Viktor Böhm Tulbing „SCHNITTMUSTER". TRIVIALE KINDER- UND JUGENDBÜCHER l. „Schnittmuster" - den Begriff entnehme ich einem Zitat von Alfred C. Baumgärtner: „Ghettobildung, Schulmeisterei und das Arbeiten nach literarischen Schnittmusterbogen - mit diesen drei Momenten ist die Hypothek gekennzeichnet, die auf der Jugendliteratur lastet."1 Schnittmuster, zugeschnitten • auf vorgegebene politpädagogische Ziele der Gesellschaft • auf Multiplikatoren und Endverbraucher der JKL • auf die Marktverhältnise • nach bewährten Mustern Solche Zuschnite wecken die Frage nach dem literarischen Wert von Texten, 1. die nach herrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen ausgerichtet und nach psyhologischen Lehrmeinungen konzipiert sind und 2. deren gesellschaftliche Konformität durch Organe und Institutionen der Gesellschaft überwacht, bewertet, empfohlen oder abgelehnt werden. In beiderlei Hinsicht muß eine solche Literatur als eine der zweiten Kategorie erscheinen oder als etwas, das gar nich zur Literatur zählt. Dies ergibt sich aus dem prinzipiellen Gegensatz von Literatur und Gesellschaft, denn - wie H, Gollner es formuliert hat: Literatur spricht aus, was gesellschaftlich unaussprechlich ist: also Umstände, Zustände, Bedürfnisse, sobald sie faktisch sind und nicht erst, wenn sie moralisch sind. Gesellschaft schließt Wirklichkeiten aus, indem sie sie verschweigt, tabuisiert, bewertet, beschönigt, verbietet. In ihrer Gesamtheit (nicht natürlich im einzelnen Buch oder Autor) ist 1 Alfred C. Baumgärtner: Jugendbuch und Literatur. In: Gorschenek/Rucktäschel (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur. München: Fink 1979, S. 9 ff. 29 Literatur Vertreter des uneingeschränkten Lebens, Gesellschaft Behüter eines eingeschränkten. Weil der gesellschaftlich approbierte Teil der Wirklichkeit immer kleiner ist als der literarisch angesprochene, verhält sich Literatur zur Gesellschaft subversiv.2 Wer KJL an solcherart aufgefaßter Hochliteratur oder andererseits am gesellschaftlich festgesetzten Wohl des Kindes mißt, muß zwangsläufig gegenüber der KJL und ihrem Publikum in den Gestus einer Literatur- und Leserbeschimpfung kommen, in der das Wort „trivial" geradezu noch schmeichelhaft klingt, und er muß die Forderungen der „Literaturpädagogen" als Unterdrückungsmechanismen anprangern. Vor nunmehr zehn Jahren sind die ideologiekritischen Studien zu den österreichischen Jugendbuchinstitutionen „... aber dennoch nicht kindgemäß" der Elisabeth Lercher erschienen.3 Sie sind bisher noch kaum aufgearbeitet worden, sind vielmehr der zornigen Ignoranz der Betroffenen zum Opfer gefallen. Das ist schade, denn wer sich mit Lerchers qualitativer Inhaltsanalyse der Rezensionen österreichischer Jugendbuchinstitutionen beschäftigt, hat mit dem Kriterienkatalog der Kritikerpraxis ein Anforderungsprofil der Trivialliteratur vor Augen. In den Kritiken spiegeln sich folgende sieben Forderungen an das gute Kinder- und Jugendbuch: 1. Das Irrationale und Antiintellektuelle. Schlüsselwörter sind: Einfühlen und Nachempfinden, Erlebtes, Stimmung, Gemüt, Herz, spüren statt begreifen, wunderbar und phantastisch. 2. Leben/Natur/Natürlichkeit. Volles Leben, echt und wahr, ursprünglich und natürlich. 3. Überzeitliches und ewig Bleibendes. Das Allgemeinmenschliche, Mann/ Frau/Kind als Wesenheit, das gleichbleibende Wesen von Individuen und # Nationen, das Zeitlose und Allgemeingültige. 4. Tendenzfreiheit. Unaufdringlichkeit und Abwesenheit des Zeigefingers, zwischen den Zeilen. 5. Verinnerlichung. Klage über Materialismus und Oberflächlichkeit, Lob von inneren Werten, von Einkehr und Besinnung. 6. Das Individuum. Persönliche Leistungen, große Einzelne, Menschlichkeit, individueller Umgang, Klage über Vermassung und Massengesellschaft. 7. Das Positive. Der positive Held, realitätsgerecht, positive Art der Darstellung, Bestrafung des Negativen. Mechanismendes Umgangs mit dem „Negativen": kein Kinderbuch, altersmäßige Beschränkung der Leserschaft, Diskussion und Rezeptionshilfe erforderlich, nur für einen besonderen Leserkreis. Hinter diesem Kriterienkatalog steht der Mythos der Kindheit als Gegenwelt zur Realität der Erwachsenen, steht der Wunsch nach einer literarischen heilen Welt, in die man fliehen und wo man Trost finden kann. Die Erfüllung dieses Wunsches gilt aber als ein Hauptmerkmal von Trivialliteratur. 2 Zit. n. Böhm/Steuer (Hg.): Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendliteratur in Österreich. Wien: J&V 1986, S. 8 f. 3 In der Reihe der „Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft", 1983 30 2. Trivialliteratur ist ein historischer Begriff, sozusagen die Fortsetzung der volkstümlichen christlichen Erbauungsliteratur in säkularisierter Form. Die deutsche Erbauungsliteratur war bis etwa 1750 die am weitesten verbreitete Literaturgattung. Sie diente der Stärkung des Glaubens. Um die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts bewirkte die Aufklärung mit ihren popularisierenden Versionen die Abwendung weiter Kreise von der Erbauungsliteratur. Dadurch entsteht Bedarf nach neuem Lesestoff, wobei freilich das Seelenbedürfnis nach religiösen Verheißungen und Tröstungen erhalten bleibt. Religiöses Gefühl wandelt sich in Empfindsamkeit, Gottesliebe verflüchtigt sich in irdischer Liebe, Gottesfurcht keimt weiter in der Angst vor dem Übersinnlichen, das nach rationaler Erklärung verlangt; der Weg zu Gott wandelt sich in die Wege der irdischen Abenteuer und Freiheitskämpfe mit pathetischen Rittern und Räubern als Helden. Damit sind die drei grundlegenden Gattungen der Trivialliteratur geboren: • der Liebesroman • die Schauerliteratur • der Abenteuerroman über deren Ausdifferenzierung in immer weitere Spielarten noch zu sprechen sein wird. Jetzt schon sei angemerkt, daß sich das religiös-erbauliche Grundschema von Paradies, Sündenfall und Erlösung bis heute trivialliterarisch bemerkbar macht. Um 1860 ist dann die Zeit für die voll entwickelte Trivialliteratur gekommen. Sie verdankt sich dem Zusammenwirken dreier Faktoren: 1. Nun sind die technischen Voraussetzungen gegeben, um die Massenproduktion von Literatur als Massenware aufzunehmen. 2. Weite, nunmehr lesefähige und durch den kapitalistischen Arbeitsprozeß entfremdete Bevölkerungskreise, Menschen der mittleren und niederen Gesellschaftschichten, suchen Flucht und Trost in trivialer Kompensationsliteratur. 3. Der Zwang, Literatur massenhaft und für die Massen herzustellen, wirkt auf den Produktionsprozeß zurück. Massenware Literatur verlangt • von den Autoren Fließbandproduktion nach vorgegebenem Schema • einen Vertrieb, der den Weg der Ware zu den Konsumenten garantiert (Kolportage, Kiosk, Buchgemeinschaft, Warenhaus) • einen Inhalt, der dem Bedürfnis der Lesermassen nach Evasion und Wunscherfüllung angepaßt ist (Konformliteratur) Hand in Hand mit der Ausweitung von Produktion und Konsumentenkreisen geht die immer weitere Auffächerung der Leserbedürfnisse und damit der drei Hauptgattungen. Wie ich andernorts schon ausgeführt habe,4 sind dadurch folgende Unterarten entstanden: 1. Das empfindsam sentimentale Schrifttum verzweigt sich in Familien-, Frauen-, Liebes-, Sitten-, Heimat- und Tatsachenroman (mit weiteren Abzweigungen, etwa Arzt- und Bergroman). Die erotischen Einsprengsel 4 Ödipus oder die Rache der roten Mumie. Zur Wertung von Trivialliteratur. In: Tausend und ein Buch 1/2993, S. 4 ff. 31 in sentimentaler Literatur verselbständigen sich zur Pornographie, ursprünglich unter dem Vorwand, vor dem Laster abzuschrecken und der Tugend zu dienen, bald aber auch als ungeschminkte Darstellung von Sexualität und Brutalität. 2. Schauerliteratur zergliedert sich in Horror-Texte, in Verbrechens- und Kriminalliteratur mit Detektivgeschichte, Krimi, Thriller und Spionageroman, in Geheimnisliteratur (Sue: Die Geheimnisse von Paris, war beispielgebend), und in Science-Fiction-Literatur. 3. Der heroisierend-pathetische Touch der Ritter- und Räuberromane hat sich verlagert in den exotischen Abenteuerroman (mit Indianer- und Wildwestliteratur) und in Zukunfts- und Kriegsromane (samt „Landser-Heften"). Wenn das Heldische und das Pathetische ins Lächerliche umschlagen, entsteht komische Trivialliteratur (etwa die „Comics" im wörtlichen Sinn). Zu ergänzen bleibt noch, daß sich die genannten Gattungen nicht auf Romane und Erzählungen beschränken. Triviales erscheint auch als Lyrik (Schlagertexte) und dramatisiert für Bühne, Film und Fernsehen (Rührstück, Ritterspiele, Krimis, Heimatfilme, Western, Karl May, erotische Spielarten). Aufnahmefähig für alle trivialen Motive ist die Massenzeichenware „Comics". Zu den sozusagen klassischen Gattungen und Unterarten der Trivialliteratur tritt, auf Grund der gesellschaftlichen Entwicklung, eine neue Spezies: der literarische Kitsch. Seine „Glanzzeit" fällt in die Jahre von 1880 bis 1914. Abraham Moles hat in seiner Psychologie des Kitsches gezeigt, wie sich im Kitsch die Glückserwartungen der prosperierenden Mittelklasse spiegeln, Glückserwartungen, die sich am Standard der höheren Schichten, besonders der Aristokratie, orientieren, und die selbst wieder einen Sog auf untere Schichten ausüben. Unser Rahmen verbietet es, ausführlicher auf dieses Kapitel der literarischen Geschmacksbildung einzugehen; wir müssen uns mit Andeutungen begnügen. Der Slogan „Lesen ist Abenteuer im Kopf, mit dem man derzeit um Leser wirbt, gilt besonders für die literarische Kitschdimension. Sie bietet Raum zur Flucht aus der Wirklichkeit, in der man mit den oberen Zehntausend ja doch nicht konkurrieren kann, in die Innerlichkeit. Im Kopf werden Wunschgebilde phantasiert, mit denen man die beneidete Schicht nicht nur gleichstellt, sondern übertrifft. Das Aufgebot der Kitschwerte läßt sich am Werk des typischen Erfolgsautors der Kitsch-Ära, an Karl May, ablesen. Berühmt machen ihn seine Erzählungen in einer Zeitschrift, die schon im Titel das Wunschdenken ihres Publikums verinnerlicht: Deutscher Hausschatz. Und der sofabesitzende Leser kann dann im heimeligen Schein der Petroleumlampe sich mit Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi identifizieren, dem Helden, der mit seinen Fähigkeiten, Tugenden und Gereistheiten selbst die bedeutendsten Figuren des wirklichen Lebens in den Schatten stellt. Karl Mays Held ist so sehr Verinnerlichung, daß sich der Autor mit ihm gleichsetzt und z.B. vor seinen Kaiser hintreten möchte, um ihm eine Wunderwaffe anzubieten. Schließlich verinnerlicht Karl May im symbolischen Alterswerk auch noch seine verinnerlichten Abenteuer. Mit Himmelsgedanken in Prachtband und Goldschnitt stößt er das Gros seines Publikums vor den Kopf. Daß Karl May 32 massenweise von der Jugend, für die er ursprünglich gar nicht geschrieben hat acquiriert wurde, liegt mit daran, daß sein Werk auch ihr, angesichts herrschender Verhältnisse, ersatzweise Wunscherfüllung bietet. 3. In einem vielbeachteten Referat, das inzwischen auch gedruckt vorliegt,5 stellt Hans-Heino Ewers fest, daß sich die Ausgangsbedingungen der KJL-Kritik seit 1968 grundlegend geändert haben und daß diese Änderungen seitens der Kritik bislang nur in Ansätzen realisiert worden sind. Ewers betont, „daß es zu den unerläßlichen Anforderungen an die Kinder- und Jugendliteraturkritik gehört, sich einen eigenen Zugang zur jeweils aktuellen Verfassung kindlicher und jugendlicher Lebenswelten zu verschaffen." Ich möchte im folgenden einige Veränderungen, von denen KJL betroffen ist, ins Gedächtnis rufen, mich dabei aber nicht auf das Terrain der kindlichen und jugendlichen Lebenswelten beschränken. Es ist nämlich auch sonst einiges geschehen, das den mit KJ-Trivialliteratur etikettierten Komplex als ein literarisch und wertemäßig sehr inhomogenes Gemenge erscheinen läßt. Dazu fünf Thesen, die anschließend erläutert werden sollen: • Der Anspruch, alles was nicht unter „Hochliteratur" („Literatenliteratur") fällt, also auch die gesamte KJL, als „trivial" abzuwerten, hat bloß sprachregelnden Charakter. • Die als Merkmale von Trivialität ins Spiel gebrachten Begriffe „primitiv" und „ schematisch" erfahren im Licht der Popart-Bewegung, der biologischen Erkenntnistheorie, der generativen Textgrammatik, der Schreibwerkstätten und der Leseförderung eine neue, positive Besetzung. • In unserer Konsum- und Überflußgesellschaft akzeptieren Kinder und Jugendliche auch den Warencharakter von Büchern und damit Lesen als eine unter Umständen imagefördernde Beschäftigung. • Nicht alles, was früher als trivial, als Kitsch, Schmutz und Schund verpetzt wurde, ist heute rehabilitiert. Es gibt weiterhin Sprachmuster und Leitbilder zu anderer Gunsten, doch ist ihr Vorkommen nicht auf Trivialliteratur beschränkt. • In der traditionellen KJL-Kritik wird Trivialliteratur auf jeden Fall abgewertet, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen: A, weil es sich um gesellschaftliche Anpassungsliteratur handelt; B, weil es sich um subversive Literatur handelt, welche die Normen der Gesellschaft untergräbt. • Die Grenzlinien zwischen Plus- und Minustexten müssen neu gezogen werden. 4. Gewiß kann man die Kennzeichnung „Literatur" jenen Texten vorbehalten, welche die Skyline der Bewußtwerdung der Menschheit markieren. Eine solche 5 Zwischen der Kinder- un Jugendliteraturkritik. In: Tausend und ein Buch 4/1993, S. 4 ff. 33 Auffassung von Literatur setzt zweierlei voraus: 1. daß der Literat den je bisherigen innovativen Verlauf und Stand kennt und nicht aus Unwissenheit zum Epigonen, zum Trivialautor wird; 2. daß er die Höhe seiner literarischen Bewußtheit beweist, etwa durch seine Dialogfähigkeit mit innovativen Vorgängern, durch Anknüpfungen, Zitate und Anspielungen. Seine Literaturkompetenz wird dann eigens wissenschaftlich kontrolliert und beglaubigt. So entstehen Untersuchungen wie etwa „Die Funktion der Zitate im .Ulysses' von James Joyce" von Ulrich Schneider.6 Ein bloß halbwegs Belesener scheidet als kompetenter Genießer und Kritiker von Literaten-Literatur aus. Ihm gebührt die epigonale, die imitative, die nach Schnittmustern gefertigte - eben die Trivialliteratur. Damit scheint es nur folgerichtig, auch die KJL, und zwar insgesamt, als Trivialliteratur zu deklarieren. Es scheint so, ist aber nicht so! Erstens gibt es auch im Bereich der KJL die Auseinandersetzung mit der Tradition. Dies klappert schon Barbara Frischmuths Amoralische Kinderklapper als Antwort auf des J. Karl August Musäus Moralische Kinderklapper von den Dächern, abgesehen von Robinson-, Struwwelpeter- und vielen anderen kinderliterarischen Disputen, z.B. zwischen Märchen und Antimärchen. Und zweitens gibt es die literarischen Erstentdeckungen von Wirklichkeit nicht nur im menschheits-, sondern auch im individualgeschichtlichen Sinn, nämlich, wenn ein Autor, eine Autorin einen Text erfindet, der einem Menschen ein Stück Welt erstmals erschließt. Solcherart literarische Authentizität gibt's schon im Kinderbilderbuch. Zwei Beispiele: Herr Schlick geht heute in die Stadt von Wolf Harranth und Devis Grebu; und Die Menschen im Meer von Jörg Müller und Jörg Steiner. 5. Dieser Abschnitt handelt von den guten und nützlichen Seiten des Trivialen in der und für die Literatur. Ein Beispiel dafür, wie nichtanerkannte zur anerkannten Literatur wurde, ist die Massenzeichenware Comic. Stefan Andres sah noch Mitte der 50er Jahre in den Comics nicht nur eine Gefahr für die Jugend, „sondern für das Buch und, wenn es nicht mehr gelesen werden kann, für die Kontinuität des Geistes." 10 Jahre später schrieb H. C. Artmann: „Es wäre heute immerhin an der Zeit, sich bei uns zu bequemen, Comic Writing als das anzuerkennen, was es schon längst geworden ist, nämlich Literatur." Artmann schrieb dies freilich in einem Werk, in dem er sich selbst „ein Brechmittel der linken, ein juckpulver der rechten" nennt und das sicher nichts für Leute ist, die von Literatur eine Bestätigung ihrer bürgerlichen Lebensauffassung erwarten.7 Besonders gern verwendete die Pop-Generation Comic-Motive, wie die beiden 1969 erschienenen Anthologien Supergarde und Acid vor Augen führen. In Elfriede Jelineks Roman Wir sind lockvögel baby! gehen Comic-Figuren mit größter Selbstverständlichkeit ein und 6 Bonn: H. Bouvier u. Co. Verlag 1970 7 H: C: Artmann: Das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken. 1964 34 aus. Einen Höhepunkt der literarischen Comic-Rezeption bedeutete es, als Dino Buzzati den Mythos von Orpheus und Eurydike neu faßte und als Comic Strip präsentierte. Spätestens von da an stand fest, daß nicht nur Comic-Elemente in die Literatur Eingang fanden und sie anregten und bereicherten, sondern daß Comics selbst anerkannte Literatur zu sein vermögen. Für manche KJL-Kritiker gehen die Uhren freilich langsamer. So hat sich Walter Jambor noch 1981 darüber alteriert, daß ich für „Buch - Partner des Kindes" einen Beitrag über Comics befürwortet und verfaßt habe.8 Ein Wink, den Wert von Schemaliteratur differenziert zu beurteilen, geht von neueren Ergebnissen der Entwicklungslogik und der biologischen Erkenntnislehre aus. Gisela Oestreich hat sich kritisch mit den Rollen und Klischees in der KJL beschäftigt und die Resultate unter dem Titel Erziehung zum kritischen Lesen 1973 veröffentlicht. Durch viele Beispiele belegt, beschreibt sie die Figurenstereotype und Rollenmuster, die ideologischen und religiösen Klischees, welche der KJL den Ruf der Rückschrittlichkeit und Emanzipationsfeindlichkeit eintrugen, den Ruf, ein Instrument der Domestizierung zu sein. Daß KJL seit den 70er Jahren sich diesbezüglich zum Vorteil verändert hat, ist sicher ein Mitverdienst der literatur- und gesellschaftskritischen Untersuchung von Gisela Oestreich. Freilich schaut auch hier der Fortschritt größer aus, als er ist. Oft werden die Klischees nur vertauscht: Dann pfeifen die Mädchen und weinen die Buben. Schematisches Erleben und Verhalten hat für den Menschen, zumal den Heranwachsenden, auch andere Funktionen als die der Unterdrückung und Denkbehinderung. Jürgen Kreft hat Literaturdidaktik „im Konzept sozialer und individueller Entwicklung und Geschichte" dargestellt und, gestützt auf die Forschungen von Kohlberg und Habermas, für die zweite Stufe der kognitiven und interaktiven menschlichen Entwicklung festgehalten: „Moralische Wertung beruht auf der Übernahme guter und richtiger Rollen, der Einhaltung der konventionellen Ordnung und den Erwartungen anderer."9 Demnach sind Rollenangebote für eine bestimmte Entwicklungsstufe unverzichtbar. Abzulehnen sind sie erst dann, wenn sie den Übergang zur nächsten Stufe, zur Orientierung am Gewissen, be- oder verhindern. Von einer anderen Seite kommt der Wiener Univ. -Prof. Rupert Riedl an die Bedeutung der Schemata für menschliches Leben und Überleben heran.10 Riedl beschreibt vier Schemaebenen der „vor-bewußten Erkenntnis", die das Verhalten auch des heutigen Menschen noch grundlegend bestimmen. Sie beruhen auf der Hypothese, daß man über jenen Spielraum, den die Welt ihren Zufallskomponenten einräumt, eine Voraussicht haben könnte. Für die Beurteilung von Schemaliteratur sind besonders die Ebenen 1 und 3 interessant. Ebene 1 ist der Spielraum von Wahrscheinlichkeitsfaktoren. Lesen heißt hier, seine Wahrscheinlichkeitserwartungen bezüglich der Schauplätze, Rollen, 9 Wa'ter Jambor: „Das Ende wird furtchbar sein!" Wien: Herold 1981, S. 64 |() Jurgen Kreft: Grundprobleme der Literaturdidaktik. UTB 714 (1977), S. 92 Rupert Riedl: Biologie der Erkenntnis, dtv Sachbuch 10858 (2988) 35 Requisiten und Ereignisse mit den beschriebenen Tatsachen zu vergleichen und gegebenenfalls zu modifizieren. Auf Ebene 3 verlaufen die Wirkketten. Lesen heißt hier, seine Wahrscheinlichkeitserwartungen, getönt in Hoffnungen und Befürchtungen, mit dem tatsächlichen Handlungsverlauf zu vergleichen und gegebenenfalls neu zu setzen. Im Schema der Trivialliteratur spiegelt sich also der (prälogische) Aufbau von Spannung und Lösung. Kriterium ist, ob das Textschema, gemäß den Riedl'schen Schemata, einen Lernprozeß einschließt oder nicht. Unter den Faktoren, die um 1860 gemeinsam das Phänomen der Trivialliteratur bewirkten, nannten wir auch den Zwang, Literatur massenweise und termingerecht zu produzieren. Gefragt waren nicht begnadete Dichter, sondern talentierte Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Handwerk war die Parole, Erzeugung von immer neuen Texten nach vorgefertigten Schnittmustern. Für Leser, deren Geschmack an der nationalen Hochliteratur ausgerichtet war, galten solche Erzeugnisse als minderwertig, falls sie überhaupt wahrgenommen wurden. Auch darin haben sich die Auffassungen geändert. Seit Schreibschulen, erst in Amerika, dann in Europa, jetzt auch in Österreich, berufs- oder erwachsenenbildnerisch motiviert, ihren Unterricht anbieten, sind lehr- und lernbare Routinen der Textproduktion wieder gefragt. Regelwerke werden aktualisiert, von der antiken Rhetorik bis zur zeitgenössischen generativen Textgrammatik. Wie Schreiben nach Schema funktioniert, soll wenigstens angedeutet werden, und zwar an der häufig gebrauchten Textsorte „Erzählung". Das Regelwerk der Texterzeugung beschreibt einen schrittweisen Konkretisierungsprozeß, an dessen Ende der fertige Klartext steht: wenn „Erzählung", dann „Geschichte" und Moral wenn „Geschichte", dann Rahmen und „Ereignis(se)" wenn „Rahmen", dann Ort/Zeit" und „Figuren" wenn „Ereignis(se)", dann „Komplikation" und „Auflösung" Diese Struktur übersichtlich als Baumdiagram: 6. ERZAHLUNG Geschichte Moral Rahmen Ereignis(se) Ort/Zeit Figuren Komplikation Auflösung 36 Sie können die Trivialliteratur leicht um einen Text bereichern, wenn Sie nach diesem Diagramm vorgehen und selbst eine „Geschichte" mit einer „Moral" generieren. Z.B.: „Rahmen": „Ort": am Rande eines Kürbisfeldes unter einem Nußbaum; „Zeit": Herbst; „Figuren": Bub, unter dem Nußbaum liegend. „Ereignis(se)": „Komplikation": Bub kritiziert, wie unvollkomen Gott die Welt geschaffen habe: riesige Früchte läßt er an kleinen Stauden, kleine Nüsse an riesigen Bäumen wachsen. „Auflosung": Da löst sich eine Nuß und fällt dem Knaben auf die Nase. „Moral": Was Gott tut, das ist wohlgetan! Man kann bei einer Umsetzung des Schemas in den Klartext mit den Figuren, der Komplikation oder auch mit der Moral beginnen. Ein moralischer Grundsatz, der durch Erzählungen der KJL immer wieder illustriert wird, heißt: „Du sollst Bedrängten beistehen!" Dieses Gebot kann, den Verhältnissen entsprechend, dann noch einmal eingeengt werden auf: „Du sollst Verfolgte verstecken!" Dadurch erhält die letzte Zeile des allgemeinen Schemas „Erzählung" die entsprechenden Zusatzbestimmungen: Ort/Zeit Figuren I Verfolgte/r) Verfolger Helfer Ich habe an anderer Stelle gezeigt," wie sich dieses Schema im Bereich der KJL durch die Zeiten durchhält, angefangen vom Grimm-Märchen Der Räuberbrätigam über Simmeis Jugendbuch Meine Mutter darf es nie erfahren bis zu Rosemarie Thümingers zeitgeschichtlichem Roman Zehn Tage im Winter. Noch einige Bemerkungen zur Textkonstituente „Komplikation": • Sie eröffnet - im Sinn der 3. Riedl'schen Ebene - Wahrscheinlichkeitserwartungen, Hoffnungen, die durch widrige Umstände und Ereignisse erschüttert werden - bis zum erwünschten oder befürchteten Ende. Komplikation Auflösung I I verfolgt versteckt I I Bedrohung Ablenkung I Rettung 11 Dazu Böhm: Trivial-Jugendüteratur. In: „und nähme doch Schaden an seiner Seele" -Zum Trivialen i. d. KJL. Hg. v. d. Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur, Wien 1990 37 • Damit ist der triviale Spannungsbogen gegeben, z.B. Liebe - Hindernis -Beseitigung des Hindernisses - Hochzeit - Verbrechen - Spurfinden -Gefangennahme des Detektivs - Befreiung und Lösung des Falles • Dem Schema der Gesamtspannung sind, ursprünglich den Zwängen des Fortsetzungsromans folgend, kleinere Spannungsbogen überlagert. Diese Technik wird auch von Kapitel zu Kapitel eingesetzt, z. B. vom derzeit wohl erfolgreichsten Autor der KJL Thomas Brezina12 im Kinder-Krimi Die Rache der roten Mumie. Jedes Kapitel endet mit einer bangen Frage oder Befürchtung, um den Leser/die Leserin zum Weiterlesen zu animieren: 1 Soll diese Grabkammer vielleicht auch unsere... 2 Die Reise nach Ägypten... endete bereits nach ihrer Ankunft 3 daß ihre Freundin mit jemandem kämpfte 4 Das Auftauchen der roten Mumie... vielleicht sollte es eine Warnung sein 5 ...Doch da täuschte sie sich 6 „Axel!!!" ... doch sie erhielten keine Antwort 7 die Mumie in Lieselottes Richtung in Bewegung 8 von hinten seine Hand auf die Schulter des Mädchenssausen 9 die Schlange beugte den Kopf langsam 10 dann weiß ich vielleicht, wer das war 11 schon einmal von der Roten Mumie gehört? 12 Da will uns jemand in eine Falle locken 13 Ihr entkommt nicht 14 knallte auch schon der erste Schuß 15 Rätsel ... bereits gelöst? 16 ... schon die nächste Fälle vorbereitet 17 Ihr seid Jammerlappen 18 ... war die Frau ... verschwunden 19 wie der Schlüssel ... sperrt 20 ließen die Kinder alles mit sich geschehen 21 weit und breit keine Spur 22 was spielte das jetzt für eine Rolle? • Dasselbe Schema wird auch in der Fernsehreihe „Fortsetzung folgt nicht" zur Lese-Animation benützt. Der via Bildschirm vorgeführte Inhalt bricht nach der Komplikation ab, um auf die Lösung im Buch neugierig zu machen. 7. Kein Meister fällt vom Himmel, auch kein Lesemeister und keine Lesemeisterin. Was für handwerkliche, künstlerische und andere operative Disziplinen gilt, nämlich daß es der Aufgaben und des Übungsmaterials mit steigendem Schwierigkeitsgrad bedarf, um sich zu vervollkommen, dies gilt auch für das Lesen. Ewers hat in dem schon erwähnten Vortrag besonders darauf hingewiesen, daß Literatur auch als Medium der Enkulturation, des Lesenlernens, wahrgenommen werden muß. Insofern sind Texte der KJL auch 12 Dazu wie Anm. 4 38 daraufhin zu beurteilen, welcher Wert ihnen für die Lese-Ausbildung zukommt. Forschungsergebnisse aus den Bereichen der Leseförderung und der Lesbarkeitsforschung betonen die Bedeutung der Textschwierigkeit für die Leseentwicklung und die Auseinandersetzung mit Texten. Felduntersuchungen und statistische Methoden dienten der numerischen Erfassung der Lesbarkeit eines Textes und deren Zuordnung hinsichtlich bestimmter Alters- und Schulstufen.13 Eines der einfachsten und für Prosatexte relativ aussagekräftiges Verfahren der Schwierigkeitsberechnung ist das in Lix. (Lix ist die Abkürzung für Lesbarkeitsindex".) Man wählt Stichproben mit je 100 Wörtern. Dies entspricht unserem Beispieltext aus Lene Mayer-Skumanz' Erzählung ,Aygen":u „Danke", sagt Karolme. I „Und jetzt noch meine Freudin!"! Der Mann schautgAygen an.l Er tritt einen Schritt zurück. I „Wenn du da raufgekommen bist"l sagt er achselzückend, I „kommst du $chon wieder irgendwie herunter."! Er dreht sich um und geht.l Karoline starrt ihm nach.l „Spinnt der, oder -"I Aygen sagt traurig: I 1Q „Er mag keine Ausläderkinder.I 11 Vielleiht denkt er,l 12 ich bin schmutzig oder ich habe Läuse."l 13 „So ein Blödsinn!" ruft Karoline.I Sie stemmt sich 15 gegen den Torflügel und drückt ihn wieder zur Mauer hin. I Nun kann Aygen herunterklettern.I Karoline fragt: 18 , „Gehen wir noch schaukeln?"l 19 i Aber Aygen schüttelt den Kopf.l Sie will rasch nach Hause gehen. I Unter den 100 Wörtern dieser Textprobe gibt es 19 „lange Wörter", d. h. Wörter mit mehr als 6 Buchstaben. Nun braucht man noch die durchschnittliche Satzlänge der Probe, also die Gesamtzahl der Wörter durch die Zahl der Sätze, in unserem Beispiel 20. Nach der Formel Lix = SL + 1W (Lesbarkeitsindex = durchschnittliche Satzlänge + Anzahl der „langen Wörter" ) kann man die Textschwierigkeit berechnen: SL = = 5 1W = 19 Lix = 5 + 19 = 24 Es handelt sich demnach um einen sehr leichten Text, zuzuordnen der 2. Schulstufe. 13 Dazu Bamberger/Vanecck: Lesen-Verslehen-Lernen-Schreiben. Die Schwierigkeitsstufen von Texten in deutscher Sprache. J&V Wien 1984 14 Zit. aus Karin Sollat (Red.): Lesen ohne Grenzen. BMfUK Wien o. J. 39 Es ist klar, daß in solchen auf das Auffassungsvermögen der Lernenden zugeschnittenen Texte nicht das gesamte stilistische Potential der Literaturen ausgeschöpft werden kann. Allein hinsichtlich der erzählenden Literatur werden sich hinsichtlich der Erzählformen und Erzähleinstellungen, der Figuren und der Darstellung ihres Innenlebens, der Handlungsstruktur und des Settings, der Spannung und atmosphärischen Untermalung, der Stilhaltungen und Fiktionstypen Einschränkungen ergeben. Läßt sich die Trivialität eines Textes in Lix ausdrücken? Natürlich nicht, denn Texte mit gleichem Lix können ein ganz unterschiedliches Verhältnis zur Trivialität haben. Manche Übungsaufgaben haben, sobald man sie bewältigen kann, ihre Schuldigkeit getan. Andere Partituren gleicher Schwierigkeit sind nach oben offen; obwohl aus der Vorschule der Geläufigkeit, werden sie auch vom Könner immer wieder noch gern gespielt. Unbestritten ist, daß eine auf Leseradäquanz zugeschnittene Literatur triviale Züge trägt. Aber wenn es mit dem Trivialen so liegt, daß es zwar das Einfachere meint, dessen Erfassung jedoch Voraussetzung für das Erlernen des Schwierigeren ist, sollte man es nicht mehr als trivial bezeichnen. Vielleicht sollte man auch noch zwischen trivial und antitrivial und in dieser Hinsicht zwei Produzententypen unterscheiden. Einen, der sich an die bewährten Schreibmuster hält und die Auffassungskraft seiner Konsumenten eher unterals überschreitet, um kein Risiko einzugehen. Den anderen, der - wie Tor Fretheim in Tanz in die Hölle - statt schwarz-weiß gezeichneter gemischte, statt der Spannungkurve mit Anstieg und Lösung den horizontalen Erzählfluß wagt, um die angeblichen Grenzen jugendlicher Auffassungskraft neu zu vermessen. 8. Nach diesen etlichen Betrachtungen über die trivialen oder vermeintlich trivialen Komponenten der KJL kehren wir zurück zur eigentlichen Trivialliteratur, aus deren Geschichte wir mit Karl May als dem erfolgreichen Vertreter der Kitsch-Ära ausgestiegen sind. Was ist aus der Trivialliteratur seither geworden? Zunächst: alle die im 2. Abschnitt genannten Gattungen und Unterarten werden bis heute produziert und konsumiert. Man hält eben an erfolgreichen literarischen Schnittmustern fest, solange entsprechende Nachfrage besteht. Und Nachfrage besteht, weil es auch heute Leserschichten mit den entsprechenden Bedürfnissen gibt: den Bedürfnissen des im Frust des Alltags entfremdeten Menschen nach dem literarisch-ersatzweisen „vollen Leben" in seinen wunschgemäßen Spielarten. Doch sind zu diesen historischen Formen von Wunscherfüllung neue und zeitgemäße hinzugekommen. Wir leben heute, und mit „wir" sind wir Menschen der „Ersten Welt" gemeint, verglichen mit einer 100 Jahre zurückliegenden Vergangenheit, unter ganz anderen Bedingungen des surrogathaften Träumens. Die Sehnsucht nach Träumen hat sich, proportional zur realen Misere des Alltags und der Weltlage, die es zu vergessen und zu verdrängen gilt, ins Enorme gesteigert. Diese Träume von Macht, Schönheit und Reichtum strukturieren heute unsere Öffentlichkeit, sie manifestieren sich im Überfluß der nach ihm benannten Gesellschaft: im Traumüberfluß der 40 elektronischen Medien und im Warenüberschuß der Supermärkte. Der schon genannte Abraham. Moles trifft in seiner Psychoanalyse des Supermarktes den Kern der Sache, wenn er das Image des Supermarkts beschreibt, das „darauf abzielt, alles an den Mann zu bringen, und eine Besinnungslosigkeit zu erzeugen sucht, die Stimmung eines ausgelassenen Festes, eines Kaufrausches, und zugleich vorgibt, großzügig und zu günstigem Preis Licht, Farbe, Glanz und Ausgelassenheit anzubieten und dem Mann von der Straße, oder vielmehr der Frau uneingeschränkten Zugang zu allem zu ermöglichen und sich dessen nach Belieben zu bedienen."15 Man möchte kaum glauben, daß diese Analyse des Superrmarkts aus dem Jahr 1971 stammt, so brandaktuell mutet sie an. Etwas Wichtiges ist allerdings heute hinzuzufügen. Nicht nur in Männern und Frauen, sondern vielleicht noch mehr in Kindern und Jugendlichen wird die Illusion erweckt, daß ihnen der uneingeschränkte Zugang zu allem möglich ist und daß sie sich dessen nach Belieben bedienen können. Gefördert wird diese Illusion noch durch die Werbespots bestimmter Wirtschaftszweige, welche in Kindern und Jugendlichen das Bewußtsein aufbauen, als Konsumenten den Erwachsenen mindestens gleichwertig zu sein. Daraus resultieren Ansprüche und Verhaltensweisen, die bei vielen Erwachsenen negative Reaktionen hervorrufen: vom Tadel bis zur Kindesmißhandlung. Aber die Supermarkt- und Medienwirklichkeit gehört heute unwiederruflich zur kindlichen und jugendlichen Lebenswelt. Eine grundsätzlich negative Einstellung zu dieser Welt, der ständig warnende Zeigefinger, die ewige Diskriminierung jugendlicher Träume vergiftet die Atmospäre und treibt in den Widerstand. Oft wäre es richtiger, „Verhaltensstörungen" positiv zu sehen, als Ausdruck eines noch ungebrochenen kindlichen Optimismus, einer wenn auch unreflektierten Lebensbejahung. In diesem Zusammenhang wird das Phänomen Thomas Brezina erklärlich. Thomas Brezina, Jg. 1963, ist - laut Stand vom August 199316 - der derzeit erfolgreichste österreichische Autor. Weltweit hat die Auflagenhöhe seiner Bücher die 12,8 Millionengrenze überschritten. Im deutschsprachigen Raum wurden bisher beinahe 1,000. 000 Bände verkauft. Die Produktion verteilt sich auf drei Buchserien: Die Knickerbocker-Bande, 30 Abenteuer-Krimibände für Kinder zwischen 8 und 14; Tom Turbo - das tollste Fahrrad der Welt, 5 Abenteuerbände für Kinder zwischen 7 und 10; Bronti Super-Saurier, 12 Bände für Kinder ab 5. Selbstverständlich knüpft Brezina an alte Erfolgsstrategien an. In der „Knickerbocker"-Serie an die Schauer-, Krimi-und Abenteuertradition, an die Spannungstechnik des Fortsetzungsromans. Mit „Tom Turbo" an Ian Flemings Wunderauto „Tschitti-tschitti_bäng-bäng" und an „K.I.T.T." aus der von Kindern begeistert aufgenommenen HasselhoffSerie. Mit „Bronti" an den Saurier-Boom, der mit Spielbergs „Jurassic Park" den wohl unüberbietbaren Höhepunkt erreicht hat. Thomas Brezina ist seinem jungen Publikum zugetan: „Ich mache nicht ,auch' etwas für Kinder, sondern ich arbeite ausschließlich für junge Hörer und Seher in allen Medien." - „Mein Ziel ist es, Kindern Freude zu bereiten Abraham Moles: Psychologie des Kitsches. München: Hanser 1972, S. 163 Der Neue Breitschopf Verlag Wien hat mir zu Brezina seine Materialien zur Verfügung gestellt. 41 und sie aufzubauen." - Er fühlt sich als einer von ihnen: „Die Wahrheit ist, daß ich heute die Geschichten schreibe und die Sendungen mache, die ich als Kind selber gerne gelesen oder gesehen hätte." - Der JL-Lenkung seitens Erwachsener steht er reserviert gegenüber: „Kinder sind mir zu wichtig, als daß ich ihnen etwas oktroyieren möchte." - „Leider werden Kinder auch heute noch von vielen nur als Vehikel und Feigenblatt für ihre eigenen Eitelkeiten und Karrierewünsche benutzt." - „Vieles, was im Namen der Kinder gemacht wird, zielt nur auf die Akzeptanz der Erwachsenen." Brezina zeigt, daß zur Wunscherfüllung in der Überflußgesellschaft die überflüssigen Dinge gehören, Dinge, die man gar nicht braucht. Beispielsweise hängt das Fortbewegungsmittel Tom Turbo zusammen mit einem Fahrrad, einem Staubsauger, zwei Taschenrechnern und drei Computern, einem Toaster, einer Eismaschine, drei Mini-Fernsehern, einem Radio, einem Funkgerät, einem Türgong, einer elektrischen Klobürste und zwei Fernsehantennen. Tom Turbo kann fahren, schwimmen, sprechen, Toasts und leckeres Eis machen und 111 tolle Tricks. Damit spricht er die Lust von Kindern an, ebenfalls unnützes Zeug in ihre verschiedenen Sammlungen aufzunehmen, so wie es in Kaufhäusern Abteilungen „Für Leute, die schon alles haben" gibt. Wer Brezina liest, ist IN. Brezina lesen ist nicht, wie etwa in Michael Endes Unendlicher Geschichte, die Flucht des Versagers aus der Wirklichkeit. Brezina-Leser bejahen ihre Wirklichkeit, in der Brezina fast allgegenwärtig erscheint. Dies gilt von seinen Büchern. Ihr signalrot dominiertes Outfit glänzt meterweise in der konventionellen Buchhandlung und bei Libro, in Warenhaus und Supermarkt. Brezina gibt es bei Donauland, gibt es hart gebunden und (bei Bertelsmann) als Taschenbuch, gibt es als Leichtlesestoff in englischer, deutscher, türkischer, serbokroatischer und italienischer Sprache. Zusätzlich gibt es 3 Bände mit Ratekrimis, Tips und Tricks, gibt es das ideenreiche und farbenprächtige „Knickerbockerblatt" für die Mitglieder der allein in Österreich 250 Knickerbocker-Banden, gibt es einen funktionstüchtigen bre-zinafarbenen „Geheimkalender", und gibt es jede Menge Bilder, Figuren etc. etc. Und jeder weiß, daß die Fans ihren geliebten „Brezerl" auch in drei Fernsehserien bewundern können. Diese auf so vielfältige Weise sich zeigende Präsenz eines Lieblingsautors und seines Werks stimuliert nicht zur Flucht aus der Wirklichkeit, sondern wird selbst zum Teil der kindlichen Lebenswelt und macht sie für viele ein bißchen bewohnbarer. 9. Nicht Merkmale, die man nach Laune und Bedarf mit Trivialität verbindet, also Einfachheit, Schematisierung, Anpassung an die Lesebedürfnisse und -fähigkeiten, Vermittlung von Moral, von Leitbildern und Verhaltensmustern, von Tragik und Bosheit, von Verbrechen und Grauen, sind die eigentlichen Negativ-Kriterien von KJL. Schlimm wird es erst, wenn die Unwissenheit und Ohnmacht des Lesers/der Leserin zum Vorteil anderer ausgenützt wird. Brechts Fragen „Was nützt der Satz? Wem zu nützen gibt er vor?" gilt auch für die Texte der KJL. „Nützlich ist Kinderbetörung denen, die Kinder unter der Fuchtel behalten wollen", schreibt Christa Hunscha in ihrem immer noch 42 aktuellen Buch aus dem Jahr 1974.17 Hunscha prangert besonders den Mißbrauch von Tieren und Quatschwesen zum Zwecke der Verdummung und Verrohung an, gleichgültig, ob in Kinderbuch, Fernsehen oder Comic. Zur Verrohung konstatiert Hunscha: „Ob Tier, ob Mensch, bei der Trickzeichentechnik. die alle Lebewesen zu Kaugummi-Wesen mit wabbelden Konturen, Froschmäulern, quäkender Sprache zusammenschmelzt und - als Feinde auf Todesjagd - wieder trennt, entfällt der subtile Unterschied zwischen Mensch und Tier, kennt man nur noch Freunde oder Feinde, das ermöglicht die Hetzjagden auf Leben und Tod, unglaublich komisch und brutal, die Auflösung der Menschenwürde in Irrsinn, vom Plärrschwein als heiter angepriesen, als Mittel, Fröhlichkeit - bis zur nächsten Sendung - zu verbreiten. Fröhlicher Mord und Totschlag, mit Gummipuppen, ob in Tier- oder in Menschengestalt, ist nicht so wichtig, Hauptsache ist, daß sie viel aushalten, als Ubermenschen im Streß unserer Tage." Und zur Untergrabung der Selbstachtung noch ein Hunscha-Zitat: „Man lockt die Kinder mit den Tieren, ihren Triebbrüdern, betrügt sie, schmuggelt ihnen demütigende Lebensauffassungen und Kontaktschwierigkeiten mit Menschen unter, man überredet sie, sich selbst nicht wichtiger zu nehmen als die Tiere, sich dressieren zu lassen wie die Tiere, sich anständig zu benehmen wie die Tiere - und man wundert sich, wenn immer neue verunsicherte Erwachsene hochwachsen, die mit schwankendem Selbstwertgefühl ihre Sinnlichkeit als viehisch verachten - etwas, was Tieren zusteht, nicht dem Menschen." Eine derartige „literarische Erziehung" kommt allen jenen zugute, die aus der Mißachtung der Menschenrechte, aus der Unterwürfigkeit der Menschenmassen und aus der Brutalität der Entfremdeten Gewinn ziehen. Wie man Texte für Kinder seit über 250 Jahren zu diesem Zweck mißbraucht, kann man in der Kinderschaukel, dem zweibändigen Lesebuch zur Geschichte der Kindheit, hg. von Marie-Luise Könneker,18 nachlesen. Da kann man erfahren, welch erfreuliche Folgen der Krieg für die Armen zeitigt und was für edle Wohltäter die Reichen sind: Auch Heinis Mutter geht jetzt in die Fabrik. Und voll Stolz berichtet sie allen, die nach Heini fragen: „Ha, der hats gut! Ist in dem schönen Kriegskinderheim, das die Gräfin X leitet. Das ist mal eine vornehme Dame! Und ist doch nicht zu fein, die Kinder eigenhändig zu waschen, sie aufs Töpfchen zu setzen und alles an ihnen zu tun, als wenn sie ihre eigene Mutter wäre." Man wundert sich, welchen Lohn die Tapferkeit auslöst: Des Tapfem Trost ist stets aufs Neue der deutschen Frauen Lieb und Treue. Man staunt, wenn der Fabrikdirektor seine Arbeiter belehrt: Das ist der Segen der Arbeit, daß sie mit Selbstzufriedenheit jeden echten Arbeiter schmückt, wie einen König seine Krone. 17 Struwwelpeter und Krümelmonster. Die Darstellung der Wirklichkeit in Kinderbüchern und Kinderfernsehen. Fischer 1518 (1974) 18 Sammlung Luchterhand 210 u 217 (1976) 43 Doch wieder zurück in die Gegenwart! Ganz schlimm wird es, wenn, wie in der Superman-Folge „Krypton? - Unbekannt!", ein Hauptproblem der Menschheit, die Umweltzerstörung, aufgegriffen wird, um dann Gesellschaftskritik im kosmischen Klamauk untergehen zu lassen.19 Zum Inhalt: Ein großer Chemie-Konzern riskiert für Riesengewinne den Tod der Arbeiter und die Zerstörung der Erde. Doch durch einen Supermutanten, der den Umweltschmutz zum Leben braucht, verflüchtigt sich die Geschichte in die üblichen kosmischen Superschiachten - das Menschheitsproblem ist vergessen. Für die Konsumenten heißt dies: Flucht aus der Wirklichkeit statt Aufklärung. Noch eines Mittels sei kurz gedacht, das Realitätsbewußtsein des Kommunikationspartners zu irritieren, gleichgültig, ob dies im Gespräch, in Nachrichten oder im fiktionalen Text geschieht: z. B. wenn Arbeiter nicht entlassen, sondern „freigesetzt" werden wenn nicht Menschen, sondern „Blauhelme" getötet werden wenn eine bombardierte Millionenstadt (Bagdad) „wie ein Christbaum brennt. So sucht man Realität zu verschleiern und Denken zu verhindern. 10. Wie schon erwähnt, wird in der herkömmlichen KJL-Kritik „trivial" auf jeden Fall abwertend gebraucht, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen. A, wenn sie sich als Schnittmuster-Literatur den Anforderungen von Gesellschaft und Konsum anpaßt; B, wenn sie im Gegenteil die Normen der Gesellschaft untergräbt. A. Wie wir sahen, ist es ein leichtes, nach Schnittmustern Texte zu bestimmten Themen zu produzieren, die von der Gesellschaft, von der Jugendbuch-Szene goutiert werden. Man braucht im generativen Erzählschema nur „Komplikation" durch ein aktuelles „Problem" zu ersetzen. Man stelle sich einen KJL-Verlag vor, der eine stets dem neuesten Stand entsprechende Probleme-Liste parat hält, aus der die Autoren und Autorinnen, ihrem Können und Interesse ertsprechend, wählen, etwa aus dem folgenden Angebot: Adoleszens, Alkohol, Angst, Antisemitismus, Arbeitswelt, Aufklärungsproblematik, Ausländer, Außenseiter, Behinderung, Dritte Welt, Drittes Reich, Drogen, EG, Emanzipation, Faschismus, Frauenbild, Frieden, Generationskonflikt, Geschlechterrolle, Gewalt, Gleichberechtigung, Jugoslawien, Krankheit, Krieg, Liebe, Ökologie, Ostländer, Rassismus, Rechtsextremismus, Rollenbilder, Rußland, Scheidung, Schule, Sexismus, Sexualität, Sterben, Straffälligkeit, Super-GAU, Trennung, Umweltschutz, UNO, Vaterbild, Zweiter Weltkrieg. Auf diese Weise entsteht Aktualitäts- und Gefälligkeitsliteratur, die in einer an Hochliteratur orientierten Kritik auf jeden Fall als eine Literatur 19 Dazu Günter Waldmann: Literatur zur Unterhaltung 2. rororo 7352 (1980), S. 50 ff. 44 zweiter Kategorie erseheint. Hingegen kann sie als rhetorisch-didaktische Literatur durchaus ihre Meriten haben. B. Viele Texte, die von Kindern und Jugendlichen als Gebrauchstexte im Mund geführt werden, werden von den meisten KJL-Kritikern nicht einmal ignoriert, sie halten es unter ihrer Würde, sich mit solch ordinären oder sonstwie unterklassigen Texten abzugeben. Peter Rühmkorf hat in seinen Exkursen Über das Volksvermögen20 an die Existenz dieser Texte erinnert und sie auf ihre sozialer Funktionen hin interpretiert. Grob gesagt, sind zwei Textgruppen zu unterscheiden. Die eine Gruppe umfaßt „Gegengesänge" wider die Erwachsenenwelt, wider ihre Gebote und Respektpersonen. Z. B. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren Und wenn sie dich schlagen, so sollst du dich wehren oder Ich bin klein Mein Herz ist rein Mein Arschloch ist schmutzig Ist das nicht putzig Die andere Gruppe umfaßt Texte, welche Kinder zur Regelung ihrer internen Streitigkeiten benutzen. Z. B. Ene dene desse Ich hau dir in die Fresse oder: Verschwinde Wie der Furz im Winde Ich erinnere mich noch an die Empörung, welche das Rühmkorf-Buch nach seinem Erscheinen 1967 ausgelöst hat: Hier werde der Sprachgebrauch der Kinder bösartig verzerrt; in den meisten Fällen seien Kindersprüche sogar lieb und lustig, und man suchte Belege hiefür in „Stilblütenlesen aus Kindermund"! Die von Rühmkorf publizierten Kindertexte sind, ähnlich wie die zeitgenössischen Graffiti Jugendlicher, Ausdruck einer Gegenkultur, Ausdruck kindlicher und jugendlicher Unabhängigkeitsbedürfnisse, Rechtsansprüche der unterdrückten Natur. Nimmt man noch hinzu, daß viele Kinder und Jugendliche nichtanerkannte Literatur aus Protest und in Opposition gegen die Erwachsenen konsumieren, dann schließt sich der Kreis zum eingangs festgestellten Gegensatz von Literatur und Gesellschaft: auch Kinder und Jugendliche haben ihren Anteil und Bedarf an subversiver Literatur. 20 Bei Rowohlt, Reinbek 1967 45 11. Zusammenfassend plädiere ich dafür, „trivial" als schminkendes Beiwort zu KJL überhaupt zu streichen. „Trivial" gehört längst zu den Wörtern, deren Konnotation generell abwertend und deren Denotation wiederschprüchlich ist. Daher ist „trivial" als literarishes Kriterium ungeeignet. Die Grenzlinien zwischen Plus- und Minustexten müssen neu gezogen werden. 10 Thesen zur trivialen Kinder- und Jugendliteratur 1. Das wichtigste Merkmal von Trivialliteratur ist ihr Warencharakter; dies trifft auch auf triviale Kinder- und Jugendliteratur zu. 2. Als Ware unterliegt triviale Kinder- und Jugendliteratur den kapitalistischen Marktgesetzen der Produktion, Distribution und Rezeption. Sie wird als Massenware hergestellt, vertrieben und konsumiert. 3. Fließbandproduktion greift nach bereits vorgeprägten Themen und Formen, hängt sich an literarische Erfolge an, erfordert schematisches Schreiben hinsichtlich Aufbau, Figuren und Sprache. 4. Für die Vermarktung charakteristisch sind bestimmte Vertriebsformen (Kiosk, Warenhaus), Aufmachung (z. B. Seriengestaltung) und Werbung (evtl. mit außerliterarischen Mitteln). 5. Trivialliteratur ist Anpassungsliteratur. Sie paßt sich den Bequemlichkeiten, Erwartungen, Illusionen, Wünschen, Evasionsbedürfnissen und Lesedefiziten der Konsumenten an. Indem sie vorgibt, das Gegenteil zu sein, ist Trivialliteratur politische Literatur. Sie paßt sich nicht nur der psychosozialen Lage der Leser an, sondern paßt auch den Leser an seine sozialen Verhältnisse an. Damit wird Trivialliteratur zur Affirmationsliteratur, zur Legitimierung der herrschenden Verhältnisse. Sie entwickelt Leitbilder zu anderer gunsten und verhindert durch ihre Ablenkungs- und Betäubungseffekte emanzipatorisches Bewußtsein. 8. Da auch für Kinder- und Jugendliteratur vereinfachte sprachliche Verfahrensweisen charakteristisch sind, läuft sie ständig Gefahr, generell mit Trivialliteratur gleichgesetzt zu werden. 9. Nichttrivial ist eine Literatur, die neue Erfahrung in neuer Sprache erscheinen läßt. 10. Als zunehmend starke Konkurrenz der trivialen Jugendliteratur sind gewisse Produkte der audiovisuellen Medien und der Computerspiele zu betrachten. Povzetek „Literarni stereotipi" v trivialni otroški in mladinski književnosti „Literarni stereotipi" so rutine, s katerimi pisatelj ustvari besedila kot prodajno blago. Besedila so oblikovana: - z ozirom na predhodno določene politično-pedagoške cilje družbe, - z ozirom na dejavnike (multiplikatorje) in končne uporabnike otroške in mladinske literature, - z ozirom na tržne razmere in - z ozirom na zanesljive literarne vzorce. Te pisalne rutine ali literarne trivialne oblike so nadaljevanje ljudske krščanske nabožne literature (Erbauungsliteratur) v posvetni (sekularizirani) obliki. Nemška nabožna literatura je bila do približno I. 1750 najbolj razširjena literarna zvrst. Namenjena je bila krepitvi vere. V drugi polovici 18. stoletja je razsvetljenstvo s svojimi poljudnimi oblikami povzročilo, da so se mnogi bralci odvrnili od nabožne književnosti. Porodila se je potreba po novih bralnih vsebinah. Verski občutek se je spremenil v sentimentalnost, božja ljubezen se je izgubila v pozemeljski ljubezni, bogaboječnost pa je živela dalje v strahu pred nadnaravnim, ki zahteva razumsko razlago; pot do boga se je spremenila v pota pozemeljske pustolovščine in bojev za svobodo, v katerih nastopajo patetični vitezi in razbojniki kot junaki. Tako so nastale tri osnovne zvrsti trivialne literature: - ljubezenski roman, - srhljivka in grozljivka, - pustolovski roman. Versko nabožni vzorec o raju, izvirnem grehu in odrešenju v trivialni literaturi je opazen še danes. Okrog leta 1860 je bil čas primeren za popoln razvoj trivialne literature. Na to so součinkovali trije dejavniki: 1. Tehnični pogoji za množično proizvodnjo literature. 2. Mnogi prebivalci, že pismeni in zaradi kapitalističnega delovnega procesa odtujeni (ljudje srednjih in nižjih družbenih slojev) so iskali pozabo in uteho v trivialni kompenzacijski literaturi. 3. Nuja po množični proizvodnji književnosti za široke množice je povratno učinkovala na proizvodnjo. Množična književnost je zahtevala: - od avtorjev delo po tekočem traku in po ustaljenih vzorcih, - razpečavanje, ki zagotavlja prispetje proizvoda k potrošniku (kolportaža, trafika, knjižni klub, blagovnica) in - vsebino, ki je prilagojena potrebi množic po begu iz resničnosti in izpolnjevanju želja (konformnostna književnost). Vzporedno s povečevanjem proizvodnje in števila potrošnikov so se porajale tudi nove potrebe bralcev, kar je vplivalo na razvoj treh osnovnih zvrsti literarnih žanrov: 1. Čustveno sentimentalna literatura se deli na družinski, ženski, ljubezenski, nravni, domovinski in dokumentarni roman (z nadaljnjimi delitvami, kot npr. zdravniški ali gorski roman). Erotični drobci v sentimentalnem romanu se osamosvojijo v pornografiji, prvotno pod pretvezo, da z njimi ljudi odvračajo od pregrehe in da s svojim zastraševalnim učinkom služijo kreposti, kasneje pa tudi kot neprikriti prikaz spolnosti in nasilja. 2. Shrljiva literatura se razčleni v grozljivke (horor), v kriminalno in zločinsko literaturo z detektivsko zgodbo, kriminalko, thriller in vohunski roman, v skrivnostno literaturo (Sue: Die Geheimnisse von Paris) in v literaturo znanstvene fantastike. 3. Junaško patetične vsebine viteških in razbojniških romanov so bile prenesene v eksotični pustolovski roman (tj. literatura divjega zahoda in Indijancev) in v utopične ter vojne romane. Če se junaška ali patetična vsebina sprevrže v smešno, nastane smešna trivialna literatura (npr. .Comics' v dobesednem pomenu). 47 Dodati moramo, da se omenjene zvrsti ne pojavljajo samo v obliki romanov ali pripovedi. Trivialne vsebine najdemo tudi v liriki (v besedilih popevk) in v dramatizirani obliki za oder, film in televizijo (ganljivka, viteške igre, kriminalke, domovinski filmi, western, Karl May, erotične različice). Vse trivialne motive je zmožen sprejeti risani množični proizvod ,Comisc' - strip. Poleg takorekoč klasičnih zvrsti in podzvrsti (žanrov) trivialne literature se zaradi družbenega razvoja pojavlja nova vrsta: literarni kič. Njegova ,zlata doba' je bila med leti 1880 in 1914. V kiču se zrcalijo pričakovanja vzpenjajočega se srednjega razreda. Ta pričakovanja so naravnana na standard višjih slojev in kot vrtinec vplivajo tudi na nižje družbene sloje. Razsežnost literarnega kiča daje možnosti za beg iz resničnosti v domišljijo. V njej se porajajo podobe po lastnih željah, v katerih se lahko bralci srednjih in nižjih družbenih slojev postavijo na isto raven kot zavidanja vredni družbeni sloj in ga lahko celo prekašajo. Uspešni avtorji zlate dobe kiča so Marlitt, Courths-Mahler in Karl May. Objavljeni so predvsem v revijah Die Gartenlaube (Vrtna uta) in Deutscher Hausschatz (Nemški hišni zaklad). Z zmagoslavnim pohodom množičnih občil po vsem svetu in kmalu tudi po prav vseh otroških sobah je trivialna literatura dosegla svojo sedanjo razvojno stopnjo. Serijski izdelki so postali sestavina množičnih občil, slednji pa so del kulturne in gospodarske moči v kompleksu popularne kulture. V življenju mnogih otrok je Thomas Brezina, ki ga je dandanes moč videti v vseh sredstvih množičnega obveščanja, predstavnik te kulture. Rutinsko pisanje se po eni strani ravna po hrepenenju bralcev/bralk, ki v besedilu iščejo nadomestek za življenje in razvedrilo po vsakodnevnih frustracijah. Po drugi strani pa je rutinsko pisanje vselej tudi v službi uradnih in skrivnih delodajalcev. Rutinska proizvodnja besedil se lahko prilagaja vsakokratnim tržnim razmeram, kot tudi vsakokratnim ideološkim in pedagoškim interesom. Tematsko nevtralni besedilni vzorec je potrebno le ,aktualizirati'. Predstavljajmo si založbo otroške in mladinske književnosti, ki ima vedno pripravljen svež seznam problemov, iz katerega lahko avtorji in avtorice črpajo v skladu s svojimi sposobnostmi in interesi, npr. iz tegale seznama: adolescenca, alkohol, strah, antisemitizem, svet dela, problematika spolne vzgoje, tujci, posebneži, outsiderji, telesna ali duševna prizadetost, dežele v razvoju, tretji rajh, mamila, Evropska skupnost, emancipacija, fašizem, družbena vloga ženske, mir, nasprotje med generacijami, vloga spolov, nasilje, enakopravnost, Jugoslavija, bolezen, vojna, ljubezen, ekologija, Vzhodna Evropa, rasizem, desni ekstremizem, Rusija, ločitev zakona, šola, seksizem, spolnost, smrt, kaznivost, jedrska katastrofa, zaščita narave, Združeni narodi, očetovska podoba, druga svetovna vojna. Na ta način nastane aktualnostna in uslužnostna literatura, ki je sicer v očeh kritike glede na visoko literaturo vsekakor le književnost druge kategorije. Kot re-torično-didaktična literatura pa lahko vendarle ima svojo vrednost. Obeležja, ki jih poljubno in po potrebi povezujejo s trivialnostjo, torej preprostost, shematizacija, prilagajanje na bralčeve potrebe in sposobnosti, posredovanje morale, vzorov in vedenjskih vzorcev, tragike in zlobe, zločina in groze, niso resnična negativna merila mladinske in otroške literature. Hudo postaja šele takrat, ko nevednost in nemoč bralca/bralke izkoriščajo v prednost drugih. Brechtovi vprašanji „Kaj koristi stavek? Komu naj bi baje koristil?" sta relevantni tudi za besedila mladinske in otroške književnosti. „Očarati in premamiti otroke, koristi tistim, ki bi otroke radi držali v pokorščini", piše Christa Hunscha v svoji še vedno aktualni knjigi iz leta 1974. Žal ,očaranje otrok' ni samo držati otroke v pokorščini. Na žalost obstajajo interesne sile, ki naravne pridržke otrok in mladincev zoper vključevanje v družbo (socializacijo) in družino (domestifikacijo) povezujejo z njihovimi sanjami in željami po oblasti, s ciljem, da bi propagirali nasilje navzven in navznoter, da bi s kršitvijo človeškega dostojanstva naslovnike spodbujali k nasilju in množični psihozi, k zve-rinskosti in samouničevanju. Morda bi Vas na koncu še zanimalo, kako pisanje po ustaljenih vzorcih deluje. ,Tvorba' (generiranje) .pripovedi' je prikazana v tem zgledu: 48 Sistem pravil za tvorbo besedila opisuje proces konkretizacije, ki poteka v več stopnjah in ki daje na koncu nešifriran tekst: če .pripoved', potem .zgodba' in .morala' če .zgodba', potem .okvir' in .dogodek/dogodki' če .okvir', potem ,kraj/čas' in .osebe' če .dogodek/dogodki', potem .zaplet' in razplet Zgradbo lahko ponazorimo z drevesnim diagramom. Trivialno literaturo boste zlahka obogatili za še eno besedilo, če se boste ravnali po tem diagramu in sami tvorili .zgodbo' z .moralo', npr.: Okvir: Kraj: na robu bučnega polja pod orehom; Čas: jesen; Osebe' fant, ki leži pod orehom. Dogodek/dogodki: Zaplet: Fant kritizira, kako nepopolno je Bog ustvaril svet: velikanski sadeži rastejo na majhnih grmih, majhni oreški pa na velikanskih drevesih. Razplet: Eden izmed orehov na drevesu pade fantu na nos. Morala (poanta): Kar stori Bog, je vse prav. 49