Sonderabdruck Kublin Siegmund, Weltraum, Erdplanet und Lebewesen. Eine dualistisch- kausale Welterklarung. 2. Aufl. Mit dem Bilde des Verfassers. Dresden 1906. Pierson. IX und 140 S. 8°. — Der Verfasser, der bei seinem geschaftlichen Berufe jedenfalls nur ein bescheidenes Ausmafi von Zeit und Mufie seinen wissenschaftlichen Liebhabereien widmen kann, beschaftigt sich mit diesen Problemen schon seit zwanzig Jahren. Die Erkenntnisse, die er dazu mitbringt, verdankt er «Inspirationen», die er aus «den Leiden der Lebewesen» empfangen. — VVie der Titel andeutet, ist es ein Werkchen, in welchem der Verfasser sein universalistisches Glaubensbekenntnis niederlegt, zu vvelchem ihn das Mitleid mit der Demiitigung der Menschheit allmahlich gefiihrt hat. — Alle Erscheinungen der menschlichen Gesellschaft, ihre Ziigellosigkeiten, deren die geschichtlich verantvvort- lichen Staatslenker nicht Herr werden konnen, stehen im Zusammenhang mit den Umvval- zungen im Weltall. — Die Krafte, die anf unseren Erdplaneten einwirken, aufiern sich im grofien wie im kleinen; was da lebt, fleucht und kreucht auf Erden, bildet mit dem Pla¬ neten eine Einheit, und den Wirkungen, denen der grofie Korper ausgesetzt ist, kann sich auch die Welt der Lebewesen, als ein Stiick der Planeten, nicht entziehen, oder wie er an einer Stelle, S. 6, sagt, die eigentliche Urheberschaft der unabwendbaren erschiit- ternden Tragik der Lebewesen ist nicht in ihnen, sondern aufier ihnen zu suchen. Dieser Urheber ist der Planet, seine Schicksale, seine Bewegungsungleichheiten im Raume. — Das ist der Grundgedanke der Arbeit. Uns geht zunachst das erste Hauptstiick an, der I. Teih Uber die gemeinsamen Ursachen der Erdbeben, vulkanischen Eruptionen, geolo- gischen Transformationen, sowie die Variabilitat der Sonnenflecken und Protuberanzen. Die eigentliche Ursache dieser Erscheinungen sind die kleinen Schvvankungen der Erd- kugel inmitten ihrer machtigen Zentralrotation. Diese Schwankungen aber sind die Wirkungen der Attraktion der Sonne, noch mehr aber des Mondes, besonders bei seinen wiederholten Durchquerungen des Aquators. — Die labilen Bestandteile im Innern des Pla¬ neten, vvelche mitrotieren, werden durch diese Schvvankungen beeinflufit, stauen sich stellenweise, machen die feste Erdrinde erzittern und durchbrechen sie dort, wo sie nicht genug vviderstandsfahig ist, in der Gestalt von vulkanischen Ausbriichen. Diese Schvvan¬ kungen, vvelche der Verfasser schon vor 12 Jahren festgestellt hat, sind identisch mit den von Komiura und Albrecht genannten Schvvankungen der Pole. — Es mag an dieser Stelle, um die Prioritat fur den Verfasser zu sichern, festgestellt vverden, dafi er zuerst auf den Zusammenhang zvvischen den sogenannten Polschvvankungen und den Erdbeben hingevviesen hat, vvie dies auch aus den Korrespondenzen mit drei Fachgelehrten hervor- geht, die er im Sommer des Jahres 1902 gefiihrt hat, vvahrend Prof. Milne erst im Jahre 1900 auf dem Kongresse der Britischen Gesellschaft zur Verbreitung der Wissenschaften einen Zusammenhang zvvischen den Variationen geographischer Breite und der Anzahl heftiger Erdbeben feststellt und dies im November 1902 vviederholt. — Prof. A. Cancani, Abteilungs- vorstand des Meteorologischen Institutes in Rom, hat sich im vorigen Jahrgange unserer Zeitschrift, S. 49 u. ff., im Anschlusse daran mit dieser Frage beschaftigt. Er vervveist darauf, ■dafi zuerst Fergola auf dem Observatorium zu Capodimonte auf den Gedanken einer Varia- tion der geographischenBreiten kam und gleichzeitig in Berlin diese Variation auf 0’2 Bogen- sekunden ermittelt vvurde. Von da an hat man die Beobachtungen vermehrt und heute kann nicht mehr daran gezvveifelt vverden, dafi die Bevvegung des Poles der Rotationsachse spiralformig und komplizierter Natur sei. Seit 1898 vverden diese Beobachtungen mit grofiem Aufvvande an sechs Stationen angestellt, und man ist in der Lage, die Kurven fest- zulegen, vvelche der Nordpol der taglichen Rotationsachse seit 1895 beschrieben hat Der amerikanische Astronom Chandler hat aber auch gefunden, dafi nicht blofi die momentane Rotationsachse im Innern der Erde, sondern auch die Hauptachse eine Verschiebung 2 erleidet. — Gleichzeitig waren aber besonders italienische Beobacher tatig und darunter besonders Celoria. — Prof. Milne baut nun darauf seine Annahme, dafi heftige Erdbeben immer dann zahlreich auftreten, wenn die Abweichungen des Poles bedeutend waren. Cancani hat nun die Probe gemacht und hiefur solche Erdbeben ausgesucht, die in wenigstens vier Weltteilen registriert und zumindest auf zwei Antipodenstationen auf- gezeichnet worden sind. — Eine Zusammenstellung, die er gibt, wonach z. B. 1899 27 Welt- beben bei 0 - 72" Abweichung, 1900 nur 17 Beben bei 0'32" und endlich 1902 gleich 29 Beben bei 0'97" Abweichung des Poles beobachtet wurden, bestatigt die Anschauung des Verfassers, der die Erscheinung auch zu erklaren versucht durch die Stauungen, welche die Magmamassen im Innern bei den schwankenden Bewegungen der Erdachse er- fahren. — Durch diesen Erklarungsversuch schreitet er liber die beiden genannten For- scher hinaus. Wie schon angedeutet, nimmt dieser Teil der Ausfiihrungen des Verfassers einen verhaltnismafiig bescheidenen Raum ein. — Der grofite Teil des Werkes ist, wenn man so sagen soli, empirischer Naturphilosophie gewidmet, deren leitender Gedanke an Heraklid erinnert: juav-a pel; fur ihn gibt es keinen Fortschritt, kein «Aufwartssteigen», sondern nur Veranderung. Alles ist einer fortwahrenden Veranderung unterworfen; der zweite Gedanke aber ist, dafi die Ursache aller Wandlungen der Lebewesen nur in den Wandlungen des Planeten selbst zu suchen sei, dessen Schicksale aber auch die Schick- sale aller Lebewesen und damit auch der Menschheit bestimmen. Ein eigenes Vorvvort leitet zum III. und IV. Teil hinuber. Er gedenkt hiebei der IVandlungen, die sich in der Auffassung von den Ursachen der Ebbe und Flut vorbereiten, liber die er sich schon 1897 ausgesprochen. Er wiederholt ferner, dafi seine theoretische Erkenntnis von der Bewegungsempfindlichkeit des Planeten und ihrer Ursache — viele geologische und meteorologische Probleme der Erklarung naher bringen wird, sondern auch die Mittel enthalt, Form und Wesen der irdischen Welt und die Ursache ihrer Differenzierungen zu erforschen. — So beschaftigt er sich im III. Teil mit dem Weltraum und den Weltkorpern in ihrem Gegensatz und ihrer Verbindung, indem er die im Uni- versum waltenden dualistischen Beziehungen zwischen dem bevvegenden unendlichen immateriellen Weltraum und den bewegten endlichen materiellen Weltkorpern vorstellt. Diesen materiellen Weltkorper fafit er aber monistisch als eine vitale Einheit auf, an den jedes Ding, das grofite wie das kleinste untrennbar mit dem Geschicke des Gesamt- korpers gekettet ist. Es gibt keine «Attraktion»; Bewegung und Gleichgewichtsverhalt- nisse sind nur leidende Wirkungen des beharrenden, der absoluten Einheitlichkeit zu- strebenden Weltraumes, dessen Macht einer materiellen Betrachtung und Bedeutung sich ewig entzieht. Fur ihn sind die Bezeichnungen Gravitation, Attraktion nur Notbehelfe, welche die Erscheinung bezeichnen, ohne zugleich ihre Ursache zu ergriinden; darum bedient er sich dieser «Nominalismen», um verstandlich zu sein. — Im IV. Hauptstuclc, der Erdplanet und seine Elemente, geht er der wahren Ursache der Gezeiten nach; die bisherige Anschauung (welche von Strabo, Plinius iiber Kepler, Newton und Laplace Bernouilli heriiber in der Fluterscheinung eine Wirkung der Anziehung von Mond und Sonne erkennen will) wird vollstandig abgewiesen und die Gezeiten als eine Wirkung der Achsendrehung der Erde hingestellt; die Ozeane sind in tiefen Becken eingeschlossen, und bei der Rotation im Schwung der Erde nachgebend eilen die Gewasser die Rander voraus und steigen an den Kontinenten, die meridional ziehen, empor und fluten wieder zuriick; daher schwingen sie rund in 24 Stunden je zweimal ab und an, indem sie nach dem Beharrungsvermogen wahrend dieser Zeit um 50' spater eintreten; es ist ein rein zufalliges Zusammentreflen, wenn auch der Mond von einem fbderten Endpunkt im Ver- laufe seiner Bahn um 50' in 24 Stunden zuriickbleibt. Dieses zufallige Zusammentreffen hatte die Mathematiker verleitet, im Monde den Urheber der Gezeiten zu suchen. — Den indirekten Beweis fiir seine Anschauung fuhrt er, sich oft vviederholend, mit dem Hinweise auf die Erfahrung, dafi die Binnenmeere weder eine zeitliche noch eine Ver- spatungsiibereinstimmung mit Sonne und Mond zeigen; dafi die Fluten nach einer 3 Richtung gehen, ohne der Deklination des Meeres zu folgen, endlich dafi auch das Luft- meer, welches doch labilerware, mit der Erde mitrotiert, ohne sich von der «Attraktion» ablenken zu lassen. Ebensowenig richten sich die Gezeiten in ihrer Intensitat nach dem Monde; ja wenn sie dem Monde foigten, miifiten sie entsprechend seinen ver- schiedenen Stellungen auch die grofiten, mannigfaltigsten Verschiedenheiten aufweisen. Ebenso miifite sich auch die Richtung der Oszillation andern, die aber im allgemeinen ostlich ist; so steigt die Flut an der Westkiiste Englands auf 16 m, wahrend sie an der gegeniiberliegenden Ostkiiste der Insel Man kaum 2 m aufbaumt. Ubrigens konnen die Hafenzeiten nach der neuen Theorie ebensogut berechnet werden wie nach der alten; das Ubergangsintervall von 50' sei ja eine konstante, ob sie dieser oder jener Ursache entspringe. Der Verfasser fuhlt aber selbst, dafi diese Anschauungen noch weiterer Begriindung bediirfen. Er sagt, er begniige sich bekanntzugeben, was sein objektiver Blick in den kosmisch-tellurischen Vorgangen erspaht . . . und iiberlafit weitere Klar- legungen der Zukunft, ist aber iiberzeugt, dafi seine Idee nicht blofi erkenntnistheore- tisch, sondern auch praktisch Wert habe, weil sie Ausgangspunkte und Anhaltspunkte fur terrestrische, maritime und meteorologische Forschungen bilde. In seinem SchIufiwort kommt er, sowie dann in dem angehangten Kommentar zur zweiten Auflage, wiederholt auf schon Erortertes zuriick, beruft sich ferner immer auf seine schon vor zwanzig und sechzehn Jahren erschienenen Abhandlungen, wie es scheint, um sein Prioritatsrecht gegen- uber Milne und Cancani zu wahren. Die ubrigen spekulativen Ausfuhrungen seien hier nur angedeutet, ohne sie weiter zu priifen. Sein Lehrgebaude beruht auf dem Glauben an die Einheitlichkeit des Weltalis; dessen Macht setzt auch unser Sonnensystem in Bevvegung; die Atherwellen, welche die 8 Planeten umfluten und sich wie um die Schiffe auf einem Meere stauen und pressen, verursachen mit Sonne und Mond zugleich Storungen des Erdballes, der in seiner Bahn schwankt (Polschrvankungen). Diese Schwan- kungen teilen sich dem Erdinnern mit, bewirken die Erdbeben, diese Schwankungen aber sind auch die Ursache aller Differenzierungen der organischen (der Verfasser stellt das Erscheinen eines Werkchens «Metamorphosen» in Aussicht), ja zuletzt auch der sittlichen Welt, und an denen auch das Alter des Planeten mitwirkt. Daraus crgibt sich fur den Staat die Forderung, die Gegensatze auszugleichen, und es ist nicht unmoglich, denn (wahrscheinlich der Attraktion entsprechend) in dem allgemeinen planetarischen Chaos gibt es auch eine Aligemeinheit der Liebe im ganzen Reiche der organischen Natur, eine immanente Gabe, kein Verdienst ■— und der Staat vermag mit ihrer Hilfe die Gegensatze auszugleichen. So eroffnet der Verfasser doch einen einigermafien trostlichen Ausblick aus der dusteren Grausamkeit planetarischer Gezwungenheit in eine hellere Zukunft, durch Selbstzucht freien gottlichen Daseins. Es ist nicht zu leugnen, dafi Herr Kublin mit einem gewissen divinatorischen Blick sich in die Erscheinungen des Weltalls versenkt hat und wir glauben ihm gerne, dafi gerade der Anbiick der «ringenden Menschheit* ihn auf dem Wege der Analyse zu seinen endlichen universalistischen Ideen gebracht hat. Dafi seine Theorie der Erdbeben hinsichtlich ihrer »allgemeinen* Ursachen sich verfestigen diirfte, ist kaum zu bezvveifeln. In bezug auf die Gezeitentheorie steht er nicht allein; Beobachtung und Rechnung werden zu priifen haben. — Das Biichlein liest sich trotz der Wiederholungen gut, nur vermifit man eine feste Gliederung, was dem Ganzen den Charakter des Uberhasteten, Fluchtigen verleiht. Dr J J Binder K!cinmayr & Bamberg, Laibach, HflRODNR IN UHIUERZITFTNfi KMJI2HICR