M. 50. SllinMg den 16. Vmmber V65. 9. Ichrgang. Blätter aus Arain. (Beilage zur „Laibacher Zeitung.") Die „Blätter aus Kram" erscheinen jeden Samstag, und ist der Prännmeratiousprcis ganzjährig 2 si. österr. Währ. Winter. 1 Aus dem Slouenischm des M. Vilhar. Wenn ihre Frucht uns gespendet die Reben, Zieht schon im Herzen die Traner ein, Flnrcn und Thälern entschwindet das Leben, Hccrdengcläutc klingt nicht mehr darein. Reif liegt ans Anen nnd trauernden Bäumen, Gärtchcn beim Hanse trägt weißes Gewand. Blüten, ihr schwandet gleich fröhlichen Träumen Unter des Todes erstarrender Hand. Berge, die hoch zum Himmel aufragen, *, Weinen wohl unter dem schneeigen Kleid; Flüsse, die Wellen znm Meere tragen Klagen tief unter dem Eise ihr Leid. Vögclcin, sind verstummt eure Lieder? Seid ihr entflohen, wo weilet ihr jetzt? Kommet doch bald und singet mir wieder, Daß sich die bangende Seele ergötzt. Strahlen des Himmels, hell und beflügelt, Schwand euch dahin die feurige Macht? In glitzerndem Eis sich der blasse Mond spiegelt, Es brennen die Sterne, doch kalt ist die Nacht. Winter, du hast mir die Freude genommen! Lange doch wirst du mich quälen nicht mehr, ! Bald wird der mnutcrc Frühling kommen, ! Vertreiben wird dich dcr Blnmcn Heer. Die Steppe. ! Von Michael Grabowski. (Fortsc tz u n g.) Nach dreimonatlicher Einsamkeit genoß ich jetzt unerwartet so viele Unterhaltung. Das Gespräch war frei und ungezwungen ; Heiterkeit und einc wechselseitige Freundlichkeit belebten dasselbe. Meine gute Laune, der ich schon den Abschied gegeben, kehrte wieder zurück, da ich sah, es gehöre die Melancholie.eines Byron dazu, inmitten dcr fröhlichen Gesellschaft stumm zu bleiben. Und als wir aufstanden, meinte ich, lange schon alle Personen, mit denen ich gespeist, gekannt zu haben. In den Empfangssalon zurückkehrend, kamen wir durch ein kleines Zimmer, in welchem einige Glieder unserer Gesellschaft wenige Augenblicke verweilten. Ich näherte mich einem großen Oclgcmälde, das fast die ganze Wand bedeckte, und begann es aufmerksam zu betrachten. Das Vild war neu und keines gewöhnlichen Künstlers Werk. Eine gothifche Kapelle erhob sich im Hintergründe einer Winterlandschaft. Es war Nacht; einige ^matte Sternlcin glommen noch am Himmel. Ein Schneegestöber hüllte Wald und Fluren wie in ein Leichentuch, furchtbarer Eturm jagte die Flocken und bildete mächtige Verwehungen. Unter einem Pfeiler der Kapelle kauerte ein Greis mit einem Kinde. Der Frost lahmte ihm schon seine alten Glieder, zwischen den Knien hielt er mit den erstarrten Händen das Kind, das zwar noch bei Besinnung, aber starr vor Kälte war. Ueber diesen beiden Gestalten in der Luft schwebte eine dritte, keine wirtliche, der Schatten einer weiblichen Figur, umgeben von einer überirdischen Herrlichkeit. Mit ihrem langen, bis zum Boden reichenden Gewände schützte sie den Alten und das Kind vor Kälte, vor'm heulenden Sturmwind, vor dem Tode. Sie mußte vom Himmel herabgesticgen sein, um die zwei Personen aus der furchtbarsten Noth zu retten; in ihrem klaren Auge, das auf den Wanderer gerichtet war, lag eine himmlische Milde und Güte. Das reine Licht, das dieser hehren 'Gestalt entquoll, verlieh den verlöschenden Sternen neue Kraft, so daß diese nächtliche Scene ganz gut beleuchtet war. Man mußte sich in die Idee des Malers ordentlich hineindxnkcn, um den Zusammenhang zwischen der Wirklichkeit und der Poesie zu begreifen. „Was stellt dies Gemälde vor?" fragte ich, „und welcher Künstler hat es gearbeitet?" — „Der Maler," erwiederte Fran von Hulynsty, „lebt nicht mehr. Er ging fort aus unserer Gegend. Sein Vater, ein Bauer aus dem Dorfe, erwies unserer Familie einen großen Dienst, mit welchem die Handlung auf diesem Gemälde in Zusammenhang steht. Unsere Eltern nahmen seinen Sohn in ihr Haus, zogen ihn sorgfältig auf, und da er v'.el Talent und Geschick zur Malerkunst verrieth, so schickten sie ihn nach Kreminice und darnach nach Wien und Rom. Daselbst starb er vor einem Jahre. Vor seinem Tode schickte er uns dies Gemälde, das eben jenes Ereigniß behandelt, welches unsere Häuser an einander knüpft." — „Darf ick um dieses Ereigniß wissen?" — „O, es ist eine wunderbare und doch wahrhafte Begebenheit," sagte Fräulein Julie. — „Diese Geschichte," setzte Herr von Zulynsky bei, „ist eben eine jener vielerlei Gestalten, in welche sich die Vergangenheit der j Ukraine theilt. Darum enthält sie außer ihrer Seltsamkeit auch ein Stück Geschichte. Doch, da die Sache in Ihnen, mein Fr,eund, eine lebhafte Ncugierde erregt, so verzeihen Sie, wenn ! ich Sie nicht befriedige und dies auch den Andern nicht grstatte. Ich bin nicht so wenig egoistisch, mein Haus einer Sache wegen zu beunruhigen, welche Sie, mein lieber Gast, nur so lange ! reizet, als sich daran ein unaufgelöstcs, interessantes Räthsel knüpft. Auf diese Weife wird es uns vielleicht möglich, Sie längere Zeit zurückzuhalten. Da Sie,, wie Sie sagten, keine ! Eile haben, so bleiben Sie ein paar Tage hier, studiren Sie ! dies räthsclhafte Bild; Sie werden alles , durch eine Person erfahren, welche dies Gemälde darstellt und die noch lebt." Eine so freundliche Einladung hatte ich nicht erwartet und ! konnte ich nicht ablehnen. Ich willigte mit Freuden ein, und ! es schien, als freucten sich dessen alle Glieder dieses mir früher z gänzlich unbekannten Hauses. Nachdem die Gesellschaft aus- ! einander gegangen, wies man mir mein Zimmer an und ich ^ blieb allein. Ich fragte mich, ob dies alles Wahrheit wäre, ! was ich gesehen nnd gehört, oder hatte mich dcr Sturm, der um die Mauern heulte, in irgend ein Feenschloß gcwehct? . . . Ueber diesen Ungereimtheiten schlief ich ein. Erst die aufgehende Sonne weckte mich. Der junge Tag zerstreute meine Zweifel. Ich sah dnrch's Fenster; vor meinen Blicken lag das bunte Thal. Uebcrall umher grünten üppige Gärten und neue, , freundliche Häuser erhoben sich aus den Bäumen. Das ganze ! Bild bclebtc der Fleiß: hier sah man die Arbeiter mit ihren Karren den Teich reinigen: dorther klang die Art des Zimmer-manncs; wieder anderwärts besserte man die Dächer aus, schön, regelmäßig und feuerfest. Die Ansiedlung wuchs und ^ verschönerte sich zusehends. Hinten, außerhalb des Dorfes auf ' einem anmuthigen Hügel stand eine gothische Kapelle. Obgleich jetzt von den Strahlen der Morgcnsonne vergoldet, erkannte ich sie doch sogleich als dieselbe, die ich gestern auf dem Gemälde gesehen. Aufgebaut auf einem freundlichen, offenen Platze, war sie die Zierde der ganzen Umgebung. Wie eine Beschützerin der Ansiedlung sab sie hinunter auf dieselbe, wie eine liebliche Braut am Hochzeitstage im Kreise ihrer Begleiterinnen. Immer wieder flog mein Blick znr Kapelle hinauf, und nirgends in der wilden, einfamen Ukraine sah ich jemals ein schöneres Gottes- ^ haus. Ich überzeugte mich, daß auch die Ukraine ihrer Zeit ^ cultivirt werden könne und daß der Anblick dieser blühenden ! Ansiedlung, der Anblick dieser Wüste, wenn sie einmal ordnungs- ; gemäß und verständig bebaut wäre, nicht ohne Nomantik sein ^ würde, nach Verfluß so wilder, stürmischer Zeiten, die dieses Land erschüttert. Doch, wenn wir die Wahrheit erkannt, warum ! sie nicht geradeaus offenbaren? Von dem ersten Augenblicke an ^ fühlte ich eine unwiderstehliche Macht, die mich in dem Hause ! zurückhielt, in das mich Sturm und Unwetter geworfen. Diese ! Macht lag verborgen hinter dem holden Erröthen, in dem süßen Lächeln und den großen blauen Augen der kleinen Julie. ^ Ist cs dann noch zu wundern, daß mir bei solchem Zustande , Wochen wie Augenblicke vergingen?.....Doch diese Tage, ! Umstrahlt von all' dem geheimen Zauber, wären mir auch ohne- ! dies im schönen Angedenken geblieben. Mir, der ich bisher"! vom Landleben nichts kannte, als Einsamkeit und Langweile, ! ging ein Licht auf, daß man unter guten Freunden auch auf ! der Steppe die Zeit angenehm zubringen kann. Das stille Leben Herrn von Aulynskv's zog mich immer mehr an. Seine Bemühungen in der Oekonomic, deren Hauptziel es war, die ! Einkünfte zu vermehren, seinen leibeigenen Bauern die Frohn-dienste zu erleichtern, die Felder zu umfriedigen, die Schafzucht und Obstbaumcultur zu heben, seine Einnahmen gut zu ver- ! wenden, die nöthigen Wirthschafts- und Fabntsgebäudc aufzu- ! bauen; all' dieses überzeugte mich von dem Fleiße, der Klugheit und dem guten Willen meines freundlichen Wirthes, welche Eigenschaften wohl allen Grundbesitzern zu wünschen wären, i Meine Freude an Gärten, sowie die Gelegenheit, die ich gehabt, mich in einigen berühmten, einheimischen, wie anch ausländischen Gartenanlagcn umzusehen, gestatteten mir, der Frau von Zulynsky, die einen hübschen englischen Park unterhielt, mit Rath und That beizustehcn. Sorgfältig unterhaltene Nosenbcete, kühle Wäldchen, künstliche Steppen, sowie geschmackvolle Aussichten machten ihn zu einem recht netten Garten. Die schönste Aussicht war die Pcrspcctiue in die künstlich zugeschnittenen Bäume am Ende des Dorfes in der Gestalt einer gothischen Kapelle. Auf meine Frage erfuhr ich nur so viel: unter ihnen seien Gräber, in welchen eine Anzahl Todter begraben liege. Abends versammelte sich die ganze Gesellschaft im Empfangssalon und es wurde gewöhnlich ein neues gutes Buch vorgelesen. Dies war das Leben in Orlince. Sehr oft erinnerte ich mich des gcheimnißvollen Gemäldes, das an der Wand hing, ich bat, mir die Scene zu erklären; aber jedesmal wich man mir aus und lenkte das Gespräch auf andere Dinge. Täglich stand ich vor ihm und betrachtete, 5ie Gesichtszüge der Figuren. Die Frauengestalt in der Sturmnacht schien mir einige Aehn-lichkeit mit Fräulein Julie zu haben. Diese Bemerkung rief Schamröthe auf ihre Wangen, auf die Gesichter der Anwesenden aber ein Lächeln. Kein Wunder, ich sah sie ja überall! Den Tag brachte Jeder zu, wie es ihm genehm war; Jedermann suchte irgend eine Arbeit oder Unterhaltung auf. Die Reitpferde des Herrn von Zulynsky standen mir zu Gebote und ich ritt deshalb oft am frühesten Morgen weit hinaus in die Ebene. Es gibt aber nichts niederschlagenderes, als allein auf den Steppen der Ukraine umhcrzureiten. Unabsehbare, stumme und, so weit das Auge trägt, grüne Gefilde, wie von Zauberhand geschaffen, mahnen sie uns an die Tische in Feenschlössern in den Volksmärchen, ewig gedeckt, an die sich aber Niemand setzt. In Masovien oder auch in Vollhynien gewähren die stillen, längst den Straßen mit einem lebenden Zaune umgebenen Felder, besäet mit Weizen und Roggen, einen erfreuliche» Anblick,- sie genügen den Bedürfnissen ihrer Bewohner, welche durch fromme Gebete die Gewitter vertreiben und wohlthuenden Regen auf die Felder hernicdcrflehen. Mit diesen Harmoniren die freundlichen Häuser, die Strohdächer und über ihnen der Rauch aus den weißen Rauchfängen. In der Ukraine dagegen ergreift Einen ein peinliches Gefühl auf dieser weiten ungeheueren Ebenen. Uneingefriediget und unbe-bckut, wie sie sind, scheinen sie wie durch einen blinden Zufall bichcr geworfen worden zu sein. Mich wenigstens beschlich bei jedem Schritt in der Steppe mehr und mehr eine tiefe Schwer-muth. Und die Steppe um Orlince trägt im Kleinen doch ganz die Physiognomie der Ukraine. Im Grün der Wintersaat breitete sie sich vor mir aus, weit, weit und unendlich gleichförmig. Ich suchte ihr zu entfliehen, so schnell wie möglich, ich ritt hinans aus den' uächsten Umgebungen des Dorfes auf die nnbcbaute Steppe, wo, wenn auch die geringste Abwechslung, mein Auge erfreuen, meine Phantasie entzünden könnte. Eines Morgens, als ich so auf der Steppe umherirrte, entfernte ich mich weiter, vom'Dorfe, als gewöhnlich. Jenseits der Steppe tauchten schon die dunklen Gehölze anf, ich aber stieg von einem Hügel auf, deu andern, wo ich die schönsten und weitesten Aussichten genießen konnte, die es in der Steppe nur gibt. Als ich auf einem solchen Hügel hielt, bemerkte ich tief nntcr mir ein Querthal, das sich weithin gegen die Waldungen erstreckte. War auch der Himmel klar, wie ein Krystall, so lag doch ein dicker Nebel auf dem Thale. Zur Rechten erhob sich aus demselben ein lleincr Hügel, den ein dichter Wald krönte: auf der andern Seite stand unter einigen mächtigen Eichen eine geräumige, nette Hütte. Etwas entfernt davon lag unter Obstbäumen ein Bienenkorb und in der Tiefe unten plätscherte ein klarer Quell über die bemoosten Felsen. Es war dies ein reizender Meierhof in der Ukraine. Ich wollte mein Pferd tränken und ritt durch Dornen und Haselgebüsch abwärts zu der Quelle, als ein Alter des Weges von der Hütte daher kam: er grüßte freundlich und füllte die Eimer, um mein Pferd trinken zu lassen. Mir gefiel des Altcu schönes, ehrwürdiges Antlitz ausnehmend. Er mochte gegen achtzig Jahre zählen, seine Haare waren schneeweiß und fielen auf die Schultern in den dichten Bart. Er trug eineu dunkelbläuen Rock uach städtischem Schnitte und stützte sich beim Gehen auf einen Knotcnstock, doch mehr aus Gewohnheit als Schwäche. Als ich denselben Weg hinaufreitcn wollte, woher ich gekommen, sagte er, es sei ein besserer Weg auf der andern Seite, er wollte mir ihn zeigen. Im Gehen erzählte er mir, der Mcierhof sei sein Eigenthum, er wohne meistens allein darauf und nur zur Zeit, wenn die Bienen schwärmen, helfe ihm ein Mann aus dem Dorfe. So kamen wir zuletzt > an den Abhang, setzten uns ein wenig nieder, und es entspann sich zwischen uns beiden ein Gespräch, das für mich so interessant wurde, wie ich nie gedacht hätte. „Trägt Ihr kein Verlagen nach der menschlichen Gesellschaft?" fragte ich ihn. „Quält Euch nie die Langweile in dieser Einsamkeit? . . . . Nicht einmal ein Weg führt von hier ms Dorf!" — „Warum sollte ich Sehnsucht empfinden nach den Menschen? Die Hälfte meines Daseins verbrachte ich allein zwischen dem Himmel und der Steppe. Der Tag ist nicht mehr ferne, der mich vor meinen Richter ruft. Oder wäre ich unter den Menschen zufriedener, als hier in der Einsamkeit?" —> Er sprach die Wahrheit. Auch wunderte ich mich nicht so sehr über ihn, denn wenigstens die Hälfte der Alten in der Ukraine führen ein solches Leben. Ist einmal der Mensch nicht mehr fähig, schwere Arbeiten zu verrichten, und hört sein Bart auf zu wachsen, dann heißt er ein Alter und seine Herrschaft, die Gemeinde oder seine eigenen Kinder thun ihn weit vom Dorfe wohin als Aufseher über die Wälder, die Bienen, oder die Obstbäume. Den Sommer durch, bleibt er allein in seiner Hütte, wöchentlich, gewöhnlich Sonntags, bringt ihm sein Weib, sein Kind oder jemand Anderer Brot und frische Wäsche. Sonst aber hört er die oanze Zeit keine menschliche Stimme. Ich weiß nicht, herrscht noch irgendwo anders der Gebrauch, der eine solche Menge Menschen zur Einsamkeit verdammt? . . . Im belebten, civilisirten Europa gewiß nirgends. Doch diese Alten klagen nicht, oft freuen sie sich dieses Lebens, und oft ist es ihnen desto lieber und angenehmer, je öder und einsamer es ist. „Von woher sind Sie, edler Herr?" fragte mich der Alte, als ich schweigend, in tiefe Gedanken verloren dasaß. — „Aus der Gemeinde Smila." — „Von Smila? .... Aus welchem Dorfe?" — „Aus Luchowa." — „Aus Luchowa?" rief er ans. „Aus Luchowa am Tasmin? .... Am Ende des Dorfes zwischen dem Gehölze und dem Fluße steht ein Haus, die Au des Kurenow?" — „Das Haus steht nicht mehr, doch eine Insel des Kurenow liegt zwischen den beiden Armen des Tasmin. Ich erinnere mich, auf derselben einige eingetriebene Pflöcke gesehen zu haben, ohne Zweifel Ueberbleibsel der An-siedlung. Wie wißt Ihr aber dies?" — „Mein Vater hieß Jacob Knrenow. Ich gedenke noch des Tages, obgleich ich ein Kind war, als mein Vater,Holz fällte im Walde von Volty für seine Hütte, von welcher nur noch die Pfähle geblieben, wie Sie sagten. Der Tasmin muß seinen Lauf geändert haben, denn damals bespülte er unsere Wiesen nnr von einer Seite. Wie oft habe ich darin die Pferde nnd Rinder getränkt, "die ich gehütet in unsern Waldungen!" — „Ihr seid also von Luchowa?" — „Nein, meine Heimat ist die Gemeinde Tscher-kassy, aber mein Vater hatte einen Bruder in Luchowa, der sich dahin angesiedelt. Dieser redete ihm zu, den unfruchtbaren Ort zu verlassen und zu ihm zu kommen über den Flnß. Eines Morgens weckte uus der Vater, lud uns drei Brüder, hrei Schwestern und die Mutter auf den Wagen und sagte uns, wir gingen auf unsere neue Besitzung. Meine Mutter weinte, wir Kinder freueten uns sehr darüber. In jedem Dorfe lud man uns ein, zu bleiben, bot uns Branntwein, rühmte die guten Weideplätze, die weite Steppe, allein wir zogen weiter. Im letzten Orte aber ging's schlimmer. Der dortige Herr, ergrimmt, uns nicht zurückhalten zu können, ritt uns nach bis zur großen Brücke über den Tasmin. Dort stellte sich ihm der Herrschaftsinhabcr von Luchowa, Herr Chmclecky, entgegen; sie zogen die Säbel, Chmelecky siegte und befrciete uns vom Verfolger. So kamen wir in die neue Ansiedlung." — „Welch' eine Brücke ist dies, von der Ihr da sprecht?" fragte ich. „Jetzt steht keine Brücke, ich hörte auch nie, es sei eine dort gewesen." — „Jetzt steht keine Brücke mehr dort? .... Die große hölzerne Brücke über den Tasmin? . . . . Ach, und ehemals war es eine berühmte Brücke, von fern her kamen die Leute, sie zu sehen. Um einen Werst Länge streckte sie sich aus vom großen Steinbruche bis darüber ins Thal, der Grenzschcide des Gebietes von Luchowa. An beiden Seiten war wilder Wald von Erlen und Birken." — „Ich kenne den Ort. doch jetzt gibt's dort nur Schilf und Nöricht, aber keine Erlen." — „Kein Wald mehr am Tas-min, Erlen, Fichten, Birken? . . . . Noch dicht vor Luchowa erstreckte sich ein Wald ohne Unterbrechung bis hin gegen Tscher-kassy." — „Tort, wo wildes Dickicht gestanden, wie Ihr sagt, breiten sich jetzt schöne und freundliche Auen. Hier und da findet man noch eine vereinzelte Erle, nirgends mehr aber eine Fichte." — „Ach, ach, ach!" seufzte der Alte; „wie habt Ihr mich betrübt, edler Herr, mit dem, was Ihr da erzählt. Hier sitze ich auf der Steppe und warte, von woher der Tod kommen würde. Weiß Gott, wie oft drängt sich mir das Bild jener Orte in mein Gedächtniß, wo ich so viele freudige Tage verlebt. Aber dieses Luchowa, wie ihr mir's beschrieben, das ist nicht mein altes Luchowa. Ich kann mir nicht denken, der Tasmin wälze seine Wellen zwischen kahlen Ufern. Das Jagdhorn höre ich schallen durch den dichten Wald; wie viel Wild es dort gab, nimmer kehrte ich leer von der Jagd. Ihr könnt Euch denken, wir fingen manchmal ein Reh in der Dreschtenne oder zwischen den Zäunen unserer Felder. Es waren auch besondere Waldhüter und Förster, alles auserlesene Schützen. Am Damme in Mitten des Waldes auf zwei Birken war eine Schaukel aufgehängt; wenn die Glocken im Dorfe Feierabend läuten, da fcheint mir's immer, als rief es mich zum See, wie in der Zeit meiner Jugend. Welche Zusammenkünfte unserer Jugend waren dort an Feiertagen! Welches helle Lachen scholl von dorther ! Welch ein bnntes Treiben herrschte daselbst! . . . Und jetzt gibts dorten nicht mehr dieselben Leute! Und die Bäume! Weiß Gott. ich traure um sie, wie um meine liebsten Freunde! Ach, alles vergeht! .... Aber es ist schon lange her, sehr lange!" — „Wie lange," fragte ich. — „Mein Vaterhaus sah ich nicht mehr, seit — dem letzten Aufstand der Kosaken!" — „Ihr gedenkt des Kosakenanfstandcs?" forschte ich neugierig. — „Ha, ha, ha!" lachte der Alte und wackelte mit seinem Kinn. — „Ihr habt Euch vielleicht daran bctheiligct?" sagte ich, doch nicht im vorwurfsvollen Tone. — Der Alte heftete seine kleinen stechenden Allgen auf mick, als wollte er mich durchbohren , um in mein Inneres zu sehen. „Ob ich Theil genommen?" erwiderte er. „Was will man; die Leute sagen es so, aber weiß Gott, ich babe meine Hände nicht befleckt mit unschuldigem Blut. Und doch." fügte er hinzu, als sei er überzeugt, daß iu meinen Worten keine böse Absicht gelegen, „und doch schon derentwegen, was meine Augen geschaut, hat Gott mich schwer heimgesucht in diesem Leben; und im andern hätte er mir nicht alles vergeben, betete nickt eine heilige Seele im Himmel für mich zu Gott." Diese Worte mahnten mich an das Gemälde im Schlosse zu Orlince. Aufmerksam betrachtete ich die Züge des Alten. Das war er — der Wanderer, den ich geschaut auf dem dunklen Bilde im Schneegestöber und Todesgrauscn. Die Ermattung und der nahe Tod verliehen dem Gesichte auf dem Gemälde größeres Alter, als dieses war, in das ich eben blickte. Die Seele, die für ihn bei Gott betete, das konnte keine andere sein, als jene Frauengestalt. Ich erzählte ihm Alles. Ein schmerzliches Lächeln umspielte seine Lippen. „Ihr habt also im Schlosse das Werk meines armen Kindes gesehen? Der Hospodar wollte aus ibm ciuen Herrn machen, — Gott vergelte ihm dafür! — aber er bedachte nicht, als er ihn fortschickte, er liefere seine Gebeine einer fremden Erde, weit, weit! — daß des Vaters Seufzer selbst ihn nicht erreichen können ! „Er seufzte tief, eine Thräne rann über seine gefurchten Wangen in den dichten Bart. Ich fühlte Mitleid mit ihm, aber der Gedanke, ich hätte den. Schlüssel zu dem geheimnißvollen Räthsel in der Hand, worüber ich mir schon lange den Kopf zerbrochen, erregte in mir eine solche Neugierde, daß ich den Alten bat, mir seine Schicksale zu erzählen; er weigerte sich, aber nicht lange; darauf fing ! er an: z „Weih Gott, ich habe mit meines Gleichen zu reden ver- ! lernt, um wie vicl mehr mit großen Herren. Ich lebe hier allein — ich lönnt's nicht anders — und wollt's auch nicht. Da Sie cm guter Herr sind und nicht des Alten lachen werden — ah! nicht einmal habe ich mich auf der Steppe in Ge- ! danken vertieft, und eben hier auf diesem AbHange, wo wir ! sitzen, und habe der öden und stummen Steppe und den weiten ! Gefilden erzählt mein ganzes Leben, That um That, Stunde um Stunde. Hier gedenke ich der heitern und düstern Tage, ! der Leiden und Freuden, der glücklichen Begebenheiten, wie es eben das Schicksal gefügt. Dann lispeln meine Lippen meinen Ohren meine eigenen Gedanken — ich wache auf und muß über mich selbst lachen. Die Stunde ist nicht mehr ferne, wo sich meine Seele vor ihrem Nichter verantworten soll für ihr ganzes Leben: sie ist bereit. Die Ernte nahet, die Körner ^ fallen aus den Aehren. Ich kann Ihnen nicht Alles erzählen, denn ich bin ein gewöhnlicher Mensch, auch erinnere ich mich nicht an Alles; ich werde mir's selber erzählen, werde in Gedanken versinken — hören Sie zu!" — Er wandte sich von mir ad, bedeckte Stirne und Augen mit beiden Händen, stemmte die Elbogcn auf die Knie und begann nach kurzem Schweigen: „Ich habe erzählt, wie wir uns in Luchowa angesiedelt. Seit dieser Zeit hat sich, wie ich höre, so Vieles verändert, Und doch ! denke ich mir nock> Alles so, wie es ehemals gewesen. Der dichte > Wald, die Sandhügel gegen Norden, an den Ufern des TaZmin ^ die glatten Steinwände, in deren Spalten und Klüften ragende Fichten. Aus dem Walde zwischen den Bäumen glitzert der Fisch- ! tcich, ober ihm die belebte Ansiedelung, der schwebende Rauch über ! den Giebeln; die leuchtenden Kreuze auf den Kirchen, gegenüber > am Flusse das Herrschaftsfchloß. Das Dorf stebt auf zwei Hügeln, der eine anmuthig und erfreuend, der andere still und traucr-voll; doch wofür das? Es wifsen ja dies Alle, die unterm kühlen Grabcshügel ruhen. Und drüben auf der großen Brücke gehen die Wanderer, und die Ansiedler ziehen ruhig mit ihren j Kindern. Herren versperren ihncn den Weg und reißen ihre Säbel aus deu Scheiden. Auf der andern Seite, da stehen ewig die Fch'cnhügel, die Wächter der Freiheit, und beengen die weite Steppe! . . . Ach, ach, ach! Alles dies ist nicht mehr, und doch seh ichs so vor mir! Fraget die Alten im Dorfe, wo das große Veinhaus gestanden zur Zeit des großen Sterbens. Wir waren fünf Jahre früher nach Luchowa gekommen. Als die Pest wüthete, war ich schon cin rüstiger Bursche. Meine Brüder, mcino Schwestern starben; meine Eltern und ich flohen in den Wald. Das war cin Zittern, eine Angst! Icdcr lebte für sich in seiner Hütte. Uebcrall brannten die Todtenfcuer, der Rauch zog düster über unsern Häuptern und die Glocken klangen schauerlich von allen Seiten, als stöhnten die Bäume des Waldes. Die Freigelassenen des Gutsherrn bildeten eine Kette gegen die wüthende Pest. Als wir zurückkehrten, wie war das Torf fo leer und der Leicbenacker so voll? Damals herrschte noch die nnirte Kirche." „Herangewachsen, ward ich cin gewaltiger Kämpe, das Kosatenblut begann in meinen Adern zu kreisen, es zog mich vom Hause fort. Ich hob mich und ging, ohne Jemandem etwas davon zu entdecken, nach Zaporoz an der Sitscha. Mcin Vater wußte, was mir fehlte, ging zum Gutsherrn und ba! ihn, mich auf cin paar Jahre zu entlasscm. Chmclccky war ein guter Herr, er sah ein, er könne einen Jüngling nicht zurückhalten, den es in die Welt treibe, er wußte, es gäbe viel Steppen bis i zum schwarzen Meere und dem Dnjcstr. Er ertheilt? daher ! bereitwillig die Erlaubniß, als mein Vater versprach, meine Dienste am Edelhofe für mich zu verrichten. Mein Alter gab mir den Rath, weit von meiner Heimat zu ziehen und irgendwo als Schloßkosate einzutreten, dergleichen damals die Gutsherren ! auf ihren Höfen und Schlössern hatten. Den nächsten Tag schenkte er mir ein Roß, einen neuen Anzug, einiges Geld, und so zog ich in Gottes Namen fort." ! „Wie viele Gedanken durchkreuzten meinen Sinn, als ich I mich zum ersten Male frei fühlte! Mir ging's wie ein Mühlrad im Kopfe herum, als ich die weite Welt vor mir sah; dahin wollt' ich gehen, wohin mich das Auge führte, nach allen vier Winden zugleich. Aber es war auch damals eine Lust in der Welt, wie nimmer heutzutage. Nun ist alles ruhig und düster. Zur Zeit meiuer Jugend war jedes Dorf wie ein Hain, in dem fröhliche Lieder fchallen, überall scherzten und lachten die Leute wie die kosenden Wellen des Dnjcpr an hellen Sommertagen. Jetzt ist alles anders: drei Tage arbeitet man für den Hospodar, drei Tage für sich. Und doch war an Allem Ueberfluß, wenn auch die Leute fröhlich waren und scherzten. Woher kommt das? Vergebliche Worte!" — (Fortsetzung folgt.) Das Vrab August von Platen's. Oestlich von der Insel Ortygia, auf welcher Syrakus liegt, breitet sich eine Ebene aus, die von der Infel durch einen Hafen getrennt wird. Hier besitzt die Familie Lando-lina einen Garten, und seit längeren Jahren ist es gestattet, daß dic in Syrakus gestorbenen Protestanten dort begraben werden. Der Dichter August von Platen wurde im Dezember 1835 daselbst beerdigt und Mario Landolina ließ dem Freunde ein Denkmal errichten, welches lcidcr nach und nach durch Wit-terungseinflüfse zerfiel. Das Grabmal war nicht genau über der Grabstätte des Dichters errichtet worden, und als Dr. O. Hartwig vor mehreren Jahren zncrst den Gedanken in Anregung brachte, Platcn cin neues Grabdenkmal zu errichten, fand sich bei näherer Untersuchung, daß dcr alte Holzsarg völlig zerstört und eine Umlcgung dcr Gebeine des Dichters geboten war. Es wurden Sammlungen veranstaltet, und bald kam eine genügende Summe zusammen, um das Vorhaben auszuführen. Der gegenwärtige Besitzer des Gartens ist der Sohn einer Tochter des mit Platcn bcfrcundct gcwcscncn Mario Landolina und die alte Damc hatte bei dcr Ucbcrlassung des Gartens an ihren Sohn die Bedingung gemacht, daß die darin befindlichen Grabdenkmäler dcr Protestanten unberührt bleiben sollten. Sie gab nun zwar die Erlaubniß, die Leiche dcs Dichters au eine andere Stelle zu legen und cin ncues Denkmal zu errichten, aber sie hielt dabei die Bedingung aufrecht, daß das Denkmal, welches ihr Vater dem Grafen errichtet habe, nicht angetastet werde. Dr. Hartwig wählte nun cine andere Stelle des Gartens, ließ ein Grab mauern, einen Zinksarg und um diesen einen Holzsarg anfertigen und nahm die Umlegung des Skelettes, das noch ganz wohlcrhaltcn aus den völlig zerstörten Resten des alten Holzsarges genommen wuroc, am 2. Mai 18L5 vor. Dcr Holzsarg wurde darauf in den in dcr Gruft eingelassenen Stcinsarg gcsctzt, auf welchem der Name August von Platen cingcmcißclt war. Diese Umlcgung geschah im Beisein mehrerer Gelehrten und angesehenen Fremden; der Sarg wurde rcich mit Blumen geschmückt und das Grab dann mit einer Umfassung von Steinen versehen. Später wird sich hoffentlich auch das neue Deukmal des Dichters darauf erheben. Verantwortlicher Rcoactmr I. v. Klciumayr. — Druck nnd Vcrlag von I. v. Klcinmayr k F. Vambcrg iu Laibach.