Die Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487) Eine Quelle wie Santoninos Reisetagebücher ist von den Entstehungsbedingungen, vom Inhalt und von den Aussagemöglichkeiten sehr komplex. Die quellenkritische Auseinandersetzung sollte daher auch möglichst umfassend und interdisziplinär erfolgen. Meine persönlichen Möglichkeiten erstrecken sich auf die musikgeschichte Interpretation, mögliche sonstige Ansatzpunkte muß ich anderen Bearbeitungen überlassen. In der Einleitung zur deutschen Übersetzung meinte Rudolf Egger1 im Jahre 1947, die »Reisetagebücher des Paolo Santonino werden in Fülle wissenschaftliche Einzelarbeit anregen«. Diese Prognose hat sich auch erfühllt. Besonders wichtig ist aber die Tatsache, daß Santoninos Reisetagebücher als Ganzes in der Kulturgeschichte des europäischen Spätmittelalters einmalig sind. Die Zeit vor einem halben Jahrtausend war in Slowenien die Zeit der Pest, der Türkeneinfälle, der gewaltigen Unterdrückung des Landvolks und – dadurch bedingt – der Bauernaufstände. Auch dauert der Streit zwischen dem Kaiser und dem Ungarnkönig Matthias Corvinus. Um dem Volke einigermaßen zu helfen, erließ Kaiser Friedrich III. im Jahre 1492 ein besonderes Patent für die Krain, wonach die Bauern berechtigt waren, mit ihren Produkten in ganz Österreich, Ungarn, aber auch in Italien, Deutschland, Griechenland und Spanien – wo die Handelswege hinführten – freien Handel zu treiben. Diese Rechte wurden später mehrmals bestätigt. Das Reisen war nicht nur ein beliebtes, sondern auch ein notwendiges Unternehmen. Die slowenischen Lande waren Teil eines Gebietes mit regem Verkehr und ansehnlicher Wirtschaft. Die Wallfahrer begaben sich sogar nach Compostella in Spanien, nach Köln in Deutschland und die Jungen studierten an den Universitäten in Wien, Padova, Bologna und in Deutschland. Wie schon gesagt, war diese Zeit die der Türkeneinfälle und eines gewaltigen Druckes auf den Bauernstand. Verschiedenste Steuern häuften sich. Die Bauern schlossen sich zum Aufstand zusammen, um für ihre überkommenen Rechte zu kämpfen. Der größte Bauernaufstand fand 1515 statt, endete aber für die Bauern tragisch. Dabei war das Bauernvolk auf Gedeih und Verderb den türkischen Räubereien ausgesetzt,2 weshalb Werkirchen, gennant „tabor“, errichtet wurden, wo der Bauer sein armseliges Hab und Gut in Sicherheit bringen konnte. In der Zeitspanne von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gab es an die 60 blutige Einfälle der Türken in Krain. Den Berichten ist zu entnehmen, daß 1473 die Hälfte Krains eingeäschert war, bis zum Jahr 1508 sind von den Türken über 200.000 Einwohner Krains getötet oder in die Sklaverei verschleppt worden. Zu diesen Heimsuchungen kamen noch andere: Im Jahre 1511 vernichtete ein Erdbeben eine Reihe von Städten und Dörfern, die Felder wurden von Schwärmen von Heuschrecken verwüstet, die erschöpften Einwohner wurden von verschiedenen Epidemien, zunächst von der Pest, heimgesucht, und viele wurden das Opfer strenger Winter. Deshalb 17 Die Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487) 1 Rudolf Egger, Die Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487). Klagenfurt 1947. Zur Musikpraxis siehe auch: Primo Kuret, Glasbeni instrumenti na srednjeveških freskah na Slovenskem [Musikinstrumente auf den mittelalterlichen Fresken Sloweniens]. Ljubljana 1973, S. 163. 2 Peter Štih – Vasko Simoniti, Slovenska zgodovina do razsvetljenstva [Slowenische Geschichte bis zur Aufklärung]. Ljubljana 1996, S. 164. brauchten die Leute geistlichen Trost; vielleicht liegt darin der Grund, wieso in den slowenischen Landen unvergleichlich mehr Kirchen gebaut worden sind als anderswo in Europa, sogar an einsamen Orten, wo man keine erwarten würde. Das Oberhaupt der protestantischen Bewegung in Slowenien, Primo Trubar (1508-1586), wetterte noch im Jahr 1558: »Erbaut haben sie [d. h. die Slowenen, Anm. der V.] und bauen immer noch ihre Pfarrkirchen auf fast allen Besitzungen, Bergen und schönen Ebenen, in Wäldern und Hainen, große Kirchen, manchmal zwei zusammen, sodaß in vielen Pfarreien zu 24 und mehr Filialkirchen und Kapellen errichtet sind und jeden Tag neue dazu kommen.«3 Doch auch die Kirche erlebte kritische Zeiten. Die Priesterschaft war mangelhaft ausgebildet und der Unzucht ergeben. Im Jahr 1448 mußte eine Versammlung der höchsten kirchlichen Würdenträger in Laibach den Priestern den Unterhalt von Konkubinen, den Trunk, das Leiten von Tavernen und den Verkauf von Sakramenten strengstens verbieten.4 Im Volk traten Elemente heidnischer Kulte auf, neue Sekten (z.B. die Stifter und die Springer) fanden Unterstützung. Alle diese Erscheinungen reichten noch in das 16. und sogar bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts. Der spätere Papst Pius II., Aeneas Silvius Piccolomini (1405-1464), schrieb in der Mitte des 15. Jahrhunderts, er sei in der Krain unter die Wilden geraten,5 und der Erzbischof von Seckau, Martin Brenner (1548-1616), bekannt als „Apostel der Steiermark“, stellte mit Entsetzen fest: »Wenn irgendwo ein Land ist, in dem der Teufel waltet, der seine Befehle durch Vermittlung von Alchimisten, Zauberern und Wahrsagern verbreitet, so ist es in Krain.«6 Daß dies nicht ganz der Wahrheit entsprach, bezeugt die Tatsache, daß es in jenen Zeiten viele gebildete Slowenen gab, die in Wien oder in Italien studiert hatten. Viele bekleideten hohe kirchliche Ämter, waren Universitätsprofessoren und hatten andere hohe Stellungen inne. Es ist bewiesen, daß in den Jahren zwischen 1451 bis 1518 in Wien mehr als 600 Krainer studierten, von denen viele angesehene und einflußreiche Persönlichkeiten wurden, wie z.B. Toma Prelokar (Thomas de Cillia, 1420-1496), Bernhard Perger, dem im Jahre 1478 Rektor der Universität Wien war, Brikcij Preprost (?-1505) aus Celje (Cilli) oder der Diplomat Sigismund Herberstein (1486-1562) – einer von diesen war auch Georg Slatkonia, Leiter der Hofmusikkapelle und Bischof von Wien.7 Die Umstände, die in Slowenien herrschten, sind aber sehr wahrscheinlich die Ursache, warum die slowenische Intelligenz lieber in der Fremde blieb: die Möglichkeiten, sich noch weiter zu entwickeln, waren dort viel besser und es war ruhiger. Paolo Santonino reiste mit Bischof Pietro Carlo aus Caorle in den Jahren 1485-87 auch durch die slowenischen Länder und schrieb seine Eindrücke in einem Tagebuch nieder. Es geschah dies in Zeiten der Unsicherheit, in dennen allenthalben die Spuren der Zerstörungswut zu sehen waren, inbesondere an Kirchen und Friedhöfen. Kirchen und 18 PRIMO KURET (1935) 3 Mirko Rupel, Slovenski protestantski pisci [Slowenische protestantische Schriftsteller]. Ljubljana 1966, S. 125. 4 Josip Gruden, Cerkvene razmere med Slovenci v XV. stoletju in ustanovitev lj. škofije [Die kirchlichen Verhältnisse in Slowenien im 15. Jahrhundert und die Gründung der Laibacher Bistums]. Ljubljana 1908, S. 26ff. 5 Ibidem, S. 36. 6 Zitiert nach Jure Miku, Podobe Gallusove dobe [Die Bilder aus der Zeit von Gallus]. Ribnica 1991, S. 16. 7 In den Jahren von 1365 bis 1609 studierten an der Wiener Universität circa 3000 Studenten aus slowenischen Ländern (vgl. Štih – Simoniti, siehe Ahm. 2, S. 190). Altäre durch Weihen neu zu begründen, zählte zu den Rechten des Bischofs. Der zuständige Bischof bis zur Drau war damals der Patriarch von Aquileia, Kardinal Marco Barbo (1471-1491), sein Stellvertreter auf dieser Reise war der Bischof von Caorle, der kleinen Lagunenstadt, Pietro Carlo. Der Patriarch gab ihm als Reisebegleiter und Sachverständigen Paolo Santonino, den Sekretär der Patriarchatskanzlei, mit. Zweck der Reise war aber außer der Weiche von Kirchen auch das Spenden der Firmung und die Überprüfung des Klerus. Santoninos Tagebücher wurden nie gedruckt. Nur ein Exemplar befindet sich seit 1549 in der vatikanischen Bibliothek, der Codex Latinus 3795. Santonino stammt aus Südumbrien und lebte seit 1469 in Udine. Er war Rechtskundiger, seine Bildung entsprach dem gesamten Wissen der Zeit. Santonino war Laie und einer der wohlhabensten Bürgers von Udine. In seinen Tagebüchern erkennen wir in ihm einen echter Italiener, einen Mann, den zu leben versteht, Freude an gutem Essen und am Weine hat und Interesse an der Zubereitung von Speisen zeigte. Er hat Sinn für Etikette und Zeremonien, beobachtet scharf die Mienen des Gastgebers und er vergaß nie ausführlich der Frauen zu gedenken – er beschrieb Kleider und Schmuck, Erscheinung und Tugenden der Weiblichkeit und war für Schönheit durchaus empfänglich.8 Der Verdienst, Santoninos Tagebücher der Vergessenheit entrissen zu haben, gebührt Kardinal Mercati. Er hat in der Festschrift für Bartolomeo Nogara im Jahre 1937 Santoninos Abschnitt über Celje veröffentlicht.9 Santoninos Tagebücher sind auch eine Quelle zur Kenntnis der musikalischen Praxis in den bereisten Landen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In seinem Tagebuch erwähnt Santonino alles, was er in den Orten, die er als Begleiter des Bischofs besuchen durfte, gesehen und gehört hatte. Die erste Reise im Jahr 1485 führte ihn über Tolmezzo nach Kärnten. Im folgenden Jahr war er in Krain und Kärnten. Er besuchte Škofja Loka, Kranj, Velesovo, Triè, Villach und andere Orte. Er war über den musikalischen Anteil im Gottesdienst begeistert. Im Jahr 1487 kam er mit dem Bischof in die Steiermark. Er besuchte Slovenske Konjice, Ptuj, und andere Orte besuchten. Aber überlassen wir Santonino das Wort und zitieren wir nach Eggers deutscher Übersetzung, was er über Musik und Musiker geschrieben hat. »Am 3. Oktober 1485 wurde ein üppiges Festessen im Orte Kötschach veranstaltet, bei dem der edle Herr Leonhard, Seiner kaiserlichen Majestät Hauptmann auf Burg Pittersberg im Gailtale, anwesend war, ein aüßerst bescheidener und hochgebildeter Mann. Das Festessen aber war reichbesetzt mit zahmem und wildem Geflügel, mit Vierfüßlern und unter anderem ist auch ein Eichhörnchen in Kräutersoße vorgesetzt worden. Nach dem Essen trat ein Schauspieler des hohen Herrn Leonhard, des Grafen von Görz, auf, der Zither spielte, manches Stück auf dem Waldhorne blies, mit reicher Mimik Possen vortrug und alle Gäste durch seine Schalkhaftigkeit zu frohem Lachen 19 Die Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487) 8 Helmut Hundsbichler, »Pavel Santonino v Sloveniji (1486 in 1487). Stvarnost in mentaliteta v potopisu iz pozne gotike« [Paolo Santonino in Slowenien (1486 und 1487). Realität und Mentalität in einem Reisebericht aus der Spätgotik]., in Zgodovinski casopis [Historische Zeitschrift] 50 (1996) 2 (103), S. 187-202. 9 „Una visita a Cilli del 1487“, in: Scritti in onore di Bartolomeo Nogara 1937, S. 263ff. Den gesamten lateinischen Text veröffentliche Giuseppe Vale im Jahr 1943. Die deutsche Übersetzung besorgte Rudolf Egger (siehe Anm. 1) im Jahr 1947, die slowenische Primo Simoniti 1991. brachte, was uns ganz erfrischte« (14-15 „[…] peracto prandio accessit mimus Ill.i Domini Leonardi Comitis Goricie, qui chytara et hircino cornu diversimode canens, ac gestu et sermone vario jocatus, convivos omnes facetiis suis risu et iucunditate resolvit, ac refecit ex toto“, Vale 125). »Am zweiten Sonntag des Monates, den 9. Oktober, hat der Bischof den neuen Chor der Kirche des hl. Laurenz in Tristach eingeweiht [...] Ein Chor vorzüglicher Sänger assistierte und begleitete zu nicht geringer Freude der Besucher den Lauf der Messe mit mehrstimmigen Gesange. Nach dem Gottesdienste ging es zum Mahle [...] Sänger würzten uns das Mahl, indem sie vor jedem einzelnen Gange Lieder in ihrer Sprache zum Besten gaben.« („Affuitque chorus optimorum cantorum qui figuratis notis cursum missae, non sine magna astantium voluptate sunt prosecuti [...] Reddiderunt cantores orandium jucundis, qui singulis ferculis cantilenas aliquis suo idiomate premittere curaverunt”, Vale 135,136). Bei der Einweihung der Altäre in Nußdorf war anwesend der Fürst von Görz „mit der Frau Gräfin [...] und mehreren Rittern. Voran gingen vier Trompeter mit schallenden Instrumenten“ (Tubicines IIII.or, tubis perstrepentibus preibant“, Vale 139). In der Pfarrkirche St. Daniel hat der Bischof den Chor der Kirche geweiht. »Es gab ein feierliches Hochamt [...] Der Feier wohnten bei außer guten Sängern vortreffliche Musiker, zwei mit der Harfe und zwei mit der Zither« ([...] divinorum sollemnibus affuere preter cantores bonos, musici optimi bina lira et chytara canentes,[…]“ Vale 146). »Für die dort geborenen Leute« - meinte Santonino - daß sie »alle von Natur aus« Zither- und Harfenspieler sind. »Das sagten sie selber und zum Teile habe ich es selbst erfahren.« (48, „Vallis ipsa licet sit in aspera frigidissimaque regione posita, homines tamen in ea nati, fere omnes sunt a natura chitaredi, et lyriste, ut ipsimet dicunt, et ego ex parte novi.“ Vale 150). Am Ende der Beschreibung dieser Reise berichtet Santonino: »Von der Pfarre S. Daniel im Gailtale abwärts bis Villach leben unter den Deutschen Slowenen und beide Völker sind zweisprachig.« („A plebe S. Danielis vallis Gille infra usque Villacum, admixti sunt sclavi alemanis et utraque natio, utrumque idioma callet.“ Vale 170). »Zu verwundern ist es, wie sie Zeit für Festmähler und Trinkgelage haben, sodaß sie Tag und Nacht nicht aufhören. Man hat den Eindruck, daß je mehr und je verschiedenere Gänge aufgetragen werden, sie ihren Appetit immer wieder erneuern. Ein Zuschauer mag nicht ohne Übertreibung sagen: diese Leute haben allmächtige Mägen! [...] Die Geistlichen haben meistenfat eils Wirtschafterinnen, junge und schöne, denen auch Mägde beigegeben sind. Die Zivilbevölkerung nimmt daran keinerlei Anstoß, denn fast überall werden von ihr die Geistlichen verehrt, geachtet und hochgeschätzt. Nirgends ist bei den vielen Weihen von Kirchen und Altären getantzt worden, sondern alle wohnten lediglich in einziger Andacht dem Gottes-dienste bei. Nirgends kam es zum Raufen oder zu Streitigkeiten, nirgens gab es auch nur den geringsten Skandal. Es mögen sich daher die Friauler Bauern schämen, die an Zucht und Frömmigkeit von den Barbarenleuten übertroffen werden.« (74-75). 20 PRIMO KURET (1935) Im nächsten Jahr ging die Reise am 24. August los. Am letzten August hörten der Bischf und sein Gefolge »zwei Messen in Lack [Škofja Loka], die erste in der Kirche S. Jakob, die zweite aber mit Gesang in der Kirche der Lacker Klarissinnen, welche vortrefflich singen.« („Ultima augusti binas audivimus missa in Loch, primam in ecclesia S. Jacobi: secundam vero, et in cantu, in ecclesia monialium dicti ordinis C. Clare, que optime canunt.“ Vale 181). »In Krainburg [Kranj] ist die prächtig gebaute Pfarrkirche des hl. Kanzian, in der kein Holztram zu finden ist, sondern das Dach über einem hohen Gewölbe ruht. In ihr tun ständig elf Geistliche Dienst, und ausgezeichnet ist sie durch hervorragende Sänger und eine neue Orgel, welche unter Aufsicht und auf Kosten des ehw. Lehrers des Kirchenrechtes, Herrn Matthias Operta, aufgestellt worden ist [...] Am 1. September hörten wir in der Pfarrkirche eine Messe, welche Orgelspiel und süße Singstimmen zu einem höheren Genuse machten [...]« („[...] deserviunt in ea continue XI presbiteri et ab optimis cantoribus, et novis organis, cura et impensa R(everendissimi) de decretorum doctoris D(omini) Mathie Operta, positis plurimum ornata. Prima septembris, missam in parrochiali ecclesia audivimus: quam organa et suavissime cantorum voces iucundiorem prebuere, Vale 183-184). »Am 3. September kehrten wir zum Prädikantenkloster der seligen Jungfrau in Velesovo (Michelstetten) zurück um eine Messe zu hören, welche durch einen der Kapläne zelebriert wurde. Die Nonnen sangen mit Engelstimmen und kunstreich auf einem erhöhten Chor. Davon haben wir alle großes Vergnügen.« („Moniales in choro altius posito officitum cantorum preregerunt; dulcissimis ac suavissimis vocibus, et secundum artem: quae res omnibus nobis magne fuit voluptati“, Vale 187). Von Velesovo wanderten die Reisenden nach Kärnten. Vorher kamen nach Neumarktl (Triè). Santonino schreibt: »Wir hatten hier, gemessen an der Unwirtlichkeit und Kleinheit des Ortes, ein ausreichendes Essen, dem nicht die guten Fische fehlten, und nach dem Danksagen haben einige von uns zur Zither, die dem Herrn Kaspar gehörte, gesungen, um sich zu erholen und den traurigen Bischof zu erheitern.« („[...] post gratiarum actionem, aliqui ex nostris ad chitarum (que ipsius D(omini) Casparis erat) cecinerunt, recreationis gratia“, Vale 188). In Villach hörten sie mehrere Messen und »eine besonders schöne Singmesse«. Die Kirche besitzte zahlreiche Folianten für den Gesang. In ihr gibt es »auch eine Orgel mit vollem, süßem und harmonischem Ton. In der Kirche sind angestellt ein Lehrer und ihm zur Seite ein Kantor, ein Subkantor und eine vertraglich verpflichtete Hilfskraft, welche viele Knaben im Gesange einüben und welche täglich an dem Amte mit ihren Schülern und anderen Sängern teilnehmen. Diese alle stellen dar und bilden einen wahrhaften Engelschor; denn man hört bei ihm die lieblich-sten Stimmen harmonisch zusammenklingen.« ([...] et libros alios in cantu in magna copia […] sunt inibi etiam organa magnam dulcem et consonam vocem habentia,“ Vale 184). 21 Die Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487) Am 7. September stand Santonino „morgens auf und begab sich in die Kirche, wo der Lehrer und seine Kollegen eine feierliche Messe zu Ehren des heiligen Leibes Christi sangen, die anzuhören das ganze Volk von Villach zusammenkam. Eine solche feierliche Singmesse fand nach Ortsbrauch jeden Donnerstag statt. Doch vor Beginn der Messe „wurde voll Hingebung eine Prozession um die Kirche abgehalten, bei welcher der Lehrer, die Kantoren und die Knaben vorangingen und einstimmig Lobeshymnen sangen […].“ »Am 8. September wurden in der genannten Kirche vier feierliche Singmessen und über zehn stille gehalten, und so geschieht es, wie man berichtet, auch an den anderen Festtagen [...] Nach der Predigt aber singen Männer und Weiber mit lauter Stimme‚veni s. spiritus‘, dann gehen sie zum Opfern.« Die dritte und letzte Reise führte den Bischof und Santonino über Tolmin (Tolmein) und Škofja Loka (Lack) nach Konjice (Gonobitz) in der Steiermark. In der Umgebung von Gonobitz weihte der Bischof in einer Filiale der Gonobitzer Pfarrkirche drei Altäre, die durch die Türken geschändet worden waren, wieder sein. Die nächsten Tage verbrachten der Bischof und Santonino in Gonobitz und in der Umgebung (Loèe, Gorica, Èadram), wo der Bischof wieder viele Altäre einweihte. Santonino beschreibt begeistert die Umgebung und die Stadt Gonobitz. Besonders zufrieden war er mit dem Essen »mit vielen guten Gängen und einem vom Jagdhunde des Herrn Archidiakon erbeuteten Hasen« (140). »[…] Um das Mahl noch angenehmer zu gestalten, waren zwei Musikanten da, welche mit etwas verschiedenen Flöten, einer größeren und einer kleineren, aufspielten« (141) („Tibiis aliquando diversis fistulis maioribus scilicet et minoribus cecinerunt“). Die Reise ging dann weiter über Poljèane (Pöltschach), Laporje (Lapriach) und Studenice (Studenitz), Makole (Maxau), Èrešnjevec (Kerschbach) und Majšperk (Monsberg) nach Ptuj (Pettau). Santonino erwähnt, daß sich Ptuj »eines Überflußes an Brot, Wein und Fleisch« (148) erfreut. In der Umgebung von Ptuj firmte der Bischof nach Tische viele Gläubige in der Kirche der Heiligen Maria auf dem Gnadenberge (Ptujska gora). »Hiernach reinigte er die von Ungläubigen entweihte Kirche bestens. Dann wurden wir eingeladen, ja genötigt durch Bitten und Zureden des Herrn Hermann und der Frau Omelia, bei ihnen das Essen zu nehmen und zu übernachten, und wir stiegen zu ihrer nahen Burg hinab [...] Da mußten wir nicht bloß aus einem, sondern aus allen Bechern trinken. Dann kamen wir zum Abendmahle. Nicht weniger als acht Gänge haben wir bezwungen, alle mit großer Sorgfalt und Tafelgepränge von Frau Omelia bereitet.« Santonino erwähnt, daß Frau Omelia »gleich gut deutsch und slowenisch spricht« und daß sie schön und hübsch war. Und dann in einer Randbemerkung: »Ich spürte in meinen Gliedern eine zweites gewandeltes Gesetz, das dem Gesetze Gottes widerstreitet.« Frau Omelia selbst »saß zwischen Herrn Archidiakon und dem Sekretäre Santonino, und öfter mischte sie bei Tische den Wein und reichte ihn beiden. Die Augen aber warf sie häufiger auf den Herrn Archidiakon als auf den Paolo, warum weiß ich nicht; vielleicht weil er ihr bekannter war, oder weil er jünger, größer und stärker war als Santonino. Schließlich standen wir vom Mahle [...] dann begannen Flötenspieler, oder wie die Leute sagen, Pfeifer zum Tanze aufzuspielen. Der Herr Ritter forderte als ersten Santonino auf, mit Frau Omelia zu tanzen. Als er sich mit Unerfahrenheit in solcher Kunst entschuldigte, 22 PRIMO KURET (1935) entgegnete er, daß er ihn gerne unterrichten wolle, nahm seine teure Frau bei der Hand und tanzte unverzüglich einen Tanz vor. Als dieser beendet war, forderte er Santonino zum zweitenmale auf, mit der besagten schönen Frau zu tanzen [...] Als der Sekretär die Würde seines Amtes und gleicherweise seine Unkenntnis vorschützte und völlig ablehnte, da ärgerte sich die Dame offensichtlich recht sehr, weil sie sich verschämt fühlte. Nach einigen anderen Tänzen kam ein erlesener Nachttrunk mit vorzüglichem, honiggesüßtem Backwerk und mit süßem Weine […] (154,155)“. Nach dem Besuch vieler Orte in der Untersteiermark, kamen der Bischof und sein Gefolge wieder nach Gonobitz, wo sie in der Pfarrkirche St. Georg eine »von vortrefflichen Sänger gesungene Messe hörten« (169). Auch das Abendessen »verschönten uns der Lehrer und die Kantoren der besagten Gonobitzer Kirche, welche mehrstimmig verschiedene Loblieder und Hymnen sangen« (172), (scholasticus et cantores ecclesie predicte de Gonabicz, qui diversas laudes et ymnos, figurata notis cecinerunt“, Vale 254). Santonino konnte zwar nur eine subjektive Auswahl von Mitteilungen niederschreiben, und wie jeder Autor eines historischen Reiseberichts liefert er nicht »Beschreibung« und »Information« im heutigen, dokumentarischen Sinne. Sachinhalt und Realität können erst nach geeigneter Interpretation zutage treten. Helmut Hundsbichler meint sogar, daß die »Reisetagebücher eine Liebhabearbeit [seien], die ausschließlich der persönlichen Erinnerung und der Unterrichtung von Freunden diente, wohl eine literarische Übung, die nur für einen humanistisch interessierten Leserkreis in Udine bestimmt waren«.10 Die Beobachtungen, Feststellungen und Beschreibungen Santoninos bezeugen aber auch, daß sich das Musikleben und die musikalische Praxis in den größeren slowenischen Pfarrkirchen und Klöstern zumindest auf dem durchschnittlichen europäischen Niveau befanden. Es waren aber auch in kleineren Orten, so etwa in Slovenske Konjice, Pfarrschulen tätig, die Sänger und Instrumentalisten heranzogen. Die Beobachtungen Santoninos lassen auch die Beliebtheit der weltlichen Instrumentalmusikpraxis hervortreten.11 Dieselbe aber war bestimmt nicht nur auf die Orte beschränkt, die Santonino besucht hatte. Objavljeno v: Die Wiener Hofmusikkapelle I. Herausgegeben von Elisabeth Theresia Fritz Hilscher, Hartmut Krones, Theophil Antonicek. Böhlau Verlag, 1999. Str. 107–116. 23 Die Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487) 10 Hunsbichler, siehe Anm. 8, S. 187-202. 11 Mehr dazu bei Dragotin Cvetko, Zgodovina glasbene umetnosti na Slovenskem [Die Geschichte der Musik in Slowenien] 1. Ljubljana 1958, und bei Kuret, siehe Ahm. 1, S. 163ff. Povzetek Popotni dnevnik Paola Santonina (1485–1487) Latinsko pisani popotni dnevnik Paola Santonia (1485–1487) nas med drugim seznanja z glasbeno prakso ustnega izroèila in dejansko poustvarjalnostjo tistega èasa v slovenskih deelah juno od Drave. Paolo Santonino je naše kraje obiskal v spremstvu Pietra Carla, škofa v Caorlu, v èasu, ko je ta po naroèilu oglejskega patriarha vizitiral predele Koroške, Kranjske in Štajerske, ki so spadali pod oglejsko upravo. Škof je s spremstvom opravil tri vizitacijska potovanja: od 29. septembra do 11. novembra 1485 je bil na Koroškem, ob spodnjem toku reke Drave in Zile. Na drugem potovanju od 25. avgusta do 1. oktobra 1486 so cerkveni dostojanstveniki preko Kobarida, Tolmina in Grahovega potovali do Cerknega; od tam so šli v Škofjo Loko, obiskali Kranj, Velesovo in Triè, nakar so preko Ljubelja odšli na Koroško. Tretje potovanje je trajalo od 7. maja do 8. junija 1487. Preko Tolmina, Grahovega, Škofje Loke in Vranskega so potovali v Slovenske Konjice; obiskali so veè cerkva na Štajerskem (Ptujsko Goro) in grad Majšperk ter se preko Celja vrnili domov. Ker je takrat e obstajala ljubljanska škofija, njenih upnij niso obiskovali in tudi Ljubljani so se izognili. Santoninov dnevnik je bogat z opisi raznih realij in razmeroma pogosto z glasbenimi dogodki. Skoznje spoznamo povedne drobce posvetne in deloma tudi duhovne glasbene prakse, veèglasno glasbo nunskega samostana v Velesovem, glasbo za ples na gradovih in instrumentalno igranje v duhovnem okolju. Èe omenjeno glasbeno izvajanje razumemo v pravem kontekstu, lahko potrdimo, da je bilo za Santonina presenetljivo aktualno in preprièljivo izvedeno. (Edo Škulj) 24 PRIMO KURET (1935)