UDK 81'25:27-1 Gerhard Giesemann Giessen THEOLOGISCHE POSITIONEN VON PRIMOŽ TRUBAR IM KIRCHENLIED, DEN PSALMENNACHDICHTUNGEN UND VORWORTEN ZU SEINEN Bibelübersetzungen Charakteristische Besonderheiten der slovenischen Reformation werden anhand ausgewählter Beispiele von Lied- und Psalmentexten sowie der Bibelübersetzung Trubars herausgestellt. Die Eigenständigkeit seiner Reformation lässt sich trotz theoretischer Führung durch Luther an der Art seiner seelsorgerlichen Vermittlung aufzeigen. Sestavek izpostavlja značilne posebnosti slovenske reformacije s pomočjo izbranih primerov Trubarjevih pesemskih in psalmskih besedil ter biblijskih prevodov. Samostojnost njegovega reformatorstva se ob Lutrovem teoretičnem vplivu kaže v obliki njegovega dušnopastirskega posredovanja. Ključne besede: Primož Trubar, slovenska reformacija, teologija, Martin Luther Key words: Primus Truber, Slovenian Reformation, teology, Martin Luther Trubars theologische Überzeugung, oder - auf sein wechselreiches Leben bezogen - seine Überzeugungen, orientieren sich nicht in erster Linie an dogmatischen Festlegungen. Der slovenische Reformator hat keine Prinzipien aus einer höheren theoretischen Warte den Menschen als Leitlinie seiner Verkündigung auferlegt, sondern versucht, seinen Landsleuten die Mitverantwortung für ihr Seelenheil zu verdeutlichen und sie bei ihren irdischen Problemen abzuholen. Trubars christliche Lehre ist auf die Bedürfnisse der slovenischen Bevölkerung ausgerichtet; sie zeigt damit eine deutliche soziale Verankerung, die die Aktualität seines Handelns ausmacht.1 Solche Einstellungen führen dazu, dass der Reformator Positionen einnimmt, deren Summe die unverwechselbare Erscheinung Trubars bestimmen: Er ist der Volksaufklärer, der abstraktes Gedankengut mit Hilfe von Bildlichkeit und simplifizierendem Gegeneinander in fassbare Lehreinheiten übersetzt. Das verlangt eine nahe an der gesprochenen Sprache orientierte Systematisierung von Schriftsystem, Grammatik und Ausdrucksformen. Die Sprache ist sein Vehikel, die sprachschöpferische Tätigkeit 1 Wichtige Grundlage für den Beitrag sind die folgenden Schriften und die dort angeführte Literatur: Gerhard Giesemann, Die slovenischen Vorreden Primus Trubers zu seinen Übersetzungen der Heiligen Schrift. Erkenntnisse zur Struktur, Theologie und zu den lutherischen Quellen der Schriften des slovenischen Reformators. Biblia Slavica. Slovenische Übersetzungen 1555-1582. Kommentare. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006. 23-39. Ders., Der »Feind« im protestantischen Kirchenlied - reformatorisches Bekenntnis bei Trubar aus der Perspektive des geistlichen Liedes. 16. stoletje v slovenskem jeziku, književnosti in kulturi. Ljubljana: Filozofska fakulteta 1986. 181-197. Ders., Theologie und Poesie: Kombinationsvarianten in Liedmodellen von Truber, Dalmatin und Krelj. Ein Leben zwischen Laibach und Tübingen. Primus Truber und seine Zeit. Intentionen, Verlauf und Folgen der Reformation in Württemberg und Innerösterreich. München: Otto Sagner 1995. 289-308. Ders., Die Psalmennachdichtungen von Trubar, Dalmatin und Krelj. Kreativität unter Rahmenbedingungen. III. Trubarjev zbornik. Reformacija na slovenskem. Ljubljana: Slovenska matica 1996. 39-51. nicht Selbstzweck, sondern das Mittel, seinen Landsleuten die Theologie verständlich zu machen. Die Orientierung an Luthers hierarchischer Zuordnung von Theologie -Seelsorge - Sprachträger wird dabei sehr deutlich.2 Trubar ist der Seelsorger, der ein persönliches, fast väterliches Verhältnis zu seiner Gemeinde herzustellen versteht. Dazu gehörte nicht nur die vertraute Anrede »lubi Slovenci«3 (Biblia Slavica 2006: 196) oder die beliebte Schlussformel »molite za me, koker jest za vas« (Biblia Slavica 2006: 1377)4; Trubar zeigt, dass er die inneren und äußeren Anfechtungen seiner Landsleute wohl kannte, sei es die Türkengefahr, das Elend der Knechtschaft oder die Glaubensnot in gegenreformatorischen Auseinandersetzungen. Die Gemeindebezogenheit drückt sich im lutherischen »Wir« seiner Lieder aus, das bei keinem anderen der slovenischen Reformatoren so ausdrücklich formuliert wird. Er verkündet ein optimistisches Christentum, einen Glauben der Zuversicht unter Betonung der Gnadenzusage. Gerade in dieser Einstellung unterscheidet er sich von der individuelleren religiösen Einstellung Dalmatins, die den Gegenpart des dualistischen Prinzips, die Sündenverstrickung und die Schulderkenntnis des Menschen vor Gott entschieden betont. Trubar ist schließlich der Prediger, der sich in der Tradition von Paulus sieht, etwa im Preis des Predigeramtes im 3. Kap. des Epheserbriefes, ebenso auch auf Luthers biblische Begründung des Predigeramtes beruft.5 Homiletische Texte leben vom Mittel der Persuasion, zumal sie den Ansprechpartner direkt erreichen. Daraus nährt sich Trubars optimistische Überzeugung auf die Wirkungskraft des verkündeten Wortes, wie er in der langen slovenischen Einleitung zum ersten Teil des NT immer wieder in typisch simplifizierter Gegensätzlichkeit festhält: Derjenige, der die Artikel und Stücke unseres wahren christlichen Glaubens recht kennt und vertritt, kann aus einem großen Sünder ein himmlischer Heiliger, aus einem Bösen ein Frommer, aus einem Gottesfeind ein Gottesfreund werden. Er vermag aus dem teuflischen Reich in die Gottesgnade und aus der Hölle in den hellen Himmel zu treten.6 Der Volksaufklärer, der Seelsorger, der Prediger bedarf der Sprache in mündlicher und schriftlicher Form, um - wie Trubar es ausdrückte - seinem »auserwählten Volk« nahe zu sein, das heißt, als einer der Ihren wahrgenommen zu werden und an ihrem 2 Luther hat sich in seiner Schrift »An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen« von 1524 für die Pflege der deutschen Sprache eingesetzt als gottgegebene Grundlage für die Vermittlung des Evangeliums. Der folgende Textauszug demonstriert, dass es dem Reformator darauf ankommt, Sprache als Gefäß für den kostbaren Inhalt des Evangeliums darzustellen, also ihre nachgeordnete, wenn auch notwendige Funktion: »Und lasst uns das gesagt sein, dass wir das Evangelium ohne die Sprachen nicht gut behalten werden. Die Sprachen sind die Scheide, darin dies Messer des Geistes steckt. Sie sind der Schrein, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man diesen Trank fasset. Sie sind die Kemnate, darinnen diese Speise liegt.« (Martin Luther: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hrsg. von Kurt Aland. Bd. 1-10 + Registerband. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. Bd. 5, 70-78. Hier 72). 3Biblia Slavica. Serie IV: Südslavische Bibeln. Band 3. Hrsg. Jože Krašovec, Majda Merše, Hans Rothe. Paderborn (etc.): Ferdinand Schöningh 2006. Brief an die Römer, slov. Vorwort, 106. 4Biblia Slavica 2006. Paulusbriefe. slov. Vorwort, 221. 5 Vgl. Giesemann 2006, 35. 6 Zitiert nach M. Rupel, Slovenski protestantski pisci, 2. ergänzte Auflage, Ljubljana: 1966, 87. Schicksal teilzuhaben. Luthers Einstellung ist ähnlich, aber er kommt aus anderer Richtung: er will sich bei der übersetzung der Bibel durch Nutzung der gesprochenen Sprache mit seinem Anliegen verständlich machen. Die deutsche Bibel ist deshalb für den Slowenen Vorbild. Trubars Probleme sind jedoch weitaus vielfältiger. Seine übersetzungsgegner kommen aus den eigenen Reihen, da Abweichungen von der »reinen Lehre« befürchtet werden; der Slovene muss sich ständig gegen Vorwürfe und Verleumdungen bei seinem Landesherrn, seiner theologischen Umgebung und seiner Gemeinde wehren. Luther hatte es leichter mit den päpstlichen Gegnern seiner Bibelübersetzung. Die Unsicherheit Trubars ist im Vorwort zu seiner ersten Bibelübersetzung, dem Matthäus-Evangelium von 1555, deutlich zu spüren;7 indirekt ist Luther der Verursacher solcher Bedenken, da er vor den Folgen »unserer Unkenntnis der [Ur-] Sprachen« eindringlich gewarnt hatte: um »die Schrift auszulegen und fortlaufend zu behandeln und wider die irrigen Anführer der Schrift zu streiten, ist [der schlichte Prediger] zu gering, das lässt sich ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen nicht tun.«8 Trubar versucht mögliche Bedenken und damit verbundenes Zögern in optimistisches Handeln umzumünzen, eine Strategie, die grundsätzlich für seine Verkündigung typisch war. So argumentiert er in der slovenischen Vorrede zu Matthäus (anders als in der deutschen Dedikation!), dass der dringende und nicht zu ignorierende Wunsch seiner Landsleute Auslöser für die übersetzung war: Die geliebten Brüder (»ljubeznivi bratje«) haben ihn gebeten, zumal der größere Teil der Menschen in unserem Lande keine andere Sprache kennt als das Slovenische, dass wir das heilige Evangelium und die Briefe, die von den Evangelisten und Jüngern geschrieben worden sind, auch ins Slovenische übertragen. (Biblia Slavica 2006: 6). Trubar will seinen Landsleuten ein vorenthaltenes »Recht« zukommen lassen. Trubar benutzt für seine Missionierung verschiedene Textsorten, die alle dem gleichen Zweck dienen, aber unterschiedliche Strategien zur überzeugung der Gläubigen verwirklichen. Die intensivste und direkteste Vermittlungsform ist das Kirchenlied, da es die Gemeinde unmittelbar erreicht und ständig memoriert werden kann. Trubar baut hier als origineller Liedschöpfer eine eigene Vorgehensweise auf. Natürlich folgt er zunächst Luther mit der hohen Einschätzung des Kirchenliedes in seiner doppelten biblischen und missionarischen Begründung. In der Vorrede zum Wittenberger Gesangbuch von 1524 heißt es bei Luther: »Daß geistliche Lieder singen gut und Gott angenehm sei, meine ich, sei keinem Christen verborgen«; und er fordert auf »zu singen, auf daß dadurch Gottes Wort und christliche Lehre auf allerlei Weise gefördert und geübt werden.« (Luther 6: 247). Die Vorteile, die Trubar dem Kirchenlied zuspricht, lassen sich leicht aufzählen: Durch simplifizierende Darstellung können die Hauptstücke des evangelischen Bekenntnisses popularisiert werden; der gemeinsame Gesang lässt das Gemeinschaftsgefühl aufleben. An zwei Stellen, im Abschnitt »Od cerkovniga petya« der slovenischen Kirchenordnung und im slovenischen Vorwort zum Katechismus von 1550, das hier zitiert wird, unterstreicht Trubar diese Feststellungen: Alle mit einem Lehramt Beauftragten werden aufgefordert, 7 Vgl. Biblia Slavica 2006, 6-9. 8 Luther, Bd 5, 75. de vi v cerkvi, v šuli, doma inu kir vkupe pridete, te preproste vučite le-te štuke naše prave krščanske vere, nim naprej berite inu pujte vsak praznik, de ti mladi ter stari je bodo umejli inu prov zastopili.9 Das dualistische Prinzip des Christentums wird von Trubar durch antithetischen Zusammenprall von Heilszerstörung : Heilserwartung - falsche : reine Lehre - Sünde : Gnade - Böses : Gutes - Teufel : Christus usw. drastisch ins Bild gesetzt; erklärende Bildlichkeit ersetzt jegliche theologische Abstraktion, etwa in der Explikation des 1. Psalms: Taku bodesh na Sodni dan, So wirst du am Jüngsten Tag Odlozhen na to Destno stran, auf die rechte Seite gestellt werden, Htimu vezhnimu lebnu. zum ewigen Leben. Turki Papeshniki hudi, Die Türken, die bösen Papstanhänger Hpeklenskimu terplenu.10 aber zur höllischen Qual. Ein weiteres Merkmal fällt auf, das der Liederdichter auch in den lehrenden und predigenden Vorworten zu den Bibelübersetzungen aufnimmt. Trubar spricht nicht nur die sozialen, historischen und politischen Bedingungen seines Landes im Hintergrund an, sondern bringt die zu verschiedensten Anlässen des Kirchenjahres verfassten geistlichen Lieder in den Gesamtzusammenhang des Heilsgeschehens. Dieses Verfahren stellt ein Memento der christlichen Lehre dar: das auslösende Kernthema, etwa die Geburt Christi, wird in die Botschaft der Evangelien einbettet. Im 10-strophigen Weihnachtslied Trubars »O Jesus Cristus naš Gospod«11 stellt sich das für die Gemeinde so dar: Christus, von den Engeln angekündigt, ist zu uns armen Sündern gekommen, um für die schwache Menschheit das ewige Reich zu erwerben; - Strophe 1-2 Durch ihn ist die Welt geschaffen; heute ist er in die Krippe gelegt worden, in der Nacht geboren, von den Hirten erkannt; - Strophe 3 Beschneidung am achten Tag, von Simeon gepriesen; - Strophe 4 Zu ihm sind die Weisen aus dem Morgenland gekommen und haben Gold und Weihrauch geopfert; - Strophe 5 Vor Herodes geflohen, nach sechs Jahren zurückgekehrt, arbeitet und lebt er bei den Eltern; - Strophe 6 beginnt zu predigen, Zeichen zu tun, wird ans Kreuz geschlagen; - Strophe 7 Auferstehung, sitzt zur Rechten Gottes, schickt den Hl. Geist; - Strophe 8 aus Güte erlöst er uns Sünder von Tod und Höllenfeuer; - Strophe 9 ihm singen wir zusammen mit den Engeln in guten und bösen Tagen das Gloria. - Strophe 10 Nicht nur der nach den Evangelien vorgegebene Heilsweg, sondern gleichzeitig auch große Teile des Glaubensbekenntnisses werden im Lied den Gläubigen nahe gebracht: 9 Zitiert nach A. Rijavec, Glasbeno delo na Slovenskem v obdobju protestantizma. Ljubljana 1967 (= Razprave in eseji 12), 38. 10 Tapervi Psalm shnega triiemi islagami 1579. 11 Ta celi Catehismus, eniPsalmi Wittemberg 1584 (Faksimile-Ausgabe. Ljubljana 1984), 115-117. Geburt - Beschneidung - Epiphanias - Herodes - Predigt und Wundertaten - Kreuzigung - Auferstehung - Ausgießung des Heiligen Geistes - Lobpreis. Ein gleiches Verfahren wendet Trubar im 13-strophigen Lied zu Christi Himmelfahrt an »Kadar je Jezus v nebo šel«12. Die Reihenfolge ist hier: Geburt - Herodes - Versuchung in der Wüste - Lehre - Kreuzigung - Auferstehung. Es gibt nur ein einziges Beispiel bei Luther, in dem andeutungsweise diese Struktur vorhanden ist: Das 5-strophige Weihnachtslied »Was fürchtst du, Feind Herodes, sehr« (Luther 6, 254f.) bringt Strophe für Strophe die thematischen Einheiten: Christi Geburt / Herodes - Erscheinung der Weisen - Taufe im Jordan - Hochzeit zu Kanaa (Weinwunder) - Doxologie als Abschluss. Die Popularisierung des Evangeliums durch das Lied, dessen hoher Stellenwert in der Verkündigung dadurch Anerkennung findet, hat Trubar ebenso wie die Intensivierung durch Bilder, Vergleiche und die damit verbundene Vereinfachung der komplizierten theologischen Sachlage von Luther übernommen. Das Protestlied, das religiösen und sozialen Protest miteinander vermischt in den äußeren Feinden (Türke, Papst, Papisten) und den inneren Widersachern (Teufel, Sünde, Tod, Hölle, Antichrist) hat Luther genutzt, um das abstrakte dualistische Grundprinzip der christlichen Lehre in antithetischer Deutlichkeit für den Zeitgenossen erfahrbar und erfassbar zu machen. Trubar verdichtet die Gegensätze, brutalisiert sie eigentlich, da er und seine Landsleute noch näher am und direkter erfasst vom Geschehen sind. Der Slovene intensiviert sozusagen Luther. Das gilt nicht nur für den Protest, sondern, wie oben angeführt, für die persuativen Bemühungen des Seelsorgers, der viele thematischen Anlässe des Kirchenliedes in den Gesamtzusammenhang der Heilsbotschaft einbettet. Verbunden damit ist eine optimistische Grundhaltung (etwa im Gegensatz zu Dalmatin),13 die den Erlösungsgedanken als höchstes christliches Prinzip vor alle Selbstzweifel und individuelle Sündenzerknirschung stellt. Im Lied kann Trubar die freieste Gestaltung durchfuhren; er fühlt sich dogmatisch weniger gebunden und mehr dem Menschenverständnis des Seelsorgers verpflichtet. »Consilium est, psalmos vernaculos condere pro vulgo, id est spirituales cantilenas, quo verbum dei vel cantu inter populos maneat.«14 - Luthers Rat im Vorwort zu seinen geistlichen Liedern, den er selbst durch zahlreiche Liedversionen von Psalmentexten befolgt hat, verfolgte mehrere Ziele. Zum ersten waren die Psalmen das Verbindungselement zwischen AT und NT, zum anderen wurden sie von Luther christologisch als Prophetie der Heilsbotschaft gedeutet und hatten Gesangsstruktur. Luther forderte bei der Nutzung der Psalmen die Darstellung des Sinns, eine jedermann verständliche Kommentierung und lehnte eine sklavisch wortgetreue Wiedergabe des Textes, wie sie die vielen Psalmenreimungen seiner Zeit vorlegten, ab. Das bedeutete, wie er in seinen eigenen zahlreichen Nachdichtungen belegte, eine freie, aktualisierte Gestaltung. Die Auseinandersetzungen des Psalmisten mit abstrakten Gegnern in den Klagepsalmen werden von Trubar verdolmetscht in die Situation der Gemeinde, ihre Aus- 12 Catehismus 1584, 158-161. 13 Vgl. dazu Giesemann, Theologie und Poesie 1995, 297-304; Giesemann, Die Psalmennachdichtungen 1996, 41f.; Dalmatins theologischer Bezug zu Luther vgl. G. Giesemann, Die Theologie Dalmatins in Vorreden vornehmlich zur Übersetzung des Alten Testaments von 1582. T. Berger, B. Golubovič (Hrsg.), Morphologie - Mündlichkeit - Medien. Festschrift für Jochen Raecke. Hamburg: 2008, 101-111. 14 M. Luther, Die deutschen geistlichen Lieder. Hrsg. G. Hahn. Tübingen 1967, 65. einandersetzung mit dem Ketzervorwurf, in die Darstellung der bedrängten Lage der slovenischen Kirche. Die Psalmentexte (verwendet werden Psalm 1, 12, 74, 79) sind Themenvorlagen, die frei variiert werden. Trubars optimistischer Grundton projiziert in seinen kampfbetonten Liedern die Unerschütterlichkeit des Psalmisten wie auch die Siegesgewissheit des Evangeliums auf den Menschen; sie dient der kollektiven überzeugung der Gemeinde, um die undfür die die göttliche Macht den Kampf führt. Trubar reduziert - ähnlich wie Luther - die nachgedichteten Psalmentexte auf Merksätze; dies ist eine Form des scholastischen Unterrichtsprinzips, d.h. die Kommentierung auf der Grundlage von Stichworten in der zusammenfassenden sententia.15 Das folgende Beispiel, die Nachdichtung von Psalm 130,16 soll die nuancierte Schwerpunktversetzung im Liedgut Trubars gegenüber Luther deutlich machen: Trubar folgt der christologischen Psalmenauslegung Luthers, d.h. er verdeutlicht die Verheißungen des AT in der NT -Erfüllung. Gegenüber Luthers fünfstrophigem Lied »Aus tiefer Not schrei ich zu dir«, das die Stichworte der Psalmverse Strophe für Strophe aufnimmt, verbildlicht und verdeutlicht Trubar in seiner neunstrophigen Wiedergabe die theologisch-reformatorische Problematik von Gesetz und Gnade: Die Psalmenaussage über die Sündenbelastung des Menschen, die Luther als nicht zu rechtfertigen hinstellt (»wer kann, Herr, vor dir bleiben?«), wird bei Trubar in ihrer Ursache, d.h. dem Hinweis auf die Erbsünde, benannt und damit verständlicher (»De je kriu vse hudobe poln, nihzhe nej zhist ni nedolshan, Vsi smo v'grehih rojeni.« - Strophe 2). Ein weiteres Moment der Erklärung ist die bei Trubar immer wieder anzutreffende Zusammenfassung des Heilsgeschehens; die Theologie der Erlösung in der christologischen Deutung des Psalms wird hier vor der abschließenden doxologischen Strophe verdeutlicht: Sakaj nash lesus Bug Zhlovik, se je zhes nas vse vsmilil Ratal je nash Odrejshenik, s'Bugom nas je spet smiril. Nashe Grehe s'martro platil, stem nas je od Pekla reshil, satu ga vsi hvalimo. (Strophe 8).17 Noch einmal sei auf den seelsorgerlichen Anspruch Trubars hingewiesen, nämlich die Aussichtslosigkeit der Sündenverstrickung sogleich durch die Zuversicht der Erlösung zu kompensieren. Er lässt gar nicht erst, wie bei Luther oder auch in der Individualisierung der Lieder Dalmatins, Verzweiflung Realität werden. Seine reformatorische Überzeugung kombiniert sich mit seinem Menschenverständnis zu einer Darstellung, die von Anfang an keinen Zweifel am Optimismus der gläubigen Gemeinde aufkommen lässt. Luther fordert in der Auslegung des Psalms die Furcht vor dem strengen Urteil Gottes mit der Begründung: »wer Gottes Gericht nicht ansieht, der fürchtet sich nicht, wer sich nicht fürchtet, der ruft nicht (zu ihm), wer nicht ruft, der findet keine Gnade.« (Luther 5, 159). Trubar vermeidet dieses Eintauchen in die Verzweiflung zur Vorbereitung auf die Errettung, indem er von der ersten Strophe an die positiven Vokabeln »Gnade«, »Güte«, »Trost«, »Erlösung« in die Waagschale wirft (Nachdichtung des 130. Psalms). Es ist insgesamt nur eine Nuance, die allerdings auch in vielen 15 Vgl. näher dazu Giesemann, Die Psalmennachdichtungen 1996, 42ff. 16 Catehismus 1584, 227-230. 17 Catehismus 1584, 230. anderen Liedformen zu finden ist, aber sie macht das eigenständige Profil Trubars bei aller theologischer Gefolgschaft zu Luther vernehmbar. Die Freiheiten, die sich Trubar im Kirchenlied und den Psalmennachdichtungen erlauben konnte, endeten natürlich mit der übersetzung und den erläuternden Vorworten zum NT und AT. Hier ging es um unveränderbare Bibeltexte und theologische Positionen vor allem zu den komplizierten Rechtfertigungsfragen in den Paulusbriefen, die teilweise im Dogmenstreit (zu Fragen der Sakramente, der Gesetzeslehre, der Rechtfertigung, der Erbsünde, des Gnadenbegriffes usw.) die Auseinandersetzung bestimmten. Grundsätzlich kann vermerkt werden, dass Trubar in allen theologischdogmatischen Fragen sich überwiegend an entsprechende Vorgaben Luthers hält. Das betrifft die christologische Deutung des AT (Moses - Christus), deren Argumente er Luthers Einleitung zum AT entlehnt, die Gesetzeslehre Luthers, die Paulinischen Begriffsdeutungen, die in zahlreichen Abhandlungen Gegenstand der Erörterung sind.18 über die Unsicherheit Trubars in Übersetzungsfragen war bereits gesprochen worden; sie ist insofern von Belang, als der Slovene zu seiner eigenen Rechtfertigung feststellen konnte, dass die slovenische Sprache und die slovenischen Christen für spitzfindige theologische Auseinandersetzungen noch nicht gerüstet seien. Fast ironisch vermerkt er zum Abendmahlsstreit: »Und unter anderem sage ich, was nützt den gottseligen, einfältigen Christen solch hohe Disputation de reali, corporali, substantiali et spirituali corporis Christi presentia.«19 Der Slovene verliert aber nie aus den Augen - natürlich auf die slovenischen Vorworte bezogen - , dass er als Seelsorger zu seiner Gemeinde spricht und vor allem den folgenden biblischen Text verständlich erläutern will. Dabei greift er wieder zu Strategien, die wir schon in seinem Liedgut beobachten konnten. Zielsetzung Trubars bei aller Wandlung bzw. dem Nachvollzug theologischer Erkenntnisse ist es, dem »einfältigen Gläubigen« einen verständlichen Einblick zu bewahren, ohne ein Korsett präzisierter Anweisungen. Das war möglich, da eine strikte theologische Trennung unter den Reformierten noch nicht zementiert worden war. Für Trubar blieb trotzdem der Spagat zwischen Dogma und Seelsorge und die Aufgabe, einen Mittelweg für die Slovenen zu finden. Das bezeugt er selbst in der deutschen Vorrede zum 1. Teil des NT: Und ich habe [die Übersetzung] mit solchen Worten, mit Beispielen und Vergleichen aus der Hl. Schrift so ausgelegt, dass jeder gute, einfache Mensch, der von Herzen nach dem Weg in den Himmel fragt, wenn er nur die Vorrede oft und mit Fleiß durchliest, die Artikel alle leicht sich aneignen kann.«20 Bildlichkeit und einfache Sprache praktiziert und fordert er gleich zu Beginn seiner slovenischen Vorrede zum Matthäus-Evangelium. Er spricht vom Geist Gottes, der einen »guten Hunger und Durst nach dem heiligen Evangelium« bei den Slovenen 18 Vgl. Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose schicken sollen (1525). Luther 5, 93ff. Vorrede zum Neuen Testament (1522). Luther 5, 37. Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten solle (1522). Luther 5, 196. Vorrede zum Brief des Paulus an die Römer (1522). Luther 5, 45ff. Zu diesen Fragestellungen vgl. Giesemann, Die slovenischen Vorreden 2006, 30ff. 19 Brief an Bullinger aus Kempten v. 13. 3. 1557. J. Rajhman, Pisma Primoža Trubarja. Ljubljana: SAZU 1986, 26. 20 Rupel, Slovenski protestantski pisci 1966, 88. geweckt habe. Trubar bietet ihnen mit der übersetzung nunmehr die »Seelenspeise« an: »und schreibt es in eure Seelen [^J Wenn wir das erreichen, dann werdet ihr eure Seelen sättigen können.«21 Ganz im Sinne Luthers, der im Sendbrief vom Dolmetschen (Luther 5, 85) den einfachen Menschen aufs »Maul« sehen will, »wie sie reden, und danach übersetzen«, fordert Trubar, in unserem Dolmetschen keine schönen, glatten, hohen, künstlichen, neuen oder unbekannte Wörter [zu suchen], sondern die allgemeinen, einfachen Krainer Wörter, die jeder gute einfache Slovene leicht verstehen kann.22 Wie in den Liedern praktiziert, so hat Trubar auch in den Vorworten ständig die Gelegenheit genutzt, anhand von Bibelzitaten, Stichworten (»Evangelium«, »Gesetz«, »Glaube«) pädagogisch-seelsorgerliche Einschübe anzubringen. Sie wirken fast wie Digressionen, was den Eindruck einer willkürlichen Strukturierung hinterlässt. Verständlichkeit und Einfachheit diktieren seine Zusammenfassung im Vorwort zum Evangelium Matthäus: »Lest fröhlich das Evangelium, [^J bittet Gott um den Heiligen. Geist, damit wir Christus, von dem Matthäus schreibt, recht erkennen [^J«23 Es folgen dann die Einheiten des Glaubensbekenntnisses. Ähnliche Einschübe finden sich zum Stichwort »Gesetz« im Vorwort zum Römerbrief, wiederum lehrend zusammenfassend und zugleich seelsorgerlich um einen optimistischen Ausblick bemüht,24 ebenso zum Stichwort »Glaube«, auch hier eine Wiederholung von Einheiten des Glaubensbekenntnisses: wie er [Christus] die Menschen annahm, lehrte, Zeichen tat, gemartert wurde und getötet, vom Tode auferstand, in den Himmel fuhr, den Heiligen. Geist schickte, und kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten.25 Die Ausführung Trubars zu einem Bibelzitat (Joh. 16, 8f.) demonstrieren die für sein stilistisches Verfahren typische antithetische Darstellung, die geistliche Trostspende und die pädagogisch eindringliche Mahnung, mit der er seine Gemeinde bearbeitet: Wir zweifeln an Gott und seinem Wort, an seine Gerechtigkeit und seine Strafe glauben wir nicht, wir fürchten nichts, glauben nicht an das evangelische Versprechen in den Nöten und im Tode, wir lieben ihn nicht, glauben nicht, dass er überall um uns ist, auf uns schaut, uns behütet, dass alles aus seiner Macht geschieht. Deshalb sind in unseren Herzen Wünsche und böse Lüste, wir lieben unseren Nächsten nicht, sind voller Hass und Neid, halten uns für groß. [^J Das habe ich geschrieben, damit ihr wisst, was Sünde ist und welchen großen Schaden sie uns antut.26 Was für eine modern strukturierte Predigt! Das theologische Gerüst, die komplizierten dogmatischen Fragen sowohl zum Ver- 21 Biblia Slavica 2006. Slovenisches Vorwort, 7. 22Biblia Slavica 2006, 7. 23Biblia Slavica 2006, 8. 24 Biblia Slavica 2006. Slovenisches Vorwort zum Brief an die Römer, 112. 25Biblia Slavica 2006, 116. 26Biblia Slavica 2006, 114f. hältnis AT - NT, zum jüdisch-christlichen Verständnis, zu den Paulinischen Begriffsabhandlungen zu Sünde, Gesetz, Gnade, Fleischlichkeit, Geist, Rechtfertigung usw. sind für Trubar unantastbare Vorgaben; in seinen Ausführungen erweist er sich, abhängig vom theologischen Schwierigkeitsgrad der Lehrmeinung, als treuer Gefolgsgänger Luthers von »sinngemäßer« bis »wörtlicher« Übernahme. Es ist hier nicht der Raum, darauf einzugehen, zumal die Vorreden Trubars in dieser Fragestellung ausführlich erst kürzlich abgehandelt worden sind.27 Trubars Leistung ist nicht miss zu verstehen als eine gesonderte Theologie für das slovenische Volk; es kam ihm darauf an, die Ergebnisse der lutherischen Reformation in Aufnahme der als richtig erkannten Aktivitäten Luthers im Bereich des Kirchengesangs, der Psalmendichtung, der Bibelauslegung, der Übersetzungsprobleme, der Argumentationsstruktur, der christologischen Auffassung des Alten Testaments in eine eigene Vermittlungsstrategie zu gießen. Trubar hat - hierin mag auch Luther der Anreger gewesen sein - nicht nur sprachlich übersetzt, sondern mehr noch geistlich übertragen. Seine sprachlichen und übersetzerischen Leistungen haben der slovenischen Kultur die Grundlage für den Eintritt in die Neuzeit geschaffen und sie erweitert. Seine christlich-theologischen Bemühungen aber gehen weit darüber hinaus. Er hat gezeigt und bewiesen, dass die Reformation ohne seine seelsorgerlichen Qualitäten und seine pädagogischen Fähigkeiten der Vermittlung kaum so hätte Fuß fassen und - trotz der Wucht der Gegenreformation - solche Zeugnisse der Verwurzelung erbringen können, und er hat auf diese Weise eine Reformation unverwechselbar slove-nischer Art geschaffen. Die Erinnerung an Trubar anlässlich seines 500. Geburtstages hat keinen musealen Anstrich, sondern zeigt die wirkende Macht des Wortes in seiner sprachlichen, vor allem aber in seiner geistig-geistlichen Funktion. Povzetek Trubarjev oznanjevalni potencial se prilagaja potrebam slovenskega (deželnega) prebivalstva. V ospredju zato stoji dušni pastir, ljudski prosvetitelj, pridigar. Za Trubarja je jezik na eni strani sredstvo, s katerim lahko s peto in govorjeno besedo oznanja odrešenjsko sporočilo na miselni ravni svojih rojakov, na drugi pa mu omogoča biti blizu svojemu »izvoljenemu« ljudstvu. Distanca do dogme ga vsekakor ni ovirala pri odločitvi za luteransko dogmatiko kot za znanstveno podporo »čistega« nauka. Nemški reformator je zanj vodilo k oznanjevalni strategiji. Slednja ne zadeva le očitne naslonitve na Lutra pri biblij skih prevodih ali pri prepesnitvah njegovih spisov, ampak vključuje tudi sprejemanje njegovega odnosa do pesmi, pesemske strukture in postopkov, povezanih s cerkveno pesmijo. Opazna Trubarjeva značilnost je antitetično oblikovanje. Z njim dosega jezikovno in strukturno dojemljivo ponazoritev abstraktnega dualističnega principa krščanskega nauka. Trubar je od Lutra prevzel popularizacijo evangelija s pomočjo pesmi - hkrati s pesmijo tudi priznanje njenega velikega pomena pri oznanjevanju -, pa tudi postopek intenziviranja s slikami, primerjavami in poenostavitvijo. Slovenec ob tem aktualizira cerkveno pesem, se izogiba abstrakcijam in povečuje dojemljivost z vključevanjem tem iz sobesedila celotnega odrešenjskega oznanila. V pesmih se Trubar počuti dogmatično nevezanega, zavezanega pa dušnopastirskemu razumevanju človeka, kar se predvsem kaže v njegovi optimistični zasnovi poudarjanja obljube milosti. 27 V gl. Giesemann, Die slovenischen Vorreden 2006. Drugače kažejo biblijski predgovori. Glede prevodnih vprašanj obstajajo različna predvidevanja, ki zadevajo odnos do Lutra, tako glede upoštevanja virov kot glede prevodne kritike. Pri vseh teološko-dogmatičnih vprašanjih se je Trubar odločno naslonil na ustrezne Lutrove pobude. To velja za kristološko razlago Starega testamenta (Lutrov uvod k Staremu testamentu), Lutrov nauk o zakonih, pri čemer Trubar od nemškega reformatorja prevzema ponazoritve, biblijske citate, odpiranje perspektiv in določanje težišč. Zlasti v predgovorih k Pavlovim pismom (s »Pismi Rimljanom« kot reformatorskim jedrom) se Trubar pri razlagi pojmov in argumentiranju strogo drži Lutrovih spisov. Trubarjevo reformatorsko prepričanje izkazuje v svoji pojavni obliki subjektivno-slovenske poteze (kar je pri raziskovanju vodilo k poudarjanju »samostojnosti« teološke misli), sicer pa je kljub zavarovalnemu namenu razvidno utemeljeno v luteranski teologiji.