie man uns behandeln und bedienen solle. Man zeigte uns dieses Bulletin, und wir lasen darin, daß alle Schaffner in den Kung kuan angewiesen waren, für uns er» frischende Früchte, Melonen, und Eiswasser mit Citroneusaft und Zucker zu bereiten, weil das so Brauch sei bei den Völkern welche jenseit der abendländischen Meere wohnen. Man sieht auch hieraus, wie gütig und wohlwollend der Vicekönig von Sse tschuen gegen die Missionaire verfuhr. Denn als er uns nach den Sitten und Gebräuchen unseres Vaterlandes fragte, dachten wir natürlich gar nicht daran, daß eS nur zu dem Zwecke geschah, welchen er, wie sich nun zeigte, im Auge hatte. Ueberhaupt haben wir bei den Mandschu weit mehr edle Gesinnung und nickt so viel Betrüglichkeit gefunden. als bei den Chinesen. Wir mögen ihnen dieses von Recht und Billigkeit gebotene Zeugniß nicht versagen, da sie vielleicht in nicht ferner Zeit aus China vertrieben werden, und in vielen Schriften über den chinesischen Aufstand heftig angefochten worden find. Kurz vor Einbruch der Nacht kamen wir nach Kien tscheu. einer Stadt zweiter Classe. Schon an diesem ersten Tage hatten wir alle Ursache uns über unsern Begleiter, den Mandarinen Ting, zu beschweren. Bereits unterwegs bemerkten wir. daß er uns andere Palankine gegeben hatte. als die weit bequemeren die er »ins im Hofe des Friedensrichters gezeigt. Das Geld zum Ankauf derselben war ihm eingehändigt worden, leider konnte er aber der Versuchung nicht widerstehen; er behielt nämlich 4. Kap.j Gaunerei des Mandarinen Ting. ß? die eine Hälfte für sich, kaufte für die andere Hälfte ein paar alte Trag. sessel, die sehr eng und unbequem waren, und ließ diese hübsch auflackiren. Er wollte auch am Trägerlohn Profit machen, denn statt uns, laut Be» fehl des Vicekönigs. vier Träger zu geben, bekamen wir nur drei. einen hinten und zwei vorne. Uebrigens hatte diese Gaunerei für uns nichts Aussallendes, denn wir wußten schon längst daß es den Chinesen sehr schwer fällt den geraden Weg zu wandeln. Man muß sie oft durch Zwangsmittel auf denselben zurückbringen. Am Abend eröffneten wir dann unserm Mandarinen Ting, daß wir nns einen Plan für den andern Tag ausgedacht hätten. — Ich kann uür's schon denken, sagte er mit wichtiger Miene; ihr möchtet nicht während der Tageshitze unterwegs sein, und die Morgenkühle benutzen, nicht wahr? — O nein; morgen sollst Du ganz allein nach Tsching tu fu zurück. — Habt ihr vielleicht zufällig etwas vergessen? — Nein, vergessen haben wir nichts; Du sollst zum Vicekönig gehen, und ihm sagen, daß wir mit Dir nichts mehr zu schaffen haben wollen. — Wir sprachen das mit so ernstem Nachdruck, daß Ting wohl sah, wie wenig wir zum Scherz aufgelegt waren. Er sprang auf, starrte uns mit geöffnetem Munde an, und war sehr bestürzt. Wir fuhren fort: — Du sollst dem Vicekönige sagen. daß wir gar nichts mehr von Dir wiffen wollen, und daß wir ihn bitten lassen, uns einen andern Be< gleiter zu schicken. Und wenn der Vicekönig fragt, weshalb wir das wünschen, so sagst Du ihm es geschehe weil Du uns betrogen hast. Du giebst uns schlechte Palankins, und weniger Träger als Du solltest. — Ja, das ist wahr, das ist wahr! rief Ting, der sich einigermaßen wieder gefaßt hatte; unterwegs habe ich auch schon daran gedacht, daß solche Palankine für Leute eures Standes nicht passen. Ihr müßt recht hübsche, bequeme Palankins mit vier Trägern haben, das versteht sich von selbst. Im Hause des Friedensrichters ging es heute früh etwas wirr durchein« ander; es war nicht Alles wie es sein sollte. Der Verborgene Schatz ist bekannt dafür, daß er gern Profit macht; es ist abscheulich den Geiz so weit zu treiben und euch unpassende Tragsessel zu stellen! Er zeigt da« durch. daß er nicht viel auf Ehre und Nechtschaffenheit hält. Wir sind aber nicht solche Leute, wir werden das Vergehen des Friedensrichters gut machen. und statt der schlechten Palankine gute herbeischaffen. — Das war echt chinesisch gesprochen, das heißt erlogen von Anfang bis zu Ende, aber das ließen wir hingehen, und sagten: Meister Ting, wir wissen sehr wohl. auf wessen Rechnung wir diesen Betrug zu setzen haben; uns ist es gleichviel wer hier gestohlen hat, wir verlangen gute Palankine. Wann 5' 68 Aufenthalt auf einer chinesischen Dschonke. 14. Kap. wirft Du sie herbeischaffen? — Auf der Stelle, gleich, morgen. — Gut. aber behalte wohl im Gedächtniß was Du sagst. — Morgen erhaltet ihr bessere Palankine. wir kommen an einen Ort wo ihr Alles nach Wunsch findet. — Am nächsten Morgen stiegen wir wieder in unsere unbequemen Trag» seffel, und kamen durch eine Menge schmaler Gassen an den Hafen. Wir waren nun am Ufer des Vang tse kiang, des Stromes der ein Sohn des Meeres ist, und den wir Europäer den Blauen Fluß nennen. Ting trat höflich zu uns heran, bemerkte daß die Neise über Land sehr beschwerlich und langwierig sei, und über Berge und an Abgründen hinführe; er habe deshalb eine Barke gemiethet, damit wir schneller und bequemer vor» wärts kämen. Dagegen hatten wir nichts einzuwenden, denn wir waren solange auf festem Boden gewesen daß eine Stromfahrt uns sehr will» kommen erschien. Zudem ließ der heitere Himmel aus einen guten Tag schließen und wir freuten uus darauf, den prächtigen Strom mit feinen herrlichen Ufern hinabzurudern. Wir gingen also auf das Verdeck der Dschonke. die Palankinc wurden in den Naum geschafft. Aber am Bord eines solchen Fahrzeuges kann man rasend oder närrisch werden, bevor nock der Anker gelichtet wird. Eine Masse Menschen drängte sich auf und in dem Schiffe zusammcu. Bei dm Chinesen ist Leib und Seele wie von Gummi elafticum-, beide sind gleich biegsam und geeignet alle Formen an zunehmen. Sie spüren einen Winkel auf, machen sich dort ein Nest in dem sie sich zusammenkauern wie das Thier in einer Muschel, und so bleiben sie daun den ganzen Tag über liegen. Unsere vielen Reisegenossen waren am Bord im Nu untergebracht. Die Palankinträger wählten die Küche, wohin Licht und Lust nur durch eine kleine Fensteröffnung gelangte. Dort lagen sie über- und durcheinander; diese Leute müssen ohne Luft athmen und ohne Licht sehen können. denn kaum hatten sie sich zusammengerückt, so ging auch schon das Kartenspielen an. Die Soldaten, die Dienerschaft der Mandarinen und die unsrige bildeten in fast unglaublichen oder unmöglichen Stellungen und Lagen allerlei Gruppen im Zwischendeck, tranken Thee, muckten Tabak, schwatzten und lärmten. Unsere Mandarinen, Meister Ting und Ofsicier Lcang. hatten eine Art Alkoven aufgesucht, dessen Vorhänge einigermaßen zerrissen waren. Durch diese Lücken drang der bleiche Schein einer Lampe nnd ew weißer, übelriechender Qualm. Beide Leute berauschten sich mit Opium. Wir schritten auf dem Verdeck umher, und schlürften mit vollen Lungen die Morgenluft ein, betrachteten uns die gaffende Menge am Ufer, die uns ihrer Aufmerk- 4. Kap.! Schifffahrt auf dem Blauen Strom. ßg samkeit würdigte, denn solche Leute hatte sie „och nie gesehen. Uebri« gens war immer noch kein Matrose zu bemerken; nur ein alter Chinese saß neben dem Steuerruder, ohne sich jedoch um irgend etwas zu bekümmern. Wir fragten ob das Schiff bald abfahren werde, da blickte er auf: Wer weiß das? Ich bin nicht Herr des Schiffes sondern Koch. — Wo sind denn aber die Matrosen und wo ist der Schiffseigenthümer? __ Der Eigenthümer ist in seinem Hause und die Matrosen find auf dem Markte. — Nach etlichen Stunden kam dann endlich das Schiffsvolk. auch der Patron hatte sich eingestellt; aber deshalb gings nicht etwa fort. sondern es wurde immer hin - und hergetrödclt. Das wurde doch selbst unseren beiden Mandarinen zu viel; sie krochen aus ihrer Opiumhöhle hervor und machten dem Schiffspatron Vorwürfe. Außerdem gab es Streit, weil man noch nicht über den Fahrpreis einig war. und erst gegen Mittag wurde in allem Ernst an die Abfahrt gedacht. Unter näselndem Gesang wanden die Matrosen den Anker auf. hißten die großen aus Binsenmatten verfer« tigten Segel auf, und nun schwammen wir. vom Winde begünstigt, rasch den Strom hinab. Ein Matrose schlug auf eine große Kesselpauke (Tam« tam). um das Land noch einmal zu begrüßen. Es war Nachmittag geworden, und bald nach unserer Abfahrt begann es so gewaltig zu regnen, daß wir nicht länger auf dem Verdeck bleibcu konnten, und in die Kajüte stückten mußten, wo das (Heräusch betäubend und die Hitze zum Ersticken war. Uns fiel sie um so lästiger, da wir eben erst die Eis- und Schneegebirge Thibets verlassen hatten, und der Qualm von Opium und Tabak war uns entsetzlich. Unsere Chinesen dagegen schienen sich trefflich wohl in dieser Atmosphäre zu befinden. obwohl sie mitunter ein wenig keuchten und schnauften. Insbesondere war Meister Ting in bester Laune. Er hatte viel Tabak und Opium geraucht, viel Thee getrunken, und summte jetzt lange Litaneien, wahrscheinlich um seinem Schutzpatron Kao wang dafür zu danken. daß die Wesckafte so gut von Statten gingen; Ting mußte in der That an jenem Tage einen erklecklichen Profit gemacht haben. Wir hatten als Privatdiener einen jungen Chinesen Namens Wc'i Schan erhalten, der sehr anhänglich an uns zu sein schien, natürlich nur deshalb weil er seinen Vortheil dabei zu finden glaubte. Er offenbarte uns die Schliche unserer Mandarine. und von ihm erfuhren wir daß wir die Reise zu Waffer lediglich der Gauncrspeculation unserer Begleiter zu danken hatten. An jedem Haltplatz sollte man, dem Befehl des Vicekönigs zufolge, für den Unterhalt unserer gauzen Reisegesellschaft sorgen, die Kosten 7l) Ankunft in Kim tscheu. l4. Kap. bis zur nächsten Station bestreiten, nnd sowohl Palankinträger als Sol. daten stellen. Diese Frohndienfte kosteten natürlich viel Geld. Meister Ting hatten am Tage vor unserer Abreise von Tsching tu fu einen schlauen Plan entworfen; er sendete nämlich seinen Schreiber voraus, um durch ihn auf dem Wege, den wir nehmen sollten, die bestimmten Summen erheben zu lassen; dabei ließ er den Ortsbeamten sagen, er wolle ihnen weitere Ungelegenheiten ersparen, und desbalb die Reise mit uns zu Wasser machen; stromab konnte er nämlich in einem Tage recht wohl vier Stationen zurücklegen. Das Fahrgeld auf einer Barke war gering, unser ehrlicher Führer konnte also ganz erheblichen Profit machen, und deshalb sang er auch wohl mit so großem Behagen seine Litaneien ab. Nun war aber diese Stromreise nicht nur höchst unangenehm, sondern auch äußerst gefährlich. Der Regen wollte nicht aufhören, die Nacht brach ein und wir hatten noch nicht den halben Weg zurückgelegt. Im Binnenlande von China gewinnt der Blaue Strom seine völlige Entwicke» lung; er wälzt seine gewaltige Wasserfülle in majestätischem Laufe ruhig durch weite Ebenen; dort ist auch keine Gefahr für die Sckiffe zu besorgen. Aber im Gebirgslande von Sse tschuen ist sie dafür desto größer; derStrom ist an manchen Stellen furchtbar reißend, sein vielfach gekrümmtes Bett starrt von Felsen, und der Schiffer muß die größte Vorsicht anwenden um nicht zu scheitern. Der ebenso wohlwollende als vorsichtige Vicekönig hatte gerade deshalb befohlen, daß wir zu Lande reisen sollten, aber er hatte seine Rechnung ohne den schlauen Meister Ting gemacht, der nun einmal, trotz Lebensgefahr für uns und ihn, seinen Prosit machen wollte. Wir mußten ihn gewähren lassen als wir einmal auf dem Wasser waren, entwarfen aber einen Plan, der ganz darauf berechnet war, ihm die Lust an weiteren Speculationen auf unsere Kosten zu verleiden. Erst nach Mitternacht waren wir im Hafen von Kien tscheu, einer Stadt dritter Classe. Es war stockfinster und noch immer fiel der Regen in Strömen herab. Am Ufer standen die Ortsbeamten und der Schreiber Tings. Unsere Palankins wurden aus dem Raum heraufge» schafft und wir stiegen ein; Ting rief ihnen laut zu. sie sollten unS in die Herberge der Erfüllten Wünsche bringen. Aber als wir um eine Ecke gebogen waren, ließen wir stillhalten, und befahlen den Trägern, uns nicht nach jener Herberge, sondern nach dem Gemeindepalaste zu bringen. Das geschah, aber wir fanden die Thüren verschlossen. Wir sagten den Trägern, sie möchten dafür sorgen, daß aufgemacht werde; und das thaten sie mit einem erstaunlichen Gifer, indem sie mit Steinen die Thür ein» 5. Kap.l Zurechtweisung Meister Tings. 7^ warfen. Ein alter Schaffner des Hauses erschien in sehr mangelhafter Bekleidung, er war außer sich über den Hollenlärm, dessen Ursache er gar nicht begriff. Wir gaben ihm die nöthige Erläuterung, und erfuhren daß im Kung kuan gar keine Anstalten zu unserem Empfang getroffen worden stien, weil Niemand uns angemeldet kabe. Das war wieder ein cki« nefischer Streich unsers Meister Ting. Wir mußten uns nun bequemen, den Weg zu dem genannten Hotel der Erfüllten Wünsche einzuschlagen, wo wir deun auch das ganze Gefolge beisammen fanden. Ting und Leang setzten uus auseinander, es sei lediglich unser Verdienst, daß unterwegs lein Mensch ertrank, unser gutes Glück habe Alle geschützt; nachher wurde auseinandergesetzt, daß es platterdings unmöglich gewesen sei, im Gemeindehause ein Unterkommen zu finden. Wir entgegneten kurz, daß uns hungere. Nach dem Abendessen wollten wir schlafen, und am an» dern Morgen mit einander abrechnen. Fünftes Kapitel. Zwistigleiten mit den Mandarinen von Kien tscheu. — DaS Oemeinde-haus und dessen Pracht. — Sse ma kuangs Zarten. ^ Chinesische Küche. — Zustand der Wca,e und Straßen. — Erzeugnisse der Provinz Sse tschuen. — Tabakrauchcu und Tavakschnuvfen. — Tschung khing, eine Stadt erster Classe. — Ceremonien und Etikette. — Nächtliche Erscheinung. — Nachtwächter. — Fcncrsbrimstc in China. — Wir erhalten noch einen Soldatenmandarin zum Begleiter. — Tschang scheu hien, eine Stadt dritter Classe. — Drei Christen werden in Freiheit gesetzt. — Wie man Negeu erfleht. — Der Drache des Regens wird vom Kaiser verbannt. Gleich nach Tagesanbruch nahm Meister Ting sich heraus, uns im Schlafe zu stören; er bemerkte, daß es Zeit zum Aufbrechen sei. — Mach schnell, daß Du wieder fortkommst, Meister Ting, sagten wir; und wenn Einer sich erfrecht uns zu beunruhigen so lange wir schlafen, dann lassen wir Dich absetzen. Dn hast Dir schon so viele Verbrechen zu Schulden kommen lassen, daß Dein Proceß nicht lange dauern soll! — In aller Eile schlug er die Thür zu. und wir schliefen wieder ein. Wir waren in der That sehr müde. und standen erst gegen Mittag auf. hatten dann aber die geeignete Stimmung um nüt Vergnügen einen Strauß gegen die Man« darinen durchzufechten. In einem Nebenzimmer wurde leise gesprochen. 72 Gleißnerei der Mandarinen von Kien tscheu. s5. Kap. Als wir die Thür öffneten, fanden wir alle höhere Beamten in einem Saale versammelt. Wir begrüßten die glänzende Gesellschaft möglichst feierlich, rückten darauf odne Weiteres Sessel an einen mit allerlei Dessert besetzten Tisch, und ersuchten die Anwesenden auch ihrerseits Platz zu nehmen. Unser festes Auftreten schien die Beamten einigermaßen in Erstaunen zu setzcn. Der Stadtpräfect oder Bürgermeister ersuchte uns, die Ehrenplatze einzunehmen, was denn auck sofort geschah. Eigentlich verstieß das gegen die chinesische Höflichkeit und Bescheidenheit; wir hätten zuvor einige Redensarten machen müssen, aber es war durchaus nöthig. den Leuten ernstlich zu zeigen daß wir nicht mit uns spielen lassen wollten. Es waren ziemlich viele Mäste am Tisch. Sie aßen ohne ein lau» tes Wort zu reden, und nur der Eine oder Andere raunte stillem Nachbar einige Höflichkeitsformeln zu. Man beobachtete uns verstohlen und be« mühte sich aus unserm Gesicht abzunehmen, wie wir gestimmt seien. Die Verlegenheit war allgemein; eudlick hatte ein junger Civilbeamter Muth, und klopfte auf den Busch. — Gestern war schlechtes Wetter, und die Fahrt auf dem Blauen Strom war wohl recht unangenehm? Heute'aber ist das Wetter prächtig. Schade, daß ihr nicht in aller Frühe aufgebrochen seid. dann wäret ihr gegen Abend in Tschung thing angekommen. Tschung thing ist ohne allen Zweifel der hübscheste Ort in der ganzen Provinz. — Ja wohl. riefen die Ucbrigcn. Tsckung thing ist unvergleich» lich; dort findet man Alles was mau nur wünschen kann. Das ist ein Unterschied zwischen unserer armen Gegend hier und jener Stadt! — Der junge Beamte nahm wieder das Wort: Es ist eigentlich noch nicht spät, ihr könutet heute noch recht gut dorthin kommen, oder unterwegs in einem sehr hübschen Gememdehause bleiben, dann wärt ihr mit aller Bequemlichkeit schon morgen Vormittags in Tschung thing. — Ja. ja, fiel ein Anderer ein, die Sache ließe sich leicht machen, denn die Wege sind so eben wie die flache Hand. und die Gegend ist wirklich entzückend hübsch. Man hat fast überall Schatten von hohen Bäumen. — Nun ließ sich der dicke Bürgermeister vernehmen: — Sind diePalankinträger schon bestellt worden? — Das rief er der zahlreichen im Saale umherftehenden Die« nerschaft zu; dann sprach er weiter: — Holt sie schnell herbei, denn unsere beiden erlauchten Gäste wollen platterdings aufbrechen, sobald sie den Reis gegessen haben, ihre Zeit drängt, und sie können uns die Ehre ihrer Gegenwart nicht länger schenken. — Nun»sprachen wir: — Nur ein we« nig Geduld, ja keine Uebereilung! Es scheint, als ob Niemand hier ge« 5. Kap-1 Zwistigkeitcn mit den Mandarinen von Kien tscheu. 73 nauer über unsere Angelegenheiten unterrichtet sei. Erstens, wollen wir andere und bessere Palankine haben, weil die aus Tsching tu ft» uns gar nicht anstehen. Nicht wahr. Meister Ting, hier finden wir gute Palan» kine und vier Träger? — Nein. nein. bewahre, riefen die Mandarinen; woher sollten in einer so kleinen Stadt dergleichen Tragsessel kommen? Die müßte man lange vorher bestellen und von auswärts herbeischaffe» lassen. — Nun. so schafft sie herbei. Uns drängt die Zeit nicht im Ge-ringften, es ist uns einerlei, ob wir einen Monat früher oder später in Canton anlangen. Inzwischen wollen wir uns hier am Ort ein wenig erholen, und uns die Merkwürdigkeiten der Stadt und die schönen Umge« bungen ansehen. — Der Bürgermeister meinte: In einer so armen Ge« gend haben wir keine geschickten Albeiter, alle Welt weiß, daß hier nur kleine Palankine von Bambus und für nur zwei Träger gefertigt wer« den. Hier zu Lande kennt man keinen Lu^us. wir haben nur sehr wenig wohlhabende Leute. Aber in Tschung thing findet ihr großartige Fabriken aller Art. — Ja, ja. in Tschung khing ist Alles zu finden. Präch. tige Palankine haben sie dort. Es ist ja weltbekannt, daß die Manda« rinen aller achtzehn Provinzen ihre Palankine aus Tschung khing ver« schreiben. — Ist das Alles richtig? fragten wir Meister Ting. — Ja, das ist Alles die reine Wahrheit, denn wer dürfte hier Lüqen sagen? — Schon gut. Du mußt also einen sachverständigen Man» nach Tschung khing schicken, und Palankine herbeischaffen lassen. Wir blciden so lange hier und warten. Da wir ohnehin einiger Ruhe bedürftig sind, so kommt uns das gerade sehr gelegen. Das sagen wir Dir in aller Ruhe; aber unser Entschluß ist unwiderruflich, und es bleibt dabei. — Die Mandarinen sahen einander ganz verblüfft und verdutzt an. Während dieser interessanten Gespräche nahm das Essen seinen Fortgang. Nach'der letzten Tasse Thee standen wir auf, und gingen in unser Zimmer. Die Mandarinen mochten die Sache abwickeln. so gut fie eben konnten. Endlich, nach langem Hin - und Herberathen, schickten sie Deputationen um uns umzustimmen; erst kamen Civilmandarine, dann Militairs. endlich fand sich eine gemischte Deputation ein. Aber wir blieben unbeugsam. Diese würdigen Beamten häuften Lüge auf Lüge, um uns zu beweisen daß wir abreisen müßten. Wir entgegneten auf Alles mit dürren Worten: Wenn Männer wie wir einen Entschluß fassen, so steht er unwiderruflich fest. Endlich wird gemeldet, daß Tragsessel im Hofe ständen, und man bittet uns, fie zu betrachten. Das geschieht, und wir sagen: Die Pa» 74 Zwistigleiten mit den Mandarinen von Kien tscheu. s5. Kap. lankine find gut; ihr mögt sie kaufen. — Daß sie gelaust werden muß« ten. darüber war man einig. nicht aber darüber. wer sie bezahlen solle. Wir betheiligten unS nicht an der lebhaften Erörterung, die nun sich er. bob, fanden es aber doch zweckmäßig unsern guten Rath nicht unter den Scheffel zu stellen, und bemerkten: — Es ist vollkommen klar. daß die Stadt Kien tscheu gar nicht die Verpflichtimg hat uns Palankine zu stellen. — Die Mandarinen warfen ein: Das ist wahr und gemäß dem Recht gesprochen. — Wir fuhren fort: Das ist Sache der Verwaltung in Tschung tu fu. denn sie war beauftragt. alles Nöthige für die Reise vorzukehren; es will uns aber bedünken daß Der, welcher die ersten Pa« lantine ankaufte. die Gebote der Ehre unberücksichtigt gelassen hat. — Ja wohl, so ist's, sprachen die Mandarinen, er wird wohl einen Theil des Geldes unterschlagen haben. — Jetzt muß die Sache ins Gleiche ge« bracht werden, und das läßt sich ohne alle Schwierigkeit machen. Gestern haben wir vermöge der Stromfahrt zwei Tagereisen gemacht. Meister Ting hat Geld für zwei Stationen erhoben und doch nur Schiffsgelegen-heit bezahlt. Uns will bedünken. daß es seine Schuldigkeit sei, die Pa« lankine zu bezahlen. — Die Mandarinen von Kien tscheu lachten bell auf, und fanden unsere Ansicht ganz in der Ordnung; aber Meister Ting war vor Zorn außer sich. und schrie als ob ihm ein Zahn ausgerijsen würde. Wir hatten aber ein Mittel ihn zu beruhigen: — Sei still, und bezahle den Preis für die Palanline, sonst schreiben wir auf der Stelle an den Vicekönig daß Du uns auf dem Blauen Strom haft reisen lassen! — Diese Drohung wirkte wie ein Wunder, das Geld wurde bezahlt. Inzwischen war es dunkel geworden, und vom Abreisen konnte keine Rede mehr sein. Die Mandarinen mä'chten sich über Tings Mißgeschick sehr luftig, und abnten nicht, wie bald auch an sie die Reihe kommen sollte. Am andern Morgen fragte Ting sehr bescheiden, db er die Träger rufen lassen könne; auch überreichte er uns einige Besuchkarten. vermit« telft welcher einige Mandarinen uns glückliche Reise wünschten. Wir sag» ten zu Ting, er möge nur immer Träger kommen lassen, den wir wollten aus der Herberge der Erfüllten Wünsche nach dem Gemcindehausc über« fiedeln und da wohnen. Er schien nicht genall zu begreifen, was wir eigentlich wollten. Nachdem wir uns noch deutlicher ausgedrückt, ging er fort. Und nun waren im Augenblick alle Beamten in Aufregung, und liefen herbei, um sich zu überzeugen ob das Unbegreifliche auch wahr sei. Wir ließen den Bürgermeister kommen, und sagten ihm. er müsse aus der Hauptstadt seiner Provinz Befehl erhalten haben, uns Herberge im Ge« 5. Kap.1 Ein lügenhafter Bürgermeister. 75 meindehause anzuweisen. Wir wüßten nicht weshalb in Kien tscheu die Anordnung des Vicekönigs unberücksichtigt bleibe, wollten aber aus mehreren Gründen den Gasthof verlassen, und einen Tag im Kung kuan ve» weilen. Wir beständen darauf, einmal um eine Nichtachtung der Befehle und einen so bösen Vorgang nicht ohne Weiteres hingehen zu lassen, so. dann auch, um späterbiu dem Vicekönig einen Verdruß zu ersparen. Denn wir seien verbunden ibm Rechenschaft über unsere Reise abzulegen, und es würde uns doch leid sein. ihm melden zu müssen daß in Kien tscheu seine Befehle misachtet würden. Uebrigens hätten wir einen langen, sehr bc. schwerlichen Weg vor uns. hätten auf dem Blauen Strom viel Ungemach erduldet, und wollten noch einen Tag ausruhen. — Der Bürgermeister konnte gegen alles Dieses nichts einwenden, ihm lagen aber die Kosten auf der Seele, die uuser Aufenthalt sammt Gefolge verursachen mußte. Aber das verschwieg er natürlich. auch glaubte er mit Winkelzügen und Lügen weit eher seinen Zweck zu erreichen. Und so bemerkte er denn, er wisse das unendliche Glück unserer Anwesenheit in Kien tscheu wohl zu schätzen. Männer aus dem großen Lande Frankreich sehe man dort gar selten; unsere Gegenwart könne nicht verfehlen, dem ganzen Lande Segen zu bringen. Aber leider sei das Gemeindehaus in unbewohnbarem Zustande, ja so widerwärtig und abscheulich, daß man Anstand nehmen müsse, den geringsten Menschen aus der letzten Volksclasse darin unterzubringen Ohnehin wcrde eben jetzt darin gebaut und ausgebessert, und im großen Saale ständen in diesem Augenblicke sieben oder acht Särge, mit den Leichen verschiedener Beamten, die kürzlich im District gestorben seien, und demnächst von ihren Familien abgeholt würden, um in ihrer Heimat be» graben zu werden. Auf die Sarge hatte der würdige Bürgermeister stark gerechuet; sie konnten, dackte er, unmöglich verfehlen, einen tiefen Eindruck auf uns zu machen. Aber wir erblaßten nicht, hatten im Gegentheil große Luft, ihm hell ins Gesicht zu lachen, denn wir konnten fest überzeugt sein. daß an der ganzen Geschichte auch nicht ein wahres Wort war. Wir bemerkten also in scherzendem Tone, der Vicekönig habe gewiß keine Ahnung davon, daß der Gemeindepalast von Kien tscheu in ein Leichenhaus verwandelt worden sei; man müsse ihm das doch schreiben, denn wenn er einmal nach dieser Stadt komme, so werde er doch nicht g»n unter Leichen wohnen mögen. Wir für unsern Theil hätten keinerlei Bedenklichkeiten, denn wir fürchteten uns ckcht vor den Lebendigen, und vor den Todten hätten wir erst recht keine Furcht. Wir würden uns im Kung kuan schon ganz 76 Das Gemeindehaus und dessen Pracht. s5. Kap. wohnlich einzurichten wissen. Als trotzdem der Bürgermeister Einwendungen machte, stellten wir ihm ein Ultimatum. Er möge bandeln wie er wolle, müsse uns aber eine Schrift ausstellen und unterzeichnen, in welcher er bekenne, daß wir in Kien tscheu nicht hätten verweilen können, weil das Gemeindehaus unbewohnbar sei. Endlich sab er ein, daß alle seine Schliche nichts verfangen wollten, und nun lenkte er ein. Den Unterbeamten rief er zu: — Ich bin vollkommen einerlei Anficht mit unseren Gästen; sie müssen durchaus einen Tag ausruhen. Geht rasch ins Gemeindehaus, nehmt die Särge fort, bringt Alles in Ordnung, und laßt euch ja nicht zum zweiten Male Fehler zuschulden kommen! — Zehn Minuten nachher saßen wir in uilseren ueuen Palankinen und wurden mit allem Pomp zum Kung kuan geführt. Vorher hatten wir den Meister Ting bei Seite genommen, und ihm ins Ohr gesagt: Wenn wir nicht nach Wunsch und Gebühr behandelt werden, so bleiben wir länger als einen Tag. — Fürwahr, ein seltsames Land, wo man sich solcher Mittel bedienen muß, wenn man nicht bedrückt sein will. Es wäre wirklich schade gewesen, wenn wir den prächtigen Gemeinde-palaft von Kien tscheu nicht gesehen hätten. Wahrscheinlich besorgten die Mandarinen, es würde uns in demselben so außerordentlich gefallen, daß wir gar keine Luft hätten weiter zu reisen. Wir kamen in einen großen mit hohen Bäumen bepflanzten Hofraum. und von diesem aus auf einer steinernen Treppe von dreißig Stufen in das Hauptgebäude. Die Ge» mächer waren hoch und geräumig, dabei ungemein sauber und kühl; die lackirten Möbeln hatten sehr mannigfaltige, vergoldete Muster, die Vorhänge waren von gelbem und rothem Taffet, die Teppiche aus Bambusfasern schön und lebhaft bemalt. Wir fanden alte Broncen, große Por< zellanurnen und zierliche Blumenvasen. In dem prächtigen Garten hin« ter dem Haufe hatte der finnreiche Fleiß der Cbinesen sich selbst überboten, um die Natur wiederzugeben. Wir Europäer nennen dergleichen Anlagen sehr uneigentlich englische Anlagen. In einem kleinen chinesischen Gedichte: „Der Garten des Sse ma kuang." schildert dieser berühmte Staatsmann und Geschichtschreiber die Wunder und Neize seines Landaufenthaltes. Wir wollen dieses köstliche Bruchstück um so lieber mittheilen, da es zugleich den Charakter des Dichters selber kennen lehrt. Ssemakuang nung. und war Premierminister unter der Dynastie der Song. Er sagt: „Mögen Andere Paläste bauen, um in denselben ihnen Kummer ein» zuschließen oder ihre Eitelkeit zu entfalten. Ich habe mir eine Einsam« 5. Kap.) Der Garten Sse ma kuangs. ^? keit geschaffen, um meine Mußezeit angenehm zu verleben, und mich mit meinen Freunden zu unterhalten. Dazu haben zwanzig Morgen Landes genügt. In der Mitte liegt ein großer Saal; in demselben habe ich fünf« tausend Bände aufgestellt, damit ich die Weisheit befragen und mit dem Alterthum verkehren könne. Nach der Mittagsseite liegt ein kleinerer Saal. umgeben von Waffer. das ein von den Hügeln im Westen herab« plätschernder Bach bringt, Es bildet ein tiefes Becken, aus welchem fünf Arme abzweigen, wie die Pranken eines Leoparden; aus ihnen spielen un-zäblige Schwäne. — Am Ufer der ersten Abzweigung, die rauschende Kas» kaden bildet, erhebt sich ein steiler Fels. Sein Gipfel ist gekrümmt wie der Rüffel eines Elephanten, und stützt ein gleichsam in der Luft schwebendes Cabinet. Dieses ist offen, damit man die frische Luft einathmen und die Rubinen sehen kann, mit welchen die aufgehende Sonne von der Morgenröthe gekrönt wird. — Die zweite Abzweigung theilt sich wenige Schritte von da in zwei Canäle, die sich um eine Galerie schlangeln. Diese ist mit einer Doppelterraffe eingefaßt, die, voller Blumengewinde, statt der Pfeiler Rosen« und Granatbäume hat. Die westliche Abtheilung zieht im Bogen nördlich um einen alleinstehenden Porticus herum und bildet dort eine kleine Insel, deren Ufer mit Sand, Muscheln und verschieden» farbigen Kieselsteinen bedeckt sind; ein Theil ist mit immergrünen Bau» men bepflanzt, in einem andern steht eine Rohrhütte, wie die Fischer sie haben. Die beiden anderen Abzweigungen scheinen einander aufzusuchen und doch zu fliehen; si>e murmeln am Abhang einer blumigen Wiese da. hin, welcher sie Erfrischung spenden. An manchen Stellen treten sie aus ihrem Bett. und bilden kleine, von grünem Nasen umschlossene Teiche. Dann verlassen sie die Wiese, ergießen sich in schmale Rinnen, brechen und verlieren sich in einem Labyrinthe von Felsen, welche ihnen den Durchgang streitig machen. Dort rauschen sie tief, und entfliehen als Schaum oder in silbernen Wellen durch die Windungen, welche ihnen einen Ausgang ermöglichen. — Im Norden des großen Saales liegen mehrere kleine Häuser zerstreut, theils auf Hügeln, deren einer über dem andern ragt, wie die Mutter über ihre Kinder, theils an Bergabhange an« gelehnt. Manche stehen auch in kleinen Thalschluchten und sind nur zur Hälfte sichtbar. Ueberall spendet Bambusgebüsch kühlen Schatten, und auf die sandigen Pfade fällt kein Sonnenstrahl. Nach Osten hin breitet eine kleine Ebene sich aus; sie ist in viereckige und länglich runde Beete getheilt; ein alter Eederuwald schützt sie vor dem kalten Nordwinde. In allen Beeten stehen wohlriechende Kräuter, Arzeneipfianzen, Blumen und 78 Der Garten Sse ma kuangs. ^5. Kap. Gesträuche. An diesem herrlichen Orte wohnt steter Frühling; ein Wald« chen von Granatbäumen. Citronen und Orangen, die unablässig Blumen und Früchte tragen, schließt den Horizont. In der Mitte erhebt sich ein grünes Kabinet, zu weläiem man in mehreren Windungen. wie in den Windungen einer Muschel, allmälig zum Gipfel hinanstcigt. Die Seiten sind mit Rasen belegt, der an vielen Stellen Bänke bildet. Sie laden zur Ruhe ein. und zum Genießen der schönen Aussicht. — Im Westen führt ein Baumgang von Hängeweiden an das Ufer eines breiten Backes, der einige Schritte von da über einen mit Evheu und wilden Pflanzen überzogenen Felsen hinabstürzt. Ringsum fällt der Blick auf schroffes, wirr durch einander geworfenes Gestein, das in schmuckloser ländlicher Art sich amphitheatralisch über einander thürmt. Unten liegt eine tiefe Grotte, die sich allmälig erweitert, und dann einen unregelmäßigen rund überwölbten Saal bildet. Durch eine breite, mit Geisblatt und wilden Reben umsäumte, Oeffnung fällt Licht hinein. In diesem Gewölbe findet man Zuflucht gegen die drückende Sommerwärme. Als Sitze dienen ein« zelne Felsblöcke, und Bänke, die in das Gestein gehauen worden find. Aus einer der Wände springt ein Quell hervor, füllt die Höhlung eines großen Steins, fließt in Silberfäden aus demselben ab. schlangelt sich durch viele Spalten, und sammelt sich in einem Becken, das zum Baden einladet. Es verliert sich unter einem Gewölbe, macht in demselben eine Windung. und eilt dann einem Teiche am Fuße der Grotten zu. Zwi» schen ibm und den wild durch einander geworfenen Felsen, welche ihn ein« schließen, führt nur ein schmaler Pfad. Dort hausen Kaninchen; im Teiche spielen Fische. — Wie bezaubernd ist diese Einöde! Der Teich ist mit kleinen rohrbewachsenen Inseln übersäet, auf welchen verschiedene Arten von Vögeln gehalten werden. Man gelangt mit Leichtigkeit von einem Eilande zum andern, theils über Steine hinweg, theils über kleine Brücken, die wie der Zufall es eben wollte, vertheilt sind. in Bogenspannung, oder im Zickzack oder in gerader Linie, je nach dem Raum. Wenn die Wasserlilien in Blüthe stehen, dann bilden sie einen Kranz von Purpur und Scharlach, wie der Horizont am südlichen Meere, wenn die Sonne dorthin kommt. Um aus dieser Einöde hmauszugelangen. muß man mehr» mals auf denselben Pfad zurückkommen, oder den Saum steiler Felsen überschreiten, welcher ihn von allen Seiten umgiebt. Man steigt von diesem Felsenwall herab, vermittelst einer steilen Treppe, die aus dem Gestein gehauen werden mußte; man sieht noch die Spuren der spitzigen Hacken. Das Ruhehaus dort ist ganz einfach, es hat Schmuck genug an 5. Kap.) Der Garten Sse ma tuangs. ^g der Ausficht über eine weite Ebene, in welcher sich der Kiang durch Dör-fer und Reisfelder schlangelt. Mit Vergnügen verfolgt der Blick die unzähligen Schiffe auf dem großen Strome; die vielen Reisenden auf den Straßen, die im Felde zerstreut arbeitenden Menschen, beleben die Land« schaft, und das Auge fühlt sich erfrischt, wenn es an den blauen Bergen haftet, die den Horizont begrenzen. Wenn ich in meinem Büchersaale genug gedacht und geschrieben habe, steige ich in einen Nachen, den ich sel« ber rudere, und genieße das Vergnügen welches mein Garten mir darbte» tet. Manchmal lege ich bei der Fisckerinsel an; ein breiter Strohhut schützt mich vor den Sonnenstrahlen. Ich ködere die Fische die im Wasser spie» len. und denke an die Leidenschaften der Menschen, wenn ich sehe. wie ein Fisch vergeblich nach dem Köder hascht. Oder ich nehme den Bogen in die Hand, den Köcher über die Schulter, klimme die Felsen hinan, spähe nach Kaninchen nnd durchbohre sie mit dem Pfeil, sobald sie ihren Bau verlassen. Aber sie sind klüger als wir, sie fürchten die Gefahr und flie» hen vor ibr; denn keins erscheint, wenn die Thiere mich einmal erblickt haben! In dem Gärten pflücke ich heilkräftige Pflanzen, um sie aufzu» bewahren. Ich nehme eine Blume die mir besonders gefallt und erfreue mich an ihrem Duft; bedarf eine des Waffers, dann begieße ich sie. und das kommt auch ihren Nachbarn zu Gute. Der Anblick wohlgereifter Flüchte hat mir oftmals die Lust zum Essen wiedergegeben, die ich beim Anblicke von Fleisch verloren hatte. Meine Granatbäume und Pfirfische gefallen auch meinen Freunden, wenn ich ihnen davon schicke. Einen jun» gen Bambus der stehen bleiben und wachsen soll, beschneide ich. oder biege seine Zweige und verschlinge sie mit anderen. damit sie den Weg nicht versperren. Mir ist es einerlei, ob ich mich am Ufer des Wassers, oder tief im Gehölze, oder auf einer Felsenspitze niederlasse; alle find mir gleich recht zum Ruhen. Ich trete in ein kleines Haus, um zu beobachten, wie der Storch den Fischen nachstellt. Aber bald vergesse ich. weshalb ich eigentlich kam, Venn ich nehme mein Kiü (eme Art Geige) und reize die Vögel zum Gesang. Zuweilen überrascht mich der scheidende Strahl der Sonne, wenn ich noch eine Schwalbe beobachte, die in zärtlicher Besorg» niß für ihre Jungen umherflattert; ich sehe welche Listen der Raubvogel aufbietet, um seine Beute zu erHaschen. Längst ging der Mond auf. und ich sitze immer noch da; das ist eine Wonne mehr. Beim Gemurmel des Baches, beim Rauschen des vom Winde bewegten Gezweiges, beim Anblick des herrlichen Himmels versinke ich in süße Träumerei; die ganze Natur spricht zu meiner Seele, das Gefühl überwältigt mich, und erst um ' 5» 80 . Empfang der »bersten Beamten im Knug tuan. » Kap. Mitternacht lange ich wieder vor meiner Thürschwelle an. — Manchmal kommen Freunde und unterbrechen meine Einsamkeit; sie lesen mir ihre Arbeiten vor. oder hören die meinigen an. Sie nehmen Theil an meinen Ergötzunaen. Unser einfaches Mahl wird erheitert durch Wein. gewürzt von Philosophie. Am Hofe werden die Lüste aufgestachelt; man verleum» det dort gern. schmiedet Waffen und stellt Fallen. Wir dagegen rufen die Weisheit an und weiden ibr unsere Heizen, Ibr ist immer mein Blick zugewendet, aber ach. ihre Strahlen dringen nur durch vieles Gewölk getrübt zu mir. Wenn ein Sturm diese Wollen verjagt, dann wird diese Einsamkeit für mich ein Tempel des Vergnügens sein. Doch was sage ich? Als Vater, Gatte. Bürger uud Mann der Wissenschaft habe ich tausend Pflichten; mein Leben gehört nicht mir au. Lebe wohl. theurer Garten. lebe wohl! die Liebe zu meiner Familie und zum Vaterlande ruft mich nach der Stadt zurück. Bewahre alle deine Reize, um mir den Kummer zu verscheuchen, und meine Tugend zu bewahren." Der Garten beim Gemeindepalast in Kien tscheu bot freilich nicht alle die Reize dar, welche Sse ma kuangs Pinsel schildert; er war aber einer der schönsten die wir in China gesehen haben. Wir blieben bis gegen Mittag darin. und hatten vollauf Gelegenheit zu bewundern wie finnreich die Chinesen bei ihren Gartenanlagen zu Werke geben. Wir saßen eben in der Halle einer kleinen Pagode. als Meister Ting nns meldete, daß die Zeit zum Speisen gekommen sei. Die obersten Beamten, alle in festlicher Amtskleidung, waren schon im Saale, und empfingen uns mit anmuthiger Höflichkeit. Wir überhäuften uns gegenseitig mit Complimenten. denn Keiner wollte die Ehrenplätze einnehmen. Wir mach» ten diesem Wetteifer dadurch ein Ende. daß wir erklärten, der Kung kuan sei gleichsam als die eigene Wohnung der Reisenden zu betrachten; wir seien darin wie zu Hause, und deshalb verpflichtet, unsere Gaste dem herkömmlichen Brauche gemäß zu behandeln. Demgemäß wiesen wir Jedem einen Platz an, wie er seinem Range zukam. und behielten die letzten für uns. Das Alles machte einen sehr guten Eindruck, und die Mandarinen mochten wohl denken, daß wir doch nicht solche Barbaren seien, wie fie am Abend vorher gewißlich gedacht hatten. Das Mahl war glänzend, und alle Vorschriften der chinesischen Etikette wurden genau beobachtet. Unsere Gäste waren so unendlich liebenswürdig, daß wir keinen Augenblick darüber in Zweifel sein konnten, wie herzlich gern sie uns über alle Berge wünschte». Wir wollen hier die chinesischen Gastmähler nicht ausführlich schil« 5. Kap.) Die chinesische Küche. «^ dern. Es ist viel darüber geschrieben worden, und insgemein wärmt das eine Buch nur wieder auf, was schon in zehn anderen gestanden hat- nur werden noch Zusätze beliebt, die besser weggeblieben wären. So wird zum Beispiel angedeutet, die Chinesen hätten seit etwa hundert Jahren neue Entdeckungen in der Kockkunst gemacht, und man erzählt dem lieben Publicum, sie thäten Ricinusöl an ihre Gerichte; Haifischflossen würden als Lieblingsgericht und Leckerbissen betrachtet, gerade wie Sperlings, köpfe, Gänsepfoten, Fischeingeweide, Kämme von Pfauhähneu und der. gleichen Prachtspeisen mehr. Wahrscheinlich haben die Leute, welche der« gleichen in Umlauf brachten, nur in der Umgegend von Canton, ganz in der Nähe der englischen Faktoreien chinesisch gespeist, und dort solche Gerichte, angeblich, getroffen. Wenn ein Europäer als Neuling nach China kommt, so hat er in der Regel keinen lebhaftern Wunsch, als einem chi> msischen Gastmahl beizuwohnen, denn dort hofft er ganz neue und über« raschende Dinge zu finden. Wir sind zu der Annahme geneigt, daß die Kaufleute in Canton, um solchen Grünschnäbeln einen Gefallen zu erzeigen , sich manckmal auf Kosten derselben lustig machen. und allerlei wunderliche Schüsseln zubereiten lassen, die der chinesischen Küche fremd sind. Pfauen kommen in China so selten vor, daß wir dergleichen gar nicht gesehen haben. Pfauenfedern kommen als Geschenke der zinspstich« tigen Fürsten an den Hof von Peking, und der Kaiser schenkt sie als Zeichen großer Gnade und Gunst an die höchsten Beamten, welche dann einen solchen Schmuck bei feierlichen Gelegenheiten an der Ceremonien« mütze tragen dürfen. Woher sollen denn mm die „Kämme von Pfauhähnen" kommen, die angeblich bei chinesischen Gastereien verzehrt werden ? Ricinus ist allerdings in China wohl bekannt, und wird in den Nord» Provinzen in großer Menge gebaut; das daraus gewonnene Oel dient aber zur Beleuchtung. Man ist weit davon entfernt, die Speisen damit fett zu machen. Als wir uns in einer Christengemeinde unweit von Peking befanden, wollten wir einem Kranken ein wenig Ricinusöl eingeben; aber die Chinesen widersetzten sich. weil jenes Oel giftig sei. Wir wollen übrigens nicht leugnen, daß man in Canton wohl dem einen oder andern Europäer Speisen mit Ricinusöl vorgesetzt haben könne, wir zweifeln aber auch keinen Augenblick daran. daß man diese Neulinge grausam mysti« ficirt habe, und daß sie selber ausgelacht wurden, während sie alle Ursache zu haben glaubten. sich auf Kosten der Chinesen lustig zu machen. Uebrigens bleibt es volMnmen richtig, daß ein echt chinesisches Gastmahl einem Europäer ganz wunderlich und seltsam vorkommen muß. Huc, Lhwa. ' > , O 82 Chinesische Küche. 15. Kap. Ein solcher bildet sich ja ein, alle Völker in aller Welt müßten gerade so essen und speisen wie er selber. Es erscheint ihm nicht in der Ordnung, daß man mit dem Nachtisch anfängt lind mit der Suppe aufhört. den Wein warm und aus kugelrunden Porzellanbechern trinkt, statt der Gabel sich zweier Stabchen bedient. und das Fleisch in kleinen Stücken bereits zerschnitten vorgelegt bekommt. Statt der Servietten hat man viereckige Stückchen bunten Scidenvapiers. wovon ein ganzes Päckchen neben jedem Gast hingelegt wird; was davon gebraucht worden ist, nimmt der Diener sogleich fort. In den Pausen, welche zwischen dem Auftragen der verschiedenen Gänge stattfinden, steht man auf, raucbt eine Pfeife oder zer-strent sich in anderer Weise. Man deutet den Schluß des Mahles dadurch an, daß man die Speisestäbchen erst in gleicher Höhe mit der Stirn halt, und sie dann wagerecht auf die Tbeetasse legt. Dergleichen hat. wie be» merkt, für den Europäer etwas sehr Auffallendes. Dagegen ist aber auch das Erstaunen der Chinesen nicht gering, wenn sie sehen wie Europäer zu speisen pflegen. Sie ftagen, wie es nur möglich sei, daß wir die Ge» tränke kalt zu uns nehmen; wie wir wohl zu dem höchst sonderbaren und ausschweifenden Gedanken gekommen seien, unsere Nahrung vermittelst eines Dreizacks in den Mund zu bringen, obendrein auf die Gefahr hin, uns die Lippen zu beschädigen oder gar die Augen auszustechen. Auch finden sie es außer der Ordnung, daß wir Nüffe und Mandeln mit der Schale auf den Tisch bringen, und den Dienern die Arbeit ersparen, die Obstflüchte zu schälen und das Fleisch zu zerlegen. Die Chinesen find wirklich keineswegs heikel in Bezug auf das was sie genießen; fie effen zum Beispiel ungemein gern gebratene Seidenwürmer mit Frosch-compot; aber es ist ihnen unbegreiflich, wie unsere Feinschmecker ange» gangene Fasanen oder madigen Käse hinunterbringen können. Wir speisten einst bei dem Vertreter einer europäischen Macht in Macao. Es kam eine Schüssel prachtiger Schnepfen auf die Tafel, aber leider hatte der chinesische Koch die Barbarei begangen, diesen Vögeln die Eingeweide herauszunehmen und sie wegzuwerfen. Der Unglückliche wußte nicht, was der Feinzüngler an der Schnepfe am meisten schätzt. Er wurde herbeigerufen, ausgezankt, und für die Zukunft mit Verhaltungsregeln versehen. Einige Tage später brachte er andere Vögel zu Tische, die zwar keine Schnepfen, aber auch nicht ausgeweidet waren. Dafür wurde er dann fortgeschickt; es wird dem Chinesen aber wunderlich genug vorgekommen sein, daß die eigensinnigen Abendländer Schnepfen mit Eingeweiden und Enten oder andere Vögel ohne Eingeweide speisen. 5. Kap.1 Zustand der Wege und Straßen. gg Jeder Bewohner des himmlischen Reiches ist zum Koch wie ge» boren; der erste beste Chinese bedarf nur ganz kurzer Zeit, um sich zu einem vollkommen tüchtigen Meister der Küche auszubilden. Er bringt mit einfachen Mitteln viel zu Stande, und er ist ein Mann der kulinarischen Combination, wenn cr auch nur einen einzigen eisernen Topfaufdem Heerde hat. Im Durchschnitte sind die Mandarinen Gourmands, und treiben den Luzus der Tafel sebr weit. Ihre Köche von Profession haben geheime Recepte, um vermittelst derselben die Stosse aus welchen die Schüsseln bestehen unkenntlich zu macheu, denselben den natürlichen Ge-schmack zu benehmen, und ihnen einen künstlichen zu verleihen. Der Koch im Gemeindepalast zu Kientscheu leistete Großartiges und erntete Lob von allen Gasten ein. Die Mandarinen benahmen sich den ganzen Tag über ganz untadelhaft, und wir thaten ihnen denn auch den Gefallen, am andern Morgen weiter zu reisen. Die Wege fanden wir bei weitem nicht so gut als jene bei Tsching tu fu. Ueberhauvt lassen die Landstraßen in China sehr viel zu wünschen übrig; die Verbindungswege zu Lande sind meist sehr unbequem und manchmal sogar gefährlich. In der Nähe großer Städte find sie noch ziemlich breit, ie weiter man sich aber von ihnen entfernt, um so enger werden sie, und manchmal find sie so gut wie völlig verschwunden. Dann geht der Reisende weiter, wo und wie er eben kann, sucht Fnßpfade und Rainwege zwischen den Feldern auf. zieht durch Schlammlöcher, Schluchten, durch Dick und Dünn. Sehr oft hat die Staatsverwaltung es nicht für nöthig erachtet einen Bach zn überbrücken; man watet also hindurch. Doch findet man fast immer an dergleichen Stellen einige Männer welche den Reisenden auf den Buckel nehmen und hinübeitragen; dafür erhalten sie dann einige Sapeken. Das geschieht, wohlgemerkt, auf der sogenannten großen Straße. Dieser klägliche Zustand scheint in früheren Zeiten nicht vorhanden gewesen zu sein; wenigstens gab es Verbindungswege, die nichts zu wünschen übrig ließen, und man sieht noch jetzt in den meisten Provinzen Ueberreste großer und schöner Straßen, die mit breiten Steinen gepflastert und prächtigen Bäumen besetzt sind., In den Jahrbüchern werden namentlich die schönen und großartigen Wege gerühmt. welche die Dynastie der Song von einem Ende des Reichs bis zum andern bauen ließ. Dazu kamen unter der Dynastie der Mm die herrlichen Canalanlagen, welche das Reisen und die Waarenbeförderung ungemein erleichterten. Die Mandschudynastie hat dergleichen Arbeiten nicht nur nicht unternommen, 6* 84 Erzeugnisse der Provinz Sse tschuen. l5. Kap. sondern im Gegentheil auch die schon ausgeführten in Verfall gerathen lassen. Ja, sie begünstigt die Zerstörung; sie laßt geschehen, daß die Bäume niedergehauen, die Steiue aufgerissen und fortgeschleppt werden; der Grund und Boden der Straße wird den Nächstliegenden Feldern ein< verleibt. Bei dem überall im ganzen Reiche herrschenden Plünderung«, system nimmt es uns Wunder, daß überhaupt an diesen Wegen noch ein Baum steht oder ein Stein liegen geblieben ist. An den Canälen ist die Verwüstung nicht ganz so arg. und man bemerkt wohl, daß die Regierung Einiges thut um sie im Stande zu halten. Aber sie gerathen doch mehr und mehr in Verfall. Der berühmte Kaisercanal, welcher das Land von Norden nach Süden durchzieht, liegt zumeist trocken, und wird fast nur benützt, wenn die Naturalabgaben und Getreidefteuern für den öffentlichen Speicher nach Peking geschafft werden. Eine Tagereise von Kien tscheu wurde das Land gebirgig und die Gegend war nicht mehr so hübsch; auch sahen die Leute schon anders aus, waren roher und plumper. Die Wohnungen fanden wir im Verfalle, die Dörfer sahen unsauber aus. und nichts deutete auf Wohlstand. Nebrigens erschien diese gebirgige Strecke nicht etwa wild oder rauh; die Höhen waren mit Wald bestanden, an den Abhängen und in den Thälern waren die Felder mit Kao leang, Mais, Zuckerrohr und Tabak bestellt. Der Kao leang, eine Varietät von No1ou8 80lFkum woraus man in Frankreich Besen macht, wird in manchen Provinzen von China sorg« fältig und in großer Menge gebaut, und wird so groß. daß die Halme beim Bau von Hütten und zu Einfriedigungen verwendet werden können. Die Nehren liefern eine beträchtliche Menge dicker Körner, die die armen Leute statt deS Reis essen, und aus dem auch ein sehr viel Alcohol enthaltender Branntwein destillirt wird. Auf den Mais bau verwenden die Chinesen nicht eben viel Aufmerksamkeit, deshalb ist auch die Qualität dieser Getreideart nur eine geringe. Man pflückt die Kolben ehe sie die gehörige Reife erlangt haben und noch milchig find; dann werden sie schwach geröstet und so verzehrt. Zucker ist in China häufig und sehr wohlfeil; in den südlichen Provinzen giebt das Rohr einen sehr bedeuten« den Ertrag. Die Chinesen verstehen sich nicht auf das Raffiniren; wenigstens raffiniren sie nicht, geben dem Zucker nicht die Weiße und den Glanz wie die Europäer; er kommt einfach krystallifirt oder als Cassonade in den Handel. Tabak wird in ungeheurer Menge gepflanzt, obwohl er nach China erst sehr spat jam. Man nimmt an, daß er ins Reich der Mitte 5. Kap.) Tabakrauchen und Tabakschnuvfen, «5 durch die Mandschu gebracht wurde, und erzählt, die Chinesen seien sehr erstaunt gewesen, als sie sahen wie die Eroberer Feuer aus langen Röhren zogen und Rauch aßen. Sie wurden aber bald selbst „Rauch« fresser", und find leidenschaftlich dem Tabak ergeben. Die Mandschu nennen ihn Tambaku, die Chinesen ganz einfach Rauch (Jen). Sie bauen auf ihren Feldern das Blatt des Rauches, effen den Rauch und nennen ihre Pfeift Rauchrohre. In China raucht Alles, Männer, Frauen, Kinder, und zwar beinahe unaufhörlich. Man arbeitet, geht, kommt, reitet, schreibt, ackert mit der Pfeife im Munde; man macht beim Essen eine Pause um zu rauchen; wer in der Nacht aufwacht, zündet eine Pfeife an. So ist leicht begreiflich wie große.Bedeutung der Tabaksbau in einem Lande hat, wo mehr als hundert Millionen Raucher leben. Dazu kommen noch die Mongolen und Thibetaner welche ihren Tabak von chinesischen Märkten beziehen. In China darf Jedermann Tabak pflanzen, auf freiem Felde oder in Garten,' er kann ihn im Ganzen oder Einzelnen verkaufen; die Regierung bekümmert sich um das Alles gar nicht, denn China kennt das Tabaksmonopol nicht. Der beste kommt aus Leao tong in der Mandschurei und aus der Provinz Sse tschuen. Die Blätter werden auf verschiedene Art zubereitet, ehe sie in den Handel gelangen; in den Eüdprovmzen schneidet man sie äußerst dünn und fein; im Norden trocknet man sie blos, zerreibt sie dann und stopft sie so in die Pfeifenköpfe. Schimpfer giebt es weit weniger als Raucher; der Schnupftabak, oder wie die Chinesen sich ausdrücken, der Rauch für die Nase. ist hauptsächlich bei den Mandschu und Mongolen, bei den Chinesen vorzugsweise unter den Mandarinen und Gelehrten beliebt. Die Mongolen schnupfen leidenschaftlich gern. das Schnupfen ist bei ihnen eine wichtige Angelegenheit; sie sind darin vernarrt. Die chinesischen Aristokraten treiben aber das Schnupfen nur als Luzus, aus Liebhaberei, und um sich damit eine Art von Ansehen zu geben. Es kam nach China durch die Missionaire, welche einst am Hofe in so hoher Gunst waren. Sie erhielten ihren Tabak aus Europa; die Mandarinen fanden ihn gut, all-mälig wurde das Schnupfen Mode, und Jeder der etwas vorstellen wollte, mußte «Rauch für die Nase" nehmen. So wird auch jetzt noch in Peking viel geschnupft. Die ersten europäischen Handler, welche in China Schnupftabak verkauften, haben unglaublich viel daran verdient. Der französische war am beliebtesten; er hatte das Wappen mit den drei Lilien, und diese drei Lilien sind in der chinesischen Hauptstadt auch jetzt noch das einzige Schild für die Tabaksverkaufer. Uebrigens fabriciren 86 Tschung king, eine Stadt erster Classe. 15. Kap. die Chinesen nun schon seit langer Zeit ihren Schnupftabak selbst; er ist aber nicht viel werth, da sie ihn uicht gähren lassen. Sie pulvern die Blätter, sieben den Staub durck dis er so fein ist wie Mehl, und machen ihn durch Zusatz von Bwmcn oder Esseuzen wohlriechend. Statt unserer Tabaksdosen haben die Chinesen kleine Flaschen, Phiolen aus Krystall, Porzellan oder edelcn Steinen; manchmal sind sie von sehr hübscher Form und geschmackvoll ciselirt. und dann sehr theuer. Oben am Stöpsel ist ein kleiner Löffel von Elfenbein ödet Silber. vermittelst dessen die Prise herausgelangt wird. Vor Sonnenuntergang erreichten wir Tschung king, eine Stadt erster Classe und nächst Tsching tu fu die bedeutendste in der Provinz Sse tschuen; sie hat eine sehr vortheilhafte Lage am linken Ufer des Blauen Stroms; gegenüber liegt eine andere große Stadt. Beide Orte bilden ein wichtiges Centrum für den Handel, einen Stapelplatz für die Erzeug« nisse mehrerer Provinzen. In Tschung king leben viele Christen; wir wußten es schon vom Gesandten Ki Schan, und der VicckönigPao hing hatte uns dasselbe gesagt. Es nahm uns daher Wunder, daß kein Christ bei uns sich blicken ließ. und wir äußerten das gegen Meister Ting. Von ihm erfuhren wir, daß allerdings eine großeAnzahl von Leuten gekommen seien, um lins zu scheu; es wären aber nur Menschen aus der Volksmasse gewesen, hätten keine Cercnwnicnklcider getragen und sehr langweilig ausgesehen. „Sie behaupteteu Bekenner eurer sehr erlauchten und erhabeucn Religion zu sein, und sich zum Himmelsherrn zu bekennen; man hat es ihnen aber nicht geglaubt." Hier lag vielleicht ein Beweis von Uebelwollen der Hüter des Gemeindcpalastes vor; wir mochten aber keine Beschwerde führen, weil das Verfahren dem Buchstaben der Vorschrift entsprach. Wir hatten nämlich, um nicht von der Menge überlaufen zu werden, die Anordnung getroffen, daß Niemand im Gemeindepalast zugelassen werden solle, der uicht alle für den Empfang nöthigen Gebräuche, wie sie in China einmal vorgeschrieben sind. beobachte. Ueber die Ceremonien welche bei Höflichkeitsbesuchen beobachtet werden müssen hat Nbel-Remusat ausführlich gesprochen. Wir wollen das Wesentlichste aus seiner Abhandlung mittheilen. „Man spricht", so bemerkt dieser-Gelehrte, „viel übel die chinesische Höflichkeit, über die Förmlichkeiten welche sie auferlegt, und die Formeln die dabei garnicht zu umgehen find. Man sagte, und bis zu einem gewissen Punkte mit Recht, China habe eine besondere Sprache für die Ceremonien, und eine Unterhaltung zwischen zwei Leuten die nicht gerade naher mit einander 5. Kap.Z Ceremonien und Etikette. «7 befreundet find, sei weiter nichts als ein Dialog, der ein für allemal festgestellt sei, und bei welchem Jeder sein auswendig gelerntes Pensum her« sage. Aber die Stylproben chinesischer Höflichkeitssprache, die man gewöhnlich zu lesen bekommt. sind ungenau oder werden falsch erläutert. Bekanntlich weiß man, daß insgemein die übertreibenden Ausdrücke bei alten Völkern ein Product des Herkommens sind, das sich allmälig im Laufe der Zeiten ausbildet. Es bleibt aber von Interesse bis in die Einzelheiten hinein zu beobachten, bis wohin diese Verfeinerung der Hof» lichleit führt; denn Jeder möchte dabei seine gute Lebensart in das Vortheil« haftefte Licht stellen. Wer die Chinesen in dieser Beziehung nicht falsch beurtheilen will. muß die Ausdrücke welcher sie sich bedienen ganz buchstäblich übersehen, und das ist bis jetzt noch nicht geschehen. Es wird also statthaft sein. daß wir eine genaue Verdolmetschung einer chinesischen Conversation geben." „In China läßt man sich zu Hause ganz so verleugnen wie in Eu» ropa, läßt sagen, man sei nicht daheim, und kümmert sich gar nicht darum, ob das auch geglaubt wird. Man läßt nicht einmal sagen, mau habe Abhaltung, sei unwohl, könne Niemand empfangen, sondern der Diener ist ein für allemal angewiesen die Visitenkarten anzunehmen, und nach der Wohnung zu fragen. damit sein Herr in den nächsten Tagen den Besuch erwiedern kann. I), einem chinesischen Roman sitzen drei Gelehrte beisammen, sind lustig, trinken warmen Wein und machen Verse. Da wird ein alter ränlelustiger Mandarin gemeldet, der im Verkehr unangenehm und langweilig ist. Du Dummkopf, so schilt der Hausherr seinen Diener, warum hast Du nicht gesagt, ich sei ausgegangen? — Das habe ich ge. sagt. aber er sah die Palankine dieser beiden edelen Herren vor der Thür stehen. und daran erkannte er, daß Du zu Hause bist. Jetzt steht der Hausherr auf, nimmt seine Cercmonienmütze. eilt mit erzwungener Hast diesem ungelegenen Besuch entgegen, überhäuft ihn mit verbindlicher Höflichkeit, und die beiden anderen Gelehrten, die den Mandarin ebensowenig leiden mögen, thun ein Gleiches. Kurz die Chinesen benahmen sich. wie man in Europa sich auch wohl benimmt." „Wer einen Besuch abstatten will, sendet einige Stunden vorher durch seinen Diener ein Billet, theils um zu erfahren ob man Jemand zu Hanse antreffen werde, theils um ihn zu veranlassen, daß er nicht aus. gehe im Fall er nämlich geneigt ist, den Besuch anzunehmen. Darin lieat'ein beweis von Achtung für Den. welchen man in seinem Hause aufsuchen will Das Billet ist ein Bogen rothen Papiers, und je nach Rang 88 Ceremonien und Etikette. 15. Kap. und Würde, und nach dem Respect welchen man bezeigen will. mehr oder weniger groß. In Gemäßheit dieser Rücksichten wird es so oder so viele Mal doppelt gefaltet, und man schreibt nur wenige Zeilen auf die zweite Seite, zum Beispiel: Dein Schüler oder Dein jüngerer Bruder, der So und So. ist gekommen um sein Haupt vor Dir bis auf die Erde zu neigen. und Dir seine Achtung zu bezeigen. Diese Redensart wird in großen Schriftzügen hingemalt. wenn in die Höflichkeit etwas Großartiges gelegt werden soll; die Züge werden aber kleiner gemalt gegenüber solchen Leuten, welchen man wirklich Ergebenheit und Achtung erweisen will. Solch ein Billet wird dem Thürstelier überreicht. Nimmt der Herr den Besuch an so entgegnet er buchstäblich: Es macht mir Vergnügen, ich bitte ihn zu kommen. — Ist er beschäftigt oder hat er irgend einen Grund den Besuch abzulehnen, dann entgegnet er: Ich bin ihm sehr verbunden; ich danke ihm für die Mühc welche er sich geben wollte. Ist aber zufallig Der, welcher sich anmeldet, ein höher Gestellter, dann heißt es: Der gnädige Herr erweist mir eine Ehre. die zu hoffen ich nicht gewagt hatte. — In China werden dergleichen Besuche nicht abgelehnt." „Es kommt auch wohl vor. daß man kein Billet erhalten hat. welches den Besuch ankündigt. Das kann aber nur bei niedrig Gestellten der Fall sein, oder bei gemeinen Leuten, oder bei sehr dringenden Geschäften. In einem solchen Falle bittet man dem Besuchenden, ein wenig zu ver» weilen; man läßt ihm zugleich sagen, womit man im Augenblick beschäftigt sei. Der Diener richtet zum Beispiel diesen Auftrag in folgender Weise aus: Mein Herr läßt Dich bitten, einen Augenblick Platz zu nehmen; er ist eben beim Kämmen und muß sich ankleiden. — Wer aber zuvor ein Billet erhalten hat, muß einen gewählten Anzug tragen, und den Besuch an der Hausthür empfangen. sobald er aus dem Palankin steigt. Er redet ihn mit dem Worten an: Ich bitte Dich einzutreten. Beide Flügel der mittlern Thür werden weit geöffnet; denn es wäre unhöflich, den Besuchenden zu einer Seitenthür herein oder hinausgehen zu lassen. Die Großen lassen sich in ihrem Palankin bis an die Treppe tragen, oder reiten.auch wohl bis dahin; dann treten sie in dcn Saal. Der Hausherr tritt erst auf die rechte Seite des Besuchenden; nach dem Empfange geht er zur linken und sagt: Ich bitte Dich voraus zu gehen. Dann begleitet er ihn in der Weise, daß er ein wenig hinter ihm zurückbleibt." „Im Empfangsaale müssen die Sitze bereits in zwei geraden Reihen einer vor dem andern gestellt sein. Beim Gintreten macht man eine Re» verenz. das heißt man verbeugt sich an der Seite des Besuchenden, aber 5. Kap.1 Ceremonien und Etikette. 89 einen Schritt hinter ihm. so tief. daß die ineinandergelegten Hände den Boden berühren. In den Tüdprovinzen ist die Südseite die respectvollere im Norden ist es umgekehrt; man giebt also, je nach der Provinz, dem Besucher die Ehrenseite. Durch eine sinnreiche Courtoisie kann man mit zwei Worten den Stand der Dinge ändern, und wenn man Jenen aus die Südseite gestellt hat, sagen: Pe li, das ist hier die Ceremonie des Nordens; was so viel sagen will als: ich hoffe Du wirst mir die geringere Stellung anweisen, wenn ich mich nach Süden stelle. Aber der Hausherr giebt das nicht zu. sondern entgegnetNan li, das ist die Ceremonie des Südens, und Du befindest Dich an der geeigneten Stelle." ..Manchmal thnt der Besuchende als wolle er die niedrigere Stelle einnehmen; dann spricht der Hausherr im Tone der Entschuldigung: Ich würde es nicht wagen! . . Er stellt sich vor seinen Gast. sieht ihn an. dreht ihm nie den Rücken zu, und stellt sich wieder etwas zurück an die geeignete Stelle. Dann machen Beide zu gleicher Zeit die Reverenz. Wenn mehrere Personen gemeinschaftlich einen Besuch abstatten. oder wenn der Hansherr einen Verwandten hat, der bei ihm wohnt, dann werden die Verbeugungen so viel Mal wiederholt, als Personen zn begrüßen sind. Das nimmt dann einige Zeit in Anspruch. und man sagt dabei weiter nichts als Pu kan. Pu kan. ick würde es nicht wagen." „Eine besondere Höflichkeit besteht darin. daß man auf die Stühle kleine Teppiche legt, die besonders zu diesem Zwecke gewebt werden. Ehe man Platz nimmt, werden natürlich wieder Umstände gemacht. Man wei» gert sich den ersten Sessel einzunehmen, während der Hausherr darauf dringt, daß man es tbue. Er stellt sich als wische er den Stuhl mit dem Rockzipfel ab, und der Besuchende muß dasselbe mit dem Sessel thun, welchen der Hausbesitzer einnehmen soll. Endlich nimmt man Platz, macht aber erst noch eine Verbeugung vor dem Stuhle, und hat nun bis dahin Alles erschöpft was Höflichkeit und gute Erziehung vorschreiben. Nnn bringen die Diener Thee; die Porzellantassen stehen auf einem ge» firnißten Holzbrete. Bei reichen Leuten sieht man keine Theebüchse; die erforderliche Menge Thee liegt schon in der Tasse, und dann wird sieden-des Wasser darauf gegossen. Das Getränk ist sehr duftig, wird aber nicht gezuckert. Der Hausherr tritt zu den angesehensten Gästen hinan, berührt das Holzbret und spricht: Tsing tscha, d. h. ich lade euch ein. Thee zu trinken. Dann tritt Jeder vor. um eine Tasse zu nehmen. Der Hausherr ergreist eine davon mit beiden Händen, und reicht sie dem Angesehen» sten. an Rang am höchsten Stehenden dar. Dieser nimmt sie gleichfalls 90 Ceremonien nnd Etikette. s5. Kap. mit zwei Händen. Die Anderen stellen sich als wollten sie Alle nnr gleich, zeitig die Tassen ergreifen. und gleichzeitig trinken; sie fordern einander durch Zeichen anf. den Anfang zn machen. Haben Alle (oder wenn nur ein Besuchender gekommen ist. dieser Eine) ihre Tassen in beiden Handen, dann verneigen sie sich vom Stuhle so tief, daß die Tasse den Boden berührt ; man muß sich aber dabei wohl hüten, daß kein Tropfen verschüttet werde, denn das wäre eine arge Unhöflickkeit. Die Tassen werden deshalb auch uur zur Hälfte vollgegossen. Auf die anständigste Art servirt man den Thee so, daß man ein Stück Confcct und einen kleinen Löffel beilegt. Die Gäste trinken langsam, in mehreren Zügen, aber alle Mal gleichzeitig; auch stellen Alle in demselben Augenblicke die Tasse wieder auf das Bret. Man darf nichts thun oder sagen was den Regeln der Höflich» keit und der Wohlanständigkeit irgend zuwider liefe, uud darf keine Miene verziehen, wenn die Thectasse auch so heiß wäre, daß die Finger schmerzen. Bei heißem Wetter nimmt der Hausherr, sobald die Tassen auf dem Bret stehen, seinen Fächer mit beiden Händen, verneigt sich gegen die Anwesenden, und sagt: Tsing schen, d. h. ich lade euch ein die Fächer hervorzulangen. Dann nimmt Jeder seinen Fächer; es wäre gegen allen Anstand keinen Fächer bei sich zu haben, weil dann auch die Uebrigen, laut den Regeln des Anftandes, sich des ihrigen nicht bedienen dürften." „Die Unterhaltung beginnt alle Mal mit durchaus gleichgiltigen Dingen, und man macht wohl zwei Stunden lang weiter nichts als leere, vollkommen nichtssagende Redensarten. Erst ganz zuletzt wird mit ein paar Worten der Sache erwähnt, weshalb man eigentlich gekommen ist. Der Besuchende steht zuerst auf, uud sagt: Ich habe Dich schon eine beträchtliche Zeit gelangweilt. Und das ist einmal ein wahres Wort aus chinesischem Munde. Bevor er den Saal verläßt macht er eine Reverenz, gerade so wie beim Eintreten. Der Hausherr geleitet seinen Gast, hält sich etwas hinter ihm auf der linken Sette. und folgt ihm bis an den Palankin oder an das Pferd; der Gast bittet ihn aber, das doch ja zu unterlassen, und nicht bei einer Handlung (dem Auf- oder Einsteigen) zugegen zu fein, die nicht ganz respectvoll ist. Der Hausherr tritt dann einige Schritte zurück, und thut als sehe er nichts. Will nun endlich der Gast fort, sitzt er auf dem Pferde oder im Palankin, dann sagt er: Tsing leao, d. h. Lebe wohl, und dasselbe wird ihm auch erwiedert. Nun ist die Ceremonie vorbei. Sie wird in allen Fällen genau beobachtet, wenn Leute von ungefähr gleicher Stellung einander besuchen; ist das nicht der Fall, so finden Abänderungen statt, je nach Alter, Rang, Amt, 5. Kap.) Nächtliche Erscheinung. y^ persönlicher Bedeutung?c." Man könnte darüber Bücher schreiben. und die Chinesen haben cs daran auch nicht fehlen lassen. Uebrigeus ist es in China viel leichter als anderwärts, höflich zu sein; weil die Vorschriften einmal unwandelbar feststehen, und Jedermann in einer gegebenen Lage genau weiß, was er zu thun hat. Die Etikette, auf welche wir, laut Anordnung des Vicekönigs halten sollten, schrieb Jedem der uns besuchen wollte vor, sich vermittelst eines Schreibens auf großem Papierbogen anzumelden, und wenn wir ihn empfangen wollten, in Staatskleidern zu erscheinen. So konnten wir, mit Beobachtung aller Höflichkeit, unwillkommene Besuche abweisen. Es that uns sehr leid, daß eben dadurch die Christen von uns fern gehalten wnrden. denn die Mandarinen hatten natürlich unterlassen, sie von jener Vorschrift in Kenntniß zu setzen. Wir baten Meister Ting, das Versäumte nachzuholen, und trafen selber Anstalten für die Zukunft. Wählend der Nacht die wir in Tsäiing king blieben, begegnete uns ein seltsamer, wunderlicher Vorfall, der sich wie eine Gespenstergeschichte ausnimmt. Wir bemerken deshalb von vorne herein, daß es sich dabei nicht etwa um ein Märchen handelt, und daß wir keineswegs durch eine Gaukelei hinters Licht geführt wordeMind. Wir lagen in tiefem Schlafe. Da war es uns als hörten wir wie im Traume ein ticftönendes tactmäßiges Geräusch, das in Zwischenräumen sich bald in den Höfen, im Garten und in den verschiedenen Gemächern des Gemeindehauses hören ließ. Bald schien es weit entfernt zu sein, bald war es in unserm Gemach. Wir glaubten auf unseren Bambusmatten ein Knistern zu vernehmen, wie von Schritten eines Menschen der leise auftritt und nicht gehört sein will. Einigemal glaubten wir uns inmitten einer hellen Beleuchtung zu befinden; gleich darauf wurde es wieder dunkel; eine Stimme raunte uns Worte ins Ohr. deren Sinn wir nicht faßten; gleich darauf war das Geräusch an einer ganz andern Stelle, kam aber wieder in die Nähe. Bei alle dem waren wir in tiefem Schlafe, und doch fühlten wir, daß uns etwas drücke wie ein Alp; trotz aller Anstrengungen konnten wir nns nicht bewegen, und ebensowenig die Augen öffnen oder einen Laut Heivorbringen. Endlich klopfte uns etwas auf die Schulter, und nach heftiger Anstrengung ermunterten wir nns endlich. Das Gemach war hell. Vor uns stand eine abschreckende Gestalt. die beim Lachen lauge gelbe Zähne blicken ließ. Das Gespenst streckte einen langen hagern Arm aus, und überreichte uns mit ernster Miene ein mit europäischen Schriftzeichen bedecktes Papier. Wir prallten unwillkürlich zurück nach der Wand hin, 92 Nachrichten von einem christlichen Missionair. l> Kap. denn wir wußten immer noch nicht recht, wie uns geschah. Da lachte das Gespenst abermals, zog den Arm zurück, nahm das Licht aus der einen Hand in die andere und schlug das Zeichen des Kreuzes. Inzwischen waren wir so weit munter geworden, daß wir die Gegenstände um uns deutlicher zu erkennen vermochten, lind es stellte sich heraus, daß wir es mit einem leibhaftigen Chinesen zu thun hatten, einem sehr häßlichen Manne mit wunderlichem Kopfputz, und nackt bis zum Gürtel. Er neigte sich zu uns hinab, und sagte leise, er sei ein Christ, und bringe einen Brief vom Coadjutor des apostolischen Vicars der Provinz Sse tschuen. Er zündete eine Lampe an, die auf dem Tische neben dem Bette stand, und wir lasen den Brief, der uns auf eine so seltsame Weise zukam. Inzwischen entfernte sich der Christ, ging im Gemeindehause umher. und schlug von Zeit zu Zeit auf einen Bambusstab. Der Mann war ein Nachtwächter. Wir wußten nun, daß Monsignore Desfleches, Bischof von Sinis. den wir 1839 in Macao kennen gelernt hatten, in eben dieser Stadt Tschung king wohnte. Er schrieb uns wie leid es ihm thue. daß er sein Versteck nicht verlassen und uns besuchen könne. Er meldete uns Allerlei über Christenverfolgungen, die trotz der Uebereinkunft mit dem französischen Bevollmächtigten nacWßie vor im Schwange gingen. Insbesondere theilte er uns mit, daß in Tschang scheu hien, einer Stadt dritter Classe, welche wir in den nächsten Tagen berühren mußten, der oberste Beamte drei Christen ins Gefängniß geworfen habe; unter An» führung aller Einzelheiten bat er uns zu ihren Gunsten die erforderlichen Schritte zu thun. Der gcspensterhafte Christ, welcher uns den Brief überreichte, hatte auf den Tisch, auf welchem die Lampe stand, ein Schreib« zeug. Feder und Papier gelegt. So konnten wir unverweilt schreiben; namentlich ersuchten wir den Coadjutor die Christen in Tschung king zu benachrichtigen, daß sie unter Beobachtung der Vorschriften im Gemeindehause erscheinen möchten. Wir schrieben den Brief mit gepreßtem Herzen und in unaussprechlich trauriger Stimmung. Da war in unserer nächsten Nähe ein Misfionair, ein Landsmann den wir persönlich kannten, und wir konnten ihn nicht umarmen, uns nicht mit ihm über Angelegenheiten besprechen, welche die Seele des Glaubensboten in zitternder Schwingung erhalten. Wir mußten uns damit begnügen, in tiefer Nacht ganz ver. stöhlen, einige flüchtige geilen aufs Papier zu werfen. Im Leben der Missionaire wollen Hunger, Durft. Unbilden der Witterung und körperliche Beschwerden gar nichts bedeuten gegenüber solchen moralischen Qua« len, solchen Herzensentbehrungen, die man nur schwer ertragen kann! 5. Kap.1 Nachtwächter. — Feuersbrünste in China. 93 Während wir diese eigenthümliche Correspondenz besorgten, macht unser schlauer Christ seine Runde durch das Gemeindehaus, und gab ver» mittelst feines Bambusstabes die Stunden der Nacht an. Er holte die Antwort ab. steckte den Brief vorsichtig in seinen Gürtel, und wandelte seine Gange weiter. Die Chinesen verfügen unter allen Umständen über einen reichen Schatz von List und Verschlagenheit. Die Christen von Tschung king hatten ein sinnreiches Mittel erdacht, uns jenen Brief in die Hände zu spielen. Einer von ihnen, ein armer Handwerksmann, auf den keinerlei Verdacht fallen konnte, bot sich den Hütern des Gemeindehauses zum Nachtwächterdienst an, und forderte weniger Lohn, als gewöhnlich gegeben zu werden pflegte. Dadurch wurde der beabsichtigte Zweck erreicht. Nachtwächter giebt es in China überall, insbesondere in den Pagoden, den öffentlichen Gebäuden und in den Gasthöfen; reiche Pri» vatleute halten sich ihren besondern Nachtwächter. Diese Leute sind ver« pflichtet, die ganze Nacht auf den Beinen zu sein. und von Zeit zu Zeit auf eine kleine Kesselpauke oder auf ein Bambusinstrument zu schlagen. So wird den Dieben auf eine höfliche Weise kundgegeben, daß man auf der Hut sei, und Einbrüche nicht ungestraft verübt werden können. In manchen Städten hat die Ortsbehörde einen Nachtwächterdienst eingerich» tet; Schaarwüchter durchziehen die Straßen, sorgen daß die öffentliche Ruhe nicht gestört werde, und mahnen die Bewohner, mit dem Feuer vorsichtig umzugehen. Sie schlagen in jedem Stadtviertel dreimal auf ihren ehernen Tamtam, und rufen zusammen wie aus einer Kehle: Lu schan, Lu hia, Siao sin ho, das heißt nehmt euch mit dem Feuer in Acht, im Erdgeschoß und im obern Stockwerk. Feuersbrünste kommen sehr häufig vor. namentlich in den Südprovinzen, wo die Häuser zum größten Theil von Holz gebaut sind. Die Chinesen rauchen wie schon bemerkt, bei Tag und Nacht Tabak; sie haben stets Feuer, um jeden Augenblick Thee bereites, zu können.. Da kann es nicht fehlen, daß so oft Feuer ausbricht, man muß sich nur darüber wundern, daß es nicht häufiger geschieht, weil ohnehin die Chinesen große Unordnung im Hause haben, und mit der Flamme sehr unvorsich« tig umgehen. Bei einem Brande hat man die größte Furcht vor dem Diebsgesindel, das unter dem Vonvande zu löschen von allen Seiten herbei eilt, die Verwirrung vorsätzlich steigert, und wegnimmt was ihm unter die Hände kommt. Diesem Systeme von Plünderung gegenüber denken die Leute, bei welchen es brennt, viel weniger daran den Flammen Ein« halt zu thun, als das Publicum möglichst fern zu halten. Sie suchen 94 Feuerspritzen und Löschmannschaften. l> Kap. ihre Habseligkeiten möglichst rasch in Sicherheitzu bringen, und die Nachbarn thun desgleichen. Die Diebe nehmen nichteinmal Anstand Häuser abzureißen und Baumaterial zu stehlen, wenn sie am Erbeuten anderer Sacken ver« hindert werden. Sehr oft brennen in wenigen Stunden ein paar hundert Häuser ab. In einigen Städten hat indessen die Verwaltung zweckmäßige Vorkehruugen getroffen, und wie wir schon bemerkten. Nacht« und Feuer» Wächter angestellt: außerdem ordnet fie an. daß in allen Hauptstraßen all« zeit große mit Wasser gefüllte Kübel stehen; auch sind Compagnien von Spritzenleuten organisirt worden. Beim Ausbruch einer Feuersbrunst eilen die Mandarinen mit Soldaten und Polizeimannschaft an Ort und Stelle, um den Pöbel fortzuschaffen und abzuhalten. Die chinesischen Feuerspritzen sind ziemlich dieselben wie in Europa, man nennt sie Sch ü i lung, Wasserdrache, oder Vang lung. Seedrache. Mang lung könnte man auch übersetzen mit: europäischer Drache. Wahrscheinlich sind die Feuerspritzen aus Europa eingeführt worden, und man ersieht auch daraus, daß die Chinesen nicht unbedingt das Ausländische verwerft«. Unmittelbar nach dem Brande legen die Chinesen erstaunlich rasch die Hand an den Wiederaufbau. Sobald die Spritzenleute fortgegangen sind, erscheinen auch gleich Maurer und Zimmerleute auf dem noch heißen Platze nnd gehen an die Arbeit. Insgemein sieht der Abgebrannte sich nicht in der Lage wieder aufbauen zu können, denn er ist durch die Feuersbrunft ganz oder theilweise zu Grunde gerichtet; er sucht anderwärts Unterkommen, wie es eben gebt. Aber in China ist der Handelsgeift und die Speculationswuth so mächtig, daß noch während des Brandes Käu« fer erscheinen und auf die noch nicht erkaltete Baustelle Angebote machen, und daß nicht selten im buchstäblichen Sinne des Wortes der Kaufcon-tract beim Leuchten der Feuersbrunst abgeschlossen und unterzeichnet wird. Nun wird der Schutt weggeräumt, und altem Herkommen gemäß, auf den Platz gebracht, wo der Brand ausbrach. Das Gesetz will durch diese Maßregel den Hausbesitzer strafen, durch dessen Fährlässigkeit das Unglück entstand, er muß ohnehin alle Kosten tragen, welche durch das Fortschaffen jener Schuttmassen entstehen. Man trifft in den Städten sehr oft dergleichen Brandschutt. Wir verließen Tschung king am andern Morgen etwas spät, da wir beschlossen hatten, den Tag über in der Nachbarschaft zu verweilen. Ohne alle Gefährde kamen wir über den hier sehr reißenden Blauen Strom. Meister Ting rühmte sich dessen; er habe eine vortreffliche Barke mit aus- 5. Kap.I Wir erhalten noch einen Soldatenmandaiin. 95 gezeichnet tüchtigen Matrosen gemiethet, und sein Schutzgeist Kao wang. für welchen er den ganzen Morgen Litaneien gesungen, während er Opium rauchte, habe ihm befohlen, uns ohne Misgeschick über das Wasser zu schaffen. Unser Benehmen in Kien tscheu war viel besprochen worden. Die Mandarinen wußten nun. daß wir gar nicht geneigt waren ihre Schwin» deleien ungestraft hingehen und uns von ihnen übeis Ohr hauen zu lassen. Schon in Tschung king bemerkten wir. daß die Lcction Früchte ge. tragen hatte, denn das Gemeindehaus war im allerbesten Zustande. Alle wetteiferten in Zuvorkommenheit. Dort gab uus die städtische Verwal» tung noch einen Militairmandarin mit acht Soldaten, angeblich weil sie es für angemessen erachte uns ihrerseits Ehre zu erzeigen, und unserm Reisezuge ein feierliches Ansehen zu geben. oder. wie die Chinesen sich ausdrücken. ,.um den Charakter einer hochfahrenden Majestät zu entfalten." Wir dankten dem Bürgermeister für seine Höflichkeit, und stellten uns, als wären wir ihm für diese Aufmerksamkeit zu Dank verpflichtet; wir wußten aber. daß diese Maßregel vom Vicckönig deshalb angeordnet war. weil Räuber die Straße unsicher machten. Dieser Militairmandarin hatte 1842 in Canton mit gegen die Engländer gefochten; aber trotz seiner Heldenthaten gegen die abendländischen Teufel, erschien er nicht im Mindesten kriegerisch; sein langes Gesicht sah aus. als wäre es vom Papiermache geknetet, seinen Mund sperrte er auf wie ein Dümmling, seine Gang war unbeholfen. Aus seinem anspruchsvollen, wenig geeigneten Be» nehmen schlössen wir von vorne herein, daß nicht gut mit ihm auszukommen sei. Unter dem Vorwande. daß er in Canton oft vor den Factoreien der Europäer auf« und abgewandelt sei, nahm er sich so viele camerad-schastliche Vertraulichkeiten heraus, daß wir uns veranlaßt sahen, ihm eine genauere Befolgung der vorschriftlichen Gebräuche einzuschärfen. Wir verließen den Blauen Strom, und gelangten nach Tschang tscheu hien. einer Stadt dritter Classe. Dort waren die drei Christen im Gefängnisse, von denen uns Monsignore Desfleches geschrieben hatte. Der Stadtpräfect oder Bürgermeister machte uus sogleich im Gemeindehause seine Aufwartung. und wir begegneten ihm mit äußerster Höflich, keit; zuletzt fragten wir, ob in seinem Amtssprengel viele Christen seien? — Sehr viele, gab er zur Antwort. — Sind sie ordentliche Leute, ar« beiten sie an der Vervollkommnung des Herzens, und üben sie christliche Tugenden? — Wie könnten Leute, die.sich zu eurer heiligen Religion bekennen, böse sein? Alle Christen sind vortreffliche Mey/chen, das ist eine 96 Drei Christen werden in Freiheit gesetzt. 15. Kap. bekannte Sache. — Du hast recht; wer genau die Lehren des Himmels« Herrn befolgt, ist ein tugendhafter Mensch. Euer großer Kaiser hat in seinem Edict, welches sämmtlichen Behörden mitgetheilt worden ist, ausgesprochen, daß die christliche Religion keinen andern Zweck habe. als die Menschen zu lehren das Gute zu thun und das Böse zu meiden; er erlaubt seinen Unterthanen im ganzen Reiche diese Religion zu bekennen, und verbietet den Mandarinen. die Christen auszuspähen und zu verfolgen. Dir ist ohne Zweifel dieses Edict bekannt? — Der Wille des Kaisers ist wie Licht und Wärme der Sonne, er dringt überall hin. — Das haben wir auch vernommen. Aber das müssige Volk spricht manchmal leichtfertige Worte und unverständige Dinge; es behauptet. daß das Gericht hier in Tschang scheu hien den kaiserlichen Willen misachte. Man sagt. daß kürzlich drei Christen ins Gefängniß gesperrt worden seien, und noch dazu von Deiner Behörde. Was soll man von diesem Gerücht halten ? — Es ist durchaus erlogen! Das Volk hier zu Lande lügt gern, und man darf ihm nicht glauben. Die Christen sind anerkannt tugendhafte Leute, wer wurde also den Frevel begeben, sie ins Gefängniß zu sperren, und nun gar seitdem der Kaiser sein Edict erlassen hat! — Es wäre allerdings unbegreiflich, daß ein Mann wie Du so leichtfertig zu Werke gehen könnnie. — Der Präfect glaubte zuverlässig, er habe uns hinter das Licht geführt ; wenigstens schied er mit sehr vergnügter Miene und großer Selbstzufriedenheit. Wir aber sagten zu unserm Meister Ting: „Nimm einen Pinsel und schreibe!" Darauf dictirten wir ihm Namen, Altec und Stand der drei eingesperrten Christen, schickten ihn mit dem Papier zum Tri« bunal, um es dort dem Präfecten einzuhändigen, und ihm zu sagen, er habe in frecher Weise uns belogen. Wir hätten aber aus Achtung gegen seinen Stand, und um ihn vor dem Publicnm nicht schamroth zu machen, geschwiegen. Das Tribunalgebäude lag dicht neben dem Gemeindehause. Als Meister Ting dort erschien, wurde auf die Kesselpauke geschlagen, und die Trabanten erhoben ein lautes Geschrei, wie immer, wenn der Richter seinen Sitz einnimmt um ein Urtheil zu sprechen. Bald nachher wurden die drei Christen uns vorgeführt; sie wollten uns ihren Dank ab« statten. Der Präfect hatte seinen Schreiber beauftragt, uns zu sagen, daß er nicht ein Sterbenswort von der Einkerkerung dieser Leute gewußt habe, ein niederer Beamte habe sich den Frevel zu Schulden kommen lassen, solle aber nach Gebühr dafür bestraft werden. Das war Alles erlogen, wir mußten, uns aber stellen, a,ls glaubten wir es, denn so will es 5. Kap.1 Verbannung des Negendrachens. «>, die vorgeschriebene Höflichkeit. Wir erfuhren jetzt, weshalb man die Christen ins Gefängniß geschleppt. Sie hatten sich geweigert, Geldbei. träge für die aberglaubigen Gebräuche zu geben. welche die Chinesen in Zeiten großer Dürre beobachten; es kommt nämlich darauf an. vom Drachen des Regens nasses Wetter zu erflehen. Hält die Trockniß so lange an, daß die Ernte dadurch gefährdet erscheint, dann erläßt der Mandarin des Districts einen Befehl, durch welchen er den Angehörigen seines Districts verbietet, Fleischspeisen irgend einer Art. Fische. Eier, kurz alle animalische Nahrung zu genießen; nur Pflanzenkost ist erlaubt. An jedem Hause werden Streifen gelben Papiers angebracht, auf welchem Anrufungsformeln stehen; auch wird darnach das Bild des Regendrachen gemalt. Es kommt aber vor, daß der Himmel gegen solche Bitten taub ist; dann werden Collecten veranstaltet, und man schlägt ein Gerüst auf. das zur Schaubühne dient; die scenischen Darstellungen find abergläubi' ger Art. Im schlimmsten Falle und als letztes Mittel werden Processionen veranstaltet, bei welchen unter wahrer Höllenmusik ein Drache von Holz oder Papier umhergetragen wird. Manchmal will aber auch dann. der Regen nicht kommen. und nun verwandelt fich das Bitten in ein Verfluchen und Verwünschen, und der Drache wird in Stücke zerschlagen*) Unter der Regierung Kia kings, des fünften Kaisers der Mandschu» dynastie. wurden mehrere Nordprovinzen von einer bedenklichen Dürre heimgesucht. Der Drache wollte keinen Regen herabströmen lassen. Darüber gerieth der Kaiser in gewaltigen Zorn, erließ ein scharfes Edict gegen den hartnäckigen Drachen, und verbannte ihn auf alle Zeiten nach Ili, in der Provinz Torgot. Der Befehl wurde vollzogen, der strafbare Drache befand sich schon unterwegs in den Steppen der Mongolei, um ins Exil an die Grenzen von Turkestan geschleppt zu werden. Da er« barmten fich seiner sämmtliche Oberbehörden in der Hauptstadt Peking, zogen in Masse zum Kaiser, warfen sich vor ihm nieder, und baten um Gnade für den armen Drachen. Kia king widerrief dann auch sein Edict, und schickte dem Verbannten einen Eilboten nach, der ihn wieder zurückbrachte. Er wurde in seine Würden wieder eingesetzt, unter der Bedin- *) Dergleichen Bittgänge um Negen zu erflehen, kennt auch ein Theil der europäischen Länder, und in Neapel zertrümmert das Voll dic Bildsäulen des heiligen Ianuanus, wenn er die an ihu gerichteten Bitten nicht erfüllt, klulalo nommo ä« tc> labulil n»lralul. A. Huc, Lhina. 7 F 93 Weiterreise cn,f gefährlichem Wege. s6. Kap. gung. daß er künftig seine Schuldigkeit besser thun solle. Uebrigens glauben die Cbinesen an diese lächerlichen Gebräuche nicht, befolgen fie aber. weil sie einmal herkömmlich sind, und weil fie nicht gern etwas abschaffen, das ihre Vorfahren angeordnet haben. Sechstes Kapitel. Weiterreise auf gefährlichem Wege. — Leaug schan. eine Stadt dritter Classe. — Zerwürfnisse mit den städtischen Mandarinen. — Die Christen. — Eine Oerichtssißimg nntcr Leitung der Millionaire. — Freisprechung eines Christen und Verurteilung eines Mandarinen. — Wir verlassen Leang schau im Triumph, — Die Lage der Weiber i» China, die angeblich keine Seele haben. — Ankunft in Uao tschang. — Herberge zu den Glückseligkeiten. — Schittfahrt auf dem Blauen Strom. — Schauspiel und Komödianten in China. In Tschan scheu hien erhielten wir Palankinträger. die größer und viel kräftiger waren, als alle die wir seither gehabt, und sie schafften uns wunderbar schnell fort. Denn von nun an hatten wir sehr beschwerliche, und zum Theil sogar gefahrliche Wege vor uns. Das Land nahm wieder einen gebirgigen Charakter an. war von tiefen Schluchten durchzogen, und die engen Pfade mit ihrem durcb Ncgen schlüpferigen Thonboden konnten nur mit Mühe vasfirt werden. Auszusteigen war unthunlich. wir mußten uns daher auf die kräftigen Beine unserer Träger verlassen. die uns dann auch mit bewunderswürdiger Gc schicklichkeit bergauf und berg» ab trugen. Beim Hinanklimmen wurden etwa ein Dutzend Leute vorgespannt, das heißt, sie mußten an zwei Stricken den Palankin hinaufziehen helfen, weil dazu die Träger allein nicht ausreichten; beim Hinab-gehen wurden die Stricke hinten an dem Tragsessel befestigt, und die Arbeiter hielten straff, damit der Palankin sammt den Trägern nicht zu schnell hinunterkomme und sich überstürze. Dem Herkommen zufolge preßt man unterwegs die Leute zu einem derartigen Frohndieuste. Die Traban» ten. welche dem Reisezuge eines Mandarinen bcigcgeben sind. holen die ersten besten Feldarbeitcr oder Holzfälle im Namen des Gesetzes herbei, und zwingen sie zum Dienst auf eine Strecke von fünf Li oder etwa einer halben Wegstunde. Die Arbeiter reißen aber aus sobald ein ihnen verdächtiger Zug sich nähert; dann müssen die Trabanten ein Treibjagen gegen sie veranstalten, das gewöhnlich von Erfolg ist. Uns widerstand es, 6. Kap,) Leang schan, eine Stadt dritter Classe. aa das Alles mit ansehen zu müssen, und Dienste von Leuten anzunehmen, die dafür keine Entschädigung bekamen; allein wir konnten daran nicht« ändern, weil es außer unserer Macht stand, die Vorschriften zu beseitigen. Sehr abgemüdet erreichten wir Leang schan hien; von dem langen Stillsitzen im Palankin waren uns die Glieder wie zerschlagen. Wir nahmen deshalb im Gemeindepalast keinen Besuch an, und hätten gern ein wenig geruht. Aber unsere Mandarinen und die Leute des Ge« folges waren die ganze Nacht hindurch mit den Hütern des Gemeinde« Hauses in lautem Streit, über dessen Ursache wir in Unklarheit waren; nur so viel konnten wir abnehmen, daß es sich um Gewinn, Verlust und Betrügereien handelte. Am andern Morgen gab unser Diener völligen Aufschluß über diese Chineserei. Der uns in Tschung king beigegebene Militairmandarin hatte unsere beiden andern Geleitsmandarinen veran« laßt, daß sie von den Behörden zu Leang schan ein höheres Reisegeld verlangten als angeordnet worden war. Um ihre Ansprüche durchzusehen, waren sie unverschämt genug gewesen, ein vom Vicekönig unterzeichnetes Reisepapier zu verfälschen. Aber die Mandarinen in Leang schan besaßen eine Abschrift des Documents, und konnten deshalb mit leichter Mühe nachweisen, daß hier ein Betrug beabsichtigt war. Darüber war nun ein heftiger Streit entbrannt, der noch bei Sonnenaufgang andauerte. Meister Ting wollte uns zum Einschreiten veranlassen, und hatte schon im Voraus den städtischen Mandarinen kund gethan, wir seien entsetzlich furchtbare Männer. Aber wir hüteten uns wohl, uns in eine Sache zu mengen, die uns gar nichts anging. Nur bemerkten wir, man möge so schnell als thunlich zu Ende kommen, weil wir nicht während der stärksten Tages» Hitze abreisen wollten. Nach vielerlei Kriegslift und manchen Winkelzügen wurde endlich der Zwist beigelegt, auf welche Grundlagen hin, wußten wir nicht; es war uns auch gleichgiltig. Gegen elf Uhr that man uns zu wissen daß Alles zur Abreise bereit sei. Wir antworteten: Zs ist zu spät, wir werden erst morgen reisen. Uns steht nicht das Recht zu. euch das Zanken zu verwehren, ihr habt aber kein Recht, unsere Abreise in die heißen Tagesstunden zu verlegen; wir wollen nicht benachtheiligt sein, wenn ihr euch nut einander streitet. — Sie begriffen gleich, daß weiter nichts mit uns anzufangen war; die Mandarinen von Leang schan wären uns aber gern los gewesen, und setzten zu diesem Zweck alle ihre diplomatischen Künste in Bewegung. Der Militaircommandant gab sich sogar die Mühe, uns durch einen Krug vortrefflichen alten Weins und väterliches Zureden zur 7' 100 Zerwürfnisse mit den städtischen Mandarinen. 16. Kap. Abreise zu vermögen. Wir ließen uns den edeln Trank wohlschmecken, fügten aber hinzu. daß man solchen Nein in keiner bessern Gesellschaft trinken könne, als in Leang schan. Wir blieben also. Und nun füllte sich das Gemeindehaus mit einem Schwärm von Handelsleuten, die uns allerlei Waaren anboten. Besonders gefielen uns die Rollvorhänge für Thüren und Fenster, die für jene warmen Gegenden (etwa 30 Grad nördlicher Breite) ungemein zweckmäßig find. Man verfertigt sie aus dünnen, ganz feinen Bambusstäbchen, die vermittelst seidener Schnüren aneinan' der befestigt weiden, und die man mit Blumen, Vögeln und vielerlei an« dcrcn Mustern bemalt. Der schöne Firniß, mit dem fie überzogen find. erhöht noch die Lebhaftigkeit der Farben, und giebt diesem Gegitter ein herrliches Ansehen. Auch wohlriechende Colliers werden in Leang schan verfertigt. Es giebt dort viele Christen; wir waren daher einigermaßen über« rascht daß sich Keiner von ihnen blicken ließ. Hatten vielleicht die Mandarinen den Eintritt ins Gemeindehaus verboten? Als wir im ersten Hosraum auf« und abgingen, bemerkten wir unter den Leuten vor der Thür einen Mann, der das Zeichen des Kreuzes machte. Sogleich gin^ gen wir gerade auf ihn zu, und ersuchten ihn uns in den Empfangsaal zu folgen. Der Militairmandarin aus Tschung king wollte ihn wieder hinaustreiben; wir deuteten aber dem Beamten durch Blick, Wort und Handbewegung an, daß er seinen unzeitigen Eifer in gebührenden Schran« len zu halten habe. Mit großer Theilnahme hörten wir die Auskunft, welche jener Christ uns über die Lage der Mission geben konnte; darauf baten wir ihn, den übrigen Christen zu sagen, sie möchten mit einem Vi-fitenbillet und im Ceremonienkleid erscheinen; dann solle Niemand ihnen den Eintritt verwehren. Wir gaben dem Thürsteher die nöthigen Weisungen , und bald fanden sich Christen in Menge ein. Wie fühlten wir uns dadurch erquickt! Diese Leute waren uns Alle unbekannt, und doch unsere Freunde und Brüder. Die Mandarinen waren ganz erstaunt über diese gegenseitige Herzlichkeit, und mußten sich großen Zwang auferlegen um ihre üble Laune zu beherrschen. Aber sie kam bei einer ganz unbedeutenden Kleinigkeit, die große Folgen hatte, bald zum AuSbruch. Gegen Abend beteten wir unser Brevier in einem Baumgang im innern Hoftaum; die drei Geleitsmandarinen saßen unter einem großen Nosenlorberbaume, rauchten ihre Pfeifen und erfreuten sich der Abend» kühle. Da kam unser Diener mit einem Briefe und einem Päckchen durch den Hof und ging in unser Zimmer. Der Militairmandarin aus Tschung 6. Kap.) Die Christen. 101 king eilte ihm nach; und obwohl er den Augenblick wohl gewählt hatte, um nicht bemerkt zu weiden. so hatten wir doch gesehen was vorging' und begaben uns rasch nach unserm Zimmer. Er hatte Brief und Päckchen in der Hand und wollte sich damit fortmachen; wir vertraten ihm aber den Weg. stießen ihn ins Zimmer zurück, schlössen die Thür ab. und riefen: Diebe, Diebe! Dann nahmen wir einen Strick, um ihn festzu< binden. Jetzt rief er um Hilfe, und im Nu eilte eine Menge Menschen herbei. An und sir sich kam uns der Austritt lächerlich genug vor, aber in China mußten wir ihn von der ernsten Seite nehmen, und zeigten da» her Zorn und Unwillen in hohem Grade. Der Mandarin hatte das Packet eigenmächtig geöffnet; es enthielt einige getrocknete Früchte und ein paar wohlriechende Colliers, welche eine Christenfamilie uns zum Geschenk machen wollte. Der Brief war ganz unverfänglich. und lautete folgendermaßen: „Die niedrige Familie der Tschao verbeugt sich bis auf die Erde vor den geistigen Vätern. die aus dem großen Lande Frankreich kommen, und bittet, daß auf sie des Himmels Segen herabsteige. Durch Gottes barmherzigen Willen find wir in unserm armen unbekannten Lande eurer kostbaren Gegenwart theilhaftig geworden. Bald weiden wir durch Ströme und Gebirge von einander getrennt sein, aber die Gefühle des Herzens durcheilen in einem Augenblicke unendliche Entfernungen. Wir denken Tag und Nacht an die geistigen Väter. In Leang schan werden alle Freunde der Religion (Kiao yu, so nennen sich die chinesischen Christen unter einander) sich vereinigen, Gebete an den Himmelshenn richten, und für Seele und Leib beständigen Frieden erflehen. Wir heben zu euch einige Landesfrüchte empor; erniedrigt eure Hand nnd nehmt sie an. Diese kleine Gabe kommt uns vom Herzen. Diese Schriftzüge sind gezeichnet von Fischelmännern und Fischersrauen der Familie Tschao." Der übereifrige Militanmaudarm war in äußerster Verwirrung, und zitterte an allen Gliedern. als wir unserm Zorn Worte gaben. Er hatte keine Verschwörung entdeckt. Der Stadtpräfect kam mit einem Gefolge von Beamten herbei, um die Nuhe herzustelw,, 'benahm sich aber dabei so ungeschickt, daß er seinen Zweck durchaus verfehlte. Er erklärte nämlich, daß er das Oberhaupt der Familie Tschao sogleich festnehmen und ins Gefängniß abführen lassen wolle. denn durch ihn sei das ganze Unglück veranlaßt worden. Wir aber riefen: „Ein Urtheil! Wir verlangen ein Urtheil. Hat sich das- Oberhaupt der Familie Tschao vergangen, so bestraft ihn nach dem Gesetz nnd gebt dem Volk ein Beispiel. Ist er^ 102 ' Zerwürfnisse mit. den Mandarinen. l6. Kap. aber unschuldig, so kommt Alles über den Militairmandarin aus Tschung king, und dieser muß Strafe leiden. Hier im Gemeindepalast hat man den Frieden gestört. Wir reisen unter des Kaisers Schuh und Geleit und find von einem Beamten beleidigt worden. Die Ordnung muß durch ein gerichtliches Urtheil wieder hergestellt werden; Jeder soll an seinen Platz, hoch oder niedrig, je nachdem er es verdient hat!" — Der Präfect von Leang schan wußte eigentlich nicht recht wohinaus wir wollten, und meinte, die Sache sei doch nun abgethan, und manmöge ste nicht weiter aufrühren. Das Oberhaupt der Familie Tschao solle aus freiem Fuße bleiben, und deshalb könne nun auch jede Seelenanfregung verschwinden. Die übrigen Mandarinen äußerten sich in ähnlicher Weise, wir aber antworteten auf das Alles mit dem Worte: «Ein Gericht! Ist das Oberhaupt der Familie Tschao nicht schuldig, so bedarf es keiner Gnade: das Verfahren diese« Mannes muß aufmerksam untersucht werdm; er ist vor aller Welt beleidigt und beeinträchtigt worden. Hier handelt es fich um aller Christen Ehre, und um unsere eigene. Wir verlangen öffentliche Untersuchung und öffentliches Urtheil, damit dem Volke die wahren Grundsätze dessen was Reckt ist, klar und greifbar auseinandergesetzt weiden. Wer uns kennt, weiß gar wohl, daß wir nicht etwa leichte Worte reden, oder schwankende Entschlüsse fassen; und so erklären wir denn vor allen diesen Leuteu gerade heraus und ohne alle Umschweife, daß wir Leang schan nicht verlassen, bevor in unserm Beisein ein öffentliches Urtheil gesprochen worden ist. Schon wird es dunkel, ihr könnt sogleich die nöthigen Vorkehrungen treffen lassen." Daraufwendeten wir uns zu Meister Ting, machten ihm bemerklich* es sei Zeit zum Abendessen, und wir wollten zu Tische gehen, machten darauf gegen den Stadtpräfecten und dessen Gefolge eine tiefe Verbeugung, und gingen in den kleinen Garten hinter unserm Zimmer. Die neugierige Menge verschwand allmälig, und man meldete uns, der warme Wein sei aufgetragen. Wir begaben uns in den Saal. wo der Soldatenmandarin aus Tschung king wie gewöhnlich seinen Platz am Tische eingenommen batte. Wir deuteten ihm an, er müsse hin« ausgehen, denn mit ejnem solchen Manne würden wir fortan nicht mehr an einer und derselben Tafel speisen. Anfangs stellte er sich. als könne er die Sache scherzhaft nehmen, aber unsere ganze Haltung bewies ihm. daß es fich um bittern Ernst handle, und so mußte er denn abziehen, lind seinen Reis anderwärts verzehren. Daß die Stimmung der Mandarinen bei Tische keine heitere war, wird man begreiflich finden; die Mandarinen warfen einander verstohlene Blicke zu und sprachen nicht; das von uns 6. Kap.) Cine GerichtMmig uutcr Lcitmig dn Missionaire. 10I angekündigte Gericht und Urtheil beschäftigte sie weit mehr als das Essen. Wir unsererseits empfanden doch einige gelinde Zweifel darüber, ob wir das Ding nicht etwa zu weit getrieben hatten, und ob es angemessen sei, einen ehrenvollen Rückzug möglich zu machen. Aber Alles wohl crwo-gen, schien es am Besten auf dem einmal betretenen Wege entschlossen vorwärts zu gehen. hauptsächlich um den durch Verfolgungen sehr niedergeschlagenen Christen wieder Muth einzuflößen. Nach dem Essen wurden Thee und Pfeifen gebracht, und nun mußte endlich das Schweigen aufhören. Wir sagten: „Uns will bedünken, daß nun bald Alles für die gerichtliche Untersuchung vorbereitet sei; sie muß noch heute Abend stattfinden. Ist die Stunde schon festgesetzt worden?" — Meister Ting antwortete: „Alles soll nach euerm Wunsche vor sich gehen. Der Präfect hat die Sache in die Hand genommen; er ist ein sehr geschickter Mann. und bekannt dafür, daß er auch die schwierigsten Rechtsfragen zu behandeln weiß. Alles wird gut gehen, ihr dürft ganz ruhig sein. Nnr könnt ihr der Verhandlung nicht beiwohnen, weil das gegen die Reichsgesetze verstieße; aber daraufkommt ja auch nur wenig an." — „Im Gegentheil, darauf gerade kommt sehr'viel an. Ihr dürft euch fest überzeugt halten, und mögt es auch ausdrücklich merken, daß wir ein Urtheil für ungiltig erklären, das hinter unserm Rücken gefällt wird." — So waren wir denn nach langen und lebhaften Erörterungen immer noch auf demselben Punkte. Die Unterhändler, welche das Tribunal schickte, gingen ab und zu, wir hatten aber keiue Lust, die ganze Nacht hindurch zu parlameutiren, und gaben dein Meister Ting Auftrag, folgendes Ultimatum zu überbringen: Wir würden, sobald nicht um zehn Uhr Abends die Gerichtssitzungen anfingen, uns ohne Weiteres zur Ruhe begeben, und wollten dann so lange in Leang schan bleiben, bis die Sache entschieden sei. Unser Entschluß sei unerschütterlich. Um zehn Uhr war Ting nicht zurück; wir legten uns also schlafen. Um Mitternacht weckte uns eine Deputation, meldete daß für eine Gerichtssitzung Alles vorbereitet sei, und daß man^un^ erwarte. Die Zeit schien uns freilich keine sehr geeignete, wir beschlossen aber einige Zugestandnisse zu macheu, weil es doch die Mandarinen große Ueberwindung gekostet haben mußte, sich in solcher Weise uns zu fügen. Also standen wir auf, legten rasch unsere besten Kleider an. und stiegen Jeder in einen Palankin. umgeben von fackeltragenden Trabanten. Wir kannten von Lha fsa und Tsching tu fu her das Gerichtsverfahren, und hatten einen Plan entworfen, der jetzt zur Ausführung gelangen sollte. Der Saal ^»'' 104 Eine Gerichtssitzung untcv Leitung der Missionaire. 16. Kap. war vermittelst bunter Papierlaternen glänzend hell beleuchtet, und gedrängt voll Neugieriger, unter denen sich viele Christen befanden. Die angesehensten Beamten und unsere drei Mandarinen standen auf einer Flur. die um einige Fuß höher war als der Fußboden; vor einem langen Tische standen mehrere Sessel. Die Mandarinen empfingen uns in höflichster Weise, der Präfect ersuchte uns Platz zu nehmen, und die Verhandlung beginnen zu lassen. Jetzt war ein kritischer Augenblick gekommen , denn es handelte sich um die wichtige Frage: Wie soll man sich setzen? Niemand war darüber mit sich im Klaren, und der Präfect selber im Zweifel wie weit, uns gegenüber, seine Prärogative reiche. Freilich trug er auf seinem violetten seidenen Rocke einen großen kaiserlichen Drachen, aber wir hatten Dem einen schönen rothen Gürtel entgegen zu setzen. Der Präfect hatte eine blaue Knopfkugel, aber wir trugen eine gelbe Mütze. Nach einigem Zaudern war ein Entschluß gefaßt. Wir nahmen ohne Weiteres den Präsidentensitz ein. und bezeichneten unseren Bei» fitzcrn die Stühle zur Rechten und zur Linken, welche ein Jeder nach Amt und Würden einzunehmen hatte. Unter den Zuhörern erregte unser Ver» fahren einige Heitlrkeit. dock) wurde von keiner Seite her Anstand erhoben. Die Mandarinen waren sichtlich in Verwirrung gerathen, und folg» ten wie Maschinen. Nun begann die Gerichtssitzung. Der Brief und das Päckchen wurden, als Beweisstücke von uns auf den Tisch gelegt. Wir lasen den Brief laut vor, knüpften einige Bemerkungen daran und ließen ihn dem Militairmandarin aus Tschung king zukommen, der zu unterft auf der rechten Seite saß. Er gestand zu, daß er diesen Brief erbrochen habe, und machte auch in Bezug auf das Päckchen mit getrockneten Früchten und einigen wohlriechenden Colliers von Gewürznelken und Sandelholz keine Einwendungen. Sodann beauftragten wir einen Gerichtsdiener, der eine zuckerhutförmigeFilzmützc sammt Fasancnfeder trug, Briefund Päckchen jedem der Richter vorzuzeigen, damit das Tribunal eine vollkommene Einsicht gewinne. Daraus ließen wir den Angeklagten vorführen. Von vier Trabanten wurde ein Mann hereingebracht, der ein sehr intelligentes Gesicht und eine recht hübsche Haltung hatte. Um seinen Hals trug er einen Rosenkranz mit einem großen kupfernen Kreuze. Jetzt waren wir voll Zuversicht, denn ein furchtsamer und beschränkter Mensch hätte lins in mancherlei Verlegenheiten bringen können. Das Oberhaupt der Familie Tschao schien uns wie gemacht für den Auftritt welcher nun folgte. Der Angeklagte überzeugte sich auf den ersten Blick davon, daß er nicht von ü. Kap.) Eine Gerichtssitzung unter Leitung der Millionaire. 105 einem Mandarin des himmlischen Reiches gerichtet werden solle. Er machte lächelnd seine Verbeugung, begrüßte den Präsidenten durch dreimaliges Berühren des Bodens mit der Stirn, stand auf, und verneigte sich wieder vor jedem einzelnen Richter. Darauf knieteer nieder, denn das ist Vorschrift für den Angeklagten. Wir hießen ihn aufzustehen, weil knieen ganz gegen den Brauch unseres Heimatlandes sei. Der Präfect sprach: „Stehe auf, weil es Dir erlaubt wird. Diese Männer aus fernen Landen werden aber wohl nur mit Mühe Deine Sprache verstehen, und deswegen will ich selber Dich verhören." — Wir entgegneten: „Nein, das geht auf keinen Fall; ohnehin ist Deine Besorgniß ungegründet. Du wirft schon sehen, daß wir uns mit diesem Manne recht wohl verständigen." — „Ja. sagte der Angeklagte, „diese Rede ist für mich weiß und klar, ich verstehe sie recht wohl." — „Nun, wenn es sich so verhält." sprach der Präsident, „dann antworte recht und schlicht auf alle Fragen." — Wir begannen das Verhör. Wie ist Dein Name? — Der Ganz Kleine (als solchen muß der Chinese sich dem Mandarin gegenüber bezeichnen) trägt den geringen uud verächtlichen Namen Tschao; in der Taufe habe ich den Namen Simon erhalten. — Wie alt bist Du und wo wohnst Du? — Seit achtunddreißig Jahren erträgt der Ganz Kleine die Mühsal des Lebens im armen Lande Leang schan. — Bekennst Du Dich zum Christenthum? — Ich bin ein Fischer, und mir ist die Gnade geworden, den Herrn des Himmels kennen zu lernen und ihn anzubeten. — Erkennst'Du diesen Brief; wer hat'ibn geschrieben? — Ich erkenne ihn; der Ganz Kleine hat die unschönen Schriftzüge mit einem ungeschickten Pinsel gemalt. — Betrachte dieses Päckchen; erkennst Du das auch? — Ja, ich erkenne es wieder. — An wen hast Du Brief und Päckchen gesendet ? — An die geistlichen Väter aus dem großen Lande Frankreich. — Weshalb hast Du uns diese Sachen geschickt? — Die niedrige Familie Tschao wollte den geistlichen Vätern ihre kindliche Hingebung bezeugen. — Was hat euch dazu bewogen? Ihr kennt uns nicht, und wir haben Dich nie zuvor gesehen. — Das ist wahr; aber Die, welche sich zu einer und derselbe»» Religion bekennen, sind einander nicht fremd, sie bilden eine Familie, und die Herzen der Christen begegnen sich. — Wir wendeten »ins zum Präsidenten: Du hörst. daß dieser Mann unsere Sprache sehr gut versteht; er antwortet sehr klar auf alle unsere Fragen. Du hörst ferner, daß alle Christen zu einer und derselben Familie gehören; es steht ja auch in eueren Büchern, daß alle Menschen Brüder seien. Aber die Nichtchristen leben getrennt. — Das ist Alles wahr, das ist die ganze 106 Freisprechung eines Christen. l.6. Kap. Lehre in ihrer Reinheit, — entgegneten die Mandarinen. Nack einer kurzen theologischen Abschweifung nahmen wir das Verhör wieder auf, und sprachen zum Angeklagten: Wir stud keine Angehörigen des Reiches der Mitte, baben aber lange in demselben gelebt, und kennen viele eurer Gesetze; doch sind manche uns nickt bekannt, deswegen antworte uns gewissenhaft. Als Du uns den Brief und das Päckchen schicktest, handeltest Du da Deiner Ansicht nach gegen die Gesetze? — Nein, das glanbe ich nicht; ich war der Meinung, daß ich eine gute Handlung begehe, und das ist von unseren Gesetzen nicht verboten. — Du bist ein Mann aus dem Volke und kannst Dich irren. — Dann fragten wir die Beamten, ob dieser Mann sich eine strafbare Handlung habe zuschulden kommen lassen. Alle äußerten, sein Benehmen verdiene Lob. An den Mandarin aus Tschung king, der Lu hieß, richteten wir die Frage: Und was meinst denn Du? — Er antwortete: Es kann ja gar kein Zweifel darüber statt» finden, daß die Familie Tschao tugendhaft gehandelt hat. Wer möchte so von Sinnen sein zu behaupten, daß sie etwas Tadelnswerthes begangen habe? — Also darüber wären wir jetzt im Klaren, die Wahrheit ist vom Irrthum gesondert worden. Nach dem Zeugnisse der Mandarinen bast Du. Angeklagter Tschao, das Recht gehabt, dem Antriebe Deines Herzens zu folgen und uns diese Gabe zu überreichen. Wir nehmen sie demnach gern an, und werden den Brief als ein schützbares Ding aufbewahreu. Danut war der Proceß eigentlich zu Ende, und, wir bätten ohne Weiteres den Angeklagten freisprechen und entlassen können. Wir gefielen uns aber in der Maudariuenrolle und verlängerten die Sitzung, um von Tschao Einiges über die Lage der Christen in Lcang schan zu erfahren. Der Mann sprach sehr angemessen und mit Nachdruck, erzählte viele Einzelheiten die uns interessirten, von denen aber die übrigen Richter wohl nicht viel verstanden. Endlich fragten wir: Sind die Christen von Leang schan Unterthan dem Gesetz, und geben sie dem Volke ein gutes Beispiel? — Wir Christe» sind schwach und sündigen wie andere Menschen, aber wir bemühen uns tugendhaft zu sein. — Ja, gebt euch Mühe die Tugend zu üben, wandelt rein und heilig in der iiehre des Himmelsherrn, und am Ende müssen die Mandarinen und alles Volk ench Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Schon hat der Kaiser in einem Edict anerkannt, daß die christliche Religion die Menschen zum Guten ermähnt und vor dem Bösen warnt; ferner hat er auch den hohen und niederen Tribunalen in allen achtzehn Provinzen verboten, die Christen z» verfolgen. Dieses Edict ist aber nicht überall bekannt gemacht worden, aber es ezistirt, und ihr könnt 6. Kap.) Freisprechung eines Christen. 1y? alle Freunde der Religion davon in Kenntniß setzen. Ihr dürft in aller Freiheit euch zum Christenthum bekennen. Wer würde keck genug sein, euch zu verfolgen, und den Zorn des Kaisers auf sich zu lenken? — Nach dieser Apostrophe fragten wir den Präfecten ob das Oberhaupt der Familie Tschao abtreten dürfe? — Er entgegnete: Da es sich klar her, ausgestellt hat. daß Tschao's Benehmen in jeder Hinsicht ein tugendhaftes gewesen, so muß man ihn frei lassen, damit er durch feine Gegenwart den Verwandten und Freunden Trost bringe. — Nun sollte die Sitzung aufgehoben werden. wir winkten aber mit dem Arme und baten noch etwas bemerken zu dürfen. — Nachdem unzweifelhaft bewiesen worden ist, daß Tschao sich gesetzlich und ohne Tadel benommen, so kann nicht in Abrede gestellt werden, daß der Mandarin Lu der Schuldige ist. Lu hat sich in unser Zimmer geschlichen, und hat sein Antlitz mit Schmach bedeckt, in» dem er einen Brief erbrach, der an uns gerichtet war. Der Mandarin Lu hat den Auftrag uns mit einer Militairbedeckung von der Stadt Tschung king bis zur Grenze der Provinz zu geleiten. Man sieht aber deutlich, daß er ein Mensch ohne gute Erziehung ist, daß sein Mangel an Kenntniß der vorschriftlicheu Gebräuche ihn schwere Fehler begehen läßt. Wir er» klären nun. daß wir mir mit dem Mandarin Lu nichts mehr zu schaffen haben mögen, und wir werden diese Erklärung auch schriftlich an die Oberbehörde in Tschung king gelangen lassen! Nun erhoben wir uns, und die Sitzung war geschlossen. Unser vortrefflicher Christ Tschao kam zn uns. kniete nieder und bat in Gegenwart der ganzen Versammlung um den Segen. Die Mandarinen sagten ihm Glückwünsche, die er auch wohlverdient hatte, denn sein ganzes Benehmen war ein würdiges gewesen und konnte dem Namen der Christen nur er« sprießlich sein. Wir dachten freilich auch an die Zukunft, und so mischte sich denn in uusere Freude zugleich einige Besorgniß. Denn konnte nach unserer Abreise das Tribunal die Christen es nicht entgelten lassen, daß wir so nachdrücklich verfuhren? Wir schärften dem Simon Tschao die größte Vorsicht ein, und ersuchten ihn uns Mittheilungen zu machen. Etwa ein Jahr später erhielten wir in Macao einen Brief aus Leaug schan, der uns die tröstliche Melöuug brachte, daß die Bekenuer des Himmelsherrn durchaus unbelastigt geblieben seien. Als wir wieder im Gemeindepa laste waren, erschien uns Alles wie ein Traum. Wir konnten gar nicht begreifen, wie es möglich gewesen daß Mandarinen und Volk sich eine derartige Gerichtssitzung überhaupt nur gefallen lassen konnten. Ein französischer Missionair improvisirt sich 103 Wir verlassen Leang schau im Triumph. 16. Kap. in einer chinesischen Stadt zum Gerichtspräsidenten. und Niemand hat dagegen etwas einzuwenden. Zwei Ausländer, Barbaren, überwinden für einen Augenblick alle Vorurtheile eines Volkes, das auf die Fremden mit Hochmuth und Verachtung hinabsieht, und giebt zu. daß diese sich zu Richtern auswerfen und Urtheile abgeben! Das Alles zeigt wieder, wie tiefe Wurzel das Autoritätsprincip in diesem Volke geschlagen hat. Vieles verdankten wir ohne Zweifel unserm rothen Gürtel, bei welchem die Leute, ohne eben näher nachzuforschen, an die kaiserliche Allgewalt denken mochten. Außerdem will in China kein Mensch anstoßen und sich compromittiren. Jeder ist vor allen Dingen bemüht sich selber zu decken, möge nachher kommen was da wolle. Eine gewiffe Klugheit. die wir beffcr als Klein» müthigkeit bezeichnen, ist eine Haupteigenschaft der Chinesen. Sie haben einen sebr charakteristischen Ausdruck. Befindet sich Jemand in einer schwierigen Lage. ist er in irgend einer Verlegenheit, dann ruft er sich zu: Siao sin, das heißt: Mache Dein Herz kleiner! Wir zogen wie im Triumph aus Leang schan. Die Kunde von der nächtlichen Gerichtssitzung war wie ein Lauffeuer überall verbreitet worden, und man erzählte mehr von den abendländischen Teufeln als sich wirklich begeben hatte. Bei Tagesanbruch waren die Straßen in unserm Stadttheile voll Menschen. Die Mandarinen fanden sich in festlicher Tracht im Gemeindehause ein. um uns Lebewohl zu sagen. Sie überhäuften uns mit einer Menge der allerhöflichsten Redensarten, geleiteten uns auf die Straße, und gingen erst in den Saal zurück, als wir im Palankin Platz genommen hatten. Eine unzählige Menschenmenge war versammelt und drängte lärmend und voll Neugier sich hin und her, denn Jeder wollte die Fremden oder doch wenigstens ihre gelben Mützen sehen. Die Christen bildeten verschiedene Gruppen, und benahmen sich dreist und unverzagt. Alle trugen am Halse einen Rosenkranz. machten das Zeichen des Kreuzes und baten um den Segen. Die Heiden verhielten sich bei dieser religiösen Handlung vollkommen ruhig; Niemand spöttelte. Keiner zeigte sich irgend feindselig. Vielmehr beobachteten Alle ein respectvolles Schweigen, oder sagten etwa: Die Chinesen bitten die Meister der Religion, daß diese Glückseligkeit aus dem Himmel herabkommen lassen. In der allerletzten Straße bemerkten wir Frauen und Mädchen, die sich in Reihen aufgestellt hatten, um gleichfalls die Männer mit den gelben Mützen und rothen Gürteln zu sehen. Als unsere Palankinc naher kamen, wackelten sie auf ihren kleinen Ziegenfüßen heran. knieten nieder und schlugen Kreuze. Es waren Christinnen aus Leang schan, welche bei 6. Kap.) Die Lage der Weiber in China. 109 dieser Gelegenheit ihr „Herz nicht kleiner machen" wollten; vielmehr schüttelten sie einmal die schwere Sclaverei ab, welche das chinesische Vorurtheil ihnen auferlegt. Unser Gefolge war über eine solche Keckheit sehr erstaunt, doch vernahmen wir keine ungebührliche Bemerkung. Ein Trabant äußerte: Daß Männer Christen sind. ist schon lange bekannt, ich wußte aber nicht, daß auch Weiber sich zur Religion des Himmelsherrn bekennen. — Ein anderer Trabant warf die Worte hin: Nun fteilich, daß Du nicht viel weißt, das wissen wir längst. Sv zogen wir aus Leang schan. einer Stadt dritten Ranges, die in unserer Erinnerung eine ganz besondere Stelle hat. Wir muffen noch bemerken, daß uns Mandarin Lu nicht wieder vor Augen kam; auch redete Niemand mehr von ihm, seit wir ihn casfirt hatten. Der Präfect hatte ihn durch einen jungen, sehr zuvorkommenden Mandarin ersetzt. Das Benehmen der Christinnen von Leaug schau war uns in hohem Grade auffallend, noch weit mehr als die merkwürdige Gerichtssitzung in nächtlicher Stunde. Daß Frauen aus Neugier auf die Straße kommen um zwei fremde Männer, über die mau ihnen seltsame und außerordentliche Dinge erzählt hat, anzugaffen, daß sie ein Kreuz schlagen, knien und um den Segen bitten , das wird in Europa nicht gerade ausfallend erscheinen. Aber in China ist das Alles geradezu wunderbar und ungeheuerlich, es verstößt gegen Brauch und Herkommen, gegen allgemein angenommene Ideen und Grundsätze. Das Vormtheil äbcr wurzelt in der kläglichen Unterdrückung und Sclaverei, welche auf den Chinesinnen lastet. In der That ist ihre Lage ungemein bellagenswerth. Ein weibliches Wesen in China hat von der Wiege bis zum Grabe unendlich viel zu leiden, zu entbehren, und ist wirklich ein elendes Geschöpf. Schon in der That» sache, daß ein Mädchen geboren wird, liegt für die Familie ein gewisser Schimpf, es ist ein Zeichen von der Ungnade des Himmels. Erstickt man das Mädchen nicht gleich nach der Geburt (davon wird späterhin die Rede sein), dann behandelt man es doch wenigstens als eine verächtliche Creatur, die kaum zum Menschengeschlecht gehört. Und diese Vorstellung ist so all« gemein, daß die Schriftstellerin Pan hui pan in ihrem berühmten Werke es sich recht eigentlich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, ihr eigenes Geschlecht zu erniedrigen, denn sie kommt immer darauf zutück, daß die Weiber eine tiefe Stufe in der Schöpfung einnehmen: „Ein Sohn schläft gleich nach seiner Geburt auf einem Bette, wird in Nöcke gekleidet, und spielt mit Perlen; Jeder hört aus das Schreien des Prinzen. Wird aber ein Mädchen geboren, so muß es aus der Erde schlafen, und wild nur 110 Die Lage der Weiber in China. s6. Kap. mit einem Tuche bedeckt; es spielt mit einem Stein, ist unfähig zum Guten oder Bösen, muß darauf denken Wein und Speisen zu bereiten, und darf seinen Aeltern keinen Verdruß machen." — In alten Zeiten ließ man ein neugeborenes Mädchen auf der Erde liegen, in einem Hänfen Lumpen, und die Familie gab gar kein Zeichen von Theilnahme bei einem so unbedeutenden Ereigniß. Später vollzog man einige nichtssagende Ceremonien, während es nach der Geburt eines Knaben hoch herging. Die eben er« wähnte Schriftstellerin Pan hui pan erwähnt dieses alten Brauches. den fie für sehr angemessen und verständig erklart, weil dadurch schon von Anfang an das Weib auf seine untergeordnete Stellung vorbereitet werde. Die Knechtschaft, Dienstbarkeit und niedrige Stellung der Frauen im öffentlichen Leben wie im Hause, ist dreifach besiegelt durch die öffentliche Meinung, durch die Gesetzgebung und dmch die Sitten; sie ist gewissermaßen ein Eckstein der chinesischen Gesellschaft geworden. Das Madchen lebt von der Außenwelt gleichsam abgeschlossen, sieht sich fast ganz allein auf häusliche Arbeiten angewiesen, wird von Jedermann, namentlich aber von den Brüdern wie eine Magd behandelt, welche die schwierigsten und niedrigsten Dienste leisten muß. Solch ein Mädchen erhält keinen andern Unterricht als im Nähen, denn es geht in keine Schule, und steht einsam bis es verheirathet werden soll. Dann erst bekümmert man sich etwas mehr um dasselbe, es gilt aber für ein so nichtiges Ding. daß man es gar nicht fragt ob es heirathen will; man macht ihm allerhöchftens den Namen des Mannes bekannt, und auch das gilt im Grunde für lächerlich und überflüssig. Das Mädchen ist eben eine Handelswaare, die an den Meistbietenden losgeschlagen wird; es hat gar kein Recht nur die geringste Bemerkung über die Qualität des Käufers zu machen. Am Hochzeitstage wird dann allerdings die Braut stattlich herausgeputzt mit schillernder Seide, funkelndem Golde und mit Stickereien; man schmückt ihr das rabenschwarze Haar mit Blumen und Steinen, holt sie mit festlichem Pomp ab, und Spielleute umgeben den Palankin in welchem fie wie eine Königin thront. Aber nun beginnt für sie nicht etwa eine glücklichere Zeit, fie ist nur ein geschmücktes Opfer. Das Aelternhaus, in welchem sie eine niedrige Stellung eingenommen, verläßt fiezwar, doch ist nun das schwache, unerfahrene Wesen unter Unbekannte gerathen, muß auch ferner entbehren, wird auch in Zukunft verachtet und ist ihrem Käufer völlig preisgegeben. Auch in der neuen Familie muß fie ohne Widerrede gehorchen, sie darf, wie ein chinesischer Schriftsteller sich ausdrückt, im Hause nichts weiter sein als blos ein Schatten, als ganz einfach nur ein Wiederhall. Sie 6. Kav.j Die Lage der Weiber in China. 411 darf nicht einmal mit ihrem Manne und ebensowenig mit ihren Söhnen am Tische essen. muß sie stehend und schweigsam bedienen, ihnen die Gläser vollscheukeu und die Pfeife anzünden. Wenn die Anderen gesättigt sind, dann darf sie essen, aber allein und abseits, und nicht einmal was ihre Söhne übrig ließen, sondern nur wenig und schlechte Nahrung. Das Alles widerstreitet scheinbar dem berühmten Grundsatze der kindlichen Pietät; man muß sich aber erinnern daß in China das Weib für nichts gerechnet wird. Das Gesetz nimmt gar keine Notiz von ihm, außer wo es sich darum handelt, dasselbe zu bedrücken, seine Dienstbarkeit und seine Incapacity vor dem Gesetze festzustellen. Der Mann, oder genauer ausgedrückt, der Herr und Gebieter darf seine Frau schlagen, er darf sie Hungers sterben lassen, wieder verkaufen und, was in der Proviuz Tsche kiang oft vorkommt, auf beliebige Zeit ver» miethen. Die in China erlaubte Vielweiberei trägt außerdem bei, die klägliche Lage der Frau noch zu verschlimmern. Ist sie nicht mehr jung, oder unfruchtbar, oder hat sie noch keinen Knaben geboren. so nimmt der Mann eine zweite Frau, und die erst wird nun Dienerin derselben. (??) Im Hauswesen herrscht dann Zwietracht. Eifersucht und es kommt auch wohl zu Schlägereien. Es kann unter solchen Umstanden nicht auffallend sein, daß sehr viele Frauen Selbstmord begehen. Darüber ist denn allerdings der Mann sehr betrübt, weil dieser Verlust ihn zu Geldausgaben nöthigt. Er muß sich nämlich eine neue Frau kaufen. Uebrigens bessert es sich mit der Lage der Weiber in China, aber nur sehr allmalig. Es versteht sich von selbst, daß in den christlichen Familien die neugeborenen Mädchen nicht erstickt oder so schlecht behandelt werden, wie bei den Heiden. Denn die Religion sagt: Hier ist ein Mädchen . das nach Gottes Bilde geschaffen und gleich dem Manne unsterblich ist. Die Königin der Engel nimmt es unter ibren Schutz. Das Christen« mädchen darf nicht verlassen und ohne Unterricht bleiben; es muß seine Gebete und die christlichen Glaubenslehren lernen, und schon allein damit haben die christlichen Chinesen ein alteingewurzeltes Vorurtheil abgestreift. Man wird auch Schulen gründen, wo die Mädchen lesen und schreiben lernen, wo sie Gespielinnen finden. Auch unterliegt die Christin nicht dem scla-oischen Druck wie die Heidin, denn sie gehört der großen Glaubensgemeinschaft mit derselben Berechtigung an wie der Mann. Zwar hat sie immer noch keine fteie Wahl in Bezug auf einen Ehemann, aber sie kann doch schon ihre Meinung äußern, und wir selbst haben mehrmals erlebt, daß Mädchen eine von dem Vater schon beschlossene Verbindung rück' 112 Ankunft in Yao tschang. 16. Kap. gangig machten. Dergleichen wäre bei den Heiden nicht möglich. Die Christinnen haben in und außer dem Hause eine viel größere Freiheit. Sie kommen an Sonn- und Festtagen in die Cavellen, und wohnen gemeinschaftlich dem Gottesdienste bei. Auch besuchen sie einander, sie leben überhaupt weniger eingezwängt als die Heidinnen. Meister Ting verwunderte sich gar sehr über die Dreistigkeit der Christenfrauen von Leang schan; seine Aeußerungen darüber find sehr bezeichnend. — Ich habe vernommen, daß die Frauen, welche wir beim Auszug aus der Stadt sahen. Christinnen waren; find das nicht etwa hohle Worte? — Nein, das ist die volle Wahrheit, sie find Christinnen. — Die Arme fielen dem Meister Ting am Leibe hinunter. er war höchlich erstaunt. — Das begreife ich nicht, fuhr er fort, ihr habt mir oft gesagt. man sei Christ wegen seines Selenheiles, nicht wahr? — Allerdings. — Nun weshalb werden denn die Weiber Christinnen? — Nun, um ihre Seele zu retten, gerade wie die Männer auch. — Da trat Meister Ting einen Schritt zurück, kreuzte die Arme über der Brust und rief: Aber sie haben ja keine Seele, Weiber haben gar keine Seele, wie könnt ihr nun Christinnen aus ihnen machen? — Wir gaben uns alle Mühe, ihm gesundere Begriffe beizubringen, wiffen aber nicht inwieweit uns das gelungen ist. Schon der bloße Gedanke, daß auch das Weib eine Seele haben könne, brachte ihn zum Lachen. Am Ende sagte er: „Ich will mich doch an das erinnern, was ihr mir sagt, und zu Hause meiner Frau sagen, sie habe eine Seele. Sie wird darüber nicht wenig erstaunt sein." Die chinesischen Christinnen wiffen sehr wohl, wie viel sie einer Religion verdanken, welcbe sie einer drückenden Dienstbarkeit überhebt; sie find auch dafür dankbar und sehr eifrig; sie erscheinen regelmäßig zum Gebet, trotzen dem Vorurtheil und find mildthätig auch gegen Heiden, pflegen Kranke, und nehmen Kinder zu sich. welche von ihren Müttern ausgesetzt wurden. Bei Verfolgungen treten sie vor den Mandarinen als mu« thige Bekennerinnen der Lehre auf. Von Leang schan ab hatten wir eine angenehme Reise durch eine liebliche Gegend; nur war das Wetter sehr heiß. Abends gelangten wir nach Iaotschang, einer großen Ortschaft ohne Umwallung und ohne Gemeindepalaft. Wir mußten deshalb Obdach in einer Herberge suchen, welche sich uns als Gafthofzu den Glückseligkeiten ankündigte. Der Besitzer führte uns ehrerbietig in das „Ehrenzimmer". Es lag über der Küche, Licht und Luft drangen nur durch eine kleine Fensteröffnung ein; Legionen von Mücken summten umher und peinigten uns arg; dazu 6. Kap.) Wir wohnen im Theater. 1<, kam noch ein übler Modergeruch, und schon der bloße Gedanke in einem solchen Ehrenzimmer eine Nacht zu verweilen, erfüllte uns mit Schauder; ein scharfer Nauch, der unseren Augen Thränen auspreßte, war gleichfalls nicht geeignet, unsere Stimmung behaglicher zu machen. Wir eilten die enge. dunkle Stiege hinab, und begaben uns zu Meister Ting, der schon einen Platz neben der Küche eingenommen hatte, und in aller Gemüthsruhe seine Opiumpfeife schmauchte. Wir ersuchten ihn, auf ein anderweitiges Unterkommen für uns Bedacht zu nehmen. Im Nothsall würden wir unter einem Baum. in freier Lust unser Nachtlager aufschlagen, wie wir das so oft in der Mongolei gethan hätten. — „Ja," entgegnete er. „bei den Mongolen im Graslande ist das bräuchlich. aber im Reiche der Mitte schickt es sich nicht, daß Männer von Stand und Nang über Nacht mit Vögeln und Insekten auf freiem Felde bleiben; es verstößt gegen die Vorschriften. Habt ein wenig Geduld, ich will mich einmal weiter umsehen". — Er löschte seine Raucherlampe aus, nahm seinen Fächer und ging fort, und kam bssld wieder. Schon aus der Ferne arbeitete er heftig mit seinen Armen, und gab uns telegraphische Berichte, die uns freilich etwas unverständlich blieben; doch schien es. als habe er eine Entdeckung gemacht. Endlich rief er uns in seinem näselnden Tone zu: „Nur schnell ausgeräumt, ihr sollt im Theater wohnen; dort habt ihr frische Luft und eine herrliche Aussicht!" — Sogleich wurden unsere Sachen zusammen« gepackt und wir verließen den Gasthof der Glückseligkeiten, um uns im Theater von Uaotschang einzuquartieren. Dieses Theater bildete einen Bestandtheil eines großen Bonzen» klosters, und lag in einem geräumigen Hofe. gegenüber der Hauptpagode. Im Vergleich zu der gewöhnlichen Architektur derartigen Gebäude nahm es sich recht stattlich aus. Eine große viereckige Platform wurde von zwölf starken Granitsäulen getragen; sie hatten einen reich verzierten Pavillon, der alls Säulen von lackirtem Holz ruhte. Von der Rückseite führte eine breite Steintreppe auf diese Platform, und aus einem für die Schauspieler bestimmten Foyer führten zwei Seitenthüren auf die Scene. Auf diese Platform brachte man einen Tisch und ein paar Stühle, und dort speisten wir beim Scheine des Mondes, beim Flimmern der Sterne, und im Glänze vieler Papierlaternen. welche die Theaterdirectoren uns zur Ehre hatten anbrennen lassen. Das Ganze war in der That hübsch und gewahrte uns eine angenehme Ueberraschung. Wir mußten die große Ein« gangsthür zum Bonzenkloster verschließen lassen, sonst hatte die ge-sammte Bewohnerschaft von Yao tschang sich m dem ZuMuerraume zu. Huc, <5h!n». 3 114 Meister Tiu^ als Komödiant. stt. Kap. sammengedrängt. Sicherlich hatten die Leute auf ihrem Theater niemals so merkwürdige Personen geseben. denn gewiß war vor uns kein Europäer im Orte. Tie wollten sehen wie die Männer des Abendlandes speisen, denn sie erwarteten wohl etwas Außerordentliches. Einigen gelang es. auf dem Dache des Nonnenklosters Platz zu finden. Andere waren über die Mauer und auf Bäume geklettert, wo sie gleich Affen in den Zweigen dingen. Es konnte nicht fehlen, daß diese Neugierigen sick enttäuscht fanden. Denn wir aßen den Neis nicht mit den Händen. Löffeln oder Gabeln, sondern genau wie die Chinesen mit Stäbchen. Der Abend war ent» zuckend schön, und die milde aber doch erfrischende Kuhle so labend. daß wir unsere Diener ersuchten das Nachtlager für uns auf der Platform zu bereiten. Das geschab, und wir batten uns schlafen legen können wenn nnr die Neugierigen uns verlassen batten: aber dazu schienen sie nicht im Mindesten aufgelegt zu sein. Wir ließen endlich alle Laternen auslöschen und das balf. Die Neugierigen zogen ab mit allerlei Bemerkungen, zum Beispiel: Das find Menschen gerade so wie wir. Darauf entgegnete ein Anderer: O nein, der kleine Teufel hat so große Augen, und der große eine spitze Nase; ich habe es gesehen. — Am andern Morgen früh weckte uns Meister Ting in eigenthüm» licher Weise; er schlug nämlich einen heftigen Wirbel anf einer Trommel, die in einer Ecke stand, und bei Theatervorstellungen gebraucht wurde. Da er sehr gut aufgelegt war. so machte es ihm Vergnügen, vor uns in seiner Weise Komödie zu spielen. Er stellte sich mitten auf die Bühne, nahm eine dramatische Haltung an, sang ein Stückchen gesticulirte auch dazu, und begann darauf ein sehr lebhaftes Zwiegespräch, bei welchem er jedesmal Stimme und Platz änderte sobald er einen Andern sprechen ließ. Nach beendigtem Dialoge wandelte ihn die Lust an Seiltänzer-Kunststücke zn produciren. und er fing an zu springen nnd Pirouetten und Capriolen zu machen. Als er eben im besten Zuge war, traten Leute aus einer Klosterthür. Nun hielt er plötzlich inne und lief hinter die Bühnen-wände; er meinte es sei unpassend daß Leute aus dem Volke zusähen wie ein Mandarin den Komödianten nachahmt. Der große Flecken Yao tschang liegt am Blauen Strom, den wir von der Platform des Theaters sehen konnten. Wir hatten Lust noch einmal eine Wasscrfahrt zu versuchen, um nicht immer und ewig in einem Palankin eingesperrt zu sitzen; denn auf die Lange wird das sehr ermüdend. Es wurden also ;wci Fahrzeuge gemietbet, eins für lins und unsere drei Mandarinen, ein anderes für unser (Vefolge. Diesmal hatten wir 6. Kap.) Schauspiel nnd Komödianten in <5hina. 1<«; eine geräumige Cajüte, die auch erträglich sauber war. Nun konnten wir in aller Gemächlichkeit unserm Meister Tina,, dafür danken, daß er uns durch Entfaltung eines Talents überrascht bade, welches wir an ihm gar nicht geahnt. Diese kleine Schmeichelei nahm er mit großem Wohlgefallen auf, und er äußerte, daß er von der Sache eigentlich gar nichts verstehe; doch wolle er versuchen, uns in der Cajütc eine hübsche Vorstellung zu geben. Die beiden Militairmandarinen erbotcn sich zum Mitwirken. Es bedürfte keiner weitereu Vorkehrungen; die drei Beamten waren gleich in vollem Zuge mit ihren Grimassen. Verrenkungen und possenhaften Gesprächen. Ihr Nepertoir war darin unerschöpflich, und wir mußten uns alle mögliche Mühe geben sie einigermaßen in anständigen Schranken zu halten. Alle Drei hatten entschiedene Anlage zum Komödicnspiel. Es giebt schwerlich ein Volk, welches theatralische Vorstellungen so leidenschaftlich gern hat. als gerade die Chinesen. Schon weiter oben wnrde gesagt, daß sie ein Volk von Köchen seien; hier möchten wir behaupten, daß sie auch ein Volk von Komödianten sind.. Geist nnd Leib sind bei ihnen so biegsam und elastisch. daß sie alle möglichen Formen annehmen können und die verschiedenartigsten Leidenschaften darzustellen wissen. Es liegt in ihrer Natur eiwas vom Affen. Wer lange uuter ihnen gelebt hat. fragt sich gewiß, wie es überhaupt nur möglich war in Europa zu behaupten, daß China gleichsam eine große Akademie sci, in welcher man die weisen Manner nach Millionen zählen könne. Dcnn einige Ausnahmen abgerechnet findet man Würde und Weisheit nur iu den classischen Büchern. Das himmlische Reich der Mitte gleicht vielmehr einem uugeheucrn Jahrmarkt, wo mitlen im unaufhörlichen Zudrang nnd Ahgang von Käufern, Trödlern. Müssiggäugern und Dieben, das Publieum überall Schaugerüste, Gaukler. Possenreißer und Komödianten in Menge trifft, die es belustige,,. Und in allen achtzehn Provinzen des Reiches in Städten jeder Classe, in Flecken und Dörfern will Jeder, reich oder arm. von Leuten jenen Schlages sich ergötzen lassen. Tbeatcr sind überall, und in den großen Städten spielen die Komödianten bei Tag nnd bei Nacht. Auck das kleinste Dorf hat seine Bühne-, gewöhnlich steht sie der Pagode gegenüber, und bildet oftmals sogar einen Theil derselben. Bei manchen Gelegenheiten reichen die vorhandenen Theater nickt aus; aber man hilft sich nnd baut merkwürdig rasch provisorische Bühnen aus Bambus. Freilich ist ein chinesisches Theater ungemein einfach nnd von scenischen Illusionen kann dabei keine Ncde sein. Die Decora tionen sind fest und werden im Laufe der Vorstellung nicht gewechselt. So weiß man dann nicht wo das Stück 116 Schauspiel und Komödianten in China. 16. Kap. spielt;, die Schauspieler sagen es aber dem Publicum und schalten über-» Haupt dann und wann Erläuterungen ein, um die Zuhörer besser zu orientiren. Vorne auf der Bübne befindet sich eine Versenkung; aus derselben kommen die übernatürlichen Personen hervor, und man nennt diese Klappe Pforte der Dämonen. Die Chinesen baben viele zum Theil sehr umfangreiche Samm. lungen von Theaterstücken; manche davon sind in europaische Sprachen übersetzt worden. Gin gelehrter Sinolog. Eduard Biot, charakterifirt alle diese Stücke als sebr einfach in Anlage und Handlung; der Schauspieler selber kündigt dem Publicum an, was für eine Person er darstelle; die einzelnen Scenen sind nicht durch Uebcrgänge mit einander verbunden, und unMbige Possenreißereien mit ernsthaften Dingen gemischt. Die dramatische Kunst ist selbst in Peking und Canton noch in der Kindheit. Dieser Umstand bat wohl hauptsächlich darin seinen Grund, daß die Schauspieler eine sehr untergeordnete Stellung haben; sie sind eigentlich nur Lohnknecbte, die von irgend einem Unternehmer gemiethet werden, und müssen, um nur ihr elendes Leben weiter zu schleppen, vor einer unwissenden Menge spielen. Die chinesischen Dramen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, haben wenig theatralisches Interesse für einen europäischen Leser, aber für die Kunde der Sitten und des Volkslebens in China sind fk ungemein schätzbar. Die Komödiantentrupps find nicht etwa an einer stehenden Bühne engagirt, sondern stieben als wandernde Banden ein zeitweiliges Unterkommen, gehen wohin man sie bestellt, und nehmen Costüme und Deco-rationen mit sich. Diese Schauspielerkarawanen gewähren einen ganz eigenthümlichen Anblick, und haben viel Aehnlichkeit mit unseren Zigeunerbanden, Sie reisen am liebsten zu Wasser, weil das weniger kostet als Wanderungen über Land. Man miethet solch eine Truppe auf bestimmte Zeit; der Unternehmer ist manchmal ein Mandarin oder reicher Privatmann; gewöhnlich aber tritt ein Verein ins Leben, der für ein be» stimmtes Stadtviertel oder Dorf die Komödianten in Lohn und Brot nimmt. Deuu Komödie muß überall und bei hundert Veranlassungen gespielt werden, zum Beispiel wenn ein Mandarin um eine Rangstufe höher befördert worden ist, wenn die Ernte gut ausfällt, wenn Jemand ein sehr gewinureiches Gescbäft gemacht bat. wenn eine drohende Gefahr abgewendet werden soll, wenn Regen oder Dürre aufhören sollen, wenn irgend ein Greigniß von Velanc,. gleichviel ob glücklicher oder unglück» licher Art eintritt, «. In einem beliebigen Districte treten angesehene 6. Kap.j Kimstreittr, Gauller und Taschenspieler. ,17 Leute und Beamten zusammen, beschließen daß an so und so vielen Tagen Komödie gespielt werden solle, und die Kosten werden dann vertheilt, wenn nicht etwa ein einzelner Privatmann Alles bezahlt, um bei seinen Mitgliedern den Ruf eines freigebigen Mannes zu erwerben. Bei wichtige», Handels» geschäften wird insgemein noch verabredet, daß nach Abschluß des Kaufes der Käufer oder Verkäufer so und so viele Theaterstücke auf seine Kosten darstellen lassen solle. Auch Zerwürfnisse zwischen Privatleuten geben Vcr, anlassungen zn Vorstellungen; die Schiedsrichter erklären gewöhnlich, daß der welchem sie unrecht geben, einigemal Theater spielen lassen solle. Ein« trittspreise zahlt das Volk nicht. In den großen Städten finden, wie schon bemerkt, Vorstellungen zn allen Tageszeiten statt, in den Dörfern nur dann und wann; doch sind die Landlcute so erpicht darauf, daß sie nach gethaner Arbeit stundenweit laufen, um in einem benachbarten Dorfe Komödianten spielen zu sehen. Die Zuschauer befinden sich allemal in freier Luft und sind nicht in Schranken eingeengt; Jeder nimmt Platz wo es eben geht, auf der Straße, auf Bäumen oder Dächern. Alles schwätzt durcheinander; man raucht, ißt und trinkt; die kleinen Verkäufer von Eßwaarm und Leckereien drängen sich durch die Menge und schreien Kur» biskerne, Zuckerrohr und geröstete Kartoffeln aus. Pfeifen und Applau-diren kennt das chinesische Publicum nicht. Frauen dürfen auf der Bühne nicht erscheinen. Weibliche Rollen werden von Jünglingen gespielt. die sich dermaßen anzuputzen und die Stimme nackznahmcn wissen, daß die Aehnlichkeit täuschend ist. Aber Seiltänzerinnen und Kunstreiterinnen dürfen die Frauen sein, und sie haben es in diesen Gebieten der „Kunst" sehr weit gebracht, namentlich in den nördlichen Provinzen. Man begreift kaum, wie sie mit ihren kleinen Füßen auf einem gespannten Seile gehen und die schwierigsten Neiterkunststücke stehend verrichten können. -Die Gaukler und Taschenspieler zeigen eine so große Geschicklichkeit, daß manche von ihnen den europäischen „Magiern" etwas auf zu rathen geben könnten. 118 Dcr Tempel der wissenschas'licbe» ^»ombcilungen. >7. Kap Siebentes Kapitel. Der Tempel der wlsse,lschaft!icl'e>! 'Auöarl'eiliinsien. — :iank mit einen. Doctor. — Ein Bi'irqer im ,s'alohlock. — Vesm'I, im Tribunal z» U »cl'an. — Diedorti^cu Mandarinen. — Die ^ericbtlicl'e Medicin der Vhiucis,,.— Leichenschau.— Eelbttmoide. Eig/ntlnimlichcrssbarattcrder chinch,cl'cn Höflichkeit. Tie^rcu^c zwischen'3se tschueu u»d Hu pc. — Be,c!>rei-bnnsi der Proving Esc i^lnien. — Ilne Erzeugnisse. — bharakter der Bewohner. - iNian^ ti der Krie.^ott, ^chulzpatrou dcr Mcindjchudy-»aftic, uud dessen amiücher ssultuo. — Salz« und Heucrbrunucn. — Wissenschaftliche Kenntiusse der Chinesen. — Dc>s Christenthum in dcr Pvovin; Sse tschnen. Wir hatten eine cmgeuehmc und sehr rasche Fahrt auf dem Blauen Strom lind langten schon Nachmittags in Fu ki hien au, einer Stadt dritter Classe am Ufer des Flusses. Die zierlicbe und anständige Hal» tung der Bewobncr fiel uns gleich von vorne l'erein auf. Die Wissen» schast wird in hoher Ebre gehalten, uud die Zahl der Ttndcnten uud Doctoren ist sehr beträchtlich. Das Gemeindehaus liegt in einem Stadttheile der nicl't luftig ist; man l'atte uns daber eine sehr angenehme und kühle Wohnung in Wen tschang kun. das heißt dcm Tempel der wissenschaftlichen Ausarbeitungen hergerichtet. In demselben hält die Körperschaft der Oclelnten ihre Versammlung; auch werden doit die Prüfungen abgenommen. Dieses Neu tschang kun war größer und reicher als die Gebäude dicstr Art, welche wir audenväits gesehen hatten; die Säle wareu hübsch lackirt und überhaupt iu chinesischem Styl großartig und mit Luxus ausgestattet. Die Gelehrten halten iu demselben nicht blos Versammlungen zu wissenschaftlichen Zwecken, sonderu veranstalten auch Gastmähler; sie prüfen nächst den akademischen Arbeiten auch die Güte der Speisen, erfüllen sich mit Neiswein und Poesie, uud lustwandeln in einem prächtigen Garten. In demselben steht auf dcr einen Seite zwischen hohen Väumcu eine zu (Ihren des Confucius errichtete hübsche Pagode; auf dcr andern Seite liegt eine Reihenfolge von Zellen, in welche die Studenten eingeschlossen werden, wenn sie ihre schriftlichen Prüfungen machen. Sie erhalte» weiter nichts als Papier und Schreibgerath, uud find von aller Verbindung nach Außcn so lange abgeschlossen, bis sie ihre Aufgabe vollendet haben. Vor jeder Zcllenthür steht ein Wächter. Mitten im Garteu erhob sich ciu achteckiger Thurm mit vier Geschossen. Man wußte daß wir frische Lust gern hatten uud war auf- 7. Kap.I Za»k mit ciuem Doctor. ^^n merksam genug, uns im viertelt Stockwerk einzuquartieren, von wo hinab wir eine entzückende Aussicht hatten. Unter uns lag die von einer Mauer umschlossene Stadt, das trefflich angebaute Land war mit Meierhöfen übersäet, der Blaue Strom zog sich wie ein gewaltiges Silberband durch die grüne Ebene. In dieser Wohnung erschienen die Doctoren und die städtischen Beamten, um uns die Aufwartung zu machen; wir mochten aber nur einige Stunden auf das Ceremonie! verwenden, weil wir wirklich der Rübe bedurften. Wir verschlossen also die Thür, erklärten unserm Diener daß wir für Niemand mehr zu sprechen seien, und streckten uns auf Matt?n hin. Nach einiger Zeit wurde es laut vor unserer Thür; wir horchten auf, und vernahmen daß uns?r Diener mit einem Manne zankte, der in unser Gemach dringen wollte. Er sei ein Doctor, der Wen tschang kun gehöre der Körperschaft der Gelekrten, und er seinerseits habe als Doctor das Recht, die im Tempel der wissenschaftlichen Ausarbeitungen einlogirten Leute zu besuchen und zu befragen. Wc'i schan leistete jedoch pflichtmäßig Widerstand, was den Doctor dermaßen in Harnisch jagte, daß er sich that» lich an unserm Diener vergriff. Darüber entstand nun ein großer Lärm, und von allen Seiten eilten Leute herbei. Nun mußten auch wir auf» sieben, um dem impertinenten Doctor einzutränken was vorschriftliche Gebräuche sind. Vor der Thür staud Wn schan, außer sich vor Zorn, und eben im Begriff über den Doctor herzustürzen. Dieser bemerkte uns nicht eher als bis er scharf angepackt wurde. Dann wendete er sich mit einem Ruck um, war aber wie versteinert, als er einen abendländischen Teufel mit gelber Mütze erblickte. Wir schoben ihn iu unser Gemach, und stellten sogleich ein Verhör mit ihm an. — „Wer bist Du?" — »Ich bin ein Doctor hier am Orte." — „Nein, Du bist kein Doctor, denn Du führst Dich wie ein grober unwissender Mensch auf. Was willst Du von u„s?" — „Ich bin hierhergekommen, um im Tempel der Wissenschaft» licbcn Ausarbeitungen spazieren zu gehen, und Geist und Herz ein wenig zu zerstreuen." — „Zerstreue Dich wo Du willst, nur nicht hier. wo Du uns in unserer Ruhe störst; und jetzt packe Dich fort aus unseren Augen. Wenn es Dir Vergnügen macht. so kannst Du auch Deinen Freunden erM'len, daß Du uns gesehen hast. daß wir Dich aber sortgejagt haben, weil Du von den gesellschaftlichen Tugenden nichts verstehst." — Der Doctor wollte Widerrede führen und fragte: „Aber wer ist denn Herr im Wen tschang tun?" — „In unserm Gemache sind wir Herren, folglich packe Dich fort; und wenn dgs. nicht im Augenblicke geschieht, wenn Du 120 An Bürger im Halsblock. 17. Kap. nicht die Treppe hinuntergehst, so werfen wir Dich zum Fenster hinaus! Verstehst Du?" — Der Doctor nahm diese Drohung für vollen Ernst, und machte sich so schnell er konnte, die Stiegen hinab. Vom Schlafen konnte nach diesem Intermezzo keine Rede mehr sein; wir stiegen also von unserm Thurm hinab, um uns den Tempel etwas genauer zu betrachten. Wir gingen durch den Garten nach der Pagode des Confucius bin. Unterwegs bemerkten wir daß in einem langen zur Ltraße führenden Gange ein Mensch auf den Knien lag und wimmerte; er trug einen schweren Halsblock. Gin solcher besteht aus einem dicken Stücke Holz mit einem?oche, durch welches der Verurtheilte den Kopf steckt; es ruhet mit seiner ganzen Schwere auf den Schultern, und der Mensch welcher ein solches Marterwerkzeug tragen muß, wird gewissermaßen wie ein Fuß für einen plumpen Tisch. Der Unglückliche flehte unsere Barmherzigkeit an, und bat uns ihm zu verzeihen. Wir traten nahe hinan und erkannten in ihm einen wohlgekleideten Bürger von an» ständigem Aussehen. Er weinte sehr heftig und bot einen kläglichen An« blick dar. Sein Strafurtheil stand in großen Schriftzeichen auf weißem Papier, das man an den Halsblock geklebt hatte. Ein eiskalter Schweiß trat uns auf die Stirn als wir jenes Urtheil lasen. Der Inhalt lautete: „Zu vierzehn Tagen und Nächten Halsblock verurtheilt. Hat sich Unehr-erbietigkeit zu Schulden kommen lassen gegen die Fremden aus dem Abend» lande, welche unter des Kaisers Schutze stehen. Das Volk zittere! Es denke nach und bessere sich!" Auf allen drei Papierstreifen bemerkten wir das rothe Siegel des Präfccten von Fu ki hien. Zum Glück war das Tribunal nur wenige Schritte vom Wen tschang kun entfernt, und wir tonnten also unverzüglich den Präfecten herbeiholen. Er ließ dem Ver-urtheilten den Halsblock abnehmen, hielt ihm aber dabei eine ellenlange Rede über unsere Barmherzigkeit und über die Ausübung der drei gesellschaftlichen Beziehungen. Wir wurden dabei so ungeduldig, daß uns die Lust anwandelte den Präfecten einmal im Halsblocke zu sehen. Worin bestand nun das schwere Verbrechen jenes Verurtheilten? Er hatte zu einem Tempelhüter gesagt: „Vor einigen Jahren kamen die abendländischen Teufel von der Mittagsseite her; jetzt kommen auch welche von Mitternacht." Aber diesen Spitznamen hatte jener Bürger nicht etwa ersonnen um uns zu beleidigen, denn man bezeichnet damit in China aller Orten die Europäer, und müßte alle Bewohner des Reiches der Mitte, voran die Mandarinen, in den Halsblock sperren, wenn Jeder bestraft werden sollte, der von abendländischen Teufeln spricht. 7. Kap.I Besuch im Tribunal zu U schau. i tikel Erdrosseln znm Beispiel war sehr reichhaltig. Der Verfasser 134 Leichenschau. — Selbstmorde. 17. Kap. unterscheidet: erhcnkte Erdrosselte, auf den Kimen liegende Erdrosselte, serner solche, die am Boden liegen, solche, die vermittelst einer laufenden Schlinge, oder solche die durch einen sich drehenden Knoten erdrosselt wor» den find. und beschreibt ausführlich alle Spuren, welche darauf hinleiten ob der Todte sich selber getödtet hat, oder ob er erwürgt worden ist. In Bezug auf Ertrunkene wird gesagt, daß ibre Leichen ganz verschieden von jenen seien, die man nach der Mordthat ins Wasser werfe; bei den Ersteren sei der Leib gespannt, die Haare lägen dicht am Kopfe, vor dem Munde stehe Schaum, Hände und Füße seien steif, und die Fußsohlen sehr weiß;, alle diese Anzeichen finde man bei Denen nicht, welche ins Wasser geworfen werden, nachdem man fie erstickt, vergiftet oder auf irgend eine andere Weise ums Leben gebracht hat. In China kommt es häufig vor, daß ein Mörder sein Verbrechen dadurch zu verdecken sucht, daß er Feuer anlegt. Deshalb zeigt das Si v/ien in dem Abschnitt über die Verbrannten, woran man bei der Leichenschau erkenne ob der Todte vor dem Brande getödtet worden. oder ob er durch das Feuer er« stickt worden sei. Es hebt insbesondere hervor, daß man im erstern Falle in Mund und Nase Asche oder Spuren von Feuer finde, was bei dem letztern allemal vorkomme. Das letzte Kapitel handelt über die verschie» denen Arten von Giften und Gegengiften. Daß alle diese Dinge nicht ausreichen ist klar genug; aber gegen die Autopsie der Leichen haben die Chinesen nun einmal ein althergebrachtes Vorurtheil. Der Selbstmord geht in China außerordentlich stark im Schwange. Ein Europäer macht sich nur schwer einen Begriff von der Leichtigkeit, mit welcher ein Bewohner des himmlichen Reiches seinem Leben ein Ziel setzt. Nicht selten genügt die geringste Kleinigkeit oder ein Wort. ibn dahin zu bringen daß er sich erhenkt oder in einen Brunnen' stürzt. Diese beiden Arten. sich den Tod zu geben. sind am meisten beliebt. In anderen Ländern rächt man sich an einem Feinde wohl dadurch, daß man ihn tödtet; der Chinese thut aber gerade das Entgegengesetzte; wenn er Rache nehmen will, bringt er sich selbe.r um. Diese seltsame Erscheinung erklärt sich aus mehr als einem Grunde. Die chinesische Gesetzgebung macht nämlich für einen Selbstmord Den verantwort» lich, welcher Anlaß oder Gelegenheit dazu gegeben hat. Wer also seinem Feinde einen recht fatalen Streich spielen will, braucht nur einen Selbstmord zu begeben. Daraus erwachsen dem Andern die größten Verlegenheiten; er fällt ohne Weiteres der Justiz in die Hände, die ihn jedenfalls zu Grunde richtet, wenn sie ihm auch vielleicht das Leben schenkt. Die 7. Kap.) Leichenschau. — Selbstmorde. 125 Familie des Selbstmörders erhält sehr ansehnliche Buß- und Entschädi« gungsgelder; deshalb kommt es auch vor, daß unglückliche Menschen, aus Ergebenheit für ihre Familie, sich in wahrhaft stoischer Weise bei reichen Leuten das Leben nehmen. Wer aber an seinem Feinde zum Mörder wird, setzt seine Verwandten und Freunde den größten Ungelegen-heiten aus. entehrt sie, bringt sie in Verarmung, und geht der feierlichen Leichenbeftattung verlustig. auf welche der Chinese den höchsten Werth legt. Ferner ist wohl zu beachten, daß die öffentliche Meinung den Selbstmord nicht etwa tadelt, sondern ihn für ehrenvoll und rühmlich hält. Man findet etwas Heldenmäßiges und Hochherziges darin, daß ein Mensch unverzagt seinem Leben ein Ende macht, um sich an einem Feinde zu rächen, dem er auf andere Weise nichts anzuhaben vermag. Der Chinese kennt keine Furcht vor dem Tode, nur muß er rasch erfolgen und nicht mit Qual verbunden sein. Wahrscheinlich liegt gerade hierin der Grund, weshalb die chinesische Justiz der Behandlung der Verbrecher einen so grausamen Charakter giebt; sie ist viel schmerzhafter als der Tod. Cbina ist das Land der Gegensätze, in welchem Vieles ganz anders ist als in der übrigen Welt. Bei vielen barbarischen und auch bei civi-lisirten Völkern so lange noch richtige Begriffe von Gerechtigkeit fehlen werden, die Armen und Schwachen von den Starken, Reichen und Mächtigen unterdrückt, und müssen für sie ihr Leben in die Schanze schlagen. In China dagegen zittert der Reiche und Mächtige vor dem Schwachen, denn dieser läßt über ihm an einem seidenen Faden den Selbstmord schwe< ben; dieser ist für ihn ein Mittel um Schonung. Gerechtigkeit und Unter« stützung zu erzwingen. Arme Leute bringen sich wohl um. weil sie Rache nehmen wollen für die Hartherzigkeit eines Reichen. Es kommt vor daß Einer auf eine ihm zugefügte Beleidigung keine andere Antwort giebt als einen Selbstmord. Dieses chinesische Duell auf Selbstmord ist nicht gerade viel alberner und extravaganter als die europäischen Zweikämpfe, die man „Ehrensachen" zu nennen beliebt. Die Beamten in U schan benahmen sich ganz vortrefflich, und unsere Unterhaltung dauerte bis tief in die Nacht hinein. Jeder strich Sitten und Gebrauche seines Vaterlandes heraus, am Ende kam man dahin überein, daß bei allen Völkern gute und nicht gute Eigenschaften anzutreffen wären. die einander so ziemlich das Gleichgewicht halten. Wir bemühten uns darznthun. daß die christlichen doch besser seien, als die übrigen, weil ihre Religion darauf abzwecke, vorzüglich die guten Eigenschaften zur Entwickelung zu bringen u. f. w. Die Mandarinen fanden 126 Eigenthilmlicher Charakter der Höflichkeit. s?. Kap. diese Folgerung oder Behauptung saus Höflichkeit natürlich) klar und bündig. Sie luden uns dringend ein. noch einen Tag in U schan zu ver» weilen; aber gerade deshalb erforderte die Höflichkeit, daß wir nicht länger blieben. Während unseres Aufenthalts in den nördlichen Missionen, waren wir Zeugen eines sew wunderlichen Vorfalles, der aber die Chi-nesen treffend charakterisirt. Wir wollten an einem hoben Festtage bei dem ersten Katecheten des Dorfes Gottesdienst halten, weil er eine große Capelle im Hause hatte. Es kamen manche Christen aus den Nachbar« dörsern dorthin. Nach dem Gottesdienst stellte sich der Hausbesitzer mitten auf den Hof, und rief den Christen, sobald sie aus der Cavellc traten, laut zu: „Daß mir ja keiner fortgeht, ich lade euch alle zum Neiscsscn ein!" Eibedrängte die Leute zu bleiben, aber alle brachten Entschuldigungen vor und zogen ab. Darüber gebehrdete er sich ganz trostlos. Endlich hielt er einen Verwandten fest. und sprach: „Wie, auch Du, meiu Vetter, willst weg gehen; es ist beute Festtag. Du mnßt bleiben." — „Nein, nöthige mick nicht, ich muß nack Hause, und habe auck einige Geschäfte." — „Geschäfte? Heute ist ja Ruhetag; Du sollst und mußt bleiben, ich lasse Dich nicht fort." Dabei hielt er ihn am Rocke fest, und bat ihn wenigstens ein paar kleine Gläser Wein mit ihm zu trinken, wenn er denn gar nicht zu bewegen sei Reis zu essen. Darauf ging dann der Vetter ein und trat ins Haus. Nun rief der Wirth sehr laut, aber ohne irgend einen seiner Diener namhaft zu machen, man solle Wein wärmen und zwei Eier backen. Inzwischen wurde geraucht. Aber weder Wein noch Eier wollten erscheinen. Der Vetter mochte wirklich Eile haben, und fragte am Ende ob der Wein bald komme. — „Wein," rief der Wirth ganz erstaunt aus, „Wein? Ich habe keinen Wein. Du weißt doch wohl, daß iH keinen Wein trinke; er macht mir ohnehin Leibweh." — „Nun, weshalb hast Du mich denn so gequält und festgehalten? Du hättest mich geheu lassen sollen." — Jetzt erhol' sich der Hauswirth, und sprach im äußersten Unwillen: „Ich möchte doch wissen, woher Du eigentlich stammst? Ich bin so höflich, und lade Dich zum Wein ein. und Du bist so unhöflich, und lehnst das Trinken nicht ab? Wo hast Du denn gelernt, was sich schickt? Wahrscheinlich bei den Mongolen." — Der Vetter mochte nun wohl begreifen, daß er eine Unschicklichkeit begangen hatte; er stammelte eine Entschuldigung, stopfte seine Pfeife, zündete sie an und ging. Wir waren Zeugen dieses Vorganges, uud lachte«. Aber der Hausherr lachte nicht, sondern war im höchsten Unwillen und fragte, ob wir je einen so lächerlichen Menschen gesehen hätten? Sein Vetter sei 7. Kap,) Die Grenze zwischen Sse tschnen und Hu pe. 1I? doch gar zu dumm; ein wohlerzogener Mensch müsse eine Höflichfeit mit der andern entgelten, das heißt, er muß ablebueu, was man ihm anbietet. Der Chinese zeigt sich vermöge seiner Höflicbkeitsformelu großmüthig und dienstfertig gegen Jedermann, und Jedermann erhält von aller Welt die verbindlichsten Antrage und Einladungen, die er natürlich nicht au-nebmen darf. Das Ganze ist eine wabre Ehineserci. Am andern Tage reisten wir weiter. Der Weg führte durch eiu trauriges Gebirgsland, über Sand« und Kicsboden; wir trafen nur auf einige wenige Dörfer; hm und wieder lagen einzelne Häuser in den Echluchteu, dessen arme Bewohner uns um einige Sapeken anbettelten. Gegen Nachmittag waren wir ol'eu alls einem sehr steilen Hügel. Dort verließ Meister Ting seinen Palaukm, uud hieß Alle Hatt machen, bis auch wir kamen und ausgcstiegcn waren. Dann sprach er: „Schaut einmal hierher! An dieser Stelle nimmt die Provinz Tsc tschnen ein Ende und Hu pe beginnt; der kleine Graben da bildet die Grcnzscheide." — Dann stellte er beide Beine so, daß das eine in Sse tsckuen. das andere m Hu pe stand, und mebrere Palankinträger machten ihm das wie er sicherlich meint» sehr sinnreiche Experiment nach. Bald daraus waren wir zu Patung. Sse tschuen (die vier Thäler) ist die größte Provinz in ClMa, und wohl auch die schönste; wenigstens ist sie es unserer Anficht nach, wenn wir sie mit den übrigen vergleichen. Mau rechnet von der thibcta-nischen Grenze bis zu jcucr von Hu pe vierzig Tagereisen, was etwa so viel als dreihundert gute Wegstunden ausmacht. Außer einer betracht» lichen Zahl von Forts und Waffenplätzen hat Sse tschuen neun Stadt erster, und hundettundfünfzehn Städte zweiter uud dritter Classe. Das Klima ist in allen Jahreszeiten mild und gemäßigt; die Provinz hat weder die langanhaltendc Kälte des Nordens noch die drückende Hitze der Südgegenden. Das Land ist fruchtbar, und wegen der vielen Flüsse sehr gut bewässert. Ausgedehnte, mit Getreide aller Art, besonders aber mit Weizen bestellte Ebenen, wechseln ab mit waldgekrönten Gebirgen, entzückend schönen Thalgründen und fischreichen Seen. Der Mug tse kiang, einer der herrlichsten Ströme der Welt, durchfließt die Provinz von Südwest nach Nordoft; ihre Fruchtbarkeit ist so sprüchwörtüch, daß man be» hauptet, der Ertrag einer Ernte könne auf zehn Jahre vorhalten, und sei dann kaum erschöpft. Sehr stark werden auch farbhaltige und Webe-stoff enthaltende Pflanzen, zum Beispiel Indigo und jene besondere Nessel augebaut, aus welcher das berühmte Grastuch gewebt wird. An den 128 Der KriegSgott Kuang. ti. I?. Kap. Hügeln liegen die Theepflauzungen; die feinsten Blätter erster Qualität werden für die Feinschmecker der Provinz zurückbehalten-, das gröbere Product wird von Karawanen nach Thibet und Turkestan gebracht. Die Apotheker und Droguenhändler aus allen Provinzen schicken alljährlich ihre Neisediener nach Sse tschuen, um dortMedicinalpflanzen einzukaufen, weil sie der allgemeinen Meinung zufolge besser sind als in den übrigen Landestheilen. Rhabarber und Moschus, zwei sehr wichtige Handelsartikel, kommen aus Thibet. Das schöne üppige Land ist von großem Einfluß auf seine Bewohner, die sich vor allen übrigen Chinesen vortheilhaft auszeichnen. In den großen Städten herrscht vergleichsweise große Ordnung und Sauberkeit ; auch der Anblick der Dörfer zeugt von Wohlstand, und die Sprache ist im Allgemeinen fast so rein wie in Peking selber, nicht ein so uuver< ständliches Patois wie in manchen anderen Provinzen. Der Bewohner von Sse tschuen ist stark und kräftig. sein Gesicht hat ein männlicheres Gepräge als bei den Südchinesen, und ist nicht so rauh wie bei jenen der Nordprovinzen. Er ist ein braver Soldat, und eignet sich gut zum Osficier. Die Provinz thut sich auf ihren kriegerischen Geist viel zu gute und rühmt sich die Heimat jenes berühmten Generals zu sein. der zum Kriegs» aM erhoben wurde. Dieser chinesische Mars istKuangti, dessen Name im ganzen Reiche so populair ist. Er lebte im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, erfocht zahlreiche Siege, und wurde zuletzt sammt seinem Sohne Kuang ping getödkt. Die Chinesen erzählen von ihm viele Sagen; sie behaupten, er sei gar nicht gestorben, sondern zum Himmel gefahren und dort unter die Götter versetzt worden. Nun sei er Gott des Krieges. Die Mandschudynastie hat ihn bei ihrer Thronbesteigung feierlich zum Gott und zum Schutzgeist ihres Herrscherstammes erklärt; die Negierung ließ ihm in allen Provinzen Tempel bauen, in denen er allemal sitzend mit ruhiger aber stolzer Miene abgebildet ist. Sein Sohn Kuang ping steht ihm zur Linken, und ist vom Kopfe bis zum Fuße bewaffnet; zur Rechten steht sein getreuer Stallmeister, der sich auf ein breites Schwert stützt, seine dicken Augenbrauen runzelt, seine großen blutig unterlaufenen Augen weit aufreißt, und offenbar aller Welt Furcht und Schrecken einjagm will. Der Cultus dieses Kuana ti gehört zur amtlichen Staatsreligion; das Volk bekümmert sich so wenig um diesen Mars als um die buddhistischen Gottheiten. Aber die Beamten, und insbesondere die Militairmandarinen müssen an bestimmten Tagen den Kuang ti' Tempel besuchen, sich vor dem Bilde niederwerfen und Räucherstäbchen 7. Kav.j Salz- und Fcucrbnmue». 1<)Q verbrennen. Die Dynastie welche ihn zum Gott und zum Beschützer des Reiches erklärt bat, duldet incht, daß er von den Staatsdienern vernachlässigt oder gleichgiltig behandelt werde. Die Mandschu haben wohl, als sie diesen Cultus einführten, dabei politische Absichten verfolgt; er ift ihnen ein Mittel Einfluß auf die Soldaten zu üben, und sie haben auch deshalb die Sage verbreitet, daß Kuang ti iu allen Kriegen welche die Dynastie seit ihrer Thronbesteigung geführt bat, sich leiblich habe blicken lassen. Zu verschiedenen Zeiten, namentlich wahrend des Krieges gegen die Oelöten. und' später gegen die Aufständischen in Thibet und Turkestan schwebte er in den Lüften, ermuthigte die Kaiserlichen und that dem Feinde viel Schaden. Der Sieg könne dem Kaiser niemals fehlen, da er einen so mächtigen Beschützer babe. Ein Maudariu hat uns alle Großthaten Kuang ti's gläubig und unbefangen erzählt; wir fragten ihn ob er sich auch in dem Kriege gegen die Engländer wirksam gezeigt habe. — Das sei allerdings nicht der Fall gewesen und ein schlechtes Zeichen', mau sage seitdem, die Dynastie sei vom Himmel verlassen worden, und müsse bald einer andern Platz machen. Diese Meinung. daßdieMandschu-dynastie ihre Zeit erfüllt habe und ein anderer Herrscherstamm an ihre Stelle treten weide, fanden wir schon im Jahre 1846 in Cbina sehr gang und gebe: wir haben sie während unserer Reise mehrfach aussprechen gehört. Seit mehreren Jahren hatte man schon ein ungewisses Vorgefühl daß irgend eine Veränderung bevorstehe, und es unterliegt keinem Zwei» scl, daß diese Idee dem Aufstande vom Jahre 1851 großen Vorschub geleistet hat. Als das eigentliche „Wunder" von Sse tschuen betrachtet man die Ven tsing und die Ho tsing, das beißt die Salzbrunnen und die Feuerbrunnen. Ueber diese merkwürdigen Erscheinungen hat der Missionair Imbert. der sich lange in der Provinz aufhielt, und spater, 1838, als apostolischer Vicar von Korea den Martyrertod fand, nähere Auskunft gegeben. Die Zahl der Salzbrunnen. sagt er, ist sehr betracht' lich; auf einer Strecke von zehn französischen Meilen (Lieues) Länge und vier oder fünf Lieues Breite liegen ihrer mehr als zehntausend. Jeder wohlhabende Privatmann sucht eineu Theilhaber, und läßt einen oder mehrere Brunnen bohren. Die Art zu bohren weicht in vieler Beziehung von der unsrigen ab; diese.s Volk thut Allcs im Kleinen, nichts im Großen, erreicht aber den Zweck mit Zeit und Geduld, und mit viel geringerm Geldaufwand als wir. Die Chinesen sprengen das Gestein nicht mit Pulver weg, denn das verstehen sie uicht, und alle ihre Brunnen liegen 1I0 ' Salz- und Feuelbrmnlcn. s?. Kap. im Gestein, haben durchschnittlich eine Tiefe von 1500 bis 1800 Fuß, und einen Durchmesser von fünf bis höchstens sechs Zoll! Sie ge. langen in diese beträchtliche Tiefe vermöge sehr einfacher Vorrichtungen, unter welchen eine etwa vier Centner schwere Ramme von Stahl und mit Zacken die Hauptrolle spielt. Das Wasser welches aus solchen „Brunnen" herausquillt ist stark salzhaltig, und giebt bei der Verdampfung ein Fünftel, oft sogar ein Viertel Salz; dieses hat eine große Scharfe, eut-hält viel Salpeter nnd greift nicht selten den Schlund stark an. Deswegen wird auch Seesalz benutzt das von Canton oder aus Tonkin kommt. Die aus den Brunnen hervordringende Lust ist leicht entzündlich; eine Feuergarbe steigt bis zu 20 oder 30 Fuß empor, wenn man eine Flamme au die Oeffnung hält. Aus manchen Brunnen kommt gar kein Salzwasser, sondern nur brennbare Luft; man nennt sie Ho tsing. Feuerbrunnen. Man bringt über der Oeffnung eine Nöhre aus Bambus an, weil diese vom Feuer unbeschädigt bleibt, und leitet die brennbare Luft wohin man will. Dieses Gas wird angezündet und brennt ohne Unterlaß fort als eine bläuliche Flamme von drei bis vier Zoll Höhe und einem Zoll im Durchmesser. Die größten Feuerbrunnen liegen bei Tse liu tsing. Das Salzwasser wird in einer Pfanne von Gußmetall abgedampft; sie hält etwa 5 Fuß im Durchmesser, ist aber nur vier Zoll tief; denn die Cbi-nesen wissen, daß die Verdunstung viel rascher bewerkstelligt wird, je mehr Fläche man dem Feuer darbietet. Einige andere aber tiefere Kessel stehen daneben; aus ihnen wird der großen Pfanne Wasser zugeführt. Das Salz hat genau die Form der Pfanue, bildet eine Platte von ein paar hundert Pfund, ist hart wie Stein, und wird in drei oder vier Stücke zerschlagen. So kommt es in den Handel. Das Brennmaterial zu diesen Salinen liefern theils die Feuerbrunnen, theils die Lager von Steinkohlen, deren es verschiedene Arten giebt. In den Gruben ist immer sehr viel von der eben erwähnten brennbaren Luft, nnd um nicht durch böse Wetter zu Schaden zu kommen, bedienen sich die Arbeiter nicht eines Lichtes, sondern einer Mischung von Holzstanb und Harz, die ohne Flamme glimmt. In den Salzbrunnen findet man in et.wa 1000 Fuß Tiefe ein bituminöses Oel, das im Wasser brennt, und von welchem oft in einem einzigen Tage vier bis fünf große Kruge voll, im Gewicht von eben so viel Centnern, geschöpft werden. Dieses Steinöl riecht sehr übel. Die Mandarinen kaufen manchmal taufende von Krugen, um damit Felsen unter dem Wasser, welche die Schifffahrt gefährlich machen, zu calciniren. Ist irgendwo ein Fahrzeug zu Grunde gegangen, so benetzt 7. Kap.1 Salz« und Feuerbrunnen. < <,^ man einen Stein mit diesem Oele. zündet ihn an und wirst ihn ins Wasser; dann läßt sich der Tancher. der nicht selten ein Dieb ist, hinab, und nimmt beim Schein dieser unter dem Wasser leuchtenden Lampe, was ibm ansteht. Die Gaukler füllen Blasen mit der brennbaren Luft, stechen mit einer Nadel ein Lock hinein. und zünden das hervorströmende Gas an. Die Kohlengruben und Salzbrunnen geben einer großen Zahl von Arbeitern Beschäftigung; einzelne reiche Privatleute haben bis zu hundert Brunnen im Betrieb. Am 6. Januar 1827. so schreibt der Missionair Imbert weiter, kam ich nach Tse liu tsing, wo ich eine große Merkwürdigkeit sah. nämlich einen Vulcan. dessen die Menschen Herr geworden sind. Die Stelle liegt im Gebirge, am Ufer eines kleinen Flusses. Dort be» finden sich. eben so wie in U tong kiao, mehr als eintausend Salzbrunnen, deren jeder brennbares Gas enthält, das man durch Bambusröhren leitet; es wird mit einer Kerze angezündet. und wenn man stark darauf bläst, ausgelöscht. Die Feuerröhre muß allemal ausgelöscht werden wenn man Wasser schöpfen will, denn sonst würde eine Explosion erfolgen. In einem Thale liegen vier Brunnen die gar kein Wasser geben, aus denen aber eine wahrhaft erschreckliche Masse Feuers herausströmt. Man meint dort liege das Centrum eines Vulcans. Anfangs gaben diese Brunnen Salzwasser; als dasselbe verflechte, bohrte man vor etwa zwölf Jahren bis zu 3000 (?) Fuß Tiefe. Dann kam plötzlich nicht etwa, wie man gehofft hatte, Wasser, sondern es dampfte eine mächtige schwärzliche Qualmsäule hervor. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen; sie ist nicht wie Ranch sondern wie der Dampf aus einem glühenden Ofen, und sie bricht mit gewaltigem Brausen hervor, das man weithin hören kann. unaufhörlich in Thätigkeit ist. immer ausstoßend, nie einziehend. Imbert meint, daß der Luftzug für diesen vermeintlichen Vulcan sich irgendwo in einem See befinde (?). etwa in dem großen Hu kuaug, der zweihundert Wegstunden entfernt liegt. Ueber der Oeffnung des Brun» nenS hat man Steinmassen angebracht, damit nicht etwa Jemand.Feuer hineinwerfe, wie das früher eiumal geschehen ist. Die Flamme ergriff alle umherftehenden Gebäude, alle Bemühuugen sie zu ersticken blieben vergebens, endlich leitete man Wasser in ungeheurer Menge aus großen Teichen herbei; dadurch wurde das Feuer gedämpft. Man benützt dasselbe vermittelst einer großen Leitung von Bambusröhren zum Abdünsten des Salzwassers; die Nöhren aus einem einzigen Brunnen halten mehr als dreihundert Pfannen in Thätigkeit; dazu erleuchtet man Häufer und Straßen davon, und muß dennoch eine große Quantität dieses Gases 9' 132 Wissenschaftliche Kenntnisse der Chinesen. s7. Kap. ungenützt lassen; man leitet es in Röbren weit weg von den Walzwerken in drei große Essen, aus welchen steigen. Wcit und breit ist der Boden beiß. er brennt Einem nnter den Füßen; selbst im Januar gehen die Arbeiter fast nackt. Ich habe, gleich anderen Reisenden, meine lange Pfeife bei diesem Feuer angezündet. Das dortige Salz ist weißer als jenes von Utungkiao, greift auch den Schlnnd bei weitem weniger an. Ich muß noch hinzufügen, daß jenes Feuer fast gar feinen Nauch entwickelt, wohl aber eineil stark bituminös riechenden Dampf, den ich auf zwei Stunden Weges roch. Die Flamme ist röthlich wie von Kohlen; sie flackert zwei Zoll über der Röhrenöffnung und steigt etwa eine Elle hoch empor. Arme Leute machen im Winter ein Lock in den Sand und kauern sich herum, weifen etwas Stroh hinein, zünden dasselbe an. und wärmen sich so lange sie wollen. Nachher werfen sie den Sand wieder binein, und löschen so das Feuer aus. — Die Naturwissenschaften befinden sich bei den Chinesen noch im Zu» stände der Kindheit, aber sie bringen Vieles zu Stande durch Fleiß und geduldige Ausdauer. Man muß billig erstaunen über die Einfachheit des Verfahrens und die beschränkten Hilfsmittel mit denen sie Resultate erreichen, zu denen man anderwärts nur durch Aufbieten tiefer Wissenschaft' licher Combinationen gelangt. Der Chinese hat einen Zug und Strich in sich, der immer darauf bingeht die Dinge so viel als möglich zu vereinfachen ; das schwere Rüstzeug der Naturwissenschaften würde ihn nur in Verlegenheit bringen und behindern; er würde damit viel weniger zu Wege bringen, während sein Scharfsinn und seine Beharrlichkeit ihn nicht im Stiche lassen. wenn er auch noch so schwierige Aufgaben vor sich hat. Er nimmt sich Zeit und verliert die Geduld nicht. Uebrigens ist bei den Chinesen allerdings eine Art wissenschaftlicher Grundlage vorhanden, die aus dem hohen Alterthume stammt. Sie wird von einem Geschlecht auf das andere übertragen, theilweise als Geheimniß in einzelnen Familien fortgepflanzt oder steht in alten Receptbüchern. Vermöge dieser sehr ein» fachen Angaben und Weisungen bringt man mechanisch un7> durch Ueber» lieferung wichtige Ergebnisse zu Tage. die man bei uns nur auf wissenschaftlichem Wege erlangt. So treiben die Chinesen Bergbau, combiniren Metalle, und bearbeiten dieselben in der mannigfaltigsten Weise, sie gießen Glocken und Bronceftatuen von kolossaler Größe, verfertigen Porzellan» gefäße von außerordentlichem Umfang, bauen hohe Thürme, schlagen ganz prächtige ungemein dauerhaste Brücken, und haben von einem Ende des Reiches bis zum andern einen großen Canal gegraben. In zwei ver« 7. Kav.j Das Christenthum in der Provinz Sse tschuen. i'. Es giebt eine große Menge solcher Baccalaureen, aber die wenigsten bringen es so weit, daß sie höbere Grade erlangen und dadurch zum Staatsdienst befähigt werd«,; denn sebr Vielen mangeln Gelder oder Kenntnisse. oder beides zugleicb. Wer aber die höheren Grade erlangt, mag sich des für den Chinesen so beimdenswerthen Glückcs erfreuen, einen vergoldeten Knopf aus der Mütze zu tragen. Diese Leute lieben Zusammen» künfte, Paraden und öffentliche Feierlichkeiten. bei wclckcu sie sich durch Prätensionen sehr bemerklich macben. Zum Zeitvertreib beschäftigen sie sich auch wohl mit Literatur. schreiben Romane oder Gedichte, lesen sie ihren Collegen vor und werden von ihnen mit Lob überbaust, unter der selbstverständlichen Bedingung. daß sie Gleiches mit Gleichem vergelten. Die armen Gelehrten ohne Amt bilden eine besondere Classe. Sie führen ein Leben, das sich nur scbwer genau darstellen ließe. Vor allen Dingen fliehen sie jede anstrengende Arbeit, denn eine solche entspricht weder ilnen Neigungen noch ihren Gcwobnbeitcn. Sie würden, meinen sie, ihre Winde beeinträchtigen, wenn sie mit Ackerbau, Gewerben oder Handel sich beschäftigen sollten. Manche, die ehrlich il'l H?rot verdienen wollen, werden Schulmeister oder Aerzte, Anden' bemühen sic^ um die unteren Stellen bei den Behörden. Viele treiben sich als Abenteurer berum. und beuten das Publicum auf tausenderlei Weise aus. In dest großen Städten leben sie etwa. wie in europäischen Ländern heruntergekommene Edelleute; eine Hauptsorge ist jeden Tag. wie sie sich „anständig" durchbringen sollen. Sie legen sich darauf von reichen Leuten, und nicht selten sogar von den Mandarinen aus die eine oder andere Art Geld zu erpressen. Die Beamten haben durchgängig ein schwerbeladenes Gewissen, und ihre Verwaltung giebt viele Blößen; sie dürfen es daher mit den müßigen und hungrigen Baccalaureen nicht verderben, die allezeit geneigt Md Ränke anzuzetteln und Fallen zu legen. Auch aus den Processen ziehen diese Abenteurer Nutzen. Sie hetzen die Parteien gegen einander auf, übernehmen dann gegen ein gut Stück Geld die Vermittlung, oder. wiesle sagen, „sprechen zum Frieden"; dabei geben sie weitläufige Erörterungen über Das. was im vorliegenden Falle Rechtens sei. Wer nicht Zeug genug zum Aben» teurer in sich fühlt, greift zum Pinsel und wird Schreiber; er handelt mit Sinnsprüchcn lind Denkzetteln. die er auf farbiges Papier malt. Von diesem Artikel verbrauchen die Chinesen eine ungeheure Menge; sie schmücken damit ihre Thüren und Zimmer. Schließlich wollen wir noch bemerken, daß die unbeamtetcn Gelehrten sehr thätige Mitglieder der geheimen Gesellschaften sind, und in unruhigen Zeiten das Volk bearbeiten. u. Kap.! Stellung der Schriftsteller. 1H7 Sie verfertigen Aufrufe. Maueranschläge und Flugschriften, und verstehen sich excellent auf dergleichen. Die Literatur wird von der Negierung und von der öffentlichen Meinung allerdings aufgemuntert, aber Gelder bewilligt man den Li-tcratorcn nicht. In China bringt das Bücherschreiben kein Geld ein', namentlich wird für Romane. Gedichte und Theaterstücke nichts gezahlt. Auf Werke dieser Gattung, mögen sie anck noch so vorzüglich sein. legt der Chinese kcinen erheblichen Werth, sie werden lediglich zum Zeit vertreib gelesen. An den Verfasser denkt Niemand. auch nennt sich derselbe nicht. Dagegen hat der Chinese große Verehrung von seinen heiligen und classischen Büchern; seine Achtung vor den großen Werken über (H^ schichte und Moral wird zu einer Art von Cultus, und dieser ist vielleicht der einzige mit dem er es erust meint. Daß aber schöngeistige Schrift-stellerei in Europa Ruhm und Geld einträgt, wird ein Chinese nimmermehr begreifen lernen Und nun gar daß ein Clavier- oder Geigen» spieler oder eine Tänzerin gefeierte Personen werden können, und daß man von solchen Individuen und von Schauspielern in den Zeitungen Aufhebens macht! Der Chinese ist zu positiv, ist viel zu sehr Nützlichkeitsmensch < als daß er die Künste von derselben Seite betrachten könnte wie ein Europäer. Bei ibiu» gilt Der für einen tüchtigen Mann, welcher seine gesellschaftlichen Obliegenheiten erfüllt und sich überall gut aus einer Affaire zu zieben versiebt. Für einen kluges Mann hält er nicht Den. welcher gut schreiben kann, sondern seine Familw^n Ordnung halt, seine Aecker wohl bestellt, im Handel und Wandel klng verfährt und Geld zu machen weiß. Er würdigt nur das praktische Genie. . Wir wollen hier Einiges über Sprache und Literatur der Clnncsen einschalten. Abcl-Nemusat bebt hervor, daß die Wißbegierde mit welcher wir Europäer nach Allem forschen, was aufSitten. Glauben und Charakter der morgenländischen Völker Vezng hat. eimn schroffen Gegensatz zu der Gleichartigkeit der Orientalen bildet, die sich um unsere Angelegenheiten gar nicht kümmern. und sich selber genug sind. Sie nehmen von unserm Dasein gar keine Notiz. wenn sie nicht unbedingt muffen. — In Europa verfolgt man neuerdings wieder mit großer Aufmerksamkeit Alles was auf China Vezug hat; man will wissen, wie es sich denn eigentlich mit jenen Himmlischen verhalte, die uns so seltsam originell vorkommen. Nun will uns bcdünkcn. daß man Grund und Ursachen dieser uns wunderlich erscheinenden Existenz der Chinesen zu nicht geringem 138 Die chinesischen Schriftlichen. ^8. Kap. Theil in der Ezcentricität ihrer Sprache zu suche» habe. Insbesondere bei ihnen ist der Satz richtig, daß die Literatur der Ausdruck der Gesellschaft sei. Die chinesische Sprache unterscheidet sich durch eine überraschende Eigenthümlichkeit, durch hohes Alterthum, Unwandelbarkeit, und hat in Asien eine ungemein ausgedehnte Verbreitung. Von sammt» lichen Sprachen des Alterthums ist sie die einzige welche noch heute geredet wird; sie ist ferner dieienige welche im Munde einer größern Anzahl von Menschen lebt, als irgend eine andere. Man schreibt chinesisch, und redet es in verschiedenen Mundarten oder vielmehr Aussprachen in den achtzehn Provinzen des Reiches, in der Mandschurei, in Korea, Japan, Cochinchina. Tonkin und auf manchen Inseln des indischen Archipelagus. Diese Sprache zerfällt in die welche geschrieben wird, und in eine welche man spricht. Die Schriftsprache besteht nicht aus Buchstaben, aus dereu Zusammensetzung das Wort gebildet würde, sie ist nicht alphabetisch, sondern eine Vereinigung einer außerordentlich zahlreichen Menge von Schriftzeichen, Charakteren, die mehr oder weniger zusammengesetzt und verwickelt sind, und deren jedes ein Wort ausdrückt, eine Vorstellung oder einen Gegenstand bezeichnet. Die ursprüngliche!, Charaktere waren Zeichen oder vielmehr rohe Zeichnungen, welche sehr unvollkommen materielle Gegenstände darstellten und nachbildete«. Es giebt solche Cha» raktere für den Himmel, für die Erde und die Menschen, für die einzelnen Theile des menschlichen Körpers, für die Hausthiere, wie Hund, Pferd, Kuh; für Pflanzen, Bäume, vierfüßige Thiere. Vögel, Fische, Metalle :c. Die Gestalt dieser rohen und noch plumpen Malereien hat im Fortgange der Zeit Veränderungen erlitten» allein sie ist dadurch nicht etwa vervollkommnet worden. Man behielt die ursprünglichen Züge bei, und mit einer so kleinen Anzahl von Figuren haben die Chinesen alle ihre Charaktere zusammengesetzt, und Mittel gefunden allen Bedürfnissen ihrer Civilisation Genüge zu leisten. Die alten Chinesen mußten bald inne werden, wie ungenügend ihre zweihundertvierzehn ursprünglichen Zeichen waren. Je mehr die gesellschaftlichen Verhältnisse sich entwickelten, der Kreis ihrer Kenntnisse nach und nach sich erweiterte, und neue Bedürf. nisse sich fühlbar machten. um so nöthiger wurde es die Zahl der Charaktere zu vermehren, und neue Veifahrungsarten oder Combinationen auszudenken; denn von neuen Figuren durfte keine Ncde sein, weil durch Vervielfältigung der Charaktere Verwirrung in das Ganze gekommen wäre. Wie hätte man zum Beispiel bei so rohen Zeichen einen Hund von einem Wolf oder Fuchs, eine Eiche von einem Apfelbaum lc. unter- 8. Kap.) Die chinesischen Schnftzeichcn. 1Ig scheiden können? Wie wäre es möglich gewesen abstracte Ideen, geistige Thätigkeiten, menschliche Affecte und Leidenschaften. Zorn, Liebe. Mitleid auszudrücken? Inmitten dieser Schwierigkeiten haben die Chinesen niemals den Versuch gemacht ein alphabetisches oder nur syllabisches System einzuführen. Sie waren von ungebildeten Völkern umgrenzt, bet denen sie Muster dafür nicht vorfanden; auch haben sie zu allen Zeiten die größte Hochachtung vor ihrer Schriftsprache gehabt. die sie als eine himmlische Erfindung betrachten, deren Princip von Fu hi. dem Gründer ihrer Nationalität, offenbart worden ist. Sie mußten sich daher mit Com. binationen der ursprünglichen Zeichen zu helfen suchen, und haben vermöge derselben eine unzählige Menge zusammengesetzter Zeichen gebildet, die meist sehr willkürlich sind. manchmal aber auch sinnreiche Symbole, lebhafte und malerische Definitionen und Räthsel enthalten, die um so interessanter sind. weil der Schlüssel dazu vorhanden ist. Natürliche Wesen und viele andere Gegenstände, welche denselben assimilirt werden konnten, wurden familien» oder gruppenweise hinter das Thier, den Baum oder die Pflanze gesetzt, welche in den zweihundeitvierzehnUrzeichen als Repräsentant einer solchen Gruppe erschien. Wolf. Fuchs, Wiesel und andere fleischfressenden Thiere wurden aus den Hund zurückgeführt; die verschiedenen Arten Ziegen und Antilopen auf das Schaf; Damwild, Reh und Moschusthier auf den Hirsch; die übrigen Wiederkäuer auf den Stier; die Nagethiere auf die Ratte; die Dickhäuter auf das Schwein; die Einhufer auf das Pferd. So bestand nun die Benennung eines solchen Wesens aus zwei Theilen; der eine davon bezog sich auf das Genus, der andere auf die Species. und diese letztere wurde durch ein Zeichen angedeutet . das entweder die Eigenthümlichkeiten der Gestalt bezeichnete, oder die Gewohnheiten des Thieres, oder den Gebrauch welchen man von ihm machen konnte. Durch dieses sinnreiche Verfahren wurden natürliche Familien gebildet, gegen welche, einige Ausnahmen abgerechnet, selbst unsere Naturforscher nicht viel einzuwenden baben dürften. Für die Darstellung abstract« Begriffe und geistiger Thätigkeiten war freilich die Sache schwieriger. man ging aber eben so sinnreich dabei zu Werke. Zum Beispiel: man wollte den Zorn vermittelst eines Schrift zeichens ausdrücken; man malte also ein Herz. und fetzte das Zeichen der Sclaverei darüber. Eine Hand welche das Symbol der Mitte hält, be« zeichnete einen Geschichtschreiber. dessen erste Pflicht ist nach keiner Seite hinzuneigen. Das Schriftzeichen für Geradheit nebst jenem des Gehens bezeichneten die Negierung, weil eine folche immer aufrichtig und gerade 1-lO Ausbildung der chinesische» Echrist. l8. Kap. verfahren soll. Um den Begriff Frennd auszudrücken, fetzte man zwei Zei» chen welche Perle bedeuten neben einander. Die Mehrzahl der Wörter bat allerdings derartige Charaktere nicht, und ihre Zusammensetzung ist im Durchschnitt eine willkürliche; doch sind viele unter ihnen deren Analyse sehr interessant sein mußte. Die alten Missionaire haben einige derselben zergliedert, es bleibt aber in dieser Hinsicht noch viel zu thun übrig; denn in den zusammengesetzten Charakteren sind unzählige Ueberlieferungen, Anspielungen und überraschende Annäherungen enthalten, neben pikanten, epigrammatischen Zügen. Ein genaues Erforschen derselben würde ohne Zweifel viel Licht auf die Ansichten und Meinungen der Völker Ostafiens in hohem Alterthum werfen. Denn in diesen symbolischen Ausdrücken haben die Chinesen, ohne daran zu denken, ihre Sitten und ihre Lebensweise dargestellt; die Geschichte berichtet darüber nichts, weil es sich hier um eine vorhistorische Zeit handelt. Zuerst wurden die Charaktere mit einem Metallgriffel auf Bambus-blättchen geschrieben. Sie verloren nach und nach ihre ursprüngliche Gestalt, indem der Schreiber sich das Schreiben erleichtern wollte. Die Steifheit der Züge wurde allmälig seit dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mehr und mehr gemildert, nachdem zwei wichtige Entdeckungen das Schreiben wesentlich erleichtert hatten. Man lernte nämlich Papier aus der Rinde des Maulbecrbaums und des Bambus bereiten, und erfand die Bereitung chinesischer Tusche; seitdem machte der Griffel dem Pinsel Platz. Nun wurden wieder Abänderungen an den einzelnen Charakteren vorgenommen, und so bildete sich zuletzt die gegenwärtige Schrift mit ihrer Combination von geraden und leicht gekrümmten Zügen. Beim ersten Anblick erscheint sie uns unangenehm, jedenfalls macht sie einen fremdartigen Eindruck; sobald man aber einmal an sie gewöhnt ist, findet man sie seh, hübsch, und sogar anmuthig. Alle diese Züge lassen sich mit saftigen und kraftvollen Pinselstrichen malen, und haben bei allem Mar. kigen doch zugleich viel Weiches und Sanftes. Eine Schrift muß keck und graziös sein wenn sie Beifall finden soll, und die Chinesen handhaben mit ihren langen mageren Fingern den Pinsel mit überraschender Leichtigkeit und Gewandtheit. Sie stellen die Schriftzeichen untereinander in vertikaler Reihe; der Leser kann folglich nicht, wie bei horizontaler Schrift der Fall ist, gleich einen ganzen Satz überblicken. Sie beginnen ihre Zeilen auf der rechten Seite des Blattes, und der Titel ihrer Bücher befindet sich deshalb aufder ersten Seite zur Rechten. Wie in so vielen anderen Beziehungen thun sie auch hierin das Gegentheil vom europäischen Brauche. 8. Kap.) Die chinesische Schriftsprache. z^< Die Anzahl der Schrift zeichen, welche nach und nach durch die Combination der Züge eingeführt worden sind. belauft sich in den chine« Men Wörterbüchern auf dreißig« bis vierzigtauscnd; davon sind aber zwei Drittel kaum im Gebrauch. Und rechnet man noch die Synonymen ab, so ist eine Kenntniß von fünf« bis sechstausend solcher Charaktere mit ihren verschiedenen Bedeutungen vollkommen hinreichend zum Verstehen der Originaltexte. Man hat die Behauptung aufgestellt, daß die Chinesen ihr ganzes Leben lang sich abarbeiten müßten um Lesen zu lernen, und daß trotzdem hochbejahrte Gelehrte aus dieser Welt schieden, ohne alle Schriftzeichen gelernt und bewältigt zu habe». Die Sache verhält sich aber anders. Wie viele Franzosen kennen und verstehen denn alle technischen Ausdrücke, die ein französisches Dictionnaire enthält? Es ist behauptet worden, die chinesische Schrift sei durchaus ideographisch. Das ist abermals unrichtig, denn sie ist ideographisch und phonetisch zu gleicher Zeit. Die Nichtigkeit dieser Ansicht wird Jedem einleuch« ten. der eine genaue Kenntniß von dem Mechanismus dieser Sprache gewonnen hat; wir wollen aber die Sache dnrch ein Beispiel erläutern. Die chinesischen Charaktere sind dermaßen phonetisch, daß in allen unseren Missionen diejenigen Leute welche bei der Messe dienen, ein kleines Buch haben, in welchem die lateinischen Gebete mit chinesischen Charakteren geschrieben stehen. Wenn diese letzteren lediglich ideographisch wären, so ließe sich das unmöglich bewerkstelligen. Und wie könnten sie da die Töne unserer europäischen Sprache genau ausdrücken und wiedergeben? In den Bibliotheken der Pagoden sind die meisten Gebetbücher, welche der buddhistische Priester auswendig lernen muß, von Anfang bis zu Cnde nur chinesische Transscriptioncn von Sanskritwörtern. Der Bonze lernt sie und sagt sie her ohne den Sinn zu verstehen; denn mit Hilfe dieser angeblich ideographischen Zeichen hat man eine Uebersetzung des Tons, nicht aber der Idee des Begriffes veranstaltet. Man darf be» Häupten daß jedes chinesische Schriftzeichen zwei Elemente enthält, die sich insgemein sehr leicht von einander unterscheiden lassen. Das eine ist ideographisch und-das andere phonographisch. In der S 6) rist spräche nehmen die Chinesen dreierlei Arten Styl an. Der antike oder erhabene Styl hat sein Vorbild in den alten heiligen Schriften, und bietet grammatikalische Formen dar, die jetzt selten sind. Der Styl des gemeinen Lebens ist bemerkenswcrth durch eine Menge von Ligaturen lind die Anwendung zusammengesetzter Wörter. Dadurch wird die Homophonie der Schriftzeichen vermieden und die Unterhaltung 142 Die mündliche Sprache der Chinesen. sg. Kap. sehr erleichtert. Der akademische Styl hat etwas von den beiden vorhergehenden : er ist nickt so ssedrängt wie der classische Styl und nicht so ausführlich wie der vnlgäre. Eine gründliche Kenntniß des antiken Styls ist nothwendig für das Verständniß der alten Werke, ferner für die histo» rischen. politischen, und überhaupt wissenschaftlichen Bücher, weil diese allemal in einem Style verfaßt werden welcher sich dem antiken annähert. Theaterstücke und dergleichen Erzeugnisse, Privatbriefe und Proclamation nen welche laut vorgelesen werden sollen, schreibt man stets im Vulgärstyle. Die mündlicheSvracheist zusammengesetzt aus einer beschränkten Anzahl einfylbiger Laute. Es sind ihrer vierhnndertfünfzig. welche durch eine sehr subtile Betonung sich bis auf etwa eintausendsechshundert vermehren. Daraus folgt, daß alle chinesischen Wörter sich nothwendig zu gleichtönenden Reihen gruppiren, nud daß eine große Menge von Zwei» deutigkeiten beim Lesen wie beim Reden sich ergeben können. Man ver« meidet das aber indem man synonyme oder antitethische Wörter anfügt. Dadurch verschwinden die Zweideutigkeiten und die mündliche Unterhaltung erleidet keine Störungen. — Die Kuan hoa. das heißt die allgemeine Sprache wird von den Europäern unrichtig Mandarinen» spräche genannt, gleichsam als würde sie nur von den Beamten geredet. Sie ist aber die allgemeine, gang und gebe Sprache sämmtlicher unterrichteten Leute in allen achtzehn Provinzen. Man unterscheidet die gewöhn» liche Sprache des Nordens und Südens. Die erstere ist jene von Peking; sie hat viele Kehllaute und Aspiraten, wird in allen Verwaltungsbureaus gesprochen, und die Beamten geben sich Mühe genau so zu reden wie man es in der Hauptstadt hört. Die zweite ist jene von Nanking; sie hat den Kehllaut nicht so wie die Pekinger Sprache, ist biegsamer und läßt die verschiedenen Töne deutlicher vernehmen. — Außer diesen beiden Unter« abtheilungen der allgemeinen Sprache, findet man in den verschiedenen Provinzen örtliche Mundarten, deren Aussprache eigenthümlich von der reinen Aussprache der Kuan hoa abweicht. Manchmal verstehen die Be« wohner am linken Ufer eines Flusses jene vom rechten' Ufer nicht, und umgekehrt. Allein die Sprache ist hier wie dort eine und dieselbe, nur die Aussprache ist eine ganz andere, und man muß zum Pinsel greifen, um sich verständlich zu machen. Abgesehen von diesem Patois haben die Provinzen Kuang tong und, Fo kien jede ihre eigene Mundart. Die chinesische Literatur hnt eine außerordentlich große Menge von Werken auszuweisen. Das Verzeichniß der kaiserlichen Bücher- 8. Kap.) Die chinesische Literatur. ^i«, sammlung in Peking enthält den Titel von zwölftausend Werken sammt Iichaltsanzeigen. In den Hauptkatalogen werden vier große Abtheilungen angenommen. Die erste umfaßt die heiligen und die classischen Bücher; von ibnen ist schon früher die Rede gewesen. Die zweite begreift die geschichtlichen Werle. Die Chinesen zählen achtzig historische Werke auf, welche die Geschichte der Dynastien, die vor jener der Mandschn herrschten, vollständig enthalten; daneben haben sie noch eine große Menge von Chroniken, und Denkwürdigkeiten. Die erste große Sammlung alter historischer Documente über China und die angrenzenden Länder rührt vonSse ma tsien her; er war im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrech» nung kaiserlicher Historic««. Sie besteht aus huudertdreißig Büchern in fünf Theilen. Der erste begriff die Fundamentalchronik der Kaiser; der zweite chronologische Reihenfolgen; der dritte handelt von vorschriftlichen Gebräuchen, von Musik, Astronomie, Eintheilung der Zeit ?c; der vierte enthält Lebensbeschreibungen aller Familien, welche Fürstmthümer inne« gehabt haben; der letzte endlich besteht aus siebzig Büchern, enthält Nachrichten über auswärtige Länder und Lebensbeschreibungen aller berühmten Männer. In der Mitte des elften Jahrhunderts stellte Sse ma kuang. dessen poetische Schilderung seines Gartens wir oben mitgetheilt haben, die Jahrbücher vom fünften Jahrhundert vor Christus bis 960 nach unserer Zeitrechnung vollständig zusammen, also bis zur Songdynastie, unter wel« cher er lebte. Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts schrieb Ma tuan lin seine berühmte Encyclopädie, unter dem Titel: Gründliche Untersuchungen über die alten Documente jeder Art. Er giebt dabei Erörterungen, und sein Werk ist eine reiche Fundgrube über Verwaltung, Staatewirthschaft, Handel, Ackerbau, Erd- und Völkerkunde. — Die dritte Section umfaßt sehr verschiedenartige Gegenstände. Dahin gehören: moralische Abhandlungen, Unterhaltungendes Confucius mit seinen Freun, den, die Unterhaltungen des berühmten Tschü hi, Abhandlungen über die Leidenschaften und die Erziehung. Ferner: Werke über die Kriegskunst . Abhandlungen über die Strafgesetze. über die Zucht und Pflege der Seidenwürmer, über Arzneikunde und Naturgeschichte, praktische Abhandlungen über Mathematik und Astronomie., über die Wahrsager« kunst; über Malerei, Schreibekunst, Musik und Bogenschießen, überVer» fertigung von Münze, Tinte und Thee, allgemeine Encyclopädien mit Bildern, Beschreibung der alten und neuen Völker mit Bildern, Ab» Handlungen über die buddhistische Religion, über die Secte des Tao; endlich noch die mythologischen Werke. Die vierte und letzte Abtheilung 144 Ganz China cl»e ungeheure Bibliothek. sh. Kap. enthält die leichteren Literaturgattungen, z. B. Gedichte. Erzählungen Romaue und Theaterstücke. Bibliotheken und Leseanstalten in europäischer Alt keuutChiua nicht, aber ein Jeder ist im Stande sich stets Bücher zu verschaffen, die unglaublich wohlfeil sind. Lesen kann der Chinese obnehin an allen Ecken und Euden; ganz Ehina ist eine ungeheure Bibliothek. Inschriften. Linn, sprüche, Lebensregelu erblickt man an jeder Wand, in allen Farben und Größen. Vorschriften und Mahnungen zur Weisheit. Citate aus den besten Schriften liest man an den Vorderseiten der Tribunale und Pago« den, auf den Aushängeschildern der Kaufleute, auf allen Hausthüren, in Zimmern und Gängen. Theetassen, Teller. Gefäße aller Art. Fächer ?c. geben Sammlungen von Gedichten, die durchgängig hübsch gedruckt find. Der Chinese raucht seine lange Pfeife,» schlendert durch die Straßen, guckt in die Luft und hat dabei „Litcraturgenuß." Im ärmsten Hause des ärmsten Dorfes findet man sicherlich noch hübsche Denksvrücke anf Streifen von rotbem Papier. In Europa hat man lange Zeit das Studium des Chinesischen für ungemeiu schwierig nnd beinahe unmöglich gehalten. Denn wenn. wie man annabm, die Gelebrten in China selbst darauf verzichten mußten, ihre eigene Sprache vollständig lesen zu können, so mußten die Hindernisse für einen Abendländer gerade unüberwindlich sein. Dieses Vorur-theil ist nun längst verschwunden, und die Philologen wissen, daß die Erlernung des Chinesischen nicht schwieliger ist, als jene anderer fremden Sprachen; ja die mündliche Sprache ist nicht einmal so schwer zu bewältigen wie manche europaische, nur die Aussprache macht, namentlich im Anfang. einige Schwierigkeiten; man gewöhnt sich aber im Lande selbst allmälig an die Laute uud Betonungen. Doch wir wollen uusere Neise fortsetzen. Meister Ting datte nns wiederholt gesagt, wir würden in der Provinz Hu pe die hübschen Ge-meindehänser Sse tschueus schmerzlich vermissen. Doch in Pa tung fanden wir es noch ganz erträglich. Ueber den Weg wurden freilich keine erbaulichen Nachrichten gemeldet; die Wege sekn schleckt nnd gute Trä ger sehr selten, weil fast alle Reisenden zu Schiffe befördert würden. Aus mehr als einem Grunde' beschlossen anch wir, uns wieder dem Blaucu Strom anzuvertrauen. So kamen wir nach Kuei tscheu. einem lebhaften Hafenort, über den wir weiter nichts zu bemerken finden. Am andern Tage kam ein Officier mit einer Abtheilung Soldaten an Bord. um uns, wie versichert wurde, im Nothfall gegen Stromräubcr zu schüheu. 8- Kap.) Ein Mandarin als Schleichhändler. 14- Hin und wieder lagen noch gefährliche Klippen im Wasser; es sind aber die letzten, denn weiter abwärts wird der herrliche Fluß immer breiter und tiefer. und spendet Segen und Fruchtbarkeit. Kein anderer in der Welt kann sich mit ihm messen an Lebhaftigkeit der Schissfahrt, kein an. derer giebt so vielen Menschen Unterhalt. Alles an diesem gewaltigen Strome ist majestätisch; bei Tschung king, das weit über dreihundert Stunden landeinwärts von der Mündung liegt, ist er schon über eine halbe Stunde breit, und wo er ins Meer fällt beträgt seine Breite sieben Stunden. Ehe wir I tschang fu, eine Stadt erster Classe, erreichten, mußte bei einer kleinen Salzdouane angehalten werden. Wir äußerten unsere Verwunderung darüber daß Mandarinenbarken durchsucht werden; Ting entgegnete, es geschehe weil das Schisssvolk manchmal die Gelegenheit benutze, und Schleichhandel treibe. Zuerst wurde das Schiff untersucht, auf welchem sich die Soldaten befanden. Darauf kamen die Zöllner in unsere Barke, grüßten alle Passagiere sehr höflich, und forderten den Schiffspatron auf sie in den Raum zu begleiten. „In den Raum!" rief dieser ganz erstaunt, „ihr weidet doch eure saubern Kleider nicht beschmuzcn wollen? Ich habe Schlamm als Ballast eingeladen; ohnehin wißt ihr ja, daß keine Waaren am Bord sind, wenn Beamte das Schiff gemiethet haben." — Nun mischte sich der kleine Mandarin ins Gespräch, der uns gegen die Strompiraten schützen sollte: „Nicht wahr, diese beide edlen Europäer sind wohl auf den Blauen Strom gekommen, um Salz zu schmuggeln?" — Dabei lachte er hell auf, denn er mochte das für einen guten Witz halten. Aber die Zöllner ließen sich nicht irre machen, und durchsuchten das Schiff. Plötzlich entstand ein unbeschreiblicher Lärm. denn man hatte im Schiffsraum nicht etwa Schlamm sondern eine be» trächtliche Menge Salz gefunden, und der Schleichhändler und Zolldefrau« dant war kein Anderer als der kleine Mandarin von Kuei tscheu, der uns gegen die Piraten beschützen sollte. Hier lag eine bedenkliche Sache vor; das Schiff wurde ohne Weiteres mit Beschlag belegt. Alle schrieen durcheinander, Matrosen, Patron. Zollbeamte, unsere Mandarinen und der Mandarin mit dem vergoldeten Knopfe. Wir unsererseits waren Zu-Hörer, konnten aber nicht recht fassen was die ganze Geschichte bedeuten sollte. Die Matrosen schrieen gegen deu Schiffspatron ein. dieser gegen den Mandarin welcher geschmuggelt hatte. und die Zollbeamten gegen Alle. Meister Ting war außer sich vor Zorn, lief von dem Einen zum Andern. und rief und schrie ohne daß irgend Jemand von ihm Notiz Huc. LlMa. 10 ,,,. 146 Verkehr mit dem Präfecteu vou I tschaug fu. 18. Kap. nahm. Wir wußten nicht. wie das Alles enden sollte. Inzwischen lag das Schiff still, und wir waren toch schon in der Nähe des Hafens. Wenn wir nicht bis spät in die Nacht liegen bleiben wollten. so mußten wir nachdrücklich einschreiten. Wir packten also Meister Ting, die Zollbeamten und den Schleichhändler, nnd schafften Einen nach dem Andern die Treppe hinunter in unsere Cajüte. Nun hatten wir diese Leute fest; wir schärften chnen ein auch nicht ein Wort über ihr Salz zu verlieren, und erklärten: „Das Schiff ist für uns gemiethet worden, und soll uns nach I tschang fu bringen. Man bält uns hier auf-, es ist uns aber höchst gleichgiltig, weshalb das geschieht, und an wem der Fehler liegt, ^hr seid Alle dafür verantwortlich. Jetzt wollen wir weiter fahren; ihr habt im Hafen Zeit genug. eure Angelegenheiten zu erledigen." — Die gegenseitigen Vcschnldignngen wollten wieder auftauchen, aber Einer von uns hielt Zöllner und Mandarinen im Belagerungszustände, und der Andere ging hinauf, und befahl dem Patron weiter zu fahren. Das geschah denn auch. Im Hafen stiegen wir sogleich ans Land; es war schon dunkel, als wir in I tscbaug fu ankamen. Zum Führer hatten wir einen Gerichtsdiener , den uns der Prafect geschickt hatte. Er geleitete uns in ein Gemeindehaus das in elendem Zustande war. feucht, ohne Thüren oder Fenster, ohne Geräthschaften und voll vou Ratten. Wir-ließen nns aber von dort ohne Weiteres mit Sack nnd Pack ins Tribunal des Präfecten bringen. Dort führte man uns in einen großen Wartesaal, wo wir unS sogleich häuslich einrichteten, und unserm Diener Wei schan befahlen ein Gleiches zu thun. Die Hänsle»te kamen und gingen ohne mit uns ein Wort zu reden, und lichteten nur einige Fragen an Ting, der aber nur mit stummem Kopfnicken antwortete, weil er sich weder bei uns noch bei den Ortsbebörden compromittircn wollte. Endlich wurde der Saal für die Gäste geöffnet-, wir traten durch die eine Thür hinein, der Prafect , durch eine andere. Wir verneigten uns gegenseitig, und nahmen gemein» fchaftlich auf chiem Diwan Platz. Man brachte Thee und Melonenschei» ben. die uns vortrefflich mundeten. Der Prafect. um anzudeuten daß er nns los zu sein wünsche, erklärte, er werde uns Melonen in unsere Wodnnng bringen lassen; er fügte hinzu, er habe Befehl gegeben uns im Gemcindepalast einzuquartieren. Wir entgegneteu: «Man hat uns in ein feuchtes Rattennest gebracht. darin wollen und können wir nicht wohnen." — „Man hat mir gesagt, es sei dort nicht sehr trocken, aber im heißen Sommer ist das recht angenehm, denn die Feuchtigkeit bringt frische Kühle; 8. Kap.) Auftritt mit einem Militainnündarln. 147 auch ist es die beste Wohnung welche wir für Gäste haben. I tschang fu ist allerdings eine große Stadt, aber sehr arm, und ohne gute Wob« nungen; fragt nur alle Anwesenden." — „Wir. wollen das Gegentheil nicht behaupten; I tschang fu ist wahrscheinlich eine sehr arme Stadt, wir sagen aber daß wir in dem feuchten Nattcnnest nicht wohnen wollen." — Der Präfect sprach nun sehr übler Laune: „Wollt ihr in meinem Hause wohnen ?" — Wir hätten nach den Regeln der Höflichkeit ablehnen muffen, aber wir waren keine Chinesen, und erklärten also, daß wir an Ort und Stelle bleiben würden, und rühmten höchlich die Pracht und Schönheit seines Tribunals, der Säle und Gemächer. Wirklich wohnten wir sehr gemächlich in einem großen Zimmer, das an den Empfangs» saal stieß. Gegen Mitternacht wurden wir durch ein sehr lebhaftes Gespräch in unserer Ruhe gestört. Die Beamten hatten im Tribunalgebäude ein gemeinschaftliches Abendessen gehabt, waren dann in den Saal gekommen, und unterhielten sich in sehr zwangloser Weise über unsere Personen. Wir konnten jedes Wort hören. Einige fanden uns ganz erträglich und sprachen gerade nicht schlecht von uns; Andere dagegen meinten, wir seien noch zu kurze Zeit in China, als daß wir schon die Mängel unserer abendländischen Erziehung hätten ablegen können. Es war aber Einer unter ihnen, der seine Genossen in jeder Weise gegen uns aufzu« hetzen suchte. — «Man behandelt diese Menschen," rief er, „mit allzuviel Nachsicht; der Vicekömg that unrecht, daß er so freundlich gegen sie war; er bätte sie in den Halöblock sperren sollen. Dergleichen Leute, die außer-halb ihrer Heimat uncherstrcifen, sollte man streng behandeln, das ist die Regel. Wenn unser Präsect fest gegen sie aufträte, würden sie schon Furcht haben. Ich würde sie mit Ketten beladen nach Canton trans» portiren lassen!" — Wir erkannten in diesem Redner einen Militairman-darinen, der schon am Abend sehr anmaßend kund gab. daß er im Kriege gegen die Engländer abendlandische Teufel in der Nähe gesehen habe, und sich vor ihnen nicht fürchte. Nun brauchten wir uns um die Aufschneidereien dieses Offic,erS lm Grunde gar nicht zu kümmern. weil wir mit der Negierung auf gutem Fnße standen. Aber wir hatten noch eine lange Reise vor uus, und es war möglich daß uns allerlei Verlegenheiten bereitet wurden. Wir durf. ten also nicht wie die Chinesen unser Herz verkleinern, sondern mußten es vergrößern. Wir standen also in aller Stille auf, legten unsere StaaMeider an. rissen rasch die Thür auf, und stürzten auf den Offi. cier ein mit den Worten: „Nun, hier sind wir; laß doch rasch Ketten 10* 148 Zollsystem in China. 18. Kap. holen, denn Du willst uns ja in Ketten nach Canton bringen lassen! Rasch, sagen wir. mit den Ketten herbei!" — Unser plötzliches, vollkom. men unerwartetes Eint«ten brachte die Mandarinen außer Fassung; wir aber verlangten laut, der Officier solle die Ketten herbeischaffen. Er wich Schritt nach Schritt zurück, bis wir ihn iu einer Ecke des Saales hatten, wo er mehr todt als lebendig war, und stammelnd sagte: „Aber ich begreife nicht. was ihr wollt! Wer hätte denn ein Recht euch Ketten an» zulegen?" — „Doch wohl Du! Du hast es ja eben noch gesagt; wir haben Alles gehört; nun leg uns Fesseln an. aber rasch!" — Er behaup. tete, dergleichen habe Niemand gesagt; wie wir nur so etwas denken könnten, die Mandarinen seien ja da. um uns Dienste zu erweisen. In demselben Sinne äußerten sich alle Uebrigen. Das war uns genug; unser Ausfall hatte die Wirkung welche wir erzielen wollten. und wir gingen in unser Zimmer zurück. Gleich nachher waren Alle fort. Am andern Morgen erschien der Präfeci um sich zu entschuldigen; jener Mandarin habe eine böse Zunge, sei jedoch im Uebrigen gut gegen uns gesinnt. Wir erwiederten: „Davon sind wir überzeugt, doch hat man großen Anstoß gegeben. die Dienerschaft ist Zeuge gewesen, und beute früh weiß die ganze Stadt Alles was vorging. Es wäre unserer Würde nicht angemessen, heute abzureisen, wir bleiben also einen Tag hier, um auszuruhen. Man soll nicht etwa glauben wir hätten unsere Abreise aus Furcht beeilt. Unserer und euerer Ehre wegen soll Jedermann erfahren, daß wir hier zu I tschang fu von den Behörden in angemessener Weise behandelt worden sind!" — Dagegen durste der Präsect nicht« einwenden. Der Tag verlief friedlich und selbst angenehm; die Manda« rinen besuchten uns, nur jener Officier kam nicht, schickte aber einen Visitenzettel, und ließ sich wegen überhäufter Geschäfte in aller Höflichkeit entschuldige«. Wir benützten den Aufenthalt, uns die Stadt anzusehen ; sie bietet aber nichts Bemerkenswerthes dar, viel Volksgedrange und keine Denkmäler. Wir verließen I tschang fu als freie Männer, ohne Daumschrau» ben oder Fußschellen und schifften den Strom hinab, an welchem wir wieder eine Salzdouane fanden; die Zollbeamten ließen uns jedoch unbehelligt vorüber. Im chinesischen Binnenlande giebt es nur wenige Zollstätten, und die Beamten sind nicht streng. Als wir noch in Chinesen verkleidet, also wie jeder Reichsunterthan dem allgemeinen Gesetz unter» worsen, mehrmals von einem Ende des Reiches bis zum andern reisten, wurden unsere Koffer nicht ein einziges Mal untersucht, und doch waren 8. Kap.1 I tu hien, eine Stadt dritter Classe. 14a Kirchengeräth und andere Sachen darin, die uns hätten compromittiren können. Wir erklärten den Zöllnern daß wir keine verbotenen Waaren führten, leichten ihnen gleich die Schlüssel hin, ersuchten sie nachzusehen, und das war allemal genügend. Im schlimmsten Falle kommt man mit einer kleinen Geldspende aus aller Verlegenheit. Die meisten Zollstätten sind wegen Erhebung der Salzabgabe da; der Handel mit diesem Artikel ist in den meisten Provinzen Monopol der Verwaltung. Die Chinesen verbrauchen sehr viel Salz; die ärmeren Classen essen viel eingesalzene Gemüse und gesalzene Fische, auch macht man den in Wasser gekochten Reis durch einen Zusatz von Salz schmackhafter. Die Chinesen leben sehr mäßig und essen überhaupt nicht viel, aber man begreift, daß sie immer Durst haben, weil sie so viel Salz genießen. Sie trinken zu allen Tageszeiten Thee in Menge. Seit dem Kriege mit den Engländern find viele Zollstätten an der Linie errichtet worden, auf welcher die europäischen Waaren ins Innere des Reiches gelangen. Der englische Handel ist den Chinesen mit Kar, tatschen aufgezwungen worden; sie wollen ihn aber nicht überhandneh» men lassen, und suchen ihn deshalb durch Zölle und Abgaben zu erschweren. Noch bei guter Tageszeit waren wir in I tu hien, einer Stadt dritter Classe mit einem hübschen Gemeindchause, in welchem wir einen sehr liebenswürdigen Mandarinen fanden. Er ist ohne allen Zweifel der bei Weitem vorzüglichste Mann den wir unter den Beamten in China kennen gelernt haben. Er war noch jung, schien etwas kränklich zu sein. war bleich und mager von zu eifrigem Studiren, und hatte als er fast noch ein Kind war in Peking den Doctorgrad erworben. Er hatte Finen sanften, geistreichen Gesichtsausdruck, und trug eine mit Gold eingefaßte europaische Brille; seine Unterhaltung war fein, verstandig und beschei« den, sie hatte etwas ungemein Anziehendes, und seine Manieren waren höchst ansprechend. Wir fanden ihn in seinem Garten in einem kühlen Pavillon, wo er uns erfrischende Früchte hatte auftragen lassen; wir bemerkten darunter Pfirsiche und Kirschen, auch andere Obstarten, die nicht in der Provinz Hu pe wachsen. Wir fragten den liebenswür« digen Mann, wie es ihm möglich gewesen sei, so köstliches Obst zu bekommen. Er entgegnete: „Wenn man Freunden angenehm sein will, findet man immer Gelegenheit; das Herz hat unerschöpfliche Hilfsmittel." — Er fragte viel und immer sehr verständig über die ver« schiedenen Völker Europa's, und war auch dann ganz verschieden von 150 Geographische Kenntnisse der Chinesen. 19. Kap. seinen meisten College«, welche oft nichtige und geradezu kindische Fragen auswarfen. Insbesondere interessirte ihn die Erdkunde, und er besaß darin ungewöhnliche Kenntnisse. Uns überraschte es in nicht geringem Maße, als er fragte, ob die europäischen Regierungen die Landenge von Suez noch nicht hatten durchstechen lassen. Er kannte alle fünfGrdtheile, und wußte sehr wohl. welche Stellung China einnimmt. Es ist eine irrige Vorstellung, wenn man annimmt, daß die Chi« nestn unbewandert in der Geographie seien. Allerdings haben sie lächerliche Landkarten, die von der Erde eine verzerrte Vorstellung geben; aber die unterrichteten Leute wissen mehr von der Sache, wie denn die Chine» sen zu allen Zeiten ein Interesse für geographische Kenntnisse gezeigt haben. Allerdings fällt es ihnen sehr schwer, bei ihrem gegenwärtigen System genaue Kunde über andere Völker und Lander zu erwerben, doch findet man in ihren Büchern manche schätzbare Nachrichten, undKlaproth hat gezeigt, wie wichtig sie für die Erläuterung der Geographie Asiens im Mittelalter sind. Neuntes Kapitel. Wie die Chinesen europäische Länder benennen. — Ursprung der Benennungen China und Chinesen. — Die verschiedenen Namen, welche China im Lande selbst hat. — Der ehrwürdige Präfect von Song tsche hicn. — Die Mandarinen in alter Zeit. — Die geheiligten Vcrhal-tunasbefehle der Kai,er. — Ein Mann aus Khorassan am kaiserlichen H^fc. — Die Sitten der Chinesen der Vorzeit. — Ursachen des Verfalles von China. — Mittel, durch welche die Mandschndynastie ihre Mactit befestigt. — Schlechte Politik der Regierung. — Allgemeine Vorahnung einer Revolution. — Sturm und Schiftbruch auf dem Blauen Strom. Der junge Präfect von I tu hien fragte, mit welchem Namen wir sein Vaterland belegen, und war sehr erstaunt über die Benennungen China und Chinesen. Er wollte wissen, ob diese Worte einen Sinn haben, und was sie bedeuten. Bei dieser Gelegeuheit bemerkte er: „Wir nennen die glücklichen Bewohner eures erlauchten Landes Si Yang jin (das j muß französisch ausgesprochen werden). Si bedeutet Westen, yang Meer und jin Mensch; also seid ihr Menschen oder Manner der abendländischen Meere; das ist die allgemeine Benennung. Wenn wir 9. Kap.I Wie Chinesen europäische Länder benennen. i^< die verschiedenen Völker bezeichnen wollen, so bezeichnen und umschreiben wir die Namen derselben so genau, als unsere Schristzeichen gestatten. Wir sagen also: Fu lang fai jin, das heißt: fa ran zösische Menschen.' Wir greifen bei den Abendländern eine auffallende Erscheinung heraus' welche wir bei dem einen oder andern Volk bemerken; so nennen wir die In ki li (Engländer) Hung mao jin. Menschen mit rothem Haar: die I a me li kien (Amerikaner) Hao ki jin, Menschen mit der ge< blümten Flagge, weil die Flagge auf ihren Schiffen bunt gesprenkelt ist. Alle diese Benennungen stützen sich auf Dinge die etwas bedeuten. So wird es auch wohl mit der Benennung China und Chinesen sich verhalten?" — Wir gaben uns Mühe ihm das Sachverhältniß zu erläu» tern, und bewiesen ihm, daß beide Namen allerdings aus dem Chinesischen abstammen; daß man sie aber in Europa sich mundgerecht gemacht habe, wie der chinesiche aus Francais Fu lang scn gemacht. Es leidet nämlich gar keinen Zweifel, daß die Namen Schinn und Schinesen *) aus China stammen. Die Chinesen haben stets ihr Neich nach dem Namen der regierenden Dynastie bezeichnet; so z. B. im hohen Alterthume alsThang. N u uud H i a. Seit dem Kaiser aus dem Henscher-stamme Han kam diese Benennung in Gebrauch, und die Chinesen heißen seitdem Menschen von Han; in den nördlichen Provinzen ist dieser Ausdruck noch nicht abgekommen. Die Dynastie der Thang erwarb durch ihre Eroberungen noch weit mehr Nuhm, und mehrere Jahrhunderte nannte man also die Chinesen Thangjin, Die Mandschudynastie hat den Titel Thsing, rein, angenommen; seitdem heißen die Chinesen Th sing jin, wahrend sie also unter der Dynastie der Ming als Ming j i n bezeichnet wurden. Cs ist gerade so als hätten die Franzosen sich nach den regierenden Familien Carolinger, Cavetmger u. s. w genannt. Die Benennung Chinaist in Ostasien sehr allgemein im Gebrauch; wir haben ihn von den Malaien, welche das Land Tschina nennen. Sie kannten China zum mindesten schon im dritten Jahrhundert vor Christus, als der berühmte Kaiser Thsin sche kuang das südliche China nebst Tonkin unterwarf, und erobernd bis nach Cochinchina vordrang. Mit diesen Ländern standen die Bewohner der malaiischen Inseln in unmittelbarem Verkehr. kamen min auch mit den Cbinesen in Berührung, welche damals Thsiu hießen (nach der kaiserlichen Dynastie), und nannten das *) Wir Deutschen schreiben den ssranzoftu mirichtig China nach, und sprechen auch ebenso unrichtig sshluescu. mit einem ch; wir sollten Schiua oder T sch i n a schreiben' uud sprechen. A. 152 Ursprung der Benennungen China und Chinesen. 19. Kap. Land Tschina, weil sie kein aspirirtes ts haben. Späterhin kamen die Portugiesen; sie hatten malaiische Mairosen und Lootsen am Bord, und gaben dem Lande natürlich den Namen, welchen sie von diesen vernahmen. So ist er nach Europa gelangt. Die ersten Verbindungen zwischen Indien und China fallen gleichfalls in die Zeit der Thsindynastie, und die Hindu sagten Tschina ans denselben Gründen wie die Malaien, weil auch das Devanagari und die davon abgeleiteten Alphabete das aspirirte ts nicht haben, und dasselbe durch ein tsch ersetzten. Von Indien aus erhielten die Araber das Wort Thsin, und paßten es als Sin, Sina, ihrem Alphabet an; wahrscheinlich rührt daher der Ausdruck Sinae, Sinenses.") Also die Araber und Portugiesen nahmen die malaiische und Sanskritbenennung Tschina für das südliche China an; denn der nördliche Theil wurde von den Nachbarvölkern anders benannt. Unter der Handynastic, das heißt in den zwei Jahrhunderten vor und nach uu» serer Zeitrechnung. hatten die Chinesen Centralasien bis an den Oxus und Iazartes erobert, und Militaircolonien gegründet; ihre Handelsleute durchzogen diese ausgedehnten Landstrecken, nm chinesische Waaren gegen andere abzusetzen, die aus Persien und dem römischen Reiche kamen. Sie, brachten insbesondere Seide und Scidengewebe, die im Westen so sehr gesucht waren. Den Griechen zufolge bedeutet das Wort Ser den Sei« denwurm und die Bewohner von Serica, des Landes, aus welchem die Seide kam. Daraus geht hervor, daß sie den Namen Seres von der hochgeschätzten Waare erhielten, welche die Völker der westlich liegenden Länder von ihnen holten. Im Armenischen heißt der Seidenwurm Schiram, was mit dem griechischen Ser Aehnlichkeit hat, und man darf wohl annehmen. daß beide Benennungen Völkern entlehnt wurden, die weiter östlich wohnten. Das läßt sich aus dem Mongolischen und dem Mandschu erweisen, und es stellt sich heraus, daß die Benennung, welche die Seide im Alterthum wie in ,dcr neuern Zeit führt, aus dem östlichen Asien stammt. Seide heißt bei den Mongolen Sirke, bei den Mandschu Sirghe. Diese Völker wohnen im Norden und Nordoften von China, und es ist gar nicht wahrscheinlich daß sie jene Benennungen von östlich wohnenden Völkern erhalten haben. Das chinesische Wort für Seide ist S e e; hier ist Aehnlichkeit mit Sirk, Sirghe, Eer; und man wird diese Analogie noch stärker finden, wenn man weiß, daß die Chinesen den Buchstaben R nicht haben. Das Wort, welches im Korea» *) Darüber läßt sich allerdings streiten; doch ist hier nicht der Ort, auf gelehrte Untersuchungen einzugehen. A. 9. Kap-1 Verschiedene Namen China'S blieben wären; die „vorschriftlichen Brauche" gestatteten es nicht, und gegen einen so vortrefflichen Mann wollten wir in keinem Fall unhöflich sein. Unsere Reise nach Song tsche hien machten wir zu Lande. Unser Freund batte uns an den dortigen ersten Beamten empfohlen, mit dem er befreundet war. Cr mußte sehr schmeichelhafte Dinge von uns gesagt haben, denn wir wurden mit großem Pomp empfangen. Vor dem Cingang zum Gemeindehause war ein Triumphbogen errichtet worden, 154 Der ehrwürdige Präftct von Song tsche hien. ^9. Kap. den man mit rothseidencn Behängen, künstlichen Blumen, bunten Laternen und allerlei anderm Zierrath geschmückt hatte; im Hofe wurde ein Feuer« wert abgebrannt, und an der Schwelle empfing uns ein lieber alter Mann, der noch bei vollen Kräften war, und dessen Augen vor Freude blitzten als er uns kommen sab. Er war wie außer sich. umarmte uns, sah uns lachend an, kam. ging ab und zu, gab da und dort Befehle, verneigte sich dann vor uns. und wußte gar nicht was er Alles thuu sollte, um uns zu zeigen. wie sehr er sich freute uns zu sehen. Endlich wurde er etwas ruhiger, und wir setzten uns zum Thee. Dieser höchst achtbare Mann war nicht so fein gebildet wie sein Amtsbruder in I tu hien, aber von scharfem Verstande, führte eine angenehme Unterhaltung und war offen und gutherzig. Von seinem Sse ye oder Geheimstcretair erfuhren wir daß er der Sohn armer Bauern sei, und in seiner Jugend schwere Zeit gehabt habe; er bestand aber die Prüfungen so ausgezeichnet, daß er in Peking Doctor wurde, obwohl es ihm an Geld wie an Protection fehlte. Nach und nach arbeitete er sich bis zum Präfecten in einer Stadt dritter Classe empor. Um höher zu steigen hätte er beträchtliche Ausgaben machen müssen, um einflußreiche Leute für fick zu gewinnen. Das wollte und konnte er nicht, denn er war arm. Arm war er aber weil er die Leute nicht drückte, unentgeltlich Recht sprach, und seine Besoldung mit den Armen theilte. Dafür war er aber bei Jedermann beliebt, und stand in allgemeiner Achtung. Uns fiel es auf, daß im Gemeiudepalast das Voll überall freien Zutritt hatte; es drang in Hofräume, Garten, ja selbst in den Saal wo wir mit dem Präfecten saßen. Meister Ting bemerkte daß wir dergleichen nicht gern sähen; allein der Präftct sprach zu uns mit freundlicher Miene und gleichsam in bittendem Tone: „Schickt sie nicht fort, sie möchten euch gern sehen; sobald sie euch lastig fallen brauche ich nur zu winken." — Wir waren weit entfernt das Ceremonie! gegenüber einem so trefflichen Manne beobachten zu wollen; an jenem Tage war Freiheit für Alle. Jeder konnte sich nach Herzenslust die Männer aM dem Abendlande betrachten. Der Mandarin blickte mit seliger Miene umher und freute sich; wenn die Einen sich satt gesehen hatten, kamen Andere, es entstand nicht die mindeste Unordnung; und wurde das Gedränge hin und wieder ein wenig stark, so reichte ein Wort des Präfccten hin, sogleich Alles wieder in das richtige Geleise zu lenken. Dieser Mann war wie ein Vater unter Kindern. Hier sahen wir in wahrhast rührender Weise eine lebendige Verwirklichung der chinesischen Staatseinrichtungen und Gesetze, die auf der Grundlage 9. Kap.) Die Mandarinen in alter geit. 155 väterlicher Gewalt und kindlicher Pietät ruhen, auf der Annahme daß jeder Beamte ein Vater für Alle sei, welche seiner Verwaltung anvertraut sind. Gegenwärtig ist dieses Verwaltungssystem nur noch in der Theorie vorhanden, es steht nur in den Büchern, und Ausnahmen sind selten. Die Mandarinen bilden eine gefürchtete Genossenschaft von kleinen Tyran» nen und großen Dieben, welche das Volk bedrücken und ausplündern. Aber das ist nicht im Mindesten eine nothwendige Folge der chinesischen Einrichtungen; ihr Princip ist unschuldig daran; die heutige Praxis läuft demselben völlig zuwider. Wer chinesische Geschichtsbücher studirt, findet sehr bald daß unter manchen Dynastien die Mandarinen gute, pflichteifrige Beamte waren. Sie machten Rundreisen in ihrem Bezirk, erkundigten sich nach Lage und Bedürfniß der Armen, brachten Abhilft, lind widmeten auch dem Ackerbau große Fürsorge. Bei Ucberschwunmungen zeigten sie lobenswerthe Thä' tigkeit und wendeten Nachtheile ab. Am ersten und fünfzehnten Tage jedes Monats gaben sie dem Volke 'öffentlich gute Lehren, und die Rechtspflege war rasch und ohne Ansehen der Person. Wer sich irgendwie beeinträchtigt hielt, konnte sich beim Tribunal melden; zu diesem Zwecke stand eine große Trommel in einem Hofraume. Sobald sie gerührt wurde mußte der Mandarin erscheinen, gleichviel ob bei Tageszeit oder in der Nacht. Gegenwärtig ist das freilich alles anders. Zwar ist noch in jedem Orte eine Stelle an welcher der Mandarin das Volk öffentlich belehren soll, ein Schan yü ting oder Saal der geheiligten Anweisungen; aber der Mandarin geht an den gesetzlich bestimmten Tagen lediglich dorthin, um dem Buchstaben der Vorschrift zu genügen. Da Niemand erscheint so spricht er auch nichts; er raucht eine Pfeife Tabak, trinkt eine Tasse Thee und geht wieder fort. Auch die Beschwerdetrommel ist in den Tribunalshöfen noch zu sehen, aber Keiner wagt sie zu rühren, weil er sicherlich dafür ausgepeitscht und in Geldstrafe verfallen würde. . Das ganze Verfahren, welches die Mandarinen ehemals in ihrem Verwaltungsbezirke beobachteten, war lediglich eine Wiederholung im Kleinen von dem was der Kaiser that. Schon ins hohe Alterthum reicht der Brauch hinauf, daß dcr Monarch von Zeit zu Zeit Weisungen und Anmahnungcn ül'cr Moral, Ackerbau oder Gewerbe erließ. Denn der Kaiser von China ist nicht blos Oberhaupt des Staates, der höchste Priester und Gesetzgeber des Volkes, sondern er ist auch Fürst der Gelehrten und erster Doctor des Reiches; er hat die Aufgabe. sein Volk ebenso wohl zu belehren, als zu regieren, und diese beiden Begriffe fallen 156 Geheiligte Verhaltungsbefehle alter Kaiser. 19. Kap. in ihm zusammen. Alle Decrete sind belehrende Weisungen, die Befehle haben die Fassung von Lehren und werden auch so genannt. Züchtigungen und Strafen sind ein Zubehör; kurz im strengen Sinne ist der Kaiser ein Vater, der seine Kinder nnterweist und manchmal bestraft. Die Schan yn oder geheiligten Edicte welche zur Belehrung des Volkes aus dem kaiserlichen Pinsel fließen, sollen am ersten und fünfzehnten eines jeden Monats theilweise vorgelesen und erläutert werden; das soll in feierlicher Weise nach einem besonders vorgeschriebenen Ceremonie! ge. schehen. In jedem Orte versammeln sich die bürgerlichen und Militair. beamten in einem besondern Saale; sie sind festlich gekleidet. Der Ceremonienmeister, der bei allen derartigen Zusammenkünften nie fehlen darf, fordert alle Anwesenden laut anf, je nach Nang und Stand der Reihe nach vorüber zu gehen. Jeder macht vor einer Tafel, auf welcher der Name des Kaisers geschrieben steht, die drei Kuiebeugungen und die neun Kopfneigungen. Darauf begeben sich Alle in den Saal welcher Schan yü ting genannt wird, und in welchem Volk und Soldaten stehen. Der Ceremonienmeister spricht: Jetzt fangt mit Respect an.' Der Beamte, welchem das Vorlesen obliegt, tritt vor einen Altar auf welchem Weihrauch sich befindet, kniet nieder, nimmt unter Zeichen großer Ehrerbietung die Tafel auf welcher die Lehre geschrieben steht, die er an jenem Tage erläutern soll, und steigt auf eiue Erhöhung. Er übergiebt die Tafel einem Greise, der sie dem versammelten Volke gegenüber auf die Erhöhung legt. Nun wird mit einer hölzernen Glocke ein Zeichen ge< geben, daß Alles ruhig bleiben solle, und der Beamte liest die Sentenz vor. Nachher ruft der Ceremonienmeister: Erkläre diese Sentenz des geheiligten Edictes! — Der Redner erhebt sich. und trägt seine Erläuterungen vor. Der ganze Vorgang ist nun schon langst zu einer inhalt, losen Ceremonie geworden, wie das berühmte Ackerbaufest auch, bei welchem alljährlich der Kaiser eine Furche abpflügt, um den Feldbau aufzumuntern. Ader Mandarin soll in seinem Bezirk ein Gleiches thun. Wir wollen aus einem arabischen Buche, der im neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung verfaßten „Kette der Chroniken" eine Stelle ausheben. die dem Leser einen Begriff davon geben wird, wie es zu jener Zeit in China aussah. „Ein aus Khoraffan gebürtiger Mann war nach Irak (dem Land am Euphrat und Tigris) gekommen, hatte dort viele Waaren eingekauft, und sich dann eingeschifft um damit nach China zu fahren. Er war geizig und eigennützig. Ein Streit erhob sich zwischen ihm und dem Ver. 9. Kap.) Ein Mann aus Khorassan am kaiserlichen Hofe. 157 schnittenen, welchen der Kaiser nach Khan fu geschickt hatte, wo die arabischen Kaufleute sich einzufinden pflegen; dort sollte er unter'den neu angekommeneu Waaren diejenigen auswählen, welche dem Kaiser gefallen konnten. Jener Eunuch war einer der mächtigsten Männer im Reich, und Hüter der kaiserlichen Schatzkammer. Der Streit kam wegen eines Eor. timeutes Elfenbein und einiger anderen Waaren her; der Kaufmann wollte zu dem Preise, welcher ihm geboten wurde, nicht losschlagen. End, lich nahm der Verschnittene was ibm anstand, ohlie sich um die Einrede des Arabers zu kümmern. Dieser aber begab sich insgeheim von Khan fu nach Khomdan'), wohin er zwei Monate unterwegs war. Wer nun eine Klingel anzieht, welche über dem Haupte des Kaisers hängt, wird an einen zehn Tagereisen entfernten Vcrbannnngsort gebracht. Dort muß er zwei Monate im Gefängniß bleiben. Nachher läßt der Statthalter ihn vor sich kommen und sagt: Wenn Deine Beschwerde nicht begründet ist, so wird Dein Blut vergossen; denn der Kaiser hat für Dich und Leute Deines Berufes Wesire und Statthalter eingesetzt bei denen Du um Gerechtigkeit hättest nachsuchen können. Wisse demnach, daß Nickts Dich vom Tode retten kann, wenn Deine Beschwerden es nicht rechtfertigen daß Du Dich unmittelbar an den Kaiser wendest; laß also ab und wende Dich Deinem Geschäfte wieder zu. Wenn in einem solchen Fall ein Manu seine Klage zurückzieht, so erhält er fünfzig Stockschläge und wird in das Land zurückgeschickt, von wannen er gekommen ist; beharrt er aber dabei, dann führt man ihn vor den Kaiser. So geschah es auch mit dem Manne aus Khorassan; er wollte seine Beschwerde nicht zurücknehmen. Er wurde in die Hauptstadt geführt. Der Dolmetscher fragte ihn was er wolle; der Kaufmann erzählte wie der Streit sich entsponnen und wie der Verschnittene ihm seine Waare genommen habe. In Khan fu war viel über dieft Angelegenheit gesprochen worden. „Der Kaiser ließ den Mann aus Khorassan ins Gefängniß abführen, und ibm dort zu esse» und zu trinken geben. Zu gleicher Zeit mußte der Wesir an die Beamten nach Khan fu schreiben, und ihnen anbefehlen in dieser Angelegenheit die reine Wahrheit ausfindig zu machen. Dieselben Befehle gab er auch dem Meister zur Rechten, dem Meister zur Linken und dem Meister in der Mitte; denn diese drei sind nächst dem Wesir Befehlshaber der Truppen; auch vertraut der Kaiser ihnen die Obhut *> Kbvmdan ist das heullsse Si ngan fu, Hauptstadt der Pro» vinz Ho nan: Khan fu ist ein Seehafen in der Provinz Tsche liang. 153 Die Sitten der Chinesen der Vorzeit. ^9. Kap. seiner erson an, und wenn der Fürst in den Krieg ziebt, oder sonst bei derartigen Gelegenheiten, nimmt Jeder bei ihm den Platz ein welcher durch seinen Namen bezeichnet wird. Diese drei Beamten schrieben also an ihre Untergebenen. Alle Nachrichten trafen zusammen um die Erzah, lung des Mannes aus Khorassan zu bewahrheiten. Da ließ der Kaiser den Eunuchen vor sich bescheiden; er nahm ihm alle seine Habe, entzog ihm auch die Aufsicht über die Schatzkammer, und sprach: Du verdientest den Tod, Du hast mich dem Tadel eines Mannes blos gestellt, der aus Khoraffan, von den Grenzen meines Reiches kam. in das Land der Araber und von da nach Indien ging, endlich meine Staaten besuchte, und das Alles in der Hoffnung der von mir gespendeten Wohlthaten theilhaftig zu werden. Du wolltest also daß dieser Mann ans der Rückreise sagen sollte: Ich bin in China Opfer der Ungerechtigkeit geworden, man hat mir mein Gut geraubt! Aber Du hast mir früher gute Dienste geleistet, und des« halb will ich Dein Blut nicht vergießen; aber weil Du das Interesse der Lebenden nicht gewahrt hast, so sollst Du fortan Hüter der Todten sein. Und so wurde der Eunuche auf Befehl des Kaisers Hüter der kaiserlichen Gräber, die er in gutem Stande erhalten mußte. „Für die bewundernswürdige Ordnung welche ehemals im Reiche herrschte (— im neunten Jahrhundert war Revolutiou —) zeugen die Art und Weise wie die richterlichen Entscheidungen gefällt wurden, die Achtung welche die Gesetze fanden, und die Wichtigkeit, welche die Regierung im Iustizwesen darauf legte. daß zu Nichtern uur solche Männer ernannt wurden, welche ausreichende Kenntnisse, aufrichtigen Eifer, unerschütterliche Liebe zur Wahrheit und den festen Willen besaßen. Recht ohne Ansehen der Person zu sprechen. Wenn ein Kadi der Kadis (höchster Richter) ernannt werden sollte, dann schickte die Regierung den dazu aus» erkorenen Mann zuvor in alle solche Städte, welche wegen ihrer großen Bedeutung als die Säulen des Reiches betrachtet werden. Er blieb in einer jeden einen oder zwei Monate, und bekümmerte sich emsig um die dortigen Zustände; er lernte die Wünsche und Ansichten der Einwohner und die Landesgebräuche keunen. Seine Erkundigungen zog er bei Leuten ein. auf deren Angaben er sich verlassen konnte. Nachher wurde er in der Hauptstadt mit seinem Amte betraut. — An jedem Tage fragte ein Ausrufer vor der Thür des Oberkadi: Hat Jemand eine Reclamation zu machen, entweder bei dem Kaiser, dessen Person dem Anblicke seiner Unterthanen entzogen ist. oder bei einem seiner Beamten, und hat Jemand Be» schwerde zu führen? Für alles Das bin ich an des Kaisers Statt da, 9. Kap.1 Ursachen des Verfalls von China. 15a kraft der Gewalt, welche er mir übertragen hat. Diese Worte verkündete der Ausrufer dreimal hintereinander. Es gilt näu.lich als Grundsatz daß der Kaiser in seinen gewöhnlichen Geschäften nicht gestört wird. es'habe denn ein Statthalter sich offenbare Fehler zuschulden kommen lassen, oder der höchste Gerichtsbeamte habe seine Pflichten verabsäumt. So lange die Verwaltung uach den Grundsätzen der Billigkeit geführt wurde, und so lauge rechtliebende Beamte den Nichterstuhl inne hatten, so lange war auch das Reich in einem sehr befriedigenden Zustande." — Diese letztere Bemerkung paßt auch aus das heutige China. Es verfällt immer mehr und geht. vielleicht schon in naher Zukunft, einem entsetzlichen Ruin entgegen. Wir haben den Ursachen dieser allgemeinen Zersetzung uud Verderbniß nachgeforscht, und wir finden daß sie Vorzugs, weise daher kommen, weil die Maudfchudyuastie das alte Regierungssystem in vielen wesentlichen Punkten sehr empfindlich beeinträchtigt hat. Sie hat angeordnet, daß ein Mandarin sein Amt an einem uud demselben Orte nicht länger als drei Jahre bekleiden solle'). und daß keiner in seiner Heimatproviuz Beamter werden und sein könne. Es liegt auf der fiacheu Hand. was damit bezweckt weiden soll. Die Mandfchu kamen als Eroberer nach Cbina. und erschraken über ihre geriuge Zahl; sie verloren sich förmlich in der unzählbaren Masse der chinesischen Völker, und muß. ten sich fragen, wie es überhaupt möglich zu machen sei. eine den fremden Unteriochern feindlich gesinnte Nation zu regieren. Die Zahl der Mandschu reichte nicht aus, um alle Veamtenstellcn zu besetzen, auch hatte eine solche Maßregel einen allzu gehässigen Charakter gehabt. Die Besiegten sollten also nach wie vor Beamtenstellen bekleiden. Diejenigen bei den höchsten Collegien in Peking wurden an Zahl verdoppelt und zur einen Hälfte mit Mandschu. zur andern mit Chinesen besetzt. Diesen letzteren blieb auch die gesammte Provinzialverwaltung, mit Ausnahme der höheren Militairstellen und der Befehl in den Festungen. Trotz alle dem war es schwer die neue Gewalt zu befestigen; denn die gestürzte Herrscherfamilie hatte unter den höheren Beamten viele Anbänger, uud diese konnten ihren Einfluß geltend machen. Verschwöruugen anzetteln, das Volk aufwiegeln, kurz eine Menqe von Verlegenheiten herauf beschworeu. Dem begegnete man sobald der Mandarin seiner Heimat entfremdet wurde; m seinem neuen Wirkungskreise tonnte er keinen festen Boden gewinnen, weil er ') Das ailt sicherlich „icht vou allen Mandarinen, oder sämmtlichen Vcamtenclasscn. sondern >vohl nur vou den höheren. 160 Befestigungsmittel der Mandschudynastie. s9. Kap. eben nur drei Jahre lang an einem und demselben Orte blieb. Die Mandschu. dynastie gab allerdings für diese Neuerung eine Menge von Scheingründen an, die sie aus dem öffentlichen Nutzen und der Sorgfalt für das Wohl. ergehen des Volkes herleitete; sie machte insbesondere geltend, daß die Beamten von allen Vorurtheilen und Familieneinflüssen unabbängiger seien. wenn sie außerhalb ihrer Heimat angestellt würden. Der Hauptgrund lag aber, wie schon gesagt, darin, daß man den Einfluß der Beam» ten brechen, sie selber lediglich von der Regierung in Peking abhängig machen wollte. Die Dynastie hat in dieser Beziehung seit zwei Jahrhunderten ihre Abficht vollkommen erreicht; die höheren Beamten werden aus einer Provinz in die andere versetzt, können nirgends tiefe Wurzeln im Boden schlagen, und treten in kein nakeres Einvernehmen mit dem Volke; die Parteihäuvter der national-chinesischen Richtung konnten sich nicht auf Beamten stützen, deren Amtsdauer nur kurze Zeit währte, und so brachen denn auch keine Verschwörungen aus. Aber diese Politik, welche ganz geeignet war eine noch neue Gewalt zu befestigen, mußte nach und nach überwiegend große Uebelstände im Gefolge haben. Eine Maßregel die eigentlich nur vorübergehend hätte sein sollen, wurde zur Fundamental» maxime, die geradezu verhängnißvoll geworden ist. Beamte die nur zeitweilig an einem Orte leben, bleiben dort eigentlich fremd, und haben keine inneren Beziehungen zur Einwohnerschaft; sie machen möglichst viel Geld. werden versetzt und treiben an jedem andern Orte dasselbe. bis sie so viel zusammen gescharrt haben, um in ihrer Heimat unabhängig leben zu können. Sie kümmern sich wenig um die Verwünschungen und den Haß der Bedrückten, denn heute find sie hier uud in ein paar Wochen einige hundert Meilen entfernt. So ist es gekommen, daß die Mandarinen selbstsüchtig und gleich-giltig gegen das Gemeinwohl geworden sind. Das Grundprincip der chinesischen Monarchie ist zerstört worden, seitdem der Beamte nicht mehr wie ein Familienvater inmitten seiner Kinder lebt, sondern wie ein Zug« Vogel wandert. Seit der Herrschaft der Mandschu ist Alles im Reiche er. schläfst und Vieles ist abgestorben. Große Arbeiten zum allgemeinen Nutzen. dergleichen die früheren Dynastien unternahmen. Canäle, hohe Thürme, prächtige Brücken, breite Straßen über Gebirge, Eindeichungen der Ströme, das Alles haben die Mandschu unbeachtet gelassen; was frühere Zeiten Großes geschaffen, zerfällt in Trümmer. Die Beamten wechseln so häufig, daß sie gar nicht Zeit haben ihren Verwaltungsbezirk auch nur einigermaßen genau kennen zu lernen; oft 9. Kap.) Befestigungsmittel der Mandschudynastie. iß, verstehen fie nicht einmal die Volkssprache. Denn man darf nicht etwa glauben, daß alle Chinesen eine gleichartige Masse bilden; der Unterschied zwischen den verschiedenen Provinzen ist vielleicht noch stärker als jener zwischen den verschiedenen europäischen Ländern. Der Mandarin findet überall festangestellte Dolmetscher, Unterbeamte die mit den laufenden Geschäften bekannt sind, die örtlichen Verhältnisse genau kennen, und dadurch unentbehrlich werden. Der Mandarin kann ohne diese Leute gar nichts beschaffen; sie besorgen die eigentlichen Verwaltungsgeschäfte und haben auf die Rechtspflege großen Einfluß. Natürlich sind sie Eingeborene des Ortes oder wenigstens der Umgegend, haben Familienanhang, ausgedehnte Bekanntschaft, und beuten ihre Stellung nach allen Seiten hin aus. Die Tribunale sind angefüllt mit solchen Blutsaugern. Wir haben viele von ihnen gekannt und sie in der Nähe beobachtet; es wäre schwer zu sagen, ob fie uns mehr Unwillen oder mehr Ekel einflößten. In dieser Weise ist die chinesische Staatsgesellschaft seit Beginn der Mandschudynastie mehr und mehr von Verderbniß angefressen worden. Man hat in Europa eigenthümliche'Vorstellungen über die vermeintliche Unbeweglichkeit jenes Volkes. Mau glaubt, daß Neuerungen, welche doch von den Eroberern eingeführt wurden, alte Einrichtungen und aus dem ganzen Wesen des chinesischen Volkes entsprungen seien. Man glaubt ferner, daß der Chinese Abneigung gegen alles Ausländische habe. Und doch ist Beides unrichtig. Der Geist der Ausschließlichkeit und das Fernhalten fremder Elemente ist mehr den Maudschu-Mongolen eigen; erst sie wollten das Reich hermetisch verschließen. Denn früher standen die Chinesen mit den übrigen asiatischen Nationen im Verkehr, Araber, Perser und Inder durften ihr« Hafen besuchen und dort Handel treiben; auch war es ihnen keineswegs verboten das Binnenland zu besuchen. Der obenerwähnte Mann aus Khorassan konnte ungehindert nach der Hauptstadt reisen und vom Kaiser Gerechtigkeit verlangen. Misfionaire konnten ganz China durchwandern und unbehindert ihre Religion verkündigen. Marco Polo wurde mit seinem Vater und seinem Oheim zweimal sehr wohlwollend am kaiserlichen Hofe aufgenommen. Diese Venetian« bekleideten einfluß» reiche Aemter, Marco Polo war sogar Statthalter einer Provinz. Zu jener Zeit lebte in Peking ein Erzbischof, die Christen genossen freie Ausübung ihres Gottesdienstes. Unter der letzten national.chinesischen Dynastie, als Pater Ricci und die eisten Iesuitenmissionaire in China wirkten, kannte man die Hindernisse für Verbreitung der Christenlehre nicht, welche jetzt vorhanden find. Jene Glaubensboten wurden am Hofe gut auf- Huc, Lhina. 11 162 BefestlgungsmMel der Mandschudynastie. s9. Kap. genommen, und die ersten Mandschukaiser duldeten nur was schon vor. Handen war. Die Chinesen haben also keineswegs eine eingewurzelte Abneigung gegen die Ausländer. Viele Mandarinen, mit welchen wir diesen Gegenstand besprachen, erklärten geradezu daß die Ausschließungsmaß, regeln lediglich ein Werk der Mandschu seien. Diese wollen um jeden Preis ihre Herrschaft behaupten; sie bilden eine kleine Minderzahl und be. sorgten stets daß Fremde ihnen eine Beute entreißen könnten, welche ihnen so leicht geworden war. Deshalb schlössen fie alle Häfen um die Fremden überhaupt fern zu halten, und im Innern suchten fie ihre Gegner zu verstreuen. Beide Mittel waren bis in die jüugste Zeit hinein durchaus wirksam; eine Handvoll Nomaden hat zweihundert Jahre hindurch ohne An« fechtung über das am stärksten bevölkerte Reich der Welt geherrscht. Aber dieselben Mittel sind nun auch wirksam diese Herrschaft zu unter» graben. Und eines Tages werden die Fremden, die Barbaren, alle Pforten welche den Eingang zu diesem Reiche bilden. in Trümmer schlagen, und dann ein Volk ohne Zusammenhang finden. Der edle und ehrwürdige Beamte in Song tsche him. ein Chinese aus der guten alten Zeit. beklagte tief den Verfall seines Vaterlandes. Er sagte: „Seitdem wir von den geheiligten Ueberlieferungen unserer Vorfahren abgewichen sind. hat uns der Himmel verlassen; wer die Dinge in ihrem ganzen Gange verfolgt, wer da sieht wie selbstsüchtig die Beamten sind, wie tief die Verderbniß des Volkes ist. kann sich einer düstern Ahnung nicht erwehren; wir stehen am Vorabend eines ungeheuern Umsturzes. Was kommen wird. und welchen Verlauf die Dinge nehmen werden, vermag Niemand zu sagen. Aber es leidet keinen Zweifel, daß die Dynastie seit einigen Jahren den Schutz des Himmels nicht mehr hat, das Volk hegt Haß und Verachtung gegen seine Herrscher. Es ist keine kindliche Pietät mehr unter uns. und das Reich wird zusammenstürzen!" Wir bemerken hier ausdrücklich, daß die obigen Worte von uns im Jahre 1849 niedergeschrieben wurden, und zwar nach den Notizen die wir 1846 während der Reise aufgezeichnet hatten. Im Jahre 1851 brach die große Rebellion aus. Der liebenswürdige Präsect von I tu hien durchschaute die Dinge eben so klar wie sein bejahrter Freund in Song tsche hien, doch hielt er fie nicht für hoffnnngslos. Zwar meinte er. daß alle Räder an der Maschine knarren, fie könne aber noch manches Jahrhundert in Bewegung bleiben, wenn ein geschickter Werkmeister sich ihrer annähme. Der Sturz der Mandschudynastie würde diesen Mandarinen nicht betrüben, er hielt 9. Kap.I Sturm und Schiffbruch auf dem Alanen Strome. ißg es für natürlich, daß China auch einen chinesischen Kaiser habe. Aber die große Volksmasse bekümmert sich wenig um den Staat; doch ist Abneigung gegen die fremden Eroberer vorhanden. Der Präfect von Song tsche hien, der alles Alterthümliche liebte, hat uns eine wahrhaft patriarchalische Gastfreundschaft bewiesen; er behandelte uns nicht wie fremde Reisende, sondern wie Freunde und Brü' der. und als wären wir Ehrengäste der ganzen Stadt. Er ging selbst an den Hafen, wählte Schiffe für uns aus, und miethete ein besonderes Fahrzeug für seinen ersten Schreiber und einige Diener. die uns bis Kin tscheu begleiten sollten; auch sein Koch ging an Bord dieses Schiffes, damit wir in Bezug auf leibliche Nahrung nicht etwa Mangel lei« den möchten. Die Fahrt auf dem Blauen Strom ging anfangs vortrefflich von statten. Der Fluß erreicht hier schon eine Breite von einer guten Wegstunde und gewährt einen großartigen Anblick. Aber der Wind wurde immer heftiger und trieb unsere drei Schiffe weit von einander weg. So kamen wir um das Mittagsmahl welches der gute alte Herr uns zugedacht hatte, und mußten uns mit etwas Reis und eingesalzenem Gemüse be, helfen. Inzwischen wurde der Sturm immer heftiger, der Fluß ging mit hohen Wellen wie ein Meer; einige Male legte ein Windstoß unsere Barke dermaßen auf die Seite, daß wir den Untergang vor Augen zu sehen glaubten. Alle unsere Mandarinen waren seekrank, und Nachmittags wurde das Schiff dreimal hinter einander ans Ufer geworfen. Es war trotz aller Anstrengung nicht möglich eine weit in den Strom hinein« reichende Landzunge zu umsegeln. Kein Laviren half. Erst als die Lust ruhiger wurde, konnten wir weiter fahren und erreichten am Ende doch noch Kin tscheu, wo eine allgemeine Bewegung entstand. Man schrie, schlug auf Kesselpauken, und Massen neugieriger Leute kamen an Bord. Man hatte uns verloren geglaubt, viele andere Barken waren gescheitert, einige im kläglichsten Zustande eingelaufen. Von unseren beiden Transport« schiffen war keine Spur mehr vorhanden; das eine war am felsigen Ufer zertrümmert, und unweit vom Hafen zu Grunde gegangen; dabei hatten zwei Soldaten und der Secretair des Präfecten von Sang tsche hien das Leben verloren; die Uebrigen hatte man mit genauer Noth gerettet. Wir besuchten die Schiffbrüchigen, welche man im Hofe des Gemeindehauses untergebracht hatte. Viele lagen aus Matten, in Decken gewickelt, und waren sehr erstaunt als sie an unseren wohlerhaltenen Kleider abnehmen konnten, daß wir nicht einmal naß geworden waren. Die Behörden von 11' 164 E'ne Stadt im Belagerungszustände. sio. Kap. Kin tscheu hatten es übrigens nicht an Fürsorge mangeln lassen, und den Schiffbrüchigen Pfeifen und Tabak gegeben. Auch wurden Sammlungen veranstaltet, die ein gutes Resultat ergaben. Zehntes Kapitel. Eine Stadt lm Belageruugsznstande. — Schifferstechen auf dem Blauen Strome. — Streit zwischen Siegern mid Besiegten — Die bewaffnete Macht des chinesischen Reiches. — Eine Heerschau. — Politik der Mandschudunastie in Bezug auf die Soldaten. — Chinesische Manne. — Betrachtungen über die Wehrfähigkeit der Chinesen. — China bedarf eines durchgreifenden Reformators. — Abreise von Kin tscheu. Seitdem wir die Grenze von Thibet verlassen hatten, war unser Erscheinen in jedem chinesischen Orte ein Ercigniß gewesen; die Leute eilten herbei, um zwei Europäer zu sehen die aus Lha Ssa kamen. Aber in Kin tscheu kümmerte man sich kaum um uns, nachdem wir einmal in der Stadt waren. Es hatten sich Dinge so ernster Ari begeben, daß den Leuten wohl die Neugier vergehen konnte; die Stadt war in einer Art von.Belagerungszustände; zwei Tage vor unserer Ankunft hatten die Chinesen und die Mandschu < Mongolen einander eine Schlacht geliefert. In den Straßen hatte Alles einen düftern unheimlichen Anblick; nur wenige Menschen ließen sich blicken. die Läden waren gar nicht oder nur halb geöffnet. Alles befand sich in äußerster Spannung. Der Kampf war infolge eines Wettruderns ausgebrochen. In China ist es hergebracht, daß an bestimmten Tagen, einige Male im Jahre. Schifferstechen veranstaltet werden, bei welchen sich die verschiedenen Nachbarstädte betheiligen. Das Volksfest zieht eine große Menschen« menge herbei, die Behörden und wohl auch reiche Privatleute setzen Preise für die Sieger aus, und die Ruderer theilen sich in Rotten, deren jede ihren Anführer hat. Die Dschonken welche bei derartigen Fahrten benutzt werden, sind sehr lang und dabei so schmal. daß eben nur Platz für zwei Reihen von Ruderern vorhanden ist. Man schmückt die Fahrzeuge mit Sculpturen, und sie werden reich vergoldet und bunt bemalt; weil vorne und hinten der kaiserliche Drache prangt, nennt man fie Lung tschuan, Dracheubarke. Sie prunken mit einer Menge von Wimpeln und einer großen Flagge am Hauptmast, neben welchem zwei Matrofen unaufhörlich w. Kap.) Schifferstechen auf dem Blauen Strome. ^5 auf den Tamtam schlagen, um die Ruderer auzumuntern. Während die zierlichen Boote einander auszustechen suchen sind die Ufer. Dächer und die Schiffe im Hafen mit Tausenden von Zuschauern bedeckt, welche den verschiedenen Rotten, die lim den Preis kämpfen. Beifall zurufen. Dabei werden Feuerwerke abgebrannt, die betäubende Musik will kein Ende nehmen, Tamtam und Gong übertönen Alles, und die scharfen Töne einer Art Clarinette schrillen entsetzlich. Für die Chinesen ist das ein wahrer Ohrenschmaus, welcher bei der Augenweide nicht fehlen darf. Manchmal schlägt ein Boot um, und beide Reihen Ruderer fallen ins Wasser; doch hat das nicht viel zu bedeuten, da Alle vortreffliche Schwimmer sind. Sie greifen vor Allem nach ihrem Ruder und nach ihrer Kopfbedeckung, einer aus feiner Bambusrinde geflochtenen Mütze, und tummeln sich wie Delphine. Dann richten sie die Lung tschuan wieder auf. klettern hinein, und betheiligen sich. zu großer Freube des Publicums, wieder am Wettkampfe. Diese Spiele dauern mehrere Tage von früh bis spät, und es fehlt nie an Zuschauern, wandernden Köchen, Weinvertaufern und Gauklern aller Art. Den Schluß der Festlichkeiten macht die Preisvertheilung. Diese hatte einige Tage vor unserer Ankunft stattgesunden. Kin tscheu hat unter allen Städten in Hu ve die stärkste Besatzung, und eine große Anzahl von Matrosen und anderm Schiffsvolk. Während des letzten Schifferftechens hatte» Mandschu und Chinesen zwei Parteien gebildet, und lange den Sieg einander streitig gemacht. Endlich blieb den Mandschu die Oberhand, und ihr Triumph wurde von den höchsten Mandarinen der Besatzung auf ungewöhnlich pomphafte Weise verkündet. Dadurch fühlten die Chinesen sich beleidigt. An die Sieger wurden Stücke Seidenzeug, Kruge mit Wein, gebratene oder gekochte Schweine und andere Sachen mehr vertheilt. Geld und Zeuge behielten sie. der Wein und der Braten wurde bei einem großen Gastmahle aufgetischt. Nun ist es Herkommen, daß bei solchen Zechgelagen der Besiegte dem Sieger einschenken muß. und das geschieht, wie es unter Cameraden der Fall sein muß, in bester Laune; denn nachdem einige Gläser getrunken worden find, hört die Trennung auf, und Alles fitzt froh und lustig neben und durcheinander. In Kin tscheu waren die Chinesen schon seit langer Zeit den Mandschu gram, und sie schenkten ihnen nur ungern ein. Es kam auch deshalb zu Reibungen weil die Preisrichter gegen die Chinesen Partei genommen hätten, und am Ende ließen die Mandschu. ohnehin von Wein erhitzt und ärgerlich über die spitzen Reden der Chinesen, deutlich merken, daß 166 Streit zwischen Siegern und Besiegten. >.l0. Kap. sie Herren und Gebieter des Landes seien. Nun wurde man handgemein; einige Chinesen blieben todt auf dem Platze, das Volk rottete sich zu» sammen und die ganze Stadt war in ungeheurer Aufregung. Die Mandschu zogen sich in ihre Tatarenstadt zurück, wo sie ihre Wohnungen habe». Dort liegt auch der Palast des Kiang knin. das heißt des Oberbefehlshabers aller Soldaten in der Provinz. Diese wichtige Stelle bekleidet allemal ein Mandschu. Die S'oldaten, angeblich mehr als zwanzigtausend, schaarten sich um den Palast ihres Obermändarinen und warfen Verrammelungen auf. Nun glaubten die Chinesen gewonnenes Spiel zu haben; in der Meinung, daß die Kriegsleute eingeschüchtert seien, drangen sie in die Tatarenstadt. belagerten den Palast, und ver« langten für jeden erschlagenen Chinesen einen Mandschu ausgeliefert, um Rache nehmen zu können. Das entsprach dem chinesischen Herkommen. Wahrend draußen die wilde Menge tobte und schrie, war im Lager der Nandschu Alles still; kein Mann ließ sich blicken. Dadurch wurden die Chinesen in ihrer Keckheit bestärkt, und machten Anstalt die Verrammelungen zu erstürmen. Plötzlich aber wurden die Thüren geöffnet, die Mandschu sendeten einen Regen von Pfeilen und Kugeln in die dichten Massen, drangen hinaus und hieben nieder was sie erreichen konnten. Die Chinesen flohen wie Antilopen und verschlossen sich in ihre Häuser. Etwa dreißig warm getödtet. die Zahl der Verwundeten soll ansehnlich gewesen sein. Die nächsten Tage blieben ruhig, weil die Chinesen ein so gefährliches Spiel nicht wieder anfangen mochten. In diesem Zustande fanden wir die Stadt. Der Kiang kiün und der Stadtpräfect hatten jeder einen Bericht nach Peking abgehen lassen. Man meinte die Sache werde kein anderes Resultat haben als einen Tadel für die Chinesen und Ver« setzung des Mandschugenerals an einen andern Posten. Es wäre sicherlich den Chinesen nicht schwer gefallen durch ihre bloße Ueberzahl die Mandschu zu erdrücken, aber dann hätten sie freilich Anführer haben und organisirt sein müssen. Aber eben daran fehlte es ihnen. Die Regierung unterhält in den wichtigsten Proviuzialftädten eine Garnison, die zumeist aus Mandschusoldaten besteht. Der Befehlshaber ist, wie schon gesagt, allemal ein Mandschu, der unmittelbar vom Kaiser abhängt, und über den kein Civilbeamter, nicht einmal der Vicetönig Controle hat. Die Besatzung hat einen besondern Stadttheil inne. eben die sogenannte Tatarenftadt. und bleibt der Bevölkerung ziemlich fremd. So ist tas ganze Reich mit einem strategischen Netz überzogen, und es ist vermittelst desselben gelungen einige hundert Millionen Menschen im lo. Kap-1 Die bewaffnete Macht China's. 1ß7 Zaume zu halten. Die Chinesen haben es freilich immer nur mit Aerger und Verdruß gesehen. daß die Officierftellen sür sie unzugängig bleiben. Außerhalb der Garnisonftüdte ist von den Mandschu in den Provinzen wenig oder gar nichts zu sehen; man findet überall nur rein chinesische Elemente. Leute die bürgerlichen Beschäftigungen obliegen; die Soldaten, zumeist Mandschu, halten die Ruhe aufrecht, oder stehen an den Grenzen. Diese Mandschu erscheinen weniger als ein Eroberervolk denn als Hilfs» genossen, welche in ganz China die Wachtposten beziehen. Sämmtliche Verwaltungsämter sind im Besitz der Chinesen geblieben, welche ihrerseits den Mandschu ihre Civilisation, Sprache. Sitten und zu nicht geringem Theil auch ihre Gebräuche auferlegt haben. Man kann nicht einmal annähernd genau bestimmen, wie hoch die Zahl der chinesischen Soldaten in Friedenszeiten sich etwa belaufen kann. Die gegenwärtigen Verhältnisse können gar keinen Maßstab geben. weil die Rebellion Alles durcheinander geworfen hat. Dem amtlichen Kalender zufolge, hält der Kaiser 1,232,600 Soldaten und 31.000 Seeleute. Diese Zahl ist übertrieben hoch. Wer jahrelang China in allen Rich, tungen durchkreuzt hat. fragt billig, wo diese furchtbare Heermasse denn eigentlich sei; man bemerkt nämlich von ihr so gut wie gar nichts. China ist allerdings sehr groß. und weit stärker bevölkert als ganz Europa, aber man müßte doch von jener Million Soldaten mehr Spuren erblicken als zu gewahren sind. Außer in den Garnisonen findet man überall nur so viel Bewaffnete, als für den Dienst der Behörden unumgänglich sind. Timlowski rechnete im Jahre 1821 nur 740.900 Mann heraus, und so hoch mag wohl auch die Zahl der eingeschriebenen Soldaten sich belaufen; es folgt aber daraus noch nicht, daß so viel Mann wirklich im Dienste seien. Unserer Meinung zufolge darf man dreist von jene» 740.900 Mann noch zwei Drittel abziehen. Wir haben lange in der Mongolei gelebt und kennen die mongolischen Soldaten sehr wohl. Sie find Hirten, die sich sehr viel um ihre Heerden und wenig um Waffen-Übungen bekümmern. Allerdings hangen eine Luntenfiinte und Bogen sammt Pfeilen in ihrem Zelte, aber sie bedienen sich dieser Waffen Haupt« sächlich gegen Antilopen und Fasanen, und mit der Lanze todten sie nur Wölfe. In der mongolischen Abtheilung der kaiserlichen Armee wird Kind und Kegel mitgerechnet, denn jeder Mongole ist Soldat, sobald er da« Licht der Welt erblickt. Und mit den chinesischen Soldaten hat es auch nicht viel mehr auf sich. Ihre Zahl wird auf etwa eine halbe Million angegeben; bei weitem die meisten leben als Bauern oder Handwerker bei 168 Die bewaffnete Macht China's. 110. Kap. ihren Familien, liegen ihrem Erwerb ob, und denken nnr selten daran, daß sie nebenbei auch Mitglieder des löblichen KriegerstandeS find. Bei Musterungen müssen sie allerdings erscheinen, und werden auch manchmal gegen die Diebe und Räuber aufgeboten, wenn diese es zu arg machen. Doch können sie bei dergleichen Gelegenheiten für einige Sapeten einen Ersatzmann stellen; im Uebrigen läßt man sie ruhig an ihrem Heerde. Da sie aber doch einmal als Soldaten zählen. und der Kaiser ein Recht hat sie einzuberufen, so erhalten sie doch einigen Sold. der freilich auch nicht entfernt zu ihrem Lebensunterhalt ausreicht. In einigen Festungen sind alle mannlichen Einwohner ohne Ausnahme Soldaten dieser Art. Im letzten Jahre unseres Aufenthalts in China besorgten wir eine kleine Mission in einer südlichen Provinz. Wir hatten eine Capelle und ein Haus mit einem kleinen Garten; das Ganze war von hohe» Bäumen, Bambusgesträuch und einer hohen Steinmauer umgeben. Dort lebten wir mit zwei Chinesen. Der Eine, etwa dreißig Jahre alt. war Katechist. lehrte die Kinder christliche Gesänge und besorgte den Haushalt. Außer» dem war er seines' Zeichens ein Schneider; im Uebrigen ein sanfter, wackerer Mensch, der wenig überflüssige Worte sprach und mit Eifer medicinische Bücher las. Der Andere, sechzig Jahre alt, fegte die Capelle. und hatte die Besorgung des Gartens, war Koch, und sehr freigebig mit Thee und Rauchtabak gegen Jedermann. In früheren Jahren lag er dem Schmiedehandwerk ob. und die Leute nannten ihn nur den Schmied Siao. Diese zwei Biedermänner kamen einst und fragten uns um Rath. Aus Peking war ein außerordentlicher Truppeninsvector angekommen, mit der Meldung, daß demnächst eine große Musterung und Heerschau abgehalten werden solle. Nun fragten sie, ob wir damit einverstanden seien, daß sie dabei sich betheiligten. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, daß der Schmied und der Schneider kaiserlich chinesische Soldaten seien, und daß Jeder der nicht erscheine dafür fünfhundert Bambushiebe er« halte, außerdem aber noch Geldstrafe erlegen müsse. Der Schneider» Kateckift gestand ein, daß er in seinem Leben noch kein Gewehr abgefeuert und mit dem Schießen überhaupt nichts zu thun habe. Am Tage der Heerschau frühstückten unsere beiden Kriegshelden, leerten eine Schaale Weins, setzten einen Strohhut auf, und zogen einen schwarzen, mit breiten rothen Streifen besetzten Rock an. Auf diesem be» fand sich vorne und hinten ein weißes Stück Zeug, auf welchem das Schriftzeichen Ping stand, das heißt Soldat. Auch wir Missionaire be. gaben uns als Zuschauer zur Musterung, die auf einer sandigen Ebene 10. Kap.) Eine Heerschau. 169 vor der Stadt abgehalten wurde. Die Krieger kamen in kleinen Rotten heranmarschirt.mit Flinten, Bogen. Lanzen. Säbeln, Dreizacken und s»< gar mit Sagen an einem langen Stiele, mit Schilden aus Bambusgeflecht und mit einigen Feldschlangen, denen die Schultern zweier Soldaten als Lassette dienten. In diesem bunten Gewirr fiel uns aber doch eine Ueber» einstimmung auf; Jeder hatte einen Fächer und eine Tabakspfeife, viele trugen auch einen Schirm unter dem Arme. An einem Ende des Platzes erhob sich ein Bretergerüst, überschattet von einem gewaltigen rothen Schirm, und mit Fahnen. Wimpeln, und Laternen geschmückt; wozu diese letzteren dienen sollten wurde uns nicht recht klar, denn es war heller Sonnenschein. Auf dem Gerüste befanden sich der Inspector und die höchsten Civil» und Militairmandarinen. Sie hatten es sich bequem gemacht, in Lehnsesseln Platz genommen, tranken Thee und rauchten Tabak; ein Diener ging mit brennender Lunte umher, nicht um Kanonen abzu» feuern, fondern um Pfeifen anzuzünden. An verschiedenen Stellen hatte man detaschirte Forts gebaut, aus Bambusstäben und bemaltem Papier! Die Uebung begann; das Zeichen wurde durch Abfeuern einer Feld« schlänge gegeben; die Richter auf dem Gerüste hielten sich mit beiden Hün» den die Ohren zu. Auf dem einen Fort wurde eine gelbe Flagge aufge< zogen, die Kesselpauken erdröhnten, die Soldaten liefen durcheinander, schrieen, drängten sich um die Fahnen ihrer Notte. und versuchten sich eini» germaßen zu ordnen; doch gelang das nur sehr dürftig. Darauf ein Scheingefecht mit allerlei Schwenkungen. Man kann sich kaum etwas Komischeres denken als solch eine chinesische Heerschau. Die Soldaten laufen vorwärts, gehen zurück, springen, hüpfen, verkriechen sich hinter den Schild, als wollten sie den Feind erspähen; stehen rasch auf, hauen von rechts nach links um sich, und rennen von danuen, mit dem Ruft: Sieg, Sieg! Es kommt Einem vor als sähe man eine Seiltänzerbande. So lange diese Art Scheingefecht dauert, schwenken zwei an jedem Ende des Gelüstes aufgestellte Officiere eine Fahne, und deuten durch mehr oder weniger rasche Bewegungen an. wie hitzig es hergehe. Sobald die Fahne gesenkt wird. ruhen auch die Kämpfer aus. und jede Rotte begiebt sich an ihren Standplatz. Nach dieser großen Schlacht mußten ausge» wählte Compagnien manö vriren. Sie waren recht gut eingeübt, doch erschien auch ihr Auftreten uns sehr komisch. Die englische Artillerie hat ein leichtes Spiel mit Leuten gehabt, deren Soldateugeschicklichkeit hauptsächlich darin besteht, daß sie allerlei Capriolen machen, und lange aufeinem Beine stehen können ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Die Füsilire und Bogen. 170 Politik hinsichtlich der Soldaten. sm. Kap. schützen zielten nach der Scheibe, und zeigten darin eine große Geschick, lichteit. Die chinesischen Flinten haben keinen Kolben, sondern nur einen Handgriff wie die Pistolen, werden auch nicht'an die Schulter gesetzt, son. dern oberhalb der Hüfte; bevor man den Haken mit der brennenden Lunte fallen laßt. zielt man nicht vermittelst eines Korns, sondern indem man das Ziel ins Auge faßt. ohne sich weiter nm das Gewehr zu kümmern. Wir haben uns überzeugt, daß diese Methode sehr zweckmäßig ist. Die Chine« sen also zielen «licht, sondern machen es beim Schießen wie wir, wenn wir mit einem Steine nach irgend einem Gegenstande werfen. Wir haben schon bemerkt daß die Feldschlangen keine Laffetten haben, sondern von zwei Mann auf der linken Schulter getragen werden; mit der rechten Hand hält man sie fest. Diese menschlichen Böllerunterlagen gewähren einen merkwürdigen Anblick wenn Feuer gegeben wird. Sie bemühen sich Ruhe und Teelengröße zu behaupten, aber ihre Lage ist doch so kritisch, daß sie zucken und die Miene verziehen. Die kaiserliche Regierung hat, in väterlicher Fürsorge für diese Feldschlangenträger, wohl» weislich verordnet, daß ihnen die Ohren mit Baumwolle verstopft werden, und wir konnten uns durch den Augenschein überzeugen, daß dieser Befehl nicht unbeachtet bleibt. Daß mit derartigen Kanonen nicht viel auszu« richten ist. braucht nicht erst ausdrücklich bemerkt zu weiden. In der Mongolei legt man dieses Geschütz nicht auf Menschen sondern auf Ka» meele. Auf den Gemälden welche den Feldzug des Kaisers Kang hi gegen die Oelöten darstellen, bemerkt man viele Kameelbatterien. Die Heer« schau wurde mit einem allgemeinen Sturme gegen die detachirten Forts beschlossen. Uns blieb die Taktik vollkommen unverständlich. Wir be. griffen nicht was die seltsamen Märsche und Bewegungen eigentlich be. deuten wollten. Aber an Geschrei fehlte es dabei nicht. Endlich wurden die Fahnen nicht mehr geschwenkt, die Mandarinen auf dem Gerüste erhoben sich und riefen Sieg! und die gesammte Soldateska wiederholte diesen Ruf dreimal aus voller Kehle. Unsere beiden Christen, der Schneider und der Schmied, kehrten mit Ruhm und Staube bedeckt heim. Sie wußten auf unsere Fragen wenig zu antworten, weil sie selber nichts von der Sache verstanden; fie meinten, dasselbe sei mit reichlich zwei Dritteln der übrigen Mannschaft der Fall. die. eben so wenig vom Soldatenwesen kannten als fie selber. Die Zahl der Mandschusoldaten mag etwa 60.000 betragen; fie sind stets unter den Waffen, und recht gut eingeübt. Darauf hält die Regie, mng mit großer Strenge; und allerdings hat der Kaiser ein lebhaftes 10. Kap.1 Chinesische Marine. 171 Interesse daran, daß seine Landsleute, die Hauptstützen seines Thrones, kriegerischen Geist bewahren. Um die mongolischen und chinesischen Trup^ pen bekümmert sie sich weniger; es ist sogar wahrscheinlich, daß die Mand-schudynaftie sie nicht zu tüchtigen Eoldaten ausbilden lassen will. damit die Ueberlegenheit derMandschu, die sich allein auf das Waffenhandwerk ver» stehen, unangetastet bleibe. Wären die 500.000 Mann Chinese» eben so wohl eingeübt wie die b0,000 Maudschu, dann würde es ein Leichtes sein. diese Letzteren aus dem Lande zu treiben. (Wir bemerken, daß alle obigen Bemerkungen schon vor dcm Ausbruch des chinesischen Aufstandes geschrieben waren, und daß wir keine Zeile verändert haben.) Die Seema cht ist eine würdige Schwester der chinesischen Land. macht. Die 31,000 Seeleute sind auf eine große Anzahl Kriegsdschouken vertheilt. Diese Schisse sind am Vordertheil und am Hintertheil sehr hoch, plump gebaut. haben Segel aus Bambusmatten und manövriren sehr unbeholfen. Zu Reisen lauger Fahrt sind sie nicht geeignet, fahren daher nur aa der Küste oder auf den großen Strömen, und machen auf die Piraten Jagd, die übrigens vor der kaiserlichen Flotte sich nur wenig fürchten. Die Gestalt der Kriegsdschonken, namentlich jener auf den Binnengewässern, ist sehr mannigfaltig und verschieden. Die meisten Wasserschlachtm sind zu allen Zeiten auf dem Blauen Strome geliefert worden, namentlich zu jener Zeit da das Reich in zwei Theile zerfiel. Die Namen der einzelnen Dschonken sind manchmal für ihre Gestalt be« zeichnend. So zum Beispiel: der Hunde rtfuß. weil dieses Schiff drei Rechen Ruder hat. welche man mit den Füßen jenes häßlichen Insektes vergleicht; oder der Sperberschnabel, dessen beide Enden gleichmäßig gekrümmt sind. und jedes ein Steuerruder haben, so daß das Schiff ohne zu wenden vorwärts und rückwärts kann. Fevner die Dschonke mit vier Radern, von denen zwei vorne und zwei hinten sind. und durch Matrosen vermittelst einer Kurbel gedreht werden. Diese Schiffe mit Rädern reichen in China bis inS hohe Alterthum hinauf; Europa kennt sie erst seitdem es Dampfschifffahrt giebt. Die Dschonken sind oft wunderlich bemalt; man trachtet darnach daß sie aussehen wie ein Fisch, wie ein Reptil oder wie ein Vogel, und am Vordertheil sind gewöhnlich ein paar kolossale Augen angebracht die durch ihren grimmen Blick wohl dem Feinde Schrecken einjagen sollen. Im Innern herrscht große Verwirrung, wie das bei verschiedenen Menagen auf einem und demselben Schiffe nicht anders sein kann; manchmal stehen auf dem Deck kleine Häuser von Mauer« werk! Doch haben die europäischen Seeleute mit Recht die finnreiche Ein» 172 Die WchlfähiMt der Chinesen. s,y. z^p. richtung bewundert, der zufolge die einzelnen Abtheilungen einer Dschonke völlig von einander getrennt sind. To kann in Unglücksfällen das Wasser immer nur eine Abtheilung des Schisses anfüllen, nicht die übrigen. Wahrscheinlich nimmt man gerade deshalb keine Pumpen an Bord. Land- und Seemacht einer Provinz stehen unter einer nnd derselben KrieDverwaltung; überhaupt machen die Chinesen eigentlich keinen Unter« schied zwischen den verschiedenen Dienstzweigen, nud wir haben schon früher einmal bemerkt, daß die Grade für oenLant» und Seedienst ganz dieselben find. Die Generale, sechzehn an der Zahl, werden Ti tu genannt; nur zwei davon gehören der Seemacht an. Jeder hat ein Hauptquartier, in wel« chem der größte Theil der ihnen untergebenen Truppen steht; die übrigen werden in verschiedene Plätze gelegt. Auch giebt es sogenannte Festungen wo nur Maudschu in Garnison sich befinden; sie stehen unter einem Ki« ang kiün, der lediglich vom Kaiser abhängt. Die Admirale, Ti tu, und die Vitt'Admirale, Tsung ping, halten sich zumeist am Lande auf, und überlassen die Sorge für die Schiffe ihren Officieren. Der Rang der Militairmandarinen entspricht jenem der Civilmandarinen und wird gleich» falls gemäß den Prüfungen ertheilt, welche die Candidate«, je nach der Wichtigkeit des Grades, entweder in Peking oder in den Provinzen zu bestehen haben. Es giebt demnachBaccalaureen undDoctoren für dasMilitair ebensowohl wie in den Wissenschaften. Die Examinatoren nehmen besonders Rücksicht auf gewisse taktische Bücher, auf Geschicklichkeit im Bogenschie» ßen und Reiten; auch muß der Candidat mit mächtig großen Steinen werfen, Mauern erklettern, und überhaupt eine Anzahl gymnastischer Kraft« stücke ausführen, vermittelst welcher man den Feind zu berücken oder ein. zuschüchtern gedenkt. Uebriegens muß der Kricgsbaccalaureus auch in den classischen Büchern bewandert sein, und einen wissenschaftlichen Aufsatz machen. i Der Leser wird sich nun ein Urtheil über die Beschaffenheit des chine« fischen Heerwesens zu bilden vermögen. Es giebt in der ganzen Welt keine elenderen Truppen; nirgends find sie schlechter ausgerüstet, schlechter disciplinirt; mit einem Worte, sie haben keine Ehre im Leibe und erschei» nen durchaus lächerlich. Sie haben in dem Kriege gegen die Engländer gezeigt, daß sie gegen europäische Soldaten nichts auszurichten vermögen, und wenn ihrer auch fünfzig gegen einen stehen. Diese Nichtsnutzigkeit der chinesischen Armee hat verschiedene Ursachen. Seit zweihundert Jahren hat sie eigentlich keinen Krieg geführt, denn die verschiedenen Kämpfe in der Mongolei und Thibet waren zu unbedeutend als daß dabei ein trie« 10. Kap.) Die Wehrfähigkeit der Chinesen. 57g gerischer Geist sich hätte btlden können. Die Politik der Mandschukaiser will den Chinesen keine Waffen in die Hände geben, damit sie nicht etwa dieselben gelegentlich gegen ihre Eroberer gebrauchen; die Regierung sträubt sich auch gegen alle Neuerungen und Verbesserungen im Heer» wesen, und endlich ist der Soldatenstand durchaus verachtet. Dem chi« nesischen Ausdruck zufolge ist der Soldat ein Antisapekenmann, er ver» dient keine Sapeken. und ist keinen Pfennig werth; ein Militairmandarin bedeutet nichts neben einem Civilmandarinen, er hat lediglich den ihm er« theilten Befehlen zu gehorchen, und ist eine Maschine welche der Gelehrte in Gang setzt. Aber trotz alledem darf man nicht etwa annehmen, daß sich aus dem Chinesen kein tüchtiger Soldat machen lasse; denn Muth und Hingebung find ihm durchaus nicht abzustreiten. Die chinesische Geschichte ist an kriegerischen Heldenthaten eben so reich wie jene der tapfersten Völker. Wer die Jahrbücher liest findet Beispiele zu Hunderten von muthigster Ausdauer, und China liefert mehr als ein Seitenstück zu der Vertheidigung von Saragossa. Im Kriege gegen die Englander warfen die Chinesen allerdings ihre Waffen fort und liefen davon wie eine Schafheerde. Aber daran thaten sie vollkommen recht; denn die beiderseitige Kriegsfähigkeit war so außer allem Verhältniß, daß von Tapferkeit gar keine Nede sein konnte. Die Chinesen hatten Bogen und Luntenftmten, die Engländer vortreffliche Feuergewehre und Kanonen; sie schössen mit aller Bequemlichkeit Hafen» städte in Brand und waren sicher vor jeder chinesischen Kugel, die nicht halb so weit reichte als eine englische. Unter solchen Verhältnissen blieb Gegenwehr außer aller Frage, sie war kurzweg unmöglich. Die Schuld von alle dem fällt lediglich auf die chinesische Regierung. Der Chinese ist finnreich, gewandt und begreift leicht; dazu ist er ausdauernd und wenn er will ungemein rührig; er ist an Gehorsam gewöhnt und fügt sich auch der strengsten Mannszucht; und noch eins, er hat nur sehr ge> ringe Bedürfnisse und kann entbehren. Hunger, Durst, Hitze und Kalte ertragen wie nicht leicht ein Anderer. Sein Land kann viele Millionen zum Kriegsdienst tüchtige Leute liefern. Auch zur Herstellung einer tüch. tigen Seemacht sind alle Bedingungen vorhanden. China hat ausgedehnte Küsten mit seegewöhnter Bevölkerung; die Anwohner der großen Ströme verbringen einen großen Theil ihres Lebens auf dem Wasser, jeder der Hunderttausende von Fischern kann einen guten Matrosen abgeben, und es würde den Schiffsbauern nicht schwer fallen nach europäischen Mustern zu arbeiten. Ein genialer, wahrhaft großer Mann, der Alles was tüchtig 1?4 Abreise von Kin tscheu. Iw. Kap. ist um sich zu schaaren wüßte und der Nation wieder Leben einzuhauchen verstände, würde China aufs Neue zu hoher Bedeutung emporheben können. Aber er müßte in vollem Sinne des Wortes ein Reformator sein, müßte mit den alten Ueberlieferungen durchaus brechen, und sein Volk um-qestalten. Das wäre freilich auch für einen großen Mann keine geringe Aufgabe! Der junge Mandschuvrinz. welcher im Jahre 1850 den kaiserlichen Thron bestieg wird ein solcher Reformator nicht sein. Er begann seine Regte« rung in unkluger Weise; er ließ die Staatsmänner hinrichten, welche unter dem Donner der englischen Kanonen sich genöthigt gesehen hatten, den Europäern Zugeständnisse zu macheu. Er wählte seine Rathgeber aus den Kreisen jener Mandarinen, welche Anhänger des velknöcherten alten Systems find, und Groll gegen alles Europaische hegen. Aber China ist einmal in den Verkehr mit dem Auslande .hineingezogen worden, und kann auf die Dauer kein Sonderleben führen. Wir blieben zwei Tage in Kin tscheu. und hatten die Freude zu sehen, daß unsere Schiffbrüchigen reich beschenkt wurden. Unsere Weiter» reise bewerkstelligten wir zu Lande. Wahrend in der Stadt noch Alles still und gedrückt war, fanden wir außerhalb der Thore die Chinesen fröhlich und guter Dinge an der Arbeit, so lange es noch nicht Mittag war. Dann aber war die Hitze zum Ersticken wie in einem glühenden Ofen. Während der Nacht peinigten uns die Mücken entsetzlich. Wir entschlossen uns bei Tage zu ruhen und erst gegen Abend zu reisen. Das verstieß freilich gegen die chinesische Sitte. aber wir beseitigten alle Be< denklichkeitcn durch die Bemerkung, daß man in unserer Heimat fast noch mehr bei Nacht als bei Tage reise. Es wurde also ein Eilbote voraus« geschickt, um die nöthigen Vorkehrungen zu unserm Empfang an den ver« schicdenen Haltplätzen zu treffen. In Europa meint man wohl, der Chi» nese sei gesetzt und ernst wie ein Philosoph, er ist aber gerade im Gegen« theil unbeständig und leicht umzustimmen wie ein Kind. Unser ganzes Gefolge war erst dem Plane, die Reise nur bei Nacht fortzusetzen, durchaus abhold; als aber an unserm Entschlüsse nichts zu ändern war. zeigten alle große Ungeduld. Mandarinen und Soldaten trieben Schelz und lachten, fanden die Sache vortrefflich und versprachen sich das größte Vergnügen. Um zehn Uhr Abend brachen wir auf, und gewährten einen glänzenden Anblick, denn unsere Fackeln leuchteten weithin. Die Reiter, welche den Zug eröffneten, hatten Fackeln, jeder Fußgänger trug eine Laterne, jeder Palankin hatte gleichfalls Laternen, und zwar vier an der n. Kap.1 Gefähiliche Krankheit. ^ .- Zahl. Alles war froh und sang; man warf Schwärmer und brannte Raketen ab; denn in China ist ein Vergnügen ohne Feuerwerk nicht denkbar. Aber die selbst bei Nacht drückende Hitze griff doch unsere Gesundheit an, und wir waren froh, daß wir endlich Küen kiang hien. eine Stadt dritter Classe erreichten. Elftes Kapitel. Gefährliche Krankheit. — Chinesische Aerzte. — Das Pulsfühlen und die Acupunctur. — Handel mit Arzeneien; die rothen Pillen. — Ezpe-rimentalmedicin. — Ursprung und Geschichte der Cholera. — Heilung. — Eine traurige Geschichte. — Der Präfett von Knen kiang hien. — Särge. — Abreise von Küen kiang hien. Uns stand eine schwere Prüfung bevor. In der Mongolei und Thibet waren wir in mannigfachster Weise den äußersten Gefahren aus» gesetzt; wir waren nahe daran zu erfrieren, zu verhungern, von Tigern oder Wölfen gefressen zu werden, den Räubern in die Hände zu fallen, unter Lawinen ein Grab zu finden. In China hatten die Schergen der Gewalt ihre Folterwerkzeuge vor unseren Augen ausgebreitet; auch waren wir dem Ertrinken nahe gewesen. Jetzt, in Küen kiang hien, wurden wir anfs Krankenlager geworfen. Schon wenige Stunden nach unserer Au« kunft, als eben die Mandarinen bei uns zum Besuch waren, bekamen wir heftiges Erbrechen und Leibweh; wir fühlten uns so schwach, daß wir uns zu Bett legen mußten. Man ließ sogleich einen weit und breit berühmten Doctor holen. der schon viele Wunderkuren verrichtet hatte. Inzwischen erörterten die Mandarinen in unserm Beisein mit der größten Kaltblütigkeit die etwaigen Veranlassungen und Ursachen der Krankheit. Wir haben schon früher gesagt. daß jeder Chinese ein Stück von Koch und ein Stück von Komödianten ist; mit demselben Rechte können wir hier sagen. er sei auch ein Stück von Arzt. Die Mandarinen sprachen in technischen Ausdrücken, und kamen endlich dahin überein, unsere edle und erlauchte Krankheit rühre lediglich daher, daß das Gleichgewicht un« serer Lebensgeister eine Störung erlitten habe. Das feurige Princip sei in Folge langanhaltender großer Hitze weit über jenen Temperaturgrad hinausgegangen, welcher dem Körper zuträglich sei; dadurch habe sich in H7s Chinesische Aerzte. ln. Kap. unserm erlauchten Körper ein Ärand entzündet; die feuchten Elemente seien dermaßen ausgetrocknet, daß von ihnen nicht mehr genug im Körper vorhanden sei, um die erforderliche Bewegung möglich zu macheu. Man müsse deshalb vor Allem dem Körper eine gewisse Quantität kühlender Luft zuleiten, und vermittelst derselben das feurige Princip zu schwächen suchen. Dann würden wir rasch gesund werden, könnten unsere Reise fortsetzen, müßten uns aber wohl in Acht nehmen, daß das feurige Princip nicht abermals die Oberhand gewinne. Uebrigens unterliege die Tache nicht der mindesten Schwierigkeit; Jedermann wisse, daß grüne Erbsen von außerordentlich kühler Natur seien; man brauche sie nur in Wasser abzulochen, und uns die Brühe zu geben, dadurch werde das Feuer ge« löscht. Der eine Mandarin war der Ansicht, dieses Wasser von grünen Erbsen müsse sehr vorsichtig genossen werden, sonst könne es uns den Magen erkälten, und eine neue Krankheit hervorrufen. Meister Ting war jedoch anderer Meinung, denn unser Temperament sei viel wärmer, als das der Cbinesen, und wir könnten deshalb füglich eine. doppelte Gabe Erbsenwasser zu uns nehmen. Darüber waren indessen Alle einig, daß nichts über abgekochte Gurken und Wassermelonen gehe, wenn es darauf ankomme, dem Körper die nöthige Feuchtigkeit wieder zu verschaffen. Also mußten wir Gurke»«. Wassermelonen» und Erbsenwasser trinken. Inzwischen kam der Arzt. Aus seinem cerenwniosen Auftreten und seinem gewandten Benehmen sahen wir gleich, daß ein Mann vor uns stand, der viele Besuche zu machen hatte. Er war klein. wohlgenährt, trug eine große runde Brille auf der kleinen Nase, Bart und Haar waren grau. sein Benehmen war angenehm und verbindlich. Er äußerte sich in folgender Weise: „Ich habe gehört, daß der erlauchte Kranke aus dem Nbendlande gebürtig ist. In den Büchern kann man lesen, daß die Krankheiten in den verschiedenen Ländern verschieden sind. denn im Norden find sie nicht dieselben, wie im Süden; jedes Volk hat seine eigenen Krankheiten; deshalb findet man auch in jedem Lande eigenthümliche Heilmittel. Der verständige Arzt muß die Temperamente unterscheiden, das wahre Wesen der Krankheiten erkennen, und die geeigneten Mittel verordnen; darin besteht die Wissenschaft. Er muß sich wohl hüten, Menschen, welche jenseit des großen Meeres geboren wurden, wie Leute des Volkes der Mitte zu behandeln." - Diese mit ernster Würde gesprochenen Worte begleite er mit ab» gemessenen Handbewegungen, zog dann einen Bambuslehnstuhl herbei, setzte sich neben unser Bett und griff nach dem rechten Arme, den er auf ll. Kap.1 Das Pulsfühlen und die Acupunctur. 17? ei» Kissen legte, nun betastete er den PulS in der Weise, daß er seine fünf Finger über die Handwurzel gleiten ließ, etwa so, wie man über die Tasten eines Claviers hinfährt. Die Chinesen nehmen verschiedene Pulse an, welche dem Herzen, der Leber und anderen Hauptorganen entsprechen. Wer diese Pulse richtig prüfen will, muß sie alle bald nacheinander, bald mehrere zugleich betasten. um ihre gegenseitige Verbindung beurtheilen zu können. Diesmal dauerte das Pnlsfühlen lange; der Doctor schien während desselben in tiefes Nachdenken versunken, hielt die Augen auf seine Schuhe geheftet und sprach kein Wort. Nach dem rechten Arme kam der linke an die Reihe. Endlich schaute der Heilkünstler auf, strich einigemal über seinen Bart, nickte bedächtig mit dem Kopfe und ließ sich also vernehmen: „Auf irgend eine Weise ist die kalte Luft ins Innere ein» gedrungen, und hat sich in mehrereil Organen zu dem feurigen Princip in einen Gegensatz gebracht. Dieser Widerstreit muß sich nothwendig durch Erbrechen und Convulsionen offenbaren. Wir müssen also die Krankheit durch heiße Mittel bekämpfen." Unsere Mandarinen waren gerade entgegengesetzter Ansicht gewesen. Das hinderte sie nicht, jetzt vollkommen der Meinung des Doctors beizupflichten, und Meister Ting sagte: „Ja wohl, das ist vollkommen klar; das Warme liegt mit dem Kalten im Streite, die beiden Principien sind nicht in Uebereinstimmung und müssen wieder versöhnt werden; das haben wir uns auch gedacht." Der Doctor fuhr fort: „Die Beschaffenheit dieser edeln Krankheit ist der Art, daß sie mit Leichtigkeit der Kraft der Medicamente weichen und bald erlöschen kann; doch ist es auch möglich, daß sie sich hartnäckig zeigt und bedenklicher wird. Das ist meine Ansicht, nachdem ich die Pulse genau untersucht habe. Hier ist Ruhe von nöthen; allstündlich muß Arznei genommen weiden, die ich jetzt verordne." Der Doctor stand auf und ging an einen kleinen Tisch, auf welchem Schreibzeug stand. Er tauchte ein Stäbchen Tusche in eine Theetasse und rieb die Farbe auf einem schwarzen Steinchen an, nahm den Pinsel und fchrieb ein langes Recept auf ein großes Blatt Papier, las halblaut die Sachen noch einmal über, und theilte uns den Inhalt mit. Er hielt uns das Recept vor die Augen und berührte mit dem Zeigefinger jedes einzelne Schriftzeichen, das er uns dann erklärte. Sein Nagel an jenem Finger war von erstaunlicher Länge. Wir verstanden natürlich von Allem, was er sagte, nur sehr wenig, denn uns plagte ein ganz entsetzlicher Kops» schmerz; doch nahmen wir seinen Mitheilnngen so viel ab, daß die Haupt-beftandtheile des Receptes T a hoang und Ku pi waren, das heißt Huc, (lhma. . ^H 178 Handel mit Arzneien. ^ lit. Kap. Rhabarber und Orangenschale. Dazu kamen noch allerlei Pulver, Blätter und Wurzeln; jeder einzelne Bestandtheil der ganzen Arznei sollte auf ein besonderes Organ wirken. Alle vorgeschriebenen Mittel werden zusammen iu einem irdenen Topfe gekocht, und der Kranke muß die Arznei so heiß verschlingen, wie es nur möglich ist. Insgemein sind die chinesischen Medicinen ölig und sehr dunkelschwarz, spielen auch wohl ins Gelbliche, denn die Aerzte mischen allemal eine ölige Substanz bei; die Arzneien schmecken nicht schlecht, und bei Weitem nicht so fade, wie manche europäische Mixturen. Unser Doctor empfahl sich unter tiefen Verneigungen: und versprach, am andern Tage wieder zu kommen. Auch die Mandarinen entfernten sich, aber nicht in der besten Laune; denn der Arzt hatte für uns Ruhe verlangt, und es war deshalb vorauszusehen, daß wir einige Zeit in der Stadt bleiben würden. Nun sollte die Arznei bereitet werden, und ein Diener des Gemeindehauses mußte mit dem Recepte in die Apotheke gehen. In China ist der Doctor zugleich Apotheker, er verkauft dem Kranken die Mittel welche er ihm verschreibt. Begreiflicherweise verordnet er gern solche Arzeneien. bei welchen für ihn am meisten zu verdienen ist. Aber die Chinesen haben ein echt chinesisches Mittel ausfindig gemacht, die Habsucht des Apotheker > Doctors in gebührende Schranken zu verweisen. Zunächst wird zwischen dem Arzte und dem Kranken über denKoftenpreis der verordneten Mittel lebhaft hin und her verhandelt; dabei redet die Familie ein Wort mit. sie verlangt einfache, recht wohlfeile Mittel, und streicht auch wohl einige Medicamente vom Recepte weg. um nicht so viel ausgeben zu müssen. Sie meint, das könne gerade nicht schaden, und wenn die Genesung auch langsamer von statten gehe, so müsse man eben Geduld haben. Nach langcrm oder kürzerm Verhandeln versteht sich dann der Doctor dazu, daß der Apotheker das Recept um so und so viel wohl-feiler geben werde, denn bliebe er hartnäckig, so nähme der Kranke einen andern Arzt der schon mit sich handeln lassen würde. Nicht selten ereignen sich Dinge. die einem Europäer geradezu unbegreiflich vorkommen, sie find aber ungemein bezeichnend für den chinesischen Charakter. Wenn der Doctor auf das Bestimmteste erklärt hat, daß die Heilung unmöglich sei, falls der Kranke nicht so und so lange das vorgeschriebene Recept ge» brauche, dann tritt die Familie in Berathung, und erwägt in Gegenwart des Kranken, ob man diesen nicht lieber sterben lassen solle. Er sei ja ohnehin schon hoch bejahrt, oder seine Krankheit lasse doch keine große Hoffnung auskommen; da sei es denn wohl am besten, daß man dem l l. Kap.1 Die rothen Pillen. . -„ Dinge seinen Lauf lasse und das Geld spare. Nicht selten erklärt der Kranke selber, es sei besser die Medicin nicht zu kaufen, und lieber einen hübscher« Sarg anzuschaffen; denn sterben müsse jeder Mensch über kurz oder lang doch einmal, und es komme nicht darauf an. ob er einiqe Taae oder Wochen länger lebe. die Hauptsache bleibe allemal daß man nicht unnützerweise Geld ausgebe, und sich anständig begraben lasse. Deshalb schickt man den Doctor fort und läßt den Sargfabrikanten rufen, um sich mit ihm über den Preis zu einigen. Wir unsererseits brauchten uns um alle diese Dinge nicht zu kümmern, denn wir wurden auf Kosten des Kaisers curirt oder begraben. Am andern Tage hatte sich unser Zustand verschlimmert, und das Fieber in bedenklichster Weise zugenommen. Aber der Doctor wich nicht von unserer Seite; er wollte sich die Organisation eines Teufels aus den abendländischen Meeren ganz genau betrachten, und eine Krankheit brechen, dergleichen ihm noch nicht vorgekommen war. Wir lagen im Delirium, wurden aber während eines lichten Augenblickes klar darüber, daß die Acupuuctur angewendet weiden sollte. Wir deuteten aber mit zor, nigem Blick und geballter Faust an. daß wir davon nichts wissen wollten. Die Acupunctur, über welche in den letztvcrflossmcn Jahrzehnten in Eu» ropa so viel geschrieben worden ist. reicht in China bis ins hohe Alterthum hinauf; von dort kam sie nach Japan. In beiden Ländern wird sie in vielen Krankheiten angewendet, und mag wohl in manchen Fällen schlimme Folgen haben, weil die Aerzte keine starken Anatomen sind; übrigens ver« fahren sie nach gewissen Regeln, und haben Uebnng und Erfahrung. Am nächsten Morgen erklärte der Doctor, wir befänden uns in dem Zustande ein entscheidendes Mittel nehmen zu dürfen, in dessen vortreffliche Wirkung er nicht den geringsten Zweifel setze. Er warf in eine halbe Tasse Thee etwa ein Dutzend rothe Pillen, jede nicht größer als ein Nadelknopf. Wir mußten den Thee trinken; er hatte durch die Kügelchen einen starken Moschusgeruch erhalten. Dann mußten wir schlafen. Die Besserung ging wunderbar rasch von statten; am Abend nahmen wir noch sechs Pillen, am andern Morgen befanden wir uns wohl, die Krankheit war völlig verschwunden, wir hatten weder Zuckungen noch Kopfschmerz oder Leibweh; doch war, wie begreiflich, noch große Mattigkeit vorhanden. Der Doctor war ungeheuer stolz und überglücklich; er sprach leise Worte, denen alle Anwesenden die Billigung nicht versagten. Insbesondere pries er die rothe Medicin, deren Wirkung unfehlbar sei, vorausgesetzt, daß sie klug und verständig angewendet werde. Diese rothen Pillen waren uns 12* 180 Experimentalmedicin. III. Kap. nicht unbekannt. denn sie werden in ganz China verordnet, stehen in gro. ßem Rufe. und führen einen hochtrabenden Namen. Sie heißen Ling paoju y tan. das heißt: übernatürlicber Schatz für Alles was man wünscht, und gelten für ein Allheilmittel, dem keine Krankheit widersteht; nur kommt es darauf an, die richtige Dosis ausfindig zu machen, und sie in einer geeigneten Flüssigkeit dem Kranken zu geben. Denn bei unzweckmäßiger Anwendung kann dieser übernatürliche Schatz sehr gefährlich werden; die Zubereitung ist ein Geheimniß. Nur eme einzige Familie, die in Peking wohnt, ist im Besitze des Receptes und vererbt dasselbe auf ihre Angehörigen. Der Moschusgeruch dieser Pillen ist sehr stark. doch darf man deshalb nicht etwa folgern dürfen. daß Mo< scbus der Hauptbestaudtheil dieses Arzneimittels sei. In China hat über. Haupt Alles einen Moschusgeruch: das Land. die Menschen, die Lust. Ganz China ist von Moschusduft durchschwängert. und selbst die aus Europa eingeführten Waaren werden bald davon durchdrungen. Dcr übernatürliche Schatz wird überall in China wohlfeil verkaust, freilich aber auch sehr häufig verfälscht. In Peking, an der Quellt wo mau ihn ganz rein erhält, wird er mit reinem Silber aufgewogen. Es giebt schwerlich ein anderes Mittel das stärker schweißtreibend wirkt als gerade dieser Schatz. Er wirkt aus eine eigenthümliche Art. Wenn man nämlich eine dieser kleinen Kugeln zu Pulver verreibt und wie eine Prise Tabak nimmt. so wird dadurch ein so anhaltendes Niesen hervorgebracht, daß in kürzester Zeit über den ganzen Körper Schweiß ausbricht. Die Chinesen benützen die Pillen als eine Art Krankheitsbarometer, der ihnen, wie sie glauben, genau anzeige wie lange ein Patient noch leben könne. Nieset cr nach einer Pnse nicht, so muß er im Laufe des Tages sterben; nieset er einmal, dann lebt er wenigstens bis zum nächsten Tage; wer viel nieset darf Wiedergencsung hoffen. Die chinesische Medicin hat allerlei wunderliches Verfahren, aber die Werke über Arzneikunst enthalten meist nur Recepte die auch das Publicum kennt. In wissenschaftlicher Beziehung wird jeder Europäer fie für werthlos erklären müssen, nichtsdestoweniger würde doch auch für unsere abendländischen Aerzte allerlei daraus zu lernen sein. Die Cb> nesen haben nämlich ein wunderbares Talent zum Beobachten, und dabei so viel durchdringenden Scharfsinn. daß fie auf eine Menge von Dingen achten, die ein Anderer oftmals übersieht. Auch ist gar nicht in Abrede zu stellen daß ihre uralte Civilisation. und ihre Gewohnheit jede wichtige li. Kllp i Ezperimentalmedicin. 1«< Entdeckung niederzuschreiben, sie zu Inhabern eines wahren Schatzes sehr mannigfacher nützlicher Kenntnisse gemacht hat. In China giebt es eben so viele Krankheiten als in anderen Ländern, und auf keinen Fall ist die Sterblichkeit größer; das wird schon aNein durch die ungeheure Masse der Bevölkerung dargethan. Einen Trank der Unsterblichkeit haben freilich die Chinesen eben so wenig zu bereiten vermocht als die Europäer, obwohl sie Jahrhunderte lang sich abgemüht haben, ein solches Elixir zu erfinden. Aber sie sind gerade so langlebig als wir, und achtzigjährige Leute durchaus keine Seltenheit. Die chinesischen Doctoren haben zuweilen glücklichen Erfolg bei Krankheiten auszuweisen, denen gegenüber unsere europäischen Aerzte rathlos dastehen, und alle Missionaire sind Zeuge von derartigen Kuren gewesen. Man ist in der That davon über» rascht und kann sich der Bewunderung nicht erwehren. So leidet es zum Beispiel nicht den geringsten Zweifel, daß manche chinesische Aerzte die Tollwuth heilen, wenn dieselbe auch schon den hoch. ften Grad erreicht hat. Die Thatsache steht fest und es verschlägt wenig, daß sie dabei ausdrücklich befehlen, der Kranke dürfe unbedingt keinen Gegenstand sehen, an welchem Hanf sei; denn das würde, ihrer Behauptung zufolge, die Heilmittel unwirksam machen. Wir selbst hatten mehrere Jahre lang einen Katechiften, der sich meisterhaft darauf verstand gebrochene Glieder zu kuriren. Wir sind Zeuge gewesen, daß er mehr als fünfzig Kranke wiederherstellte, deren Knochen zerbrochen und zum Theil völlig zerquetscht waren. Allemal ist ihm die Heilung so gut gelungen, daß die Kranken am Ende ihm ihren Dank in seinem Zimmer abstatten konnten; es lag hart neben dem unsrigen. Wir sahen die günstigen Er» gebmsse, und lachten nicht darüber, daß er den Teig welchen er um die Wunde schlug aus Kellerasseln, weißem Pfeffer uud einer lebendig zerstoßenen Henne bereitete. Im Jahre 1840 war bei uns in unserm Seminar zu Macao ein junger Chinese, den wir wieder heimschicken wollten, weil er stocktaub geworden war. Mehrere chinesische Aerzte. Doctoren aus Frankreich, Portugal und England hatten sich vergeblich an ihm versucht und ihn für unheilbar erklärt. Nun hatten wir in unserm Hause auch einen Christen, der eben aus einer der Missionen der Pekinger Gegend zu uns gekommen war, einen ganz gewöhnlichen Feldarbeiter. Er erinnerte sich daß die Bauern in seiner Heimat die Taubheit mit einer gewissen Pflanze kuriren, die er in der Nähe von Macao auch fand. Er zerquetschte die Blätter, goß den Saft in die Ohren des Kranken, und dieser konnte nach ein paar Tagen wieder hören und seine Studien fortsetzen. Er ist gegen- 182 Ursprung und Geschichte der Cholera. lli. Kap. wärtig Missionair in einer der südlichen Provinzen. Wir könnten eine große Menge ähnlicher Heilungen erzählen. Die Chinesen haben auch Krankheiten die ihnen eigenthümlich find und anderswo nicht vorkommen. Andere haben sie mit Europa ge. mein; manche abendländische Krankheiten sind aber auch völlig unbekannt. Lungenschwindsucht und Cholera werden von den chinesischen Aerzten für unheilbar gehalten. Diese letztere scheint sich zu allererst in China gezeigt zu haben, ehe sie epidemisch andere Länder Asiens und Europa's ergriff. Früher war sie in China nicht vorhanden. Viele Bewohner der Provinz Schan tong haben uns Folgendes erzählt; wir bemerken daß die Leute Augenzeugen waren. Im ersten Jahre des verstorbenen Kaisers, das heißt 1820, standen eines Tages auf dem Gelben Meere mächtige Dunstmassen von röthlicher Farbe. Sie waren erst ziemlich dünn und leicht, nach und nach verdichteten sie sich und wurden immer größer, stiegen allmälig höher, und bildeten zuletzt eine ungeheure rothe Wolke die mehrere Stun« den lang in der Luft hängen blieb. Auch jetzt, wie bei allen großartigen Naturerscheinungen, wurden die Chinesen von Schreck ergriffen, die Bonzen verbrannten bezaubertes Papier und warfen es ins Meer, man trug das Bild des großen Drachen in Procession umher, denn man hielt dafür, daß jene uuheilschwangere Wolke ein Zeichen feines Zornes sei. Sodann wurden am Meeresstrande ungeheure Katzenmusiken veranstaltet. Alles was einen Arm rühren konnte, Männer, Weiber und Kinder schlugen auf Kesselpauken und Tamtams, auf Küchengeschirr und Metall jeder Art, und erhoben dabei ein ganz entsetzliches Geschrei. Wir haben in großen Städten des Südens mehr als ein Mal dergleichen Auftritte erlebt; alle Einwohner blieben in den Häusern und führten ein gräßliches Charivari auf. Man kann sich nichts Erschrecklicheres denken als solch einen Hollen» tumult in einer volkreichen Stadt. Während die Bewohner der Provinz Schan tong das drohende Unheil zu beschwören trachteten, das sie zwar nicht kannten aber ahneten, trieb ein Wind die Wolkenmasse auseinander; sie bildete erst mehrere Säulen, und senkte sich dann auf das Land herab. Nun verbreiteten sich die röthlichen Dünste weit und breit, schlangelten an den Höhen hinauf, zogen durch die Thäler, streiften Dörfer und Städte. Und am andern Tage waren aller Orten wohin der rothe Dunst gekommen war, die Menschen von einer räthselhaften Krankheit ergriffen, welche in wenigen Stunden den Tod nach sich zog. Ueber diese Seuche stand nichts in den Büchern der Aerzte; sie war neu. unerklärbar, ergriff Jung und Alt, Reich 11. Kap.) Die Heilung. 183 und Arm, und band sich an keinerlei Regel. Kein Gegenmittel schlug an. Die Seuche verheerte anfangs die Provinz Schan tong. zog dann gen Norden nach Peking, und wüthete am stärksten in volkreichen Ortschaften, in der Reichshauptstadt raffte sie verhältnißmäßig mehr Menschen hin« weg als anderwärts, übersprang die Große Maner und verlor sich, wie die Chinesen meinen, im Graslande der Mongolei. Es ist aber wahrscheinlich , daß sie dem Karawanenwege bis zum russischen Grenzposten Kiachta folgte, nach Nordwesten hin durch Sibirien wanderte, und 1830 Rußland und Polen, von dort aber das übrige Europa erreichte. In China kann Jedermann medicinische Praxis treiben; die Regierung bekümmert sich darum nicht, weil sie meint, wo es sich um Leben, Sterben und Gesundheit handele, werde der Kranke schon von selbst so vorsichtig sein, und einen geschickten Arzt wählen. Also wer Necevtbücher ftudirt hat und die Mcdicamente zu nennen weiß, heilt frisch darauf los, wie es eben gehen will. Der Medicin wenden sich viele Vaccalaureen zu, welche die höheren Grade nicht erlangen und deshalb von Mandarinenstellen ausgeschlossen bleiben. Es wimmelt in China von Doctoren, trotzdem, wie wir schon bemerkten, jeder Chinese etwas von Heilen und Pflastern versteht; aber die Aerzte haben keineswegs eine so günstige Stellung wie die europäischen; sie ist nicht so ehrenvoll und auch nicht so einträglich. Die Besuche werden meist nicht bezahlt, die Arzeneien sollen billig sein und müssen auf Borg gegeben werden. Auch ist es hergebracht, daß man die Medicin gar nicht bezahlt, wenn sie dem Kranken nicht geholfen hat. Am allerschlimmsten ist aber der chinesische Arzt daran, wenn er sich verstecken oder wohl gar flüchte» muß, nnd er muß es zuweilen, falls nicht ins Gefängniß wandern. Geldstrafe zahlen oder Bambusprügel einernten will. Es trifft sich ja wohl, daß der Doctor den Kranken sterben läßt, weil er ihn nicht heilen kann. Dann werfen die Verwandten ihm einen Proceß an den Hals, und er flüchtet, wenn ihm seine Freiheit lieber ist als seine Savekcn und sein Leben. Die Gesetzgebung scheint gegen die Aerzte sehr streng zu sein, denn im chinesischen Strafgesetzbuche heißt es, im Abschnitt 297 wie folgt: — „Wer die Medicin oder Chirurgie ausübt, ohne siezn verstehen: wer Arzneien giebt, oder vermittelst eines schneidenden oder stechenden Werkzeuges Operationen vornimmt. und solches in einer Weise thut welche gegen den Gebrauch und die hergebrachten Regeln verstößt, — der soll, falls sein Verfahren dazu beiträgt daß der Kranke stirbt, einer Untersuchung unterliegen. Die Behörden sollen an-dere lunstvechändige Leute herbeirufen, welche die Beschaffenheit des an. 184 Chinesisches Heilverfahren. M. Kap. gewendeten Arzneimittels oder der Wunde zu prüfen haben. Stellt es sich heraus, daß der Arzt nur eines Irrthums sich schuldig gemacht und nicht die Absicht gehabt hat Schaden anzurichten, kann er sich mit Geld loskaufen; er muß so viel bezahlen als die Buße für einen unfreiwilligen Todtschlag beträgt, darf aber seine Kunst niemals wieder ausüben." — Die chinesischen Aerzte legen sich gern auf Specialitäten. Es giebt Doctoren für Krankheiten die von der Kälte herrühren, nnd andere für solche die man aus der Hitze herleitet; einige sind ausschließlich Acupunctu-risten, andere heilen zerbrochene Glieder, ferner giebt es besondere Aerzte für Kinder, für Frauen und für alte Leute. Die sogenannten Blutsauger sind gleichsam lebendige Schröpfkopfe; sie drücken ihre Lippen hermetisch auf eine Geschwulst oder auf ein Geschwür nnd saugen Eiter und Blut aus. Mit Augen, Ohren und Füßen beschäftigen sich die Barbiere, die außerdem in einigen Südprovinzen das Privilegium des Froschfanges haben. Im Durchschnitt führen die chinesischen Aerzte kein beneidens-werthes Dasein, leben aus der Hand in den Mund so gut es eben geht, und sind nicht viel beffer daran als die Schulmeister. — Unser Doktor erklärte uns für genesen. Nun machten die Civil- und-Militairmandarinen in Galakleidern uns Besuche und wünschten uns Glück daß Himmel und Erde uns so große Gunst hatten angedeihen lassen. Sie seien hocherfreut, uns wieder im Besitz unserer erlauchten und kostbaren Gesundheit zu wissen. Das meinten sie ganz gewiß aufrichtig, denn sie sahen sich nun einer schweren Verantwortlichkeit überhoben. Sie muffen in großer Angst geschwebt haben, so lange es noch den Anschein hatte, daß wir in ihrem Verwaltungssprengel sterben könnten; in Angst, nicht weil sie irgendwelches Mitleid mit uns gehabt hatten, sondern weil unser Ableben für sie eine Quelle endloser Verlegenheiten werden konnte. In China ist die, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, Leichenverant-wortlichkeit sehr groß. Wenn ein Individuum im Kreise seiner Familie stirbt, dann erfolgt weiter kein Anstand; der Tod geht lediglich und allein die Verwandten an. und Niemand hat ein Recht Zweifel über die Todesart anzuregen. Aber wenn Jemand außerhalb seines Hauses oder seiner Fa< milie stirbt, dann ist der Eigenthümer der Stelle auf welcher die Leichegefun« den wird ganz allein verantwortlich. Das ist gesetzliche Vorschrift. Es ist gleichviel ob man den Todten im Walde, auf dem Acker, auf einem un-angebaueten Stück Landes antrifft; der Besitzer muß davon der Behörde Anzeige machen, die nur dann als befriedigend erachtet werden, wenn die Verwandten des Todten nichts dagegen einzuwenden haben. Ist das der 11. Kap.) Gesetze über den Leichenfund. Igg Fall so besorgen sie das Begrabniß, und damit ficht sich dann der Andere jeglicher Verantwortlichkeit ein für allemal überhoben; bis zu diesem Augenblicke ist er aber haftbar für den Tod eines Menschen den er vielleicht niemals gesehen hat. Ost kommen in dieser Hinsicht ganz abscheu« liche Dinge vor. wahrhaft unglaubliche Processe, in denen die Mandarinen und die Verwandten der Leiche alle möglichen Schlechtigkeiten und Gau« nereien aufbieten, um einen durchaus Unschuldigen die letzte Sapeke ab« zupressen. Er wird eingesperrt, mit dem Tode bedroht und mag sich noch glücklich preisen, wenn er auf Kosten seiner Habe das Leben behält. Dieses Gesetz über die Verantwortlichkeit ist in der Praxis eine Quelle nichtsnutziger Bedrückungen geworden. Der Gefetzgeber hat e« aber ursprünglich ganz gut gemeint: es hat ihm als eine zweckmäßige Gewähr vorgeschwebt, welche dem Leben des Menschen zum Schutze die» nen könne, als eine heilsame Schranke gegen das Ueberwallen böser Leiden« schaften. In einem Lande wie China, wo eigentlich kein religiöses Prin« cip vorhanden ist dessen Einfluß bändigend einwirkt, würde Menschenblut in Menge vergossen werden, wenn nicht drakonische Gesetze diese materiali« stische Volksmasse im Zaume hielten; sie lebt ohne Gott oder Religion oder Gewissen. We^n sie das Leben des Nebenmenschen achten sollte, so mußte ein Leichnam für Alle ein Gegenstand des Schreckens sein. Wir wissen nicht ob dieses Gesetz die guten Ergebnisse gehabt hat, die man sich ohne Zweifel von ihm versprach, daß es aber zu schreienden, abscheu» lichen Misbräuchen Anlaß gegeben, das können wir mit Bestimmtheit versichern. Wir wollen jene nichtswürdigen Processe und die Bedrückungen der Mandarinen gegen zweifellos Unschuldige ganz beiseite lassen, und nur darauf hinweisen. daß dieses Gesetz alles Mitleid und Erbarmen gegen Unglückliche im Keime erstickt. Denn wer könnte sich entschließen einen kranken Menschen, einen Reisenden unter seinem Dache aufzunehmen, wer möchte einem Sterbenden einen Hilfedienft gewähren, ihn auf seinem Felde oder nur in einem benachbarten Graben den Geist aushauchen lassen? Denn solch eine Handlung der Barmherzigkeit würde ihn in Gefahr bringen sein ganzes Vermögen, vielleicht auch sein Leben zu verlieren. Unglückliche, Kranke und Krüppel treibt daher ein Jeder weit hinweg von seiner Schwelle, sie müssen auf freier Straße liegen, oder in Schuppen ein Unterkommen suchen, welche der Regierung gehören, und durch welche Niemand comvromittirt wird. Wir selber haben gesehen, daß ein rechtschaffener Kaufmann mit Bitten und fast mit Thränen einen Unglücklichen, der vor seiner Bude ohnmächtig niedergefallen war, bat, er möge doch 186 Eine traurige Geschichte. III. Kap. nicht gerade auf dieser Stelle sterbe». Ein Vorübergehender war dem Armen behilflich, und so konnte er sich »och mitten in die Straße schleppen. Der Chinese übt eine entsetzliche Nache gegen seinen Feind aus. wenn er heimlich eine Leiche auf dessen Eigenthum schafft, denn das be« deutet soviel als: nun habe ich ihn in eine lange Reihe von Unannehmlichkeiten und Gefahren verwickelt. Als wir nns in unserer Mission im Thale der schwarzen Gewässer befanden, war eine kleine Stadt jenseit der großen Mauer Schauplatz eines gräßlichen Auftritts. Ein Landstreicher tritt in den Laden eines wohlhabenden Handelshauses und spricht: „In< tendant der Kasse, ich habe kein Geld, muß aber Geld haben; ich bitte Dich leihe mir etwas. Ich weiß Dein Haus ist reich." Der Kaufmann wagte nicht den kecken Gauner fortzuschicken, ließ sich einschüchtern, bot ihm zwei Unzen Silber an, und sagte dafür möge er eine Tasse Thee trin» ken. Der Gauner entgegnete unverschämt, ob man denn glaube daß ein Mann wie er sich mit zwei Unzen abspeisen lassen werde. Der Kaufmann entgegnete, viel sei es freilich nicht, aber die Geschäfte gingen schlecht und die Leute seien arm. „Nun. wenn Ihr arm seid so behaltet Eure zwei Unzen; ich bin ein gerechter Mann und will nicht daß Dein Handelshaus Hungers sterbe!" Damit ging er fort, warf aber dem Andern einen wilden drohenden Blick zu. Am andern Tage aber erschien er abermals vor dem Laden; er hatte einen Knaben auf dem Arme. Sr rief einigemale: „Intendant der Kasse!" Dieser erkannte den ungestümen Bettler und äußerte, er komme wohl um heute die zwei Unzen zu holen. „Nein, ich will nichts holen, ich will Dir etwas bringen. Hier, damit kannst Du Handel treiben!" Bei diesen Worten stach er dem Knaben ein Messer in den Leib, warf das Kind in die Bude und verschwand. Der Knabe ge« hörte einer Familie an mit welcher das Handelshaus in Feindschaft lebte. Die Folge jenes Mordes war, daß der Kaufmann und die Antheilhaber seiner Firma lange Zeit im Gefängniß sitzen mußten, und beinahe ihre gesammte Habe verloren. Dergleichen Fälle mögen allerdings nicht häufig vorkommen; aber soviel ist klar daß das Gesetz seinen Zweck nicht erreicht, wohl aber oft das Gegentheil. Die Mandarinen von Küen kiang hien hätten nun freilich einen derartigen Proceß nicht zu besorgen gehabt; aber sie waren offenbar der Meinung, die französische Regierung würde sich mit einer nachdrücklichen Beschwerde an den Kaiser in Peking gewandt haben. Dann wären Untersuchungen, Verlegenheiten und Plackereien aller Art nicht ausgeblieben; man hätte sie vielleicht der Nachlässigkeit beschul« 11. Kap.1 Der Präftct von Küen kiang hien. ^g^ digt und sie abgesetzt, oder anderweitig bestraft. Wir ließen sie bei diesem Glauben. Nach vier Tagen konnten wir an die Weiterreise denken, und unsern Entschluß dem Präftcten zu wissen thun. Er war vor Freude außer sich; seine Sprache war voll Salbung und träufelte von Poesie; er wünschte und versprach uns für alle Tage, bis nach Macao, herrliche Wege, heiteres , Wetter, ewig blauen Himmel, frische erquickende Luft und schattenspen» dende Bäume, dazu noch für die Reise auf dem Strome günstigen Wind, kurzum Alles was das Herz nur wünschen mochte. Und wie glücklich pries er sich. daß es ihm beschieden gewesen sei. uns gegenüber seine Pflicht und Schuldigkeit thun zu können. Denn wäre es nicht auch möglich ge« Wesen, daß wir in Küen kiang hien einen Beamten hätten treffen können, der nicht sein ganzes Herz für uns hätte ausgeben mögen? Um uns zu zeigen, wie weit seine Fürsorge gegängelt sei, versicherte er ausdrücklich, daß er bei dem ersten Fabrikanten der Stadt einen prächtigen Sarg für uns habe auswählen lassen. Gewiß konnte der Mann nicht noch höflicher sein, seine Liebenswürdigkeit war grenzenlos. Denn kann man mehr thun und weitergehen, als sogar einen Sarg anschaffen? Wir dankten dem Prüfecten vom Grund unseres Herzens mit chinesischen Redensarten. Man muß in China leben, und Land und Leute kennen, um zu begreifen daß man wegen eines Sarges sich die größten Complimente sagen kann. In anderen Landern spricht man nicht gern von solchen Dingen, aber der Chinese hat eine andere Ansicht von Sterben und Begraben. In seinen Augen ist der Sarg ein nothwendiges Hausgeräth, und wie für die Leiche unumgänglich, so auch für den Lebenden ein Luxusartikel, eine Zierde und Liebhaberei. Man muß es mit eigenen Augen gesehen haben, wie man in den großen Städten die Särge so aufstellt, daß sie in den Magazinen recht inS Auge fallen, wie sorgfältig man sie bemalt, lackirt und polirt, damit sie blitzblank sind und den Vorübergehenden recht in die Augen stechen, ihnen zum Kaufen Lust machen. Wohlhabende Leute versäumen nie. sich bei Lebzeiten mit einem hübschen Sarge zu versehen, der ihrem Geschmack entspricht; sie stellen ihn als Luxusmöbel Mif, das dem Hause zum Schmucke gereicht. Für wohlerzogene Kinder bietet ein Sarg eine angemessene Gelegenheit dar. die Lebhaftigkeit ihrer kindlichen Gesinnung gegen die Urheber ihrer Tage zu bethätigen. Einem guten Sohne gereicht es zur Freude und zum Troste, wenn er für seinen bejahrten Vater einen hübschen Sarg kaufen kann, mit welchem er dann dem Papa eine angenehme Ueberraschung bereitet. Immerhin erscheint es dem Chinesen wohl« -5' 18g Sarge. IN. Kap. gethan, nicht bis zum letzten Augenblicke mit Anschaffung eines so wich. tigen Möbels zu warten; man muß, „bevor man die Welt grüßt," doch seine letzte Wohnung mit Augen gesehen haben. Die fürsorgliche Familie kaust dem unheilbar Erkrankten einen Sarg. und stellt denselben neben das Siechenbett. Auf dem Lande ist die Sache mit mehr Umständlichkei. ten verknüpft; dort sind keine Sargfabriken. auch treibt der Bauer nicht so großen Luxus. Er holt den Schreiner, welcher dem Kranken das Maß nimmt, und dabei bemerkt, er müsse den Sarg wohl reichlich lang machen, weil der Todte sich doch immer ein wenig ausrecke. Man einigt sich mit dem Tischler über Länge und Breite und Preis, laßt Bieter herbeiholen, und so fangt er an zu sägen und zu hämmern, im Hofe. dicht neben dem Zimmer des Kranken, der zwar nicht sieht wie sein letzte« Haus gebaut wird. aber doch das Sägen und Klopfen hört. Das Alles geht ohne die mindeste Aufregung ab, und wird getrieben wie jedes andere Geschäft. Wir find oftmals Zeugen derartiger Auftritte gewesen, die uns in nicht ge» ringem Grade befremdeten. , Bald nach unserer Anknnft in der Mission nördlich von Peking gin» gen wir mit einem chinesischen Seminaristen im Felde spazieren. Eine zahlreiche Menge von Menschen kam aus uns zu; da der Pfad eng war, ging Einer hinter dem Andern; wir unsrerseits wollten abseits gehen, um nicht erkannt und dann vielleicht ins Gefängniß gebracht zu werden. Aber unser Seminarist beruhigte uus, und wir ließen den Zug an uns vorbei« ziehen. Er bestand aus Landleuten, die froh und guter Dinge waren. Hin« terher wurde eine Bahre getragen, auf welcher ein leerer Sarg stand, und unmittelbar nach demselben folgte eine zweite Tragbahre, auf welcher ein todtkranker Mensch lag; man hatte ihn in Decken eingehüllt. Sein Antlitz war bleich und mager, sein Auge auf den Sarg geheftet. Wir. fragten den Seminaristen, was das seltsame Schauspiel bedeute, worauf er ent« gegnete, der Mann sei in einem Nachbardorf erkrankt, und seine Ver» wandten. Freunde und Nachbarn hatten ihn setzt heimgeholt, weü man doch gern in seinem eigenen Hause sterbe. Der Kranke habe wohl nur noch we« nige Tage zu leben, man habe schon Alles für sein Leichenbegängniß vor» bereitet. Neben dem Sarge liege ein Stück weißen Zeuges, aus dem man Trauerkleider bereiten wolle. — Wir begriffen nun. daß wir uus in einer völlig neue» Welt befanden, unter einem Volke, dessen Gedanken. Vor« stellungen und Empfindungen von jenen der Europäer grundverschieden sind. n. Kav.1 Abreise von Küen kiang hien. 189 Der Chinese bleibt ruhig wenn der Tod ihn antritt. Er stirbt mit einer unvergleichlichen Fassung, ohne Seelenlampf, ohne Seelenangst; si',r ihn hat das Ableben keinerlei Schrecken. Sein Leben erlischt sanft wie eine Lampe, welcher das Oel ausgeht. Daß der Tod nahe ist. nimmt man am sichersten daraus ab. wenn der Kranke nicht mehr nach der Pfeife ver. langt. Die Christen sagten allemal, wenn sie uns zur Ertheilung der letz. ten Oelung riefen: „Der Kranke rauchtlücht mehr." Das hieß soviel als: die Gefahr ist dringend, und keine Zeit mehr zu verlieren. Also die Chinesen sterben eines ruhigen Todes, hauptsachlich wohl wegen ihrer weichen, lymphatischen Organisation, dann aber auch, weil ihnen jegliches religiöse Gefühl abgeht. Sie haben keinerlei Furcht vor einem zukünftigen Leben, und das Hinwegscheiden aus der Gegenwart fällt Menschen nicht schwer, die ohne tiefe Innerlichkeit find. und sich nie-mals mit Gott oder ihrer Seele beschäftigt haben. So sterben sie ruhig, in ihrer Weise. Für einen Christen ist aber ein solcher Tod der kläglichste, welchen er sich nur zu denken vermag. Endlich schieden wir aus Küen kiang hien, wo wir beinahe für im» mer unsere Ruhestätte hätten finden können. vorher aber hatten wir noch da« Vergnügen, den für uns bestimmten Sarg zu sehen. Er war aus vier stattlichen Baumstämmen gezimmert, die man untadelhast gehobelt, sehr hübsch mit veilchenblauer Farbe bemalt und glänzend lackirt hatte. Mei» ster Ting fragte, ob wir ihn nicht recht hübsch fänden. Wir sagten ihm. er sei ganz vortrefflich, doch gefalle unser Palankin uns besser. Wir setzten unsere Reise bei Fackelschein und Laternenlicht fort. Der gutwillige Doctor hatte uns allerlei guten Rath n'nt auf den Weg gege» ben. Die Frische der Nacht that uns wohl, belebte unsere Kräfte, und am andern Morgen, als wir im Gemeindehause zu Tien men eintrafen, waren wir munter und wohlauf. 190 Die Mandarinen in Tien men. ll2. Kap. Zwölftes Kapitel. Die Mandarinen in Tien men. — Wassermelonen und Melonenkerne. — Ein Mllilairmandarin. — Die Leute ans Sse tschueu werden in Hu pe als Fremdlinge behandelt. — Vorurtheile der Europäer über China. — Die angebliche Unbeweglichkeit der Morgenländer. — Die Umwälzungen im chinesischen Reiche. — Socialisten im elften Jahrhundert. — Die Eroberungen der Barbaren. Die Mandarinen zu Tien men machten uns ihre Aufwartung; sie wollten sehen, wie wir uns befanden. Dazu hatten sie freilich allerlei wich« tige Gründe; denn wenn wir noch nicht völlig wieder hergestellt waren, blieben wir vielleicht einige Tage im Orte, und wenn wir nun gar in Tien men gestorben wären! Aber wir hatten uns erholt, und erklärten, am Abend weiter reisen zu wollen. Das beruhigte die Leute, und sie such» ten uns den Tag möglichst angenehm zu machen. Ein Diener mußte mit eiliem Fliegenwedel aus Roßhaaren alle Insekten aus unserm Zimmer verscheuchen, und in allen Gängen räucherte mau mit wohlriechenden Krau« tern, deren Rauch die.Mücken und Fliegen vertreibt. Dank diesen Vorkehrungen konnten wir uns eines ungestörten Schlafes erfreuen. Die Beamten hatten erfahren, daß wir gern Wassermelonen aßen, sie ließen daher eine verschwenderische Menge dieser Früchte auftragen; Soldaten, Diener, Palankintrager, kurz Alle durften davon essen soviel sie wollten. Ohnehin war gerade die rechte Melonenzcit eingetreten, und Tim men ist berühmt dafür, daß in seiner Umgegend diese Frucht so groß und saftig wird, wie in keiner andern Gegend. Als wir früh am Morgen in die Stadt einzogen, duftete schon die ganze Stadt nach Melonen. die in Hälften, in Vierteln und in Scheiben zum Verkauf ausgelegt waren. Wir sahen rothe, weiße und gelbe; diese letzteren gelten für die besten. Die Wassermelone hat in China eine nicht geringe Wichtigkeit, hauptsächlich wegen ihrer Kerne, die ein Leib- und Lieblingsessen der Leute sind. Die Frucht selber hat bei reichlichen Ernten kaum einigen Geldwerth, aber die Kerne find desto mehr gesucht. Man schafft nicht selten ganze Wagenladungen an lebhafte Straßen und giebt die Melonen den Vorübergehenden umsonst, unter der Bedingung daß sie die Kerne für den Eigenthümer bei Seite legen. Denn. wie gesagt, diese sind für dreihundert Millionen Men-schen gleichsam unentbehrlich, ein wahrer Schatz, eine Leckerei in allen achtzehn Reichsprovinzen. Der Chinese knuppert zu allen Tageszeiten Melonenkerne, und er hat eine große Fertigkeit darin, mit seinen langen, spitzt« 12. Kap.I Wassermelonen und Melonenkerne. ^ gen Nägeln die harte lederartige Umhüllung zu entfernen, welche das ae. ringe Bischen mandelartigen Kerns umgiebt. Manchmal findet er auch gar nichts darin. Uns ist oft der Gedanke gekommen, daß die angeborne Neigung der Chinesen zu allem was täuscht, trügt und gemacht ist, ihnen die man kann sagen rasende Liebhaberei für Melonenkerne eingegeben hat; denn es giebt keine andere so phantastische Speise, wenn überhaupt von einer solchen die Rede sein kaun. Im Freundeskreise darf bei Thee und Neiswein der unvermeidliche Melonenkern niemals fehlen; man knappert daran herum auf der Reise, auf der Straße, im Zimmer, überall; Kin. der und arme Handarbeiter geben die letzte Sapeke für Melonenkerne hin, die überall zu kaufen find, und die man gewiß auch in den abgelegensten Ortschaften antrifft, wo möglicherweise nicht einmal Reis zu finden ist. So hat denn China in diesem wunderlichen Artikel einen ungeheuern Bedarf; nicht selten trifft man auf den Flüssen Dschonken, die ganz mit dergleichen Kernen beladen find. Wir verbrachten in Tien men den Tag ganz angenehm. Z»un Be« gleiter bis zum nächsten Haltpnnkte gab man uns einen jungen Militair« Mandarinen, den wir ungemein ergötzlich fanden; er war ein sehr beweg« licher kleiner Mann, von einnehmendem Betragen und voll von Geist und Witz, sprach sehr hübsch und that sich etwas darauf zugute, daß er längere Zeit in Canton gestanden und den Krieg gegen die Engländer mitge« macht hatte. Als wir um Mitternacht anhielten um unser Nachtessen ein« zunehmen, hechelte er unsere Mandarinen unbarmherzig durch. Er sprach von der Provinz Sse tschuen wie von einem fremden, barbarischen Lande, und fragte, ob denn endlich dort zwischen den Bergen die Civilisation her« aufzudämmern anfange? „Ihr seid von der thibetanischen Grenze her, das hört man wohl an Eurem Accent, und sieht es an Eurem ganzen Bench« men, daß Ihr in der Nähe eines wilden Volkes wohnt. Ich bin fest überzeugt, daß Ihr jetzt zum ersten Male in die Welt hinausgekommen seid. Denn Euch befremdet Alles was Ihr seht. So pflegt es den Leuten zu gehen, die niemals ihre Heimat verlassen haben." Dann witzelte er über viele Gegensahe zwischen den Bewohnern von Hu pe und Sse tschuen. Wirklich fühlten sich unsere Begleiter aus der letzter« Provinz schon langst nicht mehr heimisch, denn Sitten und Gebräuche waren dort anders. Man hatte sich schon öfter allerlei Späße auf ihre Kosten erlaubt, und ihnen Sapelen abgepreßt. So setzten sich einmal einige Soldaten aus unserer Bedeckung vor einen Laden. Als sie fortgehen wollten, trat ein Kaufmannsdiener heraus, und forderte von Jedem mit fehr ernsthafter Miene 192 Die Lente aus Sse tschuen. 112. Kap. zwei Sapeken für den Sitz. Die Soldaten blickten ihn ganz erstaunt an, der Ladendiener streckte aber ohne Weiteres die Hand aus, als verstehe es sich ganz von selbst daß man ihm das Geld zahlen müsse. Die Soldaten sperrten sich; aber der Kaufmannsdiener wendete sich an die Nachbarn, und bemerkte, es sei doch recht seltsam daß Leute kämen, die sich vor seine Thür geseht hätten und dafür nicht zahlen wollten. „Woher kommt und seid Ihr denn, daß Ihr nicht einmal die allergewöhnlichften Bräuche kennt?" Die Nachbarn lachten hell auf, und fanden es auch ganz abgeschmackt, daß es Leute gebe, die umsonst vor anderer Menschen Hause Platz nehmen wollten. Die Soldaten mochten nicht für unhöflich gelten, jeder gab also zwei Sapeken, mit der Bemerkung, daß in Sse tschuen dergleichen nicht bränchlich sei. Damit gingen sie fort; es fehlte aber nicht an Leuten die ihnen dann kund und zu wissen gaben, daß sie besser gethan hätten, ihre Sapeken zu behalten; man habe sie blos ein wenig angeführt. Aehn-liche Austritte haben wir in der Provinz Hu pe gar nicht selten erlebt. Wir beiden Abendländer fühlten uns beinahe überall in China heimischer als der eingeborene Chinese der einen Provinz in der andern. Man hat in Europa immer noch eine große Menge falscher Ansich« ten über China und die Chinesen. Man denkt sich ein Reich das eine festverkittete gleichartige Einheit bilde, das aller Orten eine gleichartige Be. völkerung habe; man meint, wer einen Chinesen kenne, kenne sie alle, und wenn man eine Weile sich in einem beliebigen Seehaftn aufgehalten habe, so dürfe man mit Zuversicht über Alles sprechen, was in dem weiten Reiche vorgehe. Aber die Dinge verhalten sich entschieden anders. Gewiß giebt es einen chinesischen Typus, der sich überall im Reiche wiederfindet, und von welchem jeder Chinese ohne Ausnahme mehr oder wenig etwas an sich tragt. Dergleichen charakteristische Züge hat man in der Sprache, in der Physiognomie, in den Sitten und Vorstellungen, in der Tracht und manchen nationalen Vorurtheilen. Aber darin und daneben find so manche Abstufungen vorhanden, man findet so viele Abweichungen und Unter, schiede, daß man bei einigermaßen geübtem Blicke leicht erkennt, ob man einen Menschen aus dem Norden oder Süden, aus dem Osten oder Westen vor sich hat. Schon wenn man aus einer Provinz in die andere kommt, bemerkt man leicht, daß Vieles sich geändert hat; die Sprache wird nach und nach anders, und zuletzt unverständlich, und der Schnitt der Kleider wird so abweichend, daß man einen Pekinesen leicht vom Cantonesen un» terscheidet. Jede Provinz hat ihre eigenthümlichen Gebräuche selbst in Wichtigen Dingen, zum Beispiel in der Vertheilung der Abgaben, in der 12. Kap.1 Vorurthetle der Europäer über China. 493 Beschaffenheit der Contracte. in der Bauart der Häuser. Auch find besondere Privilegien und Gesetze vorhanden, welche die Regierung nicht an-tasten darf; es giebt fast überall ein Gewohnheitsrecht, und dieses durch, löchert die administrative Einheit. Zwischen den achtzehn Reichsprovinzen lassen sich ebenso viele Unterschiede und Abweichungen nachweisen, wie unter den verschiedenen Staaten Europa's. Ein Chinese der aus einer Pro» vinz in die andere geht, sieht sich gewissermaßen in einem fremden Lande. Das ist auch wohl erklärlich, denn das chinesische Neich besteht ans der Vereinigung einer Anzahl von Königreichen, die oftmals von einander getrennt waren, ihre besonderen Fürsten und eine eigene Gesetzgebung hatten. Diese Reiche sind mehrfach vereinigt und zusammengeschmolzen worden, aber niemals so durchaus amalgamirt. daß sie zu einer unbedingten Einheit ineinandergewachsen wären. Ein erfahrener Beobachter erkennt leicht die verschiedenen Elemente, ans welchen das große Neich zusammengesetzt ist. Wer sich einige Zeit in Macao oder in den Factoreien bei Canton aufgehalten hat, gewinnt dadurch noch kein Recht, ein Urtheil über China zu fällen. Ein Misfionair der Jahrelang in einer chinesischen Christengemeinde lebt, kennt ohne Zweifel den Bezirk wo er seinem Berufe obliegt, sehr gut; er würde aber einen großen Fehler begehen, wenn er die Sitten und Gebräuche der Neubekehrten für allgemein halten wollte. Der Leser begreift wie schwer es sein muh sich von China und den Chinesen einen richtigen Begriff zu machen, wenn keine anderen Quellen vorliegen, als Schriften von Reisenden, die weiter nichts kennen als die wenigen für Europäer geöffneten Häfen. Diesen Büchern fehlt weiter nichts als — Sachkunde, und ihren Verfassern kann man weiter keinen Vorwurf machen als — daß sie weder Land noch Leute kennen. Nehmen wir einmal Folgendes an. Ein Bewohner deö himmlischen Reiches will Europa kennen lernen, schifft über See und kommt nach einem europäischen Hafen, etwa Havre. Nun versteht er aber kein Wort französisch, und muß sich mit einem Lastträger behelfen, der zufällig einige Brocken Chinesisch versteht; diesen beehrt er mit der Benennung eines Tun sse. das heißt Dolmetschers, der sich mit Gebehrdensprache hilft, wenn ihn, was zumeist der Fall ist, sein Bischen Chinesisch im Stiche läßt. Mit diesem Tun sse geht nun der Chinese einige Tage oder Wochenlang vom Morgen bis znm Abend ln den Straßen von Havre umher, sieht allerlei Neues das ihn in Erstaunen versetzt, und nimmt sich dabei vor, seinen Landsleuten von allen diesen Wunderdingen ausführlichen Bericht zu erstatten. Er tritt in die Lüden, Hm. <5hma. 1I 194 Vorurtheile der Europäer über China. si2. Kap. wundert sich über die vielen Sachen welche er dort antrifft, kaust allerlei das ihm seltsam und eigenthümlich erscheint, muß aber natürlich Alles zum dreifachen Preise bezahlen, weil sein Dolmetscher mit dem Kaufmanne im Einverständniß handelt, und weil Beide dem Barbaren vom östlichen Meere seine Sapeken abnehmen wollen. Es versteht sich von selbst, daß unser Chinese ein Philosoph und Moralist sein wird; er schreibt also bis spät in die Nacht, notirt Alles was ihm merkwürdig vorkommt, und der Lastträger-Dolmetsch muß dabei nachhelfen, denn ihm werden Fragen über Fragen vorgelegt. Freilich hält es schwer sich durchaus mit ihm zu ver. ständigen, aber darum werden doch Noten ins Tagebuch geschrieben, denn man reist nicht ins ferne Abendland, um mit weißen Blättern zurückzu» kommen. Man muß doch etwas erzählen können! Nach einem mehrmo-natlichen Aufenthalte in Havre schifft sich der Chinese wieder ein, und erreicht glücklich seine Heimat. Seine Freunde bestürmen ihn um Mitthei« lunqen über ein so merkwürdiges, noch so wenig bekanntes Land wie Frankreich. Der Chinese hat vielerlei gesehen, und auch Manches woran er zuvor nie dachte. Er ist ein wissenschaftlich gebildeter Mann, und schreibt in die Pekinger Zeitung einen sehr interessanten Artikel über Havre. Damit ist es aber nicht abgetban: er schreibt auch über ganz Frankreich, über die Negienmgsform, über Senat, gesehgebenden Körper und deren Befugnisse, über das Gerichtswesen, das Heer, über Gesetzgebung, Künste, Gewerbe und Handel; dazu fügt er noch Bemerkungen über die verschiedenen europäischen Länder, die er Frankreich assimilirt. Kanu es uns Wunder nehmen, wenn er sich bci allcdem eine Menge von Unrichtigkeiten zu Schulden kommen läßt? Seine ..Reise in Europa" wird die chinesischen Leser mit einer Unzahl falscher Ansichten und irriger Angaben bereichern. Sehr viele europäische Werke über China sind ganz in dieser Art verfaßt worden; sie geben ein schiefes Bild von Land und Leuten, und be« ruhen zu nicht geringem Theile auf Phantasien, deren überhaupt manche über Asien und die Asiaten im Schwange gehen. Darauf hat Abel-Re-musat hingewiesen und insbesondere gezzigt. wie unstatthaft es sei, von Verknöcherung und Unbeweglichkeit der Morgenländer zu sprechen. Man sagt sie hingen sclavisch an alten Lehren, an primitiven Titten und Gebräuchen, ihre Gewohnheiten seien ein für allemal stationair; mit einem Worte, die Unbeweglichleit des Orients ist zum Sprlchworte geworden. Abel-Remusat hebt hervor daß die Orientalen neue Glaubensmeinungen und verschiedene Regienmgsfotmen angenommen haben, daß in Bezug aus 12. Kav-1 Die angebliche Nnbeweglichleit der Morgenländer. igg Kleideltracht und Kopfputz neue Moden aufkommen. Man darf die „Orientalen" nicht allesammt über einen und denselben Kamm scheeren. niHt nach einerlei Muster beurtheilten. Denn unter jene Benennung fallen so viele verschiedene und verschiedenartige Völker. die nichts miteinander gemein baben, als daß sie in einem nnd demselben Erdtheile, in Asien woh. nen. Was haben der Armenier, der Mongole, der Hindu und der Japaner miteinander gemein? Alle find „Orientalen" weichen aber weit mehr voneinander ab. als ein Bewohner Londons von jenem.'der in Madrid oder St. Petersburg geboren wurde. Ost wirft man sie aber alle in einen Topf. weil man sich nicht über ihre unterscheidenden Merkmale unterrichtet hat. Wer sich aber diese Dinge genauer ansieht, findet gar bald eine wunderbare Mannigfaltigkeit und Abweichung bei den asiatischen Völkern, der verschiedenen Klimate. Kleiderttachten, Stammesphysiognomien und dergleiben ganz zu geschweige«. Man braucht nur zweierlei ins Auge zu fassen: Cultus und Gesetze Glaubensmeinungen und Staatseinrichtungen. Man durchgehe nur einmal vorurthcilsftei die Geschichte der asiatischen Länder, und man wird finden.,daß sie und ihre Völker nicht geringerm Wechsel unterworfen gewesen sind als die europäischen Nationen. Was insbesondere die Chinesen anlangt, so find gerade sie auch dadurch bemerkenswerth, daß in ihren religiösen Ansichten und Vorfiel» lungen vielfacher Wechsel stattgefunden hat. Im hohen Alterthume wehrte China die Götzendienern lange von sich ab, vielleicht aus Indifferenz; aber schon zu Lebzeiten des Confucius batte es zwei Hauptrcligionen und vier oder fünf pbilosophische Systeme, die auf ganz verschiedenen Ansich< ten und Auffassungen beruhten. Zu jenen beiden Religionen kam späterhin der Buddhismus, und diese drei sind herrschend in einem Reiche das beinahe ein Drittel des Menschengeschlechts umfaßt. Die Jahrbücher dieses Landes find reich an Berichten über Religionskriege. Die Gelehr, ten und die aufgeklärten Leute haben sich vorzugsweise zu den Lehren des Confucius bekannt, während die große Masse des Volkes dem Buddhis. mus Geschmack abgewann. China bietet auch eine ganz «genthumllche Erscheinung dar, nämlich Leute die zugleich zu allen im Lande vorhande. nen Religionen und philosophischen Systemen sich bekennen, ohne sich die Mühe zu geben dieselben in Einklang und Uebereinstimmung zu bringen. Die Regierungsformen huben in China ebenso häufigen Wechsel erfahren wie die Religionen. Regierung und Religion fielen auch in Oft« asicn wie anderwärts'zusammen, und waren vor viertausend Jahren nicht etwa wie heute. Das Reich hieß damals der Himmel, der Fürst hieß 13' 196 Die Umwälzungen im chinesischen Reiche. ^12. Kap. Gott, und übertrug seinm Dienern das Amt, die Erde zu erleuchten, zu erwärmen und zu befruchten. Titel und Kleider dieser Wohlfahrt spendenden Diener entsprachen ihren Verrichtungen, der Eine repräsentirte die Sonne, der Andere den Mond, Andere die übrigen Planeten; es gab Intendanten für die Gebirge, die Wälder, die Flüsse, die Luft u. s. w. Alle diese Beamten hatten in der Meinung des Volkes eine übernatürliche Gewalt und hohes Ansehen. Die Harmonie einer so schönen Ordnuug der Dinge wurde nur durch die Kometen und die Finsternisse uuterbrochen, welcbe der Erde eme Abweichung vom Gange der Himmelskörper zu drohen schienen, und deren Erscheinung auch noch im heutigen China einen Staatsmann um seine Popularität bringen kann. Ein ähnliches System scheint in uralter Zeit auch in Perfien vorhanden gewesen zu sein, aber auch dort, wie in China, haben sehr irdische Begebenheiten solcherlei glanzende Fictionen zerstört; Kriege, Revolutionen, Parteiungen und Eroberuugen brachten eine Feudalregierung. welche im östlichen Asien fiebew bis achthundert Jahre bestand, und zwar ziemlich in derselben Art wie im europäischen Mittelalter; doch behielt. nach mehrmaligen Anstrengungen des Feudalismus sich zu behaupten, die Monarchie den Sieg; sie gewann vollkommen und durchaus die Oberhand. Ein im Anfange allerdings nur schwaches Gegengewicht fand fie in der Philosophie des Confucius; diese kräftigte sich im siebenten Jahrhundert als sie eine regelmäßige Organisation gewann, und seit zwölf Jahrhunderten besteht das System der Prüfungen für den Staatsdienst. Sinn und Zweck desselben ist kein anderer als die welche ohne wissenschaftliche Bildung find, Denen unter, geben zu machen, welche eine solche erworben baben. Die Regierung und Verwaltuug ist in die Hände unterrichteter Leute gekommen. Die Eroberungen der Mongolen, welche sich wenig um Wissenschaften kümmern, haben allerdings einige Male diese Oligarchie der Philosophen unterbrochen, aber diese letztere ist doch alkmal wieder obenauf gekommen. Denn die Chinesen ziehen nun einmal die Herrschaft des Schreibepinsels der Herrschaft des Säbels vor, und wollen lieber mit der Pedanterie als mit der rohen Faust zu schassen haben. Also die Chinesen haben mit Staatsmaximen, politischen Einrichtungen und Neligionssyftemen mannigfach gewechselt; ihre Geschichte ist reich an Unruhen und Bürgerkriegen, an Katastrophen so schrecklicher Art wie nur irgend ein europäisches Land sie aufzuweisen hat. Wenu man China mit Frankreich vergleicht, und zwar vou 420 an, also etwa von der Zeit da Chlodwig lebte, bis 1644, als Ludwig XIV. den Thron 12. Kap.1 Socialisten im elften Jahrhundert. I97 bestieg und die Mandschu-Mongolen sich in Peking festsetzten, dann ei. giebt sich Folgendes. Im Laufe jener cintausendzweihundertachtzig Jahre hat das angeblich so ruheliebende und so fest am Alten klebende chinesische Volk, nicht weniger als fünfzehnmal die Dynastie gewechselt, und fast allemal nur unter grausamen uud blutigen Bürgerkriegen und Vernichtung der entthronten Herrscherfamilie. Frankreich hatte in derselben Zeit nur zwei Königsfamilicn; seit der Revolution ist es freilich auch dort sehr oft in ganz chinesischem Style hergegangen. Auch Socialisten hat China gehabt. Im elften Jahrhundert« unserer Zeitrechnung, unter der Songdynastie bot das chinesische Volk ähnliche Erscheinungen dar wie vor einigen Jahren Frankreich; alle Schichten der Gesellschaft waren mit Erörterung und Versuchen zur Lö, sung socialer Probleme beschäftigt. Dieselbe Nation, welche sich in manchen Perioden um den Gang der Regierung gar nicht kümmerte, war damals durch und durch politisch, und mit wahrer Leidenschaft der Erörterung von Systemen ergeben, die eine gewaltige Umwälzung in allen socialen Verhältnissen hervorbrachten. Ja die Sachen waren so weit gekommen, daß mau sich kaum uoch mit Dingen des taglichen Lebens beschäftigte, denn Ackerbau. Gewerbe und Handel wurden vernachlässigt, weil die Agitation Alles mit sich fortgerissen hatte. Das gesammte Volk war iu zwei Parteien gespalten, die einander mit äußerster Erbitterung befehdeten; Flugblatter, Schmähschriften, Bücher aller Art wurden in Masse unter das Volk geschleudert, das mit Gier Alles verschlang. Auch die Maueranschläge spielten eine große Rolle; die Chinesen haben für diese Art von Straßenliteratur eine große Begabung und stehen hinter den europäischen Revolulionairen »licht im Mindesten zurück. An der Spitze der Socialisten stand der berühmte Wang ngan sche. ein Mann von hervorragendem Talente, der unter der Regierung mehrerer Kaiser das Volk in Aufregung zu erhalten wußte. Die Ge» schichtfchreiber rühmen seine ausgezeichneten Anlagen uud seiuen Geist; er hatte viel gelernt, war eifrig den Studien ergeben, und hatte bei der Doktorprüfung ein glänzendes Zeugniß erhalten. Er sprach gewandt und mit Anmuth, verstand es seinen Gründen Geltung zu verschaffen, Dingen, die an sich ohne erheblichen Belang waren, eine große Wichtigkeit zu geben, wenn dergleichen für seine Zwecke ersprießlich war. Uebrigens" war seil, Lebenswandel durchaus untadelhaft, uud sein äußeres Benehmen war das eines Weise». Aber alls der andern Seite wird er auch geschil« dert als ein Ehrgeiziger, als ein arglistiger Mann, dem jedes Mittel 198 Dei Socialist Wang ngan sche. Il2. Kap. recht war. wenn cs nur zum Ziele führte, als steifsinnig und hartnäckig, der vor dem Aeußerften nicht zurückbebte. sobald es darauf ankam seiner Ansicht und seinem Systeme Geltung zu verschaffen. Er sei voll von Eigendünkel und Hochmuth gewesen, habe lediglich der Beachtung würdig gehalten was seinen politischen Bestrebungen förderlich sein tonnte; er habe nur allein darnach getrachtet die alten Einrichtungen ganz und gar über den Haufen zu werfen, um seine Entwürfe durchzuführen. Daran setzte er sein Alles. Er scheute auch die schwierigsten und langweiligsten Arbeiten nicht; so schrieb er weitläufige Erläuterungen zu den classischen und den heiligen Büchern, erörterte darin seine Grundsätze, und verfaßte ein allgemeines Wörterbuch, in welchem er verschiedenen Echristzeichen eine willkürliche Bedeutung unterlegte, die seinen Ansichten und Interessen entsprach. Für die Verwaltung der Staatsgeschäfte sei er. wie die Ge« schichtschreiber hinzufügen, untüchtig gewesen, weil er nur allgemeine Ideen gehabt habe. die er durchführen wollte, ohne auf Zeit und Um, stände Rücksicht zu nehmen. Wang ngan sche war von großem Einflüsse auf die Geschicke des Reiches. Durch seine glänzenden Eigenschaften hatte er den Kaiser Schen tsung völlig für sich eingenommen und war allgewaltig. Er besetzte die Stellen in den Gerichtshöfen und in der Verwaltung mit seinen Anhän» gern. fand Gelegenheit die alte Ordnung der Dinge zu beseitigen und statt ihrer sein System zur Geltung zu bringen, und seine Neuerungen wurden von Vielen mit Jubel begrüßt, wahrend die Freunde des Alten und Hergebrachten Fluch und Verwünschung auf ihn häufte«. Sein einflußreichster Gegner war Sse ma kuang, ein großer Staatsmann und ausgezeichneter Geschichtschreiber, derselbe welcher ein so reizendes Gedicht über seinen Garten schrieb, das wir weiter oben mitgetheilt haben (S. 76). Abel-Remusat hat einen Vergleich zwischen diesem Staatsmann uud dem einflußreichen Socialisten angestellt, und bemerkt unter anderm: Schen tsung wollte sich gleich nach seinem Regierungsantritte mit den ausgezeichnetsten Männern seines Reiches umgeben; er zog also auch den Tse ma kuang zu sich heran. Dieser stand nun kecken Neuerern gegenüber, die bei ihren Verbesserungsplänen vor keinem Hindernisse zurückwichen und die alten Staatseinrichtungen geringachteten, deren getreuer Anhänger Sse ma kuang war. So stand er als Hauptwidersacher des mit nicht geringem Talente begabten Wang ngan sche da, und trat aus Vorliebe zum Hergebrachten selbst als Vertheidiger der Vorurtheile des Volkes auf. Im Jahre 1069 wurde China von einer 12. Kap.1 Der Socialist Wang ngan sche. 199 Menge Uuglücksfälle zugleich heimgesucht, von Seuchen. Erdbeben, und einer Dürre welche dem Erntesegen schweren Eintrag that. Die Censoren sorderkn. dem alten Herkommen gemäß, den Kaiser auf, gründlich zu prüfen und zu erwägen, ob er nicht tadelswerthe Handlungen begangen habe, und ob nicht in seiner Regierung Misbräuche abzuschaffen seien. Der Monarch legte sich allerlei Entbehrungen auf, ging nicht mehr lust< wandeln, ließ nicht mehr Musik machen, und im Palaste durften keinerlei Festlichkeiten begangen werden. Dagegen war der neuerungssüchtige Minister Wang ngan sche mit alle dem nicht einverstanden, sondern erklärte Erdbeben. Dürre und Überschwemmungen aus natürlichen Ursachen, die mit dem Benehmen und Betragen der Menschen außer allem Zusammenhange ständen. Er sprach: „Glaubt ihr denn. daß der natürliche Gang der Dinge sich ändere, oder wollt ihr, daß die Natur euertwegen andere Gesetze befolge?" Sse ma kuang (ein conservativer Romanticus) eiferte dagegen: „Die Fürsten sind allerdings zu beklagen, wenn sie Manner in ihrer Umgebung haben, welche dergleichen Ansichten vertheidigen; denn sie rauben ihnen die Furcht vor dem Himmel und welcher ^ andere Beweggrund könnte sie zügeln? Dann wären sie Herren über Alles, könnten Jegliches ungestraft thun, und ohne Vorwürfe des Gewis» sens alle Ausschweifungen begehen. Die ihnen aufrichtig ergebenen Unterthanen hätten gar kein Mittel mehr sie zu ihrer Pflicht zurückzubringen." Wang ngan sche blieb dabei, daß eine Verwirklichung seines Systems ungemein förderlich für das Wohlergeben des Volkes aussallen werde. Wenn man in den chinesischen Jahrbüchern die Negierungsgeschichte der Eongdynastie liest, dann ist man überrascht, in den Schriften und Reden des Ministers Wang ngan sche dieselben Ansichten zu finden, welche während der letztverfloffencn siebenzig Jahre auch in Europa so häusig vorgebracht und angepriesen worden sind. Der chinesische Socialist er« klärte es für die erste Hauptoblicgenheit der Negierung. dem Volke dahin förderlich zu sein, daß sie demselben reelle Lebensvortheile verschaffe, vor allen Dingen Freude und Fülle irdischer Güter. Das werde möglich sobald man einem Jeden die unwandelbaren Regeln und Vorschriften eines rechtschaffenen Lebenswandels einsckärfe. Der Staat muß darüber wachen, daß diese Regeln genau befolgt werden. Er darf nicht leiden, daß ein Mensch durch den andern ausgebeutet werde. vielmehr muß der der Staat selber über das Ganze verfügen, Kaufmann. Gewerbsmann, Ackersmann werden, aber lediglich zu dem Zwecke, den arbeitenden Claffen zu Hilfe zu kommen, damit sie nicht von den Reichen aufgefressen werden. 200 SocialistsscheS System Wang ngan sche'S. 112. Kap. Deshalb sollen in» ganzen Reiche die Behörden für jeden Tag den Preis der Lebensmittel und käuflichen Waaren feststellen. Für eine Neihe von Jahren haben nur allein die Reichen Abgaben zu zahlen, während die Armen verschont bleiben; die Behörde entscheidet wer als arm oder reich zu betrachten sei. Der Ertrag dieser Steuern geht als Neservefonds iu den Staatsschatz, und zwar hauptsächlich zu dem Zwecke, hilflose alte Leute. arme Menschen, arbeitslose Handwerker daraus zu unterstützen. Nach dem Systeme Wang ngan sche's wird der Staat auch fast ganz und gar alleiniger Eigenthümer von allem Grund und Boden. In sämmtlichen Districteu sind Ackerbaubehörden, welche alljährlich den Land« leuten die zu bestellende Bodenftäche und das für die Aussaat nöthigt Getreide zutheilen: dafür muß der Bauer nach der Ernte den Vorschuß in Korn oder in anderen Waaren zurückerstatten. Alle Ländereien müssen in Rücksicht auf ihre Beschaffenheit in der Weise bestellt werden. daß sie den möglich höchsten Ertrag liefern; deshalb entscheiden die Negierungs« commissarien was auf deni oder jenem Acker gebaut werden soll. und rich« ten demgemäß die Vorschüsse ein. Die Anhänger des neuen Systems hoben hervor, daß durch dasselbe lediglich die Wucherer und Austäufer zu Schaden kommen würden, also Leute die bei schlechter Ernte und in theuren Zeiten sich auf Kosten der Arbeiter zu bereichern strebten, und daher als Feinde des Volkes zu betrachten seien. Verlange nicht die Justiz, daß unrecht erworbenes Gnt zurückerstattet werde? Deshalb soll der Staat Gläubiger weiden, und er darf keine Zinsen verlangen. Da er die Bestellung des Ackerlandes überwacht,, und für jeden Tag den Preis der Lebensmittel bestimmt. so darf man allezeit versichert sein, daß weder Mangel noch Theuerung eintritt. Sollte a^f irgend einem Pnnkte des Reiches dennoch Hungersnoth zu besorgen sein, dann ist es ein Leichtes ohne Weiteres das nötbige Gleichgewicht herzustellen. Das gehört zu den Obliegenheiten der höchsten Ackerbaubehörde in Peking, welche von den einzelneu Proviuzialbehörden genau erfährt, wie der Ausfall der Ernte in den einzelnen Landestheilen gewesen; sie laßt also den Ueberschuß welcher sich in der einen Gegend herausstellt, dorthin bringen wo die Ernte schlecht ausgefallen ist. Dnrch ein solches Verfahren wird es ermöglicht, daß die Lebensmittel sich auf einem mäßigen Durchschnittspreise halten; aller Noth wird gesteuert, und der Staat, als der alleinige Spe« culant im Reiche, macht alljährlich ungeheuern Profit, der zur Anlage von großartigen Werken für den allgemeinen Nutzen verwendet werden soll. Ein solches System wußte nochwendig den Leuten, welche großes 12. Kap.) Sse ma kuang als Gegner der Socialisten. 201 Vermögen besaßen, dasselbe entziehen; das gerade erstrebte auch der Minister. Die Chinesen sind keineswegs verzagte Leute; sie legten also Hand ans Werk das System auszuführen. Der Kaiser Schen tsung gab dem Wang ngan sche unbedingte Vollmacht dazu, und nun begann die sociale Umwälzuug. Sse ma kuang hatte sich dem aus aNen Kräften lange Zeit widersetzt; nun that er einen letzten Schritt, und überreichte dem Kaiser eine höchst merkwürdige Denkschrift, aus welcher wir die Stelle über die Getreidevertheilung hervorheben wollen. „Man giebt also dem Volke das Saatkorn als Vorschuß, soviel der Einzelne zum Bestellen des Ackers bedarf. Das geschieht nach Ablauf des Winters, wenn der Frühling naht. Im Herbst, oder unmittelbar nach der Ernte nimmt man lediglich den Vorschuß zurück, ohne Zinsen. Was kann vortheilhafter für das Volk sein? Alle Ländereien werden bebaut, und in allen Provinzen wird Ueberfluß und Fülle sein. — Das Alles nimmt sich gar lockend auö; sowie man aber darauf näher eingeht, wird es nicht verborgen bleiben, wie große Nachtheile dem Staate daraus erwachsen. Man giebt dem Volke Saatkorn, welches gern angenommen wird; das will ich zugeben, obwohl auch darüber sich Zweifel erheben ließen. Aber wird denn auch von dem Saatkorne der beabsichtigte Gebrauch gemacht? Wer das glaubt, der kennt die Menschen nicht. Das äugen» blickliche Interesse tritt zu sehr in den Vordergrund; die meisten Leute blicken nicht über den heutigen Tag hinaus; nur wenige kümmern sich um die Zukunft. Man giebt ihnen Getreide, und sie werden vorweg einen Theil davon aufbrauchen. oder verkaufen oder gegen andere Waaren ver-tauschen, die sie eben nöthiger zu gebrauchen glauben. Mau giebt ihnen Korn und sie werden dadurch träge. Aber auch angenoliimen, das Alles sei nicht der Fall. Der Landmann hat also das vom Staate ihm vor» fchußwcise anvertraute Korn ausgesäet und Alles gethan was auf dem Felde geschehen muß. Nun kommt die Ernte; der Vorschuß soll zurückerstattet werden. Der Bauer sieht diese Ernte als den Lohn seiner Mühe und seines Schweißes'an, er hat sie emporwachsen und reifen sehen. Nun soll er sie theilen und in schlechten Jahren vielleicht ganz dem Staate geben; denn er muß doch den Vorschuß zurückerstatten. Er wird dem sich zu entziehen suchen, und alle denkbaren Vorwände beibringen. Nun sagt man, die Behörden denen die Obsorge für den Ackerbau anheimgegeben ist, sollen ihre Beamten und Trabanten an Ort und Stelle schicken, damit die Bauern zu ihrer Pflicht und Schuldigkeit angehalten werden. Was 202 Wang ngan sche und Sse ma kuang. sl2. Kap. für Gewaltthaten, Diebstähle und Räubereien werden dabei vorkommen? Von den großen Geldlosten die an einem solchen Zwangsverfahren unzertrennlich find, will ich gar nicht reden; denn wer soll denn die Leute bezahlen . welche erforderlich sind. um dem Staate zu seinen Vorschüssen zu verhelfen. Soll es die Regierung, das Volk oder der Bauer. Ich frage, wer hätte bei alledem Vortheil? Man hebt hervor, daß in der Provinz Schen fi bereits der Gebrauch herrsche Getreide zu leihen oder auf Vor-schuß zu geben, und daß damit keine Nachtheile verknüpft seien. Es scheint sogar, als ob das Volk damit sehr zufrieden wäre. denn es hat weder Klagen erhoben, noch um Abschaffung jenes Brauches gebeten. Darauf will ich nur Folgendes bemerken. Schen si ist meine Heimat, ich habe dort meine Iugendjahre verlebt. und das Elend des Volkes in der Nähe gesehen. Ich wage zu behaupten, daß von zehn Theilen der Noth unter welcher es seufzt, wenigstens sechs Theile aus einem Brauche hergeleitet werden, gegen welchen unaufhörlich gemurrt wird. Man möge nur nachfragen und genaue Erkundigungen einziehen, wenn man sich von der wirklichen Lage der Dinge unterrichten will." Die Jahrbücher bemerken, alle hochgestellten und ausgezeichneten Manner seien mit Sse ma kuangs Ansichten einverstanden gewesen. Sie sprachen sich in seinem Sinne aus und reichten Bittschriften ein; als das nickt half erhoben sie Anklagen, und verlangten die gerichtliche Verur-theilung des Wang ngan sche, dem sie Störung der öffentlichen Ruhe schuld gaben. Aber der Neuerer bewahrte sich eine unerschütterliche Gemüthsstimmung und ließ sich nichts anfechten. weil er des Kaisers Vertrauen besaß. Er las die Eingaben. Schriften und Satiren seiner Feinde, und that was seinem Systeme angemessen war nach wie vor. Am Ende wurde freilich der Kaiser doch schwankend; die Gründe welche die Gegner des Ministers vorbrachten konnten am Ende doch nicht verfehlen einigen Eindruck zu machen; er dachte daran die Dinge wieder in das alte Geleist zu rücken. Indessen machte Wang ngan sche geltend, daß man gar nicht nöthig habe sich damit zu übereilen; man möge doch erst geduldig ab» warten ob das neue System gute oder schlechte Früchte tiage. Dergleichen sei im Anfange allemal mit mancherlei Schwierigkeiten verbun» den. die man erst überwinden müsse, wenn der rechte Nutzen sich ein« finden solle. Wenn der Kaiser beharrlich bleibe, dann werde sicherlich Alles wohl gehen. Daß die Minister und Großen des Reiches gegen ihn. den Neuerer, so erbittert seien, könne ihn garnicht überraschen; sie wollten sich nur ungern dem Neuen anbequemen; aber nach und nach 12. Kap.) Wang ngan sche und Sse ma kuang. 20^ würden sie sich schon daran gewöhnen und ihre Vorurtheile fallen lassen. Dann würden sie loben, was jetzt ihren Tadel erfahre. Wang ngan sche bewahrte seinen Einfluß so lange Schen tsung re» gierte, setzte sein System durch, und stellte im Reiche Alles auf den Kopf. Es scheint aber als ob die sociale Revolution nicht den von ihm gehegten Erwartungen entsprach, denn es erging dem Volke noch schlechter als vor« her. So behaupten die Jahrbücher. Am schlimmsten für Wang ngan sche war aber, daß er es mit den Gelehrten verdarb, denn er wollte auch diese zur Annahme seines Systems vermögen. Er schrieb für die Prüfungen ein neues Verfahren vor; er wollte, daß bei der Erklärung der heiligen Bücher sein Commentar Geltung haben solle; er verlangte ferner, daß man bei Erläuterung der Schriftzeichen die von ihm gegebene Aus» legung richtig betrachten solle; er habe sie in einem von ihm verfaßten allgemeinen Wörterbuchs zusammengestellt. Gerade diese Neuerungen erregten ihm die größte Zahl unversöhnlicher Feinde. Nach dem Ableben des Kaisers Schen tsung wurde Wang ngan sche gestürzt, und die regierende Kaiserin ließ Sse ma kuang. der stch in ländliche Einsamkeit zurückgezogen hatte, zurückberufen. Er wurde Gouverneur des jungen Kaisers und erster Minister, und hatte nichts eifriger zu thun, als das System Wan ngan sche's bis auf die letzten Spuren auszurotten. Dieser starb bald darauf, und nicht lange nachher folgte ihm Sse ma kuang ins Grab. Nun rasten die politischen Leidenschaften hin und her. Die regierende Kaiserin ließ dem Sse ma kuang ein prachtvolles Leichenbegängniß halten, und in der amtlichen Lobrede, welche dem Herkommen gemäß ihm zu Ehren gesprochen wurde, hob man hervor, daß er ein Weiser, ein ausgezeichneter Bürger und ein vollendeter Minister gewesen sei. Das Volk trauerte um ihn; die Läden wurden geschloffen, und Weiber und Kinder, die nicht zu seinem Sarge gelangen konnten, knieten vor seinem Bilde. Das geschah überall wohin die Leiche kam. als sie in die Heimat des Verstorbenen abgeführt wurde. Bald traten aber die Anhänger des Waug nga» sche wieder ans Nuder; denn sie verftan» den es. den jungn, Kaiser, der volljährig geworden war, für sich einzu« nehmen. Der todte Sse ma luang wurde nachträglich aller seiner Würden und Titel beraubt, und für einen Feind des Vaterlandes und des Kaisers erklärt. Sein Grabmal wurde umgerissen, der Marmorstein auf welchem eine Inschrift zu seinem Lobe stand zerschlagen. und ein anderes Monument errichtet auf welchem seine angeblichen Verbrechen verzeichnet waren. Dann verbrannte man auch seine Schriften, und es ist nicht die Schuld 204 Die Ercberungen dci Barbaren. s>3. Kap. seiner Feinde, daß einige der herrlichsten Werke dcr chinesischen Literatur von der Vernichtung verschont blieben. Wang ngan sche's Name dagege» wurde wieder zu hohen Ehren gebracht. und sein System gelangte aber« mals zur Geltuug. Aber bald folgte ein neuer Umschwung, und Ssc ma kuang wurde in alle Würden wieder eingesetzt, während sein Gegner die 'seinigen verlor und der allgemeinen Verwünschung preisgegeben wurde. Die chinesischen Socialisten wnrden von nun an heftig verfolgt, und l 129 aus dem Reiche verjagt. Bald nachher regte sich eine gewaltige Thätigkeit in den Steppen der Mongolei. und Dschingiskhan durchzog mit stillen Barbarenhorden die halbe Welt. Vielleicht ist die Austreibung der chinesischen Socialisten auf diese Bewegungen unter den Mougolcnvolkern nicht ohne Einfluß ge> blieben. Denn sie zogen in großen Massen über die chinesische Mauer hinaus und verbreiteten sich über die Etcpvenländer, in denen sie ein umherschweifendes Leben führten. Vielleicht ist von ihrem ruhelosen, und aufregenden Wesen Manches in die Mongolen hineingebracht worden, und Dschingiskhan fand die verschiedenen Stämme vorbereitet genug, um mit ihnen seinen gewaltigen Sturm zu beginnen. Dreizehntes Kapitel. Han tschuau. — Die dankbaren Bürger verehren einem in Ungnade gefallenen Mandarin ein paar Stiefeln. — Maucranschlägc. — Wie mau mit schlechten Beamten umgeht. — Rechte und ssreihciten der Chinesen. — Verein gegen die Spieler. — Die Brüderschaft des Bullen. — Preß-frelheit. — Oeffeutliche Vorleser. — Vorurtdeile dcr Europäer über den asiatischen Despotismus. — Sorglosigkeit der Behörden. — Erinnerung an den Missionair Perboyre. — Schifffahrt auf eiuem See; schwimmende Inseln. — Die Bevölkerungsznständc in China. — Schlechter Empfang in Han Z)ang. — Wir sehen über deu Blauen Strom. — Ankunft zu U tschang fu. Unsere Geleitsmandarinen, insbesondere Meister Ting waren durch die Sticheleien, welche der Militair zum Besten gab, in sehr üble Laune gerathen. So gelangten wir nach Han tschuan, einer Stadt zweiter Classe, als eben die Sonne aufgegangen war. Es war also noch früh, wir fanden aber doch schon eine Menge Menschen vor den Wällen; in der Nähe des Thors war kaum hindurch zukommen. Uns begegnete nämlich 13. Kap.) Einem Mandarin werden ein paar Stiefeln verehrt. Is)^ ein glänzender Zug. in welchem ein Militairmandarin die Hauptperson war, ein schon bejahrter Mann mit dem Würdenzeichen eines Tu sse also einer hohen Stelle in der Armee. Er saß anfeinem reich angeschirrten Pferde, und war von einer Anzahl anderer Officiere umgeben. Der Zug ritt unter den Thorweg und hielt dann still, unweit von unseren Palan-kinen; die Menge drängte sich um den Mandarin und ließ ihn hoch leben. Nun traten zwei stattlich gekleidete Greise, jeder mit einem seidenen Stiefel, zum Tu sse hinan, beugten das Knie und zogen dem Reiter seine Stiefeln aus. Darauf waren sie ihm behilflich beim Anziehen der neuen Stiefeln. Während dieser Feierlichkeit neigte sich das Volk zu Boden. Zwei junge Männer nahmen die Fußbekleidung welche der Tu sse so eben abgelegt hatte und hingen sie unter dem Thorgewölbe auf. Dann sehte sich der Zug wieder in Bewegung; das Volk heulte und wehklagte. Wir fanden Platz um nach Han tschuan hineinzukommen; die Straßen waren gedrängt voll Menschen, die aber alle mit dem eben erzählten Vorgange dermaßen beschäftigt waren, daß sie sich um die Ankunft der westlichen Teufel nicht im Geringsten bekümmerten. Im Gemeindchause erkundigten wir uns nach dem Manne welchem jene Huldigung erwiesen worden war, und erfuhren, daß er ein in Un» gnade gefallener Militairmandarin sei. Seine Feinde hatten ihn vermittelst falscher Berichte in Peking angeschwärzt; nun sei er um einen Grad heruntergesetzt worden und müsse an einem andern Orte eine ge« ringere Stelle bekleiden. In Han tsctiuan hatte er sich jedoch als ein ganz vorzüglicher Beamter gezeigt, das Volk war ihm deshalb sehr zu« gethan, und wollte durch eine feierliche Demonstration gegen das ihm zugefügte Unrecht vrotestirm. Deshalb hatte man, dem Herkommen gemäß, ihm ein paar Ehrenftiefeln geschenkt, und die alten Stiefeln, als ein werthvolles Andenken zur Erinnerung an seine gute Verwaltung, unter dem Stadtthore aufgehängt. Der eigenthümliche Brauch einem Mandarin die Stiefeln auszuziehen, wenn er eine Gegend oder Stadt verläßt, ist in China allgemein und sehr alt. Die Chinesen Protestiren auf diese Weise gegen Ungerechtigkeiten, welche die Negierung sich gegen verdienstvolle Beamten zn Schulden kommen läßt. und beweisen dem Lctztern, daß sie ihm dankbar sind, weil er für das Volk Vater und Mutter gewesen. Fast in allen Städten hängt unter den Thoren eine Menge Stiefeln, meist dicht mit Staub bedeckt und zum Theil schon vor Alter in dürftigem Zustande; sie find aber ein Schmuck, auf welchen die Stadt hohen Werth legt. Man kann daraus gewisser« 206 Maueranschläge. s,3. Kap. maßen abnehmen, ob recht viele wackere Oberbeamten in einer Stadt ge< wesen find. Die Chinesen leisten den vorgesetzten Behörden willig Gehorsam; aber sie halten weder mit dem Tadel noch mit dem Lobe hinter dem Verge. Die Uebeireichung von Stiefeln ist eine eigenthümliche Art und Weife einem Beamten Theilnahme und Dankbarkeit zu bezeigen. Damit be« gnügen sich indessen die Chinesen keineswegs; sie haben es auch in der Kunst wirksame Maueranschläge zu verfassen, weit gebracht. Man will die Verwaltung tadeln. einen Mandarin an seine Pflickt erinnern, ihm kund geben, daß er Misvergnügen erregt habe; — dann ist der Anschlag lebhaft einschneidend, herb, voll von so bitteren Ausfällen, daß der rö« mische Pasquino nicht schärfer sein kann. Dergleichen Anschläge liest man dann an allen Straßenecken, insbesondere am Tribunalgebäude in welchem der Mandarin wolmt. Dort versammeln sich Menschengruppen. der An» schlag wird laut vorgelesen, und der Text mit unbarmherzigen Crläu» terungen begleitet. Soll dagegen einem guten Mandarin ein Zeichen öffentlicher Anerkennung gegeben werden. dann schweigt das Epigramm, und der Liebling des Volkes wird mit pomphaftem Lobe den berühmtesten Männern des Alterthums verglichen. Doch gelingt den Chinesen die Sa» tire besser als die Lobrede. Sie krümmen sich nicht etwa ohne Weiteres unter die Zuchtruthe ihrer Gebieter. Man muß ihnen die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie die Staatsgewalt resvectiren; sie wissen ihr aber auch nachdrück» lichen Widerstand entgegen zu setzen sobald sie gar zu tyrannisch auftritt, oder es mit ihren Plackereien zu arg macht. Wir fanden auf unserer Reise durch die westlichen Provinzen P i n g fang, eine Stadt dritter Classe, in großer Aufregung. Der Vorgang war folgender. Die Ober« behörde hatte zum Stadtpräfecten einen Mandarin ernannt, den die Einwohner nicht haben mochten, denn er hatte sich in seinem frühern Ve» waltungsbezirke vielerlei Gewaltthaten und Erpressungen zu Schulden kommen lassen. In Ping fang nahm man seine Anstellung übel auf, und wie gewöhnlich machte die Erbitterung sich zuerst in Maueranschlägen Luft. die immer heftiger lauteten. Darauf begab sich eine aus angesehenen Bürgern zusammengesetzte Deputation nach der Hauptstadt der Provinz, und überreichte dem Vicetönige eine Bittschrift; sie ersuchte ihn mit dem armen Volke Erbarmen zu haben, und ihm nicht zum Vater und Mutter einen gefräßigen Tiger zu schicken. Die Bitte wurde abgeschlagen, und die Deputirten kamen mit der trostlosen Nachricht heim. Sogleich traten 13. Kap.) Wie man mit schlechten Beamten umgeht. 9^7 die Vorsteher der einzelnen Stadttheile zusammen und zogen die an gesehensten Einwohner zu einer Berathung. Es wurde beschlossen Alles aufzubieten um den neuen Prafecten nicht ins Amt treten zu lassen Man kam überein ihn aus eine höfliche Weise wieder aus der Stadt hin^ weg zu maßregeln. Der Beamte erschien mit einer zahlreichen Begleitung Unterwegs blieb Alles ruhig, und man erwies ihm willig die Achtung welche seiner Würde gebührt. Er hielt seinen Einzug ins Tribunalgebäude. Ehe er noch Zeit gewann eine Tasse Thee zu trinken, melden sich die Deputirten der Bürgerschaft und bitten vorgelassen zu weiden. Der Präfect meint sie wollen ihn beglückwünschen, und läßt sie sogleich vor. Sie treten ein und verneigen sich. wie die Vorschriften es anordnen. Dann nimmt Einer das Wort, und verkündet dem neuen Prafecten mit ausgesucht höflichen Wendungen, sie alle seien im Auftrage der Stadt erschienen um ihm zu erklären. daß er augenblicklich wieder abziehen und heimgehen müsse, da man platterdings von ihm nichts wissen wolle. Der Präfect. darüber in nicht geringem Maße erstaunt, versuchte erst mit freund, lichen Worten, daun aber durch Drohungen die Bürger umzustimmen; aber er war, wie sich die Chinesen ausdrücken, nur ein Tiger von Papier; man cntgegnete ihm: es handle sich jetzt gar nicht um Be-rathungen, sondern die Sache sei bereits völlig abgemacht; er solle und dürfe in der Stadt nicht schlafen. Vor der Thüre stehe deiPalankin bereit, die Stadt werde alle Reisekosten tragen, und ihn unter festlichem Geleite nach der Provinzialhauvtstadt zum Vicekönige schassen lassen. So wutde er denn auf das Höflichste wieder alls dem. Thore spedirt; denn es half ihm nichts, daß er widersprach; die ganze Stadt war gegen ihn. Die Deputation der Bürgerschaft begleitete ihn eine Strecke, und mehrere Gelehrte reisten mit ihm zum Vicekönige., dem sie den Prafecten mit fol-genden Worten vorstellten: „Die Stadt Ping fang schickt Dir den eisten Beamten zurück, und bittet Dich unterthänig ihr einen andern zu geben, denn diesen will sie um keinen Preis haben. Solches ist das demüthige Gesuch Deiner Kinder." Dabei überreichte er ein Heft in rothem Papiere, eine Bittschrift, welche alle achtbare Bürger unterzeichnet hatten. Der Vicekönig war höchst misvergnügt, durchlas aber die Schrift, und erklärte, daß die Stadt Ping fang einen andern Prafecten haben solle, wenn ihre Beschwerden sich als gegründet herausstellen sollten. Als wir dort an-» kamen, war eben die Nachricht eingetroffen, daß demnächst ein anderer Präfect erscheinen werde. Dergleichen Vorgänge ereignen sich mchrfach; nachdrückliche Aeuße« 208 Rechte und Freiheiten der Chinesen. ^13. Kap. rungen der öffentlichen Stimmung reichen dann und wann wohl hin, um der schlechten Verwaltung eines Mandarinen ein Ende zu machen; die Regierung muß Rückficht nehmen. Die Annahme, daß die Chinesen eingeengt seien durch unbarmherzige Gesetze, und daß eine tyrannische Ge-walt sich ungestraft gegen sie Alles erlauben könne, beruht auf einem Irrthume. Jene absolute Monarchie, durch den Einfluß und die Bedeutung des Gelehrtenstandes ohnehin schon gemäßigt, gestattet dem Volke in vieler Beziehung einen sehr freien Spielraum. Der Chinese hat manche Freiheiten, die vielen, ja fast allen, europäischen Völkern bis auf den heutigen Tag abgehen. Der Chinese kann überall im Reiche ein Gewerbe, ein Handwerk, überhaupt eine Beschäftigung treiben, welche ihm gutdünkt; weder die Regierung noch irgend eine Behörde legt ihm dabei Hindernisse in den Weg, kümmert sich auch gar nicht darum. Die Ansichten mancher Eu» ropäer, daß in China jeder dieselbe Beschäftigung haben müsse welche sein Vater getrieben, oder daß die Behörde vorschreibe, welch einem Handwerke der Arbeiter sich zuwenden solle; oder endlich, daß Niemand ohne Erlaubniß der Mandarinen seinen Wohnort verlassen und anderswohin übersiedeln dürfe; — alle diese Ansichten sind falsch. Solcherlei Beschränkung der freien Beweglichkeit durch den Staat und dessen Beamte ist freilich in Europa an der Tagesordnung, China aber hat dergleichen lästigen Zwang sich fern gehalten. Man braucht kein Patent, keine Con» cession, keinen Erlaubnißschein, keine Genehmigung von irgendwem, wenn man ein Handwerk ausüben, als Arzt praktisiren, als Schulmeister lehren, als Kaufmann handeln, als Bauer das Feld bestellen will. Man wechselt mit seinen Beschäftigungen nach Gutdünken und Belieben, vertauscht ein Gewerbe gegen ein anderes, ohne, daß Jemand davon Notiz nähme. Dabei ist noch in anderer Beziehung der Chinese in unverkümmertem Ge« nusse freier Beweglichkeit; er kann in sämmtlichen achtzehn Provinzen reisen wohin es ihm gefällt, sich niederlassen wo und wie es ihm gefallt, ohne daß er mit einem Mandarin zu schaffen hätte. Man wird nicht von Gensdarmen und Polizeileuten ausgefragt; man bedarf keines Passes und keiner Reiselegitimation, Wenn eines schönen Tages die chinesische Regierung den Hochwohlweisen Einrichtungen des europaischen Paßwesens Geschmack abgewinnen sollte, dann kämen die Missionaire in die üble Lage, mit Geld einen falschen Paß zu kaufen, was allerdings sehr leicht wäre. aber doch, ihrem Gewissen widerstreben dürfte. Es giebt ein Gesetz, demzufolge der Chinese gehalten ist innerhalb 13. Kap.1 'Das Vereinigungsrecht. — Die Spieler. ^09 des Reiches der Mitte zu bleiben; es verbietet ihm die Grenzen zu überschreiten, damit er nicht in fremden Ländern umherstreife, dort schlechte Lebensart lerne und die Früchte der guten Erziehung einbüße. Aber jenes Gesetz ist nur auf dem Papiere vorhanden, denn die Chinesen sind in großer Menge ausgewandert; wir finden sie nicht nur in den östlichen Colonien der Spanier, Holländer und Engländer, sondern nun auch schon in.Californien und Westindien. Die fteie Beweglichkeit würde der Chinese sich nimmermehr verkümmern lassen; er bedarf derselben bei dem regen Verkehre im Lande ganz nothwendig um existiren zu können. Eben so nothwendig ist in dem Chinesen das Vereinigungsrecht, das Necht sich mit Anderen zu vergesellschaften. Dieses Recht besitzt er ohne jegliche Einschränkung. Nur allein die Geheimbünde, welche zu dem Zwecke gestiftet worden sind die Mandschudynastie zu stürzen, find verboten, und die Regierung laßt in dieser Beziehung scharf nachspüren; im Uebrigen find alle Vereine vor Polizeiplackereien sicher. Die Chinesen haben eine ausgeprägte Naturanlage zur Bildung von Hui, das heißt Körperschaften, Genossenschaften. Es giebt dergleichen für alle Stände, für jede Art von Industrie, für alle möglichen Unternehmungen und Ge« schäfte; sogar Bettler und Diebe bilden Vereine, Niemand bleibt vereinzelt. Es ist als ob ein scharf ausgeprägter Instinct die Einzelnen zu einander triebe; sie legen ihre Kräfte zusammen und wirken gemeinschaftlich; dadurch gewinnen sie Geltung, welche sie sonst nicht haben würden. Es kommt auch vor. daß die Bürger Vereine bilben. welche keinen andern Zweck haben, als darauf zu halten, daß die Gesetze beobachtet werden; dergleichen geschieht, wo die Behörden sich zu schwach oder zu nachlässig zeigen. Wir haben sehr oft Gelegenheit die sehr ersprießliche Wirksamkeit solcher Vereine in der Nähe zu betrachten. Das Glücksspiel ist in China verboten; nichtsdestoweniger wird mit rasender Leidenschaft gespielt. In der Nähe unserer Mission, nicht weit von der großen Mauer, lag ein Dorf. dessen Bewohner als arge Spieler berüchtigt waren. Da fiel es einem Familienvater, der bislang selber jenem Laster gestöhnt hatte, plötzlich ein, daß die ganze Wirthschaft nichts tauge. Er beschloß dem Unfuge zusteuern, schrieb Briefe an manche andere Familienväter, und lud sie zu einem Essen ein. Gegen Ende der Mahlzeit setzte er in einer Rede auseinander wie viel Unheil durch das Spiel entstehe, und schlug seinen Gästen die Bildung eines Vereins vor, der keinen andern Zweck haben solle, als dasselbe im Dorfe auszurotten. Nach sorgfältiger Berathung wurde der Plan angenommen, und ein Huc. Lhina. 14 2l3. Kap. keit nicht blosstellcn. Solch ein Richter verweilt in seinem Privatzimmer, das an den Gerichtssaal stößt; die Parteien führen ihre Sache vor dem Gerichtsschrciber und einigen anderen Beamten. welche dann so oft es ihnen gelegen und angemessen erscheint, den Stand der Dinge dem Richter vortragen. Dieser sitzt auf seinem Divan, raucht seine Pfeife und trinkt Thee. Das Urtheil selbst macht ihm auch nicht viel zu schaffen, denn der Schreiber bringt ihm den Entwurf dazu. und er braucht blos seine Einwilligung dazu zu erklären ; das thut er. indem er sein Siegel aufdrückt. Diese Art und Weift Rechtssachen abzufertigen ist jetzt so allgemein im Schwange, daß ein Richter der die Sachen in alter Weise erledigt und seine Pflicht erfüllt, als ein Mann betrachtet wird, den man Auszeichnungen erweisen müsse. Wir mußten zwei Tage in Han tschuan bleiben, weil der Wind äußerst heftig wehete, und eine Fahrt auf dcm Blauen Strome nicht gerathen schien. Wir schlugen unseren Geleitern vor die Reise zu Lande fortzusetzen; allein uns wurde entgegnet. daß wir auch dann Barken besteigen müßten, weil unterwegs ein goßer See zu passiren sei; dort fänden wir uur solche Fahrzeuge, die bei heftigem Sturme keine Sicherheil gewähren könnten. Der Wind ließ endlich nach uud wir zogen weiter. Fünf Jahre früher hatte ein französischer Missionair dieselben Pfade betreten, gleichfalls begleitet von Mandarinen und Trabanten, uud von einem Tribunal zum andern geschleppt, aber unter ganz anderen Umständen. Wir waren auf freiem Fuße und von einem gewissen Pomp umgeben; der arme Perboyre dagegen war mit Ketten beladen und wurde von Henkern aus einem Gefängniß ins andere geschleppt. Und doch war er voll Muth und bestand kräftig den heiligen Kampf, erduldete lange Folterqualen in der Hauptstadt von Hu pe und gab als Märtyrer sein Leben für seinen Glauben hin. So war für uns der Weg von Han tschuau ab ein geheiligter Pfad. Einige Stunden lang wanderten wir auf einer engen Straße, welche sich durch rothe Hügel schlangelt. Dort wuchs Baumwolle und Indigo in Menge, in den Thälern stand Reis. Bald erblickten wir den See Ping h u, dessen mattblaue Oberfläche leicht vom Winde gekräuselt wurde, und im Sonnenftrahle wie von tausend Diamauten erglänzte. Am Ufer lagen drei Fahrzeuge für uns bereit. Die Matrosen hißten die langen wie Fächer zusammengelegten Bambussegel auf, die Ruderer gingen emsig ans Werk. und als gegen Mittag ein frischer Wind sich erhob glitten wir rasch über die weite Oberfläche dieses prächtigen Wasserspiegels. Uns begegneten viele Schiffe von allerlei Gestalt und verschiedener Größe, mit Waaren und Passa« 13. Kap.) Schwimmende Inselu. <)^ gieren beladen; auch die Zahl der Fischcrbarkeu war beträchtlich. Diese zahlreichen Dschonken mit ihren gelben Segeln und bunten Pavillons gewährten einen hübschen Anblick. Auch an mehreren schwimmenden Inseln kamen wir vorüber. Sie sind ein eben so wunderbares als sinnreiches Erzeugniß der chinesischen Betriebsamkeit, desgleichen schwerlich ein anderes Volk in ähnlicher Weise besitzt. Sie bestehen aus schwimmenden Flößen, die zumeist aus Bambus zusammengesetzt sind, dessen Holz dem Wasser lange Zeit Widerstand leistet. Auf diese Flöße hat man eine dicke Lage fruchtbarer Dammerde gebracht. Auf solch einer Insel wohnen einige Ackerbauerfamilien in zierlichen Häusern, mitten in Gärten und wohlbestellten Feldern; sie scheinen sich in gedeihlichem Wohlstande zu befinden, und treiben den Fischfang als einträgliches Nebengewerbe. Tauben und Sperlinge haben sich in Menge auf diesen Inseln angesiedelt. Mitten im See trafen wir eine solche die wie ein Schiff fortbewegt wurde; sie kam freilich nur laugsam aus der Stelle obwohl sie vor dem Winde schwamm, und die Bewohner nicht nur ruderten sondern auch viele Seegel beigesetzt hatten. Eins derselben war auf dem Hause ange« bracht, andere bemerkten wir au verschiedenen Punkten. Die Chinesen sind bald da bald dort mit diesen Inseln. gerade so wie der Mongole sein Zelt heute an dem einem Orte aufschlägt und morgen an einem andern. Sie schaffen sich eine Wüste mitten in der Civilisation. Schwimmende Inseln findet man auf allen großen Seen China's. Sie überraschen ungemein wenn man sie zum ersten Male sieht, und man bewundert die sinnreiche Ar» beit dieses Volkes, das in Allem was es tbut uus Erstaunen abnöthigt. Man fragt sich aber bald: wozu und weshalb diese künstlichen Felder; man denkt daran wie viel Fleiß und Arbeit es gekostet haben muß, bis arme Leute sich auf dem Wasser eiuen Acker und ein Haus schufen, das sie auf dem festen Lande nicht finden konnten. Dann steigen in uns trübe Gedanken auf. Was wird die Zukunft dieser ungeheuern Menschenmenge sein, die fast zu groß ist als daß China sie noch fassen kann, und die sich auf das Wasser flüchten müssen, um ihr Leben zu fristen? Die europäischen Schriftsteller haben sich große Mühe gegeben die Ziffer der Bevölkerung annaherend zu bestimmen. Die Chinesen gehen bei statistischen Aufnahmen und beim Zählen der Volksmenge mit ziemlicher Sorgfalt zu Werke. In jeder Provinz wird die Population nach Familien und steuerpflichtigen Individuen verzeichnet, und in besondere Register eingetragen; das Ergebniß wird zusammengestellt und veröffentlicht. Das Verfahren bei dieser Aufnahme hat in der neuern Zeit einige Abänderungen 216 Volkszählungen. s13. Kap. erfahren; man zeichnet nämlich jetzt manche Classe« von Leuten die keine Steuern zahlen, gar nicht ein. Daher rührt die Verschiedenheit der Angaben für Zeitabschnitte die nicht weit auseinander liegen. Drei Hanptzäh« lungen haben Ergebnisse geliefert, die zumal authentisch sind und bei denen doch die höchste Ziffer von der niedrigsten um nicht weniger als 183.000.000 Köpfe abweicht. China hatte 1743. nach Pater Amiot. 150,265,475 Seelen; 1761. nach Pater Hallerstein, 198.214.552; und 1794. nach Lord Macartney. 333.000,000 Seelen. In den neuesten Aktenstücken welche in der Veroidnungssammlung der Mandschudynastie enthalten sind. steigerte sich die Ziffer auf 361.000.000. Das ist eine ungeheure Zahl, und doch sind wir geneigt, sie für keineswegs übertrieben zu halten, man wird sich, je nach der Art und Weise wie und wo man reist, im Anfang ganz verschiedene Vorstellungen über die Menge der Bevölkerung in China bilden. Wenn man zum Beispiel durch die Süd-Provinzen kommt und den Landweg wählt, dann glaubt man, das Land könne unmöglich eine so große Volksmenge haben wie man hat behaupten hören. Man sieht nicht viele Dörfer und selten sind sie groß; auch findet man unbebautes Land und könnte sich in die Mongolei versetzt glauben. Sobald man aber in denselben Provinzen auf Canälen und Flüssen reist, bekommt man eine ganz andere Vorstellung vom Lande. Dann trifft man nicht selten Städte mit einigen Millionen Bewohnern, ein großes Dorf stößt an das andere, Alles wimmelt von Menschen, und man begreift nicht woher eine so ungeheure Masse die nöthigen Nahrungsmittel erhält. Dann möchte man auch beinahe annehmen daß die Ziffer von 361,000.000 noch viel zu gering sei. Es wirken manche Ursachen zusammen, welche das Dasein einer solchen Ueberfülle von Menschen in China erklären. Man heirathet früh, es gilt für schimpflich kinderlos zu sein; auch Soldaten und Matrosen haben Frauen, das Volk lebt mäßig, und das Reich hat volle zweihundert Jahre ungestörten Friedens gehabt. Das Klima ist günstig. derBoden fruchtbar. Nun hat freilich die innere Ruhe ein Ende; die Revolution wüthet durch das Land in einer entsetzlich blutigen Weise. Dadurch wird, wenigstens für einige Zeit. dem Anwachs der Bevölkerung ein Schranke gesetzt. Auf dem See Pmg hu trafen wir auch viele Fischelbarken. Sie waren ohne Fangnetze, weil sie eine Menge Kormorans am Bord hatten welche die Fische fangen müssen. Die Art und Weise wie das geschieht ist so häufig, selbst in Kinderschriften dargestellt worden, daß wir auf diesen Gegenstand nicht näher einzugehen brauchen. 13. Kqp.I Europäische Kleidertracht. 217 Am andern Ufer des Sees Ping hu stiegen wir wieder in unsere Palankins und kamen am Abend nach H an Yang, einer großen Stadt am Blauen Strom. Die Kaufleute zündeten eben ihre Laternen vor den Vu^ den an, und die Arbeitsleute begaben sich nach des Tages Mühen auf die Straßen und Platze, um sich an den Darstellungen der Gaukler und Komödianten zu erlustigen. Die Chinesen wissen übrigens nicht was Spazierengehen heißt, und begreifen auch den Nutzen, welchen eine mäßige Körperbewegung auf die Gesundheit übt gar nicht. Sie finden es an den Europäern im höchsten Grade lächerlich. daß diese gehen lediglich um zu gehen. Wenn sie hören daß wir einen Spaziergang als eine Erholung und Erquickung betrachten, dann halten sie uns für sehr starke Originale, wo nicht gar für Leute ohne gesunden Menschenverstand. Chinesen, welche, ans den inneren Provinzen nach Canton oder Macao kommen, machen sich einen Spaß daraus zuzusehen wenn Europäer spazieren gehen. Sie stellen oder kauern sich an den Tchiffsländen, stecken die Pfeife an, entfalten die Fächer und gucken den auf- und abwandelnden Europäern zu. Diese sin« den ihrerseits an den Bewohnern des himmlischen Reichs allerlei Wun-derlichkeite» und Lächerlichkeiten, und so haben beide Theile in dieser Hinsicht einander nichts vorzuwerfen; die Sache hebt sich. Uebrigens macht es Einem Vergnügen, zu hören mit welch derbem und einschneidendem Scherze die Chinesen sich über die abendländischen Teufel lustig machen, und wie sie ihr Erstaunen ausdrücken wenn sie die seltsame europäische Tracht sich naher ansehen; diese engen gleichsam an die Schenkel geleimten Beinkleider , die wundersamen Hüte die wie Schornsteine aussehen, die Hemdskragen welche so hoch und steif emporstehen, daß sie beinahe das Ohr absägen, und dazwischen hervor diese wunderlichen weißen Gesichter mit langen Nasen und blauen Augen ohne Schnauzbart und ohne Knebelbart, wohl aber aus jeder Wange mit einem Streifen krausen rothen oder blonden Haares. Namentlich der Frack erscheint ihnen als ein unbegreifliches Kleidungsstück. Sie wissen gar nicht was sie aus einem solchen „Halbkleide" machen sollen, das über der Brust nicht schließt, und wohl hinten ein paar Schöße hat, aber nicht vorne, wo es doch nöthig wäre den Leib zu bedecken. Insbesondere staunen sie über den ausgesuchten Geschmack, dem zufolge große Knöpfe, die wie Sapeken aussehen, auf den Rücken genäht werden, ohne daß es dort etwas gäbe das zugeknöpft werden könnte. Der Chinese kommt sich tausendmal hübscher vor mit seinen schwarzen, enggeschlitztcn, schrägen Augen, mit seinen vorstehenden Backenknochen, mit seiner Nase welche die Form einer Kastanie hat, mit seinem 218 Aufnahme in Han Yang. sl3 Kap. geschornen Kopfe und langem Zopfe, der bis auf die Fersen hinab hängt. Dazu kommen noch der kegelförmige mit rothen Franzen besetzte Hut, ein weiter Rock mit weiten Aermeln, und schwarzstidene Stieseln mit dicken weißen Sohlen. Wie könnten also die Europäer mit den Chinesen einen Vergleich aushalten! Diese Letzteren halten sich uns auch in vielen anderen Dingen überlegen und sicherlich auch für gescheidter. Der Europäer geht spazieren um sich Körperbewegung zu machen; der Chinese dagegen fragt, ob es einer guten Civilisation nicht mchr entspreche in müßigen Stunden Thee zu trinken, Tabak zu rauchen oder zu schlafen. Am Abend und in der Nacht haben sie nur ansnahmsweise Gesellschaft und Festlichkeiten; sie le« gen sich früh schlafen und stehen früh auf. Nur um Neujahr und bei gewissen Familienfesten tritt eine Veränderung darin ein; dann gönnen sie sich keinen Augenblick Ruhe. Im Uebrigen ist in den großen chinesischen Städten zur Nachtzeit Alles still; die Läden sind geschlossen, die Gaukler. Komödianten und öffentlichen Vorleser sind zumeist verschwunden, nur auf einigen Stellen sind die Schauspieler noch in Thätigkeit, damit solche Arbeiter die erst spät ihr Tagewerk vollendet haben nicht'ganz leer ausgehen. Wir brauchten wohl eine gute Stunde um durch die Straßen von Han yang ans Ende einer Vorstadt zu gelangen, wo man uns in ein Haus brachte daS weder Gemeindcpalast, noch Tribunalgebäude, Gasthof, Gefängniß oder Pagode war. Dort empfing uns ein alter Chinese, der ehemals Mandarin gewesen, und führte uns in einen großen dürftig möblirten Saal, in welchem nur ein mattes Licht brannte. Dann stopfte er seine Pfeife, setzte sich auf eine Bank. schlug die Beine übereinander, und kümmerte sich gar nicht weiter um uns. Inzwischen waren unsere Begleiter verschwunden, kein Mandarin ließ sich blicke» um uns die Aufwartung zu machen; auch bot uns Niemand eine Tasse Thee. Endlich erschien Meister Ting, dcr ebensowenig begriff was das Alles bedeuten solle. Der alte Chinese an welcken wir nun einige Fragen richteten, gab trocken zur Antwort, er habe unsertwegen keinerlei Befehle oder Weisungen erhalten, wisse nicht wer wir seien. wohin wir gingen und woher wir kä» men; er sei überrascht, daß so viele Leute in so später Stunde angekommen seien. Weiter ließ sich nichts aus ihm herausbringen; wir beschlossen also den Präfecten im Tribunal aufzusuchen. Der Empfang war höflich aber kalt; man habe gemeint wir würden nur durchreifen um noch an demselben Abende die Hauptstadt der Provinz zu erreichen, die am andern 13. Kap.) Aufnahme in Han yang. «.« Ufer liege. Da da« aber nicht geschehen sei. so wolle man für die nöthige Bewirthung sorgen. Es war klar, daß uns der Präfect einen echten Chinescustreich spielte; der Mann wollte sich die Umstälwe und Kosten eines officiellen Empfanges sparen; er wußte übrigens sehr wohl, daß wir an jcmm Abende gar nicht mehr nach Ut schang fu hätten kommen können. Wir thaten jedoch als ahneten wir gar nichts von seiner Betrügerei und lehrten in unsere Herberge zurück. Es war aber ein großer und verhäng» nißvoller Fehler, daß wir uns freundlich vom Präfecten verabschiedete», ohne ihm eine tüchtige Lection gegeben zu haben. Denn nun glaubte er sich Alles erlauben zu können. In der Herberge erschien ein Diener und brachte in einem Korbe unser Abendessen. Der Präfect hatte uns einen Napf voll Reis zugedacht der in Wasser gekocht war, dazu einige Stücken gesalzenen Fisches und ein wenig Spcck. Das war denn doch zu arg. Meister Ting war wüthend und überhäufte den Diener mit Vorwürfen; wir mußten ihn beruhigen, denn was konnte der arme Bote für das Alles ? Unsere Eigenliebe war dermaßen verletzt, daß wir eine große Unbesonnenheit begingen, und ganz von der Linie abwichen die wir uns für unsern Verkehr mit den Mandarinen vorgezeichnet hatten. In kindischem Stolze sagten wir dem Diener, er möge seinem Herrn in unserm Namen für so großmüthige Fürsorge danken; zugleich baten wir Meister Ting im nächsten besten Speisehause ein Abendessen besorgen zu lassen, das denn auch anlangte, ganz vortrefflich war, und zwei Unzen Silbers kostete. Unsere Eigenliebe hatte uns dermaßen verblendet, daß wir nicht einsahen wie unverständig wir handelten; am andern Morgen freilich begriffen wir es. Wir hatten vergessen, daß wir in China waren, und Mandarinen nicht die Leute sind. denen gegenüber man eines Ehrenpunktes wegen sich em» pfindlich zeigen darf. Das richtige Verfahren wäre Folgendes gewesen. Wir mußten ei» kostspieliges Abendessen auftragen lassen, einige Tage in Han yang liegen bleiben, und dem Präfecten viele Umstände machen, dazu ihm noch mancherlei Ausgaben verursachen. Das wäre uns auch für die ganze Reise zugute gekommen; so aber hatten wir unsere Unvorsichtigkeit schwer zu bereuen, und es kostete unglaubliche Mühe unsern bisherigen Einfluß uud unser altes Ansehen wieder zu erobern. Am andern Morgen gingen wir weiter. Vom Stromufer sahen wir gegenüber die unbestimmten Umrisse einer ungeheuren in Nebel gehüllten Stadt liegen; es war U tschang fu, Hauptstadt der Provinz Hu pe; der Fluß hatte eine gewaltige Breite und kam uns vor wie ein Meeresarm. Dieser „Meeressohn" war mit einer unzahligen Menge Dschonken bedeckt. 220 Wohnung in einer Pagode zu N tschang fu. sl4. Kap. Wir schifften mit günstigem Südwinde hinüber; nach einer Fahrt von etwa dreiviertel Stunden waren wir an einem Hafen von U schang fu, denn es hat mehrere, gebrauchten aber wohl zwei volle Stunden, um uns durch die unzahligen vor Anker liegenden Schiffe hindurchzuarbeiten. Gegen Mittag waren wir in unserer Wohnung, die nicht weit vom Palast deS Gouverneurs entfernt war. Vierzehntes Napitel. Wohnung in einer kleinen Pagode. — U tschang fn. Hauptstadt von Hu pe. — Der chinesische Gcwerbfleiß. — Verfall der Gewerbe uuo seine Ursachen. — Ausstellungen von Kunst- und I»dustrieerzeugnis,en. — Handelsverbindungen mit dem Auslande. — Der Binnenhandel in China. — Zinsfuß. — Vereine von Geldmänuern. — Große Lagerplätze im Mittelpunkte des Reichs. — Das Canalsystem. — Ginfluß der Sa-peke. — Der Kleinhandel. In U tschang fu hatte man uns in eine kleine Pagode geführt, die erst ganz vor Kurzem fertig gebaut worden war; es wohnten noch keine Bonzen darin. Sauber war es in diesem Hause, aber wir erhielten blos ein kleines Zimmer, welches Licht und Luft nur durch eine einzige Oeff-nung erhielt, die auf eine Mauer hinausging. Die Hitze in diesem Gemache war entsetzlich, und wir machten Gegenvorstellungen. Alle Mandarinen, die uns besuchten, erklärten daß einem solchen Uebelstandc unver-weilt abgeholfen werden müsse; aber das war auch Alles, denn wir behiel« ten jeneS Schwitzbad, und bekamen schon jetzt Strafe genug für unsere Unklugheit in Han yang. Denn der kleine Mandarin welcher uns von dort über den Strom nach U tschang fu geleiten mußte, hatte sicherlich nicht versäumt, den Mandarinen dieser Stadt zu sagen, daß wir als gutmüthige Leute sehr leicht uns zufrieden stellen ließen. Deswegen waren auch alle Einreden unsers Meisters Ting ohne Erfolg. Wir sahen wohl ein, daß wir von nun an nicht die mindeste Nachgiebigkeit zeigen durften; denn die Mandarinen sind tyrannisch gegen Jeden der sie nicht einzu» schüchtern weiß. Das Uebelwollen der Behörden ließ sich auch aus Folgendem erklären. Einige Monate vor unserer Ankunft hatte man einen spanischen Missionair in einer christlichen Gemeinde unweit von U tschang fu erkannt und verhaftet, mit Ketten am Halse ins Gefängniß geworfen, 14. Kap.) U tjchang fu, Hauptstadt von Hu pe. 231 mehrmals verhört und zuletzt nach Macao abgeführt, gemäß den Verträ. gen welche China nach dem englischen Kriege mit den Seemächten geschlossen hat. Wir waren nicht so geduldig und voll Entsagung wie der gute spanische Pater. Auf unsere Beschwerden gab man uns zu verstehen, wir könnten uns sehr glücklich schätzen daß man uns auf freiem Fuße belasse und nicht mit Ketten behänge; ja die Mandarinen meinten wohl gar, wir müßten uns dafür bedanken, daß wir noch unsern Kopf am Leibe hätten. Das mußte anders werden, und zu diesem Zwecke entwarfen wir un, sern Plan. Unsere Zelle war so eng und so drückend heiß, daß man es darin nicht aushalten konnte. Deshalb schlenderten wir in der Stadt umher, begleitet von Meister Ting, der sich weit von diesen Barbaren in Hu pe hinweg nach seiner theuern Provinz Sse tschuen sehnte. Um die Aufmerksamkeit des Volkes nicht zu erregen, mußten wir den gelben Rock und rothen Gürtel ablegen. Wir kannten übrigens U tschang fu von früher her. Diese gewaltige Stadt, im Mittelpunkte des Reiches am Blauen Strome ist einer der wichtigsten Handelsplätze. Wir haben schon bemerkt daß Han yang gegenüber am andern Ufer liegt; eine dritte großartige Stadt, Han keu, das heißt Mund des Handels, liegt noch näher, an der Stelle wo ein Fluß sich mit dem großen Strome vereinigt, fast unter den Mauern von U tschang fu. Diese drei Städte liegen im Dreieck, und so daß man aus jeder die übrigen im Bereiche des Auges hat. Der Strom verbindet sie untereinander und mit dem übrigen China; sie bilden gleichsam das commercielle Herz für das Reich. Diese drei Stadte haben eine Bevölkerung von nahezu acht Millionen. Wer sich einen Begriff von der Bedeutung und Lebhaftigkeit des chinesischen Binnenhandels machen will. muß Han keu, Han yang und U tschang fu besuchen. China ist ein ungemein fruchtbares, an Erzeugnissen aller Art unermeßlich reiches Land, und seine Bewohner find im höchsten Grade betriebsam und sinnreich. Ihre Industrie ist geradezu bewundernswürdig > in Bezug auf Alles was auf nützliche Dinge und Bequemlichkeiten des Lebens Bezug hat. Bei ihnen verliert sich der Ursprung so mancher nütz. lichen Künste und Fertigkeiten in dem Dunkel der Zeiten; manche Erfin« düngen werden Personen zugeschrieben, deren historisches Dasein von den Geschichtschreibern in Zweifel gezogen wird. Die Chinesen verstanden schon im höchsten Alterthume die Benutzung des Gespinnstes der Seiden, raupe, und schon früh kamen aus fern entlegenen Theilen Asiens Kauf. leute. um Seidenzeuge zu holen. Die Bereitung des Porzellans erreichte 2?2 Der chinesische Gewerbfleisi. sl4. Kap. einen so hohen Grad der Vollkommenheit, daß man in Europa die größte Mühe gehabt hat. sie auch nur annähernd zu erreichen, ohne doch dieselbe Festigkeit und Wohlfeilheit erzielen zu können. Aus dem Bambus verfertigt der Chinese tausenderlei verschiedene Sacken; das chinesische Baumwollenzeug, der Nanking, ist in der ganzen Welt berühmt; ihr geblümter Atlas in jeder Hinficht ausgezeichnet, denn sie können auf ihrem höchst einfachen Webstuhl die mannigfachsten Zeichnungen liesern, und die chinesischen Cröpes sind bis auf den heutigen Tag unerreicht geblieben. Außer ihren schätzbaren Hanffabnkaten fabriciren sie auch eine sehr kräftige Waare aus einer Art Eppich, welchen sie Ko nennen; ihre Möbeln. Va« sen, Werkzeuge und Geräthe aller Art zeichnen sich durch sinnreiche Ein« fachheit aus. die wohl Nachahmung verdiente. Schon zweitausendfünf-hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung hat man in China die Polarität der Magnetnadel beobachtet, obwohl daraus noch kein Nutzen für die Schifffahrt gezogen wurde. Schießpulver und andere brennbare Zusam« mensetzungen, die bei Feuerwerken überraschende Wirkungen haben, find ihnen sehr lange bekannt, und man glaubt, daßdieBombardenundStein-geschoffe, welche die Mongolen im dreizehnten Jahrhundert durch die Chine« sen kennen lernten, Vorbilder für die AiMene m Europa abgeben ha» ben. Die Schießgewehre und Kanonen. welcker sich die Chinesen gegenwärtig bedienen, find freilich nach europäischen Mustern gearbeitet. und die Benennung dieser Waffen ist der europäischen nachgebildet. Die Chi« nesen verstehen sich von jeber auf die Verarbeitung der Metalle, machen musikalische Instrumente, schneiden und poliren harte Steine. Holz«, schneidekunft und Etereotypendruckerei steigen bis ins elfte Jahrhundert hinauf; Stickereien, Färberei und die Kunst zu lackiren befinden sich auf einer hohen Stufe. Die Europäer können manche Artikel der chinesischen Industrie nur sehr unvollkommen nachahmen; wir sind z. B. immer noch weit zurück hinter ihren lebhaften und dauerbaren Farben, ihrem zugleich feinen und haltbaren Papiere, ibren Tuschen und so manchen anderen Ge« genständen, welche zugleich Geduld, Sorgfalt und Geschicklichkeit erfor« dern. Die Chinesen ahmen gern fremde Muster nach, und zwar mit scla, vischer Genauigkeit und Treue; sie verfertigen auch. lediglich für den Bedarf der Europäer, eine Menge von Sachen, welche dem Geschmack dieser letzteren entsprechen, Figuren aus Speckstein, Holz«.. Die Handarbeit ist bei ihnen ungemein billig. - Aber wie in China Alles den Krebsgang nimmt, so macht auch die Industrie nicht etwa Fortschritte, sondern geht zurück. Schon jetzt sind <4, Kap.) Verfall der Gewerbe und seine Ulsachen. 223 manche wichtige Fabrikationsgeheimnisse verloren gegangen, und die geschicktesten Arbeiter sind nicht mehr im Stande, so feine und vollkommene Gegenstände zu liefern, wie es vor mehreren Jahrhunderten der Fall war. Daraus erklärt sich die heftige Leidenschaft der Chinesen für Ku tun, Alterthümer. Sie kaufen alte Porzelansachen, Broncen, Eeidengewebe und Malereien auf. die allerdings weit vorzüglicher sind als Alle«, was die neuere Zeit liefert. Denn die heutigen Chinesen erfinden und vervoll, tommnen nichts, sondern sinken allmälig von der hohen Stufe herab, auf welche ihre Vorfahren sich emporgeschwungen hatten. Ein nicht geringer Theil der Schuld fällt zu Lasten der Regierung, welche auch in Bezug auf Künste und Gewerbe die größte Nachlässigkeit zeigt. Von Aufmunterung und Förderung ist gar keine Nede. ebenso wenig von Auszeichnung für das Verdienst. In alten Zeiten war das anders. Dieselben Mittel welche Europa seit etwa einem Halden Jahrhunderte ergriffen hat, um zu gegen» seitiger Nacheiferung zu reizen, dem Talente Spielraum zu gewähren, tüch» tige Werke zu allgemeiner Anerkennung zu bringen, diese Mittel kennt China seit vielen Jahrhunderten, nämlich die Kunst-und Gewerbe« ausstellungen. Alle Bürger waren berufen, über die einzelnen Artikel ihr Lob oder ihren Tadel auszusprechen. und jenen Ausstellern, die sich ausgezeichnet hatten, wurden von den Behörden Belobungen und Belohnungen zuerkannt. In einem arabischen Reisebericht aus dem neunten Jahrhunderte kommt eine bemerkenswerthe Stelle vor, die es zum Theil erklärlich macht, weshalb die Chinesen so staunenswerthe Fortschritte bereits in einer Zeit gemacht hatten, als die meisten übrigen Völker noch weit zurück waren. Der arabische Erzähler schreibt: „Die Chinesen gehören zu denjenigen Geschöpfen Gottes, welche die größte Handfertigkeit besitzen, zum Zeichnen, zum Fabriciren und für alle Arten Arbeit; in dieser Hinsicht werden sie von keinem andern Volke übertroffen. In China macht ein Mensch mit seiner Hand, was ein anderer Mensch wohl schwerlich zu verfertigen im Stande wäre. Eine vollendete Arbeit bringt er zum Gouverneur und for« dert eine Belohnung für den Fortschritt, welchen er in der Kunst gemacht hat. Der Gouverneur läßt den eingelieferten Gegenstand an der Thüre seines Palastes ausstellen und dort bleibt er ein Jahr lang zur öffentlichen Schau. Hat inzwischen Niemand daran etwas getadelt, dann belohnt der Gouverneur den Künstler und läßt ihn in seine Dienste treten. Erbekommt aber nichts wenn Jemand erhebliche Fehler hat nachweisen können. Einst brachte ein Mann einen Seidenstoff; in denselben war eine Aehre gewebt, 224 Industrieausstellungen. — Handelsverbindungen. ^14. Kap. auf welcher ein Sperling saß. Wer das sah, mußte glauben er habe eine wirkliche Aehre vor sich. auf welcher ein leibhafter Sperling sich niedergelassen hatte. Der Seidenstoff blieb eine Zeitlang ausgestellt. Endlich erschien ein Buckelicher. und hatte allerlei daran zu tadeln. Der Gouverneur ließ ihn vor sich kommen. und der Tadel mußte im Einzelnen begründet werden. Da sprach der Buckelige: ,Kein Mensch wird behaupten, daß eine Aehre sich nicht beuge wenn ein Sperling sich darauf fetzt; nun steht aber hier der Sperling auf einer geraden Aehre; das ist ein Fehler/ Der Gouverneur erklärte den Tadel für begründet, und der Künstler erhielt keine Belohnung. Der Zweck der Chinesen ist, daß sie durch solche Ausstellungen das Talent aufmuntern und die Künstler zu reiflichem Nach» denken bei Allem was sie unternehmen, veranlassen wollen, und damit Alles was aus ihren Händen hervorgeht, mit äußerster Sorgfalt gearbeitet werde." Es ist begreiflich daß dergleichen permanente Ausstellungen die Nach' eiferung beleben und den Fortschritt begünstigen mußten. Deswegen waren auck in jener Zeit die Chinesen in Kunst und Gewerben allen anderen Völkern voraus, und ihr auswärtiger Handel nahm einen großartigen Ausschwung. Den Seidenhandel nach dem oströmischen Reiche vermittel» ten die Bucharen und Perser; durch ihn hauptsächlich wurde das Abendland mit China bekannt. In den Hafenstädten war die Menge der Fremden so beträchtlich, daß gegen Ende des neunten Jahrhunderts ihrer nicht weniger als Hundertzwanzigtausend in Han tscheu fu. der Hauptstadt von Tsche kiang. ermordet wurden. Der eben angeführte arabische Schriftsteller erzahlt die grauenvolle Katastrophe in folgender Weise: „Es find Ereignisse eingetreten, welche die Handelsünternehmungen nach jener Gegend (China) unterbrochen, dieses Land zu Grunde gerichtet haben, und seine Macht untergruben. Ich will. unter Gottes Beistand, erzählen, was ich darüber gelesen habe. China kam aus seinen gesetzlichen Verhältnissen und aus der Lage der Gerechtigkeit dadurch, daß ein Rebell, Namens Vauschena, welcher der königlichen Familie nicht angehörte, aufstand. Dadurch wurden auch die Handelsunternehmungen unterbrochen, welche aus dem Haftn Syraf nach jenen Gegenden unternommen wurden. Jener Mensch benahm sich sehr schlau, lehnte sich auf. griff zu den Waffen und erpreßte Geld von Privatleuten. Nach und nach schloffen bös» willige Menschen sich ihm an, sein Name wurde gefürchtet, seine Macht wuchs, sein Ehrgeiz stieg immer höher. Unter den Städten, welche er an« griff, war auch Khan fu, ein Hafen, wo die arabischen Kaufleute landen. 14. Kap.) Der Handel in China. <)<^ Zwischen dieser Stadt und dem Meere ist eine Entfernung von einigen Tagereisen; sie liegt an einem großen Strome und hat süßes Wasser. *) Die Bewohner schlössen ihre Tliore. aber der Rebell belagerte sie lange Zeit. Das geschah im Jahre 264 der Hedschira (878 nach Christi Geburt). Endlich nahm er die Stadt ein, und ließ die Bewohner über die Klinge springen. Personen, welche mit den chinesischen Begebenheiten bekannt sind, erzählen, daß bei dieser Gelegenheit Hundertzwanzigtausend Muselmänner, Juden, Christen und persische Guebern umkamen; sie waren dort ansässig, und trieben Handel. Man hat die Anzahl der Leute, welche diesen vier Religionen angehörten, genau angegeben-, weil die chinesische Regierung von jedem derselben eine Abgabe erhob. Aber noch mehr; der Rebell ließ auch die Maulbeerbäume und anderen Bäume auf dem städtischen Gebiete umhauen. Wir führen insbesondere den Maulbeerbaum an, weil sich von dem Blatte desselben der Wurm nährt, welcher die Seide spinnt. Diese Verwüstung hatte zur Folge, daß keine Seide mehr in die arabischen Länder und andere Gegenden geschickt wurde." Während Fremde die Häfen des himmlischen Reiches besuchten, fuhren chinesische Kaufleute mit ihren Dschonken in den indischen Ocean, und handelten auck in Arabien und Aegypten. Noch heute kommen ihre Schiffe nach den Inseln des östlichen Archipelagus, nach Malakka, Vengalen, Cochinchina und Japan. Am Landhandel haben sich die Chinesen lebhaft betheiligt, und es leidet keinen Zweifel, daß eben des Handels wegen chinesische Colonien in der Mongolei sich ansiedelten; chinesische Armeen sind zu wiederholten Malen in den westlichen Ländern erschienen. Gegenwärtig wird auswärtiger Landhandel auf der Nord- und Westgrenze getrieben. Die Chinesen kaufen besonders mongolische Pferde, Nephrit (Nierenstein), Moschus und Shawls aus Khotan und Thibet, Pelzwerk aus Sibirien, Tuche, Seife, Leder. Gold- und Silberdraht aus Nußland. Die Grenzgegenden im birmanischen Reiche erhalten auf diesem Wege europäische Waaren. Aus dem nordwestlichen Kan su und über die kleine Bucharei sind in alten Zeiten chinesische Seidenwaarcn nach Europa gekommen ; aber der Transport ist schwierig, und der Landhandel deshalb bei weitem nicht so wichtig als der Seehandel. Für den europäischen Verkehr war bekanntlich bis vor Kurzem allein der Haftn von Canton geöff- *) Diese Angaben sind nicht genan. Wir waren auf der Stelle wo einst Khan fn stand; der Hafen ist nicht mehr vorhanden, er ver» sandele; aber die Chinesen wissen, daß er einst für den Handel von großer Bedeutung war. Huc, ühina. . ' 15 226 China's auswärtiger Handel. li4. Kap. net. Bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts nahm China für seinen Thee nur Silber, keine Waarm. Erst seit Anbeginn des laufenden Jahrhunderts werden Baumwollenwaaren, Tuche. verarbeitete Metalle. Uhren und dergleichen eingeführt. Indien liefert Gewürze. Kampher. Elfenbein und insbesondere eine große Menge Opium. dessen Gebrauch in China unglaublich um sich gegriffen hat. Die Hauptausfuhren China's bestehen in Thee und Rohseide. Ehina hat nöthig zu verkaufen, nicht zu taufen. Es nimmt Opium und rohe Baumwolle, weil es an beiden nicht hinlänglich für den eigenen Verbrauch liefert; die übrigen Einsuhrwaaren nimmt es eigentlich, nur. um dem Abzüge seiner eigenen Producte forderlich zu sein. Der gesammte auswärtige Handelsverkehr ist aber im Ver» gleich zu dem großen Umfange des Reiches und der ungeheuern Volksmenge so unbedeutend, daß er kaum verspürt wird. und selbst auf die Kaufleute ohne Einfluß bleibt. Er könnte mit eincm Schlage aufhören, ohne daß in den Binnenprovinzen davon auch nur Notiz genommen würde. Die großen Handelshäuser in den für das Ausland geöffneten Häfen würden dadurch allerdings empfindlich betroffen werden, der chinesischen Na» tion im Ganzen wäre die Sache vollkommen gleichgiltig; Thee und Seide würden etwas wohlfeiler, das Opium theurer werden, das letztere aber nur auf kurze Zeit. denn bei gehemmier Zufuhr würde man den ganzen Bedarf selbst erzeugen. China besitzt Alles dessen es bedarf, das Nöthige wie das Nützliche; die Europäer liesern uur Luxusartikel. Die Eiufuhr von Baumwollenfabrikaten will gegenüber einer Bevölkerung von dreihundert Millionen soviel wie gar nichts bedeuten. Die chinesische Regierung hat niemals den Handel mit den Europäern begünstigt, sondern hat im Gegentheil ihm Hindernisse in den Weg gelegt, und würde ihn «m liebsten ganz beseitigt haben, weil sie dafürhält daß er die wahren Interessen des Landes beeinträchtige. Sie meint, der Handel sei für das Land nur dann ersprießlich. wenn er dasselbe überflüssiger Artikel eutledige, und dafür nützliche und nothwendige Waaren herbeischaffe. Diesem Grundsätze gemäß folgert sie. daß der auswärtige Handel, indem er die gewöhnliche Quantität Seide, Thee und Porzellan vermindere, und zugleich eben dadurch den Preis aller dieser Waaren in den Provinzen steigere, dem Reiche keinen Vortheil bringe; es sei deshalb gerathen, ihn möglichst zu beschränken. Sie legt auf die europäischen Luzusgegeustände und kostspieligen Bagatellen der europäischen Industrie keinen Werth, und läßt sich dadurch nicht verblenden. Dagegen ist ihr der Handelsverkehr mit den Mongolen und Russen genehm, denn durch 14. Kap.) Chinesische Ansichten über dcn Handel. 227 diesen erhält sie Artikel. deren sämmtliche Provinzen bedürfen, nämlich Leder und Pelzwerk. Ueberbanpt haben die Chinesen vom Handel ganz andere Ansichten und Begriffe als die Europäer. Schon vor mehr als zweitausend Jahren äußerte sich Kuan tfe, ein berühmter Staatswirth, m folgender Weise: „Geld, welches durch den Handel ins Land kommt, be« reichert dasselbe nicht in demselben Verhältnisse als durch den Handel hinausgeht. Auf die Dauer kann kein anderer Handel vortheilhaft sein als ein solcher, der im Austausche nützlicher oder nothwendiger Waaren besteht. Der Handel mit Gegenständen des Prunkes, der Delikatesse oder Nengier, mag er vermittelst des Austausches oder des Kaufes geschehen, hat zur Vorbedingung den Luxus. Dieser letztere besteht darin, daß manche Bürger große Fülle am Uebcrflüssigen haben; das setzt aber voraus, daß viele Andere am Nothwendigen Mangel leiden. Iemehr Pferde die Reichen vor ihre Wagen spannen. um so viel mehr andere Leute müssen zu Fuße gehen; je größer und prachtvoller ihre Häuser sind, um so kleiner und armseliger sind jene der Dürftigen; jemehr Gerichte auf ihrer Tafel stehen, umsomehr Leute sehen sich lediglich auf Neis allein angewiesen. Es ist am besten wenn die Menschen, welche die Staatsgescllschaft bilden, durch Gcwerbsamkeit, Arbeit, Umsicht und Sparsamkeit in einem wohl-bevölkcrten Reiche so viel erwerben, daß Alle das Nothwendige haben, und Manche sich das zur Bequemlichkeit Erforderliche verschaffen können." Diese, allerdings sehr einseitige, Auffassung, ist auch jene der chinesischen Regierung. So lange sie in Geltung bleibt, werden europäische Producte niemals ails beträchtlichen Absatz rechnen dürfen. Sie wird aber gelten, so lange die Chinesen bleiben wollen was sie nun einmal sind. und so lange sie nicht einen andern Geschmack und anderen Gewohnheiten sich zuwenden. Der auswärtige Teehandel liefert ihnen nichts, dessen sie nothwendig bedürfen, ja was ihnen auch nur von wirklichem Nutzen wäre; es liegt ihnen also wenig daran, ob er an Ausdehnung gewinnt oder ob er aushört. Die Engländer freilich haben durchaus entgegengesetzte In» teressen, und eine Unterbrechnng des Handels mit China wäre für sie wahrhaft unheilvoll. Denn wie mit einen« Schlage wären das Leben und die Beweguug dieses gewaltigen Kolosses zunächst in Indien gelähmt; von den Extremitäten würde das Uebel sehr bald bis znm Herzen dringen, und man würde im Mutterlande die Folgen auf das allerempfindlichste verspüren. Indien ist für England von ungeheurer Wichtigkeit, und der Handel mit China ist von beinahe ebenso großem Belange für Indien. Das wissen die Engländer sehr wohl; sie haben deshalb in den letzten 15' 22» Der Binnenhandel 4. Kap. Jahren sich von Seiten der chinesischen Negierung viele Plackereien gefallen lassen und sehr oft ein Auge zugedrückt, damit es nur nicht wieder zu einem Bruche komme, welcher den Handel unterbrechen und auf Indien einen empfindlichen Rückschlag üben würde. China kann des Verkehrs mit dem Allslande um so leichter entbehren , da sein Binnenhandel in der That ganz ungeheuer ist. Derselbe beschäftigt Fahrzeuge jeder Kroße, die zu hunderttausenden auf den Strömen. Flüssen, Seen und Canälen schissen. Er umfaßt hauptsächlich Getreide, Salz, Metalle und viele andere Natur - und Kunstproducte, welche die verschiedenen Provinzen miteinander austauschen. China hat eine so gewaltige Ausdehnung, ist so reich, so mannigfaltig gegliedert, daß der innere Handel Alle, die sich mit Kaufen und Verkaufen abgeben wollen, vollauf beschäftigt. In allen Städten giebt es große Handelshäuser, welche gleichsam als große Aufnahmebecken die Waaren empfangen, die aus den verschiedenen Gegenden herbeiströmen. An diesen großen Lagerplätzen versorgt man sich mit Allem dessen man bedarf, nnd in allen Theilen China's herrscht eine man kann wohl sagen fieberhafte Regsamkeit und Thätigkeit, an welche jene in unseren großen europäischen Städten auch nicht von ferne reicht. Alle Straßen und Wege. die sich häufig in sehr mangelhaftem Zustande befinden, sind mit Waaren überfüllt, die auf Barken, Wägen, Stoß- nnd Schubkarren, auf Lastthieren oder auf dem Rücken transportirt werden. Auch die Negierung treibt Handel. Sie läßt an vielen Punkten das Getreide, welches sie als Steuer bekommt, aufspeichern, und verkauft dasselbe an die Unterthanen sobald Mangel eintritt. Sie besitzt auch viele von den Pfand-Leihhäusern, deren eine große Menge vorhanden sind. Der Zins beträgt monatlich zwei Procent für Gelder die auf Kleidungsstücke geborgt werden, und drei Procent für Juwelen nnd Metallgegenstände. Der Geldzins steht gesetzlich auf dreißig Procent für das Jahr; er wird nach dem Mondesmonat entrichtet und beträgt monatlich drei Procent, weil der sechste nnd der zwölfte Mond. sodann der eingeschaltete Monat nicht gerechnet werden und keine Zinsen tragen. Dieser Zinsfuß von dreißig Procent für geliehenes Geld ist allerdings sehr hoch. Die chinesischen Nationalökonomen haben viel geschrieben. um ihn zu rechtfertigen; Tschao yng zum Beispiel, der für eine große Autorität gehalten wird, stellt den Satz voran: der Staat habe verhindern wollen, daß der Werth der Grundstücke nicht zu hoch steige, und jener des Geldes durch niedrigen Zinsfuß nicht allzusehr herabgcdrückt werde. Indem er letzterem 14. Kap.) Vereine von Geldmännern. «^ einen hohen Zinsfuß sicherte wollte er die Vertheilung der Grundstücke in ein richtiges Verhältniß bringen zur Anzahl der vorhandenen Familien, und den Umlauf des Geldes befördern und gleichmäßiger machen. Zur Erleichterung der Handelsunternehmungen haben die Chinesen in allen Theilen des Reiches Geldgesellschaften gebildet, die ihren Theilhabern mancherlei Vortheile gewähren. Die Mitglieder einigen sich über einen gewissen Betrag, den Jeder am ersten Tage des Monats einzuschießen hat; an demselben Tage wird die ganze Summe ausgeloost, und so geht es fort bis jeder Einzelne den entsprechenden Antheil durch das Loos bekommen hat. Die. welche zuletzt herauskommen, wurden Nachtheil und ihre Einlagen vergeblich gemacht haben, wcnn man nicht ein Ansknnstmittel getroffen hätte; deshalb steigt in jedem Monate der Loosantheil welcher gezogen wird um einen kleinen Betrag, den jene zahlen, die schon früher herausgekommen sind. Diese Gesellschaften haben für ihre Theiluehmer den Vortheil, daß sie auf einmal eine beträchtliche Summe in die Hände bekommen, die nur in kleinen Posten zurückerstattet wird. Die Negierung bekümmert sich um'dergleichen Compagnien nicht, sondern laßt sie gewähren; jeder derartige Verein trifft seine Einrichtn,/, gen nach Bedürfniß und Gutdünken. Doch scheint es, daß in allen Provinzen zwei Bedingungen grundsatzlich festgestellt sind; erstens fallt dem Begrüder der Gesellschaft allemal der erste Loosantheil zu; zweitens: jeder Genosse, welcher einmal versäumt seinen Einschußantheil zu zahlen, büßt alles von ihm schon Eingelegte zum Vorthnle des Begründers der Gesellschaft ein. der zugleich ihr Präsident ist und sür Alles hasten muß. Doch kommen dergleichen Uebelstände selten vor, weil sämmtliche Mitglieder es als Ehrensache betrachten, ihre Verpflichtungen treu zu erfüllen; anch würden sie die allgemeine Verachtung auf sich ziehen, wenn sie das nicht thäten. Wer nothwendig Geld gebraucht kann leicht einen Theilhaber dahin vermögen, daß er ihm einen schon herausgekommeuen Loosantheil überläßt; nnd ist er nicht im Stande weiter einzuzahlen, dann verkaust er das bereits von ihm Eingeschossene einem Andern, der dann Theilhaber der Gesellschaft wird. und als solcher nun seinerseits weiter zahlt. Fast jeder Chinese gehört einer derartigen Gesellschaft an; auch Bauern, Handwerkern , Kleinkrämer u. s. w. bilden dergleichen. Der Chinese steht nie isolirt, und der ihm eingeborene Associationsgeist tritt insbesondere in Bezug auf Geld- und Handelsinteressen stark hervor. An Handelsgeist und commercieller Thätigkeit werden die Chinesen von keinem anderen Volke übertroffen. M fruchtbares Land lie. 230 Große Lagerplätze. — Mittelpunkte des Reichs. li4. Kap. fert eine unendliche Productenfüllc, ihr ausgedehntes Reich besitzt eine Menge von Verkehrswegen zu Wasser und zu Lande; das Volk ist allezeit in rührigster Thätigkeit, und zugleich sind Gesetze u,,d Sitten dem Han-delsbetrieb förderlich. Ein Fremder mag. gleichviel von welcher Seite her, in China eindringen nnd eine beliebige Gegend besuchen. immer und überall wird ihn das rastlose Treiben dieses Volkes in Erstaunen setzen, das von Gewinnsucht getrieben wird. und für welches Handel und Wandel Lebensbedürfniß ist. Ganz China, von Nord nach Süd, von Ost nach West, ist ein ewiger Markt und eine permanente Messe das ganze Jahr hindurch. Und doch wird sich Niemand eine richtige Vorstellung von dem ungeheuern Umfange des Handelsbetriebes machen können, wenn er nicht die drei Städte Han yang, U tsch ang fu und Han ken gesehen hat. Namentlich diese letztere, der „Mund der Handelsniederlage" erscheint in jeder Beziehung merkwürdig; dort ist alles Laden oder Waarenlager, nnd das Wogen und Drängen so stark, daß man nur mit Mühe hindurch kann. In den Straßen sieht man lange Reihen von Lastträgern, die hintereinander mit Turnerschritt gehen; jeder Trager läßt einen eintönigen singenden Nuf vernehmen, der allemal hell und durch das dumpfe Geräusch des Massengcwunmcls vernehmbar ist. Und doch herrscht in diesem Menschengewirre ziemlich viel Nuhe und Ordnung, Zank nnd Schlägerei kommt nicht häufig vor, obwohl von Polizei weit weniger zu spüren ist als in Europa. Der Chinese vermeidet dergleichen aus heilsamem Instinkt, er mag sich nicht compromittiren. Er tritt wohl haufenweife zusammen, nnd an lautem Schreien fehlt es nicht; aber dabei läßt man die Sache bewenden, und alles hat im Uebrigen den richtigen Fortgang. Wer diese gewaltigen unzählbaren Menschenmassen auf den Straßen sieht, könnte wohl glauben, daß alle Leute in Bewegung und die Häuser leer seien; er braucht aber nur einen Blick in die Läden zu werfen, die stets mit Käufern und Verkäufern gefüllt sind. Auch in den Fabriken und in den Werkstätten ist eine unzählige Menge von Arbeitern beschäftigt; rechnet man dazu alte Leute, Weiber und Kinder, dann wird man es nicht übertrieben fmden, daß in ienen drei Städten acht Mil' ltonen Menschen leben. Wir können nicht sagen, ob die Barken» bewohn«, die stets auf dem Wasser leben, dabei mit inbegriffen sind. Der große Hafen von Han leu ist buchstäblich ein ungeheurer Mastenwald, und mau erstaunt, wenn man mitten in China eine solche unzählige Menge von theilwcise sehr großen Schiffen sieht. 14. Kap.) Da« Canalsystem. 231 Hau keu ist. wie schon gesagt, gewissermaßen der Hauptnieder, lageplatz für alle achtzehn Provinzen. Dorthin zieht sich der Handel, von dort aus vertheilen sich die Waaren; denn die Stadt hat eine nngemein günstige Lage nnd bietet für den Verkehr eine Menge von Vortheilen. Sie liegt so recht im Herzen von China. wird vom Blauen Strome um-flossen, und steht vermittelst desselben in directer Verbindung mit dem Westen und Osten. Der Strom beschreibt Krümmungen nach rechts und links wenn er Han kcu verlassen hat; große Handelsdschonken gelangen nach Süden hin in den Pu yang See und den Thung ting See, die gleichsam Binnenmeere bilden. In diese Scebeckcn fatten viele kleine aber schissbare Flüsse, auf welchen die Waaren aus Han keu nach den Süd. Provinzen befördert werden. Nach Norden hin sind die natürlichen Verbindungswege nicht so bequem; diesem Mangel ist indessen durch ein be« wundernswürdig ansgedachtes Canalsystcm abgeholfen worden; dasselbe verbindet alle Seen nnd schiffbaren Flüsse untereinander. und man kann alle Provinzen durchreisen, obne daß man nöthig hätte, sein Fahrzeug zu verlassen. Die chinesischen Jahrbücher liefern den Beweis, daß viele Dynastien den Canälen große Sorgsalt zugewendet haben; aber nichts kann sich mit dem großartigen Werke messen, welches der Kaiser Dang ti, aus der Dynastie drr Tsin, ausführen ließ. Er bestieg den Thron im Jahre 605 der christlichen Zeitrechnung. Gleich im ersten Jahre ließ er neue Canale graben u»d die alten erweitern, damit die Schiffe aus dem Hoang ho in den Ucmg tse kiaug, und aus beiden großen Strömen in alle schiffbaren Zuflüsse gelangen könnten. Ein Gelehrter, Siao hoai. entwarf einen Plan um alle Flüsse auf der ganzen Strecke ihres Laufes schiffbar zu machen, nnd sie zugleich durch Cauäle seiner eigenen Erfindung zu verbinden. Der Kaiser ließ den Plan ausführen, und es wurden künstliche Wasserstraßen in einer sänge von sechzehnhundert Wegstunden neu geschaffen oder zweckmäßig verbessert. Dazu waren ungeheure Arbeitskräfte erforderlich; Soldaten. Dorf- und Stadtbewohner mußten zugreifen; jede einzelne Familie mußte einen Arbeiter stellen, der nicht unter fünfzehn nnd nicht über fünfzig Jahre alt sein durfte; die Regierung gab Lebensmittel aber keinen Arbeitslohn; dagegen wurde den Sol' daten. welchen der schwieligste Theil der Arbeit zufiel, eine Soldzulage bewilligt. Manche dieser Canäle wurden auf ihrer ganzen Länge mit Steinen eingefaßt; wir haben wahrend unserer Neise noch viele Spuren dieser herrlichen Werke angetroffen. Der Canal, welcher vom nördlichen bis zum südlichen Kaiserhofe führte (es gab zu jener Zeit deren vier), 2I2 Einfluß der Sapeke. ll4. Kap. war vierzig Schritte breit, und an beiden Usern mit Ulmen und Weiden bepflanzt; jener zwischen dem östlichen und westlichen Hof war nicht so großartig, aber auch ihn beschatteten Bäume. Die chinesischen Geschicht. schreiber tadeln den Kaiser Yang ti. weil er das Volk mit Frohnarbeiten überbürdet habe; sie geben aber zu. daß er sich um das Reich wohl ver» dient gemacht. Der Binnenhandel gewann durch diese Canalanlagen ganz ungemein an Aufschwung. Der Chinese hat ein wahrhaftes Genie für den Handelsbetrieb. Er ist im höchsten Grade geldgierig und gewinnsüchtig, er liebt die Speculation und wuchert gern. sein ganzes Wesen ist pfiffig und verschlagen, er ist abgefeimt, versteht die Wechselfälle eines Handelsgeschäftes vortrefflich hin und her zu erwäge». Der echte Chinese sitzt mit Vergnügen vom Morgen bis zum Abend in seinem Laden, und harrt geduldig der Kunden; wenn seine Bude leer ist rechnet er auf seinem Suan pan, und überschlägt wie und wieviel Profit er machen könne. Und jeder Profit ist ihm recht, mag er auch noch so klein sein. Seine größte Freude besteht darin wenn er am Abend, nachdem er seinen Laden sorgfältig verschlossen und verrie« gelt hat, zu Hause die Tageseinnahme berechnet mid die profitirten Sa-peken zahlt. Er bringt den Handels« und Schachergeist mit auf die Welt, es ist sein Wesen, sein Naturtrieb. Der erste Gegenstand, welcher das Kind reizt ist die Sapeke; sprechen lernen und zählen lernen find beim Kinde gleichbedeutend; sobald er den Pinsel halten kann fängt er an Zahlen zu schreiben, und sobald er sprechen und lanftn kann treibt er auch sogleich Handel, er kauft und verkauft. Wer in China einem Kinde den Auftrag giebt etwas einzukaufen, darf dabei ganz getrost sein, denn das Kind läßt sich nicht betrügen. Selbst die Spiele der kleinen Chinesen sind von diesem Handelsgeiste gleichsam durchschwängert; sie halten offene Bude oder ein Pfandhaus, und gewöhnen sich schon von Kindesbeinen die Handels- und Schacherausdrücke an; überhaupt find sie in Allem was sich auf den Handel bezieht schon in früher Jugend so gewandt, daß ihnen auch wichtige Aufträge ertheilt werden. Der Bewohner des himmlischen Reiches gilt in aller Welt für listig und abgefeimt; man begreift, daß er es namentlich im Handelsverkehre ist. Es ließen sich ganze Bände über sinnreiche und kecke Schelmenstücke der Himmlischen schreiben; sie kommen aber so häufig vor, daß man weiter keine Notiz davon nimmt; dergleichen Pfiffe und Kniffe gelten für Ge« schicklichkeit und gewandtes Verfahren; ein Kaufmann rühmt sich solcher Streiche, und erzählt sie ohne Mnftand zu nehmen mit Wohlbehagen. 14. Kap.) Der Kleinhandel. 233 Doch muß zu Ehren der Wahrheit bemerkt werden, daß dergleichen nur bei den kleineren Kaufleuten vorkommt, denn die Inhaber großer Han< delshäuser verfahren unbedingt rechtlich, brechen ihr Wort nicht, und erfüllen genau alle Verpflichtungen welche sie eingehen. Die Europäer, welche mit dergleichen Firmen in Verbindung stehen, rühmen die Zuverlässigkeit derselben in hohem Grade; leider kann man von den Europäern in China nicht dasselbe sagen. China hat keine andere legale Münze als kleine runde Stücke aus einem Gemisch von Kupfer und Zinn; fie heißen Tsien; von den Europäern werden sie Sapeken genannt. In der Mitte haben sie ein vier. eckiges Loch, damit man sie auf eine Schnur ziehen könne. Ein Strang von tausend Sapeken wird im Durchschnittscxrse auf eine chinesische Sil« bmmze gerechnet; Gold und Silber werden nicht zu Münze verpragt. Die Tapeke wird insgemein nur für den Kleinverkehr benutzt; bei größe« ren Käufen giebt man Gold oder Silber, die dann wie jede andere Waare gewogen werden; Brüche und Ueberschüsse gleicht man durch Sapeken aus. Deswegen hat in den Städten jeder Chinese eine kleine Geldwaage in der Tasche. Im ganzen Reiche laufen Bankbillets um, zahlbar auf den Inhaber; sie werden von den großen Handelshäusern ausgestellt und in allcu wichtigen Städten angenommen. Die Tavele ist für den Kleinverkehr von unberechenbarem Vortheile; sie macht es möglich, daß auch mit dem winzigsten Gegenstände Handel getrieben werden kann. Der Chinese kauft ein Schnittchen von einer Birne, einer Nuß, ein Dutzend gerösteter Bohnen, einen Becher Melonenkerne, eine Tasse Thee, oder er raucht einige Pfeifen Tabak, je Alles für eine Sapeke. Wer nicht Geld genug hat eine Orange zu bezahlen, kauft eine halbe. So sind in China eine Menge kleiner Industrien entstanden von welchen Millionen Menschen leben. Mit zweihundert Sapeken Capital macht der Chinese schon eine Handelsspeculation. Auch für die Almofen« empfänger ist die Sapele von hohem Werthe, denn wer einem Bettler eine Sapeke verweigert, muß selber schon sehr arm sein. 234 Der Gouverneur der Provinz Hu pe. Il5. Kap. Mnhchntes Kapitel. Der Gouverneur der Provinz Hu pe. — Ein höflicher Koch. — Unser Geleit aus Sse tschueu lehrt heim. — Der Mandarin üiieu als „Thläneu-weide". — sshiuesischc Baukunst. — Thürme lind Pagoden. — Die schönen Künste. — Religionen. — Die Doctrin der Gelehrten. — Confucius. — Die Doctorcu der Verunuft. — Lebeu und Meiuuuaeu des Philosophcu ^ao tsc. — Der Buddhismus. - fegende vou Buddha. — Seine dogmatischen und »wialischeu Principien. - Verfolgung der Buddhisten durch die Brahmancn. — Ursachen dieser Verfolgung. — Die Buddhisten zerstreuen sich über verschiedene Länder Asiens. Der Leser wird sich erinuern, daß man uns zu U tschang fu eine enge drückend heiße Zelle in einer Pagode als Wohnung augewiesen hatte. Unsere Beschwerden blieben uubeachtet. die Mandariueu bekümmerte» sich gar nicht um uns, und nur einige niedere Veamte ließen sich blicken. Nun befanden wir uns schon zwei Tage in so uuangeuehmen Verhältnissen. Hier mußte nothwendig etwas geschehen; wir beschlossen also durch ein nachdrückliches Verfahren Einfluß und Ansehen wieder zu erringen, und unsere unbesonnene Nachgiebigkeit, die uns so großen Schaden gebracht, wieder gut zu machen. Wir zogen nun unsere Staatskleider an und ließen uns in Palaukinen zum Palast des Gouverneurs tragen. Unterwegs kamen wir über den Platz, auf welchem der ehrwürdige Perboyre hingerichtet wordeu war. Wir warm fest entschlossen uus durch vielerlei Hindernisse nicht abschrecken zu lasseu, und bis in die Gemächer des Gouverneurs vorzudringen. Im ersten Hofraume standen viele Diener und Trabanten, wie das in allen großen Tribunalgebäudeu der Fall ist. Wir ließen uns diese HeM'vhysioguomien nicht anfechten, sondern gingen durch den zweiten Hof in einen großen Wartesaal, wo dann ein Mandarin mit Her goldenen Kugel uus voll Erstaunen anblickte. Er hatte das Amt. die Ankommenden zn melden, fragte zwei- oder dreimal wohin wir wollten, und hielt beide Arme ausgestreckt, um uus nicht weiter durchzulasseu. Seine Excellenz sei nicht da, und also nicht zu sprechen; auch sei es den Gebräuchen entgegen so ohne Weiteres zum höchsten Beamten der Provinz zu kommen. Wir antworteten nicht, sondern gingen immer vorwärts ohne uns beirren zu lassen. Als er am Ende des Wartesaals die Thüre zuhielt, faßten wir ihn am Arme, und sagten in gebieterischem Tone: „Du bist unglücklich, wenn Du die Thüre zumachst! Merke es Dir, Du bist ein verlorener Mann, wenn Du uns nur einen Augenblick aufhältst!" 15. Kap.) Unterredung mit dcm Gouverneur. 2gg Das schüchterte ibn ew. er sperrte die Thüre weit auf, und wir kamen ohne weitern Anstand bis in die Vorzimmer des Gonverneurs, wo vier Mandarinen höheren Ranges nns wie eine Geistcrerscheimmg betrachteten, und einander ganz erstaunt ansahen. Endlich fragte Einer, wer wir waren. Daranf wurde entgegnct, wir seien Franzosen, die von Peking nach Lha Ssa in Thibet gereist und von dort hierher gekommen wären; jetzt wollten wir mit dem Gouverneur sprechen. Das gab nun eine Menge von Weiterungen; wir hoben hervor, daß unser Eintreffen in dieser Stadt durch ein kaiserliches Schreiben angezeigt worden sei. Inzwischen begab sich ein Mandarin hinweg, kam aber bald wieder, und erklärte der Gouverneur sei nicht anwesend, wir möchten nur in unsere Wohnung zurückkehren. Nun sagten wir: „Wer giebt uns die Weisung in unsere Wohnung zurückzukehren? Wer hat Dich beauftragt, uns zu sagen, daß wir nicht vor dcm Gouverneur erscheinen können?. Weshalb will man uns mit Worten hintergehen, welche der Wahrheit nicht angemessen sind?" Wir setzten uns ohne Weiteres auf einen Diwan, die Mandarinen aber gingen hinaus und ließen uns allein. Nach einer Weile kam ein alter Diener und sagte: Seine Excellenz lasse unsere erlauchteu Personen bitten vor ihm zu erscheinen. Wir wurden in ein prächtig ausgeschmücktes Zimmer geführt, in welchem wir eine französische Pcndnle und zwei hübsche Porzellanvasen aus der Fabrik von Sevres bemerkten; auch hingen einige Gemälde da, wahrscheinlich englische. Die reichen Chinesen schmücken ihre Zimmer gern mit einigen europäischen Sachen, weil sie wcit herkommen. gerade so wie man in Europa chinesisches Porzellan, Bronzen u. s. w. als Zierrath betrachtet. Der Gouverneur trat ein. schüttelte die Arme während er im Zimmer auf» und abschritt, sah weder nach rechts noch links, und sehte sich dann in einen lackirten, mit einem rothen Tuche bedeckten Sessel. Dieser Mann war bei Weitem nicht so wohlwollend als der Vicckönig von Sse tschuen. Wir hatten eine lange Unterredung. in welcher wir nnö auf den kaiserlichen Willen beriefen. unsere Behandlung während der Neise erzählten. uns bitter über das Benehmen beschwerten, das man jcht gegen nns beobachte, obwohl das Buch der Gebräuche für das ganze Neich Geltung habe. In Hu pe scheine man aber eine andere Auslegung desselben zu bclicben als in Sse tschuen. In Han yang hatten wir Hungers sterben könne»; ob es etwa des Kaisers Wille sei, daß wir in Hu pe für die gute BeHand, lung in Sse tschnen büßen sollen? Der Vicekönig der letztein Provinz habe väterlich für uns gesorgt u. s. w. Wir legten Nachdruck darauf, 236 Erfolg unserer Unterredung. Il5. Kap. daß wir Franzosen seien, daß unsere Regierung zur geeigneten Zeit Ge< nugthuung zu nehmen wisse für alle Unbilden welche man sich gegen ihre Unterthanen erlaube. Wir könnten es nicht unbemerkt lassen daß gerade hier. in U tschang fu, vor dreiundzwanzig Jahren ein Franzose hingerichtet worden sei, und vor sechs Jahren abermals einer unserer Brüder dcn Märtyrertod erlitten habe. Da sei es doch wohl erklärlich, daß wir bei einer ohnehin unwürdigen Aufnahme ernstliche Besorgnisse hegen müßten. Unsere Anspielungen auf die Missionaire Perboyre und Clct und ihre Execution machte Eindruck; der Gouverneur erklärte, er sei damals noch nicht in U tschang fu gewesen. — „Das wissen wir wohl; der Gouver» neur welcher vor sechs Jahren Befehl gab, den französischen Missionair hinzurichten, wurde vom Kaiser scincs Amtes entsetzt, lind auf Lebenszeit in die Verbannung geschickt. Es wurde dadurch dem ganzen Reiche klar, daß der Himmel die Unschuld rächen wollte. Jeder ist nur für seine eige« nen Thaten verantwortlich; an wem liegt aber heute die Schuld, wenn man uns in so ungeeigneter Weise behaudett? Wir haben die Bücher des Philosophen Meng tse studirt. und darin Folgendes gelesen: Meng tse fragte den Konig von Leang ob c? einen Unterschied mache, wenn man einen Mann durch das Schwert oder durch schlechte Behandlung todte? Der König von Leang antwortete: Ich finde keiuen Unterschied." — Der Gouverneur verwunderte sich als er uns ein klassisches Buch anführen hörte, wurde umgänglicher und suchte uns zu beruhigen. Die Mau» darinen hätten seine Befehle schlecht ausgeführt; des Kaisers Wille müsse geschehen, wie wir denn in Hu pe nicht minder gut behandelt werden als inSse tschuen; es sei nur ein durch böseZuugen ausgesprengtes Gerücht, daß man Franzosen hingerichtet habe. Endlich verabschiedeten wir uns, und sahen gleich, daß unser Besuch seine Wirkungen nicht verfehlt hatte. In den Höfen und Vorzimmern grüßte uns Alles mit der größten Ehr» erbietung. Nach einigen Stunden wurde der Tamtam an der Thüre unsererPa« gode geschlagen. Den erlauchten Männern aus dem großen Lande Frankreich stellte sich ein Mandarin vor, begleitet von Dienern und Trabanten, und meldete: er sei von Seiner Excellenz dem Gouverneur beauftragt, uns in eine Wohnung zu führen. welche den Geboten der Gastfreundschaft mehr entspreche. Unverweilt brachen wir auf. Der Mandarin brachte uns ans Ende der Stadt, beinahe auf's Land hinaus in ein großes Gebäude. Es war ein hübscher buddhistischer Tempel, von vielen Gemächern umgeben, in welchen höhere Mandarinen aufder Durchreise Unterkommen fanden. 15. Kap.I Ein höflicher Koch. — Rückkehr unsers Geleits. s>I? So haite er einen zugleich weltlichen und religiösen Zweck, und nahm sich mit seinen baumbepflanzten Höfen, Gärten, Eäulenterrassen und Belve» deres recht stattlich aus. Seine Großartigkeit stand im grellen Gegensatze zu der Armseligkeit jeuer kleinen Pagode die wir eben verlassen hatten. Mit wahrer Wonne und vollem Athemzuge genossen wir die frische Land-luft. Der Mandarin ließ sogleich den Oberkoch rufen. Er erschien mit dem Pinsel zwischen den Zähnen; in der einen Hand hielt er ein Blatt Papier, in der andern ein Schreibzeug, um sogleich die Gerichte welche wir belieben würden, aufzuzeichnen. Der Mandarin bemerkte: „Jedermann weiß daß die abendländischen Völker in anderer Art speisen als die Be-wohner des Mittelreickes. Man muß soviel als möglich den Gewohnheiten und Gebräuchen der Menschen genehm sein." Wir dankten dem Mandarin, und erklärten daß wir längst an die chinesische Küche gewöhnt seien; der „Intendant des Kochheerdes" möge nur immeihin nach seinem eigenen Gutdünken verfahren, dann werde schon Alles gut gehen. Der würdige Koch entfernte sich. hocherfreut über das Vertrauen, welches wir ihm schenkten, und dessen er sich auch in vollem Maße werth zeigte. Er lieferte uns eine Menge vortrefflicher Gerichte. Ohnehin schmeckte uns ja Alles gut. was nicht an Hafermehl mit Talg erinnerte. Am andern Tage verabschiedete sich Meister Ting sammt den Ssl-daten' und Trabanten, welche uus von der Hauptstadt der Provinz Sse tschuen bis hierher geleitet hatten. Zwei Monate lang hatten wir mit ihnen verkehrt; aber sie waren uns nicht so werth geworden als die thibe-tanische Bedeckung, von welcher wir uns nur ungern getrennt hatten. Meister Ting hatte uus manchmal Verdruß gemacht, wir waren auch dann und wann mit ihm in Zank gerathen, im Ganzen waren wir aber doch ziemlich gute Freunde geworden; denn wenn man ihm erlaubte durch und durch Chinese zu sein, das heißt so viele Eapeken als immer möglich zu-sammenzuraffeu, war er guter Laune und ganz erträglich im Umgänge. Unser Abschied war äußerst wortreich, und es wurde dabei viel gelacht, denn wir unterhielte» uns noch einmal über die pikantesten Reiseerleb-nisse. Auch erwiesen wir ihm eine chinesische Höflichkeit als wir fragten, ob er denn unsere Neise gut benutzt und sich ein Sümmchen ins Trockene gebracht habe. Er rieb sich die Hände und sprach: „Nun. schlecht sind die Geschäfte eben nicht gewesen, und ich habe an dieser Reise einige hübsche Silberstangen erübrigt, doch begreift Ihr wohl daß ich nicht des Geldes wegen Euer Geleitsmann sein wollte." — „Das versteht sich von selbst; wer könnte auch daran denken!" — „Es ist klar daß ich nicht geldgierig 238 Der Mandarin Lien als „Thräncnwcide". sl5. Kap. bin. das war ich niemals; aber es wird mich sehr glücklich machen, wenn ich bei der Heimkehr meiner Mutter ein kleines Geschenk überreichen kann: und deshalb suche ich etwas zu profitiren." — „Das ist eine schöne und edle Gesinnung, Meister Ting; in einem solcben Falle übt man kindliche Pietät wenn mau das Geld liebt." — „Ja wohl; die kindliche Pietät ist die Grundlage der gesellschaftlichen Beziehungen, und muß der Beweg-gründ für alle unsere Handlungen sein." Als wir nun von Meister Ting schieden, wünschte er uns den Stern des Glückes als Begleiter auf un» serer Neise bis Canton. Von unsern« ganzen Geleite behielten wir nur den Diener Wei schan welchen der Vicekönig Pcw hing zu unserer Verfügung gestellt hatte. Er war bis dahin recht thätig und umsichtig gewesen und schien selbst einige Anhänglichkeit an uns zu haben, versteht sich soviel wie man überhaupt bei einem chinesischen Diener finden kann. Es war uns ganz erwünscht, daß er bat uns bis Canton begleiten zu dürfen, denn er kannte unsere Gewohnheiten und „den Duft unseres Charakters" wie die Chinesen sagen; auch konnte er uns sehr wesentliche Dienste bei unserm Verkehre mit unserm neuen Geleite thun. das wir uns erst hätten nach der Hand ziehen müssen, und es wäre doch sehr lästig gewesen wieder ganz von vorne anzufangen. Nachdem die Bedeckung welche uns aus der Provinz Sse tschuen bis hierher geleitet, abgereist war. machte uns ein Mandarin seinen Höflichkeitsbesuch. Es war derselbe welcher uns in unsere neue Wohnung ge» führt hatte. Jetzt hatte er uns mitzutheilen daß er vom Gouverneur beauftragt worden sei, uns bis Nan tschang fu, der Hauptstadt von Kan st, zu begleiten; zugleich ersuchte er uns ihm unsere Ansicht über die von Seiner Excellenz getroffene Wahl nicht vorzuenthalten. Einem Chinesen kann man unter solchen Umständen nur eine einzige Antwort geben. Wir sagten also: „Diese Wahl zeigt auf das Deutlichste, daß Seine Excellenz der Gouverneur im höchsten Grade die ebenso köstliche als seltene Gabe besitzt, die Menschen zu erkennen und zu unterscheiden. Diese Wahl zeigt feiner ebenso klar wie aufrichtig es der Wunsch Seiner Excellenz ist, daß wir eine glückliche und angenehme Reise haben. Wir werden nicht ermangeln ihm für ein solches Wohlwollen unsern Dank abzustatten." — Unser neuer Begleiter entgegnete: noch nie habe er Manner mit so umfangreichen und theilnehmenden Herzen getroffen als uns. Als diese Formeln abgethan waren, sprachen wir vernünftig miteinander. Wir erfuhren daß unser Mandarin fünfundvierzig Jahre alt sei und Lieu, das heißt Weide sich nenne. Er gehörte zur Classe der Ge« 15. Kap.1 Chinesische Baukunst. ^ 239 lehrten, hatte aber nur eiuen niedern Grad. in einem kleinen Bezirke Be» amtendienft versehen und war augenblicklich ohne Stelle. An seiner Sprache erkannten, wir daß er aus dem Norden stamme; er war aus der Provinz Schang tong. der Heimat des Confucius. Die Unterhaltung mit diesem Manne war eben nicht anziehend, er druckte sich schwer aus, und quetschte die Worte so sehr daß man die Geduld dabei verlor; und wenn er ja ein» mal lebhast wurde, dann verstand man ihn gar nicht. Sein Gesichtsausdruck war sehr unbedeutend; er hatte nur noch wenige Zähne; seine Glotzaugen vor welchen er eine Brille trug. thränten und wir nannten ihn deshalb „Thränenweide." Wir beschlossen nach etwa vier Tagen abzureisen. Der Besuch beim Gouverneur von Hu ve hatte uns das verlorene Ansehen wieder gegeben und eine vortreffliche Wohnung verschasst, in der wir gemachlich von den Anstrengungen der Neise uns erholen konnten Auch fehlte es nicht an Zeitvertreib, denn wir hatte» die Gesellschaft der Mandarinen welche in demselben Gebäude wohnten, und bekamen auch Gesuche von den höheren Beamten, die sich blicken ließen seitkem sie wußten daß der Statthalter günstig für uns gestimmt sei. Wir keimten unter schattigen Bäumen und in Säulengängen lustwandeln, und der Garten bot manche Stellen mit schöner Aussicht dar. Manchmal besuchten wir den buddhistischen Tempel, der in der Mitte dieser Anstalt lag, und bemühten uns den Sinn der räthselhaften Sprüche herauszubringen, mit denen die Wände geschmückt waren. Wir wissen anch heute noch nicht recht, was eigentlich diese ganze Anstalt bedeuten soll. Sie enthalt Wohnungen für Mandarinen die auf der Neise hier absteigen, und große Säle. in denen die Gelehrten ihreZu-sammenkünste haben, und wo auch andere Körperschaften Sitzungen und Versammlungen halten. Auch sind eine Sternwarte, ein Theater und eine Pagode mit ihr verbunden, und das Ganze heißt Si men yüen, das heißt der Garten des östlichen Thores. Man trifft in den großen Städten China's eine Menge solcher Gebäude, die zu vielerlei ganz verschiedenen Dingen und Zwecken benutzt weiden, und es wäre schwierig, zu sagen was für eine Bauart sie haben; sie ist eben chinesisch. Denkmäler, Tempel, Häuser und Städte tragen im himmlischen Reiche ein eigenthümliches Ge« präge, das sich mit dem Charakter keiner andern Architektur vergleichen läßt; aber diesen wenn wir so sagen dürfen chinesischen Styl muß man im Lande selbst gesehen haben, wenn man sich eine richtige Vorstellung davon machen will. Die Städte sind beinahe durchgängig nach einem und 940 " Thürme, Pagoden und Brücken. ll5. Kap. demselben Plane gebaut, viereckig und mit hohen Mauern umgeben; in gewissen Zwischenräumen erheben sich Thürme; viele sind mit trockenen oder nassen Gräben umzogen. In manchen Büchern wird gesagt, die Stra-ßen seien breit und schnurgerade; die Wahrheit ist daß sie, namentlich i» den südlichen Provinzen, eng und krumm find. Allerdings giebt es einige Ausnahmen, sie kommen aber selten vor. Die Häuser sowohl in den Städten wie auf dem Lande sind niedrig und bestehen nur aus einem Erdgeschoß. Die erstern sind aus Backsteinen aufgeführt, oder auch aus Holz. das bemalt und lackirt wird, und mit grauen Dachziegeln gedeckt; die Häuser der Landbewohner führt man aus gestampfter Erde oder Holz aus und deckt sie mit Stroh oder Rohr. Alle Bauwerke im Norden stehen hinter jenen im Süden zurück. Die Häuser der Reichen haben gewöhnlich mehrere Höfe und zwar nicht neben sondern hinter einander; im letzten Hosraume befinden sich die Frauenwohnungen und die Gärten. Der Chi« nese liebt die Lage nach Süden. Die eine Seite des Zimmers wird ganz von Fenstern eingenommen, die sehr mannigfache Muster darbieten, sie bestehen aus Marienglas (Magnesia-Glimmerscheiben), durchsichtigen Muscheln und weißem oder gefärbtem Papiere. Der Rand der Dächer ist nach Innen aufwärts gebogen und bildet Rinnen; die Ecken laufen bogenförmig aus und stellen geflügelte Drachen oder Fabelthiere dar. An den Pfeilern, auf welchen die Buden und Waarengewölbe ruhen, hängen Tafeln mit allerlei Inschriften. Das Ganze ist sehr bunt und macht aus der Ferne gesehen einen recht angenehmen Eindruck. Privatwohnungen sind nur ausnahmsweise prächtig gebaut; bei öffentlichen Gebäuden ist es manchmal der Fall. In Peking haben die Amtsgebäude der hohen Behörden und die Paläste der Prinzen ein Stockwerk über dem Erdgeschosse und sind mit glasirten Ziegeln gedeckt. Die bemerkenswerthesten Bauwerke find die Thürme, Pagoden und Brücken. Diese letzteren sind in Menge vorhanden und wir haben viele von wirk« lich imponirender Schönheit gesehen; sie sind aus Stein, haben volle Bogenspannung bei großer Länge, und lassen an Solidität nichts zu wün» schen übrig. Fast bei allen Städten ersten, zweiten und dritten Ranges steht von allen anderen Gebäuden entfernt ein mehr oder. weniger hoher Thurm, gleichsam eine riefige Warte. Indische Ueberlieferungen erzählen, man habe Buddha's Leiche verbrannt. und die Gebeine in acht Theile gesondert. Diese wurden in ebenso viele Urnen verschlossen und in Thürmen mit acht Geschossen beigesetzt. Daher, heißt es nun, rühren die Thürme, 15. Kap.1 Thürme und Pagoden. 241 welche man in China und überhaupt in allen buddhistischen Ländern so häusig findet. Doch sind Zahl der Stockwerke und Gestalt nicht bei allen gleich, denn es giebt runde und viereckige, sechs- und achteckige Thürme; einige sind aus Mauersteinen, andere aus Holz. aus Ziegelsteinen, oder wie jener zu Nanking aus Fayence; man bat ihn den Porzellanthurm ge» nannt, weil er mit Verzierungen aus Porzellan bekleidet ist. Gegenwär» tig sind die meisten derartigen Monumente im Verfalle; aber in alten Dich. tungen kommen Stellen vor. welche beweisen wie viel Gewicht die Kaiser der Vorzeit auf solche Thürme legten. So tseißt es zum Beispiel: „Wenn ich meine Blicke zu dem steinernen Thurme erhebe, muß ich sein Dach in den Wolken sucken. Der Schmelz seiner Bekleidung wetteifert mit jenem von Gold und Purpnr, er wirst wie ein Regenbogen die Strahlen der Sonne, welche auf jedes Stockwerk fallen, bis in die Stadt zurück." Ein Tadler will ausdrücken wie unnütz die großen Kosten gewesen seien welche der Thurm zu Tschang ngan verursacht hat. und nennt ihn „eine halb« Stadt." Ein Dichter spricht von einem fünfhundert Fuß hohen Thurme und bemerkt: „Ich fürchte Engbrüstigkeit und Beklemmung, und habe nicht gewagt bis oben binauf zu steigen; von dort erscheinen die Menschen un« ten nur so groß wie Ameisen. So viele Treppen zu ersteigen ist Sache junger Königinnen, welche die Kraft baden auf ihren Fingern oder auf ihrem Kopfe die Einnahmen mehrerer Provinzen tragen zu können." Den chinesischen Büchern zufolge gäbe es Thürme aus weißem Marmor, aus vergoldeten Ziegelsteinen und sogar einige die wenigstens theilweise au« Kupfer bestehen. Die Anzahl der Geschosse steige, heißt es, von drei, sie» ben und neun manchmal bis auf dreizehn. Das Aeußcre bei den einzelnen Thürmen ist so mannigfaltig und verschiedenartig wie die innere Aus» schmückung; manche hatten in den unteren Stockwerken Galerien und Söller, und liefen mit jedem Geschosse nach oben hin verjüngt zu; einige erhoben sich aus dem Wasser auf Felsenmassen, auf welche man Bäume und Blumen gepflanzt hatte, und wo CaScaden spielten. In die Felsen waren Stufen gehauen, welche am Abhänge entlang unter dem Gesteine hinwegführten, welches Gewölbe und überhängende Grotten bildete. Oben auf der Fläche lag dann ein reizender Garten, und inmitten desselben er« hob sich der Thurm. Man sieht noch jetzt prächtige Trümmer derartiger Bauwerke. Pagoden oder Götzentempel sind in fast unglaublicher Menge über ganz China zerstreut; man sieht kaum ein Dorf das nicht mehr als eine Pagode hätte; man findet sie an den Landstraßen. mitten in deu Huc, «hina. Iß 242 Die schonen Künste. Il5. Kap. Feldern, kurz überall. In Peking und der nächsten Umgegend sollen zehntausend Pagoden, d. h. eine ungeheure Menge, vorhanden sein. Die mei« sten Tempel dieser Art unterscheiden sich eben nicht von den gewöhnlichen Häusern; viele find blos kleine Capellen oder gar nur Nischen, in welcben ein Götzenbild steht; vor demselben sieben die Gefäße für das Nauchopfcr. Dagegen giebt es auch viele großartige und «icke Pagoden, zu welchen die Chinesen Wallfahrten unternehmen. Die Tempel des Himmels und der Erde zu Peking sind weit und breit berühmt. Schmuck uud Zierrath dieser Tempel sind natürlich in durchaus chinesischem Geschmacke; ein europäisches Auge findet Alles wunderlich und verwirrt. Maleret und Bildhauerarbeiten sind ohne künstlerischen Werth, ohnehin verstehen sich die Chinesen nicht auf die höhere Zeichneukunft. In der Zubereitung und Anwendung der Farben leisten die chinesischen Maler ganz Ausgezeichnetes, aber sie vernachlässigen die Perspective und ihre Landschaften tragen das Gepräge einer trostlosen Einförmigkeit. Manche chinesische Miniaturen und Malereien mit Wasserfarbe zeigen eine seltene Vollendung in der Ausführung, aber in der Composition und im Siyl können sie auch neben den mittelmäßigsten Gemälden der Europäer nicht bestehen. An den Sculpture,, in den Pagoden sind oft wundersHöne Einzelheiten , aber durchgängig findet man Verstöße gegen die Correctheit der Formen uud gegen die Zierlichkeit. Die Chinesen behaupten, ibre alten Maler und Bildhauer, namentlich jene im fünften und sechsten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, standen'hoch über den Künstlern der Gegen» wart, und sie mögen darin wohl recht haben. Bei den Händlern welche Alterthümer verkaufen, trifft man mitunter ganz ausgezeichnete Sachen. Tempel die in ein hohes Alterthum Hinaufteichen findet man in China nicht. Man führt dergleichen Gebäude nicht so stark und dauerhaft auf daß sie den Unbilden der Zeit und der Menschen widerstehen könnten. Sie verfallen, und man baut statt der alten Tempel ganz neue. Ein chinesisches Sprüchwort bemerkt: die Song bauten Straßen uud Brücken, die Tang bauten Thürme, die Ming bauten Pagoden. Wir tonnen hinzufügen, daß die gegenwärtige Dynastie der Tsing gar nichts baut, und nicht einmal das von den früheren Herrscherstammen Gebaute in gu» tem Stande erhält. Aus den unzähligen Tempeln, Pagoden und Bethäusern zieht Mancher vielleicht den Schluß, die Chinesen müßten ein sehr religiöses Volk sein. Das ist aber mit Nichten der Fall. Denn wer sich die Dinge in der Nähe betrachtet überzeugt sich bald, daß Alles auf alte Bräuche und Ge. 15. Kap.) Religionen. — Die Ductnn dcr Gelehrten. 243 wohnheiten hinausläuft, uud ohne eigentlich religiösen Inhalt ist. Die Chinesen unserer Tage gehen durchaus in den materiellen Interessen und den Freuden dieses Lebens auf; der Religion gegenüber verhalten sie sich theilnahmlos und gleichgiltig. Indessen ergiebt sich aus ihren Jahrbüchern daß sie in verschiedenen Epochen sich lebhast um verschiedene religiöse Systeme bekümmert haben, die nach manchen Wechselfallen sich im Reiche einbürgerten und, wenigstens dem Namen nach, bis auf den heutigen Tag vorhanden sind. Eine eigentliche Staatsreligion giebt es in China nicht; alle Culte werden geduldet, so lange die Regierung sie nicht für staats' gefahrlich erachtet. Drei Hauptreligionen sind zugelassen und werden für gleichgut gehalten. obwohl vor Zeiten die Anhänger dieser verschiedenen Culte einander auf das heftigste bekämpft haben. Die erste und älteste Religion ist die Iu kiao die Doctrin der Gelehrten, als deren Reformator und Erzvater man Confucius betrachtet. Sie hat als Grundlage einen philosophischen Pantheismus, der in verschiedenen Zeiten eine verschiedene Auslegung und Deutung fand. Es scheint als ob im hohen Alterthume diese Lehre die Annahme eines allmächtigen und vergeltenden Gottes nicht ausgeschlossen, und manche Stellen des Confucius lassen glauben, daß der große Weise sich zu dieser Ansicht bekannt habe. Er hat sie indessen seinen Schülern nicht besonders eingeschärft uud sich unbestimmter Ausdrücke bedient. Er legt ihnen ganz besonders und Vorzugs« weise Ideen über Moral und Gerechtigkeit aus Herz. Manche Anhänger des Consucius, namentlich seit dem zwölften Iabrbimderte unserer Zeit« rechnung. sind in einen wahren Spinozismus verfallen; sie lehren auf die Autorität ihres Meisters hin ein System, das an den Materialismus streift und in Atheismus ausartet. Confucius ist in seinen Schriften eigentlich niemals religiös; er thut nichts weiter als daß er im Allgemeinen die alten Gebräuche und die Bruderliebe empsieblt, die lindliche Pietät einschärft, und scharf einprägt, daß man den himmlischen Gesetzen gemäß sich zu betragen habe, die im Einklänge mit den menschlichen Handlungen stehen müssen. Die Moralvorschriften sind oft sehr cigenthüm-licher Art. Tse hia fragte den Confucius, wie ein Sobu sich einem Feinde seines Vaters gegenüber verhalten müsse? Die Antwort lautete: „Er soll in Trauerkleidern schlafen und seine Waffen sollen ibm zum Kopfkissen dienen; er soll kein Amt annehmen und nicht dulden, daß der Feind seines Vaters auf der Erde bleibe. Wenn er ihm begegnet, gleichviel ob auf dem Marktplätze oder im Palaste, soll er nicht erst nach Hause gehen um seine Waffen zu holen, sondern auf der Stelle .einen Angriff gegen ihn machen." 16' 944 Die Doctnn der Gelehrten. — Confucius. ^15. Kap Und an einer andern Stelle heißt es: ..Der Mörder Deines Vaters darf nicht unter dem Himmel mit Dir weilen" :c. — Religion und Lehre der Anhänger des Confucius lanfen auf den Positivismus hinaus. Tie kümmern sich wenig um Ursprung. Schöpfung und Ende der Welt, und gebeu sich nicht mit weitläufigen philosophische» Lucubrationen ab. Sie nehmen von der Zeit was und so viel sie für das Leben gebrauchen. von der Wissenschaft und Literatur, was sie bedürfen um ihre Aemter zu versehen; aus den großen Principien ziehen sie die prak, tischen Folgerungen, und aus der Moral eignen sie sich den pollt'scheu und utilitarischen Theil an. Sie lassen die speculative« Fragen beiseite, und halten sick an das Positive. Ihre Religion ist gewissermaßen eine Civilisation; ihre Philosophie die Knust in Frieden zu leben, zu gehorchen und zu befehlen. Der Staat als bürgerliche Einrichtung hält an der Verehrung fest. welche dem Genius des Himmels und der Gide. der Sterne, der Gebirge und Flüsse, sodann auck den Seelen der abgeschiedenen Vorfahren erwiesen wird. Dieser Cultus bildet die äußere Religion der Beamten und der Gelehrten welcbe in den Staatsdienst treten wollen; sie halten denselben jedoch lediglich für eine sociale Institution. deren Sinn und Bedeutung verschiedene Auslegungen zuläßt. Dieser Cultus hat keine Bilder und kennt auch keine Priester, jeder Beamte übt ihn M Kreise seiner amtlichen Verrichtungen und der Kaiser ist Patriarch de„elben. Von eigentlicher Ueberzeugung ist bei alle dem nicht viel die Rede; die Gelehrten machen die Gebräuche aus Gewobnbeit und des Herkommens wegen mit. spötteln aber auch weidlich über den Aberglauben, über glückliche und unglückliche Tage, Horoskope. Wahrsagen durch das Loos und dergleichen Dinge mehr. die sehr im Schwange gehen. Was in der Religion der Gelehrten am wenigsten unbestimmt ist und ernsthaft gemeint wird, geht im Cultus des Confucius auf. Die Namenstafel dieses Weisen steht in allen Schulen ; Lehrer und Schüler verneigen sich beim Anfange und zu Ende der Unterrichtsstunden vor diesem hochverehrten Namen; sein Bild hängt in den Akademien, in den Versammlungssalen der Gelehrten und überall wo Prüfungen abgehalten werden. In allen Städten find Tempel ihm zu Ehren errichtet worden, und er gilt bis auf diesen Tag bei vielen Millionen Menschen vorzugsweise für den Heiligen. Nie und nirgends hat irgend ein Sterblicher eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch einen so ge« waltigen Einfluß über andere Menschen geübt, so viele Huldigungen empfangen die sich zu einem wirklichen Cultus steigern. Und jeder Chi» l5. Kap.I Die Doctoren der Vernunft. — Lao tse. 945 nest weiß doch, daß Confucius lediglich ein Mensch war, der etwa sechs« hundert Jahre vor Christi Geburt im Fürstenthum Lu das Licht der Welt.erblickte. Die Jahrbücher der Menschheit haben nichts aufzuweisen was diesem Cultus gleich käme. der zugleich bürgerlicher und religiöser Art ist, und der nun schon fast dritthalb tausend Jahre hindurch einem Sterblichen erwiesen wird. Noch sind viele Abkömmlinge des Confucius vorhanden; auch ihnen weiden große Ehren erwiesen und sie bilden den einzigen Erbadel im chinesischen Reiche, dem besondere Vorrechte zuerkannt werden, welche ihm allein zustehen. Die zweite Religion wird von ihren Anhängern als die Urreligion der ältesten Bewohner China's betrachtet. Sie hat vielerlei Uebereinstim» mendes mit der vorigen, nur ist die individuelle Existenz der Genien und Dämonen stärker ausgeprägt. Die Priester und Priesterinnen dieses Cul» tus führen ein eheloses Leben und praktifiren Magie, Sterndeuter«, Ne-kromantie und viele andere abergläubigen Bräuche. Sie heißen Tao sse oder Doctoren der Vernunft, weil ihre Hauptgrundlehre, welche der berühmte Lao tse aufstellte, die Existenz einer Urvernunft annimmt, welcher die Welt ihr Dasein verdankt. La 0 tse war ein Zeitgenosse des Con« fucius, und Abel-Remusat hat, in seinen vermischten Schriften über Asien, ausführlich über dessen Lehre gehandelt. Die Bücher dieses Religions-lehiers sind sehr dunkel; sein Hauptwerk ist das „Buch der Vernunft und der Tugend." Seine Anhänger, die sich, wie schon bemerkt, Doctoren der Vernunft nennen, behaupten, die Mutter ihres Patriarchen habe das Kind neun Jahre lang unter ihrem Herzen getragen, und dann sei es mit weißen Haaren zur Welt gekommen; deshalb habe man es Lao tse, das heißt altes Kind genannt. Sie sagen, er habe gegen das Ende seines Lebens Reisen außerhalb China's weit nach Westen gemacht, und sei in ein Land gekommen wo er, nach Einigen, seine Lehren schöpfte, oder nach Anderen sie Serbreitete. Seine Anhänger nahmen die Seelenwan» derung an und sind der Anficht, daß die Seele ihres Meisters, als sie in seinen Körper einzog, schon vorher mehrere Wandelungen erfahren hatte. Abel.Nemusat erkennt an Lao tse und in dessen Schriften Manches das ihn an Pythagoras erinnert. Statt eines Patriarchen einer Secte von Gauklern, Beschwörern und Astrologen welche den Trank der Unsterblich« keit suchen, und Mittel aussinuen wollen um in den Himmel fliegen zu können, findet er einen wahren Philosophen, einen Moralisten von gesun. dem Urtheile, einen beredten Theologen und subtilen Metaphyfiker. Sein Styl, schreibt er, hat die majestätische Würde und freilich auch das Dunkle. 246 Leben und Meinungen Lao tsc'ö. l15. Kap. der Ausdrucksweise Plato's. Er entwickelt ähnliche Einfälle und Begriffe wie dieser griechische Philosoph und beinahe mit denselben Ausdrücken, und die Aehnlickkcit ist sowohl in diesen Ausdrücken wie in den Ideell Magend.. Vom höckstcn Wesen spricht er zum Beispiel in folgender Weise: „Vor dem Chaos, das eher war alS die Gcbnrt von Himmel und Erde, gab es ein einziges Wesen, unermeßlich und schweigsam, unbeweglich und doch unaufhörlich in Thätigkeit: das ist die Mutter des Weltalls. Seinen Namen weiß ick nickt, aber ich bezeichne dieses Wesen mit dem Worte Vernunft. Der Mensch hat sein Musterbild an der Erde, die Erde das ihrige am Himmel, der Himmel das seinige in der Vernunft, die Vernunft das ihrige in ibr selber." — Die Moral welche Lao tse lehrt ist erhaben. Nach ihm besteht die Vollkommenheit darin, daß man ohne Leidenschaften ist. damit man um so besser zur Betrachtung der Harmonie des All's be« fähigt sei. Es giebt, sagt er, keine größere Sünde als ungeregelte Wünsche, und kein größeres Unglück als die Qualen, welche dafür eine gerechte Strafe sind. — Dieser Weise gab sich keine Mühe seine Lehren zu verbreiten, er meinte: „Einen Schatz den man entdeckt hat, verbirgt man sorgfältig. Die beste Tugend des Weisen besteht darm. daß er es versteht für einen Thoren gcbalten zu werden." Der Weise müsse sich nach Zeit und Umständen ricktcn. Seine ganze Philosophie athmet Milde und Wohlwollen; hartherzige und gewaltthätige Menschen verabscheut er. In Betreff der Eroberer sagt er: „Ein unrühmlicher Frieden ist einem noch so glänzenden Kriegscrfolge vorzuziehen; der strahlendste Sieg ist doch nur Wiedelschein einer Fcuersbrunst. Wer sich mit Lorbnn schmückt liebt Blut, und verdient weggelöscht zu werden aus dem Andenken der Menschen. Die Alten sagten, den Siegern muß man nur Leichenfeierlichi keiten darbringen, empfangt sie mit Thränen und Wehklagen zur Erinnerung an die Menschenmorde, welche sie begangen haben. Die Denkmäler für ihre Siege sollten mit Gräbern umgeben sein." » Lao tse's Ansichten über den Ursprung und die Zusammensetzung des Weltganzen enthalten keineswegs lächerliche Fabeln oder Albernheiten ; sie tragen vielmehr das Gepräge eines edeln, erhabenen Geistes, und erinnern in ihrem träumerischen Gedankenfluge an die Lehren welche später die Schulen des Pythagoras und Plato aufstellten. Gleich denPythago-räern und Platonikern nimmt der chinesische Philosoph als erste Ursache die Vernunft an, ein unvergängliches unerschaffenes Wesen, das Typus des All's ist und sein Urbild nur in sich selber hat. Ihm sind, wie dem Pythagoras, die me. Mchen Seelen Emanationen der ätherischen Sub. !5. Kap.1 Ansichten über 3a» ise und seine Lehre. 247 stanz, welche sich beim Tode mit dieser letzter« wieder vereinigen. und. gleich Plato, spricht er den Bösen die Fähigkeit ab, in den Schoos der allgemeinen Seele zurückzukehren. Die Grundursachen der Dinge bezeich, net er. wie Pythagoras, mit Ziffern, und seine Kosmogonie ist in ge. wisser Beziehung algebraisch. Die Kette des Wesens knüpft er an das Eins. dann an Zwei. dann an Drei; diese haben alle Dinge gemacht. Ein dreiciniges Wesen hat das Universum geschaffen. — Eo weit Remusat. Hue knüpft daran Bemerkungen über die Quelle aus welcher Lao tse geschöpft babe. Er kommt nicht auf den Gedanken daß dessen Lehre eine ursprüngliche sein könne, sondern leitet sie aus dem Westen her. „Wahrscheinlich," sagt Hue, ..hatte er sie von den zehn Stammen Israel, welche nach Salmanassars Eroberung in ganz (?) Asien zerstreut wurden, oder von den Aposteln irgend einer (!) phönicischen Sccte. zu der ja auch die Philosophen gehörten, welche Vorläufer und Lehrer des Pythagoras und des Plato waren. Kurz wir finden in den Schriften dieses chinesischen Philosophen die Lehrsätze und Meinungen wieder, welche allem Anscheine zufolge (!) die Grundlage des orphischen Glaubens und jener uralten Weisheit bildeten. welche die Griechen bei Aegyptern. Thraciern und Phöniciern schöpften." Nach diesen Hypothesen fährt Huc fort: ..Nun, da es klar (?!) ist, daß Lao tse aus den. selben Quellen geschöpft hat wie die Meister der alten Philosophie, möchte man erfahren. wer seine unmittelbaren Lehrer waren und welche Länder im Westen er besucht hat. Ein glaubwürdiges Zeugniß sagt, er sei nach Bactriana gegangen; aber es war nicht unmöglich (!) daß er seine Schritte bis Iudäa oder gar bis Griechenland gelenkt habe, wo ihn die Griechen wohl für einen jener Skythen oder Hyperboräer halten konnten, welche sich durch zierliche Sitten und Höflichkeit auszeichneten lc. :c." Confucius unterhielt mannigfachen Verkehr mir Lao tse; es ist aber schwer zu erfahren welche Ansicht er über die Lehre desselben hatte. Einst besuchte er ihn. und sprach dann drei Tage lang mit seinen Schülern kein ^iort. Tseu long war darüber erstaunt und fragte nach der Ursache. Konfucius antwortete: ..Wenn ich bemerke, daß ein Mensch sich seiner ganten bedient "" "" zu entwischen wie der Vogel welcher fliegt, so vevlene ich nnch meiner Gedanken wie eines Pfeiles auf dem Bogen; allemal treffe ich ihn und werde seiner Meister. Will er mir entwischen wie em gelenker Hirsch, ft verfolge ich ihn wie ein Jagdhund, hole ihn em und werfe ihn nieder. Will er mir entwischen wie ein Fisch der Tieft, so werfe ich die Angel aus. fange ihn und bringe ihn in meine Gewalt. 248 Der Buddhismus. 115. Kap. Aber einen Drachen der in die Wolken steigt und in der Luft schwebt, den kann ich nicht verfolgen. Ich habe Lao tse gesehen; er ist wie der Drache! Als er sprach blieb mein Mund offen stehen und ich konnte ihn nicht schließen; meine Zunge ging mir vor Erstaunen aus dem Mund« und ich konnte sie nicht zurückziehen; meine Seele wurde aufgeregt und ist noch nicht wieder ruhig geworden." Die Schüler und Anhänger Lao tse's find ausgeartet und keines« »egs geachtet. Sie treiben so ausschweifenden Aberglauben, daß auch be' schränkte Köpfe sich über sie lustig macheu. Besonders haben sie viel von dem Tränke der Unsterblichkeit zu reden gegeben, dessen Geheimniß sie angeblich besitzen. Durch dieses Elixir kamen sie bei einigen Kaisern in hohe Gunst. Die chinesischen Annalen sind voll von Berichten über Streitigkeiten zwischen den Tao sse und den Anhängern deS Confucius. Die Letzteren hatten gegen sie eine sehr erfolgreiche Waffe darin, daß sie sich über die Taosse lustig machten. Und ein Gleiches thaten sie gegen» über den Bonzen, den Priestern des Buddhismus. Um die Mitte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wmde der indische Buddhismus von den Kaisern der Handynastie in China amt« lich anerkannt und zugelassen, und verbreitete sich rasch im Lande. Die Chinesen nennen ihn RcligiondesFo. Das Wort Fo ist eine unvollständige Transscription des Namens Buddha. Dieser Letztere ist ein sehr alter GeschlcclMiame, der im Sanscrit eine doppelte Wurzel hat. Die eine bedeutet Sein. Ezistiren, die andere bedeutet Weisheit, höchste Intelligenz. Man bezeichnet mit diesem Namen das schöpferische Wesen, die Allmacht, Gott, aber man giebt ihm auch eine ausgedehntere Anwendung und überträgt ihn auf die welche Gott anbeten. und durch Beschaulichkeit und Heiligkeit trachten, sich bis zu ihm zu erheben. Alle Buddhisten mit welchen wir in China, in der Mongolei, in Thibet und Ceylon zusammengetroffen sind bezeichnen aber mit dem Namen Buddha auch eine historische Person, die in Asien weit und breit berühmt geworden ist, und die man als den Begründer des Buddhismus betrachtet. Er ift eine Fleischwerdung Gottes, ein Gottmensch, der auf die Erde kam um die Menschen zu erleuchten, sie zu erlösen, und ihnen den Weg zum Heile zu zeigen. Diese Vorstellung von derErlösung der Menschen durch eine göttliche Incarnation ift unter den Buddhisten so allgemein verbreitet, daß wir sie überall in klaren Worten sormulilt ge. funden haben. Auf die Frage: „Wer ist Buddha?" entgegneten die Mongolen und Thibetan« allemal rasch: «Er ift der Erlöser der 15. Kap.1 Legende von Buddha. 249 Menschen." Die wunderbare Geburt Buddha's, sein Leben und seine Lehren schließen viele moralische und dogmatische Wahrheiten ein. zu welchen auch das Christenthum sich bekennt. Den übereinstimmenden Berichten indischer, chinesischer, thibetanischer. mongolischer und cingalefischer Bücher zufolge fällt Buddha's Geburt etwa 960 Jahre vor Christus. Die Legende erzählt Folgendes. Sutadanna, Oberhaupt des Hauses, der Familie Schakia, aus der Kaste der Brah-manen, herrschte in Indien über das mächtige Reich Magadha im südlichen Bahar; die Hauptstadt war Kaberschara. Er heirathete Mahamai «die große Täuschung", vollzog aber die Ehe mit ihr nicht. So blieb sie Jungfrau und empfing durch göttlichen Einfluß; am fünfzehnten Tage des zweiten Monats im Frühling brachte sie einen Sohn zur Welt. den sie dreihundert Tage unter ihrem Herzen getragen hatte. Sie nahm ihn in ihre Arme, und übergab ihn einem Könige der gleichfalls eine In« carnation Brahma's (mongolisch: Esrum Ting ri) war; dieser hüllte ihn in kostbare Tücher und widmete ihm zärtliche Sorgfalt. Ein anderer König, eine Incarnation India's (mongolisch: Hormusta Tingri) taufte den jungen Gott mit gMichem Wasser. Das Kind erhielt den Namen Arddha Schiddi und wurde als ein göttliches Wesen anerkannt; man weissagte, daß es alle ftühereü Incarnationen an Heiligkeit übertreffen werde. Jedermann verehrte es und begrüßte es als Gott der Götter (mongolisch: Tingri in Tingri). Zehn Jungfrauen mußten nun die. sen Gott bedienen: sieben badeten ihn alle Tage, sieben kleideten ihn an, sieben wiegten ihn, sieben reinigten ihn, sieben spielten mit ihm. fünf. unddreißig andere ergötzten sein Ohr durch Musik und Gesang. Als er zehn Jahre alt war bekam er mehrere Lehrer; unter ihnen befand sich der Weise Baburenü, welcher ihn in Dichtkunst, Musik, Zeichnen, Mathema» til und Arzneikunde unterrichtete. Er setzte aber bald seinen Lehrer durch Fragen in Verlegenheit, er wollte, daß man ihn alle Sprachen lehre, weil daS, wie er sagte, unumgänglich nothwendig sei für sein Apostolat und um zu lehren alle Völker, und ihnen die wahre Religion zu bringen. Aber der Lehrer verstand nur die indischen Sprachen; da lehrte ihn sein Zögling fünfzig andere Sprachen sammt ihren Schriftzeichen. Er überragte bald das ganze Menschengeschlecht. Als er mannbar geworden, wollte er nicht heirathen. es sei denn daß man eine Jungfrau fände, die im Besitze der zweiunddreißig Tugen. den und Vollkommenheiten war. Nach langem Forschen entdeckte man eine solche in der Familie Schakia; er mußte sie aber dem Oheim streitig 250 Die Legende von Buddha. ll5. Kap, machen, der sie für sich verlangt hatte. Damals war er zwanzig Jahre alt. Die Heirath wurde vollzogen, nnd im nächsten Jahre gebar die Frau einen Sohn, der Bakholi genannt wurde; im folgenden Jahre genas sie einer Tochter. Er aber verzichtete mm anf alle Eitelkeiten dieser Welt, widmete sich ganz und gar der Ansübung der Tugenden nnd einem be« schaulichen Leben, verließ sein Weib, seine Familie und seinen Lehrer, die allcsammt über einen solsien Entschluß tief betrübt waren. Ihre Be» mühungen ihn zurückzuhalten waren vergeblich; sie drohten ihm mit Ge« fangenbaltung im Paläste zu Kaberschara. er aber sprach, er werde trotz« dem geben, und sagte zum Lehrer: „Lebe wohl, mein Vater, ich werde ein Büßender; ich verzichte anf euch, auf die Herrschaft, auf meine Frau und meinen geliebten Sohn. Ich habe hinlängliche Gründe um meinem Berufe zu folgen; hindert mich nicht ihn zu erfüllen, denn er ist für mich eine heilige Pflicht! Darauf bestieg er ein Pferd welmes ein himmlischer Geist herbei« geführt hat, entfloh und ging in das Königreich Udipa, an die Ufer der Naracara. Dort wurde er Priester, schor das Haar, legte ein Büßerkleid an, und legte sich denNamenGotama bei, das heißt: welcher die Sinne abtödtet*). Als langfortgesetzte Kasteinngcn ihn erschöpft hatten, trank er Milch von Kühen wclcke sein Vater Sutadanna in seine Nähe hatte bringen lassen. Ein großer Affe, Nbakko Mansu, besuchte den Gotama häusig; eines Abends brachte er ihm Honigwaben von wilden Bienen und Feigen zum Mahle. Er besprengte sie mit Weihwasser und aß. Da sprang der Affe vor Freude boch auf und siel in einen Brunnen. Deß zum Angedenken wurde diese Stelle geweiht und Stätte der Opser-gaben des Affen genannt. Eines Tages besänftigte Gotama einen Ele» phanten, der trunken von Kokoswein war und welchen ein böser Geist gegen ihn gehetzt hatte, dadurch daß er ein Zeichen mit seinen Fingern machte. Gotama zog sich noch weiter in die Wildniß. wohin ihm nur zwei Jünger folgten, nämlich Schari, der Sohn seines Lehrers, und der be« rühmte Malu Toni. Aber feine Gegner entdeckten diesen Aufenthalt, und gedachten ihn durch hinterlistige Fragen zu versuchen. Eristu und Debel-tun kamen zuerst, und fragten mit erheuchelter Bescheidenheit-: „Gotama. welches ist Deine Lehre, wer war Dein Lehrer, und von wem hast Du die Priesterweihe erhalten?" — Er antwortete: „Ich bin heilig durch *) Go °--- Sinn; tama «- Dunkelheit, Finsterniß. 15. Kap.) Die Legende von Buddha. 251 meine eigene Tugend; ich habe mich selber zum Priester geweiht. Was habe ich mit anderen Lehrern zu schaffen? Die Religion hat mich durch, drungen." Mehrere Weiber suchten ihn zu verführen aber er widerstand ihnen. und ließ bei dieser Gelegenheit aus dem Boden den Schutzgeist unseres Erdballs hervorspringen, welcher Zeugniß ablegte von Gotama's Tugenden. Damals waren füns Lieblingsjünger bei ihm; sie hießen Godinia, Datol. Laugba. Muigtsan und Sangdan. Nach sechs Jahren verließ er die Wüste, und beganu seine Lehre zu verkündigen; er hatte sich durch langes Fasten darauf vorbereitet. Seine Schüler beteten ibn an, und ein Strahlenkranz mnglänzte das Gesicht des Heiligen. Er nahm den Weg nach Waranasi (Benares) um dort seinen Einzug zu halten. Aber in der beschaulichen Verzückung welche ihn ergriffen hatte, machte er dreimal den Rundgang um die heilige. Stadt, bevor erden Thron bestieg welchen nacheinander dieBegründer der drei vorhergegangenen religiösen Epochen inne gehabt hatten. Er nahm den höchsten Sitz ein, und nannte sich nun Schakia Muni, „den Schakia-Büßer", lebte in der Einsamkeit. und sann und dachte um sich für seine neuen Obliegenheiten vorzubereiten. Von seinen fünf Jüngern begleitet zog er durch die Wüste bis an die Gestade des Meeres, und überall wurde er mit Ehr-furcht empfangen. Nun ging er nach Benares zurück, und verkündete seine Lehre vor einer unzähligen Menge von Zuhörern aus allen Classen. Seine Unterweisungen sind in einhundertnndacht dicken Büchern enthalten, die man G and schür oder die mündliche Unterweisung nennt. Sie han> deln von der Metaphysik der Schöpfungen und von dem gebrechlichen mid vergänglichen Wesen des Menschen. Dieses Hauptwerk des Buddhismus findet man in allen Bibliotheken der größeren Klöster; die schönste Aus' gabeist aus der kaiserlichen Druckerei in Peking hervorgegangen; sie giebt den übersetzten Text in vier Sprachen, nämlich Thibetanisch, Mongolisch, Mandschu und Chinesisch. Die Regierung machte das Werk den großen Lamaklöstern zum Geschenke. DiePriester welche dem alten Glauben anhingen, setzten dem Schakia Muni heftigen Widerstand entgegen; er aber triumphirte über alle seine Gegner in einer mündlichen Erörterung. Der Oberste der Priester warf sich vor ihm nieder, und erkannte sich für besiegt. Deß zum Angedenken wurde ein Fest eingesetzt, welches während der ersten fünfzehn Tage des eisten Mondes gefeiert wird. Schakia Muni verkündete nun seine Grund-lchren und die Zehn Gebote. Der ersteren find vier, nämlich: die auf unerschütterlicher Grundlage beruhende Kraft des Mitleids; — das Fern« 252 Buddha's dogmatische nnd moralische Principien. s<5 Kap. halten von aller Grausamkeit; — grenzenlose Barmherzigkeit gegen alle Creaturen; — ein unbeugsames Gewissen im Gesetze. Die Zehn Gebote sind: 1) Nicht todten. 2) Nicht stehlen. 3) Keusch sein. 4) Kein falsch Zeugniß geben. 5) Nicht lügen. 6) Nicht schwören. 7) Alle unreinen Worte vermeiden. 8) Uneigennützig sein. 9) Keine Rache nehmen. 10) Nicht abergläubig seiu. Echakia Muni erklärte, diese Regeln seien ihm offenbart worden nach den vier großen Prüfungen, die er bestanden. als er sich dem Zustande der Heiligkeit widmete. Seine Lehre gewann weite Verbreitung in Asien, als er seine irdische Hülle abwarf um sich wieder zu vereinigen mit der Allseele, die in ihr selber ist. Damals war er achtzig Jahre alt. Als er Abschied von seinen Jüngern nahm. verkündete er ihnen, das Reich seiner Lehre werde fünftausend Jahre währen. Nach Ablauf dieser Zeit werde ein anderer Buddha erscheinen, ein Gottmensch, der seit Jahrhunderten vorher erkoren und bestimmt sei. Lehrer des Menschengeschlechts zu werden. Er fügte hinzu. Von hier an bis zu jener Zeit wird meine Religion Verfolgungen erleiden; meine Getreuen werden sich gezwungen sehen Indien zu verlassen, und eine Zufluchtstätte zu suchen auf den hohen Gipfeln von Thibet; und auf jener Höhe, von der herab der Beobachter die Welt überschaut, soll stehen der Palast, das Heiligthum, die Hauptstadt des wahren Glaubens. Das ist in kurzen Umrissen die Geschichte des berühmten Stifters der Buddhalehre, welcher den Versuch machte die alte Religion der Hin» dus. den Brahmanismus zu verdrängen. Als Bekehrungsmittel hatte Buddha Lehre und Wunder. Die Legenden über ihn und seine Schüler find voll von Wundern welche geschahen. Dcr Buddhismus trägt durch« aus den Charakter der Milde, er will Gleichheit und Brüderlichkeit, und schon dadurch steht er im Gegensatze zu der Härte und Anmaßung des Brahmanismus. Schakia Mnni und seine Jünger wollten Wahrheiten welche bisher nur den privilegirten Classen zugängig waren, allem Volk ohne Unterschied kund geben. Die Perfection der Brahmanen war selbstsüchtig; sie nahmen an daß die Religion nur allein für sie da sei. Sie auferlegten sich schwere Bußübungen um in jenem Leben dort zu weilen, wo Brahma wohnt. Die buddhistische Askese war nicht so selbstsüchtig. Der Buddhist will nicht sich allein erheben, sondern er übt die Tugend und trachtet nach Vollkommenheit, um auch andere Menschen der Segnungen und Wohlthaten theilhaftig zu machen. Schakia stiftete einen Bettelorden der eine bedeutende Ausdehnung gewann, und er berücksichtigte die Armen und Unglücklichen. Die Brahmanen spotteten über ihn 15. Kap.) Ursachen der Verfolgung der Buddhisten. 25!6. Kap. hat eine berühmte Formel Geltung, bei welcher Jedermann sich-beruhigt. Dieselbe lautet: Sau liao. y kiao, das heißt: Die drei Reli« gtonen sind nur eine. Somit wären denn sämmtliche Chinesen zu« mal Anhänger des Confucius, des Lao tse und des Buddba oder genauer ausgedrückt eigentlich gar nichts; sie verwerfen jedes Dogma, jeden Glauben, und leben ihren Antrieben gemäß. Die Gelehrten haben eine steife Anhänglichkeit für die classischen Bücher und die Moralprincipien des Confucius bewahrt, die aber jeder nach seinem Belieben ausdeutet; «r beruft sich dabei auf den Ly oder Rationalismus, der zu einem allgemei» nen Princip geworden ist. *) Mit den religiösen Glaubensmeinungen hat man also reine Tafel gemacbt. aber die alten Beuennungeu find geblieben und die Chinesen bedienen sich derselben auch heute noch gern; sie find aber nur ein eitles Zeichen eines abgestorbenen Glaubens. Der Skepti« cismus der Chinesen wird sehr gut durch eine Höflichkeitsformel bezeichnet, mit welcher man Unbekannte anredet. Man pflegt namlicb zu fragen, welcher erhabenen Religion Jemand angehöre. Der Eine nennt sich An« Hänger des Confucius, ein Anderer Buddhist, ein Dritter Schüler des Lao tse, ein Vierter Bekenner des Mohamed, denn es giebt in China auch viele Muselmänner. Jeder lobt die Religion, zu welcher er sich nicht bekennt, denn so will es die Höflichkeit, und zuletzt sagt man: „Put tun kiao, tuu ly, das heißt: Die Religionen sind ver« schieden, dieVernunft iftnureine, wir sindAlleBrü« der." Diese Formel ist auf den Lippen aller Chinesen, sie sprechen die Worte zu einander mit ausgesuchter Höflichkeit. In ihren Augen ist der Cultus eine Sacke des Geschmackes und der Mode. auf welche man nicht gerade größern Werth legt als auf die Farbe eines Kleides. Regierung. Gelehrte und Volk also betrachten die Religionen als geringfügige Dinge, die obne höheres Interesse sind; es ist darum begreiflich, daß im Lande Duldung gegen jeden Cultus herrscht. In dieser Beziehung genießen die Chinesen große Freiheit, vorausgesetzt daß die Behörden nicht etwa hinter einem religiösen Vereine einen staatsschädlichen Zweck wittern. Das Christenthum ist lediglich und allein deshalb von den Behörden verworfen und verfolgt worden, weil die Christen für gemeinschädlich erachtet ') Wil brauchen kaum darauf hinzudeuten, daß diese Auffassung Huc's eine sehr einseitige ist. Der französische Missionair ist in einiger Beziehung vorurlheilsfreier als mauche Engländer, die über China ge» schrieben haben; sobald es sich aber um die Stellung der orientalischen Religionen gegenüber dem Christenthume handelt, verliert er seine Un< befangenheit und beschränkt sich in seinem specifischen Dogma. 16. Kap.j Die Bonzen. — Buddhistische Klöster. 257 werden. Niemand bat daran gedacht, die Bonzen und Tao sfe jemals zu beunruhigen; man ließ fie im Elende und in ihrem kläglichen Zustande leben, und es bekümmert sich Niemand um diese Leute. der nicht etwa das LooS befragen, etwas Papier und Räucherstäbchen vor den Götzenbildern verbrennen oder einige Gebete bestellen will, weil er dadurch Geld und Gut zu bekommen hofft. Das Almosen, welches fie bei dergleichen Gelegenheiten erhalten, wäre zu ihrem Lebensunterhalte nicht ausreichend, sie müssen sich daher noch andere Erwerbsquellen zu verschaffen suchen. Die meisten von ihnen halten Schule, wer aber nicht so gelehrt ist daß er Lehrstunden über die classischen Bücher geben kann, muß in den Dor« fern Reis betteln. Die Einkünfte der Pagoden sind bei Weitem nicht mehr so beträchtlich als in früheren Zeiten, und die Bonzen sowohl wie die Tao sse führen ein so armseliges Leben, daß ihre Zahl immer mehr abnimmt. Es laßt sich auch nicht gut absehen, weshalb Leute die keinen religiösen Glauben haben sich zu einem so klaglichen Dasein verstehen sollten. Diese Priester einer erloschenen Religion und eines verlassenen Cultus müssen sich daher anf eine eigenthümliche Weise recrutiren. Ein Bonze nämlich. welcher einer Pagode angehört, kaust um einige Saveken von einem armen Manne ein Kind, scheert ihm das Haar ab, und macht den Knaben zu seinem Schüler und Diener. Das Kind gewöhnt sich all-mälig an die Lebensweise feines Gebieters, wird endlich dessen Erbe und Nachfolger, und sucht dann gleichfalls sich einen Schüler zu verschaffen. So pflanzt sich die Classe der Bonzen fort, die zu Zeiten großen Einfluß geübt, jetzt aber alles und jedes Ansehen verloren hat. Das Volk macht sich luftig über fie, von den Komödianten werden sie auf die Bühne gebracht, und man stellt sie in den infamsten Rollen dar. Sie müssen wirklich sehr tief gesunken sein, weil die Nebellen sich beim Volke dadurch be< liebt zu machen glauben, daß sie unterwegs alle Bonzen todtschlagen. Ehemals waren bei den berühmtesten Pagoden große Klöster, in welchen die Bonzen in Gemeinschaft lebten, ähnlich wie die Lamas in Thibet und in der Mongolei. Sie besaßen reiche Bibliotheken, und man fand dort alle indischen und chinesischen Bücher über den Buddhacultus, insbesondere die schönen Ausgaben des Gandjur, dieser „wörtlichen Verhaltungsregeln Buddha's" in hundertundacht starken Bänden, und des Dandjur in zweihundertundzweiunddreißig Bänden. Dieses letztere Werk bildet eine Art von Encyclopädie oder Kirchengeschichte des Buddhlsmus. Aber gegenwärtig sind diese meist so berühmten Bonzenklöster beinahe ver« ödet und verlassen. Wir haben manche derselben besucht, insbesondere buc, China. 1? ""258 Temvelarchitektm. — Der Tempel von Pn tu. 116. Kap. das von Pu tu, das weit und breit im himmlischen Reiche bekannt ist. Putu. eine Insel im großen Archipel vonTschu san. liegt vor der Küste der Provinz Tsche liang; mehr als fünfzig größere oder kleinere Klöster, von welchen zwei durch Kaiser gegründet wurden, liegen in den Thälern und an Bergabhängen dieser malerischen Insel zerstreut, über welche die Na. tur all ihren Reiz ausgegossen hat. Das Auge fällt überall auf herrliche blumenreiche Gärten. Felsgrotten. Vambusgebüsche und Haine von Bäu. men mit würzig duftender Rinde. Die Wohnungen der Bonzen sind durch schattenspendende Laubdächer vor den heißen Strahlen der Sonne geschützt; anmuthige Wandelpfade führen durch Thalschluchten, an Bächen und Teichen entlang. Mitten auf der Insel erbeben sich zwei geräumige, glänzende Buddhatempel; sie sind mit gelben Backsteinen bekleidet, und deuten damit an daß Kaiser sie erbauen ließen. Der Tempelbau der Chinesen hat mit dem europäischen Kirchenbau nichts gemein. Sie wissen nichts von unseren großartigen Gebäuden, die ein geschlossenes Ganze bilden, deren Styl das Gepräge des Ernsten und Majestätischen trägt. Der Chinese wählt für seine Pagode.einen Abhang oder ein Thal mit malerischer Lage, pflanzt immergrüne Bäume, legt viele Pfade an, bepflanzt sie an den Seiten mit Gesträuch, Blumen und Schlingpflanzen. Diese Wege führen zu eiuer Gruppe von Gebäuden mit Galerien, und man kann den Tempel leicht für ein Landhaus in einem anmuthigen Parke halten. Zu dem Haupttempel von Pu tu führt unter hundertjährigen Bäumen ein langer Gang; in dem dichten Gezweige krächzen Naben mit weißen Köpfen. Am Ende des Ganges liegt ein herrlicher See, dessen User mit Gebüsche bestanden ist; es neigt sich über den Wasserspiegel wie Hängeweiden. Auf dem Wasser spielen Schildkröten, rothe Fische. Mandarinenenten mit schimmerndem Gefieder zwischen herrlichen Wasserrosen, deren üppige Blumenkroneu sich auf hellgrünen schwarzgefleckten Stämmen wiegen Ueber den Tee sind mehrere roth- oder grünbemalte Holzbrücken geschlagen; sie führen zu den zahlreichen Stufen vor dem ersten Tempelgebäude. einer Vorhalle die von acht kolossalen Granit, säulen getragen wird. Vier riesenhafte Statuen, zwei zur Rechten und zwei zur Linken stehen gleichsam Schildwacht. Zwei Seitenthüren führen ins Hauptschiff, wo eine buddhistische Dreieinigkeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellt. Diese drei Statuen find ganz vergoldet und haben, trotz ihrer fitzenden Haltung mindestens zwölf Fuß Höhe. Der Buddha in der Mitte hält die Hände gefaltet; fie ruhen aus seinem maje« statischen Bauche. Er verkörpert den Begriff der Vergangenheit und der l6. Kap.1 Der Tempel Pu tu und die Klosterblbliothek. 259 ewigen unabänderlichen Ruhe zu welcher er gelangt ist. Die beiden anderen Statuen halten die eine den linken, die andere den rechten Arm empor, zum Zeichen ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Thätigkeit. Vor jedem Steinbilde erhebt sich ein Altar; auf ihm stehen die Gefäße, in welche die Opfer gelegt werden, und die Pfannen aus gemeißeltem Erze in welchen man Räucherstäbchen verbrennt. Außerdem sind die Bilder vieler Gottheiten zweiten Ranges im Saale angebracht, der mit großen Laternen von bemaltem Papiere oder gegossenem Hörne geschmückt ist. Diese sind viereckig, kreisrund, länglichrund, kurz von jeder möglichen Form und Farbe; die Wände sind mit breiten Seidenftreisen beklebt, auf denen Sinnsprüche und Verhaltuugs-regeln stehen. Der dritte Saal ist der Kuang yn geweiht, die in manchem Werke über China für eine Göttin des Porzellans. manchmal auch als Göttin der Fruchtbarkeit erklärt wird. Nach der buddhistischen Mythologie ist Kuang yn eine Person der indischen Trimurti, und stellt die schaffende Kraft dar. Der vierte Saal endlich ist. ein Pantheon oder Pandämonium; in ihm befindet sich eine vollständige Sammlung häßlicher Idole in der Gestalt von Ungeheuern und Gewürmen. Dort stehen durch, einander Götter des Himmelsund der Erde, fabelhafte Monstra, Genien des Krieges, der Artillerie, der Seidenmanufaktur, des Ackerbaues und der Heilkunde, die Bilder der Heiligen des Alterthums, Philosophen, Staatsmänner, Schriftsteller, Krieger, kurz ein Gewirr von grotesken Gestalten der verschiedensten Art. Aber dieser in vier Abtheilungen geson» derte Tempel, dessen Bau ungeheure Kosten verursacht haben muß. ist gegenwärtig durchaus im Verfalle. Die reiche aus vergoldeten und lacki» ten Ziegeln bestehende Bedachung ist an manchen Stellen eingebrochen, und mm träufelt der -Regen auf die Häupter der armen Götzenbilder herab, die eines Regenschirmes nöthiger bedürften als des Weihrauches, den man zn ihren Füßen verbrennt. Die übrigen Pagoden sind in einem eben so kläglichen Zustande; manche fallen gänzlich in Ruinen, und die der Länge nach auf dem Boden liegenden Götzen dienen, inmitten dieser Trümmer, den neugierigen Besuchern der heiligen Insel zu Sitzplätzen. Diese geräumign Klöster auf Pu tu, welche ehemals von einer großen Anzahl Bonzen bewohnt wurden, sind gegenwärtig zumeist Legionen von Ratten überlassen; in den verlassenen Zellen weben dicke Spinnen un» gestört ihre Netze. Nur allein die Bibliothek ist noch im erträglichen Zu. stände. Wir besuchten sie unter Anleitung des Bonzen, dessen Obhut sie anvertraut ist. Mit den großen Büchcrsammlungen . welche wir m der 17" 260 Der Bibliothekar und der Superior. ^16. Kap. Mongolei und Thibet gesehen hatten, kann sie sich allerdings nicht messen, doch zählt sie etwa achttausend Bände, die in gelben Tasset gewickelt, mit Aufschristen versehen und der Neihe nach in Fächer eingeordnet find. welche den Wänden des großen Saales entlang stehen. Diese Bücher sind aus« schließlich buddhistisch theologisch, zum Theil liturgischer Art. meist Ueber, sehungen oder zuweilen gar nur einfache chinesische Transscriptionen in» bischer Werke, so daß ein Chinese sie geläufig lesen kann, ohne doch vom Sinne und Inhalte auch nur das Allermmdeste zu begreifen. Wir machten den Bibliothekar darauf aufmerksam daß das ein bedenklicher Uebelstand sei, und daß derartige Bücher keineswegs geeignet wären bei den Bonzen Liebe zu den Studien anzuregen. Er entgegnete: „Die religiöse Familie Buddha's fühle sich nicht zu den Büchern hingezogen. Die Bonzen auf Pu tu lesen überhaupt nichts, sie setzen keinen Fuß in die Bibliothek, ich sehe hier lediglich Fremde welche aus Neugier kommen." Uebrigens theilte dieser Bücheraufseher die Gleichgiltigkeit seiner College» gegen die Literatur keineswegs, er war vielmehr ein echter Bibliophile. Seit achtzehn Jahren hatte er sich nicht von seiner Bibliothek getrennt, und war Tag für Tag, manchmal bis spät in die Nacht hinein beschäftigt „die unergründliche Tiefe der Lehre zu ergründen." Er war bereit uns Mittheilungen über den Inhalt mancher Bücher zu geben, aber die Zeit war zu kurz als daß wir viel hätten von ihm hören können. Wir besuchten den Superior der Insel, dessen Wohnung dem großen Tempel zunächst lag. Er wohnte in Zimmern die einigermaßen reinlich gehalten waren, man konnte sogar bemerken daß hier einst ein gewisser Luxus geherrscht haben mußte. Dieser Vorsteher war ein Mann von etwa vierzig Jahren; aus seinem Gespräche ging keineswegs hervor daß er sich mit Wissenschaften und Theologie beschäftigt habe; aber aus seinem pfiffigen Blicke, seiner kurzen, scharf betonten Rede erkannte man wohl daß er ein Mann war, der sich auf die Geschäfte und auf das Befehlen verstand. Seit einigen Jahren, sagte er. gebe er sich große Mühe die Pagoden auf der Insel wieder herzustellen, und er habe zu dem Zwecke die ihm untergebenen Bonzen weit und breit umher ausgesendet, um Sammlungen zu veranstalten, durch die er die Mittel für die Ausführung seines Planes zu erhalten hoffe. Aber die Sammlungen brachten nicht viel ein, und der Superior ließ es an Klagen über den erkalteten Eifer der Buddhaverehrer nicht fehlen. Er gestand uns zu, daß das Volk der Mitte keinen Glauben mehr habe, und ge» rade deshalb die mit der Sammlung beauftragten Bonzen leer zu« rückkämen. 16. Kap.1 Achtung d.Chinesen vor geschriebenem u. bednicktemPapiere. 2ß l Als wir eben Pu tu verließen kehrten einige Barken zurück, in wel« chen sich Bonzen befanden die vom Terminiren zurückkamen. Wir fragten ob die Sammlungen gut ausgefallen seien. „Jawohl," rief freudig ein junger Novize, „wir haben Glück gehabt und bringen viele Sapeken mit." Dafür erhielt er von einem alten Bonzen einen tüchtigen Schlag auf den Kopf. „Du geschorener Teufel, willst Du den Leuten Lügen zum Besten geben? Wo sollten denn die Sapeken sein?" Der Knabe fing an zu Plärren und mochte nun wohl begreifen daß er eine Unbesonnenheit began» gen hatte. Der alte Bonze gab ihm noch einen Puff. „Das ist für Deine Lügen; Du sollst mehr Prügel bekommen als wir Sapeken haben." Dann wendete er sich zu uns und sprach äußerst höflich: „Man muß die jungen Leute züchtigen, wenn sie die Wahrheit beeinträchtigen; das ist ein unbestreitbarer Grundsatz. Unser Ausflug iu den Bezirk Han Tscheu hat nicht viel abgeworfen, denn die Reisernte ist schlecht ausgefallen und die Leute find arm; wie könnten fie also daran denken der Familie Buddha's Almosen zu spenden? Dagegen haben wir das Glück gehabt sehr viel verstreutes Papier zu finden, und unzählige Schriftzcichen vor Entweihung zu sichern." Dabei zeigte er auf einen Nachen, der ganz und gar mit Fetzen Papier angefüllt war. „Die Heiligen des Alterthums schärfen uns Ehr« furcht vor den Schriftzeichen ein." Dann fuhr die Bonzenflotille weiter. Wir waren überzeugt daß das Sammeln etwas Erkleckliches eingetragen .hatte, sonst würde schwerlich der alte Bonze den Novizen so starke Püffe versetzt haben. Wenn die Chinesen Geld haben sagen sie es nicht; wenn sie sich aber rühmen Baarschast zu besitzen, dann darf man allemal anneh-men daß ihre Börse leer ist. Wir haben in China sehr oft Gelegenheit gehabt uns zu überzeu« gen, daß alle Chinesen vor dem geschriebenen Worte eine große Ehrfurcht hegen ; sie verwenden bedrucktes oder mit dem Pinsel beschriebenes Papier niemals zu profanen Zwecken; zu Umschlägen, zum Verpacken und der. gleichen haben sie ein grobes Papier das sehr wohlfeil ist. Alles was beschrieben ist wird sorgfältig aufbewahrt, damit es nicht unter die Füße ge-treten und beschmutzt werde. Man giebt darüber schon den Kindern strenge Weisung. Daß damit überhaupt ein Aberglauben verbunden sei glauben wir nicht; uns scheint vielmehr als ob sie auf dieseWeise den menschlichen Gedanken ehren wollen, der sich vermittelst der Schrift gleichsam verkörpert. Aber man begreift daß nicht Jedermann in dieser Beziehung glelch streng ist und daß, zum Beispiel aus Unachtsamkeit, manches Stuck be» schriebenen oder bedruckten Papiers in Gefahr kommt pwfanirt zu werden. 262 Nmmenllbster. Il6. Kap. Um diesen« Uebelstaude vorzubauen ist eine besondere Classe von Bonzen vorhanden, welche aller Orten dergleichen Papier aufsuchen und in Sicherheit bringen. Mit einem Tragkorbe auf dem Rücken und einem Haken durchziehen sie Dörfer und Städte, sammeln was sie finden und tragen das Papier in eine Pagode wo es vor den Bildern der Weisen des Alterthums verbrannt wird. Die meisten berühmten Pagoden sind fast in demselben Zustande wie jene auf Pu tu; aller Orten tritt uns Verfall und Mangel an Glauben entgegen. Die buddhistischen Tempel werden schwerlich jemals ihren frü. Hern Glanz wieder erhalten. Die Erinnerung an ihren alten Ruhm zieht allerdings zu gewissen Zeiten Besucher herbei, diese kommen aber nicht aus Andacht sondern aus Neugier; sie verbrennen leinen Weihrauch vor den Götzenbildern, und bestellen keine Gebete bei den Bonzen; man macht eben Lustreisen nach einem solchen Tempel, und eigentliche Pilger» oder Wallfahrer kommen nicht mehr vor. Eigentliche Klöster in welchen die Bonzen gemeinschaftlich leben, giebt es nicht in China. Die buddhistischen Mönche leben in den verschiedenen Provinzen zerstreut, sind von einander durchaus unabhängig und werden durch kei» Band der Disciplin oder Hierarchie zusammengehalten. Allerdings hat jedes Kloster einen Vorsteher, er ist aber weit mehr Gutsverwalter als geistlicher Superior, denn er besitzt keine Disciplinargewalt über die anderen Bonzen. Diese leben obne bindende Regel ganz nach ihrem Belieben, entfernen sich oft längere Zeit aus dem Kloster, durchstreifen das Land so lange sie Unterhalt finden und kommen wieder heim wenn sie nichts mehr zu beißen und zu brechen haben. Fin» den sie anderwärts eine Stellung die ihnen zusagt, dann bleiben sie ganz fort. Um Bonze zu werden braucht man lediglich sich das Haupthaar ab-znscheeren und einen langen Rock mit weiten Aermeln anzuziehen; will man nicht mehr Bonze bleiben, so läßt man das Haar wachsen, zieht den langen Rock aus. und trägt einen falschen Zopf bis das eigene Haar die gehörige Länge erreicht hat. Kurz die buddhistischen Mönche in China find an Einfluß und Bedeutung nicht im Mindesten mit den Lamas in der Mongolei und in Thibet zu vergleichen. Die Zahl der N onnenk löster ist namentlich im südlichen China sehr beträchtlich. Die Bonzin hat dieselbe Kleidertracht wie der Bonze; auch scheert sie ihr Haupthaar ab. ist nicht auf das Klostergebäude einge« schränkt, läßt sich vielmehr häufig auf der Straße sehen. Die Leute wollen wissen daß in diesen Nonnenklöstern viele bedenkliche Unordnungen stattfinden, gewiß ist daß Niemand der auf guten Ruf hält dieselben be. l6. Kap.) Zurückhalten einer Seele im kranken Körper. ^63 tritt. — Man kann aus allen dem bisher Gesagten wohl folgern, daß die Chinesen ohne Religion leben. Allerdings haben sie abergläubige Ge. brauche, aber diese machen sie mehr aus herkömmlicher Gewohnheit mit, nicht au« Ueberzeugung, auch kommen dergleichen nach und nach immer mehr in Abgang. Während wir zu U tschang fu in dem Si men Yuen, das heißt in dem Garten deS westlichen Thores verweilten, hatten wir Gelegenheit zu bemerken, wie die Chinesen ihre abergläubigen Gebräuche mit dem Man« gel an religiöser Ueberzeugung in Einklang zu bringen wissen. In jenem Gebäude wohnten, wie wir schon weiter oben sagten, mehrere Parte. Uns gegenüber lag eine Abtheilung die recht hübsch hergerichtet war, und seit zwei Jahren von einem alten Mandarin bewohnt wurde, der sein Amt niedergelegt hatte. Seine Familie war bei ihm. Er war noch nicht in seine Heimat zurückgekehrt, um für seinen ältesten Sohn in U tschang fu eine Stelle zu erhalten. Der junge Mann hatte den Grad eines Baccalaureus, war verheirathet und Vater von drei Kindern. Der Vater harrte schon zwei Jahre lang vergeblich auf die Anstellung seines Sohnes der inzwt« schen unheilbar erkrankt war. Wir fanden die Familie trostlos, sie hatte bereits einen Sarg bestellt. Der junge Gelehrte war die Hoffnung seiner Angehörigen und sollte ihre Stütze sein. Während der ersten Nacht die wir im Garten des westlichen Thores zubrachten, vernahmen wir lautes Geschrei; man brannte Schwärmer ab, und der Lärm wollte kein Ende nehmen. Was war die Ursache dieses Tu« multes? Man wollte dadnrch den Kranken retten. Die Chinesen nehmen an, der Tod erfolge wenn die Seele sich ein für allemal vom Körper getrennt habe, und darin haben sie vollkommen Necht. Die Krankheit, so meinen sie weiter, wird schwächer oder bedenklicher in dem Verhältnisse, in welkhcm die Seele stärkere oder geringere Anstrengungen macht, aus dem Körper zu entweichen. Tritt eine Krisis ein welche das Leben des Kranken in Gefahr bringt, dann liegt ein Beweis vor daß die Seele zeit. weilig den Körper verlassen und sich entfernt hat. jedoch um nach kurzer Frist wiederzukommen. Die Entfernung ist dann nicht so beträchtlich daß sie ohne Einfluß auf den Körper bliebe; deshalb lebt dieser noch fort. obgleich er durch eine solche Trennung erschrecklich leidet. Der Kranke verfällt in Bewußtlosigkeit; dann ist es klar daß die Seele sich fest entschlossen hat. nicht wieder zu kommen. Aber noch ist nicht alle Hoffnung ver« loren; eS giebt noch ein Mittel die Seele zur Umkehr zu veranlassen mV 264 Das Seelenjagen. 116. Kap. sie zu zwingen wieder in den Körper einzuziehen. Man sticht sie nämlich zu rühren, flehet zu ihr und bittet sie, läuft ihr nach, beschwört sie ihren Platz im Körper wieder einzunehmen, setzt ihr mit pathetischen und sal« bungsreichen Worten auseinander wie kläglich der Kranke daran sei wenn sie nicht wiederkomme. Auch macht man ihr begreiflich daß das Wohler, gehen einer ganzen Familie von ihrem Entschlüsse abhänge. Kurz man dringt in sie, schmeichelt ihr und läßt es an Mahnungen nicht fehlen. „Komm zurück, kehre wieder! Was hat man Dir denn zu Leide gethan? Weshalb willst Du uns verlassen? Aus welchem Grunde entfernst Du Dich? Wir beschwören Dich inständig: komm wieder!" Nun weiß man aber nicht genau nach welcher Seite hin die Seele ihre Flucht bewerkstel» ligt hat; man läuft ihr deshalb in die Kreuz und Quer nach um sie zu ertappen und zu rühren. Hilft aber alles Bitten und Flehen nicht, bleibt die Seele hartnäckig, dann sucht man sie einzuschüchtern, schreit laut, brennt an allen Ecken und Enden Schwärmer ab, breitet die Arme aus um ihr den Weg zu versperren, streckt ihr die Hände entgegen, weil man sie nicht durchlassen sondern zwingen will wieder in den Körper einzuzic« hm. Unter diesen Seclenjägern ist immer der eine oder andere, der ge« schickt geinig ist ihr auf die Fährte zu kommen. Er ruft, sobald ihm das gelungen ist, um Hilfe: «Sie ist hier!" Sogleich eilt Alles an die Stelle, uud nun wird geweint, geheult, gewehklagt was das Zeug halten will; die Schwärmer knallen aller Orten, man macht der armen Seele eine entsetzliche Katzenmusik. Bei dergleichen Auftritten fehlt es nie an Laternen, denn es kommt darauf an der Seele den richtigen Weg zu weisen und ihr jede Ausflucht und allen Vorwand zur Widersetzlichkeit zu nehmen. Das Seelenjagen wird hauptsächlich bei Nacht veranstaltet, weil die Seele gern die Dunkelheit benutzt um sich aus dem Staube zu machen. Im Garten des westlichen Thores lag eine schöne dem Buddha geweihte Pagode; auf dem Altare prangte ein großes vergoldetes Standbild. Die Tempelpforte war Tag und Nacht offen. Nun gingen die Neltern, Freunde und Diener des jungen Baccalaureus unaufhörlich vor dem Altare hin und her, aber nie blieb einer von ihnen im Tempel stehen, um zu beten, Weihrauch zu verbrennen, oder den Gott um Heilung zu bitten. Sie waren eben ohne Religion; es kam ihnen nicht in den Sinn anzunehmen daß ein höchstes Wesen vorhanden sei. in dessen Hand die Geschicke der Menschen ruhen. Sie wußten nur daß es herkömmlich ist, der Seele eines Kranken nachzulaufen. um sie zur Rückkehr in den Körper zu ver« mögen; sie machten die Bräuche mit, weil Andere dasselbe thun, fragten 16. Kap.) Trauelfeierlichkeiten und Begräbnisse. ^65 auch keineswegs ob ihr Verhalten vernünftig oder lächerlich sei. und sehten auch wohl überhaupt kein großes Vertrauen in die ganze Sache. DaS Seelenjagen währte die ganze Nacht hindurch, und wir könn« ten hören wie unter unserm Fenster dem entflohenen Wesen die albernsten Gebete nachgeschickt wurden. Und doch hatte der ganze Auftritt, bei wel. chem eine verzweifelnde Familie betheiligt war. etwas Herzzerreißendes. Als wir am nächsten Morgen sie besuchen und ihr unsere Theilnahme be. zeugen wollten. erfuhren wir von einem Diener daß der Kranke gestorben sei. Die Chinesen haben eine Menge Redewendungen dafür. Sie sagen: er ist nicht mehr. er ist todt. hat das Zeitliche gesegnet, ist hingeschieden, zum Himmel emporgestiegen, und dergleichen mehr. je nach dem Range und Stande des Hingeschiedenen. Wenn ein Kaiser stirbt so heißt es er sei ein« gestürzt. Der Tod des Herrschers gilt für eine ungeheure Katastrophe, deren Widerhall sich nur mit dem Getöse vergleichen läßt, welches entsteht wenn ein Gebirge zusammenstürzt. Die Angehörigen der Familie hatten gleich am Morgen ihre Trauerkleider angelegt. nämlich eine weiße Mütze und einen Gürtel von weißer Leinwand. Bei voller Paradetiauer muß Alles an der Tracht weiß sein. selbst Schuhe und Haarbänder mit welchen der Zopf bewickelt und zusammengebunden wird. Die chinesischen Ge» brauche stehen durchgängig mit den europäischen im Gegensatze, und es ist daher ganz in der Ordnung daß nicht schwarz sondern weiß ihre Trauer-färbe ist. Die Leiche behält man ziemlich lange im Hause und beerdigt sie manchmal erst am Jahrestage des Sterbefalles. Sie wird in einen sehr festen dichten Sarg gelegt, mit ungelöschtem Kalke bedeckt, und läßt sich dadurch lange aufbewahren ohne daß sie lästig würde. Man will den Todten nicht rasch begraben, um ihn zu ehren, und Zeit für ein würdiges Leichen-begängniß zn gewinnen; denn ein Begräbniß ist für den Chinesen eins der allerwichtigsten Dinge. Um den Todten selbst kümmert man sich eben nicht sehr. aber um die Beschaffenheit des Sarges, um die Leichenfeierlichkeit, und um die Bcgräbmßstätte desto mehr. Eitelkeit und Prunksucht spielen dabei eine große Rolle; man will das Ding großartig treiben und Pomp veranstalten damit die Leute davon reden. Man läßt möglichst lange Zeit verstreichen, und spart zusammen was man irgend kann; man scheut kein Opfer, verkauft sogar Grundeigenthum, und es kommt nicht selten vor daß eine Familie sich durch eine pomphafte Leichenfeierlichkeit zu Munde richtet. Confucius will nicht daß man so weit gehe, aber er rath doch daß 266 Trauerfelerlichkciten und Begrabnisse. sl6. Kap. man die Halste seines Vermögens für ein Begräbniß aufwenden solle. Die Mandschudynaftie hat Verordnungen erlassen um dem unverständigen Aufwande einigermaßen zu steuern; aber es scheint als ob sie nur auf die Mandschu Bezug haben, denn die Chinesen halten es damit immer noch in alter Weise. Sobald die Leiche im Sarge ruht, finden die Verwandten und Freunde des Verstorbenen an bestimmten Stunden sich ein. um zu weinen nnd ihrem Schmerze Luft zu machen. Wir sind oftmals dabei zugegen gewesen, und konnten das wunderbare Verstellungstalent der Chinesen be» obachten. Männer und Frauen versammeln sich in verschiedenen Gemä» chern. Bevor das Weinen zu festgesetzter Stunde beginnt, trinkt man Thee, raucht Tabak, schwatzt und lacht in einer Weise daß Niemand ahnen könnte, weshalb die Leute sich zusammenfinden. Sobald aber der nächste Verwandte des Todten anzeigt, daß der Augenblick zur Trauer nahe sei, stellen sich Alle um den Sarg. wo die Unterhaltung in der bisherigen Weise fortgeführt wird. Aber sobald das Zeichen gegeben ist nimmt jedes Vesicht urplötzlich den Ausdruck tiefster Betrübniß an. Man ruft der Leiche die zärtlichsten Ausdrücke zu. Alles heult, schluchzt, weint, und, was in der That merkwürdig ist. die nassen Thränen stießen in reichlicher Fülle. Diese Leute lamentiren so naturgetreu daß man sie für ganz untröstlich halten könnte, und doch ist Alles nur eine geschickte Komödie. Denn sobald abermals das Zeichen gegeben wird, ist wie im Handumdrehen der Tbränenquell versiecht, man liört kein Schluchzen mehr, Jeder nimmt seine Tabakspfeife zur Hand, greift nach der Theetasse und die Unterhaltung wird fortgesetzt. Und wenn dann gar die Reihe um den Sarg herum zu treten an die Weiber kommt, dann wird die Komödie so vollendet gespielt daß gar nichts zu wünschen übrig bleibt. Ihre gemachte Betrübniß hat einen solchen Anschein von Wahrhaftigkeit, die Thränen stießen so stark, das Schluchzen kommt so tief aus der Brust hervor, daß Einen die armen Frauen wirklich dauern müßten, wenn man nicht überzeugt wäre das Alles sei doch nur Verstellung. Man weiß gar nicht, woher die Chinesen das Wasser zu ihren Thränenfluthen nehmen. Die Ausländer lassen sich durch solche Rühruugskomödien nicht selten hinter das Licht führen. Missio-uaire die noch Neulinge im Lande find, und diese biegsamen Menschen welche im Nu den verschiedenartigsten Gefühlen Ausdruck zu geben wissen, noch nicht genau kennen, meinen Leute vor sich zu haben die tiefer Eindrücke fähig seien. Die Täuschung verläßt sie aber bald. wenn sie finden daß in Ausdruck und Thränen so vieles lediglich gemacht und erheuchelt 16. Kap.) Trauerfeierlichkeiten und Begräbnisse. 267 ist. Bei Chinesen findet man nur höchst selten Aufrichtigkeit und Herz. lichkeit. Wir haben gesagt daß bei den Leichenbegängnissen möglichst viel Pracht und Luxus zur Schau gestellt wird. Insbesondere die wohlhabenden Leute laden Alles was sie an Verwandten und Freunden haben ein um den Leichenzug so lang als irgend möglich zu machen. Die Trauer« kleider welche bei demselben getragen werden muß die Familie des Verstorbenen liefern; außerdem hat sie das Gefolge tagelang zu bewirthen. Musikanten und Klageweiber dürfen nicht fehlen. In China versteht sich alle Welt vortrefflich darauf, in jedem beliebigen Augenblicke Thränen zu vergießen, nichtsdestoweniger giebt es auch noch Frauen die das Weinen und Klagen als Gewerbe treiben und das Heulen und Seufzen bis auf den höchsten Grad der Vollkommenheit gebracht haben. Sie gehen hinter dem Sarge her, mit zerrauftem Haare in langen weißen Röcken mit han» fcnem Gürtel. Ihre Wehklagen werden von Schlagen auf die Kesselpau' km begleitet, mit Schwärmern die reichlich umhergeschleudert werden und krachend zerplatzen; endlich schrillt auch der Ton scharfer Musikinstrumente in das Geräusch hinein. Die Chinesen behaupten daß das Krachen und der Pulvergeruch die bösen Geister vertreiben, welche dem Sarge solgen um sich der Seele des Gestorbenen zu bemächtigen. Diese Geister find äußerst habsüchtig; man sucht ihnen deshalb an ihrer schwachen Seite bei-zukommen, läßt unterwegs dann und wann ein paar Sapeken auf die Erde fallen, und streut Bankzettel aus, welche dann der Luftzug nach allen Gegenden wegtreibt. Damit legt man den bösen Geistern eine Falle, denn eS handelt sich nicht um wirkliches, gültiges Papier sondern um weiße Stückchen, womit man die Geister täuscht; offenbar sind die Dämonen in China bei weitem nicht so pfiffig wie die Menschen, von denen sie sich täuschen lassen. Denn während sie dem vermeintlichen Papiergelde "acheilen, nimmt die Seele des Abgeschiedenen die günstige Gelegenheit wahr und kann dem Sarge folgen ohne durch die bösen Geister behelligt zu werdeu. Die chinesischen Skeptiker umgehen bei den Begläbmiien gern d,e Mitwirkung der Bonzen und der Tao sse. Sie empfinden be« Lebzelten kein religiöses Bedürfniß, und es erklärt sich deshalb daß sie dle Rellgwn auch nach dem Tode für vollkommen unnütz halten. Namentlich muß deu Anhängern des Confucius Gebet oder Opfer für die Hingeschiedenen über^ flüssig erscheinen, denn sie glauben daß mit dem Tode für den Menschen Alles abgethan sei, und daß die Seele sich in das Nichts verliere. Hin 268 Cultus zu Ehren der Vorfahren. s16. Kap. und wieder weiden wohl auch Bonzen eingeladen. um das Begräbniß pomphafter zu machen. Wir waren in der Umgegend von Peking bei der Leichenbestattung eines hohen Würdenträgers zugrgen, bei dem alle Lamas, Bonzen und Tao sse, welche man weit und breit hatte austreiben können, zugegen waren. Jeder verrichtete die Ceremonien seiner eigenen Secte. und verwirklichte die berühmte Formel San kiao, y kiao, d. h. die drei Religionen sind nur eine. Die Chinesen pflegen den Todten Speisen hinzustellen, veranstalten ihnen auch wohl glänzende Gastmahler. Man seht die Speisen vor die Bahre, so lange der Sarg sich noch im Hause befindet, später werden sie auf das Grab gestellt. Der gemeine Mann beobachtet diesen alten Brauch ohne weiter darüber nachzudenken. Daß der Todte von den ihm dargebotenen Gerichten etwas zu sich nehme glaubt schwerlich Jemand, am allerwenigsten ein Anhänger des Confucius, der ja die gänzliche 'Vernichtung von Leib und Seele annimmt. Wir fragten einst einen uns befreundeten Manda» rin, welcher ein kostbares Gericht vor dem Sarge eines Hingeschiedenen Amtsgenossen hatte auftragen lassen, ob er meine daß ein Verstorbener Speise und Trank nöthig habe? Er entgegncte: „Wie könnt ihr mich eines solchen Gedankens fähig halten, und annehmen daß ich eine solche Thorheit glaube? Wir wollen nur das Andenken unserer Verwandten und Freunde ehren, ein Zeugniß ablegen daß sie in unserer Erinnerung leben, und daß wir ihnen noch eben so gern dienen wie bei Lebzeiten. Wer könnte so verrückt sein, daß er glaubte die Todten bedürften der Speise? Der kleine Mann erzählt sich freilich darüber allerlei ungereimte Dinge, aber der ist ja überall unwissend und leichtgläubig." Die Verehrung der Vorfahren, der Ahnencultus, erinnert in mancher Beziehung an jene Opfer welche man den Todten darbringt. Die Chinesen haben von jeher in ihrem Hause eine Stätte gehabt, welche den Vorfahren der Familie geweiht ist. Bei den Fürsten, hohen Würdenträgern, Mandarinen und überhaupt bei den reichen Leuten, welche über viele Zimmer verfügen können, findet man eine Hauscapelle, in welcher Tafeln mit dem Namen der Ahnen aufgehängt sind; sie enthalten die ganze Reihe derselben vom Gründer der Familie bis herab zum Letztverstorbenen. Manchmal enthält die Capelle lediglich die Tafel des Gründers, der alle nachfolgenden repräsentirt. In dieser Capelle werden die vorgeschriebenen Gebräuche vollzogen; man verbrennt Wohlgerüche, bringt Opfer dar, und wirft fich ehrfurchtsvoll vor der Ahnentafel nieder. Der Chinese besucht diese Capelle auch allemal wenn er ein wichtiges Unter« 16. Kap.1 EultuS zu Ehren der Vorfahren. ««a nehmen vor hat, oder eine Gunst empfing oder wenn ein Misgeschick ihn betraf. Er zieht seine Ahnen in Mitleidenheit. Aermere Leute stellen die Ahnentafel auf ein Bret oder eine Nische in ihrem Zimmer. Vormals hatte selbst in Kriegszeiten der Feldherr in seinem Zelte eine Art Ahnen, capelle; er verrichtete in Begleitung seines Stabes die herkömmlichen Gebräuche und gab den Ahnen Bericht über den Stand der Angelegenheiten, wenn er z. B. eine Belagerung unternehmen oder am andern Tage eine Schlacht wagen wollte. Diese Gebrauche wurden von einem Theile der christlichen Misfio« naire für unverfänglich erachtet, und gewissermaßen als Huldigungen bürgerlicher Art aufgefaßt welche man den Vorfahren erweise. Andere sahen darin abergläubigen Culius, welcher den bekehrten Chinesen nicht erlaubt werden dürfe. Nach langen sehr heftigen Streitigkeiten zwischen beiden Theilen entschied der Papst daß der Cultus der Ahnen und des Confucius zu verdammen sei. Die Trauer um Vater oder Mutter währt drei Jahre; für die Re« gierungsbeamten ist sie auf siebenundzwanzig Monate ermäßigt worden. Während dieser Zeit kann der Leidtragende kein öffentliches Amt bekleiden, sondern muß in der Zurückgezogenheit leben, darf keine Besuche abstatten, 'st überhaupt von der Welt in vieler Beziehung wie abgeschlossen. We« "lgstens ein Mal in jedem Jahre muß eine Gedenkfeier am Grabe der Ahnen stattfinden, und alle Angehörigen und Abkömmlinge der Familie, Banner. Frauen und Kinder haben sich dabei einzufmden. Das Grab wud gesäubert, mit buntem Papiere geschmückt; man wirft sich nieder, ver. drennt wohlriechende Sachen und stellt auf den Rasen oder auf die Leichen« Mne kleine mit Speisen angefüllte Gefäße. Aus allen liturgischen Vor. Insten für die Begräbnisse, für Trauer und Opfer, tritt uns das große Princip der kindlichen Pietät entgegen; sie bildet die Grund« läge der chinesischen Gesellschaft. AlleS zielt darauf im Geiste des Volkes dte Achtung vor der väterlichen Gewalt einzuschärfen. Dasselbe zeigt sich auch bei anderen Gebräuchen und Feierlichkeiten, namentlich bet jenen welche auf die Ehe Bezug haben. Es steht ein für allemal fest daß Vater und Mutter, oder nach deren Ableben die Großältern, oder wenn solche fehlen die nächslenAnverwandten über die Kinder, wenn diese eine Heirath eingehen wollen, eine vollkommen willkürliche Gewalt haben. Die Chinesen heirathen sehr jung, was der im Alterthume beobachteten Sitte und auch dem Buche der Gebräuche zuwiderläuft. Dieses kanonische Buch schreibt: „Im Alter von zehn V 270 Chinesische Einthellung der Lebensalter. 116. Kap. Jahren ist bei den Menschen das Gehirn noch eben so schwach als der Körper; sie können sich höchstens mit den Anfangsgründen der Wissenschaften beschäftigen. Männer von zwanzig Jahren haben noch nicht die volle Kraft; sie nehmen kaum die ersten Strahlen der Vernunft wahr. Da sie jedoch schon anfangen Männer zu werden, so muß man ihnen den Manneshut gestatten. Mit dreißig Jahren ist der Mann wirklich Manu, stark, kräftig, und dann ist das Heirathen angemessen. Einem Manne von vierzig Jahren kaun man die Aemter von mittler Bedeutung über< tragen, und die schwierigsten welche den meisten Ueberblick erfordern einem Manne von fünfzig Jahren. Mit sechzig Jahren wird man alt, es bleibt nur noch Klugheit ohne Kraft übrig; in solchem Alter soll mau nichts mehr selbstftändig unternehmen, sondern nur vorschreiben was ausgeführt werden soll. Ein Siebenziger, dessen Körper und Geisteskräfte abgeschwächt sind, muß denKindern die Sorge für die häuslichen Angelegenheiten überlassen. Achtzig und neunzig Jahre sind ein hinfälliges Alter; die Men» schen welche dasselbe erreichen sind wie die Kinder und den Gesetzen nicht mehr unterworfen. Wer einhundert Jahre erreicht soll sich mit nichts mehr beschäftigen als darauf zu achten daß er seinen Lebensathem bewahre." Gegenwärtig weiden schon Ehen geschlossen bevor noch beide Theile das Alter der Mannbarkeit erreicht haben, ja es kommt vor daß Aeltern ihre Kinder verheirathen bevor diese noch geboren sind. Zwei Freunde geben allen Ernstes und mit eidlicher Versicherung einander das Versprechen, ihre Kinder welche demnächst geboren weiden. zu vermählen. Das Versprechen wird dadurch bekräftigt daß Jeder ein Stück von seinem Rocke abreißt und es dem Andern einhändigt. Ganz abgesehen von solchen Fällen kommt es sehr häufig vor daß das Brautpaar sich vorher nie gesehen hat, denn lediglich der Wille der Aeltern entscheidet. Die Braut bringt keine Mitgift zu, der Bräutigam muß fie den Aeltern für eine Summe abkaufen über welche man sich im Voraus geeinigt hat. Nach Unterzeichnung des Ehevertrags wird ein Theil als Handgeld angezahlt, der Rest folgt einige Tage vor der Hochzeit. Außer« dem machen die Aeltern des Bräutigams den Aeltern der Braut Ge» schenke, die in Seidenzeug. Reis. Früchten, Wein und dergleichen bestehen. Nehmen die Aeltern Handgeld und Geschenke an, so ist der Vertrag bin< dend und man kann nicht mehr von demselben loskommen. Die Aeltern geben ihrer Tochter, wenn sie keinen Bruder hat, noch ein Brautgeschenk, aber das geschieht lediglich aus gutem Willen; verpflichtet sind fie dazu 16. Kap.) Lage der Frauen. , 271 nicht. Dabei ereignet es sich wohl auch daß der Schwiegervater den Eidam in sein Haus nimmt und ihm einen Theil seiner Habe vermacht. Aber den andern Theil muß er nothwendig einem Angehörigen seiner eigenen Familie und seines Namens vermachen, damit dieser die Gebräuche vor der Ahnentafel verrichten könne. Das Letztere erscheint den Chinesen von höchster Wichtigkeit, und sie haben deshalb die Annahme an Kindesstatt eingeführt. Wer ohne männliche Nachkommen ist, adoptirt einen Knaben, oder vielmehr er kauft ihn, und das Kind hat dann keinen andern Vater als den welcher es annahm; es erhält dessen Namen und muß später um ihn Trauer aulegen. Bekommt dieser Adoptivvater im Fortgange der Zeit selbst noch Knaben, so bleibt die Annahme nichtsdestoweniger in voller Kraft, und der Adoptirte hat dasselbe Anrecht auf den Nachlaß wie die leiblichen Söhne. Alle Ehen werden beiderseitig durch Brautwerber und Brautwer« berinnen vermittelt, welche ihre Dienste unentgeltlich leisten. Es gilt für eine Ehre, so delicate Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Die Vielweiberei kann in China nicht eigentlich als einein den Gesehen begründete Einrichtung betrachtet werden. Ehemals war es nur den Mandarinen und Männern über vierzig Jahre die kinderlos waren gestattet, neben der Gattin noch andere Weiber zu nehmen, „kleine Frauen", wie der chinesische Ausdruck lautet. Das Buch der Ge» brauche setzt Strafen für die Uebertretung dieses Gebotes fest. „Wer eine Beischläferin hält soll hundert Ruthenstreiche auf die Schultern be« kommen." Aber diese Vorschrift steht lediglich in den Büchern; heutzutage mag Jeder so viele kleine Frauen halten wie ihm beliebt oder wie er ernähren kann. Aber die eigentliche Gattin, die wahre Frau. bleibt allemal Gebie« term über die kleinen Frauen. Die Kinder der Letztern erkennen nur die Erstere als ihre Mutter; um ihre leibliche Mutter legen sie keine Trauw an. und alle Beweise von Achtung. Zuneigung und Gehorsam erhalt nur die rechtmäßige Gattin des Mannes von allen Kinder» du »m Hause find. Die kleine Frau ist ein so niedrigstehendes abhängiges Wesen daß sie der Gattin all und jeden Gehorsam leisten muß. und den Hansherrn nur mtt dem Namen anreden darf, den er als Familienvater fuhrt^ Eme kleme Frau darf ihren Mann unter keinerlei Bedingung oder Vorwand elgen-mächtig verlassen. Sie ist Eigenthum dessen der sie gekauft hat; aber ihr Herr kann sie verstoßen, fortjagen und wiederkaufen, ganz nach semem Gutdünken, denn ihm steht in dieser Beziehung gar keme gesetzliche 272 Gebräuche bel Hochzeitsfeierllchkelten. sM z^p. Schranke entgegen. Das Buch schreibt vor: „Wenn Jemand seine g«. schliche Frau ohne Ursache verstößt, muß er sie wieder aufnehmen, und soll achtzig Stockprügel bekommen." Von der kleinen Frau hat das Ge« seh gar keine Notiz genommen. Der Chinese weiß daß die Ehe für ihn ein unauflösliches Band ift. und die Reichsgesetze entsprechen in dieser Beziehung der öffentlichen Meinung. Sie verhängen schwere Strafen für gewisse Uebertretungen der Pflicht, lassen aber in mehreren Fallen auch eine Scheidung zu. Die Gesetzgebung ift aber durchaus zu Gunsten des Mannes. Das Weib ift. wie überhaupt bei den Heiden, Sclavin oder Opfer des Manne«; das Gesetz bekümmert sich entweder um dasselbe gar nicht, oder es prägt der Frau ein daß sie dem Manne Unterthan, und zum Dulden und Gehorchen nuf Erden sei. Das Gesetz kennt einige eigenthümliche Ehehindernisse. Es verbietet dem Civilmandarin die Heirath in der Provinz, in welcher er ein Amt bekleidet. Verheirathct er sich dennoch oder nimmt er eine kleine Frau, so soll er achtzig Etockprügel erhalten, und die eingegangene Ver» bindung wird für ungiltig erklärt. Heirathet er gar etwa die Tochter eines Mannes der einen Proceß führt, in welchen der Mandarin das Ur» theil zu sprechen hat, dann wird er mit der doppelten Tracht Schläge be» straft und die beiderseitigen Brautwerber verfallen in dieselbe Strafe. Die Frau wird ihren Aeltern zurückgeschickt, und die Hochzeitsgeschenle zieht der Fiscus ein. Bei den Hochzeitfeierlichkeiten unterscheidet man sechs Haupt» gebrauche, die aber in ihrem ganzen Umfange nur in vornehmen Familien beobachtet werden; die Uebrigen lassen Manches fort und verfahren ein« facher. Der erste Gebrauch besteht darin daß man über die Ehe sich ver« ständigt; der zweite schreibt vor daß man sich nach Namen, Monat und Tag der Geburt deS Mädchens erkundigt; die Etikette verlangt nämlich ^anz unbedingt, daß es scheint als sei dasselbe dem Bewerber durchaus unbekannt. Dem dritten Brauche gemäß hat man Wahrsager über die einzugehende Heirath zu befragen und die Aeltern des Mädchens von dem günstigen Prognostikon in Kunde zu setzen. Viertens überbringt man Seidenstoffe und andere Geschenke als Zeichen daß man Willens sei zu heirathen. Ium Fünften wird der Hochzeitstag anberaumt; fechstens muß man vor der Gattin hergehen um sie in das Haus ihres Gemahls zu fuhren. Bei allen diesen Dingen sind eine Menge von kleinlichen Observanzen zu befolgen, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Alles wird nach den Regeln strengster Höflichkeit im Voraus bestimmt, l6. Kap.1 Gebräuche bei Hochzeitsfeieilichkeiten. 273 insbesondere die Formel durch welche die Eröffnungen gemacht werden, die Worte welche dabei gesprochen werden sollen, und die Begrüßungen. Bei allen diesen Ceremonien spielt die Familie der Braut eine sehr bescheidene und nachgiebige Rolle. Wenn zum Beispiel der Vater des Bräutigams nach dem Namen des Mädchens fragt, antwortet der Vater desselben: „Ich habe mit Hochachtung die Beweise der Güte empfangen welche Du für mich hast. Du thust meiner Tochter die Ehre an daß sie Gemahlin Deines Sohnes werden soll; aus dieser Wahl erkenne ich. daß Du meine arme und kalte Familie höher achtest als sie verdient. Meine Tochter ist ein plumpes Geschöpf ohne Geist, und mir hat es an Talent gefehlt sie gut zu erziehen; indessen wird es mir zum Ruhme gereichen wenn ich in dieser Angelegenheit Dir Gehorsam bezeige. Du wirst auf einem besondern Papiere den Namen meiner Tochter nebst dem Tage ihrer Geburt finden, sodann auch den Namen ihrer Mutter." -— Wenn er die Geschenke erhält und ihm dabei der zur Hochzeit anbe« räumte Tag kund gegeben wird, dann antwortet er in folgenden Ausdrücken: „Ich kenne nun Deinen letzten Entschluß. Du willst daß die Hochzeit vor sich gehe; mir thut es aber leid daß meine Todter nicht so «zogen worden ist, wie zu wünschen stände. Ich besorge daß sie zu nichts recht tauge; indessen will ich Dir gehorchen weil die Vorzeichen günstig sind. Ich nehme Dein Geschenk an, grüße Dich, und willige ein daß an dem festgesetzten Tage die Hochzeit vor sich gehe." Am Hochzeitstage legt der Bräutigam köstliche Kleider an. In der Hauscapelle wo die Verwandten vor den Ahnentafeln versammelt sind. kniet er nieder, und wirst sich dann mit dem Gesichte zur Erde. Vor der Ahnentafel brennen wohlriechende Sachen, und den Vorfahren wird das wichtige Familienereigniß kundgethan. Der Eeremonienmeister ladet den Vater ein, auf einem besondern Sitze Platz zu nehmen. Dann wiH dem auf den Knien liegenden Sohne eine mit Wein gefüllte Schaale ein» gehändigt; er sprengt einige Tropfen als Tranlopfer auf die Erde, und macht, bevor er trinkt, vier Kniebeugungen vor seinem Vater, welcher ihm sagt: „Nun mein Sohn, hole Dir Deine Frau; geh'stets mit Umficht und Klugheit zu Werke." Der Sohn wirft sich darauf vor dem Vater viermal zur Erde und antwortet daß er gehorchen werde. Dann setzt er sich in einen Tragsessel der schon vor dem Hause bereit gehalten wird, und Freunde und Dienerschaft ziehen mit bunten Laternen voraus. Diesen Vrauch hat man beibehalten, weil in alten Zeiten die Hochzeit bei Nacht gefeiert wurde. Im Hause der Braut hält er an der Eingangsthüre zum Huc, Lhina. ^« 274 Gebräuche bei Hochzeitsfeierlichkeiten. M Kap. zweiten Hofraume an und wartet bis der Schwiegervater ihn hineinholt. Im Hause der Braut werden ähnliche Ceremonien beobachtet. Nach dem Trankopfer und nachdem die Schaale mit Wein geleert worden ist, kniet die Braut vor ihrem Vater, der ihr einschärft in allen Stücken den Be« fehlen von Schwiegervater und Schwiegermutter zu gehorchen. Dann befestigt die Mutter ihr einen Blumenkranz auf dem Haupte, von welchem ein langer Schleier herabhängt, der ihr das Gesicht bedeckt. Sie spricht: «Nun sei getrosten Muthes, meine Tochter, und füge Dich in den Willen Deines Gemahls." Alsdann wird der Bräutigam feierlich empfangen. Der Zug tritt bis in die Mitte des zweiten Hofes vor, wo der Bräutigam niederkniet und seinem Schwiegervater eine wilde Ente darreicht. Der Ceremonienmeifter überbringt sie der Braut. Jetzt begegnen sich die Verlobten zum ersten Male, begrüßen sich mit möglichster Würde und machen einander tiefe Verbeugungen. Dann fallen sie Beide auf die Kniee um Himmel und Erde anzubeten. Es scheint daß dies den Hauptpunkt der ganzen Ceremonie bilde, und als das eigentliche Symbol der ehelichen Verbindung betrachtet werden müsse. Denn um zu bezeichnen daß Jemand sich ver« heirathet habe, sagt man im gemeinen Leben: „er hat Himmel und Erde angebetet." Die Verlobten bleiben ein Weilchen auf den Knieen liegen; darauf wird die Braut zu einem mit rosenrother Seite überzogenen Pa-lankin geführt. Nachdem auch der Bräutigam in seinen Tragsessel gestiegen ist, setzt der Zug sich in Bewegung. Er ist jetzt weit zahlreicher als vorher, denn nun wird auch allerlei Hausgeräth mitgenommen, Tische, Stühle, Betten und dergleichen mehr. Der Bräutigam steigt vor seinem Hause aus und ersucht seine Frau einzutreten. Dann schreitet er ihr voraus bis in den innern Hosraum wo das Hochzeitsmahl aufgetragen steht. Nrst jetzt nimmt die Braut den Schleier ab und begrüßt den Mann; die« 7er begrüßt sie seinerseits und Beide waschen sich die Hände, der Bräuti» gam an der nördlichen. die Braut an der südlichen Seite des Porticus. Die Neuvermählte macht vor ihrem Manne vier Kniebeugungen ehe sie am Tische Platz nimmt; er macht vor ihr nur zwei Kniebeugungen. Dann fitzen sie einander gegenüber am Tische, wo Niemand außer ihnen Platz nimmt. Ehe sie essen und trinken wird etwas Wein als Trankopfer und Fleisch bei Seite gesetzt, beides für die Ahnen. Nun speist das Ehe< paar, spricht aber dabei kein Wort. Der Mann erhebt sich, ersucht seine Frau einen Trunk zu thun, und setzt sich wieder. Die Frau beobachtet dieselbe Ceremonie gegen ihren Mann. Es werden zwei mit Wein gefüllte 16. Kap., Häusliches Leben. 275 Schaalen herbeigetragen; ein Theil davon wird getrunken, was übrig bleibt in «ine Tasse geschüttet, die man gemeinschaftlich leert. Inzwischen hat in einem andern Zimmer der Vater des Bräutigams seinen Verwandten ein großes Festmahl veranstaltet, und zu gleicher Zeit sind die Frauen der Familie bei der Mutter der Braut eingeladen. Der ganze Tag ist für die Verwandten ein ununterbrochenes Fest und es geht bei ihnen zwangloser her als bei den Neuvermahlten. Am andern Tage legt die Braut noch einmal ihre Hochzeitskleider an, und geht mit ihrem Manne und einer Ceremonienmeifterin, die zwei Stücke Seidenzeug trügt, m den zweiten Hofraum wo Schwiegervater und Schwiegermutter, jedes an einem besondern Tische fitzen und sie erwarten. Die Vermählten werfen sich viermal vor ihnen zur Erde; dann geht der Mann in ein anstoßendes Zimmer; die junge Frau überreicht jedem der Schwiegerältern ein Stück Zeug als Geschenk. Nachher werden Besuche gemacht, denn die Frau muß alle Verwandten ihres Mannes besuchen und vor jedem Einzelnen, viermal das Knie beugen. Der junge Mann hat dasselbe bei den Ver-wandten seiner Frau zu beobachten. So sind die chinesischen Hochzeitsfeierlichkeiten. Einem Brautzuge, gleichviel ob reicher oder armer Leute, macht Alles Platz; selbst die höchsten Mandarinen halten sammt ihrem Gefolge still und lassen ihn vorüber, und sitzen sie zu Pferde so erfordert die Höflichkeit daß sie absteigen und dadurch dem Ehepaare Achtung beweisen. Wir brauchen kaum hervorzuheben daß es in China nur wenige glückliche Ehen giebt. Selten herrscht Frieden, Eintracht und Einverneh, wen im Hause. Man begreift daß, — ganz abgesehen von den kleinen Frauen, deren Anwesenheit der Gattin Ursache zur Eisersucht giebt, — nur in Folge eines sehr glücklichen Zufalles Leute, welche einander nie zuvor gesehen haben, sich gegenseitig zusagen. Daher denn Zank. Streit und auch wohl blutige Schlagereien und mit seltenen Ausnahmen zieht allemal die Frau den Kürzern. Entbehrungen, Scheltworte, Flüche und mitunter Prügel muß sie geduldig hinnehmen. In manchen Gegenden gehört es s° sehr zur Mode und zum guten Tone seine Frau zu schlagen, daß die Ehemänner gewiß nicht dagegen verstoßen, sie würden ja sonst ihrer Würde und ihrem Vorrechte Eintrag thun'. Wir wissen ein Beispiel daß ein iunger sonst ganz ordentlicher Mann, seine Frau, mit welcher er erst seit zwn Jahren verheirathet war, dermaßen prügelte, daß sie einige Tage 18' 27« Die Secte der Enthaltsamen. sl6. Kap. darauf an den Folgen der Mishandlung starb. Sie hatte ihm nicht die mindeste Veranlassung zum Vcrdrusse gegeben, er meinte aber man spöttle über ihn weil er sie noch nie geschlagen habe. und setzte ihr dermaßen zu daß sie ein Opfer seiner Nohheit wurde. Oft verdanken Frauen die Schonung welche sie etwa erfahren. lediglich der Berechnung des Mannes und der Sparsamkeit; ein Thier das man schont und pflegt hält sich gut; so auch die Frau. Der Chinese calculirt wirklich in dieser Art. Wir waren in einem Dorfe nördlich von Peking bei einem häuslichen Austritte zugegen. Mann und Frau schimpften einander, und wurden zuletzt so wütheud daß sie Alles zerschlugen was nicht nagelfest war. Am Ende packte der Mann einen gewaltigen Pflasterstein und rannte in die Küche wo die Frau eben darüber alls war Alles zu zertrümmern. Die Leute liefen herbei um ein großes Unglück zu verhüten. aber es war zu spät. Der Wüthende schleuderte den Stein — gegen einen großen gußeisernen Kessel, und damit war der Stieit zu Ende. Einer der Umstehenden lachte ' laut auf und sprach zu dem Manne: „Mein älterer Bruder, Du bist ein Dummkopf. Weshalb haft Du den Kessel zertrümmert, und nicht lieber Deiner Frau den Kopf eingeschlagen? Dann hättest Du auf einmal Ruhe und Frieden im Hause gehabt." Die Antwort lautete: „Ja, daran habe ich auch gedacht; aber ich hätte eine Albernheit begangen. Meinen Kessel kann ich für zweihundert Sapeken wieder ausbessern lassen, aber der Ankauf einer neuen Frau hätte viel mehr Kosten verursacht." Wer die Chinesen kennt wird wissen, daß in einer solchen Antwort nicht etwa Uebeiraschendes liegt. Die Frauen find im himmlischen Reiche dermaßen unglücklich, daß gegenüber den Leiden welche sie in diesem Leben zu erdulden haben, die Hoffnung auf ein Jenseits emporkeimt. Hienieden finden sie keinen Trost; das Christenthum kennen sie nicht, sie halten mit Inbrunst an der Seelenwanderung fest. Die Secte der Enthaltsamen greift in den südlichen Provinzen immer mehr um sich. Die zu derselben gehörenden Frauen legen das Gelübde ab niemals Fleisch oder Fisch zu essen, über« Haupt nie etwas zu genießen das lebendig war; sie nehmen nur Pflanzenkost zu sich. Ihrer Annahme zufolge wandert ihre Seele in einen andern Körper über; eine Frau nun welche das Gelübde der Enthaltsamkeit streng befolgt hat, wird bei der Verwandeluug nicht wieder weiblich, sondern hat das Glück männlich zu werden. Diese Schwesterschaften veranstalten zu bestimmten Zeiten im Jahre Wallfahrten nach gewissen Pagoden, und wir sind ihnen auf solchen Pilgerzügen oft begegnet. Es jammert Einen, 17. Kap.) Abreise aus der Hauptstadt von Hu pe. 277 wenn man sieht wie diese Frauen mit ihren kleinen Ziegenfüßen am Stäbe einher trippeln, und weite Reisen unternehmen, um nur zukünftig nicht wieder als Frauen auf die Welt zu kommen! Siebenjehntes Kapitel. Abreise aus der Hauptstadt von Hu pe. — Abschiedsbesuch beim Gouverneur. — Die Christen in der Piovinz. — Uebelstände während der Reise. — Peinliches Verfahren gegen Verbrecher. — Der Kuan luen «der chinesische Baudit. — Die chinesischen Gesetzbücher. — Der Grundsah der Solidarität. — Gesetze über die Beamten. — Einrichtung der Familie. — Nitualgeseße. — Abgaben und Grnndeigenthum. Nachdem wir vier Tage im Garten des westlichen Thores Rast gehalten, traten wir die Weiterreise an. Es war im Hochsommer, noch lagen reichlich dreihundert Wegstunden vor uns und wir mußten nun gerade gen Süden ziehen. Man hatte unsere von Sonne und Staub etwas mitgenommenen Tragsessel neu anlackirt, und gab uns eine andere Geleitsmannschaft ; die Thränenweide Lieu und unser Diener We'lschan gaben sich alle Mühe unseren neuen Reisegefährten begreiflich zu machen, wie man mit uns umzugehen habe; namentlich sagte er, sie hätten mit uns fein säuberlich zu verfahren, da wir etwas eckig seien. Vor unserm Abzüge machten wir Seiner Excellenz, dem Gouverneur der Provinz, unsere Aufwartung. Er empfing uns mit Anstand und Höflichkeit , aber seiner Nede und seiner Haltung fehlte das leutselige Wohlwollen , welches an dem ehrwürdigen und vortrefflichen Pao hing, dem Statthalter von Sse tschucn, uns so erquicklich gewesen war. Deshalb beschränkten auch wir uns lediglich auf die von der vorschriftsmäßigen Höflichkeit gebotenen Formeln. „Reiset in Frieden", sprach er, und winkte mit der Hand. Wir entgegneten: „Sei darüber vollkommen beruhigt," verneigten uns und gingen fort. Nachdem wir die große volkreiche Stadt U tschang fu etwa eine halbe Stunde weit hinter uns hatten, kamen wir in ein Hügelland, das nach allen Richtungen hin von Pfaden durchzogen war. Wir glaubten diese Gegend wieder zu erkennen. Als wir, zu Anfang deS Jahres 1840, zum ersten Male das chinesische Reich heimlich durchzogen, waren wir schon einmal hier gewesen. Um sicher zu gehen daß hier kein Irrthum 278 Die Christen in der Provinz Hu pe. 117. Kap. obwalte, fragten wir einen Palankinträger, wie man diese Gegend nenne ? Die Antwort lautete: Hung schan, das Rothe Gebirge. Unsere Erinnerung trog uns also nicht, und unser Herz wurde von Betrübniß er« füllt. Neben einem engen mit Dorngebüsche eingefaßten Wege gewahrten wir am AbHange eines Hügels zwei bescheidene Gräber nebeneinander. Unter diesen Leichensteinen ruhten die irdischen Ueberreste der beiden Missionaire Clet und Perboyre, die 1822 und 1838 hier begraben wurden, nachdem sie den Tod für ihren Glauben erlitten. Wie gern wären wir dort niedergekniet! Aber die Klugheit gebot uns ohne Aufent. halt weiter zu reisen. damit ein so kostbarer Schatz nicht in Gefahr kam. unseren zahlreichen Begleitern entdeckt zu werden. Als wir 1840 diese Gräber besuchten, hatte uns ein junger Christ aus U tschang fu hin« geführt; jetzt fanden wir fie noch in demselben Zustande; Steine und Inschriften waren unverletzt. In der Provinz Hu pe ist das Christenthum nicht so verbreitet wie in Sse tschuen; es zählt höchstens zwölf- bis vierzehntausend Bekenner, zumeist arme Leute aus der niedrigen Volksclasse. Die vielen und sehr heftigen Verfolgungen welche die Christen gerade in dieser Provinz er» litten, haben der Verbreitung des Glaubens schwere Hindernisse in den Weg gelegt, und das Christenhäuflein ist so eingeschüchtert daß es ihm an der Energie fehlt welche nöthig ist, wenn Proselyten gemacht werden sollen. Auf unserer Reise durch diese Provinz fanden wir daß die Christen sich versteckt hielten. Sie wagten es nicht sich zu zeigen wenn wir in eine Stadt kamen, besuchten auch die Gemeindehauser nicht so lange wir dort waren, höchstens machte einmal der Eine oder der Andere verstohlen ein Kreuz. Die Mission in Hu pe ist gegenwärtig italienischen Missionairen unter der Leitung des apostolischen Vicars Nizzolatti anvertraut, der sich seit vielen Jahren in China aufhält. Seine auf lange Erfahrungen gestützte Wirksamkeit begann Früchte zu bringen, als Monsignore Rizzo^ latti von den Mandarinen verhaftet und nach Hongkong gebracht wurde. Auf dieser britischen Insel wartet er eine günstige Gelegenheit ab, um wieder nach seiner Mission zurückzukehren. Wir reisten einen ganzen Tag lang durch ein von Schluchten durchschnittenes Hügelland, in welchem wir nur selten Dörfer erblickten; man gewahrt viel mehr einzelne Gehöfte deren Bewohner dem dürren Boden durch Fleiß einige Früchte abzwingen. Vor Sonnenuntergange kamen wir an den Blauen Strom; wir mußten hinübersetzen um in einem gro< , ßen Flecken am andern Ufer Nachtlager zu nehmen. Von U tschang ft 17. Kav.) Uebelstäude während der Neise. 279 hatten wir eine Richtung nach Nordosten eingeschlagen, die uns von Canton entfernte, und wir mußten sie drei Tage lang inne halten, um eine Menge kleiner Seen zu vermeiden die uns sehr hinderlich gewesen wären. Zudem mußten wir auf der Kaiserftraße reisen, auf welcher wir geraden Wegs bis zur Hauptstadt von Kiang fi gelangten. Allerdings hätten wir in U tschang fu ein Schiff besteigen und den Blauen Strom abwärts fahren können bis in den großen See Pu yang; aber es war gerade Ueberschwemmung und stürmisches Wetter, und deshalb hatten die Be« Horden vorgezogen uns zu Lande weiter zu schicken. Der Weg war freilich weiter und keineswegs angenehm, er war aber sicher. Auf der andern Seite des Blauen Stromes fanden wir in einem Dorfe, dessen Namen uns entfallen ist, schlechtes Nachtlager und schlechtes Abendessen, dazu noch eine entsetzliche Menge Moskitos und andere lastige Insekten, namentlich dicke übelriechende Kakerlaken, von denen es in den heißen Gegenden China's wimmelt, und welche schlafenden Menschen die Ohren und das Fleisch an den Nägeln benagen. Kurz wir waren auf dieser Wegstrecke übel daran, weil fie von den Mandarinen, die gewöhn» lich auf dem Blauen Strome reisen, wenig besucht wird. Die Herbergen sind über alle Beschreibung unsauber, und es fehlte sogar an Lebensmitteln. Am Tage bevor wir die Kaiserstraße erreichten, kamen wir Mittags nach Kuang tsi hien, einer Stadt dritter Classe, wo wir in ein sehr hübsches Haus mit Garten geführt wurden. Aber die Thränenweide kündete uns an. daß der Schaffner desselben keinen Auftrag habe uns mit Lebensmitteln zu versorgen. Sogleich ließen wir uns zum Stadtpräfccten tragen, und hielten nicht eist vor der Thüre an. sondern drangen ohne Weiteres bis in den innern Hofraum. Der Thürsteher fragte, wohin wir wollten. „Zum Präfecten." — „Der Präfect hat Gerichtssitzung, es liegt eine sehr wichtige Angelegenheit vor." — Wir hielten das für eine Ausrede und ließen uns nicht abweisen. Der Thürsteher verlangte nun zum Mindesten eine Visitenkarte, um uns zu melden; wir aber, in Besorgniß daß der Präfect sich verleugnen lassen könne, erklärten daß wir als Ausländer uns nicht nach den Reichsgebräuchen zu richten hätten, und uns selber anmelden wollten. Wir schickten also unsere Träger fort und gin-Sen in den innern Hof, wo der Sitzungssaal sich befand. Der ganze Naum war mit Menschen gefüllt, und ein niederer Beamter erklärte uns der Präfect habe gerade einen peinlichen Proceß zu entscheiden. Umkehren mochten wir nicht, und traten daher in den Saal. Dort richteten sich sogleich Aller Augen auf uns, die ganze Versammlung wzr überrascht, 28t) Peinliches Verfahren gegen Verbrecher. 117. Kap. daß plötzlich zwei Männer mit langem Barte, gelber Mühe und rothem Gürtel eindrangen; es mochte ihnen wie eine Geistererscheinung vor» kommen. Uns aber überlief ein kalter Schweiß, wir konnten uns kaum auf den Beinen halten und wären fast ohnmachtig geworden. Unser Blick war starr, unsere Brust keuchte, es war als drücke uns ein furchtbarer Alp. Denn gleich beim Eintritte fiel unser Auge auf den Angeklagten. Er hing mitten im Saale wie eine jener wunderlichen Laternen von co» lossalem Umfange die man in den Pagoden findet. Er war mit Stricken an Händen und Beinen dergestalt an einen steihängenden Balken gebun-den daß sein Körper sich wie ein Bogen krümmte. Unter ihm stand ein halbes Dutzend Henker; fie hatten lederne Peitschen und Rohrwurzeln in den Händen. Der Unglückliche stöhnte, das Fleisch hing in Folge der ihm zugetheilten Prügel in Fetzen herab. Die Henker mit blutbespritztem Kleide und Antlitze sahen gräßlich aus; uns überlief Schauder und Schrecken. Aber das versammelte Publicum schien vollkommen ruhig, und war vielleicht im Augenblicke mehr mit unsnen gelben Mützen als allem Andern beschäftigt. Mehrere lachten darüber daß wir uns beim Eintritte in den Saal entsetzt hatten. Der Beamte war von unserer Ankunft benachrichtigt worden; als er uns erblickte stand er auf, kam uns entgegen und begrüßte uns. Während er an den Henkern vorüber ging mußte er auf die Stiefelspitzen tie, ten und sein seidenes Gewand aufheben, um die Lachen halbgeronnenen Blutes zu vermeiden. Er begrüßte uns mit einem Lächeln, erklärte, die Verhandlungen seien auf eine Weile ausgesetzt, und führte uns in ein Cabinet, das hinter seinem Richtcrstuhle sich befand. Dort sanken wir auf einen Diwan; wir mußten uns ein wenig erholen und unsere Ge» danken sammeln. Dieser Präfect in Kuang tji hien war höchstens vierzig Jahre alt; aus seinen Gesichtszügen, dem Klänge seiner Stimme, aus Blick, Haltung und seinem ganzen Wesen sprach so viel Milde und Herzensgute daß wir ganz erstaunt waren. Denn es schien unmöglich daß ein solcher Mann gegen eineu Angeklagten so grausam verfahren konnte. Wir fragten ihn. ob es unangemessen sei wenn wir uns näher nach dem vorliegenden Criminalfalle erkundigten? Er antwortete: „Ganz im Gegentheil, es ist mir sogar lieb daß ihr erfahret um welche Angelegenheit es sich dabei handelt. Ihr seid, wie mir scheint, hoch erstaunt daß ich gegen diesen Verbrecher mit solcher Strenge verfahre, und euch wandelt Mitleid an. Man hat euch das von euerm Gesichte ablesen können. Aber dieser Ver» l7. Kap.) Der Kuan luen oder chinesische Bandit. 281 brecher verdient kein Mitleid, und wenn ihr die Sache näher kennt, wer» det ihr nicht sagen. daß ich zu streng gegen ihn verfahre. Ich bin von Natur mild und gar nicht zur Grausamkeit geneigt; auch soll der Beamte allezeit Vater und Mutter des Volkes sein. Jener Verbrecher ist Anführer einer Bande von Missethätern; seit langer Zeit treibt er argen Unfug, namentlich Räuberei, auf dem großen Strome, auf dem er bei Tag und Nacht in einer großen Barke umherfährt. Er hat unzählige Handels« dschonken ausgeplündert und mehr als ein halbes Hundert Mordthaten begangen. Endlich hat er seine Verbrechen eingestanden und über diesen Punkt sind wir mit ihm im Klaren. Nun aber will er seine Spießgesellen nicht namhaft machen, und so muß ich denn die äußersten Mittel anwen» den. um auch der Anderen habhaft zu werden. Wer einen Baum zerstören will, darf nicht blos den Stamm niederhauen, sondern muß auch die Wurzeln ausreißen, sonst treiben sie neue Zweige." Darauf erzählte uns der Richter einige der vielen Abscheulichkeiten, welche die Bande ver» übt hatte. Sie schnitt Mannern, Weibern und Kindern die Zungen ab, riß ihnen die Augen aus, und that das Alles mit einem entsetzlich barbarischen Raffinement. Wir zweifelten nicht an der Wahrheit dieser Mit« Heilungen, weil wir wußten, wie arg Chinesen es treiben können. Nachdem wir kurz auseinandergesetzt hatten, was uns zu dem au sich nicht geeigneten Schritte, nämlich ihn im Gerichtssaale aufzusuchen, veranlaßt habe, erklärte er, lediglich der große Criminalfall, welcher seine ganze Thätigkeit in Anspruch nehme, trage die Schuld der Nachlässigkeit über welche wir Beschwerde fühlten. Wir würden Alles den Vorschriften gemäß finden sobald wir heimkämen; jetzt müsse er seinen Richterftuhl wieder einnehmen. Es war schon spät, wir hatten an jenem Tage nur wenig genossen, der Leser wird aber glauben dürfen, daß uns aller Appetit vergangen war. Wir fragten den Piäftcten. ob uns gestattet sei den Ver. Handlungen beizuwohnen. Diese Frage schien ihn in einige Verlegenheit zu bringen; er sann eine Weile hin und her. und sprach dann: „Ich be« sorge daß eure Anwesenheit im Saale den Leuten Anstoß geben könne, denn man hat hier noch nie Männer aus dem Abendlande gesehen. Aber wenn es euch genehm ist so bleibt hier im Cabinet; von hier aus konnt ihr Alles sehen und hören ohne daß Jemand euch bemerkt." Er rief einen Diener. der ein Fenster öffnen und den Vorhang hmunterlassen mußte; dann ging er wieder in den Saal. und die Sitzung begann wie. der, nachdem die Trabanten. Henker und Gerichtsbeamten dreimal gerufen hatten: „Man verhalte sich achtmigsvoll und bescheiden!" 282 D«r Kuan kuen oder chinesische Bandit. Il7. Kap. Der Richter blätterte in einem Hefte, das zu den Acten gehörte, und ließ durch einen zu seiner Linken stehenden Beamten den Angeklagten fragen, ob er nicht einen gewissen Ly fang kenne, der ehemals Schmied in einem benachbarten Dorfe gewesen sei. Wir haben schon weiter oben einmal bemerkt daß kein Mandarin in seiner Heimatprovinz eine Stelle bekleiden kann; er kennt daher den landesüblichen Dialekt nicht genau und muß sich im Verkehre mit gemeinen Leuten eines Dolmetscher« bedienen. So stellte auch hier der Dolmetscher dem Angeklagten die Frage. Dieser hob seinen Kopf ein wenig von der Brust empor, glotzte mit dem Blicke eineS wilden Thiers den Richter an, und entgegnete in unverschämtem Tone, von Ly fang habe er etwas gehört. — „Du kennst ihn und haft Verbindung mit ihm gehabt?" — „Ich habe von ihm riden hören, aber ich kenne ihn nicht." — „Wie, Du willst ihn nicht kennen ? Es ist erwiesen daß er sich längere Zeit in Deiner Barke aufgehalten hat, also leugne nicht länger, sondern antworte rundweg auf die Frage: Kennst Du Ly fang?" — „Ich kenne ihn nicht, habe aber von ihm sprechen hören." — Jetzt nahm der Mandarin ein Bambusstäbchen und warf dasselbe mitten in den Gerichtssaal; auf dem Stäbchen steht ein Zahlzeichen, das angiebt wie viel Streiche der Angeklagte erhalten soll; doch ist es bräuch« lich daß allemal die doppelte Menge von Hieben gegeben wird. Im vor» liegenden Falle hob ein Henker das Stäbchen auf und rief in singendem Tone: Fünfzehn Hiebe! Das heißt so viel als: Der Angeklagte erhält deren dreißig von jedem Henker; es kommt demnach eine entsetzliche Menge heraus. Im Publicum entstand einige Aufregung, und Alle blickten neu» gierig bald auf den Angeklagten bald auf die Henker, welche nun aus vollen Kräften auf den Unglücklichen loshieben, der entsetzlich schrie. Sein Blut spritzte umher, färbte die nackten Arme der Schergen, und lief an den Rohrprügeln herab. Wir mochten ein so gräßliches Schauspiel nicht länger mit ansehen, und fragten einen Gerichtsbeamten der neben uns im Cabinete saß, ob wir unS nicht entfernen könnten ohne daß wir nöthig hätten durch den Saal zu gehen. Er ersuchte uns aber der Sitzung bis zum Ende beizuwohnen, damit wir sähen wie der Angeklagte losgebunden werde. Wir baten ihn nur noch dringender uns gleich hinauszulassen, und er war auch so gefällig uns durch einen langen Gang bis an die Thüre zu geleiten wo unser Pa-lankin stand. Beim Abschiede sprach er: „Jener Verbrecher ist ein guter Kuan kuen. Giebt es in euerm Lande viele Kuan kuen?" — Wir entgegneten daß dergleichen Leute bei uns unbekannt seien. Der Ausdruck 17. Kap.j Chinesische Gerechtigkeitspstcge. 283 läßt sich nicht wörtlich übersetzen. Man bezeichnet damit eine Classe von Banditen, die sich eine Ehre daraus machen dem Gesetze und den Behörden Trotz zu bieten. und Gewaltthätigkeiten aller Art zu verüben. Ein rechter Held ist wer Schläge mit gleich großer Unempfindlichkeit austheilt und empfängt. Menschen mit kaltem Blute umbringt und den Tod nicht fürchtet. Die Kuan kuen sind sehr zahlreich, bilden Genossenschaften, und leisten einander getreulich Unterstützung. Manche treiben aber auch ihr Handwerk ganz für sich auf eigene Faust und diese gelten für die Aller, wildesten. Es wäre unter ihrer Würde einen Genossen zu haben und sich überhaupt der Beihilfe eines Andern zu bedienen; sie verlassen sich auf ihre eigene Kraft. Nichts geht über die Kühnheit dieser Gesellen für welche das schauderhafteste Verbrechen, die gräßlichste Schandthat einen unwiderstehlichen Reiz hat. Aus Hochmuth und Dünkel erscheinen sie manchmal bei den Behörden um sich selber anzugeben; sie gestehen dann alle ihre Verbrechen ein, bringen die klarsten Beweise und fordern ein Urtheil. Die chinesische Gesetzgebung verlangt zur Verurtheilung eines Angeklagten dessen Eingeständniß. Der Kuan kuen leugnet dann Alles ab was er gesagt hat. und erträgt mit unerschütterlicher Ruhe alle mög» lichen Folterqualen. Ja es scheint fast als ob er eine Art Gefallen daran findet, daß ihm die Glieder zerquetscht werden, wenn er nur der Justiz Trotz bieten und die Mandarinen recht ärgern kann. Manchmal gelingt es Einem wieder frei zu kommen, und das ist dann sein höchster Triumph. Man findet in allen Städten Sammlungen von Flugschriften die gewissermaßen als ein Gerichtskalender betrachtet werden können; sie ent» halten eine Darstellung aller berühmten Criminalproccsse und insbesondere Lebensbeschreibungen der berüchtigsten Kuan kuen. Das Volk verschlingt dergleichen Schriften, die man für wenige Saveken kaust. Die Gerechtigkeitspflege ist äußerst summarisch. Man kann ohne Uebertreibung behaupten daß Frankreich viermal mehr Richter zählt als das ganze chinesische Reich. Der Angeklagte hat sehr wenig Gewähr dasür daß ihm wirklich sein Recht wird; sein Leben und seine Habe liegen fast immer in der Hand des Mandarinen, der vielleicht seinen Launen und seiner Habsucht keinen Zwang auferlegt. Bei den gewöhnlichen Gerichten hat man nur einen einzigen Richter. Der Angeklagte muß während der Verhandlung knieen, der Beamte verhört ihn, und außer ihm hat Niemand den Werth seiner Aussagen zu ermessen und zu beurtheilen. Für die Vertheidigung giebt es keine Advokaten; manchmal erlaubt der Mandarin daß Verwandte oder Freunde des Angeschuldigten für diesen 284 Die chinesischen Gesetzbücher. 117. Kap. das Wort führen; das hängt aber ganz von dem guten Willen des Rich, ters ab. Die Belastungszeugen sowohl als die Entlastungszeugen befinden sich zuweilen in einer schlimmern Lage als der Angeklagte selbst, denn wenn sie Aussagen machen welche dein Richter nicht behagen, so läßt dieser sie wohl ohrfeigen oder auspeitschen; zu diesem Behufe steht allemal ein Scherge neben ihnen. Der Angeklagte hängt somit völlig von der Gnade des Richters ab, oder vielmehr von den niederen Beamten, welche den Proceß instruirten je nachdem sie Geld erhielten oder nicht. Freilich steht jedem Verurthciltcn das Recht zu an die Obergerichte zu appelliren und den Proceß bis an den höchsten Gerichtshof in Peking zu bringen. Aber um dorthin gelangen zu können muß er so viele Für« spräche haben und so manche Feder in Bewegung sehen. daß bei weitem die meisten Sachen in der Provinz hängen bleiben und hier abgethan werden. Gegen Diebe und Störer der öffentlichen Ruhe ist die Justiz sehr streng. Als gewöhnliche Strafen verhangt sie Stockprügel, Geldstrafen, Ohrfeigen die vermittelst dicker Lcdersohlen ertheilt weiden, den Halsblock, Gefängniß, den eisernen Käfig in welchem der Verurtheilte zu« sammengekaucrt sitzen muß, Verbannung ins Innere des Reiches, zeitweiliges oder lebenslängliches Exil nach der Tatare!, und Tod durch Enthauptung oder Erdrosselung. Nebellen werden in Stücke gehauen, oder auf schreckliche Art verstümmelt. Die Strafen werden oft sehr willkürlich und übereilt zuerkannt, mit alleiniger Ausnahme der Todesstrafe, welche mit Ausnahme weniger Falle der kaiserlichen Genehmigung bedarf. Ehina hat ein bis ins Einzelne eingehendes Gesetzbuch, eine Art von Corpus ^ui-is; es führt den Titel Ta tsing lu li, das heißt Gesetze und Verordnungen der großen Dynastie der Tsing. Dieses merk« würdige Gesetzbuch hat Sir George Thomas Staunton unter dem Titel: Strafgesetzbuch China's, ins Englische überfetzt. Derselbe ist ungenau und entspricht weder dem chinesischen Tezte noch den Gegenftän» den welche in dem Buche abgehandelt werden, denn es ist in demselben auch noch von anderen Dingen als vom Criminalgesetze die Rede. Es zer« fällt in sieben Abtheilungen: 1) Allgemeine Gesetze; 2) bürgerliche Ge< sehe; 3) fiscalische Gesetze; 4) Ritualgesetze; 5) Militairgesetze; 6)Cri« minalgesetze; 7) Gesetze über die öffentlichen Arbeiten. Besonders zwei Erscheinungen sind bemerkenswerth, wenn man die Staatseinrichtungen und Sitten in China näher ins Auge faßt. Zunächst der Strafcharakter welchen die ganze Gesetzgebung an sich trägt. Jede gesetzliche Vorschrift oder Verordnung enthält eine Ttrafbestimmung. auch 17. Kap.) Die chinesische Gesetzgebung. 2gg dann wenn es sich nicht um peinliche Fälle sondern um lediglich bürgerliche oder administrative Angelegenheiten handelt. Unregelmäßigkeiten und Verstöße, welche in der europäischen Gesetzgebung etwa Nichtigkeit oder Schadenersah und dergleichen zur Folge haben, werden in China mit einer bestimmten Zahl Prügel bestrast. Andrerseits scheint ganz Cbina mit seiner amtlichen Religion, seinen öffentlichen und häuslichen Sitten, seinen Staatseinrichtungeu, seiner Polizei und Verwaltung, auf einem einzigen Princip zu stehen. das gleichsam den Angelpunkt des Ganzen bildet. Wir meinen das Dogma von der kindlichen Pietät, diese Ehrfurcht die auch auf den Kaiser und dessen Beamten übertragen wird, und im Grunde ein Cultus der alten Einrichtungen zu sein scheint*). Die chinesische Civilisation reicht in ein so fern entlegenes Alterthum hinauf, daß wir von einem Zustande der Kindheit bei diesem Volke gar keine Spuren finden; wir wissen in China nichts von Anfängen, wie das doch bei anderen Nationen der Fall ist, wo die Entwickelung sich verfolgen läßt. Dagegen hat der Chinese, so hoch hinauf man ihn verfolgen kann, schon immer in der fertigen Civilisation gelebt, welche wir noch gegenwärtig bei ihm finden. Man möchte deshalb annehmen daß irgend eine geheimnißvolle Begebenheit von höchster Wichtigkeit die Chinesen urplötzlich in den Grad der Civilisation eingeweiht habe, welche uns nun in Erstaunen setzt"). Eine solche Thatsache (??) mußte"auf die Einbildungskraft dieser Völker einen tiefen Eindruck machen. Daher schreibt sich die Hochachtung. Verehrung und Dankbarkeit gegen die ersten Gründer ihrer alten Monarchie, durch welche sie so rasch zur Einsicht ge< leitet wurden (?). Daher rührt auch die Verehrung der Ahnen, der alten Dinge, überhaupt alles dessen was im politischen Systeme eine ähnliche Stellung hat wie in der Familie Vater und Mutter. Die Chinesen haben stets an Alles was alt ist, was aus früheren Jahrhunderten herrührt, den Begriff des Heiligen und Geheimnißvollen geknüpft, und diese Hochachtung in ihrer Verallgemeinerung wird als kindliche Pietät bezeichnet. Sie ist auf die Spitze getrieben worden, und aus ihr ist als nothwendige Folge die Ausschließlichkeit und selbst die Nichtachtung gegen andere Völker her« *) Darüber ist im dritten Kapitel ausführlich die Rede gewesen. ") Man sieht leicht daß diese Annahme des Herrn Huc völlig in der Lust steht. Sie ist durchaus ungcschichtlich und hat keine Analogie für sich; sie ist rein willlürlich. Auch in dem was im Texte später folgt ift die Auffassung des Missionairs in manchen Stücken viel zu übertrieben; er urthe'llt von seinem specifischen Standpunkte viel zu schroff und zu einseitig.! 286 Die chinesische Gesetzgebung. 117. Kap. zuleiten, die als Barbaren erscheinen; sodann ergiebt sich aber aus ihr auch die Stetigkeit einer Civilisation die heute noch so ziemlich dasselbe ift was sie im Anfange war; sie hat keine bemerkbaren Fortschritte gemacht. Nachdem wir diese Betrachtungen vorausgeschickt, können wir uns erklären, weshalb die Gesetze über die lindliche Pietät in politischer und gesellschaftlicher Beziehung eine so hohe Bedeutung haben. Man sagt: Der Styl ist der Mensch; man kann mit demselben Rechte behaupten daß die Gesetzgebungen der Styl der Völker seien; denn sie geben ein getreues Spiegelbild der Sitten. Gewohnheiten und der Instinkte des Volkes für welches sie bestimmt sind. und man kann sagen daß die chinesische Gesetz« gebung das chinesische Volk sei. Die Bewohner des himmlischen Reiches find ohne eigentlich religiösen Glauben, leben von einem Tage zum andern ohne sich viel um Vergangenheit oder Zukunft zu kümmern; sie stecken in Bezug auf Alles was die moralische Seite des Menschen berührt im Skepticismus und geben nicht viel darauf; sie wenden ihre Energie hauptsächlich auf das Erwerben von Saveken. Man begreift deshalb daß kein Pflichtbewußtsein sie zur Veob. achtung der Gesetze anhält. Der amtliche Cultus hat eigentlich gar nichts von dem was wir im eigentlichen Sinne als Religion bezeichnen, er reicht demna^ nicht aus um den Völkern die sittlichen Begriffe beizubringen, welche für die Beobachtung der Gesetze wirksamer sind als Androhung der härtesten Strafen. Es erscheint deshalb begreiflich daß der Bambus die nothwendige Zugabe jeder gesetzlichen Vorschrift ift. Das chinesische Gesetz trägt darum auch stets einen Strafcharakter da, wo es sich nur um rein bürgerliche oder administrative Angelegenheiten handelt. Wo eine Gesetzgebung mit der Androhung von Strafen verschwenderisch zu Werke geht, da kann man behaupten, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse faul sind, und das chinesische Strafgefetzbuch liefert dafür den Beleg. In demselben ift das Maß der Strafe nicht etwa abgestuft nach der nwra-lischen Bedeutung eines Verbrechens an und für sich, sondern es kommt darauf an röie groß der Schaden ift welcher durch das Verbrechen verursacht worden ift. Das giebt den Ausschlag. Demgemäß richtet sich die Strafe für einen Diebstahl nach dem Geldwerthe der gestohlenen Sache, und zu diesem Behufe ist eine besondere Scala entworfen worden, die in allen Fällen giltig ift. wo nicht Umstände hinzukommen, für welche das Gesetz noch besondere Strafen im Auge hat. In dieser Beziehung ruht die Strafgesetzgebung auf dem Nützlichkeitsprincipe. und das kann 17. Kap.1 Die chinesische Gesetzgebung. 287 auch nicht aussallen; der Materialismus des chinesischen Gesetzes gestattet nicht, daß die moralische Seite der strafbaren Handlung ausschließlich in Betracht gezogen werde; das Gesetz kümmert sich lediglich um das Positive. Man kann, wo das Nützlichkeitsprincip in einer Gesetzgebung vorhanden ist. im Allgemeinen annehmen, daß das gesellschaftliche Band künstlich sei und nicht auf den richtigenGrundsätzen ruhe, welche den Nationalitaten zur Unterlage und Erhaltung dienen. Die ungeheure Menschenmenge in China ist, wie schon oft bemerkt, ohne religiösen Glauben, ohne eigentliche moralische Erziehuug und in den materiellen Interessen versunken; sie würde als Nation nicht lange bestehen können, und würde bald zerstückelt werden, wenn man statt der eigenthümlichen Gesetzgebung unter welcher sie lebt, eine andere einführen wollte, die allein von den Grundsätzen des Rechtes und unbedingter Gerechtigkeit ausginge. Bei einem Volke von Zweiflern und Speculanten muß man das gesellschaft» liche Band im Strafgesetze suchen, nicht im sittlichen Gesetze. Rohrftab und Bambus geben, die einzige Gewähr für Pflichterfüllung. Diese letztere wäre nicht zu erreichen, wenn die mit der Vollziehung der Gesetze beauf. tragten Mandarinen, im Gesetze selbst nicht den weitesten Spielraum fänden. Daraus erklärt sich auch weshalb das Strafgesetzbuch so manche unbestimmte und nicht bündig lautende Stellen hat. Denn sehr oft giebt es weder Definition nach Qualification eines Verbrechens, oder es geschieht doch nur sehr mangelhaft und ungenau. Der Beamte kann also das Gesetz nach Belieben auslegen und anwenden, denn es ist ungemem elastisch. Ja es hat den Anschein als ob es ausdrücklich gegeben werde, um die Plackereien, die Bedrückung und Habsucht der Mandarinen zu begünstigen. Denn gegenüber einem so unklaren und ungenauen Texte finden sie leicht Mittel und Wege, an sich unschuldige Handlungen als vor dem Gesetze strafbar hinzustellen. Hier einige Beispiele. Das Strafgesetzbuch enthält folgenden Ar« tikel: „Wenn ein Kaufmann, nachdem er sich mit dem Geschäftsbetriebe seiner Nachbarn bekannt gemacht hat, Waaren einlegt und derartige Preise dafür ansetzt, daß seine Nachbarn ihre Waaren dafür nicht verkaufen löu< nen. und daß er daran einen größer« Nutzen als den gewöhnlichen macht, dann soll er mit vierzig Bambushieben bestraft werden." Wie kann nun ein Kaufmann, über dessen Haupte ein solcher Artikel schwebt, vor Plackereien des Beamten sicher sein? Wir theilen noch einen andern Artikel mit. der noch viel stärker ist. „Wer sich unschicklich und gesetz, widrig aufführt, soll, obwohl sein Betragen nicht gerade gegen eine be< 288 Der Grundsatz der Solidarität. ll7. Kap. sondere Bestimmung des Gesetzes verstößt, mit vierzig Bambusprügeln bestraft werden; und er soll deren achtzig erhalten, wenn seine Unschicklichkeit von schwererer Beschaffenheit war." Schon vermittelst dieser zwei Artikel kann ein Mandarin sämmtliche Angehörige seines Gerichts» sprengels ausplündern. Aber das Meisterstück der chinesischen Gesetzgebung ist enthalten in dem weitumfaffenden Systeme von Solidarität welches sie aufstellt. Vermittelst desselben macht sie jeden Einwohner des Reiches verantwortlich für das Betragen seines Nachbars oder Verwandten, seines Vorgesetzen oder seines Dieners. Namentlich lastet diese fürchterliche Verantwortlichkeit auf den Beamten, aber sie ist auch für den gewöhnlichen Privatmann im höchsten Grade drückend. Je hundert Familien bilden einen Bezirk, und ernennen einen Aufseher, der nebst sechs Beisitzern die Abgaben beitreibt. Er ist aber zugleich für eine Menge von Vergehen verantwortlich, welche sich etwa in seinem Bezirke ereignen. Er erhält zum Beispiel, je nach Umständen, zwanzig bis achtzig Hiebe, wenn die Felder nicht gut bestellt worden find. Im ersten Kapitel des zweiten Theiles finden wir folgenden Artikel: „Das Verbrechen des Hochverraths begeht man entweder gegen den Staat, wenn man die bestehende Regierung stürzt oder wenn man sie zu stürzen trachtet, oder gegen den Herrscher, wenn man zerstört den Palast in welchem er residirt. oder den Tempel in welchem seine Familie verehrt wird, oder die Gräber in welchen die Gebeine seiner Vorfahren ruhen, oder wenn man einen Versuch macht sie zu zerstören. Alle Personen welche überwiesen werden dergleichen abscheuliche Missethaten verübt zu haben, oder die man überweift, daß sie die Abficht dazu hatten, sollen den Tod durch langsame schmerzhafte Hinrichtung erleiden, gleichviel ob sie Hauptanftifter oder Theilnehmer find. Alle männlichen Verwandten, der solcher Missethaten überwiesenen Personen, im ersten Grade und sechzig Jahre alt. oder über*) sechzig Jahre alt, namentlich Vater, Groß« vater, Söhne, Enkel, Oheime von vaterlicher Seite und alle ihre «spec« tiven Söhne, ohne Rückficht auf ihren Wohnort, und ungeachtet etwaiger Krankheiten, sollen ohne Unterschied geköpft werden. Alle Personen, welche Hochverläther oder Individuen kennen, die beabsichtigen dieses Verbrechen auszuführen, und Nachsicht gegen dieselben ausüben, indem sie es nicht zur Anzeige bringen, sollen geköpft werden. *) So steht im Texte. Es soll aber offenbar heißen unter sechzig Jahren. ^ Kap.j Nechtszustand in China. 289 Dieser fürchterliche Grundsatz der Solidarität widerstrebt unserer Einsicht und unserm christlichen Bewußtsein. es ist aber ganz natürlich daß er in China fortwährend eine kräftige Anwendung findet. Denu einer Nation von dreihundert Millionen Menschen gegenüber die keinen religiösen Glauben haben, bedarf man ungewöhnlicher Mittel um so widerstrebende Elemente unter Einer Herrschaft zu halten, und die staatliche Emhci: ^' bewahren. Aber trotz aller Strenge lassen politische Bewegungen sich nicht verhindern, und die Jahrbücher dieses seltsamen Volkes liefern den Beweis, daß China das revolutionairfte Land auf Erden l st. Systeme wie wir sie eben geschildert haben, können nur eine erkünstelte Ordnung der Dinge schaffen, und schon ein Hauch genügt um ein so mühsam aufgebautes aber nicht gut zusammengefugtes Haus in Ge« ^hr zu bringen. Und bei alledem bietet China uns ein großartiges Schauspiel, es liegt etwas tief Geheimnißvolles in dieser uralten Civi' lisation, welche bis auf den heutigen Tag der Ebbe und Fluth der Revo. lutionen widerstand, und ungeachtet so mangelhafter Grundlagen, falscher Principien und der geringen Moralität des Volkes, vor völligem Ruin bewahrt geblieben ist. Das chinesische Strafgesetzbuch ist trotz seiner Mängel ein schönes Denkmal des menschlichen Geistes; schon in ihm finden wir die großen Principien, auf welchen die neueren Gesetzgebungen so stolz sind. Es erkennt mildernde Umstände an. verwirst die Rückwirkung bei Anwendung der Strafgesetze, hat für den Souverain das Begnadigungsrecht, für den ^"geklagten das Recht Berufung einzulegen, gewäbrleistet die Freiheit der Person, indem es die mit der Bestrafung der Verbrechen beauftragten -oeamten verantwortlich macht, kurz es moclite das Volk vor Beamten« druck sicherstellen. Aber. und das ist gewiß bemcrkenswerth, China hat nie eine Rechtswissenschaft gehabt, und kennt auch keine Advocate«, kein Each' Walteramt. Allerdings wird manchmal in kaiserlichen Erlassen welche ein Urtheil gegen schwere Verbrecher bestätigen, auf frühere Entscheidungen Bezug genommen, die in ähnlichen Fälleu ergangen waren; dieser Gebrauch hat aber keinen andern Zweck als ein Urtheil zu rechtfertigen, in welchem möglicherweise eine Beeinträchtigung des Gesetzes gefunden werden könnte; oder es soll auch wohl die besondere Auslegung eines Ar< "kels durch ein Präcedens rechtfertigen. Aber von eigentlicher Iuris-Audenz kann darum noch nicht die Nede sein. Jeder Richter legt das besetz aus nach der Weise wie er es ansieht, und im Geiste der allgemeinen Gesetzgebung. Es sehlt aber eine Spccialdoctrin, welche eine Beein- Huc. China. " ' " 290 Stellenjägerei. s17. Kap. trächtigung der Grundsitze des chinesischen Rechtes beeinträchtigen könnte, und es giebt deshalb in China keine.Nechtsgelehrten. Uebrigens ist Sorge dafür getragen nicht nur daß die Beamten Kunde der Gesetze erwerben welche sie vollziehen sollen, sondern daß auch das Volk mit dem Inhalte dcs Gesetzbuches bekannt gemacht wird. Ein eigener Artikel verfügt, daß zu Ende des Jahres die Beamtem von ihren Vorgesetzten geprüft werden. Wer nicht gut besteht, hat einen Monats, gehalt verwirkt; niedere Beamte erhalten vierzig Streiche mit dem Bam« bus. Jedermann, gleichviel ob Bauer, Handwerker und dergleichen, welcher zum ersten Male vom Gericht zu einer Strafe verurtheilt wird wegen eines Vergehens, das er aus Zufall oder durch die Schuld Dritter beging, soll derselben überhoben sein, wenn er die Gesetze, ihre Beschaffenheit und ihren Gegenstand erklären kann. Die Mandarinen haben allerdings viel Macht und Gewalt, aber ihre Stellung ist darum doch nicht etwa beneidenswerth. Sie finden Mittel und Wege sich schnell zu bereichern, und fähige Leute können rasch zu höheren Aemtern gelangen. Aber nie sind sie des nächsten Tages sicher, weil oft eine Laune des Kaisers, eine Denunciation, das Uebelwollen eines reichen Mannes von Einfluß, schon hinreicht daß sie ab> gesetzt, verbannt oder gar hingerichtet werden. Der Drang nach öffent» lichen Anstellungen ist übrigens in China gerade so stark wie in Europa, ja er ist wohl noch ärger. Deshalb sind Vorkehrungen getroffen worden, die Gesuche um Anstellungen zu beseitigen. Die Zahl der Beamten für jeden Gerichtshof und für jede Behörde ist gesetzlich fest bestimmt worden. Wer nun zum überzähligen Beamten ernannt wird, oder Ursache ist, daß ein Anderer zu solch einem überzähligen Beamten ernannt wird, soll hundert Prügel mit dem Bambus erhalten, und, ebenso viel für jeden wettern überzähligen Beamten, dessen Ernennung durch ihn bewerkstelligt worden ist. Dieser Paragraph wäre in Europa. gegenüber der heutigen Stellenjägerei, vollkommen angebracht. Ein Artikel lautet: „Wenn Regierungsbeamte (vom Civil) welche sich nicht durch hervorragende Dienste für den Staat ausgezeichnet haben dem Wohlwollen des Kaisers zur Beförderung empfohlen werden, dann sollen sowohl diese Beamte als Jene von welchen sie empfohlen worden sind, ins Gefängniß gebracht und enthauptet werden. Schreiben an den Kaiser zu Gunsten hoher Staatsbeamten werden so angesehen. als ob sie das Vorhandensein verrätherischer Umtriebe beweisen, welche auf Umsturz der Regierung abzwecken. Ihr Verfasser soll mit dem Tode bestraft wer. 17. Kah.1 Gesetze sNr-die Beamten. 291 den; ebenso auch der empfohlene Beamte, wenn er an diesem Verbrechen theilgenommen bat." — Diese ganz außerordentliche Strenge will nicht blos etwaigen Intriguen zuvorkommen und unfähige aber ehrsüchtige Leute von hohen Aemtern fern halten, sondern hauptsächlich bezweckt dieses Gesetz auch jede Beeinträchtigung der kaiserlichen Macht abzuweisen. Es leuchtet ein, daß und weshalb in einem Staate wie China der Souverain mistrauisch sein muß. daß er Verdacht hegt gegen die hohen Würdenträger, die möglicherweise ihre Stellung misbrauchen und dem Throne Gefahr drohen könnten. Deshalb bestraft auch das chinesische Gesetz Alles was die Ehrfurcht gegen den Kaiser irgend zu beeinträchtigen scheint, mit äußerster Schärfe. Es sagt zum Beispiel: „Bei Strafe von achtzig Streichen mit dem Bambus ist es verboten in einer Zuschrift an den Kaiser, den Appellativnamen Seiner Majestät zu gebrauchen; bei vierzig Strei» chen, sich desselben in einer an das Volk erlassenen Weisung zu bedienen; bei hundert Streichen, diesen Namen für sich oder für Andere anzunehmen." Bambusprügel werden auch Allen zugemessen welche gegen kaiserliche Tempel oder Residenzen Steine u. s. w. werfen. Die Gesetze für die Beamten also sind sehr streng, aber diese Härte wird gemildert durch Formen, die man in Europa als verfassungsmäßige Garantien bezeichnen würde. Wenn ein Negierungsbeamter, gleichviel ob in der Hauptstadt oder in der Provinz sich als Beamter oder Privatmann ein Vergehen oder Verbrechen zuschulden kommen läßt, dann muß, wenn es sich dabei um einen wichtigen Fall handelt, sein Vorgesetzter dem Kaiser einen umständlichen Bericht einschicken, aber der Angeklagte kann nicht ohne ausdrückliche Genehmigung Seiner Majestät abgeurtheilt werden. Gegen vrivilegirte Personen kam, man wegen Gesetzesübertretungen nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers verfahren; ihm wird das ganze Verfahren zur Kenntniß uuterdreitet, damit er darüber verfüge. Aber das Privilegium hört auf, sobald es sich um Verrath handelt. AlS solcher ist anznsehen: Aufruhr, Verletzung der Treue, Ausre'ßen, Vatermord, Anrichtuug eins Blutbades, Sacrilegium, Mangel an Ehr« furcht (Impietät), Zwietracht, Insubordination und Blutschande. Die schon oben besprochene Verantwortlichkeit findet gerade ans dle Beamten in sehr ausgedehntem Maße Anwendung. Wenn em Gencht oder ein Beamtencollegwm falsche oder gesetzwidrige Urtheile gefällt oder dergleichen Verfügungen getroffen hat. wenn diese zu mild oder zu streng sind. oder wenn irgend eine Nachlässigkeit vorliegt, dann gilt allemal der Gerichtsschreiber oder der Schreiber des Kollegiums für den Haupturheber 19' 292 Verantwortlichkeit der Beamten. l 17. Kap. des Verbrechens; die Uebrigen, bis zum Präsidenten hinauf, werden zwar aleichfalls bestraft, aber nicht so schwer. In China ist die Verantwortlichkeit um so größer, je niederer das ?lmt ist. denn man nimmt an. das Verbrechen würde gar nicht vorgekommen sein wenn die unteren Veamten ihre Mitwirkung versagt bätten. Diese sind ans jeden Fall schlimm daran; sie werden bart gestraft wenn sic zu einer Ungesetzlichkeit mitwir. ken und wollen sie das Letztere nicht, so sind sie dem Uebelwollen ihrer Vorgesetzten preisgegeben. In anderen Ländern wäre eine solche Stellung kaum möglich, aber in China tragen die Beamten keine Scheu, weil fie allemal irgend ein Mittel wissen, sich aus der Sache herauszuwickeln. Wir haben bemerkt, daß man den Gerichten ein Verbrechen daraus macht, falls sie einen irrigen Entscheid geben. In Europa würde man es auffallend finden, daß ein Nichter Prügel beläme. weil er sich geirrt hat. Aber in China ist ein Gericht nickt blos strafbar wegen eines un-aenauen Urtheils über die Thatsache, von welcher angenommen wird. daß es mit derselben bekannt sein müsse; sondern auch die Berufungsinstanz ist verantwortlich, zum Beispiel in dem Falle, daß ein Obergericht die irrige Entscheidung eines Untergerichts bestätigt, oder endlich wenn ein Untergericht die irrige Entscheidung gut heißt, welche ihm von einem Obergerichte zugeschickt wird. Die Verantwortlichkeit der niederen Beamten geht so weit, daß fie unter Umständen Todesstrafe erleiden können. lediglich deshalb weil ein Brief nicht vorschriftmäßig zugesiegelt worden ist; denn wird das Amts» siegel ungehörig aufgedrückt oder verkebrt gestellt, so bekommen alle Beamten welcke für die Aufdrückung des Siegels verantwortlich sind, achtzig Stockprügel; und wenn der Beamte an welchen das Schreiben gerichtet ist. in Folge jener Unregelmäßigkeit die Eclitbcit des Schreibens in Zweifel zieht, den darin enthaltenen Befehl nicht ausführen mag, und deshalb eine militainsche Operation nicht gelingt, dann wird Der, welcher das Siegel nicht richtig aufgedrückt hat. mit dem Tode bestraft. Sehr verständig verfuhr die chinesische Gesetzgebung als fie den Beamten gewisse bürgerliche Capacitäten absprach. So zum Beispiel darf kein Negierungsbeamter der eine Territorialjurisdiction ausübt, und ebenso wenig einer seiner Unterbeamten und Schreiber, Grundstücke innerhalb seines Gerichtsfprengels erwerben, so lange er in demselben eine Stelle bekleidet. Ein Regierungsbeamter in den Städten erster, zweiter und dritter Classe darf, bei Strafe von achtzig Bambushieben, keine Frau heirathen, die in seinem Amtsbezirke wohnt. Er bekommt hundert Hiebe, 17. Kap.) Strafen der Chinesen. 293 wenn der Mann oder der Vater der Frau einen Proceß vor seinem Gericht anhängig hat; und er bekommt gleichfalls hundert Hiebe, wenn er diese Frau an seinen Sohn, Enkel. jüngern Bruder oder Neffen verheirathet. Die Abstufung der Strafen welche das Gesetzbuch feststellte, ist sehr einfach. Am meisten dictirt es den Halsblock und den Vambusftock; die« ser wird bald mit dem dicken, bald mit dem dünnen Ende angewendet, und die Zahl der Prügel kann bis zu hundert gehen. Die Strafe von sechzig bis hundert Streichen ist manchmal mit Verbannung und Brandmarkung verbunden. Die Todesstrafe wird durch Erwürgen oderEnthaup. tung vollzogen, je nachdem der Fall ist; für sehr schwere Verbrecher hat man den „langsamen" Tod oder die ..Messerstraft". Mit der letztern verhält es sich in folgender Weise. Der Vemrtheilte wird an ein Kreuz von Manneshöhe gebunden, das fest in die Erde gerammt wird. Dann greift der Scharfrichter auf gut Glück in einen verdeckten Korb, der Messer enthält; er zieht eins derselben heraus, und schneidet damit dasjenige Glied ab, welches auf dem Messer bezeichnet steht. Die Familie des Missethäters giebt dem Scharfrichter wohl etwas Geld. damit er möglichst schnell nach einem Messer suche, das gleich tödtliche Wunden beibringt, und insbesondere für den Stich ins Herz bestimmt ist. Das chinesische Gesetz ist, wie man sieht, streng und grausam; es enthält aber auch manche sehr beachtenswerthe Bestimmungen. Sein System der Annahme mildernder Umstände ruht auf Grundlagen, die wohl der Moral mehr entsprechen als zum Beispiel jene im französischen Systeme. Bei dem letztern nehmen die Geschworenen mildernde Um« stände an, ohne daß es ihnen vergönnt ist zu erläutern weshalb sie es thun. In China saßt das Gesetz ausdrücklich gewisse Umstände ins Auge, die einen völligen Erlaß oder eine Milderung der Straft im Gefolge haben. — Unter gewissen Umstünden erläßt der Kaiser ein allgemeines Gnadenedict. welches aber auf solche welche sich des Hochverraths oder anderer besonders vorgesehener Verbrechen schuldig gemacht haben, «me Anwendung findet. Wohl aber erstreckt es sich auf Alle, welche ^ergeyen aus Unachtsamkeit verübten und dergleichen. Die besondere Gnade ves Kaisers kann jedem Verbrecher ohne Unterschied ^"l werden AM-fichtnahme auf die Verwandten erwirkt zuweilen einem Schuld gen w^. cher Todesstrafe verwirkt hat, eine Strafmindernng^ Er darf m em m solchen Falle keine Kinder haben die über Aeltern müssen siebenzig Jahre alt und fränklch ftm endlich muß M Verbrechen n die Class derj nigen fallen, welche sich überhaupt fur emen 294 Strafen der Chinesen. 117. Kap. Gnadenact eignen. Dergleichen Falle werden dem Kaiser unterbreitet, der dann entscheidet. Ist der Schuldige etwa zni Verbannung verurtheilt worden, so wird er in einem solchen Falle zu hundert Bambusstreichen begnadigt und muß eine Geldbuße erlegen. Auch hohes Alter und Kör« perschwäche geben gewissermaßen Anspruch aus eine gemilderte Strafe; man muß aber dem Kaiser den Fall schriftlich auseinandersetzen. Ein Strafnachlaß erfolgt auch, wenn die Verbrecher zur Zeit in welcher das Urtheil gefällt wird. ein gewisses Alter erreicht haben oder törperschwach find; es ist dabei gleichgiltig wann das Verbrechen selbst verübt worden ist. Dem Schuldigen, welcher sich. ohne daß sein Verbrechen anderweitig entdeckt worden ist, bei den Behörden stellt, soll Verzeihung werden, er muß aber den Schaden welchen er angerichtet hat ersetzen. Das Einge» ständniß mildert die Strafe, und zieht unter Umständen völliges Erlassen derselben nach sich; nur müssen auch in solchen Fällen allemal die Be« nachtheiligten völligen Schadenersatz bekommen. Ein in contumaciam Verurtheilter der sich stellt, und einen Mitschuldigen zur Haft bringt, dessen Verbrechen ebenso stark ist als sein eigenes, wird von der Strafe frei. In gewissen Fällen gestattet das chinesische Gesetz legale Entschuldigungen. Es ist verboten ohne Genehmigung bei Nacht in ein bewohn« tes Haus zu treten. Ein Hausbesitzer welcher einen Mann tödtet, der zu ungehöriger Zeit mit Gewalt eindringt, erleidet keine Strafe; man sieht in einer solchen Handlung die Ausdehnung des Grundsatzes berech» iigter Selbftvertheidigung. Dasselbe ist der Fall, wenn ein Mann seine ehebrecherische Frau und den Ehebrecher umbringt. Besondere Vorschriften bestimmen, wie die Verbrecher im Gesang« nisse behandelt werden sollen, und in welcher Art sie ihre Strafe zu verbüßen haben. Ein Beamter der nicht die gesetzlich vorgeschriebene Strenge obwalten läßt erhält eine von den Umständen bedingte Anzahl Bambus, streiche. Es kommt häusig vor, daß die Mandarinen, um nur ja nicht dem Bambus zu verfallen, sich Grausamkeiten zuschulden kommen lassen, die wir für unglaublich gehalten hätten, wenn wir nicht Augenzeugen ge» wesen wären. Einst trafen wir aus einer Landstraße die nach Peking führt mehrere Wagen voll Menschen, die entsetzlich schrieen und jammerten. Als Bedeckung war ihnen ein Trupp Soldaten mit einem Officier beigegeben. Wir ließen den Zug an uns vorüber; ein Schauder überlief uns als wir sahen, daß die Unglückliche» mit einer Hand an den Brettern des Wagens festgenagelt waren! Ein Trabant an welchen wir uns um Auskunft wendeten, sagte ganz kaltblütig: „Wir haben dort im Dorfe 17. Kap.) Strafen der Chinesen. 295 ein Diebesnest ausgenommen. Es sind ihrer gar zu Viele und wir hatten nicht genug Ketten; um sie fest und sicher zu hatten, haben wir fie mit den Händen angenagelt." — „Können aber nicht auch Unschuldige unter ihnen sein?" — „Wer kann das wissen, sie sind ja noch nicht abgeurtheilt worden? Wir bringen sie vor's Gericht und sehen zu daß Keiner ent« weicht. Nachher wird man schon Diebe und Unschuldige von einander trennen." — Der Trabant fand das ganze Verfahren völlig in der Ordnung, und schien sich etwas zugute darauf zu thun, daß man so wirksame Maßregeln getroffen habe. Noch abscheulicher aber war die Lustigkeit und das Hohnlachen der Soldaten, welche einander auf die verzerrten Gefich. ter der Missethäter aufmerksam machten. Man kann aus diesem einen Falle schließen, wie grauenhaft es in Revolutionen und Bürgerkriegen bei einem Volke hergehen mag, das in Zeiten der Ruhe solcher Abscheulichkeiten fähig ist. Gegenwärtig, da ein großer Theil des Reiches sich im Zustande der Empörung befindet, werden sicherlich scheußliche Grausamkeiten verübt. Das Strafgesetzbuch beschäftigt sich ausführlich mit der Einrichtung der Familie, welche, wie wir schon mehrmals hervorhoben, eine zugleich gesellschaftliche und staatliche Einrichtung ist. Der Grundsatz der lindlichen Ehrfurcht und Ehrerbietigkeit wird aller Orten gerühmt, es steht aber nichts destoweniger fest, daß man in der chinesischen Familie viel weniger Eintracht findet als in Europa. Der Grund ist einfach. In China wird die kindliche Pietät durch das Gesetz und den Bambusftock geregelt, nicht durch Religion und Pflichtgefühl; jene müssen die Familieubande künstlich zusammenhalten. Anfangs sind gewiß die Gesetze über die Familie der Ausdruck eines lebendigen und wahrhaftigen Gefühls gewesen, aber im Fortgange der Zeit ist das Gefühl verschwunden und das Gesetz geblieben. Die Furcht vor dem Halsblocke und dem Bambusrohre ist an, die Stelle liebevoller Zuneigung getreten, und nach und nach ist das Ganze zu einer Gewohnheitssache geworden. Ueber die Ehe. als der Grundlage der Familie find umständliche und sorgfaltige Vorschriften vorhanden. Wir haben schon mehrmals darauf hingewiesen daß der Hausherr die Stellung eines Tyrannen hat, daß bei Verheirathungen die Brautleute nicht um ihren Willen gefragt werden, und daß die Heirath vollzogen wird, sobald die Eltern einig find. Weigert sich die eine oder andere Familie den abgeschlossenen Vertrag zu vollziehe», so bekommt der Hausvater fünfzig Hiebe und die Heirath muß doch vollzogen werden. Im Falle kein Vertrag entworfen wurde, genügt die Annahme der Hochzeitsgeschenke um die Einwilligung beider Theile zu be- 2Iß Ehen und Ehescheidungen. 117. Kap. zeugen. Sobald es sich um das Eingehen einer zweiten Ehe handelt datf ein Vater seinem verwitweten Kinde kcinen Zwang anthun, sonst wird er mit achtzig Bambushieben bestraft. Wenn zwischen der Zeit der Verlobung und der Verheirathung die Aeltern der Braut die Hand dieser letztern einem Andern versprechen, so erhält der Vater siebmzig Hiebe, und achtzig, wenn die Braut schon vorgestellt, und angenommen worden war. Wer ein Eheversprechen annahm obschon er wußte daß bereits anderweitig Unterhandlungen wegen einer Verheirathung angeknüpft worden waren, bekommt achtzig Stockvrügcl mit dem Bambusrohre. Ausgenommen find die Falle in welchen vor der Hochzeit Diebstahl oder Unzucht von der einen Partei begangen wurde; alsdann erlischt der Vertrag von selbst. Das Gesetz stellt Fälle auf, in denen keine Ehe eingegangen werden darf; es kennt unbedingte und bedingte Hindernisse, endlich auch solche, welche einen Aufschub nöthig machen. Während der Zeit in welcher man gesetzlich Trauer um Vater. Mutter oder Ehegatten trägt, darf man nicht hei« rathen; eine unter solchen Umständen geschlossene Ehe ist null und nichtig, und wird außerdem noch mit hundert Bambushiebcn bestrast. Eine Ehe die man während der Trauer um Großvater oder Großmutter, Oheim oder Muhme, eines altern Bruders oder einer ältern Schwester trägt, ist zwar giltig. wird aber mit achtzig Bambushicben bestrast. Ungiltig ift die Ehe welche eine Witwe eingeht, die bei Lebzeiten ihres Mannes vom Kaiser einen Ehrenrang erhalten hat; sie bekommt hundert Hiebe, verliert ihren Nang und wird von ihrem neuen Ehemanne getrennt. Ungiltig sind Heirathen zwischen Solchen die einen und denselben Familiennamen tragen; mit einer Person welche ein Verbrechen begangen und sich deshalb versteckt hat, endlich auch mit Musikanten und Komödianten. Wer dem zuwiderhandelt bekommt Hiebe. Ehescheidungen finden statt in gesetzlich bestimmten Fällen oder aus beiderseitiger Uebereinknnft. Es kommt begreiflicher Weise oft vor daß Leute, welche man gar nicht um ihre Einwilligung befragt hat, einander nicht zusagen. Der Mann kann seine Frau aus folgenden Ursachen verstoßen: Unfruchtbarkeit; Unsittlichkeit; Nichtachtung gegen Schwiegcr» Vater und Schwiegermutter; wenn sie zu übler Nachrede geneigt ist; wenn sie Hang zum Stehlen hat; wenn sie einen eifersüchtigen Charakter hat; wenn sie immer krank ist. — Die Impietät, die Verletzung der Ehrcrbie« tigkeit, besteht in Nichtbeachtung der.Pflichten welche die Familie auferlegt. Das Gesetzbuch giebt nachstehende Erklärung: „Sie ift Mangel an Achtung und Sorgfalt für Die, welchen man das Dasein verdankt, die U. Kap.) Ritualgesehe. 297 Einen erzogen und beschützt haben. Man ist unehrerbietig wenn man einen Proceß gegen seine nächsten Verwandten anhängig macht, sie beleidigt, um sie keine Trauer anlegt und ihr Andenken nicht ehrt." Auf Verletzung dieser Pietät sind schwere Strafen gesetzt. Wer seine Aeltern schlägt er. leidet Todesstrafe; dasselbe geschieht, wer eine falsche Beschuldigung gegen seine Aeltern erhebt. wer sich beleidigende Ausdrücke gegen sie erlaubt, falls der Beleidigte diese selbst gehört hat und Klage deshalb führt. Ein Vatermörder erleidet den Tod vermittelst der Messerstrafe, die auch seiner Leiche nicht erspart bleibt wenn er im Gefängnisse gestorben ist. Die Zeit der Trauer, und die Art und Weise wie um die verschie» denen Familienglieder getrauert werden muß, ist vom Gesetze bestimmt. Wer auf die Nachricht vom Ableben seines Vaters, seiner Mutter oder seines Ehegatten nicht sogleich Trauer anlegt, bekommt sechszig Hiebe und wird auf ein Jahr in die Verbannung geschickt. Dieselbe Strafe erleidet, wer vor der gesetzlich bestimmten Zeit die Trauer ablegt, oder während der Trauerzeit an Lustbarkeiten theilnimmt. Jeder Regierungsbeamte muß gleich nachdem er den Tod eines Angehörigen erfahren hat, Trauer anlegen und aus seinem Amte scheiden, bis die festgesetzte Frist verlaufen ist. Wer, um nicht von seiner Stelle zu weichen, vorgiebt, der Verstorbene sei ein entfernter oder geringer Verwandter, erhält hundert Hiebe, verliert die Stelle und kann nie wieder ein Amt bekleiden. Eine Ausnahme wird für solche Beamte gemacht die in entfernten Gegenden eine wichtige Stellung innehaben, und für Militaircommandanten die weit von Peking Befehl führen. In diesen Fällen verfügt der Kaiser wie man sich zu verhalten habe. Vtan ersieht aus alledem, daß die kindliche Pietät der Nachhilfe des Bambus bedarf. Aus den Nitu algesetzen wollen wir einige hervorheben, weil sie eigenthümlicher Art find. „Alles was angeht die Wissenschaft der Gestirne, als da si»d Sonne. Mond, die fünf Planeten, die achtuudzwanzig und auch die übrigen Hauptconstellationen, sowie die Beobachtung der Finsternisse, der Kometen und anderer Himmelserscheinungen, fällt in den Geschäftskreis der Beamten, welche das astronomische Collegium zu Peking bilden. Geben diese Beamten nicht genau Acht auf die besagten Erschei, nungen, und bezeichnen sie nicht den Zeitpunkt wann dieselben sich ereignen, damit Seine Majestät davon in Kenntniß gesetzt werde, — dann sollen sie mit sechszig Bambus hieben bestraft werden.« — »Es ist den Zauberern, Hexenmeistern und Wahrsagern verboten in die Häuser der Civil- oder Militairbeamten zu kommen unter dem Vor- ' 298 Die Gesetze über den amtlichen Cultus. ll7. zfav. wände Unheil zu verkünden welches die Nation bedrohe, oder sreudisseEreignisse vorherzusagen. Für jede Prophezeiung sollen fünfhundert Prügel aufgemessen werden. Dieses Gesetz soll sie aber nicht daran hindern Leu« ten aus ihr Verlangen das Horoskop zu stellen, Geburten zu prognosticiren und in hergebrachter Weise die Gestirne zn befragen." — Die Chinesen sind gleichgiltig gegen die Religion, aber sie haben sehl strenge und ins Einzelne gehende Gesetze über den amtlichen Cultus. Jede Vernachlässigung oder Unregelmäßigkeit in der Beobachtung der vorge« schnebenen Gebräuche wird nicht nur an der Person des Uebertreters. sondern auch an dem Intendanten der Ceremonien. der besser hätte auf. passen sollen, mit Bambushieben geahndet. Vierzig Streiche erhält der Beamte welcher die Aufsicht über die geheiligten Schweine hat, die man in den Pagoden für die feierlichen Opfer mästet, falls er nicht gehörig die Fütterung überwacht und ein solches Thier krank oder mager werden läßt. Ein krankes Schwein ist für einen Pagodenbeamten allemal einGc« genstand von erheblichem Belange. Die Bonzen und die Doctoren der Vernunft (Tao sse) find vomGe« setze gewissermaßen mit dem bürgerlichen Tode belegt. Sie dürfen Vater und Mutter nicht besuchen, auch ihren Ahnen keine Opfer bringen; auch ist ihnen verboten, und zwar bei Strafe von hundert Stück Hieben, um ihre Aeltern Trauer anzulegen. Das Strafgesetz bekümmert sich vielfach um eine Menge von Klein« lichkeiten, welche in der europäischen Gesetzgebung durchaus unberücksichtigt bleiben. Durchlieft man diese unzählige Menge von Vorschriften und Regeln allcr Art, so bemerkt man häufig'daß die Gesetze einerseits und die Praxis der Bewohner andererseits nicht mit einander übereinstimmen. Die höchste Gewalt hat an Macht und Nachdruck eingebüßt, und das Voll lebt so ziemlich nach seinem Belieben, ohne sich viel um die Vorschriften des Gesetzbuches zu kümmern. Die Mandarinen üben ihre Gewalt nach Laune und Gutdünken aus. Selbst in schweren Fällen wrnn sie zum Bei« spiel einen Angeklagten auf die Folter bringen müssen, um ihm das Ein-geständniß abzupressen, oder auch bei Anwendung der Todesstrafe, versah» ren sie wie sie eben wollen, ohne an die gesetzlichen Verfügungen sich zu halten. Im Sommer des Jahres 1849 waren wir, auf der Straße nach Peking, in der Provinz Schan tung. Eines Abends fuhren wir in einem Miethwagen auf der großen Kaiserstraße, die auf beiden Seiten mit hohen Bäumen eingefaßt ist. Während der Kutscher seine Pfeife rauchte und die 17. Kap.) Summarisches Strafverfahren. 299 abgemagerten Maulthiere antrieb, schweifte unser Blick über eine weite einförmige Ebene. Plötzlich klopfte der Wagenlenker seine Pfeife aus, sprang ab, und sah mit erhobenem Blicke nach den Bäumen, auf welche er uns aufmerksam machte. „Seht nur dort oben hin!" sprach er und zeigte mit seinem Peitschenstiele auf eine Menge von Käfigen, die wie Vogelbauer in den Zweigen hingen. «Was soll denn das bedeuten?" fragten wir. — «Seht nur genau hin, Ihr werdet es bald erfahren." Beim Weiterfahren überkam uns Schauder und Schrecken, denn wir sahen etwa ein halbes Hundert aus Bambusrohr geflochtene Käfige, in denen eben soviele Men« schenköpfe lagen, gräßlich grinsend und zum Theil schon in Fäulniß übergegangen. Mehrere dieser Behälter waren aus den Fugen gegangen, und an einigen hingen die Köpfe am Barte oder am Zopfe herunter; manche la« gen auch schon unter den Bäumen. Wir konnten diesen abscheulichen Anblick nicht länger ertragen. Der Fuhrmann erzählte, daß diese Gegend längere Zeit durch eine Diebesbaude unsicher gemacht worden sei, welcher die Mandarinen ganz und gar nicht habhaft werden konnten. Da erschien im Frühjahr ein außerordentlicher Commissarius nebst einer Schaar Tra« banten, und faßte an einem schönen Tage fast die ganze Bande in einem Dorfe ab. Sie wurden ohne weitere Umstände, und ohne daß man zuvor die Genehmigung des Kaisers eingeholt hätte, enthauptet, und der Man« darin ließ zum abschreckenden Beispiele die Köpfe in den Bäumen aufhängen. Allerdings war dadurch den Bösewichtern weit und breit ein heilsamer Schrecken eingeprägt- worden. Unser Kutscher bemerkte: „Ich möchte hier nicht bei Nacht fahren'" — „Weshalb denn nicht; die Räuber find doch nun unschädlich gemacht worden." — «Weshalb nicht? Ei weil alle diese Köpfe entsetzlich heulen und schreien, sobald es dunkel geworden ist. Man hört es in allen Dörfern der Umgegend. „Es tonnte uns nicht befremden daß der Kutscher an dieses Märchen glaubte, denn schon der bloße Anblick der Käfige übte auf unsere Einbildungskraft einen solchen Ein« druck, daß wir einige Tage lang denselben gar nicht wieder loswerden konnten. IHy Abreise von Kuan., c»ße. — Am Pu yang See. — Die Provinz Hu pe. ^ Der Ackerbau in China. — Bambus, Teichrosen, NeiS. — Eintheilung der Gctreidearten. — Die Schwalben im Winter. — Eine Katze als Stundenzeiger. — Wie man dem Esel das Schreien abgewöhnt. Vor unserer Abreise aus Kuang lsi hien besuchte uns der Präfect, dem wir für die angemessene Behandlung, welche er uns hatte angedeihen lassen, unsern Dank sagten. Wir fragten auch nach dem Räuberhaupt« manne. Der Präfect sagte: „Gestern habe ich den ganzen Tag bis zum späten Abend mit ihm zu schaffen gehabt, und konnte deshalb nicht zu Euch kommen. Er hat seine Mitschuldigen nicht namhaft gemacht. Die Kuan kuen find nun einmal so; sie verrathen einander nicht, wenn man sie auch foltert oder gar hinrichtet. In einigen Tagen wird er sich wohl einigermaßen von der Tortur erholt haben, der Schwindel wird ihm vergangen sein, und dann lasse ich ihn, sammt den Proceßacten, nach U Mang su schaffen, wo dann das Obergericht mit ihm zu thun hat. Der „Erforscher der Verbrechen" (der Ngan tscha sse) wird sich alle Mühe geben ihn zum Geständniß zu bringen; ich glaube aber nicht daß er viel ausrichtet." — Wenn ein Angeklagter bis aufs Blut gegeißelt worden ist, und wenn man seine Glieder entsetzlich zugerichtet hat, dann wendet man außerordentlich wirksame Heilmittel an. die ihn soweit wieder herstellen, daß die Tortur ihren Fortgang nehmen kann. Die Wunden vernarben sehr schnell. Als wir etwa eine Stunde Weges von der Stadt entfernt waren, brach ein starkes Negenwetter über uns herein. Unsere Träger waren ganz glücklich daß ihnen die dicken Tropfen auf den nackten Rücken fielen; das lange Bad behagte ihnen, sie lachten und sangen. Auch die übrigen Fußgänger und die Reiter unseres Zuges waren gleichfalls in sehr heiterer Stimmung. Leute die weiter nichts als ein Beinkleid am Leibe hatten, konnten sich allerdings der Frische des Regens und der Luft erfreuen. Wir beneideten sie darum; die vorgeschriebenen Gebräuche zwangen uns aber in unseren Tragsesseln zu bleiben. Um Mittag wurden wir von zwei Wanderern eingeholt, die unsere Aufmerksamkeit erregten. Sie trugen einen dreifachen Gürtel um die 18. Kap.) Eilboten der Regierung. I^<« Hüften, einen spitzen Hut aus Bambusrohr, an einem Schulterriemen eine. große lackirte Büchse, und an den Füßen lederne Sandalen. Diese Männer gingen schweigend mit baumelnden Armen in langem, gleichmäßigem Schritte, doch hatte es den Anschein als ob sie sich keineswegs über» eilen wollten. Sie blickten gerade aus und es war als ob sie unsere Karawane, durch welche sie mitten hindurchgingen, gar nicht beachteten. Bald nachher hatten wir sie aus dem Gesichte verloren. Es waren Eilboten der Regierung, welche auf der Kaiserstraße nach Peking gingen, wohin sie Depeschen aus U tschang fu brachten. Die chinesische Regierung hat solche Couriere zu Fuß und zu Pferde und der Dienst ist ziemlich regelmäßig. Auf allen kaiserlichen Straßen sind an gewissen Stellen unterlegte Pferde; Meldungen gewöhnlicher Art werden im Trabe besorgt; hat aber eine Nach» richt besondere Eile, so müssen die Eftaffetten Tag und Nacht Galopp reiten ; oder man benutzt Couriere zu Fuß. welche wie die Chinesen behaup« ten. schneller vorwärts kommen als ein trabendes Pferd. Die Eilboten werden zu ihrem Dienste förmlich abgerichtet; sie müssen zum Beispiel weite Strecken mit beschwertem Körper zurücklegen, und sich in der Weise einüben daß man ihnen die Tasche nach und nach mit einer immer größern Menge Sand anfüllt. So gewöhnen sie sich sehr starke Tagemärsche rasch zu machen. und das Gehen erscheint ihnen als Spielwerk wenn sie ein-mal den Sand nicht mehr am Leibe haben. Es sieht gar nicht aus als ob sie große Eile hätten, und doch kommen sie ungemein schnell vorwärts. Eine P o st für das Publimm hat China nicht. Wer Briefe beför« dern will. muß Privatgelegcnheit suchen, oder auf seine Kosten einen Bo« ten schicken. der für weitere Strecken sehr kostspielig ist, ohne daß man sichere Gewähr für richtiges Eintreffen hätte Ein Brief aus Europa nach Canton braucht etwa fünfzig Tage, dagegen von Canton nach Peking volle drei Monate. Aber die Chinesen leiden unter einem solchen Zustande der Dinge nicht, weil sie mit ihren Verwandten und Freunden wenig oder gar nicht correspondiren. und das Bedürfniß herzlichen Austausches nicht kennen. Selbst ihre Handelsangelegenheiten machen sie. wo es irgend an« geht. lieber mündlich als durch Correspondenz ab. Andererseits aber schreiben sie sehr viel. und erlassen Sendschreiben oder briefliche Mittheilungen, besonders formeller Art. so oft sich irgend eine Gelegenheit darbietet; aber vertrauliche Mittheilungen oder Herzensergießungen kommen in ihren Briefen nicht vor. sondern vorzugsweise nur die herkömmlichen Formeln; es ist deshalb auch gleichgiltig wann solch ein Schreiben diesen Personen zu Geficht kommt. Der erste Beste erbricht einen Brief, liest ihn, und theilt 302 Vrlefcorrespondenz. H«. Kap. beliebigen Personen mit was darin enthalten ist. Das scheint sich ganz von selbst zu verstehen. Auch findet Keiner etwas Auffallendes darin, wenn Jemand einem Schreibenden über die Schulter guckt, um zu sehen was er aufs Papier bringt. Wir fanden schon im ersten Jahre unseres Aufenthaltes in China Gelegenheit zu bemerken, was es mit einem chinesischen Briefe auf sich hat. Wir waren mit einem aus Peking gebürtigen Gelehrten zusammen, der vor acht Jahren nach dem Süden sich begeben hatte um dort einer Schule vorzustehen. Er schien uns ein weniger dürres, nicht so unempfindliches Naturell zu haben als seine Landsleute; er kam uns theilnehmend vor, und dünkte uns eine Ausnahme unter den Chinesen. Einst wollten wir einen Boten nach Peking absenden, und fragten den Lehrer ob er etwas an seine Familie oder seine Freunde mitzugeben habe. Er sann eine Weile hin und her, und meinte dann, es werde wohl gut sein wenn er an seine alte Mutter schreibe, die seit vier Jahren nichts von ihm gehört habe. und nicht wisse wo er sich dermalen aufhalte. Da nun gerade Gelegenheit sei, so könne er ihr einige Schristzeichen zukommen lassen. — Daraus sprach allerdings keine sehr innige Liebe zu seiner Mutter. Wir ersuchten ihn sich mit dem Schreiben zu beeilen, weil der Bote noch an demselben Tage ab» gefertigt werden solle. — .Ihr sollt den Brief gleich haben, er wird im Augenblicke fertig sein." Er rief einen Schüler, der im Nebenzimmer seine Lection aus den klassischen Büchern lernte, das heißt sie halbsingend sich einprägte, uud vielleicht eben eine erbauliche Stelle des Confucius über die Liebe der Aeltern zu den Kindern vorgenommen hatte. Der Schüler trat bescheiden vor. „Laß Deine Lection einen Augenblick ruhen, nimm Deinen Pinsel und schreibe mir einen Brief für meine Mutter. Spute Dich aber, denn der Bote soll unverweilt abgehen; hier haft Du Papier." — Der Schüler nahm das Blatt und ging in das Nebenzimmer um einen Brief an die Mutter seines Lehrers zu schreiben! — Der Chinese schreibt seine Briefe gewöhnlich aus Luxuspapier, auf welchem Vögel, Blumen, Schmetterlinge und mythologische Figuren mit rother oder blauer Farbe gedruckt sind; die chinesischen Schriftzeichen stechen dagegen mit ihrem dunkeln Schwarz so gut ab. daß sie sehr bequem in die Augen fallen. Wir fragten den Lehrer, ob denn der Schüler mit der Mutter so genau bekannt sei. daß er ohne Weiteres statt des Sohnes an sie schreiben könne? — „O nein. er kennt sie gar nicht." Der Sohn selber wußte freilich auch nicht ob seine eigene Mutter noch am Leben war. oder schon längst das Zeitliche gesegnet hatte. Wir fragten ihn, wie unter solchen Umständen 18. Kap.) Großes Fest zu Hoang mel hlen. g^ überhaupt der Schüler im Stande sei den Brief abzufassen, und erhielten Folgendes zur Antwort: „Weiß er denn nicht etwa was er zu sagen hat? Er ist schon länger als ein Jahr mit schriftlichen Aussätzen und Styl. Übungen beschäftigt, kennt eine Menge eleganter Formeln, und weiß voll. kommen, was und wie ein Sohn an seine Mutter zu schreiben hat." — Dagegen ließ sich freilich gar nichts einwenden! Der Schüler stellte sich bald wieder ein, brachte den Brief in einem fehr zierlichen Umschlage und hatte ihn auch gleich zugesiegelt. Der vortreffliche Sohn gab sich nicht einmal die Mühe die salbungsvollen Betheuerungen von Zärtlichkeit und Hochachtung durchzulesen; natürlich, er hatte ja die Formeln seinen Schü, ler gelehrt. Doch schrieb er die Adresse eigenhändig, was uns eigentlich überflüssig vorkam; denn der Brief konnte füglich jeder beliebigen Mutter im himmlischen Reiche eingehändigt werden, er paßte für Alle. Am Abende kamen wir nach Hoang mei hi en, einer Stadt dritter Classe; sie liegt an einem kleinen Flusse unweit von der Kaiserstraße, und hat wegen der Nahe des Pu yang See's, des Blauen Stromes und der großen Straße nach Peking einen sehr lebhaften Handelsverkehr; hier find -Waarenniederlagen für alle Artikel welche von Norden und Süden lom« men, um nach dem Centralstavelplatze Han keu befördert zu werden. Hoang ine'i hien war unsere letzte Etappe in der Provinz Hu pe, und wir wurden dort so glänzend behandelt nm nur irgendwo in Sse tschuen. Es schien als ob die Mandarinen den Auftrag erhalten hätten, uns die vielen Widerwärtigkeiten der letzten vier Wochen vergessen zu machen. Der Gemeindepalast war in einer gesuchten Weise für uns ausgeschmückt worden; außer den Laternen, den Vorhängen von rother Seide und den vielen Sinnsprüchen an den Wänden, standen in den Zimmern wohldufteude Blumen, und die Besuchceremonien wurden auf das strengste beobachtet; Mandarinen und angesehene Bewohner der Stadt fanden sich in Staatskleideyi ein; man machte viele Reverenzen, gab viele leere Worte zum Besten, und Abends wurden wir mit einem schönen Feuerwerke und einem schlechten Ständchen regalirt. Das Feuerwerk bestand aus einer außerordentlichen Menge von Schwärmern, die in dicken Paketen an Bambusstangen hin« gen, und deren Getöse und Gekracht keinen Augenblick unterbrochen wurde. Dazwischen fielen gewaltige Kanonenschläge. Aber die Hauptstücke der chinesischen Feuerwerkerkunst befanden sich in den Ecken des Hofes, näm« lich Drachen und andere Fabelthiere welche aus allen Gliedern Feuer spieen Auch bunte Raketen stiegen hoch in die Luft, und sendeten einen Feuerre« gen herab. Am meisten gefiel uns ein kleines Feuerrad welches die Cht- I04 Feuerwerke und Musik. sl8. Kap. nefen als fliegende Sonne bezeichnen; es wird in eine große Schüssel ge« legt die man auf die Erde stellt; sobald es angezündet worden ist dreht es sich rasch herum, speit bunte Funken nach allen Seiten hin. steigt dann plötzlich in unablässigem Wirbel hoch in die Luft und läßt einen wunderschönen, mannigfarbigen Feuerregen fallen. Die Chinesen haben sich immer viel mit dem Pulver abgegeben das sie lange vor den Europäern kannten; aber bei Feuerwerken ist es ihnen wohler als im Schlachtendonner; sie waren eher Feuerwerkskünstler als Artilleristen, und auch heute sind ihnen Schwärmer weit angenehmer als Kanonen. Kein Fest ohne Feuerwerk; es spielt eine große Rolle bei Ge< burten und bei Begräbnissen, beim Empfange von Mandarinen, bei Ver< sammlungen von Freunden, bei theatralischen Vorstellungen; es muß eben überall und stets gekracht sein. Nicht blos in Städten sondern auch in Dörfern sieht man tagtäglich, gleichviel ob bei Sonnenschein oder in dunkler Nacht, Raketen, oder hört Schwärmer krachen. Man sollte meinen das ganze himmlische Reich sei eine große Werkstätte für Feuerkünstler. In den armseligsten Weilern wo es gar nichts zu essen gab, fanden wir doch überall Melonenkerne und Schwärmer. Die Musik der Chinesen kann es mit ihren Feuerwerken nicht ,m Mindesten aufnehmen. An jenem glänzenden Abende in Hoang mei hien hatte man gewiß Alles zusammengebracht was die Stadt an Kunstlern aufzubieten hatte. Das Orchester war zahlreich besetzt und die Manmg. faltigkeit der Instrumente nicht gering; wir bemerkten Baßpfeifen.Violinen, Flöten. Streich- und Blaseinstrumente aller möglichen Art rmt Löchern und Klappen, und von so eigenthümlicher Gestaltung, daß mr auf eine nähere Beschreibung verzichten müssen. Die chinesische Musik hat etwas Sanftes und Schwermüthiges. das anfangs recht wohl anspricht, vielleicht weil es für uns Europäer etwas so Fremdartiges und Eigen« thümliches hat; aber sie ist so eintönig und gleichförmig daß sie bald ermüdet und zuletzt die Nerven angreift. Uebrigens musiciren die Chinesen nicht ins Blaue hinein, sondern haben feste Regeln; sie bezeichnen die Scala vermittelst bestimmter Charaktere; halbe Töne haben sie nicht und daher rührt auch wohl die ermüdende Einförmigkeit ihrer musikalischen Compofitionen. In den Büchern wird hervorgehoben daß die Chinesen zu allen Zeiten insbesondere aber im Alterthume großen Werth auf die Musik gelegt, und dieselbe als sehr wesentlich für eine gute Regierung und das Wohlergehen des Volkes angesehen haben. Unter die heiligen Bücher ge- !8. Kap.) Musik und Ceremonien. <^ hörte ehemals das Do king oder Buch der Musik, welches bei der aro-ßen Bücherverbrennung verloren ging, welche Kaiser Tfing sche hoana t't anordnete. Confucius spricht von diesem Buche mit großem Lobe. Es war eine Sammlung von Gesängen und Gebeten, die bei Opfern und überhaupt bei religiösen Feierlichkeiten vorgetragen wurden, und enthielt außerdem religiöse Lehren und Weisungen. Das Buch der Gebräuche war eine Vervollständigung des Yo king. Die Annahme daß im chine« fischen Alterthume Musik und Ritus Ausdruck der Religion waren, erhält durch mehrere Beispiele, die sich in den Annalen und canonischen Büchern finden, Bestätigung. Im Li ki steht Folgendes: „Die Musik ist Ausdruck der Vereinigung der Erde mit dem Himmel. Mit dem Ceremonie! und der Musik ist nichts zu schwierig im Reiche." An einer andern Stelle äußert dasselbe canonische Buch: „Die Musik wirkt auf das Innere im Menschen und bringt ihn in Gemeinschaft mit dem Geiste. Ihr Hauptzweck ist Regelung der Leidenschaften; sie lehrt Vätern und Kindern, Fürsten und Unterthanen, Männern und Frauen ihre gegenseitigen Pflich« ten. Der Weise findet in der Musik die Regeln für sein Betragen." Die Philosophen des Alterthums gehen noch -weiter, und behaupten sie sei die Stütze für die Negierungsgewalt, der stärkste Knoten der Gesellschaft, der Knoten der Gesetze, und dergleichen mehr. Offenbar deutete man damit auf die religiösen Weisungen welche im Uo king, diesem „Buche der Gesänge" enthalten waren. Die Annalen und überhaupt Schriften der Vorzeit bemerken ausdrücklich. daß die Musik im Alterthume unablässig ein Gegenstand des Nachdenkens für die Weisen und der Sorgfalt für die Regierung gewesen sei. Es wird erzählt daß Schün. der Gründer der chinesischen Monarchie, auf seinen Reisen überall sich erkundigt habe, ob man auch keine Veränderungen an der Musik vorgenommen. Daraus geht hervor daß es sich um etwas mehr gehandelt habe als um Tonzeichen und Gesang. Der Schule des Confucius zufolge find die Ceremonien und die Musik die wirksamsten und raschesten Mittel um die Sitten zu verbessern und den Staat blühend' zu machen. Ein berühmter Moralist schreibt: „Unter den drei eisten Dynastien wurde die gesammte Regierung aus der Einheit hergeleitet, die Ceremonien und die Musik umfaßten das ganze Neich. Nach den drei ersten Dynastien wurde die Regierung von ihrer Quelle abgelenkt, die Ceremonien und die Musik waren nur noch ein leerer Name ohne Wirklichkeit." Die alten Dichter bezeichnen die Musik als „Wiederhall der Weisheit, als Herrin und Mutter der Tugend. Offenbarung der Willensmeinungen des Himmels." Ihr Zweck ist kennen Huc. <5h!na. . 20 Hyß Miliz von Hoang me» hien. ll8. Kap. zu lehren den Sckan ty, das beißt den höchsten Herrn und den Menschen zu ihm zu fübren. Alle diese Formeln sind bemerkenswerth. weil sie darthun daß die Musik Ausdruck des religiösen Cultus war, welchen die alten Chinesen der Gottheit widmeten. Man begreift deshalb die hohe Bedeutung welche sie hatte. Die Stadt Hoang mc'l bim wollte uns bis zuletzt mit großem Glänze behandeln. Als wir aufbrechen wollten stand schon der Präfect nebst den angesehensten Beamten unserer gewärtig; unser Geleit war um dreißig Mann verstärkt worden, über welche zwei kleine Militairmandarinen den Befehl führten. Diese Soldaten waren im Hofraume aufgestellt, und zu unserer Ueberraschung ziemlich gleichförmig gekleidet; auch befanden sie sich nicht allzuweit auseinander. Einige hatten sich in einem Winkel niedergekauert. Andere gegen die Mauer gelehnt, wo sie Tabak rauchten und sich mit einem Fächer Kühlung zuwehten. Nur allein der Fahnen, träger war ein Mann von untadeliger Haltung und seiner Würde sich bewußt. Mit beiden Händen hielt er einen langen Schaft, an dessen oberm Ende eine dreieckige rothe Fahne schwebte. Auf der einen Seite derselben stand: Miliz von Hoang me'i hien. auf der andern: Tapfer, keit. Als wir von den städtischen Behörden begleitet durch den Hofraum schritten, wurden drei Kanonenschläge abgefeuert. Wir wußten gar nicht weshalb man so viel Luxus in der Höflichkeit trieb, bis uns endlich der Präfect auf die Spur brachte. Als wir. noch vielfache Danksagungen für so viele Aufmerksamkeit äußernd, in den Palankin stiegen, sprach er: „Ihr werdet sehen, daß ihr nirgends eine so gute Behandlung erfahren habt als in der Provinz Hu pe." Wir sagten uns lächelnd: Als in der Stadt Hoang me'l hien. Wahrscheinlich war von U tschang fu, und zwar vom Gouverneur selbst, der Befehl gekommen lins so glänzend aufzunehmen, weil man Klagen von unserer Seite befürchtete, und zu guter Letzt, ehe wir die Grenze der Provinz Kiang st überschritten. einen guten Eindruck machen wollte. Von nun an schlugen wir aus der Reise eine durchaus andere Rich, tung ein. Von der thibetanischen Grenze bis Canton haben wir einen rechten Winkel gemacht, dessen Spitze Hoang me, hien bildet. Unterwegs trafen wir sehr viele Reisende, unter denen man die aus dem Norden sehr leicht von denen aus dem Süden unterscheiden konnte. Diese ^Letztnen haben ein bleiches Gesicht das einen etwas weibischen Ausdruck z.'igt, aber dabei einen klugen Blick; auch find sie gleichsam elastischer in ihren Bewegungen als jene und kleiden sich gesuchter. Sie 18. Kap.) Die Kaiserstraße. 307 schwatzten lebhaft, trieben viel Scherz, summten mit ihrer dünnen näseln» den Stimme ein Aed vor sich hin. oder zogen einander durch Wihreden auf. Die Hitze war fast erdrückend, aber diese Leute schienen die Wir. kung der Sonnenstrahlen kaum zu verspüren. Dagegen trieften die Nord. länder von Schweiß, sprachen wenig, sangen gar nicht, und suchten sich durch unaufhörliches Kauen der Arelanuß zu erfrischen. Ihre dunklere. Gesichtsfarbe, ihr vollerer Schnauzbart. ihr kraftigerer Gliederbau, und ihre rauhere volltönige Stimme unterscheiden sie von den Chinesen aus dem Süden. Beinahe alle Reisende waren Kaufleute, und hatten ihre Waaren bei sich auf zweispännigen Karren. auf Maulthieren oder Eseln, meist aber auf zweiraderigen Karren, an welchen vorne ein Mensch zog. während ein anderer hinten nachschob. Bei günstigem Winde suchen sich diese Ttoßkärrner ihre saure Arbeit wohl dadurch zu erleichtern, daß sie ein Segel aufspannen. Das ist gewiß zweckmäßig. sonst thäten es die Chinesen nicht. Die Landstraße war breit und in früheren Zeiten gewiß einmal in sehr gutem Stande gewesen: jetzt fanden wir sie ganz abscheulich, an vielen Stellen ausgefahren und eingerissen, voll Schlaglöcher, Höcker und Pfützen und tief ausgefahrenen Geleisen. Seit langen lieben Jahren war daran nichts ausgebessert worden. Die Chinesen behaupten daß die öffentlichen Wsge erst vernachlässigt werden seitdem die Mandschu den Thron bestiegen haben. Die Staatsverwaltung kümmert sich nicht um die Wege, und läßt nur die Straßen ausbessern auf welchen gelegentlich einmal der Kaiser fährt. Das Volk mag eben sehen wie es fertig wird, und es ist w den nördlichen Provinzen, wo die Wasserstraßen nicht so häufig sind als im Süden, schlimm daran. Tagtäglich stürzen Fuhrwerke um. In einigen Gegenden suchen die Gemeinden einigermaßen nachzuhelfen. In Zwiftigkeiten und bei streitigen Fällen wendet man sich nur im höch» sten Nothfalle an die Gerichte, und unterwirft sich lieber dem schieds» richterlichen Ausspruche bejahrter rechtschaffener Leute. Sie entscheiden häufig dahin, daß der Straffällige auf seine Kosten eine gewisse Strecke Weges in guten Zustand versetzen müsse. . Die Reise auf der kaiserlichen Landstraße war für uns sehr ermüdend ; die Hitze war fürchterlich und der dichte Staub welcher uns einhüllte kaum zu ertragen. Äoch vor Abend gelangten wir wieder einmal an den berühmten Blauen Strom, den wir seit unserer Abreise aus der Hauptstadt von Sse tschuen so oft gcsehen hatten, und den wir tief in Thibet in der Nähe seiner Quellen auf dem Eise überschritten. Jetzt 20' gog Am Pu Yang See. — Die Kakerlaken. ll8. Kap. wurden wir in einer großen Fähre übergesetzt. und erreichten nach etwa «inständiger Fahrt die kleine Stadt Hu leu, das heißt Mund des Sees. Wir befanden uns nämlich am Pu yang See; die Chinesen haben eine Landzunge durchstochen und ihn vermittelst dieses Canals mit dem Blauen Strome verbunden. Unser demnächstiges Reiseziel war Nan tschang fu. Hauptstadt der Provinz Kiang si, es fragte sich aber ob wir uns zu Lande oder zu Wasser dorthin begeben wollten. Nach sorgfältiger Er. wagung entschieden wir uns zur Seefahrt, denn das Wetter war klar und der Wind günstig. Der Pu yang ist etwa fünfzehn Stunden lang und fünf bis sechs Stunden breit; wir konnten also hoffen die Fahrt in einem Taqe zu machen. Es wurde deshalb eine sogenannte Mandarinendschonke gemiethet; genau besehen war das Fahrzeug jedoch nur ein Güterschiff. Wir begaben uns schon Abends an Bord, um Morgeus früh ab. fahren zu können. Aber wie sehr bedauerten wir nicht am Lande geblieben zu sein'. Die abscheulichen Kak^oken Peinigten uns auf eiue unbarmherzige Art. Man hört sie überall schnurren, und in der Rnnde fliegen; sie jagen einander, rennen gegen die Wände, und sind ungemcin munter, was gewiß ihnen sehr lieb war und ihnen großes Vergnügen machte. uns aber nicht. Nachdem sie des Herumflicgens überdrüssig waren wollten sie ihre Mahlzeit halten. und dafür ist ihnen nicht weniger als Alles gut und genehm. Sie benagen und fressen Schuhe und Hüte, öampenöl. Schreibetusche, sogar Tabak; aber am meisten leckert es sie nach dem Fleisch an Fingern, Fußzehen und Ohren. Sie würden den armen Rei« seuden sammt Kleidern und Decken auffressen, wenn er sie gewähren ließe. Wir hörten sie unablässig bald da bald dort nagen; sie liefen auf die unverschämteste Weise uns über das Geficht, wir fühlten das Kitzeln ihrer Beine und die kalte Frische ihres Bauches. Und wenn sie irgend eine Oeffuung aufspürten, dann krochen sie unter die Decke und spazierten an Armen und Beinen umher. Auf unserm Schiffe war eine so ungeheure Menge dieses entsetzlich frechen Ungeziefers, daß wir die ganze Nacht hindurch Jagd auf dasselbe machen mußten. Aber dabei war große Vorsicht vomwthen; man mußte sich allemal wohl hüten einen Kakerlaken zu er« drücken. Das Insekt verbreitet nämlich einen ungemein widerwärtigen, Ekel^ erregenden. Geruch. Von diesen abscheulichen Thieren wimmelt es im südlichen China. Sie haben eine ganz besondere Vorliebe für schmu. zige Dinge, insbesondere für Lumpen und alten Hausrath, nisten sich gern in der Behausung armer Leute ein, verschmähen aber auch die Reichen nicht. Sie verstecken sich in den Ritzen der Fußböden, unter Wäsche l8. Kap.) Die Provinz Hu pe. .IOg und zwischen Büchern; kurz sie nisten sich überall ein und fressen Alles, vorzugsweise aber sind sie auf den Schiffen einheimisch und dort eine wahrhafte Plage geworden. Das Thier sieht übrigens recht hübsch aus; es ist ein daumsdicker Käfer von kastanienbrauner Farbe, stiegt nicht be-sonders gut, läuft aber dafür mit bewundernswürdiger Schnelligkeit. Ohne den Wanzengeruch und die Zerstörungswuth wäre dieser Käfer ganz interessant. Bei Tagesanbruch zog die Kakerlakenlegion sich in ihre Standquartiere zurück, und der Schiffsführer ließ die Anker lichten. Denn zu unserm großen Erstaunen war ausnahmsweise einmal auf einem chinesischen Schiffe Alles in Ordnung; es wurde nicht getrödelt, sondern mit dem Tamtam das Zeichen zur Abfahrt gegeben, und nachdem ein großes Mattensegel aufgespannt war. glitten wir rasch auf der blauen Fluth des Pu yang Sees dahin. Wir befanden uns nun in der Provinz Kiang fi und hatten Hupe verlassen. Dieses letztere Wort bedeutet nördlich vom See, und bezeichnet das Land. welches gegen Mitternacht von den beiden großen Seen Pu yang und Tbing tun liegt. Die Provinz Hu ve steht in jeder Hinsicht hinter Sse tschuen zurück, ist bei weitem nicht so fruchtbar, voll von Teichen und Morästen, denen selbst die Chinesen ungeachtet ihrer Betriebsamkeit keinen erheblichen Ertrag abzugewinnen vermögen. Die Dörfer haben ein armseliges Ansehen, die Einwohner gleichfalls; überhaupt liegt in ihrer Physiognomie etwas Wildes, und nirgend anderswo haben wir so viele Hautkrankheiten, insbesondere Grind, bemerkt. Wahrscheinlich rührt das mit von den vielen stehenden und fauligen Gewässern her zwischen welchen diese Menschen wohnen, die obendrein von schlechten Nahrungsmitteln leben. Die Chinesen sagen, in Hu pe reiche eine Iahresernte nur für einen Monat aus; die stadüsche Bevölkerung muß ihren Bedarf an Getreide aus den Nachbarprovlnzen beziehen, insbesondere aus Sse tschuen. wo angeblich jede Iahresernte ur zehn Jahre ausreicht. Wir haben aber doch in H« ^ au er den «u en Reisfeldern an den Flüssen und Seen, auch sehr hübsche Anpflanzungen von Indigo, Baumwolle und Hanf bemerkt. c ^ <, Die achtzehn Provinzen des Reiches können m Bezug auf Frucht-barkeit und Ertrag natürlich nicht alle auf gleiche Lime gestellt werden. Aber so viel ist unbestreitbar, daß China im Wgcmeinen als em außerordentlich fruchtbares Land betrachtet werden muß. das von seinen Be« wohnern mit Fleiß und Umsicht angebaut wird. In keinem Lande der Welt hat von jeher der Ackerbau in so hohen Ehren gestanden, er nimmt „.^ Der Ackerbau in China. 118. Kap. unter allen Beschäftigungen den höchsten Rang ein. und die größten Moralisten, zum Beispiel Confucius und Mengtse, haben ihn gepriesen. Die Behörden haben in ihren Erlassen das Voll allzeit zu fleißiger Be. stellung der Felder ermahnt, und der Kaiser selbst erweist dem Ackerbaue seine Huldigung. Er eröffnet in jedem Frühjahre die Feldarbeiten mit einer Feierlichkeit, deren Ursprung mindestens zwölfhundert Jahre über unsere christliche Zeitrechnung hinausreicht. Am dreiuudzwanzigften Tage des dritten Mondcs. das heißt gewöhnlich gegen Ende des Monats März, begiebt er sich, nebst drei kaiserlichen Prinzen auf das geweihte Feld. Sein Gefolge bilden die neun Präsidenten der hohen Kollegien, eine große Anzahl anderer Beamten und eine Anzahl Bauern. Er opfert auf einem aus Erde gebauten Altar, greift zum Pfluge und ackert eine Furche von bestimmter Lange; die Prinzen und Minister folgen seinem Beispiele und ziehen gleichfalls einige Furchen. Die Leute aus dem Volke pflügen dann den übrigen Theil des geweihten Ackers. Die Pekinger Hofzeitung von 1767 enthält in der Form emes Ge. suches an den Kaiser ein Programm dieses Festes. In demselben heißt es- Das Tribunal der Gebrauche und die übrigen Collegien berichten achtungsvoll wegen der Feierlichkeit am 23. des dritten Mondes im32sten Regierungsjahre Kim longs (22. April 1767). Der Kaiser wnd m eigener Person die Ceremonie des Pflügens verrichten. Am Vorabende werden die Mandarinen des zweiten kaiserlichen Palastes achtungsvoll die Tafel des Tribunals der Minister in den Tempel tragen, welcher den Erfindern und Beschützern des Ackerbaues geweiht ist. Die Mandarinen des Ministeriums der öffentlichen Einkünfte werden die Werkzeuge zum Pflügen und die mit Getreide angefüllten Büchsen bereit halten und dem Gouverneur der Hauptstadt übergeben. Dieser bedeckt sie mit seidenen Umhüllungen, verschließt sie in ihre Kästen und läßt sie auf das geweihte Feld tragen. Dort weiden rothe Tafeln aufgestellt um die verschiedenen Abtheilungen zu bezeichnen welche die Fürsten und Großen zu beackern haben. Neben dem kaiserlichen Pavillon werden alle Ackergerathe aufgestellt." „Am Tage der Feierlichkeit finden sich alle Mandarinen des kaiserlichen Hauses. die Ccremonienmeister und die übrigen Beamten seines Collegiums um die fünfteMacht (bei Tagesanbrüche) vor dem kaiserlichen Palaste ein um dort das Ende des Opfers abzuwarten. Nach Beendigung desselben werden die zehn obersten Officiere der ersten Garde den Sohn des Himmels umgeben und in seinen Palast geleiten, damit er ausruhe 18. Kap.) Kaiserliches Ackeibaufest. Ill und die Festkleider ablege. Die Fürsten und die Großen welche pflügen sollen, werden dieselben gleichfalls ablegen. Inzwischen werden Pflug. Peitsche und Getreidebüchse welche für den Kaiser zubereitet worden find, aus Umhüllung und Kästen genommen; ein Gleiches geschieht mit denen welche für die Prinzen und die Großen bestimmt sind; man wird Alles an den Seiten des geweihten Ackers aufstellen." «Der Ceremonienmeister, die Mandarinen des kaiserlichen Hauses und die übrigen Beamten welche Dienst haben, versammeln sich um Mittag auf dem geweihten Acker, die vier betitelten Greise, die vierzehn Sänger, die sechsunddreißig Spielleute, die zwanzig Bauern in Strohhüten und mit Hacken. Rechen, Ackergabeln (Forken) und Besen, stellen sich in zwei Neihen zur Rechten und zur Linken des geweihten Ackers auf; eben so die fünfzig Fahnenträger. die vierunddreißig Greise aus Peking und die dreißig Bauern der drei Classen. Nachdem sie sich aufgestellt haben, harren sie stehend und schweigend." „Wenn die Stunde des Pflügens gekommen ist, dann erscheint der erste Minister des Ackerbaues, um den Sohn des Himmels einzuladen. Der Ceremonienmeister ergreift eine Fahne und schwenkt sie zu dreien Malen. Die drei Prinzen und die neun Großen welche pflügen sollen begeben sich an den für sie bezeichneten Ort. Alle welche beschäftigt sind gehen auf ihre Plätze, und die übrigen stellen sich zu beiden Seiten auf. Die zehn höchsten Officiere der ersten Garde umgeben den Kaiser, geleiten ihn auf den geweihten Acker. wohin Seine Majestät mit dem Gesichte nach Süden vorschreitet. Sobald er dort angelangt ist spricht der Präsi-deut des Tribunals der Gebräuche mit lauter Stimme: Bringt den Pflug herbei! Der Minister der öfientlicl cn Einkünfte lichtet das Gesicht nach Noiden. kniet nieder und händigt den Sterz des Pfluges dem Sohne des Himmels ein, der ihn mit der rechten Hand erfaßt. Der Präsident des Tribunals der Gebräuche spricht abermals mit lauter Stimme: Bringt die Peitsche her! Der Gouverneur von Peking wendet sein Geficht nach Norden, kniet nieder und überreicht die Peitsche, welche der Sohn des Himmels mit der linken Hand ergreift. Zwei Greise führen die Ochsen, zwei Bauern erster Classe stützen den Pflug; der Präsident des Collegium« der Gebräuche und der erste Mandarin des Ackerbaues gehen voraus. Bei der eisten Bewegung welche Seine Majestät macht, werden alle Fahnen geschwenkt, die Sänger stimmen ihren Gesang an. die Mu» sikanten spielen auf. Der Gouverneur von Peking bringt die Büchse mit I12 Kaiserliches Ackerbaufest. ' 118. Kap. Getreide, und der Minister der öffentlichen Einkünfte geht hinter ihm. Der Kaiser zieht drei Furchen." „Nachdem der Sohn des Himmels gepflügt hat, spricht der Präsi. dent des Collegiums der Gebräuche mit lauter Stimme: Nehmt den Pflug! Der Minister der öffentlichen Einkünfte kniet nieder und nimmt ihn. Der Präsident des Collegiums der Gebräuche sagt mit lauter Stimme: Nehmt die Peitsche! Der Gouverneur von Peking kniet und nimmt sie in Empfang. Sie bedecken Pflug und Peitsche mit ihrer Umhüllung von Seide, und thun ein Gleiches mit der Getreidebüchse. Die Musik schweigt, und der Präsident des Tribunals der Gebräuche ladet den Sohn des Himmels ein, unter den Pavillon zu treten. Derselbe'Präsident und der erste Mandarin des Ackerbaues führen Seine Majestät auf der Mitteltreppe dorthin. Seine Majestät setzt sich. mit dem Gesichte nach Süden gekehrt." „Sämmtliche Fürsten, Großen und Mandarinen welche bei dem übrigen Theil der Ceremonie nicht beschäftigt sind, stellen sich zu beiden Seiten des Kaisers auf und bleiben stehen. Darauf fangen die drei Prinzen zu pflügen an und ziehen fünf Furchen; die Ochsen vor jedem Pfluge werden von einem Greise geführt; je zwei Bauern stützen den Pflug; zwei niedere Mandarinen aus Pekiug gehen hinterher und säen. Nachdem das Alles geschehen ist. nehmen sie ihre Stelle wieder ein. Darauf fangen die neun höchsten Würdenträger des Reiches zu pflügen an und ziehen neun Furchen; vor jedem Pfluge führt ein Greis die Ochsen, zwei Bauern stützen den Pflug und zwei uiedere Mandarinen säen. Nachdem das Alles geschehen ist, nebmen sie ihre Stelle wieder ein und bleiben stehen; die niederen Mandarinen aus Peking hüllen die Ackergeräthe in Seide und tragen sie fort." „Der Präsident des Collegiums der Gebräuche geleitet alle Mandarinen aus Peking, die Greise, die Bauern, welche sämmtlich standes, gemäß gekleidet sind und Ackergcräthschaften tragen, auf der Westseite nach dem kaiserlichen Pavillon. Sie alle richten das Antlitz gen Norden, knieen dreimal nieder, und berühren dreimal mit der Stirne die Erde, um dem Sohne des Himmels zu danken. Nach dieser Feierlichkeit pflügen die Bauern den geweihten Acker fertig. Der Kaiser schreitet auf der östlichen Treppe vom Pavillon herab, besteigt einen Staatswagen, und geht durch das ^imangthor, während die Musikanten spielen." — Eine ähnliche Feierlichkeit wird in der Hauptstadt einer jeden Provinz veranstaltet, wo der Gouverneur, an des Kaisers Statt, sich mit den 18. Kap.^ Die Feldarbeit der Chinejen. gi? Beamten höhern Grades auf den Acker begiebt, wo gepflügt werden soll. Wir wiederholen, was wir schon einmal sagten: Der Ackerbau steht bei den Chinesen in höchsten Ehren; die öffentliche Meinung adelt gleichsam Alles was auf die Feldarbeit Bezug hat. In den nördlichen Provinzen haben wir gar oft gesehen daß reiche Landleute in seidenen Röcken. einen Korb am Arme trugen, sich auf eine dreizinlige Ackergabel lehnten, und abwarteten ob Wagen vorbeifuhren; sie lauerten aus Dünger. und in China findet das Niemand unter ihrer Würde. Selbst der Ausdruck wel> cher die Sache bezeichnet ist elegant, und bedeutet wörtlich „pflücken" oder »abbrechen". Für das Brechen einer Blume oder das Einsammeln von Roßäpfeln ist der Ausdruck ein und derselbe. Mit dem großen Ackerbau, wie wir ihn in Europa kennen, hat der chinesische keine Aehnlichkeit. denn das Grundeigenthum ist sehr getheilt. Uebrigens sind doch im Norden auch manche größere Güter. Aber gleich, viel ob es sich um Ackerbau im Großen oder Kleinen handelt, dieGerathe sind stets sehr einfach, der Pflug hat meist kein Vorde>zestell und schneidet nicht tief ein. Bei der Bearbeitung der Reisfelder im Süden bedient man sich des Büffels, welchen die Chinesen Schüi niu, das heißt Wasserochs nennen; im Norden hat man unser gewöhnliches Rindvieh, Pferde. Maul« thiere und Esel; auch sahen wir manchmal daß Frauen den Pflug zogen, welchen der Mann lenkte. -Es war klaglich anzusehen wie diese Weiber ihre kleinen Füße nur mühsam wieder aufheben konnten. Besonders im Süden wird der Acker stark mit Menschendünger gesättigt, der allerdings den Pflanzenwuchs ungemein fördert; doch sind vielleicht die auf solchem Felde gezogenen Flüchte nicht eben gesund, und tragen dazu bei daß im Süden viele Krankheiten vorkommen, die im Norden unbekannt find. Wer nicht weiß wie ungemein hohen Werth die Bewohner des himmlischen Reiche« gerade auf diese Art Dünger legen, würde es unmöglich finden die chinesische Selbstsucht zusammen zu reimen mit der unzähligen Menge kleiner Cabinete welche aller Orten von den Grundbesitzern zur Bequemlichkeit der Reisenden errichtet worden find. Die Bauern machen einander in diesem Artikel eine rasende Concurrenz. Selbst an abgelegenen Pfaden findet man dergleichen Häuschen ans Stroh. Lehm oder wohl gar von Mauerwerk. Ein chinesisches Bauerhaus verbreitet auf eine weite Strecke einen abscheulichen Geruch, denn dort wird Alles was irgend fault auf dem Düngerhaufen zusammengeschleppt. Selbst die Barbiere verkaufen abgeschorenes Barthaar und abgeschnittene Nagel als Dünger. Die kleinen Bauern arbeiten oft mit Spaten oder Hacke, halten I14 Hlluptnahrungsmittel der Chinesen. l>8. Kap. ihr Feld in ganz vortrefflichem Stande, und raufen mit großer Geduld alles Unkraut aus. Ein Stück Grund und Boden muß schon sehr un» fruchtbar sein. wenigem Chinese ihm keinen Ertrag abgewinnen kann. Wo das Land für den Reisbau zu trocken ist, werden süße Kartoffeln, Hanf oder Baumwolle gebaut, und wo sich nicht ackern läßt, pflanzt man Maulbeer» oder Seifenbäume. Für seine Ernte trägt der Chinese die äußerste Sorgfalt; er bindet mehrere Reishalme zusammen, damit sie besser im Winde stehen. Vortrefflich versteht er sich auf die Bewässerung; er leitet das Wasser in Bambusröhren an den Bergabhängeu hin. die er terrassirt und bis zum Gipfel anbaut. Er weiß sich bei eingetretener Dürre auf sinnreiche Art zu helfen, und hat auch Nbzugscanäle vermittelst welcher bei nassem Wetter das überflüssige Wasser abzieht. Kettenpumpeu seht er mit den Füßen in Bewegung. und treibt vermittelst derselben das Wasser mit großer Schnelligkeit aus einem Sammelbecken in ein anderes. An den Flüssen sieht der Reisende häufig sehr große Räder die so ungemein leicht find, daß eine geringe Wasserkraft sie zu treiben ver» mag; sie haben lange Vorlagen von Bambus, vermittelst welcher das Wasser tn ein großes Becken geschöpft wird; aus diesem verbreitet es sich in viele kleine Berieselungsrinnen über das Feld. Einige Provinzen find so fruchtbar und so wohl angebaut, daß man drei Ernten im Jahre hält. Sobald die erste beinahe zeitig ist säet man die zweite schon in die Zwischenfurchen. und man hat so stets zweierlei Fruchtgattungen auf demselben Felde. China kennt alle in Europa be» kannte Getreidearten, und außerdem manche Varietäten, die bei uns nicht vorkommen. Im Norden wird vorzugsweise Geiste und Weizen gebaut, im Süden Reis, welcher dort das Hauptnahrungsmittel der niederen Classen und auch für alle Nebligen ein tägliches Bedürfniß ist. Dagegen kommt er im Norden und Nordwesten bei den Armen nur selten auf den Tisch, und auch bei den Wohlhabenden nur bei besonderen Gelegenheiten; dort genießt Jedermann Weizen, Buchweizen, Hafer. Mais und Hirse; aber in der Provinz Kan su bereitet man Brot ganz in derselben Weise wie in Europa. Im übrigen Lande wird der Teig nicht gesäuert und nur halb gar gebacken in der Gestalt von Kuchen oder wie Nudeln. Manchmal bäckt man kleine Brote von der Dicke einer Faust die man in Wafferdämpfen kochen läßt. Von großer Wichtigkeit für das gesammte Leben der Chinesen ist derBambus. und man kann dreist behaupten daß alle Bergwerke des himmlischen Reiches zusammengenommen nicht so großen Ertrag abweisen 18. Kap.) Bambus. — Teichrose. I15 als diese Pflanze, welche au Wichtigkeit gleich nach dem Reis und der Seidenraupe folgt. Der Bambus schießt spargelartig aus der Erde in der Dicke und dem Umfange welche er später behält. Das Wörterbuch des Kaisers Khang hi nennt ihn „ein Product das weder Gras noch Baum ist (Fei tsao, fei mu)"; und wirklich ist er eine Art beidlebiger Pflanze, die manchmal so hoch treibt wie ein Baum. In China, wo er wild wächst, wird die dicke Species erst seit dem Ende des dritten Iahrhun« derts vor Christus als Culturpflanze angebaut. Man zählt im himmlischen Reiche nicht weniger als dreiundsechzig Hauptvarietäten, nach Höhe und Dicke. Länge des Knotenschusses, Farbe und Dicke des Holzes, Zweigen, Blättern und Eigenthümlichkeiten in der Bildung, welche sich in einer Varietät fortpflanzen. Ein gut bewirthschafteter Wald von dickem Bambus wirft seinem Besitzer erklecklichen Nutzen ab. Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Die Enkel des Bambus sehen niemals ihre Großmütter, und die Mutter wird nie von den Kindern getrennt." Wir erwähnen als nützlicher oder merkwürdiger Pflanzen den Thee« strauch, Wachsbaum, Seifenbaum, Papiermaulbeerbaum, Kampherbaum und Lackbaum; den Li tschi, den Lung yen (Drachenauge), die Brust« beere, den Sternanis, den chinesischen Zimmetbaum. der eine sehr dicke Rinde hat. den Orangebaum mit seinen vielen Species, und manche an-dere Frnchtbäume welche den südlichen Provinzen angehören; sodann die baumartige Päonie, die Kamelien, die Hortensien, welche Lord Macartney aus China mitbrachte, die kleine Magnolie. mehrere Arten Rosen, die duftende Aster, die Taglilie, den Rhabarber und den Ginseng; ferner den Baumwollenstrauch und viele Gewebepflanzen, die zum Theil in neliester Zeit nach Europa verpflanzt worden find (z. B. der Tscbing ma und andere). Der Anbau der Nutzpflanzen ist in China seit dem höchsten Alterthume betrieben und aufgemuntert worden; selbst in Flüssen und Teichen zieht man eßbare Wasserpflanzen, z.B. die Knollen der Sagittarie und die I^mpkkea (Nenuphar. Teichrose). Insbesondere diese letztere ist immer sehr geschätzt worden. Die Dichter haben sie ihrer schönen Blüthen wegen besungen. die Doctoren der Vernunft rechnen sie unter die Pflanzen aus welchen der Trank der Unsterblichkeit bereitet wird, und die Staatswirthe loben sie weil sie nützlich ist. Gegenwärtig ist sie das Symbol der geheimen Gesellschaften. DieNymphsa heißt chinesisch Lien hoa. Die Chinesen unterscheiden vier Arten der Teichrose: die gelbe, die weiße und rothe mit einfachen und eine solche mit doppelten Blumen und die blaßrothe. Mau pflanzt sie theils durch Samen, theils und zwar viel 316 Teichrose. — Reis. sly. Kap. leichter durch Wurzelschößlinge fort; einer besondern Cultur bedarf sie nicht. Auf Teichen und überhaupt auf großen Wasserbecken macht sie sich wunderschön; sie treibt von gegen Mai an ihre großen Blätter, die rasch an Umfang gewinnen und eine prachtvolle grüne Decke bilden, auf wel. cher die Blumen sich prächtig abheben. Die jungen chinesischen Dichter schildern gern Wasserfahiten bei Mondenfchein auf Teichen die mit solchen Blumen überzogen find, und auf welchen lichtstrahlende Insekten umher» stiegen. Die Saamenkerne der Nymphäa werden gegessen, etwa wie in Europa die Nüsse; in Wasser gekocht und mit Zucker bestreut sind sie ein wahrer Leckerbissen. Auch die mäcktig große Wurzel, die armsdick und manchmal bis zu fünfzehn Fuß lang wird. schmeckt vortrefflich und ift sehr gesund. Die Chinesen machen sie mit Salz und Essig ein, und genießen sie zum Reis, oder pressen sie aus und bereiten aus ihr mit Milch oder Wasser einen Brei. Im Sommer genießt man sie frisch wie Obst, und sie ist dann sehr Iahend. Die Blatter werden grün wie Packpapier benützt und getrocknet schneidet man sie unter den Tabak um dessen Starke zu mildern. Die Chinesen beobachten scharf, haben dadurch allerlei wichtige Entdeckungen im Ackerbau gemacht, und ziehen aus manchen Pflanzen, die in Europa unbeachtet geblieben sind, guten Nutzen. Sie geben sich gern mit Naturstudien ab; die Kaiser selbst haben es nicht verschmäht geringfügige Dinge in den Kreis ihrer Beobachtung zu ziehen, und Alles zu sammeln was dem Allgemeinen vorthcilhaft sein könnte. So schildert Kaiser Schang hi in seinen Denkwürdigkeiten, wie er eines Tages als er an einem Reisfelde vorübergegangen und auf eine eigenthümliche Art Reis aufmerksam geworden sei. welche viel früher reife als die übrigen. Er ließ sie als Dy mi, das heißt kaiserlichen Reis in seinen Gärten anbauen ; sie allein wird auch im Norden der Großen Mauer reif, wo der Frost spät im Jahre aufhört und schon früh wieder einsetzt. Im Süden kann man zwei solche Reisernten in einem Jahre machen. Der Kaiser schreibt: „Es ist ein Trost für mich. daß ich diesen Vortheil meinen Völkern verschasst habe." Allerdings erwies Khang hi der Mandschurei durck Ginführung dieser Reisart einen großen Dienst, denn sie kommt im trockenen Lande sehr gut fort und hat eine fortdauernde Bewässerung nicht nöthig. Huc hat mehrnMs Proben derselben nach Frankreich an das Ministerium des Ackerbaues geschickt, weiß aber nicht ob man Versuche mit dem Anbaue angestellt hat. Die Chinesen haben als scharfe Beobachter eine interessante Bemer» l8. Kap.) Getreidearten. — Schwalben. — Winter. 317 kung über das Wachsthum des Getreides gemacht, die ihrer Anficht zufolge von großem Belange ist. Einst fragte einer unserer Christen, ob in Frank» reich die Getreidearten vorkämen, welche bei Nacht blühen. Wir waren über diese Frage erstaunt, der Chinese aber meinte, unsere Ackerbauer müßten nothwendig Kunde von der Sache haben, weil sie sonst unmöglich mit Erfolg den Boden bestellen könnten. „Säen sie denn etwa auf den bloßen Zufall hin aus, ohne auf Sonne und Mond Rücksicht zu nehmen?" Dann sprach er ausführlich über das Blühen des Getreides. Viele Arten, sagte er, zerfielen in zwei große Abtheilungen: die Blüthe der einen beginne allemal und unabänderlich während der Nacht, eine andere da« gegen könne nur bei Tage blühen. Die Wahl der Bodenart, die Zeit .des Aussäens und die Weise des Anbaues müssen für beide eine verschiedene sein. und wer die Regeln und die Erfahrung unbeachtet lasse, laufe Gefahr eine schlechte Ernte zu machen. Wir unsererseits wissen natürlich nicht in wie weit der Chinese Necht hatte, wollten aber die Sache nicht unerwähnt lassen. Noch einige Beispiele mögen darthun, wie scharf, finnig man in der Naturbeobachtung zu Werke geht. Die Schwalben ziehen bekanntlich im Herbst weg und kommen im Frühjahre wieder. Die Chinesen möchten ebenso gern als wir genau wissen wohin diese Vögel stiegen und wo sie wahrend ihrer sechsmonatlichen Abwesenheit sich aufhalten. Sie banden einigen Schwalben Zettel« chen an die Beine, und überzeugten sich, daß dasselbe Thier mehrere Jahre hintereinander an demselben Hause nistete. Man war also darüber im Klaren. Aber wohin begeben sie sich im Herbst? Die Alten haben behauptet, sie flögen übers Meer oder sie tauchten unter und vergrüben sich im Schlamme. Die Chinesen verwerfen dergleichen Behauptungen als unbegründet, und wollen beobachtet haben, daß die Schwalben keines» Wegs lange Reisen machen um die Wintermonate in wärmeren Klimaten zu verleben. In den chinesischen Jahrbüchern steht Folgendes geschrieben: «Als unter der Regierung des Kaisers Ngan ty vielMisgeschick über das Voll kam. verließen mehr als tausend Familien ihre Dörfer und flüch« teten tief ins Gebirge, um der Hungersnoth und dem Aufstande zu entgehen. Dort war aber nichts gewachsen, und sie mußten sich nähren von Ratten und Schwalben, welche sie massenweis in Höhlen und Felsenspal» ten fanden." Ein anderer Geschichtschreiber erzählt: „Kaiser Yang ti (welcher 605 den Thron bestieg) ließ Uferbauten am Gelben Strom vor, nehmen; bei dieser Gelegenheit fand man eine große Menge von Schwal« ben klumpcnweis in Höhlen und Felsenspalten, an Stellen wo die Ufer Jig Eine Katze als Stundenzeiger. s18. Kap. wüst und sehr steil find." Ein chinesischer Naturforscher, Lü schi, führt diese Stellen an und bemerkt dazu: „Die Alten haben geglaubt, daß die Schwalben ein anderes Klima aufsuchen; es ist aber schwer zu begreifen, wie sie zu einer solchen Ansicht gelangen konnten. Man hat ja noch nie bemerkt, daß Schwalben den Weg nach Süden einschlagen und in Masse wegziehen wie andere Wandervögel die alljährlich aus der Tatarei kommen und im Frühlinge dorthin zurückkehren. Diese bilden ganze Heer-schaaren und ihr Durchzug wählt mehrere Tage; dagegen verschwinden die Schwalben in einer Provinz, ohne daß man in einer andern eine größere Anzahl dieser Vögel bemerkte, selbst nicht in den Gegenden an der Seeküste." Aus alle dem will er folgern, daß die Schwalben in der Nähe bleiben, und den Winter über sich in Höhlen aufhalten. Auf unseren Wanderungen trafen wir einstmals einen Knaben, der einen Büffel trieb, und fragten im Vorbeigehen, ob es noch nicht Mittag sei. Der Knabe guckte in die Höhe; aber der Himmel war bewölkt, und so gab er ihm keine Antwort. ..Wartet nur ein wenig, ich werde euch bald Auskunft bringen." Mit diesen Worten lief er nach dem Hause in der Nähe, und kam nach einigen Minuten mit einer Katze zurück, die er unter dem Arme trug. „Es ist noch nicht Mittag, seht nur hierher." Dabei öffnete er die Augenlider der Katze und zeigte auf die Pupille Um uns nicht als Fremdlinge zu verrathen, sagten wir kurzweg, es sei schon gut und zogen fürbaß, obwohl uns nicht klar war was der Knabe eigentlich gemeint hatte. Als wir uns aber in einer Chriftenfamilie sicher wußten, fragten wir um Auskunft. Sogleich wurden Katzen eingefangen, und man zeigte uns wie eine Katze allerdings die Stelle einer Uhr ersetzen lönne. Der Augapfel zieht sich nämlich gegen Mittag mehr und mehr zusammen, und verengt sich wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat so sehr, daß er nur noch wie ein dünner Strich aussieht, der perpen» diculair über das Auge läuft; nach Mittag erweitert er sich allmälig wie« der. Wir prüften nicht weniger als vier Katzen; an allen bot der Augapfel dieselbe Erscheinung dar. Zum Schlüsse des Kapitels müssen wir noch ein sinnreiches Aus-kunftsmittel erwähnen, das wohl keinem von unseren Lesern bekannt ist. Im nördlichen China, wo es bei Weitem weniger Wasserstraßen giebt als im Süden, reift man gewöhnlich zu Wagen oder reitet auf Maul« thieren oder Eseln. Abends kehrt der Wanderer in einer der vielen Her. bergen ein. die freilich den Uebelstand haben, daß es in ihnen die ganze Nacht hindurch sehr unruhig zugeht. Sind gar Esel im Hofe, so' muß 18. Kav.) Wie man dem Esel das Schreien abgewöhnt. I19 man von vorne herein auf allen Schlaf verzichten, denn diese schrecklichen Thiere lassen die ganze Nacht ihre lieblicke Musik hören. Im Jahre 1840 reiften wir zu Wagen in der Provinz Peking; unser Katechift, der vormals Schulmeister gewesen, begleitete uns. Er ritt einen stattlichen Esel. ein feuriges Thier, und unsere beiden Maulthiere hatten alle Mühe gleichen Schritt zu halten. Dieser Esel war auf sich selber so stolz und von seiner Ueberlegenheit dermaßen überzeugt, daß er allen Collegen denen er unterwegs begegnete aus voller Kehle und aus allen Leibeskräften einen Gruß zurief. Und in der Herberge musicirte er in einer so herausfordern, den Weise, daß alle anderen Esel nicht umhin konnten ihm zu antworten. Es war ein abscheuliches Concert, und wir konnten kein Auge zuthun. Unser Katechist war von den Vorzügen seines Thieres ganz erbvut, wir dagegen fanden es abscheulich, weil es uns allen Schlaf verscheuchte. »Weshalb habt ihr mir das nicht schon früher gesagt? Ich hätte seinem Ge schreie gleich ein Ende gemacht." In der folgenden Nacht war der Esel mäuschenstill, und am Morgen fragte der Katechist, ob wir ruhig geschlafen hätten. Bei dieser Gelegenheit gab er uns folgende Auskunft: „Ihr habt doch wohl bemerkt daß ein Esel. wenn er zu schreien anfangen will, seinen Schweif hebt und denselben beinahe wagerecht ausstreckt; er hält ihn straff so lange er schreit. Nun seht. wenn der Esel sich ruhig verhalten soll, so braucht man ihm nur einen Stein an den Schweif zu binden. sodaß er diesen nicht aufheben und ausstrecken kann." Die Sache war richtig. Unser Katechift führte uns in den Hof, wo wir den bislang so stolzen und übermüthigen Musiker trübselig und mit herabhangenden Dhren stehen sahen. Es schien als ob er seine Erniedrigung schmerzlich empfinde, und wir baten unsern Christen ihm nun den Stein wieder ab« zubinden. Jetzt war er seiner Last enthoben, und begann triumphirend mit ausgestrecktem Schweife und gehobenen Ohren sein weitschallendes Geschrei. 320 Schlssfahlt auf dem Pu yang See. ^19. Kap. Nemtzehntes Kapitel. Schissfahrt auf dem Pu yang See. — Unbebaute BodenNrecken. — Armuth und Bettlerbandm. — Der Bettlertonig. — Die Herberge zu den Hühnerfcdern. — Ursache der Verarmung. — Spiel« und "Trunksucht. — Wein und Biauntwein. — Kindermord und dessen Ursachen. — Ein Findclhaus. — Verordnungen gegen die Ueberhandnahme des Kindermordes. Wir fuhren zwei Tage lang über den Pu yang See. der einen un< gemein belebten Anblick darbot. Nur selten erblickten wir Land, es war als ob wir auf offenem Meere segelten. Auch hatten wir frischen Wind und hohen Wellenschlag, nack allen Richtungen hin steuerten große Schiffe, und diese Masse von Dschonken gewahrten einen herrlichen Anblick. Wir hätten zu Wasser bis zur Hauptstadt von Kiang si gelangen können, denn von Nan tschang fu kommt ein schiffbarer Fluß welcher in den See mim. det; wir hätten aber Wind und Strömung gegen uns gehabt. Deshalb schlugen wir den Landweg ein auf welchem wir binnen zwei Tagen bis zu der genannten Stadt gelangen konnten. Die Provinz Kiang si gehört zu den volkreichsten in China. Wir waren deshalb überrascht, daß wir unterwegs so viele unbebaute Bodenstrecken antrafen, die gar nicht bewohnt waren und so wild aussahen wie die Steppen der Mongolei. Ueberhaupt findet man in mehreren Provinzen weite Oeden. Theils mag der Boden sich zum Anbau nicht eignen, theils scheint es als ob die Sorglosigkeit der Menschen dabei im Spiele sei. denn sie befassen sich lieber mit Schifffahrt als mit den mühsamen Feldarbeiten. Am häufigsten liegen dergleichen wüste Strecken an großen Seen und Strömen.. Die Anwohner derselben hausen gern auf Barken, und man möchte beinahe annehmen, daß Cbina. trotz aller Aufmunterung welche d« Ackerbau zu allen Zeiten erfahren hat. den Bedarf an Lebensmitteln, bei ausgedehnterem Anbau. noch ausgiebiger bestreiten oder eine noch weit größere Menschenmenge ernähren könne. Unbestreitbar bleibt daß die Regierung bei Weitem nicht alle Hilfsquellen entwickelt an wel» chen dieses prächtige Land so reich ist. sie könnt« der so geduldigen und betriebsamen Bevölkerung viel mehr Wohlstand verschaffen. Freilich den Pauperismus würde auch sie nicht aus der Welt schaffen, aber sie könnte ihn mindern, während er, wie wir mit eigenen Augen gesehen haben, alle Jahre an Umfang gewinnt. Aus diesem Umstände erklärt es sich vielleicht 19. Kap.1 Armuth und Bettlerbanden. 321 auch, weshalb der Aufstand welcher gegenwärtig das Reich in feinen Grundfesten erschüttert, so rasch um sich gegriffen und eine so furchtbare Gestalt angenommen hat. Arme Leute hat es zu allen Zeiten gegeben und es wird deren stets geben, aber schwerlich hat jemals in irgend einem andern Lande ein solches Elend geherrscht wie im himmlischen Reiche. Es vergeht kein Jahr wo nicht auf dem einen oder andern Punkte eine erschreckliche Menge von Menschen vor Hunger oder vor Kalte umkommt. Sobald in Folge von Ueberschwemmung. Dürre oder sonst durch ein Misgeschick die Ernte in einer einzigen Provinz schlecht ausfällt, find gleich zwei Drittel der Be. wohner einer Hungersnoth preisgegeben. Dann streifen große Banden, förmliche V'ettlerheere. Männer, Weiber und Kinder im Lande umher, und fordern in Stadt und Dorf Lebensmitlel. Manche sinken vor Erschöpfung nieder und sterben im freien Felde, wo ihre Leichname liegen bleiben. Man geht gleichgiltig daran vorüber, und achtet kaum darauf, denn man ist dergleichen gräßliche Scenen schon gewöhnt. Wir verweilte^ 1849 sechs Monate in einer Christengemeinde in der Provinz Tsche kiang. Nach lang anhaltenden Regengüssen wurde wett und breit das Land überschwemmt; Häuser und Bäume standen me in einem wogenden Meere. Die armen Chinesen gaben sich alle nur erdenl« liche Mühe das drohende Unheil wo möglich abzuwenden und die Ernte zu retten. Sie standen bis zum Gürtel im Wasser und Schlamm, war« fen Deiche auf. pumpten Tag und Nacht aus Leibeskräften «nd glaubten am Ende das feindliche Element schon bewältigt zu haben, ^er nacy dreimonatlicher Arbeit setzte der Regen abermals ein. h«lt ununterbrochen an. und nun war Alles verloren. Die unglücklichen Menschen sahen sich dem äußersten Elende preisgegeben, nahmen d«'^ersack und Men « hellen Haufen umher um ei.-wenig Reis zu erbetteln. Es "« "« n^ Wicher Anblick' Unsere Gemeinde wurde mehrmals gesucht; sie war gleichfalls mn Unglücke; sie darbte sich aber ab was nur irgend mogl ch war m dm Karawan n der Hungrigen mit ein wenig ^ «uszuhel«. G ^e Dörfer standen verödet. Weil die Bewohner als Bettler d,e benachbarten ^3ße!^^älligen und örtlichen Heimsuchungen sind aber noch andane^ vorhanden, welche me s°tz in der ganzen Nation eingewurzelt sind Namentlich ch in den gr . ßen Städten die Menge armer Leute wirkllch Grauen erregend. Sie Huc. (5hma. " 322 Der Vettlerkdnig. s19. Kap. treiben sich in den Straßen umher und stellen Korpergebrechen zur Schau, um Mitleid zu erregen. Tagtäglich sterbe» manche vor Hunger. Und doch spendet der Chinese willig ein Almosen, wiewohl ihm das Gefühl der Barmherzigkeit eigentlich fremd ist; er giebt dem Kranken und Unglücklichen ein Stück Geld oder eine Handvoll Reis um seiner nur schnell los zu werden; weiter bekümmert er sich nicht um ihn. und fragt zum Beispiel nicht darnach ob jener etwa ein Unterkommen für die Nacht hade. Vielen Armen fehlt es an einer Behausung, sie kauern Nachts an Pagoden und öffentlichen Gebäuden, schlagen auch wohl an den Wällen armselige Hütten auf, die mit Lappen und Fetzen gedeckt fird. Die Chinesen verstehen es vortrefflich Vereine und Vergesellschaftungen zu Handels- oder gewerblichen Zwecken zu bilden, auch haben sie Vereine gegen das Glücksspiel uud zur Abwehr gegen Diebe; abcrWobl-thätigkeitsvereine für Arme und Kranke zu bilden, das haben sie nicht verstanden. Uebrigens fanden wir in einigen Gegenden Brüderschaften um für solche Todte, die keine Freunde und Verwandte haben, welche das Begräbniß veranstalten, unentgeltlich Särge herzustellen. Aber sie thun es aus Selbstsucht und Interesse. Die Chinesen glauben nämlich, daß die Seelen der Abgeschiedenen in böse Geister verwandelt werden, und sich ein Vergnügen daraus machen die Lebendigen zu quälen, sie erkranken zu lassen uud Störung in ihre Geschaftsangelegenheiten zu bringen. Nun giebt es ein Mittel sich dem bösen Einflüsse dieser übelwollenden Geister zu entziehen; sie sind nämlich um so arger wenn ihre Leiche nicht begraben worden ist. Man kauft deshalb Särge für sie und läßt sie zur Erde bestatten, und wer zu einer Brüderschaft gehört welche einen so löblichen Zweck verfolgt, darf von Seiten der Geister auf Rücksicht hoffen. Die Wohlhabenden also stiften kein» Vereine um den Armen ihr Elend zu erleichtern. Dagegen bilden die Armen Commanditgesellschaf-ten um die Reichen auszubeuten. Jeder Theilbaber bringt dem Vereine eine wirkliche oder künstli^e Körperschwäche oder Krankheit zu, und sucht dieses aus menschlichem Elende bestehende Kapitel möglichst vortheilhaft zu verwerthen. Diese Bettlerarmce zerfällt in Rotten und Bataillone und hat als Oberhaupt einen „König der Bettler" welchen der Staat gesetzlich anerkennt. Er muß für seine zerlumpte» Untergebenen haften, uud an ihn halt man sich, wenn unter ihnen das Unwesen so arg wird, daß es die öffentliche Nuhe gefährdet. Der Bettlerkönig in Peking ist gewissermaßen eine Macht; er darf an bestimmten Tagen seine Schaaren 19. Kap.j Die Herberge zu den Huhnerfederu. I23 ins Feld führen, und es ist ihnen dann gestattet in der Umgegend der Hauptstadt um Almosen zu bitten. Sie find einem verheerenden Insec-tenschwarme vergleichbar und suchen die Leute einzuschüchtern. Der König läßt dann die Vorsteher der Dorfschaften und Gemeinden zusammenberufen, und erklärt, daß er gegen Empfang einer gewissen Summe sich anheischig mache. seine Leute zurückzuziehen. Nach langem Hin - und Herstreiten einigt man sich, das Dorf zahlt seine Ranzion und die Bettler suchen einen andern Landstrich auf, wo dann dasselbe Spiel von Neuem beginnt. Manchmal fällt ihre Beute sehr ergiebig aus. Alles was eingeht wird dem Könige abgeliefert, welcher die Verthcillmg besorgt. Seine Unterthanen verstehen sich vollkommen auf dcn Communismus, und wenn Europäer glauben daß sie in Bezug auf den letzteren Neues gefunden haben, so sind sie im Irrthume. Die Chinesen sind längst mit dem Communismus vertraut. Und in Peking ist ein Phalanstere vorhanden, das a» Excentricität Alles übertrifft, was uur jemals die reiche Einbildungskraft Fouriers ersinnen konnte. Man neimt es K i mao fan oder das Haus zu den Hühnerfedern. Die Chinesen liefern den Armen für ein paar Sapeken ein warmes Lager auf weichen Dunen. Das Phalanstere im himmlischen Reiche besteht aus einem sehr geräumigen Saale dessen Fußboden mit einer hohen Lage von Hühnersedern überdeckt ist. In die« sem großen Schlafzimmer findet der Bettler und Landstreicher ein Unterkommen für die Nacht; Männer, Weiber und Kinder, Jung und Alt wird zugelassen; Jeder macht sich sein Nest so gut es eben geht. und schläft in dem Ocean von Federn wie er kann. Nach Tagesanbrüche muß er ab, Ziehen und seine Sapeke Schlafgeld bezahlen. Halbe Platze kennt man nicht; für Kinder muß der volle Preis bezahlt werden. In der ersten Zeit nach Eröffnung dieser Anstalt lieferten die Unternehmer jedem Gaste noch eine kleine Decke; die Communisten nahmen aber die Decken mit, verkauften sie oder benutzten sie um bei kalter Winterzeit ihre Kleider wär. mer zu machen. Die Actionaire gaben nun keine Decken mehr her, ersan. nen aber ein probates Auskunftsmittel; sie ließen nämlich eine mächtig große Filzdecke anfertigen, unter welcher sämmtliche Schläfer Schutz fanden. Am Tage wird sie über Rollen in die Höhe gezogen und hangt da wie ein gigantischer Baldachin, Abends wird sie heruntergelassen; der Bequemlichkeit wegen sind viele Oeffnungen in ihr angebracht worden, und damit sind die Schläfer vor dem Ersticken gesichert. Sie stecken auch wohl ihre Köpfe hindurch, und deshalb wird Frühmorgens, wenn man die Decke aufhissen will, Her Tamtam angeschlagen, damit Jeder seinen 21* I24 Ursachen der Verarmung. s19. Kap. Kopf einzieht und unter die Federn steckt; er kommt sonst in Gefahr am Halse in die Höhe gezogen zu werden. Abgesehen von der Sorglosigleit der Regierung und der ungeheuern Volksmenge, finden wir Hauptursachen der Bettelarmuth in der Sucht zu Glücksspielen, in dem Hange zum Trinken und in geschlechtlichen Aus. schweifungen. Wir wissen sehr wohl daß diese Laster nicht auf China be« schränkt find, sondern überall und zu allen Zeiten leibliches und sittlickes Elend im Gefolge gehabt haben. Aber die Chinesen sind ihnen stärker er« geben als vielleicht jemals ein anderes Volk. Die Reichsgesehe verbieten das Spiel, aber der Hang des Volkes hat das Gesetz dermaßen überwuchert, daß gegenwärtig ganz China einer einzigen Spielhölle gleicht. Die Chinesen spielen mit Karten und Würfeln, haben Schach-, Damen« und Tse'i me'l; dieses letztere hat Aehulichkeit mit dem Morraspiel der Italiener. Wer verliert muß eine Schaale Branntwein trinken. Sie lieben fer. ner Kampfe mit Hähnen. Wachteln, Grillen und Heuschrecken, und dabei werden allemal Wetten veranstaltet. Am meisten hält man sich an Karten und Würfel. Die Spieler finden sich in Privatgebäuden und öffentlichen Häusern zusammen; die letzteren gleichen unseren Kaffeehäusern, nur wird Thee getrunken. Dort sitzen sie Tag und Nacht, und spielen so leiden« schaftlich daß sie kaum ein wenig Nabrung zu sich nehmen. Kein Dorf, und sei es noch so klein, ist ohne Spielhaus. Wir haben schon gesagt daß die Chinesen gern arbeiten und spar« fam sind, aber ihre unbändige Habgier, ihr Hang zum Wuchern und Spe-culiren treibt sie leicht der Spielwuth in die Arme, vor allen Jene die nicht irgend ein Handelsgeschäft baben. Insbesondere die leidenschaftlichen Würfelspieler find unverbesserlich; sie kümmern sich zuletzt weder um Erwerb noch Familie; wenn das Geld verloren ist spielen sie um Haus und Acker, häufig sogar um ihre Frau, die auf einen Wurf oder eine Karte ge« setzt wird. Aber das ist noch nicht Alles; auch die Kleider vom Leibe werden verspielt, und es begeben sich Auftritte die in der ganzen übrigen Welt unerhört sind. In den nördlichen Provinzen, besonders in der Nähe der Großen Mauer trifft man zuweilen, auch bei strenger Winterkälte, Me», schen in einem Zustande völliger Nacktheit. Es sind Menschen die ihre Kleider beim Spiele verloren haben, und dann aus dem Spielhause ge. jagt worden sind. Sie laufen wie besessen umher, um der Kälte zu ent« nnnen, und suchen sich an den Lehmschornfteinen zu erwärmen, die in jener Gegend an der Außenseite der Häuser im Erdgeschosse sich befinden Ihre seitherigen Spielgenossen lachen hinter ihnen her. Uebrigens dauert der l9. Kap.) Spiel- und Trunksucht. 325 Jammer nicht lange, weil die Kälte dem unglücklichen Spieler bald das Garaus macht. Die Uebrigen spielen indessen fort. Man wird geneigt sein diese Angaben für unwahr oder doch für übertrieben zu halten. Wir haben jedoch manches Jahr in China gelebt, und bezeugen hiermit, daß sie durchaus zuverlässig find. Aber auch das ist noch bei Weitem nicht Alles; die chinesischen Spieler treiben es bis zum abscheulichen Aberwitz. Es kommt vor daß ein Nudel von Menschen die schon Alles verloren, also gar nichts mehr zu verspielen haben, sich an einen besondern Tisch setzen und um ihre Dinger spielen, die sie einander gegenseitig mit der größten Kaltblü' tigkeit abschneiden. Wir waren erst im Zweifel ob wir diese Scheußlich, keit erzählen sollten, denn wir möchten dem Vertrauen des Lesers nicht allzuviel ansinnen. Aber was wir hier mittheilen ist nicht etwa außerge-wohnlich, kommt nicht etwa selten vor; man kannte dergleichen bereits im neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, und die arabischen Reisenden haben es wohl bemerkt. In der schon weiter oben mehrfach erwähnten Kette der Chroniken heißt es: „Unter den leichtsinnigen oder prahlerischen Leuten die den niedern Classen angehören und kein Geld haben, spielen manche um die Finger an ihrer Hand. Während des Spiels steht ,m Zimmer ein Gefäß mit Nuß- oder Sesamöl, denn Olivenöl hat man m jenem Lande nicht; unter demselben brennt Feuer. Zwischen beiden Hpie. lern liegt eine kleine sehr scharfeAxt. Wer nun im Spiele gewinnt, mmm die Hand des Andern, legt sie auf einen Stein, und h^t den Finger nut der Axt weg. Das Stück fällt ab. und zu gleicher Zeit steckt Der welcher verspielt hat, seine Hand in das siedend heiße Oel. we che du Wunde verschließt. Das hindert ihn nicht sogleich weiter zu spulen. Manche Spieler nehmen eine Lunte, tauchen sie in Oel. legen sie auf em Med und zünden sie nun an; die Lunte brennt fort und man «echt das ver» brannte Fleisch. Inzwischen spielt aber der Mensch welter und laßt kem Zeichen von Schmerz merken." «..<>., « ^ ^ Freilich lassen nicht alle Spieler sich d,e Fmger abhauen oder den Arm anbrennen - - denn nicht überall artet die Spielwuth bis zu solchem Wahnwitze'aus. Aber unsägliches Unheil richtet sie doch im ganzen Lande an; sie bringt viele Familien in die äußerste Dürftigkeit. Das Un. heil ist so arg geworden und hat dermaßen um sich gegriffen, das ihm ge< genüber die Gesetze durchaus ohnmachtig find; die Beamten erlassen für und für höchst eindringliche Proklamationen gegen die Spieler und berufen sich auf die schönsten Sentenzen der alten Moralisten. Aber das Alles g26 Spiel- »nd Trunksucht. ^19. Kap. fruchtet nichts, in allen Provinzen wird darum doch gespielt. Die Behörden selbst tragen dazu bei. daß die Strenge des Gesetzes umgangen werde. Manchmal lassen Mandarinen sich in den Dörfern blicken, angeblich um Spieler zu fangen, in Wirklichkeit um sie frei ausgeben zu lassen, versteht sich für Geld. Man seht dem Beamten eine leckere Mahlzeit vor. füllt seine Börse mit einigen Silberstangen. und dann zieht er wieder ab. nachdem er vorher die Landleute eindringlich ermahnt hat, die fünf gesellschaft» lichen Pflichten genau zu beobachte». Wir haben einen Mandarin gc» kannt, der sich äußerst uneigennützig anzustellen wußte. Aber noch ehe er eine Ortschaft besuchte, war man unter der Hand übereingekommen, wieviel das Geschäft für ihn abwerfen solle. Der Vorsteher lud ihn zu einer Tasse Thee ein. dabei wurde hoch gespielt, und es verstand sich von selbst daß der uneigennützige Mandarin gewinnen mußte. Die Spielwuth hat sich aller Classen und Altersstufen bemächtigt, selbst der Kinder; am leidenschaftlichsten sind aber gerade die Leute geringen Standes dem Laster er. geben. Man trifft in fast allen Gassen der großen Städte tragbare, wandelnde Spieltische. Auf einem Gerüste liegen in einer Tasse zwei Würfel, und diesem Anblicke kann der Arbeitsmann nicht widerstehen; die Versuchung ist zu stark für ihn, und wenn er sich einmal vor dieser Spielhölle niedergekauert hat, kommt er nicht mehr los, und verliert oft in sehr kurzer Zeit Alles was er erworben hat. Die Kinder stehen mit gespannter Aufmerksamkeit umher und sehen zu, sie werden sogar von alteren Leuten zum Spielen angemuntert. Die Trunksucht übt nicht minder großen Schaden als das Spielen, aber hauptsächlich nur in den nördlichen Provinzen. Im Südenwird mehr gespielt, im Norden stärker getrunken. Das gewöhnliche Getränk der Chinesen ist bekanntlich der Thee; daneben werden aber viel geistige Getränke genossen, auf dercn Bereitung sich fast Jedermann versteht. Die Weintraube ist in China bereits im hohen Alterthume bekannt gewesen und stets hoch gefeiert worden. Die Gelehrten behaupten, schon die Beschrei. bung der kaiserlichen Gärten im Tscheu ly. einem Buche das der berühmte Kaiser Tscheu kong verfaßt habe"), entbalte eine Beschreibung derselben. Gewiß ist daß in Schan si und Schen st der Weinbau schon manches. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung verbreitet war, und der Geschichtschreiber Sse ma tsien erwähnt eines Privatmannes, der die Nebe in solchem Umfange angebaut hatte, daß er alljährlich zehntausend Maaß Wein *) Er bestieg N22 vor Christi Geburt den Thron. 19. Kap.) - Wein und Brauutwein. 327 herbstete. „Der Traubenwein hat die Eigenschaft sich viele Jahre lang gut zu erhalten, wenn man ihn in Gefäße thut und vergräbt." Damals war er sehr allgemein und veranlaßte manche Unordnungen. Unter den Dynastien der Yüen und der Han wurden viele Gesänge zum Lobe des Weines gedichtet, und darin liegt ein Beweis daß die Chinesen nicht, wie von Manchen behauptet worden ist, den Saft der Traube allezeit ver. schmäht haben. Kaiser Uen ty hat ihn mit lyrischem Enthusiasmus wie Anakreon oder Horaz gepriesen. Die Jahrbücher melden daß der Anbau der Rebe manchen Wechselfällen unterworfen war. Oftmals hat die Negierung Ausrottung der Bäume anbefohlen, und dann wurden stets auch die Weinstöcke vertilgt, die zuweilen ganz ausdrücklich mit dem Banne belegt wurden, damit an ihrer Stelle Getreide gesäet werde. In manchen Provinzen kam dadurch der Anbau der Rebe so völlig in Abgang, daß man sogar das Andenken daran verlor; später wurde er danu wieder gestattet, und die Geschichtschreiber drücken sich darüber in einer Weise aus, daß man meinen sollte, die Pflanze sei nun erst bekannt geworden. Es bleibt aber unbestreitbar daß ihn die Chinesen lange vor Christi Geburt kannten. In den Jahrbüchern werden verschiedene Arten Reben erwähnt, die aus Samarkand ^ Persien, Thibet, Turfau, Hami und anderen Ländern mit welchen China im Verkehre stand, eingeführt worden sind. Auch heute besitzt China manche köstliche Traubcnarten; die drei ersten Kaiser alls der Mandschudynastie haben viele Neben vom Auslande kommen lasseil und sich dessen gerühmt. Doch wird von den Chinesen unserer Tage der Weinbau nicht im Großen betrieben, auch bereiten sie keinen Wein aus den Trauben, sondern genießen dieselben frisch oder getrocknet. Sie bedürfen, wie sie selber sagen, des Ackers nöthiger zum Allbau von Brotsrüch-teu, aber sie bereiten geistige Getränk« in Menge aus Getreide; am meisten aus Reis, und dieser Reiswein. dcu wir als Reis bier bezeichnen möchten, hat oft einen sehr angenehmen Geschmack, besonders 5er aus Schao hing in der Provinz Tsche kiang. Er ist manchmal fo vortrefflich daß ein englischer Weiukcnner, welchem wir einige Flaschen davon vorsetzten, ihn für ein berühmtes spanisches Gewächs hielt. Der gewöhnliche «Reiswein" ist allerdings nicht sehr angenehm, und geht stark zu ssovfe, obwohl er nicht gerade sehr viel Alkohol enthält. Die ChmeM kannten die Zubereitung desselben mindestens zweitausend Jahre vorCMus- Um die Gähruug hervorzubringen, bedienen sie sich eines Sauer5ig.es den sie Mutter des Weines nennen. Diese Hefe wird aus gutem Weizenmehle bereitet, dem man die Kleie gelassen hat. Das Mehl wird mit Wasser <, schend nachzumachen. daß auch ein woblgcübtcs Auge getäuscht werden kann. Manche angeblich alte Vase ist höchstens einige Monate alt. Der Fälscher nimmt gewöhnlich ein Material von röthlicher Färbung zum Thon, formt denselben. wirft ihn in eine sehr fettige Fkischbrühe, und bringt ihn zum zweiten Male in dcn Ofen; nachher vergräbt er die Vase in eine Düngergrube, nnd holt sie nack vierzig oder fünfzig Tagen wieder hervor. To fabricirt man Alterthümer aus der Zeit der Uuen. ' dynastie! Die Porzellanarbciter haben ihren besondern Schutzpatron, ihre» Porzellanheil igcn. Einst verlangte ein Kaiser Porzellan, zu welchem er das Muster angab. Alle Bemühungen dasselbe nach Wunsch der Majestät zu verfertigen waren vergebens. Keine Strenge half, die Arbeiter konnten es nun einmal nicht herstellen. Da stürzt sich Einer voll ihnen aus Verzweiflung in dcn glühenden Ofen und verbrennt; aber das Porzellan welches damals sich im Fcner befand, war gerade so wie der Kaiser es gewünscht hatte. Seitdem gilt der Mann im feurigen Ofen für einen Helden und wurde zum Heiligen und Scl'utzpatron ernannt. Die von Flüssen und Teichen vielfach bewässerte Provinz Kiang si treibt Fischzucht im großen Maßstabe. In Europa ist seit einigen Jahren viel die Rede von künstlicher Befruchtung dcr Fische, aber die Chinesen kennen dergleichen seit unvordenklicher Zeit. In Kiang si verhält es sich damit in folgender Weise: Gegen Frühlingsanfang kommen viele Händler mit Fischlaich aus der Provinz Kuang tun; sie bringen ihre Waare in Fässern die aufSchicbkarren liegen; der Inhalt besteht in einem dicken, gelblichen, schlammartigcn Brei, in welchem mit bloßem Auge mchts Lebendiges zu erblicken ist. Für einige Sapeken erhält der Käufer einen Löffel voll von diesem schlammigen Brei, nnd «besamt« damit einen ganzen Teich. Er wirst den „Samen- ins Wasser, nnd schon nach einigen Tagen zeigen sich Fische in Menge. Sobald sie ein wenig gewachsen sind. wirst man zartes kleingehacktes Gras auf das Wasser, und zwar nach und nach in immer größerer Menge. Die Fische entwickeln sich ungemein 20- Kap.) Die Fischzitcht. 345 schnell; einen Monat nachdem sie ausgekrochen sind sie schon stark, nnd bekommen min Morgens und Abende« reichlich Futter, über das sie mit Gier herfalle!,, denn sie sind so gefräßig wie Seidenwürmcr welche Coeons spinnen wollen. Nacl'dcm sie ein paar Wochen diese volle Mast erhalten haben, werden sie zwei bis drei Wind schwer; dabei bleiben sie aber stehen und dann fängt man sie. Die Fischzüchter in Mang si besagen sich nur mit dieser einen Art, die vortrefflich schmeckt. Ob der Laich eine gewisse Z'-'bereitnng erhält, können wir nicht sagen. Wir verweilten in Nan tschang fu fünf Tage nnd konnten in Mnße "lllcs ordnen waö unserer Weilerreise nach Canton betraf. Der Gonvcr-llcur der Provinz, der Stadtpräfeet, die bürgn lichen und Militairbcam-teu. kurz alle Lentc bewiesen u»s großes Wohlwollen. Der starrn Hitze wegen zogen wir die Wasserstraße vor. Man gab nns eine Art Kriegs« fregatte znr Bedeckung, und zwei prächtige Dschonken; die eine war für die Mandarinen bestimmt wclcl e unser Geleit bildeten, dic zweite für nns. Wir hatten ausdrücklich gewünscht allein zn sein, nnd behielten nur unsern Diener Wei schang bei uns, sammt einem Koch, den uns der Präfeet als einen Künstler von ausgezeichneter Begabung empfohlen hatte. Und was die Speisen anbelangte, so war in dieser Hinsicht vom Gouverneur mit tiner an Verschwendung streifenden Freigebigkeit verfügt worden. Damit Mes unsern Wünschen gemäß hergehe, erließ cr ein Dccret, nach welchem den Behörden aller Städte welche am Strome liegen, befohlen wurde, unS bei der Vorbeifahrt fünf Unzen Silbers auszuzahlen; diese Snmmc sollte unser Tafelgcld bilden. Die Städte liegen fthr dicht nebeneinander, und wir hatten bei unserer Ankuuft in Danton eine große Snmme übergcspart. Wir werden später sagen, wozu wir das Geld verwendeten. Ueberhaupt behandelten uns die Behörden in Nan tschang fu geradezu mit Pomp. Man vergleiche einmal dieses freigebige nnd würdige Verfahren des Gouverneurs von Kiang si mit der Behandlung welche der russische Oberst "fährt, der je nach Ablaufe von zebn Jahren die Gesandtschaft von Kiachta nach Peking geleitet. Nach einem Gesetze das pünktlich beobachtet wird, erhält der Repräsentant deo Czarcn täglich einen Schöps, eine Tasst voll Wein, ein Pfnnd Thee, einen Krug mit Milch, zwei Unzen Butter, zwei Fische, ein Pfund eingcsalzencn Krautes, vier Unzen Bohnen, vier Un;en Weinessig, eine Unze Salz, zwei Untertassen voll Lampenöl. und außerdem allemal nach Ablaufe von nenn Tagen ein chinesisches Mittagessen von vier Gängen. In Nan tschang fu wurden die Geleitsmänner, welche mit uns aus 346 Abreise von Nan tschau^ f». s2l. Kap. der Provinz Hu pe gekommen waren, entlassen. Somit mußte auch Mei. ster Ting, unsere Thränenweide, von uns Abschied nehmen. Als wir uns einschifften wünschten uns zwei Bürgersleute glückliche Neise. Sie waren Christen, und konnten uus einige Nachrichten über den Stand der Mission und über die Lage der Missionaire geben. Die Mission in Kang si ist der Congregation des heiligen Lazarns anvertraut; sie zahlt etwa zehn» tausend Christen, welche über die gauze Provinz zerstreut wohnen. Im Allgemeinen sind es arme und furchtsame Leute. Alljährlich finden einige Bekehrungen statt. die Verbreitung des Glaubens rückt aber nur sehr langsam vorwärts. Dasselbe ist auch in allen anderen Missionen China's der Fall. EimmdjwlMjigstes Kapitel. Abreise von Nan tschana, fu. — Eine Mandarinendschonke. - Die chinesischen Gasthöfe. — Miettnv^en in den Städten. — Untcrbaltnna,?-lileratur. — Sinureden und Tpriichwörter. — DaöMci llnaMclnra,^. — Ran hiung. Grenzstadt der Provinz Knang tnna,. — Cbinesi,che «?e>l-tänzer. -"Die kleinen Fnf,e der Frauen. — Der li^crflnß. — Canton. — Aufentbalt in Macau. — Tod des Missionaire Oaliet. — Noch eine Neise nach Peking. — Laudung in Marseille 185^. Die Dschonke in welcher wir den Fluß Tschaug stroman fuhreu war ein schwimmender Palast. Sie hatte ein Gesellschaftszimmer, ein Schlaf« gemach und einen Scklafsaal; Alles war sauber und mit Luxus ausgestattet ; Malereien und Vergoldungen waren gut erhalten uud erglänzten von dem chinesischen Lack, welcher nirgends Übertrossen wird. Küche und Kojen für die Matrosen waren im Vordcrtheile des Schisses und wir blie» ben durchaus ungestört. Auf Backbord- uud Steuerbordseite hatten wir nicht etwa papierne sondern gläserne Fensterscheiben, und das will in China schon etwas bedeuten. Kurz wir fanden es in jeder Hinsicht bequem. Der Fluß hatte keine reißende Strömung; die Dschonke wurde gerudert sobald der Wind nachließ. Gleich am ersten Tage fragte der Cavitain, welcher sicherlich genaue Verhaltuugsbefehle hatte, ob wir uns am Bord wohlbefänden, und ob die Bewegungen seiner geringen Barke uns nicht unbequem fielen. Er bemerkte daß der Ruderschlag viel Geräusch mache. Gleich nachher vernahmen wir davon nichts mehr, denn der Schiffsführer ^' Kap-1 Ei„e Mandarinendschonke. I47 hatte Vorsorge getroffen daß wir von einem Boote geschleppt wurde», uebcrhaupt wurden wir mit ganz außerordentlicher Aufmerksamkeit be. handelt. Dergleichen Wasserf.ihrten sind wahre Lnstpaiticn. Man wird burch Nichts in seiner Ruhe gestört, und kann in Muße die Landschaft mit ihrem mannigfaltigen Wechsel betrachten. Wir blieben zwei Wochen a»g in unserer schwimmenden Einsiedelei oh»c ans Land zu steigen. Bei leder uns zinsbar gemachten Stadt wurde angehalten, und der vorgc-lchnebene Tribut eingefordert. Durchschnittlich ging es damit ziemlich laich; manchmal freilich beeilten die Beamten sich eben nicht, und die ^apcken ließen auf sich warten. Jene schickten Deputationen, und wollten entweder etwas abhandeln oder sich überhaupt von der Zahlung frei wachen. Wir waren allemal damit zufrieden, wohlverstanden unter der ^edmgling daß mall uns eine Schrift einbändige, welche die Gründe der Weigerung enthalte, und die von der Stadtbehörde unterzeichnet sein "U'sse. Darauf wollte Niemand sich einlassen. und die Sapekcn langten "". Sobald uns die Masse unbequem wurde, mußte Wei fchan sie gegen ^"kzcttel. zahlbar auf den Ueberbringer, einwechseln. Er hielt das Geld unter Verschluß, wir behielten uns nur eine Conttole vor. ^n China pflegt man Nachts nicht zu r.iscn. wir suchten daher a,e< gen Abend einen Hafen, wo allemal das Ankerwerfen mit einigem Ge-p"nge stattfand. Die Kriegsftegatte segelte vorne weg; unsere Dschonke und jene unserer GlleitSmandarincn legten sich ihr zu beiden Seiten, ^cnn der Anker f^l wurde ein Kanonenschuß abgefeuert. Daß es an Schwärmern und Tamtamschlagen nicht fehlte, versteht sich ganz von selbst, -"ends machten wir unseren Reisegefährten Anstandsbesuche. Am Morgen wurde allemal durch einen Kanonenschuß daS Zeichen zur Abreise gelben. Wir wollen hier bemerken, daß in den großen Hafenstädten sehr l'cquem eingerichtete Dschonken vermicthet werden und vielfach im Gebrauch sind. Der zeitweilige Inhaber kann seine Reise ganz nach Belieben cin-l'chten. hält an wo es ibm beliebt, macht seine Geschäfte in dieser oder jener Stadt ab. und fährt weiter. Im Süden giebt es Miethgondeln, ge. radc wie in Venedig. Die Chinesen kleben nicht etwa an einem und demselben Orte. Ihr Land ist so groß, daß es von dem Wendekreise bis in die kalte Region reicht. Sie reisen viel lind manchmal sehr weit. Im Suden erleichtern die Wasserstraßen den Verkehr, aber die Schiffe sind, mit Ausnahme der eben geschilderten aristokratischen Fahrzeuge, sehr schmuzig und obendrein ge« wohnlich von Fahrgäften überfüllt. Allein die Chinesen kanern darin über 348 Die chinesischen Nasthöfe. l2l. Kap. und neben einander in dichtem Wedränge ol,ue sich irgend behindert zu füb. len. Oft liegen fie in solchen Räumen wochenlang mit unbegreiflicher Ge? dnld, genießen weiter nichts als Neis in Wasser gekocht, rauchen und knabbern Melonenkerne. Wer recht sparsam sein will schläft Tag und Nacht fort. und läßt sich nichts anfechten, weder Hitze noch Rauch von Tabaf und Opium, noch das unaufhörliche Oelänn. Im Norden batman andere Reisemittel. Wohlhabeude Leute bedienen sich eiues Fuhrwerks oder eines Palaukius. Andere reiten auf Pferden, Maultbieren oder Esel», oder lassen sich auf Schubkarren fahren. Die chinesischen Wägen babeu keine Sitze und hangen nicht in Federn, man muß darin mit übereinau-dcrgeschlagcnen Veiuen sitzen wie ein Schneider. Die Straßen sind in schlechtestem Zustande, und^r im Wagen sitzt erhält unaufhörliche Püffe, die nur dadurch unschädlich gemacht werden daß man die inneren Seiten des Wagens bepolstert. Peking hat blondere Fiakerstationcn; die Miethwagen sind mit Maulthiercu bespannt, und mau miethet sie auf Zeit oder für eine bestimmte Fahrt. Miethswagen sind sebr alt in China, und waren dort schon im Gange als unsere europäischen Vorfahren noch in den Wäldern lebten. Aber die Pekinger Fiaker sind ebenso unbequem wie die eben erwähnten Wägen, nur etwas kleiner, hübscher, außen lackirt, und inwendig mit Seide überzogen. Die Hauptstraßen sind mit großen Quadern gepflastert, aber seit zweihundert Jahren niemals ausgebessert worden; sie haben daher eine Menge schadhafter Stellen nnd das Fahren auf ihnen ist unbequem und gefährlich. An den gangbarsten Landstraßen im Norden findet man zahlreiche Masthöfe, die mau freilich nicht nach den ausgehängten Schildern beurtheilen muß. Die Anfschriften sind allemal pomphaft; sie versprechen dem einkehrenden Gaste Frieden, Eintracht, Uncigennützigkeit. Großmuth. kurz alle chinesischenFundamentaltugenden und obendrein noch Fülle dessen was man wünscht. Aber innerhalb der Schwelle glaubt man sich in einer Diebeshöhle zu befinden, in welcher man vor Hunger und Durst verschmachten könnte; die Reisenden wissen auch was es mit der Aufschrift am Schilde: „Zum unerschöpflichen Uebcrflusse" bedeuten will, und führen Lebensmittel bei sich. Man hat am Gürtel ein Säckchen mit Thee hängen, und wer sich nicht mit kleinen Reiskucheu begnügen mag. hat einen länglichen Kasten mit mehreren Abtheilungen, in welchen er kleingehacktes Fleisch, gesalzene Fische und Sauerkraut aufbewahrt. Dic Chinesen nennen dergleichen Neisevorrath Kan leang, das heißt Trockenes und Kaltes. In den größern Städten trifft man aber sebr gnte Gastböfe, 21. Kap.1 Chinesische ttutechaltuugöliteratnr. 349 in welchen jeder Reisende sein eigenes Zimmer haben kann. nud die auch ein Europäer nicht verschmähen würde. Man kann an der Wirthstafel oder nach der Karte speisen, gerade wie bei lins. und wird sehr aufmerke sam und rasch bedient. Iuerst trinkt mau Thee und nimmt nachher einige Leckereien. Inzw.schen kann der„Mandarin vom Hcrde" das Verlangte zubereiten und anrichten. Die Schüsseln werden mit Gepränge aufgetra-gen. Der Kellner stellt sie vor den Gast hin und ruft in singendem Tone den Namen des Gerichtes, sodaß alle Anwesenden ihn hören. Der Oberkellner steht an der Thüre; er singt, wenn der Gast sich entfernen will. d,e Namen der verschiedenen Schüsseln welche von demselben bestellt worden waren, laut ad, uud ruft die summe ans, welche bezahlt werden muß. Wer wenig verzehrt hat. entfernt sich etwas demüthig, aber die Lords welche Aufwand gemacht baden, gehen stolz und hochmüthig von dannen. Im Allgemeinen leben die Chinesen maßig. In einigen Provinzen herrscht ein eigenthümlicher Gebranch. Wer anf Reisen geht trinkt Frühmorgens ein Tchaale heißen Wassers mit Salz; das M für sehr ge,und. Die Chinesen haben eiucn starken Magen. Sie ertragen Hunger und Durst nut großer Leichtigkeit, und überfüllen sich bei guter Gelegenheit mit Reis; das eine verursacht ihnen so wenig Unbequemlichkeit als das andere. Em chinesischer Magen ist ein Abgrund; er wird oft für volle vierundzwanzig Etuuven anf einmal angefüllt. Unsere Wasserfahrt auf dem Tschang war uud blleb angenehm und ruhig. Wir benutzten die günst-ige Zeit um Nciseuotizen aufzuzeichnen. Damals machten wir auch nähere Bekanntschaft mit der lelchten Unter« haltungsliteratur der Chinesen. Unser Diener Weischan las viel; wo er ans Land ging kaufte er kleine Flugschriften. Meist waren es Erzählungen, Novellen, Poesien, kleine Romane und Lebensbeschreibungen be» rnhmtcr Manner oder großer Verbrecher, anch wohl wunderbare und Phantastische Darstellungen. Die Griechen verlegten die Ungebeuer uud fabelhaften Wesen in den fernen Osten; die Chinesen dagegen setzen dergleichen in den Westen, jenseit des Oceans. Dort sind die Hundemenschen. das Volk mit langen Ohren die bis auf die Erde hängen, das Reich der Weiber, uud das Land wo die Menschen mitlen in der Brust ein Loch haben. Wenn dort ein Mandarin auf Reisen geht, dann steckt man ihm eine Stange durch die Brust, uud zwei Diener führen chu an die» scm Stäbe. Manche dieser Flugschriften sind von nnsanberer und schlüpfriger Art; die Chinesen lieben dergleichen, können aber, da sie in solchen 350 3>mncdcn n»d Sprüchwört.r. s2l. Kap. Dingen praktisch bewandert find, nicht viel daraus lernen. Von Interesse waren uns in der Sammlung Wei sclians Sammlungen von Sinnreden und Evrüchwörtern. Einige dechlben wollen wir mittheilen. Der Weise thut (Hutes, wie er athmet; es ist sein Leben. Man kann wohlanständig sein ohne daß man weise wäre; aber man kann nicht weise sein. ohne daß man wohlanständig wäve. Wohlanständigfeit (Sittsamkeit) ist die Farbe der Tugend und die Schminke des Lasters. Meine Bücher sprechen zu meinem Geiste. meine Frennde zu mei» nem Herzen, der Himmel spricht zu meiner Seele, alles Andere zu mei> ntn Ohren. Der Weise sagt nickt was er thut. er thut aber nichts was er nicht sagen kaun. Auf kleine Dinge merken ist die Sparsamkeit der Tugend. Spötterei ist der Witz der Verleumdung. Der Mensch kann sich der Tugend entgegen krümmen, aber die Tu-geud krümmt sich nie dem Menschen entgegen. Reue ist der Tugend Frühling. Die Tugend verleiht keine Talente, erseht aber den Mangel der« selben; die Talente verleihen weder Tugend noch können sie den Mangel derselben ersetzen. Wer im Laster Vergnügen und Qual in der Tugend findet, ist in beiden noch Neuling. Die Menschen kann mau entbehren, aber man bedarf eines Freundes. Das Ceremoniell ist der Freundschaft Dunst. Wenn das Herz nicht gleichen Schritt mit dem Geiste hält. so geben die besten Gedanken weiter nichts als Einsicht. Daber kommt, es. daß die Wissenschaft so wenig überzeugt und daß die Rechtschaffenheit so beredt ist. Das Vergnügen wohlzuthun ist das einzige das sich nicht abnützt. Die Tugend üben ist die Wissenschaft der Männer, und auf die Wissenschaft verzichten ist Tugeud der Frauen. . Man muß seine Frau anhören, muß ihr aber nicht glauben. Es ist schrecklich ein Schwiegervater zu sein, wenn man nicht dumm oder taub ist. Hat man neben Frau und Schwiegertochter gar noch Schwestern und Schwägerinnen. Töchter und Nichten, so muß man sich gefürchtet machen wie ein Tiger, um es überhaupt nur aushalten zu können. 2l. Kap.) Tinnredeu und Spruch Wörter. I51 Der Geist der Frauen ist Quecksilber, und ihr Herz ist von Wachs. Die neugierigsten Frauen schlagen gern die Augen nieder um an« gesehen zu werden. Die Zunge der Frauen wachst vor allem was sie von ihren Füßen weg nehmen. Wenn Männer beisammen sind so hören sie einander, Mädchen und Frauen besehen einander. Das furchtsamste Mädchen hat Muth genug üble Nachreden zu führen. Schöne Wege gehen nicht weit. Ein vom Winde umgestürzter Vaum hat mehr Zweige als Wurzeln. Ein Hund im Stalle bellt nach seinen Flöhen, ein Hund auf der Jagd fühlt sie nicht. Große Seelen haben Willen, die Uebrigen haben nur Willens-anwandelungen. Das Gefängniß ist Tag und Nacht verschlossen und doch immer voll; die Tempel sind allzeit offen nnd doch immer leer. Jeder Irrthum l,at nur eine Zeit, aber die allei kleinste Wahrheit bleibt doch was sie ist nach hundert Millionen Schwierigkeiten, Sophistereien. Subtilitäten, Windungen und Lügei.. Wer ist der unerträglichste Mensch? Einer den man beleidigt hat und dem man doch nichts vorwerfen kann. Behandle Deine Gedanken wie Gäste, und Deine Wünsche wie Kinder. Ein Tag ist so viel werth wie drei für Den, welcher Alles zu rechter Ieit thut. Je weniger Nachsicht man gegen sich selber übt. um so mehr wird man für Andere haben. Man mißt die Thürme nach ihrem Schatten und die großen Männer nach ihren Neidern. Was nicht drängt muß man schnell thun, um das gemächlich thu» zu können was drängt. Es ist mit dem Herzen wie mit dem Meere. Der Wind entscheidet über Alles. O, welches Glück liegt im Geben! Es gäbe keine reichen Leute, wenn sie im Stande wären dasselbe zu empfinden. Die Reichen finden auch in den am weitesten entlegenen fmndeu Ländern Verwandle. Der Arme findet sie nicht einmal in seiner eigenen Familie. 352 DaS Mc'i ling-Geblrge. — Seiltänzer. s2l. Kap. Zum Nuhme geht man ein durch den Palast, zu Geld durch den Marlt und zur Tugend durch die Wüste. Die Wahrheiten welche man am wenigsten gern lernt, sind gerade solche welche man am besten wissen sollte. Dem welcher sich nichts verzeiht, verzeiht man Alles. Dem Reichen fehlt das Allermeiste. Wer ist dcr größte Lügner? — Der am meisten von sich selber spricht. Man muß diejenigen nicht verwenden welche man beargwöhnt, und diejenigen nicht beargwöhnen welche man verwendet. (5in Thor bewundert sich am Meisten dann, wenn er eine Thorheit begangen hat. Alles ist verloren, wenn das Volk weniger den Tod als das Elend fürchtet. Nach einer Wasserfahrt von vierzehn Tagen kamen wir an das Mc'l ling-Gebirge, und bestiegen wieder unsere Palankine. Bei Sonnen» aufgange begannen wir den steilen Weg hinanzustcigen. Es führen meh, rere hinüber, sie bieten aber alle dieselben Schwierigkeiten. Die Passage ist sehr lebhaft. weil alle Waaren welche aus Kanton nach den Binnen-provinzeu gcheu. diesen Weg einschlagen müsseu. Nicht ohne ergreifende Theilnahme sieht man wie die Lastträger unter ihrer Bürde keuchen. Hin und wieder stehen große Schuppen da, wo die Reisenden im Schatten ausruhen. Thee trinken und Tabak rauchen. Gegen Mittag hatten wir den Gipfel erreicht. Dort steht rin großer Triumphbogen der einem gewaltigen Portal gleicht, und hier ist auch die Grenzscheide zwischen Kiang si und Kuang tuug. Wir waren nun in der Provinz welche dircct mit Europa in Verbindung steht, und erreichten am Abend Nan hiung, einen Stapelplatz mit geräumigen Häfen, wo wir im prächtigen Gemeinde-palaste übernachteten. Die Wasserfahrt hatte uns so wohl gefallen daß wir den Präfecten ersuchten uns zu Schiffe nach Canton zu befördern. Er zeigte sich willfährig und ließ am andern Tage die nöthigen Vorkehrungen treffen. Wir speisten unter großem Ceremoniell mit den angesehen, sten Beamten, die uns große Aufmerksamkeit erwiesen. Nach Tische wurden wir zu Tabak und Thee in einen großen Hof unter schattige Bäume geladen. In Nan hiung bcfaud sich damals gerade eine berühmte Seil» tänzergescüschaft. und der Präfect ließ uns eine Vorstellung gebeu. Wir fanden das Seil schon gespannt. Die Chinesen sind äußerst geschickte Akrobaten; unter der Truppe bemerkten wir zwei Frauen, welche trotz ihrer verkrüppelten Füße mit wunderbarer Gewandtheit auf dem Seile 2l» Kap.j Die kleinen Füße der Frauen. ggg tanzten. Auf dem Theater werden keine Frauen als Darstellerinnen ge« litten, aber Kunstreiterinnen und Seiltanzerinnen dürfen sie sein. und zeigen nicht selten größere Geschicklichkeit als die Männer. Namentlich im Norden sind Kunstreitergesellschaften sehr beliebt'). Die kleinen Füße der Cbinesmnen kommen schon im Alterthume vor. Europäer haben gemeint, man verkrüppele dem weiblichen Geschlechte die Füße ausEifcrsucht. damit die Frauen hübsch im Hause bleiben müßten. Wir glauben das nicht. Der wunderliche Branch wurde allmälig in immer weiteren Kreisen verbreitet, ohne eigentliche bestimmte Absicht; er wurde tben Mode. Man erzählt, daß einst eine Prinzessin durch ihre kleinen Füße allgemeine Aufmerksamkeit erregt habe. Sie war außerdem eine ausgezeichnete Frau und gab für die Damen der Hauptstadt die Mole «n. Kleine Füße galten mm für ein Kennzeichen der Schönheit, Alles wollte die Mode mitmachen, und am Ende schnürte man den kleinen Mäd, chen die Füße zusammen. Nun sind die Frauen'in China, reiche und arme, auf dem Lande und in der Stadt an dcn Füßen verkrüppelt, in der be« kannten schon tausend Male beschriebenen Weise. Sie treiben LuxuS mit ihren kleinen Schuhen, wissen sich vortrefflich im Gleichgewichte zu halten, aber ihr Gang hat etwas Hüpfendes; es sieht aus als ob sie auf Stelzen gingen. Sie sind von früher Jugend daran gewöhnt, uud laufen sogar mit großer Sicherheit sehr rasch. Sie lieben einVewegungsspicl bei welchem man einander bölzerne tellerartige Scheiben oder Bälle zuwirft; inEnropa wirft man dieselben mit Ballhölzem zurück, die Chinesinnen bedienen sich jedoch statt derselben der Sohlen ihrer kleinen Schuhe. Mädchen ohne verkrüppelte Füße finden nicht leicht Männer. Die Mandschu-Tatarinnen haben diesen Brauch nicht angenommen, sondern lassen den Fuß wie Gott lb« geschaffen hat; aber die chinesische Sitte übt auf sie so großeu Einfluß . daß sie Schuhe tragen die unten kegelförmig zulaufen. Dadurä, wird es ihnen möglich einen modischen Gang zu bekommen. Die Vorstellung der Seiltänzer zu Nan hiuug füllte beiuahe den ganzen Abend aus und war sehr ergötzlich. Aber wir dachten mehr an Macao uud waren viel zu bewegt, als daß wir den Künstlern große Auf-merksamkeit hätten schenken können. Gleich am nächsten Morgen bestiegen wir Dschonken, die an Bauart und Einrichtung denen vollkommen glichen, welche uns bis an den Fuß des Mn ling gebracht hatten. Unterwegs gedachten wir daran, wie wir zum ersten Male nach Canton gekommen ') Siehe oben Seite 117. Huc. Lh!na. 23 I54 Bericht nach Gnova. j2l. Kav. waren. und vo>l dort aus unsere Meise ins Innere angetreten hatten. Es war im Jahre 1840. Damals schrieben wir aus einer Christengemeinde, die unweit vom Mn ling.Gebirge liegt. Folgendes nach Nuropa: „Abends gegen sechs Uhr legte man mir chinesische Kleidung an, und schor mir das Haar ab; wohl verstanden mit Ausnahme eines Zopfes den ich mir auf dem Scheitel seit bereits zwei Ialiren hatte wachsen laffen, Derselbe gewann dadurch eine stattliche Länge daß noch ein falscher Zopf hineingeftochten wurde, welcher bis zu den Fersen hinunterhing. Mein von Hause aus gerade nicht blendend weißes Gesicht wurde durch Einreibung einer gelblichen Farbe noch mehr gedunkelt, meine Augenbrauen wurden abgeschoren, und mein langer dichter Schnauzbart verdeckte den Schnitt meiner europäisch geformten Nase. In der Dunkelheit brachen wir auf, um das Sckiff zu besteigen, in welchem wir den Fluß von Canton bis nach Nan hiung hinauffahren wollten. Ein hochgewachsener Chinese eröffnete den Zug, einer unserer Couriere folgte, ich ging hinterher, begleitet von einem chinesischen Seminaristen, und so wanderten wir durch das Labyrinth der Straßen von Canton. Die ganze Stadt kam mir vor wie eine große Falle; die Gassen sind unreinlich, eng und gewunden wie ein Korkzieher. Ueberall hingen große und kleine Laternen an den Häusern. An eitler Ecke wurden wir von unserm Führer getrennt, der uns zum Glücke wieder fand, und bis zur Dschonke geleitete, auf der wir über« nachtete». (Damals war Ki schau Vicekönig in Canton, derselbe mit welchen wir später zu Lha Ssa in Thibet so wohl bekannt wurden.) Der Fluß von Canton bietet bei Nacht einen phantastischen Anblick dar; man kann sagen er sei eben so stark bevölkert wie die Stadt selbst. Das ganze Waffer ist mit Barken von allen möglichen Größen und den mannigfaltigsten Formen bedeckt. Sehr viele derselben haben die Gestalt von Fischen, und die Chinesen haben gerade die wunderlichsten derselben zum Muster genommen. Andere sehen aus wie Häuser, und diese haben einen sehr schlechten Ruf. Alle sind reich verziert; manche strahlen von Vergol» dung, andere haben zierliches Schnitzwerk in der Art unserer mittelalterlichen Dome. An diesen schwimmenden Wohnungen schimmern Laternen, kurz das Ganze gewährt einen prächtigen Anblick. Man sieht daß man sich inmitten einer Bevölkerung befindet, die auf dem Waffer geboren wird. wohnt. lebt und stirbt. Jedermann findet anf dem Strome Alles dessen er zum Unterhalte bedarf, denn überall sieht man schwimmende Läden, wahre Bazare, in denen man sich mit allem Möglichen versorgen kann, mit Gemüse, gebackenm Fischen. Neis, Kuchen, Obst ic. Unauf- ^' Kap.z Der Tigcrftug. 355 horlich vernimmt man den Schall der Kesselpauken und das Knattern der Schwärmer. Am andern Morgen begann unsere Fahrt. Die Ufer des Tiger« Misses sind nicht eben bemerkenswerth. Er schlangelt sich durch eine lange . birgskette. und die Ebenen zu beiden Zeiteil zeigen feinen weißen Sand überall wo die hohen spitzen Felsen nicht ganz nahe au das Wasser herantreten. Man sieht Reis» und Weizenfelder, und Anpflanzungen von Iambus und Hängeweiden, hohe nnfrucblbare Hügel mit einer Lage rother ^rde bedeckt; hin und wieder steht auf ihnen eine Gruppe Fichten, und -«»ffelheerden nagen das magere Gras ad. An manchen Stellen liegen wacklige Quadern Kalkstein die von unten bis oben aussehen als hätten «nschenhände ihnen ihre Form gegeben und sie auseinander gesprengt da-Mlt der Strom hindurch könne. Ich fragte einen Chinesen woher denn ese Eigenthümlichkeit rühre. Er entgegnete, der große Kaiser Yao habe "ul Hilfe seines Ministers Schün das Gebirge öffnen lassen um dem passer „«ch ^ g^ßei, ^«th eiuen Abfluß zu verschaffen. Nach der Mnesi,chen Zeitrechnung fallt jene große Ucberschwemmung etwa in die Zeit^der noachischen Fluth. DaS eine Ufer stieg senkrecht empor, wie eine kolossale Mauer. Wir gewahrten auf einer beträchtlichen Höhe zwei in be» Felsen gehauene Galerien, nnd in denselben Menschengestalten die sich Zwilchen nnzäbligen Lichtern hin und ber bewegten. Manchmal wurde» brennende Gegenstände hinab geworfen und verlöschten im Flusse, -w" fuhren näher hinan und sahen daß eine große Anzahl kleiner Fahrige an Ufer lag; sie hatten Wallfahrer gebracht welche zu der heiligen eufelsstätte pilgerten. Sie gingen vom Schiffe aus iu ein unterirdisches ewolbe, stiege» auf einer im Felsen angehauenen Treppe bis aus die l'eren Galerien, wo die berühmten Götzenbilder standen. ^etzt, nach sechs Jahren, tauchten die Erinnerungen aus jener Zeit wleder anf. Weiter abwärts gewann der Strom an Breite, die Dschonken wurdeu immer zahlreicher, das Geräusch stärker. Nachdem wir sechs ^age lang vou Nan hinng den Tigerstrom hinab gefahren sind, macht das Gebirge einer weiten. sehr sorgfältig bebauten Ebene Platz; wir spuren schon die Nähe des Meeres; Canton war nicht mehr weit. Als w«r einen europäischen Dampfer sahen, die Flagge der Vereinigten Staa» ^n. Englands und Portugals erkannten, traten Thränen in unsere Augen, ^n einem so fernen Lande hat man das Gefühl daß alle abendländischen "ölker eine und dieselbe Familie bilden; das Herz schlägt höher sobald man nur eiue europäische Flagge flattern sieht. 23* I56 Ankunft in Canton. s21. Kap. Wir fuhren an einer englischen Brigg vorüber, und konnten uns kaum satt sehen an den Matrosen die, an die Schanzkleidnng gelehnt und den Wachstuchhut ans dem Kopfe, nnS vorbei rudern sahen, und gewiß nicht ahneten daß sich in der Dschonke zwei „Frenchmen" befanden, die geraden Weges aus Hochasien hnabkamen. Diese rothen Gesichter mit blauen Augen, langer Nase und blondem Haare kamen uns närrisch vor; uud nun gar die enganschließenden Kleider! Dann sahen wir ein zierliches Boot. das grün bemalt und mit einem Leimvanddache überspannt war. In demselben saßen drei Gentlemen mit der Cigarre im Munde; sie fuhren auf dem Waffer spazieren. Für asiatische Augen kann es keinen wunderlichern Anblick geben. Diese Leute trugen schwarze Hüte. weiße Beinkleider, weiße Westen und blaue Jacken. EiuTbibctaner hatte hellauf gelacht über diese drei Gesichter ohne Schnauz» und Kinnbart, die aber auf jeder Wange einen Streifen rothen krausen Haares hatten stehen lassen. Die Europäer müssen den Asiaten außerordentlich lächerlich vorkommen. Nach langer Fahrt machten wir an einer Schiffslände Halt, wo ein Mandarin unserer harrte. Wir stiegen in Palankinc und wurden mitten in die Stadt in die Privatwohnung eines Nnterbeamten getragen. So waren wir denn in Canton, im Monat October 1846. sechs Monate nach unserer Abreise von Lha Tsa in Thibet. Als wir die Hauptstadt der buddhistischen Welt verließen, glaubten wir nimmermehr daß wir ans Ziel gelangen würden; denn die Reise war weit und voll Gefahre» aller Art. Es war aller menschlichen Berechnung zufolge anzunehmen daß wir vor Strapazen und Elend würden umkommen müssen. Aber die Vorsehung hatte uns nicht verlassen. Als wir uns in unserm Zimmer befanden, fielen wir anf die Kniee und dankten Gott für alle Wohlthaten, die er uns in so reichlicher Fülle erwiesen hatte auf den beschwerlichen Fahrten, die wir unternahmen um seiuen Namen zu verherrlichen und sein Reich auszubreiten. Bald nachher erschien ein lauganfgeschossener Chinese und stellte sich als amtlich bestellten Dolmetscher vor. Er kramte sein Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch aus; wir sagten ihm aber, er möge Chinefich reden, weil dann die Unterhaltung glatter gehen werde. Darauf wollte er sich nicht einlassen, weil er Dolmetscher sei, und er blieb dabei uns mit seinem bunten Kauderwälsch zu martern. Wir schrieben an den niederländischen Consul, Herrn van Vazel. den wir von früher her kannten, und der den katholischen Missionairen stets große Theilnahme bewiesen 2l. Kap.) Elne Todesnachricht. 357 hat; wir baten um europäische Zeitungen und Nachrichten aus unserm Erdtheile, von welchem wir seit drei Jahren nichts mehr vernommen hatten. Bald kam der Dolmetscher mit einem Lastträger zurück, der einen schweren Ballen englischer Zeitungen schleppte. Diese Sendung war mit einigen Flaschen Bordeauxwein begleitet, „der vaterlandischen Erinnerung wegen!" Wir lasen die ganze Nacht hindurch in den Zeitungen. In einer derselben fanden wir die Nachricht daß wir nicht mehr am Leben seien. Dieselbe lautete: .Wir haben Nachricht erhalten daß zwei Patres von der Mission i" der chinesischen Tatarei umgekommen sind. Ein französischer Lazarist Namens Huc kam vor nun drei Jahren zu einigen chinesischen Familien, die im Thale der Schwarzen Gewässer angesiedelt sind. etwa zweihundert Wegstunden von der Großen Mauer entfernt. Ein anderer Lazarist (Gäbet) dessen Namen ich nicht weiß schloß sich ihm an; sie wollten unter den buddhistischen Mongolen eine Mission gründen, und studirten bei den Lamas in den nahe gelegenen Klöstern die mongolische Sprache. Es scheint daß man sie für ausländische Lamas angesehen und mit Freundschaft behandelt hat. Die Buddhisten sind sehr unwissend; sie hielten das Latein ihres Breviers für Sanskrit, das sie nicht verstehen, vor welchem sie aber hohe Ehrfurcht hegen. Die Missionaire begaben sich dann ins Innere um ihr Bekehrungswerk zu beginnen. Seitdem hat man nur un< gewisse Nachrichten über sie; im verflossenen Mai verlautete aber fernher aus der mongolischen Tatarei. sie seien an den Schweif eines Pferdes gebunden und zu Tode geschleift worden. Die Ursachen davon find noch nicht bekannt." Dieser Artikel setzte uns in einiges Erstaunen; wir waren aber an Ort und Stelle, um ihn in eigener Person widerlegen zu können. Am andern Morgen früh wurde eine feierliche Sitzung gehalten, in welcher einige höhere Mandarinen von Canton nebst den Beamten zu. gegen waren, welche uns aus der Provinz Kiang si hergeleitet hatten. Unsere Reise war beendigt und wir wollten Rechenschaft ablegen. Unser Diener Wei schan mußte das Geld mitbringen, welches wir seit unserer Abfahrt von Nan tschaug fn erspart hatten; der Haufen war so groß daß Aller Augen flammten. Wir sprachen: „Hier ist eine anjehnliche Summe. Laut Befehl des Statthalters von Kiang fi haben alle Städte an welchen wir vorüberfuhrcn eine Steuer für unsern Unterhalt zahlen müssen. Unser Gewissen hat uns verboten unnöthige Ausgaben zumachen. Jetzt muß das Geld in die Hände Dessen gelangen, welchem es gehört. ^« Tod des Mlssionairö Gäbet. M.Kap. Kommt es euch zu, so nehmt es hin." Die Beamten von Canton erklär, ten. daß sie auf das Geld nicht das mindeste Anrecht hätten; rieGeleits-Mandarinen sprachen sich in demselben Sinne aus, und Alle waren ein» stimmig'darüber, daß das Geld uns gehöre. Wir sprachen nun: „Die Misswuaire verlassen ihr Vaterland nicht, um i^ fremden Ländern Reichthümer zu erwerben. Eure Negierung hat uus aus Thibet verwiesen und wider unsern Willen hierher bringen lassen; wir reisten auf ihre Kosten. Wir verlassen nun dasNeich. wallen aber auch nicht eine einzigeSaprke mitnehmen. Wir schenken das Geld unserm Diener. Hat Jemand etwas einzuwenden gegen unsern Vorschlag?" Alle äußerten ihre Bcistimmung. Wei schan nahm das Geld. zog damit ab, — und hat sich seitdem nicht wieder bei uns blicken lassen! Damals war der kaiserliche Commissarius Ky yn Vicekonig der Provinz Canton. Er bot uns eine Dschonke an, falls wir noch an demselben Tage nach Macao weiter fabren wollten. Wir sprachen aber den Wunsch aus noch eine Weile in Canton zu bleiben, wo wir europäische Freunde hatten, und man geleitete uns daher zur holländischen Factorei. Herr van Bazel stellte dem Vicekonige einen Empfangsschein ans, und damit waren unsere amtlichen Beziehungen mit den chinesischen Behörden zu Ende. Zwei Tage später umarmten wir unsere Brüder und alten Freunde in Macao. Es war lins lange Zeit gerade so als ob wir nach langem Schlafe aus einem Traume erwachten. Es kam uns seltsam vor daß wir keine thibetanischen, mongolischen und chinesischen Gesichter mehr um uns sahen, sondern europäische Menschen, nnd obendrein vernahmen wir nun vaterländische Laute! Einen Monat nach unserer Ankunft in Macao ging Herr Gäbet, uneingedenk seiner körperlichen Leiden an Bord eines nach Europa bestimmten Schiffes. Er wollte den Eifer udd die Barmherzigkeit der Ka< tholiken rege machen für die interessanten Völker der Tatarei uud Thibets, für deren Heil er gern sein Leben dahin gegeben hatte. Wir sollten den Freund nicht wiedersehen. Wir erhietten die betrübende Nachricht, daß dieser unermüdliche und muthvolle Glaubensbote an der Küste von Brasilien gestorben sei. Als wir uns in den Schneeregionen Ostasiens befanden , nnd ich mich bemühte in die eifigstarren Glieder des Freundes wie< der Lebenswärme zu bringen, ahnete ich nicht daß Gott ihm ein Grab an heißem Gestade Südamerika's bestimmt hatte. 21. Kap.) Landung in Marseille. 359 Ich selber blieb Iä»gere Zeit in Macao, schlug dann abermals den Weg nach Canton ein. und durchwanderte China zum dritten Male. Im Jahre 1838 hatte ich mich nach dem himmlischen Neiche eingeschifft; 1852 sah ich das Vaterland wieder. Es war im Iuui. zur Zeit des Fronleichnamsfestes. Marseille bot einen Anblick dar, den ich nimmermehr vergessen werde. Mein Gott, wie schön fand ich unser schönes katholisches Frankreich, und wie würdig der Liebe und Anhänglichkeit seines Volles! Ewig sei der Herr dafür gepriesen, daß es mir gegeben war, einige Leiden unter fremden Völkern zu erdulden, weil er mir ein Glück aufbewahrt hat. das vielleicht kein anderer Mensch fühlen und das ich in Worten nicht ausdrücken kann. Druck dci Nico'schcn Vuchdniclcici lu Leipzig, Register. Ackerbau 310. Ackerbaufest, kaisell. 3ll. Acupnnctur 177. Admirale 172. Aerzte 176. Alterthümer, verfälschte 344. Armenhäuser 323. Armuth 32 l. 324. Arzneihandel 178. Bambus 315. Banditen 281. Baukunst 239. Beamten, Gesetze über 291. „ „ schlechte 207. Begrabnisse 265. Bettler 320. * Bewaffnete Macht 45. Blumen der Mitte 153. Bibliotheken 145. Vinneuhaudel 228. Branntwein 326. Brücken 240. Bonzen 35. 257. Bonzenklöster 15. Buddhismus 248. 253. Buddha, Legenden über 250. Canalsystem 231. Canton 354. Ceremonien 86. 305 ff. Charakter, chines. 8. 12. Cholera 182. Christen, chines. 12. 15. 19. 29. 9l. 10l. Christen in Hu pe 278. Christenthum 60. 133. Cullegien-Neichs 40 ff. Commerciellc Verhältnisse 225. Confucius 243. Criminalprozeß 280. Doctoren der Vernunft 245. Doctrin der Gelehrten 243. , Drache des Regens 97. Drachcnbarkeu 164. Eilboten 30l. Ehescheidung 296. Ehestand 275. Enthaltsame Sccte 277. Erzieher 49. Etikette 86 ff. Feldarbeiten 3l3. Feuerbrunnen 129 ff. 362 Register. Feucrsbri'iuste 93. Feuerwerke 304. Fey ui'ic ling 5. Fiaker 348. Fiudclhäuser 333. Fischzucht 344. Frauen, Lasse der 109 ff. Freiheiten 208. Füße der Chinesinnen 353. Gasthöfe 348. Gaukler 117. Gedichte 76. Geldmänner 229. Gelehrten-ssorvoration 38. Gemeindehäuser 76. Generale 172. Genossenschaften 209. 2<0. Geographische Kenntnisse 151. 340. Getreide 317. Gerichtssitzungen 103. Gesetzbücher 284. Gesetze über Cultus 298. Gesetzgebung 285. Gewerbe. Verfall der 223. Gewerbfleiß 222. Gleichgiltigkeit, religiöse 63 Glücksspiele 209. Halsblock-Strafc 120. Handelsgeist 229. Handelsverbindungen 224. Han-Keu 220. Han yang 219. Heerschau 169. Heilige Bücher 55. Heilverfahren 183. Himmlisches Neich 153. Hoaug mel hien 303. Hochzeiten 272. Höflichkeit 126. 50. Hui 209. Hu pe 309. Industrieausstellungcu '^4. Inseln, schwimmende 215. Kaiser 36. 37. Kan lcaug 348. Kettenbrücken 5. Kiang si 3A). 342. Kindermord 330. King te tsching 342. Klassische Biicher 51 ff. Kleidcrtracht 217. Kleine Frauen 271. Kleinhandel 233. Kloster, buddhistische 257. Komödlauten l15. Kriegsgott 128. Krieg mit England 173. Knau kuen 281. Kunstreiter 117. Ku tung 344. Küche u. Kochkunst 81. Lage der Frauen 271. Landhcer 167. Landstraße» 307. Lao tse 245. Lebensalter 271. Leichenfund, Gesetze über 185. Leichenschau ^i4. Literatur 143. Mandarinen. Aemter 39. Mandarinen, Charakter der 2. 1l, 46. 72. 145. 155. Maudarinensprache 142 Mandschudyuastie 160. Maueranschläge 206. Medicin, gerichtliche 123. Medicinische Systeme 176. 181. Register. 353 Mel liiig-Gebirge 352. Melonen 190. Methodisten 34l. Miethdschonten 347. Miliz 306. Mongolen 340. Musik 304. Nachtwächter 93. Nahrungsmittel 3l4. Nan hiung 352. Nan tschang fu 33«. 342. Nationalverschiedenheit 192. Nonnenklöster 262. Nutzgewächse 315. Opiumrauchen 13. Orientalische Völker 195. Pagoden 241. Palankinträger 6. Pillen 179. Ping Hu-See 214-Porzellanfabrilcu 343. Preßfrciheit 2l2. Prüfungen d. Gelehrten 135. Pulöfühlen 177. Pu yaug-See, 308. Nachsucht 186. Nangclassen 39. Räuber 2l0. Rechtspflege 47. 283. Reich der Mitte 153. Reis 316. Reisbier 327. Negiernng 37. Religionen 255. Revolutionen 196. Nitualgesctze 297. Särge 187. Salzbrunnen 229 ff. Sapeke 232. Schan yü ting l55. Schauspiele 115. Schifferstcchen l65. Schriftsteller 137. Schriftlichen 13« ff. Schulmeister 48. Schwalben 317. Seele und Leib 263. Seelenjagen 264. Seiltänzer 352. Selbstmorde l25. Seemacht 171. Eerica 152. Sitten der Vorzeit 156 ff. Skepticismus 256. Sinnreden 350. Socialisten «97 ff. Solidarität 288. Spieler 209. Spielwuth 325. Sprache 137. Spnichwörter 350. Sternkunde 341. Strafgesetze 293. Strafgesetzbuch 284. 289. Strafverfahren 299. Straßen 83. Sse ma luang, Dichter 76. Sse tschuen 84. 127. Stellenjägerci 290. Stiefeln als Ehrenzeichen 205. Tabak 85. Tao sse 245. Ta tsicn lu 3. Taschenspieler 117. Teichrose 315. Tempelarchitektur 258. Tempel der wissensch.Ausarbeitung. 118. Thürme 280. 364 Tien dse 36. Tien hia 153. Tigerstuß 355. Tortur 300. Trauerfeier 265. Tran erzelt 267. Triumphbögen 10. Trunksucht 325. Tsching tu fu 14. 16. 34. Tschung hoa 153. Tschung king 86. Tschung kuo 153« Tsicn, Münze 233. U lschang fu 220. 230. Umgangssprache l42. Unterhaltnngsliteratur 349. Vereinigungsrecht 209 ff. Verfall des Landes 159. 16l. Verhöhnung der Religionen 255. Verkehr, brieflicher 301. Verwaltung der Provinzen 21. 44. Verwaltung deS Reichs 41. Vielweiberei 271. Volksmenge 217. Volksuntcrricht 48. Vorleser, öffentliche 213. Vorfahren. Cultus für die 268. Vorurtheile, europäische 193. Wang ngau sche. Socialist 197. Wehrfähigkeit 172. Wein 327. Weinessig Polyp 337. Wen tschang kung N8. Wissenschaften 132. 135 ff. Zehn Gebote, buddhistische 252. Zeltungen 43. Zicgelihec 6. Zinsfuß 228. Zollsystem 148. Register. Besonders empfehlenswerthe Werke theils für die Jugend, — theils für Erwachsene. Verleimn G. Senf's Buchhandlung in Leipzig. 3u beziehen durch alle Buchhandlungen. Landergeschichte. ^r. A. Geitzler's Weltgeschichte der alten - mittleren — neueren — und neuesten Zeit. In biographischer Form. > 3Vände. Neue elegante Ausgabe. 1865. 2 Thaler. Dasselbe Wert in 3 elegante Halbfrzbände gebunden 2 Thlr. 20 Ngr. Geschichte von Belgien. Von Hendrik Conscience. Mit Stahlstich : Leopold I. Elegante Ausgabe. 188»3. Von I. de la Graviere. Mit dcm Portrait Nelson's nach Abbott. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thalcr. Biographie. g Geschichte deß Kaisers Napoleon. Von P. M. Laurent Mit AusH"'^ Delaroche. Neue sehr elegante Geschichte Peter's des Grausamen von Eastilien. Von Prosper M«rim6e. Mit dem Portrait Peter's nach A. Carnicero. Neue sehr elegante Ausgabe. 180«. 1 Thaler. Geschichte Franz Sforza's und der italienischen Eondottleri. Von vi-. Fr. Steger. Mit dem Portrait Sforza's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Leben Lorenzo de' Medici genannt der Prächtige. Von Will. Roscoe. Deutsch von Frdr. Spielhagen. Mit dem Portrait Lorenzo's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1805. VZ Thaler. Geschichte Peter's des Großen. Von Eduard Pelz (Treumund Welp). Mit dem Portrait Peter's nach Le Roy. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte des Kaisers Nikolaus I. Vom Grafen oe Veaumont-Vassy. Mit dem Portrait Nikolaus', gestochen von Wcger. Neue sehr elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Der falsche Demetrius. VonProsper M6rim6e. Eine Episode aus der Geschichte Nußlands. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Das Leben Mohamed's. Von Washington Irving. Mit dem Titelbild Mohamcd's. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Die Begründer der französischen Ttaatseinheit. — Der Abt Sllger. - Ludwig der Heilige. — Ludwig XI. — Heinrich IV. — Richelieu. — Mazarin. — Vom Grafen L. de Carn^. Deutsch von I. Seybt. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Länder- und Völkerkunde. Drei Neisen um die Welt. Von James Cook. Neu bearbeitet von Fr. Steg er. Neue elegante Ausgabe. 1865. i Thaler. Gine Weltumsegelung mit der schwedischen Kricgsfregatte „Eugenie." Von N. ^. Andersson. Deutsch von Kannegießer. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Die Krim und Odessa. Reise-Erinnerungen von Prof. Dr. Karl Koch. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Siid-Nutzland und die Donauländer. Von L. O lip H ant. Shirley Brooks. Patrik O'Vrien und W. Smyth. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Neise-Erinnerungen aus Sibirien von Prof. Dr. Christoph Hansteen. Deutsch von l>. H. Sebald. Neue elegante Allsgabe. 1866. 1 Thaler. Die Kaukasischen Länder und Armenien. VonCurzon, Koch. Macintosh, Spencer und Wllbraham. Neue elegante AuS- gabc. 1865. 1 Thaler. Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet von Huc und Gäbet. Deutsch von Karl Andree. 1866. 1 Thaler. Wanderungen durch das chinesische Neich von Huc und Gab et. In deutscher Bearbeitung von K. Andree. 1866. 1 Thaler. Mungo Park's Reisen in Afrika von der Westküste zum Niger. Neu bearbeitet v. vr. Fr. Steg er. Elegante AuSgaoc. 1866. 1 Thlr. Die afrikanische Wüste und das Land der Schwarzen am obern Nil. Vom Grafen d'Escayrac de Lauture. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. ^ Länder- und Völkerkunde. Tiidafrika und Madagaskar geschildert durch die neuen Ent- dcckungsreiscndcn namentlich Livingstone und Ellis. Neue elegante Ausgabe. !8