tp*3f * ^f Abenteuer eines bretagnischen Edelmanns auf den Philippinen-Inseln von Alexander Dumas. Aus dem Französischen ü b c r s r h t. Erster Band. Leipzig, »83«. Verlag von Christian Ernst Kollmann. Abenteuer eines bretag „ischen Edelmanns auf den Philippinen-Inseln. Erster Band. ,.>) «<5ci dcr Erzählung einiger Abenteuer, die mir auf meinen großen Reisen begegnet, forderten mich mehre meiner Freunde auf, eincn, vielleicht interessanten, Reisebericht zu veröffentlichen. Es kann Ihnen nicht schwer werden, sagten sie, da Sie seit Ihrer Abreise von Frankreich stcts ein Journal geführt haben. Aber ich nahm Anstand, diesen Natb zu befolgen nnd ihrem beharrlichen Ansinnen nachzukommen. Da las ich einst zu meiner Ueberrasänmg meinen Namen in den Blättern des Vonstitutionel. Herr Alexander Dumas veröffentlichte unter dem Titel „Tausend und ein Gespenst" einen Roman, in welchem eine dcr Hauptpersonen auf der Rcise durch die Philippinen mich kennen gelernt, als ich die Colonie Iala-Iala bewohnte, die ich dort gegründet hatte. Mcnt, c. bret. Edclm. 1. Bd. l Ich mußte glauben, daß der geistreiche Nomailliker mich der Kategorie „seiner Gespenster" beigesellt hatte. Um dem Publicum zu beweisen, daß ich wirklich cristire, entschloß ich mich, die Feder zu ergreifen, da ich zugleich der Ansicht war, daß einige Thatsachen, dcren Wahrheit Hunderte Von Personen bestätigen kömiei:, einiges Interesse bieten und von denen ohue Langeweile gelesen werden würden, welche die Sitten der wilden Pflanzervölkcr kennen lernen wollen, unter denen ich gelebt habe. Diese Bemerkung, die dcm Vuäie des Herrn von La Geronniöre vorangcsetzt war, einem Buche, aus dem wir unsern Lesern einige Fragmente mittheilen, bedarf von unserer Seite eine Erklärung. Wir veröffentlichten im Jahre 1849 ein Buch unter dem Titel: „Tausend und ein Gespenst." In diesem Buche befindet sich eine Novelle, die den Tittl „Vater Olifus" führt. Wir hatten angenommen, daß unser Held nach den Philippinen gehen, in Manilla anhalten, den Fluß Passig hinauffahren, den See von Bay überschreiten und unserm Landsmanne, Herrn von La Geronniöre, auf seiner Be« sitzung Jala-Jala einen Besuch abstatten würde. Folgen wir nun unserm Helden, und sehen wir, ob ich mich irrte, als ich in einer Entfernung von viertau-stndfünfhundert Meilen die Oertliäikcit beschrieb. Vater OlifuS selbst erzählt also seine Reise. <) Erstes Kapitel. <^§H reiste also mit meinem kleinen Fahrzeuge, einer Art von Fischfang-Schiffe, ab. SeckS Mann bildeten die ganze Equipage. Wir waren entschlossen, auf gutes Glück das Cap Comorin zu umsegeln, und wenn der Winv gut und das Meer schön wäre, Ceylon links zu lassen und Sumatra und Java zu errcickcn. Ich kümmerte mick wenig um diese Inseln, da ich deS Kauf's meiner Cardamome je gewisser ward, je mehr ich mich dem stillen Ocean näherte. Am siebenten Tage nach unserer Abreise wurden wir der Insel Ceylon ansichtig. Mit Hilfe meiner Gläser konnte ich selbst die Häuser des Hafens von GallaS unterscheiden. Aber der Wind war frisch, und wir hatten fast noch einen Monat gutes Wetter zu gewärtigen. Ich wandte mich ab von diesem teuflischen Lande, daS uns anzog, und schlug den Weg nach dem Cap Achem 1' ein. Meine Nußschale schwamm ebcn so philosophisch durch den indischen Ocean, als ob sie der erste Dreimaster von Rotterdam gewesen wäre. Die ersten fünf Tage ging Alles gut, und selbst später noch, wic man sehen wird; allein gegen die zweite Hälfte der sechsten Nacht ereignete sich ein kleiner Vorfall, der uns bald alle Perlen auf dem Grunde des bengalischen Golfs hätte auffischen lassen. In den vorhergehenden Nächten hatte ich selbst das Steuerruder geführt, und Alles war ganz vortrefflich gegangen. Aber wahrlich, wir waren weit von dem Fest-lande entfernt, nirgends auf unserm Wege zeigte sich cm Felsen, nirgends eine Sandbank. Unser Schiff hatte so niedriges Mastemvcrk und so wenig Segel, daß wir dem Auge der Seeräuber, und wenn es noch so scharf gewesen, vorzüglich Nachts entgehen mußten. Ich stellte also den geschicktesten meiner Lcnte an das Steuerruder und stieg in das Zwischendeck hinab, wo ich mich auf meine Ballen legte und einschlief. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen haben mochte, als ich plötzlich durch ein starkes Geräusch, das sich über meinem Kopfe erhob, geweckt wurde. Meine Leute liefen von dem Hintertheile des Schiffes naäi dem Vordcrtheile. Sie schrien oder heulten vielmehr, und in diesem Geheule unterschied ich Gebete und Flüche, so daß mir klar wurde, uns drohe eine Gefahr, und zwar eine sehr große. Je größer die Gefahr ward, je mehr rief man nach mir. Ohne zu untersuchen, was es wohl sein könne, lief ich auf das Verdeck. 4 Das Mccr war prachtvoll, der Himmel sternenklar, ausgenommen an einem Punkte, wo eine ungeheure Masse bis fast auf unsere Köpfe herabhing, und das Licht der Sterne, da sie undurchsichtig war, verhüllte. Diese Masse schien jeden Augenblick aus das Schiff fallen zu wollen. Die Blicke aller meiner Leute hatten sich darauf gerichtet, und alle ihre Anstrengungen hatten den Zweck, sie zu vermeiden. Abcr was war dieser große Klumpen? Ein Gelehrter würde sich mit der Lösung dieses Problems befaßt haben und vor Gestank erstickt sein, ehe er sie gefunden hätte. Ich hatte nicht diese Absicht. Ich sprang an das Steuerruder und zog den Balken nach der linken Seite. Kaum war dies geschehen, als uns der gute Gott einen klcincn hübschen Nord-Nord-Nestwind schickte, den icb in meinen Segeln aufsing, und unser kleines Fahrzeug sprang lustig weiter, wie ein wildes Böcklcin. In diesem Augenblicke sank die Masse nieder, und anstatt auf uns zu fallen, wie sie gedroht hatte, fuhr sie neben unserm Hin-tcrtheilc nieder, so daß wir uns auf dem Berge, anstatt im Thale, befanden. Wir wären wahrlich in Grund und Boden zerschmettert worden, denn die Masse war eine ungeheure chinesische Ionke (Schiff), dickbäuchig wie ein Flaschcnkürbiß; sie war auf uns zugekommen, ohne uns eine Mahnung zuzurufen. Von Ceylon und Goa her hatte ich einige chinesische 5 Worte behalten; es warm vielleicht nicht die höflichsten, aber sicher die kräftigsten. Ich nahm mein Sprachrohr und schleuderte diese Worte den Unterthanen des erhabenen Kaisers entgegen, wie eine volle Schiffs salve. Aber zu unserm großen Erstaunen erfolgte keine Antwort. Nun bemerkten wir, daß sich die Ionke träge hin und her bewegte, als ob auf dem Verdecke keine Person wäre, die sie leitete. Weder auf der Galerie, noch bei der Bussole schimmerte ein Licht. Man hättr glauben mögen, ein todter Fisch oder der Leichnam dcS Leviathan schwämme vor uns. Und dabei war kein Segel aufgespannt. Das Ding war sonderbar genug, um unsere Aufmerke samkeit zu fesseln. Wir kannten die Chinesen als sehr träge; aber so träge sie auch immerhin sein mochten, die Gewohnheit hatten sie nicht, so ruhig zum Teufel zu gehen. Ich begriff, daß dem Schiffe oder der Bemannung etwas Außerordentliches begegnet sein müsse, und da der Tag kaum noch zwei Stunden entfernt war, manövrirte ich dergestalt, daß ick stets in der Nähe der Ionke blieb. Dies war nickt schwer, denn sie rollte wie ein Ball, und es bedürfte nur der Vorsicht, ihr auszuweichen, wenn Ne uns näher kam. Wir spannten ein einfaches Segel auf, und dies ge< nügte, um uns vor diesem Unfälle zu bewahren. Nach und nach ward es Tag. Je nachdem die Dun- 6 kelheit verschwand, versuchten unsere Augen irgend eine Bewegung auf dieser ungeheuren Maschine zu erkennen. Aber kein Mensch rührte sich. Die Ionke war cnlweder leer, oder die Mannschaft schlief. Ich näherte mich ihr so weit, als es möglich war, und rief alle amusischen Worte, die ich wußte. Einer meiner Leute, der zelm Jahre in Macao gelebt, sprach, rief und schrie; aber Niemand antwortete. Nun beschlossen wir, die Ionke zu umfahren, um zu scheu, ob es am Steuerbord ebeu so still sei, als am Vackkbord. ' Es herrschte bier dasselbe Schweigen; aber von dem Steuerbord hing cine Strickleiter herab. Ich manövrirte, um dem Ungeheuer so nabe als möglich zu kommen, be< mächtigte mich der Strickleiter, und in fünf Minuten war ich auf dem Verdecke. Es war nicht zu verkennen, daß sich EtwaS ereignet hatte, was dm Bewohnern der Ionke nicht angcnclim ge? wesen. Ich sah zerbrochenes Geräth, fiattcrnde Lappen von Zeug und hier und da Blutflecke. Allcö deutete auf einen Kampf, und zwar auf einen solchen, in dcm die Chinesen unzweifelhaft unterlegen waren. Während ich das Verdeck besichtigte, war mir, als ob ich erstickte Klagclaute in dem Inncrn hörte. Ich wollte zu dem Zwischendeck hinabsteigen, aber die Treppenluken waren verschlossen. Ich sah um mich. Da bemerkte ich am Fuße der Schiffüwinde eine Art Brecheisen, das sich ganz Prächtig zu dem Zwecke eignete, den ich im Auge hatte. Nun 7 zersprengte ich die Klappe einer der Luken, und ein Licht, strahl drang in das Zwischendeck. In demselben Augenblicke, wo der Lichtstrahl hereindrang, unterschied ick deutlicher die schon gehörten Klage-laute. Ich stieg hinab, indeß, ich bekenne es, nicht ohne ein gewisses Zögern. Aber schon auf der Hälfte der Leiter beruhigte ich mich. Auf dem Boden des Zwischendecks sah ich vielleicht zwanzig Chinesen; sie lagen wie Mumien gereihet, und waren wie Schlackwürste geschnürt. Je nach ihrem Temperamente nagten fie nut mehr oder weniger ungeduldigen Grimassen an ihren Knebeln. Ich ging zu dem, der mir der Vornehmste zu sein schien. Er war mit stärkern Stricken gebunden als die Uebrigen, und nagte an einem größern Knebel. Dem Herrn hatte man die größte Ehre erwiesen. Ich band ihm die Stricke loS, und nahm ihm so gut als möglich de« Knebel ab. Er war der Eigenthümer der Ionke, der Kapitain IsinglFong. So viel ich verstehen konnte, drückte er mir seinen tiefgefühlten Dank aus. Dann bat er mich, seine Gefährten losbinden und entkncbcln zu helfen. In zehn Minuten war das Werk vollbracht. So wie ein Mann losgebunden und entknebelt war/ stürzte er sich in den untersten Schiffsraum und vcrschwand. Mich wandelte die Neugierde an zu erfahren, auS welchem Grunde sie so hastig in den untersten Theil des Schiffes liefen — da sah ich, daß die Unglücklichen ein großes Faß aufgeschlagen hatten und daraus tranken. 8 Seit drei Tagen hatten sie weder etwas gegessen nock getrunken; aber da sie der Durst mehr als der Hunger geplagt hatte, beeilten sie sich zunächst, dm Durst zu stillcn. Zwei Chinesen tranken so viel, daß sie daran starben; cin Dritter aß so viel, daß er platzte. Die Geschichte dieser unglücklichen Ionkc, die uns an« fangs so unbegreiflich erschien, war indeß ganz natürlich. Malabarische Seeräuber hatten sie bei Nacht erstiegen und sich nach einem kurzen Kampfe der Equipage bemächtigt. Von diesem Kampfe hatten wir die Spuren auf dem Verdecke gesehen. Um in ihrem GeschäftSbesuchc nicht gestört zu werden, hatten die Piraten die Mannschaft gebunden und geknebelt in das Zwischendeck gelegt, den Kapitain oben au. Nun hatten sie genommen, was ihnen gefiel. Dann, wahrscheinlich in der Hoffnung, eine zweite Reise zu der Ionke zu machen, hatten sie alle Segel zu, sammengebunden, damit das Schiff nicht fort konnte, und so hatten sie cS verlassen. In dicsem Zustande hatte es geschienen, als ob cS auf uns fallen wollte. Die Freude des Kapitains und der Mannschaft läßt sich denken, als sie sich nach einer dreitägigen Angst durch uns, oder vielmehr dlM mich, auS einer eben nicht angenehmen Lage befreict sahen. Nun ließ man eine Art Leiter hinab, und vier meiner Leute stiegen auf das Werdeck, während die beiden cmdcrn mein Fahrzeug mit einem 9 Taue an das Hmlcrlheil dcr Ionke banden, wo es nur noch die Bedeutung eines Kahn's hatte, der einer gewöhnlichen Brigg folgt. Nachdem mcin Schiff angebunden war, kamen die beiden letzten meiner Leute zu uns. Nun galt es, die chinesische Equipage wieder herzu« stellen. Die Unterthanen des erhabenen Kaisers find weder die tapfersten, noch die geschicktesten Seeleute der Erde; und daher kam es, daß sie laut schrien und tüchtig wirthschafteten, ohne vorwärts zu kommen. Wir mußten unS ihrer annehmen. Als die Verwundeten verbunden, die Todten in das Meer geworfen und die Segel wieder aufgespannt waren, entschied man, daß es unnütz sei, den Weg nack Madras fortzusetzen, da die Ladung an Bord dcr Piraten über^c-gangen sei. Der Kapitain Ising - Fong wollte den Weg zurückgehen, den er gekommen war. Er hatte die Absicht gehabt, in Madras eine Ladung Cardamom einzunehmen, und ich war gerade mit Cardamom beladen. Ader es läßt sich denken, daß die Seeräuber zuerst nach der Kasse des Kapitain's Ising-Fong gegriffen hatten. Da man die Kasse nicht in dem Zustande fand, daß sie die achttausend Nu« pien, wozu meine Ladung geschäht war, zahlen konnte, so ward beschlossen, daß wir zusammen nach Manilla gingen, wo der Kapitain Ising - Fong einen Correspondent ten hatte, und wir folglich, vermöge des Credits, den er von Malaga bis Corea genoß, unser Geschäft abschließen konnten. Da ich keinem andern Orte der Welt den Vor« zug gab, so nahm ich den Vorschlag an, aber unter der 10 — n — Bedingung, daß man mich über das Verhalte» zu Ratbe ziehm müsse, wenn ich die Bekanntschaft der Piraten ma-chen sollte. Der Kaftitain Ising-Fong machte Anfangs entweder aus Eigenliebe oder aus Mißtrauen einige Schwierigkeiten; aber als er sah, daß seine Maschine in Folge unserer Manöver wie eine Tonne rollte und das Wasser wie ein Fisch durcbsclmitt, kreuzte er die Hände auf seinem Vaucke, wak-kelte mit dem Kopfe und stieß zwei oder drei Wal die Sylben hi-o, hi - o aus, was bedeutet: Wunderbar! Dann kümmerte er sich um Nichts mehr. Nachdem wir ohne Unfall die Meerenge von Malacca durclnahren und die kleine Insel Corrcgidor umschifft, die wie eine Acdette am Eingänge der Bai liegt, erreichten wir die Mündnng des Passig, und gingen frisch und ge« sund dem Iollhanse gegenüber vor Anker. Der Kaftitain Ising-Fona hatte mir kein leeres Versprechen gemacht; gleich am Tage unserer Anknnft fukne cr mich zu seinem Correspondents, einem reichen Cigar-renfabrikanten, und dieser erbot sich, mir entweder achttausend Rupien baar zu zahlen, oder für eine gleiche Summe Waaren zu liefern. Er fügte hinzu, daß er dabei einen Preis anschlagen wolle, den er bei seinen ausgebreiteten Handelsverbindungen nur allein gewähren könne. Die Philippinen - Inseln können wirklick als eine Welt-Niederlage betrachtet werden. Man findet hier das Gold und das Silber von Peru, die Diamanten von Golconda, — 12 — die Topasen und Saphire von Ceylon, den Pfeffer von Java, die Gewürznelken und die MuSkateimüsse der Mo-lukkcn, den Kampher von Borneo, die Perlen von Man» nar, die Teppiche PcrsienS, die Benzoe und das Elfen« fenbcin von Camboie, die Stoffe Vcngalcnö und das Porzellan von China. Unter allen diesen Dingen hatte ich zu wählen, und ich entschloß mich für die, die mir den «.roßten und sicher« sten Gewinn versprachen. Aber da mich Nichts drängte, und da ich mit mei-mm Cardamom einen hübschen Gewinn gemacht hatte, ent« schloß ich mich, einige Zeit in Manilla zu bleiben und zu erforsckm, welcher Handelszweig wohl der fruchtbarste für einen Mann sein könne, der, nachdem er mit einhundert» vierzig Francs angefangen, jetzt dreißigtauscnd Liures im Handel anlegen konnte. Meine erste Sorge war nun, die beiden Städte zu besuchen. Manilla, die spanische Stadt, und Vidondo, die Stadt der Tagalcr. Die spanische Stadt ist aus Klöstern zusammengesetzt, aus Kirchen und aus viereckigen Häusern mit dicken und hohen Mauern, die von Schießscharten durchbrochen sind, AllcS ohne Plan und Anordnung; weite Gärten trennen diese Häuser. Mönche aller Orden und Spanier in Män< teln, die sich entweder in schlechten Palankins.tragen last sen, oder ernst, die Cigarre im Munde, einhcrschreii ten, wie alte Castiliancr aus der Zeit Don Quixote's, _ 1I _ bevölkern sic. Es bietct die Stadt, die himdcrttauscnd Bewolmer fassen könnte, und nur achttausend enthält, einen traurigen Anblick. Manilla war für mick kein passender Ort, ich beschloß also, mit Bidonto Bekanntschaft zu machen. Zweites Kapitel. Vl'achdem ich am folgenden Morgen meine Chocolate getrunken, schlug ich den Weg nach der bürgerlichen Stadt ein. Je naher ich kam, je deutlicher hörte ich das geräuschvolle Leben, das fern von dem Grabe, das man Manilla nennt, sich entfaltete. Meine Vnist athmete freier, und das Grün erschien mir frischer, die Sonne strahlender. Ick beeilte mick, die BefestigungSwerke und die Zug« brücken der Militairstadt hinter den Rücken Zu bekommen, und plötzlich fühlte ich mich fröhlich und heiter, als ich die sogenannte Steindrucke betrat. Hier begann das Leben, oder vielmehr von hier an breitete es sich im Ueberfluß aus. Auf der Brücke drängten sich Spanier in PalankinS, Metis, die zu Fuß liefen und mit großen Sonnenschirmen bewaffnet waren,.Creole», denen ihre Diener folgten, Landleute, die von den benaclibarten Dörfern gekommen waren, chinesische Kaufleute und malaische Arbeiter. Ein solches — 15 — Lärmen und Getöse, ein solches Tohu-Boku machte cinem Menschen Vergnügen, der zwei Tage in Manilla wie todt begraben gewesen war. So lebe denn wohl, finstere Stadt, lebt wohl, langweilige Häuser, lcbcn Sie wohl, edle Herren — und seid gegn'isit, fröhliche Vorstädte, gebüßt sei Vidondo, mit Deinen vicrzigtausmd Einwohnern, mit Deinen eleganten Häusern und Deiner thätiacn Bevölkerung; gegrüßt sei mir. Du Haftn, wo die Winden kreischen, wo Ballen aus allen vier Wcltgegendcn rollen, wo chinesische Ionken, Kähne der Wilden aus Neu-Guinea, Briggs, Corvette« und europäische Dreimaster vor Anker liegen. Hier giebt es keine Kategorien, keine Ausschließungen, keine Kasten. Der Mensch gilt, was cr werth ist und wird nach dem geschätzt, was er besitzt. Man erkennt ihn auf den ersten Blick an seiner Kleidung, noch ehe man seine Sprache gehört hat. Malaien, Amerikaner, Chinesen, Spanier, Holländer, Made» cassier. Indianer sind unaufhörlich beschäftigt, die Fluch der Eingeborenen zu durchschneiden, diesen Ocean von lagalischcn Männern und Weibern, welche die Bevölkerung der Insel bildeten, als die Spanier sie eroberten. Die Männer erkennt man an ihrem fast normannischen Costume, an dem Hemde, das wie eine Blouse über die leinenen Hosen hängt, an dem farbigen Halstuche, an dem Filzhnlc mit abgenutzten Rändern, an den Schuhen mit Schnallen, an dem Rosenkränze, der den Hals umgiebt, und an der kleinen Schärpe, die sie wie einen Plaid über der rechten Schulter tragen. Die Frauen erkennt man an ihren, durch einen hohen spanischen Kamm zurückgehaltenen Haaren, an — 16 — ihrem weißen, nach hinlcn flatternden Schleier, an dem Canezou von weißer Leinwand, der auf ihre Vrust herab« spielt und den Theil des Körpers vom Busen bis zum Nabel bloß läßt, an den kaum merklichen Pantoffeln, die den Fuß fast nackt lassm und an der Cigarre, die sich stets zwischen den Lippen befindet und eine Damftfwolkc verbreitet, die ihre Angen nock feuriger macht. Ah, hier war mein Platz! Gute Nacht, Manilla! ES lebe Vidondo! Ich kehrte nur nach Manilla zurück, um mein ganzes Gepäck von dort nach Vidondo zu bringen. Der Correspondent des chinesischen Kapitain's billigte meinen Entschluß; er war nach seiner Ansicht der eines vernünftigen Mannes. In Vidondo selbst besaß er ein HauS, in dem er Sonntags von den Vescbwerden der Woche ausruhete. Er bot mir eine Art von kleinem Pa« Villon an, der mit diesem -Zause zusammenbing und nach dem Hafen hinausging. Ich erklärte, dicsm Vorschlag an« zunehmen, wenn er mich als seinen Miethsbewohncr be-trachten wolle. So ward beschlossen, daß ick jährlich dreißig Rupien, fast achtzig Francs, zahlen und dafür, wie man in Europa sagt, den Nießbrauch des Pavillons haben solle. Nachdem ich drei Tage beobachtet hatte, gewahrte ich, daß der Hahnenkampf die Hauptindustrie des Taga« len sei. Es war unmöglich, von einem Ende des Hafendam« mes von Bidondo bis zum anderen zu gehen, ohne zehn, fünfzehn, ja zwanzig Kreise zu sehen, die sich um zwei __ <^ ^^. gefiederte Kampfer gebildet hatten, an dessen Geschick sich die Gcsäuckc von drei, vier, fünf und sechs tagalesischcn Familien knüpften, denn es besaß nicht nur jede Familie einen Hahn von guter Nacc, sondern cs warteten auch Verwandte, Freunde und Nachbarn auf dieses Thier. Die Frauen tragen Schildftatkämmc, qoldeile Rosenkränze und Halsbänder; der Mann hat Geld in stincr Tasche und die Cigarre im Munde. Der Hahn ist das verwöhnte Kind vom Hause. Eine tagalcsische Muttcr beschäftigt sich mehr mit ihrem Hahn, als mit ihren Kindern; sie wäscht ihm die Federn, daß sie glänzen, und schärft ihm die Sporen. Entfernt sich der Mann, so vertraut er ihn Niemanden an, selbst nicht der Frau; er nimmt ihn unter den Arm, gebt nüt ihm seinen Geschäften nach, und besucht mit ihm seine Freunde. Vcgcgnet ihm unterwegs ein Gegner, so wirb °dic Herausforderung gemacht und Wetten an> gestellt. Die Eigenthümer kauern sich einander gegenüber nieder, treiben ihre Hähne zum Kampfe und bald ist der Kreis gebildet, in dessen Mitte sich die beiden menschlichen Leidenschaften entfesseln i das Spiel und der Krieg. Meiner Treu, das Leben in Vidondo ist ein schönes Leben! Unter den Tagalern existirt nock eine andere Art von Industrie, die dem Aufsuchen deS Stein'S der Weisen gleicht, dies ist nämlick das Suckcn nach dem Vezoarsteine, der sich in ^n Leibern gewisser indischer Thiere erzeugt. Wie die Natur aus den Philippinen eine Niederlage aller Gifte der Welt gemacht hat, so hat sie die Inseln auch mit dem Bezoarstcine versehen, der ein Universalgegengift ist. Nbcnt, c, brct. Edclm. ,c. l. Vb. 2 — l8 — „Pardieu!" rief ick auS, den Vater OlifuS unterbrel chcnd, „Sie haben,das Wort Bezoar ausgesprochen — ich möchte wissen, was es zu bedeuten hat. Ich hade viel von dem Vezoar reden gehört, vorzüglich in „Tausend und ciner Nacht;" ich habe die seltensten Steine gesehen, blaßrothe Rubinen und rohe Granaten, selbst den Karfunkel — aber soviel ich auch suchte, einen Vezoar habe ich nie gefunden, und Niemand tonnte mir auch nur ein Stückchen davon zeigen." „Ah, mein Herr," antwortete Vater Olifus, „ick habe einen gesehen, ich habe einen berührt, ick habe sogar einen verschluckt. Wenn dies nickt geschehen, so würde ich nicht die Ehre haben können, in diesem Augenblicke ein Glas Arrak auf Ihre Gesundheit zu trinken." Und Vater Olifus goß sich wirklick ein Glas Arrak cin, das er in einem Zuge auf mcinc Gesundheit und dic Viard's leerte. „Ah," sagte er, „wir haben angegeben, daß der Vezoar cxistirt, aber wir müssen auck nock hinzufügen, daß es drei Sorten von diesem Steine giebt i den Vezoar, den man in den Eingeweiden der Kühe, den Vezoar, dcn man in den Eingeweiden der Ziegen und den, den man in den Eingeweiden der Affen findet." Der Bezoar aus den Eingeweiden der Kühe ist der weniger kostbare. Zwanzig Gran davon sind nicht soviel werth, als sieben Gran von dem, den man in den Einge« weiden der Ziegen findet; und wiederum wiegen sieben Gran eines Vezoar, der bei eincr Ziege gesunden worden, — 19 — nur einen Gran von dem auf, den man in dem Bauche der Affen findet. 3n dem Königreiche Golconda vorzüglich trifft man Ziegen, die den Bezoar erzeugen. Und sind diese etwa von einer besonderen Race? Nein, denn bei zwei Ziegcn-lammern von einer und derselben Mutter bringt das eine den Bczoar hcrvor, das andere nicht. Die Hirten brau« chen den Bauch derselben nur auf eine gewisse Art zu berühren, um zu wissen, was sie von der Fruchtbarkeit ihrer Ziegen Zu halten haben; sie zählen durch das Fell die Zahl der Steine in den Gedärmen und geben, ohne sich je zu irren, den Werth dieser Stcine an. Man kann also den Vezoar auf dem Stiele kaufen. Aber ein Kaufmann von Goa hat zu der Zeit, wo ich an der Küste von Malabar wohnte, eine seltsame Erfahrung gemacht. Er kaufte in dem Gebirge von Golconda vier Ziegen mit Bezoarsteinen; er entfernte sie zu hundert» fünfzigtausenden von dem Orte ihrer Geburt: dann öffnete er schnell zwei von ihnen und er fand die Steine in dem Körper vor, aber von geringerem Umfange. Zehn Tage später tödtete er wieder eine. Bei der Besichtigung des Thieres ergab eS sich, daß eS den Bezoar zwar bei sich getragen, aber er war verschwunden. Nach Verlauf eines Monat's tödtcte er eine vierte Ziege. Hier fand man keine Spur von dem kostbaren Steine; er war völlig verschwunden. Hieraus ergiebt sich, daß es in den Gebirgen von Golconda einen besonderen Baum oder ein eigenes Kraut 2' — 20 — geben muß, die die Bildung des Vezoar bei den Kühm und Ziegen befördern. Daher gehen die Tagalcr re. Seit fünfzehn Iabren bewohnte er eine reizende Besitzung am Gestade des See'S Laguna. Diese Besitzung fülnte den Namen Hala-Hala. Er empfing uns mit einer ganz indischen Gastfreundschaft; aber als er erfuhr, daß ich ein Europäer, ein Franzose fti, als wir ei« nige Worte in unserer Muttersprache gewechselt hatten, die er, außer in seiner Familie, jährlich nur einmal Gelegenheit hatte zu reden, da ward meine Ankunft zu einer wahren Festlichkeit. AlleS ging um so vortrefflicher, da ick weder den Hi> dalgo, noch den Aristokraten, oder den Großsprecher mackle. Ich sagte ganz einfach I Sie erzeigen mir zu viel Ehre, ich bin ein armer Malrose von Monnikendam, ein armer Bar« kcnpatron von Ceylon, ein armer Kaufmann von Goa, meinc rauhe Hand biete ick frei und offen — man nimmt sie, oder man läsit sie unberührt. Und man nalnn den Vater OlifuS für den, der er war: für einen braven Mann, der das Maul nickt hängen ließ. Abends blieb ick meinem Grundsätze getreu, das bcisit, ick sckmolltc wedcr mit der Flasche, noch mit dem Bette. Ich hatte meine Abenteuer erzählt, und diese Erzählung hatte einen großen Erfolg gehabt; aber sie batte auch in dem Kopfe des Correspondent»!« meines Chinesen die Idee erzeugt, mich z„m fünften Male zu verbciratlicn. Abcr ich erklärte ihm, daß ich in meiner Klugheit be- — 24 — schlössen habe, mich nie den Frauen wieder anzuvertrauen, da die schöne Nahi-Nava-Nahina, die schöne Incs und die schöne Amaru mich von der Krankheit der Licbe geheilt hätten. „Bah!" antwortete mein Correspondent. „Sie haben unsere Chinesinnen von Bidondo noch nicht gcschen. Wenn Sie sie gesehen haben, werdm Sie anders reden." Ich ging — eine Folge oicses Gespräch's, mit Gedanken an die Ehe zu Bett. Mir träumte, ich hcirathcte eine chinesische Wittwe, die einen so kleinen Fuß hatte, daß ich kaum glauben konnte, sie sei eine Wittwe. Es ist unmöglich, das zu beschreiben, was in meinem Geiste vorging, als das Licht ausgelöscht war, als ick, übermüdet, in einen Zustand der Träumerei versank, der noch nicht Schlaf, aber auch nicht mehr Wachen zu nennen ist. Meine vier Frauen schienen sich am Fuße meines Bet« tcS ein Rendezvous gegeben zu haben. Nahi-Nava« Nahina/IneS, Amaru und Nanly-Tching riefen, zogen und zerrten mich, nicht etwa wie zärtliche Ehefrauen, sondern wie Furien, während Schimindra, der der Tod wahrschcin-lich Flügel gegeben hatte, über mir kreiste und mich nach Kräften vertheidigte, indem sie die Furien zurückstieß und sie vor die Thüre warf. Kaum aber waren sie draußen, so kam diese unendliche Reihe von Weibern wieder durch das Fenster, warf sich auf mein Vctt und saßte mich so heftig, daß ich in Stücke zerrissen wurde; ich hatte schon ein Vor-gcfühl von dem Augenblicke, wo die eine mir einen Arm ausriß, die andere ein Bcin, die dritte dies, die vierte das Glied. — 25 — Plötzlich ward die Thür geöffnet, und eine Art Phantom erschien, vor dem die vier indischen Frauen verschwanden, und selbst Schimindra entfernte sich auf einen Wink dieser Erscheinung, die sich ruhig zu mir in das Vett legte. Bei meiner Ehre, die Letztgekommene leistete mir einen großen Dienst; ich flüchtete mich in ihre Arme, und nach einer Bewegung von einigen Minuten schlief ich ein. Am folgenden Morgen fiel der erste TagcSstrahl gerade in mein Gesicht, und ich erwachte. Als ich die Augen öss-nete, stieß ich einen Schrei der Uebcrraschung aus. Die Buchold lag an meiner Seite. Sie war so bleich und so verändert, daß ich den Muth nicht hatte, ihr diesen Besuch zum Vorwurf zu machen; mir schien, als ob sie nickt lange mehr leben würde. Außerdem erinnerte ich mich auch des Dienstes, den sie mir in der Nacht geleistet hatte. „Wie, Sie sind hier?" fragte ich. „Ja, ich, so leidend ich auch bin; ich habe nicht gezo« gtrt, Ihnen in Person eine gme Nachricht zu bringen." „Ach ja, Sie sind entbunden, nicht wahr?" „Von einem reizenden Töchtcrlcin. Ich habe sie Margarethe genannt, wie ich Ihnen versprochen." „Und wer ist ihr Pathe?" „Ah, Sie werden stolz daraufsein, mein Freund! Es ist einer der berühmtesten Professoren der Universität Ley« den, der Doctor Van Holstcntitius." „Ja, ich kenne ihn." ..Er hat mir versprochen, das theure Kind zu lieben, als ob er der Vater desselben wäre; aber . . ." — 36 — „Nun, abcr?" „Ich fürchte, wenn ich nicht mehr da sein werde. . ." „Wie, wenn Sie nickt mehr da sein werden? Haben Sie denn Monmkmdam verlassen, um nie wieder dorthin zurückzukehren?" „Im Gegentheil, mein Freund, ich werde ohne Zögern wieder abreisen, seien Sie imbesorgt; aber wir sind nicht unsterblich, und wenn ich zufällig sterben sollte, so sind unsere armen Kinder . . ." „Hat nicht ein jedes Kind seinen Pathcn, der es liebt, als ob er sein Vater wäre? Ist da nicht der Bürgermeister Van Clief, der Ingenieur Van Brock, der hochwürdige Van Cabel, der Doctor Van Holstmtitius, u. s. w." „Leider!" antwortete die Buchold. „Ich weiß, da eS mir mit Ihnen selbst begegnet ist, wie weit man den Ver? sprechungen der Männer träum kann. Hatte ich den Ge< vatter Simon Van Groot nickt, ick wüßte nickt, was aus mir und den Kindern, die ick schon habe und die ich noch bekommen kann, werden sollte." „Wie, die Sie noch bekommen können? Was für einen Datum haben wir?" „DeH, 28. October." „Aber welchem Heiligen oder welcher Heiligen ist die« ser Tag gewidmet? " „Zweien großen Heiligen, mein Freund: dem Sanct Simon und dem Sanct Iudä." „Ah," rief ick, „das ist vortrefflich! diesmal wette ich, daß es Zwillinge sind." — 2? — „Auf jeden Fall," sagte die Vuchold; „eS werden die letzten sein." ..Wie so?" »Ja, haben Sie nickt bemerkt, wie ich verändert bin?" Von dieser Veränderung war ich auf den ersten Blick betroffen gewesen, wie ich bereits gesagt habe. „ES ist wahr," antwortete ich; „was ist Ihnen geschehen?" Sie lächelte trübselig. „Glauben Sie, daß Reisen, wie ich sie gemacht habe, nicht anstrengen? Ich habe Ihnen viermal einen Vesuck abgestattet — der Weg hin und zurück beträgt 32.^00 Meilen, also viermal die Tour um die Welt. Finden Sie viel Frauen, die so etwas ausführen können? Und zwar für einen Taugenichts von Mann, der nur daran denkt, sie zu betrügen?" Die Vuchold vergoß einige Thränen. Ich ward davon gerührt, denn das, was sie mir sagte, war wahr. „Nun, warum sind Sie denn gekommen?" fragte ick. „Weil ich Sie, wie es auch sein möge, liebe. Ach, wären Sie in Monnikendam geblieben, wir könnten sehr glücklich sein!" „Mit Ihrem liebenswürdigen Charakter, nicht wahr?" „Was wollen Sie? Die Eifcrsuckt hat meinen Charakter verdorben. Und woher kommt die Eifersucht? Von dem Uebermaße meiner Liebe. Heute sind fünf Jahre verflossen, — 28 — seit Sie nach Nmsterdam, Eidam und Stavorin gereist sind — sind dies etwa unschuldige Reisen?" Ich kratzte mich hinter den Ohren. „Ah!" antwortete ich, um nicht zu lügen. „Sie sehen also. daß Sie im Unrechte sind. Haben Sie mir etwas Aehnliches vorzuwerfen?" „Nein, so lange ich dort war — ich weiß es wohl." „Aber mir sckeint, daß Sie von jener Zeit an . . ." „Ja, da ist die Sache verwickelt geworden. Ich kann dazu immer noch Nichts sagen, da der Schein gegen mich ist, und das Datum genau stimmt, nicht wahr?" „Ganz genau." Ich ftufzte. „Es ist wahr," sagte ich mit einem Anfinge von Philosophie, „man mnß weit gehen, um sein Glück zu finden." „Ja, und man findet dann Frauen, nicht wahr?. Be« sehen wir uns Ihre Frauen einmal näher." „Nein, das verlohnt sich der Mühe nicht, ich kenne sie. Außerdem ist mir die Lust zu heirathen, oder vielmehr zu den Heirathcn, vergangen." „Leider, mein armer Freund, war nur das Haus, der Herd und die Kinder vorhanden. Aber ich werde ruhig sterben, wenn ich die Hoffnung habe, daß in Ermangelung der Mutter . . . meine armen Kinder . . . O kehren Sie zurück . . . Sie werden Alles vorfinden, ausgenommen mich." „Das wäre!" „Ich weiß, was ich sage!" fügte sie hinzu, indem sie — 29 — seufzend mit dem Kopfe schüttelte. „Ich lvcrde also ruhig sterben, wenn . . ." „Es ist gut! Es ist gut! Machen Sie »nick nicht weich. Man wird ja sehen, was geschieht. Kehren Sie zurück." „Ich musi ja wohl!" „Und melden Sie mich an." „Wahrhaftig?" „Halt! Ich verpflichte mich zu Nichts; aber ich werde thun, was ich kann — das ist Alles!" „Leben Sie wohl. Ich reise in dieser Hoffnung ab." „Reisen Sie, meine liebe Freundin. Wer am Leben bleibt, wird ja sehen . . ." „Ja, wer am Leben bleibt! Leben Sie wohl!" „Lcben Sie wohl!" Die Vuchold umarmte mich noch einmal, seufzte, und entfernte sich. Diese Erscheinung der Vuchold hatte einen andern Eins druck auf mich ausgeübt, als die vorhergehenden Erscheinun« gen. Außerdem hatten die holländischen, wie ich bereits gesagt habe, keinen Vorzug vor den cingalesischcn, den spanischen, malabariscbcn und chinesischen. Die arme Schi« mindra allein konnte dem europäischen Einflüsse die Wage halten. Aber man begreift wohl, daß sic die Geschichte mit dem elenden Assen gegen sich hatte. Wie dem nun auch sein mochte — ich dachte nur dar< an, meine Geschäfte zu ordnen, und nach Europa zurückzukehren. Aber bevor ich zurückkehrte, war meine erste Sorge, mir über das Schicksal Schimindra's Gewißheit zu vcrschaf- ' — 30 — fen. Ich licß ihr die Nutzung meiner Cigarren, den Nest incineö Vezoar's, dcr zwar etwas schmal geworden, aber immer noch seine zwei bis dreitausend Rupien werth war, und zwar um so unbestreitbarer, da er seinen Werth bewiesen hatte. Vailly-Tcking war verschwunden und hatte ihre Kassette mit sich genommen. Wahrend der fünf Monate, die ich noch in Vidondo wohnte, hat man Nichts mehr von il,r gehört. Am 15. Februar 1829 endlich, ungefähr sechs Jahre nach meiner Ankunft in Indien, verließ ich Vidondo. Ich hntte eine Summe von 45,000 Francs erworben, die mein cbineslscher Correspondent einkassirte und mir dafür gute Wechsel auf die ersten Häuser von Amsterdam gab. Die Windstille unter dem Aequator machte die Ueber« fahrt sehr lang. Sechs Monate nach meiner Abreise von Manilla kamen wir bei dem Vorgebirge Finisterrä an; wir umschifften Cherbourg, gingen in den Kanal La Manche, und warfen endlich am 18. August 1829 im Hafen ' on Rotterdam die Ankev aus. Da ich keinen Grund hatte, hier länger zu bleiben, so nahm ick noch denselben Tag einen Wagen nach Amsterdam. Hier nahm ich einen Kahn, der mich nach Monni-kendam brachte. Dieser Kahn gehörte zufällig meinem alten Freunde, dem Fischer, der mich secks und ein halbcs Jahr zuvor an Bord des „Johannes De Witt" gebracht hatte; demselben, den ich das Ucberfahrtsgcld nicht hatte bezahlen können, und der nichtsdestoweniger versprochen hatte, auf meine Gesund, __ ?, __ l»eit zu trinken. Er hatte dieses Versprechen treulich gehalten. Statt eines Sack's voll Kieselsteine, hatte ich diesmal ein Portefeuille mit fünfundvierzigtausend guter LiureS in meiner Tascke. Als wir in Momükcndcm, landeten, gab ick ilnn nicht nur das letzte Ucbnfahrtügeld, ich gab ihm auch die Interessen und die Interessen der Interessen von sechs Jahren, so daß er fünfundzwanzig Florins erhielt, ein Handgeld, das er seit langer Zeit nickt bekommen hatte. Dann schlug ich den Weg nach meinem Hause ein. Schon von Weitem sah ich an der Thür eine Amme in Trauer, die zwei Säuglinge wartete. Ich begriff Alles. Ick trat in die Stube des Erdgeschosses, in der sich meine drei Söhne und meine Tochter befanden. Die drei Knaben liefen davon, als sie mich sahen. Da meine Tochter noch nicht allein gehen konnte, war sie gezwungen zu bleiben. Ich begriff, daß ich diesen armen, unschuldigen Kindern nur ein Fremder war; ich nahm meine tleine Margarethe in die Arme,, die laut schrie, und ging mit ihr nach der Thür, damit mich die Nachbarn erkennen sollten. Simon Van Groot, der erfahren hatte, daß ein Fremder angekommen sci, lief eben dem Hause der Vuchold zu. Er zweifelte an der Wahrheit, aber ein Augenblick reichte hin, um AlliS aufzuklären. „Wo ist die arme Vuchold?" fragte ick. .„Du kommst zwei Monate zu spät, mein armer Oli« — 32 — fus," antwortete Simon Van Groot; „die Buawld ist^gei storben, nachdem sic Deinen Zwillingen das Leben gegeben hatte." „Ja, am Tage Simon und Iudä." „Ganz recht. In Deiner Abwesenheit habe ich für die Familie gesorgt. Die Gläubiger hatten das Haus Verkauft, ich habe es zurückgekauft; sie hatten die Möbel verkauft, ich habe sie wiedererstanden. Da ich wußte, daß Du einst' wiederkommen würdest, so wollte ich, daß Du, außer der Vermehrung der Kinder, Alles in dem alten Zustande vorfinden solltest." „Danke. Van Groot!" „Es fehlt nichts, als unsere arme Buchold." „Simon, sind wir nicht Alle sterblich?" „Leider! Du wirst nie ihres Gleichen finden, Olifus." „Das ist wahrscheinlich." Weinend umarmten wir uns. Dann ordnete ich mil Van Groot meine Rechnungen. Ich zahlte ihm den Preis für das Haus und die Mö' bel zurück, die ich für Margarethen aufbewahrte. Dann setzte ich jedem Knaben sechstausend Francs aus, und behielt mir die Interessen bis zu ihrer Majorität vor. Neuntausend Francs behielt ich für mick, um Niemandem lästig zu fallen, um nur in meine Tasche zu greifen, wenn ich Run: oder Nrral trinken wollte. „Sie haben also die Vuchold nicht wiedergesehen?" fragte ich. „O ja, ein Mal. Sie kam, um mir zu erzählen,, daß — 33 — ich für immer von ihr befreit sei, da sie sich mit Simon Wan Groot, den man Abends zuvor begraben hatte, wieder verheirathcn wolle. Der alte Spitzbube hatte verlangt, daß man ihn neben iln- beerdigen solle. Auf diesc Weise," fügte Vater Dlifus hinzu, indem er seine letzte Flasche Arrak leerte, „bin ick ihrer für diese und für die andere Welt los geworden. Ich hoffe es wenigstens." Vater OlifuS brach in ein seltsames Lachen aus; dann rollte er unter den Tisch und gleich darauf verrieth ein Scknarckcn, dasi dieses reine und vorwurfsfreie Herz sich einem'sanften Schlafe überlassen hatte. In demselben Augenblicke öffnete sick die Thür. Als ich den Kopf wandte, ließ sich eine sanfte, harmonische Stimme vernehmen. Diese Stimme war die Margaretben'S, die, eine Lampe in der Hand haltend, auf der Thürschwelle erschien. „Es ist Zeit, mcine Herren, daß Sie zur Ruhe gehen," sagte sie. „Ick werde Sie auf Ihr Zimmer führen. Mcilt armer Vater hat Sie mit seinen Geschickten wohl reckt ermüdet, nicht wahr? Man muß Nachsicht mit il,m haben. Er ist sechs Jahre, während unsere arme Mutter lebte, in den» Irrenhause zu Horn gewesen; er hat es, noch nicht völlig geheilt, verlassen. Narrische Einfälle und seltsame Geschichten arbeiten in seinem Gehirne, vorzüglich seit er starke Liköre trinkt, was oft geschieht. Aber stcts kehrt sein Verstand zurück, wenn er erwacht und er wird seine Reisen nach Indien vergessen, Reisen, die nur in seiner Einbildung eristirt haben." Nach dieser Erklärung legten wir uns schlafen; sic er, Abent. c, bret. Edelm. ,c. 1. Vd. , 3 — 34 — schien uns glaubhafter, als Alles, was Vater Olifus uns erzählt batte. Am folgenden Morgen verlangten wir ihn zu sehen, um Abschied von ihm zu nehmen. Aber man sagte uns, daß er mit Tagesanbruch ausgegangen sei, um einen Rci« senden nach Stauorin zu dringen. Wir verließen also Monnikendam, ohne zu erfahren, ob uns der alte zahnlose Mund des Vaters Olifus oder der niedliche und frische Mund seiner Tochter Magareche belogen hatte. Aber Etwas sprach gegen die scdöne Wirtbin znm „tropischen Manne," nämlich der Umstand, daß sie Abends zuvor sich nur durch Zeichen verständlich gemacht batte imd daß sie am anderen Morgen plötzlich französisch sprach, um uns die oben angeführte Erklärung zu geben. Es bleibt dem Urtheile der Personen, die in Indien gewesen sind, überlassen, zu entscheiden, ob Vater Ollfuö wirklich die Lander, die er beschrieben, gesehen hat, oder ob er ganz einfach Madagascar, Ceylon, Nrgundo, Goa, Calicut, Mailla und Bidondo von dem Irrenhause zu Horn aus kennen gelernt. Wir lassen nun den bretagniscken Edelmann erzählen, und beginnen mit einem neuen Kapitel. Erstes Kapitel. Nen 9. October 1819 schiffte ich mich auf dem „Culi tivaleur," einem halb verfaulten Dreimaster ein; er ward von einem alten Kapitain befehligt, der seit langer Zeit nicht zu Sänffc gewesen war. Also ein alter Kapitain und ein altes Sänff waren die Bedingungen, unter denen ick diese Ncise antrat. Ich muß hinzufügen, daß ich eine Soldzulage erhallen hatte. Wir gingen in Bourbon vor Anker, segelten an der ganzen Küste von Sumatra entlang, an einem Tlieile von Java, den Inseln der Meerenge von Sonde und Vanca vorbei, und kamen den 4. Juli 1820, ackt Monate nach unserer Abfahrt von Nantes, in der köstlichen Bai von Manilla an. Der Cultivateur warf bei der kleinen Stadt Cavite Anker. Ich suchte um die Erlaubniß nach und erhielt sie. — 36 — mich auf dem Lande einzurichten; nun miethete ich eine kleine Wohnung in Cavitc selbst, das fünf oder sechs Meilen von Manilla entfernt liegt. Die Freiheit, in Ccwitc zu wohnen, entband mick von den Verpflichtungen gegen meine Nheder nickt; ich wartete meines Amt's am Bord des Cultivateur und fuhr fort, dcr Equipage meine Sorge zu widmen. In den Jahren 1819 und 1820 hat unser Handel zahlreiche Expeditionen nach den Philippinen ausgeführt; es lagen mehrere französische Sckiffe in dem Hafen von Ca» vite. Ich machte unter den Officiercn einige Bekanntschaften und schloß mit Herrn von Malvilain, von dem ich später reden werde und dem Herrn Droucmd, der eine Mar-seiller Brigg commandirte, Freundschaft; endlich auch noch mit dem Doctor Charles Venoit, der Schiffsarzt auf dem großen Dreimaster „Alexander" aus Bordeaux war. Venoit hatte einen kleinen Streit mit seinem Kaftitain gehabt; er kam an's Land und richtete sich in Cavitc bei mir ein. Wir führten nun eine Wirthschaft zusammen, eine wahre Iunggesellenwirthschaft. Unser Personal bestand aus einem alten Indianer, der die Küche besorgte und auS einem jungen, dcr die Stelle des Kammerdieners und La? kaien vertrat. Die Zeit verfloß rasch und in der Sorglosigkeit des Alters, in dem wir damals standen, ohne uns um die Zukunft zu kümmern. Da trat Plötzlich ein unvorhergesehener Fall ein, dcr uns trennte. Eines Sonntags brachte ich den Abend bei dem Gou- — 3? — verneur von Cavite zu. Da trat Benoit ein; seine Kleider waren in Unordnung und seine Gesichtszüge verstört, als ob ihn ein großes Unglück betroffen hätte. „Wir fi„d bcstohlcn, ausgeplündert und beraubt," sagte er; „wir besitzen Nichts mehr. Unser Kammerdiener hat die Koffer erbrochen, hat sich unsers Geldes, unserer Kleider, Alles dessen bemächtigt, was wir besitzen und ist entflohen!" Der Gesichtsausdruck Venoit's hatte in mir dm Glauben an ein größeres Unglück angeregt, als an das, was er mir mittheilte. Fast lächelnd antwortete ich ihm: „Einer solchen Kleinigkeit wegen sind Sie so bestürzt? das verlohnt sich der Mühe nicht. Santiago hat nur wenig entwendet, denn wir besitzen Beide kein großes Vermögen. Und wenn wir auch Alles verloren haben, wie Sie sagen, so bleiben uns doch unsere Schiffe im Hafen, auf denen wir stets ein Bett und Nahrung finden. Beruhigen Sie sich und sehen Sie nach, ob Santiago etwas vergessen hat, oder ob es möglicb ist, seine Fährte zu entdecken." Wir gingen in unsere Wohnung, wo ick bald die Ueberzeugung gewann, daß Freund Venoit Necht hatte, soweit es ihn betraf. Santiago hatte buchstäblich AlleS mitgenommen, was ihm gehörte; meine Sachen hatte er gewissenhaft rcspcctirt. Diese Rücksicht, die Santiago für mich an den Tag gelegt, war mir ein Räthsel. Einige Tage später erklärte, es mir mein alter Koch folgendermaßen: „Ihr Landsmann," sagte er, „ist kein guter Christ, er ist ein ^uäio (Jude). Nie betete er das AngeluS, er that — 38 — vielmehr das Gegentheil. Wenn die Glocke die Gläubigen zur Andacht rief, so nahm er sein Flageolet und begann zu spielen, als ob er das Gebet verhöhnen wollte." Es verhielt fick so und Santiago hat ohne Zweifel ein verdienstliches Werk zu thun geglaubt, indem er einen Ungläubigen bestahl. Ich machte mein Inventarium. Die Betrübniß meines Freundes rührte mich so, daß ich ihm vorschlug, San' tiago zu verfolgen. Wir stiegen zu Pferde und schlugen die Richtung ein, die er genommen haben mußte. Die Nacht war finster, daß wir Mühe hatten unsere Pferde zu leiten. In kurzer Entfernung von dem Flecken San-Rock geriethcn wir in einen tiefen Flugsand, in dein die Beine unserer Pferde halb versanken. Benoit war kein Mer Reiter und ein Sturz machte ihn völlig muthlos. Er bat mich, umzukehren. Am folgenden Morgen reis'te er nach der Hauptstadt, wohin er glaubte, daß sein Dieb sich geflüchtet habe. Ich sah ihn erst einige Monate später in Manilla wieder. Nach der Abreise Bcnoit'S erschien mir Cavite und seine Umgebungen ein zu enges Feld, um meinem Hange zu großen Ercursioncn zu genügen. Mit dem Gewehre auf der Schulter durchstreifte ich das Land in allen Richtungen. Den ersten Indianer, der mir begegnete, nahm ick zum Führer. In langen Ausflügen durä, strich ich die Gegenden, weniger um zu jagen, als die herrliche N.ttur zu bewundern. — 39 — Ich verstand etwas von dcr spanischen Sprache und bald erlernte ich auch etwas von dcr tagale^sckcn. War es poetische Erregung oder der Wmisck Gefahren zu trotzen? Ich zog es vor, die emsamcn Gegenden zu be^ suchen, die, wie man sagte, von Banditen unsicher gemackt wurden. Mehr als einmal begegneten mir solche, aber dcr Anblick meines Gewehrs flößte ihnen Inspect ein; ich fürchtete fie nickt. Ich kann wohl sagen, daß ich um jene Zeit so wenig eine AlinlMss von Gcfahr hatte — ohne Zweifel war eS leine Vravour — daß ich stetS bereit war, ihr entgegen zu treten, wenn sich eine solche ankündigte. Ich wollte AllcS scbcn. Alles cxpcrimentiren, nicht nur die Vegetation, die sich so majestätisch auf dcm Vokcn der Philippinen entfaltete und meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern auch die Sitten und Gebräuche dcr Eingeborcnen, die so verschieden von dem waren, wag ick bisher geseh.'n hatle, daß fie meine Neugicrde im hohen Grade erregten. Nachts ging ick zu den indianischen Festen, die in San-3lock, einem großen Flecken bei Cavtte, abgehalten wurden. Die Bewohner dieses Fleckens, fast alle Seeleute und Arbeiter, waren als die scklecktestcn und verdorbensten Mensckcn auf den Plnüppincn bekannt. Mehr als einmal habe ich bei dicsen Festen die blutig: sten Auftritte gcselim und daß man wegen einer Geringe füMkcit die Dolche zog; oft sogar war ich als Vermittler bei dicsen Kämpfen eingeschritten. Einst war ick langer als gewöhnlich bei einem nächtlichen Tanze'geblieben und kehrte allein von dem Flecken — 40 — nach der Stadt zurück. Mein Weg führte mich über eine Halbinsel, die beide Orte trennte und diese einsame Halbinsel war berüchtigt wegen häusiger Mordanfälle, die dort begannen wurden. In kurzer Entfernung von mir hörte ich ver« worrcne Stimmen, unter denen ich einige englische Worte unterschied. Dann vernahm ich ein dumpfes Geräusch, ähnlich dem Gestöhn einer Person, die man erstickt. Es war zwei Uhr in der Nacht und die Nacht war so finster, für Verbrechen so günstig, daß ich annahm, es werde eine Missethat verübt. Ohne zu überlegen eilte ich dem Orte zll, von woher das Gestöhn zu mir drang. Kaum war ich einige Schritte weit vorgedrungen, als ich eine Gruppe Indianer bemerkte, die, wie es mir schien, eine Person nach dem Ufer des Meeres schleppten. Ich begriff ihre Absicht und einige Minuten später hätten sie sicher ein Opfer in die >Fluth geworfen. Entschlossen, ihm Hilfe zu bringen, drang ich vor. In der Hoffnung, die Aufmerksamkeit irgend eines verspät teten Vorübergehenden zu erregen, rief ich so laut, als eS mir^möglich war: „Was geschieht hier? Ihr seid wenigstens zehn gegen einen! Laßt diesen Menschen loS, mißhandelt ihn nicht, oder Ihr sollt mich kennen lernen!" Entweder weil sie so Plötzlich überrascht wurden, oder weil sie Furcht hatten, hielten die Indianer an und antworteten : „Lassen Sie unS, wir wissen, was wir thun. Dieser Engländer schuldet uns einen Piaster und will ihn nicht bezahlen." — 41 — „Ein Engländer weigert sie nie, seine Schulden zu bezahlen. Es waltet ohne Zweifel ein Mißverständniß ob. Man lasse ihn ohne Widerrede los, ich verbürge mich für ihn!" Die Sicherheit, mit der ich sprach, ließ sie glauben, daß ich nicht allein sei; sie ließen den Engländer loS, der mit einem Satze zu mir sprang. Nachdem er sich von dem Knebel befreit, der ihn zuvor am Rufen gehindert, begann er wie ein Verzweifelter zu fluchen. Die Indianer umringten mich und suchtcn alle zugleich mir Aufklärungen zu geben, die fast wie Drohungen klangen, da sie nun sahen, daß ich allein war. Ich wollte sie nicht hören und wandte mich an den Engländer in einer Sprache, die er ohne Zweifel nicht verstand, aber den Indianern bekannt war. „Sie haben Unrcckt," sagte ich; „diese braven Leute haben Ihnen einen Dienst geleistet und Sie wollen dafür nicht erkenntlich sein. Man verlangt von Ihnen einen Piaster, ich werde ihn für Sie bezahlen, damit der Streit zu Ende komme. Folgen Sie mir. Hier, mcinc Freunde, habt Ihr Euern Lohn und nun entfernt Euch!" Der Piaster machte jede weitere Erklärung unnütz. Die Indianer begleiteten uns bis an die ersten Häuser der Stadt. Nachdem sie mir ihre Ergebenheit und Dankbar-kcit dafür zu erkennen gegeben, daß ich ihnen die Nothwendigkeit erspart, sich an einem schlechten Schuldner zu rächen, wie sie sagten, verließen sie unS. Der Engländer, der einem auf dcr Nhede liegenden Schiffe angehörte, dankte mir und kehrte zu seinem Fahr- — 42 — zeuge zurück. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Einige Tacte später mußte ick meine Lteblliu^ftazil'r- theilte diesen Brief meinen Freunden mit und er« klärte ihnen, daß ich nicht an Bord zurückkehren würde, ohne versucht zu^habcn, dem Wunsche meiner Landsleute zu ge< nügen; eS handelte sich um die Rettung der Mannschaften zwlier Schiffe, und da fti ein Zaudern nicht möglich. Sie boten Alles auf, um mich in meinem Entschlüsse schwanken zu machen. „Wenn Sie sich in irgend einem Stadtheile zeigen," sagten sie, „so sind Sie verloren. Sollten auch die Indianer Sie nicht todten, so werden sie doch AlleS stehlen, was man ihnen anvertraut." Ich blieb fest und gab ihnen zu bedenken, daß eS eine Handlung der Ehre und der Menschlichkeit sei. „So gehen Sie denn allein!" rief der Mestize, der am meisten bei meiner Flucht mitgewirkt hatte. „Von uns — 64 — kann Ihnen keiner folgen. Man soll nicht sagen, daß wir den Untergang unsers Gastes befördert haben." Ich dankte meinen Wirthsleuten, und nachdem ich ihnen die Hand gedrückt, ging ich durch die Straßen von Cavite. Ich war mit meinen beiden Pistolen bewaffnet, dic ich im Gürtel trug. Der Gedanke allein, wie ich mein gefahrvolles Unternehmen zu einem gedeihlichen Ende führen könne, beschäftigte mich. Aber ich kannte den Charakter der Indianer schon zu gut, um nicht überzeugt sein zu dürfen, daß meine Kühnheit sie beruhigen würde, anstatt sie zu reizen. Ich ging auf den nahen Ausschiffungsvlah, wo ich Abends zuvor einer so großen Gefahr entronnen war. Er war mit Indianern bedeckt, welche die Schiffe auf der Rhrde beobachteten. Als ich ankam, richteten sich Aller Blicke auf mich. Wie ich vorausgesehen, so kündigte die Physiognomie aller dieser Leute mehr Erstaunen, als Zorn an. „Wollt Ihr Geld verdienen!" rief ick ihnen zu. „Jeder, der mit mir arbeitet, erhält am Abend einen Piaster.^ Ein tiefes Schweigen folgte meinen Worten. Endlich sagte einer von ihnen: „Haben Sie denn keine Furcht vor uns?" „Sieh, ob ich Furcht habe!" antwortete ich, indem ich meine Pistolen zeigte. „Mit diesen Waffen vertheidige ich ein Leben gegen zwei. Der Vortheil ist also auf meiner Seite." Diese Worte brachten eine wunderbare Wirkung hervor. „Stecken Sie Ihre Pistolen wieder in den Gürtel," — 65 — sagte mein Mann. „Sie besitzen viel Muth und verdienen, daß Sie in unserer Mitte sicher sind. Reden Sie, was sollen wir thun? Wir werden Ihnen folgen." Ich sah den Augenblick kommen, wo diese Menschen, die Abends zuvor mich todten wollten, mich im Triumphe davon tragen würden. Nun erklärte ich ihnen die Absicht, verschiedene Gegenstände, die meinen Landsleuten gehörten, herbeizuschaffen, und sichene denen, die mir helfen würden, noch einmal den versprochenen Lohn zu. Dann beauftragte ich den, der mit mir gesprochen hatte, zweihundert seiner Leute mit sich zu nehmen, fast noch einmal soviel, als nöthig warm. Während er seine Auswahl traf, gab ich den, Kahne Zeichen, daß er sich dem Lande nähern möge. Nun übergab ich ihm die mit Bleistift geschriebene Aufforderung, daß alle Schaluppen der französischen Schiffe so nahe dcm User kommen mögen, um das in Empfang zu nehmen, was ich herbei, bringen lassen würde. Einen Augenblick später stand ich an der Spitze meiner Colonne, die aus zweihundert Indianern gebildet ward. Mit ihrer Hilfe hatte ich bald die Segelwcrke, Mundvorräthe, Wcine und sonstig/ Gegenstände an Vord der Schaluppe gebracht. Unter den Matrosen verborgen, legte ich das Geld StüH für Stück nieder, um kein Geräusch zu machen. Vei dem Transporte der Segel, die dem Kapitain Perrour gehörten, sollte mir ein ärgerlicher Umstand ver- hangnißvoll werden. Einige Tage vor der Metzelei war cin französischer Matrose, der in der Segelfabrik arbeitete, an «lbent. e. brct. Edelm. ,c. l. Vd. 5 — 66 — der Cholera gestorben. Seine erschreckten Kameraden hatten den Leichnam in ein Segel gewickelt und waren an Bord deS Schiffes entflohen. Meine Indianer entdeckten diesen Leichnam, der bereits in Fäulniß übergegangen war. Anfangs waren sie erschreckt, dann wurden fie wüthend. Ich fürchtete, daß sie über mich herfallen würden. „Ilire Freunde," riefen sie, „haben diesen Leichnam in der Absicht zurückgelassen, damit er die Luft vergifte und den Schrecken der Epidemie erhöhe." „Wie, habt Ihr Furcht vor einem armen Teufel, der an der Cholera gestorben ist?" rief ich, indem ich die größte Nuhe affectirte. „Ich werde Euch davon befreien." Trotz des Schreckens, den ich empfand, wickelte ich den Körper in ein kleines Segel und trug ihn nach dem Meeresufer. Hier ließ ich eine Grube graben und legte ihn hinein. Nun errichtete ich auf dem improvisirten Hügel ein Kreuz durch zwei Stücke Holz, das einige Tage lang die letzte Wohnung des Unglücklichen bezeichnete, für den außer mir kein Anderer gebetet hatte. Der Tag vnfloß unter mancherlei Gemüthsbewegungen. Gegen Abend war mein Werk vollendet und die Schiffe hatten ihre Vorräthe erhalten. Ich beeilte mich, die Indianer zu bezahlen und gab ihnen außerdem noch ein Faß Branntwein. Ick war der einzige Franzose am Lande und fürchtete ihren Rausch nicht mehr. Mit Ginbruch der Nackt bestieg ich eine Schaluppe, die ein Dutzend Tonnen süßen Wassers im Schlepptau hatte. Seit vierundzwanzig Stunden hatte ich keine Nahrung — 67 — zu mir genommen; erschöpft sank ich auf eine Bank in der Schaluppe, um auszuruhen. Aber bald durcbdrang eine eisige Kälte meine Glieder, und ich verfiel in eine völlige Regungslosigkeit. Dieser Zustand hielt länger als eine Stunde an.. Endlich kam die Schaluppe bei dem Cultiuateur an. Man brackte mich an Bord und rieb mich mit Branntwein. Ich kam bald wieder zur Besinnung. Speisen und Nuhe genügten, um mir meine Kräfte Zurückzugeben. An: anderen Morgen trat ich ruhig in die Mitte meiner LandSleute. Ich machte nun einen Ucberscklag meiner persönlichen Lage. Die seit zwei Tagen stattgehabten Ereignisse hatten mich um Alles gebracht, was ich besessen. Ein kleines Bündel, das die Ersparnisse mehrer Reisen enthielt und das ich dem Kapitain anvertraut, um es in Manilla zu verkaufen, war gestohlen. Ich besaß nur das noch, was ich auf dem Leibe trug, einige Kleinigkeiten, die mir auf dein Schiffe nichts nützten und zweiunddreißig Piaster. Ich war nicht viel reicher, als Bias. Ich erinnerte mich, daß ein englischer Kapitain, den ich auf der Nhedc behandelt hatte, mir ungefähr hundert Piaster schuldete. Unter solchen Umständen war diese Summe ein Vermögen. Aus Furcht vor den Indianern hatte dieser Kapitain zu Manibeles, am Eingänge der Bai, zehn Stunden von Cavitc, Anker geworfen. Um meine Bezahlung zu erhalten, mußte ich mich zu seinem Schiffe begeben.- - — 68 - Ich erhielt von dem Kapitain Perroux ein Boot und vier Matrosen und fuhr ab. In der Abenddämmerung kam ich an. Der gewissenhafte Kapitain, der sich fast im offenen Meere und außer aller Verfolgung befand, antwortete nur, daß er nicht wisse, was ich sagen wolle. Ich forderte Bezahlung. Er lachte und ich behandelte ihn wie einen Schelm. Er drohete, mich in das Meer werfen zu lassen. Kurz, nach einem unnützen Streite und in dem Augenblicke, wo der Kapitam fünf oder sechs kräftige Matrosen auf das Verdeck kommen ließ, um seine Drohung zur Ausführung zu bringen, zog ich mich in mein Boot zurück. Die Nacht war dunkel. Ein heftiger und dabei ungünstiger Wind erhob sich. Es war unmöglich, dab Schiff zu erreichen. So ward ich die ganze Nacht von den Wellen umhergeworfen, ohne zu wissen, wohin ich kommen würde. Am folgenden Morgen bemerkte ich, daß ich einen sehr unnützen Weg gemacht hatte. Cavite lag weit hinter mir. Der Wind war ein wenig ruhiger geworden, wir griffen zu den Nudern und um zwei Uhr Mittags waren wir endlich am Ziele. In Cavite und Manilla war indessen die Ruhe wie-ter hergestellt. Die spanische Autorität hatte Maßregeln ergriffen, welche die Wiederkehr jener bcklagenswerthen Scenen, vv denen wir Zeugen gewesen, verhinderten. Der Pfarrer de Vorstadt von Cavite hatte selbst gegen die eine Excommunication ausgesprochen, die emm 'Angriff auf mein Lebcn — 69 — versuchen würden. Den Grund dieser besonderen Aufmerksamkeit und Fürsorge schrieb ich meinem Stande als Arzt zu. Ich war wirklich der einzige Aesculap des Orts und seit meiner Abreise waren die Matrosen gezwungen gewesen, sich der sehr muthmaßlichen Wissenschaft indischer Zauberer in die Arme zu werfen. Noch war ich nickt ganz entschlossen, an das Land zurückzukehren, als eines Morgens ein hübscher Kahn an den Cultwatcur herankam. Ein Indianer saß darin, den ich auf meinen Ausflügen einige Male gesehen hatte. Er machte mir den Vorschlag, mich auf seine Besitzung, zu führen, die zehn Meilen von Cavite an dem Gebirge Marigondon lag. Die Aussicht auf einige gute Iagdpartien stellten mcie nen Entschluß bald fest. Nachdem ich meine zweiunddreißig Piaster und mein Gewehr, also mein ganzes Vermögen, zu mir genommen, übergab ich mich diesem improvisirten Freunde, den ich kaum kannte. Sein kleines, von Pompelmusbäumen und Mangs-MangS (großen Bäumen, die weithin einen starken Duft verbreiten) beschattetes Häuschen war reizend gelegen. ^wei junge Mädchen, liebenswürdige Kinder, trugen dazu bei, die Besitzung zu einem irdischen Paradiese zu "wachen. ' Der gute Indianer lnelt sein Wort: er und seine Familie bewiesen mir eine so zarte Aufmerksamkeit, welcbc dic europäische Gastfreundschaft nicht kcnnt. — 70 - Die Jagd war mein größtes Vergnügen, vorzüglich dic auf Hirsche, die eine große Gewandtheit erfordert. Ich kannte damals die Jagd auf wilde Büffel noch nicht, von der ich später reden werde; deshalb bat ich oft meinen Wirth, eine solche Jagd zu veranstalten. Aber unter dem Vorwande, sie sei zu gefährlich, lehnte er es stets ab. Die Tage verflossen wie Stunden unter diesen angenehmen Besänftigungen. Seit drei Wochen lebte ich in dieser indischen Familie, ohne daß ich eine Nachricht von Manilla erhalten hatte. Da brachte mir ein erpresscr Bote einen Brief von dem zweiten Kapitain dcS Sckiffcs, der das Commando nach der Ermordung des unglücklichen Dibard übernommen hatte. Er kündigte mir an, daß der Cultivateur im Begriffe stände, nach Frankreich unter Segel zu gehen und daß ich mick beeilen müsse, wenn ich ein Land verlassen wolle, das uns Allen so verhängnißvoll gewesen. Der Brief war schon vor einigen Tagen abgegangen. Die Trennung von meinem Indianer und seiner Familie, deren Gastfreundschaft die Tage meines Aufenthalts so angenehm gemacht, ging mir zu Herzen; aber ich entschloß mich dennoch zur Abreise. Dem Hausherrn machte ich mein Gewehr zum Geschenk. ' Den beiden Mädchen konnte ich Nichts geben, denn ihnen Geld anzubieten, wäre eine Beleidigung gewesen. Drittes Kapitel. Abfahrt des Cultivateur. Manilla und seine Vorstädte. Vinon- doc. Religiöse Ceremonien. Processionen. Die chinesische Douane. ^m folgenden Morgen erreichte ich Manilla. Die beiden weißen Täubchcn der Pomftlemusbäume von Mari? gondon wollten mir nicht aus dem Sinnes Mein erster Gedanke war, an den Hafen zu gehen. Leider hatte ich den Schmerz, den Cultwatcur am fernen Horizonte zu erblicken. Ein günstiger Wind trieb ihu dem Ausgange der Vai zu. Nun mackte ich indischen Gondoliere» den Vorschlag, mich dem Schiffe nachzufahren. Sie antworteten mir, daß dies ausführbar sei, da die Vrise nicht so frisch wäre; aber sie forderten zwölf Piaster im Voraus und ich hatte nur noch fünfundzwanzig. Ich überlegte mir die Sache: wenn ich das Schiff nicht erreichte, was sollte aus mir in einer Stadt werden, __ ^2 __ wo ich Niemanden kannte? Was sollte ich mit dreizehn Piastern und entblößt von Kleidung anfangen? Wie würde ick in einem Anzüge aussehen, der aus einer weißen Weste, aus Pantalons von derselben Farbe und aus einem gestreiften Hemde bestand? Da stieg plötzlich der Gedanke in mir auf, in Manilla zu bleiben und mir den Lebensunterhalt durch Ausübung meiner Kunst zu gewinnen. Jung und ohne Erfahrung, war ich so anmaßend zu glauben, daß ich der erste Arzt und Chirurg auf den Philippinen instln sei. Wer hat wohl nicht, wie ich, diesem stolzen Selbstvertrauen Raum gegeben, das die Jugend erzeugt? Ick wandte dem Schiffe den Rücken und trat entschlossen den Weg nach der Militairstadt an. Bevor ich jedoch in meiner Erzählung fortfahre, werde ich einige Worte über die Hauptstadt der Philippineninseln sagen. Manilla hat mit seinen Vorstädten eine Bevölkerung von ungefähr Hundertfünfzigtausend Seelen. Die Spanier und ihre Creolen bilden kaum den zehnten Theil davon, die übrigen neun Zehntheile bestehen aus Tagalen, Mestizen und Chinesen. Man theilt sie in die Militairstadt, in die Kaufmannsstadt oder Vorstadt. Die erstere ist mit hohen Mauern umgeben, wird auf der einen Seite von dem Meere bespült und grenzt auf der andern an eine weite Ebene, eine Art Marsfeld, die den Truppen zum Uebungsplahe dient. Hier sieht man jeden <5" — 73 — Abend die Creole«, träge in ihren Equipagen liegend, ihrc glänzenden Toiletten zur Schau tragen und die frische See« luft einathmen. Muntere Reiter, kecke Amazonen und Wagen nach europäischer Art durchkreuzen in allen Richtungen diese elysäischen Felder des indischen Archiftcl's. Der andere Theil der Militairstadt wird durch den Fluß Passig von der Kaufmannsstadt getrennt. Den ganzen Tag sieht man auf dem Passig Tausende von Kähnen mit Proviant beladen und reizende Gondeln, die Spazier-ganger nach den verschiedenen Theilen der Vorstadt bringen oder den ankernden Schiffen Besuche zuführen. Die Brücke von Vidondo verbindet die Militairstadt mit der Kaufmannsstadt. Da die Militairstadt hauptsächlich von Spaniern bewohnt wird, welche die öffentlichen Aemter bekleiden, so bietet sie einen traurigen und einförmigen Anblick. Alle Straßen laufen schnurgerade und haben breite TrottoirS von Granitsteinen. Das macadamisirte Pflaster wird im Allgemeinen mit großer Sorgfalt unterhalten. Die Verweichlichung der Einwohner ist so groß, daß sie das Wagengerassel auf Stein? Vlatten nicht vertragen. Die großen und in Zwischenräumcn erbaueten Häuser sind wahre Hotels und so construirt, daß sie dem Erdbeben und Stürmen, die in diesem Erdtheile häufig vorkommen, Widerstand leisten. Alle bestehen aus einem Erdgeschosse und einem einzigen Stockwerke. Der erste Stock, die gewöhnliche Familienwohnung, ist von einer geräumigen Galerie umgeben, die durch große Flügel gcöff„er und geschlossen werden kann. Da diese — 74 — Flügel Scheiben von sehr dünner Perlmutter haben, ^ so dringt das Licht in das Zimmer, ohne der Sonnei^tze Eingang zu ssestatten. In der Militairstadt befinden sich Kloster aller Qrden, sie ist der Sitz des Erzbischofs, der Behörden, der europäischen Douane, und enthält die Hospitäler, den Palast des Gouverneurs und die Citadelle, die beide Städte beherrscht. Manilla hat drei Hauptthore: suei-^ 8anl» - l>ueii>, piiort» Ne»I und puestü plli-iun. lim Mitternacht werden die Zugbrücken aufgezogen, nnd die Thore bleiben nncr-bittlich verschlossen. Der Einwohner, der sich verspätet, ist gezwungen, sich ein Nachtlager in der Vorstadt zu verschaffen. Die Processioncn in Manilla werden mit großem Pompe abgehalten. Sie finden in der Regel bei Fackelschein statt, wenn der Tag der Dunkelheit weicht. Nur einige fmdcn bci bcllem Tage statt, vorzüglich die des Corpus, deren ich erwähnen will. Am Frohnleichnamstage, Morgens zehn Uhr, läuten die Glocken aller Kirchen, um den Gläubigen anzukündil gen, daß die Thüren der Katlndrale geöffnet werden, und daß der fromme Zug sich in Bewegung seht. Die Indianer, die zehn Meilen auS der Umgegend in ihren schönsten Festkleidern herbeieilen, füllen in dichten Massen die Straßen der Stadt. Diejenigen der Straßen, durch welche sich die Procession bewegt, sind mit Zellen, von dem schönsten chinesischen Damast bedeckt, versehen. Der Boden ist mit Blumen und aromatischen Kräutern be- — 75 — strel,'. In Zwischcnräumcn sind große Märe erbaut, an dene sich kostbare Draperien mit Gold und Silber mi« schen, auch sind dicsc Altäre mit natürlichem Grim und den schönsten Blumen geschmückt, welche die tropische Sonne erzeugt. Die ganze Armee im Paradczuge, mit Standarten und fliegenden Fahnen, bildet eine doppelte Reihe die Siraßen entlang, durch die der Zug sick bewegt. Die geistlichen Orden ') und die zahlreichen Personen, welche der Ceremonie beiwohnen wollen, gehen in zwei Reihe», die Kerze in der Hand tragend. In der Mitle befindet sich die Musik aller Regimenter, die Kreuze und die Banner der benachbarten Gemcmdcn. Dann kommt der Erzbischof in seinem strahlenden Priestcrgewande, er geht unter einem kostbaren Baldachin, und trägt das Allerhciligste. Ihm folgen der Gouverneur, die öffentlichen Beamten und alle Körperschaften. Dieser lange Zug wird von den Balcons durch einen Vlumenrcgen begrüßt, Gesänge und Hymnen zum Ruhme deS »Erlösers ertönen, die Musik spielt religiöse Sympho-nien, und die Artillerie donnert von den Wällen herab. So oft der Erzbischof bei der Spitze eines Bataillons ankommt, werden die Fahnen zur Erde gesenkt, und dcr ehrwürdige Prälat tritt sie mit Füßen, um zu zeigen, daß die menschliche Größe und Macht sich vor dcr Allmacht beugt, die er repräsentirt. ') Dle Dominicaner-, Franziskaner, Augustiner- und der Orden Saint-Jean be Die«. — 76 — Nachdem diese unendliche Ncihe von Priestern, Mönchen und frommen Leuten einen langen Weg durch die Stadt gemacht, kehrt sie langsam in die Kathedrale zurück. Ist sie an einem Bataillone vorüber, so bildet es hinter ihr eine Schlachtordnung, und die ganze vereinigte Armee beschließt die Ceremonie durch einen langen Parademarsch. Obgleich das Frohnlcichnamsftst mit großem Pompe gefeiert wird, so zieht doch die Prozession an diesem Tage nicht die größte Aufmerksamkeit auf sich. Die Processionen, die in der heiligen Woche bei Nacht statt finden, geben den Philippinen ein eigenes Gepräge. In Manilla und seinen Vorstädten werden sie unter tiefem Schweigen gefeiert'), da alle Gläubigen betend die Auferstehung des Heilandes erwarten. Diese Ceremonien gewähren einen traurigen und zugleich erhabenen Anblick, der mit der Trauer dieses Tages im Einklänge steht. . Nachdem das Angelus *') eingeläutet, erscheint die Pnesterschaft, gefolgt von den Mönchsorden und den Gläubigen. Sie gehen in zwei Reihen und tragen Fackeln. *) Mittwoch, Donnerstag und Freitag dürfen weder Pferde noch Wagen die Stadt und die Vorstadt Passiren. An diesen drei Tagen geht Jeder zu Fuß. **) DaS AngeluS wird in allen Kirchen um ft Uhr Abends eingeläutet. Bei dem eisten Glockenschlage stellen alle in ihren Wohnungen beschäftigten Personen dlö Arbeit ein. Die Leute in den Straßen, mögen sie sich nun zu Fuß, zu Pferde oder zu Wagen fortbewegen, halten an, um während der fünf oder sechs Minuten des LäutenS zu beten. __ ^^ __ Verschiedene Bilder, welche die Qualen des göttlichen Erlösers darstellen, werden voraugetragen. Diese Bilder, in natürlicher Größe, sind reick bekleidet, und stehen auf Karren oder Tragen, die ebenfalls reiche Draperien schmücken. Zuerst kommt der Tod, der durch ein Gerippe dar-ftcstellt wird. Dann kommen Pius V., der heilige Petrus, Jesus, wie er auf dem Oelbcrge betet, dann wie er uon den Juden ssebunden wird, die Geissel, die Dornenkrone, und endlich Jesus, das Kreuz tragend, umgeben von sei? nen Henkern. Nach dem Christbilde kommen die heilige Veronica, Salome, Magdalene, Sanct Johannes und die heilige Jungfrau in Trauer. Die Heiligen sind reich gekleidet und mit Perlen und Diamanten bedeckt. *) Die Ordnung, die bei den religiösen Festen, vorzüglich bei denen des Nachts, herrscht, bringt einen ergreifenden Eindruck hervor. Die fromme Musik, die harmonischen Stimmen, welche durch Hymnen den Allerhöchsten feiern, die unzähligen Lickter verleihen diesen Ceremonien ei, nen Anblick, der die Seele zu unserm Schöpfer erhebt. In den Provinzen feiert man diese Feste nicht auf dieselbe Weise. Da die Hilfsquellen mangeln, so sind die Diener der Kirche oft gezwungen, Mittel anzuwenden, von *) Jeder Heilige besitzt cine Ausstattung und ein Schmuck-küstchen von großem Werthe. Die heiligen Frauen haben eine Anzahl Ehrendamen, die aus den vornehmsten Familien von Manilla gewählt sind. Diese Damcn besorgen die Toilette der Heiligen zu den Festtagen. — 78 — denen sie wissen, daß sie auf die Schaafe ihrer Heerde einen großen Eindruck ausüben. So habe ich nickt selten gesehen, daß die Heiligen durch Indianer in Festkleidern dargestellt wurden. Den Hahn des heiligen Petrus rcpräscn-tirte cin prachtvoller Kämpe, der sich später bei Hahnen-kämpfen hervorthat. In dem Flecken Pangil ward bei einer Procession in der heiligen Woche das heilige Grab auf einen zweirädri-gen Wagen gestellt und fortgezogen. Dem Wagen gingen zwei Indianer voran. Der Eine war als heiliger Michael, der Andere als Teufel gekleidet. Beide kämpfen mit einander, so lange die Ceremonie dauerte. Es versteht sich von selbst, daß der Heilige Sieger blieb. Gewisse Glaubenslehren nuf dem Lande modificiren auch die religiösen Feste. So findet z. B. in dem Flecken Pa, quil alljährlich eine Procession statt, der alle Kranken und Gebrechlichen tanzend beiwohnen, weil sie glauben, daß sie auf diese Weise von ihrem Leiden geheilt werden. Zwanzig Meilen in der Runde gehen alle Krüppel und Kranke, wenn sie nocb ein wenig Kraft haben, nack Paquil, um dem Feste beizuwohnen. So lange die Procession dauert, so lange tanzen diese Unglücklichen und singen: T'oi-omb» ^a Villen, I» Vir^en tol-ombu! Diese armen Teufel wenden übermenschliche Anstrengungen und unglaubliche Verzerrungen an, bis die Jungfrau in die Kirche zurückkehrt. Keuchend und erschöpft werfen sie sich dann zur Erde, und bleiben stundenlang ohne Bewegung ausgestreckt liegen. Die mit schweren Krankheiten behafteten Personen kommen um. — 79 — während Andere die Gesundheit wieder erlangen oder ihr Uebel verschlimmern. Folgende Legende ist der Ursprung dieser Procession. Ein Armenier ward mitten auf einem See von einem Unwetter überrascht, und sein Fahrzeug drohete Zu versinken'. Da gelobte er, in dem näcksten Flecken zu Ehren der heiligen Jungfrau eine Procession zu veranstalten, und dieser Procession tanzend zu folgen, wenn er die Küste wieder erreichte. Er erfüllte sein Gelübde. Indem er vor der Madonna hertanzte, rief er das Wort toromb», dessen Bedeutung Niemand angeben konnte. Die Vorstadt oder Kaufmannsstadt, Binondoc gc-namt, bietet einen freundlichern und lebendigem Anblick als die Militanstadt. Die Straßen sind nicht zu regelmäßig, und die Gebäude nicht so majestätisch; aber in Vi-nondoc herrscht Lcben und Bewegung. Eine Menge Kanäle, die mit Kähnen, Gondeln und Fahrzeugen aller Art bedeckt sind, durchschneiden diese Vorstadt. Sie ist der Sitz der reichen englischen, spanischen, mdischcn und chinesischen Negoeianten, so wie der Mestizen. Die reizendsten und kokettesten Besitzungen liegen an dem Ufer dce Passig. In diesen von Außen so einfachen Häusern findet man indischen und europäischen Luxus vereint. Die kostbarsten chinesische» Vasen, große Gefäße von Japan, Gold, Silber und Seide überraschen und blenden das Auge des Eintretenden. Jedes Haus besitzt an dem Ufer einen Platz zum Aus- — 80 — laden der Schisse und einen kleinen Palast von Bambus, der zum Vadesaale dient. In diesem Saale versammeln sich die Bewohner täglich mehre Male, nm fich von der Hitze und der Last des Klima's zu erholen. Die Cigarrenfabrik, die stets fünfzehn bis zwanzigtau-send Arbeiter beschäftigt, liegt ebenfalls in Vinondoc; auch die chinesische Douane*), wie überhaupt alle großen Industrie: Etablissements von Manilla. Den ganzen Tag gehen die schönen Spanierinnen, in reiche und durchsichtige indische und chinesische Stoffe gekleidet, von Magazin zu Magazin und stellen die Geduld des chinesischen Verkäufers auf die Probe, der, ohne sich zu beklagen oder eine büse Laune zu bekunden, Hunderte von Stoffen vor der Kunde ausbreitet, die oft diese prächtigen Sachen nur ansiebt, um sich zu zerstreuen, und nicht eine halbe Elle Zeug kauft. Die Bälle und Feste, welche die Mestizen von Bi-nondoe ihren Gästen geben, sind auf den Philippinen-Inseln berühmt. Die europäischen Contretänze wechseln mit ') Chinesische Douane. Zu einer gewissen Zeit im Jahre, wenn der Passatwind aus 3told-Ost weht, kommt eine Flotte von Ionlen an, die mit allen Arten Lebensmitteln aus China beladen ist. Jede Ionke ist von mehren chinesischen Negocianten gemiethet, welche alle ihre Waaren begleiten. Um ihnen den Verkauf während ihres fünfmonatlichen Aufenthalts in Manilla zu erleichtern, hat ihnen das spanische Gouvernement ein großes Gebäude errichten lassen, eine Art Bazar mit kleinen Boutiquen, die man ihnen für einen billigen Preis vermiethet. — 8l — indischen Tänzen nb. Während die jungen Leute den spanischen Fandango, den Bolero und die Cachucha odcr den üppigen Vajaderentanz ausführen, sitzen der unternehmende Mestize, der sorglose Spanier und der positive Chinese in dem Spiclsaale, um da« Glück der Karten zu versuchen. Die Spiclwuth ist so groß, daß einzelne Handelsherren in einer einzigen Nacht Summen von 50,0 Piastern (250 000 Francs) verloren oder gewonnen haben. Auch die Mestizen, die Indianer und Chinesen zeigen eine große Vorliebe für die Hahnenkämpfe. Diese Kämpfe finden in großen Arenen statt. Ich habe gesehen, daß 40,000 Francs auf einen Hahn gesetzt wurden, der 4000 Francs gekostet hatte. Nach zehn Minuten sank dieser theuere Hahn todt zn Voden, sein Gegner hatte ihn erschlagen. Vinondoc ist nicht nur die Stadt deö Vergnügens, des LuruS und der Thätigkeit, sie ist auch die Stadt der LicbeSintrigucn und galanten Abenteuer. Sobald der Abend anbricht, gehen dic Spanier, Engländer und Franzosen auf die Promenaden, um mit den schönen und leichten Mestizen, dcrcn durchsichtige Kleider die reizendsten Formen zeigen, zu liebäugeln. Die chinesisch ltagalischrn oder spanisch-tagalischcn Mestizen zeichnen sich besonders durch einen pikanten Auedruck der Physiognomie aus. Ihre Haar«, nach chinesischer Art zurückgekämmt, werden durch Goldbrochen von enormem Reichthum zusammengehalten. Auf dem Kopfe tragen sie, wie einen Scklcier, cm Tuch auS den Fäden der Ananas, das feiner und schöner als unser Vattist ist. Den Hals schmückt ein Corallmband, das durch ein großes, goldenes Abent. c, bvct. Edclm. ?c. 1. Vd. 6 — 82 — Medaillon geschlossen wird. Ein kleines durchsichtiges Hündchen, von demselben Stosse wie daS Tuch, reicht nur bis an den Gürtel, und bedeckt die Brust, die nie in ein Corsett eingezwängt, ohne sie zu verbergen. Zwei Finger breit unter dem Hemdchen beginnt ein Unterröckchen von den lebhaftesten Farben. Ein breiter. Gürtel von glänzender Seide schließt den Körper ein, onne die Formen zu verdecken Der kleine, weiße Fuß, stets nackt, steckt in gestickten Pantoffeln, die nur die Zehen verhüllen. Es giebt nichts Reizenderes als dieses Costüm, das kokett die Fremden zur Bewunderung auffordert. Die tagalischen und äünesiscken Mestizen wissen auch, daß diese Toilette auf die Europäer eimn großen Eindruck ausübt, und Nichts in der Welt könnte fie bewegen, auch nur eine kleine Aenderung damit vorzunehmen. DaS Costüm der Männer sei nur flüchtig beschrieben. Der Indianer und der Mestize tragen einen großen Strohhut von schwarzer oder weißer Farbe, auch wohl eine Art chinesischen Hut, der Salacote heißt. Auf der Schulter tragen sie das gestickte Tuch von Ananasfäden. Den Hals schmückt ein Rosenkranz von Corallen. Ihr Hemd besteht entweder aus Ananasgcwebe oder Bastseide. Hosen von farbiger Seide, die unten gestickt sind, und ein rother Gürtel von chinesischem Crep vollenden diesen Anzug. Am Tage ist die. Militairstadt todt, gegen Abend wird sie belebt. Aus allen Häusern kommen die glänzendsten Equipagen, die 5 w nung des KapitainS führen. ES war Zeit, denn die Nacht war schon angebrochen. Don Juan Porras war ein Andalusier, ein guter Mann mit einem sehr heiteren Temperamente. Als ich zu ihm eintrat, hatte er den Kopf eingewickelt und war beschäftigt, zwei große Umschläge aufzulegen, die beide Augen völlig bedeckten. „Sennor Kapitain," sagte ich, „ich bin Mediciner und studirter Augenarzt. Ich komme, um Sie zu behan« deln. Ich habe das feste Vertrauen, daß ich Sie herstellen werde." „Basta!" antwortete er. „Die Aerzte von Manilla sind alle Esel!" — 87 — Diese unzweideutige Antwort entmntlngte mich nicht, ich beschloß vielmehr, Vortheil daraus zu ziehen. „Das ist auch meine Meinung," fügte ich hinzu; „eben deshalb, weil ich von der Unwissenheit der eingeborenen Aerzte überzeugt bin, habe ich mich entschlossen, auf den Philippinen zu practiciren." „Was für ein Landsmann sind Sie, mein Herr?" fragte der Kapitain. „Ich bin Franzose." „Ein französischer Arzt!" rief Don Juan. „Ah, das ist etwas anderes! Ich bitte um Verzeihung, daß ich in so harten Ausdrücken von Leuten IhreS Standes gesprochen habe. Ein französischer Arzt! Ich vertraue mich Ihnen an. Nehmen Sie meine Augen hin, Herr Doctor, und machen Sie damit, was Sie wollen." Die Unterredung nahm eine Wendung und ich beeilte mich, zu dem Hauplvnnlte zu kommen. „Ihre Aussen sind scl,r krank, Herr Kapitain," sagte ich. „Um Ihre Heilung sicher und rasch zu bewirken, darf ich Sie nicht einen Augenblick verlassen." „Würden Sie sich bereit finden, Herr Doctor, einige Zeit bei mir zu wolmen?" Die Frage war gelüs't. „Ich willige ein," antwortete ich; „aber unter der Bedingung, daß ick Ilmen Wohnung und Kost bezahle." „Wie Sie wollen!" sagte der gute Mann. „Die Sache ist abgemacht. Dort ist ein hübsches Zimmer und ein gutes Bett — Sie brauchen nur Ihre Bagage zu holen. Ich werde meinen Diener rufen." / __ co __ Das schreckliche Wort „Bagage" klang mir wie ein Grabgeläute. Ich warf cinen traurigen Blick auf meinen Hut, auf diesen improvisirten Koffer, der alle meine Sa-chcn — meine kleine weiße Weste enthielt, wollte ich sagen. Die Furcht war sehr natürlich, daß mich Don Juan für einen entlaufenen Matrosen halten konnte, der ihn zu betrügen suchte. Aber ich konnte nicht mehr zurückweichen. Ich nahm allen meinen Muth zusammen und theilte ihm kurz die traurige Lage mit, in der iäi mich befand. Dann fügte ick hinzu, daß ich ihm nur nach Ablauf des Monat's meine Pension bezahlen könne, wenn ich so glücklich gewesen wäre, einige Kranke zu finden. Don Juan Porras hatte mick ruhig angehört. Als ich meine Erzählung beendet, brach er in ein so lautes Lachen aus, daß ich am ganzen Körper zitterte. „Nun gut," rief er aus, „das habe ich gern. Sie sind arm, folglicb werden Sie um so mehr Zeit für meine Krankheit und ein um so größeres Interesse an meiner Heilung haben. Wie finden Sie diesen Schluß?" „Vortrefflich, Sennor Kapitain! Sie werden scbon binnen Kurzem sehen, daß icb nicht der Mann bin, der einen so ausgezeichneten Philosophen, wie Sie, coinpromit-tirt. Morgen früh werde ich Ihre Augen untersuckcn und ich verlasse sie nur dann erst, wenn ich sie gründlich getheilt habe." In diesem heitern Tone plauderten wir nock lange. Dann zog ich mich in mein Zimmer zurück und entschlief unter dcn lachendsten Träumen. — 89 — Am nächsten Morgen früh zog ich meinen Doctorrock an und trat zu meinem Wirthe in das Zimmer. Ich begann eine Prüfung seiner Augen; sie befanden sich in einem beklagenswcrthen Zustande. Das rechte war zwar noch nicht verloren, aber es bedrohete das Leben des Kranken. Es hatte sich ein Krebs daran gebildet und der große Umfang, den er bereits erreicht, ließ den glücklichen Erfolg einer Operation zweifelhaft erscheinen. Das linke Auge hat mehre mit Wasser unterlaufene Stellen, aber man durfte hoffen, es zu heilen. Ossm theilte ich dem Kaftitain meine Befürchtungen und Hoffnungen mit. Ich bewies ihm die Nothwendigkeit, das rechte Auge völlig auszunehmen. Der Kapitain war Anfangs erschreckt, dann aber faßte er muthig den Entschluß, sich dieser Operation zu unterwerfen. Am folgenden Tage nahm ich sie vor und zwar mit einem glücklichen Erfolge. Nicht lange darauf verschwand die Entzündung und ich konnte meinem Wirthe eine vollständige Heilung verbürgen. Nun richtete ich meine ganze Sorgfalt auf das linke Auge. Ich wünschte um so lebhafter, dem Kapitain daS Augenlicht wiederzugeben, da ich überzeugt war, daß seine .Heilung in Manilla cincs guten Eindruck's nicht verfehlen würde. Nuf und Vermögen hing für mich davon ab. Uebrigens hatte ich mir in wenig Tagen schon ein« kleine Kundschaft erworben und ick befand mich in der Lage, am Ende des Monat'S mein Kostgeld zu bezahlen. Nach eincr ftchswöchcntlichen Behandlung war Don — 90 — Juan völlig hergestellt; er konnte sich jetzt seines linken Auges fast eben so gut bedienen, als vor der Krankheit. Der Kapitain fuhr indeß zu meinem großen Bedauern fort, sich einzusperren. Sein Wicdcrerscheinen in der Gesellschaft, der er sich seit länger als einem Jahre entzogen hatte, würde eine ungeheure Sensation erregt und mich zum ersten Arzte auf den Philippinen gemacht haben. Eines TagcS berührte ich diesen delikaten Punkt. „Sennor Kapitain," fragte ick, „warum bleidcn Sie stets in Ihren vier Wänden? Wavnm nehmrn Sie Ihre alten Gewohnheiten nicht wieder an? Sie müssen Ihre Freunde, Ihre Bekannte besuchen ..." „Doctor," unterbrach mict» Don Juan, „wollen Sie, daß ich mich mit einem Ange auf den Promenaden zeige? Wenn ick durck die Straßen ginge, würden die Frauen bci meinem Anblicke rufen: da kommt Don Juan, der Einäugige. Nein, nein, Sie werden mir ein künstliches Äugt alis Paris kommen lassen, ehe ich das Zimmer verlasse." „Wo denken Sie hin? das Auge kann vor achtzehn Monaten nicht ankommen." „So bleibe ich achtzehn Monate in meinem Zimmer," antwortete Don Juan. Länger als eine Stunde drang ich in den Kapitain — er blieb unerschütterlich. Er trieb die Koketterie so weit, daß er, obgleich ick ihm die Augenhöhle mit schwarzem Tafft bedeckt hatte, seine Fensterladen schloß, wenn er eincn Besuch erhielt. Da man ihn nun immer in derselben Dunkelheit antraf, wollte Niemand an seine Heilung glauben. — 9! — Es läßt sick denken, daß mich die Hartnäckigkeit Don Juan's in Verlegenheit setzte. Nun konnte ich achtzehn Monate an der Thür des Gliick's stehen und warten. Da faßte ich den Entschluß, das Auge sclbst zu fabrkiren, ohne das der kokette Kapitain sich nicht sehen lassen wollte. Ick nahm Glabstücken und ein Blaseröhrchen und ging an die Arbeit. Nack mehren frucktlosen Versuchen eine vollkommene Augenkuael. Aber dies war noch nicht Alles, ich mußte dieser Kugel auch die Farben und das Aussehen des linken Auges gebcn. Ich ließ einen armen Maler kommen und dieser bildete daö Auge nach, das dem Kapitain geblieben war. Nun war es noting, diese Malerei vor der Verlih-rung der Thränen zu schützen, die sie bald zerstören würden. Iu diesem Zwecke ließ ich von einem Goldschmiede eine silberne Kugel fertigen, die kleiner als die gläserne war und befestigte sie mit etwas Wachs in der ersteren. Nun polirte ich den Rand sorgfältig auf einem Steine und nach einer achttägigen Arbeit hatte ich ein genügendes Rcsul« tat erzielt. Das fabricirte Auge war wirklich nicht übel und ick beeilte mich, ihm den gebührenden Platz in der Augen» höhle anzuweisen. Es war dem Kapitain Don Juan ein wenig lästig, aber ich machte ihm begreiflich, daß er sich mit der Zeit daran gewöhnen würde und er willigte ein, eS zu behalten. Nachdem er eine Brille auf die Nase gesetzt, besah er sich im Spiegel. Er fand, daß er gut aussah und nun — 92 — entschloß er sich, seine Besuche am folgenden Tage zu beginnen. Wie ich vorausgesehen, so kam es. Das Wiedererscheinen des Kapitain's Juan Porras in der Gesellschaft machte großes Aufsehen. Man sprach iu Manilla nur von Sennor Don Pablo, dem großen französischen Mediciner und ausgezeichneten Augenärzte. Von allen Seiten strömten die Kranken herbei. Obgleich ich noch jung war und nicht viel Erfahrung hatte, so erfüllte mich doch mein erster Erfolg mir einem solchen Vertrauen, daß ich mit sicherer Hand mehre Staar-operationen ausführte, die glücklicherweise vollständig gelangen. Ick konnte meine Praxis kaum noch versehen. In kurzer Zeit verwandelten sich meine trostlosen Tage in Reichthum und Ucberfluß. In meiner Remise stand ein Wagen, und in meinem Stalle scharrten vier Pferde. Trotz dieser glücklichen Veränderung konnte ich mich nicht entschließen, das Haus des Kaftitain's zu verlassen. Er hatte mich so gastfreundlich aufgenommen und ich wollte mich dafür dankbar zeigen. In den Musestunden leistete er mir Gesellschaft und unterhielt mick durch die Erzählung seiner Kriegsgeschichten und seiner Glücksfälle. Ich wohnte bereits sechs Monate bei ihm, als ein Umstand, der in meinem Leben eine Epoche macbte, mich zwang, mich von dem fröhlichen Ka-Pitain zu trennen. Einer meiner Freunde, ein Amerikaner, hatte auf — 93 — den Promenaden oft eine junge Frau in Trauer bemerkt, die für eine der schönsten Sennora's der Stadt galt. So oft wir ihr begegneten, so oft pries der Amerikaner die Schönheit der Marquise de las Salinas. Sic war achtzehn oder neunzehn Jahre alt, hatte sanfte und regelmäßige Züge, sckönc, schwarze Haare und große Augen nach Art der Spanierinnen. Sie war die Wittwe eines Garde «Colonel's, der sie, fast noch ein Kind, gehei-ralhet hatte. Der Anblick dieser Frau hatte auf mich einen tiefen Eindruck ausgeübt. Ich besuchte alle Salons von Binon« doc, um it,r einmal anderswo, als auf der Promenade, entgegenzutreten. Mein Bemühen war umsonst. Die junge Wittwe machte keine Besuche. Schon verzweifelte ich, sie je sprechen zu können, als eines Morgens ein Indianer zu mir kam und mich aufforderte, seinen Herrn zu besuchen. Ich stieg in den Wagen und fuhr ab, ohne nach dein Namen des Kranken zu fragen. Der Wagen hielt vor einem der schönsten Häuser der Vorstadt Santa-Cruz. Nachdem ich den Kranken examinirt und einige Augenblicke mit ihm gesprochen hatte, sehte ich mich an einen Pfeilcrtisch, um ein Necept zu schreiben. In diesem Augenblicke hörte ich hinter mir das Rauschen eines Kleides. Ich wandte den Kopf und die Feder entsank meiner Hand — dieselbe Frau stand vor mir, die — 94 - ich so lange vergebens gesucht hatte. Sie erschien mir vlötz, lich wie in einem Traume. Mcine Ueberrasckung war so groß, daß ich einige unverständliche Worte stammelte und sie mit einer Ungeschicklichkeit grüßte, die sie lächeln machte. Sie fragte mich einfach nach dem Gesundheitszustände ihreS Neffen, dann entfernte sie sich wieder. Ich aber kehrte in meine Wohnung zurück, anstatt meine Krankenbesuche wie gewöhnlich fortzusetzen. Nun bestürmte ich den Kapitain mit Fragen über Frau von las Salinas; er konnte meine Neugierde vollkommen befriedigen, da er die ganze Familie der jungen Dame gekannt hatte, die in der Colonie der größten Achtung sich erfreute. Den anderen Morgen und die folgenden Tage besuchte ich die Wohnung der reizenden Wittwe wieder, die mich fteundlich empfing. Ich will dieser Einzelnheiten nicht weiter erwähnen, da sie ausschließlich meine Person betreffen. . . . Sechs Monate nach meiner ersten Zusammenkunft mit Madame de las Salinas bewarb ich mick um ihre Hand und erhielt sie. So hatte ich denn fünfhundert Meilen von meinem Vaterlande Glück und Reichthum gefunden. Ich traf mit meiner Frau das Uebereinkommen, daß wir nach Frankreich gehen wollten, sobald ihr Vermögen, das größtentheils in Mexico stand, realisirt sein würde. Bis dahin war mein Haus der Versammlungsort der Fremden und vorzüglich der Franzosen, deren sich in Ma< nilla bereits sehr viel befanden. — 95 — Um diese Zeit ernannte mich das spanische Gouvernement zum Regimentsarzte des ersten leichten Regiment's und der Milizen des Bataillons de la Panxanga. Ich hatte nicht vermuthet, daß mir das Glück in so kurzer Zeit seine schönsten Gaben bieten würde. Allcg war zu meiner Rückkehr nach Frankreich vorbereitet, denn wir erwarteten jeden Augenblick die Ankunft der Gallionen, die den Dienst zwischen Acaftulco und Manilla versahen und das Vermögen meiner Frau mitbringen sollten. Dieses Vermögen machte die hübsche Summe von sie-benhunderttaustnd Francs auS. Eines Abends, als wir beim Thee saßen, meldete man uns, daß die Schiffe von Ucaftulco durch den Telegraphen signalisnt säen und daß sie am folgenden Morgen auf der Nhede Anker werfen würden. Da unsere Piaster an Bord sein mußten, waren alle unsere Wünsche erfüllt. Aber welch ein Erwachen stand uns bevor. Die Schiffe brachten nicht einen Piaster mit. Dies war folgendermaßen zugegangen. Fünf oder sechs Millionen waren zu Lande von Mexico nach San Blas exftcdirt, anstatt sie einzuschiffen. DaS mexicanische Gouvernement hatte die Sendung durch ein Linienregiment, das der Colonel Aturbide commandirte, eskortircn lassen. Während des Marsches hatte sicb dieser der Sendung bemächtigt und war mit seinem Ncgimcnte zu den Indeften-dcnten übergegangen. Es ist bekannt, dasi Iturbide später zum Kaiser von Mexico ernannt, dann fortgejagt und endlich erschossen wurde. — 96 — Schmi am Tage der Ankunft der Schiffe hatten wir die Gewißheit, daß unser Vermögen verloren sei und daß keine Hoffnung blieb, je auch nur einen kleinen Theil davon wiederzuerlangen. Wir ertrugen diesen harten Schlag mit Philosophie. Den Verlust der Piaster bedauerten wir nicht so sehr, als die Nothwendigkeit, unsere Reise nach Frankreich aufzuschieben. Mein Haus blieb dasselbe, wie zuvor. Meine Praxis und die verschiedenen Anstellungen erlaubten mir, in den spanischen Colonien auf einem großen Fuße zu leben und es ist wahrscheinlich, daß ich mein Glück in wenig Jahren gemacht haben würde, wenn ich Arzt geblieben wäre. Abcr der Wunsch nach einer grenzenlosen Freiheit ließ mich alle diese Vortheile aufgeben, um ein Leben voll Zufälligkeiten und Aufregungen zu führen. Ich will jedoch nicht zu weit vorgreifen, damit der Leser die Geduld hat, noch einiges über Manilla und verschiedene Ereignisse zu vernehmen, bei denen ich entweder als handelnde Person oder als Zeuge betheiligt war, bevor ich das Leben des bürgerlichen Sybarite» aufgnd. Fünftes Kapitel. Der Kapitam Novales. Militairaufstand. Novales, Kaiser der Philippinen. Sein Tod. Tierra-Nlta. Banditen. ^Sck war, wie schon erwähnt, Regimentsarzt bei dem 1. leichten Negimente, und stand zu fast allen höhern Offi-eieren in Vczichungc::, besonders zu dcm Kapitain Novales, der von kreolischer Abkunft und ein Mann Von braven, unternehmenden Charakter war. Er stand in dem Verdachte, das Regiment, dem er angehörte, zu Gunsten der Independents aufwiegeln gewollt zu haben. Eine deshalb angestellte Untersuchung lieferte keinen Beweis. Da aber der Gouverneur stets noch Argwohn hegte, so schier er ihn in eine Provinz deS Südens und stellte ihn unter Aufsicht deS Alcadcn. Am Morgen des Tages, der zu seiner Abreise bestimmt war, besuchte mich Novales; nachdem er sich über die Ungerechtigkeit des Gouverneurs gegen ihn bitter beklagt hatte, fügte er hinzu, daß man bereuen würde, nicht mehr Ver-?lbcnt. e. bret. Cdelm. 1. Bd. ? — 98 — trauen in seine Ehre sseseht zu haben, und daß er bald wieder zurücklehren werde. Ich versuchte ihn zu beruhia.cn; wir reicliten uns die Hände, und Abends reiste cr auf dem Säuffc ab, das ihn an den Ort seiner Bestimmung bringen sollte. In der Nacht, die der Abreise NovaleS folgte, ward ich durch Gewehrfeuer plötzlich geweckt. Ich warf mich in die Uniform und eilte der Caserne meines Regiment's zu. Die Straßen waren leer, abcr von fünfzig z« fünfzig Schritten waren Schildwachen ausgestellt. Mir ward klar, daß in irgend einem Theile der Stadt etwas Ungewöhnliches vorgche. Als ich in der Caserne ankam, war ich nicht wenig überrascht, die Thore geöffnet und die Wacke unbesetzt zu finden. In dem Innern war kein Soldat zu sehen. In der Krankenstube, die ich eigens für Cholerakranke hatte einrichten lassen, sagte nur ein Sergeant, daß widri« geS Wetter Novalcs gezwungen habe in den Haftn zurückzukehren, daß Novalcs um ein Uhr Morgens mit dem Lieutenant Ruiz in die Caserne gekommen fti, und daß cr, nachdem er sich der Hilfe aller Creole« »Unterofficiere versichert, das Regiment unter die Waffen gerufen, die Thore von Manilla beseht, und sich endlich zum Kaiser der Phil livbinen proklamirt habe. Diese außerordentliche Nachricht machte mich bestürzt. Mein Regiment war in vollem Aufstande. Ging ich zu ihm und eS ward besiegt, so betrachtet« man mich als einen Verräther und der Tod durch die Kugel war gewiß; blieb ich und kämpfte gegen das Regiment, so kannte ich — 99 — NovaleS genug, um zu wissen, was ich, im Falle er siegte, von ihm zu erwarten hatte. Ich durfte indeß nicht lange schwanken. Die Pflicht band mich an Spanien, das mich so gut behandelt hatte; ich beschloß, Spanien zu vertheidigen. Ich trat aus der Caserne und überließ mich dem Zufalle. Bald stand ich vor dem Quartier der Artillerie. Ich näherte mich dem Gitter und fragte den beobachtenden Offi-cier, ob er für Spanien sei. Auf seine bejahende Antwort bat ich ihn, mir öffnen zu lassen und erklärte ihm, daß ich mich seinem Corps anschließen wolle, dem ich vielleicht als Wundarzt Dienste leisten könne. Ich trat ein und ging zu dem Commandanten, um seine Befehle einzuholen. Während der Nacht hatte sich Nuiz im Namen Nova-les zu dem General Folgueras begeben, der in Abwesenheit dcS Gouverneurs Martinez commandirte. Der Gou: verneur befand sich auf dem Lande. Nackdcm er die Wache überrascht und Folgueras erdolcht, hatte er sich der Häupter der Stadt bemächtigt. Dann war er zu den Gefängnissen gegangen, hatte die Gefangenen in Freiheit gesetzt, und statt ihrer die ersten Beamten der Colonie eingesperrt. Das erste leichte Infanterie-Regiment stand auf dem Gouvernements-Platze zum Kampfe bereit. Zweimal hatte es versucht, die Artillerie zu werfen und die Citadelle zu nehmen, aber es war stets zurückgeschlagen. 7* — 100 — Man wartete auf Hilfe von auswärts und auf die Befehle des Generals Martinez, um die Rebellen anzugreifen. Bald hörten wir einige Artillerie! Salven. Der Gene« ral Martinez, an der Spitze des Regiment's der Königin, ließ das Thor Samte-Lucie sprengen und drang in die Militairstadt. Das Artillerie-Corps vereinigte sich mit dem Gouverneur, und wir rückten nach dem Gouvernements-Platze vor. Die Insurgenten hatten an den Straßen, die aus den Platz mündeten, je zwei Kanonen aufgepflanzt. Kaum hatten wir uns dem Palaste genähert, als wir von einem fürchterlichen Muökctenfeucr empfangen wurden. Der Feldprediger des Generals fiel als das erste Opfer. Wir standen in einer Straße, die sich an den Vefcsti-gungswerken hinzog, und von wo aus ein vortheilhafter Angriff des Feindes unmöglich war. Der General Martinez gab dem Angriffe eine andere Richtung, und wir drangen durch die Straße Samte-Isabelle vor. Die Truppen hatten zwei Reihen ssebildet und rückten auf beiden Seiten der Straße vor, indem sie die Mitte frei ließen. DaS Regiment Panpangas, daS von einer andern Seite her den Fluß überschritten hatte, kam durch eine der entgegengesetzten Straßen an. Die Insurgenten standen Zwischen zwei Feuern. — l0l — Aber sie vertheidigten sich mit großer Uncrschrockenheit, und ihre TirallmrS verursachten uns viel Schaden. Nouales war überall, er feuerte seine Soldaten durch Worte, Geberden und durch sein Beispiel an. Der Lieutenant Nuiz war beschäftigt, eine der Kanonen zu richten, welche die Straße beherrschte, aus der wir anrückten. Nach einem dreistündigen Kampfe begann eine allgemeine Flucht. Die Soldaten »nachten Alles nieder, was ihnen in die Hände fiel. Novales ward als Gefangener zu dem Gouverneur geführt. Nuiz hatte zwar einen Schuß in den Arm erhalten, er war aber so glücklich, die Vcfestigungswcrke zu ersteigen und zu entkommen. Erst drei Tage später ward er ergriffen. Kaum war der Kampf beendet, so trat auf der Stelle ein Kriegsgericht zusammen. Novales ward zuerst verurtheilt. Um Mitternacht war er proscribin, um zwei Uhr Morgens zum Kaiser ausgerufen, und um fünf Uhr Abends ward er von hinten erschossen. Solche Glückswecksel kommen in den spanischen Colo-men häufig vor. Das Kriegsgericht blieb bis zu Mittag des folgenden Tages beisammen, und verurtheille alle Gefangenen, die man mit den Waffen in der Hand ergriffen hatte. Der zehnte Theil des Regiment's ward auf die Galeere geschickt, und alle Unterofficiere wurden zum Tode vcrur-thcilt. — 102 — Ich hatte den Vefchl erhalten, mich um vier Uhr auf den Gouvernements-Platz zu begeben, wo die Execution stattfinden sollte. Alle Stabsofficicre und zwei Comftagl men von jedem Bataillon der Garnison wohnten dieser Execution bei. Gegen fünf Uhr wurden die Thüren deS Stadthauses geöffnet. Umgeben von Soldaten erschienen siebzehn Unter-officicre. Jeder von ihnen hatte zwei Mönche und einen barmherzigen Bruder bei sich. Ein feierliches Scbweigen herrschte auf dem ganzen Platze. Von Zeit zu Zeit hörte man das dumpfe Wirbeln der Trommeln und die Grabgesängc der Mönche. Der langsam sich bewegende Jug hielt vor der Fa?ade des Palastes an. Den siebzehn Unterofficieren ward befohlen, niederzuknien und das Gesicht gegen die Mauer zu wenden. Nun erfolgte ein langer Trommelwirbel, die Mönche trennten sich von den Opfern, ein zweiter Wirbel rollte und eine Salve krachte — die siebzehn jungen Leute fielen mit dem Gesichte auf die Erde. Aber einer von ihnen war nicht getroffen, er sank nieder, und beobachtete eine völlige Regungslosigkeit. Einen Augenblick später traten die Brüder heran und warfen ihre schwarzen Schleier über die Opfer, die von nun an der göttlichen Gerechtigkeit angehörten. Ick hatte die Vorgänge beobachtet, und stand nur einige Schritte von dem entfernt, der sein> Nolle als Todter so gut spielte. Mein Herz klopfte, als ob es die Brust zersprengen wollte. Ich hätte die Mönche auf diesen Unglück- — 103 — lichen stoßen mögen, der eine gräßliche Angst empfinden mußte. Aber in dem Augenblicke, als der schwarze Schleier den unglücklichen jungen Mann bedecken sollte, der durch ein Wunder verschont geblieben, berichtete ein Officier dem Commandanten, daß ein Schuldiger der Strafe entgangen sei. Die frommen Brüder standen still, und zwei Solda, ten erhielten dm Vcfthl, auf den unglücklichen Unterofficicr aus einer so nahen Entfernung zu schießen, daß sie ihn sicher trafen. Entrüstet trat ich dem Angeber näher, und maHte ihm seine Grausamkcit zum Vorwürfe. Er wollte antworten, aber ich wandte ihm verachtend den Nucken zu. Den Namen dieses OsficicrS will ich aus Rücksicht für seine Familie verschweigen. Ein jstrenger Vcfehl meines Colomls hatte mich gezwungen, dieser schrecklichen Hinrichtung beizuwohnen, die ich erzähle, und dock hätten mich lebhafte Besorgnisse davon zurückhalten muffen. Am Abend, als der Kampf beendet und die Insurgenten in die Flucht gescklagcn waren, dachte ich an die Qualen, die meine theure Anna empfinden mußte. Es war ein Uhr Nachmittags, und seit drei Uhr Nachts hatte ich sie ohne Nachricht von mir gelassen. Konnte sie nicht glauben, daß ich zu den Rebellen gehörte oder gefallen sei? Wenn meine Pflicht mich einen Augenblick die hatte vergessen lassen, die ich mehr als mein Leben liebte, so stand ihr Bild doch vor mir, als die Gefahr vorüber war. Gute Anna! Ich sah sie bleich und zitternd vor Auf- — 104 — regung, sich ftagend, ob nicht jed?r abgefeuerte Schuß fie zur Wittwe machte. Mit Schmerz erfüllter Seele eilte ich nach Hause, um sie zu trösten. Ich stieg rasch die Treppe hinan. Mein Herz klopfte heftig. Vor der Thür ihres Zimmers stand ick einen Aussenblick still. Nachdem ich ein wenig Muth gefaßt, öffnete ich, und trat ein. Anna lag auf den Knien und betete. Als sie meinen Schritt hörte, sah sie auf; sie erhob sich und warf sich in meine Arme, ohne ein Wort auszu-ftrechen. Ich schrieb Anfangs dieses Schweigen ihrer Aufregung zu; als ich aber ihr reizendes Gesicht Prüfte und ihren star, ren Blick sah, da zitterte ich. Ich hatte alle Symptome einer Gehirnentzündung erkannt. Mir bangte, daß meine Frau den Verstand verloren l,ätte, und dieses Bangen erhielt mich in einer steten Auf-regung. Ich war glücklich in meinem tiefen Schmerze, daß ich selbst ihr einige Linderung gewähren konnte. Nachdem ich sie zu Bett gebracht, ließ ich ihr.alle Sorgfalt angedcihcn. die ihr Zustand erforderte. Sie war sehr ruhig. Die wenigen Worte, die sie sprach, waren unzusammenhängend. Sie hatte die fixe Idee, daß men sie vergiften und mich ermorden wolle. Ihr gan« zes Vertrauen war auf mich gerichtet. Während der ersten drei Tage waren alle angewendeten Mittel fruchtlos. Die Kranke empfand keine Linderung. Nun beschloß ich, die Aerzte von Manilla zu consulti- — 105 — ren, obgleich ich kein Vertrauen zu ihnen hatte. Sie rie-then mir einige unbedeutende Mcdicamcnte und gestanden, daß jede Hoffnung verloren sei. Als einen philosophischen Trost fügtm sie lnnzu, daß der Tod dem Verluste deS Verstandes vorzuziehen sei. Ich theilte die Ansicht dieser Herren nicht. Ich hätte den Wahnsinn dem Tode vorgezogen, denn in diesem Falle blieb mir die Hoffnung, daß der Wahnsinn sich mildere und verschwinde. Wieviel Wahnsinnige hat man nicht schon geheilt, und wieviel werden noch täglich geheilt! Aber der Tod ist das letzte Wort der Menschheit. Der Grabstein, sagt ein junger Dichter, legt sich zwischen Gott und die Welt, er ist ein gefallener Vorhang. Ich beschloß den Tod zu bekämpfen und'Anna gegen ihn zu vcrtlicidigen. Nun versuchte ich alle Berechnungen der Wissenschaft, so problematisch sie auch sind. Ich sah, daß meine College« noch unwissender waren, als ich geglaubt hatte. Mit Ziebe, Ergebung und festem Willen be« gann ich den Kampf gegen das Schicksal, das sich mir in so düstern Farben zeigte. Ich schloß mich in dem Zimmer der Kranken ein, und verließ sie keinen Augenblick mehr. Es machte mir Mühe, sle zur Annahme der Medicamente zu bewegen, die ich für nöthig hielt. Ich mußte meine ganze Ucberredungskunst aufbieten, um sie zu überzeugen, daß die Arzeneien, die ich ihr bot, nicht vergiftet seien. Sie schlief nicht, obgleich sie stets eine Schlafsucht hatte, die eine starke Entzündung des Gehirns verrieth. — l0ti — Dieser schreckliche Zustand dauerte neun Tage. Näh: rend neun Tagcn wußte ich nicht, ob ich sie für todt oder lebend halten sollte. Wie oft bat ich Gott, er möge ein Wunder thun! Eines Morgens sah ich, daß die Kranke die Augen schloß. Ein unbeschreiblicher Sckrecken erfaßte mich. Sollte der Scklummer, der sich ihrer bemächtigte, ein Erwachen sein? Ich neigte mich über sie und belauschte ihr Athmen — eS war ruhig und geräuschlos. Ich befühlte den Puls — er ging ruhiger und regelmäßiger. Es kündigte sich die Besserung an. In einer gräßlichen Angst wartete ich. Als der ruhige Schlaf eine halbe Stunde angehalten, zweifelte ich nicht mchr, daß eine heilsame Krisis meiner armen Kranken den Verstand und das Lcben zurückbrachte. Achtzehn Stunden saß ich an ihrem Bette und beobachtete ihre kleinsten Bewegungen. Nachdem ich so lange eine martervollc Angst und Ungewißheit ertragen, erwachte endlich die Kranke wie auö einem Traume. „Du wachst wohl schon lange?" sagte sie, indem sie nur die Hand reichte. „Ich bin wohl sehr krank gewesen? Ach, wie hast Du für mich gesorgt! Du kannst nun ruhen, denn ich fühle, daß ich genesen bin!" Ich glaube, daß ich in meinem Lcben die stärksten Aufregungen, sowohl vor Glück als vor Kummer, gehabt habe, die der Mensch empfinden kann. Aber nie ist meine Freude lebhafter und inniger gewesen, als in dem Augenblicke, wo Anna diese Worte sprach. , Man.kann sich einen Begriff von meinem Geisteszu- — 107 — stände machen, wenn man die Qualen bedenkt, die ich seit achtzehn Tagm erlitten. Ich war seit einiger Zeit Zeuge von so seltsamen Schauspielen gewesen, daß es wohl natürlich erschien, wenn ich den Verstand verlor. Ich halte thätig an einem erbitterte» Kampfe teilgenommen; ich hatte Verwundete rings um mich niedersinken sehen und das Röcheln dcr Sterbenden gehört; als ich uach einer schrecklichen Execution zu meiner Gattin zurückkehrte, hatte sich meiner der größte Schmerz bemächtigt; dann war ich bci einer angebeteten Person geblieben, ohne zu wissen, ob ich sie für immer verlieren, oder ohne Verstand behalten würde; und plötzlich ward diese thmre Lebensgefährtin durch ein Wunder dcm Leben zurückgegeben. Meine Thränen mischten sich mit den ihrigen. Meine Augen, trocken und brennend von dem langen, schmerzlichen Wachen, fanden die Thränen wieder, aber cS waren dicS Thränen oer Freude und des Glück's. Wir wurden Vcide nach und nach ruhiger. In traulichem Gespräche erzählten wir uns Alles, was wir erduldet hatten. .O Sympathie liebender Herzen! Wir hattm denselben Kummer gebabt, denselben Schmerz empfunden — su für mich, ich für sie! Nach diesem erquickenden Schlummer stand Anna auf und machte wie gewöhnlich ihre Toilette. Keiner von denen, die sie sahen, wollte glauben, daß sie achtzehn Stunden zwischen Tod und Wahnsinn geschwebt, zwischen diesen beiden Abgründen, vor denen die Liebe und Treue unS bewahrt hatten. — 108 — Ich war glücklich. Mein tiefer Schmerz war rasch durch eine lebhafte Freude verscheucht, die sich in meinem Gesichte abspiegelte. Leider war auch diese Freude vorübergehend, wie alle Freuden. Der Mensch ist hieniedcn die Beute des Unglück's. Nach einem Monate verfiel meine Frau in dieselbe Krankheit. Dieselben Symptome zeigten sich mit denselben Wirkungen in demselben Verlaufe der Zeit. Noch neun Tage wackle ick an ihrem Bette, und am zehnten Tage gab ihr ein wohlthätiger Scklummer den Verstand zurück. Aber diesmal hatte ick die Erfahrung für mick, diese unerbittliche Lehrmeisterin, die einen Unterricht giebt, den man nie wieder vergißt. Ick fürchtete, daß dieser plötzliche Wechsel keine völlige Heilung sei, daß er einen RückfM herbeiführen würde, der das Gehirn der Kranken für immer zerstörte. Dieser verhängnißvolle Gedanke zerbrach mir das Herz, und bewirkte eine Traurigkeit, die ick der nicht verheimlichen konnte, die sie mir eingeflößt hatte. Ich erschöpfte alle Hilfsmittel der Medicin; alle waren fruchtlos. Vielleicht, dachte ick, geht ihre Genesung besser von statten, wenn ich die Kranke von den: Orte entferne, wo die Ereignisse, die ihre Affection bewirkt, stattgefunden; vielleicht sind Bäder und Spaziergänge auf dem Lande der Wiederherstellung günstig. In Begleitung einer Verwandten reisten wir nach Tierra«Ma, einem reizenden Orte, — 109 — einer wahren Oase, wo sich Alles vereinigte, um das Leben angenehm zu machen und Liebe dafür zu erwecken. Die ersten Tage unsers Aufenthalt'S auf diesem schönen Landsitze waren Tage der Freude, der Hoffnung und des Glück's. Anna erholte sich mit jedem Tage mehr, und sie er« freute sich bald einer blühenden Gesundheit. Prachtvolle Orangen und Mangolien bildeten in dem reizenden Garten eine so dichte Gruppe, daß wir in ihrem Schatten Schutz gegen die stärkste Hitze fanden. Ein hübscher Bach mit blauem, durchsichtigem Wasser floß mitten durch unsern Nasenplatz. Ich ließ indische Bäder in diesem Bache anlegen. Wollten wir uns an Spazierfahrten erfreuen, so ließ ich vier schöne Pferde an einen niedlichen Wagen spannen und wir fuhren durch die mit biegsamem Bambusrohr und allen Arten tropischer Blumen geschmückten Wege. Aus dieser kurzen Schilderung läßt sich entnehmen, daß in Ticrra-Alta Nichts fehlte, was man auf dem Lande wünschen kann. Es war ein Eden für eine Recon-valescentin. Aber man hat wohl Recht, wenn man sagt, daß es auf Erden kein vollkommenes Glück giebt. Ich hatte eine Zrau, die ich anbetete, und die mich mit der Aufrichtigkeit eines jungen und reinen Herzens liebte. Wir lebten, fern von dem Geräusche der Welt, in einem Paradiese, und vorzüglich fern von neidischen und eifersüchtigen Menschen. Wir athmeten eine würzige Luft. das Wasser, das unsere Füße netzte, war klar und strahlte einen war- — 110 — mm, glänzenden Himmel zurück, der oft mit glühenden Sternen besäet war. Und Anna's Gesundheit schien sich zu befestigen — ich war glücklich! Ich war glücklich über ihr Glück! Wer nun konnte das Glück in unserer reizenden Einsamkeit trüben? Ein Haufen Banditen! Diese Banditen hielten sich in dcn reizenden Uferget genden von Ticrra-Alta auf und verwüsteten das Land durch Diebereien und Mordthaten. Man hatte zwar ein Regiment zu ihrer Verfolgung ausgeschickt; aber sie kümmerten sich wenig darum. Sie waren zahlreich, gewandt und verwegen, und so viel Wachsamkeit das Gouvernement auch entfaltete, die Vande^ sehte ihre Räubereien und Mordthaten fort. In dem Hause, das ich damals bewohnte und später verließ, ward der Cavalerie-Commandant Nguilar, der eS nach mir bezog, überfallen und von zwanzig Dolchstichen durchbohrt. Einige Jahre nach diesem Vorfalle mußte das Gouvernement mit diesen Banditen caftitulircn, und gleich darauf sah man eines Tages zwanzig mit Karabinern und Dolchen bewaffnete Männer in Manilla einziehen. Ihr Chef führte sie; stolz und sicher zogen sie nach der Wohnung des Gouverneurs. Dieser redete sie an, ließ sie die Waffen ablegen und schickte sie zu dcm Erzbischof, damit er sie ermähne. Nach einer frommen, eindringlichen Rede forderte der — Ill — Erzbischof sie auf, ihre Verbrechen zu bereuen, gute Bürger zu werden und in ihre Dörfer zurückzukehren. Diese Männer, die sich deS Gewinnes wegen mit dem Blute ihrer Nebenmenschen befleckt, die dcs GoldcS wegen tausend Verbrechen begangen hatten, hörten fromm den Diener des Herrn an, änderten vollständig ihren LebenS-Wandel und wurden dann gute und friedliche Pflanzer. Doch, ich kehre nach Tierra-Alta und zu der Zeit zurück, wo die Banditen sich noch nicht bekehrt hatten und meine Ruhe und Sicherheit stören sollten. War es nun aus Sorglosigkeit, oder weil ich ein großes Vertrauen in den Indianer setzte, bei dem ich nach den Verwüstungen der Cholera einige Zeit gelebt hatte und dessen Einfluß im Lande mir bekannt war — kurz, ich fürchtete die Banditen nicht. Dieser Indianer lebte einige Meilen von Tierra-Alta in den Bergen von Marigondon; er hatte mich mehrmals besucht und oft gesagt: „Fürchten Sie die Banditen nicht, Sennor Doctor Pablo; sie wissen, daß wir Freunde sind, und dies genügt, um sie von einem Angriffe auf Sie abzuhalten, denn sie fürchten mir zu mißfallen und mich zu ihrem Feinde zu machen." Diese Worte hatten mich vollständig beruhigt, und bald auch hatte ich Gelegenheit zu sehen, daß mich der Indianer unter seinen Schutz genommen. Wenn der Leser, wie ich, von dem Wunsche beseelt gewesen wäre, die Wasserfälle der Ticrra-Alta zu besuchen, so wäre er mit mir nach dem Orte gegangen, der — 113 — Mang-Mang genannt wurde. In der Nähe dieses Ortes wohnten Verwandte meines indischen Beschützers. Hier fallt der, eng in sein Bett eingezwängte Fluß aus einer Höhe von dreißig bis vierzig Fuß in einem einzigen Strahle in ein großes Becken, au.' dem das Wasser ruhig abstießt, um nach einigen Schritten einen neuen, aber weniger hohen Fall zu bilden, und zwar in der gan» zen Flußbreite. Das klare und wie Krystall durchsichtige Wasser rauscht übcr drei Stufen herab. Es ist ein wunderbares Schauspiel, wie alle die, welche die mächtige Hand des Schöpfers den Augen der Menschen bictct. Mag auch die Kraft und der Erfin-dungSgeist der Menschen sich abmühen — er erreicht die Erhabenheit nicht, welche die N^tur ihren Werken verleiht! EincS Morgens fuhren wir nach diesen Wasserfallen. Kaum hatten wir den Fuß auf den Boden von Mang-Mang gesetzt, als plötzlich unser Wagen von Banditen umringt ward, die vor den Linientruppen flohm. Der Chef, wir vermutheten es anfangs, daß er es sei — sagte zu seinen Genossen, ohne sich um uns zu tum« mern und ohne ein Wort an uns zu richten: „Wir müssen die Pferde todten!" Mir war klar, daß er fürchtete, seine Feinde würden die Pferde zur Verfolgung senützen. Mit groß« Kaltblütigkeit, die mich glücklicherweise in gefahrvollen Augenblicken nie verlaßt, sagte ich zu ihm: „Habe keine Furcht, Deine Feinde sollen sich meiner Pferde zu Deiner Verfolgung nicht bedienen; ich gebe Dir mein Wort darauf!" — 113 — Darauf wandte er sich zu seinen Kameraden: „Wenn eS so ist, wenn uns die spanischen Soldaten heute Nichts zu Leide thun, so werden auch wir Keinem ein Leid zufügen. Folgt mir!" Laufend setzten sie ihren Weg fort. Einen Augenblick später fuhr ich im Galopp davon und schlug eine Richtung ein, in der ich den Soldaten nicht begegnen konnte. Die Banditen sahen mich von Weitem. Die Gewissenhaftigkeit, mit der ich mein gegebenes Wort gehalten, sollte ihre Früchte tragen. Ich wohnte nicht nur mehre Monate sicher in Tierra-Ma, ich erhielt auch einige Jahre später, als ich Jala-Jala bewohnte und in der Eigenschaft als Commandant der Landgcndarmerie der Provinz Lagune der natürliche Feind der Banditen war, folgenden Brief: „Mein Herr! „Hüten Sie sich vor Pedro Tumbaga! Er hat uns aufgefordert, Sie in Ihrer Wohnung zu überfallen uud anzugreifen. Wir erinnern uns noch jenes Morgens, wo wir uns nn dm Wasserfällen sprachen; Sie sind ein Ehrenmann, denn Sie haben treulich Ihr Wort gehalten. Müssen wir uns einander gegenüber stehen, so werden wir ehrlich kämpfen, und nie soll Ihnen eine Schlinge gelegt werden. Seien Sie auf Ihrer Hull), und fürchten Sie Pedro Tumbaga, Er ist ein Schuft und fähig, auS einem Verstecke einen Schuß auf Sie abzufeuern." Abcnt. c. bret. Gdelm. ,c. l. Vd. , » — 114 — Man sieht, daß ich mit anständigen Banditen zu thun hatte. Ich antwortete ihnen: „Ihr seid brave Leute. Ich danke Euch für Euere gut gemeinte Absicht; aber ich fürchte Pedro Tumbaga nickt. Ick begreife nickt, daß Ihr einen Mann unter Euch behalten konnt, der fähig ist, seinen Feind aus dem Hin-terhalte zu todten. Hätte ich einen Soldaten, wie ihn, ich würde ihm bald Gerechtigkeit wiedcrfahren lassen, und zwar ohne Beihilfe der Gerichte." Vierzehn Tage nach meiner Antwort lebte Tumbaga nicht mehr. Die Kugel elncS Banditen hatte mich von ihm befreit. Ich kehre nun zu meiner ersten Erzählung zurück. Als ich Mang-Hlang und die Banditen hinter mir hatte, hielt ick an; ick fürchtete, daß das so eben stattgehabte Ereigniß einen bösen Einfluß auf Anna ausüben könnte. Aber glücklicherweise waren meine Befürchtungen ilnge« gründet, meine Frau hatte sich nicht erschreckt. Als ich sie fragte, ob sie Furcht gehabt habe. antwortete sie: „Furcht! Bin ich nicht bei Dir?" Bei spätern gefahrvollen Gelegenheiten erhielt ich den Beweis, daß sie mir die Wahrheit gesagt hatte, denn sie behielt stets dieselbe Kaltblütigkeit. Als ich die Gtt'ahr für beseitigt hielt, schlug ich den Weg nach meiner Wohnung ein. DaS Benehmen >er Banditen hatte mir nicht nur gefallen, es gab mir auch die — 115 — Gewißheit, daß ich von ihnen etwas Böses nicht zu befürchten hatte. Ich dankte meinem Freunde, dem Indianer, denn ich zweifelte nicht daran, daß ftin Einfluß meine wilden Nachbarn im Zaume tnelte. Der verhängnißvolle Zeitpunkt, wo meine Frau einer neuen Krisis erliegen sollte, nahete; bald ward sie von der schrecklichen Krankheit wieder befallen, welche der Aufstand Novales bewirkt hatte. Ich hatte gehofft, daß die Landluft, die Bäder und die vielfältigen Zerstreuungen meine arme Kranke heilen würden; aber mein Hoffen war vergebens, ich mußte, wie im Monate zuvor, eine Zeit Physischer und moralischer Leiden verleben. Die Verzweiflung bemäcktigte sich meiner, ich wußte nicht mehr, was ich beginnen sollte; aber ich entschloß mich, in Tierra-Alta zu bleiben, denn hier hatte ja meine theuere Lebensgefährtin die Gesundheit wieder erlangt. Ich wich nicht von ihrer Seile und suchte durch Alles, was Kunst und Einbildung erfinden konnten, die verhängnißvolle Krankheit zu bekämpfen. Endlich wurden meine Bemühungen durch einen glücklichen Erfolg gekrönt. Die Zeit, wo das Uebel wiederkch, ren mußte, verstrick, ohne daß es eintrat, und ich hatte die Gewißheit einer vollständigen Genesung. Nun empfand ich alle Freude, die sich des Gemüth's bemächt'gt, wenn man lange für den Verlust einer zärtlich geliebten Person gezittert hat, und ich gab mich furchtlos den vielfachen Freuden hin, die Tierra-Alta mir bot. 8' — 116 — Ich liebte die Jagd, und ging oft in die Verge von Marigondon zu meinem Freunde, dem Indianer. Wir verfolgten zusammen den Hirsch und die manichfa-chm Vögel, die dieses Land in einem solchen Ueberfiussc besitzt, daß man unter fünfundzwanzig Gattungen Tauben, Hühnern und wilden Enten wählen kann. Ich habe oft fünf bis zehn auf einen Schuß erlegt. Die Jagd auf wilde Hühner, eine Art Fasanen, gewährte mir großes Vergnügen. Wir jagten in großen Ebenen, die mit kleinen Gehölzen besäet waren. Dazu bedienten wir uns schöner, eigens dazu dressirter Pferde. Die Hunde jagten das Wild-Pret auf, und wir, die wir mit Peitschen bewaffnet waren, hieben es nieder, was indeß nicht so schwer war,'als man wohl glauben mochte. Wenn ein Volk aufgejagter Hühner auS einem Dickicht aufflog, setzten wir unsere Pferde in Galopp, und nun begann ein Jagen, wie es sich ein englischer Gentleman nur immer wünschen kann. Auch den Hirsch jagte ich zu Pferde und mit der Lanze. Diese Uebung gewährt viel Vergnügen, leider aber ist sie nicht selten von Unglücksfällen begleitet. Ich theile einen solchen Fall mit. Die Pferde, deren.man sick bedient, sind für diesc Jagd abgerichtet; sobald sie den Hirsch gewahren, ist es nicht mehr nöthig, es ist selbst unmöglich, sir zu leiten; sie verfolgen ihn mit der ganzen Schnelligkeit ihrer Beine, und überspringen alle Hindernisse, die Nch ihnen bieten. Der Reiter hält eine Lanze in der Hand, deren Schaft — 117 — Mi oder drei Ellen lang ist. Sobald er das Thier in der Wurfweite glaubt, wirft er die Lanze nach ihm. Fehlt er, so fährt die Lanze in die Erde. Nun bedarf eS einer großen Gcschicklichkcit, um dem emporragenden Ende derselben auszuweichen, das oft die Brust des Jägers oder das Pferd verletzt. Von den Stinzm, denen man ausgesetzt ist, wenn man auf einem unebenen und fremden Terrain im Galopp reitet, rede ich nicht: Schon bei meinem ersten Aufenthalte bei dem Indianer hatte ich solche Jagden mitgemacht. Da ich eine Ehre darin suchte, so hatte ich ihn gebeten, mich zu einer ge-fährlichern Jagd mitzunehmen, und zwar zu der Büffel-jagd, die man fast einen Kampf nennen kann. Aber anf alle meine Bitten hatte der Indianer stets geantwortet - „Diese Jagd ist zu gefährlich, ich will Sie nicht ci-ncm Unglücke auSschen." Er vermied es selbst, mich in die Ebenen zu führen, die das Gebirge Marigondon begrenzen, und wo die wilden Büffel gewöhnlich zu finden sind. Sechstes Kapitel. Tierra-Alta. Die Büffeljagd. Rückkehr nach Manilla. 3lach vielen wiederholten Bitten erreichte ich endliä,, was ich so sehnlich wünschte. Aber der Indianer wollte wissen, ob ich ein guter Reiter und gewandt sei. Als er sich über diese beiden Punkte Gewißheit verschafft hatte, brachen wir eines schönen Morgens auf. Neun Jäger und eine kleine Meute begleiteten uns. In dem Theile der Philippinen, wo wir uns befanden, ward die Büffeljagd zu Pferde und mit einer Schlinge ausgeführt, da die Indianer nicht gewohnt sind, sich des Gewehrs zu bedienen. In anderen Theilen gebraucht inan die Feuerwaffe, wie ich später Gelegenheit haben werde, zu erzählen. Aber beide Arten sind gleich gefährlich. Bei der ersten Art muß man ein guter und sehr gewandter Reiter sein; bei der zweiten bedarf es einer großen Kaltblütigkeit und einer guten Waffe. — 119 — Der wilde Büffel ist von dem Hausbüffel sehr verschieden — er ist ein gefährliches Thier. Er verfolgt den Jäger, sobald er ihn bemerkt, und kann er ihn mit seinen spitzen Hörnern erreichen, so laßt er ihn seine Verwegen-heit büßen. Mein treuer Indianer wachte über meine Erhaltung mehr, als über die seinige. Er wollte nicht, daß ich ein Gewehr, nicht einmal eine Schlinge nähme. Da er nicht genug Vertrauen in meine Geschicklichkeit setzte, so zog er es vor, daß ich zu Pferde und in meinen Bewegungen ungehindert blieb. Meine ganze Bewaffnung bestand in einem Dolche, den ich im Gürtel trug. In kurzem Trabe durchstreiften wir zu dreien die Ebene; aber lvir hüteten uns w'.bl, den Saum des Waldes zu überschreiten, um von dem Thiere nicht überrascht zu werden, dac zu bekämpfen wir ausgezogen waren. Nach einer Stunde hörten wu das Bellen der Hunde, ein Zeichen, daß der Fcind im Anzugc war. Nun beobachteten wir mit der größten Aufmerksamkeit den Ort, wo wir dachten, den Feiud ankommen zu sehen. Er ließ^fich lange bitten, ehe er sich zeigte. Endlich krachte das Holz, die Zweige brachen zusanu men, die jungen Bäume wurden entwurzelt und ein herrlicher Büffel erschien in einer Entfernung von ungefähr fünfzig Schritten. Dieser Büffel hatte eine schöne schwarze Farbe; seine Hörner waren lang und spitzig. Den Kops hoch haltend brach er hervor und suchte seine Feinde. — 120 — Mie einer Sämclligkcit, die man bei einem so gewall tigen Thiere kaum voraussetzen konnte, wandte er sich plotzl lich einer unserer Gruppen zu, die aus drci Indianern bestand. Diese sehten ihre Pferde in Galopp und bildeten ein Dreieck. DaS Thier wählte sich cinen von ihnen, dann sprang es mit Ungestüm ihm entgegen. Während dieser Zeit sprengte ein anderer Indianer auf den Büffel zu und warf ihm die Schlinge über, die er in der Hand hielt; aber er war nicht geschickt genug und verfehlte den Hals. Der Büffel änderte die Richtung und verfolgte den unklugen Feind, der gerade auf uns zu eilte. Eine Zweite Gruppe von drei Jägern warf sich ihm entgegen. Ein zweiter sprengte im Galopp auf ihn zu und warf seine Schlinge; aber er war nicht glücklicher, als .sein Kamerad. Alle drei Jäger machten denselben Versuch; keinem gelang es, seine Schlinge anzubringen. Ich bewunderte als Zuschauer dieses Kämpfen, dieses Fliehen und Verfolgen, das mit eben so vicl Muth und Ordnung, als Geschicklichkeit und Genauigkeit ausgeführt ward. Es war mir ein ungewöhnliches Schauspiel. Ich hatte oft Stierkämpfen beigewohnt und gezittert, wenn ich sah, wie die Toreadors dieselbe Ncgcl beobachteten, um das wüthende Thier abzulenken, wenn es den Picador be-drohete. — 121 — Aber ein Kampf in geschlossener Bahn ließ sich mit diesem Kampfe im offenen Felde durchaus nicht vergleichen. Der schrecklichste Stier ist Nichts gegen einen wilden Büffel. Die Spanier mit raschem Vlute und die stolzen Ca-stilianer, die aufregende und gefährliche Schauspiele suchen, mögen in die Ebenen von Marigondon auf die Büffeljagd gehen! Nack vielem gefährlichen Kämpfen, Fliehen und Verfolgen gelang es endlich einem geschicktem Jäger, dem Thiere die Schlinge umzuwerfen. Der Büffel lief langsamer und schüttelte den Kopf. Dann stand er von Zeit zu Zeit still, um sick von dem Hindernisse zu befreien, das sein Laufen beeinträchtigte. Ein anderer, nicht minder geschickter Indianer als der erste, warf nun mit derselben Schnelligkeit und mit demselben Glücke scinc Schlinge aus. Das wüthende Thier grub nun seine spitzen Hörner in den Boden, daß die Erde rings emporsaus'te. Es wollte uns ohne Zweifel seine Kraft zeigen und das Loos, das den von uns betroffen haben würde, der sich hätte über« raschen lassen. Mit großer Sorgfalt und Vorsicht ließen die India? »er den Büffel dil Mitte eines kleinen dichten Gehölzes erreichen, auS dem wir ihn zu unserer Freude bald wieder hervorgehen sahen. Me Jäger brachen in ein Freudengeschrei aus. Ich konnte einen Ruf der Bewunderung nicht unterdrücken. Das Thier war besiegt; eS bedürfte nur noch einiger Vorsichtsmaßregeln, um sich seiner völlig zu bemächtigen. — 122 — Zu meinem Erstaunen reizte man ihn durch Rufen und Bewegungen, um ihn zum Angreifen zu bewegen und springen zu lassen. Was würde unser Loos gewesen sein, wenn die Schlinge sich abgelüs't hätte oder gerissen wäre? Glücklicherweise war keine Gefahr vorhanden. Ein Indianer sprang vom Pferde und befestigte die beiden Schlingen mit großer Gewandtheit an eincm star: ken Baumstämme, so daß der wüthende Büffel zurückgehalten wurde. Dann benachrichtigte er unS durch ein Zeichen, daß er sein Werk vollbracht habe und zog sich zurück. Nun rückten zwei Jäger heran und warfen dem Thiere auch ihre Schlingen über. Dann befestigten sie die beiden Enden der Schlingen durch Pfähle auf der Erde und bald war unsere Beute dergestalt gefesselt, daß sie sich nicht mehr bewegen konnte. Wir konnten uns nun ungestraft nähern. Die Indianer hieben nun mit breiten Säbeln dem Büffel die Hörner ab, mit denen er sicher Rache geübt haben würde, wenn er sich ihrer hätte bedienen können. Hierauf durchstachen sie ihm mit einem spitzen Bambus die Haut zwischen den beiden Nasenlöchern und zogen ein indianisches Rohr in Form eines Ringes hinein. Nachdem man ihn so gepeinigt, befestigte man ihn an zwei Hausbüffeln und führte ihn bis zu dem nächsten Dorfe. Hier begann das Iägerrecht. Man tödtete das Thier und die Jäger theilten das Fleisch, das eben so gut als das deS Ochsen ist. — 123 — Ich hatte einen guten Anfang gemacht, denn nicht alle Büffeljagden laufen so glücklich ab, wie diese. Einige Tage nachher führten wir eine Zweite Jagd auS, die durä» einen Zwischenfall unterbrochen wurde, der leider nur zu häufig vorkommt. Ein Indianer ward von einem Büffel in dem Augenblicke überrascht, wo er auS dem Gehölze trat. Er durchbohrte das Pferd mit einem Hornstoße und warf es zu Boden. Der Indianer kauerte sich hinter dem gefallenen Pferde nieder und da der Boden uneben war, so hoffte er, seinem furchtbaren Feinde zu entkommen. Der Büffel aber führte eine zweite Bewegung mit dem Kopfe aus und wars das Pferd auf den Reiter. Dann stieß er nach ihm und würde ihn unfehlbar getödtet haben, wenn er ihn sogleich erreicht hätte. Glücklicherweise kamen andere Jäger herbei, die den Büffel zwangen, sein Opfer zu verlassen. Es war die höchste Zeit.' Wir fanden den armen Indianer halb todt. Die Horner deS Büffels hatten ihm schreckliche Wunden beigebracht. Nachdem wir das in Strömen fließende Blut gestillt, legten wir ihn auf eine schnell verfertigte Bahre und trugen ihn nach dem Dorfe. Nach einer langen und sorgfältigen Wege genas er wieder. Der Indianer, mein Freund und Beschützer, wollte nicht, daß ich ferner noch einer so gefährlichen Jagd beiwohnte. Anna war völlig wieder hergestellt. Ich fürchtete nicht „lehr, da ihre schreckliche Krankheit wiederkehren würde. — 134 — Mehrere Monate lang hatte ich alle Freuden und Annehmlichkeiten genossen, die Tierra-Alta bot. Die Posten, die ich in Manilla bekleidete, erforderten dort meine Gegen« wart. Ich erfuhr es und wir reis'tm nach der Stadt. Gleich nach meiner Rückkehr mußte ich zu meinem Bedauern das vorige Leben wieder beginnen, das heißt, von Morgcns früh bis Abends spat Kranke besuchen. Mein Stand entsprach durchaus meinem Charakter nicht. Ich war nickt genug Philosoph, um ohne Trauer die Leiden zu sehen, die ich nickt mildern konnte, um zu sehen, wie Väter und Mütter starben, die ihren Familien noch nützlich waren, oder junge geliebte und^liebende Wesen. Mit einem Worte, ick handelte nicht als Arzt, denn ich schickte den Leuten keine Rechnungen, man bezahlte mich wann und wie man wollte. Zum Lobe der Menschheit muß ich sagen, daß ich wenig vergeßliche Leute gefunden habe. Ucbrigens erlaubten mir meine Anstellungen ein bequemes Leben zu führen; ich hatte acht Pferde in meinem Stalle und hielt für meine Freunde und für Fremde stets offene Tafel. Aber bald hätte mich ein Zufall um alle diese Vors theile gebracht. Ich hielt monatlich eine Revision in dem Regiments ab, bei dem ich diente. Eines Tages brachte ich einen jungen Soldaten, um ihn abdanken zu lassen. Alles ging gut; aber ein französischer Arzt, Herr Charles Venoit, der auf mich eifersüchtig war, ward von — 125 — dem Gouverneur ernannt, um eine Untersuchung einzuleiten und meine Erklärung zu prüfen. Er sehte natürlich in seinen Napftort, daß ich mich getäuscht habe und daß die Krankheit, von der ich gesprochen, eine eingebildete sei. Der durch dicscn Rapport auft gebrachten Gouverneur verurtheilte mich zu einer Geldbuße von sechs Piastern. Den folgenden Monat stellte ich abermals denselben Soldaten vor und forderte seine Entlassung, da er zum Dienste nicht tauglich sei. Es ward eine Commission von acht Aerzten ernannt. Die Commission entschied einstimmig, daß ich Necht hatte. Der Soldat ward abgedankt. Diese Ausgleichung genügte mir nicht; ich reichte dem Gouverneur eine Reclamation ein, der mir unter dem Vor-wände nicht Gerechtigkeit wicdcrfahren lassen wollte, daß die Entscheldung des ärztlichen Comit«'S die scinige nicht aufheben könne. Ich gestehe, daß ich diesen Beweisgrund nicht begriff. Dieses Naisonncment, wenn cS nämlich eines war, hielt ich nur für ein scheinbares. Wie konnte man zugeben, daß der Unschuldige bestraft ward und daß der Unwissende, der sich getäuscht und mir widersprochen hatte, keinen Tadel erhielt? Diese Ungerechtigkeit empörte mich. Ich bin Bretag« ner, !ich hatte unter den Indianern gelebt, zwei Naturen, die nur die Gerechtigkeit und daS gute Nccht lieben. DaS Betragen des Gouverneurs brachte mich dergestalt auf, daß ich zu ihm ging, nicht um noch einmal zu — 126 — reclamiren, sondern ihm meine Entlassung von den wich« tigen Posten, die ich bekleidete, zu überreichen. Er empfing mich lächelnd und antwortete nach einigem Ueberlegen, daß ich von meiner Idee zurückkommen würde. Der gute Gouverneur irrte. Mein erster Wcg auS seinem Palaste war der in das Finanzministerium, wo ich die Besitzung Jala «Jala kaufte. Mein Entschluß stand unerschütterlich fest. Obgleich meine Entlassung noch nicht angenommen war, so handelte ich doch, als ob ich völlig frei wäre. Ich hatte Anna vorläufig davon unterrichtet und sie gefragt, ob sie wohl in Jala-Jala leben möchte. „Mit Dir werde ich überall glücklich sein!" hatte sie mir geantwortet. Demnach war ick Herr meines WollenS und Handelns, ich konnte gehen, wohin mich mein Geschick führte. Und ich that es. Ich wollte zunächst die Ländercien besichtigen, die ich so eben erworben hatte. Siebentes Kapitel. Jala-Jala. Der See von Bay. Chinesische Legende. Alila. (Mabutin - Tajo.) Hlr Ausführung dieses Planes bedürfte ich eines Indianers, auf den ick mich verlassen konnte. Ich wählte unter meinen Domestiken den Kutscher auS, einen treuen, verschwiegenen und muthigen Mann. Nachdem ich in Lapindcm, einem kleinen Dorfe bei dem Flcckm Santa - Anna, mim Kahn mit drei Indianern gemiethet und ihn mit Waffen, Munition und Lebensmitteln ausgerüstet hatte, rcis'te ich am Morgen des 2. April 1824 ab, um den Besitz meiner Güter anzutreten. Ich hatte weder meinen Freunden den Plan mitgetheilt, noch hatte ich mich erkundigt, ob dcr Gouverneur meine Stelle wieder beseht hatte. Wollüstig schlürfte ich die belebende und reine Luft der Freiheit ein. Mein leichter Kahn flog wie eine Seeschwalbe über die Fluchen des Flusses Pasfig. — 128 — Der Passiv kommt alls dem See von Vah und ergießt sich in das Meer, nachdem er durch die Vorstädte von Manilla geflossen ist. An seinen Ufcrn prangen Bambus-Waldungen und reizende indianische Besitzungen. Unterhalt) deg großen Fleckens Passig nimmt er den Fluß San« Mateo auf. An dem linken Ufer gewahrt man noch die Ruinen der Kapelle und der Pfarrwohnung von San-Nicolas, die, wie die Legende sagt, von dcn Chinesen erbaut worden sind. Ich will versuchen, dicse Legende zu erzählen. Vor Zeiten fuhr ein Chinese in seinem Kahne entweder auf dem Passig oder dem San-Matco. Da bemerkte er plötzlich einen Caiman, der sich seinem gebrechlichen Fahrzeuge näherte und es umzustürzen drohete. Der unglückliche Chinese, der sich schon in den Fluthen sah und sich für ein Futter des wilden Thieres hielt, nahm seine Zuflucht zu dem heiligen Nicolaus. Ein anderer hätte es vielleicht nicht gethan und dann würde er Unrecht gehabt haben. Der Gedanke war gut. Der große heilige Nicolaus horte auf das verzweif-lungsvolle Rufen des Schiffbrüchigen, er erschien ihm und verwandelte mit einer Zauberruthe, als ob er eine wohlthätige Fec gewesen wäre, dcn lästigen Caiman in einen Felsen. Der Chinese war gerettet. Aber man glaube nicht, daß die Legende zu Ende ist. Die Chinesen sind keine undankbaren Leute. China ist das Land des Porcellan'S, des Thee's und der Dankbarkeit. — 129 -, Dcr Chinese, der einem so gräßlichen Tode entgangen war, wollte das Andenken an dieses Wunder erhalten — in Uebereinstimmung mit seinen Brüdern zu Manilla erbaute er dem großen Nicolaus eine hübsche Kapelle und eine Pfarrwohnung daneben. Dcr Dienst in dieser Kapelle ward lange Int durch einen Bonzen, einen chinesischen Priester, versehen und alljährlich am Sanct-Nikolaustage vereinigten sich die reichen Chinesen von Manilla zu Tausenden, um ein Fest zu begehen, das vierzehn Tage dauerte. Aber ein Bischof von Manilla fand, daß diese Dank-barleitSfeier ein heidnischer Gottesdienst sei und darum ließ er das Dach der Kapelle und deS Pfarrhauses abtragen. Diese grausame Maßregel hätte weiter keine Folgen gehabt, wenn das Wasser deS Himmels nicht in die Gebäude gedrungen wäre. Die Feste zu Ehren des heiligen Nicolaus dauerten fort und dauern noch immer fort. Vielleicht deshalb, weil man sie untersagt hatte. Um die Zeit, wo jetzt diese Feste stattfinden, am 6 November jeden Jahres, bietet sich dem Auge ein entzücken-dcr Anblick. Man sieht Nachts auf dem Passig große Sckiffe, die mit Vielen Kosten aus Manilla gebracht werden. Auf diesen Schiffen sind wahre Paläste von mehreren Etagen erbaut, die vom Fuße bis zum Gipfel erleuchtet werden. Alle diese Lichter spiegeln sich in dem ruhigen Wasser des Flusses und scheinen die Zahl dcr Sterne zu vermehren, die auf der Oberfläche der Fluchen zittern. Abent. e, bret. Edelm- ,c. t. Bd. 9 — 130 — ES ist ein imftrovisirteS Venedig. In diesen Palästen trinkt man, man raucht Dftium und macht Musik. Der Peveate, ein chinesischer Weihrauch, brennt überall und beständig zu Ehren des großen Nicolaus, den man jc-den Morgen anruft, indem man kleine Papicrquadrate von verschiedenen Farben in den Fluß wirft. Aber Sanct-Nicolaus erscheint nicht. Das Fest dauert zwei Wochen, dann gehen die Gläubigen heim bis zum nächsten Jahre. Der Leser kennt nun die Legende vom Caiman, von dcm Chinesen und von dem großen NicolauS, ich kehre also zu meiner Reise zurück. Ich fuhr also ruhig den Passig hinan, meinen neuen Besitzungen zu und träumte goldene Träume. Ich sah dcm leichten Rauche meiner Cigarre nach und dachte nicht, daß meine Träume und meine Luftschlösser wie er verfliegen würden. Bald befand ich mich auf dem See von Bay. Dieser See, der größte der Insel Lü?on, hat einen Umfang von fünfundvicrzig bis fünfzig Meilen. Er ist auf allen Sei« ten von hohen, vulkanisch geformten Bergen umgeben, i:, denen fünfzehn Flüsse entspringen, die sich alle in dieses ungeheure Wasserbecken ergießen. Der Passig ist der ein, zige Abfluß zum Meere. Nachdem der Passig seine Flu-then zwischen Hügeln und den Vorstädten von Manilla hingewälzt, ergießt er sich in die Bucht, die sieben bis acht Meilen von dcm See entfernt ist. __ ,I« __ Nmnundzwanzig große Flecke» liegen an den Gestaden des See's, größtenteils da, wo die Flüsse münden.') Dieses herrliche Wasserbecken, das an manchen Stel< len dreißig Fuß tief ist, ist mit reizenden Inseln besäet, auf denen eine bewunderungswürdige Vegetation herrscht. Die größte dieser Inseln, Talim, bildet mit dem Festlande von Lü^on die Meerenge von O.uinabutasan und mit Jala-Jala, das gegenüber liegt, den Theil des See'S, der den Namen Ninconada führt. Das Wasser des Bay ist süß und trinkbar. Aber be« vor man es trinkt, muß mau es einige Stunden still stehen lassen, damit sich eine Menge fremder Korper, die es enthält, auf den Boden sehen. Wenn diese Vorsicht vernachlässigt wird, ist das Wasser schädlich, es erzeugt heftige Kolikm und Magenbeschwerden. Die Erklärung dieses UmstandeS ist nicht ohtte In« tercsse. Wenn die Sonne am Horizonte steht und der Wind von der entgegengesetzten Küste weht, so kann man das geschöpfte Wasser nur dann ungestraft trinken, wenn man tS zuvor eine gute Stunde im Schatten hat stehen lassen. Eben so ist es, wenn man sich in dem See badet, der Körper bedeckt sich mit Ausschlag und man wird mehre Stunden von einem unerträglichen Jucken geplagt. ') Das Wort Tagaloc lomnit Von den Bewohnern der Küste dieses See'S. Gs ist die Abkürzung der beiden Wvrte loß» (Leute) und ilue (Fluß) Flußleutc. 9» -^ 132 — Dieses Phänomen ist besonders dcm Sec von Bay ei< sen, und wird ohne Zweifel durck die Millionen mikrosco-piscker Insecten hervorgebracht, denen der Strahl der Sonne Leben giebt, und die vom Winde nach der entgegengesetzten Küste getragen werden. Die Fischer reiben sich mit Cocosö'l cm, um sich vor dieser Plage zu schützen. Der See besitzt vortreffliche Fische in Ueberfluß. Drei Gattungen allein sind dieselben, die wir in Europa haben: Die Seebarbe, der Aal und der SeckrebS. Die beiden letzt tern sind von auffallender Größe. Die Aale von fünfzehn bis zwanzig Kilogrammen sind sehr gewöhnlich. Auch zwei Seefische halten sich in diesem süßen Wasser auf: Der Haifisch und der Sägefisch. Der erstere ist glück« lickerweise sehr selten, der Letztere aber findet sich sehr häufig. Ick kam endlich in Quinabutasan an. Es ist dies ein tagalesiscbeS Wort, und bedeutet i wer ist löcherig. In der einzigen Hütte, die sich hier befindet, hielten wir uns eine Stunde lang auf, um unser Mahl zu kochen und zu verzehren. Diese Hütte bewohnte ein Fisckcr ^nit seiner Frau, sehr alte Leute; dessen ungeachtet aber sorgten sie durch Fisch« fang für ihren Unterhalt ftlbst. Ich werde spater von dem Vater Relampago sprechen, und seine Geschickte erzählen. Als ich mich a»lf der Mitte der Wasserfläche befand, die Talim von der Halbinsel Jala-Jala trennt, bemerkte ich die neue Besitzung, die ich leichtfertig gekauft hatte; ich konnte sie durch einen Blick beurtheilen. — 133 — Iala?Iala ist eine lange Halbinsel, die sich in der Mitte des See's von Norden nach Süden erstreckt. Diese Halbinsel ist ihrer ganzen Länge nach durch eine Bergkette getheilt, die sich in kleine Hügel mit Zwischen-räumen auflöst. Die Natur ist unbeschreiblich schön. Klare und durchsichtige Quellen kommen von den Bergen, wässern eine üppige Vegetation Und ergießen sich in den See. Die fetten Weidn: machen Jala-Jala zum wildreichstcn Theile der ganzen Insel. Hirsche, Eber, wilde Büffel, Hühner, Enten, fünfzehn bis zwanzig Arten Tauben, Papageien und alle Arten Vögel sind in Ucberfluß vorhanden. Der See ist mit zahllosen Wasservögeln bevölkert, vorzüglich mit Enten. Trotz ihrer Ausdehnung bringt die Insel keine schädlichen und fleischfressenden Thiere hervor. Man hat nur die Zlbethkatze zu fürchten, ein kleines Thier von der Größe einer Katze, die Jagd auf Vögel macht; dann die Affen, die in großen Haufen aus den Wäldern kommen, und die Zuckerrohr- und Maisfelder verwüsten. Der See, der vortreffliche Fische enthält, ist in dieser Beziehung weniger begünstigt, als das Land. Man trifft häufig CaimanS und Alligatoren, Thiere von so ungeheurer Größe, daß ein einziges derselben ein Pferd in wenig Augenblicken in Stücke zerreißt und in seinen großen Magen aufnimmt. Sie richten häufige und schreckliche NnglückS-fälle an. Ich habe geschm, daß mehr als ein Indianer ihnen zum Opfer fiel; mir selbst sind sie später begegnet. Ich hätte eigentlich zuerst von den Menschen sprechen — 134 — sollen, die in den Wäldern von Jala-Jala wohnen; aber ich bin Jäger, und man wird mir verzeihen, daß ich mit dem Wildbret angefangen habe. Zu der Zeit, als ich Jala-Jala kanfte, ward es von einigen Indianern malaischer Abstammung bewohnt, die in den Wäldern lebten und einige Flecke Erde bebauetcn. Nachts trieben fie auf dein See das Handwerk der Piraten, und gewährten allen Banditen der benachbarten Provinzen eine Zufluchtsstätte. In Manilla hatte man mir diese Landschaft mit den düstersten Farben geschildert. Nach der Aussage der Stadtbewohner hätte iä> nicht lange hier bleiben können, ohne das Opfer der Banditen zu werden. Bei meiner Vorliebe Zu Abenteuern trugen diese Erzähl lungen nur dazu bei, den Wunsch, diese Menschen, die fast im rohen Naturzustande lebten, kennen zu lernen, zu erhöhen. Von dem Augenblicke an, wo ich Jala-Jala gekauft hatte, gestaltete sich in mir der Plan, die Einwohner an mich heranzuziehen, anstatt sie zu fürchten. Ich hatte be« schlössen, mir die Banditen zu Freunden zu machen; zu dic-sem Zwecke durfte ich nicht als ein streng befehlender Besitzer kommen, sondern als ein Vater. Das Gelingen meines Unternehmens hing von dem ersten Eindrucke ab, den ich auf die Indianer ausübre, die meine Vasallen werden sollten. Als ich gelandet war, ging ich einem kleinen Weiler zu, der am Ufer deS See's lag und aus einigen Hütten bestand. Mein treuer Kutscher begleitete mich. Ein jeder — 135 — von uns war mit einem guten doppelläufigen Gewehre, mit einem Paare Pistolen und einem Säbel bewaffnet. Um zu erfahren, an wen ich mich zu wenden habe, hatte ick mich bei einigen Fischern nach dem angesehensten Indianer erkundigt. Man hatte mir einen Mann bezeichnet, der in tagale« sischer Sprache Mabutin-Tajo hieß, zu Deutsch: der Tapfere und Starke. Dieser Mann war ein echter Bandit, ein wahres Pi« ratenoberhaupt; er hatte auf einem einzigen Zuge fü„f oder stchs Mordthaten begangen. Aber er war tapfer, und die Tapferkeit ist eine Tugend, vor der man sich bei den Ur-völkern achtungsvoll beugt. Meine Unterhaltung mitMabutin-Tajo war nicht lang; einige Worte genügten, um mir seine Gunst zu verschaffen und ihn mir zum treuen Diener für die Dauer meines Aufenthaltes in Jala - Jala zu machen. Ich unterhielt mich folgendermaßen mit ihm: „Du bist ein großer Verbrecher," sagte ich. „Ich bin der Herr von Jala -Jala, und will, daß Du Dich änderst. Weigerst Du Dich. so werde ich Dich für Deine Misse« thaten bestrafen lassen. Ich bedarf einer Wache. Giebst Du mir Dein Ehrenwort, ein braver Mann zu werden, so mache ich Dich zu meinem Lieutenant. Nach diescn Worten schwieg Alila, so nannte man den Banditen, einige Augenblicke. Sein Gesicht verrieth mir, daß er mit sich zu Nathe ging. Ich wartete auf seine Antwort, und zwar nicht ohne eine gewisse Aengstlickkeit. „Herr," rief er endlich, indem er mir die Hand ent- — 136 — gegenstreckte und auf ein Knie niedersank, „Herr, ich werde Ihnen bis zum Tode ein treuer Diener sein!" Diese Antwort machte mich glücklich, aber ich verbarg es ihm. „Gut!" sagte ich. „Um Dir zu beweisen, daß ich Dir vertraue, so nimm diese Waffe, und bediene Dich ihrer nur gegen Feinde." Nun überreichte ich ihm einen tagalcsiscken Säbel, auf dem in großen Zügen die spanischen Worte standen: Name «uo»8 «ill rugou ui m« euv»lll»3 «in Iwnur. (Ziehe mich nickt ohne Grund, und stecke mich nicht ohne Ehre in dic Scheide.) Ich übersetzte sie ihm in die tagalesische Sprache. Alila fand fie erhaben und schwor, nie davon abzuweichen. „Sobald ich nach Manilla gehe," fügte ich hinzu, „werde ich Dir Epauletten und eine schöne Uniform mitbringen. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren, um die Soldaten zusammenzubringen, die unter Deinem Commando meine Wache bilden sollen." „Führe mich zu dem Deiner Kameraden, den Du am fähigsten hältst, 3ir als Sergeant zu gehorchen." Wir gingen zu einem seiner Freunde, der in kurzer Entfernung von der Hütte wohnte, und ihn auf fast allen einen Naubzügen begleitet hatte. Einige, den ähnlichen Worte, die ich an meinen zukünftigen Lieutenant gerichtet hatte, übten auf ihn denselben Einfluß aus, und er nahm den Posten in meiner Garde an, den ich ihm anbot. Den ganzen Tag verbrachten wir damit, in den ver< — 137 — schiedenen Hütten zu rekrutiren. Am Abend hatten wir eine Garde von zehn Mann, Kavalerie und Infanterie, eine Zahl, die ick nicht überschreiten wollte. Ich übernahm das Commando als Kapitain. Demnach ging Alles vortrefflich. Am folgenden Morgen versammelte ick die Bevölkerung der Halbinsel. Umgeben von meiner imftrovisirten Wache, wählte ich den Platz aus, wo ich eine Stadt und meine Wohnung gründen wollte. Am folgenden Morgen gab ich allen Familienvätern der Insel Befehl, ihre Hütten in einer Ordnung zu erbauen, die ick ihnen verzeichnete. Dann ließ ich durch mei» ncn Lieulenant soviel Leute als nur möglich auswählen, um Steine zu holen, Holz zu fällen, uiid Alles vorzubereiten, was zur Erbauung meines Hauses nöthig war. Nachdem ich mcme Vcfchle ertheilt, reiste ich nach Manilla, mit dem Versprechen, bald zurückzukehren. Ick kam zu Hause an. Man war sehr besorgt um mich, denn da ich keine Nachricht gegeben hatte, glaubte man, ich sei eine Beute der Caimans oder der Piraten geworden. Der Bericht von meiner Reise und die Beschreibung von Jala - Jala erschreckten meine Frau nickt nur nicht, sie verstärkten vielmehr ihren Wunsch, diese Gegend zu sehen und zu bewohnen, obgleich sie die Hauptstadt verlassen, und auf ihre Feste, Gesellschaften und Vergnügungen verzichten mußte. Ick) ging zu dem Gouverneur. Er hatte mein Ent-lasslmgögcsuch nicht berücksichtigt, und mich in allen meinen — 138 — Anstellungen belassen. Ick dankte aufrichtig imd sagte ihm, daß ich nicht gescherzt habe. daß mein Eütsckluß unerschütterlich feststehe, und daß er über meine -Posten anderweit verfügen möge. Nur um eine Gunst bäte ich ihn, fügte ick hinzu, nämlich um die, mir das Commando über die Gensdarme-rie der Provinz Laguna und die Vollmacht zu geben, mir selbst eine Wache zu bilden. Diese Gunst ward mir auf der Stelle gewährt. Einige Tage später erhielt ich meine Bestallung. Nicht der Ehrgeiz hatte miä» veranlaßt, um diesen wichtigen Posten nachzusuchen, sondern der Verstand. Ich liatte dabei den Zweck im Auge, mir in Iala-Iala eine Macht zu gründen, und meine Indianer selbst zu bestrafen, ohne die Gerechtigkeit dcS Alcaden anrufen zu müssen, der zwölf Meilen weit von meinen Besitzungen wohnte. Um bequem in meiner neuen Residenz zu wohnen, machte ich selbst den Plan von meinem Hause. Dieses Haus bestand aus einer ersten Etage mit fünf Schlafzimmern, einem großen Vestibül, einem geräumigen Saale, einer Terrasse imd Badezimmern. Die Vauarbciten übertrug ich einem Maurermeister und einem Zimmermeister. Nachdem ich Waffen und Uniformen für meine Garde gekauft, reiste ich ab. Meine Indianer empfingen mich mit Freude, als ich ankam. Mein Lieutenant hatte Pünktlich meine Befehle vollzo? — 139 — ssen. Eine große Masse Materialien waren vorbereitet, und schon hatte man einige indianische Hütten erbaut. Diese Thätigkeit machte mir Vergnügen, sie bewies mir, daß man sich bestreble, mir angenehm zu sein. Ick stellte mm sofort meine Arbeiter an. und gab Be-fehl, die benachbarten Waldungen urbar zu machen. Ich sah sie vor meinen Augen fallen und den Grund zu meinem Hause legen. Dann reiste ich wieder nach Manilla zurück. Die Arbeiten dauerten acht Monate, und während dieser Zeit befand ich mich stets auf der Reise von Manilla nach Jala-Jala, und von Jala-Jala nach Manilla. Ich hatte viel Mühe und Beschwerden; aber ich ward reichlich dafür belohnt, als ich ein Dorf aus der Erde em» porstcigen sah. Meine Indianer hatten ihre Hütten an den Orten erbauet, die ich ihnen bestimmt. Der Kirche war ein Platz vorbehalten, und bis zur Erbauung derselben ward die Messe in dem Vestibül meines Hauses gelesen. Nach vielem Gehen und Kommen, das meine Frau sehr besorgt machte, konnte ich ihr endlich ankündigen, daß das Schloß von Jala-Jala vollendet sei, und nur der Ane kunft der Schloßherrin warte. Das war eine glückliche Nachricht! Wir sollten uns bald nicht mehr trennen. Ich verkaufte rasch meine Pferde, Wagen und überflüssigen Möbel, miethete ein Boot znr Ncise naä5 Ialallo, oder kleinen Gouverneurs, an. Damit er sich vor den andern Indianern auszeichne, trägt der ßodei-NÄllurcillo einen Nonstock mit goldenem Knopfe; er hat das Recht, mit diesem Stocke alle die seiner Mitbürger zu schlagen, die sich eines leichten Vergehens schuldig gemacht haben. Seine Amtsvcrrichtungen umschließen die eines Maires, eines Friedens - und InstructionSrickters. Er wacht über die Ordnung und öffentliche Ruhe. Alle Streitigkeiten und Proccsse, die nicht über 16 Piaster (achtziss Francs) betragen, schlichtet und entscheidet er, ohne daß eine Appellation stattfindet. Sonntags, nach dcm Gottesdienste, versammelt der 5«I>ei-i!2äui-ci!lo die Alten und die Grrichtsbeamttn des — 143 — Fleckens in dem Gemeindchause, um mit ihnen über öffentliche 'Angelegenheiten zu berathen, und Entschlüsse festzustellen. In diesen Sonntagsversammlungen fragt er auch die Alten in (Mm Proceßsachcn um Rath, in denen er nicht genügende Aufklärung zu haben glaubt. Dies ist wirklich eine Patriarchalische Jury, die unparteiisch und ohne Berufung urtheilt. Er leitet auck die Crinünalproccssc von Wichtigkeit ein; allein weiter geht seine Gewalt nicht. Die Acten solcher Processe schickt er dem Gouverneur cin, und dieser überreicht sie dem königlichen Gerichtshofe in Manilla. Der Gerichtshof spricht das Urtheil, und der Alcade vollziebt es. Vei der Wahl des xobasnixjareUIo wählen die versammelten Wähler auch alle die Autoritäten, die unter ihm stehen. Diese Autoritäten sind: Die Alcmazils, Gcrichtsdiener, deren Zahl der Bevölkerung entspricht. Zwei Zeugen oder Ndjunctcn, die damit beauftragt sind, alle Handlungen des Fobei-naclulcillo zu sanctioniren, denn ohne ihre Sanction und Gegenwart sind alle diese Handlungen null und nichtig. Einen ^uui.« 8n real wobnt der ssol'Ll-nilllui-cMa. Er muß allen Reisenden, die durch den Flecken kommen, Gastfreundschaft gewähren, und zwar „ach Art der schottischen Hocklander, wclcke die Gast, freundschaft geben, und nickt verkaufen. Der Reisende hat zwei oder drei Tage lang daS Recht, in seinem Logis, das mit einer Matratze, einem Kopf« kissen, Salz, Weinessig, Holz und Kückengefäßen ausge-stattet ist, gegen Zahlung alle Lebensmittel zu fordern, deren er bedarf. Man muß ihm selbst bei der Abreise Pferde und Führer geben, wenn er sie verlangt. In jeder e»»» re»l sind die Preise der Lebensmittel angeschlagen, um die Uebertheurung des Reisenden zu vermeiden. Unter keinen Umständen aber darf der ßot>«su»6useill<» für seine Mübe Etwas fordern. Diese Maßregeln, obgleich sie neben den Vortheilen auch Unbequemlichkeiten boten, wollte auch ich einführen. Die größte Unbequemlichkeit war wohl die, daß ich :nick von dem ßubei-nacluroillu abhängig mackte, der durch seine Amtsverrichtungen ein gewisses Recht erhielt. — 145 — Zwar sickerte mich meine Stellung als Commandant der Gmsdarmerie der ganzen Provinz vor Ungerechtigkeiten; aber ich stand doch immer unter seiner Autorität. Ich wußte sehr gut, daß ich außer dem Militärdienste meinen Leuten ohne den ssodel-u»6ol><:li!o keine Strafe aufers legen konnte; aber ick hatte auch den indianischen Charakter hinlänglich kennen gelernt, um zu begreifen, daß ich ihn durch Gerechtigkeit und weise Strenge beherrschen konnte. Trotz aller Schwierigkeiten verfolgte ick das mir gesteckte Ziel. Muthig betrat ich den rauben Pfad, und eg gelang mir, auf die Indianer einen solchen Einfluß aus, zuüben, daß sie mir wie einem Vater gehorchten. Der Charakter der Tagalcr ist sckwer zu definircn. Lavater und Gall würden in große Verlegenheit gerathen sein, denn die Physiognomien und Schädel auf den Philippinen sind sehr mangelhaft. „Es sind große Kinder, die man behandeln muß, als ob sie klein wärm." Das moralische Portrait eines Naturkindes der Phi« livvinen ist sowohl für den Beschreibenden, als für den Lesenden interessant. Der Indianer hält sein Wort, und doch ist er — sollte man es wohl glauben? — Lügner. Er hat einen Abscheu vor dem Zorne, den er mit dem Wahnsinne vergleicht; er zieht ihm den Rausch vor, und doch verachtet er ihn. Um eine Ungerechtigkeit zu rächen, verschmäht er den Dolch nicht. Abent. e. bret. Gbelm. ,c. l. Vb. l<> — 146 — Beleidigungen erträgt er am wenigsten, selbst wenn sie verdient find. Hat er ein Versehen begangen, so kann man ihn mit Nuthmhieben züchtigen, er nimmt sie ruhig hin — aber einer Beleidigung widersetzt er sich. Er ist brav und großmüthig. Er ist Fatalist wie der Türke. Das Gewerbe eines Banditen übt er gern, da eS ein aufgeregtes, freies Leben mit sich führt; aber nicht, um sich zu bereichern. Die Tagaler sind i>n Allgemeinen gute Vater und gnte Ehemänner; diese beiden Eigenschaften sind eng mit einander verbunden. Sie sind erschrecklich eifersüchtig auf ihre Frauen; abcr die Ehre ihrer Töchter liegt ihnen wenig am Herzen. Sie kümmern sich nicht darum, wenn sie heirathcn, ob eine Indianerin vor ihrer Verbindung einen Fehltritt began« gen hat. Nach der Aussteuer fragen sie niemals; sie selbst bringen sie mit, und machen den Eltern und Verwandten der Braut noch Geschenke. Der Feige ist ihnen verächtlich; aber wenn sie einer Gefahr entgegengehen, halten sie sich gern an muthige Männer. Ihre vorherrschende Leidenschaft ist das Spiel. Thicrkämpft haben sie gern, vorzüglich Hahncnkämpfe. Dies ist eine kurze Charakteristik der Menschen, die ich leiten sollte. — 147 — Mcin hauptsächliches Bemühen war, mich zu be-herrschen. Ich faßte den festen Entschluß, mich vor ihren Augen nie hinreißen zu lassen, selbst in den schwierigsten Augenblicken, sondern stets eine unerschütterliche Nuhe und Kaltblütigkeit zu bewahren. Es ward mir bald klar, daß es gefährlich werden könnte, die mir gemachten Berichte anzuhören, denn ich konnte mich dadurch zu Ungerechtigkeiten verleiten lassen. Folgender Fall liefert den Bewcisi EineS Tages kamen zwei Indianer, um eine Klage gegen einen ihrer Kameraden anzubringen, der einige Stunden von Iala-Inla wohnte. Sie beschuldigten ihn besonders eines ThierdiebstahlS. Nachdem ich sie angehört, mackte ich mich mit meiner Garde auf den Weg, um mich des Angeklagten zu bemächtigen. Ich brachte ihn nach meiner Wohnung. Hier suchte ich ihn zum Geständnisse seiner That zu bringen. Er leugnete und behauptete, er sei unschuldig. Obgleich ich ihm Verzeihung versprach, wenn er die Wahrheit sagte — er verblieb bei seiner Aussage, selbst den Anklägern gegenüber. Ueberzeugt, daß er die Unwahrheit sagte, und ärgerlich über das beharrliche Leugnen einer That, die mit allem Anscheine von Aufrichtigkeit bestätigt ward, ließ ick ikn auf eine Bank binden und zwölf Stockschläge aufzählen. Meine Befehle wurden vollzogen. ,0* — 148 — Der Schuldige leugnete, wie zuvor. Diese Halsstarrigkeit brachte mich in Zorn, und ich ließ ihm eine neue Züchtigung, ähnlich der ersten, appli-ciren. Muthig ertrug der Unglückliche diese grausame Strafe. Plötzlich rief er mit durchdringender Stimme: „Ach, mein Herr. ick bin lmsckuldic,. ich sckwöre es Ihnen! Da Sie mir nickt glauben wollen, so nehmen Sie mich in Ihr Saus, ich werde Ibnen ein treuer Die« ner sein, und bald wird Ibnen der Beweis werden, daß ich das Opfer einer niederträchtigen Verleumdung bin." Diese Worte rührten mick. Ich bedachte, daß dieser Unglückliche vielleicht schuld« los sein könne, und fürchtete, mich getäuscht und eine Ungerechtigkeit begangen zu haben. Es war ja moglick, daß die beiden Zeugen nus Gehässigkeit eine falsche Aussage gemacht und mich zur Bestrafung eines Unschuldigen veranlaßt hatten. Ich ließ ihn losbinden. „Der Beweis, den Du forderst," sagte ich, „ist lcickt zu führen. Wenn Du ein rechtlicher Mensch bist, so werde ich Dir ein Vater sein; aber wenn Du mich be« trügst, so erwarte keine Schonung von mir. Von diesem Augenblicke an geborst Du zu meiner Garde. Mein Lieutenant wird Dir Waffen geben." Er dankte mit Innigkeit, und sein Gesicht verklärte Plötzlich die Freude. Nun ward er meiner Garde einverleibt. — l49 — Wie unvollkommen ist doch die menschliche Gerechtigkeit! Einige Zeit nach diesem Vorfalle erfuhr ich, daß Va-silio de la Cruz (dies war der Name des Angeklagten) unschuldig war. Die beiden Schurken, die ihn angezeigt hatten, waren entflohen, um der Strafe zu entgehen, die sie ucr-dient hatten. Vafilio hielt sein Versprechen. So lange ich in Jala-Jala wohnte, diente er mir als ein treuer Bursche. Dieser Vorfall machte mir Kummcr. - Ich schwor, künftig keine Strafe mehr ertheilen zu lassen, bevor ich nicht von der Wahrheit dessen überzeugt sei, was man einem Angescbuldigtcn zur Last legte. Ich habe redlich mein Versprechen gehalten, wenigstens dcnke ich es. Nie habe ick einen Stcckschlag ertheilen lassen, wem, nicht zuvor der Angeklagte sein Vergehen eingestanden hatte. ') Die besten, in Indicn bekannten Seeleute sind die Eingeborenen auf den Philippinen. Sie sind stark und muthig, ertragen gern die größten Beschwerden und trotzen *) Die Prügelstrafe ist bei uns eine schimpfliche, die Indianer betrachten sie anders-, sie halten sie für die leichteste und meinen, daß Drohungen und Veleidigungen entehren, daß das Gefängniß zu Grunde richtet, daß einige Stockschläge lein großes Uebel sind und völlig ein Vergehen ausgleichen. Vei solchen Ansichten ist die Prügelstrafe nöthig. — 150 — den Gefahren. An Einsicht und Erfahrung stehen sie weit über allen andern Seeleuten Indiens. Der tagalcfische Matrose kann am Bord eines Schift fes jeden Dienst verrichten; er ist Steuermann, Segelmci-stcr, Iimmnmann und Calafator. Willig führt er jeden Befehl auS. Aber nur die Spanier, die sie kennen und zu leiten wissen, können die Tagaler auf ihren Schiffen als See« leute verwenden. Die Engländer dulden nur eine sehr kleine Anzahl auf ihren Schiffen, die nach Indien kommen, und die Asse« curanzen von Madras gestatten nur drei Tagalesen auf den bei ihnen versicherten Schiffen. Diese Regel beobachten viel Schiffe, da es nicht selten der Fall gewesen, daß die Tagaler die Equipage ermordet und sick der Schiffe dann bemächtigt haben. Ich erzähle eine Episode, um die Nützlichkeit dieser Vorsicht zu beweisen. Im Jahre 1838 war seit einigen Tagen eine hübsche Brigg aus dem Hafen von Canton ausgelaufen, wo sie eine reiche Ladung Opium in gute Piaster umgesetzt hatte. Die günstige Jahreszeit und das ruhige Meer berechtigten den Kapitain zu der Hoffnung, daß er bald nach Calcutta, wo er die Ladung eingenommen hatte, zurückkehren würde. Mehr als drei Millionen Francs, der Ertrag seines Verkaufs, sicherten ihm einen guten Empfang bei seinen Auftraggebern. Aber das Schicksal hatte es anders be- — 151 — schlössen, das schöne Schiff, die reiche Ladung und ein Theil der Equipage sollten die Gestade dcS Ganges nicht wiedersehen. Die Equipage bestand aus dreißig Mann: aus dem ersten und zweiten Kapitain, einem Lieutenant, fünf eng« lischen Matrosen, zwanzig Lascarm und zwei Matrosen von den Philippinen. Diese beiden letzten Matrosen hießen Antonio und Cas jetano. Eines Abends ward Cajetano von einem englischen Matrosen angellagt, eine Flasche Rum gestohlen zu haben. Der Kapitain, streng wie alle englischen Seeofficiere, die in den indischen Gewässern von Bengalen fahren, ließ Cajetano kommen; Cajetano wollte seine Unschuld beweisen, aber der Kapitain hörte ihn nicht an, er ließ ihn auf eine Kanone binden und mit fünfundzwanzig Tauhieben bestrafen. Cajetano stieß keine Klage, keinen Seufzer aus, er ertrug ruhig die Strafe, die er nicht verdient hatte. Aber in dem Augenblicke, als er sich entfernte, warf er dem Kaftitain einen Blick zu, der mehr als einen Vorwurf bedeutete. Dann stieg er in seine Cajüte hinab. Abends zehn Uhr befanden sich Antonio und Cajetano auf der Wache. Beide lehnten lange an dem Mäste des Backbords, ohne ein Wort zu sprechen. Antonio unterbrach das Schweigen, und sagte in seiner ausdrucksvollen Muttersprache: — 152 — „Bruder, Du hast viel gelitten!" „Ich habe gelitten, Antonio, und leide noch. Be-greifst Du auch ganz den Schmerz über line infame Züchtigung, die man nicht verdient hat?" ,..O, gewiß, Bruder! Mir selbst macht die Grausamkeit und Ungerechtigkeit des englischen Henkers Kummer." „Nun. Antonio, wenn auch Dein Herz leidet, so rächen wir uns!" „Nachen wir uns!" antwortete Antonio. „Morgen habm wir um Mitternacht die Wache, der Mond scheint nicht, eS wird sehr dunkel sein — wählen wir diesen Augenblick zu unserer Rache." Noch einige Worte genügten, um einen Vernichtungsplan festzustellen. Sie trennten sich, damit die Aufmerksamkeit der englischen Matrosen nicht erregt würde. Am folgenden Tage verrichteten sie, wie gewöhnlich, ihren Dienst. Um sechs Uhr, wo die Reihe zum Schlafen an sie kam, zogen sie sich mit der Gcwißhcit in ihre Cajüte zurück, daß man sie nicht überwache, und daß man ihren vcrliä'ngmßvollen Plan nicht argwöhne. Um Mitternacht tralen sie ihre Wache an. Das Wet« ter war köstlich. Die Brigg durchschnitt mit vollen Segeln das ruhige Meer. Die Nacht ward nur durch flimmernde Sterne erhellt, und da der Wind unverändert aus.einer Richtung blicS, hatte man nur das Steuerruder zu überwachen. AllcS begünstigte den Plan der beiden philippinischen Matrosen. Antomo stand an dem Ruder. Einige Schritte von ihm entfernt, schlief der Lieutenant auf der WachtbM. — 153 — Auf dem Vorderkastell des Schiffs lagen zwei englische Matrosen und zwei Lascaren in cincm Halbschlafe, bereit, ihre Ruhe zu unterbrechen, wenn ein unvorhergesehenes Manöver es nöthig machen sollte. Cajetano ging mit klopfendem Herzen und seine Feinde beobachtend auf und ab; er wartete mit Ungeduld auf den Augenblick, der ter Ausführung seines Plans günstig war. Bald trat er Antonio näher und flüsterte: „Ist Dein Dolch bereit?" „Fürchte Nichts, Cajetano, er schneidet gut und meine Hand zittert nicht." „Gut!" antwortete Cajetano. „Du nimmst den Lieutenant auf Dich. Stoß zu, wenn Du mich zustoßen hörst. Dann steige in die Kammer hinab und fertige die beiden Kapitaine ab. Das Ucbrigc werde ich besorgen. Einige Augenblicke später sank der Lieutenant von seiner Bank. Der Todesstoß war mit so sicherer Hand ausgeführt, daß der Unglückliche keinen Laut von sich gab. Während dieser Zeit hatte Cajctano mit derselben Sicherheit die beiden englischen Matrosen und einen LaScar erpedirt. Da es unmöglich war, den zweiten Lascar mit einem einzigen Stoße zu todten — er lehnte schlafend an einem Querbalken, — so hatte er ihn in das Meer geworfen. Dann war er in die Cajütc hinabgceilt und hatte mit drei Dolchstichen drei englische Matrosen gctödtet, die er in ihrem tiefen Schlafe überraschte. Nun stieg er rasch wie« dcr auf das Verdeck, wo er Antonio fand, der sein Ver-nichnmgSwcrk mit demselben Glücke vollbracht hatte. Die beiden Kapitain's existirten nicht mehr. — 154 — „Nun ist genug Vlut geflossen!" sagte Cajctano. „Eg sind nur noch achtzehn Lascarcn an Bord. Sie sind zwar keine Männer, nicht einmal tagalcslsche Weiber — aber sie sind unsere Brüder; sie sind mit uns in demselben Klima geboren." Antonio und Cajctano waren Herren dcS Schiff'S. Auch nicht ein Engländer war ihren Dolchen entgangen. Sie schlössen die Trepftmluke, damit die Lascaren nicht auf das Verdeck kommen konnten. Antonio ergriff das Ruder und gab der Vrissg die Richtung wieder, die es, während die beiden Freunde ihr Verbrechen begangen, vom Winde getrieben verlassen hatte. Bald änderte er jedoch die Richtung und anstatt den ersten Weg, Von Norden nach Süd-West, zu verfolgen, gab er dem Vordertheile die Richtung nach Süd-Süd-West. In dem Augenblicke, wo Cajetano seine Evolution ausführte, hörte er ein Gewimmer. Er trug Antonio auf, nachzusehen, woher dieses Gewimmer komme. Dieser bemerkte, daß der unglückliche Lascar, den er in das Meer geworfen, sich an daS Steuerruder klammerte. Durch das Versprechen, ihm Nichts zu Leide zu thun, beruhigte er ihn. Der arme Lascar stieg wieder auf das Verdeck; er war glücklich, mit dem Schrecken davon gekommen zu scin. Mit Tagesanbruch warf man acht Leichen in das Meer. Am folgenden Tage schifften Antonio und Cajetano die achtzehn Lascarm auf cincr Insel aus; sie hinterließen — 155 — ihnen auf mehre Wochen Lebenömitlcl. Dann traten sie den Weg nach Luxon, ihrem Heimachlande, an. Der Wind war ihnen günstig, am zwölften Tage erreichten sie auf der Westküste von 3ü?on einen kleinen, wenig besuchten Hafen der Provinz Illccos. Hier nahmen sie soviel Gold und Silber, als sie traben konnten, bohr« ten die Vrigg an, gnbcn ihr eine Richtung in das offene Meer und fuhren in einem gebrechlichen Fahrzeuge an das Land, ohne daß sie von Jemandem bemerkt wurden. In der Entfernung von einigen Meilen versank die mit Wasser gefüllte Vrigg; sie verschwand mit ihren Neich, thümern und ließ keine Spur von den Verbrechen zurück, die die beiden Seeleute begangen hatten. Diese waren glück» lich über die gelungene Rache und genossen die Freuden des Lebens, die sie sich durch ihre gestohlenen Piaster verschaf» fen konnten. Sie lebten in der größten Sicherheit, denn Niemand konnte sie anklagen und ihr Verbrechen schien unbestraft bleiben zu sollen. Aber die Vorsehung hatte den beiden Mördern nicht verziehen. Ein englisches Schiff nahm die achtzehn Lascaren auf, die man auf der Insel ausgesetzt hatte und brachte sie nach Canton. Der englische Consul schrieb an den Gouverneur von Manilla. Dieser stellte Nachforschungen an: die Brigg war verschwunden, man wußte Nichts von ihr. Aber die beiden Indianer, die in ihrer Sorglosigkeit — 156 — grosie Summen an Frauen und in Hahnenkämpfen ver-schwenden, erregten die Aufmerksamkeit dcr Polizei. Man warf sie in das Gefängniß und nach kurzer Zeit schon legten sie ein vollständiges Bekenntniß ihrer Verbrechen ab und erzählten die Einzelnheiten derselben. Beide wurden zum Tode verurtheilt. Um ein Bei, spiel zu geben, sollten ihre Köpfe am Eingänge deS Hafens von Manilla ausgestellt werden. Beide borten das TodeSurtbeil so kaltblütig an, als ob man ihnen eine leichte Züchtigung dictirte. Antonio rauchte ganz ruhig seine Cigarre und Cajctano kaucte Betel. Den folgenden Tag ging ich in die Kapelle, um sie zu sehen; sie sprachen mit mir, als ob sie der Tod, den sie am nächsten Morgen empfanaen sollten, gar nicht kümmcre; sie erzählten mir selbst die Art und Weise, wie sie sich der Engländer entledigt hatten und legten ein großes Gewicht auf das Glück, sich gerächt zu haben. Ich konnte nicht umhin, sie zu fragen, ob der Tod sie nicht erschreckte. „Der Tod ist unser Loos," antwortete Cajetano; „wir müssen ihn Alle erleiden. Warum sollen wir uns betrüben?" Am folgenden Tage ward das Urtheil vollzogen. Die beiden Kcpfe wurden ausgestellt, wie das Urtheil es vor« schrieb. Als ich einen Monat später, um die Zeit, wo ich mich zur Rückreise nach Frankreich vorbereitete, eineS Abends an dem Galgenkreuze vorüberging, machte ich den Kopf — 157 — Cajetano'S los und nahm ihn mit nur in mrine Wohnung. Diesen Kopf habe ick später dem anatomischen Museum des juröin «lez plante« zum Gcsckenke ^einacht. So warrn die Menschen beschaffen, die ich regieren sollte. Neuntes Kapitel. Jala-Jala. Kirche. Der Vater Miguel v?n San - Franzisco. Banditen. Reglement. Büffcljagd. ^Scb habe früher schon gesagt, daß ich den Wunsch gehegt, eine Kirche in meinem Dorfe zu erbanen, nicht nur des religiösen Geistes wcgcn, sondern auch zur Beförderung der Civilisation. Zu diesem Zwecke fragte ich bei dein Erzbischofe, Mon« fignore Hilarion, dem ich als Arzt gedient und zu den: ich in einem freundschaftlichen Verhältnisse stand, an, ob er mir nicht einen Prediger, den ich kannte und der damals ohne Amt war, geben wolle. Es kostete viel Mühe, diese Ernennung zu bewirken. „Der Vater Miguel de San-Francisco ist ein heftiger, halsstarriger Mann," antwortete mir der Bischof; „es wird Ihnen unmöglich sein, mit ihm zu leben." Ick blieb beharrlich, und da die Beharrlichkeit stets zu einem Ziele führt, so brachte ich eS endlich dahin, daß er zum Pfarrer in Jala-Jala ernannt wurde. — 159 — Vater Miguel war japanesischen und malaischcn Ur» sprung«. Er war jung, stark, muthig und mithin fähig, nur unter schwierigen Verhältnissen, z. V. bei der Verthei» diguna, gegen Banditen, Hilfe zu leisten. Ich muß bckmnen, daß ich während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Jala-Jala nie einen Streit mit ihm gehabt habe und daß die Voraus sehungen des würdi» gen Bischofs ungcgründet waren. Wenn ich ihm einen Vorwurf zu machen bätte, so wäre eS der, daß er vor seinen Pfarrkindern nicht genug predigte. Er hielt jährlich nur eine Predigt und stets die-selbe. Diese Predig! bestand aus zwei Abtheilungen. Die erste hielt er in spanischer Sprache und zwar für uns; die zweite in tagalcfischcr, für die Indianer. Macktc ich ihm deshalb mitunter meine Bemerkungen, so antwortete er mir: „Lassen Sie mich nur gewähren und fürchten Sie Nichts; e.F braucht nicht so vieler Worte, um einen guten Christen zu machen." Vielleicht hatte er Necht! Seit meiner Abreise ist der gute Priester todt, das Bedauern allcr seiner Pfarrkmder folgte ihm in das Grab. Wie man ficht, hatte ich das Wlrk der Civilisation begonnen. Um auf meine Indianer den Einfluß auSzu« üben, den ich bccibsMigte, war es nöthig, mit ihnen gewisse Punkte festzustellen, die ihre Privilegien sicherten, die ich ihnen als Eigenthümer verlieh und wiederum die Oblic« genheitcn, die sie gegen mich zu erfüllen hatten. Das Uebercinkommen zwischen Herrn und Pachter, das — 160 — wit deu Mm des Fleckens berathen und von ihnen ein.' stimmig genehmigt wurde, scheint mir einer kurzen Andeutung werth. Man wird sehen, daß die Interessen der Indianer dadurch mehr aeschützt waren,- als die meinigen, „Die Einwohner von Jala «Jala stehen ohne Aus, nähme unter ihrem Oberhaupte, dem Fs>I>^n.<,^„sci!la „Dieser wird alljährlich, wie es Brauch ist, von dm Alten und den cgbezza« l!o bll5l!Nß»5' gewählt. „Nur er allein kann die Gerechtigkeit ausüben, wenn die klagenden Parteien oder Angeklagte nicht fordern, von dem Herrn von Jala-Jala abgeurtelt zu werden. „Dem ßubernaclol-cillo liegt die Verwaltung des Fleckens ob. „Er hat über die Ordnung unter seinen Unterthanen zu wachen, ebenso hat er dafür zu sorgen, daß die stipulir-ten Verbindlichkeiten zwischen dem Herrn von Jala-Jala und seinen Colonisten treulich erfüllt werden. „Jeder Fremde, der sich in Jala-Jala niederlassen will, genießt sofort, welcher Religion er auch angehören, möge, dieselben Rechte und Vortheile, welche die übrigen Einwohner genießen. Er kann jedoch kein öffentliches Amt bekleiden, wenn er der katholischen Ncligion nicht angehört. Dies ist die einzige Ausnahme, die aus der ReligionSver-schiedenheit hervorgeht. „Nur an Sonn- und Festtagen find die Hahnenkamftfe erlaubt und zwar nach dem Gottesdienste. Der Herr von Jala-Jala fordert keine Abgaben davon. „Alle Hazardspiele sind verboten und werden streng be- — 16l — straft. Nur drei Tage im Jahre sind sie erlaubt: am Feste des Schutzheiligen dcS Fleckens, am Geburtstage des Herrn von Jala l Jala und am Geburtstage seiner Gattin. „Jeder kräftige Mann und alle arbeitfähigen Kinder müssen arbeiten. Die Müßiggänger sollen streng bestraft und äußersten Falls auS dem Dorfe geschickt werden. „Die Arbeit ist völlig frei. Jeder Einwohner hat das Necht, für seine Rechnung zu arbeiten und seine Dienste zu vermiethcn. Ueber den Lohn hat man sich zuvor in Güte zu verständigen. „Jeder Familienvater ist verpflichtet, ein Haus von hinreichender Größe zu haben; neben dem Hause einen kleinen Hof und einen sorgfältig umzäunten mit Obstbäumen, Gemüse und Blumen bepflanzten Garten. Für den Ge-brauch des Platzes, den Garten und Haus einnehmen, zahlt er dem Herrn von Jala-Jala jährlich ein Huhn oder den Werth dafür mit dreißig Centimen. Diese Abgabe kann von dem Herrn unter keinem Vorwaude vermehrt werden. „Jeder Familienvater, der ein Haus besitzt, hat das Recht, jedes beliebige Stück Land auf der Bcsitzung Jala-Jala urbar zu machen, nachdem er zuvor dcm Herrn An-zeige davon gemacht. Während der ersten drei Jahre darf ihm keine Abgabe davon auferlegt werden; im vierten Jahre »md in den folgenden aber hat er einen Zehnten von jeder Erndte zu entrichten. Auch dieser Zehnten darf unter keinem Vorwandc von dem Herrn erhöht werden. „Jeder Einwohner kann so viel Pferde und Büffel halt Nbcut. c. brct. Edclm. ,c. I.Bd. 11 — 162 — ten, als ihm nöthig sind; eine Abgabe davon hat cr nicht zu zahlen. „Der Herr von Jala «Jala ist verpflichtet, allen, die deren bedürfen, Büffel zur Bebauung ihrer Ländcrcien und Holz zum Baum und Brennen zu liefern. „Jeder Einwohner hat das Recht, in den Wäldern Holz zu seinem Vedarfe zu fällen, ohne irgend eine Abgabe davon zu entrichten. Aber wenn er es nacb auswärts verkauft, so hat er den vierten Theil des Erlöses an den Herrn zu zahlen. „Die Fischerei ist an allen Gestaden völlig frei^ Wer eine feststehende Fischerei errichten will, erhält ein Terrain von 500 Metres. Außer ihm darf kein Anderer in diesem Bereiche eine Fischerei errichten. „Die Jagd ist auf der ganzen Besitzung von Jala-Jala frei; aber von jedem erlegten Hirsche oder Eber ist der vierte Theil an den Herrn abzugeben. „Alle jungen Leute von zwölf bis achtzehn Jahren werden in vier Abtheilungen getheilt. Stets eine dersclbm dient vierzehn Tage lang dem Pfarrer, ohne irgend eine Entschädigung, als die Nahrung. „Die Kirche ist den jungen Mädchen anvertraut; sie haben dieselbe zu reinigen und mit Blumen zu schmücken. „Die jungen Mädchen unter zwölf Jahren haben sich jeden Dienstag und Freitag in der Wohnung des Herrn zu versammeln, um den für die Wirthschaft nöthigen Reis zu reinigen und zu stampfen. ,.3ür diese Arbeit werden sie landesüblich und je nach Verdienst bezahlt." — 163 — Diese Naturmenschen brauchten nicht viel Phrasen; es genügte, ihnen ihre Rechte und Pflichten begreiflich zu ma« chen, damit sie sich dem Gedächtnisse einprägten. Nachdem diese gegenseitigen Bestimmungen angenommen waren, gab sich ein größeres Vertrauen unter meinen Indianern kund und sie schickten sich leichter in meine Arbeit. Anna stand mir mit Herz und Verstand bei. Keine Schwierigkeit entmuthigte sie. Kamen die jungen Mädchen, um Reis zu stampfen, so unterwies sie die Kinder in der Liebe zur Tugend, die sie selbst so treulich übte. Sie gab ihnen Kleider — denn um diese Zeit gingen die Mädchen von zehn bis zwölf Jahren noch nackt, wie die Wilden. Vater Miguel de San-Francisco halte für den Unterricht in der Colonie zu sorgen. Die jungen Leute lernten ein wenig Spanisch und bildeten sich nach den Sitten der Welt, die ihnen völlig unbekannt waren. Ich aber überwachte Alles. Ich beschäftigte, mich mit den Landarbeiten und zeigte den Schäfern, die meine Heer-den führten, die besten Weiden. Entstanden unter meinen Colonisten Streitigkeiten, so trat ich als Schiedsrichter auf. Sie wandten sich lieber an mich, als an dm gobern». äoreillo. Mit meinem Einflüsse vermochte ich Alks über sie. Einen Theil meiner Zeit wandte ich dazu an, die Banditen von meiner Besitzung und aus den Umgebungen derselben zu vertreiben. ll' — 164 — Ost ging ich am Morgen aus und kehrte in der Nacht zurück. Dann traf ich meine Frau stets gut, liebreich und er« geben an; ihr Empfang entschädigte mich für die Mühseligkeiten des Tages. Abends plauderten wir und erzählten uns, was am Tage gearbeitet, was überhaupt vorgefallen war. Dies waren süße, vertrauliche Stundcn. Ach, sie sind nur zu rasch entflohen. Sie werden nie wiederkehren! Um diese Zeit übte ick auch die Justiz. Die Thür meines Hauses stand jedem Indianer offen, der mir etwas mitzutheilen hatte. Ich saß mit meiner Frau an einem großen, runden Tische und hörte, während ich Thee trank, alle Bitten und Reclamationm an. Während dieser Audienzen fällte ich meine Urtheile. Meine Gardisten holten die Angeklagten herbei und, ohne meine Ruhe zu verlieren, verwies ich ihnen die began-genen Fehler. Die ungerechte Bestrafung des armen Basilio, die mir stets vorschwebte, crmahnte mich zur größten Vorsicht. Ich hörte zunächst die Zeugen ab; und auch dann verurtheilte ich erst, wenn der Angeschuldigte gesagt hatte: „Herr, es war meine Bestimmung; ich mußte handeln wie ich gehandelt habe!" „Jeder Fehltritt verdient eine Straft," antwortete ich dann. „Wähle, soll Dich der ßobernaäorcillo, oder soll ich Dich bestrafen?" Nun dictirte ich die Strafe. — 165 — Anna, die gegenwärtig war, intervemrte stets zu Gunsten des Schuldigen. Ich ließ diesen Grund stets gelten und verzieh entweder oder milderte die Straft. Ich war menschlich ohne Schwachheit und bewirkte, daß meine Anna geliebt wurde, wie sie eS verdiente. Meine Gardisten hatten* für die Ausführung der cr« kannten Straftn zu sorgen. War die Execution vorbei, so kam der Indianer in den Saal zurück und ich gab ihm, als Zeichen der Verzeihung, eine Cigarre. Dann ermähnte ich ihn, sich ferner kein Vergehen zu Schulden kommen zu lassen. Anna forderte ihn auf, meinen Rathschlägen zu folgen und er ging mit der Ueberzeugung, daß sein Vergehen vergessen war. Statt mir zu grollen, sprach er den Käme« raden seine Zufriedenheit aus. Eincr von ihnen war streng bestraft; als er entlassen war, sagte er: „Man hat mich bestraft, wie ein Vater seinen Sohn bestraft; ich bin glücklich, daß mein Vergehen vergessen ist, denn ich kann nun meinem Herrn, unbesorgt unter die Augen treten. Die eingeführte Ordnung und Disciplin kamen mir außerordentlich zu statten; sie verliehen mir einen positiven Einfluß auf den Geist der Indianer. Meine 3luhe, meine Festigkeit und Gerechtigkeit. Eigenschaften, ohne die das Negieren unmöglich ist, genügen die-sen jnngfrcnllichcu, unverdorbenen Naturen. Aber etwas machte sie besorgt. War iä, auch tapfer? Das wußten sie nicht und sie fragten oft darnach. — 166 — Sie konnten den Gedanken nicht ertragen, dasi cm Mann sie beherrsche, der nicht unerschrocken der Gefahr entgegenginge. Ich hatte zwar einige Expeditionen gegen die Banditen unternommen, aber sie waren ohne Resultat geblieben und ich hatte demnach nicht Gelegenheit gehabt, den Indianern meine Bravour zu zeigen. Da ich wußte, daß sie ihre Meinung über mich nur dann erst feststellten, wenn ich ein gefährliches Abenteuer muthig bestanden hatte, so entschloß ich mich, Alles aufzubieten, um dem besten und tapfersten meiner Indianer gleich zu kommen; es war selbst nöthig, ihn zu übertreffen, wenn ich meine Herrschaft behaupten wollte. Endlich bot sich die Gelegenheit und ich konnte mich der Prüfung unterwerfen, die meine Vasallen wünschten. Die Indianer halten die Vüffeljagd für die gefährlichste aller Jagden und meine Gardisten sagten mir oft, daß sle sich lieber mit entblößter Brust zwanzig Schritte weit vor den Lauf eines Karabiners stellten, als in derselben Entfernung vor einen Büffel. „Der Unterschied," sagten sie, „ist der' die Kugel aus einem Karabiner kann nur verwunden, aber ein Hornstoß des Büffels tödtet stets." Ich benutzte die Furcht, die sie vor dieser Thiergattung hatten und erklärte ilnien eines Tags so kaltblütig als möglich, daß ich einen Büffel jagen wolle. Sie boten ihre ganze Bcredtsamkcit auf, um mich von diesem Vorhaben abzubringen, sie entwarfen mir ein sehr Pittoreskes und wenig ermuthigendes Bild von den Ge- — 167 — fahren und Schwierigkeiten, denen ich mich aussetzte, zumal da ich an eine solche Kriegführung nicht gewöhnt sei, denn ein Kampf lieser Art sei wirklich ein Krieg auf Leben und Tod. Ich wollte Nichts hören. Mir war, als ob diese wohlgemeinten Rathschläge eine Schlinge sein sollten und ich hatte Necht, wenn ich vermuthete, daß sie nach der Annahme oder Ablehnung derselben meinen Muth beurtheilen wollten. Der Befehl zur Jagd war meine Antwort. Meiner Frau verbarg ich sorgfältig dieses Unternehmen; ich reis'te ab und ein Dutzend Indianer, alle mit Flinten bewaffnet, begleiteten mich. In den Gebirgen ist die Vüffeljagd eine andere, als in den Ebenen. In der Ebene braucht man nur ein gutes Pferd und eine große Gcschicklichkeit, um die Säilinge zu werfen. Aber in den Bergen ist es anders; da braucht man mehr, da braucht man eine außergewöhnliche Kaltblütigkeit. Man verfährt folgendermaßen i Man bewaffnet sich mit einem Gewehre, dessen man sicher ist; dann sttllt man sich so auf, daß der Büffel, wenn er aus dem Gehölze kommt, den Jäger sehen kann. Sobald er ihn erblickt, beginnt er mit seiner ganzen Schnelligkeit zu laufen und zerbricht, zerreißt, zerschmettert und zertritt Alles, was sich ihm hindernd entgegenstellt. Er stürzt auf den Jäger, als ob er ihn zerreißen wollte. Ist er aber bis auf einige Schritte nahe gekommen, so — 168 — bleibt er einige Secunden stehen und streckt seine spihcn Hörner drohend vor. In dieser Zeit muß der Jäger feuern und die Kugel in die Mitte der Stirn seines Feindes jagen. Versagt unglücklicherweise das Gewehr, oder fehlt dem Sän'lhen die Nuhe, zittert ihm die Hand und die Kugel fehlt das Ziel, so ist er verloren. Die Vorsehung allein kann ihn dann retten. Wir kamen bei dem Saume eines großen WaldeS an, in dem wir Büffel vermutheten. Wir hielten an. Da ich mich auf mein Gewehr verlassen konnte, fehlte mir auch die Kaltblütigkeit nicht. Ich wollte, daß die Jagd ausgeführt würde, als ob ich ein gewöhnlicher Indianer sei. Nun ließ ich mich an den Ort stellen, wo aller Wahr, scheinlichkeit nach der Vüffcl ankommen mußte. Niemand durfte bei mir bleiben. Ich gebot, daß Jeder seinen Platz einnahm und zwei< hundert Schritte von dem Waldsaume sich in der freien Ebene aufstellte. So erwartete ich einen Feind, von dem ich keine Gnade hoffcn durfte, wenn ich ihn verfehlte. Ich gestehe, daß eS ein feierlicher Augenblick war, wo ich zwisckcn Leben und Tod stand, wo es auf die Sicherheit meines Gewehrs und auf die Ruhe deS Armes, der es hielt, ankam. Als ein Jeder seinen Platz eingenommen hatte, gingen zwei Piqueurs in den Wald. Sie hatten einen Theil ihrer — 169 — Kleider abgelegt, um im Falle der Gefahr besser die Bäume ersteigen zu können. Ihre einzige Waffe war ein breiter Säbel. Die Hunde folgten ihnen. Länger als eine halbe Stunde herrschte eine tiefe Stille. Ein Jeder lauschte, ob sich nicht irgend ein Geräusch vernehmen ließ. Es blicb AlleS still. Der Büffel läßt oft lange auf sich warten. Nach einer halben Stunde hörten wir das Bellen der Hunde und das Rufen der Piqueurs. Man hatte das Thier aufgestört. Bald hörte ich das Krachen der Zweige und der jun< gen Bäume, die dcr Büffel mit erschrecklicher Hast unter seinen Füßen zerbrach. Dieses Laufen läßt sich mit dem Galoppiren mehrer Pferde vergleichen, mit dem Geräusche, das ein Ungeheuer .ankündigt — fast mochte ich sagen, mit dem Rollen einer Lavine. In diesem Augenblicke, ich bekenne es, bemächtigte sich meiner eine ungewöhnliche Bewegung und mein Herz klopfte rasch. Nahtte sich nicht der Tod, und vielleicht ein schrecklicher Tod? Plötzlich erschien dcr Büffel. Wenn ick die Gelegenheit gewünscht hatte, den India« ncrn meinen Muth und meine Kaltblütigkeit zu zeigen, so war dafür dcr Augenblick, den ich gewählt, ein sehr ernster. Dlc beiden kostbaren Eigenschaften durften wahr, lich nicht fchlen. — 170 — Der Büffel stand still und sah mit erschreckten Blicken um siäi. Dann hielt er die Schnauze nach dem Winde, und legte die Hörner bis auf den Rücken. So stürzte er wüthend auf mich zu. Der Augenblick war gekommen. Ich stand der Gefahr Auge in Auge. DaS Dilcmma war, wie alle Dilemmen, das logisch richtigste: entweder siegen oder besiegt werden; dcr Büffel fällt als Opfer oder ich. Wir warm Beide gleich disfto-nlrt, uns zu vertheidigen. Es würde mir schwor fallen, wollte ich Alles mittheilen, was in der kurzen Zeit in mir vorging, während der Büffel den Zwischenraum durcheilte, der mich von ihm trennte. So rasch auch mein Herz sseklopft hatte, es stand still. Meine Blicke hingen an der Stirn des Feindes — ich sah weiter Nichts. Die Hunde bellten immer noch fort, indem sie ihre Beute in einiger Entfernung verfolgten; aber ich hörte und sah Nichts mehr. Endlich senkte der Büffel den Kopf, blieb stehen und zeigte mir seine Hörner. Dann nahm er einen Anlauf, um sich über mich zu stürzen. Ich gab Feuer. Meine Kugel war ihm in den Schädel gedrungen — ich war halb gerettet. Der Büffel fiel einen Schritt vor mir nieder. Man hätte glauben mögen, ein Fclsstück habe sich losgclös't und schlüge schwer und geräuschvoll Zu Boden. — 17l ^- Nun sehte ich ihm den Fuß zwischen die beiden Hörner und schickte mich an, meinen zweiten Schuß abzufeuern, als ein dumpfes imd anhaltendes Brüllen mir anzeigte, daß mein Sieg ein vollständiger sei. Das Thier hatte seinen letzten Athem aus gehaucht. Meine Indianer kamen herbei. Die Freude uerwandeltc sich in Bewunderung: ich war für sie das, was sie wünschten. Mit dem Rauche meines Gewehrs, das den Bussel so richtig getroffen hatte, waren alle ihre Zweifel verflogen. Ich war tapfer und besaß ihr ganzes Vertrauen — ich hatte meine Probe abgelegt und bestanden. Mein Dpfcr ward nun in Stücke zerschnitten, dann trug man es im Triumphe nach dem Dorfe. Als Sieger ergriff ich seine Hörner; sie waren sechs Fuß lana.. Ich habe sie später in dem Museum zu Nantes niedergelegt. Die Indianer, die Erfinder der Beinamen, gaben mir seit dieser Jagd den Beinamen Klalumil-Olilou; diese tagale» fischen Wörter bedeuten: kalter Kopf. Ohne meiner Eigenliebe zu schmeicheln muß ich bekennen, daß die Probe, der mich meine Indianer unterworfen hatten, ernst genug war, um ihnen eine bestimmte Mei< nung von meinem Muthe zu geben und ihnen zu beweisen, daß ein Franzose eben so tapfer ist, als sie. Die spätern Vüffeljagden haben mir gezeigt, daß sie mit weniger Gefahr verknüpft sind, wenn man ein guteS Gewehr und Kaltblütigkeit besitzt. Ein Mal im Monate gab ich mich dieser so aufregenden Uebung hin und bald ward mir klar, daß cS leicht — l?2 — ist, in einer Entfernung von einigen Schritten eine Kugel in eine Fläche von einigen Jollen im Durchmesser zu senden. Aber es bleibt darum nicht weniger wahr, daß die ersten Jagden die gefährlichsten sind. Ein einziges Mal erlaubte ich einem Spanier, Ocampo, nüch zu begleiten. Ich hatte ihm vorsorglich zwei Indianer zur Seite gestellt. Aber als ich ihn verließ, um meinen Posten einzunehmen, schickte der Unkluge die beiden Männer fort. Bald brach der Büffel aus dem Walde hervor, und stürzte auf ihn zu. Er feuerte seine beiden Schüsse ab, und fehlte. Wir hatten die Schüsse gehört, und eilten herbei — es war zu spät. Ocampo lebte nicht mehr. Der Büffel hatte ihn durchstoßen, sein Körper war mit gräßlichen Wunden bedeckt. Ein ähnliches trauriges Ereigniß habe ich nicht wieder erlebt. Wenn Fremde solchen Jagden beiwohnen wollten, so ließ ich sie auf einen Baum oder auf den Rücken eines Berges steigen, von wo auö sie dem Kampfe zusehen könn-ten, ohne einer Gefahr ausgesetzt zu sein. Ich habe jetzt die Vüffeljagd in den Bergen hinlänglich beschrieben, und kehre nun zu meinen Colonisations-Arbeiten zürück. Zehntes Kapitel. Lage von Jala-Jala. Colonisation. Erdbeben. Hahnenkämpse. ^aS neu erbaute HauS enthielt alle Bequemlichkeiten, die man wünschen konnte. Dabei war es ans guten Bruchsteinen errichtet, und konnte im Falle eines Angriffs als eine kleine Festung dienen. Eine Facade desselben ging nach dem See hinaus, dessen klares und durchsichtiges Wasser die blühenden Gestade bespülte. Zwischen meiner Wohnung und dcm See lag ein Raum von hundert Schritten. Die entgegengesetzte Facade ging nach den Wäldern und Bergen hinaus, die eine reiche und üppige Vegetation in steter Pracht erhielt. Von unsern Fenstern aus genoßen wir ein erhabenes, majestätisches Schauspiel, wie es der schöne Himmel der Tropenländer mitunter bietet. In dunkeler Nacht wird der Nückcn des Gebirges plötzlich von einem blassen Schimmer erhellt. Dieser Schimmer — 174 — wird nach und nach leuchtender u»d ergießt sich über das ganze Gebirge, daß es einem großen Feuerherde gleicht. Ruhig und freundlich bricht sich dieses poetische Licht in dein stillen und ruhigen Wasser des See's. Es ist ein entzückender Anblick. Oft auch zeigt sich die Natur gegen Abend in ihrem ganzen imposanten Glänze, und erfüllt die Seele mit einem geheimen Schrecken. Alles bekundet den heiligen Einfluß des Sclwpfcrs. In kurzer Entfernung von meiner Besitzung liegt ein Gebirge, dessm Basis sich in den See erstreckt. Der Gipfel desselben ragt in die Wolken empor. Dieses Gebirge dient Jala-Jala zum Blitzableiter, denn es zieht den Blitz au. Oft ballen sich große schwarze Wolken, mit Electrici-tät geschwängert, auf diesem Punkte zusammen. Es scheint, als ob Verge Verge umstürzen wollten. Ein Sturm erhebt sich, der Donner brüllt fürcherlich, der Regen fällt in Strömen, Donncrschlag fällt auf Donnerschlag, und die dichte Finsterniß wird von zuckenden Schlangcnblitzen zertheilt, die nicht selten große Fclüblöcke von dem Gipfel losreißen und sie mit gräßlichem Tosen in den See schleudern. Wie anbetungswürdig ist Gott in seinem Jörne. Doch bald beruhigt sich die Natur. Der Regen läßt nach, die Wolken verschwinden, die laue Luft trägt Wohl-gerliche von Blumen und aromatischen Kräutern auf ihren noch feuchten Schwingen herbei, und die Natur kehrt zu ihrer gewöhnlichen Nuhe zurück. Später werde ich von einem andern Schauspiele reden, — 175 — das sich uns zu gewissen Zeiten darbietet, und das um so erschrecklicher ist, da es zwölf Stunden dauert. Dies sind die Windstöße, die in den Meeren von China l'^-k'ollnß heißen. Zu ssewissen Zeiten im Jahre treten die Passatwinde") ein, ein Phänomen, das noch schrecklicher ist, als unsere Gcwitterstürme. dem, diese Luständerung hat Erdbeben in ihrem Gefolge. Diese schrecklichen Erschütterungen bieten auf dem Lande einen ganz andern Anblick dar, als in den Städten. In den Städten beginnt die Erde zu zittern, überall hört man ein gräßliches Getöse, die Gebäude krachen und drohen einzustürzen. Die Einwohner verlassen eilig ihre Häuser, laufen durch die Straßen und snäien fich zu retten. Das Schreien erschreckter Kinder und Frauen mischt fich mit dem Rufen bestürzter Männer. Alle liegen auf den Knien, strecken die gefalteten Hände zum Himmel empor, und beten mit vor Thränen erstickter Stimme. Alles ist in der größten Aufregung, AllcS fürchtet den Tod, und der Schrecken wird allgemein. Auf dem Lande findet das Gegentheil statt; das Erdbeben ist viel imposanter, aber auä> viel schrecklicher. In Jala-Jala z. V. liegt die Natur bei dem Nahen eines solchen Phänomens in einer tiefen, schauerlichen Niche. ') Während sechs Monaten kommt der Wind unausgesetzt aus Nord-Ost, und während anderer sechs Monatc aus Nord-West. Diese beiden Zeitabschnitte werden.„Nord-Wrst-Passat-Winbe" und,,Nord-Ost-Passat-Wi,ide" genannt. — 176 — Kein Lüftchen bewegt sich. Die Sonne ist nicht mit Wolken bedeckt, aber sie wird finster, und verbreitet nur noch ein Grabeslicht. Die Atmosphäre ist mit Dünsten beladen, die sie schwer und erstickend machen. In dcr Erde wühlt und arbeitet eS. Die Thiere sind unruhig und still, und suchen einen Zufluchtsort vor der Wasserflut!), die sie ahnen. Der Boden zittcrt; Plötzlich wankt er unter den Füßen. Die Bäume bewegen sich, die Berge wanken in ihren Grundfesten, und ihre Gipfel scheinen herabzustürzen. Die Fluthen des See's überschreiten ihr Bett und ergießen sich mit Ungestüm über die Felder. Ein Rollen, noch stärker als das des Donners, läßt sich vernehmen. Die Erde bebt. Ist die Naturerscheinung vorüber, so tritt wieder Ruhe ein. Die Berge gewinnen wieder festen Grund und stehen unbeweglich. Das Wasser tritt nach und nach wieder in das natürliche Bett zurück, der Himmel erheitert sich und strahlt in wunderbarer Klarheit, und der Wind erhebt sich wieder. Die Thiere kommen aus ihren Verstecken hervor» Die Erde nimmt ihre Ruhe wieder an, und die Natur ihre imposante Stille. Es war nicht meine Absicht, dem Leser langweilige Beschreibungen zu liefern; ich wollte ihm nur einen Begriff von verschiedenen Panoramen geben, die sich in Iala-Ial» von Zeit zu Zeit vor unsern Glicken entrollten. Ich kehre nun zu der Erzählung meines gewöhnlichen Lebens zurück. — 177 — Ich hatte einen Vüsscl auf der Jagd getödtet, hatte meine Probe abgelegt, und die Indianer waren mir ergeben, denn sie setzten Vertrauen in mich. Meine Hcmptaufmerkfamkeit richtete ich nun auf die Landarbeiten. Vald verschwanden die Gehölze, die in der Nähe meiner Besitzung lagen, und eS entstanden weite Indigo- und Reisfelder. Die Gebirge bevölkerte ich mit Hornvieh, und am Fuße derselben weideten Pferde mit feinen Beinen und stol« zcn Augen. Die Banditen entfernte ich immer mehr von Jala-Jala. Ich kann selbst sagen, daß ein großer Theil derscl« bcn ihr schweifendes und verbrecherisches Leben aufgab. Ich nahm sie auf, und »nachte gute Arbeiter aus ihnen. Aber wie hatte ich mir solche Rekruten erworben? Das Mittel war ein wenig bizarr und verdient, daß ich eS mittheile. Man wird sehen, wie die Indianer sich von einem Manne leiten laffen, dem sie vertrauen und den sie als ihren Oderherrn betrachten. Allein, nur mein Gewehr unter dem Arme, durchstreifte ich oft die Wälder. Plötzlich trat ein Bandit, wie durch einen Iaubcr hinter einem Baume hervor; er war vom Kopfe bis zu den Füßen bewaffnet, und ging fest auf mich zu. „Herr," sagte er, indem er sich auf ein Knie nieder, ließ, „ich will ein rechtlicher Mann werden, nehmen Sie mich unter Ihren Schutz!" Nun fragte ich ihn nach seinem Namen; war er Abcnt. c. bret. Edelm. ,c. l. Vh. l2 — 173 — mir durch die Gensdarmcrie bezeichnet, so antwortete ich streng: „Geh, und laß Dick nie wieder vor mir schen! Ich kann Dir nicht verzeihen. Begegnest Du nur noch eininal, so muß ick meine Pfiickt thun!"' War er mir unbekannt, so sagte ich freundlich zu ihm: „Folge mir!" Ick führte ilm zu meiner Besitzung. Dort ließ ich ihn die Waffen niederlegen. Nackdcm ick, ihn ermabnt, in seinem Entscklusse zu beharren, deutele ich ihm den Ort im Dorfe an, wo er seine Hütte erbauen sollte. 'Um ihn zu ermuthigen, gab ich ibm einige Vorschüsse, damit er leben konnte, bis aus dem Banditen ein Ackersmann geworden war. Kartenspiel u:id Hahnenkämpfe lieben die Indianer lei< denschaftlick, wie ich bereits gesagt habc. Um sie dieses Vergnügens nicht gänzlich zu berauben, erlaubte ich ihnen das Kartenspiel dreimal im Jahre, wie ich ebenfalls bereits gesagt habe. Außer dieser Zeit ward der sireng bestraft, der euf frischer That ertappt wurde. Die Hahnenkämpfe durften an Sonn- und Festtagen nacb dem Gottesdienste stattfinden. Zu diesem Zwecke hatte ich öffentliche Arenen erbauen lassen. In diesen Arenen und im Beiftin von Richtern, deren Urtheil unwiderruflich war, machten die Zuschauer oft große Wetten. Ein Hahnenkalnpf bietet ein interessantes Schauspiel. — 179 — Die beiden stolzen Thiere, die man eigens für den Kampflag erwählt und herangezogen hat, kommen mit lan« gen Sporen von Stahl an dcn Krallen auf den Platz. Ihre Haltung ist stolz, ihr Gang kühn und kriegerisch. Sie tragen den Kopf hoch und schlagen mit den Flügeln, deren Federn wie der Fächer eines stolzen Pfau's glänzen. Mit stolzen Blicken durchschreiten fic die Arena, indem fie vorsichtig ihre Füße heben und mit zornigem Auge sich gegenseitig messen. Man möchte sie für zwei alte gewappnete Ritter bal« ten, die sich zu einem Kampfe vor dem versammelten Hofe anschicken. Ibre Ungeduld ist lebhaft, ihr Muth unbezähmbar. Plötzlich stürzen sich die beiden Gegner auf einander; sie greifen sick mit gleicher Wuth an. Ihre spitzen Waffen schlagen schreckliche Wunden, aber die unverzagten Kämpfer scheinen die Folgen davon nicht zu empfinden. Das Blut fließt — die Kämpen werden m,r noch er« bitterter. Wird einer schwach, so belebt er seinen Muth durch den Gedanken an den Sieg; weicht er zurück, so geschiebt es nur, um einen Anlauf zu nehmen, und mit größerem Feuer sich auf den Gegner zu stürzen, den er bezwingen will. Ist endlich das LooS entschieden, erliegt einer der mit Wunden und Blut bedeckten Helden, oder entflicht er, so wird er für besiegt erklärt. Die Indianer sehen diesen Kämpfen mit einer wilden Freude zu. Ihre Aufmerlsamleit ist dergestalt geMlt, !2* — 180 — daß sie kein Wort sprechen; sic folgen dcm Kampfe in seinen geringsten Einzelnhciten. Fast Alle ziehen mehre Jahre lang einen Hahn mit wahr« haft komischer Zärtlichkeit auf; diese Zärtlichkeit wird um so seltsamer, wenn man bedenkt, daß dicscS wie ein Kind gepflegte Thier bestimmt ist. gleich an dem ersten Tage zu sterben, an dcm es zum Kampfe gchr. Da mir auch klar war, daß meine alten Banditen eine Freude haben müßten, die ihrem Geschmacke, ihrcn Sitten und Gewohnheiten entsprach, so gab ich die Jagd im ganzen Umfange meiner Besitzungen frei. Ick knüpfte nur die Bedingung daran, daß mir von jedem getödteten Hirschz und Eber ein Viertheil als Abgabe geliefert ward. Ich glaube, daß keiner von den Jägern, die früher ein lasterhaftes Leben geführt, mich je um ein Wildpret bc<-trogen hat. Ich habe täglich wohl sieben bis acht Viertel von Hirschen empfangen, und die Ueberbringer waren erfreut, sie mir bieten zu können. Der Bau der Kirche schritt sichtlich vorwärts. Die Bevölkerung des Fleckens mehrte sich täglich, und Alles ging so vortrefflich, wie ich es nur immerhin wünschen konnte. Zwar machten mir die Banditen in der Nachbarschaft viel zu schaffen; aber ick verfolgte sic ohne Unterlaß, denn es lag in meinem Interesse, sie von meiner Besitzung zu entfernen. Sie «regten oft große Unruhe und Besorgnisse. Diese entschlossenen und muthigen Männer kamen oft — 18l — in Haufen an, um mein Haus zu belagern; wir waren dann von allen Seiten eingeschlossen. Meine Gardisten reihcten sich um mich, und wir lie« fetten dann Treffen, die stets zu unserm Vortheile ausfielen. Die Vorsehung hat wunderbare Geheimnisse. Nie hat mich dic Kugel eines Banditen getroffen. Ich trage die Spuren von siebzehn Wunden, aber alle diese Wunden sind mir von den Waffen weißer Menschen beigebracht. Wie oft hat sich der Lauf eines Gewehrs in der Entfernung von eie nigen Schritten auf mich gerichtet — das Blei durchlöchert« nur meine Kleider, meinen Körper hat es respectirt. Eines Morgens meldete man mir, daß die Banditen einige Stunden von meiner Wohnung versammelt seien, und sich zu einem Angriffe vorbereiteten. Da ich Niemanden auf dem angedeuteten Orte fand, durchstreifte ich den ganzen Tag die Umgegend, in der Hoff« nung, auf die Banditen zu stoßen. Alle meine Nachforschungen waren vergebens. Plötzlich stieg der Gedanke in mir auf, daß ein heimi' licher Feind mir eine Schlinge gelegt haben könne, und daß man mein HauS angreife, während ich eine eingebildete Gefahr abzuwenden suchte. Ein Schauder durchlief meinen ganzen Kölpcr. Im Galopp ritt ich zurück, und kam um Mitternacht bei meinem Hause an. Meine Befürchtungen waren nur zu gegründet; ich war in eine Schlinge gegangen. Alle meine Domestiken warm bewaffnet, und meine Frau stand an ihrer Spitze. — 182 — „Was machst Du?" rief ich, indem ick zu ihr trat. „Ich wache!" antwortete sie mit großer Kaltblütigkeit. „Man hat mir gesagt, daß Dir eine falsche Nachricht hin« terbracht worden sci, daß Du die Banditen nickt antreffen würdest, und daß sie in Deiner Abwesenheit hierher kommen würden. Nun habe ich meine Vorkehrungen getroffen, und deshalb siehst Du uns zur Vertheidigung gerüstet." Dieser muthige Zug, der sich mehrmals wiederholte, bewies mir, wieviel Kraft und Energie Gott in daS Weib gelegt, das anscheinend so zart ist. Die Banditen griffen uns nickt an. Wachte nickt ein Engel übcr meinem Hause? Wir waren länger als ein Jahr in Jala-Jala gewe-sen, ohne daß wir einen Europäer gesehen hatten. Man hätte glauben mögen, wir hätten uns für immer auS der civilisirten Welt zurückgezogen, und wollten nur noch mit den Indianern leben. Unsere Berge standen in cincm so Übeln Rufe, daß sich Niemand den tausend Gefahren aussetzen wollte, die er bei uns zu fürchten hatte. Wir waren also allein, aber wir waren auch sehr glücklich. ES war vielleicht die schönste Zeit meines Lebens. Ich lebte mit einer geliebten und liebenden Frau; das Werk, das ich unternommen hatte, schritt sichtlich vorwärts, und Wohlsein und Glück, das darans entstehen mußte, herrschten unter meinen Vasallen, die sich mir täglich inniger anschlössen. Hatte ich nun die Vergnügungen und Feste einer — !X3 — Stadt 51« bedauern, in der diese Feste und Vergnügungen durck Lüge, Scheinhciligkeit und Falschheit, durch diese drei Laster der civilisirten Gescllsckaft, erkauft wurden? ^ Der Sckrecken, den die Banditen verbreiteten, war indeß nickt groß genug, um die Europäer völlig von uns fern zu halten. Eines Morgens kamen einige bis an die Zähne bewaffnete Personen an, die toll genug waren, es zu wagen, einen Tollen zu besucken. (Seit meiner Abreise auf das Land nannte man mich in Manilla den Tollen.) An der Spitze dieser Gesellschaft stand mein Freund Don Jose Fuentes, der gewöhnlich in Madrid wohnte. Die Ueberraschung dieser külmen Leute, als sie mich friedlich, still und in vollkommener Sicherheit in Jala« Jala antrafen, läßt sich nickt beschreiben. Wie staunten sie, als sie eine ganze Colonie sahen. Bei ihrer Rückkehr zur Stadt mackten Ne eine so exaltirte Beschreibung von unserer Zurückgezogenheit und von den Freuden, die sick dort böten, daß wir bald noch andere Besucke empfingen. Nicht nur Freunden, sondern auch Fremden gewährte ick Gastfreundsckaft. Zwangen uns Geschäfte nach Manilla zu reisen, so kehrten wir eilig in unsere Berge und Wälder zurück, denn nur dort fühlte ick mick mit meiner Anna glücklick. Es würde viel Mühe gekostet haben, uns unserer stillen Zurückgezogenheit zu entreißen. Ein sehr einfacher Umstand jedoch veranlaßte uns, :mser Asyl für den Augen, blick zu verlassen. Ich erfuhr nämlich, daß ein Freund, der mir bei — 184 — meiner Verheiratung als Zeuge gedient, gefährlich krank liege. Es war Don Simon Fernandez, O «»»a, wie mein Lieutenant glaubte. ') Der böse Geist. **) Die Gottheit der bösen Thaten. — 197 — Schon hielt ich meine Nachsuchung für fruchtlos, als ich Plötzlich auf den Gedanken kam, in das Erdgeschoß der Hütte hinabzusteigen. Wir befanden uns nämlich im ersten Stockwerke. Alle Hütten sind acht bis zehn Fuß über der Erde erbaut, und der untere, mit Bambusstäben umzäunte Theil dient als Aufbewahrungsort. Ich stieg also hinab. Hätte man mich gesehen, mich, den weißen Europäer, ein Kind > der andern Hemisphäre, mit der brennenden Lunte in der Hand Nachts eine tinguianiscke Hütte durchsuchend, man würde wahrlich über meine Kühnheit gestaunt haben. Aber ohne an die Seltsamkeit meines Unternehmens zu denken, setzte ick meinen Weg fort. Ich folgte meiner Bestimmung, wie die Indianer sagen. Kaum hatte ich den Erdboden betreten, als ich in dem von den Bambusstäben eingeschlossenen viereckigen Raume eine Art Fallthür bemerkte. Zufrieden blieb ich stehen. Alila sah mich erstaunt an. Ich hob die Fallthür auf. Da sah ich einen ziemlich tiefen Brunnen. Ich leuchtete mit meiner Lunte hinein, aber der Grund war nickt zu entdecken. Dafür aber glaubte ich in einer Tiefe von vier bis fünf Fuß an den Seiten Ocffnungen zu unterscheiden, die ich für die Eingänge zu den unterirdischen Räumen hielt. Was würde ich darin entdecken? Sollte ich, wie Gil Blas, bei einem Banditenvolke in die Eingeweide der Erde dringen? Oder sollte ich, wie in den Mährchen der Tau- — 198 — send und eincn Nacht einige hübsche junge Mädchen vorsin-den, die ein böser Geist eingekerkert hat? Je mehr ich entdeckte, je größer ward meine Neu-gierde. „Hier giebt eS etwaS Ungewöhnliches," sagte ich zu meinen: Lieutenant. „Zünde eine zweite Lunte an, ich werde in diesen Brunnen hinabsteigen." Als mein treuer Alila diese Worte hörte, wich er bestürzt zurück. „Herr," sagte er bekümmert, „sind Sie denn nicht mit dem zufrieden, was Sie auf der Erde sehen — wollen Sie denn auch noch wissen, was darin ist?" Ueber diese naive Bemerkung mußte ich lächeln. Er fuhr fort: „Wollen Sie mich allein hier lassen? Wenn nun der Geist des Gmnaners, dessen Gehirn ich getrunken habe, mich holt — was soll dann auS mir werden? Sie werden nicht hier sein, um mick zu vertheidigen!" Mein Lieutenant fürchtete zwanzig Banditen nicht, er würde sich bis zum Tode gegen sie vertheidigt haben; aber der Gedanke an den Geist des Guinaners, dessen Gehirn er getrunken hatte, erschreckte ihn dergestalt, daß er am ganzen Körper zitterte. Konnte dieser Geist nicht kommen, um sein Gehirn zurückzufordern? Während er noch jammerte, stützte ich meinen Rücken an die eine Seite, und meine Kniee an die andere Seite des Brunnens. So sticg ich hinab. Als ich mich zwei oder drei Ellen in die Tiefe hinabgelassen, fühlte ich, daß Schutt auf mich herabfiel. Ich — 199 — sah empor: Alila folgte mir. Der arme Bursch wollte nicht allein zurückbleiben. „Bravo!" sagte ich. „Plagt Dich die Neugierde? Der Lohn bleibt nicht auS, wir werden köstliche Dinge sehen." Nach diesen Worten setzte ich meine Reise in die Erde fort. Als wir uns in einer Tiefe von ungefähr fünf Ellcn befanden, kamen wir bei der Oeffnung an, die ich von oben bemerkt hatte. Ich hielt an. Indem ich die Hand mit dem Lichte ausstreckte, sah ich eine Art Nische, und im Hintergrunde derselben den fitzenden Körper eines Tin? guianers. Er war schwarz und vertrocknet, in dem völligen Zustande einer Mumie. Ich sagte Nichts, sondern erwartete meinen Lieutenant, an dessen Ucbcrraschung ich miä, ergötzen wollte. Als er sich an meiner-Seite befand, sagte ich: „Nun sich hin! " Bestürzt starrte er in die Niscke. „Herr," stammelte er endlick, „ich bitte Sie, steigen wir ans dicscm verwünschten Loche zurück! Führen Sie mich znm Kampfe gegen die Tinguianer des Dorfes, Sie finden mich bcrcit — aber bleiben wir nickt länger bei dcn Todten. Was können wir mit unsern Waffen ausrichten, wenn sie uns plötzlich erscheinen und fragen, warum wir gekommen sind?" „Beruhige Dich," antwortete ich; „wir werden nicht weiter gehen." — 200 — Mir ward klar, daß dieser Brunnen ein Grab war und daß sich in der Tiefe noch mehr aufbewahrte Todte befanden. Ich respcctirte das Asyl der Todten und stieg, zur großen Zufriedenheit Alila's, zurück. Nachdem wir AlleS wieder in Ordnung gebracht, be-traten wir den ersten Stock der Hütte und ick legte mich schlafen. Mein Lieutenant konnte nicht an Nuhe denken, die Mumie und der du«! hielten ihn wach. Mit Anbruch deS folgenden TageS stiegen unsere Wirthe auS ihrer luftigen Region herab und auck wir verließen unser Lager, um die Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. Ich hatte genug in Laganguilan y Madalag geweilt und wünschte nun Manabo zu sehen, ein großes Torf in der Nähe von Laganguilan. Ich schloß mich den Leuten aus Manabo an, die zu dem „Gehirnfeste" (diesen Namen hatte ich dem Feste gegeben) gekommen waren und reis'te mit ihnen ab. In der Truppe befand sich ein Mann, der einige Zeit unter den Tagalern gelebt hatte; er verstand ein wenig ihre Sprache, deren ich vollkommen mächtig war. Diesen glücklichen Zufall benutzend, plauderte ich während der ganzen Ncile mit dem Wilden. Ich befragte ihn um die Gebräuche, Gewohnheiten und Sitten seiner Lands-leute. Ein Umstand war mir vor allen wichtig. Ich kannte nämlich die Religion dieses Volkes nickt, das zu studiren mir von so hohem Interesse war. Bis jetzt hatte ich weder — 20l — einen Tempel noch sonst etwas gesehen, was einem Götzen» bilde glich. Ich wußte nicht, was für einen Gott sie hatten. Mein Führer war schwatzhaft, wie ein Indianer und er gab mir bereitwillig Aufklärung. „Die Tinguianer," sagte er, „liegen durchaus keine Verehrung für die Gestirne; sie beten weder Sonne, Mond «och Sterne an. Sie glauben an eine Fortdauer der Seele und behaupten, sie trenne sich von dem Körper und bleibe nach dem Tode in der Familie." Wie man sieht, haben sie den Anfang einer gesunden Religion und einer guten Philosophie. Man bedauert weniger das Leben, wenn man denkt, daß mau denen EtwaS von sich zurückläßt, von den man sich trcmmi muß. WaS den Gott anbetrifft, den sie anbeten, so wechseln sie seine Form je nach Umstanden. Die Gründe dazu sind folgende. Wenn ein tingmanischer Chef in seinem Lande einen Felsen oder einen Baumstamm von sonderbarer Gestalt gefunden, das heißt, wenn er wie ein Hund, eine Kuh oder ein Büffel aussieht, so theilt er eS dem ganzen Dorfe mit. Nun betrachtet man den Felsen oder Vaumstamm wie einen Gott, daS heißt, wie ein Wesen, das höher steht, als der Mensch. Alle Bewohner des Dorfs begeben sich nach tem bezeichneten Orte und nehmen LebrnSmittel und einige lebendige Schweine mit sich. Dann errichten sie über dem neuen Gotte ein Strohdach, um ihn zu bedecken und bringen ihm ein Opfer. Die: setz Opfer besteht dann, daß sie die Schweine braten, auf — 202 — ihren Instrumenten Musik machen und so lange tanzen, bis ihre Mundvorräthe aufgezehrt sind. Dann zünden sie das Strohdach an und der Gott ist vergessen, bis der Chef cincn andern entdeckt und ein neues Fest anordnet. Ueber die Sitten habe ick Folgendes erfahren: Der Tinguiancr hat in der Ncgcl eine legitime Frau und mehre Concnbinen; aber die legitime Frau wobnt allein in dem Hause deS Mannes, jede der Maitressen hat einc Hütte für sicli. Die Ehe ist ein Ucbereinkommen zwischen den beiden Familien der Ehegatten. Am Hochzeitstage bringen Mann und Frau ilire Aussteuer in uatur» mit. Diese Aussteuer besteht aus Porzellangcfäßen, aus Glasperlen, Corallen und mitunter anch ans ein wenig Goldstaub. Den Ehelcuten kommt davon Nickts zu Gute, denn man vertheilt die Aus« steuer unter die Verwandten. „Dieser Gebrauch," fügte mein Führer als Bemerkung hinzu, „ist deshalb eingeführt, um die Ehescheidung zu verhindern, die nur dann stattfinden kann, wenn der, der sie verlangt, die eingebrachten Gegenstände unverletzt zu-rückerstattet." Für die Wilden ist dies ein ganz vortreffliches Mittel; sie handeln in dieser Beziehung wie civilisirte Leute. Es muß den Verwandten wirklich Alles daran liegen, die Scheidung zu verhindern, weil sie sonst gezwungen sind, die empfangenen Geschenke zurückzugeben, und wenn einer von den beiden Gatten darauf besteht, so würden sie ihn durch das Verschwinden eines einzigen Gegenstandes behindern und sollte es auch nur eine Coralle oder ein Gefäß — 203 — sein. Es läßt sich denken, daß ohne diese kluge Maßregel ein Mann sich von seinen Coucubincn oft scheiden lassen würde. Mein Reisegefährte gab mir Aufschluß über Alles, waS ich wissen wollte. „Die Regierung," fuhr er fort, „ist eiue wahrhaft vätcrlicke. Bei uns regiert das Alter." Wie in Lacedämonien, dachte ich; man ehrt hier das Alter. Die Gesetze wurden durch Tradition aufbewahrt, die Tinguiamr haben keinen Begriff von der Schreibckunst. In gewissen Fällen verhängt man die Todesstrafe. Ist das vcrhängnißuolle Urtheil gesprochen, so muß der verurthcilte Tinguiancr entfliehen, wenn er die Vollstreckung 'desselben vermeiden will; er muß in den Wäldern und Ber« gen leben, denn die Greise haben das Urlheil gesprochen und jeder Bewohner ist gehalten, cS auszuführen. Die Gesellschaft theilt sich in zwei Classen, wie b?i den Tagalcrn: in den Adel und in das Volk. Jeder Besitzende gehört zu dem Adel, und um sich als einen Besitzenden zu legitimircn, braucht er nur eine gewisse Anzahl Povzcllangcfäße aufzuzeigen. Diese Gefäße bilden den ganzen Reichthum der Tinguiancr. Während wir noch von den Gebräuchen dcS LandcS sprachen, kamen wir in Manabo an. Fast auf der ganzen Reise hatte mein Führer nicht geschwiegen. Die Flamme eines großen Feuers, das unter einer Hütte angezündet war, erregte meine Aufmerksamkeit. — 204 — Um das Feuer saßen mehrere Personen, die wie Wölfe heulten. „Ah," sagte mein Führer, „dort findet ein Vegräbniß statt. Ich habe Ihnen noch NichtS von den Vegräbniß-cercmonien gesagt. Sie tonnen fie jetzt sehen. Es wird auch morgen noch Zeit sein. Sie sind ermüdet; ich führe Sie in eine Tageshütte und Sie können, ohne die Gcfah« ren der Tinguianer zu fürchten, ausruhen, dmn das Ve> gräbniß verpflichtet Jedermann, diese Nacht zu wachen. Ich billigte den Vorschlag und wir nahmen Besitz von der Hütte, des TinguianerS. Die erste Wachtstunde begann und mein armer Aliln, der sich ein wenig beruhigt hatte, versank in einen tiefen Schlaf. Bald folgte ich seinem Beispiele und wir erwachten erst am hellen Tage wieder. Kaum hatten wir unser Frülnnahl beendet, das aus Kartoffeln und geräuchertem Hirschfleische bestand, als mein Führer kam, um mich nach dcm Orte zu geleiten, wo die Trauerfeierlichkciten stattfinden sollten. Ich folgte ihm. Einige Schritte von dem Zuge entfernt, nahmen wir unsere Plätze ein. Nun bot sich mir ein seltsames Schauspiel dar. Mit« ten in seiner Hütte hatte man den Verstorbenen auf eine Art Schemel gesetzt. Unter ihm und neben ihm standen große Pfannen mit glühenden Kohlen. In einiger Entfernung saß ein Kreis von dreißig Personen. Ungefähr zehn Frauen bildeten ebenfalls einen Kreis, in dem sich die Wittwe befand, die man an dem langen weißen Schleier — 205 — erkannte, der sie vom Kopfe bis zu den Füßen einhüllte. Alle Frauen hatten Baumwolle, mit der sie die Feuchtigkeit trockneten, die das Feuer aus dem Leichnam trieb. Der Leichnam röstete an einem gelinden Feuer. Von Zcit zu Zeit erhob sich ein Tinguianer und hielt langsam und feierlich eine Rede, die mit einer Art Freu-dengesckrei endete, in das alle Anwesenden mit einstimmten. Dann standen Alle auf, aßen große Stücke geräucherten Fleisches und tranken l>g«i. Hierauf führten sie einen Tanz aus, bei dem sie die letzten Worte des Redners wiederholten. Ich ertrug — ertragen ist das rechte Wort — dieses Schauspiel ungefähr eine Stunde lang; dann hatte ich den Muth nicht mehr, länger in der Hütte zu bleiben. Der Dunst, der dem Leichnam entströmte, war unerträglich. Ich ging in die freie Luft hinaus; mein Führer folgte mir. Ich bat ihn, mir mitzutheilen, waS seit dem Beginne der Krankheit des Verstorbenen geschehen sei. „Gern!" antwortete er. Ich war glücklich, die freie Luft einathmen zu können und hörte mit Interesse folgenden Bericht: „Zwei Tage lang befand sich Dalayafto in einem leidenden Zustande. Am Ende des zweiten Tages athmete er nickt mehr. Als man dicb bemerkte, setzte man ihn rasch auf die Bank, auf der Sie ihn vorhin gesehen haben. Nun wurden alle Mundvorräthe herbeigeschafft, die er besaß, um die zu speisen, die ihm die letzte Ehre erzeigen wollten. Jeder hielt eine Lobrede auf ihn, seine nächsten Vcr- — 206 — wandten und Freunde sprachen zuerst. Sein Körper ward mit Fcncr umgeben, um ihn auszutrocknen. Wenn die Speisen aufgezehrt find, vcrlasftn die Fremden die Hütte und nur die Wittwe und einige Verwandte bleiben zurück, um zu warten, bis der Körper gehörig ausgedörrt ist. Nach vierzehn Tagen endlich wird man in ein großes Loch hinabsteigen, daS sich untcr dcm Hanse befindet; hier stellt man den ausgetrockneten Körper in eine Nische, unter der sich andere Nischen befinden, welche die bereits verstorbenen Verwandten beherbergen. Dann ist Alles vorbei." Dieses Loch, dachte ick, gleicht dem, das ich vorige Nacht in Laganguilan gesehen habe. Die Erklärung, die mir so eben gegeben ward, genügte nur vollkommen und ich hatte keine Lust, der Ceremonie ferner beizuwohnen. Da cS mir in dem Schatten eineg großen Baumes gefiel, beschloß ich, die Gefälligkeit meines Führers zn erschöpfen und ich' fragte ihn, indem ich plötzlich der Unterhaltung eine andere Richtung gab, wie die Kosten zu dem Kriege eingetrieben würden, den man mit den Guiancrn, diesen Todfeinden, führte. Ohne mich lange warten zu lassen, antwortete er: „Die Guianer tragen dieselben Waffen, als wir. Sie sind nicht stärker, nicht geschickter und nicht kräftiger. „Wir haben zwei Arten, sie zu bckämpfen. Mitunter liefern wir große Schlachten am hellen Tage und wir stehen unsern Feinden im Sonnenschein gegenüber; aber auch Nachts, wenn NllcS dunkel ist, nähern wir uns still ihren Wohnorten. Dann überraschen wir einige, schneiden ihnen — 207 — die Köpfe ab und nehmen sie mit uns, um ein Fest zu begehen, wie Sie eS gesehen haben." DaS Wort „Fest" erinnerte mich an jene blutige Orgie, der ich beigewohnt hatte und vorzüglich an den Tbeil desselben, den ich gekostet. Ich fühlte, daß ich abwechselnd errötbetc und erbleichte. Der Indianer bemerkte es nicht und fuhr fort: „Bci großen Kämpfen sind alle Männer des DorfcS gezwungen, die Waffen zu ergreifen und gegen das fcind-liche Dorf zu rücken. Gewöhnlich stoßen die feindlichen Armeen in der Mitte der Wälder aufeinander. „Sobald sie sich erblicken, bricht ein Schreien und Heulen von allen Seiten los. Jeder stürzt sich auf seinen Feind. „Von diesem ersten Zusammenstoße hängt der Sieg ab, denn die eine der Armeen hat immer Furcht und ergreift die Flucht; dic andere verfolgt sie und tödtet Alles, was sie erreichen kann. Dabei schneidet man stets die Köpfe ab, um sie heimzubringen."*) Das ist ein grausamer Kampf, der schreckliche Fol« gen haben muß, dackte ick. Mein Indianer bestärkte mich in diesem Gedanken, indem er hinzufügte: „Die Sieger sind im Allgemeinen immer die, die sich ') Nach dem grausamen Gebrauche, ihren Schlachtopfern die Köpfe abzuschneiden, halcn die Spanier diesen Wilden den Beinamen eorl« eabo»»«, Kopfabschneider, gegeben. — 208 — am besten zu verstecken, ihre Feinde zu überraschen und sich mit Geschrei plötzlich auf sie zu stürzen wissen." Mein Führer schwieg. Der Kampf erregte weiter kein Interesse. Als er sah, daß ick ihn nicbt mehr fragte, verließ cr mich. Ich ging in dic Hütte zu Alila zurück, der sich in Manabo erschrecklich langweilte. Ich hatte nun die Tinguianer genug kennen gelernt. Außerdem glaubte ich auch zu bemerken, daß mein langer Aufenthalt Verdacht erweckte. Der Gedanke an das „Gehirnfest" stellte den Entschluß zur Abreist in mir fest. Ich ging, um Abschied von den Greisen zu nehmen. Unglücklicherweise hatte ich keine Geschenke für sic; aber ich Versprach ihnen, Geschenke nächstens mitzubringen, wenn ich von den Christen zurückkommen würde. Dann verließ ich sie. Die Freude meines Lieutenant's war groß, als wir die Reise antraten. Ich wollte auf demselben Wege nicht zurückkehren, den ick gekommen war und deshalb hielt ich mich mehr nach Westen, indem ich die Gebirge überstieg und mich von der Sonne leiten ließ. Dieser Weg war um so mehr dem andern vorzuziehen, da ich ein Land durchreisen mußte, das von Irrogetm be« wohnt wurde, einer Art Wilde, die ich noch nicht kannte. Die Gebirge, die wir überschritten, waren mit kost« lichen Wäldern bedeckt. Von Zeit zu Zeit sahen wir üppige Thäler zu unsern Füßen. Die Kräuter darin waren so hoch und so dicht, daß wir uns nur mit Mühe einen Weg bahnen konnten. — 209 — Ohne die Ncise zu unterbrechen, tödtete mein Lieute, nant mitunter ein Wildpret, das uns zur Nahrung diente. Ich war zu sehr in das Anschauen dieser wunderbaren Gegenden versenkt, war ein zu großer Verehrer dieser jungfräulichen, fruchtbaren Natur, die sich vor uns ausbreitete, um an das Jagen zu denken. Mein treuer Alila war nicht so enthusiastisch; aber er war dafür klüger. Der erste Tag unserer Reise neigte siH seinem Ende zu, als Alila einen Hirsch schoß. Wir machten bei ciner Quelle Halt, nahmen die Früchte von einem Palmbaume ab, um RciS und Brod zu ersehen und aßm die Leber des Hirsches, die wir am Spieße gebraten hatten. Unser Mabl war köstlich und reichlich. Ach, wie oft habe ich später, wenn ich an einem mit ausgewählten Gerichten servirtcn Tische saß, wenn der Dust der Schüsseln die Atmosphäre schwängerte, wie oft habe ich mit Sehnsucht des Abendessens gedacht, das ich mit Alila, nach der Neise durch das Gebirge, unter einem Baume neben der Quelle genossen! Welcher Sterbliche könnte solche Stunden und solche Orte vergessen! Abent. e. brct. Edelm. ,c. 1. Bd. l4 Zwölftes Kapitel. Die Igorroten. 3<^ach dem Mahle machten wir uns auf dem feuchten Boden in dem dickten Walde ein Lager auS abgebrochenen Zweigen. Wir schliefen furchtlos, und vorzüglich ohne böse Träume, bis an den folgenden Morgen. Als die Morgenröthe aufging, setzten wir unsere Reise fort. Die erwachende Natur war wunderbar still und schön. Die Dünste, die ihrem Schooße entstiegen, bedeckten sie, wie ein Schleier die Jungfrau, die ihr keusches Bett verläßt. Nach und nach zerriß dieser Sckleier in Stücke, ein leichter Morgenwind wiegte sie leise, dann verschwanden sie über den Wipfeln der Bäume- oder auf den Gipfeln der Felsen. Wir gingen lange Zeit weiter. Gegen Mittag kamen wir in einem kleinen Thale an, das von den Igorroten bewohnt ward. — 211 — Es waren im Ganzen drei Hütten vorhanden. Die Bevölkerung war nicht zahlreich. Auf der Schwelle einer dieser Hütten sah ich einen Mann von vielleicht sechzig Jahren, und einige Frauen. Wir waren bei der letzten der Hütten angekommen, und hatten die Wilden überrascht; sie würden nicht Zeit ge, habt haben, bci unserer Ankunft zu entfliehen. Wir befan« dm unS mitten unter ihnen. Ich wiederholte, was ich bei meiner Ankunft in Palan gethan hatte, nur fehlten mir dabei die Corallcn und Glasperlen. Dafür bot ich aber von unserm Hirsche etwas an, und gab ihnen durch Gebcrden zu verstehen, daß wir in guter Absicht gekommen wären. Nun entspann sich eine höchst seltsame mimische Unterhaltung, während der ich nach Gefallen die neue Menschen-raee betrachten konnte. Die Bekleidung der Igorroten war fast eben so, wie die der Tinguianer; weniger aber der Schmuck. Ihre Züge und ihre Physiognomien indeß waren durchaus verschieden. Der Mann war kleiner, seine Brust war übermäßig, breit, sein Kopf unverhältnißmäßig dick, seine Glieder waren stark ausgebildet, und seine Kraft war eine herkulische. Seine Formen waren nicht so schön, als die jener Wilden, die ich verlassen hatte. Die Haut war vo« sehr dunkeler Broncefarbe. Seine Nase war weniger eine Adlernase, und seine gelben Augen waren geschlitzt, wie die der Chinesen. Die Frauen hatten schr markirte Formen; ihre Haare trugen sie nach chinesischer Weise in langen Fleckten. ES war mir unglücklicherweise nicht möglich, durch l4* — 212 — memc Gesten die Auskunft zu erlangen, die ich wünschte. Ich mußte mich mit dem Besuche dcr Hütte begnügen. Das war eine wirkliche Hütte. Ein Stockwerk war nicht vorhanden. Die Umgebung war durch ungeheuer dicke Pfähle eingeschlossen, und auf dicscn Pfählen ruhete ein Dach in Form eines Bienenkorbes. Es war nur cine kleine Ocssnung vorhanden, die man nur auf dem Bauche kriechend ftassirm konnte. Trotz dieser Schwierigkeit wollte ich das Innere schen. Nachdem ich meinem Lieutenant bedeutet, daß er wachen möge, kroch ich in die Hütte. Die Igorroten waren darüber sehr erstaunt, aber fie-suchten nicht, mich daran zu hindern. Ich trat in eine Art von Verschlag. Ein stinkender Dunst füllte den Raum an. Durch eine kleine Ocffnung in dem Dache drang das Licht herein, und der Nauch des Herdes stieg hinaus. Der Boden war mit Sand bestreut: auf diesem weichen Lagcr ruhcte ohne Zweifel die Familie. In einem Winkel unterschied ich einige Lanzen von Bambus. Schaalm von Cocosnüsscn dienten zu Gefäßen. Em Haufen runder Kieselsteine diente wahrscheinlich zur Vertheidigung bei Angriffen. Einige Holzklötze an den Wänden vertraten ohne Zweifel die Stelle der Kopfkissen. Ich entfernte mich rasch wieder aus dieser Höhle, der Gestank jagte mich hinaus. Ich hatte ja außerdem auch Alles gesehen. Nun fragte ich den Igorrotcn durch Zeichen, welchen Weg ich einzuschlagen hätte, um zu den Christen zu kom- — 213 — inen. Er zeigte den Weg mit dem Finger an, und wir sitzten unsere Reise fort. Unterwegs bemerkte ich einige Kartoffel- und Zuckerrohr- Felder; ohne Zweifel ist dies die einzige Cultur dcr unglücklichen Wilden. Nachdem wir eine Stunde gewandert waren, sollten wir auf eine große Gefahr stoßen. Vei unserm Eintritte in ein weites Thal sahen wir einen Igorroten, der aus Lei« bestraften lief; er hatte unS bemerkt, und ich schrieb seine Flucht der Furcht vor uns zu. Plötzlich aber hörten wir den Lärm des Tamtam und der Conge. Dann sahen wir zwanzig mit Lanzen bewaffnete Männer auf uns zu kommen. Ick begriff, daß man unS bekämpfen wollte, und befahl meinem Lieutenant, Feuer auf den Haufen zu geben, aber ohne Jemanden zu treffen. Alila schoß sein Gewehr ab. Die Kugel sauste über die Köpfe der Wilden hin, die, erstaunt über den Knall, plötzlich stehen blieben, und unS aufmerksam prüften. Ich benutzte klüglich ihre Ucberraschung. Ein großer Wald lag rcckts von uns, wir traten hmein, indem wir das Dorf links liegen ließen. Die Wilden verfolgten unS glücklicher« weise nicht. Mein Lieutenant hatte während dieser ganzen Seene kein Wort gesprochen. Ick halte schon einigemal bemerkt, daß er während dcr Gefahr stumm ward. Als wir die Igorrotc» aus dem Gesichte verloren hatten, bekam er die Spracke wieder. „.ßcrr," sagte er verdrießlich, „ich bedauere, daß ich nicht mitten in diese Ungläubigen hineingeschossen habe!" — 214 — „Warum?" fragte ich. „Weil ich überzeugt bin, daß ich einen gelobtet haben würde." „Und dann?" „Dann hätten wir unsere Reise wenigstens nicht beschlossen, ohne einen Wilden zum Teufel geschickt zu baden." „Ah, Alila," rief ich, „bist Du denn schlecht geworden?" „Nein, Herr," antwortete er. „Aber ich begreife nicht, warum Sie gegen diese verwünschte Race so gut sind . . . während Sie die Banditen verfolgen, die Chri» sten, und tausendmal mehr bcsscr sind." „Wie," rief ich, „Banditen, Räuber und Mörder find besser, als diese armen Geschöpfe, die Niemand zum Guten anleitet?" „Herr," antwortete mein Lieutenant, „die Banditen, wie Sie sie nennen, find nickt 5aS, wofür Sie sie halten. Der Tulisaner (Bandit) ist kein Mörder. Er tobtet nur, um sein Leben zu vertheidigen." „So! Und wie erklärst Du den Diebstahl? " „Er stiehlt nur, um den Reichen etwas von ihrem Ucberflusse zu nehmen und es den Armen zu geben. Das ist AlleS. Wissen Sie auch, was der Tulisaner mit dein macht, was cr raubt?" „Nein, Meister Alila!" antwortete ich läckclnd. ,,Er behalt Nichts für sick!" sagte mein Lieutenant stolz. „Zunächst giebt er einen Theil davon dem Priester, damit dieser Messen lese." „Vortrefflich! Und dann?" — 215 — ,! „Dann giebt er einen Tlieil seiner Maitresse, denn er liebt sie, und will, daß er sie stets geputzt sieht. Das Uebrige verschwendet er mit seinen Freunden. Sehen Sie, Herr, so nimmt der Tulisaner von dem Ueberstusse einer Person, um damit mehre zufrieden zu stellen. Er ist lange so schlecht nickt, als diese Wilden, die Sie ohne Umstände todten, und Ihr Gehirn verzehren." Alila seufzte tief auf. Das Gehirn konnte er nicht vergessen. Seine Unterhaltung interesstrte mich dergestalt, sein System war so seltsam, und er selbst entwickelte es mir mit einer solchen Treuherzigkeit, daß ich, indem ich ihn anhörte, fast meine Igorroten vergaß. Wir sehten unsern Marsch quer durch den Wald fort, indem wir uns soviel als möglich nach Süden hielten, um der Provinz Voulacan näher zu kommen, wo ich meinen arnw! Kranken wieder antreffen wollte, der ohne Zweifel über meine lange Abwesenheit besorgt war. Vei der Abreise hatte ich ihm meinen Plan nicht mitgetheilt ; hätte er ihn gekannt, er würde mich für todt ge< halten haben. Die Erinnerung an meine Frau, die ich in Manilla gelassen hatte, und die durchaus keine Vermuthung von mei, „er Reise zu den Igorroten hegte, ließ mich lebhaft wün« schen, so bald als möglich meine Familie wiederzusehen. Nur mit meinen Gedanken beschäftigt, ging ich schweb gend weiter. Für die üppige Vegetation, die ihre reichen Scbätze vor unS ausbreitete, hatte ich diesmal leine Aufmerksamkeit. — 2lS — Und ich mußte wohl in tieftn Gedanken versunken sein, denn ein Urwald in den Tropenländern, nnd vorzüglich auf den Philippinen, läßt sich mit unsern Wäldern in Europa nicht vergleichen. Das Tosen eines Wasserfall's erinnerte mich wieder an meine Umgebung, und ich begrüßte die riesigen Werke der schöpferischen Natur. Ich sah um mich, und gewahrte einen ungeheuern da-let«, Feigenbaum, der in den geheimnißuollen, schattigen Wäldern der Philippinen eine außerordentliche Grö^e «r, reicht. Ich blieb stehen, um den balet« zu bewundern. Dieser Baum entsteht aus einem Samenkorne, das der gewöhnlichen Feige gleicht; sein Holz ist weiß und sckwam« migt. In wenig Jahren wächst er zu einer ungewöhnlichen Größe heran. Die Natur, die für Alles sorgt, die dem jungen Lamme erlaubt, seine Wollfiockcn an den Gebüschen des Weges zu lassen, damit der schüchterne Vogel sie nehme und sein Nest daraus baue, zcigt sich in ihrer ganzen wun« dcrbarcn Weisheit, indem sie den Feigenbaum der Philip« Pinen wachsen laßt. Die Zweige dieses Baumes gehen alle von dem Stamme auS, erstrecken sich horizontal nach allen Richtungen, und bilden dann einen Bogen, um sich perpendicular zu er« lieben; aber der Baum ist schwammigt, wie ich schon ge« sagt habe, sein Holz läßt sich leicht zerbrechen. Da nun der Zweig, indem er sich biegt, sehr schwach ist, so würde er unfehlbar abbrechen, wmn nicht ein Faden, den die Indianer „Wasscrtropfcn" nennen, dem Baume entströmte, um — 2l7 — in der Erde Wurzel zu fassen und wachsend den Zweig zu unterstützen. Der große Baumeister des Universums hat an Alles gedacht. Der balete gewährt oft einen unbeschreiblich pittoresken Anblick. In einem Raume von einigen hundert Fuß, den diese Feigenbäume gewöhnlich einnehmen, sieht man abwechselnd Grotten, Vorhallen und Zimmer, die oft mit natürlichen Stühlen, auS Wurzeln gebildet, möblirt sind. Es gicbt keine Vegetation, die verschiedenartiger und ungewöhnlicher wäre, als diese. Dieser Baum schießt mitunter aus einem Felsen hervor, auf dem nicht ein Zoll Erde vorhanden ist; seine langen Wurzeln hangen über das Gestein hinab und senken sich in den benachbarten Vach. Ein solches Wunderwerk findet man häufig in den Urwäldern der Philippinen. „Dieser Ort eignet sich vortrefflich zu einer Nachther, berge," sagte ich zu meinem Lieutenant. Er wich einige Schritte zurück. „Wie, Herr," sagte er, „hier wollten Sie bleiben?" „Gewiß!" antwortete ich. „Aber sehen Sie denn nicht, daß wir hier in noch größerer Gefahr sind, als mitten unter den Igorroten?" „Warum?" fragte ich. „Warum? Warum? Wissen Sie denn nicht, daß in diesem grosim Feigenbäume der Ii<- b»!»n (böse Geist) wohnt? Hier würde ick keinen Augenblick schlafen. No da-i«l> würde uns die ganze Nacht quälen." — 218 — Ich lächelte. Der Lieutenant sah mein Lächeln. „O, Herr," sagte «r traurig, „was können wir gegen einen Geist ausrichten, der weder die Kugcl noch den Dolch fürchtet?" Dic Furcht des armen Thalers war zu groß, als daß iH ihm eine längere Beharrlichkeit entgegensetzte. Ich gab nach und wir suchten uns einen Ort, der zwar weniger nach meinem Geschmacke, destomehr aber nach dem Alis la's war. Die Nacht verstoß wie alle andern Nächte, das heißt gut. Wir standen auf, um unsere Reise durch den Wald fortzusetzen. Nach zwei Stunden stießen wir auf einen Igorroten, der auf einem Vüffcl ritt und aus dem Walde kam, um die Ebene zu gewinnen. Das Zusammentressen war hockst seltsam. Ich hielt dem Wilden den Lauf meines Gewehrs entgegen. Mein Lieutenant ergriff das Leitseil des Büffels und ich gab den: Igorroten ein Zeichen, daß er sich nicht rühren solle. Dann erkundigte ich mich durch Zeichen, ob er allein sei. Ich verstand, daß er keinen Reisegefährten habe und daß er nach dem Norden ginge, also in der unsrigen entl gegengesetzten Richtung reis'te. Alila, der einen entschiedenen Groll auf die Wilden geworfen, wollte sein Gewehr auf ihn abschießen, um ihm den Kopf mit einer Kugel zu zerschmettern. Ich widersetzte mich aus allen Kräften diesem Vorhaben und befahl meinem Lieutenant, den Vüffcl loszulassen. — 219 — „Herr," sagte er, „so sehen wir wenigstens nach, was dicsc Gefäße enthalten. Der Igorrote hatte drei oder vier Gefäße an dem Halse seines Büffels befestigt; diese Gefäße waren mit Banancnblättcrn bedeckt. Mein Lieutenant steckte die Nase hinein und witterte zu seiner großen Zufriedenheit, daß sie einen Hirsch-Ragout enthielten, der einen gewissen Dust ver« breitete. Ohne mich weiter zu fragen, band «r das kleinste der Gesäße ab, ließ den Büffel los, gab ihm einen Schlag mit dem Gewehrkolben und sagte: „Ve-te, luäio.'" (Geh, häßlicher Jude!) MS der Igorrote sich frei sah, entfloh er, so schnell als sein Büffel laufen konnte. Wir gingen in den Wald zurück, da wir fürchteten, eine zu große Anzahl Wilder konnte uns überraschen. Gegen vier Uhr machten wir Halt, um unser Mahl einzunehmen. Mein Lieutenant hatte diesen Augenblick mit Ungeduld erwartet, denn das Gefäß des Wilden verbreitete einen köstt lichen Geruch. Der ersehnte Augenblick war endlich da. Wir sehten uns auf den Nasen nieder. Ich tauchte meinen Dolch in das Gefäß, das Alila an das Feuer geseht hatte. Als ich den Dolch zurückzog, stat eine vollständige Hand daran/) ') Nach den Berichten anderer Indianer sind die Igorroten keine Menschenfresser; dieser mußte die Gerichte von anderen Wilden erhalten haben und ich habe Grund zu ver< muthen, von den Guinanern. — 220 — Mein armer Lieutenant war eben so bestürzt, als ich. Schweigend saßen wir einige Minntm da. Endlich versetzte ich dem Gefäße einen kräftigen Fuß« tritt, daß cS zerbrach. Das darin befindliche Menschen-fleisch fiel auf den Rasen. Die verhänanißvolle Hand stak noch immer an der Spitze meines Dolchs. Diese Hand machte mich schaudern. Ich prüfte sie sorgfältig: sie schien mir einem Kinde oder einem Ajctas angehört zu haben, einem wilden Volksstamme, der in den Gebirgen von Nueva« Erica und Maribeles wohnt. Der Verlauf dieser Erzählung wird mir noch Gelegenheit bieten, davon zu sprechen. Ich aß einige in der Asche gebratene Palmen stangcl. M'la folgte meinem Beispiele. Verstimmt sehten wir den Weg fort, um ein Lager für die Nacht zu suchen. Zwei Siundcn vor Aufgang der Sonne traten wir aus dem Walde in eine Ebene. Von Zeit zu Zeit fanden wir Reisfelder, die nach Art der Tagalcr bebauet waren. Mit einer naiven Freude sagte mein Lieutenant: „Herr, wir sind in dem Lande der Christen!" Die Neisc ward wirklich immer leickter. Wir folgten einem kleinem Fußpfade, der uns gegen Abend zu einer in« dianischen Hütte brachie. Auf der Schwelle dieser Hütte saß ein junges Mädchen. Thränen rannen über ihr betrübtes Gesicht. Ich trat zu ihr und fragte um die Ursache ihres Kummers. Nachdem sie meine Frage angehört, stand sie auf, — 221 — ohne zu antworten, und führte mich in das Innere ihrer Hütte. Dort sah ich den todten Korper einer alten Frau. Ich erfuhr, daß die Todte die Mutter des jungen Mädchens war. Ihr Bruder war in daS Dorf gegangen, um die Vert wandten der Verstorbenen zu holen. Diese Seme rübrte mick. Ick suckte das junge Mädchen zu trösten und bat um gastliche Aufnahme, die fic mir sofort bewilligte. Die Gesellschaft einer Todten hat für mich nichts Schreckliches; aber ich dachte an Alila, der stets abergläubisch und furchtsam war, wenn es sich um Gespenster und böse Geister handelte. „Nun," fragte ich, „fürchtest Du Dich, die Nacht bei einer Todten zuzubringen?" „Nein, Herr!" antwortete er kühn. „Diese Todte hat eine christliche Seele, die uns nichts Böses zufügt; sie wird vielmehr über uns wachen." Die Sicherheit und Ruhe des Tagalers setzten mich in. Erstaunen. Der Spitzbube hatte seine Gründe zu dieser Antwort. Die indianischen Hütten in den Feldern bestehen nur aus einem einzigen Raume. Diese war kaum so groß, um vier Personen zu fassen. Ein Jeder richtete sich so gut ein, als er konnte. Die Todte laa^im Hintergründe. Eine kleine Lampe, die ncbcn ihrem Haupte stand, verbreitete cin mattes Licht. Dicht daneben schlief ihre arme Tochter. — 222 — Ich hatte meinen Platz in einiger Entfernung von die« sem Todtenbctte gewählt. Mein Lieutenant war der nächste an der Thür, die wir offcn gelassen hatten, damit die frische Luft eindringen konnte. Gegen zehn Uhr Nachts ward ich durch eine schrillende Stimme geweckt. In demselben Augenblicke fühlte ich, daß Jemand über mich hinwegging, der ein Geschrei auSstieß, das draußen vor der Hütte wiederholt wurde. Ich griff mit der Hand nach der Seite, wo Alila Mief. Sein Platz war leer. Die Lampe war erloschen. In der Hütte herrschte eine dichte Finsterniß. Besorgt rief ich das junge Mädchen. Sie antwortete mir, daß sie ebenfalls das Schreien und das Lärmen gehört habe, daß sie aber den Grund da« von nicht wisse. Ich nahm mein Gewehr, trat vor die Hütte und rief meinen Lieutenant. Niemand antwortete. Alles blieb still. Auf gutes Glück eilte ich über das Feld, indem ich von Zeit zu Zeit Alila rief. Nachdem ich vielleicht hundert Schritte gemacht hatte, sagte schüchtern eine Stimme, die aus einem Baume kam, an dem ich gerade vorüberging: „Hier bin ich, Herr!" Es war Alila. Ich näherte mich und sah meinen Lieutenant, der zit< ternd wie ein Vlatt hinter dem Baumstämme kauerte. „Was ist geschehen?" fragte ich. „Herr!" — 223 — „Was hast Du?" „Ach, Herr, verzeihen Sie mir, es sind mir da böse Gedanken gekommen! Die junge Indianerin — nein, der böse Geist allein hat sie mir eingeblasen. Ick bin diese Nacht dcm Lager des jungen Mädchens naher getreten; ich habe die Lampe ausgelöscht, als ich gesehen, daß Sie schliefen ..." „Und dann?" fragte ich ungeduldig. „Dann wollte ich die junge Frau umarmen; aber als ich zu ihr kam, hatte die todte Mutter den Platz ihrer Tochter eingenommen. Ich fand ein eiskaltes Gesicht. Dann streckten sich zwei lange Arme aus, um mich zu fassen. Ich stieß einen Schrei aus und entfloh. Die alte Frau verfolgte mich, die Todte ging hinter mir her; sie verschwand nur dann erst, als ich Ihre Stimme hörte. Dann habe ich mich hinter diesen Baum geflüchtet, wo Sie mich jetzt sehen." Der furchtbare Schrecken des Tagalers reizte mich zum Lacken; aber ich verwies ihm streng seine bösen Absichten und tadelte seinen Undank für die Gastfreundschaft, die man uns so großmüthig gewährt. Er äußerte seine Neue und bat um Verzeihung. Ich glaube, er war durch den Schrecken genug bestraft. Nun wollte ich ihn in die Hütte zurückführen; aber es war unmöglich. Ich ließ ihm mein Gewehr und suchte das Lager wieder auf. Das arme Mädchen zitterte noch vor Schrecken. Ich sagte ihr, was vorgefallen, dankte für die gastfreundliche Aufnahme und ging, d» die Nacht bereits vor- — 234 — gerückt war, zu Alila zurück, der mich mit Ungeduld erwartete. Die Hcffinmg, unsere Hcimath und unsere Verwand« ten bald wiederzusehen, verdoppelte unsere Kräfte. Noch vor dem Untergänge der Sonne erreichten wir ein indianisches Dorf; sonst war uns nichts VemcrkenSwerthcS begegnet. Dieses Dorf war unser letztes Nachtquartier. Nach einer landen und interessanten Reise kam ich in Quingua an, dem Flecken in der Provinz Voulacan, wo ich meinen genesenden Freund verlassen hatte. Meine lange Abwesenheit hatte ihn sehr besorgt gemacht. Meine Frau, die glücklicherweise Manilla nicht verlassen, wußte nicht um die Reise, die ich unternommen und ausgeführt hatte. Der Kranke war von der vorgeschriebenen Ordnung abgewichen, sein Leiden hatte sich verschlimmert und er erwartete mich mit Ungeduld, um, wie lr sagte, nach Hause zurückzukehren und dort zu sterben. Seine Wünsche wurden erfüllt. Einige Tage nach meiner Ankunft reis'ten wir ab und erreichten am folgenden Tage Manilla. Im Kreise seiner Familie hauchte mein Freund seinen letzten Seufzer aus. Dies Ercigniß trübte die Freude, die mir das Wiedersehen meiner Frau gewährte. Einige Tage nach dem VeaM Le unsers Freundes schifften wir uns nach Jala-Jala cm. Unsere Neise über den See war sehr angenehm, bis an den AuSgang der Meerenge von Quin. outasan hatten wir — 225 — köstliches Wetter; dann aber erhob sich ein so heftiger Wind und dcr See ward so aufgeregt, daß wir in die Enge zurückkehren mußten. Bei der Hütte des alten Fischers Re-Lampago, dessen ich bereits erwähnt, warfen wir die Anker aus. Die Matrosen gingen an das Land, um ihr Abendessen zu bereiten. Wir blieben ruhig in unserm Fahrzeuge, während der alte Fischer, der sich einige Schritte von uns nach Art der Indianer niedergekauert hatte, sich bemühcte, uns durch die Erzählung von Banditengeschichten zu unterhalten. Ende des ersten Bandes. Ment. c. bret. Ebelm. ^ ,. Vb. 15 DruckberE. Schuman n'schen Buchdrnckerei in Schnee berg.