J? /) V * REISEN IV DER REGENTSCHAFT ALGIER jj* 1836, 1837 und 1838 V 0 N D. MORITZ WAGNER. NEBST EINEM N ATüRI I f STORISCF TEN ANHANG UNI) EINEM KUPFERATLAS, erster band. LEIPZIG, VERLAG VON LEOPOLD VOSS, Hl I HHÄMlLKIl l>, K. ACADKMIK II. WISSKNSC1IAFTKN ZU ST. I'KTKKSUI III.. F * SEINER KÖNIGLICHEN HOHEIT FERDINAND PHILIPP LUDWIG, HERZOG VON ORLEANS .9IW4TJJ Eure Königliche Hoheit haben die Widmung dieses Werkes über ein Land, wo nach den von Eurer Königlichen Hoheit kürzlich ausgesprochenen Worten „Frankreich ein grosses Reich gründen wird", allcr-huldvollst anzunehmen geruht. Ein schönerer Lohn für die der Reise und der Bearbeitung dieses Buches geopferte Zeit konnte mir wahrlich nicht werden. Bei der Gründung europäischer Niederlassungen in Nord-afrika ist auch mein Vaterland vielfach betheiligt, Deutsche Krieger kämpfen dort unter der Fahne Frank- rciclis und deutsche Ansiedler helfen an der Seite französischer Colonisten den verwilderten Boden urbar machen, während Deutschlands gelehrte Welt die wissenschaftlichen Arbeiten in dem neu zugänglich gewordenen Lande mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt. Eure Königliche Hoheit erkennen die innige Thcilnahmc, welche unsere Nation Algier schenkt, seihst an durch die mir huldvollst ertheiltc Versicherung: es mache Eurer Königliehen Hoheit Vergnügen, zu sehen, dass deutsche Forscher mit den französischen sich vereinigten, um über jenen Theil von Afrika immer mehr Licht zu verbreiten. Ueberzeugt, dass die Vorsehung dem hochherzigen Prinzen, welcher seihst die Gefahren und Mühen des Fcldlchens und den Siegcs-ruhm der französischen Heere in Afrika thcilte, die Ausführung der grossen, glorreichen Aufgabe, den einst blühenden Boden Numidiens der Cultur wieder zu gewinnen und Europas Civilisation und Freiheit nach dein Wcltthcil der Barbarei zu verpflanzen, vorbehalten hat, wünsche ich aus tiefster Seele, dass der Himmel Eurer Königlichen Hoheit langes glückliches Lehen schenken, dass sein reichster Segen auf dem Hause Orleans ruhen möge. In tiefster Ehrfurcht bcharrt Eurer Königlichen Hoheit Augsburg, im September 1840. unter th iinigslcr I»r. Moritz Wagner. Vorrede. Seitdem Nordafrika im 7tcn Jahrhundert von den mohammedanischen Arabern erobert worden, ist die Bcrberei für die europäischen Völker eine der unzugänglichsten Zonen des Erdkreises. Obwohl nur durch ein schmales Meer von dem löndergierigen Europa geschieden, zogen dessen mächtige Marinestaaten doch vor, im fernen Südasieu, in Amerika und Australien durch Walfengewalt oder Politik neue Reiche zu erobern, statt den Barbaren das nahe gelegene fruchtbare afrikanische Küstenland zu entreissen, wo die Römer sechs Jahrhunderte lang ihre Herrschaft behauptet und die blühendsten Colonien der Welt besessen hatten. Die Barbaren Nordafrikas führten gegen das christliche Europa unaufhörlichen Krieg, bedeckten das Mittelmeer mit ihren Piratenflotten, lähmten den Handel, verheerten die Küstenstaaten und schleppten deren Bevölkerung in die Sklaverei. Europa ertrug diese Uebcl mit uubegreiflicher Langiuuth, und wenn auch zuweilen ein hochherziger Fürst, wie der heilige Ludwig oder Carl V., in einer Anwandlung ritterlichen Zorns oder christlicher Begeisterung einen Zug gegen die Piratenländer unternahm, so wurden solche kriegerische Operationen doch nicht durch die nöthige Beharrlichkeit unterstützt und nahmen einen kläglichen Ausgang. Mit, einzelnen europäischen Staaten schlössen die Barharcsken in der Folge Separatfrieden und Hessen ihre Handelsfahrzeuge in einige ihrer Häfen zu, aber mit den« innern Lande war bis auf die neueste Zeit jeder Verkehr unmöglich. Namentlich waren die Staaten Algier und Marokko, von einer wilden, fanatischen, raub- und mordgierigen Bevölkerung bewohnt, für alle Christen bis zum 18ten Jahrhundert völlig verschlossene Länder, und nur als Sklaven, beschimpft durch Misshandlung, gebeugt unter dem Druck der Kette, sahen einzelne Europäer, die ins Innere geschleppt worden, die Riesenskelete der alten Städte wieder, welche ihre Altvordern dort als Eroberer und Herrscher gegründet hatten. Im Angesicht jener mächtigen Monumente, der Triumphpforten, Tempel und Granitsäulen, deren verwitterte Inschriften die Römersiege priesen, wurde der Europäer au den Pflug gespannt, und da mochten in ihm bittere Empfindungen wach werden über den Wechsel der Zeiten ■— in der That, ein kläglicheres Wiedersehen der Ahnengräber lässt sich nicht denken! Als die politischen Verhaltnisse zwischen Nordafrika und Europa eine regelmässigem Gestalt annahmen und die meisten christlichen Staaten durch Entrichtung eines Trihuts mit den Barharesken schmachvollen Frieden erkauften, gelang es einigen Reisenden durch die Unterstützung der bei den Raubstaaten beglaubigten Consulu, einige Strecken der Küste und des Innern der Reiberei iu durchziehen. In Tunis waren dergleichen Reisen weniger schwierig, als in den westlichen Theilen. Peyssonel, Shaw, Bruce und Desfontaines durchwanderten im 18ten Jahrhundertc die Regentschaft Tunis bis au den Hand der Sahara. Dieselben unermüdlichen wissenschaftlichen Forscher bereisten auch einige Punkte von Algier, kamen über nicht über den 35° N\ B. hinaus und keiner von ihnen drang bis auf die letzten südlichen Abhänge des Atlasgebirges vor. Seit Anfang unsers Jahrhunderts bis 1830 wurden solche Reisen nicht mehr versucht. Inmitten der Kliege zwischen den europäischen Mächten hatten die Raub-staaten ihr altes Handwerk wieder begonnen und die nord-iifrikiuiische Küste war dem Seefahrer wieder so gefahrvoll wie früher geworden. Das Bombardement Algiers im Jahre 1816 durch die Engländer unter Lord Exmouth schüchterte zwar die Barbarei» auf einige Jahre ein, aber erst nach der Laudung der Franzosen, welche im Jahre 1830 die verjährte Schande Europas so glänzend rächten, nahmen die dortigen Verhältnisse eine völlig andere Gestalt an. Alle wichtigen Punkte auf einer Kiistcnstrecke von mehr als achtzig Meilen Länge wurden von den Franzosen besetzt und an demselbeu Gestade, welches der Seefahrer bisher als sein Gefängniss und Grab gemieden, sah man jetzt die Flaggen aller Seehandel treibenden Nationen Europas in emsigem Verkehr, während Armeen in das Innere eindrangen und das berühmte Atlasgebirge überschritten, auf welchem seit mehr als einem Jahrtausend kein europäisches Banner geweht hatte. Im Jahre 1834 bereiste ich das südliche Frankreich und machte von dort einen ganz kurzen Ausflug nach der afrikanischen Küste, von wo Privatverhältnisse mich bald nach Europa zurückriefen. Aber die Schönheit des numidischen Küstenlandes, der Anblick des alten Atlas, dessen geheimnissvolles Innere der Räthsel noch so viele birgt, das bunte afrikanische Leben, das Gewühl von Völkern des verschiedensten Stammes, die sich durch Verkehr zu mischen begannen mit den eben so heterogenen Elementen europäischer Auswanderer von Nord und Süd — all' diese Erinnerungen blieben mir in voller Frische und ich konnte des mächtigen Eindrucks nicht mehr los werden. Derselbe ward nicht wenig erhöht durch die mündlichen Mittheilungen der Militairs und Kaufleute, welche die afrikanischen Feldzüge mitgemacht oder wenigstens im Gefolge der französischen Armee sich herum- getrieben hatten. Die Aussagen dieser Leute von wenig Bildung waren zwar zum Theil sehr verworren und angefüllt mit langweiligen Einzelnheiten über Alles, was sie in Afrika erlebt und erduldet, zugleich aber entschlüpften ihnen doch häufig interessante Mittheilungen über die Wildnisse, die sie durchzogen, über die Städte des Innern, die sie betreten, und die fremden Völker, mit denen sie bald durch Handel, bald mit den Wallen in der Hand, Verkehr gehabt hatten. Mein Entschluss stand bald fest, mich vorzubereiten zu einer grössern Reise nach dem neu zugänglich gewordenen Lande, um dort naturwissenschaftliche Sammlungen zu veranstalten und die politischen und gesellschaftlichen Zustände Nordafrikas kennen zu lernen. Die Vorgänge in Algerien waren damals zu einer solchen Reise sehr lockend. Der unternehmende Marschall Clau-zcl rüstete sich zu den Zügen nach Maskara und Tlemsan und verkündete ziemlich offen seinen Plan, die Regentschaft, nachdem man fünf Jahre lang sich auf den Besitz der Küste beschränkt hatte, im Grossen zu occupireu. Meine Reisevor-bereitungen waren zu jener Zeit leider noch nicht beendigt. Mit Freude las ich von den Erfolgen der Franzosen, aber es that mir doch zugleich wehe, dass ich nicht mit unter den Ersten seyn konute, die in jene Gegenden eindrangen, und ich wünschte insgeheim, dass alle weiteren Feldzüge unterbleiben möchten, bis ich selbst in Algier seyn würde. Die wenigen kargen Mittbeilungen, welche die Journale aus Briefen von Militairs entnahmen, genügten mir nicht. Ich ärgerte mich über deren Dürftigkeit und unbeschreiblich sehnte ich mich, die Heerzüge selbst zu begleiten und das fremde Land und die Scenen des Beduinenkrieges nach eigener Anschauung zu schildern. Nicht ohne Mühe gewaun ich es über mich, diese heisse Ungeduld niederzukämpfen und nichts zu übereilen. Nachdem ich in Deutschland meine Vorbereitungen beendigt hatte, begab ich mich im September 1836 nach Paris und erhielt dort durch die Güte des Kriegsministers Bernard, der Professoren des naturhistorischen Museums, der Generale Dejcau und Feist-haniel Empfehlungsbriefe an die französischen Behörden und die bedeutendsten Militairs in Algier. Dieser Aufenthalt in Paris war Schuld, dass ich die erste Expedition nach Constantine versäumte. Es that mir dies damals nicht wenig leid. Als ich aber bald nach meiner Ankunft in Algier den unglücklichen Ausgang hörte, konnte ich die Verlängerung meines Pariser Aufenthalts nur segnen. Die Aufnahme, die ich in Algier fand, übertraf meine Hoffnungen, denn nicht nur gewährten mir die Behörden, die Generale, die Lagercommandanten allen Schutz, alle Erleichterungen, die ich für meine Ausflüge verlangen konnte, sou- dem icU lernte auch so manche durch Ihre politische Stellung wie durch Geist und Charakter hervorragende Männer kennen, die mir bereitwillig über alle mich interessirendcn Gegenstände Auskunft erthcilten und deren Umgangs ich mit wahrer Liebe und Freude gedenke. Marschall Clauzel verweilte zu kurze Zeit, um mir nützlich seyn zu können; dafür fand ich an seinem Secretair, Herrn Adrian Berbrugger, den unschätzbarsten Führer. Mit diesem eifrigen Alterthumsforscher machte ich die interessantesten Ausflüge nach den Ruinen von Rusgonia, nach Ghelrna u.s.w. Nicht minder nützlich waren mir der Obristlieutenant Levaillant, damals noch Capitäu der Zuaven (ein warmer Freund der Jagd und Zoologie, wie sein Vater, der berühmte Reisende), der Doctor Trubelle, der Commandant Saint-Fargeau, der Stabsarzt Roussel, der Capitän Magagnos, welche, sämmtlich eifrige Sammler zoologischer und botanischer Gegenstände, auf meinen Ausflügen mich häufig begleiteten. Wollte ich all' die übrigen Personen nennen, die mir Freundliches erwiesen und mein Unternehmen nach Kräften förderten, so gäbe dies eine lange Liste; doch halte ich es für meine Pflicht, wenigstens die folgenden Namen dankbar anzuführen: den Capitän Daumas, ehemaligen Consul in Maskara, der in der Hauptstadt Abd-el-Kader's seine beschränkte Wohnung mit mir theilte, den geistreichen Cominandanten Pel Ii ssier, die Civiliiitendanten Bresson und Sol, den Stabsarzt Guyon, die Generale Rapatel, Trezel und Brö, namentlich den Letztern, einen der trefflichsten Charaktere, die mir in meinem Leben vorgekommen. Dass ich je Gelegenheit finden werde, die edle Gastfreundschaft jener Männer zu vergelten, unter deren Zelt im Lager ich immer ein Ruheplätzchen fand, wenn ich müde von meinen Excursionen heimkehrte, die immer willig und herzlich die ihnen selbst spärlich zugemessene Lagerkost mit mir theiltcn — dass ich ihnen je mit derThat meine tiefe Dankbarkeit zu beweisen vermögen werde, kann ich kaum hoffen, aber gewiss, ich werde die Erinnerung ihres edlen Benehmens in meinem Herzen bewahren, so lange dieses nicht erkaltet ist. Meine Reisen fielen in eine sehr günstige Zeit. Ich begleitete die kriegerischen Züge nach Constantine, Beiida, lleghaia. Nach dem Friedensschlüsse au der Tafna benutzte ich die Ruhe des Landes, bereiste unter dem Schutze der Häuptlinge Abd-el-Kader's das Innere der Provinz Oran und besuchte mehrere interessante Gegenden, wie die Ebene Eggh-res, Hammam-Sidi-Hanefiah, wohin die Franzosen noch nie gekommen sind. Mehrere der merkwürdigsten Punkte, welche ich in den Jahren 1837 und 1838 noch ohne grosse Gefahr besuchen konnte, sind jetzt unzugänglich. Nach Hammam-Meskhutin darf man sich ohne starke Bedeckung nicht mehr wagen, das Innere der Provinz Oran ist den Reisenden ganz verschlossen und selbst in der Umgegend Algiers, welche ich sechs Monate lang in allen Richtungen durchstreifte, kann man sich jetzt ohne augenscheinliche Lebensgefahr nicht von den Lagern entfernen. Auf den Ruinen von Rusgonia, in deren Mitte ich 1837 mit meinem Freunde Berbruggcr mehrere Tage ruhig campirte, lagern gegenwärtig die Räuberbanden Ben-Salem's und der Altherthunisforscher kann dort nicht mehr unter den Trümmern umhersuchen. Von den älteren Werken über die Berberei sind die Rcisebeschreibuugen von Shaw und Peyssonel sehr schätzbare Quellen. Beide waren gründliche und gewissenhafte Beobachter; leider aber sind ihre in wissenschaftlicher Hinsicht so brauchbaren Werke zugleich sehr einseitig und trocken. Die Verfasser besassen tüchtige archäologische Kenntnisse, aber in ihrem Eifer, die alten Steine zu beschauen und ihre Inschriften zu entziffern, vergassen sie andere wichtigere Gegenstände, vergasseu sie die Menschen, welche, nach Giithe's Wort, dem Menschen überall das Interessanteste bleiben, aber nirgends ein aufmerksameres Studium verdienen als in der Berberei, wo die Weltereiguisse so viele Völker verschiedener Abstammung und Zunge zusammendrängten, deren Vergangenheit tiefes Dunkel deckt und deren gegenwärtige Zustände wir noch lange nicht gründlich genug kennen. Moritz Wagner's Algier. I. * * Sehr auffallend ist, dass seit 1830 so wenig gute Werke über Algier geschrieben worden sind. Die zwanzig oder dreissig Schriften, welche erschienen, behandeln fast sümmt-lich nur die politische Frage oder die Colonisation. Ein sehr tüchtiges Buch darunter sind die Amiales Algerienncs von Pellissicr. Beschreibende Werke über das Land kenne ich nur drei; was an wissenschaftlichen Forschungen geschah, findet sich in gelehrten Journalen zerstreut. Die beschreibenden Reisebuche* sind: Campbell's Briefe, Pücklcr-Muskau's Seinilasso in Afrika und Rozet's Reise. Campbell war als Dichter ohne Zweifel glücklicher, denn als Reisebcschreibcr. In seinen Briefen findet man wenig mehr, als die gewöhnlichen Touristen eindrücke. Auch war sein Aufenthalt nur sehr kurz und an den wichtigsten Punkten strich er flüchtig vorüber. So verweilte Campbell in Mas-kara, wie mir der Intendant Sol erzählte, eine Stuude und kehrte dann eiligst wieder nach Orau zurück, froh, dass er seinen englischen Lesern sagen konnte, er habe die Hauptstadt Abd-el-Kader's gesehen. Semilasso ist noch oberflächlicher als Campbell's Briefe. Der Fürst Pückler- Muskau gilt für einen geistreichen Mann und die „Briefe eines Verstorbenen" zeugen in der That von feiner Beobachtungsgabe, Witz und Weltmaunsgewandtheit. Aber in den späteren Schriften des Fürsten will man eine merkliche Abnahme seines Talents bemerkt haben. Vielleicht lag die Schuld mehr an der Wahl des neuen Stoffes, der seinem innersten Wesen nicht anpasste. Fürst Pückler ist mehr ein Mann der Salons, als der Wüste, geeigneter im Cirkel vornehmer mit Stern und Ordensband geschmückter Welt durch Geist, Witz, pikante Einfälle zu glänzen und mit dem Scharfblick des Kenners, mit der Uebcrlegenheit eines Mannes, der seines Stoffes Meister ist, jene Elemente von Hoheit, Flitterschimmer, Intriguen und Fäulniss einer aristokratischen Welt uus zu enthüllen, als unter numidischen Ruinen sein Quartier aufzuschlagen und das einfach Grossartige der Wildnisse und des Araberlebens natürlich aufzufassen und zu beschreiben. Im Vergleiche mit den beiden genannten Schriften ist die Reise Rozet's sehr gut und gründlich. Diesem gewissenhaften und tüchtigen Beobachter fehlt nur Eines: er hat gleich Campbell und Pückler zu kurze Zeit im Lande sich aufgehalten und zu wenig gesehen. Er beschreibt nur die vier Städte Algier, Beiida, Medeah und Oran. Die Provinz Constantine und das Innere der Provinz Oran hat er gar nicht bereist. Ausserdem haben auch zwei Deutsche, Wilhelm Schimper und Miltiz, über Algier Broschüren veröffentlicht, welche gut und anspruchlos geschrieben sind, aber blos eine Schilderung der Stadt Algier enthalten. In meiner gegenwärtigen Reisebeschreibung bemühte ich mich, die verschiedenen Bestandteile so viel als möglich zu sondern. Der lste Band enthalt den geographischen Theil des Werkes und Alles, was in dieses Gebiet einschlägt, die statistischen Notizen, die Beschreibungen der Ruinen etc. Ich habe mich bei dieser Schilderung der Reise beinübt, alles mich persönlich Betreffende wegzulassen, so weit dies thun-lich war. Vielleicht that ich Unrecht, nicht nach dem Beispiele anderer Heisender das Trockne der Beschreibungen zu mildern durch eine farbenreiche Erzählung aller Erlebnisse unter den Wilden der Berberei, der Jagden, der Kriegssce-nen u. s. w. Meine Reise war an dergleichen Abenteuern nicht ärmer, als die vieler Andern, denn ich habe drei Expeditionen begleitet und war später in Abd-el-Kader*s Hauptstadt täglicher Augenzeuge der Scenen eines rein afrikanischen Lebens. Da aber meine Absicht keineswegs ist, dem Leser eine blos amüsante Lecture zu bieten, da ich einfach nur wünsche, dem Reisenden, welcher Algerien durchwandern, dem Ansiedler, der sich dort für immer niederlassen will, durch dieses Buch ein getreuer Führer zu seyn, und Denen, welche der Länder- uud Völkerkunde ernstliches Interesse widmen, ein richtiges Bild von jeuem Lande, von seinen Bewohnern, seiner Geschichte, seineu heutigen Zuständen zu geben, so vermied ich möglichst alle Episoden und überflüssigen Schmuck. Mau wird diesem geographischen und descriptiven Theile wenigstens nicht den Vorwurf der ünvollständigkeit machen, denn ich bereiste alle Punkte der Regentschaft Algier, welche bis zum Juni 1838, wo ich das Land verliess, von den Franzosen occupirt oder überhaupt damals zugänglich waren. Es boten sich mir während meines zweijährigen Aufenthalts sehr schöne Reisegelegenheiten nach Tunis und Marokko, die ich aber nicht benutzte, weil ich in diesem Falle die entlegenen Punkte Algeriens, wie Mostaganem, La Calle, Ma-sagran u. s. w., wohin nur sehr selten Schiffe abgehen, nicht hätte besuchen können, lieber jene Städte des Innern, welche zu berühren keine Möglichkeit war, sammelte ich Notizen bei den Eingeborenen und besonders bei den Renegaten in Mas-kara. Interessante Aufschlüsse über die der Sahara angrenzenden Gegenden, namentlich über das Land der Mosabiten, verdanke ich dem Renegaten Baudouin, einem merkwürdigen Menschen, der, ganz zum Araber geworden, die verschiedenen Idiome mit der Reinheit eiues Marabuts sprach. Uinriss der Geschichte der Regentschalt Algier im 2ten Bande bis zum Sturze der Türkenherrschaft entwarf ich nach einem sorgfältigen Studium aller altcu und neueren Quellen. Bei der neuesten Geschichte von 1830 an benutzte ich Pellissier's Amiales Algerietmcs. Wichtige Beiträge schöpfte ich aus der mündlichen Unterhaltung mit deu bedeu- tcndsten Männern, welche dort seit Jahren Augenzeugen der Begebenheiten waren und selbst den thätigsten Thcil daran genommen hatten. Meinem Freunde, dem Schwcizcrhauptmauu Muralt, in neapolitanischen Diensten, verdanke ich die Schilderung von Bugeaud's Zug an die Tafna; endlich habe ich selbst einigen bedeutenden Ereignissen beigewohnt. Eine ausführliche Skizze sämmtlicher eingeborenen Völker geht diesem historischen Theile voran. Es giebt Reise-beschreiber, welche bei Schilderung fremder Völkersitten hauptsächlich deren äussere Seite ins Auge fassen und in eine Menge winziger Details eingehen über Tracht, Wohnort, religiöse Cereinonien. Sehr weitschweifig schildern sie alle seltsamen Geberden, wissen genau, welches Knie beim Gebot zuerst den Boden berührt, welche? Bewegung Hand und Kopf zum Grosse machen, und da in diesen Gebräuchen manchmal etwas Pikantes vorkommt, so nimmt eine gewisse Ciasse von Lesern Gefallen an solcher Beschreibungsart. Ich habe bei der Schilderung der Algierer Völker diese äusserlichen Dinge zwar keineswegs übergangen, ihnen aber nur geringen Raum gestattet, da ich glaube, dass es zu einer Kenodiiss der Völker ungleich wichtiger ist, jene Züge zu erfahren, welche über Charakter, geistige Richtung, sittliche Zustände aufklären, als die Bestandteile ihrer Kleider oder ihre Grimassen beim Gebet zu kennen. Die Bearbeitung des 3ten, naturhistorischen Bandes war mir nur möglich durch die freundliche Unterstützung meiner gelehrten Mitarbeiter und durch die Opfer des Verlegers. Mein Bruder, Professor Dr. Rudolph Wagner, übernahm die Eintheilung der Beiträge. Nordafrika gewinnt unbestreitbar eine mit jedem Tage steigende Bedeutung und die Ereignisse im Osten sind mit den Vorgängen in Algier vielleicht in weniger fernem Zusammenhange, als man glauben möchte. Eine ungeheure Umgestaltung steht überall der mohammedanischen Welt bevor. Während das grosse osmanische Reich im Osten, des Islams mächtigste Stütze, zusammenbricht und der alte impotente Fanatismus vor den unaufhaltsam einbrechenden Ideen europäischer Bildung, der Toleranz und Freiheit, in seine dumpfen Höhlen sich verkriecht, während die Hoffnung immer näher rückt, dass jenes unermessliche fruchtbare Territorium nicht lange mehr brach liegen wird unter dem ertödtenden Druck einer dummen Tyrannei und als Wohnsitz von Wildeu und Sklaven, während Russland und England, von Osten her gewaltig um sich greifend, die Völker Asiens unter ihren mächtigen Schirm reissen, ist Frankreich im Westen die Aufgabe zugefallen, in den unzugänglichsten, streitbarsten Theil des alten Khalifenreiches einzudringen und die in uralter Barbarei verhärteten Völker Nordafrikas zu lehren, dass des Men- sehen Bestimmung eine edlere scy, als mit dem Schakal in der Wildniss zu leben, in brudermörderischen Kämpfen sich zu zerfleischen und eine schöne Erde durch Faulheit veröden zu lassen. Die Eingeborenen Nordafrikas, obwohl wie wilder edlen kaukasischen Rasse angehörend, haben ihre Geisteskräfte schlafen lassen und zu dem Gebäude der menschlichen Kenntnisse nicht einen Stein hinzugefügt, ja sie sind dem befruchtenden Verkehr vielmehr überall hemmend in den Weg getreten durch Piraterie und Eroberungskriege. Unsere von einem Titanenfieber der Umgestaltung, der Rcformirung, der Freiheitvcrbreitmig bewegte Zeit duldet dies nicht länger mehr. Auch für Numidiens und Mauritaniens wilde Völker ist der Tag nicht mehr sehr fern', wo sie Europas Gesetzen sich fügen oder im Kampfe für ihre Barbarei untergehen müssen. Augsburg, im September 1840. Der V er fasser. Inhalt. Seite T. Dampfschiffahrt.— Die balearischcn Inseln. Minorka. Aufenthalt in Ylahon. Majnrka. Cabrera.—- Ankunft in Algier. Der Anblick der Stadt von iler Seeseite. — Der Hafen. — Biskris und Neger. — Gasthöfe. — Der erste Kindruck der Stadt Algier auf den Europaer ......... 1 N. Beschreibung der Stadt Algier, — Statistisches. — Strassen und Bauart der Häuser. _ Merkwürdige Gebäude, — Die Kasbah. Der alte Devpalast. — Diu Wöhngebaäd« des Gouverneurs. — Hotel Latour du Pin. — Die Bibliothek. — Moscheen. — Das Grab Heyraddin Barharossa's. — Die katholische Kirche. — Der protestantische Gebetsaal. — Schulen der Eirigeborneti Synagogen........3f> III. Fortsetzung der Beschreibung der Stadt Algier. Gerichte. 'J rit/uiuti siijnricur. Kriegsgerichte; Der Process Moncel's. Daä Gericht des Kadi*a. IJazars. Maurische und l'i au/i'isische K ulleeliäiiser.................57 IV. Leben und Sitten in Algier. Der Hamadan und Beiram. Mo-liaimnedanischer NachtgoUcsdienst. Das maurische Volksthca-tet (ibaia-uss. Die Belustigungen des Beiram. Maurische Hochzeiten. Eine Besclincidun-. Kine 11inrichtung. Begräbnisse. Kirchhofe. Jüdische Sitten. Lehen der Europäer. I)<'utsche Belustigungen. Spauisclie Bälle.......74 V. Aositfllg« in Algiers Unigegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. — Der Fhos oder die Banlieue Algiers. — Seite Der Sahel. — Cap Caxines. — Budscharea. — Das Co-lonistendorf Deli-Ibrahim. — Die militairische Niederlassung Mnstaplia-Pasclia. — Das Lager und Colonistendorf Kuba. — Maison carree. — Lager Byr-Kadem. — Hansell Hussein-Pasclia oder ferme modele.— Die Lager Duera und Mahelma 121 VI. Austlüge in Algiers Umgegend. Die Ebene Metidscha. Der Markt von Buflarik.............144 VII. Ausflöge in Algiers Umgegend. Rassota, die Pflanzung des Fürsten Mir. — Reghaia, das Landgut des Herrn Mercier.— Die Ruinen von Rusgonia ............ 161 VIII. Reise in das Innere der Provinz Algier. — Die Südseite der Metidscha. — Die Ringmauern von Neu-Beiida. — Stadt Itelida. — Orangengärten.— DerUad-Sidi-el -Kebir. — Hausch Mussaia. — Die Kabylen des Gebügs. — Der Eng-pass Teniah. — Coleah. — Umgegend. — Das Land der Hadschuten.— Kubbar-el-Rummiah „das Grab der Christen" 185 IX. Reise von Algier nach Budscbia. — Seefahrt. — Das Kü-stengebirge. — Der Dschurschura. - Dellys. — Budschia. Stadt. Gegend, — Kabylenstämme der Landschaft . . . 209 X. Reise von Budschia nach Bona, — Dsdlischelli, — Collo. — Stora. — Philippeville. — Bona. Die Rliede. Ansicht der Stadt. Die Kasbah. Bevölkerung, Die Malteser .... 228 XL Ausflüge in Bonas Umgegend.—- Allgemeiner Charakter der Landschaft. Die Ebene bei Bona. Die Gebirge. Fort Ge-nois, Mannorbruch. Ruinen von Hippo Kegiiis. Die Flüsse Budschimah, Seybuss und Mafragg. Die grosse Kbeuc ,|(.,s Seybuss. Blockhäuser. Oasen. Duars der Kharesas, BenU Urscliin und Merdass. La Calle, die Niederlassung der Ko-rallenüscher. Lager Drean. Ausflug naoh dem See Fezxara 244 XII. Reise in das Innere der Provinz Constantine. — Die wissenschaftliche Commission. — Neschmeia. — Uammam-Berda. Lager. Thermalquellen. Ruinen. — Das grosse Thal des Seybuss. — Ghelina. Die Ruinen von Calania. — Medschez-Ammar. — Hammain-Meskhutin oder die verbuchten Quellen. Die arabische Sage..........28« Seite XIII. Reise in das Innere der Provinz Constantine. — Der Ras-el-Akba, Besteigung des höchsten Gipfels. — Die Ruinen „Ammah.u - SidU Tamtam. Gräber. — Oede Hochebenen. Ruinen. — Summah, ein antikes Monument. — Fernanblick der Umgebungen von Constantine. — Das Plateau Kl-Mansura. — Anblick der Stadt Constantine von El-Man-sura, — Der Rummel. — Kudiat-Ati. — Kirchhofe. — Das Innere der Stadt Constantine. Strassen. Buden. Kaffeehäuser. Moscheen. Der Palast Achmeds. Das Wohnhaus Ben-Aissa's. Die Kasbah. Ruinenreste. Die Römerbrücke über den Rummel. Aquacduct. — Ausllug in die nächsten Umgebungen von Constantine. Das herrliche Thal des Rummel im Nordwesten. Anblick Qmstantines von Westen. Die Thermalquellen von Sidi-Mimum. Der Sturz des Rummel . 317 XIV. Reise von Algier nach Oran. ■— Scherschell. — Tenez. — Der Hafen Mers-el-Kebir. — Die Felsenstrasse von Mers-el-Kebir nach Oran. — Die Stadt Oran und ihre Bewohner. — Die Ebene bei Oran. — Dschibel-Sabar oder das „Löwengebirge." — Das Lager des Feigenbaumes. — Der kleine See. — Messerghin. — Der grosse Salzsee, El-Salgha . 355 XV. Reise in das Innere der Provinz Oran. — Die Ebene Tlelat. — Die Wohnsitze der Garrabas. — Der Wald von Muley Isinael. — Die Ebene des Sig oder Habiah. — Der Sig. — Atlasgebirge. — Blühende Thäler. — Maskara. — Beschreibung der Stadt. — Die Wohnung des französischen Consuls. — Der zerstörte Palast Abd-el-Kader's — Som-merpalastruine der Beys. — Einwohner von Maskara. — Die Goldsticker. — Der arabische Markt. — Ausflüge in die Umgegend. — Besteigung des Schruab-el-Rähah, Weite Aussicht über das Atlasgebirge und seine Thiiler. — Die Ebene Egghres. Die Ghetna von Sidi-Mahiddin, Abd-el-Kader's Geburtsort. — Kaschruh, der Kirchhof der Mahid-dins. — Austlug nach den heissen Quellen von Hammam-Sidi-Haneüah. Kediat-Meskhutin, der verfluchte Berg. — Das Marabutgrab Sidi-Haneüah. — Die Thermalquellen. — xxvm Seite Muthmassliche Ruinen von Victoria. — Arabische Graber. — Herrliche Gebirgsgegend.............871 XVI. Reise von Oran nach Mostaganem. — Neu-Arzew. Die Rhede. Umgegend. — Alt-Arzew. Ruinen von Arsenaria. — Die Makta. — Salinen. — Massagran. Reschreibung der Stadt und Umgegend. Das Schloss der Störche. Malmaros. Die Bewohner von Mostaganem. — Der Schelif .... 439 Anhang. Geographische Bemerkungen über die Regentschaft Algier................... . 451 Dainplsclüfffahrt. — Die haiearischen Inseln. Minorka. Aufenthalt in Mahon. Majorka. Cahrera. — Ankunft in Algier. Der Anblick der Stadt von der Seeseite. — Der Hafen. — Bis-kris und Neger__Gasthöfe — Der erste Kindruck der Stadt Algier auf den Europäer. Ein Scheiden von der Heimath „Europa" bleibt immer ein schwerer Schritt, mag man nun dem wunderbar bewegten VVelttheil blos für ein paar Wanderjahre das Lehewohl «auf heiteres Wiedersehen zuwinken oder für immer sein Schicksal und seine Hoffnungen auf eine fremde Erde verpflanzen wollen. Ich habe Auswanderer gekannt, die der Vaterstadt und allen Schauplätzen der Kinderspiele ohne sonderliche Rührung den Rücken kehrten. Aber als sie in dem Seehafen angekommen, als sie mit ihren Habseligkeiten das schwimmende Wohnhaus bestiegen, um über „das grosse Reich der Fische" neuen Welten zuzusteuern, da gestanden sie, dass ihnen plötzlich recht herzweh zu Muth geworden. Es war nicht etwa die Furcht vor dem feindseligen Element oder eine geistige Betäubung bei dem Gefühl ihrer nun schrankenlosen irrenden Freiheit — ihr Seufzer, der mit dem letzten Blick auf die Küste Europas noch nicht ausgeklagt hat, galt der ganzen grossen Heimath der Civilisation, zu der sie trotz aller Vorsätze, nie wiederzukehren, doch oft genug ihre Träume zurückführen werden. Es ist so bitter schmerzlich, dem An-Moritz Wagneb's Algier. I. ' spruch uiil den Bürgerruhm des civilisirtcsten Welttheils entsagen zu müssen, sich nicht mehr als einen Hing der Magier-kettc, die durch ihre vereinigte Kraft die mächtigen Wunder der Bildung schafft, betrachten zu können; es ist so demü-thigend, statt dieser gerechten Eitelkeit zum Adoptivsohn einer halb wilden Zone herabzusinken, die im besten Falle noch ein paar Jahrhunderte braucht, um zu blühen wie das verlassene Vaterland! Selbst der Heisende, der Europa nicht für immer zu verlassen gedenkt und mit innigster Wanderlust nach der tropischen Zone zieht, hat beim Abschied doch wohl die trübe Vorahnung jener Stunden, wo er die tausend Bequemlichkeiten, die Freuden und Genüsse des eivilisirten Lebens entbehren muss, wo er nach dem leckern Tisch, der geselligen Unterhaltung, dem Umgang mit Frauen, dem Kunst-leben, der Oper, den Zeitungen, dem Buchladen oder, wenn er gleichgültig gegen dies alles ist, doch nach dem klang der Muttersprache sich lebhaft zurücksehnen mag. Ich kannte in Algier einen begüterten Kaufmann, der dort ein grosses Vermögen gewonnen und der mir öfters seufzend gestand, der Gedanke, in diesem Lande sein Leben zu schliessen, vergälle ihm jegliche Freude über seine sonst glänzende Existenz, und wenn ihm nicht ein Grab in Europa vergönnt seyu sollte, so fluche er seinem Schicksal und seinem erworbenen Heichthum, Ein Umstand, der gleichwohl bei mir und meinen Heisegefährten zu einer Milderung unsers Abschiedsschmerzcs beitrug, war unser einmüthiger Abscheu gegen Toulon und den traurigen Aufenthalt in der Provence. Das Land der Troubadours, das weiland idyllisch-ritterliche Reich des Königs Rene und seiner Liebesböfe mystificirt den Fremden so bitter, dass er auf dem Wege nach Afrika sich wenigstens trösten darf: viel ärger kann es nicht kommen. Ich spreche über die Provence nicht etwa in oberflächlichen Touristcncindrückcn. Ich habe Jahre lang in diesem traurigsten Theil Frankreichs gelebt und fand dort nie einen Franzosen aus anderen Departements oder irgend einen Ausländer, der nicht in meinen Abscheu über Land und Volk eingestimmt hätte. Die Provence ist im Allgemeinen weder schön noch seine Bevölkerung interessant. Ein von Natur wenig gesegneter Felsenbo-den zeigt überall seine nackten Rippen durch das matte, freudenlose Grün des Olivenbaumes. Die Aeste dieses häufigsten Baumes der Provence senken sich öfters trauerweidenartig, haben aber dabei nicht den lieben schwermiithigeu Schatten der nordischen Thräuenbüuine und zeigen nur die verdorrten Knochen eines Baumskelets. Orangenbäume sucht man, ausser in der Ebene von Hyercs, wo sie aber häufig erfrieren und nur kleine, saure Früchte tragen, in der Provence vergeblich, ja selbst der Weinstock bleibt armselig und seine Trauben liefern einen Wein, den ich nie schlechter getrunken habe. Die Bevölkerung dieser südfranzösischeu Provinz steht gewiss in jeder Beziehung tief unter den Franzosen aller übrigen Departements. Fngeselligkeit, Ignoranz, Bigo-terie, Grobheit, Habsucht und Wollust sind dieses Volkes hervorstechendste Eigenschaften. Als gute Züge habe ich nur eine gewisse Frugalität in Essen und Trinken und bei den Weibern grosses Mitgefühl für augenfällige Leiden bemerkt. In Toulon wird der Aufenthalt, wenn man einmal seine Neugierde du^ch Besichtigung des Arsenals befriedigt hat, so unerträglich als möglich. Schlechte Gasthäuser, Prellereien, Strassen voll Schmitz und Gestank, das gänzli-liche Fehlen aller ggmüthlicheu Fröhlichkeit bei diesem Volk, die unfreundlichen Mienen der Leute, endlich der fürchterliche Anblick des rothen Sträflingheeres, deren Kettengerass.-I 1 * den ganzen Tag durch die Strassen klirrt, sind so widrige Bilder, dass man, wie gesagt, der Barbarei Afrikas nicht so völlig trostlos entgegengeht. Erst als das Dampfschiff seine grauen Wolken speiend und mit den mächtigen lindern die stille Fluth aufwühlend nach Süden steuerte, und die Thürine wie die Linienschiffe der alten Seestadt im schönsten Morgnisonnengold recht rie-senmajestätisch auf unser scheidendes Schifilein heruntersahen, da schnürte wieder jener wehevolle Gedanke unsere Brust zu. Nie boten uns Toulons gewaltiges Arsenal, die bunte, von Kriegsschiffen, jeden Ranges bevölkerte Rhede, das Fort Napoleon, wo zuerst das Gestirn des grossen Kriegers aufgegangen, und die übrigen Citadellen, Forts, Redouten, die alle Klippen und Hügel krönen, ein so prächtig imposantes Schauspiel, als in dem Augenblick, wo wir diese zauber-schiiue Umgehung mit dem monotonen Anblick einer Wasserwüste vertauschen sollten — wir fühlten da wieder den ganzen Schmerz des Abschieds von Europa. Das Krokodil, auf dem ich mich am 23. October 1936 nach Afrika einschiffte, ist ein dreimastiges Dampfschiff der königlichen Marine und wie alle Fahrzeuge dieser Art auf dem Kriegsfuss ausgerüstet. Es führt zwei blankgeputzte achtzehupfündige Kanonen, die aber in Friedenszeiten nicht einmal zum Exerciren gebraucht werden. Zu Signalschüssen bedient mau sich auf den Dampfschiffen ganz kleiner Messingkanonen. Au Grösse kommt das Krokodil einer Corvctt«' ersten Ranges gleich. Die französische Marine besitzt zur Verbindung zwischen Toulon und den verschiedenen Häfen der Algierer Küste achtzehn solcher Dampfschiffe, von denen funfzehn mit dem Krokodil einerlei Grösse haben. Nur der Brazier ist ein ganz kleiner Zweimaster von dem Rang einer Goclette, während die zwei neuesten Dampfschiffe, Turtur und Aetna, die 1837 gebaut worden sind, die übrigen au Grösse übertreffen uud einer Fregatte zweiten Ranges gleichkommen. Für die Passagiere ist auf diesen Dampfschiffen nicht immer gleich gut gesorgt. So hat das Krokodil nur wenige, ziemlich unreinliche Schlafstellen für die Officiere und die Civil-passagicre, während andere, wie der Cerbere, das schnnickeste Dampfschiff der französischen Flotte, für die Passagiere auf dem Verdecke ein elegantes Gemach und bequeme Schlafstellen hat, obwohl es an Grösse das Krokodil nicht übertrifft. Alle Dampfschiffe, die seit 1832 gebaut worden, übertreffen die älteren an Eleganz, Bequemlichkeit der Bauart und an Kraft der Maschinen. Man fing nämlich erst seit 1831 an, sie als Trausportfahrzeuge nach Afrika zu benutzen, und ihre ganze Einrichtung erhielt daher in der Folge wesentliche Verbesserungen. Das Krokodil wurde 1828 vom Stapel gelassen; nach achtjährigem Gebrauch war nun seine Maschine schon so sehr abgenutzt, dass man die volle Kraft von hundert und fuufzig Pferden nicht mehr anwenden und den Kessel aus Vorsicht nur bis zu einer Stärke von hundert Pferden heizen durfte. Die Officiere des Krokodil versicherten mir, dass, ehe weitere acht Jahre vergehen, die Maschine völlig unbrauchbar werden dürfte. So sind einige alte Dampfschiffe, wie der Castor, bereits ausser Dieitst. Andere haben nach acht bis zehn Fahrten immer wieder eine Reparatur iiothwen-dig. Uebcrhaupt siud die Kosten dieser zauberschnellen Schifffahrt ungeheuer uud die Schiffe verbrennen in der schlechten Jahreszeit auf* einer Fahrt nach Algier öfters eine Steinkohlenmasse im Werthe von 10,000 Franken. Die Einnahme der Post durch Passagiere und Briefe deckt kaum den dritten Theil dieser Ausgabe. Die Passagiertaxe auf dein ersten Platz, wo man ein Bett erhält, ist 105 Franken; für den zweiten Platz 65 Franken. Sehr selten aber schiffen sich über zwanzig zahlende Personen ein, da die meisten ärmeren Auswanderer die Uobcrfahrt auf den weit billigeren Kauffarteischiffen machen, wo der gewöhnliche Passagierpreis nur 40 Franken beträgt. In Marseille und Toulou findet man fast täglich dergleichen segelfertige Schilfe; das Dampfboot der königlichen Marine dagegen geht nur einmal jede Woche, gewöhnlich Sonntags, ab. Ich glaubte, diese Bemerkungen für den Reisenden, den auf seiner südeuropäischen Wanderung vielleicht die Lust eines Besuches der Küste der Berberei anwandeln sollte, nicht ganz überflüssig. Durch die freundliche Gesinnung des Kriegsministers Bernard halte ich auf dem Krokodil meinen Platz a la table d? etat-major und theiltc mit den französischen Officieren die Annehmlichkeit einer ausgesuchtem Küche und bessern Schlafstelle. Für die Civilpassagiere ist ein eigener Restaurant am Bord, den aber alle Reisenden theuer uud schlecht fanden. Das Iliiitertheil des Schiffes ist den Ofüciereu und Passagieren des ersten Platzes eingeräumt. In der Mitte und auf dem Vordertheil, wo das Schwanken des Schilfes stärker gefühlt wird und die Wellen bei bewegter See häulig über die Brüstung des Schiffes hereinschlagen, waren die Uiiterofficiere und Soldaten eiu([uartirt, welche ungefähr 150 Mann au Zahl nach Algier abgingen, um dort in die verschiedenen Corps der afrikanischen Armee vertheilt zu werden. Es befanden sich darunter Krieger alier Waffengattungen , Chasseurs d' Afrique in ihrer geschmackvollen Uniform polnischen Schnittes, französische Spahis in türkischem Costume, die schon früher in Afrika gewesen und vom Urlaub zurückkamen; Kanoniere, Soldaten der Fremdenlegion ii. §. w. Dieses Gemische von buntscheckigen Kücken auf einem engem Baume zusainmeiigepresst, zeigte eine merkwürdige Scene, besonders in Stunden, wo die See hoch aul-schäumte uud die seekranken, leichenblassen Krieger zum unfreiwilligen Hüpfen brachte — ein Carnevaltanz, zu welchem Winde und Wogen wahrend der ganzen Heise schauerlich inusicirten. Ein grosser Theil dieser Militairs war für die Bataillons d' Afrique oder die Disciplincompagnie bestimmt und wegen lusuboidinationsvergehen oder Verkauf der Effecten oder anderer, nicht allzu schwerer Vergehen nach Algier geschickt, um dort ihre Diensteszeit zu endigen. Alle trugen noch die Uniform der Regimenter, von denen sie ausgestussen waren; reinliche, glänzende Costume wechselten mit den zerlumptesten Anzügen. Eben so befanden sich sehr schöne, kraftvolle Männer neben schwächlichen, abschreckenden Gestalten und mancher gigantische Kürassier musste hier missverguügt mit einem kleinen Tambour aus der nämlichen Schüssel essen. Das Betragen dieser Soldaten, unter denen sich ohne Zweifel mehr als ein mauvais sujet befand, war auf meiner ganzen Heise vortrefflich. Sie litten sehr durch Hegen und kalte Nächte, schliefen auf dem Verdecke ohne Schutz gegen den Frost und bekamen besonders gegen das Ende der Heise, wo die frischen Lebensmittel fast aufgezehrt waren, eine erbärmliche Kost. Aber Alles ertrugen sie ohne Klage und ihre natürliche Fröhlichkeit, die nie zur Rohheit wurde, verleugnete sich keinen Augenblick. Nur so lange die Küste noch sichtbar war, ruhten ihre Augen recht schmerzvoll, wie es schien, auf dem im Nebel verschwindenden Vaterland „Adieu belle France/" riefen einige französische Krieger, mit einer Stimme, die wie ein Seufzer klang. Ein gellender Schrei wurde zugleich krampfhaft ausgestossen und ein junger Kanonier stürzte zu 1 Joden mit den fürchterlichen Symptomen der Epilepsie. War es die Scheidestunde, das ungewisse Schicksal, das ihn schwarz wie das Grab angähnte, oder blos die Wirkung der ungewohnten See, welche die Rückkehr einer schrecklichen Krankheit in solchem Augenblick herbeirief* Seine Cameraden sprangen ihm zu Hülfe. Nur die Soldaten der Fremdenlegion, meistens Deutsche und Holländer, sahen dem Allem fühllos zu und mit den gleichgültigsten Gefühlen schienen sie einem unbekannten Land und dem bejammernswerthesten Schicksal unter Afrikas heisser Sonne entgegen zu gehen. Wir hatten gleich in der ersten Nacht das ungestümste Wetter, so, dass der Capitän Savary sich genöthigt sah, wieder umzukehren, und bei den hyerischen Inseln einen Tag lang vor Anker zu bleiben. Am 23. October setzte das Krokodil seine Fahrt fort, aber sein Marsch war so äusserst langsam, dass wir bis zur Insel Minorka drei Tage brauchten, Bei ruhiger See fährt man von Toulon in vier und zwanzig Stunden hin. Ueberhaupt gewähren die Dampfboote nur bei Windstille den Vortheil einer erstaunlichen Schnelligkeit. Das glatte Meer, die Verzweiflung der Kauf-farteifahrer, ist für jene die allergünstigste Witterung. Bei heftigen Stürmen marschiren die Dampfboote kaum besser, als jedes andere Segelschiff, da, wegen des beständigen Schaukeins, ihre Räder die Fluth nicht leicht fassen können. Bei aller wunderbaren Erfindung hat der Mensch doch noch lange hin, eiu so ganz unbestrittener Elemeutebäudiger zu seyu, wie er sich so gern rühmen möchte. Das Meer ver- schlingt noch immer eine hübsche Zahl von Menschen und Schiffen und jene Augenblicke des Naturgrimms trotzen wohl auch den kecksten Seeleuten das Geständniss ihrer Ohnmacht ab. Am 26. October früh Morgens ankerte das Krokodil auf der Rhede von Mahon, der Hauptstadt Minorkas. Da der Orkan mit fortwährender Stärke grollte, so verweilte Capitän Savary zwei Tage vor diesem spanischen Eiland, welches seit der Eroberung Algiers ein Punkt von grosser Wichtigkeit geworden, von welchem Frankreich seine habsüchtigen Augen nicht mehr wogwendet. Minorka ist eine zwölf Quadratmeilen grosse Insel, von etwa 25,000 Menschen bewohnt. Ihre Ufer sind durchaus felsigt mit karger Vegetation in sparsamen Huscheln bedeckt. Mahon ist ein liebliches, in acht spanischer Weise gebautes Städtchen. Ein Theil seiner Häuser erhebt sich in jener amphitheatralischen Form, welche für den Bewohner keineswegs sehr bequem, desto willkommncr aber dem Maler ist. Im Jahre 1830 hatte Mahon mit seiner Vorstadt Villa Carlos noch 8000 Einwohner. Uebcr die Hüllte ist aber seitdem nach Algier ausgewandert, wo sie als ein in-dustriöser und genügsamer Menschenschlag der neuen Colo-nie eine Wohlthut sind und auf einer unendlich fruchtbaren Erde sich schon jetzt eine bei weitem gesegnetere Existenz, als auf ihrem undankbaren Eiland gegründet haben. Die männliche Bevölkerung Minorkas ist weder durch kräftigen Wuchs, noch durch schöne Züge ausgezeichnet. Sie sind fast immer mager und farblos, dabei aber knochenfest, und der bleiche Teint scheint keineswegs auf Kränklichkeit zu deuten. Der Schnitt des Gesichts ist bei jungen Mahonesern nicht unedel; die sehr fein geformte, etwas spitzige Nase, das südliche, Leidenschaft sprühende, mandelförmig geschnit- tene Auge; «las Haar, welches rabenschwarz, sehr füllrcich, meist aber unordentlich eine schöne weisse Slirne bedeckt, leihet der Physiognomie dieser jungen Spanier einen sinnig interessanten, manchmal edlen Anflug, aber mit der Mann-heit uud dem Barte schwindet dieser südliche Jiigeiuhluft wieder von den Zügen, das rauhe Geschäft des Bauern oder Fischers, die Luit und Sonne, machen ihre Haut bald welk. Das Frohnen der Leidenschaften drückt ihren verzehrenden Stempel auf ihre Gesichter, ein schwar/bärtiger Mahoneser vou dreissig Jahren hat noch die wilde Schönheit eines Banditen, mit vierzig Jahren verliert er auch diesen letzten romantischen Beiz, er wird run/.elig, alt uud uninteressant und schleicht, wenn er arm ist und die Kräfte zur Arbeit ihn verlassen, in Mahon oder Algier als schmuziger Lazarone umher. Die wunderbare Schönheit der Mahoneserinneu, die Mariazüge mit dem seelenvollsten Auge, die feinen Formen in Haltung, Gang uud Bewegung, welche Nordländerinnen kaum je eigen, stellt die weibliche Bevölkerung Minorkas hoch über die männliche. Auch die Kleidung trägt seltsamerweise zu dem Contrast bei, Die Männer in ihrer rothen hängenden Zipfelmütze tragen Kleider fast wie die Fischer Italiens und der Provence; aber von fast noch gröberen dunkleren Stollen. Das Einzige, etwas Vortheilhafte ihres Costu-mes ist die bunte Binde, die sie nach Art der Orientalen mehrfach um den Leib geschlungen tragen. Die Frauen hingegen kleiden sich ganz wie die Castilianerinnen, in die schwarze Mantilla, welche ihr Haupt bedeckt hält, zugleich schleierfürmig bis über die Hüften herabfällt und die zartesten Körperformen umflattert. Die Stolle der weiblichen Kleider sind immer sauber, oft reich, und wenn man diese geputzten Insulanerinnen in der hehren, ihrer Schönheit be- wusstcn Haltung und an ihrer Seite die gemeinen Gestalten ihrer Männer nach der Kirche oder zum Tanze ziehen sieht, so wähnt man, eine Fürstin des Orients, von ihrem Sklaven gefolgt, zu sehen. Man bemerkt namentlich unter den Frauen oft ganz maurische Physiognomien. Gewiss hat unter den Bewohnern der balearischen Inseln eine starke Vermischung mit maurischem Blute stattgefunden. Die Sprache auf Minorka ist eine angenehm klingende spanische Mundart, die gleichwohl mit der castilianischen an Wohllaut nicht zu vergleichen ist. Sie nähert sich jedoch dieser mehr, als dem halb provenralischen Patois der Catalonier. Ueber den Charakter der Bevölkerung Minorkas würde ich mir, da bei un-serm kurzen Aufenthalt der Kindruck, so viel wir auch Be-nierkenswerthes sahen und hörten, doch immer nur ein sehr unvollkommener seyn musste, kein TJrtheil erlauben, wenn ich später nicht Gelegenheit gehabt hätte, mit den vielen Auswanderern Minorkas in Algier Jahrelang zu verkehren und bei den verschiedensten Gelegenheiten mit ihrer Sinnesart und Lebensweise vertraut zu werden. Die Balearenbe-wohncr sind viel rühriger und industriöser als die Spanier vom Festland, dabei ungemein friedliebend, einfach, weniger ritterlich und gravitätisch stolz, als der Castilianer, aber gewiss eben so warm religiösen Sinnes, eben so feurige Freunde des Faudango und der Liebe, doch glücklicherweise nicht so eifersüchtig, wie die übrigen Spanier. Einen tiefen religiösen Sinn ohne Fanatismus, eine meist unititeressirte Gutmü-thigkeit und ihre aufopfernde Treue als Diener haben sie vor ihren spanischen Brüdern voraus, denen sie freilich an ^tatkräftiger Energie, au Liebe zum Geburtsland und Bildung Weit nachstehen. Diese sehr merkwürdige Charakterverschiedenheit der Spauier, der Baleareu und ihrer Brüder Tom Festland ist die natürliche Folge ihres insularischen Wohnens. Da wo man keine ketzerischen Nachharn vor den Thoren des Landes hatte, wo es auch keinem Feind in den Sinn kam, auf die Eroberung einiger armen Felseneilande auszugehen, da brauchten die Priester weder religiöse Intoleranz, noch Natioualhass zu predigen, weil beides für sie zu unnütze Waffen waren. In früheren Zeiten streiften die Algierer Korsaren zuweilen au die balearischen Küsten, um einige Schiffe zu kapern oder auch auf dem Lande zu plündern. Es war aber nicht mehr der alte Glaubenskrieg zwischen Spanien und Mauritanien. Die Algierer kümmerten sich so wenig, dem Halbmond Proselyten zu gewinnen, dass ihre Sklaven selbst für die Erlaubniss, Renegaten zu werden, Geld bezahlen mussten; eben so wenig dachten sie au eine Ansiedlung auf den balearischen Eilanden. Raubsucht war der einzige Zweck ihrer kecken Uebcrfälle und die Bewohner Majorkas und Minorkas hatten jene wohl als Seeräuber, nie aber wie früher als Andersgläubige und Nationalfeinde zu fürchten gehabt. Die Meinungsstreite und Waffenstürme, die Europa seit so manchen Jahrhunderten zerrütten, gingen an den stillen Eilanden friedlich vorüber und die Kriegstrommel störte keinen Augenblick das harmlose Lebeu der Balearenbewohner. Zu den Erfolgen des spanischen Befreiungskampfes gegen Napoleon wirkten diese wohl, ausser durch Wünsche und Gebete, wenig mit. Zu arm, um zu den Kriegslasten beizusteuern, und zu sehr ihrem unbekümmerten Leben hold, um ihr Blut für eine Sache zu vergeuden, die sie doch nur ziemlich entfernt anging, da ihr Herd, ihre Felder uud Kirchen nicht bedroht waren und die insularische Lage ihres Läudchens sie gegeu alle Anfälle schützte, zog Spanien im Befreiungskampfe fast keinen Nutzen aus den Ba- learen. Es ist daher gar nicht zu verwundern, wenn jene spanischen Leidenschaften, wie der glühende Patriotismus und der tapfere, ritterliche Sinn, Eigenschaften, die fast immer nur in unglücklichen Zeiten sich stahlen und bewähren, den Bewohnern Minorkas unbekannt sind. Nur wenige Schiffe landen dort, denen überdies mehr daran liegt, ihre Waaren gut zu verkaufen, als den Insulanern zu erzählen, was auf dem Contiuent vorgeht. Warum sollte man es nun diesem Völkchen verargen, dass es sich seinerseits um die Welt nicht viel kümmert und weder dem Kriegslärm, noch deu Künsten und Wissenschaften Europas, die ihm wenig nützen würden, sonderliche Theilnahme schenkt* Wären die Mahoneser etwas weniger arm, ich würde sie bei ihrer Genügsamkeit, ihrem Gefallen an den heitern Freuden der Erde und ihrem festen Glauben an die künftigen Freuden im Himmel, für eines der glücklichsten Völker der Welt halten. Am Tage unserer Ankunft war Ball in Mahon wegen des Namensfestes der Königin Christine. Er war sehr zahlreich besucht, hatte aber durchaus keine politische Farbe; es wurde keine Sylbe aber den Zustand Spaniens gesprochen und die düsteren Gerüchte, die ein am Tage zuvor eingelaufenes Schiff von Barcellona verbreitet hatte, störten keinen Augenblick das heitere Feuer der liebebrausenden spanischen Tänze, des Fandango, Beiern, Cachucha u. s. w. Besonders wohl gefiel uns allen der Mahonesertanz durch seine Einfachheit. Das Tänzerpaar ermüdet sich da nicht wie im Fandango durch zierliche Sprünge und anmuthige verliebte, aber sehr strapaziöse Windungen und Bewegungen. Tänzer und Tänzerin bleiben, die Arme erbebend und mit den Castagnetten klappernd, einander gegenüber stehen und wiegen den Körper in kokett-graziöser aber anständiger Stellung, mit den Füssen nur leichthin hüpfend und ohne den Platz zu verlassen. Nicht das geflügelte Füssespiel überrascht hier, wie bei dem Fandango und Bolero, aber der unnennbare Reiz in der zierlichen Bewegung und Haltung der Mädchen, in der Sprache der Augen und dem ausdrucksvollen Spiel der feinen Züge machte uns fremde Zuschauer alle recht enthusiastisch. Alle meine französischen Reisegefährten waren von Mahon und seiner freundlichen Bevölkerung auf das Günstigste eingenommen. Jeder wollte die Tage fröhlicher als der Andere verlebt haben und diese Episode unserer Seereise erheiterte uns die weitere Fahrt durch Erinnerung und Erzählung. Die Franzosen sind auf dieser Insel sehr beliebt und der Wunsch, unter französische Herrschaft zu kommen, scheint unter den Mahonesern ziemlich vorherrschend, ja er wurde so oft und mit solcher Wärme ausgesprochen, dass wir uns alle überzeugten, Frankreich würde, wenn es früher oder später sich einer der balearischen Inseln bemächtigen wollte, bei den Einwohnern gewiss wenig Opposition finden. Dass der Besitz. Minorkas bei der steigenden Wichtigkeit der französischen Besitzungen in Afrika und dem immer lebhaftem Verkehr zwischen Algier und Südfrankreich für die Franzosen äusserst wünschenswerth, ja vielleicht bald zur Notwendigkeit wird, ist eben so gewiss, als dass diese Insel für Spanien, das keine Marine mehr besitzt, ziemlich nutzlos ist. Mahon hat einen vortrefflichen Hafen, der sehr tief nud gegen alle Winde geschützt, den grössten Kriegsschiffen einen völlig sichern Zufluchtsort bietet. Nur für zahlreiche Flotten wäre dieser Hafen nicht geräumig genug, auch ist die Einfahrt etwas zu schmal, indessen sind in der Umgegend von Mahon noch mehrere Ankerplätze, so bei Villa Carlos, und im Nothfalle hätten allzu starke Flutten auf der nahen Rhede von Palma «'inen Zufluchtsort. Die Eifersucht der Mächte steht allein der französischen Occupation Minorkas im Wege, denn Spanien seihst würde bei seiner Geldklemme, die wohl so bald kein Ende nehmen dürfte, zum Verkaufe eines so armen Eilandes leicht zu bewegen seyn. Minorka kostet Spanien fast mehr, als es einträgt, und vermag bei seiner Productenarmuth die darnieder liegende spanische Schiff-lährt nicht zu beleben. Ich habe schon erwähnt, dass ein sehr grosser Theil der Bewohner Minorkas sich nach Algier übersiedelte. Fast der dritte Theil der Häuser Mahons steht leer und Wohnungen sind dort beinahe umsonst zu haben. Diese Auswanderungen nehmen fast alle Jahre zu und es vergeht last keine Woche, wo nicht ein Schiffchen mit Ma-honeser Familien und ihren Habseligkeiten dem südlichen Welttheile zuführt. Da fast die ganze Bevölkerung Minorkas aus Pflanzern besteht, so ist deren Bereitwilligkeit, den undankbaren Boden ihrer Heimath mit Afrikas gesegneter Erde zu vertauschen, wohl sehr begreiflich. Daher wird Minorka, wenn Frankreich sich dessen nicht bald bemächtigt, ehe zehn Jahre vergehen, ein ganz verlassenes Eiland seyn uud deren sämmtliche Bewohner ihre Industrie und ihre Sitten nach dem alten Koisarenlande hinüberverpflanzt haben. Mahon ist jetzt die gewöhnliche Station der nordamerikani-schen Seemacht im Mittelmeer. Die Vereinigten Staaten scheinen nach dem Besitz Minorkas grosse Lüsternheit zu spüren. Eine prachtvolle Corvettc dieser Nation lag vor Mahon geankert. Ihre Mannschaft, die, wie auf allen amerikanischen Kriegsschiffen, aus tüchtigen Seemännern, zugleich -iber aus dem roheslen Gesindel bestand, war am Lande und vertrieb sich, da sie eben ihre Löhnung bezogen, ihre Zeit auf die verschiedenste Weise. Ein grosser Theil füllte die Kaffeehäuser, wo Matrosen und Officiere an einem Tische sassen und aus einem Glase tranken, andere trieben sich mit öffentlichen Dirnen herum, wieder andere galoppirten auf schlechten Pferden ohne Sattel, die Scbnapsflaschc in der Hand, auf das Wüthendste durch die Strassen und die Umgegend. Die Mehrzahl brüllte, gleichfalls mit Branntweinflaschen bewaffnet, vor den Häusern rohe Gesänge, manche lagen wie todt in den Pfützen der Länge nach; alle waren viehisch berauscht und zu Raufhändeln aufgelegt. Die ruhige, würdige Haltung der französischen Seeleute und Soldaten contrastirte auffallend gegen die fürchterliche Zügellosig-keit der amerikanischen Matrosen und imponirte den letztern doch so, dass die Zeit uusers Aufenthaltes, einige einzelne Rencontrcs, wobei die Franzosen nicht eben den Kürzern zogen, abgerechnet, ziemlich friedlich vorüberging. Dies ist übrigens immer einer der seltneren Fälle, denn in der Regel geht ein Begegnen dieser Seeleute in Mahon nicht ohne Schläge und Blut ab. Im Kirchhof von Mahon liest man auf einem Denkstein die Namen von fünf französischen Matrosen, die vor einigen Jahren von den Amerikanern bei einer Rauferei erstochen wurden. Uebrigens waren von den Seeleuten dieser Corvette nur wenige in den Vereinigten Staaten geboren, es befanden sich darunter Engländer, Holländer, Dänen, sogar Griechen; und deutsche Flüche schallten in einem oft Alles übertäubenden Bärenbass aus dem Stimmenchaos dieser fürchterlichen Meersänge heraus. Da die Amerikaner in Mahon viel Geld verzehren, so erträgt man dort ihre Rohheiten mit Geduld. Die Franzosen aber werden für ihr gutes Betragen mit desto grösserer Vorliebe behandelt. Ich machte einige Ausflüge in die Umgegend von Mahon auf der Nord - Ostseite; der Boden ist dort sehr sparsam mit Grün bewachsen, meistens ragen nackte KaiksteinkUppen hervor, andere Stellen sind mit Meersand oder Kieselgcrölle bedeckt. Am Gestade wuchsen einige Euphorbia-Arten, auf den Felsen sprosste das Daphne Gnidium mit kleinen weissen Blüthen. Ich fand bei ganz flüchtigem Suchen sehr viele In-secten und Arachniden, was mir bei der späten Jahreszeit sehr auffiel. Einen prachtvollen blaueu Käfer, Timarcha balearica, fand ich in ungeheurer Menge; er bedeckte fast alle baufälligen Gartenmauern. Aus den Flügeln des wunderschönen Insccts machen die Mahoneserinucn künstliche Blumen. Unter den Steinen fand ich den europäischen Skorpion, der in Algier nicht mehr vorkommt. Mahons Umgegend scheint sehr reich an Landconchylien; ich fand eine neue Helix-Art mit schinuzig grauer, gefurchter Schale. Gewiss bieten die balearischen Inseln an wirbellosen Thiereirnoch so manches Seltene und Neue. Von der Intelligenz und dem freundlichen Sinn der Eingeborncn erhielt ich auf diesen Spaziergängen neue Proben, denn kaum war ich einige Minuten auf meiner Insectenjagd begriffen, als schon einige spanische Jungen sich zu mir gesellten, meine Beschäftigung aufmerksam belauschten, und als sie merkten, was ich eigentlich suche, halfen sie mir mit erstaunlichem Eifer, so dass bald alle meine Schachteln mit Insecten und Muscheln angefüllt waren. Die Zahl meiner kleinen Jäger nahm immer mehr zu und als ich am Abend nach der Stadt zurückkehrte , war ich von ■ zwölf schwarzlockigen Burschen begleitet, die für ein ganz kleines Geschenk mir in ihrem süsstönenden Patois eine Menge Segenswünsche nach-Mojutz Wagner's Algier. I. 2 riefen und unter den dunkbarsten Geberden von mir Abschied nahmen. Die Dampfschiffe machen Abschiedsscenen kurz. Viele unserer freundlichen insularischen Bekanntschaften kamen auf Gondeln dicht an das Schiff gerudert. Jeder von uns hätte einen Pack Auftrage an Algierer Verwandtschaften mitbekommen und eben waren unsere guten Mahoneser noch recht im Redeflnss, uns mündliche Grüsse an Brüder und Vettern in Afrika mit unendlichem Wortschwalle wiederholend, als die Rader in ungestümer Gewalt das Meer zu peitschen begannen und in ein paar Secunden uns so weit von den Gondeln entrührt hatten, dass die hübschen Töne der Spanierinnen unverständlich im Rauschen des Meeres zerrannen und sie uns nur durch das Wehen der Tücher den letzten Gruss zuwinken konnlen. In wenigen Stunden war Minorka in Nebel und Rauch verschwunden und das Krokodil ein Spiel der Wogen. Die sichere Bucht von Mahon hatte unsern Schiffscommandanten übrigens getäuscht. Der Wind hatte sich nicht völlig gelegt und kaum auf hoher See angekommen wurde das Meer wieder so ungestüm, wie am Tage unserer Abreise von Toulon, Der Capitün Savary Hess daher südwestlich steuern, um nöthigenfalls, wenn der Aufruhr der Finthen zunähme, auf der Rhede von Palma Schutz zu finden. Die Gebirge der Insel Majorka wurden noch vor Abend sichtbar; ihr Anblick ist schon von ferne recht malerisch; einige ausgezackte Berge ragen bis zu einer ziemlich bedeutenden Höhe empor. Als wir den Ufern näher kamen, WO auch die See ruhiger wurde, entrollten sich die Umrisse immer deutlicher. Im Vordergruude der Gebirge ruhte eine flache blühende Landschaft; Citronenwälder leuchteten duftig grün und goldgelb vom Glanz des Laubes uud der Früchte p> aus der Ebene, welche im Norden steile Felsen umschlossen, im Süden ein tobendes Meer mit Schaum bespritzte. Major-kas Ufer verschwanden bald wieder in dem Dämmerdunkel eines trüben Mondhimmels. Der Capitän Savary, der eine Strandung befürchtete, hielt sich wieder in bedeutender Entfernung von der Küste. Eine sehr stürmische Nacht brach abermals herein, riesenhafte schwarze Schatten scheuchte der Mondstrahl unter der Mondscheibe hinweg, so dass die Wogen bald im hellsten Silber leuchtend, wie gewaltige beschwingte Seemöven aus dem Meere tauchten, bald in schwarzer Fin-sterniss stöhnend Unthieren vom tiefen Meergrunde glichen. Die Wolkenfiguren und die Mondlichtmetamorphosen am Himmel, in Luft und Meer waren gespensterhaft zwar, aber doch so anziehend, dass man trotz aller Schrecknisse des Wetters an den Anblick gefesselt blieb. Das Verdeck wurde auch von freiwilligen uud gezwungenen Zuschauern nie leer. Auf dem Vordertheile des Verdeckes kauerten die armen Soldaten, welche im untern Schiffsräume keinen Platz linden konnten und denen Himmel und Meer mit Süss- und Salzwasser gleich unbarmherzig zusetzten. Aber mitten im ärgsten Elcmentetoben und als sie am meisten litten, erfasste einen Theil dieser Krieger ein seltsamer Mutti. Sie nahmen einander bei den Händen, bildeten einen Kreis um die Dampfröhre und um tanz ten dieselbe. In tollen Sprüngen und wilde Gesänge in das Toben des Sturmes brüllend, schien es, als wollten sie alle Schrecknisse des Orkans herausfordern. Selbst die ältesten Matrosen, die gegen alle Unwetter abgestumpft sind, aber doch ein andächtiges Schweigen beobachten, wenn der Himmel grollt, schauten oft von der Höhe des Takelwerks mit mehr Grausen als Bewunderung auf den Dämonenreigen jener Krieger herab. Oft warf das schwan- 2 * kendc Schiff die Tänzer über den Hänfen, aber sie erhoben sich unter Lachen Mieder und traten von Neuem in den entsetzlich lustigen Kreis. Am Hintertheile standen einige Passagiere, die, ohne Zweifel dem Romantismus und pittoresken Scenen hold, statt unten im bequemen Bett zu ruhen, an der Brüstung sich anklammerten und nicht müde wurden, das schwarze Schiff mit seinen unheimlichen Gästen im Nacht-kampfc mit dem Sturme zu schauen. Gegen Tagesanbruch schlug der Wind nach Nordost um. Wir waren auf der Rhede von Palma, der Hauptstadt Major-kas angekommen, die im Hintergrund einer geräumigen Bucht liegt. Die Stadt schien mir etwa noch einmal so gross wie Mahon, eben so hübsch und viel regelmässiger gebaut. In ihrer Mitte erhebt sich die Kathedrale, ein kolossales Gebäude in gothischem Styl, hoch über die übrigen Häuser und wird wieder von den Bergen im Hintergrund überragt. Ein glänzend grüner Ring von Orangengürten bilden Palmas Festungswerke, die Bucht ist ausserdem mit einer Menge von Windmühlen umsäumt, welche eine bedeutende Strecke der Küste entlang fortdauern. Der Commandant des Dampfbootes hatte anfangs Lust, vor Palma zu ankern, und wir freuten uus alle sehr darauf, das Innere der Hauptstadt der Balearen zu besehen-, aber der Wind drehte sich wieder gegen Südosten, wo die Rhede offen und unsicher ist. Capi-tän Savary zog daher vor, nach dem Felsen Cabrera zu steuern, einer dritten balearischen Insel, welche in geringer Entfernung südlich von Palma liegt und von Algier noch 42 Licues entfernt ist. Cabrera hat einen trefflichen von Felsen umgürteten , natürlichen Hafen, der durchaus tief und sicher einer der besten Ankerplätze des Mittelmeeres ist. Die Einfahrt ist nicht sehr breit, aber an Ge- fahr ifk nicht zu denken. Das Schill" konnte die senkrechl aus dem Meere steigenden Felsen fast berühren, olme ein Scheitern zu befürchten, denn das Meer ist neben den Klippen so tief, dass selbst Linienschiffe hier nicht auf den Grund festsitzen würden. Der Hafen ist von fast ganz runder Forin und geräumig genug, eine ansehnliche Escadre aufzunehmen. Am Eingange desselben ist auf der Nordostseite ein kleines Fort auf einer Felsenspitze erbaut, welches sowohl zur Verteidigung dieses kleinen Eilandes als zum Gefängnisse dient. Südlich von diesem Fort stehen im Thüle drei bis vier ärmliche Fischcrwuluiungcu und in deren Umgebung einige Kornfelder, obwohl die Dammcrdc dort nur sehr dürftig den Steinboden an wenigen Stellen deckt. Cabrera hat nicht über eine deutsche Meile im Umfang; es ist ein Basaltfelsen, fast ganz ohne Vegetation und vom traurigsten Aussehen. Seine Bevölkerung besteht aus einigen blutarmen Fischern, etwa zwanzig halb invaliden Soldaten, die das Fort bewachen, und den Gefangenen, also säinmtlich aus armen, unglücklichen Geschöpfen. Eine traurige Berühmtheit hat dieser Felsen durch die Leiden der französischen Gefangenen im Napoleonischen Feldzuge erhalten. Ohne Dach unu^fast ohne Nahrung liess man sie auf Cabrera liiiischmach-ten. Von zwölftausend Gefangenen, die auf die Unglücks-insel versetzt wurden, überlebten kaum zweitausend ihre Leiden. Da Cabrera mir fast gar kein naturwissenschaftliches Interesse bot, so unterhielt ich mich, die vielen Namen und französischen Verse zu lesen, welche auf allen Klippen und Gesteinen umher eingekritzelt stehen. Das Meiste ist aber unleserlich geworden, da die VVetterstürme die Buchstaben wie die Thränen der schmachvoll misshandelten Unglücklichen langst von deu Steineu gewaschen. Obwohl häulig mit den Namen auch Kreuze in die Felsen eingehauen wiften, so sah mau doch keine Spur von Gräbern., die bei der kärglichen Dammerde auf keineu Fall über einen Fuss tief seyn konnten. Auf der ganzen Insel wächst nicht so viel Holz, um einen einzigen Sarg davon zu zimmern. Der Bauch der grossen Kaubfische war wohl die Ruhestätte der meisten Gefangenen und das Aechzen der Secvögel ihr Todtenlied. Meine Reisegefährten schenkten anfangs den wenigen Spuren, die an den Aufenthaltsort ihrer lange verwesten Landsleute erinnerten, grosse Aufmerksamkeit, aber es ist dem frauzösischeu Charakter nicht angemessen, sich traurigen Erinnerungen lange hinzugeben. Während ich noch beschäftigt war, einige halb verwischte Buchstaben zu entziffern, waren meine Begleiter nach einem andern Theil der Insel auf das Mövenschiessen und den Fischfang gegangen. Ihre Beute war ansehnlich und sie kehrten mit der heitersten Laune auf das Schiff zurück. Nach einem zwölfstüudigeu Aufenthalt hatte sich der Sturm gelegt. Gleichwohl gingen einige Stunden lang die Wellen noch bedeutend hoch. Es ist dieses auf hoher See eine gewöhnliche Erscheinung. Derselbe Wind, der die Flu-then aufrührt, drückt die Wellen zugleich bei einer gewissen Höhe wieder nieder, wogegen kurz nach dein Orkan die Bewegung der Wogen viel freier wird und diese, da sie keinen Widerstand in der Luft finden, auch weit höher aufsteigen. Das Krokodil verliess die Insel Cabrera erst bei völlig beruhigter See und setzte seine Fahrt nach Algier ohne weiteres Ungemach fort. Die 42 Lieues von Cabrera nach Algier wurden in 19 Stunden zurückgelegt. Unser Dampfschiff hatte jetzt alle Vortheile für sich, ein beruhigtes Meer uud einen leichten günstigen Nordwind. Es bedeckte nun seine drei Masten mit Segeln, die mit der Maschine das Schiff aus allen Kräften schoben. Dennoch marscbirte ein Segelschiff, das schon seit frühem Morgen in gleicher Parallele westlich von uns sichtbar war und ebenfalls nach Algier steuerte, mit uns völlig gleich und kam sogar ein paar Stunden früher au seinem Ziel an. Es ist eine auffallende Thatsache, dass bei ganz günstigem Wind die gut gebauten Segelschilfe stets rascher, als die besten Dampf boote mit Kadern und Segeln fahren. Das Krokodil fährt bei bestem Wetter nie über 8 noeuds per Minute, oder 22/3 Lieues per Stunde, die neugebauten bessern Dampfboote nur 9'/2 noeuds per Minute, oder 3'/o französische Lieues per Stunde. Dagegen fahren gute französische Corvetten oder Fregatten bis zu 12 noeuds per Minute, also 4 Lieues per Stunde, sogar das Linienschilf Suffren legte diese Strecke zurück. Die grosse Ijebcrlegcnhcit, welche die Dampfboote über jene haben, besteht daher hauptsächlich nur in ihrem Weiterkommen bei völliger Windstille, wo die Segelschiffe sich nicht vom Flecke rühren, eben so, dass sie auch wider den heftigsten Gegenwind zwar laugsam, aber doch sicher vorwärts kommen. Gegen Abend tauchten bei dem reinsten Himmel die Umrisse der Küste Afrikas vom südlichen Meeresbiutergruud auf. Es war ein Theil der Hügelkette von Mustapha Faseln, der He*g Uudscharea uud die hinter dieser Anhöhe liegende erste Gebirgskette des Atlas. Obgleich diese verschiedenen Höhen durch bedeutende Strecken von einauder getrennt wareu, schienen sie doch wie undeutliche Schallen vermengt uud ihre einzelnen Umrisse waren durchaus nicht von einauder zu unterscheiden. Da wir bereits zehn Tage unterwegs waren und durch Stürme gelitten hatten, so wirkte der Anblick des festen Landes, unsers Zieles, gleich erheiternd auf alle die verschiedenen Passagierclassen, ja selbst auf die Soldaten der afrikanischen Strafbataillons und der Fremdenlegion, welche jubelteu uud jauchzten, dass sie nun bald die Erde Afrikas betreten sollten. Da die Bewegung des Schiffes jetzt äusserst sanft war, so fanden sich sämmt-liche Passagiere, sogar einige recht zarte junge Damen, Frauen und Töchter von Oflicieren, die bisher an der Seekrankheit arg gelitten hatten, auf dem Verdecke ein. Der Anblick Algiers hatte alle geheilt. Jene Lebenslust, die den Franzosen so wohl ansteht, herrschte in ihrer ganzen liebenswürdigen Ausgelassenheit. Der eine tanzte oder trillerte ein Lied, der andere freute sich auf die gute Table d* hole und das bequeme Bett des Gasthofes; der überstandenen Leiden ward mit keinem Wörtchen gedacht. Selbst als am Abend die Küste wieder verschwand, blieben noch viele Reisende an der Brustwehr des Schiffes gelehnt und die unbeweglichen Augen starrten durch die Finsterniss nach Süden. Die schönste Nacht war hereingebrochen. Nachdem wir mehrere Nächte Jang die ganze schauervolle Grösse des Meerorkans gesehen, ward uns nun auch noch der wohlthuende Anblick einer stillen, mondbeglänzten See vergönnt. Wunderbar ist der Eindruck des Bildes namentlich in dein Augenblick, wo die Silberkugel des Erdtrabanten, schräg über der See stehend, eine lauge flimmernde Milchstraße darauf hinmalt. Je höher der Mond dann heraufsteigt, desto mehr nimmt die Wirkung seines Lichtreflexes ab. Sobald seine Strahlen senkrecht auf die Fluth herabfallen, ist die Sce-milchstrasse verschwunden und nur das hüpfende Gewimmel ganz winziger Wogen färbt sich noch in dem Glänze ab. Das Schilf scheiut von einer Heerde leuchtender Schwäne umtiinzt, «leren Geistersang der Wind in eigentümlich weinenden Tönen über ungeheure Räume trägt. Ich glaube kaum, dass irgend einer meiner Reisegefährten — ich nehme einige bejahrte Leute und zarte junge Damen aus — diese Nacht von unserer Fahrt wegwünschte, wie gross auch das Verlangen nach dein Laude seyn mochte. Eben so wenig sehnte sich irgend einer nach der warmen Couchette. Wem zuletzt der gestirnte Himmel und das beleuchtete Meer nicht mehr gefielen, der ging nach dem Vor» dertheile des Schiffes und sah der Unterhaltung der Soldaten zu. Gar ergötzlich war die Scene ihrer abendlichen Mahlzeit, welcher der provcncalischc Wein die erheiternde Würze gab. Dann, als jeder den Mund sich gewischt, sah man die sich bildenden Gruppen der Spieler, der Erzähler und der Nichtsthuer, endlich in tiefer Nacht die Versammlung aller dieser Krieger um die Dampfröhre, wo bald Solosänger in recht gefühlvoller Weise Lieder über Kapoleon vortrugen, denen der wilde Haufe in sprachloser Spannung lauschte, bald allgemeine Rundgesänge „des Basses Grundgewalt" den Meerbewohnern hören Hess. Die von Luft und Rauch geschwärzten Gesichter, die zehn Tage lang unter keinem Dache waren und während dieser Zeit weder gewaschen noch rasirt worden, ihre zerfetzten Uniformen und muskulösen Gestalten stellten ziemlich treffend eine Rotte von Freibeutern vor. So fehlte auch dieses Bild der frühem Zeit in der Nähe des berühmten Piratenstrandes nicht. Am zweiten November gegen drei Uhr Morgens feuerte das Krokodil einen Kanonenschuss auf der Rhede von Algier ab; es ankerte zwischen zwei Dampfschiffen etwa einen Büchsenschuss ausserhalb des Hafens. Wir hatten fast eilf Tilge zur Ueberfahrt gebraucht. Der Weg von Toulon nach Algier betrügt 149 Lieues. Die schnellste und günstigste aller Ueberfahrtcn wurde von dem besten Dampfschiffe in 49 Stunden zurückgelegt. Sonst beträgt bei günstiger Jahreszeit, nämlich vom Mai bis October, die gewöhnliche Ueberfahrtszeit 60 bis 70 Stunden. Dagegen kamen in den Wintermonaten, namentlich im Januar und Februar, schon Beispiele vor, dass die Dampfboote über drei Wochen auf der See herumgetrieben wurden, ihren ganzen Steinkohlenvorrath aufzehrten und zuletzt blos noch mit Hülfe ihrer Segel Algier erreichen konnten, Die Stadt Algier liegt iu amphithcatralischer Stellung an dem Abhang eines Hügels von 372 Fuss Höhe. Ihre Häuser sind sä in ml lieh weiss angestrichen, statt der Dächer bilden Terrassen die Häusergipfel, äussere Fenster sieht man nur an den neu aufgeführten oder französisch umgemodelten Häusern. Die ganze Stadt hat etwas Geisterhaftes , aber trotz ihrer pittoresken Lage, ihrer originellen Bauart und der grünen Landschaft, die sie uiu-giebt, überrascht sie nur und gefällt nicht. Wir alle hatten uns so sehr auf Algier gefreut uud nun standen wir im hangen Schauen verloren, kaum wagend eine leise Bemerkung zu wechseln. Die alten Geschichten von armen Christensklaven, die hier iu Ketten am Strand zur Heimath hiuüberklag-ten und vor Sehnsucht und Schmerz nach einem christlichen Gotteshaus vergingen — wie es wenigstens in den vielen romantischen Geschichten der Spanier heisst — war mir mehr gegenwärtig als alle neuem Grossthaten der brittischen Flotte unter Exmouth uud der französischen Armee unter Bour-mout, welche letztere Europas Langmuth und verjährte Schande so glänzend gerächt hat. Fast alle altern und neueren Reisenden haben den Anblick Algiers in der Dämmerung ganz richtig mit einem Steinkalkbruch, einem Kreidefelsen oder einem Gletscher verglichen. In der That, bei dem einförmigen Weiss, der fast gleichen Grösse, den blanken Terrassen und der Lage auf einem steilen Abhang verschwindet Alles unter einander ohne deutliche Unterscheidung. Mit Ausnahme der Kasbah auf dem Gipfel des Hügels und des Hauses des Hrn. Latour du Pin auf dem grossen Platze ragt kein Gebäude über das andere heraus. Die prachtvolle Landschaft im Osten und Westen, die Lager, die Citadellen, das Kaiserfort, die wunderherrlichen maurischen Gärten mit ihren Granat- uud Orangebaumgruppen, einzelne gekrümmte Dattelpalmen und Cactusbäume, endlich die kleinen Marabuttem-pel und Marmorgräber milderten, als Alles recht helle geworden, den ersten unangenehmen Eindruck sehr. Die Europäer gewöhnen sich überhaupt sehr schnell in Algier ein. Wenn man, wie ich, den nordischen Boden erst noch vor wenigen Wochen im weissen Wiutergevvand verlassen und man sieht sich auf einmal wieder in ein grünes Land versetzt, wo im November die Mandelbäume blühen und goldgelbe Orangen noch an den Zweigen hängen, da müsste man hartnäckig und thöricht sein, wäre man nicht bald mit dem Weltteile der Wilden ausgesöhnt. Der Hafen Algiers ist klein und unbequem; er fasst kaum dreissig Schiffe. Seine Tiefe dagegen ist für Kriegsschilfe mittlerer Grösse hinreichend. Linienschiffe müssen eine bedeutende Strecke ausserhalb des Hafens ankern. Ein Damm oder Mole von etwa 300 Fuss Länge, der sich von Westen nach Osten zieht, schützt die Schiffe gegen die Brandung des Meeres. Ueberhaiipl sind die Kauffurteilährer im Innern dieses Hafens vor allen Stürmen in Sicherheit. Da aber der Raum desselben für die Bcdürnisse nicht hinreicht und gewöhnlich zweimal so viel Schiffe, als der Hafen fassen kann, vor Algier liegen, so sind viele Fahrzeuge gezwungen, eine Strecke ausserhalb desselben zu ankern. Diese sind dann den Winden von Nordwest und Nordost und einer Brandung ausgesetzt, die zu Zeiten, namentlich vom Januar bis März , eine Höhe und Gewalt erreicht, wie man in den europäischen Häfen der Mittolmeerküste keine Idee bat. Mit Grauen erinnert man sich in Algier des Orkans im Januar 1835, wo über dreissig Schiffe, manche am Hafendamm, einige sogar im Hafen selbst dicht au dem Kai durch den Zu-sammenstoss der übrigen zu Grunde gingen. Der Wellenschlag hatte mit unbegreiflicher Gewalt die dicksten Taue und Ketten zerrissen, Hafen und Bucht waren mit Trümmern von Schiffen und Waaren angefüllt. Das traurige Ereiguiss hatte damals unter den Kaufleuten und Schiffsc.tpitäns und Armadeurs, ja namentlich auch unter den Anhängern der Colonisation die grösstc Bestürzung hervorgebracht. Da fast der ganze künftige Wohlstand und die ganze Bedeutung von Algier auf dem Seehandel beruhte, da die Mehrzahl der in Algier niedergelasseneu Europäer davon lebte, so fürchtete man nun auf einmal mit diesem alle Hoffnungen vernichtet. Alle Ansiedler dachten, morgen könne wieder eine ähnliche Katastrophe hereinbrechen , das Eigenthum werde nie gesichert seyn, und eine Zeitlang mieden wirklich die Schilfe von Marseille den tückischen Meereswiukel ganz und gar. Aber für Geldgewinn schlägt der Kaufmann sein Vermögen und der Seefahrer sein Leben in die Schanze. Da die Waarcnpreise in Algier schnell stiegen, so war dies für die Kaufleute in Europa eine Iockeude Speculatiou. Ein paar Monate später war Hafen und Bucht dichter, als je zuvor he- setzt und seitdem ist Algier, zum Glück für die französische Niederlassung, von keinem ähnlichen Unfall mehr heimgesucht worden. Weit mehr als der materielle Verlust wäre bei einer Wiederholung die Entmutigung der Kaufleute und der Ucberdruss der Franzosen an der kostspieligen Colonie, wie er bei dieser Nation dem Enthusiasmus nur allzu häufig folgt, zu fürchten gewesen. So kam man mit einem Verlust vou einer Million uud dem Schrecken noch ziemlich leicht davon. Da seit der Occupation der Sturm im Januar 1835 der einzige war, welcher die Schiffe an ihrem Ankerplatz scheitern machte, so betrachtet man jetzt diesen Unfall als etwas Zufälliges, als eine jener ausserordentlichen Katastrophen, die nur alle hundert Jahre einmal kommen. Nach den Aussagen der Eingebornen aber waren dergleichen Schiffbrüche nichts so ganz Ungewöhnliches und erneuern sich aller vier bis fünf Jahre zwischen Februar und März, so oft die Schiffe wegen Ueberfdllung des Hafens ausserhalb des Mölc ankern mussten. Die Ursache, warum die Brandung heutiges Tages nur selten mehr eine so gefährliche Gewalt erreicht, liegt in der grossen Thätigkcit der französischen Regierung, die das Unternehmen einer Fortsetzung des Möle-baues, ungeachtet einer Tiefe von fünfzig bis sechzig Fuss, ziemlich eifrig betreibt. Man verwendet blos Militairsträf-linge zu der mühseligen Arbeit. Ungeheure Steine werden an dem westlichen Ende des Mole fortwährend in das Meer geseukt. Die auf dem Grunde aufgetürmte Masse hat nun schon eine solche Höhe erreicht, dass die Gewalt des Wellenschlags ziemlich gebrochen ist. Im Jahre 1838 hat die Regierung bekanntlich noch bedeutende Fonds zur Fortsetzung der Hafenarbeiten bewilligt. Gelingt es nun, den Mole noch ein paar hundert Fuss östlich in der Richtung von Mustmpha m Pasch«! fortzusetzen, so dürfte Algier in einigen Jaiirzehnden einer der wichtigsten Seeplätze der Mittelmeeres werden. Noch vor Aufgang der Sonne war unser Schiff von vielen Gondeln umringt. Die Gondeliers waren Biskris, Neger und Mauren, ein schmuzlges halbnacktes Gesindel, dessen krallige enthlösste Glieder gleichwohl manchmal zum Modell eines Simson dienen könnten. Es gieht auch sehr viele spanische Gondelführer im Hafen. Du es aber zwischen ihnen und den Eingebornen bei der Ankunft der Dampfschiffe oft blutige Köpfe setzte, weil immer jeder sich zuerst das Trinkgeld der ausschiffenden Passagiere verdienen wollte, dürfen sie nie mehr mit den Eingebornen zugleich arbeiten und die beiden Nationen wechseln daher mit einander. So kommen also das eine Mal nur Europäer, das andere Mal nur Afrikaner, und zwar der abschreckendste Theil derselben, den neuen Ankömmlingen entgegen. Für diese armen Leute ist die Ankunft eines Dampfschiffes das erfreulichste Ereigniss der ganzen Woche; sie verdienen sich da iu einer Minute oft das Brod für einige Tage, denn es giebt solche Biskris, die füglich nicht über vier Sons verzehren. An den Kais steht zur weitern Bedienung des Reisenden fast eine Armee von ähnlichen Individuen, alle mit hohen dicken Tragstangen bewaffnet. Im ersten Augenblick mag wohl mancher Reisende nicht ohne einige Angst sich allein in der Mitte einer Bande sehen, deren schmuzgelbc gebräunte und völlig schwarze Gesichter einen durchaus wilden, durch rohe Lebensart oder niedrige Sinnenlust verzerrten, hässlichen und bösen Ausdruck haben; dies gilt namentlich von den Schwarzen, die aus dem westlichen Sudan kommen, wo die Negervülker am affenartigsten sind. Indessen ist die Lehre von der Physiognomik dort so trügerisch, wie überall. In Algier sind gerade diese halbnackten Taglühner mit den Fanngesichtern die ehrlichste Menschenrasse. Nie habe ich wiiliicnd meines ziemlich langen Aufenthalts von einem Dieb-stahl durch diese Biskris gehört, die im Gegenthcil von den Kaufleuten einen kleinen Sold für die Bewachung ihrer Magazine hei Nachtzeit erhalten. In Algier stÖSSt der ankommende Fremdling auf dasselbe ergötzlich ärgerliche Schauspiel, wie in Neapel. Man wird sogleich von einer Bande dieses dienstzudringlichen Gesindels bestürmt. Jeder voll Eifer ein paar Sous zu gewinnen, drängt sich dicht an den Fremden, ruft ihm auf arabisch, in der lingua franca oder auch in schlechtem Französisch Grüsse und Complimente zu, wobei er nicht unterlässt, sich selbst als den Simson der Bis-kris, seine Stärke als Lastträger empfehlend, herauszuriiliineii. Um meine Hutschachtel balgten sich drei Mann und um meinen Koffer ein halbes Dutzend; denn die gute Gelegenheit ist nicht häufig, das Dampfboot kommt nur einmal in der Woche und mit'dem Gewinn der Ueberfahrt des ganzen Passagiergepäckes leben zehn Biskris eine ganze Woche. Ue-brigens sind Lumpen in Algier nicht immer das Ordcnskleid der Arinuth, so wenig als rohe Kost die Folge von Noth und Elend« Mancher dieser Biskris — ich kann dies als genaue Thatsache versichern — trügt seine fünfzig spanische Piaster in den Taschen seiner Lumpen verborgen und hält diese fest, wie seine Eingeweide. Aller Duft französischer Restaurants und Confiseurläden vermag sowenig, als der Aublick der vor den Buden symmetrisch aufgestellten Flaschen, ihm je eine Liard aus der Tasche zu locken. Er begnügt sich mit einem schlechten Stück ungesäuerten Brodes, würzt dasselbe mit ein paar Cactusfeigcn oder Liebesäpfeln und verzehrt sein Mahl in seinem Speisesaal unter den schönen Stcr- nen, der zugleich auch sein Audienzzimmer und Schlafgc-mach ist. War auch der erste Anblick der mir noch völlig neuen afrikanischen Völker, unter denen ich nun mehrere Jahre verleben wollte, keineswegs wohlthucnd, so reizte er doch mächtig meine Neugierde. Ich hatte hier Völkerstämme von fast allen Breitengraden Afrikas vor mir: Mauren vom schönsten weissen Teint, gebräunte Biskris und Neger aus dem Sudan, aus Tombuktu uudBornu, von tief dunkler oder bräunlicher Schwärze. Einige der letztern hatten kurze weisse Barte, die auf der schwarzen Haut sich höchst sonderbar, etwa wie aulgeklebte Theaterhärte, ausnahmen. So sehr ergötzte mich das neue Schauspiel, dass ich die Zudringlichkeit dieser Lastträger einige Zeit lang geduldig ertrug und gar nicht satt wurde, diese seltsamen Figuren zu betrachten, die sich in derben Stossen um mein Gepäckc schlugen und dabei in einer Sprache schrieen, die neben widrigen Zischlauten auch sehr helle Töne hören Hess; sie schnitten dazu - die hässlichsten Grimassen und fletschten Zähne, so weiss und stark, wie die des Schakals. Ich wählte endlich aus dem Haufen zwei starke Bursche, die mir die unverschämtesten schienen, einen breitbrüstigeu Neger und einen riesigen Biskri. Kaum hatte ich nun meine Träger bezeichnet, so trat zu meinem Erstaunen der übrige Haufe, der nun sah, dass ihm das Schreien nichts mehr half, ziemlich ehrerbietig zurück und liess mir und meinen Begleitern die Passage. frei. Wir traten durch die Porte de la marine. Eine lauge fast ganz europäisch gebaute Strasse, an deren Häuscrvorsprung sämmtlich schöne Arkaden sich wölben, sehr hübsche Kaufläden und französische Kaffeehäuser überraschten uns, obwohl diese Reformen der maurischen Gebäude mir nicht ganz benagten und ein rein afrikanischer Anblick mir gleich im Anfang lieber gewesen wäre. In der Stadt Algier ist die Mischung der Bauart, der Bevölkerung und des Lebens von Europa" und Afrika das Merkwürdigste. Ich nahm mein Absteigequartier im Hotel du nord3 einem schönen iieugebauteu Gasthof in der liue de la marine. Man findet dort eine treffliche Pariser Küche, Speisesäle, der eine im europäischen Geschmack mit Spiegel-wänden, der andre im maurischen Styl mit Säulengalerien ; endlich französische Aufwärter und andre Diener in afrikanischer Tracht. Die französischem Gasthöfe in Algier übertreffen, was die Pracht der Ausstattung und die Güte des Speisetisches betrifft, die Touloner Hotels bei Weitem und stehen selbst denen der grossen Seestadt Marseille kaum nach. Nur die Wohnzimmer bieten vielleicht noch nicht alle Bequemlichkeit der europäischen Einrichtung, doch geschieht auch hierin durch die zahlreichen Sncculanten immer mehr und in der letzten Zeit meines Aufenthaltes kamen Schiffe, beladen mit schönen Möbels und Spiegel wänden aus Frankreich. Ich zweifle gar nicht, dass Algier in wenigen Jahren den ersten Städten Europas kaum in irgend einem Punkte des Wohllebens nachstehen wird. Gute Gasthöfe sind ausser dem angeführten: Hotel de la colonie ; Hotel de Lyon; Hotel du Danemark u. s. w. Schon auf dem Dampfschiffe drangen uns die Lohnbedienten dieser Häuser Adresskalten auf. Man ist daher durchaus nicht mehr, wie bei Wilhelm Schimpers Besuch, um ein Unterkommen verlegen oder gar in Gefahr, die Nächte mit Hatten und Mäusen im Kriege zuzubringen. Ausser den eigentlichen Gasthöfen giebt es im Algier hotcls garnis, die •dos möblirte Zimmer, keinen Restaurant haben. Die Miethe ist etwas theuer. Mau bekommt ein gewöhnliches Zimmer kaum unter vierzig bis fünfzig Franken für den Monat, hin-Mokitü Wagnek's Algier. I. 3 gegen ist der Speisetisch auffallend billig. Im Hotel du nord, dem ersten Gausthaus, bezahlt man nur sechzig Franken für den Monatlisch, wobei man keine schlechtere Küche hat, als in den Restaurants des Palais royal. Das Leben ist für die gewöhnlichen Bedürfnisse in Algier keineswegs übermässig theuer und die bedeutende Concurrenz bei den Bauunterneh-miingen wird auch die Preise der Wohnungen immer mehr herunterdrücken. Ich hatte kaum mein Gepäcke untergebracht, als ich den Gasthof verliess, um herumzulaufen und die mir neuen Gegenstände, die Strasscnscenen und die wunderlichen Bewohner, die dort in den buntesten Trachten sich herumtreiben, recht behaglich anzuschauen. Vom Hotel du nord bis zur grossen Place du gouvernement waren es nur einige Schritte, Dort war der Markt noch versammelt. Einige hundert Europäer der verschiedensten Nationen hielten ihre Waaren feil, die Gärtner waren Spauier, die Fischer zum Theil Malteser, die Quiucaillericwaarenhäudler Franzosen; Mauren verkauften Orangen, Araber boten Wild uud Geflügel feil, kleine afrikanische Juden trugen Backwerk umher uud sprangen mit leeren Körben dienstfertig herbei, den Leuten die gekauften Sachen heimzutragen ; alle Sprachen schnatterten durch einander uud doch verstand man sich beim Handeln ganz gut, die Zahlwörter werden in der linguafranca, mehr dem Spanischen als dem Italienischen ähnlich, ausgesprochen. Eine Menge vermummter Weiber in ganz weisse Mousselins gehüllt, Jüdinnen mit einem seltsamen Kopfputz von zwei Fuss Höhe, halb nackte Negerinnen, schmuzige und zerlumpte, wie reich gekleidete in Gold und Seide schimmernde Gestalten drängten sich durch einander. Daneben sah mau fremdartige Thiergestalten, beladene Dromedare, dann Stachelschweine, Scha- kalo und Ichneumone, die zum Verkauf ausgestellt waren. Man denke sich darüber das weisse Amphitheater der Stallt, den Hafen, der mit seinem Mastcnwalde und bunten Wimpeln in der Tiefe liegt, das Meer, die grüne Landschaft von Mustapha Pascha und weiter östlich im Hintergrunde das Atlasgebirge — nicht leicht zeigt ein Marktplatz ein anziehenderes Gemälde. Dennoch war der erste Eindruck des so phantastisch Bunten und Fremdartigen mehr verwirrend, als erfreuend. Ich kam in einer Art Betäubung wieder nach Hause und träumte in der ersten Nacht so buntes Zeug, als je ein Märchenschreiber von Bagdad. M Beschreibung der Stadt Algier. — Statistisches. — Strassen und Der alte Deypalast — Das Wohngebäude des Gouverneurs. — H6tel Latour du Pin. — Die Bibliothek. — Moscheen. — Das Grab Heyraddin. Barbarossa's. — Die katholische Kirche. — Der protestantisshe Gebetsaal. — Schulen der Eingebornen. — Synagogen. Algier ist unter den Völkern Nordafrikas unter dem arabischen Namen El-Dschesair, „die Kriegerische," bekannt. So wird sie auch von den Kabylen und Negern des innern Afrikas geheissen; der Name deutet sowohl auf Tha-ten, als auf grosse Macht. So oft mau jetzt die Eingebornen fragt, warum nennt ihr diese Stadt die Kriegerische? antworten sie immer: „weil sie die Christen gedemüthigt hat." Der Name ist ihr auch noch heutiges Tages geblieben, obwohl die Christen seitdem ihre Revanche genommen. Algier liegt unter dem 36° 47' 25" nördl. Breite und 0° 42' 25" der Lange, nach dem Meridian von Paris gerechnet. Die Stadt hat die Form eines Dreiecks und liegt auf dem Abhang eines Hügels, der sich 372 Fuss über dem Meere erhebt. Die Einwohnerzahl belief sich in der Mitte des Jahres 1839 auf 28,000, ohne das französische Militair. Darunter rechnete man 9000 Mauren, 6000 Juden, 5000 einr geborne Individuen der afrikanischen Corporationeu von verschiedener Abstammung und 8000 Europäer. Die Civil-intendaiiz giebt bestimmtere Ziffern an, die aber viel- Bauart der Häuser. Merkwürdige Gebäude. — Die Kasbah. leicht desto unrichtiger sind, da es, ausgenommen bei den Corporationeu, von denen jedes Individuum eine Blechnummer trägt, keine Mittel giebt, über den Zuwachs der Bevölkerung eine genaue Centrale zu führen. Viele maurische Familien wandern noch immer nach Tunis oder der Levante aus und die Geburtslisten werden bei ihnen nicht regelmässig geführt. Noch schwerer ist es, die Zahl der da wohnenden Europäer genau zu schätzen. Viele Arbeiter treiben sich ohne Tasse herum und Ansiedler von besserem Stande, namentlich die zahlreichen Handelsleute, unterlassen, Aufenthaltskarten zu lösen, um dem unangenehmen Milizdienst zu entgehen. Die Zahl dieser in Incognito lebenden Europäer beträgt wenigstens ein DritttheU der ganzen europäischen Bevölkerung. Die älteren Reisenden, Shaw, Pananti, Shaler, geben die Algierer Bevölkerung gewiss alle zu hoch au. Shaw schätzt sie auf 100,000, Pananti auf 60,000. Dergleichen Schätzungen waren übrigens nur aufs Gerathe-wohl hin gegeben und auf keinen Grund gestützt, da unter den Papieren der gestürzten Regierung sich keine Register vorfanden. Man schätzt die Zahl der ausgewanderten Mahomedaner auf höchstens 15,000, von denen fast die Hälfte durch neue Ansiedler aus Europa ersetzt Wurden. Es ist daher durchaus nicht wahrscheinlich, dass die Bevölkerung vor 1830 35,000 Köpfe überstiegen habe. Die Stadt Algier zerfällt in zwei gross«; Quartiere, Der untere Sladfthcil beginnt am Hafen und endigt bei dem ehemaligen Deypalast, der fast im Centrum der Stadt liegt. Hier Wohnen grösstenteils Europäer in hübscheu neugebaulcn Häusern. Die drei llauptstrassen in diesem Quartier sind: die Strasse der Marine, welche vom Hafen nach dem grossen Platze .fährt; die Strasse Bab-a-Zun, die von da aus nach dem Thore gleichen Namens uud der östlichen Landschaft Algiers, den Lagern Mustaphas und Kuba führt, die Strasse Bab-el-Uad, die gleichfalls von dem grossen Platz aus nach dem Thor Bab-el-Uad iu westlicher Richtung führt. Es sind diese drei Strassen die einzigen, die befahren werden können. Sie sind nach dem neuen Bauplan gerade breit genug, dass zwei Wagen sich ausweichen können. Fast alle ihre Häuser sind neu oder im Bau begriffen, ihr Vorsprung besteht aus gewölbten Arkaden, die, sobald einmal alle Bauten vollendet sind, eine fortlaufende Reihe von säubern Trottoirs in der Art, wie das Marmeministeriuin in Paris, bilden werden und den Spaziergänger gegen Sonne und Regen schützen. Eine Unzahl dunkler Gässchen, gerade nur breit genug, dass zwei Personen sich ausweichen können, durchschneiden jene drei Hauptstrassen fast nach allen Richtungen; der grösste Theil hat französische Namen. Der obere Stadttheil ist Uber alle Vorstellung finster, winklig und unregelmässig. Die engen Gassen gehen so steil aufwärts, dass man bei jedem Besuche dort vortreffliche Uebung im Bergsteigen hat; für alte Personen aber ist die Anstrengung zu schwer. Bei Regenwetter ist man nicht im Stande die Kasbahstrasse, welche dieses obere Stadtipiartier durchschneidet, ohne häufiges Glitschen oder auch Fallen herabzusteigen. Ein Besuch in jener hohen Region, wo fast nur Eingeborne wohnen, gehört dann zu den ausscrordentlichsteu Strapazen. Mit der Enge der Strassen, die selten über vier Fuss Breite haben, söhnt man sich, sobald man mit Algiers Klima Bekanntschaft gemacht, vollkommen aus. Im Sommer, wo die Strahlen so glühend von dem Gestein prallen, und im Winter, wo (lichte Regcnfluthcn das Pflaster waschen, geht man immer kühl und trocken vor Sonne und Nässe, durch die üben vorspringenden Häuser geschützt, durch die Stadt; bei allen Häusern ist der obere Stock von aussen breiter, als der untere. Dies verursacht nun jene beständige Dunkelheit; schützt aber gegen die genannten beiden Uebel und ist namentlich eine Wohlthal für alle Personen, welche Neigung zu dein Wechsellieber haben. Alle älteren Häuser sind in dem bekannten maurischen Styl erbaut, der hier nicht grandios, wie an einigen alten maurischen Monumenten Südspa-niens, dafür aber eine gefällige, anmuthige Form zeigt. Von aussen sind diese Häuser freilich sämmtlich grundhässlich, da sie bei der Enge der Strassen nie eine stattliche Facade bilden und statt der Fenster nur kleine vergitterte Löcher nach der Strassenseite haben; das Innere dagegen überrascht durch seine eben so prächtige blendende, als bequeme und liebliche Architektur. Eine Vorhalle von Säuleu gestützt führt zu einer Treppe, deren Wände mit bunter Fayenza oder uu-ächtem Porzellan ausgelegt sind. Man gelangt von dort in die innere Halle, die in Quadratform, gewöhnlich mit Marmor gepflastert und mit Säulengalerien eingeschlossen, ihr Licht von oben empfängt. Eine andere Treppe führt nach dem oberen Säulengang, der, gleich dem unteren, riugs um die Halle herum in vier Gemächer führt. Jede Fronte des Quadrathofes nimmt den Raum eines solchen Gemaches ein. In der Mitte der Halle befindet sich in den reichen Häusern gewöhnlich ein Zwischenraum oder ein Bad oder Orangenbäume. Das Licht fällt, wie schon erwähnt, in diese Säulenhalle von oben. Bei den Mauren war die Decke frei, der Regen drang daher ungehindert in die Halle, was wohl zu der grossen Feuchtigkeit der Gemächer beitrug. Viele Frau- zosen haben über die Decke ein Glasdach anbringen lassen, was jenen Uebelstand beseitigt, dagegen der Halle ihre luftige Frische nimmt. So ist die innere Bauart* aller Häuser in Algier ohne Ausnahme. Das Haus des Vornehmen unterscheidet sich von dem des Armen nur durch Grösse und durch Rcichthum der Lünern Ausstattung. Der Fussboden und die Säulen sind bei dem Reichen in der Regel von weissem Marmor, grosse Platten glänzend bunter Fayenza bedecken alle Wände und Gänge und tragen sowohl zum Schmuck, als zur Kühle der Gebäude bei. Im Uebrigen haben die Wohnhäuser der Vornehmen ganz dieselbe Einrichtung, dieselben Mängel, gewöhnlich auch dieselbe Einfachheit der Geräth-schaften. Einige Teppiche oder aus Palmblättern geflochtene Decken, ein paar hübsch geschnitzte bunt bemalte uud vergoldete Schränke, ein Spiegel und Tisch, öfters auch Vasen mit Rosenwasser, dies ist fast das ganze Meublement eines maurischen Zimmers. Stühle sind den Einwohnern unbekannt, immer nehmen sie mit übereinandergeschlagencn Beinen auf der Decke des Fussbodens Platz. Eigentliche Kücheu befinden sich nie im Hause; die Speisen werden auf einem beweglichen eisernen Herd im Hofe gewärmt. Eine Vorraths-kammer enthält das seltsame irdene Kochgeschirr, die rie-senmässigen thönernen Buttertüpfe u. s. w. In der Regel sind die Häuser reinlich gehalten, nur die ganz drückende Armuth bat, wie überall, den Schmilz noch zur Zugabe ihres Elendes. Ein Haus besteht stets nur aus zwei Stockwerken, welche ganz gleich eingetheilt sind; das Dach ist flach uud mit einer Brustwehr umgeben. Auf den luftigen Terrassen wandeln die Hausbewohner gewöhnlich nach Sonnenuntergang; auch die Maiiiiniieu zeigen sich da in ihrem glänzenden Hausputze gewöhnlich ohne Schaul, nur spähen sie sorgsam, ob auf der benachbarten Terrasse keine Mäunerblicke sie belauschen. Sie tragen daher immer bei diesen abendlichen Spaziergängen ein Mousscliutuch in der Hand, um ihr Anlitz augenblicklich wieder zu verhüllen, wenn sich irgend ein Neugieriger zeigt. Doch beobachten sie diese züchtige und peinliche Ziererei, welche die althergebrachte Landessitte heiligt, gegen Europäer etwas weniger strenge, als gegen die Eingebornen. Nicht als ob sie für uns eine besondere Vorliebe hegten, sondern weil sie wissen, dass die christlichen Frauen ihr Gesicht den Männeraugen zeigen dürfen, ohne dadurch gegen die Sitte zu Verstössen oder in der Achtung zu verlieren. Auch wäre es für eine Maurin schwer, sich, ohne auf den Terrassenspaziergang zu verzichten, ganz den Blicken der Neugierigen zu entziehen, da manche Europäer mitten in dem maurischen Stadtquartier wohnen und an den milden Abenden hartnäckig ausharren, um die Mysterien der Nachbarhäuser zu belauschen. Man könnte diese detaillirte Beschreibung der algierischen Bauart noch mehr detailliren, würde aber dem Leser, der nie Abbildungen maurischer Gebäude gesehen, keine deutliche Idee beibringen. Ich wiederhole nur, dass hei allen Mängeln derselben der Totaleindruck zwar nicht imposant, wie der ehrwürdige gothische oder der classisch griechische Styl in den grossen Denkmälern Europas, doch etwas das Auge Erfreuendes hat, fast in der Art, wie das malerische Kleid der Mauren selbst. Der angenehme Eindruck wird bei dem Reisenden noch vermehrt, weil er in der Exkorsarcnstadt viel welliger suchte. Das Innere einiger Algierer Gebäude, z. B. des Wohnhauses des Gouverneurs, der Mairie, des Justizgebäudes, würden auch "» europäischen Hauptstädten die nach Sehenswürdigkeiten lüsterneu Leute in Menge anlocken. Bei Tage, wenn ein blauer, goldduftiger Himmel über diese Säulenhalle sich wölbt, wenn die Adern des Marmors, die verwundene Far-benzeichnung der Fayenzawände, ilie seltsam gestalteten Colonuaden, die gewölbten Bögen, das fremdartige Schnitz-werk der Thüren, von der flüssigen flelle oben beleuchtet sind, da hat der Anblick eines maurischen Hauses die bunte Zierlichkeit wie ein farbengeputzter Vogel des Tropcnlandes. Das Fremdartige der Form kommt so wenig unheimlich vor, als ein freundliches Feenmärchen den kleinen Kindern. Es ist nichts Mysteriöses in den ungewohnten Gestalten, weil der Tagesstrahl sie verklärt. Mau gefällt sich, durch die Galerien zu wandeln in der feierlichen Haltung des Orientalen, bald mit Hand und Wange die glattkühle Porzellanwand zu streicheln; bald dem Murmeln der Fontaine zuzuhören. Gegen Abend wechselt das Bild bei dämmernder Beleuchtung. Die freundliche Magie der Halle verschwindet, es sieht recht spukhaft in den weiten Galerien aus, und wandelt man durch die stillen Gänge, wo jeder feste Schritt dem Wandler nachhallt, und schaut empor nach dem hohen Gemach, wo die Säulen wie versteinerte Kiesen oder Grabwächter lagern, da hat man eine Ahnung von den Gefühlen Champollion's, als er in dem alten Königsmausoleum der thebaischen Todten-ebene sein einsames Quartier aufschlug. Der Schauer des Gebäudes mildert sich aber wieder, wenn die Nacht völlig hereingebrochen und jene „tausend Schafe silberweiss" aus ferner Heimath heruntertrösten. Unter den merkwürdigen Gebäuden nenne ich vor allen die Kasbah oder Citadelle, die Residenz des letzten Dcys, Avelche, das höchste Gebäude auf dem Hügel, über dessen Rücken die Stadt gebaut ist, ganz Algier domiuirt. Es ist ein sehr weitläufiges festes Schloss mit vielen Gemächern, Höfen und bombenfesten Kellern. Durch Schönheit und Eleganz zeichnet sich aber weder die Kasbah noch der ehemalige Palast der Deys, wo die Algierer Fürsten bis 1818 ihre Residenz hatten, vor den übrigen Gebäuden aus. Beide sind noch viel grösser, während sie den ehemaligen Jani-tscharenkaserneu und selbst mehreren maurischen Privatgebäuden au Reichthum nicht gleichkommen. Freilich mögen die Kasbah und der Deyspalast, welche jetzt iu französische Kasernen verwandelt sind, seit der Eroberung viel gelitten haben; allenthalben sieht man die Spuren der Zerstörung an den abgerissenen Faycnzawänden. Von Weitem zeigt die Kasbah eine weisse uuregelmäs-sige Masse, die man erst dann für eine Citadelle erkennt, wenn man die ungeheuren Kanonen, die durch schlechtgcbau-tc Schiessscharten ihre Mündungen strecken, unterscheiden kann. Die Franzosen haben die Kasbah durch Erbauung eines Seitenthors mit der Landschaft in Verbindung gebracht; ehedem existirte nur eine einzige Pforte, die nach der Kas-bahstrasse führte. Letztere Pforte ist hoch genug, dass man zu Pferde eintreten kann. Sic ist von weissem Marmor. Eine arabische Inschrift befindet sich über der Wölbung, wie in allen übrigen dem Dey gehörigen Häusern. Vor dem Eintritt gewahrte man in früherer Zeit einen grossen hölzernen Vogelbehälter mit weissen Tauben bevölkert, rechts von dem Thore eine Menge auffallender Zierrathen und über dem Thor den roth bemalten Rachen einer Ungeheuern Kanone, die dorthin gestellt worden, um auf die Strasse im Falle eines Aufruhrs zu schiessen. Ist man durch die Pforte getreten, so steht mau vor einem dunkeln, gewölbten Gang, unter welchem ein Springbrunnen in ein weisses Marmorbassin fällt. Hat mau den Gang hinter sich, so gewahrt man eine Allee, welche zur ehemaligen Wohnung Hussein-Deys und zu mehreren Batterien führt. Eine zweite Allee zur Linken führt zum Pulvermagazin und zu den Batterien, die nach der Stadtseitc gerichtet sind. Folgt man der Galerie, die an den gewölbten Gang stiisst, so kommt man nach einem länglichen Vorhof, der die grosse viereckige Säulenhalle berührt, welche von sämmtlichen Gemächern der Deywohnung umgeben ist. Inmitten dieser Halle standen früher, wie im Bey-palast zu Constantine, prachtvolle Citroncnbäume und ein grosser Springbrunnen, dessen Wasser iu zwei grosse, Aveiss-marmorne Becken fiel. Die Galerie auf der Südseite der Halle ist doppelt so breit, als die übrigen und besteht aus zwei Säulenreihen; es war Hussein-Deys Audienzsaal, wo er täglich seine Beamten empfing und öffentlich Gericht hielt. Längs der Mauer waten Bänke mit goldgestickten Sammt-kissen angebracht, auf welchen der Dey und die Mitglieder des Divau Platz nahmen. Die Wände dieser Galerie bedeckten einst Fayenzaplattcu mit zum Theil sehr hübschen Zeichnungen. Sie sind jetzt grösstenteils herabgerissen oder beschädigt, eben so sind die übrigen Verzierungen, die schönen altmodischen Spiegel mit vergoldeten Rahmen, die englischen Pendeluhren u. s. w. völlig verschwunden. Dicht hinter dieser Galerie befanden sich die Gemächer des Khaseua-dschi oder ersten Ministers und die Gewölbe des Staatsschatzes, wo 1830 die schlauen Schatzgräber vom Seinestrand wühlten, die es gar wohl verstanden uralte spanische Piaster und türkische Goldmünzen aus hundertjähriger Grabesruhe zu erlösen. Der Schatz, der an baarem Geld nahe an fünfzig Millionen Franken betrug, war in grossen eisernen Kisten verschlossen. Von den übrigen Kostbarkeiten, den Juwelen, goldenen und silbernen Vasen und reichen Waffen wurde ein grosser Theil entwendet; man beschuldigt deshalb in Algier fast allgemein die nächste Umgebung des Generals Bourmont, doch wäre es schwer, hierüber einen genügenden Beweis zu führen. Hinter den unteren Galerien der Halle befinden sich ineist kleine Gemächer, welche von den Hausbeamten Hussein-Deys bewohnt waren. Dieser Fürst nahm die zweite Etage ein, zu welcher eine Marmortrcppe hinaufführte. Vor den Deygeiniichcrn liegt eine offene Galerie, welche eine Aussicht über Lundschaft und Meer bat. Hussein-Dey hatte den östlichen Theil dieser Etage inne; er bewohnte vier Zimmer, von denen zwei sehr geräumig, nach orientalischem Geschmack decorirt waren, übrigens nichts Bemerkens« erthes zeigten. Auf derselben Seite der Kasbah befinden sich noch drei andere Säle, von denen zwei bei der Besitznahme dieses Schlosses durch die Franzosen mit prächtigen Waffen und Kleidungen angefüllt waren; im dritten war die Müuzwerk-stätte. Den Zimmern des Deys gegenüber befanden sich die Gemächer seiner Frauen. Ueber der zweiten Etage stehen nur Terrassen und kleine Zimmer. Man hat von dort eine weite Aussieht über Stadt, Land und Meer. Oft spazierte hier oben der Dey, welcher die Kasbah nie zu verlassen wagte, und sah auf die Stadt hinunter, um zu belauschen, was dort vorgehe. Er sah von derselben Stelle die französische Flotte, die seiner Herrschaft ein Ende macheu sollte, der Küste sich nähern. Gegenwärtig besteht die Kasbah nur ans Kasernen und Mi igazinen. Die alte Pracht, welche meist in beweglichen Gegenständen bestand, ist jetzt aus dieser Deyresidenz gröss-teatheils verschwunden, auch das Bauwerk mannichfach beschädigt worden. Man fand 1830 fünfzig Kanonen von sehr schwerem Kaliher. Sie waren von aussen grün augestrichen, die Mündung war roth beinalt; die Laffetten waren sehr massiv und ihre Kader unbeweglich. Der grösste Theil dieser Geschütze existirt noch, einige wurden nach Frankreich geschafft und in den Invalidcnhotels aufgestellt. Vor 1818 bewohnten die Deys das grosse Gebäude, welches die südliche Facade des Marktplatzes bildet. Es ist das höchste und nach der Kasbah das umfangreichste Gebäude der Stadt, aber aller frühere Luxus ist eben so verschwunden. Es sind jetzt Kasernen und Cautinen dariu und das Innere enthält gar nichts Merkwürdiges mehr. Das sogenannte Kaiserfort ist ausserhalb der Stadt auf einem Hügel, 630 Fuss über der Meeresfläche , wie alle Algierer Häuser aus Backsteinen gebaut. Den Namen Kaiserfort erhielt es, weil Kaiser Carl der Fünfte 1541 auf diesem Hügel sein Hauptquartier hielt und dort mehrere Festungswerke errichtete. Bei dem Angriff der Franzosen gegen Algier im Juni 1830 flog das Kaiserfort grösstentheils in die Luit. Doch blieben die äussern Mauern stehen, und die innern Kasernen, wie die Magazine sind wiederhergestellt worden. Im Kaiserfort befinden sich zwei grosse Gewölbe zur Aufbewahrung des Pulvers und fünfzig türkische Kanonen in sehr schlechtem Zustand, wie überhaupt die Befestigungswerke der Stadt sehr vernachlässigt siud; denn an einen Angriff zur Seeseite, der nur von den Engländern gemacht werden könnte, ist wohl so bald nicht zu denken und noch viel weniger fürchtet man einen Angriff der Araber von der Landseite, denn nie ist es ihnen gelungen, auch nur ein Blockhaus einzunehmen. Die geringste, auch nur von wenigen Kanonen vertheidigte Schanze war für sie stets ein unübersteigliches Hinderniss. Die Sceseite der Stadt Algier ist bedeutend befestigt. Im Jahre 1816 konnte der kühne Lord Exmouth noch wagen, iu den Hafen selbst einzudringen und sein Schiff so dicht au den Kai anzulegen, dass sein Bugspriet fast die Häuser berührte. Jetzt würde selbst die stärkste Flotte eine solche Kühnheit theuer bezahlen, denn seit 1816 wurden rings um den Hafen sehr massive, mit Fenerschlüuden wohl versehene Fortilicationen errichtet. Im Westen steht das von den Franzosen neugetaufte Fort des vingt-quatre /teures; im Osten das Fort Bah- a-Zun. Andere Forts ziehen sich um den ganzen Golf vom Cap Caxines bis zum Cap Matifu oder Ras Temandfus fort. Beim Cap Caxines stehen die „Forts de la pointe Pcscade.u Zwei Stunden östlich von Algier steht auf einem hohen Berg das Lager Kuba, dessen Geschütze weit in den Golf hineinreichen. Dann das befestigte „Mahon carrdc." Weiter gegen Osten folgt dann das Fort de feau, dessen Bewachung den Ariben anvertraut ist. Endlich das Fort Matifu, das jetzt ganz verlassen sieht. Unter den europäischen Bauwerken Algiers verdient nur ein einziges Erwähnung. Es ist das Wohnhaus des Herrn Latour du Pin, eines reichen jungen Ofliciers vom Genc-ralstab, welches die westliche Fronte des grossen Platzes bildet. Der Bau desselben kostet beiläufig eine Million Franken; es würde in einer jeden Hauptstadt Europas eine Zierde seyn. In der Strasse Bab-a-Zun ist ein neues Gebäude in halb maurischem, halb europäischem Styl. Es vereinigt das College, die Bibliothek und den protestantischen Gebetsaal uud verdankt seine Existenz dem trefflichen Civilintendanten Bresson, einem erleuchteten Mann von edlem Charakter, welchen trotz der zahllosen Widerwärtigkeiten seiner Stellung die innige Begeisterung für die Aufgabe, in Afrika eine neue Welt der Bildung zu wecken, einige Jahre in Algier verweilen Hess, obwohl er in Frankreich bei seiner Geschäfts-t'dchtigkeit und bei seinem Rednertalent eine viel glänzendere Carriere erwarten durfte. Das Gebäude ist von aussen etwas buntscheckig und nichts weniger als geschmackvoll, wogegen im Innern für die schöne Ausstattung und Bequemlichkeit nichts gespart worden. Das College hat für jede der verschiedenen Schülerclassen eigene Säle; es wird arabisch und französisch dort gelehrt und Kinder der verschiedensten Nationen, Deutsche, Spanier, sogar Neger versuchten sich mit kleinen Parisern in französischen Stylübungen. Die Bibliothek fasst zwei grosse Säle mit Marmorsäulen ausgestattet und steht unter der Leitung des Herrn Adrian Berbruggen Im Jahre 1839 belief sich die Bändezabl auf etwa 600, worunter das bekannte grosse Werk über Aegypten und einige schätzbare arabische Manuscripto, welche im Hause des Ben - Aissa und in verschiedenen Moscheen Constantines erbeutet worden. Das Museum in demselben Gebäude war bei meiner Abreise von Algier noch in der ersten Gründung begriffen, Vor der französischen Eroberung hatte Algier zehn grosse und fünfzig kleinere Moscheen. Jetzt sind diese auf die Hälfte reducirt. Viele wurden niedergerissen, um die Strassen zu erweitern; oder andere Gebäude an ihre Stelle zu bauen. Dieses Schicksal hatte Algiers prachtvollste Moschee, die früher auf dem Marktplätze stand. Ihr innerer beweglicher Schmuck, namentlich die weissen Marmorsäulen, wurden theilweise aufbewahrt und zur Verschönerung der grossen Moschee in der Eine de la marine verwendet. Andere Algierer Moscheen erhielten eine von ihrem frühem Charakter völlig verschiedene Bestimmung. So ist eine Moschee jetzt ein Theater, eine andere ein Hcumagaziu, eine dritte eine Kaserne. Man hat nicht mit Unrecht der französischen Regierung diese rücksichtslose Entweihung der mahomedani-schen Gebethäuser vorgeworfen und gewiss war dies eine jener Massregeln, welche die Eingebornen der neuen Herrschaft am wenigsten vergeben und vergessen konnten. Auf der andern Seite war die Zahl der Moscheen im Vcrhaltniss zur Bevölkerung aber viel zu gross. Die Türken, wie auch viele Mauren wanderten nach dem Orient oder andern Gegenden der Berberei ans, was also die Andächtigen in den Moscheen immer mehr verringerte. Dabei war das Bcdürfniss der Armee und der ersten Ansiedler, die alle unter Dach gebracht seyn wollten, natürlicherweise bedeutend; man inusste Magazine, Kasernen, Spitäler einrichten und wollte doch nicht Privatleute aus ihren Wohnhäusern werfen. So findet also die Regierung bei ihrem so hart angegriffenen Verfahren gewiss gerechte Entschuldigungen genug, wie schmerzlich man auch immer bedauern muss, dass durch diese Verletzung des religiösen Gefühls so viele Eingeborne den neuen Herren des Landes entfremdet wurden. Der schönste Bau, welchen die französische Regierung unternommen, war die Wiederherstellung einer grossen Moschee iu der Murhiestrasse, zu welcher der Herzog von Nemours 1836 den Grundstein gelegt hat. Alle Säulen und marmornen Zierrathen, die von dem Abbruche anderer Moscheen übrig blieben, wurden an diesen Bau verschwendet, der eine lange Facade weisser Marmorsäulen zeigt. Das Innere dieser Moschee ist nicht grossartig. Eine lange Säulenhalle von fast viereckiger Form, nicht über 2ä Fuss hoch, schliefst mehrere Höfe ein, wo kolossale Orangenbäume uud Cynressen mit ihren unverwelklich grü-Mokitz Wagneh's Algier. I. 4 n nen Laubfächern eine Marmorfnntaine, aus der das heilige Wasser sprudelt, gegen die Sonnenstrahlen schützen. An diesem Brunnen waschen die andächtigen Muselmänner Hände, Füsse und Gesicht sehr sorgfältig beim Ein- und Austritte. Der Boden der Moschee ist mit Sammtteppichcn von verschiedenen Farben belegt, am reichsten sind dieselben iu der Nähe des Allerbeiligsten, das aus einer bogenförmigen Wandvertiefung bestellt, in welcher der Mufti, der Imam oder Mara-but während des Gottesdienstes die Gebete spricht. Lieber den Gottesdienst der Muselmänner in Algier werde ich in einem andern Abschnitte ausführlicher sprechen. Der Eintritt in die Moschee ist, seitdem Algier in die Gewalt der Christen gefallen, nicht mehr untersagt, nur müssen sie ihre Fussbedeckung wie die Muselmänner vor der Pforte ausziehen; die geheiligten Teppiche dürfen nur mit blossen Füssen betreten werden. Vor 1830 wurde jeder Christ, den man iu einem solchen Tempel traf, mit dem Tode bestraft; der Fusshoden wurde alsdann sorgfältig wieder gewaschen und die Wände neu angestrichen. Jetzt haben sich die Maho-medaner in den Küstenstädten der Regentschaft daran gewöhnt, Franzoseu in ihren Moscheen zu sehen. Nähere Bekanntschaft mit den Ungläubigen unter ganz andern Verhältnissen hat sie mit diesen ziemlich ausgesöhnt und sie halten, wie es scheint, ihre Gotteshäuser nicht mehr durch deren Gegenwart entweiht. Die Ruhe, wie die Kühle in den weiten Säulengewölben der grossen Moschee machen das Verweilen darin, namentlich in den heissen Monaten, recht wohl-thuend, Seele und Körper labend. Ich blieb darin oft stundenlang an eine Säule mich lehnend und beobachtete die einzelnen Beter zur Tageszeit, oder ihre grössern Gruppen Während des Abendgebetes. Es gab darunter sehr interes- saute Figuren; mancher alte, schwcrniüthigo, silberbärtige Maure, mit dem müden Auge sehnsüchtig nach den verheis-senen Freuden hinaufstarrend, sass seinem Enkel, einem hübschen rosenwangigeu Buben zur Seite, in dessen Herzen, nach den sorglos heitern Zügen zu schliessen, der Fanatismus sich noch nicht eingenistet hatte. Dauu war es wieder so wohlthuend, in den innern Höfen unter den Orangenbäumen sich zu ergeben und bei dem Fontainegeplätscher nachzudenken, zu träumen oder zu beten. Jede Moschee hat einen Minaret (Thurm), oder Summe von den Arabern genannt, meistens in länglich viereckiger Form, dessen höchste Spitze ein Halbmond schmückt. Oben umgiebt den Thurm ein Altan, auf den der Messuin sich stellt, wenu er die Gläubigen zum Gebet ruft, und über welchen eiue hölzerne Stange emporragt, an der mit der Gebetmahnung zugleich eine weisse Flagg« aufgezogen wird. Eine andere ziemlich schöne Moschee liegt am Eingange der Marinestrasse auf dem grossen Platz. Sie ist glänzend weiss angestrichen, viel schmucker, saubrer, als irgend eines der andern Gebäude, eine Kuppel wölbt sich über der Terrasse und wird wieder von dem hohen Minaret überragt. Letzterer ist theilweise mit Fayenzaplatten in auffallender Form und Figuren bekleidet; Eine dritte merkwürdige Moschee ist in der /tue de la porle neuve. Sie zeichnet sich keineswegs durch Grösse, dagegen durch eine Pracht und Eleganz im Innern aus, wie man sie in den übrigen nicht iindet. Ihre Form ist fast rund. Eine kunstvoll gearbeitete Säule stützt die Kuppel, deren Wölbung mit goldenen Zierrathen und Fayenzaplatten decorirt ist. Neben der Wandnische und dem Aller-heiligsten, dem Platz des betenden Imam, steht eine Kanzel aus weissem Marmor. Das Geländer der Kanzeltreppe uud 4* der marmorne Thronhimmel über dem Prediger sind von wirklich vorzüglicher Arbeit, stammen aber wahrscheinlich aus Italien. Dicht an dem Thore Rah-a-Zun steht eine ganz kleine Moschee, welche nur selten geöffnet wird, aber durch ein vergittertes Mauerloch übersieht man ihr mit grossem Luxus ausij-estuttctcs Innere. Jn den meisten Moscheen ist nur an marmornen Fussdeckcn ziemliche Verschwendung, im IJebri-gen sind die Wände weiss und kahl und ihr Anblick überhaupt sehr einfach. In jener kleinen Moschee hingegen sind WÜnde, Decken und Boden mit Sammt und golddurchwirk-ter Seide reich decorirt. Ueber einer Wandnische sind in verschlungenen Buchstaben Verse des Korans geschrieben. In der Nische selbst steht eine Art Altar von Marmor fast in der Form eines Sarges. Eine Menge von Fahnen, schwer von funkelnden Stickereien und barocken Formen bedecken denselben oder hängen schlaff und trauernd an ihrem Stabe, mit gesenktem Halbmond auf den Sarkophag herab. Dort, ruht die Asche eines der berühmtesten Fürsten dieser Seeräuberrepublik, Hayraddiu Barbarossa, gegen welchen Carl's des Fünften furehilinre Expedition im Jahre .1541 scheiterte. Die katholische Kirche, jetzt die Kathedrale Algiers, war ehemals eine Moschee. Sie liegt im oberu Stadttheile gegen das End«; der Divansstrasse, und obwohl nicht grösser als die heid«'ii Moscheen in der Marinestrasse ist sie doch ein viel reinerer imposanterer Bau. Die schönste der Moscheen hat nur ganz niedere Säulenhallen, wogegen sich die Kathedrale in kühner Domform in «lie Lüfte wölbt. Säulen von fünfzig Fuss Höhe stützeu die Kuppel, die ihr Licht von oben durch gemalte Fensterscheiben erhält. Auf der Nordseite steht der Altar, über ihm ein Muttergottesbild, welches dej Papst der Algierer Kirche geschenkt hat, und iiher dem Muttergotlesbihle sieht man in verschlungenen arabischen Schriftziigen Sprüche aus dem Koran zum Preise Allahs. Dass mau diese letztern Sprüche, die eine gar hübsche Arabeskenverzierung bilden, in einem christlichen Tempel gelassen, lallt ein wenig auf, und mancher fromme Christ mag darüber der französischen Kegierung einen Vorwurf machen. Ich selbst weise kaum, ob ich diese französische Toleranz verdammen oder vertheidiuen soll. Wenn es indessen über-raschen muss, bei dem Eintritte in ein christliches Gebelhaus, statt der Bibelfragmente, statt des Preises Gottes in einer christlichen Sprache, diese morgeiiländischen Charaktere zu schauen, welche Sinnsprüche einer religiösen Schrift wiedergeben, die von den Priestern Jesu als ein Werk des Satans, als ein Buch der Lüge, als die Irrlehre eines falschen Propheten verdammt worden, so söhnt man sich doch bald mit jenen arabischen Glaubensmottos aus, sobald man ihren Inhalt entziffert. Es ist der Iluhm des einzigen, wahren Gottes, den sie enthalten, desselben Gottes, der nach dem Glauben der Mahomedauer auch die Kummis (Christen) erschaffen hat und seine Sonne über alle Länder scheinen lässt. Sprüche der Demuth und Frömmigkeit aber bellecken nie ein Gotteshaus, in welcher Sprache sie auch geschrieben und welchem Buche sie auch entnommen seyn mögen. Viel befremdender als diese innere Ausschmückung der Kirche scheint mir der Gottesdienst und die aus den seltsamsten Elementen zusammengewürfelte Versammlung. Die Messe ist last rein militärisch; die Soldaten studiren dafür eiu eigenes Exercitium ein. Muntere kriegerische Musik rauscht durch das Gebäude, während der Briester seine lateinischen Formeln murmelt. Der Schlag von zwanzig Trommeln don- uert durch die Hallen, sobald der Sakristan mit der Glocke klingelt. Die Soldaten, welche^m Vierecke vor dem Altare aufgestellt sind, präsentiren in demselben Augenblick auf das Commandowort ihres Officiers das Gewehr, beugen zugleich das rechte Knie und neigen das Haupt zur Erde, während der donnernde Trommelmarsch so lange fortdauert, bis das Vaterunser gebetet ist. Dann fallen die Musikcböre der Regimenter wieder ein, Opernfragmente von Auber und Meyerbeer spielend, der Priester trägt das Allerheiligste hinaus und die bunte Menge, die theils betete, theils den Musikchören lauschte, theils nach den andächtigen jungen Spanierinnen hinüberäugelte, ström« wieder plaudernd iu den weiten Hallen, wie auf einem Promcnadeplatze durch einander. Der protestantische Gebetsaal ist in dem neuen Bibliothekgebäude, ein einfaches Gemach, wo ein Katheder die Kanzel und ein Tisch den Altar vertritt. Jeden Sonntag Abend ist dort der gewöhnliche Gottesdienst nach dem Calvinistischen Ritus, Gesang ohne Orgel, Predigt und alle Monat einmal Commuuion. Zur Zeit meines Aulenthaltes waren zwei protestantische Pastoren dort, die zugleich Seelsorger für die Landbewohner, namentlich die Deutschen im Dorfe Ibrahim waren, wo viele Würtcmberger wohnen. Trotz der allgemeinen religiösen Gleichgültigkeit in Algier war der protestantische Gottesdienst immer zahlreich besucht und unter seinem Auditorium, welches theilweisc aus Katholiken bestand, bemerkte ich immer Andacht und ernste Stille. Die acht Synagogen, in Algier Dschenovas genannt, stehen sämmtlich in dem untern Stadttheil. Ihre Bauart kommt den Moscheen ziemlich nahe, mit Ausnahme der Mi-narets und der innern Brunnenhöfe, welche den Dschenovas fehlen. Durch eine oft sehr geräumige Vorhalle tritt man in einen Saal von viereckiger oder länglicher Form, mit Teppichen oder häufiger mit palmgeflocliteiien Decken belegt; die Wände sind mit Fayenza bekleidet. In der Witte stellt eine mit verschiedenen Farben bemalte, zuweilen auch mit Schnitzwerk verzierte Kanzel, welche der Rabbiner einnimmt, in kostbar verzierten Seitenbänken ist iu jener Synagoge der auf gerolltem Pergament geschriebene Text des alten Te-MaiiH'iil.s autbewahrt. Während des abendlichen Gottesdienstes werden Kronleuchter angezüudet. Miiselmäimische Schulen zählte man vor der Ankunft der Franzosen gegen hundert, jetzt bestehet noch etwa die Hälfte. Man lehrt den Knaben den Koran leseu, schreiben und ein wenig rechnen; hierauf beschränkt sich die gauze muselmän-nische Erziehung in Algier. Die meisten Schulen stehen im oben» Stadttheil, in der Kasbahstrasse; es sind sehr kleine Locale, die während der Dauer des Unterrichts offen stehen, so dass man von der Strasse aus Alles sieht und hört, was im Innern vorgeht. Der Boden ist mit Palmdecken überlegt, auf denen die Zöglinge barfuss, einen Halbkreis bildend, mit gekreuzten Beinen sitzen. Der Schullehrer steht in der Mitte mit dem Stock in der Hand. Die Zöglinge schreiben mit Federn aus ltohr geschnitzt auf hölzernen Tafeln von der Linken zur Rechten die Stellen des Korans, welche der Lehrer ihnen vorsagt. Eiuer rutscht nach dem andern auf den Knieen zum Lehrer und zeigt ihm das Geschriebene; dann lesen es alle zusammen. Es geht ziemlich lärmend in diesen Schuleu zu, aber der Lehrer verliert nicht einen Augenblick seine Geduld uud ruhige Haltung und schlägt nur sehr selten mit dem Stock. Im Ganzen zeigen die Schüler sehr viel Aufmerksamkeit und Eifer, ihr eigener Lärmen bei dem Hersagen oder Singen der auswendig gelernten Stellen stört sie keineu Augenblick und durch die Vorgänge auf den Strassen oder das Verweilen eines Zuhörers lassen sie sich eben so wenig irre machen. Zwischen Lehrer und Schüler herrscht ein freundliches Verhältniss und wechselseitiges Vertrauen. Nur äusserst selten zeigt der Lehrer Strenge und dann ist der Zögling gewöhnlich sehr empfindlich, so dass der Lehrer ihn wieder durch gute Worte besänftigen muss. Selten sind in einer Schule mehr als zwölf Zöglinge. Die Schulmeister werden sehr schlecht bezahlt. Der gewöhnliche Preis für jeden Schüler ist vier Ilabbia-Hudschiis (40 Kreuzer) per Monat. Gewöhnlich verlassen die jungen Mauren die Schule im vierzehnten Jahre. Das freundliche Verhältniss zwischen dem Lehrer und dem ehemaligen Zögling dauert aber bis in die späteste Zeit fort und selten darf bei des grossgewordenen Schülers Hochzeitfeier der alte Priiceptor fehlen. III. Fortsetzung der Beschreibung der Stadt Algier. Gerichte. Tribunal mperiew. Kriegsgerichte. Der Process Mon-cel'.s. Das Gericht des Kadi'a. Bazars. Maurische und französische Kaffeehäuser. Die verschiedenen Religionsbckcnncr haben in Algier ihre besondern Gerichte. Das Tribunal supörieur bestand zur Zeit meines Aufenthalts aus fünf Richtern (worunter ein Jude und ein Mahomedaner) und einem Präsidenten. Nach einer neuern Ordonnanz ist dieselbe auf zwei Richter und einen Präsidenten, der selbst mit Stimme hat, reducirt. Das Tribunal superieur entscheidet in allen Civilklagen und Processen, insofern diese nicht blosse Handelsangelcgeu-heiten betreffen, welche letztere vor das Tribunal du com?nerce kommen. Jede Klage zwischen einem Christen und einem Andersglaubenden richtet jenes Obertribunal. Kleinere Vergehen von Mahomedancrn verübt oder Klagen zwischen Individuen dieser Religion kommen vor den Kadi, Streitigkeiten zwischen den Juden vor den Chef der jüdischen Nation. Capitalverbrechen richtet immer das Obertribunal. Um die Einrichtung des Algierer Gerichtswesens hat sich der Deputate Laurence sehr verdient gemacht. Er prüfte die verwickelten Verhältnisse mit Geduld und Gründlichkeit und erkannte, wie schwer und unpassend die Einführung sclmeller, durchgreifender Reformen in der Gesetzgebung der Eingeborenen sey, bei denen so viele religiöse Vorurtheüe und oft bizarre, lacherliche, aber tief eingewurzelte und durch ihr Alter fast heilig gewordene Sitten zu schonen waren. Herr Laurence wohnte dann selbst der Einführung des neuen Systems bei und leitete dieses, welches fast ganz nach seinem Gutachten entworfen worden war, mit grosser Umsicht, so dass dasselbe, hauptsächlich wegen der klugeu Schonung altherkömmlicher Institutionen und Sitten, unter allen Classen, wie unter den verschiedenstenReligionsbekenncrn Anerkennung fand. Das Gerichtsgebäude liegt in dem obern Stadttheile, der Jtue de V ^tat major. Die Sitzungen werden im lauern Säuleahöf gehalten. Zu keinem andern Zweck zeigt sich die maurische Häusereinrichtung vorteilhafter und man dürfte dieselbe Bauart für alle GerichtshÜuser Europas empfehlen. Die Zuschauer finden in den Galerien unter den Hatten geräumigen Platz, das innere Viereck der Halle ist von den Richtern, Advocaten, Zeugen, Huissiers, Dragomans u. s. w. occupirt. Die Höhe der Halle, ihre schöne Ausschmückung mit Fayenza und Marmor und die magische Erleuchtung vou oben tragen mächtig bei, das Feierliche der öffentlichen Ge-richtsversammlung zu erhöhen. Es kamen während meines Aufenthaltes sehr viele interessante Processe vor, die auch öfters von drolligen Scenen wimmelten, denn unter den Klägern und Zeugen waren Männer der verschiedensten Nationen Europas und Afrikas, aus deren Aussagen und Antworten bei mangelhafter Uebersetzung oft das tollste verworrenste Zeug hervorkam. Bei wichtigen Processen dauern die Gerichtssitzungen oft bis in die tiefe Nacht; dabei sind die Galerien von Europäern uud Eingebornen dann dicht belagert und in der Vorhalle oder vor der Thüre des Gerichtshofes sieht man viele vermummte maurische Frauen, deren schwarze Augen durch die Mousselinbinden funkeln, und die sehr neugierig auf den Ausgang der Processe spannen. Das Kriegsgericht hält seine Sitzungen in einem kleinen Seitengässchen unweit des Theres ßab-a-Zun. Es ist fast permanent versammelt, da bei dem verworfenen Geist mehrerer Corps der afrikanischen Armee die schweren Vergehungen kein Ende nehmen. Die Fremdenlegion, die Discipliiiar-compagnien und vor allen die Bataillons d1 Afrique, welche sämmtlich aus Individuen bestehen, die zur Strafe unter die afrikanischen Corps gesteckt worden, liefern auf die Galeeren Toulons zahlreiche Redtuten, Das Kriegsgericht besteht aus sieben Officiercn, denen im Jahre 1837 der alte Obrist Schauenburg, ein Elsasser, präsidirte. Derselbe stand im Rufe eines tapfern, früher durchaus tüchtigen Officiers, war aber durch Alter und Wunden gebeugt und zu den mühseligen Expeditionen ins Innere nicht mehr recht zu brauchen. Er präsidirte mit vieler Würde, war übrigens von eiserner Strenge und stimmte stets für die härtesten Strafen. Das häufigste Verbrechen, das bei den Soldaten der französisch-afrikanischen Armee mit entehrender Strafe geahndet wird, ist der Verkauf der militärischen Effecten. Die Versuchung, sich mit Wein dergestalt zu betäuben, dass das Ungemach des Lagerlebens auf ein paar Stunden in Vergessenheit kommt, ist für viele so stark, so unbezwinglich, dass sie selbst auf die Gewissheit hin, noch viel elender zu werden, und die kurze Lust durch eine Jahrelang entehrende Zwangsarbeit bezahlen zu müssen, sich nicht abhalten lassen, ihre Effecten, oft sogar ihre Munition und Waffen an die Colonisten oder die Juden der Stadt zu verhandeln. Fast jeden Sonntag sieht man in Algier auf dem grossen Platz, wie Soldaten in Gegenwart der ausgerückten Garnison degra- Ü dirt und dann in grauem Sträflingshabit zur Zwangsarbeit abgeführt werden. Selbst Hinrichtungen sind nicht selten und zu den Zeiten des strengen Herzogs von Rovigu gab es deren fast jede Woche. Ein merkwürdiger Process des Algierer Kriegsgerichtes, dessen Verhandlungen ich beiwohnte, war der des Deserteurs Moncel, eines Menschen von gewaltiger Cliarakterenergie, dessen Schicksal Interesse erregte und verdiente. Er diente 1S3G unter den Spahls als gemeiner Reifer, nachdem er seines unbändigen Charakters wegen seinen IJnterofficiersgrad verloren und wegen Insubordination öfters die Corps gewechselt hatte. Eines Tages hatte er mit seinem Lieutenant einen Wortwechsel, wobei letzterer ihn mit einem Fussstoss aus dem Zimmer warf. Moncel schwur, sich zu rächen. Er flüchtete sich in Begleitung eines eingebornen Spahls, welcher der Dktciplin eben so überdrüssig war, zu den Iladschuten uud fand dort gute Aufnahme. Das unstätc Leben sagte seinem abenteuerlichen Geiste zu und ihrerseits hatten die Araber in ihm einen kecken unternehmenden Führer bei allen räuberischen Ueber-fällen in der Nähe Algiers gewonnen. Moncel nahm ein V\eili, wurde Scheikh eines Duars und stand in lädier Gunst bei Abd-el-Kader, für den er sich bei mehreren Gelegenheiten tapfer geschlagen hat. Der Emir sandte ihn sogar iu einer Mission an den Sultan von Marokko, von dem damals ihm h eine reichliche Unterstützung nach Maskara lloss. Später lebte Moncel wieder bei den Iladschuten, seinem Adoptiv-stauim, an dein er mit besonderer Vorliebe hing. Im November 18:)6 machte dieselbe Escadron Spahls, in welcher der Renegat gedient hatte, eine Excursion nach der Schilfa. Eine grosse Zahl Iladschuten erwartete sie dort iu einem Hinterhalt; Moncel's Herz pochte bei der ersehnten Kachegc- legenheit. Die Spahis sahen sich plötzlich von einem dreifach überlegenen Feind überfallen und iu dem Handgemenge traf Moncel mit demselben Oflicier zusammen, der ihn früher so schnöde behandelt hatte. Lieutenant Gocrt fiel von einem Yataghanstiche durchbohrt vom Pferd«;, zwanzig Spahis Wurden niedergehauen, die übrigen entrannen. Während nun die Iladschuten die Leichen entkleideten und nach ihrer Gewohnheit abscheulich verstümmelten, schnitt jener Deserteur auf den nackten Körper seines Ofliciers mit dem Dolch: „Moncel 1836" Die verstümmelten Leichen wurden in der Folge von den Franzosen aufgefunden und entflammten sie zur Rache, aber alle Bemühungen, Moncel durch bestochene Araber in irgend eine Falle zu locken, misslangen. Erst ein Jahr spätes wurde er auf dem Markt El-Alba, im Gebiete des Stammes Ben! ■ M.ussa von einem Oflicier des Bureau Arabe, der sich mit einer Anzahl Spahis als gemeiner Araber verkleidet auf den Markt geschlichen hatte, gefangen genommen. Sein Process erregte das ausserordentlichste Aufsehen. In dem engen Seitengässchen von Bab-a-Zun waren alle Zugänge von Franzosen und Eingebornen gesperrt, die letztem nahmen fast noch lebhaftem Antheil au dem Process, da Moncel ihr Glaubensgenosse geworden wnr. Dieser Mensch hatte viel Talent, war auch gut erzogen worden und besass eine natürliche eindringende Beredsamkeit. Schon früher, als er noch iu der Infanterie diente, stand er im Rufe eines famö-sen .^Blageur" er vertrieb seinen Cumerudcn die Zeit an den Lagerfeuern mit allerlei abenteuerlichen Erzählungen., die er bald aus seinem eigenen Leben, bald aus seiner Phantasie schöpfte. Sein Aufenthalt unter den Arabern, wo er die so energiscln? und farbenreiche Sprache des Landes sich angewöhnt, hatte seine merkwürdige angeborne Rednergabe noch, gestärkt. Er stand vor dem Kriegsgericht in arabischer Kleidung mehr in der Haltung eines Marabut, als iu der eines angeklagten Verbrechers. Seine Sprache, als er die schnöde Behandlung seines Vorgesetzten schilderte, hatte eine Stärke und Würde, dass unter den Zuhörern, wo er erst nur harten, rachesüchtigen Blicken begegnete, bald das tiefste Mitgefühl für den Angeklagten laut wurde. Der erschlagene Goert war vergessen und man hörte nur noch den Ruf: gräce, grhee pour Moncel! Jedes andere Gericht hätte vielleicht mildernde Umstände zugegeben. Moncel's Richter aber waren sämmtlich ergraute Militairs, die, obgleich selbst vielleicht im Innern erschüttert, dieses Gefühl niederzukämpfen wussten. Obrist Schauenburg leitete die Debatten in seiner ranhen kräftigen Weise und der Rapportour stellte den Richtern vor, wie nothwendig es sei, allen nmauvaises ttlesu der Armee ein warnendes Beispiel zu geben. Diese Gründe überwogen, Moncel wurde zum Tode verurtheilt uud vor dem Thor Bab-el-Uad erschossen. Sein Tod hatte unter den Eingebornen sowohl, als unter einem Theil der Soldaten seines Corps, denen er noch mit gebundenen Händen auf den Küieen liegend zurief, sich nie eine Misshandlung gefallen zu lassen, grosse Bewegung hervorgebracht und die Iladschuten. seine Ereunde, schwuren energisch, seinen Tod, wie den eines Marabut, zu rächen. Sie hielten diesen Schwur treulich und alle jene Mordthateu, die der Friede an der Tafna eine Zeit lang gehemmt, die gegen Ende 1837 aber mit erneuten Schrecken wieder begannen, wurden auf Rechnung des erschossenen Renegaten geschrieben, dessen Tod die Araber dem General Damremont so wenig verzeihen wollte«, als früher die Hinrichtung des El -Arbi-ben-Mussa unter der Regierung des Herzogs von Rovigo. m In einem Seitengasschen der Strasse Bab-el-Uad ist. der mahomedanische fJerichtshof, eben so öffentlich, wie das französische Obertribunal und diesem an würdiger Haltung nicht nachstehend. Der Kadi-Maleki ist in Algier der mächtigste und angesehenste weltliche Beamte der Mahomedaner, sowie der Mufti - el - Hanephi der wichtigste unter den Geistlichen ist. Zur Zeit meines Aufenthaltes bekleidete diese Würde Sidi-Ilamet-heu-Dschadun, ein mild ernster Greis, der jenen orientalischen Anstand, jene Prophetenmajestät, die bei schöner Männlichkeit und malerischem Costume so wohl steht, in hohem Grade besass. Der Kadi-Maleki hält seine Gerichtssitzung in einem einfachen, blos mit Teppichen gezierten Gemach. Er unterscheidet sich von den übrigen Mauren durch seinen hohen bauschigen iu viele regelmässige Fähen gelegten Turban, den ausser ihm auch die Kbodschas, seine Unterrichter oder Schreiber, tragen und der zugleich das Attribut der mahomedanischeu Geistlichen aller Art, Imams, Llemas, Thalehs, Marabuts in den Städten ist. Der Kadi nimmt am Ende eines länglich runden Tisches einen erhöhten Sitz ein. Vor ihm ist ein in Gold gebundener Koran aufgeschlagen, An demselben Tische sitzen zu seiner Linken und Hechten die Kbodschas, welche alle Gerichtsfälle ad acta nehmen, die bei Verkäufen oder andern Contracten nöthigeu Documenta ausfertigen und bei schwierigen Streitfragen dein Kadi auch wohl einen Rath zuflüstern. Es sind zwölf solcher Kbodschas in Algier, die aber an gewissen Tagen in ihren sehr lucrativen Functionen sich ablösen. Die meisten sind schöne Männer mit prächtigen Barten, die einen eisgrau und gefurchten Antlitzes, andere tragen schöne, milde fleischig Irische Männerzüge mit kraftblitzenden Augen uud pechschwarzen Barten. Kläger und Angeklagte treten, von den Schiauschs oder Gerichtsdienern geführt, dem Kadi gegenüber an das entgegengesetzte Ende der Tafel. Sind unter den Klägern Frauen, so werden sie nicht in den Gerichtssaal eingelassen, sondern tragen dem Kadi ihre Angelegenheit vom Hofe aus durch ein vergittertes Fenster vor. Oft sind diese Processe selbst für die, welche nur eine mangelhafte oder auch gar keine Kenutniss der arabischen Sprache haben, ungemein unterhaltend, besonders wenn Frauen als Klägerinnen auftreten. Ihre durch lebhafte Gesticulation unterstützte Zungenfertigkeit, der unerschütterlichen Ruhe des Kadi gegenüber, welcher Klägerinnen und \ erklagte durcheinander schreien lässt, ohne durch irgend eine Bewegung oder Miene seine Ungeduld zu zeigen, ist ein unvergleichlicher Contrast. Kein Skandal vermag den Kadi aus seiner würdevollen Haltung zu bringen. Mit gesenktem Haupte ruhig nachdenkend horcht er den kreischenden Stimmen zu, stellt dann zuweilen eine Frage, vernimmt die Zeugen, wenn es deren gicbt, ihm! fällt zuletzt sein Urtheil in demselben berechneten wohl abgemessenen Anstand. Immer wird sein Ausspruch ohne Appellation iu dcmiithiger Ergebung angenommen und die Parteien küssen ihm stets vor und nach dem Urtheilsspruch die Hände. Das Urtheil wird gewöhnlich auf der Stelle vollzogen. Die1 Bastenade auf die Fusssohleu ist die häufigste Strafe gegen Uebelthäter und wird von diesen dem Gefängniss vorgezogen. Es gereicht der französischen Regierung zur Ehre, dass sie Versuche gemacht, diese barbarische Strafe abzuschaffen, aber sie fand dafür seltsamer Weise bei den Eingebornen keinen Anklang, keineu Dank, keine Unterstützung. Sie konnte natürlich diese humane Reform nur mit Beistim-mung der Eingebornen einführen und es fehlte von ihrer Seite nicht an vernünftigen Vorstellungen, die aber harte Ohren trafen, (leren menschenfreundlicher Zweck nicht begriffen wurde. Die Franzosen, bei denen unter allen Völkern Europas das Gefühl der Menschenwürde am tiefsten wurzelt, am kräftigsten sich regt, fühlen sich schon bei dem Gedanken einer körperlichen Misshandlung auf das Tiefste empört; es spricht dieses Gefühl gewiss immer für die hohe Bildung eines Volks. Barbaren sehen in dieser Strafart durchaus nur den physischen Schmerz, und ist dieser überstanden, so bleibt ihr Geist nicht niedergedrückt, nicht entehrt für die Zukunft. Jeder gefallene Beamte, auch der Minister, konnte zu den Zeiten der Devs mit Schlügen bedacht werden; er trat dann ruhig wieder in das Privatleben, liess sich das Essen schmecken und fand seine Freunde nach wie vor, da keine Schande an ihm haften blieb. Vor Gefängnissstrafe hingegen schaudert der Araber, weil er seiner Familie entrissen wird, für diese nicht sorgen, nicht wachen, in der Moschee nicht beten kann, weil er überhaupt an diese Strafart nicht gewöhnt ist. Geldstrafen sind bei dem bis ans Unglaubliche grenzenden Geiz der Eingeborenen vielleicht noch entsetzlicher für sie, und es wäre kaum durch unwürdige Zwangsmittel etwas von ihnen zu bekommen, denn Manche Hessen sich eher das Fleisch vom Leibe schneiden, als dass sie ihre Uuros und Suitanis opferten. Daher wurden auch alle von Hrn. Laurence in sehr lobenswerther Absicht vorgelegten Reformen mit wahrem Entsetzen abgelehnt. Nicht Eine Stimme unter ihnen gab diesem menschenfreundlichen Plane Beilall, und so that die französische Regierung wohl und weise, dass sie ihren mahomedanischen Unterthanen die alte Gesetzgebung, deren Druck sie so wenig fühlten, als die Schnecke die Last ihres Hauses, gelassen hat, der Zeit und dem Contacte mit einem aufgeklärten Volke sie überlassend, ihnen selbst ein-Moritz Wagner'» Algier. I. 5 mal den Wunsch der Aenderung ihres Strafsystcmes abzu-dringen. Es giebt iu Algier einige grosse Bazars, wo die fremden Kaufleute ihre Waareu ausstellen. Man denke sieb hier aber nicht jene prächtigen alten Bazars von Bagdad oder Teheran, voll von den schimmernden Erzeugnissen des Orients, wie sie einst nach den Erzählungen arabischer Schriftsteller existirt haben sollen. Selbst neben den Bazars von Smyrna oder Constantinopel, die auch noch weit entfernt sind einen hohen Begriff von asiatischem Luxus zu geben, würden die Algierer Bazars sich ziemlich armselig ausnehmen. Es sind weitläufige Häuser, wie die übrigen maurischen gebaut, nur mit dem Unterschied, dass auf jeder Seite der Säulengalerie mehrere von einander getrennte Gemächer stehen. Jeder Bazar hat zwei bis drei Stockwerke uud enthält so viele Zimmer, als man nur anbringen konnte. So oft früher ein fremder Kauf mann, ein Muselmaun oder Jude die Erlaubniss erhalten hatte, in Algier sein Quartier aufzuschlagen, miethete er im Bazar eines oder mehrere Zimmer, wo er seine Waa-ren an den Thören ausstellte. Es fehlte ihm da nie an zahlreichen Besuchen, die freilich meist nur Beschauer, selten Abnehmer waren, denu der Handelstand war hier so wenig, als iu den übrigen Hauptstädten der Barbareskenstaateii je in besonderer Blüthe. In diesen Ländern, wo reich zu gelteu fast einem Todesurtheil gleich kam, war der Umsatz des Geldes immer nur sehr gering. Es gab einst Algierer Bazars, die über vierzig Gemächer hatten. Der grössere Theil derselben, ja die schönsten und merkwürdigsten sind deinolirt worden und es erhoben sich an ihrer Stelle grösstenteils Magazine und Kaufläden europäischer Manufacturwaarenhiindler, welche den Pariser Geschmack zum Vorbild wählten. Es giebt jetzt so schöne Kaufläden dort, als in den europäischen Seestädten zweiten Ranges, wie Toulon und Nizza. Die Buden der eigentlichen eingebornen Händler, die keine Bazars bilden, sind klein und unansehnlich, aber nicht ohne Interesse für den Europäer durch die fremdartigen Formen, wenn auch nicht durch die Mannichfaltigkeit der aufgeschichteten Waaren. Es sind diese Buden wenig besser, als viereckige Löcher, die man durch einen plumpen hölzernen Vorhang zur Nachtzeit schliesst. Nur in der Divaiistrasse finden sich einige reichere Buden, wo die Waaren mit Geschmack, Sauberkeit und Symmetrie ausgestellt sind; die meisten ihrer Besitzer sind Kuruglis*). Ihre Artikel bestehen grösstentheils aus Goldstickereien, wie Pantoffeln, Brieftaschen, W affengehänge u. s. w., meist von ro-them oder grünemSamnit und alle mit schwerer Goldbroderie bedeckt, welche in der Regel mehr durch eine bizarre fremdartige Pracht als durch ihre Schönheit das Auge besticht. Die übrigen Waaren bestehen grossentheils aus wohlriechenden Esseuzen von Rosen und Jasmin, einheimischen Seidenzeugen, die mit vielem Fleiss gewebt sind, aber natürlicher Weise als Handgewebe mit unsern Seitenfabrikaten weder hinsichtlich der Schönheit, noch des Preises rivalisiren können. Viele aus Aloefaden gewebte Gegenstände, wie Jagdtaschen, Da-menstrickbeutel, Kinderschuhe u. s. w., sind mehr des seltenen Stoffes, als der Pracht wegen bemerkenswert!». Die Kuru-glis und Mauren, Besitzer dieser Buden, sind zum Theil sehr reiche Leute, die diese von Goldstickern unb maurischen Frauen verfertigten Gegenstände aufkaufen. Der Absatz ihrer Artikel ist auch nach Europa nicht unbedeutend, denn niemals schüft *) Knrugiis heissen die Sohne von Türken und Maurinnen. 5 • sich ein französischer Militair oder sonstiger Reisender nach Tou-lon ein, ohne für seine vaterländischen Freunde allerlei Gegenstände, welche an Afrika erinnern und durch ihre wunderlichen Formen oder Farben bei uns werth gehalten sind, einzukaufen. Zu den Orten, deren Besuch ich den Reisenden iu Algier besonders empfehle, gehören die maurischen Kaffeehäuser, deren es im oberen Stadttheil allein über sechzig giebt. Ich brachte fast jedenAhend eine Stunde in einem derselben zu und es reuetc mich selten dieser Besuch, denn wer Interesse Tür Volk und Sprache hat, der lernt und unterrichtet sich dort gleich gut. Es sind dies also jedenfalls -keine unnütz vergeudeten Stündchen. Zur Erlernung des arabischen Idioms ist kein Ort günstiger. Wenn auch selten viel gesprochen wird, so findet man doch immer die Mauren zum Gespräche aufgeräumter, als an andern Orten, als zu irgend einer andern Tageszeit. Ueberdies ist es ein gar interessantes Physiognomienstudium, die langen Reiben der verschiedenen mit kreuzweis übcrcinandergeschlagenen Beinen sitzenden Gäate zu mustern. Neben den unbeweglich ruhigen Mauren oder Kuruglis in bunter Türkentracht sitzt ein pechschwarzer Neger in demselben Schnitt des Gewandes, wiewohl meist in gelben schnulzigen Stoffen gekleidet. An diesen reiht sich ein hochgewachsener prächtiger Araber mit sonnenverbranntem Gesicht, die eisenfesten Glieder von langen weissen Gewändern umhüllt, das Haupt mit dem wollenen Ilaökh und einem Strick von Kameelhaareu umwunden; dann wieder ein Kabyle von kleinem Wuchs, zerlumpt, wild, stechenden Blicks, ein Mosabite ans der Sahara, ein Biskri von dem Blad-el-Dscherid und mitten unter ihnen wieder ein Franzose in Uniform oder nach der Mode von Paris gekleidet, au jede Gesellschaft sich gewöhnend uud an alle Orte von seiner muntern Lünne begleitet. Das schönste maurische Kaffeehaus stand früher in der Marinestrasse unweit der grossen Moschee. Es hatte einen Saal, der in mehrere von Säulen gestützte Galerien getheilt war und einige hundert Menschen lasste. Ein anderes Kaffeehaus in demselben Styl gebaut, Wiewehl nicht so geräumig , sah ich noch zu Ende 1836 iu der Strasse Lalahum. Heide sind aber jetzt verschwunden. Europäische Speculanten haben diese Häuser gekauft und au ihre Stelle stattliche Neubauten, Hotels, Waareninagazine errichtet, welche Algier zwar um einige gute französische Häuser bereicherten, es dafür aber an einem Schmuck seiner afrikanischen Eigenthümlichkcit ärmer machten, denn unter allen heute noch existirenden maurischen Kaffeehäusern ist kein einziges, welches mit jenen den Vergleich aushielte. Die jetzigen sind linstere und unheimliche länglich gebaute Gewölbe ohne Marmorsäulen, blos mit zwei Reihen steinerner Bänke versehen, welche Matten aus Palmblättern geflochten decken. Auf diesen nehmen die Gäste in der bekannten Sitzweise der Orientalen Platz. Die Küche, ein kleiner räucheriger Winkel, befindet sich im aussenstehendcn Hintergrund des Gewölbes in einer Vertiefung. Der Kaffee wird in kleinen Porzellantassen, die auf Blechgestellen ruhen, präsentirt. Er ist mit Fariuezuckcr geschwängert, ziemlich stark und von angenehmen Geschmack. Fast die Hälfte der Tasse füllt immer der Kaifeesatz aus. Man erhält dazu eine roththönerue Pfeife mit langem Rohr und trefflichem Tabak; das Ganze kostet J Sou. Einen wohlieilern Genuss kann man sich kaum denken. Der Besitzer eines grössern Katfeehauses bekümmert sich meist nicht viel um seine Wirthschaft, sondern sitzt in ernster Gravität am Eingang, sagt dem fränkischen Gast ^in: „sbah el KrirjaSidi" (Guten Abend Herr), oder zu Bei- neu Glaubensgenossen das herzlichere: „salem-alaikum" (ich grüsse Dich), und ruft nach dem Hintergrund mit donnernder Stimme: „tschib-Kaua— tschib Sibsi" (bringe Kaffee, bringe Pfeife). Der Kocli ist in der Kegel ein Neger, die Aufwärter bilden hübsche maurische Knaben mit milchweissen und rosigem Gesichte, die statt des Turbans eine rothe Mütze auf dem glatt geschornen Kopfe tragen. Fn den besuchtesten Kaffeehäusern sind diese Knaben sauber, manchmal fast reich gekleidet, ihre Züge sind bis ins sechzehnte Jahr, wo der Bart wächst, mädchenhaft, fein und zart; manchmal trifft man unter ihnen auch bleiche verwelkte Gesichter, auf denen ein sebeussliches Handwerk seinen verzehrenden Stempel gedrückt. Jedes grössere Kaffeehaus hat regelmässig alle Abende seine Musik. Gewöhnlich ist das Orchester in der Nähe der Küche placirt, wo die Musici mit den dampfenden Kesseln liebäugeln uud Begeisterung aus ihnen schlürlcn. Die Instrumente dieser afrikanischen Toukünstler sind gewöhnlich eine dreisaitige Geige, Rebcbb genannt, dann mehrere Arten Pfeifen und Guitarren und ein eigenthümliches Tuniburincinstriimcnt, Tarr genannt, welch letzteres aber selten im Kaffeehaus und viel häufiger bei lärmenden Festen unter freiem Himmel gespielt wird. Eben so ist die maurische Trommel und die Klappenmusik, die während des Beiramfestes und bei Hochzeiten nie fehlen dürfen, aus den Kaffeehäusern verbannt. Dort liebt man die Ruhe und eine sanfte, eintönige, siniic-schmeichelnde Musik, die zu den wollüstigträgen Träumen der Versammlung passt, sie nicht stört in ihrem Hinbrüten und die süssen, verworrenen Bilder ihrer üppigen Phantasie ihnen nicht wegscheucht durch irgend einen energischen Klang, der diese entnervten Mauren au Waffengerüusche und die ritterlichen Thaten ihrer Altvordern mahnte. Das besuchteste maurische Kaffeehaus ist jetzt in der Divanstrasse unweit der katholischen Kirche. Dort trifft man fast immer auch eine gute Zahl Europäer, da der Kaffee vortrefflich, die Gesellschaft interessant und das Orchester am besten besetzt ist. Ein uralter Maure ist dort Musikdirector. Er handhabt sein Instrument, die Geige, mit besonderer Originalität, sein Mienenspiel, das Wiegen seines Kopfes, die gravitätischen monotonen Geberden, haben etwas unausprech-licb Komisches. Er war einer der Leibmusiker des letzten Deys und seit sechzig Jahren spielte er bei allen Algierer Festen. Daher ist er auch sehr angesehen, ein lieber Hausfreund iu allen Familien. Er lieh ihnen bei Freud und Leid seine tröstenden Töne, spielte an ihrem Bcschueidungstage, gab bei ihrer Hochzeit den Tact der Tänzerschritte au und entlockte an ihrem Grabe seinen Saiten denselben wehinülhig monotonen Klang, dessen Melodie zu Trauer und stiller Lust gleich gut zu passen scheint. Zuweilen sieht mau iu jenem Kaffeehaus der Divanstrasse auch öffentliche Mädchen, die zu dem Tact des Instrumentes tanzen oder singen. Der Besitzer dieses Kaffeehauses ist der Bruder des Braham-Schi-aurh oder Algierer Scharfrichters und, wie dieser, eine äusserst stattliche Gestalt, dabei sehr reich uud unter deu Mauren in sehr hohem Ansehen stehend. In einigen Kaffeehäusern des obersten Stadttheiles sind die Sceuen origineller und toller, so namentlich in der Nähe der Kasbah. Dort ist das griechische Kaffeehaus, dessen Eigenthiimer, ein Spezziote, sein Publicum durch Sceneti der niedrigsten Gemeinheiten anzulocken sucht. Das frechste niedrigste Gesindel der Eingebornen, häufig von liederlichen Europäern untermischt, tummelt sieh dort ohne Uuterschied des Stammes uud der Religion, Muselmänner, Christen uud Juden, Europäer uud Afri- Inner in den rohesten Orgien. Besoffne Weiber mischen ihre Stimme in das wüste Gesumme unharmonischer Instrumente und rauber Kehlen und tauschen und erwiedern unanständige Liebeleien mit einer Hotte der abschreckendsten Gäste. Ein französischer Skizzenmaler zeichete und lithographirte diese fürchterliche Lasterhöhle, die zu den bizarrsten, aber abstos-sendsten Bildern des Algierer Lebens gehört. An glänzenden französischen Kuffeehäusern ist Algier im Verhältniss fast so reich, als an dumpfigen maurischen Kaffeekellern. Im Hause Latour du Pin ist ein Etablissement dieser Art eingerichtet, welches den ausserlescnsten der französischen Hauptstadt an die Seite gesetzt werden kann. An Spiegeln und sonstigen Luxusverzierungen wurde im grossen Prachtsaalc allein für nahe an 25,000 Franken verschwendet. Ausserdem kommen noch manche andere Kaffeehäuser den Parisern au Schönheit nahe oder gleich. Es ist dies auch sehr begreiflich. Eine übermässige Zahl von Spcculanten hat sich in Algier niedergelassen, da sie dort, wie in jedem neuen Land, wo Alles zu gründen ist, sehr lucrative Geschäft»? machen. Da es nun kaum ein leichteres, angenehmeres Handwerk giebt, als das des Wirths und Kaffeeschenken, so wählten die meisten dieses Geschäft. Allein die Concurrenz zwang sie bald, auf alle Lockmittel bedacht zu seyn, um den Gästcschwarm anzuziehen, und so überbot bald ein Speculant den andern an neuen Bauten und neuer Pracht der Ausstattung ihrer Kaffeehäuser. Uebcrdies ist in Algier die Zahl der Consumenten aller Art sehr bedeutend. Es ist ein junger, lebensfroher und leichtsinniger Menschenschlag, der dort aus Europa eingebürgert ist. Die Handwerker, die viel verdienen, verzehren Alles; die Hauptconsumtion aber sichert immer das zahlreiche Militnir, unter welchem eiue Menge reicher Officiere, Söhne von Generalen und hoben Beamten der Kaiserzeit, aus Frankreich reichliche Renten beziehen und in Algier ein höchst verschwenderisches Leben fuhren. Ausser dem grossecu Kaffeehaus im Palast des Herrn Latour du Pin nenne ich das Cafe d' Apollony Cafe' de P Etoile und das Dessaue'sehe Kaffeehaus, wo die schönste Dame Algiers, eine Deutsche, das Comptoir priisidirt. Der berühmte Yussuf hat mit ihr einen eben so abenteuerlichen Roman gespielt, als weiland mit der schönen Kabourea des Beys vou Tunis, von welcher Fürst Pückler-Muskau mit möglichster orientalischer Ausschmückung seineu Lesern erzählt. IV. Lohen und Sitten in Algier. Der Ramadan und Beiram. Mahomedaniacher Naolitpottcsdienst. Das maurische Volks thoater Gharaguss. Die Belustigungen des Beirain. Maurische Hochzeiten. Eine Beschneidung. Eine Hinrichtung. Begräbnisse. Kirchhofe. Jüdische Sitten. Lehen der Europäer. Deutsche Belustigungen. Spanische Balle. enige Stadtbevölkerungen der Welt besteben aus so heterogenen Elementen, wie die Einwohner der Stadt Algier. Es leben hier Mauren, welche die stärkste Zahl bilden, Türken, Kuruglis, Neger, Kabylen, Mosabiten, Biskris und Juden; von europäischen Nationen giebt es, nächst den Franzosen, besonders viele Spanier, Malteser, Italiener und Deutsche. Mauren, Türken und Kuruglis tragen fast gleiche Tracht in dem bekannten orientalischen Schnitt, bunte Turbans, gestickte Westen, farbige Leibbinden und weite i'an-talons, die bis an die Kniee reichen. Die Neger, gehören einer der hässlichsten schwarzen Itacen aus dein westlichen Sudan und Guinea an und kleiden sich wie die Mauren. Die iu Algier lebenden Kabylen sind nur Tagelöhner der ärmsten Classe, welche nie über ein paar Jahre dort zubringen und mit ihrem ersparten Geld daun nach ihren Bergen zurückkehren. Sie tragen hlos eine schmu/äge Woll-tunica, ihre Beine sind nackt; die meisten sind in elende Lumpen gekleidet. Mosabiten oder Beni-Mzab heisst ein in- tcressantes Völkchen, welches drei Oasen der Sahara bewohnt und von dem einige hundert Individuen in Algier seit drei Jahrhunderten im Besitz des Monopols der Bäder und Mühlen sind. Sie tragen eine saubere arabische Tracht, sprechen ihre eigene Sprache, sind industriös, einfach, genügsam, gut-mütliig. Die Biskris sind Bewohner der Stadt Biskura im Süden der Provinz Constantine, welche gleich den Kabylen in Algier Taglöhnerdienste verrichten und, wenn sie ein Sümmchen sich erspart haben, in ihr Vaterland zurückkehren. Sie sprechen einen arabischen Dialekt und kleiden sich im maurischen Schnitt, tragen aber armselige und zerlumpte Gewänder. Die Juden haben gleichfalls die orientalische Tracht, sind aber sehr leicht durch die schwarze oder doch dunkle Farbe ihrer Kleider bemerkbar. So viel einstweilen über die Bevölkerung Algiers; eine ausführliche Skizze der verschiedenen Nationen folgt im zweiten Bande. Aus dem Leben und den Sitten dieser Völker sind vor allem die religiösen Gebräuche erwähnenswerth. Den Beginn des mahomedanischeu Hainadans verkündigen in Algier 101 Kanonenschüsse, die aus einem grossen Sechsunddreissigpfünder in der Nähe des Hafens abgefeuert werden. Die mahomedauische Bevölkerung muss für einen jeden Schuss einen Duro (5 Fr. 20 Cent.) an die städtische Behörde zahlen, so dass diese Ehreusignale von Seite der Franzosen eben keine Gefälligkeit sind. Gleich nach dem Schuss werden auf dem Altan der Moschecnthürnie eine Menge Lampen angezündet, welche den Halbmond, der die Minaretspitze krönt, mit einem strahlenden Feuerkranz verklären. In diesem Lampenkreise steht eiu Priester, der Messuin, in seinem F «iergewand, welcher die weisse Fahne emporzieht, das Lob Gottes nach den vier VVeltgegenden hinaus und zum Himmel liiuaufsclireit und die Gläubigen zum Gebete ruft. Kaum dürfte in Algier ein Mahoinedaner über die Kinderjahrc hinaus seyn, der dieser Gebetmahuung nicht Folge leistete. Nicht Alter, nicht Ileichthum hält die maurischen Graubärte ab, ihre müden Glieder nach der Moschee zu schleppen« Die 31) Moscheen, die bei meiner Anwesenheit noch existirten, waren zur Zeit des Hainadaus mit Andächtigen immer dicht gefüllt. Ich fand mich, obwohl kein Keuegat, bei diesem Gottesdienst ziemlich regelmässig ein. Neugierde und jene uns Deutschen so eigentümliche Lust an mysteriösem schauerlichem Spectakel zog mich, so oft ich die Stimme des Mes-suin hörte, nach der Moschee, wo ich auch einigermassen die vage Andacht der Versammlung theilte. Der Besuch der Moscheen ist den Christen in Algier unverwehrt, nur müssen diese sich der allgemeinen Sitte fügen und die Fussbedeckung vor dem Eintritt ausziehen, denn die heiligen Teppiche dürfen nur mit blossen Füssen berührt werden. Das grosse innere Säulcngewölbe der Ilauptmoschee in der Marinestrasse ist während des Ramadans durch viele Lampen erleuchtet. In der Wandnische des Allerheiligstcu steht der Mufti-el-Hanephi oder Scheikh - ei-Islam, den Koran vor sich, in welchem er mit gesenktem Haupt erst lange leise murmelnd liest, bis die Versammlung zahlreich geworden. Die Beter bilden, das Gesicht dem Allerheiligsten zugewendet, mehrere lange Hei heu. Sie stehen oder sitzen mit gekreuzten Beinen regungslos und stumm, es scheint ein Gottesdienst von Statuen. Plötzlich aber erschallt die Stimme des Priesters, der durch einen einzigen kreischenden Ton diese starren Gestalten elektrisirt. Der Inhalt des Priestergebetes ist wenig interessant. Es ist ein beständiges Gotteslob, ein Aufzählen aller möglichen Adjectiva zum Preise Allah's, dann liest er wiedci1 Saroten des Koran vor und oft bricht er in ein unverständlich schneidend wimmerndes Geschrei aus, welches wie das Wehgeheul eines Gefolterten klingt. Es liegt darin etwas äusserst kläglich Demüthiges. Der bezeichnendste Charakter des Ramadangcbctes ist ein Wiirmkriiinincn vor der Majestät einer grossen ernsten Gottheit. Uebrigens ist die Melodie des betenden Mufti nicht immer ganz unangenehm grell, sie gleicht manchmal einem wehmüthigeu Gesang und liisst ihre Laute lange verhallen, wie die Stimme gewisser Waldvögel. Bei jedem Sinken oder Steigen der Priesterstimme fallen die Beter in die seltsamsten Zuckungen, stürzen sich häuptlings auf den Teppich, knieen, beugen sieh, richten sich convulsivisch auf und krümmen sich wie Gowurme, aber alles regel- und gleichmässig, jede Bewegung dem Tact des Gebetes angemessen. Ein merkwürdiger Anblick, den stolzen Muselmann vor seinem Allah sich beugen zu sehen mit der zitternden Denrath eines sündigen Sklaven! Diese Andächtigen stehen unter einander ohne irgend eine Rangordnung, wie ohne Unterschied eines Stammes. Ich erblickte darunter Mauren, Türken, Kuruglis, Araber, Kabylen, Biskris und Neger; fast jedes Volk der Berberei hatte seinen Repräsentanten geschickt. Der Türke in bunter prächtiger Kleidung kauerte nieder an der Seite des schmilzigen halbnackten Biskri; der meist bleiche Maure mit edelgeforniten Zügen neben der ausgestalteten Orangutanglarvc des Sudan-negers, alle mit denselben Gefühlen frommer Andacht jenein Wesen zugewendet, von dem die Räthsel der Farben und Gestalten ausgegangen. Die Muselmänner halten während des Gebets stets einen Rosenkranz um ihre Hände geschlungen. Bekanntlich ist der Gebrauch desselben von den Mahomedanern auf die Christen verpflanzt worden. In Algier bestehen diese Rosenkränze aus den aneinander gereihten runden Körnern der Zwergpalmfrüchte (Chamaerops humilis), welche künstlich gedrechselt mit ihren vielen seltsam gewundenen Hieroglyphen ähnelnden Adern ihrer mysteriösen Bestimmung entsprechen. Die Priester aller Classen, so auch die grosse Zahl der arabischen Marabuts, auch viele bejahrte Beduinen tragen diesen Rosenkranz um den Hals gewunden. Einige der berühmtesten Heiligen dieses Landes, worunter auch Abd-el-Kader, legen denselben fast nie aus der Hand. Hat der Muselmann sich müde gebetet, so bleibt er eine Minute lang unbeweglich, neigt das Haupt auf die Brust, rüttelt zum letztenmal au seinem Rosenkranz und murmelt dem heiligen Ort die Abschiedsphrasen. In einem der Höfe, wo, wie ich bereits erwähnt, Marmorfontaincn und Südfruchtbäume stehen, wäscht er sich sehr sorgfältig Hände uud Füsse mit dem geweihten Wasser, zieht dann seine Sandalen wieder an und verlässt die Moschee mit der gewöhnliehen Gravität. Jedes Individuum der verschiedenen Völker kehrt von diesem Vereinigungspunkt, wo der Unterschied der Stände aufhört, zu seinem gewöhnlichen Leben und Treiben zurück-, der Maure in sein steinernes Haus, wo iu der Säulenhalle die Gattin ihn mit Liebkosungen empfängt, der Araber in seine Wildniss, der Kabvle auf seine Berge. Auf ihrem Heimwege machen sich diese andächtigen Beter keinen Skrupel daraus, das Eigenthum ihrer Glaubensbrüder zu plündern, oder dem ersten Christen, den sie in der Einsamkeit ertappen, die Kehle abzuschneiden. Während der dreissig Tage des Ramadan fasten die Maho-medaner von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, dagegen halten sie sich während der Nächte für diese Entbehrung reichlich entschädigt. Da schmausen sie um so mehr und hesser und vergnügen sich auch in anderer Art durch Musik, Tänze, theatralische Vorstellungen und verschiedene Possen, die an unsere Carnevallust so ganz uud gar erinnern, dass man sich fragen möchte, ob nicht auch diese uralte Sitte der Islambekenner von diesen auf die Christen, wie so mancher andere Gebrauch vererbt worden ist? Das Fasten am Tage wird mit lächerlicher Strenge gehalten und erst, wenn die Sonne unter den Hergen versunken ist und der Kanolieu-schuss gedonnert hat, fallen die Manien mit Begierde über ihre Speisen her, die schon lange bereit standen, die aber Niemand vor diesem Signale zu berühren wagte. Ich habe ein sonderbares Beispiel von dieser Gewissenhaftigkeit in der Befolgung der religiösen Ceremonien erlebt. Auf meinen Ausflügen in das innere Land hatte ich einmal einen Biskri auf einig»! Tage in meine Dienste genommen. Durch einen unglücklichen Zufall verloren wir unsere Lebensmittel und brachten iu den östlichen Gegenden der Ebene Metidscha 24 Stunden ohne die geringste Nahrung zu. Als wir Algier wieder erreichten, war es früh Morgens; ich bezahlte ineinen Biskri und eilte zu Tische. Eine Stunde später sah ich ihn wieder in eine Ecke des Hafens gekauert. Ich fragte ihn, ob er gegessen; er schüttelte ernst den Kopf, mit dem Ausrufe: „Allah amehr sahni!" d. h.: „Gott befiehlt mir noch zu fasten." Er harrte mit dem leeren Magen und dem Bro-de in der Kapuze bis zum Abend aus. Der Hunger quälte ihn ohne Zweifel arg, dies drückten seine blassen, magern Züge deutlich aus, aber er hätte um keinen Preis gegessen. Als der Kanonenschuss krachte, riss er das Brod aus der Kapuze und verschlang die Bissen gierig wie ein Wahnsinniger. Die Nächte hindurch wird der beste Kuskusu mit getrockneten Weinbeeren, dazu llammelsbraten und Früchte verzehrt. Die erwähnten, unserm Fasching entsprechenden Belustigungen bestehen in obscönen Maskeraden, die man an den Abenden iu den meisten grösseren maurischen Kaffeehäusern trifft. Ks sind darunter allerlei Thier- uud Menschengestalten in geschmacklos grotesken Aufzügen. Ihre Geberden und Bewegungen ahmen so anstössige Sccncn nach, dass ich die Beschreibung dieser Lustbarkeit hier ganz übergehen muss. Ein anderer Ort, der während des Ilamadaus zahlreichen Besuch von Eingebornen und Europäern erhält, ist das maurische Volkstheater Gharaguss. Dasselbe befindet sich iu einem der schuiuzigsten Winkel der Stadt. In einem finstern Gewölbe sieht man dort eine Menge von Eingebornen, namentlich Biskris und maurische Knaben, auf der Erde gekauert sitzen. Die Blicke Aller sind dein Hintergründe zugewendet, wo, ganz ähnlich unsern chinesischen Schattenspielen, auf einer erleuchteten, ölgetränkten Papierplatte die schwarzen, redenden Figürchen erscheinen. Unter diesen zeichnet sich denn Gharaguss, der maurische Hanswurst, durch seine riesenhafte Grösse, seine drollige Figur und seine derben Spässe aus. Es geht hier gerade zu wie auf den deutschen Marionettentheatern uud bei den Polichinelis des südlichen Europa. Man prügelt sich von Anfang bis zu Ende, und Gharaguss, ein echter Beduine, ist der Held, welcher die meisten Schläge bekommt und austheilt. Es wird bald arabisch, bald französisch gesprochen, denn der Theater-director ist ein angestellter Dolmetscher, welcher, um die anwesenden Europäer nicht zu langweilen, auch französische Phrasen einmischt und französische Soldaten auftreten lässl, welche mit Gharaguss sich zanken und herumbalgen. Um Hl durch das ewige Einerlei der Prügelscenen die Zuschauer nicht zu ermüden, mischen die Schauspieler eine Reihe von ohscönen Episoden ein, die so scheusslicher, unnatürlicher Art sind, dass jeder Mensch, der nicht unter die Classe der verworfensten Wüstlinge gehört, hier das Auge bald mit Ekel abwenden muss. Wahrlich, die Mauren können ihre Kinder in keine fürchterlichere Lasterschule schicken, als in dieses beliebte Volkstheatcr. Wundert man sich da noch, dass dieses Volk so tief in Entartung, Feigheit und Knechtschaft gesunken ist, wenn man seine Jugend das schmuzig-ste Q|f| einsaugen sieht, welches alle Energie uud Geistesfreiheit zerstört? Die französische Regierung sieht solchem Skandal mit wohlgefälliger Toleranz zu und sie hat nichts gethau, diese und ähnliche Orte der schreiendsten Immorali-tät zu schliessen. Letztere befinden sich im Gegentheile seit der Anwesenheit der Franzosen besser als je, sie bezahlen keine Auflagen mehr, wie früher zu den Zeiten des Dey, und daher mehren sich dieselben noch beträchtlich. Frankreich hingegen lieferte dazu ein Heer von Mädchen, deren Anzahl die der Colonisten gewiss um das Dreifache übersteigt. Der dreissigtägigeu Feier des Ramadan folgt der liei-rain, ein Fest der Freude und Versöhnung, wo der Muselmann auch während der Sonnenhelle einer lauten Freude sich hingiebt. Schon am frühesten Morgen wird man durch eine tobende Musik aus dem Schlummer geweckt. Es sind freie Neger, die iu ihren besten Kleidern mit Trommeln und eisernen Klappen durch die Strassen ziehen. Ihre Musik ist ganz taetfest und nicht ohne eine gewisse wilde Harmonie, dabei aber höchst einförmig. Die Melodie der Klappen klingt ganz ähnlich dem Getöse unserer Dreschflegel iu einem Walddorf'. Um dic Originalität dieser afrikanischen Musik zu Moritz Wagmek's Algier. 1. 8 würdigen, nmss man die Haltung, die Bewegung und vor Allem das Mienenspiel dieser schwarzen Tonkünstler mit in Anschlag bringen, es interessirt dieses weit mehr, als ihre dämonenhaften Töne. An dem ungeheuer beweglichen Körper regen sich alle Gliedmassen, zu jedem Ton nickt Kopf und Aug, Mund und Ohr, Fuss und Finger, während der giiuze Körper wieder in unabhängiger Bewegung hievon sich hin und herwiegt. Der Ausdruck des abscheulichen Gesichts — die Sudnnneger aus Tombuktii und Borna mögen wohl der hässlichstcn Abart des äthiopischen Stammes angehören — ist indessen das Merkwürdigste. Es liegt ein schwer zu beschreibender Zug humischer Laune darin, so dass man sie kaum ohne lautes Lachen ansehen kann. Sie lassen dem Europäer aber diese Lustigkeit entgelten, umstellen ihn rings und machen dicht an seinem Ohre ein solches Getöse, schneiden so entsetzliche Gesichter dabei, dass der Eingeschlossene sich am Ende gern durch das Geschenk einiger Kupfermünzen aus dem schwarzen Polterkoboldkreis loskauft. Diese Negermusiken während des Beiramfestes sind ein uralter Brauch. Dieselben Virtuosen weckten den Dey aus dem Schlummer, trieben im Hofe der Kasbah, wie anderswo ihr Unwesen und empfingen dafür Geschenke; dasselbe tbaten sie damals und thun sie noch heute vor den Häusern aller reichen Mauren und Kuruglis in Algier. Die ganze muselmännische Stadtbevölkerung ist während der drei Beiramtage auf das Festlichste geputzt, so namentlich die Kinder. In den gohl - und silbergestickteu bunten .lacken und den weifen Mosen von Mousselin oder Seide zeigen sich die maurischen Knaben, deren natürliche zarte Schönheit durch die Tracht gehoben wird, als wunderhübsche morgenländische Stutzer. Die Weiber und Mädchen sind zwar au diesem Fest vermummt wie immer, tummeln sich jedoch in fast eben so grosser Zahl, wie das männliche Geschlecht, auf den Strassen und Plätzen, um wenigstens das Gedränge und die Spiele mit anzusehen. Alle Männer fallen sich, so oft sie Bekannten begegnen, auf offener Strasse um den Hals und küssen sich gegenseitig auf die rechte Schulter. Die Europäer werden von den maurischen Knaben zum Gruss mit Uosenwasser bespritzt. Vor dem Thore Bab-el-Uad ist ein grosser sonniger Platz, dort belustigt die Jugend sich mit allerlei kindischen Unterhaltungen. Ein alter Türke dirigirt ein grosses Schaukelrad, das mit kleinen Muselmännern bedeckt ist. Vornehmere Kinder werden iu grossen bemalten Schubkarren von Negern und Biskris gefahren. Doch liehen diese Kleineu weit mehr noch das Fahren iu europaischen Wagen, vor 1830, wo man von gebahnten Landstras-sen nichts wusste, ein ganz ungekanntes Vergnügen, Die eleganten französischen Spaziervvagen machen während des Beirams vortreffliche Geschäfte. Sie sind stets von geputzten Mauren voll, welche sich für einen Sou eine Strecke von etwa 300 Schritten in Galopp fahren lassen, und das Itassein des Wagens durch ihr Jauchzen übertäuben. Gewiss hat die politische Umwälzung in Algier und die Herrschaft eines fremden Volks dem Bei ramfest von seiner fröhlichen Munterkeit nichts genommen, wenn es auch an Geräusche und Originalität gegen früher verloren hat. Die Consuln oder ihr Gefolge, welche zu den Zeiten der Deyherrschaft die einzigen in Algier lebenden Europäer waren, wagten kaum, sich während des Beiram ausser dem Hause sehen zu lassen, eben so wenig die Juden der Stadt. Des Volkes hatte sich da immer eine wilde fanatische Fröhlichkeit bemächtigt, welche es leicht zu Ausschweifungen uud Misshaudlungen gegen An- 6 * dersgläubige verleitete. Jetzt hat der Beiram einen durchaus heitern Charakter; auch die Eingebornen geben sich mit sorgloser Behaglichkeit einem Fest hin, welches ihnen weder Sklavenzittern, noch Todesgedanken mehr vergällen. Sie mögen trotz ihres unausrottbaren Fanatismus doch auch den Unterschied mit der damaligen Zeit in der Stille fühlen und anerkennen. Der verständigere Theil wenigstens dürfte gewiss nicht an die Stelle der rothhosigen Schildwachen Frankreichs die Schiauchs des Dey zurückwünschen, bei deren Anblick alle jene bebten, welche für reich oder ehrgeizig galten oder gelten konnten. Jetzt sehen die maurischen Väter dem Vergnügen ihrer Kleinen in bester Laune zu, streichen sich zufrieden die Barte und lassen sich durch keinen marternden Gedanken mehr in der Vaterwonne stören. Die maurischen Frauen nehmen an den Beirambelustigungen zwar noch keinen directen Theil, schauen jedoch uuverwehrt dem lustigen Spectakel zu. Ihre Gesichter sind verhüllt, nur die Schwarzen Augen sehen unbedeckt zwischen der Moussclin-hülle hervor und leuchten in heller Freude bei dem Anblick ihrer spielenden Kleinen. Zu den Zeiten der Deys war ihnen auch diese unschuldige Freude nicht vergönnt; die verhüllten Weiber, die mau damals auf den Strassen schwärmen sab, waren sämmtlich öffentliche Dirnen. Die Familienfeste der Mauren sind gleichfalls lärmender Art. Ich hatte in Algier zweimal Gelegenheit, maurischen Hochzeiten beizuwohnen, später war ich in Bona zu der Hochzeit eines Türken, in Mostaganem zu der eines reichen Kuruglis eingeladen. Die Feier war überall ganz dieselbe. Nachdem die männlichen Verwandten bei dem Mufti in der Moschee gebetet, ziehen sie, sobald die Sonne untergegangen, mit Musik und grossen Laternen nach dem Hause der Braut. Diese folgt ihnen prächtig gekleidet, aber wie gewöhnlich mit der weissen Mousseiiudecke umhüllt, nach der Wohnung des Bräutigams, begleitet von ihren weiblichen Verwandten. Vornehme Bräute legen den Weg auf Maul-thiereu in einer Art von Käfig zurück, der ihre ganze Gestalt den Männerblicken verbirgt. Im Hause des Bräutigams wird sie dann in ein beleuchtetes Zimmer geführt, wo sie mit sämmtlichen Frauen isst, tanzt und sich spielend vergnügt. Die Männer versammeln sich in der Säulenhalle, und feiern dort unter Musik und dem häufigen Jubelruf juh! juh! den Hoch-zeitsschmauss. Die Häuser der Neuvermählten sind bei solchem Feste stets von einer Volksmasse umlagert und ausser den geladenen Gästen drängen sich auch viele ungebetene in den Hof, die abzuweisen nicht immer möglich ist. So ist dieser Säulenhof stets von Menschen dicht gefüllt, die mit gekreuzten Beinen auf dem Marmorboden sitzend rauchen und Kaffee trinken. Dann wird eine ungeheure Schüssel dampfenden Kuskusus gebracht, wTelche sämmtliche Gäste umringen, um mit hölzernen Löffeln herauszufassen. Der Kuskusus, das Lieblingsgericht aller Eingebornen, ist eine Mehlspeise, die aus winzigen gedrehten Kiigelchen von WTaizenteig besteht. Sie wird auf eigcnthümlichc Art durch Dampf bereitet, mit Milch oder Fleischbrühe Übergossen und — wenn man einem Gast die höchste Ehre erzeigen will — mit Kosinen und Weinbeeren Untermengt. In der Mitte der Kus-kususschüssel liegt ein Stück Butter in Viereckform , welche man mit den Mehlkügelchen zugleich mit dem Löffel verzehrt. Bei ganz vornehmen Hochzeiten werden Fleischspeisen, gewöhnlich gebratene Hühner, iu Stücke geschnitten mit auf den Kuskusus gelegt oder unter diesen gemengt und von den Gästen alsdann mit Begierde herausgefischt. Diesem ersten Hauptgerichte folgt ein gebratenes Lamm, welches vor den Augen der Gesellschaft in Stücke zertheilt und herumgereicht wird. Man verzehrt dasselbe mit Fingern aus hölzernen Tellern. Endlich kommen eingemachte und rohe Früchte aller Art, worunter vorzüglich Melonen, Datteln und Orangen, deren es in Algier fast das ganze Jahr hindurch gieht, und die von ausserordentlicher Güte sind. Nach dem Essen wird Kaffee herumgereicht und dies dauert bis früh Morgens fort. Inzwischen werden zur Unterhaltung der Kaffee schlürfenden Gäste mancherlei Scenen aufgeführt. Erst kommen Musiker und Sänger, wobei der alte Leibmusiker des Deys Ali-cl-Kiatri mit gewöhnlicher Gravität dirigirt, die Hauptrolle spielt uud mit seinem cigenthümlichen halb redenden, halb leiernden Gurgelgesang den Gästen Liebesromanzen erzählt. Die Tänzerinnen sind öffentliche Mädchen der gemeinsten Sorte, öfters sehr reich gekleidet und manchmal nicht ohne körperliche Reize, wenigstens nach dem Geschmack der Eingebornen. Der Tanz dieser Dirnen ist einförmig, ohne Au-muth und in hohem Grad obseön. Sie schwenken in der Luft einen langen Schleier von Gaze oder ein seidnes durchsichtiges Tuch, aus dem sie durch künstliche Schwingungen allerlei Figuren zu machen wissen. Sie bewegen sich wenig vom Platz, sondern wiegen den Körper unaufhörlich in wollüstigen Geberden, wobei Kopf, Busen, Arme und Schenkel dieser halb wiegenden, halb drehenden Bewegung folgen. Die Mauren scheinen an dieser üppigen Gliederbewegung grosses Vergnügen zu nehmen, wogegen sie jeden verständigen Europäer zuerst lachen macht, dann langweilt und zuletzt anekelt. In diesen Pantomimen liegen keine Geheimnisse. Es sind treu eopirte Bilder obseöner Lust, ohne Zugabe irgend einer feinen Liebespoesic, ohne das Sprödethun, die anmuthige Neckerei, das eifersüchtige verliebte Schmollen, welches dem Fandango der Spanier einen so hübschen Zauber verleiht und wobei Scböuheit, Putz uud Schalkhaftigkeit der Tänzerin das Interesse des Zuschauers an den Pantomimen erhöht. Das Handwerk einer Hochzeittänzerin ist sehr lucrativ. Nach jedem Tanz nähert sie sich dein sitzenden Zuschauer, beugt das Haupt auf ihn herab und die Galanterie will dann, dass man ihr irgend eine Münze mit Kosenwasser oder auch Speichel auf das Gesicht klebt. Wenn dieses dann voll gepflastert ist, schüttelt sie das Haupt über ihrem seid-nen Tuch uud lässt die Münzen hineinfallen. Man versicherte mir, dass sie diese Einnahme stets mit dem Bräutigam thei-len müsse, was also einem llochzcittribut von Seite der Gäste gleichkommt. Die Frauen vergnügen sich im ehern Stockwerk auf eine wenigstens eben so muntere Weise. Mau hört öfters ihr Jubelgeschrei, welches iu einem gellenden, unnachahmlichen, langverhalleudeit Triller besteht. Derselbe Triller ist der Ausdruck jedes Gemüthsaft'ects, fröhlicher und wehinüthiger, liebender und feindseliger Art. Ich vernahm ihn bei Hochzeiten, Beschneidungsfesten und Leichenbegängnissen, und als 1837 der Vortrab der französischen Armee im Angesicht der Stadt Constantine am Rande des felsigen Abgrundes von El-Mausura stand, da bewillkoiiunte ihn derselbe unheimliche Weibergruss zugleich mit dem Pfeifen der Kugeln. Am Ende wird die Neuvermählte, die sich mit den Frauen satt ass und trank, nach des) Brautgemach geführt, dort entkleidet und von den Matronen unterrichtet, wie sie sich in ihrem neuen Stand zu verhalten habe. Der Bräutigam wird v»H seinen väterlichen Verwandten bis zur Schwelle des Gemaches begleitet und dort herzlich umarmt. Er betritt das Zimmer allein und sieht da seine Neuvermählte zum ersten Male ohne Schleier. Einige Minuten später dröhnt der Triller der Weiher im allgemeinen, unbändigen Chorus. Alle Instrumente der Musiker in der Halle fallen jubelnd ein und ein Jauchzen des juh! juh! wird von den Gästen im Hole und von dem Volk auf der Strasse wiederholt — dieser wilde Lärmen verkündigt die vollzogene Ehe. Hier noch einige Worte über die Art, wie in Algier Heirathen geschlossen werden. Die maurischen Jünglinge sind mit dreizehn oder vierzehn Jahren mann bar. Vermögende Leute hcirathen gewöhnlich vor dein achtzehnten Jahre, andere erst, sobald sie durch irgend ein Brodgewerbe in den Stand gesetzt sind eine Frau zu ernähren. Hat ein junger Mann von einem hübschen Mädchen sprechen gehört und wünscht er eine Verwandtschaft mit ihren Angehörigen, so sucht er irgend eine alte Frau auf, die Zutritt in deren elterlichem Hause hat. Bejahrte Frauen sind der strengen Formen , die sonst beide Geschlechter scheiden, entbunden. Wenn sie das Antlitz noch immer verhüllt tragen, so geschieht dies aus alter Gewohnheit; denn Niemand würde es ihnen übel nehmen, wenn sie diese Etikette unterliessen. Matronen leben in Algier fast in männlicher Freiheit, Niemand kümmert sich um ihr Treiben. Der heirathslustige junge Maure wählt also eine solche alte Dame zu seinem Liebesboten, schenkt ihr eine Kleinigkeit und verspricht ihr mehr, wenn sie ihm treue Auskunft geben wird, ob das Mädchen schön und liebenswürdig ist. Natürlich geht die Duegna in das Anerbieten gern ein, und wenn der Jüngling vermögend und von gutem Ruf ist, so vertraut sie auch gleich den Eltern des Mädchens das Geheimniss an. Ist diesen die Verbindung erwünscht, so beschenken sie die Alte, damit sie jedenfalls die Schönheit der Tochter rühme. Hierauf erfolgt durch dieselbe Zwischenträgerin das förmliche Anhalten um die Jungfrau. Die Väter des Bräutigams und der Braut kommen dann zusammen und suchen über die Summe sich zu verständigen, die der junge Mann für die Braut zu bezahlen hat. Sind sie einig geworden, so gehen sie zum Kadi, wo ein förmlicher Khccontract ausgefertigt und der Tag der Hochzeit festgesetzt wird. Der Kadi, der ebenfalls seine guten Gebühren dafür erhält, lässt dann Zuckerwasser bringen uud trinkt dieses mit deti Vätern. Hierauf werfen sie sich nieder und sagen ein für diese Gelegenheit eigenes Gebet, „Fnala" genannt, worin sie für die Heirath den Segen Gottes erflehen. Hierauf folgt die Hochzeit, wie ich sie beschrieben. Bekanntlich darf jeder Muselmann nur vier solche legitime Heirathen eingehen; die übrigen Weiber, die er hält, sind blosse Beischläferinnen. In Algier aber bat Niemand ein eigentliches Harem und wenige Mauren haben mehr als eine Frau. Bei den Geburten und Beschneidungeu feiern die Muselmänner Algiers ganz ähnliche Feste. Man bringt die Neu-gebornen nicht in die Moschee. Die Knaben werden erst im vierten Jahre beschnitten. Der Mann, der diese Operation vollzieht, heisst Bascharah und ist kein Priester. Von reichen Leuten erhält der Bascharah ein Geschenk von höchstens acht Budschus, bei Annen ist er genöthigt es unentgeltlich zu thnn. Die Araber lassen ihre Kinder durch die Marabuts besehneiden, hei ihnen ist es ein mehr religiöses Fest. Die Mauren hingegen schmausen und wiederholen dieselbe Unterhaltung, wie bei der Hochzeit. In der Stadt Bona hatte ich einmal Gelegenheit, der Frauenunterhaltung bei einem Geburtsfest durch einen ziemlich sonderbaren Zu- fall beizuwohnen. Ich wohnte in einem französischen Kaffee* haus unweit der Porte Damremnnt und konnte von meinem Zimmer aus eine Reihe kleiner Nachbarhäuser übersehen, Einst wurde ich durch den erwähnten Triller der Weiber, der sich oft wiederholte, an das Fenster gezogen. Zugleich hörte ich den Schlag der Tamburine, es war ein Fest in einem der Nachbarhäuser. Meine Neugierde war angeregt, und da ich iu diesem Lande nie eine Gelegenheit versäumte, von den Volkssitten etwas zu erlauscheu, selbst auf die Gefahr hin, unangenehme Abenteuer zu erleben, stieg ich auf die nächste Terrasse und von dieser auf die zweite, bis ich an den Rand eines Hofes gelangte, wo ich ein sonderbares Schauspiel sah. In dem Hof waren über vierzig Frauen versammelt, sämmtlich iu ihrer kostbarsten Haustracht, darunter jugendlich blühende, äusserst reizende Gestalten, Einen feinern frischem Teint, als die jungen Maurinnen, kann mau sich kaum denken. Es ist der lieblichste Scharlachduft neben dem Weiss der Lilie, die Ilaare sind schwarz und lüllreich, die eben so dunkeln Augen voll südlichen Glanzes — prächtige orientalische Gesichter. Der Putz ist überreich, bunte Seide, Goldstickereien, Ringe um Arme und Heine. Dennoch steht die fremdartige Kleidung nicht vortheilhaft, da sie zu weit, zu flatternd ist, zu wenig die Formen des Körpers vcrräth, also keineswegs auf die Lust der Augen speculirt. In demselben Hofe waren auch alte Weiber, welche die Tamburine schlugen. Auffallend war die Anwesenheit zweier maurischen Knaben von etwa zehn Jahren; sonst ist diesen selbst in so zartem Alter nicht erlaubt, Frauen mit Ausnahme ihrer Mütter und Geschwister uuverschleiert zu sehen. Noch auffallender war es, dass auch meine Gegenwart die Frauen nicht im Mindesten störte. Ich setzte mich auf den Rand # 91 der Terrasse und schaute über eine Stunde lang in den Hof hinab dem Treiben der Versammlung zu. Man würdigte mich kaum eines Blickes, musicirte, tanzte und schrie wie . zuvor. Einige sehr schöne junge Weiber machten in der Mitte des Hofes dieselben wiegenden, tanzenden, wollüstigen Bewegungen, wie die öffentlichen Dirnen vor den Männern. Es waren dies übrigens auswendig gelernte anmuthlose Au-tomatenbewegungen. Der Ausdruck der schönen Gesichter war so nichtssagend, so ganz indolent, dass ich trotz der Fremdartigkeit der Scene des Anblicks bald müde wurde und mich herzlich nach den Tänzerinnen der Insel Minorka zurücksehnte. Die Feste der Geburt, Beschneidung, Hochzeit haben die Muselmänner, nur unter anderer Form, mit uns gemein; es ist der gleiche Fall auch mit dem Leichenpompe, doch bevor ich diesen zu beschreiben suche, erst einige Worte über ihre Art zu sterben. Kaum glaube ich, dass es einem Christen in Algier vergönnt war, irgend einen Muselmann in seinem Hause sterben zu sehen. Das Haus des Muselmannes ist jedem Gast, welcher nicht zu seiner Familie gehört, verschlossen. Weder Arzt noch Priester wird an das Lager des Sterbenden gelassen. Der Maure verschmäht in der Regel die Arznei, iu der Ueberzeugung, dass nichts den Lauf der Natur oder den Willen Gottes ändern kann, er glaubt des Priestergebetes bei seiner Scheidestunde nicht zu bedürfen, da er auch ohndies sicher iu das Paradies zu kommen hofft. Wahrscheinlich ist der Grund dieses einsamen Sterbens die Eifersucht, denn der Maure fürchtet selbst von Arzt und Priester für seine Weiber Gefahr. Giebt es auch Einzelne, die auf die ärztliche Kunst wahrhaft vertrauen, so schleppen sie ihren siechen Körper lieber nach der Woh- nung des Dubil) (Arztes), und holen sich dort ihre Arzneien. Liegt ein Maure dem Tode nahe, so lassen ihn seine Angehörigen, die Ohnmacht menschlicher Hülfe einsehend, in Frieden verscheiden. Ich habe, wie gesagt, eben so wenig, wie andere Europäer, Mauren im Schoosse ihrer Familien sterben gesehen, dagegen sah ich dies im Hospital, auf «lern Schlachtfeld und auf dem Schaflot. Am letztern Ort erprobt sich wohl die muthige Ergebung in den Tod am stärksten. Ein abgehärmter Kranker auf dem Spitalbett stirbt immer stumpf und seine Agonie ist meistens von der Art seiner Krankheit bedingt. Auf dem Kampfplatz hilft ihm die Begeisterung. Auf dem Schaffet hingegen erfordert das Sterben gewiss immer den höchsten Muth. Euter den verschiedenen Delinquenten, welche ich richten sah, waren mehrere Algierer Mauren. Der Hinrichtungsplatz ist vor dem Thore Bah-a-Zun, wo ein kleiner arabischer Markt gehalten wird und am Morgen immer einige hundert Beduinen sich einfinden. Man wählte diesen Platz, um unter den vielen Augenzeugen einen wohlthiitigen Schrecken hervorzubringen. Am 20. Januar 1837 wurde ein Maure wegen Pulverhandels mit den Arabern und Widerstands gegen die bewaffnete Macht zum Tode vcrurthcilt und der Spruch drei Tage darauf vollzogen. Das Schaffot bestand aus einem in Eile zusammengenagelten Gerüst und wurde mit einer Leiter bestiegen. Der Verurtheilte, ein junger verheiratheter Maure, betrat das Schaffot in nicht weniger kecker Haltung, als ein Pascha den Thron. Keine Spur von Furcht verrieth sein fester Tritt, sein unbewegliches Gesicht, auch nicht das leiseste Zittern oder Erbleichen war sichtbar, als der Henker mit dem schneidenden Vatagan sich näherte. Der Verbrecher schaute ihm mit grossem Auge ins Antlitz und wandte sich dann ruhig. ■ wieder nach der Seite, wo der Dragoinun das Urtheil verlas. Als dieser geendigt hatte, protestirte er mit fester Stimme gegen die Gültigkeit des Urtheils und betheuerte seine Unschuld, dann wandte er gefasst sein Gesicht gegen Osten, kniete nieder und bückte das Haupt.....Braham-Schiauch, der Scharfrichter von Algier, ist eine schöne Gestalt von breitem muskulösem Gliederbau. Das Köpfen geschieht nach der Sitte der Eingebornen mit drei Streichen. Indessen folgt schon auf den ersten Hieb gewöhnlich der Tod, da der Halswirbel zerschnitten wird. Das Haupt aber füllt erst auf den dritten Hieb — so will es die hergebrachte Landessitte, welche die Gouverneure bis jetzt in ihrer Barbarei bestehen Hessen. v/"1.,. ;• :4-,: Die Friedhöfe der verschiedenen Glaubensbekenner liegen auf der Westseite Algiers, unweit des Budschareaberges in einer stillen und schönen Gegend, welche der östlichen Landschaft bei Mustapha Pascha und Kuba an Mannichfaltigkeit und Grösse der Scenerie zwar weit nachsteht, dagegen durch ihre Einsamkeit mehr anzieht. Die Gräber der Muselmänner sind auf einem ziemlich weiten Terrain zerstreut. Sie beginnen vor dem Thore Pah-el-Uad und ziehen sich von dort auf die nächsten Hügel bis zur Höhe der Kasbah hinauf, un-regelmässige Gruppen bildend. Darunter sind viele kleinere Familiengräber mit einer Mauer umgeben, deren Zutritt durch vergitterte Thore verschlussen ist. Sämmtliche miiselmänni-sche Gräber, die ich in Algier und iu andern Städten der Hegentschaft sah, bestehen — mit Ausnahme der Gräber der Marabuts und der Fürsten — aus vier aufrecht stehenden Steinplatten in Form eines länglichen Vierecks. Auf den beiden Extremitäten sind diese Steinplatten höher, als an den Seiten. Auf den Gräbern reicher Leute sind die Platten sorg- faltig eingemauert und bestehen meist aus weissem Marmor, in welchen allerlei Zierrathen, Blumen, zuweilen auch arabische Inschriften in sehr hübschen Formen eingehauen sind. Vou vorzüglicher Pracht waren einst die Gräber von fünf ermordeten Deys, welche von der türkischen Miliz während der Wahl innerhalb 24 Stunden erdrosselt wurden. Es ereignete sich dies im Jahre 1779. Die türkische Miliz war in zwei gleich starke Parteien gespalten. So oft die eine derselben ihren Candidusen mit dem Kaftan bekleidet hatte, ermordeten ihn die Vcrschworneii der Gegenpartei augenblicklich. Auf beiden Seiten schwankte fünfmal der Sieg, bis endlich gegen das Ende des Tages, wo Todesschrecken in dem llaub-nest herrschte, die Parteien des Blutvergiessens müde, eine sonderbare Uebereiiikunft trafen. Ihre Officiere sollten zusammen nach der grossen Moschee gehen uud der erste Muselmann, der dort zur Tbüre herausträte, sollte Dey werden. Das Loos traf einen armen Schuster, der, dasselbe Ende wie die andern Deys fürchtend, sich hartnäckig weigerte, die höchste Würde anzunehmen und seine Unwissenheit vorschützte. Aber trotz dieser Protestation wrurde er nach dem Palast geführt., mit dem Kaftan umhüllt uud auf die rothen Sammt-kissen gesetzt, während die Messuins von den Moscheenthür-men seine Thronbesteigung proclamirten. Seltsamer Weise erweckte die neue Würde in dem armen Schuster, ähnlich wie die Statthalterschaft bei Don Quixote's Schildknappen, Fähigkeiten, die ihm bis dahin fremd gewesen. Er regierte gerecht und weise und war einer der besten Deys, die Algier je gehabt. Die fünf ermordeten Deys wurden neben einander begraben und über ihre blutige Ruhestätte zur Versöhnung fünf Monumente erbaut, bestehend iu länglich viereckigen minaretähulichen Thürmen, deren innere Wände früher mit Faycnza überzogen und mit weissen Marmorzierratheu geschmückt wäre». Jetzt sind sie halb zerfalle» und von Soldatenhänden' verwüstet Die Maure» haben die Gewohnheit, die Wohnorte der Todte» dicht »ehe» denen der Lebendigen, ja oft mitten unter diese zu versetzen. In festen Plätzen, wie Algier, Constantine, Mostaganem, war dieses weniger der Fall, wogegen man in offnen Städten, wie Maskara, Tlem-sen, Tunis, inmitten des afrikanischen Lebens und Gewühles fast bei jedem Schritt auf Gräber stüsst. Es sind dies streng geheiligte Orte. Auf ihre Verletzung steht da, wo mahomedanische Gesetze gelten, der Tod. Die Franzosen konnte» die Eingebornen nicht empfindlicher kränken, als durch die Verhöhnung dieser Achtung vor den Todten, durch die Entweihung ihrer Ahnenreste. Während der Belagerung von Constantine sah ich französische Soldaten Gräber öffnen, um an die Stelle der Leichen sich in ein trocknes Nachtquartier zu betten; es war dies bei dem Unwetter und den Leiden der Armee zu entschuldigen. Vor Algier aber wühlten die Soldaten die Gebeine auf, um vergrabnem Geld nachzuspüren, und die'französischen Generale scheinen sich nicht sehr ernstlich bekümmert zu haben, diese Profanation zu hindern. Der Herzog von Itovigo wollte eine Landstrasse vom Thore Bab-el-Uad zur Kasbah hinauf anlegen und auf derselben Seite verschiedene öffentliche Gebäude aufführen. Die Familienkirchhöfe der Eingebornen standen im Wege. Savary war unter allen Franzosen gewiss der letzte, der sich die geringste Skrupel gemacht hätte, jenes religiöse Gefühl der Muselmänner mit Füssen zu treten. Die schönen Grabsteine wurden auch iu der That umharmherzig umgestürzt, Schaufeln und Hacke durchwühlten und vernichteten die ge- mauerte Gruft, schleuderten die Gebeine heraus, zerstreuten die Asche in die Winde. Mit der ungeheuren Masse von Knochen soll sogar — so sagt das Gerücht — ein schmachvoller Handel getrieben, sollen Schüfe nach Frankreich befrachtet und die Ladungen an Knochenmehlfabrikanten verkauft worden seyn. Dies wird gleichwohl von vielen unparteiischen Männern geleugnet und es ist vielleicht wirklich nichts Wahres daran, obschon das Gerücht noch heutiges Tages iu Algier unter Franzosen und Eingebornen geht und von Vielen geglaubt wird. Dass die allzugrosse Nähe der Kirchhöfe bei der Stallt viele Nachtheile hatte, ist nicht zu leugnen. Auch dürfen wohl um der Todteu willen die Lebenden nicht in ihrer freien Gradation gehindert oder um luftige Wohnung und eine gesunde Atmosphäre gebracht werden. War also der Uebelstand einer so unbequemen Nähe der Begräbnissplätze allzugross und eine Versetzung derselben durchaus nothwendig, so hätte jede verständige Verwaltung, wenn nicht aus religiösen, doch wenigstens aus politischen Rücksichten, eine solche, die Eingebornen empörende Massregel mit Schonung vollzogen, hätte die Gebeine sorgfältig sammeln, nach einem andern entferntem Ort versetzen und die Grabstätten dort wieder herstellen lassen. Es schien aber, als habe der harte Ro-vigo eine wahre Lust daran, in den religiösen Eingeweiden der muselmännischen Bevölkerung zu wühlen. Er verwendete zu diesen Arbeiten sogar einen Theil der eingebornen Tag-löhner, Biskris und Kabylen, welche mit helfen mussten, die Grüfte zu öffnen, die Gerippe ihrer Glaubensgenossen, oft ihrer eignen Vater und Brüder mit der Schaufel zu zerschlagen. Mit finstern Stirnen und gesenkten Häuptern waren die Mauren Zeugen dieser Scenen. Der Schrecken, durch die täglichen Hinrichtungen vermehrt, lähmte damals ihre Hände und Zungen und sie wagten nicht einmal gegen die Zerstörung ihrer Familienheiligthümer zu protestiren, noch weniger an den Zerstörern sich zu rächen. Viele sammelten aber sorgfältig die Knochen und verscharrten sie wieder an irgend einem entlegnen einsamen Ort. Wie wenig dergleichen Acte geeignet waren, den Fanatismus der Eingebornen zu mindern, Versöhnung und Friede zu predigen bei einem Volke, das so tief empfindet und so schwer vergisst, kann mau sich denken. Die meisten Schriftsteller, welche Uber Algier Flugschriften veröffentlicht, haben über diese Entweihung der Gräber energische Klage geführt und den Männern, die solche Skandale befohlen oder zugelassen, bittere Vorwürfe gemacht. Es war dies der Ausbruch eines sehr ehrenwerthen Unwillens. Wie es in allen neuen Colonicn geht, so athmet auch in Algier die ungeheure Mehrzahl der Ansiedler gegen die besiegten Eingebornen nur Härte und Ungerechtigkeit, ja gäbe es in Frankreich nicht eine freie Presse, in welcher der Unterdrückte immer ein Organ finden kann, seine Klagen vor die französische Nation zu bringen, fürchteten die Gewalthaber aus diesem Grunde nicht jede Massregel, welche ihnen die philanthropische Larve der Civilisirer, hinter der nur zu oft der schmählichste Egoismus sich birgt, abreissen würde, so wäre wohl mancher General versucht das Beispiel eines Pizarro und Cortez nachzuahmen. Glücklicher Weise ist in solcher Nähe von Europa die öftere Wiederholung solcher brutaler Tyranneien kaum mehr möglich, weil dem Unterdrücker am Ende ein unabhängiger Anwalt nicht fehlen würde, seine Sache zu führen. Der jüdische Friedhof lag zum guten Glück um ein paar Hundert Schritte ausserhalb dem Bereiche der neuen Bauten Moritz Wagner'* Algier, I. ' lind blieb daher verschont. Man hätte sonst mit seinen schönen weissen Marmorgräbern eben so wenig Umstände gemacht. Die Juden haben keine gesonderten Familienbegräb-uissplätze, sondern einen allgemeinen Kirchhof, der in einer Niederung zwischen den maurischen Kirchhöfen und dem Meere gelegen ist. Die Grabsteine sind sämintlich li/2Fuss hoch, '/2 Fuss breit und haben die Form eines Bogens. Alle sind von schönem geschliffenen, weissen Marmor und mit hebräischen Sprüchen, eingehaltenen Blumen u. s. w. bedeckt, sämmtlich sehr sauber und glänzend, es ist, den Monumenten nach, der reichste Kirchhof, die Gräber sind viel prächtiger als die inuselniünnischen und christlichen. Doch sind die Formen der Monumente zu klein, zu gleichmässig, um im Geringsten zu imponiren; von der Höhe des Berges Budscha-rea nehmen die jüdischen Gräber sich wie eine Heerde weidender Schale im grünen Thalgrund aus. Der ältere christliche Kirchhof liegt südlich von dem jüdischen, vielleicht auf der hübschesten Stelle des ganzen Algierer Hügellandes. Die Gräber bedecken den Rücken eines überaus pllaiizenreichen Hügels, der von Osten nach Westen sich ziemlich steil senkt; die andern kleinen Höhen umher bilden einen Kessel, eben so grün uud duftig, das schönste Ruhethal. Gewaltige hundertjährige Silberpappeln am Fusse des Hügels in ziemlich regelmässigen Gruppen gepflanzt, Riesenagave, Cactus, Granatbäume, Palmen mit ihren aromatischen Kronen beschatten die Leichenmonumente. Ein Gebirgsbach, der auf dem Budschiirea entspringt, dann in kleineu Wasserfällen stäubend, brausend über eine hochbelaubte Schlucht dem Meere sich zuwendet, rauscht am Fusse des Friedhofes in wilder Klagemusik. Au seinen Ufern bietet eiue reiche niedere Vegetation deu Gräberu den freiwilligen Schmuck einer immer thätigen Natur. Selbst der Pcre La Chaise mit seinen stolzen Marmorgräbern, seinen kunstvoll gepflanzten Cypressen steht an pittoresker Schönheit hinter dem einsamen Friedhof Algiers weit zurück. Die Leichensteine, welche keine Ringmauer einschliesst, sind von ver-schiednen Formen, man sieht Kreuze, Obelisken, Säulen, im Allgemeinen wie in Europa. Bei dem Lesen der Inschriften kann der Besucher selten einer tiefen Bewegung Meister werden. Die meisten Verstorbenen waren junge Männer, die in vollster Lebenskraft in den an Hoffnungen reichsten Jahren dem finstersten Räthsel der Natur erlagen. Viele junge Krieger, worunter Freiwillige aus Frankreichs besten Familien, die der Waftenklang in Afrika aus ihrer glücklichen Ileimath weglockte, weil der bewegte Geist nach Ruhm und Thaten lechzte, büssten im Beduinenland oft wenige Wochen nach ihrer Ankunft ihre Illusionen durch einen ruhmlosen Tod im Hospitale. Der Beispiele sind nur zu viele, die Täuschungen oft schrecklich. D'Ansonviflc, ein sehr reicher Legitimist, wollte in der neuen Colonie sich einen Namen und seiner Nachkommenschaft ein grosses Creolenhaus gründen. Den Kopf voll kolossaler Colonisationspliine kam er nach Algier. Dort starb nach wenigen Monaten sein einziger Sohn und der Schmerz tödtete ihn selbst zwei Tage später, noch ehe die Erde auf den Sarg seines letzten Namenserben geworfen war. Eine interessante junge reiche deutsche Dame von ungemeiner Schönheit, Madame I) . . . e, begrub dort ihren Gatten und ihre sämmtlichen Kinder, von denen eins ermordet worden. Die verschiedenen christlichen Confcssionen haben keine abgesonderten Begräbnissorte. Bald sieht man einen weissgekleideten Priester tnit dem Weihrauchfass, bald einen schwarzverhüllten Pastor mit der Bibel, den Trauerwagen nach 7* demselben Platzchen geleiten. Die Todten aller Secten, aller Zangen vertragen sich ganz friedlich iu der unterirdischen Nachbarschaft. Auch einige Saint-Simonianer liegen neben andern Secten eingescharrt. Einer von ihnen liess auf seinen Grabstein schreiben , dass er der Lehre Saint - §imon's treu gestorben und dass die Ruhe ihm deshalb nicht minder schmecken werde. Ein anderer wiederholte ein Motto Saint-Simon's: „ tu et als avant de naUre et tu seras apres la rnort." Dieser Friedhof wurde leider seit 1837 verlassen, man führt die Leichen jetzt nach einem etwas entferntem Begräbnissplatz, der zwischen dem Cap Caxines und dem Deygarteu auf ebnem Grund ganz nahe am Meer liegt und mit dem altern in keiner Hinsicht den Vergleich aushält. Auf den beiden christlichen Kirchhöfen werden Civilisten und Militairs begraben, doch von letztern nur Officiere und Unterofficiere, weiche hinreichend Vermögen haben, einen Sarg zu bezahlen. Das Begräbniss der Soldaten hat etwas Schauerliches. Unweit des grossen Hospitals im ehemaligen Deygarteu ist ein grosses Loch gegraben. So oft ein Soldat im Spital verschieden, wird er nackt ausgezogen, auf eine Bahre gelegt und nach dem Leichenschlund getragen. Ein Leintuch verhüllt das Cadaver nur so lange, bis es an dem Ort seiner Bestimmung angelangt ist, wo man sorglich das Tuch wieder nimmt, die Leiche nackt ohne priesterliche Cereinonien hinunterstürzt und ungelöschten Kalk darauf wirft. Dieses ungeheure Kalkloch mag seit der französischen Niederlassung, mit Einschluss der fürchterlichen Epidemie im Jahre 1832 und der Cholera im Sommer 1835, gegen 10,000 Soldatenleichen verschlungen haben; vielleicht eher mehr, als weniger. Viele Cadaver werden zuvor in der Anatomie zer- schnitten, um jungen Aerzten zum Studium zu dienen. Die Krankenwärter treiben mit den Zähnen, die sie dem*Todten, kaum hat er die Augen geschlossen, ausreissen, einen ziemlich lucrativen Handel. So kommt in Afrika der arme französische Soldat, nachdem er auf mühseligen Märschen sich das Fieber oder auf dem Kampfplätze die Todeswunde geholt, nach einer leidenvollen Existenz, in der die lustigen Stunden seltene Episoden sind, nackt, zerschnitten und zahnlos, ohne Priestersegen, ohne kriegerischen Pomp, ohne den Donnergruss der Musketen, mit dem sonst in allen Landen der Krieger Abschied von der Sonne nimmt — so kommt der Soldat in Algier zur Ruhe! Es jst ein Glück für den Franzosen, dass er ein Mensch des Augeublicks ist, dass er um die Vergangenheit sich wenig, um die Zukunft sich gar nichts kümmert. Es müsste dein Soldaten sonst der Gedanke ans Sterben schwer am Herzen nagen. Mag er an ein Fortleben der Seele nach dem Tode glauben oder ein verhärteter Atheist seyn, oder, wie die Meisten, als Zweifler unbekümmert um seine Seele hinsterben, man liebt doch gewöhnlich seinen Leib zu sehr, um an eine so fürchterliche Profanation menschlicher Gebeiuc ohne Schaudern denkeu zu können. Bleibt der Körper des Soldaten auf dem Kampffeld in den Händen der Araber, so wird er aus Fanatismus verstümmelt und der Hyäne zum Frasse überlassen; stirbt er im Hospital, so verstümmelt mau ihn aus wissenschaftlichem Eifer und mercantilischem Interesse und lässt ihn iu der Grube von ungelöschtem Kalk so aufzehren, dass nicht einmal ein Stäubchen von dem Wesen übrig bleibt, dem Gott die Herrschaft der Erde gegeben. Wem sollte nicht grauen vor solchem Grabe? Enter den europäischen Ansiedlern haben seit 1830 BW zweimal verderbliche Seuchen gewüthet. Das erste Mal im Sommer 1832, wo besondere klimatische Einflüsse herrschten, die auch auf die Eingebornen nicht ohne Wirkung blieben. Die Hitze und Trockenheit war damals selbst für Afrika ausscrgewohnlich; Wechsellieber und Ruhr wütheten gleich mörderisch, doch weit weniger iu der Stadt, als in den Sumpfgegenden der Ebene Metidscha und an einigen Stellen des Algierer Hügellandes. Die Gemeinde des Colonistendürf-chens Kuba starb damals völlig aus. Die zweite Seuche war die Cholera, ein in Algier völlig unbekannter Gast, der seine Opfer unter den Eingebornen mehr noch, als unter den Europäern holte. In der übrigen Zeit war der Gesundheitszustand unter den Ansiedlern im Allgemeinen ziemlich befriedigend. Der französischen Regierung gereicht es zur Ehre, dass eine ihrer ersten angelegentlichsten Sorgen die Gründung grosser Krankenptlegeanstalten war. Es bestehen drei Hospitäler in Algier, eins für die Civilisten, zwei für die Mili-airs. Der Herzog von Rovigo, der übrigens ein so blutiges Andenken in diesem Lande hinterlassen, hat sich gleichwohl um die Armee sehr verdient gemacht durch seine Bemühungen, das Loos des Soldaten durch ein gesundes Obdach zu verbessern uud ihm iu leidendem Zustand alle Pflege ange-deinen zu lassen. Die französische Regierung hatte dem Herzog den schönen Sommerpalast der Deys, welchen vor 1830 Ibrahim, der Eidam llusseiu-Dey's, bewohnte, zu seinem Landaufenthalt angewiesen. Der Herzog von Rovigo, der, was seine Geldangelegenheiten betraf, ein durchaus uneigennütziger unbestechlicher Manu war, überliess dieses Geschenk der Armee und errichtete dort ein Hospital, welches einige Tausend Kranke iässt und bei seiner schönen gesunden, luftigen Lage dem Zweck auf das Beste entspricht, auch wohl mau- ehern armen Krieger das Leben erhalten oder sein Ende ihm versüsst hat. In dem innern Hofe sieht man eine Fontaine von rothem Marmor, die Gänge des Hauses sind theil-weisc mit Fayenza überzogen, und die Galerien mit Marmorsäulen geziert. Von dem geräumigen Garten, der sich terrassenförmig über dem Meere erhebt, ist der oberste von den Krankenbaraken durch eine Mauer getrennte Theil noch sehr gut erhalten und mit Blumen, verschiedenen Gendisearten und Frucbtbäumeti bepflanzt Die Gemüse, die hier treulich gedeihen, werden zu Kraiikeusneiseu gekocht und die zahllos wachsenden Limonen und Citronen unter die Titane, das gewöhnliche Getränk der Patienten, gemischt. Die Officiere haben ein Krankenzimmer in dem Hause selbst, und ergehen sich als Convalescenten in einem kleinen umzäunten Blumengarten, den ausser ihnen Niemand betreten darf, Di«; Unter-otliciere und Soldaten liegen etwas tiefer in langen, hölzernen Baraken, deren hier neun stellen, jede mehr als hundert Betten enthaltend. Das Innere derselben ist im höchsten Grade reinlich. Der Boden ist mit Quadersteinen belegt und die Bettstellen sind von Eisen. Einige Dutzend Orangen-und Granatbäume stehen noch zwischen den Baraken, die meisten dieser edlen Gewächse aber wurden schonungslos umgehauen, weil es für die Holzgebäude au Kaum gebrach. Die schönen Blumen, die früher den Boden bedeckt haben mögen, sind hier zertreten und lasgerissen worden, und au ihrer Stelle wuchert jetzt zahlloses Unkraut, das im Früh-liuge mehrere Fuss hoch aufschiesst und dann durch die Juliussonne wieder versengt wird. Zwei schöne Laubbogengänge von VVeinstöcken ziehen sich an der Gartenmauer hin. Die Dicke ihrer Stämme erregt Staunen und noch mehr ihre Biesentrauben, von denen oft eine einzige fünf bis sechs Pfund wiegt. Die Weinbeeren haben gewöhnlich eine ovale Form. Man lässt sie aber nicht zur völligen Reife kommen, sondern schneidet sie noch grün ab und macht Essig daraus, da die gemeinen Soldaten, denen nur sehr schmale Kost gereicht wird, vom Hunger getrieben, leicht in Versuchung kommen würden, die erst halb reifen Trauben zu verzehren. Das Heilverfahren, welches die französischen Aerzte gegen die beiden herrschendsten Krankheiten, Ruhr und Fieber, am meisten anwenden, besteht in einer exemplarisch strengen Hungercur. Man giebt den Kranken, die an hartnäckiger Diarrhöe leiden, oft zwölf bis zwanzig Tage nicht das Geringste zu essen und blos Reisswasser zu trinken. Ein junger deutscher Unterarzt versicherte mich, dass viele Sterbende noch in den letzten Augenblicken nach Essen schrieen, und dass an den Folgen der durch allzu strenge Diät hervorgebrachten Schwäche bei weitem mehr, als an der eigentlichen Ruhr sterben. Den Fieberkranken verordnen die Aerzte sehr viel China, die zwar allerdings sich als das wirksamste Mittel gegen das afrikanische Fieber bewährt, zugleich aher auch häufig bei zu starken Gaben eine Geschwulst der Beine erzeugt. In den Monaten Julius, August und September herrschen die Fieber am furchtbarsten, und das Hospital des Deygartens ist um diese Zeit so sehr mit Kranken überfüllt, dass man noch den anstossenden Garten der Salpetriere öffnen muss, wo die kühlen, unterirdischen Gewölbe des grossen ehemaligen Pulvermagazins des Deys ebenfalls in ein Lazareth verwandelt wurden. Doch raffen die Fieber bei weitem keine so grosse Zahl von Opfern hin, als die gefährliche Blutdiarrhöe, die im März und April am heftigsten wü-thet. Ausser diesen beiden herrschenden Epidemien giebt es aber in Algier fast gar keine Krankheit, und das Klima scheint be- sonders für Brustlcidcndc eine sehr gute Wirkung zu haben. Wenigstens kennt man Lungenkrankheiten unter den Eingebornen kaum dem Namen nach, und Europäer, die früher an häufigem Schnupfen und Katarrh litten, finden sich seit ihrem Aufenthalte in Afrika von diesen liebeln befreit. Das Hospital des Deygartcns steht unter der Oberaufsicht der drei Principalärzte der französisch-afrikanischen Armee. Bekanntlich ist dies militairärztliche Corps, die „Ofß-ciers de SanU',Ci in die Classen: Chirurgen, Medianer und Pharmaceuteu getheilt, die iu Hang und Bezahlung einander gleichstehen. Chirurgien - sous - aide - major oder Phar-macien - sous - aide - major ist der niederste Crad und hat Lieutenantsrang, dann folgt Ch. aide-major, was etwa unsern Bataillousärzten entspricht und mit tlem Oberlieutenantsgrad parallel steht. Der Chirurgien-major (Regimentsarzt) steht einem Capitän erster Classe an Rang und Bezahlung gleich. Der Chirurg ien-prineipat hat Obristenrang und die Bezahlung eines Generals. Die drei Principalärzte der Armee waren zur Zeit meines Aufenthaltes: Guyon für die Chirurgie, Antonini für die Median, Roussel für die Phar-macie. Mit den Herren Guyon und Roussel war ich in Algier persönlich befreundet, erhielt durch sie Zutritt in alle Spitäler und zugleich vielerlei Aufschlüsse über die Organisation aller Krankeninstitute. Herr Guyon war früher Regimentsarzt der Insel Martinique, wo er bei einer Gelben-Fie-berseuchc grossen Muth bewies und über deren Contagiosität verschiedene Versuche an sich selbst anstellte. Antonini, Corse von Geburt, steht im Rufe eines tüchtigen Arztes. Roussel ist ein Gelehrter von grossem Ruf, der bedeutende botanische und geologische Kenntnisse besitzt und früher zweiter Pro-lessor am Höpital de Val de gräce in Paris war, welchen Posten er sehr ungern Verliese. Er ist einer der geistreichsten und interessantesten• Männer, die ich je kennen gelernt habe. Dennoch war dieser ausgezeichnete Gelehrte für die ärztlichen Angelegenheiten der Armee vielleicht keine sehr vortheilhafte Acmiisition, denn er versah sein Amt, zu dem er nicht die geringste Neigung spürte, mit Widerwillen, war, obwohl Militair, ein Todfeind der Uniformen und fühlte sich in seinem Wirkungskreise und Aufenthalt, in einem Lande, das er verabscheute, recht unglücklich. Ich verdanke ihm viele interessante Bemerkungen über die Algierer Flora und war sein Begleiter auf so manchen eutomologiscb.cn Saminel-ausflügen. Die am Hospital des Deygarteus verwendeten Ke-gimentsärzte sind: Fleschhot, ein bejahrter einfacher Mann von alter Schule* Zeraldi, ein geschickter Operateur, Laporte, ein guter Chemiker, der die Pharmacie leitete, Gründliche wissenschaftliche Bildung trifft man unter den Algierer Militärärzten, besonders unter den Subalternen eben nicht häufig. Selbst an geschickten Operateurs ist Mangel und während der Feldzüge nach dem Innern musste man einige Pariser Chirurgen zur Leitung der Ambulancen kommen lassen, welche über die Ignoranz der Unterärzte bittere Klagen führten. Die Oberflächlichkeit der Meisten rührt vom gänzlichen Mangel an wissenschaftlichen Vorkenntnissen her, denn in den ersten Jahren der Occupation nahm mau ohne Examen jedes sich als Arzt meldende Individuum in die Armee auf, da grosser Mangel war. Uebrigens ersetzten diese Unterärzte ihre Kenntuisslosigkcit durch grossen Eifer und Muth, der sich namentlich hei den Expeditionen nie verleugnete. Am Hospital des Deygarteus werden beständig gegen vierzig Unterärzte verwendet. Das Civilkrankenhaus steht unter der Leitung eines Engländers, des Dr, Bowling, welcher Algier 'schon lange vor 1830 bewohnte und mit Sprache und Sitten des Landes vertraut ist. Für die Pflege waren bis 1937 noch Infirmier s , männlich«! Kraukenwärter, angestellt. Erst gegen Ende 1837 machte man den Versuch, die wohlthätigste, menschenfreundlichste, herrlichste Institution Frankreichs auch nach Afrika zu verpflanzen. Barmherzige Schwestern übernahmen jene fromme Pflicht, eine für sie gewiss* sehr schwere Prüfung in einem Laude des Fanatismus und der Barbarei, bei tief gesunkenen wilden Menschen, welche solcher Wohlthaten ungewohnt, einer Dankbarkeit kaum fähig sind, die niemals gelernt haben, Frauen zu ehren und das zarte Verhältniss jeuer Nonnen zu ihren Pfleglingen nicht begreifen können. Die Vorläuferinnen dieser religiösen Schwestern machten in Algier die socurs de la chariti^ von denen der Marschall Clauzel 1835 eiue Anzahl nach Algier kommen liess. Sie hatten dieselbe Bestimmung, wie in Frankreich, arme Mädchen zu unterrichten, Hauskranke oder überhaupt nothleidende Familien zu pflegen, zu unterstützen, zu trösten, überall ihren milden Einfluss zu verbreiten, das Elend aufzusuchen und Thränen zu trocknen. Auch nach den kleineren Städten der Küste wanderten diese edlen Frauen — ich sah deren in Bona und Oran. Die socurs de la charite in Afrika kleiden sich wie die Schwestcrorden im Burgundischen, schwarz und weiss, die passendste Feiertracht ihres Standes. Auf ihrer Brust ruht ein hölzernes Kreuz mit dein Erlöser, Haar und Stirne sind nicht wie bei den Nonnen in Europa unter der schwarzen Mantilla der Welt ewig verhüllt. Statt deren tragen sie einen weissen Damenhut von ziemlich eleganter Form, znm Schutz gegen die Sonne, welcher ihnen vortreillich steht. Es fehlt unter diesen Jungfrauen nicht an schönen anmuthigen Gestalten, es sind Töchter von den edelsten Familien des südlichen Frankreichs, welche ihrer freiwillig erkorenen peinlichen Pflicht mit der sittigen Würde und jenem Ueldenmuth sich unterziehen, die nur strenge Seelenreinheit und inbrünstiger Glaube giebt, Oft sieht man diese Nonnen allein in die entlegensten Stadttheile wandern, in die schmuzigsten verrufensten Häuser dringen, hier einen Hungernden^peisen, dort für einen Sterbenden Gebete sprechen. In dieser frivolen Stadt schcusslicher Laster, des Argwohns, der Eifersucht, wo der Muselmann sein Weib fast wie eine Gefangene bewahrt, weil er keinen Glauben hat au weibliche Tugend, tritt gleichwohl bei dem Begegnen einer dieser religiösen Frauen Alles in scheuer Ehrfurcht auf die Seite. Der hochfahrende Muselmann hält sich sonst fast für erniedrigt, ein Weib zu grüssen, und gleichwühl sah ich so manchen, in Fanatismus grau gewordenen Mauren bei dem Anblicke einer Nonne die Hand aufs Herz legend und das Haupt ehrerbietig beugend den Gruss hinmurmelnd, wie bei dem Begegnen seines Marabut. Es hat diese Art von Wohlthun, diese Entsagung eitles heitern Lebens für einen geahueten fernen Lohn, die ganze mysteriöse, crnstliebliche Erscheinung jener geistlichen Frauen ein Etwas, was die Phantasie des Mahomedaners anspricht. Zu sündhaft, um ein solches Leben nachzuahmen, zu indolent, um auch nur zu versuchen, je nur iu ähnlicher Weise das Wohlthtin unter seinem Volke einzuführen, zu fanatisch, um es auch nur zu wünschen, da diese Wohlthat von Christen stammt, huldigt der Mahomedaner gleichwohl der Schönheit der Gesinnung und gewiss ist die Mission der barmherzigen Schwestern nach Algier eine jener Massregeln gewesen, die am ersten geeignet waren, die muselmäunische Bevölkerung, namentlich die jüngere Generation mit dem Christentimm und ihrer fremden Beherrschung auszusöhnen. Der Wirkungskreis der soenrs de la charite in Algier ist sehr ausgedehnt, zugleich weit mühsamer aber auch belohnender, als in Europa. Sie haben vor Allem für die Töchter armer Colonisten zu sorgen, dass diese in Verwahrlosung nicht zu Grunde gehen. Sie lehren den jungen Madchen Lesen, Schreiben und weibliche Arbeiten, unterrichten sie in der Religion, führen sie nach der Kirche zur Firmung, wachen über sie im jungfraulichen Alter, so viel es sich thun lässt, und stehen ihnen mit ihrem milden Rath bei in allen späteren ernsteren Lebensverhältnissen. Mit diesen Kindern armer Ansiedler ist ihre Verbindung von der herzlichsten Art. Sie sind ihnen mehr als Eltern, da sie fast allein ihre ganze geistige und religiöse Erziehung leiten, werden dafür auch durch deren innigste Anhänglichkeit belohnt. Ihre mütterliche Erziehung erstreckt sich auch auf viele arme Jüdinnen, meist vaterlose Waisen, welche die wahren Mütter ihnen gern überlassen, da das Vertrauen auf die barmherzigen Schwestern unter allen Glaubensbekennern grenzenlos ist. Ihr Verhältniss den Männern gegenüber ist natürlich viel schüchterner, viel zarterer Natur. Unter den Eingebornen sind es gerade die rohesten, wildesten Menschen, die Corporation der Taglöhner, die Kabylen, Neger, Biskris, welche in ihre Domaine verfallen. Diese Leute, die meist nur temporär in Algier ihren Sitz aufschlagen, haben selten ein Obdach und schlafen auf der Strasse. Wird ein solcher Taglöhner krank, so sind es die barmherzigen Schwestern, die ihn aufsuchen, und nach dem Spitale tragen lassen. Jene, die das Spital verlassen und doch noch zu schwach sind, ihr Brod zu verdienen, erhalten so lange Speise, bis sie zur Arbeit wieder kräftig geworden. Es bedarf einer grossen Seelenstärke, des vollsten Bewnsstseins weiblicher Tugend, und hoher Begeisterung für den religiösen Beruf, um mit so wilden, abschreckenden, halb nackten, sinnlichen Menschen umzugehen. Gewiss ist dies die schwerste Bürde der Mission jener Frauen. Unter den europäischen Ansiedlern sind die Franzosen als die zahlreichsten, als die Eroberer und Herrscher des Landes, begreiflicher Weise das erste tonangebende Volk. Sitten, Leben und Einrichtungen haben im Ganzen den französischen Schnitt. Die neuen Gast- und Kaffeehäuser, Kaufläden , Lesecabinete u. s. m sind ganz wie in den französischen Seestädten. Fast alle Gesellschaften, die meisten Bälle und Öffentlichen Unterhaltungen sind nach demselben Ge-schmackc geordnet. Da die neue Bevölkerung meist aus jüngeren, lebensfröhlichen Personen besteht und das zahlreiche Militair, die vielen reichen jungen Officiere der geselligen Unterhaltung grossen Schwung geben, so ist das Leben iu der Stadt gar ergötzlich, «'in lebenslustiges, buntes bewegtes Treiben herrscht dort durch alle Jahreszeiten. In den glänzenden Kaffeehäusern findet sich immer zahlreiche Gesellschaft. An dem einen Tisch wird lebhaft conversirt, an dem andern hört man das Klappern der Dominosteine oder das Klingeln der Fünffrankenthaler bei den Wetten des Billard. Kaum dürfte in irgend einer andern Stadt der Welt nach dem Verhältniss der Bevölkerung mehr Geld verzehrt und verjubelt werden. Alles lebt dort in Saus und Braus, die meisten Officiere verlassen Afrika mit Schulden, so manche Beamte mit Kassedefecten, viele Speculationswüthcnde und verschwenderische Civilisten endigen mit dem Bankerott. Die Vergnügungssucht hat ihren Grund, wie schon erwähnt, iu der Jugend und in der Zusammensetzung der Bevölkerung, unter welcher es unruhige abenteuerliche Köpfe in Hülle und Fülle giebt. Die Militairs, welche ihre meiste Zeit in den Lagern zubringen und dort eine monotone langweilige Existenz fortschleppen, halten sich reichlich schadlos, so oft sie in die Stadt auf Besuch kommen. Da es also an Consu-menten nicht fehlt, so kann man sich denken, wie viele gewinnsüchtige Leute auf diese Genusssucht der Andern specu-liren. Ausser dem Theater wurden kleinere Komödienspiele iu den Kaireehäusern errichtet und iu den Gasthäusern hübsche junge Gitarrespielerinnen, Sängerinnen engagirt, um die Leute anzulocken. Grössere Gesellschaften und Bälle geben die Generale und hohem Beamten im Winter fast täglich. Es herrscht in diesen Salons ein ungezwungener heiterer Ton, nur dominiren die Uniformen etwas zu sehr, was freilich die artigen Manieren, welche die höhern französischen Officiere gewiss mehr, als die irgend einer andern Nation zeigen, ei-nigermasseu vergessen machen. Der Marschall Clauzel, welchen ich zu Ende 1636 noch als Gouverneur traf, gab selten grössere Gesellschaften und lebte sehr zurückgezogen, wogegen bei seinem Nachfolger Damremont in der erleuchteten Säulenhalle des Gouvernementsgebäudes jede Wache musicirt, getanzt, gespielt wurde. Es nahmen auch Eiugeborne, Muselmänner uud Juden, an diesen Abendunterhaltungen Theil, darunter Notabilitäten, wie Ben-Omar, Exbey von Medeah, Mustapha Pascha, der berüchtigte Bcn-Durand, Algiers .Rothschild, sogar arabische Scheikhs, die in ihrem imposant« Costume mit aller orientalischen Gravität unter dem Gedränge der Uniformen promenirten. General Damremont zeichnete die Eingebornen immer aus, und lud deren sogar häufig zur Tafel, wo sie mit vollkom- meiistem Anstand sich benahmen und die Gesellschaft gut unterhielten. Sehr hübsche Abendcirkel fanden im Winter 1837 bei dem Intendanten Melciou d'Arc statt, wo es häufig Musik oder ästhetische Vorlesungen gab. Die Gemahlin dieses hohen Militairbeamten ist eine Deutsche, seine Familie vereinigt mit seltner Bildung hohe Liebenswürdigkeit. Eben so interessant waren die Salons bei dem Civiliiitendantcn Herrn Bresson und dem alten würdigen General ßro, einem der edelsten Männer, die ich kennen gelernt. Unbestreitbar ist bei den Franzosen der Geschmack für geselliges Leben am ausgebildetsten und keiu Volk dürfte es besser verstehen, dem Leben einen so immerwährenden Reiz abzugewinnen. Sehr richtig ist die bekannte Bemerkung, dass der Franzose sich, so lange er Gesellschaft hat, niemals, auch in keiner Lage, ganz unglücklich fühlen wird. Zur Zeit der Revolution von 1793 waren in den Kerkern von Sainte-Pelagie eine Menge der Guillotine verfallene Schlachtopfer eingesperrt, Männer uud Frauen aus allen Ständen und von allen politischen Meinungen. Man wollte, so wenige Stunden vor einem ewigen Scheiden, in vollen Zügen noch die letzten Freuden des Beisammenseyus gemessen. Scherzend und schäkernd führte man ein Theatertablcau, die Scene der Hinrichtung, auf. Aus den hölzernen Sitzen fertigte mau eine Guillotine, einer der Gefangenen spielte den Henker, ein anderer das Opfer, unter Lachen gab man die schreckliche Fastnachtssceue und eine Stunde später vielleicht wurde die Komödie zur fürchterlichen Wirklichkeit. Ich weiss nicht, ob der Schriftsteller, der diesen merkwürdigen Zug mittheilt, sich an strenge Wahrheit gehalten, aber jedenfalls ist der Charakter des Franzosen treffend genug damit bezeichnet. In der Regel würde er den Tod in Gesellschaft einem völlig einsamen Leben vorziehen. Ich habe die französischen Soldaten vor Constantine in einem furchtbaren Zustande, todtmü-de, hungernd, in eisige Fluth gebettet, umschwärmt und geneckt von einem unerbittlichen Feind und dennoch nicht ganz verlassen von ihrem heitern Muth, gesehen, welcher ihnen nie näher steht, als in den Zeiten der "Gefahr; der Pariser Blagueur machte seine Witze, der Gascogner seine Gascona-den und so lachten sie sich das Fieber vom Leibe. Die grösseren gesellschaftlichen Zusammenkünfte charakterisirt die Mischung der anwesenden Civilstände mehr als in einer Stadt; Frankreichs. Nirgends behauptet das Geld mehr seine Macht, als in den Colonien, wohin man durch dieses Zauhermittcl alle Wunder der europäischen Industrie so leicht und rasch verpflanzt. Unter den Civilisten giebt es durchaus nur gewerbetreibende, gewinnlustige Stände, keinen Adel, wenig Beamte, keine Gelehrten, keinen zahlreichen Klerus, welche der Geldaristokratie das Gleichgewicht halten könnten. Zu den begütertsten Ansiedlern gehören in Algier Handwerker so gut wie Kaufleutc, Colonisten, Wirthe, Speculauten aller «Art, fast sämmtlich nagelneue Glücksemporkömmlinge, denn man hat dort wie bei andern Niederlassungen ähnlicher Art die Erfahrung gemacht, dass reiche Leute ihr Geld verloren und mittellose Spcculanten die lucrativsten Geschäfte machten. So oft nun grössere Salonscirkcl und Bälle gegeben werden, findet sich die ganze bunte Classe der Begüterten ein. Weinhändler, der reichste Stand, Capitalisten, die ihr Geld nicht unter 25 Procent Zins ausleihen, Caffetiers, Kegenschirm-fabrikanten, Kleiderhäudler, Pflanzer bilden in bunter Menge die vornehmsten Gäste nach dem Militair. Aber jener Anstand, jene Haltung und Zuversicht, Welche die Franzosen aller Stände besitzen, stellt unter diesen, dem Anscheine Moritz Wagnbr's Algier. I. 8 nach so unverträglichen Elementen eine vollkommene Gleichheit her und es wäre dem Fremden, selbst dem besten Beobachter schwer, die heterogenen Bestandttheile zu analysiren oder, würde er es versuchen, so dürfte er wohl auf wunderliche Missgriffe stossen; er würde leicht einen stattlichen Pariser Modewaarcuhändler für den Polizeidirector und diesen vielleicht für einen Epicier nehmen. Nach amtlicher Zählung betrug im Juni 1839 die Zahl der angesiedelten Franzosen 8031. Den französisch - afrikanischen Salons fehlt leider jenes anmuthige Element, ohne welches das gesellige Leben bei allem fröhlichen Sinn seiner Jünger doch immer nur verkrüppelt und reizlos bleibt. Bringt man die Militairbevölkcrung mit in Anschlag, so ist dort das Verhältniss der Frauen zu den Männern wie 1 zu 20; nur unter den höhern Gassen dürfte sich dieses Verhältniss etwas niedriger stellen. Daher domiuiren in den Salons gewöhnlich nur Männerunter-haltungcn, das Hazardspiel und das Punschglas; auf Bällen ist es ein seltnes Glück, eine Tänzerin zu erhaschen, die nicht für alle Touren des Abends versagt wäre. Die franzü-, sischen Frauen kommen den deutschen an gelehrter Bildung und häuslichem Sinn, den Engländerinnen an Schönheit und Sittsamkeit vielleicht nicht gleich, sie übertreffen beide aber an Lebhaftigkeit des Geistes, an feiner Beobachtungsgabe, au Redetalent, an bewunderungswürdigem Tact des Benehmens und überhaupt an Anmuth, welche, wie Göthe sagt, allein die Frauen unwiderstehlich macht. Nach den Franzosen sind die Spanier der zahlreichste und nationalste Theil der europäischen Ansiedler. Ihre Zahl betrug im Jahre 1839 nach der Liste der Civilintendanz 6687, es sind grüsstentheils Auswanderer der Insel Minorka und werden von den Franzosen immer unter dem Namen Mahoneser bezeichnet. Spanier der Halbinsel haben sich in grösserer Zahl blos in Oran angesiedelt. Ich habe bereits bei Anlass meines Aufenthaltes in Mahon von dem Charakter und Leben der Balearcuspanicr gesprochen. Sie haben ihre Nationalität ganz unversehrt verpflanzt, was ihnen bei einer gleichzeitigen Auswanderung in Masse und bei der Nähe ihrer Heimath weit leichter, als den Franzosen und Deutschen geworden. Die Spanier zeichnen sich iu Algier durch einen harmlosen, ruhigen, religiösen Sinn, durch eine sehr massige, frugale Lebensart und durch ihre Gewerbthätigkeit aus. Sie sind der Colonie besonders nützlich, weil sie in den Gewerben Lücken füllen, welche ohne ihre Anwesenheit gewiss sehr fühlbar wären. Sie sind fleissige Gemüsegärtner, Fischer, Gondcliers, Krämer und Marketender, eigentliche Handwerker giebt es wenig unter ihnen, blos zur Schuhmacherei lieferten sie einen beträchtlichen Coutingent. Ihre Industrie steht übrigens auf keiner hohen Stufe, aber für die schwierigem Gewerbe, kostspieligem Etablissements haben sich französische und deutsche Unternehmer genug gefunden, so dass die Spanier in ihrer niedern Sphäre gerade der notwendigste Theil der Bevölkeruug waren. Fehlt ihnen auch zu den Handwerken das nöthige Geschick, so sind sie dagegen fleissige Pflanzer und viele haben sich durch das Anlegen von Oliveubauingärten eine schöne Zukunft gegründet. In zwanzig Jahren dürfte Algier, wenn man dort Sicherheit einführen könnte, mit den meisten Oliven pflanzenden Staaten des Mittelmeeres rivalisiren können. Die Spanier versehen fast allein den Markt mit Gemüse und verkaufen vielleicht bereits eben so viel edle Früchte als die Mauren, obwohl diese noch alleinige Besitzer der grossen prächtigen Gärten 8 • Iii von Beiida sind. Die Fischer und Gondeliers bilden den ärmsten Stand unter den Mahonesern, es giebt deren in grosser Zahl, da es eine leichte kunstlose Beschäftigung ist und ihnen immer auch Zeit lässt, sich dem „süssen Nichtsthun" hinzugeben. Lucrativ ist die Fischerei an den Küsten der Berberei keineswegs. Da die Küste bei Algier meist ganz flach ist, so müssen tue Fischerboote eine bedeutende Strecke in das Meer hinausfahren; andere Fischer ziehen die Netze dann mit Stricken an das Land. Gewöhnlich vergeht während eines einzigen Zugs eine halbe Stunde, und ist das Netz am Land, so sieht man sich durch einen magern Fang oft recht bitterlich getäuscht. Dafür leben diese Spanier aber auch so frugal, dass sie selbst in den schlechtesten Zeiten des Meerfischfanges, da wo die Stürme brausen und die Seebewohner in die Tiefe fliehen, immerhin genug fangen, mit mit ihrer Familie sich satt zu essen. Freilich müssen dann manchmal sogar getrocknete Haifische zum Mahle herhalten, deren Fleisch nicht viel besser als Holz schmeckt. Die Leidenschaft der Spanier für den Tanz ist weitbekannt. Graf Custine erzählt vom Baskeuland, dass auf den äussersten Vorposten der carlistischeu Lager sich oft Tänzergruppen bildeten, die sich durchaus nicht stören Hessen, wenn auch zuweilen christinische Kanonenkugeln mitten durch die Reihen des Bolero schlugen. Die friedlichen Mahoneser haben zwar ihre Tanzlust nie in ähnlicher Weise zu erproben gehabt, doch halte ich sie solcher Kraftbeweise ihrer Tanzleidenschalt nicht für unfähig. In einem maurischen Gebäude der Strasse Bah -ei- Fad werden an jedem Donnerstage spanische Bälle gegeben, welche von Zuschauern aller Nationen besucht werden. Franzosen versuchen dort manchmal an den Tänzen Theil zunehmen, vermögen aber bei all ihrerLeicht- lüssigkeit weder die Energie der Spanischen Heine beim Bolero, noch die schöne Haltung der tanzenden Gruppen beim Cachucha und Mabonesertanz nachzuahmen. Als iudustriüse, fromme und heitere Menschen sind die Maboneser jedenfalls ein Segen für die neue Uolonie, wenn sie gleich den übrigen Europäern, besonders den Franzosen und Deutschen an Kenntnissen weit nachstehen. Die Zahl der Deutschen in den verschiedeneu Stadien der Regentschaft betrug nach den Registern der Intendant zwar nur 835 Köpfe, doch dürfte der wirkliche Effectiv wenigstens doppelt, so stark seyn, da jedermann weiss, wie über die Hälfte der dort eingewanderten Deutschen, theils um dem Milizdienst zu entgehen, theils aus blosser Nachlässigkeit versäumt hat, sich auf dem Stadtregister eintragen zu lassen. Dies gilt namentlich von der Taglöhnerclasse, welche durch die verabschiedeten deutschen Soldaten der Fremdenlegion ciuen starken Zuwachs erhält und meist auf dem Land bei grossem Gutsbesitzern zerstreut ist. Die eigentlichen deutschen Colonisten, nämlich die Grundbesitzer in den Dörfern Deli-Ibrahim, Kuba, Duera und Buffarik, sind durch die Seuchen 1832 sehr zusammengeschmolzen und leben meist in gedrückten Umständen, die sie grossentheils selbst verschuldet haben. Unter den deutschen Taglöhuern ist das Elend gross. Da man unter den Eingebornen zu Handlangerarbeiten bei den Bauten willige Leute genug, namentlich arme Kabylen, Biskris und Neger findet, so ist der Taglohn sehr gedrückt und steigt nicht über 25 Sous, mit denen es für den Europäer, der nicht wie die Biskris auf der Strasse logirt und an bessere Nahrung gewöhnt ist als an ungesalznes Brod und gebrannten Mais, in Algier eine Kunst ist zu leben. Auf den grösseren Landgütern, wie zu Reghaia oder zu Ilausch-Hussein-Pascha, leben die Arbeiter zwar hesser, da sie dort gut verköstigt werden und ziemlich bequeme Wohnungen, ausserdem auch einen Lohn von mindestens 15—20 Franken monatlich bekommen; aber diese neuen Pflanzungen liegen siimintlich in zwar fruchtbaren, aber feuchten und ungesunden Gegenden, deren Miasmen erst aufhören werden, wenn sie völlig angebaut sind. Die meisten Taglöhner werden in jenen Pflanzungen krank und beziehen dann das Algierer Spital. Die Wiedergenesung von dem Wechselfieber, welches in der Stadt sehr selten, in der Umgegend aber desto häufiger vorkommt, ist sehr langsam und die Nachwehen, Schwäche des Kopfs und der Glieder, dauern oft Jahre lang. Wilhelm Schimper, welcher schwer davon befallen wurde, hat in seiner Schrift den Gang und Charakter dieser Krankheit ausführlich beschrieben. Sie griff bei ihm das Gehirn so heftig an, dass er beim Austritt aus dem Hospital sein Gedächtniss völlig verloren hatte und um seiner Genesung willen nach Europa zurückkehren musste. Man sieht in den Strassen Algiers fast täglich arme deutsche Taglöhner, welche vom Hospital kommen, leichenfarbig, mit trübem Auge durch die Strasse wandern und die Leute um ein Almosen ansprechen. Viel glücklicher sind die eigentlichen Handwerker, welche hübsch in der Stadt in schönen schattigen Häusern wohnen, Abends während des Spazierganges am Meere eine reine würzige Luft trinken oder im deutschen Bierhäuschen nach vaterländischer Weise sich vergnügen können. Besonders einträgliche Metiers sind Büchsenmacher, Schneider, Maurer, Schreiner, Schlosser u. s. vv. An Schuhmachern wimmelt es bereits; es ist dieses das verbreitotste Handwerk, wird von vielen Südländern, namentlich Maltesern getrieben, und bringt wenig Gewinn. Die Mehrzahl der Schuhmacher bewohnt elende Locher von Werkstätten , viele arbeiten unter freiem Himmel und verdienen mühsam ihr titglich Brod. Friseurs sind gleichfalls iu Unzahl dort mit mühseligem Erwerb. Dagegen machten einige der seltneren, wenn auch kunstlosen Professionen Glück. So kenne ich einen deutschen Thüranstreicher, welcher als der einzige seines Handwerks fast ein reicher Mann geworden ist. Einige deutsche Brauer, die sich erst vor wenigen Jahren etablirten, haben, da bei dem warmen Klima der Durst doppelt gross ist, sehr gute Geschäfte gemacht. Es giebt bereits deutsche Wirths- und Gasthäuser in Algier, wo Alles möglichst deutsch zugeht. Der angesehenste und glücklichste Theil der deutschen Ansiedler sind natürlich die Kaufleute. Krieg macht selten reich, bei dem Gewerbe und Ackerbau geht es langsam und die Piaster werden da nur im Schweisse des Angesichts gewonnen; der Handel hingegen ist das schnellste uud angenehmste Mittel, Schätze zu gewinnen in allen Gegenden unter der Sonne. Dies haben in Algier viele unternehmende, rastlos thätige deutsche Männer, die durch das Ungemach der ersten Jahre der Occuption nicht zurückgeschreckt wurden, zu ihrer Freude erfahren, Männer, wie Gugenheim, Hirche, Schwab, Hermann, Escher, Jost u. A. haben erst im allerkleiusten Massstab angefangen und ihre Quincaüleric-waaren auf dem Markt unter freiem Himmel oder ihren WTein unter dem Zelt des Cantiniers verkauft. Sie specu-lirten dann auf Bauten, kauften um Spottpreise maurische Häuser und wandelten sie in grosse Gebäude um, wo sie gegenwärtig als reiche Leute, von stattlichen Waarenlagern umgeben, bequem wohnen, blos nur noch die Oberleitung ihrer Geschäfte führend, welche (Jomuiis uud Diener auf alle Weise erleichtern. Diese Männer haben sich in Algier ganz eingelebt und sind mit ihrem Schicksale zufrieden. Wenn sie auch der Heimath noch zuweilen sehnsüchtige Erinnerungen schenken und von dem Plan gern sprechen, das Ende ihres Lebens als Rentiers in ihrem Vaterland zu beschliessen, so bin ich doch überzeugt, dass sie nie zur Ausführung dieses Projectes kommen. Wenn auch keine eigentliche Bodenliebe sie an Afrika fesselt, so bleiben sie doch dort schon aus Lust am Gewinn, an den reichlichen Zinsen, die Afrika den Capitalisten trägt. Und wäre auch dies nicht der Fall, so würde die Neugierde zu erfahren, wie sich das Land noch gestalten wird, die Gewohnheit an den Anblick des Menschengewühles und der immer neuen Sccnen des afrikanischen Lebens, ihre Abreise kaum zulassen. Wären sie aber auch wirklich lieber in der llcimath, so würde ihnen doch die Erinnerung an das Land, wo das Glück ihnen so wunderbar gelacht, an das halb morgenländische, halb europäische genusssüchtige, lockende Leben, das liebliche Klima, wo Ofen und Pelzmantel entbehrlich sind, und ein Spaziergang iu der Januarsonne den greisen Gliedern so wohlthut, die gehoffte Ruhe in der Heimath nicht mehr gönnen. Die deutschen Kaufleute, meist noch junge unverheirathete Männer, leben in sehr angenehmen Cirkeln. Zwar mischen sie sich nicht ungern unter die Franzosen und meiden deren Unterhaltung keineswegs, dennoch findet das germanische Blut sich fast wie unwillkürlich in den Kaffeehäusern auf einem Fleck zusammen, und erfordert nicht etwa die Anwesenheit eines französischen Freundes, aus Höflichkeit französisch zu conversiren, so hört mau unsere kräftige Mutterspracht immer vorzugsweise. Mancher wackerer Landsleute dort gedenke ich mit inniger Liebe und wünsche der Colonie Glück zu solchen Bürgern. V. Ausflüge in Algiers Umgegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. — Der Fhos oder die Barüieue Algiers. — Der Sahel. — Cap Caxines. — Budscharea. — Das Colonisten-dorf Deli-Ifualiirn. — Die militairisctie Niederlassung; Mustapha-Pasclia. — Das Lager und Colonistendorf Kuba. — Maison carroe. — Lager Byr-Kartein. — Hauscli Hussein-Pascha oder ferme modele. — Die Lager Duera und Mahelma. Wenn man im Monat April vom Hügel des Kaiserforts auf die umgehende Landschaft schaut, so entrollt sich eines der herrlichsten Panoramas der Welt. Das Auge dominirt eine Hunde von mehr als dreissig Meilen, Hügel, Ebene und Gebirge im Schmuck eines afrikanischen Frühlings, das blaue wogenlose Meer, auf dem sich zahlreiche Fischerbarken uud Kauffahrteischiffe mit schwellenden Segeln schaukeln. April und Mai sind Algiers schönste Monate, wo die Vegetation am kräftigsten sprosst. Neben dem nie alternden Grün der gekrönten Dattelpalme, des bald einzeln, bald gruppen-weis stehenden Citroncn - und Johnnnisbrodbaumes, steht die Silberpappel und der Weinstock in frischem, zartgrünen Getriebe. Die Schlingpflanzen um die uralten Stämme gewunden und mit ihren farbigen Blumenkelchen die rauhmoosige Binde streichelnd; der Boden von einem dichten Blumen-und llalmenwuchs von l*/a Fuss Höhe bedeckt, die Schnabelschläge der Vögel gegen den morschen Ast des Olivcnbau-mes, ihr Morgengesaug, das muthwillige Flattern im Blätter- netz, «las Zirpen und Summen zahlloser geflügelter schillernder Insecten erhöht da unstreitig den Zauber einer hochherrlichen Gegend. Zunächst übersieht man von dem Kaiserfort oder überhaupt von der ganzen Hügelkette, vom Budscharea bis zum Lager Kuhn, das blühende Meergestade zwischen Caj> Caxines bis Maison carree, eine überaus gesegnete Landschaft, besäet mit weissen maurischen Gartenhäusern; dann den Sahel und dessen Fortsetzung im Osten bis zum Cap Matifu, eine nocli wilde uncultivirte Gegend, bedeckt mit dichten Büschen und Strauchwerk, im Süden und Osten des Sahel die Ebene Metidscha mit ihren arabischen Duars uud ihren Baumoasen, endlich die schöne nördliche Kette des Ätlasgebirges, welche im Osten der Dschurschura, ein majestätischer Schneeberg mit sieben Gipfeln überragt. Die vier genau von einander gesonderten Terrains: das flache Gestade, dann das Hügelland oder der Sahel, welches dicht hinter dem Gestade sich aufthürmt, die Ebene Metidscha, welche im Südeu des Sahel beginnt, und das Atlasgebirge im allcr-äusserstcu Hintergrund, haben sämmtlich die Form von Bögen, deren halbrunden Bauch immer eines jener Terrains wieder ausfüllt. Der Atlas als die südlichste dieser Tcrrain-abtheilungeu bildet, alle andern umfassend, natürlich den grössten Theil dieser Bögen. Die Brandung des Meeres wälzte auf dem flachen Gestade einen Sanddamm auf, der au wenigen Stellen über 203 Fuss breit ist. Dann beginnt eine hellschwarze, ziemlich fette fruchtbare Vegetalerde, welche die kleine schmale Fläche zwischen dem Meer uud dein Hügelland, sowie auch den Abhang dieses letztern grösstenteils bedeckt. Auf dem trocknen Sande am Gestade wachsen im Frühjahre vielerlei Pflanze!], wie Iris alata, Euphorbia paralias et helioscopia, Ce- rinthe major, Smilax mauritanica u. a. In der kleinen Ebene und auf dem besonders fruchtbaren Abhang der Hügelkette wächst der Cactus opuntia in einer Ucppigkeit, die wohl nur in dem cactusreichen Mexico und Brasilien übertroflen wird. Seine ungeheuren mit langen Stacheln uud kleinen stachlich-ten Warzen besetzten Blätter werden oft zwei Zoll dick und erreichen die Grösse eines Pferdekopfes. Gewaltige Mauern, Schanzen, Wrälle in den verschiedensten bizarrsten Formen bauen sich aus seiner Blättermasse. Der Cactus wird oft um den Hand der Gärten gepflanzt und bildet eine undurchdringliche Umzäunung. Die riesenhafte Agave americana, gleichfalls äusserst häufig in dieser Landschaft, steht dem Feigen-cactus an Pracht des Wuchses wenig nach und gewährt besonders im August mit ihrem zwanzig Fuss hohen Blumenstengel, dessen gelbe Blütheu in Kronleuchterform sich oben vertheilen, einen prachtvollen Anblick. Dattelpalmen kommen nur dicht bei der Stadt einzeln vor. Sonst bedecken in cultivirtem Zustand Orangen-, Citroncn-, Bananen-, Granat-und Mandelbäume diese Dammerde, wild wächst der Olivenbaum in einer Höhe und Schönheit, die ein Bewohner der Provence kaum für möglich halten würde; der Maulbeerbaum kommt selten vor, ist aber von ungemeiner Grösse; Johannisbrodbäume wachsen sowohl in .wildem als cultivirtem Zustand. Als Gebüsch sprosst die Philyreastaude, als niedere Pflanzen die Malvenarten am häufigsten. An Quellen und Bächen ist keiu Mangel dort, daher die Fruchtbarkeit, die nur in den drei heissesten Monaten Juli, August uud September schwindet, wo der Boden dürre ist und die niedere Vegetation völlig vom Gluthstrahl versengt. Die aus der Vegetalerde hie und da nackt hervortretenden Felsen besteben meist aus tertiärem Kalkstein, welcher auf talkartigem Glimmerschiefer ruht. Letzterer bildet eigentlich die Haupt-grundmasse dieser Hügel und tritt auf vielen Stellen, namentlich auf dem Gipfel des Budscharea , die tertiären Schiebten durchbrechend, nackt hervor. Die ganze Masse ist mit Adern von weissem Quarz durchdrungen. An mehreren Stellen, so namentlich bei dem Kaiserfort, geht dieser Schiefer in Feld-spath und Gneis über. Das Eisen trifft man in diesen Felsen unter den verschiedensten Formen, wiewohl nicht in hinreichender Quantität, um ausgebeutet zu werden. Der Budscbarea, der höchste Gipfel dieses Hügelterrains, kaum eine halbe Stunde von Algier entfernt, erhebt sich 1230 Pariser Fuss über die Meeres fläche. Die Fortsetzung dieser Hügelkette nach Süden, der Massif oder Sahel, welcher eigentlich ein unregelmässigcs Plateau mit Höhen und Thälern bildet, ist mit einer dichten wilden Buschvegetatiou bedeckt, aber wenig angebaut. Die Zwergpalme ( Chamacrops humilis) , eine kaum ausrottbare Pflanze, verdrängt mit ihren Wuchcrwurzelu und fächerförmigen Blättern fast alle übrigen Sträucher. Nur manche Stelleu hat der Pistaciastranch und der Stachelginster schon so sehr occupirt, dass kein Verdrängen mehr möglich ist. Die stärkste Breite des Sahel iu gerader Richtung südlich beträgt etwa sechs französische Lieues. An allen übrigen Punkten ist er weniger breit. Seine Länge von den Ufern der Aradsch bis Sidi Ferruch beträgt etwa acht Lieues. Der Sahel hat ein einziges ganz unbedeutendes Flüsschen, den Uad-el-Kerma (Feigenlluss), der mit der Aradsch sich vereinigt. An den Extremitäten im Osten und Westen wird der Sahel schmaler und flacher und versinkt fast ganz in die Ebene Metidscha. Nur ganz schwache Erhebungen treten zwischen der Aradsch und dem Cap Matifu wieder hervor. Uebrigens diniert dieselbe wilde Buschvcgetution dem Meer entlang' bis zu dem Cap Matifu und noch weiter nach Osten fort. Im Süden des Saheis dehnt sich die Ebene Metidscha aus, welche das Hügelland in einem bogenförmigen Halbkreis um-fasst und an den Extremitäten, wie schon erwähnt, sich last mit ihm verschmilzt. Die Ebene Metidscha ist ein grünes, ziemlich kahles Gefilde von etwa 25 Stunden Länge; ihre grösste Breite in der Mitte beträgt etwas über fünf Stunden. Sie ist mit einer ziemlich fruchtbaren fetten Dammerde bedeckt und auf das Reichlichste bewässert. Sehr viele kleine Flüsse uud Bäche, die aus dem Süden vom Gebirge kommen, durchströmen sie. Ihr ganzer nördlicher Hand ist sehr sumpfig und äusserst ungesund, wogegen der Südrand üppigen Graswuchs, schöne Felder und auch Holzgewächse in Uebor-lluss besitzt. Es liegen in der Metidscha viele schöne Hauschs oder Landgüter mit Mauern und Gärten umgeben, viele arabische Zeltdörfer und mehrere französische Lauer, aber dies alles verschwindet in dem Ungeheuern flachen Baum, so dass die Metidscha ziemlich kahl scheint. Euter den vielen Blumen, welche diese Ebene im Sommer und Frühling schmücken, bemerkt man vor allen die Scilla maritima, ein gewaltiges Zwiebelgewächs mit schöner weisser Blüthc, dann viele Iris- und Orchisartcn. Die Ufer säiiunt-licher Flüsse uud Bäche sind mit Ungeheuern Oleandersträu-chen bedeckt, welche im März ihre Sclmrlachblüthen öffnen. Die erste Kette des Atlas, welche südlich von der Ebene Metidscha sich erhebt, hat eine mittlere Höhe von 3200— 3500 Fuss über der nahen Mceresfiachc. Der höchste Punk«, Kas-el-Hammal, erhebt sich 4900 Fuss über dem Meere. Versteinerte Mollusken linden sich dort, wiewohl nicht in bedeutender Menge. Von Metallen fand man bei den wenigen Ex- cursioncn, die dorthin unternommen wurden, viel Kupfer und einiges Eisen. Der nördliche Abhang dieser Kette ist sehr fruchtbar und von den Kabylen ziemlich gut cultivirt. Der wilde Olivenbaum wächst dort zwar nicht sehr hoch, aber im Ueberfluss, auch wird viel Oel davon, zwar von schlechtester Qualität, aber zu äusserst billigen Preisen, nach Algier ausgeführt. In kleinen Wäldern bedeckt die immergrüne Eiche und die Korkeiche den Gebirgsrücken. Dort wimmelt es von Raubthieren, namentlich Schakals, Hyänen, Panthern, welche bei Tag im Buschwald oder in Felsenhöhlen sich verbergen, in der Dunkelheit aber in die Ebene steigen, und ihre grimmigen Stimmen zu einem graulichen Nachtcon-certe vermählend, aus den Heerden der Araber sich ihre Beute holen. Bis auf eine Entfernung von zwei bis drei Stunden von der Stadt kann man mit ziemlicher Sicherheit nach allen Richtungen sich wagen, doch nur so lange die Sonne am Himmel steht. Zur Nachtzeit ist jeder Spaziergänger gefährdet, wollte er sich auch nur eine Viertelstunde über die Thore hinaus entfernen. Ein gut bewaffneter, gewandter Mann mit scharfem Auge, der das Land und den Charakter der Araber kennt, kann über den ganzen Sahel streifen, ohne für sein Leben zittern zu dürfen. Er findet bei Verfolgung in dem Dickicht Schutz, wird dort seinen Feinden unsichtbar oder kann sich nötigenfalls mit Vortheil verteidigen. Nie wurde seit den neun Jahren der Occupation ein auch nur etwas erfahrner Jäger ermordet, obgleich deren hunderte den Sahel durchstreifen und sich noch viel weiter bis an das Cap Matifu und an die Ufer des Massafran wagen. Immer waren die unglücklichen Opfer, die unter dem Yatagan der Ha-dschuten fielen, unbedachtsame Soldaten, Fuhrleute oder Colo- nisten, welche allein und unbewaffnet von einem Lager zum andern gingen, ohne von den so oft wiederkehrenden Unglücksfällen sich schrecken zu lassen. Die weiten Ausflüge nach den Lagern in der Ebene Metidscha und am Fusse des Gebirges sind einzeln, selbst wenn man gut bewaffnet ist, nie rathsam, denn im Falle des Angriffs einer arabischen Bande findet man dort nirgends ein Versteck. Dagegen kann ein Dutzend mit guten Flinten bewaffneter Männer sich wohl nach jedem Punkt innerhalb des französischen Gebietes wagen. Die Araber, welche auf dem unbedeckten Terrain sich nicht in den Hinterhalt legen können, greifen selten an, wenn sie nicht fünf gegen einen sind. Ueberdies sieht man zahlreiche Banden immer schon in sehr weiter Ferne, und dann ist es rathsam, ihnen aus dem Wege zu reiten und sich stets auf einer gewissen Entfernung von ihnen zu halten. Au ihren Bewegungen erkennt mau leicht, ob sie feindliche Absichten hegen, und in diesem Falle rettet den Reisenden ein rascher Ritt nach dem nächsten Lager oder Blockhaus. In kritischen Zeiten, wo man mit den Häuptlingen des Innern im Kriege ist und die Einbrüche der räuberischen Stämme, wie der Iladschuten oder der Anrauhas, sich öfters wiederholen, ist es klug, sich stets den militairischen Escorten an-zuschliesseu, welche zweimal täglich von einem Lager zum andern ziehen. Die Ausflüge in die nächste Umgebung bis auf zwei oder drei Stunden von der Stadt machte ich immer zu Fuss mit einer guten Doppelflinte. Gefährliche Wanderungen, wie nach den Ruinen von Rusgonia, oder nach dem Kubar-cl-Rummiah (Grab der Christen), sowie nach allen entfernteren Lagern legte ich immer zu Pferde in einen Beduinenbernuss gekleidet zurück. Letzteres ist sehr rathsam, da die europäische Tracht von weitem schon die Aufmerksamkeit der Araber erregt und ihre Haublust wecken würde. Das Reisen zu Pferde ist etwas sehr Notwendiges und auch nicht ohne Annehmlichkeit, da die arabischen Pferde sehr lenksame, unermüdliche, genügsame und sichere Thiere sind, auf denen mau über alle Terrains, über Büsche, Sümpfe und steile Berge wegsetzen kann. Während der vielen Ausflüge und grösseren Reiseil in das Innere der Berberei, wo ich Pferde vom verschiedensten Werth und Alter ritt, ist mir nicht ein einziges Mal begegnet, dass ein Pferd unter mir gestürzt wäre, ungeachtet diese Thiere nach entsetzlicher Ermüdung1 und tagelangem Hungern oft über die abschüssigsten Wege im Trabe laufen mussten. Dromedarreisen sind in dem Lande, so weit der cultivirbare Boden geht, nicht gebräuchlich, da man bei dem Ungeheuern tJcherfluss an Pferden nie um ein solches verlegen ist. Der Ritt auf dem Dromedare ist wegen des unsanften Trittes dieser Thiere viel ermüdender und unangenehmer, man gebraucht sie fast nur als Lasttiere. Bios für die Wüstenreisen ist das KamccI, wie weltbekannt, unentbehrlich, daher auch die Zahl der Kameele unter den südlichen Stämmen weit grösser ist, als unter den Stämmen am Küstenland. Einige der Hauptstrecken kann man jetzt von Algier aus im Waagen der Diligence zurücklegen. Jeden Morgen fahren mehrere dreispännige Kutschen, die etwa zehn Personen fassen, über Deli-Ibrahim und Duera nach Bulfarik. Die acht Stunden lange Strasse ward von dem französischen Militair gebahnt und ist den besseren der Vicinalstrassen Frankreichs an die Seite zu stellen. An einigen Punkten, wo das Terrain weniger Hindernisse entgegensetzt, wie in der Ebene Metidscha, ist die Landstrassc eine wahre Route noyafe) WO drei Wägen neben einander fahren können. Jene Landstrasse ist bis Beiida am Fusse des Atlas gebahnt, wird jedoch noch nicht so weit befahren, denn den Civilisten ist der Eintritt in Beiida verboten. Sobald der Marschall Valee d ieses Verbot au Hiebt, fahren dieselben Diligencewa-gen vom Meere bis an den Atlas. Mit dergleichen Unternehmen sind die Franzosen überhaupt sehr flink bei der Hand, leider aber stehen die Fortschritte des Ackerbaues damit iu keinem Verhältniss. Fast in allen Lagern linden sich Luxus-ctablissements, wie Billardsäle, Bm'ns francais u. s. w., während die Umgebungen meist noch Wildnisse sind. In den grösseren dieser „Camps" kommt man auch nie mit der Wohnung in Verlegenheit und tindet stets entweder mittelmässig gute Betten oder wenigstens reinliche Strohlager, dagegen hält dies weit schwerer in den neuerrichteten Lagern, wie Fonduk oder Kara-Mustapha, und die Bekanntschaft französischer Ofliciere, die in allen übrigen Militaimiederlassungen überhaupt so nützlich ist, wird dort eine Notwendigkeit. Meine Ausflüge erleichterten daher gar sehr die Empfehlungsschreiben des Marschalls Clauzcl und des Kriegsministers. Ueberdies traf ich in vielen Lagern mir persönlich befreundete Männer, deren Bekanntschaft ich auf andern Wegen gemacht halte. So nenne ich vor Allen den würdigen General Brö, den ich bei dem Baron Faisthammel in Paris gesehen hatte, den Obrist Lamoriciere, der die Bresche von Constantine zuerst erstieg, den Commandanten Levaillunt, Algiers kühnsten Jäger und Sohn des berühmten Reisenden, welchen ich öfters auf seinen Jagden begleitete, wogegen er mir auf meinen Sammelexcursiouen folgte; ich sollte noch so manche andere Namen dankend nennen, werde aber wohl Anlass haben, dieselben später im Laufe dieses Werkes anzuführen. Stets fand ich, wenn ich hungrig und erschöpft Mokitz Wagner's Algier. F. Q vom langen Wandern in ein Lager kam, bei diesen wackern Männern einen herzlichen Willkomm, einen Platz an ihrem Tisch unter der Holzbarake und ein Feldbett unter ihrem Zelt. Die weitesten und gefährlichsten Ausflüge machte ich in Begleitung meines Freundes Adrian Berbruggcr, Bibliothekars in Algier, vormaligen Secretärs des Marschalls Clauzel und Redacfceur des Moniteur Algerien. Dieser äusserst thätige, unternehmende, geistvolle Altcrthumsforscber durchwanderte das Land, so weit es ihm möglich war, um alle noch vorhandenen Ruinen sorgfältig zu untersuchen und Nachgrabungen zu veranstalten. Berbruggcr ist, ungeachtet seines deutsch klingenden Namens, ein echter Franzose, voll der rastlosen Beweglichkeit und Liebenswürdigkeit, die diesem Volke eigen, dabei aber ist er gründlicher als die grosse Anzahl Seiner Landsleute, und lieht das Studium. Seit sieben Jahren sammelt er sich archäologische und geographische Materialien zur Herausgabe eines Werkes über die Regentschaft Algier. Mit ihm besuchte ich zweimal die Ruinen von Rusgonia, den Markt au der Ilamiss, Reghaia u. s. w. Die nächste Umgebung Algiers bis zur Entfernung von drei Stunden über die Mauern der Stadt führt den arabischen Namen Fhos oder Fhas, was so viel als Weichbild der Stadt bedeutet und denjenigen District in sich schliesst, über welchen früher die Gerichtsbarkeit des Kadi - Malcki sich erstreckte. Der Fhos oder die Baulieuc, wie die Franzosen ihn nennen, ist der nördliche Theil des Algierer Massiis, zwischen der Ebene Metidscha und dem Meere, ein köstliches Land voll maunichfaltiger malerischer Ansichten. Die Natur hat an diesem Paradiese ihre reizendsten Launen erschöpft; die unbeschreibliche Schönheit derselben ist in Europa bei weitem noch nicht hinlänglich bekannt und gewürdigt. Der Fhos ist ein Hügelland', von breiten, tiefen Schluchten zerrissen, deren kräftige Südvegetation die gesegnetsten Gegenden Spaniens und Italiens hinter sich lässt. Es ist dieses das Geständniss aller Südeuropäer selbst, was viel sagen will, denn gewöhnlich glaubt man in der Fremde sein Vaterland schöner. Die herrlichsten Gegenden, welche ich selbst in Europa und in den übrigen Theilen Nordafrikas gesehen, halten keinen Vergleich aus mit der Algierer Landschaft. Be-lida, am Fasse des Atlas, ist fruchtbarer, aber das Panorama seiner Umgebung bei weitem nicht so mannichfaltig. Ich habe italienische Maler gesprochen, welche im Maimonat, der auch in Afrika der schönste ist, von dem Hügel des Kaiserforts über die weite Gegend unter ihnen blickend, unaufhörlichausriefen: „non v*b niefite di piit hello ncl mondo ! u Diese Maler hatten Neapel und Sicilien bewohnt. Eine Ordonnanz des Grafen Drouet d'Erlon vom April 1835 theilte den Fhos in neun Gemeinden. Dieselben sind: 1) Pointe Pescade im Westen Algiers, das ebene angebaute Meerufer bis zum Cap Caxines (von den Franzosen pointe Pescade genannt) in sich begreifend. Das grosse Hospital des Deygarteus, das sogenannte „Fort der Engländer'4 und der Marabut (Grabmal) Sidi-Yussuf liegen in seinem Gebiete. 2) Budscharea fasst die westliche Hügelkette in sich, und hat seinen Namen von dem höchsten dieser Hügel. Die Kirchhöfe der Christen, Mahomedaner und Juden befinden sich in dieser Gemeinde. 3) Deli - Ibrahim ist das bekannte deutsche Colonisten-dorf und schlicsst überdies noch den alten Canton Beni-Mes-sus ein. 4) Mustapha begreift die östliche Hügelkette und die zwischen letzterer uud dem Meere gelegene kleine Ebene. Es 9 ° ist der schönste Theil der Landschaft, hedeckt mit Orangen* gärten und prächtigen weissen Landhäusern im maurischen Style. Da maurische Kaffeehaus Hamma, von den Franzosen das Platanen-Kaffeehaus genannt, der jardin des cssais und ein Quartier der leichten Cavalerie liegen in seinem Gebiete. 5) El - Biar ist das Terrain zwischen dem Kaiserfort, Deli-Ibrahim und Byr - Madreis. 6) Byr-Madreis beginnt östlich von El-Biar und endigt im Südwesten eine Stunde vor dem Lager Byr-Kadern. 7) Byr-Kadern ist die bevölkertste Gemeinde des Fhos. Im Centrum seines Terrains befindet sich das Lager Byr-Kadem und an seiner Glänze das Lager Tixeraim. Beide Punkte sind jetzt von geringer Wichtigkeit, da in dieser Gegend längst alle Feindseligkeiten aufgehört haben. 8) Kadus. Das Terrain gränzt an Deli-Ibrahim, und ist weniger fruchtbar, als das der übrigen Gemeinden. 9) Kuba zwischen Byr-Kadern und dem Flusse Aradsch, krönt alle Höhen, welche in Südosten von Mustapha-Pascha sich befinden. Das Terrain dieser Gemeinde ist im hohen Grade fruchtbar, leider aber auch zugleich das ungesundeste der Umgegend. Das feste Lager Kuba, auf dem höchsten Meereshügel, das Colonistendorf desselben Namens und das prächtige Landgut Hausch-Hussein-Pascha, jetzt Ferme modele genannt, liegen auf dem Gebiete der Gemeinde Kuba. Die Bevölkerung dieser neun Gemeinden des Fhos beträgt nahe an 3000 Einwohner, worunter ungefähr die Hälfte Europäer sind. Am 23. Mai errichtete der Graf Drouet d'Erlon fünf neue Gemeiden: Hussein-Dey, Byr-Tuta, Deschina, Dnera und Massafran. Aber diese existiren eigentlich nur dem Namen nach. Ihre europäische Bevölkerung ist mit Ausnahme der des Dörfchens Duera, weiche fast blos aus Soldatcnwirthen besteht, gar nicht der Erwähuung werth und die wenigen dort existirenden Colouisten bewohnen Einsiedeleien. In jeder der Landgemeinden ist ein französischer Maire eingesetzt, welcher zwei Adjuncte, einen Eingebornen und einen Europäer, an seiner Seite hat. Die Maires halten in ihrem Gebiete die Staatsregister, führen die ländliche Polizei, und üben fast alle jene kleinen Functionen, wie ungefähr in Frankreich, aus. Diese Organisation liisst den Eingebornen nicht hinlängliche Garantie. Ihr Adjunct, der nur eine beratende Stimme hat, kann den Maire nicht von einer ungerechten Massregel abhalten. Die Interessen der neuen Ansiedler aber sind natürlicher Weise denen der alten Besitzer zu sehr entgegen, als dass nicht häufiger Streit zwischen Europäern und Mauren die Folge wäre. Häufig wurden gegen letztere schreiende Gewalttätigkeiten geübt. Mehr als Eine maurische Familie kam durch die Wegnahme ihres Häuschens und Gartens zum Staatsbedürfnisse um Obdach und Brod, und war genüthigt, sich bettelnd iu das Innere zurückzuziehen. Die Colouisten Europas in dem Fhos sympathisi-ren leider mit den maurischen Nachbarn wenig, und gegenseitige Diebstähle und Plackereien fallen nur allzu häufig vor. Es existirt zu Algier ein Kaid-el-fhos, der eine Art von Gendarmerieofficier ist, und die Feldwächter oder maurischen Landgendarmen unter seinem Commaudo hat. Jede Gemeinde hat einen solchen Feldwächter, dem die Eingebornen den Titel Schcikh gehen. Ihr Amt ist, zu verschiedenen Tagesstunden die Kunde in der Gemeinde zu machen. Sic erhalten nur neunzig Centimes täglich, aber ungeachtet dieses kärglichen Soldes giebt es für diese Aemter immer eine \ Masse von Caudidaten, arme Teufel, die zu stolz, zu schwach oder zu träge zur Tagelöhnerarbeit sind, und deren geringes Eigentum nicht mehr, wie zur wohlfeilen Zeit der Deyhcrr-schaft, hinreicht, eine Familie von den Einkünften zu ernähren. Der Fhos ist eben so vollkommen unterworfen, wie die Stadt selbst. Man kann dort auch ohne Waffen mit aller Sicherheit spazieren gehen, obwohl man in den einsamen Schluchten oft in weiter Runde kein menschliches Wesen sieht. Die maurischen Bewohner des Fhos bilden einen friedlichen, sanften, liebenswürdigen^Menschenschlag, thun Niemanden das geringste Leid, und sind froh, wenn man sie in Ruhe lässt. Der Jäger, der ihre Felder zertritt, der durstige Spaziergänger, der in ihren Garten Granatapfel oder Melonen pflückt, hört von dem Eigentümer nie einen Vorwurf. Im Gegenteil wurde ich, wenn ich während meiner Streifpartien nach den entlegenen Landgütern mich verirrte, von dem maurischen Pflanzer öfters freundlich angerufen, „ich möge doch bei ihm einkehren, und Feigen oder Melonen essen. " Ein uralter, ehrwürdiger Maure in der Gemeinde Kuba begegnete mir häufig auf den einsamen Fusswegen dieser Gemeinde. Immer hielt er, sobald er mich gewahr wurde, sein Eselein still, und reichte mir mit freundlichstem Grusse seine Tabaksdose. Ich habe diese sanften patriarchalischen Mauren, deren edle Züge die Milde und Ruhe einer schönen Seele ausdrücken, während meines Aufenthaltes in der Berberei sehr lieb gewonnen. Sie sind den maurischen Städtebewohuern bei weitem vorzuziehen. Leztere, welche grösstenteils Handel treiben, sind verdorbener und verschmitzter Natur. Die maurischen Pflanzer verstehen sich besonders auf die Zucht der edlen Fruchtbäume; ihre Orangen, Gra- natüpfel und Melonen suchen vielleicht ihres Gleichen in der Welt. Sie ziehen auch den Weinstock mit grosser Kunst und liehen den GenusS der Traube. Man sieht in diesem Lande Weinstücke, deren Stamm den Eichen au Dicke wenig nachsteht, und die oft Trauben von fünf bis sechs Pfund tragen. Vor Allem aber ist der Orangenbaum die den Eingebornen theuerste Pflanze. Die Mauren behaupten, sie besessen iu der Zucht derselben Geheimnisse, welche der Europäer nicht kenne, und in der That bemerkt mau in den Gärten dieser letztern, dass die Orangenbäume von Jahr zu Jahr schlechtere Erndten geben. In der Pflege des Gemanntes hingegen sind die Franzosen den Eingebornen überlegen; das Oel dieser letztern ist von schlechtester Qualität. Die europäische Bevölkerung des Fhos besteht aus Franzosen, Spaniern und Deutschen. Die Franzosen haben ihre Grundstücke hauptsächlich in den Geineinden Mustapha und Budscharea, welche der Stadt zunächst liegen. Viele höhe Militairs und Beamte haben gleich in dem ersten Jahre der Eroberung die schönsten Gärten um Spottpreise gekauft. Die herrlichsten Landhäuser, an Grösse und Schönheit Palästen gleich, wurden von den ausgetriebenen Türken und Mauren dem ersten Speculanten zugeschlagen. Mancher jener Iii glücklichen hat nie einen Liard für sein verkauftes Besitzthum bekommen, welches dem heutigen Eigentümer vielleicht tausend Franken Kenten trägt. Einige dieser prächtigen Landgüter sind durch ein Dutzend Hände gegangen, ein Besitzer verkaufte es wieder einem andern, immer um einen hohem Preis, und stets fanden sich neue Kaufliebhaber, die, in der Meinung, endlich sey der Zeitpunkt einer Einwanderung aus Europa in Masse ganz nahe, die Preise der nächstgelegeuen Grundstücke auf eine übertriebene Höhe steigerten. Andere ergaben sich dem Vandalisinus aus Spcculation, Hessen alles Holz, Eisenwerk, Porzellan und die Marmorsäulen von dem Gebäude ausbrechen, verkauften es im Einzelnen und boten dann die halbzertrümmerten Häuser den europäischen Colouisten zum Kauf an. Letztere aber, welche den übertriebenen Forderungen der Speculauten nicht Genüge leisten konnten, zogen vor, in den entferntem Gegenden des Fhos sich anzusiedeln, und wenn sie kein Haus zum Kaufe fanden, sich selbst eine Strohütte zu bauen. Eine Menge der schönsten Landhäuser auf Budscharea und Musta-[)ha steht jetzt verlassen und halb in Ruinen, während die einst so herrlichen Gärten eine Wildniss von hohem Unkraut und Gestrüpp geworden sind. Dennoch wollen die hartnäckigen Speculanten ihre Preise nicht massigen uud ziehen vor, ihr Besitztum völlig verwildern zu lassen, immer mit der habgierigen Wucheridee im Kopfe, dass doch endlich einmal der Moment einer grossen Colonisation und mit ihr eine Steigerung der Preise kommen müsse. Diese Thoren begreifen durchaus nicht, dass gerade sie das Hiuderniss der Colonisation sind. Die aus Europa eingewanderten Bauern sind arme Teufel, welche den Gelddurst jener Blutegel nicht befriedigen können* und die Capitalisten hüten sich, Culturversnche anzustellen, da, wo die Theuerung der Grundstücke ihnen keinen Gewinn für ihre Unternehmungen verspricht. Diesem Uebel wäre nur vorzubeugen, wenn die Regierung auf alle unbebauten Ländereien eine massige Steuer legen würde. Daun wären jene wuchernden Eigentümer, die nicht coloni-siren, sondern durch den Ruin der Bauern sich bereichern wollen, doch am Ende zum Verkauf gezwungen. Andere hohe Armeeofliciere und Beamte lassen ihre Gärten durch Kabylen oder auch durch europäische Taglöhner iu ziemlich gutem Stand erhalten. Die Generale und Obristen finden ein wohlfeiles Mittel durch Benutzung ihrer Soldaten. Vorzüglich schön sind die Landhäuser sämmtlicher Consulu der auswärtigen Mächte, von denen die meisten seit langen Jahren schon prächtige Landhäuser besassen. Die Landgüter des englischen und des dänischen Consuls zeichnen sich vor allen andern durch die blühende Schönheit ihrer Anlagen und den orientalischen Geschmack ihrer Gartenhäuser aus. Der dänische Conan] ist mit einer Mauriu verheirathet. Sein Land-gebäudc, welches den höchsten Hügel der Gemeinde Musta-pha krönt, wimmelt von schwarzen Sklaven und Sklavinnen. Seine Gärtner und Hirten sind Kabylen. Das Quartier von Budscharea, obwohl eben so nahe an der Stadt, als Mustapha, ist viel stiller und einsamer, und seine Landhäuser, hinter grünen Bergschluchten versteckt, zeigen bei weitem kein so zauberisches Gemälde. Das Geroll der Wagen wird da noch nicht gehört, dafür singen aber die Vögel noch ungestört auf den Palmen und Cypressen. Es führt durch Budscharea keine Fahrstrasse, sondern enge W'ege, die nur von Lastthieren und Fussgängern betreten werden können. Hätte ich unter allen Gemeinden des Fhos meinen Aufenthalt zu wählen, ich würde am liebsten Budscharea bewohnen. Seine Vegetation steht au kräftiger Schönheit keiner der übrigen nach. Hohe schattige Bäume, Bergbäche, Wiesen voll Bluinenschimmer, Quellengemurmel uud Vogeltriller unter dein schönsten Himmelsblau machen diese Landschaft zum wahren Eden. Die Mauren müssen den Reiz des traulichen Friedens jener grünen Schluchten wohl empfunden haben , weil sie dorthin ihre Familiengräber versetzten. Sie wollten sich demnach diesen schönsten Theil der Landschaft als ihre künftige ewige Residenz vorbehalten; darum siedelten sich dort so wenig Le- bende an. Die meisten dortigen Landhäuser sind verlassen uud der nächtliche Wohnort des Schakals, welcher, traurig winselnd, auf den Gräbern scharrt. Budscharea ist die Gemeinde der Todten. Deli - Ibrahim mit seinem deutschen Colonistendorfe glänzt an die grosse Landstrasse zwischen Algier und Buf-farik. Sein Terrain, obwohl ebenfalls fruchtbar, ist keines der vorzüglichsten des Landes. Denn nur da, wo es Bäche und Quellen im Ueberfluss giebt, erreicht die Vegetation in der Berberei jene grüne Ueppigkeit, jene zauberische Blüthcn-pracht, von welcher man in Europa sich keine Vorstellung macht. Das Dorf Deli - Ibrahim leidet im Sommer grossen Maugel an Wasser. Die Bewohner müssen es eine Stunde vom Orte holen, und vergebens baten sie seit vier Jahren um die Bohrung eines artesischen Brunnens, oder um Wasserleitungen. Mau wollte für dieses Culturetablissement eine mili-tairische Position wählen, und dieser Rücksicht wurden alle übrigen geopfert. Dicht an dem Dorfe erhebt sich ein iso-lirtcr Hügel, auf welchem eine feste Caserne erbaut ist. Die Besatzung besteht aus Zuaven. Seitdem aber die Vorposten bis weit in die Ebene Metidscha vorgeschoben worden, seitdem zu Bulfarik, Duera und Mahelma Lager errichtet sind, ist die militairische Position von Ibrahim völlig unnöthig geworden. Vergehens aber bereut man es jetzt, das erste Co-lonistendorf auf den unfruchtbarsten Fleck der Landschaft erbaut zu haben. Bei meiner ersten Reise nach Algler im Jahre 1634 traf ich zu Ibrahim nur Hütten von Holz und Stroh, jetzt ist ein grosser Theil der Häuschen von Stein, und fast alle diese deutschen Auswanderer sind ziemlich be-i[iioni logirt, unendlich besser, als die Kabylen und Araber iu ihren Diiars, und wenigstens eben so gut, als die Bauern auf dem baierischen Donaumoos. Freilich darf man, wenn man Ibrahim zum erstenmal« sieht, die schönen Dörfer in den gesegnetsten Gegenden Frankreichs und Deutschlands nicht zum Vergleich sich denken. Wie sollte auch in fünf Jahren schon ein glänzender Zustand für jene Auswanderer in einem Laude möglich seyn, wo Alles zu erschaffen ist, und wo der Krieg noch keine Woche aufgehört hat! Einige neuere deutsche Keisebeschreiber haben dieses durchaus nicht berücksichtiget, sondern schrieben, dem ersten oberflächlichen Eindruck gehorchend, über die Lage der deutschen Kolonisten in Algier die absurdesten Dinge in die Welt hinaus. Die Gemeinde Kuba, auf deren Gebiete ebenfalls ein Colonistendörfchen liegt, ist bewässert, fruchtbar und voll malerischer Punkte, ihr Klima aber leider äusserst ungesund. Von den Bewohnern des Dörfchens starb die Hälfte und die meisten übrigen flüchteten nach anderen Districten. Nur zwei kleine Häuser sind dort noch bewohnt. In der Nähe des verödeten Dorfes liegt der weisse Grabtempel von Sidi-Kuba, ein berühmtes Marabutgrab, mit hohen Silberpappeln umpflanzt. Die Thäler südlich von dem Dörfchen sind sumpfig und von Wasservögeln iu grosser Anzahl bevölkert. Diese Fenne modele bildet die südliche Glänze des Districtcs Kuba. Dieser prächtige Pachthof war Privateigenthuin des Deys. Er besteht aus mehreren festen Gebäuden, an welche eine hohe Mauer angebaut ist, die ein Terrain von einigen Hektaren Landes umgiebt. Für grosse Heerden und Stutereieu ist folglich dort die grösste Sicherheit. Im Jahre 1832 griffen die Araber die Fenne modele ohne Erfolg au. Mit fünfzig muthigen Verteidigern kann dieselbe einigen tausend Beduinen trotzen. Ein Drangeugarteu ist dicht an dem Pachthofe angepflanzt und die I mgegend gegen Norden mit Kornfeldern bedeckt. Im Sü- den, wo die Ebene Metidscha beginnt, liegen Moräste, deren Ausdünstung den Bewohnern dieses schönen Landgutes im Sommer Krankheiten bringt. Ich sah dort selbst Araber am Wechselfieber leidend. Die Fenne modele wurde im Jahre 1830 unter den Ausnicien des Marschalls Clauzel von einer Gesellschaft Actionnäre in Besitz genommen. Dort sollten die ersten Culturversuche beginnen und eine Mustercolonie aus dieser Pflanzung gemacht werden. Aber der Erfolg entsprach keineswegs den Hoffnungen. Das äusserst ungesunde Klima ist dort allein ein Hinderniss alles Gedeihens. Die Franzosen in Algier sagen von diesem Etablissement scherzhaft: ,,/a ferme modele iCest pas le modele des ferrnes," In der Tfaat entspricht der heutige Zustand you Ilausch - Hussein-Pascha, wie der Pachthof ehedem hiess, keineswegs seiner französischen Benennung. Der Tod des Herrn d'Arsonvilli«, dieses reichen und enthusiastischen Colouisten, der im April 1837 starb, hemmte dessen neue Pläne mit jenem Pachthofe. Herr d'Arsonville wollte kolossale Opfer bringen, um aus der Ferme modele eine wirkliche Musterpflanzuiig zu machen. Der heutige Besitzer ist Herr Godoi, Capitalist, über dessen Mittel aber die Meinungen verschieden sind. Die europäische Bevölkerung der entfernten Gemeinden El-Bine, Byr-Madreis, Byr-Kadern, Kadus und Kuba bestellt grösstenteils aus Spaniern von den balearischen Inseln und aus einigen Provencalcu. Die Zahl der Auswanderer von der Insel Minorka beträgt allein über 4000 Individuen beiderlei Geschlechts, von denen aber die Mehrzahl die Städte Algier und Oran selbst bewohnt; etwa ein Dritttheil hat sich auf dein Laude angesiedelt. Noch fast in jedem Monat bringt ein Schiffchen von Mahon neue Ansiedler nach Algier. Zwanzig bis dreissig Familieu sind gewöhnlich mit ihren Habseligkeiten in dein engen Schiffsraum eingekerkert. Sobald das Fahrzeug Anker geworfen, wird es von zahllosen Gondeln umringt. Alle Mahoner der Stadt Algier kommen, ihre Landsleute zu begrüssen, ihre Bekannten zu umarmen, und schnell sind die neuen Ankömmlinge immer durch die liebende Sorge ihrer Freunde unter Dach gebracht, und haben auch in wenig Wochen eine Beschäftigung gefunden, welche sie ernährt. Sehr viele dieser Spanier sind Bauern, folglich eine Wohlthat der Colonic. Sie verstehen sich ziemlich gut auf die Pflanzung der Küchengewüchsc, und ihre Gartenproducte sind bereits für die Stadt hinreichend. Der künftige Reichthum dieser Spanier besteht in den (Mivenbäu-men, deren Zucht sie vortrefflich verstehen und von denen ihre Gärten voll sind. In weit geringerer Anzahl als die Mahoner sind die Auswanderer der Provence in dem Fhos angesiedelt. Sic speculiren ebenfalls auf die künftige Oel-erndte. Die Bevölkerung des Fhos ist in raschem Zunehmen begriffen. Unter den 3000 Bewohnern desselben sind ungefähr 800 waffenfähige Männer. Der Sahel ist in vier Cantons getheilt: Ulad Fayad, Ma-helma, Duera und Ben-Chaua. Der erstgenannte Canton berührt an der äussersten Westseite, wo der Massif allmälich in die Ebene Metidscha versinkt, das Meer. Auf seinem Territorium liegt Sidi - Ferruch, der Landungsplatz der französischen Armee im Januar 1830. Sein Centrum bildet das Thal oder die kleine Ebene von Staueli, berühmt durch das Treffen des 10. Juuius 1830, wo die Armee des Dey auf das Haupt geschlagen wurde. Dieser ganze Canton ist voll historischer Erinnerungen jener Epoche. Mahclma, der bevölkertste Canton des Sahel, ist zwischen Uad - Fayad und der Ebene Metidscha gelegen. Sein Terrain ist sehr gebirgig und von breiten, tiefen Schluchten durchschnitten. Das im Jahre 1635 erbaute Lager krönt den höchsten Punkt und beherrscht den ganzen Algierer Massif. Dasselbe wurde gegen die Iladschuten errichtet, deren Einfälle in den Sahel zwar behutsamer gewordeu sind, aber erst seit dem Frieden mit Abd-el-Kader fast aufgehört haben. Wie alle übrigen Lager ist Mahelma mit Gräben und Erd-schauzeu Hingeben. Seine Kasernen sind noch vor ganz kurzer Zeit vollendet worden, denn im Frühjahr 1636 traf ich die Soldaten noch unter den Zelten. Die Besatzung besteht aus vier Compagnieu Zuaveu. Eine kleine Stunde westlich von diesem Lager Messt der Massafran, ein ziemlich bedeutender Fluss, dessen Ufer sehr holzreich sind. Namentlich liegt bei der Furth vor Mokta Kera ein sehr schöner Wald, Kherasa genannt, voll hoher Tannen (Pinns silvestris und maritima), Korkeichen, Tamarisken und Myrtenbäumen. Es ist dieses der einzige, bis jetzt in diesem Lande entdeckte Wald, welcher Bauholz enthält. Ich sah dort Bäume von sechzig Fuss, manche vielleicht von noch bedeutenderer Höhe. Derselbe wimmelt von wilden Thiercn aller Art. Eber, Schabais und Hyänen haben dort ihre Wohnung aufgeschlagen, aber die Jagd ist gefährlich wegen der Nähe der Iladschuten. Dii'se suchen gewöhnlich in dem Walde bei Mokta Kera ein Asyl, wenn sie von den französischen Truppen zu hart gedrängt werden. Duera, im Osten von Mahelma, ist der kleinste Canton von Sahel, In seinem Centrum liegt das bekannte Lager, das bedeutendste von allen, welche iu Algiers Umgegend errichtet worden sind. Die Bestimmung desselben war anfangs, die Städte Beiida und Coleah zugleich zu bedrohen. Daher wollte man dasselbe in einen grossen Waffenplatz für 40,00(1 Mann verwandeln. Inzwischen hat Dnera seine Wichtigkeit verloren, seitdem mau nach Buftarik vorgerückt ist. Das Dörfchen Duera ist von Schenkwirthen, Krämern und einigen wenigen Bauern bewohnt, es sind darunter mehrere deutsche Familien. Die Umgebung zeigt einige Cultur. Ben-Cbaua, der vierte Canton, liegt östlich von Duera und begreift ausser dem Uügellande auch einen Theil der Ebene in sich. Das Olivengehölz Byr ■ Tuta liegt auf dem Gebiete dieses Cautons. Seine Bevölkerung bilden drei arabische Duars: Beni - Chaua, Ulad-Soliman und Ulad-Hadschi. Europäer giebt es keine dort. Die ganze Bevölkerung des Sahel wird auf 900 Familien geschätzt. Es existirt in dem Sahel eine merkwürdige isolirte Ruine von bedeutendem Umfang, deren Ueberreste keineswegs einen römischen Ursprung verrathen. Unter den Arabern besteht die Sage, es sey diese Ruine das Schloss einer christlichen Prinzessin gewesen, Metidscha genannt, welche der grossen Ebene ihren Namen gegeben. Diese Prinzessin, heisst es, habe einen sehr ausschweifenden Wandel geführt. Sollte es die berüchtigte Cava gewesen seyn, welche, nach Marmol, iu dortiger Gegend begraben wurde? VI. Ausflüge in Algiers Umgegend. Die Ebene von Metidscha. Der Markt von Iiuflarik. Die Stadt Algier ist durch ihr Hügelland von der Ebene geschieden, und in gerader, südlicher Linie ungefähr sechs Stunden von letzterer entfernt. Das Lager Buffarik liegt in dem Centrum der Ebene Metidscha. Von dort aus hat man den schönsten IJeberblick über die grüne, halbmondartige Fläche. Die arabischen Duars, Hauschs und Dschemas, obwohl sich ihre Zahl auf einige hundert belauft, verschwinden fast in dem ungeheuren Baume und treten nur als einzelne schwarze Pünktchen aus der Steppenlandschaft hervor. Die erste Empfindung des Europäers bei dem Anblick der Metidscha ist das Gefühl der Leerheit. Man erstaunt über die sparsame Bevölkerung und rechnet nach, wie viele Waizen-felder iu dem leeren Ilaume Platz hätten. Es liegen in dieser Ebene einige hunderttausend Hektaren uncultivirten Landes. Ihre arabischen Bewohner haben im ganzen Lande den Huf der Arbeitsscheue; sie bauen nicht so viel Getreide, als sie für ihre eigene Nahrung nothwendig haben, und ihr fast einziger Gewinn ist die Viehzucht, weiche wegen des reichen Graswuchses ziemlich ergiebig ist. Bei dem ersten flüchtigen Ueberblick scheint die Meti- dscha fast so völlig flach, wie der Meeresspiegel, erst bei dem Annähern nach den Gebirgen bemerkt man deren all-lnälichcu Abhang von Süden nach Norden, so dass die Gc-birgsgewässer zwar einen leichten Lauf bis an den Algierer Massif haben, aber dort, an dem Ilügellande einen Damm findend, im Norden der Ebene grosse Moräste bilden. An den beiden Extremitäten der Metidscha, wo das Hügelland ganz in die Ebene versinkt, nehmen die Gewässer ihren Lauf ohne Hindcrniss nach dem Meere, und die Flussbetten sind dort genau gezeichnet. Daher wäre auch die völlige Austrocknung dieses weiten Gefildes durch Canalbauten, welche die kleinen Bäche im Osten mit der Aradsch, im Westen mit dem Massafran vereinigten, ohne allzu grosse Kosten und Schwierigkeiten auszuführen. Die Arbeiten zu diesem schönen Unternehmen wurden wirklich unter der Verwaltung des Generals Voirol begonnen. Die französischen Regimenter, die Militairsträflinge und die Araber der Ebene vereinigten sich zu dem grossen Werke. Letztere kamen, obwohl der Tagelohn gering war, in so bedeutender Zahl herbeigeströmt, dass die von dem Kriegsminister bewilligten Summen bald nicht mehr hinreichten und man an die Sträflinge allein sich halten musste. Die Arbeiten wurden, leider oft mit sehr langen Unterbrechungen, seit drei Jahren fortgesetzt und haben bereits schöne Resultate geliefert, so dass an dem Gelingen nicht zu zweifeln ist, wenn man mit beharrlichem Eifer die Pläne des französischen Geniecorps zu Ende führt. Die Umgebungen von Maison carree und Buffarik sind nicht mehr wie in den ersten Jahren ihres mörderischen Klimas wegen verrufen. Seit dem Verschwinden der dortigen Moräste sind die Fieber nicht mehr häufiger, als in jedem andern Lager der Landschaft Algiers, uud die Erde erzeugt dort fast eiue IM11hltz, Wagnkh's Algier. I. 10 eben so kräftige wilde Vegetation, wie in dem südlichen Theile der Ebene, wo keine Moräste sind. Die Metidscha war seit sieben Jahren immer das sehnsüchtige Paradies der Freunde der Colonisation. Wenn man diesen ihr langes Zaudern mit ihren projectirten Cultureta-blissements vorwarf, so war die Antwort gewöhnlich: „wir können nur iu der Ebene cultiviren, wir wollen unsere Capi-talieu nicht an das undankbare Hügelland wagen, wir warten , bis wir die Ebene besitzen werden. " Die Gegner der Colonisation, an ihrer Spitze der General Berthczene, wollten immer den Werth und die Fruchtbarkeit der Metidscha bestreiten, uud ihr Haiiptargument war immer deren morastiger Zustand, welcher nach ihrer Meinung alle Projecte von blühenden Pflanzungen dort auf immer zunichtemache. Indessen so übertrieben vielleicht auch die Hoffnungen der Partisans der Colonisation waren, so völlig irrig sind gewiss die Schlüsse ihrer Gegner. Mau weiss, dass unter dem tyrannischen Drucke der Türkenherrschaft, die stets nur bemüht war, die unterworfenen Völker auszusaugen, und nie um den Wohlstand und die Zukunft der eroberten Länder sich kümmerte, die gesegnetsten Gegenden der Erde schnell in Wüsteneien sich verwandelten. Mit den Geisteskräften der Bevölkerung schlummerten in der Itcgel auch die Schätze der Erde, und Burbaren bewohnten selten ein Paradies. Die Türken und Araber waren für die Metidscha das, was die Spanier für die Ebenen Andalusiens gewesen sind. Zu den Zeiten, als die Mauren noch eine grosse eivilisirte Nation bildeten, waren die unter dem Namen „ Marisinas von Sevilla" bekannten andalusischen Ebenen vielleicht die blühendsten Gefilde der Erde. Man zählte damals von Sevilla bis San-Lucar 144 Dörfer. Als aber die Spanier die Canalarbeiten der Mauren, welche aus den Marisiuas erneu köstlichen Garten gemacht hatten, nach deren Vertreibung vernachlässigten, überschwemmten die Gewässer des Gnadalquivir diese Ebene ganz, und heute gewahrt mau dort nur mehr eine traurige Oedc und die todte Natur der Moräste. Der Zustand der Metidscha ist lange nicht so elend und steril, als der der Malismas von Sevilla; die Moräste bedecken nur den kleinern Theil, und alle übrigen Strecken beweisen durch die grüne Ucppigkeit des niedern Pflnnzenwuchses die Fruchtbarkeit ihres Bodens. Man begegnet in dieser Ebene allenthalben den unverkennbaren Spuren ehemaliger Arbeiten zur Austrocknung der Sümpfe. Dieselben waren entweder das Werk der Römer, dieser unerreichbaren Civilisirer der Barbarcnländer, welche in Afrika, wie überall, unvertilgbare Zeugen ihrer Thateu hintcrliessen, oder maurischen Ursprunges aus jener Epoche, wo noch eine thutotil#räfüge Begeisterung, statt des heutigen dumpfen leidenden Fanatismus, die maurische Nation beseelte. Es hat sich auch allenthalben in dem Lande noch die Sage einer glücklichen Zeit erhalten, wo die Metidscha blühend und bevölkert war. Diese Zeit mag in Betracht des heutigen Zustandes dieser Morastebene ziemlich alten Datums seyn, aber auch jetzt noch bedarf es nur eines Blickes auf die einzelnen, mit Bäumen umpflanzten Oasen, welche wie erhöhte Inseln auf der kahleu Fläche herausragen, wie Hausch Suk-Ali, Khadra und vor Allem die paradiesische Umgebung Beiidas, um einen Begriff zu gewinnen, welchen hohen Grades von Fruchtbarkeit und Blüthe dieser Boden noch fähig ist. Sieben Flüsse durchströmen die Ebene Metidscha: au dem östlichen Ende der Isser, dann folgen, immer weiter gegen Westen, der Korso, Uad - el - Regluüa, die Hamiss, die 10* Aradsch, der Uad - el-Kerma und der Magsafran, welcher letztere aus der Vereinigung der Chiffa, des Uad-Sidi-el-Kebir, und Uad-el - Dschar entsteht. Keiner dieser Flüsse ist schiffbar, mit Ausnahme des Uad-el-Rcghaia, des kleinsten von allen, der durch seinen langsamen Lauf, die Tiefe und Enge seines Bettes mehr einem Canale gleicht und schon wenige Stunden von seiner Quelle östlich vom Cap Matifu in das Meer sich ergiesst. Der Lauf aller jener Flüsse ist von Süden nach Norden, und'ihr Anblick so ziemlich überall der gleiche. Der Charakter der Ströme der Berberei im Allgemeinen ist ein langsamer, schleichender Lauf in grossen Krümmungen, eine sehr enge Mündung und sumpfige Ufer, die der Oleanderstrauch, die ägyptische Weide, und anderes Buschwerk von mittelmässiger Höhe bedockt, und die von hochbeinigen Watvögeln, wie dem Strandreiter (Ilimantopus rulipes), dem sichelschnäbeligea Ulis und dem Purpurreiher bevölkert sind. Der Mussafran unterscheidet sich von den übrigen Gewässern durch die hohe, kräftige Vegetation seiner Ufer. Es giebt dort sehr dickstämmige Bäume, und das Terrain ist weniger sumpfig. Die Flüsse der Provinz Constantine , von denen ich bei anderer Gelegenheit sprechen werde, haben einen von den Gewässern der Provinz Algier etwas verschiedenen Charakter. Die Ebene Metidscha ist noch heute, wie zu den Zeiten der Türken, in fünf Uthans oder Arron-dissements getheilt. Isser im äussersten Osten begreift das Gebiet zwischen den Flüssen Isser und Korso in sich. Dieser Theil der Ebene ist sehr fruchtbar und ziemlich gut angebaut, obwohl auch einige Moräste sich dort befinden. Nur ein einziger Araberstamm, Beni-Isser, bewohnt diesen Uthan. Von mächtigen und kriegerischen Kabylenstämmen umgeben, sind die Beni-Isser, gleich den Gebirgsbewohnern, tapfer und fanatisch. Lange waren sie wider die Franzosen feindlich gestimmt, und verbündeten sich gegen sie mit dem berüchtigten Häuptling Ben-Zamun zu jeder kriegerischen Unternehmung. Seitdem aber dieser Kaid, des unnützen Kampfes überdrüssig, sich nach seinem schönen Landgutc auf dem Atlasgebirge zurückgezogen hat, und dort als ruhiger Pflanzer lebt, hörten auch die Beni-Isser auf gegen die Franzosen zu fechten, obwohl sie bis im Mai 1837 deren Herrschaft nie anerkennen wollten. Zu dieser Zeit ging in Folge des Ucberfalles der Colonie Reghaia eine Expedition gegen die Beni-Isser ab, deren Folge die Unterwerfung dieses Stammes war. In dem lange ruhigen Thcile der östlichen Umgegend Algiers herrscht seitdem eine heftige Gährung, und Araber uud Kabylen bekämpfen sich gegenseitig. Ben-Za-mun, der in neuester Zeit wieder zu den Waffen gegriffeu hat, versucht vergeblich, die Beni-Isser durch Drohungen von ihrem Bündnisse mit den Franzosen abzuschrecken. Dieser Stamm ist in der unglücklichsten Lage. Von der einen Seite sind sie durch die französischen Truppen bedroht, denen es durch ihre Dampfschiffe leicht wird, an der Mündung des Flusses Isser Truppen auszuschiffen und die dortigen Duars zur Nachtzeit zu überfallen; andrerseits sind sie der Rache der Kabylen ausgesetzt, welche das nahe Gebirge in grosser Anzahl bewohnen. Auf dem westlichen Ufer des Flusses Korso beginnt der Uthan Khaschna, der im Norden morastig, im Süden aber reich an Weideplätzen und Olivenbäumen ist. Letztere bilden am Fusse des Atlas wirkliche Wälder. Die verschiedenen Stämme des Uthan Kaschna machen einen ziemlich bedeutenden Handel nach Algier mit wildem Oel, von welchem viel nach Europa ausgeführt wird. Der Kaid der Khaschna bewohnt das schönste Dorf der Ebene, Khadra genannt, welches in einer äusserst pittoresken Gegend gelegen ist. Der dritte Uthan der Ebene ist Beni-Mnssa, der das kleinste, aber fruchtbarste und im Verhältniss der Grösse das bcvöl-kertste Territorium der ganzen Provinz inne hat. Es liegen darin 101 Ilauschs oder arabische Landgüter, von denen jedes ein steinernes Gebäude hat und au Holz und Wasser Ueberfluss besitzt. Diese Hauschs liegen sehr nahe beisammen. Uebcrhaupt hat dort die Ebene kein so kahles, einsames Aussehen, wie auf den übrigen Punkten, sondern zeigt eine belebte, malerische Landschaft. Der Fluss Aradsch bildet die westliche Gränze von Beni-Mussa. Das zweite Terrain zwischen diesem Flusse und dem Massafrau occupirt der Uthan Beni-Khalil, der wichtigste der Provinz, der von anarchischen, schwer zu beherrschenden Stämmen bevölkert ist. In der Mitte dieses Uthan liegt das Lager uud Dorf Buffarik, welches das Centrum der ganzen Metidscha bildet. Buffarik ist ein bedeutender Waffenplatz, hat immer eine starke Garnison und bedroht zunächst Beiida und die Gebirge. Die Enthusiasten der Colonie gingen seit Jahren schon mit dem Plan um, zu Buffarik eine neue Stadt zu gründen, welcher der Name Mediua - Clauzel bestimmt war, zur Zeit als der berühmte Marschall noch im Gouvcrncmcntspalaste zu Algier residirte. Indessen zögerten doch selbst die eifrigsten Clau-zelisten, ihre Fonds für ihr Lieblingsproject zu einer Zeit anzulegen , wo die Iladschuten einzelne Colouisten auf Flintenschussweite vom Lager ermordeten und die Heerden fast im Angesichte der französischen Schildwachen davon trieben. Die dortige Stelle wäre freilich für die Gründung einer neuen Stadt herrlich gewählt, und zur Verwirklichung dieses Pro-jectes bedürfte es nur mehr Geld und Sicherheit. Dauert inzwischen der heutige Friede mit Abd-el-Kader und den Hadschuten noch mehrere Jahre fort und wird so das französische Gouvernement in der Zwischenzeit eine undurchdringliche Yerlheidigungslinie auf der südlichen Grunze der grossen Ebene herstellen, so ist es hohe Wahrscheinlichkeit, dass viele europäische Auswanderer sich bei Buffarik niederlassen werden. Eine grosse bevölkerte Stadt in dem Centrum der Ebene müsste für den Reisenden, der von dem Algierer IJii-gellande nach der Metidscha hinabsteigt, einen höchst zauberischen Anblick bieten. Heutigen Tages aber besteht Buffarik nur aus etwa achtzig Häusern, von denen kaum der zehnte Theil voji Stein ist und die ohne Plan und Ordnung in ziemlich weiten Zwischenräumen zerstreut stehen. Die Bewohner des Dorfes sind Europäer aus den verschiedensten Ländern. Fast alle treiben Wirthschaft. Von Ackerbau sieht man dort noch keine Spur. Die Bevölkerung des ganzen Uthau Beni-Khalil wird auf 3000 Familien geschätzt. Obwohl zur Uneinigkeit und zu Kaufhändeln geneigt, stehen die A ruber doch unter den übrigen Stämmen im Hufe der Feigheit, und die Hadschuten, ihre Nachbarn, haben Spottlieder auf sie gemacht, worin die Beni-Khalil Butter- uud Käsekrämer genannt werden. Der Kaid dieses Uthan spielte zu den Zeiten der Türkei» eine wichtige Itolle. Die seit 1830 von den Franzosen ernannten Kaids der Beni-Khalil wurden mehreremale ermordet, oder durch Schrecken gezwungen in die Reihen der Feinde überzugehen. Der heutige Kaid ist seit wenigen Monaten ein französischer Officier, Verge, der zu mahomedanischen Religion übergetreten ist, das Arabische sehr gut spricht, und für dieses Land, seine Sitten und Bevölkerung seit Jahren schon eine grosse Vorliebe zeigte. Er ist der erste Franzose, welcher zum Häuptling eines arabischen Uthan eingesetzt wurde. Seine ausgezeichneten Talente, seine Thätigkeit und Energie empfahlen ihn hierzu eben so sehr, als seine Kenntnisse der Landessprache und seine Begeisterung für die Colonie. Herr Verge bewohnt das schöne Landgut Hausch-Chausch, wo er einige fünfzig Reiter in seinem Solde hat und den nahen Markt von Buffarik jeden Montag präsidirt. Die Araber haben vor ihrem neuen Kaid Achtung und Furcht. Verge ist für sie ein gerechter, aber strenger Herrscher*). Jenseits des Massafran beginnt der fünfte Uthan, el-Sebt, der bevölkertste und ausgedehnteste der Provinz. Er begreift ausser dem Hadschutenlandc auch den nördlichen Abhang des Atlasgebirges, wo die Kabyleiistämmc Muzzaia und Summuta wohnen, in sich, und erstreckt sich südlich bis zur Stadt Miliana, westlich bis Scherschel und ist im Norden von dem Algierer Massif und dem Meere begränzt. Die Ebene jenseits der Chiffa bewohnen ausser den Hadschuten die drei kleinen Stämme Zanakra, Ulad- Hamidau und Beni-Ellal, welche ursprünglich aus der Sahara kamen, aber schon seit ziemlich langer Zeit in der Metidscha sich niedergelassen und mit dem Hadschuten fast ganz vermischt haben. In dem Gebiete dieser Stämme liegt der See Alula und das Kubbar-el-Bummiah (Grabmal der Christen), ein Pyramidentcmpel von beinahe 140 Fuss Höhe, über welches die wunderbarsten Sagen und Geschichten verbreitet sind. Ich habe dieses Monument in einem früheren Jahrgange des Auslandes geschildert und später eines der darüber verbreiteten arabischen Märchen mitgetheilt. Der See Alula in der Nähe des Kubbar« el- °) Herr Verge wurde seitdem seines Amtes entsetzt und ist in das Regiment der Spahis wieder eingetreten. Rummiah ist ein Süsswassersee von geringer Ausdehnung. In den heissen Monaten kann man denselben zu Pferde durchwaten. Auch dieser See ist der Gegenstand verschiedener Märchen und Sagen, wie denn überhaupt die räuberischen Beduinen jener Gegend ein sehr romantisches Völkchen sind und die Poesie lieben. Von dem erwähnten Stamme Zanakra ist in der Geschichte der Araber Spaniens öfters die Rede. Die Individuen derselben sind auch sehr stolz auf ihren alten ritterlichen Ruf, und bewahren manche Traditionen ihrer Ahnen aus dem Kriege gegen die Christen. Man kann den Stämmen des Uthan-el-Seht ungeachtet ihrer gefährlichen Vagabundenangewohnheiten einige Achtung nicht versagen, und ich finde es keineswegs sehr auffallend, dass mehrere französische Officiere', wie Allcgro, Pellisier, Verge, die häufig mit jenen Arabern in Berührung kamen, für deren kühnen abenteuerlich chevaleresken Charakter eine gewisse Vorliebe hegen. Der Capitän Pellisier, jetzt Chef des Bureau arabe, hat einen seiner Söhne sogar „Hadschut" taufen lassen. Die sämmtlichc Bevölkerung der fünf Uthans der Metidscha wird ungefähr auf 10,000 Familien geschätzt, von denen aber ein grosser Theil die an die Ebene gränzenden Gebirgsabhänge bewohnt. Zu den Zeiten der Deyherrschaft hatte jeder dieser Bezirke zwei Kaids: einen Kaid-el-Uthan, den eigentlichen Häuptling, der immer ein Türke war und das Kriegscontingent befehligte, und den Kaid-el- Achur, gewöhnlich Araber, der mit dem Eintreiben der Abgaben beauftragt war. Ueberdies existirtc, wenn der Uthan aus verschiedenen Stämmen bestand, für jeden Stamm ein Scheikh-el-Kebir oder Gross - Scheikh, und jedes einzelne Dörfchen hatte seinen Scheikh-Duar. Gewöhnlich waren die Türken bemüht, Araber und Kabylen, wenn deren in der Nahe wohnten, in einen Uthan zu vereinigen, um diesen Völkern die Verschiedenheit ihres Ursprungs vergessen zu machen. Die Gleichheit ihrer Religion war ohnehin ein machtiges Band, welches vielleicht allein diese Barbaren hindert, sich im gegenseitigen Vertilgungskriege zu zerfleischen. Der Name Mahomed übt dieselbe dämonenhafte Gewalt auf die unbändigen Atlasbewohner, wie auf die räuberischen Beduinenstämme. Das Blutvergicssen ist zwar häufig unter so wilden Völkern, wo die physische Stärke fast über Alles gilt, aber den Marabuts gelingt es doch immer die gegenseitigen Feinde im Namen ihres Glaubens wieder zu versöhnen. Zufolge des Tractats mit Abd-el-Kader beschränkt sich der den Franzosen zugehörige Antbeil der Ebene Metidscha auf das Territorium zwischen den Flüssen Korso und Massafran, also auf die drei Uthans Khaschna, Beni-^lussa und Beni - Khalil. Dort besitzt die Staatsdomäne sehr schöne Landgüter, welche grösstenteils an Araber gegen ein sehr geringes Geld verpachtet sind. Nur der bekannte llausch-llussein-Pascha (ferme modele), und der prächtige Pachthof Suk-Ali, eine halbe Stunde östlich von Buffarik, sind von europäischen Pflanzern bewohnt, welche dort cultiviren lassen. Ein anderes sehr schönes Landgut im Uthan Beni-Mussa ist Eigfentbum des Herrn Tonnac, eines unermüdlichen enthusia- o 7 stischen Colonisten, welcher aus eigener Wahl und Willen in eine Einsamkeit sich begrub und mitten unter Arabern ein, wie es scheint, zufriedenes Leben führt, obwohl sein Vermögen für ihn hinreichend wräre, in jeder europäischen Hauptstadt als Reutier zu lebeu. Her Tonnac besucht last alle Märkte der Ebene und durchstreift dieses weite Gelilde häufig blos von einem eingeborenen Diener begleitet. Gäbe es in Algier nur hundert Colouisten wie er, mit seinem unternehmenden, furchtlosen Geiste, seinem Enthusiasmus und seiner Ausdauer, so wäre Nordafrika vielleicht schon auf immer für Frankreich gewonnen, uud mau dürfte keine Besorgnisse mehr hegen, dass eine englische Flotte noch einmal kommen könnte, die französische Garnison in Algier auszuhungern. Inzwischen ist es doch immer schon tröstlich, dass das Beispiel einiger wenigen aufopfernden enthusiastischen Colouisten gegeben ist. Ihre Nachahmer, die furchtsamen Colouisten, werden nicht ausbleiben, sobald einmal alle Gefahr in dem keineswegs noch ganz beruhigten Lande verschwunden ist. Die Pläne der heutigen Verwaltung bezwecken, im Süden der Ebene durch Occupatiou der wichtigsten Gebirgspunkte und durch Errichtung von Blockhäusern eine undurchdringliche Verteidigungslinie herzustellen. Die Einfälle der Hadschuten haben seit dem Frieden mit Abd - el - Kader aufgehört, und den Kabylen im Osten ist seit der Unterwerfung der Beni-Isser ein Damm entgegengestellt. In der Metidscha werden sechs arabische Märkte gehalten; am Sonnabend jenseits der Chiffa im Hadschutenlaud, am Sonntag hei Beiida, Montag bei Buffarik, Dienstag bei Hausch-Mussaia, Mittwoch zu El-Arbach am Fusse des Ge-birgs, Donnerstag an den Ufern des Ilamiss im Uthan Khaschna. Der Markt zu El-Arbach wird von den Arabern, der von Buffarik von europäischen Käufern am meisten besucht. Der Marktplatz bei Buffarik wird durch einen Brunneu bezeichnet, iu dessen Nähe der Kaid und der Kadi des Stammes Beni-Khalil ihre Zelte aufschlagen und die etwa vorkommenden Streitigkeiten entscheiden. Die maurischen Kaufleute aus ßelida sind gewöhnlich die ersten am Platze. Sie schlagen noch am Sountag Abend IM ihre kleinen weissen Zelte in Pyramidenform auf, und packen ihre Waaren aus, ohne jedoch noch an diesem Tage zu verkaufen. Die Beduinen und Kabylen lagern sich unter freiem Himmel, umgehen von ihren Dromedars und Kameelen, welche sie abwechselnd nach dem Brunnen zum Tränken rühren. Montag in aller Frühe beginnt sodann der eigentliche Markt, der gewöhnlich bis vier oder fünf Uhr Nachmittags dauert. Die Menge der zusammengeströmten Käufer und Verkäufer beläuft sich zur Erndtezeit auf mehr als 3000 Köpfe. Sehr auffallend ist die Ordnung, welche unter diesen barbarischen Wilden so verschiedener Abkunft und Sprache herrscht. Jede Classe von Verkaufern hat da ihren eigenen Platz. Die Hirten mit. ihren ledernen Milchschläuchen, ihren Hühner- und Eierkörben, geschlachtetem uud lebendem Vieh, bilden die äusserste Gl ranze. Der Anblick des vielen Kindviehes, welches schmuzig, klein, aber mit ungeheuren Hörnerpaaren versehen ist, ergötzt freilich das Auge nicht so, wie der der herrlichen Schwei-zerkühe und der fetten Mastochsen im deutschen Hochgebirge; daher ist auch die Milch, die Butter und das Rindfleisch der Berberei mit dem unsrigen in keinem Vergleiche. Die Schafe aber , welche in grosser Anzahl zu Markte kommen, sind fett und schön, und liefern vorzügliche Wolle. Den Viehhändlern folgen die Frucht- und Getreideverkäufer, welche eine lange Reihe einnehmen mit ihren Körben voll der schönsten Orangen, Granatäpfel, Datteln, Wassermelonen, Paradies- und Cactusfeigen, Gemüsen aller Art, und auf der Erde aufgeschichteten Lagern des herrlichsten Wai-zens, den sie in kleinen Massen abgeben. Die Tabakverkäufer sind sämmtlich Kabylen jenseits des Gebirges; ihre hohen, magern Gestalten, ihre helle Gesichtsfarbe und langen Haare, die sie nicht, wie die Bewohner der Ebene, schec-ren, unterscheiden sie hinlänglich von den Beduinen und Mauren. Weiter innen im Mittelpunkte des Marktplatzes stehen dann die reichern Händler der Städte mit gewehten Zeugen, Decken, Bändern und Luxusartikeln. Die Mauren aus Algier versorgen die Eingebornen mit den unentbehrlichen Waaren Europas, und bringen ihnen die Korallenketten, welche ihre Weiber sehr zum Putze lieben, wogegen sie von ihnen die Producte des innern Landes beziehen. Auf dem Markt von Buffarik kaufen mich die französischen Officiere das vortreffliche Schwarzwildpret für ihre Küche ein, und die armen Soldaten kochen sich von den Schildkröten, die ihnen die Araber für wenige Sous ablassen, die schmackhaftesten Suppen. Juden uud Europäer haben hier jetzt ungehinderten Zutritt und dürfen sich ganz gefahrlos unter die Menge der bewaffneten Eingebornen mischen, denen es sonst nicht immer gut Wräre in der Einsamkeit zu begegnen. Die Juden erfahren seit der französischen Occupation überhaupt nicht mehr die herabwürdigende Behandlung, welcher sie früher beständig von Türken und Arabern ausgesetzt waren. Vor den Europäern zeigen die Eingebornen mehr scheue Furcht als Zuneigung, und wenn so Einzelne in der fränkischen Tracht unter den Tausenden der sie umgebenden weissen Gestalten heruniwandeln, so werden sie immer von finsteren, misstraui-schen Blicken verfolgt, die zwar hier durchaus keine Gefahr verkünden, jedoch auch durchaus nicht einladend und Zutrauen erweckend sind. Das französische Geld hat auf dem Markte von Buffarik noch keinen Cours, aber spanische Piaster werden angenommen und circuliren mit den alten Landesmünzen. Einige Juden und Mauren unterziehen sich immer ausserhalb des Marktes dem Wechseln der französischen Münzen, und da den Soldaten vom Camp d'Erlon nicht erlaubt ist, sich unter die grosse Masse der Beduinen zu mischen, so hat sich dicht am Lager für sie ein zweiter kleiner Markt gebildet, wo sie Tabak, Milch, Früchte und andere kleine Bedürfnisse für ihre Sous kaufen können. Hier sieht man auch viel armes, zerlumptes arabisches Gesindel auf der Erde gekauert sitzen, und die übrig gebliebeneu Suppen- und Commissbrodbrocken verzehren , Avelche die gutherzigen Krieger unter sie austheilen. Es giebt hier besonders zur Erndtezeit, wo der Markt von Buffarik an Bedeutung und Leben ausserordentlich zunimmt, viele unserer europäischen Jahrniarktserscheinungen , und es ist für die Unterhaltung sowohl, als für die Erfrischung des versammelten Volkes gesorgt. Ein mächtiges Feuer flammt unweit des Brunnens den ganzen Tag auf einem grossen Herdsteine, wo ein Araber heissen Kaffee in Tassen ausschenkt. Einige Schritte weiter davon zischt eine ungeheure Bratpfanne, worin kleine runde Kuchen in Fett gebraten an die Umstehenden verkauft werden. Endlich sieht man auch ein Heer von Gauklern, Sängern und Musikern die Menge mit ihren Farcen belustigen. Sehr drollig ist besonders der Anblick der Tänzer, welche nach dem Tacte einer Trommel und Hohrpfeife, einen langen Stock über dem Kopfe haltend, sich in allerlei komischen Bewegungen im Kreise herumdrehen. Sind es mehrere tanzende Gruppen, so stellen sie gewöhnlich Liebespaare vor, geberdeu sich auf das Zärtlichste, verfolgen, fliehen sich u. s. w., aber das alles sind natürlich nur Männer ; das unglückliche weibliche Geschlecht ist in diesem Laude von solchen Vergnügungen strenge verbannt. Die Instrumentalmusik der Beduinen ist wild, lärmend und behält immer denselben Tact bei. Da sieht man den Einen auf eine hohe Trommel mit einem einzigen Paukeuschiägel schla- gen; einen Andern die Tamburine klingeln oder die maurische Zither spielen; manche wieder blasen auf einer Rohrflöte und bringen Töne hervor, die ein europäisches Ohr zerreissen, den Beduinen aber doch wohl angenehm klingen müssen, Weil sie immer schmunzelnd und lächelnd dem unharmonischen Gekreische zuhören. Die meiste Aufmerksamkeit linden aber die Romanzensänger, welche in unnachahmlichen Tönen halb singend, halb declamirend lange Lieder, Märchen, arabische Poesien vortragen, und je nach ihren Talenten und Leistungen mit kleinen Kupfermünzen reichlich bedacht werden. Gar viele unterhalten sich auch mit Spielen, denn dieses scheint allgemeine Leidenschaft des Menschengeschlechts zu seyn, welche man iu der afrikanischen Wüste so gut wie in dem Palais-Royal zu Paris findet. Das allerhäufigste und gewöhnlichste Spiel, das man unter den Arabern bemerkt, wird immer nur von zwei Personen gespielt, welche acht Grübchen in die Erde machen und iu jede eine Anzahl Steinchen leeren und dann wieder herausnehmen. Eine solche Partie dauert oft lange Stunden, und wird mit grossem Ernste und Nachdenken fortgesetzt, öfters gruppiren sich Andere um die beiden Spielenden her und drücken durch ihre Geberden ihr Missfallen oder ihre Zufriedenheit mit dem Setzen der Sternchen aus. Dieses dem Anschein nach so einfache Spiel scheint doch auf tiefen, schwierigen Regeln zu beruhen ; denn vergebens haben Europäer versucht, dasselbe durch öfteres Zuschauen zu erlerneu. Die Scene verändert sich gegen Abend, wenn die Mauren ihre Zelte abbrechen, ihre Waaren wieder einpacken, und Alles auf den zusammengetriebenen Thieren nach Hause zieht. Die Wege von Bclida und Coleah sind mit weissen Gestalten bedeckt, alle beritten auf Maulthiereu, Eseln, Pfer- den und Karneolen, denn Fussgänger trifft mau in diesem Lande nur äusserst selten an. Dem geschäftigen Geräusche des Marktes folgt bald wieder die tiefste Stille, und wenn man zur Abendzeit bei dem Scheine des Mondes über den Öden Platz wandelt und sich des seltsam bunten Schauspieles des Tages erinnert, so glaubt man in allem Ernste von einem arabischen Märchen geträumt zu haben. Ifil VII. Ausflüge in Algiers Umgegend. Rassota, die Pflanzung des Fürsten Mir. — Regliaia, damals in Folge der von Achmed - Bey verübten Verwüstungen iu ziemlich schlechtem Zustand sich befand. Er Hess dasselbe neu herrichten, behielt aber die eben so schöne, als liir dieses heisse Land nützliche und bequeme maurische Bauart mit den innern Höfen, den Terrassen und Säulengalerion bei. Auf der Spitze des Hauses Hess der Füret ein kolossales Kreuz aufpflanzen, welches den Arabern kein Aergerniss gab, denn diese achten die religiösen Insiguien aller Völker, und sehen weit lieber ächte Christen unter sich, als Menschen, die gar keinen Glauben haben. In dem untern Theil seines Wohngebäudes hatte der Fürst das Magazin der Lebensmittel, der Werkzeuge und Wallen eingerichtet. Auf der Ostseite in der obern Etage befand sich ein prachtvolles Zimmer, welches der Speisesaal gewesen und wo sich häufig Gäste aus den Wildnissen Afrikas wie von den Ländern der Civilisation einfanden. Von der Terrasse des Hauses bietet die Gegend nach allen Himmelsrichtungen einen interessanten Anblick: im Westen das Meer und Algier, im Osten die Ebene von Metidscha und den Atlas. Rassota selbst liegt noch auf einer schwachen Fortsetzung des Algierer Hügellandes, erst eine Viertelstunde östlich beginnt die Metidscha, in wedelte die Erhöhungen sich allmälich versenken. Neben dem Wuhnhause des Fürsten befanden sich mehrere kleinere Gebäude, eine Schule, in welcher Arabisch, Französisch uud Deutsch gelehrt wurde, eine Apotheke, wo ein deutscher Arzt den Arabern unentgeltlich die Heilmittel reichte; ein Schlachthaus, eine Bäckerei uud endlich die Wohnung der Arbeiter. Unter letztern befanden sich ausser den Bauern und Hirten auch die notwendigsten Handwerker, wie Schneider, Schreiner u. s. w. Fast alle diese Leute waren Deutsche. — Jch spreche hier vou der \ ergangenheit, denn jetzt m ist Rassota völlig öde wieder. Das Geräusch der Sense und die deutschen Lieder verstummten, sobald der Fürst mit dem Beutel nicht mehr klingeln konnte. Ich besuchte die Rassota zum erstenmale im November 1836. Damals geliel mir Alles dort so wohl. Ich glaubte, eine blühende Mustercolouie im Entstehen zu sehen, deren Zukunft dem Lande wie dem Eigentümer gleichen Segen bringen müsste. Ziemlich weite Strecken Landes waren bereits urbar gemacht, ein grosser Garten in der Nähe des Wohngebäudes war mit mehreren tausend Fruchtbäumchen aller Art bepflanzt; das Kuhglockengeklingel und Schafmeckern, das grosse Kreuz auf dem Hause, die Töne der deutscheu Sprache, die iu ländlicher Mundart bald plaudernd, bald singend, bald jodelnd gehört wurden, erinnerten mich an die Hochebenen meines Vaterlande»*, aber störend traten allenthalben wieder fremdartige Erscheinungen: Cactusbäu-me, Kameelc und Beduinen, dazwischen. Als ich vier Monate später wieder die Rassota besuchte, sah ich nichts mehr von den Spuren einer blühenden Oolonie. Die Felder waren wieder verwildert, die Kühe und Schafe waren verkauft, die deutschen Familien fortgezogen, und der edle, gastfreie Pole, der eine Zeit lang sich wieder als europäischer Fürst und überdies als Emir der Araber geträumt hatte, wohnte zu Algier in einem elenden Häuschen, in einer stinkenden Gasse, und sein Name staud auf der Liste der Bankerottirer und Bettler. Die Colonisation verspricht in diesem Lande nur solchen Pflanzern Gewinn, die entweder sehr reich oder ganz arm sind. Die Colouisten mit kleinen Capitalien gehen zu Grunde. Ein Millionär, der hier viele Grundstücke aufkauft, dieselben gut anbauen und klug verwalten lässt, ist eines ziem- liehe» Gewinns mit der Zeit sicher. Er kann ein paar Jahre zuwarten, bis Alles im Gang ist, bis der fruchtbare, aber durch lange Untätigkeit verwöhnte Huden seine schlummernden Schatze aufschliesst, bis der Oelbaum Früchte trügt, dessen neue Pflänzlinge hier schon iu drei bis sechs, in Europa erst in acht Jahren ihre erste gute Erndte geben. Ein ganz armer Hauer dagegen kommt bei Sparsamkeit, bei Lust und Liebe zur Arbeit auch gut fort, denn der Taglohn ist sehr hoch, und es fällt ihm eben nicht schwer, die Hälfte davon zurückzulegen, womit es ihm iu kurzer Zeit möglich wird ein kleines Capital zu erübrigen, und danu selbst Grundstücke zu kaufen. Man hat hier mehr als ein Beispiel, dass arbeitsame und Sparsamkeit liebende Familien, die anfangs in drückenden Umständen waren, nun wohlhabende, sorgenfreie Grundeigenthümer sind. Die Leute von massigem Vermögen aber, die ihre Unternehmungen nicht nach ihren Mitteln messen, dabei nicht selbst, arbeiten und den Verkauf ihrer Erzeugnisse fremden Menschen anvertrauen, endigen gewöhnlich mit einem Bankerotte, denn die Ausgaben für die Anlegung einer Colonie sind bei der übermässigen Theuerung der Menschenhände enorm und die Erndten der ersten Jahre können begreiflicher Weise nicht sehr ergiebig seyn. Der Fürst Mir hatte bei der Gründung seiner Colonie ein hübsches Capital durch die Vorschüsse der Touloner Handelshäuser beisammen, über er berechnete nicht, wie lauge dasselbe dauern könne, und Hess sich in gigantische Pinne ein, welche die Kasse eines Millionärs erschöpft haben würden. Sehr viele seiner Massrcgeln waren inzwischen gut und weise, und er bewies durch seine Einrichtungen vollkommen, dass er verstand, wie man in diesem Lande im-Grossen colonisiren müsse. Seine erste Sorge war, die ara- bischen Stumme der Nachbarschaft sich befreundet zu machen. Er besuchte deshalb ihre Duars, brachte ihren Scbeikhs uud Marabuts Geschenke, ass mit ihnen den Kuskusu unter dem dunkelbraunen, von Kameelhaaren gewebten Zelte, und lud sie dann zu sich auf sein Colonieschloss ein, wo er sie dagegen mit allen Leckerbissen der französischen Küche be-wirthete. Ich war mehreremale auf der Rassota bei solchen seltsamen Gelagen anwesend, wo die Beduineiihüiiptlinge in ihrer malerischen Nationaltracht mit dem llaikh von feinem Mnus-selin, dem schneeweissen Wollbernuss, der wrie ein langer Mantel sie umhüllt, den gelben Stiefeln und dem Stricke von Kameelhaaren, welchen sie vielfach um das Haupt geschlungen tragen und der bei den Arabern den Turban ersetzt, eine höchst merkwürdige Gruppe bildeten. Ich lernte bei dieser Gelegenheit viele berühmte Häuptlinge kennen, wie El-Arbi - Ben-Kaja, Kaid des (jtbttti der Khaschna, ein ernster ehrwürdiger Greis und frommer Muselmann, Beii-Zocri, Kaid der Ariben, welcher im Gespräch sehr sanft und gemüthlich ist, Ali-beu-Smati, ein rüstiger, alter Scheikh desselben Stammes, der die Frauen und den Branntwein liebt, u. A. Die Mehrzahl von uns anwesenden Europäern sprach gebrochen das arabische Idiom des Landes, und überdies war ein maurischer Dolmetscher da, welcher iu arabischer und französischer Sprache mit grösster Geläufigkeit sich ausdrückte. Es wurde bei diesen Gastmählern von den verschiedensten Gegenständen, bald ernst, bald scherzhaft geplaudert, bald wurde unter den Gästen ein Handel geschlossen, bald schwatzte man von den hübschen Frauen und den guten Bissen der Tafel. Manchmal kam die Reihe auch an interessante Dinge: die Religion, die Geschichte der Vergangenheit, die Sitten des Landes; ich hörte da so Manches, was mir noch neu und unbekannt gewesen. Wir Europäer hatten dabei Gelegenheit, die Würde, den scharfen Verstand und die wilde Poesie dieser Araber zu bewundern. Ihre Heden waren manchmal von so schönem, bilderreichem Style, wie die Suraten des Koran. Alle diese Häuptlinge hatten eine ziemlich gute Kenutniss der Geschichte ihres Volkes und namentlich ihres Stammes. Beu-Zecri sagte, seine Vorfahren hätten Spanien bewohnt und seien grosse Kriegsmänner gewesen. In der That existirte eine ausgezeichnete Familie dieses Namens noch bei der Eroberung von Granada. Die auffallendste Erscheinung unter den imposanten Gestalten dieser Harbaren war ein blonder Marabut von fast riesenhaftem Wüchse. Dieser Mann hatte eine vor allen übrigen ausgezeichnete Figur. Sein starker Hart und Schnurrbart war flachsgelb, wie die Ilaare der alten Teutonen, seine Wangen frisch und rosig, seine Augen himmelblau. Er mochte in den dreissiger Jahren seyn, war folglich für einen Marabut noch sehr jung. Seine Züge, Hlick und Sprache hatten etwas höchst Mildes, Liebreiches und Einnehmendes. Auf meine Frage, von welchem Stamme er soy, antwortete derselbe mit einer Stimme voll Herzlichkeit: „Ani ben ek Bahi" (ich bin ein Sohn deiner Väter). Er erklärte mir hierauf, dass er Kabyle sey, dass sein Stamm aber vor vielen, vielen Sommern aus demselben Lande gekommen, wo ich geboren worden. Er spielte damit wahrscheinlich auf die Vandaleit an, denn unter mehreren Kabylenstümmen bat sich die Sage ihres nordischen Ursprungs, welcher namentlich den Bewohnern des Herges Aurass so unverkennbar aus den blonden Zügen schimmert, bis auf den heutigen Tag erhalten. Für mich war die Bemerkung des Marabut sehr interessant. Ich wurde mit diesem gemütlichen Manne, der recht wolil wuss-te, dass ich Deutscher, nicht Franzose war, später innig befreundet, uud er besuchte mich zu Algier, so oft er in die Stadt kam. Fr sagte mir, dass er ein Zögling von Sidi-Ali-Ben-Aissa war, dem berühmtesten Marabut der kabylen, welcher den Berg Dschurschura bewohnte, im Sommer 1835 Starb und zu Flissa, einem Städtchen am Fusse des Dschurschura, unter einein priichtigeu Tempel begraben liegt. Auch die Bekanntschaften der übrigen Häuptlinge zu Rassota waren mir von hohem Interesse und für meine Ausflüge in das Innere von grösstem Nutzen. Wer bei diesen Gastmählern aber am seligsten sieh fühlte, das war der Fürst Mir selbst. Derselbe glaubte ein grosses Werk der Civilisation unter den Arabern begonnen zu haben, weil er sie dazu gebracht hatte, bei ihm der Messer und Gabeln sich zu bedienen, und zuweilen ein Schlückchen Wein zu versuchen. Der arme Fürst träumte sich damals vielleicht noch nicht, dass er vier Monate später gezwungen seiu werde, seine silbernen Tafelgeräthe zu versetzen, um dem Schuldgefängnisse zu entgeheu. Durch seiu edelinülhiges, freundliches Benehmen nahm der Pole seine arabischen Nachbarn so sehr für sich ein, dass er.au diesen Wilden bald seine zuverlässigste Leibwache fand und keinen Anstand nahm, die ihm beigegebeneu französischen Truppen nach Algier zurückzusenden. Er bewohnte nach deren Abgang die Rassota noch ein volles Jahr. Seine Arbeiter gingen allein in die Stadt und wieder zurück, ohne dass sie auf dem ziemlich weiten, einsamen Wege je ausgeplündert oder auch nur bedroht worden wären. In den ersten Jahren der Eroberung war die Ostseitc Algiers als die gefährlichste Gegend verschrieen. Seitdem aber die Ariben und die Colouisten der Rassota sich dort niederliessen, sind diese Strecken auch jedem isolirten Reisenden ohne Gefahr zuganglich, und Schaaren von Jagdliehhahern begehen sich jeden Sonntag dorthin auf das Eberjagen. Einige deutsche Familien hatte der Fürst Mir noch einige Stunden weiter als Rassota in der Nähe arabischer Dörfer installirt, um eine Annäherung der Eingebornen zu den Europäern und europäischen Sitten immer mehr zu erleichtern. inzwischen war nicht Alles, was der Fürst für seine Colonie gethan, so lobenswert!» und weise. Je glänzender sich seine Humanität den Arabern gegenüber zeigte, desto härter und despotischer behandelte er dafür seine deutschen Arbeiter. Wahrscheinlich war er daran von Polen her gewöhnt, und wie die Deutschen denn ein gar geduldiges, demütiges Völkchen sind, so Hessen sie sich auch das rauhe, hochfahrende Wesen ihres Gutsherrn und seine Reitpeitschenhiebe gefallen, rächten sich dafür aber dadurch, dass sie denselben auf alle Weise zu übervortheilen suchten, und von der Arbeit sich wegstahlen, wo sie nur immer konuten. Von der Fruchterndte wurden, wie mir einige Arbeiter selbst gestanden haben, nicht weniger als drei Viertheile gestohlen. Die Aufseher waren dabei mit den Arbeitern einverstanden, und steckten das halbe Geld der auf dem Markte verkauften Producte in ihre eigene Tasche. Diesem Verloste wäre der Eigentümer der Rassota wahrscheinlich entgangen, wenn er auch unter seinen Bauern durch humane, liebreiche Behandlung einige Herzen zu gewinnen gewusst hätte, die ihm von den Diebereien der Uebrigen Winke gegeben haben würden. So aber hatte der Fürst alle seine Leute heimlich gegen sich, und mit Schrecken gewahrte er in seinen Büchern, nach dem Verkaufe der Erndte, die mächtige Differenz zwischen dem ,,SoIlct und „Haben." Da zerstoben denn mit einem Male alle seine schönen Plane, und er sah, dass ihm nichts Besseres mehr übrig bliebe, als in einem abgelegenen (aussehen Algiers seine Scham zu verbergen und dem Andränge seiner Glaubiger zu entgehen. Seine deutscheu Bauern aber empfingen nun auch die Strafe für ihre Unredlichkeit. Die meisten hatten noch den Lohn von ein paar Monaten im Rückstände, konnten aber mit allem Schreien und Klagen keinen Liard mehr von ihrem zu Grunde gerichteten Gutsherrn bekommen. Ueberdies waren alle plötzlich brod-und heimaths-los geworden. Sie verliessen die Rassota im grössten Elende, und zerstreuten sich in den übrigen Pflanzungen, wo sie aber geringen Taglohn haben und nichts mehr stehlen können. Unter den Capitalisten von Toulon, welche an der Anleihe Theil genommen hatten, erregte die Hiobspost von dein Bankerotte des Fürsten Mir keine geringe Bestürzung, namentlich war das Hans Suchet dabei stark betheiligt. Der älteste Sohn dieses angesehenen Kaufmanns kam hierauf eiligst nach Algier, untersuchte den Zustand der Dinge, und seinem Eifer, wie seinem guten Rufe gelang es, die Toulo-ner Handelsherren zu neuen Zuschüssen zu bewegen, wogegen der Fürst Mir ihnen das von der französischen Regierung ihm als Concession gegebene Gebiet der Rassota auf Actien überliess. Mithin ist dieser Fürst nur noch dem Nantes nach Besitzer der Colonie. Der junge Suchet übernahm deren ganze Leitung uud verpachtete den Boden an die Ariben. Als ich die Rassota im März 1837 wieder besuchte, war es in der Nähe des Schlosses traurig und still. Ueber dem grossen Teiche, welcher dicht an dem Garten sich befindet, flogen die Fischadler schaarenweise, und die Schakals schleppten die Hühuer am hellen Tage vom Hofe weg. Ein alter französischer Invalide bewohnte allein das Gebäude der Feldarbeiter. In dem YYohnhatise dagegen traf ich zu meinem Erstaunen die nämlichen Scheikhs und Marabuts mit Heren Suchet an der Tafel. Dieselben waren nun einmal zu Hausch-Uassuta heimisch und vertraulich geworden, und schienen w c-nig darnach zu fragen, ob der Gebieter derselben ein Fürst oder Kaufmann sev, vorausgesetzt, dass er eine gute Küche, Kaffee und Tabak habe. Herr Suchet steht mit ihnen jetzt auf eben so freundschaftlichem Fusse, wie früher der Fürst Mir. Einen Theil der zu llaiisch-Rassota gehörigen Grundstücke hat Herr Suchet an die Araber zu sehr niedrigen Preisen verpachtet, den Rest will derselbe wieder von Taglöhnern cultiviren lassen, jedoch den Umfang der Arbeiten genau dem Umfange seiner Mittel anmessen; dabei hat er zuverlässige, redliche Aufseher, die den Diebstahl der Erndte nicht wie die früheren begünstigen. Bei der Wahl der Arbeiter giebt Herr Suchet den Franzosen und Spaniern aus Minorka den Vorzug vor den Deutschen, denn es ist eine traurige Wahrheit, dass die Mehrzahl unserer nach Algier ausgewanderten Landsleute dem Deutschen wenig Ehre bringt. Unter einer gewandten, redlichen, verständigen Verwaltung ist es die höchste Wahrscheinlichkeit, dass jene schöne Colonie iu neuer Blüthe aufstehen und ihre Unternehmer für die gebrachten Opfer entschädigen werde. Rcghaia, das bedeutendste Culturetablissement der Umgegend Algiers, ist von letzterer Stadt 13 Lieues nordöstlich entfernt. Retrbaia war in früheren Zeiten ein Ilausch der Staatsdomäne, wurde später Eigenthum eines Eidams von Ali-Dey und nach der Einnahme Algiers 1S30 von einigen französischen Speculautcn gegen eine ewige Rente angekauft. Seit 1835 ist das schöne Landgut Eigouthum des Herrn Mörder geworden, doch haben, so viel ich erfahren konnte, noch mehrere französische Canitalist.cn daran Theil. Die Arbeiten wurden hier kurze Zeit nach der Niederlassung des Fürsten Mir in Rassota begonnen, aber Herr Mercier hatte über diesen den Vorth eil sowohl eines grösseren Capitals, als einer redlichem Verwaltung. Der Fürst Mir machte mit seinem Unternehmen Bankerott, Herrn Mercier wird seine Pflanzung in wenigen Jahren, wenn auch noch keine Heich-thumsiiuelle seyn, doch schon einigen Gewinn abwerfen. Reghaia Hegt, wie ich schon erwähnte, au den Ufern eines Flüsschens, welches denselben Namen trägt. Dieses Gewässer hat mit den übrigen Flüssen des Landes durchaus keine Aehnlichkeit. Sein Lauf ist nicht reissend wie die Hamiss und Aradsch; es ist ein fast stillstehendes Wasser, mehr einem Canale als Strome gleichend. Nach einer Entfernung von 200 Schritten von seiner Quelle ist der Uad-el-Reghaia so tief, dass er ziemlich grosse Barken tragen kann. Diese Tiefe nimmt bis zu seiner Mündung zu. Mach einem sehr kurzen Laufe ergiesst sich derselbe in den Göll Bengut. An mehreren Stellen dieses Gewässers findet man wirklich Spuren von ehemaligen Canalbauten, so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass das tiefe Flussbett ein Werk der Menschenhände und nicht von der Natur gegraben ist. Das Co-loniegebäude ist von bedeutendem Umfange, äusserst fest und solid gebaut, uud ganz für seine entfernte, einsame Lage passend. Eine hohe Mauer, die an das Gebäude sich an-schliesst und den grossen Hof umzäunt, kann jedem Angriff der Araber Trotz bieten, fünfzig muthige Männer wären im Stande, diese Coloniefestung gegen 5000 Eingeburne zu verteidigen. Das Gebäude ist überdies geräumig genug, um ausser den Wohnungen der Arbeiter, der Verwalter und des Besitzers auch grosse Quantitäten von Proviant uud Munition zu verwahren, so dass auch eine Belagerung von den Bewohnern nicht zu fürchten ist. Im Hofe sind Stallungen für 200 Pferde und überdies noch Raum für ungeheure Yiehhcer-den. Die Zucht derselben ist iu diesem Lande von bedeutender Wichtigkeit, auch versprach die angelegte Schweizerei Mercier's das schönste Gedeihen. Wie empfindlich daher für ihn der Raub seiner schönen Zuchtthiere ist, kann man begreifen. Die Weideplätze sind in der nächsten Umgebung Re-ghaias nicht sehr reichlich. Aber schon eine halbe Stunde südwestlich beginnen schöne Wiesen, die bis an die Ufer der Haniiss fortdauern und nur teilweise sumpfig sind. Die trockenen Stellen bedeckt ein üppiger Graswuchs. An Brennholz ist grosser Ueberiluss. Die Pistaciasträucher sind hier dickstämmig und voll Aeste. Bereits verkauft Herr Mercier Brennkohlen nach Algier, deren Ausfuhr durch Barken geschieht, welche der Uad-el-Reghaia nach dem Meere trägt. Auf dieselbe Weise wird auch alles Notlüge von Algier nach der Colonie geschafft und nur iu den Monaten der Meerstürme geschieht der Transport durch Kameeie. Die ganze Umgegend ist äusserst wasserreich. Zwei vortreffliche Quellen sprudeln in sehr geringer Entfernung vom Hause. Diese für ein heisses Land so äusserst wohl-thuende Befruchtung macht den Hoden dort ungemein fruchtbar. Darum gedeihen auch alle Fruchtbäume vortrefflich, und die riesenhaften von arabischen Händen gepflanzten Orangenbäume, die dort wohl schon lange Jahn1 stehen mögen, gehen jedes Jahr eine reiche Erudte. ,,Es fehlt uns nichts," sagte einer der Verwalter zu mir, „wir besitzen Alles, was wir nur immer wünschen können. Aber ich gebe Herin Mercier keinen Liard für alle Hoffnungen} so lange man auf uns schiesst, während wir pflüget! und pflanzen." Der Mangel an Sicherheit allein hemmt in Algier die Colonisation. Ein europäischer Landmann würde den Feldhau in Re-ghaia für die Zahl der Arbeiter nicht weit genug fortgeschritten finden. In der That sind erst wenige Morgen Landes urbar gemacht, aber der Colonist iu Afrika hat Iiiudernisse zu überwinden, die der Pflanzer in Europa nicht kennt. Letzterer erbt das Feld von seinen Frgrossvütern seit Jahrhunderten angebaut, gedüngt und an seine Erzeugnisse gewöhnt. In der Berberei sind neun Zehutheile des Landes noch im Erstände, kein Pflugeisen hat sie vielleicht je berührt, und die beisse, kräftig wirkende Natur erzeugt ein Labyrinth wilder Pflanzen, wie die Zwergpalmen, die wenig Nutzen gewähren und deren Ausrottung grosse Mühe kostet. LJcbri-gens sind es nicht die Feldfrüchte, auf welche hauptsächlich die blühende Zukunft des Landes und die Hoffnungen der Pflanzer sich stützen. Die Versuche Mercier's galten vorzüglich den Colonialerzeuguissen. Getreide haben last alle Länder Europas in Hülle und Fülle, aber Baumwolle und Zucker müssen sie weit herholen und theaer bezahlen. Der Arbeiterlohn aber ist in Algier zu hoch, um mit der Erzeugung europäischer Producte seine Rechnung zu linden. Die Absicht Mercier's ist daher, nur so viel Getreide zu bauen, als zur Ernährung seiner Arbeiter nothw endig ist, den eigentlichen Gewinn müssen ihm der Oliven - und Maulbeerbaum und die iutertropischen Erzeugnisse bringen. Die Baumwolle nimmt von allen übrigen Productcn die erste Stelle ein, ihr gelten in diesem Augenblicke die meisten Versuche. In der That lasst die Aehnlichkeit des Klimas mit Aegypten auf ein gutes Gedeihen dieser Pflanze schliessen. Manche wollen freilich eiowenden, Algier werde nie die Concurrenz mit Aegypten aushalten können, weil der französische Pflanzer nur zu einem ziemlich hohen Tagfohn Arbeiter findet, während der Pascha seine Sklaven mit der ßastonade bezahlt. Inzwischen ist dieser Schluss durchaus nicht logisch. Die llauptrevenucn des Paschas bestehen in dem Baumwollenverkaufe. Er muss aus dem Gewinn dieser Pflanze eine Armee von 100,000 Mann, eine äusserst kostspielige Marine, den Tribut an den Sultan und die theuern Projecte bezahlen, vermittelst welcher ein Heer europäischer Intriganten und Glücksritter beständig Mehiiied Alfs Kasse erschöpft. Ueberdies ist der Transport von Algier aus nach den meisten Seehäfen kürzer und daher wohlfeiler. Es dürfte daher, meiner Ansicht nach, leicht der entgegengesetzte Fall eintreten, und der Pascha die Concurrenz der Baum-wollpllanzer in Algier nicht aushalten können, weshalb derselbe auch wohl die französische Niederlassung in Nordafrika mit keiner besondern Freude sehen mag. Die seit 1832 hier im Kleinen veranstalteten Versuche der Baumwollpflanzuiig sind, was die Qualität der gewonnenen Baumwolle anbetrifft, über alle Erwartung gut gelungen. Ich habe im Jardin des cssais, wo der Obergärtner Herr Simar, ein eifriger und kenntnissreicher Botaniker, in seinen Versuchen unermüdliche Thätigkeit entwickelt, die Wollstauden durch die verschiedenen Jahreszeiten beobachtet, und an ihrer ungemein kräftigen Entwicklung mich erfreut. Ich hege die Ueberzeugung, dass in zwanzig bis dreissig Jahren, Avenn Frankreich seine Eroberung zu behaupten, zu consolidiren und vor allem Sicherheit herzustellen weiss, Algiers Baumwolle auf den Märkten Europas neben der nordamerikanischeii und bengalischen ihren Platz behaupten wird. Moritz Wagner's Algier. I. 12 Nächst der Baumwelle sind Oel und Seide wohl die künftigen Hauptorzeugnisse der Colonie, Der Olivenbaum wächst in diesem Lande allenthalben wild, er ist unvertilgbar und da, wo die Beduinen die Vegetation nicht niederbrennen, schiesst derselbe zu einer kolossalen Höhe auf. Die höchsten Olivenbäuine soll es iu der Nähe von Tlem-san geben. Augenzeugen versicherten mich, dass jene dort den grössteu deutschen Eichen an Umfang des Stammes und Ausbreitung der Aeste wenig nachgeben. Auch bei Beiida habe ich deren von ausserordentlicher Grosse gesehen, und die wrilden Olivenbäume der nächsten Umgebung Algiers überraschen durch ihren kralligen Wuchs alle Südeuropäer. Mau versuchte aus den Früchten dieser letztern eine Oelerndte zu gewinnen, allein der Preis der Fressen und der Arbeiter überstieg den Werth des Oeles, und man verzichtete darauf. Inzwischen wimmeln jetzt alle Gärten der Umgegend von jungen gepfropften und gut gepflegten Oliveuhäumeii und in eiu paar Jahren wird es gutes Oel in Menge geben. Hauptsächlich sind es Provencaleu und spanische Auswanderer der Insel Minorka, welche auf die Oelerndte speculiren. Auf den Algierer Markt kommt übrigens auch aus dem innen» Lande, namentlich vom Stamme diu- Beni-Isser eine grosse Masse schlechten Oels, welches zur Beleuchtung verwendet und von dein auch sehr viel, wegeu des äusserst niedern Preises, nach Europa ausgeführt wird. Die Cultur des Maulbeerbaumes scheint Herrn Mercier ebenfalls sehr zu beschäftigen. Mehrere tausend junge Pflänzlinge sind davon in seinem Coloniegarten gesetzt. Alte Bäume dieser Art sind im Laude nur einzeln und selten zu finden, die schönsten befinden sich im ehemaligen Deygarteu. Mau behauptet, .es habe in Algier einige maurische Seidenfabriken gegeben, sowie auch in Constantine und Tlem-san. Es wäre hier viele Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass die Seidenraupe auf dem Baume selbst fortkäme. Man machte bereits einmal den Versuch, allein ihre zu geringe Zahl wurde ein Frass der Vögel. Sie hatten übrigens ihre halbe Grösse schürt erreicht, und man bemerkte nicht, dass die Frische der Nächte ihrem Fortkommen schade. In der ganzen Umgegend Algiers existiren gewiss schon gegen 600,000 junge Setzlinge von Maulbeerbäumen. Ueherdies (ludet man zu Iteghaia Versuche mit Zuckerrohr -, Indigo - und Cochenillecultur. Zu meiner grössten Verwunderung sind die im Jahre 1835 gepflanzten Zuckerrohrstengel wirklich schon vortrefflich gediehen, eben so gelangen die schon älteren Versuche im Jardin des essais ausgezeichnet gut, und so schwer es mir auch in den Kopf gehen will, dass diese ein tropisches Klima fordernde Pflanze an Algiers ziemlich rauhen Winter sich gewöhnen kann, so versicherten mich doch erfahrne Männer, dass auf Bourbon und Martinique die Itohrstengel sich nicht kräftiger als hier entwickeln. Mit Indigo dagegen scheiterten die früheren Versuche vollkommen. Die Pflanze schoss zu hoch auf und lieferte eine sehr magere Erndte. Vielleicht war ihre Pflege keinen verständigen Händen anvertraut. Die Cocheuillezucht im Deygarten gelang ebenfalls nicht, weil mau thöricht genug war, einen Punkt am Meere zu wählen, wo der Nordwind am heftigsten stürmt. Die Insecten starbeu fast sämmt-üch auf ihrer Futterpflanze. Der in der Berberei allgemein wild wachsende Cactus opuntia ist übrigens eine variirende Abart von dem Nopal Mexicos. Man liess von letzterem Setzlinge aus Andalusien kommen, wo bei gleichem Breitegrade mit Algier viel Cochenille gewonnen wird. Der inexi- 12 0 canische Cactus würde bei der so uaheu Verwandtschaft mit dem Cactus der Berberei gewiss hier iu eben so ungeheurer Verbreitung fortkommen. Meiner Ansicht nach wäre die Lage der Ferme modele oder auch Buftäriks vorzüglich zur Cultur der Cochenille geeignet. Dort würde die Algierer Hügelkette das bekannte Insect (Coccus Ca*cti) vor den Nordwinden schützen, während der Atlas im Süden den verheerenden Einfluss des Sirocco lähmte. Wie die Versuche in Rcghaia gelingen, wird die nächste Zeit lehren. Die Zahl der Arbeiter zu Reghai a beläuft sich ungefähr auf achtzig Köpfe. Darunter sind sechzig Europäer und etwa zwanzig Kabylen. Erstere wohnen im Gebäude selbst, sind vortrefflich ernährt und erhalten fünfzehn Franken monatlichen Sold, die geschicktem Arbeiter das Doppelte. Die Kabylen wohnen ausserhalb des Gebäudes unter Hütten von Baum-zweigen. Zur Nahrung erhalten diese nichts als trockenes Brod von ziemlich schlechter Qualität, dagegen zwanzig Sous täglichen Lohn. Dieser abgehärtete Menschenschlag bewahrt bei dieser kargen Kost seine volle Kraft und Gesundheit. Sie essen oft Monate lang nichts Warmes, das Quellwasser ist ihre einzige Zugabe zu dem rauhen, schwarzen Brode, und dabei fühlen sie sich doch glücklich, denn sie ersparen ein Sümmchen Geld. Der Obergärtner dieser Pflanzung ist ein Deutscher aus Lothringen, ein unermüthet thiitiger Mann, der in den Tropenländern gereist ist, und in seinem Fache grosse Erfahrung besitzt. Derselbe ist für Herrn Mercier ein wahrer Schatz. Mit einem streng redlichen Charakter verbindet er jene milde Ruhe, jene Heiterkeit des Herzeus, die dem Gärtnerstande so eigentümlich ist und den gesunden, blühenden Gesichtern einen so glücklichen Ausdruck leiht. Die Arbeiter in Reghaia, obwohl darunter eben nicht lauter saubere Sub-jecte sind, lieben diesen sanften Mann und gehorchen ihm auf das Willigste. Seine schöne Begeisterung für seinen Beruf ist vollkommen seiner schönen Aufgabe würdig, Eine günstige Gelegenheit zeigte sich mir wenige Wochen nach meiner Ankunft, die Ruinen der römischen Stadt Rusgonia, auch Rustonium, Rusgania und Rustisia genannt, welche zehn Stunden östlich von Algier bei dem Cap Matifu liegt, 7.11 besuchen. Herr Adrian Bcrbrugger, Secretär des Marschalls Clauzel, ein sehr eifriger Alterthumsforscher, hatte nämlich von der Regierung den Auftrag erhalten, dort Nachgrabungen zu veranstalten. Er begab sich im Januar 1837 mit einer Escorte von zehn Soldaten nach dem Fort Matifu, einem alten runden Thurme bei dem Cap gleiches Namens gelegen, ctablirte sich dort mit seinen Arbeitern, und begann sein mühseliges Unternehmen mit einem Eiler und einer Unvcrdrossenheit, die ihm die grösste Ehre machen. Die Ruinen Rusgonias bedecken einen Raum von mehr als einer Stunde in der Länge. Doch existirt nur ein einziges Gebäude in der Nähe des Meeres, dessen Ueberreste noch einigermassen durch ihre Grösse imponiren. Fast alle übrigen Ruinen bilden ein wüstes Trümmerchaos, von welchem sich die Form der frühern Zeiten durchaus nicht mehr errathen lässt. Die noch am besten erhaltene Ruine befindet sich auf einer kleinen Erhöhung, und nimmt sich, umgeben von Mastixgebüschen und kleinen Fächerpalmen, sehr malerisch aus, besonders von der Seite des Cap Matifu her. Die zerrissene zackige Mauer ist von der Nord - und Ostseite noch von bedeutender Höhe. Man gewahrt die Ueberreste eines Thurms, welcher durchaus keine antike Form zeigt, und der Vermuthung des Herrn Berbrugger, dass dieses Ge- bände in eiuer spätem Periode in eine christliche Kirche umgeschaffen worden, ziemliche Wahrscheinlichkeit giebt. Inzwischen ist dies nur eine Vermuthung, denn der Vandalis-mus hat auch an dieser Ruine zu viel gethan, um mit einiger Sicherheit auf ihre frühere Gestalt zn schliessen. Mit der grossen viereckigen Ruine, welche fast die ganze Erhöhung bedeckt, stand auf der Westseite ein anderes Seitengebäude in Verbindung, welches niedriger und von geringerem Ilmfang gewesen zu sein scheint. In einem Zwischenraum von etwa vierzig Fuss stehen andere Trümmer in der Tiefe. Von da ziehen sich Mauerüberreste und riesenhafte Steinblöcke bis an den Strand des Meeres, Das Material der Ruinen bilden theils Klumpen einer Porphyrsteinart, welche bei dem Cap Matifu einheimisch ist, theils kleine schlechte Backsteine, welche aber mit Mörtel so fest und solid zusammengekittet sind, dass Zeit und Wetterstürme wenig davon zu zerstören vermocht hätten, und das Werk des Umsturzes nur von menschlichen Händen vollbracht worden sein kann. Manche Ruinenstücke sind von einer Granitsteinart, welche in der Nähe nicht vorkommt. Ueberdies stösstman häufig auf weisse Marmorblöcke von grosser Reinheit, die wahrscheinlich aus dem Atlas kamen, der schon zu Plinius Zeiten wegen seines Marmorrcichthumes berühmt war. Die Araber nennen Rusgonia „Belad enta Takius" (die Stadt des Takius). Iu der That soll diese Stadt von einem Römer Tacius gegründet worden seyn. Der Scheikh Omarben -el-Bedaui aus dem Uthan der Khaschna erzählte dem Herrn Berbruggcr, es gehe unter den Eingebornen noch die Sage, dass die Stadt iu Folge einer Hungersnoth verlassen worden sey. Diese Bemerkung des Araberhäuptlings stimmt seltsamer Weise mit jener oben angeführten Inschrift zusam- IS* inen, die von einem Getreideinangel Kunde giebl. Der Scheikh wollte, trotz unserer Versicherung des Gegenteiles, den Glauben nicht aufgeben, wir seyen blos gekommen, um vergrabene Schätze zu suchen. Er vertraute uns bei dieser Gelegenheit auch die Methode an, deren sich die Araber bedienen, um den Ort zu entdecken, welcher die Reichtümer birgt. Er sagte, man müsse gewisse geheime Worte auf ein Stück Papier schreiben, dasselbe an den Ort tragen, wo ninu vermuthe, dass Geld vergraben sey und das Papier hierauf den Winden überlassen. Der Platz, auf dem es niederfalle, enthalte den Schatz. Die Resultate der durch Herrn Berbruggcr geleiteten Nachgrabungen entsprachen nicht ganz den Erwartungen. Zwar wurden bis Ende Februars viele Bruchstücke von Statuen, Basreliefs und nicht weniger als J200 Münzen zu Tage gefördert, doch sind alle diese Gegenstände von geringem Interesse, Inschriften wurden keine aufgefunden. Die Mehrzahl der Münzen ist kaum mehr kenntlich, und wenig besser als abgeschliffene runde Metallstückchen. Die gut conservir-tcn Münzen erhielt Herr Berbrugger fast sämmtlich durch die Araber der Umgegend, darunter einige sehr schöne Goldmünzen von den oströmischen Kaisern. Die gefundenen Basreliefs sind grob gearbeitet und die Statuen so sehr beschädigt, dass ihnen aller Kunstwerth abgeht Die Existenz Rusgonias fällt überhaupt in eine Epoche, wo die Kunst nicht auf ihrer blühendsten Stufe stand. Inzwischen wäre es immerhin möglich, dass man dort manches Interessante entdecken kann, aber hiezu bedürfte es riesenhafterer Arbeiten und grösserer Geldmittel, als die bis jetzt bewilligten. Um sicher zu seyn, dass nichts Bemerkenswerthes den Nachforschen! entginge, müsste man das ganze Terrain iu einem Umkreise von fast einer Meile aufwühlen. Herr Berbruggcr, der mit einem so höchst lobenswerthen Euer mehrere Monate lang am Cap Matifu suchte und wühlte, hatte nur zehn Arbeiter zu seiner Verfügung. Ein Freund malerischer Wildnisse im Geschmack Salva-tor Rosa's findet sich durch einen Ausflug nach dieser Gegend gewiss befriedigt. Das unabsehbar düstere Chaos der Gebüsche, deren ewiges Grün die Ruinen und die Klippen beschattet, der melancholische Fluss, der durch die stumme Einsamkeit so träge und grämlich nach dem Meere rauscht, im Hintergründe der ehrwürdige Atlas, auf dessen Abhängen die Feyer der Kabylen in dicken Rauchsäulen zum Himmel wirbeln — diese verschiedenen Theile des Gemäldes geben der Gegend einen eigentümlichen, düstern, mysteriösen Charakter. Ein hoher weisser Berg, der hinter der ersten Atlaskette hervorragt, ist der Dschurschura, der Möns ferratus der Alten, auf weichem die Flissa, einer der mächtigsten Kabylenstämmc der Berberei, wohnen. VIII. Reise in das Innere der Provinz Algier. — Die Südseite der Metidscha. — Die Ringmauern von Neu-Belida. — Stadt Beiida. — Orangenöl t. Juni 1834. Gegen drei- bis viertausend Ka- 3) PlinittS Lih. V. Cap. 2. hylen hielten mit einer Wuth und Tollkühnheit, wie sie mir dein wildesten Fanatismus möglich, trotz des verderblichen Kreuzfeuers der Stadt und Forts, die Blockhäuser umringt. Die kleine Besatzung des Blockhauses Salem, aus 24 Manu bestehend, war nahe daran, zu erliegen, da die unzureichende Garnison der Stadt ihr nicht zu Hülfe kommen konnte. Doch hielt sie sich bis zum Sonnenaufgang, wo die Kabylen sich eullernten, ihre Leichen mit forttrugen und nur eine grosse Lache Blutes zurückliessen. Budschia ist ohne Widerrede die elendeste Stadt Afrikas, die ich gesehen. Der Stadttheil jenseits des Hohlweges ist gar nicht mehr bewohnt, die Häuser sind scheussliche Ruinen von dürrem Roth und zerbröckelten Backsteinen. Die französischen Kanonen hatten bei der Einnahme gegen jenes Quartier besonders gewüthet und die eignen Bewohner halfen vor ihrer Auswanderung mit .zur Zerstörung, damit den Eroberern nur Schutt und Trümmer blieben. Habgierige Soldaten, die später nach vergrabenem Gelde wühlten, Verwahrlosung und Wetterstürme thatcii dann das Uebrige. Selbst die Spärlichsten Reste der Römerstädte im Land, an denen Erdbeben, Vandalenkriege und der Zahn eines Jahrtausends gerüttelt, zeigen noch viel compactere Massen, als das vor sechs Jahren erst durch seine alten Bewohner geräumte Budschia. In dein noch jetzt bewohnten Stadttheile, westlich von dem Hohlwege, stehen einige neugebaute Häuser, grossen-theils von Holz: sie sind von Krämern und \\ einscheiikern bewohnt. Die ehemaligen Moscheen, deren Aeusseres weiss angestrichen ist, und deren Inneres noch einigen Luxus zeigt, sind in Militairinagaziiie umgewandelt. Das neugebaute Hospital am Meerufer in einer hohen, gesunden, luftigen Lag«- ist eines der schönsten Etablissements dieser Art im Lande. Die Krankensäle sind geräumig, bequem, sauber, die ärztlichen Wohnungen gross, freundlich, mit einer Aussiebt über Meer und Landschaft. Auch den Garnisonsofficieren hat das ]ngenieurcorj)s bequeme Wohnungen im europäischen Styl erbaut. Im Uebrigen ist in Budschia noch für Alles ziemlich schlecht gesorgt. Man findet nur mit Mühe eine Strohstätte in einer elenden Schenke. An Lebensmitteln ist wenig Abwechslung, frische Gemüse entbehrt man ganz, denn die Be. wohner der Landschaft brachten bis jetzt nicht eine Rübe zu Markt. Jeder Reiseude, der Entbehrungen nicht gewohnt ist, wäre bei einem gezwungenen Aufenthalt in Budschia in nicht geringer Verlegenheit, fände er nicht bei den französischen Ofliciercn und Aerzten einen so wackern, echt gastfreundlichen Sinn, der dort freilich nicht für eine grosse Tugend gelten kann, denn die guten Leute langweilen sich alle in ihrem Bergnest so, dass die Ankunft eines Dampfhootes für sie eine Freudenbotschaft ist. Alles läuft da an das Meerufer, die Ausschiffenden zu empfangen, sie mit Fragen und Neuigkeiten aus Frankreich und Algier bestürmend und wie eine Gunst die Annahme der W'ohnung und des Tisches von ihnen erbittend. Leute, die nie liebenswürdige Zuvorkommenheit gegen Fremde, nie eine gastfreie Tugend gekannt, lernen dies in diesem Fclsenwinkel. Der einzige kärgliche Zeitvertreib der Einwohner und Garnison ist nächst dem Weinglase, der Piquetpartie und der Zeitungslecture, ein Theater ohne Frauenzimmer. Die Schauspieler sind Soldaten der Garnison von dem berüchtigten Corps der „Zephyre," wie man spottweise die Bataillons d'Afrique nennt. Im Jahr 1833 zur Zeit der Landung der Franzosen hatte Budschia eine Bevölkerung von 3000 Mauren und Kabylen, die nach der ErtÜÜrmuHg Budschias in das innere Land sich zurückgezogen haben. Ein grosser Theil ist nach Constantine ausgewandert; die übrigen zerstreuten sich in den kleinereu Städten des Inneren und die Aermstcn mischten sich wohl unter die Kabylenstämme der Berge. Jetzt wohnen nur noch drei maurische Familien in Budschia. Die Civilbe-völkerung betrug zu Anfang April 1839 nur 302 Individuen, darunter 126 Franzosen, 106 Spanier, 52 Malteser, 11 Italiener, 7 Deutsche. Die militairischc Besatzung wurde auf ein Bataillon afrikanische Infanterie und auf eine Compagnie des Geniecorps roducirt, im Ganzen nicht über 800 Mann. Die Landschaft Budschia ist sehr schön, sie vereinigt all die Lieblichkeit eines mit Blumen, Kräutern und edlen Frucht hü .innen ausgestatteten Südgelildes mit dem düsterbc-waldeten Felsgebirgc. Aber die unglücklichen Bewrohner haben davon nur den perspectiviscben Gcnuss. Eine Promenade von 500 Schritten in die grüne Ebene, welche die Stadt berührt, bezahlt der Spaziergänger häutig mit dem Leben. Ueberall lauern umher schleichende Kabylen, die sich die Mühe nicht verdriessen lassen, Wochen und Monate lang mit der Flinte im Hinterhalt zu liegen, um nur einmal an dem Zucken eines Opfers sich zu laben. Den armen französischen Militairs, die, wenn sie müde geworden immer nur in die Nebelferne des Meeres mit einem von Heimweh gequälten Herzen hiu;tuszustarren, das Auge nach der schönen Ebene schweifen lassen, wo reichliche Quelle lliessen, von deren Wasser sie sich nicht laben können, und Orangenbäume schimmern , deren Früchte sie nicht pflücken dürlen — diesen armen, an einen Felsen gefesselten Kriegern mögen da öfters die Mythen vom Tantalus und vom Prometheus einfallen. Im Süden ist die halbkreisförmige Ebene von Budschia vom Gebirge, im Osten von dem Flusse Summum begräuzt, sie hat etwa eine Meile im Umfange. Der Fluss ist auf den Karten unter dem Namen Adouso bezeichnet. Die Eingebornen kenneu ihn nicht unter dieser Benennung, Sie heis-sen ihn tiefer im Lande Summum und in der Nähe seiner Mündung Uad-Ben-Messaud. Es ist die Nasava des Ptole-mäus. Fünf Stunden weiter östlich iiiesst der Mansureah, welcher der Sisaris der Alten gewesen zu seyn scheint. Der Summum ist etwas grösser als die Aratsch. Seine Ufer sollen im Innern sehr felsig und sein Bett so enge seyn, dass er öfters austritt und das Land umher unter Wasser setzt. In der Ebene sind seine Ufer ungemein fruchtbar, mit hochstämmigen Bilnmen bedeckt, die fast sämmtüch den edelsten Arten der intertropischen Baumvegetatiou augehören. Namentlich kommen Orangen-, Limonen-, Granat- und Johannisbrodbäume dort auf das Beste fort. Ohrist Duvivier, der zur Zeit seines Commandos in Budschia öfters kleine Expeditionen nach Summam unternahm, macht von der Gegend am Fusse des Gebirges die günstigste Beschreibung. Thal, Fluss-ufer, Berabhängc und Schluchten sind sehr fleissig augebaut, das verschiedene Grundeigenthum durch Zäune oder Hecken getrennt. Ich selbst konnte leider diese schöue Gegend, nach welcher sehr selten ein Zug unternommen wird, immer nur von der Ferne sehen und kann daher gar nichts über den Charakter ihrer wildwachsenden Vegetation sagen. Im Innern, etwa drei bis vier Stunden südlich von Budschia, sollen die Berge sehr mctallreich seyn. Kupfer, Blei und namentlich Eisen kommen in bedeutender Masse vor. Alle Kabylen der Gegend verstehen dieses zu bearbeiten uud sind ziemlich gute Waffenschmiede. Sic fertigen ausser ihren langen Flinten auch gezackte Yatagane von höchst seltsamer Form. Meine naturwissenschaftliche Sammelbeate zu Budschia war ziemlich karg. Ich fand unter den Landconchylien dieselben Arten, wie bei Algier und Bona. Helix naticoides ist dort häufiger als in andern Gegenden. Von Colcopteron fand ich zwar keine neue Art, dagegen sehr hübsche Varietäten, so namentlich von Carabus alternaus, Nebria arenaria und Chlaenius Algie-rianus. Sämintliche Bewohner der Umgegend von Budschia sind Kabylen. Auf einer Strecke von mehr als zehn Stunden in der Kunde findet man keinen Araberstamm. Der Stadt zunächst, gegen die Mündung des Suinmam, wohnen die Mez-zaia. Ist dieser Kabylenstamm auch keiner der mächtigsten des Landes, so hat er sich gleichwohl bei jeder Gelegenheit als den unbändigsten, feindlichsten und tapfersten bewährt. Es waren die Mezzaia, die stets die Mehrzahl der Angreifer gogcn Budschia bildeten, die in der Nacht des 4. Juni 1834 die Blockhäuser Salem und Klifiäh so hart bedrängten, die allein unter den eingebornen Stämmen gegen die dichten französichen Colon-neu, sogar gegen die Cavalerie öfters festen Stand hielten und von den Bajonetten sich anspiessen, von den Chasseurs sich niederreiten Hessen, immer aber nur nach dem verzweifeltsten Widerstand, Als Achmet's Heer am 25. September 1837 die Höhen von Medschez-Ammar, wo die Franzosen Schanzen errichtet hatten, angriff', bestand der Kern der ersten Angreifer, nach der Aussage der Gefangenen, aus den Kabylen der Gegend von Budschia. Man fand Leichen der Mezzaia auf der Bresche von Constantine. Die Mezzaia stellen gegen 2(KK) Bewaffnete, sämmtlich Fussgänger. Jenseits des Suinmam liegen die Wohnsitze der Beni- Messaud, der Beni-Mimur, Beni-Amrus, Ulad-Uart, Beni-Mohamed,Beui-Hassein, Beni - Segrual. Westlich von Budschia wohnen am Meeresstran.il die Beni-Amram, Beni - Kessila, Beni-Id-dal u. s. w. Alle diese Stamme hatten mit den Franzosen bisher durchaus keinen andern Verkehr als mit den Wallen in der 1 l.-m«l- Sie vertheidigten Budschia bei der Landung der Franzosen am 29. September 1833 auf das Tapferste, schlugen sich von Strasse su Strasse, von Haus zu Haus, jedoch nur so lange sie den Kücken gesichert sahen. Erst am 4. October zogen sie sich ganz aus der Stadt, nachdem diese zum Schutthaufen geworden. Seitdem kamen sie oft, namentlich in den Zeiten des Ramadan, wo ihr Fanatismus durch die Predigten ihrer Priester, durch die Gebete und Ceremouien entflammt wurde, oder auch, wenn irgend ein bedeutender Marabut starb, für den sie ein würdiges Todtenfest feiern wollten, vor die Aussenwerke der Stadt, manchmal iu so grosser Zahl, dass die Besatzung keinen Ausfall zu machen wagte und sich begnügen musstc, die mit ihrem gewöhnlichen Geschrei anstürmenden Fanatiker mit Kanonenkugeln zurückzutreiben. Bei dem erwähnten Nachtangriff gegen das Blockhaus Salem sah man bei anbrechender Tageshelle, nachdem das Heer der Angreifer sich längst entfernt hatte, noch einen einzelnen Kabylen, der mit dem Yatagan gegen die harte Eichenholz wand des Blockhauses hieb und ruhig die Kugeln der aus den Schiesslöchern ragenden Musketen erwartete. Ein einziges Mal trat ein Stammhäuptling, der einen Tagmarsch südlich von Budschia wohnt, Ulid-Urebah, Scheikh des Stammes IJIad-Abd - el-Dschebar, mit den Franzosen in Verkehr. Er that dies theils aus Hass gegen die Mezzaia, mit denen er in Hader lebte, theils in der Hoffnung von den Franzosen Geschenke zu bekommen. Es wurde unter der Verwaltung des Geueral Yoirol ein Friedensvertrag geschlos- sen. Beide Theile sahen sich aber in ihren Hoffnungen ziemlich getäuscht, denn Ulid-Urcbah's Einfluss ging nicht über seinen Stamm hinaus und vermochte nichts auf die Masse der Kabylen. Der Markt von Budschia blieb leer nach wie vor und bald erneuerten sich auch die Angriffe wieder. Im Frühjahr 1636 Hess der Scheikh Amisian, Bruder Ulid-Urebah's, der 1635 starb, den Franzosen melden, er wolle mit ihnen das Friedenshüudniss seines Stammes erneuern. Der Bataillonschef Salomou, derselbe Ofticier, der schon 1832 bei Algier mit dem unweit Maison curre'e niedergehauenen Deta-chement der Fremdenlegion fast gleiches Schicksal getheilt hätte, war damals Commandanl iu Budschia. Der Scheikh Amisian bestimmte einen kaum 300 Schritte von den französischen Schanzen entfernten Ort, wo er mit dem Comman-dauteu eine Zusammenkunft wünschte, um die Bedingungen des Friedensvertrages ins Heine zu bringen. Einen nur etwas scharfblickenden Ofhcier, der den Charakter der Kabylen gekannt, hätte diese unerwartete, durch nichts motivirte Friedensliebe doch etwas stutzig gemacht und ihn zu Mass-regeln veranlasst, einem etwaigen hochverrätherischen Anschlag zu begegnen. Commandant Salomon aber war ein Oflicier von ziemlich beschränktem Geist, der weder im Ruf eines gewandten Chefs, noch eines beherzten Mannes stand und den der fürchterliche Vorfall bei Maison carree, wo sein Hals dem Yatagau schon so nahe war, nicht klug gemacht hatte. Da er bei dem Gouverneur in Algier schlecht angeschrieben stand und fast zur Strafe nach Budschia geschickt worden war, so kitzelte ihn jetzt der Gedanke, mit den Kabylen einen Frieden zu Stande zu bringen , welcher keinem seiner Vorgänger, selbst nicht dem unermüdeten Duvivier, dem besten Oflicier der Armee, gelungen war. Coininandant Salomen verfügt*1 sich mit einem kleinen Gefolge nach üem bezeichneten Ort, der unter den Kanonen sämmtlicher Forts liegt, an den Strand des Meeres. Die Compagnie l'ranche stellte sich in einiger Entfernung ziemlich sorglos auf. Scheikh Amisian und andere Häuptlinge seines Stammes kamen zu Pferde dem französischen Oflicier entgegen mit einem zahlreichen Gefolge der Ihrigen, alle bewaffnet. Es war dies aber kein Umstand, Argwohn zu erregen, denn die treue Flinte folgt den Eingebornen dieser Länder zu jeglichem Geschäft. Die Unterredung begann auf die freundlichste Weise. Es wurden wie gewöhnlich eine Menge höfliche Redensarten und Händedrücke ausgewechselt, bevor man auf den Zweck der Zusammenkunft einging. Die bethörten Franzosen waren ganz in Sorglosigkeit eingewiegt — da knallten mitten im Gespräche ein Dutzend Schüsse aus den langen Flinten der umstehenden Kabylen und der arme Commandant, kein weiser Salome, stürzte lautlos zusammen. Seine Leiche war schrecklich von Kugeln zerrissen. Das Gefolge schrie: Ver-rath! und griff' zu den Wallen, während die aus ihrer Ruhe aufgeschreckte Compagnie l'ranche, die das Gewehr bei Fusse hatte, voreilte. Aber die Kabylen hatten alle schnell die Flucht ergriffen und die ihnen nachpfeifenden Kugeln trafen nicht Einen zur Sühne dieses teuflischen Anschlages. Auf dem damaligen Gouverneur haftet die Schmach, dass er den ermordeten Commamlauten nicht zu rächen versucht hat. Seitdem ist von beiden Seiten nicht einmal ein scheinbarer Versuch mehr gemacht worden, sich auf irgend eiue Weise zu nähern....... Mau fühlt eine unheimliche Beklemmung bei dem Herunterblicken von Budschias Felsen auf das in grüner Ueppig-keit lachende, aber menschenleere Summamthai. Von Algier her gewöhnt, trotz alles Geredes jener übervorsichtigen Leute, die wegen einiger Unglücksfälle in ein Extrem von Argwohn verfallen, weite Ausflüge zu machen mit einer guten Waffe, wollte ich am ersten Tag meines Aufenthaltes einen kleinen Spaziergang in die Ebene unternehmen, da kamen Soldaten vom Bataillon d'AIVitjiie und zeigten warnend nach einem ganz nahen Häuschen am Seeufer, bei welchem jener Mord verübt worden. Ich blieb zurück und besuchte lieber das Grab des unglücklichen Officiers auf einem Berg oberhalb Budschias. Man arbeitete eben an einem kleinen steinernen Denkmal, welches die Officiere der Garnison über dein Iluheplätzchen des Commandanten Salomon erbauen Hessen. Von dort war die Aussicht wunderschön. Die kleine so verführerische Ebene vor mir zu meinen Füssen, links das tosende Meer und zur Rechten der zerstörte Stadtthcil, ein ödes Triimmerchaos, nicht einmal vom Schakal bewohnt und durchaus nicht von malerischem Ansehen, ein Reiz, der sonst den meisten Skeletcn der alten numidiseben Städte geblieben. Ein finsterer Hubenstein ragt der Gurria recht spukhaft über der Zerstörungsstätte. Im Hintergrund des Südens und Ostens thürmeii sich andere Gebirge auf, deren Inneres uns völlig unbekannt ist. Die beengende Stille, welche diese Landschaft drückt, ist eigentlich ihr hervortretendster Charakter. Dieses Sum-mamthal erinnert in seiner grünen Fülle an die schönsten Matten von der Schweiz und Tyrol. Der kräftigste Graswuchs, Gebirgsbluinen aller Farben neben rauhem Gestein, reichlicher Quellenlauf und Wasserstürze vom Gebirge versetzten mich bald iu das Gollingerthal, bald in eine Gegend unweit Meran, aber Heerdengeklingel, Kuhreigen und Jodellieder, diese friedlichen Alpengenien, waren ferne Klänge eines hei-Moritz Waghhb's Algier. I. 15 terem Himmelsstrichs und Volkes. Hier schwebten nur Raub* niöveu über dem Gestade, hüteten sich aber, als röchen sie noch das nieuchelniörderisch vergossene Blut, den Boden zu berühren. Im Lebrigcn regte sich nicht Ein Wesen im weiten Thal. Eine solche dumpfe Hube würde in einer Wüste-uei nicht erschrecken. Mau findet es wohl natürlich, dass kein lustiges Gascognerleben iu der Sahara tönt, dass kein schmuckes Alpenmüdchen griisst, da, wo keine Blume gedeiht. Das Schweigen ist dort eine Wohlthat, es lässt die Phantasie ungestört über schrankenlose Räume inen. In einer so gesegneten Gegend aber, wie die von Budschia, regt sich bei dieser Stille gleich die Ahnung irgend eines grauenvollen Geheimnisses und ein poetischer Orientale könnte diese Gegend mit dem Blad-Meskhutin, „dem Verwünschten Land," wie es vorkommt in arabischen Märchen, oder mit dem Eden nach der Verfluchung Adam's vergleichen. Ich war fast froh, als die Räder des Dauipibootes uns gegen Abend rauschend davonführten und das Bild der unheimlichen Eelsenstadt uns seine letzten Schauer heruutersendete. «Ich möchte nicht Commandant von Budschia soyu" rief ein Passagier, der auf-athinete, als sey ihm eine Last vom Herzen. Der Himmel war indessen trübe geworden, mit einem Trauerflor von Gewitterwolken schwarz behangen. Aber am östlichen Ende des Horizonts brach die Sonne noch einmal in ihrer freudigen Glorie hervor, mit dem letzten Rubinllainmeukuss Gebirge und Meer bestrahlend. Der überirdische Schein beleuchtete das Grabdenkmal des Commandanten Salomen auf der Westseite der Bucht und zugleich den weissen Marabuttempel jenseits des Suinmam im äussersten Osten. Das christliche und das mahomedanische Glaubenszeichen von der Farbe des Blutes umflossen schienen wider einander im gespenstigen Kam- pfe; es erinnerte mich an eine Scene von Fouqui's Zauber-ring-, wo der Lichtschein der christlichen Frau Minnetrost gegen das Feuerrad der heidnischen Gerda rang. Hier aber blieb der Sieg weder dem Kreuz, noch dem Halbmond. Als die Sonne versunken war, verschwanden auch das französische Grabmonument und der Marabuttempel zu gleicher Zeit im plötzlichen Dunkel, welches dem Sonnenuntergang in diesem Land fast ohne Dämmcrungsübergänge folgt. X. Reise von Budschia nach Bona. — Dschischelli. — Collo. — Stora. — PhiUppevffle. — Bona, Die Rhode. Amicht der Stadt. Oic Kasbah. Bevölkerung. Die Malteser. Zwölf Lieues östlich von Budschia liegt Dschischelli oder Dschischeri, Jgilgilis der Alteu. Plinius, Ptolemäus und An-toninus machen Erwähnung von ihm. Ersterer sagt, Fgilgilis sey der Hauptpunkt einer römischen Colonie gewesen; er nennt es Igilgilis colonia. Das heutige Dschischelli, welches ich hei meiner Rückkehr von Bona sehr deutlich vom Dampf-hoot aus sah, liegt am Ufer des Meeres, auf einer kleinen Felseuhalhinsel, die nach östlicher Richtung in das Meer auslauft, Dschischelli hat «'inen kleinen Halen, den eine fast senkrecht aufragende Felshank schüesst; er ist ziemlich tief und sicher, liisst aber allzu wenig Raum für grössere Schiffe. Der grösste Theil des Städtchens bedeckt den Abhang eines Felsens und ist bei einer irgend guten Vertheidigung fast uneinnehmbar. Die Umgegend ist ziemlich fruchtbar und viel besser angebaut, als die Landschaft von Bona oder die Ebene Metidscha. Gleichwohl gedeiht der Waizen dort so schlecht, dass die Einwohner lieber Gerste und Flachs bauen uud einen Theil ihrer Erudten dagegen zum Tausch gegen Waizen ausführen. Eigentlich edle Fruchtbäume, wie Granat, Oraugen und Palmen, soll es nur wenige krüppelhafte Gewächse gcfren, wogegen die Eingeboriren an Feigen, Cactus-friichten, Nüssen, essbaren Eicheln eine ergiebige Erndte machen. Dschischelli hatte zur Zeit, als die Franzosen es in Besitz nahmen, etwa lOOÖ Einwohner. Die Stadt wurde erst im Mai 1839 von den Franzosen in Besitz genommen. Zur Zeit meiner Reise hätte Keiner, dem sein Hals lieb war, dort zu landen gewagt, denn nirgends ist die Bevölkerung so fanatisch, grausam, mordlustig, wie bei Budschia und Dschischelli. Sämmtlicbe Einwohner flohen bei der Landung der Franzosen, Hessen Wohnungen uud den grössteu Theil ihrer Habe im Stiebe und flüchteten sich zu den Kabyleu-stämmen, mit denen sie sich seitdem vermengt haben, in die Berge. Dschischelli ist jetzt gleich Budschia eine rein französische Soldatcnstadt, ihre Moscheen wurden in Pferdeställe verwandelt, der frühere Verkehr mit dem Innern abgebrochen und der Handel völlig zerstört. Die Ausfuhr Dschischellis war in der letztem Zeit überhaupt sehr gering. Vor 1830 gingen alljährlich von dort nach Algier kleine maurische Fahrzeuge, welche mit Fellen, Wachs, Korkholz, Oel und trocknen Früchten beladen waren. Nach der Einnahme von Budschia brachten solche Barken der französischen Garnison zuweilen Brennholz. Die nächste Umgebung von Budschia ist von Bäumen und Büschen entblösst, während Dschischellis Landschaft an beiden grossen Ueberfluss hat. Die Kabylen der Landschaft von Dschischelli sind wie die bei Budschia wohnenden Stämme sehr zahlreich und kriegerisch. Die namhaften Stämme südlich und östlich von Dschischelli sind die Beni - Mimur, Beni - Amins, ld-el-Uart, Beiii-Mohained, Beni - Hassan und Beni-Segruel, die zusammen wohl gegen fünf-bis sechstausend Krieger, über last nur Fussgänger stellen könnten, denn die Pferde siud sehr selten iu diesen Gegenden und von geringem Nutzen auf den baldigen Abhängen und engen Schluchten. Collo, fünfzehn Stunden östlich von Stora, ist die einzige nocli unbesetzte Stadt der Küste der Provinz Constantine, wenn man überhaupt den Namen Stadt einem Haufen elender, verfallener Hütten, theils aus Stein, theils aus Lehmerde erbaut, geben darf. Denn anders sahen wir nichts von Collo, obwohl das Dampfboot bei hellem ruhigen Wetter dicht an der Küste hinsteuerte und vortreffliche Fernröhre uns zu Gebote standen. Collo kaun nicht über einige hundert Einwohner haben, die blos Kabylen seyn sollen. Sein Name zu den Kömerzeitcn war Calla oder Collops magnus, aber Shaw und Peyssonel fanden schon vor einem Jahrhundert dort keine Spur von Ruinen mehr. Leo Africanus sagt, dass Collo früher sehr blühend gewesen, keine andere Stadt habe an Reichthum und vortheilhafter Lage sich mit ihm messen können. Wenn diese Angabe, wie so manche andere desselben Schriftstellers, nicht auf vagen Traditionen und arabischen Märchen beruht, so muss die Blüthe Collos jedenfalls schon sehr lange vorüber seyn, denn es ist nach Stora und Tenez vielleicht das allerelendeste Nest der ganzen Algierer Küste. Auch scheint die Umgegend wenn nicht unfruchtbar, doch lange nicht so reizend, als die von Bona und Budschia; sie ist eine völlige Wildniss, dabei auch nicht eben holzreich. Schon seit langer Zeit lebten ihre Bewohner nicht von Cultur, sondern von ihrem Handel, sowohl mit den Küstenstädten, namentlich Tunis, als mit Italien, wohin sie die gewöhnlichen Kabylenproductc, wie Wachs, Schafwolle und schlechtes Oel auf maurischen Fahrzeugen ausführen. Seit der französischen Niederlassung auf den benachbarten Punkten hörte dieser Handel auf und Collos Bewohner versauken in noch tiefere Armuth als zuvor. Mit dem Charakter der Bewohner Collos scheint sich nicht weniger, als mit ihrem Wohlstand seit den Zeiten des Leo Africanus eine radicale Veränderung ergeben zu haben. Dieser gelehrte Maure er-giesst sich in Lob über ihren Charakter „ingenium liberale, iidissimum, hnmanissimumLL; während nach dem Lrtheile der heutigen Algierer die Colloner ein wilder, räuberischer Menschenschlag sind, bereit, jeden armen Schiffbrüchigen zu plündern und zu morden, und überhaupt in nichts von Dschischellis oder Budschias Kabylen unterschieden. Aber auf jene Charakterzeichnungen Leo's ist überhaupt nicht viel zu halten, denn iu seiner Descriptio Alricae wimmelt es von Widersprüchen in dieser Beziehung. Au .indem Stellen sind seine Schilderungen wieder eben so übermässig schwarz, als jene Angabe übertrieben günstig. Zehn Stunden westlieh von Collo in einer ziemlich tief einschneidenden Meeresbucht liegt Stora, ein Ort, der von der Liste der Städte schon seit wenigstens einem \ ierteljahr-hundert verschwunden seyn mag. Shaw und Peyssonel sind die letzten Reisenden, die bestimmte, wiewohl nur karge Nachrichten davon in wenigen unbedeutenden Zeilen geben. Als Poiret gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts dort botanisirte, scheint noch der Schatten einer Stadt existirt zu haben. Er schildert ihre Bewohner als sehr barbarisch und ungastlich, die nur das Gehl gegen den Fremden etwas milder stimmen könne. Als General Negrier im April 1838 mit seiner mobilen Colonne von Constantine aus zum erstenmal eine Recognoscirung nach Stora unternahm, waren die französischen Militairs, von den vagen und verworrenen Antworten der Eingebornen getäuscht, im Augenblicke des Abmarsches noch im Wahne, Stora müsse eine Stadt sevu. In solchen Füllen spielte bei den Franzosen, namentlich bei jenen, die einige Begeisterung fühlen für den Plan der Gründung eines Ifen-Frankreichs in dieser weiland so berühmten Kömercolonie, die Phantasie stets ihre Streiche mit und so kam es, dass, als von dem Zuge nach Stora die Rede war, einer den andern über die Grösse und Wichtigkeit der neuen Stadt exaltirte. Sehr unangenehm Warden diese Militairs enttäuscht, als sie nach einem dreissigstündigcn Marsch durch eine überaus herrliche Gegend, dem Lande der Kabylen, am Gestade angekommen keine Stadt, nicht einmal ein Dorf, sondern nur wenige Strohhütten ohne Bewohner neben schönen römischen Cisternen und Tempelruinen erblickten. Stora war die Russicada der Alten, deren Plinius, Antoninns und Pomponius Mela erwähnen. Die Cisternen waren von den Kabylen in Silos verwandelt worden, in denen sie ihr Getreide aufbewahrten. Die französischen Truppen nahmen erst im Jahre 1838 von Stora definitiven Besitz und bedienten sich jener soliden Cisternenrcstc gleichfalls als Magazine, ja in der ersten Zeit als eines Hauptquartiers für ihre Stabsof-ficiere, denn es war in der Umgegend nirgends besseres Obdach zu finden. Es wurden sogleich Blockhäuser errichtet, später Forts und Casernen gebaut, endlich genehmigte ein königlicher Beschluss den Plan des Marschalls Valee, unweit Stora eine rein französische Stadt zu gründen, die den Namen Philippeville erhalten sollte. Sehr viele Kaufleute uud Handwerker von Bona siedelten sich hierauf nach Philippeville über, aus Malta kamen neue Auswanderer. Auch der Umstand, dass es an der Küste von Stora fast gleich ergiebige Korallenbänke, wie bei La Calle giebt, trug zur raschen Zunahme der Bevölkerung und zum schnell aufblühenden Gedeihen der Niederlassung bei. Die Zahl der dort lebenden Europäer betrug zu Ende 1839 bereits 1500 Seelen, es gab 50 Häuser von Stein und 150 von Holz. Eine Verbindung mit Constantine wurde durch Zwischenlager hergestellt und die Reste einer schönen, noch ziemlich gut erhaltenen via Romana wurden benutzt, um eine Fahrstrasse zu bauen. Sowohl als nächste Verbindungshüfen mit jener Hauptstadt des Innern, wie auch wegen ihrer fruchtbaren Umgegend haben Stora und Philippeville die günstigsten Aussichten, eine wichtige Handelstadt zu werden. Am 25. Mai Nachmittag traf das Dampfboot Cerbere im Golf von Bona ein. Von der Kasbah, die seit 1632 so manche Katastrophe mit angesehen und selbst erfahren hat, krachte, als man das Dampfschiff von ferne sah, ein Kano-nenschuss und die aufgezogene dreifarbige Fahne, die so lange flattert, als das Dampfboot in der Bucht verweilt, grüsste auch sogleich von den Zinnen jener hochgelegenen Citadelle herab. Bona hat gar keinen Hafen. Die Schiffe ankern in der freien Bucht, etwa eine halbe Stunde westlich von der Stadt, und flüchten sich, so oft ein heftiger Sturm droht, noch zwei Lieues weiter in die Nähe des Fort Ge-nois, wo sie etwas besser gegen Windstösse geschützt, vor Unglücksfällen übrigens keineswegs sicher sind. Unter allen Küstenstädten der Regentschaft hat Bona, nach Mostaganem, den schlechtesten Ankerplatz, daher auch die häufigen Schiffbrüche. Es ist dies ein Haupthinderniss, Bona je in einen grossen Handelsplatz zu verwandeln, denn nur mit Ungeheuern Kosten Hesse sich ein Hafen entweder durch den Bau eines Molo bei der Stadt oder vielleicht durch Entfernung der Sandbarre an der Mündung des Flusses Seybuss herstellen. Bona macht mit seiner äusserst mannichfaltigen Gegend, wo hohe Berge, nackte Felsen und üppig bewachsene Hügel, weite Ebenen und Flüsse vorkommen, beim ersten Anblick einen sehr freudig« Findruck. Die Stadt bat etwas durchaus Friedliches und Ländliches, von jeder Strasse aus sieht man das nahe Grün der Gegend. Bona führt im Arabischen den Namen Anaba, d. h. die Stadt der Brustheerbäumc. In der ersten Hälfte des Jahres 1639 betrug die europäische Bevölkerung 3111 Köpfe, worunter 1120 Franzosen, 1209 Malteser, 524 Italiener, 121 Spanier, 122 Deutsche und 5 Griechen. Eingeborne leben gegenwärtig nicht über 1500 dort, wovon zwei Drittheile Mauren* die übrigen Kuruglis , Türken, Biskris, Neger u. s. w. Bekanntlich wurde Bona 1832 von Ben-Aissa, dem General des Bey Achmet, grossentlieils zerstört und die unglückliche einheimische Bevölkerung, die damals etwas Uber 6000 Köpfe betrug, zur Auswanderung gezwungen. Die Stadt ist in zwei Quartiere geschieden. Der untere grössere Theil liegt auf ebenem Grunde und die Strassen sind, wenn auch nicht eben regelmässig und reinlich, doch für eine afrikanische Stadt ziemlich breit und helle. Auf dem grossen Platz, der mit Bäumen umpflanzt ist, stehen jetzt grösstentheils moderne Häuser a la Franfaise von freundlichem, zierlichem Acussern, übrigens nichts weniger, als für die Ewigkeit gebaut, denn zu jeder Regenzeit stürzen einzelne zusammen. Da sich bis jetzt kein Mensch in Bona niederlicss iu der Absicht dort für einige Zeit zu wohnen — denn das Klima ist äusserst ungesund und der Aufenthalt bietet dem, der weder Jagd noch schöne Gegenden licht, gar weniges Vergnügen — so sah man bisher beim Bauen nur auf Schnelligkeit, Wohlfcilheit, äussere Zierlichkeit, mochte das Gebäude auch noch so unbequem seyn und noch so leichtsinnig aufgerichtet werden. Alle gegenwärtigen Ansiedler Bouas, mit Ausnahme der Malteser, denken au nichts lieber, als sich aach einigem Geldgewinn von dem ficbcrmürderischcn Ort auf das Schnellste zu entfernen und den neuen Ankömmlingen ein schmuckes, auf ein paar Jahre feststehendes Häuschen, wo möglich für zweimal so viel Geld als der erste Baupreis war, zu überlassen. Der obere Theil der Stadt, der amphithcatralisch wie Algier, jedoch lange nicht so hoch und steil, den Kücken eines Hügels bedeckt, ist fast ganz maurisch noch. Die dortigen Häuser sind niedriger, als in Algier, haben meist nur ein Erdgeschoss und zeigen im Innern lange nicht dieselbe Pracht an Colonnaden, Marmor und Fayenza wie die Algierer Gebäude. Das Wohnhaus des commandirenden Generals steht den meisten Hotels und Re-staurantsgebäuden Algiers an Grösse und Wohnlichkeit weit nach und hat nur ein einziges Divanzimmer nach der Meerseite. Etwas orientalisch luxuriöser ist das Haus des berühmten Yussuf, gegenwärtigen Obristen des Spahis in Oran, ein ziemlich weitläufiges Gebäude, übrigens nicht hoch und von aussen eben nicht sehr ansehnlich. Von den Moscheen ist nicht eine bemerkenswert!!; die grösste wurde zu einer katholischen Kirche umgewandelt. Unter den neuen von den Franzosen aufgeführten Gebäuden verdient blos das Hospital eine Erwähnung, ein kolossales Gebäude, welches mehrere tausend Kranke fasst und in der Regel überfüllt ist. Bona hat nur zwei Thore, parte de Constantine, welche nach dem Lager Dreun, und porte Damremont, die nach der Kasbah führt. Die stark befestigte stolze Citadelle von Bona liegt auf einem isolirten Hügel östlich vom Seeufer. Sie beherrscht die Gegend vollkommen und ihr Besitz entscheidet über das Loos der Stadt, welche von der Kasbah leicht iu Trümmer geschossen werden könnte. Die Kasbah von Bona hat *eit dem Erscheinen der Franzosen an dieser Küste merkwürdige Schicksale erlebt. Am 26. März 1832 fiel dieselbe wie durch ein Wunder in die Gewalt Frankreichs. Zwei Männer von einer Kühnheit, Geistesgegenwart und be-sonderm Muth, die an die schönsten Heroenzeiten erinnern, nahmen dieselbe halb durch Ueberredung, halb durch Gewalt mit dreissig Matrosen ein, obwohl sie mehrere hundert streitbare Türken als Besatzung hatte und am Fusse des Berges der Khalifa des Boy von Constantine mit einer Armee lagerte. Ibrahim, der Anführer der Garnison, ein ehrgeiziger und hochmüthiger Mensch, wollte die Kasbah für sich behalten und widerstand gleich sehr den Aufforderungen Ben-Aissa's, wie den Anträgen der französischen Officiere, Yussuf und d'Armandy, welche damals in einer kleinen Kriegsbrigg ohne Landtnippen vor Bona lagen. Als Ben Aissa mit Sturm drohte, beschlossen jeue Officiere, mit dreissig bewaffneten Matrosen, gutwillig oder mit Gewalt in die Citadelle zu dringen und zu ihrer Vcrtheidigung hinzuwirken. Der Türke Ibrahim, der sein Obercommando durch die Anwesenheit eines französischen Detachements gefährdet glaubte, verweigerte ihnen den Eintritt. Nun aber entstand ein Kampf unter der Besatzung selbst, wo Yrussuf durch kräftiges Wort und Benehmen, wie durch seine würdevolle, gebietende Gestalt Anhänger gewonnen hatte, die auf die Wirksamkeit seines Beistandes mehr, als auf die Energie Ibrahim's vertrauten. Ibrahim wurde mit einigen seiner Anhänger gezwungen, die Kasbah zu verlassen, wo Yussuf, d'Armandy und die dreissig Matrosen freudige Aufnahme fanden. Bald aber brach eine neue Verschwürung unter den argwöhnischen, an Meuterei gewöhnten Türken aus und ohne die gewallige Energie Yussuf s, der die Hauptverschwörcr mit eigener Hand niederhieb, wären die wenigen Franzosen wahrscheinlich^ ermordet worden und die CitadeUe noch einmal für sie verloren gewesen. So aber kam das kühne Häuflein auch bald in den Besitz der Stadt, denn Ben-Aissa, der die Unmöglichkeit, die Bergfestung gegen eine französische Vcrtheidigung mit Gewalt zu nehmen, einsah, räumte Bona, nachdem einige gutgezielte Kanonenkugeln von der Kasbah aus in seiner Nähe gefallen waren. Fürst Pückler-Muskau schildert Yus-suf's romantisch kecke That sehr ausführlich nach dessen eigener Erzählung. Es kommen aber darin Details vor, denen man die Erfindung deutlich genug ansieht, so dass zu fürchten ist, der phantasiereiche, auch etwas boshafte Mameluk von Tunis habe dem „Edelmann aus dem Bäreland" nur einen tüchtigen Landsmann aufhängen wollen, gleichwie bei dem Abenteuer der schönen Kabburah, was Yussuf selbst allen fremden Besuchern zu Messerghin lachend gesteht. Am 30. Januar 1837 flog die Kasbah von Bona durch Entzündung des Pulvermagazins in die Luft und seine unglückliche Besatzung, einige hundert Mann stark, wurde theils zerschmettert, theils verstümmelt aus den Ruinen gezogen, ja einige Leichname sogar mit Gewalt bis auf die Terrassen von Bona geschleudert. Die Erschütterung war gewaltig, wie ein Erdstoss. Mehrere Häuser erhielten Risse, und in der Stadt blieb kein Fenster ganz. Jedermann erinnert sich iu Bona dieses Augenblicks mit Entsetzen. Gleichwohl war die Kasbah bei meiner Ankunft wieder ganz bewohnbar und gut befestigt, die äussern Mauern von ausserordentlicher Dicke und Solidität waren nur theilweise eingestürzt, die inneren Magazine und Kasernen hatten am meisten gelitten. Sie waren durch hölzerne Baracken ersetzt worden, die Soldaten lagen unter Zelten, in den Cantinen herrschte des Feldlebens alter Saus uud Braus. Rothhosige Zecliheldcn, Galanterien an die hübschen Cantinieres, Gascognaden gegen die Malteser bourgeois und Calembourgs und Wachstubcn-spässc an die Kameraden austheileud, vergnügten sich mit Liedern, Trunk und Spiel. In den Gewölben unter ihren Füssen lag dasselbe Mordelement, das hunderte ihrer Brüder in einem Moment zerschmettert hatte; etwa tausend Pulverfässer waren dort für die zweite Expedition nach Constantine aufgehäuft. Aber weder dieses drohende Donnergrab, noch die Erinnerung an die zerschmetterten Kameraden störte auch nur einen Augenblick die heitere Laune der Cantincngaste — so ist der französische Soldatengeist! Das Leben in Bona ist ziemlich einförmig und still, an Genuas fast in keiner Hinsicht mit dem in Algier zu vergleichen, obwohl ich Bona in einer sehr bewegten Zeit bewohnte, wo die Vorbereitungen des Constantiner Feldzuges viele Militairs, fremde Reisende, Speculanten dorthin geführt hatten und wo die sonst ziemlich einsame Rhede beständig von an- und abgehenden Schiffen wimmelte. Das Truppenge-wühle verlief sich aber immer sehr schnell wieder; denn kaum war ein Regiment ausgeschifft, als es gleich seinen Marsch nach den Lagern auf der Strasse nach Constantine antreten und dort auf die Ankunft der übrigen Expeditionscorps warten musste. Es hielt damals sehr schwer, ein Unterkommen zu finden und das Leben war so theuer, als in London. Eigentlich giebt es nur einen einzigen Gasthof in Buna, wo man Chambres garm'es findet, es ist der Liion d'Or. Wenn die dortigen Zimmer besetzt sind, bleibt nichts übrig, als nach Privatwohnungen sich umzusehen, die schwer zu bekommen, übermässig theuer sind und aller Bequemlichkeiten entbehren. Dagegen fehlt es nicht au guten Restaurants, für deren Einrichtung die Franzosen ein Geschick haben, wie keine andere Nation, so dass ein Diner im grand restau-rant (TAfrique mit der besten table (fhüte in irgend einer der grossen Städte Frankreichs rivalisiren konnte. An Kü-chengewiichsen uud edlen Früchten Ii "lern die Gärten von Bona L'eborlluss. Die Beduinen bringen zahmes Geflügel und die Auswahl ihrer Heerden zu Markt, an dein schmackhaftesten wildeu Gellügel, wie Enten (sechzehn Arten), Schnepfen, Hehhühnern, Trappen, Sultanhühnern, Becassinen u. s. w. ist keine andere Gegend der Berberei reicher; endlich liefern Meer und Flüsse in der Nähe au Fischen, Krebsen, Mu-schelthieren oft ausgesuchte Leckerbissen zu Spottpreisen, so Iftas die Curyphäcn der Pariser Gastronomie ihren schmausenden Landleuten in den afrikanischen Städten manchmal neidisch zusehen würden. Was dieser Küche im Lande selbst abgeht, die Gewürze und Weine, verschallt man sich von den Seehäfen Europas mit wenig Mühe und Kosten. Die verschiedenen Nektarsorten Andalusiens, der Gascogne, der Provence, der griechischen Eilande, sind in den Weingewül-ben Algiers bei Herrn Gugenheim und seinen Collegen reichlich aufgehäuft und Bona erhält davon seinen guten Theil, obwohl die Auswahl nicht so gross ist, wie in Algier. Es ist daher für den comfortablen Auswanderer oder Reisenden kein geringer Trost, zu wissen, dass iu dem Beduineiiland, überall, wo der Tricolor sich festgenistet, auch der Champagner, sein feuriger Landsmann und treuer Begleiter, in ungeschwächter Kraft moussirt. Mau findet diesen acht französischen Sprudel und Rumorgeist bis auf den äussersteu Vorposten. Die Scheikhs der Araber sehen da gerne zu, wie der Pfropfen springt und knallt und trotz Marabuts und Koran verschmähen wenige seinen Inhalt. Hie übrigen Lebensgenüsse und Zerstreungcn in Buna sind bald aufgezählt — Spaziergänge am Meerstrande gegen das Fbrt Genois, wo man die weissbeschwingten oder dampfspeienden Boten aus Frankreich von weiter Ferne schon über die Wogen schweben sieht, oder den Absegelnden den Hei-mathsgruss, selten ohne Seufzer nachsendet — der Besuch des Lesecabinets, wo die politischen Händel in den Journalen weniger langweilen, als auf ihren Schauplätzen selbst — die Abendpromenade auf dem grossen Markt, wo Alles im grössten Neglige, in Staubhemden, Sommerpantoffaln und breitränderigen Strohhüten flanirend sich ergeht, bis die Musik des Zapfenstreichs und mit ihr der letzte Lärmen vorüber — zuletzt der Besuch des Kaffeehauses, wo man bis elf Uhr bleibt, Kaffee oder Limonade schlürft, uud die Neuigkeiten sammelt, die von den Vorposten einlaufen. Das sonntägliche Hauptvergnügen ist die Jagd, die in jeder Beziehung ergiebiger, aber auch anstrengender ist, als in Algier, wegen der grossen Sümpfe gegen Osten und der steilen Gebirge im Westen. Einmal jede Woche ist das Jagen bei Bona ein Vergnügen, zweimal wäre es eine Strapaze, dreimal vielleicht der Tod, denn die Ausdünstung der Sümpfe erzeugt bös«; Fieber. Ueber die französischen, spanischen und deutschen Ansiedler gelten für Bona ganz dieselben Bemerkungen, wie über diese Völker in Algier. Die Malteser bilden in Bona die Mehrzahl der europäischen Einwanderer, sie repräsentiren aber den schmuzigsten Abschaum des A ölkerauswurfes. Träge, ungelehrig, feige, störrisch und diebisch, vereinigeu sie mit so vielen Lastern kaum eine empfehlenswerthc Eigenschaft, als etwa ihre Genügsamkeit im Essen und Trinken, einen Zug, den sie mit den ihnen in vieler Hinsicht ähnlichen neapolitanischen Lazzaroni gemein haben. Wie diese lobt der grössere Theil der ansässigen Malteser vom Taglohn, wie diese aber unterziehen sich alle nur einer leichten oder doch kurzen Arbeit, um nach einigen Plagcstündcheu den übrigen langen Tag in die Sonne sich legen oder, in ihrer Lieblingsstellung, die Hände auf den Rücken, und den Mund offen, die Vorübergehenden mit stieren Augen godau-los anglotzen zu können. Der bessere, wohlhabendere Theil der eingewanderten Malteser treibt Detailhandel mit allerlei Kramwaaren, Früchten, Specereien u. s. w., und bewohnt elende Löcher von Huden oder verkauft auch unter freiem Himmel. Viele treiben das Geschäft der VVirthe uud Marketender; ihre Gäste sind andere Malteser und französische Seddaten. Sie betrügen letzlere mit schlechten oder verdünnten Weinen, wofür aber auch die Soldaten ihre Revanche nehmen, sich oft tüchtig vollzccheu, das Beste der malteser Küche sich auftragen lassen, ohne einen Liard in der Tasche zu haben und ihre Rechnung dann entweder gar nicht oder mit Schlägen berichtigen. Für eine solche lustige „Carotte"\ wie die französischen Soldaten es nennen, scheuen sie selten ein paar Tage Stockwache. — Handwerker giebt es mit Ausnahme der zahlreichen Schuster nur sehr wenige unter den Maltesern und diese Wenigen arbeiten nachlässig und ohne Geschick. Die Malteser bilden eine Art Mittelbo-völkcrung zwischen Europäern und Eingebornen; den letzteren stehen sie näher. Mit den Europäern haben sie nur die Religion und einige wenige Sitten, mit den Eingebornen dagegen die Sprache und ihre meisten Untugenden gemein. Sie sind schmuzig wie die Biskris, diebisch wie die Araber, faul wie die Mauren. Sie verleugnen auch in anderer Beziehung ihren orientalischen Ursprung nicht, zeigen sich ihrer Religion eifrig zugethan und sind jetzt eben so bigote Moritz Wagmer's Algier. I. 16 Katholiken, als ihre Altvordern fanatische Muselmänner gewesen. Die Colonisation hat durch sie fast gar nichts gewonnen, denn nicht der hundertste Theil von ihnen beschäftigt sich mit Land bau. Während die spanischen Ansiedler gute Gemiisegärtuer, thätige Ackerbauer uud ziemlich verständige Oekonoineu sind, daher auch fast alle sich bereits soliden Grundbesitz erworben, haben die Malteser für die leichtesten Feldarbeiten nicht hinreichendes Geschick. Zu den Zeiten des Heuinachcns sind die Taglöhner in Bona sehr gesucht und gut bezahlt, denn die Graserndte ist dann sehr ergiebig. Die grosse Ebene des Seybuss uud die kleinere bei Bona sind im Mai mit einem Kräuterwuchs von l'/2 Fuss Höhe bedeckt und nicht der 'zwanzigste Theil davon wird gemäht, da die Arme fehlen. Die französische Administration kauft das Heu für Cavalerie und Zugpferde zu einem verhältuissmässig hohen Preis, der alle müssigen und hungerigen Leute locken sollte; dennoch verwenden die Unternehmer dieser Heuerndteu hiezu nur Franzosen und Deutsche, da die Malteser selbst zum Mähen zu träge, zu tölpisch sind. Man verwendet sie höchstens nur zum Führen der Zugpferde und der Pack wägen, aber selbst da gehört mehr als deutsche Geduld dazu , diese Tagdiebe neben den Thiercu hinschleudern zu sehen, ohne über ihre unbesiegbare Indolenz in Zorn zu gerathen. Der Expeditiousarmee nach Constantine folgte ein ganzer Schwärm von dergleichen nichtswürdigen Subjecten, die theils bei dem Couvoi verwendet wurdeu, theils die Freiwilligen, welche den Zug mitmachten, als Bediente begleiteten. Es gab damals nicht einen Reisenden, der seine Bedienten nicht ein halbdutzendmal gewechselt hätte, aber nach jedem Fortgejagten nur ein viel schlechteres Subject dagegen bekam. Die Diebstähle mehrten sich gegen das Endo meines Aufenthaltes in Bona auf eine empörende Weise, und obwohl die Urheber nur sehr selten entdeckt wurden, war doch die Ueberzeugimg allgemein, dass nur Malteser sie verübten. Ich weiss wohl, dass dieses keineswegs übertriebene Urtheil, welches alle in Bona lebenden Franzosen mit mir (heilten, mit den Berichten anderer Reisenden über Malta nicht zusammenstimmt. Die auf dieser Insel zurückgebliebene Bevölkerung wird als industriös, thätig und ehrlich geschildert. Wenn dem wirklich so ist, muss Malta die Auswanderungen segnen; sie befreiet dieses Eiland von einer Masse Aussatzes, denn die Maltesischen Ansiedler in Tunis und an andern Orten der afrikanischen Küste sind um kein Haar hesser, als die in Bona. Wären letztere in ihrer Heimath geblieben, so halle schwerlich je ein günstiges Wort über Maltas Bevölkerung geschrieben weiden können. Zwischen den Europäern und Eingebornen besteht in Buna ein viel freundlicheres Verhältniss, als in Algier. Die Mauren haben, wenn auch nicht Liebe für die französische Herrschaft, doch eine ziemliche Anhänglichkeit für dieselbe gewonnen, weil ihr Interesse dies erheischt Sie haben sich hie und da sogar dem Milizdienst unterzogen, was man in Algier nicht einmal zu versuchen gewagt hat. Sämmtliche Einwohner der Provinz Constantine, mit Ausnahme der Kabylen, sind zugängiger, friedlicher, weit weniger fanatisch und barbarisch, als die von Algier und der westlichen Provinz. Je mehr man sich Marokko nähert, desto wilder, gräulicher, aber auch tapferer und energischer wird der Menschenschlag, je weiter man hingegen nach Tunis rückt, desto mehr mildert sich und gewinnt der Charakter des Volkse, obwohl man überall gewisse Züge wiederfindet, welche die Araber oder überhaupt die Mahomedaner aller Länder nie verleugnen können. XI. A usfliige in Bonas Umgegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. Die Kbenc liei Bona. Die Gebirge. Fort Genois. Marmorbruch. Ruinen von Hippo Regius. Die Flüsse Bndsohimah, Seybuss und Mafragg. Die grosse Kbene des Seybuss. Blockhäuser, Oasen. Duars der Kharesas, Bem-Urschin und Merdäss. La Calle, die Niederlassung der Korallonusckcr. Lager Drean, Ausllug nach dem See Fez-zara. Die Landschaft Bonas macht als Gesamintgcmäldc lauge nicht de» Eindruck, wie die Gegend hei Algier. Es fehlen ihr vor Allem die blühenden Siidbaumgärten und die lieblichen weissen Landhäuser der Mauren, welche die Hügel von Mustapha- Pascha und den Berg Budschareah zu einem Eden schmücken. Die hohen Berge sind im Westen von Bona zu nahe und versperren die Aussicht. Gegen Osten aber sind sie zu weit entfernt und lassen ganz unbedeckt und ohne Abwechslung das kahle Bild einer zwar schön grünen, blumigen, aber baumlcereii und sumpfigen Fläche vor sich, hinter deren lachendem Grün man wohl den türkischen Feind bemerkt, der die Ansiedler und Armee so furchtbar heimsucht und lichtet. Die allzureiche Bewässerung ist Bonas Fluch. Die Menge der Quellen und Bächlein, die von den Bergen iiiessen, linden nicht alle den Weg zum Meer, obwohl zwei Flüsse mit breitem, ziemlich tiefen Bett dicht bei Bona sich in die Bucht ergicsscn. Zwar bildet dort kein Bergmassif wie bei Algier zwischen den Bergen und den Gewässern einen hohen unübersteiglichen Damm, aber die kleine Ebene bei Bona hat wie die grosse Ebene des Seybuss einen bemerkbaren Abhang von Süden nach Norden. Die vielen Quellen, die nicht Wassermasse genug haben, sich ein eignes Bett zu bahnen, und mit dem Seybuss und der Budscbimuh, gegen die sich kein Abhang zieht, sich nicht vereinigen, bilden grosse Moräste und alle bis jetzt zur Austrocknung unternommenen Arbeiten, die freilich nicht mit besonderin Eifer betrieben worden, haben noch zu keinem sehr günstigen Resultat geführt; daher das hose Klima Bonas, seine Fieber, die den Europäer hiu-würgen oder ihn siech, zur lebenden Leiche machen. Unter den Stadtbewohnern herrscht das Wechselliebcr bei weitem nicht so mörderisch, als unter den Bewohnern der Lager oder überhaupt unter allen denen, welche hüuligc Beschäftigung nach der Landschaft ruft. Gleichwohl leiden zur heissen Jahreszeit selbst zwei Dritttheile der Städter an mehr oder minder starken Anfällen, die jedoch selten einen tödtlichen Ausgang haben. Zahlreicher sind dafür die Opfer unter den armen Soldaten, und die kräftigsten Körper, wenn auch dem Tod widerstehend, welken in wenig Wochen zu Schatten dahin, so dass sie nichts retten kann, als schnelle Urlaubsreise nach Frankreich. Obwohl ich iu Bona den ganzen Sommer zubrachte und täglich nach den verrufensten Gegenden wanderte, auch häufig in die Moräste watete, um Wasservögel zu schiessen oder Smnpfcoiichylien zu erbeuten, hatte ich doch nie einen Fieberanfall, und ich konnte daher, da meine Constitution durchaus keine Empfänglichkeit für dieses Uebel zeigte, den Strapazen des schweifenden Jagdlebeus ungestraft trotzen; ja ich zweifle, ob ich auch bei langem Aufenthalt je fieberkrank geworden wiire, da diejenigen Ansiedler, welche das Wechsel lieb er im ersten Jahre verschont, später selten mehr davon befallen werden. Eine solche Antipathie gegen die Fieber haben Leute oft von der verschiedensten Körperbildung, dicke und dürre, jiiuge blühende, wie alte schwächliche Menschen. Aber ihre Zahl ist klein und von fünfzig Personen, welche sich den Sumpfmiasmon häufig aussetzen, werden im Durchschnitte gewiss vierzig fieberkrank. Es giebt in den Umgebungen Bonas keine nackten Anhöhen, Die Hügelkette gegen Fort Genois, wie die llöhen-umsäumung des alten Hippo regius bedeckt eine fruchtbare Daminerdschicht von bedeutender Dicke. Die Vegetation dieser Hügel ist äusserst kräftig, hohe Bäume und üppige niedere Pflanzen bedecken dieselbe bis zum Gipfel. Selbst auf den höchsten Bcrghäuptern im Süden, deren Höhe 3000 — 3500 Fuss über der Meeresfläche beträgt, kommen noch hohe Bäume der Korkeiche in Menge fort. Gleichwohl durchbricht an den hohen Bergen das Fclsgestein schon am Fuss hie und da die Dammerde. Bis auf halbe Gcbirgshöhe ist die oberste Schicht eiu tertiärer, grobkörniger Kalk. Weiter hinauf gegen die Gipfel kommt Gueiss und Schiefer hervor. Die höchsten Gipfel der Kette gegen das westliche Cap Ras-el-llam-rah bestehen aus Uebergangskalk, worunter sehr hübsche Marmorarten vorkommen. Das Itas-el-IIamrah selbst besteht aus röthlichcm Marmor. Etwas weiter östlich von dem Cap beiluden sich noch drei alte Marmorbrüche. Zwei davon sind von weissem Marmor mit grauen Adern und zeigen sogar einiges sehr reine, weisse Gestein, welches dem carrarischen Marmor nicht viel nachstellt. Diese Marmorbrüche scheinen von den alten Hipponescrn sehr eifrig ausgebeutet worden zu sein, denn man findet dort noch viele grob gehauene Säuleu, die von der Hauptmasse losgelbst worden, und andere Spuren weisen nach, dass diese Marmorfelseu im Laufe so vieler Iahte eines blühenden Zustandes der römischen Colonie, wo viel gebaut und losgemeisselt wurde, merklich kleiner geworden sind. Bekanntlich war Numidien wegen seines Mar-morreichthums berühmt. Plinius sagte, dass „an Marmor und wilden Thieren" das Land den grössten Ueberfluss gehabt habe. Die schönsten, berühmtesten numidischen Marmorbrüche fanden sich zu Sigus auf der Strasse von Karthago nach Cirta (Constantine) etwa 25 römische Meilen von letzterer Stadt entfernt. Der gelbe oder safranfarbige purpurgefleckte Marmor Numidiens war eiue der kostbarsten Zierden der römischen Bauwerke, Die nächste Umgebung Bonas, der Rücken der Hügel uud der Fuss der höhern Gebirge ist sehr baumreich. Agave und ('actus wachsen aber bei weitem nicht in derselben Menge und Ueppigkeit wie bei Algier, ja ich hatte sogar viele Mühe, ■mir das für meine Jnsectenschachteln nöthige Agaveholz \diu dürren Blüthensteiigel dieser Pflanze zu verschallen. Auch die Dattelpalmen stehen isolirter und seltener als an anderen Orten. Einige schöne Gruppen stehen bei dem Garten des Obristeu Yussuf. Die Zwergpalme kommt sowrohl am sandigen Meerufer als auf den trockenen Bergen vor, wiewohl nicht iu so ungeheurer Menge, als bei Algier und Oran. Der Orangenbaum ist selten und seine Frucht mit den grossen süssen und saftreichen Pomeranzen Beiidas nicht zu vergleichen. Dagegen gedeihen die Johanuisbrodbäume, der VVein-stock, der Oliven- und Feigenbaum eben so kräftig und in fast eben so grosser Zahl. Alle Gemüse uud sonstigen Gartengewächse Europas lohnen das Anpflanzen und die Ebene ist, wo nicht Sümpfe stehen, allenthalben einer Gartencultur fähig. Von Büschen kommt häufig auf trockenem Boden Pistacia lentiscus, Philyrea media, angustifolia et latifolia, Tamarix africana und an Bächen und Sümpfen Nerium Oleander und Salix aegyptiaca vor. Daphuc Gnidium und Passeriua hirsuta bedecken die nächsten Hügel im Westen. Auf erste-rer Pflanze findet man eine prächtige Käferart, Perotis tar-sata, von dem ehemaligen, leider jetzt allzuzerstückelten schönen Genus Buprestis. Oft sind die Stengel der Daphne von diesen herrlichen in grünem Demaiitfeiier glänzenden Insecten besäet und die leuchtenden Flügeldecken scheinen dann die beweglichen Blumen. Am Fusse der Hügel wächst das Ge-ranium Numidicum neben den schönsten Malvenarten. Erica arborea und multiflora, sowie die deutsche Genista bedecken stellenweise die trockenen Hügel. Die prächtigen Orchisar-ten dieses Laudes fand ich bei Bona seltner, als au anderen Orten. An zoologischen Gegenständen war meine Ausbeute weniger mannichlältig, als in Oran, doch hat auch Bona ziemlich viele eigenthümliche und interessante wirbellose Thierar-ten. Die Jagd auf grössere Thiere ist sehr ergiebig. Der Löwe, der bei Algier verschwunden ist, ist iu der Nähe des Lagers Drean, am nördlichen Ende der Ebene des Seybuss, wo viel Gestrüppe wächst, sowie besonders am See des Mafrngg im Stammgebiete der Merdass keine Seltenheit und zuweilen gehen von Bona Jagdgesellschaften ab, das gewaltige Haub-thiere, das einzige, dessen Jagd hier wahre Gefahr bietet und dem ächten Waidmann das Herz freudig schlagen macht, wie dem Kriegsmanne das Sausen der Kanonenkugeln, aufzusuchen. LJebrigens sind die Löwenjagden bei Bona seit der Entfernung des Obristen Yussuf bedeutend seltener geworden, und haben an Interesse verloren. Yussuf veranstaltete gross- artige Jagden, an denen oft gegen hundert Heiter Theil nahmen und wo gewöhnlich mehrere Löwen erlegt wurden. Jetzt darf man von Glück sagen, wenn man von sechs Ausflügen an die Ufer des Mafragg einmal mit einer Löwenhaut heimkehrt. Panther und Hyäne kommen gleichfalls vor. Ente* rer, von dem ich sehr grosse Exemplare sah, ist unter allen Kaubthierarten der Berberei wohl die seltenste. Die Hväue dagegen ist häufig und so wenig furchtbar, dass man deren in den nächsten Lagern trifft, wo sie wie llausthiere mitten unter kleinen Ebern, Ichneumons, Geiern und anderer Menagerie, welche die französischen Militairs dort zum Zeitvertreib aufziehen, frei herumlaufen. Das Reich der Vögel ist weit «ahlreicher repräsentirt durch viele Alten von Wat- und Schwimmvögeln in den Sümpfen Bonas und an den Ufern des Sees Fezzara, wo der Flamingo und der numidische Kranich vorkommen. Grosse Raubvögel giebt es dicht bei der Stadt Bona in grossen Heerden. Der ägyptische Aasgeier, Cathar-tes perenopterus, spaziert an den Ufern des Budschimah, wo das Vieh geschlachtet wird, heerdenweisse mitten unter den Schweinen herum, verzehrt friedlich au ihrer Seite seine nie fehlende Speise und setzt sich manchmal sogar auf den Rücken dieser Thiere, von denen er geduldet wird. Es ist ein schlauer Vogel, der den Jäger leicht wittert. Kommt ein Europäer, der einen Stab oder sonst etwas Flintenähnliches trägt, so fliegt die ganze Geierheerde auf, ehe man auf Schussweitc sich genähert hat. Ueberhaupt ist der Cathartes gegen alle europäisch gekleidete Personen, selbst wenn sie nichts Flin-teniihnliches in der Hand tragen, sehr auf seiner Hut. Er bleibt, wenn er diese erblickt, still stehen und mustert sie, den gelben kahlen Hals aufstockend, von weitem schon aufmerksam, ob es wohl Jäger sein könnten, Beduinen hinge- gen liisst der Ca.tliart.es drei Schritte au sich vorüber gehen, ohne sich um sie zu kümmern. Am sichersten tödtet man ihn daher, wenn man im Bernuss sich ihm nähert und die Büchse unter diesem weiten arabischen Mäntel verbirgt. Der grosse weissköplige Geier, Vultur leucocephalus, wird ebenfalls dicht bei Bona auf dem Schlachtanger Aas fressend getroffen. Kr ist aber bei weitem seltener und scheuer. Auf sechzig Cathartes kommt vielleicht ein Vultur leucocephalus, dessen gewaltige Figur hoch über das andere gefiederte Haubvolk herausragt. Gleichwohl habe ich auch diesen riesigen Geier zuweilen schon auf den Bergen heerdenweise beisammen gesehen. Giftige Reptilien fehlen bei Bona ganz. Die furchtbaren Otternarten des Landes, wie die Viper minuta uud andere, kommen nur im Süden und Westen der Regentschaft vor. Um so häufiger sind dafür die als giltig verschrieenen, übrigens sehr unschuldigen Gekos. Es ist nicht ein alter Olivenbaum in der Gegend, der nicht mehreren dieser runzelig grauen Bewohner zum Aufenlhall diente. Auf den Zweigen des wilden Oelbaumes bemerkte ich oft eine grosse prächtige Eidechse, rosenlarbig, mit grünem Bauch, so gross wie Laccrta viridis. Ich machte oft Jagd auf sie. Sie entging mir aber durch eine Schnelligkeit, wie ich sie bei keinem andern Reptil bemerkt habe. Von Mollusken giebt es bei weitem nicht so schöne und seltene Arten, wie bei Oran, aber die, welche vorhanden, sieht man iu ungeheuren Massen. Die Stengel vieler hohen Saud-pflanzcn am Meerufer sind zuweilen so dicht mit Schnecken besetzt, eine an der andern, als wären sie angeleimt, so dass man kaum durch eine nadelkopfbreite Lücke den grünen Stengel erkennt und eine ganze Vegetation von Muscheln aus dem Sand wachsen zu sehen wähut. Unter den Iusecten fand ich an Uoleopteren so manches Neue. Am Strande laufen viele Arten von grossen Melasomen, namentlich von dein schönen südlichen Genus Pimclia. Diese lassen in dem leinen Ufersand die regelmässig gezeichneten Spuren ihrer Füsse zurück, so dass der Strand an manchen Stellen einem gelb-grauen Teppich gleicht, in welchem allerlei wunderliche Stickereien, Zierrathen, fremdartige Schriftzeichen eingewoben sind. Gar seltsam nimmt sich auch der grosse Scarabaeus sacer aus, wenn er seine gefertigten Mistkugeln, oft so gross wie er selbst, mit den Hinterfüssen schiebt, und dies mit einer so possierlichen Behendigkeit, dass ich immer eiu Vergnügen daran fand, ihm mit den Augen auf seiner Rennhahn zu folgen, bis er, eine bequeme Stelle erreichend, seine Kugeln einscharrt, um seine Eier in dieselben zu legen. Die Ebene bei Bona hat eine Meile im Umkreis. Nach der Stadtseite ist sie mit Garten bedeckt, deren Besitzer grösstenteils Eingeborene sind. Unter den Gartenfrüchten, die hier besser, als in irgend einer andern Gegend Europas und Afrikas gedeihen, erwähne ich die in allen Formen und Grössen vorkommenden Melonen und Gurken. Südlich von diesen Gärten beginnen schöne Wiesen, von denen nur wenige morastig sind. Eine kleine halbe Stunde südlich von Bona liegt das schöne Landgut des Generals d'Uzer, früheren Ober-( oinniandanteu von Bona, dessen Andenken selbst von einem so vergesslichen und wenig dankbaren Volke, wie die europäischen Auswanderer, noch allgemein gefeiert wird, und selbst manchem eingebornen Uhristenhasser noch Thränen entlockt. Er war gleich geliebt von den Eingebornen, wie von der Armee und den Pflanzern, und solche drei sich widerstreitenden Interessen und Sympathien hat meines Wissens keiner seiner Nachfolger mehr für sich gewonnen. Das d'Uzcr'sche Landgut, welches jetzt für Rechnung des Generals von seinem Neffen ausgebeutet wird, ist das einzige bc-merkenswerthe Culturetablissement dieser Gegend. Der berühmte Yussuf besitzt einen schönen Garten an den Ufern des Seybuss mehr zur Lust und Zeitvertreib, als zum Gewinn durch Bodenanbau. Es stehen dort schöne Palmen und Süd-fruchtbänme, und das Landhaus ist mit dem Luxus eines Serails eingerichtet. Hügel von 6 — 800 Fuss Höhe, sehr fruchtbar, sehr üppig bewachsen mit Baum, Busch und Kräutern, umsäumen diese Ebene auf der Südseite und schliosscn sich der höhern Ringmauer der Berge gegen Westen an. Gegen Norden ist die Ebene vom Meer begränzt und gegen Osten ist sie mit der Ebene des Seybuss im Zusammenhange. Einige Punkte auf diesen Bergen bieten recht hübsche Lustpartien und weite Aussichten. In Bonas Umgegend sind die Ausflüge minder gefährlich als in allen übrigem Theilen der Regentschaft Algier. Man kann mit sehr wenig Gefahr Tagereisen weit sich in das innere Land vertiefen und bei den Stämmen bis zehn Lieues Entfernung einer halbgastlichen Aufnahme ziemlich gewiss sein. Nur in den Bergen ist Vorsicht rathsanier. Wenigstens wagt Niemand in Bona, dort hineinzudringen, vielleicht mehr, weil die Berggegend seltener betreten und weniger bekannt ist, als wegen wirklicher Gefahr. Ich hörte niemals, dass dort Unfälle sich ereignet hätten, allein man wusste, dass die Gegend von Kabylen bewohnt war, und der Schrecken vor diesem Bergvolk ist unter den Europäern sehr gross. In der That könnte mau bei der Einsamkeit der Gegend von jenen schrecklichen Kohlenbrennern, die den Fremden auf ihren Höhen von weiter Ferne schon bemerken, ermordet werden, ohne dass die That je ruchbar würde, weil wie gesagt oft in Jahren kein Europäer in diese Berge sich wagt. Es giebt einige wunderhübsche bcsuchcnswerthc Partien dort, namentlich oberhalb des Blockhauses der Fontaine, zu welchem lieblicher Waldschatten und das Brausen eines Quellsturzes lockt und wo eine herrliche Aussicht über Bonas halb kesseiförmige, frischgrüne Ebene, die Stadt, den Hufen, das Meer und die ungeheure Seybuss-ebene, das drückende Gefühl der Lebensgefahr verschmerzen lasst. Die Ruinen des berühmten Ilippo regius, des Lieblings-aufenthaltes der numidischcn Könige und Bischofsitzes St.Au-gustin's, liegen nur eine Viertelstunde südwestlich von Bona, theils in der Ebene, theils auf zwei Hügeln, zwischen den Flüssen Budschimah und Seybuss, erstercr die Armua, letzterer der Uhus der Römer. Durch die Fruchtbarkeit seines Bodens war Ilippo zu Anfang der christlichen Zeitrechnung der Mittelpunkt des Handels und der Civilisation geworden. Daher erhoben sich auch zahlreiche Gebäude auf den beiden Hüjreln, die ihre Mauern umschlossen. Es waren Theater, Paläste, Tempel und später Klöster, Kirchen und Öffentliche Schulen, wo die Künste und Wissenschaften dieselbe Höhe, wie damals in Italien erreichten. Doch schien ein mächtiges Hiu-derniss schon vom Anfang an sich der Vergrösserung der Stadt zu widersetzen. Die Natur verweigerte der Stadt Hippo das Wasser ihrer unterirdischen Behälter, und die Nachbarschaft des Meeres machte das Flusswasser des Ubus ungesund. Aber die römische Bauthätigkeit hatte diesem reichlich abgeholfen. Von dem Saume des Pappua aus erhob sich eine Wasserleitung; sie ging auf Bögen über zwei Thäler und einen Fluss, durchbohrte dann zwei Hügel, und brachte auf diese Weise das reine W'asser der Gebirge nach der Stadt. Eine hohe und dicke Mauer mit runden Thürmen umgab den Doppelhügcl. Im Osten bespülte sie den Ubus, von dem sie durch einen Kai getrennt war, der aus Marmorblöcken von Hippi Promontorium bestand. Auf dem Gipfel des höchsten der beiden Hügel erhebt sich ein Palast. Es war die Residenz der Könige von Nu-midien, wenn sie Hippe» besuchten, und sie besuchten es oft; denn bezaubert ohne Zweifel von der Schönheit der Lage, schienen sie den dortigen Aufenthalt dem von Cirta vorzuziehen, obwohl dieses die Hauptstadt war. Daher nannte man auch jenes Ilippo regius, und in der That, von den Fenstern des Palastes aus gesehen, machte die Landschalt von Ilippo sogar die Blicke eines Königs entzücken. Nach welcher Seite man sich auch hinwendete, so erblickte man die Terrassen einer reichen, glänzenden, belebten Stadt, umgeben von einem Gürtel von Thürmen und Wällen. Gegen Osten zog ein Gebäude von viereckiger Form die Blicke auf sich. Es war kurze Zeit vor dem Verfalle Hippel vollendet worden, und hatte noch die Frische und den Glanz eines neuen Baues. Es war eine Anstalt der Barmherzigkeit Man verdankte sie dem Bischof Aurelius Augustinus, dessen Name damals schon verehrt war. Das Gebäude ruhte auf sieben Reihen von breiten Bügen, die geräumige Becken bildeten, welche bestimmt waren, das Regenwasser zu sammeln. Zu einer Zeit der Unordnung konnte die Kette der Wasserleitung zerbrochen werden. Eine zarte Sorge für die Unglücklichen, welche dort ein Asyl linden sollten, hatte gehofft, sie auf diese Weise gegen die Wechselfälle des Krieges zu schützen. Am Fusse des Hügels war das Bett des Ubus. Man sah ihn von Norden nach Süden fliessen, dann sich nach Osten zurückbiegen, endlich wie einen schwarzen Faden in einem goldenen Tuche, mit dem die Cultur die Ebenen bedeckte, verschwinden. Koch weiter südlich dehnte sich der Göll" aus, in weiter Halbmondlörm, dessen ganze Ausdehnung man von der Höhe des Hügels beherrschte. Zur Linken, etwa zwei römische Meilen entfernt, fing das Gestade an steil zu werden, dort war die kleine Stadt Aphrodisium*) erbaut, dort ankerten gewöhnlich die grösseren Schiffe, und da während der schönen Jahreszeit die Durchfahrt des Ubus enger und schwieriger war, so zogen viele Schilfe den Ankerplatz bei Aphrodisium vor. Es war dieses auch ein Anhaltspunkt für die Fahrzeuge, welche in einem breiten, am Meerufer ausgegrabenen Brunnen Wasser holten. Daher hatte diese kleine Stadt Wichtigkeit erlangt. Ein Kai zum Ausschiffen der W iiaren war dort gebaut worden, und auf dem steilen Seege-stade stand ein Tempel der Venus errichtet. Gegen Norden war der Horizont in geringer Entfernung durch die Kette des Fappua begrnnzt. Hundertjährige Wälder, Fruchthäume aller Art, cultivirte Felder, Wiesen, nackte Felsen, gaben diesem weiten Vorhang die Schattirungen der verschiedensten Farben, und zackten die Gipfel des Gebirgs, welches so dunkel unter einem so reinen Himmel sich erhob, auf tausenderlei W^eise aus. Bei dem ersten Blicke schien es, als sey dieses Gebirge vom Fusse bis zum Gipfel nur ein einziger Abhang, aber breite Schatten auf seinen Flanken zeigten tiefe Abhänge an und vcrriethen selbst auf eine grosse Entfernung die Schwierigkeit für Truppen, dort hineinzudrin-gen. Daher hatten sich auch in diese Schlupfwinkel die Nu-midier, dieses seinem Namen, seiner Natur und Geschmack nach gleich wilde Volk, vor der Eroberung und der Civilis«- °) Aphrodisium ist das heutige Bona. tion Roms geflüchtet. Einige empörte Fürsten hatten dort auch ein Asyl gegen die Rache der Eroberer gesucht, und nur mit grosser Mühe war es den Legionen der Proconsuln gelungen, sie dort zu erreichen. Am Fusse des Pappua und auf dem höhern Theil der Ebene erhoben sich kleine Hügel, auf welchen mitten unter dein Laube von Oliven, Brustbeerbäumen und Myrten, weisse Villas und Lusthäuser, Monumente des Luxus, des Wohlseyns und Reichthums hervorschimmerten. Gegen Westen und Süden dehnten sich weite Ebenen aus. Sie waren mit reichen Erndten bedeckt; es war der Kornspeicher, wo Italien sich verproviantirte. Hie und da belebten einige Gruppen von Orangen- und Citroiienbäumen, eine einsame Palme, ein Lust-haus im lachenden Thalgruude, ein Tempel am Saume einer römischen Strasse das Gemälde, welches im Nebel der Entfernung den Thambes und den Mampharus mit ihren spitzigen Gipfeln und nackten Rücken sehen liess. Die hauptsächlichsten Ruinen dieser weiland so blühenden Stadt, welche das Schicksal der numidischen Colonie und des grossen Römerreichs selbst getheilt hat, und iu ihrem Verfall mit so vielen gleichfalls versunkenen Nachbar-grüssen, wie Karthago, Cirta, IJtica, sich trösten kann, bestehen in einer Reihe von Cisternen, die in zwei Hauptgebäude getheilt sind, von denen jedes sieben Cisternen inne hat. Die Länge derselben beträgt 147, die Breite 129 Fuss, die Höhe der Bögen 28 Fuss. Sie stützen sich gegen Süden auf den ziemlich steilen Abhang des Hügels. Die Reste eines römischen oder vielleicht byzantinischen Aquaeductus liegen in dem engen Thal des Uad -el- Dolly, „Oleanderbachs", südöstlich von Ilippo. Es stehen etwa noch zehn Arkaden davon. Der Canal befand sich auf einer Höhe von 66 Fuss über der Meeresiläche. An dem linken Ufer des Seybuss, au der Stelle, wo jetzt die schwimmende Brücke steht, erblickt mau auf dem Abhänge des kleinen Hügels, welchen Hippos Gebäude bedeckten, die Spuren eines Theaters, dessen halh-kreislörmiger Umkreis 330 Fuss betragt. Hinter diesem Theater, auf dem Gipfel des Hügels, wo man nur sehr wenige Sputen alter Gebäude bemerkt, stehen jetzt einige" Soldaten-baraken, bei welchen man noch eine grobgearbeitete Mosaik ohne Zeichnung bemerkt. Das Theater liegt dem Seybuss gegenüber, der nur hundert Schritte davon entfernt ist. Der brittische Reisende Dr. Shaw äussert in seinem alten gediegenen Werk die Meinung, Bonas halbkreisförmige Ebene könne wohl die Bucht und der Hafen von Ilippo gewesen seyn, denn die Barre des Seybuss, wenn sie jetzt so beschaffen war, wie damals, war selbst für die kleinen römischen Schiffe im Sommer schwerlich zu passiren und Uippo hätte, wenn es dem Meere nicht näher gestanden, nur durch den Hafen von Aphrodisium Seehandel treiben können. Betrachtet man in der That die Form der Ebene, die an manchen Steilen kaum das Meerniveau überragt, sowie die Gestaltung der sie anschliessenden Berge, welche dem Buchtsaum fast aller uordafrikauischen Hafenstädte ähnelt, so fühlt man sich versucht, der Meinung Shaw's um so mehr beizupflichten, als von vielen numidischeii Städten das Meer augenscheinlich zurückgewichen ist. Karthago, Utica, Ilippo Zaiy-tus, deren Ruinen in der heutigen Regentschaft Tunis gelegen sind, waren einst Seehäfen; jetzt muss man ihre Ruinen einige tausend Schritte vom Meer entfernt suchen und untrügliche Spuren zeigen, dass das Meer dort einst tiefer in das Land hineingegangen war. Die Meinung Shaw's über den Hafen von Ilippo blieb so lange geltend, bis 1834 Nachtfra-Moeitz Wagnkr's Algier. I. 17 billigen in der Mitte der kleinen Ebene, welche die alte Bucht gewesen seyn soll, zur Entdeckung von Gräbern führten. Es wurden Münzen, römisches Töpfergeschirr, WaiTenfragmeiite zu Tage gefördert, und hiermit war es wohl unwiderleglich bewiesen, dass Alles auch vor Zeiten schon in dem heutigen Stand gewesen und dass jene Revolution des Küsteuterrito-riunis, welche bei andern numidischen Küstenstädten so deutlich vorliegt, bei Ilippo spurlos vorübergegangen ist. Mippos Ruinen machen zwar lange nicht den mächtigen Eindruck, wie der Anblick der Trümmer von Lambaso und Hcliopolis, doch gehören die Cisternenreste, die jetzt wie begraben liegen unter einer prächtigen schattigen Bauinflora, zu dem Schönsten was in dieser Art die Provincia Africa aufzuweisen hat. Ich besuchte Ilippo fast täglich und wohnte sogar einige Tage mitten unter seinen zerstreuten Steinhaufen, iu einer kleinen Caserne, auf demselben Hügel, wo das Amphitheater gestanden. Ein junger französischer Oflicier, mit dem ich befreundet worden, und der es liebte, Gedankeu auszutauschen, au einem Orte, wo eine grosse Vorzeit den Mitsprecher machte in der Abendstille, thcilte dort seine Wohnung mit mir. Die Umgebung der Cisterne ist ein Südgar-teu, wie man wenig schönere sieht, so kräftig grün ist Gras und Baüralaub, so duftig der Schatten, uud in der Gegend waltet ein wohlthuender Friede, der das Glück des Einsiedlerlebens preist uud um so besser denen zusagt, die dorthin vom Lagergetümmel kommen. Allen Besuchern steht der Eintritt, das Uinherstreifen in den Gärten, auch wohl das Pflücken der Früchte frei, in so weit man die Nachsicht des Besitzers nicht allzusehr missbraucht. Inmitten der Feigenbäume und Brustbeersträuche in den Umgebungen der Ruinen steht ein hübsches Landhaus, wo ein französischer Wirth sich angesiedelt hat, und Bälle, Gastereien mit andern Sonntagszerstreuungen giebt. Lustiger Walzertact, das Geräusch der Kneipenfiedler, Gesänge sehr weltlichen Inhalts und andere Lust dieser Art treiben ihr Unwesen an der Stelle, wo einst St. Augustiu zu einer christlichen Versammlung salbungsreiche Worte sprach. In dem Garten erhebt sich ein einzelnes starkes Mauerstück, von dem man behauptet, es sey das letzte Fragment der Kathedrale jenes Kirchenvaters. Aber nichts unterstützt diese Meinung, als die Sage, deren Ursprung man nicht kennt und die vielleicht in ganz neuer Zeit ausgeheckt worden. Der Heilige hat die cynische Entweihung der letzten ge-benedeiten Steine nicht ungerächt gelassen, denn der französische Wirth, mit dem es schon zur Zeit meines Aufenthaltes auf die Neige ging, hat, wie ich seitdem erfahren, bankerott gemacht und die profane Kneipe ist wieder geschlossen. Auch anderen Entheiligungen ist eine merkwürdige Strafe geworden. In einem Cisternengewölbe quartierte sich nämlich in der Nacht eine Menge gehörnter, unruhiger Gäste, Ochsen, Hammel, Ziegenböcke ein, die den Boden mit einer unfläthi-gen Kruste überzogen. Einst stürzten während der Nacht einige grosse Steinblöcke über der Eingangswölbung zusammen und versperrten ihren nächtlichen Gästen den Ausgang nach der grünen Weide. Die arabischen Hirten vermochten einen ganzen Tag lang nicht, die Oeffnung wieder frei zu machen. Da hätte man die zerknirschten Sünderstimmen im Innern hören sollen! Hier das Basslamento eines langgehörnten Stiers, dort das reuige Meckern eines bärtigen Bocks; sie waren einen ganzen langen Tag um ihr duftiges Gras gebracht und zum Fasten verdammt. Der gegenwärtige Bischof von Algier Dupuch, ein Mann, der von den gläubigen und ungläubigen Christen dieses Landes, ja selbst von den Mahomedanern, seines menschenfreundlichen Charakters und seines mildthätigen Sinnes willen sehr verehrt wird, besuchte die Provinz Constantine im Frühliuge 1839 uud las auf den Ruinen von Ilippo die Messe unter freiem Himmel. Alle Malteser der Stadt Bona hatten sich aus Andacht, die Franzosen wohl aus Neugierde zu der Feier eingefunden, jeder Stein war mit Zuschauern oder Betern bedeckt. Es mag dieser Gottesdienst auf dem Schutthaufen von St. Augiistiu's Diücese, wo der heilige Glöckchenton, der Weihrauchduft und der lateinische Gesang eine Pause von 1400 Jahren gemacht, eine seltsam rührende Scene gewesen seyn und der edle Prälat soll anfangs innig geweint, dann seine Bewegung meisternd, mit einer von Begeisterung erhobenen Stimme die Messe geendigt haben. Leid that es mir, dass ich diesen Auftritt nicht mit ansehen konnte. Ich ging oft in den Gängen des grossen Cisternengebäudes und in den belaubten tieferen Räumen spazieren, wenn ich aber dort Menschen sah, so wirkten sie nur störend. Französische Soldaten stellten sich hie und da ein, um die halbreifen Feigen zu schütteln und Beduinen trieben ihre Heerdeu vorbei. Einmal aber traf ich drei Socurs de la c/iaritd, die kürzlich aus Algier gekommen waren, um in Bonas Civilhospifal die Krankenpflege zu übernehmen. Es war eine ältere Dame und zwei junge Schwestern, zu deren lichtbrauneu Augen uud sanftrosigem Teint die schwarz uud weisse Nonnentracht vortrefflich stand. Die edeln Frauen wandelten still sinnend unter den Ruinen; sie musterten jeden Stein, der von den Gebäuden losgerissen lag, jedes Blümchen, das aus dem Steine wuchs, jede geflügelte Cicade, die auf der Blume sich schaukelte, mit Liebe und Interesse und die sanften Züge waren von der Erinnerung einer lange entschwundenen Zeit verklärt. Ich sah dem Spaziergang dieser im Ordensgcwande so feierlich schönen Gestalten mit grosser Theilnahme zu und freute mich, dass es in Bona doch auch Menschen gab, welche Ilippo in anderer Absicht besuchten, als um Feigen zu schütteln, und Kühe einzustallen. Ganz in der Nähe Bonas fliessen, wie bereits erwähnt, die Budschimah und der Seybuss. Erstere entspringt bei dem Lager Neschincia; sie ist nicht wasserreich und hat immer, selbst in den Zeiten der Regengüsse, einen trägen Lauf. Im Sommer steht sie ganz stille, und hat gar keinen Ausfluss nach dem Meer. Die Brandung wälzte an der Mündung eine Sandmasse auf, auf welcher man völlig trocken passiren kann. Selbst im Winter hat die Mündung nicht über einen Fuss Tiefe und das Wasser ist dann stinkend und ungeniess-bar. In der Nähe von Ilippo führt über die Budschimah eine Brücke, die noch von den Rümerzeiteu her datirt. Sie hat ei II' Bügen. Ein Theil davon war unter der nachlässigen Türkenherrschaft trotz ihrer alten Solidität in Trümmer zerfallen und wurde erst 1834 wiederhergestellt. Die alte Form ist nun theilweise verschwunden, es ist eine gellickte Antike, die aber jetzt vollkommen ihre Dienste wieder thut. Oer Seybuss fliest nur ein paar hundert Schritte östlich von der Budschimah ins Meer. In der Nähe seiner Mündung ist dies ein ziemlich ansehnlicher und tiefer Flosa, über 300 Fuss breit. Der Hauptarm des Seybuss entspringt im Innern der Provinz Constantine, auf dem Dschihel-Taladi, südöstlich von der Stadt Constantine. 15 r wechselt im Laufe mehrmals seinen Namen. An seiner Mündung ist, wie fast bei allen afrikanischen Strömen, eine Sandbarre aufgethürmt, so dass der Fluss dort im Sommer nicht über fünf Fuss Tiefe hat. Zur Regenzeit beträgt die Tiefe etwa zehn Fuss. Alsdann können kleine Schiffe wohl einfahren und vor den Orkanen sich sicher stellen. Da aber die Sandbarre bald fällt, bald steigt, je nach den Einflüssen des Wetters, der Meerbrandung oder der Flusshöhe, so trifft es sich manchmal, dass eingelaufene Schiffe nicht mehr in die See hinauskönnen und wochenlang im Flusse gefangen bleiben, bis die Saudbarre wieder gefallen. Der fürchterliche Sturm im Februar 1835, der in Bona wie in Algier unerhörte Verheerungen angerichtet, riss durch seinen Wellenschlag die Barre völlig weg, so dass eine Zeitlang für ganz grosse Schiffe der Eingang frei war. Die VVuth des Elementes bewirkte damals iu einem Augenblicke, was jetzt nur durch jahrelange, äusserst kostspielige Molobauten bewerkstelligt werden könnte, man müsste zwei Molos bauen iu einem Halbkreise von 1200 Fuss. Diese würden gering angeschlagen über zehn Millionen Franken kosten. Aber auch dadurch wäre die Mündung des Seybuss gegen den Andrang des Sandes nicht völlig geschützt und der Eingang jedenfalls schwierig. Für die Herstellung eines Hafens wäre es vortheilhafter, einen Molo dicht an der Stadt herzustellen und denselben vom Fort Cicoguc aus etwa 1000 Fuss gegen Süden fortzuführen. Auch für die Binnenschifffahrt bietet der Seybuss keinen Vortheil. Die Boote der Brigg Dragon, welche im September 1837 eine Fahrt stromaufwärts machten, konnten nur bis in die Nähe des Lagers Drean kommen, wo das Wasser kaum zwei Fuss mehr hat und selbst bis dorthin giebt es im Sommer viele Untiefen*. Es könnten also höchstens nur einige Colouisten, die in der grossen Ebene an dem Ufer des Seybuss sich niederliesen, für die Ausfuhr ihrer Producte nach Bona von der Flussschifffahrt einigen Nutzen ziehen. An andern Orten im Innern, wo ich den Seybuss wieder sah, ist seine Tiefe sehr abwechselnd, bei Ghelma kaum \lj2 Fuss, bei Medschez - Ammar, wo er enger zusammengedrängt ist, an manchen Stellen vier bis fünf Fuss. Leber den Seybuss führt bei Bona keine Brücke, Man macht die Ueber-fahrt auf einer grossen Fähre {Jiac depassage, wie sie die Franzosen nennen), die jede halbe Stunde durch ein von einem Ufer zum andern gezogenes Seil hinüber und herübergeschoben wird. In den Morgenstunden, wo viele jenseits des Flussufers wohnende Araber zu Markt kommen, ist diese Fähre stets dicht angefüllt mit Menschen, Rossen und Last-thieren. Das Bild ist äusserst phantastisch, — besonders vom Ufer aus in der Morgendämmerung gesehen — wenn die schwimmende Brücke voll langbärtiger weissei- Gestalten im Bernuss, mit langen Flinten bewaffnet, zu Pferd und zu Fuss, dann die Menge von beladeneu Maulthiereii und Eseln, von Ochsen und Schafen, mit den Arabern in eine Gruppe zusammengedrängt über den FIuss hingleitet! Sechs Stunden östlich vom Seybuss tliesst der Mafragg (Armoniacurn der Alten), der gleichfalls iu den Golf von Bona sich ergiesst. In der Nähe seiner Mündung ist er nicht ganz so breit wie der Seybuss, aber etwas reissender. Seine Ufer bieten einen ganz verschiedneu Anblick und sind weder so kahl, wie die des Seybuss, noch so sumplig, wie die der Budschimah, sondern grössteutheils von wildem Strauchwerk begränzt. Dort ist ein Licblingsaufenthult der Uber, die es vielleicht an keinem andern Punkte des Landes, Dollys ausgenommen, iu grösserer Zahl giebt und die dort häulig die Beute des Löwen werden, welcher in jeuer Gegend gleichfalls seine Wohnung aufgeschlagen hat. Die grosse Ebene, welche der Seybuss uud Mafragg durchströmen, giebt der Metidscha an Grösse wenig nach. Sie ist fünfzehn Stunden lang und hat eine mittlere Breite von sechs bis sieben Stunden. Bei ihrer reichen Bewässerung und der Leichtigkeit, durch Canalbautcn die Sümpfe auszutrocknen, ein Resultat, das in der Metidscha nur durch viel bedeutendere und kostspieligere Arbeit sich erreichen Hesse, bei der friedlichen Stimmung der Araber dieser Gegend, wäre diese Ebene in grossen Culturetablissements einladend. Es hätten zehntausend Pflanzerfamilien hier überflüssigen Kaum und Nahrung. Der Bey von Constantine hielt dort zahlreiche Heerden, die ein Staatseigentum des Beyliks waren. Damals bot die Ebene einen viel lachendem, belebtem Anblick. Einige 100,000 Kühe und Schafe Süllen in der grünen Jahreszeit dort stets auf der Weide gewesen seyn, ihre Hüter standen unter dem Befehl des Ben-Yacob und bildeten ein eigenes Corps. Nach der Eroberung Bonas zogen sich Hirt und Heerden iu das Innere zurück, Achmet Bey konnte den Verlust dieses schönen Bodens nie verschmerzen. Eine seiner ersten Fragen an den Juden Busnac (welchen General Damremont wenige Monate vor dem Abmarsch der Expedition als Unterhändler nach Constantine gesandt hatte), war: „wie sieht es iu der Ebene bei Anapa (Bona) aus*" Als Busnac erzählte, dass nur noch drei Stämme die Ebene bewohnten, der bei weitem grösste Theil derselben aber völlig unbenutzt liege und die Franzosen dorthin nur zum Eberjagen kämen, da strich der Bey sich ganz erstaunt den Bart und rief: „Wozu verlangen die Franzosen denn meine Felsen und Wüsten, wenn sie den schönsten Theil meines Beyliks nicht nützen können oder wollen?" Wie iu der Metidscha, so stehen in der Seyhussehenc einzelne hochstämmige Baumgrnppen, aus dreissig bis vierzig Feigen-, Oliven- oder Johannisbrodbäumen bestehend, beisammen, Sie bilden einen schönen Laubkranz meist in rundlicher Form und bezeichnen gewöhnlich die fruchtbarsten Stellen der Fläche. Es sind kleine Oasen des grossen Gelildes, sowie man sie iu der Sahara nur in grössern Ausdehnungen uud von unendlich grossen Räumen getrennt findet. Alle jene kleinen Baumoasen oder Inseln der Seybussebene sind von Duars umgeben uud meistens wohnt in einem steinernen Häuschen irgend ein vornehmer Araber, ein Kaid, Scheikh oder Marabut, der gewöhnlich Garten, Felder und einen Kirchhof in der Nähe besitzt. Es sind ganz liebliche Wohnorte, der Sitz der Kühle und der Quellen, eine Zufluchtsstätte der Blumen und der grünen Kräuter, wenn alle Vegetation umher iu welker Dürre liegt, endlich die Wohnung aller Singvögel der Gegend, die sich hier bergen vor dem heissen Mittagsstrahl. Gleichwohl sind die Oasen der Seybussebene seltener als in der Metidscha und das Gelilde scheint daher noch viel kahler, als die grosse Ebene bei Algier. Bis jetzt ist dort erst eine Fahrstrasse angelegt. Sie führt von Bona nach dem Lager Ürean und ist durch Blockhäuser von Stunde zu Stunde beschützt. Bei einigen dieser Blockhäuser haben sich bereits kleine Wirtschaften angesiedelt, so dass man auf dem Wege von Bona nach Drean durch ein Glas Wein oder Limonade sich erfrischen kann. Zur Sicherheit des Reisens tragen diese Blockhäuser, deren Bewachung befreundeten Arabern anvertraut wurde, wenig bei. Denn würde man von einem Räuberhaufen verfolgt dort Schutz suchen wollen, so hätte die Besatzung gewiss nichts Eiligeres zu thun, als an ihre eigene Sicherheit denkend, die Leiter aufzuziehen und den Verfolgten seinem Schicksal zu überlassen. Gar leicht könnte es da kommen, dass man zehn Schrit- te vom Blockhaus ermordet würde, während die Garnison iu ihr Häuschen eingesperrt dieses nicht verhindern könnte und passiver Zuschauer bleiben würde. Drei Araberstämme sind in der Seybussebene angesiedelt, die Beni-lIrschin, die Kharesas und die Merdass. Er-stere haben sich dort seit 1630 niedergelassen. Vordem wohnten sie viel tiefer im Innern seitwärts von Medschcz-Ammar. Die Grausamkeiten und Bedrückungen Achmet Beys brachten sie zum Aufstand. Sie flüchteten von Ben-Aissa verfolgt, mit ihren Familien und Heerden in die Umgegend von Bona, den Schutz der Franzosen anrufend, welchen General d'Uzer ihnen kräftig und bereitwillig gewährte. Sie haben sich seitdem sehr treu bewiesen und begleiteten die Franzosen auf allen Feldzügen, wo sich freilich ihre Tapferkeit nicht eben glänzend bewährte. Noch jetzt bilden sie das Corps der irregulären Spahis. Ihre Duars beginnen in ganz geringer Entfernung von Bona, jenseits des Seybuss und erstrecken sich von dort drei bis vier Stunden östlich. Die Beni-l Irsch in sind seit ihrem Bündniss mit den Franzosen reich geworden. Oft nahmen sie Theil an der Beute, die bei feindlichen Stämmen gemacht wurde, vermehrten damit ihre Heerden und versahen den Markt von Bona. Ich kam fast taglich an ihren Duars vorbei, wenn ich jenseits des Seybuss am Ufersande Insecten suchte. Stets kamen dann die kleinen Araber und Arabermädchen, wenn sie mich von ferne gewahr wurden, aus dem Zelt gelaufen, schauten meiner Beschäftigung zu, brachten mir von den grossen schwarzen Käfern, die dort umherliefen, uud lernten bald die selteneren Arten, welche ich vorzugsweise wünschte, von den gemeineren unterscheiden. Immer aber wollten sie auf der Stelle eine Belohnung. Uachad Soldi! Uachad Soldi! schrien sie nach «lern geringsten Fund und kaum hatte ich gegeben, so •wollten sie wieder. Diese Bottclhaftigkeit der arabischen Kinder und Weiber findet mau leider bei allen Stämmen, die in die Nähe der französischen Städte gezogen; bei entfernteren Stämmen ist keine Spur davon. Alle Araber glauben, die Kummis (Christen) besässen unversiegbare Geldquellen. Zuweilen lud ich mich iu den Duars der Beni-Urschin zu Gast und wurde da iu der Kegel ziemlich freundlich empfangen und mit Milch und Kuskusu bewirthet. Der Typus dieses Stammes ist sehr abweichend, besonders unter den Weibern, eben so der Teint. Viele sind sehr gebräunt, mit pechschwarzen Haaren, einzelne aber auch sehr hellen Teints, die Haare hellbräuulich. Ein Mädchen von etwa zehn Jahren fiel mir oft durch die schöne weiss und rothe Gesichtsfarbe und deu edlen Schnitt der Züge auf. Es war die Tochter eines Scheikhs, reinlicher als die übrigen, ohne Malerei im Gesicht, sehr schüchtern und verschämt und doch ihres schönen Gesichtcheus sich bewusst. So oft ich ihr irgend einen Scherz sagen wollte, floh sie zu ihrer Mutter und verbarg ihr Gesicht. Die Beni-Urschin zählen etwa fünfhundert Familien. Die Kharesas, welche kurze Zeit nach dem l ehergang der Beni-Urschin sich gleichfalls unter französischen Schutz stellten, wohnen etwas entfernter. Ihre Duars, die sehr zerstreut sind und mehr im westlichen Theil der Ebene liegen, beginnen erst eine Stunde von der Stadt. Die Kharesas sind au Zahl den Beni-Urschin etwa gleich und bilden mit ihnen einen Theil der irregulären Spahis. Die Wohnsitze der Merdass liegen an beiden Ufern des Mafragg, der grössere Theil wohnt jenseits dieses Flusses. Es ist ein zahlreicher Stamm im Besitz schöner Weideplätze und unermesslicher Heerden, früher auch wegen seiner Diebereien berüchtigt Einige heilsame Lectionen des Generals d'User, der ihnen einmal über sechstausend Schafe wegnahm, brachten die Merdass zur Ruhe und Ordnung. Die Fraction, welche diesseits des Mafragg wohnt, unterwarf sich seit 1634. Der grössere Theil des Stammes, dessen zerstreute Duars von dem rechten Ufer bis fast in die Ebene von la Calle reichen, konnte erst seit dem Sturze Achmet's zu den Freunden der Franzosen gerechnet werden. La Calle, eine alte Handelsniederlassung der Franzosen, ist 27 Stunden östlich von Bona gelegen. Gut bewaffnet und in Begleitung kann man die Reise dorthin ohne Gefahr zu Land machen, Oefters gehen Jagdpartien dorthin, welche jenseits des Mafragg Löwen aufsuchen. Viel bequemer ist natürlich die Reise zur See. Es fahren zweimal wöchentlich kleine Küstendampfboote dorthin. La Calle ist jetzt ein blos nur von Korallenfischern bewohntes Dorf, dessen Bevölkerung zur Sommerzeit zuweilen über 500 Köpfe betrügt, je nachdem die Korallenhändler in Europa mehr oder minder gute Geschäfte machen. Das alte französische Fort, dessen Ruinen noch stehen, war auf einem Sandsteinfelsen am Meere erbaut. Der Hafen ist enge, seicht, durchaus nur kleinen Fahrzeugen zugänglich. In der Umgegend giebt es schöne Wälder von Fichten (Pinns maritima) und Pistaciahüumeu. Es sind einzelne Bäume darunter von Fuss im Durchmesser, die zum Schiffbaue benutzt werden könnten. Südlich von la Calle liegen drei sogenannte Seen, eigentlich nur sumpfige Weiher von mittelmässigem Umfang, die zu der ausserordentlichen Ungesundheit. der Gegend und der Sterb-ichkeit der Europäer nicht wenig beitragen. Die Sümpfe reichen bis dicht an die Wohnungen la Calles. Doch scheint die Tödtlichkeit des Klimas seit dem vorigen Jahrhundert, wo nach den Berichten Poirot's die dort ansässigen Franzosen der Compagnie tf Afriqtte oft in vier Tagen von tückischen Fiebern hinweggerafft wurden, bedeutend nachgelassen zu halten. Die Franzosen hatten bereits im Jahre 1520 wenige Stunden östlich von la Calle die erste Niederlassung, ffastion de France genannt, auf der berberischen Küste gegründet. Wegen der Ungesundheit ihrer Lage wurde sie aufgegeben und die Unternehmer zogen nach la Calle, wo sie aber vom Fegfeoev in die Mülle kamen, denn alle alten Reisenden, wie Shaw, IYvssonel, Poiret, Schilden la Calle als ein Fieherla-zareth. Dennoch bewog die Gewinnsucht die Handelsgesellschaft zu einer dreihundertjährigen Ausdauer, obwohl sie nächst dem Klima auch an den Eingebornen Todfeinde hatte, welche mit Mord uud Plünderung sie bedrohten und endlos«? Plackereien sich gegen sie erlaubten. Oofters war die Compagnie momentan vertrieben worden, hatte sich aber dann immer mit den Deys wieder verglichen und ihren Verkehr mit dem iiinern Lande neu begonnen. Erst am 18. Juni 1627 wurde sie definitiv aus la Calle verjagt und das Dorf von den Arabern niedergebrannt. Die Compagnie d" Afri-que hatte gegen eine Bezahlung von jährlichen 200,000 Franken das ausschliessliche Monopol des Ausfuhrhandels und bezog namentlich Getreide, Schafwolle, Häute, Oel, Wachs und rohe Seide aus dem Innern Land. Ihren Hauptgewinn machte jedoch die Korallenliscberei aus, welche auf der Küste von Cap Rosa an bis zur Insel Tabarka äusserst ergiebig ist, ja unerschöpllich scheint. Die gegenwärtigen Civilbewohner von la Calle, grösstenteils Neapolitaner und Sarden, haben gar keine andere Beschäftigung, als den Korallenfang. Die Bemannung der Korallenschiffe besteht aus zehn gemeinen Korallen Flingern und dem Capitän, der das ganze Vertrauen des Rheders besitzt und die ganze Verantwortlichkeit hat Die gemeinen Korallenfünger sind aus den untersten Classeu der Gesellschaft, und ihre Arbeit ist eine wahre Galeerenarbeit; auch Bollen mehrer«? derselben ehemalige Giileerenlliichtlinge seyn, die zu diesen mühseligen Arbeiten sich erst dann entschlossen, nachdem sie vergebens eine andere Unterkunft gesucht hatten. Aus den gemeinen Arbeitern wählt sich der Capitän einen Stellvertreter, der, wenn er lange tadellos die Stelle als zweiter Commandant, die ihn jedoch von keiner Arbeit frei spricht, versehen hat, selbst Capitän zu werden Hoffnung hat. Der Boden des Meeres bei la Calle starrt von Felsen verschiedener Höhe. Die Korallen erscheinen auf allen Thei-len dieser Felsen, auf dem Südabhang gegen das Land hin aber reichlicher und besser, als auf dem Gipfel und dem Nordabhange. Der Fang geschieht zwischen dein Gap Bizer-ta und dem Cap de Garde in der Nähe des genuesischen Forts, in der grossen, 25 Lieues weiten Bucht zwischen beiden. Iu dieser Bucht linden sich die Rhede von Bona, der kleine Hafen der ehemaligen Bastiou, der von la Calle, und endlich der Hafen von Tabarka. Die Korallenfischer entfernen sich nie über sechs bis acht Lieues von der Küste, und eine lange Erfahrung hat sie die Orte kennen gelehrt, welche dem Fange die günstigsten Aussichten darbieten. Die Faden der Netze sind von Hanf, so dick, wie eine kleine Schreibfeder, und die Maschen sehr gross. Jedes Netz bildet einen grossen Bündel, und wenn es ausgebreitet ist, zerfällt es gewöhnlich in sieben Abtheilungen, die an zwei ins Kreuz gelegtem, vier Zoll dicken und vier Fuss langen Hölzern befestigt sind. Da, wo sieb die Hölzer kreuzen, ist ein sehr langes und starkes Tau befestigt und auf der entgegengesetzten Seite ein schwerer Stein oder ein Stück Blei. Die Netze sind befestigt eines an dem mittleren Theil unter dem Stein, eines au jedem der vier Enden und zwei an der Länge der Hölzer bin. Wenn man das Netz ausgeworfen hat, und durch den Stoss, den das Schiff erhält, fühlt, dass es den Belsen gefasst hat, so rudert man, wie stark auch Strömung und Wind seyn mögen, gegen Norden, und die ganze Mannschaft zieht mit Anstrengung am Tau; sobald der Untercapitün, der dieses mühselige Manoeuvre leitet, bemerkt, dass es geglückt ist, befiehlt er plötzlich loszulassen. Das Netz wird dadurch frei und schleppt sich gegen eine andere Spitze des Felsens, bis es sich wieder fesfhängt. So geht es I ,/2 bis zwei Stunden fort, während welcher Zeit das Netz etwa zwunzigmal den Felsen fässt. Reicht die Kraft der Mannschaft nicht zu, um das Netz loszumachen, so wendet man den Krahnen an. Manchmal haben die Netze nichts gefangen, als verschiedene Zoophyten, Stücke von Madrepo-ren, Algen, Steine u. s. w. Auf denjenigen Schiffen, wo man viele Korallen gefangen hat, erhebt sich ein Freudengeschrei. Der Sold des gemeinen Korallen fängers beträgt 25 — 30 Franken monatlich, der des Capitäus 50 — 00. Dieser Sold wird jährlich bezahlt, die Nahrung bestreitet gleichfalls der Rheder. Der Capitän hat eine Bouteille Wein täglich und etwas Branntwein; der gemeine Korallenfischer nur Wasser. Jedes Schiff zahlt an die französische Regierung für die Erlaubniss zum Fang 210 Piaster im Sommer, und 104 Piaster im Winter, zusammen also 320 Piaster oder 1728 Franken. Hiezu kommen noch 1800 Franken für Lebensmittel, so dass, ungerechnet die Ausbes- serung der Schilfe und namentlich der Nette, von denen man sehr viel braucht, die Gosammtausgabeu sich auf 7468 Franken belaufen. Der Ertrag eines Sommers ist gewöhnlich 150, der eines Winters 50 Pfund , also zwei Centner im Ganzen. Beträgt der Fang mehr, so gilt er für vortrefflich, betrügt er unter einem Centner, so deckt er die Kosten nicht. Der gewöhnliche Preis der Korallen beträgt 70—75 Franken das Pfund ä 12 Unzen. Beträgt der Fang nur einen Centner, so macht dies 7500 Franken oder weniger als die Kosten aus. Der Wetteifer der Korallenfischer unter einander schützt die Rheder vor Betrug und Lässigkeit des Capitüns; hat einer zwei Jahre nach einander weniger Korallen gefangen, als der andere, so wird er entlassen. Die Zahl der Korallenschiffe zu la Calle wechselt sehr: im Jahre 1636 waren es 200, im Jahre 1837 eben so viel im Sommer und fünfzig im Winter. Unter der Leitung der alten Compagnie betrug die Zahl der Fahrzeuge alle Jahre 7—600; im Jahre 1825 zählte man 450, im Jahre 1826 389. Früher war ein Dritttheil der Fahrzeuge von französischen Rheders ausgerüstet, jetzt zählt mau unter zweihundert nur noch zehn bis zwölf, die von Corsen geführt sind. Die andern Rheder sind aus Neapel, Genua und Livorno. Diese Verminderung, welche einem Aufgeben des Fanges durch die Franzosen gleichkommt, erklärt sich durch den Misscredtt, worein die Korallen in Frankreich gefallen sind, während das Product in einigen andern Ländern einen grossen Werth behalten hat. China ist das Land, wohin man am meisten sendet, und wo sie sehr theuer sich verkaufen. Mau darf freilich erstaunen, dass die Franzosen, welche nichts für den Fang au ihre Regierung bezahlen, denselben ganz aufgegeben haben. In Livorno ist gegenwärtig der Haupthandel mit Korallen, das Pfund wird dort mit dreissig bis vierzig Lire bezahlt. Die ganz grossen Korallen zweige, aus denen man Medaillen schneidet, sind ausserordentlich theuer und die" schönsten Stücke werden mit tausend Lire und darüber bezahlt. Zu la Calle liegt eine Besatzung von dreissig Mann, die ein I nterlieutenaiifc coinniandirt. Ein schönes Hospital ist dort gleichfalls errichtet und zur Zeit meiner Abreise von Bona hatte man den Plan , eine Kapelle dort zu bauen und einen italienischen Priester hinzuschicken. Der Aufschwung la Calles ist im Zunehmen und die Steuer, die der französische Fiscus dorther bezieht, wächst mit jedem Jahre. Sie betrug im Jahre 1838 bereits nah an 380,000 Franken. Wäre das Klima dort nicht ein kaum zu beseitigendes Hinder-niss jeder Absiedlung im Crossen, so würde ich la Calle, das nebst dem Korallenfang, die Ressourcen seiner schönen Wilder hat, eine blühende Zukunft prophezeien. Meine häufigsten Ausflüge machte ich von Bona nach dem Lager Drean, auf der Strasse nach Constantine gelegen. Es ist dies ein bedeutender Waffenplatz in den letzten Jahren geworden, der seine Wichtigkeit erst seit der Occupatiou Sin ras und der nähern Verbindung Constantines mit dem Meer verloren hat. Drean oder eigentlich Draan ist der Name des Hügels, auf dessen Plateau das Lager steht, und nach ihm wurde der Waffenplatz getauft. Derselbe ist von Erdschanzen und einem Graben umgehen und hat eine bedeutende Ausdehnung. Die Soldaten, wie die Subaltern officiere, schlafen unter Zelten. Der Commandant, die Aerzte, die Genieofficiere bewohnen kleine hölzerne Baraken. Drei grosse Baraken, von denen jede vierzig Betten fast, bilden das Hospital. Ausserdem sind zwei Kaffeehäuser, ein Block-Moritz Wagtser's Algier. I. 18 haus und Stallungen für Pferde innerhalb des Lagers errichtet Ein Dorf und Kramläden und Cantincu stehen ausserhalb der Schanzen, wo man wohl eine gute Tafel, aber kein ' Bett zum Nachtlager findet. Ueberhaupt darf der Reisende in diesem Land, wenn er nicht in jedem Lager Bekannte hat, oder an dortige Officiere empfohlen ist, auf viele Entbehrungen sich gelässl machen; oft wird er sein Nachtlager unter freiem Himmel oder auf der Bank einer Kneipe nehmen müssen, wo Ratten und Ungeziefer seine Bettgefährten sind. Campbell, der englische Dichter, welcher sich 1834 einige Monate in Algier aufgehalten, zu einer Zeit, wo die Franzosen noch wenig Fortschritte gemacht und die Ausflüge in das Innere sehr beschränkt waren, klagt iu seinen „Briefen aus Algier" über das entsetzliche Nachtquartier im Lager Duera, wo er mit zwei Lichtern neben sich uud eine? langen Peitsche in der Hand auf dem Stroh lag und die ganz«? Nacht hindurch gegen die Ratten fuchtelte, die beständig sein Lager umschlichen. Heutiges Tages ist Duera noch ein kleines Paris gegen Drean und die Ratten dort noch ein winziges Ungemach in Vergleich mit den Myriaden von Flöhen, die in dichterer Menge, als man je die Heuschrecken zur Zeit der ägyptischen Plage gesehen, iu die Betten, Baraken, Zelte sich eingenistet, jeden Winkel, jedes Loch unter und über der Erde OCCUpirt haben und gegen deren Stiche durch kein Mittel Schutz zu finden ist. Hier wurde aller Erlindungsgoist der französischen Militairs zu Schanden, gegen diesen Feind vermöchte seihst lliob'srhe Geduld nichts, denn diese müsste auch wohl ausgehen bei dreissig und mehr Nächten ohne Schlaf, ohne die mindeste Ruheerquickung, gepeinigt, gefoltert von Legionen der schwarzen Springteufel-chen, alle mit einem Gebiss, welches llofinann's „Meister Floh" beschämte. Der ganze Boden des Lagers ist zur Nachtzeit nur ein ungeheurer Ungeziefertanzsaal. Tausend blutlechzende Feinde klammern sich gleich an dem Nachtwandler fest. Vergeblich erfanden die Franzosen alle möglichen Umhüllungen, vergeblich legten sie sich in mit Kampher durchräucherte Betten, iu hohe Hangmatten, überall hin verfolgten sie die Feinde, die jedes Schweissloch bezeichnen und auf deren Stich manchmal Blut fliesst. Ich halte es für unmöglich, dass jene so schrecklich geschilderte Musquitosmarter in Amerika die Leiden dieser afrikanischen Flohhölle übersteige. Man denke sich das Loos des französischen Soldaten! in eine Wildniss eincasernirt, wo er deu Tag zubringt unter dem Brennen der Sonne, mit Hacke und Schaufel arbeitet bei dem Schanzen bau oder dem Bahnen der Heerstrassen, in einer von Miasmen geschwängerten Luft, und dann nicht einmal den Schlummertrost hat, seine Leiden ein paar Stündchen vergessen zu können, sich schlaflos wälzen muss auf einer Folterbank, den Mond nicht anschauen darf, ohne ihn zu verwünschen, denn mit ihm kommen ja seine blutsau-genden Quäler, und sich am Morgen wieder matt erhebt zu demselben eintönigen, schweissvollen Tagwerk — ein solches Leben, in welches nur die Bretterschenke einige Stunden Zerstreuung bringt, welch eine fürchterliche Prüfung für eine thatkraftige Jugend, die, ein schöneres Land und glücklichere Tage gewöhnt, der Fahne gleichwohl Leichten Sinnes nach Afrika gefolgt war, den Kopf von den ehrgeizigen Recruten-Iriiumen erfüllt und nun hinsiecht ohne Ruhm, ohne den Ka-nonendonuertrost, von Fieber, Hitze, Langweile, Flöhen langsam aufgerieben!......Es ist dies wahrhaftig keine Uebertreibung, und wer irgend ein paar Tag«? im Lager dieser Provinz verlebt hat, wird mir gewiss beistimmen. 18 » Ich besuchte Drean oft und brachte dann in der Regel einige Tage dort zu, nicht etwa aus Vorliebe für den Ort, der mir immer Grauen machte, sondern weil einige meiner besten Freunde dort wohnten, an die ich nie ohne viele Liebe zurückdenke. Zu ihnen zahlte ich vor allen die Aerzte Trubelle und Favre, namentlich den erstem, wohl der ge-müthreichste Franzose, den ich je kennen gelernt habe, voll Menschenliebe uud Aufopferung für seine Kranken, mochten sie Franzosen oder Araber seyn. Eine andere mir höchst schätzbare Bekanntschaft war die des Lagercommandanten Lacombes, der mir Alles, was ich nur wünschen mochte, bewilligte, Escorten, Führer, Pferde, und mir sehr interessante Aufschlüsse über die Gegend gab. Lacombes, ein schon ziemlich bejahrter, erfahrener Officier, der eine stürmische Laufbahn durchgemacht und öfters in politische Parteien sich stürzend seinen Grad verloren hatte, liebt wissenschaftliche Plaudereien und disputirte namentlich gern über geologische Hypothesen, sein Steckenpferd. Nächst ihm erwähne ich mit lebhaftem Dank auch der Güte der Herren Bodeau und Ma-gagnos, zweier mir nahe befreundeter Officiere des siebzehnten leichten Infanterieregimentes, von denen letzterer recht interessante Studien über Alterthümer und Naturgeschichte gemacht hat. Auf meine Bitte unternahm Commandant Lacombes im August 1837 einen Ausflug nach dem See Fezzara. Kar-falla, Lieutenant der Spahis und Araber von Geburt, war unser Führer und Dolmetscher. Der See Fezzara ist ungefähr vier deutsche Meilen südwestlich vom Lager Drean entfernt. Nur sehr wenige Bewohner Bonas haben denselben besucht, und diese wenigen Individuen sind fast immer Jäger gewesen. Ein einziges Mal nur wurde eine militärische Expedition in jene Gegend wider die Elinas gemacht, deren Wohnplätzc au deu Ufern des Sees liegen. Oefters kommen einzelne Araber dieses Stammes auf deu Markt von Bona uud bringen den Liebhabern schöner Vögel die scharlachrothen Flamingos, die sie mit den langen Beinen um den Bauch ihrer Pferde binden. Unsere Gesellschaft bestand aus neunzehn Individuen, alle beritten und mit trefflichen Doppelflinten bewaffnet. In solcher Zahl, mit guten Wallen, ist in diesem Lande wenig zu fürchten, wenn anders nicht grosse arabische Versammlungen in der Nahe statthaben. Wir gingen vor Mitternacht ab und erreichten nach einem guten vierstündigen Trabe die Ufer des Sees. Der europäische Leser möge sich unter den afrikanischen Seen keinen Lago maggiore und Bodensce vorstellen. Ich habe in der Berberei ausserdem den See Alula und die grossen Morastvveiher von La Calle und die Salzseen der Provinz Drau gesehen. Der Charakter derselben ist iu Afrika überall der gleiche. Im Winter, wo die Ile-genbäche von den Bergen stürzen und, einen Ausiluss suchend, über das Land hereinbrechen, da zeigen jene wirklich das Gemälde eines Sees nach unsern Begriffen. Aber im Sommer sind es nur grosse Moräste, aus deren schlammigem Wasser eine zahllose Menge grüner, bodeuloser Inseln, von den Wipfeln der Schilfpflanzen gebildet, emporsteigen. Der See Fezzara ist unter allen Seen der Berberei vielleicht der beträchtlichste, scheint aber in der Ferne gesehen bei weitem grösser, als er wirklich ist. Derselbe hat höchstens vier deutsche Meilen im Umfange. Meine französischen Begleiter waren nicht wenig erstaunt, als sie den See vor uns fliehen sahen, jc weiter wir vorrückten. Ein morastiger Grund und hohe schneidende ^chilfpflanzcn hemmten jetzt unsern Marsch, und wir sahen, immer mit unsern europäischen Ideen von einem See im Kopfe, noch nichts von dem eigentlichen Wasserbecken. Da glaubten meine französischen Begleiter, es sey alles nur Täuschung gewesen, und dieser grosse Sumpf vor ihnen sey eben das Gewässer, welches sie von dem Hügel Drean aus für das Bett eines Sees gehalten hatten. Inzwischen waren meine Gefährten bald für ihre Täuschung getröstet, denn während wir so dem morastigen Ufer folgend die südliche Richtung einschlugen, fing im Innern des Schilfgrundes das wunderlichste Leben an. Ein ungeheurer Schwärm von Wutvögelu erhob sich mit Schreien, Pfeifen und Schnattern aus dem Wasser. Die Jüngern Officiere unserer Gesellschaft, die alle leidenschaftliche Jäger waren, verbrannten hier das den feindlichen Beduinen zugedachte Pulver auf wilde Enten, Reiher und Wasserhühner. Zwei Stunden lang dauerte das Knallen fast ohne Aufhören fort. Der grossen Vögel gab es dort in so bedeutender Menge, dass selten ein Schuss auch von der ungeübtesten Hand anfangs ohne Wirkung blieb. Nur Schade, dass all dieses gefiederte Wildpret mitten in das Wasser und Schilf stürzte, su dass man ausserordentliche Mühe hatte, seine Beute zu bekommen. Ueber die Hälfte derselben ging verloren. Wir erreichten endlich einige arabische Duars, deren Bewohner der Jagdlärmen, wahrscheinlich aus dem Morgen-schläfcheu aufgescheucht hatte und die sich gerade bereit machten, ihre .Mau Ii liiere zu beladen und in die Berge zu Hieben, da sie sicher an einen feindlichen Ueberfall glaubten. Erst als sie durch Karfalla erfuhren, dass wir nur der Jagd und des Vergnügens willen gekommen seyen, sattelten sie ihre Maulthiere wieder ab. Wir fragten diese Araber über die Luge des Sees aus. Nach ihreu Aeusserungen hätten wir noch drei Stunden in derselben Richtung fortgehen müssen, um .in den liefern Theil desselben zu gelungen, wo es vielleicht möglich gewesen wäre, mit einer Schaluppe über den See zu fahren. An der Stelle, wo wir verweilten, konnte man fast eine halbe Stunde in das Wasser hinreiten, ohne dass die Pferde zum Schwimmen gezwungen waren. Der JJoden war ziemlich fest, nur erschwerten die SchilfpUaiizen das Weiterkommen. Das Wasser hat keinen Salzgeschmack und nach allem Anscheine steht der See mit dem Meere iu keiner Verbindung. Wir hielten zusammen Hath, und die Stimmenmehrheit entschied, eine andere Richtung nach dem nordwestlichen Ufer einzuschlagen, wo, nach der Aussage der Beduinen, eine Quelle und ein grosser Feigenbaum sieh befand, beides sehr erwünschte (legenstände in diesen warmen Regionen, wo der Schatten eben so angenehm als nothwendig ist. Einen afrikanischen Mittag, während der heissen Monate, auf freiem Fehle zuzubringen, ist wirklich keine geringe Qu.il und das Wechselfieber sehr häufig die Folge. Die Araber, welche diese Seeufer bewohnen, haben unter ihren Landsleuten keinen guten Ruf. Man erzählt von ihnen in Bona, dass sie öfters einzelne Jäger ermordet hätten. Indessen sind sie nicht sehr zahlreich, und unser handfestes, gut berittenes I laut lein, sowie namentlich unsere guten Gewehre zwangen ihnen freundliche Mienen ab. Sie brachten uns die Milch umsonst, und verkauften uns andere Gegenstände um ein geringes Geld. Männer und Weiber waren sehr schmuzig und zerlumpt. Jene trugen sehr starke Bftrte, waren aber weniger muskulös und weniger schön gebaut, als die Araber der Umgegend von Algier. Die Weiber und kleinen Kinder betrachteten uns mit grossen Augen. Sie hatten noch nie so viele von den gefürchtcten Kunimis, die sie längst durch die Erzählungen ihrer Grossväter kennen, beisammen gesehen. Von diesen Stämmen kommen nur wenige Individuen auf den Markt von Bona, und Europäer sind in dieser Einsamkeit noch viel seltnere Erscheinungen. Als wir, nach kurzem Verweilen bei den Duars, weiter ritten, liefen uns die kleinen Araber eine Strecke weit nach. Sie bettelten uns nicht um Kupfermünzen an, wie die Kinder der Beni-Urschin bei Bona, welche durch die Nähe der Stadt schon vergiftet sind. Die Mienen dieser „jungen Wulfe," wie sie ein Franzose nannte, hatten in ihrer Wildheit doch etwas freundlich Anmuthiges. Sie schienen unser längeres Verweilen und unsere nähere Bekanntschaft zu wünschen. Der Feigenbaum und die Quelle wurden nach dreistündigem Ritte gefunden. Letztere rieselte sehr schwach aus einem Kalkfelsen, dessen Gestein ein natürliches Wasserbecken bildete. Die Acste des riesenhaften Feigenbaumes mit ihren breiten Zickzackblättern breiteten darüber ein vortreffliches Dach, welches, den Einfall der Sonnenstrahlen hemmend, dieser Quelle eine ewige Frische sichert. Das Wrasscr war in der That trotz der vielen Amphibien, die es bewohnten, so rein, kühl und erquickend, dass es uns, nächst dem Weine, die angenehmste Labung war. Im Schatten des Baumes fand sich hinreichend Platz für neunzehn Individuen. Allein kaum die Hälfte meiner Gefährten wollte die Ruhe dieses lieblichen Pätzchens geniessen, welches eine wahre Oase in der sonnverbrannten Wildnis» bildete. Die jüngeren Officiere gingen auf die Jagd und die andern bereiteten die Küche im Sonnenschein. Obwohl der Franzose eines sehr langen Fastens fähig ist, wenn die Umstünde es gebieten, so entbehrt er doch ungern die Leckereien einer guten Tafel, so lange die Notwendigkeit ihn nicht zu dieser Entlieh-rang zwingt. VViire es nach meinem Sinne gegangen, so hätte jeder mit einem Zwieback in der Jagdtasche und einem Trunk Wasser den Tag über gelebt. Meine Gefährten, welche während der Expeditionen sich oll Wochen lang von gekochten Schnecken und unreifem Getreide genährt hatten, brachten in diese W ildniss die Leckerbissen der Pariser Küche. Ein mit Lehensmitteln schwer beladenes Maulthier folgte uns vom Lager aus. Der Treiber desselben sass während des Marsches auf dem Weinfasschen, welches, auf dein Kücken des Thieres festgebunden, ihm als Sattel diente. Herr Latapie, Agent comptable des Lagers, hatte uns überdies mit einigen Flaschen seines besten Bordeauxweines versehen. So fehlte es also auch an diesem heitern Tafelgeiste nicht, unsere fröhliche Stimmung zu beleben. Während des Essens kamen einige Beduinen zur Quelle geritten. Sie hatten einen ziemlich langen Weg gemacht, um von diesem köstlichen Wasser ihre Schläuche zu füllen. Vergeblich boten wir ihnen das gefüllte Glas mit dem dunklen Purpurtranke. Selbst das Beispiel Karl alias, der mit seineu beiden Neffen wacker zechte und die Beduinen auf Arabisch aufforderte, das verbotene Zaubcrtränkchen zu kosten, vermochte sie nicht zu verführen. Sie ritten nach einem tüchtigen Zuge aus ihren Schläuchen singend und, wie es schien, eben so guten Humors, als wir Weintrinker, weiter. Nach dem Essen bestieg ich mit dem Commandanteii Lacombes einen der Felsen am östlichen Seeuler, welchen die niedern Gesträuche des Brustheerstrauches bedeckten. Von dem Gipfel desselben übersah man die ganze Kunde des Sees Fezzara. Derselbe erstreckt sich gegen Südwesten bis an den Fuss einer ziemlich hohen Bergkette. Die unzähligen grünen Schilfinseln in der Nähe des nördlichen und östlichen Ufers verschwinden gegen Süden ganz; dort scheint das Wasser eine ziemliche Tiefe zu haben und zeigt dem Auge das wahre Bild eines Sees. Die Gegend ist dort keineswegs pittoresk, sie hat einen monotonen, stillen, wilden Charakter, der nur einer schwcrmüthigeu Phantasie gefallen kann. Es hat dieselbe viele Achulichkeit mit der Landschaft des todlen Meeres, wie ich wenigstens nach den Gemälden und Beschreibungen des letztern schlicsse. Der See Fezzara enthält, wie das todte Meer, ein so dickes und schwarzes Wasser, dass der heftigste Wind dasselbe nicht iu Bewegung zu bringen vermöchte. Es giebt in Numidien noch heutiges Tages, wie zu Pli-nius Zeiten, öde Gebirgsgegenden, wo sich keine Spur von menschlichen Wohnungen zeigt uud die Löwen uud Hyänen fast als einzige Gebieter herrschen. Die Umgegend des Sees Fezzara scheint eine Republik der Vögel zu seyn. Nirgends wird wohl die Jagd auf Sumpf- und Wasservögel dem Liebhaber eine reichere, ergiebigere Beute bieten; dabeiist auch vorauszusehen, dass mit der Zunahme der Bevölkerung Bonas der Besuch der Europäer in diese Gegenden immer häufiger werde. Die Jagd ist in diesem Lande völlig frei, sie bildet fast das einzige Vergnügen der Colouisten. Jeder Mensch kann mit der Flinte in diesen unbebauten Gegenden herumstreifen, so viel er Lust hat, und die Ansiedler, die französischen Officiere, sowie auch die europäischen Reisenden machen von dieser Freiheit einen so weiten Gebrauch, dass, Dank ihrem unverdrossenen Fleisse, in den früher so wild reichen Umgebungen von Algier und Bona bald kein Häschen mehr zu treffen ist. In den eisten Jahren der französischen Occnpaüon schoss man die Eher fast (licht au den Thoren Algiers, jetzt müssen die dortigen Jäger einen halben Tag weit in die schwierigen Gebüschgegoiiden von Staneli und Iteghaia gehen, um nur eine halbergiebige Heute zu machen. Das Jagen bei dem See Fezzara ist nicht ohne Mühseligkeit und Anstrengung. Sobald einmal alle jene gefiederten Seebewohner durch den häufigen Büchsenknall iu Allarm gekommen sind, werden sie scheu und fliegen nach der Südseite des Sees, wo sich noch nie ihre Verfolger hinwag-ten. Eine sehr güustige Beute machen dort die Vogeljäger nur, wenn sie in ziemlicher Zahl in dem Schilfwalde sich vertheilen, und zugleich sich nicht fürchten, bis an die Brust in das Wasser zu waten. Von schönen, südlichen Vogelarten bemerkte ich dort namentlich den sichelschnäbeligen Ibis (Ibis falcinellus), deu Silberreiher, numidischen Kranich, das Sultanhuhn und den grossen Purpurreiher (Ardea purpurea). Sehr häufig ist dort auch der Flamingo (Phoenicopterus au-tiquorum), der König der Sumpfvögel, welcher mit seinen schnrluchroth.cn Flügeln und weissem Gefieder bei seiner bedeutenden Hübe eine wirklich königliche Figur spielt. Die Flamingos sind immer truppweise beisammen, ihre hohen Beine stehen gewöhnlich halb im Wasser. Den mächtig langen Hals trägt dieser Vogel mit Majestät, fast wie der Schwan. Er ist ungemein schwer zu schiessen, lässt den .läger fast nie näher, als auf 150 Schritte kommen und flüchtet sich dann, die langen Beine im Fluge nach hinten streckend, in die Mitte des Sees. Von Sumpfvögeln, die auch dem Norden angehören, bemerkte ich dort namentlich die so bizarre Gestalt des Strandreiters (Iliinuiitopus rulipes), der ebenfalls ein ausserordentlich scheuer Vogel ist. Herr Magaguos, Capitän vom siebzehnten leichten Infanterieregiment, ein eifriger Liebhaber von seltenen Vögeln, zeigte mir in Bona dreizehn Arten von wilden Enten, die er durch die Beduinen vom See Fezzara erhalten hatte. Die ungeheure Versammlung der gefiederten Sumpfbevvohner in allen Farben und Formen am Ufer jenes einsamen Morastes ist wirklich erstaunlich. Eine unendlich buntscheckige Mischung der Federgo-wiiuder, die so variirenden Schnabel - und Beinformen vom schlanken, sichelschnäbeligen Ibis bis zum schwerfälligen, breitschnäbeligen, wilden Schwan; endlich das tausendstimmige Concert, oder vielmehr infernalische Gekreisch«', welches in hohen Lüften, aus der Tiefe der Finthen und von dem Innersten dos Suinpfpflanzcnwaldes zu gleicher Zeit ertönt, stellen dort die seltsamste Komödie dar. Man wähnt sich iu eine antediluvianischc Epoche zurückversetzt, wo die Existenz des Menschen noch eine Frage ist, und eine ungeheure Thierschöpfung, deren versteinerte Koste uns geblieben, in anarchischer Republik, ohne Gebieter und Vertilger, die Erdkugel beherrschte. Während unserer Rückkehr nach dem Lager begegnete uns eines jener unangenehmen Abenteuer, auf welche man bei dem feindlichen Zustande des Landes leider immer gefasst seyn muss. Ein Haufe von circa vierzig berittenen Arabern stand eine Stunde vor Drean auf dem Wege, und schien auf unsere Heimkehr zu lauern. Zum guten Glück für uns ist das dortige Terrain unbedeckt, so dass wir diese Baude schou aus einer weiten Entfernung bemerkten. Uebcrdies bestand unsere Gesellschaft fast ganz aus Militairs, bei denen das Raufen Handwerk ist, und die, an solche Vorfalle gewöhnt, bei ihrer Erfahrung und Keniituiss des Landes und der Araber sich vollkommen zu benehmen wissen. Ein Capitän der Chasseura d?Afrique, dessen Namen ich vergessen habe, stellte unser Häuflein in Schlachtordnung und ritt an unserer Spitze auf die Araber zu. Der brave Karfalla, ein-gehorner Oflicier der Spahis, war eine Viertelstunde hinter uns zurückgeblieben, gab aber, als er unsere Gefahr bemerkte, seinem Pferde die Sporen uud holte uns im schnellsten Jagen wieder ein. Ich glaubte in jenem Augenblick«! fast, ein Kampf sey unvermeidlich, allein die Araber, obwohl zweimal so zahlreich als wir, verüesseu bei unserer Annäherung den Platz, und zogen sich in der Richtimg von Neschmeia zurück. Es fiel kein Schuss. Der Anführer der Hände und Karfalla, welcher sein Pferd auf Schussweite der Araber tummelte, riefen sich ein höfliches „Salem Aleikum Sidi!" (ich grüsse dich Herr!) zu, als hätten sie die freundlichsten Absichten gegen einander gehabt. Im Lager Drean, an der gastfreien Tafel des Cominandanten Lacombes, wo der feurige Bordeauxwein den (lasten die Mittheilung ihrer afrikanischen Kriegsund Jagdabenteuer ablockt, wird unser Ausflug nach dem See Fezzara gewiss noch öfters zur Sprache kommen. Reise in «las Tnnere der Provinz Constantine, — Diewissenschaftliche Commission. — Neschmeia. — Haimnam - Ber- noch aufrecht, manche ziemlich gut erhaltene Gebäude sind seitdem zum Gerippe geworden. Dagegen erstanden inmitten dieses gewaltigen antiken Trümmerehaos die wunderlichsten Neubauten, deren beiderseitige Vermischung einen wohl einzigen Contrast zeigt, leb habe die Grösse des liinglichviereckigen Lagers nicht gemessen, glaube aber, dass solches über eine Viertelstunde im Umfang hat. Es gleicht eigentlich mehr einem Dorf oder gar afrikanischen Städtchen, denn die neuen steinernen Krä-merbuden, Kaffeehäuser u. s. w., an welche die Magazine, Krunkensiile, Ställe des Militairetahlissements sich anreihen, sind in regelmässiger Linie gebaut und bilden lörmlicho Strassen. Alle diese Däuser sind aus den verschiedensten, zuweilen nrachtvollslen Steinarten, wie aus geschliffenem Granit, Marmor, Hasalt oder aus Fragmenten von Tompelsäuleu, aus viereckigen Platten des Amphitheaters, des Circus u. s. w. zusammengeflickt. Darunter sind lateinische uud französische Inschriften eingestreut. Und während der emsige Archäolog vor Eifer schwitzend einen Zusammenhang der verwitterten Buchstaheu herauszubringen sucht, und oft am Gelingen verzweifelnd sich verdriesslich wegwendet, strahlen ihm gleich darneben funkelneue goldene Buchstaben ins Auge, verkünden , dass in diesem Kaffeehaus Limonade gazeuse und Bit-lard a son service seyen. Bis zum Billard hatte es das alte Ghelma nach neun Monaten schon in der modernen Civiüsa-tion gebracht. Inmitten dieser Soldatcnstadt voll geschäftiger llothhosen bewegten sich ausser den zechenden Kriegern, den musiciren-den Arabern, den wiehernden Rossen, eine Menge junger wilder Thiere: Hyänen, Stachelschweine, Aasgeier mit gestutzten Flügeln, welche von den Soldaten jung eingefau-geu und zum Zeitvertreib aufgezogen wurden; denn die Jagd mit der Flinte in der Umgegend des Lagers hatte Duvivier streng verboten, um keinen falschen Allarm zu verursachen. Ueber dieser Baraken einzigem Schauspiele schwebt auf den höchsten Ruinen die Tricolorfahue, hier einer launenhaften Fee ähnlieh, welche mit der Numidierstadt eine so abenteuerliche Zaubermetamorphose vorgenommen hat, Von Calamas wichtigen und bedeutenden Ruinen existirt noch keine gedruckte Beschreibung. Die Mitglieder unserer Commission verweilten dort zu kurze Zeit und hatten zu geringe Mittel. Viele interessante Inschriften mögen unter den umherliegenden Ruinen noch verborgen seyn und können Hindurch ein Umwälzen der oft zehn Centner schweren Blöcke zu Tage gefördert werden. Für die Untersucher dieser Ruinen ist daher erste Bedingung einer gründlichen umfassenden Ar- beit, dass man ihnen eine hinreichende Zahl kräftiger Arbeiter an die Seite gebe, mit deren Heistand sie unter dem Steinhaufen nach Herzenslust stöbern könnten, ohne das Geringste zu zerstören. Das besterhaltene Gebäude, aus dessen Form man bis jetzt noch nicht recht klug geworden , liegt au dem westlichen Ende des Lagers dicht an dem Thore, wo der Markt gehalten wird. Es ist ein schönes Werk, ziemlich imposant und mit mancherlei Zierrathen geschmückt; einige halten es für einen Tempel, ohne gleichwohl für diese Hehauptung stichhaltige Gründe anzuführen. Das Gebäude hat keine Saiden, Das Amphitheater liegt in geringer Entfernung Östlich vom Lager. Fünf geräumige Stufenreiben erheben sich über einander bis zu dem hohen Sitz der Proconsuls oder Prätors. Es ist mit hübschen grossen Porphyr- und Schieferplatten gepflastert. Die freie Aussicht des Amphitheaters ist gegen Westen, wo das weite Thal des Seybuss — jetzt eine ungeheure ruinenbesäete Wildniss, deren Hintergrund ein dünn bewaldeter Berg umfasst — ein grandioses, wenn auch unförmliches und in seiner unbewohnten Stille trauriges Panorama aufrollt. Unter den übrigen Ruinen erwähne ich einen dem Hercules geweihten Altar, mit einer interessanten Inschrift, welcher aber jetzt umgestürzt ist*). Ein Inschriftfragment, welches Herr Berbruggcr auf dem höchsten Stadtthcil an einem, so viel ich mich erinnere, von den übrigen Trümmern völlig isolirten Stein fand, lässt keinen Zweifel mehr, dass Ghelma die Calaina des Orosius**) und St. Augustin's ***) gewesen. Orosius sagt, dass bei Ca- °) S. Bd. III. •") Orosius Lib. V. Cap. 15. St. Augustinus contra Literas Petiliani Lib. II. Cap. 99. lama eine bedeutende Schlacht zwischen Jugurtha und Aulus Posthuraius geschlagen worden sey. Die römische Armee des letztern wurde damals von dem numidischen König: fast vernichtet. Sallust, der von diesem Treffen längere Erwähnung macht, schreibt, es sey bei Suthul vorgefallen. Unter den Mitgliedern unserer Commission erhob sich ein sehr erbaulicher Streit, ob wohl das heutige Ghelma der Localbeschrei-bung des Sallust'schen Suthul entspräche und Calama daher wohl der römische, Suthul der numidische Name gewesen sey. Sallust bezeichnet Suthuls Lage mit den Worten: „Si-tum in praerupti montis extremo." Will man nun „extremo" mit äusserstem Berggipfel übersetzen, so entspricht dies nicht der Lage Ghelmas, welches auf einem der letzten Abhänge des Gebirges Mauna liegt. Herr Berhrugger verthei-digte diese Cebersetzungsart und meinte, Suthul müsse eine andere Stadt gewesen seyn. Uebersetzt man dagegen: „auf dem üussersteu Vorsprung des Gebirges*), so bezeichnet dies die Lage Ghelmas ganz richtig. Capitän Mangay redete eifrig dieser letzteren Auslegung das Wort. Der gelehrte Streit, der sich zwischen diesen beiden Herren zu Modschcz-Ammar am Tage vor dem Aufbruch der Armee nach Constantine entspann, während überall nur kriegerische Gespräche und Soldatenlärmen sie umgab, war sehr ergötzlich und wurde mit einer Hitze geführt, die gerade für die Archäologie am wenigsten pusst. Der bekannte britische Heisende Grenville Temple und der dänische Consul Falbe, durch seine Arbeiten über die Ruinen von Karthago bekannt, schlössen sich der Meinung des Herrn Mangay an. Für die acht Stunden •) Einige Manuscrinte Sallust's schreiben: „in extremo margiue montis," was also letzterer Uebersetzungsart zu Hülfe käme. weiter südlich liegende Ruinenstadt Anuna würde wohl die er-stere Uebersetzungsweise passen, denn diese liegt wirklich auf dem Gipfel eines Berges, dagegen fehlt dort die sumpfige Ebene, deren Sallust erwähnt und die sich in dem grossen Sevbussthal hei Ghelma noch heutiges Tages vorfindet*). Die Entfernung zwischen Ghelma und Medschez-el-Am-mar beträgt, wenn man der neuangelegten Heerstrasse folgt, fünf Stunden. Der Weg ist sehr abschüssig und dem schweren Geschütz nur mit Mühe zugänglich. Medschez - Ammnr ist der Name eines Beigkessels, den der Seybuss durchströmt; der arabische Name bedeutet eigentlich „IJebergaug des Ammar." Der Seybuss, welcher an manchen Stellen sehr tief und wegen der steilen l.fer schwer zu passiren ist, bildet dort eine Fuhrt. Das ganze Thal von Medschcz-Ammur hat nicht über fünf Stunden im Einfang; es ist schön bewaldet von dunkelgrünen Tamarisken, Mastixbiiumen und Sil-vestristannen, die Berge sind im Westen und Süden von ziemlieb ansehnlicher Höhe. Im Süden liegt der berühmte Ras-el-Akba, auf welchem Achmet Bey damals mit seiner Armee lagerte. Medschez -Amniars Gegend ist nicht sehr pittoresk, denn ihr fehlt die Variation. Gleichwohl theile ich die Meinung des Malers Foucaud, dass diese stille afrikanische Waldgegend gerade durch ihre so ansprechende Einfachheit als Landschaftsgemalde von grosser Wirkung seyn müsste, wenn eine Meisterhand es verstände, deu sinnig melancholischen Charakter, das „heilig Wilde" des Atlasthaies so wie- °) Der auf der Bresche von Constantine gefallene Capitän Hucket hat unter vielen lateinischen Inschriften auch zwei maurische zu Ghelma gefunden und davon treue Copien nach Paris geschickt, möglich, dass diese über den numidischen Namen der Stadt Aufschluss gehen. derzugeben, wie man es beinahe mehr fühlt als sieht beim Wohnen in Medschez-Amman Bei meinem ersten Aufenthalt stand dort ein prächtiges fliegendes Lager, und obwohl die gesammte Truppenmasse nicht über 10,000 Mann betrug, so nahmen doch Baraken und Zelte ein Terrain von fast Dreiviertelstunde im Umkreise ein. Ein ganzes Dorf von Schenken, aus Baumzweigen erbaut, voll tollen Lebens war dort erstanden. Lange Laubsäle, in welchen die Officiere speisten, grüne Paläste aus Mastixzweigen mit einer Eleganz gebaut, die nur Franzosen möglich, bildeten dort unabsehbare Gassen — ein Elfengemälde, das gleich dem Paradies der Titania iu ein spurloses Nichts zusammenfiel, als die Trompete zum Aufbruch nach Constantine blies und die Klugheit gebot, diese grüne Stadt zu zerstören und niederzubrennen, damit keine meuchelmörderischen Beduinen sich dort im Hinterhalt verstecken konnten. Am 28. September machte der Herzog von Nemours mit einer zahlreichen Escorte einen Ausflug nach Hammam-Mes-khutin. Berbruggcr, Mangay und ich waren die einzigen Mitglieder der Commission, welche dem grossen Militairge-folge des Herzogs sich anschliessen konnten, da die übrigen Mitglieder noch nicht eingetroffen waren. »Der Obrist Duvivier war von den französischen Militairs der erste, welcher auf seinem einsamen Sitz zu Ghelma, neugierig geworden durch die Erzählungen der Araber, sich zu einem Ausflug nach Hammam-Meskhutin cntschloss. Bezaubert von dem so fremdartigen Schauspiel der rauchenden Felsen und der wilden Sceuerie, schrieb dieser sonst marmorkalte Kriegsmauu an den Marschall Clauzel einen enthusiastischen Bericht, mit dem er nicht wenig die Neugierde aller derer aufregte, die nicht so glücklich wie Duvivier waren, die Mysterien des al- ton Atlas schauen zu können, *Bei unserm Aufbruch hiess es, Aclnnet Bey, der mit seinem Heere auf den Höhen des Hasel - Akba lagerte, habe bei den Quellen ein Lazareth errichtet. Allein die Cavalerierocognoscirung, die man nach dem Gebirge schickte, brachte bald die Nachricht, dass die ganze feindliche Armee auf dem Hückzuge nach Constantine begriffen sey. Der Weg nach Hammam-Meskhutin ist zu Pferde mühsam und schwierig. Bald ging es über steile Abgründe, wo das Steingerölle hinter dem Reiter her donnerte, bald durch überragende Baume und so dichte Gesträuche, dass man bei jedem Schritt fürchten musste, an den Aesten angespiesst zu bleiben. Die „verfluchten Quellen" befmdeu sich iu einem kleinen Bergthal voll schöner Pflanzen und Gebüsche. Das kochende Kauschen des grossen Quellsturzes und die schwarzen aufwirbelnden Dampfwolken sind schon aus ziemlicher Ferne bemerkbar, aber ehe man des schönsten Anblickes von Hammam-Meskhutin geniesst, verweilt der verwunderte Blick auf den seltsamen pyramidenförmigen Felsenkegeln, die wie eine Masse isolirter arabischer Zelte aus dem flachen Boden sich erheben. Die Farbe dieser Steinkegel ist, wie ihre Grösse, verschieden , von dem dunkelsten Aschgrau bis fast zur Hellweisse des Schnees. Die kleinsten sind zwei bis drei Fuss hoch, die beträchtlichsten erreichen eine JJUihe von fast zwanzig Fuss. Der Anblick der bizarren Felsenfigiiren, neben welchen allenthalben rauchende Dampfsaulen aus der Erde steigen, ist so gespenstig, das Phänomen scheint so über-nalürlieh, dass man iu der ersten Ueberraschung sich beinahe versucht fühlt, der arabischen Sage über die Entstehung des Orte« Glauben beizumessen. Ein alter arabischer Scheikh Ali-Ben-Saadi erzählte uns zu Ghelma diese Sage ungefähr Moritz vvauner's Algier. I, 20 mit folgenden Worten: „Efe lebte in dieser Gegend einst ein, reicher und mächtiger Aruber, welcher für seine Schwester in strafbarer Leidenschaft entbrannt, kein anderes Mittel fand, dieselbe zu befriedigen, als mit dem Gegenstande seiner Liebe eine gesetzliche Heirath einzugehen. Die Religion aber und die Landessitten widersetzten sich dieser blutschänderischen Verbindung, und Kadis und Priester versagten lange ihre Einwilligung zu einem Acte, welchen Allah in der andern Welt mit so furchtbarer Strenge straft. Aber bestochen von dem Gehle des reichen Mannes uud eingeschüchtert von seinen Drohungen, Hessen Kadi und Priester sich doch endlich überreden, deu Heirathscontract zu schlies-sen und in das Haus der neuen Eheleute sich zu begeben, um Theil an Fest und Schmaus zu nehmen. Die Volksmenge wollte eben so den Freuden der Hochzeit beiwohnen, und eilte herzu mit Trommeln und Pfeifen. In ungeheuren Kesseln kochte der Kuskusu , welcher ausgetheilt werden sollte an die Eingeladenen sowohl, als an die Vorübergehenden, die das Geräusch der Musik und der Geruch der Schüsseln herbeilockte; reizende Tänzerinnen entzückten bei Trommel- und Cymbelnklang die Augen der Gäste durch ihre wollüstigen Pantomimen und Stellungen; eingewiegt in trunkene Lust und Fröhlichkeit war die ganze Gesellschaft, als Allah endlich, im gerechten Zorn über das gottlose Gelage, seinen Fluch schleuderte auf Eheleute, Kadi, Marabut uud Volk. Die hauptsächlichsten Personell des Festes, sowie die Musiker und Tänzerinnen, wurden zu Steinen verwandelt. Es sind dieses die Figuren, welche in Kegel lorin das ebene Terrain von Hammam-Meskhutin bedecken. Der grösste Kegel soll der Marabut seyn, welcher das blutschänderische Paar einsegnete. Die Volksmenge floh entsetzt das verfluchte Haus, aber Gottes Zorn erreichte sie auf dem Wege. Sie wurden gleichfalls in Stein verzaubert uud bilden den mit spitzigen Zacken bedeckten Felsen, der das Bett des Uad-el-Meskhu-tin überragt. Die kochenden Kessel, welche das gottlose Gastmahl bereiten sollten, wurden verdammt, ewig zu kochen und zu sieden. Man hört unter dem Boden das heiss zischende Wasser, das sie enthalten. Aus diesen Kesseln, erzählte der arabische Scheikh, steigt der Dampf, den ihr heute seht. Dieser, wie der Schwefelgeruch, verkünden dem Wanderer von weitem schon, dass hier ein verfluchter Ort sey, und dass der Zorn Gottes alle diejenigen treffe, die von den Quellen trinken. Daher der Name Hammam-el-Mcskhutin, die verfluchten Quellen." Unter einem romantischen Volke, welches die Wunder und Märchen liebt, ist diese Sage über die Entstehung eines ausserordentlichen Natiirphänomens durchaus nicht auffallend. Die Araber können oder wollen nimmermehr, wie wir, solche für sie rathselhafte Erscheinungen auf natürlichem Wege erklären. Jene Pyramidenkegel befinden sich sämmtlich auf einem ebenen Terrain. Das Wasser, welches dort kocheud-heiss an den verschiedensten Punkten aus der Oeffnung der Erde sprudelt und über das Thal hinfliesst, enthält als Haupt-substanz eine bedeutende Masse kohlensauren Kalk, welcher sich auf der Erde absetzt, in dem Masse, als das Wasser verdampft. Auf diese Art bildet sich, dicht um das Mundloch der Quelle, die erste weissröthliche Kalkschicht. Auf diese thürmt dann der Quellsprudel mit der Lauge der Zeit immer neue Schichten, indem er zugleich mit seinem heran* träufelnden Wasser den Durchmesser der untersten Schichten vergrössert. So erhebt sich nach und nach der Pyramiden-kegel, bis der Sprudel auf der äussersteu Spitze durch seine 20* eigene verhärtete Substanz verstopft wird. Ist dann mit der Vollendung der Kegelbildung der aus den Eingeweiden der Erde kommende Qu^sprudel nicht versiegt, so wird er gezwungen, sich eine andere Oeffnuiig zu suchen, da, wo das Erdreich seinem Ausflüsse am wenigsten Widerstand leistet. Der Commandant Levaillant, der während seines Aufenthaltes zu Medschez-Hammar die Quellen häufig ganz allein besuchte, bemerkte eines Tages einen Quellsprudel, der so eben seinen Ausfluss erzwang, an einer Stelle, wo früher keine Oeflnung gewesen. Das Wasser dieses neuen Sprudels hatte in dem Augenblick seiner Entstehung 80° Reaumur. An allen übrigen Punkten zeigen die Quellen selten über 70°; die geringste Wärme ist 71° R. Gewiss gehören daher diese Thermalbäder des Atlas zu den heissesten Quellen der Erdkugel. Obwohl noch bis auf den heutigen Tag keine chemische Analyse derselben gemacht wurde, so zeigt doch schon eine flüchtige Beobachtung, dass sie eine bedeutende Masse in Kohlensäure aufgelösten kohlensauren Kalk, kohlensaures Eisen und ziemlich viel Schwefelwasserstoff enthalten. Man gewahrt auf einem ziemlichen Umfange zu Hammam-Meskhutin neue Felsen in Bildung. Diejenigen, welche bei den Mundlöchern der Quellen zunächst sich befinden, sind schnee-weiss, noch ziemlich weich und rein aus kohlensaurem Kalk gebildet. Etwas weiter entfernt sieht man Kegel, deren Bildung erst kürzlich vollendet ist. Ihre Farbe ist weissröthlich und der leichte Dampf, der bei einigen noch von der Spitze emporsteigt, beweist, dass der Canal der Quelle sich erst ganz kürzlich verschlossen hat und der Sprudel nun nach einein neuen Ausweg kämpft. Endlich giebt es in grosser Zahl schon laugst gebildete Felsen, deren Quelle völlig versiegt und deren graue Substanz fast, so hart wie Granit ist. Auf dem Plateau des rechten Ufers des Flusses Seybuss, zwischen Medschez - Hammar und Hammam-Mcskhutiu, gewahrt man zwei Felsensysteine, bei welchen die Pyramidenkegel und übrigen Stciiibildiiiigen der verfluchten Quellen sehr deutlich wieder erscheinen. Beide kommen einander an Form, Bau und Zusammenhang vollkommen gleich. Es kann kein Zweifel seyn, dass sie auf dieselbe Art und durch dieselbe Ursache hervorgebracht wurden, obwohl au jenem Orte sich heutiges Tages keine Spur mehr von der Gegenwart der Quellen zeigt. Jene Felscnbildungeu scheinen überdies zu beweisen, dass der Ausgangspunkt der Gewässer sich im Laufe der Zeiten öfters verändert hat. Möglich wäre es vielleicht, zu erfahren, zu welcher Epoche die letzte Versetzung der Haupt-mündung erfolgte, denn ausser den römischen Hui neu des alten Badetablissements bei den heutigen Quellen cxistireu noch, eine halbe Stunde südöstlich ven Hammam-Meskhutin, die Reste eines andern römischen Landhauses. Die Nähe zweier solcher Etablissements ist nur durch die Vermuthuug erklärbar, dass die Gebäude bei Hammam-Meskhutin erst errichtet wurden, als die Quellen hier überflüssig zu werden und bei den entferntem Landhäusern zu versiegen anfingen. Nicht unmöglich wäre es, dass Nachgrabungen auf der Stelle der beiden Ruinenüberreste auf dicEntdeckung des Zeitpunktes der Gründung dieser Etablissements führen würden. Auf der ganzen Gebirgslinie von Medschcz-llummar bis zum Berge Maunor, unweit Ghelma, findet mau auf der Erdoberfläche die Felsenbildung von Hammam - Meskhutin. Der dortige Huuptfeisen mag, wenn die Zeit seiner Entstehung mit der Gründung des römischen Badehauses zusammentrifft, nach der historischen Berechnung immerhin nahe an 2000 Jahre alt seyn. Nimmt man nun an, es habe immer nur, wie heutigen Tages, eine einzige llauptquclle bestanden und die Versetzung derselben sey die Ursache dieser säuiintlichcu bizarren Kalksteinbildungen, in welche Epochen mag- dann die Entstehung all jener Felsen von denselben Formen fallen, die in einem Umfange von vier Stunden den dortigen Boden bedecken? Die Nachgrabungen bei dem Lager Medschez-Hammar, welche an mehreren Stellen den untersten Felsengruud zu Tage förderten, sind nur geeignet, das Räthsel dieses unerinessli-chen Kalkfelsenbaues noch unerklärbarer zu machen, denn die tiefsten Schichten zeigten völlig dieselben Kalkhestaud-theiie, wie die Felsen von Hammam-Meskhutin. Es ist kaum anders denkbar, als dass diese Massen von Felsenschichten, die aber nur das Werk einer Reihe von Jahrtausenden seyn können, von dem Quellabsatze nach und nach auf eiu-andergethiirmt wurden. Solche Thatsachen aber würden freilich den Ursprung der Erdkugel in ein ungeheures Alter zurückversetzen. Hammam-Meskhutin ist in geologischer Hinsicht gewiss einer der merkwürdigsten Punkte der Erde. Aber um dort mit gründlicher Ruhe forschen zu können, ist Zeit und Sicherheit nothwendig. Wir verweilten nicht, sondern überschauten diese imposante Naturerscheinung nur im Fluge. Obwohl der Bey von Constantine sich aus der Gegend entfernt hatte, so war es doch nicht rathsam, den Weg vom Lager bis zu den Quellen ohne bewaffnete Escorte zurückzulegen, denn einzelne Maraudeurs von Achmet's Heere machten die dortigen Umgehungen höchst unsicher. Inzwischen hätte eine Escorte von fünfzig Soldaten vollkommen hingereicht, die Mitglieder der vom General Damremont ernannten Commission scientifique während ihrer Nachforschungen zu Hammam-Meskhutin gegen jede Gefahr zu sichern. Allein der General Damremont war auch, wie mancher Seiner Vorgänger, wenig mehr, als ein Charlatan, der in Paris für einen eifrigen Begünstiger der Wissenschaften zu gelten wünschte, und iu Afrika nichts für dieselben that. Die Truppcncomman-ten verweigerten immer unter irgend einem Verwände die von uns verlangte Escorte. Mau brauchte die Soldaten heute, um Convois zu begleiten, morgen, um Fourrage zu holen. Als es aber dem Herzog von Nemours einfiel, die verfluchten Quellen zu besuchen, da war ein Bataillon dem General Damremont zur Escorte nicht genug. Er Jiess drei Regimenter ausrücken, obwohl in weiter Runde sich keine grösseren arabischen Zusammenrottungen zeigten. Wir machten den Min und Herweg ohne einem Araber zu begegnen. Dem jungen Prinzen waren wir übrigens für seine Neugierde herzlich dankbar, denn ohne ihn hatten wir den merkwürdigen Ort gar nicht zu sehen bekommen. Die Ruinen des alten römischen Badelablissements sind beträchtlich und ziemlich gut erhalten; Sie tragen nicht wenig dazu bei, durch ihre malerischen Formen die wunderbare Gegend zu verschönen. Die römische Wasserleitung ging von der Höhe eines kegelförmigen Kalkfelsens ans, weldaer in der Richtung seiner Axe gespalten ist und von dem die Hauptquelle sprudelte, die das Thermalbad mit Wassel- versah. Dieser Felsen ist heutigen Tages völlig erkaltet, steht aber ganz nahe bei der jetzigen Hauptquelle. Man gewahrt deutlich die Beste des öffentlichen Badbehälters und die kleinen Privathitdbecken, welche unbedei kl Ware». Einen andern Badbehälter bedeckten hohe Bögen von Quadersteinen, welche gut erhalten sind. Ebenso ist die äussere Bastion des Gebäudes, die, wie es scheint, zur Yertheidigung diente, fast ganz unversehrt. Endlich sagt ein: „Sucrum dis manibus . . . Pomponius clarus vir," dass dort aucli einige römische Gräber sich befinden. Sehr auffallend ist es, dass wir in keinem der alten Schriftsteller, welche über Nuinidien geschrieben, eine Erwähnung der Thermalbäder finden , die, nach den bedeutenden Leberresten der Gebäude zu schliessen, zu den Itömerzeiten sehr besucht waren. Wir kennen nicht einmal mehr den Namen dieses alten Etablissements. Die von einigen Schriftstellern erwähnten Aqua«; tibilitinae sind zuversichtlich, der alten Beschreibung nach, die heutigen Quellen von Hammam-Berda, welche nur geringes Interesse bieten, und sich auf keine Weise mit Hammam-Meskhutin vergleichen lassen. Nachdem wir das Thal mit seinen seltsamen Felsenpyramiden, seinen Ituinen und rauchenden Schlünden eine Zeit lang angestaunt hatten, begleiteten wir das Gefolge des Prinzen zu der imposantesten Stelle, die au malerischer Schönheit Alles, was ich in Tyrol und der Schweiz gesehen, bei weitem hinter sich lässt. Es war der grosse dampfende Wassersturz, der östlich von den Pyramiden sehr nahe bei den Ruinen liegt, und dessen Donnermusik wir schon längst aus einer ziemlichen Entfernung gehört hatten. General Damremont, der den Cicerone des Prinzen machte, wollte diese wunderbarste Stelle des Wunderortea zuletzt deinem jungen Gaste zeigen, um dessen schon durch die übrigen Erscheinungen mächtig erregte Ucberraschung hier auf das Höchste zu spannen. Ich kann den grossen Kalkfelsen Hammam-Meskhutin, der, vom Absätze des Wassers gebildet, mit jedem Tage an Höhe und Umfang zunimmt, mit nichts Bezeichnenderem vergleichen, als mit einem unserer Alpengletscher, welche, von ewigem Schnee starrend, ihre weissen Riesenwände, ihre Eiszacken und überschnciten Spitzen in allen Formen nach den Wolken erheben. Der Kalkgletscher von Hammam- Meskhutin hat völlig die Farbe des frischen Schnees, nur hier und da zeigt derselbe einen gelbröthlichen Schwcfelansatz. Die aus dem Qucllubsatz sich bildenden Figuren sind noch viel bizarrer, als die Eisformen auf den Alpengletscheru. Man -\vahut da Pflanzen , Muscheln, Secsternc u. s. w. aus dem Felsen wachsen zu sehen. Mit jedem Tage verwandeln sich diese Figuren wieder durch den frischen Kalkzusatz und gestalten sich zu neuen wunderlichen Gebilden. [Jeher diesen Kalkfelsen und seine versteinerten Thiere und Pilanzen-gruppen stürzt der siedende Wasserfall der grossen Quelle zischend, dampfend, donnernd in den Abgrund. Von jedem Felsenzackcn prallt der heissc Wasserstrahl zurück, peitscht mit seinem Sprudel dann wieder den tiefern Abhang und lallt so, schwarze Rauchwolken ausspeiend, von Stufe zu Stufe, bis er sich unter dem Felsen mit den übrigen Sprudeln vereinigt, und den heissen Bach Uad-el-Meskhufin bildet, der in einem gut gezeichneten Bette den Lauf nach Süden nimmt, ich folgte seinem Bette nur einige hundert Schritte weit, wo das Wasser noch immer über 60° Reaumur zeigte. Ueber den weitern Lauf dieses Baches und seine spätere Gestaltung konnte ich von den Arabern nichts Zuverlässiges erfahren. Seine Ufer, so wie die Umgebungen der Quellen, ziert allenthalben eine reiche, herrliche, üppige Vegetation. Wir konnten keinen bessern Zeitpunkt zum Besuche dieser Bäder wählen. Die Scilla maritima blüht in diesen Gegenden im Monat September. Ihre prachtvollen weissen Blumenstengel bedeckten «las Thal und die Felsen, sprossten zwischen den Ruiucn-trümmern, und badeten oft dicht au deu Quellen ihre Bliithen-spitaen in dem kochenden Wasser. In wenigen Minuten setzte sich eine Kalkkruste an und — versteinerte gleichsam die Blumen (nach dem Ausdrucke der Gäste in Carlsbad). Diese wirklich wunderschöne Blume trägt zur pittoresken Zierde der Gegend von Hammam-Meskhutin iu hohem Grade bei, uud ich würde jedem Maler empfehlen, seine Zeichnung der Quellen zur Blüthezeit der Scilla maritima aufzunehmen. Alle diejenigen Personen, welche deu Ort im Monat September besuchten, werden mir darin beistimmen. Auch andere schöne Pflanzen, darunter manche seltene Art, bedeckten damals in Menge das kleine fruchtbare Thal: Ge-rauium numidicum, Scilla autumnalis, Passerina hirsuta und die weissen Blüthen des Daphne Gnidium sprossten in Menge dort. Hier und da am Fusse des Felsen zeigte sich die seltene Lawsonia inermis oder die Henna der Araber, aus welcher diese ihre rothe Farbe bereiten. Die schöne Iris alata leuchtete mit ihren himmelblauen schmetterlingl'örmigen Blumen in ungeheurer Zahl aus der grünen Vegetation. Eine so prächtige Pflanzenweltso dicht bei Felsen und rauchenden Quellen, überrascht uud verwundert. Nie hätte ich mir die Hölle und das Paradies iu solcher Nähe beisammen gedacht. Ich weiss nicht, ob eine Zeichnung von Hammam-Meskhutin existirt. Die Künstler Flanta, Foucquut, Perier, welche die Expedition nach Constantine begleiteten, kamen zu spät im Lager an, um unsern Ausflug mitzumachen. Oh Ho-race Vernet bei seiner Reise nach Constantine die verfluchten Quellen, welche von der Strasse seitwärts liegen, besucht hat, ist mir nicht bekannt, Euter dem Gefolge des Prinzen war ich der einzige Civilist. Ich bemerkte mehrere Officiere, darunter einen Adjutanten des Herzogs, die einen flüchtigen Finnss des Wasserfalles auf das Papier zu bringen versuchten, aber der Bleistift stockte iu ihrer Hand, das Auge war nur unaufhörlich, wie festgezaubert, dem Phänomen zugewandt. Wir verweilten drei oder vier Stunden auf dieser Stelle. Das Gefülil Aller beim Weggehen war eine Art von Betäubung, ähnlich dem Erwachen aus einem Opiumtraum. Ich appellire an alle übrigen Augenzeugen, dass ich nicht im Mindesten übertreibe. Es war nicht Ein Militair anwesend, der nicht das allgemein«; Erstaunen getheilt hätte; man schaute nur und sprach wenig. Die Gruppe der damaligen Zuschauer war unter den übrigen Erscheinungen nicht die am wenigsten auffallende. Die Regimenter blieben auf den südöstlichen Höhen aufgestellt, nur der Prinz, die Generale, Stabs-ofliciere und Adjutanten kamen der Quelle ganz nahe. Darunter waren Caraman, Perregaux, Combes und manche andere, welche vor Constantine wenige Tage später ihr Grab fanden. Schwerlich hatte diese einsame Gebirgsgegend je so vornehmen Besuch gehabt. Ilammam - Meskhutin ist gewöhnlich ganz verlassen; es existiren keine Duars in der Nähe, der Araber meidet so viel als möglich den verfluchten Ort, uud das Geräusch der Gewässer verscheucht von dort die wilden Thiere. Jene goldgestickten Herren in dem einsamen Atlasthalc, dem Wunder des alten Zaubergebirges lauschend, boten gewiss einen höchst originellen Anblick, und vielleicht waren die Quellen so sehr über die rothhosigen Fremdlinge, als diese über die Quellen erstaunt. Gar drollig war es aber da anzusehen, wie mancher der geputzten Kriegsmänner erschrockene Sprung«; machte, wenn unter seinen Füssen der Boden wankte, oder wenn er die unterirdische Hitze an seinen Sohlen fühlte. Im Uebrigen standen die Zuschauer fast immer regungslos; keiner getraute sich, seinem Nachbar seine Bemerkungen, seinen Enthusiasmus, sein Erstaunen auszudrücken, und wenn einer das Geringst«; äusserte, so war sein Wort ein leises Flüstern, fast mit vor- haltenem Athein. Es kam mir fast vor, als fürchte jeder, die versteinerte» Todten aus ihrem magischen Schlafe zu wecken, und von allen jenen kühnen Kriegern schien kein einziger von Abenteuerlust sich versucht zu fühlen, den Zauber der verfluchten Quellen zu lösen. XIII. Reise in das Innere der Provinz Constantine. — Der Ras-el-Akba. Besteigung des höchsten Gipfels. — Die Ruinen „Anunah." — Sidi - Tamtam. Gräber. — Oede Hochebenen, Ruinen. — Suinmah, ein antikes Monument.— Fernanblick der Umgebungen von Constantine. — Das Plateau El-Mansura. — Anblick der Stadt Constantine von KI-Mansura. — Der Rummel.— Kudiat-Ati. — Kirchhöfe. — Das Innere der Stadt Constantine. Strassen. Buden. Kaffeehäuser. Moscheen. Der Palast Achmet's. Das Wohnhaus Ben-Aissa's. Die Kasbah. Bui-nenrestc. Die Römerhriieke über den Rummel. Aquaeduct. — Ausflug in die nächsten Umgehungen von Constantine. Das herrliche Thal des Hummel im Nordwesten. AnMick Conslan tines von Westen. Die Thermalquellen von Sidi-Mimum. Der Sturz des Rummel, _A.ni Morgen des 1. Octoher 1837 war das Waldthal von Medschez-Hammar in einer wunderlichen Bewegung. Trom-petengeschmetter und Trommelliinn hallte vom Bergecho getragen weithin durch die Wildnisse eines stummen Gebirges. Die zwei ersten Arineebrigadon mit einem langen Convoi be-• wogten sieh schwerfällig dem südlich gelegenen Berg Ras-el-Akba, dem höchsten Punkt der Gegend zu, über welchen der Wreg nach Constantine führte. Die Entfernung des Ras-el-Akba vom Lager betrug nicht über drei Stunden. Allein der ungeheure Convoi, der die Armee wie ein Alp drückte, machte den Marsch so äusserst langsam, es fiel überdies ein so heftiger Regenschauer, dass wir erst Nachmittags die Höhe- des Engpasses erreichten and an derselben Stelle, wo Achmet's Reiterhorden bis zum 29. September gelagert waren, den Bivouac bezogen. Die wissenschaftliche Commission, die mit zu dem Gene-ralstab gehörte, übrigens nach Willkür bei der Avantgarde oder dem Convoi verweilen durfte, hatte hier für ihre Thä-tigkeit ein erwünschtes Feld. Die Herren Falbe und Greu-ville Temple stellten ihre Hühenmessungen an, die Herren Berbruggcr und Mangay stöberten in den nahen Ruinen Anunah, mit deren Fragmenten der Wreg besäet war; ich erstieg mit meinem Freund Muralt den Gipfel des Ras-el-Akba, der noch 800 Fuss über dem Engpass emporragte. Da feindliche Araber in der Nähe spukten und man bei der geringsten Entfernung von der Armee auf Hinterhalte gefasst seyn musste, war dieser Bergausflug nicht ohne grosse Gefahr uud als wir beide wieder wohlbehalten in's Lager zurückgekommen, bestürmten uns die Officiere mit Vorwürfen über unsere „tolle Keckheit." Ja selbst der General Damremont, als er uns mit dem Fernrohr auf dem Gipfel sah, soll sich unwillig geäussert haben, wie denn Leute ihr Leben so leichtsinnig und unnütze auf's Spiel setzen möchten. Hätte der General den guten Rath, den er uns damals geben wollte, vor Constantine befolgt, so wäre er wohl mit dem Mar« schallsstab, nicht iu einem engen Breterhäuschen von dort abgezogen. Capitän Muralt wagte bei der Ersteigung des Hasel- Akba mehr als ich. Er trug europäische Uniform, während ich in einem langen weissen Bernuss, der vom Gebrauch schmuzig geworden, wenn ich die Kapuze über den Kopf zog, von einem Beduinen um so weniger zu unterscheiden war, als ich durch meine vielen Ausflüge und langen Lager-anfenthalt eine völlig gebräunte Haut bekommen hatte. Mit- ralt führte dagegen Waffen, während ich im Falle einer Gefahr auf die Schnelligkeit meiner Beine vertraute. Der Berg wurde vom Bivouac au immer steiler und steiniger. Bald verschwand alle Dammerde. Der Ras-el-Akba ist ein Ur-kalkfelsen, der alle Spuren einer einstigen Katastrophe zeigt, denn nicht nur sind ungeheure Klumpen von ihm losgetrennt, sondern der ganze Fels hat auch eine solche Masse von Kissen, Sprüngen, Spalten und Löchern, dass hier offenbar eine gewaltige Erschütterung von unten auf stattgefunden. Der obere Theil des Berges ist ganz buschlos, eine starre Steinwand. Unter den meisten losgelösten Blöcken, die ich umkehrte, fand ich Scorpionen. Es war eine zwölfäugige Art, Androctonus Paris (Koch), die auch bei Bona und Algier vorkommt, aber von ausserordentlicher Grösse. Mit ihm iu Gesellschaft fand ich verschiedene liisecfen, die sich ganz gut mit ihm zu vertragen schienen, so namentlich den Acinopus obesus, der sich, gleich ihm, ein Grübchen unter dem Stein gegraben, damit dessen Last ihn nicht beschwere. Neu war für mich eine kleine, grüne, weissgelleckte Eidechse, ebenfalls unter Steinen, die mir viele Freude machte. Die Gefahr der Ersteigung war am grössten, als wir dem Gipfel uns näherten. Wenn wir irgend vom Feinde bemerkt wurden, durften wir uns auf einen Hinterhalt jenseits des Berges — den südlichen Abhang gewahrten wir erst, als wir den Gipfel erreicht hatten — gefasst machen. Doch wir erklimmten diesen und gewahrten keinen Feind in weiter Runde. Die Aussicht über die iunern Bergzüge lohnte unser Wagniss keineswegs. Das Auge dominirt eine Landschaft von kahlen Bergen und öden Hochebenen, die wir bis Constantine durchwandern mussten. Der Anblick war wenig tröstlich und die unheimliche Leere der todten Bergwüsten, unserer nächsten Nachtquartiere, machte uns still und verstimmt. Wir gewannen die Heiterkeit erst wieder, als wir an den lustig- lodernden Bivouac-feuern die Zwicbelsuppc und deren Würze, die gemüthlicho französische Plauderseligkeit wieder fanden. Die Höhe des Engpasses, wo wir lagerten, beträgt 2448 Fuss über dem Meere, der Gipfel mag etwa noch 800 Fuss sich über dem Engpass erheben. Ras-el-Akba heisst „der Treppenkopf." Ich übergehe die Schilderung des Lagergemäldes, die Bivouacscenen der französischen Armee auf den Höhen des Atlas. Dergleichen Episoden meiner Reisen mögen in einem andern Theile dieses Buches Platz finden. In geringer Entfernung östlich von unserm Nachtlager standen die öfters erwähnten Ruinen von Animah. So werden die Ueberreste einer grossen römischen Stadt, deren alter Name noch bis diesen Augenblick unbekannt ist, von den Arabern geheissen, Sie bedecken den steilen Abhang eines Berges, der einerseits das herrliche Waldthal von Medschez -Haminar, anderseits die öden Hochebenen und Berge gegen Süden und Westen überschaut. Die Trümmer nehmen einen Raum von etwa Dreiviertelstunde im Umkreise ein. Es sind einige gut erhaltene Gebäude von ansehnlicher Höhe darunter, Triumphbogen, Thore, Tempel, der Rest eines Theaters, sehr viele Marinorblöcke mit mittelmässigen Sculpturarbeiten, welche beweisen, dass diese Stadt vor Zeiten nicht ohne Pracht und Kunst gewesen. Selbst bei dem ersten oberflächlichsten Beschauen gewahrt mau bald, dass diese Ruinen mehrere Metamorphosen durchgemacht, bis sie in ihren jetzigen Zustand gekommen. Unverkennbar ist nämlich, dass manche der noch stehenden Gebäude aus Trümmern von älteren aufgebaut worden und dass mau mit ziemlich viel Ungeschick und Nachlässigkeit dabei zu Werke ging. Stücke von Pfeilern und Mar- mornischen sind mit unter die Wandsteine verkrochen. Am auffallendsten gewahrt man dies bei der Ruine einer christlichen Kirche, die aus Trümmern zusammengeflickt ist, welche den verschiedensten Monumenten angehört hatten. Ueber der Eingangspforte, auf der Spitze der Kuppel sieht man ein grosses grobgearbeitetes Kreuz und darunter einen Anker und Compass aus Kalkstein von ebenfalls ziemlich roher Form, Unter den Steinen dieser Kirche bemerkt man die Inschrift, welche Shaw mitgetheilt und die seit einem Jahrhundert nicht die geringste Veränderung erfahren, •) Wir copirten beim Rückmarsch etwa dreissig Inschriften; die wenigsten aber bieten Interesse. Keine derselben enthielt den römischen Namen dieser Stadt. **) Der arabische Name bedeutet „ein Bassin von steilen Hügeln umgeben." Und in der That sieht man einen kleinen Weiher am Fusse des Berges, welch letztern die Araber Dschibcl-el-Sara (Berg des Glückes) nennen. Einzelne Trümmer liegen, wie schon erwähnt, bis aul den Gebirgsweg, den die Armee eingeschlagen, zerstreut. Ich fühlte mich von solchem Alterthümlereifer erfasst, dass ich beim Besteigen des Engpasses, mein Pferd am Zügel führend, bald da bald dort einen alten beschriebenen Stein ergriff und hinter meinen Sattel laden wollte. Immer warf ich •) Siehe III. Band, •'•) Obrist Duvivier sagte mir bei meinem zweiten Besuch zu Ghelma im September 1837, die neuesten Nachforschungen, welche einige Genieotticiere wenige Wochen zuvor unter Begleitung von drei Regimentern angestellt, hätten zu einem glücklichen Resultat geführt und der Name der Stadt sey in einer Inschrift entdeckt worden. Der Obrist war aber wohl im Irrthum, denn als die Commission deshalb später Erkundigungen einzog, wollte Niemand von einer solchen Entdeckung wissen. Moritz Wagner's Algier. I. 21 ihn wieder weg, wenn ich, ihn betrachtend, von seinem geringen Werth mich überzeugte. Endlich behielt ich aber doch den ziemlich beschädigten Kopf eiuer menschlichen Figur in halberhobencr Arbeit und hatte last Lust, ihn die Reise nach Constantine und von dort zurück nach Bona machen zu lassen. Ein Officier des Geniecorps, der viel öfter und länger als ich in deu Ruinen gestöbert, fragte mich lächelnd, ob ich die Figur vielleicht für die Glyptothek des Königs von Baiern aufbewahren wollte. Da sah ich noch einmal in die groben Züge des halb verstümmelten Kopfes und warf diesen wieder weg. Ueberhaupt bemerkte ich unter den numidischen Ruinen zwar der imposanten Bauwerke viele, von feinen Kunstwerken, wie Statuen, Basreliefs, Mosaik, aber nichts, was einer besondern Erwähnung verdiente. Wie es dem französischen Soldaten wohl zu Muthe seyn mochte, als er mit dem schweren Ranzen am Ras-el-Akba sacht hinaufschlenderte und durch die düstere Atmosphäre die verlassene Stadt erblickte f Ihre grauen ausgezackten Massen vermischten sich mit dein untersten Anflug des Gewölkes so wunderlich, dass man oft wähnte, es sey Alles nur ein toller Nebelspuk, eine Fata morgana auf dem Atlas, eine Wolkenstadt, die der erste Wiudstoss wieder in die hohen Lüfte entführen würde, aus denen sie auf den alten Berg zum kurzen Erdeubesuch sich niedergelassen. Es regnete zuweilen scharf, aber es waren vorübergehende Schauer, und als die Armee ihren Bivouac bezogen, da erbarmte sich der Himmel der armen Krieger; er wollte sie nicht um die warine Abendsuppe bringen und kein Tröpfchen fiel mehr in die auflodernden lustigen Küchenfeuer. Von Anunah drüben hatte der Geisterspuk nun auch Abschied genommen. Die grossen grauen Nebelpaläste fuhren dem Himmel zu, während Triumphbogen, christliche und heidnische Tempel, die Riesenstaffeleien eines verfallenen Amphitheaters ihre massiven Glieder in den deutlichsten Umrissen zeigten. Wenige meiner Leser, wenige Europäer, selbst wenige Reisende, die nicht gerade diese Gegenden oder das Innere der Regentschaft Tunis besucht haben, dürften ahnen, welch sonderbaren Eindruck der Anblick einer numidischen Ruinenstadt übt mit so bedeutenden Resten alter Pracht und Grösse, inmitten der tiefwildesten Gegend, wo man nichts von Cultur, wo man keine Spur von Menschen oder irgend lebenden Wesen in weiter Runde schaut, wo den Ankömmling überall nur die einförmige Melancholie der öden Waldberge und Römergräber ohne Willkommen grüsst. Als die Bonaparte'sche Armee in Syrien die Ruinen von Heliopolis erreichte, da erhob sie einen Schrei der Ueberraschung, der lange nicht verstummte. Und doch war der Ort vielen ihrer Begleiter nicht so völlig fremd. Längst waren jene Gegenden vor der ägyptischen Expedition von modernen Reisenden besucht und vielfach beschrieben. Man hatte Zeichnungen und topographische Arbeiten über jene Länder, so dass die Reste der Sonnenstadt von Vielen wenigstens im Bilde zuvor gesehen worden, und man wusste im voraus, was man dort finden würde. Anders war es mit dem in viel tiefere, rohere Barbarei versunkenen Numidien, wo tyrannische Beys, fanatische Christenhasser herrschten und ein wildes Räubervolk wohnte, das gleich begierig nach den Schätzen, wie nach dem Blute jedes christlichen Reisenden war. Einzelnen ist es wohl im vorigen Jahrhundert gelungen, einige Strecken im Innern der Regentschaft Algier zu durchwandern, wie dem brittischen Dr. Shaw, den Franzosen Peyssonel und Desfoutaines und dem unternehmenden Bruce. Sie sahen aber nur einen geringen 21 * Theil des Landes im Fluge als Begleiter der türkischen Colonne, die den Tribut eintrieb. Ibre im Ganzen ziemlich magern archäologischen Beschreibungen beweisen, dass sie im Innern nur an wenigen Orten lang genug verweilten, um Ruinen gründlich untersuchen und Zeichnungen aufnehmen zu können. Daher enthalten ihre Schriften auch meist nur eine Namenaufzählung der gesehenen alten Städte und im Fluge copirten Inschriften, von denen die wenigsten historisches Interesse bieten. Unnennbar war die feiervolle -Stimmung, der wirklich tiefe andächtige Schauer, der di«. Begleiter des französischen Heeres erfüllte, als sie zum erstenmale Calama, Anunah, die unbekannten Ruinenrestc zwischen dem Ras-el-Akba und Constantine erblickten. Es wurden da wunderliche geheime Stimmen laut. Jene gewaltige Heroszeit, die bis in die Sahara ihre Monumente baute, sie war also doch keine Mythe? Dieses wilde Afrika war nicht immer der Sitz, die Beute des Beduinen gewesen? Wer deu alten Quellen misstraute, wer die Ptolemäischen Städtelisten für blosses Schaugepränge hielt, dem verwiesen die Riesenleichen der Provincia Africa den beleidigenden Unglauben. Hier ist kein Zweifel möglich. Jene Römer waren nur Männer der That; sie gründeten fern von ihrem Mutterstaate mächtige Reiche, bauten Städte, deren Trümmer dem Zahn der Zeit trotzen, bis zur grossen Wüste, ohne davon prahlend in die Welt hinauszuschreiben. Viele grosse Ruinen, die man noch heutiges Tages anstaunt, sind uubenannt, fanden nicht einmal Platz in den Registern der alten Geographen, so diese Stadt vor uns, deren Trümmer fast eine Stunde im Umkreis bedecken. Und so geht es fort durch das ganze Land. Die französischen Heere sahen später die Ruinen von Sigus, Cuiculum, Sitilis. Fast eben so bedeutende Städte lagen noch tiefer im Innern, und nach den übereinstimmenden Erzählungen der Renegaten, der zurückgekehrten französischen Gefangenen und Deserteurs, endlich der Eingebornen selbst, namentlich der Biskris und Mosabiten, die aus den südlichsten Gegenden der Berberei stammen, erfuhren wir, dass diese Städtetrümmer bis an den Rand der Sahara fortdauern. Im Blad - el - Dscherid und im Kuhla giebt es Ruinen in grosser Zahl, fast an jedem Ort, wo Quellen sind und Palmen wachsen. Desfontaines fand deren tief im Süden der Regentschaft Tunis zu El-Hammam am Ufer des Sees Schibka - el - Ludiah, unter dem 33° 30* nördlicher Breite. Abd-el-Kader sagte zu Herrn Berbrugger, der ihn um einen Ferman bat, um nach dem Grenzstrich der Sahara zu reisen, „Was willst du in dem Kobla? du findest dort nichts, als viele alte Steine." Der gefangene Lieutenant Defrauce sah römische Ruinen bei der neuen Residenzstadt Abd-el-Kader's, Tekendent. Auch in den unzugänglichsten Gebirgen im Süden von Budschia am Fusse des Schneebergs Dschurschura, auf dem Plateau des Auras liegen Ruinen. Am Fusse des Auras {Aldov des Ptoleinäus) lag die Stadt Lam-basa, jetzt vielleicht die imposanteste Ruine von ganz Numi-dien und Mauritanien. Der letzte Europäer, der sie gesehen, ist der Renegat Baudouin, der vier Jahre im Innern zugebracht und der verschiedenen Landessprachen auf eine erstaunliche Weise Meister geworden. Die Schilderungen Baudouin's, den ich öfters in Algier gesprochen und von dem ich sehr merkwürdige Mittheilungen erhalten, stimmen mit der Beschreibung Peyssonels genau zusammen. Es existirten dort nicht weniger als vierzig Triumphpforten, die meisten hatten drei Eingänge mit prächtigen Säulen; sechzehn stehen davon noch aufrecht. Lambasa's Ruinen bedecken das Land in einem Umfang von drei Stunden. Welch ein Anblick erwartet das französische Heer, welches zum ersten Male das Plateau des Auras erklimmen wird! Seit mehr als einem Jahrtausend wurden Lambasa's Ruinen nur von drei Europäern gesehen, die nur lange genug blieben, um zu staunen, und dann wieder weiter gehen mussten. Für Archäologen und Maler mag es dort noch eine reiche Fundgrube geben. Es war dunkel geworden iu unserm Bivouac. Die Wolken, zu immer wechselnderen Gruppen sich gestaltend, wurden lichter und durch die breiten Risse schaute das bleiche Nachtgestirn, das ich die Sonne der Ruinen nennen möchte, el zeigte uns das alte Anunah in seiner geheimsten geisterhaften Pracht. Das Gemälde der vom fahlen Schein umflossenen Trümmer war in der That wunderschön. Die wachestehenden Soldaten Frankreichs, sonst nicht eben in elegischer Stimmung, wenn die Kochpfanne zischt und die Beduinen in der Nähe spuken, blickten recht träumerisch sinnend nach der mondbeleuchteten Stadt hinüber. War es, um den Steinen das Räthsel der Römermacht abzulauschen und die wenig tröstliche Antwort herüberzuhören: so verfallen auch die mächtigsten Reiche, eure erst keimende Colonie wird auch einmal untergehen, wie wir, und nur Schutthaufen einer spätem Siegergeneratiou von euch zeugen? Ihr unbekannten numidischeri Ruinen, könntet ihr die Geschichte eures Falles, die späteren dunkeln Schicksale uns erzählen, die über euch hingegangen, seit Genserich hier das Siegerschwert geschwungen. Weit beweinonswerther, als Aegyptens Gräberstätten, pilgert in euere Einsamkeit nie eine trauernde Seele, mit euch zu klagen über den Tod, der die grössten Nationen, so wenig als ihre herrlichsten Monumente verschont. Ein rauher, fanatischer Barbar blickt beim Vor- überleiten mit VVuth und Hohn auf die gebeugte Stadt der Christen, uud der Fledermäuse Fittiglied, das nur die Mitternacht vernimmt, summt allein die Bardenklage über das namenlose Jlömergrab. Von Ras-el-Akba an bis Constantine führt der Weg über öde, aller Vegetation entblösste Plateaus. Die Waldve-getation dauert von Bona mit kurzen Unterbrechungen bis dicht an den Fuss des Ras-el Akba fort. Von diesem Berg an sahen wir während eines fünftägigen Marsches eine kleine Baumgruppe, ziemlich weit vom Wege seitwärts, am Fusse des Berges Ansei, der über das Flüsschen Uad-el-Zenati sich erhebt. Am zweiten Maischtag erreichten wir Sidi-Ebn-Tamtam. So nennt man eine mit Kirchhöfen umgebene arabische Kapelle, unter welcher die Reste des Heiligen gleichen Namens begraben liegen. Es ist dies das einzige steiuerne Gebäude, das wir auf dem 22 Stunden langen Marsch von Medschez-Hammar bis Constantine zu sehen bekamen. Nur Gräber also stören die verzweifelte Monotonie der Gegend. Die arabischen Ruheplätzchen sind dort sehr einfach * sowie ich sie bei Algier erwähnt, blos mit drei Steinen bezeichnet. Zwei Stunden südwestlich von Sidi-Ebn-Tamtam lliesst der Uad-el-Zcnati, der sich später mit dem Seybuss vereinigt. Es ist ein unbedeutender Bach, übrigens doch noch das ansehnlichste Gewässer zwischen Medschez-Hammar und Constantine. Seine Quelle ist im Gebirge Abu-Gharab. An seinen Ufern wächst einiges Gras, welches den Pferden und Lastthieren sehr willkommen war. Auf diesen dürren Hochebenen sprossen dünne, niedere Kräuter nur an Stellen, wo Quellen oder Bächlein fliessen. Der ganze übrige Boden ist nackt oder theilweise mit Disteln bedeckt, die man bei dem gänzlichen Mangel an Brennholz eifrig sammelte, um damit die Abendsuppe kochen zu können. Nur wenige arabische Duars erblickt man zur Seite des Weges. Sie standen von ihren Bewohnern verlassen und das aufwirbelnde Feuer, welches den Strohvorrath oder auch die Hütten verzehrte, verkündigte den Entschluss Achmet's, den Franzosen nichts als Asche und Trümmer zu lassen. Am 5. October erreichten wir El-Summah. So nennen die Eingebornen ein römisches Monument, welches den Gipfel eines Hügels krönt und aus dessen Form die Archäologen der Commission über seine frühere Bestimmung nicht recht klug geworden. Es ist ein hohes viereckiges Gebäude von breiten Stufen umgeben und von vier hohen Säulen gestützt, deren jede eine in runder Scheibe ausgeschnittene steinerne Zierrathe schmückt. Am Fusse des Monuments liegt eine grosse Masse viereckig zugehauener Steine in wilder Unordnung durcheinander. Allem Anschein nach sind sie von dem Monument herabgestürzt, so dass dieses früher entweder viel höher oder von einer Mauer umgeben gewesen seyn muss. Unter diesen losgebrochenen Steinen hat einer die Form eines Kreuzes. Der arabische Name El-Summah bedeutet „Thurm," Von El-Summah bis Constantine beträgt die Entfernung nur zwei Stunden. Die Landschaft erheitert sich hier wieder. Man überblickt ein länglich schmales Thal, das der Rummel iu westlicher Richtung durchströmt. Grüne Bäume und menschliche Wohnungen, zwei so wohlthuende Dinge, wenn man fünf Tage lang durch eine nackte Wüstenei gezogen, traten im Hintergründe des Thaies, wo westlich das Plateau El-Mansura, östlich der Berg Kudiat-Ati mit seinen Friedhöfen sich erhebt, hervor. Ein sehr schöner Flor von Olivenbäumen liegt im Osten am Ufer des Kümmel. Da aber die'Armce in gerader Richtung nach dem Plateau El-Mansu-ra sich bewegte, und die Höbe über dem Rummel, sowie seine beiderseitigen Ufer von arabischen Reiterschwärmen wimmelten, so wagte sich keiner von uns nach dem nahen Wäldchen hinüber. Der Marschall Clauzel vergleicht in seiner Brochure den Berg El - Mansura mit dem Budscharea bei Algier. Ich linde beide nicht im Mindesten ähnlich. El-Mansura ist ein völlig kahler Berg, auf dessen Höhe ein Plateau von etwa einer halben Stunde im Umkreise liegt; der Abhang desselben ist von Nordwest nach Südost. Der Budscharea bei Algier hingegen hat ausgezackte Gipfel , eine hochstämmige Vegetation und ganz andere Formen. Am Fusse des El-Mansura machte der grosse Convoi Halt. Zwei Brigaden blieben zu dessen Schutz zurück, während die Avantgarde den Berg hinauf und dann über das Plateau der Stadt zunickte. General Damremont, der Herzog von Nemours uud ihr zahlreicher Stab quartirten sich in der Nähe des Marn-butgrabes Sidi-Mabruk ein, dessen schmuzig weisser Tempel in den späteren Regentagen einigen Schutz gegen die Nüsse gewährte. Erst an dem äusscrsten Ende des Plateaus, wo ein Abgrund in eine schwindelnde Tiefe blicken lässt, wird die Stadt Constantine sichtbar. Mit einem einzigen Schritt füllt da der Vorhang von einem der seltsamsten Gemälde der Welt. Von der Höhe El-Summah aus hatten wir nur einige wenige Gebäude der Umgebung Constantincs, nichts von der eigentlichen Stadt gesehen. Constantine liegt auf einem senkrecht abgeschnittenen Kalkfelsen, welcher nur gegen Osten durch einen Erddamm mit dem Nachbarberge Kudiat-Ati in Verbindung steht, wäh- rend er sonst überall in steiler Mauer sich erhebt. Die Stadt hat einen sichtbaren Abhang- von Nordwest nach Südost, •ihr höchster Punkt, die Kasbah, liegt 2100 Fuss über der Mee-resfläche und 807 Fuss über dem Thal des Kümmel. Der Anblick Constantines dürfte sich kaum mit irgend einer andern Stadt der Welt vergleichen lassen. Jch wenigstens habe weder in Natur, noch auf dem Papier jemals eine Stadt gesehen, hei deren Bild ich mir den Anblick jener ehemaligen Hauptstadt Numidiens hätte vergegenwärtigen können. Nur der, dem überhaupt der düstere, wilde, gespenstige Landschaftscharakter zusagt, der findet hier vielleicht die Gebilde seiner Phantasie aus den productivsten Stunden wieder. Die düstere Stadt erinnert nicht etwa au numidisrhe Ruinen, dazu ist die Masse zu compact, zu gleichförmig, zu wenig ausgezackt, sie gleicht eher einem Pompeji, das eben erst aus einein tausendjährigen Grabe unversehrt erstauden. Alles ist hier so wüstenstiimm und Niemand würde ahnen, dass sich andere Wesen auf diesem Felsen niedergelassen, als Raubvögel oder Steinböcke. Die Thoren! — möchte man über die Bewohner rufen — nur eine Viertelstunde weiter westlich liegt das herrlichste von Granatbäumen und Quellen schimmernde Thal. Warum nicht lieber da hinunterziehen, als wohnen auf dem geisterhaften Nebellelseu t Aber die heutigen ziemlich barbarischen Constantiuer machten es nur wie die civilisirton Cirtenser, wie alle frühern Bewohner. Diese Felsen waren gewiss schon von alten Zeiten her so öde, wie heute, und das Rummelthal immer mild und grün. Dennoch zogen schon die Römer das mächtige Steiubollwerk mit Wanden, für die keine Sturmleiter hoch genug und in die weder der Widder, noch der Achtundvierzigplünder, noch die Pulvcrinine eine Bresche schlagen kann, dem Wohnen am Rummel vor. Die Sicherheit scheint von Alters her in diesem Lande nie gross gewesen zu seyn. Masinissa hatte als eingcborner König auf diesem Felsen seinen Thron, die römischen Proconsuln, die Vandalen, die arabischen Emirs, endlich die türkischen Heys residirten hier nach einander und unterwarfen von diesem unzugänglichen Thron aus das Land. Aehnliche Lagen hatten viele andere alte Städte im Innern, so das nahe Sigus. Zu keiner Zeit, scheint es, wollten die Bewohner für gemächliches Wohnen im Thal Freiheit und Leben auf das Spiel setzen. Die Farbe diu- Häuser Constantines ist dunkelgrau wie der Felsen, der sie trägt. Von den Algierer Gebäuden unterscheidet sich die Bauart merklich schon durch die kurzen Dächer, die in den Küstenstädten der Berberei unbekannt sind. Algier, Bona, Oran haben nur Terrassengebäude, wahrend in deu innern Städten Constantine, Medeah, Miliana, welche auf den Gebirgen und Plateaus des Atlas liegen, wo im Winter häufiger Schnee fällt, der Dachstuhl als zweckmässiger den malerischen Terrassen vorgezogen wird. Man übersieht von El - Mansura aus die Felsenstadt so vollkommen, dass auch von den kleinsten Gebäuden wenige dem Auge entgehen. Sogar dem Lauf einiger Strassen kann man von dieser Höhe aus folgen, obwohl dieselben krumm und enge sind. Ausser der Kasbah, einer ziemlich festen Citadelle antiken Ursprunges, ragt nicht Ein Gebäude über das dunkle Gewirre der Häuser bedeutend hervor. Unterscheiden kann man nur deutlich von den übrigen den Bey-palast, das Wohnhaus Ben-Aissa's und die Moscheen wegen ihrer aufragenden weissen Minarets. Alle andern Häuser verschwimmen bei gleicher Höhe, gleicher Bauart undeutlich in einer gemeinsamen Masse. Constantine scheint von El- Mansura aus gesehen grösser, als es wirklich ist, eine Illusion, die sich hei allen amphitheatralisch gehauten Städten wiederholt. Obwohl die wie ein Condorhorst steil thronende Stadt nur imponirt und befremdet, nicht eben durch Schönheit gefällt, so waren doch die französischen Soldaten, die sonst im Innern des Landes zu Maskara, Tlemsan, Belida nur kleinere und schlechtere Orte gesehen, auch über die solide Bauart Constantines gar sehr verwundert und mit ihren künftigen Quartieren zufrieden, was ich von Manchem laut äussern hörte. Eine Compagnie des siebzehnten leichten Infanterieregiments lagerte dicht neben dem Generalstab als Escorte. Neugierig streckten die französischen Soldaten ihre Köpfe über den Erdaufwurf, der uns als natürliche Brustwehr gegen die Kugeln schützte, und schauten auf die Stadt hinunter. Ah, quelle helle ville! hörte ich Mehrere rufen. Man sieht, wie genügsam ein paarjähriger Aufenthalt in Afrika die genusssüchtigen Khone-oder Seinebewohner macht, wie sehr ein solcher ihre hohen Anforderungen auf bequemes Leben herabstimmt. Noch am Abende des 7. October rückte eine Colonne über den Rummel und nahm Besitz von dem Hügel Kudiat-Ati, auf welchem drei Tage später die Breschebatterien errichtet wurden! Von dieser Zeit an blieben die Truppen auf El -Mansura und die Regimenter auf Kudiat-Ati beständig mit einander in Verbindung. Wir Zuschauer des Kampfes gingen fast täglich von einem Berg zum andern hinüber, wobei wir ein tiefes Thal und das Flüsschen Rummel zu passiren hatten, das beide Berge trennt. Der Rummel ist hier nicht über 30 Fuss breit und 3 Fuss tief, sein Ucbergang aber beschwerlich, sowohl wegen der Ungeheuern Steinblöcke, welche das Flussbett erfüllen, als wegen des reissenden Was- •er», welches zur Zeit der Cluuzel'schen Expedition, wo der Hegen noch heftiger war, die kleinen Zugthiere und sogar einige ermüdete Soldaten mit fortschwemmte. Der Hügel Kudiat-Ati, der, mit Lehinerde belegt, die damals vom Hegen äusserst schlüpferig geworden, bei seiner Steilheit schwer zu erklimmen ist, ragt 2931 Fuss über der Meerestlüche und übertrifft also um 39 Fuss die Höhe der Stadt. Der Gipfel bildet keine Fläche, wie der von El-Mansura, sondern kleine wellenförmige Thäler und Erdaufwürfe, die alle mit maurischen Gräbern bedeckt sind. Kudiat-Ati ist der grosse Kirchhof Constantines. Andere Soldaten, abergläubischeren Schlages als die französischen, hätte auf diesem Todten-bivouac vielleicht eine böse Ahnung criässt; sie hätten wohl eine grauenvolle Bedeutung gesucht in dem Lager bei so unheimlicher Nachbarschaft. Die Franzosen Hessen sich aber dadurch wenig irre machen, die Steine wurden zum Theil ausgerissen und aufgethürmt als Brustwehr gegeu das Feuer der Belagerten; manche Soldaten suchten sogar in den geöffneten Gräbern eine Zuflucht gegen den Hegen. Ich habe hier nirgends so schöne Familiendcnkmale bemerkt, wie auf den maurischen und jüdischen Kirchhöfen bei Algier. Am 13. October zogen wir in Constantine ein uud zwar durch die enge Bresche selbst über eine Brücke von Leichen, es hielt in der That schwer, einen Schritt zu thun, ohne verstümmelte Körper, oder Blutlachen, oder zerschmetterte Waffen unter seine Füsse zu treten. Da die Thore stark verrammelt waren, konnten diese erst gegen Abend dem einziehenden Hauptcorps geöffnet werden, unsere Freude, das Innere der berühmten Hauptstadt Numidiens, — deren bedeutender Huf noch durch die Niederlage eines der besten Marschälle Fraukreichs einen modernen Zuwachs erhalten hatte und auf welche acht Tage lang unsere neugierigen, hungrigen, obdnchlüsternen Augen in äusserster Nähe gerichtet waren — nun in aller Ruhe betrachten zu können, vergällte gar sehr der Anblick der Zerstörung und des Todes, der uns fast bei jedem Schritte in fürchterlichen Bildern begegnete. Uebcr den heutigen Zustand Coustantiues existirt in keinem grössern Werk eine ausführliche Beschreibung. Der britti-sche Reisende Dr. Shaw und der Franzose Peyssonel besuchten Constantine vor mehr als einem Jahrhundert; aber ihre Schilderung der Hauptstadt des wichtigsten Beyliks der Regentschaft ist so lakonisch kurz, dass man bestimmt annehmen möchte, sie hatten bei Besichtigung derselben wenig Freiheit, getrauten sich vielleicht nur des Abends auszugehen und bekamen die sehenswertesten Gebäude, wie den ßey-palast, die Kasbah, die Moscheen im Innern nie zu sehen; ja man wäre ohne einige bestimmte Details z. B. über die Basreliefs der Elenlianteu an der Ruminelbrücke zu glauben versucht, Shaw hätte Constantine nur nach der Erzählung der Araber beschrieben. Kurz vor dem Beginn der letzten Expedition hatte Herr Dureau de la Malle in seinem Hecueil des renseignemeus sur la i'rovince de Constantine Alles, was er sowohl in alten arabischen, griechischen und lateinischen, als iu den neueren französischen und Reisevver-ken des vorigen Jahrhunderts aufzufinden im Stande war, mit vielem Fleiss und Umsicht zusammengetragen. Dennoch giebt sein Wrerk über die Stadt selbst eine nur ziemlich dürftige Auskunft, und da der Verfasser Alles, was aus den Quellen zu schöpfen war, also eine Menge von Widersprüchen oder Unrichtigkeiten wiedergab, so brachte er dem Leser ein verwirrtes und zum Theil falsches Bild bei. Da- m her erkennt auch das Auge des Reisenden Constantine nach seiner Beschreibung nicht wieder. Keine drei schiffbaren Flüsse bespülen Constantine, wie der arabische Schriftsteller Bekri sagt, sondern nur ein unbedeutendes Gewässer, der Rummel, der nicht einmal die kleinsten Kähne trägt; keine Ringmauer von schwarzen Steinen, von denen Leo Africanus und nach ihm Poiret gesprochen uud die nach Herrn Dureau de la Malle's Vermutben Lava seyn könnten, umgiebt die Stadt, die nur auf der Westseite einige elende Mauerreste zeigt, sonst aber überall ohne Schanze und nur von ihrem steilen Felsen vertheidigt ist. Endlich existiren auch die schönen alten Thore von rothen Steinen und die antike Triuniphpforte „Cassir-Culah" (Lngeheuerschloss), von welcher Shaw wohl eine eben so übertrieben prächtige Zeichnung gegeben hat, als von den Basreliefs der Brücke, schon seit 25 Jahren nicht mehr. Constantine ist die Cirta der Alten, im Lande der Mas-saesylier gelegen. Der punische Name war Carta, was so viel als Stadt bedeutet *), sowie die Römer ihre Hauptstadt einfach Urbs nannten und die Engländer für London so häufig blos Town gebrauchen. Die Besieger der Punier behielten den alten Namen bei, verdarben ihn aber in Cirta, sowie noch heute die meisten römischen Ruinenreste eine dem alten lateinischen Namen ähnlich klingende Bezeichnung behalten haben. So nennen die Araber Calama „Ghelma", Ar-senaria „Arscu", Milevum „Milah", Sitiiis „Setifi". Nur jene Städte, die gar keine Spur von Alterthümeru mehr zeigen, haben ihre alten Namen nicht auf die heutigen Bewoh- ') Bochart Geogr. Lib. I. Cap. 24. ner vererbt. El-Dschesair (Algier Icosium); Anaba (Bona-Hippo), Warran (Oran), Maskara sind rein arabische Namen. Cirta war die Residenz der numidischen Könige. Syphax, ein gätulischer Fürst, herrschte dort zur Zeit des zweiten panischen Krieges und bewohnte daselbst einen prachtvollen Palast. Er verband sich, wie bekannt, mit Karthago, wäh-rend Masinissa, ein anderer Fürst Nuinidiens, die Partei der Römer nahm. Karthago und Syphax unterlagen, Cirta ergab sich dem Masinissa und blieb 60 Jahre lang die Residenz dieses glücklichen Fürsten. Unter Masinissa's Nachfolgern stieg Cirtas Blüthe noch mehr und erreichte ihren höchsten Grad wohl unter der Herrschaft Micipsa's, wo Cirta, wie Strabo erzählt, mit prächtigen Gebäuden geziert und so volkreich und mächtig war, dass sie 10,000 Reiter uud 20,000 Fussgänger stellen konnte. *) •) Die Herren Falbe und Grenvilte Temple, Mitglieder der wissenschaftlichen Commission, halten dies für eine Uebertreibung und meinten, man müsse den alten Geographen misstrauen, da diese nicht immer richtige Angaben besassen und lieber Klfect hervorbringen , als sich strenge nach der Wahrheit richten wollten. Nimmt man an, dass die alte Cirta keinen grossem Kaum bedeckte, als die heutige Stadt, so ist Strabo's Angahe allerdings augenscheinlich übertrieben, denn selbst bei der «Hebten maliomedanisclien Bevölkerung, wo jedes der kleinen Häuser in der Kegel mehrere Familien einschloss, zählte Constantine in der blühendsten Zeit doch wold nie über 25,000 Ein-wohner, wenn auch Shaw und andere Reisende die Zahl hoher stellen. Die meisten Keisebeschreiber, die, ohne genaue Angaben zu besitzen, aufs Gerathewohl hin schätzen, sind immerztirUebertreibung geneigt. Selbst angenommen, dass der Berg Kudiat-Ati, unter dessen Gräbern man einige Cisternen und zu andern römischen Gebäuden gehörige Steine, dagegen keine Spur von einer Kingmauer fand, einen Thai1 von Cirta, vielleicht dessen Vorstadt bildete , konnte die sämmtliche ehemalige, Gebäudezahl doch wohl nicht über 40 50,000 Menschen fassen. Am wahrscheinlichsten ist daher wohl, dass Strabo zu den 30,000 Kriegern Micipsa's die Contingente der Landschaft Unter der Regierung Adherbal's bezwang Jugurtha die Stadt, nachdem er vergeblich alle gewaltsamen Mittel des Sturmes erschöpft hatte, durch Hungersnoth und erhob sie zu seinem Hauptwaffenjdatz. Später nahmen sie ihm die Römer gleichfalls durch Belagerung wieder ab und alle weitern Versuche Jugurtha's, sich abermals wieder in ihren Besitz zu setzen, scheiterten an der natürlichen Festigkeit ihrer Lage. *) Zur Zeit Juba's I. war Cirtas Glanz noch keineswegs gesunken. Ilirtius bezeichnet sie damals als eine der reichsten Städte Nu-midiens 00). Nachdem Juba mit den Resten der Pompeji-schen Partei unterlegen war, gab Cäsar einen Theil von Cirtas Gebiet seinem Parteigänger Sitius, der an die römischen Soldaten Ländereien austheilte und eine Colonie gründete, daher Cirta unter ihm den Beinamen Colonia Sitiano-rum erhielt. Im Jahre 311 bemächtigte sich der Usurpator Alexander der Stadt, wurde aber später von dem Präfect Maxentius besiegt und in diesem Krieg scheint Cirta zum ersten Male mit Sturm erobert, oder wenigstens nach der Ue-bergabe zerstört worden zu seyn, denn Aurelius Victor schreibt, die durch Alexanders Belagerung zu Grunde gerichtete Stadt oder der ganzen Provinz mitrechnete. Rom stellte ungeheure Armeen, nicht aus der Stadtbevölkerung, die sonst ein einziger punischer Krieg aufgezehrt hätte, sondern aus der Bevölkerung seiner schönen Provinzen. Eben so richtig lässt sich daher wohl von Cirta sagen, dass sie als Beherrscherin eines Reiches eine Armee von 30,000 Mann zu stellen vermochte, nicht aus ihren eigentlichen Bewohnern, sondern aus der Bevölkerung der ihr unterwürfigen kleineren Städte und Dörfer des Landes. *) Sallust, ein Augenzeuge des numidischen Krieges, sagt, dass di<> Stadt schon damals mit Sturm nicht zu nehmen war. „ Neque propter naturam loci, Cirtam armis expugnare potest." Bellum Jiigurtbinum. Cap. 23. ">) De bell. Afr. Cap. 25. Moritz Wa©nek's Algier. I. 22 habe der Kaiser Constantin wieder neu aufgebaut. Damals änderte sie ihren Namen uud wurde ihrem Wiedererbauer zu Ehren Constautinn genannt *), ein Name, der ihr noch bis heutigen Tag auch unter den Arabern geblieben, aber in „Cossamtina" verdorben worden ist. Die späteren Schicksale der Stadt unter den Yainlalou, den byzantinischen Kaisern und unter der eilfhundertjährigen Herrschaft der Maho-mcdaner liegen im tiefsten Dunkel. Constantine gehörte bis zur Zeit der Shaw'schen Reise oder eigentlich bis zur ersten Expedition der Franzosen im Jahre ISJO zu den für die Europäer unbekanntesten und unzugänglichsten Städten der Erde, und die wenigen kargen Angaben musste man meist aus misieherii arabischen Quellen schöpfen. Von allen bekannten Schriftstellern theilt Edrisi, ein arabischer Geograph des zwölften Jahrhunderts, noch die ausführlichsten Bemerkungen über Constantine mit. Die heutige Stadt Constantine liegt nach der Berechnung zweier Mitglieder der Commission unter dem 30° 21' nördlicher Breite und 4° 50' östlicher Länge. Ihr höchster Punkt, die Kasbah, ragt 2100 Pariser Fuss über der Flüche des mittelländischen Meeres. Die Iläusserniasse bedeckt ein Terrain von 1290,000 □ Fuss. Constantine steht* der Stadt Algier summt ihren Neubauten um ein gutes Drittheil nach, Alle älteren Reisenden schützen die Einwohnerzahl viel zu hoch; Ritters Geographie giebt 30,000 an. Die Herren Grenville Temple und Falbe schätzten sie im Vergleiche mit dem siebenmal grösseren Tunis auf etwa 16,000 Köpfe, ludessen ist letztere Berechnung wobt zu gering; denn Constantine, welches eine Menge von türkischen und maurischen °) Aurel. Vi«t. Epjjtom, Cap. 40. Flinditlingen oder Auswanderern aus Algier, Bona und den übrigen vou deu Franzosen besetzten Küstenstiidten aufgenommen hatte, deren Zahl über 6000 betrug, war viel dichter bevölkert als Tunis. Nur wenige reiche Familien bewohnten ein ganzes Haus. Viele Häuser enthielten drei bis vier Familien, von denen die meisten nur ein in zwei Theile geschiedenes Gemach bewohnten. Die Miethe war theurer und die Wohnung unbequemer, als in irgend einer andern Stadt der Berberei. Die beiden deutschen Renegaten Schlosser und Send schätzten Constaiitines Gesammtbevölkerung nach der Menge der Häuser und deren durchschnittlichen Bewohner-zahl auf etwa 20,000 Köpfe, worunter tiOOO waffenfähige Männer. Ben-Aissa, Constaiitines Gouverneur und Verteidiger in den Jahren 1836 und 1837, den ich später in Algier persönlich kennen lernte, gab auf mein Befragen anfangs eine weit höhere Zahl an. Als ich ihm aber die Un-Wahrscheinlichkeit seiner Behauptung vorstellte uud ihm die Bewohnerzahl sämmtlicher Küstenstädte zum Vergleich entgegenhielt, dachte er nochmals eine Weile nach, gestand seinen Irrthum, entschuldigte seine Unwissenheit, weil es nicht möglich sey, ein Register über Geburts - und Sterbefälle zu führen in einer Stadt, wo verschiedene Glaubensbekenner wohu-ten und das Innere der Häuser nur iu ausserordentlichen Fälleu untersucht werden durfte, und stimmte endlich meiner Meinung bei, dass Constantines Bewohnerzahl schwerlich 20,000 Individuen überstiegen habe, worin jedoch die uuver-heiratheten Soldaten Achmeds nicht mitbegriffen waren. Von diesen 20,000 Einwohnern Constantine« zur Zeit der französischen Expedition haben sieh beiläulig 4000 in die Städte tiefer im Innern , nach Biskara und das tunesische Gebiet zurückgezogen. Die Zahl derer, Welche theils bei der Ver- 22 ° theidigung der Staut mit den Waffen in der Hand fielen, theils wahrend der Flucht über die Felsen der Kasbah verunglückten, theils in den Gebirgen den Tod des Hungers und des Elendes starben, mag immerhin auch 2000 betragen, gewiss eher mehr, als weniger, so dass also jetzt schwerlich über 14,000 Eiugeborne mehr in Constantine leben, worunter 0000 Maureu, 4000 Türken und Kuruglis, 3000 Juden und 1000 Abkömmlinge der verschiedensten afrikanischen Völkerstämme, Kabylen, Neger, Mosabiten, Biskris, Mzitas und Lagniats. Die Zahl der europäischen Civilbewohner betrug zu Ende 1839 nicht ganz 900. Unter ihnen herrschte aber ein enger Verkehr, Kauflcute uud Cantiniers unterhielten mit Bona und Philippeville (Stora) eine lebhafte Verbindung. Constantine hat vier Thore: Bab-el-Kantarah (ßrückeu-thor), welches über die römische Brücke nach dem Plateau El-Mansura führt, Bab-el-Rahbah (Marktthor), auf der Seite von Kudiat-Ati, Bab-el-Dschedid und Bab-el-Uad; letztere sind zwei ganz kleine Thore, die ebenfalls nach Kudiat-Ati führen. Die Strassen sind nicht so enge und finster, als die im obern Stadttheile von Algier, aber noch viel schnulziger und elender, obwohl die meisten gepflastert sind. Die längste und breiteste dieser winkeligen Gassen (Suk-el - Kulak), führt vom Thor Bab-el-Rahbah zur Kasbah, die meisten andern Strassen haben französische Namen erhalten, wie litte Damremont, Itue Combes u. s. w. Gleich beim Eintritt durch die Bresche, als wir zwischen Trümmern und blutenden Körperu nur etwa fünfzig Schritte gemacht hatten, fiel uns die Masse der kleinen Buden in die Augen, welche in noch grösserer Zahl und weit dichter zusammengedrängt sind, als selbst in Algier oder in irgend einer andern Stadt der Berberei. Sämmtliche Juden Constau- tines sind Krämer. Dasselbe Gewerbe treiben die meisten Mauren und Kuruglis. Es ist übrigens ein gar armseliger Kleinhandel, durch welchen die Constantiner eben keiue Reichthümer gewannen, sondern gerade nur ihr frugales Leben fristeten. Ihre Waaren bestanden in den gewöhnlichen Artikeln des maurischen Detailhandels, wie: Schuhen und Sandalen, arabischem Sattelzeug, Rosenkränzen, Schmuck, Spiegeln, Pfeifen köpfen, zierlichen Frauenpantofl'eln und andern goldgestickten Kleinigkeiten, die aber bei weitem keine so reiche Auswahl boten, als die der Algierer Buden; endlich den gewöhnlichen Spezereiwaaren, namentlich Tabak. Die Buden sind enge düstere Löcher und werden des Nachts durch einen langen Ilolzpluhl verrammelt. Die Käufer waren in Constantine, ausser den reicheren Türken und Kuruglis, die den Handel verachtend nur von ihren Einkünften als Krieger oder Capitalisten zehrten, dann auch die Araber der Landschaft, die aber bei ihrer Enthaltsamkeit, bei ihrem ent-schiednen Hass gegen allen Luxus der Städter, nur auf das Notwendigste sich beschränkten; daher auch der Umsatz sehr unbedeutend war und nur ein so einfach lebender Menschenschlag, wie die Constantiner, konnte mit dem geringen Gewinn des Kramhandels genug für seinen Unterhalt verdienen. Eine andere Erwerbsquelle für die Constantiner bestand in dem Besitz vieler Lastthiere. Fast jede Familie hatte einige Maulthiere oder Esel und brachte damit Waaren aus dem Innern nach Constantine oder von letzterer Stadt nach Tunis. In den Hunden der Constantiner war also auch ein grosser Theil des afrikanischen Speditionshandels, nicht von Sudan-waaren, denn die Caravanen aus Tombuktu, Borau, Gadames nahmen nie den Weg durch die Provinz Constantine; dagegen verschickten die meisten Oasenstaaten, wie Tuggurt oder auch einige Länder der Mosabiten, ihre Producte, namentlich Datteln und Thierhäute, über Biskara und Constaufiiio nach Tunis. Vor der Einnahme Constaiitines hatte mau sich Handel und Industrie dieser Stadt viel blühender, die Einwohner viel reicher vorgestellt. Man hatte viel erzählt von den Werkstätten der Gohlsticker, der geachtetsten Profession oder Kunst in diesem Lande, die, nachdem sie von den Küstenstädten in Folge der Occupntion sich grösstenthoils zurückgezogen, in Constantine ein Asyl und in Achmet Bey einen Beschützer gefunden haben. Aber wie gewöhnlich hatte sich die Phantasie bei den Franzosen in's Spiel gemischt. Da nun in Algier, Bona, Drau keine arabischen Wunder gel linden worden, glaubte-man dafür allen orientalischen Luxus im Innern concentrirt. Dort sollten noch Seidenfabriken, Kunstfiirhereien und namentlich die erwähnten Fabriken der Gohlsticker in voller Blüthe bestehen, Constantine sollte der Mittelpunkt der maurischen Industrie seyn. Wir bekamen aber von allem dem nichts zu sehen, und ich zweifle sehr, ob die erbeuteten Luxuswaaren der ganzen Stadt den Kostbarkeiten eines einzigen Modeladens im Pariser Palais Royal an Werth gleich gekommen. Während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes und auch später nach dem Itückmnrsch der Armee nach Buna hielten die französischen Soldaten in beiden Städten mit ihren geplünderten Schätzen offenen Markt Es kamen aber blutwenig werthvolle Gegenstande dabei zum Vorschein, nicht einmal eine Auswahl reicher Waffen, nur sehr wenige Stücke von den prächtigen in (Johl und Silber gearbeiteten Yataganen, welche die reichen Eingebornen sonst nach ihrem haaren Geld und ihrem Pferd am meisten lieben. Mehrere speculirende deutsche Juden, die der Armee gefolgt waren, in der Hoffnung gute Käufe an erbeuteten Juwelen und Goldgegenständen zu machen, fanden sich recht bilterlich in ihren Hoffnungen getäuscht, als sie auf dem Soldatenmarkt nur einen Plunder von ehemals glänzenden, nun abgetragenen Prachtstoffen sahen, die oft nur wegen ihrer seltsamen Formen oder als fremdartige Goldzierrathen auffielen, dagegen nur wenigen reellen gewichtigen Schmelzworth hatten. Dafür hatten die Stürmer gefunden, was ihnen unter den damaligen Umständen wühl das Willkommenste war: Uebcr-lluss an Lebensmitteln und ziemlich viel baares Geld, letzteres freilich fast nur in dem Haus des berüchtigten Ben-Aissa, dessen Schatzmeister eben im Austfaeilen des Soldes begriffen war, um den Eifer der Soldaten und sonstigen Verteidiger der Stadt anzufeuern. Die Zahl der Kaffeehäuser ist weniger gross, als in Algier. Es sind lange enge Gewölbe, an beiden Seiten der Wände sieht man Reihen von gemauerten Ränken, auf welchen die Gäste iu der bekannten Weise sitzen. Wir fanden dort noch dampfende Kaffeekessel und lange Pfeifen, die kaum verglommen waren. So hat also selbst das Bombardement und die nahe Gefahr des Sturmes die Constantiner in ihren Zerstreuungen nicht gestört. Französische Soldaten füllten jetzt die Gewölbe uud schlürften die orientalische Nahrung, welche gläubigen Gästen zugedacht war. Constantine halle zehn grössere Moscheen und doppelt so viel kleine Gebethäuser mit Marabutgräbern. Nur vier oder fünf derselben haben hohe weisse Thürmc oder Mina-rets. Das Innere dieser mahomedanischen Gotteshäuser entsprach keineswegs ihrem Huf, und nicht Eines kommt der weissen Kunpelmoschee auf dem grossen Platz von Algier oder noch weniger der jetzigen katholischen Kirche Algiers an äusserer Grösse oder innerer Schönheit gleich. Es sind geräumige, aber selten über vierzig Fuss hohe Gewölbe, zum Theil durch Marmorsäulen gestützt, die Wände kahl und nur in der Nische, wo der Priester sein Gebet spricht, mit arabischen künstlich verschlungenen und deshalb schwer zu entziffernden Inschriften geschmückt. Zum Theil sind es Koransprüche, zum Theil kurze Denkschriften zur Erinnerung einiger im Rufe der Heiligkeit verstorbenen Priester oder Marabuts. Die Moschee Sidi-el-Kettani hatte eine mit vieler Kunst gearbeitete Kanzel und Säulen von geädertem Marmor, so schön, wie nur immer der berühmte numidische von Sigus seyn mochte. Der Fussboden der Moschee war mit Sammtteppichen von verschiedenen bunten Farben bedeckt; aber die französischen Soldaten hatten mit allem Tragbaren schnell aufgeräumt und so blieb den Constantiner Moscheen kein anderer Schmuck, als die kahlen Wände und Säulen, welche man nicht in die Tornister stecken konnte. Erst am 14. October, als die Verwirrung sich etwas gelegt hatte, wurden an die Moscheenpforten Wachen gestellt und der Eintritt allen Europäern untersagt. Gegenwärtig ist die Hälfte dieser Moscheen in Casernen und Ileumagazine und Eine in eine christliche Kirche metamorphosirt. Constaiitines merkwürdigstes Gebäude ist der Beypalast, fast im Centrum der Stadt gelegen und mit seineu Gärten, Höfen, Bädern für sich fast ein kleines Städtchen bildend. Die Herren Falbe und Grenville Temple haben in ihrer Erzählung des Constantiner Feldzuges ein wenig gar zu geringschätzend von diesem maurischen Schloss gesprochen, welches, wenn auch nicht zu vergleichen mit den Palästen Grauadas und keineswegs grossartig, doch die ganze zierliche Schönheit der bekannten maurischen Architektur zeigt und mir das schönste Gebäude dieser Art in der ganzen Regent- schaft Algier schien. Es besteht aus acht zusammengereihten Häusern, welche die Nebengebäude an Höhe überragen, sonst aber von aussen durch nichts ausgezeichnet sind, keine hübsche Facade bilden und in einer winkeligen Strasse liegen. Sobald man aber das Innere betritt und die grosse Säulenhalle erblickt, überrascht die ausserordentliche Eleganz, der Marmorreichthum, die Symmetrie, die Sauberkeit des maurischen Baues nicht wenig. Dazu die Wolilgerüche der Orangen und Granatbäume, die Bäder, die springenden Wasser, die Löwen, die an der Kette brüllten — summt lieh Gegenstände, die das arabische Märchen feiert und die uns an Bagdads alte Khalifenherrlichkeit, an den Wunderpalast Aladin's erinnerten; nur musste man da freilich mit dem ersten Eindruck des Ganzen sich begnügen und nicht zu lange verweilen, nicht als strenger Kritiker in Details eingehen. Das Innere des ersten grossen Säulenholes füllt ein Garten von Südbäumen aus, die Colonnaden sind von weissem Marmor, doch nicht über zehn Fuss hoch. Die Gemächer zur Seite der Galerien waren geräumig und einfach schön, man bemerkte auch gar nichts von den bizarren Verzierungen, die sonst öfters inmitten eines übrigens tadelfreien maurischen Bauwerkes auffallen. Die Wände der Galerien bestanden statt aus bunter Fayenza, wie sonst in den maurischen Gebäuden, aus Frescogomählcn, die ich noch au keinem andern Ort in diesem Land bemerkt hatte. Der grösste Theil dieser Wandbilder stellte Seeschlachten vor. Kriegsschiffe mit ausgespannten Segeln, ohne Ordnung unter einander geworfen, feuerten mit beiden Kanonenreihen. Ausserdem war noch «'ine Zahl muselmännischer Städte, Constautinopcl, Kairo, Tunis u. s. w. angemalt, sämmtlich in grotesken Unformen und ohne die darunter stehenden Namen nicht kenntlich. Auch Constantine war mit abgebildet. Au! der Kasbah ilat-terteu rothe Fahnen und über dem Deypalast, der in grossen Umrissen sich über die andern gemalten Mauser erhob, war folgende Inschrift angebracht: „Dieses Schloss blendet durch seine Schönheit die Augen der Beschauer. El-Hadschi-Acli-met Pascha ist. der Sultan, der es bewohnt. Möge Gott ihn siegreich machen über das Volk der Ungläubigen. Allah hat seine Gegner zerstreut, wie der Wind den Staub. Möge sein Kuhin und seine Macht immer zunehmen, möge Allah ihm Paläste im Paradies geben und diese bevölkern mit Millionen IIiuis. So dies Gott gefällt. Amen!" Den zweiten Hof lullt ein schönes Bad mit einem Becken von weissem Marmor aus. Im dritten sind Springbrunnen, deren Russin von Goldfischen belebt ist. In einem vierten Hofe befanden sieh die Löwen, deren Wärter der deutsche Renegat Schlosser aus Erfurt war. Eines dieser prächtigen Thiere brachte der Herzog von Nemours nach Paris; die übrigen hat mau, da ihr Unterhalt zu kostspielig wurde, auf Befehl des General Bernelle getödtet. Das Wohnhaus des furchtbaren Ben - Aissa, der als llakheni von Constantine die Verteidigung führte und Aehniet's Stellvertreter war, so oft dieser seine Hauptstadt verüess, ist eben so auffallend bescheiden, als der Bevpalast auffallend bunt und prächtig. Man gewahrte fast keinen Marmor im Hause, selbst die Säulen Waren nur von zusainmengemauerten Bausteinen aufgeführt, während iu Algier jedes irgend reiche Privathaus Marmorcolonnaden und Fayenzawände hat. Auch in Constantine fanden wir deren mehrere und es scheint von Seiten des Hakhein wohl nur schlaue Politik gewesen zu seyn, sich mit der wirklichen Macht zu begnügen und heimlich viel Geld aufzuhäufen, dagegen allen äussern Prunk zu vermeiden, om seinem tyrannischen Gebieter keinen Grund zur Eifersucht zu gehen. Ben-Aissa's Haus barg viele vermauerte Schätze und wurde deshalb durch das Geniccorps fast gänzlich demolirt. Man fand etwa 150,000 Budschus an baarem Geld, Die Kasbah oder Citadclle krönt den höchsten Punkt des Felsens im Nordwesten der Stadt. Sie ist mit soliden Kingmauern umgeben, die wohl nicht mehr der Cirtcnserzoit angehören, denn sie bestehen aus einer Menge von Trümmern alter zerstörter Gebäude und wurden vielleicht auffire-führt zur Zeit des Wiederaufbaues der Stadt unter Constantin, oder wahrscheinlicher nach einer der spätem Katastrophen. Einem vom Capitän Mangay aufgefundenen Itischriftfrag-nient zufolge scheinen die alten Constantiner sie Capitolium genannt zu haben. Auf der Südostseih' sind die Mauein durch eine Reihe von Cisternen unterbrochen*, über denen man die Batterien errichtet hat, welche der Terrasse El-Mansura gegenüber stehen und, über die ganze Stadl sanmit dem Abgrund des Kümmel weg schiessend, die französischen Bivouacs bestrichen. Ein besonders auffallendes Gebäude iu der Kasbah ist eine fast unversehrte Kirche in byzantinischem Styl. Ihre Eingangspforte ist im Nordwesten und der Altar am entgegengesetzten Ende der Kirche. Diese Kirche war gleich den übrigen Theilen der Kasbah von den Dfficie-reu und Soldaten Achmet's bewohnt. Trotz ihres soliden Baues hatte die Kasbah durch die französischen Batterien schwer gelitten. Die Mauern waren zusammengestürzt und durchlöchert uud die Erde allenthalben aufgewühlt; im Westen führt ein furchtbarer Felsenabhang in das Thal des Rummel hinab, dessen 300 Fuss hoher Wassersturz in der Tiefe brüllt. Dies war der Ort, wo man mich bis in die letzte Zeit die grossen Verbrecher und die ungetreuen Weiber hinunterstürzte, ein uralter Brauch, der von der Zeit der Römer und Vandalcn auf die Mahomcdaner sich vererbte. *) Ich erwähne zur Ergänzung dieser Skizze von Constantine noch kurz der Alterthümerrcste, die im Innern und der nächsten Umgebung sich vorfanden; eine ausführlichere Beschreibung fidgt unter den archäologischen Notizen im dritten Band. In der Nähe des Tbores Bab-el-Uad am Eingang der Strasse Suk-cl-Adaryu fand einer unserer Collegen, Herr Berbruggcr, mitten unter die Häuser hineingebaut, das Fragment eines Triumphbogens, der aber sicherlich nicht der Shaw'sche Cassir Gulah war. Aus einer gleichfalls sehr fragmentarischen Inschrift, die man nicht weiter verfolgen konnte, weil sie unter den Mauern der Nachbarhäuser sich verlor, ersah man, dass sie einem Proconsul Cujus Claudius zu Ehren errichtet worden. Sie hatte, wie fast alle römischen Triumphpforten, drei Bögen, deren mittlerer der höchste gewesen. Welcher Ordnung ihre Säulen angehörten, war nicht mehr zu erforschen, da diese bereits allzusehr verstümmelt waren. Noch in zwei andern Nebengassen entdeckten wir einzelne Bögen von weissem Marmor. Sie waren aber so in die Häuser hineingebaut, dass sich von ihnen gar nichts Bestimmtes angeben lässt. Eines der merkwürdigsten Bauwerke ist wohl die berühmte Brücke, welche über dem Abgrund El-Hauah, iu des- •) Victoris Viderbiensis Iiistoria de persecutione Vandalorum Ii'». II. „Sni dahin uxorein, Ligator pondere. Iapidum in AjnplMgun , du-vium Cirtensein famosum, jaclamlo ilemersit." Der Renegat Send im Dienste Achmeds erzählte mir, dass noch im Jahre 1834,ein maurisches Weil» dieses Schicksal hatte. Juden mussten diese Art Hinrichtung vollziehen. sen Tiefe der Hummel iiiesst, nach der Hochebene El-Man-sura hinüberführt. Alle älteren Reisenden, wie Shaw, Bruce, Peyssonel, Poiret, erwähnen dieser Brücke als eines antiken Meisterwerkes. Shaw, der älteste dieser Reisenden, sah sie aber schon nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt. Er berichtet, dass sie in früherer Zeit mit alten Bild-himerarbeiten, mit Blumen, Thiergestalten und andern Figuren bedeckt war. Es selbst sah davon nur noch eine Gruppe von zwei Elephanton, die ihre Rüssel kreuzten. Leber ihnen stand die Figur einer Dame, in unzüchtiger Stellung die Beschauer anlachend. Shaw gab davon eine Abbildung, die aber keineswegs getreu ist. Diese noch heutigen Tages exi-stirenden Basreliefs sind grob und schlecht gearbeitet. Jede der Figuren befindet sich auf einem besondern Stein, die Züge der Frau sind nicht mehr kenntlich, von der Muschel, welche der Shaw'schen Zeichnung zufolge über ihrem Haupt schwebte, sieht man gar nichts mehr. Die Elephanteu haben ganz kurze Rüssel, welche sich nicht kreuzen. Herr Ber-brugger hielt sie mit Unrecht für Nilpferde, welche bekanntlich gar keine hervorragende Schnauze haben; am nächsten kämen sie noch dem Tapir, der aber zur Zeit, als diese Figuren gemeisselt wurden, noch nicht bekannt war. Die ganze Form der Brücke hat seit der Zeit, - als sie diese Reisenden beschrieben, beträchtliche Veränderungen erfahren und ist eigentlich fast ganz renovirt wurden, was nach den Erinnerungen der ältesten Eingebornen unter Achmet's Grossvater, der gleichfalls Bey von Constantine war, im Jahre 1793 geschah. Die neuen Baumeister sollen Italiener gewesen seyn. Die Länge der Brücke beträgt 310, ihre Höhe 312 Fuss; sie ist, so viel mir bekannt, eines der höchsten Bauwerke dieser Art in der Welt. Die Bausteine sind aus einem der nächsten gelblichgrauen Uehergangskalk leisen gezogen. Eines der solidesten und imposantesten der Cirtensischen Alterl hiimer sind die Hoste eines Aipiaeducts, welche im Thal zwischen El-Mansura und Kudiat-Ati auf dem linken Ufer des Ramme] liegen. Die Eingebornen nennen sie El-Kuah „die Hägen." Sie bestehen aus sechs Arkaden, von denen die höchste 6I*/a i^uss misst. Die Richtung dieser kolossalen Wasserleitung war von Südost nach Nordwest. Indessen sind ausser den sechs erwähnten Rögen alle Spuren ihrer Fortsetzung verschwunden und sogar ihre tiefsten Bausteine aus dem Boden gerissen worden, ein Beweis, wie unglaublich in diesem Land gegen alle Ruinen gewüthet worden, iu deren Nähe neue Bevölkerungen ihre Wohnsitze aufschlugen. Nachdem wir alles Sehenswerthe der Stadt in Augenschein genommen, machte ich mit meinem Freund Muralt Ausflüge iu die nächste Umgebung. Man sprach gleich nach der Einnahme von weitereu miIitairischen Bewegungen, von einem Zug nach dem Städtchen Milan, welches sieben Lieues nordwestlich von Constantine unweit des Rummel liegt und die hübschesten Südhaiimgärten der Provinz besitzen soll. Da wir aber bei der Ermüdung der Armee und den vielen Arbeilen, die noch zu verrichten waren, um sich in dem neuen Waffenplatz tnilitairisch einzurichten, wohl sahen, dass es vor Monaten und vor der Ankunft neuer Verstärkungen aus Bona nicht zu diesem Zug kommen dürfte, so entschlossen wir uns, wenigstens das nahe Ruinmelthal im Nordwesten zu besuchen, selbst auf die Gefahr hin, den Kopf zu Verlieren. Wer überhaupt in diesem Land sich scheut, um des Anblicks einer schönen Gegend oder einer Ruine willen nö-thigen Falls sein Leben auszusetzen, der reise dort nie im Innern, denn Gefahr ist in den meisten Gegenden vorhanden, sobald man sieb ein paar hundert Schritte von den bewaffneten Posten entfernt. Wir ritten zuerst zu der Thermalquelle von Sidi-iMimum, die etwas über der halben Bergeshöhe liegt. Das Grab eines MarabutS steht neben der Quelle mit einigen Dattelpalmen, die ziemlich verkümmert und von unbedeutender Mühe sind. Die allen Cirtenser hatten dort Bilder, von denen noch gemauerte Wölbungen und ein Becken existiren. Das Wasser zeigt, sowie bei der nahen Quelle von Ain-cI-Ghadir eine Temperatur von 29° Ileaumur. Noch heute sind die Bader unter deu Eingebornen wegen ihrer Heilkraft berühmt für Rheumatismen, Brnstkrankheiten und Geschwüre. In der Quelle schwimmen geschwänzte Schildkröten, von welchen die Eingebornen viele verwirrte wunderbare Dinge erzählen und denen besonders die Weiber eine geheime Zauberkraft beilegen, daher man sich wohl hütet, deren zu födlen. Es gelang mir leider nicht, eines dieser Thiere zu fischen. Obrist Grenville Temple fing deren eines, wie ich später vernahm; ich habe es leider nicht zu sehen bekommen. Die Inschrift, welche Shaw mittheilt, existirt noch heute, sowie die in Stein gehauene Krabbe. Die Ebene oder eigentlich das grosse Thal des Rommel im Nordwesten von Constantine ist gewiss eine der gesegnetsten Landschaften der Berberei. Sie erregte den Enthusiasmus aller alteren und neuern Reisenden, deren Auge durch den Anblick der kahlen BergWüate vom Ras-el-Akba an des wohltliuendeii Grünes der edlen Südbäume fast entwöhnt war. Shaw hielt diese Gegend für die fruchtbarste und bewiissertste der Regentschaft Algier; ich meines Theils würde die Umgebungen von Belida und Tlemsan vorziehen, wo die Orangen - und Citrunonhäumo doch noch viel freudiger gedeihen, wo besonders bei Relida die niedrige Vege- tation kräftiger und schmelzreicher ist und die Quellen mir frischer und besser vertheilt dankten. Unter allen hohem Gewächsen gedeiht in der Nähe von Constantine der Granat-haum am besten. Er wächst in kleinen Wäldern an den Ufern des Rummel, erhebt sich zu einer schönen Höhe, gewährt hübschen Schatten und war zur Zeit meines Aufenthalts bedeckt mit seinen noch nicht völlig reifen, apfelfürmi-gen Früchten. Zur Blüthezeit muss dieser kräftig grüne Laubbaldachin, mit den Purpurglockenblumen überstreut, einen unvergleichlichen Anblick gewähren. Bekanntlich treibt kein anderes Holzgewächs des Südens so schöne Blüthen, wie der Granatbaum, die dem Cactus philanthus an Form ähneln, aber kleiner und purpurfarbiger sind. Fast in allen Häusern Constaiitines fanden wir Granatäpfel in Menge und von einer Grösse und Süssigkeit, wie ich sie noch in keiner andern Gegend gefunden. Ursprünglich mag der Granatbaum hier gepflanzt worden seyn, jetzt vermehrt er sich von selbst und ist der häufigste wie ergiebigste Baum des Rummelthales. Unter den wild gedeihenden Holzgewächsen bemerkte ich hier zum erstenmal deu Mastixbaum des Atlas (Pistacia Atlantica J)esf.), der hier bis zu einer Höhe von fünfzig Fuss aufschiesst. Vortrefflich gedeihen auch die Maulbeerbäume, die, wenn auch nicht zahlreich vorhanden, doch mit einer Ungeheuern Blättermasse überschüttet sind und unsern schönsten Eichen an der Ausdehnung des Stammes und der Aeste nichts nachgaben, Dattelpalmen kommen nur einzeln und selten vor. Am rechten Ufer des Rummel liegt eine kleine Viertelstunde von der Stadt entfernt ein Landhaus des Bcyn welches mit regelmässigen Baumpflanziiugeu und einigen Blumen umgeben ist. Der Fluss rauscht dicht an dem Häuschen mit reissender Schnelligkeit vorüber. Wir traten durch die offene Tbüre und fanden das Innere in graulicher Verwüstung, alles Holz und Eisenwerk herabgerissen, Marmor und Fayenza zertrümmert. Zwei unbewaffnete Kabylen traten aus dem Haus. Sie hatten wahrscheinlich noch zu plündern gehofft und aus ihren Zügen sprach der Aerger getauschter Erwartung, welcher einem Gefühl der Furcht und des Hasses wich, als sie uns bewaffnet gleichfalls in das Haus dringen sahen. Ein anderes grösseres Landgut des Bey lag eine halbe Stunde weiter östlich. Wenige Tage zuvor noch das Hauptlager der Truppen Achmet's, konnte es jetzt ohne bedeutende Gefahr auch von einzelnen unbewaffneten Soldaten besucht werden, welche sich dort zerstreuten, um Orangen und Granatäpfel zu pflücken. So weit der Blick reichte, dauerte dem Hummel entlang der Fruchtbaumreichthum fort; aber immer nur in der Nähe des bewässerten Bodens. Die entfernteren Bergabhänge zur Hechten und Linken des Flusses waren so kahl wie die Hochebenen seit dem Ras-el-Akba. Der Brennliolzmangel ist überhaupt bei Constantine sehr fühlbar, uud gleich iu den ersten Monaten der Occupation war man genöthigt, alle llolz-gewächse, mit Ausnahme der Fruchtbäume, umzuhauen, wobei aber auch wohl mancher edle Granatbaum trotz des Verbotes mit unter dem Beil der französischen Holzfäller verbluten mochte. Obwohl man von dem Rummelthal nur einen kleinen Theil der Stadt Constantine sieht, so präsentirt sich diese doch hier bei weitem am schönsten. Man steht hier am Fusse ihres Felsens, dessen senkrechte Wand sich 800 Fuss hoch auf-thürmt. Der, Rummel kommt hier unter der Kasbah aus seiner Schlucht hervor und stürzt sich iu drei Fällen zusammen über hundert Fuss tiel in das Thal. Etwa 000 Metres vor seinem Fall verliert er sich in einem unterirdischen Behälter, Moritz Wagnkr's Algier. I, 23 welchen wie nicht untersuchen konnten, ganz und gar. Das dumpfe Murmeln seines unterirdischen Laufes wird, sobald der Fluss, wieder hervorbrechend, den dreifachen Sturz bildet, zum lauten mächtigen Donner. Ich habe wenig schönere Naturbilder gesehen. Riesenfelsen, die durch den weissen Schaum des Sturzes ihre rauhen Rippen strecken, prächtige Baum-gruppen, theils über dem zischenden Wasser schwebend und sich mit der Sonne wiederspiegelnd in dem beweglichen Strahlschimmer — hoch oben die melancholische Stadt und ihre wüsten Kasbahruinen, tief unten ein Eden von Blumen und Büschen voll lustigen llymcnoptcrensummens — ich weiss nicht, wie lange ich hier stand mit meinem Freund, der, aus dem Berner Oberland gebürtig und Bewohner von Neapel, verwöhnt war durch malerische Scenen und doch wie berauscht schien von dem Donnergetöne des Wasserfalles und dem Anblick der hochherrlichen Gegend. XIV. Reise von Algier nach Oran. — Scherschell. — Tenez.— Der Hafen Mers-el-Kebir. — Die Felsenstrasse yon Mers-el-Kebir nach Oran. — Die Stadt Oran und ihre Bewohner. — Die Ebene bei Oran. — Dsßhibel-Sahar oder das ,,Löwengebirge." — Das Lager des Feigenbaumes. — Der kleine See. — Messerghin.— Der grosse Salzsee, El-Salgha. Im Monat Januar 1838 war ich nach einem siebenmonatlichen Aufenthalt in der Provinz Constantine wieder in Algier zurück. Ich verweilte dort wieder einige Monate und schiH'te mich am 2. März auf dem Dampfboot Aetna ein, welches seine Fahrt nach Oran unter sehr ungünstigen Auspicien begann. Dreimal versuchte es mit seinen sehr dringenden Depeschen am Bord in die See hinauszusteuern, musste aber immer wieder in den Hafen zurückkehren, nachdem es einige Stunden vergebeus gegen Wind und Wellen gekämpft. Dampf-boote sind bei hochgehender See zwar leichter zu regieren, als Segelschiffe, rücken aber fast noch laugsamer vorwärts als diese, da sie, beständig von den Wogen gehoben und geschaukelt, mit ihren rollenden Rädern das Wasser nicht erfassen können oder nur die Oberfläche der Wogen berühren. Daher darf man zur Winterzeit an der Algierer Küste n|ie am bestimmten Tag die Ankunft eines Dampfbootes erwarten. Nachdem wir vier Tag auf der Rhede gelegen, aller Qual der Langeweile und IJnbehaglichkoit zur Heute, Hess der Commandaut des Aetna endlich bei dem ersten halben Sonnenblick auf gut Glück in das Meer hinaussteuern. Einen halben Tag lang ging es erträglich, dann kehrte der Orkan mit zehnfacher Wuth wieder und der arme Aetna, der Feuer und Wasser zugleich spie, wurde vier Tage laug von den Wellen fürchterlich geschaukelt, während die Passagiere in den Wehen der Seekrankheit fast vergehen wollten. Wir durften nicht einmal den Hlick mit einiger Hoffnung nach der Küste richten, deren Berge hafeulos und ungastlich manchmal aus dem Seenebel hervortraten , von denen wir uns aber iu respectvoller Entfernung halten mussten , da von dort nur Schiffbruch und Tod drohten. Recht schadenfroh, wie der alte böse Meeresgreis im Märchen der Tausend und Einen Nach!, schaute der benebelte Atlas, der alte Magier, dem Treiben unsers von Wind und Wasser so arg misshandelten Schiffleins zu und es schien, als wedle er uns noch höhneu mit allerhand Zauberstückchen. So erschien einmal eine von den Winden zusammengeballte W^olkenfigur von merkwürdiger Form über der höchsten Bergreihe. Sie sah gerade aus Wie ein Dampfschiff, Wie unser Aetna hatte sie Bugspriet, Räder und dampfsjieieude Bohren, und da der Wind sie in derselben Richtung trieb, wie das Schilf, so segelte sie über die Bergkette weg mit uns in gleichem Schritt, ja, sie kam uns noch zuvor. Mit leichenblassen Gesichtern und schwankenden Schritten taumelten die seekranken Passagiere die Kajüten-treppe herauf und ein Schrei des Staunens entfuhr allen bei dem Anblick des üli'eudan Wolkengebildes, Alle andern Nebelgruppen zerstreute der Wind im Augenblicke wieder, während das gespenstige Dampfschiff des Orkanhimmels ziemlich lange blieb, bis es endlich auch versank oder verschwamm iu dem Woikengebirge, das sich nber uns entleerte in Donner und Regen. Bei meiner Rückfahrt von Oran nach Algier im Monat Juni hatten wir dagegen das heiterste Wetter und machten die Fuhrt in dreissig Stunden. Damals sah ich die Küstenstadt Scherschell sehr deutlich, welche, gegenwärtig im Besitz Ahd-el-Kader's, noch von keinem in der Regentschaft wohnenden Europäer besucht worden ist. Das Dampfboot fuhr nur etwa 300 Metree von der Küste vorüber. Scherschell ist die alte Julia Caesarea, einst die Hauptstadt des Cäsarischen Maoritonien. Nach Karthugo war sie die blühendste Stadt der Berberei. Sie scheint wenig Reste ihres alten Glanzes bewahrt zu haben, da ein Erdbeben sie zerstörte. Ihre Einwohnorzahl ist gleichwohl seit 1830 gestiegen, da viele orthodoxe Algierer, Mauren und Kuruglis, der allzu nahen Berührung mit den Christen abhold, sich iu Scherschell niedergelassen haben und dort ziemlich lebhaften Handel mit andern Küitenstädten unterhalten. Scherschella Bevölkerung beträgt etwa 4500 Seeleu, eher mehr als weniger. Der Um-fang der Häusermasse scheint wenigstens halb so gross wie der Algiers, doch sind die Strassen nicht so enge, die Häuser meist einstöckig. Scherschell liegt in einer kleinen Ebene, die zwischen dem Meer und dem Gebirge etwa Dreiviertelstunde breit und drei Stunden lang seyn soll und deutlichen Abhang von Süd nach Nord hat. Die hübschen weissen Mi-narets, (leren ich fünf zählte, geben dem Städtchen ein recht schmuckes sauberes Ansehen, eine Illusion, welche, wie bei allen maurischen Städten, schnell verschw inden würde, wenn man seinen Fuss in die Strassen setzte. Ein eigentlicher Hafen existirt nicht. Der ehemalige wurde ausgefüllt durch die Trümmer der Leuchttürme Cäsareas, welche das Erdbeben in die Flutli stürzte. Der Ankerplatz, der von zwei kleinen Forts und einigen Zwölfplundern vertheidigt wird, ist ehen so enire als seicht und nur Harken von der Grösse der niau-rischen zugänglich. Scherschells Umgehungen sind bis zu einer Entfernung von einer Stunde über die Mauern heraus sehr schön angebaut mit edlen Fruchtbäiimeii aller Art. Der Boden ist sehr gut bewässert und ergiebig, Shaw macht die günstigste Beschreibung von seiner Fruchtbarkeit. Zwischen dem Grün der Bäume erblickt man die weissen Kuppeln vieler Marabutgräber, eben so auch die Arkaden eines Aquae-duets, welchen Rozet, der ihn mit einem guten Fernrohr betrachtete, für einen römischen hält. Wir waren nicht so glücklich , ihn in so grosser Nähe zu schauen. In Scherschell wohnen gegenwärtig nur zehn Familien von Türken und Kuruglis, die übrigen Bewohner sind Mauren, worunter einige Hadars, arabische Städtebewohner, die sich von ihnen wenig unterscheiden. Auch jüdische Familien soll es noch dort geben, ungeachtet sie Verfolgungen und Bedrückungen aller Art ausgesetzt sind, denn die Mahomedaner dieser Stadt sind grausam und fanatisch, dabei anarchischen Sinnes und zu Bauferereien schnell bereit. Bir gegenwärtiger Kaid ist Ma-homed-Ben-Aissa-el-Barkaui, welcher einer mächtigen Familie der Beni-Menasser angehört, die Scherschells Umgegend bewohnen. Im Jahre 1634 empörten sich die Einwohner gegen ihn, weil er den abfahrenden Barken eine zu schwere Steuer auflegte. Dadurch ward der Handel gelähmt und die maurischen Handelsleute uud Schiffer, welche in Scherschell den mächtigsten Stand bilden, verjagten ihn aus der Stadt. El-Barkani trat hierauf in den Dienst Ahd-el-Kadcr's, schlug sich tapfer für ihn, erst gegen des Emirs Rivalen, Mussa-el-Sherif, später gegen die Franzosen, und stieg endlich zur Würde eines Khalilä. Seit dem Zuge Abd-el-Kader'» nach Ain-Maadi ist EI - Barkani bei seinem Gebieter in Ungnade gefallen und musste wieder als Kaid nach Scherschell wandern. Er gilt hier für einen der tüchtigsten Häuptlinge des Landes, aber entschiedenen Gegner der Frauzosen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Scherschell bei dem ersten Ausbruch eines neuen Krieges zwischen Abd-el-Kader und deu Franzosen von letzteren occupirt werden. Der Besitz dieses Städtchens wäre für sie nicht unwichtig, da für die Hadschuten, diese; gefährlichen Feinde der Colouisten, die man bis jetzt weder auszurotten, noch auf gütlichem Wege zur Hube zu bringen vermochte, in der Ebene Metidscha kein längeres Bleiben mehr möglich ist, denn von Scherscheli aus fasst man ihr Gebiet im Kücken, überfällt, wenn man will, ihre Duars in einer einzigen Nacht und schneidet ihnen den Rückzug nach ihrem Schlupfwinkel, dem Wald Khorasa, ab. Wäre Scherschell im Besitz der Franzosen, so hätte Abd-el-Kader gar keinen Küstenpunkt mehr als Tenez, ein kleines, erbärmliches Nest, zwischen Scherschell uud Mostaganem, ohne Handel und ohne Hülfsuuellen, das für gar nichts zu rechnen ist. Obwohl ich auf der Rückreise bei der ruhigsten See fast dicht an der afrikanischen Küste hinabluhr, war es mir doch nicht möglich, von Tenez etwas Anderes zu entdecken, als die Spitze einer Moschee, die aber so räucherig und unfreundlich aussah, wie der ganze Ort seyn soll. Tenez liegt in der Tiefe, einige hundert Schritte vom Meere. Der ganze Ort besteht aus etwa achtzig elenden Häusern, meist von Lehm gebaut, daher auch der Name*). Vor der Eroberung _— * n? •) Tenez oder Tenis bedeutet Koth. Algiers durch den berühmten Barbarossa war Tenez gleichwohl die Hauptstadt eines der kleinen Königreiche des Landes; jetzt ist es unter den Eingebornen nur berühmt seines Schmuzes wegen, und das folgende Epigramm (i) des Mara-butschriftstellers Harnet - ben - Efsaph ist seit 150 Jahren im Munde der Araber: Mabanesch Ali Ten-nis Mahn ah Schim Ma Dim Wa howa Sim Wa Harnet - ben - Usaph Mudakhul sebim. Dies lautet in wörtlicher Uebersetzung: „Tenez ist auf Mist gebaut. Seine Erde stinkt, Sein Wasser ist Blut, Seine Luft ist Gift. Harnet-ben-Usaph mochte da nicht wohnen." Shaw berichtet, unter den Mauren herrsche die Sage, die Einwohner von Tenez*) seyen vor grauer Vorzeit mächtige Hexenmeister gewesen und der König Pharao habe einst die geschicktesten davon rufen lassen, um die Mosaischen Wunder zu Schanden zu machen; wirklich seyen die Tcne-ser noch immer die grössten Spitzbuben des Landes. Ueber die erstere Tradition konnte ich nichts Sicheres erfahren, aber die letztere Angabc ist mir von allen Arabern, namentlich von den nächsten Nachbarn der Tencser, den Beduinen vom Schelif, bestätigt worden. Am 6. März lief das Dampfboot Aetna im Hafen von Mers-el-Kebir ein. Dieser ist von der Stadt zwei Lieues *) Tenez soll heute nicht über 600 Einwohner haben. entfernt, ein grosser IJebclstand für Orans Handel, der alle Aussichten vernichtet, aus diesem Orte je einen bedeutenden Stapelplatz für afrikanische Produett; zu machen,; und sollte je der Handel einmal einen mächtigen Aufschwung nehmen und die Karavanen aus dem Sudan sich hierher statt nach Marokko wenden, so wird man sich genöthigt sehen, an einem andern Punkte eine Stadt zu bauen. Dazu wäre Oran am geeignetsten, denn bei Mers-el-Kebir lässt sich wegen der steilen Klippen wenig bauen. Gleich nach unserer Ankunft zu Mers-el-Kebir kamen Harken aus Oran, die uns mit un-serm Gepücke abholten. Zum guten Glück war das Meer wieder ruhig geworden, denn bei bewegtem Wasser ist Wichen lang alle Verbindung zwischen dem Hafen und der Stadt abgeschnitten, Oran liegt unter dem 25° 44' 20" nördlicher Breite und 3 0 2' 28" westlicher Länge und ist von Algier 76 Lieues entfernt. Die Stadt, welche ein mehr spanisches, als maurisches Ansehen hat, bedeckt zwei kleine Plateaus, welche durch einen breiten, mit schönen Gärten angefüllten Hohlweg von einander getrennt sind. Der westliche Stadttheil liegt tief am Meere, das östliche, grössere Quartier sehr hoch; letzteres hat eine weite Aussiebt, Im untern Stadttheil liegt die alte Kasbah, welche in Ruinen zerfallen, im ohern die neue Kasbah, oder Chateau neuf von den Franzosen genannt, welche, ein Werk der Spanier, sehr ausgedehnt und stark befestigt ist. Die Spanier haben bekanntlieh Oran bis 1791 besetzt gehalten und diese Stadt, in Folge eines Erdbebens, das grosse Verwüstungen anrichtete, dem Dey auf friedlichem Wege abgetreten. Im Chateau neuf hat der Obercommandant der Provinz — zur Zeit meines Aufenhaltes, Generallieutenant Rapatcl — seine Wohnung und ein hübsches Gartchen, von dessen Höhe man Stadt, Laudschaft und Meer übersieht. Am äussersten Südeude des Stadttheiles steht das Fort St. Andreas mitsehr schönen Casernen und Brunnen und weiter westlich das Fort St. Philipp. Alle diese spanischen Festungswerke sind sehr solid, aus grossen Quadersteinen gebaut. Die Strassen Orans sind breit, gerade und helle, die Häuser gleichförmig gebaut, selten über eine Etage hoch, mit äussern Fenstern; man tri fit fast keine Privatwohnung in rein maurischem Styl. Sehr hübsch und geschmackvoll sind dagegen zwei maurische Moscheenminarets im obern Stadttheile, die höher als die Algierer Thürme sind uud leichte Formen mit allerliebsten Verzierungen haben. Die neue katholische Kirche mit einem schwerfälligen Thiirmchen von hiisslicher, geschmackloser Form steht hinter dem Bau jener Moschee beschämt zurück. Es giebt vier Moscheen in Oran, deren Inneres nichts Bemerkenswerthes enthält. Die mahomedanisrhe Bevölkerung Orans beträgt kaum 1000 Köpfe, worunter Mauren, Kuruglis, Neger und Türken. Früher soll sie fünf- bis sechstausend Seelen stark gewesen seyn, Avelche aber nach der Occupation dieser Stadt durch die Franzosen grösstenteils nach dem Innern auswanderten. Viele Familien zogen auch nach Marokko , Tunis und der Türkei. Juden sind gegen 800 dort. Die übrige Bevölkerung besteht aus Europäern. Im Ganzen wohnen nahe an 5000 Individuen iu Oran ohne das französische Mi-litair. Die Mehrzahl der Europäer besteht aus Andalusiern, welche Kramhandel und Gewerbe treiben; es sind namentlich viele Fischer und Schiller unter ihnen. Ihr Costurne ist sehr eigentümlich. Sie tragen hohe, spitzige, zuckerhut-förmige Mützen und weite Beinkleider, welche nur bis an die Kniee reichen, die sie aber unten nicht zuschnüren, wie die Orientalen. Das Leben in Oran ist geräuschlos und wenig abwechselnd. Man findet im untern Stadttheil meublirtc Zimmer für 30 bis 40 Franken monatlich. Im Hotel des bains fran^ais war zur Zeit meines Aufenthalts ein guter Restaurant. Kaffeehäuser giebt es in ziemlicher Zahl und von sehr hübscher Einrichtung, doch können sie mit den Algierscheu Etablissements dieser Art au Eleganz nicht rivalisiren. Unter den sehr hübschen neu^ebautenPrivathäusern erwähne ich hlos das des Grafen Lepelletier de Saint-Fargeau, Escadron-chefs im zweiten Chasseurregimeut, in hoher, freundlicher Lage. Es giebt auch sehr hübsche Waarenmagazine in Oran im Pariser Geschmack eingerichtet und man findet darin sowohl alle notwendigen Manufacturwaaren, als die meisten Luxusartikel Europas. Der Handel Orans ist zur Friedens* zeit nicht ganz unwichtig. Es wird einiges Getreide nach Spanien, sehr viele Häute, etwas Schafwolle und Wachs nach den übrigen europäischen Staaten ausgeführt. Der Markt war im Frühjahr stark besucht, namentlich von den Stämmen der Garrabas und Beni-Ammer, welche viel Vieh zum Verkauf brachten. Die Araber der Provinz Oran sind weit kräftiger gebaut und höher gewachsen, als die der übrigen Lan-drstheile. Ihr Gesichtsfarbe ist gebräunter uud die grosse Mehrzahl trägt schwarze Bernusse, weil es mehr schwarze, als weisse Schafe in der Provinz giebt. Die Umgegend von Oran ist nur schön in den Monaten, wo noch einiger Regen fällt. Beim Beginn der heissen Jahreszeit, hier Mitte März, verbrennt die Vegetation weit schneller, als an andern Punkten, da der sonst fruchtbaren Erde die nötige Bewässerung fehlt. Es Bietst bei Oran nicht einmal ein mittelmässiger Bach. Die westliche Umgebung der Stadt ist sehr rauh und felsig. Hier türmen sich drei von den Spaniern gebaute Forts über einander auf. Auf dein Gipfel des Felsens Tammra stellt das Fort Santa-Cruz, auf dem halben Abhang das Fort San - Gregorio, endlich fast am Fusse des Felsens dicht am Meere das Fort La Mauna. ihr Mauerwerk ist sehr solid und selbst einer europäischen Artillerie dürfte es nicht leicht werden, diese drei spanischen Citadellen, die das Erdbeben von 1791 nicht zu Falle brachte, zu zerstören. Obwohl der Hau von Santa-Cruz auf der Spitze einer fast unzugänglichen Klippe das kühnste Werk scheint und man glauben möchte, für das „heilige Kreuz" Hesse sich in der That keine würdigere Stolle finden, als es dem freien Berg als eine Krone ;iiifzudrücken, es zum Herrscher zu erhöhen über Land und Meer, so haben doch die Eingebornen, fast wie zur Demüthigiing des fremden Bauwerkes, welches sie nicht zerstören wollten, da es nach der Uebergabc der Spanier ihnen von Nutzen war, auf einem noch steilem Berg der Gegend eine Marabutkapelle gebaut und deren weisse Kuppel mit dein Halbmond geziert. Bekommt mau jetzt die so pittoresk gelegene Stadt Oran mit ihren massiven Befestigungswerken zu Gesicht, und schaut hinauf nach den himinclanstrehenden Burgen, deren höchste das Wolkenreich bei jedem trüben Tage aufnimmt, so ist es weder das Santa - Cruz der froinnigliiubigen Spanier, noch die Tricolorfahne der französischen Freiheit, die vom Indien Fels-throne dem Auge zuerst erscheint, sondern es ist der spukhafte Marabiittenipel im Leichengevvand, der neckisch und hoch-müthig über christliches Bauwerk und Siegeszeichen wegsieht und wie prophetisch sagen will, dass hier der Islam noch lange der christlichen Ansiedelung den Platz streitig machen werde. Dicht unter dem Felsen der drei spauischen Forts führt die neue Landstrasse nach dein Hafen Mcrs-ol- Kcbir. Sie war zur Zeit meines Aufenthaltes noch nicht vollendet und ich konnte noch Augenzeuge der unglaublichen Schwierigkeiten seyn, die zu hesiegen waren, um hier den Klippen einen schmalen Kaum abzugewinnen, kaum breit genug, dass zwei kleine Wagen sich einander ausweichen konnten. Harte tertiäre Kalkfelsen von achtzig Fuss Höhe mussten völlig abgetragen werden. Durch einen der härtesten wurde ein Tunnel von zweihundert Fuss Länge gesprengt, welcher allein ein ganzes Jahr lang der mühevollsten Arbeit kostete. Es waren die Disciplincompaguieii, weicht; allein dieses gewaltige Werk vollbrachten und sich damit gewiss ein unvergänglicheres Monument gründeten, als die Spanier mit ihrem Fe-stungshau. Jene stolzen Burgen können wohl noch einmal zusammenstürzen unter den Erdstössen, die sich in Oran früher so häufig eingestellt haben. Aber keine Gewalt der Natur, wäre es nicht eine zweite Sündlliithkatastrophe, vermöchte die Strasse zu erschüttern, die nur mit den Klippen selbst, durch die sie gehauen, zusammenbrechen könnte. Ich sah die armen Soldaten der Disciplincomp.iguien hier arbeiten und schauderte über ihr unglückliches Loos. Zehn Stunden täglich mussten sie mit den schwersten Eisenwerkzeugen an diesen schattenlosen Klippen hauen, graben, wälzen. Die unerträgliche Sonnenhitze, die von der Kalkwand widerprallte, hatte ihren Gesichtern die Beduinenfarbe aufgedrückt. In einer trostlosen Landschaft umher sahen sie nur nackten Stein und Salzwasser und hörten nur das Wimmern der Wogen und dus Donnergepolter der vom Pulver berstenden Steine. Mit ungeheuren Brechmeissein und Hämmern von dreissm-Pfund Schwere schlugen sie Löcher in das Gestein, welches so hart war, dass in der Kegel die Meissel zerbrachen und durch neue ersetzt werden mussten, bis die Oetl'uung gross genug war, dass man den Fels mit Pulver sprengen konnte. Oft geschah es, dass der berstende Fels die Arbeiter verwundete und gleich bei meinem ersten Besuch sah ich einen verstümmelten Soldaten nach dem Spital tragen. Seine Kameraden arbeiteten gleichwohl ohne Murren unverdrossen fort und zur Ehre der aufsehenden Officiere muss ich sagen, dass sie mehr durch gute ermahnende Worte, als durch harte Reden ihre Leute zur Ausdauer ermuthigton. So nützliche und grossartige Werke, wie diese Felsenstrasse, sichern den Franzosen immer eleu ewigen Dank aller künftigen Bewohner, und sollte Oran je wieder unter die Herrschaft der tragen Muselmänner xurttokfäffen, so werden auch diese sich freuen, dass die Fremdlinge ein so mächtiges 'Mittel der Communication hergestellt haben. Diese zwei Lieues lange Felsenstraseti wurde erst im Sommer 1839 vollendet und eingeweiht. Die Hauptmasse des Felsenterrains zwischen Oran und Mers-el-Kebir bildet der Schiefer, dessen Schichten sich säinintlich nach Norden senken und dunkel bleifarbig, aber von weissen Quarzaderu durchdrungen sind. Eine Stunde westlich von Oran beginnen einzelne, bläulichgraue oder bräunliche Dolo-mitfeisen, der auf dem Schiefer ruhende tertiäre Kalkstein steigt an demselben Küstengebirge bis zu einer Höhe von 1200 Fuss. Dieser Kalkstein ist grobkörnig bald von weisser, bald von schniuzgelber Farbe. Der Hafen von Mers-el-Kebir, Portus magntis der Alten, dessen arabischer und lateinischer Name die gleiche Bedeutung hat, ist nach der Rhede von Arzew der beste Ankerplatz der Algierer Küste. Gleichwahl ist er den Wind-stössen von Nordost ausgesetzt, die aber seit 1830 keinen beträchtlichen Schaden anrichteten. Eine kleine Escadre von etwa zehn Kriegsschiffen fände hier immer ein sicheres Asyl, denn die Rhede Lst tief, durch Felsen gegen den Mistralwind und durch Batterien gegen die Angriffe feindlicher Flot-ti'ii geschützt. Indessen hat der ganz sichere Ankerplatz; doch nur einen sehr beschränkten Raum und der Name Portas ma-gnus wäre passender für den Hafen von Arzew, der die grossten Flotten fassen würde, und welchen der Capitän Mangay auch in der That für den wahren „grossen Hafen" der Körner hält. Die Citadelle von Mers-el-Kebir ist auf einem Dolomit« felsen erbaut. Sie enthält geräumige Casernen für eine Garnison von tausend Mann, dabei Magazine, bombenfeste Keller und Cisternen, welche der Garnison wahrend der ganzen heisseu Jahreszeit ziemlich gutes Trinkwasser bieten; denn Quellen giebt es weder innerhalb der Citadelle noch in «leren Umgebung bis auf eine Stunde. Die Lage der Citadelle ist zur Verteidigung sehr glücklich gewählt, ihre Batterien kreuzen sich mit dem Feuer der drei Felsenforts bei Oran und würden jede Flotte leicht vernichten, die sich in den Bereich ihrer Kugeln wagte. Indessen ist die Citadelle fast rings von Bergen dominirt. Daher hatten die Spanier auf dein höchsten Felsen einen neuen Festungsbau begonnen, der aber nicht weit geführt wurde; seine Reste sieht mau noch heute. Die Franzosen, die einen Angriff von der Seeseite nicht zu besorgen scheinen, haben noch keine Miene gemacht, den Befestigungsplan der Spanier wieder aufzunehmen. Eine halbe Stunde westlich von Mers-el-Kebir hört das Steingebirge, das hier wie eine abgesonderte Gruppe hingeworfen liegt, und mit dem Atlas iu keiner Verbindung steht, völlig auf und macht einer trockenen, unfruchtbaren Erde Platz, wo nur die Zwergpalme und niederes Gras gedeiht. Ein Theil des Duairs, ein mit den Franzosen verbundener Araberstamm, hat dorthin seine Zeltdüri'er verlegt. Einen weit tröstlicheren Anblick, als diese westliche Fel-. senhindschaft, zeigt Orans östliche Umgebung. Es ist ein Plateau mit einigen Quellen, das vom October bis Mai grün, pflanzenrcich ist, und ergiebige Weide bietet. Gegen Osten erstreckt sich die Hochebene bis an den sogenannten Lövven-berg, Dscbibel-Sahar, vier Lieues von Oran. Aber nur bis zu einer Stunde von dieser Stadt istsie in dieser Richtung grasreich, weiter östlich ist der Boden dicht bewachsen von drei Fuss hohem Gestrüppe, das bis Arzew fortdauert und für den Jäger ein unerschöpflicher Jagdgrund ist. (regen Süden erstreckt sich das Plateau von Oran bis in die Gegend von Messerghin, etwa drei bis vier Lieues von der Küste. Der erwähnte Löwcnberg, Dschibel-Sahar, ist ein isolirter Hügel von 1800 Fuss Höhe über der Meeresfläche. Er scheint, da er völlig allein steht und aus ganz ebenem Grunde ragt, weit höher, besonders von der Seeseite und von Arzew aus gesehen. Bis über die halbe Höhe ist er bewachsen; sein Gipfel aber ist nackt. Ich kam mehrere Male bis an seineu Fuss, bestieg ihn aber nie, da ich nie Gefährten fand, die für einen solchen Ausflug Interesse gehabt hätten. Allein ihn zu erklimmen, war nicht räthlich, denn in der Nähe wohnen die Garrabas, der berüchtigtste Räuberstamin in der Provinz. Eine halbe Stunde südöstlich von Oran liegt auf demselben Plateau das „Lager dcsFeigenhaumesu(C«zw/' duJlgulcr), ein kleiner befestigter Wuftciiplatz der französischen Vorposten, in dessen Umgebung die französische Cavalerie im Frühjahr die Weide bezieht. Der Name kommt von einem dort einsam stehenden riesenhaften Feigenbaum. Die Umgebung ist ländlich angenehm und gleich ergiebig für den Jager, wie für den Botaniker, Nicht weit von diesem Lager liegt ein kleiner See, der eine halbe Stunde breit, zwei Stunden lang und von Wasservögeln belebt .ist. Dus Wasser hat eine grünlichgraue Farbe und unangenehmen, aber nicht salzigen Geschmack. Der See wird von kleinen Bächen genährt, die mit der Regenzeit enstehen. Im Hochsommer soll er ganz trocken liegen. Ich durchritt ihn auf einer Jagdpartie im Monat April und fand nirgends über drei Fuss Wasser. Der schciiswertheste Punkt Jer Oraner Umgegend ist Messerghin, früher ein arabisches Dorf, drei Stunden südlich von Oran in der Nähe des grossen Salzsees gelegen. Jetzt wohnen fast nur Europäer dort. Die regulären Spahis unter dem Cominando des berühmten Obristen Yussuf haben zu Mes-serghin ihr Hauptquartier. In der Nähe des Lagers erhob sich seit dem Frieden an der Tafna ein Dörfchen von Schenken , Kramläden und einigen andalusischen Pflanzern. Ein gar friedliches Leben herrscht in dem äusserst pittoresk gelegen Messerghin. Die Unterofliciere der Spahis, meist junge Leute von guten französischen Familien, die in ihrem mor-genländischen Costume sich gar herrlich gefallen, uud das einförmige Lagerlehen durch ihre immer muntere Laune zu versüssen wissen, machen unter Singen und Scherzen ihre Streifritte in die Umgegend und beleben die Weinschenke, so oft der Dienst sie nicht abruft. Eine Landstrasse verbindet Oran und Messerghin. Sie war zur Zeit meines Aufenthalts noch sehr schlecht und bedurfte vieler Ausbesserung. Ich legte den Weg in der ersten Kutsche zurück, die man in diesem Lande gesehen hat. Allein gleich die erste Fahrt misslang und der hübsche Wagen zerbrach auf dem Rückweg an den Auswüchsen der holperigen Chaussee. Moritz Wagnkr's Algier. I. 24 Der grosse Salzsee, von dem Araber El-Sebgba genannt, dessen ganze Fläche man übersieht, ist zwei Stunden breit und acht Stunden lang. Im Sommer liegt er völlig trocken und sein Becken füllt dann eine Salzschicht aus, die auch im Winter auf dem Grund sichtbar ist und in den buntesten Farben, weiss, schwefelgelb, roth, durch das Wasser schimmert. Seine Tiefe ist auch zur Regenzeit uie über sechs Fuss. Eine Menge von Watvögeln bewohnen seine Ufer, worunter der Flamingo und der numidische Kranich. Letzteren hätte ich nicht so weit westlich vermuthet. Jenseits des Salzsees wohnen die Beni-Ammer, einer der zahlreichsten und begütertsten Araberstämme der Provinz Oran, welcher 4000 Reiter stellen kann und Abd-el-Kader als seinen Herrscher anerkennt. • XV. Reise in das Innere der Provinz Oran.— Die Ebene Tie-lat. — Die Wohnsitze tler Garrabas. — Der Wald von Muley Isinael. — Die Kbene des Sig oder Habrah. — Der Sig.— Atlasgebirge. — Blühende Thaler. — Mascara. — Beschreibung der Stadt. — Die Wohnung des franzosischen Consuls. — Der zerstörte Palast Abd-el-Kader's. — Sommerpalastruine der Beys. — Einwohner von Mascara. — Die Goldsticker. — Der arabische Markt. — Ausflüge in die Unigegend. — Besteigung des Schruab-el-Rähah. Weite Aussicht über das Atlasgebirge und seine Thäler. — Die Kbene Egghres. Die Glietna von Sidi-Mali'nldin , Abd-el-Kader*« Geburtsort. — Kaschruh, der Kirchhof der Mahiddins. — Ausfing nach den heissen Quellen von Hainmain- Sidi - Haneüah. Kediat-Meskhutin, der verfluchte Berg. — Das Marabutgrab Sldi-Hanefiah, — Die Thermalquellen. «*» Muthmassliclie Ruinen von Victoria. — Arabische Gräber. — Herrliche Gebirgsgegend. Der Commundant Pellissier, Directeur des affaires Arodes, hatte mir bei meiner Ahreise von Algier zwei mit dem Siegel des Gouverneurs Marschall Valee versehene und in dessen Namen ausgefertigte arabische Briefe, den einen an den Emir Abd - el - Katler, den andern an den Hakhem von Mascara Hadschi - Bukhari gerichtet, übergeben. Ich war an beide dringend empfohlen als ein gelehrter „Dubib," der das Innere der Kegentschaft bereisen wolle, um heilkräftige Pflanzen zu suchen und daraus Arzneien zu brauen. Noch immer ist dies der klügste Vorwand, um die Einwilligung der arabischen Häuptlinge zur Bercisung der innern Länder in gewinnen und ihren Argwohn zu schwächen. Indessen ist das Mittel leider schon sehr verbraucht. Es haben sich mancherlei Abenteurer und Kundschafter unter ähnlichen Verwänden gemeldet und die misstrauischen Araber sind sehr auf ihrer Hut. Sie argwohnen in jedem Europäer einen französischen Spion, der über die den Franzosen noch unbekannten Landestheilc Nachrichten einziehen, Karten und Pläne entwerfen und deren [Hilfsmittel auskundschaften wolle. Daher sind sie unablässig bemüht, den sich meldenden Heisenden, die einen wissenschaftlichen Zweck vorgeben, die Gefahren und Entbehrungen, die ihrer warteten, recht lebhaft auszumalen. Sic schildern ihr Land als sehr arm. Die Gebirge, sagten sie, hegten kein Gold, und Steine und Pflanzen seyen die nämlichen, wie an der Seeküste. Sic besorgen, dass die Entdeckung irgend einer kostbaren Ressource im Innern, wie eines metallreichen Berges, einer Saline, einer Heilquelle, die Franzosen anlocken möchte, sich dieses Schatzes zu bemächtigen und im Innern sich bleibend niederzulassen. Daher wird selbst das unschuldige Treiben eines botanisirenden Arz-tes keineswegs gern von ihnen gesehen. Fände er, meinen sie, kostbare Krauter, so könnte bald eine Armee nachfolgen, die Einsammler zu beschützen. Mein Reiseplan war, von Oran zuerst nach Mascara, der innern Hauptstadt der westlichen Provinz und Abd-el-Kader's bisheriger Residenz, unter dem Schutz irgend eines Arabers in des Emirs Diensten, zu gehen. Dort wollte ich bei dem französischen Consul einige Wochen zubringen und mit ihm über die besten Mittel mich besprechen, um weiter in die innern unbekannten Atlasgegenden vorzudringen. Von Mascara Wollte ich nach Tlemsan, von dort über die Steppen der An- gads, nach dem Kobla, der westlichen Fortsetzung des Blad-el-Dscherid reisen, wo möglich einige der nördlichen Oasen der Wüste berühren und dann über Tekedeut, Miliaria und Medeah nach Algier zurückkehren. Die vielen Schwierigkeiten, welche der Arwohn der arabischen Häuptlinge, der wü-thende Christenhass der Stämme im Innern und die noch so wenig befestigte Herrschaft Abd-el-Kader's in Kobla diesem Unternehmen entgegenstellen würden, sah ich sehr wohl voraus, beschloss aber, wenigstens kein Mittel unversucht zu lassen, die einflussreichen Grossen Abd-el-Kader's durch Geschenke, Versprechungen und lockende Vorwände für mein Unternehmen günstig zu stimmen und durch möglichste Verstellung ihr Misstrauen zu beschwichtigen. Ich baute meine Hoffnung besonders auf den persönlichen Charakter Abd-el-Kader's, der viql leutseliger, zugänglicher, vorurteilsfreier ist, als die grosse Mehrzahl seiner Häuptlinge. Fr hatte wenige Monate zuvor meine Freunde Bodichon und Berbruggcr zu Hamza freundlich aufgenommen und beiden, welche einen ähnlichen Flau im Kopfe hatten, Schutz, Empfehlungen und Escorten versprochen, sobald sie zu ihrem Vorhaben gerüstet, ihn in Medeah oder Mascara aufsuchen würden. Die beiden Herren waren von des Emirs liebenswürdiger Aufnahme ganz entzückt, fürchteten aber gleichwohl, all' seine Worte möchten nicht sehr ernst gemeint gewesen seyn und der schlaue Araberfürst am Ende wieder Ausflüchte in Bereitschaft haben, wenn sie reisefertig sich bei ihm melden würden. Je nach dem Rath des Consuls Daumas, der Land und Leute besser kannte als ich, wollte ich mich für einen botanisirendeu Arzt, für einen Bergmann oder für einen speculirenden Händler ausgeben und traf meine Anstalten, jede dieser Hollen, so wie es die Umstände verlangten, zu spielen. Geuerallieutenaut Rapatel, Obercommandant der Proviuz Oran, gab mir zu diesem Zweck einen dringenden Empfehlungsbrief an den französischen Consul. An den Arzt des Consulats, Herrn A armier, hatte mich Herr Dr. Guyon, Stabsarzt der Armee, der bei jeder Gelegenheit mich nach all seinen Kräften unterstützte, eben so warm empfohlen, endlich hatte ich auch Briefe für die beiden Dragomane: Ben-Amram und Ayas, so dass ich auf die freundliche Mitwirkung aller dieser beim Consuhtt angestellten Personen zum Gelingen meines Planes zählen zu dürfen glaubte. Die Verbindungen zwischen Oran und Mascara waren damals, ohngeachtet der Friede schon ein Jahr währte, noch gar nicht häufig. Zu furchtbar war der Hass zwiscbeii Arabern und Europäern durch die Scheusslichkeiten eines erbarmungslosen Krieges entflammt worden, als dass man sich so schnell wieder an einen freundlichen Verkehr gewöhnen mochte. Raub und Meuchelmord hatten trotz des Vertrags an der Tafna noch nicht aufgehört und von beiden Seiten gab man sich kaum die Mühe, den feindseligen Grimm zu verbergen. Eine Woche vor meiner Ankunft waren die Leichname zweier Soldaten in der Umgegend gefunden worden, was die Erbitterung und den Schrecken der Europäer neu aufregte. Als ich in einer Gesellschaft von Officieren von meinem Vorhaben, nach Mascara zu reisen, sprach, hörte ich sehr ge-theilte Meinungen über die Räthlichkeit einer solchen Reise. Die Mehrzahl meinte, es sey einige Gefahr dabei, selbst wenn man einen zuverlässigen Führer habe. Ein anwesender Militairarzt sagte sogar im vollem Emst, er würde sein Testament machen, bevor er ein solches Unternehmen begönne. Ich sprach nun über meinen Plan noch einmal mit dem General Rapatel, dessen Antwort nicht eben sehr beru- higend lautete. Er für seine Person, sagte er, werde sich nimmermehr entschliesseu, sich allein solchen treulosen Wilden anzuvertraueu , indessen glaube er, dass in diesem Augenblick eben keine besondere Gefahr sey; übrigens entschuldigte er sich, dass er die Verhältnisse noch nicht recht zu beurtheilen vermöchte, da er erst ganz kürzlich das Commau-do der Provinz übernommen*). Er verwies mich deshalb an den Chef seines Geueralstabes, Obristen Maussion. Ich traf diesen würdigen Officier am Abend darauf bei dem General Rapatel au der Tafel; seine Auskünfte beruhigten mich vollkommen. Obrist Maussion hat selbst eine Zeit lang den Posten eines Consuls bei Abd-el-Kader nach dem tragischen Ende des Commaudanten Menonville versehen. Auf seiner Reise nach Mascara, wie während seines dortigen Aufenthaltes hatte er alle Gelegenheit, die politischen Zustände im Innern zu beobachten und nützte dieselben auch auf das Beste. Seine Schilderung des Lebens von Mascara, der politischen uud militairischen Organisation des neuen arabischen Staates, die Nachrichten, die er über Tekedent, Abd-el-Kader's neu-gegründetc Residenz eingezogen hatte, spannten meine Erwartung nicht wenig und ich fand mich andern Tages früh 5 Uhr reisefertig und in der muthvollsten, von den schönsten Hoffnungen erfüllten Stimmung in dem Hofe der Generals-wohnung ein. Dort stand der kleine Convoi, mit dem ich die Reise machen sollte, gerüstet und ich lernte zwei liebenswürdige Begleiter kenneu, die nur Vergnügen und Neugierde zu dem Ausflug bewogen. Der französische Cousul in Mascara war damals Herr •) General Kapatel stand vier Jalir in Algier als Commandant der Truppen und zeichnete sich dort bei häutigen Anlässen durch seine bewundernswürdige persönliche Tapferkeit aus. Daumas, Capitän im zweiten Regiment der berittenen Jägr von AI«ika, der im Rufe eines eben so tüchtigen und gebildeten Officiers, als gewandten Diplomaten steht. Obwohl er mit seinem Gefolge, welches aus einem Arzt, zwei Dolmetschern und eiuigen militairischen Dienern bestand, inmitten einer ganz arabischen Stadt ein sehr zurückgezogenes und nüchternes Leben führte, war es ihm doch bei aller Enthaltsamkeit nicht möglich, mit den spärlichen Producten auszureichen1, die das arme Land ihm bot. Alle drei bis vier Wochen versah ihn daher ein kleiner Convoi von Lastthiercn mit den einer französischen Tafel notwendigen Bedürfnissen. Wein, Zucker, sowie die kleinen Munufacturwaaren, deren Unentbehrlichkeit man erst in einer von aller Industrie ent-blössten Gegend recht drückend fühlt, wurden ihm auf diese Wreise zugeschickt. Die Führer der Maulthiere waren französische Soldaten des Fuhrwesens, welche die Reise gar nicht ungern machten, da sie im Consulat sich jedesmal ein paar Tage ausruhen konnten, in Mascara an den wunderlichen Sceneu eines rein afrikanischen Lebens sich ergötzten, endlich auch in jener wohlfeilen Stadt allerlei kleine Einkäufe, besonders an Geflügel machten, ihre leeren Maulthiere damit beladen und diese Rückfracht iu Oran wieder vortheilhaft verkauften. Solche Convois begleitete immer ein Araber im Dienst Abd-el-Kader's, welchen der Ckil, d. h. Consul, des Emirs in Oran auf das Verlangen des Generals zu dessen Verfügung stellte. Mit einem solchen Transport machte ich die Reise. In Oran hatte ich mir ein mittelmässiges Pferd für fünf Franken täglich gemiethet, mein Gepäcke wurde mit auf die Maulthiere des Convois geladen. Der Lieutenant Daumas und Herr Varlet, ein junger Militairarzt, waren mir wil-kommene Reisegefährten. Es war den 26. März, als unser kleiner Convoi, nachdem wir dem wackern Rapatel und seinem Ordonanzofficier Saphore lange und herzlich die Hände geschüttelt, als ging es zu einer weiten gefährlichen Reise fort, zu dem ostlichen Thore hinaus und dann langsam über das damals noch frisch-grüne Plateau von Oran fortzog. Unser Führer, ein schon ergrauter Beduine, ritt in der den Arabern eigentümlichen Haltung, in einen schmuzigbraunen Bernuss gehüllt, auf einem Maulesel, der so grau und abgelebt aussah, wie sein Reiter; im Laufe der Reise aber beschämten beide unsere wohlgemästeten Thiere und meine noch wohlgenährteren Begleiter durch ihre Rüstigkeit und Ausdauer. Da uns viel daran liegen musste, unsern Führer, ohne dessen Schutz wir in den ersten Stunden gleich ermordet werden wären, freund-I'k Ii für uns zu stimmen und bei guter Laune zu erhalten, so ritt ich an dessen Seite und suchte ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Auf die erste gewöhnliche Frage in diesem Land: „Wasch-Halek, Sidi, wasch hinta?" (Wie gehts dir Herr) erwiederte er ein mürrisches „Pehaor" (gut) und beantwortete meine übrigen Fragen über den Weg und das Wetter iu demselben kurz abstossenden Ton. Es lag ein gar im heimlicher Ausdruck in seinen harten Zügen, und so oft sein Auge hinter den rauhen Wimpern mich tückisch anfunkelte, wie der Blick der Hyäne, da berührte ich last unwillkürlich meine Pistolen und schaute zurück nach meinen Begleitern, die aber ganz sorglos nebeu den Lastthieren ritten. Wir kamen nicht weit vor einem fliegenden französischen Cavalnielager vorüber, welches alljährlich im Grünen nur so lange aufgeschlagen wird, bis die Pferde die so kräftigen Frühlingspflanzen abgeweidet haben, was die Thiere für das ganze Jahr stärkt und munter macht. Graf Saint-Fargeau, Escadronchef, com- • tu, _ t inandirtc dieses improvisirte Lager. Er hatte mich wenige Tage zuvor freundlich eingeladen, iu seinem Lciuwand-häuscheu einzusprechen und entomologische Promenaden mit ihm zu machen, und ich wäre gar gern zu ilim hinübergegangen, aber in der Furcht, deu Weg zu verfehlen und meine Gefährten nicht zeitig genug wieder einzuholen, unterliess ich es um so mehr, als gerade in dieser Gegend die Wegelagerer der Garrabas am häufigsten lauerten, um isolirte Europäer zu plündern oder auch zu morden, blos aus fanatischem Hass. Nach einem dreistündigen Ritt verliessen wir das französische Gebiet, welches von dieser Seite ein fünfhundert Me-tres breiter Sumpf von dein Reich des „Sultans Abd-el-Kader" trennt. Wir betraten die Ebene Tlelat, ein ziemlich ausgedehntes, aber wenig fruchtbares Gefilde, überschwemmt mit Morästen und dichtem unausrottbarem Buschwerk. Hier begann wirklich jene ungeheure Menge von Landschnecken sich zu zeigen, von der mir die Begleiter der Expedition nach Mascara so oft erzählt hatten. Es waren aber wenig verschiedene Arten darunter. Die ungeheure Mehrzahl bildete die Helix saffarina, deren weisses Gehäuse mit saJfraubraunem Munde alle Büsche und Bäumchen umher recht zierlich dcco-rirte. Obwohl ich sie auf jeder Pflanze fand, so scheint doch ihr Lieblingsaufenthalt der Brustbeerstrauch zu seyn, das häufigste Gewächs der Ebene Tlelat. Gleich einem viele tausend Ellen laugen Gewinde von Perlenschnuren ziehen sich diese zierlich weissen Schnecken durch das unabsehbare Blätternetz der Brustbeer- und Mastixsträuche, der Zwergpalmen, der Philyreastaude, des Johannisbrodbäumchens. Der bewegliche Schneckenflor gestaltet sich oft zu den wunderlichsten Zierrathen, bald sind es Blüthen, bald Schneeflocken, bald ganze Kronleuchter und Sterne, die an den Zweigen schweben. Manche entlaubte Gewächse sind so dicht besetzt, dass mau durch keine Lücke die Rinde mehr entdeckt und nun einen ganzen Conchylicnbaum dem Boden entsprossen wähnt. Die französische Armee wurde durch diese Schnecke fast von dem Hungertode gerettet. Auf dem Rückzüge von Mascara, wo das Heer des Marschalls Clauzel, matt vom Marsch und strenger Diät, den Bivouac bezog, da schmauste Alles, vom Tambour bis zum Obristen, gekochte Schnecken. „Ich weiss kaum,**' erzählte mir der Capitän Magagnos, „was ohne diese harmlosen Mollusken, die wohl nie geahnt, dass sie eine herzogliche Mahlzeit*) würzen mussten, aus uns geworden wäre, Unsere Mägen waren damals hohl wie Luftballons und unsere müden Beine wollten sie nicht mehr tragen." Die Ebene Tlelat bewohnt der Stamm der Garrabas, traurig berühmt in dem Krieg mit den Franzosen durch seine Barbarei, wie durch seine Raub- und Kampflust. Es waren die Garrabas, die an der Makta dem geschlagenen Heer des Generals Trezel am furchtbarsten zusetzten und die Nachzügler in Stücken hieben, die Herrn Defrance gefangen nahmen und 1^37, während der General Bugeaud an die Tafna ausrückte, die Zmelas, einen mit den Franzosen verbündeten Stamm, überfielen, dessen Weiber und Kinder würgten und dessen Heelden raubten. Die Garrabas sind in der Provinz Oran dasselbe, was die Iladschuten in der Provinz Algier sind. Sie spielen die gleiche freche Häuberrolle, immer gerüstet zu Ueberfällen auf das französische Gebiet, immer lauernd auf einzelne Wanderer, Jäger und Verirrte, immer bereit, ') Der Herzog von Orleans tlieilte bekanntlich damals die Entbehrungen der Armee. mit ihren Familien und Heerden in die Berge zu fliehen, so oft eine französische Colonne ihnen deu Besuch erwiedern, ihre Räubereien rächen will. „Es sind famose Mörder" — sagte Abd-el-Kader einst dem Consul — „aber meine besten Krieger." Die Garrabas sind weit zahlreicher als die Hadschuten und können über 2000 Reiter stellen. Die Beni-Ammer und die Flita sind zwar noch mächtiger an Zahl, aber bei weitem nicht so kriegerisch und gefürchtet, wie die Garrabas. Es war ein gewiss für meine Gefährten peinliches Gefühl, das Gebiet dieser Barbaren zu durchziehen , ohne andern Schutz als den eines Führers von ihrem Schlag und ähnlicher Sinnesari, im Hass gegen die ('bristen grau geworden, und obwohl von dem Lkil beordert, uns sicher zu geleiten, schien er doch keineswegs gelaunt, im Falle eines Angriffes für unsere Vcrtheidigung viel zu thuu und zu wagen. Dabei trug er nicht einmal Wallen und obwohl er im Dienste des Emirs stand, dachten wir kaum, dass sein zerlumptes bettelhaftes Aeussere seinen Landsleuten viel Respect einflössen könne. Hätte Abd-el-Kader wohl unsern Tod zu rächen gewagt, Wenn wir vor den Augen unsere Führers erschlagen worden wären l wenn seine Muslims ihm gesagt hätten: „Du willst das reine Blut der Gläubigen vergiessen als Sühnopler für das ungläubischc der hündischen Rummis" — würde er, der nicht, wie die türkischen Beys, durch Tyrannei und Schrecken herrscht, sondern seine Macht einzig auf seine geheiligte Marabutswürde, auf den religiösen Fanatismus seiner Stämme baut, würde Abd-el-Kader wohl gewagt haben, seinen furchtbarsten Stamm, seine beste Stütze im Felde zu züchtigen um der Ermordung einiger Christen willen i Und wenn auch keine Feindseligkeit des ganzen Stammes zu furch- tcn war, wer sicherte unser Leben gegen die Kugel irgend eines einzigen Fanatikers, der aus den dichten Büschen schiessen konnte, ohne je eine Entdeckung fürchten zu dürfen? Wer weiss, wie gering eigentlich die Gewalt ist, die ein Khalifa über die Scheikhs, ein Scheikh über die gemeinen Araber übt, wie locker die Bande des Gehorsams sind unter Barbaren, dte keine Disciplin ertragen, wie saumselig sich die Häuptlinge immer zeigen, Unbilden zu strafen, die gegen die Ungläubigen begangen worden, wer die ganze anarchische Verfassung, deu ungebändigten Charakter, die Treulosigkeit des arabischen Volkes kennt, der mag wohl unser banges Herzklopfen natürlich finden, bis mit der Gewohnheit an die Nähe der Gefahr eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn auch keine Beruhigung unter uns wiederkehrte. In den ersten Stunden spähten wir durch das einsame Buschgelible, ohne irgend etwas von einer Araberwohuung zu entdecken. Oft genug täuschte uns die aufgeregte Phantasie, so dass wir die wunderlich gestalteten Gruppen der Pistaciabüsche in der Ferne für kamelshärene Zelte, den weissen wehenden Lappen eines Marabutgrabes für den Bernuss eines lauernden Beduinen, das wimmernde Geheule der Schakale für das Kampf-geschrei der Garrabas hielten. Mit der Entdeckung der häufigen Täuschung schwand auch in uns endlich mehr und mehr jenes unheimliche Grauen und am Ende ritten wir ziemlich wohlgemuth durch die Wildniss fort. Unser alter Führer war öfters weit hinter uns zurückgeblieben, um zu beten. Da es jetzt düsterer wurde, beschlossen wir, ihn nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Die Sonne war im Untergehen, der greise Araber stieg wieder von seinem Maulesel, der, an diese Pausen gewöhnt, geduldig wartete, während sein Herr auf die Seite trat, sich nieder-1 war!', die Stirn auf den Boden drückte und in tiefer Andacht versenkt liegen hlieb, bis der letzte rothe Strahl verglommen; dann fuhr er auf, wie in epileptischen Convulsionen. Jetzt erst gewahrte er uns hinter ihm als Zeugen seines Gebetes. Ein giltiger Blick schoss aus seinen Augen und mit einem wüthendon „Emschi, emschi" (Geht fort, geht fort!) scheuchte er uns aus seiner Nähe. Als er uns später wieder einholte, war er zu unserer Verwunderung ganz freundlich und fragte uns, ob wir nicht die Nacht in einem nahen Duar zubringen wollten, denn wenn wir noch eine Stunde weiter ritten, so kämen wir an keinem arabischen Dorf mehr vorbei. Obwohl wir gewünscht hätten, einen Theil der Nacht hindurch zu reiten, um andern Tags zeitig iu Mascara einzutreffen, nahmen wir doch den Vorschlag unsers Führers gern an, denn die Packpferde waren müde und hätten ohne Fütterung nicht mehr weit gehen können. Auch für uns hatte die Aussicht auf ein lustiges Bivouacfeuer, eine Schüssel Milch und ein Nachtlager unter warmen Zelten etwas Einladendes, önser Beduine ritt nun seitwärts mitten durch das Dickicht. Bald geriethcn wir in eine furchtbare Buschwilduiss ohne irgend eine Spur von einem Weg. So ging es fort durch Dick uud Dünn, unsere Pferde schnaubten, die Maulthiere schrieen, aber der alte Führer trabte munter vor, ohne sich nur umzusehen und schien keinen Augenblick zweifelhaft über den Weg. Nach einem halbstündigen Ritt erreichten wir einen grossen lichten Platz, der bedeckt war mit schwarzen Zelten und weidenden Heerden. Im ersten Duar weigerte man sich, uns aufzunehmen. Wir sahen nur W7eiber und Kinder, die uns voll Gift und Bosheit angrinsten und mit Schimpfreden weiter gehen hiessen. Vor dem zweiten Duar unterhandelte unser Führer lange mit dem Scheikh, einem eben so alten, zerlumpten und hasslichen Beduinen, wie er. Endlich wurde uns erlaubt abzusteigen. Unsere Maulthiere durften neben dem Duar grasen, ein Zelt wurde uns zum Nachtlager aufgeschlagen und diese Wilden, die uns anfangs mit so linstern Mienen enpfangen hatten, dass wir alle ein wenig bleich wurden, nahmen nach einigem Plaudern und näherer Bekanntschaft freundliche Mienen an, setzten sich neben uns an ein grosses Feuer und fragten nach Neuigkeiten, namentlich was wir von Milud-Ben-Arasch, der damals als Abd-el-Kader's Gesandter iu Paris war und als der Sohn eines Marabut der Garrabas bei diesem Mann in hohem Ansehen stellt, gehört hätten? Unter Plaudern und Singen ging ein Theil der Nacht vorüber, dann streckten wir uns gemächlich unter den kamelhärenen Palast, den man uns aufgerichtet hatte und ich schlief, meine Doppelflinte in den Armen, inmitten dieser Räuber so ruhig sorglos ein, wie am Herde meines Vaterhauses. Beim Erwachen hatten wir noch alle den Kopf zwischen den Schultern — das war fast mehr, als wir erwartet hatten. In der Provinz Algier bat man von jener grossen Vereinigung schwarzer Beduinenzelte, die manchmal den Umfang einer kleinen Stadt einnehmen, von einer Menge Familien und ungeheuren Heerden bevölkert sind, gar keinen Begriff. Dort zählen die Duars selten mehr als acht bis zwölf von Kamelhaaren gewebte luftige , schwärzlichgrauc Häuschen. In der Provinz Oran, in den südlichen Städten der Provinz Constantine und Titeri, im Süden der Regentschaften Tunis und Tripolis giebt es dagegen solche Duars, die bis zu 500 Zelte haben, welche durch mehr oder minder grosse Lücken getrennt stehen, aber einen regelmässigen Kreis bilden und die Wohnart eines Hirtenvolks in seiner grossen Eigentümlich- keit zeigen. Dieser Duar der Garrabas war der grösste, den icli in der Berberei gesehen habe und mochte wohl einige hundert Familien fassen. Um die schwarze Zeltstadt lagerte eine ungeheure Heerde von llausthieren aller Art, einige tausend Schafe von meist schwarzer Wolle, lustig springende Geisböcke, Kühe und Ochsen ziemlich mager und klein, endlich die Riesen der Heerden, die Dromedare, deren fahle Häupter und Höcker wie Folskluinpen aus der bewegten viermaligen Menge herausragten. Neben dem Blöken, Brüllen und Schreien dieser Thiermasse bellten die weissen langhaarigen Beduinenhunde, halb Schakals, halb Bullonbeisser, welche Fremde witterten, fast ohne Aufhören. Die Araber bewohnen am liebsten recht einsame von allen Wegen entfernte Stellen, wo nur der Rauch der Kochfeuer manchmal ihren Aufenthalt verriith. Sie wollen dadurch sowohl der Zudringlichkeit ihrer reisenden Glaubensgenossen ausweichen, welche ausserdem die arabische Gastfreiheit ein bischen gar zu oft iu Anspruch nehmen würden, dann auch ihren Feinden die Annäherung erschweren, Einem französischen Truppencorps wäre es nicht möglich, den Weg durch so dichtes Gestrüppe sich zu bahnen, ohne lange vor seiner Ankunft von den (Jarrabas bemerkt zu werden, und dies»; könnten in einer Viertelstunde Heerden und Zelte in Sicherheit bringen. Die Garrabas waren zur Zeit unserer Durchreise mit den Beni-Ammer in Krieg verwickelt. Beide Stämme plünderten Duars, raubten Heelden und tödteteu sich gelegentlich Leute. Abd-el-Kader war abwesend in Medeah und auf die Befehle seiner Khalifäs und Agas zur Beilegung des Streites wurde nicht viel gehört. Ein aufgeworfenes Hügelterrain, Vorläufer des Atlas, welches man in diesem Land fast immer in gleicher Entfer- nung vom Meer bemerkt, scheidet die Ebene Tlelat von der weit schönem, grössern und fruchtbarem Ebene des Sig oder Habrah oder auch Ebene von Ceirat genannt. Der Wald von Muley-Ismael bedeckt jenes erhöhte Terrain und enthält eine ziemliche Mannichfaltigkeit an niedcrn Bäumen uud Gesträuchen des Südens. Der Mastixstrauch doininirt dort. Ausserdem aber kommen wilde Olivenbäume, afrikanische Tamarisken, Pinien, Johannisbrot!bäume, südliche Eichenar-ten und namentlich Brustbeersträuche in Menge vor. Iu diesem Wald ist nach der Versicherung der Araber die Lieblingsresidenz der Löwen. Unser Führer ricth uns dringend, hier nie während der Nachtzeit zu reisen. Ein Löwe, sprach der Araber, lauere auf dem Wege, und zugleich fing er an, uns eine Menge Anekdoten uud Märchen über den Löwen zum Besten zu geben. Er hatte noch nicht geendigt, als wir längst die waldigen Strecken von Muley-Ismael und folglich auch die Löwen im Rücken hatten. Die prachtvolle Ebene des Sig, ein unabsehbares grünes Gefilde, lag vor unsern Augen. Dort gewahrten wir eine Menge Duars in der Nähe des Weges, sehr zahlreiche Heerden und viele Marabutgräber. Diese Marabutgräber erscheinen iu Nordafrika unter dreierlei Formen. Stirbt ein gewöhnlicher Miirabut, deren es in jedem Duar einige giebt, so errichten die Araber blos eine niedrige Ringmauer über seinem Ruheplätzcheu und pflanzen in der Mitte eine weisse Fahne oder auch nur einen Tuchlappcn auf. War der ver-scliicdene Heilige ein Marabut von Bedeutung, der über mehrere Stämme seinen religiösen Einfluss übte, so wird eine kleine Kapelle über seinem Grab gebaut. Diese Kapellen, deren man im ganzen Lande, auch in den einsamsten Gegenden, sieht, haben auf der Decke eine runde Kuppel, sind Moritz Wagner's Algier. I. 25 weiss angestrichen und nehmen sich, aus dem Grün der Ca-ctushiiume oder von der Höhe eines Berges blickend, ungemein pittoresk aus. lieber den Gräbern der berühmtesten Marabuts, welche im ganzen Lande umher geehrt und gefeiert waren, errichten die Araber Moscheen mit Ringmauern umgehen. Einige Thalobs'oder Einsiedler bleiben dort als Wächter, und die Moscheen werden von Andächtigen nie leer. Solche grosse Marabuts, deren Andenken durch eine so hohe Auszeichnung gefeiert wird, giebt es übrigens nicht viele. Sidi-Muhiddin, Abd-el-Kader's Vater, war von der kleinen Zahl der grossen Heiligen des Laudes. — linsen' Reise durch die Ebene des Sig war etwas langsam, da unser alter andächtiger Führer vor jedem Grabe vom Pferde stieg und sich betend wie ein Wurm krümmte. An der südlichen Glänze der Ebene Iiiesst in südöstlicher Richtung der Sig, ein kleiner Fluss, dessen hohe, senkrecht abgeschnittene Ufer zwei fortlaufenden Mauern gleichen. Das Wasser desselben hat eine dunkelbraune Farbe. Die Araber behaupten, der Sig sey ein giltiger Fluss und die Thiere fielen von dem Genuas seines Wassers todt; sie sagen, jeder Reiter, der sein Pferd dort trinken lasse, solle immerhin nur mit dem Sattel und dem Zaume weiter ziehen und sein Ross den Kuben lassen. Eine Stunde südlich vom Bette des Sig beginnt die erste Kette des Atlasgebirges, deren Zug hier von Osten nach Westen geht. Man muss drei dieser Bergketten bis Mascara übersteigen. Zwischen den Dünenketten durchzieht man wunderschöne Gebirgsthäler, bedeckt mit einer äusserst üppigen, wiewohl nicht sehr maniiichlältigcn Blumen Vegetation. Wir bewunderten namentlich die herrlichen niederu Orchis-arten. Einzeln und selten zeigte sich auf den Bergrücken der Mastixbaum des Atlas, Pistacia atlautica, der dem gemeinen Mastixbaume ganz ähnlich ist, aber zuweilen eine Höhe von sechzig Fuss erreicht. Denselben Daum hatte ich in der Umgegend von Constantine gefunden. Wir kamen am 27. März erst in ziemlich später Nacht in Mascara an. Der Dragoman Ben - Amram war uns eine Stunde weit entgegen gekommen uud hiess uns im Namen des Consuls freundlich willkommen. Der Ritt wurde immer ermüdender. Hohe Bergrücken hinauf und hinunter; kein Lichtflimmer, kein indiistriöses Geräusche, noch weniger ein Laut der Freude kündigte die Nähe der Stadt au und wir wurden Bab-Ali, Mascaras grösster offener Vorstadt, erst gewahr, als wir mitten darin ritten. Die Thore der Stadt waren offen, keine Wache war zu sehen, kein Gensdarme kam, nach unsern Pässen zu fragen, kein Douanier, unser Gepäcke zu visitiren. In einem abscheulichen Gässchen hielten wir vor der Wohnung des Consuls, der uns vor der Thüre empfing, und nachdem er seinen Bruder umarmt hatte, uns freundlich bat, seine bescheidene Wohnung und seine noch bescheidenere Küche mit ihm zu theilen. „Sie wären mir," sagte er, als ich das Schreiben des Generals Rapatel übergab, „auch ohne diese Empfehlung meines Chefs gleich herzlich willkommen. Ich danke es jedem Fremden, der mich in meiner Einsamkeit besucht, dass ich einmal wieder Gedanken nach europäischer Weise austauschen kann. Sie finden in Mascara weder Restaurants, noch meublirte Zimmer zu mie-then und haben daher auf jeden Fall keine andere Wahl, als sich ohne Umstände bei mir einzuquartiren." Kaum süssen wir ein paar Augenblicke am Tische des Consuls, am behaglichen Kaminfeuer, als der Hakhem der Stadt, Hadschi-Bukhari, uns ein Lamm und den vortrefflichen „Ehrenkus-kusu" mit Rosinen gespickt schickte, „Es ist das erste Mal", 25 * sprach der Consul, „dass der Hakheni Europäern solche Aufmerksamkeit erweist. Sie sehen, man feiert Ihre Ankunft besser, als die meinige und die der andern Officiere, die mich besucht haben." Haid kam der Schiauch oder Gerichtsdiener, der den Tag über als Ehrenwache im Cnnsiilats-hause verweilte und erzählte, unter den Einwohnern laufe das Gerücht, ein Sohn des Sultans von Frankreich sey in Mascara angekommen. Wir lachten sehr über diese Neuigkeit und riethen scherzend, welchen von uns drei Reisenden mau wohl für den französischen Prinzen gehalten. Mascara liegt am Fusse des südlichen Abhanges der dritten Bergkette des Atlas und auf der Nordseite der prachtvollen Ebene Eggbres, 2(> Lienen südöstlich von Oran und 18 Lieues in gerader Bichtung vom Meer entfernt. Shaw, der von dieser Stadt, die doch schon seit Jahrhunderten eine der beträchtlichsten der Provinz war, nur mit zwei Zeilen Erwähnung macht und ihre Lage „in der Mitte einer schönen Ebene" angiebt, scheint Mascara nie gesehen und wohl die wenigen Angaben nur nach dem Hörensagen wiederholt zu haben. Da zu seiner Zeit, wie er selbst schreibt, Mascara keine türkische Besatzung aufnehmen wollte, so ist es um so unwahrscheinlicher, dass er die Reise dorthin machen konnte, Mascara zeigt keine Spur von Alterthümern. Die alte Victoria des Ptolemüus lag einige Stunden weiter gegen Westen. Einige wenige unbedeutende Trümmer antiker Gebäude liegen in dem nahen Dorf der Bordschia, eine Stunde von Mascara. Ich habe sie nur flüchtig im Vorbeigehen betrachten können. Mascara war die Hauptstadt des Beyliks, so lange Oran in der Gewalt der Spanier sich befand. Mit Einschluss ihrer fünf unregelmässig gebauten Vorstädte bedeckt die Stadt ein Terrain von beinahe 1,100,000 □ Schuhen. Die Vorstädte siüd offeu, die Stadt ist vou eiuer einlachen zwanzig Fuss hohen Ringmauer umgehen. Letztere ist aber dünn und baufällig und schützt die Stadt wohl gegen den Angriff einer arabischen Bande, wäre aber von einer europäischen Artillerie in wenigen Stunden zusammengeschossen. Dies sah Abd-el-Kader wohl ein, als er im Jahre 1835 seine Hauptstadt ohne viele Umstände deu französischen Plünderern überliess. Mascara ist ein über alle Begriffe elender Ort. Die Häuser sind zwar grösstentheils von Stein, nicht von Kotb gebaut, wie Shaw schreibt, aber klein, armselig, blosse Steinbutten. Die Strassen sind enge, aber belebt, die Moscheen ganz unbedeutend. Man gewahrt nicht einen hübschen aufragenden hohen Thurm, wie in allen übrigen grossen Städten des Landes, dagegen Gräber in der Mitte der Stadt. Was noch übrig geblieben von Spuren maurischer Pracht, das muss man in den zerstörten Palästen Abd-el-Kader's und der türkischen Beys suchen, die jetzt keine Seele bewohnt. So armselig auch die Wohnung des Consuls Dau-uias, so ist sie doch das einzige wohlerhaltene Gebäude. Sie hat drei finstere Stuben, einen kleineu Hof, eine Küche und Terrasse. Französische Soldaten des Genie wurden aus Oran auf einige Wochen hieher geschickt, um die notwendigsten Reparaturen vorzunehmen, uud ihnen verdankt das Häuschen deu Kamin, den Trust der Bewohner, der die kleine europäische Männerfamilie Abends zu Kaffee und Pfeife \ ersiiinmelt und wo dem wackern Consul das gemüthliche Plauderstündchen die Einsamkeit und Langeweile seines Aufenthaltes in der wildfremden Stadt einigermassen vergessen macht. Ich erzählte dort alle Scenen des Zuges nach Constantine und meine Reisen in jener interessanten Provinz, während der Consul uud seiu Arzt Vunnier mit ihren Erleb- nissen, Beobachtungen und Erfahrungen inmitten des neuen arabischen Reiches, in der Geburtsstätte Abd-el-Kader's, wo dessen Glücksstern aufgegangen und noch heute seine grüsste Stärke liegt, eben so bereitwillig auftischten. Das ist eben der so schöne, der im gesellschaftlichen Leben unschätzbare, dabei wohlthucnde und Herz gewinnende Charakterzug des Franzosen, dass er die steifccremonielle Scheidewand zwischen sich und dem nie gesehenen Fremden so schnell und mit so gutem Anstand zu überspringen weiss, dass er die verlorne Zeit einer allmäligen Bekanntschaft erspart, dass er schnell zutraulich und niemals zudringlich wird, dass seine Unterhaltung dann aus Geist und Herz ergiebig und lebendig Iiiesst, dass er selten Geheimnisse zurückbehält und den Fremden durch sein schönes Vertrauen zur Erwiederung desselben und zur Discretion zwingt — ein solch ächter Franzose so ehevalereskon Sinnes und einnehmender Manier ist der Capitän Daumass Wenn andere Diplomaten durch strenge Verschlossenheit den Vortheil haben, sich nie vor dem Fremden eine Blosse zu geben, so weiss der Consul Daumas dafür durch seine Freundlichkeit Andere zum Reden zu bringen und erfährt daher fast Alles, Avas im Lande vorgeht, wogegen er gar gern auch den Häuptlingen van Europa er/ählt, v«n den Wunderdingen der Civilisation, den politischen Ereignissen und Zeitiingsneiiigkeiteu. Ich habe die ausserordentliche Gewandtheit dieses Ofliciers im Gespräche mit den Eingebornen) die aufmerksam jedem Wort lauschen, aber nicht leicht selbst gesprächig werden, oft bewundert. Unter den scheinbar gleichgültigsten Fragen wusste er ihnen eine Menge Geständnisse abzulocken über die Vorgänge iu Medeah, wo Abd-el-Kader damals eine Expedition gegen Ain-Maadi rüstete, über die neu errichtete Pulverfabrik in Tekedent, die Kanonen- m bohrerei in Tlentsan, die Stärke und die Stimmung' der verschiedenen Stämme u. s. w> In die verschiedensten Gespräche verstand er sie zu verwickeln, um ihnen hie uud da eine unbedachtsame Aeusserung zu entreissen, uns der mau weitere Schlüsse ziehen konnte. Sehr selten endete ein solches Gespräch, ohne dass er irgend eine Mittheilung von einiger Wichtigkeit erhascht hätte. Ich erinnere mich, dass eines Abends ein deutscher Renegat Ben-Ainidu sich bei uns meldete. Der Consul Hess ihn an dein Kaminfeuer Platz nehmen und schenkte ihm reichlich ein von ilea zwei letzten Weinflaschen, die von unserm mitgebrachten Vorrath noch übrig waren. Es war ein merkwürdiger Mensch dieser Amidu, den das Schicksal auf die wunderlichste Weise herumgeworfen, aber nie vernichtet hatte, so oft auch sein Leben nur an einem Faden hing. Sein eigentlicher Name war Geistinger, er war aus Althaiern gebürtig und hatte, wie er mir erzählte, noch Verwandte in Neuburg an der Donau. Er diente in der Fremdenlegion bis 1833, wo er von den Arabern gefangen wurde oder zu ihnen desertirte, bekehrte sich zum Islam, lernte Arabisch, gewöhnte sich au die Lebensweise und den Sinn der Beduinen und schlug sich tapfer für sinnen Gebieter Abd-el-Kader bei häufigem Zusammentreffen mit den Franzosen. Er hatte dem Emir sogar ein kleines regulaires Corps herangebildet und in den Bewegungen abgerichtet, wie ein exercirtes Inlänteriebataillon. Am Ende aber erfasstc ihn doch Ueberdruss an dem genussarmen Leben Afrikas und er lief wieder zu den Franzosen, dem General Desmichcls versichernd, dass er als Soldat der Fremdenlegion von den Arabern gefangen genommen uud nun entwischt sey. Des-michels, der ihn für einen Deserteur hielt und seinen Tod wünschte, lieferte ihn dem Emir wieder aus. Der Renegal wurde auf das Fürchterlichste von den Arabern misshandelt uud verdankte sein Leben nur einer Anwandlung von Mitleiden seines Gebieters, welchem er sagte, dass er ihn nur verlassen habe, weil er unter den nüchternen Arabern seinen Hunger nicht stillen konnte uud im Elend verkümmerte. In dem Treffen an der Makta hatte Abd-el-Kader einen Mu-iiitionswagen erbeutet und wünschte diese Sicgestrophäe dem Sultan von Marokko als Geschenk zu schicken. Hei der Unmöglichkeit aber, einen schweren dickräderigen Wagen über unwegsame Gebirge zu transportiren, war der Emir sehr in Verlegenheit und er holte sich nun Raths bei dem deutschen Deserteur, denn die Araber wähnen, jeder Europäer sey mit allen möglichen Gewerben vertraut und könne gleich gut Kanonen bohren oder Dampfschiffe bauen, wie den Acker pflügen. Wenn ein Renegat dann seine Unkenntuiss vorschützt, so wird dies nur für Verstellung und Eigensinn gehalten. Amidu gab sich nun die Miene, als sey er wirklich mit der V\ ageumacherkunst vertraut. Er zerlegte die schwerfällige Maschine, liess die Räder und übrigen Thcile auf Karneole laden und trat seine Reise nach Marokko mit Geld und Empfehlungen des Emirs versehen an. „Bleibe dort, wenn es dir gefällt" — sagte der Emir zu ihm — „wenn du mich aber liebst, so brauche ich dir das Wiederkommen nicht zu befehlen." Nach einem dreissigtägigen Marsche erreichte der Reuegat mit seinen Begleitern Fez und legte dort dem Sultan Abderrahman die für ihn merkwürdige Wagenmaschine zu Füssen, Er wollte in Marokko bleiben und richtete dort ein Kaffeehaus ein mit dem Gelde, das ihm Abd-el-Kader geschenkt hatte. Es ging ihm aber auch dort nicht nach Wunsch, er machte bankerott und kehrte zu Abd-el-Kader zurück, der ihn günstig empfing und wieder in seine Dienste aufnahm. Dieser Renegat leitet gegenwärtig die Pulverfabrik in Tlemsun und kam eben von Medeah zurück, wo er vom Emir sich neue Verhaltsbefehle geholt hatte, denn er war mit Bohamcdi, dem Kbalifa von Tlemsan, in Streit ge-rathen über die Art der Fabrikation und der Emir hatte ihm Recht gegeben. Amidu war ganz zum Afrikaner geworden. Das verwitterte Gesicht, enstellt und gebräunt von langjährigem harten Feldleben und Leiden, der zerzauste Bart, die Beduinentracht hätten mich nimmermehr iu ihm einen Landsmann wieder erkennen lassen, obwohl seine Physiognomie zu den übrigen Arabern nicht passte und einem fremden, fernen Stamm anzugehören schien. Er plauderte beim Abschied lange deutsch mit mir und die Töne der Muttersprache, noch mehr das Thema des Gesprächs „Deutschland" schienen denn doch einen Funken von Heimweh zu wecken iu seinem rauhen Herzen, das mir anfangs ganz abgestorben schien gegen Gefühle ähnlicher Art. „Leben Sie wohl" — rief er, als er Abends hinaustaumelte, halb von der ungewohnten Labung, halb vom wehen Schmerz betäubt — „ich preise Sie glücklich, Herr Landsmann, Sie können Ihr Vaterland wieder sehen; ich bin verdammt, unter den Wilden zu sterben." Während der Unterhaltung mit dem Consul waren dem Renegaten auf die schlau gestellten Fragen so manche unbedachte Aeusserungen entfahren über den Stand der Dinge in Tlemsan, über das Misslingeu der Kanonenbohrerei, für welche Abd-el-Kader grosse Summen verschwendet hatte, und über die gährende Stimmung der Angads, deren zahlreiche Ilinden bereit waren, bei dem ersten neu ausbrechenden Krie seine Heilkraft zu erproben." „„Du darfst nicht bis an die Quelle gehen, denn dort liegt ein Merabat (Marabut), der die Rummis (Christen) nicht lieht. Er würde dir eine Krankheit auf deu Hals laden und das Wasser würde deinem Patienten den Tod bringen."" „Ich achte und ehre die Marabuts. Ich weiss, dass es fromme Männer sind, die durch ihre Weisheit, ihre strengen Sitten, ihren versöhnlichen Sinn eure Liebe verdienen. Die aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Christen sprechen von ihnen mit grosser Dankbarkeit, denn sie fanden immer Schutz bei ihnen gegen die Misshandlungen eurer Krieger. Ich kann nicht glauben, dass ein Heiliger, für dessen Gebeine ich alle Ehrfurcht habe, mir ein Leid thun könnte." „„Der Marabut würde dich vielleicht verschonen"" — sagle der Häuptling nach einer Pause des Nachdenkens — „„aber deine Hegleiter würde er um so gewisser krank machen."" „Sic wollen es aber auf die Gefahr hin wagen, und wenn sie krank werden, trifft dich weder Schuld noch Vorwurf." „„Der IJkil (Consul) ist mein Freund und ich will nicht, dass ihm ein Leid geschehe, so lange ich es verhindern kann."" Da ich fest vermuthete, dass nur Misstrauen der Grund dieser Ausflüchte sey, so änderte ich den Ton. „Du weisst" — sagte ich — „dass ich kein F ran sau i (Franzose), sondern ein Allmani (Deutscher) bin. Um eure Staatsangelegenheiten kümmere ich mich gar nichts. Nie hat mein Volk mit dem deinigen Krieg geführt und der Sultan von Allmania / ist der Freund des Sul tan - e 1 - M u nien in in Constantinopel. Es ist auch sehr rathsam, mit meinem Sultan gut Freund zu seyn, denn er ist, wie der Ukil dir erzählt hat, sehr mächtig. Er hat viele Kanonen und zahllose Pferde." Hadschi-Bukhari fiel mir hier lebhaft in die Hede. „„Es ist ganz einerlei, ob du ein Deutscher oder Franzose bist. Wir haben mit den Franzosen ehrlich und aufrichtig Friede gemacht und werden ihnen nicht etwas versagen, was wir einem andern Riimmi gewähren."" Am Ende willigte Hadschi-Bukhari ein, uns bis halbwegs geleiten zu lassen. Dann könnten wir aus dem nächsten Duar einen Araber abschicken, unsere Krüge an der Quelle zu füllen. Diese halbe Zustimmung erregte im Consulathause grosse Freude, denn wir hofften, einmal auf dem Wege, den Führer zu bestechen, uns bis an den Ort selbst zu bringen. Gleich nach dem Frühstück stiegen wir zu Pferde: der Capitän Daumas mit seinem Bruder, die Aerzte Varmier und Varlet und der Dragoman Amram. Unser Führer war ein Reiter des Emirs, ein noch sehr junger Mann, äusserst kräftig gebaut, den ächtarabischen Typus im dunkelgebräunten Antlitz; neben vieler Kühnheit und Energie sprach doch aus Seinem Gesichte eine wohlthuende Offenheit. Er war zu jung noch, als dass der harte, boshafte Fanatismus der arabischen Graubärte sich in ihm festgenistet hätte, und wir merkten bald, dass er ein Mensch war, auf den wir uns im Falle einer Gefahr wohl verlassen durften. Indessen hatte man diesem riesigen jungen Reiter ein Pferd gegeben so ungeheuer mager und elend, dass wir glaubten, es werde bei jedem Schritt zusammensinken. Vielleicht war dies absichtlich geschehen, um zu verhindern, dass der Führer sich überreden Hesse, uns weiter zu geleiten, als bis zu dem Punkt, welchen der Hakhem ihm bezeichnet hatte. Wir waren recht unwillig darüber und äusserten dies dem jungen Beduinen; der aber stachelte sein Pferd mit den langen Spornspitzen, warf seine gewichtige Flinte hoch in die Luft, und seinen Schlachtruf jauchzend sprengte er wie der Sturmwind über die Ebene fort. Sein magerer abgelebter Gaul wurde nun mit Einem Mal zum feurigen Wüstenross, er knirschte in den Zügel, hob den Schweif und seine lange Mähne flatterte im Wind, während sein Reiter uns einen recht trinmphirend verächtlichen Blick zuwarf. Es war dies gar prächtig anzusehen und die beiden französischen Cavalerieofficiere riefen entzückt: „Seht da den ächten Beduinen!" In unsere Pferde war nun gleichfalls die Rennlust gefahren, und da der flache Boden zu einem Wettritt einlud, Hessen wir ihnen gern die Zügel frei. Nun ging es an ein lustiges Jagen, jeder von uns wollte dem jungen Führer zeigen, dass er auch zu galoppireii verstehe. Wir legten so eine tüchtige Strecke zurück, ohne uns um Insectcn und Pflanzen am Wege zu kümmern. Die Ebene Egghres hat zwölf Stunden in der Länge und drei in der Breite. Die sie durchströmenden Gewässer sind: Der TJad-el-Hammam und der IJadel-Mausa, welche man kaum Flüsschen nennen kann. Hie Egghres ist nur von einem einzigen Stamm, den Haschems, bewohnt. Dieser ist seit etwa hundert Jahren in zwei Theile getrennt, den Haschem-Schragas uud Haschem-Garrabas, deren jeder einen besondern Kaid hat. Die Haschems können zusammen 3000 Reiter und 2000 Krieger zu Fuss stellen. An Zahl stehen sie den Beni-Ammer vielleicht nach, sind aber viel reicher, haben mehr Pferde und grössere Heerden. Sie sind diesem Stamm überdies durch viel unternehmendere Thatkraft, den Garrabas aber durch grössere Einigkeit überlegen. Ihre centrale Stellung bei Mascara macht sie entschieden zum wichtigsten und mächtigsten Stamm der Provinz. Die Ebene Egghres ist zur Hälfte mit Waizen- und Gerstenfeldern bedeckt, aus welchen die unausrottbare Zwergpalme in dicken Büschen hcrausragt. Der Boden eignet sich weit besser zum Feldbau, als zur Weide. Daher schicken die Haschems, gleich nachdem das Getreide gesäet ist, den grössten Theil ihrer Heerden nach der Ebene des Sig; viele Duars werden dann abgebrochen und die Bewohner kommen erst zur Erndte-zeit wieder. Die Egghres hat keine Moräste und ist ein völlig gesunder Wohnort, dagegen steht sie au Fruchtbarkeit, besonders an Graswuchs, der Ceiratcbene nach; ihr fehlt die reiche Bewässerung. Aus letzterer Hesse sich mit einigen Canalbauten ein überaus fruchtbarer Garten für jede Art von Cultur machen; während in der Ebene Egghres der Waizen die am besten gedeihende Pflanze bleiben wird. Als wir über die goldgelbe ährenbedeckte Flüche hinsahen, rief der Consul scherzend: „Sehen sie doch, wie hier dem General Bugoaud das Herz lachen müsste, hier könnte er sengen uud brennen nach Herzenslust." Dabei sahen wir auch die Unmöglichkeit, die Araber durch solche Mittel, wie Bugeaud vorgeschlagen, zur Unterwerfung zu zwingen, denn in der Ebene Egghres allein hätte man vielleicht einige Wochen gebraucht, um alle Felder, die durch leere Strecken getrennt sind, zu zerstören. Hechts von unserm Wege zog sich eine Bergkette hin; mehrere Hügel waren in südlicher Richtung von ihr abgetrennt. Einer dieser isolirten Hügel hatte eine auffallende Gipfelform. Ungeheure, wie es schien losgetrennte Felsblöcke von phantastischen Formen waren oben über einander geworfen, deutlich konnten wir aber gar nichts entdecken, denn der Hügel ragte wenigstens 800 Fuss über der Fläche. „Es ist der Kediut-Meskhutin, der verfluchte Hügel" — erzählte unser Araber — „dort oben sitzen verschleierte Weiber auf Kameelen und Musiker mit dem Arabebah und dem Gas-bah *), die Allah in Stein verwandelt hat." Wir baten ihn sehr, uns mehr von dem Spuk zu sagen, er antwortete aber leise und furchtsam, dass er weiter nichts wisse. Während meine Begleiter neugierig hiiiaufschauten, bemerkte ich, wie der junge Araber in seinen Bernuss sich hüllte und leise betete. Als wir vorüber waren, schien er von einer drückenden Angst befreit. Andern Tages kam er zu uns auf ein Tässchen Kaffee und erzählte auf unsere wiederholte Bitte, nach langem Widerstreben, die über diesen verzauberten Berg in der Gegend herrschende Sage *<*). Er versicherte auch, dass er beim Vorüberrciten die Arabebahtönc oder gespenstigen Musiker und den Hochzeitstriller der steinernen Kameel-reitcrinnen deutlich vernommen habe; unsere ungläubigen Ohren haben gar nichts der Art gehört. Uebrigens bedauerten wir sehr das W'under nicht iu der Nähe besichtigen zu können. Der Hügel lag abseits und wir hätten für diesen Tag auf den Besuch der heissen Quellen verzichten müssen. Als wir an der Stelle angekommen waren, welche der Hakhem dem Führer als unser Ziel bezeichnet hatte, weigerte sich dieser, weiter zu gehen. Wir waren darauf gefasst. Ich drückte dem jungen Araber zwei spanische Piaster in die Hand und versprach ihm noch eben so viel, wenn wir von der Quelle zurückgekehrt wären. Er wog das Geld in der *) Musikalische Instrumente der Beduinen. Das Arabebah ist einer Tamburine ähnlich, das Gasbali ist ein Blasinstrument. *•) Siehe II. Bd. am Schluss. Moritz Wagner's Algier. I. 28 Hand, Hess sich das Versprechen noch einmal wiederholen und sagte endlich entschlossen „zehn Budschus! — nun kann mir der Hakhem meinetwegen zwanzig Hiebe geben lassen." Nachdem wir drei Stunden Weges zurückgelegt, Hessen wir die Ebene hinter uns und betraten das Bcrgland, wo der Weg viel schwieriger und steiler wurde. Es ist hier die gewöhnliche Reisestrasse von Mascara nach Tlemsan. Eine Armee könnte aber, wenn auch nur mit Bergkanonen und leichten Bagagewägen, kaum passiren, da selbst Reiter sehr langsam, sehr vorsichtig reiten müssen, um nicht über kleine Abhänge und Steingerölle zu straucheln. Man fühlt hier den Nutzen des arabischen Pferdes recht dankbariieh. Ich habe iu diesem Land manchmal in dichter Finsterniss, bei Wind und Nässe recht beschwerliche Märsche durch unbetretene Buschgegenden oder über Höhen voll glitschender, durchweichter Lehmerde uud Gerolle gemacht uud bin niemals durch die Schuld meines Pferdes gestürzt. Die französische Cavalerie, die jetzt durchaus nur Landespferde reitet und mehr und mehr den Worth dieser unermüdlichen und sichern Pferde anerkennt, könnte in diesem Bergterrain gewiss fortkommen, während für die Passage der Geschütze und Bagagewägen erst manche Hindernisse weggeräumt werden mussten. Meine militairischen Begleiter hielten einen Armeezug hier ohne vorgäugige Arbeiten nicht für möglich. Indessen erinnere ich mich, von Constantine ganz ähnliche Reden von manchen sachverständigen Officiereii des Genie und der Artillerie gehört zu haben, und doch wurden dort die schweren Vierundzwanzigpfünder in wenigen Stunden über ein noch weit schwierigeres Terrain während des ungünstigsten Wetters gebracht. Nach zweistündigem Ritt öffneten sich die Berge zu einem breiten Tbal. Die Höhen umher waren 3—4000 Fuss hoch und bis zu den Gipfeln mit Gruppen von wilden Bäumen überstreut, die ich in keiner Atlasgegend schöner gesehen habe. In der Ferne däuchte uns der grüne Thalgrund mit Beduinen oder mit Thiergestalten bedeckt; als wir näher kamen, merkten wir, dass es arabische Grabsteine waren, die zu drei aus dem Boden ragten. Bald trat auch im westlichen Hintergrund das weissliche Marabutgrab hervor, um welches die übrigen geringeren Todtenwohnungen wie um einen Thron gruppirt stehen. Sidi-Hanefiah scheint ein Heiliger ersten Ranges gewesen zu seyn, denn sein Grab ist mit einer Mauer umgeben, eine kleine Moschee ist daneben gebaut und Thalebs wohnen hier, die das Grab bewachen, und dem Pilger Obdach geben. Kaum hatte man uns Reiter von Weitem erblickt, als die Wächter ganz erstaunt aus ihrem Häuschen kamen. Wir waren wohl die ersten Christen, die in dieses einsame Thal gedrungen. Der vornehmste Thaleb plauderte mit unserm voraugerittenen Führer, und schien ihm Vorwürfe zu machen, dass er Ungläubige nach diesem heiligen Ort gebracht habe. Er weigerte sich auf das bestimmteste, uns bis an die Quelle gehen und Wasser schöpfen zu lassen. Gegen diesen fanatischen Menschen war mit guten Worten nichts auszurichten; selbst unser Geldancr-bieten wies er zurück. Wir standen ärgerlich und unschlüssig da. So nahe am Ziel sollten wir wieder umkehren, ohne unsern Zweck erreicht zu haben! Obwohl die Leute unbewaffnet und keine Duars iu der Nähe waren, wären uns Gewalt und Drohungen doch in solchem Falle schlecht bekommen. Ich zog endlich einige neue spanische Piaster hervor und zeigte sie dem Thaleb. Er weigerte sich noch immer, wir merkten aber doch, dass es ihm Kampf kostete, 28* denn so sehr er sich bemühte, seine Augen von dem gemünzten Silber wegzuwenden, schielte er doch darnach. In dem Araber sind religiöser Fanatismus und unersättliche Begierde nach baarem Gelde gewiss die zwei mächtigsten Leidenschaften und häufig gegen einander im Kampfe. Diesmal siegte die letztere, denn eben als die blanken Piaster wieder in meine Tasche rollen wollten, streckte der heilige Mann die Hand verlangend darnach aus und erklärte, dass ich allein bis zur Quelle gehen dürfte, meine übrigen Begleiter mussten zurückbleiben. Ich folgte ihm in der Richtung des Marabuts. Die Quelle Iota etwa dreissig Fuss über dem Boden aus der Höhlung eines Felsens und füllte dort ein kleines Becken, das nur awei Zoll tief war und fünf Fuss im Umfang hatte. Der Behälter musste früher viel grösser und tiefer gewesen seyn, sein Boden war von einer harten Kalkkruste bedeckt, welche aus dem Absatz der Quelle gebildet war und die den Behälter nach und nach ganz ausfüllen und die Quelle verstopfen wird. Inzwischen ist dieser Absatz von kohlensaurem Kalk, der einen Theil des Felsens bildet, bei weitem geringer, als zu Hamniain-Meskhutiii. Die Quelle von Sidi-llaneliah hat auch nicht den hundertsten Theil des Wasserreichthums, wie jene Thermalquellen der Provinz Constantine. Sie rieselt sehr schwach aus mehreren Mundlöchern und läuft dann in einer ausgehauenen Rinne in den Grabhof des Marabuts, wo mehrere Bassins für Badende gebaut sind. Den Marabut selbst durfte ich nicht betreten. Der Wärmegrad des Wassers ist 05 ° Reaumiir, Ich durfte übrigens nur wenige Minuten verweilen und hatte kaum Zeit, die Krüge und Lederschläuche zu füllen, von gründlichen Beobachtungen war also gar keine Rede. Die Sonne stand tief und der Thaleb meinte, ich hätte für meine zwei spanischen Piaster genug gesehen. Meine Begleiter waren mir nacheinander in der Stille nachgeschlichen, erst kam der härtige Doctor Varmier, dann der Lieutenant Daumas, endlich Herr Varlet und der Dragomau Amram; nur der Capitain Daumas war, für unsere Neugierde sich aufopfernd, bei den Pferden zurückgeblieben. Der Thaleb schnitt zwar ein recht böses Gesicht, als er meine Gefährten fifoh seines Verbots auch an der Quelle sah, doch sagte er kein Wort. Unser Führer war iu deu Marabut eingetreten, um zu beten. Ich fragte inzwischen den Thaleb über die Gegend aus. Er erzählte, dass noch fünf solcher Quellen im Thale entspringen, aber keine sey reicher, und alle übrigen seyen weniger heiss. Alte Rummistcine (römische Ruinen) gebe es in der Nähe keine.' Aber zwei Stunden weiter südlich läge in einem andern Thal eine grosse alte Stadt, mit verfallnen christlichen Knissas (Kirchen), Arsas (Säulen) und IJeurefs (Buchstaben, Inschriften), welche Niemand in der Gegend entziffern könne. Ob dies wohl die Ruinen von Victoria sind, welche Ptolemäus iu diese Gegend versetzt*)3 Unser junger Führer kam aus dem Marabut zurück und mahnte dringend, schnell aufzubrechen. Wir schieden aber recht ungern und zögernd aus der schönen Gebirgsgegend, von der wir das Wenigste gesehen hatten. Obwohl die Abendschatten schon riesengross über den Atlas herzogen, ritten wir doch nur sehr langsam und wandten den Kopf beständig rückwärts nach dem stillen Gräberthal, wo Leichenstein an Leichenstein standen, so weit der Blick ging. Aus weiter Umgegend bringen die Araber ihre Todten in das Thal von Sidi-Hanefiah, damit vielleicht die hochherrliche Natur ihnen eine Vorahnung des DschenncI (Paradieses) gebe, welches der Koran •) Ptolomäus Lib. IV. Cap. 2. ihnen so poetisch beschreibt. Aber das in so schöner feierlicher Stille ruhende Bild der Landschaft zog mich doch viel weniger «an, als der schon undeutlich verdüsterte Hintergrund im Süden, wo die Ruinenstadt liegen soll, von welcher der Thaleb gesprochen. Als ich da vergeblich das Fernrohr anstrengte, beneidete ich im Voraus den glücklichen Reisenden, dem es einmal gelingen wird, in die unbekannten Gegenden zu dringen, welche unwissende Barbaren noch bis diesen Augenblick so misstrauisch verschlossen halten. Reise von Oran nach Mostaganem. — Neu-Arzew. Die Rhede. Umgegend. — Alt-Arzew. Ruinen von Arsenaria. — Die Makta. — Salinen. — Massagran. Beschreibung der Stadt und Umgegend. Das Schloss der Störche. Matmaros. Die Bewohner von Mostaganem. — Der Schelif. Ich legte den Weg zwischen Oran uud Algier einmal zu Wasser und einmal zu Lande zurück, bemerkte aber auf beiden Wegen wenig Interessantes. Drei Stunden östlich von Oran springt eine etwa zwanzig Fuss hohe, völlig zuckerhut-förmige und vom Ufer getrennte Klippe aus dem Meere hervor. Auf dein Landwege kommt mau an dem bereits erwähnten „Löwenberg" dicht vorüber. Von diesem isolirten Berg bis ArzeAV ist die Landschaft einförmig wild. Büsche an Büsche wuchern so weit man sehen kann; es sind die iu der Berberei überall wiederkehrenden Pflanzen: die Zwergpalme und Pistacia lentiscus, die hier über alle andern Gewächse dominiren. Ich inachte damals die Heise nur von einem einzigen Beduinen, aus dem Mörderstamin der Garrabas, begleitet. Vergebens sah ich mich iu dieser durch die Zahl ihrer wilden Thiere berühmten Gegend nach Löwen um. Nur Wildschweine rauschten manchmal durch die Büsche und Schakals flohen vor dem Hufschlage, ohne dass wir zur Nachtzeit ihr aaslüsternes Heulen hörten. Neu-Arzew liegt zwölf Lieues östlich von Oran. Es besteht aus zwei Forts, einigen Casernen und Magazinen und einem Dutzend Cantinen, Bäckereien und Krankenhäusern. Zur Zeit meines Aufenthaltes wurde viel gebaut. Abd-el-Kader lieferte nach Arzew sein an Frankreich schuldiges Getreide, zu dessen Aufbewahrung die Magazine vergrössert werden mussten. Aus Mostaganem, das keinen Hafen hat, wurde viel Getreide durch Privathändler auf kleinen Barken herübergeführt. Dies brachte einige Händler auf den Gedanken, zu Arzew Privatmagazine anzulegen, denn regelmässig treffen dort spanische Schilfe aus Catalonien ein, welche Waizen einkaufen und nach Barcelona überführen. Die Rhede von Arzew ist die sicherste der ganzen Küste der Berberei. Auch bei den heftigsten Stürmen — ich war selbst während eines der furchtbarsten Orkane des Jahres 1839 dort — hat man nie ein Beispiel eines Lnlalls erlebt und die vor Arzew ankernden Schiffe liegen so sicher, wie auf der Rhede von Tou-lon. Gleichwohl sind die Berge, die sie umsäumen, nicht hoch uud der Wind, wenn er in der geschlossenen Bucht sich verfängt, hat eine bedeutende Gewalt; es bilden sich öfters ziemlich hohe WTellen, aber nie eine gefährliche Brandung, da der Wellenschlag nicht aus offener See kommt uud also keine zerstörende Kraft hat. Man könnte die Rhede von Arzew mit wenigen Kosten noch bedeutend verbessern, wenn man die Lücken zwischen der Landspitze, welche die Rhede im Westen schliesst, und den Felsen, die eine geringe Strecke davon aus dem Wasser ragen, ausfüllen würde. Dies würde der Rhede im Nordwesten einen vortrefflichen Damm geben, an dem nicht nur die Brandung sich bräche, sondern welcher den Schiffen auch einen weit bequemeren Ankerplatz viel näher am Land böte, denn bei Neu-Arzew selbst müssen die Schiffe etwa 300 Ellen vom Lande entfernt ankern, weil das Meer in der Ufernühe allzu seicht ist. Zur Zeit meines Aufenthaltes lag eine Besatzung von vier Compagnien in den Forts von Neu - Arzew. Die Civilhevölkerung betrug kaum fünfzig Köpfe. Die Umgegend Arzews zeigt nicht die mindeste Spur von Anbau. Sie ist sehr trocken, an Trinkwasser herrscht empfindlicher Mangel und es wäre schwer, diesem Uebelstand anders als durch das Graben artesischer Brunnen abzuhelfen, denn die kleinen Flüsse und Buche im Osten und Süden haben schlechtes und ungesundes Wasser, so dass man durch Canalgrabungen nur wahres Gift für Truppen und Bewohner herleiten würde. Hohe Bäume giebt es nicht in der Umgegend, dagegen dichtes, endloses Buschwerk, so dass an Breunholz keineswegs Mangel ist. Weideplätze sind nur sparsam vorhanden und der Graswuchs ist nichts weniger als üppig. Dennoch steht Arzews Umgegend im Kufe, die beste Pferdcrace in der Provinz zu erzeugen. Die Landschaft ist sehr reich an Wild und kein anderer Küstenpunkt hat in seiner Nähe noch so viele grosse Ranbthicre. Es werden öfters von den Arabern Löwenhäute hier an die Officiere der Garnison verkauft. Kurze Zeit vor meiner Ankunft waren zwei Beduinen aus dem Stamm der Garrabas auf einer Löwenjagd verunglückt und von den furchthuren Katzen verzehrt worden. Ein Bäcker von Arzew bot mir zwei kleine lebende Hyänen um geringes Geld zum Verkauf an. Eine verwundete Gazelle, ein schönes Exemplar der Antilope Dorcas, wurde während meiner Anwesenheit von einem Araber gebracht und leider geschlachtet, da hier niemand war, das hübsche Thier zum Vergnügen sich zu halten. Die Hühnerjagd ist nirgends ergiebiger und ein eifriger Jäger, der nicht scheut, sich die Hände ein wenig im Dornengesträuche zu zerkratzen, kann leicht bis dreissig Stück von deu wunderschönen Uebhühueru der Berberei (Perdix potrosa) täglich erlegen. Die alte Stadt Arzew, ll/2 Stunde vom Haien entfernt, ist seit dem Juli 1834 völlig unbewohnt. Sie war schon damals ein höchst elender Ort, aus einigen hundert baufälligen Häusern bestehend, deren Bewohner aus Marokko stammten und blutarm waren, blos von unbedeutendem Feldbau und einigem Handel mit Pferden und Brennholz nach Oran sich nährten. Die ganze Einwohnerzahl Arzews betrug nicht über 400, welche von Schilluhs °) abstammten, aber Arabisch geläufig sprachen und friedliebende, harmlose Menschen waren. Ein Kadi, Namens Bethuna, übte die höchste Gewalt dort aus und trat mit den Franzosen in freundlichen Handelsverkehr. Dies zog ihm den Zorn des damals erst aufstrebenden jungen Emirs Abd-el-Kader zu, welcher ihn, da er sich wiederholt weigerte, die Verbindung mit den Franzosen abzubrechen, überfallen, nach Mascara schleppen und dort erdrosseln Hess. Dies bewog den damals in Oran coinmandirenden General Desmichels Arzew besetzen zu lassen. Er liess am 3. Juli 1834 eine Truppencolonne dorthin aufbrechen, aber Abd-el-Kader kam ihm zuvor, bemächtigte sich Arzews und zwang bei der Annäherung der Franzosen sämmtlichc Bewohner zur Auswanderung nach dem Innern. Nur wenigen gelang es, später nach Oran und Mostaganem zu flüchten. Der bei weitein grössere Theil dieser unglücklichen Bevölkerung hat jetzt unter deu Stämmen der Ebene Ceirat seine Wohnsitze aufgeschlagen. Alt - Arzew ist jetzt ein Schutthaufen, viele seiner ehemaligen Häuser sind der Erde gleich und die •) Stämme der Kabylen in Marokko. übrigen so verfallen, dass man bei dem Anblick der armseligen Ruinen Arzews glauben sollte, die Stadt sey schon seit undenklichen Zeiten verlassen. Unweit dieser neuen Backsteinruinen findet man auch einige römische Bauspuren, die von der alten Arsenaria herrühren sollen*). Der Alterthumsforscher Capitän Mangay vom Genie, der mit mir in Arzew verweilte, war der Ansicht, hier müsse das Portus magnus der Alten gestanden seyn und Arsenaria weiter östlich liegen. Er fand indessen unter den Ruiuen keine Inschrift, die seine Meinung unterstützt hätte. Drei Stunden südwestlich von Arzew liegen bedeutende Salinen, die aber niemand ausbeutet, obschon ihr Steinsalz von vortrefflicher Qualität und die Berge daran unerschöpflich seyn sollen. Die benachbarten Stämme Flita und Garrabas versehen sich hier mit ihrem Salzbedarf, treiben aber keinen Handel damit ins Innere, da die übrigen Stämme sich lieber mit diesem unentbehrlichen Artikel aus dem Salzsee bei Messerghin versehen, wo jeden Sommer das Wasser versiegt und eine dicke Kruste auf dem Boden bleibt, deren Salz zwar dem der Salinen nachsteht, dagegen mit viel leichterer Mühe zu gewinnen ist. Die Makta, ein durch die Niederlage des TrezeFschen Heerhaufens berühmt gewordener Fluss, ergiesst sich fünf Stunden westlich von Arzew ins Meer. Er kommt von der Ebene Ceirat und ist derselbe Fluss, der weiter südlich Ha-brahu Sig genannt wird und nur durch einige Nebengewässer sich vergrössert hat. In den Wintermonaten soll die Makta reissend, tief uud bei ihrer Mündung nicht zu passiren seyn. Zu Ende Aprils, wo ich in diese Gegend kam, war an der ') Plin. descr. Afric. Lib. V. Cap. 6. schmalen Mündung nur ein Fuss Wasser und der Fluss, der damals wie ein mittel massige* Bach aussah, schien fast still zu stehen. Das Städtchen Massagrau liegt sieben Stunden östlich von der Makta, eine kleine Viertelstunde vom Meer entfernt auf einer Anhöhe. Es enthält durchaus nichts Bemerkens-werthes. Seine Häuser sind klein und einstöckig, kaum verdient Massagran den Namen Städtchen. Seine Bewohner siud geflüchtete Kuruglis von Tlemsan, eiuige Bordschias und Dnairs; ihr Hakhem ist Kaddur-Ben-Marephi. Die Umgegend von Massagran ist ziemlich gut angebaut, Obst- und Gemüsegärten ziehen sich bis zu dem Meeresstrand hin. Mostaganem, welches seit dem Juli 1833 iu den Händen der Franzosen ist, steht auf dem Plateau eines Kalkfelsens, der, eine kleine Viertelstunde vom Gestade des Meeres entfernt, sich 255 Fuss über dessen Spiegel erhebt. Die Stadt liegt unter dem 36 0 50' nördl. Breite und 2° 11' westl. Länge vom Meridian von Paris. Sie enthält nahe an 5000 Einwohner, worunter 2700 Mauren, 1800 Kuruglis und Türken, 500 Juden und 148 (im Jahre 1834) Europäer. Zwei ungepflasterte Hauptstrassen durchschneiden die Stadt in paralleler Richtung; die meisten Seitengassen haben keinen Ausgang. Die Häuser siud einstöckig, klein und iu dem gewöhnlichen maurischen Style gebaut. Mostaganem hat neun Moscheen, von denen fünf von den Franzosen iu Besitz genommen wurden. Die grösste wurde in ein Hospital umgewandelt. Man sieht in demselben eine Marmortafel an der Wand, auf der eine arabische Inschrift steht, die den Ursprung der Stadt unter dem Sultan Yussuf in wenigen Worten erzählt. Es trieben nämlich Hirten dorthin ihre Schafe, welche, von der schönen Weide angezogen, nicht fortzubrin- bringen waren. Die Schüfer selbst, von der Schönheit des Bodens überrascht, siedelten sich dort an und Allah gab seinen Segen. Neben der Mairie, einem unbedeutenden Gebäude, erhebt sich eine in Huinen stehende Citadelle, Bordschi - el - Mehal, „das Fort der Störche," welches von einem Schwann dieser Vögel in Besitz genommen, von Menschen dagegen nicht mehr bewohnt ist. Es war ein solides Bauwerk mit grossen Quadersteinen aus den benachbarten Felsen gebrochen, aber wohl mit Unrecht haben einige Franzosen dem Bordschi - el-Mchal einen römischen Ursprung zugeschrieben. Mau fand keine Spur von einer Inschrift, die einem Gebäude von solchem Umläng in alter Zeit schwerlich gefehlt haben würde. Man trifft nur ein schlechtes Y\ irthshaus in Mostaganem, welches von einem Italiener gehalten wird und in dem man ein nothdürftiges Unterkommen findet. Zu Matmaros, einem von Mostaganem getrennten, höher gelegenen Quartier, welches blos von der Garnison eingenommen ist, giebt es mehrere Cantinen, die aber noch erbärmlicher sind, als die Kneipe in der Stadt. Man vermisst hier alle europäischen Bequemlichkeiten noch mehr als in Budschia. Doch fehlt es in Mostaganem nie, wie dort, an frischen Lebensmitteln, und seit dem Frieden an der Tafna hatte man sich des Benehmens der Araberstämme der Umgegend nur zu rühmen. Sie brachten, gegen das Gebot Abd-el-Kader's, ziemlich beträchtliche Vor-rätbe an Getreide auf den Markt von Mostaganem, wo sich zur Zeit meines Aufenthaltes spanische Handelsleute befanden, welche dasselbe aufkauften und auf Booten nach dem Hafen von Arzew überführen, wo kleine Schiffe sich befanden, die dasselbe nach den catalonischen Häfen brachten. Ausserdem kamen auch Schafhäute, Wachs und Wolle, aber in unbedeu- tender Quantität auf den Markt. Der Gctrcidehandel würde dort ohne die häufigen Reibungen zwischen den Franzosen und Abd-el-Kader und ohne dessen Bemühung, ein Monopol-systeni nach dem Vorbild Meheiued Ali's einzuführen, einen beträchtlichen Aufschwung nehmen, denn die Medschars, die Flita, die Haschems, die Beni - Ammer und andere reichere Stämme der Provinz haben in den verborgenen unterirdischen Silos, nach ganz zuverlässigen Nachrichten, ungeheure Vor-räthe für den Bedarf vieler Jahre aufgehäuft uud könnten immer Dreiviertheil ihrer Erndten verkaufen. Die nahegelegene Ebene von Ceirat ist für den Weizen der ergiebigste Boden in der ganzen Regentschaft Algier. Mostaganem hatte früher viel Gewerbthätigkeit. Unter seiner Bevölkerung gab es Gohlsticker, Bernussweber, Tcppichlährikanten u. s. w. Dies alles ist so ziemlich verschwunden in Folge der Auswanderung eines grossen Theiles der Bevölkerung seit der Besitznahme durch die Franzosen, und es giebt nur noch die unentbehrlichsten Handwerker in dieser Stadt, wie sich deren in allen maurischen Orten finden. Die Einwohner Mostaganems sind aufs äusserste verarmt, sie nähren sich kärglich vom Ertrag kleiner Gärten oder Kramläden. Ein grosser Theil der Kuruglis von Tlemsan hat sich seit 1837 dort niedergelassen und bildet den moralischen Kern der Bevölkerung. Einer von ihnen bekleidet die Würde des Hakhem. Die Garnison Mostaganems besteht aus drei Compagnien Infanterie, welche im befestigten Quartier Mostaganems liegen. Eine Escadron Spahis, welche alle Monate aus Orau abgelöst wird, garni-sontrt vor der Stadt. Commandant von Mostaganem ist der Obrist Dubarail, ein eifriger Legitimist, der eigentlich zur Strafe hierher geschickt wurde und bis zur Zeit seiner Pen-sionirung an dem einsamen Ort ausharren soll. Die Inter- essen der europäischen Civübevölkerung vertritt der Maire, Herr Stocpfel, ein Elsasser, der unter dein Sousintendant civil von Oran stellt. Die Umgegend von Mostaganem wurde von den wenigen Heisenden, welche sie vor 1835 gesehen, als sehr fruchtbar und gut angebaut geschildert. Sie hat aber seitdem schwer gelitten. Da wegen ihrer gefährlichen Küste dio Verbindung der Garnison mit Oran Monate lang unterbrochen blieb und die Flita, sowie die übrigen Stämme der Gegend, dem Befehle Abd-el-Kader's gehorsam, alle Verbindung mit der Stadt abbrachen, ja die kleine Besatzung im Umkreise einer Stunde in Blokade hielten, so waren die an Allem, namentlich an Brennmaterial nothleidenden Soldaten genöthigt, die Ressourcen des Bodens nach einauder aufzuzehren und viele Orangen-und andere Fruchlbüume fielen damals unter der Axt und mussten die Commissbrodsuppe kochen. Die Häuser ausserhalb der Mauern mussten niedergerissen werden, damit keine Feinde sich dort in Hinterhalt legen konnten, daher stösst das Auge namentlich im Osten der Stadt allenthaben auf Spuren der Zerstörung, neben Gräbern liegen wüste Backsteintrüm-mer, unter deneu sich eine Menge Reptilien angesiedelt haben , so dass fast unter jedem Stein, den man umwälzt, Nattern oder Scinke über den Trümmerboden fliehen. Das Terrain von Mostaganem ist bis auf eine Stunde südlich von der Stadt sehr sandig, übrigens durch Bäche und Quellen gut bewässert. Alle Pflanzen gedeihen in der Nähe der Bächlein rasch und üppig. Herr Texier, der vor Herrn Stoepfel Maire der Stadt war, hat in der grossen östlichen Schlucht einen Versuchsgarten anlegen lassen, wo die Baumwolle weit besser als bei Algier gedeiht, und die Proben, die ich davon nach Marseille mitbrachte, wurden von allen dortigen Baumwoil- keimern bewundert. Jn den Privatgärten der Umgebung wird auch die Henna (Lawsonia inermis) gepflanzt, welche den röthlichen Färbestoff giebt, mit dem die Eingebornen sich Nägel, Hände und ihren Kindern die langen Haare bemalen. In der Umgegend von Algier kommt die Henna nicht fort. Die ganze übrige wilde Vegetation, welche nicht nahe am bewässerten IJuden wuchs, war zur Zeit meines Aufenthaltes im Mai 1838, wo ungewöhnliche Trockenheit herrschte, schon ziemlich verdorrt. Ich fand iu der Umgegend manche interessante Thiere. Ein mit Unkraut bewachsenes Sandleid im Westen der Stadt war iu allen Richtungen von dem Bau des Meriones robustus durchfurcht. Auf drei Quadratschuh kam immer ein Loch , welches in die unterirdischen Nestgänge dieser röthlichbrauiien, weissbauchigen Ratten führt. Sobald die Sonne untergegangen, verliessen sie ihre Schlupfwinkel und ich schoss sie da leicht mit der Schrotflinte. Unter den Steinen findet sich ziemlich häulig Amphis-baena Wiegmanni, eine interessante Reptilie, die ich ausserdem nur am Cap Matifu, bei Algier aber nur selten traf. Von Mollusken erbeutete ich nichts Neues, wohl aber von Co-leopteren, unter denen die seltene Art Laphyra Audouinii, die noch in keiner andern Gegend aufgefunden worden. Ich brachte in Mostaganem drei vergnügte Wochen in Gesellschaft des Maire und des Commandaiiteu der Spahis-escadron Abai'bi zu; letzterer ist aus Syrien gebürtig und Sohn eines Obristen der Mameluken, der iu Napoleon's Diensten stand. An unserm Tische assen öfters angesehene Eingeborene, der Hakhem, dann der Ukil Abd - el - Kader's, der ein Bruder Hadschi-Bukhari's von Mascara ist, Kaddur-Ben-Marephi, ehemaliger Kaid des einst so mächtigen, nun zerstreuten Stammes der Bordschia, welcher zu Massagran von einer kleinen Pension lebt, endlich Kaddur-cl-Sarak (Kaddur der Seeräuber), welcher, vormals ein gcfürchteter Pirat, jetzt vom Ertrag eines Schiffchens lebt, mit dem er in jeder Jahreszeit uud bei jeder Witterung die Verbindung zwischen Oran und Mostaganem unterhält, während spanische und französische Schiffer nur bei ganz ruhiger See die Fahrt wagen. Mostaganem hat, wie schon erwähnt, gar keine Rhede. Neun Monate des Jahres hindurch tobt hier die Brandung furchtbat an den Felsen und kein Schiff wagt, selbst bei ruhiger See, länger als einen Tag hier zu verweilen. Trotz aller Vorsicht ereignen sich aber doch viele Schiffbrüche, Reste von gestrandeten Wracks gewahrt man allenthalben am Ufer und unweit Massagran sieht man an der Küste sogar ein gescheitertes Dampfschiff', den Salamander, dessen eiserne Maschine noch aus den beständig umwogten Klippen hervorragt. Vier Stunden östlich von Mostaganem fliesst der Schelif, des Landes bedeutendster Fluss, den nur sehr wenige Europäer gesehen haben und über dessen Schiffbarkeit die Meinungen noch verschieden lauten. Shaler, ein Amerikaner, der vor vielen Jahren über Algier geschrieben, hielt ihn für schiffbar, Pellissier, der 1634 eine Reise in die Provinz machte und an die Ufer des Schelif kam, behauptet hingegen, der Strom habe fünf Stunden vor seiner Mündung, trotz seiner bedeutenden Breite, nicht genug Wasser mehr, um grosso Barken zu tragen, und man dürfe auf den Schelif zur Binnenschifffahrt nicht rechnen. Von siimmtlichen in Mostaganem ansässigen Europäern hatte nur einer, der jüngere Sohn des Obristen Dubarail, .den Schelif besucht, aus seiner confusen Beschreibung Hess sich aber kein Urtheil bilden. Zur Zeit meines Aufenthaltes stand Mustapha-Ben-Thaui, Moritz Wagnek's Algier. I. 29 der Khalifa von Mascara, unweit des Schelif mit einem Heer, welches den Tribut von den dortigen Stämmen eintrieb. Ein Theil der Flita verweigerte denselben und wechselte mit den Truppen des Khalifas Flintenschüsse. Es war dies zu einem Ausflug an den Schelif eben kein günstiger Augenblick, dennoch würde ich ihn unternommen haben, hätte ich bei dem Obristen Dubarail, dem ich gleichwohl vom General Rapatel warm empfohlen war, irgend eine Unterstützung gefunden. Dieser Oberofhcier, von sehr unverträglichem Charakter, machte beständig Schwierigkeiten, verweigerte mir jede Escorte und schilderte mir die Gefahren einer solchen Reise so schwarz, dass ich am Ende abstand. Gleichwohl wagte ich mich bis zu einem Berg, zwei Stunden von Mostaganem, wo man den Schelif von fern sieht. Er mag in der Nähe seiner Mündung wohl dreimal so breit seyn, als der Rhein bei Strassburg und soll einen weit raschern Lauf als alle übrigen Gewässer des Landes haben. Sein schmuziges Wasser färbt das Meer graubraun bis zu einer Entfernung von zwei Stunden von seiner Mündung. Anhang. Geographische Bemerkungen ü h e r die Regentschaft Algier. Die Regentschaft Algier erstreckt sich vom 15° 32' bis zum 26° 12' östl. Länge. Ihre Breite von Norden nach Süden ist abwechselnd nicht genau bekannt. Nimmt man in der östlichen Provinz Constantine die Fortsetzung des Blad-el-Dscherid oder dürren Landes, welches etwa vierzig deutsche Meilen in gerader Richtung von der Mittelmeerküste beginnen soll und das die Fingebornen weit mehr unter dem Namen Sah - ra kennen — es mag mit seinen dürren Hügeln und wenig fruchtbareu ausgedehnten Ebenen wohl ein Vorbild der grossen Sandwüste geben — als Südgränze des ehemaligen Deygebietes an, so mag wohl die grösste Breite der Regentschaft Algier fünfzig bis sechzig Meilen , in den Provinzen Titeri und Oran, wo der anbaufähige Landstrich weit schmaler ist, höchstens vierzig deutsche Meilen betragen. Die Oasen Tuggurt und Wurglah, die Länder der Mosabiten und der Staat Aiu-Maadi, welche ihre Unabhängigkeit gegen die Algierer Deys stets zu behaupten wussteu, siud in diese Gränzen nicht mit inbegriffen. Da die Südgränzen dieses Landes noch nicht genau ermittelt sind, da noch kein europäischer Reisender den ganzen 29 * nördlichen au die Regentschaft Algier stosscnden Rand der Sahara der Länge nach durchzogen und nie ein französisches Corps bis über vierzig Lieues von der Küste sich gewagt hat, so sind alle Schätzungen des Flächeninhaltes natürlich nur sehr unsicher und abweichend. Cannuhich nimmt 9000, Gatterer 8957 □ Meilen an, andere Geographen schätzen den Flächeninhalt nur auf 4218 □ Meilen. Die ganze Regentschaft Algier wird von Westen nach Osten von Bergketten durchschnitten, deren mittlere Höhe nicht über 3000 Fuss über dem Mittelmeer beträgt. Man bezeichnet dieses Gebirge unter der vagen Benennung A 11 a s, was in der Berbersprache „Steigen" bezeichnet. Desfontai-nes sagt, das Land sey von zwei Ketten durehschniüen, dem kleineu Atlas, der bei Tabarka au der Gränze der Regentschaft Tunis beginne und bis Marokko sich fortziehen soll, und dem grossen Atlas, der am Bande der Wüste, mit dem kleinen Atlas parallel laufe und die Nordgränze der Sahara bilden soll. Allein Desfontaines sagt über diesen „grossen Atlas" durchaus nichts Näheres. Sicher konnte er ihn auch nicht selbst gesehen haben, da er in den südlichen Theileu der Regentschaft gewesen und nicht einmal Biskara erreicht hat. (Jan/, gewiss hat er sich zu dieser Angabe nur durch die vagen Berichte einiger alten Geographen verleiten lassen, i'tolemäus erwähnt nämlich eines Atlas inagnus, der sich vom Trauerpass llarudsch westwärts bis zum atlantischen Ocean hinziehe. Alle spätem Geographen schrieben dies auf seine Autorität hin nach. Auch von den neuesten französischen Kaiien stellen die meisten an deu Rand der Wüste eine Gebirgskette hin mit der Bezeichnung grand Atlas- Aber weder Desfontaines, noch seine Vorgänger Shaw, Peyssonelj Bruce, sind über vierzig deutsche Meilen von der Seeküste nach Süden vorgedrungen. Was sie also über die südlichen Bergzüge des Atlas jenseits des Aurass sagen, konnten sie nur den Erzählungen der Eingebornen entnommen haben, die hier aber so unwahr, so abweichend, so verwirrt lauten, wie in Nnbien und in den Sudanländern, wo fast alle gründlichen Reisenden über diese gänzliche l.^Zuverlässigkeit der Aussagen der Afrikaner, über ihre Bogriffslosigkeit und die Unmöglichkeit, von ihnen über irgend ein Land, Gebirge, Stadt, Wüste, Thier eine Schilderung, in die nicht die Phantasie sich eingemischt hätte, zu erhalten, Klage geführt haben; uud ich verweise hier nur auf das, was der schlichte, wahrheits-treue Burkhardt oder Bruce, Salt und andere Reisende darüber äussern. Etwas mehr Vertrauen verdienen die im Ganzen ziemlich genau zusammenstimmenden Aussagen der Renegaten, von denen namentlich die Mitteilungen Baudouin's, der in das Land der Beni - Mzab gedrungen und die mosabitische Sprache erlernt hatte, Goistinger's, Berndt's und anderer Franzosen und Deutschen im Dienste Abd-el-Kader's, welche im Jahre 1837 dessen Zug durch den Kobla begleiteten, Aufmerksamkeit verdienen. Alle diese Renegaten stimmten mit ihren Versicherungen überein, dass es weder zwischen dem Aurass und Biskara, noch im Süden der Provinz Titeri, noch auch an der Gränze des Kobla, der westlichen Fortsetzung des Blad-elDscherid, hohe Gebirge gebe. Im Gegenteile würden, sagten sie, die Bergzügo von Constantine, Selif, Medeah, Miliaria, Mascara immer niedriger, je weiter man sich den Ebenen des Blad-el - Dscherid oder Kobla nähere, und die Nordgiiinzen dieser trockenen Steppen beständen aus öden, wellenförmigen mit Disteln und Palmen bewachsenen trockenen Hügeln. Dasselbe bestätigten alle Biskris, Mosabiten, die ich in Algier gesprochen, alle Beduinen der Sa- hara und des Kobla, so namentlich Mohamed - Budsaid und mehrere Scheikhs der Angad, die ich in Mascara sah. Dasselbe sagten die Renegaten iu Abd-el-Kader's Heer zu Adrian Berbrugger und zum Doctor Bodichon, welche den Emir Abd-el-Kader zu Hamza besuchten. Derselben Ansicht sind alle der arabischen Sprache kundigen Officiere, welche die Eingebornen oft hierüber ausgeforscht haben, wie Pellissier, Lamoriciere, Sainte-Marie, oder Militairs, die im Innern des Landes Commandos hatten und die Expeditionen begleiteten, wie die Oberofficiere Cavaignac, Levaillant, Magagnos. In der Provinz Oran erhebt sich jenseits des Berges Zickar bei Miliaria keine Kette, keine Gruppe, kein isolirter Berg mehr über 4000 Fuss. Der Dsc hi bei - Ds churschura im Gebiet des Uthan Sebau, der Aurass (Möns Aurasius im Mittelalter, Av&ov bei Ptolemiius) und der Zickar siud aller Wahrscheinlichkeit nach die höchsten Gipfel am Algierer Atlasgebirge. Diese Gebirge laufen meist der Meeresküste entlang und bilden dann die Uferklippen, öfters sind sie aber davon getrennt durch mehr oder minder breite Ebenen, wie bei Bona, Stora, Budschia, Mostaganem, Oran, von denen die meisten bogenförmig sind. Manchmal sind diese Gebirge, ausser durch Ebenen, auch durch sogenannte Massifs, Sahel, oder Hügelländer, wie bei Algier und Arzew, vom Meere geschieden. Diese Ilügelgruppen werden daun wieder durch Ebenen getrennt, wie bei der Metidscha und deu Gefilden des Sig. Tiefer im Lande in einer Entfernung von dreissig Stunden von der Küste beträgt die Länge der von Westen nach Osten laufenden Ketten selten über vierzig Stunden; sie werden dann wieder durch zwischenstehende Ebenen getrennt, oder siud nur schwach verbunden durch niedere, dammartige Aufwürfe. Zwischen Bona und Constantine zeigen sich eigentlich nur vier deutliche Kettenbildungen, zwischen denen manchmal Aufwürfe von 5 — 600 Fuss iu Gruppen stehen. Acht Stunden südlich von Constantine zieht sich eine vierte Kette hin. In der Provinz Oran giebt es drei Ketten von der SeekÜste bis Mascara. Zwei weitere erblickte ich vom Gipfel des Schruab - el - Riihah, im Süden der Ebene Eg-gres; ihnen folgt noch eine sechste kleinere. Der Renegat Geistinger (Amidu), der am häufigsten im Dienste Abd-el-Kader's Reisen nach Tekedemt, dem Kobla und einmal sogar nach Marokko unternahm, versicherte mir, dass es dann weiter keine zusammenhängenden Bergreihen bis zur Sahara gebe, sondern nur isolirte Gruppen, welche überhaupt schon in einer Entfernung von vierzig Stunden von der Küste noch vorherrschend sind. Zwischen Algier und Medeah, der Hauptstadt der Provinz Titeri, erheben sich zwei Ketten von etwa 25 Stunden Länge, deren Extremitäten nach Norden zum Meere sich hindrängen und niedriger werden. Vier Stunden südlich von Medeah steht eine dritte Kette von gleicher Hohe. Commandant Levaillant, der sie erklimmt hat, erzählte mir, dass er etwa fünf Stunden weiter südlich eine vierte Kette gesehen habe, niedriger als die drei ersten; nirgends aber habe man dort eine Spur von einem grossen Atlasgebirge gesehen. Einen Theil dieser genannten Ketten kann man vom Gipfel des Ras-el-Hammar im Süden der Metidscha und vom Schruab -el-Rüha bei Mascara deutlich genug bis zu ihren meist nordwärts ausgekrümmten Extremitäten verfolgen und sich überzeugen, dass sie nicht mit andern Ketten weiter in Osten oder Westen verzweigt sind. Ob dies bei allen Kettenzügen der Regentschaft der Fall ist, kann ich nicht bestimmt sagen, und alle Meinungen der mit der Topo- graphie des Landes beauftragten französischen Officiere des Generalstabes in Algier, Bona und Oran waren hierüber eben so schwankend. Ersteigt man in den Provinzen Oran und Constautiue die höchsten Berge, wie den Schruab-el - Rühah oder den Gipfel des Ras - el -Akba, und Versucht eine genaue Zeichnung dieser wildverworrenen Höhenzüge, so erkennt man die ausserordentliche Schwierigkeit einer solchen Arbeit, welche noch von Keinem gelöst, von Keinem unternommen worden. Man überblickt ein Chaos von Gebirgen in den uu-regelmässigsten Formen, bald Ketten, die nach den verschiedensten Richtungen auslaufen und verzweigt oder auch unzusammenhängend sind, bald sieht man wieder einzelne Gruppen , ja ganz isolirte Kegel, wie den Dschibel-el-Sbua zwischen Arzew und Oran. Shaw, der das Land weiter durchwandert hat uud in den innern Städten, die jetzt unter Abdel-Kader stehen, länger verweilte, als es heutiges Tages möglich ist, sagt ganz richtig an einer Stelle seines Werkes, es sey sehr schwer, auf dem wildverschlungenen Gebirge eine Hauptkette herauszufinden, die auch wohl in der That nicht existirt. Seine übrige allgemeine Schilderung des Atlas ist zwar etwas karg, aber treffend. „Dieses Gebirge," schreibt er, „kommt selten einem unserer höchsten Berge Grosshrilan-niens gleich und ich zweifle sehr, dass mau selbst die erhabensten Gipfel mit den Alpen und Apenninen in Parallele stellen kann. In der Regel sind die Berge 4-, 5- oder 600 Bulben hoch. Ihre Abhänge sind meist leicht zu erklimmen. Man findet auf ihnen mehrere Fruchtbaumarteu und anderes hochstämmiges Holz. Hier uud da giebt es Abgründe, von höheren, steileren Felsen, als die übrigen, gebildet. Mau denke sich auf dem Abhang oder Gipfel einen Daskrah, oder ein Dorf der Kabylen, welches durch eine Erdmauer umschlos- scn ist, so hat man den richtigsten und genauesten Begriff, den man sich von diesen Gebirgen machen kann. " Unter den neuem Schriftstellern sagt Pellissier in sei-neu Amiales Algerientie*: „Das Land ist von Westen nach Osten von den Atlasgebirgen durchzogen, welche aus mehreren parallel laufenden Ketten bestehen, durch tiefe Thäler getrennt und manchmal durch Zwischenketten verbunden sind. Die nördlichste dieser Ketten nennen wir den kleinen Atlas. Sie liegt in geringer Entfernung vom Meer, dem sie sich manchmal dergestalt nähert, dass die flache Zone, welche man an den meisten Stellen zwischen ihr und dem Meer bemerkt, ganz versehwindet. Im Süden der Atlasgebirge findet sich, ehe man die Westküste betritt, eine weit grössere flache Zone, das „Blad-el-Dscherid" oder Dattelland. Ausserdem erweitern die Thäler der verschiedenen Ketten sich oft so, dass sie wahre Ebenen bilden, von denen einige sehr beträchtlich sind." „Der Atlas" — schreibt Cavaignac, der ehemalige Com-mandaut von Tlemsan, in seiner politischen Brochure über die Regentschaft — „der Atlas ist ein ungeheurer Massif, von fünfzig Lieues Breite oder darüber. Seine schwerfälligen Zweige laufen in allen Richtungen aus. Er umschliesst im Norden lange uud fruchtbare Thäler, durch welche seine sehr zahlreichen Gewässer nach dem Meere lliessen. Im Süden versinken seine Abhänge in weite Ebenen von zweifelhafter Fruchtbarkeit bis zur Sahara, diesem Meer des Südens, wo sich ohne Zweifel die in dieser Richtung fliessenden Gewässer des Atlas verlieren, wenn der Brand der Sonne und die dürre Erde sie nicht schon unterwegs hemmen. Der Atlas ist also nicht eine Reihe von Kegeln, gleich den Pyrenäen und Alpen, welche zwei verschieden bewohnbare Länder tren- uen könnte. Der Atlas ist die Regentschaft selbst. Auch der Araber bewohnt den Atlas, unsere Landstrassen durchschneiden ihn und es ist bei seinem unregelmässigen Laufe nicht möglich, durch ihn bestimmte Glänzen zu ziehen." Ritter, welcher in der zweiten Ausgabe seiner Erdkunde fast blos auf ältere Quellen sich stützt und deren Angaben mit bekanntem Fleiss, Scharfsinn und Gründlichkeit zusammenstellt, will vier verschiedene Gebirge unterscheiden. „1) Grosser Atlas. Gränzberge gegen die Sahara. Von dem Trauerpass Harudsch westwärts ziehen sich mannichfal-tige Bergzüge, unter verschiedenen Namen, die uns keinen Aufschluss über ihre Beschaffenheit gewähren, nach Westen hin, bis zur Küste des atlantischen Oceans; von den Landesbewohnern werden sie die grossen Berge (Ayduaral) genannt, und seit Ptolemäus haben sie den allgemeinen Namen des grossen Atlas (Atlas magnus) erhalten. Von diesem Bergzuge gilt es, dass seiu Südabhang den weiten Ebenen des dattelreichen Küstenstriches, dem Biledulgeried, zufällt; aber hier ist durchaus nicht an Eine zusammenhängende Bergkette zu denken. In diesem Sinne ist die Nachricht aller arabischen Geographen vom grossen Atlas zu verstehen, durch die wir, bis auf wenige neuere Zusätze, fast alle unsere Kenntnisse dieses Berglandes besitzen." „2) Kleiner Atlas. Die Küstenkette gegen das mittelländische Meer. Verschieden von dem vorigen, lernen wir diese Küstenkette nicht durch die continentalen Araber kennen, welche den langen grossen Atlas von der Landseite her zuerst erblickten und überstiegen, sondern durch Küstenfahrer. Wreit später erst, als jener lange Zug, erhielt sie als Gegensatz den Namen des kleinen Atlas." „Strabo weiss, dass er vom Vorgebirge Kotes (am Ausgang der Strasse von Gibraltar, in den Ocean, nach dem Sky-lax) durch Marusien bis zu den Syrten laufe, also ganz wie Deila Cella beobachtete, dass er wie die übrigen mit ihm gleichstreichenden Gebirge bewohnt sey, im Anfang von Ma-rusiern, weiter im Innern des Landes von der grössten Libyschen Völkerschaft, den Gätulem, deren Gebiet sich bis zu den Syrten erstrecke. " „Die neueren Geographen aber verstehen unter dein kleinen Atlas nur dasjenige minder hohe, aber steile, zerrissene Küsten gebirge, welches von der Strasse von Gibraltar ostwärts die ganze Küste der Berberei, durch die Staaten von Marokko, Algier und Tunis zieht. Es schliesst sich in Westen an den hohen Atlas von Fez uud Marokko an, in Osten aber, nachdem es bis Titeri (Provinz im Südost von Algier) mit der Küste ein gleichmässiges, paralleles Streichen hatte, biegt es sich vom Dschurschuragebirge an gegen Südost herum. Diese Wendung geschieht an den hohen Bergen Wannougah undJaite, welchen weiterhin in Osten, doch wieder parallel mit der Seeküste, die Berge Wellad- Selim, Mustewah, Au-ress und Tipasa, im Staat von Tunis folgen, bis gegen den Golf von Kabes." „Der äusserste, westlichste Grünzstock des kleinen Atlas bildet am Osteingange der Strasse von Gibraltar die eine der Säulen des Hercules ('Homltia oxyla), der siebenköpfige Berg Abila, unser Cap von Ccuta, welche den Alten die Grunzen des Oceans (ab bis ora interni maris) und des Mittelmeeres waren. Daher ist das westlicher liegende Cap So-lonis (Cap Spartet der Neuem) schon dem Herodot als die Gränze von Libyen bekannt, dem karthagischen Admiral liegt es schon im Gebiete des Beherrschers des Oceanos, dem er hier deu ersten Altar erbaute, um dessen Gunst zu seiner Fallit zu erflehen." „Dieses Cap von Ceuta ist es, das heute in der Berbersprache Jibbel d'Zatute (der Affenberg) heisst, mit steilen felsigen Höben aus dem Meere aufsteigt, und die westlichste Provinz El Garb (d. h. der Westen) des grossen El Magred (d. h. Westland) füllt." „Von der Provinz Errif, welche der kleine Atlas nun durchzieht, erhält er auch selbst den Namen Errif, sein maurischer, Jibbel arif, ist wohl dasselbe." „Von hier an weiter im Osten längs den Küsten, durch Algier, vom Cap Mellila bis gegen Tunis hin, zeigt sich der kleine Atlas im Allgemeinen in gegen das Innen; man-nichfach aufsteigenden Ilügelreiheu, die kaum 4-, 5 — 600 Fuss senkrechte Höhe haben, grossentheils mit Wählern und Fruchtbäumen bedeckt sind, die nur hier und da durch steile Felswände am Gehänge der Berge und durch nackte, hervorragende Klippen auf ihren Gipfeln unterbrochen werden. Er hat durchaus keine bedeutende Mächtigkeit und Höhe, und so weit der treffliche Shaw sie beobachtete (er lebte zwölf Jahre lang im Gebiet von Algier), sähe er sie kaum zu der Höhe seiner vaterländischen Berge sich erheben. " „Im Osten von Algier wird die Küsteukette bis Bona weit felsiger und rauher, darum sie schon Abulfeda El Adwah, die Höhe, genannt hat. Hier springen gewaltige Felsufer als hohe Caps iu das Meer vor und bilden um den Golf von Bona das Cap Hosso (bei La Cale) bei der Insel Galita, und der Südspitze von Sardinien gegenüber die schaudervollsten Felsparticn. Ein schwarzer, poröser Sandstein {gros h fil-trer) von tausendartigen Höhlen uud Grotten durchbohrt, voll scharfkantiger Kücken uud Spitzen, wird hier unaufhörlich von den Wollen gepeitscht, in Nadeln und Zacken gespalten. Die vom Meere ausgehöhlten Grotten reichen wohl halbe Viertelstunden weit landeinwärts; in ihre unterirdischen Gebiete stürmen die Meereswogen ein. Nur die eisenhaltigen Adern, Welche den Sandstein nach allen Richtungen durchziehen, Scheinen ihn zusammenzuhalten. Hier senken sich die Sandbänke von Süden nach Norden, und stürzen oft steil in das Meer. Ihr Streichen mag also wohl von Westen nach Osten gehen. Noch weiter nach Osten dauern über Tabarca, Cap Nero u. s. w. diese Klippen (ort, die für den Schiller um so fürchterlicher sind, weil durch ihre Trümmer unzählige Sandbänke an den Küsten entstehen, die keinen wirklichen Hafen darbieten, das Schilf in der Gefahr aufzunehmen. Dies war die westliche Schutzinauer für Karthago." „3) Der mittlere Atlas; das Plateau. Tiefer landeinwärts zwischen den beiden Parallelketten des kleinen und grossen Atlas, die beide von Westen nach Osten ziehen, streichen viele andere, mittlere IJcrgziige, theils in gleicher Richtung mit ihnen , theils in mannichlältiger Verbindung. Sie bilden ein breites, hohes, von vielen Thälern, Ebenen, muntern Flüssen und frischen Bergweiden durchzogenes Bergland. Im Süden von Constantine bis gegen die lange Gränzkette Buzara der Sahara ist es nur hügelig, gegen Westen zum hohen Atlas steigt es terrassenweise immer höher auf. Durch seine erhabene Lage über dem Meere und den Glühewüsten gewinnt es eine überaus milde Temperatur, die von den Arabern sehr gerühmt wird. Edrisi glaubt, dass keine Gegend diesem Berglande an Fruchtbarkeit, weiter Ausdehnung und reicher Bevölkerung (frequentia domiciliorum) gleichkomme." „Leo sagt, dass sich die Berge und Hügelketten des kleinen Atlas von der Küste aus landeinwärts an 100 Meilen bald mein bald weniger erweiterte»; und von ihnen lallen reizende, klare Bäche und Flüsse (von denen doch nach Shaw auch manche salzig sind) nach dem Meere zu; gegen den langen Atlas hin ziehen sich Hügelreiben und Ebenen, die alle vortrefflichen Boden haben, der Getreide im Ueberfluss und die besten Früchte erzeugt. Gegen Osten sind es die Tunesischen Landschaften, das Zeugitana und ßyzacena, die berühmten Nuniidischcn Kornkammern der Karthager; gegen Westen die Landschaften von Sejclmcssa (richtiger Sejin-Messa nach Jackson) und mehrere marokkanische Provinzen." „Die grössten Höhen dieser mittlem Bergketten, welche überall aus Kalkstein, zumal landeinwärts, voll Versteinerungen bestehen sollen, tiefer gegen den hoben Atlas aber aus quarzhaltigen Gebirgsarten, schienen Desfontaines im Süden von Algier und Oran nicht über 7200 Fuss (2400 Metres) Meeresfläche zu haben. Auf ihnen liegt nirgends ewiger Schnee; da wachsen schöne Waldungen von Nadel - (Pinus alepica) und Laubholz (zumal Eichenarten, Quercus suber, pseudosuber, ilex, coeeifera uud ballota) und der schöne Oleander (Nerium uleander) wuchert aus den Thälern bis zu den Höhen hinauf. " „W annaschrife ist in der westlichsten Provinz von Algier der höchste, der Dschurschura (Möns ferratus der Alten?) in der östlichen der höchste dieser Berge. Dieser hat bebaute Gehänge, aber sein Rücken wird durch eine ununterbrochene Kette nackter Fclsenwände und Abgründe gebildet, die im Winter mit Schnee bedeckt, und dadurch so unzugänglich werden, dass sie für diese Zeit einen Waffenstillstand zwischen den Bewohnern ihrer beiderseitigen Gehänge erzwingen, die sonst immer in unversöhnlicher Feindschaft leben. „Die noch steiler abstürzenden Berge von Titeri, zwischen diesen beiden, bilden fast unzugängliche Kuppen und Klippen, welche von den Bewohnern als Zufluchtsorte, feste Burgen, zumal als Speicher und Magazine zur Sicherung ihrer Kornvorräthe benutzt werden." „Ueberhaupt scheint diese Steilheit der Felswände und sehr enge, senkrecht eingerissene Schluchten, die sie plötzlich bis in die Tiefe der Thäler durchsetzen , diesem Berglande, und selbst dein hohen Atlas, charakteristisch zu seyn. Diese durchschneiden sie so, dass man zu beiden Seiten der Engpässe die horizontalen Schiebten der Gebirgsarten deutlich aufsteigen sieht, die nicht zusainniengehängt zu haben scheinen. Sie sind oft nur sechs bis sieben Fuss breit, aber fürchterlich steil (wahre Spalten), so dass wenige Menschen ganzen Heeren den Eingang verwehren würden. Daher werden sie von den Arabern Bebau (d. i. Pforten), von den Türken Demir Capy (eiserne Thore, wie in Persien, am Kaukasus, in der Türkei u. s.w.) genannt. Mehrere dieser Pässe fanden sich z. B. auf dem kurzen Wege von Algier nach Constantine ein." „4) Hoher Atlas; Daran, unter dem hohen Atlas, den wir nur allein von der marokkanischen Sceseite hin meistens durch europäische Heisende kennen gelernt haben, verstehen wir die höchsten Erhebungen dieses Gebirges, die in der Nachbarschaft des atlantischen Oceans die furchtbare Küstenterrasse des Kaisertums Marokko und Fez, von deu südlichen uud Östlichen Provinzen Suse, Tarudant und Sejelmessa scheiden. Sie sollen iu einem grossen, zusammenhängenden Zuge mehrerer parallelen Gebirgsketten, vom kleinen Atlas in Errif gegen Südwest ziehen, und zwischen dem Drahafluss und dem Ca}) de Ger in die Fläche der Sahara abfallen." „Um Fez und Mequiuez bilden sie nur mittelhohe Berge, in denen der edelste Menschenschlag wohnt, zumal die Frauen, ohne Ausnahme, von der schönsten Bildung sind." „Von Marokko, der Residenz, aus steigen die Gebirgsketten gegen Ost schon in einer Entfernung von einer halben Tagreise auf zu den Gipfeln, die bei dieser Stadt die Namen Ulstan, Orika, Emsfiva, Tagana, Fraga, Suitaua, Ged-meva, Rgagaia, bei Fez aber Zavias, Itata, Zaimbi u. a. m. führen." „Die höchsten Gipfel, welche man von Marokko aus das ganze Jahr mit Schnee bedeckt sieht, ziehen in einer Reihe nur sechs deutsche Meilen (dreissig englische miles) in Ost von dieser Stadt vorüber und von Mogadore, der Küsteustadt, 28 deutsche Meilen (140 englische miles) weit, sieht man noch ihre Kcgelgipfel an heitern Tagen. Die ewig«? Schneehöhe setzt unter 34 Grad nördlicher Breite eine absolute Höhe von 10,800 Fuss über dem Meere voraus; doch scheinen nirgends weitläufige Schneefelder die Höhen zu bedecken, nur einzelne Gipfel ragen in diese Schneeregion empor." „Leo nennt nur einen einzigen Gipfel, den llanteta, den höchsten Berg, den er gesehen, wahrscheinlich über der verfallenen Stadt Tessa, welcher mit ewigen Schnee bedeckt sey; von den andern sagt er nur, auf ihnen schneit es das ganze Jahr und öfters kommen oben Karavanen vor Kälte um. Eine Behauptung, die, so auffallend sie auch ist, doch von allen spätem Erzählern wiederholt wird. Marmol sagt, dass auf den hohen Pässen der Schnee zuweilen in einer Nacht eine Lanze hoch fällt, und die Kälte auf den Höhen soll im Winter für Thiere und Menschen, selbst für die einheimischen Bergbewohner tödtend seyn (1). Dass man im Januar übrigens alle Berggipfel von Marokko aus weiss sieht und dadurch 4(i.i das Klima dieser Stadt selbst sehr abgekühlt wird, kann nichts Auffallendes seyn. Gletscher finden sich nirgends." „Mit solchen grässlichen Steilklüften ist die ganze Bergkette des hohen Atlas, welche die Ebenen Marokkos von denen im Südosten trennt, überall durchrissen. Hier zeigt sich ein Charakter des Hochlandes der Berberei, den wir auch schon oben berührten." „Wenn man von Tafilet (Tafilelt nach Jackson) nach Marokko zu über die Bergkette zieht, so führt der Weg die ersten fünf Tagreisen über vollkommen vegetationsleere Ebenen, auf denen es nie regnet. Dann übersteigt man in drei Tagreisen im hohen Atlas einen solchen Pass, der über die Ruinen von Pharoah und dann nach Fez führt; eben solche Piisse geleiten von Sejelinessa eben dabin." „Diejenigen Horden, welche im Besitze dieser Pässe sind, werden wohlhabend und reich, durch die Zollabgaben der Sudan-karavanen, welche durch diese Pforten hindurchziehen müssen iu das Küstengebiet." „Ein solcher Pass, schmal, wie durch Felsen gehauen, Vierzehn bis fünfzehn Stunden lang, leicht durch wenige Mann zu vertheidigen, liegt in der Provinz Qucnana, zunächst an Sejelinessa auf dem Wege nach Fez, und hat seinen Eingang am Zislluss; drei feste Burgen vertheidigen ihn, Tamaracost am Fluss, Gastir am Flusse der Ebene, und Zahbel auf der Höhe. Ein solcher Pass ist bei Agmet, durch welche iiuuii-disebe Horden alljährlich im October mit Datteln und Kamee-len auf die Märkte von Marokko ziehen. Aehnliche Pässe durchreisen die Karavanen, die nordwärts bis zum kleinen Atlas und bis zum Cap Blanco ihren Weg nehmen." „Anmerkung I. Namen Atlas und Daran. 1) Atlas. (Jeber die Bedeutung des uralten Namens Atlas, den schon Moritz Wagnkh'i Algier. I. 30 Homef keimt, mit dem schon Herodot den üusserston Berg im westlichen Libyen am Salzmeere {uXog) unverkennbar bezeichnet, der in der Sage der Atlanten, wie in der römischen Geschichte, eine so grosse Holle spielt, können wir uns nicht iu Untersuchungen einlassen. Die marokkanischen Etymologen wollen ihn bald von ihrem tla, welches Auf sieigen bedeutet und vom Aufsteigen der Sonne gebraucht wird, bald von Jibbel Attila, d. h. Schneeberge, herleiten*u. dgl. m. Auf jeden Fall ist es uns merkwürdig, dass die erste historische Bedeutung davon, die des Herodot, an der Küste des Mittel-nieeres war, und die Homerische Dichtung weist auf ihren ersten tyrischen Ursprung hin. Wahrscheinlich ein Uferberg im Westlichen Gebiet von Karthago, welcher des Meeres Tiefen gesummt durchschaut (boTe üalaacrfi nootjg ßh'&tu olätv), vielleicht da, wohin wir jetzt das östliche Ende des kleineu Atlas setzen. Aber durch die Meerfahrten der Karthager, die Herodot sehr wohl bis ausserhalb der Säulen des Hercules kannte, rückte ihm schon der Atlasberg westwärts bis zu der Strasse von Gibraltar, wie auch im gegenüberliegenden Pyrene, nvQi\vr}, oberhalb Massilien in Europa, der JVame dieses einen Yorberges auf die ganze Kette der von uns nun genannten Pyrenäen übertragen worden seyn mag. In Han-non's Küstculährt, der ältesten Urkunde (zwischen 300 bis 570 Jahr v. Chr. Geb. und nach Gosselin weit älter) über diese Gegenden, kommt der Name Atlas noch gar nicht vor." „Spätere Erzählungen von der untergegangenen Atlantis des Plato im Timäus, die Entdeckung der westlichen Inseln Gerne und anderer; die erste Nachricht des Sebosus von den Inseln der Seligen (quas Fortunatas putant), unsere Canari-schen Inseln (schon Plinius nennt ein Volk am Westabhang des Atlas, das die dortigen Wälder bewohnt, Canarier), deren einstiger Zusammenhang mit dem Atlas des Coutinents bald eine Lieblingshypothese bis auf die beutigen Anwohner jener Küsten wurde; dies alles dehnte bald den Namen des Atlas (fabulosissimum atlautem) bis zu seiner Südgrünze, dem Cap de Ger, aus. Von diesem ist nun durch die arabischen Geographen sein Gebiet quer durch das Contiuent hindurch, am Rande der Wüsten hin bis gen Tripolis erweitert, und von spateren sogar bis Aegypten und Mekka herausgezerrt worden." „So ging es mit der Erweiterung dieses Begriffes, gleich dem so vieler andern in der Geographie der alten und neuern Zeit, eben so wie mit dem Namen der Pyrenäen, mit dem des Berges Taurus in Cilicien, wie mit dem Altai, dem Ilimalaya, dem Kaukasus in llochasien u. s. w." „2) Daran. Ptolemäus nannte den höchsten Berg des Atlas Rüssadiron; nach Solinus, Eustathius u. A. nebst Bochart waren die ältesten Namen des Atlas: Dyris, Dyrim, Adiris, Adderim." „Plinius sagt ausdrücklich, dass Dyris der Landesname des Gebirges am Viorflusse sey, in der Nähe von Sala (heute Sale oder Sla unter 34° 5y nordl. Breite), wo Ruinen älterer Wohnungen zwischen Weinbergen und Dattclpflanzungen zu seiner Seite stehen sollten. Dyris leitet man vom phüni-zischen Tur (mens altura), dem maurischen Turana, dem spanischen Ziu-ana oder Taur (Taurus), oder wohl noch früher vom Sanscril Iii- oder tiram — Berg — ab." „Polybius lernte auf seiner Küstenfahrt nach der Zerstörung von Karthago den Darafluss, gegen das Bergland die Gaetuli Darae, und die äthiopischen Daratiten kennen, die Aethiopas Daratitae: nämlich im Süden vom Cap de Ger, in Suse, wo der Drahfluss (Daran?), der aber heut zu Tage sich nicht mehr in den atlantischen Oceau ergiesst, sondern 30 * sich im Sande verliert, welcher von hier bis ZU den Küsten in hohen Dünen aufgeweitet ist." „Auch Edrisi nennt den Atlas Daran, wie ihn noch heute seine Bewohner, die Berbern, nennen." „Dies sind die Benennungen, die mit dem Stammworte iu der Landessprache venvandt sind, wo heute noch, 1-drarn, oder E-drar, und A-theaar, das Dra oder Dahra, Berg, und I-daurer im Pluralis, Gebirge heissen. Ja die älteste Form ist, merkwürdig genug, noch iu dem alten Namen des Pik von Teneriffa, Aya-Dyrma, aufbewahrt." So weit die Bemerkungen Rittor's. Die Eintheilung des Atlas in vier verschiedene Gebirge ist aber nicht haltbar, weil 1) der „grosse Atlas" ein bis jetzt nur hypothetisches Gebirge ist. Mit der Bezeichnung Atlas magnus meinte Ptolemäus doch wohl ein Gebirge, welches den Atlas minor an Ausdehnung der Ketten und Höhe der Kegel übertreffe. Aber nach deu übereinstimmenden mündlichen Aussagen der Renegaten ßaudouin, Roche, Geistinger, wie auch der Biskris und Mosabiten in Algier, werden die Gebirge in einer Entfernung von vierzig Meilen von der Küste immer niedriger, bilden nur dürre Hügel, meistens blos Gruppen, und kein Berg kommt am Bande der Sahara dem Dschurschura und dem Aurass an Höhe gleich. Die Gränze der Wüste bilden wellenförmige Plateaus, und wenn auch hie und da Berge von 2—3000 Fuss aufragen, so siud diese doch immer entweder mit den nördlichen Gebirgszweigen in Verbindung oder bilden nur einzelne Gruppen, keine fortziehenden Ketten. Jedenlalls haben wir, selbst wenn der Ptolemäische Atlas magnus im Süden der Regentschaft Algier ungeachtet aller Verneinungen der Renegaten und Eingebornen existiren soll- te, über dessen Nord-und Südgrunzen durchaus keine zuverlässigen Nachrichten und wissen nicht, ob er ein getrenntes Gebirge ist oder theüweise oder auch ganz mit den nördlichen Zügen zusammenhängt 2) Der „kleine Atlas" ist von dem „mittlem Atlas" nicht zu trennen, da ersterer keine mit dem Meere parallel laufende Kette bildet, sondern an vielen Stellen erst zwanzig Stunden südlich von der Küste beginnt und sich durchaus kieine bestimmten Glänzen von diesem Gebirge, welches nach allen Richtungen seine Zweige iu das Innere versendet, und zwischen den entfernteren Höhenzügen angeben lassen. Ritter's Bemerkung, dass die Steilheit der Felswände und sehr enge senkrecht eingerissene Schluchten, die sie plötzlich bis iu die Tiefe der Thäler durchsetzen, dein Bergland des Atlas charakteristisch zu seyn scheint, ist nicht richtig. Shaw, auf welchen Ritter sich beruft, macht wohl auf einzelne steile Felspartien aufmerksam, sagt aber in seiner obenangoführteu allgemeinen Beschreibung ausdrücklich: „Die Bergabhänge des Atlas sind meist leicht zu erklimmen." Passender mögen Ritter's Bemerkungen für die hohe Atlaskette in Marokko seyn. Im Innern der Regentschaft Algier bilden nur die Abhänge des Dschurschura, des höchsten Beiges der Regentschaft Algier, der Engpass El-Biban an der Westgränze der Provinz Constantine, der Pass Ten iah zwischen den Städten Belida und Medeah, dann einige Gegenden im Süden von Budschia, am Aurass und in der Provinz Ti-tcri rauhe Felswände. Aber auch diese sind an Höhe und Schroffheit mit den Granitwänden der Pyrenäen uud Alpen nicht zu vergleichen. Im Allgemeinen haben die Atlaszüge im Innern den monotonen scliwermüthigen Charakter mittel-mässig hoher Waldberge, »der in den baumlosen und grasrei- eben Strecken das heitere Ansehen der Voralpenmattcn. Selbst in den ganz wüsten Strecken, wie zwischen dem Ras-el-Akba nnd Constantine, zeigt sich verhültnissmässig wenig nacktes Gestein, von Schiefer, Gneiss, Granit und IJrkalk, und die meisten, wenn auch vegetationsarmen Berge bedeckt eine Dammerdschicht bis zum Gipfel« Die Küstenkette, der sogenannte kleine Atlas — eine Benennung, deren sich wohl die neuesten Reisen aus den angeführten Gründen gewiss enthalten werden — ist in Osten der Stadt Algier weit felsiger und rauher als im Westen, wie Ritter ganz richtig bemerkt. Aber auch dort siud „die gewaltigen Felsufer, die schaudervollen Felsnarlien voll scharfkantiger Bücken und Spitzen" nur äusserst sparsam vorhanden, und von den älteren Reisenden und Seefahrern mit grosser Eebertreibnng geschildert worden. Die Abhänge der Berge drängen sich zwar häufig bis dicht an den Strand, steigen aber fast nie senkrecht und selten schroff aus dem Meere. Am häufigsten liegen zwischen Bergen und Meer sehr schmale Ebenen mit meersandigem Nordrand 500—1000 Fuss breit, manchmal auch grosse, fruchtbare, reichbewachseue Ebenen mehrere Stunden breit, wie bei Stora und Bona. Sänimtliche Gebirge der Küste, deren Höhe selten 2000 Fuss übersteigt, sind sehr dünn bewaldet. Die Korkeiche wächst auf deu Gipfeln. Auf den Abhängen stehen stellenweise Tannen, Pistaciabäume und Zwergpalmen. Das anbaufähige Land von der Meeresküste bis zur Wüste wird von den Eingeborenen Telia genannt; die Geographen nennen es nach Shaw Teil. Am breitesten ist dieser Landstrich, der das ganze Atlasgebirge, seine Thäler, Plateaus und die Küstenebenen in sich begreift, in der Regentschaft Tunis und im Kaiserreich Marokko, am schmälsten in deu Provinzen Titeri und Oran. Das au der Südgräuze der letzten Atlaszüge beginnende ebene Steppenland ist wenig fruchtbar und bat nur an den Ufern der nach Südeu laufenden Gewitter grüne Weiden und Palmbüume. Dieses flache Steppenland, dessen Breite wechselnd und ungewiss ist, wird von den Geographen mit dem Namen Blad-el-Dschcrid „das Dattelland" oder richtiger das „trockene Land" bezeichnet. Aber die Araber geben diesen Namen nur den Steppen im Süden der Regentschaft Tunis und eines kleinen Tbeiles der Provinz Constantine. Iu den übrigen Südtheileu dieser Provinz heissf man diese Ebene bereits Sahra, wie die grosse Wüste. Die südlichen Ebenen der Provinzen Titeri, Oran und eines Theiles von Marokko, welche mit. dem östlichen Blad-el-Dschorid in Verbindung stehen und dessen westliche Fortsetzung sind, bezeichnen die Araber mit dem Namen Kobla oder Kibla, was einfach „Süd" bedeutet. Es giebt in diesen Südsteppen der Berberei einige kleine Städte, wie Biskara, Ulad-Dschelal, Neftah; die dort wohnenden wundernden Araberstämme sind fast eben SO zahlreich, als die an festen Wohnplätzen sesshafteu Araber im Norden der Berberei. Auch römische Ruinen trifft man dort an den meisten fruchtbaren Punkten, deren es aber nur wenige giebt. Diese Ruinen dauern bis an den Rand der Sahara fort. Schiffbare Flüsse giebt es in der Regentschaft Algier keine, aber desto mehr kleine Gewässer, von denen die meisten ihren Lauf von Süden nach Norden nehmen. Ihre Mündungen sind sämmtlich durch Sandbarren verengt oder verstopft, deren Höhe nach der Jahreszeit steig! und fällt und die sich nur mit sehr bedeutenden Kosten entfernen Hessen. Der gänzliche Mangel einer Binnenschifffahrt wird dem Transport der Producte aus dem innern Land uud demnach auch dem Wohlstände des Landes immer sehr hinderlich seyn. Die Vcrthcilung so vieler kleiner Gewässer im Land macht dessen Unterwerfung sehr schwierig, da die Stämme überall Wasser finden und sehr zerstreut leben. Es giebt in der Berberei keinen grossen Fluss, wie in Aegypten, der einem Eroberer als Operationsbasis dienen könnte und an dessen Ufern die ganze Bevölkerung sich concentrirt fände. Bemerkcnswertho Gewässer der Regentschaft Algier sind: der Schelif, welcher bei Sobaun-Ai'un den „siebenzig Quellen" südöstlich von Tekedcmt entspringen soll. Der Schelif nimmt auf seinem gegen 250 Lieues langen Lauf, welcher erst eine nordöstliche, dann eine nordwestliche Richtung verfolgt, sehr viele kleine Flüsschen und Büchlein auf, sein Bett wird an manchen Punkten sehr breit, ist aber überall voll Untiefen, so dass an keine Schifffahrt im Innern zu denken ist, wenn auch der Fluss zur Regenzeit öfters hoch anschwillt. Der Schelif hat das ganze Jahr hindurch eine gelbe Schmuzfarbc, soll fischlos und sein W'asscr ungesund seyn. Nach dem Schelif ist die Tafna unweit der marokkanischen Gränze nach ihrer Vereinigung mit den Flüssen Barbata, Isser und Sikak ein ziemlich bedeutendes Gewässer, aber viel weniger breit und wasserreich, als der Schelif. Die Tafna soll auf dem Berge Tafza, zwei Tagmärsche südlich von Tlemsan entspringen. Zwischen der Tafna und Oran fliesst der Uad-el-Maylah oder Rio Salado mit ganz salzigem Wasser. Die Makta, welche zwischen Arzew und Massagran ins Meer sich ergiesst, wird aus den Flüssen Sig mit ungesundem trüben Wasser, Habrah und dem Bach Uad - el - Tlelat gebildet. Diese verschiedenen Gewässer durchströmen einen der fruchlbarsten Theilc des Landes. Der Massafran in der Provinz Algier wird aus den Gewässern Schiffa, Uad-cl- Dschar und Uad-Sidi-cl-Kebir gebildet, durchströmt die Provinz Algier und ergiesst sich unweit Coleah ins Meer. Sein Wasser ist im Winter saffrangelb. Arasch, Hamiss, Isser, östlich von Algier, sind unbedeutende Flüsschen. Der Suinmam soll in einem Zweige des Dschurschura entspringen. Kr durchmesst die Hochebene Hamza und vereinigt sich sechs Stunden vor seiner Mündung mit dem Uad-Adschebbi, welcher, gleich jenem, hohe Ufer und ein enges Bett haben soll. Der Lauf beider Gewässer, die fast unter gleicher Breite entspringen, bildet ein Dreieck, innerhalb dessen die unabhängigsten Kabylen des Landes wohnen, wie diese Gebirgsgegend überhaupt zu den wenigst bekannten der Erde gehört, lieber den Lauf dos Rummel, welcher Constantine bespült, hat man gleichfalls noch keine sehr genaue Kunde. In neuester Zeit glauben Einige — auf die verworrenen Berichte der Eingeborenen und die Entdeckung der Mündung eines kleinen Gewässers, westlich von der Mündung des Rummel, durch den Capitän Berard sich stützend — der Uad-el-Kebir, welchen Namen der Rummel im Norden annehmen soll, sey ein von dem Rummel getrennter Fluss. Ueber den Seybuss und Mafragg verweise ich auf das, was ich über beide Gewässer bei. Beschreibung der Umgegend von Bona bemerkt habe. Unter den Flüssen, welche ihren Lauf nach Süden nehmen, weiden der Uad-el-Dschedi, Uad-el-Abiad und Uad-el-Kantara als ansehnliche Gewässer genannt. Doch fehlt es über sie an zuverlässigen Nachrichten. Die Regentschaft Algier war zur Zeit der Dcyherrschaft in vier Provinzen getheilt. Constiuitine im Osten, die grösste und bevölkertste Provinz, dann Titeri im Süden die unfruchtbarste und ärmste, und Oran oder Mascara im Westen, die fruchtbarste und streitbarste Provinz. Jede derselben hatte einen Bev zum Oberhaupt, der das Land im Namen und unter Oberhoheit der Deys verwaltete. Die Provinz Algier stand unter directer Verwaltung des Deys und der Aga oder Kriegsminister hatte dort die Gewalt über Leben und Tod. Shaw schätzt den Tribut, welchen die drei Beyliks an deu Dey jährlich entrichteten, auf 250 bis 300,000 Franken für Constantine, 100 bis 150,000 Franken für Oran und nur 40,000 Frauken für Titeri. Bemerkenswerthe Städte im Innern der Provinz Constantine, welche ich nicht seibat besucht habe, sind : Milah, das alte Milcvum, im Nordwesten der Hauptstadt Constantine, in einiger Entfernung vom Kümmel gelegen. Das Städtchen ist reinlich und hübsch, mit einer Fontaine im Innern, von schönen Gärten umgeben, in denen namentlich der Granatbaum trefflich gedeiht. Seine Bevölkerimg besteht aus 2000 Mauren und Kuruglis, ein armer friedlicher Menschenschlag. Die Franzosen halten Milah seit 183S besetzt. Zammurah, uuweit des l.ad-Adschebbi iu der grossen Ebene Medschana gelegen, hat 1500 Einwohner, grösstenteils Türken uud Kuruglis, welche sich seit dem October 1839 den Franzosen unterworfen haben. Biskara, eine Stadt von fünf-bis sechstausend streitbaren und rührigen Einwohnern, liegt an den (lern des Uad-el-Kantara im äussersten Süden der Provinz. Sie soll von sehr hübschen Gärten umgeben seyn, aber die Bewohner sind arm und alljährlich wandern einige hunderte nach Algier und Tunis, um dort als Taglöhner zu arbeiten. Sie haben viel Liebe für ihre Vaterstadt und kehren, nachdem sie sich in den Küstenstädteu eiuiges Geld erspart haben, stets gern wieder in ihre Heimath zurück. Biskara ist noch von keinem Europäer besucht und beschrieben worden. Die Franzosen haben militairischc Niederlassungen zu Dschimmilah und Setif gegründet. Beides sind verlassene römische Städte in%L'insamer Wüdnisa gelegen. Ein sehr merkwürdiger Ort ist die Kabylenstadt Kelah oder Callah, vier Stunden nördlich von dem berühmten Engpass Biban, auf einem sehr hohen ringsum senkrecht abgeschnittenen Felsen gelogen. Sie ist die Hauptstadt des mäch tigen Kabylcristammes der Beni-Abbas und Residenz des Kaid. Früher war das Oberhaupt immer aus der Marabutfa-milie Buseid genommen, die seitdem ausgestorben seyn soll. Der Kaid legte sich den Titel „Sultan" bei. Kelah wird als uneinnehmbar geschildert. Niemals machten die Türken auch nur einen Versuch gegen diese Felsenstadt. Alle vom Bey verfolgten Unglücklichen, alle aus ihren Stämmen verstossenen Kabylen, alle Missethäter fanden von jeher in Kelah eine Freistätte. Die Stadt soll bedeutende Schätze enthalten, lieber die Zahl der Bevölkerung Kelahs lauten die Aussagen der Eingeborenen widersprechend. Noch nie hat ein Europäer diese Stadt besucht. Von dem Engpass Biban, an der Westgränze der Provinz Constantine gelegen, welchen die französische Armee au» 28. October 1839 zum erstenmal passirte, giebt der damals pubiirirte officielle Bericht folgende Schilderung. „Die Uei-ge bilden dort senkrechte Felswände, welche sich lange fortziehen und deren Gipfel nicht zu erklimmen sind. DiiitIi diese Gebii-gskettc hat der Uad-Biban, ein salziger Bach, sich ein tiefes Bett durch eine schwarze Kalksteinmasse gebahnt, deren Wände sich zu beiden Seiten des Gewässers über 100 Fuss erheben, und an die höheren Felsen sich anreihen. Der Weg hat an drei Stellen nur vier Fuss Breite und folgt beständig dem Bett des reissenden Baches, dessen Wasser ihn überschwemmt und grosse Steinbocke auf ihn rollt, welche für Menschen und Pferde den Marsch sehr mühsam machen. Wenn der Uad-el-Biban^vom Hegen angc; schwollen ist, wird die Passage unmöglich. An einigen Stellen erblickt man Vorsprünge von Felsgestein, denen man den Namen „Thore" gegeben und die das Bett des Baches so verengen, dass derselbe mit Heftigkeit durch die schmalen Ausgange braust. Alle, welche diesen Pass gesehen, fanden ihn noch weit schwieriger, als der Ruf gesagt hatte." Die fruchtbarste und beviilkertste Gegend der Provinz Constantine bilden die Terrassen, Abhänge uud Thäler des Dschibel-Aurass, sechs Tagmärsche im Süden der Stadt Constantine gelegen. Der Renegat Baudouiu erzählte mir, dass er dort in einem einzigen Thal über vierzig Duars gezählt habe. Schon die alten Schriftsteller, namentlich Procopius, preisen die Schönheit und Fruchtbarkeit des Aurass. Dieser Berg, der eine Kette, wie der Dschurschura bildet, ist von blonden Kabylen bewohnt, welche Bruce und Shaw für Abkömmlinge der Vandalen hielten. Die mächtigsten Araberstämme der Provinz Constantine siud die Henanchas, deren Wohnsitze, südöstlich von der Hauptstadt, sich bis an die Glänze von Tunis erstrecken; die Aractas zwischen Ghelma und Constantine, und die Ulid-Abd-el-Nur, welche eine grosse Ebene zwischen Constantine und der Medschana bewohnen. Die mächtigsten Kabylenstämnie sind: die Zuauu, zwischen dem Rummel uud Uad-Adschebbi, sehr zahlreich und unabhängig seit undenklichen Zeiten. Ihr Kaid giebt sich deu Titel Sultan. Sie verhielten sich bisher ruhig auf ihren hohen Wohnsitzen und kamen mit den Franzosen noch in keinerlei Berührung. Die Beui-Abbas, welche die Umgegend des Biban bewohnen, sind sehr reich und mächtig. Die Flissa auf dem Dschurschura ist ein so /ahlreicher Stamm, dass er allein 10,000 Krieger, meistens Fussgänger, auf die Beine bringen kann. Die Flissa sind sehr geschickte Waf-fenarbeiter, wohnen in hübschen steinernen Dörfern und haben eine Hauptstadt „Flissa", von etwa 1000 Einwohnern. In der Provinz Titeri giebt es nur eine Stadt, Medeah, mit einer Bevölkerung von vier bis fünftausend Einwohnern. Sie steht auf einem Hügel, ihre Häuser sind meist einstöckig mit einem innern Huf, ohne Säuleu, nur der ehemalige ßeypalast hat solche. Statt der Terrassen haben die Häuser Ziegeldächer. Es giebt eine Kasbah in Medeah von viereckiger Form und vier Moscheen, die nichts ßemerkens-werthes bieten. In der Umgegend stehen einige Landhäuser und ein grosser Aquacduct. Medeah unterhält ziemlich lebhaften Handel mit den Stämmen der Wüste. Die sieben Uthans oder Stammgebiete, welche Medeah umgeben, sind die Beni-llassan, Ilassan-ben-Ali, Beni-Yacub, Uzra, Uamri, Higha und. Ilaura. Der Boden ist gebirgig, mit breiten Thä-lern durchschnitten. In der Stadt wohnen Mauren, Kuruglis, Neger und besonders viele Mosabiten. In der Provinz Oran sind bemerkenswerthe Städte, welche ich nicht zu besuchen Gelegenheit hatte: Miliana, Te-kedemt, El-Callah und Tlemsan. Miliana hat eine sehr hohe, aber freundliche Lage, unweit des Dschibel - Zickar. Die Stadt ist hübsch gebaut, die Strassen breit, die Häuser weiss angestrichen, mit Ziegeldächern, einstöckig oder blos mit einem Erdgeschoss. In den Gärten wachsen meistens nur Bäume und Pflanzen der nördlichen Zone, die Palmen und Orangenbäume ertragen nicht die Winterkälte der Umgegend von Miliana. Tekedemt war zu Ende des 17ten Jahrhunderts noch eine bedeutende Stadt, welche von ihren Bewohnern, der arabischen Tradition zufolge, wegen einer Hungersnoth verlassen worden seyn soll. Dies geschah wenige Jahre, bevor Shaw sie gesehen, also wohl gegen das Jahr 1720. Abd-el-Kader hat, nach der Eroberung von Mascara durch die Franzosen, Tekedemt im Jahre 1836 zu seiner Residenz gewählt. Er hoffte, dass ein französisches Heer ihn dort nicht so leicht erreichen würde. Tekedemt ist etwa dreissig Stunden südwestlich von Mascara und eben so weit von Miliana entfernt. Die von Abd-el-Kader neu aufgeführten Ringmauern sind 1200 Schritte lang und 900 breit. An der Stelle, wo die ehemalige Festung stand, liess der Emir eine Kasbah erbauen, welche sein Pulver- und VVaH'enmagazin und seinen Schatz bewahrt. Tekedemt ist von ziemlich hohen Gebirgeu umgeben, auf welchen die immergrüne Eiche und der Mastix-baum wächst. Letzterer (wahrscheinlich Pistacia atlantica) liefert sehr viel Saamenöl, Das Klima von Tekedemt ist sehr rauh und es gefriert schon im Monat October. Die Umgegend ist nicht angebaut und die Lebensmittel sind theuer, da sie von einem halben Tagmarsch herbeigeführt werden müssen. Tekedemts Bevölkerung zählt noch kaum einige hundert Familien. El-Callah ist eiue schmuzige Stadt, zehn Lieues südöstlich von Mostaganem gelegen. Es werden dort viele Teppiche, ßernusse und andere Stoffe fabricirt und der Markt soll stark besucht seyn. Das Städtchen hat eine Kasbah, in welcher die Türken früher eine Garnison hielten. Lieber die Einwohnerzahl konnte ich nichts Zuverlässiges erfahren. Tlemsan, eine im Westen der Provinz gelegene Stadt, war einst sehr gross, blühend und volkreich. Hassan, Dey von Algier, liess sie im Jahre 1760 wegen eines Aufstandes last ganz zerstören. Als die französische Armee unter Marschall Clauzel am 13. Januar 1836 in Tlemsan einzog, hatte diese Stadt eine Bevölkerung von kaum 5000 Einwohnern, von denen die Hälfte Mauren, die andere Hälfte Kuruglis waren und gegenseitig in heftigster Zwietracht lebten. Die Kuruglis waren Meister des Meschuar, einer grossen Citadelle, welche die Stadt beherrscht. Abd-el-Kader hatte den Meschuar ein Jahr lang belagert und die Franzosen kamen, die Garnison zu befreien. Tlemsan hat seitdem Drangsale aller Art erlebt und im Jahre 1837, wo General Bugeaud dort mit seinem Heer eine Zeitlang verweilte, war Tlemsan, wie mir ein Augenzeuge schrieb, wenig mehr als ein Schutthaufen. Derselbe Begleiter des Bugeaud'schen Zuges, Hauptmann Stürlcr in neapolitanischen Diensten, schilderte mir, wie alle übrigen Augenzeugen, die Umgegend Tlemsans als wunderschön, eben so reich bewässert, mit eben so blühender Vegetation bedeckt, wie die Umgegend von Belida. Die Stadt ist auf einem Plateau gebaut, auf dessen Südseite sich eine weite vortrefflich cultivirte Ebene ausdehnt. Die Hügel bei Tlemsan erheben sich terrassenförmig mit den schönsten Südbaumpflanzungen; es giebt dort die grössten ölivenbäume des Landes, fast so hoch und astreich, als die deutschen Buchen. Die klaren, frischen Bäche und Bergquclleu stürzen in kleineu Wasserfällen von einer Terrasse zur andern. An Blumen, Südfrüchten und edlen Bäumen aller Art ist keine Landschaft der Kegentschaft reicher. Diese ungemeine Fruchtbarkeit des dortigen Bodens bewog auch deu Marschall Clauzel, eine Garnison in Tlemsan zurückzulassen. Seit dem Vertrag an der Tafna ist die Stadt in der Gewalt Abd-el-Kader's. Die Kuruglis sind sämmtlich ausgewandert. Ein Theil zog mit den Franzosen nach Mostaganem, die übrigen hat Abd-el-Kader im Lande zerstreut. Unweit Tlemsan liegen die imposanten Ruinen der arabischen Stadt Mansurah. Die mächtigsten Stämme der Provinz Oran sind: die Angads im Süden von Tlemsan, die Flita an den Ufern des Schelif, die Haschems in der Ebene Egglm-s bei Mascara, die Garrabas und Bcni-Ammcr zwischen Oran und Mascara, die Beni-Monasser in der Umgegend von Scherschel uud die Kabylen an der Tafna, welche dem Häuptling Bohamedi gehorchen. Drei merkwürdige Oascnstaateu im Süden der Regentschaft Algier, welche seit allen Zeiten ihre Unabhängigkeit behauptet haben, sind Tuggurt, Ain - Maadi und die Staaten der Beni-Mzab oder Mosabiten. Tuggurt ist im Süden der Provinz Constantine, in der Sahara gelegen. Die Oase soll sehr reichlich bewässert seyn. Die Stadt Tuggurt ist von einer guten Ringmauer umgeben und die Umgegend kann man von allen Seiten unter Wasser setzen, so dass Tuggurt von einem Angriff' auswärtige! Feinde wenig zu fürchten hat. Pellissier sagt, diese Oasenhauptstadt sey fast eben so bevölkert, als Constantine, aber genaue Nachrichten, die ich von Scheikhs der Sahara darüber einzog, verneinen dies und schildern Tuggurt wenig grösser als Belida. Das Oberhaupt dieses Staates, der sich Sultan nennt, soll einen bedeutenden Schatz aufgehäuft haben. Einige Karavanen, die aus dem Sudan nach Tunis ziehen, berühren Tuggurt. Der Staat Ain - Maadi liegt in der Sahara, neun arabische Tagmärschc südlich von Tekedemt. Die Marschetappen zwischen diesen beiden Punkten sind: Suannna, Nadur, Tad-Alk, El-Feschiab, Bir-cl-Bidah, Togorarin, Khaira, Teilula — Ain-Maadi. Die Stadt gleichen Namens wurde, als in Folge der Ahd-ol-Kndor'schon Expedition so viel von Ain-Maadi gesprochen w7urde, in den Zeitungsberichten sehr vergriissert. Nach genauen Angaben von Renegaten und Eingebornen hat die Stadt nicht über dreihundert Häuser; die Vorstädte etwa achtzig. Sie hat eine breite, sehr solide Ringmauer mit Thürmen, welche allen Sturmvcrsucheu Abd-el-Kader's , wie seinen Geschützen trotzte. Die Bewohner sind Araber, auch einige Juden wohnen dort, wie mir der Dragoman Ainrnm versicherte, kleiden sich aber in arabische Tracht. Ain-Maadi hat drei Thore. Ausserhalb der Stadt Iiiesst die Quelle, welche ihr den Namen gab. Innerhalb der Mauern belinden sich drei Cisternen, welche die Bevölkerung während der Belagerung mit Wasser versahen. Die sie umgebende Ebene heisst El-Masi. Zwei Tagemärsche mmlwestlich von Ain-Maadi liegt das Städtchen Logruat, welches nur halb so gross ist uud geringe Bedeutung hat. Die frühere Herrscherfamilie dieses kleinen Oasenstaates hies I Iad-AIi. Sie wurde von der aus Marokko stammenden Marabutfamilie Tidschini vom Thron gestürzt. Der gegenwärtige Herrscher von Ain-Maadi heisst: El-lIadsehi-Mohamed-Ben-Salem-cl-Tidschini. Die Staaten der Mosabiten oder Beu-Mzab, südlich von der Provinz Titeri, in der Sahara gelegen, haben eine völlig republikanische Verfassung, sind sehr gewerbthätig, wohlhabend uud stark bevölkert. Die westliche Oase, zehn arabische Tagemärsche von Medeah, ist die bedeutendste. Ihre Hauptstadt heisst. Gherdaia. Sie hat hübsche Häuser, breite Strassen und 15,000 Einwohner. Sie liegt an den Ufern des Uad-el-Biad (weissenStromes). In derselben Oase liegen die kleinen Städte Bonora, Melika, Ahtfa und Beni-l sghin. Die Moritz Wagnek's Algier. I. 31 zweite Oase im Osten von Gherdaia hat drei Städte: Barriaan, El-Grara und Metlili. Drei Tagemärsche südlich von Mellili liegt die dritte Oase mit der Hauptstadt Caragla von 4000 Einwohnern. *) °) lieber das Volk der Beni-Mzab und die Verfassung ihrer Staaten siehe II. Band. Leipzig, Druck von II irschl'eld.