b. IS Vs û) Die slavische Vorzeit. Grundlegende Aufsätze für die Renaissance der aitslavischen Geschichte, Sprache__ynd Kultur. . æ V“ SLO"‘ Von Davorin Zunkovic. Oberstleutnant. Kommandant der Militärrealschule SHS in Maribor. drusivQ-IPfcuJ Maribor 1918. (7427 sl. Ä.) Selbstverlag. Druck von H. Slovak. Kremsier. ALLE URHEBERRECHTE VORBEHALTEN. V .'-1 Vorwort. Das Licht vom Himmel lasst sich nicht versprengen, Noch lasst der Sonnenaufgang sich verhängen Mit Purpurmänteln oder dunklen Kutten . Lenau, Albigenser. Dieses Werk verdankt seine unmittelbare Entstehung einer höchst dramatischen Episode. Der Verfasser, der als aktiver Offizier schon in den Jahren des Friedens mi-litärischerseits seiner wissenschaftlichen Forschungstätigkeit wegen allerlei geheime Verfolgungen und oifene Zurücksetzungen erdulden mußte, wurde nun während des Krieges, als hiezu noch weit schärfere Machtmittel zu Gebote standen, wieder ein Opfer unduldsamer Elemente und dunkler Gewalten. Wegen einer, die Interessen der Volkswirtschaft eminent fördernden Handlung wurde derselbe in gerichtliche Untersuchung gezogen, und unter böswilliger Auslegung der Tendenz jener Handlung, am 15. August 1916 vom Feldgerichte des 1. Armeekommandos nebst Kassation zu zehnmonatlichem schweren Kerker verurteilt, -r- Welche subtilen Motive jedoch dieser Verurteilung zugrundelagen, vermag der Nichteingeweihte am besten daraus zu entnehmen, daß dem Verurteilten daraufhin noch das Ehrenwort abgenommen wurde sich zu verpflichten «bis auf weiteres nicht mehr zu Schriftstellern, d. h. slavische Philologie zu betreiben«. — Da aber während der ganzen Untersuchung wie Hauptverhandlung nicht ein Wort über dieses Thema fiel, wurde nun durch jenen unüberlegten Abwurf der Maske das ganze Geheimnis des qui pro quo der Verurteilung automatisch aufgedeckt und zugleich der Verdacht bestätigt, daB da ein Feldgericht lediglich über »höheren Wunsch« einen mißliebigen Offizier slavischer Nationalität maBzuregeln hatte. Der Oberste Militärgerichtshof hob auf die sofort eingebrachte Beschwerde hin da» feldgerichtliche Urteil wegen »sachlicher Bedenken« später auf, und ordnete eine neue Verhandlung an, in welcher der Verfasser am 23. Jänner 1918 in allen Punkten der Anklage rechtskräftig freigesprochen wurde. — Die an sich völlig ungesetzliche Verschärfung des Urteiles durch die Abnahme des Ehrenwortes wurde im September 1917 außer Kraft gesetzt. Da der Verfasser auf diese Weise durch mehr als zwei Jahre vom Dienste enthoben war, bzw. im Zivilverhältnisse stand, und dabei allerdings auch keinen Augenblick der persönlichen Freiheit beraubt war, benützte derselbe diese ihm amtlich auferlegte Kriegsdienstpause auf das eifrigste zu weiteren Quellenstudien in den verschiedenen Bibliotheken des Reiches, und brachte so jenes vielseitige und überraschende Forschungsmaterial zusammen, das nun in diesem Werke artikelweise verarbeitet vorliegt. Etliche dieser Aufsätze wurden allerdings schon vor dem Kriege veröffentlicht, erscheinen aber hier entweder in wesentlich ergänzter oder auf Grund neuer Ergebnisse berichtigter Fassung. Dieses Buch, das ohne jene tragischen Prämissen gewiß niemals, zum mindesten nicht in dieser sachlichen Vielseitigkeit und dem Reichtum neuer Belege, erschienen wäre, da der ununterbrochene Kriegsdienst jede Forschungsmöglichkeit ausgeschlossen hätte, wurde demnach seitens jenes Feldgerichtes unbewußt gefördert, d. h. es wurde hiemit das genaue Gegenteil vom dem erreicht, was jene moderne Inquisition ernstlich bezweckte. Es sei hier auch jener edlen Männer und treuen Freunde im allgemeinen gedacht, — diejenigen, die diese wissenschaftliche Errungenschaft ungewollt möglich machten, werden wohl kaum den Anspruch erheben literargeschichtlich als Förderer genannt zu werden —, die den Verfasser in jener schweren Krise, als er von der Heeresverwaltung aller Existenzmittel beraubt war, und wozu ein wohlberechneter Zynismus noch das Verbot der Schriftstellerei aniügte, um ja jeden Nebenerwerb auszuschalten, über die Lebensfragen des Tages hinweghalfen, nachdem er selbst das Vertrauen in sich und in den Schlußsieg des Rechtes niemals verloren hat. — Im besonderen sei aber hier eines Mannes dankbar gedacht, der nie ermüdete den Verfasser daran zu erinnern, daß die Wahrheit siegen muß, da sie ein ewiges Leben vor sich hat. Es ist dies der Ingenieur Josei Bares in Bud-weis, — ein Ceche —, der sich sofort nach Kenntnis der Katastrophe einfand, und alles in selbstloser, edler und das bedrohte Ansehen der heimischen Wissenschaft rettender Weise einleitete, was des Verfassers Situation erleichtern, aber zugleich auch dessen Forschertätigkeit weiter fördern sollte. Dem persönlichen Danke, der diesem hochherzigen Manne gebührt, darf sich auch die Welt der ernsten, vorurteilslosen Wissenschaft anschließen, der nun dieses schicksalsreiche Werk zu eigen wird. Da der Druck des Werkes schon im Monate Mai 1918 begann, als sich die offenen wie geheimen Feinde des Verfassers noch im ungebrochenen Besitze aller Macht und Gewalt fühlten, er aber schon wieder im Felde (Montenegro) stand, w.urde aus Klugheitsgründen beschlossen, das Buch nur in einer sehr kleinen Auflage (200) herzustellen, um jenen unduldsamen Elementen in der Armee keinen Anlaß zu neuem Klageexzessen oder zu weiteren persönlichen Racheakten zu geben. Durch diese Maßregel sowie die Vorsorge das Werk nicht dem Buchhandel zu überlassen, sollte zugleich erzielt werden, daß es aus erster Hand niemand erhalten könne, dem die Voraussetzungen für eine objektive Aufnahme und eine abgeklärte Beurteilung des Inhaltes mangeln, da es doch nur von der Hochwarte eines großzügigen Gedankenpanoramas aus richtig eingeschätzt werden kann. — Als jedoch der organisch unausbleibliche Zusammenbruch der Gegner unerhofft rasch erfolgte, waren schon '-/3 des W'erkes ausgedruckt, daher die Auflage nun nicht mehr für einen breiteren Bedarf hergestellt werden konnte. Dem elementaren politischen Kollaps der slavenfeindlichen Völker folgt nun auch der wissenschaftliche, denn auch auf diesem Gebiete war, weil nur auf Gewalttätigkeiten, Lüge und Betrug auf gebaut, alles kernfaul. Jene Purpurmäntel, d. i. Generale, die da rettend eingreifen wollten, haben aber auch hier ebenso die Schlacht verloren, wie in dem wirklichen Waffengange, denn: Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen . . . Allgemeines. Was das vorliegende Werk kulturell will, besagen in erschöpfender Form der Haupt- wie Untertitel desselben. Der Inhalt selbst zeigt, wie weit dieses Wollen durch Wissen und Können zur Tat wurde. Ist darin etwas unklar, halbrichtig oder grundfalsch, so möge es der Besserwisser weiter begründen oder sachlich widerlegen, umsomehr, als sich hiebei nur um Einzelheiten handeln kann. Der Glaube an die Richtigkeit der großen Grundidee muß jedoch hier schon deshalb als unverrückbar angesehen werden, weil alle Belege für dieselbe nach dem Durchlaufen fast sämtlicher Zweige des menschengeschicht-tichen Wissens schließlich immer konzentrisch rückströmen. Der ernste Richter wird sich daher vor der Abgabe eines sachlichen Urteils unter allen Umständen in die gesamte Materie kritisch vertiefen müssen, damit dessen Auge wie Ohr für die Aufnahme des vorher Ungeglaubten, Unglaubwürdigen oder Ungehörten empfänglich werden; erst dann wird er jene künstlichen Hindernisse zu erkennen irermögen, die die Annäherung der bisher so widerlichen Wahrheiten so lange und so hartnäckig aufzuhalten vermochten, um ein geläutertes Urteil abgeben zu können Was hier Neues vorgeführt wird — undesistdarinim großen für die W eit von heute nahezu alles ein weites Neuland— fiel dem Schöpfer dieses Werkes durchaus nicht etwa als ein Zufallsgeschenk in den Schoß. Es ist kein deus ex machina, das hier plötzlich einen Strahl der Erleuchtung in die Welt der Verblendung dringen läßt. Es ist die Frucht schwerer eklektischer Arbeit langer Werdejahre abseits der großen Heeresstraße. Die vielbefahrenen Wege führten nicht zum wahren Ziele; diese geläuterte Erkenntnis schuf den Zwang, sich eigene Wege zu bahnen. Seit Jahrhunderten, richtiger gesagt, seit Jahrtausenden fehlt es schon an einem Sonnenplätzchen für die Wahrheit der reellen Vergangenheit des großen Slavenstammes. — Es gehörte bis heute gemeinhin zum güten Tone vieler Kreise über die slavische Geschichte und Kulturvergangenheit tunlichst geringschätzig zu urteilen, ja, geradezu unwissend zu sein und zu bleiben. Wer dies etwa bezweifeln sollte, lese nur in den Lehrbüchern der Geschichte für die deutschen Schulen nach; er wird es amtlich bestätigt finden, denn die Slaven sind darin noch als eine Art unerforschter Völker hingestellt, Diese krankhaften Verhältnisse, die nun der Heilung heischen, sind aber nur Folgeerscheinungen langer, schwerer politischer Irr-tümer. Durch unzählige Kanäle der Presse, durch subtile Suggestionen aller Art, durch geheime Proskriptionen und offene Herabsetzungen der Andersgläubigen setzte sich allmählich eine kleine Sekte politischhysterischer Haschischesser durch, die vor den Augen einer großen, aber vollkommen apathischen Menge alle echten Werte gewalttätig entwertete. Wer da jedoch klärend oder warnend hervortrat, erhielt offen das Brandmal des »Panslavisten«; alles weitere besorgten die Schergen der Haßgewaltigen. — Die Klärenden und Warnenden vergaßen dabei allerdings, daß politische Irrtümer keine Wissenschaft aufzuhalten vermag; solche strafen und berichtigen sich selbst; und diese Strafe und Berichtigung stellt sich zu gesetzmäßiger Frist auch unvermeidlich ein. Es ist ein eigener Zug der böswilligen menschlichen Natur, dem schuldbewußten Unrecht auch noch den Hohn anzufügen und zu sagen: die Slaven seien kein weltgeschichtliches Volk, wie etwa die Chinesen, Inder, Perser, Ägypter,. Griechen, Römer oder gar die Germanen! — Und gerade im sogenannten »Zeitalter der Wissenschaft« wurde in derlei Unmoral und Geisteswahn der höchste Rekord erreicht; was die' Völker von einander wußten, war schließlich ein Chaos von Vorurteilen; über die SlaVen im besonderen wußte man hüben wie drüben — nichts. — Daß aber die Slaven selbst über ihre eigene Vergangenheit nichts wissen, daran ist lediglich ihre angeborene Leichtgläubigkeit für fremde Urteile schuld, sowie ihre bekannte Nachlässigkeit im objektiven Kritizismus, der über persönliche Ausfälle selten hinauskommt. Hiebei geriet die slavische Sprach-, Kultur- und Geschichtsforschung vollkommen auf den toten Punkt, aber mit ihr zugleich alle andere. Völkervergleichende Arbeiten kamen aus der Mode. Die vermeintliche Großzügigkeit war nur eine unbewußte oder unwissende Einseitigkeit. Ein allgemeiner Verfall der Geisteskultur stellte sich ein, weil er sich einstellen mußte, denn die natürlichen Glieder der organischen Kulturentwicklung lassen sich durch keine Prothesen ersetzen. Die Negierung des Positiven, die Ableugnung des Sichtbaren, die Nichterkenntnis der Unausrottbarkeit des zum Ausrotten Stig- matisierten muß naturgesetzlich einmal zusammenbrechen, umsomehr als der Mangel an reinen wissenschaftlichen Waffen durch politisch vergiftete dauernd nicht ersetzt werden kann, da schließlich einmal auch der Giftstoff ausgeht. Aller Erfolg steht aber im verkehrten Verhältnisse zum Widerstande, — Mußte es denn überhaupt so weit kommen! — Die zähe Langlebigkeit solcher Irrtümer, die schon durch die bescheidenste Logik und Sachkenntnis leicht aus dem Sattel zu heben wären, wird aber von niemandem zu brechen versucht, weil niemand mehr für seine bessere Überzeugung Opfer bringen will; die wenigen aber, die sich zum Kampfe um ideale Menschheitsgüter und gegen zersetzende Kulturstörungn stellen, sie brechen bald im ungleichen Kampfe zusammen: das Promethydenlos aller Wahrheitsverteidiger, Bahnbrecher und Neuerer. Für gegenseitige Schuldschiebungen und Vorwürfe kann jedoch heute kein fruchtbarer Boden abgegeben werden. Peccatur intra et extra Iliacos muros. Der neu pulsierende Zeitgeist sagt: die Wahrheit muß endlich aus dem Kerker hervor; der langen Zerstörungsarbeit muß endlich auch eine Aufbautätigkeit folgen; der paralythische Zug der destruktiven Geister zum Kirchhofe der Kulturwahrheiten und des friedlichen Völkerglücks muß angehalten werden; es muß endlich aufgezeigt werden, was die Vergangenheit an Zurücksetzung, Verdrehung und Trübung der wirklichen Tatsachen über die Slaven zum allgemeinen schweren Schaden an Geisteswissen und Völkermoral geleistet. Doch alles dieses soll durchaus nicht wieder auf dem verfahrenen Wege erneuter Kämpfe entfesselter politischer Leidenschaften oder wahnbetörten Völkerhasses in entgegengesetzter Kurve geschehen, sondern durch eine ruhige, ernste, sachliche Überzeugung oder Klarlegung, wie die Dinge in der Wirklichkeit stehen. Ein kühnes Wagnis ist es allerdings, uralten Tatsachen jene Anerkennung und Erneuerung rückerkämpfen zu wollen, die man durch Jahrhunderte mit Mitteln jeder Art und allseits zu verhindern versuchte, sowie die Menschheit an jenes große Kulturerbe erinnern zu wollen, wofür sie sich den Dank ersparen will. Hoffentlich hat aber der täglich üppiger wuchernde pathologische Völkerhaß nun durch seine weltkatastrophale Entladung die Enkel und Söhne, die die nüchternen Lehren ihrer Großväter und Väter nicht verstehen wollten, vorsichtiger, verträglicher und für unverrückbare Tatsachen aufnahmsfähiger gemacht. Stellen wir daher wieder alle unsere Waffen des Geistes voll und ganz in den Dienst dieser reinigenden und zugleich völkerversöhnenden Kulturarbeit, denn die Zeiten der Irrlichter, jener chemischen Produkte der Sümpfe und Moräste, die durch ihre trügerischen Strahlen auch ihren Teil zum Weltkriege beigetragen, liegen nun wohl schoß dauernd hinter uns. Zur Völkerverständigung, Völkerachtung und Völkerverbindung kann nur das gegenseitige weitgehendste Sichkennen führen, wozu gerade die freie, vorurteilslose, politisch unbeeinflußte Wissenschaft das ihrige beitragen muß, statt lebensfern und interessenfremd abseits zu stehen oder gar selbst die Gegensätze zu schüren. Liebevolle Vertiefung in die Schätze des eigenen Volkstums, aber auch Kenntnis und gerechte Würdigung des Mitbewohners wie Nachbars und seiner Vorzüge, sollen in Hinkunft die Losung werden für das Wirken des Dorfschullehrers wie Hochschulprofessors. Wi r alle haben es ernstlich nötig vom Grunde aus umzulernen und zugleich unsere heutigen Bildungsmittel eingehend zu revidieren, falls wirje nochim aufrichtigen Kultur f r i e d e n leben wollen. Mit unserer Beleuchtungsarbeit mußten wir aber schon im Dämmerlichte der Vorzeit beginnen, wo man zuerst vom richtigen Wege abgeirrt war. Und auf diesem langen Geleitwege der pragmatischen Weltereignisse wollen wir alle jene, die eines guten Willens sind, unaufdringlich überzeugen, daß sich die Slaven in bezug auf ihr geschichtliches Alter mit jedem Volke, das je auf der Weltbühne führend agierte, in jeder H i n-sichtmessenkönnen. An soliden Belegen verschiedenster Art für diese allgemeinen Behauptungen fehlt es im vorliegenden Werke sicherlich nicht, deren Summe sagt: die Slaven sind mit dem Beginne der realen Geschichte des Menschengeschlechtes bereits da; der organische Aufbau ihrer Größe kann sich dahernurin der vorgeschichtlichen Zeit vollzogen haben, denn in der sogenannten geschichtlichen Zeit verloren sie ständig an Zahl und Siedlungsraum; nichtsdestoweniger sind sie groß und zahlreich bis zum heutigen Tage geblieben. —Wer diese einfach logische Feststellung etwa bezweifeln sollte, der muß uns zuvor überzeugend die Kunst darlegen und des Rätsels Lösung bringen,, wie etwa ein Mann, der durch viele Jahre unaufhörlich große Ver-mögensverlusle erlitten, heute noch immer reich sein kann, wenn er einst nicht noch reicher gewesen ist. Die reale Werdezeit der Slaven beschreibt zwar noch keine Spezialgeschichte, aber wir beginnen endlich zu erkennen, daß mit dem forschenden Vordringen in den Nebel der Urzeit immer fühlbarer die Symptome des slavischen Sprach- und Kultureinflusses hervortreten, welche Erkenntnis schon deshalb auf keinen Holzweg führen kann, weil uns hiebei als Leitfossilien schon einmal die topischen Namen als lebende Kronzeugen noch zur Seite stehen. Ansonst wissen wir aber, daß die Altslaven stets die stillen, bescheidenen, friedliebenden Kulturvölker waren, wie heute, und unter diesen Voraussetzungen stets dasselbe natürliche Volksgepräge zur Schau tragen werden: eine scheinbar äußere Weichheit und Schwäche mit einer unverwüstlichen inneren Stärke- Wir leben daher heute wohl schon am Abende, dem ein Tag mit der Berichtigung des gesamten Wissens über die Altslaven folgen muß, demnach auch die bezüglichen Behelfe nicht weiter Archivgeheimnisse, Sprachmysterien oder ein Monopol lächelnder Geschäftsauguren bleiben können und dürfen. Das vermeintlich schon für ewig mit den sieben Petschaften geschlossene Buch wird hiervor aller W eit entsiegelt, und möge fortan geöffnet auffliegen. — * In texücher Hinsicht möge der Leser des Werkes folgendes beachten: a) alle n i c h t d e u t s c h e n Begriffe werden in der slavischen^ »lavtinica« geboten, um jedermann die lautliche Lesung zu ermöglichen; b) alle altslavischen Texte sind im slovenischen Alphabete wiedergegeben, da dieses die vollkommenste phonische Wiedergabe möglich macht, ohne dabei welche Aussprachregeln zu bedingen. — Tm Zusammenhänge damit fallen auch die vollkommen wertlosen, da stummen »jer«-Laute (hart wie weich) der glagolitischen wie »cyrillischen« Schrift ab, umsomehr als sie in alten Sprachdenkmälern ohnehin nicht durchgängig angewendet werden, in den neueren aber schon wieder zum Teile abgefallen sind. — Der Verfasser war genötigt einen solchen allgemeinen Ausweg selbst zu suchen und zu linden, nachdem einerseits die Slaven noch heute den Mangel eines einheitlichen Alphabetes als ein unfaßbares Versäumnis beklagen, andererseits darf aber gerade ein solches Versäumnis kein unüberwindliches Hindernis für die allgemeine Verbreiterung der altslavischen Kulturdenkmäler bilden; c) da jeder Artikel thematisch abgeschlossen ist, war es bisweilen unmöglich kurzen Wiederholungen desselben Gegenstandes oder der wiederholten Berufung auf ihn auszuweichen. Die slavische Weliära. Außerhalb der slavisch-akademischen Kreise ist es wenig bekannt, daß in den alten Chroniken wie diplomatischen Schriften der Slaven, namentlich in jenen der Ost- und Südslaven, bei der Zeitrechnung die sonst als byzantinische oder alexandrin i-s c h e bekannte Weltära angewendet erscheint.1) Man bezeichnete sie auch als die russische, weil sie bis Peter d. Gr, als allgemeine Zeitrechnung in Rußland galt, aber dort wie bei den meisten südsla-vischen Völkergruppen zum Teile noch bis in die neueste Zeit im praktischen Gebrauche blieb; daß aber dies die slavische Weltära im allgemeinen ist, davon wußte bisher überhaupt niemand. Dieser Ära liegt die Zählung der Jahre von der vermeintlichen Weltschöpfung oder Erschaffung des ersten Menschen zugrunde, die mit dem Jahre 1 der christlichen Zeitrechnung bereits das Jahr 550S ergibt, wenn es sich um Daten vom 1. Jänner bis 31, August handelt; für die Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember kommt aber schon das Jahr 5509 zur Geltung. — Die Umrechnung ist daher sehr einfach: ein nachchristliches Kalenderjahr der slavischen Ära ergibt sich, wenn man diesem 5508 bzw. 5509 zuzählt; z. B. das Jahr 1918 ergibt in der slavischen Weltära das Jahr 7426 bzw. 7427. Über die Ermittlung und Unterteilung dieser Weltära bieten die slavischen Chroniken genügenden Aufschluß. Am originellsten erscheint jene, die zwei Großfluten kennt, und gewöhnlich in sechs Abschnitte zerlegt wird; diese sind: * *) Der Unterschied besteht nur darin, daß die alexandrinische Zeitrechnung die Inkarnation Christi um 8 Jahre früher, also bereits in das Jahr 5500 verlegt, als die byzantinische. Das altslavische Neujahr begann mit dem 1. September, daher dieser Monat z. B. im Cechischen noch immer »zäri«, d. i. der neue, der beginnende Jahresmonat lautet. I. die Zeit von der Erschaffung der Welt — Jahr 1 — bis zum Kataklysmus der Erdoberfläche, d. i. dem durchgängigen Wasserwechsel, dem Umströmen der Meeresgewässer von der einen Hemisphäre zur anderen, meist als »ogygische« Flut benannt; II. die Zeit bis zur »deukalionischen« Flut. Diese beiden zählen zusammen 2757 Jahre; III. die Zeit bis zur Regierung des Königs Inach, d. i. 1600 Jahre; IV. die Zeit von Inach bis zur Gründung Roms, d. i. 400 Jahre; V. die Zeit von der Gründung Roms bis Christus, d. i. 752 Jahre; VI. die christliche oder römische Ära bis heute. Diese Zeitzählung muß im vorchristlichen Altertum mehrweniger allgemein gewesen sein. Die vorerst auffallende Widersinnigkeit, als ob man bis Christus von einer willkürlich angenommenen Zahl, wie z. B. mit 752 nach der Gründung Roms, zurückzählend die Kalenderjahre bestimmt hätte, wie es heute eben bei der römischen wie griechischen Zeitrechnung der Fall ist, klärt sich hiemit dahin auf, daß sich alle Jahresdaten der vorchristlichen Zeit erst durch spätere Umrechnungen der slavischen Ära auf die neue Grundlage, die die Geburt Christi im VI. Jahrhunderte als das Jahr 1 festlegte, ergeben haben. So hat z. B. doch Livius unmöglich seine Jahresdaten als »vor Christi« datieren können, da Christus noch gar nicht geboren war. Ob heute noch irgendeine lateinische oder griechische Handschrift der klassischen Zeit vorhanden ist, welche die slavische Ära verwendet, ist dem Verfasser nicht bekannt; syrische, arabische und äthiopische Schriften dieser Art gibt es jedoch. Daß die slavische Weltära großzügig erfaßt ist und eine unerwartet makrokosmische Beobachtung in sich birgt, leuchtet sofort ein, wobei aber selbstredend niemand, der nicht strenggläubig an den starren Worten der heutigen Fassung der Biblischen Genesis hängt, auch nur einen Augenblick glauben wird, daß mit dem Erscheinen des ersten Menschen dieser gleich die Sonnenjahre mit 1 zu zählen begonnen hätte, oder daß dies zugleich der wirkliche Anfang des Menschengeschlechtes wäre: Die Sache wird aber verständlicher, wenn man sich folgende Fragen logisch nüchtern zu beantworten sucht: a) inwieweit ist die Fassung der Biblischen Genesis schon inhaltlich wie sprachlich entstellt; b) was hat man unter »Erschaffung der Welt« im sprachlichen Sinne zu verstehen; c) war Adam wirklich der erste Mensch im arithmetischen Sinne; d) bietet die Erdgeschichte für eine »ogygische« und »deukalioni-sche« Flut die sprechenden Beweise; e) welcher heutigen oder bekannten Sprache gehören die ersten Eigen- und Gattungsnamen der Genesis an? — Diese Fragen, die vorerst wie ein revolutionärer Ansturm gegen die alteingelebten Anschauungen unserer Kosmogonie und der allgemeinen Legendenbasis erscheinen mögen, erhalten aber in der Beantwortung eine beruhigende wissenschaftliche Abgeklärtheit. Ad a) Seit jeher fiel es einzelnen Forschem auf, daß die alt-slavischen Chroniken weit mehr natürliche Details in der Schöpfungsgeschichte wissen, wie die Biblische Genesis.-’) Da jene Chronisten fast ausnahmslos Mönche waren, ist auch nicht anzunehmen, daß sie die bereits geheiligten Anschauungen aus eigener Phantasie ergänzt hätten. Die über diesen Widerspruch Nachgrübelnden sagten sich z. B.: die Nestorsche Chronik weiß bedeutend mehr, als der »reine« Bibeltext, doch meinten sie, diese Erweiterungen stammen jedenfalls aus alten Quellen, über die sich schon alle Tradition über Zeit und Raum verflüchtigt hat. Aber gerade darin liegt ja der Beweis, daß es eben welche ältere und ausführlichere Quellen gab; und diese sind das Original, während die Biblische Genesis schon eine Kürzung ist, die heute nur als eine spätere Fassung in usum delphini angesehen werden darf. Der Leser muß daher sofort in das große Geheimnis eingeweiht werden, daßdieGenesisinderUrformslavisch ge wesen sein muß. Aus dem Slavischen wurde sie anscheinend zuerst ins Semitische übertragen, und hier in die heutige Textierung gebracht; aus dem Semitischen ließ dann Ptolemäus II. Philadelphias (285—247) erst die griechische, d. i. hellenische Übersetzung der hl. Schriften hersteilen. Die bisher allgemeine Annahme aber, die slavischen Texte sind erst aus der Übersetzung aus dem Griechischen im heutigen Sinne hervcrgegangen, ist grundfalsch, was später noch näher dargelegt wird. Der menschliche Geist sinnt unwillkürlich nach einer realen Erklärung der Entstehung der Erde und ihrer Bewohner. Auffallend ist es aber dabei, daß sich die Erzählungen aller Völker in dieser Hinsicht im großen gleichen, daher es nahezu keinem Zweifel unterliegt, daß diese Auffassung bei ihrer Kongruenz der Vielseitigkeit nur von einer Quelle ausgegangen sein kann. — Die ersten Europäer fanden z. B. bei den Inkas in Südamerika alle Sagen der Genesis schon vor, wie: die Schöpfung des Menschen, die Schöpfung des Weibes, den Sündenfall, die große Flut, den Turmbau, die Sprachenverwirrung, die Sodom-Katastrophe u, drgl. Ob diese Sagen einst durch den Schiffverkehr oder auf den bestandenen Landbrücken ihre Verbreitung gefunden haben, wissen wir nicht, aber es ist undenkbar, daß sich auf 2 2) Vergleiche den weiteren Artikel: »Die vier Flüsse des Paradieses«. den verschiedensten Punkten der Erde gleichklingende Sagen so heterogener Natur bilden könnten. Daß es sich ;edoch überall um Überlieferungen aus einer Stammquelle handelt, ergeben auch sonstige Vergleiche. So weist z. B das babylonische Flutepos gleichfalls den Stammbaum von 10 Patriarchen von Adam bis Noah auf, wie in der Genesis. Der vierte Stammvater ist auch hier ein Künstler, den die Bibel K e n a n (Kainan), das babylonische Epos aber Umanu nennt. Der letztere Name besagt aber gerade im Slavischen, daß es sich dort um die sprachliche Hervorhebung der Kunst handelt, denn hier heißt kunstsinnig »umen«, der Künstler »umnik, umetnik, umelec« u\ ä.;i) — Die Biblische Genesis ist daher schon eine gekürzte Fassung der criginal-slavischen; in sprachlicher Hinsicht zeigt sie überdies mehrfache Entstellungen, weil der Hagiograph den Sinn des Originales nicht immer sprachlich richtig erfaßte, bisweilen wohl auch mit Absicht anstößigen Stellen eine pädagogisch zusprechendere Wendung gab. Ad b) Der Begriff »Erschaffung der Welt, Weltschöpfung« darf auch nicht so ausgelegt werden, wie dies der Hagiograph erfaßt hat, denn dagegen spricht vor allem wieder .die slavische Sprachwissenschaft. Wenn die altslavischen Chronisten von »sozdanie mira« schreiben, so haben sie das Thema selbst sprachgeschichtlich sehr richtig erfaßt, denn jene Bezeichnung sagt tatsächlich primär im Altslcve-nischen nicht etwa »Erschaffung der Welt« sondern »Errichtung einer Gemeinde«, denn »sczdati« bedeutet vorerst nicht »erschaffen«, sondern »errichten, aufbauen, zusammentun«, nachdem fürs »erschaffen« sonst grundsätzlich »stvorit, sotvorit« und für den »Schöpfer« immer »sotvor« angewendet wird. — Unter »mir« verstand man im Altslovenischen, wie im Russischen noch heute: Gemeinde, soziale Vereinigung, d. h. eine für sich geschlossene größere Körperschaft. —- Die Stammquelle hat daher noch den Geschichtscharakter; sie erzählt Reales, wie es einst allgemein bekannt war, ohne zu ahnen, daß einst eine Zeit kommen könnte, in welcher man diese konkreten Schilderungen mißverstehen und zu Sagen oder Legenden umwerten werde, denn erst das Mißverständnis der Originalsprachausdrücke scheint den grübelnden Menschengeist zum Bau der heutigen Kosmogonie veranlaßt zu haben. Den Sammelbegriff »Welt« kennt aber weder die Genesis noch die babylonische Schöpfungssage, da sich die Schaffung eines solchen Begriffes für die ersten beschränkten Verhältnisse überhaupt nicht aufdrängte. ;1) Diesem Stammvater schreiben die altslavischen Chronisten zu: die Aufstellung der ersten Musikkapelle: die Entdeckung der Buntfärberei der Kleiderstoffe (namentlich in Rot und Gelb); die Verwertung des Getreides für die Biererzeugung; die Hebung der Pferdezucht durch Wettrennen, u. a. m. Die Bildung oder Aufrichtung, also »Schöpfung« der ersten größeren Menschenvereinigung, einer Provinz oder eines Staates zu einer geschlossenen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Einheit muß demnach etymologisch, wie auch aus sonstigen kritischen Folgerungen der ersten Kulturverhältnisse, als die vermeintliche »Schöpfung der Welt« erfaßt werden. Ad c) Adam (auch »Ada, Atla, Atam«) gilt uns allgemein als der erste Mensch der Welt, da wir es nie anders hörten. Doch ist diese Auffassung eine mißverstandene, weil die Genesis die Schöpfungslegende unmittelbar mit der Zeitgeschichte zusammenkoppelt. Die alten Chroniken und Schriften, wie auch noch z. B. Arnkiel in seinem Werke »Cymbrisches Heidentum« (XVIII. Jahrh.) sagen aber noch offen und richtig, Adam war durchaus nicht der erste Mensch im arithmetischen sondern im sozialen Sinne; er war nämlich der erste Mensch in der Welt vom Range einesKönigs. Und die Regierung dieses, jedenfalls in irgend einem begründeten hohen Rufe stehenden Herrschers, der zum mindesten über die Provinz Jedem (sonst »Edem«) im südlichen Kaukasus, wohin tatsächlich alle Völkerursprungssagen und Kulturausläufe hinwei-sen, regierte, muß als Ausgangspunkt unserer Zeitrechnung angenommen werden. Um dies verständlicher und überzeugender zu machen, ist es notwendig die Kulturverhältnisse zur Zeit Adams im allgemeinen wie im besonderen genauer kritisch zu erwägen. Die Genesis schildert in der heutigen Fassung die Verhältnisse des ersten Menschenpaares oder der ersten Familie in einer ganz undenkbaren, weil unlogischen und unnatürlichen Weise, daher es für die ernste Forschung vorweg ausgeschlossen ist, das Erzählte in diesem Sinne ernst oder gar wörtlich nehmen zu können. ■— So hat Kain, nachdem er nebstbei seinen Bruder Abel erschlagen, etwa eine Stadt aufgebaut. Ist schon die Begriffsbildung »Stadt« an sich undenkbar, weil vorerst die Vorstellungssuggestion hiezu fehlt, so wissen wir vor allem auch nicht, welchen Zweck er damit befolgt haben soll, wer ihm dabei behilflich war, und wer zunächst diese Ansiedlung bewohnen sollte, denn bis dahin ist ansonst noch nicht einmal von einem Hause die Sprache. — Kain war auch sonderbarerweise Ackerbauer, Abel, sein jüngerer Bruder, aber Viehzüchter; Ackerbau kann aber der natürlichen Kulturskala nach nicht der Viehzucht vorausgehen. — Kain benützt metallene Geräte; sein weiterer Bruder (?) Tubalkain1) ist schon Schmied von Profession, der Geräte aus Kupfer und E i-sen verfertigt. Wozu benötigt die erste Familie eines Schmiedes für sich, da sie mit den Bodenerzeugnissen nur sich selbst zu ernähren hat, und damit noch keinen Export betreiben kann? — Woher das Ei- ’) Adam hatte jedoch nur 3 Söhne: Kain, Abel, Set! sen und Kupfer? Sind im Lande »Eden« überhaupt eisen- und kupfer-hältige Erze zu finden? Wer hat das Erz hiezu gegraben, geschmolzen? Wer hat das Eisen gehärtet? Die K a 1 u b i, die ältesten Eisenerzgießer (slov. »kalup«, cech. »kadlup« = Gußform) wohnten zwar, wie alle alten Schriftsteller von Homer hieher erzählen, irgendwo in Kleinasien oder Armenien, aber die Genesis übergeht sie als etwas Selbstverständliches. Doch auch das babylonische keilinschriftliche Schöpfungsepos verrät dieselben Voraussetzungen und Widersprüche. Die II. Tafel enthält z. B. die Verse: »Thiamat, unsere Mutter, hat sich gegen uns empört, eine Rotte versammelnd, zornig tobend . . .«, dann: »Die Mutter der Tiefe, die Schöpferin des Alls, fügte hiezu siegreiche Waffen . . .« Woher nun eine »Rotte«, wenn nur eine Familie, und woher die Kenntnis der »siegreichen Waffen«, wenn Kampigegner wie M a-t e r i a 1 fehlen! Diese naturwidrigen Kultursprünge und sprachlichen Widersprüche sind aber nur erklärlich, wenn wir die Weltschöpfung mit einer Staatengründung identifizieren, die lange Lebensdauer der ersten Biblischen Menschen als die Herrschdauer einzelner Dynastien an-sehen, und die Zeitzählung schon nach Sennenjahren, also auf astronomischer Basis, iestgelegt annehmen, womit erst der natürliche Auslauf unserer Ära tatsächlich glaubwürdig und geschichtlich erscheint. Daß es sich hier tatsächlich um großzügige Kulturverhältnisse handelt, ersieht man übrigens aus dem weiteren Genesistexte, wonach Kain von Jahwe wegging und sich im Lande Nod, das östlich von Jedem lag, ansiedelte. Dort heiratete er (in unbewohntem Lande?) und erbaute sich jene erwähnte Stadt, die er nach seinem Sohne H e n o c h benannte. Demnach müssen damals zum mindesten schon Gebietsgrenzen festgelegt gewesen sein, und wozu waren solche notwendig, so lange es nur eine Familie gab?! — Gott befiehlt Adam auch das Paradies zu bewachen: vor wem, und wer soll es verteidigen?! — Und weshalb zieht Kain überhaupt in ein anderes Land, da er ja auch selbst dann, wenn er sich selbständig machen wollte, in Jedem bleiben konnte, das doch als höchst fruchtbar geschildert wird, wo es daher an einer landwirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeit gewdß nicht fehlen konnte. Ähnliche Fragen ergeben sich bei Noah. Er baut ein dreistöckiges Riesenschiff, was doch eine hohe Stufe von Schiffbautechnik, das Vorhandensein von Docks und Häfen, dann eingeleitete Handelsverbindungen voraussetzt. Ehe es zu größeren Seefahrten kam, bildete sich aber erst stufenweise die Fluß- und Küstenschiffahrt durch ungezählte Jahre vom hohlen Baumstamm über den Kahn zum Ruderboot und Segelschiff heraus usw. Erwägt man noch, daß die erste Familie einen eigenen Musikinstrumentenmacher (Jubal) besitzt; daß die Anfertigung von Ziegeln für den Turmbau von Babel so nebstbei erwähnt wird, als ob dies eine altbekannte Sache wäre; daß (nach der babylonischen Flutsage) die hl. Schriften vor der Großflut irgendwo im Osten, bei der Sonnenstadt Sapara, vergraben werden, um sie zu erhalten, zeigt demnach auch, daß das Lesen und Schreiben längst bekannt und verbreitet war u. a m., so wird hiemit alles Vorhergesagte nur noch weiter bestätigt. Ad d) Daß die Erdoberfläche schon mindestens einmal den Festlandscharakter wechselte, glaubt die geologische Wissenschaft in bestimmter Form annehmen zu dürfen, da sie hiefür orientierende Leit-fossile besitzt, die nicht trügen können. Wir hätten aber, wenn dies nicht der Fall wäre, auch keine sprachlichen Belege dafür, und doch besitzen wir solche gerade für die »ogygische« Flut, Der slovenische Begriff »oguga« ist identisch mit dem wissenschaftlichen Ausdrucke »Kataklysmus«, denn er kennzeichnet eben das Umschaukeln, d, h. einen Schwingungsweg. »Ogygisch« hat diese primäre Bedeutung wohl schon völlig eingebüßt, denn heute gilt es nur mehr als die stärkste Hyperbel in der Zeitbestimmung für ein hohes Altertum, was auch relativ richtig ist, denn die Zeit, wann das jetzige Festland ein Meer war und umgekehrt, kann nur als eine unendliche Vorzeit im allgemeinen genommen werden/’) — Ob diese sprachliche Aufdeckung tatsächlich mit jener Erdoberflächeveränderung im organischen Zusammenhänge steht, können wir heute wohl nicht mehr positiv beweisen, aber es wurde hier schon deshalb auf diese auffällige Übereinstimmung aufmerksam gemacht, nachdem dies kein vereinzelter Fall ist, daß heute noch gangbare altslavische Begriffe mit solchen der Biblischen Geschichte und namentlich im ältesten Teile, gleichklingen und noch Analoges bedeuten, daher mit jenen ersten Verhältnissen in irgendeinem Zusammenhänge stehen müssen. Die hellenische Sage hat sich zwar einen »Ogyges« als böoti-schen Autochthon zurechtgelegt, der sich zur großen Flutzeit, die Bö-ctien vernichtete, wobei es sich wahrscheinlich um Erinnerungen an die Bildung des Isthmos von Korinth handelt, mit einigen Leuten gerettet haben soll, doch ist dieses wohl wieder nur ein Seitenstück zur Sage von Noah, Deukalion und Sisostris, dem babylonischen Noah. Der Name »Deukalion« ist jedem Gebildeten in seinem Zusammenhänge mit der großen Flut geläufig. Weniger oder gar nicht bekannt ist aber die Bemerkung Lucians (II. Jahrh. n. Chr.) im Buche »de ■‘) Die Insel »Ogygia« (Homer, Odyssee) gilt als eine mythische Insel; möglicherweise wurde eine verschwundene vulkanische Insel so benannt. dea Syria« (12, 13), wonach zu Hieropolis in Syrien ein Tempel stehe, den Deukalion, der S c y t h e, nach der großen Flut errichtet habe. — In dieser Erzählung befremdete bis nun allgemein die Beifügung, daß Deukalion ein Scythe war, sowie der Umstand, daß dieses ethnographische Attribut so hingestellt wird, als wäre dies etwas allgemein Bekanntes. Doch wird dies einst auch der Fall gewesen sein, denn im Namen »Deukalicn« birgt sich offenkundig im ersten Teile der altsla-vische Hoheitsbegilif »duk, duka«, d. i. Fürs t, und nur um einen solchen kann es sich hier handeln. Der zweite Teil (»lion«) dürfte aber nur die hellenische Form des im Altslavischen überaus häufigen Personennamens »Lev« sein, »Deukalion« demnach im Originale »duka Lev« lautete. Diese Etymologie bestärkt überdies noch Flesiod, der erzählt, daß Deukalion der Sohn des Prometheus, eines k a u k a s i-s c h e n Fürsten war, wo der Name »Lev« noch im Mittelalter sehr gangbar war, — Man versuchte zwar jene Stelle Lucians »Deukaliona tön Skythea« als einen Schreibfehler zu erklären, aber ,die Unhaltbarkeit dieses Verdachtes geht schon aus He^iods Kcsmogonie hervor, die sodann auch wieder angezumifelt werden müßte. »Inach«, hebr. »Enos«, war der Sage nach jener König von Ar-gos, der die Völker nach der »deukalionischen« Flut wieder von den bezogenen hcchgelegenen Ansiedlungen in die Ebene hinabgeführt und dort seßhaft gemacht habe. — Diese Erzählung ist aber an sich unnatürlich, denn 1600 Jahre braucht kein ackerbautreibendes Volk dazu, um zu erfassen, daß es in der Ebene günstiger zu leben sei, als im Hochgebirge,.namentlich wenn erstere unbewohnt ist. Daß aber keine 'Großflut die ganze Erdoberfläche zu gleicher Zeit überschwemmt haben kann, hiefür hat die Wissenschaft mehrfache überzeugende Beweise, wenn es auch ansonst denkbar wäre, daß die Luft eine solche Unmenge von Wasser der Erde entziehen)und in ) Ein Analogon bildet das Völkerwanderungsmärchen. Hier tauchen das erstemal die Slaven auf; sie kommen irgendwo von Osten her, besetzen einen Großteil von Europa, unterjochen die bisherigen Autochthonen, aber über die Vorgeschichte dieser Machtentfaltung will man nichts wissen. Das Wichtigste dieses Werde ganges wird auf diese Art unterschlagen. men, sondern von vier Flüssen für sich, die ja gleich darauf namentlich angeführt wurden. Offenkundig will der Hagiograph damit lediglich die geographische Lage des Landes Jedem festlegen, das sich demnach innerhalb der Quellgebiete jener vier Flüsse, also im Raume der heutigen Städtegebiete Tiflis, Kutais, Kars und Batum befunden haben müßte; b) der Fison ist der Fluß Phasis der Alten, jetzt Rion benannt. Er umschließt mit seinen zwei Quellflüssen das Gebiet Jevilat (Havila), das sonach mit dem alten Kolchis und dem heutigen Imeretien im allgemeinen identisch sein muß. — Der weitere slavische Text sagt: »Dort ist Gold (zu finden), u. z, Gold der Erde (also Berg- nicht Flußgold!); dort ist es gut (zu leben). Von dort kommt auch der jantraz und der grüne Stein«. — Das Goldland Kolchis, das schon durch die Argonautensage als solches genügend hervorgehoben erscheint, wird demnach im slavischen Bibeltexte weit genauer geschildert. Zwar wissen wir heute nicht, wo dort einst das Berggold gewonnen wurde, aber wir wissen immerhin, daß schon im Altertum zahlreiche Goldlager vollkommen ausgebeutet wurden, und erinnern daran heute bestenfalls noch dunkle Traditionen, darauf anspielende topische Namen oder die Feststellung alter verlassener oder eingebrochener Stollen und Schächte, Die Qualifikation des dortigen Goldes (»und das Gold dieses Landes ist vortrefflich«) beruht wohl auf einer falschen Auslegung des slavischen Originales, denn kennt man nur ein solches Gold, so fällt hiemit auch jede Vergleichsmöglichkeit ab. — Das »bedo-lach«-Harz kennzeichnet der slavische Text als »jantraz«, also Bernstein, den die Slaven noch heute allgemein als »jantar« benennen.2) — Die Bibelkritiker, die behaupten, jenes Harz sei identisch mit Pech, das die Kolchier als hervorragende Schiffbauer zum Kalfatern der Schiffe in großer Menge benötigten und demnach aus dem Lande Hevila bezogen, sind demnach im Irrtume, und wird auch der Hagiograph damit etwas Edleres hervorgehcben haben wollen, denn die Gewinnung dès gewöhnlichen Koniferenharzes kann doch nicht als eine Besonderheit irgendeines Landes angesehen werden, das Nadelholzbestände besitzt; allerdings ist aber der Bernstein auch ein Harz. — Der »grüne Stein« kann nur einer der grünfärbigen Edel- oder Halbedelsteine, wie : Smaragd, Chrysopras, Heliotrop oder Plasma, allenthalben Nephrit sein. Die Bibelkritiker a) Der Diamant, den die slavischen Chroniken auch »jantraks« nennen, dürfte hier wohl nicht gemeint sein. — Bewunderungswürdig ist aber die Tatsache, daß die alten Slaven alle flnthracide genau so chemisch kennen, wie die heutige Wissenschaft, denn auch die alten Chronisten zählen hiezu die drei Hauptvertreter: Bernstein, Kohle, Diamant. meinen hingegen, der »schocham«-Stein sei mit dem Onyx identisch, was aber gleichfalls nicht zutreffend sein kann, denn der slavische Chronist kennt den Onyx auch, u. z. als »onihion«, aber er beschreibt ihn nicht als grünfärbig, was er ja auch in der Natur nicht ist; c) der zweite Fluß G e o n, auch G i h c n, der das äthiopische Gebiet einschließt, ist identisch mit dem Araxes des Altertums, dem späteren Dzihon oder Aras. — Dieses Äthiopien, das der Biblische Text ebenso »Kus« nennt, wie das afrikanische, muß hier geographisch geklärt werden, denn der Name selbst ist nichts weiter, als eine sprachliche Umwertung des Begriffes »Cerno morje« (=Schwarzes Meer) durch das »aiihoip« (Tr aithiops), d. i. sch w a r z. — Es scheint, daß man schon zur Zeit Homers alle Anwohner des Schwarzen Meeres als Ä t h o p i e r benannte, die gerade Homer selbst als das gebildetste Volk der Welt und als die gerechtesten aller Menschen bezeichnet, daher auch gelegentlich Götter zu ihnen reisen, um an ihren Festen 'teilzunehmen. Augenscheinlich ist des Näheren damit das Gebiet von Byzanz gemeint, wo sich doch auch die Grundlagen für die große altslavische profane wie Kultusliteratur gebildet haben müssen, denn dort war schon mit dem Beginne der christlichen Zeitrechnung die Zentrale der altslavischen Wissenschaft und Kunst, daher auch der alte Spruch im Westen: ex criente lux. — Der Hagicgraph nennt jenes Gebiet zwar »Kus«, aber »kus« bedeutet im Semitischen unter bestimmten Voraussetzungen auch schwarz. — Nachdem der Aras (Geon) mit der Kura (Cyrus) nahezu das ganze Gebiet des südlichen Kaukasus, aiso einen großen Teil der sogenannten Schwarze n-M e e r-L ä n d e r einschließt, ist diese Namengabe naheliegend, wenn auch etymologisch unzutreffend; d) weiter heißt es: »der dritte Fluß heißt T i g r. Er vereinigt große Wassermengen und begrenzt und umkreist das assyrische Gebiet«. — Wir erfahren hier gleichfalls Bestimmteres, als im semitischen Texte; e) desgleichen weiß der slavische Chronist über den vierten Fluß mehr, denn er schreibt: »der vierte Fluß heißt Jevefrat. Er geht von Vavilon, und wirft eine Menge von wertvollen, sel-tennen und schönen Steinen aus«. — Welche edle Steine, dis der Euphrat führt, hier gemeint sind, wissen wir nicht; an anderer Stelle, bei der Beschreibung der Edelsteine, führt der slavische Chronist nur den blutroten Sarder an, der in Assyrien und Babylonien gefunden wird; die geologische Durchforschung seines Stromgebietes müßte aber feststellen können, welche Mineralien dieser Art überhaupt in das Bett des Euphrat gelangen können. — Dies alles zeigt, daß die Bibelkritiker damit einen schweren Fehler begingen, daß sie bei ihren Auslegungen die slavischen Quellen der Genesis, die doch ununterbrochene Brücken von der Vorzeit zur Jetztzeit bilden, vollkommen ignorierten. Doch tragen die Slaven selbst einen großen Teil an diesem Schuld, weil sie bisher die bibliographische Verbreitung der so überaus wertvollen, da originelleren alt-slavischen Chroniken last ganz vernachlässigten. Hoffentlich holt aber die Zukunft alles jene nach, was die Vergangenheit versäumte. — Überdies muß dem grübelnden Leser gerade bei diesem Teile der Genesis auffallen, daß hier, nebst der geographischen Festlegung der vermeintlichen Urwchnstätte des Menschengeschlechtes in einem von Natur überaus gesegneten Landstriche, sonderbarerweise nicht etwa die primitivsten volkswirtschaftlichen Eindrücke berührt werden, sondern hauptsächlich der Luxus in mineralogischer Richtung, also ein Gebiet, das bereits chemische Kenntnisse, hohe kunstgewerbliche Erfahrungen (Steinschleiferei, Erzeugung hoher Schmelztemperaturen, gute technische Werkzeuge) sowie geregelte Handelsverbindungen mit großzügigem Geschäftssinne voraussetzen. Alles dieses kann aber unmöglich als eine Äußerung des Urzustandes des Menschengeschlechtes angesehen werden, sondern weit eher als die älteste bekannte Schilderung einer unbewußt hohen, eine lange Vorentwicklung voraussetzenden .Kulturzeit. Die Völkertafel beim babylonischen Turmbaue. Die altslavischen Chroniken enthalten zumeist auch ein Namensverzeichnis jener Völker, die beim Turmbaue zu Babel, oder »Vavel«, wie die Originalschreibweise durchgehend lautet, beteiligt waren; sie zählen deren 72 auf. Während nün die Bibel sagt, daß die verschiedenen Völker bzw, Sprachen aus den Nachkommen der Söhne Noahs hervorgegangen seien, denn bis dahin gab es noch eine gemeinsame Sprache, hält hingegen das jahwistische Bibelwerk daran fest, daß jene Teilung in die vielen Sprachen eine Straffolge der von Gott verhängten Sprachenverwirrung über die vermessenen Absichten beim Turmbaue war. Der Grundgedanke ist aber in beiden Auffassungen derselbe:, es gab selbstredend zu einer gewissen Zeit nur eine Sprache i n einem gewissen Raume; jene Menschen, die diesen Raum verließen, begannen sodann mehrweniger abweichend von jener Grundsprache zu sprechen, worauf man die abgeleiteten Formen der gemeinsamen Sprache eben als neue Sprache anzusehen begann. Jene 72 Völker zählt z. B. die Schottenchronik in folgender Reihe auf: »Gljutsii, Jevrei, Siri, Hadjei, Midi, Persi, Aravii, Habesei, Magnidei, Tani, Halamoniti, Sracini, Sarasiki, Kaspii, Alvaniti, Parti, Indi, Etiopi, Egipti, Livii, Hetei, Sei, Elamitii, Feresei, Gergesei, Ida-mci, Samariti, Finici, Klozamanii, Spiriane, Kasiani, Pisidi, Paflagoni, Galati, Frangi, Jellini, Fettali, Makedoni, Giganti, Dardani, Savromati, Germani, Ispani, Alamani, Nissiri, Dolmati, Romei, Latiki, Ligeri, Leliaki, Indiane, Vretani, Bulgari, Rusii, Turci, Tatari, Monoke, Rati, Kinokefali, Pitiki, Ugklezi, Niri, Skiti, Kappadokii, Kirinei, Katelani, Vlahi, Sikeli, Jakeri, Lehi, Carkasi, Lazi«. Diesen 72 Sprachen paßt sich auch die Erzählung von der Entstehung der Septuaginta an. Der makedonisch-griechische Kaiser Pto-Jemäus II. Philadelphus von Egypten (285—247) v. Chr.) ließ durch 72. Gelehrte die hl. Schrift ins Griechische übersetzen. Jeder dieser Männer war auf der Insel Pharos (bei Alexandria) für sich abgeschlossen,, denn Ptolemäus meinte, nur dann, wenn der Text aller dieser Übersetzer stimme, sei die Bibel echt, d. h. einwandfrei verständlich. Ob nun diese Übersetzer aus einer oder aus verschiedenen Sprachen übersetzten, wissen wir nicht; für jeden Fall ist aber das abermalige Auftauchen der Zahl 72 bei dieser Sprachprobe bemerkenswert, wie auch der Umstand befremden muß, daß die Bibel erst jetzt ins Hellenische übersetzt wird, denn man behauptet doch immer, die vorhandenen altslavischen Kirchenbücher seien erst aus der Übersetzung aus dem Hellenischen hervorgegangen. Hier birgt sich nämlich eine entschiedene Unstimmigkeit, denn der altslavische Text der Genesis ist viel genauer, natürlicher und sachlicher gehalten, als der semitische oder hellenische, und sind die vielen unverständlichen Stellen der letzteren wohl nur dem Umstande zuzuschreiben, daß die. Septuaginta-Übersetzer eine Vorlage hatten, die entweder bereits selbst sprachlich verdorbene oder aber für sie schon unverständliche Stellen enthielt. Da aber keinesfalls angenommen werden kann, daß die slavischen Übersetzer aus dem Hellenischen alle jene U n-s t i mm igkeiten wieder ^sachlich richtig ergänzt oder behoben hätten, bleibt nur das eine möglich, d. i. das Übersetzungsverhältnis war ein umgekehrtes. Macht schon die slavische Fassung der Genesis überhaupt mehr den Eindruck allgemeiner Geschichtschreibung, während die semitische vor allem die eigene Stammesgeschichte in den Vordergrund treten läßt, die kosmopolitischere Vorlage daher schon einseitiger erfaßt, so wissen wir doch auch, welche bedenkliche Fehler die hellenischen Übersetzer slavischer Originale auch sonst machten und trotzdem heißt es immer: die Slaven übersetzten hellenische Originale. Um das Gegenteil überzeugend zu beweisen, sei nachstehend ein geradezu komischer Fehler dieser Art vorgeführt. Der oströmische Kaiser Konstantin V. (741—775) führt in allen Geschichtsbüchern den hellenischen Beinamen »Kopronymos«, d. i. der Mis tnamige. In den slavischen Chroniken heißt er aber: »Konstantin, gnoe imenitij«, d. h. Konstantin, genannt der Bucklige, denn das Grundwort ist hier nicht »gncj« (— Mist, Dünger), sondern »gnuti« = biegen, russ. »gnut« = biegen, »gnjotsja« = sich biegen, slov. »gnjec« = der Zwerg, deutsch »Gnome«, Wer hat nun das skurille Prädikat »der Mistnamige« geschaffen? Doch nur der hellenische Übersetzer der slavischen Vorlage, der allerdings wörtlich genau den Vorgefundenen s’avischen Text »gnoe imenitij« übersetzen wollte, die Doppelbedeutung von »gnoe« aber nicht kannte, sich daher nur an die bekanntere und gebräuchlichere (Mist) hielt. Er holte wohl auch keine Erklärung bei Spracherfahreneren ein, obschon ihm ein solches unnatürliche und gewiß auch seinerzeit gar nicht zulässige Prädikat Bedenken einflößen mußte, ob seine Auslegung überhaupt richtig sein könne. Noch weniger konnte ihn der*posthume Erklärungsversuch, Konstantin habe diesen Beinamen erhalten, weil er anläßlich der Taufe das Taufbecken beschmutzte, befriedigen. Nichtsdestoweniger zieht sich dieser kuriose Übersetzungsfehler gedankenlos schon über zwölf Jahrhunderte durch alle unsere Geschichtswerke fort, und ist bis zur Stunde unseres Wissens noch kein Slave aufgetreten, der diesen handgreiflichen Fehler berichtigt hätte, nachdem ihn ein Nichtslave schon gar nicht berichtigen konnte oder kann.1) Wie nun ein kurzer Überblick zeigt, waren fast alle Völker, die die drei alten Weltteile bewohnten, bereits bei der legendären Sprachensezession anwesend, oder doch schon als typisches Sprachenelement bekannt, bzw. benannt. Überdies muß gleich hier hervorgehoben werden, daß andere Chroniken zum Teile auch andere Volksnamen anführen. Im allgemeinen fällt es aber auf, daß etliche der größten Völkergruppen, die ansonst von alten Schriftstellern immer wieder genannt werden, wie: Kelten, Illyrer, Slaven, Etrusker, Thraker u. a. hier namentlich noch gar nicht angeführt erscheinen. Dies ist aber erklärlich, denn hier handelt es sich den Chronisten lediglich um die Aufzählung von Völkerteilen, nicht aber um eine großzügige geographische Ethnologie oder um Sprachengruppen. Hingegen sind aber Teile jener Völker mehrfach hervorgehcben, und finden sich für die slavischen Völkergruppen folgende zweifellos erkennbare Spezialnamen darunter: für die Russen: Rusii, Savromati, Niri, Skiti; für die Ruthenen (im modernen Sinne): Tatar i.—Zu diesen gehören wohl auch die S 1 o v a k e n, denn das >Tatra«-Gebirge, der »Ta-taren«-Paß wie die vielen »Tataren«-Hügel bestätigen dies, wie auch der in der Königinhofer Handschrift beschriebene Tatareneinfall in Mähren (1241), denn diese Tataren mit ihrem Anführer Kublaj (»Kubla« ist ein häufiger cechischer wie slovakischer Familienname) können doch nur irgendwoher aus dem ruthenisch-slovakischen Nachbargebiete Mährens oder Schlesiens eingefallen sein, aber gewiß nicht aus Mittelasien!* 2) Wir haben daher heute auch über die »Tataren«-Herr- *) Ein ähnlicher Fehler, der slavischerseits leicht zu berichtigen war, verbirgt sich auch im Prädikate »porphyrogenetos«, den fünf oströmische Kaiser, u. z. die Brüder Basilius und Konstantin, dann Joannes, dessen Sohn Manuil und sein Neffe Alexei-in der Geschichte führen. Der Hellene übersetzte das slavische »bagrorod-nij«, d. i. kupferfärbig geboren, also der Rothaarige, falsch als »im Purpur geboren«, ohne zu bedenken, weshalb gerade diese in Purpur geboren sein sollen, und die übrigen nicht, und ohne zu wissen, daß »bagr, bakr« vorerst im Altslavischen Kupfer bedeutet. 2) »Kubla« scheint auch ein ziemlich verbreiteter Funktionsname gewesen zu sein, denn auch einzelne Herrscher Chinas nannte man: Kublai, Chubilai, woher auch obige ethnologische Verwechslungen ihren Ausgang haben dürften. schaft in Rußland in ethnologischer Hinsicht kaum die vollkommen zutreffende Auffassung; für die Polen; L e h i; für die Bulgaren: Bulgari und Makedoni; für die Kroaten und Serben: R a t i, sonst als Raci, R a s c i, R a i t z e n bekannt; Leljaki (die Bewohner des Gebietes der Lelja planina); Dol mati (Dalmater); für die slavisch-rumänisch-griechische Spiachgruppe: Vlahi, wie derselbe Name zum Teile noch heute gangbar ist; für die Wenden und Sorben: L u t e c i, ein Name, der noch im Mittelalter im vollen Gebrauche stand; für die Slovenen: Indiane, d. i, jenes Gebiet, das die Slove-nen oder »Winden« noch heute bewohnen, einschließlich Istrien und das nordadriatische Küstengebiet/1) Ein rätselhafter ethnographischer Begriff ist »Kinokefale«, Die Übersetzung dieses griechisch scheinenden Namens lautet: Hundeköpfe. Nun bezeichnen die Slovenen noch heute die Hunnen als »Pesoglavci«, und gab es im südwestlichen Böhmen einst auch eine Einwohnergruppe, welche die Čechen als »Psohlavci«, also auch »Hundeköpfe« benannten. Desgleichen nennt Adam von Bremen »Cyno-cephali« am Riphäischen Gebirge in Ncrdrußland (IV, 25). — Die Bildung dieses sonderbaren Namens ist ebenso unklar wie etymologisch unwahrscheinlich; desgleichen ist dessen wiederholtes Auftreten auffällig, denn Ktesias (um 430 v. Chr.) erzählt, daß es auch in Indien Menschen mit Hundeköpfen gebe. Jedenfalls liegt hier überall irgendeine verunglückte Übersetzung vor. Für die Čechen4) wäre demnach in dieser Völkertafel kein Name ■1) Da dieser Volksname eine eigene Geschichte hat, wird er in dem Artikel: Indija« in Europa besonders behandelt. \ ') Der Verfasser dieses Werkes gebraucht ausschließlich die Bezeichnung »Čeche« und »čechisch«, und hofit nachstehend überzeugend beweisen zu können, daß diese Bezeichnung die historisch und volkstraditionell die richtige ist, um zugleich der langwierigen politisch-literarischen Fehde und den planlosen Katzbalgereien, ob die Bezeichnung »Čeche« oder »Böhme« der zutreffendere ist, eine Grenze zu setzen. Dem Umstande, daß sich die Čechen im deutschen Gebrauche als »Böhmen« bezeichnet wissen wollen, stellen sich namentlich die Deutschböhmen entgegen, nachdem die Deutschen in Böhmen auch »Böhmen« sind, obschon sie selbst dabei unkonsequent Vorgehen, nachdem sie sich doch zum Unterschiede »Deutschböhmen« nennen, demnach in ihren Augen die Čechen im Prinzipe doch »Böhmen« sind. — Die Čechen nennen sich aber selbst immer »Čech, Češi«, und ist nicht der geringste Grund vorhanden, weshalb der alle patriarchalische und traditionelle Name gerade nur im deutschen Gebrauche den historischen Kurswert verlieren soll, nachdem er dcch sonst überall seine Vollgültigkeit hat! — Die sicher zu finden, d. h. es ist nicht klar, ob und gegebenfalls unter welchem Namen sie hier inbegriffen erscheinen. Andere Chroniken jedoch, die heute vielleicht nicht mehr vorhanden sind, wissen für die Cechen dieselbe Stammvätersage. Äeneas Silvius hat als Papst Pius II. (1458—1464) mit Hilfe Joan Tauseks, des Kanzlers der Altstadt Prag, für Alphons, den König von Arragonien, die Mission übernommen »eine Chronika von der Bojemen Ankunft und Nation zu beschreiben <. Die zur Verlage dienenden Chroniken veranlaßten ihn zu einem »wunderlichen Spctt«, denn er schreibt (nach Hajek, Ausgabe v. J. 1596): »Er hätte niemals eine solche hoffährtige Nation gesehen, welche sich allein (!) ihre Ankunft von dem Turme zu Babel her rühmen dürfe, und daß also die Bojemen ihre Ankunft vom Paradies hero gründen wollen, welches nicht wahr sei, sondern daß dieselbe Landschaft T eutsch gewesen und die Böhmen die Teutschen bei-mählig vertrieben und dieselbe eingenommen hätten. Und beweiset solches mit Strabos Bedünken, welcher also schreibet: die Teutsche uralte Stammvätersage erzählt, daß Cech (zugleich mit Lech, Mech und R u s) nach der Sprachenverwirrung beim Turmbaue in Vavei mit seinem Anhänge über drei Flüsse — mit Rücksicht aui seine Landroute demnach über den Tigris, Euphrat und Phison — in die heutigen Wohnsitze gelangte. Diese ehrwürdige Tradition wäre daher weit eher intensiv zu pflegen, statt sie zu bekämpfen. Überdies ist die Bezeichnung »böhmisch« doch nur eine politisch-geographische, die ja nicht genügt, da es doch auch Cechen in Mähren, Schlesien, in der Slovakei, in Amerika usw. gibt, es sich dabei höchstens darum handeln kann, ob man einen böhmischen, mährischen, schlesischen usw. Cechen nach seinem Geburts-Kronlande kennzeichnen will, daher man früher auch sagte, er spricht mährisch, wenn es sich um einen in Mähren geborenen Öechen handelte. Die Deutschen haben daher hier unbewußt recht, wenn sie die Cechen auf die kleinliche Auffassung ihres Vtlksnamens aufmerksam machen. Der Zweifel in dieser Frage ist übrigens schon sehr alt. In Hajeks Chronik v. J. 1596 ist über den Ursprung der böhmischen Nation zu lesen: » . . . aus allem ist zu vernehmen, daß sich (vermöge der alten Skribenten) diejenigen nicht wenig geirret, die vorgegeben, daß die Dalmaten und Slovaken diese Landschaft (darinnen jetzt die Böhmen wohnen) ihnen alsbald nach der Sündflut zugeeignet, und dieselbe also ordentlich, bis auf den heutigen Tag bewohnen sollen. Denn solches ist klar durch die Pronunziation zu verstehen, als wenn man spricht Bojemus, ein Cech, dieses ist ein großer Unterschied. Item Bojemia, Ceskä zeme oder das Ceche n-L a r. d, dieses trifft gar nicht zu. Es müsse vielleicht billiger C e c h i a, vom Cech hero also heißen usw. — •Alle Völker, die eine eigene alte Kulturbasis besitzen, haben auch immer nur einen typischen und traditionellen Volksnamen, und ¡st kein Grund, weshalb sich gerade die Cechen gegen diese Einheitlichkeit stellen sollten. Der Umstand allein, daß die Deutschen in den Namen »Ceche« (wie auch in den Namen »Windischer« für den Slovenen) eine Verächtlichkeit legen wollen, darf niemanden beunruhigen oder unsicher machen, denn dieses ist nur ein Beweis, daß die Schmähenden über die geschichtliche Ehrwürdigkeit dieser Volksnamen gar nicht orientiert sind. — überaus große Nation erstreckte sich an die Tatarischen Grenzen« usw.5) Nun wissen wir aber auch nicht, wer in der Völkertafel unter »Germani« zu verstehen ist, denn Völkerschaften dieses Namens gab es im Altertum sowohl in Mitteleuropa wie am Persischen Golf. Die Nennung in der Völkertafel bezieht sich mit Rücksicht auf die Aneinandereihung jedoch zweifellos auf Europa. Nun besitzen wir aber über die sprachliche Gruppierung der Völker Mitteleuropas auch andere Quellen, denn das, was Thukydides, Strabo, Mela, Ptolemaeos, Ammianus Marcellinus, namentlich aber Tacitus über die »Germani« wissen, findet im Großen auch seine Bestätigung im sogenannten »Fragmentum geographicum de terris Slavorum saeculi IX«. In München befindet sich nämlich ein Handschriftenfragment (Nr. 560), das aus 140 Pergamentblättern besteht, von Hormayr aufgefunden und i. J. 1826 im »Archiv für öster. Geschichte« veröffentlicht wurde.11) Der Verfasser (oder Abschreiber) lebte um das Jahr 866—890 als Mönch im Kloster des hl. Emeran in Regensburg, was aus bestimmten Daten geschlossen werden kann. Das Material hiezu scheint er mehreren älteren Vorlagen entnommen zu haben. Für uns sind vor allem die Blattseiten 148—149 der Handschrift von wesentlicher Wichtigkeit, denn dort werden ausschließlich sla-vische Gebiete nebst Aufzählung der befestigten Städte und Gaue genannt. Es folgen da 58 ethnographische Namen anfangend in Holstein und weiterziehend längs des Stromgebietes der Elbe über Böhmen, Mähren und Ungarn zu den Balkanländern (Nr. 1—13). Von Nr. 14—35 werden die Völker vom Schwarzen Meere an bis zum Ladcga-See und dem Baltischen Meere aufgezählt. Unter Nr. 36—58 finden wir die Völkerschaften Litauens und Polens erwähnt und endet die Aufzählung bei Geizen, südlich von Berlin. Die geographische Spannung der hier als von Slaven bewohnt erwähnten Gebiete ist daher eine sehr große und wer unter diesen »Germani« laut der Völkertafel in sprachlichem Sinne zu verstehen ist, bleibt weiter nicht unklar. Viele der angeführten Namen sind zwar stark verstümmelt wiedergegeben, doch lassen sich die Urformen durch den Vergleich mit anderen Quellen leicht erkennen. Der lateinische Wortlaut jenes »Fragmentum« lautet: r') Die deutschen Geschichtschreiber bezeichnen aber noch im XVIII. Jahrhunderte die Teutschen als einen Teil der W e n d e n Völker. — Die »Tatarische« Grenze kann auch nach diesem nur wieder mit der Slovakei oder Ostgalizien in Zusammenhang gebracht werden. (,j Palacky, der später die Handschrift studierte, bezeichnete sie als die Abschrift einer älteren Vorlage, und veröffentlichte sie i. J. 1836 im »Codex diplom. Moraviae«. In neuester Zeit wurde der die Slaven betreffende Teil von Dr. Prikryl im »Staroslovan« (1914, 1. Heft) von neuem in Erinnerung gebracht. »Descriptio civitatum et regionum ad septemtrionalem plagam Danubii, Isti sunt, qui propinquiores resident finibus Danaorum, quos vccant Norabtrezi, ubi regio, in qua sunt civitates LIII o per duces sues partiae. Vuilci, in qua civitates XCV et regiones IV. Linae est populus, qui habet civitates VII; prope illis resident, quos vocant Bethenici et Smeldingon et Morizani, qui habent civitates XI. Iuxta illcs sunt, qui vocantur Hefeldi, qui habent civitates VIII. Iuxta illos est regio, quae vocatur Surbi, in qua regione plures sunt, quae habent civitates L. Iuxta illcs sunt, quos vocant Talaminzi, qui habent civitates XIV. Beheimare, in qua sunt civitates XV. Marharii habent civitates XI. Vulgarii regio est immensa et populus multus habent civitates V, eo quod multitudo magna eis sit et non sii eis opus civitates habere. — Est populus, quem vocant Marehanos, ipsi habent civitates XXX. Istae sunt regiones, quae terminant in finibus nostris. Isti sunt, qui juxta istorum fines resident: Osterabtrezi, in qua civitates plusquam C sunt. Miloxi, in qua civitates CXVII. Phesnuzi habent civitates CXX. Thaelesi plusquam CC urbes habent. Glopeani, in qua civitates CCCC, aut eo amplius. -— Zuireani habent civitates CCCXXV. Busani habent civitates CCXXXI. Sitici, regio inmensa po-pulis et urbibus munitissimus. Stadici, in qua civitates DXVI popu-lusque infinitus. Sebbirozi habent civitates XC. Vulizi, populus multus. civitates CCCXVIII. Nerivani habent civitates LXXVI1I. Attorozi habent CXVIII, populus ferocissimus. Eptaradici habent civitates CCLXIII. Vuillerzoi habent civitates CLXXX. Zabrozi habent civitates CCXII. Zretalici habent civitates LXXIII. Aturezani habent civitates CIV. Chozirozi habent civitates CCL. Leudizi habent civitates XLVIII. Thafnezi habent civitates CCLVII. — Zerivani, quod tantum est regnum, u t ex eo cunctae gentes Slavo-r u m exortaresunt, et originem, sicut affirmant, ducant. Prussa-ni civitates LXX. Velunzani civitates LXX. Bruzi, plus est undique, quarri de Enisa ad Rhenum. Vuizunbeire, Caziri, civitates C, Ruzzi. Fcrsderen, — Liudi. Fresiti. Serauici. Lukolane. Ungare. Vislane. Sleenzane, civitates XV. Lunzici, civitates XXX. Dadosesana civitates XX. Milzane, civitates XXX. Bezunzana, civitates II. Verizane, civitates X. Fraganeo, civitates XI. Lupiglaa, civitates XXX. Opolini, civitates XX. Golensici, civitates V.« — Der Vergleich mit der Völkertafel ergibt, daß sich hier nur drei Namen, u. z. »Vulgari, Leudici« (Lutici) und »Ruzzi« (Rusii) decken. Die Bemerkung des »Fragmentum«, daß die slavischen Stämme östlich der Elbe bis zur Volga, nördlich der Donau bis zum Baltischen Meere und dem Ladoga-See als schon altansässig angesehen werden, stimmt sonach zum mindesten für jene drei Völkerschaften, weil deren Namen in alten Quellen doppelt belegt sind. — Diese Aufzählungen erfolgten hier, um einerseits den Anstoß zur Verfassung einer großzügigen, alle Quellen umfassenden alten Geographie wie Völkergeschichte zu geben, andererseits aber auch hinzuweisen, daß die Abweichung oder Abschwenkung der vielen Sprachen von einer Ursprache schon in nebelgrauer Vorzeit stattgefunden haben muß, wobei aber auch alle Legenden, Traditionen, die Sprachphilosophie wie die natürliche Beobachtung der noch erkennbaren Sprachwandlungen immer wieder zurück zum monistischen Ursprünge führen. Doch ist das, was sich in vielen Jahrtausenden von selbst entwickelte, beim Turmbaue von Vavel zeitlich zusammengedrängt dargestellt, und nicht naiver und nicht unbeholfener, als etwa unsere Annahme von Völkerwanderungen, um dem historischen Beginne gewisser unsympatischer Völker eine zeitlich faßbare Auslaufgrenze zu setzen, die sich aber in der Wirklichkeit in einer unfaßbaren Unendlichkeit verliert. Die scheinbare Berechtigung von einer Völkerwanderung zu sprechen hätte die Geschichtschreibung allenthalben, wenn sie dieselbe mit dem Auseinandergehen der Völker nach dem Turmbaue identifizieren würde. Doch kann auch diese Völkerzerstreuungsepisode keine mögliche historische Tatsache sein, sondern wieder nur als ein posthumer Erklärungsversuch dafür gedeutet werden, wie sich der grübelnde Menschengeist die Entstehungsmöglichkeit so zahlreicher Sprachen auf der Erde zu erklären versuchte, wobei er nach der Erfolglosigkeit einer natürlichen Deutung auf die deus ex machina-Lösung mit der Sprachenverwirrung als Gottesgericht verfallen sein mag. — »Venetier« oder »Phönizier« ? % Die alten Geographen wie Historiker erzählen unverhältnismäßig viel von der Intensität der Schiffahrt, den vielen Kolonien-giündungen und Handelsverbindungen der Phönizier, hingegen wissen sie über die seefahrenden V e n e t i oder V e n e t i e r zu jener Zeit nahezu kein Wort. Betrachtet man jedoch die geographisch-historischen Verhältnisse des Altertums etwas näher, und stellt diesen jene des Mittelalters scharf gegenüber, so kommt man zur Erkenntnis, daß da welche Verwechslungen vorliegen müssen, und daß die meisten Aktionen der Phönizier die V e n e t e r ausführten, d. h. es sind dies zwei ähnlich klingende Namen, die aber dasselbe Volk bezeichnen. Vor allem fällt es auf, daß niemand etwas Bestimmtes über die Sprache der Phönikier anzugeben weiß, was rätselhaft erscheinen muß, denn wenn sich seefahrende Nationen einerseits intensiv befleißigen die Verständigungssprachen ihrer Exportländer anzueignen, so üben sie andererseits im gleichen Sinne auch eine Gegenwirkung aus. Trotzdem will man keine phönizische Sprache kennen; ihre einzigen sprachlichen Denkmäler konzentrieren sich auf etliche Grab- und Münzaufschriften, über deren Lesung man aber auch noch nicht hinausgekommen ist'. Dieses Rätsels Lösung soll nun im folgenden durch die volle Umstellung der bisherigen Anschauungen gebracht werden, wonach der Name »Phönizier« nur als die hellenisierte Form des Namens »Venetier« anzusehen ist. Für diese Umwertung liegen nämlich verschiedene gewichtige Gründe vor. Vor allem weisen alle Berichte des Altertums logisch zu dieser Annahme, denn die klassischen Geschichtschreiber wissen über dieses hervorragende Volk, das damals den Welthandel in der Hand hatte,, in geschichtlicher Hinsicht so gut wie nichts. Die wenigen erhaltenen Bruchstücke der hellenischen wie jüdischen Schriftsteller geben uns gar kein orientierendes Kulturbild, und die Chronik Sanchuni-atün s, angeblich eines Phöniziers aus dem XIII. vorchristlichen Jahrhunderte, ist bis ayf einen Teil der Kosmo- und Theogonie ebenso Verloren gegangen, wie die Annalen Menanders von Ephesus, der die Geschichte von Tyrus eingehender behandelt haben soll. Hingegen weiß man viel über deren nützliche Erfindungen, ihre Industrie und Kunsttechnik, ihren Handel und damit in Verbindung über ihre kühnen, weitreichenden Seefahrten zu erzählen. Das Einzige, was man zugibt, ist nur, daß die Bewohner der phönizischen Städte keine Einheimischen oder Autochthonen waren. Es sind dies die »Enetoi« des Homer und Herodot, und als solche zweifellos nur venetische Kolonisten gewesen. Aus der Bibel wissen wir, daß zur Zeit Josuas (3774—3839 sl. Ä.) die phönizische Stadt Sidon schon sehr mächtig war, es müssen demnach die Schöpfer dieser Blütezeit schon etliche Jahrhunderte vorher hier eingezcgen sein, um diese Kulturhöhe zu ermöglichen Weiters ist bekannt, daß das ganze phönizische Küstengebiet eine Reihe von politisch locker «usammenhängenden Städten, Inseln und Häfen war, die bis zur persischen Oberhoheit immer eigene Verfassungen und Autonomien und indische, d. i. venetische Fürsten hatten, und nur zum allgemeinen Schutze im Vertragsverhältnisse der gegenseitigen militärischen Unterstützung standen, also einen losen Städtebund bildeten. Das wirkliche Verhältnis läßt sich mit den heutigen Kolonialstaa-tcn in allen Teilen vergleichen. Die Heimat erzeugte in zahlreichen I abriken und Werkstätten die in den Kolonien erwünschten Industrieartikel, die man wieder gegen die Naturprodukte des betreffenden Gebietes umsetzte. So gelangte hier das an Landbesitz ganz unansehnliche Mutterland trotzdem zu einem enormen Volksreichtum, zur höchsten Kapitalsmacht und zur Beherrscherin des Meeres, weil es überall in der damals bekannten Welt Handelsemporien und Stappel-plätze gründete und förderte, und so ohne Konkurrenz und ohne feindliche Störung oder Eifersucht arbeitete. Unsere Venetier sind daher nichts weiter als die Engländer des Altertums, gegen die damals auch kein Rivale aufkam, und vielleicht auch nicht mehr aufgekommen wäre, wenn die Entdeckung neuer Welten nicht die eingelebte Han-deisbasis gründlich verschoben hätte. Die Detailbeweise hiefür sind verschiedenster Art. Einer ersten Aufklärung bedarf da vorerst der Name »Suez«, der in der slavischen Sprache als »svez« bedeutet, was der Suez-Kanal tatsächlich ist: Verbindung, Verbindungslinie (des Mitteländischen und Roten Meeres). Der Name selbst muß uralt sein und sich lediglich in der Tradition erhalten haben, denn irgendein alter Schriftsteller nennt ihn (unseres bisherigen Wissens) nicht, und im Mittelalter oder der Neuzeit scheint der slavische Einfluß bei dieser Namenbildung nicht einleuchtend oder überzeugend. Ptolemäus (II. Jahr, n. Chr.) kennt den Suezkanal im heutigen Sinne noch nicht, aber er schreibt in seiner Geographie (I, 9), daß die Schiffahrt nach Indien auf dem Nil zu den Nilseen (Schilfmeer der Genesis?) führe, und daß hiebei das Gebiet der Troglodyten rechts bleibe. Diese Trace ist aber altbekannt. Sie ging vom Mitteländischen Meere durch den östlichen Nildeltaarni bis Bubastis. Von hier führte ein Schiffahrtskanal 37 röm. Meilen lang (= 55 km) zum Bittersee, welche Entfernung auch heute vollkommen stimmt. Diesen Kanal baute schon Sethos I (um 1400 v. Chr.) und setzten den Bau desselben, wie es heißt, die Pharaonen Ramses, F.sametic, Nechao, dann Darius, Ptolemäus Philadelphus, Kleopatra und Trajan fort, was aber gleich hier dahin berichtigt werden muß, daß es sich bei diesen nur um Ausbaggerungsarbeiten gehandelt haben kann. Dieses muß daraus gefolgert werden, weil eine gravierte Inschrift des Pharao Nechao (610—595 v, Chr.) besagt, daß zur Regierungszeit desselben .Afrika umschifft wuirde, denn die ausgesendeten Schiffe kehrten um Afrika auf ihren Basispunkt zurück, was nur möglich war, wenn der Kanal schon vollkommen ausgebaut war. — Die Fortsetzung des Seeweges aus dem Bittersee bis zum Roten Meere ermöglichte aber die natürliche Wasserlinie, die als solche in alten Karten auch eingezeichnei erscheint. Ob sie hiezu unreguliert genügte oder auch erst hergerichtet werden mußte, wissen wir einstweilen nicht. Die Erbauer oder doch Anreger jenes Kanales waren aller Wahrscheinlichkeit nach die slavischen Veneter, um rascher Indien zu erreichen, denn sonst hatte doch niemand ein tieferes Interesse daran, als ein seefahrendes Handelsvolk. Es ist weiters bekannt, daß die sogenannten »tvrischen« Karten von einem Phönizier, namens M a r i n u s, der eben in Tyrus gelebt habe, stammen und deshalb auch so benannt sein sollen. Doch bezweifeln diese Annahme schon Gatterer und Schöning in ihren Geschichtswerken, indem sie mit Recht fragen: wrie kommt gerade der Tyrer Marinus dazu, 8000 geographische Namen der damals bekannten W eit zu kennen, Ptolemäus hingegen nicht, dem doch die große alexan-drinische Bibliothek zur Verfügung stand? — Ptolemäus hat demnach die aufgezählten topischen Namen durchaus nicht den Geographen seiner Zeit und Vorzeit, sondern den schon vorhandenen alten »phönizischen« oder »tyrischen«, also f r e m d e n Karten entnommen, und gab den darin vorkommenden Ortsnamen erst die hellenische Form.- Diese Vermutung ist berechtigt, aber unter wesentlich anderen Voraussetzungen. Ob es je einen Kartographen namens »Marinus« gab, wissen wdr nicht; Ptolemäus ist sonderbarer- weise der einzige, der dies in den in Abschriften auf uns überkommenen Exemplaren seiner »Gecgraphie« erwähnt; ob Marinus ein Tyrer war, oder nur dort lebte, wissen wir schon gar nicht; die Vermutung bildete sich lediglich daraus, daß man die Karten des Marinus eben als »tyrische« zu bezeichnen pflegte. Der Umstand jedoch, daß zwei Auflagen der »tyrischen« Karten schon zu Ptolemäus Zeiten draußen waren, und daß eine dritte eben vorbereitet wurde, führt uns aber zu wesentlich anderen Schlüssen: a) für die einstige Schiffahrt bedurfte man unbedingt welcher Orientierungsbehelfe, also der Seeroutenkarten. Im Altsla-vischen, wie heute noch immer im Slovenischen und Kroatischen, heißt aber die Route »tir« (~ tour), und da man den Begriff hellenischerseits später nicht verstand, suchte man dies dahin zu erklären, daß T y r u s der Entstehungs-, Verlags- oder Vervielfältigungsort sei. Daß es derlei Karten gegeben haben muß, ist selbstverständlich, weil sie unentbehrlich waren, denn derjenige, der eine größer^ Seefahrt zu Handelszwecken machte, mußte doch einen derartigen Behelf haben, um die geographische Lage der berührenden Orte zu erkennen, wozu auch als organische Voraussetzung die Kenntnis des Kompasses gehörte, der ja tatsächlich schon im Altertume bekannt war.1) Es waren dies sonach Marine- oder nautische Tourenkarten, die irgendeine Seebehörde evident führte, fallweise berichtigte, ergänzte, vervielfältigte und käuflich oder amtlich an die Schiffskapitäne abgab. Welchen Zweck hätte übrigens ansonst eine dritte Ausgabe für einen Privatforscher, und woher soll dieser fortgesetzt neue Daten haben, sowie den Impuls zu neuen Auflagen erhalten, wenn er die Ergänzungen und Berichtigungen nicht von irgendeiner Seite erhielt, die selbst daran ein tieferes Interesse hatte?! b) Dürfte »Marinus« überhaupt kein Personenname, sondern nur die latinisierte Form für die Bezeichnung S e e-Karte — im Gegensatz zur L a n d-Karte — sein, und wird ein slavischer Matrose aus dem heutigen Venetien, Istrien oder Dalmatien vielleicht auch noch heute unbeeinflußt die Seekarte als »marin tir«, d. i. S e e w e g(karte) bezeichnen; c) fällt es besonders auf, daß jene »tyrischen« Karten, deren es zu Ptolemäus Zeiten schon 27 gab, einzeln nie ein reines Landgebiet darstellen, sondern immer den Wasserweg, auf dem man dahin gelangt, zugleich ersichtlich machen. Es ist daher nahezu zweifellos, daß jene »tir«-Karten nur die ß Vrgl. den Artikel »Zum Alter des Kompasses« drutoo-PM offiziellen Karten für die Schiffskapitäne kurzer wie weiter Fahrt waren.2) Nun fällt hier noch eine, schwerlich wieder nur einem Zufalle zuzuschreibende Tatsache auf. Herodot erzählt (I, 5), daß Aristagoras, das Oberhaupt von Milet, schon i. J. 503 v. Chr. in Sparta eine Landkarte zeigte, die aus einer Metallplatte bestand, d. h. in eine solche graviert war. Merkwürdigerweise taucht aber eine solche solide Karte gerade in Milet, einer »phönizischen« Kolonie, auf. Nun ist aber der älteste Name von Venedig doch »Mletci« (= Sandbänke), also Milet in Pluralform. Die weltherrschaftliche Bedeutung Venedigs auf dem Meere wie auf dem Kunstgebiete ist wohl allgemein bekannt. Dieses »Mletci« ist zur Zeit der Erfindung des Buchdruckes die typographische Zentrale der altslavischen wie christlich-syrischen Literatur; hier wurden sogar die Wiegendrucke vieler russischer Werke hergestellt. Schon im frühen Mittelalter war Venedig der Hauptsitz der Kartenerzeugung; im XVI, Jahrhunderte werden daselbst bereits eigene Staatskartographeri besonders erwähnt. — Wie kam dieses Venedig so plötzlich dazu, das Zentrum altslavischer Wiegendrucke und kartographischer Kunst geworden zu sein? Da müssen doch die Vorbedingungen hiezu längst und lange Zeit vorher geschaffen gewesen sein! Daß aber die Hellenen selbst keine Kartographen waren, wissen wir, nachdem sie auch keine Seefahrer waren, denn: a) sie waren geographisch noch zur Zeit Herodots so unwissend, daß er als Augenzeuge erzählt (I, 8), die hellenischen Flottenführer weigerten sich sogar über Samos, bzw. Delos hinauszu-segeln, da sie sich in noch unbekannte Gegenden nicht wagen wollten. Nun legen sie aber gerade dort ihre »miletischen« Kolonien an? Wie kamen sie demnach zu Koloniengründungen, wenn sie geographisch wie marinetechnisch so inferior waren? Aristagoras mußte ihnen auf der erwähnten Karte erst selbst die Lage von Susa, die Insel Zypern, die Aufeinanderfolge der kleinasiatischen Provinzen u. ä. zeigen; b) den Hellenen haben etwa erst die P h o k ä e r, nachdem diese vorerst selbst von Kleinasien (?) nach Hellas übersiedelt seien, die Gebiete an der Adria, Tyrrhenien, Iberien, Taitessus (Spanien) u. a. gezeigt. Man erzählte ihnen: dort am Adriatischen Meere wohnen jene seefahrenden Eneti, 2) Die Herstellung von Karten hat auch noch heute ihren offiziellen Charakter, um namentlich im Kriegsfälle dem Gegner die Erreichbarkeit bestimmter Karten unmöglich zu machen, daher auch der Besitz gewisser Karten im Kriege leicht den Verdacht der Spionage oder sonstiger unlauterer Handlungen erweckt. — Der Besitz einer Landkarte kostete bereits unter Kaiser Domitian einen edlen Römer das Leben, da dessen Herumtragen der Karte den Verdacht erregte, er befasse sich mit Umsturzplänen, wie Suetonius in der Lebensbeschreibung Domitians (81—96 n. Chr.) anführt. die man zugleich für Illyrer hält (Hercdot I, 1). — Jene »Phokäer« waren demnach wohl eher die »Bokäer« (altslav. Schreibweise »Vokäer«), d. i. die Bewohner der Boka (Cattaro) in Dalmatien, also Dalmatiner, die in der Nautik noch heute den besten Ruf genießen. Daß es schon in uralter Zeit Seekarten gegeben haben muß, ersehen wir auch aus den Erzählungen des Geographen Pvtheas von Massilia (Marseille) um das Jahr 320 v. Chr., wonach durch die Insel Thule der arktische Kreis gehe, der mit dem nördlichen Wen dekreisdiegleicheRichtung habe. Die Kugelgestalt der Erde war demnach längst bekannt, und wenn bisher Aristoteles, der Lehrer Alexanders d. Gr., als derjenige angesehen wird, der die Kugelgestalt der Erde zuerst erkannt und ausgesprochen haben soll, so ist dies schwer haltbar, obschon Pvtheas und Aristoteles Zeitgenossen waren, nachdem ersterer hievon wie von einer selbstverständlichen Tatsache spricht. Wir können daher ruhigen Gewissens aussprechen, daß da schwere Unstimmigkeiten vorliegen müssen, und ergibt sich hier der gleiche Mißton, wie bei der Erfindung des Glases: die Phönizier gelten geschichtlich als die Erfinder des Glases, aber die Venetianer gelten geschichtlich als die eigentlichen Glaserzeuger und die Verfertiger des berühmten venetianischen Glases von altersher. Es folgt demnach ein Widerspruch dem anderen. Die »Phönizier« gelten weiterhin als'jenes Volk, das verschiedene wissenschaftliche Richtungen begründete oder doch der Vervollkommnung zuführte. — Der intensive Etandelstrieb erforderte in erster Linie die Kenntnis einer prägnanten Schrift, der Rechenkunst, der Geographie und kartographischer Grundlagen, dann der Astronomie. — Die Erfindung der Buchstabenschrift schreibt man dem Phönizier Taon (Taun, Tavon?) zu, man bezweifelt jedoch vorweg, ob diesen Namen je eine Person trug. Letzteres ist aber insoweit beglaubigt, da jener »indische« (phönizische) König, der Priam bei der Belagerung Trojas mit Soldaten, Elephanten und wilden Tieren zu Hilfe kam, Taun hieß (nach slavischen Chroniken). — Der Handel kann nicht der Rechenkunst entbehren. Die Seefahrten erfordern kartographische wie astronomische Behelfe. Die »Phönizier« waren es, die die Längengradmessung auf die Kanarischen Inseln (Insel Ferro) und die Breitengrade auf Thule basierten. Dies setzle wieder umfassende geographische Kenntnisse voraus, und müssen dem allem dech langjährige und zahlreiche Seefahrten — zum mindesten an der Westküste Afrikas und Europas— hervorgegangen sein. Weiters sind Belege da, wonach Handelskarawanen sowohl Afrika wie Asien von West nach Ost durchquerten u. ä. Desgleichen weiß man über die Religion der »Phönizier« nichts weiter, als daß sie den Herakles verehrten. Eine etruskische Kamäe trägt tatsächlich die Figur eines starken Mannes, aber die Beischrift »Jerakleos Slavens«, also »slavischer (slovenischer) Herakles«, zur Schau. — Es gibt auch an 80 »phönizische« Münzen und einige Inschriften des Totenkultus, doch sind die Schrifttexte noch nicht entziffert, weil sich bisher auch noch niemand damit näher befaßte. Wir wissen aber, daß die Münzaufschriften zum Teile glagolitische Buchstaben anwenden, — Die Bibel erzählt auch, daß »phönizische« Baumeister zur Regierungszeit Salomos (um 970 v. Chr.) beim Tempelbaue in Jerusalem beschäftigt waren. Auch für die militärisch-diplomatischen Verhältnisse bringen du Homer wie Vergil eigenartige Beiträge. Der vermeintliche Trojaner Antenor ist es, der die Vermittlerrolle bei der Beilegung des Trojanischen Krieges spielt und vor allem vorschlägt, Helena den Griechen auszuliefern. Nun sollen ihn nach Trojas Falle die aus Paphla-gonien vertriebenen »Eneti« zu ihrem Führer gewählt haben. Er schiffte sich mit ihnen ein, fuhr nach dem Adriatischen Meere, berührte Illyrien, kam in das Reich der Liburner, fuhr in die Mündung des Timavus (bei Devin), kam zu den Euganäern (?) und gründete mit seinen Enetern die Städte »Patavi« und ein neues »Troja« (Vergil, Aeneis, I, 242—250). Livius (I, 1) bemerkt im besonderen, daß man die gesamte Bevölkerung dieses Gebietes als »Veneti« bezeichnete (»gens universa Veneti appellati«), — Was mag nun Antenor mit den Venetern dazu bewogen haben, von Troja ausgerechnet in das Stammgebiet der »Veneti« zu segeln? Offenkundig nur der Umstand, daß sie dort zu Hause waren, und vom »phönizischen« Könige Taun über Priams Bitte als Hilfstruppen zu Hilfe geschickt wurden. — An-tencr gründet auch zwei Städte. — Man glaubt »Patavi« sei P a d u a; die zweite Stadt nennen römische Schriftsteller »Troia secunda«, und sagen, diese-sei identisch mit C e 1 e j a. Ist dieses zutreffend, dann fällt »Patavi« wahrscheinlich mit dem heutigen P e 11 a u, das die Römer als »Patavia, Paetavium, Pötovium« u. ä. benannten, zusammen. Diese beiden untersteirischen Städte liegen tatsächlich im Lande der »Veneti«. Welcher geschichtliche Zusammenhang da besteht, ist dermalen noch unklar; vielleicht bringen aber bisher noch unbeachtete Chroniken weitere Aufschlüsse. Allem Anscheine nach gehörten aber zu den Hilfstruppen, die die Veneter Priam zusandten, auch die untersteirischen Garnisonen, die gerade Antenor nach der Ausschiffung im Hafen von Tržič (Monfalcone) in Fußmärschen heimführte. Für jeden Fall verdient diese sonderbare Tatsache eine nähere Beachtung. Die Geschichte erzählt weiters, daß die Blüte der »Phönizier« bis zur Kraftentfaitung der Perser währte, aber auch in diese*- Zeit ncch nicht wesentlich sank. Erst Alexander d. Gr, brachte sie durch die Errichtung der mächtigen Konkurrenzstadt Alexandria um ihre dominierende Stellung; doch auch da blühte der »phönizische« Handel in den eigenen Kolonien erfreulich weiter. Trotzdem verschwinden sie sodann als eine eigene mächtige, seefahrende und den Welthandel beherrschende Nation in der Völkergeschichte vollkommen und anscheinend spurlos. Diese Darlegung stimmt aber wieder nicht, denn es verschwinden nur die »Phönizier«, hingegen tauchen aber gleichzeitig die »Venetier« als ein mächtiges Handelsvolk auf, d. h. esvollziehtsich nur ein Namenwechsel bei den Chronisten. Letztere entwerten auch die heute gangbare Annahme, als wäre die Stadt Venedig (»Mletci« = Sandbänke) erst nach Attila (f 454) gegründet worden, dahin, daß sie sagen, Venedig bestand schon i. J. 421 n. Chr.; die Markuskirche sei i. J. 800 erbaut worden, und die Gebeine des hl. Markus, der doch als ein Slave angesehen wird, holte man i J. 832 von Alexandria, wo er gestorben war, ein. Die Wissenschaft, die den Slaven auf der Erde keine alte Existenz oder gar Vergangenheit zubilligen will, hat sich hiefür eine äußerst bequeme Methode zurechtgelegt: in allen Fällen, wo sie das Vorhandensein der slavischen Geschichte und alten Kultur zugeben müßte, erhalten die Träger dieser geschichtlichen Vergangenheit Namen wie: Kelten, Illyrer, Phönizier u. drgl.; man läßt sie eine Zeit lang leben, aber dann für immer spurlos verschwinden mit dem Schlußworte: über die Sprache dieser Völker ist nichts bekannt, und wehe dem, der dies bezweifelt, oder gar wagt zu beweisen, daß derlei Entscheidungen nicht nur unnatürlich sondern handgreiflich unwahr sind! Dieses Andiewanddrücken oder Negieren der Slaven muß aber schon frühzeitig eingesetzt haben, denn dies geht aus Folgendem hervor. Die berühmte alexandrinische Bibliothek besaß anscheinend keine »phönizischen« Werke, also gerade jenes Volkes, das nach allem, was bekannt ist, kurz vorher an der Spitze der damaligen Weltkultur und des Weltverkehres marschierte. Der Geograph Eratosthenes, der der Direkter jener Bibliothek war und in der Zeit von 275—195 v. Chr. lebte, sammelte selbst eifrigst die Denkmäler aller Nationen für seine Bibliothek. Trotzdem kennt er in seiner Geographie keine »phönizischen« Quellen, obwohl nur von diesen geographische Daten zu erwarten wären; hingegen kennt er den weit entfernten Pytheas von Massilia. Ptolemäus hingegen, der an vier Jahrhunderte später auch in Alexandria lebt, besitzt bereits »phönizische« Quellen, obschon er — soweit bekannt - - nicht Bibliothekar war; erwähnt sie aber selbst auch nicht. Doch dieses ist naheliegend, denn sowohl zur Zeit des Eratosthenes wie Ptolemäus waren schon Karten und geographische Werke da; von wem sie stammten, darum kümmerte sich niemand weiter, obschon es unwiderlegbar ist, daß Ptolemäus schon eine Sammlung unzähliger Reisebeschreibungen, die in jener Zeit auch schon recht zufriedenstellend berichtigt waren, zur Verfügung ge- standen sein muß. Darum, ob nun diese die Venetier oder Phönizier von ihren Seereisen zusammengetragen haben, kümmerte sich in der Folge niemand mehr, und auf diese Art ist auch die Autorquelle verdunkelt worden, ein Analogon, wie wir ein solches auch bei der Anführung des Alters des Kompasses bestätigt finden. Daß alle alten Quellen endlich einmal slavischerseits vom Grunde aus überprüft werden müssen, ist eine Kulturnotwendigkeit, denn die verschiedenen »Berichtigungen« sind es, die der Forschung so oft mechanisch den Weg vertreten, cbschon man fühlt und weiß, daß dieses Hindernis nur eine gewisse geschichtliche »Reparatur« bezweckt. Als Beispiel gelte folgende Feststellung. In den handschriftlichen Exemplaren des Ptolemäus befindet sich auf der 8. Karte von Europa der ethnographische Name »Slavani« nahezu genau an jener Stelle, wo die Nestor sehe Chronik die »S 1 o vj e n i« im nördlichen Rußland verzeichnet. Im XVI. Jahrhundert taucht nun plötzlich an derselben Stelle in einer neuen Ausgabe des Ptolemäus der Name »Stavani« auf, q. h. das »1« wurde plötzlich zu »t«. Eine solche »Berichtigung« war nämlich notwendig, wenn man weiter daran festhalten wollte, daß die Slaven erst mit der Völkerwanderung im V. oder VI. Jahrhunderte nach Europa kamen; ein Gegenbeleg aus dem II. Jahrhunderte oder ein gar noch älterer wirkte störend, daher er verschwinden mußte. Aus neuerer Zeit kennen wir zahlreiche solche »Berichtigungen«; wie viel aber deren schon in älterer Zeit vorgenommen wurden, das soll erst eine allgemeine objektive Nachprüfung der gesamten alten Literatur festlegen.") Die alter) Geschichtschreiber kümmerten sich freilich um den Welthandel recht wenig. Ihre ganze Aufmerksamkeit widmeten sie den kriegerischen Vorgängen der Gegenwart und Vergangenheit, denn ’•) Wie man dies in neuerer Zeit macht, zeigt folgendes drastische Beispiel. — Im J. 1916 erschien, das große Werk »Ruhmeshalle deutscher Arbeit in der ost.-ung. Monarchie« von Müller-Guttenbrunn. Es ist schon im Titel jeder Zweifel ausgeschlossen, daß hier nur ven »deutscher« Arbeit gesprochen wird, aber die Tat-, sache fällt wesentlich anders aus. — Josef Ressel, der Erfinder der Schiffsschraube, auf desen Stammbilde vorerst »natione bohemicus« stand, aber später ausgestemmt wurde, weil dessen Nationalität angeblich doch zweifelhaft sei, ist darin bereits als ausgesprochener Deutscher angeführt. — Der Afrikaforscher Dr.. E. Holub, und der Arabienforscher Dr. A. Musil, zwei hochverdienstvolle Ce-chen, die ihre Nation gewiß nie verleugnet haben bzw. verleugnen werden, erscheinen darin als »deutsche« Arbeiter. — Eine eigenartige Ironie begleitet den großen slovenischen Mathematiker, Georg Freiherr von V e g a. Auch dieser berühmte Mann, der als einfacher Juri Vega in Moravce in Krain von biederen slove-nischcn Eltern geboren wurde, und bis zum 12. Lebensjahre kein deutsches Wort verstand, wurde hier plötzlich zum Deutschen gestempelt, nachdem er früher durch fast hundert Jahre als Spanier (!) galt. — Diese durch Jahrhunderte geübte Methode bewährt sich für den angestrebten Zweck ganz hervorragend: man schafft zum mindesten eine Verwirrung, indem man es falsch in ein Buch aufnimmt, sich aber bei der Reklamierung bereits auf diese Quelle beruft; und so erhält der Fehler den Kunstdünger für die weitere Wucherung: er wird unausrottbar. die Schilderungen der gewalttätigen Zerrüttung der politischen Organisationen und die sinnlosen Zerstörungen der Kulturarbeit und des Glückes der Völker haben seit jeher das Interesse der Geschichtschreibung in weit höherem Maße zu fesseln gewußt, als das stille geistige Schaffen, die Gründung und Festigung des menschlichen Kulturfortschrittes und der Segnungen der friedlichen Arbeit. Unter solchen Voraussetzungen hatte aber Klio in bezug auf die Slaven allerdings nicht viel zu verbuchen. — »Indija« in Europa. Dem Geographen, Geschichtsforscher wie dem Kulturhistoriker mußte es immer sonderbar erscheinen, wieso die alten Schriftsteller so vieles über die Schiffahrt und den Handel, dann über die sprachlichen und kulturellen Verhältnisse der »Indi« bieten konnten, obschon auf die Völker dieses Namens in A s i e n weder die Art der Handelsprodukte noch die damaligen nautischen Verhältnisse, und ebensowenig die Sprache wie die Kultureigenart näher paßte. Die Berichte über deren Handelsverbindungen müßte man selbst unter der Annahme, daß damals schon der Suez-Kanal den Seeweg um Afrika erspart hätte, noch immer skeptisch beurteilen, nachdem es bekannt ist, ja erwiesen zu sein scheint, daß der Handel Europas mit Indien in ältester Zeit zum Hauptteile doch auf groß organisierten Karawanenwegen erfolgte. Es muß daher gleich eingangs eröffnet werden, daß die »Indi« der alten Schriftsteller nicht ausschließlich in A s i e n zu suchen sind, sondern daß darunter ebenso die »Winden«, d. i. die heutigen S 1 o v e-n e n und Kroaten in Untersteiermark, Krain, Westkärnten, im adriatischen Küstengebiete, in Venetien, Dalmatien, Südwestungarn und Westkroatien zu verstehen sind, deren Gebiet man einst, also schon vor der Römerzeit, als »Indija« in der sprachlichen oder staatlichen Gesamtheit bezeichnete, und das etwa dem späteren napoleo-nischen Illvrien gleichkommt. Für diese Neuorientierung sei vor allem eine bisher grundsätzlich mißdeutete Stelle der Corn. Nepos (29. v. Chr.) in Erwägung gezogen, die z. ß. Plinius folgend wiedergibt: »Idem Nepos de sep-temtrionali circuitu tradit, Quinto Metello Celeri, C. Afranii in con-sulatu coliegae, sed tum Galliae proconsuli, 1 n d o s a rege Suevorum dono datos, qui ex I n d i a commercii causa navigantes tempestatibus in Germaniam abrepti«.1) >) D. i.: »So berichtet Nepos über den nördlichen Seeweg, es seien dem O. Metellus Celer, dem Kollegen des C. Afranius im Konsulate und dem damaligen Prokonsul in Gallien, vom Suevenkönige Inder zum Geschenke gemacht worden, die auf der Handelsfahrt aus Indien durch Seestürme nach Germanien verschlagen wurden«. Über die wahre Heimat jener »Indi« und des Gebietes »India« entstand nun ein lebhafter Streit. Man hielt sie vorerst, trotz aller Widernatürlichkeit und inneren Unwahrscheinlichkeit der Fahrt, für asiatische Inder. Andere meinten, darunter seien die Baktrer, Sogdianer oder Samarkander, als Nachbarn der Inder, zu verstehen, die von Asien aus auf den großen russischen Flüssen in die Ostsee gelangten; wie sie hiebei die Wasserunterbrechungen überwanden, darüber sprachen sich die Ausleger überhaupt nicht aus. Andere meinten, es seien dies Briten gewesen; andere sahen darin Normannen, dritte Lappen oder Afrikaner; Humboldt holte am weitesten aus, denn er meinte, es seien dies die kupferfärbigen Esquimaur-Indianer Amerikas gewesen Dergestalt irrte man in der ganzen damals bekannten wie unbekannten Welt herum, aber niemand dachte an das Nächste und. Natürlichste. Diese »indischen« Kaufleute waren nun in die Hände des bata-v i s c h e n Königs (am Niederrhein, also nicht des bätischen in Südspanien) geraten, der sie dem Konsul Metellus schenkte. Die auf dem Meere Verunglückten und an die Küste geworfenen Schiffe gehörten nach altem Völkerrechte als Strandgut den Bewohnern und Herren der Küste. Metellus, der tatsächlich i. J. 58 v. Chr. Prokonsul in Gallien war, bzw. dessen Nacherzähler C. Nepos, stellten sich da lediglich einen nautischen Zusammenhang der Ostsee mit dem Schwarzen, Azowschen und Indischen Meere vor, und sahen statt der W i n-d e n, die schon Marcian von Heraklea als »Indikon (st. »Uindikon«) kölpon« schrieb, nur asiatische Inder. -— Unsere »Indi« fuhren daher tatsächlich aus »indischen.«, d. h. windischen, venetischen oder adriatischen Gewässern bis an die Nord- und wohl auch Ostsee zu Handelszwecken.-) Daß nun die Wissenschaft bis heute nicht erkannte, wonach es auch in Europa ein »Indija« gab, gereicht ihr wahrlich zu keiner besonderen Ehre, obschon eine lange Reihe weiterer Hinweise hiefür laut sprach.1) Als derlei Hinweise seien hier vorgeführt: a) die altslavischen Chroniken unterscheiden zwischen den Indern Asiens, die sie »Indi«, und jenen Europas, die sie »Indijane« Vorübergehend sei erwähnt, daß in jenem lateinischen Satze auch die »Indi« der Ostsee gemeint sein könnten, denn auch dort am »sinus vendicus, ve-netius« lebten (vermutlich seefahrende) Völkerschaften des Namens »Veneti, Vi-nidi«. Das anlautende »v« spielt bei keinem dieser Namen eint wurzelbeständige Rolle, analog wie auch Vorderindien den grundlegenden Namen nach dem »Vindja«-Gebirge erhalten haben mag, daher die volle wie die abgeschliifene Form zugleich gangbar waren. Allerdings liegt aber bisher kein einziger Beleg vor, wonach die Bewohner am »sinus vendicus« irgendwo als »Indi« bezeichnet worden wären. ■■) Safarik ist der einzige, der in seinem Werke »Slavische Altertümer« (I, 8) die Indentität jener »Indi« mit den »Windi« vermutet, doch hatte er von allen folgenden Belegen, die zum Teile auch liefere Lokalkenntnisse voraussetzten, noch keine Kenntnis. nennen, sind daher auch schon in der babylonischen Völkertafel getrennt angeführt; b) der »Monsalwatsch« (slov. »Bcč«) in Eschenbachs Epos »Parci-val« liegt im Lande »Indian«, was im XVI. Abschnitte noch dahin ergänzt wird, daß in diesem »Indian« nicht nur »Johann« (»prie-ster Johann man den hiez«) geboren wurde, sondern, daß auch die Sage vom Loh eng rin (»Loherangrin«) tatsächlich am »Mcnsalvaesche« ihre Heimat haben muß. Eine geographische Verwechslung ist aber hier völlig ausgeschlossen, da Eschenbach (im IX. Abschnitte) auch vom Lande »Stire« (Steiermark), von den Städten »Cilli, Rohas (Rohitsch), Gandin (Pettau)«, vom Flusse »Drau«, vom Bache »Grejan« (Grajena bei Pettau) u. a. ausführlich spricht; c) in der altčechischen Schrift »Tandariaš«, die sich seit dem Jahre 1648 als Kriegsbeute in Stockholm befindet, ist zu lesen, daß die schöne Florabella der Artus-Sage auch aus diesem »Indija« stammt; d) desgleichen stammt Hilde, die Braut Hägens in der Gudrun-Sage, gleichfalls aus dem Lande »Indija«, welcher Umstand sicherlich auch etwas zur Lösung der zahlreichen Rätsel der Entstehungsgeschichte jenes Epes beitragen könnte; e) das slovenische Volkslied »Ena ptičca perletela, iz dežele Indije« (Nr. 5916 der großen Sammlung der »Narcdne pesni«) erwähnt z. B., daß ein Vöglein goldene Ähren aus dem Lande »Indija«, ein zweites süßen Wein aus Untersteiermark brachte. Varianten identifizieren aber jenes »Indija« schon unmittelbar mit Untersteiermark, denn die topischen Relationen wechseln je nach der Örtlichkeit, wo das Lied eben gesungen wurde; f) das slovenische Volkslied vom Wunderlande »Indija«, das mit dem »Schlaraffenlande«t identisch ist. Da sich aber die Anschauung eingelebt hat, das »Schlaraffenland« sei überhaupt kein konkretes, sondern nur ein utopisches, in der menschlichen Phantasie entstandenes Gebiet, wc man aller Arbeit und Nahrungssorgen infolge des natürlichen Existenzmittelüberflusses automatisch enthoben sei, so erfordert dies eine nähere Aufklärung, umsomehr als auch schon die alten Hellenen jenes Wunderland auf Grund mißverstandener oder rätselhafter Reiseberichte nach Indien verlegten, worunter sie gleichfalls kein anderes, als das in Asien gelegene meinten. Die Slovenen des Gailtales (Ziljska dolina) in Kärnten, sowie auch jene in Krain, tanzten früher zu bestimmten Zeiten (Kirchweih) den »visoki raj« (~ hoher Reigen) und sangen dazu folgenden Text. »Oj Indra, oj Indija, ti srečna dežela, Kjer nikdar sneg ne pade, kjer nikdar dež ne gre. Je vendar vsako jutro od preobilne rose Vsaktera stopinica polna hladne vode. Tam dvakrat vsako leto pšenica lepo dozori. Okoli hodi pečen vol, v ledjah ma zaboden nož, Da vsaki si odreže, kdosibodi hoče. \ Na rogih mi pa sodič ma, napolnjen vinca sladkega, Da vsaki se napije, kdosibodi hoče. Vinka vanka v Vajnavi, kako tam so delali? Tako so ugonavljali, z vinom mizo vmivali. — Oj indija, oj Indija, ti srečna dežela, Z klobas ruče delajo, z Špeha rante cepijo«.4) Untersteiermark gilt mit Berechtigung als ein bevorzugtes Le-bens-Dcrado, namentlich bei den benachbarten Kärntnern und Krai-nem, deren Gebiet infolge des rauheren Klimas weniger Genüsse bietet. Jedes bessere Feld gibt hier jährlich zweimalige Fechsung; alle Getreidearten gedeihen hier in bester Qualität. Hier ist die eigentliche Heimat des Buchweizens und der daraus bereiteten schmackhaften Nationalspeise: des Grammelsterzes. Das milde Klima läßt hier die edelsten Weine, wie den: Lutlenberger, Jerusalemer, Pickerer, Radiseller u. ä. reifen. Die Edelkastanie bildet hier kilometerweite, nur von Weingärten unterbrochene Waldungen. Hier wird die Geflügelzucht am rationellsten betrieben; die untersteirischen Kapaune sind weltbekannt; der Truthahn, der auffallenderweise auch »Indian« genannt 4) Deutsch: »0 Indija, o Indija, du überglücklich Land, Wo niemals fällt der Schnee, der Regen nie marschiert. Wo doch an jedem Morgen von überreichem Tau Ein jedes Grübchen voll von kühlem Wasser ist. 5 Dort reift in jedem Jahre zweimal schön die Weizensaat. Gebraten geht ein Ochs herum dort mit dem Messer in den Lenden, Damit sich jeder gleich abschneide, wie viel er eben will. Und auf den Hörnern trägt er ein Fäßchen süßen Weines, Damit ein jeder trinken kann, wie viel er eben will. 10.......(ein Wortspiel) . . wie machten sie es dort? Sie gaben dort sich Rätsel auf, und wuschen mit dem Wein den Tisch. O Indija, o Indija, du überglücklich Land: Den Zaunring macht man hier aus (Krainer) Wurst, Die Querstargen (des Zaunes) spaltet man aus Speck«. Zum Verständnisse dieses Textes, zu dem auch eine eigene Melodie und Tanzmusik gehört, diene folgendes. Der Slovene ist ein geborener Satiriker und hat zugleich ein sehr feines Sprachempfinden. Im 2. Verse wird mit trockenem Humor die Sprachunart gegeiselt, weil man da und dort sprachwidrig sagt »sneg pada, dež gre«, statt »sneži, deži«. Es regnet und schneit demnach in diesem Indien nicht, sondern dort »fällt der Schnee« und »der Regen geht«. — Im 5. Verse liegt gleichfalls ein Wortspiel vor, ist aber auf die deutschen Nachbarn gemünzt, die vom Weizen und Buchweizen sprechen. Nun wird aber in den slove-nischen Gebieten das abgeräumte Weizenfeld sofort noch mit Buchweizen besät, der auch noch in demselben Jahre (September-Oktober) reift und geschnitten wird. Auf diese Art ist auch diese Behauptung zutreffend. wird, wird hier in ganzen Herden aufgezogen und mit seinem zwei-färbigen Fleische zu einer besonderen Delikatesse aufgemästet/’) Der Wirtschaftsbedarf an vorzüglichem Tafelöl wird daheim aus Kürbiskernen gewonnen usw. — Vor mehr als einem Menschenalter, als die Lebensbedürfnisse noch viel bescheidener waren, und die Hausindustrie noch so manches schuf, was heute nur mehr die Fabrik besorgt, pflegte der untersteiiische Bauer noch zu sagen: »bis auf Eisen, Salz und Sohlen brauche ich mir nichts zu holen«. Obiges bestätigt auch die Etymologie des Begriffes »Schlaraffenland«, der auch deutscherseits als kein heimischer angesehen wird. Tatsächlich ist dies nur eine Anpassung an das slovenische »čaroben, čaroven« (= zauberhaft, wunderbar), und wenn uns bisher Indien ohne besondere Begründung als ein Wunderland galt, sc wissen wir nun auch weshalb. — Es scheint daher dringend gebeten alle alten Quellen zu überprüfen, soweit sie die »Indi« und »India« berühren, um zu scheiden, was nach Europa und was nach Asien gehört, denn es haben sich da gleichlautende geographische Begriffe unbedingt ineinandergeschoben, die sich später zu einem Chaos unnatürlicher Tatsachen und schwerer Widersprüche auftürmten. —- Desgleichen scheinen da große Verwechslungen in der Mythologie stattgefunden zu haben, denn z. B. die Götternamen »Živa« (= Prinzip des Lebens), »Višnu« (= der Hohe), »Krišna« (= der Beschützer) sind rein slovenische Begriffe mit vollkommen sich • deckender »indischer« Bedeutung.“) Einer inpulsiven Wissenschaft steht daher in dieser Richtung eine große, eigenartige, nicht undankbare Reparatursarbeit vor, die entweder feststellen wird, daß sich der überwiegende Teil unseres Wissens über die alten »Indi« gar nicht auf jene in Asien bezieht, oder aber, daß man einst das ganze Gebiet von der Indus-Mündung bis an die Alpen als »Indija« benannte, wobei die alten »Indo-Sciti« die Brücke zwischen dem asiatischen und europäischen »Indija« bildeten. c) Die Meinung, der Truthahn sei erst um das Jahr 1530 aus Amerika eingeführt und hier domestiziert worden, ist höchst unglaubwürdig; weit eher ist der Fall umgekehrt. “) Der Name »Indija« kommt auch als Ortsname wiederholt vor. Erwähnenswert ist da besonders Ihnichen (Tirol), das schon urkundlich J 770 als »India in partibus Slaviniae« genannt wird, jedoch hier noch mehr Gebiets-, als Ansiedlungsbegriff zu sein scheint. Wer sind die Hyperboräer? Über das Wohngebiet der Hyperboräer herrschen die widersprechendsten Ansichten, weil die Etymologie hier in keiner Weise überzeugend oder objektiv in den Dienst gestellt wurde. Die ältesten, meist als sagenhaft bezeichneten Nachrichten weisen dahin, wonach die Hellenen allen Völkern, die nördlich der großen Grenzgebirge wohnten, den allgemeinen Namen Hyperboräer beilegten, analog wie wir heute unter gleichem geographischem Standpunkte von Nord Völkern sprechen. — So erzählt Diodor (IV, 50), Medea verkündete nach ihrer Rückkehr von Kolcjiis nach Ithaka dem versammelten Volke; »Die Göttin (Orilocha, Iphigenia, die Taurische Diana) sei aus dem Hyperboräerlanae zum Heile der Sterblichen hier angekommen«. — Apollonius Rhodius (II, 64) weiß wieder, daß die Argonauten dem aus Lybien zum unzählbaren Volke der Hyperboräer heimkehrenden Sohne Apollo begegnet seien, womit man wieder die Völker nördlich der Alpen gemeint haben will.1) — Endlich erzählt Strabo (X, 507), daß die Hellenen überhaupt alle Völker nördlich des Schwarzen Meeres, des Ister (Donau) und der Adria als Hyperboräer kennzeichneten. « Durch die Kriegszüge des Darius nach Scythien, noch mehr aber durch jene Philipps und Alexanders von Mazedonien, kam man zur Erkenntnis, daß dort Kelten wohnen, womit wohl nur die sprachliche Kennzeichnung jener Bewohner vom kriegerischen Standpunkte (»celed« = Kriegerschar) festgelegt erscheint. Doch auch schon Aristoteles gebraucht den Namen »Hyperboräer« höchst selten, sondern bedient sich bereits der konkreteren Namen: Skythen, Kelten, Iberer.2) Schon durch Häkatäus aus Milet, der vor Herodot lebte (um 500 v. Chr.), erfahren wir, daß jenseits des Landes Keltika, also auch nörd- ‘) Es ist daher durchaus nicht verwunderlich, wenn der Name »Apul« so häufig in südslavischen Runen auf »etrurischen« Altertümern angebracht erscheint. 2) Alexander d. Gr. nahm, analcg wie Napoleon, auf seine Kriegszüge verschiedene Gelehrte mit, welche die fremden Länder zu studieren und zu beschreiben hatten, und denen er auch königlichen Forschersold zukommen ließ. lieh, eine Insel liege, die von Hyperboräern bewohnt werde; es sei aber dies schon jenes Gebiet, das jenseits der Nordwinde (»bóreas«) liege. — Die acht Bücher dieses alten Geographen sind bis auf ein Bruchstück, das Diodor (II, 47) mitteilt, verloren gegangen. Darin erzählt er aber betreffs'jener hyberboräischen Insel, daß dort ein mildes Klima sei; dort werden Apollo und Latona3) verehrt; dort stehe in der Hauptstadt ein herrlicher runder Tempel; die Sprache jenes Volkes sei der hellenischen nahe verwandt;4) Hellenen kämen auch zu ihnen mit Tempelgeschenken, die griechische Inschriften aufweisen. Dm das Jahr 500 v. Chr. wurde von den Hyperboräern überdies der Oberpriester A b a r i s nach Hellas gesendet, um die Freundschaft und das Bündnis daselbst zu erneuern. -— Alles dieses mag nun im allgemeinen zutreffend sein, nur widerspricht er sich darin selbst, wenn er später sagt, er sei am nördlichen Eismeere gewesen, nachdem dies mit dem milden Klima doch nicht stimmt, er daher wohl nur in Südrußland war. Es handelt sich da augenscheinlich um die Halbinsel Krim, die durch den Perekop-Kanal zu einer Insel wurde, sowie es auch wenig glaubwürdig ist, daß die Bewohner Nordrußlands direkte Handelsverträge mit den Griechen geschlossen hätten. Diese Ansicht scheint auch Herodot (IV, 32) zu bestätigen, der die Scythen befragte, was ihnen über die Hyperboräer sowie über jene glückliche Insel mit dem milden Klima bekannt sei, doch wußten sie begreiflicherweise darüber keinen Bescheid. Erst als durch Caesar und Germánicas die römische Flotte in die Nordsee gelangte, wovon Teile auch an die Ncrdküste Skandinaviens gekommen sein dürften, soll man erfahren haben, daß das Gebiet der Hyperboräer durchaus kein warmes Klima habe, sondern daß im Gegenteile das Jahr aus einem langen Tage und einer langen Nacht bestehe (Plinius Hist, nat. IV, 26 und Pomp. Mela III, 5), und bemerken letztere ausdrücklich, daß es nordeuropäische wie auch nordasiatische Hyperboräer gebe. Auch die Erzählung in der Chronik des Eusebius, wonach der hohe Priester Abaris (I.), ein S c y t h e, i. J. 547 v. Chr. nach Delos kam, und von dort über Kreta, Unteritalien, Kroton und Sparta in seine Heimat rückkehrte, verdient hier der Erwähnung. Sein Zweck war angeblich, den weisen Pythagoras zu besuchen, der in so vielen Zweigen des Wissens bewandert war, um etwas von ihm zu lernen, und scheint es sich hierbei hauptsächlich darum gehandelt zu haben, :i) Ist vermutlich die hellenisierte Form der Lada, der Göttin der Schönheit und Liebe bei den Russen. 4) Die hellenische Sprache ist mit der slavischen auffallend wurzelverwandt, so daß der Slave ganze Verse Homers ohneweiters verstehen kann, wenn er die spezifisch hellenischen Zutaten an die Wurzelbegriffe abzustoßen versteht. Daraus machte schon Gregor Dankovszky (»Die Griechen als Stamm- und Sprachverwandte der Slaven«. Pressburg 1828) aufmerksam. die Methode der Trockenlegung von Sümpfen kennen zu lernen, wie dies im Gebiete von Sparta, dann nächst Kncssos auf Kreta, bereits durchgeführt wurde. Hiezu bediente er sich aber nicht etwa der normalen Reisemittel, sondern er wurde zu den bestimmten Punkten mittels eines wundertätigen goldenen Pfeiles getragen. Um das Jahr 436 v, Chr, reiste noch ein zweiter hyperboräischer Hohepriester, namens A b a r i s (II.) nach Hellas, doch wissen die alten Schriftsteller über diesen nichts besonderes zu erzählen; Suidas bemerkt nur, diese beiden Priester hätten auf ihren Reisen auch Göttersprüche gesammelt, die noch jetzt vorhanden sind, da sie von ihnen niedergeschrieben wurden. Diese Sprüche, Orakel genannt, hießen die scytischen, weil sie in der scythischen Sprache abgefaßt waren. Was darunter gemeint ist, wissen wir nicht; vermutlich waren es aber »Veda«, die altslawische Lehren enthielten. — Dieses bunte Durcheinander kann aber die Etymologie doch in eine nähere Ordnung bringen, denn: a) die Hyperboräer sind tatsächlich Nordvölker für jeden, der im Süden wohnt. Das Grundwort ist »bora, bura«, wie die Slaven noch immer den eisigen, eft orkanartig auftretenden Nordwind, den »bóreas« der Hellenen, nennen. Derselbe Wind heißt im Norden Sibiriens »buiian«. — So nannten aber nur die hellenischen Schriftsteller die nordischen Völker; die Slaven nannten sich selbst nie so, denn ihnen ist der eigentliche Nordwind der »sjever«, daher jene Völker im nördlichen Europa auch als »Sje-verani«, und als »Sibir, Sivir« im asiatischen Norden bezeichnet wurden; b) die griechischen Inschriften der Tesnpelgeschenke waren nach allem altslavisch, denn die griechische Schrift ist identisch mit der altslavischen; c) der Hohepriester »Abaris« ist eben der »Obr« oder »Ober«, d. i. der Groß- oder Oberfürst, denn mehrere Staaten wählten sich für die gemeinsame Führung oft einen »obr«- oder »obor-knez«. Da aber die Slaven unter »knez« zugleich einen Priester verstehen, zumal der Fürst immer zugleich auch der höchste geistliche Würdenträger war, faßten die alten Schriftsteller den sla-vischen Funktionsnamen nur in kirchlichem Sinne auf, obschon die Mission der beiden »Abaris« einen rein weltlichen Zweck hatte; d) das Märchen vom wundertätigen Pfeile bildete sich offenkundig aus einem sprachlichen Mißverständnis. Den Fürsten trug nicht der Pfeil, der im Slavischen »strjela« heißt, sondern die »strjelci«, wie die Leibwache der russischen Fürsten hieß, da ihn diese überallhin begleiteten. In dieser Art sollten alle alten Quellen sprachlich-kritisch durchgeprüft werden, denn erst dann können sich für das Verständnis der alten Völkerkunde glaubwürdige und brauchbare Erklärungen ergeben. Die Wahrheit über die »Amazonen« Im allgemeinen erzählen alle alten Sagen nahezu gleichlautend, die Amazonen seien ein nur aus Frauen und Mädchen bestehendes Volk gewesen, das keine Männer unter sich duldete, und unter der Leitung einer Königin einen ausgesprochen kriegerischen Staat bildete. Behufs Fortpflanzung pflegten sie ausschließlich mit Männern der banachbarten Völkerschaften geschlechtlichen Verkehr, Gingen daraus Knaben hervor, so wurden diese entweder getötet cder den Vätern zur Erziehung übergeben; Mädchen hingegen erzogen sie selbst für Kriegszwecke, brannten ihnen jedoch die rechte Brust aus, damit ihnen diese beim Bogenspannen nicht hinderlich sei. Von dieser Sitte hätten sie auch ihren Namen »Amazone« von den Hellenen erhalten, was gleichbedeutend sei mit: Brustlose, d. i. »a« und ,,»macös« = ohne Brust. Stellt man nun dieser an sich unglaubwürdigen, weil der Natürlichkeit widersprechenden Erzählung die Wirklichkeit entgegen, sc erhält man wesentlich abweichende Ergebnisse. Vor allem bedeutet der Begriff »Amazone« durchaus nicht die Brustlose. Die etymologisierende hellenische Sage stellt sich da schon einmal mit der eigenen hellenischen Skulptur in grellen Widerspruch, denn keine einzige der zahlreichen erhaltenen Statuen oder Reliefs der antiken Kunst stellt die Amazonen mit einseitiger, sondern ausnahmslos mit vollen, geradezu üppigen Brüsten dar. Das Amazonenfries des Mausoleums zu Halikarnass, sowie jenes des Apollo-Tempels zu Phigalia (heute Pavlica in Arkadien), die sich dermalen im Britischen Museum in London befinden, origen die Amazonen im üppigsten Reize weiblicher Formen, und durchgängig ohne diese sonderbare Verstümmelung. Diese Fassung der Sage ist demnach erst viel späteren, u. z. augenscheinlich hellenischen Ursprungs, die aber nach der Trübung der Etymologie auch von den Chronisten kritiklos, oder aber mehr als Kuriosität, weitererzählt wurde. Außer den Bildhauern scheinen aber die alten Dichter die Erzählungen von der Brustverstümmelung auch niemals ernst genommen zu haben; zum mindesten bezeugt dies Vergil (gest. 19 v. Chr.) in der Aeneis (I, 501—502): »Aurea subnectens exsertae cingula mamae, bellatrix, audetque viris concurrere virgo«.1) Überdies ist die hellenische, jener verunglückten Etymologie entstammende Sage höchst naiv, denn es widerspricht nicht nur der weiblichen Eitelkeit sich die eigene körperliche Schönheit zu verunstalten — ganz abgesehen von der an sich nicht ungefährlichen Prozedur —, so weiß es nahezu jedermann aus Erfahrung, daß eine kräftige fleischige Unterlage beim Gewehranschlag, wie wohl auch beim Bogenspannen, weit vorteilhafter ist, als die unmittelbare Anpressung an die Rippenknochen, da gerade letzteres durch den Rückstoß empfindliche Schmerzen verursacht; der magere Mann arbeitet daher eher durch Schaffung einer künstlichen Polsterung dieser Unzukömm-lichkeit entgegen. Diese Beobachtungen sprechen daher offen gegen die Wirklichkeit, und sind eben Auswüchse mechanischen Nachplap-perns mit allen weiteren Deutungsmißbräuchen.-') Eine sprachlich überzeugende Klärung gibt aber nicht die hellenische, sondern die slavische Sprache, denn »Amazone« ist nichts weiter, als eine lautliche Nachbildung des slaviscben Begriffes »omo-čeni, omoceni, omoščoni« für den männlichen, und »omočena, omoce-na, omcščena« für den weiblichen K r i e g e r, d. i. der (die) B e w a f f nete, der (die) anKraftVerstärkte (slov. »moč«, čech. »moc«, alslav. »mošč« = Stärke, Kraft). Weshalb diese Bezeichnung beim Manne den Charakter des Gattungs-, und beim Weibe jenen des Eigennamens annahm, geht bereits aus der vorangeführten falschen Etymologie hervor, die dahin irreführen muß, als wäre diese Be- * 2 ‘) D. h.: »Mit dem goldenen Bande unterbunden die entblößten Brüste, Wagt die Jungfrau als Kriegerin zu wetteifern mit dem Manne«. — Die Zahl der Leichgläubigen und der nicht Selbstdenkenden bildet auch in der Welt der Forscher stets die weit überwiegende Majorität, denn wir können des alten Glaubens und toter Ansichten, die wir ererbt, leichterdings nicht mehr loswerden. So war es auch möglich die altčechischen Handschriften allgemein als Fälschungen auszuschreien. Einer hörte das Gerücht vom anderen, aber niemand dachte weiter darüber nach, wie dies möglich und praktisch durchführbar sei; und so betört ein leichtsinnig hingewerfener Zweifel die ganze gedankenträge Welt. 2) Eine ähnliche Sinnlosigkeit schleppt sich in der Geschichte über die Hunnen fort, wo behauptet wird, daß sie ihr Genußfleisch auf dem Sattel mürbe ritten. Es ist doch niemand so rücksichtslos gegen sich selbst, daß er sich auf den Sattel Fleischstücke (vielleicht sogar noch mit urausgelösten Knochen!) aufbinden wird, da er weiß, daß er auf diese Weise bald aufgeritten sein muß. Wer einige praktische Erfahrungen im Reiten hat, weiß wohl, wie bald die geringste Falte der Bekleidung Schmerzen und offene Wunden erzeugt, und da macht auch der »Hunne« keine Ausnahme; trotzdem wird eine solche Widersinnigkeit weiter pädagogisch gepflegt. Zeichnung ausschließlich weiblichen Kriegern beigelegt worden, zu welchem Trugschlüsse uns aber allerdings auch schon die alten Plastiker dadurch führen, daß sie als Amazonen ausschließlich nur weibliche Krieger darstellen, weil der Deutungsfehler offenkundig schon damals eingelebt war. Die Prosa der Amazonensagen ist lediglich die, daß sich unter gewissen Voraussetzungen, namentlich wenn die Männer im Felde oder außer Landes weilten, oder deren schon viele gefallen waren, die Frauen und erwachsenen Mädchen kriegsmäßig bewaffneten, und so entweder den Männern im Kampfe unterstützend beisprangen, oder in der Landessicherung die Männer ersetzten. Bei den Slaven-vöikern wurde der Beweis hiefür noch in den jüngsten Kriegen, und nicht nur etwa als seltene Ausnahme, voll erbracht; doch war dieses Verhältnis stets nur ein vorübergehendes. Die Erzählungen aber, die Amazonen hätten einst Scythien, ja sogar ganz Asien und Lybien mit Krieg überzogen und erobert, ist jedoch nicht einmal in die geduldige Sage, sondern unmittelbar in das Gebiet der derbsten Geschichts-lügen einzureihen. Allerdings erstanden solche aus der Fehlerkonsequenz, denn die alten Schriftsteller, wie Flerodot (IV, 110) und Strabo (XI, 3, 40) erzählen doch übereinstimmend, daß im weiten Gebiete des Unterlaufes des Tanais (Don) und der Rha (Wolga) scy-t h i s c h e Amazonen wohnten, ohne jedoch besonders beizufügen, daß dies ein großer Volksstamm der Scythen, aber durchaus kein weiblicher Amazcnenstaat war, weil eine solche unnatürliche Ausdeutung niemand voraussehen konnte. Was die slavischen Chroniken über die Bildung weiblicher Kriegergruppen erzählen, bestätigt auch Obiges im allgemeinen. So soll sich die Amazonen-Zarin Kalistrija mit 300 bewaffneten Jungfrauen Alexander d. Gr. auf seinem Zuge durch Kleinasien zur Huldigung eingestellt haben, und erzählte ihm nach Überlieferungen, daß ihr Volk von den Fürsten von Ismailt (Ismail in Bessarabien?), die dort schon lange vor dem Trojanischen Kriege herrschten, stamme. Unter den Kriegsleuten enstand nun einmal ein ernsterer Streit, wobei zwei Fürsten, namens Pliton und Solcpit von ihren Regimentern (»polki«) verjagt wurden. Diese zwei Fürsten nahmen aber damals viele Krieger und andere Leute mit, und gründeten einen neuen Staat in Kappa-dokien, im Gebiete des Flusses Termodont. Hier begannen sie zwar Felder zu bebauen, bekämpften aber zugleich die Nachbarstämme. Mehrere dieser benachbarten Zare machten sich schließlich auf und erschlugen alle Männer dieser neuen Gründung im Kampfe. Als nun die Weiber ohne Väter und Männer dastanden, rüsteten sie sich mit den Waffen ihrer Männer aus, und beschirmten nun selbst ihr Land, Seither pflegen sie nur Umgang mit Männern der Nachbarstaaten usw. Der Begriff »Amazone« ist aber nicht nur slavisch vom etymo- logischen Standpunkte, sondern auch in bezug auf das geographische Gebiet. Alle Sagen dieser Art konzentrieren sich nämlich um den P o n t u s, das T a u r u s-Gebirge und namentlich Rußland. Die Einteilung selbst in scytische, asiatische und äthiopische Amazonen ändert daran nichts, denn die Erzählungen übe» die letzteren weisen gleichfalls dahin, daß hier nicht das afrikanische, sondern das kaukasische Äthiopien gemeint ist. — Der Begriff »Amazone« läßt aber zugleich auf ein hohes Alter der Slaven schlies-sen, denn ihn erwähnt schon Homer in der heute festgeprägten Bedeutung, er daher schon damals (etwa VIII, Jahrhundert v. Chr.) seiner sprachgeschichtlichen Entstehung und Wandlung nach nicht mehr bekannt war, wobei es bis heute unberichtigt blieb. Weiters ist zu lesen, die Amazcnensagen nehmen mit Alexander d. Gr. bei den Schriftstellern ein Ende, d. h. man hört in späterer Zeit nichts mehr von Amazonen-Organisationen. Dieses stimmt aber durchaus nicht, denn z. B. im X. Jahrhunderte taucht wieder ein Amazonenland, u. z. diesmal in Westrußland auf, denn Ibrahim ibn Jakub erzählt in seinem Reiseberichte über die Slavenlande aus dem Jahre 965 von der »Stadt der Weiber«. -— Aber auch schon Alfred d. Gr. (871— 901), der seinen Werken eine Beschreibung der slavischen Länder an der Nord- und Ostseeküste zufügte, nennt bereits jenes Gebiet das »Maegdhaland«, und A.dam v. Bremen (f um 1076) »terrae femina-rum« (= Land der Weiber) und »amazones«. — Ibrahims Angaben sind aber wieder nichts weiter, als eine aufgefrischte etymologische Verfehlung der alten Nabnensdeutung und eine Nachempfindung der altbekannten Amazonensagen, denn er schreibt: »Und im Westen von den Rus liegt die Stadt der Weiber. Und sie werden von ihren Sklaven schwanger, und wenn eine von ihnen einen Sohn gebiert, tötet sie ihn. Sie reiten und ziehen in eigener Person in den Krieg und besitzen Mut und Tapferkeit. Dies sagt Ibrahim, der Sohn Jakubs, der Israelite. Die Nachricht über diese Stadt ist wahr; erzählt hat sie mir Huta (Otto I.), der König von Rum«. — Die vorsichtige Anfügung des hohen Gewährmannes sollte wohl die persönliche Unglaubwürdigkeit des Gehörten andeuten. — Schließlich ist es erwähnenswert, daß gewisse Waffen, namentlich der Köcher und die Sreitaxt, als V erstärkungen der Körperkraft im allgemeinen, schon im Altertum »amazonia« genannt wurden, sowie man auch befestigte Höhen des Namens »Amazonios, Amazcnicon, Amazin u. ä. kennt, die demnach nur das slavische »omocen, omocen« zur Grundlage haben können. —- In etnographischer Hinsicht haben wir aber unter »Amazonen« die kriegerischen Scythen, zum Unterschiede von den ackerbauenden und nomadisierenden, zu verstehen. Ob und in welchem Verhältnisse die Frauen bei den ersteren an den Kämpfen teilnahmen, wissen wir nicht; das eine wissen wir aber nun, daß der Begriff »Amazone« in der heutigen Fassung und Ausdeutung weiter unhaltbar ist. »Barbar.« Die Hellenen bezeichneten alle nichthellenischen Nachbarvölker als »värvaros«. Da aber »varvar« im Slavischen Krieger, Beschützer, Landes Verteidiger bezeichnet, können diese Nachbarn nur Slaven gewesen sein, wenn auch diese Etymologie selbst den geringsten Teil des BeVeises hiefür ausmacht. Die ziemlich allgemeine Vermutung, daß schon die Hellenen den Begriff warvarcs« im ungünstigen Sinne von heute angewendet hätten, ist nicht haltbar, da er noch im XV. Jahrhunderte die Bedeutung der ursprünglichen Etymologie und nationalen Zugehörigkeit hatte. Dies beweist der Historiker Bonfini, der um 1450 schreibt: »W i c n gehört gewiß unter die schönsten Städte der Barbaren. Wiens ganzes Gebiet ist ein ungeheurer, herrlicher Garten, mit schönen Rebenhügeln und Obstgärten bekrönt usw « -— Gleich darauf berührt er den militärischen Charakter der Stadt; er sagt: »Die Stadtmauer hat wohl über 2000 Schritte und_ doppelte Wälle, damit das große Geschütz ihnen desto weniger Abbruch/tue. Rings um die Wälle ist ein schöner Spaziergang; auch sieht man dort viel schöne Türme, einige ganz von Quadern und viereckig, andere aus gebrannten Ziegeln mit schönen Gittern und Fenstern geziert und mit eisernen Pförtleins versehen. Die Schußlöcher stehen 30 Schuhe hoch und fassen jedes Geschütz. In den Gräben sind mehrere Quellen und es ist leicht, sie schnell und lingsum mit Wasser zu füllen. Neben den Stadttoren stehen große viereckige Türme, haltbar gegen den wütendsten Angriff usw.« ... Daß unter diesen »Barbaren« der Stadt Wien nicht Deutsche zu verstehen sind, ist aber wieder aus einer anderen gewichtigen Quelle zu entnehmen. Aus der Vorrede der Übersetzung von Durandus »Rationale divinorum officicrum«, die der Herzog Albrecht mit dem Zopfe i. J. 1384 anfertigen ließ, und welcher Kodex sich noch heute in der Hofbibliothek in Wien befindet, ersieht man, daß um diese Zeit in Wien der Gottesdienst nicht nur in der slovenischen Sprache abgehalten wurde, sondern das Werk sagt offen heraus, daß damals die »windische« Sprache daselbst noch die Oberhand hatte. Die Stelle lautet, nachdem dargelegt wurde, daß die Messe in drei gelehrten Sprachen, d. i. chriechisch, lateinisch, und »windisch« gelesen werden, muß: »Zu dem dritenmahl die Messe begangen in windischer Sprach, durch Sache der Braittunge und Gemaihait, wan kain ainige Sprach an ir selber ist, so weit g e t e i 1 e t, als die man windische nennet . .«‘) Wenn nun die rohe Zerstörungswut ohne taktische Notwendigkeit, sowie die geringe Rücksicht auf Menschenleben, Wohnstätten, Kunstobjekte u. drgl. im Kriege heute »barbarisch« genannt wird, so war dies ursprünglich gleichwertig mit »militärisch, kriegerisch«, womit man vor allem die Verwüstungen kennzeichnete, die der Krieg im natürlichen Gefolge hat. Daß die Begleiterscheinungen des Krieges in volkswirtschaftlicher wie kunsterhaltender Richtung einst wie heute »barbarisch« waren, d. h. daß dabei auch die militärisch-taktischen Notwendigkeiten überschritten wurden, dies kann ohneweiters zugegeben werden, da es auch der Weltkrieg sogar in erhöhtem Maße bestätigt hat, nachdem die Fortschritte der Technik an sich schon die Verwüstungen erhöhen. Der Begriff »barbarisch«, der ursprünglich eine ehrenvolle Deutung hatte, erhielt erst mit der Zeit einen anrüchigen Charakter, der sich in diesem Sinne mit jedem Kriege noch verschärft. Aus den sprachgeschichtlichen Wandlungen des Begriffes geht aber heute noch deutlich hervor, daß er ursprünglich von den Slaven für Krieger und kriegerisch im allgemeinen gebraucht, wurde. ‘) Einige Slavisten legten dies dahin aus, daß es sich hier lediglich um alt-kirchenslavischen Gottesdienst handeln kann. Dieser ist jedenfalls unter »chrie-chisch« auch zu verstehen; daß aber dann die Messe auch noch in »windischer Sprache« gelesen wurde, ist ganz neu. Doch wie kommt überhaupt die allslove-n i s c h e Liturgie hiehcr, um die ja selbst in den slavischesten Gebieten mit Rom ein schwerer, langer Kampf geführt wurde?! — Für jeden Fall geht daraus hervor, daß die »windische« Bevölkerung damals in Wien wie Niederösterreich noch in Majorität war. Eine Bestätigung anderer Art bietet hiefür die Tatsache, daß früher im Eintrittsraume des Stephansturmes felgende in Stein gehauene Orientierung in slovenischer Sprache zu lesen war: »Listje za sv. Stefana nahod . . .« (d. i. Karien für das Besteigen des Stephansturmes . . .), die erst in den Jahren 1865—1870 ausgestemmt wurde. Nun ist es doch naheliegend, daß eine solche Belehrung einem praktischen Bedürfnisse ihren Ursprung verdankt; wegen paar Slovenen, die einmal den Turm besteigen könnten, wird doch niemand eine solche Steinschrift beschaffen, zumal solche in anderen Sprachen nicht beigegeben waren. »Rus« und »Varjag«. Über die Frage, wann Rußland als Staatsgebilde den Anfang genommen, besteht bereits eine erhebliche Literatur. Seit dem Beginne des XVIII. Jahrhundertes, als sich die geschichtliche Kritik mit der Überprüfung der Nestorschen Chronik zu befassen begonnen, hat die überwiegende Mehrheit der Forscher deren Inhalt im allgemeinen als richtig anerkannt, zumal andere Quellen die Überlieferungen dieser ältesten, aus dem Beginne des XII. Jahrhundertes stammenden Chronik, gleichfalls stützen. Bei alledem trat aber, da sich die Kritik nicht rechtzeitig und wirksam entgegenstellte, sehr bald die »normannische« oder »skandinavische« Theorie in den Vordergrund. Diese läßt nämlich den russischen Staat durch die Normannen gründen, da man die W a r ä g e r mit den Skandinaviern zu identifizieren begonnen, welcher Annahme sich sodann, mehrweniger ohne Nachprüfung und tieferes Verständnis für diese Ableitung, auch die meisten slavischen, namentlich aber russischen Forscher und Historiker anschlossen, da man einmal die Belege einer alten Existenz der Slaven auch hier unterdrücken wollte, welchem Bestreben sodann die slavischen Träger der Wissenschaft selbst nach Kräften den Boden vorbereiteten, ohne die eigentliche Tendenz zu erkennen. Den ersten Anstoß zu jener Auffassung gab der deutsche Professor Theophil S. Baier, der in einer Dissertation i. J. 1735 in Petersburg die bezüglichen Stellen der Nestorschen Chronik falsch und parteiisch auslegte, um damit den »germanischen« LTrsprung des Hauses Rjurik glaubhaft zu machen. Baier hat sich nun lange niemand ernstlich entgegengesetzt. Erst i. J. 1842 trat Georg Venelin in seiner Schrift: »Skandinavomanija i jeja pokloniki, ili stoljetnija iziskanija o Varjagah« (Moskau)1) mit einem reichen wissenschaftlichen Apparate gegen Baier auf, ohne auch hiebei gerade die Etymologie als die Hauptkraft der Widerlegung ins Eeld geführt zu haben. Der eigentliche Sturm gegen diese »Normannomanie« (auch I) D. i.: »Die Skandinavomanie und deren Anhänger, oder die hundertjährige Forschungsarbeit über die Waräger«. »Skandinavomanie«) brach aber erst i. J. 1859 los, als man energisch dagegen aüftrat, daß die Russen (wie deren Dynastie) ein aus Skandinavien ausgewandertes, also kein von altersher im heutigen Rußland autochthones Volkes seien. Den letzten autoritativ scheinenden Ausfall der »Normannomanie«. führte Prof. Dr. W. Tnomsen in Kopenhagen aus, der in seiner Schrift: »Der Ursprung des russischen Staates« (Oxford, 1877), an die wir uns in der Folge als Gegenmeinung halten wollen, über jenen »urteilslosen Fanatismus« folgendes Schlußurteil abgab: »Jeder unparteiische Leser muß den Eindruck empfangen, daß sie (d. i. die Anhänger der »russischen« Schule) nur darauf ausgehen, um jeden Preis die unliebsame Tatsache aus dem Wege zu räumen, daß der Ursprung des russischen Staates einer fremden Fürstenrasse (!) zu verdanken sei, als ob solch ein Umstand für eine große Nation irgendwie entehrend sein könnte«. Bei näherer Betrachtung des ganzen Gezankes gewinnt man aber die volle Überzeugung, daß Nestors Angaben unter richtiger Lesung und objektiver Auslegung einwandfrei zutreffend sind, nur kann der Streit eben nicht endgültig geschlichtet werden, solange die wahre Fehlerquelle, die hier in der falschen Etymologie verankert ist, nicht blcßgelegt wird. Die kritische Stelle lautet im Originale: . , »V ljeto 6367 imahu dan Varaci, prihodašče iz zamornia, na Čju-di i na Slovjeneh i na Merijah i na Vseh, na Krivičeh; a Kozare imahu na Polianjeh i na Sjeverjeh i na Vjatičjeh, imahu po bjelje i vjeve-ricje ot dima«. — »V ljeto 6368, 6369, 6370 izgnašja Var jazi za more, i ne dašja im dani i počjaša sami v sobje volodjeti, i ne bje v nih pravdi i vsta rod na rod, bišja v nih usobicja, i vojevati počjašja sami na sja. Rješja sami v sebje: poiščem sobje knjazja, iže bi volodjel nami, i rjadil po rjadu, po pravu. Idošja za more k Varjagm, k Rusi; sice ko sja zvahju ti Varjazi Rus, jako se druzii zvjutsja Sveie, druzii že Urmane, Angljane, inii Gte, tako. i si. Rješja Rusi, Čjud, Slovjeni i Krivici i Vsja: zemlja naša velika i obidna, a narjada v nei njet; da poidjete knjažit i volcdjet nami. I izbrašjasja trije bratia s rodi svoimi, pojašja po sobje vsju Rus, i pridošja k Slovjenm prvjeie i srjubišja gorod Ladogju, i sjede starjeišii v Ladozje Rjurik, i drugii Sineus na Bjeloozerje, a tretii v Izborstje Tru-vor. I od tjeh Varjag prozvasja russkaja zemlja, Novgorodci, ti sjut Iju-dije Novgorodci, ot roda varjažska, prježe to bješja Slovjeni. Po dvu že letu Sineus umre i brat jego Truvor; i prija Rjurik vlast vsju odin, i prišel k Ilmerju i srjubi gorod nad Vlhovm, i prozvašja i Nov gorod, i sjede tu knjažja, i razdaja mužm svoim volosti i gorodi rjubiti, ovomu Petok, ovomu Rostok, drugomu Bjeloozero; i po tjem gorodm sjut na-hodnici Varjazi a prvii naselnici v Novgorodje Slovjene, i v Polotsje Krivici, v Rostokje Merjane, v Bjeloozerje Vs, v Muromje Muroma. I tjemí vsjemi ovladase Rjurík«. V erdeutschung. »Im J. 6367 (859) nahmen die Steuern die Varjaci, die vom Meeresgebiete kamen, von den Cjudi, Slovjeni, Me-riji, Vsi und Krivici; die Kczari nahmen sie von den Poljani, Sjeveri und Vjatici; sie nahmen je einen Silberling und ein Eichhörnchen (?)'-’) von jeder Herdstelle«. — »In den Jahren 6368, 6369, 6370 (860—862) vertrieben sie die Varjagi hinter das Meer, zahlten ihnen keine Steuern mehr, und begannen sich selbst zu regieren. Aber es gab keine Rechtsordnung bei • ihnen und ein Stamm stand gegen den anderen auf; es enstanden innere Wirren und da sagten sie zu sich selbst: »Suchen wir uns einen Fürsten, der uns regieren scll, und uns nach Billigkeit und Recht lenkt«. Sie gingen zu den Varjags am Meere, zu den Russen, denn diese Varjaci hießen Russen, analog wie sich andere Sveie, andere Urmani und Angljane, andere Gte (Geten) nennen; so auch sie. Es sagten den Russen die Cjud, ’Slovjeni, Krivici und Vsja: »Unser Gebiet ist groß und fruchtbar, aber es herrscht keine Ordnung darin; kommt ihr zu uns herrschen und gebieten!« ■— Sie wählten sich nun drei Brüder mit ihren Sippen, nahmen alle Russen mit sich, und kamen vorerst zu den Slovjeni, wo sie die Stadt Ladoga gründeten. Der älteste, Rjurik, nahm seinen Sitz in Ladoga, der zweite, Sineus, in Bje-loozero, und der dritte, Truvor, in Izborst. Und nach diesen Varjags wird das russische Gebiet benannt: Novgorodci, das sind die Bewohner von Novgorod, vom Varjagschen Stamme; früher waren es Slovjeni. — Nach zwei Jahren starben Sineus wie auch sein Bruder Truvor, worauf Rjurik die gesamte Regierung selbst übernahm. Er ging zum Ilmer, legte dort eine Stadt ober der Vlha (Volga) an, be-nännte sie Novgorod, schlug hier seinen Sitz auf, und verteilte seinen Leuten Gaue und Städte zur Arbeit, dem einen Polock, dem andern Rostok, dem dritten Bjeloozero. In diesen Städten sind die Varjaci demnach Nachfolger, denn die ersten Ansiedler in Novgorod waren die Slovjeni, in Polock die Krivici, in Rostok die Merjani, in Bjeloozero die Vs (Vesi), in Murom die Muromi.3) Allen diesen stand aber Rjurik vor«. / So lautet die einfache, natürlich gegebene Schilderung der dem Chronisten damals in diesem Zusammenhänge bekannten Vorgänge. *’) »Vjeveiica« kann jedoch unmöglich Eichhörnchen (event. Edelmarder) bedeuten, denn waren diese häufig, so waren sie wertlos, waren sie selten, so war die Abgabe fraglich. Weit eher ist hier eine weitere Miinzart gemeint, eine »per-perica«, d. i. eine kleine »perper«-Münze. Am Balkan gilt der »perpcr« bis heute (Montenegro) als eine Münzeinheit. Da als Steuer vorerst eine Silbermünze genannt wird, dürfte dies eine Kupfermünze gewesen sein. Augenscheinlich kursierte diese Münze zu Nestors Zeit nicht mehr, daher er sie auch nicht richtig niederschrieb. Liest man nun dieses ohne Vorurteil oder subjektive Deutungssucht, so ergeben sich bereits aus diesen Stellen Dinge, die eine nüchterne Klärung erheischen, was die streitenden Parteien bisher beiderseits unterlassen zu haben scheinen. Als erste Bedingung war hier die sprachliche Klärung der in der Handlung auftretenden ethnologischen Begriffe »Rus« und »Varjag« erforderlich, da sie von allem Anfänge als Kronzeugen des Streitfalles anzusehen waren. — Die Chronik sagt doch: »Sie gingen zu den Varjags, zu den Russen (Rus), denn diese Varjaci hießen Russen, analog wie sich andere Sveie usw. nennen.« In diesem Satze, dessen auffällige Betonung nahezu den Eindruck macht, als hätten schon zu Nestors Zeiten diesbezüglich welche Mißhelligkeiten bestanden, befindet sich bereits der rote Faden für die Klärung der prinzipiellen Unstimmigkeit, denn waren diese Varjags Russen, so waren sie eben russische Varjags, wie es auch schwedische, murmanische oder englische gab. Der Begriff »R u s s e« ist daher der ethnographische, und die »varjag« sind nur eine soziale Teilgruppe, d. i. der Kriegerstand, in der Verfassung der Russen als Gesamtheit. Dieser Faden zieht sich dann noch fort, wo es heißt: »Es sagten den Russen die Cjud, Slovjeni usw,«; dann: »Sie wählten sich drei Brüder mit ihren Sippen, nahmen alle Russen mit sich, und kamen vorerst zu den Slovjeni usw.«; dann: »Und nach diesen Varjaci wird das russische Gebiet benannt; die Novgorodci vom Varjag-Stamme« usw., also die Varjaci von Novgorod, von Bjeloozero, von Ladoga usw\ — Praktisch gelesen besagen daher alle diese Stellen: im Lande waren große Parteikämpfe und es fehlte jede Rechtsordnung, da keiner der Führer die Macht, das Ansehen oder die Fähigkeit besaß, die Oberhand zu gewinnen, analog wie man ja auch heute eine Militär-Diktatur einführt, wenn sonstige Mittel für die Erhaltung der Ordnung versagen. Sie holten sich daher aus einem entfernteren Milieu, wie es ja noch heute vorkommt, einen Fürsten, ü. z, in der Eigenschaft eines »varjag«, d. i. einen militärischen Sippenführer, der nach allem auch seine Untergebenen, also ganze Kriegerfamilien, mitnahm. Die Fürsten von Novgorod waren demnach jetzt den »varjaci« entnommen, früher aber den Slovjeni; es handelt sich daher hier nur um den Wechsel der heimischen Dynastie. Bei alledem findet sich aber über Skandinavien oder die »Normannen« kein Wort, und die Schweden und Engländer werden sogar separat angeführt. Trotzdem liest Thomson daraus: »Das Wort »Waräger« wird hier als gemeinsame Bezeichnung der Bewohner von Skandinavien gebraucht, und »Russen« soll der Name eines einzelnen B) Der 'Normanne« heißt im Russischen Murman oder Murom. Diese waren demnach überhaupt Russen und durchaus keine Skandinavier. skandinavischen (!) Stammes sein; dieser Stamm sei unter Rjuriks und seiner Brüder Führung über die See gekommen und habe einen Staat gegründet, dessen Zentrale zeitweilig Novgorod war«. — Thom-sen tritt hier mit eigenen Dichtungen auf, denn kein Wort der Chronik läßt auch nur die, Vermutung zu, daß die neuen Fürsten aus Skandinavien geholt wurden, und ist es ebenso unzutreffend, daß bei dieser Gelegenheit der Staat Novgorod gegründet wurde, denn der Chronist sagt in geradem Gegenteile, daß Novgorod damals bzw. schon früher unter den Slcvjeni als Staat be stand. — Diese selbstgeschaffene und vorausgeschickte Entstellung des Chroniktextes dient aber nun Thomson zur Grundlage für seine weitere Beweisführung, und da die Voraussetzungen hiebei falsch sind, können die Folgerungen auch nicht richtig sein, was nachstehend mit dem Einsätze eines breiteren wissenschaftlichen Rüstzeuges dargelegt werden soll. Die Wirklichkeit scheint folgend gewesen zu sein: »Rus, Ruš« galt um die Zeit der Chronik, wie wohl schon lange vorher, als die geographische Bezeichnung für einen großen Teil des heutigen europäischen Rußland. Der Etymologie nach war es ein Grenz fand (slav. »rog« = Grenze, Ecke; die Form »roš, rus« ist bereits die Plural-ferm); eine wichtige Grenze bildete hiebei die Ostsee. Die Grenzsicherung gegen das Meer besorgten die »varjag«, was sprachlich: Hüter, Grenzpolizei, Schutzherr besagt. Bewährte Kommandanten in einem solchen Grenzschutzdienste, die dabei große militärische Erfahrungen zu sammeln Gelegenheit fanden, wählte man mit Vorliebe zu Fürsten oder Regenten, da sie doch zugleich auch im Kriege Führer sein mußten. Und so ergab sich ein Regentenwechsel wohl auch damals, ohne den geringsten ausländischen »normannischen« oder »skandinavischen« Einfluß, oder daß man Rußland, oder auch ein anderes Eand, je als »Warägerland« im politischen Sinne bezeichnet hätte. Wenn aber jener Teil der Ostee, der übrigens auch den Namen »sinus Venedicus« (= das Wendische Meer) führte, durch die »var-jaci« bewacht oder abgesperrt war, so mag man ihn auch »varjag«-Meer (oder Küste) genannt haben, und wenn gelegentlich »Normannen« in dieses Gebiet feindselig eindrangen, wie die Geschichte erzählt, so beweist dies nur, daß jene Überwachung sehr notwendig, begründet und gerade deshalb entsprechend organisiert war. Ebenso wie von einem »Waräger«-L a n d e, kann daher auch von einem »Waräger-V c 1 k e in ethnographischer Hinsicht nicht gesprochen werden. Allenthalben können die eigenen »Murmani« gelegentlich als Seeräuber aufgetreten sein, welcher Name sich im Slavischen ohnehin mit den rätselhaften »Normannen« identifiziert. Das hier Vermutete läßt sich aber auch quellenmäßig überzeu- gend erhärten. — In der byzantinischen Terminologie bezeichnet »Varangci« eine militärische Formation, die i. J. 1034 ausdrücklich als solche angeführt erscheint. Gergios Cedrenus (um 1050) sagt überdies an einer Stelle: »Die Soldaten, die im Palaste (Konstantinopel) Wache hielten, beide, die »Romaioi« wie »Varangoi«; bei letzteren fügt er noch an: »eine keltische Sippe«. Daß der Begriff »varjag« nicht irgendeinem Volksstamme beigelegt war, geht auch daraus hervor, daß mehrere griechische Urkunden »Barangci-Ros« (1060), »Ros-Barangoi« (1075 und 1079) und »Rosoi-Barannoi« (1088) schreiben, demnach diese »värjaci« russischer Abstammung waren. Es muß daher Krieger oder Soldtruppen gleichen Namens gegeben haben, die auch anderen Völkern entstammten. Aber Thomsen erzählt selbst, daß bei der Leibwache oder Garde in Konstantinopel nicht nur »varjags« aus Rußland, sondern auch solche aus Schweden, Dänemark, England usw. gedient haben, analog wie die »Schweizer« der französischen Könige, dann der Päpste gewiß zum größten Teile gar keine geborenen Schweizer waren. Hier handelt es sich sonach in erster Linie um die militärische Charakterisierung und erst dann um die geographische Herkunft oder Sprachzuständigkeit. Damit aber Thomsen für sein Steckenpferd, den Beweis erbringen zu wollen, daß die Gründer von Rußlands Größe Skandinavier waren, doch das erforderliche Holz finde, dürfen ausgerechnet jene russischen »varjags« keine Russen sein. — Kleine wie große Geschichtsfälschungen sind in slavicis bekanntlich sehr erwünscht und schlimmstenfolls nur eine pia fraus. Der militärische Begriff »varjag« findet sich aber schon in der Nestorschen Chronik in diesem Sinne beim Jahre 980 ausdrücklich hervorgehcben, wo es heißt, Vladimir habe nach Besiegung seines Bruders Jarcpolk die Herrschaft in Kiev an sich gerissen und den Großteil der »varjag«-Mietstruppen, die ihm allmählich lästig wurden, nach Konstantinopel abziehen lassen. in der cstrbmischen Armee galten die »varjags« als die Elitetruppe, umsomehr als ihnen auch die Sicherheit der Fersen des Kaisers anvertraut war. Im allgemeinen waren sie die Prätorianer des Ostens, unter deren Einflüsse die byzantinischen Regenten gleichfalls gewählt wie abgesetzt wurden, also die Gardetruppen im allgemeinen. Aber auch die Etymologie ist immer dieselbe, ob ich nun Prätorianer, Varjag, Janičar oder Gardist sage, denn der sla-vische Sprachsatz hat sich für alle diese Benennungen die Wurzel-begriffe erhalten, und weiß, daß »pretor, pretur« - der beste Soldat, * »janičar« = der Grenzsoldat, »gardist« = der Wachsoldat (varda, guarda) und daß »varjag« = Schutzmann, Schutzsoldat gleichkommt, denn »var« bedeutet im Slavischen Schutz, und »var-jati, varovati« '= beschützen, sichern. — Der Begriff »varjag« kann demnach nur einer Sprache entstammen, die die Begriffe »var« und »varjati« in diesem Sinne kennt, er daher slavischem Beden und altslavischen sozialen Verhältnissen entsprossen sein muß. Ist. er jedoch skandinavischen Ursprungs, dann müssen zur Zeit der Bildung dieses Begriffes auch dort Slaven gelebt oder die Skandinavier ihn vergefunden und übernommen haben, denn Thomsen findet für die sprachliche Erklärung der Bezeichnung »varjag«, die er natürlich überall, nur nicht im Slavischen sucht, keine einigermaßen glaubwürdige Deutung.4) Thomsen bemüht sich aber auch auf anderen Wegen »Beweise« herbeizuschaffen. So behauptet er, daß fast alle Russen aus hohem wie niederem Stande, deren Namen man in den Chroniken aus dem vermeintlichen Beginne des russischen Staatsbestandes vorfindet,' rein skandinavische Namen führen. Hiefür bieten ihm die beiden Handelsverträge der Russen mit den Griechen v. J. 911 und 944 angeblich »unbestrittene« Beweise. Beide Dokumente beginnen mit »mi ot roda ruska« (= wir vom russischen Stamme) und zählen im älteren Vertrage 15, im zweiten an 60 Personennamen auf, woran etwa nur 3 (Svjatcslav, Vladislav und Predriava) als zweifellos sla-visch anzusehen seien. Dagegen seien die Namen; Aktevu, Istr, Kuci, Mutur, Svanda, Vuzljeb wahrscheinlich (!) und ebenso skandinavisch, wie: Apubksar, Jatojag, Kanicar, Libi, Sinko, Boric, Tilen, Voist, Voj-kov, die aber »offenbar« nur verdorben wiedergegeben sind. Unter diesen Prämissen und wohl auch unter vollständiger Unkenntnis des Slavischen kommt er nun zum höchst sophistischen Schlüsse: »Es wäre unbegreiflich, wie nichtskandinavische Leute, zumal in diesen Zeiten, rein skandinavische Namen getragen hätten, und da die Träger dieser Namen ausdrücklich in den Verträgen erklären von »russischem Stamme« zu sein, so ist hiemit unbestreitbar ein sehr schlagender Beweis (!) dafür gegeben, daß die Russen wirklich Skandinavier waren. Die Gegner haben dies Zeugnis nicht erschüttern können und werden bis zum Ende der Tage alle Hoffnung darauf aufgeben müssen«. — Wir wollten hiemit nur in homöopathischer Form ein leicht faßliches Musterbeispiel geben, wie systematisch, wenn auch mit den haarsträubendsten Argumentationen, die slavische Geschichte gerade von den berufenen Trägern der Wissenschaft gefälscht wird, nur um gewissen nationalen oder politischen Götzen ein Brandopfer zu brin- ■ 4) Thomsen bemüht sich zwar den Begriff entweder vom althochdeutschen »wara«, d. i. Wahrheit Versprechen abzuleiten, was sich auf die Versprochene Treue beziehen soll, eine Auslegung, die gerade bei Mietstruppen wenig Glaubwürdigkeit hat, oder von »var«, d. i. Frühjahr, weil die Nordländer zur Zeit des Schiffahrtsbeginnes nach Rußland zu ziehen pflegen — also durchwegs Etymologien ohne jede überzeugende Wirkung, die weiter nichts bezwecken, als die schwindsüchtige Hypothese quantitativ zu stützen, nachdem sie qualitativ der Großteil der Leser doch nicht zu überprüfen vermag. gen, oder doch ein Schärflein zur geschichtlichen wie kulturellen »Minderwertigkeit-« der Slaven beizutragen, um so den Völkerhaß in Permanenz zu erhalten. — Einer näheren Betrachtung muß nun auch der Begriff »Roš, Rus« unterzogen werden, der namentlich in den Schriften der hellenischen, byzantinischen und arabischen Chronisten recht häufig auftaucht. Als die älteste Erwähnung des Namens »Roš« galten bisher die Annales Bertiniani. Beim J. 839 erzählt der Bischof Prudentius von Troyes, der Verfasser des betreffenden Teiles der Jahrbücher, es habe damals der byzantinische Kaiser Theophilos griechische Gesandte mit einem Briefe zum Kaiser Ludwig dem Frommen gesendet. In dieser Gesandtschaft befanden sich auch Leute vom Volke »Roš«, deren König, Chacanus mit Namen, sie in freundschaftlicher Absicht jener beigesellte; vermutlich bezweckte dies eine Anbahnung von Handelsverbindungen. Thomsen kommt nun auf eine nicht ganz klare Art zur Behauptung, diese »Roš« seien Schweden gewesen, weil Ludwig bei der weiteren Besprechung erfahren haben soll, daß die »Roš« dem Schwedenvclke angehören (»comperit eos gentes esse Sueönum«). Daß nun von Konstantinopel aus Russen abgesendet werden, die Schweden sind, würde aber eher dahin deuten, daß damals die Russen auch Schweden beherrschten, wenn man im buchstäblichen Sinne schon die enormen geographischen Extreme irgendwie erklärlich findet. Darauf fügt Thomsen weiter die Frage an, ob »Chacanus« der Name oder Titel des Königs der »Res« war, da man ansonst nur die Fürsten der Chazaren, Avaren und Normannen (!) mit diesem Titel belegte, hingegen führen die slavischen Urkunden für russische Großfürsten erst seit dem Schlüsse des X. Jahrhundertes den Titel »kagan« an. — Dem muß sofort entgegen gehalten werden, daß der Titel »kagan« (in den verschiedensten Schreibweisen) stets nur ein Funktionstitel war, daß er seiner Etymologie nach an sich slavisch ist, denn »kagan«, richtiger »kogan, kochan« bedeutet: der V erehrte, der Hochangesehene, der Schutzherr (von »kojiti« = pflegen, Sorge haben), wie er ja auch bei den Polen und Čechen im Gange war, daher nur slavischen Ursprungs sein kann. -— Desgleichen besagt der Umstand des ersten Auftretens jenes Titels in den slavischen Urkunden am Schlüsse des X. Jahrhundertes doch auch nicht, daß er tagszuvor, als jene Urkunde entstand, erst in Gebrauch getreten wäre, da er doch Jahrhunderte, ja Jahrtausende schon vorher im Gebrauche gewesen sein kann. Die Tatsache allein aber, daß der Araber Ibn Dustah schon um das Jahr 900 schreibt, die Russen benennen ihren Fürsten »kakan-Rus«, schiebt bereits Thomsens Zeitbegrenzung um ungefähr ein Jahrhundert zurück, und charakterisiert so dessen »Beweise«. Chinesische Quellen sollen dies zeiträumlich noch wesentlich weiter nach rückwärts festlegen, doch fehlten dem Verfasser konkrete Belege hiezu. Weiters berichtet der Grieche Theophanos Isaakios (gest. 817), daß der byzantinische Kaiser Konstantin der Bucklige (fälschlich als der »Mistnamige« bezeichnet) i. J. 773 im Kriege gegen die Donau-Bulgaren ein großes Heer auf 2000 Galeeren aussandte, die im Originale als »ta rusia chelandia« bezeichnet werden. Die Auslegung »russische Galeeren« hält Thomsen gleichfalls für falsch, denn er sei für die Auslegung: rote Galerren, da der Begriff »rusics« für russisch in griechischen Quellen bis zur Mitte des X. Jahrhundertes sonst nicht belegt sei. Bis zu dieser Zeit finde man etwa griechischerseits für die Rüssen nur die Bezeichnung »Ros« und »rosikös« vor. Thomsen hält sich nämlich kramphaft an den falschen Satz: was nicht geschrieben ist, war auch nicht! — Weiter heißt es, die Russen kannten keine »chelandia«, d. i. größere Schiffe, sondern nur Boote oder kleine Schiffe. — Nun, man kann nicht alles handgreiflich widerlegen, was einer behauptet oder uns gegen unsere Überzeugung glauben machen will, doch auch da geben Sprache wie Geschichte Thomsen Unrecht. Vor allem ist das griechische »chelandia« nur ein verballhorntes slavisches »čoln«, d. i. Boot. — Weitere Aufklärungen über die Russen als Seefahrer bieten uns aber die alten arabischen Schriftsteller. Sie nennen sie grundsätzlich »Rus« und schildern sie als ein äußert tätiges, unternehmendes, allen Gefahren und Beschwerden trotzendes Volk, das sowohl tollkühne kriegerische Unternehmungen wie friedliche Handelsverbindungen bis weit in unbekannte Gegenden des Ostens ausdehnte. Sie benützen mit Vorliebe die Wasserstraßen; sie kamen von den Volga-Quellen und handelten mit den Volgaren (Bulgaren); auf dem Dnjepr erreichten sie das Schwarze Meer, das in der Zeit von 900— 1223 nur als »russisches Meer« bekannt war, weil, wie schon Massudi (um 940) schreibt, außer Russen niemand darauf fährt Da nun die Russen schon i. J. 865 Konstantinopel von der Seeseite angriffen, ist es wohl klar, daß es hier zahlreiche russische Schiffe gab, und nach allem sozusagen ausschließlich russische. Im Verkehre mit den Griechen gibt Thomsen das erste Erscheinen der Russen erst i. J. 839 zu, denn da erwähnen die Chroniken -.um erstenmale die Russen als »Ros«, später als »Rusioi«; ansonst finde sich angeblich keine Andeutung früherer Berührungspunkte. — Ist aber der Mangel an Quellendaten für eine Behauptung an sich noch kein abschließender Beweis, so spricht dagegen auch folgende Tatsache. Im sogenannten »Soloh«-Grabe (Südrußland), das mindestens 500 Jahre vor Chr. aufgeworfen wurde, fand man kunstvolle Beigaben, die als griechische Kunsterzeugnisse bezeichnet wurden, daher auf wesentlich ältere Handelsbeziehungen zwischen den Russen und Griechen schließen lassen/’) Die Araber erwähnen die Russen häufiger erst vom J. 900 an, u. z. wohl deshalb, weil sich ältere Quellen eben nicht erhalten haben. In der persischen Übersetzung des arabischen Geschichtsschreibers Tabari wird zwar schon beim Jahre 643 von einem Volke »Rus«, den Feinden aller Welt, besonders der Araber, erzählt, doch wurde diese Stelle gleich wieder als Fälschung bezeichnet, denn sie befinde sich angeblich im Originale nicht, und sei vom Übersetzer eingeschmuggelt werden.“) Die Araber Isak-al-Isstachri und Saia-al-Balchi (um 950) erzählen weiter, die »Rus« zerfallen in drei Hauptstämme. Der eine wohnt in der Nähe der Bulgaren; die Residenz des Königs derselben heißt »Kujaba« (Kiev); ein Teilgebiet daselbst heißt noch heule Ku-java; 'der zweite Stamm heißt »Selavija« (= Slaven)7); der dritte »Artania« oder »Barmania«, also »Ormania« oder Armenien. Verschiedene Chronisten identifizieren überdies die »Rus« mit »Skitai« sowie »Tauroskitai«. Auch dieser Ansicht tritt Thcmsen mit der Behauptung entgegen, »Skit« sei überhaupt kein volkstümlicher, sondern nur ein gelehrter Name, der mit der Nationalität nichts gemein hat, sondern lediglich jene Gebiete, die noch die alten Scyten bewohnten, kennzeichnet. Dem muß aber entgegenhalten werden, weshalb gerade und ausschließlich dieser Name, den von Herodot herab alle alten Schriftsteller gebrauchen, ein »gelehrter«, also kein ethnographischer wäre, hingegen aber jene der Thraker, Hellenen, Mazedonier, Bulgaren, Illyrer, Germanen u. a. unter gleichen Voraussetzungen? Eine eigenartige Entgleisung passierte Thomsen auch in der Ausdeutung der Stelle des Leontios, der bei der Beschreibung des Zuges der »Ros« i. J. 941 befügt, daß diese auch »Phrangoi« genannt weiden, Thomsen findet darin die Handhabe zur Erklärung, die Russen waren ein Volk fränkischer, also germanischer (!) Kaste, statt darin die zusammengezogene Form von »Va-rangoi« zu erkennen. 5) Man fand darin auch etliche Objekte mit Inschriften, doch ist die Lesung derselben bisher noch nicht gelungen. Doch die griechische Schrift ist es nicht: allerdings kann aber ein Kunsterzeugnis, das in ein anderes Land wandert, auch dort Inschriften erhalten; doch ist bei den gefundenen Amphoras auch schon die Inschrift mitgebrannt. 6) Nachdem es sich auf allen Linien zeigt, daß die meisten, die Altslaven betreffenden Quellen immer gleich als gefälscht erklärt werden, die Über- oder Nachprüfung aber immer das Gegenteil erweist, wäre es auch hier empfehlenswert, wenn ein Arabist jene Stelle objektiv übeuprüfen würde. 7) Ansonsten bezeichnen die arabischen Schriftsteller die Slaven als »Saklab«, plur. »Sakaliba«, also Formen, die der griechischen Benennung »Skläboi« entsprechen, aber wohl nur mit Rücksicht auf die ungenaue schriftliche Darstellung der Vokale im Arabischen unrichtig gelesen werden. Thomsen ist überdies von der auschließlichen Heimat der »Normannen« im »germanischen« Skandinavien so gefesselt, daß er dabei alles übersieht, was dieser Auffassung schon natürlich widerspricht. So schreibt z. B. Liudprandt, der Bischof von Cremona, der sich um 948—950, dann i. J. 968 als Gesandter in Konstantinopel aufhielt: »Konstantinopel hat im Norden die Ungarn, Pizener (?), Chazaren, Russen, die mit anderem Namen auch Nordmannen heißen, und die Bulgaren als nächste Nachbarn.8) Trotz der geographischen Absurdität, die Skandinavier als Nachbarn Konstantinopels anzusehen, meint Thomsen, gerade aus dieser Stelle sei zu entnehmen, daß die »Rosios« skandinavische Normannen waren, und übersieht dabei völlig, daß hier die »Ormani, Urmiani« oder Armenen, also etwa die südkaukasischen Russen gemeint sind. Wäre dieses zweifelhaft, so kann eine zweite Stelle Liudprands herangezogen werden, wo er sagt: »Es lebt ein Volk im Norden (von Konstantinopel), das die Griechen wegen ihres Äußeren »Rusii«, wir aber nach der Lage ihrer Heimat »Ncrdmanni« nennen. König über dieses Volk war Inger, der mit mehr als 1000 Schiffen nach Konstantinopel kam usw.« — Das sind Thomsen wieder Skandinavier, und da die Tatsache, wie sie mit den 1000 Schiffen ins Schwarze Meer gelangten, doch eine Aufklärung notwendig macht, erklärt er dies dahin, die Normannen trugen ihre Schiffe über die Gebirge und das Festland, — eine sicherlich beleidigende Zumutung an den denkenden Leser, nur um nicht bekennen zu müssen, daß diese »Nordmanni« keine Germanen, sondern eben Russen, d. h. Slaven waren. Ähnlich verhält sich Thomsen bei der Stelle der Annalen von Fulda, wo es beim Tode des Bischofs Markward von Hildesheim (880) heißt: »er fiel gegen die Normannen«; im Chronicon Hildesheimi heißt es hingegen: »er ist von den Slaven getötet werden« (»occisus est a Sclavis«), Er weiß sich auch hier Rat, in dem er vorgibt, der Hildesheimer Chronist verwechselt da einen Čechen- oder Serbeneinfall. Nun, daß gerade der Chronist von Hildesheim nicht wissen sollte, von wem und bei welchem Anlasse der eigene Bischof getötet würde, ist doch schwer anzunehmen. Auch die Stelle des Arabers Achmed-alJakubi: »H e i d e n (Mod-šus = moži), die Russen heißen, haben Sevilla angegriffen und geplündert«, ist bemerkenswert. — Da wir aber lesen, daß um jene Zeit die Küsten Spaniens tatsächlich von einer Normannenschar gebrand-schatzt wurden, würde daraus weit eher hervorgehen, daß diese Normannen eben Rusen oder Slaven waren, denn dann stimmt alles, umgekehrt aber nicht. Dieser Angriff ist nämlich kaum von der Ostsee, 8) Mon. Germ. Hist. Ser. III. p. 277: Habet quippe (Constantinopolis) ab aqui-lcne Hungarios, Pizenacos, Chazaros, Rosios, quos alio nos nomine Nordmannos appellamus, atque Bulgaros nimium sibi vicinos«. — •V y y sondern eher vom Mittelländischen Meere aus von den »Ormani« unternommen worden, daher hier eine ständige geographisch-ethnologische Verwechslung vor liegt. Der Name »Ros« ist aber auch schon in der Biblischen Geschichte (Ecechiel, 38, 39) belegt, denn dort ist die Sprache vom »Fürst der Roš«. (Die Septuaginta schreibt »Roš«). Es ist dies der Herrschertitel Gcgs, der von Norden her gegen das Volk Israel auftritt. — Hiemit wäre der Name der Russen für weitere 1400 Existenzjehre festgelegt, was aber noch immer nicht ausschließt, daß sich in ungelösten Inschriften oder unerforschten Quellen noch ältere Belege vorfinden können. — Das Schlußresultat ist demnach: a) der Begriff »varjag« ist ausgesprochen s 1 a v i s c h vom etymologischen wie sozialen Standpunkte; b) »Norman« ist ein entstelltes »Orman«, das jedoch mit dem heutigen »Armen, Ormian, Armenier« identisch ist, und geographisch mit Skandinavien nichts zu tun hat; c) gab es aber im Norden »Normannen«, so sind diese mit den russischen, d. i. slavischen »Murmani« identisch, daher eine »germanische« Abstammung hier nirgends durchleuchtet; d) ist es aber einwandfrei feststellbar, daß es wirklich auch germanische Normannen gab, so kann dies nur ein ethnologischer Begriff für sich sein, denn das ist unbedingt ausgeschlossen, daß sich die seefahrenden »Normannen« Skandinaviens gerade das Schwarze (»russische«) Meer als ihre Hauptdomäne der Schiffahrt erwählt hätten, denn das festländische Durchzugsgebiet beträgt von der Ostsee dahin schon in der Luftlinie über 1300 km, und der westliche Umweg zur See spricht logisch entgegen, weshalb die skandinavischen Völker die Naturprodukte aus Rußland auf dem Umwege über das Schwarze- und Mittelländische Meer bezogen haben sollten, da doch der Landweg wie die Ostsee hiezu kürzer, billiger und sicherer war. Gleich- oder ähnlichlautende ethnographische Namen müssen deshalb noch nicht Völker oder Gebiete gleicher Sprache oder Länder bezeichnen, was eben strenge beachtet werden muß, um sich nicht in ein Netz irriger Kombinationen zu verfangen. — Ansonst wurde aber hier an einem konkreten Beispiele dargelegt, welches Chaos eine national gefärbte und dabei gewalttätig auftretende Geschichtschreibung schafft, wenn sich die ernste Wissenschaft geistig versklaven oder kampflos in die Flucht schlagen läßt. / Es wird daher pragmatisch wie moralisch notwendig alle Gebiete des menschengeschichtlichen Wissens über die Altslaven von Grund aus zu überprüfen, die unhaltbaren Anschauungen überzeugend zu widerlegen oder auszuscheiden, und wieder jene Tatsachen in ihr Recht einzusetzen, denen krankhafte fremde Einflüsse leider durcli so lange Zeit eigener Passivität den festen Boden wankend zu machen vermochten. Die Wahrheit über die Völkerwanderung. Die durch das kritiklose Aneinanderfügen verschiedener Phantastereien und vager Vermutungen so groß aufgebauschte Aktion der Völkerwanderung muß endlich dahin geklärt werden, daß die bereits eingelebten Hypothesen für diese nie gewesene Zeit nichts mehr und nichts weniger bedeuten, als das völlige Versagen der vergleichenden Zusammenfassung und geistigen Assimilierung aller bezüglichen Quellen. In völkergeschichtlicher Richtung herrscht im Zeiträume bis etwa um das IX. Jahrhundert in Europa eine völlige Unorientiertheit, der zugleich eine gewisse Absichtlichkeit nicht abgesprochen werden darf, denn nur auf diese Art war es bis heute möglich die wahre Vergangenheit der Altslaven im Dunklen zu erhalten. Diese Behauptung ist schon deshalb begründet, weil ja fortgesetzt objektive Männer auf-treten, die da in die Welt rufen: die Hypothese von der Völkerwanderung ist aus verschiedensten Grün-denunhaltbar, und bi etet diese geradezu eine chinesische Mauer für viele Forschungsgebiete des menschen ge schichtlichen Wissens. Doch nützen alle die handgreiflichsten Hinweise und die beredtesten Widersprüche nichts, um den schweren Irrtum zu berichtigen; im Gegenteile, der Irrtum wird daraufhin noch mit verstärkten Machtmitteln konserviert. Die Methode ist hiebei ständig dieselbe; man verdächtigt alles, schafft zum mindesten Rätsel, ignoriert die solide Quelle und macht das Falsche reell; und wenn einmal die Gewalt der Beweise trotzdem mit dem Durchbruche droht, dann werden alle Kräfte aufgeboten, damit hievon niemand etwas erfährt, ö. h. die Presse muß darüber schweigen. Vor allem ist es nötig hervorzuheben, daß kein älterer Schriftsteller noch etwas von einer Völkerwanderung weiß, und diese große weltgeschichtliche Begebenheit, die heute den Markstein zweier Zeitalter bildet, sollte bis zum XV. Jahrhunderte niemand bemerkt haben? — Aeneas Silvius (1405—1464), der spätere Papst Pius II, war als der erste mit der Mutmaßung hervorgetreten, es müssen im IV.—VI. Jahrhunderte unter den damaligen Völkerschaften Europas große Unruhen und Bewegungen geherrscht haben, und nachdem in dieser Zeit neue ethnologische Namen auf tauchen, mußten einzelne Volk et als solche aus ihren Wohnsitzen aufgebrochen sein und sich in der Welt ein neues Heim gesucht haben. Und mit diesem falschen Universalheilmittel arbeitet die Geschichtschreibung bis heute fort, ohne zu erwägen, daß ein ganzes Volk gar nicht wandern kann, oder doch den Versuch zu machen, sich solche Situationen natürlich zu erklären, zumal sich ethnographische Veränderungen dieser Art aus Analogien leicht erklären lassen. Die Naturgesetze bleiben immer dieselben; alle natürlichen Aktionen in der Welt wiederholen sich konstant unter gleichen Kausalitäten und Begleiterscheinungen. In analoger Weise gehen auch die intellektuellen Bestrebungen des Menschen ständig dahin, sich seine Lage zu verbessern, was zur Folge hat, daß sich das Völkerleben, alternierend wie zwei Brunneneimer, zur Höhe wie zur Tiefe, also heute zum Herrschen, morgen zum Beherrschtsein bewegt, welches Verhältnis sich denn auch in der Wandlung des Vclksnamens geltend macht. In dem Auftauchen und Wiederverschwinden eines ethnographischen Namens liegt daher die ausschließliche Fehlerquelle für alle unsere völkergeschichtlichen Irrtümer, und namentlich für jene der Völkerwanderung. Den überzeugendsten Beweis, wie wir uns eine Völkerwanderung in der Wirklichkeit vorzustellen haben, bietet uns gerade die prosaische Gegenwart. Im großen Weltkriege kämpften doch die Völker fast der ganzen Welt an den entferntesten Punkten, aber deshalb ist das Stammvolk überall und ausnahmslos auf der angestammten Scholle geblieben, denn nicht das Volk zog als solches aus, sondern nur die kampffähigen Männer, und auch von diesen nur ein größerer oder kleinerer Prozentsatz. Das ist. aber noch lange keine Völker- sondern nur eine Armeenwanderung als Folgeerscheinung der taktischen oder strategischen Notwendigkeiten des Krieges. — Sicherlich werden auch Einzelne oder auch größere Partien da oder dort im neuen Lande bleiben, dann ihre Familien heranziehen und sich daselbst naturalisieren, aber deswegen bleibt das Stammvolk noch immer weiter dort bodenständig, wo es war, und macht sich ein solcher Teilabbruch auch in keiner Weise fühlbar. Ähnliche Verhältnisse ergeben sich aber selbst im tiefen Frieden; den unmittelbaren Anstoß hiezu geben die Populationsüberschüsse sowie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse im Heimatlande. Der Populationsüberschuß, dem die Heimat keinen gesicherten Lebensunterhalt gewährleistet, gravitiert naturgemäß seit jeher nach auswärts, und spielt sich in der Jetztzeit die größte Völkerwanderung ab, ohne dass die Geschichte dieselbe verzeichnet, denn die Auswanderungen aus Europa und Asien nach Amerika berechtigen vollkommen zum Gebrauche dieses Begriffes, und gibt es in Amerika nahezu geschlossene Bezirke, die von Deutschen, Cechen, Kroaten, Slovenen u. a. bewohnt werden; und auch diese Völkerwanderung geschieht nur einzeln oder familienweise, aber doch nicht nach Art der Heuschreckenschwärme, denn der Stammsitz bleibt bei alledem doch immer weiter besetzt. Einen Impuls für eine großzügigere Auswanderung können auch Mißjahre und die daraus resultierende Nahrungsnot bieten, und wissen wir doch sehr gut, daß die statistische Kurve der Auswanderer aus Österreich immer nach einem Mißjahre oder bei .mißlichen Industriekonjunkturen erheblich größer ist; im umgekehrten Falle stellt sich aber hingegen eine Zurückflutung ein. Die latente Ursache einer jeden Völkerwanderung ist daher die vitale Not oder das Bestreben, sich seine gegebene Lebenslage zu verbessern. Das Eindringen in ein anderes Gebiet hat allerdings heute andere Fermen angenommen, als einst. Während dies heute ein einfacher Auslandspaß ermöglicht, konnte es früher bei der größeren Abgeschlossenheit der Völker unter sich meist nur durch ein kraftvolles Auftreten, also mit Waffengewalt geschehen. Der Kern der vermeintlichen Völkerwanderungen besteht daher durchaus nicht in dem mechanischen Wechsel eines Volkes durch ein anderes zur förmlichen Ablösung eintreffende Volk, sondern lediglich in der Änderung der Herrschaft in sprachlicher, religiöser oder wirtschaftlicher Hinsicht; die Stammbewohner bleiben, wie sie waren; sie vermischen sich biologisch; sie behalten ihre Sprache, Religion oder Sitten, oder müssen sich den neuen Verhältnissen anpassen; ansenst bleibt alles beim Alten. Eine andere beliebte Methode der Konstruktion einer Völkerwanderung ist das Eskämotieren oder Verschicken eines Volkes in ein Gebiet mit großem Auslauf. So erzählt die Geschichte, Irnak, der jüngste Schn Attilas, habe gegen das Ende des V. Jahrhundertes die hunnischen Horden nach den Vclga-Steppen geführt, wo sie unter anderen Nomadenvölkern aufgingen. Wenn dies auch nicht geschichtlich als unlogisch widerlegt wäre, so ist eine solche Verschickung auch praktisch ganz ausgeschlossen, denn ein Volk, das auf seinem Boden doch nur ein bestimmtes Maximum von Individuen ernähren kann, vermag nicht noch ein weiteres Volk in Kost zu übernehmen. Wäre jedoch der Fall eingetreten, daß die Hunnen, nachdem sie kurz zuvor auf den Catalaunischen Feldern angeblich nahezu vernichtet wurden, plötzlich-wieder erobernd auftraten, so mußten sie alle Gebiete, die sie passierten, doch zuerst bezwungen haben, und dies war einst bei der allgemeinen Kriegsbereitschaft und den allseitigen technisch mehr oder weniger hervorragenden Vertei- digungsvorsorgen nicht so einfach. Nebstbei fehlt hiezu jede vernünftige Erklärung, weshalb sie bei solchen günstigen Prämissen den nationalen Selbstmord durchaus in den Volga-Steppen zu begehen anstrebten. Waren überdies hiebei die Hunnen siegreich, so gingen doch eher die Stammbewohner zugrunde, nicht aber die Hunnen; war es umgekehrt, so kamen sie durch die Durchzugsländer überhaupt nicht hinaus und erreichten nie jenes Kanaan, das ihnen gewisse Taschenspieler in der Geschichtsschreibung im Erklärungsdilemma vorgaukeln. Wir kennen aber doch auch heute viele und verschiedene Quellen, die gerade über die Existenz der Hunnen in Mitteleuropa noch in späteren wie früheren Jahrhunderten Aufschluß geben. Vor allem ist dies der im Jahre 735 verstorbene englische Kirchenschriftsteller Beda, welcher (Hist. Ecci. I.) schreibt, daß die erste Spur von den Slaven im nördlichen Deutschland anzutreffen ist; er nennt sie Hunnen und läßt sie in der Nachbarschaft der Dänen, Sachsen und Rugier wohnen. Noch Überzeugenderes erfahren wir durch den Geschichtsschreiber Widukind (X. Jahrh.), welcher erzählt, daß König Heinrich I. an die Unterjochung der Serben schreiten mußte, weil sie ihm als ständige Verbündete der Huunen gefährlich zu werden begannen. Nachdem er vorher die Unruhen in Deutschland gestillt, schloß er mit den Hunnen einen neunjährigen Waffenstillstand, griff dann die Heveler (an der Havel) an und nahm dann deren Hauptstadt Brenna-bor (Brandenburg) ein usw. Es gab also im X. Jahrhunderte im nördlichen Europa noch immer »Hunnen«, mit denen Bündnisse zu schlies-sen es deutsche Könige nicht unter ihrer Würde hielten! — Der kärntische Chronist Unrest erzählt unter anderem auch, daß es in Kärnten um das Jahr 820, d. i. nach dem Einfalle der Hewn (Hunnen-; worunter er aber heidnische Kroaten versteht) keinen Herrn und keinen Herzog gab, daher sie »ainem gemainen man von paurn ge-schlacht zum hertzoge im lande Quarantano machten«. — Im IgorJ • Liede werden die »hinischen« Pfeile als besonders gefürchtet angeführt, und diese »Hinen« wohnten demnach, da die Dichtung nur in der Zeit von 1186—1194 entstanden sein kann, damals im Polovzer-Gebiete, also an der unteren Volga und am Don, sind demnach auch seinerzeit nicht spurlos »in den Volga-Steppen unter anderen Nomadenvölkern aufgegangen«. Paulus Diakonus erzählt wieder in seiner Geschichte der Longebarden, daß sein Urgroßvater, der etwa um 650 gelebt haben muß, .. da Paulus um 730 in Friaul geboren wurde, in Italien von den Avaren gefangen genommen und ins Land der Hunnen abgeführt worden sei. (Ungarn oder Kroatien.) Zu Beginn des II. Jahrhundertes werden die Hunnen auch schon von Dyonisios Periegetes (»Ounoi«) und dem zu fast gleicher Zeit ' lebenden Claudius Ptolemäos, der die Wohnsitze der »Chuni« zwischen die Bastarner und Roxolaner, also in den Raum von der Donaumündung, den Unterlauf des Dnjepr und den Fluß Kalmus am Azcwschen Meere verlegt, erwähnt, — Aethicus (um das Jahr 300 n, Chr.) nennt sie »Chugnos«, und setzt deren Wohnsitze aus Autopsie, da er selbst den Norden Europas bereits haben will, nach Ncrddeutschland zwischen die Alanen und Friesen, also genau dahin, wo sie der erwähnte Beda noch im VIII. Jahrhunderte vorfindet. — Cyrillonas, ein syrischer Dichter, verfaßte i. J. 396 einen frommen, noch erhaltenen Bittgesang gegen das göttliche Strafgericht des Hunnenkrieges, da die Hunnen i, J, 395 und 396 in Syrien eingefallen waren. — Und unsere Schulgeschichte erzählt immer nur von einer spontan aufgetauchten und dann wieder spurlos verschwundenen Hunnengruppe! ? Ein weiterer organischer Fehler in der Geschichtschreibung ist die kritiklose Verwertung der Quellen, sowie die einseitige Hervorhebung dessen, was der Augenblick heischt; von Objektivität oder Wahrbeitsenergie ist da oft gar keine Spur zu finden, Hiefür mögen folgende Beispiele dienen, wie die ungereimtesten Dinge zu geschichtlichen Satzungen werden können, je nachdem man fallweise Licht oder Schatten bedarf. Der im Jahre 1525 verstorbene Nikolaus Marschalk (Mareschalcus) schrieb eine Geschichte der Heruler und Vandalen. Im 7. Kajpitel sagt er betreffs der Heruler: »Sie haben vor-alters ohne Zweifel dem Teuton viel größere Ehre erwiesen, als die übrigen Teutschen, da sie ihn mit Menschenblut zu versöhnen pflegten«. — Im darauffolgenden 8. Kapitel sagt er hingegen: »Zu Kriegszeiten droschen die Heruler das Korn aus und vergruben es in die Erde; das sonstige Hausgerät verstecken sie in den Wäldern, Gruben und Seen, was alle V a n d a 1 e n vorzeiten in ähnlicher Weise taten«. — Westphalen, der die Annalen Marschalks im Jahre 1739 veröffentlicht, schreibt hier statt »Vandalen« bereits »Wenden«; demnach sind die Heruler bei demselben Schriftsteller einmal »Teutsche«, einmal »Wenden«, denn die Vandalen galten auch Marschalk als Slaven — Wenden. — Letzterer schreibt im 8. Kapitel auch noch folgendes in einem Atem: »Mit Unrecht glaubten die Heruler an viele Götter, Sie kamen an Festtagen über Befehl des Priesters mit Weibern und Kindern zusammen. Dort befand sich ein großer Altar, wmrauf ein jeder seinen Gott, so gut er vermochte, mic Ochsen, Schafen und Federvieh versöhnte. Bei diesen Opfern mußte auch immer Christenblut herhalten, denn ihrer Gewohnheit gemäß schlachteten sie Männer und Weiber für den Altar ab, rissen ihnen das Eingeweide heraus und hängten es auf die Pfähle. Nach diesem Götzendienste schmausten sie, tranken lustig herum und beendeten den Tag mit Spielen und Tänzen. Einen guten Freund ließen sie nicht gar zu alt werden, da sie sich einbildeten, es wäre besser zu sterben, als den Lebensrest träge zuzubringen; sie hielten es daher für gut Alte zu töten, und als eine besondere Gunstbezeugung die abgelebten, arbeitsunfähigen Eltern in kleine Stücke zu zerhacken, zu Speisen vorzubereiten, was auch Prokopius in der Geschichte der Goten von den auswärtigen (Herulern) erzählt. Gegen einander waren sie gastfrei und gottesfürchtig, ehrten und liebten die Eltern gar hoch; den Fremden, welche sie gerne beherbergten, erwiesen sie Liebes und Gutes, und wer solchen sein Haus versagte, dem wurde dieses niedergebrannt. Sie unterhielten mit dem gemeinsamen Gelde Hospitäler, Waisen- und Armenhäuser, und kamen so den Notleidenden und Gebrechlichen zu Hilfe«. — Was ist da nun wahr? Wer seine Eltern hoch ehrt, den Gebrechlichen Kranken- und Versorgungshäuser erbaut, tötet und verzehrt sonach nicht'seine Eltern »aus besonderer Gunstbezeugung!« — Der subjektive Geschichtsschreiber macht es nun folgend: will er die Heruler herausstreichen, so hebt er ihren Humanismus hervor; will er sie herabsetzen, so macht er sie, sich auf die Beweise alter Schriftsteller stützend, zu Menschenfressern; der objektive Kritizismus, der da sagen müßte, daß da eitel Widersprüche sind, kommt dabei gar nicht zu Worte. Ähnlich verworrene Verhältnisse bieten sich auch bei der ethnographischen Festlegung der Wohnsitze der Goten. Die Geschichte sagt, die Goten verschwinden mit dem Zusammenbruche des ostgotischen Reiches. Sie wohnten aber nach Tacitus, Ptolemaeus, Prokopius u. a. am »sinus vendicus« oder »venedicus«, also augenscheinlich in Schweden oder in dessen Nähe, denn der König von Schweden führt noch immer den Titel »König der Goten und Wende n«. — Doch Goten wohnten auch im Gebiete des Schwarzen Meeres; von dort zogen sie etwa, wie die kroatische Chronik des Dukljanin erzählt, in den ersten nachristlichen Jahrhunderten erobernd auf den Balkan. Aber das russische Heldenepos »I^or«, das die Kämpfe der Russen gegen die Polovci (um 1186) schildert, enthält noch den Salz: »da sangen am Don die schönen gotischen Mädchen . . .« — Der Lette nennt seinen südlichen russischen Nachbar noch immer »Godas«, das aber heute mehr die Bedeutung eines Schmähbegriffes trägt. — Auf dem Grabsteine des polnischen Königs Boleslav d. Gr. (992—1025) ist zu lesen: »Tu possedisti velut verus athleta Christi Regnum Sclavorum, Gotho rum et Polcnorum, d. h. »Du, gleichsam der wahre Kämpfer Christi, hattest inne die Herrschaft der Slaven, Goten und Polen«. — Tacitus zählt uns auch die »Chatti« im mittleren Germania auf, falls dieser Name überhaupt mit »Goti« wurzelverwandt ist. In West-böhmeii wohnen noch heute die »Chodi«, die einst die Grenzen gegen Bayern zu sichern hatten usw. ■ Zu allem diesem Wirrwarr gesellt sich noch die Streitfrage: sind die »Goten« und »Geten« als dasselbe Volk anzusehen? — Grimm behauptete, sie seien identisch, Dahn war entgegengesetzter Meinung; die Frage blieb bis heute unentschieden, obschon sie sich überzeugend lösen läßt, wobei Grimm im Rechte bleibt. — Die Entscheidung liegt in der Kenntnis der Eigenart der slavischen Sprachen. Der Russe, auf dessen Gebiete die Goten noch im XII. Jahrhunderte saßen, spricht unter gewissen Voraussetzungen das »e« als »jo« aus. Wer diese Aussprachregel nicht kennt, wird z. B. »med« statt »mjod« sprechen und lesen. Es scheint nun, daß der Russe »Get* schrieb, aber »Got, Gjot« aussprach. Daß er im Singular »Get« schrieb, geht daraus hervor, daß di&Nestorsche Chronik im Plural die Form »Gti? gebraucht; aber deshalb mag er auch schon »Got« im Singular ausgesprochen haben. — Noch klarer geht aber die Identität der »Goten« und »Geten« aus der öffentlichen Aufschrift zweier römischer Denkmäler hervorr Auf dem Triumphbogen zu Ehren Stilichos für die Besiegung Radegaiss (405) steht: »quod G e t a r u m nationem in omne aevum docuere extingui«, auf der Reiterstatue gleichen Anlasses steht aber hingegen: »post confectum Got hi cum bellum . . .« — Man darf nun wohl annehmen, daß die Römer wußten, über welches Volk Radegais herrschte und mit wem sie Krieg führten. Aus gleichem Grunde ist auch der Vorwurf, den man Cassiodorus und Jordanes machte, sie hätten aus politischen Rücksichten die Geschichte des »weltberühmten G e t e nreiches ihren Goten vindi-ziert« vollends unbegründet. — Es ist dies ein Schulbeispiel, wie neue Völker konstruiert werden und wie weltgeschichtliche Rätsel entstehen. Man weiß sogar gleich Genaues über deren Wohnsitze, Sprache, Schädelform, Sitten u di gl. ; die K ampfgruppen stehen schlagbereit da, und doch ist alles eitel Spiegelfechterei. Ein ähnliches Bild bieten die Wenden, Winden, Inder, Ruger, Vandalen, Longobarden, Rhäter und Kelten In Kleinasien gab es etwa die »Enetoi«, im Bereiche des Bodensees die »Vindelici«, in Oberitalien die »Veneti«; es gibt noch hente »Wenden« in der Lausitz, »Wenden, Winden« in den Alpenländern, die »Vendée« in Westfrankreich, das »Wendenland« in Nordwest-rußland. Die - Wänden« im Alpengebiete bezeichnet? man zugleich vielfach als »Indi, Indijane«, wie di.es die babylonische Völkertafel, Eschenbach, slovenische Volkslieder u, a. besagen, Man liest stets über die Ruger: »sie waren ein germanischer Volksstamm«. Nun wohnten aber »Rugi« nach Tacitus an der Ostsee, östlich der »Goti«; man vermutet sie im Gebiete des Ilmen-Sees, ■ weil sie Jordanes auch »Ulmirugi« nennt. Die russische Fürstin Olga (f 969) führte den Titel »regina Rugorum«. Die Raffelstettner Zoll-ordnung (905) kennt hingegen wieder »Rugi« in Oberösterreich usw. Die Geschichte sagt, die Vandalen waren ein ostgerma-nisches Volk, das dann verschiedenste Kriegszüge unternahm, und sich schließlich um das Jahr 534 in Afrika spurlos verlor. Wie reimt sich dies aber, da wir wissen, daß der hl. Ruppert noch im Jahre 705 den »Vandalen« predigte, denn es heißt: »transcenosque monte altis-simo, mens Durus (= slav. Turij appelato, praedicavit Wandalis« (»nach Passieren — vom Norden her — der Hohen Tauern predigte er den Vandalen«), worunter man die heutigen Slovenen, als die Bewohner südwärts jenes Gebirges, verstehen muß, was auch richtig ist. den in einer cechischen Glosse in Mater verborum aus dem XII. Jahrhunderte werden die Slovenen (»Zlouenin«) auch »Vandalus« (und »Wint«) genannt. — Helmold erzählt in der »Chronica Slavorum« (1172), daß an der Grenze Polens ein ausgedehntes slavisches Land liegt; die Bewohner desselben nannte man voralters »Vandalen«, jetzt aber »Winithen« oder »Winuler«. — Nikolaus Marschalk schrieb eine Geschichte der Heruler und Vandalen, und widmete das Werk dem Herzog Heinrich von Mecklenburg, dem Fürsten der Vandalen (»princeps Vandalorum«), — Welche Geschichte sagt uns nun heute, daß es im XVI. Jahrhunderte in Europa ncch Vandalen gab, und welches sind nun jene V andalen, die man als Paradigma der Zerstörungswut in der heutigen Redensart zu verstehen hat, nachdem sie doch in Afrika verschwunden sein sollen? . Ähnlich steht es mit den Longobarden. Sie waren etwa ein westgermanisches Volk, das zu Beginn unserer Zeitrechnung an der Niederelbe wohnte, nachdem die Namen »Bardengau« wie »Bardowiek« ihnen zugeschrieben werden (!). Später gelangten sie elbeauf-wärts bis ins Waagtal, wo ihr Hauptort »Langricio« (jetzt Trencin) war. Sie machten sich nun durch Zertrümmerung des Heruler- und Gepidenreicnes zu Herren Pannoniens. Ihr König Albcin zog 568 gegen Italien, und seine Scharen überfluteten bald den nördlichen Teil davon, der nun nach ihnen »Lombardei« benannt wurde. Später gehen sie ganz in den Romanen auf. — Es ist nun selbstredend, daß es sich hier nicht um ein und dieselbe Völkerschaft, und ncch weniger um den Zug eines ganzes Volkes, sondern nur um Kriegszüge handelt. Die Etymologie »lombarda«, d. i. »lemvarda«, bedeutet: Grenzwache; »lombardi« hießen demnach im Slavischen die Grenzwächter (»lom« = Grenze, »varda« = Wache, Schutzpunkt), und mag sich dieser Name an der Unterelbe, in der heutigen Slovakei/in Ungarn wie in Oberitalien, analog wie sich andere Völkernamen fortgesetzt wiederholen, gleichfalls wiederholt haben. Es sind dies daher auch nicht dieselben Volksstämme, sondern nur so benannte Kriegsscharen verschiedener Zeit und verschiedene^. Ursprungs. Der Ursitz der Longobarden zur Völkerwanderungszeit ist allerdings wahrscheinlich die heutige Lombardei; der Name hat sich daher ebensowenig verloren, wie jener des alten Volkes der R b ä t i e r, bei denen man im Zweifel ist, ob sie Illyrer, Kelten oder Veneter waren, obschon sie noch heute als »Rezijani« existieren. Sie wohnen noch immer an den Südhängen der Alpen und sind identisch mit den slove-nischen, allerdings heute schon bis auf etwa 80.000 Seelen völlig romanigierten Bewohnern der italienischen Provinz Venetien. Man sagt auch, die Rhätier bildeten geographisch und sprachlich den Übergang zu den Etruskern oder Tosken; auch das ist richtig, denn die etrurischen Sprachreste, wie sie in den zahlreichen Inschriften Vorkommen, sind eben ein schon ziemlich romanisiertes Slavisch. Es haben daher alle streitenden Parteien im Prinzipe recht: die Rhätier sind Veneter, weil dieses Gebiet im geographisch-politischen Sinne zu einer Zeit zu Illyrien gehörte; sie sind auch Kelten, weil sie militärisch-sozial, wie dies nachstehend erörtert wird, in »celedi« organisiert waren; die langwierigen Gelehrten-Katzbalgereien in dieser Richtung haben daher nicht den geringsten Beweiseffekt, da eben jede Behauptung oder Ansicht diskutabel ist. Eine besondere Rolle spielen die »Celti«, — »Kelten« ist schon die gräzisierte Form — in der Völkerwanderung. Man nimmt an, daß sie sich zum mindesten schon im ersten Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung von Österreich und Süddeutschland aus über den Rhein, dann Frankreich bis England ausdehnten. Gegen Ende des VI, Jahrhundertes v. Chr, besetzten sie Spanien (Keltoibe-rer); zu Anfang des IV. Jchrhundertes v. Chr. verbreiteten sie sich auch schon über das etruskische Norditalien; in den Jahren 284—278 zogen sie als »Galater« nach der Balkanhalbinsel, und dehnten sich dann noch bis zur Mitte von Kleinasien aus. Wer war nun dieses große und rätselhafte Volk? Die Erklärung liegt in dessen nationalem Namen, denn »celed« bedeutet im Slavischeu noch heute eine Sippe oder einen Volksstamm, und verstand man darunter vor allem die militäris c h e Organisation eines Stammes; jene Völker oder Stämme, die sich in »celedi« gruppierten, und wo der kampffähige Mann »celedin« (althochdeutsch, »heled, cheled« = Man, Krieger) hieß, waren die »Celti«, analog wie dies bei den Bojern war, die ihre militärische Stammeskraft, als »boj« oder »voj«, oder die Franken als »bran«, die Spanier als »span« (Kameradschaft, Gespanschaft), die Kazaken als »kaza«, die Cechen als »chasa« benannten, und gilt die militärisch-soziale Benennung einer Volksgruppe nahezu ausnahmslos als die Grundlage der ethnographischen Namen. — Es wurden hier nur einige näher liegende Beispiele angeführt, wobei aber auch alle alten Quellen noch weitaus nicht erschöpft sind. Doch schon diese zeigen, wie unhaltbar unsere landläufigen Anschauungen einer Völkerwanderung gegenüberstehen, denn für einen Bau dieser Art ist kein einziger brauchbarer Stein zu haben. Die ethnologisch-sprachliche Klassifikation der alten Völker ist daher ungemein schwer, da es unter gleichen ursprachlichen Prämissen Völker geben kann, die die gleiche Sprache sprechen, aber verschieden, und verschieden sprechende, die gleich benannt sind. Wir wissen schon einmal nicht, weshalb z. E. die Römer die Bewohner des heutigen Deutschland als »Germani« und »Teutoni« benannten, oder warum heute der Franzose die Deutschen als »Alle-mani«, der Italiener als »Tedesci«, der Slave (wie Magyare) als »Nemci« benennt, und ebensowenig, weshalb sie sich selbst früher zu den wendischen Völkern zählten, oder seit wann sie sich selbst den slavischen Begriff »Deutsche«, d. i. Fremde (ahd. »tuisc«) beigelegt haben, der allerdings auch schon im römischen Gebrauche als »Teutoni« sichergestellt ist. Wir wissen daher gar nicht, inwieweit ursprünglich damit überhaupt Deutsche im modernen Sirtne gemeint waren, sowie ob sie als Wenden schon »deutsch« oder noch »wendisch« sprachen; allerdings wissen wir aber, daß noch im Mittel-alter viele Provinzen gewaltsam germanisiert wurden, und doch fehlt noch immer jener verläßliche Anhaltspunkt, wo dieser »germanische« wie »germanisierende« Grundstock eigentlich seinen Stammsitz hatte. Alles dieses zeigt, daß die alten Volksnamen sowohl in Zeit wie Raum äußerst dehnbare Begriffe sind, die immer nur eine bedingungsweise Richtigkeit haben, und gar nicht anders zu nehmen sind, wie die modernen, denn wir wissen heute wohl unter welchem Gesichtspunkte fallweise jemand zu nehmen ist, der sich z. B. als Österreicher, Böhme, Ceche, Mährer, Slave, Slovene, Wende, Slovake, Magyare u. drgi. bezeichnet; hingegen fehlen uns aber die subtilen Unterschiede für die analoge Auffassung bei den alten Schriftstellern, wie s i e derlei Nuancen nahmen. Sicherlich hatte aber auch bei ihnen der jeweilige Stadtpunkt immer drei labile Auslegungen, u. z. die sprachliche, die ethnologische wie die p o 1 i t i s c h-g e o-graphische, daher die Schlüsse auf die Sprache eines Volkes nach dem Volksnamen selbst einmal begründet, ein andermal aber wieder ganz unbegründet sein können.- Alle Erzählungen über Völkerwanderungen sind daher, wie sie heute interpretiert werden, eine völlig kritik- und gedankenlose, einseitige Schilderung von geschichtlichen Vorgängen, die es in Wirlich-keit in diesr Art nie gab, noch gegeben haben konnte. Wirft man aber alles Geschwätz, das man aus alten Quellen herausgelesen haben will, weg, so bleibt nur mehr der nachfolgende Kern: die V ö 1 k e r-wanderungen sind lediglich Kriegszüge; solche Kriegs- oder Abenteurerscharen, diö sich auch jenem verdingten, der sie entsprechend honorierte, legten mitunter auch weite Strecken zurück; sie führtendenNamenjenesVolkes, dem sie entstammten; im Trosse zogen ihre Frauen wie die während des Kriegszuges geborenen Kinder mit, aber deshalb blieb ihr Ursprungsland genau so weiter besetzt und bevölkert, wie vorher, und änderte sich deshalb auch nicht der eigentliche Volks- oder Gebietsname. — Der einzig richtige Weg, wie sonach das Völker-wanderungsiätsel zu lösen sei, ist daher der induktive: die Folgerung von einem konkreten Falle auf den allgemeinen, vom Lebenden auf das Abgestorbene, vom Bekannten auf das Unbekannte. Sollte übrigens je eine so großartige Umwälzung wirklich stattgefunden haben, daß plötzlich Milionen bodenständiger Menschen durch ebensoviel zugewanderte Slaven abgelöst worden wären, so konnte sich, abgesehen davon, daß dadurch ein halber Weltteil irgendwo menschenleer geworden wäre, der Wechsel doch nicht so unbemerkt abwickeln, daß ihn die römischen, griechischen, slavisc.hen, byzantinischen und arabischen Schriftsteller, die doch sonst ganz belanglose Vorgänge verzeichneten, gar nicht wahrgenommen hätten, denn unter den Völkern, welche da als ablösende genannt werden, findet man, wie die dermalige Geschichte behauptet, noch immer sehr wenig Slaven. Trotzdem hören wir aber andererseits immer wieder, daß die Römer überall auf ihren Eroberungszügen auf Bewohner stießen, die starke Burgen, Ringwälle oder Grenzschutzvorsorgen hatten, und die ihnen energisch, und vielfach auch mit großem Erfolge, mit den Waffen entgegentraten. Ein Volk aber, das sich Festungen baut, beteiligt sich an keiner Völkerwanderung, sondern es verteidigt sich oder unterliegt. Der Kern dieses geschichtlichen Irrtums liegt überdies in der gewohnten Annahme, daß ein Volk immer erst dann auf der Weltbühne gesichtet wird, sobald dessen erste Erwähnung in der geschriebenen Geschichte wahrgenommen wird, ein Denkfehler, vergleichbar mit dem, wie wir auch alle einst im naiven Kindersinne glaubten, daß die Sonne unmittelbar hinter dem nächsten Gebirge unseres Horizontes aus dem Ozean steige. In der Entwicklung eines Volkes, welches plötzlich unter einem bestimmten Namen geschichtlich inventarisiert auftritt, ist aber doch eine, nicht einmal approximativ in Zahlen ausdrückbare Werdezeit vorangegangen, worauf man eben fast ausnahmslos vergisst. Wenn nun Hypothesen dieser Art zu Geschichtsdogmen und Wendepunkten der Völkergeschichte werden konnten, so ist dies für den ersten Blick wohl recht verwunderlich, aber bei Kenntnis der wirkenden Imponderabilien und der bekannten Urteilslosigkeit der großen Welt gut verständlich. Man griff bei dem Vorgefundenen Wirrwarr in der Geschichte des IV.—VII. Jahrhundertes nach einer faßbaren Erklärung und fand sie auch, allerdings unter falschenVoraussetzun-gen. Die Schule festigte diese Vermutungen, die sich mit der Zeit zu Axiomen verstreiften, womit auch jede Nachprüfungstendenz lahm- gelegt wurde; ja, im Gegenteile, es wurde daraus eine eigene Wissenschaft, denn es gibt doch heute eine erkleckliche Zahl von Hochschulprofessoren, deren auschließliche Lehr- und Lebenstätigkeit die Völkerwanderungszeit ausfüllt, ohne daß sie dessen gewahr würden moderne Auguren zu sein. Dieser Denkfehler hatte aber im besonderen für die Slaven’' enorme Nachteile. Der Glaube an die Völkerwanderung, die die Slaven in ihre heutigen Wohnsitze gebracht haben will, hat hiemit auch die Negation des Autochthonismus der Slaven in ihren heutigen Gebieten möglich gemacht und bis heute künstlich aufrecht erhalten, ein Irrtum oder eine wissenschaf tlicheFälschung, die unter den Geistesverirrungen aller Zeiten nicht ihres Gleichen findet. Der Zusammenbruch der Rassentheorie. Jedermann, der einmal darüber nachdachte, wieso es möglich sei die Sprache zugleich, als Rassenkennzeichen aufzustellen, wird sehr bald selbst zur völligen Haltlosigkeit der in den letzten Jahrzehnten so üppig aufwuchernden Rassentheorien gelangt sein, wenn ihm die greifbarsten Auswüchse dabei auch gar nicht bekannt waren. Man könnte auch hier sagen: der größte Feind des Glaubens ist die Vernunft! So sprach man immer von einer besonderen keltischen, germanischen, slavischen, magyarischen Rasse. Gewisse »führende« Männer, namentlich der deutschen Gelehrtenkreise, wollten sogar nach jedem alten Schädel untrüglich auf die Sprache jenes einstigen Lebewesens schließen, um so eine Art von Hilfswissenschaft der Ethnographie zu begründen. Nun, wie ist aber dieses in der Wirklichkeit? — Die heutigen Preussen sind bekanntlich germanisierte Slaven; hat sich nun deren Schädelform zugleich mit dem Sprachwechsel geändert? — Gewiß nicht! — In Ungarn kann heute ein Rumäne oder Slovake um 1 K sofort ein Kernmagyare werden; ein als Slave G e-borener kann als Strammdeutscher sterben; wo und wann folgte dieser sprachlichen Wandlung die durchgreifende somatische Umwertung? — Wo findet man jetzt das erforderliche maßgebende Rassezeichen? -— Nirgends! Aus diesem Grunde mußte auch die so eifrig betriebene Schädelmessungslehre, die Kraniometrie, zum Schlüsse kläglich in sich zusammenbrechen. Man gelangte dabei von Anfang bis zum Schlüsse zu keinem orientierenden Ergebnis, weil das Endresultat immer ein Chaos von »Ergebnissen« war, denn die darauf aufgebaute Klasifi-katicn von Völkern und Sprachen bestand aus eitel Illusionen, Widersprüchen oder Ausnahmen, nachdem die Messungen, die den Rassencharakter hätten festlegen sollen, überhaupt keine sichtbaren Unterschiede bei den verschiedenen Menschenformen ergaben. Dies konnte aber auch deshalb nicht anders ausfallen, wenn wir schon von der Annahme der gemeinschaftlichen Abstammung von einem einzi- gen Menschenpaare gänzlich absehen, weil sich die natürlichen Kreuzungen jeder Art von Völkern und Sprachgruppen unter einander einmal nicht wegleugnen, und noch weniger die ins Unendliche gehenden Permutationen dieser Kreuzungen bis in eine altersgraue Zeit berechnen lassen. Antropologisch reine oder einheitliche Rassenformen sind daher heute und seit undenklicher Zeit nirgends zu finden, weil sie eben nicht vorhanden sein können. Trotzdem behauptete man, daß die Schädelform als eine seriöse Intelligenzskala anzusehen sei. So sei der Deutsche als geborener Langschädel an sich schon ab ovo ein »Herrenmensch«, der Slave hingegen als Rundschädel eigne sich nur für bürgerlich-mechanischen Erwerb, habe daher keinen ausgeprägten Sinn für wissenschaftliche Bestrebungen. Einen Beweis für dieses »Rechthaben« hat aber noch niemand erbracht1, denn jede Schädelform brachte ungefähr' ,das gleiche Prozent von Gelehrten, Künstlern, gediegenen Handwerkern wie auch Kretins1) hervor, und wird diesen Beweis auch in Zukunft niemand erbringen, der für seine Behauptung nicht eigene Beispiele und Gründe wählt, um das Gegenteil zu demonstrieren. Lapouge ver-steigt sich dabei sogar so weit zu behaupten, die ganze Weltgeschichte sei als ein Kampf zwischen Lang- und Rundköpfen anzusehen, denn, »er ist überzeugt, daß man sich im nächsten (XX.) Jahrhundert nach Millionen erwürgen wird wegen ein oder zwei Graden mehr oder weniger Schädelindex«. — Nun, der Weltkrieg ist zwar tatsächlich ausgebrochen, der Millionen von Menschen hinwürgt, aber daß dabei die Schädelform maßgebend war, hat noch niemand bemerkt; maßgebend war eher die Qualität des Schädelinhaltes. Die Kraniolcgie ist lediglich eine krankhafte Erscheinung, die in der ernsten Wissenschaft genau so epidemisch aufgetreten ist, wie im sonstigen Leben, und mag in dieser Hinsicht eine erfahrene Hebamme weit orientierter sein, weshalb ein Kind als Lang-, das andere ais Rundschädel ins Leben tritt, denn schon ein schlecht angelegtes Wickelband würde demnach über Menschenwert und Menschenschicksal entscheiden, wie dies Karl Techet (»Völker, Vaterländer und Fürsten«, S. 55) geistreich bemerkt. —- Genaue Beobachter wissen nämlich, daß konstante Rückenlage dem weichen, wachsenden Kopfe des Kindes die kurze, die konstante Seitenlage die längliche Schädelform verleiht. Hiebei sind wohl auch die fallweisen Sitten und Gebräuche maßgebend, denn in fast allen Welteilen wurde die bewußte mechanische Umformung des Neugeborenen festgestellt. In polnischen Bezirken, bei den Rutenen, im Kaukasus, in Südfrankreich ist es noch heute Brauch, daß die Hebamme dem Kopf des Säuglings mit 1) Man glaubt sogar, daß der »germanische« Typus weit mehr Kretins aufweise, alsder slavische. den Händen die Kugelgestalt zu geben sucht. Für Südrußland gibt schon Hippckrates |geb. um 460 v. Chr.) die Sitte der künstlichen Umformung des Kindeskopfes an. Die Indianer Nord- und Südamerikas versuchen den Kopf mechanisch abzuflachen; unter den Eskimos herrscht wieder das Bestreben ihn künstlich zuzuspitzen. Wenn daher dieselbe Frau das erstemal ein Kind mit rundem, das zweitemal ein solches mit langem Schädel gebärt, so hängt dies weder von der Sprache oder der Schädelform der Gebärenden ab, sondern von allen erdenklichen Zufälligkeiten; ja, nach alledem, kann man sich bei der Hebamme offen ein Kind mit rundem oder langem Schädel »bestellen«. Die Mißgriffe jener rasseschaffenden Theorien, denen so viele sonst ernste Forscher respektvoll ihren Bonzendienst erwiesen haben, stellten sich nebstbei fast durchwegs als mehrweniger sprachlichpolitische Illusionen heraus, deren wir , wie schon H. St. Chamberlain meinte, »heute füglich mit der kargen Ehre einer Paralipse gedenken dürfen, die einen Schlag ins Gesicht aller Geschichte und Beobachtung bedeutet«. Der Zusammenbruch der Rassenfrage, die der bedeutende Wiener Sprachforscher und Indologe Friedrich Müller kurz mit: »Rasse eine Schwindelei!« kennzeichnete, hat aber für die Slaven und deren Geschichtsforschung eine erhebliche Bedeutung, denn hiemit ist wie der eine Barriere niedergeworfen, die küstlich aufgerichtet war, um die Slaven seit altersher als inferior oder gerade als nichtexistierend hinzustellen, weil ihnen als Entwicklungsferment für ein Volk vcn kulturhistorischer Bedeutung angeblich die hiezu nötigen Rasseneigenheiten und Rassenmerkmale fehl e.n. Wir mußten in letzterer Zeit nämlich immer hören, daß die Rassentheo.'etiker fast überall, wo ein prähistorisches Grab aufgedeckt wurde, den germanischen Rassentypus gefunden haben wollen, worauf sie sodann spekulativ ihre ethnographischen Schlußfolgerungen aufbauten. Für die Existenz der Slaven gab es demnach seither, namentlich in Mitteleuropa, keinen Platz mehr, umsomehr als die Schaffung des Völkerwanderungsmärchens dieser Tendenz vorarbeitete, und so ein Selbstbetrug den anderen stützte. Hiemit wurde aber auch das Studium der alten Ethnographie nicht nur einseitig, sondern jeder Fortschritt in dieser Forschungsrichtung geradezu unterbunden. Es muß daher gleich anschließend offen einbekannt werden, daß es auch wieder fast ausschließlich das Verdienst der deutschen Wissenschaft war, welche diese Pseudolehre eines Montesquieu, Taine, Ratzel, Buckle, W'elcker, Broca, Retzius, Martin u. a. mit überzeugender Gegenkraft niederwarf, und daß es die Slaven, die sich in dieser Richtung nahezu völlig passiv verhielten, da sich nur ganz Vereinzelte auf den leicht erkennbaren falschen Weg verleihen ließen, gerade wieder der Objektivität deutscher Forscher, wie: Müller, Nietzsche, Ehrenreich, Schallmayer, Kollmann u. a. zu danken haben, wenn die slavische Altertumswissenschaft auf diese Weise wieder vollkommen freie Bahn für die Weiterarbeit erhalten hat, die freilich durch die erdrückende Macht der Gegenbeweise auf eigenem Gebiete wohl auch von selbst zusammengebrochen wäre. Diejenigen aber, die noch heute die Rassenhypothese pflegen, verfolgen damit nur einen egoistischen Nationalismus, der mit dem Begriffe Forschung oder Wissenschaft gar nichts gemein hat. Die Unterschiede der Völker mögen daher in Hinkunft allenthalben in der Eigenart der Volksseele, der V olkskunst, der V olkskraft gesucht werden, niemals aber in den Schädelformen, da solche selbst bei der Inzucht einer einzigen Familie keine Gesetzmäßigkeit aufweisen. Zur Hypothese der Zweiteilung der Slaven im Stammlande. Die heutige Slavistik, die noch gläubig an dem Märchen der Völkerwanderung hängt, nimmt für die Urslaven ein Stammland irgendwo im Osten an, und meint, daß sich die Sprachteilung dieser Sla-ven in eine nordostsüdliche und eine westliche Gruppe noch vor dem Aufgeben der geographischen Kontinuität vollzogen habe. Dieses will man durch lautliche Erscheinungen wie durch die Etymologie bekräftigen, nachdem der Gesamtcharakter der beiden Gruppen als ein grundverschiedener angesehen wird. Für diese Zweiteilung in einer, allerdings näher unbekannten Welt, wird ständig ein aus dem Wortvorrate der slavischen Sprachen hervorgeholter Fall angeführt, der, wie kaum ein anderer, in Fragen der linguistischen Paläontologie Beweiskraft für jene Hypothese bieten soll.( Es ist dies die Bezeichnung für den Hahn. Man sagt:1) »Die Griechen kannten diesen Vogel schon durch die Vermittlung der Perser im VI., die Slaven im V. vorchristlichen Jahrhunderte. In dieser Zeit waren aber die Slaven bereits von den Litauern geschieden, da beide diesen Vogel verschieden benennen. Aber nicht nur dies, die Slaven waren schon in ihrem Ursitze in zwei sprachliche Hälften geteilt, da die nordostsüdliche Gruppe den Hahn anders bezeichnet als die westliche. Die erstere legt dessen Eigenschaft als »Sänger« (»peti« = singen) zur Grundlage, denn er wird bezeichnet altslov. »petl«, neuslov. »petelin«, bulg. »,petel«, serb.-kroat. »pijetao, petao, pitao, peteh«, rut. »piven«, russ. »pjetuh«; hingegen cech. »kohout«, slvk. »kohut«, sorb. »kokot«, polnisch »kogut, kokot«. Diese Hypothese erhält aber schon dadurch den Todesschlag, daß gerade die Slovenen, als die heutigen Repräsentanten der slavischen Ursprache, beide Begriffe kennen (»petelin« wie »kokot«), und letzteren noch weiter ausgebildet haben, denn die Henne heißt »kokos« und die Gluckhenne »koklja«. Daß hingegen »petelin« nicht weitere Anpassungen erfuhr, ist naturgemäß, da doch hier nur die Charakte- ‘J Vrgl. Krek »Einleitung in die slav. Literaturgeschichte« (2. Auflage, Graz, 1887) S. 206 ff. ristik des »Singens« hervorgehoben wird, was nur dem Hahne eigem tiimlich ist, nachdem die Henne nicht »singt«. Man gebrauchte daher einst den Begriff »petelin«, wenn man den Ankündiger des Morgens, aber »kokot«, wenn man dessen sexuelle Bestimmung bezeichnen wollte. Man ersieht dies auch daraus, daß der deutsche Vulgärausdruck »Kockerln« (für Hoden) wie der »Gockel«-Hahn ebensowenig, wie das französische »cocotte«, d. i. der weibliche Hahn (in geschlechtlicher Hinsicht) aus »petelin«, sondern aus »kokot« gebildet wurde. Die nachdrückliche Behauptung, hier sei der Umstand entscheidend, daß alle mit »peti« (= singen) zusammenhängenden Begriffe für die Hahn-Bezeichnung ausschließlich südostslavische sind, beweist demnach gar nichts, denn bei der Gebrauchswahl des Begriffes ist lediglich das sprachliche Feingefühl maßgebend, das aber mit der Zeit schon merklich verloren ging, wie ja alle Sprachen im Weitergebrauche verfallen, daher der Slovene Untersteiermarks normal »kokot«, jener von Krain aber »petelin« gebraucht, ohne dabei sprachgenetisch genau zu unterscheiden, ob er damit den Hahn als Sänger oder als Haremsbesitzer meint. Bei alledem darf aber weiter nicht übersehen werden, daß auch z. B. die melanesischen Sprachen für das Huhn die Wurzel »kok« anwenden, denn die Formen daselbst sind: »koko« (Mafour), »kokok« (Segaar), »kokaroko« (Salomons-Inseln), »kokeraku« (Eddystone), »ko-kiroko« (Mahaga) usw., die demnach auch den Hahn so bezeichnen, wie er sich selbst lautlich äußert, d. h. »singt«, Der Glaube an eine Urverwandtschaft der Sprachen gewinnt heute allerdings immer mehr an Boden, je weiter die Vergleiche ausgedehnt werden. Es erscheinen daher morphologisch vollkommen abweichende Sprachen leicht als verschwistert, wenn dieselbe Wurzel dasselbe Objekt bezeichnet, doch muß dabei immer beachtet werden, inwieweit die Onomatcpöie dabei mitwirkend war. Gerade beim Begriffe »kokot« wäre es aber nichts Verwunderliches, wenn alle Spra chen der Welt den H a h n so benennen würden, nachdem er den ganzen Tag durch seine >.koko«-Laute geradezu zu einer solchen naturlautlichen Kennzeichnung herausfordert Eine gelegentliche Übereinstimmung der Begriffe in grundverschiedenen Sprachen berechtigt daher noch keineswegs zu einer Reglementierung der sprachlichen Urverwandtschaft, wie auch hier das sprachliche Hahnmotiv nicht die geringste Beweiskraft für die Hypothese der Zweiteilung der Slaven in ihren vermeintlichen Ursitzen in Asien hat. Es widerspricht allerdings der menschlichen Fassung, weltentlegene sprachliche Zusammenhänge ohneweiters einheitlich aufzunehmen, sowie es zugleich verwunderlich erscheint, weshalb unter gleichen Voraussetzungen keine Übereinstimmung platzgreift. So macht z. B, der Umstand nachdenklich, weshalb der Kuckuck oder die Krähe nicht in allen Sprachen so lauten, wie sie sich selbst phänisch äußern. Weshalb werden sie nun in jenen Gebieten, wo sie leben und in ihrer Eigenart wohlbekannt sind, einmal so und ein andermal anders genannt? — Das sind alles noch Sprachbii-dungsgeheimnisse, daher irgendein auffallendes Beispiel noch lange nicht genügt daraufhin gleich sprachgeschichtliche Hypothesen aufzubauen, dasichsolcheschonbeikurzerNachprüfungleich t als kernfaul erweisen. Irrwege der Archäologie. Man sollte voraussetzen, daß die Archäologie, die schon seit langem eine recht beachtenswerte Pflege findet, zum allgemeinen Wissen über die menschengeschichtliche Vergangenheit gewichtige Ergänzungen beitragen müßte, doch ist dies beklagenswerterweise durchaus nicht der Fall, sondern sie trübt eher das bereits Erkannte, Es hat nämlich auch hier gleich zu Beginn die krankhafte Scheu, den Slaven irgendwelche vorgeschichtliche Existenzberechtigung zuzubilligen, platzgegriffen; wird aber dies einmal doch unvermeidlich, so sperrt plötzlich irgendein undefinierbarer Schlagbaum das weitere Fragen ab, und aller Forschungseffekt ist verpufft. Die Archäologie spricht z. B. von einer eigenen Bronze- wie Eisenzeit in der Urgeschichte der menschlichen Kultur, Die Eisenzeit tritt in Südeuropa etwa um das Jahr 1000, in Mitteleuropa um 800, im Norden gar erst um 400 v, Chr. ein. Wie ist aber dies möglich und haltbar, wenn man weiß, daß es in der Familie Adams, also 5500 Jahre vor Christi, einen Schmied von Profession gab, der Gegenstände von Kupfer und Eisen erzeugte; die Schiffe der alten Inder und Phönizier hatten bronzene und eiserne Nägel; die Waffen aller Kämpfer der ältesten Zeit waren aus Eisen oder Stahl; die Cherube lagern sich östlich des Eden und bewachen das Paradies mit flammenzuckenden Schwertern; die Schlange der Israeliten in der Wüste war aus Bronze erzeugt usw_ Wie kann man da noch von einer Steinzeit bis 1500 und einer Bronzezeit bis 400 v. Chr. sprechen?! Das sind durchwegs schülerhafte Hypothesen, die sich lediglich infolge Unterlassung jedes Vergleiches mit den anderen menschengeschichtlichen Disziplinen zu einer Art »Wissenschaft« heranzubilden vermochten. Diese archäologische Chronologie ist daher schon in erster Linie vollkommen unhaltbar, und will man daran doch fest-halten, so muß man jene unteren Grenzzahlen in die voradamitische Epoche verlegen, denn in späteren Zeiten kann man wissenschaftlich von einer Unkenntnis der Bronze und des Eisens absolut nicht mehr sprechen. Selbstverständlich darf aber diese Feststellung auch nicht mißdeutet werden, denn es handelt sich hier im allgemeinen um die Tatsache, daß Bronze und Eisen der ersten Biblischen Familie bereits bekannt sind; daß es aber heute noch unkultivierte Völker gibt, die noch die Steinzeit nicht überwunden haben, dieses ändert daran gar nichts, daessichhierlediglichumdenältestenBeleg handelt. Ähnlich steht es mit der Ethnologie. Ein Topfscherben wird gefunden; da heißt es in dem archäologisch-typologischen Katechismus: der ist — nach vagen Kennzeichen — keltisch. Wer sind aber die Kelten?! — Das kann jedoch niemand annähernd zutreffend beantworten. —- Man fragt nach der Etymologie des Fundortes jenes alten Scherbens, da heißt es z. B.: der topische Name ist r ä t i s c h. Wer sind die Räter ihrer Sprache nach? Diese Frage kann wieder niemand beantworten, aber er ist doch rätisch! — Man findet eine alte Inschrift: der Archäologe weiß sofort Bescheid, ohne sie gedeutet zu haben: die ist etruskisch. Wer sind die Etrusker? Antwort: ein sprachlich rätselhaftes Volk, aber die Inschrift ist trotzdem etruskisch!! Unter solchen Voraussetzungen ist jedoch die Archäologie durchaus keine erwünschte Hilfswissenschaft der Urgeschichte des Menschen, sondern lediglich ein planloses Sammeln und Systemisieren von Topfscherben, Steinpartikeln, verwitterten Metallobjekten u. ä. und eher eine die Forschungsfortschritte lähmende Liebhaberei, als ein Wissenszweig. — Nachstehend folge ein konkretes Beispiel aus einer der jüngsten Publikationen dieser Art. Im Hefte 1:—2 der »Wiener prähistorischen Zeitschrift« (1914) beschreibt der Dozent für Urgeschichte des Menschen auf der Wiener Universität, Dr. Oswald Menghin, den »umwallten La-Tene-Pfahlbau am Ritten (Tirol)«. Er erzählt wörtlich: »In dem Dörfchen Lengmoos erfuhr ich, daß in dem wenige Minuten entfernten Klobenstein (Gemeinde Ritten) bei einem Neubau auf einem Bühel, den man im Vclksmunde Piper nenne, alte Sachen gefunden worden seien. Schon der Name des Platzes, Piper, ließ für mich keinen Zweifel übrig, daß es sich hier um eine uralte, wahrscheinlich vorgeschichtliche Siedelungsstelle handle. Denn Piper ist nichts anderes als ein verschliffenes Biburg, Piburg (?), das besonders in Bayern sehr häufig an vorgeschichtlichen, römischen oder hochmittelalterlichen Terrainfunden haftet. In Südtirol ist der Name seltener; hier ersetzen ihn fast immer Ausdrücke, wie: B u r g; Burgstall oder Ableitungen des romanischen Wortes C a s t e 11 o. Mit »Biburg« zusammenhängende Bezeichnungen kann ich aus Deutsch-Südtirol nur noch zwei oder drei anführen: die Große und die K 1 eine P i p e bei St. Georgen und die Pipe zu Gais, beide Orte am Ein- gang des Täufer Tales bei Bruneck gelegen, ein P i p u r g zu St. Peter im Ahrntale. Die Ferm P i p e 1 ist in Italienisch-Tirol häufig (?). Mit der Ableitung des Namens Biburg hat sich Ohlenschläger beschäftigt. Die kleine Arbeit ist verdienstlich, da sie zahlreiche Nachweise über das Vorkommen des Namens bietet; die in ihr gebotene Ableitung desselben (vom ahd. »betti« = Bett, Lager) aber verfehlt. Universitätsprofessor Dr. R. Much hatte die Güte, mir klarzulegen, daß das »bi« in Biburg derselben indogermanischen Wurzel entstamme, wie das griechische »amphi«, und auch noch in anderen deutschen Worten enthalten sei, wie B e u n d e, Point, zu ahd. b i u n t, mhd, b i w e n d e, »das von einer Wand Umgebene«, Bitze, Pitzaun, »ein umzäunter Platz, Baum-, Grasgarten«, endlich im röm.-germ. b i-g a r d i u m, »Gehege«. »Biburg« bedeutet also einen ringsum befestigten Platz, eine W a 11 b u r g.« — Parturiunt montes, nas-cetur ridiculus mus! — Dr. Menghin hätte es, statt eine Zahl handgreiflich verwässerter Etymologien verschiedener Universitätsprofessoren, die im Handumdrehen aus »Pipe« ein »Biburg« machen, zusammenzuholen, weit bequemer gehabt, in der Universitätsbibliothek z. B. das slovenische Wörterbuch nachzuschlagen, worin er gefunden hätte, daß »pip, pipa« noch heute: Rauferei (vergl. auch das steirische »Piphahn« = Kampfhahn) bedeutet, demnach die Berghöhe »Pipe, Piper« tatsächlich sprachlich einen Kampf- oder Verteidigungsplatz (wo »gerauft« wird) bezeichnet, aber vor allem in ganz »unverschliffener« Form im Slavischen.*) Daß hier wirklich eine Wallburg für die Verteidigung der Umwohner bei feindlichen Anlässen war, ist in diesem Falle erwiesen, weil der Entdecker auch die Wallmauern festgestellt hat. — Dr. Menghin hat weiters dort auch einen kleinen vertorften See gefunden, in dem er Pfähle fand; es ist ihm dies demnach ein prähistorischer Pfahlbau. Der See war aber nichts weiter als die notwendige Vorsorge für das Trink- und Nutzwasser der Verteidiger, denn ohne Lösung dieser Lebensfrage gibt es keine nachhaltige Verteidigung. Um aber überhaupt über den moorigen Ufergrund zu Wasser gelangen zu können, mußte man Zugänge, Schöpf-, Viehtränk- und Waschbühnen — selbstredend auf Piloten — einbauen, die, namentlich für das Rind, das man in jede Wallburg der Milch und des Fleisches wegen mitnahm, *) Im Bezirke Podgorica (Montenegro) lebt der Stamm »Piperi«. Es waren dies einst die Verteidiger ven Duklja gegen Angriffe von Norden; sie fühlen sich auch heute noch als etwas Besseres, als eine Art altslavischen Militäradels. Man hört allenthalben noch heute sagen: »jener ist ein »piper«, oder: dieser verdient unter die »piperi« aufgenommen zu werden. Als ich die Leute fragte, was sie unter »piper« verstehen, meinten sie: einen tapferen, verwegenen Krieger, der sich im Kampfe besonders ausgezeichnet hat. Die Etymologie selbst ist ihnen aber schon nicht mehr bekannt, weil sich der Gattungsname mit der Zeit zum Eigennamen umgewertet hat. sehr fest sein mußten. Das ist nun das ganze Pfahlbaugeheimnis von Piper! Nun wurde auch noch ein direkte sprechender Beweis für die Slavizität gefunden. Vom Ringwall geht durch eine in den Felsen geschlagene Scharte ein Steig nordwärts. Dort fand man eine Porphyrplatte mit der »etruskischen« Inschrift: lazekemajece (oder malece, da anscheinend der untere Anstrich des 1 nicht mehr verläßlich erkennbar ist), das im Slavischen tatsächlich besagt: Steig gegen Majec (M a 1 e c ?). Menghin, der sich betreffs der »Piper«-Etymologie so viel Mühe gab, übergeht abcir dieses bestorientierende, bei der ganzen Entdeckung wichtigste Thema etymologisch wortlos, und doch wäre in kurzem Wege leicht zu erfragen gewesen, was diese Inschrift sprachlich bedeuten könne. Auf diese Art sind alle Vorbedingungen erfüllt, um zum Schlüsse doch nicht erklären zu müssen: dieseWallburgistdemnach slavischen Ursprungs, wofür der lokale Name, den nur der Slave in der entsprechenden Zweckbedeutung kennt, wie der Wegweiser spiechejn; sie stamm talsonoch aus jener Zeit, als Slaven in Tirol wohnten, d. h, alsdieBewohnerjenesGebietesnoch nicht germanisiert waren. Menghin gibt aber nur folgende verworrene ethnologische Schlüsse: »Wir befinden uns eben hier in der besonders durch ethnologische Verhältnisse bedingten Zone alpiner Rückständigkeit, die schon seit längerem das Augenmerk der Forscher auf sich gezogen hat. Sie umfaßt vor allem das sogenannte rhä tische Gebiet vom Tessin bis Tirol, wo durch die Kelten im Norden eingeengte ligurische, illyrische und etruskische Stämme (gewiß oft mit Kelten gemischt), ein Sonderdasein fristeten und den von den Kelten geprägten neuen Formensatz nicht im vollen Umfange sich aufdrängen ließen, wobei sich das west- wie das ostrhätische Gebiet verschieden verhielten; dort entwickelte man, besonders bei Schmuckgegenständen, die Formen der Hallstattzeit bis zur Aufnahme der römischen Kultur vielfach weiter, wodurch ganz typische, oft »barocke« Bildungen entstanden; hier blieb man bei den alten Vorbildern und ahmte sie immer wieder, bis zur völligen Verflachung nach usw. — Dann zum Schlüsse: »der gegenwärtige Stand der epigraphischen, onomatclogischer, archäologischen und historischen Erforschung des alten Rhätiens erlaubt es, \vi° man sieht (!), schon ziemlich genaue Grenzen zwischen den einzelnen Volksbestandteilen des rhätischen Völkergewirres zu ziehen . . .« Da der Entdecker konstant jeder Orientierung in sprachgc-schichtlicher Richtung ausweicht, sei hier nur beigefügt, daß jene Rhä-ter damals Slaven gewesen sein müssen, weil die zwei Belege klar dafür sprechen, aber sie sind es auch heute noch, denn die sloveni-schen »Rezijani« in Oberitalien sind eben die modernen Rhäter-Reste. Römische Grabsteine tragen deshalb auch sehr oft den Vermerk: »natione Rhätus.«, also nicht römischer Abkunft, analog, wie man früher schrieb: natione bohemus, illyricus, polonus u. drgl. — In der menschlichen Urzeitfrage hat bisher keine Wissenschaft so dilettantenhaft und so leichtgläubig gearbeitet, und dabei so viel Verwirrung und Köhlerglauben zugetragen, als gerade die Archäologie, weil das natürliche, nüchterne Denken dabei ganz ausgeschaltet, und weiterhin jede geäußerte Meinung, mag sie in ihren Kausalitäten noch so unglaubwürdig gewesen sein, doch gedankenlos geglaubt und noch gedankenloser weiterverbreitet wurde. Eine weitere Art gründlich verunglückter archäologischer Schlüsse bieten die sogenannten »Opferstätten«. — In den »Mitteilungen der Wiener Anthropoi. Ges.« (Jahrg. 1874) behauptet z. B. Dr. Woldfich, bei Pulkau, auf einem Gipfel mit prachtvoller Fernsicht, benannt »In den Scheiben«, sei zweifellos eine vorgeschichtliche Opferstätte gewesen. Dr. Much hingegen meint, es sei dies eine Art Abfallstätte, da man daselbst Asche, zerbrochene Knochen sowie allerlei gebrauchsunfähig gewordene Gegenstände gefunden habe, Dr. Woldfich macht wieder mit Recht auf den Widersinn aufmerksam, wer Abfälle auf eine Höhe tragen wird. Dr. Much erwidert, bei diesen Funden handle es sich nicht so sehr um ein Zeichen der Vernichtung, als um jenes de: Abnützung und des natürlichen Verfalles. Recht hat jedoch keiner. Die Höhe selbst war einst ein Wach- oder Auslugposten, wozu begreiflicherweise der höchste und schwer zugänglichste Berg der Umgebung von Pulkau ausgewählt wurde, und der zugleich die beste Feinsicht bet. Die Wachhabenden bereiteten sich hier ihre Mahlzeiten vor, daher: Asche, Kohlenstücke, Knochen. Auf denselben Haufen warfen sie auch alle wertlos gewordenen Gegenstände. Knapq^ am Hügel befindet sich auch die für solche Zwecke unentbehrliche Quelle. Und die Höhe heißt heute »In den Scheiben«, d. h. in den »sip«. d. i. »am Wall«, war also wirklich das, was die slavische Bezeichnung noch heute festgehalten hat, also ein militärischer Schutz- oder Wachpunkt, der allenthalben auch zu einer Opferstätte werden konnte, wenn sich die Wächter oder Verteidiger bei einem Angriff oder Überfalle opfern mußten; er war aber zugleich auch eine Ablagerungs-stätte für die im täglichen Leben sich ergebenden Abfälle. — Das Gesamtergebnis der bisherigen archäologischen Forschungen ist daher lediglich ein äußerlich solid erscheinender Kunstbau mit innerlich völlig morschen Stützen, denn alle die Grundpfeiler der Chrono-, Topc-, Typo- und Ethnologie halten dem Drucke zusammenfassender Wirklichkeitsbeweise absolut keinen Stand. Inwieweit aber diese Irrungen das Licht der slavischen Vorzeit verdunkelten, darüber kann heute noch kein abschließendes Urteil abgegeben werden; daß sie aber in dieser Hinsicht schwere Nachteile im Gefolge haben, wurde hier immerhin an einigen Beispielen dargelegt. Der Kurgan »Soloh«. Im Gebiete des unteren Dnjepr findet sich eine bedeutende Anzahl von mächtigen Grabaufwürfen vor, die im allgemeinen als »kur-gan« bezeichnet werden. Sie sind schon vielfach durchgegraben und von Schatzsuchern zerwühlt, aber trotzdem noch lange nicht in bezug auf ihre Grabbeigaben ausgebeutet, wie die Erfahrungen der jüngsten Zeit lehren. Die Schatzgräber suchten nämlich im Zentrum des Hügels die Grabbeigabenwerte; daß solche auch an der Peripherie deponiert sein könnten, daran dachten sie nicht, und begnügten sich auch Archäologen von Beruf bisher gewöhnlich nur mit der Durchgrabung eines Tumulus in der Durchmesserlinie. Es ist daher anzunehmen, daß sich überall bei den Lagerungen um das Zentrum herum noch eine mehr weniger reiche Nachlese ergeben dürfte, was sich auch bereits in hervorragender Weise als richtig erwiesen hat. Im Monate Juli 1913 gelang es nämlich dem Mitgliede der Petersburger archäologischen Kommission, Professor J. J. Veselovskij, nach dreijähriger Grabung in einem dieser Kurgans, »Soloh« genannt, der sich zwischen dem Dorfe Znamenki und der Stadt Nikopol im Gouvernement Taurien befindet, außerordentlich wertvolle Gräberfunde zu machen. Die Objekte bilden zweifellos die pietätvollen Beilagen zur Leiche eipes scythischen Cars oder doch einer sonst besonders hervorragenden Persönlichkeit, und gehören mindestens schon dem V. vorschristlichen Jahrhunderte an, was man aus einer Stelle in Herodot folgern kann. Der »Soloh« hebt sich, ähnlich einer ägyptischen Pyramide, in der Steppe derart hervor, daß er ringsum auf 20 Vjorst Entfernung noch gut sichtbar ist. Um ihn sind Kurgans kleinerer Dimensionen gruppiert. In der Richtung des Durchmessers war der »Soloh« bereits untersucht, denn Veselovskij fand schon i. J. 1912 im Zentrum eine Grabstelle, die vermutlich die Leiche einer scythischen Carin barg, wobei die früher Grabenden daselbst eine goldene Haarnadel und eine silberne Schale auszuheben übersahen, welche Gegenstände nur den Toiletterequisiten einer hohen Dame angehören konnten.1) Bei der weiteren Untersuchung der Grabkommer fanden sich nochmals Reste, die den Vorgräbern entgingen. Es war dies ein besonders schönes vergoldetes Bronzegefäß und etliche unberührte, große, griechische Tcnkrüge, dann ein großer bronzener Kessel auf einem massiven Gestelle, in dem ein hölzerner Schöpflöffel und das komplette Skelett eines jungen Hammels lag. — Weiter wurde, gleichfalls unberührt, ein großer viereckiger Bronzegegenstand, der auf vier niederen, mit Rädchen versehenen Füßen ruhte, gefunden. An dessen Ecken befinden sich prächtige Ornamente, in der Mitte sind eiserne Stäbe kreuzweise aufgelegt. Augenscheinlich war dies ein tragbares Feuerbecken, das hier mit einem bereits völlig vermoderten Holzdeckel bedeckt war. Ähnliche Becken fand man mehrfach auch in Etrurien. — Alles übrige müssen die früheren Gräber schon der Grabkammer entnommen haben. Desgleichen zeigte sich an der westlichen Seite eine verdächtige Stelle in der Aufschüttung, welche eine weitere Begräbnisstätte kleinerer Dimensionen verriet und viel höher errichtet war, als das Car-Grab. Hier fand man die Skelette zweier Pferde mit reicher Beschirrung, bestehend aus goldenen Beschlägen und Stirnbändern in der Form eines beschuppten Fisches. Solche Plättchen fand man bisher bei Opferpferdeskeletten noch nicht; sie werfen aber ein Licht auf schon Vorgefundene ähnliche Fischornamente an anderen Stellen. Auf der Westseite des »Soloh« stieß man auch in der Tiefe von 314 Klafter (= 7-45 m) auf einen Korridor, der zu einer weiteren großen Vertiefung führte, die mit vermoderten Holzdielen bedeck: und in fünf Räume geteilt war; in jedem fand sich ein Pferdeskelett vor; es war dies sonach der Marstall des Cars. — Bei jedem Pferde fanden sich wertvolle bronzene Verzierungen der Sattelung und Be-zäumung, sowie eiserne Gebisse. Bei den sonstigen Objekten traf man auf goldene Verzierungen und Bleche. Darunter war auch eine große Bronzeplastik, die offenkundig zum Sattel gehörte, dann Quastenschnüre, wie sie eben zum Schmucke scythischer Reitpferde gehörten. Daneben befand sich auch das Skelett des Stallknechtes mit einigen Bronzepfeilen, wie man solche auch an anderer Stelle dieses Kurgans antraf. Ein weiteres Skelett lag etwas tiefer, beim Eingänge in die Grabkammer; es dürfte dies ein Wächter gewesen sein. Die Haupt- *) *) Beim Nachgraben eines weiteren Kurgans fand man das Skelett des Schatzsuchers selbst mit allen seinen Werkzeugen sowie seiner schon erreichten Beute. Es muß nämlich der gegrabene Stollen plötzlich zusammengestürzt sein, wobei die Gräber den einen Verschütteten infolge der mächtigen Erdmasse nicht mehr retten konnten und sich auch um die Fundobjekte, vermutlich dadurch abgeschreckt oder aus Aberglauben, nicht weiter bemühten. person lag nun in der Mitte dieser Kammer auf dem Rücken, umgeben von allerlei Beigaben. Daneben in einer Nische fand sich das Skelett eines bewaffneten Mannes, anscheinend eines Leibdieners, vor; nebst einigen zerfallenen Gegenständen haben sich das eiserne Schwert und einige Bronzepfeile gut erhalten. In einer weiteren Nische derselben Seite lagen zwei Stücke Goldblech, dann goldene, jedoch derbe Vogelcrnamente, und ein schön gearbeiteter goldener Löwenkopf, die alle als Überzug einem hölzernen Objekte dienten. In derselben Reihe waren weiter zehn Tonkrüge aufgestellt, von denen einige eine in schönen Farben ausgeführte Inschrift aufweisen.2) In der Ecke nächst des Grabkammereinganges standen drei große Bronzekessel auf massiven Füßen. Einer von diesen, durch besondere Größe auffallend, enthielt Rindsknochen und die Bruchstücke eines bronzenen und eines eisernen Schöpflöffels; die beiden anderen Kessel enthielten noch ganze Skelette von Hammeln. Daneben stand ein größerer griechischer Krug und ein Bronzesieb, behufs Passierung von Milch oder anderer Flüssigkeiten, mit einem Henkel in der Form eines Schwanenkopfes. Weiter lag da irgendein hölzerner Gegenstand, verziert mit zahlreichen silbernen Knöpfen, und zum Schlüsse ein breiter silberner Bogen, vermutlich einem Horne zugehörig. — Das Carenskelett war rings umstellt mit Gegenständen und Krieger-Attributen, wie: zwei eiserne Speere von ungewöhnlichem Ausmaße; ein eiserner, schon in mehrere Teile zerfallener Panzer; ein großer Bronzehelm griechischen Typs, besonders gut erhalten, samt dem zugehörigen Seidenfutter; ein Brcnzegitter, äußerst verwittert; eiserne Messer mit beinernen Griffschalen; eine bronzene, kantige Keule, aufgesetzt auf eine hölzerne Handhabe, unten mit Kupfer beschlagen. Diese Keule, russ. »bulava« genannt, d. i. Befehlshaberstab, Marschallstab, diente offenkundig als Symbol oder Attribut der Macht, und weicht ihrer Form nach nicht wesentlich vom Zepter späterer Epochen ab.:t) Weiter wurden vcrgefunden: ein (zertrümmertes) Terracotta- -) Die Inschrift zeigt zwei Alphabete: oben und unten ist je eine Zeile arabisch, dazwischen sind drei Zeilen, anscheinend in einer primitiven »crkovnica«, dargestellt. Der arabische Text wurde als: »Im Namen Gottes, des allbarmherzigen, des Erbarmers. Geschrieben im Jahr . . .« gedeutet. — Von außerordentlichem Werte wäre es nun das Jahr festzustellen; doch steht dem Verfasser bisher nur eine verwischte Schriftkopie auf einem Seidenpapiere zur Verfügung. Verläßlicheres wird sich jedenfalls nach dem Kriege feststellen lassen. Der Mitieltext ist in der vorhandenen Kopie gleichfalls nicht lesbar, umsomehr als Paradigmen vollkommen fehlen. ■■) Die Keule ist offenkundig nicht nur in der äußeren Ferm mit der an das eine Ende verlegten Schwerkraft das moderne Zepter, sondern auch in etymologischer Hinsicht, denn »Zepter« ist eben aus »cep, ejep«, wie alle Slaven die Keule, den Dreschpflegel bezeichnen, sprachlich hervorgegangen, daher ein Slavismus. t Schüsselchen und acht silberne Gefäße, von denen etliche feine Gravierungen und Relieffiguren aufweisen. Es sind da Kampfszenen der Greife mit anderen Tieren, wie auch seltene Jagdbilder, darstellend die Kämpfe vornehmer Scythen mit Löwen und anderen wilden Tieren, zu sehen. Auf einem gravierten Gefäße sind überdies zart ausgeführte Figuren von Menschen oder Gottheiten zu entnehmen, deren eine eine Lyra hält. Die Silbergefäße sind schon stark oxydiert und vom Alter zersetzt, doch was sich erhalten, zeigt von außerordentlich schöner Gravierarbeit und interessanten Szenen aus dem einstigen Leben. Darstellungen von Scythen sind auf alten Funden selten, daher jede solche Aufdeckung einen ganz besonderen Wert besitzt. Das vollkommen vermoderte Kleid der einbalsamierten Caren-leiche war mit aufgenähten Goldplättchen auf beiden Seiten bedeckt; von solchen Plättchen wurden bei 300 aufgelesen. Auf den größeren befinden sich Löwen und Greife, auf den kleineren die Figuren zweier Scythen graviert, die zwischen sich ein Horn halten und an die Verbrüderungsszenen der Goldplastik in dfer Kaiserlichen Eremitage erinnern. Bei den Füßen des Skelettes stand ein vermodertes Holzgefäß, das mit einigen goldenen Nägeln beschlagen war; letztere weisen wieder Fischornamente auf. Auf den Armen hatte der Car 5 massive spiralförmig sich mehrfach windende Goldarmbänder, und unter dem Haupte lag ein reicher goldener Halsschmuck, bestehend aus etlichen Reihen von dünnen Röhrchen mit angehängten birnartigen Goldanhängseln, deren man über 60 zählte. An der linken Seite lagen zwei eiserne Schwerter mit breiter Schneide. Das Eisen zerfiel zwar, aber an der Handhabe des einen erhielt sich die Verzierung in Form eines goldenen Blattes; entlang des Schwertes lag ein langer prächtiger Goldüberzug der Scheide mit einem großen verschlungenen Medusenhaupte. Die massive Goldscheide ist seitwärts mit zwei Bügeln versehen, wie sie auch bei den orientalischen Schwerten Vorkommen. Die ganze Goldfläche ist mit Plastik, Greifmotive darstellend, bedeckt. Dieser Scheidenfund vermehrt nur noch die Kenntnis der schon durch andere Funde ähnlicher Art bekannten hohen Entwicklung der einstigen Goldschmiedekunst im figuralen Sinne. Am Halse hatte der Car einen schweren Goidkragen mit Ornamenten, die den heutigen Distinktionsborten unserer Generale etwas ähnlich sehen. Die Enden sind mit zwei großen Löwenköpfen geziert, die mit den Zähnen einen Knoten bilden, und so den Halskragen als eine Art Kettenglied abschließen. Eine besondere Schönheit verleihen diesem Halsschmucke die breiten dessinierten, mit verschiedenem Email belegten Streifen, die den Originalglanz bis heute unversehrt erhalten haben. Auch die Augen der Löwen sind aus Email gebildet. In einer Geheimnische standen ein Köcher und eine goldene Schüssel, die wohl einen besonderen Wert für den Verstorbenen ge- habt haben mochten. Der Köcher ist zwar vollkommen zerfallen, aber nichtsdestoweniger konnte man entnehmen, daß das Holz eine Alabasterauflage hatte, die wieder mit einem dünnen Silberblatte eingefaßt und selbst mit Greifen, wie sonstigen Tieren graviert war. — Ging nun dieses Objekt durch die Zeit und Feuchtigkeit unersetzbar zugrunde, so blieb hingegen die Schüssel, welche die Form eines großen Tellers hat, jedoch in drei konzentrischen Reihen wieder zahlreiche Löwenfiguren, die Hirsche und Böcke verschlingen, tadellos erhalten. Am äußeren Rande befindet sich eine Umschrift in Buchstaben unbekannten Alphabetes, die durch die Zeit allerdings ziemlich an Deutlichkeit eingebüßt hat; hoffentlich gelingt es aber der Gelehrtenwelt noch zu entziffern, was hier geschrieben steht, denn die ses Stück ist bisher der erste Fund dieser Art. Das zweitinteressanteste Fundobjekt war ein großer mattgoldener massiver Pferdekamm von 360 gr im Gewichte, den aber die Wissenschaft bisher als solche nicht erkannte, obschon es Pferdekämme mit ähnlichen.Figuren, aber aus Messing und in derber Ausführung, noch jetzt in den Alpenländern auf den Pferdegeschirren der Schwerfuhrwerker häufig zu sehen gibt. Jener Kamm hat 19 kantige, tadellos erhaltene Zähne, die an die obere Grenzwand angeschweißt sind. Tm ä-jour-Raum sieht man fünf kauernde Löwen. Ober diesen ist eine Kampfszene dreier Krieger mit zwei Pferden als Skulptur angebracht; die Figuren fallen, wie bei den Giebelgruppen der antiken Tempel, gegen den Rand perspektivisch ab. Die Mittelfigur stellt einen Scythen zu Pferd dar, der von beiden Seiten von zwei Scythen zu Fuß angegriffen wird; am Boden liegt ein verwundetes Pferd mit den Füßen nach oben. Die Figuren, wie alle Details, zeigen eine ungewöhnlich hohe Kunstfertigkeit; selbst das Gesicht der Figürchen hebt sich prägnant hervor; auf dem geflochtenen Schilde des einen Kriegers kann man sogar die Flechtreihen zählen. Die ganze Komposition des Kampfes, die Stellung der Pferde, die Unterscheidung der Krieger schon durch die Kopfbedeckungen ist bewunderungswürdig schön und natürlich ausgeprägt; selbst die wechselnde Verwendung von lichterem und rötlicherem Golde scheint mit Vorbedacht geschehen zu sein. Der im ganzen Funde wissenschaftlich wertvollste Teil, d. i. die Vorgefundenen Inschriften, sind leider bis heute noch nicht gelöst, um auch zu erfahren, welcher Sprache sie angehören und was sie besagen. Hingegen wissen wir, daß »soloh« ein slavisches Wort ist, und: Zusammenschlaf, gemeinsame Schlafstätte, also: Familiengrab bedeudet (»so« = zusammen, »loh, loza« = Liegestätte), und auch im Griechischen als »syllegos« in derselben Wurzelbildung und Zusammensetzung vorkommt. Da aber die Bezeichnung »solch« zweifellos im ununterbroche-nen Zusammenhänge mit der Entstehungszeit des Kurgans steht, müssen jene Scyihen Slaven gewesen sein, es daher überflüssig ist noch immer weiter darüber Zweifel zu hegen, welchem Sprachzweige sie angehörten. — Betrachtet man aber weiters die im Grabe Vorgefundenen Objekte genauer, die alle auf eine hochentwickelte Skulptur, die feinsinnige Goldschmiedekunst, die subtilsten Geheimnisse des Emaiilierens, die prächtigen Werke der Keramik, die wechselnde Verwertung von Gold, Silber, Kupfer, Bronze, Eisen, Alabaster, Holz, F.mail, die Kenntnis der Schrift usw. aufweisen, so erübrigt nur zugeben zu müssen, daß diese Scvthen, die man immer veiächtlich als »Barbaren« abzutun pflegt, geradezu hochkultivierte Leute waren, und daß wir unsere bisherigen Anschauungen über das Wesen wie die Kultur jenes Volkes werden wesentlich ändern müssen. Was das Alter dieses Grabes betrifft, diesbezüglich bietet uns schon Herodot (f 424 v, Chr.) in seiner Geschichte (IV, 71) eine sehr seriöse Handhabe, denn schon er beschreibt die Begräbnisbräuche der scythischen Care in analoger, wenn auch viel einfacherer Art, als es unsere eben geschilderten Grabfunde und Grabverhältnisse gezeigt haben. Er erzählt, daß die scythischen Herrscher im Lande Gerros (Südrußland) begraben weiden. In der Gegend, bis wohin man den Borysthenes hinauffahren kann (bis zur ersten Schwelle) graben sie, wenn ihr König gestorben ist, eine große viereckige Grube in die Erde. Die Leiche wird einbalsamiert, mit Wachs überzogen, und dann bei allen vom Könige beherrschten Völkern herumgeführt, bis sie zuletzt in Gerri anlangen. Hier legen sie die Leiche in das Grab, stecken Lanzen in die Erde, legen Stangen darüber und machen ein Dach aus Weidenzweigen. Im übrigen leerbleibenden Raum aber erwürgen und begraben sie eine seiner Beischläferinnen, seinen Mundschenk, Koch, Stallmeister, Leibdiener, seine Pferdeknechte und Leibpferde, dann vor allem anderen die Erstlinge Von Haustieren, und geben goldene Schalen dazu. Hierauf werfen sie, wie um die Wette, Erde auf das Grab, und beeifern sich dasselbe so groß als möglich zu machen. — Diese Beschreibung, die Funde im Grabe sowie der erhaltene Name stehen daher alle in einem vollkommen harmonischen Verhältnisse zu einander, und zeigen zugleich an, welcher Art die Kultur der Scy-then schon viele Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung war. Wären wir aber über die Sprachzugehörigkeit derselben noch immer im Zweifel, sc bietet uns die an den Grabbeigaben Vorgefundene Ornamentik einen weiteren Anhaltspunkt. Gewissenhafte Beobachtungen und Vergleiche haben die Tatsache ergeben, daß die Polen und Ukrajner noch heute dieselben dekorativen Motive in ihrer Volks-crnamentik zur Schau tragen, wie die Objekte der Grabbeigaben in den zahlreichen scythischen Kurgans des südöstlichen Rußland. Die normale Linienführung zeigt sowohl bei den bemalten Ostereiern, bei den Volkstrachten, bei der Verzierung der Bauernhütte dieselben Hauptregeln des Volksgeschmackes, dieselben Figurenkombinationen in endlosen Varianten sowie das gleiche volksästhetische Empfinden. Diese auffällige Übereinstimmung dürfte aber erst ihre volle Beglaubigung finden, bis es gelingt die darin Vorgefundenen Schriften zu entziffern. Wir dürfen daher auch nicht kurzweg alles als hellenisch oder römisch bezeichnen, was irgendwo auf diesem Siedlungsgebiete später gefunden wurde, denn z. B. die ethnographische Ausstellung in Paris (1879) zeigte z. B, polychrom bemalte prähistorische keramische Fragmente aus Pokucie (Ostgalizien) mit denselben geometrisch weiß und gelb gefelderten Motiven auf dunklem Grunde, die man bisher fast ausschließlich nur den Althellenen zuschrieb. — Das Krakauer Museum zeigte herrliche Stickereien aus Podolien, Galizien, Litauen und der Ukrajna, deren Muster, vorherrschend gelb, rot, blau, schwarz, auf eine gemeinsame Ursprungsquelle über die Slovakei zur südsla-vischen Ornamentik hinweisen. Der harmonische Farbensinn erregte dabei geradezu ein großes Aufsehen. — In Ostgalizien werden noch heute schwarzglacierte Urnen, Krateren u. ä. erzeugt, die noch vollkommen an die Objekte der sogenannten antiken Zeit erinnern, aber ihre Inspiration unmöglich aus jener Zeit haben können, d, h. eher jener selbst als Vorbilder dienten. Das »Soloh«-Grab-gilt heute als dasjenige, das die wertvollsten und kunstvollendetsten Grabbeigaben zu Tage förderte. Im allgemeinen wiederholen sich aber bei den Gräbern jener Gegend immer dieselben Verhältnisse.'So fand man auf der Halbinsel Kerc bei Öffnung ähnlicher Riesenkurgane, welche die russische Regierung schon i. J. 1820 zu unternehmen begonnen, folgendes vor. Im sogenannten »Zlati kurgan« — jeder größere Kurgan hat beim Volke daselbst von alters-her eine eigene Bezeichnung — lagen in einem riesigen, aus behauenen und mörtellos gefügten Steinen errichteten Kammergewölbe ein männliches und ein weibliches Skelett. Daneben standen bronzene Kessel, gefüllt mit Knochen von Haustieren; ein vergoldetes Waschbecken aus Bronze, ein silberner Becher, desgleichen zwei Hörner und ein Becher aus Silber; in der Nähe stand wieder ein bronzenes Waschbecken, dem noch vier silberne Gefäße mit mythologischen Figuren beigelegt waren. Das männliche Skelett war ähnlich ausgestattet, wie jenes im »Scloh«; das weibliche trug ein Bernstein-Diadem mit zartem Email verziert. Am Halse fand sich ein aus Golddraht geflochtener Schmuck; darunter lag ein Reif von reinstem Golde. Auf dem Skelette lagen fünf fein gearbeitete Gcldmedaillons mit Goldquasten; auf dem Busen lag ein kleines Bernsteingefäß, mit schönen Relieffiguren, scy-thische Männer darstellend. Daneben lagen zwei Goldreifen und sechs. Messer, deren Griffschalen zum Teile aus Gold, zum Teile aus Elfenbein waren, — Der Schädel des männlichen Skeletts trug ebenfalls ein Diadem; auf der rechten Schulter lagen zwei goldene Reifen, auf der linken nur einer; überdies auf jeder Schulter noch zwei aus Bernstein. Links lag ein Schwert mit vergoldeter Scheide, eine aus Gold-drahl geflochtene Knute, und ein Schild aus reinem Golde mit verschiedenen prächtigen Relieffiguren. Nächst des Kopfes standen noch fünf Bernsteinstatuen, und bei den Füßen drei weitere Bronzegefäße. Ansonsten lagen zerstreut umher zahlreiche Bernsteinobjekte, Figuren, Sterne, Blumen, Löwen, Pferde, Greifen u. drgl. darstellend. Vergleicht man die Funde dieses Grabes mit jenen des »Soloh;<, so ergibt sich im allgemeinen nur der Unterschied, daß im letzteren Schmuckgegenstände aus Bernstein völlig mangeln. —- Man öffnete damals auch den sogenannten »Car-Kurgan«, wo man eine kyklopische gewölbte Grabkammer fand, zu der ein 119 Fuß langer Gang führte. Grabbeigaben fand man jedoch hier keine mehr vor, und konnte nur feststellen, daß dieselben schon vor längerer Zeit herausgeholt worden sein müssen, wozu jener Gang eigens gebaut wurde.'*} Die vorstehenden Beispiele zeigen, daß die Archäologie alle Begleitumstände beachten muß, um vor allem die sprachlichen und ethnologischen Rätsel der Fundobjekte wie der Fundstelle festzulegen; solange sie dieses nicht befolgt, kann sie aber als keine vollwertige Hilfswissenschaft der Kultur- und Völkergeschichte gelten. ’) Die Funde dieser einzigartigen und so reich ausgestatteten Grabstätten, die vom Kunststandpunkte alles übertreffen, was in bezug auf den Totenkult bisher bekannt war, werden jetzt zum kleineren Teile im Museum in der Stadt Kerč, zum größeren Teile aber in Petrograd verwahrt. Dis Kulturbasis Homers. Die den Slaven jede ältere eigene Kulturregung rundweg ab-sprechende Wissenschaft äußerte sich wiederholt auch dahin, daß die Slaven mit Gewalt überall Slaven suchen und finden wollen. Dieser Vorwurf muß dahin richtiggestellt werden, daß wir nirgends mit Gewalt Slaven suchen, sie aber ohne jede Gewalt dort finden, wo wir sie gar nicht gesucht oder nie vermutet haben. Diese Überraschung ist aber geradezu natürlich und schon durch die Beantwortung der Frage in der Hauptsache aufgeklärt: wie können sich die Slaven in der historischen Zeit so hoch entwickelt und dabei, trotz aller erdenklichen Unterdrückungsmittel, so groß erhalten haben, wenn sie nicht schon in einer unbekannten Vorzeitgroßgeworden waren? — Es ist doch undenkbar, daß sich ein Volk durch Jahrhunderte inmitten von offenen Feinden in so überwältigender Zahl erhalten oder gar noch aufbauen konnte, wenn es zuvor nie in einem eigenen Kulturkreise gestanden wäre! — Die Slaven sind heute kulturell wie sozial mächtige Völkergruppen, aber sie sollten, wie man heute gedankenlos zu sagen pflegt, gar keine Vcrentwicklung hiezu durchlaufen haben?! — Diese unlogischen, jeder Natürlichkeit widersprechenden Anschauungen, die eine übelwollende oder kurzsichtige Wissenschaft aufrichtete, fallen sofort zusammen, sobald man sie nur dem Lichte etwas näher bringt. — Nachstehend sei wieder eine solche Frage berührt, die bisher stets ein Rätsel blieb, weil es keinem Forscher einfiel, eine Deutung auf slavischem Wege zu versuchen. Die Wissenschaft stand nämlich bisher bei der Frage,'welche Kultur Homer schildert, immer ratlos da. Man überprüfte genauestem die phönizischen, assyrischen, babylonischen und ägyptischen Kulturverhältnisse, doch gelangte man überall zu widersprechenden, d. h. z u gar keinen brauchbaren Resultaten; ein Vergleich mit den slavischen wurde aber nie versucht, der dahin weist, daß: a) Homers Ilias wie Odyssee nur poetische Erweiterungen bestimm- ter geschichtlicher Handlungen sein können, die in irgendeinem Zusammenhänge mit altslavischen Verhältnissen stehen. Für die Ilias lagen Homer anscheinend die prosaischen Schilderungen des Trojanischen Krieges, wie sie noch in den altslavischen Chroniken enthalten sind, oder aber auch schon fertige epische Volksdichtungen vcr; für die Odyssee bildete vermutlich irgendein interessantes Tagebuch eines phönizischen, d. i, v e n e-tisclren Schiffskapitäns den Grundstoff; alles weitere ist wohl Homers eigene dichterische Zugabe. — Welche Meinung man übrigens über Homer sehen im Altertume hatte, deutet Isidoros (lebte zur Zeit des Kaisers Tiberius) mit dem Hinweise an, daß Homer viele Verse der delphischen Sibylle, also den delphischen Chroniken entnommen habe, und als ein Lügenschreiber galt, was auch Varrc (bei Lactantius I, 1, c, 6) bestätigt. Jene Sibylle sagt übrigens selbst über Homer voraus (nach Nehrings Ausgabe der Sibyllinischen Prophezeiungen, Halle 1719): »Darnach wird ein Lügenschreiber, ein alter Mensch sein, der sein Vaterland verleugnet, und es wird eine Ungestalt des Auges in seinen Löchern sein. Aber er wird einen herrlichen Verstand und eine in Versen bestehende (!) und mit zwei Namen vermischte Rede (»Ilias« und »Odyssee«?) seines Verstandes haben. Und er wird sich selbst einen Chius') nennen, und die Dinge, so mit Ilium vorgegangen sein werden, nicht wahrhaftig, sondern dunkel und mit meinen Werten beschreiben und meine Art Verse zu schreiben behalten. Denn er wird am ersten meine Bücher mit seinen Händen traktieren. Lind derselbe wird hernach am ersten sehr zieren die Kriegshelden, den Hektor, des Priamos Sohn, und den Achilles, des Peleus Sohn, und die andern, welche sich der Kriegstaten befleißigen, und machen, daß auch Götter, die doch närrische Menschen sind, diesen bei-stenen, aber er schreibet allerdings Lügen usw.«; b) Homer, wie auch Hesiod, wissen von einer eige-nenh ellenischenKultur noch sog u t, wUenichts. Alles Kunstvolle stammt bei ihnen noch veri fremden Völkern; alles spezivisch Hellenische ist hingegen ausschließlich Arbeit der Götter. — Es fällt nämlich besonders auf, daß Homer z. B. die subtilsten Einrichtungen der Schmiedewerkstätte und des Schmelzens der Metalle kennt, aber von der Einrichtung einer Werkstätte der Kunst eder Technik kunstvoller Weberei nichts weiß In dieser Richtung bietet er uns überall nur den ’) C h i o n, ein Schüler Platos, soll 17 Briefe voll von politischer Schwärmerei geschrieben haben. — Dieser Vergleich ist jedenfalls für die Herkunft der von Homer benützten Grundlagen beachtenswert, denn er erinnert zugleich an Kijot die dunkle Quelle Eschenbachs zu dessen Parcival. Effekt fertiger Arbeit, aber nie das Eigentliche der Technik. Paris bringt, mit der geraubten Helena von Sparta über Egypten nach Phönizien verschlagen, aus Sidon im 'Weben und Sticken kunstfertige Mädchen mit, die vor allem den wunderbaren Schleier für die Pallas Athene wirken; phönizische Schiffer sind es, die dem Thoas in Lemnos den unübertreffbar schönen Silber krug schenken, ein Werk der erfindungsreichen Phönizier (Venetier!), der dann als Kampfpreis Achilles zufällt. Menelaus rühmt sich der Schätze an Gold, Silber, Bernstein und Elfenbein, die er aus Phönizien, Sidcn, Äthiopien, Egypten und Cypern hatte; der Krug, den Telemach von Menelaus zum Geschenke erhält, ist wieder ein Geschenk des Königs Phädimus von Sidon; den herrlichen Geweben, die Helena und Andromache verfertigen, gehen phönizische (venetische!) Musterarbeiten voraus u. drgl.; c) es fällt bei Homer auf, daß er ohneweiteres slavische Gattungsnamen als Eigennamen übernimmt; seine prosaischen oder poetischen Vorlagen können daher unmöglich hellenisch, sondern nur anderssprachig, d. h. slavisch gewesen sein. Für die slavische Kulturbasis der homerischen Dichtungen sollen nachstehend nur zwei wesentliche Umstände hervorgehoben werden, da es ohnehin notwendig, ja, unvermeidlich wird, die gesamten Gesänge geographisch-topcnomc-etymologisch und kulturgeschichtlich genauestens durchzuforschen. 1. Vor allem fällt es auf, daß Homer die Gefallenen sowohl der Hellenen wie der Troer verbrennen läßt, obschon bei keinem der hiebei in Betracht kommenden Völker dies durch Grabfunde bekannt wäre, denn im Gegenteile, wenden gerade die genannten Völker alle Kunst an, ihre Toten bestmöglichst zu konservieren; selbst die mykänischen Schacht- und Gewölbegräber weisen unbedingt auf die Bestattung der Leichen als Ganzes hin. Patroklos hingegen wird verbrannt, desgleichen Elpenor; letzterer sogar samt der Rüstung (Odys. XII, 13). — Auf Leukas, wo Dörpfeld den Palast des Odysseus ausgegraben zu haben vermeint, sind aber auch Brandgräber festgestellt worden. Hiebei gelangte Dörpfeld selbst zu dem Schlüsse, daß sich mit Rücksicht auf die verschiedenen Grabfunde und Brandgräber hier die Spuren eines mitteleuropäischen Einflusses geltend machen.-’) — Das Verbrennen der Leichen ist aber eine er- 2) Es ist wissenschaftlich sehr zu bedauern, daß zu wichtigen Ausgrabungsarbeiten sowie zur Überprüfung der Funde nahezu nie ein slavischer Archäolpge zugezogen wird. Dieses Versäumnis hat manchen schweren Mißgriff bei der ethnologischen wie sprachlichen Deutung der Funde verschuldet, der sodann wieder mit schwerer Mühe behoben werden muß. zumeist aber nie mehr behoben wird. wiesene slavische Sitte, und wird diese, analog wie bei Homer, auch in den altslavischen epischen Dichtungen, namentlich. den alt-cechischen, wiederholt hervorgehoben. Sie ist auch aus dem alten Religionsgebrauche in die römische Kirche übernommen, denn der auf jedem Friedhofe hundertfach wiederkehrende Wunschspruch »Friede seiner Asche« kann ja nicht ohne Grund übernommen worden sein, und die Asche an sich ist doch immer das Produkt eines Verbrennungsprozesses.3) 2. In Etymologischer Hinsicht sind die Namen: Siren:erij Scylla und C h a r yJb dis besonders bemerkenswert, denn sie weisen dahin, daß diese Namen einer slavischen Quelle, die aber Homer anscheinend gar nicht oder nur zum Teile verstand, entnommen sein müssen. Die Stelle, betreffend die Insel der »Sirenen«, lautet (Odys. XII, 39-—46, nach Voss): »Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret. Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen Stimme lauscht, dem wird zu Hause nimmer die Gattin Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen; Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen, Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine Modernder Menschen umringt und ausgetrcckneten Häuten«, — In die Prosa übersetzt, steht die Sache folgend: auf jene Insel brachte man die Aussätzigen, die dann auch dort starben. Da die Leichen niemand begrub, wurden sie von allerlei Raubvögeln — hier den zwei Sirenen, die als phantastische Vögel geschildert werden — skelettiert, daher es auch naheliegend ist, wenn dort alles mit Menschenknochen besät war. Der »helle« Gesang der Sirenen war aber nichts weniger als bezaubernd, denn dies waren wohl die Jammer-und Klagetöne der Ausgesetzten, die beim Nahen eines jeden Schiffes zum Ufer liefen und die Schiffer um Rettung, Nahrung u drgl. baten. — Nun macht aber schon A. Gruhn in den Broschüren »Der Scnau-platz der Ilias und Odyssee« (Berlin, 1910—1914) aufmerksam, daß ».Sirene« hier mit »Aussätziger« zu übersetzen sei, nachdem »thel-gein« im Griechischen ebenso »bezaubern« wie auch »anstecken« bedeute.4) — Wie nun Gruhn zu dieser Deutung von »Sirene« gelangte, 3) Immerhin darf aber diese Tatsache nicht als eine starre, engbegrenzte Volkssitte angesehen werden, denn besondere Umstände können überall gelegentliche Ausnahmen bedingen, pbschon als wahrscheinlich anzunehmen ist, daß man gerade bei hochgestellteh Personen am allerwenigsten vom pietätvollen Volksgebrauche abweichen wird. Doch gerade der Krieg schafft Zwangslagen, und eben aus diesem Grunde darf man die äußerste Möglichkeit einer Ausnahme nicht vorweg ausschließen. 4) Gruhn gelangt auf seinem eklektischen Forschungswege zugleich zur Ansicht, daß sich die abenteuerliche Fahrt des Odysseus vollends im Adriatischen wissen wir nicht, aber sie ist zutreffend, jedoch rur imslavischen Sprachschätze, wo »čir« (im Slovenischen) = Geschwür, »čiren« = geschwürig, aussätzig, »czerak (im Polnischen) = Geschwür bedeutet. — Gruhn meint auch, es war dies die heutige Insel Lazarette (nächst Korfu), wo sich auch ein Ankerplatz befindet. Auch diese Vermutung birgt Reelles. Ein widerlicher Bettler, namentlich wenn er eckelerregende Geschwüre besitzt, heißt im Slavischen auch »lazar«, und wäre demnach der heutige Begriff »Lazaret« die ursprünglich slavische Bezeichnung einer Heilanstalt für Aussätzige oder Hautkranke. — Jene Insel mag daher auch diesen Paralellnamen getragen haben, weil sie eben normal zum Aufenthalte der Aussätzigen diente. Die Krankheit stimmt auch zum Biblischen Namen »Lazar«, der demnach kein Eigen-, sondern nur ein Gattungsname gewesen sein dürfte.5) Die Scylla beschreibt Homer als einen Felsen im Meere, als eine gefährliche Klippe. Slavisch heißen aber solche »školj, skulje (ital. »scoglio«). Man bezeichnet damit die aus dem Meere ragenden, bei hohem Wellengänge aber verschwindenden, daher der Schiffahrt gefährlichen Felszacken. — Die Etymologie »skylla« (= Hündin), die man bisher zur Auslegung verwertete, ist demnach weiter unhaltbar.6) Die Charybdis ist das slavische »korito« = die Rinne, d. i. die Stelle, wo das Wasser zwischen zwei Felsen zusammengepreßt durchströmt. — Demnach können, wenn die Sireneninsel tatsächlich nächst Korfu lag, auch die »Skylla« und »Charybdis« nicht bei Sizilien gewesen sein, daher die ganze vermeintliche Reiseroute des Odysseus nicht mehr haltbar ist. Weiters sind unter den vielen Namen, die Homer anführt, einige als solche slavischen Ursprungs besonders auffällig, und sei hier nur Meere, also längst der hellenisch-albanisch-dalmatischen Küste abspielt, und glaubt Ithaka sei das heutige ihiaki (also nicht Leukos), Aiaie und Kirke seien die Inseln Othoni und Kerkyra, Aiolie ist Koriu, Ogyzia sei nächst Lissa zu suchen, die Läslrigonen wohnten 350 km nördlich von Korfu, also nächst Cattaro (Lastua?) usw. -L- ■') Im Slavischen muß nach diesem einmal eine Heilanstalt für Aussätzige »čirnica«, und eine solche für Hautkranke im allgemeinen »lazarišče« gelautet haben. — Der deutsche Sammelbegriff »Geschwür« ist gleichfalls aus »čir« mit der Vorsilbe »g« gebildet. ") Welche Mißgriffe man in der Etymologie bei dem ewigen Übersehen des Slavischen macht, zeige folgendes Beispiel. — Ein großes Wiener Tagblatt erzählte vor etlichen Jahren in einer Beschreibung Bosniens, der Türke sei ein'Fatalist, der sich mit seinem türkischen'Spruche »neb oysse« in allen schwierigen Lebenslagen abfindet. — Der Verfasser machte nun die Redaktion auf den Irrtum aufmerksam, daß der Türke in Bosnien nur slavisch spricht, daß jener Spruch rein slavisch »ne boj se« lautet, nur so geschrieben wird und »fürchte dich nicht« im Slavischen (nicht aber im Türkischen) besagt. — Die Redaktion meinte jedoch, die Sache sei für eine »Berichtigung« in jeder Hinsicht zu bedeutungslos, d. Ji. richtig genommen: der beabsichtigte Zweck ist erreicht. — auf die Namen »Kirke« und »Phoinix« hingewiesen. — In manchen slovenischen Gebieten, wie z. B. im Bacher-Gebirge (Untersteiermark), wie dies noch Prof. Puff um das Jahr 1835 feststellte, heißt das Schwein noch immer »kirka«, also genau so, wie jene Zauberin, die Menschen in Schweine verwandelte. — Homer führt in der Ilias zwei Helden des Namens »Phoinix« an. Einer kommandierte unter Patrcklos die vierte Division der Myrmi-donen; der zweite hingegen galt den Hellenen überhaupt als der mythische Stammvater der Phönizier, also- Veneter. Dies stimmt auch etymologisch, denn »Phoinix« ist nichts weiter, als die hellenisierte Ferm des slavischen »Vcjnic«, worunter man einen Anführer, Herrscher, wie Krieger überhaupt versteht.7) — Orte, wo die militärische Zentrale irgend eines Gebietes war, führen demnach noch heute Namen, wie: Vojnik, Vojnic, Vojkovo, Vojnica, Fojnica u. ä. Ein Beweis eigener Art ist auch der ethnographische Name »Aethiopier«, wie ihn Homer gebraucht. Man versteht heute darunter immer nur die schwarzfärbigen Völker Afrikas, obschon dies unmöglich richtig sein kann, denn gerade Homer ist es, der seine Äthiopier als das edelste aller bekannten Völker, als die gerechtesten der Menschen und Lieblinge der Götter, die gelegentlich sogar zu ihnen reisen und an ihren Festen teilnehmen, schildert. Die Äthiopier glänzen schon in der frühesten Fassung der hellenischen Mythologie, in den Sagen der Völker Asiens, namentlich Armeniens und Mesopotamiens, dann ganz besonders in den Jahrbüchern der egyptischen Priester. Auch späterhin legen ihnen verschiedene Geschichtschreiber das Lob der ersten Kultur und einer höheren Bildung bei, und trotzdem fragte man sich nie, ob diese »Äthiopier« irgendwie im weitesten mit jenen schwarzen Völkern gleichen Namens in Afrika identisch sein können, zumal mit diesen schon mit Rücksicht auf die große Entfernung nahezu jede Berührung fehlen mußte. Tatsächlich gab es auch »Äthiopier« in Asien, aber schon Hero-dot (VII, 70) kann sich diese hier auch nicht anders erklären, wie als Leute von schwarzer Hautfarbe, und meint, man habe in Asien die schwarzen (?) Völkerstämme am Westufer des Indus bis zum persischen, vielleicht auch arabischen Meerbusen, so benannt. Daß aber hier ein grundsätzlicher Deutungsfehler vorliegen müsse, darauf kam niemand, obschon uns die afrikanischen Äthiopier weder welche Kulturresiduen aus der alten Zeit zurückgelassen, die auch nur im bescheidensten Maße die Verhimmlichung Homers gerechtfertigt hätten, noch es bis heute zu irgendwelcher nennenswerten Kultur 7) Im Hellenischen wie Lateinischen tritt für das slavische »c« und »z« regelmäßig ein »x« ein, und wurde letzteres auch im Slavischen durch lange Zeit für jene Laute geschrieben. unter den kulturarmen Völkern gebracht haben. Eine Identität der afrikanischen Äthiopier mit den von Homer gemeinten ist daher ausgeschlossen. Erst aus den altslavischen Chroniken erfahren wir, daß jene Äthiopier, zu denen die homerischen Götter zu Gaste kamen, nur die Bewohner des südlichen Kaukasus und des Schwarzen-Meergebietes im allgemeinen sein können, denn dorthin setzt der altslavische Ha-giograph jene Kultur-Äthiopier, u: z. als »zemlja Jetiopskaja«. Dieser Deutungsfehler kann aber nur auf folgende Weise entstanden sein. Homer (oder schon andere vor ihm) wußte, daß »črn« ==' schwarz bedeute. Die Äthiopier in Afrika wurden, weil schwarzfär-big, von den Hellenen als »aithiops« bezeichnet, Da aber die Bewohner im Gebiete des Schwarzen Meeres auch irgendwie sprachlich zu kennzeichnen waren, wurden sie gleichfalls zuÄthicpiern, wobei ' das Attribut »schwarzes« (Meer) zur gleichen Auslegung und Übersetzung führte.“) Daß hier der topische Name nicht aus »črn«, sondern aus »čara, čaren« (= Linie, Grenze) gebildet ist, dies erfaßte aber weder der Hellene des Altertums mehr, noch auch sonst jemand bis zum heutigen T age. — Auf dem Wege dieser fehlerhaften Etymologie wurden nun die als Typus der weißen kaukasischen Rasse geltenden Bewohner imSchwarzen-Meergebiete zu »Negern«, obschon sprachlich damit nur die Grenze zwischen Europa und Asien gemeint war. Diese bisher unerkannte etymologische Verwechslung zieht sich aber durch die gesamte topographische Namenkunde als Erbfehler fort. Doch gerade diese Verwechslung ist ein äußerst wertvoller Fehler, denn überall, wo dieser in der Tcponomie festgestellt erscheint, ist hiemit deduktiv der wissenschaftliche Beweis erbracht, daß die falsche Übersetzung nur auf das frühere Vorhandensein des slavischen Namens aulgebaut worden sein konnte. — Wir brauchen da wohl nicht erst auf das Unlogische und Unnatürliche hinzuweisen, weshalb etwa die weißgrauen Berge der Črna gora jemand als schwarz (Montenegro, Karadag)”) angesehen hätte; desgleichen hat das Schwarze Meer (türk. Karadengis) kein schwarzes Wasser; ebensowenig kann jemand die weißen Kara-Kirgisen als »Schwarz-Kirgisen« benennen; das weiße »Eisgebirge«, als Wasserscheide zwischen dem s) Der gleiche Gedankengang läßt sich auch bei Herodot nachweisen. Er nennt die Bewohner der »Čornaja zem« (— Schwarzerde in Rußland) als »Melanchleni«; demnach übersetzte er »čorn« richtig in »schwarz«, jenes »zem« aber nicht. Doch gerade aus dieser Übersetzung erfahren wir, daß jenes Gebiet damals auch als »čornaja glina« (= Schwarzerde) benannt worden sein muß, denn daß Herodot »glina« für »zemlja« selbst so richtig eingesetzt hätte, ist doch nicht wahrscheinlich, umsomehr als er die Etymologie selbst wohl kaum verstand, *) Beim Türken wurde »čara« zu »kara«, da dessen Alphabet kein »č« kennt. Indus und dem Tarimbecken, konnte doch nur derjenige als »Karakorum« (=- schwarzes Gebirge) bezeichnet haben, der »čara« hörte, aber mit »črn« verwechselte usw. Dieser ethnologisch führende Fehler führt uns aber schon weit in die Vorzeit zurück.10) Die Bibel nennt uns die Chetiter, die im zweiten Jahrtausend v. Chr. das Gebiet des Halys-Flusses, also das nordöstliche Kleinasien bewohnten. Sie waren im XIV. Jahrhunderte v. Chr. als »Cheta« die Führenden eines kleinasiatischen Völkerbundes. Daß dies eine »četa« (= Kriegerschar) war, erlaubten wir uns einstweilen nicht zu glauben und wagten es noch weniger dies offen auszusprechen. Die assyrischen Quellen des XII. Jahrhundertes v. Chr. rennen sie aber wieder »Chatti«, also diese »četa« war nun eine »chasa« (= Kriegergruppe). — Nun wurden aber hieroglyphische Inschriften am Berge »Karadag« (am südlichen Taurus) mit der Burg »Mahalič« gefunden. Wir würden auf den slavischen Namen »Ma-halič« gar keinen ethnologischen Wert legen, wenn diese Burg nicht gerade auf dem »Karadag« stände; so können wir aber ohneweiters von einem slavischen Ursprung sprechen, denn hier stützt sich ein Name auf den anderen. — In dieser Weise müßte nun ein die altslavische Sprache gut beherrschender Hcmer-Forscher die ganze Ilias wie Odyssee nachprüfen, wobei freilich auch die homerisch-kyklischen Epen, wie die: Thebais, Oidipodeia, Herakleia, Phokais, Kypria, Aithiopis, Ilios mikra, lliu persis, Nostoi und Telegonia in die vergleichende Forschung mit-einbezogen werden müßten, die alle mehrweniger dasselbe Thema behandeln. Baß eine selche Arbeit für die angedeutete Kulturbasis der homerischen Volksdichtungen weitere Belege bringen müßte, liegt nach allem, was bereits hier angedeutet wurde, außer jedem Zweifel. 10) Es sei hier noch auf den Begriff »Amazone« verwiesen, dessen Etymologie auch schon Homer vollkommen unbekannt ist. Das „Mernnon“-Rätsel. Die unter dem Namen »Memnon« kursierenden zahlreichen mythischen Sagen tragen alle das Gepräge einer etymologisch ver-worrenenj durch die vielen Deutungsanläufe noch weiter verdunkelten realen Angelegenheit, die sich aber trotz aller organischen Schwierigkeiten gerade nur auf jenem Wege klären läßt, der bisher ängstlich gemieden wurde. Memnon soll ein Sohn des T i t h o n u s und der Eos (Aurora) gewesen sein. Als Hektor durch Achilles Hand fiel, wurde Memnon von seinem Oheim Priamos zur Hilfe des arg bedrängten Troja aus dem fernen Äthiopien, das am Rande des Okeanos lag, herbeigerufen. Er zog — angeblich —den weiten Landweg, der ohne die Geländehindernisse zu beachten, bei 4000 km betragen würde, gegen Troja, besiegte unterwegs alle Völker, deren Gebiete er durchschreiten mußte, fiel aber vor Troja selbst und wurde in einem hohen Grabe am Ufer des Aesepos, nächst der Ortschaft M e m u c n (Strabo, XIII) bestattet. Doch endet hiemit weder sein Ruhm noch die Ruhe seiner irdischen Reste. — Die Sage weiß nämlich weiter, daß dessen Gebeine durch die Vermittlung der Phönizier (!) seiner Schwester Hemera ausgefolgt wurden; diese brachte nun die Asche nach P a 11 i o c h i s, einer sonst völlig unbekannten Stadt. Ein drittes Grab dieses Memnon war in Sus a, der Residenz der persischen Könige, wohin ihn dessen Mutter Eos zur Bestattung gebracht haben soll. Susa hieß auch die »mnemonische« Stadt, weil sie von Tithonius, dem Vater Memncns, erbaut worden sein soll. Simonides meint wieder, Memnon sei nicht in Susa begraben, sondern bei P a 11 o s in Syrien, am Flusse B a d a s (Vadas). Josephus Flavius sah hingegen wieder ein »Memnon«-Grab am Ufer des B e 1 o s (Belnos) in Syrien, das er auch als jenes des trojanischen Memnon bezeichnet. Im weiteren nehmen die zahlreichen »Memncn«-Gräber die Richtung gegen dessen äthiopische Heimat. Bei Ahydos (nächst Ptolemäis) war ein solches Grab (nebst Burg und Labyrinth), ein weiteres bei Theben, und besitzt Egypten mehrere Orte mit Palästen und Grabmälern Memnons, die sich einerseits bis zum südlichen Äthiopien, andererseits bis zur nördlichsten Spitze Anatoliens verfolgen lassen. Wie erklären sich nun die alten Schriftsteller die Möglichkeit, daß Memncn ein äthiopischer Fürst war, und dabei in Assyrien herrschte, in Oberegypten Burgen erbaute, bei Troja kämpfte und Dutzende von Gräbern in Asien und Afrika hatte? — Die einen sagen, er hat die vielen Königssitze, Burgen und Grabdenkmäler nur erbaut, und sie tragen lediglich den Namen des Baumeisters dieses Namens. Andere meinen: er durchzog die Welt als Eroberer, und hinterließ bei den besiegten, Völkern die Denkmäler seiner Siege; doch was haben damit die zahlreichen Grabdenkmäler zu tun, die Memnons Namen tragen? — Jabionski wie Langles erklären dies dahin, es seien dies verschiedene Sagen, die sich aus Gedächtnisfehlern und Mißverständnissen bildeten. Schon Philostratos meint, der assyrische, ägyptische wie äthiopische Memnon seien verschiedene Personen, die nicht nur zufällig gleichen Namen führten, sondern zugleich Zeitgenossen des trojanischen Memnon waren. — Alles dieses mußte vorausgesendet werden, obschon hiemit noch nicht alle Vermutungen erschöpft sj,nd, um die Lösung des sehr einfachen Rätsels bringen zu können, denn alles zusammen weist lediglich dahin, daß man Grabdenkmäler oder sonstige Erinnerungsbauten einst im allgemeinen als »memnon« b e z e i c h n e t e, daher auch deren große Zahl nicht verwunderlich ist. Hiefür kann der sprachliche wie geschichtliche Beweis erbracht werden. Fast alle flektierenden Sprachen kennen die Wurzel »mem« oder »men« für: erinnern, nachdenke n, zu rückbleiben. »Memnon« ist daher als: das Erinnerungszeichen, das zurückbleibende Zeichen, das Denkmal aufzufassen. — Speziell bei der tönenden Memnonsäule, sagten die Thebauer, sie sei die Bildsäule eines ihrer Eingeborenen, namens »Phamenophis«. Der Slave fühlt wohl bald heraus, daß auch hier kein Eigen- sondern nur der Gattungsname »pomenik, pametnik, pomnik« vorliegt, der eben: Denkmal, wörtlich: Nacherinnerung andeutet. — Daß in Egypten, Äthiopien und Habes (Abbyssinien) einst Slaven wohnten, deuten verschiedene alte Quellen und sonstige Umstände an, doch wurde dieser Forschung bisher noch nicht die verdiente Beachtung gewidmet.1) ’) Auch die vorher erwähnte Stadt »Palliochis«, die weder die alte Geographie noch Geschichte kennt, ist wahrscheinlich nur aus Sprachunkenntnis mit »paljuga* in geschichtlicher Hinsicht wird unsere Auslegung auch mittelbar bestätigt. — Dem Homer gilt Memnon als der schönste Marai im Troerheere; daß er aber schwarz gewesen wäre, davon weiß früher niemand etwas. Als erster legt ihm Virgil (Aeneis, I, 489: »nigri Memnoni arma«, d. i. die Waffen des schwarzen Memnon) die Mohrenfarbe bei, was aber wohl nur als ein eigenmächtiger Rückschluß des Dichters, der vom kaukasischen Äthiopien nichts wußte, angesehen werden muß. Memnon war demnach allerdings ein Äthiopier, aber kein afrikanischer, und ist es sonderbar, daß sich im Kaukasus-Gebiete auch sonst bekannte I ändernamen, wie: Iberien, Albanien, Skythien vorfinden, ohne daß jemand bisher deren Duplizität aberkannt hätte. — Priam schickte auch sicherlich nicht nach dem afrikanischen Äthiopien um bewaffnete Hilfe, da das Eintreffen einer solchen doch höchst aussichtslos oder sehr fraglich war, sondern zu einem kaukasischen, armenischen oder allenthalben assyrischen Fürsten, cbschon die slavischen Chroniken ausdrücklich sagen: zu dem indischenFürst ;n, genannt Taun. Die Hilfe kam demnaci vom Osten oder Südosten her, aber auch nicht von Indien im heutigen Sinne, da dieses gleichfalls zu entfernt war, wobei auch zu viel dazwischenliegende kriegerische Völker zu bekämpfen gewesen wären. — Nach Dict. Cret. (IV, 1) haben Priam die Äthiopier unter dem Admiral Phalas auch eine starke Seemacht zur Hilfe geschickt. Diese kann aber doch wieder nur vom Schwarzen Meere hergekommen sein, denn von Äthiopien ist dies ausgeschlossen, und selbst für den Fall, als der Suez-Kanal damals gerade praktikabel war, waren doch sicherlich die Dardanellen von der hellenischen Flotte bewacht. — Hiemit wurde hoffentlich überzeugend nachgewiesen, daß die vielen als »Memnon« benannten Denkmäler und Bauten nichts weiter als sprachlich an Grabstätten hoher Personen anspielen, die an jener Stelle bestattet wurden. — oder »paljok«, wie die Altslaven eine Krematoriumstätte, die Aschenurne oder die Leichenasche selbst benannten, verwechselt werden. Die Inschriften auf dem „Attila-Schafze“.1* Im J. 1799 fand man am Ufer der Aranyka nächst Nagy-Szent-Miklos im Koinitate Torontäl {Südungarn:), in geringer Entfernung von der Maros, einen Schatz von 23 verschiedenen Goldgefäßen im Ge samtgewichte von etwa 1680 Dukaten. Der ganze Fund kam sodann in das k. k. Antikenkabinett nach Wien, wo er sich noch heute befindet. Einige Stücke davon sollen jedoch gleich nach der Ausgrabung verschwunden sein, und blieben alle bezüglichen Nachforschungen bis heute erfolglos. Diese Fundebjekte wurden seither wiederholt beschrieben; am ausführlichsten bewirkte dies Josef Hampel, der Konservator am ung. Nationalmuseum, im Werke »Der Goldfund von Nagy-Szent-Miklos, sogenannter »Schatz des Attila« (Budapest, 1885). — Die sich von selbst aufdrängenden Fragen, wie alt der Schatz sei, von welchem Volke er herrühre und was die vielen Inschriften auf den Objekten besagen, waren selbstredend dabei stets das Um und Auf der Erwägungen, doch blieben die Schlüsse bis heute keine überzeugenden. Im allgemeinen glaubt man, daß der Schatz von den Gepiden, Geten, Goten, Avaren oder Hunnen stamme, und seiner Kunstrichtung nach den kunsttechnischen Strömungen der Völker- 1) Das richtige Lesen und Deuten der unerwartet zahlreichen, aber noch dürftig bekannten oder unbeachteten altslavischen Inschriften anzubahnen und ein tieferes Interesse hiefür zu wecken, wird zur immir drängenderen Notwendigkeit. Die Veröffentlichung von solchen Kulturdenkmälern in einem größeren Leserkreise löst überdies da oder dort den Wetteifer aus, unbekannte Schriften, die man irgendwo gesehen, aber nicht lesen konnte, doch der wissenschaftlichen Aufdeckung zuzuführen. — Durch die Verbreitung der Kenntnis der verschiedensten Schriftzeichen, der fallweise angewendeten Siegel, Wortkürzungen und Lautverbindungen (Ligaturen) wird zugleich auch ein vielseitiges Vergleichs- und Studienmaterial geschaffen, das dann mit jedem Tage die Forscherarbeit auf altslavischem Gebiete erleichtert. So wird es auch möglich mit der Zeit ein tunlichst erschöpfendes Werk der slavischen Paläographie zu schaffen. Daß man dabei auch auf neue, sehr willkommene Texte und Daten stoßen kann, die wieder in andere Wissensgebiete Klärung bringen können, dieses sei nur deshalb erwähnt, um die Mehrseitigkeit des Nutzens dieser Arbeit darzulegen. wanderungszeit angehöre; von den Inschriften seien drei grie-j c h i s c h, alle anderen »barbarisch«; was man unter letzterem Begriffe verstehen soll, wird überhaupt nicht angedeutet. Dem allen muß sofort entgegenstellt Werden, daß es eine Völkerwanderung im heutigen Sinne nie gab, daher es auch widersinnig ist, dieser Zeit ein eigenes kunsttechnisches Gepräge zuzumuten; hätte es aber je eine Völkerwanderung gegeben, so hätte diese nach ihrer destruktiven Eigenart überhaupt keinen eigenen Kunsttypus1 geschaffen. Was jedoch den ethnologischen Teil betrifft, dafür können vor allem nur die Inschriften entscheidend sein. Doch wie kann man ohneweiters eine Inschrift als »griechisch« und eine andere als »barbarisch« klassifizieren, so lange man sie überhaupt nicht lesen kann?! — Der Umstand allein, daß in drei Inschriften »griechische« Buchstaben angewendet erscheinen, könnte allenthalben in jenem Falle ernst genommen werden, wenn darunter keine nichtgriechischen Buchstaben wären, doch ist auch dieses nicht der Fall. Die Klärung muß daher in anderer Richtung gesucht werden. Von den Goldgeräten haben nämlich drei Schalen »griechische« Inschriften, u. z. zwei davon, die auch sonst gleich sind, dieselbe, die dritte jedoch eine ven diesen abweichende; alle sind auf dem inneren Boden angebracht. Hier sei nur die letztere behandelt; sie hat folgende Zeichen (s. Illustration): f BOJHAA - ZOÄIIAH - TGCH - ÄjreTOirH - BOVTAOVA - ZAOITAH - TArPOTH HTZITH - TAICH, Lesung: »f Vujela, zeapan Tesje, duge Toige, Vutaul, zoapan Tagrogje, Jetzigje, Taisje«. Deutsch: »f Vujela, župan von Tesa, Herzog von Toiga, Vutaul, Župan von Taganrog, Jetzigija, Taiš«. Erklärung. »Vujela« und »Vutaul« sind augenscheinlich die Namen jener zwei Župane. Geschichtlich sind sie weiter nicht belegt; man weiß nur, daß ein sarmatischer Župan, namens »Bouta«, im X. Jahrhunderte getauft wurde. Das anlautende B (V) ist bei beiden Namen unterstrichen, vermutlich um sie als Personennamen besser hervorzuheben; »Tesje« mag sich auf das T h e i ß-Gebiet beziehen; »duge« (sprich »duže«) ist der altslavische Begriff für: Fürst, Herzog (auch »dug«); »Tcigje« ist wohl ein Gebietsname, aber einstweilen nicht näher erkennbar. Der Umstand, daß zwischen »duge« und »toigje« der Worttrennungspunkt fehlt, würde auch die Annahme zulassen, daß das Gebiet »Dugetoigje« lautete. »Tagrcgje« (spr. »Tagrožje«) weist zweiiellcs auf T a g a n r o g, die gleichnamige Stadt und das Gebiet am unteren Don. »Jetzigje« (spr. »Jecižje«) ist das Land der Je z i g e n (Jazygen) im nördlichen Küstengebiete des Pontus im Altertume, und westlich an »Tagrogje« anschließend. Die bisherige Meinung, diese Namensferm komme sonst in alten Schriftstellern nicht vor, '.st irrig, denn z. B. die altslavische Schcttenchronik schreibt noch zum Jahre 6585 (1077) »Jezisci« nicht aber etwa »lazisci« oder gar »Jacigi«, wie der Name heute geschrieben wird. »Taisje« ist das Gebiet östlich und nordöstlich von Taganrog, d. i. das Gebiet des unteren Li r a i-Flußes, der im Altertume doch »Daix« hieß und jetzt noch »Jaik« genannt w'ird. Die Vermutung, es berge sich hier die alte Namensform »Tanais« für den D o n-Fluß, muß deshalb als unbegründet abgewiesen werden, weil dieses Gebiet bereits unter anderem Namen (»Tagrogje«) abgetan ist, und wäre die altslavische Namensfcrm in diesem Falle wohl »Donje« (oder »Danje«) gewesen. Die Schüsselinschrift ist demnach ausgesprochen s 1 a v i s c h, und wird der slavische Ursprung der als »griechisch« oder »cyrillisch« benannten Schrift an anderer Stelle nachgewiesen. Ähnliche Inschriften slavischen Textes mit vermeintlich griechischem Alphabete kommen auch sonst vor, wurden aber aus dem gleichen Grunde bisher nicht entziffert, weil man a priori einen griechischen Text herausbringen wollte, und ein solcher schon der falschen Voraussetzung wegen nicht herauszubringen war.-) — In einer -) Auf dem sogenannten Salzburger Fingerringe ist folgende mit der obigen alphabetisch genau deckt: jtoHBßitiÄPyHCoyAPoy Inschrift, die sich Man wollte darin »Eduard Lonbein« lesen; augenscheinlich heißt es aber »Lon ve Indru je suaru«, d. h. > Len in Indr« hat ihn geschweißt (geschmiedet)«. — Inschrift, in der weder die Namen, noch die einzigen verständlichen Begriffe (»župan« und »duže«) nicht griechisch, sondern s 1 a-v i s c h sind, muß man bei der Analyse doch stutzig werden, und sich fragen, ob die griechische Schrift eben eine »griechische« ist, Stimmt aber dies nicht, sc müssen die Voraussetzungen falsch sein, woraus sodann weitere Folgerungen zu ziehen sind. Die Inschriften gleicher Art in den zwei anderen Schalen konnten einstweilen nicht verläßlich entziffert werden, da sie sehr viel Ligaturen und Kürzungen aufweisen. Der Anfang lautet jedoch zweifellos »jea udat«, d. i. »ihm ergeben« (im Slavischen). Die vielfache Behauptung, dieser Schatz stamme von den germanischen Goten, ist daher ganz aus der Luft gegriffen, wofür weiter noch der Umstand spricht, daß die Goldobjekte zumeist am unteren Beden auch weitere Inschriften in südslavischen Runen tragen, die wohl nur als Gewerbemarken der Goldschmiede anzusehen sind, da sie, soweit sie eben einigermaßen verläßlich gelesen werden können, als »kul« (= geschmiedet), »vkuov« (= zusammengeschmiedet), »vsjek« (~ eingeschlagen) ausgedeutet werden müssen. Die Geschicke dieses Schatzes sind vermutlich, folgende. — Fürsten pflegten sich vor Anbahnung verschiedener diplomatischer oder handelspolitischer Aktionen gegenseitig mit allerlei Wert-, namentlich Kunstobjekten zu beschenken; desgleichen wurden solche für das eigene Seelenheil den Kirchen in Menge gewidmet.3) Derlei Objekte erwarb nun der Spender dort, wo sie zu jener Zeit fertig erhältlich waren, oder er ließ sie, wenn er besondere Wünsche für die Ausführung hatte, eigens erzeugen. In diesem Falle stammen die Goldgefäße, oder doch ein Teil derselben, aus Venedig, da der Markuslöwe dreimal darauf in Relief vorkommt. Die Widmungsinschriften wurden nun entweder gleich bei der Erwerbung vom Goldschmiede oder einem Graveur ausgeführt, oder erfolgte dies später an einem anderen Orte. Augenscheinlich waren diese Geschenke dem Kaiser von Byzanz oder den dortigen Kirchen gewidmet worden, wurden aber i. J. 1204, als Konstantinopel von den Kreuzfahrern gründlich Es ist darin sonach die Marke des Goldschmiedes angebracht. Die zwei Eigennamen sind, vorausgesetzt, daß sie richtig abgeteilt sind, unbekannt; für die Sla-vizität bürgt aber hier das Verbum »zvariti« (= schmieden, zusammenschweißen) in unzweideutigerweise, und entspricht dies auch den gewerblichen Gewohnheiten und praktischen Erfahrungen der alten Goldschmiede. -) Spenden von Geld- und Sdbergeräten an Tempel, Kirchen wie hohe Personen gehörten schon in ältester Zeit zu einer Art Pflicht der Reichen und Mächtigen. So gibt z. B. die Bibel die Gesamtsumme der Metallgefäße des Tempels in Jerusalem an, die Nabuchodcnczor raubte, König Cyrus aber dann wieder ruckstellte. Josephus Flavius (11, 1) zählt sie aber noch artweise auf; es waren dies: 50 goldene und 500 silberne Schalen,, 40 goldene und 500 silberne Krüge, 30 goldene und 300 silberne Opfergefäße, 30 goldene und 2400 silberne Opferschalen nebst 1000 Gefäßen anderer Art, also zusammen 5400 Stücke. ausgeplündert wurde, von irgendeinem Ritter als »Andenken« mitgenommen. Die mangelhaften Transportsmittel machten es aber nötig den schweren Schatz indessen zu vergraben, und mag es später an der Möglichkeit gefehlt haben ihn wieder einzuholen} so blieb alles in der Erde verwahrt, bis erst der Zufall zu dessen Wiederentdeckung führte. Es erübrigt nun noch der Vermutung Ausdruck zu geben, aus welcher Zeit dieser Schatz stammen könne. — Daß derselbe schon der christlichen Zeit angehört, dafür sprechen die verschiedenen, gelegentlich angebrachten Kreuzformen. Um sich aber für ein bestimmtes Jahrhundert zu entscheiden, dafür fehlen, wenn nicht vielleicht später die dermalen noch nicht gelösten Inschriften eine Orientierung bringen, führende Anhaltspunkte; überdies sind die einzelnen Objekte auch nicht zu gleicher Zeit erzeugt und sicherlich auch nicht auf einmal gespendet werden, da die Inschriften dagegen sprechen. In bezug auf die Wappen könnte aber vielleicht die heraldische Wissenschaft irgendwelche weitere Klärung bringen, denn bei den Goldkrügen im besonderen wiederholen sich dreimal dieselben Wappen. Eines derselben stellt einen Adler mit Greifohren dar, der zwischen seinen Krallen eine nackte Frauengestalt hält, die in jeder Hand eine Blume hochhebt. Ein anderesmal reitet jene nackte Gestalt ein Pferd mit einem Menschenkopfe, und hält einen Zweig über sich. — Der Markuslöwe wurde schon erwähnt. Diesen reitet ein Mann, der einen ihn von rückwärts anspringenden Panter mit dem Pfeile beschießt. — Auch die Ornamentik hat einen typischen Zug: sie huldigt auffallend dem Lilien-Motive. — Man hat diesen Fund auf den Druck der volkstümlichen Suggestion hin zwar als »Schatz Attilas« benannt, aber ohne jede Grundlage für diese geschichtliche Einreihung. — X X X X X X_X_Jl^L_X X Jt .1. tL .1. x, X. X. 1. .1 Zur Geschichte des Bernsteins. Die Naturwissenschaft sagt im allgemeinen: der Bernstein ist ein Naturprodukt, und stammt von einer dem heißen Klima angehörenden, ausgestorbenen Koniferenart, die sehrharzreich war. Als Hauptfund-' ort wird das Gestade der Ostsee bezeichnet. — Diese Hypothese scheint im großen richtig zu sein, denn der Koniferenursprung wird sprachgeschichtlich und der Fundort kulturgeschichtlich bestätigt, nachdem ein solches unerschöpfliches Lager von Bernstein bis heute sonst noch nirgends aufgeschlossen wurde. — Immerhin muß es aber zweifelhaft erscheinen, ob die Phönizier, Philister, Semiten, Etrusker, Hellenen, Römer u. a. ihren Bernsteinbedarf ausschließlich von der Ostsee bezogen, da es ja bedeutende Bernsteinlager auch am Schwarzen Meere gab, wo bekanntlich die Phönizier viele Kolonien hatten. Desgleichen wurden auch um das Jahr 1843 am Dnjepr große Mengen von Bernstein gefunden, welche Entdeckung aber in der wissenschaftlichen wie Handelswelt nahezu unbeachtet blieb, obschon sich daraus neue Fragepunkte und andere Folgerungen ergeben haben müßten. Als weiterer Fundort war schon im Altertume Scythien bekannt. Ansonst wurde der Bernstein zahlreich auf dem Festlande, wie in Kurland, Livland, bei Lemberg, in Ligurien, bei Catania, in Spanien, am Libanon und sporadisch an anderen Orten gefunden. Die älteste Erwähnung des Bernsteins ist schon in der Genesis zu finden (I, 2, 12), denn das dort erwähnte »Bedolachharz« der semitischen Fassung ist mit dem Bernsteine identisch, da dies aus dem viel genaueren altsla-vischen Genesistexte, der hiefür den Begriff »jantraz« gebraucht, zu entnehmen ist. Zwischen den Funden an der Ostsee einerseits, und allen übrigen andererseits, macht sich aber ein auffallender Unterschied geltend. Bisher wurde nur an der Ostsee festgestellt,' daß bei der Baggerung des Bernsteins bereits bearbeitete Stücke in großer Zahl zum Vorschein kommen, wo anderes aber noch kein einziges. Dieses führt wohl zur berechtigten Annahme, als wären da einst große Werkstätten gestanden und mit aller fertigen wie vorbereiteten Ware einmal durch irgendeine Elementarkatastrophe zugrunde gegangen, ob schon auch da wieder die Vorstellung mangelt, wer sich eine solche Unmenge Bernstein »auf Lager« beschafft haben soll, daß der Vorrat nun schon durch Jahrtausende unerschöpft bleibt. Weit rätselhafter als dies ist aber noch die Frage, wie der Umstand natürlich erklärbar ist, daß die im Bernsteine eingeschlossenen Tierchen bis zum zartesten Teile natürlich erhalten sind, während die vom Harz unseres heutigen Nadelholzes umschlossenen Insekten stets verkrümmte Leiber, zusammengerollte Flügel, eingezcgene Füße u. drgl. aufweisen. Im Bernstein hingegen sieht man häufig Springkäfer und Zikaden im Fortschnellen, Mücken in der Paarung, dann Fliegen nachsetzende Spinnen u. ä., was man sich allerdings dahin zu erklären bemüht, es müsse einmal eine derart jähe Naturkatastrophe eingetreten sein, daß sowohl das Ausströmen wie Erhärten des Harzes einer geologisch noch unbekannten Konifere geradezu im Nu erfolgte, demnach die Tierchen ahnungslos überrascht wurden. Erscheint nun eine solche Naturmöglichkeit an sich unfaßbar, so schaltet doch das häufige Vorfinden vorbearbeiteterBern-s teinstücke eine Erklärung mit Naturereignissen vollends aus. Man holte vom Meeresgründe bereits eine Menge Stücke hervor, die der Länge nach durchbohrt w'aren, als ob sie auf eine Schnur gereiht -weiden sollten oder bereits einer solchen angehörten; andere ähneln scheibenförmigen Knöpfen, die an der Rückseite eine Art Öse aufweisen; man fand dreieckige wie ovale Stücke, teils glatt geschabt, teils poliert, teils mit punktierten Linien geziert; vereinzelt fischte man flache Ringe heraus, ja einmal sogar zwei menschliche Figürchen, die wohl als .Amulette dienen sollten (oder gedient hatten?), da sie wiederholt durchlocht sind. Dieses alles, sowie auch die Funde großer Mengen nur halbfertiger Artefakte, die oft erst aus dem allergröbsten ausgearbeitet sind, oft aber auch schon die begonnene Bohrungsarbeit erkennen lassen, zeigen unzweideutig, daß diese Arbeit nur ven Menschenhand, u. z. aus einer altersgrauen Zeit, herrühren könne, daher anzunehmen ist, daß die einstige große Bernsteinindustrie, die den Schmuck der Lebenden wue die Grabbeigaben der Toten eines großen Teiles der damais bekannten Welt geliefert haben soll, einmal einem katastrophalen Wassereinbruche zum Opfer gefallen sei. Ein tieferes Eingehen in die naturwissenschaftlichen Geheimnisse ist jedoch hier nicht beabsichtigt, so lange eine natürliche Erklärung für das Zustandekommen der so vielartigen Einschlüsse mangelt. Daß diese kaum künstlich bewerkstelligt wurden, muß schon deshalb ernst genommen werden, da solche immer wieder im jungfräulichen Boden gefunden weiden. Wie sie aber die Natur herstellte, bleibt jedoch weiter auch ein Rätsel, denn alle menschliche Vorstellungsgabe, versagt einstweilen, wie sich in der Natur jene Hitz und Kälteextreme zugleich ergeben könnten, um ein plötzlich flüssig gewordenes Harz im selben Augenblicke erstarren zu machen. Daß aber der Bernstein das Ausflußprodukt harzreicher Koniferen ist, bestätigt eine eigenartige Mythe mit ihren weiteren Ausdeutungen. — Bhaeton fiel, von Zeus Blitzen erschlagen, in den Fluß Eridanos, und seine drei Schwestern beweinten ihn hier so lange, bis sie selbst in Bäume verwandelt wurden. Die vor ihren Wimpern fallenden Tropfen werden zu Bernstein, der dann zur Erde falle, und in den Fluß Eridanos getragen werde. Jene drei Schwestern hießen Heliaden.1) Der slavische Sprachschatz vermag nun überzeugend dem Gedankengange des Mythographen felgen und dessen Vorlage erkennen. Im Slavischen heißt nämlich »jela« — die Tanne, »jeljad« — die Tannenarten, der T a n n w a 1 d, wie überhaupt die ganze Nadelholzflora. Die das Bernsteinharz »weinenden« Heliaden sind daher in der Wirklichkeit Koniferenbäume, u. z. höchstwahrscheinlich solche von Zedernart. — Aber Bhilemon (bei Flinius, I, 37) erzählt bereits: »der Bernstein ist ein Fossil, und werde in Scythienan zwei Stellen gegraben (also nicht gefischt!), weißlich und von der Farbe des Wachses, und braungelb an einer anderen Stelle«. — Desgleichen sagt der offenkundig weit ältere Bibeltext, als es die Heliaden-Mythe ist, daß der Bernstein im Lande H a-v i 1 a (slav. Jevilat), d. i. gleichfalls im alten Scythien, zu, finden sei. Für den Fluß »Eridanus« hielt man den Rhodänus, den Po sowie mehrere der in die Ostsee mündenden Flüsse; eine abschliessende Klärung ist aber bisher der Wissenschaft nicht gelungen, obschon sie sehr einfach ist. Der Fluß »Eridanus« ist der Jordan, der in den altslavischen Texten »Erdan« (spr. »Jerdan«) lautet, wie z. B. in der Golubinaja kniga »potomu Erdan rjeka rjekam mati«.-) Tatsächlich ist auf dem Libanon, der das obere Jordantal begleitet, viel Bernstein gefunden worden. Hecateus von Milet, der lange vor Herodot lebte, und dessen geographischen Werken letzterer viele 1 2 11 Apollonios v. Rhodos (geh. um 270 v. Chr.) in seinem Werke: »Argonautica« (IV, 605). 2) Auch die semitische Urform dieses Flußnamens ist »Jerden«. — Auf einer althellenischen Münze der Insel Chios steht auch die Aufschrift »Eridanos«. — Sonderbarerweise gewinnt man aber auf dieser Insel in Mengen das wohlriechende Harz aus der Mastix-Pistazie, und bildete dieses Harz im Altertum“ eine derartig reiche Einnahmsquelle für die Bewohner, daß man das Leben auf Chios als identisch mit Schwelgerei bezeichnete. — Ob da jedoch ein sprachlichnaturwissenschaftlicher Zusammenhang besteht, ist einstweilen nicht wahrnehmbar. — Daten entnommen, erzählt aber weiters, daß der Eridanus selbst bernsteinzeugend sei, was wohl dahin zu ergänzen ist, daß Atmosphärilien den Bernstein von den Libanon-Hängen in dessen Bett zuführten. Nach allem müßten einmal, als das tropische Klima den Raum vom Schwarzen Meere bis gegen die Ostsee zu beherrschte, dort große Nadelholzbestände eigener Art gewesen sein, die infolge der erhöhten Sonnenglut Harz in großer Menge absonderten, später aber, beim Eintritte kälterer Zeit — nach dem Gesetze der Präzessions-rhytmen der Erde —- eingingen. In die gleiche Lage kamen auch alle übrigen Fundorte. Der Bernstein war bekanntlich der verbreitetste und vermutlich wohl auch der älteste Edelstein im Gebräuche des Menschen, weil er sich auch am leichtesten bearbeiten und polieren läßt. Homer erzählt (Odys. 4, 73) bereits, daß die Saalwände des Atridenpalastes in Sparta zum Teile mit Bernstein ausgelegt waren. Den Nachrichten des Pytheas v. Massilia ist überdies zu entnehmen, daß man im Orient den Bernstein zur Beleuchtung und Feuerung verwende, was bisher als eine »grobe Erfindung« erklärt und mitunter gerade von jenen bekämpft wurde, die die Bezeichnung Bernstein als »Brennstein« sprachlich ausdeuteten. Es ist aber doch naheliegend, daß man beim Überflüsse dieses Minerales die minderen Qualitäten, dann die Abfälle zum Unterzünden oder Leuchten verwertete; das bessere diente als kostbares Räucherwerk in ältester Zeit im ganzen Oriente, und das beste und schönste wurde eben als Schmuck verarbeitet. Die älteste bekannte Bezeichnung des Bernsteins findet sich in der altslavischen Genesis vor, wo er »jantraz« genannt wird, und gebrauchen den Begriff »jantar« noch heute alle Slaven. Die Sprach-chemie dieses Begriffes kannten wir bisher nicht, aber durch das folgende geschichtliche Ereignis erhielt er eine nicht vorweg abzuleugnende Deutung. Als nämlich der deutsche Ritterorden im XII. Jahrhunderte die slavischen Ostseeprovinzen eroberte, nahm er den besiegten pommerschen Herzog auch das Bernsteinregal wreg. Zugleich-setzte man damals mit der Ausmärzung alles Slavischen mit Hochdruck ein. Der Bernstein selbst erhielt die Bezeichnung »Strandsegen«, welche Neubildung irgendjemand den neuen Herrschern zuliebe durch die wörtliche Übersetzung von »jantar«, der es in »jan« (= Ufer, Strand, Grenze) und »dar« (= Spende, Gabe) zerlegte, gebildet haben muß, analog wie bei jeder gewalttätigen Sprachaufdrän-gung die kuriosesten Wortbildungen die beifälligste Aufnahme finden. Die Hellenen bezeichneten den Bernstein als »elektron«, wobei anscheinend das slavische »jel«, d. gelb, ahd. »jeli«, d. i. das Gelbe (Mineral) das Grundwort bildete. Die Römer nannten es »succinum«, wobei wieder das slavische »sok« (= Saft, Baumsaft), »socen« (== saftig) als Wurzel angesehen werden darf, zumal dieser Wurzelbegriff im Lateinischen sonst unbekannt ist.3) Die Römer gebrauchten hiefür auch »electrum«, doch verstand man darunter zugleich eine Mischung von Gold und Silber. — Die Behauptung, man nannte den Bernstein deshalb »elektron«, weil er bei der Reibung Elektrizität erzeuge, ist daher unrichtig, denn zuerst war die Materie da, und an dieser erkannte man dann erst weitere Eigenschaften. — Die Germanen gebrauchten hiefür angeblich das latinisierte »glaesum«, das aber eine Anpassung an das slavische »glaz« (= Auge, das Durchsichtige) ist, woraus sich dann auch das deutsche »Glas« bildete«. Das deutsche Wort »Ambra« ist nur eine Verballhornung des »jantar«, das die Altslaven auch als »anfraz« schrieben, wie jedenfalls auch aussprachen. — Sonderbarerweise nennt aber die Edda den Bernsteinschmuck der Freya weder »glaesum« noch »ambra«, sondern »br.y-singamen« (= brusen kamen) d. i. geschliffener Stein. Diese Bezeichnung ist aber sehr natürlich, denn die Edda enthält nicht nur eine Unmenge verunstalteter Begriffe, für deren slavische Grundlage auch das darin aufgenommene altslavische Runenalphabet zeugt, sondern der Bernstein wird überhaupt erst zum Schmuck, wenn er poliert oder geschliffen ist, was man demnach schon in ältester Zeit verstanden haben muß. In ähnlicher Weise gibt die slavische Sprachwissenschaft über eine Stelle des Pytheas v. Massilia, die bisher als rätselhaft oder unverstanden galt, einen natürlichen Aufschluß. Dieser erzählt (bei Pli-nius, Hist. Nat. 37) über seine Reise auf einem »phönizischen« Schiffe zur Mündung eines großen Flusses (Weichsel), dort liege die Insel A b a 1 u s, an deren Ufer im Frühjahre durch Seestürme Bernstein geworfen werde. Dort sei auch die Insel »A u s t r a v i a«, die man auch Basilika und Raunonia nenne. — Alles dieses sind slavische Begriffe, denn A b a 1 u s ist wohl nur »obal« = Ufer, Küste; Austravia = »Ostrov«, d. i. Insel; B ä s i 1 e a ist die wörtliche Übersetzung von Krolewiec, der Zentrale des Bernsteingebietes, das man sodann auch ins Deutsche als Königsberg übertrug. Raunonia = Schurfgebiet, d. i. »rov, rovno« (= Graben, Aufgegrabenes), und dürfte sich dieses auf das Graben nach dem Bernstein in der sogenannten blauen Erde daselbst beziehen. — Bei allem handelt es sich aber immer nur um die Halbinsel Saarland mit der anschließenden Kurischen wie Frischen Nehrung, also um keine Inseln im strengen Sinne der wissenschaftlichen Fassung. — :l) Derselben. Bildung ist das lat. »buccina« (— Trompete), das das'slav. »bucati« (= schmettern) zur Grundlage hat. — Ebensogut kann »succinum« aus »suk« gebildet sein, d. i. die Stelle, wo ein Ast abgeschlagen ist, da dort auch das Harz vorwiegend zum Ausflusse kommt. Die kulturgeschichtliche Vergangenheit des Bernsteins bietet daher bis zur Lösung aller Rätsel noch ein weites Betätigungsfeld. Zweifellos sind wir aber bei den Bernstein weinenden »Heliaden« und den Harztropfen ausscheidenden »jeljad« hinter eine sprachliche Manipulation der alten Hellenen gekommen, die den Slaven dazu inspirieren muß, die eigenartigen Mythen mit der auffallenden Hinneigung zu organischen Metamorphosen doch eingehender zu überprüfen, umsomehr als schon Xenophanes (um 500 v. Chr.) die griechischen Götterfabeln, namentlich jene Hesiods und Hemers, als der reinen Vernunft widersprechend, ernstlich abgewiesen, ja selbst verspottet hat. Zum Alter des Kompasses. Die älteste verläßliche Kunde von der V erwendung der Magnetnadel zu Orientierungszwecken reicht bisher bis an das Ende des XL Jahrhundertes; der erste Gewährsmann ist der Norweger Are Fro-d e in seiner Schrift »Landnamabok«. Der proven<;alische Troubadour Hugues de B e r c y, auch Guyot de Pro v ins genannt, beschrieb um das Jahr 1190 in seinem satyrischen Gedichte »La Bible < eine aui Wasser schwimmende, als Kompaß benützte Magnetnadel bereits als eine altbekannte Tatsache. — Im Orient erwähnt der Maure Balak i. J. 1242 das erstemal die Wasserboussole Bei den Chinesen kann die Kenntnis und praktische Verwertung des Kompasses erst i. J. 1297 mit Bestimmtheit nachgewiesen werden. Nach Bertelli sollen aber die Schiffer von Amalfi schon im X. Jahrhunderte eine auf Wasser schwimmende Nadel, also eine primitive Art des Kompasses, angewendet haben. Im XIII. Jahrhunderte benützte man den Kompaß auch schon in den Bergwerken von Massa Marittima. Die Zeit der eigentlichen Erfindung wie die Erfinder selbst sind aber weiters völlig unbekannt. Die altslavischen Chroniken wissen aber da wesentlich mehr, denn sie erweitern die Kenntnis der Magnetnadelwirkung tief in das Altertum zurück. Der Verfasser der Schottenchronik weiß z. B. anläß-' lieh des Feldzuges Alexanders d. Gr. nach Indien und dessen Besuches der Insel Ceylon, die er »provanski ostrov« (= Insel Provan] nennt, zu erzählen, daß die dort einlangenden Schiffe eine eiserne Nade1 haben, — er nennt sie »matica« —, dieEisenansichzieht, und hiebei eine solche Kraft entwickelt, daß jedes vörüberziehende Schiff mit eisernen Nägeln von dieser Nadel angezogen und so lange fest gehalten wird, bis jene Nägel nicht durch hölzerne ersetzt werden.1} ’) Geschichtlich ist es sonst nicht bekannt, daß Alexander d. Gr. je Ceylon besuchte. Diese Quelle wie der Umstand, daß er doch den Hafen Patala in Vorderindien anlegte und selbst mit seiner Flotte den Indischen Ozean befuhr, erweitert aber wesentlich die geographische Ausdehnung seiner Kriegszüge. Der alte Chronist erzählt hier wohl alles Wunderliche, das er über jene Nadeleigenschaft gehört haben mag, ohne zu wissen, daß es sich nur darum handelt, daß die Magnetnadel irritiert wird, sobald sich in deren Nähe Eisen befindet, eine Kalamität, die bis heute nicht radikal behoben werden konnte, und sich — trotz aller Verbesserungsversuche — namentlich auf Kriegsschiffen — noch immer störend bemerkbar macht. — Doch schon die illyrischen Liburner wußten sich, wie Strabo (geb. um 63 v. Chr.) erzählt, darüber hinwegzuhelfen, indem sie statt der eisernen Nägel beim Schiffbaue bronzene ves-wen-deten. Spätere Kommentatoren, die vom Kompasse im Aitertume nichts wußten, legten diesen sonst unverständlichen Metallersatz für Eisen dahin aus, man wollte hiemjt lediglich das Anrosten der Nägel verhindern, ohne zu bedenken, daß sich ein Bronzenagel in das harte Schiffholz (Eiche) im gewöhnlichen Zustande gar nicht einschiagen läßt, und hiezu erst wieder nach Art der Stahlbronze gehärtet werden muß, was die alten Völker allerdings auch in hohem Maße verstanden, weil Pfeilspitzen dieser Art wiederholt in vorgeschichtlichen Gräbern gefunden wurden. Die altslavische Bezeichnung »matica« (= Mütterchen, Führerin) für die Magnetnadel ist in der nautischen Sprache der Slaven, namentlich der Russen, als »matka, matica« bis heute im Teilgebrauche, und wäre wieder dort einzuführen, wo sie etwa schon dem Fremdworte wich, um nicht ihre Originalität und ihren sprachlichen Ursprung in Vergessenheit geraten zu lassen. Nach allem muß demnach den seefahrenden »tndi« (den,Slaven an der Adria) der Kompaß längst bekannt gewesen sein, und berechtigt die auffallend zutreffende ^pracheigene Bezeichnung zur Annahme, daß sie selbst die Erfinder dieses für die Schiffahrt größeren Stiles unentbehrlichen Behelfes waren. Ob wir bei der Weiterforschung nicht auf noch bestimmtere Belege stoßen, wissen wir dermalen nicht; zum mindesten ist die Tatsache nicht mehr abzuweisen, daß man schon im hohen Aitertume die Magnetnadel kannte und auf Schiften verwendete. Bei alledem ist es auch erwähnenswert, was derselbe Chronist über »Selan«, wie Ceylon im Aitertume noch bis CI. Ptolomäur hieß, also: Ansiedlung, Kolonie, ansonst weiß. Es herrsche dort ein »indischer« Car, dem alle sonstigen einheimischen Care jenes Gebietes als Feldherrn (»stratici«) untertänig sind. Hiezu gehören überdies gegen tausend weitere Inseln. Auf der Insel reift fortgesetzt frisches Obst. Arme gibt es auf der Insel keine; es gibt dort nur Besitzende. Die Insel hat fünf große, schiffbare Flüsse. Ausgetührt werden Gold, Edelsteine, Perlen (»zemcjug«), Früchte, Reis, Schafe u. a. m. Die spätere Inselbenennung »Taprobane« haben die Griechen als »tö Prövannesos« (»die Insel Provan«) von den »Indi« übernommen. Alles macht daher den Eindruck, als wäre jenes »Selan« eine Kolo-n i e der seefahrenden »Indi« gewesen, daher sich im Abendlande auch die vielen märchenhaften Erzählungen gerade über diese Insei gebildet haben mochten. Der Bergbau und die Metallbearbeitung der Altslaven. Viele ältere, vor allem deutsche Schriftsteller bezeichnen offen die Slaven als die ältesten Bergleute Europas, und kann diese Tatsache schon deshalb nicht abgeleugnet werden, weil dies auch die Etymologie der montantechnischen Begriffe bestätigt. So sagt z. B. Henze (Geschichte des Fränkischen Kreises, p. 96): »Frühzeitig legten sich die Slaven auf den Bergbau. Die ergiebigen ungarischen Bergwerke wurden von ihnen erfunden, die böhmischen erhoben sich jedenfalls sehr bald, und unsere voralters in ausnehmender Blüte gestandenen Bergwerke stammen wahrscheinlich von ihnen her. Weil die Slaven die ersten waren, welche sich mit dem Bergbau vorzüglich beschäftigten, sind noch so viele slavische Wörter Im Bergbau gebräuchlich, als: Flötz, Kuks, Kies, Kipricht, Schacht, Schwaden, Kobalt, Schicht, Seifen, Spat, Stollen, Meiter usw.« — Herder (Ideen, T. IV., 1792, p. 37) sagt: »In Deutschland betrieben die Slaven den Bergbau, verstanden das Schmelzen und Gießen der Metalle.« — Adelung (Vorw. zu Thams böhm. Lex., Prag 1788, p. 5) schreibt: »Wir finden den Bergbau, die Handlung und manche mechanische Arbeiten bei den Slaven sehr frühe im Gange und zwar früher als in dem mittleren und nördlichen Deutschland, welches sich nicht schämen darf, manches in diesem Stücke von äen Böhmen erlernt zu haben. In dem südlichen Deutschland ist der Bergbau unstreitig ein Überbleibsel der römischen Kultur; allein in dem mittleren und nördlichen ist er allem Ansehen nach ein Abkömmling der slavischen.« — Isis (1882, Heft 5, p. 1) führt an: »Die Slaven taten sich sehr frühzeitig im Berg- und Hüttenwesen hervor.« — Einen ergänzenden Beleg, ob die montantechnischen Begritfe, wie sie vorerst angeführt wurden, tatsächlich slavischen Ursprungs sind, bietet schon der Umstand, daß der Slave hiefür immer den weit kürzeren, daher offenkundig primäreren Ausdruck besitzt, als etwa der Römer oder Deutsche, dessen Wortformen bei der Übernahme oder auf dem Wege der Anpassung durchwegs länger geworden sind, und meist durch den ungewöhnlichen Klang das Kennzeichen der fremden Herkunft an sich tragen. Henze erklärt zwar jene Begriffe etymologisch nicht, daher sie nachstehend in ihrer tatsächlich slavi-schen Form kurz dargelegt werden sollen. — »Flötz« bedeutet das Liegende, also »ploca« (=' das Wagrechte); »Kuks« heißt ein Teil des Bergwerkes; noch Fulda setzt in seiner »Idiotikonsammlung« (1788) zu: böhmisch; es stammt von »kus« (=Teil, Teilstück); »Schicht« das H ä n g e n d e, d. i, > sik«; »Kipricht« — das lockere Material; cechisch »kypry« (= locker); »Schwaden«, d. i. »caö« (= Stickluft, verdorbene Luft); bei Plinius (Hist, naturalis I, 34) ais »cadmium:<; »Seifen, Geschiebe«, d. i. »sip« (= das Zerkleinerte); »Schacht«, wahrscheinlich aus »sak« (= Vertiefung, Netzsack) gebildet, »Stoßen« (— das wagrecht Gehende), aus »zdola« = Aushöhlung (in wagrechter Richtung); »Meiter« = Erzwerier, von »metati« = werfen, »metar« ~ Werfer usw. — Auffallend ist es auch, daß sich die slavische Bezeichnung für das Zinn (»kositar«) schon im Namen der Zinninseln, wo sich die Phönizier ihren Zinnbedarf holten, vorfindet. Diese, der bretagnischen Küste vorgelagert, lauteten schon im Altertume »Cassiterides insulae«, und gebraucht bereits Homer »kassiteron« für das Helmmetall, wozu sich Zinn tatsächlich besonders eignet. Die reichen Funde an Gold-, Bronze- und Eisenerzgegenständen aus der prähistorischen Zeit bestätigen aber auch, daß nicht nur der Eergbau an sich einst bedeutend gewesen sein muß, sondern daß' ar metallurgischen Kenntnisse, die Metallmischungen (Bronze, eiectrum), die Zubereitung der Rohstoffe, die technische Gewandheit Und Vielseitigkeit in den Mustern, die hochstehende Modellierkunst (z. B. die »kurgan«-Funde, der Nordendorfer Schmuck, der Strettweger Opferwagen, der »Attila-Schatz« u. ä.) auf einer außerordentlich hohen Stufe standen. Verfolgt man weiter den Weg, den ein Stück Bronze macht, ehe es dazu wurde oder bis daraus eine Statuette wird; kennt man die ungemein schwere Gewinnung des Berggcldes, so muß man doch die Vorkenntnisse bewundern, welche die »ersten« Menschen hatten, denn das Berggold wird schon bei der Schilderung des Paradieses erwähnt; verfolgt man alle Vorgänge, die vorausgehen müssen, um ein Stück Eisen, das in der Natur —■ ausgenommen Meteoreisen — absolut nicht zu finden ist, zu erhalten, so wird man über die einstige Kultur, die der Römerzeit vcranging, und in deren schaffendem Zentrum zweifellos die Slaven standen, die bisherigen Meinungen über deren Kulturvergangenheit vom Grunde aus ändern müssen. — Die Annahme, als ob die alten Bewohner Europas — ausgenommen die Hellenen und Römer — nie eine rechtschaffene bodenständige Kultur besessen hätten, muß sachlich als eine Ungerechtigkeit und als ein gedanken- loses Bezweifeln hingestellt werden, was nur deshalb je ernste Formen annehmen konnte, weil sich die slavische Wissenschaft dazu stets vollkommen teilnahmslos oder gar kopfnickend verhielt. Wir wollen nachstehend zum Beweise, daß jene Bergtechniker und metallurgischen Künstler des grauen Altertums Siaven waren, zwei Umstände näher besprechen. Einen hervorragenden Beweis bietet hiefür der altslavische Begriff »kalup« (cech. »kadlub«), d. i. Gußform, Gußmodell, Gußtieg e 1. Die Römer bezeichneten aber mit »chalybs« den Stahl, und analog die Hellenen mit »chalyps«. Man ersieht daraus, daß die beiden Sprachen nur jenes Eisen so benennen, das in Gußformen gehärtetwird. Nun besitzen aber die Siaven nicht allein den erweiterten Originalbegriff »kalup« noch heute, sondern auch noch den W'urzelbegriff »kal« (= Härtung) und »kaliti« (= härten, stählen) in der organisch entwickelten Bedeutung. Die einfachere Form eines Begriffes ist aber grundsätzlich die ursprünglichere und darum die ältere; weder die griechische noch die lateinische Sprache können aber überhaupt die Form »kal« in dieser Bedeutung. Bei diesen Begriffen tritt überdies eine sehr beachtenswerte Kulturwandlung und natürliche Anpassung an den Tag. Die Griechen kennen nämlich in der ältesten, literarisch belegten Zeit, also bei Homer, den Begriff »halkös«, dem zweifellos die Wurzel »kal« zugrunde lieg);, nur erst für Erz, Bronze, Kupfer, wofür aber der Altslave schon die Ausdrücke »ruda, bron, med, bakr« besaß. In der nachhomerischen Zeit bezeichnete man aber mit »haikos« auch Eisen, namentlich Waffen, die sonach ein gestähltes Eisen voraussetzen. Die Begriffsarmut der Hellenen wie Römer, die sonach für: Erz, Kupier, Bronze, Eisen, Stahl, Kupfergeld nur ein bis zwei Begriffe besaßen (lateinisch auch »aes«), deutet recht überzeugend dahin, daß sich die ganze metallurgische Technik nicht bei ihnen selbst entwickelt haben konnte; ja, sie merkten gar nicht, wie langsam die Bronzewaffen in jene aus Eisen und Stahl übergingen, nachdem sie den geänderten Verhältnissen ihre Begriffe gar nicht anpaßten; der Erzeuger hingegen fühlte sehr gut die Änderung und den Wechsel, daher er auch fallweise neue Benennungen schuf. Die Reimer und Hellenen fühlten vielleicht auch nicht weiter die Material-und Mischungsänderungen, denn man erzeugte in einer gewissen Zeit, wie aus dem folgenden Funde hervorgeht, auch eine Art Stahl-b r o n z e, die sich im Kampfwerte vom Stahle selbst nicht wesentlich abhob. Eine vermutlich mehrere tausend Jahre alte, im Gräberfeide zu Watsch (Krain) gefundene Schußverletzung zeigt nämlich die einstige geniale Erfindungsgabe in der Konstruktion wirksamer und gefähr- ücher Waffen. Dort wurde ein Oberschenkelknochen ausgegraben, in welchem auf 2,5 cm eine dreikantige, mit grüner Patina bedeckte Brcnzepfeilspitze eingekeilt war. Das Projektil, rückwärts mit einer runden Öse, anscheinend zum Hineinstecken des Pfeilschaftes versehen, durchschlug glatt die Knochenrinde und ragt in die Markhöhle hinein. Das glatte, nicht splitternde Durchschneiden des Knochens zeigt einer-seits vcn der großen Durchschlagskraft und der enormen Anfangsgeschwindigkeit, andererseits aber auch von einer der modernen Präzisionsarbeit ebenbürtigen Ausführung, denn die Spitze ist haarscharf und trotzdem nirgends deformiert oder schartig, weil das Geschoß schon nach Art unserer Stahlbronze gehärtet war. Es ist auch überflüssig weiter zu erörtern, daß der Reichtum wie die Armut an Fachausdrücken auf einem bestimmten Gebiete immer ein Regulator dafür ist, inwieweit sich die Träger der betreffenden Sprache an der Entwicklung der realen Entstehungsnotwendigkeit vch solchen beteiligt haben. Diejenigen Gewerbetreibenden, die sich mit der Eisen- und Stahlerzeugung befaßten, benannten demgemäß auch schon die alten Völker als »kalubi« (in den verschiedensten Schreibweisen). -— Da schreibt vor allen Aristoteles, der sonst so gelehrte Mann, in einer etwas naiven Weise über die Eisengewinnung: »Es heißt, daß das chal abische und mysische Eisen eine ganz besondere Zubereitung habe, und daß es aus dem Sande' der Flüsse zusammengetragen werde. Nach Einigen wird es einfach gewaschen, im Ofen ausgekocht, riach Anderen wird der nach oftmaligem Waschen zurückgebliebene Satz hineingeworfen und zugleich im Feuer gereinigt, mit Hinzugabe des Steines pyrimachus (= Schwefelkies), der bei ihnen in großer Menge vorhanden ist. Diese Gattung Eisen ist viel glänzender als andere Gattungen, und wenn es nicht nur in einem Feuer und in einem Ofen gereinigt wird, so wird es dem Silber ähnlich.« Bei Kallimachos (nach Catullus) ist zu lesen1): »Jupiter, daß das ganze cholubische Geschlecht zugrunde gehe, Und wer zuerst darauf beharrte unter der Erde Erzadern zu suchen, und brach die Härte des Eisens«. . Apollonius Rhodius erwähnt in seinem »Argonautic'on« mehrmals der Chal üben; so an einer Stelle: »Die Chaluben, die allerärmsten Menschen, besitzen hinter jenen (den Amazonen) ein hartes und unfruchtbares Land; sie sind Arbeiter, die sich mit der Eisenerzeugung beschäftigen«. An anderer Stelle: >) Der Verfasser hatte keine Gelegenheit alle Originalstellen zu überprüfen; mögen dies jene tun, die derlei Werke näher zur Hand haben. »Am andern i age und der folgenden Nacht kamen sie in das Land der C h a 1 u b e n. Diese ackern weder mit Ochsen noch erzeugen sie irgendein anderes süßes Obst; auch weiden sie kein Vieh auf den tauigen Feldern, sondern sie graben die Eisen erzeugende harte Erde, und tauschen Lebensmittel für dieses Eisen ein. ihnen rötet sich der Morgen nicht ohne Arbeit, sondern sie vollbringen ihre schwere Arbeit inmitten des schwarzen Russes und Rauches«. Während nun Apollomus Rhodus an einer Stelle sagt, daß die Chaluben die Küste (Kleinasiens) bewohnten, verlegt sie Scymnus Chius in das kleinasiatische Binnenland, denn er sagt: »Aber die übrigen Provinzen werden von verschiedenen barbarischen Völkern bewohnt, und zwar besitzen die Kilikier, Ly-kier, Makaren und Mariandenen die Küstenstrecken; so auch die Paphlagonen samt den Pamphyliern; im inneren Lande sind die Chaluben und die benachbarten Kappadokier«. Dieser Gegensatz besagt aber eher, daß die Eisenerzeugung an verschiedenen Stätten vorgenommen wurde; tatsächlich besitzt Kleinasien mehrere ergiebige, nur zum Teile abgebaute Eisenerzlager sowohl im Binnenlande wie an der Küste des Schwarzen Meeres z, B. bei Unie im Vilajet Trapezunt). Dionisics erzählt: »Nach diesen (Tibarenen) bewohnen auch die Chaluben ein hartes und unfruchtbares Land. Sie sind arbeitsam und verstehen nie Bearbeitung des Eisens; sie stehen fortwährend bei dem dumpt^ honenden Ambosse und .hören nie auf zu arbeiten inmitten ihres schweren Elendes«. In gleict e n Sinne -chrieben auch Pomponius Mela, Scylax Cary-andensis, Virgilius Maro, Valerius Flaccus, Ammianus Marcellinus, Rufus Avienusi Julius Pollux, Suidas sowie der unbekannte Schilderer des Schwarzen Meeres, cbschon sie weiter nichts Neues bringen, sondern die Daten einer vom änderen übernehmen. Die älteste aller dieser Quellen dürfte aber Hemer sein, denn er erwähnt im 2. Gesänge, 857 Vers, die Stadt »Alybe«, die im Originale wohl »Chalub, Kalup« gelautet haben mag. da sie Ptolemäus Claudius auch so bezeichnet. Dcrt soll auch (nach Strabo) viel Silber gegraben worden sein. Erwähnenswert ist weiter die Stelle in »Alcestis« des Euri-pides: »Und das Eisen, das bei den Chalyben geschmiedet wird, zähmet deine Kraft«, sowie jene Xencphons, die besagt, daß sich der größte Teil dieses Volkes mit dem Eisengraben beschäftigt. Aus allem geht also untrüglich hervor, daß die Chaluben allgemein schon lange in der vorchristlichen Zeit als Eisenerzeuger, Eisengießer bekannt wraren, d. i. als ein Volk, das sich seiner Hauptbeschäftigung nach mit der Eisen- und Stahlerzeugung befaßte, und demnach auch die »Kalubi«, d. i. Stahlgießer benannt wurden. Die Zweifel über die wirklichen Wohnsitze dieses Industrievolkes, das Xenophon in der Anabasis als das stärkste, tapferste und dabei bestbewaffnetste aller Völkerschaften hinstellt, bei denen die Zehntausend (Griechen) durchzogen, beheben Plinius der Ältere und Aeschvlos (»Prometeos«). Ersterer erzählt, daß auf hunderttausend Schritte vcn Pharnacea das freie Trapezus von einem gewaltigen Gebirge umschlossen wird. Hinter diesem ist die armenisch-chalubische Nation von Großarmenien auf 30.000* entfernt«; der zweite: »Links aber wohnen die eisenschmiedenden Chaluben, vor denen du dich hüten mußt, denn sie sind unsanft und den Fremdlingen unzugänglich«. — Daß aber diese Eisenindustrie die Slaven innehatten, geht aus Gregor Abul-Pharajius Dynastien-Verzeichnisse vor, denn dort werden die Chaluben und Slaven als eine Nation bezeichnet. Er erzählt: »Den Emir der Insel Cardoa überfielen die Römer und Slaven. Die Römer wurden bei Caesarea geschlagen. Die Slaven schlossen mit den Arabern Frieden, und zogen mit ihnen nach Syrien, ungefähr 7000, denen die Araber in Antiochien und auf der Insel Cyprus einen Wohnsitz anwiesen«. — Anna Ccmnena wiederholt dies, indem sie schreibt, daß »die Slaven von jenem berühmten Cimiska gefangen aus Asien herüber gebracht wurden, denn er zwang sie aus ihren früheren Wohnsitzen der Chalyben und ihren armenischen Sitzen nach Thrazien zu gehen«. Die hellenischen wie arabischen Schriftsteller wissen demnach nicht so ganz ohne Grund so viel über die »kalubi«, weil dies wohl auch ihre Waffenlieferanten waren. Noch handgreiflicher und sprechender ist der zweite, aus der klassischen Mythologie geholte Beweis. Die auf dem gleichen Gebiete in Kleinasien wohnenden Chetiter sollen einen Gott, den die Römer als »Doliche, Dolicenus, Doliche-nus, Dolichaeus« bezeichneten, verehrt haben. Die Wissenschaft hat sich aber mit dieser Gottheit bisher keinen Rat gewußt. Man glaubt, daß die Verehrung dieses Gottes im II. oder III. nachchristlichen Jahrhunderte durch syrische Soldaten, Händler oder Sklaven ins römische Reich übertragen wurde, daher die Gottheit auch im Panzer eines römischen Kriegers, jedoch mit der asiatischen Hose bekleidet, dann mit Schwert, Doppelaxt und Blitzbündel ausgestattet, dargestellt wird. Die beigegebenen Figuren der Tafel I, von denen Fig. 1 einer bei Frankfurt a. M. ausgegrabenen bronzenen Votivtafei, Fig. 2 und 3 Statuetten im Wiener Hofmuseum entstammen, zeigen alle eine Art vollbärtiger Gnomengest alt, wie man solche noch heute allgemein in unseren Märchenbüchern als Hüter von unterirdischen Naturschätzen darstellt. Im allgemeinen glaubte man aber bisher, daß es sich hier, schon mit Rücksicht auf die Attribute, um einen Gewittergott handle. Der Name »Doliche, Dolicenus« u. ä. ist sprachlich bisher gleichfalls ungeklärt geblieben, obschon man aus den verschiedenen Funden immerhin Näheres hätte erfahren können. Es wurden nämlich wiederholt und an verschiedensten Orten, namentlich in Bergwerkgebieten, Römersteine mit der Inschrift: »Jovi Optimo Maximo Do-liceno« (oder »Dolicheno«) und dem ständigen Beisatze » u b i f e r-rumnascitur« (= wo das Eisen wächst) gefunden. Aus diesem immer sich wiederholenden Beisatze müssen wir aber ersehen, daß es sich hier eigentlich nur um eine Allegorie oder Personifikation des Bergbaues, oder dessen Schutzgott handeln kann, und deuten seine Attribute, wie: der schwere Hammer auf das Gewalt erfordernde Abschlagen des Erzes, und der Blitz auf die Lockerung des Liegenden, deutlich dahin. Es handelt sich sonach hier um die Ehrung jenes Wesens, das die Metallschätze der Erde bewacht, und das man sich gnädig erhalten will, damit die Erzadern nicht aufhöreri. Namentlich ergänzt diese Auslegung der notorisch slavische Name selbst, denn »duliti« heißt im Slovenischen noch heute Stollen bauen, etwas Röhrelnf örmiges herstelle n; »doli« bezeichnet bei den Slaven, namentlich Cechen: Bergwerk, Erzlager; »dolic« = Bergmann, Knappe, auch Bergwerksbesitzer, Die bezügliche »Gottheit« hieß demnach einmal »dolic«, erhielt in anderen Sprachen die Formen »doli-chenus, dolichios« und nahm die Bedeutung von: Bergbaubesitzer, Erzspender an. So weicht nach Heranziehung des slavischen Sprachschatzes ein mythologisches Rätsel nach dem anderen der nüchternen, genetisch natürlichen Lösung. <'iiin________________________ itiim -________________________immi iifitii 7777^^r» ?777^\Tn--------/r/yW" Beitrag zur altslavischen Münzkunde. Das Gebiet des altslavischen Münzwesens liegt wissenschaftlich noch völlig brach da, denn bis vor kurzem wußte noch niemand etwas darüber, daß es eine beträchtliche Zahl altslavischer Münzen gebe, nachdem diejenigen, die den Schein von solchen boten, gleich als Falsifikate erklärt, diejenigen aber, die man als echt erkannt hat, nicht als slavisch agnosziert wurden. Viele hievon hat man nebstbei von allem Anfänge an falsch gelesen oder interpretiert, und konnten, wenn man sie auch richtig gedeutet hätte, schon deshalb nicht als altslavisch angesehen werden, wenn auch alles dafür sprach, weil dies bei den gangbaren geschichtlichen Voraussetzungen, namentlich der Völkerwanderungshypothese, die Überzeugung nicht aufkommen ließ. Überdies half man sich ohne viele Skrupel darüber hinweg, daß man Münzen, die sich in gar keine sprachliche oder ethnographische Gruppe einfügen ließen, als »barbarische« bezeichnete, ohne des krassen Widerspruches dabei gewahr zu werden, denn man sagt doch immer: die alten Slaven waren »Barbaren«; Barbaren hatten aber »natürlich« keine Münzen! — Hier ist sonach etwas unbedingt unlogisch: entweder die Prämisse oder die Folgerung. — Die in der Schule anerzogene allgemeine Voreingenommenheit, als hätten die Slaven in der weltgeschichtlichen Betätigung nie einen nennenswerten Kultureinfluß geübt, brachte es in natürlicher Folge mit sich, daß man daher auch bei diesen, immer von neuem auftauchenden Kulturbelegen die Slaven, als dabei gar nicht in Betracht kommend, gleich außer Kalkulation ließ. Nebstbei konnte man einen reellen Beweis auch deshalb schwer erbringen, weil man den Text der Münzaufschriften gewöhnlich nicht verstand, ihn zumeist schon fehlerhaft las, oder aber überhaupt nicht lesen konnte, daher auch die Etymologie nicht helfend oder aufklärend einzugreifen imstande war. Die betrübende Tatsache aber, daß es eine Unmenge altslavischer Münzen gibt, die man alle nur deshalb nicht kennt, wenn sie auch beschrieben sind, weil man eben nichts Slavisches liest, läßt sich gleichfalls nicht sbieugnen. Alles hängt gedankenlos und blind an dem einmal gehören Märchen von der altslavischen Kulturlosigkeit; die Stimme des Wahrheitsrufers findet kein Gehör, und die Wissenschaft irrt weiter planlos herum. Der Verfasser beschäftigte sich selbst zwar nie eingehender mit der Numismatik als Spezialwissenschaft, stieß aber bei der Pflege der verschiedensten Wissensgebiete immer wieder auf Münzen ait-slavischer Provenienz mit lateinischen, »cyrillischen« wie Runenaufschriften. Das Material für eine eigene »Altslavische Münzkunde« kann daher durchaus nicht so arm und belanglos sein, wenn man schon, nur so im Vorübergehen, derart zahlreiche und über allen Zweifel echte, konkrete Beweise so leicht findet. Freilich ist jetzt seit man der Lesemöglichkeil der alten Schriften so nahe gekommen, die elementaren Hindernisse daher aus dem Wege geräumt sind, auch die B eststellung und Deutung eine unvergleichlich sicherere geworden. Nachstehend sollen einige solcher Münzen jeder Schriftart kur; besprochen werden; erschöpfender müßte dieses Gebiet in einem eigenen Werke behandelt werden. t * Die „en cekin“-Münzen. Zu den ältesten slavischen Münzen, die man mit voller Berechtigung weit in die vorchristliche Zeit einreihen kann, gehören jene mit der Aufschrift »en cekin«, d. i. ein Dukaten, ein Geschlagenes (Goldstück). Der erste amtlich bekannte Fund von Münzen dieser Art stammt v. J. 17% aus Bia, im ungarischen Komitate Feher; derselbe bestand aus 600 römischen Denaren und 80 »barbarischen« Münzen. Letztere sind offenkundig die älteren und dürfte die ganze Sammlung etwa um das Jahr 50 n. Chi. vergraben worden sein, da die jüngste der römischen Münzen, die übrigens nur in einem Exemplare vorhanden war, sich als jene des Caligula (37—41) erwies. Die Münze »en cekin« beschrieb zuerst C. Michael ä Wiczai i, J. 1814, wie er sie im Museum »Hedervari« in Budapest gesehen. Er selbst bezeichnete sie als »barbarische«, da ihm die Lesung der Aufschrift, bei aller Mühe, nicht gelingen wollte. — Im Jahre 1838 versuchte Franz Bcczek in der Zeitschrift »Moravia« (Brünn) eine neue Lösung derselben und kam zu dem Resultate, daß dies »sla-vische Goldmünzen, wahrscheinlich aus der Zeit des großmährischen Reiches« seien. Er entdeckte in der Schrift das Wort »pegnaze« (cech. und poln. = Geld) und nahm an, nachdem die Münzen der mazedonischen gleichen, daß sie durch Cyrill und Method nach Mähren gekommen seien, oder von diesen hier nach jenem Muster weitergeprägt wurden, sowie daß die griechischen Buchstaben darauf einen slavischen Text darstellen. Boczek vereinigte nun beide Schriftteile und erhielt daraus »pegnaze«, wozu er allerdings eine Reparatur vorausgehen ließ, indem er den Anlaut j_ um 90°. nach rechts umlegte und so das erwünschte j~j erhielt. — R. Forrer (Jahrbuch der Gesell, für lothringische Geschichte usw., 1902) glaubt hingegen, es sei dies ein bedeutungsloses Monogramm, Wieder andere schrieben die Schrift dem rätorömischen Geschlechte Caecina zu, und sei auf der Münze der Name ihres Oherhauptes »Ciecinnos, Ciecinus« eingeprägt. Anderseits stellten jedoch Cohen und Babylon fest, daß es bis Ende des i. Jahrh. kein so vornehmes, für das rörpische Münzwesen uiaiigr h'. ndes Geschlecht »Caecina« gegeben habe, sondern es sei eher »Caecilia« zu lesen, aus welchem Geschlechte ein römischer Münzmeister, namens Aulus Caecillus (um 189 v. Chr.) existir:! habe usw , — durchwegs bestgemeinte Vermutungen, die phonetisch der Sache auch nahe kamen, aber der tatsächlichen Aufschrift widersprechen, denn die rätselhafte Inschrift ist kurz gesagt s 1 a-v i s c h; sie lautet »en cekin«, und ist bei Fig. 1 a) etwa als »en sekinj«, bei Fig I v], c ls »en cekn«. bei Fig. 1 c) »en cekin« zu lesen. Fig. la) Fig. lb) Fig. lc) Der Begriff »cekin« wird bei den Südslaven für die Bezeichnung einer Goldmünze allgemein gebraucht; ebenso nennt sie der Italiener »zechino«, sowie auch der Deutsche früher häufig mit »Zechinen« rechnete.1) Auf diese Art ist auch der langjährige widerliche Streit betreffs der 18 »en cekin«-Münzen des Böhmischen Nationalmuseums, die W. Hanka gefälscht haben soll, gegenstandslos geworden, denn solche Münzen waren schon bekannt, als Hanka erst 5 Jahre alt war; will man aber gerade diese Münzen durchaus als gefälscht wissen, so läßt sich dabei doch die Tatsache nicht ableugnen, daß wenigstens die Vorlagen echt waren, und das ist hier die Hauptsache. „Ota“ - Münzen. Die Museen besitzen etliche Goldmünzen mit der Inschrift »ota« in Runen. Ihrem Wappenschilde nach stammen sie zweifellos aus Rußland. (S. Fig. 2 und 3.) ') Daß es aber Münzen dieser Art nur in Gold gab, widerlegt ein Fund von derlei silbernen und messingenen Münzen, der im XVIII. Jahrhunderte auf einer Sandbank der Insel Jersey (England) gemacht wurde. Man bezeichnete diese als »Krisna«-Münzen, weil man dieses Wort in der Aufschrift erkannt haben will. Das Museum in Mainz verwahrt aber auch eine solche Münze aus Kupfer mit der lateinischen Inschrift »Pupe ced ota f populec«, d. i. »Der Priester,, der Herden Vater«. (S. Fig. 4.) Ob »populec« den Namen oder die Funktion des Prägeherrn bietet, ist nicht klar, es scheint aber, daß ein hoher slavischer Kirchenfürst der Prägeherr dieser Münze, die als Brosche verarbeitet in einem uralten Grabe gefunden wurde, war. —'.»Ota«, wie auch »ot, oce, otec, otuz« bedeutet: Vater, Beschützer, Retter (slav. »oteti« = retten, beschützen). Das Goldbrakteat von „Veliki Novgorod“. Th. v. Wolanski veröffentlichte i. J. 1847 in der zweiten Sammlung seiner »Briefe über slavische Altertümer« das in Fig. 5 ersichtliche Goldbrakteat mit der »cyrillischen« Aufschrift »veliki novgorod«. Es geschah dies auf die Polemik mit einem Professor, der sich offen dahin aussprach, »es sei ein Unsinn an die Existenz altrussischer Münzen zu denken, da den alten Russen noch Stücke von Marderfellen als Zahlmiitel dienten«, ein Märchen, das sich aus der falschen Auslegung und Lesung des Begriffes -kouna« (»kovna« — das Geschlagene) und »kuna« (= Marder) herausbildete. Fig. 5. Es fällt hier besonders auf, wie einzelne Laute förmlich mit Absicht über das ganze Münzbild verstreut sind, und wenn die Lesung in diesem Falle auch sehr leicht ist, so bietet dieses Beispiel doch einen Hinweis, wie man in ähnlichen Fällen, wo der Text kein so bekanntes Thema birgt, die Laute zu gruppieren hat, um zu richtigen Resultaten zu gelangen. Das Alter der Münze ist schwer in eine bestimmte Zeitgrenze einzureihen, denn Veliki Novgorod existierte, nach Nestor, schon lange vor dem J. 860 als Fürstentum. Die Münze muß daher weit älter sein, nachdem i. J. 863 bereits Rjurik Herr von Veliki Novgorod war, und selbst Münzen prägte, die aber dessen Namen in Runenschrift und ein wesentlich anderes Wappenbild aufweisen. Die „oborknez“ - Münzen. Das Nationalmuseum in Budapest besitzt eine Goldmünze (Fig. 6), die man bisher als eine hybride, d. h, von »Barbaren« nach einer Münze des Kaisers Constantius Chlorus (f 306) nachgebildete ansieht. Der Numismatiker Cohen liest den Text der Aversseite als »Constantius nob. caes.«, jenen der Reversseite als »Jovi conservatori aug.«; andere bringen wieder wesentlich hievon abweichende Leseresultate heraus. Nun befindet sich auf der Münze überhaupt kein lateinischer Text, und hat dieselbe auch mit Constantius Chlorus nichts gemein. Auf der Aversseite steht nämlich links »constans«, rechts »ovorcnes«, d. i. »oborknez«. Der Prägeherr wäre sonach der byzantinische Kaiser Constans, der jüngste Sohn Konstantins d G. (f 337). der nach des Vaters Tode bei der Teilung des Reiches die Herrschaft über die ganze Balkanhalbinsel (ausgenommen Thracien) zugewiesen erhielt, demnach tatsächlich ein »oborknez« war. Es ist nämlich geschichtlich bekannt, daß sich die Balkanvölker in besonders bedrängten Zeiten zu einem Bundesstaate zusammenschlossen und unter ihren »knezi, knjazi« einen Bundesfürsten oder Oberfeldherrn wählten, der sodann den Titel »obrknez, oborknez« führte. Als solcher galt nun bei den vielen unter Constans (f 350) vereinigten Balkanvölkern der Herrscher selbst. — »Obr« ist die altslavische Bezeichnung für: der Riese, der Große, ist demnach in keinem Falle als ein Germanismus anzusehen. — Die Schrift auf der Rückseite ist noch nicht entziffert; jener Text, den man daraus liest, steht aber nach allem dort sicherlich nicht. Dem Constantius Chlorus schrieben die Numismatiker die Münze suggestiv deshalb zu, weil die Figur auf den von ihm stammenden xMünzen dieser ähnlich sei; die Rückseite sei etwa auch jener Münze ähnlich, nur trage die Jupitärfigur hier keine verkleinerte Viktoria, sondern ein Füllhorn, womit man aber eigentlich sagt, unsere Münze haben die »Barbaren« in ihrer münztechnischen Unbeholfenheit wohl nach jener des Constantius Chlorus geprägt, aber mit anderen Figuren und Aufschriften, d. h. es ist eben eine Münze durchwegs eigener Komposition. — Es liegt daher gar kein Grund vor hier etwas anderes zu lesen oder zu vermuten, als was da lesbar geschrieben steht und zugleich auch geschichtlich begründet ist. Gegen die Niederlassung der Slaven in der Zeit der vermeintlichen Völkerwanderung auf dem Balkan spricht demnach auch diese Münze, abgesehen davon, daß hiefür noch ältere Münzen sowie Beweise anderer Art überzeugend sprechen. Zur Streitfrage über die »Attila-Münzen«. In den Münzsammlungen wie auch im Privatbesitze sind Münzen nicht besonders selten, die aui der Aversseite ein männliches Brustbild mit der Umschrift »Attila rex«, auf der Reversseite das Bild einer befestigten Stadt mit der Umschrift »Aquileia« zeigen, und gibt es solche in Messing und Bleisilber; gegen das Ende des XVIII. Jahr-hundertes wurde im Römerwalle in Passau auch eine solche aus Gold (oder vergoldet?) gefunden. Die numismatische Wissenschaft hat sie jedoch alle als »Phantasiemünzen« erklärt und überdies entschieden, daß sie nicht vor dem Jahre 1700 entstanden sein können. Diese Erklärung muß aber vor allem berichtigt werden, da sie einen handgreiflichen Anachronismus enthält, denn in einer Broschüre v. J. 1671 (Boht et Papa, Attila liunnorum rex. — Jena) werden diese Münzen bereits als sehen früher bekannt, erwähnt sowie auch bildlich dargestellt. Dort heißt es: »De cetero non negamus icones, qui in nummis conspicientür et ques laudatos ho pano Dn. Bosius nobis-cum communicavit atque, ut aeri indicerentur, benigne permisit, ma-ximam prae se ferre severitatem etc.«1) Aus dem geht offenkundig hervor, daß es echte Atilla-Münzen längst vorher gab, und daß man sie später, als sie höchst selten wurden, allenthalben wieder nachprägte, denn es scheint, daß viele der heute vorhandenen Münzen einer solchen Nacherzeugung entstammen, deshalb aber nicht als Fälschungen, sondern eben als N a c h-p räg ungen anzusehen sind, wofür auch vielleicht das mindere dazu verwertete Metall spricht.2) *) *) d. h.: »Im übrigen verneinen wir nicht die Bildnisse, die auf den Münzen zu sehen sind, und die schon den Pan verehrend, uns Herr Bosius in vollkommenem Zustande überliefert hat, und uns, um sie ins Erz einzugraben, wohlwollend überließ, damit sie mit der größten Strenge für sich bewahrt werden usw. — s) Der Verfasser besitzt selbst zwei solche Münzen. Beide sind gegossen; die eine ist aus Messing, die zweite aus Bleisilber. Die erstere scheint altersecht zu sein. Die bleierne hat jedoch auf der Brust statt des Stierkopfes einen Adler, der aber mechanisch aus dem ersteren umgeformt zu sein scheint, da der Nachpräger vermutlich keine deutliche Vorlage hatte. Überdies gibt es falsche Nachprägungen, die daran leicht erkennbar sind, daß sie das Jahr 441 aufweisen (»Attila 441 rex«), eine Zeitangabe, die schon deshalb anachronistisch ist, sofern damit das Jahr der Zerstörung Aquilejas angedeutet sein soll, weil die christliche Zeitrechnung erst gute 200 Jahre darnach angeregt wurde und noch wesentlich später in praktischen Gebrauch trat.3) Den Beweis aber, daß es echte Attila-Münzen gegeben haben muß, bietet die Hauptfigur, die bisher immer, schon der Beischrift wegen, als jene Attilas angesehen wurde, woher es auch gekommen sein mag, daß man später Attila stets als ein Scheusal von einem Manne schilderte. (S. Fig, 1 und 2a) der Tafel 11a). Viel wahrscheinlicher ist es aber, daß die Münzen der Figur 1 niemals den Münzcharakter hatten, sondern eher eine Art Tapferkeitsmedaillen für die Krieger Attilas waren, da z. B. bei den messingenen Exemplaren auch die Tragöse mitgegossen ist. Desgleichen sind die Stücke, soweit heute eine Übersicht vorhanden ist, auf der rückwärtigen Seite auffallend stärker abgewetzt, als auf der vorderen. — Wir dürften daher nicht unbedingt fehlgehen, wenn wir diese Münze als eine Kriegsauszeichnung oder als eine Erinnerungs-' medaille an die Einnahme von Aquileja ansehen, und dies durch die Erklärung der rätselhaften Hauptfigur der Münze noch näher begründen. Es stellt sich hier plötzlich der überraschende Beweis ein, daß die wendischen Devotionalien, die der Verfasser in seinem Werke »Slavische Runendenkmäler« (1914, S. 17—45) als echte Kulturdokumente bezeichnet und erkannt hat, tatsächlich echt sein müssen, weil hier dieselben Voraussetzungen, wenn auch in einem veränderten Milieu auftauchen, und wird auf diese Weise die richtige Erklärung für die Münzfigur erst möglich und überzeugend. In dieser Figur ist nämlich durchaus nicht das Porträt Attilas angebracht, sondern hier hat der Medailleur nur in genialer Weise den menschlichen Kopf mit jenem eines Löwen kombiniert, was schließlich auf den ersten Blick auffällt. Daß dabei die Physiognomie Attilas weitgehendst berücksichtigt wurde, ist wahrscheinlich, denn z. B. die südslavische, typisch herabgebcgene Nase behielt der Künstler bei, trotzdem er dabei das äußere Gepräge des Löwenkopfes durch Vorschiebung des Mittelgesichtsstückes hervorbringen mußte, — Überdies sitzt auf dem Kopfe eine Gans und auf dem Brustharnisch ist auch nicht ganz zufällig ein Stierkopf in Relief angebracht. Die Hauptfigur trägt also hier genau :1) Die falsche Nachprägung mit der Jahreszahl 441 ist aus Bronze miinz-technisch hervorragend ausgeführt und heute äußerst selten. Der Verfasser -besitzt auch ein solches Exemplar, das i. J. 1894 in Nordbosnien bei einer Brunnenaushebung gefunden und ihm vom Obergeometer Franz Kacena (Prag) i. J. 1914 verehrt wurde. so die Trias der militärischen Kardinaltugenden tierallegorisch zur Schau, wie alle R a d e g a s t-Statuetten nordwendischer Provenienz, die überdies slavische Runeninschriften aufweisen. (Vergl. Fig. 3—6 der Tafeln Ha) und Ilb). Der Löwenkopf deutet auf den persönlichen Mut, der Stierkopf auf die Stärke und die Gans auf die Wachsamkeit des Feldherrn, des Kriegsgottes oder des Kriegers im allgemeinen.4) Bei der Figur 6, die einen wendischen Umenstein darstellt, deutet die höchst primitive Skulptur auch die Gans an, und daß eine solche damit angedeutet wurde, das bezeugt die beigesetzte, wenn auch abgebrochene Inschrift RAD(egast); der Löwen- wie Stierkopf fehlen hingegen. Unsere Medaille gibt uns auch sonst verschiedene wertvolle Aufklärungen, — Vor allem ist es klar, daß ihr Alter ein mit Attila synchronistisches ist, sie daher ungefähr aus dem Jahre 450 stammen muß, denn es ist völlig unverständlich, daß jemand nach Attilas Tode ihm in dieser Ferm eine Ehre erwiesen hätte, da ja hiezu — wenigstens geschichtlich — nicht der geringste Anlaß zu entdecken ist. — Eine weitere Bedeutung hat die Medaille auch für die Aufklärung der altslavischen Kulturgeschichte, denn sie zeigt, daß die Altslaven tatsächlich Bronzesku.lpturen erzeugten und daß sie die militärischen Haupttugenden schon in ältesten Zeiten allegorisch darstellten, denn die Idee für die bildlichen Darstellungen der Medaille wie der Devotionalien hat jedenfalls einen gemeinsamen Ursprung, und ist in beiden Fällen von hochwertiger künstlerischer Konzeption. Augenscheinlich ist die Medaille wesentlich jünger, als die wendischen Skulpturen, doch muß zur Zeit der Nachprägung die Kenntnis von den drei allegorischen Soldaten- oder Feldherrntugenden schon getrübt gewesen sein, was daraus hervorgeht, daß man das Gansattribut in der Folge nicht mehr erkannte und annahm, es seien auf dem Kopfe Hörner angebracht. Diese falsche Ausdeutung führte wohl auch dahin, daß man später die Münzfigur für den Kopf des griechischen Hirtengottes Pan erklärte und daran eigentlich bis heute hält.5) Durch die Nachprägung wurde aber noch eine irreführende Metamorphose verschuldet. Schon in Boht-Papas Schrift ist die Münzfigur äußerlich »korrigiert«, denn hier hat der Kopf bereits ein männlich schönes Gepräge, aber das Gansattribut ist nur mehr in Form von zwei am Kopfe aufliegenden Hörnern angedeutet. (Fig 7 der Tafel Ilbl. 4) Daß die Gans ein weit verläßlicheres Tier für die nächtliche Wachsamkeit ist als der Hund, scheint den militärischen Kreisen heute nicht mehr bekannt zu sein. Die Gans hört das subtilste Geräusch, und gibt solches, je näher es kommt, mit einem immer lautlich gesteigerten Gegacker an. — Die kapitolinischen Gänse bilden jedoch, soweit bekannt, die einzige geschichtliche Erwähnung dieses ergänzenden Hilfsmittels für den Wachdienst in den Fortifikationen. 5) Offenkundig ist auch der griechische »Pan« nichts weiter als das slavische »pan« = Herr, Schutzherr. Zum Hirtengotte wurde er durch die falsche Etymo- Als ein weiteres Bild Attilas wird jenes auf den Schaumünzen mit der Umschrift »Attila rex, flagellum deus« angesehen. (Fig. 8.) Es fällt hier sofort auf, daß es sich da noch um »flagellum deus«, also: Gott Geisel handelt, während jüngere Darstellungen bereits die Beischrift »flagellum dei« (= Geisel Gottes) aufweisen, wie Fig. 9 (Reproduktion einer Attila-Plaquette des Pariser Louvre), auf welcher die Hörner noch weniger erkennbar hervortreten. Es muß vorerst als ein Rätsel angesehen werden, weshalb man sich einstens bemühte, ein solches trauriges Attribut durch Münzenprägungen überhaupt festzuhalten, doch dürfte hier auch ein Deutungsmißgriff vorliegen: man wollte den Krieg, der doch nebst Pest und Hungersnot selbst in der christlichen Kirche als Strafe (Geisel) Gottes bezeichnet wird, allegorisch darstellen, denn die Reversseite der Fig. 8 zeigt einen »Markuslöwen«, auf dem eine nackte menschliche Figur mit einer Knute reitet, und nach allem am ehesten ein Talisman gegen den Krieg, demnach überhaupt keine Münze war. Hiebei fällt es auch auf, daß der »Attilakopf« aus der ursprünglichen Tierallegorie mit jeder späteren Nachbildung die steigend menschlichere und dabei immer schönere äußere Form annimmt. Eine eingehendere Orientierung könnten da auch Photographien des ungarischen Krönungszepters bringen, denn auf dem Bergkristallknaufe desselben sind anscheinend dieselben Tierallegorien angebracht, doch sagt man, daß der Löwe (Mut) und Stier (Kraft) wohl erkennbar seien, die dritte Figur (Gans) jedoch nicht. Man vermeidet es wohl letzteres aus Gründen zuzugeben, die ihre Grundlage nur in der Unkenntnis der allegorischen Figuren selbst haben. Überdies ist am Knaufe eine »koptische« Inschrift eingraviert, die angeblich bisher noch niemand zu entziffern vermochte.0) Die Bemühungen des Verfassers, eine Deutungsmöglichkeit der Allegorien wie der Inschrift des Zepters herbeizuführen, um eine weitere Orientierung über die »Attilamünzen« zu erhalten, blieben trotz verschiedenseitiger Unterstützung — einstweilen — erfolglos, da man * 8 logie, da man annahm, das Wort sei aus »päo« = weiden gebildet. Über die Herkunft dieses »griechischen« Gottes weiß man nichts Bestimmtes, was nach allen auch einleuchtet, sofern man die slavische Provenienz unbeachtet läßt. — Erwähnenswert ist es auch, daß sein Attribut, die »syrinx«, d. i. die Rohrflöte, wieder slavischen Ursprungs ist, denn sirk, »sirek« bedeutet. Rohr, dann Moorhirse. »Pan« galt daher in Griechenland, als es noch slavisch war, als Bezeichnung für den Landesherrn; alles weitere sind nur spätere Zudichtungen aus Deutungsverlegenheiten. 8) Es ist eine alte Gepflogenheit glagolitische Schriften als »koptisch« zu klassifizieren, ob mit oder ohne Absicht, diese Frage bleibe weiter offen. Auch die glagolitische Handschrift des hl. Hieronymus galt durch lange Zeit als »koptisch«, bis sie Kopitar i. J. 1836 als das erklärte, was sie wirklich ist, d. i. als altslovenisch. wohl ernstlich, wenn auch völlig grundlos, durch die Klärung welch» R tae d"ieM' 'arCh,el' die "icht ** *» hisLischen Kähmen der Magyaren passen könnten. Die altslavischen Alphabete. Die Altslaven gebrauchten, soweit dies heute schon abschließend ausgesprochen werden kann, vier grundverschiedene Schriftarten und Alphabete, u. zw. die »runica« (= eingeritzte Schrift), die »črkovnica« (^Buchstabenschrift) oder »krilioca« (=Hof-, Amts- oder diplomatische Schrift), die »glagolica« (= die Lautschrift) und die »lavtinica« (= Lautschrift). Die »runica«, die Runenschrift, die heute bereits außer allem Gebrauche steht und eigentlich erst durch die Forschungen auf dem Gebiete der altslavischen Kultur vor wenigen Jahren wiederentdeckt wurde, scheint im allgemeinen mehr eine V otivschrift gewesen zu sein, denn dieses Alphabetes bedienten sich hauptsächlich die Verfasser von Grab-, Stein-, Waffen-, Schmuck- und Münzaufschriften; doch fanden sich ganz vereinzelt auch solche auf Leinwand (Totentücher) und Pergament vor. Die Bezeichnung »runica«, d. i. eingegrabene Schrift, ist auch etymologisch begründet, denn »runa, runja« bedeutet im Sla-vischen: Furche, Einker bung, und »ruti« = einritzen, eingrab e n. Diese, meist aus geraden Linien bestehende Schrift, die sich deshalb tatsächlich für das Einritzen besser eignet, ist bisher in drei wesentlich verschiedenen Alphabettypen bekannt u. z. als die nordwendische, die čecho-slovakische und die südslavi-s c h e (oder etruskische). Über das Alter der Schriftdenkmäler in der »runica« sind derzeit bestimmte Angaben nur insoweit möglich, daß man von solchen, die bis in das 2.—4. Jahrtausend v. Chr. reichen, hypothetisch sprechen kann. — Die bisher als »cyrillische« oder »griechische« benannte Schrift hat weder mit dem Apostel Cyrill noch mit den Griechen im heutigen Sinne welchen geschichtlichen oder organischen Zusammenhang, wie dies die neuesten Forschungen dargelegt haben, denn die Schriftdenkmäler dieser Art lassen sich einstweilen schon weit in das erste vorchristliche Jahrtausend nachweisen; ja, einzelne Begleitumstände scheinen dafür zu sprechen, daß diese Schrift wahrscheinlich die älteste von allen vieren ist, weil sie ursprünglich kein »b« hat, und in dieser Weise auch der älteste Teil der Genesis geschrieben ist. Die richtige genetische Bezeichnung ist daher keineswegs »ciri-lica«, bezw. »kurilica« oder »kurilovica«, wie sie gelegentlich von den Russen bezeichnet wurde, sondern »crkovnica«, das aus »crka« (= Laut), »crkoven« (~ lautlich) gebildet ist. Der lautlich ähnliche Begriff »cerkovnica«, aus »cerkov, cerkev« (= Kirche) und »cerkoven« (— kirchlich), führte später zur Ausdeutung, wonach hiemit die »Kirchenschrift« bezeichnet wurde, was aber unbegründet ist. Wohl erst auf dem Wege dieser falschen Etymologie wurde mit der Zeit auch die altslovenische Sprache als »kirchenslavisch« oder »alt-kirchenslavisch« klassifiziert, wofür heute allerdings einige Berechtigung vorliegt, da diese Sprache, die doch einst die mehrweniger allgemeine Verkehrssprache aller Slaven war, später lebend erstarrte, als sich die slavische Liturgie ihrer weiter bediente, sie aber ansonst in die verschiedensten Dialektformen überging;1) doch steht damit die hiebei sngewendete Schrift in keinem sprachverwandtschaftlichen Zusammenhänge. Die Anspielung auf den Apostel Cyrill als Entdecker dieser Schrift und die daraufhin erfolgte Benennung derselben als »cirilica« bildete sich wohl erst in verhältnismäßig junger Zeit durch die Klangähnlichkeit und den Umstand heraus, daß in dieser Schrift das »y« als »u« gilt, in anderen Schriften aber den Wert des »y« beibehielt. Do-brovsky schreibt in »Slavin« (S. 155) sogar nicht »cyrillisch«, sondern »cyrillisch«.'-) Die Bezeichnung »kurilica, kurilovica« ging anscheinend daraus hervor, daß sie einst die altslavische Hof- (kura), Amts- und d i- *) Miklosichs Entscheidung, daß die gangbare altslavische Sprache die altslovenische war, war geschichtlich wie sprachorganisch die einzig richtige, denn eine andere altslovenische Sprache gibt es nicht, und die ältesten bekannten Quellen bezeichnen doch die Altslaven stets als »Slovenec, Slovjenin, Sklabenus«, also als S 1 o v e n e n, und deren Sprache als »slovenski, sclavonica, sklabenoi«, also als s 1 o v e n i s c h. Dieses begründen nebstbei auch die zahlreichen alten Sprachdenkmäler. — Später kamen andere, die die »altkirchensla-vische« Sprache als »altbulgarisch« näher kennzeichnen wollten, obwohl sich sprachgeschichtlich für diese Umbenennung keine anderen Gründe ergeben haben konnten, als solche politischer Natur. — 2) Die Stelle lautet: »Auf die Ausgabe der Windischen und Crobatischen Bücher machte er (Hans Ungnad, Freiherr von Somegg, geb. 1493) einen beträchtlichen Aufwand von seinem Eigentum. Unbekümmert um alle irdischen Dinge gedachte er auf seinem Krankenlager nur allein seiner Druckerei der Crobatischen wie Cyrulischen Bücher; diese wurden nun seiner Gemahlin bestens empfohlen, denn, sagte er, es sei sein Schatz«. — p 1 o m a t i s c h e Schrift war, wofür sich noch immer die wurzelverwandte Bezeichnung »Kurialscnrift« erhalten hat. Tatsächlich kennen wir bisher keine altslavische Urkunde, die nicht in dieser Schrift verfaßt wäre. — Die »glagolica« oder glagolitische Schrift ist sprachlich gleichbedeutend mit »Lautschrift« (»glagol« ■= Laut, Stimme, »glago-liti« = buchstabieren, sprechen). Sie war, soweit dies heute klargelegt ist, vor allem bei den um die Adria ansässigen Slaven im allgemeinen Gebrauche. Unter der in früheren Jahrhunderten oft angeführten »kro-batischen« Schrift ist fast ausnahmslos die glagolitische gemeint. — Das älteste Schriftdenkmal dieser Art reicht in das Jahr 400 n. Chr.; es ist dies die Handschrift des heil. Hieronymus. Ältere Belege hieftir findet man überdies auch schon auf den phönizischen, d. i. v e n e tisch e n Münzen, doch sind die auf diesen angebrachten Inschriften sprachlich noch nicht verläßlich entziffert. Obschon nun Denkmäler kirchlicher wie weltlicher Richtung in dieser Schrift zahlreich erhalten sind, wissen wir einstweilen doch keine Erklärung hiefür, wann und wo sie derartig wissenschaftlich gepflegt wurde, daß sie zu dem Ideal einer phonischen Schrift werden konnte, denn ihr Alphabet weist schon in dem ältesten Schriftdenkmale 43 Laute auf. — Die »lavtinica« bedeutet etymologisch gleichfalls Lautschrif Unter »lavtati« versteht der Slovene heute: mit dem Munde haschen, Laute heraus pressen, analog wie etwa die ABC-Schützen. Daß diese Deutung zutreffend ist, geht daraus hervor, daß sich das Grundwort auch im Deutschen als: Laut, laut, Laute unverändert erhalten hat. Mit »Latein« hat dieser Begriff etymologisch nichts gemein; wir wissen nur, daß die Römer, wie fast alle Romanen, dieses Alphabet in der Hauptsache anwendeten. Die »lavtinica« blieb für den slavischen Gebrauch am längsten unvollkommen, denn die »crkovnica« wie »glagclica« hatten schon vor vielen Jahrhunderten ihren vollen Ausbau für die slavischen Zischlaute, die »lavtinica« erhielt sie aber erst um das Jahr 1845; bis dahin behalf man sich zum Teile mit Lautkombinationen oder Doppelbewertungen; die Nichtslaven haben aber dieses ihr einziges Alphabet bis heute noch nicht ausgebaut. Das älteste bisher bekannte slavische Schriftdenkmal in der »lavtinica« sind die sogenannten »en cekin«-Münzen, deren untere Altersgrenze kaum das V. vorchristliche Jahrhundert überschreitet.3) — Diesem Denkmale kommt — einstweilen — an Alter die Handschrift von Grünberg am nächsten, deren Alphabet noch aus 19 Lau- ■i) Vergl. den Artikel »Beitrag zur altslavischen Münzkunde«. — Auch phö-nizische Münzen weisen lateinische Buchstaben auf: kommen aber hier nicht in Betracht, so lange die Aufschriften sprachlich nicht festgelcgt sind. ten besteht. Ihre Entstehung kann ohneweiters in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte eingereiht werden, obschon Einzelheiten sogar für ein weit höheres Alter sprechen. Dies ist der neueste Standpunkt der Forschungen auf dem Gebiete der altslavischen Schriftkunde. — Wann oder wie lange zwei oder mehrere dieser Alphabete zugleich in Anwendung waren, dafür kann die erweiterte Forschung und Vergleichung aller alten Schriftdenkmäler wohl noch gründlichere Klärungen erbringen. Im allgemeinen kann man aber annehmen, daß meist alle vier Alphabete zugleich, wenn auch nicht an demselben Orte, im Gebrauche waren; zum mindesten kennen wir zahlreiche bilingue Schriftdenkmäler, die auch, in verschiedenen Alphabeten verfaßt sind. — Sollten die Literaten, Kulturhistoriker oder Paläographen gegen diese klärende wie zugleich organisatorische Festlegung etwas Sachliches einzuwenden haben oder Ergänzendes wissen, so mögen sie das hier Niedergelegte berichtigen, damit wir endlich über gewisse Grundfragen zu ernsterer Sacharbeit übergehen können, da die alt-slavische Literatur gerade nur infolge Nichtaufräumens unterge'-i crdneter Hindernisse für das allgemeine Wissen völlig brach geblieben ist, wodurch auch die bedauerliche Unwissenheit der großen Welt über die wahre Vergangenheit der Slaven mitverschuldet wurde. Altslavische Handschriftenschätze. Die Erkenntnis, daß die Slaven schon im Altertume und Mittel-alter eine sehr bedeutende eigene Literatur und eine hochausgebildeto Sprache hatten, festigt sich mit jedem Tage umso mehr, je weiter sich die bezüglichen Forschungen vertiefen. Ganz abgesehen von den Runenschriftdenkmälern auf Stein und Erz, welche die Existenz der slavischen Sprache offenkundig durch mehrere tausend Jahre konkret belegen, haben sich aber auch Pergamenthandschriften, — so weit eben heute bereits Klärungen vorliegen —, schon mindestens aus dem V. Jahrhunderte n. Chr. erhalten und stoßen wir bei der Weiterforschung höchstwahrscheinlich auf noch weit ältere Belege, Man glaubte bisher auch immer, daß kein Beweismaterial vorliegen könne, weil man über die alte Geschichte und Kultur der Slaven überhaupt nichts wußte, und in jenen Fällen, wo sich Beweise einstellten, da vernichtet®- oder entwertete man sie sofort, weil dies gewissen Kreisen nicht in das Programm paßte, und kommen im Laufe der Zeit immer wieder neue Daten an den Tag, auf welche vandalische, ja, oft boshafte Art unzählige alte Pergamente mit wertvollen kulturgeschichtlichen und literarischen Texten in den letzten Jahrhunderten vernichtet wurden und für immer verloren gingen. Bei 99% solcher haben sich aber überhaupt keine Daten darüber erhalten. Selbst Palacky erwähnt dessen, wie noch zu seiner Zeit (1798—1876) alte Handschriften, namentlich solche slavischen Inhaltes, teils aus Mutwillen, teils aus nationalem Antagonismus für immer beseitigt wurden. Was schon mit der alexandrinischen Bibliothek, die über eine halbe Million Schriftrollen enthalten haben soll, für immer zugrunde ging, werden wir niemals mehr erfahren. Wir wissen aber, daß in Nordafrika um den Beginn der christlichen Zeitrechnung die slavisch-grie-chische Kultur ganz bedeutend gewesen sein muß, da sich ja etliche Belege doch erhalten haben. Die Zerstörung dieser Bibliothek verursachten hauptsächlich die politisch-religiösen Strömungen. Kaiser Theodcsius d. Gr. (379—395) ließ alle Tempel in Alexandria zerstören; bei dieser Gelegenheit vernichtete ein wütender Haufe fanatischer Christen unter Führung des eigenen Erzbischofs fheodosius auch die Bibliothek im Serapion. Der Geschichtschreiber Orosius (gegen Ende des IV. Jahrhunderts) sah dort nur mehr leere Schränke. Immerhin muß sich doch noch viel erhalten haben, oder später wieder geschrieben und gesammelt worden sein, denn der eigentliche Vernichter der alexandrinischen Bibliothek war der erste mohammedanische Chalii, Omar, (634—641), der an 400.000 Buchrollen zur Beheizung der Bäder mit der Begründung verwendet haben soll, »daß sich das, was auf diesen Blättern steht, entweder auch im Koran, dem Buche unserer heiligen Religion, befindet, oder es findet sich nicht darin. Steht es darin, so sind alle diese Bücher unnütz; steht es nicht darin, so taugen sie zu nichts; darum ins Feuer mit dem Plunder!« Doch weit mehr als aus politischen oder religiösen Gründen ging von derlei Handschriften auch aus reiner Unwissenheit zugrunde, wobei, so paradox es auch klingt, die sogenannte Intelligenz selbst die Hauptrolle spielte, und seien hievon nachstehend nur einige Fälle angeführt. Um das Jahr 1850 bemerkte das französische Kriegsministerium, daß im Arsenale zu Paris seit langem die Hülsen für die Artilleriegeschoße aus beschriebenen Pergamenten unter Leitung von technischen Offizieren erzeugt werden. Dem Verbote der Weitererzeugung folgte die Untersuchung dieser Pergamente durch Gelehrte, wobei es sich herausstellte, daß darunter bisher ganz unbekannte, sehr wertvolle Schriften seien. Durch Demontierung gelang es noch an 300 Urkunden aus der Zeit des XIV. und XV. Jahrhundertes zu retten; welche Mengen aber schon im Laufe der früheren Jahre auf diese Art verloren gingen, darüber fehlt natürlich jeder Anhaltspunkt. — In Böhmen und Mähren, wo sich im Vergleiche zum slavischen Süden, besonders viel Pergamenthandschriften erhalten haben, wurde das meiste vandalisch vernichtet, denn ganz abgesehen von den Verwüstungen der Archive in Klöstern, Burgen und Städten durch die Hussiten und Schweden, dann die gelegentlichen »feierlichen« Verbrennungen nebst den normalen Elementarbränden, erzählt z. B. der gelehrte Jesuite Baibin (1620—1688) auch noch folgendes Erlebnis. Er erfuhr, daß sich auf dem Dachboden eines reichen Herrschaftsbesitzers viele Handschriften befinden und bat nun diesen persönlich, ihm einige, die er als besonders wertvoll fand, zu überlassen. Der Besitzer, ein Aristokrat, sagte ihm darauf ungefähr folgendes: »Wenn Sie dies überhaupt interessiert, so können Sie es ohneweiters haben. Schade, daß Sie nicht vor etwa 30 Jahren gekommen sind; damals lagen noch Schriften da wie die Garben in der Scheune; Sie konnten ganze Wagen wegführen. Seither verbrauchten wir täglich etwas davon in der Wirtschaft, Im Vorjahre konstruierten wir einen großen Drachen; hiezu verbrauchten wir allein an dreißig Faszikel von diesen Hadern. Und was hätten wir schließlich damit machen sollen, li* nachdem das Geschriebene niemand lesen konnte!« — Aber gerade daraus können wir mit Berechtigung schließen, daß darunter in der Hauptsache slavische Schriften waren, denn für das Lesen 1 a-teinischer Manuskripte gab es damals mehr und tiefer gebildete Vertreter als heute. Was den erwähnten täglichen Gebrauch in der Wirtschaft betrifft, weiß man allgemein, daß solche Pergamente besonders den Hausfrauen willkommen waren; sie unterlegten damit das Brot im Backofen, damit, sich keine Asche einbacke. — Das berühmte Archiv der Burg Pernstein wurde sogar zu Beginn des XIX. Jahrhundertes, also nicht etwa im »finstern« Mittelalter, von den eigenen Beamten zu Feuerwerkskörpern verbraucht. — Dobrcvsky (1753—1829) war Augenzeuge, wie bei den Exzessen gegen die Juden in Prag aus einer Schule ein wertvolles, in schöner hebräischer Schrift verfaßtes Altes Testament mutwillig auf die Straße geworfen wurde; einige Tage darauf konnte man in den Straßen einen Vagabunden sehen, der eine aus diesen Pergamenten erzeugte Hose trug. — Ein Todesurteil wurde auch schon um das Jahr 1835 der Grünberger Handschrift zugedacht. Die damaligen »Gelehrten« wußten sich mit dieser Handschrift keinen Rat, denn an eine so alte slavische Kultur glaubte damals noch niemand; nebstbei verstand man viele Steilen überhaupt nicht. Man entschloß sich daher, um dieses Streitobjekt aus der Welt zu schaffen, zu der radikalsten Lösung: die Handschrift zu verbrennen, was glücklicherweise durch den Einfluß Falackys vereitelt wurde. Noch sonderbarer ist es, daß alle Schriften, die irgendwo in der Erde vergraben oder verschüttet gefunden werden, immer gleich spurlos verschwinden. So wurde z. B. im Jahre 1913 eine Menge von Schriftrollen in einem verschütteten Hause in Unteritalien gefunden. Als sich betreffs des Textes verschiedene Gerüchte bildeten, beschlagnahmte die Regierung den Fund, und seither trat volles Stillschweigen darüber ein. — Bei den Ausgrabungen in der Wüste Gobi (Asien) wurde ein großes Kaufhaus aufgedeckt, wobei man auf eine Handelskorrespondenz in zwölf Sprachen stieß. Hievon wurden eh Sprachen bestimmt festgestellt, die zwölfte aber nicht, die aber russisch gewesen sein soll; wohin diese Schriftstücke sodann gelangten, ist heute nicht mehr zu erfahren. — Überdies wissen wir, daß noch vieles in Archiven, Bibliotheken und Museen unbeachtet oder ungelöst ruht, weil sich hiefür keine Interessenten finden, oder, wenn ja, hievon keine nähere Kenntnisse haben. Unter solchen desolaten Verhältnissen darf es daher nicht verwunderlich erscheinen, wenn wir über die slavische Vergangenheit im allgemeinen höchst unklare und unrichtige Vorstellungen haben, weil alles dasjenige, was eine Orientierung ermöglichen könnte, un- beachtet bleibt, unbekannt wo verschlossen liegt, oder aber als »gefälscht« erklärt wird, sobald das Bekanntsein nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die nationalen Gegensätze sowie die slaven-feindliche Presse entwerten dann noch weiter alles dasjenige, was überhaupt durch glückliche Zufälle in die Öffentlichkeit gelangt. Es seien nun nachstehend alle jene Orte und Länder angeführt, in welchen sich altslavische Handschriften befinden, die aber weiter noch gar nicht oder nur teilweise überprüft sind. Venedig. Auf Seite 205 des »Staroslovan.« (1913) wurde aufmerksam gemacht, daß sich in den Jahren 1851 und 1853 im gewesenen Kloster »dei Frari« in Venedig ungefähr 13 Millionen Handschriften befanden, worunter sich Originalurkunden russischer, ce-chischer, polnischer, südslavischer wie ungarischer Könige, der Republik Ragusa, Berichte über Dalmatien, Istrien, das Uskoken-Gebiet u, a. m. befanden. In den erwähnten Jahren hatte der damalige Landesarchivar von Zagreb, J. Kukuljevic-Sakcinski, selbst Gelegenheit, In diese immensen Archivschätze Einsicht zu nehmen. So viel bekannt, kümmerte sich slavischerseits in den verwichenen 60 Jahren niemand weiter um diese altslavischen Geschichts- und Kulturbelege. Rom. Im Valikan erliegen zahlreiche, namentlich kirchenslavi-sche Handschriften, da sich der liturgisch-sprachliche Streit zwischen Rom und den Slaven nahezu seit der Gründung des Stuhles Petri in Permanenz erhalten hat. Als kirchliche Zentrale aller katholischen Slavenvölker sind dahin zum mindesten alle rituellen kirchenslavi-schen Werke zur Zensur eingelangt und wohl auch Vergleichsexem-plare deponiert worden. Die bei 40.000 Handschriften zählende Sammlung der Vatikanischen Bibliothek, die in den letzten Jahren mit Rücksicht auf eine unangenehme Erfahrung bei einem Brande nun in feuersicheren Räumen untergebracht sind, enthält viele Slavica, die augenscheinlich sprachlich noch gar nicht durchforscht sind. — Palacky studierte wohl im Jahre 1837 die Vatikanische Bibliothek; inwieweit man ihm jedoch Einblick gewähren ließ, ist schwer zu sagen, denn die Wahl eines Protestanten für diese Mission wird wohl niemand für klug bezeichnen. Überdies weiß man, daß die Königin Christine von Schweden, bekannt als besondere Liebhaberin der Wissenschaften und Sammlerin von Handschriften, nach Entsagung auf den Thron im Jahre 1655, mit 56 cechischen Handschriften nach Rom zog und dort auch im Jahre 1689 starb. Ihre Bücherschätze kaufte sodann Papst Alexander VIII. und verleibte sie der Vatikanischen Bibliothek als »Bi-blictheca Alexandrina« ein. Wien. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt allein an 300 Stück südslavischer Urkunden, meist diplomatischer Richtung angehörend, Konstantinopel, Zum Krongute eines jeden regierenden Sultans gehört eine aus 2000 Handschriften bestehende Bibliothek, gewöhnlich »Serailbibliothek« genannt (in Top kapu), die aus Sammlungen der Kaiser von Byzanz sowie der Sultane besteht, jedoch in den lezten Jahrhunderten keine Vermehrung mehr erfuhr. Die Bibliothek wird sorgsam versperrt gehalten, daher auch kein Archivdienst daselbst eingeführt ist. Bis zum Jahre 1850 waren darin nebst den arabischen und syrischen auch viele slavische Handschriften, wie dies Dr. Mordtmann erzählt. Seit dieser Zeit werden keine solche mehr gezeigt; man weiß nun nicht, ob sie in der Bibliothek selbst versteckt gehalten werden, oder ob sie bei dem bekannten Slaven-hasse der Osmanen vernichtet, verkauft, verschenkt oder gestohlen wurden, daher über deren Schicksale oder Existenz klugerweise geschwiegen werden muß. — Für jeden Fall ist es ein arges Versäumnis seitens der slavischen Wissenschaft, daß sie. dieser Bibliothek rechtzeitig keinerlei Beachtung widmete. Spanien, Man nimmt allgemein an, daß die Jesuiten, welche sich nach der Aufhebung des Ordens im Jahre 1773'sowie anläßlich der wiederholten vorübergehenden Vertreibungen zumeist nach Spanien wandten, dahin auch wertvolle, namentlich altčechische Handschriftenschätze mitnahmen. Es ist daher wahrscheinlich, daß heute in den spanischen Klosterbibliotheken noch manche altslavische Handschrift unbeachtet oder unerkannt erliegt. Portugal. Vor etlichen Dezennien wurde in Oporto eine altslavische Chronik entdeckt; was weiter mit derselben geschehen ist, wissen wir einstweilen nicht. Frankreich. Ähnliche Verhältnisse wie in Spanien, bietet auch Frankreich. Wie viel slavische Handschriften in der napoleoni sehen Zeit aus den Bibliotheken der Städte, Klöster und Schulen aus Österreich nach Frankreich wanderten, weiß man heute nicht; es ist aber wahrscheinlich und auch fallweise geschichtlich belegt, daß Handschriften dieser Provenienz über das ganze Land in Museen, öffentlichen wie Privatbibliotheken Aufnahme fanden. — Infolge der in den letzten Jahren erfolgten Einziehung der Kirchengüter und Aufhebung von Klöstern und Orden dürften sich die Nachforschungen schwieriger gestalten, da wertvolle Manuskripte voraussichtlich wieder mitgenommen und abermals in andere Länder vertragen wurden. Sachsen. Nach Sachsen gelangten altslavische Handschriften leicht aus dem benachbarten Böhmen, Mähren und Schlesien, da wiederholt Raubzüge in die erwähnten Länder unternommen wurden. Überdies war Sachsen im XII. Jahrhunderte noch slavisch, daher es naheliegend ist, daß sich hier unter besonders günstigen Verhält- nissen so manches bewußt oder unbewußt in den Klöstern und Burgen erhalten hat. Polen. In den Klöstern wie Familienbibliotheken Polens, des einst größten mitteleuropäischen Staates, dürften sich so manche sla-vische Handschriften, namentlich altcechische erhalten haben, zumal am polnischeil Hofe das Cechische eine Zeit hindurch die Umgangssprache war. Überdies wissen wir, daß in Polen ein anderes Fragmentexemplar der »Königinhofer Handschrift« gefunden und an Hanka nach Prag gesendet wurde, aber leider den Adressaten nicht erreichte, Schweden. Bekanntlich wurden gegen Ende des 30jährigen Krieges viele Kunst- und Biicherschätze von Prag, die Dietrichstein-sche Bibliothek aus Nikolsburg sowie jene des Domkapitels von Olmütz und der dort bestandenen Klöster von den Schweden als Kriegsbeute nach Stockholm überführt. Einiges kam schon i. J. 1685 zurück, da es dem österreichischen Gesandten Anton Grafen Nostitz gelang, mit schwerem Gelde 133 Stück alter Urkunden und Privilegien der böhmisch-ständischen Archive rückzuerobern. — Bischof Dittrich von Dresden, der ein geborener Böhme war, schreibt in einem Briefe vom 12. Juli 1850 an Dr, Beda Dudik, den mährischen Landesarchivar, daß, nach einer Aussage des eben in Karlsbad weilenden Bibliothekars der Universität Lund, die gesamten literarischen Schätze Böhmens und Mährens in Schweden auf 7—800 Stück anzuschlagen seien. Überdies muß beigefügt werden, daß beim großen Brande des Residenzschlosses in Stockholm (1697) auch ein großer Teil der Bibliothek zugrunde ging, sowie daß durch öffentliche Versteigerungen (wie z. B. im Jahre 1765) viele dieser Werke in unbekannte Hände gelangten und überdies aus dem Lande kamen. — Bereits früher wurde der »Bibliotheca Alexandrina« in Rom erwähnt, in welcher sich gleichfalls 56 Bohemica aus Schweden befinden. Als Napoleon im Jahre 1809 die Hofbibliothek in Wien der wertvollsten Bücherschätze beraubte und sie nach Paris schaffen ließ, bemühte man sich sehr bald nach dessen Sturze dieselben wieder zurückzuerhalten, und schon im Jahre 1814 brachte der Hofbibliothekar Garth. Kopitar das Geraubte zurück. Um die Rückerwerbung der schwedischen Kriegsbeute kümmerte sich aber bis heute von staats-wegen niemand, obschon jene literarischen Schätze für den Beutemacher selbst keinen sprachlichen Vollwert haben, und doch auch nach dem Friedensschluße meist rückgestellt zu werden pflegen; der Hauptgrund wird wohl darin zu suchen sein, daß es eben Slavica sind, wofür niemand Interesse hat. Das wertvollste slavische Werk daselbst ist der sogenannte »Liber giganteus« (auch »Gigas librorum«), ein in bezug auf Form, Ge- schichte und Inhalt in der Welt einzig dastehender Riesenkodex, der aus dem Jahre 1239 stammt und einst dem Kloster Brevnov bei Prag gehörte. Er enthält außer der Bibi. Geschichte, einem Traumbuche, Chroniken, altslavischen, altrussischen, hebräischen, griechischen und lateinischen Musteralphabeten, auch das geschichtlich wichtige »Ne-crclogium Podlazicense«. Von diesem Werke besitzen wir bis heute nicht einmal ein Faksimile für den Fall des Verlustes des Originales. Selbstredend ist uns aber vom Hauptteile dieser Beute gar nicht bekannt, wo er hinkam, wo er sich heute befindet oder was er enthält, da er schon zugrundegegangen sein kann, oder aber irgendwo unbeachtet, unerkannt oder verworfen liegt. England. Eine wertvolle Sammlung slavischer Handschriften brachte der Engländer Robert Curzcn zusammen, der im Jahre 1833 die Athos-, dann die kleinasiatischen und afrikanischen christlichen Klöster bereiste und alles an besseren Handschriften aufkaufte, was nur erhältlich war. Überdies besitzen London, Cambridge und Oxford etliche wertvolle Handschiften. Rußland. Daß in Rußland sowie in den südslavischen Ländern viele Handschriften, namentlich solche kirchenslavischer Richtung vorhanden sind, ist sowohl bekannt, als auch selbstverständlich. In den griechisch-orientalischen Klöstern mag sich noch manches wertvolle Stück befinden, das noch unerkannt seiner verdienten Bewertung harrt. Ein Teil der schwedischen Kriegsbeute vom Jahre 1648 aus Österreich kam damals auch in die Stadt Abo, die im Jahre 1743 an Rußsland fiel. China. Im Jahre 1884 berichtete der russische Konsul in Muk-den seiner Regierung, daß in den kaiserlichen Bibliotheken in China — bekanntlich befindet sich eine solche in allen größeren Städten — eine Menge cechischer (!), vermutlich jedoch altslavischer Handschriften, festgestellt worden sei. Bei der Einnahme Mukdens im Jahre 1900 sind nämlich sehr wertvolle slavische Handschriften in der dortigen Bibliothek gefunden worden, und gelangten im Jahre 1901 hievon zwei Waggons nach Petersburg. Jedes Stück war sorgfältig in Seide verpackt und in eine Metallkapscl eingelegt. — Über den Inhalt oder den literarischen Wert dieser Handschriften war bis nun weiter nichts zu hören. Daß slavische Handschriften durch die häufigen Handelsmissionen, namentlich russischerseits, nach China gelangen konnten, ist aber sehr naheliegend, denn der kluge Kaufmann brachte den maßgebenden Würdenträgern des fremden Staates stets allerlei ungewöhnliche Geschenke, um sie für die eigenen Zwecke günstig zu stimmen. — Übrigens war es früher allgemein Sitte, daß sich die Potentaten gegenseitig mit literarischen Geschenken bedachten; es ist daher durchaus nichts Verwunderliches oder Verdächtiges, wenn man etwa in Ostasien eipe cechische Handschrift findet, umsomehr als es täglich klarer wird, daß die Verbreitungssphäre der slavischen Sprache auch in diplomatischer Hinsicht umso größer wird, je weiter wir in die Zeit nach rückwärts klärend Vordringen. Daß die Klöster des Balkans bedeutende Schätze von mehr oder weniger hohem literarischen Werte vor den letzten Kriegen besaßen, ist aber ohnehin allgemein bekannt; freilich dürfte da durch die fremden, slavenfeindlichen Okkupaticnstruppen auch manches verschleppt oder gleich vernichtet worden sein, soweit es nicht recht zeitig in entsprechende Sicherheit gebracht wurde. Was sich ansonst in einzelnen Städten in öffentlichen Sammlungen in Klöstern, Burgen, dann bei Privaten vorfindet, hiefür fehlt uns überhaupt jeder Überblick, da ja vieles unbekannt, vieles noch gar nicht gesichtet, manches noch nicht als slavisch erkannt, manches noch gar nicht lesbar ist. Fast jede Stadt verwahrt irgendeine mehr oder weniger wichtige altslavische Handschrift. So wissen wir, daß sich derlei Handschriften vorfinden: in den Klöstern auf dem Berge Athos, in Admont, Berlin, Budapest, Dresden, St.-Gallen, Göttingen, Graz, Greifswald, Halberstadt, Klosterneuburg, Lambach, Magdeburg, Mailand, Mainz, München, Paris, Oxford, Rheims, Stettin, Stockholm, Utrecht, Wernigerode usw. * Hiemit wurde einige Orientierung gegeben, wo altslavische Handschriften sind, oder wo sie den geschichtlichen Kalkulationen nach sein könnten, womit jedoch nicht gesagt sein will, als ob nicht auch an anderer Stelle, wo man solche vielleicht gar nicht vermuten kann, solche erliegen könnten. Ein ernstes Postulat wäre es nun, wenn für diese allgemeine wie spezielle Forschungsarbeit, dann überhaupt für die Führung aller gemeinsamen, den Altslavismus berührenden Fragen ein Zentral-Institut oder eine »Altslavische Akademie« gegründet würde, damit die altslavische Sprache, als Grund- wie zum großen Teile als liturgische Sprache aller Slaven endlich das verdiente wissenschaftliche Asyl fände, und wo zugleich eine Aufzeichnung aller altsla-vischen Handschriften erfolgen, genau evident geführt und die Veröffentlichung derselben besorgt würde, denn die große Öffentlichkeit hat heute gar keine Ahnung, wie groß und vielseitig die Literatur der Altslaven ist.1) ') Da die slcvenische Sprache der altslovenischen. also altsiavischen. noch heute am nächsten liegt, und da überdies die Slcvenen seit jeher die führenden Geister und die genialsten Vertreter der Altslavistik beigestellt haben, würde es sich wohl empfehlen, eine solche »Altslavische Akademie« auf deren Gebiete zu errichten. — Die Cechen besaßen schon in der Zeit vor der Christianisierung eine alte Gelehrten-Akademie in B u d e c, doch weiß man heute nicht mehr bestimmt, wo jener Ort gelegen war. Slavische Runendenkmäler Bis vor kurzem wußte niemand etwas darüber, daß es überhaupt slavische Rünendenkmäler gäbe; es war nur bekannt, daß alles, was entziffert zu sein schien, germanisch sei. Die objektiven Forschungen haben jedoch ergeben, daß jene germanischen Denkmäler, so weit sie eben heute schon geklärt sind, slavische Texte enthalten, sowie, daß die Slaven einst zweifellos Alphabete hatten, die man eben als »Runenalphabete« kennzeichnete. Die bei den Haaren herbeigezogene Etymolgoie, »Rune« bezeichnete nicht: das Eingeritzte, die Furche (slav. »runa, runja«), sondern es sei aus »raunen, Geheimnisse zuflüstern« hervorgegangen, führte dann noch zu den skurillsten Auslegungen, die leicht widerlegt sind, wenn man erwähnt, daß eine öffentlich verwertete Schrift, die man in Bronze, Eisen, Gold, Silber, Stein, Elfenbein, Knochen, Ton, Horn u. drgl. eingräbt, und so der Welt auf Münzen, Waffen, Schmuck-objekten, Weihgegenständen, ja sogar Naturfelsblöcken längs einer für den allgemeinen Verkehr bestimmten Kommunikation offen bietet, doch das reine Gegenteil von Geheimnissen darlegt. Überdies war das Lesen von Runenschriften nie ein Geheimnis, weil es ja stets genug Alphabetschlüssel gab. Die Schwierigkeit bestand demnach nie im schulgemäßen Lesen, sondern im Verstehen und Auslegen des Textes; und weil diese Texte slavisch waren, was gewissen Kreisen nicht in das Programm paßte, sagte man, sie seien entweder spätereFäl-s c h u n g e n oder aber unlösbare Geheimnisse. Nachstehend soll nur kurz gezeigt werden, daß den Slaven die Runenschrift allgemein bekannt war, daß man mindestens drei Alphabete kannte, u. z. das n o r d,w endis che, das cech o-s lova-k i s c h e und das südslavische oder etruskische, und daß wir hiefür zahlreiche, sprechende Zeugen besitzen.1) * J) Für eingehendere Orientierung diene dem Interessenten das Werk »Slavische Runendenkmäler« (Kremsier, 1915) des Verfassers. I. Nordwendische Runendenkmäler. Das Lesen dieser Schriften ist im allgemeinen nicht erheblich schwer, da sich aus mehreren Jahrhunderten genug wendische Runenalphabete erhalten haben; hingegen ist aber die Deutung der Texte oft eine äußerst mühsame, weil die originalslavischen Begriffe in bezug auf ihre primäre Form schwer sicher erkennbar und namentlich betreffs ihrer Bedeutung recht schwankend geworden sind, zumal doch jede Wortform in Raum und Zeit bedeutend, ja oft radikale Änderungen erfahren kann. So haben wir es gerade bei den wendischen Runen vorwiegend mit der altpreußischen und s 1 o-vinzinischen Sprache zu tun, die eine um die andere ausgestorben sind. Jede absterbende Sprache ist aber schon vor ihrem Kollaps durch die vorausgehende, meist jahrhundertelange Diffusion der ablösenden Sprache gründlich verballhornt. Es stellen sich daher oft hartnäckige sprachgenetische Schwierigkeiten in die Quere, die proooi tionell mit dem Schwinden der Originalität einer Sprache wachsen, daher auch die älteren Denkmäler leichter zu agnoszieren und zu deuten sind, als die jüngeren. Beispiele. Fig: 1. der Tafel III aj zeigt die Rückseite der in Mecklenburg gefundenen Bronzestatuette mit der Inschrift »ride-gast« und »rjetra«; Fig. 2 eine Löwenfigur aus Bronze mit der Inschrift »cernebog«. Fig. 3 ein gebogenes Bronzemesser mit der Inschrift »svantevitj«. Fig. 4 der Tafel III b) stellt einen Steinblock mit der Inschrift »smir priavki aiict« d. i. »Wegweiser Richtung Halicz« (Galizien) dar. Es war dies ein Wegweiser, der bei Mykorzin in Posen gefunden wurde. Fig. 5 »Belbog«-Münze von Krakau. — Fig. I. Fig. II. Die in Fig. I im Texte ersichtliche Münze ist eine solche des »Rurik«, jene in Fig. II eine solche des »Voslav«, jene in Fig. III des »Zcbcr«. (»Zobor« hieß ein Fürst von Neutra in der Slovakei, der von den Magyaren bei ihrem Vordringen grausam hingerichtet wurde.) Fig. IV zeigt die Innenseite der Spange von Freilauberschein mit der Inschrift: »Bozo vraet runa i vlie a vsjai ja«, d. i.: »Bozo ritzte die Runen, goß (die Spange) und setzte sie ein (die Sicherheitsnadel), II. Ceclio-slovakische Runendenkmäler. Auf dem von den Cechen und Slovaken bewohnten Gebiete wurden einige Runeninschriften gefunden, die ein eigenes Alphabet aufweisen. In allerjüngster Zeit wurde eine Glosse dieses Alphabetes auch in der Handschrift von Grünberg entdeckt. Denkmäler dieser Richtung sind bisher noch sehr wenige bekannt; es sollen aber an nachbenannten Orten in der Slovakei noch derlei Felsinschriften vorhanden sein, nur wurden sie bisher noch nicht abgezeichnet: bei Liptau auf der Havranna skala, also an der Komitatsgrenze; an der Grenze des Zvoiensko-Novohradsko-Malohonter Komi-tates, etwa 4 Stunden Gehweges südöstlich von Hronec entfernt; In Mittel-Tekov, nördlich von Inovec; im Bezirke Handl gegen Nova Lhota; im Bezirke Boglar bei Bardijov befinden sich etwa auf der Waldlichtung »na Banisku«, welche Bezeichnung etymologisch tatsächlich auf eine Grenze oder den Zusammenstoßpunkt mehrerer solcher deutet, unverstandene Felsinschriften; in der Umgebung von Sabinov sollen auf einem Felsen gleichfalls Runeninschriften gefunden worden sein; auf der Komitatsgrenze »na Zopole« unter dem Bergstöcke Kri-van, der selbst die Grenze bildet, befinden sich auch Runenschriften; eine solche wurde auch »na Holach« von Rosenberg festgestellt. Fig. V. Die Felsinschrift auf dem Velestur im Kremnitzer-Geb. in Ungarn. Der Text lautet: »prjehah silian ot morane zrumih kre-menitju te turu i vsia g'rada i bje gode po turu dvjestje te osemdst«, d. h. »es kam der Silleiner von der Grenze, zerstörte Kremnitz und Tur, sowie alle Burgen und alle Schutzpunkte im Turgebiete, an 280«. Eine Runenglosse in der Handschrift von Grünberg. Im J. 1915 wurde im Wege der Palimpsestphctographie auf der 8. Seite der Handschrift von Grünberg eine Glosse entdeckt, die entweder als »ratbuzi«, oder »rat bozi« zu lesen ist, da sich die letzten Laute nicht verläßlich genau abheben. Abweichend von den sonstigen Denkmälern dieser Art ist hier der Umstand, daß die Schrift noch von rechts nach links zu lesen ist, das Denkmal daher älter zu sein scheint, als jenes in Fig. V. Fig. VI. III. Südslavische Runendenkmäler. Solche wurden bisher in Tirol, in Italien, im Alpengebiete, in Südungam und Südrußland, dann in Afrika gefunden. Man schrieb sie bisher schon nahezu jeder Sprache zu, nur nicht der naheliegendsten, d. i. der slavischen. Doch die konkreten Beweise hiefür sind vorhanden, so daß wir mit soliden Dokumenten altslavischer Kulturarbeit, die nun Jahrtausende schlummerten, endlich sicher und überzeugend ans Licht treten können. Sie wurden bisher auch von ;— Diese Inschrift ist besonders deshalb von hohem Werte, weil sie einen größeren Text enthält. Fig. V. niemanden als unterschoben verdächtigt, da sie auch noch von niemanden beweiskräftig als slavisch erklärt wurden, denn Kollar, der als erster die wahre Herkunft richtig vermutete, verfiel bei der Beweisführung sofort in den allgemeinen alten Fehler der Mythologi-sierung, weshalb auch der ganze immense wissenschaftliche Aufwand wirkungslos verpuffte. — Überdies hätte eine Fälschungserklärung hier schwerwiegende Kontradiktionen ausgelöst, denn die Sla-ven konnten sie nicht gefälscht haben, da sie nach der Völkerwanderungssage schon einmal jene Steine, die z. B. im Jahre 79 n. Chr. der Ve suv verschüttete, absolut nicht gefälscht haben konnten; es wäre daher immer etwas intakt geblieben. Beispiele. Fig. VII. Der Sarkophag von Perugia mit der Inschrift »iputin a krul«, d. i. Statthalter und König. — »Kral« Fig. vu. ist dem Slaven allgemein bekannt; »ipat« hat aber auch heute im Russischen die Bedeutung: Statthalter. — Die Skulptur stellt fünf römische Krieger dar, die eine nackte männliche Figur lebend zetv stückeln. Eine darauf anspielende Episode kommt im perusinischen Kriege vor, denn am 15. März 40 v. Chr. soll Oktavian nach der Kapitulation der Stadt Perusia 400 vornehme Einwohner, und darunter wohl auch den König, haben martervoll hinrichten lassen. Es ist daher möglich, daß unser Relief am Sarkophage direkte an jenes Ereignis anspielt, denn die Stammbewohner Perusias können damals noch nicht latinisiert gewesen sein, und daß dies Patroklos wäre, wie man gleichfalls annimmt, ist ausgeschlossen, da er nicht solchen Todes starb. Fig. VIII stellt einen Wegweiser dar, der bei Klobenstein (Tirol) am Berg Piper gefunden wurde. Er trägt die Inschrift »laze ke Malece«, d. i. Steig nach Malec, eine Lokalität, die sonst heute nicht bekannt ist. Fig. IX. Der Grenzstein von Rocchetta mit der Inschrift »mezu ne munjus«, d. i. »verrücke nicht die Grenz e«. Dieses zwei- fellos sehr alte, in Etrurien gefundene Denkmal, hat einen ganz besonderen Wert, weil es in dieser Aufschrift genau denselben Wortlaut enthält, womit Moses die Gesetze gegen Grenzverrückung einleitet (5. Buch, 19), denn diese beginnen gleichfalls mit: »Verrücke nicht die Grenze (deines Nachbarn)«. — Eine solche Warnung, die nur der Slave versteht, kann aber folgerichtig nur dem gelten oder gegolten haben, der dort lebte, der lesen kann und der diesen Text auch versteht. -— Tatsächlich wurde dieser Grenzstein an einer Stelle ausgegraben, die noch heute die Grenzlinie zweier Besitzungen bilden soll. big. X. Die nackte weibliche Gestalt stellt anscheinend eine Prostituierte mit der Beischrift »muzina« (—männliches Glied, männliche Geschlechtsteile) dar; sie hält übrigens in der linken Hand einen Hodensack. Solche Figuren scheinen einst als äußere Kennzeichen an den Quartieren von Prostituierten angebracht gewesen zu sein. — Fig. XI. Urne mit der Inschrift »lacnemi«, d, i. demHungri-g e n, dürfte sonach ein Behältnis für die Wegzehrung eines Verstorbenen sein. — Fig. XII. Eine weitere am Monte Alcinio ausgegrabene Urne trägt die Inschrift »cainei«, d. i. warte ihrer, wie der Slovene noch heute verkürzt sagt, statt »cakaj njej«. d. i. großer Herkules dar. Diese wenigen Beispiele mögen hier für den Beweis genügen, daß die Slaven schon in den vorchristlichen Jahrtausenden in Mitteleuropa saßen, demnach keine späteren Einwanderer sein können. Die Azbuka in der Edda. Etwas Eigenartiges bieten die Alphabetdichtungen in den verschiedenen Literaturen. Solche finden sich in der Biblischen Geschichte (bei den Psalmen wie Klageliedern des Jeremias), dann in einem albanesischen Gedichte, in einem altnordischen Runenliede sowie in der Runen-Azbuka der Edda vor. Vielfach glaubte man, es seien dies nur Gedächtnisverse für Schulzwecke, damit sich die Schüler die Laute mnemotechnisch einprägen. Der Inhalt bestätigt aber dies nur zum Teile, denn die bezüglichen Dichtungen in der Bibel sind weniger didaktischer als poetischer, die albanischen sogar ausgesprochen erotischer Natur; hingegen erscheint das Runen- wie das Azbuka-Gedicht tatsächlich nichts weiter, als eine ältere Ausgabe unserer primitiven Fibelverse, denn z. B. das Runenlied bietet für den Laut N folgenden Text: »Not macht knappe Kost, den Nackten frierts im Frost.« Von ganz besonderem kulturgeschichtlichen Werte ist aber die Aufdeckung der Azbuka-Verse in der Edda, womit nur die Vermutung bestätigt wird, daß die Edda, richtiger »Veda, Ueda« (= Wissen), einzelne Teile ihres Inhaltes einem Lehrbuche entnommen hat, denn die praktischen Lebensregeln, die »Odin, ;Otin« seinem Schüler, Schützling oder Sohne Lodfafner gibt, bekräftigen diese Ausdeutung in jeder Richtung. Nun fällt es aber auf, daß jener Lehrer (im Abschnitte »Hava-mal«) dem Jungen sonderbarerweise kein lateinisches, griechisches oder germanisches, sondern ein altslavisches, u. zw. das g 1 a-g o 1 i t i s c h e (»glagolica«) Alphabet in Form mnemotechnischer Rät-selverse, in denen der Gegenstand des betreffenden Lautnamens leicht erkennbar ist, beibringt, denn die einzelnen Runen werden in der Reihenfolge der »glagolica« (az, buki, veda usw.) angeführt, und sind die Lautnamen, soweit deren Bedeutung heute noch zweifellos erkennbar ist, korrespondierende, ausgesprochen slavische Begriffe. 12 Über die Zeit des Einganges dieses Alphabetes in die germanische Edda haben wir nur dürftige Anhaltspunkte. Vor allem darf angenommen werden, daß dies vor dem IV, Jahrhunderte gewesen sein muß, weil die Bibel Ulfias, die zum Teile auch Runen anwendet, schon 24 Laute, während die Edda-Azbuka erst 18 Laute zählt. Die Handschrift von Grünberg hingegen, die der Schrift der Ulfila-Bibel gleicht, hat jedoch erst 19 Laute, Läßt aber die Lautzahl der Alphabete eine Folgerung auf den Altersrang dieser Schriftdenkmäler zu, was unter gleichen Vorbedingungen wohl einige Berechtigung hat, so müßten die Runenlehre und die Handschrift von Grünberg schon nahe an den Beginn der christlichen Zeitrechnung eingereiht werden. Andererseits muß freilich wieder zugegeben werden, daß man auch früher zu gleicher Zeit verschiedene Schriftarten und Alphabete angewendet haben wird, denn z. B. gerade das glagolitische Alphabet hat zur Entstehungszeit der Ulfila-Bibel ansonst schon 43 Laute, obwohl es naheliegend ist, daß die von den Slaven angewendeten Alphabete jederzeit mehr Laute haben mußten, weil dies die Lauteigenart des Gesprochenen erforderte. Tatsächlich sind die sla-vischen Alphabete auch heute noch die vollkommensten. Sind aber die Gattungsnamen jener Leute nur dem Slaven verständlich, so können jene Schüler nur Slaven gewesen sein, da man den Schülern gewiß keine unverständlichen Begriffe beizubringen beabsichtigte. Daß die originalslavischen Lautbezeichnungen beim Lese- oder Schreibunterrichte tatsächlich und unverändert gebraucht wurden, geht aber schon daraus hervor, weil sich der Schreiber oder Lehrer bei den drei letzten Runen, die mehr erotischer Richtung sind, förmlich damit entschuldigt, daß sie der Schüler ob seiner Jugend noch nicht verstehe, daher er beifügt: Sind diese Lieder auch, Lodfafner, dir auf lange wohl noch unerkennbar; freu dich, erfährst du sie, nutz es, vernahmst du sie! Daß es sich aber hier wirklich um einen Lernbehelf handelte, ersieht man aus dem Schlußverse: Heil ihm, der es lehrt, Heil ihm, der es lernt, Das Heil, all ihr Hörer, Nehmt euch zu Nutz! Die einzelnen Memorierstrophen lauten (nach H. v. Wolzogen): 1. Hilfreich zu helfen verheißt dir das Eine In Streit und in Jammer und jeglicher Not. Erklärung: »a«, benannt »az« = Gott. — Es ist dies wohl kein Zufall, daß die religiöse Idee: Gott ist aller Anfang und Ende — auch hier zum Ausdrucke kommt. 2. Ein Anderes lernt ich, das Leute gebrauchen, Die Ärzte zu werden wünschen. Erklärung: »b«, benannt »buki« = Buch. 3. Ein Drittes kenn' ich, das kommt mir zu gut Als Fessel für meine Feinde; Dem Widerstreite verstumpf ich das Schwert, Ihm hilft keine Wehr und keine Waffe,' Erklärung: »v« (und »u«), benannt »vedi« = Wissen, die überzeugende rhetorische Kraft. 4. Ein Viertes noch weiß ich, wenn man mir wirft Die Arm und die Beine in Bande; Alsbald ich es singe, sobald kann ich fort, Vom Fuße fällt mir die Fessel, Der Haft von den Händen herab. Erklärung: »g«, benannt »glagol« = Gesang. 5. »Ein Fünftes erfuhr ich: wenn fröhlichen Flugs Ein Geschoß auf die Scharen daherfliegt, Wie stark es auch zuckt, ich zwing es zu stehn, Ergreif ich es bloß mit dem Blicke«. Erklärung: »d«, benannt »dobro« = tapfer, mutig. 6. »Ein Sechstes ist mein, wenn ein Mann mich sehrt Mit wilden Baumes Wurzel; Nicht mich versehrt, den Mann verzehrt, Das Verderben, mit dem er mir drohte«. Erklärung: »je«, benannt »jet« = Gift. Es ist hier nicht das einfache »e« sondern »je« genommen, die im glagolitischen Alphabete eigene Zeichen haben. 7. Ein Siebentes brauch ich, seh ich den Brand hoch um der Menschen Behausung; wie breit es auch brenne, ich bring ihn zur Ruh mit zähmendem Zaubergesange. Erklärung: Im glagolitischen Alphabete folgen nun drei >z< bezw. »ž«-Laute, die als »živete, zelo« und »zemlja« benannt sind. Welcher Begriff hier die Lösung geben soll, ist nicht klar, umsomehr, als viele Stellen des Originaltextes nicht voll verständlich, daher auch nicht verläßlich richtig gedeutet sind. 8. Ein Achtes eignet mir, Allen gewiß am Nötigsten zu benützen: 12* wo irgend Hader bei Helden erwächst, da weiß ich ihn schnell zu schlichten. Erklärung: hier müßte der Laut »i«, im Alphabete als »ize« und »izica« benannt, folgen. Hierin scheint das Wort »Joch« enthalten zu sein (»izes, igo«): es paßt für die ersten zwei Zeilen; für die zwei restlichen aber nur im figürlichen Sinne als: bändigen. 9. Ein Neuntes versteh ich, wenn Not mir entsteht mein Schiff auf den Fluten zu schützen; da still ich den Sturm auf der steigenden See und beschwichtige den Schwall der Wogen. Erklärung: hier muß der Laut »k« felgen, im glagolitischen Alphabete »kako« (= wie?) benannt; offenkundig ist dies gleichbedeutend mit dem lateinischen »Quos ego!«, womit die Wogen gebannt wurden, 10. Ein Zehntes verwend ich, wenn durch die Luft spukende Reiterinnen sprengen; fang ich den Zauber an, fahren verwirrt sie aus Gestalt und Bestreben. Erklärung: hier folgt der Laut »1«, benannt »ljudi« (oder »ijüti«) = Leute, Menschen oder: Böse, Furien. 11. Ein Elftes kann ich auch noch im Kampf, wenn ich den Liebling geleite; ich sings in den Schild, und er siegt in der Schlacht, zieht heil dahin und heil wieder heim, verharrt im Heil allenthalben. Erklärung: hier folgt der Laut »m«, benannt »mislite« = erwäget, seid vorsichtig! 12. Ein Zwölftes hab ich, hängt am Baum droben einer erdrosselt; ritz ich es dann mit Runen ein, herab steigt der Mann und redet mit mir. Erklärung: hier folgt der Laut »n«, benannt »nas«: Etymologie unverständlich, dürfte jedoch ein Zauberwort gewesen sein. 13. Ein Dreizehntes nenn ich: netz ich den Sohn eines Edlen im ersten Bade. so komm er in Kampf, er kann nicht fallen, es schlägt kein Schwert ihn zu Boden. Erklärung: hier folgt der Laut »o«, benannt »on«. Ist ia dieser Form etymologisch unverständlich; slovenisch bedeutet »ona-diti« — mit Stahl belegen; »on« muß also einst Stahl bedeutet haben. Vergl. auch das lat. »onero« = bewaffnen. 14. Ein Vierzehntes sing ich versammeltem Volk beim Nennen der göttlichen Namen, denn aller der Äsen und Alben Art kenn ich so gut wie keiner. Erklärung: hier folgt der Laut »s«, benannt »slovo« = das Friede. 15. Ein Fünfzehntes zähl ich, das Volksrast, der Zwerg sang vor den Toren des Tages den Äsen zur Stärkung, den Alben zur Kraft, mir selber die Stimme zu klären. Erklärung: hier felgt der Laut »r«, benannt »rci«; es dürfte dies ein Übungswort zum Aussprechen des »r« gewesen sein; ansonst scheint es »mit Worten bezaubern, beredt sein (russ. »rjecitj«)« zu bedeuten; in der Handschrift des hl. Hieronymus, dann in jener von Königinhcf u. a. »rci« = beteuern, versichern. 16. Ein Sechzehntes sprech ich bei spröder Maid mir Gunst und Glück zu erlangen; das wandelt und w'endet mir Gunst und Sinn der schwanenarmigen Schönen, Erklärung: hier folgt der Laut >s«, benannt »slovo«" = das gegebene Wort, das Heiratsversprechen. 17. Ein Siebzehntes hilft mir bei holder Maid, das nimmer sie leicht mich verlasse. Erklärung: hier folgt der Laut »t«, benannt »tvrdi, tvjordij« — hart; weist schon inhaltlich wie auch bildlich — mit Rücksicht auf die Form der Rune »t« — auf die Manneskraft. 18. Das Achtzehnte werde ich ewig nie einem Weib oder Mädchen melden; das bildet der Lieder besten Beschluß, was einer von Allen nur weiß außer der Frau, die mich ehelich umfängt oder auch Schwester mir ist. Erklärung: Dies dürfte der Buchstabe »h« oder »ch« sein, benannt »chjer, kher«, da nur dieser mehr dem vollständigen alten Runenalphabete fehlt. Russisch heißt »cheritj« — abschließen, das Kreuz machen, fertig sein. — Die 16.—18. Runenstrophe eignen sich allerdings wenig für pädagogische Zwecke, was dem Verfasser dieses mnemotechnischen Hilfsmittels gleich eingangs bewußt war. Viel wahrscheinlicher ist aber, daß der Translator den slavischen Originaltext nicht mit vollem Sprachverständnis ins Nordische übertragen, oder wird der nordische Text reibst, wie vorher angedeutet, heute unrichtig ausgelegt. In diesem Abschnitte der Edda, der wieder inhaltlich eine schwer abzuleugnende Paralelle im IV. Teile der indischen »Veda«, genannt »Ataraveda«, aufweist, erfährt man demnach, daß jene »Ve-da«-Vorlage tatsächlich eine »indische«, d i. slavische (windische) gewesen sein muß, da jenes Alphabet eben ein ausgesprochen sla-visches ist. Die Vorlage war demnach irgend ein altslavisches Schullesebuch, und muß es solche bereits in uralter Zeit gegeben haben, da man schon wiederholt (z. B. in Gurina in Kärnten, in Süditalien) zahlreiches Schulübungsmaterial (in Runen) ausgegraben hat, das nahezu zweifellos der vorchristlichen Zeit angehört. Über den Zusammenhang der Übereinstimmung des Inhaltes mit der indischen »Veda« einerseits, und den Gegensatz, daß hier ein slavisches Runenalphabet geboten wird, das die asiatischen Inder gar nicht kennen, andererseits, gibt die Edda selbst einigen Aufschluß, denn die nordische Götterlehre steht in irgendeinem Zusammenhänge mit der östlichen, namentlich byzantinischen Kultusgeschichte Die Odinsche Religion stammt, wie schon der normännische Annalist Dudo (X. Jahrhundert) schreibt, aus dem Osten; Saxo Grammaticus (f 1203) weiß, daß die Götterburg Asgard in Byzanz stand; die Erinnerung an goldführende Flüsse führt immer nach Süden, Südesten und Osten, nie nach Norden; Wodan muß mit einer russischen Prinzessin einen Sohn zeugen, um seines Bruders Tod zu rächen. Er geht an den russischen Hof und überlistet dort die Prinzessin. Dafür, daß er sich nicht wie ein Gott beträgt, stießen ihn die Götter in Byzanz aus ihrer Zunft, denn seine eigentliche Heimat war Byzanz usw. — Alles dies zu wissen, macht nun das Vorhandensein des altslavischen Runenalphabetes in der Edda verständlicher und erklärlicher, erfordert aber zugleich auch eine nähere Beleuchtung der byzantinischen Provenienz Man ist heute gewohnt von Byzanz mit Geringschätzung zu sprechen, da man hiebei vergessen hat, daß die slavisch-byzantinische Kultur, die man allzugerne mit »griechisch« verwechselt, am Ausgange des Altertums und zu Beginn des Mittelalters jene des Abendlandes weit übertraf. Wüßten wir dies nicht aus sonstigen Quellen und Schlußfolgerungen, so müßten uns diesbezüglich die zwei Berichte darüber genügen, die sich von Liutprand, dem Bischof von Cremona, erhalten haben, der zweimal in Gesandtschaft nach Konstantinopel geschickt wurde, u. zw. im J. 949 vom Könige Berengar, und 968 vom Kaiser Otto I. Und dieser Gesandte war gewiß nicht der erste beste Reisende, der sich nur deshalb gewundert hätte, weil er noch nichts Großes gesehen. Er war ein geschätzter Schriftsteller und aus dem italienischen Episkopat gerade deshalb auserwählt, weil er ob seiner Intelligenz, Gelehrsamkeit und Welterfahrung für die schwierige Mission am geeignetsten schien. / Sein erster Missionsbericht gehört zu den wertvollsten Geschichtsquellen jenes Zeitalters, u. zw. nicht nur wegen der Fülle interessanter Einzelheiten über das Konstantinopel des X. Jahrhunderts, sondern hauptsächlich als treue Wiedergabe des gewaltigen Eindruckes, den die Größe der oströmischen Kaiserstadt und der byzantinischen Kultur auf die Seele eines Abendländers jener Zeit ausübte. Selbst sein Vaterland, das doch auch zu jener Zeit im ganzen Abendlande bewundert wurde, erschien ihm armselig und unbeholfen, fast barbarisch im Vergleiche mit Byzanz, dessen Pracht und reiche Kultur den Italiener in Staunen versetzte. Hat doch das damalige Italien, das auch in jener Zeit als das Juwel des Abendlandes angesehen wurde, mehrere Jahrhunderte fortschreitenden Niederganges hinter sich. Es hatte längst aufgehört das Italien des alten Rom zu sein, und Jahrhunderte mußten vergehen, bis es sich wieder langsam zum Italien der Renaissance emporgeschwungen hat. Demgegenüber stand das stolze Byzanz da als Heimstätte einer überreichen Kultur des Altertums, als Zufluchtsort ihrer großen Überlieferungen, das auch das Glück hatte, durch keine jähe Erschütterung unterbrochen zu werden, daher aus sich zum neuen Rom wurde. Jenes Byzanz war aber durchaus auch kein »griechisches« Rom, wie man gewöhnlich annimmt, sondern ein slavisches, denn dort war der reiche Kulturboden für die Entwicklung der altslavischen Literatur und den Aufschwung der ost- und südslavischen Kirche, von wo aus sodann die russische Macht die befruchteten Keime ihrer kulturellen Entwicklung in die weiten Ebenen Osteuropas verpflanzte, wo sich sodann die gelungenen Kopien Byzanz' in Kiev und Novgorod bildeten, und von wo aus auch das Kultur- und Kultusleben der nordischen Völker bestrahlt wurde. Und so erklärt sich schließlich auch das Eindringen des altslavischen Runenalphabetes in die »germanische« Edda, sowie der reinslavische Name »Wodan« für den Allvater der nordischen Theogonie.1) , ü ‘) Ein kleines Bild der überaus hohen slavischen Kultur in Byzanz geben uns die slavischen Chroniken bei der Schilderung der Plünderung der Venetianer in Konstantinopel, als sie i. J. 1204 mit den Kreuzfahrern die Stadt einnahmen. Bei dieser Gelegenheit wurden nämlich alle Vorgefundenen wertvollen Handschriften, Kirchenbücher, Kirchengeräte, Reliquien, Devotionalien, Schnitzereien u. drgl. verladen und zum größten Teile nach Venedig überführt, ansonst aber in alle Welt verschleppt, da sich jedermann irgendein »Andenken« anzueignen trachtete. — Man glaubt, daß bei diesem Anlasse auch die Handschrift des hl. Hieronymus, sowie das glagolitische Evangeliumbuch zu Reims, auf welches sodann Frankreichs Könige den Krönungseid ablegten, geraubt wurden, sowie daß von jener Plünderung auch jene Achatschale, die nun als Haussegen des Hauses Habsburg in der kaiserlichen Schatzkammer in Wien verwahrt wird, stammt. über das Alfer der »glagolica« und »crkovriica«. Über das wahre Alter der glagolitischen wie »cyrillischen« Schrift wurde um die Wende des XVIII. Jahrhundertes viel gestritten. Der cechische Sprachforscher Dobrovsky, damals der angesehenste Fachmann auf sprach- und kirchengeschichtlichem Gebiete, vertrat die Meinung, das glagolitische Alphabet sei jünger als das »cyrillische«, denn letzteres stamme aus dem IX., ersteres aus dem XIII. Jahrhunderte, Damals wußte man freilich noch nichts von der Existenz der Handschrift des hl. Hieronymus, die zwar schon um das Jahr 1820 in Nordtirol bekannt war, aber erst i. J. 1836 vom Wiener Hofbibliothekar Barth. Kopitar als glagolitische Schrift erkannt, gelesen und der Text ins Lateinische übertragen wurde. Desgleichen wußte man damals noch nichts vom Vorhandensein uralter glagolitischer Palimpseste. Hingegen war es schon zu jener Zeit bekannt, daß ein Psalter aus dem. Jahre 1222 existiere, den der Kleriker Nikolaus von Arbe (Rab) »unter dem Papste Honcrius, unter den Kaisern Friedrich und Robert, unter dem Könige Andreas von Ungarn, unter dem Erzbischöfe von Spalato, Gunzellus, mit glagolitischen Buchstaben aus einem älteren slavonischen Psalter, der auf Kosten und Befehl Theodors, des letzten Erzbischofs von Salona, geschrieben worden sei, getreuabgeschriebenhabe.« — Da nun Salona um das Jahr 640 n. Chr. zerstört wurde, mußte sonach jene Verlage aus der ersten Hälfte des VII. Jahrhundertes stammen. Diese Tatsache bringt nun in die Streitfrage eine neue Zeitverschiebung, denn es liegt doch kein faßbarer Grund vor, diese Angaben anzuzweifeln, und dies gerade jetzt umsoweniger, nachdem wir durch die Handschrift des hl. Hieronymus wissen, daß schon um die Wende des IV, Jahrhundertes die glagolitische Schrift im praktischen Gebrauche war, daher man sie seit altersher traditionell auch als die hiero nymische benannte, weil die einstigen wichtigsten Kir- chenbücher für die Südslaven von Hieronymus stammten oder doch seinem Einflüsse zugeschrieben wurden. Daß demnach glagolitische Schriften vor den »cyrillischen « existierten, wäre somit als erwiesen zu betrachten, jedoch nur unter der Voraussetzung, daßletz.tere zweifellos dem IX. Jahrhunderte entstammt. Prof, Dr. Murko gibt über die beiden Schriftarten in seiner »Geschichte der älteren südslavischen Literaturen« (Leipzig, 1908) ein überraschendes Urteil dahin ab, daßdas aisglagolitisch bekannte Alphabet mit dem dem Cy-riil zugeschriebenen identisch sei.1) Murko schreibt (S. 46): »Konstantin, dem Philosophen, (d. i. Cyrill) wird bereits von den Zeitgenossen (Conversio, 870, Schreiben Johannes VIII., 880) die »Erfindung« einer slavischen Schrift zugeschrieben. Besonders beachtenswert ist das Zeugnis des Mönches Hrabr (aus dem Anfang des X, Jahrhunderts), der die slavische Schrift gegenüber den Griechen auch in der Weise verteidigte, daß er ihnen verhielt, sie hätten lange Zeit mit phönizischen (!) Buchstaben geschrieben und ihr Alphabet erst allmählich von vielen Männern erhalten, während Konstantin allein den Slaven sofort 38 Buchstaben nach dem Muster der griechischen geschaffen habe. Der Wirklichkeit steht nahe auch der Bericht der Legende, daß Kcnsiantin vor der Abreise nach Mähren die slavische Schrift »zusammengestellt« habe. Nun sind uns aber in ungefähr gleich alten Quellen zwei slavische Alphabete überliefert: das cyrillische, welches mit der griechischen Unzialschrift geradezu identisch ist, so daß griechische und slavische Handschriften des XL Jahrhunderts auf den ersten Blick von einander nicht unterschieden werden können, und das glagolitische (der Name kann bis ins XIV,. Jahrhundert hinauf verfolgt werden), das an Schriften des nahen Orients (Armenisch, Georgisch, Hebräisch) erinnert, sich aber bei näherer Betrachtung als eine konsequente Stilisierung der griechischen Minuskel- und Kursivschrift, die eben bei den Slaven schon vor Cyrill im täglichen Gebrauch stand, herausstellt. Für die zahlreichen, speziell slavischen Laute wurden Zeichen durch Veränderung und Kombinierung der griechischen hergestellt oder neue erfunden, oder aus einem, vielleicht sogar aus mehreren orientalischen Alphabeten entlehnt, was bei dem hochgebildeten Konstantin nicht so unwahrscheinlich ist, wie man manchmal meint. Auf jeden Fall trug seine vollkommen phonetische Schrift den feinsten lautlichen Nuancen des von den Brüdern beherrschten Dialektes Rechnung. Von den beiden Alphabeten kann jedoch nur eines von ihnen herrühren. Heute dari 1. Dasselbe behauptete übrigens auch schon Prof. J. Hanus in seiner Schrift: »Svaty Kyril nepsal kyrilsky nez hlahclsky« (Prag, 1857), d. h. »der hl. Cyrill schrieb* nicht cyrillisch, sondern g 1 a g o 1 i t i s c h«. es als vollkommen ausgemacht gelten, daß das glagolitische das ältere und von Cyrill zurechtgelegte ist, nicht aber dasjenige, welches im Laufe der Jahrhunderte mit seinem Namen verknüpft und als ein heiliges Vermächtnis der Slavenapostel betrachtet wurde. Man kann sich vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten sich diese Wahrheit, die zu den glänzendsten Resultaten del slavischen Philologie gehört, Bahn brechen mußte. Paläographische, sprachliche und historische Gründe sprechen dafür. Manche glagolitische Buchstaben sind ursprünglicher als die cyrillischen, einige stehen noch nach der linken Hand offen, nur der Zahlenwert der glagolitischen ist fortlaufend, der der cyrillischen dagegen durch Einschaltung griechischer Zahlzeichen unterbrochen; eine nicht unbeträchtliche Anzahl cyrillischer Handschriften ist aus glagolitischen abgeschrieben, was die Beibehaltung einzelner glagolitischer Buchstaben, Wörter und ganzer Stellen mit glagolitischer Schrift oder nur aus ihr erklärbarer Schreibfehler beweisen, während wir für den umgekehrten Fall keinen Beleg haben; ebenso sind nur Palimpseste bekannt geworden, in denen die glagolitische Schrift mit cyrillischen Denkmal, Savas Evangelistar, und in den Blättern Un-sten Zeit Beweise, daß manche cyrillische Initialen ihren Ursprung glagolitischen Mustern zu verdanken haben (typische Beispiele in dem cyrillischen Denkmal, Savas Evangelistar, und in den Blättern Un-doljskijs). In den meist erst in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts ans Licht geförderten älteren glagolitischen Handschriften finden wir altertümliche grammatikalische Fermen und Wörter, speziell die sogenannten Pannonismen, wrnlche in den cyrillischen Denkmälern mehr oder weniger beseitigt wurden. Wir besitzen weiter das Zeugnis des Klerikers Nikolaus von Arbe (aus dem Jahre 1222) für die Existenz eines glagolitischen Psalters in Salona (Spalato) aus dem Zeitalter des Methodius (?); selbst in Rußland, wo gleichfalls glagolitische Handschriften abgeschrieben wurden, haben wir für das XI. Jahrhundert ein Zeugnis (1047 aus Novgorod), welches nur so vernünftig gedeutet werden kann, daß die glagolitische Schrift damals als »cyrillisch« (kurilovica) angesehen wurde; in der Kathedrale von Novgorod wurden erst jüngst schön geschriebene glagolitische Graffitschriften auf Freskogemälden entdeckt«. — Hiemit wäre allerdings die Lösung clieser Frage ex cathedra herbeigeführt, indem man den widerspenstigen Knoten einfach und rücksichtslos durchhaut. Aber mit dem mechanischen Durchhauen dieses Knotens durch ein, wenn noch so gutgemeintes Autoritätsdiktat, ist die strittige Sache noch nicht erledigt, wenn sie, wie in diesem Falle, gleich hydraartig neue, schwere Bedenken erzeugt, denn die zu den »glänzendsten Resultaten der slavischen Philologie« zählende Lösung hat folgendes nicht berücksichtigt: a) die glagolitische Handschrift des hl. Hieronymus muß literar-geschichtlich in die Zeit vor das Jahr 640 n. Chr. verlegt werden, Diese ist aber schon in einem ungewöhnlich vollkommenen phonischen Alphabete verfaßt, das sonach mindestens 460 Jahre vor Cyrill bereits in Verwendung stand und wohl sicherlich nicht völlig unbegründet seit den ältesten Zeiten als das »hie-ronymische« bezeichnet wird. Cyrill, der vermeintliche »Zusammensteller« der glagolitischen Schrift starb aber i. J. 869 n. Chr. — Sollte jedoch eingewendet werden, daß jene Handschrift bereits eine Kopie sei, so ändert sich daran weiter nichts, denn die Vorlage war aber demnach jedenfalls in glagolitischer Schrift verfaßt; b) der Kleriker Nikolaus hatte eine Vorlage, die aus der Zeit vor dem Jahre 640 n, Chr. stammte, wenn in diesem Jahre Salona bereits zerstört war. Er sagt nun selbst, er habe das Original getreu abgeschrieben; aber dieses Original bestand doch schon 230 Jahre vor Cyrills Tode. Nikolaus’ Angabe anzuzweifeln, hiefiir liegt jedoch kein sichtbarer Grund vor; c) gibt es auch etliche, namentlich in Bulgarien entdeckte Palim-seste, wie z. B. Evangelienkodex von Bojana (bei Sofia), in denen alte glagolitische Schriften schon durch alte cyrillische Schrifttexte überdeckt sind. Wer kann nun beweisen, daß darunter keine älteren glagolitischen Texte, als solche nach der Lebenszeit Cyrills sind? d) Ist es geradezu unmöglich der Anschauung beizupflichten, daß die glagolitische Schrift nur als eine stilisierte griechische Minuskel- und Kursivschrift anzusehen sei, denn der Vergleich der beiden Alphabete bietet da, solche Abweichungen, wie kaum bei zwei sonstigen grundverschiedenen Alphabeten, Bekanntlich wurde doch die Hieronymus-Handschrift von den deutschen Schriftgelehrten — bis Kopitar — immer für eine k u f i s c h e oder syrische Schrift, aber absolut für keine griechische oder dieser verwandte Schrift gehalten, was doch naheliegend wäre, sofern sich da nur einige Formähnlichkeit bieten würde. Die glagolitische Schrift ist demnach schon sehr alt und wohl aüch weit älter, als die Lebenszeit des hl. Hieronymus, denn es hat wenig Wahrscheinlichkeit, daß jemand ein neues Alphabet in jenem Momente aufstellt, als er für seine Landsleute die Bibel übersetzt oder kommentiert, da ja sonst die religiös-pädagogische Wirkung durch die technischen Schwierigkeiten der Lesemöglichkeit ohne den gewellten Erfolg bliebe. — Hiefür spricht aber auch noch der Umstand, daß Hieronymus selbst wiederholt in seinen Schriften vom Alphabete eines gewissen Aethicus spricht, und hält auch K. Petz (»De cosmo-graphia Ethici«, Berlin 1853) dafür, daß dieser um die Mitte des IV. Jahrhundertes lebende Slave nach allem der wirkliche Erfinder der glagolitischen Schrift war, d. h. auch Petz nimmt eben jenen Mann als Urheber, den man geschichtlich noch festzuhalten vermag. — Die Einführung der neuen Schrift geht aber noch weit schwerfälliger vor sich, wie etwa eine neue Münzwährung; für eine solche Umwertung genügt meist nicht einmal die Zeit einer Generation; um wie viel schwieriger ist dies noch bei Einführung einer neuen Schrift! Überdies erwähnt schon Klemens Graf Grubisich in seiner i. J. 1766 in Venedig erschienenen Abhandlung »In originem et historiam alphabeti Slavonici Glagolitici, vulgo Hieronymiani disquisitio«, wonach das glagolitische Alphabet schon lange vor Christi Geburt ein gewisser Fenisius aus Phrygien zusammengestellt und hiebei die getischen Runen zur Grundlage genommen habe. Daß daran etwas Wahres ist, beweisen schon die phönizischen Münzen, die z. B. ein glagolitisches »B«, ansonst aber auch »cyrillische« wie lateinische und koptische Buchstaben zur Schau tragen. Weher Grubisich diese Daten entnommen, ist einstweilen nicht bekannt. Wir wissen aber, daß um das Jahr 1640 auch schon Raphael Lenakovich einen Dialog »De litteris antiquerum Illyriorum« schrieb, der Ähnliches behauptet. Diesem ging wieder Wilhelm Posteil voraus, der in seinem in Paris, 1538 gedruckten Werke »Linguarum XII. charakteribus differentium alphabetum« in ganz Europa die Annahme verbreitete, daß das glagolitische Alphabet von Hieronymus stamme, welcher Anschauung auch Dobner beipflichtete. — Es ist an allem entschieden etwas Wahres; daß aber diese Annahme namentlich der Abbé Dobrcvsky bekämpfte, ist nicht verwunderlich, denn dieser argwöhnte in allen alten Denkmälern nur Fälschungen, und hatte überhaupt für großzügigere Kulturemanationen der Altslaven eine sehr bescheidene Meinung, sowie überhaupt eine krankhafte Skepsis gegen das Vorhandensein welcher altslavischer Kulturdenkmäler im allgemeinen.") Übrigens wurde bei den Albanesen von J, v. Hahn ein Alphabet entdeckt, das dem glagolitischen stark ähnlich sieht; der Erfinder soll ein Albanese namens Büthakukye gewesen sein. Man glaubt, daß diese Schrift bereits im II. Jahrhunderte, als die Christianisierung Albaniens eingesetzt hat, in Gebrauch getreten sei; positive Beweise fehlen hiefür, aber sehr alt ist diese nun schon ganz aus dem Verkehr getretene und vergessene Schrift auf jeden Fall. Doch auch die »cyrillische« kann unmöglich ven Cyrill stammen, da es eben weit ältere Belege auch für diese Schrift gibt. Sehen wir auch ganz ab ven »cyrillischen« Inschriften, die uralt sind, die wir bis nun noch nicht entziffern konnten, so kennen wir aber doch auch lesbare Belege, deren Ursprung in das vorchristliche Zeitalter einzu- -) Ein drastisches Beispiel hiefür ist Dcbrovskys Erklärung der Grünberger Handschrift als ein »Geschmiere« Hankas und Lindas, che er überhaupt das Original gesehen. reihen ist, da sie offenkundig noch zum Kultur inventar der alten Et-rurier gehören. Vergleicht man zum Schlüsse noch die Vergangenheit mit der Gegenwart, so gelangt man folgerichtig zu. dem Resultate, daß es einst genau so, wie heute, viele Alphabet- und Schriftarten gab. Haben doch heute genau so die Deutschen, die Russen, Serben und Bulgaren, die Griechen, die Albaner, die Juden usw. eine eigene Schrift; die Alphabete weichen sogar bei den einzelnen Slavengruppen, wie Slo-venen, Kroaten, Cechen und Polen, die sonst doch alle die lateinische Schrift anwenden, auch noch wesentlich ab. Dasselbe gilt für die Russen, Serben und Bulgaren für die cyrillische Schrift. Alle diese Völker können sich aber heute bei dem unvergleichlich erweiterten Verkehre und den erhöhten Bildungsprämissen nicht einmal zu einer gemeinsamen Schrift oder einem einheitlichen Alphabete zusammenfinden; wer will aber dies nun bei den alten Völkern voraussetzeni Unter diesem Gesichtspunkte ist es daher überhaupt nahezu aussichtslos, über einen zeitlich begrenzten Ursprung der glagolitischen wie »cyrillischen« Schrift zu kalkulieren, da doch die meisten Kulturemanatiorien nicht Augenblickswerke, sondern ein Produkt von Jahrhunderten sind, was analog auch für die Entwicklung der verschiedenen Schriftarten gilt: auch für diese muß man den gangbaren Trugschluß wegräumen, als ob die Alphabete gerade in jenem Zeitpunkte konstruiert oder entdeckt werden wären, aus welchem deren ältester Existenzbeleg vorliegt. Mit dem vermeintlichen Erfolge der siavischen Philologie, die demnach die glagolitische Schrift mit der »cyrillischen« in eins zusammenschweißen wollte, ist in der Forschung daher kein Weiter-kemmen möglich, da weit ältere Belege jene Annahme null und nichtig machen. Hingegen läßt sich auf Prof. Murkos Feststellung, wonach »die griechische Minuskel- und Kursivschrift bei den Siaven schon vor Cyrill im täglichen Gebrauche stand«, für die weitere Klärung der Streitsache geradezu Positives erbringen, und bereits auf dieser Grundlage ein sehr solider Bau aufführen, doch muß man hiezu sofort die ungeschminkte Wahrheit aussprechen, wonach die vermeintliche griechische Originalschrift gar nicht griechisch im heutigen Sinne, sondern ein slavisches Originalist, undumgekehrterstvonden Griechen übernommen wurde, wie dies auch schon der Mönch Hrabr richtig andeutet. Um dieses überzeugend zu beweisen, ist es nicht nur notwendig hiefür möglichst viele demonstrative Belege zu erbringen, sondern vor allem den Begriff »Grieche« etymologisch, historisch wie ethno- logisch klarzulegen, da sich diesbezüglich im Laufe der Zeiten die Anschauungen stark ineinander verschoben haben. Etymologisch bezeichnet das slavische »grk« einen starken, kernigen Mann, einen Helden; in der sprachlichen Fortbildung wurde im Deutschen der Begriff »Krieger« daraus, und gab es eine Zeit, wo »Grieche« und »Krieger« im Deutschen noch als gleichbedeutend galten, wie es z. B. in einem Gedichte von Jakob Sturmen heißt: »Krieg und Römer möchten prahlen Mit der toten Steine Pracht . , .« Der ethnographische Name »Grieche« hat aber an sich eine unnatürliche geschichtliche Entwicklung genommen, denn jenes Volk, das wir im Altertum wie heute als »Griechen« benennen, hat sich niemals, also weder einst noch heute, selbst so benannt, sondern immer nur als »Hellenen« und deren Land lautete und lautet noch »Hellas.« Die Bezeichnung »Grieche« und »griechisch« ging dann auf das Religionsbekenntnis über, denn »grški, grčki« nahm analog der Urbedeutung Held, starker Mann auch den Wert von g 1 a u-b e n s stark, Glaubensheld an, und hat sonach mit dem Hellenentum keinen organischen Zusammenhang. Anhänger dieser Religion nannte man dann allgemein/ »Griechen«, und ging dies so weit, daß man im Mittelalter jeden Kaufmann, der vom Balkan oder Rußland auf Rügen, nach Prag, Krakau, Vineta usw. kam, als »Griechen« kennzeichnete, was allerdings mit dessen Religion in den meisten Fällen auch stimmte. Die Stammbewohner von Hellas wie Morea waren einst zweifellos Slaven, denn die Ortsnamen, wie: Brezova, Chelm, Černiča, Gorica, Granica, Grebeno, Kaminica, Kastanica, Kočiva, Opsina (Opčina), Sela, Straža, Vlachohoria, Zupena u. ä. auf Morea, oder Athen, das nur Otinje (= Schutzpunkt, umfriedeter Verteidigungsplatz) einmal gelautet haben kann, daher auch der Pluralgebrauch verblieb, können unbedingt nur von Slaven stammen. Dieses bestätigen auch die bezüglichen Ursprungssagen, die erzählen, die eingewanderten Hellenen haben die Vorgefundenen bodenständigen »Pelasgi« unterjocht, bezw, sich mit ihnen assimiliert. Diese »Pelasgi« hießen aber richtig geschrieben oder ausgesprochen: »Vlahi« oder »Viaski«, wie diese Namen noch heute gebräuchlich sind, oder auch »Blazii«. Daß aber diese Slaven waren, bezeugt der Presbyter Diokleas (XII. Jahrhundert), denn er erzählt, die »Wlachi« seien, um sich besser gegen die vordringenden Slaven zu verteidigen, in die Gebirge Griechenlands geflohen, wo sie »Nomaden« wurden, und sich zu ihrem Schutze Kastelle und Wachhäuser (ca-stella et aedificia) erbauten. Von welcher Richtung diese Slaven ka- men, ist daraus nicht ersichtlich. Hingegen schreibt Konstantin der Rothaarige, daß im VIII. Jarhunderte für Hellas die Gefahr bestand, vollkommen slavisiert zu werden, — Desgleichen bestätigt dies logisch auch Josephus Flavius, der zum Jahre 93 n. Chr. über die Hellenen schreibt: ». , . . indem sie in den letzten Jahrhunderten die Macht errangen, eigneten sie sich den Ruhm der Alten an, da sie die Nationen mit Namen benannten, die nur ihnen allein verständlich waren, und selben, als von sich Abstammenden, Staatsformen bestimmten . . .« — Hiefür, daß die Urbewohner des heutigen Hellas Slaven waren, wurden nun im Vorgesagten schwerwiegende Beweise erbracht. Aber auch die Sprachwissenschaft tritt für diese Behauptung kräftig ein, da das »Griechische« im Grunde genommen eine wurzelverwandte, aber äußerlich stark umgeformte slavische Sprache ist, denn die Wurzelformen sind einmal schon so übereinstimmend, daß man bei umfassenden Vergleichen zur Erkenntnis gelangt, der Slave verstehe das »Griechische« bei feinem Sprachgehöre fast ohne weitere Vorbildung, wenn die griechischen Begriffe alle jene der Sprache eigentümlichen Zutaten, die das Slavische nicht kennt, abstoßen,3 4) Nach dieser Klarstellung der wirklichen Verhältnisse in sprachlicher wie geschichtlicher Hinsicht wird es nun leicht, auch die slavische Priorität der sogenannten griechischen Schrift historisch wie paläographisch zu beweisen. Die glagolitische Schrift kommt hiebei überhaupt weiter nicht in Betracht, da deren Existenz, wenigstens einstweilen, für ein höheres Alter, als die Hieronymus-Handschrift, noch zu wenig belegt ist, und hat es den Anschein, als ob sie überhaupt seinerzeit mehr als Gelehrten- wie als Volksschrift im Gebrauche gewesen wäre, da deren große Lautzahl (43) an sich für die Volksbildung schwerfällig, daher minderen Erfolg versprechend erscheint. Die Entwicklung des »griechischen« Alphabetes ist, soweit eben Traditionen, Chronikaufzeichnungen und Schriftdenkmäler darüber Kunde geben, folgende. Das primäre Alphabet bestand aus 16 Buchstaben, analog wie auch das älteste Runenalphabet, u. z. »a, v, g, d, e, i, k, m, n, o, r, s, t, u«. Algemein wird behauptet, dieses Alphabet hat Kadmos der Milesier,3) in Hellas eingeführt, obschon die sla-vischen Chroniken sonst behaupten, es war dies Palamid (Palamedes), der weise Grieche, der vor Troja von den Griechen selbst gesteinigt wurde. Kadmos (Kadm), Simonides (Simonid Hlsuskij) und Epihart 3) Vrgl. z. B. Dankovszky, Die Griechen als Stamm- und Sprachverwandte der Slaven«. Pressburg, 1828. — Analoges bezeugen die verschiedenen Schriften Fallmereyers, wie »Geschichte der Halbinsel Morea im Mittelalter«. (München, 1831.) 4) Ob da nicht Venedig gemeint ist, das Mletci (Lokal; von Milet) lautete, muß in Frage bleiben für die weiteren Forschungsergebnisse. von Syrakus hätten nur Buchstaben beigegeben, um das Alphabet auf 24 Laute zu; bringen. Jene 16 Laute müßten sonach das älteste slavische Alphabet bilden. Wir nennen es deshalb gleich das slavische, weil darin der Buchstabe »b« selbst nach der Ergänzung auf 24 Laute noch immer fehlt, daher man folgerichtig einst auch nicht »Alphabet« sondern »Alphavita« sagte. Hingegen behauptet man doch allgemein, daß dem griechischen Alphabete der Laut »v« vollkommen fremd war. Dies widerlegt aber das »Alphabetum graecum«, das i. J. 1550 in Paris ausgegeben wurde, denn im Werkchen ist zu lesen, daß der zweite Buchstabe »vita« laute, und wird das »B« darin typegraphisch in »cyrillischer« Schreibweise gebeten, obschon sonst ausschließlich griechische Buchstaben gebraucht werden. Dieses »B« hatte daher ursprünglich auch im Griechischen die Bedeutung von »v«, denn Namen wie »Valerius, Nervi« schrieb noch Flutarc.h als »ßcdtQiog« oder »ovaUqiog«, dann »Neyßioi« u. ä, — Die Annahme, daß das griechische Alphabet das ältere wäre, ist daher ganz ausgeschlossen, und bestünde da noch ein Zwmifel, so fügt das Pariser Lehrbuch für alle Fälle zu, daß z. B. das griechische »ßuoßo.Qog* als »varvaros« auszusprechen sei, denn »B, ß facit u (v)«, heißt es daselbst. Ein weiterer Hinweis, daß das slavische Alphabet älter ist, liegt in der Bewertung der Laute für Zahlen, denn es ist doch a1, v = 2, g = 3 u. s. f.; »b« hat hingegen gar keinen Zahlenwert, was untrüglich dahin weist, daß der Laut ursprünglich der Alphabetskala fehlte, demnach mit keinem Zahlenwerte belegt werden konnte. Auffallenderweise kommt im Altslavischen der Laut »b« noch heute nicht vor, wo es sich um die ältesten Namen handelt, wie z, B. in der Genesis, denn keine altslavische Chronik schreibt da etwa »Abra-am«, sondern immer und konsequent nur »Avraarn«, »Jakov« nicht »Jakob«, »Avel« nicht »Abel« usw. — Es ist dies ein Hinweis, daß die älteste Quelle diese Namen noch in einem »b«-losen Alphabete nieders.chrieb, dem aber auch noch die Laute »z, c, s« fehlten, nachdem diese auch keinen Zahlenwert erhielten. So kommt es auch, daß die Biblischen Namen überhaupt auch im Altslavischen kein »b, z, c, s« aufweisen, obschon man weiß, daß »Enos« z. B. als »Jenos« ausgesprochen wurde. Es zeigt dies, daß das älteste slavische Alphabet jenem der Handschrift vcn Grünberg ähnlich gewesen sein muß, wonach derselbe Laut mehrere Laute vertrat, die der Leser bei jedem Begriffe richtig einsetzte, wenn er die Sprache beherrschte; für den der Sprache Unkundigen war aber freilich auf diese Weise ein phonisch richtiges Lesen unmöglich/’) *) Das heute schwerfälligste wie auch typographisch unökoncraischeste Alphabet ist bekanntlich das deutsche, das einerseits für einfache Laute 3-—4 Lautkombinationen (sch, tsch) bilden muß, andererseits aber gewisse Laute, wie: z, z dabei noch immer nicht phonisch wiedergeben kann. — Das schwerfälligste Alpha- Dieser Umstand zeigt weiter auch, daß das glagolitische »Azbu-kavedi«, bei dem der Laut »b« vom Hause aus vorhanden ist und logischerweise auch den Zahlenwert 2 besitzt, das gleichfalls vorhandene »v« aber mit 3 bewertet, mit dem »cyrillischen« Alphavita gar keinen g-ene re Men Zusammenhang haben kann,' d. h. beide bildeten sich unabhängig von einander. Von diesem Gesichtspunkte wäre auch rückzuschließen, daß das glagolitische Az’bukavedi wesentlich jünger sein müsse. Auffallend ist auch die vcrcyrillische Anwendung des »s«, in der »cyrillischen« Darstellung als »c«. Die griechische Schrift kennt heute diese Darstellung in ihrem Alphabete zwar nicht, nichtsdestoweniger wissen wir, daß dieses; »c« (in der »s«-Bewertung) in mittelalterlichen griechischen Schriften ziemlich allgemein im Gebrauche war. Es soll aber hier gezeigt werden, daß dieser »cyrillische« Laut auch schon in vorchristlicher Zeit den gleichen Lautwert hatte, denn wir wollen an konkreten Beispielen systematisch darlegen, daß es auf dem ganzen Wege von der Lebenszeit Cyrills bis mindestens weit in das erste vorchristliche Jahrtausend hinaus Zeugen gibt, die durch ihre Existenz allein den unanfechtbaren Eid ablegen, daß die »cyrillische« Schrift unmöglich vom Apostel Cyrill stammen kön-n e.11) — Allenthalben kann jedach und einstweilen, so lange in dieser Hinsicht keine Gegenbelege auftauchen, zugegeben werden, daß von Cyrill möglicherweise die Ergänzung und Vervollkommnung jenes Alphabetes mit den Zischlauten, deren Mangel sich in slavischen Sprachen besonders fühlbar machen würde, herrührt. Nichtsdestoweniger stoßen wir auch da auf keine Originalität mehr, da das glagolitische, als das ideal vollkommenste phonische Alphabet, längst früher vorhanden und wohl auch Cyrill, einem so hochgebildeten Manne, kaum unbekannt war. Alles dieses eingehend zu besprechen, erforderte die endlose Streitsache an sich, weil erst eine übersichtliche, mit verschiedenen bet unter den Slaven haben die Polen, das in seiner Unbeholfenheit dem magyarischen gleichkonimt, und natürlich die elementare Schulbildung wesentlich erschwert. Das einfachste und vollendetste Alphabet besitzen die Südslaven, daher auch der: Effekt der Volksschule hier unter gleichen Voraussetzungen ein wesentlich größerer ist, weil das Kind keine diakritischen Zeichen und keine Rechtschreibungsregeln zu lernen braucht, nachdem alles phonisch geklärt ist. — Das cechische wie russische Alphabet sind aber noch einer wesentlichen Vereinfachung bedürftig. — '3 Viele Literaten haben sich da eine äußerst bequeme Methode zurecht-gclegt: sie negieren alles cder erklären alles als falsch, was sie selbst nicht erfassen, und überlassen dann anderen die Erbringung der Gegenbeweise; werden aber solche erbracht, so bemüht man sich lediglich diese totzuschweigen, ñuf diese Art wurde die ganze Forschungstätigkeit in den verwichenen Dezennien lahmgelegt, und nur so erhält sich eine »Wissenschaft« künstlich am Leben, die organisch tot ist. 13 Zeitdokumenten belegte Zusammenfassung läuternd und überzeugend wirken kann. — Nachstehend sollen nun einige Schriftdenkmäler erweisen, daß die »cyrillische« Schrift nicht vom Apostel Cyrill stammen kann, d. h. daß ihre Existenz wesentlich älter ist. I. Ein „cyrillisches“ Dekret des Papstes Leo IV. v. Jahre 843. Im Besitze des montenegrischen Fürstenhauses Černojevič befand sich im XVIII. Jahrhunderte ein vom Papste Leo IV. stammendes Diplom, das folgenden altslavischen Text in »cyrillisther« Schrift hatte: »Božieju milostiju mi Leon četverti papa vethego Rima, i sudija selenski, namjestnik svetagc verhovnago apostola Petra: daem i razde-laem episkopate po pravilom svetih apostolov. I daem vlast preozves-tenjeišemu mitropolitu Albaneskomu, da imjeet šilu i vlast duhovnu i nikotorim carem ili vlastitelem da ne budet otemljeno no potvržde-no i sederžanc po pravilom svetih apostol Petra i Pavla i pročih. I da budut semu episkopu granice ili kufini od istoka od Olbanie kako sastoit Skadar do Bieloga polja, od zapada kako sostoit adrianickoe more do Raguzii, od severa da imjeet do Zahlmie, Sila duhovnie vlasti da imjeet vezati i rešiti. Dato v ljeto Hristovo 843 va vethom Rime«.7) Dieses päpstliche Dekret wurde schon im XVIII. Jahrhunderte von Caraman wie Alter deshalb als falsch erklärt, weil: a) dort das Jahr 443, in welchem Jahre kein Leo IV. Papst war, verzeichnet sei; b) weil die cyrillische Schrift für diese Zeit anachronistisch sei; c) weil dort das lateinische »dato« steht, statt des slavischen »dano«. — In der Wirklichkeit ist die Sache so: ad a) im Texte steht nicht 443 sondern 843, denn das o gilt als cyrillischer Zahlwert für 800; es muß da jemand das verblaßte »o« für »y« (= u, y) gelesen haben, das tatsächlich nur den Wert 400 besitzt; Papst Leo IV. wurde allerdings erst 847 Papst. Differenzen von paar Jahren sind in alten Zeitangaben geradezu eine Regel, weil das 7) Deutsch: »Wir von Gottes Gnaden Leo IV. Papst des alten Rom, allgemeiner Richter, Stellvertreter des hl. Oberapostels Peter: wir geben und verteilen die Episkopate nach den Weisungen der hl. Apostel. Und wir geben die Macht dem allergetreuesten Metropoliten von Albanien, daß er Gewalt und geistliche Macht habe, die ihm kein Car und kein Adeliger verkümmern darf, sondern bestätigt und aufrechthält nach den Weisungen der hl. Apostel Peter und Paul wie die übrigen. Und die Grenzen und Abschnitte dieses Erzbischofs sind: im Osten von Olbania, wo Skadar besteht, bis zum Bjelopolje; im Westen vom Adrianischen Meere bis Raguza; im Norden bis Zahlumje (Herzegowina). Die geistliche Gewalt ermächtigt ihn zu binden und zu lösen. Gegeben im Jahre Christi 843 im alten Rom«. — • Basisjahr verschieden berechnet und angenommen wurde; in dieser Hinsicht wäre also der geschichtliche Teil richtig oder vollkommen glaubwürdig; ad b) eine »cyrillische« Schrift wäre weder i J, 443 noch i, J. 843 ein Anachronismus, da sie überhaupt viel älter ist. Nachdem aber Cyrill i. J. 869 im Alter von 42 Jahren gestorben ist, kann die Schrift selbst v. J. 843 unmöglich von ihm stammen, da er damals erst 16 Jahre alt war; ad c) kann im Slavischen »dato« (= gegeben) genau so angewendet werden, wie »dano«, wie man ja z. B. auch zugleich »udat« und »udan« gebrauchen kann. Caraman wie Alter stoßen sich dabei natürlich auch an die Völkerwanderung, denn sie sagen, im V. Jahrhunderte wohnten in Illyricum überhaupt noch keine Slaven. Sonderbarerweise kam aber keiner auf den schlagendsten Anachronismus, denn i. J. 443 gab es überhaupt noch keine c h r i s 11 i c h e Zeitrechnung, zumal erst im VIII. Jahrhunderte, und da nur in Rom, ganz vereinzelt die chronologische Basis der Geburt Christi zur ersten Anwendung kommt/) An eine Fälschung dieses Dekretes ist daher nicht zu denken, denn dem Fälscher müssen wir doch zumuten, daß er wußte, wann der Fapst Leo IV, regierte, daher keinen Zeitfehler von 400 Jahren machen wird. Will aber jemand absolut an der Fälschung festhalten, so muß jede Verteidigung dieses Schriftstückes abgebrochen werden, denn eine solche Meinungsverschiedenheit ist sodann nur unter Ausschaltung aller Vernunftsprämissen diskutabel. Da wir aber auch andere Beweise haben, braucht gerade dieses Dokument nicht gegen die Unvernunft ernstlich verteidigt werden. II. Eine „cyrillische" Inschrift auf einem Veronika-Tuche. Unter den vatikanischen Reliquien befindet sich ein kleines Gemälde, das den Christuskopf auf dem Veronika-Tuche darstellt, mit der Beischrift: »obraz gospoden na ubrusje«, d. i. »Bild des Herrn auf dem Abwischtuche«. (Fig. 1.) Bei diesem, wie man allgemein annimmt, den ersten christlichen Jahrhunderten angehörenden Gemälde, fällt es vor allem auf, daß das »b« bereits dem angewendeten Alphabete angehört, sowie, daß die »cyrillischen« Halblaute schon existieren, demnach keine Erfindung Cyrills sein können. In diesem Falle ist aber eine Tatsache für die Altersklassifikation besonders bemerkenswert. Wie der Verfasser schon in den Schriften über »Slavische Runendenkmäler« feststellte, war es s) Vrgl. auch den Artikel »Die slavische Weltära«. 13* einst gar keine Regel oder Gewissenssache, die Buchstaben beliebig gekehrt anzuwenden. Auch hier zeigt sich diese Freiheit noch, denn die Laute »BR« in »obraz« sind normal-, jene im Worte »ubrusje« aber beide nach rückwärts gedreht. Für die Annahme jedcch, es handelte sich dem Schreiber hier um die Herstellung der* Symmetrie, spricht nichts. Wenn nun Prof. Mürko hervorhebt, daß glagolitische Buchstaben »noch nach der linken Hand offen sind«, daher als älter erscheinen, so wurde hier dargelegt, daß dieselbe Erscheinung auch bei älteren »cyrillischen« Schriften zutrifft, sonach damit nichts bewiesen ist. F C3 ¡TO Fig. 1. Bei diesem Gemälde weiß man übrigens gar nicht, ob sich in. Rem das Original selbst oder nur eine Kopie befindet, denn es wird angeblich sub poena excommunicationis niemandem mehr gezeigt, sofern nicht der Papst persönlich hiezu die Bewilligung erteilt, wie dies A.- S. Petrusevic in der Broschüre »O drevnjejsih ikonah s kirili-ceskimi napisjami nahodjascihsja v Rimje«,") S. 5, der auch die Schrift entnommen ist, mitteilt. Eie tieferen Gründe für diese Geheimhaltung sind nicht bekannt, ”) D. i. »Über die alten in Rom sich befindenden Gemälde mit cyrillischeh Aufschriften«. Lemberg, 1860. — Die wievielte Kopie des Originales unsere Reproduktion bereits ist, wissen wir nicht, aber der Umstand, daß die Laute »JE« im Worte »ubrus-je« mit der Type »B« dargestellt sind, zeigt, daß entweder die Kopierung eine mangelhalte war, oder es wurde bei der Vervielfältigung, wie es in alten Druckereien nicht selten der Fall ist, beim Fehlen gewisser Typen unbedenklich eine solche eingesetzt, die der fehlenden etwas ähnlich war. Solche typographische Notbehelfe dürfen daher bei der paläographischen Beurteilung alter Drucke nicht auf andere Vermutungen führen, da sie sich gelegentlich wiederholen. III. Die „cyrillische“ Inschrift auf dem Apostelgemälde in Rom. Unter die ältesten Gemälde des Vatikans zählt man ein auf Holz gespanntes Ölbild, das die Apostel Peter und Paul darsfellt, und die offenkundig später beigefügte Notiz trägt: »Pervetusta effigies SS. Apostolorum Petri et Pauli, quae custoditur inter S. reliquias in Vaticana ecclesia.1") Man erzählt, daß es bis zum VI. Jahrhunderte in einem Altäre der Petruskirche stand, dann aber ausrangiert und unter die Reliquien aufgenommen wurde. Nach Art der Ausführung (s. Tafel IV.) dürfte das Bild den ersten christlichen Jahrhunderten angehören. Hingegen glauben andere, jedenfalls irregeführt durch die beigegebene »cyrillische« Inschrift: GTLI : IIETPJ : IC : XC : CTLI : IIABLtl das Gemälde könne vom heiligen Method herrühren, der, einer Legende nach, auch Maler. gewesen sein soll, und hätten die beiden Apostel i. J. 867 dasselbe zugleich mit den Reliquien des hl. Kliment dem Papste Hadrian II. nach Rom als Geschenk gebracht.rt) Die Jüngermachung des Gemäldes suggerierte hier demnach lediglich die »cyrillische« Schrift, wobei es überdies höchst unwahrscheinlich ist, daß Cyrill als »Entdecker« der Schrift so unkonsequent schreiben würde, denn beim Worte »Petr« ist das »jer« durch ein nach links gewendetes L dargestellt, obschon das sogenannte Rheimser Evangelium hiefiir auch gewisse Analogien aufweist. Zweifellos ist dieses Gemälde samt Inschrift sehr alt, d. h. v o r-cyrillisch, und könnten genauer Orientierte über das Alter des Bildes vielleicht eine positive Entscheidung bringen, wenn feststellbar wäre, seit wann der Apostel Petrus mit dem Schlüsselatribute dargestellt wird, denn auf unserem Bilde hält er noch eine Pergamentrolle in' der Hand. Im allgemeinen liegt aber nicht der geringste Grund vor, die Traditionen über dieses Gemälde anzuzweifeln, abgesehen davon, daß wir doch noch andere Belege haben. lü) D. i.: »Uraltes Bildnis der hl. Apostel Peter und Paul, das unter den hi. Reliquien der vatikanischen Kirche verwahrt wird«. u) Diese Annahme hat folgende Grundlage. König Bogor von Bulgarien bat den Kaiser in Konstantinopel, er möge ihm einen Malet- senden, der die Wände seines Palastes schmücken soll. Da alle Kunst damals in den Händen der Mönche lag, sandte man ihm einen Mönch, namens Method. Dieser bekehrte sodann auch den König Bogor und der Patriarch von Konstantinopel schickte einen Bischof nach Bulgarien, der i. J. 865 den König auf den Namen Michael taufte. — Der Name »Method« führte hier zweifellos zu der Annahme, es sei dies der Apostel Method selbst gewesen, was «fohl schon deshalb unglaubwürdig ist, weil sich Method als Bischof wohl nicht mit privatem Wandmalen in Bulgarien beschäftigt haben wird. IV. Eine Gemme mit slavischer Inschrift. Ulrich Friedrich Kopp bietet in seinem Werke »De varia ratione Inscripticnes interpretandi obscuras« (1827) die in Tafel IV. ersichtliche Gemme, ohne weiter einen Aufschluß oder eine Vermutung über den Inhalt der beiderseits darauf befindlichen Schrifttexte anzufügen. Die Vorderseite zeigt die entblößte Venus zwischen dem, wie man annimmt, zu ihr fliegenden Cupido und einer Venustaube; der obere Teil der Figur ist stark beschädigt, — Wolahski liest die beigesetzte Schrift in »Schriftdenkmäler der Slaven vor Christi Geburt« (1850) als: »ster. koupida ra. menfi«, und hält es für Abkürzungen der Worte »sterela Koupida ranit Menfi«, d, h, der Pfeil Cupidos verwundete Menfi«, für welche Lesung aber so lange keine Bürgschaft vorhanden ist, bis nicht Analogie'n vorliegen. Die Schrift auf der Rückseite ist hingegen ungekürzt und inhaltlich dem Slaven ziemlich leicht verständlich; sie lautet: »jao, savaot adynii, in kli jea laitsa, idut u tartarousko tin«, d, h.: »Jao (Jahve) Savaot (ist) der Alleinige, und wer ihn lästert, wandert in des Tartarus Schatten«. Hier wird also das »cyrillische« c auch schon für »s» angewendet und »b« für »v«, denn die hebräische Schrift hat bekanntlich auch kein eigenes »b-- und beginnt dessen Alphabet gleichfalls mit a, v, g usw., daher nicht »Sabaot« sondern »Savaot« gelesen werden muß. Das Alter dieser Gemme ist nicht bekannt, nur besagen die Traditionen, daß sie den etrurischen Kulturdenkmälern anzureihen sei. Der Text selbst, ein Gemisch der hebräisch-lateinischen religiösen Anschauungen bietend, wie sie etwa etliche Jahrhunderte vor Christus irgendwo in Italien oder am Balkan bei den Slaven vorherrschten, läßt absolut keinen Zweifel über dessen Slavizität zu, und beweist nebstbei, daß die Slaven schon in jener Zeit in »cyrillischer« Schrift schrieben.“-) V. Eine weitere Gemme mit slavischer Inschrift. In Montfoucons Werke über »Etrurische Altertümer« befindet sich die in Fig 2 ersichtliche Gemme. Die Vorderseite zeigt eine kräftige männliche Figur mit einer Art Knute in der Hand und der Umschrift »martsou«; die Rückseite weist nur die Schrift »herouvi« auf, was zusammen etwa »Marcu, dem Beschützer« im Slavischen bedeutet.11) 12 12) Manchem Slaven dürften die Begriffe »kli, laitsa« und »tin« unverständlich sein. »Kii« ist zweifellos eine Abkürzung für »koli, ktoli«, da sie auch sonst vorkommt. »Laitsa« ist ein altslavischer Ausdruck für: nachstellen, Hinterhalt legen (lajanie, lajati). »Tin« kann sowohl Schatten, aber auch Einfriedung, Abschließung im Slavischen bedeuten. ,:i) Im Schottenchronikon wird der »Gott« Mars, als »Mars« geschrieben, und nicht als Gott, sondern als Zauberkünstler (oder Wahrsager) bezeichnet. Der Name »Marko« ist im römischen als Mars und Marcus, wie in der slavischen Volkssage genügend bekannt. »Herouvi«, das der Slave nur als »jeruvi« (analog wie »Jelena« statt »Helena«) liest, ist die Dativform von »jeruv, jerov, jerob«, womit der Slovene noch heute den V ormund bezeichnet. — Wir erfahren auf diesem Wege, daß die biblischen »Cherube«, die auch dort die Funktion von Wächtern, Beschützern versehen, noch nicht ausgestorben sind, sowie daß die Etymologie dieses Begriffes hiemit geklärt erscheint. Die Anwendung des »c« für »s« und »b« für »v« auf dieser Gemme, deren Erzeugung wohl weit in die vorchristliche Zeit verlegt werden darf, muß den letzten Glauben benehmen, daß dieses Alphabet je von Cyrill »entdeckt« worden sein konnte!14) VI. Die Tonkugel von Fermo. In der Sammlung de Minicis in Fermo (Italien) befindet sich eine Kugel aus gebranntem Ton (Terracottä), die auf beiden Seiten eine Keule in schwarzer Farbe aufgemalt hat. (Fig. 3.) Die Kugel selbst ruht auf einem beschriebenen Postamente. Der genaue Fundort ist heute nicht mehr bekannt, man weiß nur, wie dies auch Mommsen, Wolanski und Kollar bestätigen, daß sie etrurischen Ursprungs sei. Die Schrift der Unterlage lautet: »jerekleos sklavens«, d. i. s 1 o-venischer Herakles. Die Inschrift in griechischen Buchstaben und für den ersten Blick griechisch aussehend, ist aber in der Wirklich-kein schon ein Gemisch des Slavischen mit dem Hellenischen, denn die Form »Herakles« lautet beim Slaven »Jereklej«, und »sklabens« ist jedenfalls ein hellenisiertes »Slovene«, wie sich ja heute noch der Slovene nennt. Da das Hellenische keine Wörter besitzt, die mit »sl« l4j Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich jemand findet, der auch alle diese Belege für Fälschungen erklärt, um deren Entwertung zu versuchen. Das fortgesetzte Ziehen an dieser Notleine hat aber heute schon jede Beachtung verwirkt, denn die Wahrheit verträgt auch pathologische Brutalitäten. * * beginnen würden, wurde eben »skl« geschrieben, wie man in alten Quellen doch immer den Begriff »slovenisch« oder »slavisch« dar-sfeilte. Desgleichen ist die Endsilbe »ens« (oder »enc«) keine spezi-visch hellenische.15) * Fig. 3. Die 'i onkugel macht im allgemeinen den Eindruck, als ob es sich hier um ein Erinnerungszeichen oder ein Grabsymbol für einen slovenischen Krieger oder Athleten handeln würde, dessen physische Kraft es möglich machte mit derlei Kugeln den Gegner zu bekämpfen. Die Inschrift selbst hat auch deshalb einen besonderen geschichtlichen Wert, weil dies nun die älteste bekannte Erwähnung des ethnographischen Namens »Slovene« ist, sonach weit in die vorchristliche Zeit belegt erscheint; bisher war das erste Vorkommen erst im J. 376 nach Chr. (bei Jcrdanes), also vor der Völkerwanderung in Europa bekannt. Wir haben hiemit die langwierige »cyrillische« Schriftstreitfrage geschichtlich wie -paläographisch erledigt und zugleich gezeigt, wie notwendig es ist eine Hypothese, die immer das Substrat zu wissenschaftlichen Bedenken und sachlichen Unstimmigkeiten bietet, doch einmal gründlich zu überprüfen, wenn hiemit auch die behagliche Ruhe gewisser »Autoritäten« gestört, eine Bewegung in die eingelebten Anschauungen getragen und eine voluminöse »wissenschaftliche« Arbeit zur Makulatur wird. Hiemit haben wir aber die handgreiflichen ,5) Unter einem ähnlichen Einflüsse muß jener Münzmeister gestanden sein, der auf einer Denkmünze Albrechts, des ersten Herzogs von Preußen (XVI. Jahrh.) die Sch'rift anbrachte: »Gottes Bort Pleibt Ebigli«, wobei er »b« für »v«, hingegen »p« für »b« anwendet. — Desgleichen findet sich in der Ausgabe des Ptolemäus Claudius v. J. 1535 noch »Bilibald« vor. 4 — 201 — Beweise für eine altslavische Kultur um ungefähr ein- bis zweitausend Jahre der Vorzeit zu nähergebracht und zugleich überzeugend dargelegt, daß es der krasseste Anachronismus wäre, Cyrill weiter mit der Erfindung der bisher nach ihm benannten, wie auch mit der glagolitischen Schrift in irgendwelchem Zusammenhänge stehend, in Betracht zu belassen. Die Handschrift des hl. Hieronymus. Im Kapellenschatze des Schlosses Maria Stein (bei Kufstein, Tirol) befand sich bis zum Abgänge des Besitzers Grafen Paris Cloz ein Manuskript auf 12 Pergamentblättern, sowie eine alte Beischrift, welche sagt: »Dieses puech hat Sant Jeronimuss mit aigner hant geschrieben in Crabatischer sprach«. Die näheren Schicksale dieser Handschrift waren auch noch auf dem Umschläge derselben in lateinischer Sprache beigefügt.1) Daraus ist zu entnehmen, daß die Quinternen (eigentlich sind es Quaternen) vom hl. Hieronymus eigenhändig geschrieben sind und einen Teil der Bibel in kroatischer Sprache enthalten. Das vorhandene Fragment ist nur ein Teil jenes, wenigstens 496 Seiten enthaltenden Buches, — nachdem die vorhandene Quaterne als die 62. mit glagolitischen Zahlen gekennzeichnete ist und. dabei noch nicht den Schluß bildet —, das der Besitzer der Insel Veglia (Krk), Graf Johann Frangepan (Frankopän) als wertvolle Reliquie persönlich besaß, und es mit Gold und Silber schmücken ließ. Als dieser im Jahre 1482 in Venedig gestorben, verschleppte man dessen Hinterlassenschaft in alle Winde, beraubte jenes Buch des Edelmetalles und zerstückelte es zu Andenken. Einen Teil davon erhielt der Seelsorger von Veglia, Lukas de Reynaldis, und von diesem nachher der österreichische Ge- 9 »Isti quinterni, hic intus ligati, scripti fuerunt de manu propria S. Iheronimi ecclesie Dei doctoris acutissimi. Et sunt biblie pars in ligwa (!) Croatina scripta. Et mihi donc. aedit D. Limas de Reynaldis, presbyter Veglensis dioeceseos, qui habüit a Magnifico Domino Johanne de Frangepanibus, domino insule prefate Vegle, qui librum auro et argento ornatum pro reliquiis venerabatur. Et cum Ve-netiis mortuus ac bona sua in predam data ac distracta fuissent, etiam de hoc libro aurum et argentum amotum fuit, et pars libri prefato D. Luce in manus venit, de qua michi Marquardo Breisacher militi, et tune temperis Cesareo oratori, et pacis inter Illustrissimum Dominum Sigismundum Archiducem Austrie ex. una, et Illu-strissimum Venetiarum Dominum parcium ex altera ccnfectori, illos incluscs duos. quinternos pro speciali et grato munere dedit. Anno a Nativitate Domini MoCCCCo. Breisacher m/p. neral Marquard Breisacher, der im Jahre 1487 als Friedensvermittler des Erzherzogs Sigismund mit den Venetianern fungierte. — Unverbürgten Vermutungen nach soll die Handschrift aus Konstantinopel stammen, wo sie anläßlich der Plünderung der Kulturschätze der Stadt durch die Venetianer und Kreuzfahrer i. J. 1204 von einem Beteiligten als »Andenken« mitgenommen wurde. Diese dunkle Tradition hat aber nur insoweit einige Grundlage, weil damals viele wertvolle Werke kirchlicher Richtung ins Abendland gelangten. — Nach Breisachers Tode (1509) kam das Fragment in das Archiv des Schlosses Maria Stein, das dem Grafen Schurff gehörte, von dem auch jene deutsche Notiz stammt. Im Wege der Erbschaft gelangte dann die Handschrift in den Besitz des Grafen Cloz (1777— 1856), der sie vor seinem Tode der Stadtbibliothek in Trient widmete, wo sie bis heute unbeachtet verwahrt wird. Die vom Generalen Breisacher herrührende Zahl ist wohl nur ein lapsus calami, wonach er 1500 schreiben wollte, daher ein C ausgeblieben ist. Daß aber diese Notiz tatsächlich von Breisachers Hand stammt, gilt .als erwiesen, weil diese Unterschrift einer anderen authentischen Unterschrift Breisachers gleichsieht. Von derselben handschriftlichen Bibel befinden sich aber noch zwei weitere Blätter, deren Inhalt sich an jene von Trient anreiht, im Landesmuseum zu Innsbruck. Über diese weiß man nur, daß sie nach dem Tode des Freiherrn Alois Dipauli mit einer an 1400 Bände umfassenden Quellensammlung zur Geschichte Tirols in jenes Museum gelangte. Einige vermuten, daß sie früher dem Archive des Bistums Brixen angehörte, was auch glaubwürdig ist, denn es kann ja ein dortiger Bischof gleichfalls eine solche literarische Cimelie einst von den Besitzern in Maria Stein erhalten oder auch sonst erworben haben. Diese zwei Blätter bilden nämlich das 3. und 6. Blatt des einen Quaternions, von dem das 1. und 2-, dann das 7. und 8. Blatt nun in Trient sind. Die Tatsache jedoch, daß das 3. und'6. Blatt hievon separat gefunden wurde, läßt annehmen, daß das noch fehlende Doppelblatt (4. und 5.) auch jemandem als Reliquie übergeben wurde (Trient, Passau, Regensburg?), wo es möglicherweise noch heute unerkannt liegt. Zweifellos wurde aber die Handschrift mit Rücksicht auf ihre ehrwürdige Herkunft überall als Kirchenschatz behandelt. Graf Cloz interessierte sich für die alte, schon durch die Tradition selbst interessante Handschrift mit den seltsamen Zeichen in besonderer Weise, weshalb er schließlich dieselbe von Schriftgelehrten der Universität Innsbruck untersuchen und studieren ließ. Man konnte dort den Text allerdings nicht entziffern, aber man erkannte schließlich doch im Manuskripte die slavischen Schriftzüge. Bartholomäus Kopitar, der damalige Skriptor der Hofbibliothek in XK'ien, wurde nun durch Dipauli, dem ersterer eine Gefälligkeit erwiesen, aus Dankbarkeit auf diese slavische literarische Rarität aufmerksam gemacht. Kopitar studierte nun die Handschrift und fand, daß sie Homilien in altslovenischer Sprache, etwa der alten Sprechweise in Kärnten angehörend, und in glagolitischer Schrift u. z. in den ältesten, runden Schriftzügen, da die eckigen dieser erst nachgebildet sind, enthalte. Kopitar verfaßte nun eine ausführliche (lateinische) Abhandlung des Trientiner Teiles, die unter dem Titel »Glagolita Clozianus« im Jahre 1836 erschien. Kopitar sagt darin im allgemeinen, daß der Kodex nicht jünger sein könne als vom Jahre 1037, wahrscheinlich sei er aber weit älter, und habe einen außerordentlichen Wert für die Kenntnis des altslavischen Schrifttums. Gelehrte der Universität Göttingen, die Kopitars Arbeit überprüften, bestätigten dies. Das Innsbrucker Fragment war aber Kopitar noch nicht bekannt. Dieses hat nun Professor Miklosich in den »Denkschriften der Akademie d. Wiss.« in Wien im Jahre 1860 in analoger Weise unter dem Titel »Zum Glagolita Clozianus« besprechen. Im Jahre 1893 behandelte Professor Dr. V. Vondräk (Wien) die Handschrift in ce-chischer Sprache (»Glagolita Clozüv«) und fügte noch einige wertvolle Berichtigungen bei. Ansonst kümmerte sich bis heute niemand mehr um dieselbe; es gibt bis heute keine komplette Faksimile-Ausgabe, ja es ist nicht einmal sicher, ob schon Photographien der ganzen Handschrift existieren. Um unseren Lesern vorläufig eine Vorstellung vom Aussehen derselben zu bieten, wurde in der Beilage Tafel V das Faksimile der letzten Seite des Innsbrucker Fragmentes beigegeben, was dem Verfasser die Verwaltung des Ferdinandeums zuvorkommendst ermöglichte. (Die weiße Fläche war schon herausgeschnitten, als die Schrift verfaßt wurde, da der Inhalt deshalb nicht unterbrochen ist.) Die bisherige Benennung »Glagolita Clozianus« wurde hier aus sachlichen Gründen in die »Handschrift des hl. Hieronymus« ums' setzt. Es war doch vor allem der Graf Cloz gar nicht der erste bekannte Besitzer beider Fragmente; überdies werden alle Handschriften entweder nach dem vermeintlichen Autor oder aber nach dem Fundorte benannt; weshalb gerade hier eine Ausnahme gemacht wird, ist in keiner Hinsicht begründet. Wir haben auch auf Grund geschichtlicher D a t e n volle Berechtigung, diese Handschrift dem hl. Hieronymus zuz uschreiben, denn wir besitzen für alle unsere alten Klassiker nicht annähernd so viele Autoritätsbelege, wie gerade in diesem Falle. Ganz abgesehen von der Verwahrung des größeren Teiles der vorhandenen Handschrift im Kapellenschatze, was bei gewöhnlichen Schriftdenkmälern doch nicht der Fall ist, verdienen die beiden bei-gelegien Notizen eine besondere Beachtung, denn sie geben zweifellos überkommene Traditionen wieder. Desgleichen ist es auch sonst ganz unverständlich, wer da auf den hl. Hieronymus spekulativ verfallen wäre, da doch bis zum Jahre 1836 die Schrift niemand lesen kennte; die Schrift ist aber einmal da und wer sie verfaßte, mußte doch die glagolitische Schrift wie die altslovenische Sprache vorzüglich gekannt haben. Die Lebensgeschichte des hl. Hieronymus sowie die Schrift und der Text selbst bieten aber für unsere Annahme eine weitere sehr solide Bestätigung. Hieronymus wurde im Jahre 340 in Stridon (Dalmatien) geboren. Er war zweifellos ein Siave, da er in seinen Schriften selbst die Dalmatiner oder Illyrer als »linguae suae homines« (= Leute seiner Sprache) nennt, wie auch zugibt, er habe die Bibel für seine Landsleute übersetzt. Dessen kirchenschriftstellerische Bedeutsamkeit konzentriert sich auch nicht so sehr in den. eigenen, wenn auch von Scharfsinn und Gründlichkeit zeugenden Schriften, als in dem Verdienste, auf seinen großen Reisen die Schätze der griechisch-orientalischen Theologie gesammelt und sie sodann dem Abendlande vermittelt zu haben. Die in der Handschrift enthaltenen Homilien stamme.;.! aber alle von Kirchenschriftstellern, von denen selbst der jüngst 13 Jahre vor Hieronymus starb, denn die darin befindlichen Texte sind nahezu reine Übersetzungen aus dem Griechischen, wie sie Johannes Chrysostomus (f 407), Athanosios (f 373) und Epiphanias If 403) niedergeschrieben. Die Handschrift ist demnach in bezug auf ihre Quellen und ihren Inhalt, was doch literarhistorisch für eine so alte Zeit gewiß von hoher Bedeutung ist, zum mindestennicht anachronistisch. •— Ob sie zugleich ein Autograph des hl. Hieronymus ist, wissen wir selbstredend nicht, aber der Umstand, daß sie traditionell als Reliquie jenes gelehrten, später heiliggesprochenen Kirchenliteraten so hoch bewertet und als solche an hohe Personen verteilt wurde, fällt bei dem Kriterium der Originalität wesentlich in die Wagschale.-) Dagegen, daß diese Handschrift demnach nicht di- -') Daß man schon in ältester Zeit Handschriften berühmter oder gar als heilig geltender Männer tatsächlich sozial hochstehenden Personen verehrte, ist weder etwas Ungewöhnliches ncch geschichtlich Unbekanntes. Wurde doch z. B. die Evangelienhandschrift zu Cividale, die ein Autograph des Evangelisten Markus selbst sein scll, später zerlegt und als Reliquie verteilt; zwei Blätter erhielt der Kaiser Karl IV. (1364), den Rest die Republik Venedig. Es ist dies jene Handschrift, an deren Rändern sich hochgestellte Pilger, die das Kloster Stiva'n (St. Johann) bei Devin (Duino) besuchten, zu verewigen pflegten, da sie mit Rücksicht auf den Autor als heilig galt. Auf diese Art erfahren wir auch eine Menge sla-vischer Namen schon aus dem VIII.—IX. Jahrhunderte, wie; Braslav, Chotmar, Kocel, Nitrabor, Olcmer, Perebred, Pribina, Radoslav, Trudopolk, Hesla, Milena, Zalislava u. a. m. (Vergl. auch »Staroslovan«, 1913, S. 168.) rekte vom hl. Hieronymus stammen könnte, liegt nach allem nicht das geringste Bedenken vor; die Entstehung derselben muß demnach in den Zeitraum von 407—420 fallen. Diese Annahme erhält aber durch besondere geschichtliche Vorkommnisse geradezu noch den Charakter der begründeten Wirklichkeit. Die slavische Liturgie, die sich in einem Teile des österreichischen Küstenlandes bis heute erhielt, wurde seinerzeit vom Papste Johann X. (914—928) stark bedrängt. Da er die Tätigkeit des Slaven-apostels Method, den er in keiner Schrift unter den heiligen Kirchenschriftstellern finden wollte (»quem in nullo volumine Ínter sacros autores ccmperimus«), nicht billigte, forderte er den Bischof von Spalato auf, die slavische Liturgie in seiner Diözese zu bekämpfen und zum lateinischen Ritus überzugehen. Am darauffolgenden Konzile in Spa-lato (925) wurde der slavische Gottesdienst tatsächlich aufgehoben und die Einweihung von Slaven zu Priestern, sofern sie nicht lateinisch. verstanden, verboten. In dieser nationalen Bedrängnis fand aber die slavische Geistlichkeit einen kräftigen Ausweg, indem sie entgegenstellte, dass ihre Liturgie durchaus nicht vom Apostel Method eingeführt sei, sondern vom hl. Hieronymus, dem man ohnehin allgemein das glagolitische Alphabet zuschrieb, und der ein hochangesehener und bereits heiliggesprochener Kirchenschriftsteller war. Doch gegen diese Autorität, — Hieronymus ist doch auch der Verfasser der Vulgata, der authentischen Bibelübersetzung—, kennte der Papst nicht weiter ankämpfen; jedenfalls waren damals noch derart gewichtige und allgemein bekannte Belege hiefür vorhanden, daß es aussichtslos schien, ohne Untergrabung der eigenen Autorität den Plan durchführen können. Es müßen demnach damals vom hl, Hieronymus tatsächlich allgemein bekannte religiöse Werke in slavischer Sprache vorhanden gewesen sein, denn sonst hätte der Papst jenen verblüffenden Rück-zug gewiß nicht angetreten, und hat dieser reelle Beweis augenscheinlich und zum Hauptteile beigetragen, daß der Papst Innozenz IV. im Jahre 1248 jene bedeutungsvolle Bulle ausgab, welche die Berechtigung und Notwendigkeit der slavischen Liturgie im kroatischen Küstenlande anerkannte. Um den Interessenten auch eine allgemeine Orientierung über den Sprachcharakter dieser Handschrift zu bieten, wird nachstehend der Wortlaut der auf Tafel V ersichtlichen Blattseite in der einfachsten Transkription zeilenweise wiedergegeben; dieser lautet: . . . silo dast ti nedoznije ubalu-esi, i prokazenje ocistaesí, i slje-pije tvorisi prozrjeti i ina mnoga cu- desa takova tvoriti. Za ti li d.obrije djetjeli sje mzdi vzdaeši emu. Čto hoštete mi dati set i az vam prje-dam i. w neistovstvo velikoe pače že w srebrolubstve vse se zloe to s-tvorilo est. to vzlub s učitelje svojego prjedast. tak bo est zli t koren, bjesa gori dušo našo buje tvorit, tvorit vso. ne vjedjeti i sebe iskrniti i tjelesnago običaje, i ot samago s-misla izgna ni, i ne pomnit ni družbi ni običaje, ni reda ni ino-go nikegože. (i) osljepi oči uma našego jekože v t(mje) tako tvorit in hodit i v brjegi m(je) taet i da ubjesi se v i-stino. i bižd i togda to všed koliko v . . . se od duše judovi besjedo običaj obštenje eže na trapjezah. divnoe učenje i naka-zanje v (se sreboj lubst vje s-tvorilo est zabiti, pravi blaženi Pavel glaše (glagclaše): Jeko koren, vsjem zlom e-st srebrolublenje. Čto hoštete mi sjet dati i az vam prjeda-m i. velje drzost velje bestudje. rci mi togo li prjedaeši iže v-sječkaa održit. vladoštago bje-si, poveljevaještago miru, vladiko vsjekoi tvari. tvorješta slovo-m i poveljenm vse, i hotje u-čiti i bezum . e . go utoliti vo-lejo svoejo prjedan bis i poslušan čto stvori v to vremje prjeda nu egda pridu na-n s oroži i dr . . . Daß die hier ersichtliche Sprache einmal in Kärnten gesprochen werden wäre, wie Kopitar meint, hat nahezu keine Wahrscheinlichkeit; es dürfte dies weit eher die einstige Sprache im österreichischen Karstgebiete gewesen sein, wo sich die slovenische Sprache mit der kroatischen nachbarlich mengt. Vielleicht wäre es am, zutreffendsten diese Sprache allenthalben schon für diese Zeit als »kraški jezik« (= Sprache des Karstgebietes) behufs näherer Klassifikation ihrer — 2Ö8 — Eigenart zu benennen, obwohl diese Unterteilung geschichtlich sonst erst seit dem XVI. Jahrhunderte belegt ist. Im allgemeinen kann aber hier nur von der altslovenischen Sprache gesprochen werden. Die Transkription erfolgte auch hier ohne Beachtung der Halbvokale, da diese nur störend wirken. Daß sich aber so zahlreiche Halbvokale schon in dieser alten Handschrift befinden, ist jedoch ein unleugbarer Beweis, daß diese slavische Schrift nicht nur schon lange aktiv gewesen, sondern, daß ihr auch schon eine sehr bedeutende wissenschaftliche Ffiege vorausgegangen sein muß. Sonderbarerweise ist der Text dieser Handschrift bisher noch nie in das lateinische Alphabet transkribiert worden, und doch wäre eine intensivere Beachtung der Handschrift längst am Platze gewesen, da sich hiemit das Vergleichsmateriale für die Überprüfung anderer Handschriften wesentlich vermehrt hätte. / Die altslavische Ghronik des Schottenstiftes in Wien. Die Stiftsbibliothek der Schotten in Wien besitzt eine bisher literarisch fast unbeachtete altslavische Chronik von großem kulturgeschichtlichen wie sprachwissenschaftlichen Werte, die schon in-bezug auf den Umfang alle altslavischen Chroniken, die der Verfasser kennt, weit übertrifft. Sie behandelt die Zeit von der Erschaffung der Welt bis zum Jahre 1684 n. Chr., umfaßt sonach 7293 der slavischen Weltära; deren Abschluß scheint mit dem letzten Chronikjahre zusammenzufallen. Der in Leder eingebundene Kodex (Nr. 609 der Handschriftensammlung der genannten Bibliothek) weist 1281 beschriebene Seiten in Kleinfolio auf. Der auf starkem Archivpapiere von mehreren Schreibern niedergeschriebene Text ist in 324 Kapitel eingcteilt, wobei das letzte Kapitel der Inhaltsangabe in der Wirklichkeit nicht mehr aufgenommen bzw. ausgearbeitet ist. Die Kapitelanschriften, zum Teile auch die Kapitelzahlen, sind rot geschrieben; alles übrige ist hingegen mit schwarzer eisenhaltiger Tinte zu Papier gebracht; Buchmalereien oder farbige Initialen kommen keine vor. Auf welche Art der Kodex in den jetzigen Besitz gelangte, darüber fehlt jede Aufzeichnung oder sonstige Überlieferung. Eine undatierte, vom Adjunkten der Wiener Universität Michael Bobrow-ski »Ruthenus« verfaßte, in den Kodex eingeklebte Notiz besagt, daß man als Verfasser den Abt von St. Paul, Pachomius, hielt, da er sich als solcher nadh Aufzählung der Patriarchen auf der Seite 1264 unterfertigt habe. Dies ist aber ein Irrtum, worauf schon Prof. Alter (um 1795) aufmerksam machte, denn jener Pachomius ist nur der letzte Fertiger unter den Teilnehmern am zweiten Konzile zu Nikäa (787). Die Stelle lautet im Originale: »Pahomij i jeremonah i avva svjatoga Favla iz voliv podpisah«, d. h. »Pachomius, Mönch und Abt von St. M Paul, unterschrieb sich aus eigenem Willen«. — Mit Rücksicht auf den Inhalt, der von der Neuzeit nur die Geschichte der Venetianer und Osmanen kurz behandelt, sich jedoch ansonst namentlich mit der Geschichte des byzantinischen Reiches eingehend beschäftigt, ist aber mit Berechtigung anzunehmen, daß der Verfasser irgendein Mönch der griechisch-orientalischen Kirche war, und wahrscheinlich einem Kloster von Byzanz oder des Balkans angehörte. Als ziemlich sicher kann auch angenommen werden, daß der Kodex einst vom Schottenstifte als Kirchenschatz (Cimelion) erworben wurde. Auf Seite 1277 befindet sich vor dem Schlüsse des 322. Kapitels eine fremde Notiz, die folgende Geschichte hat. Der griechisch-nichtunierte Bischof von Temesvär, Peter Petrovič, erfuhr, daß das Schottenstift eine wertvolle altslavische Chronik besitze, Nachdem er den Wunsch geäußert es kennen zu lernen, zumal er noch nie die Gelegenheit hatte eine solche zu sehen, wurde sie ihm vom damaligen Stiftsbibliothekar P. Wolfgang zur Verfügung gestellt. Der Bischof bestätigte nun dies an genannter Stelle mit: »16. aprjela 795 Petr Petrovič episk. temisvarski«, (Einige vorausgehende gekürzte Werte sind nicht verläßlich lesbar.) Die in altslovenischer Sprache und »cyrillischer« Schrift verfaßte Chronik ist vorzüglich erhalten. Der Text ist schön und deutlich geschrieben, aber doch nur für denjenigen gut lesbar, der die altslavische Paläographie und die altslovenische Sprache gut kennt, da der Schreiber von allen mittelalterlichen Laut- und Silbenkürzungen den ausgiebigsten Gebrauch macht. Der Text ist wohl schon in Kapitel geteilt, weist aber noch wenig Interpunktionen auf, ein Beweis, daß der Verfasser tatsächlich sehr alte Schriften benützt hat und sie in der Hauptsache so abgeschrieben haben muß, wie er sie verfand. Bis Christus wendet der Chronist in Zeitangaben, die er aber selten macht, die slavische Weltära an; nach Christus bedient er sich bei christlichen Themen meist schon der römischen, bei weltlichen aber weiter der slavischen Zeitrechnung. Die älteste Datierung beginnt mit der Geburt Ismails, die er in das Jahr 3398 (sl. Ä.) verlegt und die sonach mit dem Jahre 2210 v. Chr. zusammenfällt. Soweit literargeschichtlich bekannt, hat bisher nur Prof. Franz K. Alter in seinem Werkchen »Philologisch-kritische Miscellanea« (Wien, 1799) ausführlicher auf diese Chronik aufmerksam gemacht (Über ein slavisches Chronikon«. S. 1—28), doch kam er hiebei zu dem Schlüsse, es liege nur eine slavische Übersetzung des vulgär-griechischen Chronikons des Metropoliten Dorotheus von Menem-basia vor, und vermutet, es habe dem Übersetzer dessen venetianische Ausgabe v. J. 1676, von der auch die Wiener Hofbibliothek ein Stück besitzt, zur Vorlage gedient. Diese Vermutung muß aber rundweg als unbegründet abgewiesen werden, denn die eingehende Vergleichung führt im Gegenteile weit eher zu dem Schlüsse, daß in dem Falle, als zwischen unserer Chronik und jener des Dorotheus überhaupt ein Übersetzungsverhältnis obwaltet, eher die slavischen Chroniken dem letzteren zur Vorlage gedient haben. — Gegen die Annahme Alters spricht vor allem felgendes: a) der Verfasser unserer Chronik bemerkt gleich eingangs, daß er »den Inhalt aus vielen Werken zusammengetragen habe«, was unbedingt stimmt, denn es gibt keine Chronik mit diesem Inhalte, und enthält jene des Dorotheus kaum die Hälfte unseres Textes eder der darin behandelten Themata. Aber auch darunter befinden sich viele Kapitel, die in unserer Chronik ausführlicher oder breiter gehalten sind, mitunter auch wesentliche Sachunterschiede aufweisen. Überdies ist schwer anzunehmen, daß jemand um das Jahr 1670—1680 eine gedruckte griechische Vorlage paläographisch etwa dem XIII.—XV. Jahrhunderte angepaßt in das Altslovenische übertragen wird; bj eine gelegentliche Inhaltsübereinstimmung, die Alter als Beweis anführt, ist aber durchaus noch kein Kennzeichen für eine bestimmte Vorlage, da die genaue Wiederholung kirchenliterarischer Texte doch nichts Verwunderliches ist, weil die Schriften kirchlicher Richtung jedermann als unantastbar galten, sie daher auch immer weiter wörtlich abgeschrieben wurden; c) für die Priorität unserer Chronik und ihre Unabhängigkeit von der griechischen Vorlage spricht auch folgende, für den ersten Blick minderwichtige, aber doch beweiskräftige Tatsache. Der Chronist nennt z. B. Alexanders d. Gr. Pferd nicht, wie Plutarch und alle späteren Geschichtschreiber, »bukephalos«, sondern »ducipal«, und gibt Alter selbst zu, es müsse dies ein original-slavischer Begriff sein. Er fügt sogar bei, daß man bei den Polen unter »duczipal« ein feuriges, unbändiges Pferd verstehe.*) Hatte aber unser Chronist eine griechische Vorlage, so müssen wir ihm bedingungslos die gründliche Kenntnis der griechischen Sprache zubilligen, daher er auch wissen mußte, was »bukephalos« etymologisch bedeutet. Und gerade daraus, daß hier ein davon ganz unabhängiger Name auftritt, muß weiter geschlossen werden, daß der Name »ducipal« sogar älter sein muß, als Plutarchs Angaben, der i. J. 46 n. Chr. geboren wurde, sowie daß ihn jemand nur deshalb in »bukephalos« umformte, *) Ich bin diesem Begriffe in Polen und Litauen nachgegangen, habe aber bis heute keine Bestätigung für diese Deutung erhalten können, und glaube, daß sich hiefür eher ein moderner Beleg in Bulgarien, Mazedonien oder Altserbien finden ließe. weil man gerade den urslavischen Begriff entweder nicht verstand, daher falsch auslegte, oder aber als unbequem und störend für die griechische Aneignung Alexanders d, Gr. auf diese Art beseitigte. Über den Inhalt unserer Chronik gibt der Chronist selbst eingangs folgende, hier ins Deutsche übertragene Orientierung: »Inhalt der Erzählungen, beginnend von der Erschaffung der Welt bis zur Regierung des Konstantin Paleólogos, des letzten griechischen Kaisers. Überdies ist darin die türkische Herrschaft bis heute enthalten. Außerdem über Venedig, wann es erbaut wurde, und wie viel Fürsten es regierten und wie viel Städte sie erobert haben. Weiters über die Patriarchen und wie sie patriarchisierten auf den Thronen der hl. göttlichen großen Kirchen. — Alles dieses ist auf das Nützlichste und Angenehmste aus den verschiedensten Büchern zusammen ge trage n«. Eine eingehendere literargeschichtliche Würdigung möge dieser hochwertigen Chronik zuteil werden, bis sie ihrer Gänze nach veröffentlicht wird, wozu einstweilen, schon mit Rücksicht auf den großen Umfang, wohl keine Aussicht besteht. Wir wollten hiemit nur dieses Dornröschen des altslavischen Schrifttums, das nun schon an 120 Jahre gerade gegenüber der Wiener Universität, wo sich etliche Lehrkanzeln für Slavistik befinden, vollkommen ungestört schläft, erwecken und aus der unverdienten Vergessenheit befreien. Welchen hohen wissenschaftlichen Wert aber eine solche Chronik bei richtiger Verwertung hat, zeigt gerade dieses Werk selbst, durch welches viele grundsätzliche und bisher unlösbare Fragen plötzlich lösbar und geklärt erscheinen. — Wie weit wir aber die hiebei benützten Verlagen noch werden festlegen können, bleibt heute und so lange fraglich, bis die ganze immense altslavische Literatur nicht einheitlich ausgegeben ist. Wahrscheinlich ist es aber, daß ein Teil der vom Chronikverfasser verwendeten Vorlagen heute, also nach etwa 250 Jahren, kaum mehr ans Tageslicht kommen wird, da indessen woh1 schon vieles auf natürlichem wie unnatürlichem Wege zugrunde gegangen sein mag. Eine bisher ungelesene altslovenische Handschrift in Lemberg. Anläßlich eines längeren Aufenthaltes in Sommer 1916 in Lemberg besuchte ich die verschiedenen öffentlichen und privaten Bibliotheken daselbst und erkundigte mich überall nach dem Besitze alter Handschriften. Während alle sonstigen Bibliotheken angeblich nichts Wertvolleres dieser Richtung besitzen, machte mich der Direktor der Graf Baworowskischen Bibliothek, Dr. Rudolf Kotula, sofort aufmerksam, daß hier unter anderem eine altslavische Handschrift erliegt, die mindestens dem XII. Jahrhunderte angehört, deren Text aber bisher noch von niemanden entziffert wurde. Über diese Handschrift wußte der Direktor Nachstehendes mitzuteilen. Sie gelangte i. J. 1850, gleichzeitig mit der Erwerbung der Bibliothek des Professors Dionys Zubrzycki, des Chronisten der Stadt Lemberg und literarischen Freundes des Wenzel Hanka, in den dortigen Besitz. In den Jahren 1904 und 1905 soll sie der Lemberger Professor Dovnar Zapolski wohl studiert haben, er scheint aber über den schwer leserlichen, weil zum Teile schon entschwundenen Text nicht ins Klare gekommen zu sein, da er darüber weiter nichts verlauten ließ. — So kam es, daß der Inhalt wie die Handschrift selbst bis jetzt der Öffentlichkeit völlig unbekannt blieben.*) Meine flüchtige Besichtigung der Handschrift am 15. Juli 1916 ergab das vorläufige Resultat, daß der in »cyrillischer« Schrift gebotene Text von Märtyrern (strtotrpec), Justifizierungen und Körperverstümmlungen spricht, daher kirchengeschichtlichen Inhaltes sein muß. *) Für alle Fälle muß jedoch hier bemerkt werden, daß sie-ja möglicherweise schon irgendeinmal wo erwähnt ist, aber allen jenen, die heute überhaupt eine Kenntnis von dieser Handschrift haben, darüber weder durch Überlieferung noch in sonstiger Form etwas bekannt ist. Auch in der erhaltenen Korrespondenz Han-kas mit Zubrzycki iindet sich darüber keine Erwähnung. Tagsdarauf ersuchte ich um die Bewilligung die Handschrift aui meine Kosten photographieren lassen zu dürfen, u. z. nicht nur zu dem Zwecke, um das Äußere derselben der Zukunft zu erhalten, falls sie etwa durch die Kriegserreignisse zugrunde ginge, sondern auch deshalb, um sie auf diese Weise vielleicht lesbarer zu machen. Die Reproduktion wurde am 19. Juli durchgeführt; hiebei war auch der Bibliothekar Professor Urbanski anwesend.**) Die Handschrift besteht nur aus einem unregelmäßigen Pergamentblatte, das nach der Art alten Urkunden triptychonartig zusammengelegt war. Die Ränder sind unregelmäßig beschnitten; vermutlich waren sie eingerissen oder stark beschmutzt, daher sie jemand auf mechanischem Wege entfernte, wobei er allerdings am oberen wie rechtsseitigen Rande auch etwas vom Texte abschnitt. In den weitesten Dimensionen ist das Pergament 44 cm breit und 24 cm hoch. Die Schrift ist auf jeder Seite in drei Kolonnen geteilt. Jener Textteil, der durch die eingebogenen Flügel geschützt war, ist noch leidlich leserlich geblieben; die äußere Seite ist jedoch zum Teite schon ganz verblaßt. Der volle Text könnte daher nur mehr verläßlich entziffert werden, wenn man die eisen hältige Tinte, die sich schon sehr tief in die Membrane gesenkt hat, auf chemischem Wege oder durch die Palimpsestphotographie wieder beleben würde, was nach dem Kriege in die Tat umgesetzt werden soll. Ich bemühte mich nun festzulegen welchem alten Werke der Text der Handschrift angehören könne, um auf diesem Wege doch vielleicht suggestiv den Inhalt des Geschriebenen herauszufinden. Da ich selbst keine tieferen Kenntnisse der kirchengeschichtlichen Literatur besitze, wandte ich mich — unter Beischluß von zwei Kolonnen des Originaltextes mit beigegebener Übersetzung — zu diesem Zwecke an verschiedene Professoren theologischer Fakultäten; aber alle Mühe war vergeblich, d. h. ich erhielt überhaupt von keiner Seite eine Antwort auf meine Bitte. Doch etwa ein Jahr später führte mich der Zufall selbst zur Lösung des Geheimnisses. Ich stieß gelegentlich der Forschung über ein Thema, das mich zwang, sich mit den Werken des Kirchenvaters Eusebius von Caesarea (263—329) vertraut zu machen, auf dessen Schrift »Über die Märtyrer in Palästina« und die Notiz, daß er auch eine weitere Schrift, u. z. eine Sammlung von alten Märtyrerakten verfaßt hat, die aber verloren gegangen und nur dadurch bekannt geblieben ist, daß sie in seinen eigenen Werken wiederholt **] Böse Erfahrungen machen es dringend gebeten derlei Entdeckungen oder Verkommnisse tunlichst genau in bezug auf alle Nebenumstände festzuhalten, da bekanntlich bisher die meisten alten Handschriften sobald sie als slavisch erkannt waren, gleich als verdächtig erklärt und deren Entdecker oder Entzifferer als Fälscher und Betrüger offen gebrandmarkt wurden. zitiert wird. Da sich die Martyrien unserer Handschrift zweifellos in Palästina abspielen, verglich ich den Text mit der erstgenannten Schrift, und fand im VIII. Abschnitte tatsächlich eine inhaltlich zum Teile ähnlich geschilderte Begebenheit. Im Jahre 309 ließ der Statthalter von Palästina, Firmilianus, 97 Männern mit ihren Frauen und darunter auch kleinen Kindern, weil sie den Anhang zum Christenglauben nicht abschwören wollten, die linken Beine beim Kniegelenke abschneiden, die Sehnen ausbrennen und die rechten Augen ausstechen. Desgleichen ist darin die Episode mit den zwei Schwestern geschildert. Die zweite hieß Valentina, was auch in unserer Schrift stimmt, wo nur mehr ». . . entina« lesbar ist; der slavische Text kennt auch die erstere (Ephenija) mit Namen, die jedoch Eusebius nicht namentlich anführt. Da aber im weiteren lesbaren Texte auch des Apostels Paulus und dessen Reise nach Rom (von Caererea), die ja geschichtlich erwiesen ist, dann eines »gelehrten Jan«, sowie mehrerer sonstiger Personennamen und Örtlichkeiten Erwähnung geschieht, liegt die Vermutung nahe, daß hier entweder ein sehr erweiterter Text jenet Schrift vorliegt, oder aber enthält unsere Handschrift einen Textteil des erwähnten verlorenen Werkes (»Sammlung alter Märtyrerakte«). Er-steres ist deswegen nicht abzuweisen, weil es von jener Schrift einen Text in kürzerer griechischen Fassung gibt, und einen vollständigen syrischen, der als alter Kram im Ölkeller des koptischen Klosters Su-riani (Afrika) i. J. 1842 entdeckt, von Engländern gekauft, und dann von W. Cureton (1861) veröffentlicht wurde. Unser Text würde demnach noch Genaueres enthalten, als der syrische. Es ist aber zu erwarten, daß wir diesbezüglich eine positivere Orientierung erhalten, sobald einmal der ganze Inhalt der Handschrift lesbar gemacht wird. In der Beilage (Tafel VI) ist der Text der 5. Kolonne, der sich am leserlichsten erhalten hat, in der einstweiligen photographischen Reproduktion ersichtlich gemacht. Er lautet folgend (mit unverbindlicher Richtigkeit): » . . . i bješa jegu it rodom . . . bivšie i v grad Kesariju prive-leni prjedstaša knjazju i vproše ni bi vše ispovjedašaha ba istimago. I zgoša ljevija nogi i desnaja očesa ih izbodoša i meči i ognem skon-čašaša. I s nimi množi muži i žen gojerova (?) všei hvi. Stara Jefenij na drjevje povješena bivši i strgana bi i sestra jeje . . . entina na sudnju kalad sira zori . . .«*) ') D. i.: ». . . sie wurden :n die Stadt Caesarea befohlen, dem Fürsten vorgestellt, ob sie alles wahrheitsgetreu aussagen wollen. Man brannte ihnen die linken Füße ab und stach ihnen die rechten Augen aus, und sie endeten mit Schwert und Feuer. Und mit ihnen fiel eine Menge Männer und Frauen seinem Zorne zum Opfer. Die alte Ephenia wurde auf einen Baum gehängt und zerrissen, und deren Schwester (Val) entina (kam) früh morgens auf den Richtpflock . . .« Hat aber die Veröffentlichung dieses Handschriftfragmentes, das nebstbei weit älter zu sein scheint, als man dermalen annimmt, einstweilen noch nicht den Voll wert einer literarischen Errungenschaft, so verfolgt der Verfasser hiebei doch den pädagogischen Zweck ein breiteres Interesse für allenfallsige Handschriftenfunde zu erwecken, und zugleich an einem konkreten Beispiele zu zeigen, daß das unscheinbarste Stück einer Handschrift literarisch wie kulturgeschichtlich äußerst wTertvoll sein kann, wie wir dies erst nach hundert Jahren auch an der Handschrift von Grünberg erfahren haben. »Golubinaja kniga«. Als die Perle biblisch-mythologischer Bilinen gilt das russische Volkslied vom Geheimbuche »Golubinaja kniga«, dem sogenannten Buche mit den sieben Siegeln, das sich aber erforderlichenfalls auch selbst öffnet, und eine Art apokrypher christlicher Kosmologie in Frage- und Antwortform darstellt. Der Gelehrtenwelt bot dieses Volkslied viel Kopfzerbrechen, da sie viele der darin enthaltenen Begriffe nicht erfassen konnte, weil die sprachwissenschaftliche Stütze dabei vollkommen versagte. — Vor allem muß da die Bezeichnung »Golubinaja kniga« geklärt werden. Man sagte sich, es sei da von der Taube (»golub«), dem Symbol des hl. Geistes, die Rede, daher man jenes Geheimbuch in der Literatur als »Taubenbuch« zu bezeichnen begann. Andere russische Philologen meinten wieder, daß es richtig »Glubinaja kniga« (— Buch der Tiefen) heißen soll, daher falsch ausgesprochen oder geschrieben werde. — Tatsächlich heißt es richtig »Golovinaja kniga (golovä« = Kopf, Haupt) also: Hauptbuch«. Diese Auslegung ist schon .deshalb zutreffend, weil das Riesenbuch vom Haupte Adams stamme, wie der Bilinentext selbst sagt, dann weil die ältesten siavischen Begriffe immer mit »b« geschrieben werden, das jedoch als »v« auszusprechen ist. Es geht dies daraus hervor, daß die Ausleger auch weitere Begriffe dieser Art, als »beli car, beli svet«, auch falsch (statt »veli car, veli svet«) lasen, denn das älteste slavische Alphabet kennt eben noch kein »b«. Eine breitere Erklärung erfordert auch der darin erwähnte Stein »alatir« (»alatir-kamen«). Die bisherigen Ausleger dieser Benennung meinen (mit vereinzelten Ausnahmen), es liege hier ein deformiertes »elektron« oder »jantar« (-- Bernstein), oder ein »alabastron« (= Alabaster) vor. Doch alles dasjenige, was man sonst über diesen Stein weiß, bestätigt diese Deutung in keiner Weise, sondern lenkt geradezu zu einer wesentlich anderen Lösung. Der Stein »alatir« gilt als jene Stelle, auf die das Riesenbuch zur Erde gefallen sei, der daher gelegentlich auch als »Mutter aller Steine« angeführt wird. Nach allem aber, was dem Zusammenhänge zu entnehmen ist, kann es sich hier nur um den Begriff »altar« (= Altar) handeln. Die Berechtigung zu dieser Annahme geht aus dem ständigen Hinweise in den russischen Segenssprüchen, im »äthiopischen« Adamsbuche, in den Paradieslegenden u. a. hervor, wonach dieser Stein immer im Osten liegt, weshalb gleich hmr auf die sogenannte »heilige Linie« hingewiesen sei, wonach christliche Kirchen so gebaut sein sollen, daß der Hauptaltar immer, im Verhältnis zum Haupteingange, gegen Osten gewendet sein soll. Ein zweites besonderes Zusammentreffen bildet die Tradition, daß dieses heilige Buch eben auf diesen Stein, der demnach groß und flach gewesen sein muß, um auf demselben liegen bleiben zu können, fällt. Nun wurden aber heilige, wie besonders wertvolle Bücher früher' regelmäßig auf Altären oder nächst derselben aufbewahrt, da sie dort schon aus Achtung vor der geheiligten Stätte nicht entwendet wurden, sowie auch die Feuergefahr dort eine geringere ist, daher ein solches einzigartiges Werk auf dem Altäre am sichersten verwahrt erschien. Im weiteren spricht für diese Auffassung der ständige Zusammenhang dieses Steines mit Wasserquellen. Unter dem »alatir« entspringt ein Fluß; ober dem Steine (Altäre) steht der Erlöser. Aber auch im Himmel strömt unter dem Throne Gottes ein Fluß hervor, und wird dies in den christlichen Ikonographien oft auch noch dahin näher illustriert, daß auf dem Altäre Christus in Menschengestalt oder als Agnus dargestellt wird, und unter dem Steine entspringt entweder das eine Wasser, oder aber gleich vier. Flüsse, die auch schon im Paradiese eine besondere Rolle spielen. — Daß aber der Hauptaltar einer Kirche über eine Quelle aufgebaut ist, dafür haben wir noch heute genug Beispiele, namentlich in Gebirgsgegenden, worin sich zugleich eine praktische religiös-hygienische Vorsorge verbirgt, denn eia solches Wasser gilt dem frommen Gläubigen vor allem als heilend, ja, wunderwirkend. Da es durch nichts verunreinigt werden kann, ist es sicherlich hygienisch einwandfrei, und hatte dies wohl zugleich auch den militärischen Vorsorgezweck bei derlei Kirchen, die oft auch als Tabors dienten und dementsprechend hergerichtet waren, die Wasserquelle im eigenen Verteidigungsbereiche eingeschlossen zu wissen. Dem genauen Beobachter kann es übrigens schwer entgehen, daß alle unsere auf Höhen gelegenen Wallfahrtsorte, die ja einst alle zugleich mehrweniger sichere Tabors waren, immer gute, ergiebige Quellen besitzen, welche ja die Grundbedingung für die einstige Verteidigungsmöglichkeit bildeten, deren Waser aber heute nur mehr als heilend und reinigend angesehen wird.1) J) Auf dem Bacher-Gebirge (Untersteiermaik) gibt es z. B. mehrere Kirchen, in Der Begriff »alatir« kommt in der altslavischen Literatur auch in der Form »aladir, alatr« und »latir« vcr. — Von den vielen Varianten der Biline »Golovinaja kniga« folgt nachstehend eine der ausführlichsten derselben im Originalwortlaute. Ot našeja ot aladiri, I ot toj glavi ot Adamovi, Posredi polja saračinskago Vipadala kniga Golubinaja. I ko toj ko knigje Golubinija Sohodilisja, sojezzalisja I sorok carej so carevičam, I sorok knazej so knjazevičam, Ko tomu carju, ko premudromy, Ko Daviidu, ko Jevseviču. — Čto pregovorit Volodimir car, Volodimir car Volodumrovič: »A ti goj jesi, sudar, premudrij car, Premudrij car David Jevsejevič! Ti pročti knigu Golubinuju, Razkaži, sudar, nam pro bjelij svjet: Otčego začjalsa u nas bjelij svjet, Otčego začalos solnce krasnoe, Otčego začalsja mlad svjetjol mjesec, Otčego začalasja bjela. zarja, Otčego začalis zvjezdi častija, Otčego začalis vjetri bujnije, Otčego začalsja mir-narod božij, Otčega začalis kosti krjepkija, Otčego vzjati tjelesa naši?« Čto otvjet deržal peremudrij car, Peremudrij car, David Jevsejevič: »A ti goj jesi, Volodimir, car, Volodimir car, Volodumrovič. Ino eta kniga ne malaja, Visoka kniga soroku sažen, Na rukah deržat — ne sderžat budet, denen der Hauptaltar über einer Quelle steht, und wird es kein Pilger versäumen sich dort die Augen zu waschen, das Wasser zu trinken und auch eine Quantität desselben nach Hause als geweihtes, daher segenbringendes Wasser mitzunehmen. Wo jedoch größere Quellen sind, konnte man aus bautechnischen Gründen allerdings die Kirche nicht ober der Quelle, dafür aber zunächst derselben erbauen. Dieserart sind die Verhältnisse auf den vielen »Heiligen Bergen«, dann den »Olbergen«, am Hostein (Mähren), in Studenilz (Untersteiermark), der Heimat der Gralsage, u. a. m. A pisma v knigje ne pročest budet A citat knigu — jejo nekomu«. A sama kniga a raspečatalas, Slovi Božij pročitalisja. »Ja skažu, bratci, da po pamjati, Ja po pamjati, jak po gramotje. U nas bjelij svjet vzjat ot Gospoda, Solnce krasnoje ot lica Božija, Mlad — svjetjol mjesec ot grudej jego, Zori bjelija ot očej Božih, Zvjezdi častija — to ot riz jego, Vjetri bujnije ot svjata Duha, Mir-narod Božij ot Adamija, Kosti krjepkija vzjati ot kameni, Tjelesa naši ot siroj zemli«. — Čto progovoril Volodimir car, Volodimir car Volodumrovič: »A ti goj jesi, sudar, premudrij car, Premudrij car David Jevsejevič! Ti ješčo skaži, sudar, povjedaj nam: Katcrij car nad carjami car, Katorij gorod gorodam mati, I katoraja cerkov cerkvam mati, I katoraja rjeka rjekam mati, I katoraja gora goram mati, I katoraja dreva drevam mati, A katoraja trava travam mati, I katoraja morja morjam mati, I katoraja riba ribam mati, I katoraja ptica pticam mati, Katcrij zvjer vsjem zvjerjam mati?« Čto otvjet deržal peremudrij car, Peremudrij car David Jevsejevič: »A ti goj jesi, Volodimir car, Volodimir car Volodumrovič! U nas Bjelij car nad carjami car, On i vjerujet vjeru kreščjonuju, Krješčonuju, bogomolnuju, On vo mater Božju Bogorodicu I vo Trojicu nerazdjelimuju; On stoit za dom Bogorodici, Jemu ordi vsje priklonilisja, Vsje jazici jemu pokorilisja; Polomu Bjelij car nad car jami car. — Jerusalim gorod gorodam mati, Čto stoit on gorod posredi ženili, Posredi zemli, svjetu bjelago. Vo svjatom vo gradje v Jerusalimje Stoji! cerkov saabornaja, Saabornaja, bogomolnaja; Vo svjatoj vo cerkvi vo sobornija, A stoit grobnica bjelokamenna, Počivajut rizi samogo Hrista, Samogo Hrista, carja nebesnago; Potomu tot gorod gorodom mati, Potomu cerkav vsjem cerkvam mati. — A Jerdan rjeka vsjem rjekam mati, Okrestilsja v nej sam Isus Hristos, Sam Isus Hristos, sam nebesnij car, So silami so nebesnimi, So svjatim s Ivanom so krestitelem; Potomu Jerdan rjeka rjekam mati. A Favor gora vsjem goram mati. Prebrazilsja na nej sam Isus Hristos, Sam Isus Hristos, sam nebesnij car, So siloju so nebesnoju, So dvumja na desjatju apostolmi, So dvumja na desjati arhangelmi, Pokazal slavu učenikam svoim; Potomu Favor gora goram mati. — Kipariš dreva vsjem drevam mati. Na njem rozpjat bil sam Isus Hristos, Sam Isus Hristos, sam nebesnij car. On meždu dvoih vorov, dvuh razbojnikov; Potomu ta dreva vsjem drevam mati. — A plakun trava vsjem travam mati. Kcgda Hristos Bog na. rospjatje šol, Togda mati Božja Bogorodica, Da svjet guljala Ona plakala, da svjet ridala, Ob svoem ob sinje ob vozljublennom. I ot tjeh ot sljoz ot prečistih Zarodilasja mati plakun-trava; Potomu plakun-trava travam mati. — Okijan morja vsjem morjam mati, Čto vihodit iz nej cerkov sobomaja, Saabornaja, bogomolnaja. Vo svjatoj vo cerkvi vo sobornija Pcčivajut knigi samogo Hrista, Samogo Hrista, carja nebesnago; Potcmu Okijam morja morjam mati. — A kit riba vsjem ribam mati. I jasnovana vsja sira zemlja, Vsja sira zemlja, vsja podsolnešna; Kogda ona riba potronetsja Vsja sira zemlja povorotitsja; Potomu i kit riba ribam mati. — Jestrafil ptica vsjem pticam mati, Čto živet ta ptica na sinjom mori, Ona pjot i jest na sinjom mori. Kogda eta ptica vostrepenetsja Vsjo sinee more vskolebaetsja, Potopljaet more korabli gostinje, So tovarami dragocjennimi, I topit gostej, gostej torgoviih, Pobivaet sudna, sudna pomorskija; Potomu strafil ptica pticam mati. — U nas indrik žvjer vsjem zvjerjam mati. Čto život tot zvjer vo svjatoj gorje, On i pjot i jest vo svjatoj gorje, On u Bogu molit za svjatu goru; Kogda etot zvjer vozigraetsja, Slovno obljaci po podnebesju; Potomu tot zvjer švjem zvjerjam mati. — Čto pogovorit Volodimir car: »A ti goj jesi, sudar, premudrij car, Peremudrij car, David Jevsejevič! Nočesja mnje malo spalosja, Malo spalosja, mnogo vidjelos. Kabi dva zvjerja sohodilisja, Promeždu soboj podiralisja. Kabi bjeloj zajec, kabi sjeroj zajec, Kabi bjeloj zajec odoljet hočet.« — Čto otvjet deržal David Jevsejevič: »A ti goj jesi, Volodimir car, Volodimir car, Volodumrovič. I ne dva zvjerja sohodilisja, Promeždu soboj podiralisja; I to bilo u nas na siroj zemli, Na siroj zemli, na svjatoj Rusi. Sohcdilisja Pravda s Krivdoju; Eto bjelij zajec,, to-to Pravda jest, A sjeroj zajec, to-to Krivda jest. Pravda Krivdu peredalila, Pravda posla k Bogu na nebo, K samonui Hristu, čaru nebesnomu, A Krivda ostalas na siroj zemli, I pošla ona po siroj zemli, Po svjem četverim po storonam, A kto stanet u nas žit Pravdoju Tot nasljedujet carstvo nebesnoe, No izbavljen zlcj muki previečnija; A kto stanet u nas žit Krivdoju Otrješjon na muki na vječnija. — Mclodim ljudjam da na pamjat brat, A starim ljudjam na poslušanje. Ješčo slaven Bog i proslavljen I veliko imja Gcspodne Jego. Amin. — Verdeutschung. Von diesem unsrem Aladir Und von diesem Adamshaupte Inmitten des Saračiner Feldes-) Fiel herab die kniga Golubinaja. Und zu dieser kniga Golubinaja Kamen und reisten zusammen Vierzig Care mit den Carensöhnen, Und vierzig Fürsten mit den Fürstensöhnen, Zu jenem überweisen Car, Zu David, zu Jevsevič. Was sprach Volodimir, der Car, Der Car Volodimir Volodumrovic: »Du bist der Herr und Richter, überweiser Car, Überweiser Car David Jevsejevič. Lies du die kniga Golubinaja Und erkläre, Herr, uns für die große Welt: Woraus entstand bei uns die große Welt, Woraus entstand die herrliche Sonne, Woraus entstand der junge glänzende Mond, Woraus entstand die lichte Morgenröte, Woraus entstanden die unzähligen Sterne, Woraus entstanden die gewaltigen Winde, 2) D. i. Sarazenen-Feld. Woraus entstand das Weltvolk Gottes, Woraus entstanden die kräftigen Knochen, Woraus sind unsere Körper genommen?« — Es gab zur Antwort der überweise Car, Der überweise Car David Jevsejevic: »Du bist der Herr und Richter, Car Volodimir, Car Volodimir Volodumrovic! Und dieses nicht kleine Buch, — Die Höhe des Buches ist 40 Klafter, Die Breite des Buches ist 20 Klafter, — Auf Händen zu halten ist unmöglich, Und die Schrift im Buche durchzulesen Und das Buch zu lesen kann niemand.« Doch das Buch entsiegelte sich von selbst Und man las die Worte Gottes. »Ich sage es, Brüder, aus dem Gedächtnisse, Aus dem Gedächtnisse, wie nach dem Buchstaben. Bei uns ist die große Welt von Gott, Die herrliche Sonne vom Antlitz Gottes, Der junge glänzende Mond von dessen Brüsten, Die weiße Morgenröte von den Augen Gottes, Die unzähligen Sterne von dessen Gewände, Die stürmischen Winde vom hl. Geiste, Das Weltvolk von Adam her, Die kräftigen Knochen sind von Steinen genommen, Unsere Leiber von der verwaisten Erde«. — Was antwortete Car Volodimir, Car Volodimir Volodumrovic: »Du bist der Herr, der überweise Car, Der überweise Car, David Jevsejevic! Sag du uns noch, Herr, erzähle uns: Welcher Car ist aller Care Car, Welche Stadt ist aller Städte Mutter, Und welche Kirche ist aller Kirchen Mutter, Und weicher Fluß ist aller Flüsse Mutter, Und welcher Berg ist aller Berge Mutter, Und welcher Baum ist aller Bäume Mutter, Und welches Gras ist aller Gräser Mutter, Und welches Meer ist aller Meere Mutter, Und welcher Fisch ist aller Fische Mutter, Und welcher Vogel aller Vögel Mutter, Welches Tier ist allen Tieren Mutter?« — Als Antwort gab der überweise Car, Der überweise Car David Jevsejevic: »Und du bist der Herr, Car Volodimir, Car Volodimir Volodumrovic! Bei uns ist der große Car über alle Care Car, Er glaubt an den christlichen Glauben, An den christlichen, den Gott anbetenden, Und an die göttliche Mutter, die Gottesgebärerin, Und an die unteilbare Dreieinigkeit; Er steht ein iür das Haus der Gottesgebärerin, ihm beugen sich alle Menschen, Ihm sind alle Völker untertan; Deshalb ist der Große über alle Care Car. — Jerusalem, die Stadt, ist der Städte Mutter, denn jene Stadt steht inmitten der Erde, inmitten der Erde, der großen Welt. In Jerusalim, der heiligen Stadt, Steht die Kirche, die vereinigte, Die vereinigte, die Gott anbetende. In der vereinigten heiligen Kirche Steht auch das weißsteinerne Grab, Dort ruhen die Kleider Christi selbst, Christi selbst, des Caren des Himmels; Deshalb ist diese Stadt aller Städte Mutter, Deshalb ist diese Kirche aller Kirchen Mutter. — Und der Jerdan-Fluß ist aller Flüsse Mutter. In ihm wurde getauft Jesus Christus selbst, Jesus Christus selbst, der Car des Himmels selbst, Mit des Himmels Mächten, Mit dem Johannes, dem Täufer; Deshalb ist der Jerdan-Fluß aller Flüsse Mutter. — Und der Favor-Berg3) ist aller Berge Mutter. Daselbst verklärte sich Jesus Christus selbst, Jesus Christus selbst, der Car des Himmels selbst, Mit des Himmels Macht, Mit den zwölf Aposteln, Mit den zwölf Erzengeln Zeigte er seine Herrlichkeit seinen Jüngern; Deshalb ist der Favor-Berg aller Berge Mutter. — Die Zypresse ist aller Bäume Mutter. Auf ihr war gekreuzigt Jesus Christus selbst, Jesus Christus selbst, der Car des Himmels selbst, Er zwischen zwei Dieben, zwei Bösewichtem; Deshalb ist die Zypresse aller Bäume Mutter. — ‘) Die russische Schreibweise für »Tabor«. 15 Und das Blutkraut4) ist aller Gräser Mutter, Als Gott Christos zur Kreuzigung ging, Da weinte die Mutter Gottes, die Gottesgebärerin, Daß die Welt stillestand, Daß die Welt laut weinte, Über ihren innigstgeliebten Sohn. Und aus diesen überreinen Tränen Entsproß das Blutkraut, das Muttergras; Deshalb ist das Blutkraut aller Gräser Mutter, — Das Okijan-Meer5 *) ist aller Meere Mutter, Denn von diesem steigt empor die vereinigte Kirche, Die vereinigte, die Gott anbetende. In der heiligen vereinigten Kirche Ruhen die Bücher Christi selbst, Christi selbst, des Cars des Himmels; Deshalb ist das Okijan-Meer aller Meere Mutter. — Und der Wallfisch ist aller Fische Mutter, Denn aufgehellt ist die ganze verwaiste Erde, Die ganze verwaiste Erde, die unter der Senne befindliche. Wenn sich aber jener Fisch schüttelt, Dreht sich die ganze Erde um; Deshalb ist der Wallfisch aller Fische Mutter. — Der Vogel Estrafil“) ist aller Vögel Mutter, Es lebt dieser .Vogel auf dem blauen Meere, Er trinkt und ißt auf dem blauen Meere. Wenn dieser Vogel sich rüttelt, Schaukelt das ganze blaue Meer, Es versenkt das Meer die fremden Schiffe, Samt den wertvollen Ladungen, Und versenkt die Fremden, die fremden Kaufleute, Und versenkt die Fahrzeuge, die Meeresfahrzeuge; Deshalb ist der Strafil-Vogel aller Vögel Mutter. — Bei uns ist das Indrik-Tier7) aller Tiere Mutter, 4) Sanguinaria, aus der Familie der Papaveraceen. Die ganze Pflanze enthält einen scharfen blutroten Saft, wonach sie auch diesen Namen erhielt. 5) Das Okijan-Meer dürfte nach allem einem bestimmten Ozean beigelegt gewesen sein, welcher Begriff aber später verallgemeinert wurde. Andere Varianten nennen hier »Hvalinsko more«, d. i. das Kaspische Meer. “) Es scheint hier irgendein fliegender Drache gemeint zu sein, doch ändert sich fast in jeder Variante die Namensform. Das Grundwort dürfte jedoch »jestrab, jestrav« (= der Geier) sein. 7) Welches Tier hiemit gemeint ist, geht hier nicht hervor. Einige Varianten sprechen da vom Einhorn> das aber nur die Sage und die Heraldik kennt; andere meinen darunter wohl Drachen, die im Berginnern wohnen, und die Quellen ergiebig fließen lassen, aber auch zurückhalten können. Denn dieses Tier lebt im heiligen Berge, Es trinkt und ißt im heiligen Berge, Es betet zu Gott im heiligen Berge. Sobald dieses Tier spielt, Sind frei die Wolken unter dem Himmel;s) Deshalb ist dieses Tier aller Tiere Mutter.« — Was spricht nun der Car Volodimir: »Du bist der Herr, überweiser Car, Überweiser Car, David Jevsejevic! Nächtens schlief ich nur wenig, Schlief nur wenig aber sah umso mehr, Als ob zwei Tiere aneinandergeraten wären, Die die Grenzen zusammen zerstörten: Hier ein weißer Hase, dort ein grauer Hase, Und als cb der weiße Hase vergewaltigt würde.« — Als Antwort gab David Jevsejevic: »Und du bist der Herr, der Car Volodimir, Car Volodimir Volcdumrovic. Nicht zwei Tiere gerieten aneinander Und zerstörten zusammen die Grenze; Dies geschah bei uns auf der verwaisten Erde, Auf der verwaisten Erde im heiligen Rußland. Es gerieten aneinander das Recht mit dem Unrechte. Jener weiße Hase, das ist das Recht, Und der graue Hase, das ist das Unrecht. Das Recht hat das Unrecht überholt, Das Recht ging zu Gott in den Himmel ein, Zu Christos selbst, zum himmlischen Caren. Aber das Unrecht blieb auf der elenden Erde, Und ging auf der elenden Erde Nach allen vier Richtungen. Und wer bei uns mit dem Rechte lebt, Der folgt dem himmlischen Reiche, Und wird frei sein der bösen ewigen Qual; Wer aber bei uns mit dem Unrechte geht Verfällt den ewigen Qualen. — Dies sollen sich die jungen Leute merken Und die alten Leute sollen es anhören. Noch sei gelobt Gott und verherrlicht Auch der große Name seiner Herrscherin! — Amen. — *) Hier scheint der Gegensatz ausgelassen zu sein, d. h. was geschieht aber dann, wenn das Tier nicht spielt, denn andere Varianten besagen, daß in dem Falle, als sich das Tier umdreht, alle Quellen und Flüsse übergehen, also Überschwemmungen verursachen. 15* Schlußbemerkung. — Die von den Volkssängern verbreiteten ßilinen oder Volksdichtungen epischer Dichtung sind selten frei von Anachronismen. So tritt hier der König David, der Sohn des Je-saias, als David Jevsejevic auf. Ob Volcdimir Volodumrovic, also Sohn des Volodumer, dessen Zeitgenosse war, wissen wir nicht; daß aber David, der mindestens 1000 Jahre vor Christus lebte, Deutungen aus dem Leben Christi bietet, wie z. B., daß das Kreuz Ch>isti aus Zypres-senholz war (andere Bilinen sagen aus Zedernholz), ist aber für jeden Fall ein arger chronologischer Verstoß, falls darunter nicht ein anderer David gemeint ist, wogegen freilich das Patrenymikcn Jevsejevic spricht. Die Volkssänger dichteten da zu, was ihrem Zwecke paßte, d. h. den Zuhörern zusagte, daher auch die unzähligen Varianten. P. Bezsonov, der i. J. 1861 (Moskau) die Gesänge der »Kaljeki pere-hozie« (= wandernde Verstümmelte, Blinde) ausgab, veröffentlicht darin 17 Varianten der »Golubinaja kniga«, deren jede für sich in dieser oder jener Richtung eine kritische Beachtung verdient. — Das äthiopische Adambuch. Die Universität Tübingen besitzt eine ziemlich genaue Abschrift des sogenannten »äthiopischen Adambuches«, die in Abyssinien {Habes) nach den dortigen Vorlagen angefertigt wurde. Professor Dillmann jener Universität beschäftigte sich später eingehender mit dieser Schrift, und veröffentlichte dieselbe mit dem nötigen Kommentare als »Das christliche Adambuch des Morgenlandes«, (Göttingen, 1853). Bei der Ursprungsfrage gelangte er zu dem Schlüsse, daß es ausnahmsweise nicht, wie sonst alle kirchlichen Bücher des Morgen- wie Abendlandes, als eine Übersetzung aus dem Griechischen anzusehen sei, sondern daß die Vorlage entweder arabisch oder syrisch war, und auf dem Wege über Ägypten nach Habes gelangt sein müsse. Als Beweis hiefür sieht er vor allem den Gebrauch der ägyptischen Monatsnamen, sowie den Umstand an, daß viele Eigen- wie Sachnamen in der arabischen Form und Aussprache beibehalten erscheinen, was bei einer griechischen Vorlage augenscheinlich unterblieben wäre. Der Kritiker dürfte da auch recht haben, doch uns handelt es sich vor allem darum festzulegen, in welcher Sprache das Original verfaßt war. Der Urtext mag tatsächlich irgendwo im Morgenlande entstanden sein, und genoß das Buch als Erbauungslektüre zu jener Zeit, also vor etwa 70 Jahren, in der christlichen Kirche von Habes noch ein besonderes Ansehen, trotzdem es, analog wie die Bibel und sonstige kirchliche Schriften, viel Anstößiges enthält. Es führt im Originale den Titel: »Der Kampf Adams und Evas, den sie durchzukämpfen hatten nach ihrer Vertreibung aus dem Garten und während ihres Aufenthaltes in der Schatzhöhle nach dem Befehl des Herrn, ihres Schöpfers und Erhalters«. Der Inhalt zerfällt in drei sehr ungleiche Teile. Der erste und umfangreichste Teil behandelt die Lebensgeschichte Adams und Evas bis zum Tode Adams, der zweite die Reihenfolge der Vorsteher des Sethitengeschlechtes bis zum Tode Noahs, der dritte den weiteren Zeitraum bis zur Geburt Christi unter kurzer Anführung der Namen der Stammesältesten. Die beiden letzten Teile sind kurz, trocken, mehr chronikartig gehalten; der erste Teil hingegen stellt eine lebendige, teils phantasievoll, teils realistisch gehaltene Schilderung der Lebensverhältnisse des ersten Menschenpaares dar, welcher der Verfasser seine eigenen dogmatischen Ansichten vom Urzustand des Menschen, von dessen Sündenfall und von der in Aussicht gestellten Erlösung hinzufügt. Das ganze bietet eine wunderliche, zum Teile sogar recht geschmacklose Erzählung von der primitiven Kulturentwicklung des vollkommen hilflos in die Welt gesetzten ersten Menschenpaares, wobei selbst bei den natürlichsten Vorgängen immer Gott eingreifen muß, da es gewitzigt durch den Verlust des Paradieses, in der steten Furcht lebt allenthalben wieder einen Fehler oder eine neue Sünde zu begehen, daher selbst nichts unternimmt, ohne vorher Gott zu befragen. Die eigene Hilflosigkeit geht so weit, daß sie sich Instruktionen einholen, ob sie dem Leibe Nahrung zuführen, ob sie schlafen, sich entleeren, sich bekleiden dürfen; ja selbst über den ersten Beischlaf ziehen sie Gott zu Rate. Doch wird dieses wieder durch den Umstand begründet, daß die Schlange — der Satan — fortgesetzt und in den verschiedensten Gestalten der Verführung an sie herantritt, wobei sie meist nicht unterscheiden können, ob sie etwas als Wahrheit oder aber als Trug anzusehen haben. Es liegt demnach hier eine Art geistlichen Romanes im Ge-schmacke der alten Zeit vor, der neben seiner Untermischung der albernsten Dinge aus der Periode der kindlichen Unerfahrenheit unserer legendären Stammeltern, doch nicht ganz der psychologischen Feinheit und des Bestrebens die reale Wirklichkeit festzuhalten, entbehrt. Desgleichen steht der Buchinhalt nicht ganz vereinzelt da, denn die darin ausführlicher berührten Legenden finden sich auch zum Teile beim Alexandrinischen Patriarchen Said ibn Batrik (Eutychios), in der Chronik des Georgios Elmacinos der Syrischen Chronik, in Al-bufarags arabischer Dynastengeschichte, in den exegetischen arabischen Catenen, dann in der vatikanischen Handschrift des Clemens usw. vor. Besonders nahe kommt unserem Buche auch eine syrische Handschrift des Vatikans, die das gleiche Thema, wenn auch in veränderter Form, jedoch unter dem Titel »Spelunca thesaurorum«, also »Schatzhöhle«, bietet. Wir haben nun schwerwiegende Gründe zu behaupten, daß das Original unseres Werkes altslavisch war, oder daß die Hauptpunkte desselben mittelbar von einem solchen stammen; hiefür spricht nämlich folgendes: a) wendet der Verfasser offen die slavische Chronologie an, den hier ist es sogar Gott selbst, der sich der slavischen Weltära bedient, als er Adam in Aussicht stellt, er werde in 5500 Jahren, d. i. in 5lA Tagen (Zeitaltern) durch die Sendung eines eigenen Sohnes von der Erbsünde erlöst werden. Hätte aber ein Syrer oder Hebräer die Originalerzählung geschrieben, so hätte er sich wohl seiner eigenen Ära bedient, die jedoch in jedem Falle um mehr als 1700 Jahre kürzer ist als die slavische, er demnach von Adam bis Christus nie die Zahl von 5500 Jahren erreichen konnte. Gegen diesen Rechenbeweis gibt es einstweilen keine greifbare Einwendung; b) in der Biblischen Genesis fällt es als unnatürlich auf, daß die Stammeltern keine weibliche Nachkommenschaft haben, trotzdem es dort heißt: »Kain wohnte seinem Weibe bei, da wurde sie schwanger und gebar den Henoch«. Darüber gibt jedoch unser »Adambuch« einen natürlichen Aufschluß. Eva gebar nämlich zweimal Zwillinge, u. z. das erstemal den Kain und die L u v a, das zweitemal den Abel und die A k 1 e j a m. Nun heißt es im Buche selbst: »Adam nannte den Sohn deshalb Kain, d. i. Hasser, weil er schon im Mutterleibe seine Schwester haßte (?), indessen nannte er die Tochter »Luva«, d. i. die Liebe, die Schöne, da sie schöner als ihre Mutter war. Hingegen begründet er die Benennung des zweiten Zwillingspaares nicht. Nun stellt sich hier wieder, wie bei Adam und Eva, der Fall ein, daß diese Namen im Slavischen das bedeuten, was Adam auch in sie sprachlich hineinlegte, denn »kain« bedeutet im Russischen: der Tollkopf, der Verwegene, »kajön« im Slcvenischen: der schlechte Mensch, der Bösewicht. »Luva«, richtig »Luba«, da es in der ältesten Zeit kein »b« im slavischen Alphabete gibt, bezeichnet tatsächlich: die Liebe, Liebreizende. Andere der angeführten Quellen nennen sie aber noch prägnanter als »Lebuda«, richtig »le-pota«, d. i. die Schöne, die Schönheit, wobei bei den mangelhaften alten Alphabeten nur die genau zutreffenden Lippen- und Zahnlaute nicht eingesetzt erschienen. -— Jene Namen kann daher nur ein Slave gegeben haben, die sich aber durch eine derart lange Zeit gefestigt haben, daß sie später niemand mehr als Charakternamen erkannte, sondern nur mehr als echte Eigennamen ansah, daher auch seiner Sprache nicht mehr anpaßte. Überdies sei hier erwähnt, daß die Tochter »Luva« die indirekte Veranlassung zum Brudermorde war. Der Satan teilt nämlich Kain vertraulich mit: »Deinen Bruder Abel lieben die Eltern mehr als dich, und da sie ihn lieb haben, wollen sie ihn mit deiner schönen Schwester verheiraten, und dir, weil sie dich hassen, wollen sie dessen häßliche Schwester zum Weibe geben. Und siehe, ich rate dir, sobald sie dir dieses antun sollen, so töte deinen Bruder, dann bleibt sie dir.« — Diese Heiratsgeschichte, die den Brudermord doch menschlich weit begründeter darstellt, als die Genesis, erzählen auch alle syrisch-arabischen Chroniken, sowie auch die Kabbalisten als die eigentliche Veranlassung des ersten Meuchelmordes. Der Hagiograph dürfte diese Stelle des Originales deshalb unterschlagen haben, um nicht unvermittelt das Heiraten von Blutsverwandten ersten Grades, also die Blutschande, als in der Mot legal anführen zu müssen; c) es muß dem Slaven auffallen, daß der Verfasser des »Adambuches« von den Stammvätern immer sagt: »er weidete seine Völker durch soviel Jahre«. — Diesen sonderbaren Begriff kann er wohf nur aus einer slavischen Vorlage haben, denn »pasti« heißt allerdings weiden, aber auch beaufsichtigen, a u f p a s s e n. Einer, der die feinen Sprachunterschiede kennt, wird wohl in diesem Falle nicht »weidete«, sondern »beaufsichtigte, leitete, führte«, übersetzen. Solcher auffallender Analogien, die stets auf die slavische Sprache als Ausgangspunkt hinführen, finden sich im »Adambuche« noch mehrere vor, daher es sich empfehlen würde, wenn ein Slave, der zugleich gründlicher Kenner der syrischen und arabischen Sprache wäre, alle bezüglichen Quellen in den Originalen selbst überprüfen würde, damit dem unbedachten Gerede, als ob alle kirchenliterarischen Werke griechischen Vorlagen entstammen würden, endlich ein Ende gesetzt werde. Unser »Adambuch« gehört schon einmal nicht dazu, da es inhaltlich wesentlich abweicht, obschon es nach der Septuaginta aus alten Verlagen verfaßt worden sein muß, nachdem der Verfasser (S. 99) selbst erzählt, daß die 72 Dolmetscher die griechischen Bibelbücher hergestellt haben, also solche unbedingt vorher schon in ein oder mehreren anderen Sprachen vorhanden waren, und wobei immer der Begriff »griechisch« irreführend ist, denn genau so, wie wir unter »griechische« Kirche die altslavische verstehen, sind die »griechischen« Kirchenbücher eben auch altslavisch gewesen, und übersetzten die 72 Gelehrten die hl. Schriften aus dem »Griechischen«, d. i. Altslawischen, aber nicht ins Griechische, sondern ins »H e 11 e n i s c h e«. Ittllll HMIII _______ lllllil 11(1111 7?775^TVT1 Wo'Vi f Das Altslavische als einstige diplomatische Sprache. Der größeren Öffentlichkeit ist es dermalen völlig unbekannt, daß die altslavische Sprache noch im Mittelalter, namentlich in den östlichen und südlichen Ländern Europas, als die diplomatische Sprache in Verwendung stand, und dies vielfach noch bis in das XVIII. Jahrhundert verblieb, bis sie vollends durch das Lateinische und Französische verdrängt wurde. Um in dieser Richtung das Verständnis für die einstigen sprachlichen Verhältnisse vorzubereiten, werden nachstehend drei solche Urkunden, u. z. je eine albanische, türkische und moldauische veröffentlicht. Diese Wahl bezweckt zugleich einen sprach-geschichtlichen Vergleich zu ermöglichen. Der Interessent erhält hier im engsten Raume einen Einblick in das Aussehen der slavischen Sprache in drei verschiedenen Ländern zu derselben Zeit, denn die Urkunden sind alle inhaltsverwandt, da sie alle Geldinteressen behandeln; alle stammen aus derselben Zeit (1459, 1470, 1475), aber sie sind in von einander weit entfernten Gebieten (Tirana oder Elbassan, Kcnstantinopel und Suczawa) ausgefertigt, I. Die diplomatische Sprache in Albanien wechselte ständig zwischen slavisch, lateinisch und griechisch; doch hatte ersiere hiebei eine ausgesprochene Majorität, was sich daraus erklärt, daß die Landes-fürsten meist serbischer Abstammung waren und daß auch das Re-ligicnsband dabei fördernd wirkte. Überdies ist es aus anderen Quellen bekannt, daß die Kanzler der albanischen Fürsten nur serbisch schrieben. Wie ausgesprochen slavisch diese Kanzleien wmren, ersieht man aus einer Meldung 'der Ragusaner im Jahre 1434 an den Kaiser Sigismund^daß Anflreas Topia, ein albanischer Fürst, nur »sclavcnos canceilarics et scientes sclavicam linguam et litteram« besitze, sich daher beim Empfang lateinischer Briefe erst an eine »lateinische Kanzlei« an der Küste wenden müsse, wodurch jedoch die Geheimnisse nicht gewahrt werden können; deshalb solle ihm der Kaiser künftig ausschließlich s 1 a v i s c h schreiben. Als Beispiel, wie eine Urkunde aus jener Zeit aussah, wird nachstehend eine solche des »Skender beg«, des Mohammedaners (?), aus dem Jahre 1459 ersichtlich gemacht.1) Das^ffaus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien) besitzt mehrere vom Genannten Albanerfürsten herrührende Urkunden, die alle in serbji&aßr'Sprache verfaßt sind; ob und wo sich eventuell noch weitere befinden, ist dermalen nicht verläßlich bekannt. Wortlaut jener Urkunde, worin Skender beg den Ragusanern den Empfang von 500 Dukaten bestätigt, in lateinischer Transkription: »+ V ime oca i sina i ducha svetoga amin. Mi gospodin Gjurg Kastriot, rečeni Skender beg, dajemo na videnije vsakomu, komu se dostoit i pred koga se izneset ovi naš list otvoreni a pod pečatim prstena mojega znamenova(na)go megju nami s komunom dubrovčcim za ovoizi posl postave naše, što postavich u komun dubrovčki naš čel-nik Rajan i gospodin Paval Gazul a po našei zapovedi, jere pri-mich od mnoho počtenoga kneza i vlastel i vse opkine vlastel dub-rovičkich a po našem dijaku Nincu Vukasolikju a s našim listom verovanim . ~ , st. dukat zlatich. a za vekje verovanje ja dijak Nine s moom rukom pisach u grad Dubrovnik a po zapovedi gospodina mi Skender bega. a piša na ljet roždestva christova tisukju i. d. sta i , iTth . , na dni .v . aprila.« Verdeutschung. » + Im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl. Geistes Amen. Wir, Herr Georg Kastriot, genannt Skender beg, geben jedermann, den es angeht und vor den dieses unsere offene, mit meinem eigenen Siegelringe beglaubigte Schreiben gelangt, zu wissen, daß zwischen uns und der Gemeinde Dubrovnik für jenen Dienst unserer Person, den unser Vorsteher Rajan und Herr Paul Gazul nach unserem Befehle mit der Gemeinde Dubrovnik vereinbarten, daß ich vom vielehrenwerten Bürgermeister und Edlen, sowie von den Dubrovniker Edlen der ganzen Gemeinde und durch unseren Sekretär Nine Vukasulič mit unserem beglaubigten Schreiben 500 Golddukaten erhielt! Behufs nachdrücklicherer Bestätigung habe ich, Sekretär Ninc, mit meiner Hand an die Stadt Dubrovnik geschrieben und nach dem Befehle meines Herrn Skender beg. Ich habe dies geschrieben im Jahre 1459 n. Chr. G. am 2. April. 3) Diesetk-* A-fr-nJ H.Wr~«Y/w< ( , ,, •rfjimjKurru ffv^ f"1 (*'''*'! rJ pjey{~i'»*-* »j/iik ^r-pvnj^' yi#r>t«nj** -/ITa/*r*1 rijt*f |lf“'"V'1 fj#‘ J-"/'*' J—'/' -f T/V Vr........-«(/ rJW-~- /"j-K ¿-"‘jf ^ j.nJuiH MIa* ,m , *«1 m'r-jta]**#/ ^.rJ7' /t' j „".jfl' ppyotpt'l jnepr' s- A" j*" °J‘*Jam‘ p?/tfjt ¿1 r*jij Jr"j ¿J*~fr‘l f*^"n'! J tr‘i'2,,n ^4,‘rij ji(1 ''£'-• ¿JA" Ž' jnyHA^ * Faksimile der Urkunde. — Das Siegel Skenderbegs ist ein Gemmenring mit dem Bilde einer Vila (Nymphe, Beschützerin südslavischer Helden). e II. Die zweite Urkunde ist türkisch-slavischen Ursprungs. — In diesem Sinne hat gleichfalls M. von Czerlien im »Staroslovan« (1914, S. 194—199) mit dem Aufsatze »Türkische Originalurkunden in slavischer Sprache« orientierend vorgearbeitet und vor allem gezeigt, daß die sprachlichen Verhältnisse der von den Osmanen eroberten slavischen Provinzen auf dem Balkan niemals derart drückend waren, wie dies andere mitunter weit weniger kraftvolle Eroberer zur Schau trugen, oder wie man dies sonst aus der Geschichte des osma-nischen Reiches schließen könnte. Diese Toleranz findet besonders darin ihre äußeren Kennzeichen, daß man in Konstantinopel nicht den geringsten Anstoß nahm Urkunden, die für die slavischen Provinzen bestimmt waren, gleich im Originale in der slavischen Sprache zu verfassen. Diese Urkunden verschaffen uns zugleich einen tiefen Einblick in die sprachlichen wie auch sozialen Verhältnisse der Türkei im XV. Jahrhunderte, also gerade jener Zeit, als die Macht der Osmanen schon so ziemlich im Zenite stand. Man entnimmt daraus, daß z, B, der schriftliche diplomatische Verkehr mit der Republik Ragusa, die damals der Türkei tributpflichtig' war, gegenseitig* in kroatischer Sprache und bosnisch-kroatischer Schrift erfolgte* e£s kann sonach z,u jener Zeit in Ragusa, entgegen der landläufigen Annahme, nicht das Italienische und ebenso in Konstantinopel nicht das Türkische die offizielle Staatssprache gewesen sein, was in Ragusa einleuchtend, türkischerseits aber sehr naheliegend ist, denn die bedeutendsten Staatsmänner und Feldherren der Türkei in ihrem Machtaufstiege waren zum großen Teile Südslaven, die zwar skruppcllos, weil nur formell, zum Islam übertraten, aber deshalb nicht ihre Muttersprache verleugneten oder mitunter die türkische Sprache gar nicht be-herrschten, nhi* Aber auch die familiäre und religiöse Orthodoxie der osmani-schen Regenten war einst keine so ausgesprochene, wie heute. Aus etlichen Urkunden ersieht man, daß z, B. die Sultanin (carica) M a r a, die wegen ihrer blendenden Schönheit berühmte Tochter des serbischen Despoten Georg Brankcvic, als Gemahlin des Sultans Mohammed II. (1451-—1481) eine eigene slavische Staatskanzlei hatte, daß sie ihrer Religion treu blieb und sogar die griechische Kirche offen unterstützte. In der Hauptsache haben sich aber in größerer Zahl nur diplomatische Urkunden erhalten, die Konstantinopel mit Ragusa und Venedig wechselte. Solche, die andere slavische Staaten, dann Ungarn betreffen, sind relatv sehr gering. Doch ist dies sehr einleuchtend. Ragusa wie Venedig hatten ein geordnetes 'Staatswesen und waren Handelsrepubliken, legten daher als solche, wie jeder ordnungsliebende Kaufmann, auch eine besondere Fürsorge für die Verwahrung der Verträge und einschlägiger Urkunden an den Tag. Ragusa wie Venedig wurden auch nie gründlich zerstört, eingeäschert oder geplündert. In den übrigen Ländern war aber der Vandalismus jeder Art an der Tagesordnung. Es erhielt sich daher sonst von den verfaßten oder gewechselten Urkunden nur Spärliches. Als Beispiel dieser Art folgt hier jene Bestätigung (Quittung) im Wortlaute wie Übersetzung samt Faksimile, die die Sultanin Mara den Ragusanern i. J. 1470 einhändigte, als ihr die jährlichen Einkünfte von Stagno für die Erzengelkirche in Jerusalem überbracht wurden. Der »cyrillisch« geschriebene Originaltext lautet in lateinischer Transkription: f Ja gospcgja carica Maara primih od dohodka dubrovackoga pet set perper dubrovackih sto dava Dubrovnik dohodk od Stona na Jerusalim crkve svetomy arhandjelu na godiste; i sto je bio dohod ovoga godista, to donesose pocteni vlastele dubrovacki: Joko Bunic i Paladin Lukarevic, i predadose u teh pet set perper dinar dubro- vačkih, jlto četiri deset i sedra dukat; a tedan bješe dukat u Dubrovniku po 41 dinar, i tomu i svedoci vlastele gospogje carice: vrač Bjeli i Kraimir i Branko, pisan v ljet 6.979 noebra 4., a pak kako se latinski sazumie, od roždestva Hristova 1470 ljet ncebra 4. a piša Šimom jeklisiarh gospogje carice, Verdeutschung! »f Ich Frau Kaiserin Mara empfing 500 i saner Perper2), welche Ragusa vom Einkommen von Stagno der Jerusalemer Kirche »zum hl. Erzengel« als jährliches Einkommen zu geben hat; und das auf dieses Jahr entfallende Einkommen brachten die ehrbaren Ragusaner Edlen: Jcko Bunic und Paladin Lukarevič und übergaben diese 500 Perper Ragusaner Währung, (d. i.) 147 Dukaten; zur Zeit stand der Dukaten in Ragusa zu 41 Dinar, Dies bestätigen alsyZ?ugen der Frau Kaiserin: der Arzt Bjeli und Krajmir tnd Branko, Geschrieben im Jahre 6.979 den 4. November, oder wie es lateinisch verstanden wird, von der Geburt Christi des 1470. Jahres, den 4. November, und schrieb das Simeon, der Ekklesiarch (Kirchenvorsteher) der Frau Kaiserin«. — -j e, % ■n* ei rrf nt ijfji IflHfff' |jW5 -yf ^ JJ rJ. t , ,_ M'T Vuk ^ fllfenjl* riK ^~*7 'JoL* «* a/. . - •/ J.. & V.. ) ^'v Û -O^S/lf 'y’hJ ¿Áe¿4¿/&ts. ‘vbij/lhe. ¿£¿SX' WC ‘Vosi' gracr*' cyy&n*vuisrirw*r f) / /y III. Die dritte Urkunde stammt aus dem ehemaligen Fürstentum Moldau, und ist vom Vojvoda Stephan d. Gr. (1457—1503) ausgestellt. Sie ist schon deshalb besonders beachtenswert, weil sie für Ungarn verfaßt wurde, daher sprechende Rückschlüsse auf die damalige diplomatische Verkehrssprache mit Ungarn gestattet. Die Originalurkunde befand sich bis zum Kriege in B r a š o v (Kronstadt), wie Brasso im Slavischen lautete. — Das Siegel enthält den Text: f pečat Stefana vcevodi«. — Die Jahreszahl ist zwar nicht beigesetzt, ist aber durch andere ergänzende Urkunden dieser Art verläßlich festgelegt. Die Urkunde, die ein Flandelsprivilegium für ungarische Kaufleute enthält, hat folgenden Inhalt: f Stefan voevoda, božieju milostiju gospodar zemli moldavskoi, d'aem i dali jesmo ses list naš i slubuem i slubih jesmo usim kupcem ot svjatoi korunje ugorskoi na to: da jest im slobodno i dobrovolno i bez zabavje priehati do našei zemli s usim vašim torgovlcju i tovarom, torgovati i kupovati slobodno i dobrovolno i bez zabavje i pagubje, hotje u miru hotje u razmirnicu; a im da jest slobodno zasje do Ugor poehati s usim ih tovarom, bez nikotoroi zabavje i pagubje. Toe use višepisannoe sljubuem usim kupcem ot korunje zderžati i popolniti pri našei cesti i hristjanskoi vjeri, bez Isti i usjekoi hitrosti. A na to jest vjera gospodstva mi i vjera usih bojar naših, velikih i malih. Pis (ano) v Sučavje, 10. Juli. Verdeutschung: »f Wir Herzog Stefan, von Gottes Gnaden Herr des Landes Moldau, geben und haben gegeben diese unsere Urkunde und versprechen und haben allen Kaufleuten der heiligen ungarischen Krone folgendes versprochen: Daß es ihnen frei und freiwillig und ohne Hindernisse gestattet ist in unser Land zu kommen mit allen ihren Marktwaren und Lasten, zu handeln und zu kaufen frei und freiwillig und ohne Hindernisse und Verluste, sei es im Frieden sei es außer Frieden; dann daß es ihnen freisteht nach Ungarn zurückzukehren mit ihren Lasten ohne welches Hindernis oder welchen Verlust. Alles dieses oben Niedergeschriebene versprechen wir allen Kaufleuten von der Krone zu halten und durchzuftihren bei unserer Ehre und dem christlichen Glauben, ohne Hinterlist oder irgendwelchen Hintergedanken. Und darauf ist (gesetzt) der Glaube unserer Regierung und der Glaube aller unserer Bojaren, der großen wie kleinen. Geschrieben in Suczawa am 10. Juli (1475)«.3) — Zeichnung: ein Pfund Sterlingj ein Schock guter böhmischer Groschen, ein Goldbeutel zu vergleichen, 3) Das Faksimile war mit Rücksicht auf die durch die Kriegsverhältnisse geschaffene Unordnung! nicht erhältlich. m,- Altrussische Grenzurkunden. In den Bücherkästen der Klöster, Pfarreien, Schlösser, Gemeindearchive wie auch in den Privatbibliotheken erliegen, wie die« namentlich die Erfahrungen des Krieges gezeigt haben, noch viele wertvolle, aber unbeachtete, daher auch den wissenschaftlichen Kreisen noch ganz unbekannte Urkunden verschiedensten Inhaltes, deren erschöpfende Durchforschung hohe kulturgeschichtliche Werte an den Tag fördern müßte. Es bedarf daher wohl keiner besonderen Aufmunterung den noch zahlreich vorhandenen, aber zumeist weit zerstreuten und der größeren Öffentlichkeit nicht bekannten Handschriften fortan eine höhere Beachtung zuteil werden zu lassen, denn erst durch solche allseitige synthetische Arbeit und Vergleichung kann in so manches dunkle Gebiet des einstigen Kulturlebens das erforderliche Licht gebracht werden. Nachstehend sollen an zwei Urkunden dieser Art vor allem die Rechtsgebräuche und örtlichen Gewohnheiten bei der Festlegung von Besitzgrenzen und der gangbaren Kontrolle derselben in slavischen Gebieten dargelegt werden. I. Eine Widmungsurkunde vom Jahre 1270. Die Urkunde enthält in altrussischer Sprache die Widmung oder Zuweisung der Nutznießung etlicher genau begrenzter Ortschaften und Gebiete im Kreise Rohatyn in Ostgalizien. Die vorhandene Handschrift selbst ist nicht mehr das Original, daher ihr auch keine Siegelkapsel angehängt ist, sondern eine, allerdings sehr alte Kopie, wie dies aus einer auf der Rückseite angebrachten Anmerkung hervorgeht. Das Pergamentblatt ist 36'5 cm breit und 17 cm hoch. Der Text ist in altertümlicher »crkovnica« verfaßt, wobei es aber gleich auffällt, daß die diesem Alphabete sonst eigentümlichen Halbvokale hier nur gelegentlich einmal angewendet werden, demnach beim Umschreiben die später gangbaren Rechtschreibungsgesetze unbeachtet geblieben sind, wir es daher mit einer genauen Kopie zu tun haben dürften. Die Urkunde befindet sich in der Graf Baworowskischen Stiftungsbibliothek in Lemberg, und wurde bisher weder gelesen noch veröffentlicht. Der Originaltext, ohne jede Interpunktion geschrieben, lautet: / »Nadanja ot knežja Leva Teodora listi prava zvječistaja otčiz knežja Romana kievsko starosti u Tjehovičje a Dobriničje na drugom potoeje u ednom tclocje knežja Romana kievskogo starosta i slavnago Jaroša Radimira knazja a starosta kievsko sina Romanova knazja ih viasnaja zvječistaja otčizna z djeda i s pradjeda selo Časniki i Pokuv u ednom tolccje zvječistaja otčizna z djeda i s pradjeda knežja Romana kievskogo starosti i sina ego slavnago knežja Jaroša starosti kievskago Žolčev selo zvječistaja otčizna z djedu i s pradjeda knežja Romana kievskogo starosti i sla (v) nago knežja Jaroša Radimira otčizna zvječistaja selo Potjatincje na Lipje viasnaja otčizna z djeda i s pradjeda knežja Romana kievskogo starosta i sina ego slavnago Jarcša knežja drugoe selo Lučincje u ednom stolocje s Potiaiincje viasnaja otčizna i z djeda i s pradjeda knežja Romana starostoi kievskogo knežja Jaroša Radimira u nizu Lučinec pol milje Kamenaja gora nad bolotom Lipoju rjekoju s togo kamene idut kijrjnicje a ot togo kamene pošla granieja i prišla na maluju Lipicju rjeku est berezo-vini gaj nad Lipiceju rjekoju poli togo gaju stojit kamjen kde granica zapisana ednakovo idet granica u pel milje jak ot Žolčova tak ot Pcljatinec tak ot Lučinec idet ku poludnju slnca na pol milje dobraja taja granica deržit i s krilosom i vtoruju postavil granicu knez Roman kievski starosta i knez Jaroš slavni ot Kurjan perešodši potek što na njem most a za tim mostom gora toju geroju posrjed bukovinoi prišla i k korolevskim kupejem i v tcih kopejev stoit dub a v dubje zabito čereslo i v tihže kopejev stoit buk i jasjen pospolu meži tim dvoma derevoi postavljen kamen širokij na tom kameni vibito tri križ-je ot Rogatina granieje ot ozera verbovogo i ktorješčo prozivajut Čer-tovo beremja ot tolja pošla i k liščevnje k bolotu prišlo na rjeku kato-raa idet do Pukova tam stala granica to est nadan ot knežja Leva Teodora i dal pravo i pečjati svoi priložil i rukoju svoeju vlasnoju pod-pisalsja aco.« Die deutsche Übertragung (in tunlichst genauer Auslegung der Vorlage und der Einsetzung der zum Verständnisse nötigen Interpunktionen) lautet: »Rechtsurkunde der Widmung des Lev Teodor. Die verewigte Familie des Fürsten Roman, des Herrn von Kiev in Tjehoviči und Dobriniči am zweiten Bache in einem Arbeitsabschnitte mit dem Fürsten Roman, dem Herrn von Kiev, und des rühmlichen Jaroš Ra-dimir, des Sohnes des Fürsten und Herrn von Kiev, des Fürsten Roman, deren eigene verewigte Familie vom Großvater und Urgroßvater das Dorf Časniki und Pokuv in einem Arbeitsabschnitte. Die ver- ewigte Familie vom Großvater und Urgroßvater des Fürsten Roman, des Herrn von Kiev, und dessen rühmlichen Sohn, dem Fürsten Jaros, dem Herrn von Kiev, das Dorf Zolcov. Die verewigte Familie vom Großvater und Urgroßvater des Fürsten Roman, des Herrn von Kiev, und des rühmlichen Fürsten Jaros Radimir verewigte Familie das Dorf Poljatince an der Lipa (Gnila). Die eigene Familie vom Großvater und Urgroßvater des Fürsten Roman, des Herrn von Kiev, und seines Sohnes des rühmlichen Fürsten Jaros das zweite Dorf Lucince in einem Arbeitsabschnitte mit Poljatince. Die eigene Familie vom Großvater und Urgroßvater des Fürsten Roman, des Herrn von Kiev, des Fürsten Jaros Radimir abwärts von Lucince eine halbe Meile die Kamenaja gcra oberhalb des Sumpfes am Lipa-Flusse. Von diesem Kamen (Felsen) gehen Quellen aus und von diesem Felsen ging die Grenze und führte zum kleinen Lipica-Flusse. Ober dem Lipica-Flusse ist ein Birkenwald; neben diesem Walde steht ein Stein, auf dem die Grenze eingeritzt ist. Desgleichen geht die Grenze um eine halbe Meile von Zolcov wie von Poljatince wie von Lucince; sie geht gegen Süden auf eine halbe Meile. Diese richtige Grenze läuft zugleich mit dem Zaune, Eine weitere Grenze setzten der Fürst Roman, der Herr von Kiev, und der Fürst Jaros, der Rühmliche von Kurjan, die den Bach übersetzt, auf dem eine Brücke ist. Hinter dieser Brücke ist eine Höhe. Über diese Höhe mitten durch den Buchenwald führte sie zu den königlichen (Grenz-) Aufwürfen, und bei diesen Aufwürfen stand eine Eiche und in dieser Eiche war eine Pflugschar eingeschlagen. Bei diesen Aufwürfen §tanden auch eine Buche und eine Esche nebeneinander. Zwischen diesen Bäumen ist ein breiter Stein eingesetzt, auf dem drei Kreuze eingemeißelt sind. Von der Grenze von Rogahn und vom Verbovo-See, den sie auch Certovo beremja benennen; von hier ging sie zur Fuchshütte (?) und gelangte zum Sumpfe am Flusse (Bache), der nach Pukov führt; hier stand die Grenze. — Das ist die Widmung des Fürsten Lev Teodor, der das Recht verliehen und sein Siegel beigegeben und sie mit seiner eigenen Hand unterschrieben hat, 1270«. — Über die in der Urkunde angeführten Personen ist es schwer bestimmte geschichtliche Daten zu bieten, da es in der Kiever Regentenfamilie viele Träger dieser Namen gab; ein Roman regierte z. B. in Kiev und Galizien vom Jahre 1197 an; vermutlich war dieser ein Vorfahre der in der Urkunde genannten Fürsten. In topischer Hinsicht wurde folgendes ermittelt: »Tiehovici« ist heute nicht auffindbar, dürfte daher indessen den Namen gewechselt haben. — Ob das heutige »Dobryniöw« mit »Dcbrinici« identisch ist, wissen wir nicht bestimmt, aber höchstwahrscheinlich. — »Kuijan« ist wohl das heutige »Kurzany« an der Lipa, wo sich noch jetzt ein altes Schloß befindet. — Als »ozero Verbovo« wurde zweifellos ein Teil des Sumpfes an der Gnila Lipa nächst »Wierzbolöwce«, wie eben das einstige »Verbovo« heute schon entstellt lautet, bezeichnet, — Die sonstigen Ortsnamen, wie »Czesniki, Kamienna gora, Lipica, Luczynce, Puköw, Putiatynce, Rohatyn« und »Zolczow« haben sich in dieser Zeit sprachlich wenig oder gar nicht verändert. — »Brezo-vina« und »Bukovina« sind wohl nur als Riednamen für Waldbestände an Birken und Buchen anzusehen. — Einer näheren Erörterung bedarf der Name »Certovo beremja«, welche Lokalität zweifellos mit der heutigen »Czortowa gora« identisch ist. Letzterer Name besagt etymologisch: Grenzberg. — Auffallende Felsbildungen dienten nämlich seit uralten Zeiten als Naturgrenzsteine, und so war es wohl auch hier. Die Volksphantasie deutete sich aber später, als sie die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes »certa« (= Linie, Grenzlinie) sprachlich mit dem geläufigeren »cert, czort« (= Teufel, böser Nachbar) verwechselt hatte, solche Felsgebilde, durch den Namen irregeführt, dahin, der Teufel habe einst einen schweren Stein getragen und aus - irgend einem Grunde die Last (»breme, bremja«) an dieser Stelle fallen gelassen. Es sind dies reine Lokalsagen, die sich in der Welt in ähnlicher Form hundertmal wiederholen. — Östlich von Putiatynce befindet sich übrigens noch heute ein Gehöfte namens »Granica« (= Crrenze). — Die sonstigen Stellen der in der Urkunde erwähnten Grenzsteine wie typischen Grenzbäume dürften aber in den alten Katasterplänen oder durch Überlieferungen auch noch alle feststellbar sein.1) In sprachgeschichtlicher Beziehung verdienen hier nachstehende Bezeichnungen eine besondere Hervorhebung: »nadanje« = Widmung, Stiftung, d. i. die Daraufgabe auf ein schon bestehendes Einkommen (cech. »nadace«); »zvjecista« entspricht etwa dem deutschen »verewigt, weiland« als Kennzeichnung verstorbener hoher Personen; »otcizna« kann im Altslavischen sowohl Familie wie G e-burtsort bedeuten; »kirnica«, im Neuslovenischen »krnica«, d. i. Q u e 11 e, u. z. jene m u 1 d e nförmige Stelle, wo sich das erste aus der Erde oder dem Felsen hervorquellende Wasser sammelt; »krilos« = Zaun, Hürde, Schutzgitter, von »kriti« = schützen, »krilo« = Schutz, Zufluchtsstätte. — In kirchlicher Hinsicht bezeichnet es jenes Gitter, durch welches die Sänger vor einem Heiligenbilde abgeschlossen werden, um durch das drängende Volk nicht im Singen gestört zu werden; h Die beabsichtigte Beigabe einer Kartenskizze jenes Gebietes mußte unterbleiben, weil es die Kriegsverhältnisse unmöglich machten, die erwähnten Punkte persönlich festzustellen oder die Katasterpläne einzusehen. »toloka«, sonst als »tlaka« (= Robott, Frohndienst) bekannt, wurde hier mit Arbeitsabschnitt übersetzt. Ob die Auffassung, daß die zuständigen Robottpflichtigen nur hier, also sonst nirgends mehr Frohndienste zu leisten haben, vollrichtig ist, muß noch dahingestellt bleiben, bis das Wesen dieses Begriff.es näher aufgeklärt sein wird. Eine besondere Beachtung verdient der Begriff »cereslo«. Unter »creslo« versteht man im Slavischen sonst im allgemeinen die G erbe r 1 c h e. Hier handelt es sich aber nicht darum, sondern um die Pflugschar, die man bei den nordungarischen Slovaken noch im* mer »cereslo« nennt. Es ist dies das Messer am Pfluge, das in den Ackerboden jenen Einschnitt macht, bis zu welchem das Pflugeisen die Erdkrumme umwerfen soll.-)' — Das Einschlagen eines durch die Abnützung schmal, daher gebrauchsunfähig gewordenen Scharmessers oder eines sonstigen wertlos gewordenen größeren Eisenstückes in einen die Grenze markierenden Baum war einst nichts Seltenes, da man ihn auf diese Weise umso verläßlicher als Grenzbaum erkannte, weil er eben ein unnatürliches Grenzzeichen trug. Herausgezogen hat das Eisenstück auch niemand mehr, da das, abgesehen von der hohen sittlichen Achtung des Landvolkes vor allem, was mit der Grenze zusammenhängt, äußerst umständlich war, und man doch auch wußte, daß das Eisenstück selbst erst diese Bestimmung erhielt, als es bereits ansonst wertlos geworden war. — So oder ähnlich gekennzeichnete Grenzbäume sind allenthalben noch heute anzutreffen, und sei hier ein ganz ungewöhnlicher Fall angeführt, der unseres Wissens bis heute keine natürliche Lösung fand, so einfach dieselbe auch ist. Anläßlich der Ausbaggerung des Desna-Bettes, des rechten Nebenflusses des Dnjepr bei Kiev, stieß man auf einen starken Eichenstamm am Grunde, der sodann, da er zur Hebung zu schwer war, gleich im Wasser zersägt und so stückweise ans Ufer geschafft wurde. Bei näherer Besichtigung ergab sich eine ungewöhnliche Erscheinung: in einem Teilstücke war der Unterkiefer eines Wildschweines von Menschenhand eingesetzt. (S. Tafel VII.) Es warf sich nun von selbst die Frage auf, welchen Zweck diese sonderbare Ausstattung des Baumstammes haben mochte, da etwas ähnliches bisher nicht bekannt war. Die Archäologen wie Mythologen wollten nun hier sofort eine dem Gotte Perun geheiligte Eiche erkannt haben, und trugen für diese Auslegung von allen Seiten die wunderlichsten Belege zu, wobei sie sich zugleich von der natürlichen Erklärung immer weiter entfernten. s) Auf die Pflugschar-Etymologie machte den Verfasser der fürsterzbischöf-üche Forstmeister Konsel in Kremsier aufmerksam, der den Begriff in diesem Sinne is seiner slpvakischen Heimat kennt. Überdies spricht für diese Auffassung auch das beigefügte »zabito« (= eingeschlagen). In der Wirklichkeit war diese Eiche allerdings ein »perunov dub« (~ Peruns Eiche), was aber nicht als »Eiche des Perun«, sondern als Grenzeiche auszulegen war. Das eigenartige Merkmal machte nämlich den Baum zu einem Zeichenbaume, das jedermann als botanisches Absurdum auffallen mußte. Überdies ist es nicht unbekannt, daß die Bezeichnung »perunov dub« auch urkundlich in diesem Sinne erhalten ist. In einer altrussischen Chronik ist zu lesen, daß der Fürst Led Danilcvič in einer Schenkungsurkunde v. J. 1302 bei der katastralen Festlegung des gewidmeten Grundes ausdrücklich sagt: »granica etoi zemli idjot ot gori do perunovago duba«, d. h. »die Grenze dieses Gebietes geht von der Höhe bis zur Grenzeiche.« Tatsächlich bedeutet doch »per, pera< im. Altslavischen: Grenze. In das Desna-Bett ist die »Perun«-Eiche jedenfalls durch einen Ufereinbruch, durch eine Erdrutschung oder durch den Wechsel des Flußlaufes gelangt. II. In der Graf Baworowskischen Bibliothek in Lemberg befindet sich eine bisher nicht veröffentlichte Urkunde, welche die amtliche Begehung und Festlegung ener strittigen Besitzgrenze im Bezirke Rohatyn in Ostgalizien am 14. Juni 1416 kurz schildert. Die dabei beobachteten Vorgänge entsprechen im allgemeinen den Gebräuchen bei Grenzstreitigkeiten, wie sie aus sonstigen kulturgeschichtlichen Überlieferungen slavischerseits bekannt sind. Das Pergamentblatt ist 35 cm breit und 20 cm hoch. Angehängt ist eine offene Siegelkapsel aus Ozokerit (Erdwachs von Boryslaw), mit einem Wappen und einer Umschrift, die aber bisher nicht verläßlich erkannt bezw. gelesen werden konnte. Die Urkunde, die in der Tafel VIII ersichtlich gemacht ist, mithin auch nachgeprüft werden kann, lautet: »Našego gospodarja krolevi esm slugi ja Ostačko Davidovskij Koičak z Lipcije Špičnik z Bolševa znajemo činim simo našim, listom každcmu dobromu ktokoli nanj uzrit a ljubo uslišit ego čtuči aže krol gospodar naš kazal nam rozjehati granicju Ignatovi s kuncjerem meži Kutišči i meži Pologič tako srni mi gospodareskim kazaniem krolev-skim i knja feduškovim viihal tam a kucjerei gnat viveli starcje tako smi mi opitali starcev kuncjerovih Ignatovih i doradivšisja esm tih starcev i rospravil esm ih učinili esm vječnuju granicju i zakopali po-pervje hrestnij put, čto na dolinje pod lipo peleva aliž do lop a ot lop na goro do častih dubov a ot telje do propasnih do rjeki ne vritu to esmo ostatočnij zakopal zakop a to sta oba priljubli i kunejemij gnat na odnu starcnu do Kutišč a na druguju k Polagicom i kolo Kotkom i Konemjatičičom a pri tpm bili dobri Petro sudija Peremiskij Paško vojevoda Koropeckij Gricko Drobiševij Špirka Noraevskij Stahnik Petrovski) Ivaško Djedošickij a inih bilo do sit dobrih a na potvrženie temu listu privjesili esm svoi pečati a to sja delalo u nedjelu u den stgo Vasilija pod Ijeti rostva hva a ljet i y ljet i fi Ijet,« Deutsch in tunlichst wörtlicher Übertragung, jedoch mit eingesetzten Interpunktionen, die im Originale vollkommen fehlen: »Wir sind unseres Herrschers königliche Diener: ich Ostaško Davidovskij, Korčak aus Lipica, Špičnik aus Bolševo, Mit dieser unserer Urkunde machen wir jedem Ehrsamen, welcher immer in die-, selbe Einsicht nimmt und sie lesend ehrlich anhört, kund, daß unser König-Herrscher uns befohlen die Grenzen des Ignaz mit den Flurwächtern zwischen Kutišče und zwischen Polagič zu begehen. Wir sind nun dem königlichen Herrscherbefehle und des Fürsten Feduško gemäß dahin ausgegangen und die Flurwächter befahlen die Greise herauszutreiben. Wir befragten nun die Greise, die (früher) Flurwächter des Ignaz waren, berieten uns mit diesen Greisen und setzten uns mit ihnen auseinander. Wir machten eine ewige Grenze. Wir gruben zuerst in den Kreuzweg, der im Tale unter der Linde führt, bis zu den Hütten, und von den Hütten hinauf zu der Eichengruppe; und von da über die Gemeindehutweide zum Flusse wurde nicht gegraben; hier haben wir das restliche Grenzfeststellungsmaterial eingegraben. Darauf haben beide (Parteien) eingewilligt die Flurwächter auf der einen Seite gegen Kustišče zu treiben und auf der zweiten gegen Polagič und um Kotki und Konemjatičiči herum. Hiebei waren anwesend: Petro, der Richter von Peremiš, Paško, der Wojwode von Koropec, Gričke Drobiševij, Špirka Noraevskij, Stahnik Petrovskij, Ivaško Djedošickij und noch eine Menge anderer Zeugen. Und zur Beglaubigung dieser Urkunde fügten wir unser Siegel an. Und dieses ist geschehen am Sonntag, am Tage des hl. Vasilij i. J. 1416 nach Christi Geburt.« — König von Polen war damals Wladislaw Jagiello (1386—1434). Über die Person des Feduško, d. i. Feodor, der hier gar nicht mit dem Familiennamen genannt wird, aber vielleicht damals Kanzler war, war einstweilen geschichtlich nichts Beglaubigtes aufzufinden. Daß der Richter Petro von Peremiš, d. i. PrzemySl, falls damit nicht jener der nördlich Rohätyn. gelegenen Stadt Prze-m y š 1 a n y gemeint ist, eine so weite Reise zu dieser Amtshandlung machte, läßt darauf schließen, daß es sich hier um irgendeinen Großgrundbesitz handelte, denn der Besitzer selbst, der da auch nur mit dem Vornamen Ignaz benannt wird, muß wohl eine damals allgemein bekannte, angesehene Person gewesen sein. Die nähere Lage dieses Besitzes geht zwar aus dem Texte nicht hervor, läßt sich aber mit Zuhilfenahme der alten Katasterpläne immerhin noch finden, denn die topischen Namen: Konemjatičiči, Kotki, Kutišče und Polagič, die als eigene Gemeinden oder Ansiedlungen im Kreise Rohatyn nicht Vorkommen, können nur in engen Grenzen bekannte Riednamen sein; hiegegen sind Bolsevo — in der heutigen Form BoLszöwce — und Lipica (Dolna und Görna) noch dermalen daselbst bestehende Ortschaften. K o r o p e c, das nun »Koropiec« geschrieben wird, erscheint schon im XV. und XVI, Jahrhunderte als gelegentlicher Aufenthalt der Wejwoden von Podolien erwähnt. Der Ort mit dem gleichnamigen Schlosse liegt am linken Dnjestr-Ufer, etwa 50 km nordöstlich von Kolomea. Die in der »crkovnica« verfaßte Urkunde, bei der allenthalben der Umstand auffällt, daß sie schon die christliche Zeitrechnung anwendet, weil sie wohl in katholischen Kreisen ausgestellt wurde, ist in der altrussischen Sprache, wie sie vor etwa 500 Jahren in jener Gegend, die heute vorwiegend Rutenen bewohnen, gangbar war, verfaßt. Sie trägt noch gar keine Merkmale für die Individualität einer eigenen rutenischen oder ukrainischen Sprache, daher es auch unverständlich ist, wie die vollkommen unbegründete Erklärung Miklcsichs, das Rutenische sei sprachgenetisch eine eigene Sprache, je ernst genommen werden konnte. In sprachwissenschaftlicher Hinsicht fallen in dieser Urkunde dem Slaven die Begriffe »kuncjern, prepasno, zakop« auf. Kuncjern« ist heute außer Gebrauch, muß aber einen Flur- oder Grenzwächter bezeichnet haben, wie solche auf großen Besitzungen in Verwendung waren, um Diebstähle und Übergriffe hintanzuhalten. Die Bezeichnung scheint von der Art der Bewaffnung dieser Leute mit dem russischen »kcncer«, einer dem Schwerte ähnlichen Hieb- und Stichwaffe, dessen Klinge jedoch schmal und leicht gehalten war, zu stammen. — »Prepasno« wurde schon im Altslovenischen für jene Brachfelder wie Weiden, die das ganze Jahr hindurch gemeinsam als Weideplätze benützt wurden, gebraucht. Übrigens sagen die Slovenen noch heute »prek pasti«, d. i. das Recht nach dem letzten Grasschnitte auf dem ganzen Gemeindegrunde weiden zu dürfen. Unter xzäkop« verstand man im Altslovenischen dasjenige M a-t e r i a 1, das vergraben (zakopati) wurde, um eine »ewige Grenze« zu schaffen. Den »Ewigkeits«-Charakter, d. i. die Unverwischbar k e i t gab man einer Grenzlinie dadurch, daß man verschiedene tote Zeugen, wie; Glasscherben, Glasknöpfe, Ziegel- und Kohlenstücke, Hufnägel, Hornabfälle, Eisenfeilspäne, Messingabfälle, minderwertige, bisweilen halbierte Münzen, Tonscherben, dann ganze Töpfe, ausgefüllt mit andersfärbiger Erde, mit Kohlen, Hirse, Asche u. drgl. also Kultur- oder lokal fremde Gegenstände in den natürlich gewachsenen Boden vergrub, welches Material man allgemein als »zakop«, d. i. Vergrabenes benannte. Wollte nun jemand die Grenze zu seinem Vorteile »berichtigen«, so konnte er niemals alle diese Kennzeichen und Zutaten der Erde restlos sammeln oder übertragen. In strittigen Fällen brauchte man daher nur wieder an der alten Stelle zu graben und dort »zakop«-Objekte zu finden, so wußte man sofort, wo die rechtmäßige Grenzlinie liegt. Der Umstand aber, daß man selche Gegenstände auch durch größere Umgrabungen nicht entfernen kann, weil dies kaum unbeachtet bleiben könnte, machte nun eine solche Linie tatsächlich zu einer ewig überprüfbaren Grenze. — Hartnäckige Grenzstreitigkeiten, die bis in unsere Zeit hinein dauern, könnten daher noch heute eine gerechte Lösung finden, wenn man die »zakop«-Linie durch Aufgrabung und Offenlegung zu Rate ziehen würde ji. /K' iiiim. ßL- Itfifll Willi -ß\.. Willi /L .SU } O O o o c JAil. Slavische Urkunden rumänischen Ursprungs. Über die tatsächlichen Sprachverhältnisse der verwichenen Jahrhunderte im heutigen Rumänien geben die noch zahlreich erhaltenen, von deren Herrschern vom Mittelalter her ausgestellten Urkunden den klarsten Einblick, denn sie zeigen, daß in den Moldau-Fürstentümern von altersher bis in das XIX. Jahrhundert hinein die Hof-, Staats- und Kirchensprache die altslavische war, denn in dieser Zeit ist der Hauptteil der Urkunden — bis auf eine Anzahl lateinischer — in altslove-nischer Sprache und »cyrillischer« Schrift ausgefertigt worden.1) Es zeigt sich hier dasselbe Verhältnis, das auch schon anderswo festgestellt wurde: die slavische Sprache muß in der Diplomatik einst eine führende Rolle gespielt haben, verlor aber gegen die Neuzeit zu immer mehr an Boden, da sie durch die lateinische Sprache fast spurlos verdrängt wurde. Behufs Erweckung des Interesses für das Studium der altsla-vischen Diplomatik und Einführung in derlei Denkmäler werden dáher nachstehend einige solche Urkunden rumänischen Ursprungs veröffentlicht und kurz besprochen. Sie stammen alle aus der Regierungszeit des Vojvoda Stefan d. Gr. (1457—1503) und wurden i, J. 1913 von Jean Bogdan, dem Professor der Slavistik in Bukarest, im Werke »Documéntale lui Stefan cel Mare« im Originaltexte herausgegeben (im ganzen 483). Die meisten hievon wurden aber schon lange vorher auch russischerseits veröffentlicht. Hier werden 5 von diesen vorgeführt, wozu solche gewählt wurden, die inhaltlich wesentlich abweichen, wie auch in sprach- wie kulturgeschichtlicher Hinsicht Verschiedenes bieten. * *) Die Graf Baworowskische Bibliothek in Lemberg besitzt z. B. noch eine i. J. 1758 vom Fürsten Gregor Ghika ausgestellte slavische Pergamenturkunde, die bis heute weder veröffentlicht noch in allen Teilen entziffert ist. I. Ein Schutz- oder Geleitbrief aus dem Jahre 1457. Stefan d. Gr. stellt dem Kanzler Mihail, der aus irgendeinem Grunde im Auslande (Rußland oder Polen) in der Verbannung gelebt haben muß, einen Schutzbrief behufs gesicherter Rückkehr in die Heimat aus. Originaltext: f Milostiju božieju mi Stefan vcevoda, gospodar zemli moldav-skoi, svjedomo činim is sjem našim listom každomu dobremu kdo koli na nem czrit abo ego čtuči uslišit, koliž togo komu budet potrebizna, aže slubuem i slubili esmi i daem i dali esmi ses naš list gleitovnij, pravim hristianskim gleitom, jakož na svjem svjetje stoit, našemu vjernomu boljerinu panu Mihailu logofetu, slebodno i dobrovclno i bez nikotoroi zabavi emu k nam priti, s svjemi svoimi bratijami i slugami i s svjemi kto koli s nim priidet, i s svjem svoim imeniem ščo koli imet imiti pri sobi; zanuš tje esmi prostih i uves gnjev i merzečku esmi ctpustili ot usego našego serca. I ne imaem uspomjenuti nikoli na vjeki do našego života o mimošedših rječeh i čljenkoh, ale hočum tje milovati i u velikci cesti i laseje deržati ravno s našimi virnimi i pečesnimi bojari I sela tvoja, otnini usja, esmi tobi vorotili. Ale k nam pridi, kak udelaeš nam totu službu ščo mi esmi nakazali k tobi. Toe vse višepisanoe slubuem tebi zderžati i popolniti pcdlug šego našego listu, pri našei cesti i hristianskoi vjeri, bez Isti i vs:ekoi hitrosti. A na to est vjera i duša gospedstva mi višepisanago mi Stefana voevodi, i vera i duša bojar naših: vjera i duša pana Kozma Šandroviča, v. i. d. p. Oana Žuliča, v. i. d. p. Petra parkalaba, v. i. d. p. Vlaikula par-kalaba, v. i. d. p. Gojana dvornika, v. i. d. p. Petra Poniča, v. i. d. p. Isanja postelnika, v. i. d. p. Stanimira vistijarnika, v. i. d. p. Zbjeri stotnika, v. i. d. p. Tadcra čašnika, v. i. d. p. Jeana komisa, i vjera i duša vsjeh bojar naših moldavskih, velikih i malih. A na belšee potvrždenie vsjemu višepisannomu, veljeli esmi našemu vjernomu panu Dobrulu legotetu pisati i pečat privjesiti k semu listu našemu. Pis(al) u Ba-kovje sep. 13. Deutsch: f Wir durch Gottes Gnaden Herzog Stefan des Landes Moldau, machen mit diesem unserem Schreiben jedem Guten, wer hineinblickt oder es lesend anhört, soweit es jemand für notwendig hält, daß wir versprechen und versprochen und daß wir geben und gegeben haben diesen unseren Schutzbrief, mit dem echten christlichen Schutze, wie dies auf der ganzen Welt zu geschehen pflegt, unserem treuen Bojaren dem Herrn Logofet Mihail, frei und freiwillig und ohne irgendwelches Hindernis zu uns zu kommen, mit allen seinen Brüdern und Dienern, und mit aller seiner Habe, was er immer bei sich haben wird. Aus diesem Grunde haben wir allen Haß und Zorn aufgegeben und ihm von unserem ganzen Herzen verziehen. Und wir wollen uns niemals auf alle Zeit unseres Lebens der vorgefallenen Dinge und Vorkommnisse mehr erinnern, sondern wir wollen dich lieben und in gleich hohen Ehren und Liebe wie unsere treuen und ehrenhaften Bojaren halten. Wir haben dir alle deine Dörfer, alles Väterliche (Ererbte) zurückgegeben. Komm also zu uns, womit du uns jenen Dienst tust, den wir dir erwiesen haben. Alles dieses hier Niedergeschriebene versprechen wir dir zu halten und gemäß dieses unseres Briefes durchzuführen, bei unserer Ehre und bei dem christlichen Glauben ohne Hinterlist und jedweden Hintergedanken. Und darauf ist gesetzt der Glaube und die Seele der Regierung des obenerwähnten Herzogs Stefan und der Glaube und die Seele unserer Bojaren: G. u. S.'J) des Herrn Kczma Šandrcvič; G. u. S. des Herrn Oan Žulič; G, u. S. des Herrn Peter, des Kastellans; G. u. S. des Herrn Vlaikula, des Kastellans; G. u. S. des Herrn Gojan, des Hofmarschalls; G. u. S. des Herrn Peter Penič; G. u. S. des Herrn Isanja, des Kämmerers; G. u. S. des Herrn Stanimir, des Schatzmeisters; G. u. S. des Herrn Zbjer, des Truchseß; G. u. S. des Herrn Tador, des Mundschenks; G. u S. des Herrn Joan, des Hcfrichters, und Glaube und Seele aller unserer Moldauer Bojaren, der großen wie kleinen. Und zur besseren Beglaubigung alles oben Niedergeschriebenen befahlen wir unserem treuen Herrn, dem Logo-fet Dobrula zu schreiben und diesem unserem Briefe das Siegel anzuhängen. Geschrieben in Bakov am 13- September. — Die Urkunde, die 46 cm hoch und 29 cm breit ist, befindet sich jetzt im Archiv des Auswärtigen Amtes in Moskau. Das Siegel lautet: f pečat Stefana voevodi«. — Die Jahreszahl, die in der Urkunde nicht enthalten ist, wurde durch andere geschichtliche Belege sichergestellt. In diesen Texten erhalten wir vor allem über den Ursprung der sogenannten Hofehrenämter, die hier sowie in den weiteren Urkunden mehrweniger vollzählig angeführt erscheinen, eine ganz unerwartete Aufklärung, denn sie legen dar, daß Gebräuche dieser Art schon seit ältester Zeit auch bei den Slaven bestanden haben, daher nicht von den Spaniern, Franzosen oder Deutschen übernommen worden sein können. Ihre Gliederung auf dem oströmischen wie russischen Hofe ist uns übrigens durch altslavische Chroniken mehrfach erhalten geblieben. Die meisten dieser Würdenträger haben slavische Bezeichnungen, wie: »dvornik« (= Hofmarschall), »stolnik« (= Truchseß, Tischbesorger), »postelnik« (= Kämmerer; die heute gebrauchte Bezeichnung »komornik« — von »camera, Kammer« — ist daher nicht mehr die ursprüngliche), »časnik« (= Mundschenk; čaša = Becher), »vistjernik«* 3} (= Schatzmeister), »spatar« (— Schwertträger), »por -’} »Glaube und Seele« wurde hier analog abgekürzt, wie auch im Originale »Tjera i duša pana« {»v. i. d. p.«J abgekürzt erscheint. 3) Das Grundwort ist vermutlich »biser«, d. i. P e r 1 ej Schatz. tar« (=. Torwart, Türhüter), »komis« (Hofrichter, comes). — Hingegen ist die Bezeichnung »logofet, lcgotet« für »K a n z 1 e r« griechischen Ursprungs; gelegentlich wird hiefür aber auch das slavische »slovo-polcžitel« gebraucht, doch dürfte dies schon als eine etymologische Nachbildung, etwa in der Bedeutung Urkunde nverwahrer, anzusehen sein. — Der Begriff »prkalab, parkaiab« für: Kastellan, B u r g h a u p t m a n n ist etymologisch einstweilen nicht genügend geklärt, scheint aber aus »var« und »kalab« (auch »kalous«) gebildet zu sein, und bedeutet demnach etwa: Burgoberster, Schutzbesorger. In sprachlicher Hinsicht fällt hier auch der Begriff »gleit, glejt« auf. Man möchte für den ersten Blick glauben, es sei dies ein Germanismus, enstanden aus dem deutschen »Geleite«, doch kann derselbe nur aus »glej, glejte« (= achtgeben, schützen) hervorgegangen sein, denn von einem deutschen Begriffe ist in allen altslavischen Urkunden keine Spur, ja im Gegenteile altslavische Rechtsbegriffe sind in deutsche Urkunden häufig übergegangen, nie aber umgekehrt. II. Eine Widmungsurkunde aus dem Jahre 1458. Herzog Stefan widmet dem Kloster Bistrica in Bessarabien einige Einkünfte und Zollgefälle für ewige Zeiten. Die Urkunde lautet: f Milostiju božiju mi Stefan voevoda, gospodar zemli moldavskoi, činim znamenito is sjem lis(to)m našim vsjam kto ili vzrit ili ego uslišit čtučl, ože blagoproizvoli gospodstvo mi našim blagim proizvolonnem i čistim i svjetlim srdcem i ot vseja našei dobrei volei i ot koga pomoš-čija jako da utvrdim cerkov monasti(ru) ot Bistrici, ideže est hram uspenie svjatei bogorodici, na imja Bctna i s usimi ozerami i girlami i ozerkami i ot Červlenoga Kišineva do dil Zagorni i više Dnistrom i poniže usi pasiki, jeliko sut u tom hotari u ih hotar i dva dvori i s mitom i po suho i po vodje. A takož nikto da ne smjejut siži učniti u ih hotar na Dnistri ili u ozeri ili ploti ili loviti nikto u ih hotari, a kto imut loviti bez ih voli, na tom imaem uzeti 40 griven. A takož nikto ot naših bojar ali desetnik da ne srnje brati desjatinu ot pčel, ani berbe-nicju medu ani pasičnici bantovati ni u čem. A kto ščo imit imati do ih ljud bud kotoroe djelo, ili velikoe ili za maloe, a ih u(r)ednik sam svoego človjeka da sudjat alibo pred gospodstvo mi; inogo sudcju da ne imajut, ale tot prihod ves da est monastirju našemu. Toe vse više pisannoe da est monastirju našemu urik i s vsjam dohodom i neporu-šenno nikoliž na vjeki. A kto bi hotil porušiti sie naše daanie i zapis ili mito im brat ili bud ščo, kto bi hotil porušiti ili prestjapiti bud u čem, takovi da est prokljat ot gospoda boga vsedržitelje i ot prječistija ego matere i ot 318 bogonosnih oci nikeiskih i ot vsjah vsjatih, i da est podoben Judje, prokletomu Ariju, šči vzapiša na gospoda boga i spasa našego isu hrista: krv ego na nih i na čjadjeh ih. A tot budet pod na- šeju kazniju i orgiju gospodstva mi bez togo i na to est vera.našcgo gospcdstva višepisannago Stefana voevcdi i vjera vsjah bojar moldavskih velikih i malih. A na bolšuju krjapost veljeli esmi našemu vjer-nomu panu Dobrulu lozafetu pisati i našu pečat privjesiti k semu listu našemu. Pis(a) Isai u Dolnem trgu v ljeto 6966 mjesaca ap. 10. Deutsch: Von Gottes Gnaden wir Herzog Stefan, Herr des Landes Moldau, machen mit dieser Urkunde allen Unsrigen, wer in sie zu blicken oder sie zu lesen verlangt, kund, daß unsere Regierung gnädig bewilligt und daß wir mit unserer gnädigen Bewilligung und dem reinen und glänzenden Herzen und mit allem unserem guten Willen und mit irgendwelcher Mithilfe den Bestand der Kirche des Klosters von Bistrica, wo das Gotteshaus der Himmelfahrt unserer heiligen Gottesgebär-merin, namens Botna, steht, mit allen Seen und Flußmündungen und kleinen Seen, u. z. vom Červleni Kišinev bis zum Berg Zagorna, dann den Dniestr hinauf und abwärts alle Weideplätze, so viel deren in dieser Gemeinde sind und die Gemeinde selbst, dann zwei Höfe samt der Maut zu Lande und zu Wasser zu sichern. Ebenso darf niemand Fischreusen errichten (?) in dieser Gemeinde am Dnjestr oder am See, oder fischen oder jagen in dieser Gemeinde, und wer ohne deren Einwilligung jagen sollte, von dem haben wir zurecht 40 Grivnas zu nehmen. Desgleichen darf niemand von den Unsrigen, Bojar oder Zehentnehmei den Zehent nehmen von Bienen, oder einen Stock (?) Honigs oder das Weiderecht beeinträchtigen. (?) Und wer gegen deren Leute irgendeine Angelegenheit, sei. es eine große oder kleine, haben wird, sc kann ihr Amtmann entweder den eigenen Mann selbst aburteilen oder aber unsere Regierung; einen anderen Richter dürfen sie nicht haben. Alle diese Einkünfte gehören unserem Kloster. Alles dieses oben Niedergeschriebene sei unserem Kloster ein Vermächtnis mit allen Einkünften und für ewige Zeiten unangetastet. Und wer da etwa diese unsere Widmung und Zuschreibung ungiltig machen wollte, oder ihnen die Maut wegnehmen sollte oder sonst etwas, wer also da etwas ungiltig machen oder übertreten sollte in welcher Richtung immer, der sei verflucht von Gott dem Herrn, dem allmächtigen, und von dessen allerreinster Mutter und von den 318 gottführenden Vätern von Nikäa, und von allen Heiligen, und daß er ähnlich werde dem Judas, dem verfluchten Ariel, der unserem Gott dem Herrn und unserem Heiland Jesus Christus zurief: sein Blut komme auf uns und auf unsere Kinder. Und das wird überdies unter unserem Strafspruche und der Aufsicht und Strenge unserer Herrschaft bleiben. Und darauf ist der Glaube unserer oben geschriebenen Regierung des Herzogs Stefan gesetzt, sowie der Glaube aller Moldauer Bojaren, der großen wie kleinen. Und zum besseren Nachdrucke befahlen wir unserem treuen Herrn, dem Logofet Dobrula zu schreiben und dieser unserer Urkunde unser Siegel anzuhängen. Geschrieben (hat es) Isai in Dolni trg am 10. April (6966) 1458«. — Das Originalpergament, dessen Siegel bereits verloren gegangen ist, befindet sich jetzt im rumänischen Staatsarchiv in Bukarest. Die Fassung dieser Urkunde ist weniger breitspurig, denn es fehlt nicht nur die namentliche Anführung der Zeugen, sondern auch der Fluchtext ist hier etwas verkürzt im Vergleiche zu anderen Urkunden. Unter den hier verkommenden Ausdrücken sind dem Verfasser einige nicht verläßlich bekannt. Da sie auch in keinem altslovenischen oder kirchenslavischen Wörterbuche aufgenommen erscheinen, wurde deren vermutliche Bedeutung mit einem Fragezeichen versehen. »Ban-tovati« hat ansonst die Bedeutung: beleidigen, sich Übergriffe erlauben. —- 111. Eine Verkaufsurkunde aus dem Jahre 1490. Stefan d. Gr. bestätigt hier einen Kauf, sowie eine damit im Zusammenhänge stehende Widmung. Originaltext: f Milcstiju božieju rni Stefan voevoda, gospodar zemli moldav-skoi, znamenito činim is sim listom našim vsjam kto ili uzrit ili ego čtuči uslišit, ože priidoša prjad nami i prjad usimi našimi moldavskimi bojare naši slugi Koste Murgoč i sestričič ego Gavril, sin Negritin, po ih dobri voli, nikim neponuzeni ili prisilovani, i prodali svoju pravuju etninu ot ih pravago urika, ot urika uika ih Mihil gramatika, i is privilie šče imal on ot dida našego ot Aleksandra vojevodi, edno selo na Sirecel na imje Tomincii, kde bil sorokotježa Dragomir i Šandru, ta prodali tve selo sluzje našemu panu Juriju Šerbičju za 100 zlat tatarskih. I u-stavše sluga naš pan Juriju Šerbič ta zaplatil usi toti višepisannii penjezi 100 zlat tatarskih u ruki slugam našim Koste Murgočju i u ruki sestri-čičju ego Gavrilu, sin Negritin, prjad nami i prjad našimi bojare. Ino mi vidjevše ih dobroi voli tokmež i poinuju zaplatu, a mi takož i ot nas es-mi dali i potvrdili sluzje našemu panu Juriju Šervičju toe prjadrečenoe selo na Sirecel na imje Tomincii, gde bil sorokotježa Dragomir i Šandru, da est emu ot nas urik i s vsem dohodom, emu i djetem ego i unučatom ego i prjeunučatom ego i prješčurjetom ego i vsemu rodu ego, kto sje emu izberet naibližnii, neporušeno nikoliže na vjeki. A hotar tomu višepisannomu selu da est ot usih storon po staromu hotaru, kuda iz vjeku uživali. Ano to est vjera našego gospedstva višepisannago mi Stefana voevodi, i vjera prjevzljublenih sinov gospodstva mi Aleksandra i Bogdana Vlada, i vjera bojar naših: v. p. Njag, v. p. Duma, v, p. Gangura, v. p. Dragoše dvornika, v. p. Hrmana, v. p. Icka Hudiča, v, p. Dažboga, v. p. Ščefula parkalaba hotinskogo, v. p. Mikot i p. Rjeceša parRalabi ot Njemca, v. p. Andreika Čortcrovskogo, v. p. Grozi para-kalaba orhenskogo, v. p. Jon Sekar parkalaba ncvogradskogo, v. p. Kinu sptarje, v. p. Boldora vistjernika, v. p. Eremija postelnika, v. p. Icn Fruiteš stolnika, v. p. Sandra komisa, i vjera usih bojar naših moldavskih, velikih i malih. A po našem životje, kto budet gospodar našei zemli, ot djetei naših ili ot našego rodu, ili pak bud kogo bog izberet gespodarem biti našei zemli moldavskoi, tot bi emu ne porušil našego daania i potvrždenia, ali bi emu utvrdil i ukrjepil, zanuže esmi emu dali i potvrdili za ego pravu ju i vjernuju službu, i za ščo on sobi kupil na svoi pravii i čistii pinjezi. A na bolšuju krjepost i potvrždenie tomu vsemu višepisannomu, veljeli esmi našemu vjernomu panu Tutulu lo-gofetu pisati i našju pečat privjesiti k semu listu našemu. Pisal Toader dijak u Sučvje v ljeto 6998, marta 12.« — Deutsch: »f Wir Stefan, Vojvode von Gottes Gnaden, Herr des Landes Moldau, machen mit dieser Urkunde allen Unsrigen, wer in sie zu blicken oder sie zu lesen verlangt, kund, wonach vor uns und vor alle unsere Moldauer Bojaren unsere Diener Kosta Murgoč und dessen Schwester-sc.hn Gavril, der Sohn Negritas, getreten sind. Sie verkauften nach ihrem guten Willen, von niemandem gezwungen oder gedrängt, ihre väterlichen Rechte von ihrem rechtmäßigen Vermächtnis seitens des Oheims, Mihil des Schreiblehrers, und aus den Privilegien, die er von unserem Großvater, dem Vojvoda Alexander hatte, (bestehend) aus einem Dorfe am Seret, auf den Namen Tominc lautend, wo sorokotježa Dragomir und Sander waren. Diese verkauften dieses Dorf unserem Diener, dem Herrn Georg Šerbič um hundert tatarische Dukaten. Und unser anwesender Diener, Herr Georg Šerbič, bezahlte alles oberwähnte Geld: 100 tatarische Dukaten in die Hand unseren Dienern Kcsta Murgoč und in die Hand dessen Schwestersohnes Gavril, den Sohn Negritas, vor uns und vor unseren Bojaren. Als wir deren guten Willen sahen und desgleichen die volle Bezahlung, haben auch wir unsererseits unserem Diener, dem Herrn Georg Šerbič das vorerwähnte Dorf am Seret, namens Tominc, wo sorokotježa Dragomir und Šender (saßen), gegeben und bestätigt, daß er von uns das Vermächtnis hat, mit allen Einkünften für ihn und seine Kinder und seine Enkel und seine Urenkel und seine Urschwägerschaft und seiner ganzen Familie, wer sich ihn zum Verwandten wählt, auf Ewigkeit niemals und unwiderr rufen. Und die Dorfflur bleibt diesem oberwähnten Dorfe auf allen Seiten bei der alten Dorfflur, wie sie von altersher bestand. Und dies beglaubigt Stefan, Vojvod unseres oben beschriebenen Gebietes und dies beglaubigen unsere innigstgeliebten Söhne des Landes Alexander und Bogdan Vlad, und dies beglaubigen unsere Bojaren, die großen Herren: Njag, Duma, Gangura, Dragoš, der Hofrichter, Herman, Icek Hudič, Dažbog, Ščefula, der Burghauptmann von Hotin, Mikot, Rječesa, der Burghauptmann von Njemci, Andrejka Cortorovski, Groza, der «Burghauptmann von Orhen, Jon Sekar, der Burghauptmann von Novograa, Kien, der Schwertträger, Boldor, der Schatzmeister, Jeremias, der Kämmerer, Jon Frites, der Truchseß. Sandor, der Hofmarschall, und der Glaube aller unserer Moldauer Bojaren, der großen wie kleinen. Und nach unserem Leben soll, wer immer Herrscher unseres Landes sein wird, entweder von unseren Kindern oder von unserer Familie, oder wen immer Gott als Herrscher unserem Moldauer Lande fürwählt, ihm unsere Widmung und Bestätigung« nicht ungültig erklären, sie im Gegenteile ihm bestätigen und festigen, nachdem wir sie ihm doch für seine guten und treuen Dienste gegeben und bestätigt haben, und was er sich selbst für sein echtes und reines Geld kaufte. Und zur besseren Bekräftigung und Bestätigung alles oben Geschriebenen, befahlen wir unserem treuen Herrn, dem Logofet Tutul zu schreiben und unser Siegel dieser unserer Urkunde anzuhängen. Dies schrieb der Schreiber Toader in Sucava i. J. 6998 am 12. März.« — Einige Ausdrücke erfordern eine nähere Erörterung. Die Ortschaft »Tcminc« soll jetzt (nach Bogdan) »Tominti« oder »Tomesti« lauten und bei Storozynec (Bez. Suczawa) liegen. Der Verfasser konnte sie jedoch bisher in den Militärkarten nicht auffinden. Sprachgeschichtlich wrertvoll sind hier auch die altslavischen Verwandtschaftsverhältnisse, die in ihrer genauen Unterscheidung in keiner Sprache ihresgleichen aufweisen, wie: »uiki« (»ujki«) ist der Dativ von »uj, ujka, ujec«, d. i. die Bezeichnung der Kinder für den Bruder der Mutter, also den Onkel mütterlicherseits, und ist wohl auch zugleich die Urform für den deutschen Begriff »Oheim«. Die Schwester der Mutter heißt »uja« oder »ujna«, hingegen des Vaters Bruder »stric«, des Vaters Schwester »strijna«. Das Schwesterkind heißt demnach auch »sestticic«, das Bruderkind aber »bratanic«, für das männliche und »sestrijna« bzw. »bratranka« für das weibliche Wesen. Zweifel sind demnach hier ganz ausgeschlossen, nähere Umschreibungen überflüssig; »prescurjet« ( - Urschwägerschaft) hat »scur«, d. i. Schwager, (im Deutschen »Schnur«) zur Grundlage. —■ Eine etymologische Berichtigung erfordern unsere gangbaren Anschauungen betreffend den Begriff »privilie«, denn wir erfahren hier (wie auch aus anderen Urkunden), daß dieses Wort durchaus nicht lateinisch, sondern slavisch ist. »Priveliti« heißt nämlich: Zusagen, z u b i 11 i g e n; in altkroatischen Chroniken ist das Substantiv »privi-leze«, d. h. »pribiljeze« (in der modernen Aussprache) gleichbedeutend mit: das Zugeschriebene (»pri« = zu; »biljeziti« = schreiben, verbuchen). Die moldauischen Urkunden kennen drei Arten von Dukaten, u. z, den ungarischen, den türkischen und den tatarischen; unter letzterem versteht man den russischen. Der Ausdruck »scrokctježa« ist dem Verfasser nicht verständlich und auch in keinem bekannten Wörterbuche zu finden. Bogdan ment, es handle sich hier um ein »40 Richterkollegium« (»sorok« = 40), eine geradezu ausgeschlossene Annahme, soweit wir die alten Gerichts-verhältnisse kennen. Der Unterschied zwischen »gramatika« und »dijak« ist wohl nur der, daß der ersfere mehr als Schreiblehrer, der letztere aber als Be-lufsschreiber anzusehen ist. Der »dijak« zählt bei den Byzantinern wie Russen zu den Hofehrenämtern. »Holor« ist die altslavische Bezeichnung für die Dorfflur, d. i. das gesamte Gemeindegebiet. In diesem Sinne wurde »hotor« auch bei den Rumänen und Magyaren noch zur Zeit des Bestandes der sieben-bürgischen Militärgrenze gebraucht (»Dorfhcttar«), Im weiteren Sinke verstand man darunter auch die Grenzzeichen der Dorfflur, im Deutschen noch als »Hotterhaufen« erhalten. Die Urkunde (57 cm breit und 34'5-cm hoch) befindet sich in der Graf Baworowskischen Bibliothek in Lemberg (Nr. 114). Das noch erhaltene aber beschädigte Siegel, das auf einem Stücke Speckstein angebracht wurde, zeigt die Inschrift: f peča . io stefan voevoda ....'. dar zem . . .« IV. Eine Widmungsurkunde aus dem Jahre 1503. Stefan d. Gr. widmet die Nutznießung zweier Dörfer in der heutigen Bukowina dem Marienkloster an der Moldávica. Sie lautet: f V imje otea i sina i svjatoga duha, trojica svjataja, edinosščnaa i nerazdjelíma. Se az rab vladiki mojego isu hrísta Jo, Stefan voevoda, božieju milostiju gospodar zemli mcldavskoi, znamenito činim is sim listom našim vsjam kto nanj vzrit ili čtuči ego uslišit ože dali i potvrdili esmi našemu svjatomu monastiru ščo na Moldavici, ideže est hram blagovješčenija prječistjei vladičici našei bogorodici i prisnodjevjei Marii, ideže est igumen molevnik naš pop Joasaf, dvja sela u volosti Su-čavskoi, na imja Provorotija i Oprišinci, ščo že bil dal toti dvja sela sin Brlič, pri djedje našem, pri Aleksandrje vojevodi, tomu našemu svjatomu monastiru ščo na Moldavici. Toe vse višepisannoe da est tomu našemu svjatomu monastiru, ščo na Moldavici, ideže est hram bla-govješčeniju prječistjei bogorodici, ot nas urik i s vsjem dohodom nepo-rušenno nikoli na vjeki vječnija. A hotar ijam višepisannim dvom selam na imja Provorotija i Oprišinci da est ot usih storon po staremu hotaru, po kuda iz vjeka uživali. A na to est vjera našego gospodstva više-pisannago mi Stefana vojevodi, i vjera prjevzljublennago sina gospodstva mi Bogdana voevodí, i vjera bojar naših: v. p. Žurži dvomika, v. p. Ščefula, v. p. Toadera i p. Ntegrila, parkalabov hotinskih, v. p. Eremia 1 p. Dragoša, parkalabov nemeckih, v. p. Sandra, parkalaba novograd-skcgc, v. p. Luka Arbure portarje sučavskogo, v. p. Kinu, spatara, v. p. Isaka vistjernika, v. p. Kozmi Šarpe postelnika, v. p. Mogili časnika, v. p. Frunteša stolnika, v. p. Petrika komisa, i vjera vsjah bojar naših moldavskih, velikih i malih. A po našem životje, kto budet gospodar našei zemli, ot djetei naših ili ot našegu roda, ili pak bud kogo bog izbere! gospcdarem biti našei zemli moldavskoi, tot bi ne porušil na-šego daania i pctvrždenia ali bi utvrdil i ukrjepil tomu našemu svja-tcrnu monasteru. Pak kto bi sja pokusil porušiti togo našego daania i potvrždenia takovij da est prokljat ot gospoda boga i spasa našego isu hrista i ot prječistija ego matere i ot dvanadesjete apostol vrhovnih, Petra i Pavla i pročiih i ot 318 evangelisti i ot 14 svjatih oteč iže v Nikei, i ot vsjah svjatih iže ot vjeka begu ugodivših i da est podoben Judei i prokljetom Arii i da imat učastie s onjemi Judei iže vzpiša na gospoda hrista: kr v ego na nih i na čjadjah ih, iže est i bdet. A na b(ol)-šuju krjepost i potvrždenie tomu vsemu višepisannomu veleli esmi našemu vjernemu panu Tutulovi logofetu pisati i našu pečat zavjesiti k semu listu našemu. Pisal Ion Popovič, djak u Sučavje v ljeto 7011, mje-sjaca augusta 26. — Deutsch: t Im Namen des Vaters, des Sohnes und des hl. Geisstes, der hl. Dreifaltigkeit, die einheitliche und unteilbare. Hier, ich der Diener meines Herrschers Jesus Christus, Jo. Stefan Herzog, von Gottes Gnaden Herr des Landes Moldau, mache mit dieser Urkunde allen unseren, wer sie ansehen oder sie lesend anhört, kund, daß wir unserem hl. Kloster an der Moldavica, wo steht die Kirche der Barmherzigkeit der allerreinsten Herrscherin, unserer Gottesgebärerin und reinen Jungfrau Maria, und wo als Abt unser Fiirbitter der Priester Joasaf fungiert, gegeben und bestätigt zwei Dörfer im Kreise Suczawa, genannt Provorotija und Oprišinci, dieselben zwei Dörfer, die schon unser Sohn Brlič, unter unserem Großvater, dem Herzog Alexander, diesem unseren Kloster an der Moldavica gegeben hat. Dies alles ist hier niedergeschrieben, daß es diesem unserem hl. Kloster an der Moldavica, wo sich die Kirche der gebenedeiten allereinsten Gottesgebärerin befindet, von uns als Vermächtnis mit allen Einkünften niemals unabänderlich für alle Ewigkeit ist. Und die Gemeindeflur dieser zwei vcrangeführten Dörfer, names Provorotija und Oprišinci, muß auf allen Seiten bei der alten Gemeindeflur, wie sie von altersher bestand, verbleiben. Und darauf ist das Versprechen unserer oberwähnten Herrschaft des Herzogs Stefan, und des Versprechen unseres innigstgeliebten Sohnes, des Herzogs Bogdan und das Versprechen unserer Bojaren, der großen Herren, Žurža, des Hofrichters, Sče-fula, 'loader und Nigril, der Burghauptleute von Hotin, Jeremia und Dragoš, der Burghauptleute von Nemci, Šandor, des Burghauptmanns von Novograd, Luka Arbur, der Zollmeister von Suczawa, Klin, der Waffenmeister, Isak, der Zeremonienmeister, Kozma Šarpa, der Kämmerer, Mogila, der Mundschenk, Frunteš, der Truchseß, Petrik der Stallmeister, und das Versprechen aller unserer Moldauer Bojaren, der großen wie kleinen. Und nach unserem Leben soll, wer immer von unseren Kindern oder unserer Familie, Herr unseres Landes sein wird, oder wen immer Gott als Herrn unseres Moldauer Landes fürwählt, unsere Widmung und Bestätigung nicht ungiltig machen, sondern soll sie diesem unserem hl. Kloster befestigen und bekräftigen. Wer sich aber unterstehen sollte diese unsere Widmung und Bestätigung ungiltig zu machen, der sei verflucht von unserem Gott dem Herrn und unserem Beschützer Jesus Christus, und von dessen reinster Mutter sowie von den 12 obersten Aposteln, dem Peter und Paul und den weiteren, dann von den 4 Evangelisten und den 318 heiligen Vätern in Nikäa, und von allen Heiligen, die von der Ewigkeit her Gott dienen; er sei ähnlich dem Judas und dem verworfenen Ariel und daß er Gemeinschaft habe mit jenen Juden, die auf Herrn Christus zuschrien: sein Blut komme auf uns und auf unsere Herden, der ist und sein wird. — Und zur besseren Festigung und Betätigung dieses oben Niedergeschriebenen befahlen wir unserem treuen Herrn, dem Kanzler Tutul es zu schreiben und unser Siegel dieser unserer Urkunde anzuhängen. Geschrieben Ion Popovič, Schreiber in Suczawa i. J. 7011(1503), am 26. August«, Bei dieser Urkunde fällt die frommere Fassung des Textes auf, was wohl mit Rücksicht auf den Widmungsgenießer, das Marienkloster, geschehen ist; im Vergleiche zur Urkunde II ist hier auch die stilistische Fassung des Fluches über denjenigen, der die ausgesprochene Widmung nicht beachten sollte, erweitert. Die feste H o t i n am Dnjestr, Nemci (Neamtu) am gleichnamigen Bache im nördlichen Rumänien, und Novgorod in Podolien sind auch schon bei der Urkunde III erwähnt worden. Die Urkunde (46‘5 cm hoch und 30'5 cm breit) befindet sich in der Graf Baworowskischen Bibliothek in Lemberg (Nr. 105). Das angehängte, nahezu unbeschädigte Siegel hat die Inschrift: »f pečat io Stefan voevoda gospodar zemli moldavs(skoi)«. — • V. Ein Mahnschreiben aus dem Jahre 1480—1484. Zwei Bojaren mahnen den Sekretär und Zolleinnehmer von Brasov (Kronstadt) um Rückzahlung von 4 Dukaten. — Dieses Dokument ist natürlich keine Staatsurkunde, und wird nur angeführt als Beispiel eines diplomatischen Amtschreibens aus der Zeit Stephans d. Gr. — Der Originaltext lautet: »f Ot pana Kirakola, vistjernika i mitnika, i ot pana Bučuma, vistjernika i mitnika, pišem mnogo zdravie i ijubovno poklonenie bra-tjam našim, panu biru i panu mitniku ot Braševa. Zde nam žaluet sluga naš Mihalko, eže este ego promitili bez vinu, ta este emu uzjali 4 zlat ugrskij. Togo radi molimo vas jako vaši prijateli dobrij učinite za našu volju ta vernite toti 4 zlat, poneže sut naši pinjezi. I tot tcvar bil naš. A ne vernete li, a vi abi este znali aže budem govoriti gospodarevi, ta vare kto pridet ot vaših ljudei do nas, a mi vozmem is nih toti naši pinjezi. Zdravstvujte o gospodi, amin. — Pis(ano) u Su-čave, 17. September. — f Panu biru i panu mitniku ot Braševa, prija-telem našim dobrim«. Deutsch: »Vom Herrn Kirakol, dem Schatzmeister und Zolleinnehmer, und vom Herrn Bučum, dem Schatzmeister und Zolleinnehmer, schreibe ich: Viel Gesundheit und liebe Grüße unsern Brüdern, den Herrn Richter (Sekretär) und Herrn Zolleinnehmer von Brašov! — Hier klagte uns unser Diener Mihalko, daß ihr ihn ohne Grund überzollt (höheren Zoll auferlegt) und ihm 4 ungarische Dukaten abgenommen habet. Deshalb bitten wir auch als eure guten Freunde, tut uns unseren Willen und stattet uns die 4 Dukaten zurück, da sie unser Geld sind, denn jener Transport war unser. Solltet ihr sie nicht rückerstatten, so wisset, daß wir dann es dem Herrscher sagen, der entscheiden wird: wer von eurem Leuten zu uns kommt, dem nehmen dann wir dieses unser Geld ab. — Seid im Herrn gegrüßt! Amin. — Geschrieben in Suczawa am 17. September. — Adresse: »Dem Herrn Richter (Sekretär) und dem Herrn Zolleinnehmer von Brašov, unseren guten Freunden!« — Die Urkunde befand sich bis zum Kriege im Archive in Brašov unter Nr. 496. — Die Jahreszahl ist nicht beigesetzt, ist aber durch andere Daten für die Zeit von 1480—1484 begrenzt. — Der liebenswürdige Ton des Schreibens einerseits sowie die sofortige Androhung der gewaltsamen Wiedervergeltung andererseits sind bezeichnend für jene Zeit, die sich bei entstandenen Differenzen noch auf keine langwierigen Verhandlungen einließ. — Die Sibyllen in slavischer Auffassung. Als »Sibyllen« bezeichnete man schon im Altertume weissagende Frauen. Der erste, der diese Deutung ausgesprochen haben soll, war Orpheus, ein »heidnischer Poet« aus Griechenland, dessen Lebenszeit um das Jahr 1234 v. Chr. angesetzt' wird. Ihm folgt H o-m e r (um 950) und H e s i o d (um 800 v. Chr ) Nach diesen werden die Hinweise auf die Sibyllen immer häufiger. Von diesen glauben einige, es habe vorerst nur eine Sibylle gegeben, die jedoch verschiedene Namen führte, u. z. je nach dem Lande, in dem sie sich eben aufhielt; andere meinen, es habe mehrere Sibyllen gegeben, deren Name aber immer der Benennung ihres Aufenthalts- oder Wirkungsgebietes nachgebildet wurde. Die eine wie die andere Annahme ist unrichtig, weil unnatürlich. Unter »Sibyllen« sind lediglich Chroniken verschiedener Völker und Gebiete zu verstehen, und bildete sich der Begriff aus einer Mißdeutung des altslavischen »se bilo, sie bilo«, d. h. das Geschehene, das Gewesene. Die Russen nennen übrigens die Erzählungen von ihrer Vergangenheit noch immer »biline«, und ist dies auch der zu-* treffendste Begriff im Slavischen für »Chronik« wie »Geschichte«, Überdies hat schon der Philosoph Hermias (V. Jahrh. v. Chr.) erklärt,, »über die Sibyllen wurde so viel Wunderbares erzählt, daß alles eine Fabel zu sein scheint«. Nun muß aber der LImstand besonders auffallen, daß also schon zu Orpheus und Homers Zeiten die wahre Etymologie des slavischen »se bilo« dunkel oder ganz unverständlich war; welche Zeit aber dieser Tatsache noch vorausging, oder, ob man bewußt der slavischen Kennzeichnung, analog wie man es heute in slavenfeind-lichen Kreisen macht, auswich, wissen wir noch weniger; das eine steht jedoch fest, daß diese sprachlich falsche Auslegung schon weit in die vorchristliche Epoche reicht. Die Zahl der »Sibyllen« wuchs naturgemäß mit der Zahl der wichtigeren Chroniken. Da die Ereignisse der ersten und ältesten Zeit immer die gleichen sind, wie: die Geschichte der Schöpfung, des Sün- denfalles, der Großflut u. drgl., gibt es zuerst auch nur eine »Sibylle«; als aber später die Spezialisierung der Welterreignisse einsetzt, die sich mit immer beschränkteren Gebieten befaßt, vermehrt sich auch die Sibyllenzahl. Schon frühzeitig kannte man deren 4, später 6 und zuletzt 10; die Altslaven kennen deren sogar 12. Tatsächlich besitzen die Slaven auch eine Anzahl von Chroniken, die alle mit der Weltschöpfung beginnen und dann zur Spezialgeschichte eines bestimmten Volkes oder Landes übergehen. Das Chrcnikenschreiben, das sich anfänglich nur mit der Verbuchung der Vergangenheit, also mit vollendeten Handlungen befaßte, verfiel dabei auch der Entartung des Vorhersagens des Kommenden, also der W eissagung oder Prophezie, womit der eigentliche Chronikenzweck in den Hintergrund gedrängt würde, da man begreiflicherweise der Zukunft ein größeres Wissensinteresse entgegenbrachte, als der mehr weniger bekannten Vergangenheit. Das Treiben dieser »Sibyllen« nahm aber mit der Zeit die Formen eines gefährlichen Unfugs an, daher es viele Herrscher gab, die derlei »sibyllische« Bücher in Maßen verbrennen ließen, weil dadurch viel Unruhe, Verwirrung und Mystik mit unlauteren Tendenzen in das Volk getragen wurde, obschon darunter in der Hauptsache doch nur Chroniken waren, die aber einen den Herrschenden nicht genehmen Inhalt hatten. Andere Regenten sammelten hingegen solche fleißig als Kuriositäten. Zum Schlüsse wurden jedoch alle erreichbaren »sibyl-lischen« Bücher von S t i 1 i c h o (395—408), dem Statthalter des Kaisers Honorius, für alle Zeiten amtlich vernichtet, weil sie durch ihr anachronistisches Wesen nicht nur den Aberglauben fördernd und religiös irreführend wirkten, sondern zugleich auch staatsgefährliche Formen anzunehmen drohten. Alles, was von jener Verbrennung übrig blieb, machte trotzdem noch eine bedeutende Literatur an Erzählungen und Versen aus,. Diese wurde später von Servatius Galläus (Amsterdam, 1689) zusammengetragen und veröffentlicht, wobei natürlich die eigentlichen Chroniken nicht einbezogen wurden. Ein Hauptthema der »Weissagungen« bildete nebst der Ankündigung des Antichrist, des jüngsten Gerichtes, der Auferstehung der Toten u drgl. die Vorhersage von der unbefleckten Empfängnis Marias und des Erscheinens des Sohnes Gottes als Erlöser der Menschen auf Erden. Um dieses Zukunftsereignis zu popularisieren, wurde dieses Thema zeitweise unter christlichem Einflüsse in geradezu aufdringlicher Weise verbreitet und verallgemeinert. Von den 12 altslavischen »Sibyllen« beschäftigen sich, wie später dargelegt wird, fast alle mit diesem, u. z. sowohl die älteste (um 2000 v. Chr.) wie die jüngste (um 14 v. Chr.), ein deutlicher Beweis, daß alle nur die erste Weissagung wiederholten oder nacherzählten, demnach alle späteren überhaupt keine Prophetinnen waren, da sie auch nichts neues brachten. Überdies wissen wir ja nicht, wapn diese »Weissagungen« niedergeschrieben wurden, denn die ganze »Wissenschaft« der »Sibyllen« ist unbe-dinglich anachronistisch, und wohl erst »nachempfunden« worden, obschon sich ja gewisse Vorstellungen der Menschheit, die stets von der Zukunft eine Besserung der augenblicklichen Verhältnisse erhofft, auch vorher in der Volksphantasie gebildet haben mögen, in welcher Art diese Hoffnung eine reale Form annehmen könnte. Alles, was die Chroniken in religiöser Hinsicht über die »Sibyllen« wissen, ist für die Wissenschaft nahezu wertlos; eine Beachtung verdient dabei nur jenes, was als Begleiterscheinung des Erzählten unbewußt die sonst bekannten Verhältnisse ergänzend aufklärt. — Die Schottenchronik weiß über die 12 »Sibyllen« folgendes. — Die erste hieß P e r s i k a, weil sie aus Persien stammte. Sie lebte um das Jahr 1240 v. Chr,, ging in goldgestickten Gewändern, war jugendlichen Aussehens und von blendender Schönheit. Sie prophezeite die Ankunft des Sohnes Gottes und dessen Menschwerdung von der reinen Jungfrau Maria. — Die zweite hieß Lubika; sie wirkte — angeblich — in Afrika, und stammte von der Stadt L j u b s k o, was man als »Lybien« auslegte, Sie war mittlerer Statur, war fröhlich und lächelnder Miene, und ging stets geschmückf mit einem grünen Kranze herum. — Die dritte hieß D e 1 f i k a, scheint demnach ihr Wirkungsgebiet in Hellas gehabt zu haben. Sie war jugendlich, ging schwarz gewandet, hatte den Kopf mit ihren Haarflechten umwunden, und trug immer ein Ochsenhorn mit sich. — Die vierte hieß H i-vika oder auch Himera, stammte aus Italien (»Volosko«, das Italien aber auch Walachei bedeuten kann), zeigte sich stets mit aufgelösten Haar und blau gewandet. — Die fünfte hieß S i m i j a. Sie war schön gewandet und warf im Gehen stets ein blankes Schwert unter ihre Füße. (!)‘) Ihr Wirkungsgebiet ist hier nicht näher bezeichnet, Sie lebte 2000 Jahre vor Chr. — Die sechste hieß D i m o f i 1 a Sie war alt und ging einfach gekleidet. Es ist dies jene Sibylla, die sonst als ein altes Weib bezeichnet wird, die i, J, 522 dem König Tar-guinius Superbus die 9 »sibyllinischen« Bücher zum Ankäufe ange-boten haben soll. Der Chronist verrät uns aber hier etwas sehr Wichtiges; er sagt, daß dieselben die Ereignisse des römisches Staates unter der Regierung des Königs Tarquinius enthielten, waren also doch keine »prophetischen«, sondern tatsächlich »se bilo«-Bücher Aus der Jahreszahl muß man auch entnehmen, daß dieses Angebot, soweit es eben keine Sage ist, am Schlüße der Regierung des Tarquinius erfolgt sein müsse, und da diese sehr bewegt war, können die Aufzeichnungen auch ziemlich umfangreich und dabei ihm selbst nich i Es muß da ein Abschreibe- oder aber ein Deutungsfehler vorliegen. besonders genehm gewesen sein/} Nach allen haben wir es daher hier nicht mit einer »Sibylla«, sondern eher mit einer Chronistin oder aber Trödlerin zu tun. — Die siebente hieß Jelisponta, stammte aus dem Königreiche Troja und lebte 590 Jahre vor Chr. Sie war mittlerer Statur und ging einfach gekleidet. Die achte hieß F r a-gi j a, stammte von der Stadt Troja und lebte um das Jahr 1200, also vor dem Trojanischen Kriege, da dieser in die Regierungszeit des israelitischen Königs David (etwa 1060—1028) fällt. Diese »Sibylle« weicht von den übrigen insoweit ab, daß sie von der unbefleckten Empfängnis Marias nicht spricht, sondern nur hervorhebt, der Erlöser werde von einer Hebräerin geboren werden, — Die neunte hieß J e v r o p i a, lebte um das Jahr 133 vor Chr., war schön vom Äußeren und ging in Goldgewändern. Ihr Wirkungsgebiet ist nicht besonders hervorgehoben, aber durch den Namen selbst angedeutet, wonach sie europäische Dinge im allgemeinen behandelte. — Die zehnte hieß T arbutinja; sie stammte von Italien, ging schön gewandet, trug am Kopfe stets ein Ziegenfell, und war die jüngste von allen, denn sie wirkte 14 Jahre vor der Geburt Chr. Sie soll diejenige gewesen sein, die es verhinderte, daß man den Kaiser Augustus als Gott erklärte, weil sie wußte, daß der wahre göttliche König bald geboren werde. — Die elfte hieß A g r e t a. Sie war mittlerer Statur, war schön gewandet und hatte die Eigenart stefs die beiden Hände an der Brust gekreuzt zu tragen. Über deren Lebenszeit und Wirkungsgebiet fehlen alle Angaben in dieser Quelle. — Die zwölfte hieß J e r e t r i j a oder J erotelija. Sie ging schwarz gekleidet, und hatte stets ein blankes Schwert und einen runden, mit Sternen gezierten Apfel mit sich. Mit dem Schwerte stützte sie sich, den Apfel hingegen warf sie' ständig unter die Füße (!). Sie galt als sehr klug pnd charaktervoll. Sie lebte in »Iklis« (?) zur Zeit des Richters Gedeon, der nach der slav, Weltära von 4074—4113 (also von 1435—1393 vor Chr.) gewirkt haben müßte. Sie befaßt sich mit der ausführlichen Schilderung der Erscheinungen am jüngsten Gerichte, wie solche auch sonst in den Religionsbüchern verzeichnet sind. » Wie diese Darlegungen zeigen, verteilen sich die angeführten »Sibyllen« auf alle drei alten Weltteile, doch scheint es, daß die »afrikanische« L u b i k a nur deshalb nach Afrika verlegt wurde, weil man »grad Ljubski« als »lybische Stadt ausdeutete. Ob hier nicht die Wahrsagerin und Prophetin »Lubusa« anzunehmen ist, möge die Weiterforschung beantworten. Eine Berechtigung für diese Annahme ist aber unbedingt vorhanden, denn Lubusa gilt allen Sagen nach als Sibylle und ist eine solche Prophezeihung, wie man annimmt, noch *) Alle nichtslavischen Werke erzählen, es sei dies Tarquinius Priscus (616— 559) gewesen. Das ist ein Irrtum, da die slavischen Chroniken dies auch chrono-graphisch belegen, denn T. Superbus regierte von 534—510. für das Jahr 1310 in »Lubusino proroctvi« erhalten, die allerdings mehr politischer Natur ist. Die Chronik, die sich mit dieser »Sibylle« deckt, und in der Hauptsache die älteste Geschichte des Cechen-stammes behandelt, scheint sogar in dem noch vorhandenen Fragmente der Handschrift von Grünberg erhalten zu sein; ansonst wurde das, was in jener »se bilo«-Chronik weiter enthalten war, vom Chio-nisten Cosmas von Prag übernommen und auf diese Weise erhalten. Freilich wissen wir nicht, wie viel er hiebei ausgelassen, ungearbeitet, voll übernommen oder selbst ergänzt hat, denn die Cosmas-Chronik erscheint schon mehr als eine wissenschaftliche Bearbeitung einer älteren Vclkschronik. Wahrscheinlich ist es aber, daß es eine »Sibylle« namens Lubusa nie gegeben hat, sondern daß nur eine »se bilo«-Chronik, die in »Ljubsko, Lubice« oder einem ähnlich benannten Orte oder Gebiete geschrieben oder verwahrt wurde, die Grundlage zu dieser sagenhaften »Sibylle« bot, als die wahre Vorgeschichte in der Tradition schon verdunkelt war. — Eine nähere Klärung der »Sibyllen«-Frage dürfte sich jedoch erst einste’en, bis vergleichende Forschungen aller Chroniken vollzogen sein v rden; dermalen ist aber dies ausgeschlossen, da viele derselben noch gar nicht veröffentlicht sind, daher erst eine Gesamtausgabe abgewartet werden muß. Einstweilen wissen wir nur, daß die altslavi-schen Chroniken immer weit mehr Nüchternes wissen, als andere Quellen, ein greifbarer Hinweis, daß sie noch aus einer Quelle schöpften, die der Wirklichkeit näher war, daher auch mehr und Reelleres erfahren konnten. — An dieser Stelle sei auch ein zweiter Mythus über eine »Sibylle angefügt, der insoweit auch einen Prophetencharakter hat, daß es sich dabei um die Vorstellung vom Eintreten des jüngsten Gerichtes handelt. Aber auch hier war die falsche Etymologie eines slavischen Begriffes mythenbildend, Roman Zawilinski erzählt nämlich im »Archiv f. slav. Philologie«, (Bd. XI, S. 160), im Dorfe Bienkowice (20 km süawmrts Krakau) herrscht die Ansicht, daß m^n dort um die Weihnachtszeit nicht spinnen dürfe, weil nach dem Volksglauben in dieser Zeit die »Sivilija« spinnt, um sich daraus ein Hemd zu machen. Sie darf aber hiezu nur am Christabend einen Nadelstich machen; sobald der letzte Stich gemacht ist, kommt das Ende der Welt, und sei sie dermalen schon nahe der Vollendung. Ist diese Darstellung an sich schon einseitig und verworren, denn einerseits ist der Brauch in den »zwölf Nächten« nicht zu spinnen, geradezu ein allgemeiner, andererseits kann man dort von keinem Spinnen an dem Hemdstoffe mehr sprechen, wo schon das fertige Linnen als nahezu vollendetes Hemd vorliegt, so ist auch die etymologische Deutung des Mitteilers, es handle sich hier um die Verball- hornung des lateinischen »vigilia« {= Christabend), woraus das unwissende Volk eine »swente vilija« machte, grundfalsch und zugleich willkürlich, denn Zawilinski wußte jedenfalls nicht, daß das fast allen Slaven gemeinsame durative »šivati« (= nähen) auch die Substantivbildung »šivilja« (= Näherin) im Gefolge hat. Dieser Begriff ist z. B. bei den Slovenen noch heute im vollen Gebrauche, daher diese begreiflicherweise jenen Mythus auch nicht kennen, der sich aber bei den Polen wohl auch erst dann ausgebildet haben kann, als dessen Etymologie unverständlich wurde/1) Doch im nächsten Bande des »Archiv« (XII., S. 316) wird dieser »Mythus« noch immer von niemandem berichtigt, sondern noch weiteivertieft, Reinhold Köhler erzählt nämlich, daß im benachbarten Schlesien Ähnliches bekannt sei, doch lautet die »šivilija« hier schon »Sibylle«. Diese sitzt etwa in einem Turme und näht dort ihr Sterbekleid, woran sie aber nur alle hundert Jahre einen Nadelstich macht’ doch wisse man hier auch schon, daß diese Arbeit bereits dem Ende entgegengehe. Sobald aber das Hemd fertig ist, bricht der jüngste Tag ein Hier liegt demnach eine weitere Verballhcrnung und zugleich Verdunkelung des Begriffes »šivilja« vor. Es gibt demnach zwei sla-vische Grundwörter, die zur Bildung des Begriffes »Sibylle« beitrugen, die aber zugleich auch beide zeigen, wohin die Nichtbeachtung oder Ausschaltung des slavischen Sprachschatzes seitens der Wissenschaft führt. Dieses Beispiel zeigt gerade schon zum Überdrusse die chronische Erscheinung, nirgends etwas Originalslavisches gelten zu lassen; immer muß das Natürliche und Naheliegende der Unnatürlichkeit und dem Fernliegenden geopfert werden und es findet sich niemand, der diesem endlosen, kulturwidrigen Unfuge eine Grenze setzt. 3) Unverständlich ist es allerdings auch, weshalb dieser etymologische Irrtum oder Mißgriff anschließend nicht sofort beh'oben wurde, denn, wenn an dem »Archiv«-Inhalte 9 Slavisten arbeiteten, wie dies auf dem Titelblatte zu lesen ist, so konnte der gangbare Begriff »šivilja« wohl einem derselben bekannt sein, umsomehr als ja auch Slovenen darunter sind. Uber Fälschungen altcechischer Schriftdenkmäler. Wer in den verschiedensten, das Altslaventum berührenden Wissensgebieten wandert, gelangt geradezu grundsätzlich zum Schlüsse zu einem Schlagbaume, wo die offizielle Wissenschaft plötzlich Halt ruft und sagt: »was du jenseits Slavisches findest, ist alles gefälscht, daher bis hieher und nicht weiter!« — Es galt nämlich bisher als Grundsatz und als ein Zeichen tieferer Gelehrsamkeit alles jene, was ein orientierendes Licht über die Altslaven bringen sollte, a priori zu verdächtigen und damit als Beleg für die Forschung auszuscheiden, oder richtiger gesagt, der Gelehrtenwelt fehlte das Vermögen die Tatsache zu erfassen, daß die Slaven schon ein Kulturvolk waren, als von den modernen V ölkern im heutigen Sinne noch keine Rede war. Die Verweser jener Lehre haben aber hiebei unbewußt einen schweren Denkfehler begangen, denn billigt man den Slaven jenseits einer gewissen Grenze keine echten Denkmäler, also keine positive Kultur zu, so gibt man aber schon mit der Bekenntnis der Fälschung zugleich das Vorhandensein einer sehr hohen Kultur doch zu, wenn hiefür so viele negative Beweise vorhanden sind, denn die Herstellung derselben erforderte nicht allein das normale, sondern geradezu ein erhöhte-res Wissen. Woher soll aber dieses Wissen und Können stammen, das dabei so gründlich war, daßesbisheutebeikeinemder verdächtigten Objekte gelingen konnte, einen greifbaren Beleg für die Fälschung aufzubringen, wenn jede Grundlage hiezu fehlte! Nachstehend soll eine Gruppe altcechischer »Fälschungen« im allgemeinen aufgezählt, und eine hievon, in der Literatur als »Pro-roetvi Lubusino« bekannt, näher besprochen werden. In Prof. Masaryks »Athenäum« (1886) wurden die cechischen Literaten Hanka und Linda offen als Fälscher oder unmittelbar Be- teiligte an der Fälschung nachbenannter altcechischer Schriftdenkmäler bezeichnet: 1. der Handschrift von Grünberg; 2. der Handschrift von Königinhof; 3. der Handschrift »Pisen pod Vysehradem«; 4. der Handschrift »Milostnä pisen kräle Väclava« und »Jelen«; 5. der Einfügung von 850 falschen Glossen in den Kodex »Mater verborum«; 6. der Handschrift des Psalmes 109 und des Bruchstückes des 145. Psalmes; 7. der Einfügung zahlreicher Jahresglossen und Autornamen in alte Handschriften; 8. der Handschrift »Proroctvi Lubusino«; 9. der Einfügung vieler Anmerkungen in die altcechische Handschrift »Liber viaticus«; 10. der überaus naiven Notizen in den prächtigen Kodex »Mariale Arnesti«; , 11. des Bruchstückes des altcechischen Johannesevangeliums. Von allen diesen offen als Fälschungen bezichneten Handschriften oder handschriftlichen Zusätzen sind bereits alle die wichtigsten, d. i, jene ad 1—4 einwandfrei als echt erwiesen worden. Die Glossen ad 5 sind gleichfalls als altersecht festgestellt worden, nachdem sie auch in anderen unbezweifelt echten und dabei älteren Werken verkommen. Weshalb aber jemand Bruchstücke kirchenliterarischen Inhalts, wie z, B. ad 6 und 11, mühselig und ohne jede Aussicht auf dauernden Erfolg fälschen soll, ist für den nüchternen Menschenverstand überhaupt nicht faßbar, da damit absolut nichts erreicht ist, nachdem sich doch derlei Texte in anderen, sogar älteren Exemplaren und in vollem Textumfange erhalten haben. Überdies hielt Prof. Gebauer, (Prag) selbst, der kein besonderes Vertrauen zur Echtheit der altcechischen Literatur hatte, da er überall nur Fälschungen witterte, die Handschrift ad 11 stets für echt. — In bezug auf die Ergänzungen in den Handschriften ad 7, 9 und 10 hat aber bis heute auch noch niemand einen überzeugenden Beweis zu erbringen vermocht, daß diese anachronistischen Ursprungs wären. — Es bleibt daher nur mehr die Frage übrig, ob die Handschrift ad 8 nicht vielleicht doch eine Fäl schung sei, was nachstehend auch überprüft werden soll. In alten Bucheinbänden fand man wiederholt Vorsetzblätter aus Pergament vor, auf denen inhaltlich mehrweniger wertvolle alte Handschriftentexte entdeckt wurden, worauf man derlei Untersuchungen mit der Zeit allgemein ausdehnte. Bei einer solchen Nachschau zog nun der Bibliothekar W. Hanka des Nationalmuseums in Prag i. J. 1848 aus dem Kodex »De arte moriendi«, der dem XV. Jahrhunderte entstammt, 7 Pergamentstreifen vom Rücken hervor, die alle zusammengehörten und aneinandergefügt das Gedicht »Proroctwie Lubusino« enthielten.1) Als nun Hanka am 28. Juni 1849 über seine Entdeckung einen öffentlichen Vertrag in Prag hielt, wurde der Fund sofort skeptisch aufgenemmen, und bezeichnete diesmal sogar Palacky selbst Hanka offen als den Unterschieber dieses handschriftlichen, paläographisch etwa dem XIV. Jahrhunderte angehörenden Gedichtes. Der Fund erschien deshalb verdächtig, weil dieses Gedicht schon früher in 1 a teinischer Sprache bekannt und in einem ehedem dem Kloster Rokvcan gehörenden Kodex, als »Prima pars Johanicii« betitelt, enthalten war, das sich abeij schon seit längerer Zeit im Besitze des Landesmuseums befand. Da nun Hanka Bibliothekar des Museums war, lag die Annahme nahe, er habe das Gedicht aus dem Lateinischen ins Altcechische übertragen und dann als Original unterschoben. Trotzdem aber Hanka selbst sein Urteil dahin abgab, daß das altcechische Gedicht paläographisch älter scheine als das lateinische, so wies er doch dahin, daß die, Anwendung des leoninischen Reimes für die lateinische Priorität spreche, nachdem dieser sonst im Slavischen unbekannt sei.-’) J) Funde dieser Art sind durchaus nichts Seltenes; es handelt sich dabei meist nur darum, ob der damit Manipulierende den Wert erkennt und den Fund beachtet. — So. fand man i. J. 1892 in der Bibliothek der Technischen Hochschule in Wien auf dem Deckel eines dem traurigen Schicksale der Aussortierung verfallenen Buches ein glagolitisches Schriftfragment religiösen Inhaltes) das sodann der Hofbibliothek übergeben wurde. Prof. Jagic, der das Fragment zur Lesung vorgelegt erhielt, fand vor allem, daß beim Ablösen der Blätter nicht mit der nötigen 4; Vorsicht vorgegangen wurde, da ganze Zeilen am Deckel geblieben sein müssen, doch konnte das Fehlende nicht mehr eingeholt werden, da das Mutterbuch indessen schon verstampft war. — Da in diesem Falle ein Deutscher das Fragment fand, wurde der Fund nicht weiter verdächtigt. Beim Ablösen von Bucheinbänden wurden aber seinerzeit in Prag auch die altcechischen Gedichte »Pisen pod Vyse-hradem« und »Milostnä pisen« gefunden, die aber sofort als Unterschiebungen aus gerufen wurden, da, eines davon ein Ceche [Hanka) das zweite sogar ein Deutscher (der Ordenspriester Zimmermann) fand. — Glaubt daher heute jemand daran, ein Fälscher werde ein altcechisches Gedicht verfassen, es als Buchdeckelüberzug einpaschen und auf gut Glück damit rechnen, daß es einst bei der Ausrangierung des Buches, das aber ebensogut auch verbrennen kann, seine literarische Beachtung finden werde, so können wir dessen pathologischen Spekulationsplan nur mit einem mitleidigen Bedauern hinnehmen. -) Das ist aber irrig, denn z. B. im uralten slovenischen Volkslieds vom Schlaraffer.lande sind schon leoninische Reime emgestreut, wie z. B.: »Na rogih mi pa sodic ma, napolnjen vinca sladkega!« —- Weshalb die Wissenschaft eine solche Hochachtung für diesen Verbau hat, ist daher ganz unverständlich, denn es handelt sich dabei doch nur um die Zusammenlegung zweier Versreimpaare in einen Vers in der schriftlichen Darstellung; beim Rezitieren hingegen weiß man aber ohnehin nicht-, ob es ein oder zwei Verse sind. — Von einer Kunstprosodie kann aber hier gar nicht gesprochen werden, wenn das Versmaß auch von Volksdichtungen gebraucht wird. • Die aus 19 Versen bestehende Prophezeiung könnte aus der Zeit der Regierung Heinrichs von Kärnten in Böhmen (1310—1335) stammen, und läßt besondere nationale Hoffnungen auf den letzten weiblichen Sprossen der Premysliden-Dynastie, — der Mannesstamm starb schon i. J, 1306 aus —, auf Elisabet, die Schwester des Königs Wenzel III., schließen. Für eine spätere Zeit, als Böhmen ohnehin in Blüte stand, stimmt jedoch der Gedichtinhalt nicht, und fehlt dazu auch der führende Name »Elisabet«. — Wer sich nun um das Jahr 1849 dem mühe- und dabei aussichtslosen Versuche unterzogen haben soll, diese anachronistische Dichtung zu verfassen, werden die Verleumder ebensowenig beantworten, wie sie den Zweck, den dieselbe befolgen sollte, nie erweisen können. Das Gedicht lautet folgend: »Rubišek jest owa, o niejž Sibylla prorokowa, Wesckyne Lubuše, predpowedenim swej duše Elžbeta splodi ščedie, jež jako slunce bledie, Ze wšad jasne swicti, mnoho wlasti bude diržeti. Z jejie pirwomlädce zrodi se i powstane wladce, Kteryž owlade swetem, wehlasen bude i lutopletem Kazdym pod se metne, a jeho krälewstwie zkwetne. Rozežene nemee, wzlubi sobe Cechy swe zemee, Již nynie jsu zmafeni i jinym we jho podrobeni: Ty wzwelbi wzmoži, i wes swet jimi pfemoži. Jehož ni Alexandr nemožeše, ni silny Evandr: Sejže wiechnech plamen, Faraonöw bode jmieti kamen, Spere Žoldana, i spridi Plutonu poddäna. Kfest'anom meč jeho mesta wrati tripolskeho; Podskoči i swije, a mnužcstwie tisuc jich zbije. Wšady daw pokoj zdrawie, osbe w nebi stolec priprave, Wecna jemu sprawa wzejde otewršad čest i slawa. Kcnec wezme w meste, jež wše prewysi zweste, I u podnožky Christa vysoka jmu se mohyla chysta«. — Deutsch: »Jene ist der Sproß, von der die Sibylle prophezeite, Die Seherin Lubuša, durch Vorhersagung ihres Geistes: Elisabet gebiert Nachkommen, welche wie die glänzende Sonne Von allen Seiten leuchten, viele Staaten regieren werden. Von ihr wird als erster ein Junge geboren, der Herrscher wird, Der die Welt beherrschen, hochberühmt wird, und jeden Intriganten Sich unterwerfen wird, und sein Königreich blüht auf. Auseinandertreiben wird er die Fremden, lieb haben die Čechen, seine Landsleute, Die jetzt unterdrückt und anderen ins Joch gespannt sind. Die wird er erheben, kräftigen, mit ihnen die ganze Welt überwindend, f Was weder Alexander vermochte, noch der mächtige Evander, Er entzündet die Flamme allen, er wird den Stein der Pharaonen besitzen; Er schlägt den Sultan und vertreibt die Untertanen Plutos. Sein Schwert gibt den Christen die Stadt Tripolis zurück.3) Er stürmt und umringt, und erschlägt deren eine Menge von Tausenden. Überall Frieden, Gesundheit gebend, bereitet er sich im Himmel einen Thron, Ein ewiger Ruf wird ihm zuteil, von allen Seiten Ehre und Ruhm. Enden wird er in der Stadt, die alles Gehörte übertreffen wird, Und zu Christi Füßen wird ihm ein mächtiges Denkmal bereitet«. — Man schreibt diese Prophezeiung allgemein Lubusa, einer der Töchter des sagenhaften böhmischen Fürsten Krok zu, die zugleich Seherin gewesen sein soll. Gab es aber eine Fürstin Lubusa sowie eine Seherin gleichen Namens, so sind dies vermutlich zwei verschiedene Personen, die erst die spätere, getrübte Tradition infolge Namensgleichheit identifizierte, nachdem es auch eine Sibylle »Lubika« gab.4) Das Gedicht ist inhaltlich wie sprachgeschichtlich von geringem literarischen Werte, und wohl nur ein slavischerseits einzigartiger Beleg des noch im Mittelalter spukenden Sibpllenunfuges, der durch zeitlich zurückverlegte Prophezeiungen religiös oder politisch suggestiv wirken sollte. Von der Fälschung der Handschrift selbst kann jedoch keine Rede sein. Hingegen ist Hankas erste Vermutung, das altcechische Gedicht müsse das ursprüngliche sein, zutreffend, denn das lateinische ist offenkundig eine Übersetzung des ersteren. Es geht dies schon aus dem Verse: »Rozezene n e m c e . . . « hervor, denn der lateinische Dichter übersetzt dies mit: »Abjuret extremos, et diligit ipse Boemos«, also: die Fremden. Der Begriff »nemec« hatte einst lediglich die Bedeutung des Ausländers, was man auch in anderen altcechi-schen Liedern bestätigt findet. Hätte hingegen der lateinische Dichter »nemci« (“ Deutsche, obschon »tujc« im Slavischen auch: der Fremde bedeutet) im heutigen Sinne erfaßt, so hätte er sicherlich einen gangbaren ethnographischen Namen eingesetzt; allerdings war damals der Begriff »Germani« auch noch nicht bekannt. Andererseits hätte der cechische Übersetzer für »extremos« niemals »nemci-< sondern wehl nur »cuzy« (= Fremde, Ausländer) gewählt. s) Die Stadt wurde i. J. ö44 von den Arabern genommen und daselbst der Islam eingeführt. *) Vergleiche diesbezüglich den Artikel: ¡Die Sibyllen in slavischer Auffassung«. Das Gedicht macht im allgemeinen den Eindruck der SchreibT weise des Kosmas, d^s ältesten böhmischen Chronisten, der auch vielfach leonische Verse bietet, wie z. B.: »Cujus vitam dum rumpunt Parce, Crezomisl locatur sedis in arce«. Die Dichtung kann demnach sehr alt sein, umsomehr als wir auch nicht wissen können, ob es sich nicht um irgendeine Elisabet vor Kosmas handelt. Die Prophezeiung ähnelt nebstbei etwas jener in Virgils Eklcgen (4, 8—14), die der cumäischen Sibylle in den Mund gelegt wird: »Sei du nur, heilige Lucina, dem kommenden Knaben hold, mit dem alsbald des eisernen Geschlechtes Ende kommen und auf dem Erdenrund ein gcldenes Zeitalter erstehen wird usw.« So klärt sich die letzte strittige, da bisher ungeprüft gebliebene »Fälschung« Hankas als eine vollkommen haltlose Beschuldigung auf, für welche Klärung allerdings auch die Vorkenntnis des eigentlichen Sibyllenwesens eine Grundbedingung war, die aber sowohl Han-ka wie allen Kritikern bis heute vollkommen fehlte. — Um aber dem weniger Eingeweihten noch ein drastischeres Bild von jener Zeit zu geben, als eine förmliche Epidemie ausgebrochen war, die alle altslavischen, namentlich aber altcechischen Schriftdenkmäler als Fälschungen verrufen wollte, sei nachstehend noch der Versuch kurz geschildert, der auch den »Mastickar« dazu einbeziehen wollte, da er besonders typisch ist. Als »Mastickar«, d. i. Salbenkrämer bzw. Quacksalber, wird eine Handschrift aus dem XIII. Jahrhunderte, die aus 6 Pergamentblättern besteht und i. J. 1822 von J. A. Dunder, nach anderer Version von Hanka, gefunden wurde, und seither im böhmischen Landesmuseum verwahrt wird, literargeschichtlich bezeichnet. Es enthält ein altcechisches Osterspielfragment, in dem der Meister Severin mit seinen beiden Gehilfen Rubin und Pusterpalk seine Salben an-* greift, die durch ihre Kraft angeblich schon den toten Isaak zum Leben erweckten, sowie auch von den drei Marien zur Salbung des Leichnams Christi verwendet wurden, d. h. es handelt sich hier um die Darstellung eines schwindelhaften, marktschreierischen Gelderwerbes mit »erwiesen« wundertätigen Salben, womit wohl nur die Ironisierung gewisse^ sozialer Verhältnisse jejner Zeit' ¡'bezweckt wurde. Auch diese Handschrift sollte als unecht erklärt werden. Alois Sembera tritt in dieser Richtung in seiner »Böhmischen Literaturgeschichte« (S. 158—161) mit der Behauptung auf, daß sie »offenbar (?) eine Fälschung Hankas sei«. Gegen diese Verdächtigung trat Prof. Gebauer im »Archiv f. d. slav. Philologie« (TV. S. 549—564) auf, indem er eine Unzahl von unrichtigen wie direkte unwahren »Einwendungen« Semberas in das richtige Licht stellt und zugleich zeigt, wie wenig ernst Sembera in slavisch-literai'ischen Dingen ernst zu nehmen war. Wir wollen hier von den vielen krassen Beispielen nur drei typische Fälle kurz und lediglich deshalb berühren, weil sie vollkommen den gegen die Echtheit der Grünberger wie Königinhofer Handschrift vcrgebrachten »Einwendungen« gleichen. — Sembera sagt z. B. der Begriff »Gyrzo < (.Uri — Georg) sei hier »unerhört und unböhmisch«. Dort steht aber »byrzo« (= rasch); die Stelle lautet: »byrzo ma-sti natluc dcsti«, d. h. »reibe rasch viel Salbe an«. — Sembera meint, statt »dobroytro« sollte es richtig »dcbre jutro« heißen. Gebauer meint nun, daß gewisse konstante Redewendungen und Ausdrücke, die n o-minative Form erhalten, daher »dobro jutro« hier ganz richtig ist. Hier irren sipfe^aber beide, denn es ist dies weder der Vokativ noch der Nominativ, sondern der Akkusativ, da hier eine Ellipsis vorliegt, nachdem das Zeitwort »ich wünsche«, das ein Objekt im Akkusativ (oder Dativ) erfordert, hier ausgelassen ist, wie bei allen Wunschsprüchen. Die altcechische Form ist aber tatsächlich dobroytro«, da sie dieserart auch in echten Handschriften des XIV. Jahrhundertes, wie im Passional und der Hradecky Handschrift, vorkommt. Denselben Begriff enthält übrigens auch die aus der ersten Hälfte des XIII, Jahrhundertes stammende oberösterreichische Dorfgeschichte »Meier Helmbrecht« von Wernherr, dem Gärtner, in welcher der zum Raubritterknappen gewordene Bauernbursche seine Mutter auf »böheimisch« mit »dobrytro« begrüßt. — Sembera zeigt daher in jeder Hinsicht ein äußerst bescheidenes sprachliches Wissen, dessen feindseliges Bestreben konnte daher hier leicht erkannt und überzeugend abgewiesen werden. Hiebei unterlief ihm aber noch ein schwerer Fehler anderer Art, Er behauptete nämlich »Mastickar« sei den beiden altdeutschen Schauspielen v. J. 1391 und 1472 nachgedichtet worden, daher die auffallende Ähnlichkeit der drei Texte. Er wußte aber dabei gar nicht, daß das cechische Exmplar, das seinem ganzen Wesen nach dem XIII. Jahrhunderte angehört, i. J. 1822, das deutsche aber erst 1841 aufgefunden wurde, und doch kann die Fälschung nicht 19 Jahre vor der Vorlage auftauchen. — Ungefähr dieser Art sind aber alle Verdächtigungen der altsla-vischen Kulturdenkmäler; sie zeigen alle unverhohlen eine absichtliche Verhetzung und nationale Herabsetzung unter den vornehmen Maske der Wissenschaft, was die Slaven leider durch lange Zeit und zum Teile bis heute nicht erkannt haben, sich daher auch nicht energisch gegen die Friedensstörer dieser Richtung stellten. — Uber zwei »gefälschte« Römersteine. Um die Mitte des XIX. Jahrhundertes wurden in Pec (Ipek) in Serbien zwei Grabsteine mit altrömischen Inschriften gefunden, die sodann im »Corpus inscriptionum latinarum« als echt veröffentlicht wurden. Später muß sie jedoch jemand als unterschoben bezeichnet haben, denn Frcjf. Niederle stellt sie in seinem Werke »Slovanske staro-zivnosti« (II. Band, 1. Heft, S. 241) ohne weitere Angabe als zweifellose (!) Fälschungen hin und vermutet, daß sie von dem »bekannten« serbischen Fälscher S. Milojevic hergestellt und unterschoben wurden. Erst aus dessen Werke »Futcpis Stare Sibije« hätten sie Eingang in das lateinische Inschriftenwerk gefunden. Die erste Votivtafel (Nr. 8292) lautet: D. M. VELSSA DRAGI TA MAG. DOM. VIX. AN. XXXII. ET SV. FIL BLAZIZA. VIX PROKVL. VIX Die zweite Votivtafel (Nr. 8294) lautet: D. M. MILIZZA BOSSINA VIX IT ANNIS XXII. VIP1 S... CIA VIX. ANNIS XXV. VLPTVS VVLCASSINVS VIX. ANN. XXX FILIS B: MER . . . VIVOS < F. C. Der Fälschungsverdacht gründet sich auf die im Texte enthaltenen zweifellos slavischen Namen: Vclsa, Dragita (Dragica), M i 1 i c a, Bosina, Vulkasin (Vukasin), da sie der Völkerwanderungstheorie gemäß als anachronistisch angesehen werden müssen. Nun ist aber die Völkerwanderungshypothese für jeden natürlich Denkenden längst begraben. Überdies will es der Zufall, daß der Name »Militta« in der Bedeutung von Liebchen, Geliebte schon über 600 Jahre vorher bei Herodot zu lesen ist, denn dies war etwa die »babylonische« Bezeic-hnung für die Liebesgöttin. Erwähnenswert ist es auch, daß hier die heutige Namensform »Vukasin« noch etymologisch richtiger als »Vulkassinus« geschrieben erscheint, denn das Grundwort ist »volk«, woraus erst später im Kroatischen »vuk« wurde. Die Römer gaben analog, wie alle anderen nichtslavischen Völker, den slavischen Namen das Äußere ihrer Sprache, aber die Wurzel blieb dabei unverändert. So enthält z. B. ein Römerstein in Cilli den Namen »Copitius«. Ist dieser demnach auch gefälscht, denn der Originalname ist hier jedenfalls das slavische »Kopie«, ein Name, der in jener Gegend noch heute als Familienname nicht selten ist! Wie sich übrigens der nüchtern Denkende die reale Durchführung einer solchen Fälschungsprozedur vorstellt, ist unerfindlich. Zwei gewichtige Steinplatten werden hergestellt und beschrieben, von Belgrad nach Pec (circa 300 km) mit Wagen oder Tragtieren — Bahn führt noch heute keine dahin — gebracht und dort — natürlich alles ungesehen und ohne fremde Mithilfe — vergraben, nur um etliche slavisch klingende Personennamen auf gut Glüsk anzubringen. — Die Sache ist eben ganz anders: es wurden paar Römersteine mit unabweislich slavischen Namen gefunden; dies erschütterte das ohnehin morsche Gebäude der Völkerwanderung; diese lästigen Kronzeugen mußten radikal beseitigt werden. Der kürzeste Weg hiezu ist: sie sind unecht. Diese Manipulation treffen wir bei altslavischen Kulturobjekten hundertmal an; überall spielt sich derselbe Hokuspokus ab, nur um nicht an der Völkerwanderungsfarce rütteln zu müssen. Besonders muß aber in diesem Falle hervorgehoben werden, weshalb sich der »Fälscher« hier mit paar lateinisch drapierten slavischen Namen so abplagt, denn Zweck wie Erfolg konnten sich doch nie der Mühe lohnen. Er hätte doch gleich slavische Votivtafeln erzeugen können, denn derjenige, der die paar Eigennamen auf diesem beschwerlichen Wege einschmuggeln wollte, war zweifellos so weit gebildet und orientiert, um zu wissen, daß in den topischen Namen selbst schon reichliche Belege für die alte Slavizität dieses Gebietes vorhanden sind, daher dort auch schon zur Römerzeit Slaven gestorben sind, und deren Grabstätten mit Grabsteinen in ihrer Sprache wie Schrift versehen worden sein konnten. Nebstbei wäre dies auch weit glaubwürdiger, als lateinische Inschriften, denn gerade diese müßten viel eher für jene Gebiete als abnormal bezeichnet werden. — Die volle Unorientiertheit über die slavische Vergangenheit war es ausschließlich, welche die zahlreichen Irrungen dieser Art aufkommen und bis heute ohne ernste Ablehnung weiterleben ließ. Geschriebene Gesetze der Altslaven. Gebhardi führt in der »Geschichte der Wendisch-slavischen Staaten« (Halle, 1790) I, S. 56 an: »Sowohl die Priester als auch die Regenten und das (wendische) Volk waren gewissen Gesetzen (»Sa-kcn«) unterworfen, die aber nicht aufgeschrieben, sondern durch das Gedächtnis aufbewahrt wurden. Sehen bei einer Begebenheit des Jahres 546 gedenkt ein griechischer Schriftsteller eines allgemeinen slavischen Gesetzes, welches die Knechte betraf, und bei dem Jahre 849 redete ein fränkischer Chronist von alten Rechten und Gewohnheiten bei dän .Böhmen. Diese uralten Nationalgesetze wurden in Rußland am längsten bewahrt, in den übrigen slavischen Reichen aber teils durch griechische, römische und deutsche Gesetze ersetzt oder bei der Einführung des Christentums vertilgt, teils aber so sehr mit diesen vermischt, daß man wenig Spuren der alten Rechte in den jetzigen Gesetzbüchern wendischer Nation antrifft.« Jener fränkische Chronist sind die Fulda-Annalen, welche erzählen, daß sich die »Boemani« gegen die fränkische Herrschaft auflehnten, worauf der Herzog Ernustus mit einem zahlreichen Heere gegen sie geschickt wurde. Die Böhmen aber, besorgt um den Frieden und die Sicherheit, schickten Gesandte an Thakulfus, dem sie vor allem Glauben schenkten, da er die Gesetze und Gewohnheiten des slavischen Volkes kannte (»scienti leges et consuetudines Sclavicae gentis«). Die Auffassung, daß die Slaven keine geschriebenen Gesetze hatten, wird aber schon durch die »Lex Salica« widerlegt. Das alte, in einem äußerst verdorbenen Latein kodifizierte Strafgesetzbuch der salischen Franken, »Lex Salica« genannt, stammt einer Erzählung nach, die selbst schon aus der Zeit von 486—496 n. Chr. datiert, noch aus der heidnischen Zeit der Franken. Überdies weiß man, daß die Könige Childebert und Clotar (i. J. 511 und 558) noch etliche Änderungen und Zusätze (Kapitularien) anfügten. Die lateinische Sprache mag damals vielleicht auch die innere Gerichtssprache gewesen sein, aber der Richter mußte trotzdem, wie heute, im Parteien- verkehre die Volkssprache sprechen. Zu diesem Behufe enthält das Gesetzbuch die sogenannten Malbergschen Glossen, d. i. d i e v o 1 k s-gebräuchlichen Sonderbegriffe für die verschiedenen Straffälle. Die Gelehrten streiten nun noch heute darüber, welcher Sprache diese Glossen angehören, und schreiben sie teils der keltischen, teils der deutsch-fränkischen Sprache zu; tatsächlich sind sie aberslavisch. Als typisches Beispiel sei hier »krevbeba« erwähnt, ein Ausdruck, den bisher niemand enträtselte, obschön man weiß, daß er »Mordverheimlichung« bedeutet. Im Capitulare II, Pkt 5 heißt es: »De crevbeba. — Wer einen freien Mann, sei es im Walde, sei es an einem sonstigen Orte tötet und ihn, um dies zu verheimlichen, verbrennt, zahlt 600 Soldi; wer eine Frauensperson gleichen Ranges tötet und die Leiche verbrennt, zahlt 1800 Soldi als Sühne.« — Nun ist aber »crevbeba« weder deutsch noch keltisch oder altfränkisch nach den heute gangbaren Ansichten der Sprachforscher, und wäre die reelle Etymologie nicht unschwer herauszufinden gewesen, wenn man nicht fortgesetzt und geradezu bewußt dem Slavischen auswei-chen, sowie nebstbei auch logisch denken würde, denn auch die geschichtliche Ethnographie darf dabei nicht als Beweis ausgeschaltet werden. —- Der Begriff »krev« (= Blut) ist jedem. Slaven bekannt; »bebiti« kennt wohl nur mehr der Slovene in der Originalbedeutung: übertölpeln, jemandem ein Blendwerk vormachen (cech. »blbec« — Tölpel); der Ausdruck »crevbeba« sagt daher im Slavischen genau dasselbe meinem treffenden Schlagworte, was das uralte Gesetz ansonst beschreibend darlegt. Wendete man aber damals roinslavische Rechtsbegriffe an, so müssen in jenem Gebiete auch Slaven gewohnt haben, und dieses ist auch foponomisch wie urkundlich nachweisbar. Im Saale-Gebiete war doch die »Windische Mark« (als Grenzland) und der »Hassengau«, d. i. »chasa« — Gau, Bezirk, (der eine Abteilung Soldaten darstellt), ist am Balkar noch immer im Gebrauche, und deutet eine Stelle in der Königinhofer Handschrift auf die gleiche Organisation in Böhmen. An der Saale sind auch alte Namen von Orten zu finden, die absolut keinen Zweifel zulassen, daß sie nur slawisch sein können, wie: Borove, Borlitzgen, Zcörnitz, Delic, Horken, Ilava, Krikovo, Lezkove, Lobic, Lunovo, Mezoburium (Mezibor, Merseburg), Trebitz, Wese (ves) u. v. a. — In ethnographischer Hinsicht weiß man doch auch, daß hier tatsächlich Slaven, meist »Sorben« genannt, saßen, weil dies älte Chronisten erzählen und die verschiedenen Urkunden oft von »regi'o-ne Slavorum« daselbst sprechen. — Etwa um die Mitte des VI, Jahr-hundertes n. Chr. saß nach Paulus Diacönus (»De gestis Longobar-dorum«) die große Masse der Slaven noch jenseits der Elbe; um das Jahr 561 rechnete man das ganze, später sorbische Land, zu Thüringen. Man hat allerdings auch hier eine kleine Völkerwanderung konstruiert und gesagt: die Deutschen haben die Odergegenden verlassen (?) und da seien die Slaven nachgedrungen; wir finden daher letztere schon zu Ende des VI. Jahrhundertes an der Elbe seßhaft. Zu gleicher Zeit seien die Sorben bis an die Saale vorgedrungen, denn letztere wird schon vcn Einhard (Vita Caroli Magni) als Grenze zwischen den Thüringern und Sorben erwähnt. Die slavischen Glossen in der Lex Salica machen aber alle diese Wanderungs-Kombinationen zunichte, denn sie sagen automatisch, daß es schon mindestens um das Jahr 400 n. Chr. slavische Bewohner in Unterfranken gab, die nicht nur kodifizierte Strafgesetze kannten, sondern auch eine ganz bedeutende Kultur gehabt haben mußten, da sie mindestens zweierlei Münzen besaßen (»soldi« und »dinari«). Ob dies eine Unkultur bedeutet, wenn man fast alle Verbrechen mit Geld sühnen kann, wie man allenthalben behauptet, muß wohl stark an-gezweifelt werden, denn dieses gilt doch auch noch heute bei Personen höheren Ranges zum großen Teile, und wir wollen doch nicht in einer Zeit der Unkultur leben! Wir sind also durch die slavischen Glossen der Lex Salica um einen unabweislichen Beleg für das Altslaventum bereichert, denn wir sehen daraus, wie das Märchen von der Völkerwanderung immer mehr verblaßt, sowie daß alle Belege gegen die Einwanderung der Slaven doch nicht vernichtet oder unkenntlich gemacht werden konnten. .In der »Lex Salica« sind aber noch mindestens weitere hundert ähnliche rechtstetminologische Begriffe enthalten; überdies werden darin Ausdrücke angeführt, die namentlich dem Čechen und Slovenen geläufig sind und überall auch dieselbe Bedeutung haben, wie z. B. dructe« (=druh, drug, Genosse), »hallus« (“haluz, Gestrüpp), »kletis« (= klet, Keller), »schodo« (= škoda, Schaden), »sonnis« (= zona, Angst), »voronio« (= vran, vranec, Rapp, schwarzes Pferd). Um diese interessante altslavische Rechtsquelle, wenn sie auch nur Glossen ohne den erläuternden Text in slavischer Sprache bringt, einer weiteren Beachtung zuzuführen, wurde die Tafel VIII. beigeseben, auf welcher die erste Seite des in der Stiftsbibliothek zu St. Gallen (Schweiz) befindlichen Exemplares der »Lex Salica« darge-siellt erscheint. Die Handschrift stammt aus dem Jahre 794 von einem ■Wandalgarius« sich nennenden Manne, und dürfte, der longobardi-schen Buchstabenform nach, aus dem Küstenlande oder aus Oberitalien herrühren, und ist bereits eine Abschrift. Von diesem Gesetzbuche sind sechs Handschriftenausgaben vorhanden, deren Texte aber nicht einheitlich sind, da in manchen Kopien minder wichtige Paragraphe ausgelassen sowie auch die Glossen nicht einheitlich dargestellt sind. Der Text unseres Faksimiles lautet: »In nomine Domini nostri Jesu Christi incipiunt titulus legis salice: I. De mannire. Si quis ad mallum legibus dominicis manniius fuerit, et non venu-erit, se cum sunnis ne detenuerit, sol. XV. culpabilis judicetur. Illi vero, qui alio manit et ipso non venerit, se cum sunnis non detenuerit, sol. XV. et cui manuit, conponat. Ii. De iurtis porcorum. Si quis purcellum lactantem de cranne furaverit et ei fuerit ad-probatum, mal ch ranne chalti, rechalt i, sol. III. culpabilis judicetur. Si quis purcellum furaverit, qui sine matere vivere et ei fuerit adprobatum, mal himnestheca, sol I. culpabilis judicetur, excepto capitale et dilatura. Si quis bimum porcum furaverit mal in z i m i s s v i a n i, sol. XV. culpabilis judicetur excepto capitale et dilatura.« — Die hier im Drucke hervorgehobenen, im Originale jedoch graphisch nicht abweichenden Glossen befinden sich im II. Abschnitte, der »Von den Schweinediebstählen« handelt. Der erste Strafsatz lautet: »Wenn jemand ein saugendes Ferkel von der Ernährung weg gestohlen und es ihm bewiesen wurde, gemeinhin chranne chai-ti, rechalti genannt, soll zu XV Soldi verurteilt werden.« — »Chranne chalti« bedeutet anscheinend: von der Ernährung abschnei den, denn »hrana« bedeutet im Slavischen: Ernährung, Futter; »kalciti« muß einst schneiden, abschneiden, ausschneiden bedeutet haben, da sich der Begriff »kalc-mar« für Schweineschneider (Kastrierer) im Slovenischen bis heute erhalten hat. »Rechalti« ist dermalen auch nicht näher verständlich.1) Im zweiten Strafsatze ist für die Glosse »himnes theca« einstweilen auch keine seriöse Erklärung zu finden; es handelt sich hiebei um den Diebstahl eines schon abgespänten Ferkels. — Im dritten Strafsatze wird der Diebstahl eines zweijährigen Schweines erörtert. Die Glosse »in zimis sviani« spricht aber durchaus von keinem zweijährigen, sondern von einem »einen Winter alten Schweine«, stellt sich sonach in einen scheinbaren Widerspruch zur Strafbemessung. Doch entspricht dies vollkommen der landläufigen Altersberechnung, denn vor mehreren Dezennien konnte man in ‘) Im Texte der Handschrift von Sens-Fontainebleau-Paris sieht wieder statt »chranne chalti« ein »chrinne chulti«. Man weiß nun nicht, welcher Text richtig ist; es wäre daher notwendig, alle Handschriften einmal phototypisch zu vervielfältigen, da die Originale zu zerstreut sind. »Cula« heißt übrigens im Slovenischen: weibl. Schwein, »culek«: Eber. Untersteiermark noch immer hören, daß die Bauern bei den Schweinen mcht nach den Kalenderjahren das Alter taxierten, sondern nach den zurückgelegten Wintern. Jener Winter, in welchem das Schwein seiner nahrhaften Bestimmung zugeführt wird, zählte z. B. schon nicht mehr zur Altersbeschreibung. Ein junges Schwein, das dem normalen Frühjahrswurfe entstammt, ist im zweiten Winter darauf wohl ein zweijähriges, aber nur ein einwintriges, d. h. es ist nahezu zwei Jahre alt, hat aber erst einen vollen Winter hinter sich. So erklärt sich wohl die Zeitdifferenz des lateinischen Textes und der slavischen Glosse am natürlichsten. Daß diese Glesse zweifellos slavisch ist, ist leicht zu erweisen, denn wenn auch der Begriff »svin« für Schwein im Althochdeutschen (»swina«) wie im Slavischen noch gleichlautet, so ist hingegen »zima, zimni« (= Winter, wintrig) gewiß kein deutscher, daher darin auch der sprachentscheidende Beweis liegt. Ein weiterer wichtiger Beleg hiefür ist auch in der Grünberger ■Handschrift enthalten, denn dort ist nicht nur die Stelle »es besteht bei uns das Recht nach den heiligen Gesetzen (»u näs pravda po zäkonu svatu«) angeführt, sondern bei der Zeremonie der Eröffnung des Landtages auf dem Vysehrad, wo der Thrcnfolgestreit geschlichtet werden soll, hält eine Jungfrau das das Recht beschützende Schwert, die zweite die Gesetzestafeln, also zweifellos geschriebene Gesetze. Es ist demnach durch nichts begründet, weshalb gerade die Slaven keine geschriebenen Gesetze besessen haben konnten, da schon mehrere tausend Jahre zuvor die Israeliten auf dem Berge Sinai zwei geschriebene Gesetzestafeln erhielten, und nun auch das Gesetzbuch Chammurabis, eines Königs von Babylonien um 2200 v, Chr., auf einem 2'5 m hohen Dioritblock gefunden wurde; auch die sieben ehernen Gesetzestafeln der alten Umbrer (»die iguvischen Tafeln«) seien hier erwähnt. — Die Slaven besitzen aber geradezu eine unerwartet große Zahl alter geschriebener Rechtssatzungen und seien zum Beweise hier nur einige der ältesten angeführt: Der Vertrag des Fürsten Oleg mit den Griechen vom Jahre 912. — Ein ähnlicher Vertrag vom Jahre 945.— Das russische Recht (»Pravda Rcskaja«) aus dem XI. Jahrhunderte. — Das Novgoroder Recht mit den Njemci (1189—1199). — Das Recht von Smolensk mit Riga (1222). — Zakon slavonski (1273). — Zakon Vinodolski (1288). — Dekreta Brecislai I (1039). — Privilegium Theutonicorum Pragen-sium (um 1178). — Decretum comitiorum regni Boemic (um 1266). — Prawo pclskie w wieku trzynastym, — Statuta ducis Ottonis (1229— 1237) u. a. m. Beide diese Verträge hat der Slavist Jagic auch für Fälschungen zu erklären versucht. “ Die Slaven haben aber durchaus nicht allein Gesetze und geordnete Rechtsverhältnisse für den engeren eigenen Bedarf geschaffen, sondern die zwei berühmtesten Gesetzgeber Europas aus de Beginne des Mittelalters, Justini an und Basilius, waren Slaven oder doch slavischer Abkunft. Justinian I. hat sich durch seine Kodifikation des römischen. Rechtes (530—534) dauernde Verdienste für das allgemeine Rechts-leben erworben. Dessen slavische Abstammung versuchten die SD visten Dr, Brückner (Berlin) und Dr. Jagič (Wien) schon i. J. 18r in Abrede zu stellen, indem sie die »Vita Justiniani«, die Lebensbeschreibung des byzantinischen Kaisers Justinian I. (527—565) durch dessen Zeitgenossen und Lehrer, den Abt Theophilos (Bogumil) für eine neuzeitliche Fälschung erklärten. Der Hauptgrund für diese Erklärung, womit die sogenannte »wien-berlinerische Schule« so viele altslavische Literaturdenkmäler belegte, wurde in der Behauptung' jenes Biographen gefunden, wonach Justinian slavischer Abstammung war, ehedem »Upravda« hieß, aus »Vederijana« bei Prizren (Serbien) gebürtig war, sowie daß dessen Vater »Istok« und dessen Mutter »Viglenica« hießen, was den beiden Slavisten bereits für den Bannfluch genügte. Diese Echtheitsverdächtigung ergänzte i. J. 1901 noch Dr. F. Šišič, der in seiner Broschüre »Kako je vizantinski car Justinijan po-stao Slaven?« (Zagreb) zu folgendem apodiktischen Schlüsse gelangte- »Der Fälscher der »Vita Justiniani« war der am 7. Februar 1580 geborene und am 1. April 1637 als Bischof von Bosnien verstorbene Ivan Tomko Mrnavič. Er war ein gebildeter Mann und, ein fruchtbarer Literat, namentlich als Historiker, der zwar cb seiner Gelehrsamkeit großen Ruf und Ansehen genoß, doch entbehren seine wissenschaftlichen Arbeiten des historischen Kritizismus, und zeigen den Hang zum Fälschen, namentlich auf dem genealogischen Gebiete«. (S. 42). — Dann: »Mrnavič verfaßte selbst die »Vita Justiniani« i. J. 1619 in Rom, was aus verschiedenen Umständen unwiderlegbar (!) erwiesen ist«. (S. 29.) —- Weiter hebt Šišič wiederholt hervor, wonach Mrnavič überall Slaven sah, wozu er namentlich durch die Lektüre der Chronik des Popen Dukljanin angeeifert werden sei, der sogar die altgermanischen Goten als Slaven ansah. In Šibenik, wo sich Mrnavič mehrere Jahre aufhielt, kennte er darin bestärkt worden sein, daß die alten Illyrer auch Slaven waren, kurzum, er hatte Gelegenheit genug zur Erkenntnis zu gelangen, daß die Balkanslaven Autochthone seien; und dies glaubte er nicht nur selbst, sondern in jener Zeit glaubte auch die ganze wissenschaftliche Welt daran. (S. 25.) Aus dem allen geht nun unzweideutig hervor, daß Šišič das Gegenteil von alledem für wahr hält. Von seinen »Beweisen« für die Fälschung seien nur folgende angeführt: a) die »Vita Justimam« war im Originale mit illyrischen Buchstaben und illyrischen Alphabete, also kroatisch in glagolitischer Schrift verfaßt. Die Schrift soll deshalb als gefälscht gelten, weil zu Justinians Zeit die glagolitische Schrift noch gar nicht bekannt war, da Cyrill, ihr Erfinder, doch erst im IX. Jahrhunderte lebte. Den Fälscher habe die Annahme, daß jene Schrift vom hl. Hieronymus (346—420) stamme, irregeführt; b) der slavische Name »Upravda« sei nur eine Rückübersetzung des Namens »Justinian« ins Slavische, nicht umgekehrt. Dem muß folgendes entgegengestellt werden: ad a) Das ist durchaus kein Irrtum, denn die »cyrillische« wie »glagolitische« Schrift stammt nicht vom Apostel Cyrill, sondern ist viele Jahrhunderte älter, und ist die glagolitische Schrift schon auf phönizischen Münzen wie in der Handschrift des hl. Hieronymus (um 406) belegt. Diese »Beweise« sind daher nur Beweise dafür, daß Sisic über das Alter der altslavischen Alphabete vollkommen im Unklaren ist; ad b) wahr könnte die eine wie die andere Annahme sein, die meiste Wahrscheinlichkeit hat jedoch die dritte: »upravda« ist überhaupt kein Eigen- sondern ein Funktionsname in der Bedeutung Verweser, Verwalter, wie er als »upravnik, upravitelj« noch heute bei den Südslaven in gleichem Sinne gebraucht wird. Justinian, der erst im 45. Lebensjahre (geb. 482) zur Regierung gelangte, stand vorher sicherlich in irgendeinem Amte als Statthalter oder hoherRichter, je nachdem man dessen Tätigkeit sprachlich vo: »upraviti« (—verwalten) oder »upravditi« (= dem Rechte Geltung verschaffen) ableiten will. Theophilos hat also vollkommen recht, denn ehe er »car« wurde, war er »upravda«. Zum Schlüsse muß allen diesen unkritischen Behauptungen der genannten Professoren entgegengehalten werden, daß sie die bezügliche Vcrliteratur nicht studierten, denn schon M. Orbini, der i. J. 1601 sein Werk »II regno degli Slavi« (Pesaro) ausgab, schreibt, daß Justinian ein Slave (fu Slavo Jiustiniano primo«, p. 175), sowie daß ihm ein anderer Slave, u. z. ein Schwesterschn, in der Regierung folgte (»a Giustiniano succedete nell' Impero un altro Slavo, che fu Giustino nepote di Giustiniano, nato d'una sua sorella«, p. 177). — Somit war diese Tatsache schon mindestens 20 Jahre früher aus anderen Quellen bekannt, als das »gefälschte« Werk erschienen sein selb Daß aber auch Justinian selbst von einer vornehmen Familie stammen mußte, geht auch daraus hervor, daß schon dessen Tante mit dem Könige Zelimir von Dalmatien vermählt war. Basilius, genannt Macedo (regierte von 867—886 in Byzanz), war der Urheber des östlichen oder griechischen Rechtes. Der arabische Geschichtschreiber Hadim bezeichnet ihn ausdrücklich als Slaven; überdies war er ja auch in dem von Slaven fast ausschließlich bewohnten Mazedonien geboren. Er hat sich durch eigene Kraft von einem slavischen Bauernjungen bis zum Kaiser hinaufgeschwungen, und wurde zugleich der Begründer einer zweiten slavischen Dynastie des oströmischen Reiches, die vom Jahre 866—1034 ununterbrochen über den Orient regierte/') Für jeden Fall zeigt das wenige hier Angeführte bereits, daß die Altslaven an Gesetzgebern, Gesetzbüchern und Rechtssatzungen weit reicher waren, als man annimmt, woraus zugleich hervorgeht, daß sie auch in sehr geordneten Rechtsverhältnissen gelebt haben müssen, wenn sie schon so zahlreiche verbuchte Gesetze hatten. Dies setzt aber schon ihr demokratischer Zug voraus, denn gerade ungeschriebene Gesetze sind ein Hinweis auf die Rechtsunsicherheit, also auf eine autokratische Verfassung und die soziale Abstufung der Angehörigen desselben Volkes. — ::) Einen kleinen Beitrag für dessen Slavizität bietet auch die Überlieferung, wonach von ihm der altslavische Sportbegriff »podrezan« herrühre, der aus »podrezati« {= unten abschneiden) stammt. Basilius bediente sich nämlich beim Ringen eines ihm eigentümlichen Sportkniffes: er schnitt durch einen Schlag mit seinem muskelkräftigen Beine dem Gegner unten förmlich die Füße ab, und brachte ihn so zum natürlichen Falle. Die Raffelstettner Zollordnung. Ein wertvolles Dokument für die Sprachverhältnisse in Bayern im IX. Jahrhunderte bietet die sogenannte »Raffelstettner Zollordnung«, deren Verfassung in die Jahre 903—906 n. Chr, fällt, obwohl sie eigentlich handels- und zollpolitische Bestimmungen enthält, die schon für die Zeit vor dem Jahre 876 Geltung hatten, aber bis dahin vielleicht noch nicht schriftlich niedergelegt waren. Die Ostmark oder die sogenannte bayerische Grenzmark (ter-minus regni Bojariorum in Oriente) ist bekanntlich von Karl d. Gr. nach der Zertrümmerung des avarischen Reiches gegründet worden, in welch letzterem der vorwiegende Teil aus slavischen Untertanen bestand, die das Gebiet des alten Pannonien, Noriküm sowie, wenigstens zum Teile jenes des heutigen Bayern innehatten. Aber unter der Frankenherrschaft machte sich die Gegenströmung der deutschen Kolonisation bemerkbar, welche sich in Bayern im intensiven Aufdrängen der deutschen Sprache und der christlichen Religion äußerte, und welchem Drucke das Slaventum umso fühlbarer nachgeben mußte, als es auch weder im mährischen noch in dem eben sich bildenden böhmischen Reiche eine wirksame Stütze der Selbsterhaltung fand. Allerdings wurde auch der deutschen Vorwärtsbewegung durch den Überfall der Magyaren und deren verheerende Züge in der Folge eine starke Schranke entgegengesetzt, unter deren Wucht auch der slavisch-mährische Staat und für eine Zeit lang selbst die Ostmark aus der Geschichte verschwanden. Unsere Urkunde scheint nun am Vorabende eines der Unglück lichsten Ereignisse für Deutschland und die nordösterreichfischen Siaveniänder entstanden zu sein, denn an der Abfassung haben noch Personen teitgenommen, die bei dem Zusammenbruche des greß-mährischen Reiches (um 905) und der schweren Niederlage der Deutschen i. J. 907 durch die anstürmenden tatarischen Herden noch lebten. Sie kann daher einerseits nicht vor dem Jahre 903 verfaßt worden sein, da der darin erwähnte Bischof Burckardt von Passau diese Würde erst seit dem genannten Jahre bekleidete, hingegen führte Graf Aribo nur bis zum J. 906 den Titel eines Grafen der. Ostmark; überdies ist der beteiligte Erzbischof Tbietmar von Salzburg schon i. J, 907 gestorben. Der unmittelbare Anlaß zur Verfassung dieser »Zollordnung« war folgender. — Die Bevölkerung Bayerns, dann alle Interessenten, welche zur Ostmark (oriens, orientalis plaga, marchia orientalis, partes orientales) Beziehungen hatten, klagten allgemein über die ungerechten Zölle und Abgaben. Dies drang nun auch zum König Ludwig das Kind (900—911), welcher diese Beschwerden berechtigt fand und anoxdnete, daß der Markgraf Aribo unter Beiziehung der Ortsbehörden und erfahrener Leute das Zoll- und Abgabenwesen gerecht regele Dies geschah auf einem in das Städtchen Raffelstetten im Traungau einberufenen Landtage, wo in Anwesenheit der interessierten kirchlichen Würdenträger und der sonst angesehensten Männer die Stellen für die Zollabgabe und die Höhe des Zolles genau bestimmt wurden. Von der Zoliordnungs-Urkunde werden nun nachstehend nur jene Punkte angeführt, die für die Slaven ein besonderes geschichtliches oder kulturelles Interesse haben. Punkt 3. Wenn ein Freier die normierten Marktplätze umgeht ohne zu zahlen oder ohne eine Meldung zu machen, so wird er, wenn es entdeckt oder bewiesen wird, bestraft, u. zw(. wird ihm sein Schiff mit allen Waren eingezogen. Ist es aber ein Knecht, so wdrd er außerdem noch so lange in Haft gehalten, bis sein Herr sieh meldet und ihn auslöst Funkt 4, Die Bayern und Slaven, die zum Königreiche gehören, haben das Recht der freien Einfuhr in die Ostmark und dürfen dort überall alle Lebensmittel, auch Dienstboten, Pferde und Ochsen abgabenfrei erkaufen. Im Falle, daß sie aber die obgenannten Handelsplätze (d. i. Rossdorf und Linz) passieren, müssen sie in der Mitte des Wasserweges fahren, ohne etwas zu kaufen oder zu verkaufen; wenn sie aber den Marktplatz besuchen wollen, um am Handel teiizunehmen, dann sind sie verpflichtet den festgestellten Zoll zu zahlen, worauf sie dann kaufen dürfen, was ihnen beliebt. Punkt 6. Was die Slaven anbetrifft, die aus Rugi oder aus Böhmen des Handels wegen kommen, so haben sie das Recht, . überall an den Ufern der Donau, auch in der Rötel und in der Ried-march zu handeln, aber sie sind verpflichtet, Zoll zu zahlen. Wenn sie Wachs einführen, so haben sie von jeder Last zwei Maß Wachs im Preise von je einem Scoti und von der Traglast eines Menschen — eine Maß im selben Werte zu zahlen. Wenn sie aber Dienstboten und Pferde einführen, so Haben sie von einer Magd eine Trernisse zu entrichten, von einem Hengste ebensoviel, von einem Knechte eine Saiga und ebensoviel von einer Stute. — Die Bayern >uid die Siaven desselben Reiches haben das Recht abgabenfrei zu kaufen und zu verkaufen. P v n k t 8. 'Vv enn jemand nach Mähren in Handelsangelegenheiten geht, so hat er bei der Abreise dahin einen Solidus zu entrichten für ein Schiff; bei der Rückkehr hat er nichts zu zahlen. Punkt 9. Kaufleute von Beruf, d. i. die Juden und sonstigen Händler aus Bayern oder sonstigen Or ten, haben für die Dienstboten und sonstigen Dinge die entsprechende Abgabe zu zahlen, wie es in früheren Zeiten üblich war. — Aus alledem ist zweifellos zu ersehen, daß im IX. Jahrhunderte in Bayern die Siaven noch genau dieselben Rechte hatten wie die Deutschen, sie müssen sonach damals noch ein maßgebendes Kontigent der Landesbevölkerung gebildet haben. Besonders notwendig ist hier die Aufklärung der Begriffe »servus« und »mancipium«. Überall liest man diese als »Sklave« erklärt und folgert daraus sofort, daß in jener Zeit in Bayern, der Ostmark, Böhmen, Mähren usw. noch ein regelrechter Sklavenhandel betrieben wurde. Wie jedoch die Text-stellen selbst sowie deren Zusammenhang erweisen, handelt es sich abei hier nur um Bedienstete, denn es wird doch von der Magd und vom Knecht gesprochen, und das »mancipium« ist doch nichts weiter als der Lohnvertrag mit Dienstboten, die durch ein Angeld |>ara« bei den Slowenen, wie auch im Spätlateinischen »arrha« gekannt) zu einer Dienstleistung für eine bestimmte Zeit, zum mindesten auf ein Jahr, verpflichtet wurden. Daß man aber für die Dienstboten, die sich in ein anderes Land verdingten, eine Steuer an der Landesgrenze aussetzte, ist sehr naheliegend, denn man wollte bei der ein-stigen Leutenot nicht leichterdings Arbeitskräfte verlieren, was man auch daraus ersieht, daß hingegen die Bayern, wenn sie Dienstboten aus der Ostmark brachten, keine Steuer zahlten, um den Import von Arbeitskräften zu fördern. Bei diesem Anlasse kann auch der Zweifel, wo das Gebiet »Rugi« lag, erledigl werden. Die Geschichte erzählt allerlei Phantastereien über dieses Volk. Die Rugier wohnten angeblich zuerst auf Rügen, zogen dann gegen Süden, und fielen dabei unter das Hunnenjoch; sie lebten dann an der mittleren Donau und im Ncrikum; von dort vertrieben, verloren sie sich zum Schlüsse gänzlich unter den Herulern, Lon-gobarden und Byzantinern. Nun die Tatsache ist aber eine wesentlich andere. Es gab »Rugi« an den verschiedensten Punkten, wie es ja auch Kroaten, Serben, Wenden u. a. in den divergierendst gelegenen Gegenden gibt, ohne daß sie deshalb je demselben Volksstamme im modernen Sinne angehört hätten. Nachdem aber diese Zollordnung am linken Dcnauufer ausdrücklich von Böhmen, dem böhmischen Wald (Sumava) und Mähren spricht, dürfte das »Rugiland« am rech- ten Dcnauuier, also im einstigen Norikum, vermutlich westlich des Traungaues gelegen sein, ein Beweis, daß Slaven damals auch im Raume von Ober- und Niederösterreich wohnten, was ja auch durch andere Quellen bestätigt erscheint. Allen Ernstes hat man auch behauptet, daß hiemit die Handelsbeziehungen Rußlands mit Bayern, wie der Ostmark, unter Einbeziehung der Donau als Handelsweg erwiesen seien, namentlich weil man die Fürstin Olga von Rußland (f 969) als »regina Rugorum« bezeich-nete. Dies ist unbedingt abzuweisen, denn, wie schon erwähnt, wiederholen sich ethnographische Namen ganz unbeeinflußt von einander; überdies handelt es sich hier fast ausschließlich um den Salzhandel, und da haben die Russen, abgesehen von der geographischen Desorientierung über ihre Handelswege, weit nähere Bezugsquellen für diesen Artikel als etwa Oberösterreich, Salzburg oder Bayern. Aus alledem. geht hervor, daß die Raffelstettner Zollordnung wohl nur die Interessen des lokalen Handels in der Ostmark vertrat, hingegen besitzt sie textlich in kulturgeschichtlicher wie ethnographischer Hinsicht für die altslavische Siedlungsgesehichte einen hervorragenden Quellenwert. »Jus primae noctis« bei den Slaven. Ein Musterbeispiel eines bedenklich schweren wissenschaftlichen Irrtums gibt die Forschung und Nachprüfung, ob bei den Slaven je das »jus primae noctis«, d. i. das Recht des Landes-, Lehens- oder Grundherrn auf den eisten Beischlaf jeder neuvermählten Jungfrau bestanden habe, denn es zeigt sich hier drastisch, wie rasch und leicht ein logischer Denkfehler, oberflächliche Fcrschungspflege und ein infantiles Sprachwissen ein kulturhistorisches. Märchen aufbauen und einen Sprung ins Extreme machen kann, und welche Mühe hingegen die Wissenschaft aufwenden muß, um zu überzeugen, daß nur Vorurteile und falsche Deduktionen diese Märchenbildung ermöglichten. Die außerslavische Gelehrtenwelt befaßt sich mit der Aufklärung dieser Rechtsfrage seit Dezennien in intensivster Weise. Zahlreiche Werke, welche schon kleine Bibliotheken füllen könnten, wurden bereits über dieses T,hema geschrieben, denn die einen halten fest daran, daß es seit den ältesten Zeiten ein solches Recht gegeben, die anderen bestreiten dies wieder mehr oder weniger überzeugend.1) Wer jedoch darüber nüchtern denkt, hält es mit diesem Streitobjekte genau so wie die Weltgeschichte mit allen ihren nebelhaften Vorkommnissen: sie alle gleichen einer Statue auf drehbarem Sockel und jeder wendet sie nach Belieben bald dem Lichte zu, bald zur Schattenseite hin, je nachdem der Einzelne oder die momentane Zeit-strömung fallweise hiebei Licht oder Schatten vorzieht, wobei allenthalben und bis zu einer gewissen Grenze sogar jeder im Rechte verbleibt. Das Resultat aller dieser Untersuchungen, Meinungen und Gc-lehrten-Katzbalgereien ist aber in Extraktform folgendes: a) ein solches Recht hat im juristischen Sinne nicht bestanden; »jus primae noctis« war lediglich der rechtstechnische Begriff für die formelle Einwilligung des Grundherrn zu einer legalen Eheschließung, wofür normal eine Ehetaxe eingehoben wurde; b) das »jus primae noctis« war mitunter eine Art demonstra- *) Eine übersichtliche Arbeit dieser Art verfaßte z. B. Dr, Karl Schmidt »Jus primae noctis«. Freiburg i. B. 1881. Hiezu Anhang »Slavischc Geschichtsquellen zum J. pr. n.« — Posen 1886. tiven Rechtssymboles, denn dadurch, daß die Tochter, die anläßlich der Heirat in die Zugehörigkeit eines anderen Grundherrn gelangte, die Brautnacht in der Wohnung des Vaters verbrachte, wahrte sie sich auch das Erbrecht auf das väterliche Gut, da ihre Nachkommen hiemit, als in der Hofhörigkeit gezeugt, angesehen wurden; es war dies also ein mit der Brautnacht erworbenes Rech t; c) wo es in unmoralischem Sinne ausgeübt wurde, war es nur ein Recht des Stärkeren, daher kein Recht, sondern nur Willkür, Gewalt oder Übergriff im allgemeinen, die sich durch die Extreme der sozialen Stellung der Menschen von selbst ergeben und woran sich, so lange es Herrschende und Dienende geben wird, kaum je etwas wesentlich ändern kann. An ein »jus primae noctis« als Recht ist aber auch aus physischen wie moralischen Gründen nicht zu denken, denn die Grundherrn waren doch vielfach nur juristische Personen, dann Frauen (z. B. Äbtissinnen), Witwen, Kinder, Kreise, charaktervolle oder glücklich verheiratete Männer, welche von dem »Rechte« (im unmoralischen Sinne) naturgemäß keinen Gebrauch machen konnten und auch nicht wollten. Nebstbei konnte ein solches Recht schon biologisch nicht von Kontinuität sein, und war doch auch die Qualität der Braut, ihr Äußeres und ihr Alter hiebei maßgebend, was schließlich auch den größten Wüstling beeinflußt. Übrigens wird ein despotischer Grundherr wohl nicht erst auf die Brautnacht gewartet haben, falls er einmal für die Befriedigung seiner sexuellen Gelüste eine bestimmte Wahl unter den Schönen seines Untertanenbereiches getroffen, also Umstände, die alle auf das Entschiedenste gegen eine, selbst beschränkte A 11-gemeinheit eines solchen »Rechtes« sprechen. Hingegen gibt es doch auch heute allerlei gesetzliche Hindernisse zur vollgültigen Eheschließung, wie: Blutsverwandtschaft, eine untere Altersgrenze, Militärdienstpflicht, Aufnahme in die Matriken u. a., daher die Ehebewerber immer zuvor einige kirchliche und juristische Formalitäten in verschiedenen Ämtern erfüllen müssen, die ja auch an diverse Geldleistungen gebunden sind. Genau so waren aber auch ehedem mancherlei Gründe vorhanden, welche den Gutsherrn bemüßigten, sich über die Eheschließung seiner Hörigen oder Leibeigenen das Entscheidungsrecht vorzubehalten, da schon die Heirat einer Vasallentochter auf die Rechte des Lehensherren von fühlbarer Bedeutung sein konnte. So hätte bei völlig freier Wahl des Gatten ein Unwürdiger oder gar ein Todfeind des Lehensherm durch Heirat in den Besitz des Lehens gelangen können; es entsprach daher schon der i$Iicht der Lehenstreue, daß ein Vasall seine Tochter nur mit Zustimmung des Lehensherrn verheiratete; der Grundherr durfte sich also schon aus Selbsterhaltungsgründen nicht seines unbedingten Einflusses auf die Ehegründungen begeben. Überdies kam es doch häufig zu Eheschließungen zwischen Hörigen uncl Freien, wobei sich der erstere loskauien mußte; desgleichen heirateten oft Ungenossen, also Hörige verschiedener Herrschaften, welche nun die Genehmigung beider Grundherrn einholen mußten, denn der Hofbesitzer galt schon an sich als Vormund eines jeden Hörigen. Eine Heirat, selbst unter den Ärmsten, konnte daher nicht so stillschweigend vor sich gehen, denn es handelte sich dabei immer um die Regelung gewisser persönlicher sowie vermögensrechtlicher Angelegenheiten der Brautleute; desgleichen hatte der Grundherr schon aus wirtschaftlichen Gründen ein besonderes Interesse daran, daß namentlich nicht zu viele aus seiner Hörigkeit ausschieden, weil er dadurch immer junge Arbeitskräfte verlor, — Alle Heiratsabgaben erklären sich daher lediglich als Gegenleistungen für die grundherrliche Ehebewilligung. Daß diese oft ganz erlassen wurden oder genau präzisiert waren, ist gewiß ebenso wahr, wie daß habgierige Beamte dieselben willkürlich erhöhten, diese Lage zu Erpressungen ausnützten -oder gar allerlei menschlich unwürdige Bedingungen stellten. Die Heiratsabgaben hatten örtlich auch eigene typische Bezeichnungen, die uns aber heute in bezug auf die sprachliche Bedeutung zum Teile nicht mehr verständlich sind. Sie hießen z. B. »bede-mund« in Westphalen; »Brautgeld, Brautgulden« in Bayern; »Brautlauf« in Schwaben; »bumeda, burmede« bei den Wendinnen; »Freudengeld« bei Merseburg; »Hemdlaken« in Niedersachsen; »Klauentaler« in Mecklenburg; »Nagelgeld« in der Grafschaft Ravensburg; »Schürzentaler« in der Rheinpfalz, »Bunzengeld« Funzengroschen« im ehemaligen Fürstentum Querfurt u. a. Letztere Bezeichnung ist für die Slaven etymologisch besonders interessant, denn darin steckt das slavische Wort »punca« - = Mädchen, Jungfrau, wie es sich bei den Slowenen und Basken bis heute erhalten hat, und auch im Deutschen als Vulgärausdruck und Schmähwcrt in der Form »Funze, Pfunze« (= sprödes Mädchen) gebraucht wird. — Alles dies mußte vorausgeschickt werden, um nun auf dieser Basis darzulegen, wie sich die Verhältnisse mit dem »jus primae noctis« bei den Slaven gestaltet haben. Doch bieten sich auch da keine wesentlichen Unterschiede, denn auch hier hat die Gelehrtenwelt eine unglaubliche Verwirrung angerichtet, weil leider die slavische Philologie, welche es leichter hatte gewisse fälschlich kom mentierte Gebrauchbegriffe aufzuklären, Fehler machte, die nicht nur unbegreiflich, sondern geradezu traurigkomisch erscheinen. So erzählt die älteste russische Chronik, die den ersten urkunc liehen Beleg für eine Heiratssteper bei den Russen bietet, von der Fürstin Olga i. J. 964; »togdaz otriesc Olga k n j a z e j e, i ulozila brat ot zeniha po cornie k u n i e, tak knjaziu tak bojarinu ot jego pod-danago«. Man legte sich dies folgend aus: »damals schaffte Olga das Fürstliche ab und vercrdnete, von dem Bräutigam je einen schwarzen Marder zu nehmen, dem Knjaz sowohl als dem Bojar von seinem Untertane« und meinte, Olga habe als Frau naturgemäß auf das fürstliche Recht, daß die Braut die erste Nacht dem Fürsten gehöre, zugunsten der Adeligen verzichtet, die nun für die Erteilung der Ehebewilligung einen schwarzen Marder nehmen durften. Die Auslegung wäre ja nicht abzuweisen, denn es liegt doch nahe, daß eine Regentin die einem Weibe ganz widerstrebende Sitte abschafft; aber jener Satz hat den wesentlich anderen Inhalt: »damals schaffte Olga das Fürstliche (die Ehetaxe an den Landesfürsten) ab und verordnete vom Bräutigam eine gewöhnliche »kuna« (= Normalmünze) u. zw. sowohl dem Knjaz wie dem Bojar von seinem Untertane zu nehmen«. Die Konfusion rührt vor allem daher, weil niemand beachtete, daß man die älteste russische Münze oder Münzeinheit »kuna« nannte, sowie daß »cerni, cornij« nicht nur schwarz, sondern auch Steuer-, f r o h n- oder abgabepflichtig, wie auch g e-wohnlich bedeutet, bezw. einst bedeutete, denn jedes russische Wörterbuch führt diese Bewertungen als bekannt, wenn auch zugleich als veraltet an. — Die Abgabe selbst bezeichnete man offenkundig als »kunicnoje« (= Ehetaxe), weil dieselbe eine »kuna« (= Geldmünze) betrug, nur führte der Umstand eine Verwirrung herbei, weil »kuna«, richtiger »kouna« (oder »kona«), zugleich den Marder bezeichnen kann; überdies benennen alle Slaven die weibliche Scham auch so und führt der älteste bekannte Beleg, d. i. die »Lex Salica« aus dem V. Jahrhunderte (Handschrift von Sens-Fontainbleau-Paris), auch schon »kuna« (wie »kunda«) an. Diese Geldsteuer war sonach nichts weiter, als das amtlich erworbene Recht auf die Eheschließung, und eben auf diese Abgabe, die bis nun dem Landesfürsten zu zahlen war, verzichtete Olga zugunsten der Grundherrn. Ob aber »kunicnoje, kuna, kunica« an diese oder jene der drei Bedeutungsmöglichkeiten gelehnt ist, bleibe hier unerörtert, doch ist es Tatsache, daß auch andere Slaven unter »ku-nigovanje« — Hochzeit, die Litauer im besonderen aber den Mädchenabend, Polterabend verstehen; überdies darf bei einer Ehebewilligungssteuer auch eine geschlechtliche Anspielung in etymologischer Richtung durchaus nicht auffallen oder prüde aufgenommen werden. Ob aber der Deutungsfehler »cornaja kuna« zu schwarzer Marder aus Unwissenheit oder böser Absicht geschah, wer soll heute darüber zu Gerichte sitzen! Daß »knjaznoje« wirklich eine Steuer kennzeichnete, ersieht man auch aus Analogieformen, wie »kunicnoje«. —- Auch in Russisch-Polen gab es Ehebewilligungssteuern, wie »dzevycze« (virginale, Jüngfersteuer), »wdovyne« (viduale, Witwensteuer — bei einer Wiederverheiratung) und »pasterne« (Stieftochtersteuer)1), doch wurden diese Taxen bereits im Jahre 1262 für ganz Polen aufgehoben. Doch auch anderen rechttsfachlichen Begriffen in dieser Richtung wurde eine ähnliche Tendenz beigelegt. — Sc kennen und gebrauchen alle Slovenen den Ausdruck »jutrnja« für Ehevertrag. Auch dann wollte man eine Anspielung auf das »jus primae noctis« finden, meinend, es besage dies, daß die Braut erst am nächsten Morgen (»jutro«) dem Bräutigam gehöre; der sonderbare deutsche Begriff »Morgengabe« ist daher höchstwahrscheinlich nur eine falsche Interpretation von »jutrnja« (statt »Lebenssicherungsgabe«). Das Wort ist nämlich nicht aus »jutro« sondern aus »jutit« gebildet, das im Russischen noch immer: sicherstellen, Zufluchtsstätte geben, sich einnisten bedeutet. Da aber der notarielle Ehevertrag tatsächlich die Sicherstellung der Zunkunft der Braut und deren vermögensrechtliche Verhältnisse regelt, kann daher weiter über die Etymologie dieses originellen Rechtsbegriffes, dessen gemeinsprachliche Existenz sich doch auch im lateinischen »jus« widerspiegelt, kein Zweifel mehr obwalten. Einen ähnlichen Sinn legte man auch den in altfranzösischen Urkunden wiederholt erwähnten Rechtsbegriffen »droit de fougage« (Toulouse) und »merdolade« (Tülle) bei. Aber auch hier kann von besonderen Rechten auf die Brautnacht keine Rede sein, nachdem man ja weiß, daß das erstere in einer Steuer aller Verheirateten (während des ehelichen Geschlechtsverkehres), das zweite in einer Abgabe nur im ersten Ehejahre bestand. — In diesen Begriffen erkennt man aber noch immer die slavischen Anthropophyteia »fukati« (slovenisch) und »mrdati« (čechisch), nur bleibt die Frage offen, wie sich diese heute nur obszön gebrauchten Ausdrücke in Südwestfrankreich einbürgern konnten, ein weites Feld der Erwägungen über die einstige Verbreitung der slavischen Sprache. Doch ist auch dies kein vereinzelter Fall. — Salomo ben Isak, Rabbiner in Troyes (a. d. Seine), geb 1040, gest. 1105, führt in seinen religiösen Schriften eine Menge slavischer Wörter an, die er beim Unterrichte verwendete, \yie: »oplatki« (— Oblaten), »dlota« (= Meisel), »sni« (= Schnee), »guna« (= Filzdecke), »dohet« (= Teer), »krckim« (= ein ziemlich großer Käfer; wahrscheinlich Maikäfer, da es slavisch »hrošč« heißt), »pripojiti« (= anfügen) u. a. m. — Desgleichen weisen die Schriften des Zeitgenossen Isaks, des Rabbiners Josef ben Simon Kara in Troyes, slavische Glossen auf, ein Beweis, daß es sich hier durchaus um kein zufälliges Eindringen slavischer Begriffe handeln kann. 2) Den Begriff »pasterne« hielt man bisher allgemein für einen Schreibfehler in den Urkunden, da man keine sprachliche Erklärung für denselben finden konnte; der Slovene gebraucht ihn aber noch heute in der Bedeutung Stieftochter (auch Ziehtochter) in der Form: pasterka, pastorka, pastema. ir Schon diese wenigen Beispiele zeigen in betrübender Weise einerseits, wie oberflächlich bearbeitet und gedankenlos entstellt die altslavischen Rechtsbegriffe sind, andererseits bieten sie zugleich einen kleinen Einblick in die Qualität jener Beweise, welche konstruiert wurden, um das Märchen von der Unkultur und Minderwertigkeit der Altslaven glaubwürdiger zu machen. Im allgemeinen bedarf die Frage über das »Jus primae noctis« nur in jenen Gebieten einer Erörterung, wo die Slaven unter den autokratischen oder rechtswillkürlichen Verhältnissen der Deutschen standen; in den südlichen Ländern ist hievon überhaupt keine Rede, weil dort die demokratische Verfassung derart tief in das Volksbe-wustsein eingedrungen ist, daß nicht einmal die Idee von einem derartigen Rechte aufkcmmen konnte. Eine Rückschau zur altpreußischen Sprache. Alle Chronisten, die über das Volk und die Sprache der Altpreußen berichten, setzen die Existenz derselben schon weit in vorchristlicher Zeit an, »da jene Wenden das Land innegehabt, die sich der wendischen oder slavonischen Sprache bedient haben.« — Dieses Volk und diese Sprache genossen auch eine relative Ruhe bis zum Auftreten des deutschen Ritterordens, dem der polnische Fürst Konrad, Herzbg von Masovien, i. J. 1230 die Christianisierung der Preußen übertrug, da er sich selbst hiezu zu ohnmächtig fühlte. Zu Beginn des XIV. Jahrhundertes. war nun schon das ganze Land christianisiert, aber zugleich auch vom genannten Orden, der gleich anfangs gegen die slavische Sprache der Einwohner in barbarischester Weise zu wüten begonnen, erobert. Der Großmeister Siegfried von Feuchtwangen gab schon im Jahre 1307 Landesgesetze heraus, worin z. B. der Punkt 3 lautet: »Wer preussisch Gesinde hält, soll verpflichtet sein, dass er sein Gesinde dazu verhalte, dass ein jeglicher alle Sonntage seine Beichte soll dem Priester tun und sollen zu der Kirchen gehen, und sollen mit niemandem die preus-sischeSpracheredenbeiStrafedreiguterMark.«— Der Punkt 6 fügt überdies noch bei, da letzteres jedenfalls unhaltbare Verhältnisse schuf: »So ein Dienstbote seiner Herrschaft entliefe, so mag man demselben nachreisen und ihn mit einem Ohr annageln, wo er ihn überkommt.« — An Toleranz und Humanität ließ daher dieser deutsch-christliche Orden viel zu wünschen übrig. In Hinsicht der Verachtung der wendischen Sprache ging der Landgraf Friedrich mit der gebissenen Wange besonders radikal vor, der i. J. 1327 »bei Leibesstrafe verbot wendisch zu reden oder diese Sprache vor Gericht zu gebrauchen.«3) — Der Münchener Universi- *) Soweit die völkergeschichtlichen Kenntnisse reichen, sind bisher nur zwei Fälle bekanntf in welchen dem Unterjochten die Muttersprache mit Gewaltmitteln enteignet wurde. Es waren dies der Chalif Valid I und der wahnsinnige Hakem, die die griechische, koptische und nabatäische Sprache in Egypten, Syrien und Babylonien mit Waffengewalt ausrotteten, dann die Preußen, die, obschon selbst tätsprofessor Dr. J. Sepp weiß in seiner Schiift »Ansiedlung kriegs-gefangener Slaven oder Sklaven in Altbayern und ihre letzten Spuren« (München, 1897} zu erzählen, daß die Deutschen »mit Geringschätzung auf ihre Nachbarn blickten, so zwar, daß sie im Nordosten Deutschlands (Preußen) keinem der unterjochten Wenden oder Preußen erlaubten mit ihnen durch dieselbe Kirchentüre zu gehen, und wie man noch so vielfach sieht, die alten Stadttore zumauerten, und für sich neue anlegten, mochten die Überwundenen sich mit Seitentüren behelfen.« — (Quellenangabe fehlt.) Die Härte, mit der gegen die slavische Sprache vorgegangen wurde, brachte es nun mit sich, daß dieselbe auch ungewöhnlich rasch verfallen und absterben mußte. Hartknoch erzählt (»Altes und Neues Preussen.«-Frankfurt, 1684) als besondere Kuriosität, daß sich um das Jahr -1660 noch ein Mann gefunden, der behauptete, er könne noch in zwei Dialekten der altpreußischen Sprache sprechen. Wie dies möglich war, erweist die weitere sprachgeschichtliche Darlegung. Diese unbedachte Hast, mit der die christlichen Missionäre der altpreußischen Sprache den Garaus machen wollten, zeitigte nämlich zwei sehr bedenkliche Nachteile. Vor allem bildete sich dadurch eine derart korrumpierte Sprache, daß es bald schwer zu erkennen war, ob jemand n o c h preußisch oder aber schon deutsch spreche, denn daß das Volk gleich in den Geist der neuen Sprache eingedrungen wäre, war selbstredend nicht zu erwarten. — Der zweite Nachteil, der der Christianisierungsarbeit eigentlich direkt entgegenarbeitete und die Liebe zum deutschen Orden ins Gegenteil verwandelte, war aber, daß das Volk die Priester nicht verstand, daher die Segnungen der neuen Religion überhaupt nicht geistig aufnehmen konnte, Man sah nun ein, daß der eigentliche Zweck mit dem überstürzten Ausmärzen der Volkssprache unmöglich erreicht werden könne. Man griff nun zu einem Volksverdummungsmittel, wie dies ja auch heute analog in den Germanisierungsschulen in slavischen Ländern noch immer der Fall ist, und dies auch der Chronist Osiander folgend schildert: »Der Prediger trug auf der Kanzel etliche Zeilen deutsch vor; der Schulze oder sonst jemand, der beider Sprachen schon kundig gewesen, verdolmetschte (»vertolkte«) dies nun dem Volke in preussischer Sprache.« — Diesem Bedürfnisse ist es auch zuzuschreiben, daß sich in den preußischen Kirchen noch heute oft zwei Kanzeln vorfinden. Das Resultat dieser unvernünftigen Lehrmethode zeitigte nun germanisierte Slaven, mit Gewalt die wendische Sprache unterdrückten. Es sind dies politische Unklugheiten, die sich schließlich seihst berichten, und wohl nur als eine atavistische Erscheinung des noch nicht völlig geschwundenen Renegsten-empfindens angesehen werden dürfen. naturgemäß eine barbarisch verballhornte Sprache, was wir auch heute in den Volksschulen auf slavischem Gebiete, wo Zwangsgermanisierungen geübt werden, gleichfalls leicht feststeilen können: die slavische Sprache wurde verdorben, die deutsche nicht erlernt, die Liebe zur Heimat und zur M.utt-ersprac he abervergiftet. Bei den Preußen ging demnach, wie begreiflich, auch der religiös-erziehliche Zweck des deutschen Ordens nicht nach Wunsch vorwärts, da die Germanisierung dabei eben die Hauptsache war. So kam es auch, daß der Hochmeister Herzog Albert von Preußen im Jahre 1525 seine Würde niederlegte und selbst zur reformierten Kirche übertrat. Da er aber erkannte, es sei höchst unklug bei diesem sprachlichen Kauderwälsch dem evangelischen Glauben rasch einen günstigen Boden zu bereiten, ließ er einen Katechismus in der preußischen Volkssprache verfassen und im Jahre 1545 (in Königsberg) drucken, in welchem es in der Vorrede ausdrücklich heißt: »damit die Pfarrherrn und Seelsorger auf dem Lande denselbigen alle Sonntage von der Kanzel von Wort zu Wort ohne Tolcken (Dolmetsch) selbst ablesen und dem unteutschen preussischen Volke in derselbigen Sprache mit Fleiss fürsprechen sollten, dass also die Pfarrer selbst mögen beide, Junge und Alte, im Gebet und anderen Stük-ken den Katechismus zu gelegener Zeit, wie es die Kirchenodnung und der Befehl mitbringt, verhören und können also auch m Krankheiten hiemit den Leuten in diesem Stücke tröstlich sein.« — Der vorausgegangene taktische Germanisierungsfehler hatte aber noch einen weiteren Nachteil im Gefolge. Die gangbar gewordene Volkssprache war nun gebietsweise ungleich verdorben u. zw. in einer Gegend mehr, in der anderen weniger. Die verschiedene Wirkung dieser Sprachtyrannei zeitigte neue Dialektbildungen; der geschaffene slavische Katechismus wurde daher auch nicht überall verstanden. Herzog Albrecht sah sich nun gezwungen den Katechismus noch in einem anderen Dialekte auszugeben, damit der angestrebfe religiös-erziehliche Zweck erreicht werde., Um nun an einem konkreten Beispiele darzulegen, wde diese neue Volks- und Kirchensprache damals aussah, wird nachstehend je ein Satz aus dem Kapitel »Von der Taufe« der beiden Katechismusausgaben in der Original-Orthographie wiedergegeben. Erste Ausgabe. — »Nuson Rekis Christus bela prey svva-nians maldaisins: Jeithy en vvyssan svvetan, mukinaity vvyssans po-ganans, bha Cryxtity dins en emmen Thavvas, bha Sunos, bha svvinte Naseilis, kas drovve bha crixtixs wirst, stas wirst deivvuts, kas aber ne druvve, stas wirst proklautitz.« Zweite Ausgabe. — »Nauson rykies Isus Christus byla preysvvaiens maldaysins: Jeiti en vvissan svvytan, mukyneyti vvys-sens poganens, bhae Crixtidi diens en emmen Thawas, bhae sounons, bhae svvintas naseylis, das druvve bhae crixteits wirst, stets wirst deywuts: kas ni druvve, wirst preklantits.« — V erdeutschung: »Unser Herr (Jesus) Christus hat gesagt zu seinen Jüngern: Gehet in alle Welt, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes. Wer glaubt und getauft wird, der wird selig sein; wer (aber) nicht glaubt, der wird seip verflucht.« — Diese Beispiele geben aber zugleich ein überaus lehrreiches Paradigma für den natürlichen Übergang einer Sprache in die andere, oder für die Sprachsezessionen. Stellen sich einmal aus einem bestimmten Grunde belebende Einflüsse einer fremden Sprache in die eigene, so erwacht vorerst das Gefühl für die Äußerlichkeiten der neuen Sprache, und namentlich für die Auslaute; dann beginnt die rohe Anpassung an die Konjugation wie Deklination; die Partikel " bleiben meist unbeachtet und bilden gewöhnlich ein im Zusammenhänge der Rede sich ad hoc ergebendes Füllsel; die wesentlichsten Unterschiede in den verwandten Sprachen bilden daher die wertlosesten Begriffe: die Partikel. Die Stammsilben der fünf wandlungsfähigen Redeteile bleiben aber nahezu grundsätzlich intakt oder werden gerade deshalb nur wenig korrumpiert, weil sie ohnehin jedem Sprachgute eigentümlich sin.d. Für den Artikel selbst haben aber die slavischen Sprachen ohnehin kein Bedürfnis, daher auch im allgemeinen keine Aufnahmsfähigkeit. Hiefür mögen folgende Beispiele aus jenem Katechismus Zeugnis geben, die doch jeder Slave noch sofort als seinen Ursprach-schatz erkennt, möge er mündlich oder schriftlich noch so entstellt sein: semmie (=zemlja, Erde), switan (—svet, heilig), swentits (—sve-een, geheiligt), swita (='svet, Welt), switan (—svitanje, Morgendämmerung), mesta (= mesto, Stadt), ludio (=ljudi, Leute), sneko (=sneg,. Schnee), wabelko (=jabelko, Apfel), tways (—tvoj, dein), days (=da-jes du gibst), wedeys (=vedes, du führst), preklantits, proklautitz . (=preklet, prcklet, verflucht), en moyen kräuwiey (=v moji krvi, in meinem Blute), deinina (--dene, täglich), kellevesse periothe (=kolo-v.oz pridjot, der Wagenlenker kommt), begaythe pekelle (=begajte v pekel, rennet in die Hölle) usw. Diese Wandlung und philologische Beobachtung beim künstlich geschaffenen Übergänge einer Sprache in eine andere kann aber zugleich als Anhaltspunkt dazu dienen, daß die Verhältnisse bei der langsamen Diffusion im großen auch die gleichen sind, ein sprechendes Beispiel dafür, wie die menschliche Grund- oder Ursprache mit der Zeit auch ohne Gewalt zu den vielen Sprachen oder richtiger Sprach- abarten führen konnte; der Stamm blieb in den meisten Fällen intakt, aber die grammatischen Formen gaben dem Gesamtbilde hunderte von Varianten und entstellten, wenn auch nur äußerlich, die Urformen.2) Es wäre daher nach allem weit klüger, wenn dies nicht an sich schon eine törichte Utopie wäre, die Ursprache für den Weltverkehr rückzukonstruieren, als umgekehrt hoch eine weitere neue Sprache ä la Esperanto, Ito u. drgl. zu kombinieren, die ohnehin schon in sich den Todeskeim tragen, weil sie schließlich doch wieder durch Verbesserungen wie genetische Unnatürlichkeit verfallen müssen, denn die Sprache ist, — und darin liegt hiebei der prinzipielle Irrtum —, doch kein künstlicher Kadaver, sondern ein mit der Menschheit pulsierender, lebender Organismus. — Die Schicksale der altpreußischen Sprache zeigen aber auch nur an, daß man eine Sprache durch politische oder rohe Gewalt wohl äußerlich zerrütten, aber von der Wurzel aus trotzdem nicht vernichten kann, d a d e r natürliche Grundbau ewig derselbe bleibt. -} Wir beachten meist auch die Gleichklänge der Wurzel- und Stammbegriffe viel zu wenig; geht man aber der Sache nach, so ergeben sich überraschende Resultate. So machte z. B. schon Balbinus (geb. 1621) aufmerksam, daß der lateinische Satz: »Ego habeo nimm hortum, in illo sunt sex turres et muri cum fene-stris in palatio slat una persona cuin longo naso, et est ccntecta cum rosis«. im Deutschen nahezu gleichlautet: »Ich habe einen Garten, in ihm sind sechs .Türme und Mauern miL Fenstern; im Palaste steht eine Person mit langer Nase, und ist bedeckt mit Rosen«. — Dasselbe Resultat gibt z. B. ein Vergleich der Stellen aus dem Nibelungenliede mit dem Slovenischen. »Groze arebeit« heißt hier: grozna rabcta; »daz sibende jar=sedmo jaro; »alte maeren«* (stari) marni, »he-leden« “ celedin« u. s. w. — Alexander der Große. Alexander d. Gr. gilt als der berühmteste und genialste Eroberer des Altertums, doch soll nachstehend nicht .dessen kriegerische Tätigkeit geschildert, sondern lediglich dessen Nationalität an der Hand der bishér bekannten Quellen und Behelfe hiefür festgelegt werden. Alexander kann nur ein Slave oder doch ein slavischer Herrscher gewesen sein. Die Geschichtschreiber nennen ihn allgemein: Alexander M a c e d o, und die Mazedonier sind doch bis zum heutigen Tage Slaven, und nennen sich heute so, wie vor 2300 und mehr Jahren. Der sprachlich generalisierende Begriff »Sclavini« oder »Sclaveni« taucht erst bei Jordanes beim Jahre 376 n. Chr. das erstemal in der Geschichtschreibung auf; bis dahin gebraucht kein Schriftsteller diesen Kollektivnamen, da eine Unmenge von Detaiinamen die großzügige Auffassung trübt, denn in diesem Gebiete herrschen im Altertume ethnographische Begriffe wie: Veneti, T h r a k i, M a c e d o n i, C e 11 i u. a. vor. Schon Titus Livius erzählt die alte Sage, Aeneas sei nach Trojas Falle mit seinen treugebliebenen Kampfgenossen, die den Namen »Veneti« führten, nach Macédonien gezogen und habe sich dort neue Wohnsitze gegründet. Aber der weit ältere Herodot erzählt bereits, jener Aeneas habe die überlebenden Bewohner Trojas bis zum Adriatischen Meere geführt, wo sie sich unter dem Namen »Enetoi« ansiedelten, können daher Mazedonien gar nicht berührt haben. Da aber die »Veneti« in der historischen Zeit ausschließlich als Slaven bewertet wurden, ist der Ursprung jener Sagen augenscheinlich ein solcher, wie er sich bei allen Völkern wiederholt: man sah überall die »Veneti«, wo die gleiche Sprache gesprochen wurde. Analoges gilt für die »Traci«. Pomponius Mela (40 n. Chr.), der Herodot (f 425 v. Chr.) fast wörtlich folgt, schreibt: die Thraker seien eine einzige, jedoch in verschieden benannte Stämme zerfallende Nation, und hebt unter ihnen namentlich die Mazedonier hervor, die von ihren eigenen Königen regiert werden. Philipp (t 350 v. Chr.) war es erst, der die übrigen Thraker-Stämme sich unterwarrf. Wenn man aber Alexander d. Gr. allgemein als geborenen Griechen bezeichnet, so ist dies grundfalsch, und liegen hiefür die verschiedensten Gegenbeweise vor. Der gewichtigste Fehler jener Annahme liegt in dem Umstande, daß wir uns dahin eingelebt haben, als wäre der Begriff »Grieche« und »Hellene« identisch, was vor allem berichtigt werden muß. Diese Berichtigung gründet sich auf folgendes: a) nannten sich die »Griechen« von der älteren Zeit her bis heute immer »Hellenen« und ihr Wohngebiet »Hellas«; desgleichen sprechen die altslavischen Chronisten immer von »Jelini« und nicht von »Grki«, wenn sie eben die »Hellenen« bezeichnen wollen; b) herrschten die mazedonischen Könige vorerst gar nicht über Hellas, denn die Geschichte erzählt, daß es Philipp d. Gr. war, der zuerst gegen die Athener und die mit diesen verbündeten Städte zog, und sich in diesem siegreichen Feldzuge erst zum Herrn von Hellas, dfem vermeintlichen Griechenland, machte. Er selbst war daher sicherlich kein Hellene, Allerdings bestellte er Aristoteles, einen Mazedonier aus Stagira, der hellenische Bildung hatte, aber auch Nevtanov, anscheinend einen Bulgaren, als Lehrer für seinen Sohn Alexander; Aristoteles selbst war es, der Alexander erst dem Sinn für hellenische Bildung einflößfe.)) Als Beweis, daß Alexander seiner slavischen Nation treu blieb, und auch kein »griechischer« Renegat wurde, muß nicht nur dessen Haß und Feldzug gegen die Hellenen angesehen werden, die er als wortbrüchig und unverläßlich hielt, sondern dieses geht auch aus dem Prozesse gegen Phiiotas hervor, dem er vorwarf, er möge sich als Mazedonier schämen, mit seinen eigenen Landsleuten durch einen Dolmetsch zu sprechen (vrgl. Curt. Rufus p. 277), demnach er sich selbst mit seinen Leuten persönlich zu verständigen pflegte. Weiters wissen wir auch, auf welche Art Alexander zum »Griechen« wurde, denn dieses erzählt uns die i. J. 1916 neu »entdeckte« altslavische Chronik des Schottenstiftes in Wien in überzeugender Weise. Nachdem sie darlegt, daß Alexander ein natürlicher Sohn seines Lehrers Nevtanov mit Alimpiada fOlympias), der Gemahlin Philipps von Mazedonien war, bietet die Chronik (im Kapitel 64) auch die J) Die Meinung) Alexander d- Gr. habe vom hellenischen Lyriker Pindar Musikunterricht genossen, daher er auch dessen Geburtshaus in Theben schonte, ist unhaltbar, weil allzu anachronistisch, da Pindar um das Jahr 322 geboren wurde, Alexander aber schon 323 starb, und können selbst kleine Zählfehler der Jahre jene Annahme biologisch nicht ausgleichen. bekannte Geschichte von dem durch Alexander gebändigten Pferde, das aber gar nicht »bukephalos« (= Ochsenkopf) sondern »ducipal« hieß. »Bukephalos« ist mutmaßlich nur eine lautliche Anpassung an das slavische Original »ducipal«, daher auch der Übersetzer ins Hellenische nur eine slavische Vorlage benützt haben kann,-) Jene Episode der an den Tag gelegten Kühnheit wie überra« sehenden Erkenntnis der Situation seitens seines Sohnes veranlaßte aber Philipp unvermittelt ihm das Prädikat »grk« beizulegen. Jene Stelle lautet: »Vidjev ze takova car Filipp, otec jego, i prozva jego Aleksandr g r e k o j e, ze skazujetsja h r a b r, d. h.: »Als Car Philipp, dessen Vater, solches gesehen, erklärte er Alexander als Helden, da er sich so t a p f e r zeigte«. — Die altslavische Sprachwurzel »grk« kennzeichnet aber eben einen kernigen, tapferen Mann, also: Helden, tapferen Krieger.'1) Der Chronist fügt weiter bei, daß sich Alexander tatsächlich von dieser Zeit an als »grk« bezeich-nete. Diese Titelverleihung ist demnach lediglich als eine Art R i t-terschlag oder Auszeichnun.gs prädikat anzusehen, womit allem Fabulieren über das »Griechentum« der alten mazedonischen Könige ein Ende gemacht wird, denn «grk« ist ein ausgesprochen slavischer Begriff ohne ethnographischen Charakter, der lediglich etwas Festes, Gediegenes, Einzigartes bezeichnet, wie z. B. die »griechische« Religion auch eine slavische ist, und als »greka cerkev« gleichfalls nicht besagt, daß sie von den »Griechen stammt, sondern daß sie die richtige,' starke, alleinseligmachende sei. Eine weitere Stütze für Alexander d. Gr. als Slaven bietet auch der sogenannte »Majestätsbrief an die Slaven«, von dem sich heute allerdings nur mehr eine alte Kopie in lateinischer Sprache im Landesmuseum in Prag befindet. Das Original selbst soll in der merkwürdigsten aller Bibliotheken, in jener der 2000 Handschriften in Konstan-tinopel verwahrt sein, die Eigentum des jeweiligen Sultans ist. Ob das Original tatsächlich je dort war, sich noch heute dort befindet oder schon »verschwunden« ist, ließ sich trotz Nachforschungen auf diplomatischem Wege bisnun nicht endgültig feststellen. Vermutlich war aber das Original slavisch. Die lateinische Kopie lautet: 2) Spätere slavische Chroniken, die schon unter dem Einflüsse dar »buke-phalos«-Auslegung standen, übersetzen bereits diesen Begriff in »konj voluja glava«, also: Pferd Ochsenkopf. — Aber selbst in den deutschen Bearbeitungen des Briefes des historisch rätselhaften Presbyterkönigs Johannes an den byzantinischen Kaiser Manuil heißt jenes Pferd noch nicht »bukephalos«, sondern »Bunceval«. 2) Vrgl. auch das cech. »rek«, das deutsche »Recke« und das lat. »rex«. — Ein südslavisches Volkslied bestätigt diese Etymologie weiterf denn der Text: »Jao Verbasu grk Stevo na glasu« sagt: »Wehe dem Verbas, denn der Held Stevo (Stephan) ist schon zu hören«. »Nos Alexander, Philippi régis Macedonum haeres ... a solis crtu ad occasum a septentrione ad meridiem Dominus, illustri pro-sapiae ac linguaa Slavorum Massagetisque salutem. Qui nobis semper in iide veraces, in armis strenuissimi nostri milites et coadjutores robu-stissimi fuistis, damus vobis hanc totam plagam terrae quae exten-ditur ab Aquilone usque ad partem Italiae Meridionalis ut nulius au-sus sit isthic manere aut se locare nisi vestrates et quiqunque alienus inventus fuerit, illic manens sit servus vester et eins posteri servi ve-strorum pqsterorum. Datum ex Magna Alexandria . . . anno regnorum nöstrorum II.4) — Dieser »Majestätsbrief« wurde von den Gelehrten sofort als eine Fälschung oder plumpe Unterschiebung erklärt; als Argumentation hiefür diente lediglich der Umstand, daß man sich mit Rücksicht auf die ungeklärte Vergangenheit der Altslaven über ein solches Dokument in anderer Weise keine Rechenschaft legen konnte. Wie nun jemand aus eigenen Stücken zu der Verfassung eines geschichtlich so rätselhaften Briefes kommen oder auf die Materialisierung solcher Traditionen verfallen konnte, ist kurzweg rätselhaft, sofern die reale Basis fehlt. Man glaubt allerdings, daß hiezu bestimmte Stellen in den Schriften Strabos (VII, 3), Arrians (VII, 8), des Curtius Rufus (I, 4) und Kallisthenes (I, 23), die den Heereszug Alexanders gegen die Geten und Scythen schildern, den Anlaß gegeben haben, eine solche Tendenz herauszulesen. Es folgt hier auszugsweise dasjenige, was Professor Niederle in seinem Werke »Slovanske starczitnosti« (»Slavische Altertümer«, L, I. Heft, S. 335) alles über diesen Majestätsbrief weiß, und mit welcher Unüberlegtheit slavische Professoren über jedes Objekt urteilen, das die wahren Verhältnisse über die alten Slaven irgendwie lichten könnte. — Niederle will nämlich herausgefunden haben, Alexander sei auf seinem Zuge gegen die Geten im Jahre 335 gar nicht tiefer in deren Land gedrungen, daher die Berührung mit den Slaven nur ein auf falsche Quellen aufgebautes Märchen sejn könne. Die Tradition selbst sei eine suggerierte, die erst durch die nachträgliche Ausfer-tigung jenes fingierten Majestätsbriefes ihre Stütze erhielt. Wer der Fälscher war, weiß man zwar nicht bestimmt, aber man vermutet (!) ’J D. h.: »Wir Alexander, Erbe des Königs Philipp von Macédonien, Heri-scher vom Sonnenaufgänge bis zum Untergange, und vom Norden bis zum Süden: Gruß dem berühmten Geschlechte und Volke der Slaven wie Masssgeten! — Da Ihr uns stets in Treue ergeben, im Kampfe unsere tüchtigsten Soldaten und kräftigsten Helfer wäret, geben wir Euch alle Länder der Erde, die sich vom Norden bis zum südlichen Teile Italiens erstrecken, damit es, außer Euren Leuten, niemand wage sich dort niederzulassen oder zu verbleiben. Falls aber jemand dort ansässig vorgefunden würde, so soll er Euer Diener sein und dessen Nachkomme» sollen Diener Eurer Nachkommen werden! — Gegeben in Groß-Alexandria im II. Jahre unserer Regierung«. denselben in Lorenz von Bfeznov (1370—1436); das »Original« soll im Kloster Emaus in Prag, eine »Kopie« hievon im Benediktinerkloster in Krakau verwahrt worden sein. — Der Beginn dieser falschen Tradition lasse sich bei den Nordslaven bis in das XIII. Jahrhundert zurückverfolgen, als sich der slavische Gedanke gegen das Deutschtum entschieden zu wenden begonnen, und sein Anrecht auf Mitteleuropa zu reklamieren sich anschickte (?). Niederle weiß zwar nicht, ob diese Idee nicht eher von den Südslaven ausgegangen sei, da bei diesen noch ältere Belege einer ähnlichen Verherrlichung und Höherstellung der Vergangenheit der Slaven vorhanden seien usw., aber er schließt damit, der Majestätsbrief ist falsch, alles weitere ist ihm Nebensache. Alle diese Vermutungen berechtigen aber noch in gar keiner Weise zur Abgabe discs positiven Schlußurteiles, und etwas, was man subjektiv nicht zu erfassen vermag, braucht deshalb noch lange kein allgemein gültiges Falsum zu sein. Freilich haben auch wir kein notarielles Dokument in der Hand, daß jener Brief wirklich von Alexander d. Gr. ausgefertigt wurde, denn man würde wahrscheinlich auch dieses verdächtigen; und selbst wenn das Original in Konstantinopel tatsächlich erliegt, so wird man vielleicht wieder dieses anzweifeln, das wissen wir ja, aber schließlich dürfen wir auch nicht vergessen, daß die Wissenschaft die Pflicht hat, ein verdächtiges Pro-fesscrenurteil auch wieder zu überprüfen, Betrachten wir vor allem die Methode, wie Professor Niederle hiebei die Geten aus dem Verkehrsbereiche Alexanders d. Gr. eska-motiert: durch die Inszenierung einer kleinen Völkerwanderung. Alexanders Zug ging über die Donau, da die Geten im IV. Jahrhunderte linksufrig wohnten. Herodot hingegen, der um 424 v, Chr. starb, erzählt noch, daß sie damals zwischen der Donau und dem Balkangebirge wohnten. Sie mußten demnach kurz zuvor, damit die Sache stimmt, den Uferwechsel vorgenommen haben. Strabo (I, Jahrh. v. Chr.) erzählt aber wieder, daß die Geten in Thrazien wohnten. Dieser Völkerquadrille zufolge gab es gerade nur zu jener Zeit, als Alexander jenes slavische Gebiet durchzog, dort keine Slaven, um mit ihnen in Kontakt kommen zu können, wohl aber unmittelbar zuvor und unmittelbar nachher. Wer sagt uns überdies, daß jene Traditionen bei den Süd- wie Nordslaven über Alexander auch gerade damals ihren Anfang genommen haben, als sie das erstemal historisch nachgewiesen erscheinen? — Ist eine Stadt, die urkundlich im Jahre 1200 das erstemal erwähnt wird, deshalb etwa am Sylvestertage zuvor erbaut worden? Wie kommt es, daß bei den Slaven seit jeher für Alexander ein so lebhaftes traditionelles Interesse bestand, daß fast jede Sprach-gruppe ihre eigenen epischen Dichtungen (Alexandreiden) über ihn besitzt, wenn hiezu jede historische oder sprachliche Kontinuität fehlte? — Die äußerst konservativen slovenischen Bauern des Bacher-Gebirges (Steiermark) wußten um das Jahr 1840, wie der deutsche Professor Puff (Marburg a. D.) schreibt, noch auffallend viel über Alexander d. Gr zu erzählen. — Die alten Wenden holten sich, der ältesten Überlieferung nach, ihren eisten König, Anthyrus genannt, aus dem Heere Alexanders, da jener unter des letzteren bewährter Kriegskunst zum Rufe eines tüchtigen Feldherrn gelangt war. — In dem Prozesse Phiiotas wirft Alexander diesem die Vernachlässigung der mazedonischen Sprache und Sitte vor; er selbst haßte doch die »Griechen« ihrer Wertbrüchigkeit wegen, bekriegte und unterjochte sie. Ist es daher ncch verwunderlich, wenn er sich seinen slavischen Untertanen gegenüber, die an seiner Größe und seinem Ruhme so treu und erfolgreich mitschmiedeten, so lobend, so dankbar, so visionär aussprach! So beweise man endlich, welche Sprache sonae'h jene Völker am Balkan, wo auch alle alten topischen Namen der slavischen Sprache angehören, damals sprachen, wenn es einmal die slavische nicht sein darf! Ob nun irgendeine alte Quelle auch jenen Majestätsbrief erwähnt, ist einstweilen nicht bekannt, da die altslavischen Quellen noch viel zu wenig durchforscht sind, aber wir wissen heute bereits, daß keines der vielen altslavischen Kulturdenkmäler, die man alle als Fälschungen bemakeln wollte, gefälscht ist, daher es auch höchst bedauerlich ist, daß sich die ganze slavische Gelehrtenwelt in dieser Hinsicht leichtgläubig durch die nationale Mißgunst der Gegner auf das Eis verführen ließ. In Alexander d. Gr. haben die Sla-ven, die angeblich nie militärisch kräft*ig oder gar staatengründend auftraten, gerade den gewaltigsten Eroberer und Staatengründer aller Zieiten für sich, da wir nunauch wissen, auf welche Art e r »G rieche« geworden ist. — Untersteiermark, die Heimat der Gralsage. Die wohl allgemein befremdende Überschrift muß, ehe in die weitere Begrüßung eingegangen wird, geklärt werden. Darüber, daß die Gralsage keltischen Ursprungs ist, sind bisher alle wissenschaftlichen Anschauungen einig, nur wird deren weitere Ausbildung nach Nordspanien verlegt; daß sie aber heute in weit kürzerer Fassung, als der lose zusammenhängende Sagenzyklus vom hl. Gral, dann Parcival und Lohengrin, im Volksmunde wie in der Lokalität in Untersteiermark bekannt ist, darüber herrschte über die engste Heimat hinaus bis nun völlige Unkenntnis. Der keltische Ursprung des grundlegenden Sagenstoffes ist aber auch hier zutreffend, denn auch die Bewohner Steiermarks gehörten einst ethnographisch zu den Kelten, womit die allgemeine Provenienzfrage insoweit gelockert erscheint, daß die Sage ebensogut wie in Spanien, auch in der keltischen Steiermark ihren Anfang genommen haben kann. Wenn aber der untersteirische Sagensitz vollkommen unbeachtet blieb, so hatte dies einerseits darin seinen Grund, daß derselbe Stoff schon durch ältere Kommentatoren für andere weit entlegene Lokalitäten geradezu gesichert war, andererseits mußte gerade deshalb jeder Vertreter der steirischen Sagenheimat damit rechnen nicht ernst genommen oder gar verlacht zu werden, daher sich auch niemand fand, der die Gralsage in bezug auf den ganzen sprachlichen, geographischen wie lokalgeschichtlichen Aufbau gründlich untersucht und sodann die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht hätte, wonach hier eine eingreifende Berichtigung der Ursprungslokalität der Sage platzzugreifen hätte. Den unmittelbaren Anstoß zur wissenschaftlichen Überprüfung dieser Frage gab erst Hans v. Thal, der in dem Artikel »Monsal-vatsch« (s. »Reichspost« v. 12. Februar 1914) seine Entdeckung auf einem Ausfluge vom steirischen Bade Rohitsch-Sauerbrunn in das nördlich davon gelegene Dranntal veröffentlichte. Auf dem Wege fiel ihm ein hohes Kreuz mit einer sonst ungewöhnlichen Darstellung auf. Zur rechten Seite des geschnitzten Heilands schwebte ein Engel, der mit einem flachen Gefäße das Blut unter der Seitenwunde des Erlösers auffängt. Knapp beim Kreuze tritt eine kristallhelle, mit Zementstein sorgsam umfaßte Quelle zutage. Eine alte Frau aus dem Volke kam damals gerade dazu, bekreuzigte sich und benetzte sodann mit der nassen liand Stirne und Augen. Darauf entnahm sie dem Handkerbe ein Fläschchen, füllte es an der Quelle, verkorkte es sorgfältig und legte es wieder in den Korb, All das Gebaren zeigte dem unbeachteten Zuseher, daß es sich hier um etwas besonders Ehrfurchtsvolles handeln müsse. Als nun der Beobachter mit der Frage hervortrat, wozu sie diese paar Tropfen Quellwasser benötige, bemerkte sie, es sei dies ein »Gnadenqueil«, und sie benötige das Wasser für ihren siechen Mann. Sie fügte noch resigniert bei, daß ihr Mann zwar daran nicht glaube, und wenn einer nicht glaubt, da hilfts ihm auch nicht, doch wolle sie es noch damit versuchen. Dies steigerte die Neugier des Fragers, über den Wunderquell noch weiteres zu hören. Die Frau erzählte nun: »Es ist dies ein wundertätig Wasser, das aus dem See vom »Heiligen Berg« kommt. Auf dem See fährt, ohne Segel und Ruder, gezogen nur von einem großen Vogel, der an den Nachen mit einer goldenen Kette vorgespannt ist, der Sendbote Gottes. Er steht im Kahne und horcht, und kommt dann selbst, wenn sich einmal die Ungerechtigkeit in der Welt schon allzubreit macht und bereits die Unschuld bedroht. Ein Vogel sitzt ihm auf dem Kopfe und ein Horn hängt ihm zur Seite«. — Hierauf entfernte sich die Frau geschäftig mit kurzem Gruße und ging bergab in ihren Wohnort. Thal begab sich nun auch in das unterhalb gelegene Dorf Stu-denitz und suchte im Gasthause eine Stärkung. Dort traf er einen einzigen Gast an; es war dies der Seelsorger des dortigen Frauen-klcsters. Im Gespräche stellte es sich heraus, daß sich der Priester auch mit Forschungsarbeiten beschäftigt. Auf die Nachfrage hin, welche Bewandtnis es mit der von der Bäuerin gehörten Sage habe, führte ihn der Priester in sein Heim und zeigte ihm in der Bibliothek eine Menge von Manuskripten, Büchern, Rollen und Zeichnungen, die alle darauf Bezug hatten. Schon unterwegs erzählte er ihm folgendes; »Diese Sage ist für mich geradezu der Schlüssel gewesen, durch den ich in den mittelalterlichen Sagenschatz eingedrungen bin, in den herrlichsten, den wir Deutsche besitzen. Begreiflicherweise hat das Volk Wahrheit und Dichtung, Religion und Geschichte bunt durcheinander gewürfelt. Was Sie von der alten Frau gehört haben, ist nicht mehr und nicht weniger, als die Sage Lohengrins, welche die Literarhistoriker an den Ufern der Schelde spielen lassen; nur ist zu bemerken, daß dort dem Volke die Sage vollkommen fremd ist; hier kannte sie aber jedes Kind und dies gab mir zu denken«. -— Im Heim zeigte er ihm vor allem die farbige Skizze eines steilen, fast unzugänglichen Bergriesens, auf dem eine Burg -von mächtiger Ausdehnung gezeichnet war. Die Rückwand derselben lehnte sich an einen kahlen Felsen, von dem ein ungeheures Kruzifix über die Burg hinab blickte. Ein zur Seite des Heilands schwebender Engel fing mit einem strahlenfunkelnden Gefäße das Blut aus der Seitenwunde auf. Die Zeichnung hatte die Überschrift; »Gegend und Burg Monsaiwaesche nach den Andeutungen in Eschenbachs Parcival«, Als nun Thal im weiteren Gespräche fragte, namentlich als ihm durchs Fenster die Gralburg im Geiste auf der Spitze des hohen Berges gezeigt wurde, wo die Beweise seien, schlug der Priester den Farcival auf, und las ihm nun die Stelle vor, in der sich Parcival auf der Suche nach dem Gral dem Monsalvatsch nähert, und fügte bei. »Nicht von Norden kam er, sondern von Osten. Er berührt die Ortschaft G r e d i n, d. i. Heiden bei Pettau, er übersetzt die goldführende Trane, d. i. der Fluß Drann, der vom Fuße des Wotsch über Maxau ostwärts der Drau zustrebt; und es ist historisch nach gewiesen, daß an der Drann einst Goldwäschereien etabliert waren! Hier spricht er vom Gnadenquell: den haben Sie soeben gesehen! — End nun die Beschreibung des Berges selbst, sein Verhältnis zur Umgebung und die typischen Merkmale! Jede Bergfalte, jeder Wassersturz, jeder Riß der Formation stimmt! — Und dann hoch oben auf dem Berge fand ich die deutlichen Spuren einer groß-angelegten Wasserleitung. Am Wotsch stand aber nie eine Ortschaft! Und schließlich: nach der Sage soll die Gralsburg auf den Ruinen eines Venustempels errichtet worden sein, und ich habe die charakteristischen Mauerreste des Venustempels auf der Spitze des Wotsch aufgedeckt. Sie können morgen alles sehen! — Und endlich, wie kommt die Sage Lohengrins, des Sohnes und Nachfolgers Parci-vals, hierher, in diese jetzt ausschließlich von Slaven bewohnte Gegend? Eine Sage, die dem Slaven nicht zueigen ist und die daher auch nicht von ihm importiert werden konnte? — Und ferner: der Gral wird als ein flaches Gefäß beschrieben, das ein Engel am hl. Karfreitag dem Heilande an der Seitenwunde hielt, um das kostbare Blut aufzufangen, Haben Sie irgendwo anders eine ähnliche Nachbildung gesehen? Ein schwebender Engel mit der Gralschüssel in den Händen an der Seite des Heilands? Ich nicht und niemand. Nur hier und in nächster Umgebung finden Sie derartige skulptureile und malerische Nachbildungen. Ist dies nicht auch ein Beweis? Und wenn Sie auf das Wesen der Sage eingehen: die Sage ist doch durch und durch deutsch. Wie käme eine solche nach Spanien, das von den deutschen Gauen doch durch ganz Frankreich getrennt ist? Auf dem Wege dahin schon wäre ihre Mystik durch die romanische Phantasie erstickt und erdrückt worden. Nicht in Monsegur, nicht in Kan- tabrien, nicht in Montferrät, wohin sie die Literarhistoriker verlegen, haben wir die Gralburg zu suchen, nein, hier in diesem ehemals ganz deutschen Lande, in der Steiermark, auf der Spitze des Wotsch!« — Als Thal darauf fragte, ob diese Forschungen abgeschlossen seien, erwiderte der Priester, daß er daran sei, und wies dabei auf die massenhaft auf dem Tische liegenden Notizen, — Mit der Bemerkung, daß jener Priester kurz darauf gestorben sei, beschließt Thal dieses sein Erlebnis, das in das Jahr 1895 fällt, * Ehe wir nun dem Hauptthema kritisch nähertreten, müssen einige störende Unrichtigkeiten in der Schilderung des P. Hytrek — so hieß nämlich jener Priester — behoben werden. Vor allem ist es nicht zutreffend, daß in der Drann je Gold gewaschen wurde, denn sowohl ihr Quellgebiet wie ihre bescheidenen Zuflüsse schließen in geologischer Hinsicht eine auch nur nennenswerte Goldverseifung aus. Es ist da dem Forscher ein grober Lesefehler unterlaufen, denn Eschenbach selbst nennt im Parcival (IX, V, 1980} die Drau als »mit golde ein wazzer«, was hingegen richtig ist, da bis in die jüngste Zeit von Privaten dort Gcldwäscherei betrieben wurde; aus den Jahren 1692—1694 sind uns noch die Namen der zünftigen Goldwäscher urkundlich bekannt; zu Römerzeiten stand aber das Gewerbe noch unter, Staatsaufsicht, dem ein eigener »comes metallorum« vorgesetzt war. Daß nun Hytrek, der jahrelang in Stude-nitz wohnte, wo doch die Drann vorüberfließt, ein solches Märchen erzählt, bietet wohl keine veile Gewähr für die Verläßlichkeit seiner Forschungen. Überdies mündet die Drann etwa 8 km südöstlich von »Gandink in die Drau; was Hytrek als Drann bezeichnet, heißt bei Eschenbach »Grejan«, heute »Grajena« (1283 Grayana) genannt, die sich tatsächlich hier in die Drau ergießt, jedoch auf der Pettauer Seite Die Ortschaft »Gredin« lautet im »Parcival« richtig »Gandin«. . Es ist dies das heutige Doppeldorf »Ober-« und »Unter-Hajdin« (116-1 Chandingen, 1202 Candin), das genau gegenüber von Pettau liegt, und durch bedeutende Funde aus römischer wie vcrrömischer Periode in jüngster Zeit viel genannt wird. Ebenso unhaltbar ist die Behauptung, daß solche Arten dei Darstellung des Gekreuzigten nur in dieser Gegend heimisch seien, denn diese sind in den katholischen Gegenden überall zu finden und seit Jahrhunderten bekannt; mitunter wurde hiebei der Engel sogar durch einen Mönch ersetzt. Geradezu unwissenschaftlich und aufdringlich berührt aber die spontane Hervorhebung des deutschen Ursprungs der Gralsage, isfesejakc ■tänaifcvorPMI weil dieses Gebiet einst deutsch war. Dieses Gebiet war aber in der historischen Zeit nie deutsch. Hytrek war sonach über die Vergangenheit dieser Gegend sehr einseitig orientiert und mit den lokalen Verhältnissen sichtlich nicht genügend vertraut. Er wrar ein Fremdling in dieser Gegend, da in Preussisch-Polen geboren, wo er auch i. J. 1899 starb. Überdies ist das Wichtigste von dem, was Hytrek hier erzählt und als eigene Entdeckung anführt, gar nicht die Frucht seines Forschergeistes, denn darüber schrieb schon Dr. G. Puff (»Taschenbuch«), dann Davcrin Trstenjak (»Slov. Glasnik«, 1867), und auch noch auf diese Quellen wurde Hytrek vom Oberlehrer Jos. Majhen daselbst aufmerksam gemacht. In Rieh. v. Kraliks »Gralsage« (Regensburg, 1909) ist überdies zu lesen: »Oder sollte er (Artus) mit seinen Tafeirundem den Gral nach einem Gerücht in den Alpen gesucht haben, etwa auf dem Berge Wotsch, nicht weit von Ro-hitsch, wohin die Vclksüberlieferung noch in unseren Tagen die Graiburg versetzt?« — Interessant wäre allenthalben die Kenntnis von Hytreks Forschungsergebnissen, die er in den Jahren 1896—1899 im Pariser »Figaro« veröffentlicht haben soll, doch konnte der Artikel bisher nicht aufgebracht werden. Daß uns aber auch diese Publikation schon mit Rücksicht auf die bereits hervorgehobenen Wissensmängel unsere Arbeit irgendwie im positiven Sinne erleichtert hätte, ist allerdings kaum anzunehmen. Wir wissen doch längst alles in der Hauptsache, nur fehlte es bisher an der unmittelbaren Inspiration, diesem Thema endlich eine gründliche Überprüfung zuteil werden zu lassen, was wir nun Hans v. Thal zu verdanken Haben. Vor allem ist es nun notwendig, den Kern oder das Gerippe des ganzen Sagen- oder Legendenkomplexes blcßzulegen, um alles Weitere verständlicher zu gestalten. In der christlichen Fassung bezeichnet man mit dem »hl. Gral ; jenes Gefäß, in welches Joseph von Arimathia das Blut des gekreuzigten Pleilandes aus der Seitenwunde aufgefangen und als kostbares Kleinod in Obhut genommen haben soll. Seine Nachfolger brachten später dieses Gefäß mit dem Blute irgendwohin ins Abendland, wo es lange verborgen gehalten wurde, weil man überhaupt niemand würdig fand, dieses Heiligtum zu besitzen oder auch nur zu behüten. Irgendeine nähere Andeutung über jene Lokalität im Abendlande fehlt anfangs gänzlich, denn die Legende bildete sich eben sukzessive aus, und da dieses Thema erst später spekulativ aufgegriffen wurde, war der Phantasie für die örtliche Fixierung vorerst ein weiter Spielraum gegeben. Erst dann, in der Gewissheit, daß man lange gar nicht wußte, wo jenes Gefäß verwahrt sei, meldeten sich verschiedene Stellen, die den hl. Gral zu besitzen behaupteten, und die Interims-Mystik zu religiösen Reklamezwecken dienstbar machten. Es gab auch bald ein Dutzend Orte, die alle den einen echten Gral zu besitzen vorgaben, und die sich mitunter handgreiflicher Schwindeleien leicht überweisen ließen. Daß aber die Gralsage gleich in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten im untersteirischen Gebiete entstanden sein muß, wenn hiebei nicht schon eine ältere, heidnische Lokalsage lediglich der Verchristlichung unter-1 a g, hiefür spricht folgendes. Die Niederschreibung oder die sehr genaue mündliche Überlieferung dieser Grallegende, die vorerst in Frankreich eine höhere Beachtung fand, muß nämlich in ihrer christlichen Fassung schon in die Zeit des V.—VIII. Jahrhundertes fallen. Die Anhaltspunkte hiefür bieten die im Epos »Parcival« erwähnten Ortsnamen, und namentlich der Name »Gandin«. Der Anonymus Leobiensis, welcher die Zerstörung der Stadt Pettau im Jahre 452 erwähnt, gebraucht hiefür nicht etwa den bei den Römern gangbaren Namen »Poetovium«, sondern »Candida«, weist hiemit also auf das heutige »Hajdin«. Die erste urkundliche Erwähnung von Pettau taucht erst wieder im Jahre 874 als »Bettowe« aut, womit freilich nicht gesagt sein will, daß der Name zuvor vergessen gewesen wäre. Hätte sich aber die Gralsage vor dem V. und erst nach dem VIII. Jahrhunderte entwickelt, so wäre wahrscheinlich immer die Sta »Pettau« und nie »Hajdin« genannt worden, da letzteres in dieser Zeitspanne kaum etwas mehr als ein bescheidenes Dorf gewesen sein konnte. p Bis zum Jahre 1846 wußte man aber überhaupt nicht, daß die Namen »Gandin, Rohas, Tra« usw. wirklich existieren, d. h. man hielt sie für erdichtet, oder suchte sie, ähnlich wie den Monsalvatsch, überall, nur nicht in Untersteiermark. Erst lange später wurde Titurel, der sagenhafte Sohn eines ebenso sagenhaften christlichen Königs von Frankreich, nach Salva-terre in Biscaya (Spanien] geführt, wo er auf dem Berge Monsalvatsch, einer schwer zugänglichen Höhe, einen Tempel für den Gral und eine Burg für die Gralhtiter erbaut haben soll, was selbstredend auch nur wieder eine Sage ist, denn erst der Versuch in einer topischen Namensähnlichkeit die Lösung zu finden, verlegte die Sage nach Spanien, weil sich dort einige anklingende Namen fanden. — Als letzter hiezu erkorener Hüter kommt nun Parcival auf jene Burg. Er wdrd als schöner aber dummer Jüngling geschildert, der das Glück hatte, den hl. Gral, den Inbegriff aller menschlichen Sehnsucht, zu finden, wofür er dann in König Artus'l afelrunde aufgenommen wurde. — Die »Lohengrin«-Sage hängt aber nur genealogisch mit jener des Gral zusammen, denn Lohengrin war der Sohn Parci-vals, daher auch der weitere erbliche Beschützer des Gral-Heiligtums. Die Gralsage (oder Legende) wurde, soweit dies literargeschicht- lieh heute geklärt ist, im XII, Jahrhunderte in dem Versroman des Robert von Baron poetisch verarbeitet, der hierin das apokryphe Nikodemus-Evangelium, die »Vindicta Salvatoris«, dann die verschiedenen Sagenstoffe über Merlin, Artus und Parcival verwertete. Daraus schöpfte weiter Chrétien de Troyes das Material für seine unvollendeten «Conte de Graal«, die später andere fortsetzten und beendeten, — In rein mystischer Auffassung schildert die Vorgeschichte des Gral noch der Prosaroman »Grand Saint Gral«, woraus eben hervorgeht, daß diese Legende ausschließlich in Frankreich ihre kunstpoetische Weiterentwicklung fand. In die deutsche Literatur wurde die Gralsage durch Wolfram v. Eschenbach (f um 1220) eingeführt, der zu seinem Enos »Parcival« vor allem Chrétien als führende Quelle benützte; die Lücken dieses fragmentarischen Werkes will er aber, wie er selbst darin anführt, dem Provençalen Kyot entnommen haben, von dem die französische Überlieferung zwar nichts weiß, weshalb diese Quelle vielfach als eine pia fraus Eschenbachs angesehen wurde. Da sich aber Kyot selbst (bei Eschenbach) auf eine Schrift des Mauren Flegetanis und auf eine lateinische Chronik von »Anschouwe« beruft, liegt kein logischer Grund vor, diese Angaben schon im Prinzipe zu bezweifeln; ja im Gegenteile, wir erfahren durch diese fraglichen Quellenetappen doch, daß die Schlußquelle, die »Chronik von Anschouwe«, Eschenbach alles jene Material lieferte, das in Chrétien fehlte, und erst dadurch die Gralsage einen festen, realen Unterbau erhielt. — Bei Eschenbach ist der hl. Gral bereits ein wunderbarer Stein, welchen Engel in uralter Zeit zur Erde brachten, aber so lange in der Luft hielten, bis ihn auf dem Berge Monsalvatsch eine tempelartige Burg aufnahm und sich für dessen Bewachung würdige Ritter fanden. Die Legende vom. wunderbaren Stein wiederholt sich übrigens öfter. Der uralte Fetisch der Araber, der als »Schwarzer Stein« bekannt ist, und in der Kaaba in Mekka die höchste Verehrung genießt, hat doch eine ähnliche Vorgeschichte: er wurde Abraham vom Engel Gabriel als Geschenk gebracht. Er soll vom Himmel sein, ist demnach augenscheinlich ein Meteorstein. -— Der Gralsage näher kommt noch die wertvolle Achatschale mit dem wunderlichen Monogramm Jesu Christi in der kaiserlichen Schatzkammer in Wien, die heute als habsburgischer Haussegen gilt, und etwa der mystischen Bedeutung des Knstallpokals, bekannt als »Glück von Edenhall«, gleichkommt. Jenes Gefäß soll früher im Besitze der griechischen Kirche in Konstantinopel gewesen sein, wurde aber von den Kreuzrittern bei der Einnahme jener Stadt i. J. 1204 erbeutet, kam so in das Abendland, und — angeblich — auf dem Umwege über Burgund, in den jetzigen Besitz. Der Legende nach soll in diese Schale das Blut Christi aufgefangen worden sein. Die Annahme, daß die Kyot-Quelle Eschenbachs eigene Erfindung sei, ist aber unbedingt abzuweisen, weil die topischen Momente in Untersteiermark, wo eben die Ursprungsform der Gralsage mit allen ihren Annexen heimisch war, reell sind und sogar sehr genaue Lokalkenntnisse erforderten, die Eschenbach als geborenen Bayer begreiflicherweise mangelten. Und selbst, wenn er dieses Gebiet persönlich bereist hätte, erscheint es fraglich, daß ihm z. B. der Bach »Grajena« aufgefallen wäre, der allerdings nächst Pettau in die Drau mündet, aber an sich so unansehnlich ist, daß vielleicht mancher Pettauer dessen Existenz bis heute noch nicht beachtet hat, — Und auch in dem Falle, als Eschenbach dieser Bach aufgefallen wäre, ist es ausgeschlossen, daß er etwa um das Jahr 1200 »Gandin« als eine »wite« (= weite) Stadt bezeichnet hätte, da damals Pettau eine Stadt und Hajdin ein inferiores Dorf war, wie dies aus den Urkunden hervorgeht.1) Vorübergehend sei auch erwähnt, daß schon Wolframs Namensvetter (oder Verwandter?) Ulrich von Eschenbach, der um das Ende des XIII. Jahrhundertes am Liefe des Erzbischofs Friedrich von Salzburg und später am Hofe des Königs Wenzel II. von Böhmen lebte, dahin arbeitete, die Lügen der Artus-Romane durch historische Wahrheiten zu verdrängen, da der Kern der Sagenstoffe durch die Kunstpoesie immer weiter zurückgedrängt und verdunkelt wurde. Bei d^n damals obwaltenden Verhältnissen konnte aber dies nicht anders kommen, weil bei der großen, um die Gralsage rotierenden literarischen Bewegung der Kern der Fabel von selbst in den Hintergrund treten mußte, denn die Poesie jener Zeit kristallisierte sich doch nahezu ausschließlich um den Minnegesang und den Frauendienst, sofern eben jemand nicht als »unmodern« erscheinen wollte, und in dieser Richtung bot die Gralsage an sich doch wenig Anknüpfungspunkte. Auffallend ist es auch, daß sich in Spanien, der vermeintlichen Urheimat der Gralsage, — ausgenommen eine kurze Erwähnung in Amadis de Gaula -—, hievon nicht eine volkstümliche Spur nach- ') Eine der jüngsten und verbreitetsten deutschen Ausgaben des »Parcival« ist jene von Wilh. Hertz (Stuttgart 1906), die jedoch einen bedenklichen Fehler hat: sie läßt unter anderen Vom Originaltexte alles jene aus, was sich auf Unterste termark bezieht. — Wenn der Kommentator in der Vorrede nun auch ehrlich bekennt, »daß er den Dichter gekürzt und manch üppig wucherndes Beiwerk nicht bleiben ließ«, so ist (Jie Wahl des Ausgeschiedenen sicherlich keine glückliche oder berechtigte, wenn man dabei gerade den Ariadnefaden zum Kern der Gralsage auf dem halben Wege abschneidet. Wie daher bei einem solchen Opus, bei dem die Provenienz der Fabel, der wirkliche Gang der Handlung, die Personen- wie topischen Namen noch so ungeklärt sind, eine solche Beschneidung anticipando vorgenommen werden konnte, ist für jeden Fall rätselhaft und läßt die buntesten Kombinationen zu. weisen läßt. Desgleichen fehlt es in der Provence wie in Italien an Behandlungen dieses Legendenstoffes. Die älteste geschriebene Fassung der Gralsage setzt aber eine längere Entwicklung der mündlichen Traditionsformen voraus; die skelettierte Einfachheit wie Urwüchsigkeit dieser Überlieferungen hat sich aber eben nur mehr in Untersteiermark erhalten. Die Bewohner um den »Salvatsch« wissen heute, wie alle Nachforschungen nahezu übereinstimmend lauten, nur mehr Weniges oder sehr Verworrenes über den lokalen Sagenzyklus zu erzählen. Jene Frau, die im Jahre 1895 Hans v. Thal die Lohengrinsage spontan und flüchtig erzählte, ist längst gestorben. Es war dies vermutlich die Frau des Kirchendieners in Studenitz, die deshalb weit bekannt war, weil sie eine Unmenge von Geschichten, Sagen, Märchen und volkstümlichen Traditionen wußte, die leidet kein Zeitgenosse rechtzeitig niedergeschrieben. Die moderne, hastende Zeit nimmt bei ihren, egoistischer und materieller gewordenen Lebensanschauungen der Umwohner kaum mehr eine Notiz von solchen dunkeln Volkserzählungen. Viele Kirchenlieder dieser Gegend spielen zwar noch auf die Gralsago an, indem sie auffällig das Thema variieren, daß die Engel das Blut des Gekreuzigten in goldene Kelche aufgefangen haben, aber diese Anspielung ist erst jetzt in der Rückwirkung verständlich. Es ist aber wahrscheinlich, daß diese Publikation weiteren Kreisen den Impuls geben wird, das etwa noch vorhandene, aber bisher unverstandene volkstümliche Material dieser Richtung in die Öffentlichkeit zu bringen oder doch das bereits Bekannte zu ergänzen, eventuell zu berichtigen. Einen weit größeren und für die gesamte Gralforschung zu-grundelegenden Beweiswert, als die variablen Lokalsagen und Legenden, bieten jedoch die bezüglichen geographischen wie Personennamen, deren überraschend harmonierende Etymologie erst dasjenige überzeugend bestätigt und ergänzt, was in der Vclkstradition schon undeutliche Umrisse angenommen hat. Geographische Namen. — Die wichtigsten Namen dieser Richtung im »Parcival« fügen sich lokal wie inhaltlich vollkommen in das Milieu der Handlung, soweit sie eben verläßlich erkennbar sind. Besonders fällt es aber dabei auf, daß die Verflechtung der unter-steirischen Örtlichkeiten in so bestimmter Weise in sein Sagengewebe im ganzen Werke Eschenbachs sonst nicht annähernd 'ihresgleichen hat. Nur diese zeugen von genauer Kenntnis der konkreten Gegend der Handlung, denn nirgends sonst sind sc viele bestimmte, tatsächlich noch heute existierende Ortsnamen angehäuft, wie hier. Alle anderen topischen Bezeichnungen sind hingegen entweder Phantasiegebilde oder aber in ihrer dargestelltenForm so v e r b i 1 d e t, daß man sie geographisch dermalen nicht mehr* sicher festzulegen vermag. Es muß daher bei der gesamten Gralforschung an der Tatsache festgehalten werden, daß das einzigartige Interesse E-schenbachs für diese Gegend zugleich die einzige reale Stelle ist, wo die Haupt Handlung topono-misch wie lokal positiv belegt ist. — Die Reise Parcivals zum Monsalvatsch schildert Eschenbach (IX, Vers 1895—1911) folgend: »so ich richte tjoste wolde tuen, so reit ich für Gauriun. ich han ouch manege tjost getan vor dem berc ze Famorgan. ich tet vil richter tjoste schin vor dem berc ze Agremontin. swer ein'halp wil ir tjoste han, da koment uz fiurige man: anderhalp si brinnent niht, swaz man da tjostiure siht. unt do ich für den Rchas durch aventiure gestrichen was, da kom ein werdiu windisch diet uz durch tjoste gegenbiet, ich fuor von Sibilje daz mer al umb gein Zilje, durch Friul uz für Aglei«. — »G a u r i u n« ist wahrs.cheinlich das alte »Gurina« (im südlichen Kärnten), wo einst eine bedeutende Burganlage war und interessante Altertümer »etrurischer« Provenienz gemacht wurden. Der Umstand, daß man im Jargon »Gaurina« sagt, dürfte Anlaß zur Schreibweise »Gaurion« gegeben haben, denn die Tendenz einer absichtlichen Namensentstellung waltete hier sicherlich nicht vor. »F a m o r g a n«, das zwischen Gaurion und Agremontin liegen muß, ist noch ungeklärt. »Agremontin« ist höchstwahrscheinlich der Oksra-Paß, der alte Gebirgsübergang von Kärnten gegen Aquileja. »T u 1 m e i n«, jetzt »Tolmein«, Ort im Görzischen. »S i b i 1 j e« kann »Sevilla« (Spanien) sein, da es von dort möglich ist zu Schiffe nach Friaul (»Friul«) und dann mittels Marsches nach »Zilje«, slov. »Celje«, d. i. C i 11 i in Untersteiermark, zu kommen. »R o h a s« ist das heutige R o h i t s c h, slovenisch R o g a t e c, an der Sotla (an der steirisch-kroatischen Grenze) mit zwei Burgen. Die Namensform »Rohas« war in den mittelalterlichen Urkunden allgemein. »A g 1 e i« =A q u i 1 e j a, das im Slovenischen O g 1 e j lautet. — Im Verse 1971-—1988 sagt Eschenbach weiter: »Uz Zilje ich für den Rohas reit, dri maentage ich da vil gestreit. mich duhte, ich het da wol gestriten; darnach ich schierste kom geriten in die witen Gandine, danach der ane dine Gandin wart genennet. da wart ither bekennet. diu selbe stat lit alda, da diu Greian in die Tra, mit golde ein wazzer, rinnet. da wart ither geminnet. dine basen er da vant, diu was frouwe überz lant. Gandin von Anschouwe hiez si da wesen frouwe. si heizet Lammire; so istz lant genennet Stire«, — Die darin angeführten topischen Namen »Gandin, Greian« und »Tra« (mittelalterlicher Name für den »Drau«-Fluß) sind bereits erklärt. »A nschouw e«. — Dies kann ein Orts- aber zugleich auch ein Familienname sein. Welcher Ort dies war, ist jedoch nicht absolut klar, denn es befindet sich nordöstlich von Pettau (»Gandin«) sowohl ein »Janschendorf« wie ein »St. Johann«, welche beide die Slovenen als »Janzevo« bezeichnen; »Anschouwe« könnte daher die abgeschliffene Form von »Janzevo« sein. Mit dem französischen Königs-geschlechte »Anjou« hat daher dieser Name gewiß nichts gemein. Die lateinische Chronik von »Anschouwe«, die Eschenbach selbst erwähnt, war demnach eher eine als »Chronik von Janzevo« bekannte Quelle, aus der er den lokal reellsten Teil der Grallegende entnommen, Möglicherweise hieß die Chronik auch deshalb so, weil sie vom Priester »Janez« oder »Janz« herrührte, den Eschenbach selbst sowie spätere Dichter zu einem Annex der Gralsage machten. Daß die slcvenische Namensform hier beibehalten wurde, ist deshalb begründet, weil sich der deutsche Spracheinfluß in dieser Gegend überhaupt erst im XII. Jahrhunderte geltend zu machen begonnen, und hier auch niemals, ausgenommen die Städte, welchen Boden gewann. Wir können daher daraus sowohl den sicheren Schluß ziehen, daß jene von Kyot benützte Chronik wohl schon lange vor dem XII. Jahrhundert existiert haben, sowie daß der Verfasser derselben ein slo-venischer Untersteirer gewesen sein dürfte, denn die verschiedenen subtilen topischen Daten, wie die nur einem Slovenen bekannten oder verständlichen obscönen Personennamen können, wie dies später näher dargelegt wird, nur von einem ortsständigen Einheimischen stammen. Der Zusammenhang mit dem Priester oder Presbyter Johannes ist aber überhaupt dunkel. Ein Priester »Johannes« spielt zwar bei der Gründung des Nonnenklosters der Büßerinnen durch Richza von Rohas (XII. Jahrh.) in Studenitz eine besondere Rolle, doch kann dieser mit dem Presbyter Johannes nicht identisch sein, da ein solcher auch schon im III. Jahrhunderte erwähnt wird. Wahrscheinlich ist es aber, daß Eschenbach von jenem Schreiben des Presbyter-Königs Johannes i. J. 1165 an den byzantinischen Kaiser Manuel etwas hörte, das mit der »Sage vom indischen Reich« verknüpft war. Da aber Untersteiermark zum Lande »Indija« gehörte, ist es möglich, daß sich alles dieses auf die steirische Gralheimat bezieht, umsomehr als sich alle Forscher auch dahin aussprechen, der »Presbyter« Johannes spielt seine Rolle nicht in Asien, sondern in Europa; doch ist diese Forschung heute erst in den Anfangsstadien. Einen etwaigen Zweifel, ob es sich hier wirklich um das »win-dische« Steirerland handelt, behebt nicht nur der Umstand, daß das Land »Stire« doch eigens hervorgehoben ist, sondern auch die bereits angeführten Verse 1905—1908, die Simrock neuhochdeutsch folgend frei wiedergibt: »Als am. Rohas ich im Steirerland Abenteuer sucht und fand, Da kamen tapfre w i n d s c h e Männer Entgegen mir als Lanzenrenner«. Der von Parcival zurückgelegte Weg erscheint allerdings vor erst etwas unklar, was jedoch nur hinweist, daß Eschenbach mittelbar eine südsteirische Quelle benützte, die beschriebene Gegend jedoch selbst unmöglich kannte, denn schon das Herumwerfen mit »Rohas« zeigt, daß er geographisch nicht genügend orientiert war. Aus dem Texte geht überdies hervor, daß Parcival mindestens zweimal zum »Monsalvaesche« geritten sein muß, und läßt sich die Reiseroute Parcivals für diese Gegend graphisch annähernd sicher bestimmen. »S a 1 v a t s c h, Monsalvaesche«. — Der vermeintlich in Spanien liegende »Monsalvatsch« ist der untersteirische Berg »Boc« (oder »Voc«), der im Parcival« ebenso zu »Vatsch« (und Vaesche«) wurde, wie »grola« zu »gral«. »Sa!« ist nur das attributive Adjekti-vum »zal«, das im Slovenischen groß, stattlich, aber auch böse, wild, toll bedeutet. — »Mon, Mont« ist selbstredend nur eine orientierende französische Zugabe, uhr den Berg' charakter des Namens hervorzuheben, denn Eschenbach spricht analog auch von »terre de Salvaesche« und »funtane la Salvatsche«. »Salvatsch« ist daher richtig ein »zal Voč«, d. i. h o h e r, w i 1 d e r, da s t e i 1 e r Berg, was er auch in der Wirklichkeit ist.2) Er ist nicht nur die höchste Erhebung des Dranntaler Höhenzuges, da er 980 m hoch, daher noch um 147 m höher ist, als die sonst höchste Kuppe (Plešivec mit 833 m), sondern er erscheint tatsächlich, namentlich von der Westseite, als ein steiler, »wilder« Berg in der Form eines Hornes. Er bildet zugleich den Zusammenstoßpunkt der Bezirkshauptmannschaftsgrenze Marburg und Pettau, was auch die Etymologie seines Namens im Slovenischen besagt, wonach er eine Grenzecke bildet (»bok«-Flanke, »bočiti« =" in der Flanke stehen). »W i 1 d e n b e r g«. — Aus der Stelle »So großes Feuer (wie auf der Gralburg) sah niemand hier zu Wildenberg« (5. Buch, 230, 13) geht nahezu untrüglich hervor, daß Eschenbach diesen Eposteil zu Wildenberg dichtete, — Nun kann dieses »Wildenberg« nur im näheren Umkreise des »Boč« liegen, weil die nähere wie weitere Umgebung gleichfalls gebirgig ist, daher die Sicht eines Feuers auf dem Boč bald durch tote Winkel benommen wird. -— Obwohl sich aber gerade in Steiermark durch glückliche Umstände ungewöhnlich zahlreiche Urkunden erhalten haben, so erwähnt doch keine einzige eines »Wildenberg« weder vor noch nach dem XII. Jahrhunderte. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß damit eine Burg auf dem »wilden Berg«, also »Boč« selbst gemeint sein kann, über die allerdings geschichtlich nichts bekannt ist, wohl aber lokal. Am südlichen Abhänge, auf einer Rückfallkuppe des »Boč«, sind nämlich noch heute Reste eines Bauwerkes erkennbar. Jene Stelle nennt aber der Slovene traditionell noch immer »na gradu« (= auf der Burg), »na gradišču« (= auf der Burgstätte) oder auch »na zasedi« (== auf der Hinterburg, Vorburg im Hinterhalte). — Daraus kann mit Recht gefolgert werden, daß auf der höchsten Kuppe einst irgendein Wach-cbjekt stand, von wo aus — bei weiter Aussicht — die Umgebung beobachtet wurde; hingegen lag tiefer unten —schon durch die Lösung der Wasserfrage bedingt — die Burg selbst, der Burgwall oder die Stätte der eigentlichen Verteidigung und zugleich die Unterkunft der Besatzung. Die Sage von einem Venus-Tempel auf der höchsten Kuppe bildete sich nahezu zweifellos aus der falschen Etymologie des slavischen »ven« d. i. Grenze, die ja, wie schon etwähnl, über den höchsten Punkt tatsächlich führt. Plat aber S. Hytrek dort Mauerreste entdeckt, 2) Ein weit älteres Analogen hiefür findet sich schon bei Herodot vor. Dort wird der Gott (oder Herrscher) »Zahnozis« erwähnt, was mit »zal mož«, d. i. hohei^ großer Mann identisch ist. — Derselben Etymologie unterliegen die vielen Höhenburgen wie Saalburg, Salzburg. Solstein u ä. was bisher noch nicht bestätigt wurde, so fand er möglicherweise welche Baureste eines einstigen Wach-, eventuell auch sakralen Objektes, oder aber erlag er lediglich Autosuggestionen. Für das »große Feuer« auf dem »Wildenberg« weiß aber der Verfasser selbst aus der Jugendzeit eine ergänzende Sage. In Maria-Neustift, dem größten Wallfahrtsorte Untersteiermarks, der etwa 15 km Luftlinie vom Boč entfeint ist und schon im Mittelalter als »möns gratiae« (im Vergleiche zu »fcns gratiae«) benannt wurde, erzählten uns der Volksschullehrer wie Katechet wiederholt die Gründungssage des Wallfahrtsortes, die mit dem »Boč« in lokaler Wechselbeziehung steht. Die Tochter eines Herrn von Pettau, de angesehenen Dynastengeschlechtes daselbst, war erblindet. Man riet nun, sie hieher auf die Bergkuppe zu bringen, sobald auf dem Boč der wunderbare Stein, der dort verborgen sei, wieder sein feenhaftes Licht ausstrahlen wrerde, denn nur dieses Licht könne ihr die Sehkraft wiedergeben Dies geschah. Die Tochter wurde wieder sehend, und die Herren von Pettau erbauten an der Steile, wo das Wunder geschehen, die große gotische Kirche auf dem Kongiomeratfelsen, bei der. Slovenen »Črna gora« genannt, von wo aus der Boč vorzüglich sichtbar ist. — Auffallend ist es nun, daß das Geschlecht derer von Pettau nicht nur jene Kirche erbaute, wofür das wiederholt darin angebrachte Wappen — ein umgedrehter Anker — zeugt, sondern daß es auch im Epos Parcival eine bestimmte Rolle spielt, wenn auch unter verändertem Namen. R. v. Kralik warf in seiner Veröffenlichung »Die Gralsage in Österreich« (»Allg. Literaturblatt«, 1916) die berechtigte Frage auf, ob nicht vielleicht der östlich des Boč liegende »Wildonberg« als Eschenbachs »Wildenberg« anzusehen sei. Es ist dies immerhin möglich; eine Ruine oder eine sonstige Tradition spricht daselbst zwar nicht dafür, aber es hat sich bis heute auch niemand interessiert, der Sache iokalgeschichtlich nachzugehen. Dort befindet sich allerdings das beste Weingebirge der Umgebung, und konnte sich Eschenbach selbst in einem solchen Weingebiete, wohin man Gäste, namentlich zur Weinlesezeit, mit Vorliebe einladet, tatsächlich einmal aufgehalten haben. Aber auch weitere Lokalitäten am »Salvatsch« stimmen mit den Angaben im Epes »Parcival« (IX Buch) überein. Parcival stößt hierauf einen Klausner, der in einer Höhle (»gruft«) wohnte. Am »Boč« befindet sich tatsächlich die sogenannte Spelka-Höhle, doch kann diese hiemit wohl nicht gemeint sein, denn sie ist schon nahe der Kuppe gelegen und dabei so kalt und vom Abtropfen des Gewölbes derart naß, daß jedes höhere Lebewesen darin nicht lange ohne schwere Krankheitserscheinungen verbleiben könnte. Abgesehen vom beschwerlichen Zugang wird daher auch niemand sein Reitpferd in einer solchen Höhle unterbringen, und klären dies die Verse 779— 780 auf, wonach dies eine andere Stelle gewesen sein muß. Sie lauten: »das war ein wilder marstali, da durch gienc eines brunen val . . .« Im Aufstiege von Studenitz gegen Süden (Richtung Gaberje) befindet sich tatsächlich eine starke Quelle, die unmittelbar aus dem »Salwatschx hervortritt. Möglicherweise war damals dort auch noch eine von Felsen überwölbte Höhle, die Parcival zugleich als Stall benützte. Daß durch diese, oder von dieser aus, ein »val« (= Wasserrohr, Abzuggraben, Wasserleitung)1) ging, der das Trinkwasser zum »Gnadenbrunn« leitete, ist sogar sehr naheliegend, umsomehr als auch P. Hytrek erwähnt »deutliche Spuren einer großangelegten (!) Wasserleitung gefunden zu haben«, damit das Trinkwasser im offenen Gel rinne nicht verunreinigt werde. Am nordöstlichen Fuße des »Boc« liegt der Markt Studenitz (slov, Studenice). Im Klostergarten daselbst befindet sich heute ein zierliches Basin, in welchem eine Menge frischer Quellen emporsprudelt, die kurz darauf vereinigt bereits eine Mühle treiben. Der Ort selbst hat nach dieser Quelle den Namen, denn eine gefaßte Quelle heißt im Slovenischen »studenec«. Eine Aufschrift auf dem Stein besagt; »Fons gratiae« (— Gnadenquell). im Urtexte des Parcival heißt die Stelle (IX, V. 456—458): »diu sla in da nicht halden liez; funtäne !a salvatsche hiez ein wesen, dar sin reise ginc«. Daß dieser Quelle seit den ältesten Zeiten eine Art Heilkraft zugeschrieben worden sein mußte, geht daraus hervor, daß das vermutlich mindestens sehen im XII. Jahrhunderte hier bestandene Nonnenkloster vom Patriarchan Pertold vc-n Aquileja im Jahre 1249 die Bewilligung erhielt, offiziell den Namen »Fons Gracie« oder »Genadenprunn« statt »Studenitz« (juxta conterminium Polschach) führen zu dürfen. Seit dieser ersten urkundlichen Benennung laufen die Namen »Studeniz« und »Fons Gratiae« das ganze Mittelalter hindurch parallel nebeneinander. Auffallend ist es, daß diese kirchliche Adelung des Ortsnamens auf den Slovenen keinen Einfluß übte; es scheint eben, daß die Heil- ") Bei der ersten, flüchtigeren Veröffentlichung dieser Entdeckung wurde »val in der Bedeutung »Fall« ausgelegt, zumal sich dort auch ein intermittierender Wasserfall befindet. Indessen machte der bekannte Erzähler Arthur Achleitner (München) den Verfasser aufmerksam, daß man als »val« im Mittelalter, wie in Tirol noch heute, eine Wasserleitung, oder Wasserrohre bezeichnete, was frier gewiß zutreffender ist, umsomehr als Hytrek auch eine solche gefunden haben will. kraft des »Gnadenbrunnens« keine überzeugende war. — Möglicherweise hat das Wasser irgendeine chemische Eigenschaft, die in bestimmten Fällen heilend wirkt, obschon man ansonst ja heute durchaus nicht im Zweifel ist, daß Wässer dieser Art — namentlich bei Gnadeorten und Heiltumsobjekten — nichts weiter als Sympathie-Kurmittel sind, was auch die eingangs erwähnte Bäuerin in ihrer Erzählung aus eigenem Bedürfnis zufügt. »P r i z 1 j a n«. —'Im III. Buche, V. 391—392 heißt es: Fv':' ■■ ; v. - »Do kert der knabe wolgetan gein dem forest in P r i z 1 j a n«. — Man sagte nun bisher immer, es sei dies ein Wald in der Bretagne, »Brezilian« genannt. Jene Stelle mit der Schilderung, wie Parcival im Walde vcn »Prizljan« die schöne Fürstin Jeschute unverhüllt schlafend antrifft, kann schon mit Rücksicht auf diese Situation nicht so fern vom Kloster Studenitz gewesen sein. Zwischen Studenitz und Laporje befindet sich tatsächlich ncch heute ein Wald »Na breznici, Brezjc« (»breza« ~ Birke) und »Pirkdorf«; welcher Wald aber hiemit gemeint ist, ist schwer zu entscheiden, da die bezüglichen Angaben im Epos viel zu allgemein gehalten sind. V ergulaht. — Der Herr von »Vergulaht < wird im Epos wiederholt im Zusammenhänge mit dem Monsalvatsch genannt. Hiemit dürfte entweder der Besitzer von »Vrhlova« (jetzt deutsch »Obernau«) gemeint sein, das sich nördlich von Studenitz in der Pfarre Öresnjovec (Kerschbach) befindet, wo das Kloster den noch heute als »Nonnenwald« bezeichneten Wald besaß, oder ein solcher von »Vrhole«. Ein Ort dieses Namens befindet sich nächst Laporje, wo die Herrschaft Studenitz einen größeren Waldbesitz hatte, ein zweiter liegt nordwestlich davon an der Straße Wind. Feistritz-Gonobitz. Ob' in der einen dieser Ortschaften je ein Schlcßgut war, ist nach Eschenbach urkundlich bisher nicht erwiesen worden. Indian. — Hiemit ist Untersteiermark gemeint, wie dieses Gebiet schon im Altertume benannt wurde, und hier gleichfalls durch die Erwähnung von »Stire, Gandin, Monsalvatsch, windischen Männern« u. a. m. zweifellos beglaubigt ist. Im XVI. Abschnitte heißt es z. B.: »diu gebar sit in Indian ein sun, der hiez Johan, priester Johan man den hiez«. — Die bedauerliche Nichtbeachtung des Bekannten über die Gralsage deutscherseits verschuldete nicht nur den völlig unbegründeten Vorwurf, Eschenbach habe allerlei phantastische Exkursionen in weitentlegene Gebiete gemacht, weil dadurch das Verständnis für die lokal zusammenhängende Handlung getrübt wurde, sondern verführte auch Rieh. Wagner zu einem argen Mißgriff über den Ort der Handlung im »Parcival«. Wagner verlegt sie »auf das Gebiet und in die Burg der Gralshüter »Mcnsalvat«, also in die Gegend im Charakter der nördlichen Gebirge des gotischen (?) Spaniens, und Klingsors Zauberschloß auf den Südabhang desselben Gebirges, dem arabischen Spanien zugewandt«. — Biese schwere lokale Entgleisung, die leicht zu vermeiden war, wenn man Eschenbach gründlicher gelesen und sonstige Stimmen angehört hätte, bringt dem Werke für die Zukunft zweifellos einige Werteinbuße. * Hiemit ist der Schlüssel gefunden, der das Hauptgeheimnis der Gralsage, d. i. den Ort der Handlung, offenlegt. Viele andere, ansonst meist minder wichtige topische Namen bleiben allerdings noch weiter rätselhaft, weil sie durch die romanisierende Behandlung der Vorgänger Eschenbachs sichtlich entstellt sind; doch dürfte die Wei-terfcrschung auf diesem Gebiete, die nun gewiß nicht mehr ruhen wird, wehl noch weitere Klärungen bringen. Einen wuchtigen, orientierenden Beitrag für die Gralsage bietet auch die Etymologie des Begriffes »Gral« selbst. Die untersteirischen Slovenen verstehen unter »gro'a« — Tropfen, Blutstropfen, Korallenkügelchen (am Rosenkränze); die deutsche Form derselben Wurzel ist: K c r a 11 e, — Eine Schale mit den Blutstropfen würde der Slovene daher »kupa grol« nennen, und daraus wmrde eben im Deutschen wie Französischen »gral, graal«, umsomehr als das slo-venische »grola« schon auf dem Wege zu den benachbarten Kärntnern die Form »gralle« angenommen hat. — Die Etymologie sagt also, daß die älteste V ersionder Legende, wonach es sich in der Hauptsache um das Auffangen der Blutstropfen des Erlösers handelt, richtig ist. Die Uriegende erzählt aber auch nur vom Blute, und die reellste Etymologie kann nur jene sein, die auch von der Urform der Legende gestützt wird. — Die Sprachforscher haben nun in ihrer Ratlosigkeit über die Bedeutung des Begriffes »gral« zu vermuten begonnen, es rnüße dies eineS c h ü s s e 1 bedeuten, weil im Griechischen »krateron« einen M i s c h k r u g, im Lateinischen »crater, cratalis« einen Mischkessel, ein Bassin, einen Krater u. ä. bezeichnen könne. Dies hatte zur Folge, daß man die primäre Fassung der Legende dahin berichtigte, der »gral« sei ein alter vergessener Begriff für eine Schüssel; gemeint sei hiemit jene, die Christus am letzten Abende verwendete. Die Kontinuität der Legende wurde daher nur durch eine Metonymie unterbrochen, d. h. das Minderwichtige — das Gefäß — wurde auf diese Art mit dem Wichtigen — dem Inhalte —L verwechselt, und die Legende selbst entsprechend .umgeformt. Sehr möglich ist es aber, daß erst der Einfluß der christlichen Passion, mutmaßlich angeregt durch eine mißverstandene Etymologie, und dem Geiste der Zeit Rechnung tragend, aus einer realen Tatsache : eine applizierende Legende konstruierte. Für jeden Fall ist die konkrete Grundlage, daß jemand jene Blutstropfen von Jerusalem auf den Boc, dann zugleich auf den Berg »Heiligenblut« (Kärnten) wie anderswohin, gebracht hätte, höchst phantastisch; hingegen ist es sehr glaubwürdig, daß in einer Gegend, wie hier im slovenischen Gebiete, wo fast jede Höhe eine Kirche oder Kapelle krönt, auch auf der Spitze dieses auffälligen Bergkolosses irgendein besonderes Heiligtum stand. Allem Anscheine nach führten kprallengeschmück te oder aus verschiedenfärbigen Halbedelsteinen mosaikartig belegte Heiligtümer, wie dies bei der Wenzelskapelle in Prag, bei der Burg Karlstcin, die übrigens nach den Plänen der Gralburg erbaut sein soll, der Fall ist, Namen dieser. Art, wobei eine phantastische Etymologie rückwirkend einsetzte. Der Araber Al-Masudi (IX. Jahrh.) erzählt übrigens auch eine auffallende Analogie zur Gralsage, dehn auch er erwähnt eines Gnadenbrunnens, eines mit v e r-s c h i e d enar tigsfen Gesteinen ausgeschmückten Tempels, und darunfen auch eines solchen, der mit roten Korallen, also »Grallen« geschmückt war. —Hier liegt nach allem eine Legende vor, die wohl an einem uns unbekannten Orte frühzeitig entstand, sich aber dann bei allgemeiner Sympathie in die verschiedensten Gegenden, bei mehr weniger umgeformter Handlung, verbreitete, analog wie alle zusprechenderen Volkssagen und Volkstraditionen. Personennamen. — Die wichtigsten Personennamen im »Parci-val« stehen in bezug auf ihre Etymologie zur körperlichen, geistigen oder moralischen Beschaffenheit sowie zur sozialen Stellung ihrer Träger in innigster Relation; allerdings können bisher als sprachlich sicher geklärt nur die Namen: B a r u c, G a w i n, J e s c h u t e, S i-g u n e, Klinschor, K u n d r i e und P e r c e v a 1 angesehen werden. »B a r u c, B a r u c h«. — Es ist dies die slovenische Bezeichnung für: Beschützer, Schutzherr, d. i. »varuh«; »angel varuh« = der Schutzengel. Die Verse im »Parcival«, IX, 1969—1970 bestätigen dies auch: »er kerte, da der haruc was, und ich fuor für den Rohas«, d. h. Parcivals Neffe zog wieder in das Land seines Herrn zurück, er selbst aber nach »Rohas«. »G a w i n«. — So bezeichnet man im Kroatischen einen grossen, reichenHerrn im allgemeinen noch heute. 21 »J e s c h u t e«. — Darunter kann nur eine u n moralische weiblichePerson gemeint sein, denn nicht nur die Situation, in der Parcival die »schöne Fürstin Jeschute« im Walde »Prizljan«'antrifft, spricht dafür, sondern auch die Etymologie selbst. Die richtige Schreibweise wäre »Ježuta«. — Unter »ježa« versteht der Slovene: Ritt, Beischlaf; unter »ježat«: brünstig, läufig. Die Bildung eines Substantivs mit dem Suffix »uta« verleiht demselben in der slovenischen Sprache den Charakter der Verächtlichkeit; mit »ježuta« wird daher ein männersüchtiges, brünstiges Weib bezeichnet worden sein. Es handelt sich sonach hier um keinen Eigen-, sondern lediglich um einen Charakternamen. »S i g u n e« = die Flatterhafte, von »sik, sikav« ^flatterhaft. Dies bestätigt auch jene Stelle (IX, 192—195), wo sie von Parcival gefragt wird: »durch wen tragt ir das vingerlin? ich hörte ie sagen maere, klösnaerinne unt klösnaere die solden miden amurschaft«. — »Klinse hör«. — Diesen Namen kennt vor Eschenbach nur Kyot (?). Es war dies angeblich der Herrscher von »terre de labour« in Kalabrien, der zu Chapo (Capua) residierte. Er wurde vom König Ibert von Sizilien entmannt, als ihn dieser beim Ehebrüche mit seiner Frau überraschte. Im »Parcival« spielt er bereits die Rolle eines bösen Zauberers. Im Wartburgkriege gilt er sogar schon als ein gelehrter, jedoch aus dem Ungarlande stammender Sänger, den gelegentlich auch der Teufel unterstützt. Daß Klinschor aus Kalabrien gewesen wäre, ist eine handgreifliche Dichtung, und führt uns namentlich die gleichzeitige Andeutung an die Heimat in Ungarn, sowie die Namensetymologie in eine ganz andere Richtung. Der Name »Klinschor« bedeutet im Slovenischen an sich: der Entmannte. — Im Südslavischen heißen die Hoden »klini«, entmannen »klinčati«, und nach allem, was man noch gelegentlich in der Volkssprache hört, muß der Entmannte bei den Slaven einst »klinčur« genannt worden sein.4) Was jedoch Klinschor als Herrscher von »terre de labour« betrifft, so war dies wahrscheinlich auch nur ein Herr von »Laporje«, der Nachbarpfarre von Studenitz (gegen Norden), was man schon 4) »Klinčati« bezeichnet des Näheren eigentlich das Zusammenklopfen der Hoden, auf welche Art z. B. in der Herzegowina noch heute die Kastration der Huftiere erfolgt und sich auch im deutschen Worte »Klopfhengst« erhalten hat. — Der Slovene unterscheidet sprachlich genau die beiden Arten der Entmannung( denn das Ausschneiden der Hoden heißt »skopiti« (auch »rezati«), das Verklopfen derselben aber »klinčati«. — Daß hier sprachlich eine so genaue Unterscheidung gemacht wurde, — wahrscheinlich ist aber anderswo deshalb annehmen darf, weil so viele topische Namen des Epos im »Parcival« hier vereinigt Vorkommen. Sonderbarerweise ist aber »ter-re de labour« auch eine halbe Übersetzung von »Laporje«, denn dieses bedeutet eben »Mergelboden« (»lapor« — Mergel), welcher hier tatsächlich vorherrscht. — Hieraus ist zu schließen, daß jenem fraglichen Kyot eine slavische Quelle vorlag, die er bei nicht gründlicher Kenntnis des Slovenischen übersetzte, und die dann auch Eschenbach benützte, oder diente letzterem ein bayrischer Slovene als Cicerone, was gut möglich war, denn aus der Raffelstettner Zollordnung geht doch klar hervor, daß im IX. Jahrhunderte noch ein großer Teil der Bevölkerung Bayerns aus Slaven bestand. — Es wird demnach in weiterer Folge an die Detailforschung die Pflicht herantreten, Eschenbachs Bezugsquellen auf der neuen Basis objektiv nachzugehen, denn Kyct-Eschenbach sind es lediglich, welche die Gralsage durch Überleitung zum Loheng rin, zur Sage vom Priester Johannes (Anschouwe?) und zur Geschichte von Klinschor in konzentrische Bahnen lenkten, wozu sie wohl ihre Quelle selbst inspiriert haben mag. »K u n d r i e«. — So heißt bei Eschenbach die häßliche und verführerische Gralsbotin; bei Rieh. Wagner ist es das schöne, verführerische Weib, das die Gralsritter betört. Sie weckt bei Parcival (Wagner schreibt »Parsifal«) die Sehnsucht nach ihrer Liebe; sie ist es, die den Reinen in ihre Arme lockt und auf Parcivals Lippen den ersten heißen Kuß aufdrückt. — Auffallenderweise bedeutet aber dem untersteirischen Slovenen »kundra« dieweiblicheScham, dann überhaupt ein verwahrlostes, schamloses Weib, d. i. Hure. In die Gralsage ist sonach der Gattungsbegriff »kundra« der slovenischen Originalfassung, weil sprachlich unverstanden, schon als Eigenname übernommen worden.5) Weiters muß der, augenscheinlich nicht zusammenhanglose Zufall erwähnt werden, daß sich in Studenitz seit unkontrollierbarer Zeit ein Kloster adeliger Dominikanerinnen befand, das zwar im Jahre 1782 aufgehoben, aber im Jahre 1886 vom Orden der Magda-lenerinnen, auch »Reuerinnen« genannt, erneuert bezogen wurde. auch Analoges zu finden —, ist naheliegend, denn die alten Scliilderer der einstigen Rechtsverhältnisse unterlassen es nie zu erwähnen, daß in Steiermark die Eunuchisierung von Amts wegen oft schon bei den geringsten Vergehen angeordnet wurde. Überdies ist die alte Volksjustiz, daß man denjenigen, den man bei ihm nicht zukommendem Beischlafe ertappt, an Ort und Stelle entmannt, in den Alpenländem wie auch auf dem Balkan bis heute nicht völlig in Vergessenheit geraten, was z. B. die Konsulaffaire in Prizren i. J. 1913 bestätigt. ■•) Ob die »Kundrie« der Gralsage irgendwie mit »Kutrun« der Gudrun-Sage zusammenhängt, soll hier nicht untersucht, immerhin aber die auffallende Tatsache erwähnt werden, daß die Spuren der Heimat der Gudrun-Sage auch nach Steiermark führen, denn auch Hilde, die Vermählte Hägens von Irland, stammt aus dem steirischen »India«. 21* & Möglicherweise besteht in dieser unausgesprochenen Nonhenördeh-Träditiori ein Zusammenhang mit irgendeinem (oder mehreren!) durch die Gralsage unmoralisch verknüpften adeligen Weibe, das die Gralritter verführte. Bas Kloster in Studenitz gehörte nämlich vor wie nach der. Aufhebung jener Ordensregel an, das unsittliche Frauen und gefallene Mädchen höherer Kreise zu bessern hatte. »P a r c e v a 1«. — Die primäre Sage bezeichnet jenen Ein-' faltigen, der das Glück hatte den hl. Gral zu finden, als »Parceval«. Die Grundidee, daß sich das Glück meist an die Dummheit knüpft, und sich in den verschiedensten Varianten durch die Erzählungen aller Völker zieht, findet hier auch etymologisch ihre Bestätigung. Im Slowenischen bezeichnet man einen geistig Beschränkten, namentlich wenn ernebstbei kropfig ist, mit »prcä, prcav, prcavi«; auch im Cechischen versteht man unter »prcati se« — sich einfältig benehmen. — Nachdem nun alle Namen in der spezifisch untersteirischen Gralsage in der slovenischen Sprache ihre klare Etymologie finden, ist es mehr als wahrscheinlich, daß auch »Perceval«, wie die älteste Namensform lautet, in dem Grundworte »prca, perca« seinen Ausgang hat. »Perceval« ist daher nur ein kürzerer Begriff für das klarere deutsche »Hans im Glücke« oder »Dummer Hans«.--------Über- dies wird im »Parcival« einige Male des Kropfes erwähnt, und sind namentlich die Alpenländer doch als jenes Gebiet bekannt, wo die Erkrankung der Schilddrüse am häufigsten'ist. Befreit man nun den Kern der Gralsage vcn den anklebenden Schlacken, so ergibt sich ungefähr felgendes Bild. Der Grundgedanke ki istallisiert sich um die allgemeine volkstümliche Anschauung: d e r Dumme h ä t d a s Glück, denn man glaubt doch immer, daß der unverschuldet Geistesarme mitunter mehr Erfolg im Leben habe, als der an Geist wie Körperkraft Hervorragende, denn beim Klugen sieht maxi a priori das Glück als eigenes Verdienst und nicht als durch Zufall herbeigeiührt an. Außerdem unterliegt der Dümmling weniger den Verführungen, wie solche in der Gralsage eine hervorragende Rolle spielen, denn seine ganze Klugheit konzentriert sich im Mißtrauen oder im starren Beachten eines Verbotes. Um diesen Kernpunkt gruppieren sich' dann die Episoden, welche die Richtigkeit jener Lebenserlahiung demonstrieren, denn zum Finden des Graies bedarf man eben einer Fcrson, die den lockendsten Versuchen widersteht, und diesen Bedingungen kann am ehesten ein Einfältiger entsprechen, — Im bretonisclien Gralmärchen, dessen Held »Peronnik« heisst, tritt diese Auffassung sogar noch weit prägnanter zutage. Für Lockungen ist da reichlich gesorgt, denn, daß es sich hier um keine hochmoralische Angelegenheit handelt, dafür sprechen doch schon, die kurzen Biographien yon iQinschor, Jeschute, Sigune \vie Kundrie, und ist es naheliegend, daß ein mit adeligen »Büßerinnen« besetztes Kloster den .minnesuchenden Kittern, Troubadouren und Abenteurern des Mittelalters mit seinem parfümierten Krauendienst einen besonderen Anreiz bot. Der Umstand an sich, daß in ein solches Kloster nach alter Sitte sozial hochgestellte Mädchen und Frauen gesteckt wurden, die außerehelich Mütter wurden, daher an Heiratsqualitäten einbüßten, dann Ehebrecherinnen und Verführte, läßt wohl den Schluß zu, daß es in einem solchen Kloster überhaupt nicht besonders züchtig zugegang^n sein mag, daher galante Abenteuer keine Seltenheit waren, und führt die gelegentliche Erinnerung an verwichene Schäferstunden trotz strengster Ordensregeln die Natur des Weibes selbst leicht zu Rückschlägen. Die primär didaktische Grundidee der Parcival-Sage kann daher auch als eine andere Art der paradiesischen Legende: Das Weib als Verführerin des Mannes angesehen werden, welchen Lockungen aber gerade der Einfältige am schwersten unterliegt. Dieser Moralsatz wurde aber, dann durch eigenartige Umstände von der-ursprünglichen Tendenz abgezogen, und verlor auf diese Weise den beabsichtigten pädagogischen Hintergrund. •. Der Umstand, daß alle hier handelnden Personen nur sie charakterisierende Gattungsnamen tragen, weist unbedingt dahin, daß siavischerseits längst zuvor jemand das zügellose Klosterleben in Studenitz satirisch behandelte, denn es ist ausgeschlossen, daß ein Nichtslave durch reinen Zufall zu den, den geschilderten Vorkommnissen angepaßten volkstümlichen Bezeichnungen, wie: Klinschor, Jeschute, Kundrie, Sigune, Parceval u. a. gekommen wäre. Eschenbach hatte da zweifellos eine altslovenische Chronik zur Vo~-lage, und beherrschte er selbst die slovenische Sprache nicht, so ließ er sich den Inhalt von »emandem verdolmetschen. Und in dieser Chronik, waren wohl auch die Klosterverhältnisse geschildert. Eine bloße Lokalchrcnik kann aber dies trotzdem nicht gewesen sein, denn im »Parcival« werden auch viele Stellen der altslavischen Chroniken, die nur diese kennen, angeführt; so z. B. der grüne Edelstein (»diu ist noch gruener denne der kle«), dann die Edelsteine, die zu Heilzwecken verwendet werden (z. B. gegen Schlangenbiß), dann weitere Schmuckedelsteine, welche nicht einmal die Bibel kennt. Er führt weiters die vier Flüsse des Paradieses nicht mit den biblischen sondern mit den slavischen Namen an; er gebraucht nicht den längst gut bekannten lateinischen Namen »Aquileja«, sondern den slovenischen »Oglej« als »Aglei« u. a. m. — Jene Chronik muß aber geradezu in Untersteiermark selbst entstanden sein, denn die darin angedeuteten sprachlichen Sexualintimitäten setzen unbedingt einen gründlichen Kenner der lokalen Idiotismen voraus. So mag es denn auch gekommen sein, daß die Personen in der Sage kaleidoskopisch wechseln; sie haben keine bestimmten Umrisse und keine Namen, da der erste Schilderer der realen Begebnisse sozusagen die Wahrheit nicht »mit Namen« nennen wollte ojler konnte. Die Handlung selbst hat sich eine flüssige Form bewahrt und der Mangel einer konkret vorliegenden Begebenheit. zeitigte die vielen romantischen Varianten. Auf dem Wege der sprachlichen Unorien-tiertheit kamen die unflätigsten Begriffe in direkten Zusammenhang mit mythisch-religiösen, und so gedieh der ganze Gralsägenzyklus zu einem höchst konfusen Mysterium, bei dem ein Decamerone mit dem Passionsspiele zusammengekoppelt erscheint, weil die Tradition niemand beachtete, und die Sprachwissenschaft als letztens Reagens nicht zu Worte gelassen wurde." Diese sprachkritische Beachtung und Durchleuchtung des Gralsagenkomplexes zeigt aber auch im großen, daß den Erklärern bisher gleich die erste Orientierung fehlte, daher die Deutung, Darstellung wie Durchgeistigung der Sage oder Legende überall eine • verschiedene war, stets im Reiche der buntesten Phantasien schwebte, und soweit sic sich noch konkret erhielt, immer dem subjektiven Lfrteiie des Erklärers unterlag. Man vergleiche z, B. nur die wunderlichsten Auslegungen des Namens »Parceval«. Der eine meint, er sei als >perce-val«, d. i. »durchs Tal« zu nehmen; der zweite »pier-tiieval« bedeute »Peterchen — das Pferd«; der dritte: »parcheval« heiße so viel als »hoch zu Roß«; der vierte: es sei als »farsifal«, d. i. »der unwissende Ritter« zu deuten; der fünfte meint, es sei hier das lateinische »per se valens« (= durch sich stark) kontaminiert; der sechste leitet es vom arabischen »parseh fal« her, wonach es etwa »der reine Tor, der arme Dumme« bedeute, zu welcher Auslegung sich auch Richard Wagner verführen ließ, aber dabei seiner genialen Gestaltungskraft gemäß der Ursprünglichkeit am nächsten kam. Auf einen slavischen Erklärungsversuch ist jedoch niemand verfallen, obschon das ganze IX. Buch des »Parcival« dazu klar lenkte, und die Marschroute Pürcivals in Untersteiermark derart sicher gezeichnet ist, daß ein prinzipielles Abirren bei dieser Auslegung völlig ausgeschlossen war. Allerdings muß man hier auch zugehen, daß es nicht erfolgversprechend schien diesem Thema slavischerseits seit dem Momente, als die lokale Kontinuität der Sage mit Untersteiermark zerrissen war, näher zu treten, denn die geschichtliche Rehabilitation der Sage erforderte besondere Zufallsprämissen. Der Forschende mußte nämlich, nebst einer genauen lokalen Orientierung, sozusagen von Geburt aus mit den Intimitäten der slovenischen Sprache jenes Gebietes vertraut .sein, denn ein vorübergehend in jener Gegend Lebender erhält kaum je einen Einblick in die Sprachgeheimnisse und Spracheigen- beiten, die hier im Volke niedergelegt sind. Man weiß auch seit langem, daß die Sprache des untersteirischen Slovenen einen ganz ungewöhnlichen Reichtum an originellen Begriffen besitzt, daher es auch der Slavist Kopitar in einem Schreiben an Dobrovsky bedauert, kein geborener Untersteirer zu sein. Die wissenschaftliche Rehabilitierung der Urheimat der Gralsage gibt uns aber eine sehr deutliche Weisung, wie es auch bei den sonstigen Sagen und volkstümlichen Geistesprodukten in bezug auf ihre Herkunft stehen mag, wenn es, wie hier, sogar möglich war die lokal deutlich festgehaltene Ursprungsquelle dieser Volkslegende vol{-kommen um ihren Heimatschein zu bringen und daran auch dann noch festzuhalten, nachdem schon von mehreren Seiten darauf aufmerksam gemacht wurde. Selbst in den Schulen Österreichs vermochte nicht einmal der gewöhnliche Lokalpälriotismus eine Berichtigung durchzusetzen, denn im »Grundrisse der deutschen Literaturgeschichte für die oberen Klassen der österr. Realschulen« ist zu lesen und demnach falsch zu lernen: »Die Gralsage stammt aus dem Orient und kam über Spanien nach Frankreich. Der Gral ist eine Schüssel aus Jaspis, daraus Christus bei der Stiftung des Abendmahles mit seinen Jüngern gespeist, und in der Josef von Arimathäa das Blut Christi aufgefangen hat. Engel haben den Gral aus dem Morgenlande ins Abendland gebracht. Bewacht wird er von den Tempieisen, an deren Spitze ein König steht, den der Gral durch eine auf der Schüssel erscheinende Schrift selbst beruft. Der erste König, Titurel, baute auf dem Berge Montsalwatsch im Lande Salvaterre (in Spanien! eine Burg, und auf einem Fels, der aus reinem Onyx besteht, einen Tempel von nie gesehener Pracht usw.« — Nachdem Wolfram von Eschenbach doch den Montsalwatsch ausdrücklich nach Steiermark verlegt, und Eschenbach selbst als eine zweifellos deutsche Quelle angesehen werden muß, kann es sich hier auch um keinen nationalen Antagonismus, sondern nur um eine rein gedankenlose Wiedergabe landläufiger Vermutungen handeln. Wie mag es aber da erst mit jenem poetischen Volksgutc aus-sehen, das mit der Germanisierung und Romanisierung, also zugleich mit dem Sprachwechsel, automatisch in das fremde Lager überging. Der uns suggestiv aufgedrängte Revisionsprozeß mit der Gralsage möge aber diese Nachprüfung einleiten, denn eine wissenschaftlich objektive, internationale Scheidung und Sichtung des großen, volkstümlichen Materiales, das chaotisch aufgehäuft liegt, ist endlich gebeten. Die früheren Kenntnisse sind den folgenden Erkenntnissen scharf entgegenzuhalten, umsomehr als wir dermalen doch darüber nicht im Unklaren sind, daß die politischen Einflüsse, wie auch der geringe Widerstand gegen Autosuggestionen, unser Reindenken schon empfindlich getrübt und die einseitige Spezialisierung zur Gewohnheit gemacht haben. Der verläßlichste Mentor bei dieser Scheidungsarbeit kann aber wieder nur die Spra'chwissenschaf t sein, die' hiebei als den untrüglichsten Prüfstein die V o 1 k s t e r m i n o 1 o g i e verwertet, denn nur diese vermag dort die Sage mit der Lokalität in inmgste Relation zu bringen, wo sie selbst'ihre Geburtsstätte hatte, wie es in der Gralsage offenkundig der Fall ist. — Wer ist der Presbyter Johannes ? Man stößt bei sprach- und kulturgeschichtlichen Forschungen fortgesetzt auf Dinge, die der Wisssenschaft nur deshalb ein Rätsel geblieben sind, weil die naheliegende Lösung allzu überraschend erscheint, sie daher auch niemand offen aussprechen will. Und doch ist es notwendig das vorerst Unglaubwürdigste offen auszusprechen, worauf die Weiterforschung mit Hilfe des Ädriadnefadens durch das Labyrinth von Vorurteilen, Hypothesen und unscheinbaren geschichtlichen Anhaltspunkten doch zu einem beachtenswerten Urteile kommen kann, ob hiemit eine Wahrheit oder ein Irrtum ausgesprochen wurde. Ein Beispiel solcher Art ist die Persönlichkeit des »Presbyters Johannes« in der weltlichen wie Kirchengeschichte. Diese Figur spielt fortgesetzt eine führende P.olle, ohne je konkrete Individualitätsfor-men anzunehmen, oder sich auch örtlich zu festigen, denn ihr Auf-tauchen wechselt fortgesetzt zwischen Europa und Asien, wobei aber doch nie eine genauer umgrenzte Handlung realer Natur in den Vordergrund tritt. Das eine ist hiebei allerdings ständig: der Presbyter Johannes steht immer zum Namen David (altslav. »Davd«) in irgendeinem Verhältnisse. Einmal gilt er als Vorfahr des Mongolenfürsten Cingis-kan, der aber auch als König David in den russischen Annalen bezeichnet wird, denn er sei etwa der Anführer des Mongoleneinfalles in Rußland gewesen; ein andermal ist jener David der Sohn des Johannes; ein drittesmal sind wieder David und Johannes dieselben Personen; gelegentlich erscheint David sogar als Urenkel des Johannes. Allem Anscheine nach handelt es sich aber hier um einen uralten, in der menschlichen Tradition erhaltenen, aber nebelhaft gewordenen Begriff für Gott oder eine gottgleich verehrte Persönlichkeit. Dieses läßt sich aus folgendem schließen: a) ist der Begriff »Presbyter« nicht im heutigen Sinne sondern e t y- mologisch zu erfassen, denn die äußerlich griechische Form, die ja in dieser Sprache sjirachchemisch nichts bedeutet, ist nur ein gräzisiertes altslavisches »presbit«, d. i. Ü b e r w e s e n, oder »pre-bist«, d. i. höchstes Wesen als Gattungs- oder Funktionsbegriff, der aber im Laufe der Zeiten sichtbar an sozialem Werte verliert. Im II. Jahrhunderte bezeichnete man in der christlichen Kirche, wie Synagoge, noch allgemein den Bischof, d. i. das an Alter und Erfahrung älteste Mitglied der Kirchengemeinde, als »Presbyter«. Aber schon im IV. Jahrhunderte sinkt das Ansehen dieses Amtes zur Bedeutung: Pfarrer, als es immer mehr Bischöfe, also Stellvertreter Gottes auf Erden gab, als welcher ja heute noch der Papst angesehen wird; b) der eigentliche Name oder Zuname jenes höchsten Wesens war nun »Joan, Johann, Johve, Jahwe, Jachin«. Es geht dies schon aus der Genesis hervor. Der Anfang kennt nur Gott. Doch schon im 2. Kapitel tritt der »Jahwe Gott« auf, aber dieser führt bereits Kriege, denn an einer anderen Stelle wird schon »das Buch der Kriege Jahwes« (4. Buch, 21) erwähnt, wornit bereits die Existenz einer weltlichen Herrschaft jenes höchsten Wesens beglaubigt err scheint; c) es fällt auf, daß den Fürstentiteln im Altslavischen sehr häufig die Buchstaben »io«; also die Anfangslaute des Namens »Joan« als eine Art »von Gottes Gnaden« beigesetzt erscheinen, wie z. B. »Vojevode Io Jeremije Mogila«, oder »pečat io Stefan vojevoda« u. a.;1) d) kann es sich biologisch nur um eine abstrakte oder im Laufe der Zeiten erst personifizierte Erscheinung handeln, denn der »Presbyter Johannes« lebt in der Sage wie Geschichte vom I. bis zum XIV. Jahrhunderte fortgesetzt in der Fassung als konkrete Persönlichkeit auf einem mystischen Grunde, denn ihn erwähnt schon Dionysios, der um das Jahr 248 Bischof von Alexandrien war (vrgl. Eusebius von Caesarea. Hist. Ecclesiae III, 39, 12), und bringt ihn letzterer selbst wieder in irgendeinen Zusammenhang mit der Apokalypse, die doch vom Apostel Johannes verfaßt sein soll, deren Echtheit, er aber auch aus verschiedenen Gründen anzweifelt. — Besonders erweitert und dabei phantastisch ausgeschmückt taucht aber die Sage erst gegen das Ende des Mittelalters auf. Schon im XII. Jahrhunderte ging im Abendlande die Sage herum, die Fürsten von Kerait (im Innern Asiens) herrschen als Christen über ein mächtiges christliches Reich, sind selbst als Könige Priester, und führen als solche den Namen: Johannes Presbyter. Im XII. und XIII. Jahrhunderte erhielt die Sage dann noch weiteren Farbenschmuck, als ein Bischof von Gabula in Syrien ') Ich fragte bei etlichen Slavisten an, wie sie sich dieses immer wiederkehrende »io« auslegen, erhielt aber in den meisten Fällen keine oder aber eine negative Antwort. i. J. 1145 zum Papst Eugen III. kam, und Wundervolles über jenen, von den Weisen des Morgenlandes direkte stammenden König erzählte. Noch großartiger wird aber jener Priesterkönig in einem angeblich eigenen Schreiben geschildert, das er i. J. 1165 an den byzantinischen Kaiser Manuel gesendet haben soll. Hier bietet er »als Herr der Herrschenden dem Kaiser an: er möge zu ihm kommen, und Oberaufseher seines Hofes werden; er sei der reichste unter den Königen; 70 Könige zahlen ihm Tribut; er herrsche über drei Indien.2) Sein Land fließt von Milch und Honig, und ist so groß, daß es nur mit den Sternen am Himmel und dem Sande im Meere verglichen werden könne; die zehn Stämme Israels sind seine Knechte. Sein Palast ist nach dem Muster desjenigen erbaut, den der Apostel Thomas dem König Gundafor von Indien erbaute. Er habe die schönsten Frauen um sich, die sich ihm aber nur viermal des Jahres zur Kindererzeugung nähern. Die Hofämter versehen nur Erzbischöfe und Könige; ¿ein oberster Koch sei Abt und König zugleich usw.« — Aber schon der Mönch Mosheim (»Historia Tartarorum«) bezweifelt sowohl die Richtigkeit des Namens »Johannes« wie das Prädikat »Presbyter«, und hält alles für eine Sage, denn bei seinem Aufenthalte in jenen Gegenden (um 1730) wußte, außer einigen Nestorianern, niemand etwas von einem Presbyterkönig Johannes; e) fällt es auf, daß Christus, als Gottes Sohn, sowie dessen Mutter Maria, vom König David abstammen, mit dem auch der Presbyter Johannes in einem verwandtschaftlichen Zusammenhänge steht. Es handelt sich daher hier offenkundig um eine phantastische Weiterbildung der Sage im christlichen Sinne, die vor allem den Zweck hatte, Interresse für die Annahme der christlichen Religion zu erwecken und diese Inspiration nach Innerasien zu verbreiten, denn schon der Inhalt des erwähnten Schreibens zeigt, daß es sich dem Verfasser um Übertreibungen handelt, die die irdischen Verhältnisse weit überschreiten, daher mehr allegorisch zu nehmen ist. Überdies kommt Zarucke, der dieses Thema in seinem Werke: »Der Priester Johannes« (Leipzig 1876—79) kritisch weitgehendst behandelt hat, zu dem Schlüsse, die Grundlagen dieser Priesterkönigsage könne nur in Europa, also im Abendlande liegen, denn orientalische Schriftsteller — ausgenommen Abulfaradz — können sie überhaupt nicht. Augenscheinlich baut sich aber die ganze Sage auf das Man unterschied schon im Altertume ein europäisches Indien, d. i. ungefähr das Gebiet des ehemaligen Illyrier,, ein S k y t h o-Indien (Südrußland, Kaukasus, Armenien) und ein asiatische s- Indien. — Es schein^ daß man einst überhaupt- jedes fremde Gebiet als »Indien« benannte, daher es auch ein West» indien und die Indianer in Amerika gab. später etymologisch unverständlich gewordene aitslavische »presbit« (oder »prebist«) auf, und da dieses ein Abstraktum ist, konnte auch die Phantasie darauf nichts Greifbares aufbauen.3) *) *) Augenscheinlich ist der deutsche Begriff »Priester«, für den man überhaupt keine sprachliche Deutung weiß, nichts weiter als ein verschliffenes »prebist« oder »presbit«. Mythologische Entgleisungen. Die Mythologien aller Völker bergen eine Menge Material, das schon durch seine Unnatürlichkeit die Voraussetzung ausschließt als Produkt der nüchternen Volksphantasie angesehen werden zu dürfen, denn der Naturmensch pflegt, sobald er sich mit Übernatürlichem beschäftigt, dabei allen niedrigen Instinkten, namentlich Blasphemien, auszuweichen. Was demnach da Ungereimtes verkommt, ist durchaus kein echtes Volksgut, sondern eine mechanische Zutat von Mytho-graphen, die sich stets ohne welches Mandat herandrängten mit wechselndem Geschicke und Geschmacke den vorhandenen kargen mythischen Stoff zu ergänzen, umzuformen oder umzudeuten. Wir wissen z. B. doch, daß die griechische Mythologie von Hesiod. und den Homeriden aufgebäut wurde. Ansätze mögen ja hiezu im Volke gewesen sein; daß aber der griechische Bauer oder Schafhirt auch nur e i n Prozent von der ganzen olympischen Götterwelt vor dieser Zeit gekannt hätte, darf als sicher angenommen werden,. Schon der Umstand, daß sich der Naturmensch z. B. seine höchste Gottheit, in diesem Falle Zeus, so ohnmächtig vorstellen könnte, daß sich dieser erst in einen Stier Verwandeln muß, um eine Jungfrau (Europa) zu entführen, steht im grellsten Widerspruche ztfm normalen göttlichen Allmachtsglauben. — Auf Analoges stößt man gelegentlich auch in der germanischen Mythologie’ soweit sie von Grimm und Simrock aus Eigenem Zutaten erhielt, und gilt derselbe ebenso für die indische, egyptische und römische Mythologie. Nicht verwunderlich ist es daher, wenn sich_ schon in den ältesten Zeiten Denker fanden, die gegen solche künstliche Weiterungen mehr oder weniger erfolgieich auftreten. Gegen die griechische Götterwelt, wo die Unmoral, Hinterlist, Rach- und Ränkesücht eine stän-digelRölle spielen, wendete sich unter anderen schon Aristophanes, der die homerischen Götter in seinen satirenreichen Lustspielen über alle Maßen und dabei ungestraft lächerlich machte, und deren durch- wegs »imgöttlichen« Lebenswandel auf der öffentlichen Bühne geißelte. Aeschylos erklärte Zeus rundweg als die einzige höchste Gottheit über alles. Desgleichen sprach sich Horatius für eine einzige regierende Gottheit, den Monotheismus aus; alles übrige liegt ihm ferne des Begriffes: Religion. Die slavische Mythologie selbst wurde in dieser Weise niemals ausgebaut, erhielt aber doch zum Teile auch gewisse »Ergänzungen«, die eine geradezu unglaubliche Geschmacklosigkeit bekunden. Eine solche »Ergänzung« wurde z. B. der altvendisch-litauischen Mythologie von jemandem zuteil, dem nicht nur die Phantasie hiezu, sondern nebst kümmerlichen Sprachkenntnissen auch das Verständnis für das Wesen des Mythischen im Volksglauben vollends mangelten, sofern man an eine bewußte Entstellung oder Verhöhnung nicht glauben will. Nachstehend soll eine größere Zahl solcher Beispiele vorgeführt werden, um zu zeigen, was da alles mit dem Gottheitscharakter ausgestattet wurde, sowie um zu beweisen, wie solche Banalitäten nun schon durch Jahrhunderte in mythologischen Werken sorgfältig konserviert und gedankenlos weiter verbreitet werden, statt sie als warnende Beispiele unnatürlichen, kritiklosen Denkens und der unbewußten Verhöhnung der menschlichen Kultuswelt kurzweg über Bord zu werfen. G o n d u, — Göttin der Freude, die angeblich den Männern die Jungfrauen zur legalen Ehe anbietet, bzw. zugleich die Vir-ginität der Mädchen beschützt. — Der Name deckt sich jedoch mit »kunda, kcnda«, worunter fast alle Slaven lediglich die weiblichen Geschlechtsteile verstehen. Für das »g« und »k« hatte aber die alt-wendische Runenschrift nur ein Zeichen, daher die Lesung einen Spielraum beließ. Jüterbog. — So hieß angeblich der Morgengctt oder die Göttin der Morgenröte bei den slavischen Preußen Brandenburgs. Diese Gottheiten enstanden jedoch aus der falschen Etymologie, denn nicht »jutro« f— Morgen) ist hier maßgebend, sondern »jut, jutit« (= Recht, Schutz, schützen). »Jüterbog« ist daher identisch mit: Schutzgott, Schutzherr, Grenzbeschützer, und sind demnach die »Joten«, die Riesen der. germanischen Mythologie, nichts weiter als die Schutzherren oder Wächter einer bestimmten Gegend. Die Mythologie erzählt auch, daß sie auf Höhen (»Jotenheim«) wohnen und Verschanzungen gegen die mächtigen Erdensöhne bauen, d. h. sie sorgen für den lokalen Schutz gegen feindliche Nachbarn, sind daher nur die Soldaten der ältesten sozialen Organisation. — Wie eine solche Begriffsverwirrung entsteht, zeigt die Schrift »Die Tempel und Pyramiden der Urbewohner auf dem rechten Elbeufer« (Leipzig, 1828) des Dr. Friedrich Wagner, der S. 45 erzählt: »Wenn man bedenkt, daß Juetre-Bog aus den beiden alten, wendischen Wörtern »juetre« = Morgenröte, und »Bog« Gott, zusammengesetzt ist, also die Morgenröte unter irgendeinem Götzenbiide hier verehrte, so wird dies umso wahrscheinlicher, da der »Golmberg« (10 km östlich Jüterbog) der allerhöchste Punkt in einer viele Meilen weiten Umgebung ist, und man also von hier aus die Morgenröte selbst am frühesten und herrlichsten erblicken konnte, bei welchem Anblick gar leicht das Bild selbst vergessen und die Morgenröte unmittelbar als Gottheit gedacht und verehrt werden kennte«. Dann S. 62: »Wo der Gott der Morgenröte stand und verehrt wurde, ist klar erwiesen und gesagt, aber nicht unter welchem Bilde, wovon aber auch nichts Bestimmtes nachgewiesen werden kann. Wahrscheinlich ist es, daß man bei Verehrung des Morgengottes oder der des Gottes der Morgenröte (Jutribog) gar kein Bild vor Augen hatte, sondern die erscheinende Morgenröte selbst als solches betrachtete, und darin das höhere, verehrbare Wesen fand, denn der eine Punkt, wo die Verehrung solcher Götter statlfand, war der Golmberg, der am höchsten gelegene Ort in einer weiten Umgebung«! -— Dann S. 63: »Zwar stand auch in Jüterbog selbst, also in einer tiefgelegenen Gegend, ein Tempel der Morgengöttin, aber ebenfalls auf einem künstlich errichteten Berge« usw. — Daß in jener Gegend der isolierte »Golmberg« sowie der »Tanzberg« auf dem »Neumarkte« in Jüterbog, die man beide als von Menschenhand errichtet ansieht — wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Abgrabung, um sie sturmsicherer zu machen — als Sitz des Schutzherm jener Gegend diente, oder daß man sich bei feindlicher Gefahr daselbst zusammenscharte, ist naheliegend, umsomehr als Ausgrabungen auf beiden Punkten zahlreiche alte Kulturresiduen an den Tag förderten. Kirpiczus. — Gott der Bauten, aber »kirpic« ist die nord-ostslavische, namentlich russische Bezeichnung für: Ziegel. »Kirpiczus« ist daher gleichbedeutend mit: Ziegelschläger. K o s t b e r a. — So hieß angeblich die germanische (!) Göttin, die mit dem Lesen der Runen vertraut war. Sie allein vermochte die mit Runen geschriebene Einladung Attilas zum Besuche dessen Hofes seitens der Nibelungen zu entziffern. »Kostbera« ist aber die slavische Bezeichnung für: Würlelleserin, denn »kost, kostka« bedeutet: Knochen, Würfel, und »berem, brati«: lesen, sammeln, zusammensuchen. — Wahrscheinlich handelt es sich aber hier lediglich um eine schriftkundige Person im allgemeinen, denn daß man keiner »Göttin« bedurfte, um eine prosaische Einladung zu entziffern, ist wohl naheliegend. Kremara.- Schutzgöttin der Eber und M utters c Ji,w e i n e. Gemeint ist aber hiemit nur die Magd, welche die Großschweine füttert, und im Slavischen tatsächlich als -krmara« (»krmiti« füttern) prosaisch bezeichnet wird. K r o d c. — Auf der Harzburg (Sachsen) stand einst (nach Bothes Sachsenchronik) ein dem Gotte »Krodo« geweihter Tempel. Karl d. Gr. soli diesen slavischen »Götzen« nach Besiegung der Ostsachsen zerstört haben. Die mitlebenden Chronisten wissen aber darüber nichts weiter, als daß jene Höhe von ihm e r o b e r t wurde. Die Wahrheit daran konzentriert sich um die Tatsache, daß auf der Höhe ein »grod« (== Burg) stand, und aus diesem Begriffe bildete jemand, da »g« und »k« in der Runenschrift denselben Laut haben, ein »krodo«. Die Meinung, es war. dies ein auf einem großen Fische stehender Mann,, der in der Rechten ein Blumengefäß, in der Linken ein Rad hielt, ist wohl nur als das Phantasiegebilde eines Myihologen anzusehen. K r o s t o. — Schutzgott gegen den Hautausschlag. Slav. »krasta, krosta« — A b z e ß, Hautausschlag; der deutsche Begriff K r ä t z e ist desselben Stammes. Krszisztcs. — Nach dem Aberglauben der Polen soll dies ein Gott gewesen sein, der die Kreuze auf dem Friedhefe bewachte, — Daß dies eine religiöse Ungereimtheit ist, liegt nahe, da doch das Kreuz als das typische Symbol des Christentums gilt, daher dieser »Götze« nur einen Rückfall zum »Heidentum« bedeuten würde. — An dieser Stelle sei auch erwähnt, daß die Begriffe »Christ, Christos« slavischen Ursprungs sein müssen, denn »krst« (~ Taufe, Kreuz) und »kristi, pokristi« (z. B. in der Königinhofer Handschrift) besagen so viel als: glaubensstarkmachen, an das Kreuzzeichen glauben im Slavischen. Der Umstand, daß diese Begriffe nur im slavischen Wortschätze die organisch richtige Wurzel und Bedeutung haben, fordert sicherlich zum Nachdenken heraus, wieso Jesus zum slavischen Attribute »Christus« gekommen sein mag, und wieso dieser von der ganzen Welt (analog wie »Pilatus«) angenommen werden konnte. Kurwajczin, — Schutzgott der Zäune. Er hatte angeblich zu verhindern, daß die Bauemburschen nachts die Einfriedungen der Höhe übersteigen und zu den Mädchen in die Schlafkammern ein-dringen. Im Slavischen gilt »kurvar, -kurvaj« ( H u r e r; polnisch »jkurwacz« = i 11 e g r t i m e n Beischlaf pflegen. L i g i s z u s. — Gott, der die entzweiten oder streitenden Menschen aussöhnt, also wieder verbindet. Slav. bedeutet aber »liga« _ Verbindung, »lika, lieje« — Bastbindfaden, »ligatornija« — Buchbinderei. Lubieniczu.') — Göttin, die das Eheband unlösbar Zusammenhalten soll. Die Litauer nennen sie auch kurz »Lubicz« oder »Lub-czuk«, d. i. Geliebter, Geliebte, Angebetete, Herz-liebste, sind sonach nichts .weiter als alltägliche Koseworte der Liebenden. M a h s 1 u baba. - - Schutzgöttin des Hauskehrichts (!). — xMahslu« scheint hiebei nur eine verderbte Form von »metla« ( Besen) zu sein, also; B e s e n w e i b. p i z z i. — So hieß etwa der E h e g o 11 der alten Polen, den der Bräutigam und die Braut bei der ersten Umarmung anriefen. Dem sei nur entgegengehalten, daß im Slavischen mit »picek« der männliche, mit »pica« der weibliche Geschlechtsteil bezeichnet wird, was genügt, um die Existenz eines solchen Gottes dauernd zu löschen. (Vrgl. auch das deutsche > pissen«.) — Polengabi a. — Göttin, die sich um das Brennholz für den häuslichen Herd zu kümmern hat. Slav. »poleno« = Scheitholz; . Gabija« = Göttin des Reichtums, deutsch: Gabe, Spende, also etwa: Holzbesorgerin. Priparscis. — Schutzgöttin der Ferkel. Darunter ist wohl nur die Magd zu verstehen, die bei den Ferkeln (slov. »pri prascih«) ihre Hauptbeschäftigung hat, da sie dieselben auch abspänen mußte. Pripegala. — Gott der Wollust. Er soll umso zufriedener gewesen sein, je mehr Christenköpfe man ihm zum Opfer brachte, doch weiß man nichts darüber, wie er dargestellt wurde. Die erste Erwähnung dieser vermeintlichen Gottheit stammt schon aus dem XII. Jahrhunderte, also zu einer Zeit, als sich das sprachliche Ver-städnis durch die Germanisierung bereits zu trüben begonnen. Das Grundwort ist das slav. :pribeg« {= Schutz, Zuflucht, Schutzsuchender), demuai h »pripegala« nur Zufluchtsort, Schutzstätte bedeuten kann. Die in der Stadt Jüterbog angeblich dem Gotte »Pripegala -< geweihte Höhe war sonach nichts weiter, als eine Stätte, die als Verteidigung- und Alarmplatz bei feindlichen Anlässen hergerichtet war. R a l a j n i c a. — Schutzgöttin der Reitpferde und P f erst c s t a 1! u n g e n. — Der Begriff muß einer Verwechslung mit dem deutschen >reiten« unterlegen sein, denn ansonst bezeichnet er im Slavischen Krieger in, event. Kriegsgöttin (rat = Krieg) und kann auch R atgeberin bedeuten (rad, rada = Rat). Möglich, daß ihr daher ein Mythograph den Schutz der Streitrosse zugedacht hat. weil er das Wurzelwort fälsch auslegte. ’) Alle diese Namen werden hier so wiedergegeben, wie sie sich in den alten polnisch-wendisch-litanischen Mythologien vorfinden, obschon man mit Recht annehmen darf, daß die schwerfällige Schreibweise selbst den Originalbegriff nur noch weiter entstellte. S o l v a r. — Wolanski berichtigt in seinen »Briefen über slawische Altertümer« (II. Brief; Gnesen, 1846) eine Figur in Th, v, Nar-butts >.'Geschichte des litauischen Volkes«, weil vermeintlich falsch gedeutet Es handelt sich da um die Darstellung eines angeblich altslawischen (litauischen) Götzen namens »Sotvar«. Die Streitsache ist aber ir allen ihren Phasen nur ein typisches Zeichen einer bedenklichen Kurzsichtigkeit der Gelehrtenwelt in slavicis, und der geradezu pathologischen Sucht alles Natürliche unnatürlich auszudeuten. Diese Figur befindet sich nämlich als Wasserzeichen auf einem alten Papiere, und führte die falsche Voraussetzung, daß diese einen Götzen darsteile, zu felgendem Schlüsse. Das Papier sei schon vor der Bekehrung des Polenkönigs Jagieilo, also vor dem J. 1386 verfertigt worden. Da es aber erst im XVI. Jahrhunderte beschrieben wurde, muß es zuvor ungefähr 200 Jahre irgendwo unverwendet gelegen sein, da man annehmen muß, nach Einführung des Christentums sei die Verbreitung von Götzenbildern im allgemeinen, namentlich aber auf diesem V ege, sicherlich vermieden worden. Dies liefere den Beweis der hohen Kulturstufe von einst in Litauen und Rußland, woselbst es schon Lumpenpapier gab, als es sonst in Europa kaum erst bekannt geworden war usw. — ’ Narbutt hält mm diesen »Götzen« als identisch mit dem litauischen Sternengotte »Schwaigstiks«. Wolanski bestreitet dies dahin weisend, daß »Sotvar« mit dem Bildnisse »Schwaigstiks« gar keine Ähnlichkeit habe, sondern er sei eher mit dem römischen Sternen-gette Uranus, zu vergleichen. Die Meinungen eines Bohusz, Lasicki und anderer, die Narbutt als Autoritäten anführt, und die »Sotvar.< für ein Symbol der Sonne, des Weltprinzips, der Weltseele u. drgl. halten, verwirft Wolanski und entscheidet: »Sotvor« ist in altslawischer Mundart gleibedeutend mit »Pötvor« (= Scheusal, monstrum), ist daher ein Höllengott, und identisch mit dem »Deumo« (= Dämon) der Hindu? Er gibt zuletzt Narbutt den Rat, »diesen Götzen vom slawischen Olymp in den Tartarus hinabzustürzen, da es ihm dort wohler sein wird«. Und was ist die Wirklichkeit? — Es handelt sich hier überhaupt um keinen Götzen, sondern im Gegenteile um einen echt christlichen Gott, und ist es völlig unverständlich, wieso alle diese namhaften Forscher die so klare und tadellos erhaltene »cyrillische« Schrift um die P'igur »bog nas sotvor« (= Gott, unser Schöpfer) nicht richtig zu lesen und zu deuten vermochten, umsomehr als im Altslawischen (wie auch noch jetzt) »sotvoriti« hundertmal für »erschaffen« gebraucht wird. — Das Papier mit diesem Wasserzeichen an sich wäre daher einerseits noch kein Beweis, daß es in Rußland und Litauen schon in heidnischer Zeit Papiermühlen gab, sowie es andererseits nicht un- bedingt verneint werden kannr daß es auch in heidnischer Zeit bei allen Völkern einen höchsten Gott, den Schöpfer des Alls, gab, der bei den Siaven als »sotvor« bezeichnet wurde. Nur das Wasserzeichen selbst spricht, als eine jüngere Erfindung, dafür, daß es sich hier um eine nachheidnische Darstellung handeln kann, umsomehr als Wasserzeichen mit Figuren religiöser Grundlage früherer Zeit nicht unhäufig waren,1’) Znic, —* Bei dieser »Gottheit« weis man gleichfalls nichts über deren Aussehen wie Funktion, was auch begreiflich ist, da der Name seine Entstehung einem eigenartigen Mißverstädnisse verdankt. Es hörte jemand wiederholt die Siaven sprechen, oder er las es irgendwo: »bog z nic svet stvaril«, d. h. Gott hat aus nichts die Welt erschaffen. Da man nun weder phonisch noch aus den älteren Schriften, die keine Wortteilüng beachteten, entnehmen kann, daß »z« hier nur als Vorwort »aus« gebraucht erscheint, hat nun jemand aus sprachlichem Unverständnis die Stelle als ein Wort erfaßt und »entdeckte« so eine neue Gottheit, denn der Satz lautet dann: Gott Znic hat die Welt erschaffen. — Da nun dieser sekundäre »Weltschöpfer« auf diesem Gebiete unmöglich mehr eine solide Betätigung finden konnte, paschte man ihn in die Mythologie mit dem Bemerken ein, »über dessen Wesen herrsche volle Unklarheit«, was nach allem- auch buchstäblich stimmt. — • * Wir finden hier viele, wenn auch sehr prosaische Analoga für die Objekte„der klassischen Mythologien. Zahlreiche -weitere »Gottheiten«, die aber sehen sprachlich bis zur Unverständlichkeit oder sicheren Erkenntnis ihrer Referates entstellt sind, können jedoch in-bezug auf ihre Entstehung einstweilen überhaupt nicht gedeutet werden, namentlich wenn deren Äußerlichkeit unbekannt und deren Schutzgebiet nicht mehr eruierbar ist. Der künftige Verfasser einer allgemeinen slavischen Mythologie wird daher genau zu beachten haben, was mythischer Volksauffassung entspricht, oder was dabei als spätere Zutat aus Geschmacklosigkeit oder Neigung zu Obscöni-täten, mangelhaftem Sprachwissen, unkritischen Schlußfolgerungen oder krankhaftem Mythologisierungsbedürfnis vom volksmoralischen wie volksästhetischen Standpunkte rücksichtslos auszuscheiden kommt. Alles Große, Schöne und Poetische im Glauben und Gefühle der Völker kann hiebei, wenn der Grundgedanke zum Leitfaden wird, daß ,j e d e .Mythologie ,m i t .Religion .identifiziert 2) Der Verfasser besitzt ein altes leeres Papierblatt mit einem geradezu künstlerisch ausgeführten Muttergottesbilde und der Umschrift »Sancta Maria Mater Dei« als Wasserzeichen. Das Papier soll aus Polen stammen und wurde in Lemberg gefunden. werden muß, bei entsprechender Vorsicht und kritischer Sonde des Materials leicht von den Schlacken befreit werden, denn die Religion eines Naturmenschen kann nur einfach und dabei erhaben sein, daher auch ein Naturvolk nur sittlich vollendeten Musterbeispielen seine Verehrung zuwenden, demnach auch nichts Banales, Frivoles oder unnatürlich Aufgebautes enthalten kann. — Anläßlich der Christianisierung hatten die Missionäre bei der Entthronung der heidnischen Gottheiten bei den Slaven auch mir dann einen rascheren Erfolg, wenn sie die Vorgefundenen Gottheiten durch noch vollendetere Ersätze substituierten. Übrigens geht alle Entartung zur Vielgötterei und zu Perversitäten im Kulturdienste Hand in Hand mit der Entartung der Moral, und doch kann letztere dabei im Volke selbst niemals in derlei Geschmacklosigkeiten verfallen, wie wir sie eben gehört, nachdem wir uns zugleich überzeugt haben, auf welchem sonderbaren Wege eine einfache Naturreligion Hunderte von »Göttern« erhalten kann, die in der Wirklichkeit prosaische Schweinemägde, Holzträgerinnen, Straßenkehrerinnen u. drgl. sind, oder aus sonstigen sprachlichen Mißverständnissen hervorgingen, ohne daß das Volk selbst auch nur eine Ahnung davon hätte. Demjenigen, der sich mit Fragen der slavischen Vorzeit eingehender beschäftigt, kann zwar auch nicht die Wahrnehmung entgangen sein, daß die Forschung schon gelegentlich bemüht war mit unserer Mythologie ins Reine zu kommen, daß aber die positiven ,Erfolge immer ausbüeben, weil man sich nie in die unbeeinflußte Gedankenwelt eines reinen Naturvolkes zu versetzen vermochte, um zu erkennen: je. naturbeständiger ein Volk ge blieben ist, desto einfacher ist dessen Religion, und desto höher seine instinktive Moral. In diesem Sinne wäre nun die altslavische Mythologie zu erfassen und dahin zu sondern, was als mögliche Naturreligion und was hingegen als Volksmythe oder Volksmärchen anzusehen ist. Dem Verfasser einer »Slavischen Mythologie x wird unter diesen Voraussetzungen geradezu fast kein Stoff übrig bleiben, denn namentlich die Siidslaven, deren Kulturverhältnisse die soziale Urform, die sogenannte patriarchalische, noch heute nicht ganz aufgegeben haben,, können hiezu fast gar kein Material beitragen. Hingegen wird ihm eine Unmenge von volkstümlichen Vorstellungsptodukten verfügbar bleiben, die sich sodann sozusagen automatisch zum großen Sammelwerke »Slavische Volksmärchen« zusammenschließen werden, wo freilich wieder eine kritisch ordnende Hand jedes Thema in allen Varianten der einzelnen slavischen Völkergruppen kaleidoskopartig zu behandeln und dabei auf die einfachste gemeinschaftliche Form zurückzuführen haben wird. mmu _A., -ULUU -uS-- -A- _A- -Ui » o 5 5 -Q ' < Die »desetnica«-Sage als Muster volkstümlicher Erziehung zur Gastfreundschaftspflege. Die uralte yolkssage, wonach die zehnte Tochter derselben Ehe, »desetnica« genannt, nicht im Elternhause verbleiben dürfe, sondern in die Welt hinaus müsse, ist unseres Wissens nur bei den Slo-venen in ausgesprochener Form bekannt. Allenthalben ist zu hören, daß dasselbe Schicksal auch schon der neunten Tochter, die dann »devetnica« genannt wird, beschieden ist. Es birgt sich darin vor allem die familienwirtschaftliche Lehre, die vor allzuzahlreicher weiblicher Nachkommenschaft warnen soll, da das Ausheiraten vieler Töchter das Familienvermögen nachteilig beeinflußt und namentlich eine Landwirtschaft zugrunde richten kann. Die tragischen Folgen eines solchen Überschuß-Kindes treffen aber nicht allein das Kind selbst, sondern die ganze Familie leidet selbst physisch darunter, denn man ahnte, daß zu einer gewissen Zeit das dem harten Lose verfallene Kind Eltern wie Geschwister werde verlassen müssen, um einer dunklen, trüben Zukunft entgegen zu gehen. In die reine Prosa übersetzt, will dies jedoch besagen: Das Kind muß, bis es größer wird, in die Welt hinaus, um sich dort Brot zu suchen, denn bei uns wird es kaum ausreichen. — Gelegentlich hört man auch Ähnliches vom zehnten männlichen Kinde, das dann »deseti brat« (= zehnter Bruder) benannt wird, aber eine zahlreiche männliche Nachkommenschaft ist dem Landbauer im allgemeinen nicht unerwünscht, abgesehen davon, daß sich der Knabe in der Welt auch weit leichter fortbringt und weniger moralischen Gefahren ausgesetzt ist, als das Mädchen. Jenir mystische Gewaltspruch, der damit auch festlegt, daß die erstgebornen Kinder erhöhte Sässigkeits-rechte im Geburtshause und am Stamm besitze haben, hat jedoch das sanfte Volksgemüt und der natürlich menschliche, immer gerechte Sinn der Volkspoesie iür beide Parteien etwas zu mildern gewußt. Ist schon der .Fall an sich äußerst selten, daß dieselben Eltern zehn Töchter erhalten, so geht die »desetnica« auch nicht etwa als gewöhnliche Bettlerin in der Welt herum, sondern das Schicksal hat sie— außer den erhöhten Geistesgaben — immer mit besonderen, zumeist übernatürlichen Eigenschaften, wie: der Sehergabe, der Kenntnis heilender Kräuter und verborgener Schätze, dem Einvernehmen mit mythischen Wesen u. drgl. ausgestattet, so daß sie nirgends lästig fallen muß, ja im Gegenteil, überall eine gastfreundliche offene Aufnahme findet, zumal man weiß, daß sie willkommene Gegendienste zu leisten vermag; desgleichen bezeigt ihr selbst die Natur gelegentlich ihr Entgegenkommen. Liegt nun schon im Sagenstoffe eine wirtschaftlich warnende, die Folgen zwar hart darstellende und doch die Schicksalwucht zart abtönende Lehre für die Eltern, sich keinen Familienstand zu gründen, den sie schließlich nicht zu ernähren und entsprechend zu erziehen vermögen, so hat diese Lehre andererseits einen noch viel schöneren menschenfreundlichen ^Hintergrund. Es birgt sich darin der bewunderungswürdig feinfühlige Wink zur Pflege der Nächstenliebe, zur Milde und Wohltätigkeit gegen die Mitmenschen, also vor allem Gastfreund schaf gegen jedermann, der, unbekümmert darum, ob Freund oder Feind, des Hauses Schwelle betritt. Dieser überaus edle Grundzug, den das ganze völkergeschichtliche Leben hindurch trotz aller Mißgunst noch niemand der slavi-schen Volksseele abzusprechen wagte, verankerte sich aber gerade darin dauernd, daß man selbst dem völlig Unbekannten jederzeit Stärkung und Obdach gewähren müsse, weil das Volksempfinden unablässig dahin wies, daß jedem Fremden ein W esen innewohnen könne, das jede V ermutung überschreitet, daher eine solche Übertretung oder Mißachtung auch eine schwere Sühne erfordert, wie dies zugleich auch unsere Sage zeigt. Die schicksalsschweren Folgen verweigerter Gastfreundschaft schildert nämlich die Volkspoesie stets in schwärzesten Farben, denn einmal ist es der zur Erde herabgestiegene Gottvater selbst, der da abgewiesen werden könnte, ein andermal die Jungfrau Maria, ein Heiliger, eine verirrte hohe Persönlichkeit, ein Hellseher, ein Glückspender, ein Zauberer, ein Unglücklicher, und endlich eine »desetnica«; namentlich hatte man vor letzterer ihres mystischen Wesens wegen nicht nur eine heilige Scheu, sondern auch ein hohes Vertrauen und tiefes Mitleid zugleich. Es galt in slovenischen I.anden einst allgemein als eine ungewöhnliche Herzlosigkeit, ja Roheit, einen Bittenden nicht Gastfreundschaft zu gewähren, und wies einmal ein Familienmitglied jemand schroff ab, so fand sich fast immer ein zweites, das demselben nötigen- falls nachrief, ihn einholte und die Abweisung bestmöglichst gutmachte, denn es galt erfahrungsgemäß als ein böses Omen für das Haus und die Familie einen Bedürftigen unbefriedigt abgewiesen zu haben. Im Dorfe wurden solche Leute, die gelegentlich einen Bettler abgewiesen h#ben, still evident geführt; man mied es sogar ein solches Haus zu betreten, und wußte man sich auch immer gleich eine Erklärung, wofür die Strafe Gottes kam, sofern das Haus einmal vom Unglücke betroffen wurde. Den ältesten bisher geschriebenen Beweis für die edle Pflege der Gastfreundschaft bei den Slovenen — die Verhältnisse waren übrigens bei all e n Slaven dieselben — bietet uns schon Paul Warnefried, der Diakon von Aquilea (geb. um 730 in Fri-aul), der in seiner Longobarden-Chronik einen solchen rührenden, sich etwa in der Zeit von 650—670 n. Chr. abspielenden Vorfall erzählt. Nachdem er ein erschütterndes Bild der damaligen Kulturzustände, der ununterbrochenen Feindseligkeiten gegen die Grenznachbam. der verübten Gewalttaten, der grausamen Behandlung der Kriegsgefangenen bietet, stellt er dieser Barbarei die liebevolle Behandlung entgegen, die einem seiner Vorfahren als Fremdling im slawischen Lande zuteil wurde. Paul Diaconus schreibt: »Zur Zeit, als das Volk der Longobarden aus Pannonien zog, kam auch Leochis, mein Ahnherr, der Vater meines Urgroßvaters, ein geborener Longobarde, mit nach Italien. Er lebte einige Jahre daselbst, starb darauf und hinterließ fünf kleine Söhne. Diese wurden beim Einfall der Avaren gefangen genommen und ins Land der Hunnen abgeführt, woselbst sie das Joch der Knechtschaft trugen. Zum Mannesalter gekommen, verblieben vier in der Gefangenschaft, der fünfte aber, mit Namen Leupechis, der nachher mein Urgroßvater wurde, entfloh und wollte wieder nach Italien gelangen, wo das Volk der Longebarden wohnte. Er trug nichts bei sich als einen Köcher, einen Bogen und etwas Lebensmittel. Diese gingen bald aus, der Hunger machte ihn kraftlos und schon verzweifelte er am Leben. Endlich fand er menschliche Wohnungen; Slaven’ nämlich hielten sich daselbst auf. Da fiel er .einer alten Frau auf; aus Mitleid ward er aufgenommen und im Hause geborgen. Die Frau gab ihm von Stunde zu Stunde zu essen, damit er sich erholen könne. Sobald dies geschehen, reichte sie ihm Lebensmittel auf den Weg und sagte ihm, wohin er sich wenden müsse. Nach einigen Tagen langte er in Italien an und kam wieder zu seinem Geburtshause« — Ähnliche Anschauungen finden sich gelegentlich auch in alt-slavischen Geschichten und Chroniken. Es folge hier nur eine Stelle aus dem Epos »Slavina« des Hi E. Jahn, der die Satzungen der Gastfreundschaft nach den alt wendischen Quellen, als sich Slavina im Walde verirrt und beim Todfeinde Schutz sucht (um das Jahr 1090), in folgende Worte des Gastgebers kleidet: »Willkommen bist du, weiße Taube, Die du des Wenden Schutz begehrst! Kein Arm wird wider dich sich heben, Kein Dolch nach deinem Leben zucken. Und wärest du des Todfeinds Gattin, Kannst ruhig du und sicher schlafen. Denn heilig ist am Herd der Todfeind, So er auch selbst in unsrer Mitte Vertrauend Schutz gesucht und rastet.« — Eine erhebende Szene verwandter Art erzählen die slavischen Chronisten auch von Attila, die allerdings im grellsten Widerspruche zu dem steht, was die slavenfeindlichen Geschichtschreiber über diese hervorragende Heldengestalt wissen. Auf seinem Zuge nach Frankreich i. J. 451 traf eine Hunnenschar an der Matrona (Marne) eine Mutter mit einem Säugling an der Brust und neun Töchtern, anscheinend also auch eine »desetnica«-Familie, die sich eben in den Fluß stürzen wollte. Die ganze Familie bot, verhärmt und abgehungert durch die lange Flucht vor dem Feinde, das lebende Bild des menschlichen Kriegsjammers, Kalt und tränenlos warf sich die verzweifelte Mutter zu den Füßen Attilas und flehte für sich und ihre Kinderschar die Wohltat des Todes an. Der »Barbar« sprang vom Pferde, bot der Trostlosen seine Hand, richtete sie auf, trocknete die Tränen der Kinder, ergötzte sich an dem süßen Worte »Vater«, das sie ihm stammelnd beilegten, und ließ sie, reich beschenkt und mit ihrem Schicksale ausgesöhnt, wieder heimkehren. Die »desetnica«-Sage muß schon ein uraltes pädagogisches Volkcgut bei den Slovenen sein. Man darf dies daraus schließen, daß die vorhandenen einfachsten Volksdichtungen darüber noch vorchristliche Anspielungen in sich bergen, während erst spätere Fassungen vereinzelt christliche Merkmale aufweisen. > Um einen Einblick in den Sagenstoff und die Methode der volkstümlichen Darstellung, wie man am unauffälligsten und dabei nachdrücklichsten den Sinn für die Pflege der Gastfreundschaft weckt, sowie den tragischen Konflikt bei verweigerter Gastfreundschaft herbeiführt, folgt nachstehend jene Ballade, die als die älteste und typischeste dieser Richtung zu sein scheint (Nr. 311 der Sammlung »Slo-venske narodne pesmi«), in freier deutscher Übersetzung: Es stehet dort ein weißes Schloß. —-Der reiche Herr spaziert im Schloß Und fleht gar sehnsuchtsvoll zu Gott Um einen Erben in der Not: Um einen Sohn, um einen Sohn. — Kaum war der Herzenswunsch gestellt, Ein Töchterlein ihm kam zur Welt, Das zehnte, zehnte Töchterlein. — So cft dem Kinde reicht das Brot Die Mutter, weint sie bei dem Brot. »Was weinst du, liebe Mutter mein, Bei meinem Brote nur allein?« — »»Wie soll ich Ärmste weinen nicht, Zum Abschied ruft dich bald die Pflicht!«« »Gedulde dich, o Mutter mein, Es muß ja nicht die jüngste sein!« T— Als sieben Jahre just vorbei, Da flog ein Vögelein herbei Mit einem Ring von Gold, und singt, Als hell der Ring am Fenster klingt: Backe, Mutter, einen Kuchen schnell, Dieses Ringlein knete in das Mehl, In Stücke zehn den Kuchen teil: Wer den Ring im Kuchen hat. Am Morgen schon zu wandern hat! — Die Jüngste in den Kuchen beißt. Gleich ins goldne Ringlein beißt- — »»Behüt' dich Gott, o Mutter mein, Es muß noch heut geschieden sein; Behüt' euch Gott, ihr Schwesterlein, Es muß noch heut geschieden sein; Behüt’ dich Gott, du weißes Schloß, Ich ziehe fort nun — heimatlos!«« — Die erste Nacht im dunklen Forst, Da spricht sie traut zum ersten Baum: »»Du gibst mir heut den Lagerraum!«« — Da spricht der Baum, sie warnend lind: »Geh fort von mir, du zehntes Kind! Es kommt ein Wetter heute Nacht; Sobald der erste Donner kracht, Der Blitz den Stamm zu Splittern macht.« Da schreitet sie zum zweiten Baum: »»Du gibst mir heut den Lagerraum!«« — Da spricht der Baum, sie warnend lind: »Geh fort von mir, du zehntes Kind! Es kommt ein Wetter heute Nacht; Sobald der zweite Donner kracht, Der Blitz den Stamm zu Splittern macht.«— Da tritt sie zu dem dritten Baum: »»Du gibst mir heut den Lagerraum!«« — Da spricht der Baum auf dies Begehr: »Mein zehntes Kind, o komm nur her, Dir droht bei mir kein Wetter schwer!« — Nach sieben Jahren führt das Los Das Mädchen wieder zu dem Schloß. »»0 edle Frau, ich bitte euch Für heute um ein Lagar weich!« — »Für dich ist unter meinem Dach Für heute offen kein Gemach; Es freien heut der Töchter neun; Zieh fort mit Gott, du Mädchen klein!« — »»0 lasset mich, o Mutter mein. Doch sehen, wie die Schwestern frein!«« — »0 ziehe, ziehe fort von hier, Für dich hab' heut ich kein Quartier!« -— »»Behüt' dich Gott, o Mutter mein, Behüt' euch Gott, ihr Schwestern neun, Behüt' dich Gott, du weißes Schloß. Ich sah euch wieder, elend, bloß, Und ziehe weiter, — heimatlos.«« — »Zurück, zurück, o Kindchen mein!« »»O niemals wieder, nein und nein!««— Da bricht in namenlosem Schmerz Das schwergeprüfte Mutterherz. —* Das altslavische Bardentum. Die landläufigen Anschauungen über die Entstehung der Volksdichtungen, namentlich jener epischer Richtung, die immer dahin weisen, daß sie — buchstäblich genommen — im Volke entstanden seien, erfordern eine sachliche Richtigstellung auf der Grundlage kulturgeschichtlicher Forschungsergebnisse. Es ist schon an sich unwahrscheinlich, daß z. B. eine größere kriegerische Begebenheit jemand im Dorfe, dem hiezu meist die notwendige Übersicht über die Handlung selbst fehlt, besingen oder in einer größeren poetischen Arbeit festhalten würde. Die echte Volks- und nationale Epik konnte sich in der Hauptsache nur auf Burgen und Herrensitzen entwickelt haben, und gelangte von dort erst unter das» eigentliche Volk. Alle die bekannten Sänger, wie der russische B o-j a n, der cechische Lumir und Zaboj, die ruthenischen »kobzari. dudarzi« und alle die südslavischen »guslari« standen mehrweniger im Dienste eines Guts- oder Brotherrn, und sorgten, soweit diese Sänger nicht selbst Fürsten und Gutsherren waren, für Musik und Gesang in deren Mußestunden; nur dort konnten sich auch die verschiedenen epischen Sagenkreise, je nach der Auffassung der verschiedenen Begebenheiten und der poetischen Inspiration der Dichter-Sänger ent-wicklt haben. * Desgleichen müssen wir bei der Frage nach dem Alter dieser Sängerzunft gleich in die nebelgraue Vergangenheit zurückgehen. — Die bisherige Annahme, daß eine epische Dichtung durch den historischen Inhalt in bezug auf ihr Alter bestimmbar sei, erwies sich überdies vielfach als ein Trugschluß, denn wir kennen genug epische Dichtungen, in denen historische Personen von drei Jahrhunderten in derselben Handlung vereinigt auftreten. Es ist dies ein Fingerzeig, daß man alte Dichtungen immer wieder »modernisierte«, beliebte volkstümliche Personen chronologisch beliebig agieren ließ, ohne daß jemand den Anachronismus beanständete, denn der Zweck des epischen Sängers gipfelte bei den Slaven doch immer in der Weckung der Be- geisterung für neue Kämpfe, wozu die bewährtesten Vorbilder immer wieder die dankbarsten waren; um die geschichtliche Akribie scherte sich da wohl niemand.1) Wir dürfen daher niemals bestimmt aussprechen, daß z. B. der epische Gesang der Russen erst mit Vladimir (980—1015) beginnt, denn aus dieser Zeit haben sich nur die ältesten jetzt bekannten Belege erhalten, und bestätigen dies doch auch die Namen der alten Barden, wie eben: Bojan und Lumir, von denen wir nichts weiter wissen, als daß sie sich in der slavischen Tradition als »Sänger der Vorzeit", erhalten haben; wann diese »Vorzeit« war, können wir nicht einmal ahnen; da sie aber in unseren ältesten epischen Dichtungen, wie z. B. in Zaboj, schon als eine Art mythischer Sänger-Patriarchen angesehen werden, kann ihrer realen Lebenszeit die weiteste Grenze in die Vorzeit gesetzt werden, ohne daß man deshalb die Schlagbäume der Möglichkit überspringt- Das hohe Alter der ältesten epischen Personen prägt sich auch darin aus, daß wir da fast ausschließlich nur Vornamen erfahren; Familiennamen sind noch nicht üblich. Dieses ist aber ein Kennzeichen einer sehr alten Zeit, als es noch genügte, jemanden nur mit dem Vornamen zu kennzeichnen, üm aber dabei Verwechslungen zu vermeiden, gab man immer neue Namen, daher sich dieselben Personennamen in der altslavischen Geschichte fast nie wiederholen, und kommt z, B. unter den nationalkroatischen Königen durch Jahrhunderte derselbe Name nicht zweimal vor. Bei allen altslavischen Volksepen muß auch nie außeracht gelassen werden, daß vielfach dasselbe Motiv verschiedenen Personen appliziert wird; zum mindesten ist diese Tatsache bei den südsla-vischen Volksdichtungen erwiesen, denn bei derselben Handlung spie len einmal die Helden Svilojevič, dann wieder Janko Jurišič und schließlich auch Sekulija die Hauptrolle, obschon sie zeitlich im Leben weit von einander stehen. Für die lyrische Volkspoesie gilt im allgemeinen dasselbe, doch hat hier die Gelegenheitsdichtung eine subjektivere ’Grundlage. Der glücklich liebende oder von der Angebeteten schroff abgewiesene Bauernbursche findet bald eine mehrweniger poetische Form, um seine Gefühle zum Ausdrucke zu bringen; zu einer epischen Fassung seiner Situation wird es sich aber kaum aufraffen können, da schon die Handlung hiezu meist nicht hinreicht. Im allgemeinen kann auch nicht behauptet werden, daß sich das 1) Derlei Anachronismen weisen alle Volksepen auf. So treffen z. B. im Nibelungenliede Attila und Dietrich von Bern als Zeitgenossen auf, obschon Dietrich erst ein Jahr nach dem Tode Attilas (453) geboren wurde. Der Dichter hob hiemit nur die Heldengestalt Dietrichs, indem er sie in einen bekannteren Sagenkreis verlegte. alte Sänger- und Musikleben auf den Feudälsiizen wie am Dorfe bereits vollends verloren hätte, denn eigentlich hat sich nur die Kultur-form verändert. Die Höfe haben auch heute ihre Hofkapellmeister und Hofsänger, und am Dorfe draußen besorgt der Dorfmusikant anläßlich der Bauernhochzeit eder des »Koleda«-Umzuges den dichterischen wie musikalischen Unterhaltungsstoff, der freilich nur mehr einen Momentwert besitzt. Kommt da etwas Geistreicheres oder Künstlerischeres auf, so kann man auch heute damit rechnen, daß es eine breitere Aufnahme, ja Verbuchung findet, wofür normal die Lehrerschaft und Geistlichkeit auf dem Lande sorgt. Unleugbar ist es aber, daß die Einführung von stabilen Theatern und Konzertsälen, die Vorstellungen reisender Schauspielertruppen, die Militärmusiken u. ä. dem alten Bardentum die einstige Bedeutung nahezu ganz abgenommen haben, und ist selbst das in Wien noch vor wenigen Jahren so populäre Volkssängertum« ganz eingegangen, ja, es wurde sogar behördlich verfolgt. Zweifellos bringt der Vergleich des Jetzt mit Einst in dieser Hinsicht tiefgehende Unterschiede, die durch die geänderten Verhältnisse der Kultur, des Verkehres und der Hinneigung wesentlich bedingt wurde. Der soziale Fortschritt und der immer sich ändernde Zeitgeist haben mit so mancher eingelebten Gewohnheit schonungslos aufgeräumt, die einmal sozusagen überall ein selstverständliches Asyl fand. Ein wagabundierender Dudelsackpfeifer odei dichtender Sänger auf der Walze findet heute mit all seiner »Kunst« bei der Pplizei oder Gendarmerie kein duldsames Verständnis mehr; im engen Kreise des Dorfes findet sich aber wenig Gelegenheit zu poetischen Inspirationen oder bezahlten Improvisationen. Schon Alexander Chodzko mußte um die Wende des XVIII. Jahr-hundertes bekennen, wie dies P. Szymonovicz im Artikel »Das alte Bardentum bei den Polen und Rutenen« (im »Staroslovan«, 1914) näher darlegte, daß »jene polnischen Sänger und Guslaspieler, die mit den benachbarten Druiden wetteiferten, wer die Seinen am nachdrücklichsten zur Schlacht anfeuere oder sie am besten beim Mahle ergötzen könne, ausgestorben sind. Ihre Lieder sind verstummt, ja längst aus dem Gedächtnis der Enkel entschwunden, und ihre Harfe verwittert in Vergessenheit«- — Auch Wöjcicki schreibt um das Jahr 1815, daß die alten Lieder, diese Denkmäler entschwundener Jahre immer weiter der Vergessenheit anheiinfallen; lediglich im Munde des Landvolkes erhält sich noch ein schwacher Wiederhall dunkler geschichtlicher Erinnerungen, als das spezifisch slavischen Charakters, Wesens und Geistes. Schon damals, sagt er weiter, sah man selten mehr die »kobza« (I.eier mit 3 Seiten); nur selten begegnete man mehr einem erwerbsmäßig umherziehenden »dudarz« (Dudelsackpfeifer, »duda« = Sack- pfeife], und dennoch gab es deren unter Stephan Batory eine s.olche 'Menge, daß der Reichstag von 1578 verordnete, von jedem »dudarz« eine Jahresabgabe von 24 damaligen Groschen zu erheben. — Der Dudelsack und die Leier widerhallten auf den Burgen der »pany«.(des hohen Adels) und den Höfen der »szlachta« (die Edelleute, niederer Adel); selbst der Ritter, wenn er mit bestäubter Rüstung aus dom Felde heimkehrte, schämte sich durchaus nicht, auf der »kobza«, duda« oder »bandura« (kleinrussische Laute) zu spielen. Als der berühmte Held Fürst Samuel Korecki, genannt »der türkische Donnergott«, nach einer unglücklich ausgefallenen Schlacht in türkische Gefangenschaft geriet, spielte er fleißig auf der »kobza« und tröstete so seine unglücklichen Gefährten, »Die »kobza«, bisweilen auch »koza« oder »duda« genannt, war vornehmlich in den Gegenden der oberen Weichsel, die Leier und »bändura« hingegen mehr bei den Ruthenen im Gebrauche. An Spielern auf solchen Instrumenten gab es eine außerordentliche Menge; viele waren in Städten und Dörfern ansäßig, viele wanderten jedoch ständig umher und durchzogen spielend und singend Dörfer, Schlösser und Gehöfte. Manche brachten es sogar bis zu einer gewissen Virtuosität; so war z. B. im Dorfe Czortowice (zwischen dem Dnjestr und Prüf) ein russischer Bauer allgemein bekannt, der mit seinem Spie! e, seinen Liedern und Tänzen die Edelleute im weiten Umkreise ganz besonders zu entflammen verstand. Bei den Polen wie Ruthenen gab es aber auch noch einen besonderen Stand an Vclkssängern, die je nach dem lokalen Sprach-gebräuche als »lirniki, kobzari, spiewacy«, im Litauischen im besonderen ais »vajdeloci« benannt wurden. Es waren dies zumeist blinde Männer, jedoch nicht von Natur Blinde oder Erblindete, sondern solche, die sich gewöhnlich selbst blendeten oder aber von ihren- Eltern zu diesem Zwecke geblendet wurden, denn das Gewerbe der Sänger und Gusiaspieler letzte das körperliche Gebrechen der Blindheit sowohl bei den Süd- wie Nordslaven geradezu voraus. Es handelte sich dabei wohl in erster Linie nicht so sehr darum, auf diese Art ein erhöhtes Mitleid zu erwecken, sondern durch die Blendung wuchs die hiezu notwendige Gedächtnisschärfe, weil die äußeren Eindrücke die Psyche des Blinden nicht mehr wesentlich beeinflußen. Es ist ja sonst nahezu undenkbar, daß sich ein solcher Sänger ein derart fabelhaftes Liedgedächtnis aneignen könnte, wie es z, B. der Bosnier Salko Vojnrkovic war, der 86.000 Verse epischer Volksdichtungen frei zu rezitieren vermochte. Ruhrend war der nicht selten sich darbietende Anblick eines solchen künden Greises, wenn er, den Quersack über die Schulter, auf seinen jugendlichen Sohn oder Enkel gestützt, durch Dörfer und Gehöfte dahinwanderte. Der Greis setzte sich nieder und spielte ent- weder selbst auf der Leier, oder es dreht der Junge die Wirbel als Begleitung zum Gesänge des Alten, je nachdem ein andächtiges oder ein weltliches Lied oder aber eine trauervolle »duina« (elegisches Gedicht) angestimmt werden soll. Allein der echte Sänger beginnt weder eine triste »duma« noch eine lustige »kolomyjka«, ehe er nicht das Lied vom hl. Nikolaus gesungen, das immer nahezu den gleichen Wortlaut hatte; »Keinen größeren Beschützer gibt es auf Erden, als den hl. Nikolaus; auf ihm ruht alle unsere Hilfe, all unser Verstand; er rettet den Gefangenen, die Waise, die Witwe. Hast du gesündigt und betest zu ihm, so führt er dich auf den Weg der Wahrheit, verjagt von dir die reißenden Wölfe und verscheucht des Teufels Hinterlist. Hurt der Waisen, Pfleger der Armen! — Um was du ihn auch bittest, in allem hilft er dir; und wenn der Tag des schrecklichen Gerichtes naht, so ist er der Schutz und Schirm der Sünder«. — Erst dann folgen, je nach Wunsch und Situation, andere Lieder. So ziehen die beiden von Dorf zu Dorf, vcn Hof zu Hof. Der Blinde füllt allmählich seinen Quersack mit Lebensmitteln und seine Taschen mit Geld, und kehrt dann vergnügt zu seiner Hütte zurück, um in sorgloser Genügsamkeit das eben Erworbene zu verzehren. Daß er indes sinnen mußte beim neuen Rundgange auch wieder neue Lieder zu bringen, ist wohl naheliegend; diese behagliche Kisa pada, trava raste« [=~- Es fällt der Regen, es wächst das Gias. Kuhač Nr. 871) in der Ausdehnung von'acht Takten enthalten. Kuhačs Entdeckungen dieser Art wuirden zwar von niemand widerlegt aber immerhin insoweit angezweifelt, weil man sich nicht erklären konnte oder wollte, wie die genannten Meister der Töne zu slavischen Volksliedern gekommen sein könnten, da sie nicht sla-visch verstanden, nie die Südslavenländer bereist und — soweit be- kannt — sich nie mit dem Studium der südslavischen Musik beschäftigt haben sollen. Da aber sogar die Mutmaßung aufgestellt wurde (vrgl. »Merker«, 2. Juniheft. 1912), es konnten diese Themen umgekehrt in die Volkslieder gelangt sein, widerlegte diese Möglihkeit S. Gruden im »Staro-slovan« (1913. S. 194) folgend: »Wir können auf diese, im Grunde genommen recht naiven Zweifel gleich eine entschiedene Antwrort geben, denn vor allem ist es geradezu grotesk auch nur einen Augenblick daran zu glauben, daß sich ein südslavischer Bauernbursche seine Liedermotive etwa aus Svmphoniekonzerten holt. Man weiß auch nicht, wo er diese gehört haben könnte, denn Symphonien spielt man im Dorfe nicht und in der Stadt besucht er derartige Musikproduktionen auch gewiß nicht; desgleichen wird in seinem Verkehrskreise in der Stadt kaum Kammermusik betrieben. Sagen wir es daher direkte und frei heraus: Beethoven und Haydn haben diese Motive den alten südslavischen Volksliedern entnommen und durchaus nicht umgekehrt.« Gruden erzählt weiter, daß die Südslaven noch massenhaft handschriftliche Liederbücher besitzen, die wesentlich älter sind als die Entstehungszeit jener Symphonien. Speziell weiß man beim Liede »Sirvonja* nichts weiter über das Alter, als daß der Text mehrere Begriffe enthält, die der Südslave heute schon überhaupt nicht mehr versteht, man weiß nur, daß es Blumenamen sind; welche Pflanzen damit gemeint waren, darüber herrscht heute in der Volkssprache schon große l.nklarheit. — Dieses Volkslied gehört überdies unter die sogenannten sigre - | ~ Zusammenspiele), die vollkommen internen Charakter tragen, da es sich dabei vornehmlich um Liebeserklärungen, Schäckereien oder Brautwerbungen handelt. Alle Lieder dieser Art sind aber außerordentlich alt, denn sie zeigen vielfach noch Spuren von heidnischen Gebräuchen; daß aber gerade dieses, wie man an-nimnM. älteste Lied erst :i a c h Beethoven ins Volk gedrungen wäre, ist daher ' i.ilkonnicn ausgeschlossen. Dasselbe j;ilt für das in der Vf. Symphonie verwertete kroatische Volkslied vKad sam v Sopron v šolo hodil« (Kuhač Nr. 810), das in Veliki BorBtof (Komitat ÖdenburgJ lange vorher gesungen wurde, ehe der Name Beethoven bekannt war Gruden schreibt weiter: »Ebenso leicht ist die Bemerkung zurückzuweisen, daß die beiden Meister der Töne nie die Südslavenländer bereisten. Ist aber dies überhaupt notwendig, um eine südslavische Melodie zu erfahren? Kann man eine kroatische Volksweise nicht ebensogut gelegentlich oder zufällig in Wien, Berlin oder Paris hören und sie dann verwenden? Namentlich ist dies bei Kroaten und Slovenen leicht der Fall, die doch überall gleich singen, sobald 3—4 Mann bei einem Glase Weines beisammen sind. Oder sind geschriebene Liedertexte mit beigesetzter Melodie so schwer zu finden, wenn man selbst, wie es bei Beethoven in späteren Jahren zutrifft, schwerhörig ist? Wer aber die Biographie Beethovens von Ludwig Nohl (»Beethovens Leben«) liest, erfährt darin, daß dieser doch den Kroaten Župančič (»Schuppanzigh«), einen hervorragenden Musiker und Violinisten, zum Musiklehrer hatte, sowie daß_ sich zwischen Lehrer und Schüler im späteren Leben sogar ein sehr intimes Freundschaftsverhältnis herausbildete. — Auch hielt sich Beethoven längere Zeit in Eisenstadt auf, welche Gegend doch Kroaten bewohnen. Daß Beethoven sonach reichlich Gelegenheit hatte in die Sphäre der südsla-vischen Volksmusik einzudringen, ist hiemit dargelegt, und fällt dieser Einfluß noch besonders dadurch auf, daß Beethovens erstes Opus, nachdem er selbständig wurde, eben jene Symphonie war, welcher er die meisten kroatischen Liedermotive unterlegte. Noch klarer liegen die Lebensverhältnisse bei Haydn, der doch in Rohrau |bei Bruck a/L.) geboren war, wo' sich anschließend eine lange Reihe von kroatischen Dörfern gegen südwärts zieht, und der überdies an 30 Jahre als Kapellmeister beim Fürsten Esterhazy im Ödenburger Komitate lebte, in dem sich noch heute vorwiegend kroatische Dörfer befinden, die aber vor mehr als 100 Jahren noch ausgesprochener kroatisch waren.« — Dis alles können demnach unmöglich lauter Zufälligkeiten sein, und ist es zum mindesten gewagt zu vermuten, daß hier oder auch sonst wo ein Volkslied seinen Ausgang aus einem Symphoniekonzerte genommen hätte. Weiters ist bekannt, daß das in Veliki Borištof aufgezeichnete kroatische Volkslied »Ženu hoče« (= Er will ein Weib. Kuhač Nr. 807), vom Komponisten Fr. Erkel als Trio des Marsches in der Oper »Huny-adi Laszlö«, sowie mehrere andere, genau bezeichnete kroatische Melodien in dieser Oper »Bänk-ban« verwertet wurden. Kuhač führt überdies beim Volksliede »Na tratici« (= Auf dem Rasen. Nr. 673) eine Anzahl von Volksliedern an, die von den Magyaren Note für Note übernommen wurden; der zugehörige Text wurde zum Teile wörtlih übertragen, zum Teile etwas abgeändert. Daß die Anleihe keine umgekehrte ist, hat schon Miklosich in seiner Schrift »Die slavischen Elemente im Magyarischen« dargelegt, denn die bodenständige Bevölkerung im heutigen West- und Südungarn waren doch die Slovenen, bzw, Kroaten. Auch der Walzerkönig . Johann Strauß' holte sich vielfach seine Inspirationen bei den slavischen Volksliedern. Die Bibliothekare wußten zu erzählen, wie oft er in die Wiener Hofbibliothek hastig kam, um sich irgendeine der vorhandenen südslavischen, čechischen, pol- föfeejskc, iruitvo-Ryf nischen oder russischen Volksliedersammlungen durchzusehen oder auszuleihen. Tatsächlich haben seine Walzer viel slavischen Einschlag; eine eingehendere Überprüfung dieser Melodienquellen hat aber unseres Wissens bisher noch nicht stattgefunden. Desgleichen ist die Provenienz der berühmten Koschatschen »Kärntner Lieder« durchaus keine originaldeutsche, wie man dies meist behaupten will — Zum Beweise sei hier nur das bekannteste und beliebteste, d. i, »Verlassen, verlassen bin i« näher besprochen, weil die Deutschen gerade dieses Lied als eines ihrer schönsten zu bezeichnen pflegen, obschon es Koschat kurzweg dem slovenischen Volksliederschatze entnommen und ohne weiteren Kommenter als deutsches Lied in die Welt eingeführt hat. Nachstehende Daten werden dies überzeugend darlegen. Die Melodie wie der Text unseres Liedes müssen schon sehr alt sein. Die Tradition weiß nur- mehr, daß es um das Jahr 1840—1850 noch im Rosentale von den Slovenen allgemein gesungen wurde, und habe zu jener Zeit der Pfarrer Franz Treiber in St. Jakob daselbst den Text zur Melodie gedichtet, was buchstäblich schwerlich richtig ist sondern er dürfte lediglich den erotischen Zug des Originales ausgeschaltet haben, um die herrliche Melodie allgemein verwertbar zu machen, denn Treibes erste Strophe lautet: »Zapuščen, zapuščen sem jaz Kakor kamen na potu, Vse zogne se me«.1) Von Koschat kann die Melodie daher schon biologisch nicht stammen, da er damals noch gar nicht auf der Welt war oder erst in Kindesalter stand (geb. 1845). — Koschat, der als Sohn slovenischer Eltern in Vetrinje (Viktringj in Kärnten geboren wurde, hörte in seiner Jugend die schönen slovenischen Volkslieder, die er dann in verschiedensten Formen der Öffentlichkeit übermittelte. Um deren Provenienz zu verschleiern, betonte er im späteren Leben nachdrücklichst sein Deutschtum, womit auch dessen Kenntnisse der slovenischen Lieder als unmöglich hingestellt werden sollten. Eine besonders plumpe Enteignung eines slovenischen Volksliedes wurde noch m jüngster Zeit deutscherseits vorgenommen. — In der »Deutschen Literaturgeschichte für die österreichischen Realschulen« erscheint die herrliche slovenische Volksballade »Lepa Vida (= die schöne Vida) unter dem geänderten Titel »Das Lied von der schönen Meererin« (?; gemeint ist wohl: Meeranwohnerin, Küstenbewohnerin) als deutsche Dichtung mit dem Beisatze aufgenom- »Verlassen, verlassen bin ich, wie der Stein auf dem Wege, alles weicht mir aus«. men, daß sie noch heute in der Gottschee (Kočevje, Krain) gesungen werde. — Diese Aneignung bzw. Behauptung ist jedoch in jeder Hinsicht unzutreffend, denn die Ballade hat vor allem keine zugehörige Melodie, sie wird tatsächlich auch nirgends gesungen, und ob den Text überhaupt irgendein deutscher Gottscheer kennt, wäre erst zu erweisen. Überdies sollte es aber auch einem deutschen Literarhistoriker bekannt sein, daß jene Ballade A. Grün erst i. J. 1849 ins Deutsche übertragen und dies auch offen in seinem Werkchen »Volkslieder aus Krain« (Leipzig, 1850). in dem er eine Auslese von Übersetzungen slovenischer Vilkslieder bietet, einbekannt hat; und nach 60 Jahren gilt sie bereits als Urgut der deutschen Literatur! — Die irreführende, überdies undeutsche Änderung des Titels ist hiebei die einzige deutsche Geistesarbeit. — Eine Entwicklung wesentlich anderer Art hat das herrliche slo-venische Volkslied »Kje so moje rožice?« (— Wo sind meine Blüm-!ein?:). — In der Biographie der slovenischen Tonkünstlerfamilie Ipavic erzählt Janko Barle (Laibach 1909, »Ipavci«), wie sich Gustav Ipavic bemühte eine jenem Texte ideal angepaßte Melodie zu finden. Der heutige Text selbst stammt vom Kanonikus Valentin Orožen (geb. 1813). Demnach wäre dies kein Volkslied im gangbaren Sinne. Nun führt aber Kuhač beim erwähnten Volksliede (Nr. 31) an, daß dieses Lied bei einem Ende der dreißiger (oder anfangs der vierziger) Jahre in Paris veranstalteten Musikkongresse, bei dem für das schönste Volkslied aller Nationen ein Preis ausgesetzt war, jenen Preis erhielt. — Weiters'erzählt Kuhač aus eigener Erfahrung, daß er vor mehr als 20 Jahren — dies schreibt er aber selbst vor dem Jahre 1880 — dieses Lied in St, Peter in Untersteiermark (an der kroatischen Grenze) vom Volke singen hörte. — Nach allem — schließt Kuhač — hat Ipavic das Volkslied in Noten gesetzt, aber nicht selbst komponiert, denn zur Zeit jenes Kongresses konnte er (geb. 1831 in St. Georgen a. d. Südbahn) höchstens 10 Jahre alt sein, und ehe ein Lied zum Volksliede wird, dauert es immerhin auch etliche Jahre. — Vermutlich steht die Sache so: Orožen gab dem volkstümlichen Texte eine poetisch vollendetere Form; Ipavic paßte diesem sodann die vorhandene Melodie an, und auf diesem kombinierten Wege erhielt jenes Volkslied seine mit Recht vielbewunderte Schönheit und Vollkommenheit. An dieser Stelle wären auch die südslavischen Trauerlieder inbezug auf ihr Alter hervorzuhebpn. Sie führen in Istrien und dem kroatischen Küstengebiete die Bezeichnung »taranščice«, und wird das Absingen solcher Klage- oder Totenlieder ais »tarakanje« oder »tandarikanje« benannt, Begriffe, die sich daraus gebildet haben sollen, daß hiebei der Chor immer den Refrain »taran i nanena« anfügt. Nun bezeichnen aber schon die Römer das Trauerlied als »naenia«, und der Minnesänger Walter v. d. Vogelweide als »Tandaradei«. Wel- eher Zusammenhang in der Benennung da mit den südslawischen Volksliedern besteht, wissen wir dermalen noch nicht genau, aber daß die Südslaven diese Begriffe weder von den Römern noch den deutschen Minnesängern des Mittelalters übernommen haben können, ist schon deshalb naheliegend, weil auch die zugehörigen Liedertexte einen ausgesprochen volkstümlichen wie bodenständigen Eindruck machen. Darin bestärkt uns aber auch die Etymologie, denn im Slove-nischen bedeutet »tarnja« =Jammer, Wehklage, und »tarnati = jammern, wehklagen. Auf etruskischen Leichensteinen und Grabobjekten wiederholt sich auch öfter die Inschrift »taran« in südslavischen Runen, die man bisher als den Namen eines Totengottes angesehen, da er bei Skulpturen stets den Toten in die Grabkammer vorausgeht, in der Wirklichkeit aber lediglich den Führer des Totenzuges, oder aber den Totengräber selbst bezeichnet haben mag- Aus diesem Grunde ist auch die »Tarnkappe« (ald. »tarni« — heimlich) identisch mit der Totenkappe, d. i. sie wird dem Abgeshiedenen, d. i. Unsichtbaren aufgesetzt, — Wenn hier auch nur an relativ wenigen Beispielen gezeigt wurde, daß auch die Volkslieder ihre eigenen Schicksale haben, sowie daß wir überzeugt sein können eine Unzahl von Perlen unserer Volkspoesie für alle Zeiten entfremdet oder unerkannt zu wissen, so können wir uns aber doch dessen neidlos weiter freuen die Besitzer so zahlreicher, vielfältiger und herrlicher Lieder zu sein, die Motive und Anregungen zu vielen unvergänglichen Musikschöpfungen geboten, so daß wir doppelt angeregt dastehen, ob wir nun ein Konzert besuchen, in einen Tanzsaal treten oder den Klängen einer Hymne lauschen, da wir überall bekannte heimische Melodien heraushören. Befremdend hiebei ist es allerdings, daß gerade die Siaven, das sang- und liederlichste aller Völker des Erdenrunds, diesen unerschöpflichen Reichtum wahrhaftig einzig dastehender Erfindungen, wie die tiefe und breite Entwicklung ihrer Schöpferkraft inbezug auf die Ursprünglichkeit der borm wie des Inhaltes ihrer Volkslieder, viel zu wenig können und einschätzen, daher ihnen oft erst der Fremde zeigen muß, welche klangvollen Schätze in dieser altererbten Volkskunst verborgen liegen, demnach es auch nicht verwunderlich, wrenn gerade bei den schönsten Produkten dieser Art gelegentlich eine Fälschung des Taufscheines vorgenemmen wurde oder noch weiter versucht wird. Die mährisch-slovakischen Wochenbeti-gardinen (»uvodnice«). Zu den ältesten und dabei künstvollst ornamentierten Ausnäharbeiten des mährisch-slovakischen Landvolkes gehören jene auf den Woche nbettgardinen, »uvodnice, koutni plachty, koucnice u. ä.« genannt, an. Tücher dieser Art hängte man um das in eine Zimmerecke geschobene Bett der Wöchnerin. Es waren dies breite Leinentücher eigener Erzeugung, längs der Mitte, mitunter auch querüber, mit einem breitgestickten Bande versehen; viele erhielten auch ebensolche Randstreifen. Einen besonderen Wert hatten aber jene Tücher, deren ganze untere Hälfte reich ausgenäht war, in welchem Falle auch auf die Ränder-Ornamentik eine erhöhte Kunst angewendet werden mußte. Solche Tücher wurden entweder auf den Hacken am Trambaume befestigt oder sonst derart angebracht, daß die Wöchnerin vollkommen gegen Sicht abgeschlossen war. Ein solcher Platz hieß »kout -1= Winkel, Ecke), und bis heute pflegt man bei den Mährern und Slowaken zu sagen, wenn dem Hause ein Familienglied zuwuchs, »zena jest v koute« (= die Frau ist im Winkel), obschon sich die Sitte, deren Bett in dieser Weise zu verhängen, immer weiter verliert, ja in vielen Gegenden überhaupt schon ganz verloren hat. Jene Ecke war ausschließlich der Wöchnerin gewidmet and ohne ihre ausdrückliche Einwilligung hatte — die liebame und die Taufpatin des Kindes ausgenommen — niemand Zutritt. Die Wöchnerin durfte auch die ersten Tage nach dem Geburtsakte von jener Ecke niemals in das Zimmer blicken. Sie hatte den einzigen Ausblick auf die Ornamente des vorgehängten Tuches, und hatte so die beste Zeit ihre eigene Arbeit zu bewundern, und sich auf diese Art in gemütvoller Verfassung zu erhalten. Überdies war es eine Pflicht der Achtung und Humanität ihrer Umgebung alles zu vermeiden, was die Wöchnerih körperlich oder seelisch beunruhigen könnte. Sie wurde hervorragend geilegt, aller Lärm mußte vermieden werden, jedes unangenehme Ereignis -wurde ihr vor enthalten, damit sie selbst in guter Stimmung erhalten und das Kind nicht etwa durch die Muttermilch Aufregungen und Leidenschaften aufnehme, bösen Krankheiten oder gar dem vorzeitigen Tode verfalle.') Diese Bettecke blieb durch volle sechs Wochen die einzige Welt der Wöchnerin, d. i. bis zum Tage, an dem die junge Mittler zur kirchlichen Einsegnung ging, daher diese Zeit, namentlich bei den Nordslaven, als »sestinedeli« (= Sechs-Wochenbett) benannt würd.1’) Wäh- • rend dieser Zeit durfte die Wöchnerin überhaupt das Zimmer nicht verlassen, und starb sie in diesem Verhältnisse, so wurde ihr die Bett-gardine ins Grab mitgegeben, d. i. sie wurde darin eingehüllt begraben. In den Vorzeiten, als unsere Altvordern noch strenge an dem hochentwickelten Familiensinne hingen, erhielten alle wichtigeren Abschnitte des Familienlebens auch eine höhere Beachtung, die sich zugleich durch eine sinnige Symbolik auch äußerlich wmrdevoll ausprägte. Namentlich waren es die Geburt, die Hochzeit und der Tod, denen eine erhöhte sakrale wie wirtschaftliche Bedeutung beigelegt wurde, und an diesem Zusammenhänge hielten auch die »uvodnice« fest, denn in vielen Gegenden trug die Braut dieses Tuch zuerst bei der Trauung, schön zusammengelegt auf der Schulter; dieses wurde ihre Wochenbettgardine und darin wurde das Neugeborene von ihr selbst nach den sechs Wochen zur kirchlichen Einsegnung getragen, daher man das Tuch auch »zavijacky«, (— Wickeltuch) nannte, Em solches Tuch, das auf diese Weise auch einen religiös-symbo- * lischen Einschlag erhielt, war nur für eine Person bestimmt, u. z. nur für diejenige, von der es ausgenäht wurde. Starb die Erzeugerin in jüngeren Jahren, so wurde sie darin bestattet; ansonst war es an vielen Orten der Brauch, daß das Tuch nach dem Eintritte des Kli- ’) Inwieweit hiebei das Entgegenkommen geübt wurde, ersieht man aus einer Stelle des älteren Urbars des königlichen Krongutes Krivoklät (Pürglitz in Böhmen), wo ein Höriger im besonderen dazu verpflichtet war, Nachtigallen zum Fenster zu treiben, sobald die Königin im Wochenbette liegt, damit sic durch deren Gesang in guter Stimmung erhalten werde. (»Kdyz krälovna v sestinedelich ,s n.adym lezi^ pod vekna mä slaviky honiti k zpiväni«.) -) Auffallend ist diese Übereinstimmung mit den Gebräuchen bei den Hebräern. In den »Vorschriften für die Kindbetterinnen« (3. Moses, 12) befiehlt Jahwe den Israeliten durch Moses, daß ein Weib, das mit einem männlichen Kinde niedergekommen ist, durch 41 Tage weder etwas Heiliges berühren, noch ins Gotteshaus kommen dürfe. Beim weiblichen Kinde erstreckte sich diese Frist sogar auf 80 Tage. — Bei den alten Slaven bildete das Geschlecht des Kindes hiebei keinen Unterschied, und hielt schon Eva, wie die alten Chroniken erzählen, nur die 40cätige Frist ein, obschon sie auch Mädchen geboren. Die lange Erholun^szeit hatte wohl nur den Zweck, daß sich die Wöchnerin nach dem Geburtsakte körperlich gründlich stärke und weiterhin kräftige, gesunde Kinder zur Welt bringe, muß demnach als eine sehr kluge weitblickende volkserhaltende Maßregel angesehen werden. makteriums der zugehörigen Kirche gespendet wurde. Für jeden FalL kam aber ein solches Tuch mit dem Tode der Erzeugerin aus dem Hause, daher es ausgeschlossen war ein solches zu vererben oder gar einer zweiten Wöchnerin zur Benützung zu überlassen, da es eben, nur an eine bestimmte Person gebunden war. Eine davon abweichende Verwertung war daher schon aus diesen Gründen ausgeschlossen. Diese Erzeugnisse trugen mit ihrem sinnvollen Kultuscharakter aber auch in ihren Mustern und Schriftzeichen verschiedene, uns heute schon nicht mehr voll verständliche Symbole zur Schau. Eines der häufigsten Motive bilden dabei die Figuren eines kunstvoll stilisierten Hahnes auf weißem Hintergründe, mit schwarzweißen und roten, bisweilen auch grünen, roten und gelben Seidenfäden ausgenäht. — Der Hahn wurde wohl deshalb als Leitfigur in dieser Ornamentik gewählt, weil er als der Typus von Fruchtbarkeit mit hoher Zeugungskraft gilt, denn die altslavische Ehefrau kannte keine edlere Lebensaufgabe und keine höhere Ehrung, als glückliche Mutter einer zahlreichen lebenden und kräftig gediehenen Nachkommenschaft zu sein. Überhaupt galt den Altslaven der Hahn als ein geheiligter Vogel, der nicht nur den Tagesanbruch ankündigt, sondern der auch in der heidnischen Zeit wie in der Passionsgeschichte eine besondere Rolle spielt. — Nur gelegentlich sind auch stilisierte Figuren von Hirschen oder Adlern zu sehen: alle sonstigen Motive sind zumeist der Pflanzenwelt entnommen. Nicht unerwähnt darf die Tatsache bleiben, daß viele solche Tücher an verschiedenen Stellen auch Buchstaben des ^cyrillischen«, ja sogar Runenalphabetes aufweisen, was bezeugt, daß es sich dabei bereits um sehr alte Gebräuche und Überlieferungen handelt, denn die Zeit, wann sich die Slaven noch der Runenschrift bedienten,' reicht nach den vorhandenen Denkmälern dieser Art sehr weit in die vorchristliche Zeit zurück. Bestimmte Schlüsse darauf, was man mit diesen eingestickten Runenlauten besagen oder andeuten wollte, lassen sich heute nicht mehr ziehen, nachdem jede Überlieferung erloschen ist- Wahrscheinlich hatten die Schriftzeichen irgendeinen Bezug auf die Stickerin, da ein sakraler oder mystischer Zug dabei in keiner fühlbaren Form hervorhebt. Analogien in dieser Hinsicht bestehen wohl bei den Grabrunensteinen, wie man solche schon auf sehr alten, ja vorgeschichtlichen Begräbnisstätten in den verschiedensten Gebieten Europas gefunden. Darunter befinden sich wohl etliche Steine, die mehrere zusammenhängende Laute, mit Anspielungen auf Gott aufweisen, aber bei den einzelnen Runenlauten und Monogrammen läßt sich weder hier noch bei den Gardinen etwas über bloße Vermutungen Hinausgehendes aussprechen. Besonders kunstvoll war bei diesen Tüchern gewöhnlich das 24 Konzept für die Tuchränder, also die Bandornamentik. Die Vorwürfe waren liier fast ausschließlich der Pflanzenwelt entnommen, jedoch in vielfältigster Form zu Arabesken und Girlanden stilisiert. Die gewählten Farben der Seidenfäden für die Ausnähung, wobei alle bekannten Arten der heutigen Kunstnäherei bereits angewendet erscheinen, machen allenthalben demjenigen den Eindruck des »Schreienden«. der keinen Sinn und kein Verständnis für eine höhere Farben-'harmcnie besitz^. Sie zeigen im Gegenteile, den natürlichen, unverdorbenen Geschmack für eine vielfältige Farbenzusammenstellung, was eher beweist, daß gerade unser Verständnis hiefür durch das mangelnde Naturempfinden im Schwinden ist. Sobald das Mädchen in jenes Alter gelangte, als sich das soziale wie Naturgefühl für die Fieirat einstellte, setzte es auch schon mit den künstlerischen Vorbereitungen hiezu ein. Zu dieser Ausstattung gehörte vor allem das Wochenbettuch, und ein gesticktes Hochzeitshemd oder Taschentuch für den Geliebten und künftigen Lebensgefährten. Überdies mußte das Mädchen schon bei der Verlobung selbst ein gesticktes Hemd eigener Erzeugung tragen, auf dem das ein- oder mehrfärbig ausgenähte Hahnmotiv nicht fehlen durfte/1) Ein ständiges Motiv bildete selbstredend auch die Herzform in verschiedenster Auffassung; nebstbei zeigten aber auch zarte Andeutungen in der Stickerei die erwachenden Liebesgefiihle. ♦ Das heiratsfähig gewordene Bauernmädchen, das bei den häuslichen Arbeiten über wenig freie Zeit verfügte, bedurfte, um mit dieser künstlerischen Ausstattung rechtzeitig fertig zu werden, hiezu meist etliche Jahre. Die Arbeitszeit boten nur die Nachmittage der Sonn-und Feiertage nach vollendetem Gottesdienste, oder im Hirtenverhältnis auf der Hutweide. Alle diese Erzeugnisse waren daher nur Schöpfungen der relativ sehr kargen Mußezeit, und gerade diese Zeit mußte geschäftig doppelt ausgenützt werden, um dem zu entsprechen, was die eigenen Sitten und Gebräuche als selbstverständlich fordern. Arbeiten dieser Art waren meist von stimmungsvollem Gesänge mit hiezu passendem Texte begleitet. Die Volkslieder der Mährer und Slovaken enthalten eine reiche Wahl solcher Lieder oder Verse, die sich auf die Ausnäharbeit selbst beziehen, wie z. B.: Sie nähte am Waldrande Mit grünlicher Seide, Und sie weinte bitterlich, Während sie nähte. — Oder: 3) Die Meinung vieler, der Hahn galt nur als Talisman gegen böse Geister, Zaubereien und Krankheiten, kann hiebei unmöglich die führende Idee gewesen sein, wofür auch das symbolische Hochzeitsbäumchen, geschmückt mit einer Hahnfigur, spricht. Das Gänse hütende Mädchen. Erwarb ein rctes Tüchlein Und nähte dran bis Mitternacht. — Oder: Sie saß hinter der Tanne Und nähte aus mit goldenen Fäden- — Oder: Kauf mir Seidenfäden Für ein weißes Tüchlein, Selber will ich es ausnähen. Sie nähte ihm das Tüchlein aus, Und gabs'ihm auf die Reise. — Oder: Sie sitzt am Fensterbrett Und näht ein Hemd ihm aus. — Oder: Mein Tüchlein wird haben hohen Wert: An ledern Ende wird es ausgenäht, An jedes Ende kommt ein Blatt, Und in die Mitte eine Blüte u. a. m. — Manche Lieder dieser Art sind uralt und zeigen nur wieder, daß die Ausnäh kunst im V olke schon den fernsten Zeiten angehört. Alles dies zeigt, wie der natürliche Kunstsinn und das hohe kunstästhetische Empfinden in das Alltagsleben des einfachen Volkes sinnig eingeflochten ist, wobei überdies die Tatsache nicht übersehen werden darf, daß sich diese hehre Kunst ohne jede äußere Förderung durch sich selbst von Geschlecht zu Geschlecht forterhält, und hiezu keines Lehrers oder Museums, keiner Vorlage oder Kunstausstellung bedarf. Jedes Mädchen macht oder zeichnet sich ihre Muster und Motive ausschließlich nach eigenem Gefühle oder Ge-schmacke, oder trägt allenhalben den besonderen Neigungen ihres Lebensideales Rechnung. Diese Muster und Motive weisen immer in das Reich der Poesie, Symbolik oder Allegorie, und bestätigen voll das zarte Naturempfinden der Schöpferin: fast immer sind es die bescheidenen Blätter und Blüten der Blumen des Feldes. Beklagenswert ist es daher in ,ed- r Hinsicht, daß derlei scnöne, sinnvolle, ideale Gebräuche immer weiter schwinden und der modernen, nur mehr der Schablone huldigenden Zeit zum Opfer fallen. Je mehr der städtische Einfluß und die billige Erzeugung von Ersatz-arlikelii die Landbevölkerung für sich gewinnt, umso rascher geraten alle Überlieferungen in Vergessenheit, ln Böhmen, wo die moderne Kultur besonders rasch Eingang fand, ist nahezu alles schon der jetzigen älteren Generation unbekannt; besser erhalten haben sich die alten Gebräuche noch in den städtefernen Gebirgsgegenden (der mährischen und ungarischen Slovakei, wo wohl noch heute so manches Kunstwerk dieser Art als teures Andenken oder pietätvolle Widmung in den Kleidertruhen der Bauern und Kirchen ruhen mag, obschon in 24« a/ÿir/tj/ ¿ttj den letzten Jahrzehnten eine förmliche Jagd der Sammler nach derlei Erzeugnissen der Volkskunst alles Schönste dem heimischen Boden, enttrug. Ist es nun nicht tief zu bedauern, wenn die natürliche Verbmdung des Erotischen mit der Kunst, die einst so ideal und ungezwungen Hand in Hand gingen, durch moderne Anschauungen und Einführungen so gemütlos auseinandergerissen werden! — Welche Macht ist größer als die Liebe, und diese Liebe erhält hier ihre besondere Vertiefung und eine Art schöngeistiger Veredlung darin, daß sie dem heiratsfähigen Mädchen freiwillige Kunstaufg a»b e n stellt, denn die Art ihrer künstlerischen Eingebung gewährt zugleich untrügliche Schlüsse auf ihr innerstes Wesen, ihr Gemüts- und Seelenleben. Überdies sind solche Werke handlicher Fertigkeit je nach dem Grade der Erfindung und Ausführung ein sicherer Wertmesser hiefür, wie sich das Mädchen als Ehe- und Hausfrau bieten wird, denn diese Kunstfertigkeit erforderte nicht nur die Weckung aller Intelligenz —- Nachahnungen oder träges Nachempfinden waren ein Zeichen geistiger Minderwertigkeit — sondern der regsamen Tätigkeit, des angeborenen Fleißes, der Opferfreudigkeit und vollen Hingabe an das, was man erstrebt, und nicht zuletzt ein sichtbarer Hinweis, in welchem Grade die Liebe zur Kunst und damit die Liebe zum Lebensideale steht. So erhielt nun das einfachste Liebesieben bei den Slaven auf dem Lande stets auch die Folie edler Kunstbetätigung, wobei sich zum weiteren Vorteile der schönen Sitte im Dorfe selbst ein gesunder Wettbewerb entwickelte, denn je kunstvollere Arbeiten ein Mädchen zustandebrachte, desto angesehener und begehrenswerter wurde sie in ihrem Kreise. Hiemit weckte sie aber zugleich einerseits in ihrem Herzerwählten die Erkenntnis sie auch vom Kunststandpunkte einzuschätzen, andererseits bereitete sie sich selbst jene Bilder vor, die ihr in der Zeit der langen Vereinsamung als junge Mutter die Gefühle des berechtigten Stolzes in ihr eigenes Können bieten sollen. Das Schwinden aller dieser tiefsinnigen, idealen, den gemütvollen Grundzug der slavischen Seele bekundenden Gebräuche ist einmal ins Rollen gekommen, und wir fühlen uns machtlos diese kunstzersetzende Bewegung je wieder eindämmen zu können. Unsere Darlegungen wollen aber nur auf die Tatsache hinweisen, daß nicht nur alle Kraft, sondern auch alle Kunst vom Landvolke stammt, und daß letztere in dem Maße ihrem Verfalle entgegengeht, je weiter sich die Menschheit von der Natur und dem einfachen Leben entfernt. Die ursprachliche Prüfungssage. Herodot (f 425 v. Chr.) erzählt im 4. Buche seiner Geschichte, daß schon der Pharao Psametic (VI. Jahrh.) anstrebte auf eine natürliche und unanfechtbare Art festzulegen, wie der Urmensch gesprochen haben mag. Zu diesem Zwecke übergab er zwei neugeborne Kinder einem Hirten mit dem strengen Aufträge kein Wort in deren Gegenwart zu sprechen noch sprechen zu lassen. Sie wurden nun in eine Hütte eingeschlossen, in die man ihnen zu den Mahlzeiten Ziegen zuführte, von deren Milch sie sich die ganze Zeit hindurch nährten. Die völlige Abschließung von jeder Sprechgelegenheit bezweckte auf diesem Wege zu erfahren, weiches das erste deutlich ausgesprochene Wort der beiden Kinder sein werde, da dies zugleich ein Originalbegriff der unbeeinflußt Urmensch-liehen Sprache sein müsse. Als man nun nach zwei Jahren die Türe kommissioneil öffnete, riefen die Kinder sofort einheitlich: »bekos, bekos«. — Der König ließ nun nachfcrschen, bei welchem Volke dieses Wort gebräuchlich sei. Es stellte sich nun heraus, daß diesen Begriff die Phryger, u. z für Brot gebrauchen, woraus man folgerte: das Phrygische sei eine ältere Sprache als alle sonst bekannten. Statt daß nun die Wissenschaft die natürliche Erklärung für jenes Schlagwort gegeben hätte, wurde im Gegenteile der Irrtumsfaden weiter gesponnen, denn man führte gleich an, daß die germanische Sprachen da ebensogut in Betracht kommen, da sie auch eine Menge organisch verwandter Begriffe, wie: Bäcker, Gebäck, backen, Wecken u. ä. im Sprachinventar besitzen. — Auf die primitivste Deutung aber, daß »bek« (hellenishe Form »bekos«) tatsächlich ein Urwort ist, das onomatopöisch hier, wie unter allen analogen Prämissen, ungefähr gleichlauten muß, verfiel bisher niemand, denn die bekannten Ziegenlaute »beee« dienten den Kindern — wenn wir diese Sage eben ernst nehmen und logisch weiterführen — als Suggestivsilbe für die sprachliche Kennzeichnung jenes Wesens, das sie einzig gut kannten, d. i. der Ziegen, da sie ihnen die Nahrung boten, also Brot im allgemeinen Sinne, und die sich selbst mit diesen Lauten äußerten. Daß die Kinder beim Öffnen der Tür diesmal auch das Erscheinen der Ziegen erwarteten, ist nur natürlich; »Brot« selbst konnten sie aber nach den gegebenen Voraussetzungen überhaupt nicht kennen. Diese Prüfungssage- ist daher sehr geistreich erdacht, obschon auch dieses erste Wort aus einer äußeren Beeinflussung automatisch hervorging, das nur wieder die onomatopöische Grundlage der Ursprache bestätigt. Aber die Wissenschaft übersah hiebei ganz, daß man das Meckern der Ziege z. B. im Slovenischen »beceti«, und die Ziege selbst in vielen Gegenden noch heute, namentlich in der Kindersprache, die gewiß dem Urverhältnis der Völker einigermaßen gleicht, ziemlich allgemein »beka« nennt, eine Tatsache, die damit wohl noch nicht besagen will, daß deshalb die slovenische Sprache etwa als die Ursprache anzusehen sei, aber in dieser Übereinstimmung zum mindesten doch auch beachtenswert ist. Solche Wortbiographien haben demnach nicht lediglich den Wert einer Wortkuriosität; sie sind im Gegenteile lehrreich hiefür, wie Begriffe enstehen, wandern oder sich verwandtschaftlich um werten. Sie zeigen uns gelegentlich immer von neuem, sofern wir ihre Urform noch zweifellos erkennen, daß ein \V ort doch etwas ganz anderes ist, als eine willkürliche oder gedankenlose Lautanein derreihung. Jeder Sprachbegriff ist eben eine Art Lebewesen, das organische Produkt eines bewunderungswürdigen Sprach-empfindens, das sonach auch seine eigene Lebens- und Kulturgeschichte hat, daher es auch unendlich schwer ist neue Worte zu schaffen und einzuführen, da hiezu schon der Boden empfindungsgeschichtlich vorbereitet sein muß.1) In ähnlicher Wiese machte die Wissenschaft beim plötzlichen Auftauchen eines neuen Begriffes vielfach den Mißgriff ihn als neu anzusehen, cbschon er a 11 und längst im Gebrauche war, weil sie seine Lebensgeschichtr vorerst nicht offenlegte. — So kam vor etlichen Jahren in deutschen Kreisen plötzlich der Begriff »Gigerl« als typische Bezeichnung für einen Modegecken, wozu unbedingt kurze Beinkleider gehörten, in Gebrauch. Dieses war aber durchaus *) *) In dieser Hinsicht brachte der cechische Handschriftenstreit interessante Offenbarungen. Die Echtheitsgegner behaupteten fortwährend, alle diese Grundsätze verkennend oder mißachtend, der »Fälscher« Hanka habe selbst neue Begriffe aufgestellt, weil in den Texten neue, bisher unbekannte Begriffe auftauchten. Die Nachprüfung ergab aber, daß diese »neuen« Begriffe entweder schon damals bekannt ( ja sogar längst in Wörterbüchern enthalten waren, aber unbeachtet blieben, oder man fand sie später alle in solchen Handschriften vor, die damals in Prag ganz unbekannt waren oder noch völlig unbeachtet bezw. ungelöst in Archiven ruhten. — Alle Behauptungen in dieser Richtung erwiesen sich daher als schwere, grundsätzliche Irrtümer. — kein neugeschaffenes Wort, da es der Slovene als »gege, gige« (= kurze Beinkleider) und den Träger solcher als »gigcc, gegec< seit altersher kennt und bezeichnet.-) - Man darf eben auch in der Sprachforschung keine leichtfertigen Folgerungen machen, ehe man nicht alle Voraussetzungen kennt. Daß es sich dabei tatsächlich um die auffällige Kürze jenes Kleidungs--Stückes handelt, ersieht man schon daraus, daß der Volkswitz den Träger zufragen pflegt, ob er beim Maßnehmen im Bache oder in der Jauchengrube gestanden sei. Das Fremd- und Lehnwort im Slavischen. In unseren etymologischen Wörterbüchern liest man mitunter die wunderlichsten Entscheidungen über die sprachliche Herkunft eines Begriffes, was darin seinen Ursprung hat, daß noch immer über die natürliche Bildung der Sprachen Anschauungen vorherrschen, die längst als unhaltbar abzuwerfen waren. Über das Wesen des Fremdwortes sind wir uns ziemlich im klaren, hingegen obwalten über das Lehnwort sprachgeschicht-lich wie sprachorganisch fast allgemein grundiolsche Anschauungen. — Ein Fremdwort ist immer eine Art Kunstwerk, denn entweder ist es aus Begriffen einer fremden Sprache (oder mehrerer) zusammengesetzt, wie z. B. Telephon, Stenographie, Bilingue, Rendezvous, Gardetruppe, Samovar u. ä., oder es ist ein einer bestimmten Sprache eigentümlicher Begriff, weil er dort seine kulturelle Entstehung und Entwicklung erhalten, wie z. B. die Musikbegrifle der italienischen, die militärischen, der lateinischen und französischen^ die des Sportes und der Marine der englischen, der Turnkunst der deutschen, der Landwirtschaft, der Mehlspeisen, der Gewerbearten u. drgl. zum großen Teile der slavischen Sprache angehören. — Fremdwörter ersterer Art lassen sich allenthalben noch übersetzen, letztere bilden aber ein ausgesprochenes und bleibendes Fremdgut, denn durch die Übersetzung geht nicht nur der typische Charakter des Begriffes verloren, sondern es ist dies geradezu eine Art Diebstahl oder Fälschung des legalen Heimatscheines eines Begriffes. Dieser Auffassung über das Wesen der Fremdwörter wollte der Weltkrieg sogar eine gründliche Änderung verschaffen. Der gegenseitige politische Haß ließ auch alles Gift gegen die Fremdwörter aufkommen, obschon man nicht vergessen durfte, daß man hiemit nur den verschiedenen Völkern ihren spezialisierenden Einfluß auf die allgemeine Kultur abspricht und zugleich gewalttätig auf das eigene Konto umschreibt. Es ist dies eine moralische wie kulturgeschichtliche Verfehlung, die nicht nur ungerecht an sich ist, sondern die auch die Tatsache, daß sich die Kultur eines jeden Volkes aus* der Summe der Errungenschaften vorausgegangener wie zeitgenössischer Völker herausgebildet hat, offen verneint, somit auch die Kulturgeschichte fälscht. Wesentlich anders sind die Lehnwörter zu nehmen. inan pflegt bekanntlich jenen Begriffen diese Klassifikation zu geben, die zwar einer fremden Sprache angehören, sich aber bereits der eigenen derart angeschmiegt haben, daß ihnen das Äußere des f remden schon völlig schwand. — Diese Anschauung ist jedoch sprachgeschichtlich eine irrige, und muß dahin berichtigt werden, daß jene Begriffe, die wir heute als Lehnwörter ansehen, schon zum Inventar der Ursprache gehören, bei der mechanischen Sprach-verzweigung mitgenommen wurden und sich erst dann der Artikulation und Eigenart der betref-fendenSpracheäußerlich anpaßten. Konkrete Beispiele werden dies am überzeugendsten erweisen. In Pleteršniks slovenisch-deutschem Wörterbuche ist z. B. bei dem Begriffe »cota« beigefügt: »aus dem Deutschen«. »Cota« bezeichnet im Slovenischen: Fetzen, aber auch ein äußerlich wde moralisch verwahrlostes Weib. Der deutsche versteht unter Zotte eine obscöne Äußerung, unter dem Vulgärausdruck Zottel einen ungewöhnlich defekt gekleideten Mann. Doch auch die Griechen legten der Aphrodite den Beinahmen »Kotys« bei (unser »c« wird im Griechischen meist zu »k«), u. zw. dann, wenn sie hiemit das Dirnentum niedrigster Art kennzeichnen wollten. Wer will nun beweisen, daß das slovenische Wert »cota« tatsächlich vom deutschen »Zotte« stammt? — Woher hatten es die Deutschen, wenn es auch schon die alten Griechen hatten? — Von den Griechen unmöglich, da sie mit diesen niemals benachbart waren, sonach doch eher von den Slaven, wenn es diese wieder etwa von den Griechen hatten; oder übernahmen es die Griechen von den Slaven oder gar von den Deutschen? — Keine der Permutationen besagt uns etwas Positives, aber die primär gewiß nur konkrete Bedeutung ist dem ’ Slaven bis heute geblieben, dem Deutschen hingegen ist es schon ein mehr a b-strakter, dem Griechen sogar schon ein mythologisierter Begriff, daher die Annahme am ehesten berechtigt ist, daß der Begriff dort seine Heimat hatte, wo er am realistischen bewertet erscheint, also in der Ursprache, soweit wir eben heute schon den Charakter derselben erkannt haben. Man hört gelegentlich die Behauptung, daß z. B. das čechische »cop« ein Lehnwort des deutschen »Zopf« sei. Weshalb aber nicht eher umgekehrt, denn die einfachere Wortform muß grundsätzlich als die originerellere angesehen werden? — Für das slovenische »čop« {-— Haarbüschel) gilt genau dasselbe, sofern man behauptet, es sei dem deutschen »Schopf« entlehnt; daran aber, daß jede Sprache bei ihrem Abschwenken von der Ursprache den Begriff mitgeführt und dann weiterbeibehalten hat, wird nicht mehr gedacht. Bei dieser Sprachphilosophie lassen sich jedoch ganz andere, viel wuchtigere Dinge feststellen u. z. vor allem das hohe Alter der slavischen Sprache und die Deckung derselb biszueinergewissenGrenzemitderUrsprache, Hat schon die Erkenntnis, daß die alten topischen Namen nur in der slavischen Sprache eine sachlich natürliche Erklärung finden, auf das Alter dieser Sprache ein klärendes Licht gebracht, so trifft das bei der Etymologie und Sprachchemie, dann überhaupt beim Studium des psy-chomechanischen Wortaurbaues der verschiedenen, vor allem praktisch-konkreten Begriffe, noch deutlicher und überzeugender zu. Der Beweis hiefür sei hier nur an dem Begriffe »poeta« und »oct« erbracht, »Poeta.« — Es ist sonderbar, daß der Sänger, Dichter, Poet im Lateinischen wohl »poeta« heißt, aber das jene Tätigkeit anzeigende Zeitwort der gleichen Sprachwurzel fehlt der lateinischen Sprache. Es ist aber kein Zweifel, daß derjenige, der zuerst den Sänger »poeta« nannte, diesen Begriff nur auf eine Tätigkeit aufgebaut haben konnte, die »pojem« (= ich singe) oder »pjeti« (= singen) gelautet haben muß, und das ist nur in den slavischen Sprachen der Fall. Das Griechische kennt wohl den Begriff »poieo«, aber dieser bezeichnet nicht das Singen selbst, sondern nur das Schaffen, Hervorbringen. Auffallend ist es auch, daß im Lateinischen das ausgefallene slavische »j« noch immer nicht ganz verschwunden ist, sondern im Aussprache-Trennungszeichen erhalten blieb. Der Römer hörte immer sagen »on pojet« (= er singt, oder: er ist ein Sänger) und übernahm den Begriff unverändert, wie ihn sein Ohr eben vernommen. »O c t.« — Schon die ältesten lateinischen Schriftsteller führen den Begriff »acetum« (= Essig) an; bekanntlich hat Hannibal anläßlich seines Überganges über die Alpen schon mittels Feuer und Essig Felsen beseitigt. Nun kennen aber alle Siaven den Begriff >ocet« (alt-slavisch »oct«; in dieser Form bei den mährischen Wallachen noch heute gebräuchlich) für die Bezeichnung von Essig, Die Sprachforcher sagen nun bei dieser auffallenden Übereinstimmung kurzweg: diesen lateinischen Begriff haben die Siaven bei den Römern irgendwo gehört und nahmen ihn dann allgemein an. Diese allerdings sehr bequeme Lösung des Rätsels ist aber niht nur an sich unnatürlich, denn jene, die solches behaupten, glauben doch auch an die Völkerwanderung, sondern auch sprachgeschichtlich wie sprachmorphologisch unhaltbar, denn gerade in diesem Falle ist die slavische Originalität so leicht nachzuweisen, wie vielleicht heute in wenigen anderen Fällen mehr. »Oct« ist, obschcn in dieser Form äußerlich als nacktes Wurzelwort erscheinend, dem Siaven noch immer kein auf die einfachste Stammsilbe reduzierter Wurzelbegriff, sondern isi noch aus den zwei Sprachelementen »o« und »ct« (d. i. »cet, cit« == Geschmack) zusammengesetzt; seiner letzten, sozusagen sprachchemischen Morphologie nach bedeutet »oct« eine Flüssigkeit, diemitein e m Geschmak-ke durchsetzt ist. Diese bis auf den letzten Laut genau durchgeführte Sprachkonsequenz, die auch figürlich wie onomatopeisch ein bewunderungswürdiges Zeugnis der natürlichen Sprachbildung bietet, ist ein derartig greifbarer Beweis der urslavischen Originalität des Begriffes »oct«, daß es wohl überflüssig ist, die schwindsüchtigen Hypothesen, als wäre es umgekehrt aus dem Lateinischen »acetum« oder dem gotisch-griechischen »akeit« gebildet, nur mit einem Worte weiter widerlegen zu wolllen. Das Präfix »o« verleiht nämlich, wie auch schon dessen graphische, in sich geschlossene Darstellung andeutet, im Alt- wie Neuslavischen stets einem Zustande den Charakter der Umschließung oder Durchsetzung. So besagt z. B.: »oceniti« = abschätzen, durchprüfen; »opraviti« = etwas durchreinigen; »osoliti« = ein-, durchsalzen usw. — Dasselbe gilt onomatopöisch betreffs der Laute in der Wurbel »ct« (oder »cit, cet«), denn jedermann empfindet das Gefühl, so oft ihm die Zähne durch den Genuß quitschsaurer Flüssigkeiten (Essig, saurer Wein, Holzapfel- oder Holzbirnensaft u. drgl.) förmlich abgestumpft sind, als ob sich dieser Zustand durch die Laute »c—1;< am besten ausdrücken ließe; die Wortbildung »oct« ist daher auch sprachlich eine natursuggestive. * Dieser Fall zeigt, daß der Römer diesen Begriff entweder als« Fremdwort übernommen, oder aber von der Ursprache mitgeführt, aber dabei alles Sprachgefühl für die Teile desselben vollkommen eingebüßt hat, was bei dem Slaven nicht im geringsten der Fall ist. Es muß daher als ein schwerer Mißgriff bezeichnet werden, wenn gerade die slavischen Sprachforscher und Lexikographen in jedem Worte, das auch der Grieche, Römer, Italiener, Deutsche, Magyare, Osmane besitzt, ein Fremd- oder Lehnwort wittern, statt sich ständig vor Augen zu halten, daß zum mindesten die als einwandfrei verwandt erkannten Sprachen auch Begriffe gemeinsamer Urform aus einer gewissen Urzeit her unabhängig von einander mit sich führen. So hatte z. B. Miklosich die Neigung in seinem»Etymologischen Wörterbuche« (1886) jeden slavischen Begriff, den er auch in einer anderen Sprache antraf, gleich als ein Fremd- oder Lehnwort im Slavischen anzusehen und zu erklären, und hat hiemit, obendrauf als hervorragende Autorität, viel Verwirrung und große Widersprüche geschaffen. Ein weiterer schwerer Fehler wurde in der Slavistik und Lexikographie in jenem Augenblicke begangen, als man die Volkssprache selbst zu mißachten begonnen, obschon gerade diese in erster Linie entscheidend und dafür maßgebend ist, ob dieser oder jener Begriff zum sprachlichen Volksgut gehört oder nicht. Die Volkssprache ist ein Naturprodukt des Volkes, die sich durch eine unkontrollierbare Zeit unbeeinflußt aber naturgesetzmäßig heranbildete. Die sprachwissenschaftliche Zimmerweisheit darf daher diesem organischen Produkte niemals seine Ursprünglichkeit nehmen, sondern muß im Gegenteile die Volkssprache weitgehendst achten, und gerade in ihr die sprach-geschichtlichen Wahrheiten suchen. Die sprachliche Herkunft unserer Mehlspeisebenennungen. Es fällt auf, daß die Slaven für die Fleischspeisen relativ wenig typische Bezeichnungen besitzen, hingegen aber solche für Mehlspeisen in ungewöhlicher Zahl. Dies ist ein Beweis, wie schon die Landbevölkerung überhaupt vorwiegend der Pflanzenkost Zuneigt, daß sich jene Benennungen hauptsächlich bei ackerbautreibenden Völkern entwickelt haben müssen, indes städtische wie industrielle Bevölkerungsschichten, wie z. B. in England, ihren bevorzugten Fleischspeisen eigene Namen gaben. Tatsache ist aber nun, daß beide Kategorien dieser Begriffe schon zum Gemeingute aller Kulturvölker geworden sind. Nachstehend sollen die bekanntesten Mehlspeisebenennungen, die in der slavischen Etymologie eine einwandfrei belegte natürliche Entstehungsbasis aufweisen, daher von Slaven stammen müssen, sprachlich aufgeklärt werden. B r e t z e. Slovenisch »presta« ■= das Gesponnene, das G e-flochtene, da der Teig gedreht und dann geflochten wird; cech, »preclik«. Grundwort: presti = flechten, spinnen, den Faden drehen. Buchtel. Slav. »buhta«, cech. »buchta« = das Aufgequollene (infolge des Germes). Dalken. Der in einer Pfanne mit mehreren kreisrunden Vertiefungen, cech, »dolky«, poln. »dölki« genannt, ausgebackene Teig, erhielt, analog wie die »Palatschinken« (s. d.), lediglich den typischen Namen nach der hiezu notwendigen Pfannenlorm. Die Cechen gebrauchen auch noch immer die etymologisch richtige Form »dolky«. Geislitz. — In der aus dem Jahre 1250 stammenden mittelhochdeutschen Dorfgeschichte »Meier Helmbrecht« von Wemher, dem Gärtner, die sich im österreichischen lnnviertel abspielt, wird ein mit Milch und Was ser abgekochter Haferbrei als »Geislitz« bezeich- net. In dieser deutsch aussehenden Form birgt sich aber nur das sla-vische »kislica«, d. i. gesäuerte Speise, die als »kyselica« auch in der altčechischen Handschrift »Mastickaf (= Salbenkrämer), die gleichfalls dem XIII. Jahrhunderte angehören soll, aber anscheinend älter ist, zweimal erwähnt erscheint. — So benannte man nämlich eine sauer gegorene Speise ärmsterLeute, die aber heute, sofern nicht etwa der Weltkrieg da oder dort darauf zurückführte, wohl kaum mehr irgendwo zubereitet wird. Der deutsche Dichter reiht sie selbst an die Grenze der menschenwürdigen Nahrung, und der čechi-sche führt sie gleichfalls im satyrischen Sinne als den Typus der minderwertigsten Kost an. Gibanica, gubane a. — So bezeichnet der Slovene einen flach gewalkten Teig, der auf der Oberfläche mit Topfen und Schmetten (»smetana«), allenthalben mit Weinbeeren oder Rosinen gemischt, tunlichst dick bestriehen wird. Damit jedoch diese Auflage beim Bak-ken nicht an den Rändern abfließt, werden letztere eingebogen oder eingerollt (giba, guba = Falte, Einbug), also das Eingebogene, — Im Deutschen hört man bisweilen hiefür den etwas verquetschten Ausdruck »Poganzen«. Kletzenbrot. — Das übliche Weihnachts-Früchtenbrot wird deshalb so genannt, weil es zum Hauptbestandteile getrocknetes Obst, das die Slovenen »kleci« nennen, enthält. Kol ätschen. -— Slav. »kolač« (»kolo« = Rad), das Rundbrot, wie überhaupt alles Gebäck in runder Form. Mazane c. — So benennt der Ceche wie Slovene jenes Brot, dem Eier beigemengt sind, um dessen Geschmack und Nährwert zu erhöhen. — Dieser Begriff kommt auch schon als Glosse in alt- und mittelhochdeutschen Schriften vor. In altdeutschen Schauspielen bildet namentlich der »Mastickaf« (= Salbenkrämer) ein Repertoir-stück. Es können aber dies nur Übersetzungen slavischer Originale sein, da darin gewisse typische Bezeichnungen, für die es im Deutschen keine eigenen gibt, oder die anders überhaupt nicht verständlich wären, in der gangbaren slavischer. Form belassen werden mußten. In einem solchen Stücke sagt z. B. der »mercator« (= Kaufmann): »Schweiget, Frau, und lat euer schwatzen, zu Breslau uf dem turne beket man gute mosanzen, zu Otmachau gar gute weiche kese . . .« Oblaten. — So bezeichnet man das auf beiden Seiten stark gedrückte Gebäck. Slov. »opiata« = das Plattgedrückte, das Abgeplattete; čech. »oplatka«. P alatschinken. — Der auf einer flachen Pfanne, slo-venisch »ploča« benannt, ausgebackene aufgegossene Teig gab hiezu den Namen, der sonach sprachrein als »pločinki, pločinci« bezeichnet werden müßte. P o f e s e n. — Ein Gebäck, das aus zwei korrespondierenden Semmel- oder Brotschnitten besteht, zwischen die Kalbshirn oder Zwetschkenmus eingelegt und-so zusammengefügt im Schmalz ausgebacken wird. Der Umstand, daß die Einlage dabei durch ein Brotstück überdeckt wird, verschaffte der Speise diesen Namen, denn im Slovenischen bezeichnet »povezniti« “ überdecken, darüberstülpen, und »poveznjeno« — das Überdeckte. Pogača. — Damit bezeichnet der Slovene das Scheibenbrot, das flacheBrot. Das Wort selbst ist lediglich die Substantivbildung des Zeitwortes »pogaziti« = niederzudrücken, plattdrücken. — Im Deutschen wird der Begriff »Pogatschen, Pogatscherln« gleichfalls für niedere Kuchen im allgemeinen angewendet. Potica, potvica. — Der Slovene bezeichnet hiemit den Rollkuchen, d. i. jenen Teig, der eine Fülle erhält, die dann eingerollt wird. Etymologisch ist der Begriff aus »podviti« = einschla-gen, einrollen, einbiegen gebildet, daher: das E i n g e r o 11-t e. Erhält das Gebäck keine Fülle, namentlich gehören Nüsse dazu, so erhält es auch nicht diese Bezeichnung. —- Im Deutschen hört man meist die Benennung »Potitzen«. Stritzel, Strützel. — So nennt man im Deutschen jenes Gebäck länglicher Form, dessen Teig gewalkt und dann mitunter auch geflochten wird. Das Grundwort ist das Slovenische »strugati« walken, hobeln, und heißt dieses Gebäck im Originale »štruca« cder »štrukelj«, deutsch: Strudel. — Čech. »strohanky« =* das Gehobelte, worunter man jene Teigteile versteht, die durch das Reibeisen von der Teigmasse »abgehobelt« werden, womit aber schon eine andere Mehlspeisart gemeint ist. Ortsgeschichtliche Etymologie. Die Originalortsnamen oder topischen Benennungen im allgemeinen gehören, mit verhältnismäßig sehr geringen Ausnahmen, schon dem grauen Alter an, und sind zugleich noch die letzten lebenden und sprechenden Zeugen jener Bewohner, die einst das praktische Bedürfnis hatten, sie mit ihren verfügbaren Sprachmitteln bestimmten Lokalitäten beizulegen. Diese Namen bieten daher zugleich die Urgeschichte eines jeden Ortes, denn sie erzählen die ersten Schicksale desselben, und finden wir, sofern wir die reelle Etymologie des Namens beachten und in der Natur nachprüfen, in den meisten Fällen noch heute die Bestätigung für deren Richtigkeit. Allerdings darf man bei derlei Nachforschungen nicht gleich zu Beginn den ausschweifendsten V ünschen und Autosuggestionen unterliegen, denn es ist kaum irgendwo in der Wissenschaft unbewußt so leicht eine falsche Fährte zu betreten, wie hier, weil schon der äußere Eindruck der Sprache selbst gleich zum nächsten Jrrlichte führen kann. Die Literatur über die Entstehung und Bildung vun topishen Namen ist zwar bereits eine unabsehbare, da sich an jedermann gelegentlich die Frage drängt, was der Name dieses oder jenes ihn interessierenden Ortes bedeuten mag, aber diese Literatur ist zugleich auch fast in allen Teilen nahezu wertlos, weil man stets weniger darnach forschte, was der Name eigentlich besagt oder worauf er hinweist, sondern lediglich, was er heute zu bedeuten scheint. Es gibt daher kaum ein Forschungsgebiet, welchem konsequent und durch alle Zeiten so irrige Antizipationen zugrundegelegt worden wären, wie gerade der Tcponomie. In keiner anderen Wissenschaft ist aber auch die nüchterne Beobachtung, Erfahrung und Vergleichung so notwendig, wie hier, denn nur diese befruchtende Wechselwirkung, tatsächlich wirkliche Dinge sehen und erklären zu wollen, und sich weiter von den durch Jahrhunderte erstarrten Irrtümern bewußt fernzuhalten, führt erst zu einer natürlichen Klärung und zur Überzeugung, daß auch hier durchwegs einfache, ja sogar sehr eng gezogene Kausalitäts-Gesetze mitgewirkt haben. Die Urgeschichte eines jeden Ortes erscheint daher schon in dessen Namen mehrweniger verborgen enthalten, und ist es weiter Sache der Sprachforschung die Bedeutung desselben offenzulegen. Die Toponcmie hat daher einen namhaften Wert für die Geschichtsforschung im allgemeinen, im besonderen aber noch für die Slaven, denn, soweit bisher die Erfahrungen in Europa reichen, finden nahezu alle Namen im slavischen Sprachschätze ihre Urform wie ihre Urbedeutung wieder, bilden daher zugleich auch einen wesentlichen T eil des Beweismateriales für die Aufdeckung des altslavischen sozialen und Kulturlebens. Eine besondere Beachtung verdienen dabei noch die Flurnamen, die aber bisher nahezu ganz unbeachtet belassen wurden, u. z. vor allem deshalb, weil deren Aufzeichnen und Sammeln mühevoller ist, denn die Ortsnamen kann man in einer Bibliothek vielfacher und , gewissenhafter verzeichnet finden, als in der jenen Namen führenden Lokalität, die Flurnamen hingegen muß man an Ort und Stelle aufnehmen, da sie oft nur dem Besitzer des betreffenden Grundstückes bekannt sind, daher vielfach auch in den Katasterplänen nicht aufgenommen erscheinen. Es wäie sprachwissenschaftlich eine der lohnendsten Arbeiten eine allgemeine Sammlung der Flurnamen gemeindeweise zu schaffen, denn in diesen ist gleichfalls ein außerordentlich reicher altslavischer Sprachschatz vorhanden, der umso wertvoller ist, weil er sich unverdorben erhalten, indes die eigentlichen Ortsnamen doch durchwegs den sprachpolitischen Einflüssen und amtlichen Änderungen ausgesetzt sind, daher deren Originalform mit der Zeit ganz unkennbar werden kann; bei Flurnamen ist aber dieses selten der Fall. Diese sind daher meist so originell geblieben, wie sie vom ersten Besitzer gegeben worden sind, wenn, sie bei einem Sprachwechsel auch etwas verballhornt wurden. Das Sammeln dieser Namen hat außer der Sprachwissenschaft-, liehen auch eine kulturgeschichtliche Bedeutung, denn man erfährt auf diesem Wege zugleich, wer der Urbesitzer oder Urbenützer war. Es stellt sich nämlich heraus, daß es in heute reindeutschen, italienischen, französischen Gebieten noch eine Unmenge von Flurnamen gibt, die slavisch sind oder nur eine slavische Ausdeutung zulassen. Dies besagt aber, daß die ersten Besitzer und Namengeber nie radikal gewechselt haben können, denn der etwa abziehende Slave wird dem später auftretenden Deutschen, Italiener oder Franzosen doch nicht ein Verzeichnis mit einer Skizze übergeben haben, wie er selbst jenen Acker, jene Wiese oder Waldparzelle benannt habe. Und doch erhielt sich der slavische Name, ein Beweis, daß die Bewohner nie mechanisch wechselten, sondern immer bodenständig blieben; was 25 sich änderte, ist nur ihre Sprache je nach den staatspolitischen Verhältnissen. Die Sprachwissenschaft kann und wird wohl nicht sofort alle Namen dieser Art richtig ausdeuten können, aber mit der Zeit müssen doch aus dem vielen Material welche ernste Richtlinien für eine überzeugende Lösung hervorgehen. Für jeden Fall soll aber die Sammelarbeit nirgends weiter aufgeschoben werden, und und wäre es vor allem eine Kulturarbeit der Lehrerschaft auf dem Lande dieses Versäumnis ehestens nachzuholen.') Um nun das Interesse für Arbeiten dieser Richtung in weitere Kreise zu tragen, werden nachstehend einige typische Beispiele verschiedenster Art besprochen.- An der Hand dieser Anleitung kann sodann jeder Interessent Weiterforschungen und Vergleichungen an anderen topischen Namen vornehmen, und sich schließlich selbst neue Aufgaben in seinem lokalen Verhältnisse stellen. 1. Forum Julii -Tržič - Monfalcone. Die Wissenschaft nimmt allgemein an, die Stadt »Forum Julii < sei identisch mit dem heutigen C i v i d a 1 e (slovenisch: Čedad). Diese Annahme ist aber eine zweifellos irrtümliche, wofür folgende Gründe sprechen: a) Paulus Diaconus (etwa zwischen 730—790 n. Chr. lebend) verrät uns in seiner »Geschichte der Longobarden« (II, 14) eine eigenartige Namensoperation, denn er schreibt: »Die Hauptstadt Venetiens war A q u i 1 e j a, jetzt ist es Forum Julii, das gewöhnlich »Mer-catum« genannt wird, weil es Caesar zum Handelsplätze bestimmte. — Dieses »Mercatum« ist aber nur die lateinische wortgetreue Übersetzung des noch immer allgemein gebräuchlichen slo-venischen Namens »Tržič« (= Marktort, kleiner Handelsplatz) für Monfalcone. Letztere Bezeichnung bezieht sich hingegen lediglich auf die »valki«, d. i. die Wälle auf dem Berge, der Berg mit der Wallburg, auf dem noch jetzt Ruinen zu sehen sind. Nun hat aber C i v i d a 1 e, als ein Ort tief im Binnenlande, naturgemäß keinen Hafen, wohl aber Tržič; b) daß es sich hier um eine Küstenstadt handelt, ersieht man weiter daraus, daß Diaconus (V, 17) schreibt: »Es starb der Herzog ß Die Arbeit bestände darin, eine einfache Flurskizze von jeder Gemeinde anzulegen und die Flurnamen an der betreffenden Stelle genau so einzutragen, wie sie gebraucht werden. Anmerkungsweise könnten dann noch Paralellnamen sowie jene angeführt werden, die etwa in älterer Zeit im Gebrauche waren. Die Ergebnisse müßten dann durch die Veröffentlichung im Druckwege festgehalten werden, so lange sich hiefür keine eigene Zentrale bildet. Grusolf von Forum Julii. Ihm folgte Ago, der einen schönen Palast baute, der noch heute (um 780) »Palast des Ago« heißt.8) Ago starb und an seine Stelle trat Lupus (Vuk?). Dieser zog gegen die Insel Grados (slav. »grad«), die in der Nähe der Stadt Aquileja liegt, und plünderte sie gänzlich aus usw.« — Man kann aber eine Insel nur ausplündern, wenn man auf Schiffen zu ihr gelangt, und dies konnte von Forum Julii aus nur der Hafen von Monfalcone ermöglicht haben. Was den foponomisch-sprachiichen Beweis betrifft, wird man natürlich sofort einwenden: die Slovenen haben nach der Völkerwanderung hier ihren Sitz genommen, und sie übersetzten die Vorgefundenen römischen Ortsnamen in ihre Sprache. — Die Tatsachen stehen aber gerade umgekehrt. Als Beweis hiefür sei wieder folgende Stelle aus Diaccnus selbst (II, 9) angeführt: »König Alboin drang (568) gegen die Grenzen Venetiens vor, welches die erste Provinz Italiens ist. Als ihm niemand ein Hindernis in den Weg legte, war er darauf bedacht über die erste Provinz Italiens, die er erobert, einen Herrscher zu setzen. Er bestellte, wie man sagt, zum Herzoge seinen Enkel Gisolf, einen durchaus wackeren Mann, und bestimmte dessen Sitz zu Forum Julii für jene ganze Provinz, Gisolfus aber sprach: »Ich werde die Herrschaft nicht annehmen, wenn du mir nicht auch »vari«, d. i. eigene Stämme der Longobarden überlassen wirst«. — Der König hörte ihn an und überließ ihm die stärksten und tapfersten derselben, um bei ihm zu bleiben«. — Nun, weshalb wurde aber hier der slavische Begriff »var« (= Schutzmann, Beschützer) nicht ins Lateinische »miles, praetor« u. drgl. übertragen? Wohl nur deshalb, weil man dessen Etymologie nicht verstanden, oder weil der Begriff damals nur in dieser Form etwas Typisches, also etwa: Leibgarde, Hofstaat bezeichnete. Es ist daraus klar zu ersehen, daß die bodenständige Bevölkerung hier die slavische war, und daß die Römer als Beherrscher dieses Gebietes nur gelegentlich sprachlich verständliche Ortsnamen übersetzten, ansonst aber nur ihrer Sprache anpaßtcn, an der Enteignung der Muttersprache der Bewohner aber klugerweise nicht rüttelten, um sich auf diese Art nicht die eigenen Völker zu stillen oder offenen Feinden zu machen. 2. Berlin. Einen ungewöhnlich reinen Beleg für die Slavizität der ältesten Bewohner Brandenburgs bietet der Stadtname »Berlin«. Die Lokalgeschichte sagt im allgemeinen, daß hier die günstigen Übergänge über die Spree an sich für eine Ansiedlung einladend waren, und daß dieses Gebiet in den ältesten Zeiten von den Wenden -) Ob sich die Erinnerung daran etwa bis heute erhalten hat, wäre wissenswert. 25* bewohnt war. Jene Lokalität aber, die für den Uferwechsel günstig beschaffen ist, fördert einerseits wohl das Gedeihen der Ansiedlung, aber sie ist andererseits zugleich für den feindlich gesinnten Nachbar anlockend, daher die vorsehende Klugheit auch entsprechende Gegenmaßregeln schaffen muß. Dies ist hier tatsächlich auch zugetroffen, denn das Gebiet war wohl seit der historischen Zeit stets befestigt und für jene Zeit, die im Vordunkel liegt, bezeugt dies die Etymologie des Ortsnamens selbst. Der Begriff »berlin« deutet in seiner slavischen Urform auf eine U m w a 11 u n g, eine Verschanzung oder eine Umfassungsmauer, welche den Bewohnern bei feindlichen Bedrohungen als Alarmplatz, Zufluchtsstätte oder als V e r t e i d i-güngsplatz diente. Wie überraschend konsequent sich einzelne Begriffe beim Übergange des AJfslavischen in das Deutsche erhalten haben, hiefür bietet gerade das Wort »berlin« einen glänzenden Beleg der innigen Sprachverwandtschaft, denn genau dasselbe, was dem Wenden »berlin« bedeutete, bezeichnet heute dem Deutschen etwa die »Wehrlinie«, d. i. jene Stelle, wo er sich zur Verteidigung versammelt, ansonst auch als Formierungslinie, Alarmplatz im modern militärischen Sinne bekannt. Die wortgetreue Auslegung des Begriffes »berlin« ist nämlich »Sammellinie«, denn »ber« heißt im Slavischen: das Sammeln, die Sammlung, und »lim« hat die allgemeine Bedeutung: Umgrenzung, Umfassung, Grenzlinie, Rand. »Lim« kennt als »limes« (--Grenzlinie) und Nimbus« (=; Gürtel, Saum) auch die lateinische Sprache; im Slavischen bedeutet »lim, iimec, lern lemiti, podlem, podlemitU u. a. immer den Saum, den Randbesatz, das Pässepoil selbst oder eine diesen Zweck verfolgende Tätigkeit. Der Deutsche, Slave, Lateiner gebraucht aber auch die Form »Linie, linija, linea«, welche doch auch dasselbe bedeuten, wobei nur das »m« durch das »n« verdrängt wurde. Jener Alarm- oder Verteidigungsplatz war in Berlin zweifellos auf der von der Spree gebildeten Insel, die man heute als »Alt-Kölln« bezeichnet, wo sich auch noch dermalen, getreu der geschichtlichen Tradition, das Residenzshloß befindet, wreil sich auch seinerzeit hier der Chef jener Sicherungsstätte aufgehalten haben muß. Die alten Wenden nannten jenes Inselgebiet, da es Hügel hatte, aus diesem Grunde wohl als Hügel (»kolin, lcclni«), aber die vorbereitete Stelle für den Schutz der Bewohner oder die Verteidigung selbst hieß lediglich »berlin«, war daher ursprünglich kein Eigen-, sondern ausschließlich ein Gattungsname. In späterer Folge nahm der Begriff »berlin« im Slavischen mehr die Bedeutung von Gerichtsstätte, Richtplatz an, was weiter nicht verwunderlich ist, denn die öffentlichen Gerichtsakte fanden einstens doch auch auf jenen abgeschlossenen Plätzen statt, wo man sich gewohnheitsmäßig bei wichtigen Anlässen versammelte. So ordnet z. B. Zäboj (Königinhofer Handschrift) auch die Vorbesprechung zum Aufstande im »uval,< (= Umwallung) an. —- Im Kroatischen nahm der Begriff »berlin« schließlich sogar die untergeordnete Bedeutung Pranger an, der aber bekanntlich auch immer eine entsprechende Umfriedutig hatte. Man hat z. B. auch versucht den Namen »Berlin« von B ä r abzuleiten. Diese falsche Etymologie scheint auch schon die Wahl des Stadtwappens beeinflußt zu haben. Andere fanden das wendische Wort »bralin« (— Fischgitter) als namengebend, weil an der Spree Fische gefangen wurden, obschon man wissen müßte, daß eine solche Unauffälligkeit und Selbstverständlichkeit bei den Bewohnern höchst unbeachtet bleibt. — Auffallend und unsere Etymologie bestätigend ist aber das besonders betonte Masculinum des Wortes »berlin«, denn man sagte: der berlin a. d. Elbe (bei Magdeburg), der berlin bei Frankfurt a. d. Oder, der berlin in Böhmen u. ä. ein Beweis, daß das im Slavischen männliche Wort auch so ins Deutsche übernommen wurde. Es tritt demnach im kleinen nicht so häufig und so klar die Synglcsse, die Gemeinsamkeit des Ursprunges der Sprachen,, an den Tag, wie an diesem Beispiele, denn sie zeigt am nachdrücklichsten die organischen Fehler der bisherigen Sprachforschung. Naturgemäß kann man die lebenden Sprachen nur aus den nächstverwandten älteren oder ältesten erklären. In der Wirklichkeit geschieht es aber meist umgekehrt, trotzdem es eine handgreiflich widersinnige Vergrößerung der dabei zu besiegenden Schwierigkeiten ist, wenn man von zwei Sprachen jene, die man für die jüngere, daher unreinere halten muß, zum Objekte des Studiums machen will, um auf dieser Fährte die Grundlage zur Erklärung der älteren, reineren und einfacheren zu gewinnen. Hiemit sind die sprachgeschichtlichen Metamorphosen des Begriffes »berlin« von ihrer primären slavischen Auffassung bis heute in genetischer Kontinuität festgelegt. Dieser topische Name selbst muß nach allem einst derart allgemein und prägnant gewesen sein, daß es bis heute auch noch niemandem einfiel die Urform desselben irgendwie zu ändern. — Überdies heißt es auch in geschichtlicher Hinsicht immer, daß Berlin ursprünglich ein wendisches Dorf war. 3. Branibor. Im preußischen Bezirke Senftenberg befindet sich eine große Wallanlage, die man noch heute mit dem slavischen Namen »Branibor«, also: V erteidigungskampfplatz bezeichnet. Auf jener Höhe sieht man eine Menge von Erdaufwürfen, die alle »Ochsenberge« heißen. Liebusch, der in seiner Broschüre »Die Römerschanzen und der Römerkeller bei Costelbrau« (Görlitz, 1837) diese Wall- bürg beschreibt, etymologisiert »Branibor« als »Bergwald« (?) und die »Ochsenberge« als »Hochberge«, und bedeute Ochse hier etwa so viel, als das altgermanische »hoch«. Tatsächlich liegt hier eine falsche Übersetzung des slavischen »vali« (= Wälle), im sorbischen »voli«, ins Deutsche vor; nebstbei heißt »vol« im Slavischen allerdings auch: Ochse. Die Slavizität aller dieser topischen Namen, sowie auch jener der Umgebung, wie: Kestelbrau (wohl »Kosteibran«), Cernegozda, Cipkau, Groß-Born, Sczuga (ein Sumpfgebiet) u. a. wird aber hiemit überzeugend bestätigt, und ergänzen dies noch die Namen »Stroza, Stro-zica« für Wachpunkte in jenem Gebiete. Daß es sich hier um einen befestigten Platz, oder um die Verteidigungszentrale eines Gaues handelt, wo sich die Bewohner der umliegenden Ortschaften bei feindlicher Gefahr sammelten und verteidigten, darin stimmen wir mit Liebusch ebenso überein, wie mit dessen Abweisung der Ansicht, daß diese von den Römern hergestellt worden seien. Im direkten Widerspruche befinden wir uns aber mit ihm betreffs der wirklichen Erbauer dieser Wallburg. Liebusch meint, die Slaven können sie nicht erbaut haben, weil die Anlagen über die Völkerwanderungszeit zurück reichen; die Slaven können sie bestenfalls später »mitbenützt« haben. Er schreibt diese Befestigungen den germanischen Semnonen zu, und die slavischen Ortsbezeichnungen seien wohl altgermanisch, weil sie nach ihrem Alter slavisch eben nicht sein können. Dieser Widerspruch wird aber nicht mit der Ausschaltung der nie gewesenen Völkerwanderung behoben, sondern mit dem Einsätze der »altgermanischen« Etymologie maskiert, damit die Wahrheit, ja nicht herauskomme. Dort befindet sich auch der sogenannte »Römerkeller«, ein, großer gewölbter Raum, der wohl den Zweck hatte, als Depot, dann als Nächtigungsstätte für die Verteidiger, sowie nötigenfalls als Unterkunft für Verwundete zu dienen. Nahe dabei befindet sich auch eine ständige Quelle, eine der notwendigsten Vorbedingungen für eine längere Verteidigungsmöglichkeit. Auf der Höhe standen früher auch drei Säulen nebeneinander. Wahrscheinlich stießen hier die Grenzen dreier Gemeinden zusammen, und waren dies die bezüglichen Grenzzeichen, was vielleicht noch heute der Fall ist, oder sich aus den alten Katasterplänen für eine ältere Zeit noch erbringen läßt. Der krankhafte Ausweg alle alten Straßen, Schanzen, Wallburgen u. drgl. den Römern zuzuschreiben, verliert sich erfreulicherweise immer mehr, denn die Römer waren die Angreifer, demnach es nur die Angegriffenen gewesen sein konnten, welche alle diese Kampfund Schutzobjekte erbauten, um das Vordringen des Gegners hintanzuhalten oder doch zu erschweren. 4. Valiska. Max Klose erzählt im seinem »Führer durch die Sagen- und Märchenwelt der Grafschaft Glatz« (Schweidnitz), Fürst Krok hatte eine Tochter, namens »Valiska«, die ebenso eine Wahrsagerin und Zauberin war, wie deren Schwestern K a s a und Lubusa; die dritte, ansonst der böhmischen Sage bekannte Tochter T e t a erwähnt aber jene Sage überhaupt nicht. Diese »Valiska« sei weiters eine heidnische Fürstin gewesen, die die Burg wie Stadt Glatz (Kladsko) gegründet habe. Den Anlaß hiezu gab folgender Vorfall. Eines Tages stand sie mit ihrem Bräutigam auf der E i c h b e r g-Höhe, jetzt »Kranich« genannt, und da belustigten sich beide damit, einen schweren Baumstamm über den Abhang ins Rollen zu bringen. Das unregelmäßige, sprunghafte Hinabkollern des Baumstammes ergötzte die junge Fürstin so sehr, daß sie hiebei den Entschluß faßte (!), an der Stelle, wo derselbe zum Schlüße liegen bleibt, Burg und Stadt, namens »Klotz«, slav. »Kladsko«, zu gründen. Dieser überaus plumpe Auslegungsversuch des Namens »Kladsko«, aus »klada« (= Klotz) ist selbstredend falsch, denn das namengebende Wurzelwort ist überhaupt nicht »klada«, sondern »klad«, d. i. Waffenplatz, Schutzpunkt. — Es ist dies zugleich ein typisches Beispiel, wie ortsgeschichtliche Ursprungssagen aus sprachlichem Unverständnis und mangehaftem logischen Denken entstehen. Alle Slaven, namentlich aber die Cechen und Wenden, wissen gut, daß in ihrer Sprache »valiska« soviel als: W a 1 1 b u r g, W a 11 a n-lage bedeutet. Solche waren auch auf jenem Eichberg, der aber sonderbarerweise heute »Kranich«, d. i. Gienzberg (slav. »granic, granica, granic«) lautet, als technische Schutzvorsorgen für die Verteidigung der Umwohner bei feindlichen Bedrohungen tatsächlich aufgeworfen und sind vielleicht noch heule nachzuweisen, wenn man dort Nachgrabungen vornehmen würde. Das Volk hat jedoch diesen Umstand aus dem Auge und offenkundig auch aus der Tradition verloren, konstruierte sich später, irregeführt durch die weibliche Form der slavischen Benennung jener Schutzwälle, daraus einen weiblichen Personennamen und knüpfte daran die Gründungssage. — An der cechischen Sage von den drei Töchtern Kroks ändert sich mit der vermeintlichen »Entdeckung« einer vierten Tochter somit nichts, da eben der Name selbst nur einem leicht erkennbaren sprachlichen Mißgriffe zuzuschreiben ist. 5. Nürnberg. Über das Alter wie die Herkunft des Stadtnamens »Nürnberg« wurde schon viel gestritten, aber der Streit führte nie zu einem be- friedigenden Abschlüsse der Meinungen, weil man dabei den sla-vischen Sprachschatz nicht beachten wollte, trotzdem in Dr. Friedrich Mayers Werke' »Nürnberg und seine Merkwürdigkeiten« (1861) bereits eingangs des historischen Abrisses diesbezüglich sehr Zutreffendes und Überzeugendes zu lesen ist. Der Verfasser schreibt darin (S. 1) folgendes: »Es wird immer ein undankbares Bestreben bleiben, die Ursprungszeit Nürnbergs bestimmt festsetzen zu wollen; ein ausgemachter Irrtum ist es aber, die Entstehung Nürnbergs den Römern zuzuschreiben und den fünfeckigen Turm, in der früheren Zeit den »alten Nürnberger Turm« neben der Kaiserstallung, obwohl ohne Zweifel das älteste Baudenkmal in der Stadt, von Kaiser Nero herrühr,en zu lassen und davon den Namen Nürnberg (aus Neroberg) abzuleiten, da die Römer auf ihren Zügen niemals in diese Gegend gekommen sind, die vielleicht eher von vertriebenen Norikern in Besitz genommen, einem slavischen Volksstamme zum Ansiedlungspunkt gedient hat, der den Boden urbar machte und den Landstrich für seine Bedürfnisse und seine Lebensweise zurichtete. So entstanden allmählich die Gehöfte und Ortschaften, unter denen das jetzt so ansehnliche Nürnberg, den Urkunden nach, zu den jüngeren gehörte. Eine mit der Wahrheit zusammenfallende Konjektur dürfte es sein, daß die Burg zuerst gestanden, die Stadt von dort aus ihren Anfang genommen und sich im Laufe der Zeit gegen den Fluß herab und später über denselben hinüber verbreitet und die vorher vielleicht einzeln und einsam stehenden Gotteshäuser in sich aufge-nommen habe. Möglich auch, daß der oben genannte fünfeckige Turm, der als ein Waldturm aus seiner Waldeshöhe emporragte und die Gegend überschauen ließ, zur Anlage der Burg aufgefordeit, die anfangs klein, nachher mit ihren Zusätzen bis zu dem heutigen Umfange versehen worden ist, deren architektonische Formen und Verhältnisse bei ihrer Altersbestimmung nicht unwesentliche Dienste leisten«. — . Alles hier Vermutete ist in der Hauptsache zweifellos richtig. Zum Schutze der Umwohner in der Niederung wurde schon in vor-denklicher Zeit auf der Höhe eine Sicherungsanlage hergestellt, wo man sich in der Not sammelte und verteidigte. Diese fortif¡kalorische Anlage benannte man ihrer Bestimmung entsprechend »nor« oder »nora«, was im Slavischen eben: Schlupfwinkel, Lager, Schutzstelle bedeutet. Da nun dieser Zufluchtsort auf der Höhe, dem Berge war, ging daraus von selbst die Erweiterung des grundlegenden Begriffes zu »norbreg, norberg, norimberch« u. ä. hervor. Der altehrwürdige Turm gehörte naturnotwendig zur ersten Verteidigungsanlage, denn er diente nicht nur als Auslug über die Umgebung, also zu Wachzwecken, sondern auch wohl als letzter fester Rückhalt der Verteidiger. — Die sprachliche Klärung des Namens »Nürnberg« ist daher hiemit, namentlich bei Berücksichtigung der alten Namensformen, überzeugend abgetan. Hier sei noch der bekannte Volkswitz mit dem »Nürnberger Trichter« berührt, da er auch mit dem slavischen Begriffe »nor« zusammenhängt. Der Ursprung dieser Schnurre, der mechanischen Ergänzung mangelhaften Geistesvermögens mittels eines 1 richters, knüpfte sich wohl nur deshalb an Nürnberg, weil »nor« im Altslavi-schen (heute noch im Slovenischen) auch zugleich die Bedeutung: be schränkt, geistesarm, im deutschen »närrisch, Narr«, hat. Augenscheinlich brachten gelegentliche Erklärungsversuche, woraus »Norimberch« gebildet sein mag, diesen Volkswitz in Schwung. Hiezu können aber nur die, slavischen Bewohner der Umgebung die Anregung gegeben haben, denen dieser Begriff in obiger Bedeutung noch geläufig war. Daß sich die Nachbarn gegenseitig nach Möglichkeit mit witzigen Herabsetzungen bedenken, ist eine bekannte Tatsache, und bot auch hier die bewußt oder unbewußt falsche Ausdeutung des Ortsnamens die erwünschte Handhabe. 6. „Doberdo“ oder „Doberdol“? Während des letzten Krieges spielte ein Ort im Görzischen, der in amtlichen Berichten des Generalstabes stets als »Doberdo« bezeichnet wurde, eine hervorragende taktische Rolle. An die überaus hartnäckigen und langwierigen Kämpfe um dieses Gebiet schlossen sich aber auch solche etymologischer Art an, da man in Zweifel geriet, ob dieser slovenische topische Name schriftlich als »Doberdo, Doberdo, Doberdob, Doberdol« darzustellen sei, bezw, wie er sich sprachgeschichtlich entwickelt habe. Es entspann sich daraus ein namhafter Federkrieg, in welchem von den verschiedensten Seiten eingegriffen wurde, bis schließlich die »Neue Freie Presse« dem Streite ein Ende machte und »entschied« (Nr. 18.454 v. 7. Jänner 1916), die einzig richtige Bezeichnung dieser Lokalität in slovenischer Sprache sei »Doberdob«. Die Bemühungen des Verfassers diese grundfalsche Deutung zu berichtigen, damit die Öffentlichkeit schließlich nicht eine handgreiflich falsche Auslegung als bare Münze anzunehmen beginne, blieben erfolglos. Auf eine »Berichtigung« hin kam die Erklärung, die Sache ist bereits entschieden, daher auch erledigt. Die große Welt erfährt hier zum erstenmaie, daß sich das erwähnte Blatt gelegentlich auch mit der wüssenschaftlich-schiedsrichterlichen Kompetenz in slavicis befaßt, und überdies als selbstherrliche »Autorität« für »Berichtigungen« kein Gehör hat. In der Wirklichkeit ist aber die so entschieden ausgesprochene Erklärung, »Doberdob« sei die einzig richtige Schreibweise, sowohl I sprachgeschichtlich wie dialektisch grundfalsch Die einwandfrei richtige Form ist nämlich »D o b e r d o 1«. Der Slovene (wie auch andere Slaven) hat die Eigenart das »1« am Wortschlusse (zum Teile auch in der Mitte) als >u« auszusprechen; das, was der Nichtslovene als »Doberdo« hört, ist tatsächlich ein »Doberdou«; hier wurde daher lediglich die etymologische Schreibweise durch die phonische verdrängt. Der Beweis für diese Ausdeutung liegt sogar lokal vor, denn das östlich dieses Hochplateaus streichende Tal wird von den Umwohnern doch auch als »Do, Dou« ausgesprochen, in der Militärkarte aber schon richtig als »Del« geschrieben, und wurde analog auch als »Vallone« ins Italienische übertragen. Die Tiefenlinie heißt daher »Dol« (= Tal), die Talbegleitung »Doberdol« (= befestigtes Tal), und liegt nicht der geringste Grund vor die topo-nomische Logik gerade hier gewalttätig zerstören zu müssen, da man auch die sonstigen »Doberdol, Hudidol, Kozidol, Vucidol« u. ä. nicht in »Hudidob, Kozidob, Vucidob« usw. umwandelte. — »Doberdol« besteht sonach aus »dob« und »dol«, und werden dieser natürlichen Etymologie wohl auch die »Slavisten« der »Neuen Freien Presse« zustimmen müssen, sofern sie die Angelegenheit überhaupt wissenschaftlich nehmen. 7. Provlika. Am schmälsten Teile der Landzunge Akte auf Chalkidike (1'8 km breit) ließ, wie Herodot ausführlich erzählt, Xerxes in den Jahren 483 —480 v. Chr, einen Schiffahrtskanal ausheben, damit seine Flotten nicht wieder den Berg Athos umschiffen müssen, an dessen Klippen die persische Flotte i. J. 493 zerschellte. Obschou die Perser !ange vorher den Feldzug gegen Griechenland offen vorbereiteten, klingt dies doch etwas unwahrscheinlich, da man eine so umständliche Melioration kaum vernehmen wird, lediglich um die Umschiffung einer mäßigen Halbinsel zu ersparen, umsomehr als man dann doch wieder zwei weitere ähnliche Halbinseln umschiffen muß (I.ongos und Kassandra); es scheint daher glaubwürdiger, daß es sich hier nur urr eine erneuerte Ausbaggerung gehandelt habe. — Tatsache ist aber, daß die einstige, vermutlich schon prähistorische Kanalstraße noch heute stellenweise mit Schilf bewachsen ist, ur.d daß die Griechen hiefür den vollkommen naturgemäßen, jedoch ausgesprochen siavi-schen Namen »Provlika«, d. i. Durchstich, Kanal, nach dem slav. »provleci, provlaciti« (daher auch die Nebenbezeichnung »Pro-vlaka«) d. i. durchziehen, durchgraben, Furchen zie-h e n, gebrauchen. 8. Perekop. Die 7 km breite Landenge, welche die Halbinsel Krim mit dem Festlande verbindet, war schon in prähistorischer Zeit durchstochen, damit man zur See von der Karkinit-Eai in das Azovsche Meer gelangen konnte. Dies beweist nicht nur der unverfälscht slavische Name, denn »perekcp« bedeutet eben: Kanal, Durchgrabung (prekopati = durchgraben), sondern auch der Umstand, daß in der augenscheinlichen Trace des Schiffahrtskanals an 30 Salzseen liegen, die jedenfalls heute mit dem Schwarzen Meere kommunizieren. Diese Vorsorge stammt aber schon aus einer grauen Vorzeit. Ältere Geschichtsquellen, als jene des Rerodot, kennen wir einstweilen nicht, aber diese Melioration ist ihm schon als »taphros« (= ta-bor) bekannt, denn er fügt bei, daß dies ein E r d w a 11 mit einem Graben sei. Plinius, Mela, Strabo nennen die Landenge auch »Taphrae«, und gibt letzterer die wirkliche Breite mit 40 Stadien an, was richtig der wirklichen Länge von 7 km enspricht. Der heutige Wall an dieser Stelle heißt, sowie die daselbst liegende Stadt, P e r e k o p, doch ist dieser Name bei den Geographen des Altertums noch nicht zu finden; der Grund dürfte folgender sein. Strabo kennt in diesem Gebiete zwei solche Erdwälle mit Gräben, von denen der zweite 360 Stadien, also etwa 65 km lang ist. Diese Erdbefestigungen liefen vom Salzsee bei Eupatorisk bis gegen die Mündung des Salzirflusses, und bezweckten das fruchtbare Gebiet vor feindlichen Reiterüberfällen zu schützen, sind demnach als eine zweite Befestigungslinie anzusehen, was später auch Konstantin der Rothaarige bestätigt. Einen weiteren Graben zogen nach Herodot (IV, 3) die Skythen, um die Insel Kerc vom Krim zu trennen; diesen östlichen Teil nennt Herodot: Chersonesos Trehee, »Chersonesos« ist aber nichts weiter als »Kerc«-Insel (-- Cherso — nesos), demnach die slavische Bezeichnung »kerc«, d. i. das verengte Gebiet, Meerenge (kreiti = zusammenziehen, verengen) schon mindestens fünf Jahrhunderte vor Chr. bekannt und gebräuchlich war. Derselben Wurzel gehört auch die gräzisierte Namensform »Karkinit« an. Desgleichen ist »tabor« (griech. »taphros«), d. i. Befestigung, schon aus der Biblischen Geschichte bekannt. — 9. Lorch ■ Lauriacum - Laureacum. Der alte Name für Ansiedlungen die man heute Lorch nennt, war entweder Lauriacum oder Lauraccum, und kommen solche in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien vor. Bei allen heißt es, daß sie an der Grenze lagen und Bischofs- oder Klostersitze waren. Dieses stimmt auch etymologisch, denn das Grundwort ist das slavische »lavra«, d. i. ein befestigtes Kloster, und bezeichnet der Begriff »Kloster« selbst etwas ringsum Abgeschlossenes. Desgleichen stimmen nahezu alle Sprachforscher darin überein, daß dies ein keltischer, also kein römischer Name sei; daß aber keltisch identisch ist mit slavisch, wird an anderer Stelle dargelegt. Die' heutige Stadt Lorch in Württemberg war die römische Miiitärstation Laureacum, lag am Limes, und wurden die Umfassungsmauern des alten Kastells i, .T. 1893 aufgefunden. Dort befand sich schon i. J. 1102 das bekannte Benediktinerkloster. ln Lauriaco (Loire?) wurde schon i. J. 843 eine Synode abgehalten. Lorch in Oberösterreich soll die römische Kolonie Laure-a c u m sein, und befand sich daselbst schon um die Mitte des III, Jahrhundertes ein Bistum usw. Die Etymologie, daß »lauro« im Gallischen »genügsam* bedeute, woher demnach dieser Name stamme, da er überdies auf einem Rottenburger Denkmale vorkommt, entbehrt seiner Unnatürlichkeit wegen jeder weiteren Beachtung. Hingegen fällt es auf, daß »Lauri-actun« fast durchwegs bekannteren Ortsnamen zugefügt wurde, wie z. B. »a Sirmi Lauriaco, a Tauruno Laurico, a Lauriace Veldidena, a Aquilejä Lauriaco« u. a., ein Beweis, daß man hiernit auf ein bestimmtes Bauwerk, also Kastell oder Kloster, in jenem Orte hinwies dieses daher vorerst kein Eigen,- sondern nur ein Gattungsname war, demnach dem Ortsnamen nur attributiv zugefügi wurde. 10. Dukla, Duklja. Dukla, Duklja z besagt: Fürstensitz. — Alts!. »duk« - Herzog, Fürst. —- Auf der Landspitze, die durch den Zusammenfluß der Zeta und Moraca nördlich Podgorica (Montenegro) gebildet wird, befinden sich bedeutende Ruinen aus römischer, wie wohl auch vor- wie nachrömischer Zeit. Die Lokalität heißt noch heute Duklja, die aber schon von Claudius Ptolemäus (II. Jahrh. n. Chr.) als »Boklea« erwähnt wird. Genannt wird dieser Ort auch in zwei Schreiben des Papstes Gregor d. Gr. v. J. 602 an Justinian I. und den Bischof von »Sckrodra* (-— >Skadar) in dieser Form. Erst Konstantin der Rothaarige gebraucht das erstemal die Namensform »Dioclea* und fügt bei, daß es einst eine große, stark befestigte Stadt war, die aber zu seiner .Zeit sehen in 1 rümmern lag, — Die Urgeschichte von Montenegro beginnt tatsächlich mit den Regenten von Duklja. — Hier wurde auch die älteste bisher bekannte kroatische Chronik vom sogenannten Popen D ü k 1 j a n i n verfaßt. — Dukla in Galizien hat gleichfalls noch heute eine imposannte Burg, die vermutlich einst auch ein Fürstensitz war. Entstellung und Fälschung der Ortsnamen. Jeder Ortsname hat seine reale Geschichte; dessen sprachge-schichtiiche Bildung und Entwicklung ist fast immer eine natürliche. Alles jene aber, was diese Grundzüge nicht mehr trägt, ist bereits, gleichgültig ob bewußt oder unbewußt, entweder durch Anpassung entstellt, falsch übersetzt oder überhaupt zu dem Zwecke gefälscht, dessen geschichtliche oder sprachliche Provenienz zu verdunkeln oder zu verwischen. Dieser in erster Linie amtlich betriebene und offiziell geförderte Unfug mit der »Erfindung « neuer Ortsnamen hat namentlich in Österreich und Ungarn bereits derart geschichtswidrige und chaotische Formen angenommen, daß man bei einer Ortsangabe oft alle erdenklichen Zusätze gebrauchen muß, nur um denselben für alle Eventualitäten dritten Personen gegenüber entsprechend kennbar zu#nachen. Die allenfallsige Nichtanerkennung eines solchen Kunstnamens führt aber gelegentlich sogar zu Retorsionen, denn es kamen ungezählte Fälle vor, wo ein Brief amtlich nicht befördert wurde, weil er den neuen »amtlichen Namen nicht aufwies. Hiefür einige Beispiele. Weshalb sagt der deutsche »Görz«, der Italiener »Gorizia7« — Der slovenische Name »Gorica« ist aber der historische und zugleich der sprachlich einzig richtige, denn er sagt immer das, was er sagen will: die Stadt heißt so, weil sie an der »gorica* (= kleiner Berg) liegt, was ja auch in der Natur stimmt. Nachdem aber weder der deutsche noch der italienische Name etwas Neues, Besseres oder Bestimmteres besagt, »kleiner Berg« auch weder im Deutschen »Görz« noch im Italienischen »Gorizia« lautet, ist es völlig unverständlich, weshalb man den einzig zutreffenden Namen mißachtet und verballhornt, zumal beide Sprachen gut imstande sind die Original form etymologisch richtig zu schreiben wie phonisch einwandfrei auszusprechen. Weshalb macht der Deutsche aus dem slavischen »Straza« (~ Wachpunkt) ein »Strass«, was den Etymologen irreführen muß, da er daraufhin leicht auf den Begriff »Straße« verfällt, womit der histo- rische Ursprung der Lokalität bereits getrübt und schließlich unkenntlich wird, namentlich wenn hiefür ältere urkundliche Buchungen ganz mangeln. Wozu wird aus »Vinbreg« ein »Weinberg« gemacht, denn »Vin-breg« heißt doch Grenzberg und nicht »Weinberg«! — Diese falsche Bildung gibt aber dann weiter Anlaß zu den unnatürlichsten Schlüssen, denn man folgert daraus gleich, es müsse hier einmal ein Weingarten gewesen sein, und hält sich noch daran, wenn dieser Berg selbst in der Ortler-Gruppe liegt, ja man lebt sich in den einmal gemachten Fehler so gedankenlos ein, daß man daraufhin die sinnlosesten Hypothesen konstruiert, die schließlich sogar zur Annahme führen, -.man habe jedenfalls (!) hier einmal Reben gepflanzt«. Wer findet beim Ortsnamen »Zauchtl« noch heraus, daß dies ein verquetschtes »Suchdol« ist«, wenn letzterer Name einmal ganz in Vergessenheit geraten sollte? Welcher Zweck soll damit erreicht werden, daß man aus: »Vas Zupa« ein »Wassersuppen«, aus »Slatina« — »Latein«, aus »Podmoli. — »Baumöhl«, aus »Vrchnice« — »Würgnitz«, aus »Ratibor« — »Rotwurst«, aus »Velislav« — »Filzlaus«, aus »Dvorce« — »Wurzen«, aus »Rokitna« — »Rotigl«, aus »Radvanje« — »Rotwein«, aus >Vi-dovee« — »Viehdorf« u. drgl. macht, woraus vielfach sogar für die Ortsbewohner unverdient kränkende, ja verletzende Hänselungen seitens der Nachbarn mutwillig hervorgerufen wurden. Hat »Berlin« seine originalslavische Form behalten können, ohne deswegen eine Einbuße erlitten zu haben, so kann dies bei einem Dorfnamen umsoweniger bedenklich sein. Noch gewalttätiger und sinnloser als in Österreich ist die Ortsnamenfälschung in Ungarn, wo sich diese Arbeit sogar zu einer Art »Wissenschaft« herangebildet hat. — Im März 1916 trat z. B. der Literarhistoriker Prof. Beöthy in der ung. Akademie der Wissenschaften mit der Forderung auf, die Namen Wien in Becs, Zagreb in Zagrab, Klausenburg auf Kolozsvär, Breslau auf B o r o s z 1 o usw. zurück (?) zu magyarisieren. Die rein chauvinistische Seite dieses Vorschlages sei hier übergangen, denn wir wollen hier nur festlegen, ob hiefür irgendein wissenschaftlicher Grund vorliegt. Beöthy scheint nämlich gar nicht beachtet zu haben, daß die topischen Namen an sich eine organische, oft sogar noch geschichtlich nachweisbare Entwicklung haben, wobei der Name mit der Lokalität in engster Wechselbeziehung steht. Und weshalb ist »Becs« magyarischer als das »Bec« der Südslaven? — Bei den Slaven bezeichnet es aber das, was es ist oder doch einst war (Schutz-, Sicherungspunkt), im Magyarischen hingegen ist es bedeutungslos. — »Zagreb« bezeichnet doch in nahezu allen slavischen Sprachen so viel als Wallburg, was es einst zweifellos auch war; wozu nun ein ganz unbegründetes »Zagräb«? — Die älteste urkundliche Namensform von Klausenburg ist »Clus«, also »Ključ«, d. i. Sperre, woraus in sprachorganischer Fortbildung im Deutschen »Klause« wurde. Weshalb verfolgt der Magyare die Etymologie für seine Zwecke nicht logisch weiter, indem er Klausenburg wortgetreu in »Kulcsvär (das slav. »ključ« lautet mag. »kulcs -Jl übersetzt und so die Urform des Namens indirekt beibehält? — Schämt sich der Magyare etwa des slavisch klingenden »kulcs«? — »Koiosvdr« ist aber doch auch nur ein schwach überlünchtes »Kulcsvär«! — Weshalb soll »Breslau«, das doch als altwendische Gründung stets »Vartislava« oder »Vratislava« lautete, plötzlich zu »Boroszlo« werden, also zu einer weiteren Verballhornung des slavischen Originalnamens? — Man glaubte immer, es handle sich den Magyaren hiebei lediglich darum die slavischen Ortsnamen im eigenen Lande auszu-märzen, aber wie die Dinge zeigen, finden auch die deutschen Namen selbst außerhalb der Länder der Stephanskrone keine Gnade. Die Ortsnamen sind in der Wirklichkeit eine Art Mosaiksteine der Lokal- oder Landesgeschichte; wer nun jene aus welchem Grunde immer gewissenlos ändert oder eskamotiert, vernichtet hiemit gewaltsam das reellste Quellenmaterial der lokal- und landesgeschichtlichen Forschung.') Von sogenannten Übersetzungen der Ortsnamen, die nahezu ausnahmslos verfehlt sind, weil diese fast nie der ursprünglichen Bewertung des Begriffes Rechnung tragen, sei hier überhaupt nicht gesprochen, da dies auschließlich in das politische Gebiet gehört, und es wohl nicht eher besser wird, bis da einmal eine höhere, objektivere allgemeine Bildung durchgreift, die auch das Anhören der Wahrheit ohne Nervenstörung vertragen wird. Es ist daher zu hoffen, daß einmal doch jene Erkenntnis heranreifen wird, wonach jede Lokalität nur einen Namen, u. z, den h i-storischen führen soll, welche durchgängige Anschauung nicht nur im Interesse des allgemeinen Verkehres und der erleichterten Amtierung, sondern vor allem auch ein Postulat der Wissenschaft wäre, um sprachliche, ethnographische wie sozialgeschichtliche Forschungen mit Erfolg zu ermöglichen. Kennt man aber die Originalform der Lokalität, so weiß man dann meist auch sofort, wer hier zur Zeit der Namengabe gewohnt-, welche Sprache er gesprochen, sowie zugleich die namengebenden kulturellen wie sozialen Begleitumstände ß Die Offizierei die im großen Kriege auf ungarischem Gebiete kämpften, werden auch die Nachteile dieser krankhaften Magyarisierungstcchnik empfindlich verspürt haben; wie viel aber dadurch in taktischer Hinsicht dem eigentlichen Zwecke Schaden zugefiigt wurde, wird wohl kaum jemals mehr zu erfahren oder festzustellen sein. Solange aber die Möglichkeit besteht, daß jeder Beamte bei einer ■ Bezirkshauptmannschaft beliebig die topischen Namen des Amtsbereiches »konstruieren« kann, wird die Wissenschaft in dieser Hinsicht nie einen soliden Boden gewinnen können. Wir wissen ja zugleich sehr gut, was diese »Berichtigungen«, eigentlich bezwecken, sind aber auch nicht im unklaren darüber, daß diese »Berichtigungen« nicht Hunderte, sondern wohl schon Tausende von Jahren währen. Hoffentlich kommt aber doch einmal die Zeit, wo die Regierungen selbst der Wissenschaft wie Kultur dahin Rechnung tragen werden, die Ortsnamen als ein etnologisches und sprachgeschichtliches Erbe anzusehen, an dem niemand berechtigt ist etwas aus politischen Gründen zu ändern. Daß die Nachteile dieser »Berichtigungen« der topischen Namen aber ausschließlic hnur die slavischeVer-gangenheit berühren, um dieselbe zu verkleinern, und die deutsche oder ungarische zu erhöhen, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, da der Zweck doch niemals ein Geheimnis war. Slavische Sprachbelege in »Beowulf«. Das dem Ende des X. Jahrhundertes zugeschriebene älteste deutsche Heldenepos »Beowulf« ist in angelsächsischer Sprache geschrieben, und bewegt sich dessen Handlung zwischen dem Gebiete der Dänen, Goten und Angelsachsen, Ein Teil spielt sich auf der nord-friesischen Insel Sylt ab, wo angeblich immer nordische und deutsche Völker wohnten. Nichtsdestoweniger fällt es aber dem Leser bald auf, — übrigens ist das Werk auch den Germanisten zum Teile ein Rätsel —, daß dieses Epos eine Menge Namen wie Begriffe enthält, die einen slavischen Ursprung haben müssen, weil sie nur im Wege der slavischen Etymologie natürlich verständlich sind. Ebenso weist das auffallend unlogische Durcheinander der Handlung dahin, daß hier eine mäßig geniale Kompilation verschiedene epische Stoffe zu einem Ganzen verschmelzen wollte, wobei sich besonders ein bewußtes Streben, die heidnischen Verhältnisse in die christlichen umzuformen, geltend macht. Im allgemeinen hat es den Anschein, als ob aitslavische Volksdichtungen epischer Richtung dem Verfasser die Führung der Handlung geboten hätten, wobei er freilich viele Namen und Begriffe sprachlich verwechselt haben mag, oder sie aber absichtlich verschleierte. Dieser Gedanke beschäftigte die Gelehrtenwelt seit langem, und gab Rob. Schweichei schon im Jahre 1868 in seiner Schrift »Über den gegenwärtigen Stand der Sprach- und Naturforschung« dem Zweifel Ausdruck, »ob sich nicht ebenso, wie manche Mythe der Götterlehre, auch manche jener Heldensagen und Lieder, welche uns die isländische Edda aufbewahrt hat, aus keltischen Anlautungen und Ursprüngen entwickelt haben; manche Bezeichnungen und Fer-scnennamcn dieser Dichtungen lassen es -wenigstens vermuten. Vielleicht läßt uns das Studium der keltischen Sprachen eines Tages vollends das Geheimnis durchdringen, welches den »Beovulf« der Angelsachsen noch immer zum großen Teile verhüllt. Schon die Art der Leichenfeier des Helden bestärkt uns, gleich der des Siegfried und Brunhildens in der Nibelungensage, in dieser Vermutung. Sie werden verbrannt, wie dies noch bei den heidnischen Preußen der Fall war, als der deutsche Orden das Land eroberte. Mit der Einwanderung der deutschen Stämme in Mitteleuropa hörte aber das Verbrennen der Toten auf« usw.1) Ein tüchtiger Slavist müßte im Vereine mit einem ebenso versierten Germanisten hier ein äußert interessantes Forschungsfeld finden, denn etliche Namen, Begriffe, Redewedungen und Kulturdetails bieten sich derartig handgreiflich als slavisch dar, daß sich selbst der nichtslavische Leser dieses Eindruckes nicht erwehren kann. Es mögen hier tmr einige typische Beispiele folgen, wobei beigefügt werden muß, daß die Übersetzer u£Sa Komentatoren des Be-cmilf offenkundig viele Stellen und Begriffe auch unzutreffend erfaßten, Z. B.: in der Dichtung steht mehrmals »gehärtet im Feuer« für die Kennzeichnung der Güte der Waffen. Dieses Epitheton findet man in slavischen Dichtungen fortgesetzt und am richtigen Platze; in »Beoifeblf« bezieht sich aber dies in einem Falle^ufdie Vergoldung der Waffen; tfW*'**»'*##* »holm« heißt auch im Slovenischen noch heute: mäßige Anhöhe, Hügel; der edelste Krieger wird im Epos »Asker« genannt; dies ist aber im Südslavischen tatsächlich die Bezeichnung für den Krieger im allgemeinen; »hrunting« hieß das Schwert Beowulfs; im Slavischen bezeichnet man mit »hrot, hrotnik« die Lanze, den Spieß: . »Hadükin«, Name eines tapferen Kriegers, scheint nur der Begriff »hajduk« (—- Beschützer, Wächter) zu sein; der hohe Grabhügel, der über der Asche Beowulfs errichtet wird, heißt »hrones näs«; das heißt aber nicht »Wallfischberg«, sondern »Grenznase< Vend«, sondern »Človjek« war; b) hat diese Etymologie in einer organisch innig verwandten Parallele eine weitere gewichtige Stütze, denn der heute nur vom Deutschen gebrauchte Begriff »Mensch«, über dessen undeutsche Struktur, rätselhafte Herkunft und als das einzige reimlose Wort sich die Sprachforscher seit langem den Kopf zerbrechen, besagt auch weiter nichts, als: der Sprechende, aber wieder nur im Slavischen, wo »men, menek« = G e s p i ä c h, »menic« = der Sprechende, »meniti se« = sprechen bedeutet. Ob nun der Begriff »človek« selbst aus »slov« und »večati, vik«, d. i, Werte ausstoßen, zusammengesetzt ist, wissen wir heute nicht, doch entspricht dies der allgemeinen Sprachchemie. Der Übergang des anlautenden »Č« in den verwandten Zischlaut »s« mag aber auch auf dem Umwege durch andere, den »č«-Laut nicht besitzende Sprachen mit der Zeit Eingang gefunden haben, und dürfte sich die lateinische Form »sclaveni« und die griechische »stlavenoi« und »skla-benoi« für die Slavenbezeichnung eben deshalb ergeben haben, daß man das »Č« anders gar nicht wiedergeben konnte, weil der hiezu notwendige Laut beiden Sprachen mangelte. — Auf diesem Wege würde sich schließlich auch die sonderbare Tatsache aufklären, weshalb durch das ganze Altertum der Name »Slovan« — bis auf paar vereinzelte, nicht voll geklärte Fälle — als ethnographischer Begriff nicht vorkommt, da er zu einem solchen wohl erst in jener Zeit wurde, als sich die Bedeutungen von »človek« und »slovek, slovak, slcven« u. ä. schon selbst ethnologisch differenziert haben, denn so lange es nur eine Sprache und erst eine kleine menschliche Gesellschaft gab, genügte es vollkommen dieselbe als »Menschen« zu bezeichnen, da für eine besondere ethnographische Spezialisierung noch kein Bedürfnis vorlag. Der Begriff »človek« (wie »Mensch«) weist demnach wieder auf die slavische Originalität der Genesis, und müßte demnach in jeder Sprache der Mensch etymologisch als der Sprechende bezeichnet werden, sofern die sekundäre Sprache jene Etymologie eben noch richtig zu erfassen vermochte.*) *) Dies ist jedoch nicht der Fall, den z. B. die romanischen Sprachen weichen davon bereits ah: ihr allgemeines Grundwort »homo« weicht, unter Grundlegung des Sprachschatzes, schon auf »ken, kom, kum«, d. i. Nachbar, Verwandter. Pate hin, hat demnach den Originalsinn nicht mehr erfaßt. Die allgemeine Behauptung jedoch, der Naine »Slovan« trete erst i. J. 552 bei Prokcpios als »Sclaveni« das erstemal in ethnologischer Bewertung auf, ist unzutreffend. Dagegen spricht die auf S. 198 beschriebene etruskische Gemme, und der auf S. 301 wiedergegebene Majestätsbrief Alexanders d. Gr., sondern auch eine unan-gezweifelte Stelle in den Werken des Armeniers Moses von Cho-rene, der im V. Jahrhunderte lebte. Er schreibt: »Das Land Tra-gacoc (Thrazien) liegt östlich von Dalmadiah (Dalmatien) bei Sarmadiah (Sarmatien); und es hat T r a g i a fünf kleinere Provinzen und eine große, in der fünf »sglavajin« (slavische) Stämme wohnen. Auch hat es Berge, Flüsse, Städte und zur Hauptstadt das glückliche Constantinopel«. Nachstehender Beleg aus dem II. Jahrhunderte ist aber bisher überhaupt noch nicht aufgeklärt. — In der Ausgabe der Geographie des CI. Ptolemäos durch den Benediktiner Nikolaus Denis (im XV. Jahrh.) sind in einer Karte genau an jener Stelle, wo die Nestorsche Chronik beim Jahre 6367 der sl. Weltära (859 n. Chr.) die »Slovjeni« hinstellt, die »Slavani« verzeichnet, in anderen Ausgaben liest man aber an jener Stelle schon »Stavani«. Wer diese »Berichtigung« vorgenommen, ist unbekannt, doch müßte die Nachprüfung aller vorhandenen Manuskripte — einschließlich jenes vom Athos — ergeben, ob, wann und wo die Umwandlung der »Slavani« in »Stavani«-erfolgte, denn es muß doch stutzig machen, daß die »Slavani« gerade dort,’ wo sie durch eine andere Quelle festgelegt sind, plötzlich einem anderen, wenn auch ähnlich klingenden Namen weichen müssen, zumal uns ja nicht unbekannt ist, mit welchen verwerflichen Mitteln seit jeher alles weggeräumt wird, was für die slavische Vorzeit zeugen könnte. Namen- und Sachregister Seite Seite Abalus .... . 135 Apollonios v. Rhodos 133A Abaris .... 60, 61 Apostelgemälde (Inschrift) 197 Abydos .... 124 Apubksar 75 acetum .... . 378 Aquileja 314, 323 Adam 7, 10 ara, arrha 285 Adambuch, äthiopisches 16 218, 229 Aras .... 34 Adam von Bremen 26, 39 Aravii (Arabi) 36 Adel, altslavischer 409, 411 Araxes 34 Adelschronicken 28 Argonautica . 133A Adelung .... 140 Aribo Graf 284 Aeneas Sylvius 27, 82 Aristagoras 48 Aera 6, 18 Aristoteles 299 Aethicus .... 86, 187 Armen, Armenier 13, 80 Aethiopien 34, 120 Arnkiel 10 Aglei 314, 323 Artania 78 Agremontin 313 Asgard 182 Agreta .... 263 asker .... 402 Aimoinos .... 26 Aspas .... 14, 17 Aklejam .... 16, 231 atam, ataman 14 Aktevu .... 75 atla 14, Atlantis 14A Alamani .... 36 Attila, 14, 341 (Münz en) . 155 rlatir 217, 219 (Schatz) 126 Alexander d. Gr. 24, 50 137, 298 Attcrozi 42 Alfred d. Gr. 26 Aturezani 42 Alimpijada . 299 Ausnäh-Texte 370 Alphabete 193 Aussätzige 118 Alphavita 192 Austravia 135 Alter Franz 210 Altslovenisch 68 Balak .... 137 Alvaniti .... 36 balalajka 356 Amazin .... 66 bandura 350 Amazonen 63, 65 Barangoi 74 Amazonia . . . . 66 Barbar 67 ambra .... 135 Barde .... 356 Angliane . . . . 71 Bardengau 89 anfraz . . . . 135 Bardentum 347 Annalen . . . . 37 Barmania 78 Anonymus Leobiensis . 309 baruc, baruch 321 Anschowe (Chronik) 310, (Ort) 314 Basilios 280, 282 Antenor . 50 Batrik Said ibn 230 Seite Seite Baumöhl . 398 Buchstabenschrift (Erfindung) 49 Bawarowski (Bibliothek) buchta, Buchtel 381 213, 240, 244, 256 Budec (Akademie) . 169A Baumeister (phönizische) 50 bugarstice .... 356 Bees - . . . 398 Bukephalcs 300 Beda 85 Bulgari .... 36, 39 bedolach-Harz 32, 131 Buntfärberei (älteste) 9A Beethoven *“ 361 Bunzen^eld . * . 289 Beheimare 42 burian 61 bekos 373 Busani .... 4? belbog . . . . . 171, 407 Büthakukye (Alphabet) 188 Beluacensis Vine 27 Beowulf . 401 Carkazi .... 36 Berggold 32 Car-kurgan 114 berlin, Berlin . 387, 388 Carpini Joh. 27 Bernstein . . . 38, 131, 134 Catenen, arabische . 230 Bertelii , , . 137 Caziri ..... 42 Bertiniani annales 76 Cedrenus .... 26, 74 Bertenici .... 42 cekin-Münzer 148 Bezunzana 42 Celeia 50 Bibliotheka Alejandrina i 65 Celti . . . . 90 Bibliothek alexandrinische 51, 162 cep . 109A Biburg .... 102 cerkcvnija knigi 29 Biererzeugung (erste) 9A fpsar . . 24 Bjeloozero 71 chakanus 76 Blazii (Vlahi) . , . 190 Chalubi .... 142, 144 Blendung (der Barden) 350 chalybs .... . 142 Bcč 56, 316 Chambeilain H. St. 96 Bogdan Joar, 248 Charybdis . 118 Bögor (König) 197A chasa 90, 122, 275 Boguphal 27 Chasistratos . . 13 Böhme .... 39A Chatti 87, 122 boj 90 Chazaren .... 79 Bojan 347 chelandia .... 77 bojar 412 cheled .... 90 Bojken . . . . 403 cheta •122 Bokäer . . . . 49 Cherscnesos . 395 boljar 412 cherub .... 199 boreas . 61 Chion . 116A Borič 75 Chodzko .... 349 bran 90 Chozirozi .... 42 Branibor . . . . 389 chranne 279 bratanič . 255 Christos .... 336 Breisacher 203 Chronologie 101, 230 Breitengradmessung (älteste) 49 Chronos .... 13 Breslau . 398 Chugnos .... 86 Bretze . . . . 381 Chuni 86 Bronzezeit 101 Cividale .... 386 Bruzí 42 Clemens-Handschrift 230 Bryenníus Nikephorus 27 Cloz Graf .... 202 brysingamen 135 cocotte .... 99 buccina . . • . . . 135A Ccnstantius Chlorus 151 Buchdruck (Venedig) 46 cop 377 „Dolichenus.“ Fie. 2 a. Fig. 2b. (Falsche Nachprägung.) big. 1. (Echt oder echte Nachprägung ) „Attila- Münzen“. „Attila- Münzen“. Slavische Runendenkmäler. Slavische Runendenkmäler ! Schriftdenkmäler der „cerkovnica Ein altes Apostelgemälde in Rom. Gemme mit slavischer Inschrift. " • ' " -T ” «W-Kt-tiaA* i?«» "*•:»&•€' •■'■ f»a<Ä>'V,^*3 *Vfe-Kte ?*?<« «W» <•*" *,"*' >*/•*; ?.e viv* .^w^aKS^BBT *‘. -núhljtf* «V^. Sí '%’#'í ■ J&3 O» Ov£í A,^.*. ■ %&*** * •sp.fi ^'}- J 0f§k $» VkcÍ!| • f J . £ i £ TAFEL V (zur Seite 202—208). Die Handschrift des hl. Hieronymus. Faksimile der letzten (28.) Seite des Fragmentes im Ferdinandeum in Innsbruck. (Um ein Gerinjes verkleinert.) (Das älteste bisher bekannte glagolitische Schriftdenkmal.) Eine bisher ungelesene altslovenische Handschrift in Lemberg. i-, t r r «üiifo. ■■ ft • ■• r :l i "'Fi ^ 'UtCM-ili hiU*' l:A •?/< 'MTMWa . ' Krut.;- m h .. '¡.Ußfimn HKii' i.tßit »• it v*• ’l;ui^ir.4 *r4. ■" HT iCÜ (Die am wenigsten verblaßte 5. Kolonne der Handschrift.) TAFEL VII (zxi Seite 24'i). Ein ungewöhnliches Grenzzeichen. Eine Grenzhegehungsurkunde v. J. 1416. S * s. s» a «c 5* F- 4® c n >. § s « 5 a ? S 8&. ^ fc* ^ »s tu «J ä 3 „ £ * ; !■$£ r§ » 5 3 % t X z *> S 5 e* 4 > « “ ' 5S ~ » » X Z -4 v 3 u ?! ® *■ ' V"-- «* y *r •*> X- *5 5 5S ® ^ tS ~ * < < z Die Handschrift der „Lex Salica in St. Gallen. yi it^c ipin^-nr nzu W. Ulf* O ^CW M 1 imcc l liTmi nicir IL Ißjl L; cj i •<~n TCj-T O u TVt^li-u m Lccafriccfrn cle-crunne mrr díl?l jaiHcr¿dpi* 4 ntcu ------- — I--------- ¿J31 1 m ¿t Jl ixcnne- cL¿t^i 'f&hcchn Í bcexxvm • Ttavit^ lnmnfl’ tIiAa \bt ] • Ci*Wt*q T Lirnu J>&fVu £uXc*»ÜMT TTixt^ tr»í imif" fuiani föt^CV’ > ¿rrrfvim »Ctt^tuJ- ftccijv C¿*j£~- fr?<Ít; Faksimile der 1. Seite in Originalgröße. — Titel und Zahlen sind im Originale rot ausgeluhrt. Seite 1 Seite Cosmas v. Prag 27 dolky, dölki 381 cota .... . 377 Dolmati .... 36 crevbeba . 275 Dorotheus v. Menembasia 210 Črna gora 121 Dostah ibn 76 Cyrill .... 158 drak 23 cyrillisches Alphabet 185, (Schrift) 193 Drann . . . . 306 Cyrillonas 86 Drau 307 Czerlien v. M. 235 Dreieinigkeitsprinzip 408 Čara, čaren . 121 dructe .... . 276 čarnaja dan 411 ducipal .... 211, 300 čarna vojska 411 duda, dudarz 349 čaroben, čaroven 58 duk 13 čarnibog 408 Dukaten (Arten) 256 časnik .... . 250 Dukla, Duklja 390 Cecil, Čeche . 39A Dukljanin (Presbyter) 27 čelad .... 386 Durus mons . . . 89 čeled, čeledin 90 duze . *128 čereslo 243 dvornik .... 250 četa ...... . 122 Dynastenbücher 28 čir, čiren 119 dzevycze 290 Čjudi .... 71 človek (Etymologie) 421 Edda 177 čoln .... 77 Eden 10 čop .... • 377 Eginhardus 26 črka, črkovnica 158, 184 Egipti 36 črnibog 171 Eichhörnchen . 71A Eisenzeit .... 101 Dados.csana 42 Elamitii .... 36 Daix .... . 128 elektron .... 134, 141 Dalemil Mezeficky ; 27 Elmakin .... 27 Dalken 381 Enetoi 45, 48, 50 Dankovszky Gregor . 60 A, 191 A Enos 13 Dardani 36 Eptaradicf .... 42 Davd (David) 329 Eratosthenes 51 Delfika 262 Eridanos (Erdan) 133 desetnica 341 Erschaffung (der Welt) • 7, 9 desius .... 13 Eschenbach . 310 Deukalion 12. 13 Etiopi 36 deukalionische Flut 'n . 4 Ethnologie 102 Deutsche 91 Etymologie, ortsgeschichtliche 384 Dietmar v. Merseburg 26 Euganäer .... 50 dijak .... 256 Eusebius v. Cäsarea 60. 214 Dillmann Prof. 229 Eva 14 Dimofila 262 Evangeüenhandschrift von Bo _ dinari ... 276 jana 187, Cividale 205 A Dionysios 320 Dipauli Alois 203 Fälschungen, handschriftliche 258 diplomatische Sprache 233 Farn organ .... 313 divka .... 403 Feduško .... 245 Dlugosz 27 Fenisius .... 18S Doberdol 393 Feresei 36 dol, dolič . , 146 Fèrsderen .... 42 Dolichc, Dolichenus 145 Fettali .... 36 Seite Seite 6ga 16 godas 87 Filzlaus . . 398 Gog 80 Finici 36 Golensici 42 Fison 32 golubinaja kniga . . 133 A 217 Flötz 140 Gondu . 334 Flüsse, des Paradieses 31 Goriza 397 Flutepos, babylonisches 9 Górz 397 fons gratiae 318 Goten, Goti 87 Forum Julii . 3S5 graal, gral 320 Fraganeo . 42 Grajena . 307 fragmentum geographicum 41 Gralsage 304 Frangi .... gramática . 256 Frankopan Job. 202 Gredín . . 306 309 311 Freilaubersheim (Spange) 172 Grejan . 307 Fremdwort ' 376 griechisches Alphabet 189, 191 b rešiti 42 Griechisch-Weissenburg . 19 A Friedrich, m. d. gebiss. Wa nge 293 grk ... 190, 300 Frode Are 137 Grki . . . 299 Funze 289 grola . 320 ■ Grossilut 13 Gad, gadati ... 14, 17 Gruhn A. 118 Galati 36, 9C Grünberger Handschrift Gandin .... 307 160, 173, 264, 279 gardist .... 74 grüner Stein 33 Gaurion .... 313 Gti (Geti) 71 gawjn 321 gubanca , 382 Gebhardi .... 275 Gudrunsage 323 A gege. gegec 375 gusla, guslari . 354 Genealogien 28 Genesis, slavische 31 Habesci 36 Geograph v. Nubien 27 Hadjei 36 Geon 32 Hadukin (hajduk) 402 Georgios Elmacinos 230 Hahn 98 Gergesei .... 36 Hahnmotiv . 369 Germani .... 36, 41, 90 Hajek v. Libocan 27, 40 A C»eisel Gottes 156 Halamoniti 36 geislitz .... 381 haikos 142 Geten 87 hallus . 277 Ge wa ' 5 A Hampel Jos. . 126 gibanica 382 Handelsverträge, altrussische 75 Giganti .... 36 Handschriften, altčechische 64 A gigas librorum 167 Hanka W. 374 A gige, gigec, Gigerl 375 Havila 133 glagolica .... 158, 184 Haydn 361 Glagolita Clozianus 204 Hayto Armenus 27 glaesum .... 135 Hebe . . . . 15 A Glatz 391 Hecatäus v. Milet 59 glaz 135 Hefeldi . . 42 gleit . 251 Heiden (Russen) 79 Glopeani .... 42 Heiligenblut 321 Glossen, slavische 291 heled 90 Glutsii' .... 36 Heliadcn 133 Gockelhahn 99 Heliopolis . 20 A Seite Helmold ...................27, 89 Hemera ...........................123 Henoch ....................11, 16 Henze........................... 140 Herder ............................HO Herodot ...................60, 116 Herrenmensch .... 55 Hetei..............................36 Hiddekel...........................22 Hieronymus (Leben) 205, (Handschrift) 160, 187, 202, (Alphabet) 184 Hieropolis.........................13 Hilde..............................56 Himera ...........................262 Hinen 85 Hivika 262 Hofehrenämter .... 250 holm..............................402 Holub Emil.....................52 A Homer 116 hctcr.............................256 Hotterhaufen..................... 256 i hrcnes näs........................402 hrunting , . . 402 Hugyes de Bercy .... 137 Hunnen ............................84 Huta...............................66 Hyperboräer........................59 Hytrek P..........................307 Ibrahim ibn Jakub ... 26 Idamei ............................36 Igor-Lied . . . . 28 A, 85, 87 iguvische Tafeln .... 279 Ilmer..............................71 Inach...................... 7, 13 Indi ......................36, 125 Indian............................319 Indija.....................58, 315 Indijane ..........................36 Indo-Sciti.........................58 Innichen........................ 58 A Inschriften, griechische . 60 Ipavic Gustav.....................365 Irnak..............................84 Ismailt ...........................65 Ispani.............................36 | Isthmos (Korinth) .... 12 Istok.............................280 Istr ..............................75 Izborst 71 Jahve 11 Jakeri.............................36 Seite Janičar ........................74 jantar, jantraž . . . 33, 134, 217 Jaropolk Jatvjag jebäti Jedem jel, jeli Jelisponta jeljad Jellini Jerden Jereklej Jeretrija Jerkul jerub, jeruw Jeschute Jeva Jevefrat Jevrei Jevropija Jezigi Johannes Presbyter Jordan Jubal jus primae noctis Justinian Jüterbog jutrnja Kadlubek Vinz. kadlup Kadmos (Alphabet) | kagan i Kain Kainan kajon kal, kaliti | kalab (kalous) kalčiti, kalčmar Kalistrija kalijuga kaljeki perehožije Kalubi ■ • kalup Kappadokii Karadag Karadengis Kara-Kirgisen Karakorum Kardena Kasiani Kaspii Kataklysmus 10, 75 14 10 134 263 133 36, 299 133 199 263 409 199 322 14 32, 34 36 263 128 315, 319 133 12 287 280 334 291 27 11. 142 191 76 16, 231 9 231 142 251 278 65 18 352 11, 145 11, 142 36 121 121 121 12.7 13 36 36 7, 12 Seite 1 Katechismos, wendischer . 295 Krähe 100 Katelani 36 Kralik, R. v. 308 kaza 90 Kraniclogie 94 Kazicar 75 Kraniometrie 95 Kelten 59, 74 krasopani 408 Kenan 9 kraški jezik 207 Kerait, Fürst von 330 Kremara . . . . 335 Karč . 395 krevbeba . . . . 275 Kijot 116 A Kriegsgefangene (Behandlung) 417 Kinokefali 36 krilos . 242 Kipricht 141 kristi 336 Kirchenbücher 29 Krisnn .... 58 Kirchengesang, evangelischer 360 Krivici 71 Kirinei 36 Kroaten 39 kirnica . 242 Krodo 336 Kirpiczus 335 Krolowiec 135 kislica 382 Krosto .... 336 Kje so moje rožice? 365 Krszisztos 336 Kladsko . 391 Kubla, Kublai 38 A Klausenburg .... . 398 Kuckuck . . . . 100 kleci, Kletzenbrot . ^ . 382 Kuci 75 kletis • . 277 Kugelgestalt d. Erde 49 klincati 322 A Kuhac Fr. S. 360 Klinschor . 322 Kujaba 78 Klozomanii .... 36 Kuks .... 141 knez 61 kum 422 A knjažnoje . 290 kuna, kouna 290 Kobalt . 141 kunejern .... 246 kobza 349 kunda 334 kogan, kokan ..... 76 Kundrie, kundra . 323 kohout 98 kunienoje, kunigovanje . 290 kojiti 76 kurilica .... 158 koko, kokot .... 98 Kurvajczin 336 kolač, Kolatschen . 382 Kus 34 Kolakovic Mehmed . 355 kom, kon ..... 422 A ' Lada 60 A komis 251 Ladoga 71 Komnena Anna 27 Längengradmessung, älte ste 49 komornik . 251 j Laporje .... . 322 Kompass 137 I.atiki 36 Konstantin (Kopronymos) 37 Laureacum . 395 Konstantin der Rothaarige 26. 38 A. . ! Lazarett 119 Konstantinopel 76, 79 Lazi 36 Kopie 274 lavtinica .... 158 Kopitar Barth. . 203 : Lehnwort .... 376 koptisch 156 A leonische Verse . 268 Koschat Franz .... 364 Lena Yida .... 364 kosita! 141 Lev 364 Kostbera 335 über giganteus 167. Kotufa Rudolf .... 213 Libuda 14, 17, 231 Kotys 377 Liburner . . 50 koutnice 367 Liebusch .... . 389 Kozari 71 Ligen .... 36 Ligiczus . . Seiie . . 336 lim, limes, limbus . . 388 Linae . . 42 Liturgie, altslav. 19, 67, 68 A, 206, 415 Lítidi . . 42 Liudpranc1« .... •26, 79, 182 Livii . . 36 íjétopisi .... . . 27 logefet 251 Lohengrin .... 56, 305, 309 Ic.ka, louka . . 403 Lombardei, lombarda . . 89 Lengobarden . . 89 Lorch ..... . . 395 Lubieniczi! . . 337 Lubika . . 262 Lttbusa . . 263 Lucian . . 12 Lukolane . . . 42 Lumir . . 347 Lunzici . . *. . . 42 Lupoglaa .... . . 42 Liitzcw 417 A Luva 14, 16, 231 Madius Michas . . 27 Maegdhaland . . 66 Magnidei .... . . 36 Mahalic .... 122 Mahslu baba . . 337 Majec (Malee) . . 104 Majestätsbrief Alex. d. Gr. . 300 Majhen Josef . . 308 Makedcni .... . . 36 Manuil (Kaiser) . . 331 Mara (Sultanin) . . . . 236 Marcian v. Heraclea ‘ . . . 55 Marc (Mars) . . 409 Marehanos .... . . 42 Marharii .... . . 42 Markus hl 51 Markuslöwe . . 156 Markward v. Hildesheim 79 Marschalk Nikolaus 86, 89 Märtyrer von Palästina . . 214 mastickaf .... . 271, 382 Mastix-Pistazie 133 A Masudi al ... . . 321 mater verborum . . 89 matica . . 138 mazanec .... . . 382 Mcch 40 A Meistersinger . . 357 ! Seite Meiter .........................Hl Memnon..................123, 125 Menander v. Ephesus ... 45 Menghin Oswald .... 102 I Mensch (Etymologie) . . . 421 Merigncla Joh. .... 27 Meriji, Merjani .... 71 Merkurdurchgänge . . . 20 A Metaphrastes Simeon ... 27 Methodius......................197 A Midi .......................... 36 Miklosich F....................204 Milet ....... 48 Militta . ... . . . 274 Milka...................14, 17 Miloxi..........................42 Milzane ........................42 mir............................. 9 Miete! . .- . . 48, 51 modzus 79 molavar 23 Monfalcone .... 50, 385 Monismus, sprachlicher . . 43 Mcncke .........................36 Monsalwatsch - .56, 313, 315 mons gratiae...................317 Morizani........................42 mesanzen.......................382 ■ Mrnavic, J. F.................280 Much K..................103, 105 Müller Friedrich .... 96 Münzen, phönizische ... 50 Murman ........................ 72 A Murom, Muromi . . . 71 i Musikkapelle (erste) ... 9 Musil Alois.................... 52 A Mutur...........................75 nadanje .......................242 Naher...........................17 Nemci ....... 91 Nerivani .......................42 Nestor Pecerskij .... 26 Nestors Chronik ... 8, 69 Nevtanov.......................299 Nibelungenlied .... 342 A Nicetas ........................27 Nikephoros .....................26 Nikolaus v. Arhe . 183, 187 Niri ...........................36 Nissiri.........................36 Noah............................11 Nod.............................11 nor, nora .... Seite . . 392 Norabtezi .... . 42 Normannen . . 69 Normannomanie 69 Novgcrodci 71 Novgorod-Münze . . 150 Nürnberg . . 391 Oblaten .... . . 382 obor, obr .... 61, 151 oborknez .... . . 61 oborknez-Münze . . 151 oct, ocet . . . 378 Oglej . 314, 323 oguga . . 12 Ogyges . ... 7, 12 Ogygia 12 A ogygische Flut 7, 12 Ohmučevič Peter . . 405 okrogle .... . . 357 Olga (Russland) . . 88, 286 omočena .... . . 64 Onomatopöie . . 374 opiata . . 382 Opolini . . 42 Orbini M . . 281 Orman, Ormian, Ormania 12, 78, 80 Ornamentik, altslavische . . 370 Orpheus .... . . 260 ospas . . 17 Osterabtrezi . . ■ 42 ota-Münze . 149 otčizna . 242 Pachomios (Abt) . . 2C9 Paflagoni .... 36 Palatschinken . . 382 Palicchis .... 123, 124 A Paradiessprache 14 A Pan . . 155 Parciva! . 309, 324 Parcivalsage . . 304 Parti . . . pasteme . . . . 291 Patala (Hafen) 137 A Patavi Paulus Diakonus 85, 275, 386 Pelasgi Perekop .... 60, 394 perper 71 A, 237 A Persi . . 36 Persika .... . . 190 Perun-Eiche . . 243 Pesoglavci .... . . 39 petelin Seite . 98 Peter v. Zbraslav . . 27 Petrovič Peter . . . 210 Petruševič A. S. . . 196 A Pettau . . . 50 Pfahlbau 103 Pfunze . . . 289 Phalas . . . 125 Phamenophis . . 124 Phasis . . . 33 Phesnuci . . 42 Phiiotas . . . 299 Phokäer . . . 48 Phönix 19 A, (Ae ra) 20 A, (Münzen) Phönizier 20 A . . . 44 Photius . . . . 26 Phrat (Euphrat) . . . 32 pica, pizzi 337 pilator . . 18 A Pindar . . 299 A pip, pipa . . . 103 Pipe, Piper . . 102, 171 Piperi . . 103A Piphahn . . . 103 Pisidi . . . 36 Pison . . 32 Pitiki 36 Pizener . . 79 pjetuh 98 plemič . 412 Pliton . . . 65 pločinki . . . 382 podrezan 282 A Podrugovič Tesan . . . 355 poeta . . . . 378 Poetovium . . . 309 Pcfesen . 383 pogača , . . 383 Polengabia . . . 337 Poljani 71 Polock , , 71 Polo Marco . . . 27 Polonus Joh. . . 27 Polyhistor Are , , . 27 Pontius Pilatus . . 18 A portar 251 poskočnice . . . 357 ponelnik 250 potica . . . 383 poveznjeno . , . 383 pozoj 23 Seite Prätorianer ■ . . 74 prcavi 324 prebist 330 Predslava .... 75 prepasno .... 246 presbit .... 330 presta, preclik . 381 Priester .... 331 Priparscis .... 337 Pripegala .... 337 Prizljan .... 319 prkaiab .... 251 Prokopios .... 87 Proroctvi Lubusino 267 Provan, provanski ostrov 137, 139 prove 408 proviika .... 394 Prudentius v. Troyes 76 Prüfungssage, urspracnliche 373 Prussani .... 42 Psellos 26 Pschlavci .... 39 Ptolemäos Claudios 85 Ptolemäos II. . 8, 36, 46 5t Pulkava v. Tradenir. • . 27 punca 289 Pytheas v. Massilia 49, 51, 134 Radegast .... . 155, 403 Raffelstettner Zollordnung 88 Rassentheorie 94 Rassentypen 96 Ratajnica .... 337 Rathost .... 408 Rati 36 Raunonia .... 135 rebja, rebre 15 Rechtsbücher, aitslavische 279 Religion, phönizische 49 Remberrus .... 26 rep 15 Ressel Josef 52 A Rezijani .... . 90, 105 Rhäter, Rhaeti 89, 105 Rheimser Evangelium 183 Rhetra 171 Ribanja (Epos) . 352 Ricmanje . . 409 A Ridegast .... 171 Rjurik, Rurik 71, 171 Rocchetta-Grenzstein 175 rodoslovnija knigi 28 rog 73 Rohas ... Seite . 309, 3!3 Rohitsch .... . . 313 rojenicc . / . . 408 Romaioi, Romei 36, 74 Ros-Barangoi . . 74 rosikos .... . . 77 Rosoi-Barannoi . . ■ 74 Ros . . 80 Rotigl . . 39R Rotwein . . 398 Rotwurst .... . . 398 rozrjadnija knigi 28 Rubenguis Wilh. ... 27 Ruger, Rugi 88, 285 Runen (in Stickereien) . . 369 Runendenkmäler, slavische . 170 runica . . 158 Rus, rus . . . 72 rusalka .... . . 408 Russii . . 36 Ruzzi, Russen 38, 42, 71 russisches Meer 77, 80 Rutenen .... . . 38 rutenische Sprache . . 246 Salcaliba .... 78 A Salica lex ... . 275, 290 Salamo ben Isak . . 291 Salvaterre .... . . 309 Salwatsch .... . . 36 Samariti .... . . 36 san . . 23 Sanchuniaton . . 45 Sapara . . 12 Sarasiki .... . . 36 Savromati .... . . 36 Saxo Grammaticus . . 29 Scala Christianus de . . 28 Schaffnaburg Lambertus . . 28 Schädelformen, künstliche 95 Scheiben, in der . . 105 Schicht . . 141 Schlangenbuch (Gessnern) . . 23 Schlaraffenland . . 56 schodo . . 277 Schottenchronik 28 A, 209 Schwaden .... . . 141 schwarzer Stein . . 310 Schweizer .... . . 74 Sclavani (bei Prokopius) . 122 Scylitzes Johann . . 28 Scylla . . 118 Sebbirozi .... . . 41 Sceroutenkarlen Sei...................... Seifen................... Selan (Ceylon] Selavija .... Septuaginta Serail-Bibliothek Serben .................. Seravici .... ses...................... sestričič .... sestrinja .... Sevilla ...... Seyffarth G. ... Sibilje.................. Sibir, Sivir .... Sibyllen .... Sigfusscn Saemund sigre.................... Sigune................... Sikeli................... Silvester Pcrejaslavskij Simija................... Simon Kara ... Sinko.................... Sineus................... Sintflut, .... sip...................... sirek ................... Sirene................... Siri .................... Sitici .................. sjever................... Sjeverani .... Sjeveri.................. Skandinavcmanie Skenderberg Skitai................... Skiti.................... Sklaboi .... sklavens .... Slatina' .... Slavani.................. Slavani (bei Ptclomäos) Slavina .... Sleenzane .... Slovaken .... Slovan (Etymologie) Slovene (älteste Nennung) Slovenen .... Slovjeni . . Slovo o polku Igorevje smok..................... Seite 47 Smeldingon 36 soldi . 141 sennis .... 138 solch .... 78 Soloh-Grab 36 Solopit .... 166 Sorben 39 sorokotjeza 42 Sotvar, Sotvor 23 sotvor, sotvoriti 255 sozdati .... 255 soziales Leben, altslov. 79 spas (spasitelj) 20 A Spat .... 313 spatar .... 61 Spiriane 210 Sprache, griechische 29 Sprache, scytische 362 Sracini 322 Stadensis Albertus 367 Stadici .... 29 Stahlbronze 262 Stavani 291 Steinzeit 75 Stephan d. Vojvode 71 Stilichc 13 A Stire 105 Stollen 146 A stolnik .... 118 Strabc . . . 36 Strachov Jaroslav v; 42 Strandsegen 71 Strass .... 61 stratici 71 Straza .... 69 A strinja .... 234 strjela, slrjelci 78 Studenitz 36 Stufenbücher 78 A Stutlonides Snorro 199 stvoriti .... 398 succinum 52 Suchdol 422 Suez .... 343 Surbi .... 42 Suriani (kopt. Kloster) 38 Susa .... 420 Susdalskij Simeon 200 Sündflut 39 svantevitj 52 Sveie (Schweden) 2SA Svjatoslav 23 Syncellus Georg Seite 42 276, 285 277 107; 111 77 65 39 256 338 9 10 409 17 141 250 36 61 61 36 29 42 142 52 101 228, 248 261 315 141 250 138 29 134 397 138 , 397 255 61 312 28 29 9 134 398 125 42 215 123 29 13 A 171 71 75 2* 43, Seite * Seit« Syrinx .... 156 A toloka .... 243 Syrische Chronik . 230 Tonkrug von Fermo 199 U'-:. ' V Topia Andreas 233 Ščur .... 255 Traci ... . 298 šestinedeli 368 Trakken (Drachen) 23 Šišič F . ,280 Trane 306 šivilja ... 264 Trenčin 89 škrat .... 408 Troja secunda (Cilli) 50 Špan .... 70 Trstenjak Davorin 308 Špelka-Hohle . 317 Truthahn 58 A Švanda 75 Truvor 71 Tržič 50, 385 Tahor .... 17 Tubalkain 10 Taganrog 128 Tulmein (Tolmein) 313 Talaminzi 42 T urci 36 T amara 24 tvrische Karten 47 Tandaradei 365 Tandaríás 56 Ugklezi 36 T ani .... 36 uj, ujec, ujka, ujna 255 Taon. 1 avon, J aun 17, 12.5 Ulmirugi 88 iapierkeitsmedaillen Attilas .154 Umanu . . . «. 9 Taprobane 128 Unrest 85 taran .... 365 Upravda . * . 280 taranscice 365 Ural 128 Tarbutinja 263 Urgeschichte, slavische 26 Tarnkappe . 366 Urmani, Urmian 71, 79 Tarquinius Priscus 263 A Urreligion, slavische 416 Tauroskitai 78 üval 389 Tataren-Pass 38 Talari .... 36 Val 318 Te'chet Karl 95 vali 390 Tedesci 91 Valiska 391 Tempelschätze . 129 A Vandalen 86, 89 Termodont 65 Var 74 A, 386 terrae feminarum 66 Varaci, Varjaci 70, 74 Teutoni 91 Varak 17 Teutsche 41 A, 86 Varangoi 74 Thaelessi 42 varito 356 Thafnezi 42 varjag, varjati .... 74 Thal Hans v. 30S varvar 67 Theben 124 Vavel 13 Theiss .... 128 veda 403 Thccphanes Isaakios 77 Vega Juri 52 A Thiamat 11 Velestur 172 Thietmar v. Salzburg 284 Vendée 88 Thomas v. Spljet 27 venec 20 A Thomsen W. 70 venedicus sinus 73 Tigr (Tigris) 32, 34 Venelin Georg 69 Tilen . . 75 Veneti, Venetier 44, 50, 88, 120, 298 Timavus 50 v-eöetische Fürsten 43. Kolonisten 43 Tinghügel 403 Venusdurchgang 20 A Tipka .... 403 Verbrennen d. Leichen 117 Tolcken . 295 Vergulaht . • . 319 ?c Seite Seite Ve'rizane .... . 42 Weltschöpfung • . ' 9' Veronika-Tuch . 195 Wenden, Wendenland 86, 88, 91 Veselovskij J. . 107 Wendisches Meer 73 Viehdorf 398 Westphalen 86 Viglenica .... 23G Wien (Barbarenstadt) 67 vita 408 Wildenberg 316 Vinbreg . • 398 Winden .... 54, 88 Vindelici . . 88 Winitten .... - 89 Vislane . . . .. 42 Winuler 89 Višnjič Filip 355 Witukind 26; 85 Višnu 58 Wochenbettgardinen 367 Vjatiei 71 Wochenbettvorschriften 368 A vjeverica .... 71 A Wodan .... 182 Vladislav . ...... 75 Woldrich Dr. 105 Vlahi . . . . . 36, 190 Wotsch .... 308 Viha 71 Wrage-Gericht 403 voda 403 Wiirgnitz .... 398 vodan, vojda 408 Voist 75 Xenophanes * ^ 136 voj 90 Xiphilinos .... 26 V ojkov . • . 75 Vojni kcvič 355 Zäboj . 347 vojvoda .... 412 Zabrozi 42 Volga / 1 Zabrozi .... 42 Volgaren .... . : 77 Zagreb . ... 398 Völkertafel 36 Zahlenwerte d. Buchstaben 192 Völkerwanderung 82, 91 zakop 246 Volkshymne, österr. , 361 zalmož, Zalmoxis 316 A Volkslied (über Indija) . 57 Zapolski Dovnar 213 Volkslieder 359 zart (September) 6 Vclksnamen 91 zaseda 316 Vondräk W. . 204 Zauchtl .... . 398 vrag, Vlah .... . 403 zavijačka .... 368 Vretani .... 36 Zelenohorsky rukopis 356 "Vsi . . . . - • . 71 Zepter 109 A Vuilci 42 Zerivani .... 42 Vuillerci .... 42 Ziegelerzeugung (älteste) 12 Vuizunbere 42 Zinninseln .... 141 Vuka šin .... 274 Zlati kurgan 113 Vulgari .... 42 Zlatorog .... 408 Vulici .... 42 Zlouenin .... 89 Vuzljeb .... 75 zmaj ■ • ■ 23 Znič . • 339 Wappen, südslavisches 405 Zobor 171 wara 74 Zonaras .... 27 Waräger 71 Zopf ... . . 377 Warnefried Paul, 343 Zotte, Zottel 377 Wassersuppen 398 Zretalici .... 42 Wasserzeichen 339 A Zubrzycki Dionys . 213 wdowyme .... 291 Zuireani .... 42 Weiberland 66 zvječista .... 242 Weinberg .... 398 j Živa 58 Weltaera, slavische 6 Župančič (Musiker) 363 Inhalt Seite Vorwort......................... . , U\ Allgemeines................................... ' _................. . J Die slavische Weltära.........................................................6 Quellen für die Geschichte der Altslaven ... ..................22 Die vier Flüsse des Paradieses...............................................31 Die Völkertafel beim babylonischen Turmbaue 36 »Venetier« oder »Phönizier«?................................................ 44 »Indija« in Europa...........................................................54 Wer sind die Hyperboräer? ...................................................59 Die Wahrheit über die »Amazonen«.............................................63 »Barbar«................................... ........ 67 »Rus« und »Varjag« ................................................) , , 69 Die Wahrheit über die Völkerwanderung........................................82 Der Zusammenbruch der Rassentheorie..........................................94 Zur Hypothese der Zweiteilung der Slaven im Stammlande....................98 Irrwege der Archäologie........................................, 101 Der Kurgan »Soloh« ,................................................. , . 107 Die Kulturbasis Homers ....................................................,115 Das »Memnon«-Rätsel....................................................... 123 Die Inschriften auf dem »Attila-Schatze« .' 126 Zur Geschichte des Bernsteins ........................................, 131 Zum Alter des Kompasses....................................... . , , . 137 Der Bergbau und die Metallbearbeitung der Altslaven ........................140 Beitrag zur altslavischer Münzkunde.........................................147 Zur Streitfrage über die »Attila-Münzen«........................... . 153 Die altslavischen Alphabete ................................................158 Altslavische Handschriftenschätze...........................................162 Slavische Runendenkmäler....................................................170 Die Azbüka in der Edda........................................., . . 177 'ber das Alter der »glagolica« und »crkovnica« ......... 185 Handschrift des hl. Hieronymus.........................................202 ; altslavische Chronik des Schottenstiftes in Wien.......................209 ne bisher ungelesene Handschrift in Lemberg..............................213 »Golubinaja kniga«..........................................................217 Das äthiopische Adambuch ................................................. 229 Das altslavische als einstige diplomatische Sprache.........................233 Altrussische Grenzurkunden ................................................ 239 Slavische Urkunden rumänischen Ursprungs....................................248 Die Sibyllen in slavischer Auffassung.......................................260 Über Fälschungen altcechischer Schriftdenkmäler . 266 Über zwei »gefälschte« Römersteine 273 Seite Geschriebene Gesetze der Altslaven...................................... 275 Die Raffelstettner Zollordnung .... 283 »Jus primae noctis« bei den Slaven.......................................287 Eine Rückschau zur altpreussischen Sprache ................293 Alexander d. Gr. ,................................. , 298 Untersteiermark, die Heimat der Gialsage .... 304 Wer ist der Presbyter Johannes?........................................ 329 Mythologische Entgleisungen......................................, 333 Die »desetnica« Sage als Muster volkstümlicher Erziehung zur Gastfreundschaftspflege .................................................,341 Das altslavische Bardentum................................................347 Geschichte der slavischen Volkslieder ....................................359 Die mährisch-slovakischen Wochenbettgardinen..............................367 Die ursprachliche Prüfungssage ......................................... 373 Das Fremd- und Lehnwort im Slavischen.....................................376 Die sprachliche Herkunft unserer Mehlspeiseber,ennungen...................381 Ortsgeschichtliche Etymologie........................................... 384 Entstellung und Fälschung der Ortsnamen...................................397 Slavische Sprachbelege in »Beowulf« .... 40) Zum Alter des südslavischen Wappens.......................................405 Die religiösen wie sozialen Verfassungsgrundlagen der Altslaven .... 107 Die Entwicklungsgeschichte des Begriffes »Slovan*.........................420 Ñamen- und Sachregister................................................ . 423 Inhalt ..................................,,,,,,,,, 435 Setzfehler-Berichtigungen.......................................... , , 436 Setzfehler- Berichtigungen. Die große Entfernung des Verfassers vom Druckorte sowie die ungünstigen Postverhältnisse erschwerten außerordentlich eine gründliche Berichtigung des Satzes; der Leser möge daher alles jene selbst berichtigen, wo der Setzfe'-'-augenfällig ist. Einige besonders störende Fehler werden nachstehend bcrich Seite 5, 14. Zeile v. o. lies: aufliegen, Seite 7, 10. Zeile v. u. ist statt des Doppelpunktes ein Punkt Seite 15, 24. Zeile v. o. lies: Prüderie, se*‘ Seite 19, 12. Anmerkung, lies: Phönix. Seite 45, 5. Zeile v, u. ist nach svez« das einzufügen. Seite 49, 4. Zeile v. u. lies: vorausgegangen, Seite 64, 4. Zeile v. o. lies: mammae. Seite 158, 5. Zeile v. o. lies: kurilica (st. krilioca).