Der wahre Resurwativilsgeist. H^edigt in der tvmgelischeii khristnslillhe in Laibach lichaitkn nm L>. Lktober ISÜ8 von Pfarrer Hegemann. Textwort: «Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Krast und der Liebe und der Zucht.» 2. Tim. t, 7. Wieder jährt sich in der vor uns liegenden Woche der 31. Oktober, der Gedächtnistag des größten Ereignisses der deutschen Geschichte. Zer¬ sprengt wurde damals der äußere Zusammenhang der abendländischen Völker, der vor 2000 Jahren durch das Römerreich geschaffen war, dann unter religiösen Formen durch die römische Kirche erhalten wurde, zersprengt durch die deutsche Faust Martin Luthers, der die riesenhafte Kathedrale des Katholizismus in Trümmer schlug. Noch heute beklagen Unzählige dies Ereignis als das unseligste und unbegreiflichste der ganzen christlichen Geschichte. Wir aber nennen es mit Wilhelm II. die größte befreiende Tat für alle Zeiten. Mit dem größten Sänger unseres Volkes bekennen wir: «Wir wissen gar nicht, was wir Luther und der Reformation im allgemeinen alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Wir haben wieder den Mut, mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegabten Menschennatnr zu fühlen.» Ein heilighohes Erbe ist in der Reformation uns zugefalleu. Wenn von irgendeinem, so gilt von diesem Erbe das Wort: «Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen.» Wollen wir das wahre Wesen jener größten befreienden Tat er¬ fassen, so müssen wir erkennen: 1.) wovon die Reformation uns befreit hat, 2.) wozu die Reformation uns befreit hat. Eine wundervolle 2 Gabe ist uns die Reformation. Sie schließt aber in sich, wie jede Gabe, eine Aufgabe. Liegt doch der wahre Segen jeder Gottesgabe gerade in der in einer jeden beschlossenen Aufgabe. l. Wovon befreite uns die Reformation? Was ist die Gabe die wir ihr verdanken? Nicht treffender und kürzer können wir es fassen, als in das Apostelwort: «Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht.» Das heilige Gotteserbe, das in diesem Worte enthalten ist, hat erst die Reformation für die ganze Menschheit angetreten, indem sie uns befreite vom Geiste der Furcht. War es doch der Geist der Furcht, der seit grauer Urzeit Tagen herrschte gerade in der Religion. -Die Furcht hat zuerst in der Welt die Götter geschaffen,- sagt ein lateinisches Dichterwort. Jeden Donnerstag begehen wir einen Gedächtnistag, daß unsere germanischen Vorfahren im Donner, der schreckenerregendsten Naturerscheinung, die höchste Gottes¬ offenbarung fanden (Donar, Thor). Fast alle Naturvölker machten die Furcht und Schrecken erregenden Erscheinungen der Natur zum Gegenstand ihrer Religion. Zu all den Schrecken, welche die Wirklichkeit jenen ge¬ ängstigten Menschen darbot — vor wilden Tieren, der Wut der Elemente in eisigem Frost und glühendem Sonnenbrand und Ungewitter, Krank¬ heiten, Seuchen und Tod, dem Elend des Krieges durch Feindes Ansturm und Überfall, — schufen sie sich eine Welt eingebildeter Gefahren durch finstere, grimmige Geister, rächende Gottheiten, ein erbarmungsloses blindes Schicksal. Die Religion war das Mittel, um sich aus all diesen lauernden Schrecknissen, welche die gequälte Phantasie ersann, zu retten. Aber wie so gar nicht gelingt es dem Naturmenschen, den lähmenden Bann der Furcht los zu werden! Der Blick auf das Antlitz nord- oder südamerika¬ nischer Indianer, afrikanischer Bnschlente, Südseeinsulaner, australischer Wilder, wie sie uns ja in Panoramen oder Reisebildern gezeigt werden, zeigt uns tiefe Traurigkeit furchtgequälter Seelen. Man hat auf dem Missionsgebiet Abbildungen ausgenommen derselben Eingebornen, solange sie Heiden waren, und nach ihrer Bekehrung zum Christentum. Der Unterschied zwischen schmerzlicher Bitterkeit dort und frischem Lebensmut hier ist unverkennbar. War nicht die heute so oft mit Unrecht herabgewürdigte Religion Israels schon eine Erlösung von diesem Geiste der Furcht? Man ver¬ gleiche die scheußlichen Fratzen indischer oder mexikanischer Gottheiten, die unförmlichen Fetische von Negervölkern, die wüsten Unzuchtsfeste, Meuschenschlächtereien und Kinderopfer orientalischer Religionen mit 3 Israels Religion! Da ist Gott nicht mehr ein fürchterlicher Plagegeist, ein blindes erbarmungsloses Schicksal oder eine Gemeinschaft launischer, lustgieriger, loser Einzelgötter, sondern der heilige und gerechte Jehovah, der in verzehrender Lohe alles Schlechte vertilgt. Und doch war die Religion der Furcht durch diesen reinen Gottesglauben nicht überwunden. Die Gesetzestafeln dieses alttestamentlichen Gottes reden von einem «eifrigen Gott, der da heimsncht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied». Dieser Gott war und blieb ein furchtbarer «Herr», dem die Menschen mit dem knechtischen Geist äußern Gehorsams gegenüberstanden. Es lastet auf der ganzen Religion des Judentums jene Anklage, die Shakespeare seinem Juden Shylock ent¬ gegenhält: «Daß nach dem Lauf des Rechtes unser keiner Zum Heile käme-» Da brachte das Christentum «nach dem Lauf der Gnade» die Erlösung. An Stelle des Geistes der Furcht brachte es jenen neuen Geist, den der Apostel beschreibt: «Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater. Derselbe Geist gibt Zeugnis unserm Geiste, daß wir Gottes Kinder sind- (Röm. 8, 15 f.). -Das Gesetz, das in Geboten gestellt war,» -die Handschrift, die wider uns war, welche durch Satzungen entstand und uns entgegen war» (Col. 2, 14), hat Christus ans Kreuz geheftet. Aus den Knechten werden Kinder, aus dem «Herrn» wird der «Vater», der nicht mehr mit den Menschen rechtet, der Gnade für Recht erweist, -dessen Gnade weiß von keinem Zwang, Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen, Zur Erde nieder.» Dort im Alten Testament.war die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang, im Neuen Testament heißt es: -Die Liebe duldet keine Furcht, sondern die vollendete Liebe treibt die Furcht aus, weil die Furcht nach Strafe blickt; wer sich fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe» (1. Joh. 4, 18)! Gott gab den Menschen dies freie Geschenk seiner Gnade, doch die Menschen machten es aufs neue zur Satzung dumpf und schwer. Im Katholizismus entstand eine neue Religion der Furcht, schreckens¬ voller als je eine vorher gewesen war. -Ich gedachte nicht anders, denn Christus säße im Himmel als zorniger Richter, wie er denn auch auf einem Regenbogen sitzend gemalt 4 wird», sagt Luther von seiner katholischen Zeit. Er erzählt, daß er, ge- ängstiget von den Flammenaugen des Weltrichters, sich wandte an die Mutter Gottes. «Denn weil immer nur von Gottes Zorn, nicht von seiner Gnade gepredigt wurde, ist man Marien unter den Mantel gekrochen, zu den Heiligen wallfahren gegangen, dieses und jenes getan.» Und ist es anders in unfern Tagen? Einer der bedeutendsten, frömmsten, strenggläubigsten römischen Theologen der neuesten Zeit (Möhler) sagt in seinem weitverbreiteten Buche (Symbolik): «Ich glaube, daß es mir in der Nähe eines Menschen, der seiner Seligkeit ohne alle Umstände gewiß zu sein erklärte, im höchsten Grade unheimlich würde, und des Gedankens, daß etwas Teuflisches dabei unterlaufe, wüßte ich mich wahrscheinlich nicht zu erwehren.» Gewiß, der Katholizismus häuft massenhafte Heilszusicherungen auf seine Gläubigen. Der Sündenablässe, der vollkommenen Ablässe, der heilspendendeu Sakramente und kirchlichen Handlungen, der Gnadenstätteu nnd Segensmittel ist kein Ende; in verschwenderischer Fülle ergießen sie sich über die Menschen, die von Stellvertretern Gottes aller Art behütet und geleitet werden. Und wenn man dann fragt: Was erreicht ihr Katholiken mit dieser Überfülle von Heilsgarantien? Niemals die Heilsgewißheit, lautet die Antwort. Denn so verkündigt die große Kirchenversammlung von Trient: «Niemand kann mit Glaubensgewiß^ü- wissen, er habe Gottes Gnade erlangt.» An viel tausend Altäre ist das Privilegium geknüpft, daß durch jede daran gelesene Messe eine Seele aus dem Fegfeuer befreit wird. Aber was so fest versprochen wird, das darf doch niemals Glaubensgewißheit werden. Und wenn du dir tausend vollkommene Ablässe verschafftest, dürftest du doch nie gewiß wissen, daß dir deine Sünden nun auch wirklich vergeben sind. Die Furcht, es könne noch etwas fehlen, ist dem Katholiken unerläßlich, weil ja sonst aus Knechten Kinder würden, Gotteskinder, die keiner Priester mehr bedürfen. Das aber war es, was die Reformation wieder erschloß, als sie das Christentum wieder in seiner Reinheit zu fassen lehrte. Es ist das, was das Neue Testament die -Freudigkeit zu Gott- nennt, die volle Zuversicht, wie sie im evangelischen Glaubensliede wiederklingt: -Nun weiß und glaub ich feste, Ich rühm's auch ohne Scheu, Daß Gott, der Höchst und Beste, Mein Freund und Vater sei, 5 Und daß in allen Fällen Er mir zur Rechten steh Und dämpfe Sturm und Wellen Und was mir bringet Weh.» So allein überwinden wir alle Furcht, indem wir diesen starken Geist der Zuversicht zur ewigen Macht, die hinter der Erscheinnngswelt steht, ausbilden. O, man möchte es manchmal den Kindern der Reformation zurufen: »Glaubet an das Licht, dieweil ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid» (Joh. 12, 36), denn, ach! so wenige ahnen es, was sie an diesem Kindschaftsgeiste besitzen. 2. Daß so wenige für den Segen der Reformation ein volles Ver¬ ständnis haben, stammt es nicht daher, weil sie die Aufgabe, die in dieser Gabe enthalten ist, so wenig erfassen, weil sie nicht wissen, wozu sie befreit sind? Unser Bibelwort kleidet diese Aufgabe in die Worte: «Gott hat uns gegeben den Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht.» Durch die Befreiung von der Furcht erlangen wir den Geist. Jener «Geist der Furcht» ist ja in Wahrheit der Ungeist, Knechtssinn, der das Haupt nicht frei zn erheben wagt, er ist das Tierische im Menschen. Nur von den Stirnen der Starken, Guten, Reinen weht uns dw Hauch echten Geistes an, jenes Geistes, der in seiner gottbegabten Menschennatur sich fühlt und hoch das Haupt zum Ewigen aufrichtet. Und dieser Geist ist zugleich nichts anderes als das, was die Bibel den «Glauben- nennt (Röm. 8, 14; Gal. 3, 26), jener Glaube, der das hehre Palladium der Reformation gewesen ist im Gegensatz zu allen Werken, Heilsmitteln und Heilsgarantien Roms. Dieser Glaubensgeist entfaltet sich dreifach vor und in Gott als Kraft, vor und an Menschen als Liebe, in uns selbst als Zucht. Er ist ein Geist der Kraft! Ihr armen Protestanten, ihr könnt nicht bestehen, ruft man uns' aus dem römischen Lager zu. In eurer Zerrissenheit, in eurer verwirrenden Mannigfaltigkeit, in euren tausend sich widersprechenden Meinungen, die jeden, der zu euch kommt, in die größte Verwirrung stürzen, seid ihr ohne Halt und Kraft. Seht uns an! Wir sind einmütig geschart nm den hochragenden Mittelpunkt der Einheit, an dem allein eine unbezweifelte, unbefleckte, lautere Erkenntnis des Heils sich findet. Hier im tausendjährigen Bau, aus dem noch nie ein Steinchen sich löste, ist Festigkeit, Kraft, Ordnung, Größe! Was habt denn ihr? Keine weltumspannende Organisation, keine Parteien, keine Presse in allen Ländern von einem Willen geleitet, wie wir. Nur Schwäche und Ohnmacht! 6 Wir aber rufen: Da, wo der Wahrheit gedient wird und nur der Wahrheit, da ist ein Geist der Kraft. Jener Geist, der jenem Unschein¬ barsten und Schwächsten innewohnte, von dem wir singen: k» o 8> 8>