Rado Riha Die Gewißheit des Philosophierens Die Frage, die mich im Folgenden interessieren wird, lautet: welchen Anspruch auf Gewißheit kann ein philosophisches Denken stellen, das sich auf nichts anderes als auf den Akt des Philosophierens selbst, mit anderen Worten, auf den Gebrauch des eigenen Denkvermögens des Philoso- ph ie renden stützt? Auf welche Weise ist also Gewißheit mit einem Phi- losophieren verbunden, das man formell gesehen als selbstständiges Denken bezeichnen könnte? Wenn ich hier vom »selbstständigen Denken« spreche, dann über- n e h m e ich e inen Denkansatz , der vor mehr als 200 J a h r e n in Kants wohlbekannter Forderung zum Ausdruck gebracht wurde, im »Zeitalter der Aufklärung« gelte es, »sich seiner eigenen Vernunft ohne Leitung eines andern sicher und gut zu bedienen«1 . Die philosophischen Implikationen des selbstständigen Denkens hat Kant in der ersten Kritik im »Weltbegriff der Philosophie« auseinandergelegt. Meine Ausgangsfrage kann deshalb auch so gestellt werden: was kann einen Philosophen, der heute nach der Gewißheit seines eigenen Philosophierens fragt, der Kantsche Weltbegriff der Philosophie lehren? Mit der Antwort auf diese Frage befaßt sich der erste Teil dieses Aufsatzes. Er soll vor allem versuchen, den im Weltbegriff der Philosophie wirkenden spezifischen Verbindungsmodus von selbstständigem Philo- soph ie ren u n d Gewißheit herauszuarbei ten und in e iner Denkfigur fes tzumachen , fü r die ich hier den Ausdruck »Universalisierung als Subjektivierung« gebrauche. Die Aufgabe des zweiten Teils wird es dann sein, durch den Vorschlag e iner »reflektierenden« Lektüre des Kantschen mora l i schen Gesetzes die Denkf igur der Universal is ierung als Sub- jektivierung etwas näher zu bestimmen. Gezeigt soll werden, daß in ihr drei Instanzen zu einem unauflösbaren Knoten verbunden sind: ein Universelles, das für Niemanden gilt, wenn es nicht für Alle gelten kann, ein Singuläres, das dem Universellen immer äußerlich bleibt, es aber gerade durch diese seine irreduktible Äußerlichkeit ermöglicht, und ein Subjekt, das sich als die I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Außlärungf, zit. nach: I. Kant, Werkausgabe, hrsg. v WWeischedel, Frankfur t /Main 1974, Bd. XI, S. 53ff. Filozofski vestnik, XIX (2/1998), pp. 155-177. 155 Rado Riha in sich nichtige, aber unüberschrei tbare Distanz des Universellen vom Singulären behauptet. Rufen wir uns zunächst kurz den Kapitel Architektonik der reinen Vernunft aus der Transzendentalen Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunftz in Erinnerung, in dem Kant im Rahmen seiner Behandlung des Problems der systematischen Einheit der Vernunfterkenntis auch auf zwei Weisen des Philosophierens, den Schulbegriff der Philosophie und den Weltbegriff der Philosophie, zu sprechen kommt. Diese zwei Daseinsweisen der Philosophie ergeben sich, sobald man die Vernunfterkenntnis, wie Kant dies tut, nicht nur objektiv, d.h. ihrem Inhalt nach, sondern auch »subjektiv«, ihrer Erkenntnisquelle nach betrachtet. Ihrem Ursprung nach kann nämlich eine Vernunfterkenntis entweder »rational« sein, »aus allgemeinen Quellen der Vernunft« entspringen. Oder aber sie kann bloß »historisch« sein, und in diesem Fall entspringt sie nicht »aus der eigenen Vernunft des Menschen«, sondern bleibt »anderwärts«3, z. B. durch Erlebtes oder Erlerntes gegeben. Gerade für die Philosophie, die neben der Mathematik den Bereich der reinen Vernunfterkenntnis repräsentiert, gilt es so, daß sie objektiv zwar eine Vernunfterkenntnis darstellen kann, es aber subjektiv berachtet nicht ist, da jener, der sich diese Erkenntnis angeignet hat, auch wenn diese Aneignung vollkommen gelungen ist, über das Gelernte nie herauszukommen imstande ist und »nur so viel weiß und urteilt, als ihm gegeben war«4. Er bleibt auf den Schulbegriff der Philosophie beschränkt, innerhalb dessen sich das Denken damit zufriedenstellt, die systematische Einheit des Wissens zu konstruieren, also »die logische Vollkommenheit der Erkenntnisse zum Zwecke«5 zu haben. Demgegenüber stellt die Mathematik eine ununterscheidbar subjektiv- objektive Vernunfterkenntnis dar, ihre Vernunftinhalte entstammen immer auch schon der Vernunft selbst. Mathematische Erkenntnis ist nur dann erlernt, wenn sie durch die eigene Vernunft des Schülers angeignet, also »aus Vernunft« nachkonstruiert worden ist. Wenn nun Kant sagt, daß man unter den Vernunftwissenschaften nur Mathematik, aber keine Philosophie lernen könne, dann könnte man hinzufügen, daß man Mathematik eigentlich nur in der Form des »Mathematisierens«, mit Kant gesprochen, des »Kon- 2 KrV, B859/A 831 ff. 3 KrV, B864/A836. 4 Ibid. 5 KrV, B 867/A 839. 156 Die Geiuißlieit des Philosophierens s t ru ierens der Begriffe«, des Gebrauchs der Vernunf t an der re inen Anschauung1 ' l e rnen könne . Die als »Mathematisieren« existierende Mathematik fungiert insofern als Musterbeispiel jener Denkform, die ich hier als selbstständiges Denken bezeichne und bei der die Vernunft aus der Vernunft heraus über Vernunftinhalte entscheidet. Mathematik ist dies- bezüglich das selbstständige Denken in seiner unbedingten Form, das bedingungslos selbstständige Denken: Mathematik gibt es nur, wenn »die Erkenntnisquellen, aus denen der Lehrer allein schöpfen kann, nirgend anders als in den wesentlichen und echten Prinzipien der Vernunft liegen, und mithin von dem Lehrlinge nirgend anders hergenommen, noch etwa gestritten werden können...«.7 Im Unterschied dazu ist die Philosophie ein selbstständiges Denken, das nur bedingt als ein solches auftretten kann. Die Bedingung für die Selbstständigkeit des philosophischen Denkens ist dann gegeben, wenn der Philosophierende die Schule verläßt und zur Erkenntnis gelangt, daß man keine Philosophie, sondern nur, wie Kant sagt, »philosophieren«8 lernen könne. Wir werden sagen: die Bedingung für ein selbstständiges philoso- phische Denken ist dann erfüllt, wenn die Philosophie ihre Vorgehensweise gewissermaßen nach dem Vorbild jenes »Mathematisierens« konstruiert, als das sich die Mathematik entpuppt. Aus der Schule führt eine philosophische Einstellung heraus, die der mathematischen Erkenntnisproduktion insofern ana log ist, als ihre objektive Seite un t r ennba r mit ihrer subjektiven verbunden ist. Es ist dies eine als »Philosophieren« erlernte Philosophie, die nicht im schulgerechtem Wissen, sondern, mit Kant gesprochen, in der Ausübung des »Talents der Vernunft« besteht, bloß unter »Befolgung ihrer allgemeiner Prinzipien« selbstständig den Vernunftanspruch bestehender philosophischen Versuche zu prüfen und über seine Rechtmässigkeit zu entscheiden9 . Diese für die Selbstständigkeit des philosophischen Denkens verlangte Bedingung wird nun vom Weltbegriff der Philosophie erfüllt. Ich glaube, daß man den Weltbegriff der Philosophie am bündigsten auf folgende Weise bes t immen kann: es ist dies die auf den Begriff gebrachte, als Selbst- ständigkeit gesetzte, d. h., die zur unbedingten Selbstständigkeit gelangte Selbstständigkeit des Denkens. Mit anderen Worten, der Weltbegriff der Philosophie bildet sich so heraus, daß der ersten Form des selbstständigen ph i losoph i schen Denkens , dem Phi losophieren, noch seine e igene 6 KrV, B865/A 837. 7 Ibid.. 8 Ibid. 9 KrV, B 867/A 839. 157 Rado Riha Selbstständigkeit dazugesetzt wird. Es geschieht dies in der Form der Erkenntnis, das Philosophieren, in dem die Vernunft aus Vernunft über die Vernunf t entscheidet , sei ein Vorgehen, daß auch der Vernunft wegen geschehe. Wie Kant sagt: »In dieser Absicht ist Philosophie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentl ichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae), und der Philosoph ist nicht ein Vernunftkünstler, sondern der Gesetzgeber der menschlichen Vernunft«1 0 . Innerhalb des Weltbegriffs der Philosophie wird sich der Philosophierende letztendlich auch dessen bewußt, daß er eigentlich alle anderen, den Mathematiker einbeschloßen, nur als Werkezuge benutzt, »um die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft zu befördern«.11 Die Philosophie steht also einerseits unter der Bedingung, es subjektiv betrachtet, also der Erkenntnisquelle nach, der Mathematik in de ren unbedingten Selbstständigkeit nachzumachen: sie ist nur bedingt ein unbedingt selbstständiges Denken. Aber diese Bedingung, vom Weltbegriff der Philosophie verwirklicht, fällt andererseits in die Philosophie selbst, es hande l t sich um eine i nne rph i lo soph i sche Bed ingung : als b e d i n g t unbedingtes Denken verwandelt sich die Philosophie somit in ein Denken, daß die Bedingung des Unbedingten selbst ist. Sie ist das u n b e d i n g t selbstständige Denken, erfaßt in dem, was es als solches möglich macht. Wenn sich also die dem Weltbegriffe gemäße Philosophie der unbedingten Selbstständigkeit der Mathematik überlegen zeigt, dann deshalb, weil sie imstande ist, der paradoxen Forderung nachzukommen, als Bedingung dessen zu wirken, was unbedingt ist. In der Philosophie nach dem Welt- begriff kommt so zum Vorschein, daß es das Unbedingte (des selbstständigen Denkens) als solches nur dann gibt, wenn es durch eine zusätzliche Bedingung supplementiert wird, d.h., wenn es durch sich selbst in der Funktion einer absoluten Bedingung supplementiert wird. Dieser paradoxe Status der Philosophie bringt es mit sich, daß die Rolle der Gesetzgebung der menschlichen Vernunft , die der Philosophie im Rahmen ihres Weltbegriffs zufällt, bei weitem kein Grund für philosophische Überheblichkeit ist. Die philosophische Gesetzgebung gibt es nämlich Kant nach nicht wirklich, d.h., sie ist in keiner empirisch bestehenden Philosophie zu finden, sondern bildet nur eine Idee der Vernunft. In der empirischen Wirklichkeit des Philosophierens ist nur eine Art Stellvertretter dieser Idee, der Ideal des Philosophen12 zu f inden. In ihm wird der W^eltbegriff der Philosophie gleichsam personifiziert: wer die Schule verläßt, um innnerhalb 10 Ibid.. 11 Ibid.. 12 Ibid.. 158 Die Geiuißlieit des Philosophierens des Weltbegriffs selbstständig zu philosophieren, wird also immer schon von einer im Ideal des Philosophen personifizierten Idee einer letzten Ge- setzgebung der menschlichen Vernunft geleitet. Während aber die Idee einer letztinstanzlicher Gesetzgebung der Vernunft »allenthalben in jeder Menschenvernunft«13 anzutreffen ist, kann niemand für sich in Anspruch nehmen, der Philosoph zu sein: den Ideal des Pilosophen gibt es nirgendwo und »es wäre sehr ruhmredig, sich selbst einen Philosophen zu nennen, und sich anzumaßen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleichgekommen zu sein«14. Der Platz des Ideals, der das selbstständige Philosophieren leite, bleibt strukturnotwendig immer leer. Um die Funktion des Ideals des Philosophen für das selbstständige Denken etwas näher zu erklären, können wir sie in zwei Punkten zusammen- fassen. Erstens, der Ideal des Philosophen repräsentiert, wie nicht schwer zu ersehen ist, die unbedingte Voraussetzung jeder Erkenntnis und jedes Denkens. Er ist der Signifikant dessen, daß es in der menschlichen Er- fahrung nichts gibt, was sich nicht denken und sagen ließe, der Signifikant dessen, daß im Prinzip Allem Bedeutung zukommt, auch wenn wir vielleicht nicht immer wissen, welche, daß Alles gesagt werden kann. Die Anwesenheit dieses Ideal versichert uns also, daß es den Punkt eines (letzten) Sinns, den Punkt der Wahrheit gibt, der den Bereich des menschlichen Denkens und Handelns zu einem Sinn-Ganzen macht und unser Tun und Lassen vor Sinnlosigkeit bewahrt. Selbstständig Denken bedeutet insofern immer dem Moment der Wahrheit verbunden zu bleiben. Es gibt keine Selbstständigkeit des Denkens ohne Vergewißerung eines möglichen Sinn-Ganzen, ohne daß die Vernunft, aus sich heraus über sich selbst denkend, auch die Gewißheit hätte, daß sie immer auch schon der Vernunft wegen, d.h., dem »Ideal des Philosophen« gemäß denke. Wenn uns aber das Ideal des Philosophen versichert, daß uns in unserer denkenden Begegnung der Welt, auch wenn wir nicht gleich schon Alles wissen und verstehen, dennoch im Prinzip nichts fehlt, daß also diese Begegnung sinnvoll ist, dann setzt die Tatsache, daß es den Idealphilosophen nicht wirklich gibt, daß er im Akt des Philosophierens auf immer abwesend ist, die Gewißheit des Sinn-Ganzen radikal in Frage. Die prinzipielle Unmöglichkei t , daß j e m a n d dem Ideal des Philosophen entsprechen könnte, verwandelt diesen aus dem Signifikanten, daß Alles denkbar und aussagbar ist, in sein Gegenteil. Das Ideal des Philosophen fungiert in Wirklichkeit als Siginifikant des Mangels jenes Signifikanten, der verbürgen würde, daß es im Bereich des Sinns keinen grundsätzlichen Mangel gibt. Es 13 Ibid.. 14 KrV, B 867/A 839. 159 Rado Riha ist der Signifikant des Mangels jenes Signifikanten, der besagen würde, daß es, was den Sinn anbetrifft, »keinen Mangel gibt«. Weit davon entfernt als Siginifikant dessen zu fungieren, daß sich Alles sagen läßt, daß es ein Sinn- Ganzes, die Dimmens ion der Wahrhe i t gibt, wirkt so das Idea l des Philosophen vielmehr als Signifikant der Unmöglichkeit, Alles zu sagen. Es ist der Signifikant dessen, daß es das Ganze des Sinnes eigentlich nicht geben kann, daß die Wahrheit, der das selbstständige Denken seinem Wesen nach verbunden ist, sich nicht sagen läßt. Das Ideal des Philosophen repräsentiert die Leerstelle des auf immer abwesenden (letzten) Sinnes, die Leerstelle der Wahrhei t , so daß der jenige , der diesem Ideal fo lgend se lbs ts tändig philosophiert, sein Denken auf den Abgrund dieser Leerstelle gründet. Zweitens, der Weltbegriff der Philosophie stellt den Prozeß eines selbstständigen Denkens dar, aber dieser Prozeß läuft dennoch nicht von selbst. Genauer gesagt, selbstständig verläuft die Arbeit des Denkens nur, wenn das Denken durch seine eigene Norm, durch das Ideal des selbst- ständigen Denkens bzw. das Ideal der Wahrheit verdopellt wird. Selbstständig denken bedeutet nicht einfach, daß das Subjekt vermittelst seiner eigenen Vernunft denkt. Es bedeutet vielmehr, daß das Subjekt sich für die Norm des selbstständigen Denken, für die Norm der Wahrheit entschloßen hat, daß es diese Norm als Norm gewählt hat und das es gleichzeitig damit auch sich selbst als selbstständig denkendes Subjekt gewählt hat.15 Damit es innerhalb des Weltbegriffs der Philosophie selbstständig denken kann, muß das Subjekt die Wahl des selbstständigen Denkens (immer schon) getroffen haben, es muß sich (immer schon) dem Ideal des Philosophen verbunden fühlen. Oder auch - es braucht nicht nur selbstständig denken, sondern muß auch noch begehren, Philosoph zu sein, alo selbstständig zu denken. Wie erzwungen diese Wahl für das selbstständig denkende Subjekt auch ist, wie uneinholbar der Wahlakt für das Subjekt auch sein mag, er bleibt auf immer notwendige Voraussetzung und regulative Idee des Weltbegriffs de r Philosophie. Das Philosophieren dem Weltbegriffe nach ist letztendlich 15 Gerade in der Notwendigkeit der Annahme des selbstständigen Denkens als Norm besteht auch der der Unterschied zwischen der Mathematik und der Philosophie Die Mathematik ist ein selbstständiges Denken, das sich nicht, um funktionieren zu können, als ein solches noch auszuwählen braucht. Mit anderen Worten, sie wird nicht durch die Annahme ihrer eigenen Selbstständigkeitsnorm verdoppelt: sie ist nichts als die in Bewegung gesetzte Norm des Mathematis ierens , e ine nicht aufzuhaltende Denkmaschine. Was auch heißt, daß die Mathematik ihre eigene Selbstständigkeit nicht als solche fassen kann: sie ist sozusagen ein selbstständiges Denken ohne Freiheit des selbstständigen Denkens. Ich beziehe mich hier auf einen Gedankengang, der von A. Badiou in Bezug auf Piatons Verhältnis zur Mathematik ausgearbeitet wurde; cf. A. Badiou, Conditions, Pars, Seuil 1992, S. 157ff. 160 Die Geiuißlieit des Philosophierens nichts anderes als die Bewegung, in der das Denken, das dem Ideal des Philosophen, d.h., der Wahrheit als Norm des selbstständigen Denkens folgt, schließlich auf sich selbst zurückgewiesen wird, also die Erfahrung macht, daß es diese Norm nicht außerhalb des Philosophierens selbst gibt, daß sie gerade als unnerreichbare Norm nur in der absoluten Immanenz des Aktes des Philosophierens selbst begründet und konstruiert wird - daß sie also nur in der Form dessen besteht, was von innen her den Akt des Philosophierens sprengt, in ihm selbst als sein immanenter Überschuß anwesend ist. Wenn ich oben davon gesprochen habe, für den Weltbegriff der Philosophie genüge es nicht, daß das Subjekt selbstständig denke, vielmehr müsse das Subjekt auch noch begehren, Philosoph zu sein, selbstständig zu denken, dann kann ich jetzt dazusetzen, daß dieses Begehren der Philoso- phie kein empirisch-psychologisches Moment darstellt. Es ist vielmehr ein für das selbstständige Philosophieren strukturnotwendiges Moment, es ist ein konstitutiver Bestandteil seiner Selbstständigkeit. Und zwar insofern, als es jenes ist, was in der Selbstständigkeit des philosophischen Denkaktes den Platz für jenen Überschuß frei hält, der von innen her die Immanenz dieser Selbstständigkeit sprengt. Dieses das selbstständige Philosophieren allererst ermöglichende Begehren des selbstständigen Philosophierens erlaubt es uns auch, das Problem der scheinbar widersprüchlichen Funktion des Ideals des Philosophen zu lösen: einerseits wirkt dieses Ideal, wie wir gesehen haben, als Signfikant dessen, daß sich im Prinzip Alles sagen läßt, daß unser Denken durch das Endmoment der Wahrheit zu seiner Selbstständigkeit kommt, andererseits ist es das Signifikant dessen, daß es unmöglich ist, Alles zu sagen, daß die Wahrheit, der das selbstständige Denken wesentlich verbunden ist, sich nicht sagen läßt, in sich leer ist. Die Tatsache, daß das Subjekt, um selbstständig zu denken, noch begehren muß, Philosoph zu sein, d.h., selbstständig zu denken, besagt nun Folgendes: das selbstständige Denken wird weder davon geleitet, daß sich Alles sagen läßt, noch davon, daß sich Alles unmöglich sagen läßt. Die Notwendigkeit eines zusätzlichen Begehrens der Philosophie bringt vielmehr zum Ausdruck, daß es unmöglich ist, jenes nicht zur Sprache zu bringen, was unmöglich zur Sprache gebracht werden kann: die Gänze des Sinns, das Moment der unmöglich auszusprechenden Wahrheit. Das Begehren der Philosophie besagt, daß es unmöglich ist, nicht Alles, also auch die unmögl ich auszusprechende Wahrheit , die Un- möglichkeit von Allem, gerade als solche, als Unmöglichkeit also, zur Sprache zu bringen. Der Prozeß des selbstständigen Philosophierens stellt auch den Konsti- tutionsprozeß des selbstständig denkenden Subjekts dar. Dieses konstituiert sich so, daß es sich mit der Norm des selbstständigen Denkens, mit dem 161 Rado Riha »Ideal des Philosophen« bzw. dem Moment der Wahrheit identifiziert. Selbstständig Philosophieren bedeute t in der Dimension der Wahrheit philosophieren, wobei Wahrheit j enes ist, vermittels dessen das selbst- ständige Subjekt zu seinem Sein kommt. Da es sich aber um eine Norm handelt, die ohne jeden positiven Inhalts, in sich absolut leer ist, stellt die Identifizierung mit dieser Norm, die Identifizierung mit der Leerstelle des auf immer abwesenden (letzten) Sinns einen subjektiven Konstitutions- prozeß dar, der eine radikale Desubjektivierung des selbstständig Philoso- phierenden nach sich zieht. Selbstständig Denken bedeutet für ihn, sich als ein Subjekt zu konstituieren, das sich in Wirklichkeit mit nichts identifizieren kann und dem es insofern an jedem festen, objektivierbaren Sein mangelt. Das Subjekt des selbstständigen Denkens bildet sich so heraus, daß es die Leerstelle des auf immer abwesenden (letzten) Sinnes auf sich nimmt, sie sozusagen an sich selbst erfährt: das selbstständig denkende Subjekt ist immer nur als inexistentes Subjekt da, diese Inexistenz bildet sozusagen sein ganzes Dasein. Mit dem Problem der daseienden Inexistenz, des substanzlosen Daseins des selbstständigen Subjekts ist nun auch die Frage nach der Rolle ge- bunden, die im selbstständigen Philosophieren der Begriff der Welt spielt. Um auf diese Frage im Rahmen der Kantschen Philosophie zu antworten, müßen wir davon ausgehen, daß die Welt, auf die sich die Philosophie bezieht, zu den dynamischen kosmologischen Ideen zählt. Durch die dynamische Synthesis der Erscheinungen wird die Welt als Natur vorgestellt, sie wird also »als ein dynamisches Ganzes betrachtet«, bei dem man nicht »auf die Aggregation im Räume oder in der Zeit, um sie als eine Größe zur Stande zu bringen, sondern auf die Einheit im Dasein der Erscheinungen siehet«16. Bei der Welt als Natur zählt also nicht, wie beim mathematischen Weltbegriff, die Größe der unbedingten Totalität der Erscheinungen, was hier zählt, ist vielmehr deren Dasein. Dieses vom dynamischen Weltbegriff artikulierte Dasein der Welt als Natur ist nun auch jenes Moment, das für das selbstständige Philosophieren von wesentlicher Bedeutung ist. Ich möchte hier nicht auf eine immanente Analyse des Daseinsbegriffs im Rahmen der dynamischen kosmoligischen Idee eingehen,1 7 sonde rn begnüge mich damit, seine Bedeutung folgendermaßen zu bestimmen: die von der Welt als Natur ins Spiel gebrachte Daseinseinheit der Totalität der Erscheinungen fungiert als eine im Denken für das Denken selbst erbrachte 10 KrV, B446-7/A418-19. 17 Für eine solche müßte hier auch Bezug auf Kants Unterscheidung der mathe- matischen und dynamischen Grundsätze des reinen Verstandes genommen werden, cf. KrV, B 200/A 161ff. 162 Die Geiuißlieit des Philosophierens Garantie dafür, daß das Denken, wenn es die phänomenale Welt behandelt, es nicht nur mit sich selbst zu tun hat, sondern auf etwas dem Denken radikal Heterogenes, Äußeres bezogen ist. Das Dasein der Welt als dynamischen Ganzen vertritt das Moment einer radikalen Äußerlichkeit des Denkens, das in seiner irreduziblen Äußerlichkeit aus dem Inneren des Denkens selbst entspringt. Für den Modus des selbstständigen Philosophierens ist das Dasein der Welt als Moment einer inneren Äußerlichkeit des Denkens deshalb wesentlich, weil nur in diesem Moment das inexistente, inhalts- und bes t immungslose Subjekt des selbstständigen Denken zu einem ihm en t sp rechenden , weil seinem Wesen nach nichtobjektivierbaren Sein kommen kann. Die Entscheidung für den Weltbegriff der Philosophie ist die Entscheidung dafür, daß für die Existenz des selbstständigen Subjekts die Artikulation des Moments der inneren Äußerlichkeit, oder auch, des Mo- ments eines unmöglichen Realen wesentlich ist. Insofern ließe sich auch sagen, das Dasein der Welt verkörpere jene Unmöglichkeit, für die es gilt, daß es für das Subjekt unmöglich ist, sie nicht als solche, als Unmöglichkeit also, zur Sprache zu bringen. Im Dasein, das vom Begriff der Welt artikuliert wird, findet sich j ene r Uberschuss verkörpert, der für die Immanenz des selbstständigen Denkens konstituiv ist. * Nach dieser knappen und gewiß mangelhaften Andeutung der Rolle, die der Begriff der Welt für das selbstständige Philosophieren spielt, möchte ich n u n versuchen, mich dem von Kant gestellten Problem des selbst- s tändigen Denkens über e inen Umweg her zu nähern . Ich werde im Folgenden den Weltbegriff der Philosophie im Rahmen der Logik der Alienation und der Separation zu interpretieren versuchen, zweier mit- einander verbundenen Operationen, vermittelst deren Jacques Lacan den Konstitutionsprozeß des Subjekts in dessen konstitutivem Verhältnis mit dem Anderen zu erklären versucht18. Die Alienation ist der Prozeß, in dem das Subjekt, da es immer nur außerhalb seiner selbst, im Feld des Anderen, des Symbolischen, des Sinns, zu sich selbst kommen kann, sich als Mangel-an- Sein erährt, die Separation wiederum ist der Prozeß, in dem sich das Subjekt der Vorherrschaft des Anderen so zu entziehen sucht, daß es seinen Mangel- an-Sein als seine eigentliche Seinsbestimmnung ins Spiel bringt. Beide Operationen werden dabei von Lacan als Resultat einer erzwungenen Wahl 18 Ich bieziehe mich hier auf das Seminar SeminairXI, Les quatre concepts fondementaux de la psychanalse, hrsg. v. J.-A-Miller, Seuil, Paris 1973, sowie auf das Seminar Logique du fantasme (unautorisiertes Typoskript) 163 Rado Riha zwischen »Sein oder Denken« dargestellt , du rch die sich das Subjekt konstituiert. Erzwungen ist diese Wahl insofern, als das Subjekt, wenn es nicht »richtig« wählt, darauf verurteilt ist, nicht nur eines der Glieder der Alternative zu verlieren, sondern beide, damit aber auch sich selbst. Lacan artikuliert die Alienation einmal (im Seminar XI) als Resultat der erzwungenen Wahl, bei der das Subjekt, sich fü r das Denken bzw. die Dimens ion des Sinns entscheidend, seines Seins verlustig geht. Das andere Mal (Seminar Logique dufantasme) wird die erzwungene Wahl und die mit ihr verbundene Alienaüon von Lacan als Prozeß beschrieben, in dem sich das Subjekt, das Denken aufopfernd, für sein Sein entscheidet. Es gilt nun zu zeigen, erstens, daß das Philosophieren im Rahmen des Weltbegriffs der Logik der erzwungenen Wahl »Sein oder Denken« entspricht, u n d zweitens, daß sich das Subjekt des selbstständigen Denkens erst als Antwort auf seine anfängliche Wahl des Seins auf Kosten des Denkens konsti tuieren kann. Ich werde zunächst den Weltbegriff der Philosophie als Resultat der Wahl des Denkens darstellen, und ihn dann, um die Rolle des Begriffs der Welt anzudeuten, im zweiten Schritt vom Gesichtspunkt der Wahl des Seins betrachten. Beginnen wir also damit, daß j emand sich entscheidet, die Schule hinter sich zu lassen, um »aus allgemeinen Quellen der Vernunft«,19 also selbstständig zu denken. Für den Philosophirenden stellt sich also seine Ausgangssituation als Wahl zwischen seinem alltäglichen Schuldasein und dem Versuch eines selbsständigen Denkens dar, kurz, als Wahl zwischen Sein und Denken bzw. Sinn. Diese Wahl ist erzwungen, denn es versteht sich ja von selbst, daß sich das philosophierende Subjekt nur so als selbstständiger Denker herausbilden kann, daß er sich für das Denken entscheidet, also die Arbeit des Denkens und die ihm verbundene Dimension des Sinns auswählt. Mit anderen Worten, nur weil der Philosophierende sich schon für das selbstständige Denken entschieden hat, kann er sich dann noch vor die Wahl gestellt sehen. Wir können uns diese Ausgangsposition folgendermaßen, d.h., als Union zweier Mengen veraunschaulichen: Zu dieser Skizze sei noch angemerkt, daß durch seine Wahl der Philosophierende nicht nur das Sein verliert, das sich nach vollbrachter Wahl als leere Men- ge einer unmöglichen Wahl her- ausstel l t , in de r das Sein des Subjekts seinen Platz findet. Auch 19 KrV, B 865/A 837. 164 Die Geiuißlieit des Philosophierens das ausgewählte Denken (bzw. der ausgewählte Sinn) ist durch einen Verlust gezeichnet, auch es hat einen Teil verloren, den Teil des Un-Sinns, der in die Intersektion beider Mengen fällt und den hier etwa der uneinholbare Augenblick der immer schon realiserten Wahl darstellt. Um die durch die erzwungene Wahl erschaffene Situation besser zu verstehen, können wir sie uns auch auf eine andere Weise durch eine zweite Skizze vorstellen: sich mit ihm als ein autonom Denkender. Bei diesem S, handelt es sich einerseits um ein Sinn-Fragment, andererseits präsentiert er den Philo- sophie renden selbst. Er präsentiert ihn als selbstständiges Subjekt, als jemanden also, der nur dem reinen, selbstständigen Denken verpflichtet ist, oder auch, als jemanden, der nur »der Wahrheit und nichts als der Wahrheit umwillen« denkt . Es ist dieses Moment der Wahrheit, das sich im Si- ginifikanten Sj niederschlägt. Dieser Signifikant behauptet keineswegs, das Sinn-Fragment, das er repräsentiert, sei die Wahrheit selbst. Durch den Signifikanten S, wird nur festgesetzt, daß es Wahrheit gibt, un zwar hier, in diesem Sinn-Fragment da. Und nur soweit es Wahrheit gibt, gibt es auch den Philosophierenden als selbständig denkendes Subjekt. Das Subjekt, ist hier in seinem selbstständigen Dasein unmittelbar und untrennbar mit dem Signfikanten S, verschmolzen. Es ist nun so, daß die Wahl des ersten Siginifikanten, die Wahl des sich in einem Sinn-Fragment äußernden Denkens zwar unumgehbar ist, daß es ohne diese Wahl kein selbstständig denkendes Subjekt gibt. Das Problem dieses ersten Signifikanten liegt aber darin, daß das Subjekt sich mit ihm nicht begnügen kann. Wollte sich der Philosophierende nur mit dem Signifikanten S, zufriedengeben, dann würde dieser, dem versteinerten Schrei e iner Statue gleich, das mit ihm verschmolzene Subjekt seines lebendigen Seins berauben. Das selbstständig denkende Subjekt ist, um sich als ein solches behaupten zu können, immer darauf angewiesen, sich und vor allem allen anderen klarzumachen, was es eigentlich mit dem Sj habe sagen wollen. Es muß nachweisen, woher es seine Wahrheit, mit Kant Worum geht es in dieser Ski- zze? Gehen wir davon aus, daß das philosophierende Subjekt, seine Wahl so vollzieht, daß es einen ersten Signifikanten Sj - eine philosophische Aussage, ein Axiom, eine These - auswählt. Diesem Sj vertraut es seine den- kende Existenz an, es identifiziert 165 Rado Riha gesprochen, »hergenommen hat«20. Mit anderen Worten, es kann sich nicht mit der Behauptung begnügen, daß es im Sinn-Fragment um Wahrheit gehe, es muß auch imstande sein, den Wahrheitsanspruch des Sinns zu begründen. Dies kann es aber nur so tun, daß es weiterdenkt , also e inen zweiten Siginikanten S2 wählt, jenen, der den Sinn der Wahrheit des ersten erklären wird. Erst durch den zweiten Signifikanten S2 kann sich der Siginifikant Sj als Sinn-Fragment geltend machen. Wenn aber einerseits erst du rch das S igni f ikantenpaar S,-S2 d ie Hoffnung auftaucht, die Wahrheit könne in ihrem Sinn bestimmt werden und das Subjekt zu seinem selbstständigen Dasein kommen, dann setzt andererseits gerade das Signfikantenpaar dieser Hoffnung ein schnelles Ende. Auch der Siginifikant S2 muß nämlich in seinem Wahrheitsanpruch durch eine dritten Signifikanten S, rechtfertigt werden, dessen Sinn muß wiederum durch einen vierten Signifikanten S4 geklärt werden - anstatt die Wahrheit zu bestimmen, sieht das Subjekt sein Denken in e ine unab- schließbare Siginfikantenkette eingefangen, in der es dem fortwährenden Gleiten des Sinns ausgesetzt ist. Das »nur um der Wahrheit willen« des Siginifikanten St hat sich durch den S2 endgültig in den immer anderen Signifikanten eines ständigen Prozesses der Wahrheitsfindung verwandelt, in dem das denkenden Subjekt es nie mit der Wahrheit, sondern immer nur mit Sinn-Fragmenten zu tun hat. Und anstatt sich in seinem selbstständigen Dasein festsetzen zu können, erfährt das Subjekt dieses Dasein vielmehr als einen fortwährenden Mangel-an-Sein. Ich fasse zusammen: die erste Er fahrung mit dem Schritt aus der Schule in die Welt ist für den Ph i losoph ie renden , de r begehr te , ein selbststständig denkendes Subjekt, ein Philosoph dem W^eltbegriff nach zu werden, mehr als enttäuschend. Er wird sich wahr, daß seine Auswahl des Denkens ihn in eine Lage versetzt hat, die keineswegs seinem Begehren entspricht: wenn er nicht in einem ersten Siginifikanten Sj versteinern will, sieht er sich darauf verurteilt, im fortwährnden siginifikanten Gleiten des Sinns sowohl das »umwillen« seines Denkens, das Sj der Wahrheit, als auch sein selbstständiges Sein auf immer zu verlieren. Das Denken hat ihn einem Entfremdungsprozeß ausgesetzt, der unabschließbaren Signifikantenkette Sj-S2, in der er sowohl der Wahrheit als seines selbstständigen Daseins verlustig geht. Es geht um eine Situation, die wir durch folgende Skizze formalisieren können: 20 KrV, B 864/A 836. 166 Die Geiuißlieit des Philosophierens Einerseits haben wir es hier mit e inem Subjekt, 3. zu tun, das un- bestimmt bleibt, andererseits mit der Signifikantenkette Sj-S2, einem be- s tändigen Gleiten des Sinns, die Intersektion beider Mengen ist vom doppelten Verlust von Sein und Wahr- heit, hier mit dem Buchstaben klein a formalisiert, zusammengesetzt. Der Philosophierende, der trotz aller enttäuschenden Erfahrung noch immer an der erzwungenen Wahl des Weges des selbstständigen Denkens festhält, sich also noch immer in seinem selbstständigen, der Wahrheit verbundenen Dasein kennenlernen will, kann sich mit einer solchen Lage natür l ich nicht zufr iedenste l len . Er muß die anfängl iche Alienation überwinden, u n d das beste Mittel dazu scheint zu sein, sich von dem loszutrennen, was sie ermöglicht: von der Siginiflkantenkette, von (immer) Anderem des Sinns. Der sich als Antwort auf die Alienation verstehenden Separat ionsprozeß besteht darin, daß der Phi losophierende die zwei wesentlichen Erfahrungen ins Spiel zu bringen versucht, die er glaubt im bisherigen Versuch des selbstständigen Denkens gemacht zu haben. Es handelt sich, erstens, um die Erkenntnis des Philosophierenden, daß das »umwillen« seines Denkens, die Wahrheit, die in der Signifikantenkette auf immer unauffindbar und unaussagbar bleibt, ihrem Wesen nach leer ist. Und zweitens, um seine Erkenntnis, daß er als selbstständig Denkender mit einem konstituiven Mangel-an-Sein geschlagen ist. Im Separationsprozeß werden diese zwei Erfahrungen zu einer einzigen zusammengebunden: der an- gehende Philosophe versucht sich so als autonomes Subjekt herauszubilden, daß er anfängt , die Leerstelle der Wahrheit als seinen eigenen Platz anzuerkennen: nur solange er sich bemüht, selbstständig zu denken, gibt es ja diese Leerstelle der Wahrheit. Er unternimmt es also, die Leerstelle der auf immer abwesenden Wahrheit Sinnes auf sich zu nehmen und in ihr sein Eigenstes zu sehen: sein Eigenstes insofern, als er in dieser Leerstelle sein Selbst, sich selbst in seinem Mangel-an-Sein ortet. So kommt es dazu, daß er seinen Mangel-an-Sein als das anbietet, was selbst nie mangelt, was immer da ist. Der selbstständig Philosophierende, der nun dieser Mangel-an-Sein ist, wird so zu einem in Sinn unauflösbaren Sein. Es gelingt ihm also, sich vom Anderen des Sinns zu trennen, indem er die Figur von etwas annimmt, 167 Rado Riha das von der Signifikantenkette zwar artikuliert, in ihr aber nie artikulierbar ist, in sich selbst uneinholbar sinn-los bleibt21 . Wie gelungen diese Trennung vom Anderen des Sinns aber auch erscheinen mag, sie ermöglicht es dem Philosophierendem dennoch nicht, sich in seinem selbstständigen Subjekt-Sein zu erfassen. Letztendlich fungiert sie nämlich als Operation, durch die der Andere erretet, vor seinem eigenen Mangel in Sicherheit gebracht wird: indem nämlich das Subjekt die Leerstelle der Wahrheit auf sich nimmt, d.h., sich an die Stelle der im Bereich des Sinns immer ausstehenden Wahrheit setzt, gibt es gleichzeitig auch vor, jenes zu sein, was dem Anderen des Sinns fehlt. Mit anderen Worten, durch das sinnlose Sein, mit dem es sich identifiziert, verdeckt das Subjekt gleichzeitig den Mangel im Anderen und verhilft ihm so zu seinem uneingeschränkten Status. Auch in diesem ersten Versuch, sich dem Bodenlosen des Weltbegriffs der Philosophie, des selbstständigen Denkens zu entziehen, kommt also der Philosophiemde weder zur Gewißheit über die Wahrheit, der sein Denken ve rbunden ist, noch zur Gewißheit übe r sich selbst als Subjekt des selbstständigen Denkens. Was bleibt ihm also noch übrig, wenn er, allen Enttäuschungen zum Trotz, in seinem Begehren, Philosoph zu sein, noch immer nicht nachgelaßen hat, also dem Axiom, in seinem Denken der Wahrhei t und nichts anderem als der Wahrhei t nachzuhängen , t reu geblieben ist? Was kann das Subjekt, das aus der Schule trat, um selbstständig zu denken, noch tun, um sich dem Entzug seines Seins zu entziehen und sich zu subjektivieren, in seinem autonomen Sein zu setzen? Nehmen wir einfach an, daß sich der Phi losophierende zu e inem Neubeginn entschließt und auf seine anfängliche Wahl des Denkens auf Kosten des Seins erst einmal vergißt. Er zieht es vor, diesmal mit etwas Gewißen anzufangen. Gewiß ist er sich aber dessen, daß er selbst, ganz einfach, da ist, existiert, auch wenn er in dieser seiner Existenz nicht besonders stark im selbstständigen Denken zu sein schient. Und umgekehrt, daß er da, wo er selbstständig zu denken versucht, gerade nicht ist, nie zu seinem Sein gelangen kann. Diese Si tuat ion kann f o l g e n d e r m a ß e n formalisiert werden: 21 Etwa die Figur seiner Endlichkeit: das Bild von sich selbst als j emandem, der, immer von den empirischen, räumlich-zeitlichen Verhältnissen seiner Existenz beschränkt, obwohl nie vollkommen durch sie bedingt, dieser seiner Endlichkeit wegen nie imstande ist, das Ganze des Sinns, den Sinn in seiner ganzen Konsistenz zu begreifen. 168 Die Geiuißlieit des Philosophierens Der Philosophierende ist also wieder vor die Wahl »Sein ode r Denken« gestellt, die aber die Form »entweder ich denke nicht (aber ich bin), oder ich bin nicht (aber ich denke)«, »dort, wo ich denke, da bin ich nicht, und dort, wo ich bin, da denke ich nicht« angenommen hat. Und der Philosophierende ist auf- grund seiner bisherigen Erfahrungen mit dem selbstständigen Denken überzeugt, daß er diesmal nur das »Ich denke nicht, ich bin«, sein Ich-Sein ohne Denken wählen kann. Tief in seinem Ich-Sein ist aber, wie gesagt, unser Philosophierende dabei immer noch der Idee, im Rahmen des Weltbegriffs der Philosophie selbstständig zu denken, treu geblieben. Sein Ich-Sein hat sich nicht ganz fü r die Auswirkungen des außerhalb des Seins verstoßenen Denkens verschloßen. Deshalb ist er auch bereit, zuzugeben, daß die Position des »Ich denke nicht«, in der sein Ich-Sein verankert ist, wie gewiß sie auch sein mag, dennoch nicht etwas in sich Abgerundetes und Abgeschloßenes, kein in sich abgeschlossenes Ganzes ist. Und daß somit auch sein Ich-Sein nicht den Anspruch aufstellen kann, das ganze Sein zu sein. Das wachgebliebene Begehren, Philosoph zu sein, bewirkt also, daß auch bei der zweiten Wahl, bei der sich der Philosophierende für das Sein auf Kosten des Denkens entschieden hat, seinlch-Sein von einem Mangel-an-Sein befallen ist. Was die Position seines Ich-Seins wieder ungewiß und unkonsistent macht, ist genau die Idee »Ich bin Philosoph«, »Ich bin der Wahrheit verbunden«, der unser a n g e h e n d e Phi losoph treu geblieben ist. Und durch seine Er- fahrungen belehrt gibt er jetzt in vorhinein zu, daß dieses Ich im »Ich bin Philosoph« eigentlich nicht er selbst, nicht sein Ich ist, daß es sich in Wirklichkeit um ein »Nicht-Ich« handele. Um die Anwesenheit dieses merkwürdigen »Nicht-Ichs« in seinem Begehren, Philosoph zu sein, zu erklären, kann sich der Philosophierende daran e r inne rn , wie er den Weg des selbstständigen Philosophierens bet re t ten hat. Er kann sich die überraschende Begegnung mit einem philosophischen Ansatz, mit einer philosophischen Aussage in Erinnerung rufen, die ihn ergriffen und auf den Weg der philosophischen Wahrheit gebracht haben. Ihretwegen war sein »Ich bin Philosoph« anfangs nur in der Form einer »spontanen« Identifikation mit einer bestimmten Philosophie möglich, etwa als Aussage: »Ich bin Phänomenologe, Kritischer Theoritiker, 169 Rado Riha Lacanianer, Marxist usw.«. Diese anfängliche, das »Ich bin Philosoph« t ragende Ident i f ikat ion kann auch als e ine philosophisch-dogmatische Identifikation beze ichnen werden. Dogmat isch inos fe rn , als sie dem Philosophierndem gänzlich fremd bleibt, nicht zu ihm selbst gehört. Das »Ich bin entschlossener Phänomenologe, Kritischer Theoritiker, Lacanianer, Marxist«, kurz, »Ich bin ein X« lautet in seiner vollentwickelten Form so : »Ich bin ein X, auch wenn ich damit nicht viel anzufangen weiß, auch wenn ich selbst in diesem X verschwinde, mich in ihm nicht erkennen kann«. Das »Ich bin Philosoph, ein X« ist somit immer der Ort eines »Nicht-Ichs«. Genau dieser notwendige philosophisch-dogmatischer Charakter seiner anfänglichen Identifikation hat nun den Philosophierenden auch dazu gezwungen, seine ursprüngliche Wahl des Denkens aufzugeben und sich für die Wahl des Seins auf Kosten des Denkens zu entschließen. Es ist nämlich so, daß durch die philosophisch-dogmatische Identifikation der Philosophierende zwar zu einem minimalen philosophischen Sein gelangt, daß aber dieses Sein ein nur erborgtes, streng genommen, ein falsches Sein ist. Es handelt sich um genau jenes Sein, das die Anfangsposition der zweiten Wahl bildet. So stellt es sich heraus, daß der Versuch des Phlosophierenden, sein nicht-ganzes Ich-Sein durch sein fortdauerndes Begehren, Philosoph zu sein, zu vervollkommern, genau so viel besagt wie die voll entwickelte Form der philosophische-dogmatischen Identifikation, und zwar: Ich bin dort, wo ich nicht denke, Bestandteil meines Ich-Seins ist auch etwas, was ich mir nicht zuschreiben kann, ein Nicht-Ich, wir können auch sagen, auf Freud zurückgreifend, ein Es, ein Id, das ich mir nie aneignen kann und mir auf immer fremd bleibt. Die beschriebene Lage kann mit folgender Skizze dargestellt werden: Durch seine Erkenntnise gestärkt, daß ihn sein selbstständiges Philosophiern sozusagen von selbst zu seiner zweiten Wahl geführ t hat, ent- schließt sich der Philosophierende jetzt, mit dem selbstständigen Denken im Rahmen der Welt- philosophie fortzufahren. Dabei verfährt er so, daß er den Inhalt seines Philosophierns einem zweifachen Pruüfungsverfahren unterwirft . Er prüft, erstens, den Wahrheitsanspruch der Aus- sagen jener Philosophie, die ihn auf den Weg des selbstständigen Denkens gebracht hat. Und er prüft, zweitens, seine eigene Gedanken, j ene Gedan- ken, für die er voraussetzen muß, daß sie der philosophisch-dogmatischen Identifikation notwendigerweise schon enthalten waren. Wären sie nämlich 170 Die Geiuißlieit des Philosophierens nicht darin enthalten, dann würde es sich nicht um eine philosophische, d.h., vom selbstständigen Denken geprägte dogmatische Identifikation handeln. Das philosophiernde Subjekt prüft also seine Voraussetzung, daß in seiner anfängl ichen philosophisch-dogmatischen Identifikation auch wahre Gedanken, wahre philosophische Ideen impliziert waren, mehr noch, daß es gerade diese Gedanken waren, die ihn dazu brachten, in einer bestimmten Philosophie sich selbst als Philosophen zu erkennen. Diese Prüfung stellt es so an, daß es versucht, in einer konsistenten, kohärenten und prinzipeil für Alle verständlichen Weise alle theoretischen Konsequenzen aus seiner ursprünglichen dogmatischen Identifikation zu entwickeln. Mit dieser kritischen Prüfung schreitet der Philosophierende von der erzwungenen Wahl, der Position eines »Ich denke nicht, ich bin«, über zur ausgeschloßenen Wahl des »Ich bin nicht, ich denke«. Diese ausgeschloßene Wahl kann durch eine letzte Skizze dargestellt werden: Das »Ich bin nicht, ich denke«, wird hiervon j enen wahren Gedanken vertreten, für die der Philosophiernde voraussetzt, daß sie, obwohl ohne sein Wissen, in seiner anfänglichen philo- sophisch-dogmatischen Identifikation anwesend sind. Man kann sie deshalb auch einfach als unbewußte Gedanken bezeichnen. Und das »Ich bin nicht«, das den Ph i losophie renden mit seinen Gedanken verbindet, bedeutet hier: »Ich bin nicht«, weil diese Gedanken, obwohl sie meine sind, neue Gedanken sind. Und neu können die Gedanken nur als wahre Gedanken sein, als Gedanken also, die der Wahrheit verbunden sind, jenem also, was radikal mit der Ordnung der Meinung, der Ordnung des schon Gewußten unterbricht. Die im »Ich bin nicht, ich denke« implizierten Gedanken sind gleichzeitig auch neu im Verhältnis zur Philosophie, mit der sich der Philosophierende anfänglich identifizierte. In dieser Philosophie sind die unbewußten Gedanken als ihre Leerstellen, als Leerstellen ihrer Wahrheit anwesend, insofern die Wahrheitjeder Philosophie das ist, was sich nie ganz aussprechen läßt. Die Neuheit der Gedanken spricht davon, daß der Philosophierende seine ursprügliche philosophische Einstellung in ihrer Wahrheit begreifen will, in dem also, was im sich darbietenden Sinn nie in Gänze anwesend ist, was in ihm immer mangelt - für diesen Mangel steht in der obigen Skizze das Symbol -cp, das innerhalb der Lacanschen Theorie die Kastration bezeichnet. Kurz, wenn der Schulbegriff der Philosophie dem zu interpretierendem Text folgt, dann folgt der Weltbegriff der Philosophie 171 Rado Riha den Leerstellen im Text, den Stellen, an denen der Autor das zu sagen scheint, was er nicht hat sagen wollen. Die im »Ich bin nicht, ich denke« implizierten wahren Gedanken, die ohne Wissen des Subjekts in seiner anfänglichen Position anwesend sind, können nicht expliziert werden, ohne damit einen Prozeß der Subjektivierung nach sich zu ziehen. Bei diesem Subjektivierungsprozeß geht es darum, daß das »Nicht-Ich« (das Es, das Id), das wir in der erzwungenen Wahl des »Ich denke nicht, ich bin« angetroffen haben, in die ausgeschloßene Wahl des »Ich bin nicht, ich denke« übergeleitet wird. Dabei wird die negative Form des »Ich bin nicht« in die positive Form eines »Ich bin Es« umgewandelt, die besagt: im selbstständigen Denken bin ich genau dieses Nicht-Ich, dieses Es. Ich bin, wenn ich selbsstständig denke, dieses Nicht-Ich, dieses Es, weil es im Denken streng genommen gerade darum geht, einen Gedanken, den ich nicht weiß, für den ich aber dennoch annehme, daß er wahr ist, in seinem Anspruch auf Wahrheit auf eine konsistente, koheränte und an Alle übertragbare Weise zu entwickeln und zu prüfen. Die Subjektivation des selbstständig Denkenden ist also ein Prozeß in dem die Identität des denkenden Subjekts sozusagen sinnentleert wird, sich zu einem inhalts-und bedeutungsloses Nicht-Ich bzw. Es, zu einem Sinn ohne Bedeutung umwandelt. In diesem Moment eines Sinns ohne Bedeutung kommt das denkende Subjekt zu seinem selbstständigen Dasein. Seine selbstständige Existenz hängt nämlich in Gänze von seinem Vermögen ab, das, was es im Nicht-Ich, im Es der philosophische-dogmatischen Iden- tifikation, ohne es zu wissen, als wahr vorausgesetzt hat, jetzt in seiner Wahrhaft igkeit so herauszuarbei ten , das es von Allen n u r du rch die Anwendung ihrer eigenen Vernunft nachvollziehbar ist. Das »Ich bin Es«, das den abgründigen Grund seines Denkens bildet, ist also ein Singuläres, das unmittelbar unversalisierbar ist. Der Prozeß der Subjektivierung verläuft zwar in der Form der subjektiven Destitution, er ist aber nichtsdestoweniger gleichzeitig auch ein Prozeß der Universalisierung. Diese Universalisierung ist weder durch Konsensus noch durch Intersubjektivität motiviert. Was sie in Gang bringt, ist vielmehr die irreduzible Singularität jenes »Ich bin Es«, j enes Sinns ohne Bedeutung, der den abgündigen Grund des selbst- ständigen Denkens bildet. * Ich möchte abschließend vermittels einer reflektierenden Lektüre der Kritik der praktischen Vernunft die Anwesenheit der Figur der Universalisierung als Subjektivierung in der zweiten Kritik nachweisen. Ich gehe dabei vom 172 Die Geiuißlieit des Philosophierens Problem des Subjekts des Moralgesetzes aus, eines Subjekts, desen Grund- merkmal darin liegt, daß es in sich selbst gespalten ist. Auf rein deskriptiver Ebene können wir die Spaltung des Subjekts auf seine zwei »Bestandteile« zurückleiten. Es ist einerseits ein endliches Vernunf twesen , das du rch all das bedingt ist, was dem Register des Pathologischen angehört, der das Subjekt als ein Wesen der Bedürfnisse bestimmt. Andereseits ist es ein reines, nur durch das moralische Gesetz bestimmte und dem Reich des Intellegibilen angehörende Vernunftwesen. Als moralisches Subjekt konstutiert es sich dabei gerade durch die Loslösung, Abtrennung von seinem pathologischen Sein. Solcherart beschrieben ist die Spaltung des Subjekts natürlich noch nicht begriffen. Es ist nun möglich, diese Spaltung auf zwei grundverschieden Weisen zu begreiffen. Man kann, erstens, davon ausgehen, daß das pathologische Sein, das einer fortwährenden Zurückweisung seitens des Subjekts ausgesetzt ist, etwas bloß Gegebenes ist, eine Art Rohstoff, in dem das Individuum seinen Vernunftwillen geltendmacht und sich auf diese Weise subjektiviert. Ein solches Verständnis führt uns zur nichtkantianischen, letztendlich religiösen Gestalt eines Subjektes, daß nie rein ist, sondern sich in e inem fort- währendem Reinigungsprozeß befindet. Es führ t also die Figur eines Subjektes ein, das alles, was ihm im empirischen Leben teuer ist, auf dem Altar des Anderen, des Gesetzes, einer unerreichbaren und unaussprech- barer Transzendenz aufopfert. Man kann aber auch, zweitens, davon ausgehen, daß das pathologische Sein innerhalb des Kantschen philosophischen Ansatzes nicht nur auf der Ebene des endlichen Individuums eine Rolle spielt, sondern auch auf für die Ebene des reinen moralischen Subjektes wesentlich ist. Die Spaltung des Subjektes läßt sich also hier nicht mehr als einfache Verneinung der empirisch pathologischen Partikularität des Subjekts verstehen. Ein Frag- ment des »Pathologischen« verharrt vielmehr inmitten des reinen Subjektes selbst. Mit anderen Worten, die Spaltung ist für das Subjekt selbst konstitutiv. Das gespaltene Subjekt ist nicht einfach auf das pathologische und das reine Subjekt gespalten, es ist vielmehr auf das pathologische und gespaltene Subjekt selbst gespalten. Das reine Subjekt selbst ist nichts anderes als die Spaltung des Subjektes selbst. Deshalb muß es immer etwas »Pathologisch- Par t ikuläres« geben , das de r moral ischen Geste des Subjekts, sich unabhängig vom Pathologischen zu bestimmern, widersteht. Es geht hier sozusagen um einen prinzipiellen Widerstand, d.h., um einen Widerstand, der auf dem Prinzip des gespaltenen Seins des Subjekts selbst gründet. Der Grund dafür, daß im Bereich des Moralischen immer etwas »Pathologisches« übrigbleibt oder überschüssig ist, liegt also nicht etwa darin, daß der 173 Rado Riha unendliche Reichtum des Partikulären sich dem Zugriff des endl ichen Subjekts entzieht . Das ve rha r r enden »Pathologische« ist n icht j e n e s Pathologische, daß vom mora l i schen Akt des Subjekts f o r twäh rend ausgeschlossen wird. Das »Pathologische« ve rha r r t hier, weil es als Voraussetzung und Produkt des Konstitutionsprinzips des gespaltenen Subjekts selbst fungiert. Es der unerreichbare Uberschuß/Uberres t der Operation, durch die das Subjekt, indem es im Medium des Universellen jede seiner möglichen partikulären Bestimmungen auflöst, gleichzeitig bestätigt, daß das Universelle der Vernunf t zu seiner realen Existenz g e k o m m e n ist. Das »Pathologische« ve rha r r t als rea le Präsenz de r subjektiven Spaltung, d.h., der Anwesenheit des Universellen des mo- ralischen Gesetzes in der empirischen Welt. Wir haben es also hier mit e iner gleichzeitigen Konstitution des Universellen und des Subjekts zu tun. Bei Kant wird diese Gleichzeitigkeit durch das Konzept des autonomen Subjekts ausgedrückt. Das Subjekt ist autonom insofern es sich ein Gesetz gibt, das unmittelbar auch für Alle anderen gilt. Ich kann mich hier nicht mit den Kritiken dieses Konzeptes befassen, die das gesetzgebende Subjekt en tweder als Il lusion e ines selbstidentischen Subjekts verstehen, oder es als eine Idee ansehen, die das Subjekt dem Anderem, dem transzendenten Gesetz überantwortet . Ich möchte aber hervorheben, daß Kants sich selbst das Gesetz gebende Subjekt nicht etwas schon Gegebenes ist, daß es nicht schon vor der Operation der Selbstgesetzgebung da ist. Das Subjekt der praktischen Vernunft ist meiner Meinung nach nichts anderes als das Vermögen des Vernunftwesens, sich als Subjekt mit dem Moment einer irreduktiblen Singularität, mit dem Moment einer unprädizierbaren Gleichheit zusammenzusetzen, die in dem Augenblick zur Erscheinung kommt, in dem das Vernunftwesen in die Di- mension des Universellen eintritt, d.h., sich durch das Wegdenken seiner empirisch-partikulären Bestimmungen als Subjekt herauszubilden sucht. In dieser unprädizierbaren Gleichheit kommt gleichzeitig auch das Universelle der Vernunft zu seiner realen Existenz. Ich gehe bei meinem Verständnis des Subjektautonomie davon aus, daß der Begriff des selbstgesetzgebenden Subjekts eng mit einem anderem Begriff der Kantschen Moralphilosophie, dem Begriff des Faktums des moralischen Gesetzes, verbunden ist. Das »nichtempirische Faktum«, in dem sich die praktische Vernunft manifestiert, ist dabei meiner Meinung nach weder als Gabe des Anderen, e iner une r re i chba ren Transzendenz zu verstehen, noch als Zeichen eines unerklärbaren Vorherrschaft des Gesetzes, der das Subjekt nur so entsprechen kann, daß es auf die Forderung des Gesetzes auf eine immer unangemeßene Weise antwortet. Die Faktizität des 174 Die Geiuißlieit des Philosophierens moralischen Gestzes ist nicht das Merkmal einer urspünglichen Rezeptivität und Passivität des moralischen Subjektes. Meiner Meinung nach soll uns dieser Konzept eines nichtfaktischen Faktums bloß darauf aufmerksam machen, daß das moralische Subjekt keine Gegebenheit ist, daß es sich vielmehr als Subjekt immer erst herausbildet, nur in der Form einer fortwährenden Subjektivierung existiert. Und es bildet sich so heraus, daß es das Faktum des moralischen Gesetzes als Ort seines Selbst anerkennt. Deswegen können wir nicht bei der Feststellung stehen zu bleiben, für das Subjekt spiele das Bewußtsein des moralischen Gestzes die Rolle eines Faktums, eines unerklärlichen »Es ist so«. Beim moralischen Subjekt ist das Bewußtsein des moralischen Gestzes gleichzeitig immer auch schon das Bewußtsein vom Faktum, das Bewußtsein vom moralischen Gesetz als Faktum. Erts mit diesem »Bewußtsein von« wird das Faktum des moralischen Gesetzes erst wirklich zum Faktum. Das Subjekt subjektiviert sich also so, daß es sich mit dem Faktum der Vernunft zusammensetzt, mit etwas, was der notwendige Konst i tuens de r Ve rnun f t in ihrer universellen Dimension darstellt, gleichzeitig aber nie objektiviert, in das Universum des Sinnes einbeschloßen werden kann. Das Subjekt subjektiviert sich vermittels eines Moments, das ihm absolut heterogen ist. Dieses Moment ist nicht etwas, was sich in einer fortwährenden Unerklärbarkeit immer wieder dem begrifflichen Zugriff entziehen würde, es ist vielmehr immer in einer daseinenden Abgründigkeit awesend. Die Unerklärbarkei t gründet nicht in der Unterwerfung des Subjekts unter das Gesetz - diese Unterwerfung ist vielmehr immer etwas, was durchaus erklärbar ist, wobei sich das Subjekt entweder als Geisel des Anderen oder als selbstransparenten Gesetzgeber verstehen kann. Ganz im Gegenteil, die Unterwerfung unter das Gesetz ist nur insofern berechtigt, als das Universelle des moralischen Gesetzes, diese letzte Bedingung des moralischen Handlung, in seiner Unerklärbarkeit, Faktizität verharrt. Das Subjekt kann sich als Subjekt nur so lange behaupten, als es fähig ist, mit dieser Unerklärbarkei t zu handhaben. Diese Handhabung der Unerklärbarkeit impliziert, daß sich das moralische Subjekt am Ort der Destitution seines identischen Selbst konstituiert. Das unbedingte Gesetz, das von ihm ein angemessenes, moralisches Handeln verlangt, ist ein Wissen, in dem sich das Subjekt nicht erkennen kann. Das Subjekt konsistituiert sich zwar so, daß es diese unsubjektivierte Wissen auf sich nimmt, aber diese Subjektivierung ist gleichzeitig immer schon eine subjektive Destitution, eine Desubjektivierung. Wir sind d e n n o c h berecht igt , diese subjektive Destitution auch weiterhin als Subjektivierung zu bezeichnen, wenn wir davon ausgehen, daß die Subjektivierung eine minimale Distanz des Subjekts jenem Moment 175 Rado Riha gegenüber beinhaltet, von dem es destituiert wird. Das Dasein des Subjekts fällt mit seinem Vermögen zusammen, eine nichtige Distanz demgegenüber aufrechtzuerhalten, von dem es destituiert wird. Diese Distanz ist deshalb nichtig, weil das Subjekt seinem Wesen nach nichts ande re s als ein for twährender Destitutionsprozeß seiner verschiedenen par t ikulären Identitäten ist. Gleichzeitig muß aber auch ein leeres Interval zwischen dem Subjekt und dem, wovon es desubjektiviert wird, erhalten bleiben. Es muß erhalten bleiben, wenn das Subjekt sein Handeln als unbedingtes, absolut grundlos Hande ln denken und verwirkl ichen will - als »Sinn o h n e Bedeutung«, wie ich hier Kants Forderung nach einer Maxime übersetzte, die gleichzeitig auch als universelles Gesetz gelten könnte. Diese unbedingte Verwirklichung der praktischen Vernunft ist einer einzigen Bedingung unterworfen. Die Bedingung des Unbedingten liegt darin, daß das Subjekt als punktuelle, fragmentäre Stütze der beständigen Verifizierung seiner anfänglichen Äußerung, seine subjektive Maxime gelte für ihn nicht, wenn sie nicht gleichzeitig auch für Alle anderen gelte. Das Subjekt ist autonom deshalb, weil es für sein Handeln keine andere Gewähr, keine andere Gewißheit verlangt als sein eigenes Vermögen, die Maxime, die sein Handeln leitet, zu universalisieren. Wir dürfen also nicht übersehen, daß das Universelle des moralischen Gesetzes nicht als etwas Ansichseiendes besteht. Das Universelle des praktischen Gesetzes besteht nicht unabhängig von der Universalisierung der Maxime. Und bei dieser Universalisierung geht es nicht um eine Anwendung des Allgemeinen auf das Besondere im Sinne eines: »für jedes X gilt Y«. Das Universelle des moralischen Gesetzes ist bei Kant immer ein konstruiertes, nie ein angewandtes Universelle. Worin besteht aber diese Konstruktion des Universellen? Ich meine, daß sie als Außerungsakt des Subjektes verstanden werden muß, durch den das Subjekt festsetzt, daß etwas »der Fall des universellen Gesetzes« sei. Dieser »Fall des Universellen« kann so manches sein, eine Äußerung, eine Ereignis, ein Vorhaben, wesentlich ist, daß es in der Ordnung des sinnlich Bedingten, in einer empirischen Situation also, als eine paradoxe, j ede r Partikularität entledigte Partikularität, als etwas Singuläres wirkt. Damit aber der »Fall des Universellen« als eine solche Singularität wirken kann, sind zwei Bedingungen erfordert. Erstens, die Existenz des »Falles« hängt von der Existenz eines Subjeks ab, das sich selbst das Gesetz gibt, d.h. , eines Subjektes, das sich durch seine Äußerung konstituiert, daß es einen »Fall des Universellen« gebe. Und zweitens, die Existenz des »Falles« muß etwas sein, was im Prinzip an Alle adressiert ist und an Alle übertragbar ist. Autonom ist also ein Subjekt, das die materiellen Auswirkungen seiner »Reinheit«, d.h., seiner konstitutiven Spaltung auf sich genommen hat. Es 176 Die Geiuißlieit des Philosophierens handelt sich um ein Subjekt, daß das Faktum des moralischen Gesetzes auf sich genommen hat - das bedeutet, die Existenz des Universellen in Form eines Singulären, eines unerklärbaren und unbedingten »Falles«. Die Unbedingtheit und Unerklärbarkeit des »Falls des Universellen« und die Au tonomie des Subjektes bed ingen sich wechselseitig. Der »Fall des Universellen« ist unerklärbar und unbdingt, insofern er nur in der sub- jektiven Deklaration begründet ist, einer Deklaration, die selbst nur in der Deklarationsäußerung begründet ist. Und das Subjekt ist autonom, insofern es sich als Vermögen konstituiert, auf eine konsistente und koheränte Weise den singulären »Fall des Universellen« als etwas zu verifizieren, was sich an Alle wendet, was universel gilt. Und nur in diesem subjektiven Vermögen, eine irreduktible Singularität, etwas also, was innerhalb der empirischen Ordnung des Sinns für diese Ordnung ihr Unmögliches ist, als das nachzuweisen und zu verifizieren, was an Alle übertragbar ist, kann meiner Meinung nach heute die Gewißheit des Subjekts g ründen . Insofern ließe sich sagen, daß aus dem Kantschen Weltbegriff der Philosophie die Lehre gezogen werden kann, daß sich Gewißheit heute als Prinzip der Hoffnung anbietet. 177