isar '**B OLIV FA. CULT URBILD ER EINER SÜDAMERIKANISCHEN REPUBLIK ERSONLICHEN ERLEBNISSEN RNST MOSSBACH BERGWERKSDIRECTOR DASELBST. (Nach der Originalskizzc des Autors.) LEIPZIG, 1875. VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH. B O L I V I A. CULTURBILDER AUS EINER SÜDAMERIKANISCHEN REPUBLIK (Nach der Originalskizze des Autors.) LEIPZIG, 1875. VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH. Uebersetzungsrecht vorbehalten. Dnick von Metzger S: Wittiv; in Leipzig. Vorwort. Folgende Erzählung, das Werk einiger Musse-stunden, entsprang der Erinnerung an ein Stück Vergangenheit meines Lebens in einem Lande, welches sich bis heute fast noch gänzlich der öffentlichen Beurtheilung entzog. Amerika vertritt auch auf seiner südlichen Hälfte den Inbegriff menschlicher Contraste und — menschlichen Abschaumes. Doch wird letzterer nicht erst von Europa eingeführt, sondern bildet sich aus zwei bereits vorhandenen, heterogenen und dennoch einander ähnlichen Elementen. Auf der einen Seite die Spanier alter Abkunft, deren stolzer aber edler Sinn sich hier am reinsten erhalten hat, auf der andern die Indianer von ehrlichem und fügsamem Character und dazwischen die Abkömmlinge beider, »der Gähr-stofT südamerikanischen Abschaumes.« Einen Confluxus von Gesindel, wie er sich aus europäischen Schiffen über Nord-Amerika ergiesst, kennt man daher hier nicht. Die Reise ist zu theuer! Auch die Classe der sogenanten »Shoddies«, wie die Nordamerikaner ihre durch betrügerische Specu-lation aus Elend zu äusserm Glänze emporgeschwindelten Self-made-men treffend bezeichnen, ist hier verhältnissmässig wenig — »viel weniger« als in Europa, resp. in unserm »biedern« Deutschland vertreten und wenn Parvenüs dieser Art einmal von »drüben« herüberkommen, so folgt ihnen die Nemesis gewöhnlich schon auf den Fersen. Merkwürdig, dass gerade die Ausländer und vor allen die Deutschen in Süd-Amerika die glückliche Gabe des »Menschen-Erkennens« und des »Auskundschaftens« besitzen, dank welcher sie jedes Ankömmlings Herkunft und Lebenslauf schnell in Erfahrung bringen. Man ist durch Schaden klug geworden und glaubt den Pseudo-Grafen, Titular-Obersten und sonstigen Renommisten nicht mehr ohne Weiteres. Mir sind sogar Fälle bekannt, in denen Individuen, welche von Europa nach dem gelobten Lande »Nord-Amerika« ausgewandert waren, sich dort mit Dienstmädchen obscurer Kneipen verheirathet und durch nicht sehr saubere Geschäfte es zum »reichen Mann« gebracht hatten, aber trotz ihres Geldes und trotz ihrer Feten keinen Zutritt in vornehme Häuser erlangen konnten, die Befriedigung dieses ihres höchsten Wunsches endlich in Süd-Amerika suchten. Allein hier kam ihre Herrlichkeit noch weniger zur Geltung; denn die Fama war ihnen bereits vorausgeeilt und hatte sie für bessere Gesellschaften ein für alle Mal unmöglich gemacht. In Amerika beugt man sich nicht vor dem Zauber des Geldes! — Noch eine Bitte: Von dem Grundsatze ausgehend, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, führte ich auf meiner Reise um Cap Horn und während meines Aufenthaltes in Süd-Amerika ein Tagebuch, in welchem ich nicht allein specielle Mittheilungen, Beobachtungen und eigene Erlebnisse, sondern auch »viele« Zeichnungen von Seestücken, Landschaften und Characterbildern aufnahm, die ich fast alle, treu nach der Natur auf das Sorgfältigste theils mit Feder und Tusche, theils mit Wasserfarben als leidliche Bilder herzustellen mich bemüht hatte. Auch eine grössere Anzahl von Photographien war in dem Buche enthalten. Eine Reisetasche, in welcher unter andern werthvollen Gegenständen sich leider auch jenes Buch befand, ging auf meiner Rückreise in Panama verloren, wo wir Passagiere des Dampfers Bogota (im September 1864) von Negern förmlich überfallen wurden. Meine vielfachen Nachforschungen, bei welchen mir ein Herr Henry Ehrman in Panama und später die Herren Antony Gibbs & Sons in London, sowie Herr O. E. Müller in 1 lamburg und San Jose de Costa Rica hülfreiche Hand boten, sind ebenso erfolglos geblieben wie die von mir in Panama ausgesetzten und ausgegebenen Belohnungen, so dass mich jetzt, nachdem schon Jahre verflossen sind, nur ein glücklicher Zufall wieder in den Besitz jenes Buches bringen könnte. — Oder sollte ein Passagier des Bogota, welcher schon unterwegs grosses Interesse für jenes Buch verrieth, es mir entwendet und daraus Mittheilungen und Copien in die OefTentlichkeit gebracht haben, die eine Entdeckung zur Folge haben könnten? — Unmöglich wäre dies nicht Dass mir aber der Verlust dieses Buches bei meinen schriftlichen Arbeiten über Süd-Amerika doppelt fühlbar wurde, wird man um so mehr begreifen, als mir ausser einigen meiner Briefe von dort, die ich in Deutschland wieder vorfand und ausser den dürftigen Angaben unserer gewöhnlichen Geschichtsbücher über jene fernen Länder nichts als meine Erinnerung zu Gebote stand und bitte ich daher besonders diejenigen, welche Politik und Geschichte Bolivias aus bessern Quellen zu schöpfen Gelegenheit haben, Nachsicht zu üben, wenn in Folgendem diese oder jene Zeitangabe der Genauigkeit entbehren sollte. Der Verfasser. Bolivia ist, wie fast alle Republiken Süd-Amerika's ein ziemlich unruhiges Land. Die Geschichte verzeichnet von der Vertreibung der Spanier im Jahre 1825 bis zum Jahre 1865, also in 40 Jahren, nicht weniger als 17 Regierungswechsel und nicht weniger als 12 verschiedene Präsidenten, obschon nach der Verfassung des Staates jeder Präsident auf 4 Jahre gewählt wird, ausserdem aber noch ein Probejahr zu bestehen hat. Doch sind diese Bestimmungen illusorisch! Wer die Gewalt hat, hat auch das Recht und wer neben der erstem das Verlangen nach dem Präsidentenstuhle trügt, welches selten fehlt, der kann ihn auch erlangen; ja es sind Fälle dagewesen, dass dieser viel begehrte Thron ganz ohne Gewalt, aber mit um so grosserer Schlauheit und List erobert wurde. Dass hierbei Intriguen aller Art stattfinden, die den Mischlingen der Spanier mit Indianern und Negern, den eigentlichen Krakehlern, stets reichlich zu Gebote stehen und meist mit Revolutionen und Parteikämpfen enden, versteht sich von selbst. In der That, wollte man die kleinern und grossem Revolutionen der bezeichneten Zeitspanne zählen, so würde fast auf jedes Jahr eine kommen; von den Präsidenten aber ist nicht einer, welcher die gesetzliche Zeit inne- Mossbach, Bolivia. , gehalten hätte. Die meisten wurden schon früher weggejagt und nur dreien war es gelungen, Amt und Würde über jene Zeit hinaus zu behaupten. Hierzu kommen noch die fortwährenden Eifersüchteleien zwischen Peru und Bolivia, die ebenfalls öfter zu blutigen Kriegen führten. Das Volk betheiligt sich indessen nur höchst selten an dem Austrage der politischen Meinungsverschiedenheiten, vielmehr überlässt es diesen, genau wie noch heut' zu Tage in Spanien geschieht, den Parteien, welche mit ihren theils freiwilligen, theils gemietheten, theils gewaltsam recrutirten Soldaten in offenem Kampfe aneinanderrücken, nach dessen Entscheidung die geschlagene Partei über die nächste Grenze (gewöhnlich nach Peru) flüchtet, während die siegende Partei in die Residenzstadt La Paz einzieht und ihren Präsidenten daselbst proclamirt und einsetzt, unbekümmert, ob dieser von den Deputirten und Senatoren der eigentlichen Hauptstadt Chuquisaca als solcher bestätigt wird oder nicht. Das ist der gewöhnliche Verlauf der Revolutionen, die an und für sich zwar unscheinbar sind und meistens schon in 2 bis 4 Wochen abgethan werden, nichts desto-weniger aber doch empfindlich auf den Verkehr des Landes wirken. Und noch ist es ein Glück, dass sie so schnell vorübergehen, denn sonst möchte den an Kopfzahl den Weissen weit überlegenen Indianern, welche von den Revolutionen verhältnissmassig am meisten geschadigt werden, doch endlich die Geduld reissen; sie würden, entfesselt, das Joch der Knechtschaft durch eine Empörung abschütteln, das Schrecklichste, was Bolivia geschehen könnte, und das von Natur so begünstigte Land müsste bald ohnmächtig unterliegen. Die lange Reihe der Präsidenten von Bolivia beginnt mit Bolivar, welcher, nachdem er Nieder- und Hoch-Peru von der Herrschaft der Spanier durch die Schlachten bei Junin und Ayacucho befreit hatte, im August 1825 das Protectorat dieser Länder mit dictatorischer Würde übernahm. Hoch-Peru wurde selbständige Republik und nahm seinem Befreier zu Ehren den Namen Bolivia an. Ein Jahr darauf setzte Bolivar seinen vorzüglichen General Sucre aus Columbia als Präsidenten ein, dessen Name nicht weniger wie sein eigner bei dem intelligenten Theile der Bevölkerung noch jetzt in hohem Andenken steht. Sucre, obschon in aller Form und sogar als lebenslänglicher Präsident auch von den Cortes bestätigt, übernahm dieses Amt nur auf 2 Jahre, verliess Bolivia jedoch schon vor Ablauf dieser kurzen Zeit, da bereits im zweiten Jahre seiner Regierung Unruhen ausbrachen, die angeblich wegen der zu wenig freisinnigen Constitution, in Wahrheit aber deshalb angestiftet wurden, weil man keinen Ausländer auf dem Präsidentenstuhle haben wollte. Nach seinem Abgange traten die beiden Generäle Velasco und Blanco als Prätendenten auf, von denen ersterer durch Bestechung und Gewalt sich zum Präsidenten aufwarf, aber schon nach kaum 9 Monaten (December 1828) vertrieben wurde. Blanco, welcher nun an seine Stelle trat, fand bereits nach wenigen Wochen, am 1. Januar 1829 seinen Tod durch Meuchelmörder. Eine provisorische Regierung, welche nun schnell in's Leben trat, ernannte den Marschall Santa Cruz, auf den die Wahl schon früher einmal gefallen war, zum Präsidenten. Dieser verstand es, sich 10 Jahre zu behaupten, indem er durch seine Kriege mit Peru und 1* Chile die Aufmerksamkeit des Volkes nach Aussen lenkte, aber auch im Innern eine weise Regierung führte, dank welcher sich das Land in jeder Beziehung hob. Audi er wird im Gedächtnisse der Bolivianer fortleben. Nach der für ihn unglücklichen Schlacht von Yungui (20. Januar 1839) mit den Peruanern, intriguirte Velasco, welcher als commandirender General in Bolivia zurückgeblieben war, gegen Santa Cruz und liess sich zum zweiten Male als Präsident proclamiren. Santa Cruz floh im März nach Ecuador. Auch dieses Mal währte die Präsidentschaft Velasco's nur wenige Monate; denn man wählte, reuig über die ungerechte Behandlung, welche Santa Cruz erfahren hatte, letzern von Neuem (Ende Juni), während Velasco gefangen und verbannt wurde. Ehe jedoch Santa Cruz nach Bolivia kam, hatte sich der nicht weniger befähigte und beliebte General Baliviän ausgangs desselben Jahres als Prätendent aufgeworfen und die Bestätigung der Cortes erhalten. Er behauptete sich 8 Jahre lang. Sein Sieg über die um die Hälfte seiner Truppen starkem Peruaner bei Viacha, unweit La Paz, am iS. November 1841 und seine Vorsicht* dass er Santa Cruz, weicher 3 Jahre später von Peru aus einzufallen gedachte, gefangen nahm, noch ehe er die Grenze erreichte und an Chile auslieferte, trugen nicht wenig dazu bei, seinen Gegnern Respect einzu-ilössen und sie von Revolutionsgelüsten abzuhalten. Und doch musste auch er im August 1848 dem Präsidentenstuhle entsagen und seihst nach Chile fliehen. Zum dritten Male tauchte bald darauf Velasco als Monatspräsident auf, indem er noch Ende desselben Jahres vom General Manuel Isidoro Belzti, welcher schon unter Baliviän als Kriegsminister gedient und die Soldaten zu seinen Gunsten aufzuwiegeln versucht hatte, gestürzt wurde. Bei Belzu's Regierungsantritt brachen in Oruro, Chu-(liiisaca und Cochabamba Revolutionen unter Velasco und andern missvergnügten Generälen aus, während Baliviän von Chile aus durch die argentinische Republik einzufallen drohte und selbst La Paz zu gähren anfing. Diese sowie die später folgenden Revolutionen und Parteikämpfe, deren zu seiner Zeit mehr als ein Dutzend stattfanden, unterdrückte Belzu mit kräftiger Hand, ja man sagt, dass er einige derselben, treu seinem Motto: »Um zu moralisiren muss man zuvor demoralisiren«, selbst angefacht habe. Und wirklich folgten segensreiche Jahre für Bolivia, indem Belzu durch eine strenge aber gerechte Regierung die Ruhe wieder herstellte, Handel und Ackerbau durch neue Gesetze schützte und hob und das Militär mit einigen Einfällen in Peru (1853 und 54) beschäftigte. Von den Indianern wurde Belzu förmlich vergöttert, da er ihnen nicht allein gleiche Gerechtigkeit mit den weissem Eingebornen und Eingewanderten angedeihen liess, sondern sie sogar begünstigte. Auch soll er öfter zu verstehen gegeben haben, dass er nicht abgeneigt sei, sich bei künftigen Unruhen an die Spitze der Indianer zu stellen, um Alles zu vernichten. Er hütete sich zwar, dies auszuführen, sicherte sich aber durch diese Drohung um so mehr das Vertrauen der Indianer und seine eigne Stellung. Nachdem seine Gegner, von denen besonders der Dr. jur. Linares ihn mit glühendem Hasse verfolgte, die Ueber-zcugung gewonnen hatten, dass mit Revolutionen gegen ihn nichts auszurichten sei, versuchten sie mehrere Attentate auf sein Leben, die jedoch ebenfalls missglückten. Nur der Mordanfall eines gewissen Morales, welcher den Präsidenten- auf einem Spazierritte vom Pferde schoss und für todt liegen Hess, hätte seinem Leben durch Verblutung ein Ende gemacht, wenn sich nicht Indianer seiner angenommen, die Kopfwunde geheilt und ihn bis zu seiner Genesung in ihren Ranchos verborgen hätten. Die Nachricht, dass der Präsident noch lebe und sein Schwiegersohn, der General Jorge Cördova interimistisch für ihn eingetreten sei und mit ihm geheime Verbindungen habe, erstickte bald die Gährungen, welche im ganzen Lande loszubrechen drohten. Belzu erschien wieder als Präsident und verfuhr nun mit doppelter Strenge und Vorsicht, indem er ziemlich rücksichtslos jeden, der ihm verdächtig vorkam, nach ungesunden Gegenden verbannte oder ins Gefängniss werfen oder erschiessen lies, bis er des Vigilirens und fortwährend bedrohten Lebens endlich satt, seinem Schwiegersohne die Präsidentenwürde iriit Zustimmung der Cortes definitiv übertrug und im August 1855 Bolivia freiwillig ver-liess, nachdem er zuvor in einer langen gedruckten Abschiedsrede seiner Entrüstung über ein undankbares Volk mit scharfen Worten Ausdruck gegeben hatte. Cördova erging es nicht besser als seinem Schwiegervater. Auch er hatte in den 2 Jahren seiner Regierung nichts als Revolutionen und harte Prüfungen durch den Dr. Linares zu bestehen, aber nicht Energie genug, dieselben gänzlich zu unterdrücken. Die Gelegenheit eines Amnestiebruches benutzend, dessen Cördova in der That sich hatte zu Schulden kommen lassen, ging Linares im August 1857 nach Ururo, setzte sich daselbst mit dem Eestungscommandanten in Einverständniss, versicherte sich der (»ftieiere und Besatzungstruppen und kehrte Anfangs September trotz aller Vigilanz Cordova's unbemerkt nach La Paz zurück, indem er sich, in einer *Petaca, einem grossen Reisekoffer, versteckt, auf dem Rücken eines Maulthieres mitten in der Heerde eines Arriero's in die Stadt hatte schaffen lassen. Wenige Tage danach brach der Aufstand in Ortiro aus; Cördova zog ihm entgegen, musste aber fliehen, da sich inzwischen auch La Paz und fast alle Städte des Innern gegen ihn erhoben und Linares ihm jeglichen Rückzug abzuschneiden drohte. Im November desselben Jahres liess sich Linares als Präsident proclamiren. Obschon er ein strenges Regiment einführte und alle Vorsichtsmassregeln zu seiner Sicherheit traf, auch Anfangs 1859 seine gefährlichste Gegenpartei vollständig geschlagen hatte, wurde er dennoch im Januar 1861, also schon nach 3 Jahren, durch Verrath gestürzt. Ihm folgte ein Triumvirat seiner Minister Sanches, Achä und Fernandez. Bald bildeten die beiden letztern wieder eigene Parteien. Nach einem für Fernandez unglücklichen Zusammenstoss musste dieser in's Ausland fliehen, während Achä sich siegreich behauptete. Neue Unruhen brachen im Jahre 1863 in der Stadt La Paz aus, welche einen Gegencandidaten der Präsidentschaft in der Person eines Cenerales Perez aufgestellt hatte. Achä schlug zwar auch diesen, musste aber schon 1865 einem seiner eignen Generale, Namens Melgarejo, weichen und der Präsidentenwürde entsagen. — Belzu, welcher inzwischen abermals erschien, um seinen Schwiegersohn zu rächen, der unter Achä gemordet war, fiel selbst im Kampfe, nachdem er nochmals als Präsident ausgerufen war. Das ist, in kurzen Worten zusannnengefasst, die Geschichte der ersten 40 Jahre der Republik Bolivia. »Welch' buntes und grausiges Bild!« wird der Leser rufen, »Wer möchte in einem solchen Lande leben!« Zur Beruhigung desselben will ich sogleich anführen, dass ich über 6 Jahre daselbst verweilt und durchschnittlich mich ganz wohl befunden habe, wenn ich auch stets den stillen Wunsch hegte, dass diesem von Natur so glücklichen, in politischer Beziehung aber leider gänzlich verkommenem Lande zunächst eine streng monarchische Regierung zu Theil werden möchte, wodurch es bald besser mit ihm stehen würde. Ob die Zukunft der Republik geregeltere Verhältnisse bringen wird? ■— Ich bezweifle es. Die letzten acht Jahre geben dazu wenig Hoffnung. Auch mir, wie so vielen Fremden fehlten vorübergehende Missgeschicke nicht, die theils aus Unkenntniss der Eigenthlimlichkeiten des Volkscharacters, besonders einer gewissen Classe von Beamten, hervorgingen, theils Folgen der Stellung und Geschäfte waren, die es hier im socialen Leben nun einmal mit sich bringen, dass man bisweilen in Processe und andere unangenehme Situationen geräth. Diese muss man schon mit in den Kauf nehmen. Allein ich würde mein Gewissen mit einer Lüge belasten, wollte ich aussagen, dass mir nur ein Fall bekannt wäre, in welchem den Ausländern in civilrechtlichen Fragen, die sich freilich oft entsetzlich in die Länge ziehen, schliesslich nicht stets volle Gerechtigkeit widerfahren wäre. Anders verhält es sich in Sachen der Politik, ein besonders für die Mischlinge spanisch-indianischer Abkunft verführerisches und gefährliches Feld. Ich habe öfter die Constitution des Landes, die Ausübung der Gesetze und die staatlichen Institutionen öffentlich tadeln, ja selbst unzufrieden über den Präsidenten, seine Minister und seine ganze Regierung sprechen hören: »Que importa, was liegt daran«! Eis war die gewöhnliche Antwort, welche ich auf meine verwunderte Frage betreffs dieser weitausgedehnten Redefreiheit erhielt. Nur Eines muss man festhalten und dies ist, nie an politischen Versammlungen und Bewegungen Theil zu nehmen, wo möglich nicht einmal eine politische Färbung zu Gunsten eines andern Präsidenten als des gegenwärtigen zu zeigen. Anschuldigungen dieser Art werden nach der äussersten Strenge des Criminalrechtes, mehr aber noch nach Willkür des Präsidenten darüber hinaus geahndet. Glücklicherweise ist es den Ausländern ziemlich gleichgültig, wer die Gewalt in Händen hat, wie ihnen denn überhaupt das politische Schicksal des Landes wenig am Herzen liegt. Ihr Hauptstreben ist, Ruhe und Frieden zu erhalten, um ihre Geschäfte ungestört betreiben zu können. Dies wissen auch die Präsidenten zu schätzen, welche nicht selten schon, wie man zu sagen pflegt, ein Auge zudrückten, wenn ihnen etwas unvorsichtige Aeusserungen von Ausländern zu Gehör kamen, und man darf den.Zeitschriften und Erzählungen, welche uns öfter Nachrichten über das bedrohte Eigenthum oder gar über das bedrohte Leben der Ausländer in den südamerikanischen Republiken brachten, nicht zu viel Glauben schenken; in Bolivia wenigstens braucht man bei Beachtung obiger Warnung in dieser Hinsicht nichts zu befürchten. Für den geselligen Verkehr aber findet man Unter den gebildetem Classen selbst der Eingebornen recht leicht passenden Umgang und viel aufrichtige — IO — Freundschaft, die an Aufopferung in der That ihres Gleichen sucht und dank welcher man sich bald ein angenehmes Leben schaffen kann. Hat doch ein Deutscher, der General-Feldmarschall Philipp Braun aus Cassel, die ganze Periode jener 40 Jahre erlebt und trotz mancher Unbill, die er in Folge seiner militärischen Stellung erfuhr, die weite Reise über den Ocean und über die un-wirthlichen Cordilleren 15 Mal unternommen, obgleich er nach dem für ihn und den damaligen Präsidenten Santa Cruz verhängnissvollen Jahre 1839 nach Deutschland zurückgekehrt war und sich daselbst zum zweiten Male verheirathet hatte, während seine Interessen in Amerika durch treue Freunde und vom Jahre 1854 sogar durch zwei erwachsene Söhne erster Ehe sicher und gut verwaltet wurden. Auch er hatte während der Befreiungskämpfe sowol als der darauf folgenden Bürgerkriege, in denen er sich vom einfachen Reiterofficier bis zu jenem hohen militärischen Grade aufschwang, die harten Schicksalsschläge einer schweren Verwundung, einer Gefangenschaft, einer Flucht bei Xurücklassting seines ganzen Vermögens und sogar einer Bedrohung seines Lebens durch die bereits gezückten Messer feindlicher Soldaten durchzukosten. Nichts destoweniger trieb ihn die Sehnsucht immer wieder nach jenem Lande, in welchem er so viel Ungemach erduldet, aber auch viel Ruhm und irdische .Glücksgiiter erworben hatte, in deren ungestörtem Besitze er bis zu seinem Ende, 1869, blieb. — r r — Meine Characterbilder und Episoden datiren aus der Zeit der Präsidentschaft des Dr. Jose Manuel Linares und des Generals Jose Maria Achä. Einem Engagement als Director der Kupfergruben des genannten General-Feldmarschalls Braun in Corocoro (Bolivia) folgend, war ich im October 1858 in der peruanischen Küstenstadt Arica gelandet. Der damalige Präsident von Peru, General Ramon Castilla, welcher schon von 1845 ms I^5I als solcher fungirt hatte, dann dem General Rufino Echenique weichen musste und mit Beginn des Jahres 1S55 sich wieder zum provisorischen Präsidenten aufgeschwungen hatte, war 2 Monate vor meiner Ankunft als wirklicher Präsident aus den Wahlen des Volkes hervorgegangen. Arica hatte sich von dem Schrecken des Bombardements durch den revolutionären General Yivanco einigermassen erholt. Letzterer war von Castilla geschlagen und nach Bolivia geilohen, die Flotte und das Militär gehorchten wieder dem gesetz-mässigen Präsidenten und ganz Peru befand sich in vollkommener Ruhe, die man freilich nur mit der Ruhe nach schweren Gewittern, oder passender für dort, mit der nach heftigen Erdbeben vergleichen durfte, da sie jeden Augenblick von Neuem unterbrochen werden konnte; denn, nebenbei bemerkt, gleicht die Politik oder doch die politische Vergangenheit von Peru der von Bolivia wie ein Ei dem andern. Indessen war das Vertrauen zu Castilla ziemlich allgemein und die Drohung Vivanco's, dass er bald wiederkehren werde, hatte selbst in den südlichen Provinzen wenig Glauben gefunden. Ich konnte daher meine Reise über die Cordilleren nach Corocoro ungestört fortsetzen. Auch in Bolivia war damals Alles ruhig. Im December desselben Jahres wurden jedoch einige Stimmen laut. Die Besatzung von Corocoro, welche (man lache nicht) aus zwanzig Mann, meist Zambos oder Halbnegern bestand und vom Jefe polilitico oder Präfect Don Domingo Ardaya befehligt wurde, recrutirte überall und wagte sogar, dieses Geschäft bis in die Gruben auszudehnen, obschon dies gesetzlich verboten war. Fast täglich fielen Unordnungen und Schlägereien zwischen den Grubenarbeitern und den Soldaten vor. Ein Westphale, Namens Jochum, ein gutmüthiger, tüchtiger und dabei kräftiger, muthiger, freilich auch etwas jähzorniger Mann, welchen ich als Administrator für eine der Gruben Braun's engagirt hatte, Hess sich nicht leicht einen Arbeiter wegnehmen, ver-theidigte vielmehr die Grube auf das Tapferste, wobei es gewöhnlich blutige Köpfe gab. Eines Tages wurde ich von meiner Wohnung nach jener Grube gerufen. Ich eilte dahin und fand Jochum in vollem Kampfe mit 4 Soldaten, von denen er übrigens schon zwei kampfunfähig gemacht hatte. Wie ein Held stand er da und hielt die beiden andern bei den Kehlen. Das Schlimmste war jedoch, dass ein fünfter Soldat, welcher im trunkenen Zustande einem Schachte im Stollen zu nahe gekommen, hineingestürzt war und ein Bein gebrochen hatte. Ich Hess den Unglücklichen heraufschaffen und vom Grubenarzt verbinden. Inzwischen waren ein paar Soldaten nach der Wache geeilt, von wo sie, um ein halbes Dutzend verstärkt, unter der Führung eines Corporals bald wiederkehrten. Letzterer ubergab mir einen vom Präfecten unterzeichneten Verhaftungsbefehl für Jochum. Dieser sträubte sich anfangs, demselben Folge zu leisten und drohte, als die Soldaten Hand an ihn legen wollten, mit einem alten Revolver, den er mit einem Sprunge aus seinem Zimmer holte. Im Nu fielen die Soldaten über Jochum her und entwanden die Waffe seinen Händen. Der Corporal stiess die Soldaten zurück und forderte Jochum nochmals auf. ihm zu folgen, wozu sich dieser denn endlich auch verstand, wohl einsehend, dass ihm nichts andres übrig blieb. Ich ordnete das Notlüge auf der Grube an und suchte darauf Jochum im Arrestiocale auf, welches, wie fast alle derartige Baulichkeiten, nicht viel besser als ein Stall aussah. Eine Hand voll Cigarren an die wachthabenden Soldaten verschaffte mir den Zutritt; auch wurde mir gestattet, dass ich dem Arrestaten Bett und Kost schicken durfte. Die Untersuchung sollte am folgenden Tage stattfinden, verzögerte sich jedoch um mehrere. Da Jochum nicht das beste Spanisch sprach, und ich noch nicht lange genug hier war, um bei einer so wichtigen Angelegenheit alles genau verstehen und beantworten zu können, so diente ihm mein Freund Pedro S., welcher sich lange Zeit in Deutschland aufgehalten hatte, als Dolmetscher. Die Untersuchung, welcher ich beiwohnte, war anfangs ergötzlicher Art, ebenso die Zeichnung des corpus delicti, welche direct vom Revolver durch Nachziehen seiner Umrisse mit Bleifeder auf Papier aufgenommen war; der Revolver selbst war nicht mehr sichtbar. Der Richter, ein alter Cholo, Mischling aus weissem und indianischem Blute, that eine Menge Fragen und ging um das eigentliche C.estündniss wie die Katze um den heissen Brei. Endlich kam es zur Cardinalfrage. Ein Soldat hatte Jochum beschuldigt, dass er auf ihn geschossen und Befehl ertheilt habe, den verunglückten Camera den in den Schacht zu stossen. Mit unbeschreiblicher Frechheit wiederholte er seine Aussage. Die Sache nahm jetzt einen ernsten Character an. Wenn Jochum verttrtheilt wurde, so hatte er bis zur Appellation eine lange Haft zu gewärtigen und obendrein die Kosten des gerichtlichen Verfahrens, wenn nicht auch noch die der Heilung zu tragen. Von dem Zeugenverhör, welches schon eine ganze Woche stattgefunden hatte, während welcher jochum im Arrest verblieb, war kein Ende abzusehen. Als ich ihn in dieser Zeit wieder besuchte, fand ich ihn schäumend vor Waith. Er wollte nicht länger in Bolivia bleiben und hatte sich vorgenommen, aus dem Gefängniss zu fliehen. Mein Zureden, dass er die Untersuchung mit Geduld abwarten möge, hatte wenig Wirkung. Er nahm rührenden Abschied von mir und bat mich, ihn nicht wieder zu besuchen, damit ich nicht den Verdacht eines Helfers auf mich lade. Ich hatte schlechten Glauben zu dem Fluchtversuche, da er streng bewacht wurde. Aber schon am dritten Tage durchsuchten die Soldaten ganz Corocoro. Der Vogel war ausgeflogen und zwar hatte er sich des unwiderstehlichen und sichern Mittels, des Branntweins bedient, womit er die Wachen betrunken gemacht hatte. Später erhielt ich von ihm ausführlichen Bericht aus Peru. Die Indianer der Grube seiner Thä-tigkeit hatten ihm ein Maulthier verschafft und des Nachts das Geleit auf verborgenen Wegen zur Hauptstrasse gegeben. Was sollte nun aus dem Soldaten mit dem zerbrochenen Beine werden, dessen Heilung auf Staatskosten verweigert wurde ? Natürlich musste wieder jemand gesucht werden, der das Unglück verschuldet hatte. Hierzu war ich nunmehr bestimmt. Die gericht- liehe Vorladung, welche nicht lange auf sich warten Hess, bestätigte meine Annahme. Die Frechheit des anschuldigenden Soldaten ging so weit, zu behaupten, dass er gehört habe, wie ich Jochum befohlen, jeden Soldaten, welcher die Grube betrete, in den Schacht zu werfen und dass Jochum nur meinen Befehl ausgeführt habe. Ich musste unwillkürlich lachen, als mir diese Anklage vorgelesen wurde; doch der alte Richter erklärte mir, dass ich mich in der That durch das Herbeirufen des Arztes und mithin durch den Beginn der freiwilligen Heilung verdächtig gemacht habe. Meine Erwiederung, dass dies nur aus Mitleid und Menschlichkeit geschehen sei, schien ihm nicht recht einzuleuchten. Ich bat den Richter, den Soldaten zu befragen, wo und wann er den vermeintlichen Befehl gehört habe, da ich doch erst nachdem das Unglück geschehen, zur Grube gekommen war. Der Soldat kam dadurch nicht in Verlegenheit, sondern bezeichnete ganz genau Ort, Tag und Stunde. Ich erwiederte ihm, dass es mir ein Leichtes sei, gerade an jenem Tage mein Alibi durch mehr als zwanzig Zeugen zu beweisen, da ein Familienfest im Hause: meines Principals, an welchem ich Theil genommen, mich verhindert hatte, die Grube zu betreten. »Sehr wohl, mein Herr«, entgegnete der alte Richter, »bis dahin müssen Sie alsdann mein Gefangener bleiben«. Nur meiner persönlichen Bekanntschaft mit dem Präfecten verdankte ich es, dass ich nicht zu der Ehre kam, das Asyl Jochums mit militärischen Wachen zu bewohnen. Ich Hess den Präfect zu mir bitten. Dieser erschien denn auch und befreite mich, indem er für mich gutsagte. Das Verhör meiner Zeugen war in wenigen Tagen abgethan. Es constatirte, wie nicht anders zu erwarten stand, die Lüge des Soldaten. Kurz darauf erschien der Präfect in meiner Wohnung und bat mich, ihm zu folgen. Er führte mich zum Wachtlocal. Die ganze Besatzung, welche hier versammelt war, trat in Reihe und Glied an. Nach einer kurzen aber energischen Ansprache, die nichts Gutes vermuthen liess, wurde der freche Soldat vorgeführt. »Ist dies das Individuum, welches Sie auf so abscheuliche Weise verleumdet hat«? Ich konnte nicht umhin, die Frage zu bejahen. In wenigen Minuten war er mit Stricken an Händen und Füssen gebunden und auf eine Bank mit dem Rücken nach oben geschnallt. Mein Bitten, dass ihm die Strafe erlassen werde, fand kein Gehör. »Cincuenta«! rief der Präfect und ein Corporal begann mit einem aus rohen Lederstreifen geflochtenen Lazo die fünfzig Hiebe aus-zutheilen, die ein anderer gewissenhaft zählte. Ich wollte mich entfernen, um nicht Zeuge dieser mittelalterlichen Strafart zu sein, die freilich hier noch rlorirte, allein der Präfect hielt mich zurück. Endlich war die peinliche Procedur unter fürchterlichem Geschrei des Gepeitschten vorüber. »Cincuenta« betonte der zählende Corporal und der unheilvolle Soldat wurde halb ohnmächtig weggeführt. »Haben Sie Genugthuung ?« fragte mich der Präfect. Ich war froh, den unheimlichen Ort verlassen zu dürfen. Aber das Schicksal wollte, dass ich schon ein paar Tage darauf abermals als Gefangener hier einziehen sollte. Mit einem Freunde und Landsmann, A. T., war ich von einem Spazierritt zurückgekehrt. Wir kamen an einer der Gruben seiner Di-rection vorbei. Plötzlich vernahmen wir Schreien und Lärmen und waren bald wieder Zeugen einer Schlägerei /.wischen Arbeitern und Soldaten. Von letztern führten einige Gewehre und Säbel, mit denen sie um sich schlugen. Es war unmöglich, die Ruhe- mit Worten herzustellen und doch musste schnell gehandelt werden, ehe die wüthenden Soldaten noch grösseres Unheil angerichtet hätten. Damals trug fast jeder Reiter in Corocoro einen chicote de goma, einen Gummistock, der bei angemessener Schwere eine vorzügliche Waffe bildete. Wir waren beide damit versehen und besannen uns nicht lange, sondern ritten mitten in den Knäuel und hieben ohne viel Erbarmen vom Pferde herab auf die rothen Käppis der Soldaten. Wie mit einem Zauberschlage wichen diese zurück. Aber der Himmel weiss, wie es geschah, dass wir plötzlich von einem Dutzend mit Gewehren bewaffneten Soldaten umringt waren, die sich anschickten, uns vom Sattel zu ziehen. Wir schlugen uns zwar das erste Mal durch, allein die Kerle hatten sofort den einzigen Ausweg der Grubenhalde wieder besetzt und drohten, Gebrauch von ihren Schusswaffen zu machen, wenn wir uns nicht ergeben. Was war da zu thun? Mein Freund unterhandelte mit dem Führer der Hände. Wir mussten absteigen, übergaben die Pferde unsern Dienern und folgten den Soldaten als Gefangene zur Wache. Die bei der Schlägerei betheiligten Arbeiter hatten sich kluger Weise in die (hübe retirirt. Der Weg führte uns durch die ganze Stadt, doch fiel dies nicht sehr auf, da man zu jener Zeit an dergleichen Scenen gewöhnt war. Im Wachtlocal mussten wir eine volle Stunde warten und hatten Gelegenheit die < '.alger. -physiognomien der Zambos und Cholos zu studiren, die uns schadenfroh anglotzten, aber eingedenk der Cincuenta es doch lacht wagten, ihre Witze über uns Gringos (llezeichnung für Fremde) allzulaut werden zu Mossliach, Poli\ia. 2 lassen. Der Präfect erschien endlich, begrüsste uns als alte Freunde und gab seiner Verwunderung Ausdruck, rriich schon wieder hier zu sehen. Die Erzählung des neuen Vorfalls stimmte ihn etwas günstiger für uns, obwohl er unser eigenmächtiges Verfahren tadelte. Das Ende war, dass er uns mit diesem Tadel und dem Rathe, künftig vorsichtiger zu sein, entliess. Am andern Morgen besuchte ich meinen Landsmann und Gefährten und traf bei ihm einen Soldaten, der fussfällig um die Rückgabe seines Gewehres bat, welches ihm ein Haldensteiger im gestrigen Kampfe abgenommen hatte. Auf sein aufrichtiges Geständniss, dass er nebst drei seiner Cameraden bereits cincuenta erhalten und ihm eine neue Auflage bevorstände, wenn er das Gewehr nicht herbeischaffe, wurde ihm dieses eingehändigt. Der December 1858 begann mit grosser Aufregung. Es hiess, Cördova stehe an der peruanischen Grenze und gedenke über Corocoro in La Paz einzufallen. 1 )ie Grubenbesitzer, meist Ausländer, traten mit ihren Beamten und den übrigen Grundbesitzern und Kaufleuten zu einer Schutzwehr zusammen, um die Stadt vor etwaiger Plünderung zu sichern. Alles bewaffnete sich; Tag und Nacht wurden Wachen ausgestellt. Im Wacht-local wurde viel politisirt, gewürfelt, Revesino und Ro-cambör gespielt und noch mehr Cognac und Ale und Porter getrunken. Fast täglich wurde alarmirt; aber es war immer nur blinder Lärm und nach kaum 14 Tagen war alles wieder ruhig. Im Februar 1859 ging der Rumor von Neuem los. Am 23. dieses Monats kamen Indianer der nächsten Dörfer mit der Botschaft hereingeeilt, General Agreda rücke mit tausend Mann auf Corocoro, während der Expräsident Cördova mit doppelter Macht über Viacha nach La Paz marschire. Nebenbei bemerkt würde eine derartige Stärke des Feindes der Armee von Bolivia, einem Lande von 24000 Quadratmeilen, schon zu thun gegeben haben, da letztere damals kaum viertausend Mann zählte. Die neue Schutzwehr eilte zu Pferde und zu Fuss zur Plaza. Berittene Patrouillen wurden zum Recog-nosciren ausgeschickt; ich hatte die Ehre, Führer einer derselben zu sein. Wir ritten über das Weichbild der Stadt, deren nächste Anhöhen die Soldaten von Corocoro besetzt hatten. Kaum waren wir auf der höchsten Stelle des Weges nach Caquiaviri angelangt, so bemerkten wir schon eine dunkle sich schnell heranbewegende Masse, deren Gewehre in der Sonne blitzten. Efi war ungefähr 2 Uhr Nachmittags. Wir Hessen sie so nahe herankommen, dass wir die Stärke derselben einigermassen taxiren konnten. Statt tausend Mann waren es kaum dreihundert. Jetzt ging es zum Melden zurück. Eine Recognitionswache war vor die Stadt verlegt. Hier herrschte grosser Tumult von alten Weibern und Kindern, die heulend durcheinander liefen. Ueber die Berge sah man die Indianer mit ihren wenigen Habseligkeiten nach den Estancias fliehen und nur die Cho-los, die verrufenen Plünderer lauerten überall, um den günstigen Augenblick abzuwarten. Wo mehr als drei zusammenstanden, wurden sie auseinander gesprengt. Um drei Uhr zeigten sich die ersten Vorposten des 2* Feindes auf den Bergen, unmittelbar darauf folgte das Gros. Eine Salve der Besatzungsmannschaften wurde dreifach erwidert. Die Kugeln flogen uns dermassen um die Köpfe, dass wir hinter die nächste Häuserreihe retiriren mussten. Jetzt fielen die Schüsse stärker und anhaltender. Unsere Soldaten, welche nur wenig Zuwachs durch Recruten bekommen hatten, mussten dem überlegenen Feinde weichen. Sie zogen sich, fortwährend gedeckte Stellungen behaltend, aus denen sie schössen, in die Stadt zurück. Hier begann ein kurzer Strassenkampf. Alles flüchtete in die Häuser. Unsere Besatzungstruppen, fürchtend, dass sie vom Wege nach La Paz abgeschnitten werden möchten, verdoppelten ihre Schritte, um die Unterstadt zu erreichen, wo ihre Pferde zur Flucht bereit standen. Nach wenigen Minuten sahen wir sie davongaloppiren. Die Kugeln der Feinde hatten ihnen wenig gethan; nur ein junger Ofti-cier war tödtlich getroffen und starb unter der Kirchthür, drei Mann waren verwundet und hatten sich in die Häuser gellüchtet. Mehr Schaden war unter der Bevölkerung angerichtet. Zwei bis drei Cholos und eine Frau waren getödtet und noch mehr verwundet. Als die feindliche Truppe in Corocoro einzog, füllten sich die Strassen wieder mit Menschen, die jammernd und wehklagend ihre Werthsachen in Sicherheit brachten; denn man glaubte gar,/, bestimmt an Plünderung. Und in der That hatten sich die Cholos zusammengeschaart und zogen in verschiedenen Abtheilungen vor die Häuser der Grubenbesitzer. Ein jeder eilte nach Haus, um das Seinige zu sichern und zu vertheidigen. Ich war hierzu um so mehr gezwungen, als zu jener Zeit niemand von der Familie Braun gegenwärtig war und ich die Inter- 2 I essen derselben allein zu vertreten hatte. Ueberau erklang der furchtbare Ruf »Saqueo«! (Plünderung). Als ich den Vorhof der Hacienda betrat, benutzten mehrere Cholos die Gelegenheit des offenen Thores, um eine alte Indianerin herein zu schleppen, welche durch einen Schuss am Fuss verwundet war. Ich liess dies geschehen, übergab das Weib den Dienerinnen und versprach für sie zu sorgen. Mittlerweile hatten sich noch mehr Cholos in den Hof geschlichen, deren Unterredung in Aymarä, ihrer Sprache, sehr lebhaft wurde, die ich aber nicht verstand. Glücklicher Weise hatte sie der Buchhalter, ein Eingeborner, durch das offene Fenster gehört. Er stürzte wüthend auf den Hof und forderte die Cholos auf, sich sofort zu entfernen. Doch diese machten keine Miene dazu. Der Buchhalter befahl dem Hausdiener, den Flund von der Kette zu lassen. Die alte Miss, eine Jagdhündin der grossesten Rasse, welche schon zu verschiedenen Malen durch ihr vorzügliches Gebiss bewiesen hatte, dass sie keine Freundin dieser Classe von Menschen war, hatte sich kaum im Vorhof gezeigt, als die Cholos Reissaus nahmen. Jetzt wurde das Thor geschlossen und verbarrikadirt, so gut es in der Eile ging. Der Tumult auf der Strasse wurde stärker: noch immer hörte man »Sa<|Uco« rufen. Mit einem Male waren die Cholos wieder am Thor und drängten mit Gewalt dagegen. Wir hatten uns in den gegenüber liegenden Fenstern mit vier Revolvern, aus denen wir 24 Schüsse hinter einander abgeben konnten, postirt und warteten nicht ohne Herzklopfen, was da kommen würde. Schon drohte das Thor zu zerbrechen; die Cholos erhoben ein Freudengeschrei. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn plötzlich wurde es still und an ihren Schritten hörte man, dass sie sich entfernten. Marschirende Schritte nahten von oben. Wir setzten eine Leiter an die Hofmauer und sahen eine Patrouille der feindlichen Truppe vorbeiziehen. Zugleich erfuhren wir, dass deren mehrere ausgeschickt seien, um Plünderungen und andere Unordnungen zu verhüten und dass General Agreda sich in jeder Hinsicht freundlich gezeigt habe. Auf den Strassen wurde es ruhiger; wir rissen unsere Barrikade wieder ein. Die Todten der Gegenpartei, welche mehr als das Vierfache der andern betrugen, wurden auf den Pan-teon geschafft, wo der Cura aus Dankbarkeit für die Schonung des Ortes eine Messe las; die Verwundeten wurden in das Hospital und in Privathäuser untergebracht. Am folgenden Tage legte General Agreda den Grund-und Grubenbesitzern eine Contribution auf, die ver-hältnissmässig nicht hoch war und gern bezahlt wurde. Dafür erhielten diese Bons, sogenannte Boletas, in welchen sich jener für die pünktliche Rückzahlung verpflichtete, von der man aber im Voraus wusste, dass sie nur in dem Falle, dass er Sieger blieb, erfolgen würde. Das war so weit alles gut. Allein Agreda brauchte auch Pferde und hatte, da ihm freiwillig keine gestellt wurden, angefangen, solche zu reqtiiriren, wofür er ebenfalls Boletas gab. Glücklicher Weise waren im Braun'schen Hause von 10 Reitpferden nur 3 zur Stelle, unter denen sich mein eigenes, ein grosser, schöner sechsjähriger Hengst befand. Ein benachbarter Grubenbesitzer hatte seine Pferde in einem Stollen, welcher geräumig genug war, versteckt und bot mir denselben auch für meine Pferde an, was ich dankbar acceptirte. Doch mein Pferd zeigte keine Neigung, den dunkeln Gang zu betreten, es bäumte sich, riss sich endlich los und suchte das Weite. Die Indianer fingen es nach stundenlangem Umherjagen zwar wieder ein, aber die Soldaten Agreda's hatten davon Wind bekommen" und das Pferd requirirt. Ich eilte, den General in seinem Quartier aufzusuchen und wurde sogleich vorgelassen. Ein kleines nicht viel über 4l/j Fuss hohes graues Männchen kam auf mich zu und fixirte mich mit seinen klugen Augen. Das war Agreda, der General chico, »der kleine General«, von dem man so viele und grosse Heldenthaten erzählte. Meine Bitte, die ich ihm in radebrechendem Spanisch vortrug, zwang ihm ein sanftes Lächeln ab. Er nahm mich mit in den Patio, Hess mein Pferd vorführen und musterte es mit Kennerblick; ich wusste, er war ein Freund grosser Pferde. »Ca-ballerou, wandte er sich zu mir, »ich kenne das Pferd; noch vor Kurzem gehörte es einem Coronel, der es zur Jagd abrichtete; ich selbst bedaure, es den Kugeln preis zu geben, aber ich muss Pferde haben.« Auf meine Bereitwilligkeit, eine Entschädigung zu zahlen, fiel mir der kleine General ins Wort, indem er fast unwillig erklärte, dass er kein Geld brauche. Dann nahm er das Pferd beim Halfter und übergab es mir mit den Worten: »Auf eines kommt es nicht an; behalten Sie Ihr Pferd!« In dem kleinen Körper wohnte eine grosse Seele. Am zweiten Tage nach dem denkwürdigen Treffen zog Agreda, nachdem er seine Truppe um ein Dutzend Mann und eben so viele Pferde vermehrt hatte, wieder weiter nach Viacha, wo er sich mit Cördova vereinigte. Seine Mannschaften, zum Theil noch mit alten Feuer- schlossgewehren bewaffnet und mit ebenso alten zusammengelesenen Uniformen bekleidet, waren meist gediente Soldaten, denen man ansah, dass sie schon öfter Pulver gerochen hatten. Agreda ritt voran auf einem grossen Braunen; seine Beine reichten kaum über die Hälfte des Pferdebauches, aber aus seinen Augen sprühte Muth. Er war der Mann, dem einst im Gefechte drei Pferde unter dem Leibe todtgeschossen wurden, der in einem Strassenkampfe von La Paz eine ganze Compagnie Soldaten mit einer einzigen Kanone in Schach hielt, welche er, nachdem seine vier Kanoniere erschossen waren, selbst bediente bis die Munition zu Ende war. Er war es, der eine Revolution zur Zeit Cördova's mit einer Hand voll Soldaten, mehr aber durch seinen persönlichen Muth dämpfte, der selbst zum Präsidenten ausgerufen und überall bestätigt wurde, aber zu Gunsten seines obersten Feldherrn, dem er treu diente, auf diese Auszeichnung verzichtete. ■— Kaum war der General chico fort, so lief eine neue Botschaft von Taquingora ein, der Präsident Linares rücke mit der ganzen Besatzung der Festung Oruro in Eilmärschen auf Corocoro. Schon am andern Tage trafen gegen zehn Uhr seine Fotiriere ein, eine Stunde später erschien der Präsident selbst. Gespannt, zum ersten Male einen sogenannten Fjer-cito, eine grössere Division regulärer hiesiger Truppen zu sehen, war ich nicht wenig überrascht, als zunächst ein Amazonencorps in seidenen Kleidern und mit fliegenden Schleiern die Strasse heraufgesprengt kam, dem in kurzer Entfernung ein Tross berittener Diener und Dienerinnen, Saumrosse und Mauhhiere mit Gepäck und Körben folgte, aus denen hier und da ein Kinderkopl guckte. Ks waren die Frauen der üfficiere, welche hier Freud und Leid mit ihren Männern theilen und sie selbst auf dem Schlachtfelde nicht verlassen, um sie zu pflegen und ihre Wunden zu heilen oder ihnen in der letzten Stunde die Augen zuzudrücken. Bald darauf erschien der Ejercito. Die Spitze bildeten 30 Mann Corazeros, Kürassiere, welche neben dem Pallasch noch mit der Lanze bewaffnet sind, so dass sie zugleich unsere Ulanen repräsentiren. Diesem folgte ein Corps Trompeter und hiernach kam der Präsident Linares, begleitet von seinem Kriegsminister Achä und 4 bis 5 Generalen und Adjutanten, an welche sich der Rest der Corazeros, ungefähr 170 Mann, anschloss. Diese Abtheilung schien die Elite des Präsidenten zu sein und war durchschnittlich gut unifOrmirt. Die zweite Abthei-lung bestand aus berittenen Cazadores (Jäger), Cara-bineros und Hüsares, die von ihren speciellen Generälen angeführt wurden. Die dritte Abtheilung war eine Feldbatterie Artillerie von 8 Geschützen, die unsern Vier-pfundern entsprechen, aber nicht gezogen, sondern von starken Maulthieren getragen wurden, da in ganz Bolivia noch kein lährweg cxistirte. Das Geschützrohr bildete die vollständige Last eines Maulthieres, Laffette, Räder und Ladungsgeräth waren auf zwei andern vertheilt, während l'ulver und Geschosse wieder besondere Maul-thiere führten. Bei der vierten Abiheilung, dem Fussvolke, waren nicht alle Compagnien vollständig uni-formirt, viele glichen den Soldaten Agreda's: einige liefen sogar barfuss oder auf Sandalen einher. Doch die Bewaffnung war nach hiesigen Begriffen vorzüglich; denn man sah mit Ausnahme von ungefähr hundert Mann frisch angeworbener Indianer, dem Batallon de Indios, welches noch Feuerschlossgewehre trug, nur Percussions-gewehre. Einige siebzig Indianerknaben, die kaum 15 bis 16 Jahre alt sein mochten und auf den anstrengenden Märschen die Füsse durchgelaufen hatten, ritten nebst andern Maroden auf Eseln hinterher, die sie unterwegs requirirt hatten und endlich folgte ein Nachtrupp von Gepäckthieren und das Corps der Rabinas und Cuidantes, der Frauen und Pflegerinnen der Soldaten mit ihren Anhängseln von Kindern und Kochgeschirren, ein buntes Durcheinander von Fussgängerinnen und Reiterinnen zu Pferde, zu Maulthier und zu Esel. An streitbaren Mannschaften, deren Uniformen zum grossen Theile nach französischen Mustern angefertigt waren, zählte der Ejercito über 800, die Rabanas vervollständigten das Tausend. Auf der geräumigen Plaza der Stadt wurde Halt gemacht. Der Präsident und seine Generäle stiegen in einem Privathause ab, Soldaten und Pferde wurden auf der Plaza abgespeist. Es war nicht uninteressant, durch die Reihen dieser bunten Gesellschaft zu spaziren, deren grosse Mannigfaltigkeit in Physiognomie und Hautschatti-rung selbst vornehme Damen angelockt hatte. Währenddem gab das Musikcorps einige Piecen zum Besten, die ihm und seinem Capellmeister alle Ehre machten, (fach Verlauf von zwei Stunden wurde zum Aufbrechen geblasen. Dem Präsidenten brachte die versammelte Menge ein »Viva«, wofür sich jener in einer kurzen Anrede bedankte. Dann stieg er zu Pferde und fort ging es wieder mit klingendem Spiele in derselben Richtung, die der General chico genommen hatte. Am Abend des folgenden Tages vernahmen wir die Botschaft, dass letzterer sammt Cördova unweit Viacha vollständig ge- schlagen sei. In einer Niederung war ihr kleines Heer durch die Regierungstruppen von La Paz im Weitermarschiren behindert, während Linares dasselbe von hinten angriff. Die tapfere Gegenwehr Agreda's veranlasste einen heissen Kampf, aus dem sich der kleine General nur mit Mühe und Noth rettete; Todte und Verwundete zählte man nach Hunderten. Hiermit hatte die Revolution ihr Ende erreicht. Nur die Cholos waren noch nicht beruhigt. Sie hatten der alten Miss den Tod geschworen. Zwei Abende schössen sie durch eine Rinnsteinöffnung des Yorhofes, hinter welcher die Hündin ihr Wächteramt abzuhalten pflegte, ohne sie jedoch zu treffen. Beim zweiten Male schlug die Kugel dicht vor mir auf das Steinpflaster und flog dann in die Wand des Speisesaales. Ich lud ein Jagdgewehr mit Vogeldunst, das ich stets bei der Hand hatte. Als sich am dritten Abend dasselbe Schauspiel wiederholte, sandte ich den davoneilenden Cholos die Ladung auf fünfzig Schritt nach. Sie kamen nie wieder. Bei seinem Durchmarsch durch Corocoro war dem Präsident von einem hiesigen Grubenbesitzer, Herrn H. Hertzog, geborenen Franzosen, im Voraus zum Siege gratulirt und er zur Feier desselben eingeladen worden, auf der Rückreise einige Tage in seinem Hause zuzubringen. Der Präsident hatte die Einladung angenommen und erschien am 20. März, nur gefolgt von zwei Generalen und wenigen Dienern, während die übrigen Truppen theils in La Paz geblieben, theils über Calamarca und Sicasica direct nach Oruro zurückgegangen waren. Zum Empfange des Präsidenten waren in Corocoro Ehrenpforten gebaut, die Häuser mit Tolasträuchern geschmückt und die indianischen Grubenarbeiter hatten sich in ihre originellen Tänzercostüme gesteckt. Eine Deputation von Auserwählten ritt dem Präsidenten entgegen. E-eim Einzüge desselben läuteten alle Glocken, die Indianer zogen mit Pauken und Flöten voran und überall hörte man »viva ei Presidente!« rufen. Nach einer kurzen Rast im gastlichen Hause besuchte der Sieger von Viacha den Dankgottesdienst in der Kirche, wo ich ihn näher zu Gesicht bekam. Er war ein Mann über mittlerer Grösse, vielleicht hoher Vierziger, unverheirathet und einfach, aber sorgfältig in Civil gekleidet. Sein langes, nicht sehr volles, glatt rasirtes Gesicht hatte etwas grauen, fast kränklichen Teint und selbst in den dunkelgrauen Augen, aus denen sich neben einer augenblicklichen nervösen Erregtheit genug diplomatische Klugheit abspiegelte, lag ein leidender Zug. Zu dem darauf folgenden grossen Diner in der Behausung des Herrn Hertzog, welches um 4 Uhr Nachmittags begann und gegen 8 Uhr Abends endete, waren an sechzig Personen, hierunter einige Notabilitäten von La Paz geladen. Ehe wir zu Tisch gingen wurde allgemeine Vorstellung gehalten. Als ich an die Reihe kam, redete mich der Präsident auf Französich an und drückte mir seine Hochachtung vor der deutschen Nation aus, in deren Lande er eine zwar nicht lange, aber sehr angenehme Zeit verlebt habe; namentlich erging er sich in Lobeserhebungen über den Rhein und war ganz ent- zückt, als ich ihm die Städte und Gegenden zwischen Cöln und Mainz nannte, an welche sich meinerseits viele Erinnerungen knüpften', die auch er noch zu bewahren schien. Das Gastmahl selbst musste in jeder Hinsicht lu-cullisch genannt werden. Herr Hertzog hatte die leckersten, seltensten Gerichte, die theuersten Weine, deren Beschaffung in einem solchen Lande und in so kurzer Zeit fasjt räthselhaft war, geradezu herbeigezaubert; kein Wunder, dass das diplomatische Gesicht Sr. Excellenz bald einen andern Ausdruck bekam. Nachdem mehrere Toaste auf das Wohl des Präsidenten und den glücklichen Ausgang der Revolution, natürlich in Spanisch ausgebracht und diese vom Präsidenten mit einer glänzenden Rede und einem Toaste auf den Gastgeber erwidert waren, kam derselbe auf den glücklichen Einfall, die Ausländer zu bitten, auch in ihren Muttersprachen ein paar Worte zu sprechen, welche, nach seiner Meinung, selbst wenn man ihren Inhalt nicht verstehe, kurzweilig anzuhören seien. Sein Vorschlag fand Beifall. Franzosen waren am meisten zugegen; einer derselben, ein Herr Ramond .... begann. Feurig begeistert behandelte er hauptsächlich den Gerechtigkeitssinn des Präsidenten und das gute Einver-ständniss zwischen ihm und Volk, wol wissend, dass der Präsident des Französischen vollkommen mächtig war. Als hierauf eine deutsche Rede verlangt wurde, nahm ein Herr, welcher sich, dank seiner nicht sehr grossen Blödigkeit, auch uneingeladen von La Paz eingestellt hatte und ohne Zweifel Rednertalent besass, etwas voreilig das Wort und erging sich auf eine ziemlich spöttisch-ironische, aber dabei witzige Weise über die Un- — 3o — Vollkommenheiten des Landes und seiner Regierung, so dass wir Deutschen uns oft mit Mühe das Lachen verhalten mussten und der Präsident gewiss nicht sehr entzückt von dem Sinne der Rede gewesen wäre, wenn er ihn verstanden hätte. Ich bedauerte nur, dass dieser Rhetor in einem abscheulich breiten schwäbischen Dia-lecte sprach, der unsere Sprache jedes Wohlklanges beraubte. Die hierauf folgende englische Rede wurde von einem Arzte, der schon etwas zu tief ins Glas gesehen hatte, mit lallender Zunge gehalten und war daher unklar und verwirrt. Die italienische Ansprache wurde nur von einem verstanden, da sich die Anzahl der Italiener überhaupt auf zwei beschränkte. So schön diese Sprache im Gesänge klingen mag, so hat sie in der Rede doch etwas zu Süsses, man möchte sagen fast Kindisches; ich wenigstens kann sie in dieser Hinsicht nicht gleichberechtigt an die Seite ihrer voll- und kräftig klingenden, am meisten noch an das Lateinische erinnernden Schwestersprache, des Spanischen, stellen. Einen würdigen Gegensatz zum Italienischen bildete das energische Catalän, ein vom eigentlichen Spanischen, dem Castellano so wesentlich verschiedenes Idiom, dass man es als Dialect nicht mehr zu erkennen vermag. Man hörte es von mehreren hier eingewanderten Cata-loniern öfter sprechen, wenn diese bei einander waren; im gegenwärtigen Falle wurde es von einem Grubenbesitzer besonders durch die gebundene Redeform sehr zur Geltung gebracht. Die europäischen Sprachen waren hiermit abgethan. Die meisten der Gäste hatten ihren Sinn natürlich nicht verstanden und waren daher höchst erfreut, als der — 3i — Präsident auch den hiesigen Landessprachen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen bat und einen seiner Generale in dem schön klingenden Quichoa aufforderte, darin fortzufahren. Dieser sprach mit sonorer Bassstimme so hinreissend, dass selbst wir Ausländer, von denen keiner auch nur ein Wort deuten konnte, der Sprache der Inkas mit Vergnügen lauschten und ihr den Wohllaut vor den unserigen gern einräumten. Noch fehlte das Aymarä, die zweite Indianersprache, welche hier hauptsächlich gesprochen wird, die aber wegen der Menge von Zisch- und Gutturallauten gerade nicht zu den euphonischen gerechnet werden darf. Niemand wollte darin reden. Da hörte der Präsident in demselben Augenblicke, wie ein Herr Don Manuel R____ einen bedienenden Indianer mit gedämpfter Stimme in Aymarä zurechtwies. Es half diesem keine Entschuldigung, er musste in Aymarä reden. Don Manuel, ob-schon Eingeborner, war Vertreter eines bedeutenden chilenischen Hauses hierselbst und wegen seines fröhlichen, stets gefälligen Wesens allgemein bekannt und beliebt. Bei Gesellschaften brauchte der Gastgeber sich um nichts zu bekümmern; denn Don Manuel ordnete alles freiwillig und mit Geschmack und Kenntniss an. Bald war er in der Küche, bald sass er wieder an der Tafel und sah sofort, wo irgend etwas fehlte; kurz, er war das Factotum bei dergleichen Gelegenheiten. Doch die Natur hatte dieser liebenswürdigen Seele keine schöne Behausung angewiesen; Don Manuel war klein von Statur und sah leibhaftig wie ein Affe aus. Als ich ihn zum ersten Male sah, glaubte ich, er sei ein verkleideter Orang-Utang, Hatte man aber mit dem kleinen gescheidten Kerle erst ein paar Worte gewechselt und ihm in die dunkeln, lebhaften Augen gesehen, deren Weisses zwar etwas gelb gefärbt war, deren Ausdruck aber nichts mit dem boshaften der Affen gemein hatte, so bekam man eine ganz andere Meinung; man fand sein braunes Gesicht anziehend, trotzdem es über drei Viertheile behaart war. Der Präsident konnte keine bessere Wahl getroffen haben. Don Manuel sprach, die Vortheile des Aymarä ganz gehörig ausbeutend, so laconisch witzig und verstand es, die satirischen Anspielungen auf die Politik des Landes und auf einige Anekdoten aus dem Leben des Präsidenten so fein mit schönen Redensarten zu übertünchen, dass letzterm vor Lachen die Thränen in die Augen traten und das Applaudiren kein -Ende nehmen wollte. Das waren für uns Ausländer freilich verlorene Perlen, die wir erst, nachdem sie ausgestreut waren und den ersten Glanz eingebüsst hatten, sammeln mussten, um sie in der spanischen Uebersetzung einiger-massen würdigen zu können. Allein das seltsam klingende Idiom, das lebhafte Mienenspiel, welches der kleine curiose Redner mit einer Fülle natürlicher Gesti-culationen begleitete, genügte uns schon, in den allgemeinen Beifall mit einzustimmen. Nachdem die -Rede Don Manuel's und der Nachklang ihrer Wirkung beendet war, tauchte die Frage auf, welche von den geredeten Sprachen am hässlichsten klinge; über die wohlklingendste, die spanische, waren wir alle einig. Die meisten Augen richteten sich schelmisch auf uns Deutsche und besonders auf den schwäbischen Landsmann, welcher zu begreifen anfing, dass er einen Schwabenstreich begangen hatte. Doch weit entfernt, mit einer offenen Erklärung hervorzugehen, die — Sa für uns hätte beleidigend sein können, einigte sich das höfliche Völkchen dahin, das Aymarä als hässlichste. Sprache zu bestimmen. Dagegen opponirte Don Manuel. Damals existirte hier ein halbes Dutzend Chinesen aus Kanton und Hongkong, welche sich theils als Köche, theils als Conditcreigehülfen vermiethet hatten. Zwei derselben fungirten in der Küche des Herrn Hertzog, wo Don Manuel schon längst mit ihnen in Berührung gekommen war. Nach .der für seine geliebte Muttersprache ungünstig ausgefallenen Erklärung verschwand Don Manuel plötzlich vom Tisch, kehrte aber sehr bald in Begleitung der Chinesen zurück, die er durch die Beschuldigung, Opium an das Essen gethan zu haben, in heftigen Wortwechsel gebracht hatte. Sein Zweck war erreicht. Mag es nun sein, dass unsere beiden Exemplare den hässlichen Hacka-Dialect von Hongkong sprachen, der durch das hastig gepflogene Zwiegespräch noch hässlicher klang, oder dass die chinesische Sprache, obschon sie als eine der correctesten gilt, das Aymarä an Mangel gewisser Consonanten und an Reichthum von Zischlauten noch übertrifft, kurz, das Urtheil fiel zu ihrem Nachtheil aus und Don Manuel war befriedigt. Der Präsident zog nicht ohne Stolz den Sc.hluss, dass in Corocoro, einer Stadt von kaum 9000 Einwohnern, neun lebende Sprachen vertreten waren. Nach Beendigung des Mahles wurde in der Sala musicirt und eine ächte Havana zu einer Tasse ächten Vungas-Kaffee geraucht. Mr. Ramond .... sang die Marseillaise mit furchtbarem Pathos, woran sich der Präsident nicht sehr zu erbauen schien. Besser gefielen Mossl)ach, i'olivia. * ihm die deutschen Gesänge und von der einfachen Melodie des Liedes »Du, du liegst mir im Herzen«, welches mein Freund P. S. und ich unter andern zweistimmig mit Clavierbegleittmg sangen, war er so entzückt, dass wir es wiederholen mussten. Als sich der Präsident gegen elf Uhr von der Gesellschaft verabschiedete, um sich in seine Gemächer zurückzuziehen, mussten wir das Lied zuvor nochmals singen. Der Rest der Nacht wurde lustiger zugebracht. Ein Flor hübscher Damen war zum The-dansant eingeladen, vier Guitarreros spielten und sangen dazu. Es wurde bis früh zwei Uhr getanzt und getrunken. Am folgenden Tage besuchte der Präsident mehrere Grubenhalden und die Erzmühlen und Aufbereitungs-nnstalten des eine Legua entfernten Thaies Pontezuelo. Fast die Hälfte der gestrigen Tischgesellschaft begleitete ihn zu Pferde. Ueberau wurden wir festlich empfangen. Die Besitzer der Werke hatten es an Speisen und Getränken nicht fehlen lassen. Der Präsident war heiter, wiewohl sein Gesicht eher ernst genannt werden konnte. Er unterhielt sich so ziemlich mit jedem, indem er während des Rittes öfter mit seinem Nebenmann wechselte und zeigte in den Etablissements viel Interesse und Verständniss für deren Technik. Zufällig kam das Gespräch zwischen dem Präsidenten und mir durch mein Pferd auf den General Agreda und auf die Veranlassung meiner persönlichen Bekanntschaft mit demselben. Er sprach sehr schonend und mit Achtung über den kleinen General und drückte offen sein Bedauern aus, dass dieser treue Mann nicht zu seiner Partei gehöre. Die letzten Worte des Präsidenten waren ■ in Spanisch mehr an seinen Kriegs- minister Achä gerichtet, welcher ihm zur andern Seite ritt. Hatte er vielleicht schon damals eine Ahnung?! — Am dritten Tage gaben wir dem Präsidenten eine Stunde Weges das Geleit nach Oruro. Die Zukunft verhiess ruhigere Zeiten. Die Inter. dicciön, welche der Präsident dem Verkehre des Landes mit Peru auferlegt hatte, wurde aufgehoben, aber ein um so strengeres, dictatorisches Regiment im Lande selbst eingeführt. Dr. Linares, welcher eigentlich schon bei seinem Amtsantritte die ganze Regierungsgewalt in sich concentrirt hatte, war seit einem Attentat auf sein Leben, im August 1858, fast grausam geworden. Seiner Aufgabe, die Unruhstifter unnachsichtlich zu strafen und das Land in jeglicher Hinsicht zu corrigiren, vollkommen bewusst, hatte er auch Energie genug, dieselbe durchzufuhren. Indessen glaube ich kaum, dass man ihn ungerechter Handlungen zeihen kann. Ein grosses Geschrei über die Ungerechtigkeit des Präsidenten erhob zwar der IJischof von La Paz, als ein Priester, welcher als Mitverschworener gegen den Präsidenten entdeckt und der Verschwörung überführt, mit andern zum Tode verurtheilt wurde. Der Bischof protestirte dagegen, indem er nur dem Papste dieses Recht einräumte. Er kam hierbei freilich an den unrechten Mann; denn binares drohte ihm selbst mit derselben Strafe, wenn er nicht widerrufe. Der bis« hof hatte nichts Eiligeres zu thun, als dieser Aufforderung unverzüglich Folge zu leisten, da er wohl wusste, dass er sich durch den Protest indirect in weltliche Dinge gemischt hatte und dass, wenn sein Todesurtheil erst unterschrieben war, es auch ausgeführt wurde. Der Erzbischof von Chu-quisaca schwieg hierzu klugerweise, indem, wie er meinte, die Kanonen des Papa Santo doch nicht von Rom bis Bolivia reichten, ohne welche Nichts zu ändern war. Aber dem Präsidenten kam dieser Fall um so gelegener, als er schon längst danach getrachtet hatte, ein Exempel an den Dienern des Clerus zu statuiren, deren politische ^Machinationen und frivole Lebensweise bereits öfter Aergerniss erregt und zu Scandalen geführt hatten, die freilich den Augen des Publicttms unter dem Deckmantel der Religion meist verborgen blieben. Linares hatte diese Gottesmänner richtig erkannt. Er entlarvte sie und Hess sie strenger als jeden andern beobachten, wohl wissend, dass sie der Zucht am meisten bedurften. Andere Verbrecher wurden nach heissen ungesunden Gegenden geschickt, von denen Namen, wie Guanay und In-qtüsivi, jetzt öfter wieder genannt wurden. Es sind dies Verbannungsorte, die schon von früheren Präsidenten auserwählt waren und Veranlassung zu dem Sprüchwort: »ä pastear tigros y friar monos, d. h. um Tiger zu weiden und Affen zu braten«, gegeben hatten, wodurch sehr bezeichnend angedeutet werden soll, dass jene Thiere die einzigen Wesen sind, denen die Deportirten dort begegnen. Den Handel- und gewerbtreibenden Ausländern war das strenge Verfahren des Präsidenten nur willkommen. Leider schien dies die einzige Art und Weise zu sein, um einigermassen Ruhe und Frieden zu erhalten. Die Geschäfte blühten auf und selbst im Betriebe der Gruben von Corocoro war die wohlthätige Wirkung jener Strenge nicht zu verkennen, da die Mischrace nicht mehr durch Verlockungen und Vorspiegelungen zu Revolutionen verleitet und von der Arbeit abgehalten wurde, die Indianer aber mit mehr Vertrauen bei der Arbeit blieben. Dazu kam, dass in den meisten Gruben sehr reiche Erze angefahren wurden und dass der Preis des Kupfers noch einen hohen Stand behauptete, kein Wunder, dass die Grubenbesitzer viel Geld verdienten und um sich für so manche Entbehrung schadlos zu halten, die ihnen dieses Land auferlegte, ein luxuriöses Leben in Festen und Gesellschaften führten, bei denen der Champagner oft in Strömen floss. So angenehm das Jahr 1S59 auch für mich war, sowol in Bezug auf das gesellige Leben wie auf meine Stellung und Beschäftigung, so brachte es doch auch unangenehme Dinge, welche besonders von einer gewissen Classe von Subalternbeamten, unstreitig den verächtlichsten, die es hier giebt, in Scene gesetzt wurden. Ich meine die Correjidores, Alcaldes parroquiales und Juezes de paz, die Stadt- und Dorfrichter, Schulzen und Friedensrichter dieses Landes, denen in zweiter Reihe die Advokaten, in dritter die Priester und in letzter die Militärbeamten würdig zur Seite stehen und zu deren näherer Bekanntschaft ich nicht umhin kann, ein wenig vom Faden der Geschichte abzuschweifen. Genau betrachtet, sind die genannten Diener der Gerechtigkeit, Sittlichkeit und Sicherheit mehr oder weniger alle Blutegel der arbeitsamen Indianer. Die Advocaten ziehen sie in den Processen, die Priester in den Kirchenfesten und die Soldaten in den Fourage-ankäufen aus, aber die erwähnten Subalternbeamten betreiben dieses Flxtractionsgeschäft doch am ausgedehn- testen bei jeder Gelegenheit und wenn die Opfer am wenigsten vorbereitet sind; sie verschmähen es nicht, sich in dieser Kunst auch an andern, Nichtindianern, zu üben, so dass die in den geheimen Notizen von Jorge Juan und Antonio de UUoa vor hundert Jahren beschriebenen Betrügereien der Nachkommen der Conquistadores nur in den Personen gewechselt haben, im Wesen aber nicht allein dieselben geblieben, sondern sogar noch extensiver geworden sind. Da das Spanische die gesetzliche Sprache für schriftliche und mündliche Verhandlungen ist (das Quichoa wird nur im socialen Verkehre, das Aymarä aber gar nicht geschrieben) und von den Subalternbeamten verlangt wird, dass sie neben einer höchst oberflächlichen Schulbildung, des Lesens und Schreibens mächtig sind, so bestrebt sich ein Theil der Mischrace schon frühzeitig, sich diese Künste anzueignen, um einst durch sie zu den vielbegehrten Stellen zu gelangen. Diese Vortheile, die sie vor ungefähr 90 Procent der indianischen und ihrer eignen Race im Voraus haben, benutzen sie denn auch, wenn schon ihr Schreiben der Orthographie der spanischen Sprache nicht viel Ehre macht, ganz gehörig zu allerhand Unfug, wobei ihnen die von der Natur verliehene Schlauheit und Hinterlistigkeit nicht wenig zu Statten kommt. Ich könnte eine Menge Streiche dieser zu der gefährlichsten und gebuchtetsten Kaste herangewachsenen Schelme anführen, wenn die Streiche an und für sich interessanterer Art wären. Hier mag nur eine zur Characteristik derselben beitragende Beobachtung Raum finden, von deren Wahrheit ich mich mehr als ein Mal überzeugt habe. Das Princip der genannten Würdenträger ist: Mit wenig Arbeit viel verdienen. Bietet man ihnen eine Stelle als Beamter in irgend einem Privatunternehmen an, in der sie das Doppelte und Dreifache ihres fixirten Einkommens erwerben könnten, so ziehen sie doch ihr Amt vor, weil sie dies durch Betrug vielleicht um das Vierfache einträglicher machen und hierin gern inUebung bleiben; auch ist ihnen eine Beschäftigung, die sich an die Zeit bindet und bei der ihnen auf die Finger gesehen wird, in der Seele verhasst. An und für sich ist das Einkommen eines Correjidör nur sehr gering, der juez de paz oder Friedensrichter, dessen Wirksamkeit nebenbei bemerkt etwas grösser ist als wir darunter verstehen, hat sammt dem Alcade, so viel ich mich erinnere, weder Fixum noch sonstigen Gehalt, sondern nur Schreibgebühren, die, wenn er davon allein leben sollte, ihn vor dem Hungertode nicht schützen würden. Ehe diese Leute zu Amt und Würde gelangen, sieht man sie oft Jahre lang in der grossesten Dürftigkeit geduldig harren. Ihr Hausstand ist der ärmlichste der Welt. Ein alter schäbiger Ueberrock und ein paar zerlumpte Ponchos bilden ihre Kleidung, letztere zugleich ihr Bett. Ihre Frau und Kinder erscheinen stets in einem und demselben abgetragenen Anzüge. In der elenden Behausung steht quer vor der Thür, der einzigen Oeffnung, ein gemauerter Tisch, auf welchem ein paar Flaschen mit Branntwein, ein Topf mit Aji (Art spanischem Pfeifer, der dick eingekocht wird) und einige Stücken Brod den Kleinhandel der Frau andeuten. Seitwärts der Thür bemerkt man einen ähnlichen Tisch mit Papier, Schreibzeug und einer vergilbten Gesetzsammlung, die Werkzeuge, mit denen der Aspirant die Winkeladv ocatur betreibt. Winkeladvocaten sind sie alle! — 4Q — Den Hintergrund des Zimmers nehmen die gemauerten Bettstellen mit alten Lumpen ein; neben der Thür auf der Strasse ist ein höchst primitiver Heerd errichtet, auf dem das ewige Einerlei, Kartoffeln und Lamafleisch, kocht. Besuchen wir diesen Mann als correjidor oder juez de paz wieder, nachdem er als solcher kaum ein Jahr fungirt hat, so treffen wir ihn bereits in seinem eignen Hause, das zwar noch nicht bezahlt ist, aus dem er sich aber jetzt so leicht nicht mehr verdrängen lässt. Die alten Ponchos haben sich in neue verwandelt, dickwollige Lamafelle zieren die Bettstellen, starke, schön gewebte Puyos, Teppiche, den Fussboden. Im Hofe steht ein stattlicher Vorrath von Gerste in Halmen aufgestapelt, nach dem ein eingepferchtes Maulthier von 70 bis 80 Pesos Werth und ein halbes Dutzend fetter Hammel die Köpfe strecken und selbst der Kochheerd ist von der Strasse verschwunden und als Küche im Plofe wieder aufgetaucht. Das Schnapsgeschäft, welches die Frau weiter betreibt und dadurch ergiebiger macht, dass sie dem angekauften Branntwein noch 25 Procent Wasser zusetzt (die Kunden sind ihr doch gewiss) hat sich bedeutend vergrössert und das gemauerte Schreibpult ihres Ehegatten ist einem Luxusmöbel in der Form eines hölzernen Tisches gewichen, von welchem der Gestrenge seine Thätigkeit ausströmen und die Opfer seiner Habgier durch gehorsame Comisarios und Ilacates vorladen lässt. Dies alles bekundet, dass das Geschäft, die Indianer auszubeuten, in voller Blüthe steht. Der Sattel an der Wand giebt Verdacht, dass er Errungenschaft von einem Arriero (Maulthiertreiber) ist, der ihn in Ermangelung klingender Münze als Pfand für irgend eine schriftliche Eingabe oder für die Ausstellung eines imaginären Reisepasses hier zurücklassen musste, um ihn nie wiederzubekommen. Trotz aller Gaunerei trägt diese Classe von Beamten eine gewisse Noblesse in den Trink- und Tanzgelagen zur Schau, die sie hauptsächlich aus dem Grunde geben» um sich bekannt und beliebt zu machen, zugleich aber auch um etwaige Rivale durch die Wirkung des Branntweins auszuapioniren oder sonstiges Material für ihre Wirksamkeit zu sammeln. Dabei beobachten sie unter einander ein höchst cameradschaftliches Verhältniss, verhelfen einander gern zu den säubern Geschäften, an deren Ausführung sie selbst behindert sind und ver-rathen einander nie. Clericus clericum non deeimat. Zu Zeiten von »Revolutionen sind diese Individuen mit Commissionen wie Recrutirungen und Requisitionen aller Art beschäftigt, bei denen sie sich selbst natürlich am meisten bedenken, in Friedenszeiten tritt aber doch bisweilen eine Ebbe ein, die sie alsdann mit längst vergessenen Sachen auszufüllen pflegen. So geschah es auch nach der letzten Revolution, hh stand damals allein, war fremd, der spanischen Sprache noch nicht sehr mächtig, bekleidete eine einträgliche Stelle und — hatte auf Menschen geschossen. Was wollte die Bande mehr? Der Corre-jidor von Corocoro hatte nicht den Muth, offen gegen mich vorzugehen, sondern gab seinem Collegen des benachbarten Grubenortes Chacarilla einen geheimen Wink, den dieser bereitwillig verstand. Die Cholos, welche auf den Vorhof geschossen hatten, waren wahrscheinlich aus Furcht vor Bestrafung nach dort übergesiedelt, hatten aber, wie ich im Voraus bemerken muss, von dem Vor- falle nichts erwähnt und noch weniger davon Anzeige gemacht, obschon es an Aufreizungen hierzu von Seiten der Correjidores nicht gefehlt hatte. Ich will nun den Leser mit einer Beschreibung dieser Anklage und ihres langweiligen Verlaufes keineswegs ermüden, da ich sie, offen gestanden und Gott sei Dank, sammt den darin enthaltenen nichtswürdigen Lügen selbst kaum verstanden und verfolgt habe. Kurz, ich war in die Hände jener Schelme gerathen, deren Absicht, mich zur Niederschlagung der Klage durch eine angemessene Geldsumme zu zwingen, ich um so richtiger erkannte. Aber ich hatte mir vorgenommen, ihnen den Willen nicht zu thun, obgleich ich mich auf die Klage selbst nolens volens einlassen musste. Fast täglich bekam ich eine Vorladung vom Correjidor von Corocoro, walcher angeblich die Sache in Commission bekommen hatte. Anfangs war ich thörigt genug, Folge zu leisten. Als ich auf den Rath meiner wenigen Freunde und nach meinem eigenen bessern Dafürhalten die folgenden Vorladungen unberücksichtigt liess, erschien der juez de paz von hier als vom Correjidor beauftragter Comisario mit zwei Zeugen in meiner Wohnung und legte mir eine Notifi-cation zum Unterschreiben vor. Ich verweigerte letzteres. Am zweiten Tage wiederholte sich das Manoeuvre. Der Commissar wollte mir das Schriftstück vorlesen, wonach die Zeugen für mich unterzeichnet hätten. Auch hierzu liess ich ihn nicht kommen, sondern forderte ihn auf, mein Zimmer zu verlassen. Dadurch wurde er nur zudringlicher und lästiger und drohte mir endlich, die Sache dem Staatsanwalt zu übergeben, wenn ich nicht unterzeichne. Als ich ihm andeutete, dass dies mir selbst lieber sei, da ich jenen Beamten allein als com- petent zur Untersuchung betrachte und der Commissar noch immer keine Anstalt zum Gehen machte, riss mir die Geduld. Ich öffnete die Thür und schob die ganze Gesellschaft hinaus. Der Klage wurde neues Belastungsmaterial, »Gewalttätigkeit gegen Beamte«, angefügt. Vorläufig war der Plan der Geldschneiderei vereitelt. Es vergingen ein paar Wochen, ohne dass ich mehr als durch einen Brief vom Correjidor der Chacarilla behelligt wurde, in welchem er mich um eine Zusammenkunft zur Erledigung meiner Angelegenheit bat, den ich aber unbeantwortet liess. Doch diese Ränkeschmiede räumen nicht so leicht den Kampfplatz. Sie wollten, da sie einsahen, dass sie Nichts lucriren konnten, wenigstens ihren Aerger und ihre Wuth an mir auslassen und hatten die Sache inzwischen wirklich beim Staatsanwalt anhängig gemacht. Dieser war glücklicher Weise ein vernünftiger Mann, welcher, nachdem ich ihm den Vorfall der Wahrheit gemäss erzählt hatte, die Intriguen der Correjidore sofort durchschaute. Er versprach, da er nicht umhin könne, auf die Anzeige einzugehen, mir volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In der Untersuchung gestanden die Cholos, welche nach hier citirt waren, dass sie nicht daran gedacht, Beschwerde zu führen, um so weniger, als sie sich selbst schuldig gefühlt hätten, dass sie vielmehr vom Correjidor der Chacarilla zum Unterschreiben der von ihm angefertigten Anklageschrift förmlich gezwungen seien. Das Ende der ganzen Sache war, nachdem ein ansehnliches Actenstück entstanden und ich in dieser Angelegenheit sogar einmal in La Paz gewesen war, dass der Correjidor der Chacarilla wegen Instigation und unbefugten, eigenmächtigen Einschreitens seines Dienstes entlassen und der von Corocoro, welcher seine Hände in Unschuld wusch, strenger beobachtet wurde. Die Cholos kamen mit einer nachträglichen Gefängnissstrafe von drei Tagen davon. Trotz der Warnung des Staatsanwalts unterliess es der hiesige Correjidor nicht, später ein paar neue In-triguen, ebenso fein wie jene, gegen mich zu spinnen, die zwar alle resultatlos für ihn ausfielen, mich aber doch mancher Stunde meiner Zeit beraubten und konnte ich mich nur damit trösten, dass ich nicht der Einzige war, dem er seine Aufmerksamkeit schenkte, wennschon ich von dem: »Solamen miseris socios habuisse malorum« sonst nicht viel hielt. Auch meinen Freunden wurde die Ehre jener Aufmerksamkeit in reichem Maasse zu Theil. Im Mai 1859 kamen die Söhne des General-Feldmarschalls Braun mit ihren jungen Frauen von der Küste nach Corocoro. Im Hause wurde es lebhaft. Des Abends hatten wir entweder Besuch von befreundeten Familien oder wir waren bei diesen. Die Zeit verrann uns allen bei der Leetüre von Zeitschriften und bei Spiel, Gesang und Tanz zum Pianino viel zu schnell. Im Juli desselben Jahres kam auch der General-Feldmarschall Braun einmal wieder von Europa nach Bolivia. Er hielt sich theils in Corocoro, theils in La Paz sowie auf seinem bandgute San Francisco und seiner Silbergrube l'ilär, beide im reizenden Yungas gelegen, auf. Seine ritterliche hohe Gestalt, seine gerade Haltung und der volle blond und weiss mehrte Bart verriethen sofort den alten Krieger, die blauen klaren Augen den Mann von Seele. Trotz der 62 Jahre, in denen ihm meist ein bewegtes, strapazenreiches Leben beschieden war, welches manchen andern frühzeitig abgestumpft hätte, bewahrte er noch immer geistige und körperliche Frische. Kr hatte Gedächtniss für so vieles, woran sich seine Söhne kaum mehr erinnerten, sass zu Pferde wie ein junger Reiterofficier und schoss mit der Pistole wie er nicht sicherer vor 30 Jahren hätte schiessen können. Der General (so wurde er schlechtweg genannt), war, wie so viele Männer, die den Stürmen des Lebens wirkliche Verdienste abgerungen haben, ein Feind jeglichen Renommirens. Es hielt auch recht schwer, ihn auf seine ruhmreiche Vergangenheit zu bringen und wenn er einmal freiwillig in dieselbe ziirückgriff und man ihn auf dem besten Wege zur Mittheilung eines geschichtlichen, von ihm selbst erlebten Factums glaubte, endete seine Rede gewöhnlich mit einem komischen Intermezzo oder tiner Anekdote, die sich bei jeder andern Gelegenheit ebenso gut hätte zutragen können. Nur ein Mal fand ich ihn mittheilsam und dies verursachte der Zufall, dass die Glücksgöttin, deren Günstling er doch stets war, ihn zwei prachtvolle Revolver hatte gewinnen lassen, die der frühere Präsident Cördova auf seiner letzten Expedition in Yiacha aus Noth versetzt haben sollte und die nun in Corocoro durch eine Art Lotterie dem General zugefallen waren, (deich nachdem er sie erhalten hatte, liess er mich rufen. Ich fand ihn allein in seinem Zimmer im Lehnstuhl ausgestreckt. Das Podagra, welches die alten ausgewitterten Haudegen selten verschont, begann afich bei ihm sich dann und wann einzustellen. Er hatte bei derartigen Anfällen nicht die beste Laune und blieb deshalb am liebsten allein. Heute war dies anders. Vor ihm auf dem Tische lag das Etui aufgeschlagen, in welchem zwei Colt'sche Revolver mit Zubehör eingepasst waren, wahre Meisterstücke von Elfenbeinschnitzerei und ciselirter Silberarbeit, welche man hier auf 300 Dollars schätzte. Doch dieser Werth war es nicht, was dem General die Revolver werthvoll machte, sondern die Erinnerung an ein Stück Lebensgeschichte, die sich für ihn an jene knüpfte. Er kam durch die Revolver im Gespräch von Cördova auf Belzu, ihren frühern Besitzer, und Baliviän, die erbittertsten Gegner seiner Partei und betrachtete sie, wie es schien, als Ersatz für die Trophäe, die ihm auf dem Schlacht-felde von jenen zu erringen nicht vergönnt war. Dann erzählte er von seiner Bekanntschaft mit Bolivar und Sucre, von den heissen Kämpfen von Quito und Junin, von den glücklichen Tagen der Präsidentschaft des allgemein verehrten Generals Santa Cruz, seines geliebten Feldherrn und von den braven Soldaten der damaligen Zeit, die sich im Grabe umdrehen würden, wenn sie die jetzigen sähen. Sie alle waren längst vergessen oder todt! Der General klappte das Etui zu und presste seine Hände in die Seite; vielleicht brannten ihm die alten Lanzenstiche von Junin. Einen schönen Beweis der vertrauensvollen und- gerechten Sinnesart des Generals, deren ich mich zwar in jeder Beziehung stets zu erfreuen hatte, lieferte er mir bei Gelegenheit eines für mich höchst fatalen Vorfalles. Seinen Söhnen waren ein paar Freunde von der Küste zum Besuch nach hier gefolgt. Einer tlerselben, ein junger Franzose, hatte sich mir näher angeschlossen. Wir ritten in meinen Mussestunden öfter zur Jagd auf Vicunas und wilde Enten. Zufällig hatten wir beide zweiläufige Lefaucheux-Gewehre, die zum Verwechseln ähnlich waren. Als wir das letzte Mal von der Jagd zurückgekehrt waren, hatten wir vermeintlich sämmtliche Läufe abgeschossen und die Gewehre in eine Ecke meines Wohnzimmers gestellt. Ein Beamter der Braun'-schen Erzwäsche in Pontezuelo, welcher mich ein paar Tage danach besuchte, nahm eines der tiewehre und bat mich, ihm die Construction desselben zu zeigen. Um ganz sicher vor Unglück zu sein, wollte ich zunächst die steckengebliebenen Hülsen entfernen und legte das Gewehr vorsichtig mit den Mündungen gegen die Wand gekehrt auf den Tisch, damit ich den Haken bequemer ansetzen konnte. Die erste Hülse ging leicht heraus, bei der zweiten hielt dies schwer und als mir mein Besuch mit Festhalten des Gewehres zur Hülfe kommen wollte, verrückte sich dieses, der Hahn schlug zu und der Schuss fuhr durch die Glasthür meines Zimmers in ein gegenüber liegendes Fenster der Wohnung des jungem Sohnes des Generals, an welchem sich dessen junge Frau öfter aufzuhalten pflegte. Ich war starr vor Schreck und unfähig einen Schritt zu thun. Der Schuss und die klirrenden Fensterscheiben hatten das ganze Dienstpersonal herbeigerufen. Die Botschaft, dass kein Mensch getroffen sei, mehr aber noch das spätere Erscheinen der jungen Frau selbst, die Gewissheit, dass sie lebte, goss auch wieder einiges Leben in meine Glieder, wiewohl ich noch den ganzen Tag ein inneres Beben fühlte. Der General, dessen Zimmer ziemlich entfernt von den meinigen lagen, hatte zwar den Schuss gehört, aber kein besonderes Gewicht darauf - 4S - gelegt. Ich konnte den Rath der andern, in seiner Gegenwart nichts von dem verhängnissvollen Vorfalle zu erwähnen, nicht theilen. Er sollte alles wissen, doch wollte ich ihm die Mittheilung erst nach aufgehobener Tafel machen, zu welcher die Glocke bald läutete. Bei Tisch war alles heiter und unterhielt sich in der gewohnten Weise. Mir war es unmöglich, einen Bissen zu gemessen. Dem Scharfblicke des Generals entging meine Aufgeregtheit nicht und deshalb von ihm befragt, erzählte ich ihm das Geschehene. Kein Wort des Vorwurfs oder Tadels kam über seine Lippen; im Gegen-theil schien er mich mit der Erzählung eines ganz ähnlichen Falles, der ihm selbst passirt war, trösten zu wollen. Nach Tisch begleitete ich ihn an die Unglücksstelle. Drei Posten hatten ebenso viele Scheiben des erwähnten Fensters und im Zimmer einen grossen Spiegel zertrümmert, die andern waren in der Wand stecken geblieben. Der General untersuchte die Schüsse genau und drückte nur seine Verwunderung darüber aus, dass das Gewehr auf eine verhältnissmässig kurze Distanz von zwanzig Schritt zu sehr gestreut habe. Damit war das Unglück von ihm auf immer ad acta der Vergangenheit gelegt, er erwähnte es nie wieder. Aber der Deutsche, dessen Bekanntschaft wir bereits beim Convivium des Herrn Hertzog gemacht haben, war hiermit nicht einverstanden, sondern benutzte den Vorfall als Bekräftigung einer erbärmlichen Klatscherei, die er über mich fabricirt, von der ich jedoch anfangs keine Ahnung hatte. Dieser Mensch stand damals in geschäftlicher Beziehung zum Bratfischen Hause und wohnte seit längerer Zeit hierselbst. Wir lernten einander kennen; ich fühlte mich jedoch nicht besonders zu ihm hingezogen. Aus seiner Vergangenheit wusste ich nur so viel, dass er sich schon an verschiedenen Grubenorten in Peru als Berg- und Hüttenmann von Leder und Feder gerirt, aber nirgends lange ausgehalten hatte, was mich mehr noch als sein Nimbus von Gelehrsamkeit zu der gelinden Annahme verleitete, dass er den Anforderungen als Fachmann doch wol nicht gewachsen war. Sein Streben, als wissenschaftlich gebildeter Mann zu erscheinen, vielleicht auch um böse Zungen Lügen zu strafen, die behaupteten, er sei früher Barbier gewesen, mochte erst erwacht sein, nachdem er schon nach Amerika ausgewandert war und es war höchst löblich, dass er die Lücken seines Wissens, die sich allerdings öfter bemerkbar machten, noch nachträglich aus Büchern auszufüllen suchte, wobei ihm seine Fassungsgabe und sein vorzügliches Gedächtniss sehr zu Statten kamen. Aber er war ein Schwatzer trotz seines Alters und trotz seiner Länge, die er beide, nebenbei bemerkt, in reichlichem Masse besass. Der Gegenstand der Schwätzerei, in welcher er mir, Gott weiss aus welcher Ursache, die Hauptrolle zuertheilt hatte, war zu delicater Art, als dass ich ihn hierüber hätte zur Rede stellen können und zwar um so weniger, als gerade derjenige, für welchen die Sache besonderes Interesse hatte, sich nicht offen mir gegenüber aussprach und ich nur an dem immer kälter werdenden freundschaftlichen Begegnen des letztern errathen konnte, dass etwas gegen mich im Spiele war. Auf meine Bitte um Aufklärung erhielt ich eine ausweichende Antwort. Die Spannung wurde endlich so gross und mein Aufenthalt im Braun'sehen Hause so peinlich, dass ich vorzog, dasselbe gänzlich zu meiden. Mossbncli, I'olivia. , Ich quartierte mich zu meinem Freunde P. S. und klagte ihm mein Leid. Nach reiflicher Ueberlegung, was zu thun sei, blieb mir nichts anderes übrig, als den Schwätzer für' meinen Verläumder zu halten und ihn zu fordern. Er konnte sich mit einer etwaigen Unkenntniss des Waffengebrauchs nicht entschuldigen, da er nach eigenen Erzählungen von seinen vielen Mensuren auf deutschen Universitäten sowie als peruanischer Officier, welcher gewesen zu sein er ebenfalls vorgab, mehr als genügende Fertigkeit darin besitzen musste. P. S. erwies mir den Freundschaftsdienst, sich mir als Cartelträger anzubieten. Beim Antrage der Herausforderung war der angebliche Officier empört aufgesprungen und bleichen Angesichts zum General geeilt, um sich bei ihm über mich zu beklagen und ihm seine Unschuld mit beredten Worten darzuthun. Der General, welchem die widerwärtige Sache bis dahin gänzlich verschwiegen und nur mein Fehlen bei Tisch aufgefallen war, hatte ihm volle Gerechtigkeit angedeihen zu lassen versprochen, wenn er mich zuvor angehört habe. P. S. kehrte daher ohne bestimmte Antwort zurück. Taktvoll, wie der General stets war, konnte ich annehmen, dass er mich nicht zu sich rufen lassen, sondern dass er mich im Hause meines Freundes aufsuchen würde. Ich hatte mich nicht getäuscht. Noch denselben Tag erschien er und bat mich, ihm in seine Wohnung zu folgen. Hier trafen wir mit dem indirect Betheiligten zusammen. Nachdem wir uns nunmehr offen gegenseitig ausgesprochen hatten, kamen wir sehr bald zu der Ueberzeugung, dass die Aussagen meines Gegners auf den erbärmlichsten Lügen und den schändlichsten Verdächtigungen basirten. Der General drückte mir beide Hände und zollte meiner Handlungs- — 5i — weise vollkommenen Beifall. Es war eine rührende Scene, denn dem alten Soldaten waren Thränen in die Augen getreten, ihm, dem Sieger von Montenegro, der seit einem Menschenalter vielleicht nicht geweint hatte. Unmittelbar nach dieser Conferenz liess sich mein Gegner beim General melden. Er wurde angenommen, aber sein sofortiges Wiedererscheinen auf dem Vorhof, aus dem er mit Sturmschritten zum Thor hinauseilte, verrieth deutlich genug, dass der General nicht weiter mit ihm verhandelt, sondern ihn direct an meinen Cartel-träger verwiesen hatte. Letzterer kam bald darauf, um nochmals einen Versuch zu machen, sich seines Auftrags zu entledigen, doch der grosse Held war und blieb unsichtbar. Am andern Morgen erfuhr ich vom Hausdiener, dass er erst bei Tagesanbruch gekommen sei, dass ihm sein Diener das Thor geöffnet habe und dass beide in aller Stille davon geritten seien. Die Nachricht dieser Flucht ohne Abschied empfing der General mit einem bittern Lächeln. Er hielt es jedoch nicht der Mühe werth, mehr Worte darüber zu verlieren, als zu einer ungefähren Entschuldigung des plötzlich Abgereisten den Damen und Gästen gegenüber absolut nothwendig waren. Die Klatschgeschichte selbst wurde todtgeschwiegen. So lange ich im Braun'schen Hause verweilte, habe ich diesen Ritter nicht wieder zu Gesicht bekommen, dem Herrn Braun aber sind, wie ich nach wenigen Jahren von ihm selbst hörte, bittere Erfahrungen an ihm nicht erspart geblieben. Sic Germania in America. Zur Feier der Unabhängigkeitserklärung Bolivia's von der spanischen Herrschaft hatte ich zum 6. August eine Einladung von den Eltern meines Freundes P. S. nach La Paz erhalten und war daselbst den Tag zuvor eingetroffen. Die gastliche Aufnahme in dem vornehmen Hause und die aufmerksame Fürsorge, welche Dona Carmen, die Mutter meines Freundes, die liebenswürdigste Frau dieser Stadt, für ihre Gäste entfaltete, hatte mir den achttägigen Aufenthalt in der S.'schen Familie zu einem überaus angenehmen gemacht. La Paz, das Chuqtüago d. h. die »Goldstadt« der Indianer, hat einen grossstädtischen Anstrich, zumal bei Festen, wie dem erwähnten, bei denen den 80000 Einwohnern noch Massen von Menschen der verschiedensten Färbung und Schichtung von Aussen zuströmen. Am Festtage selbst durchzogen um 8 Uhr Morgens mehrere Bataillone Soldaten die Strassen mit klingendem Spiel; eine Stunde später waren gegen 3000 Mann von allen Truppengattungen auf der Plaza vor dem Palais des Präsidenten versammelt, die von nah und fern heran-beordert waren und damals fast die ganze Armee Bo-livias bildeten. Selbst die Artillerie mit ihren 20 Kanonen fehlte nicht. Hier sah ich auch zum ersten Male die Garde zu Fuss, das Batallon Granaderos, etwa 200 Mann ausgesuchte grosse Cholos und Zambos, die in den blutrothen, mit schwarzem Sammet besetzten, laugschössigen weitärmeligen Waffenröcken und in den weiten, unten zugebundenen Pumphosen noch vollkommener aussahen und mit ihren Bärenmützen (ähnlich denen der französischen Garde) um anderthalb Fuss über die übrigen Soldaten hervorragten. Einer) schroffen Gegensatz bildeten ihre Tambours und Signalisten, kleine jugendliche Gestalten in den Uniformen der französischen Zuaven und Turcos. Das Palais des Präsidenten war mit Guirlanden geschmückt und zu beiden Seiten der Veranda hingen die wohlgetroffenen Portraits von Bolivar, Sucre und Santa Cruz. Im Vorhofe standen die Fahnen und Standarten jener Feldherren, zu deren Besichtigung man durch das Palais selbst gehen musste. Auch ich war in dieser Absicht einigen Herren nach dort gefolgt und während wir noch die Fahnen betrachteten, hiess es, der Präsident komme mit seinem Gefolge die Treppe herab, um sich zur Messe zu begeben, die an diesem Tage herkömmlich gehalten wird. Um dem Präsidenten nicht in den Weg zu treten und doch auch dessen Empfang auf der Strasse nicht zu versäumen, beeilten wir uns, aus dem Palais auf die Plaza zu gelangen. Allein es war zu spät. Der Präsident hatte bereits die letzten Stufen der Treppe erreicht und wir würden mit ihm zusammen-gestossen sein, wenn wir noch einen Schritt gethan hätten. Wir blieben daher entblössten Hauptes stehen. Der Präsident erschien einfach in P'rack und Hut, welch' letztern er vor uns abnahm. Plötzlich blieb auch er bei einigen Herren, ohne Zweifel alten Bekannten, stehen, mit welchen er eine kurze Begrüssung austauschte. Auch mir deutete er durch einen freundlichen Blick an, dass er mich wieder erkannt hatte. Diese Begegnung setzte uns in die peinliche Lage, dass wir weder vorwärts noch rückwärts kommen konnten. Der Präsident bemerkte unsere Verlegenheit und ob er nun als Wirth vom Hause die Etiquette beobachten oder, was wahrscheinlicher, uns von der Empfangsfeierlichkeit draussen nicht abhalten wollte, die uns allerdings entgangen wäre, wenn wir hätten warten müssen, kurz, er forderte uns mit den deutlichen Worten: »Pasen Ustedes, caballeros!« d. h.: »Treten Sie vor, meine Herren!« auf, ihm voranzugehen. Ob darin ein Wunsch oder ein Befehl ausgedrückt war, hätte uns gleich sein können, wir hätten, da der Präsident nicht weiter ging, seiner Aufforderung sofort Folge leisten müssen. Man zögerte und wusste nicht, was man thun sollte. Ich besann mich nicht lange, sondern schritt schnell vorüber; ein Gleiches that ein ältlicher Herr, ein hier eingewanderter Engländer und specieller Bekannter des Präsidenten. Dies wurde uns beiden von den Zurückbleibenden als grosse Un-höflichkeit angerechnet und wir bekamen dafür im Stadtgespräch den Ehrentitel von Grjngos malcriados, »ungezogenen Fremdlingen«. La Paz ist eine grosse Stadt, aber .ihre Einwohner sind schlimmer als Kleinstädter! (Als ich andern Tags mit dem Kriegsminister, General Acha im S.'sehen Hause zusammentraf, wo dieser fast regelmässiger Gast beim Thee und bei der Abendunterhaltung war, und wo Oberhaupt viele Personen von Distinction verkehrten, erfuhr ich von ihm, dass die besagte Begegnung mit dem Präsidenten sogar bei Tafel nochmals zur Sprache gekommen, dass letzterer aber nicht der Meinung der andern gewesen sei, vielmehr seiner Anerkennung Ausdruck gegeben habe, dass ihm wenigstens einmal »zwei« den Willen gethan hätten. Vielleicht lag in dieser Aeusserung eine Anspielung auf seine drei Minister, von denen sich für gewöhnlich nur »einer« (ein hoher Siebziger) freiwillig seinem Willen unterwarf, während ihm die beiden andern am liebsten gar nicht gehorcht hätten, wenn das möglich gewesen wäre.) Beim Erscheinen des Präsidenten auf der Plaza schmetterten die Trompeten eine kurze Fanfare. Eine Deputation der Spitzen der Stadt empfing ihn und begleitete ihn unter Glockengeläut durch die Reihen der Soldaten zur Kirche. Nach der Messe kehrte er in derselben Weise zum Palais zurück, wo er, umgeben von seinen Ministern und ersten Rathen, auf der Veranda Platz nahm. Glühende patriotische Reden, gehalten von zwei hiesigen Advocaten, endeten mit einem Hoch auf das Wohl des Präsidenten und der Republik Bolivia. Dann folgte die grosse Parade, welche jener von der Veranda abnahm, da ihn ein Hämorrhoidalleiden verhinderte, zu Pferde zu erscheinen. Die Regimenter marschirten unter klingendem Spiel in verschiedenen Stellungen auf und die Artillerie ma-novrirte so viel der Raum der Plaza gestattete, sogar mit Platzpatronen. Schliesslich defilirten die Soldaten im Parademarsch am Palais vorüber, riefen dem Präsidenten »vivas« zu und verloren sich alsdann in ihre Quartiere. Es ging alles sehr präcis. Nach dem Ahnuerzo, dem Hauptfrühstück, welches um ii Uhr stattfindet, war grosser Paseo oder Spazir-ritt von Damen und Herren nach der Alameda, einer hübschen Promenade, nach der Villa de Cördova und Oberajes, einem beliebten Ausflugsort. Ein Freund machte mich hierbei mit vielen eleganten Reitern und Reiterinnen bekannt. Bei der Comida, welche unserm eigentlichen Mittagsmahle entspricht und um 5 Uhr Abends beginnt, waren am heutigen Tage viele Gäste im S.'schen Hause, unter denen ein alter pensionirter Coronel, Don Martin Cardön unstreitig die interessanteste Persönlichkeit bildete. Dieser Mann, ein weitläufiger Verwandter der Familie S., die er allabendlich besuchte, dessen Farbe und Gesichtsbildung fast rein indianisch war und dessen erste Bekanntschaft durchaus nichts verrieth, was ihn über das Niveau des gewöhnlichen Menschenverstandes hätte heben können, setzte mich bei Tische (ich war sein Nachbar) durch seine immensen Kenntnisse in der Geschichte und Geographie fremder Länder förmlich in Verlegenheit. Mein Freund hatte mich zwar hierauf schon aufmerksam gemacht, allein dass die Gelehrsamkeit des alten Coronels eine solche Ausdehnung hatte, war mir doch überraschend. Ein Handel zwischen Deutschland und den Westküstenländern Südamerika's existirte kaum und daher gab man sich auch nicht die Mühe, Deutschland näher kennen zu lernen. Nur Hamburg und Freussen hatten bekannte Namen, ersteres als Hafen- und Handelsstadt, letzteres als Militärstaat. Als mich Don Martin (so hiess der Coronet schlecht weg) fragte, was für ein Landsmann ich sei, antwortete ich ihm daher »Preusse.« — »Aus welcher Provinz?« — »Sachsen.« — »Ich weiss sehr wohl, die Provinz Sachsen wird in drei Regicrttngs -Districte getheilt!« Er nannte die Namen. Meine Verlegenheit begann; denn ich war nicht geborner Preusse, sondern Anhaltiner, doch er-wiederte ich ihm in der Voraussetzung, dass er nicht weiter dividiren würde, »Magdeburg.« »Dort geboren?« »Nein, in Bernburg.« »Dann sind sie ja aus dem Herzog-thume Anhalt Bernburg und ein Landsmann von Herrn A. F.« Und nun begann der Historiker die Geschichte Anhalts von den Askaniem und von Bernhard, dem Sohne Albrecht des Bären bis auf die Neuzeit zu entwickeln, nannte einige Namen der verschiedenen Linien, erzählte von Fürst Wolfgang, dem Mitbegründer der Reformation und Freunde Luthers, dass er, vom Kaiser Carl V. geächtet, durch einen Spanier Namens Ladrone verdrängt wurde und knüpfte als unversöhnlicher Feind der Spanier hieran die sarcastische Bemerkung, dass diese Nation überhaupt von der grossen Familie der Ladrones (deutsch: Spitzbuben) abstammen müsse. Den Fürsten Leopold L, den »Alten Dessauer« kannte er nicht allein durch seine WTaffenthaten, sondern auch in seinem Privatleben sehr genau. Auch die Politik des Ländchens war seinem Wissensdurste nicht entgangen und er brachte die Intriguen, welche zu den Zeiten der Nebenlinie »Pless« am Cötheu'schen Hofe spielten und die Unruhen der Jahre 1S48 und 49 in Dessau und Bernburg in nicht unpassende Beziehung zu der Polemik Bolivia's, indem er höchst humoristisch zwischen beiden Parallele zog, Es mag nun sein, dass Don Martin's genaue Kennt-niss von Anhalt ein Ergebniss seines Verkehres mit dem erwähnten Landsmann war, der hier früher gelebt und ihm die neuesten politischen Ereignisse aus deutschen Zeitungen mitgetheilt hatte, aber ich wusste zugleich, dass Don Martin sein lebhaftes Interesse für Geschichte und Politik auch aus andern Zeitschriften befriedigte, die er sich, da er selbst ausländischer Sprachen nicht mächtig war, erst hier übersetzen liess. Ich hütete mich daher wohlweislich, als Don ^ Martin sich in der Entwerfung eines buntfarbigen Bildes Deutschlands erging, das damals noch aus 37 Staaten zusammengesetzt war und endlich bei den Reussischen Fürstenthumern angelangt war, ihn etwa an die Souveräne dieser Länder zu erinnern; denn ich hätte ihm die Frage, »die wie- vielsten Heinriche dort jetzt regieren?« wahrlich nicht beantworten können. Don Martin war ausserdem witzig und unterhaltend, konnte auch recht galant, freilich auch ebenso rücksichtslos derb in seinen Ausdrücken sein, weshalb sich Damen nicht sehr in seine Nähe drängten. Eine Gewohnheit von ihm blieb mir jedoch ein ungelöstes Räthsel. Der nordamerikanische Consul, welcher damals interimistisch in La Paz fungirte, sprach kein Wort Spanisch und gab sich auch nicht die geringste Mühe, es zu erlernen; vielleicht war er schon zu alt dazu. An das Haus S. empfohlen, hatte er es in der ersten Zeit glücklich getroffen, dass mein Freund P. S. dort wohnte, welcher fertig Englisch sprach und ihm als Dolmetscher diente. Gleich Don Martin erschien der Consul fast jeden Tag kurz nach der Comida, nahm auch oft an dieser Theil und unterhielt sich ein paar Stunden besonders mit Don Martin, oder richtiger gesagt, liess sich von diesem unterhalten; denn er selbst war etwas redefaul und sprach ausserdem sehr undeutlich. Seine Besuche setzte er auch fort, nachdem P. S. von La Paz längst weggezogen war. Der erste Buchhalter, ein Deutscher, welcher nothdürftig Englisch verstand, musste nun seinen Platz bei Tisch in der Nähe des Consuls nehmen und so gut es ging interpretiren. Mit der Zeit wurde diesem die Gesellschaft der beiden Alten zu langweilig; er drückte sich nach Tisch unter irgend einem Vorwande und jene blieben oft genug allein zurück. Das behinderte sie jedoch keineswegs, die Unterhaltung fortzusetzen und schliesslich hatten sie sich so in diese Gewohnheit gelebt, dass sie einen Dolmetscher gar nicht mehr vernüssten. Während meines Aufenthaltes im S.'schen Hause unterhielt ich mich bei Tisch gern mit Don Martin und blieb nach aufgehobener Tafel auch gern noch ein Stündchen sitzen, aber ich nahm mich in Acht, nicht zu grosse Proben meines Englischen zu geben (was mir indessen nicht allzuschwer wurde), um nicht auch für den Abend die Stelle eines Interpreten vertreten zu müssen, dessen Aufgabe besonders dem Consul gegenüber keine leichte war. Selbst Donna Carmen, die aufmerksame Wirthin des Hauses, war nicht immer aufgelegt, das Opfer der Unterhaltung allein zu bringen, was ihr auch niemand verdachte, und wünschte am wenigsten, dass ich meine Zeit hierin verlieren sollte. Ich folgte ihr daher bisweilen in den Empfangssaal, wo es an Besuch selten fehlte oder ich ging meine eignen Wege, um Bekannte aufzusuchen. Wenn dann die beiden alten Herren im Speisesaale allein zurückblieben und nach dem Kattee nochmals zu einer Flasche Wein übergingen, die ihnen ein Diener regelmässig vorsetzte, glaubte ich anfangs, es wäre ihnen vielleicht nur um diesen zu thun; dem war jedoch nicht so, denn sie tranken oft gar nicht davon. Es war auch nichts Ungewöhnliches, dass sie mit einander spaziren gingen und wer sie gestikulirend und disputirend daherkommen sah, konnte kaum begreifen, dass sie einander nicht verstanden. Und doch sprach der Coronel nur Spanisch, der Consul nur Englisch; ihre Unterhaltung konnte sich daher auch nur in continuirlichen gegenseitigen Missverständnissen bewegen. — Den Schluss des Festes der Unabhängigkeitserklärung bildete die Gran Retreta, der grosse Zapfenstreich, welcher Abends auf der Plaza bei der herrlichsten Witterung und brillanter Beleuchtung abgehalten wurde und zu dem sich die ganze vornehme Welt wieder eingefunden hatte. Hiernach folgte ich der Einladung zu einem Balle, auf dem ich zum ersten Male den beliebten Meca-paqueno tanzen sah, der durch seine eigentümlichen hüpfenden Bewegungen allgemeine Heiterkeit erregte, jedoch der Grazie entbehrte, die sonst die spanischen Tänze characterisirt. Hier erzählte man sich auch eine curiose Geschichte. In La Paz machte zu jener Zeit ein Engländer viel Aufsehen, welcher die Idee gefasst hatte, in einem von ihm eigens construirten Wagen das Land zu bereisen und sich später darin von hier über Salta und Tucu-man durch die argentinische Republik nach Buenos-Ayres zu begeben. In ganz Bolivia existirte noch keine Fahrstrasse, geschweige denn Reise- oder Lastwagen, weil das Land durchschnittlich viel zu gebirgig ist. Man konnte nur reiten und die Waareh mussten von Pferden, Maulthieren und Lamas getragen werden. Es wurde zwar noch eine alte halbverdeckte Kutsche gezeigt, die sich einst Belzu, wenn ich nicht irre, von Chile hatte kommen lassen und in welcher er über die Plaza und die wenigen nicht zu steilen Strassen gefahren war, aber diese hatten die Würmer schon in Beschlag genommen. Dr. Linares, welcher sich ihrer bei seinem Leiden gewiss gern bedient hätte, würde sich ihr, selbst wenn sie noch neu gewesen, doch nicht anvertraut haben, weit es an und für sich zu gefährlich war, in den Strassen von La Baz zu fahren. Der Engländer, dessen wirklichen Namen ich vor. den Spitznamen gar nicht erfahren habe (er hiess hier allgemein »el Ingles loco, der verrückte Engländer und in englischen Kreisen: Mister John oder the Neck-breaker, der Halsbrecher«), hatte seinen Wagen — 6i — in der Form unserer Omnibus, jedoch nur zweiräderig, so einrichten lassen, dass er darin wohnen, schlafen und sogar kochen, und dass er den eigentlichen Kasten nach Belieben öffnen oder verschliessen und bei zu steilen Stellen auseinandernehmen und die einzelnen Stücken auf 4 bis 5 Maulthiere verladen konnte. Das war allerdings verrückt; denn er hätte mit solcher Anzahl Thieren auch ohne Wagen ebenso bequem reisen können. Allein den Mr. John hatte es verdrossen, dass es noch nicht einmal in den grossen Städten Bolivias Hotels gab (selbst La Paz machte hierin keine Ausnahme) und er hatte, da er die freundschaftliche Aufnahme, die ihm von vornehmen Häusern angeboten wurde, nicht annehmen, aber auch nicht in die schmutzigen Tambos (Logirhäuser ohne Meubles und ohne jeglichen andern Comfort) einkehren wollte, sich einstweilen eine Privatwohnung genommen und inzwischen sein transportables kleines aber comfortables Asyl bauen lassen, mit dem er nun in den Strassen von La Paz Probefahrten hielt. Die Steilheit der Strassen, das unebene Pflaster, die Störrigkeit der Maulthiere und die ungezogene Strassenjugend, welche letztere sich von der unserigen in Nichts unterscheidet, machten dem Engländer viel zu schaffen. Kaum liess er sich mit seinem Salonwagen blicken, so wurde er von einem Tross Jungen in Empfang genommen und verfolgt. »Mira, mira, el loco ingles! Seht, seht, den verrückten Engländer!« tönte es überall, die Maulthiere wurden scheu, Mr. John flog, ein zweiter Graf Sandor, die Strassen in rasselnder Carriere herab und endete nicht selten mit einer Niederlage, die ihn Wochen lang an das Bett und sein Cabriolet an die Werkstätte des Schmiedes und Tischlers fesselte. Mr. John verlor deshalb den Muth nicht. Die Beulen und blauen Flecke vergingen wieder, die Maulthiere wurden allmälig gelehriger und die Strassenjungen von der Polizei mehr in Schach gehalten, so dass die Ausflüge schliesslich ohne nennenswerthen Unfall verliefen und ein paar Neugierige es sogar wagten, den Seelenverkäufer zu besteigen und die Fahrten mitzumachen. Am mehrerwähnten Festtage hiess es nun, Mr. John habe in der Freude über das endliche Gelingen seiner Aufgabe, die Equipage dem Präsidenten zur Verfügung gestellt und sich selbst zum Kutscher angeboten. Der Präsident aber, welcher wie wir wissen seit einem Attentate auf sein Leben sehr misstrauisch geworden war, habe hierin einen ähnlichen Versuch seitens anderer ihm näher stehender Personen geargwöhnt und Mr. John deshalb in Untersuchung nehmen lassen. Man will behaupten, dass letztern nur seine Nationalität als Englander vor dem Tode des Füsilirens geschützt habe. Ob dieser Anekdote eine Wahrheit zu Grunde liegt, kann ich freilich nicht verbürgen. Im Juni 1860 bot sich dem General-Feldmarschall braun Gelegenheit, seine Gruben in Corocoro vortheil-haft zu verkaufen. Ich wurde hierdurch meines Engagements entbunden und da ich wenig Lust verspürte, schon nach Europa zurückzukehren, vielmehr Bolivia etwas mehr kennen lernen wollte, so ging ich zunächst ein paar Wochen auf Reisen. Ich besuchte die berühmten Tempel- und Festungs- ruinen des nahen Tiahuanaco, den Titicaca-See und einige Städte und Gegenden der Provinz Omasuyos und siedelte dann nach Ytingas über, wo ich mich bei einem neuen Grubenunternehmen betheiligte und die Leitung der Vorrichtungsarbeiten übernahm. Es hatte sich eine Gesellschaft zur Ausbeute eines ungemein reich auftretenden Silberganges gebildet, welcher bei San Jose de Chicalulo, einer herrlichen Besitzung des Vaters meines freundes P. S. unweit des Bergstädtchens Coroico entdeckt und von jenem gemutet war. Ich nahm zwei deutsche Bergleute von La Paz mit mir; ein Dutzend einheimischer war bereits dort. Die Grube lag unter dem Schatten hochstämmiger Bäume und palmenähnlicher Farrnkräuter eine deutsche Viertelmeile von der Villa der Besitzung in dem lieblichen Thale Cedromayo, in welches man von jener Villa aus einer Höhe von mehr als tausend Fuss unbeschreiblich schöne Aussichten auf hängende Coca-Gärten, Cacao-, Bananen- und Kaffee-Plantagen und Ueberbleibsel von Urwäldern geniesst. Ueberau blicken Haciendas und Chacras, grosse und kleine Landhäuser aus diesem bunten Teppiche der Natur und der Cultur. Den deutschen Arbeitern gefiel diese Tropenwelt so ausnehmend, dass sie die massiven Ar-beiterwohnungen verschmähten und sich oberhalb der Grube eigene luftige Häuschen aus Palmenstämmen und Bananenblättefn errichteten, die sie mit Gärten umgaben. Mir wurden vom Mayordomo oder Verwalter des Landgutes die herrschaftlichen Räume des vordem Flügels der Villa mit der Aussicht in das Thal angewiesen; im andern Flügel lebte er selbst mit seiner Familie und die mittlem Zimmer der geräumigen Villa bewohnte ein pensionirter General, Namens Crisöstomo Hermosa. Diesem war ich von meinem Freunde und dessen Eltern speciell empfohlen. Wieder ein Officier a. D.! Ja, es giebt deren hier viele! Wie kann das auch anders sein bei dem schnellen Wechsel der Präsidenten? Ich merkte jedoch sehr bald, dass Hermosa nicht zu der gewöhnlichen Classe der alten Militairs zu rechnen, sondern ein strahlendes Gestirn unter den Wandelsternen seines Gleichen war. Hermosa bildete ein würdiges Pendant zur Gelehrsamkeit Don Martin Cardön's. Von Geburt reiner Indianer und schon deshalb für mich von besonderem Interesse, klein, schmächtig, fast zierlich, gewandt in seinen Bewegungen, aber nervig und muskulös, mit klaren freundlichen Augen, einer Fülle rein schwarzer Haare und einem vollständigen Gebiss begabt, hätte man ihn höchstens für einen Fünfziger gehalten, zumal da er den spärlichen Bart rasirte und hierdurch dem lebhaften Gesichte einen fast jugendlichen Ausdruck verlieh. Der General theilte diese Naturvorzüge, wenn vielleicht auch in etwas exorbitanter Weise, mit tausend Andern seiner Race; denn er war bereits hoher Sechziger. Zur Rettung seines Vaterlandes hatte er, dreissig Jahre alt, Kriegsdienste unter Bolivar angenommen und sich in den Kämpfen gegen die Spanier ausgezeichnet. General Sucre erkannte sehr bald seine geistigen Fähigkeiten und verschaffte ihm Mittel und Gelegenheit nicht allein zu seiner militärischen, sondern auch zu seiner allgemeinen Ausbildung, in welchen beiden er die Offi-ciere des Heeres schnell überflügelte. Allein die unscheinbare Persönlichkeit, noch dazu als Indianer, lies ihn nur langsam avanciren. Wegen seiner Treue zu Santa Cruz wurde er von Baliviän des Bandes verwiesen. Fast nachdem Belzu die Regierung angetreten hatte, kehrte er nach Bolivia zurück und erhielt von diesem Präsidenten, welcher bekanntlich den Indianern sehr zu-gethan war, endlich in seinem sechzigsten Lebensjahre die Beförderung zum General. Linares, besonders miss-trauisch gegen alle Anhänger der Partei Belzu-Cördova, hatte viele Officiere derselben, unter diesen auch den General Hermosa, mit einer höchst kärglichen Pension entlassen und ihnen den Aufenthalt in La Paz vorgeschrieben, wo er sie besser beobachten und sofort unschädlich machen konnte. Beim Einfalle Cordova's im Jahre 1859 wurden viele dieser Officiere als Com-plices verdächtigt und über Hals und Kopf weit weg nach den Verbannungsorten deportirt. Hermosa hatte es nur der Fürsprache des alten Herrn P. S. zu verdanken, dass er unter dem Vorwande, die bergmännischen Arbeiten zu überwachen ^ auf dem ungefähr fünfzehn Leguas entfernten Landgute Chicalulo bleiben durfte, von wo er sich jedoch auf Befehl des Präsidenten jeder Zeit stellen musste. Der Indianer-General sass daher auf einem Vulcane. Diese eben nicht beneidenswerthe Situation, in welcher ich ihn dort antraf und seine Bekanntschaft machte, that seinem Humor indessen keinen Abbruch. Er war glücklich, dass er in mir einen Freund gefunden hatte, mit dem er seine Gedanken austauschen und in den Wissenschaften fortleben konnte und dachte bald nicht mehr an das Peinliche seiner Lage. Seine umfangreichen Kenntnisse in der Geschichte Süd-Amerikas, besonders aber in der Statistik dieser Länder eröffneten mir eine Quelle der Belehrung und sein Interesse für neuere Sprachen und Naturwissenschaften gab mir Anlass zu höchst willkommenen Recapitulationen, ZU denen man hier sonst nicht viel Anregung findet. Mosslmch, Bolivia. r Hermosa gehörte auch zu den wenigen, welche, gestützt auf gründliche Kenntniss des Lateinischen, ihre Muttersprache richtig schrieben; für gewöhnlich konnten selbst gebildete Leute sich von gewissen eingewurzelten Fehlern in der spanischen Orthographie nicht befreien. Wenn wir des Tags über einander nicht gesehen hatten, so fanden wir uns doch sicher gegen Abend auf der Veranda der Villa zusammen. Dann brachte der General seltene Blumen aus dem Walde oder Mineralien und Vögel, die er mit Hammer oder Blaserohr erbeutet hatte, oder er veranstaltete Aufzüge von Neger- und Indianerknaben, zu denen sich Jung und Alt um die Villa versammelte. Des Sonntags machten wir Ausflüge nach Coroico und den benachbarten Haciendas, auf welchen zu jener Zeit die Coca-Feste abgehalten wurden und es bisweilen sehr lustig zuging. Auch verstand es der General vortrefflich, Jaguare und andere wilde Bergkatzen durch das Fleisch gefallener Maulthiere und Rinder an geeigneten Stellen anzulocken, die ein Be-schleichen gestatteten und zeigte eine wahrhaft kindliche Freude, wenn ich eine der Bestien erlegt hatte. Mehr ,als Alles interessirten mich jedoch die Erzählungen aus seinen vielen Erlebnissen, die er so fesselnd vortrug und die für mich so viel Neues enthielten, dass ich wenigstens einige derselben hier kurz wiederholen will. Sie betreffen die Kampfe mit den wilden Indianern, von denen mir zwei Beamte der Braun'schen drüben, ein Engländer William Sealy und ein Einge-borner Camacho, schon in Corocoro Bruchstücke der damit verbundenen unglaublichen Strapazen und Grausamkeiten mitgetheilt hatten. Beide hatten die erste Expedition unter Hermosa mitgemacht; Camacho trug noch die Narbe eines Pfeilschusses am Oberarm, an dem er ohne Zweifel gestorben wäre, wenn ihm ein Camerad das Gift nicht sofort aus der Wunde gesogen hätte. Anfangs des Jahres 1839 war in verschiedenen Gegenden der Provinzen Cordillera und Yungas die Pest unter den Rindern der Grenzindianer ausgebrochen, welche sich mit Riesenschritten bis in die Territorien der noch wild lebenden, aber sonst friedlichen Chiri-guanos- und Yuracares-Indianer verbreitet hatte. Jene drangen raubend und plündernd bis vor Chuquisaca, diese beunruhigten dje Chacras und Fincas vor Cocha-bamba, Chulumani und Coroico. Aus der unglücklichen Schlacht von Yungui dem Tode kaum entronnen, hatte Hermosa als Hauptmann bereits wieder Commando gegen die Yuracares erhalten. Seine Aufgabe war, diese nicht allein zurückzudrängen, sondern sie tief in ihr Gebiet zu verfolgen und möglichst viele Gefangene zu bringen. Hierzu konnten ihm nur zweihundert Soldaten gegeben werden. In Abtheilungen von je zwanzig Mann, zu der hier üblichen Guerrilla-Linie vertheilt, hatte er seine Gegner in wenigen Wochen über die Gebirge vor sich hergetrieben, ohne dass sich diese in den Kampf einliessen. Auf fremdem Boden fühlen sich die wilden Indianer nicht sicher und begnügen sich, des Nachts an die Lager der Soldaten heranzuschleichen und die Wachtposten mit vergifteten Pfeilen niederzuschiessen. Aber in ihrer Heimath, dem Urwalde, in welchem sie sich auf den geheimen, künstlich von ihnen hergestellten Gängen allein zurechtfinden, zeigen sie den hartnäckigsten Widerstand und eine todverachtende Tapferkeit. Um den Urwald zu durchdringen, müssen die dichter 5* ' — öS — verwachsenen Stellen besonders wegen der Saumthiere gelichtet werden. Die hiermit beauftragten Soldaten verrichten lautlos ihre Arbeit. Plötzlich ertönt ein Todesschrei und ein paar derselben fallen, von Pfeilen durchbohrt, zur Erde. Instinctmässig werfen sich die andern nieder. Ein Knistern des Unterholzes lässt auf eine grössere Anzahl Indianer schliessen, welche die Vortheile des Walddunkels, in dem sie selbst nicht gesehen werden und ihrer mit kaum hörbarem Geräusch abgesandten Pfeile ganz gehörig benutzen. Nach einer Gewehrsalve, auf ungefähr in die Richtung abgegeben, von wo die Pfeile kamen, wird es wieder still; selbst die Vögel haben das Weite gesucht. Alles lausch, in banger Erwartung. Wieder entsteht ein Knistern, wiederum fallen Opfer. Die Soldaten werden unwillig und verweigern den Gehorsam zum Weiterarbeiten. Man sucht andere günstigere Stellen. Hat man endlich nach vielen Mühen die abgeholzten Weidegründe der Indianer mit ihren Wohnungen entdeckt und sich ihnen so weit genähert, dass ein Angriff versucht werden kann , so haben inzwischen die Pfeile, giftige Insecten und Krankheiten, die durch die Nässe und Entbehrungen aller Art entstanden, die Reihen der Soldaten mehr als decimirt. Selbst der Wald bietet nichts als giftige Heeren, da die geniess-baren fruchte von den Wilden abgenommen sind. Die Indianer beobachten vortrefflich und errathen sehr bald, dass ihre Ansiedhmgen umzingelt werden sollen. Noch ehe dies geschehen, brechen sie unter furchtbarem Heulen und grellem Pfeifen, dem Zeichen des allgemeinen Angriffes, hervor und es entsteht ein blutiger Kampf. Mit tigerartiger Gelenkigkeit laufen sie während des Gefechtes hin und her, um den Soldaten das Zielen zu erschweren, wenn nicht ganz unmöglich zu machen, während sie die Pfeile mit bewunderns-werther Sicherheit und Geschwindigkeit auf jene schleudern, Weiber und Kinder, die Gesichter voll Wuth und Angst bringen ihnen neue Geschosse und verdoppeln das Geheul. Doch die Ansicht der Behausungen lind der Gedanke, in ihnen Schutz gegen das nasse Element und ein behaglicheres Leben zu finden, verdoppeln auch den Muth der Soldaten. Siegen oder Sterben ist jetzt ihre Losung; denn sie wissen, dass ihnen der Tod oder eine schlimmere Qual der Gefangenschaft sicher ist, wenn sie weichen und von den Indianern im Walde verfolgt werden. Ist der Angriff geglückt und eine An-siedlung genommen, so ist erst ein kleiner Schritt zum Siege geschehen. In den Hütten finden sie meist nur alte Männer und Weiber, denen das fliehen unmöglich war und Kinder, welche von den Müttern nicht mitgenommen werden konnten. Heide taugen nicht viel zum Transport, doch nehmen sich die Rabanas, die Soldatenfrauen, der Kinder gern an, indem sie einige derselben später nach den Städten bringen, wo sie gegen Geldentschädigungen an vornehme Häuser abgetreten und hier zu Dienstboten erzogen werden. Die neuen Herren der auf diese Weise verhandelten Indianer sind zwar zu gerichtlichen Reclamationen nicht berechtigt, wenn diese ihnen entlaufen, da die Sclaverei gesetzlich langst abgeschafft ist, aber es giebt doch Mittel, sich der erworbenen Menscheideben anderweitig zu versichern. Die gefangenen Indianerknaben werden von der Regierung zum Militärdienst erzogen, wenn sie nicht schon heimlich verhandelt wurden. Unter fortwährender Bedrohung durch die Indianer, welche besonders nächtliche Ueberfälle lieben, die stets wieder zu blutigem Handgemenge führen, geht die Eroberung allmählich weiter, bis die Abnahme der Mund-und Schiessvorräthe zum Rückzüge mahnt. Doch wehe den armen Soldaten, welche in die Hände der gereizten Wilden fallen. Sie schleppen sie mit sich an ihre Schlacht- und Üpferplätze, reissen ihnen die Kleider ab, binden sie an Baumstämme und verstümmeln die Unglücklichen auf die scheusslichste Weise, indem sie ihnen Ohren, Nase und Lippen abschneiden und die Augen ausstechen; ein entsetzlicher Act der Rache, der mit berauschenden Getränken, die diesen Barbaren nicht fehlen und tinter wilden Tänzen und Gesängen ihrem Gotte oder Götzen zu Ehren vollzogen wird. Merkwürdiger Weise treten zuletzt die Weiber der Indianer als Matadore auf, welche, gleichsam als schämten sieh die Männer solcher That, den half losen Opfern den Garaus durch vergiftete Pfeile machen und ihr Fleisch vielleicht zum widerlichen Mahle zubereiten. Zum Lobe eines jungen Mädchens dieser Indianer sei erwähnt, dass es, einem menschlichen Rühren folgend, und die eigene Todesstrafe verachtend, mehrere Soldaten aus der Gefangenschaft heimlich befreite und ihnen dadurch das Leben rettete. Diesem Mädchen, dessen Wuchs und Heldenmuth der General Hermosa nicht genug rühmen konnte und welches von seinen Soldaten wie ein guter Genius verehrt wurde, verdankten beide Parteien, dass durch ihre Vermittlung dem Blut-vergiessen endlich ein Ziel gesetzt wurde, Nach Beendigung des Feldzuges folgte sie ihren Brüdern freiwillig in die Gefangenschaft, blieb längere Zeit in Cocha-bamba und Sucre, um die Quichoa-Sprache zu erlernen und kehrte dann in ihre Heimath zurück, wo sie bei spätem Recognitionszügen vortrefflich als Dolmetscher und Parlamentäre diente. Seitdem haben die Kriege mit diesen Wilden den unmenschlichen Character verloren. Ein Theil der Yura-cares und Chiriguanos, besonders aber der Tobas- und Abas-Indianer verkehrt in neuerer Zeit mit den Grenzstädten, wo die bolivianische Regierung ihnen anfangs baumwollene Zeuge und Ackergeräthe schenkte, die sie jetzt mit Papageien, Affen, Goldsand und verschiedenen hübschen Flechtereien aus Morasfasern und Schlingpflanzen umtauschen. Auch ist die Unsitte, die Unterlippen zu durchbohren und mit unförmigen Holzknöpfen zu verunstalten, fast gänzlich verschwunden; dafür scheint allerdings eine etwas verkehrte Geschmacksrichtung in Bezug auf die Kleidung eingetreten zu sein, die ihren (kund in der Neuheit und Selbstgefälligkeit haben mag. In den Grenzstädten hat man öfter Gelegenheit, diese Indianer in ihren aus Bastgeweben und Vogelfedern gefertigten Hüft- und Brustbekleidungen ankommen zu sehen. Ihre mitgebrachte Waare ist bald gegen Zeuge und zwar am liebsten gegen bereits fertige, wenn auch schon getragene Kleider eingetauscht. Da kommt es denn vor, dass irgend ein Spassvogel einen alten Frack und hohen Cylindcrhut auf diese Weise an den Mann bringt. Sofort wird der Federanzug weggeworfen, der Hut aufgestülpt und der Frack angezogen, in welchem der glückliche Besitzer nun trotz der beengenden Un-behaglichkeit mit selbstgefälliger Miene, aber zum Hohngelächter der Uebrigen einherstolzirt, bis ihn ein Polizist aufgreift und seinen Ballanzug durch ein Paar kurze Hosen einigermassen vervollständigt. Die oben erwähnte — J2 — junge Indianerin hatte vom Präsidenten Baliviän, dem sie sich persönlich vorstellen liess, sogar eine Uniform erbeten. Sie erhielt eine Generalsuniform, in welcher sie in den Strassen promenirte und auch später bei den Recognitionsexpeditionen im Gebiete der Yuracares gesehen wurde, denen sie neben der Parlamentaire noch Anführerin geworden war. Als die Uniform nach zehn Jahren abgetragen war, erschien das Mädchen wieder und ging den Präsidenten Belzu um eine neue an, die sie auch nebst einer Rolle Silberpesos zum Geschenk bekam. Von letztern wusste sie freilich so wenig wie ihre Landsleute Gebrauch zu machen, und da sie sich von den glänzenden Metallstücken nicht trennen wollte, so liess sie selbe an den Rändern durchbohren, band sie zu einem Collier zusammen und trug dieses auf ihrer Uniform. Unter solchen und ähnlichen Erzählungen des Generals Hermosa hatte uns oft die Mitternacht überrascht und selbst dann hielt es noch schwer, sich von dem zauberhaften Anblick des mondbeleuchteten Thaies und von den balsamischen Düften der blühenden Apfelsinen-und Limonenbäume zu trennen, welche die Veranda umwehten. Einlage: Fest der Neger auf Santa-Rosa in Yungas. Wennschon Bolivar, der grosse Feldherr und Befreier Südamerikas, stets bestrebt war, der unmenschlichen Behandlung ein Ziel zu setzen, welche die unglücklichen Indianer von den Spaniern zu erdulden hatten, so konnte er doch nicht verhindern, dass die katholischen Priester fortfuhren, das sauer Erworbene des unwissenden, geduldigen Volkes auf geschickte Weise durch Kirchenieste an sich zu ziehen. Das Blut hatte einigermassen aufgehört zu fiiessen; an seine Stelle trat der Schwefes, Kaum hatte sich eine Estancia oder Ansiedlung von Indianern gebildet und mochte diese auch nur aus einer einzigen Familie bestehen, so beschenkte sie der Cura (Pfarrer) des betreffenden Kirchsprengeis mit einer Virgen, d. h. einer aus buntem Zeuge fabricirten Figur, welche die Mutter Maria darstellte, oder mit einem Kreuze oder sonstigem billigen Altaraufsatze und zwang dadurch die Beschenkten zur Errichtung einer »Capilla.« Das kleine Gotteshaus bekam seinen Schutzpatron oder Heiligen und es wurde ein Tag im Jahre bestimmt, an welchem jenem »geweiht« d. h. dem Cura ein nicht unbedeutender Theil der Feldfrüchte und des Ganado (des neuen Zuwuchses an Lamas und Schafen) geopfert werden musste. Der Cura verfehlte natürlich nicht, das Fest dieses Tages durch sein persönliches Erscheinen zu verherrlichen und nach beendeter Ceremonie dem mit Aji gebratenen Meerschweinchen, dem Branntwein und dem Chicha-Biere tüchtig zuzusprechen. Nebenbei bemerkt wird dieses einträgliche Geschäft bis auf den heutigen Tag, wenn auch in beschränkteren Maassen fortgesetzt; die Indianer aber haben sich in die Gewohnheit so hineingelebt, dass sie es für eine grosse Ehre halten, eine Capilla mit einem Dia de Santo (Heiligentag) zu besitzen. Die meisten der eingebornen Grundbesitzer, welche nicht mussten, wie sie ihren schnell erworbenen Reichthum verwenden sollten, begünstigten diese Einrichtung. Die Ausländer, welche voraussahen, dass die vielen Feste ihnen über den Kopf wachsen würden, sträubten sich zwar dagegen, wagten es aber nicht, das Bäumchen, welches bald Wurzel gewonnen hatte, gänzlich auszurotten, aus Furcht, von den Curas unerlaubter Eingriffe in die Ausübung der Religion beschuldigt zu werden. So wurde das Bäumchen zum Baume, dessen Schatten die gute Aussaat einiger Eingewanderter nicht mehr in dem Maasse aufkommen liess, wie sie beabsichtigten und verdient hätten. Dazu kam, dass die Sclaverei, welche der menschlichen Anschauung nicht mehr entsprach, aufgehoben wurde; freilich mit Recht. Aber der Schlag traf den eben aufgeblühten Wohlstand des Landes zu plötzlich und zu hart. Viele Indianer, mehr aber noch die eingeführten Neger zogen sich als »freie Leute« an den Mapiri und Veni der angrenzenden Provinzen von Catipolicän und Moxos, das Gebiet der wilden Cambas und Yttracares zurück, andere Hessen sich in den Resten der Urwälder von Vungas nieder und cultivirten dort nur so viel, als zur Fristung eines elenden Faulenzerlebens nothwendig war und nur wenige blieben als Arbeiter auf den Landgütern. An den geräumigen Villas, die mit ihren rothen Ziegeldächern und grünen Verandas stolz vom berge herabschauen und das ihnen zugehörige Terrain schlossartig beherrschen, erkennt man wol noch den Prunk und den früheren Reichthum ihrer Erbauer, der Spanier, welche, gesichert durch die Arme ihrer Sclaven, die Wildniss bezwangen und in ertragfähige Ländereien umwandelten, aber viele derselben stehen jetzt halb zerfallen zwischen wild überwucherten Plantagen und träumen von einstiger Grösse, deren Trümmer die spätem Generationen nur zusammenzuhalten, nicht von Neuem aufzubauen vermochten. Glücklicherweise waren nicht alle Haciendas diesem Hinsterben preisgegeben. Einige kamen in die Hände speculativer Kaufleute, welche durch Geldvorschüsse und Abtretung kleiner Parcellen Indianer und Neger wieder anzulocken, aus beiden Arbeitskräfte zu gewinnen und so die angekauften Menschenleben einigermassen zu ersetzen verstanden. Zu dieser Werbung haben die Curas mit ihren Festen allerdings wesentlich beigetragen, indem auch ihr Interesse es erheischte, das Land und ihre Ptee#&en"^ wieder zu bevölkern. So ziehen denn diese Priester von den Haciendas zu den Chacras, den kleinen Indianer- und Negerbesitzungen, um in den Kapellen, derer weder jene noch diese entbehren, den Segen zur Ernte vom Himmel und Schutzheiligen zu erflehen, Messen für die Besitzer zu lesen und nach der üblichen Procession an der Festtafel theil- und — Geschenke entgegenzunehmen. Die Kirchenceremonien der Haciendas haben indessen ein feierliches Aeussere, welches selbst den Fremdling, der zum ersten Male die heimatlichen Klänge einer Orgel durch Palmen- und Orangenhaine rauschen hört, andächtiger zur Bewunderung des Schöpfers der Tropenwelt stimmt. Die dem Gottesdienste folgenden Belustigungen sind freilich weniger ergötzlich, wenigstens waren es die, welche ich auf der Hacienda Santa Rosa beizuwohnen Gelegenheit hatte. Dieses Landhaus liegt in unmittelbarer Nähe eines Negerdorfes gleichen Namens im weitesten Theile des Thaies Sandillani. Hier sowol wie im benachbarten Thale von Mururata ist die schwarze Bevölkerung der rothen oder indianischen bei Weitem überlegen. So verschieden beide Racen in Farbe und Gesichtsbildung, so verschieden sind sie auch im Character; Grund genug, dass sie sich verhältnissmässig wenig mit einander mischen und überhaupt mehr getrennt von einander leben. Die psychologischen Gründe dieser Disharmonie zu entwickeln, würde zu weit führen; nur so viel sei erwähnt, dass die Neger und ihre Mischracen, die sogenannten Zambos und Morenos, viel Anmassung und Dünkel besitzen, die sie bei all' ihrer Dummheit zur Schau tragen und durch die sie in tinsern Augen ungemein widerwärtig erscheinen, wahrend das bescheidene, anspruchslose Wesen der Indianer sofort unsere Sympathie gewinnt. Es befremdet uns daher auch nicht, wenn sich beide Racen in den Festen separiren und jede derselben ihrer eignen Neigung folgt, wie es in der That auch am Tage des Festes von Santa Rosa geschah. " Die Indianer erschienen in den Costümen der Paukenschläger und Flötenbläser, wie sie schon zur Zeit der Inkas bei den alten Indianern üblich waren, welche im Jahre 1781 ihrem Kaziken Tupac Amaru den Todten-tanz aufspielen mussten, als diesem von den Spaniern die Zunge abgeschnitten, seine ganze Familie enthauptet und Tupac selbst nach diesem Schauspiele geviertheilt wurde. Noch in demselben Jahre ertönten dieselben Pauken und Flöten zu dem grasslichen Blutbade, welches der Neffe und Rächer Tupac Amaru's viertausend Spaniern in der Stadt Sorata bereitete. — Seitdem sind Generationen vergangen und die Gemüther haben sich besänftigt, aber die Musik ist dieselbe geblieben. Wer weiss, ob sie nicht einmal wieder zum Schlachten der Weissen ertönen wird, welche den Indianern so lange das Joch der Knechtschaft auferlegten und die schwarzen Horden aus Afrika zuführten. Die wunderlichen Gestalten zogen, nachdem sie von dem Patron, ihrem Brodherrn, den üblichen Antheil an Branntwein und Chicha in Empfang genommen hatten, mit ihren geputzten Frauen und Mädchen in den Wald und in die Cacaoplantagen, um dort an geeigneten Stellen ihre Tänze abzuhalten, die harmlos und friedlich, wenn auch mit etwas Trunkenheit verliefen. Die Neger hingegen verliessen die Hacienda fast gar nicht, um stets in der Nähe des Patrons zu bleiben und ihn, sobald ihre Flaschen und Krüge geleert waren, mit zudringlicher Bettelei um neuen Vorrath zu bestürmen. Das Characteristische ihres Festes bestand, genau genommen, nur in einer schlechten Nachahmung der Europäer, ihrer ehemaligen Beherrscher, wobei sie sich des Spanischen bedienten, welches ihnen neben dem Aymarä mit eigenthümlich näselnder Accentuation geläufig ist und worauf sie sich nicht wenig einbilden. Burschen und Mädchen, die sonst halbnackt umherzulaufen pflegen, hatten zum grossesten Theile europäische Trachten angelegt, in denen sie sich sichtbar unheimisch fühlten. Die erstem steckten in engen Beinkleidern und Fracks, die Brust mit dicken unechten Goldketten geschmückt, an denen statt der Uhr ein kleiner Geldbeutel befestigt war, der sehr bald die Auszehrung bekam. Selbst ein paar Cylinderhüte balancirten auf den schwarzen Schädeln. Die Mädchen, unter denen es übrigens classisch schöne Figuren giebt, hatten sich mit grellfarbigen seidenen Sohleppkleidern und einer Menge von Perlen- und Goldschmucksachen behängt und eine staunenswerthe Fertigkeit in der Frisirkunst abgelegt, indem sie ihr kurzes wolliges, jeder Glättung widerspenstiges Haar in Flechten gesammelt und, damit es recht zur Geltung komme, wie Hörner um den Kopf gestellt trugen. Wehe, wer sich über die moderne Faunentoilette lustig gemacht hätte, er würde ein Gewitter von Schimpfreden aus dem Munde dieser Bergnymphen über sich geladen haben. Ihre Galane wussten sie ausser den Beweisen von Verliebtheit, die allen Negerinnen in hohem Grade eigen zu sein scheint, mit dem nicht weniger sichern Bindemittel des Geldes an sich zu fesseln, welches sie wohlberechnet nicht in, sondern auf ihren Seitentaschen trugen und von welchem sie ein Stück nach dem andern abrissen, um damit ihre Geliebten an diesem, vielleicht auch noch am folgenden Tage freizuhalten, vorausgesetzt, dass es bis dahin reichte. Diejenigen, welche damit am verschwenderischsten umgingen, bekamen den Ehrentitel einer »Buena moza«, eines »guten Mädchen.« Ebenso hässlich wie das Gedränge und Hin- und Herziehen der Angetrunkenen wahrend ihrer geschmacklosen Rundtänze war die begleitende Musik, wenn man den Lärm, der durch eine Art Halbmond mit Glocken und ein paar ohrenbetäubende Trompeten, Tambourins und knarrende Matracas hervorgebracht wurde, überhaupt noch Musik nennen durfte. Ein Simson verstand es sogar, auf einem Eselkinnbacken, dessen lose Zahne er mit einem Knochen erschütterte, dem raschelnden Geräusch der Klapperschlangen nachzuahmen, wodurch der Affe und die Loros, welche auf der Veranda gehalten wurden, beängstigt, in lautes Kreischen aus- brachen und auf diese Weise einen integrirenden Theil der Katzenmusik bildeten. Eine ruhigere Staffage dieses wilden Bildes lieferten die Tenderos mit ihrem aufgetischten Hökerkrame und 'die alten hässlichen Negerinnen und Zambas, die dem oft erlebten Feste bei einer Flasche Branntwein und einer Pfeife Tabak mit gleichgültigem Mienen und gelassenem Herzen zusahen. Die mehr und weniger weissen Gäste, welche sich eingeladen und ungeladen aus Coroico und der Nachbarschaft ziemlich zahlreich eingefunden hatten, wurden vom Besitzer der Hacienda und seinem Administrator auf das Zuvorkommendste empfangen und überreichlich mit Speise und Trank bewirthet. Nach der Tafel begann unter einer halboffenen, von grossen Bananenblattern umschatteten Ramada der unvermeidliche Baile (spanischer Tanz), begleitet vom Spiel und Gesang mehrerer Guitarrenvirtuosen. Es war wohlthuend, zu beobachten, wie selbst die niederen Beamten und Diener der Hacienda, eingedenk der heiligen Pflicht der Gastfreundschaft, nicht ermüdeten, für Bewirthung und Unterhaltung zu sorgen. Die Sichel des Mondes glänzte längst am Himmel, als ich von den freundlichen Gastgebern und den Gasten Abschied nahm und nochmals einen Blick auf den Festplatz und die mit zerrissenen Kleidern umher-taumelnden Negerinnen warf, deren Schreien und Toben mir weit in das Thal nachklangen, während ich mit sonderbar gemischtem fandrucke, den dieses Fest auf mich gemacht, durch die warme, vom friedlichen Ge- zirpe der Grillen und Cicaden und von Tausenden von Leuchtkäfern belebten Nacht der stillen Hacienda de Chicalulu wieder zutrabte. Fast ein halbes Jahr war verflossen. Die Grubenarbeiten schritten zwar tüchtig voran, allein die Silbergänge, so glänzende Erwartungen sie auch anfangs versprachen, verloren im Innern mehr und mehr an Reichhaltigkeit und ich sah bald ein, dass ein Betrieb im Grossen nicht lohnen konnte. Die deutschen Arbeiter Hessen die Köpfe schon längst hängen. Sie hatten sich wohnlich eingerichtet, und wenn ihre hübschen Gärten auch dann und wann des Nachts von den Nabelschweinen durchwühlt und die Bananen- und Maisstauden von den Affen zerknickt wurden, so blieb ihnen doch immer noch genug; denn die Natur liess schnell nachreifen. Auch sie trennten sich ungern von ihrer neuen schönen Heimath und waren glücklich, als mein Freund P. S., welcher mich ein paar Mal besuchte, von der hoffnungslosen Sachlage jedoch nicht sogleich zu überzeugen war, die Arbeiten auf eigene Rechnung noch ein ganzes Jahr fortsetzen wollte, was er auch, freilich vergebens, ausführte. Schon war ich im begriff, nach der Hochebene zurückzukehren, als ein Indianer von dort mit wichtigen Nachrichten für den General Hermosa eintraf. Ich hatte denselben Indianer schon früher einmal hier bemerkt und es war mir die geheimnissvolle Weise seines Kommens und Gehens nicht entgangen, allein der General _ 8i — liess sich hierüber nicht näher aus. Eines Abends, als wir wieder auf der Veranda sassen und ich in die Worte ausbrach: »Es ist doch ein schönes Land!« erwiederte der General: »Ja, aber die Menschen dort oben sind schlecht!« Und nun entdeckte er mir seine unglückliche Lage, in der er keinen Augenblick vor den Verdächtigungen des Präsidenten Linares sicher sei. Dann bat er mich, dass ich in einer Familienangelegenheit, in der ich als Fremder am wenigsten Verdacht erregte, für ihn nach La Paz reisen und mich zugleich nach den neuesten Ereignissen der Politik erkundigen möchte. Ich erfüllte gern seine Bitte. In La Paz sah es nicht vom besten aus. Es war eine Militärverschwörung gegen den Präsidenten entdeckt, deren Rädelsführer bereits verhaftet waren. Bei meiner Rückreise durchkreuzte eine Abtheilung Soldaten die Strasse, so dass ich einige Minuten warten musste. In der Mitte derselben schritten ein Priester und fünf Gestalten ernsten Blickes. Zwei derselben erschienen noch jugendlich, die andern hatten mit Ausnahme eines alten weissbärtigen Mannes die Gesichter bis zu den Augen verhüllt. Unter dem nachströmenden Volke fragte ich einen Herrn nach den Namen der Unglücklichen. Es waren dieselben, welche ich bereits notirt hatte. Eine Viertelstunde darauf hallte ein mehrfaches Echo aus den Bergen; fünf Lebenslichter waren wieder ausgeblasen. Als ich dem General Bericht erstattete und die Namen der Erschossenen nannte, durchzuckte sein Gesicht ein Blitz des Zornes und der Wuth und mit geballter Faust flüsterte er mir zu: »Jetzt bin ich an der Reihe, aber man wird die Rechnung ohne den Wirth machen!« II o ■-s Ii | ili, lluüvia. 5 Seitdem liess der General seine beiden Maulthiere nicht mehr zur Weide führen, sondern hielt sie wohlverwahrt im Corräl der Villa, um jeden Augenblick fliehen zu können. Der Tag meiner Abreise war nahe. Da erschien der erwähnte Indianer. Hastig kam der General in mein Zimmer und theilte mir mit, dass er sofort abreisen müsse. »Und wohin?« fragte ich. »In den Urwald!« Mein sehnlichster Wunsch sollte in Erfüllung gehen; denn eine bessere Gelegenheit hätte sich mir -nicht bieten können. Die Augen des Generals strahlten vor Freude, als ich ihm meine Begleitung anbot. Es war Mittag. Der Bote wurde mit mündlichem Bescheid entlassen, aus Besorgniss, ein schriftlicher möchte in die Hände der Schergen und Spione des Präsidenten fallen. Ein hiesiger Indianer, welcher uns begleiten sollte, war schon bestimmt. Das Allernöthigste, die Gewehre, Decken, Planen, Blechtöpfe, ein halbes Dutzend Flaschen Resacado-Branntwein, Brod für ein paar Wochen und eine Sonde /.um Untersuchen der Flüsse auf Gold war schnell zusammengepackt und auf ein Maulthier verladen, welches der Indianer am Zaume führte. Zwei andere Maulthiere dienten uns zum Reiten; die Pferde liessen wir hier. Wir schlugen zunächst den Weg nach Coroico ein. So nahe das Städtchen auch erscheint, so hat man doch drei volle Stunden auf dem zickzack-förmigen, steil in die Felsen gehauenen Wege zu klettern, ehe man es erreicht. Hier kaufte der General in einer Tienda (Laden) Messer und billige bunte Tücher und gab vor, dass wir über Chirca nach Chulumani gingen, um uns mit dem Jefe politico über Grubenangelegenheiten zu besprechen. Kaum waren wir aber aus dem Orte, so bogen wir links ab und stiegen herab in das Thal von Mururata, wo wir seitwärts vo'm Hauptwege die Chacra eines alten Negers erreichten, in der wir übernachteten. Am andern Morgen waren wir um drei Uhr schon wieder im Sattel. Ein feiner Sprühregen hatte des Nachts die Bäume besprengt, von denen noch einzelne Tropfen herabfielen; eine erfrischende, wohlriechende Luft lagerte im Thale, welches uns am rechten Ufer des Flüsschens von Coroico den Weg vorschrieb. Wir waren Mitte November; die Sonne stand zwar fast schon senkrecht, die eigentliche Regenperiode begann aber erst und wir gingen daher einer noch ziemlich günstigen Zeit zum Bereisen des Urwaldes entgegen. Um fünf Uhr schimmerten die Hütten des Negerdorfes Mururata aus den Bananen- und Zuckerrohr-Plantagen. Wir berührten dieses jedoch nicht, sondern ritten durch die höher gelegenen Coca-Gärten und durch mehrere Gebirgsbäche und stiegen dann wieder tiefer in das dunkelgrüne Thal herab. Endlich goss die Sonne ihre ersten Strahlen über die Gipfel der Berge; das Waldleben begann aus tausend Vogelkehlen und mit ihm kehrte auch die frohe La'une des Generals wieder. Wir mussten öfter absteigen und die Maulthiere über umgestürzte Baumstämme klettern lassen; an andern Stellen hatten sich Laub, Reisig und Schlingpflanzen aufgehäuft, durch die wir uns oft mühsam Bahn brechen mussten. Ich konnte die Behendigkeit und Ausdauer, mit denen der General dabei zu Werke ging, nicht genug bewundern. Sein Indianertemperament schien in dieser wilden Natur neu erwacht zu sein. Mittag waren wir auf der Wasserscheide des Coroico und Bogpi angelangt, von wo wir die erste freie Aussicht in das Thal des letztern 6* und auf den dahinter sich erhebenden Gebirgszug bekamen, welcher sich zwischen beiden Flüssen bis zu ihrem Zusammenfiuss erstreckt und vom General mit dem Namen Cordillera del Quetodo bezeichnet wurde. Imposanter war der Blick rückwärts auf den schneebedeckten Riesenkamm der Cordillera de Yungas mit dem Ilimani und Cerro de Sorrata, den höchsten Bergen Amerikas, welche über den bewaldeten immergrünen Ausläufern jenes Gebirges thronten. Um 5 Uhr Nachmittags überschritten wir das Flüsschen von Coripata und gleich darauf den Bogpi, der hier zwar nicht sehr tief, aber wegen der glatten, runden erratischen Blöcke, auf denen die Maulthiere leicht straucheln, so gefährlich ist, dass wir gar keinen Versuch machten, durchzureiten, sondern die Thiere vom Indianer voranführen Hessen und selbst, entkleidet, durchwateten. Eine Stunde darauf erreichten wir den Fuss des erwähnten Gebirgszuges. Hier trafen wir auf die Strasse) welche von La Paz über Chulumani nach der alten Jesuitenmission San Ignacio und den Städten Trinidad» San Kavier und San Pedro der Provinz Moxos, mitten durch die Territorien wilder Indianer führt. Man darf jedoch keine zu grossen Erwartungen an derartige Strassen stellen, deren Verkehr ein höchst geringer, während und unmittelbar nach der Regenzeil aber wegen der Ueber-schwemmungen ganz unmöglich ist. Missionäre und Cascarilla-Sammler machen diesen Weg bisweilen, aber auch nur höchst nothdurftig gangbar; die Regierung lässt so viel wie nichts an der lnstanderhaltung desselben thun. Bisher hatten wir an den Bergabhängen nur vereinzelt ein paar Blockhäuser der Grenzindianer bemerkt, in deren Gebiet wir uns jetzt befanden. Diese sind, wie die Holzkreuze vor den Hütten verrathen, bereits bekehrt. Die Begriffe der christlichen Religion und ihrer eigentlichen Lehre sind ihnen freilich noch fremd; denn sie betrachten das Kreuz nur als neuen Götzen. Aber ihre Xaturreligion ist nicht zu verachten. Diese schreibt ihnen nach sehr vernünftigen Anschauungen vor, was Recht und Unrecht ist und hiernach handeln sie auch. Was will man mehr? Die Grenzindianer haben schon etwas Verkehr so-wol mit den sogenannten christlichen Aymarä-Indianern, wie mit den noch nicht bekehrten, also noch wilden Mozetenes und sprechen daher fast durchschnittlich beider Sprachen, wenn auch beide schlecht. Indessen bilden sie hierin eine rühmliche Ausnahme von der allgemeinen Regel, der zu Folge ein Stamm höchst selten die Sprache eines andern spricht. Die Einwohner eines kleinen Complexes von 3 bis 4 Hütten nahmen uns gastlich auf. Alanner und Weiber tragen sackförmige Kleidungen, die bis an die Kniee reichen und mit drei Oeffnungen zum Durchstecken des Kopfes und der Arme versehen sind. Die Hütten sind theils viereckig, theils rund aus Stämmen errichtet und mit Baumbastwänden und dicken Blätterdächern bekleidet. Dadurch, dass der Fussboden erhöht und eine Seite der Umfassungswandungen (wie bei Verandas) offen gelassen ist, erhalten diese Behausungen ein luftiges, wohnliches Ansehen. Die offene Seite wird zum Schutz gegen die Bergkatzen und Klapperschlangen des Nachts gewöhnlich mit Läden aus durchbrochenem Flechtwerk verschlossen. Wir logirten vortrefflich in einem dieser Häuschen, wenngleich sich bei mir ein vorübergehender Besuch der bekannten springenden In-secten einstellte, welche mich anfangs am Schlafen hinderten. Diese kleinen Plagegeister scheinen überhaupt eine Vorliebe für europäisches Blut zu haben; das des Generals verschmähten sie gänzlich. Am folgenden Tage überschritten wir die Cordillera del Quetodo, auf deren Engpass wir einer zweiten und zwar der Hatiptcordillere »El Cheje Ruma« ansichtig wurden. Ein Grenzindianer begleitete uns. Der Weg an den Abhängen dieser Gebirge ist meist steil und steinig, aber nicht in dem Masse wie in den Thälern verwachsen. Ueberau steht die Uebergangs-formation an und zwar hauptsächlich als Grauwacke und Grauwackenschiefer. Als wir uns Nachmittags den Ufern des Veni näherten, hörten wir plötzlich menschliche Stimmen und wie aus einem Munde riefen meine Begleiter: »Salväges!« d. h. »Wilde.« In wenigen Augenblicken befanden wir uns mitten unter Mozetenes-Indianern, Männern und Weibern, welche sich unter Lachen und Schreien im Bade erfrischten. Neugierig sprangen sie aus dem Wasser, warfen ihre sackförmigen Kleider über und drängten sich im Kreise, um uns zu betrachten. Die meisten der Frauen und Mädchen und selbst einige Männer hatten das einfache Kleidungsstück wählend des Baden anbehalten und Hessen es nun am Körper in der Sonne trocknen. Unsere leichten buntgestickten Ponchos erregten besonders die Bewunderung der weiblichen Gesellschaft, wahrend die stark versilberten grossen Schnallsporen mehr die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zogen. Nachdem wir von den Maulthieren gestiegen waren, zog sich der Kreis um uns noch enger und wir wurden mit einer solchen Menge von Fragen bestürmt, dass unser Dolmetscher nicht mehr zu sich selbst kam. Endlich ging es wieder vorwärts, oder richtiger gesagt, zunächst ein paar tausend Schritt rückwärts, d. h. stromaufwärts, bis oberhalb der Stelle, an welcher sich der Quetodo in den Veni ergiesst. Hier war eine Furth für Menschen und Thiere. Das ganze Indianervolk begleitete uns. Ich kann nicht verhehlen, dass es mir in diesem wilden Gedränge ein wenig unheimlich wurde, doch durfte ich meine Gedanken nicht laut werden lassen und am wenigsten eine Unterhaltung mit dem General anfangen, da diese Indianer, wie fast alle, die unverständliche Sprache leicht falsch deuten und miss-trauisch werden. Wir unterhielten uns daher mit ihnen durch Zeichen und es ging damit besser als ich dachte. Sie waren schon zufrieden, wenn wir über ihre katzenartigen Sprünge und andere Kunststücke lachten und in die Hände klatschten, oder die Worte, mit denen sie irgend einen Gegenstand bezeichneten, nachzusprechen versuchten. An der Furth angekommen, duldeten sie es nicht, dass wir durchritten. Ein paar Tragbahren waren schnell aus jungen Baumstämmen zusammengebunden, welche je vier Mann unter die Arme nahmen. Wir mussten uns darauf setzen und wurden sicher und wohlbehalten durch beide Flüsse getragen. Die Maulthiere folgten uns. Am jenseitigen Ufer des Veni trennte sich ein Theil unserer Begleitung und ging unter unendlich vielen Ab-sehiedsbezeugungen das Thal aufwärts, während wir mit dem Reste der Richtung des Flusses folgten. Nach Verlauf einer Stunde hatten wir den Weg, welcher am Fusse des Gebirgszuges entlang fährt, verlassen und bald darauf wieder den Veni und das Dorf dieser Indianer erreicht. Wir wurden in ein Haus geführt, dessen Besitzer, der Vertreter ihres Häuptlings, uns freundlich empfing. An eine Fortsetzung unserer Reise durften wir nicht denken; denn es wurde uns sofort ein Nachtquartier eingeräumt. Dieses Dorf, dessen Hütten ganz ähnlich denen der Grenzindianer gebaut sind, liegt malerisch schön unmittelbar am Flusse auf einem kleinen Plateau, welches bei den Ueberschwemmungen des Veni vom Wasser verschont bleibt. Der Verkehr mit der Gebirgsseite findet dann mittels Canoes statt, die aus mächtigen Baumstämmen sehr kunstgerecht gefertigt sind. Der General packte die mitgenommenen Messer und Tücher aus und gab den grössern Theil derselben un-serm neuen Wirth, einem schon betagten Manne, zur Vertheilung an die übrigen. Die Freude hierüber war sehr gross. Aus Dankbarkeit wurden uns Wasserkunststücke vorgeführt. Ulme Ausnahme sind die Mozetenes vorzügliche Schwimmer und Taucher. Dann folgte eine Vorstellung der Bogenschützen, deren Leistungen unsere Bewunderung in demselben Masse erregten. Das Fliegen der Fische im Wasser mittels Pfeilen hatte für uns ein erhöhtes Interesse dadurch, dass wir ein Gericht der sehr schmackhaften Beute nebst Venado-Hirschbraten und verschiedene Früchte zum Abendessen bekamen. Die Erzeugung von Feuer durch Reiben eines harten und weichen Stück trocknen Holzes ist diesen Indianern /.war noch geläufig, aber sie üben es nur noch wenig, da sie bereits den Gebrauch des Stahles und Feuersteines verstehen, mit denen sie bei geringerer Kraftanstrengung faules Holz anglimmen und dieses durch kurze, weite Rohre zur Flamme anblasen. Schiessgewehre sind ihnen, wie fast allen Urwaldindianern, noch gänzlich unbekannt. Sie tragen. auch kein besonderes Verlangen danach, denn Pfeil und Bogen sind für ihre Zwecke viel praktischer und erfordern kein sorgfältiges Instanderhalten, wie dies bei den Gewehren in der immer feuchten, schnell rostbildenden Waldluft geradezu eine Plage des Jägers ist, ganz abgesehen von der Munition, besonders dem Pulver, welches ebenso schwer anzufertigen oder zu beziehen wie es vor Verderben zu schützen ist. Nach dem Abendessen fanden sich mehrere Familien, wahrscheinlich Verwandte unseres freundlichen Wirthes, auf dem freien Platze vor seinem Hause ein. Der General bereitete eine Art Punsch aus Resacado und süssen Limonen, den er wohlweislich mit grössern Quantitäten Wasser versetzte als wir gewöhnt waren, um die Geister nicht zu inflammiren. Das Wasser hierzu liess man in ausgehöhlten Calabazas- Früchten sieden, die mit Lehm überzogen waren. Der Punsch schien ihnen besser zu munden als ihre eigenen Getränke, welche sie, wer weiss aus wie vielen verschiedenen Früchten und Kräutern zusammenbrauen. Für unsere Kehlen hatten diese nichts Verlockendes. Der alte Wirth wurde immer redseliger, erzählte uns viel von ihren Gebräuchen, Einrichtungen und Gesetzen, von der Bereitung des Curare- oder Pfeilgiftes und beantwortete sehr gewissenhaft die Fragen, die wir ihm durch den Dolmetscher vorlegen Hessen. Von ihm erfuhren wir denn auch, dass die heutige Zusammenkunft dieser Indianer mit den ihnen benachbarten vom obern Veni mehrere Verheirathungen zum Zwecke hatte. An bestimmten Tagen treffen einander die heirathslustigen jungen Mädchen und Männer auf jenem Rendezvous-Platze, wo erstere gegenseitig ausgetauscht werden. Auf diese Weise wird einer Racenschwächung durch Mischung allzuverwandten Blutes vorgebeugt. Leider kamen wir dort zu einer Zeit an, als die Ceremonien, die mit der Auswahl der Herzallerliebsten verknüpft sind, bereits beendet waren. Besondere Schönheiten, wie man sie bei den Indianern des Hochlandes öfter antrifft, konnte ich hier nicht entdecken. In den meisten Gesichtern liegt ein etwas wildsinnlicher Ausdruck; dagegen sind die Figuren durchschnittlich von untadelhaftem Ebenmass. In La Paz coursiren ganz eigene Gerüchte über die weitausgedehnte Gastfreundschaft und Freigebigkeit dieser Indianer, die besonders was das schöne Geschlecht anbelangt, mit den kühnsten Farben ausgemalt wird. Das ist übertrieben. Es ist schon wahr, dass die Mozetenes, wie die meisten Wilden, die bisweilen mit civilisirten Leuten in Berührung gekommen sind, die Reisenden in einer fast lastigen Weise zum Essen und Trinken nö-thigen, ihnen fortwährend ihre ganze Aufmerksamkeit schenken und vielleicht alles geben, was sie verlangen (eine Eigenthümlichkeit aller extremen Charactere); weitere Grenzen der (iastfreundschaft habe ich jedoch nicht bemerkt. Wenn daher Fremde, welche ihre Gebiete durchstreiften, sich noch besonderer Gunstbezeugungen rühmen, so sind diese jedenfalls nicht freiwillig geboten, sondern gesucht und begehrt und es mag allerdings die naive Anschauung jener Naturkinder im Gegensatz zu den keuschen Indianerinnen der Hochebene weniger Scrupel hegen und mehr Freiheit gewähren. Am andern Morgen besichtigten wir die nächsten Goldgruben, welche höchst einfach aus langen, parallel dem Fluss aufgeworfenen Gräben bestehen, aus denen der Goldsand unter Wasser herausgekratzt und dann in hölzernen Schüsseln verwaschen wird. Dieser Sand enthält fast nur Goldstaub und ist im Verhältniss zu dem Sande des eigentlichen Flussbettes sehr arm. Das wissen die Indianer auch, allein mit ihren gewöhnlichen aus Eisenholz angefertigten Handwerkzeugen würde eine Flussverlegung ganz unmöglich sein, selbst wenn man ihnen die Construction von Wasserpumpen zeigen wollte, die ihnen gleichfalls noch unbekannt waren. Und vielleicht ist es ein Glück für sie, dass dieser Sand so arm ist, sonst wären sie sicher schon von hier verdrängt. Die Armuth des Sandes giebt ihnen um so mehr Beschäftigung und die Ausdauer, mit denen sie zu Werke gehen, immerhin reichen Ertrag. Gegenwärtig wurde nur das Deckgebirge eines neuen Graben abgeräumt. Die letzte Production an Gold war bereits von den Grenz-indianern ausgetauscht und vielleicht schon in die dritte und vierte Hand übergegangen und so mussten wir uns damit begnügen, dass noch etwas Goldsand aus einem alten Bau zusammengekratzt, vor unsern Augen zu einem halben Fingerhut voll Goldstaub verwaschen und dieser uns zum Geschenk gemacht wurde. Der gute Wille gab uns dafür Ersatz. Hiernach wurden wir über Wiesen, auf denen Rinder und Schafe, von mehreren Indianern bewacht, weideten und durch Mais- und Bananenanptlanzungen in die Jagdreviere geführt. Letztere sind von unzähligen Gängen durchkreuzt, auf denen das Wild gern wechselt und wenn es angeschossen, mit einiger Sicherheil verfolgt und aufgefunden werden kann. Herrliche, schattige Gründe! Nachmittags erschien die ganze Bevölkerung des Dorfes (im Ganzen vielleicht kaum 200 Seelen) in buntem Putz, um die Aufnahme der neu angekommenen jungen Frauen in ihre Gemeinde zu feiern, Die dabei stattfindenden Ceremonien geschahen unter tanzartigen Bewegungen, zu denen die Männer auf langen Schalmeien bliesen. Die Töne dieser Instrumente waren ebenso schauerlich wie die nicht endenwollenden Wiederholungen der Tänze ermüdend. Ein Act des Gottesdienstes war damit nicht verbunden. Dieser wird nur von den Männern im Walde abgehalten, wo ihr Götze steht, aus dessen eingebildeter Veränderung die in das Geheimniss eingeweihten Priester die Gewogenheit oder den Zorn desselben den übrigen verkünden. Weiber und Kinder dürfen solchem Acte nur aus ehrfurchtsvoller Ferne zusehen. So gern ich noch ein paar Tage bei den freundlichen Mozetenes geblieben wäre und hier den Veni auf Gold und den Wald auf Wild untersucht hätte, so trieb der General doch zur Weiterreise und bat mich um Gottes willen, kein Gewehr zu zeigen. Dies geschah weniger aus Besorgniss, dass jene an den Gewehren Gefallen finden und sie behalten möchten, als dass wir dadurch verdächtigt werden könnten. Ueber-haupt warnte der General vor noch intimerer Bekanntschaft mit diesen scheinbar harmlosen Menschen, bei deren leicht erregbaren Gemüthern sich die Freundschaft durch die geringfügigste, uns vielleicht ganz unbekannte und unerklärliche Veranlassung in Feindschaft verwandeln könnte; denn: Les extremes se touchent! Die Gewehre blieben daher auseinander genommen und eingepackt wie sie waren und wir verabschiedeten uns am dritten Tage bei guter Zeit, jedoch mit dem Versprechen, auf der Rückreise wieder hier einzukehren. Den ganzen Tag ritten wir das Veni-Thal hinab, umgeben von einer grossartigen Wildniss, zur Rechten die steilen Abhänge des Cheje Ruma, zur Linken den dichtgeschlossenen Urwald des Veni, Die Eindrücke, welche die ersten wilden Menschen auf mich gemacht, bildeten fast ausschliesslich das Thema unserer Unterhaltung, Da wir zunächst am Veni bleiben wollten, so hatte unser Grenzindianer, welcher sich vortrefflich zu orien-tiren verstand, Kachmittags den Hauptweg verlassen und instinctartig in eine Lichtung eingelenkt, auf welcher wir, wenn auch mühsam, in wenigen Stunden den Fluss erreichten. Hier wurde eine Hütte aus jungen Stämmen und den Planen gebaut, welche uns einigermassen vor Onzen, Schlangen und vor Regen schützte. Auch für die Maulthiere begannen wir einen käfigähnlichen Verschlag zu errichten, an dessen Vollendung uns jedoch ein starkes Gewitter verhinderte. Die beiden Indianer unterhielten, so gut es ging, die ganze Nacht hindurch ein Feuer und lösten einander mit Wachen ab. Einige Windstösse heulten wie Donner durch den Wald, die Aeste der bäume knarrten und der Fluss rauschte wie das Meer im Sturme. Als sich das Unwetter gegen Mitternacht gelegt hatte, trat momentan eine Todten-stille ein. Dann hörten wir ein fernes Kreischen und Schreien, wie wenn Tausende von Vögeln aus ihrer Nachtruhe autgeschreckt würden, dazwischen langgezogene Tone, tue bald unheimlich nah, bald wieder entfernter klangen. Bisweilen rasselte es im Unterholz, als ob jemand gewaltsam durchbreche, dann sprachen die Indianer mit gedämpfter Stimme und umkreisten die Hütte und den Verschlag in eiligen Schritten. Wenn der Feuerbrand geschürt wurde, blitzte es gespenstisch auf und dunkle Schatten flogen an unserer Thüröffnung vorüber. Plötzlich legte sich ein kalter, feuchter Körper über mein Gesicht — eine Schlange — ich sprang entsetzt auf, aber es war nur die nasse Plane, welche sich vom Regen gesenkt hatte. Das war die erste Nacht, die wir nicht viel besser als unter freiem Himmel im Urwalde zubrachten; eine schlaflose, unheimliche Nacht! Am andern Morgen nahmen wir die Gewehre und recognoscirten die nächste Umgebung, soweit dies der stellenweise dicht verwachsene Wald erlaubte. Der Grenzindianer hatte gut gewählt. Wir befanden uns in einem Paradiese, wie es die Phantasie nicht schöner ausmalen konnte. In der echt tropischen Vegetation, zu deren näherer Kenntniss wir leider beide nicht genug Botaniker waren, wimmelte es von Vögeln der verschiedensten Arten. Es war ein Leichtes, durch sie den tagliehen Bedarf an Fleisch zu beschaffen, indessen beschränkten wir uns hauptsächlich auf die fetten Holztauben, welche am wohlschmeckendsten waren. Auch venados und jabalis (Hirsche und Schweine) und Antas oder Dantas, die Tapire Süd-Amerikas, waren, den Spuren am feuchten Ufer zufolge, in grosser Menge vorhanden und wir hätten gewiss viele dieser allerdings ungemein scheuen Thiere erlegen können, wenn unsere Zeit von der Untersuchung des Flusses weniger in Anspruch genommen wäre. Letztere bot grosse Schwierigkeiten. Mit der Sonde, einem keineswegs vollkommenen Instrumente, welches ähnlich den Erdbohrern, aus leichten Eisenstäben bestand, die aneinandergeschraubt werden konnten und von denen der.untere Stab einen Ansatz mit conischer Oeffnung zur Aufnahme der Probe hatte, konnte ich nur die flachern Stellen des Flusses untersuchen und auch an diesen war es oft wegen der dicht aneinander liegenden erratischen Blöcke unmöglich, die Sonde bis auf den Goldsand durchzustossen. Spuren von Gold waren fast in jeder Probe vorhanden. Aber welche Capitalien und welche Ausdauer würde es kosten, wenn man die Arbeit im Grossen betreiben wollte! Die Unternehmer der Goldwäschen des Tipuani wissen davon zu erzählen. Wie oft ist es diesen Leid gewesen, die mühevolle Arbeit begonnen zu haben, trotz der Centner Goldes, die sie gewannen. Am dritten Tage ging es wieder weiter. Wir hatten uns vorgenommen, den grossen Urwald jenseit des Cheje-Ruma, das Land der Yuracares kennen zu lernen und wollten unserm Vorsatze treu bleiben. Nach einem anstrengenden Ersteigen des Westabhanges jenes Gebirges (an Reiten war nicht viel zu denken), erreichten wir den Engpass, als die Sonne sich bereits dem Untergehen neigte. Da lag der Urwald von Mojos vor uns, ein unabsehbares grünes Meer, nur von wenigen langgestreckten Nebelschichten verhüllt. Der Gebirgszug hatte bereits seinen Schatten darüber geworfen, aber die Flüsse und Seen reflectirten noch den strahlend blauen Himmel, silbernen Riesenschlangen ähnlich, die die einbrechende Nacht in lethargische Vibration gebannt zu haben schien. Ein blauer Himmel war zu dieser Jahreszeit allerdings eine Seltenheit. Der Engpass mag 8000 Fuss über dem Meere liegen, eine Höhe, die für hiesige Lander keine Bedeutung hat, deren dünnere und kältere Luft aber für uns schon so empfindlich war, dass wir das alte halb zerfallene Blockhäuschen, welches die Chinarinden-Sammler hier errichtet hatten, freudig bezogen. Die Kämme der Cheje Ruma-Cordillere, welche das bolivianische Anden-Hochland nach Osten begrenzt, ragen noch 7- bis 8000 Fuss über den Pass hinaus und zeichnen auf ihrer aschenfarbigen Grauwacke (wie die meisten Gebirgszüge der Provinz Vungas) die weissen Streifen der Quarzgänge, das Muttergestein des Goldes ab. Leider treten diese fast nur in den höchsten Gipfeln zu Tage, welche zu ersteigen die Luft vereitelt, deren Contrast mit der schweren, warmen und feuchten Luft der Thäler und Tiefebenen nicht selten Veranlassung zu Wechsel fiebern giebt. Auch uns schreckte daher der Gedanke an die lästige Krankheit von einer Untersuchung jener Gänge ab, obgleich der General in dem mit Chinarinde angesetzten Resacado-Branntwein, den wir zu jeder Mahlzeit tranken, ein sicheres Präservativmittel gegen dieselbe zu haben glaubte. Der junge Morgen hatte uns in dichten Nebel gebullt, der zu unserm grossesten Bedauern nirgends eine Aussicht bot. Beim Herabsteigen auf den östlichen Abhängen zogen uns immer dichtere Massen entgegen, die sieh am (lebirgskamme zu Wolken gestalteten. Später hatten wir öfter lichte Blicke, allein die Fernsicht war verschwunden; denn schon wenige tausend Fuss unter dem Pass beginnt der Urwald, der, je tiefer man steigt, immer undurchsichtiger wird. Gegen acht Uhr hatten wir die Quellen des Taricuri erreicht, dessen linkes Ufer wir verfolgten. Bisweilen schien es unmöglich, den Wald zu durchdringen, aber der Grenzindianer hatte seine Zeichen und zwar richtete er auffälliger Weise die Schritte gerade nach solchen Stellen, an denen die Kronen der Palmen einen zweiten Wald über dem Walde aufgerichtet hatten. Hier war das Unterholz am schwächsten; denn es fehlte ihm zur Verwucherung die Luft und das Licht. So kamen wir auf dem kaum noch erkennbaren Wege schneller vorwärts als wir anfangs glaubten. Zu Mittag wurde es unter diesem Blätterdache, trotz des wässerigen Hauches, der uns vom Taricuri anwehte, unerträglich warm. Nach einer kurzen Siesta, während welcher der Nebel sich in einen duftigen sanften Regen verwandelt hatte, überschritten wir die letzen Ausläufer des Gebirges und übernachteten in einer Felsenschlucht. Am nächsten Tage kamen wir an eine weite Lichtung, in welcher sich nach Angabe des Grenzindianers ein Dorf der Yuracares befand. Er bezweifelte, dass es bewohnt sei, da die Insassen bis zur Regenzeit in den tiefern Weidegründen verweilen und 'erst dann nach diesen etwas höher gelegenen Wohnsitzen zurückkehren, wenn die Ueberschwemmungen beginnen. Er hatte Recht. Das Dorf stand zwar nicht mehr an derselben Stelle, sondern war eine Viertelmeile tiefer dicht an das Ufer des Taricuri verlegt, aber keine Spur eines menschlichen Wesens war zu entdecken. Wir nahmen keinen Anstand, einen der luftigen Vogelbauer zu beziehen; denn solchen Eindruck machen die mehrere Fuss über dem Boden zwischen natürlichen Baumstämmen befestigten und aus Rohrwänden und Dächern von - 9s - breiten Blättern zusammengefügten Wohnungen. Diese haben den doppelten Vortheil, dass man darin nicht allein vor plötzlichen Uebertritten des Flusses (die zwar hier selten vorkommen mögen), sondern auch vor dem stets feuchten Boden und, wenn man die kurze Leiter, auf welcher man heraufsteigt, emporgezogen hat, auch vor dem kriechenden Gewürm, besonders aber vor den nächtlichen Besuchen der Raubthiere einigermassen geschützt ist. Diese Indianer haben auch meilenlange Gänge durch den Wald nach verschiedenen Richtungen gehauen, auf denen sie das Wild jagen und wo ich das Glück hatte, zwei Venados an einem Tage zu erlegen. Jagd und Sondiren bildeten natürlich wieder unsere Hauptbeschäftigung. Eines der kleinen Kanoes, welche vollgeschöpft unter dem Wasser befestigt lagen, wurde flott gemacht und diente vortrefflich, den Fluss auch in der Mitte zu untersuchen. Das Wasser zu durchwaten hätten wir nicht wagen dürfen, da wir öfter die Köpfe von Kaimans auftauchen sahen. In den Mittagsstunden wälzten sich ein paar dieser Bestien sogar am Ufer. Der Knall unserer Gewehre und eine Kugel scheuchten sie schnell in das W'asser zurück. Am untern Theile dieses Flusses und am Tijamuchi, in welchem sich der Taricuri ergiesst, soll es nicht weniger wie im Mamore, dem Hauptstrome der Provinz Mojos, von jenen Unholden wimmeln. Der Taricuri ist in seinem obern Laufe sehr arm an Gold, unterhalb der Mission S. Ignacio, von der wir nur wenige Leguas entfernt waren, fliesst er ruhiger und es mag sich von hier ab das werthvolle Metall mehr angesammelt haben. Am dritten Tage bemerkten unsere Indianer ein paar Yuracares, die vielleicht »on den übrigen zu einer Besichtigung ihrer Wohnungen vorausgeschickt waren, durch unsere Gewehrschüsse aber erschreckt, sich nicht heranwagten. Gegen Abend erschienen sie wieder. Es waren zwei wild aussehende hässliche Gestalten mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Als unsere Indianer ihnen entgegen gingen und winkten, verschwanden sie wieder im Dunkel des Waldes. Jetzt war der General nicht langer zu halten. Der sonst so beherzte Mann konnte eine fast übertriebene Furcht vor dem Tode des Er-schiessens nicht verbergen, so sehr er sich hierzu auch Mühe gab. Und doch sollte er seinem Schicksal nicht entgehen. Er meinte, dass die Indianer, über unsere Besitznahme ihrer Hütten gereizt, uns des Nachts überfallen würden. Es wurde sofort aufgebrochen. Wir zogen bis spät in die Nacht auf einem der schönen Jagdgänge in nördlicher Richtung, der uns zum San Jose-Flusse führen musste und campirten einmal wieder unter freiem Himmel oder richtiger gesagt, unter dem Baldachin eines von Schlingpflanzen umrankten Hände-baumes. Es war wieder eine Nacht noch schrecklicher als die am Veni; denn zu dem unheimlichen Treiben des Waldes, bei dem selbst die Phantasie des prosaischsten Menschen an Spukgeister glauben musste, kam noch die Besorgniss vor der Verfolgung der Indianer. Die Schreckensgestalten der Erzählungen des Generals aus der Zeit der Kämpfe mit diesen Barbaren erschienen mir so lebhaft in den Träumen meines kurzen Schlafes, dass ich mehrere Male aufsprang und zum Revolver griff. Doch geschah nichts in dieser Hinsicht. In der Fortsetzung unserer Reise verlor sich der Weg plötzlich im Dickicht. Wir mussten eine volle - 7* Stunde mit der Axt uns» durchhauen; erreichten dann aber wieder einen offenen Gang in derselben JRichtung, der sogleich vermuthen liess, dass wir in das Gebiet eines andern Indianerstammes gekommen seien. Noch vor Sonnenuntergang trafen wir auf ein ganz ähnliches Dorf, am rechten Ufer des San Jose, welches aber bewohnt war. Als wir aus dem dunkeln Walde auf einen freien Platz ritten, womit hier jedes Dorf umgeben zu sein scheint, wurden wir zuerst von einer Schaar Kinder bemerkt, die dort, wie sie die Natur geschaffen, mit einander spielten. Anfangs waren sie stutzig, als ob sie d'er fremdartigen Erscheinung nicht trauen dürften, kamen dann aber näher und streckten uns ihre rothbraunen Hände entgegen. Wir stiegen ab und beschenkten sie mit bunten Bändern, wodurch wir ihr ganzes Vertrauen gewannen. Sie klammerten sich an unsere Arme und zogen mit uns unter Jubel in's Dorf ein. Hier wurden wir ebenso neugierig gemustert, aber auch ebenso freundlich aufgenommen wie bei den Mozetenes, ja ich möchte fast sagen, dass diese Leute, welche vielleicht noch nie einen weissen Menschen gesehen hatten, uns mit einer Art von Thcilnahme betrachteten, indem sie zu glauben schienen, wir seien aus unserer Heimath verdrängt und suchten nun Schutz bei ihnen. Am andern Tage steigerte sich ihr Mitleid bis zu Thränen und das ging folgendermassen zu. Unmittelbar am Dorfe befanden sich mehrere geräumige Buchten des San Jose, durch eine Reihe aneinander gerammter oder1 sonst befestigter Pfähle von dem eigentlichen Flussbette abgegrenzt und somit vor dem Eindriiigen der Kaiman* gesichert. Es waren die Badeorte der Indianer, tief genug, dass man darin bequem schwimmen konnte. Ich liess die Gelegenheit nicht unbenutzt. Aber welcher Schrecken, als mich einige Indianer bemerkten. Sie liefen entsetzt und heulend davon, um die übrigen herbeizuholen. Wie alle Europäer, die längere Zeit auf der Hochebene verweilten, war auch ich von der trocknen Sonnenhitze im Gesicht, Nacken und an den Händen braun gebrannt, während mein übriger Körper natürlich weiss geblieben war. Dieser Unterschied der Farbe markirt sich besonders im Nacken so auffallend scharf begrenzt, dass die guten Leute glaubten, ich sei meiner ursprünglichen Haut bis zu dem Halse und den Händen bei lebendigem Leibe beraubt und nun in der Bildung einer neuen begriffen. Das hatte sie bis zu Thränen gerührt. So viel ich mich auch bemühte, sie von der irrigen Annahme meiner Schindung abzubringen, wurde ich doch ferner mit mitleidsvollen Augen angesehen. Diese Yuracares waren von den Mozetenes wenig unterschieden; die Kleidung und das ganze Leben noch einfacher als bei jenen. Erstere fehlte bis auf kurze Hüftbehänge fast ganz. Jagd und etwas Viehzucht bildeten die Hauptbeschäftigungen. Mit Goldwaschen hatten sie sich noch nicht befasst; sie sahen daher meinen Sondirungsarbeiten, die ich hier unbesorgt vornehmen konnte, neugierig zu. Um bei ihnen Lust und Liebe zum Goldwaschen zu erwecken, musste ich zu einer kleinen Täuschung Zuflucht nehmen, indem ich den Proben etwas Goldstaub vom Veni beimischte; denn der San Jose schien hier höchst stiefmütterlich damit bedacht zu sein. Ob sie jetzt Gold gewinnen? Ich bezweifle es, da die Jagd ihnen mehr Vergnügen macht. Wir blieben noch einige Tage bei ihnen, machten einen Abstecher nach den Ruinen der alten Jesuitenmission San Jose jenseit des Flusses und dachten dann ernstlich an unsere Rückreise. Letztere sollte eigentlich auf einem Umwege über die Goldwäschen am Tipuani geschehen, allein die vorrückende Regenzeit, die zunehmende Hitze und der Umstand, dass unser Vorrath an Resacado, dessen Genuss für uns unentbehrlich geworden war, zur Neige ging, nöthigten uns, am San Jose direct stromaufwärts zu gehen und den kürzesten Weg, d. h. denselben, den wir gekommen waren, einzuschlagen. Der General zeigte schon längst wieder Bedenken über unsern Zu langen Aufenthalt bei diesen Indianern, welche sich täglich durch Neuankommende mehrten; mich schreckte hiervon nur die Furcht vor dem Fieber ab» Am 3. December verliessen wir die Yuracares, bei denen wir durch die Geschenke der letzten Messer und bunten Zeuge gewiss in guter Erinnerung blieben und trafen nach acht Tagen etwas abgemagert und gründlich durchnässt auf dem Landgute Chicalulo wieder ein. Spione des Präsidenten waren nicht erschienen, wol aber geheime Agenten einer Gegenpartei desselben, welche ohne Zweifel den General für eine Verschwörung gewinnen wollten, an welcher er jedoch nicht theilgenommen haben wttrde. Wenige Tage nach unserer Ankunft zeigten sich bei mir die ersten Symptome von Wechselfieber. Ich beeilte mich nach der Hochebene zurückzukehren und nahm um Mitte desselben Monats Abschied vom General, den ich nie wiedersehen sollte — und von den übrigen Bewohnern der Hacienda. Einer der deutschen Bergleute, welcher seine Familie von La Paz holen wollte und ein Indianer begleiteten mich. Die Nacht der zweitägigen Reise brachten wir unweit des Engpasses der Cordillere von Yungas auf der Höhe von 13000 Fuss in einem alten Rancho ohne Dach zu. Am andern Morgen erwachten wir unter einer fussdicken Schneedecke. Welch ein Wechsel! Gestern noch von grünem Sommer umgeben und heute in einer vollständigen Winterlandschaft. Und doch — trotz des Fiebers — begrüsste ich den Schnee und die frische Gebirgsluft wie ein paar alte Freunde, die ich lange entbehren musste. Der Weg über den Gebirgspass, der uns noch über tausend Fuss höher führte, war allerdings etwas beschwerlich. In La Paz bekam ich noch mehrere Fieberanfälle, genas jedoch in dem kühlem Klima und unter der Behandlung eines tüchtigen deutschen Arztes schon nach zwei Wochen. Die Politik Bolivias bot am Ende des Jahres 1860 nicht viel Neues. Der Präsident war kränker und miss-tratiischer geworden und hatte sein Palais mit doppelten Posten umgeben und ebenso seine Sicherheitspolizei verstärkt. Der sonst so kluge und vorsichtige Mann schützte sich vor der Gefahr nach Aussen und erkannte nicht, dass diese aus seiner nächsten Umgebung ilnn am meisten drohte. Hieran hatte ohne Zweifel seine Krankheit die Schuld, in Folge welcher er mehr Vertrauen auf seine Minister zu setzen gezwungen war, als er in gesundem Zustande gethan haben würde. Den Rath seiner intimsten Freunde, sich mit einem neuen Ministerium zu umgeben, hatte er mit den Worten: »Mas vale un conocido que ciento por conocer« *) verworfen, ein Sprüchwort, welches Manchem als Richtschnur diente, sich aber in diesem Falle nicht bewährte. Am 15. Januar verbreitete sich schon in früher Morgenstunde das Gerücht, der Präsident sei abgesetzt und weggejagt. Man hielt einen derartigen Act ohne Revolution, zumal bei der Vigilanz der letzten Zeit und bei der Ruhe, mit der das neue Jahr 1861 überhaupt begonnen hatte, für ganz unmöglich. Und doch war es so. Als der schwer leidende Linares an jenem Morgen dem wachthabenden Officier zurief und dieser nicht erschien, erhob er sich mühsam von seinem Schmerzens-lager, ging zur Thür und öffnete sie. Der Officier, ein der Schandthat würdiges und hierzu auserwähltes Individuum, trat ihm entgegen und erklärte ihn für seinen Gefangenen. Der Präsident schleppte sich zu seinem Lager zurück, um einen der Revolver zu ergreifen, die dort stets an der Wand hingen, aber auch diese waren verschwunden und es wurde ihm nun klar, dass er ver-rathen war. Sein Rufen nach der Wache verhallte erfolglos; sie war zurückgezogen und statt ihrer erschien ein Trupp gekaufter Soldaten, die ihm befahlen, sich' anzukleiden und ihnen zu folgen. Unter den grässlichsten Schmerzen musste der unglückliche Präsident ein Maulthier besteigen und fort ging es stillschweigend, in kalter Morgen- *) »Kiner, den man kennt, ist mehr werth als Hundert, die man erst kennen lernen muss.« luft über die Pampas und unwirthlichen Cordilleren nach der fernen Küste, wo er seinem Schicksale überlassen wurde. So endete einmal wieder der Glanz eines Präsidenten von Bolivia. Vor zwei Jahren ein gefeierter Sieger, heute ein armer Verbannter! Wie es hiess, hatten wieder die Priester, die stets mit Rath und That bereit waren, wenn es sich um ihr Interesse handelte, auch hier den ersten Impuls gegeben. Dem Militär wurde vorgeredet, der Krankheitszustand des Präsidenten habe es erfordert, dass seine Minister für ihn eintreten, Versprechungen und Geldspenden verfehlten den Zweck nicht, die Gemüther der Soldaten, welche Linares keineswegs abgeneigt waren, zu beruhigen und so ging der »Staatsstreich«, »el golpe del Estado«, wie man prahlerisch die Ueberrumpelung des kranken Mannes nannte, ohne weitere Störungen vor sich. — Wenige Monate nach dieser Katastrophe kam die Nachricht, dass Dr. Linares in Valparaiso in grosser Dürftigkeit gestorben sei. Seine Gegner, die sich nicht geschämt hatten, ihn der Unredlichkeit zu verdächtigen, wurden selbst beschämt. Sie beschuldigten Linares, er habe grössere Summen von Staatsgeklern durch die argentinische Republik nach Frankreich schaffen lassen, doch hüteten sie sich vor der Mitbeschuldigung eines seiner Minister, der Theilhaber an der Veruntreuung gewesen sein sollte; denn letzterer war noch am Ruder und bei der Mehrzahl hoch angeschrieben. Mag dem sein, wie es wolle, so viel ist sicher, dass Linares, welcher schon vor seiner Präsidentschaft bedeutendes Privat-vermögen besass, es nicht nöthig gehabt hätte, sich an fremden Geldern zu vergreifen und dass, wenn er dies dennoch that, er bei seinem Verstände und seinem Misstrauen gegen alle Welt, sich auch des Besitzes des Geldes gesichert haben wurde. Sein Tod in elender Umgebung liefert am wenigsten den Beweis für die Wahrscheinlichkeit obiger Anschuldigung. Noch an demselben Tage der Absetzung des Präsidenten proclamirten sich seine Minister Sanchez, Acha und Fernandes als »Triumvirat« der obersten Staatsgewalt. Das Militär wurde seines frühem Schwures entbunden und musste dem Triumvirat Gehursam schworen. Eine allgemeine Amnestie öffnete die Gitter der Gefängnisse, zerlumptes Gesindel durchzog sinnesberauscht und branntweintrunken die Strassen und erging sich in Schmähungen gegen den vertriebenen Präsidenten und in Lobeserhebungen über die kühne That des Staatsstreiches. Selbst in Kreisen, die sonst vernünftige Ansichten und ruhiges Verhalten bewahrten, machte sich eine begeisterte Aufregung in fast lächerlicher Weise bemerkbar. Man verglich die Triumviri reipublicae mit Caesar, Pompejus und Crassus, wobei man nur noch nicht klar war, wer von ihnen der klügste, der angesehenste und der reichste sei. In der That existirte eine Aehnlichkeit dieses Triumvirates mit jenem der romischen Republik; sie hatten sich beide ohne Bestätigung des Senates, also »ungesetzmässig« constituirt. Mitten in dem Freudentaumel über die Vertreibung des Präsidenten Linares verliess ich La Paz, um in Chacarilla, unweit von Corocoro, die erledigte Director-stelle einer der bedeutendsten Kupfergruben Bolivia's anzutreten, welche mir bereits in La Paz angetragen war. Diese Grube war Eigenthum dreier Spanier, von denen der Hauptbetheiligte, ein wahrhaft edler Character und ein Mann von altem Schrot und Korn, durch unverschuldetes Unglück in die traurige Lage gekommen war, dass seine Gläubiger, meist reiche Leute, den Con-cttrs über sein Vermögen eröffnet hatten. Wiederholte Ueberschwemmungen seiner Goldgräbereien an dem mehrfach erwähnten Tipuani in Yungas, die zur Wiederherstellung der Arbeit enorme Summen verschlangen, waren hieran hauptsächlich Schuld. In den Tagen seines Glückes, welches ihn mehrere Jahre mit sicherer Ausbeute des kostbaren Metalles begünstigte, führte er ein gastfreies Haus, an dessen reichbesetzter Tafel sich seine Freunde täglich zahlreich einfanden, dieselben, die, aufgehetzt von einem eigennützigen Individuum, ihn später am meisten bedrängten. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des Codex für Bergbau konnten die Glaubiger nicht Eigenthümer der Grube werden; es stand ihnen aber das Recht zu, sich aus dem Reingewinn bezahlt zu machen und zu diesen*-Zwecke einen Interventor zu bestellen, der ihre Rechte überwachte und sie vertrat; auch musste dem Schuldner eine Assignation zu seinem Lebensunterhalte gesichert werden, deren Höhe nach Ermessen der competenten Richter fixirt wurde. Dies alles war geschehen. Bei meinem Amtsantritt fand ich die Grube, die längere Zeit ohne gehörige Leitung bearbeitet war, sehr vernachlässigt. Sie nahm meine Aufmerksamkeit der-massen in Anspruch, dass ich darüber meinen Contract mit den Eigenthümern gänzlich vergessen hatte. Erst als sich der Interventor anmeldete, schien es mir doch rathsam, zu meiner Legitimation auch etwas Schriftliches zu besitzen. Zur möglichst schnellen Instandsetzung der Grube war es nun durchaus nöthig, verschiedene Vorrichtungsarbeiten zu beginnen und zu unterhalten, die allerdings nichts einbrachten, im Gegen-theil noch Kosten verursachten. Ich sah wol ein, dass die Gelder hierzu von dem Reingewinn genommen werden mussten, da die Gläubiger nicht noch mehr geben wollten, die Besitzer aber nicht mehr geben konnten und dass, wenn die Dividende in den ersten Jahren schwach oder ganz ausfiel, alle ein Geschrei erheben würden. Es war mir daher an einer freien Disposition in der Leitung hauptsächlich gelegen, welcher ich mich um so mehr contractlich sichern musste, als die Meinungsverschiedenheit der drei Socien dem guten Erfolge sowol als meinem Einkommen hinderlich sein konnte. (Ich hatte freiwillig auf ein fixirtes Gehalt verzichtet; mein Hauptverdienst hing daher nur von der Centnerzahl ab, welche die Grube ausbrachte.) Hierauf wollte man jedoch nicht eingehen; denn bei dem übertriebenen Rufe, in welchem die Grube stand (die allerdings in früheren Jahren vortrefflich rentirt hatte, augenblicklich aber nahe daran war, mit Zubusse zu arbeiten), hielt man eine derartige Bedingung für unnöthig. Es blieb mir nichts anderes übrig, als aus meiner kaum angetretenen Stellung wieder auszutreten, so leid mir dies im Uebrigen that. Mehrere neue Bewerber, die sich sofort meldeten, wurden abgewiesen, in der Hoffnung, dass ich noch anderer Meinung werden würde. Hieran war jedoch nicht zu denken. Der Repräsentant des Haupt« betheiligten übernahm provisorisch die Leitung und ich ging, nachdem ich im Auftrage anderer Gruben mehrere — log — markscheiderische Arbeiten theils hier, theils in Corocoro absolvirt hatte, anfangs März nach Potosi, um dort mein Glück zu versuchen. Der alte Glanz war hier längst verblichen. Die (".ruhen gaben immer geringem Ertrag, die Unkosten wurden dagegen jedes Jahr grösser. Obenein drohte damals eine förmliche Revolution auszubrechen, die weniger politischer als finanzieller Natur war, indem die Grubenbesitzer die von der Regierung neuerdings eingeführte broncene Scheidemünze nicht anerkennen wollten. Diese Auspicien ermuthigten mich zu keinem längern Aufenthalte, als gerade nöthig war, die Sehenswürdigkeiten der weltberühmten Silberstadt in Augenschein zu nehmen. Mein Entschluss, Bolivia ganz zu verlassen und nach Chile auszuwandern, reifte immer mehr. Ich kehrte nach Chacarilla zurück und ordnete meine Angelegenheiten. Hier lernte ich den früheren Director der Grube, einen Deutschen kennen, welcher zufällig durchreiste, um nach La Paz und von dort nach der Küste zu gehen. Zugleich bekam ich eine Aufforderung von den Gläubigern, in La Paz zu erscheinen und ein Gutachten über die Grube abzugeben. Wir beschlossen daher die Reise gemeinschaftlich zu machen. In der Versammlung der Gläubiger konnte ich meine Ansichten nur wiederholen, die ihnen freilich nicht gefielen. Trotzdem hätten sie mich für jene Stelle engagirt, wenn sie dazu berechtigt gewesen wären. Nach einem kurzen Abstecher nach den Goldgruben des Tipuani, die ich in einem Privatauftrage besuchte, kehlte ich nach La Paz zurück und trat in den ersten Tagen des Mai mit dem erwähnten Landsmann die Reise nach der Küste an. Wir nahmen nicht die directe Route, sondern gingen über die Cordilleren von Choco, Caquena und Sajama, wo wir mehrere verlassene Silbergruben recognoscirten, die vielleicht in den höchsten Regionen liegen, wo je Bergbau betrieben wurde. Die Reichhaltigkeit einer dieser Gruben hätte uns fast verlockt, die Arbeit von Neuem aufzunehmen, wenn wir die Mittel zu ihrer Auf-wältigung gehabt hätten und mein Reisegefährte nicht durch das entsetzliche Klima zurückgeschreckt wäre, das ihn mit dem Sorroche, der peinlichen Gebirgskrank-heit heimsuchte. In Arica war der Dampfer zwei Tage vor unserer Ankunft nach dem Süden abgegangen. Der nächste ging erst wieder in zwölf Tagen. — Hier wohnten die Syndicus, welche nach dem Tode eines Compagnones der spanischen Gesellschaft dessen Antheil verwalteten. 1 )er dritte Betheiligte lebte in Tacna, einer Stadt, welche von Arica mittels Eisenbahn in drei Stunden zu erreichen ist. Jene sowol wie dieser hatten ihre Repräsentanten in Chacarilla selbst. Während meiner Reise nach der Küste hatte der Interventor die Besetzung der bewussten Directorstelle mit einem Fachmann eifrig betrieben und einen solchen auch in Vorschlag gebracht. Dieser convenirte jedoch den Repräsentanten nicht. Sie schickten schleunigst Boten mit Instructionen nach Arica, in Folge derer mir das Engagement nochmals angeboten wurde und zwar mit Zusicherung der von mir verlangten Bedingung. Das Sichere dem Unsichem vorziehend, nahm ich die Stelle jetzt an. Meine Rückreise musste so schnell wie möglich geschehen. Trotz der Widerwärtigkeit, dass mein Diener unterwegs erkrankte und in einem Indianerdorfe zurückbleiben, ich aber die Reise allein fortsetzen musste, wobei ich mich zwei Tage und eine Nacht in den Schneebergen verirrte, traf ich doch noch zur rechten Stunde in Chacarilla ein. Der Contract, den ich übrigens nur auf zwei Jahre einging, wurde von den Repräsentanten und mir unterzeichnet; dem Interventor gegenüber hatte ich von Rechtswegen nichts weiter zu beobachten, als dass ich ihm Einsicht in die Geschäftsbücher gestattete, damit er die nöthigen Data zu seinen Rechnungen für die Gläubiger daraus entnehmen konnte. Es verging fast ein halbes Jahr, ehe er in Chacarilla erschien. Er war geborner Engländer, bereits in vorgerücktem Alter, jedoch noch rüstig, von guter Bildung, aber er hatte einen unsteten Blick, der auf nichts Gutes schliessen liess. Schon vor vielen Jahren eingewandert, hatte er sich mit einer hiesigen reichen Dame verheirathet und ein eigenes Geschäft als Apotheker betrieben. Seine Ehe wurde mit vielen Kindern gesegnet, die aber alle in zartem Alter starben. Seine Frau trennte sich von ihm; er fungirte dann (wie viele seines Gleichen in Amerika zu thun pflegen) als Arzt und hatte sich in neuerer Zeit auf die Winkeladvocatur gelegt, die ihm ein ganz besonders günstiges Feld eröffnet zu haben schien. In La Paz genoss er den Ruf eines geschickten Rechtsverdrehers und nebenbei noch den eines Jesuiten, vor dem man sich hüten müsse. Dies alles ging mich nichts an. Er kam mir mit Höflichkeit entgegen, die meinerseits erwidert wurde, ich erklärte ihm den Gang der Arbeiten, besuchte mit ihm die Werke, stellte ihm die Bücher jederzeit zur Verfügung und that überhaupt alles, was zu seiner Information beitragen konnte. Aber auch atissergeschäft-1 ich war es genussreich und belehrend, mit dem scharfsichtigen, gescheidten Manne zu verkehren. Das erste Jahr verstrich für mich in voller, aber ungestörter Thätigkeit. Aus der Grube ging es auf das Pferd, vom Pferde in die Aufbereitungswerke oder in den Nachen zur Regulirung des Flusses und der Wassergräben, dann zurück zu den Büchern. Oder ich curirte meine kranken Bergleute, musste hier einen Streit schlichten, dort mit Lamatreibern oder andern Indianern verhandeln, die Coca und Lebensmittel gebracht hatten, fremden Besuch empfangen, die Grubenproducte versenden, kurz, ich befand mich in einem geschäftigen Treiben, für welches der Tag von zwölf Stunden fast zu wenig Zeit bot. An meine auswärtige Gorrespondenz kam ich meist nur des Nachts. Der Director ist hier nicht allein An Ordner und Oberaufseher des ganzen Grubenbetriebes, sondern muss auch noch Markscheider, Probirer, Rechnungsführer, Zahlmeister, Richter und ausserdem noch Zimmermann, Maurer, Mechaniker, Kaufmann, Rechtsanwalt, Arzt und bisweilen sogar Priester sein: denn es kommen Zeiten vor, in denen der Desa-gttadero dermassen anschwillt, dass er jede Verbindung mit dem nächsten Curasitze abschneidet und dann ist der Director verpflichtet, die neugebornen Kinder »mit Wasser« zu taufen resp. taufen zu lassen. (Die spater folgende Oeltaufe darf nur von wirklichen Priestern vollzogen werden.) Trotz der Fülle von Beschäftigung musste es die Zeit doch hergeben, dass ich auf ein paar Tage Ausflüge nach La Paz oder nach den hübschen Thälern von Caracato und Luribay oder sonst nahen Orten machen konnte. Die Repräsentanten vertraten mich alsdann. Die Vorrichtungsarbeiten kosteten zwar viel Geld, welches ich nicht sogleich vom Erlös der augenblicklichen Ausbeute nehmen konnte, vielmehr zum grössern Theile durch Vorschüsse decken musste, die auf das nächste Jahr übertragen wurden, aber die Ausbeute selbst hatte die des letztvergangenen Jahres trotzdem übertroffen und damit war ich schon zufrieden. Leider waren die Ivtipferpreise auf einen so niedern Stand (um volle 50 Procent) gesunken, wie man ihn zuvor gar nicht kannte. Auch in den nächsten zwei Jahren stiegen sie nur höchst unbedeutend. An grosse Dividenden war unter solchen Umständen nicht zu denken. — Der Interventor, welcher übrigens erst Mitte 1862 amtlich eingeführt wurde und sich mehr in La Paz als hier aufhielt, schien es aus diesem Grunde nicht der Mühe werth zu halten, schon nach dem ersten Geschäftsjahre die Berechnung eines etwaigen Ueberschusses aufzustellen. Er zog mehrere Wechsel auf mich, die ich, da sie nicht über zu hohe Summen ausgestellt waren, aus Gefälligkeit bezahlte; denn verpflichtet war ich hierzu nicht. Die Wechsel wiederholten sich jedoch und überschritten sogar die Höhe des Reingewinnes, den die Gläubiger beanspruchen konnten. Ich musste jetzt Einhalt thun und zwar um so mehr, als meine contractliche Zeit in wenigen Monaten ablief und ich selbst Gefahr lief, die Differenz aus eigenen Mitteln decken zu müssen. Das gefiel dem Interventor natürlich nicht. Den Gläubigern, denen er hingst hätte Rechnung ablegen müssen, redete er vor, dass ich ihm die Auszahlung des Ueberschusses Mossbncli, Bolivia, 8 verweigere. Zu meiner Rechtfertigung reiste ich nach La Paz, wo ich zugleich erfuhr, dass die Gelder der Wechsel als Gehalt in die Tasche des Interventor geflossen waren. Er wurde nunmehr von den Gläubigern zur Berechnung des Reingewinnes gedrängt und da er hierzu unfähig war (er hatte sich herzlich wenig um die Grubenangelegenheiten gekümmert), so verlangte er von mir, erst bittend, versprechend, dann befehlend, dass ich die fragliche Rechnung aufstellen und ihm einhändigen solle. Diese Zumuthung ging mir doch zu weit. Ich hätte mich ihm hierdurch nicht allein untergeordnet, wozu ich weder Lust noch Verpflichtung hatte, sondern hätte auch noch einen groben Fehler begangen, indem ich mich zu meinem eigenen Richter machte; denn die Rechnung des Interventor sollte ja eine Controle für mich sein. Ich setzte ihm dies auseinander und versprach zugleich, ihm bei der Rechnungsaufstellung bell üblich zu sein. Statt nach hier zu kommen und mit der Arbeit zu beginnen, zog es der Interventor vor, die Feder in Gift und Galle zu tauchen, um eine unendlich lange Information zu entwerfen, in welcher er meine Anordnungen, die er zuvor so sehr billigte, verwarf, mich eines geheimen, den Gläubigern schädlichen Einverständnisses mit den Repräsentanten und Eigenihümern' der Grube beschuldigte, gegen diese, wie gegen mich die schändlichsten Verdächtigungen schleuderte, alles und alles tadelte und schliesslich mit unzweideutigen Worten erklärte, dass er sich in der Ausübung seiner Functionen behindert sehe, wenn ich nicht aus meiner Stellung entfernt und durch einen andern ersetzt würde, der mehr auf den Vortheil der Gläubiger bedacht sei. Hierzu — Iis — hatte er sich seinen Mann bereits wieder ausgewählt. Diese Information wurde in einer Versammlung der Gläubiger in La Paz vorgelesen und verfehlte natürlich ihren Zweck nicht, dieselben besonders gegen mich aufzubringen. Es unterlag keinem Zweifel mehr, der Interventor ging mit der Absicht um, alleiniger Disponent, wenn nicht über das ganze Grubengeschäft, so doch wenigstens über die Producte desselben zu werden. Letztere hätte er veräussert, ob aber die Gläubiger etwas davon bekommen hätten?! Jetzt wurden mir auch seine frühern Worte klar, mit denen er mir einst andeutete, dass es nicht zu meinem Schaden sein solle, wenn ich gemeinschaftliche Sache mit ihm mache; denn in meiner Hand liege es, wenn ich nur wolle — und dieser Mensch wusste, dass ich einen Contract mit den Eigenthümern abgeschlossen hatte; er wusste, dass ich zur Auszahlung des Reingewinnes nicht allein von der höchsten Gerichtsbehörde, sondern auch von den Eigenthümern selbst autorisirt war und dass ihm dieser nie vorenthalten wurde. Aber er brauchte Geld, viel Geld — zur Durchführung seiner machiavellistischen Pläne. Was jetzt thun? Den Interventor verklagen? Ich würde damit nichts ausgerichtet haben; denn die Infor-mtiaon war zu meisterhaft raffinirt-vorsichtig ausgearbeitet und es waren darin zu viele Hinterpförtchen offen gelassen, aus denen der Fuchs entschlüpfen konnte. Er, ein Freund der obersten Gerichtsbeamten in La Paz und ich dreissig Leguas davon entfernt! Ich hätte meine edle Zeit unnütz nur noch mehr zersplittert. Die ganze Sache unberücksichtigt lassen? Dazu war sie zu empörend. t Ich schrieb daher an einen der angesehensten Gläubiger und bat um eine* zweite Versammlung, in welcher ich die Information Wort für Wort als unwahr widerlegen würde. Zugleich schickte ich sämmtliche Geschäftsbücher an den Hauptbetheiligten nach dort, der sie den Gläubigern zum bessern Verständniss zuvor präsentirte. Meine Bitte wurde mir gewährt. Als ich am festgesetzten Termin in La Paz erschien, hatte der Interventor die Versammlung zu hintertreiben gewusst. Ich wurde auf morgen und wieder auf morgen vertröstet, wobei eine volle Woche verging, ohne dass die Versammlung zu Stande kam und ohne dass ich den Interventor auch nur zu Gesicht bekam. Mir wurde bald klar, dass dies absichtlich geschah. Ich musste mich daher mit meiner Widerlegung vorläufig auf einen sehr kleinen Kreis von Gläubigern beschränken und eilte dann, kaum halb verrichteter Sache, zur Grube zurück. Von Chacarilla folgte meine schriftliche Widerlegung, welche endlich doch in einer Versammlung vorgelesen wurde und die Gläubiger mehr oder weniger zu der Ueberzeugung brachte, dass sie sich in dem Interventor eine Ruthe aufgebunden hatten, die sie nicht leicht wieder los werden würden. Doch dieser hatte ihnen neue glänzende Aussichten eröffnet, indem er versprach, ein Gesetz auszuwirken, nach welchem die Gläubiger dieselben Rechte der Kigenthümer erlangten, bei seinem Renomme und seiner Beharrlichkeit in der Verfolgung eines Zieles fand er nicht allein Glauben, sondern auch die nöthigen Geldunterstützungen, um seinen Vorsatz durchzuführen. Mittlerweile war der Zeitpunkt nahe, dass mein Con-tract ablief und ich den ewigen Chicanen aus dem Wege gehen konnte. Die Repräsentanten und Eigentümer der Grube waren mich schon längst vorher um Verlängerung des Contractes unter denselben Bedingungen auf folgende zwei Jahre angegangen, jetzt beschworen sie mich förmlich, sie nicht im Stiche zu lassen. Mir selbst kam es fast feig vor, wenn ich mich in dieser Zeit zurückgezogen hätte, in welcher der eigentliche Krieg ausbrechen und die Entscheidungsschlacht geschlagen werden musste. Was konnte mir denn auch geschehen? Die gerechte Sache musste doch endlich siegen oder das Gesetz zur Farce werden. — Bei Gott und in Bolivia ist nun zwar Alles möglich. Es konnte ein Ausnahmegesetz in Kraft treten, wiewol für den gegenwärtigen Fall kein triftiger Grund vorhanden war. Und gerade an den Bestimmungen des Bergrechtes rütteln zu wollen, die dem längst bewährten und vorzüglichen Codex von Mexico entnommen und sehr deter-minirt ausgearbeitet, den hiesigen Verhältnissen vollkommen entsprachen, — das hielten selbst die Advocaten für ein Ding der Unmöglichkeit. Allerdings war nicht zu verkennen, dass die Legislatoren von dem Grundsatz ausgegangen waren, dem Bergbau, der in Mexico als nobelster Industriezweig und Haupthebel für den Wohlstand des Landes galt, gewisse Privilegien einzuräumen, um durch sie mehr zur Aufschliessung der verborgenen Schätze zu ermuthigen und die Grubenbetreibenden in ihren an und für sich schon mühseligen, kostspieligen und oft noch precairen Arbeiten vor fremden Angriffen möglichst zu schützen. Das war auch hier durchaus nothwendig. Wenn nun trotzdem Abänderungen geschahen, so verletzte man das Gesetz und die dadurch Betroffenen verwahrten sich dagegen am einfachsten und — IIS — kürzesten, wenn sie dasselbe thaten, d. h. die Veränderung nicht eher anerkannten, bis sie alle Instanzen durchlaufen hatte und höchsten Ortes sanctionirt war. Similia similibus, oder wie man sich hier kräftiger ausdrückt: al picaro picaro y medio, d. h. wörtlich: Dem Schurken anderthalb Schurken und soll ungefähr bedeuten: Wenn du es mit einem Schurken zu thun hast, so gieb dir Mühe ein noch grösserer zu sein. — Mit dieser edeln Lebensregel, die ich dem Interventor gegenüber künftig treu zu befolgen auch mir vornahm, erneuerte ich meinen Contract am i. Juni 1863, jedoch nur auf ein Jahr, in welchem die Sache endlich einen Abschluss erreichen musste. Mit dem zunächst folgenden Federkriege will ich den Leser nicht langweilen. Er bestand in einem Kreuzfeuer zwischen La Faz und Chacarilla, welches der Interventor wie ein Plänkergefecht hauptsächlich nur deshalb unterhielt, um dadurch die Aufmerksamkeit seiner Gegner von der Vorbereitung des eigentlichen Ueberfalles abzulenken. Endlich war das Unerhörte, woran ich noch immer nicht glauben konnte, doch geschehen. Der Interventor hatte das neue Gesetz beim Tribunal de Partido in La Paz wirklich durchgesetzt und es auch sogleich von der zweiten Instanz, dem Corte Superior bestätigen lassen. Unmittelbar danach erschien er selbst in Chacarilla und zwar in Legleitung eines auswärtigen Correjidor und bewaffneter Gerichtsdiener. (Er hatte Furcht, wiewohl keine Besserung!) Hier stieg er in einem Privatlogis ab und liess den hiesigen correjidor und jtiez de paz zu sich kommen, die er als Commissäre für seine Angelegenheit gewann und interessirte und mit den nöthigen Verhaltungsmassrcgeln per fas et nefas instruirte. Am andern Morgen rückte er mit diesen und seinen Schutzleuten in feierlicher Pro-cession in mein Geschäftslocal, wo mir das betreffende Decret, welches den Interventor allerdings zu dem Möglichsten ermächtigte, von dem fremden Correjidor vorgelesen wurde. Das konnte ich nicht verhindern. Als ich aber die Notification unterzeichnen sollte, war es wenigstens eine kleine Genugthuung für mich, dies nicht zu thun. Das Zureden der Subalternbeamten und endlich das Drohen des Interventor liess mich errathen, dass letztem) doch viel an meiner Unterschrift gelegen sein musste, obschon sie, wie er mit verbissenem Grimm selbst zugab, im Wesen der Sache nichts änderte. Hierauf wurde dieselbe Procedur bei den Repräsentanten wiederholt und dasselbe Resultat erlangt. Zu Mittag bewegte sich der Zug auf die Halde, wo die Bestimmung den Grubenarbeitern vorgelesen, _in Aymarä verdeutlicht und der neue »Patron« (Schutzherr) vorgestellt wurde. Auch für die Publication durch Placate an den Ecken der Häuser war Sorge getragen. Schliesslich verlangte der Interventor die Magazine zu sehen, deren Zutritt ich ihm als solchem nicht verwehren durfte. Wohlgefällig liess' er die Blicke über die vollen Säcke der reichen Waschproducte schweifen, erkundigte sich nach ihrer Centnerzahl, die er notirte und verabschiedete sich dann kühl und stumm, wie er gekommen war. ha stand ich nun, »ein entlaubter Stamm«, und wusste nicht, wem ich angehörte. Am nächsten Tage verliess der Interventor wieder Chacarilla» Nach einer Berathung mit den Repräsentanten (logen meine Boten, schnellfussige Indianer, nach La Paz und nach der Küste. Hier wie dort war man von der Promulgation des neuen Gesetzes bereits unterrichtet und eben im Begriff, bei dem Corte Supremo in Chuquisaca, der dritten und letzten Instanz, dagegen zu protestiren. Die Instructionen der Besitzer lauteten für mich: «Erkennen Sie das Ausnahmegesetz nicht an, stehen Sie fest und wanken Sie nicht, es mag kommen wie es will und verlassen Sie Chacarilla auf keinen Fall.« Der Interventor war nach Corocoro gegangen, um dort, wie er jetzt glaubte, mit vollem Rechte Contracte über Erzverkäufe abzuschliessen, die, nebenbei gesagt, den Reingewinn um das Zwanzigfache überstiegen, aber die Käufer trauten seiner Sache nicht, trotz der gerichtlichen Documente, die ihn hierzu autorisirten. Sie wollten zuvor meine Unterschrift sehen und gewiss sein, dass ich die VVaare auch ausliefere. Darauf hatte er sich zu demselben Zwecke an ein englisches und französisches Haus der Küste gewandt, von wo ihm jedoch dieselben Bedingungen gestellt wurden. Mehrere Anfragen in dieser Beziehung musste ich ablehnend beantworten. Jetzt rückte er wieder gegen mich. Ich sollte einen Revers, den er mir durch den Correjidor vorlegen liess, unterschreiben und da ich mich hierzu selbstredend nicht verstand, so beantragte er bei Gericht meine Gefangennehmung und Auslieferung nach La Paz. Ehiefl Morgens, als ich in der (hübe angefahren war, kam ein Arbeiter mit der Botschaft herabgeeilt, es seien Soldaten auf der Halde. Ich wusste sofort, um was es sich handele und überlegte, ob ich durch einen entlegenen Stollen ausfahren und mich verbergen oder fliehen, oder ob ich eine Unterhandlung mit den Soldaten versuchen solle. Auf keinen Fall durfte ich mich ergeben. \Yas mehr hatte der Interventor wünschen können? Und was hätte mir die Flucht genützt, der Interventor hätte um so freieres Spiel bekommen! Ich zog daher die Unterhandlung vor, selbst auf die Gefahr hin, dass ein Handgemenge entstand, in welchem ich doch Sieger bleiben musste. Nur sechs Soldaten! Ein Wink von mir und hundert kampffähige Indianer hätten sie erdrückt. Ich gerieth durch solchen Gewaltact freilich in eine höchst missliche Stellung zu den Gerichten von La Paz, mit denen ich dann zu thun bekam und mit denen ich es doch nicht ganz verderben wollte, zugleich zeigte ich aber auch meinen festen Entschluss, es aufs Aettsserste ankommen zu lassen. Ich wählte mir ein Dutzend der handfestesten Häuer aus und betrat die Halde. Ein älterer Soldat kam mir entgegen, stellte sich als »Comandante« vor und bedauerte, indem er mir den Haftbefehl übergab, mich als seinen Gefangenen begrüssen zu müssen. Dass die Gefangennahme nicht so schnell ging, sah er schon an meiner Begleitung, die einen dichten Kreis um uns beide zog und dadurch die übrigen Soldaten gänzlich ab-schloss. Es ist ein eigenes Ding mit diesen Indianern. So streng ich sie auch behandeln musste (natürlich auch gerecht) und so hoch sie auch die Gesetze sonst achteten, sie würden doch nie zugegeben haben, dass man mir, der ich ihnen Arbeit und Lohn gab und nur im Interesse ihrer eigentlichen Herren handelte, Gewalt an-thue und sollten sie dabei ihr eigenes Leben einsetzen. Das wusste der Comandante so gut wie der Präfect, der ihn schickte; das wttssten die Gerichtsbeamten so gut wie der Interventor, der den Antrag gestellt hatte. Der Comandante sah ein, dass er mit seiner Hand voll Soldaten nichts ausrichten konnte. Er stand daher von weitern Schritten ab und wir wurden Mittags bei einer Flasche Wein und Nachmittags bei einem Glase Ale und Porter bald Freunde. Auch seine Soldaten wurden gut verpflegt und so zogen sie denn am andern Morgen mit den besten Eindrücken wieder von dannen, nachdem ich zur Beruhigung und Rechtfertigung des Comandante dem Präfecten gegenüber (mit dem ich übrigens recht gut bekannt war) ein Protocoll unterschrieben hatte, welches über die ganze Affaire der Wahrheit getreu aufgenommen und in welchem nur der Wein und das Bier als »unwesentlich und nicht zur Sache gehörig« weggelassen war. AI picaro picaro y medioP Als die Soldaten ohne mich nach La Paz zurückkehrten, soll der Interventor förmlich mit den Zähnen geknirscht haben. Doch gab der Vorfall wieder Wasser auf seine Mühle. Auf den Gerichten und in den Versammlungen berichtete er, aus ganz sicherer Quelle zu wissen, dass ich die Indianer aufgewiegelt, bewaffnet und auf die Soldaten gehetzt habe; nannte mich einen Rebellen gegen die Gesetze und alle Ordnung, trug darauf an, alle Behörden mit befehlen zu versehen, um mich zu ergreifen, wo sie mich auch fänden und schrie Dach einer ganzen Compagnie, die man nach Chacarilla schicken müsse. Ich war zwischen zwei Feuer gerathen und befand mich in keiner beneidenswerthen Lage. Die fortwährenden Aufregungen durch den Interventor und die Un-gewissheit, ob der Corte Supremo in seiner Resolution, auf die ich schon Monate lang selmsüchtig, aber ver- gebens wartete, das neue Gesetz billigen oder verwerfen würde; dazu die niedern Kupferpreise, das Alles war zum Verzweifeln und nur der Gedanke, Pflicht und Schuldigkeit gethan zu haben, die Hoffnung auf einen günstigen Ausspruch der alten würdigen Senatoren in Chuquisaca und die im Uebrigen ganz erfreulichen Resultate des Grubenbetriebes selbst gewährten mir einigen Trost und Ersatz für die vielen Gehässigkeiten und Verfolgungen. In dieser Zeit durfte ich das Weichbild der Chacarilla nur mit grosser Vorsicht verlassen; denn der Interventor hatte specielle Belohnungen auf meine Auslieferung gesetzt. Die correjidores und juezes de paz hätten mich auf meinen Ritten nach den Werken gern abge-fasst, allein mein schnelles Pferd und die Furcht vor dem Revolver und den Arbeitern hielt sie von derartigen Versuchen ab. Schon war ich darauf gefasst, dass nächstens grössere Abtheilungen von Soldaten erscheinen würden, die mich, um ein Blutvergiessen zu vermeiden, schliesslich doch zum Rückzüge zwingen mussten, da brach eine erbitterte Revolution in La Paz aus, der ich zunächst verdankte, dass kein Militär nach hier geschickt werden konnte (man sieht, die Revolutionen haben auch ihr Gutes) und fast zu gleicher Zeit traf endlich auch die Resolution des Corte Supremo ein, die wie ein Phönix aus der verglimmenden Asche der Intriguen des Interventor erstanden war. Alle Actionen des Tribunal de Partido und des Corte Superior wurden darin auf das Heftigste getadelt und die neuen Bestimmungen als Excesse bezeichnet, die nicht allein das Gesammtwohl, sondern auch das specielle der Gläubiger schädigten, indem durch sie die Grubenarbeiten behindert und die Schuldner von der schnellern Befriedigung ihrer Gläubiger abgehalten würden. Der Interventor dürfe sich kein Urtheil über den Betrieb der Grube erlauben, es müsse dieses durch eine Commission unparteiischer Sachverständiger geschehen, kurz, der Interventor wurde aus tausend Vernunftgründen auf die engsten Grenzen seiner Befugnisse zurückgewiesen und — das Schlimmste für ihn — ganz besonders zur Aufstellung seiner Rechnungen aufgefordert. Er empfing die Nachricht seiner Niederlage durch einen Freund auf der Rückreise von der Küste, wo er nochmals persönlich Anstrengungen gemacht hatte, um die Handelshäuser von seiner Machtvollkommenheit zu überzeugen, Verkaufe abzuschliessen und — Vorschüsse zu erheben. Doch seine Glanzperiode war vorüber. An der Küste hatte er kein Geld bekommen, in La Paz das Vertrauen verloren. Alles brach über ihn zusammen. Zur Politik von Bolivia zurückkehrend, die vom Jahre 1861 ab wieder einige recht characteristische und aufzeichnenswerthe Bilder der säubern Wirthschaft des Landes entwarf und mit gewohnten schwarzen und blutigen Farben die Annalen der Geschichte besudelte, wissen wir, dass sich nach dem Staatsstreiche, dessen böses fait accompli nicht ausblieb, ein Triumvirat gebildet hatte. Sanchez, ein alter schwacher Mann, Acha, den wir schon von Corocoro aus kennen, auch kein besonderes Genie, aber gemässigt und verträglich und Fernandez, ein junger befähigter aber intriganter Mensch, welcher die Eigenschaften der drei, mit diesem Kleeblatt in Vergleich gebrachten römischen Triumvirn allein in sich vereinigen sollte, bald aber den Beweis lieferte, dass er sich bei all' seiner Klugheit doch verrechnet hatte. Das waren die Männer, von denen man sich eine neue glückliche Aera prophezeite. Illusionen und Chimären hören in Bolivia nie auf! Das Schicksal entblätterte das eine Blatt kurze Zeit nach seiner Entfaltung. Sanchez starb, zwar nicht wie Crassus den Heldentod auf dem Felde der Ehre, sondern vor Alterschwäche im Bette, aber er starb und Pompejus Fernandez sah darin eine glückliche Vorbedeutung — hatte er es doch nur noch mit einem zu thun! Und wirklich that seine Partei, die grosseste und bedeutendste von allen, ihr Möglichstes, um ihn als alleinigen Präsidenten durchzubringen, konnte aber das Gesetz, dass der Präsident geborner Bolivianer sein musste, nicht umstossen. Fernandez war zu seinem grossen Leidwesen von Geburt kein Bolivianer, sondern Argentiner. Um die Zwistigkeiten, die trotzdem bald wieder an die Tagesordnung traten, nicht grössere Dimensionen gewinnen zu lassen, wurde daher Acha von einem Congress in Chuquisaca zum Präsidenten bestimmt. Was blieb auch anders übrig, da er als Bolivianer die Macht bereits in Händen hatte. — Er behielt (gutmüthig oder thöricht, wie man es nennen will) Fernandez als Minister an seiner Seite. Zunächst muss ich bemerken, dass Acha in Cocha-bamba (nach La I'az die bedeutendste Stadt Bolivias) geboren und dass alles, was von dort kam, den Pazenos in der "Seele verhasst war. Ob Eifersucht, dass jene Stadt durch ihre Industrie La Paz einst überflügeln möchte, oder ob natürliche Abneigung, vielleicht in der Verschiedenheit der Sprachen begründet, indem dort Quichoa, hier Aymarä (neben dem Spanischen) gesprochen wird, die Schuld daran hatte, man weiss es nicht, aber der Name Cochabambino war in La Paz von schlechtem Klang und synonym mit »Spitzbube.« Gleiche Gesinnung gegen die Pazenos hegten die Cochabambinos, die eigentlich nur für ihre gesegnete Provinz Tapacari lebten und sich wenig um ihr übriges Vaterland kümmerten. Wenn man jemanden von dort fragte, ob er Bolivianer sei, so antwortete er sicher und zwar mit einem gewissen Stolze: »Nein, ich bin Cochabambino.« Die Schmach, von einem Cochabambino beherrscht zu werden, war den Pazenos, trotzdem sich Acha wirklich Mühe gab, gerecht und mild zu regieren, unerträglich. Indessen trösteten sie sich vorläufig damit, dass Fernandez geschickt genug sein würde, den »schwachen Präsidenten« bald abzusetzen. Wie gesagt, bei Gott und in Bolivia ist nichts unmöglich; bei Fernandez war Alles möglich. Die Gelegenheit eines Gelages benutzend, an welchem die ersten Oificiere und Notabilitäten des Landes Theil nahmen und bei welchem dem Bachus reiche Opfer gebracht wurden, wusste er den Präsidenten dahin zu bringen, dass er ihn — man wollte es kaum glauben — vor Zeugen als »gebornen Bolivianer« erklärte. Ganz Bolivia lachte. Acha schien noch immer nichts zn merken, aber seine Frau, von der man behauptete, dass sie das Regiment führe und die sich hier den Spottnamen einer Madempiselle de Montpensier erworben hatte, kam hinter den Schwabenstreich und soll Agreda, den kleinen tapfern General, von dem sie überzeugt war, dass er keine Gelüste nach dem Präsidentenstuhle trug, gerufen haben, damit er ihren Mann überwache. Dieser folgte dem Ruf, theils um wieder in Thätigkeit zu kommen', theils wol auch, um für Cördova besser arbeiten zu können. Endlich glaubte Fernandez, dass es geeignete Zeit sei, loszuschlagen. Unter dem Vorwande, eine Bewegung in Chttquisaca zu .unterdrücken, die von seiner Partei absichtlich angezettelt war, eilte er nach dort, stellte sich an die Spitze derselben und versuchte (wie Pom-pejus) die Senatoren für sich zu gewinnen. Aber die Frau Präsidentin war schlauer als er. Agreda wurde ihm schleunigst nachgeschickt; es kam vor der Stadt zum Treffen, in dem die revolutionäre Partei eine voll-standige Niederlage erlitt (ein Sohn Agredas fiel hierbei); und Fernandez, welcher sich klugerweise nicht am Kampfe betheiligt hatte, sondern in Chuquisaca geblieben war, musste Fersengeld geben. Er floh nach seiner Heimat, der argentinischen Republik, in der er wahrscheinlich nicht wie Linares in Dürftigkeit gestorben sein wird. So hatte sich das Schicksal des römischen Triumvirats doch auch hier abgespielt. Acha, der Cäsar, war Dictator! Die Wtith der Pazenos stieg aufs Höchste und machte sich in Schmähschriften und Drohungen gegen den Präsidenten Luft, um ihn zum Abdanken zu zwingen. Als diese nichts fruchteten, wurden allerwärts wieder Empörungen in Scene gesetzt, die den Präsidenten zu einem fortwährenden Wanderleben nöthigten, aber auch ohne Erfolg blieben. Er hatte keine ruhige Stunde mehr und würde, in der That abgedankt haben, wenn es seine Frau zugegeben hätte. Des widerlichen Treibens der Pazenos endlich satt, verlegte er seine Residenz Mitte 1862 nach Cochabamba und liess die Dinge gehen, wie sie wollten. La Paz verlor dadurch an Bedeutung und man hörte nur noch einen Ruf: »Nieder mit dem Cochabambino!« Man berieth, ob man Belzu zurückrufen solle, der an der Küste hierauf nur wartete, oder ob man eigene Gewalt gebrauchen solle. Man entschied sich für letzteres. Es wurde eine sogenannte Acta gegen Acha abge-fasst, in welcher ihm ein ganzes Sündenregister in den beleidigendsten, aufreizendsten Worten vorgeworfen und zugleich zur Contribution für die Bildung eines neuen Heeres aufgefordert wurde, welches ihn unterwerfen und das Land von der »Plage« befreien sollte. Als die nöthige Summe durch freiwillige Beiträge nicht zusammenkam, wurde die Contribution obligatorisch. Alle waffenfähige Männer bis zum 50. Lebensjahre wurden ohne Unterschied ausgehoben, die Jüngern in das neue Heer gesteckt, die altern für die Reserve und zur Sicherheit der Stadt bestimmt. Es konnte nicht anders sein, als dass die Gebildetem so viel Ekel gegen die wahnsinnigen Umtriebe empfanden, dass sie entweder die Stadt verliessen, oder, wenn dies nicht mehr möglich war, die grossesten Opfer brachten, um den Provo-cationen nur so schnell wie möglich ein Ende zu machen. Das neue Heer war zu 1300 Mann herangewachsen und gut bewaffnet. Ein früherer noch nicht alter General, Namens Perez, welcher sich bis dato zwar noch mit keinem Ruhm bedeckt hatte, auf dessen Feldherrn- talent aber alle Augen mit Vertrauen blickten, bekam den Oberbefehl und die Zusicherung der Präsidentschaft, sobald er den Gegenstand des Aergers beseitigt habe. Doch man wusste besser, dass schon andere würdigere Individuen mit dem Präsidententhrone liebäugelten; Perez war nur die Vogelscheuche. Wieder ungeheurer Enthusiasmus! Man nannte Perez nur den Bayard, den Ritter ohne Furcht und Tadel, den Retter der bedrohten Ehre u. dgl. m. (Die Bolivianer sind stark in Vergleichen!) Zum Glück oder vielmehr zum Unglück hatte Acha die ganze Artillerie (20 Kanonen Feldgeschütz!) in der Festung Oruro zurückgelassen. »Im Triumph wurde diese nach La Paz geführt, um zunächst damit zu üben. Die alten Militärs schüttelten die Köpfe: »wenn das Spielzeug nur gut bekommen wird!« Aber laut durfte man derartige Bedenken nicht werden lassen. Das Rüsten und Exerciren musste schnell geschehen. Nach kaum vier Wochen hielt der Oberbefehlshaber die Ausbildung der jungen Soldaten für genügend. Was daran noch fehlte, ersetzte ihr Muth und seine persönliche Führung; auch rechnete er hauptsächlich auf die Hülfe einiger alten Soldaten. Ein stolzeres Heer hatte La Paz noch nicht gesehen. Die Officiere, meist Söhne vornehmer Familien, sprengten auf edeln Rossen und in eleganten Uniformen die Front auf und ab, und selbst der gemeine Soldat bot den nicht gewöhnlichen Anblick sauberer und vollständiger Bekleidung und einer fast übermässigen Bewaffnung. Armer Acha! Man rechnete stark darauf, dass er sich beim blossen Anblick dieses Fleeres ergeben würde. Mosshacli, Bolivia. <. Im obersten Kriegsrath wurde beschlossen, den Präsidenten nicht erst herankommen zu lassen, sondern, wie es Kriegern geziemt, ihm im offenen Felde zu begegnen; er sollte La Paz durchaus nicht wieder sehen! Mit klingendem Spiel und strahlend in der jungen Morgensonne rückte daher das begeisterte Heer aus La Paz gegen Cochabamba. Der Präsident Acha empfing die Nachricht von diesen Vorgängen mit bedenklichem, zaghaftem Herzen; denn mit Reiterei und Infanterie, die ihn begleiteten und wenigen Soldaten, die in der Nähe zu erreichen waren, konnte er kaum 700 Mann zusammenbringen. Seine Frau hatte desto mehr Muth. Vertrauend auf die kleine aber geübte Truppe und auf die Tapferkeit der Anführer, ging sie ihren Mann hart an, sofort gegen La Paz aufzubrechen. In der That hatte er ausser Agreda zwei Generäle, Villegas und Melgarejo, die schon oft ihre Geschicklichkeit, Besonnenheit und ihren Muth bewiesen hatten und jetzt nur über die Botschaften lachten, die ihnen von La Paz, selbstverständlich mit Uebertreibungen, zugingen. Sic ermutbigten den Präsidenten und machten sich sogar anheischig, die Kanonen, vor denen jener so grosse Furcht hatte, in fünf Minuten zu erobern. Fast zu gleicher Zeit mit den Pazenos rückte daher auch Acha aus Cochabamba aus und es war anzunehmen, dass beide Heere in der Nähe von La joya, eine Tagereise von meinem Wohnorte Chacarilla zusammentreffen würden. Wie gewöhnlich durchstreiften Wochen lang vorher Vagabunden in alten zerlumpten Uniformen die Gegend, um Pferde und Fourage für das Heer von La Paz zu reqtiiriren (oft diente dies ihnen nur zum Vorwande) und einige dieser angeblichen Soldaten waren sogar bis Chacarilla gekommen, wo sie sich mit dem Correjidor und Friedensrichter in Verbindung setzten, die ihnen bereitwillig entgegenkamen. Auch letztere waren von La Paz aufgefordert, überall, selbst in den Gruben zu recrtitiren, was ich nach Kräften dadurch verhinderte, dass ich die Arbeiter der Mischrace nur des Nachts anfahren liess. Von den indianischen Bergleuten, die fast alle nebenbei noch Ackerbau und Lamazucht treiben, nahmen viele Urlaub, um auf ihren Estancias die Feldfrüchte zu verbergen. Eines Tages kam mein Hausdiener mit der Nachricht, zwei Soldaten hätten ihm meine Pferde beim Tränken weggenommen. Die ersten besten Arbeiter wurden sofort nachgeschickt und das Glück wollte, dass kurz zuvor wieder ein Trupp Indianer abgegangen war, welche die Pferde erkannten und die Zeichen der Nachkommenden verstanden. In ein paar Stunden waren nicht allein, die Pferde, sondern auch die Diebe zurückgebracht, welch' letztere das Requisitionsgeschäft selbstredend nur zum Wohle des Landes zu betreiben vorgaben. Es gewährte mir ein ganz besonderes Vergnügen, die Landstreicher in die Grube zu stecken und sie durch die sehr nützliche Beschäftigung des Haspelziehens auf andere Gedanken zu bringen. Den Erkundigungen zufolge, die ich über die Stellung der beiden feindlichen Heere weniger aus Neugierde, als aus Besorgniss um einen Freund ein- 9 * gezogen hatte, welcher ebenfalls unter den Fahnen des Bayard's als Officier dienen sollte, stand Perez am Desaguadero und Acha in Oruro. Ich eilte mit zwei Bekannten nach La Joya. Wir ritten den ganzen Tag ohne mehr zu sehen als requirirende Soldaten, von denen wir auch nichts Näheres ermitteln konnten. Zu Nacht blieben wir in der Estancia eines Indianers, den meine Reisegefährten als compadre (Gevatter) begrüssten. Hier erfuhren wir, dass die beiden Heere kaum ein paar Stunden von einander bei dem kleinen Indianerdorfe San Juan lagerten. Ohne Zweifel musste am folgenden Tage eine Begegnung stattfinden. Meinen Freund noch in der Nacht aufzusuchen, scheiterte an der Unerbittlichkeit des compadre, der aus Furcht vor den Kugeln der Wachtposten uns nach dem Lager zu führen sich weigerte. Am andern Morgen begleitete er uns. Wir ritten in der Richtung auf San Juan. Nach Verlauf einer Stunde gelangten wir auf eine Anhöhe, hinter welcher der Wind uns ferne Trompetensignale und das eigen-thümliche Geräusch marschirender Truppen entgegentrug. Noch ein paar Minuten und das weite Thal von San Juan, mit der kleinen ärmlichen Ortschaft in der Ferne, lag vor uns. Wo sonst friedlich und abgeschieden von aller Welt der Indianer seine Lamas hütete und Heerden Vicunas unbesorgt vor Nachstellung weideten, rollten heute Kanonen, stampften Schlachtrosse, glänzten Waffen und wirrten unzufriedene blutgierige Menschen durcheinander, bis war das so viel gepriesene Heer von La Paz, welches sich eben in Schlachtordnung aufstellte. Da meine Reisegefährten nicht weiter zu bewegen waren und ich einsah, dass es jetzt zu spät war, um zu meinem Freunde zu gelangen (was hätte es auch genützt?), so blieben wir hier und in der That hätten wir keinen bessern Punkt finden können. Wir stiegen ab, banden die Pferde zusammen und bekamen vollauf zu sehen. Mitten im Thale war die Artillerie als Centrum postirt. Auf dem rechten Flügel, der sich in stumpfem Winkel anschloss, stand ein Theil der Infanterie, in dem sich nach Aussage meiner Begleiter fast nur alte gediente Soldaten befanden, die bestimmt zu sein schienen, die erste Attaque aufzunehmen. Den linken Flügel, die gerade Verlängerung der Artilleriefront, bildete das eigentliche Gros der Infanterie mit den Recruten, die noch durch berittene Manrischaften im Rücken und in der Flanke gedeckt wurden. Der grössere Theil der Ca-vallerie war zum Recognosciren den feindlichen Truppen entgegengeschickt. Ich habe nie ein Feldherrntalent in mir verspürt, aber so viel sah ich doch, dass die Artillerie hier nicht am rechten Orte war, sondern dass sie vortheilhafter auf den gegenüberliegenden Höhen aufgestellt und hiernach alles Uebrige angeordnet wäre. Aber meine Begleiter belehrten mich, dass die Kanonen nicht weit trügen, von ungeübten Soldaten bedient würden, die der Deckung selbst bedürften und dass sie im Thale ebenso gut zur Wirkung kämen, da Acha gar keine Artillerie, sondern fast nur Reiterei habe, die die Geschütze leicht von den andern Truppen abschneiden könnte. Indem wir so die Wahlstätte musterten und ich vergebens eine Gestalt mit dem Fernrohre suchte, die mein Freund hätte sein können, kamen mehrere Soldaten desselben Wegs, den wir gekommen. Sie trieben ein paar Esel mit Stroh vor sich her, welches ihnen wahrscheinlich als Nachtlager diente. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich unter ihnen auch die beiden Pferdediebe entdeckte, die ich noch am Haspel in der Grube glaubte. Der eine derselben, ein junger Kerl mit frechem Chologesichte, erkannte mich, liess seine Begleiter halten und erzählte ihnen, zitternd vor Wuth, die empörende Geschichte seiner Herabwürdigung zu den niedrigsten Arbeiten eines gemeinen Indianers. Dann schlug er, zu mir gewandt, einen hochtrabenden Ton an, dass er, Alferez (Fähnrich) des berühmten General Perez, in wichtigen Aufträgen ausgeschickt, aber durch mich behindert sei, zur rechten Zeit beim Heere einzutreffen. Mit erhobener Stimme befahl er schliesslich den übrigen Soldaten (es waren zusammen neun Mann) mich zu ergreifen und ins Lager zu bringen, während er selbst höchst verdächtig sich meinem Pferde näherte. Doch ich hatte inzwischen unter meinem Poncho das Fernrohr mit dem Revolver vertauscht und rechnete ihm vor, indem ich ihn in die Mündung sehen liess, dass sechs von neun nur noch drei bleiben. Das schien ihm und den andern einzuleuchten, um so mehr, als sie selbst keine Schusswaffen führten. Nachdem mir der Alferez nach dem Siege des berühmten General Perez noch eine Visite in Chacarilla in Aussicht gestellt-hatte, die nicht sehr erfreulicher Art zu werden versprach, zogen sie unter den landesüblichen Fluchen weiter und verloren sich, ehrfurchtsvoll die Nähe der Bataillone meidend, zwischen dem Train. Der Revolver ist der beste Freund in Amerika! Durch diesen Zwischenact, welcher meine Aufmerksamkeit nach zwei Seiten theilte, war mir eine Verände- rung der Aufstellung entgangen, die in Folge heransprengender Reiterei und wie es schien durch ein falsch verstandenes Commando hervorgerufen sein musste. Unsere Blicke waren an die uns schräg gegenüber liegenden Hügel gefesselt, hinter welchen eine Cavallerieabtheilung nach der andern auftauchte und direct in die Ebene herabritt. Sie gehörten zu dem Heere von Berez, unmittelbar darauf folgten aber schon die Hüsares und Carabineros des Präsidenten. In der Aufstellung war wieder Ordnung. Perez selbst, erkennbar an einem prächtigen Schimmel, stand mit seiner Suite auf der Verlängerung unseres Hügelrückens; alles machte sich zum Angriff fertig. Die ersten Reitertrupps zogen sich zwischen Centrum und linken Flügel hinter die Front, den zweiten gab man Zeichen auf den rechten Flügel zu reiten und als die dritten nahten, glaubten die Re-cruten, es sei schon feindliche Reiterei; sie stürmten vor und wollten eben Feuer, geben, als sie ihren Irrthum noch bei Zeiten gewahrten. Doch dieser war den Anführern der nacheilenden Carabineros nicht entgangen. Sofort änderten sie ihre Richtung auf den rechten Flügel und nahmen dafür den linken Flügel an, so dass dieser immer mehr zwischen sie und das Centrum kam. Noch ehe jene auf kaum tausend Schritt heran waren, wurden die Kanonen gelöst. Einige der braven Kanoniere hatten zu tief gezielt und auf ihre eigenen Leute,, die Recrtiten geschossen, andere hatten die Läufe zu hoch gerichtet und die Geschosse weit über die Köpfe der Carabineros hinweggeschleudert. Nach diesem ersten faux-pas, der im linken Flügel nicht geringe Bestürzung hervorrief, gab letzterer doch eine Salve ab, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Die Carabineros wichen einen Augenblick zurück, die Recruten stürmten wieder vor, bekamen aber von diesen und einer mittlerweile herangekommenen grössern Reiterabtheilung eine höchst empfindliche Rücksalve, wurden umschwärmt und vom Centrum abgeschnitten. Da schwenkte der rechte Flügel, um ihnen zu Hülfe zu kommen, doch zu gleicher Zeit brach dort, zwar noch weit, das Gros der feindlichen Reiterei hervor, welches ihnen in den Rücken zu fallen drohte. Alles schrie ihnen ein »Halt« zu. Zögernd, was sie beginnen sollten, blickten sie ängstlich bald rechts auf die nahende Gefahr, bald links auf die Kanonen, denen sie auch nicht viel zu trauen schienen. Ihr Instinct leitete sie endlich hinter die Front der letztern. Inzwischen hatten die Kanoniere wieder geladen und hätten längst abfeuern können, wenn der rechte Flügel in seiner ursprünglichen Stellung geblieben wäre. Abermals ertönten die Kanonen, abermals flogen die''Kugeln über die jetzt schon nahe Reiterei. Dann folgte, noch ehe sich der Rauch verzogen hatte, eine Gewehrsalve der Infanterie und im festen Glauben, dass beide Feuer den Feind zurückgeschreckt haben würden, da er nicht antwortete, ritt jetzt die Reiterei zum Ein-hatien vor. Aber wie hatten sich die Armen getäuscht! Der Feind blieb die Antwort nicht schuldig und aus dem Pulverrauche ragten dicht vor ihnen die Lanzenspitzen der Lanzeros, die sich alsbald senkten, um ihnen Tod und Verderben zu bringen. Wir konnten ganz deutlich sehen, wie kaum siebzig Lanzeros sich auf die Kanoniere warfen, die eben wieder luden; in fünf Minuten waren sänuntlichc Kanonen erobert. Die Generäle des Präsidenten hatten ihr Wort eingelöst. Die alten Soldaten des rechten Flugeis versuchten gar keinen Widerstand, sondern nahmen sammt ihrer Cavallerie Reissatts, während sich die Recruten des linken Flügels trotz der blutigen Metzelei, die sich zwischen ihnen und den Carabineros entsponnen hatte, wirklich tapfer vertheidigten. Als sie aber die völlige Auflösung ihrer Combattanten bemerkten, überfiel auch sie ein Schrecken, der mehr als panisch war. Viele warfen die Gewehre weg und gesellten sich zu den alten Soldaten, die auf sie zugerannt kamen. Hier stopfte sich die Bewegung und es schien als wollte man sich nochmals zu einem Versuch der Vertheidigung sammeln, aber die Reiter des Präsidenten liessen den Wankenden keinen Augenblick Ruhe, sondern hieben und stachen so unbarmherzig auf sie los, dass sie endlich die Flucht ergriffen. Wie eine Heerde aufgeschreckter Schafe nach ihrem friedlichen Stalle, so eilte das Heer der Pazenos in wilder Verwirrung in der Richtung nach La Paz zu und nur wenige, die von ihnen abgeschnitten waren, retirirten athemlos an uns vorüber und verschwanden in westlicher Richtung. Wahrend des Treffens waren auch ein paar Compagnien Infanterie des Prä-sidenten herangekommen, die den Fliehenden noch einen Kugelregen als Abschied mit auf den Weg nach La Paz gaben. Der Schimmel des berühmten General Perez war schon längst nicht mehr zu sehen; er hatte seine tlieure Last bei Zeiten in Sicherheit gebracht. Entsetzlich war der Anblick der bis zur thierischen Wuth gesteigerten Verfolgung. Zu Dutzenden wurden die Besiegten niedergeritten und niedergemetzelt. Es herrscht hier die traurige Gewohnheit, dass man den siegenden Truppen freies Spiel zum »Niedermachen« gewahrt, gleichsam als läge hierin eine Anerkennung - i3S - und Belohnung ihrer Tapferkeit. Dass dabei oft mehr Opfer fallen als im Kampfe selbst, ist leider Thatsache. Auch Achä, der jetzt, gefolgt von mehreren Officieren und sogar in Begleitung seiner tapfern Ehehälfte auf dem Schlachtfelde erschien, verhinderte die mörderische Verfolgung erst nach längerer Zeit, vielleicht auch nur, damit sich seine Truppen nicht zu weit zerstreuten. Oder sollte dieses Schauspiel der »Mademoiselle« besonders gefallen haben? Das Schlachtfeld selbst bot ein Bild des Jammers. Zu Hunderten lagen Todte umher und wanden sich verwundete Menschen und Pferde; zu Hunderten wurden Gefangene nach San Juan in das Hauptquartier abgeführt. Die später amtlich festgestellte Anzahl von nahe vierhundert Todten und Verwundeten beider Seiten (also fast 20 Procent!) sagt besser als Worte, wie blutig die dortigen Parteikampfe im Vergleich zu den blutigsten Schlachten sind, die je in Europa geschlagen wurden. Das Schicksal meines Freundes zu erforschen, lag mir zunächst am Herzen und da auch meine Begleiter manchen Bekannten im Heere von La Paz zählten, so beschlossen wir nach San Juan zu reiten und Erkundigungen einzuziehen. Ein Ritt über das Schlachtfeld! Schon der Gedanke ist hässlich. Dort standen einsam und verlassen die Kanonen, um die sich noch vor kaum einer Stunde die siegesgewissen Schaaren tummelten. Und jetzt? Das Spielzeug war doch zu gefährlich! Eine Patrouille kam uns entgegen, fragte nach un-serm Begehr und begleitete uns; man hielt uns für Spione. In San Juan ging es bunt zu. Trinkende Soldaten, Haufen von erbeuteten Gewehren, Säbeln und Sätteln, kochende, waschende und verbindende Rabanas, Verwundete und Gefangene mit bleichen ängstlichen Gesichtern, zusammen gekoppelte Pferde, alles lag, stand oder bewegte sich staub-und blutbedeckt durcheinander und grttppirte sich zu einem widerlichen Ensemble. Zunächst in die Wache geführt, wo mehrere Officiere mit Geldzählen beschäftigt waren, wurden wir dem Präsidenten gemeldet und vorgelassen. Achä sass vor der Thür eines elenden Lehmhauses neben ein paar Civil-personen, die ihn vielleicht schon von Cochabamba begleiteten. Vor ihm stand sein General Melgarejo. Ich musste unwillkürlich an den längst vergessenen Linares und an seine Worte in Pontezuelo denken: Wer wird Achä nun stürzen? — Wir begrüssten ihn, gratulirten ihm zum Siege und trugen unser Anliegen vor. Achä hatte in den drei Jahren, in denen ich ihn nicht gesehen, merklich gealtert. Nachdem er uns mit der Lorgnette betrachtet (er war sehr kurzsichtig), erinnerte er sich meiner von La Paz und dem S.'schen Hause aus. Dann mussten wir die Namen unserer Freunde nennen, die er zuvorkommend notiren und einem Officier mit dem Befehle übergeben liess, sofort Nachforschungen anzustellen. In der Zwischenzeit drehte sieb das Gespräch natürlich um das heutige Treffen und um die Pazenos, über die der Präsident sehr erbittert sich aussprach. Der Officier kehrte mit der freudigen Botschaft zurück, dass weder unter den Verwundeten noch Gefangenen einer der Genannten sei und da sie alle selbst Officiere und gut beritten waren, so Hessen wir die Todten ruhen und nahmen gleich dem Präsidenten an, dass sie mit heiler Haut davon gekommen seien. So war es in der That. Wir ritten direct nach Chacarilla zurück. Bei dem Indianerdorfe Curaguarra holten wir mehrere flüchtige Soldaten ein, die Waffen und Mützen weggeworfen und alte Ponchos umgehängt hatten. In den Fänschnitten der kleinen trocknen Flussbetten entlang schleichend, mieden sie ängstlich die Ortschaft; denn auf Auslieferung von Flüchtlingen sind stets Belohnungen gesetzt und hier wohnte ein geflüchteter Correjidor, der nach der Schlacht von San Juan natürlich sofort wieder auf der Seite des Präsidenten stand, schon der Belohnungen wegen. Ihr Streben war jetzt, unbemerkt über die Grenze nach Peru zu gelangen. Aber wie müssen sich die Unglücklichen durchschlagen! Selbst wenn ihnen noch ein paar Reale in der Tasche klingen, so können sie diese doch nur selten verwerthen; denn auch die Indianer, die so oft von den Soldaten betrogen werden, gehören nicht zu ihren Freunden. Von Hunger und Kälte in den Cordilleren geplagt, dürfen sie mir auf die Barmherzigkeit der Bewohner der kleinsten Estancias rechnen. In Chacarilla kamen wir spät in der Nacht an. Den andern Morgen durchsuchten der hiesige Correjidor, Alcalde und Friedensrichter alle Winkel des Ortes. Der gefürchtete College des ersten war auf seiner «Suche« sogar schon von Curaguarra bis hier vorgedrungen und liess sich bei mir anmelden. Aber ich errieth seine Absichten; ich nahm ihn nicht an, sondern besuchte zunächst die Grube, um etwaige Flüchtlinge vor den Nachstellungen der Menschenjäger zu sichern. Ich glaubte fast an Hexerei, als ich dort unter drei bis vier fremden Gesichtern auch wieder das des Alferez erkannte, obschon er es mit Pulverstatib schwarz gefärbt hatte. So gross war seine Furcht vor der Gefangennahme unterwegs, dass er es vorzog, zur Grube zurückzukehren und sich selbst zu den niedrigsten Arbeiten eines Indianers herabzuwürdigen! Eine Aufklärung unseres gestrigen Zusammentreffens bei San Juan zu erlangen, war unmöglich; er blieb bei seiner Aussage, dass er direct von La Paz gekommen und dass jener Pferdedieb wahrscheinlich sein Bruder sei, der ihm sehr ähnlich sehe. Sein Fehlen in der Grube während der letzten zwei Tage entschuldigte er mit Krankheit. Dieser unverschämten Lüge wegen sollte er bestraft werden. Sie gab indessen Veranlassung zu einem komischen Intermezzo, das ich der Curiosität wegen nicht unerwähnt lassen will. Es war voraus zu sehen, dass die oben bezeichneten Unterbeamten mich um Durchsuchung der Grube angehen würden. Ich theilte dies den Grubensteigern mit, die geborene Feinde jener sind und befahl ihnen, die Flüchtlinge zu verbergen, jedoch dem Alferez ein besonderes Versteck anzuweisen, über welches wir bald einig wurden. Ich fuhr wieder aus und, siehe da, schon auf dem Wege begegnete mir die ganze Clique mit ihren lla< uten. Sie wollten dem fremden Correjidor zuvorkommen. Höflich und geschmeidig, wie diese Schelme stets sein können, wenn es die Verhältnisse und ihr Nutzen erheischen, brachten sie ihre Bitte vor mit dem Bemerken, dass sie nur im speciellen Auftrage und im Interesse Seiner Excellenz, des Präsidenten Achä handelten und dass sie ein Gleiches von mir voraussetzten. Ich lobte ihren Diensteifer und erbot mich, sie zu führen, was sie dankbar annahmen. Sämmtliche Ausgänge der Grube wurden mit den Ilacaten besetzt, zu deren Be aufsichtigung der Alcalde zurückblieb (dieser wagte sich ohnehin nicht in die Grube), die beiden andern bekamen Lichter und fuhren mit mir an. Das war keine leichte Arbeit. Der Correjidor, gross und dick, zwängte sich schweisstriefend durch die engen Strecken, der Friedensrichter, lang und dürr, stiess jeden Augenblick an sein theures Haupt. Endlich waren wir in dem HaUpt-gewinnungsorte, dreihundert Fuss tief, angelangt. Wir ruhten dicht bei dem Versteck des Alferez aus, welcher förmlich eingemauert war und liessen die Steiger kommen. Nach einer langen und breiten Verhandlung über die Auslieferung der Flüchtlinge, von welcher der Eingemauerte jedes Wort verstehen musste, begaben sich die gewissenhaften Beamten etwas weiter in die eigentliche Arbeit, während ich allein zurückblieb, um mein Licht zu ordnen. Indem ich dieses an die Mauer hing, fielen mehrere Bergstücken aus derselben und entblössten das Gesicht des Alferez, auf dem sich eine Todesangst abmalte, wie ich sie nicht schrecklicher auf dem Schlachtfelde von San Juan sah. Mit gefalteten Mauden bekannte er jetzt seine Lüge und flehte mich im Namen aller Heiligen um Schutz an. Die Strafe war hart, aber gerecht. Der arme Teufel glaubte, ich habe ihn nur durch Zufall entdeckt. In wenigen Augenblicken war er wieder eingemauert und ich bei den Menschenjägern. — Wie ich sehr bald merkte, hatten die Berghäuer, von denen hier nahe an zwei Dutzend mit Bohren beschäftigt waren, mit dem Abfeuern ihrer Schüsse absichtlich bis zu unserer Ankunft gewartet. Es wurde das bekannte Zeichen gegeben, wir zogen uns zurück und anstatt der üblichen vier bis fünf Schüsse entluden sich mehr als fünfzehn fast zu gleicher Zeit und mit einem donnerartigen Gekrach, dass die ganze Grube wie in einem Erdbeben erzitterte. Der Luftdruck hatte sämmt-liche Lichter ausgelöscht und den dicken Correjidor zu Boden geworfen. Kaum waren erstere wieder angezündet, so erscholl ein warnender Ruf vor einbrechenden Gesteinswänden, zugleich hiess es, die Wetterthür brenne. Man schrie nach Wasser. Die Bergknappen tauchten aus dem Pulverrauche wie Kobolde aus dem Pfuhl der Hölle und der Correjidor und Friedensrichter krochen ängstlich in ein Rollloch. Dass es sich hier nur um einen verabredeten Scherz handelte, lag auf der Hand; denn wir waren weder durch Wände bedroht, noch brannte die Wetterthür, aber es ging alles so schnell, dass ich keinen Einhalt thuu konnte. Im Nu waren ein paar Schläuche mit Wasser da, deren Inhalt sich rauschend über die Köpfe der Verkroohenen ergoss, die schreiend und wie gebadete Katzen aus ihrem Sehlupfwinkel wieder hervorkrochen und kein Verlangen mehr trugen, die Grube noch weiter zu untersuchen. Ein anderes Mal hätte ich solchen Unfug nicht ungestraft vorüber lassen dürfen, in diesem Falle musste ich ihn übersehen. War er doch eine heilsame Lehre für die Habgierigen, die noch vor wenigen Tagen vielleicht dieselben Menschenleben dem Heere von La Paz * zugeführt hatten, die sie jetzt verrathen und dem Unglück preisgeben wollten. Geläutert durch die Luft-, Feuer- und Wassertaufe fuhren sie wieder mit mir aus der Grube. Auf der Halde begrüsste sie der mehrerwähnte College, der hier gleiche menschenfreundliche Absichten zu verfolgen gedachte, aber durch die Erzählungen der Mitgespielten und durch die noch sichtbaren Spuren des nassen Elementes eines Bessern belehrt wurde. Schelmisch flüsterte er ihnen unser auch hier gebräuchliches Sprüchwort in die Ohren: Algunos van por lana y vtielven trasqui-lados (Mancher geht nach Wolle aus etc.), welches sie später noch oft hören mussten. Die Flüchtlinge waren gerettet. Einige Tage darauf zogen sie, mir nochmals dankend und mit etwas Geld nach der Küste. Nur der Alferez verschwand, ohne Adieu zu sagen. Nach der Schlacht bei San Juan hatte der grössere Theil der Ueberreste des Perez'schen Heeres La Paz wieder erreicht. Achä war ihnen- gefolgt, zögerte aber, wie gewöhnlich, sich sofort auf die Stadt zu werfen, da er der Hoffnung lebte, dass die Pazenos endlich ihre Feindseligkeiten einstellen und seinem Regimente sich fügen würden. Er sammelte seine Truppen wenige Leguas vor La Paz bei der kleinen Stadt Viacha, die schon öfter Schauplatz kriegerischer Ereignisse gewesen war und als Ressource für eine Pelagerung der Hauptstadt sehr günstig auf dem Hochplateau gelegen ist, das hier durch ein tiefes Thal nach Osten abgegrenzt wird. In diesem Thale liegt La Paz, überragt von den mehr als tausend Fuss hohen Felsenwänden des sogenannten Alto, auf welchem Acha sich festgesetzt hatte. Die Pazenos dachten nicht daran, sich zu ergeben. Noch in derselben Nacht, in der sie eingezogen waren, wurden die Brücken und sonstigen Zugänge der Stadt zerstört. Abermals wurde berathen, ob man Belzu rufen oder sich selbst vertheidigen solle. Letzteres wurde vorgezogen und ein gewisser Montalvo mit den Befestigungsarbeiten der Stadt betraut. In der Conscription griff man bis in das sechzigste Lebensjahr zurück und da es noch immer an wehrhaften Männern fehlte, nahm man Zuflucht zu den Indianern. Tausende von Armen wurden in Bewegung gesetzt, um Luftziegel zu streichen und Barrikaden in den Ausgangsstrassen zu errichten? das Strassenpflaster wurde aufgerissen und daraus das passende Wurfmaterial (zwei Pfund schwere Steine) für die Schleudern, die gefürchteten Waffen der hiesigen Indianer, gesammelt, unterirdische Gänge wurden mit Pulver gefüllt; überall sah man die grosse dicke Figur Montalvo's, der mit unermüdlichem Eifer und einem wahren Meistertalent alles anordnete und La Paz in vierzehn Tagen zur gefährlichen Festung umschuf. Das kostete wieder grosse Summen; aber es wurde nicht danach gefragt. Acha, ein zweiter Fabius Cunctator, wie ihn seine eigenen Officiere schmeichelhaft zu nennen pflegten, liess