69 DOI: 10.4312/mz.59.1-2.69-107 UDK 783.2(437.6Košice)"14/15" Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem Bestand des Archivs der Stadt Košice (Kaschau)1 Eva Veselovská Eduard Lazorík Insitute of Musicology of the Slovak Academy of Sciences ABSTRACT This paper focuses on a group of medieval musical fragments of Premonstratensian origin, which are now parts of the bindings of some municipal administrative books in the Košice City Achives. No complete musical codex of Premonstratensian provenance survived from the medieval period from the territory of Slovakia. Therefore, these newly discovered fragments are important evidence of the lively and unique scribal tradition of the Premonstratensians from the Late Middle Ages. Keywords: Middle Ages, cantus planus, liturgy, notation, Premonstratensians, Slovakia, Košice * Der Artikel ist eine erweiterte Version des Textes, der als ein Teil der folgenden Publikation publiziert wurde: Eva Veselovská und Eduard Lazorík, Catalogus fragmentorum medii aevi – Archivum Civitatis Cassoviensis, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia 8 (Bratislava: Institut of Musicology of the Slovak Academy of Siences, 2022). Die Abhandlung entstand als Bestandteil der Projekte APVV-19-0043: Cantus Planus na Slovensku: lokálne prvky – transregionálne vztahy (Cantus Planus in der Slowakei: lokale Elemente – transregionale Beziehungen) und VEGA 2/0006/21: Transregionálne vzťahy prameňov duchovnej a svetskej hudby z územia Slovenska v 12.–17. storočí (Transregionale Beziehungen der Quellen geistlicher und weltlicher Musik auf dem Gebiet der Slowakei im 12.–17. Jahrhundert), die am Institut für Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften realisiert sind (2020–2024). Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 69 15. 12. 2023 09:17:22 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 70 IZVLEČEK Prispevek se osredotoča na skupino srednjeveških glasbenih fragmentov premonstratenskega izvora, ki so zdaj del vezav nekaterih občinskih upravnih knjig v mestnem arhivu v Košicah. Iz obdobja srednjega veka se na slovaškem ozemlju ni ohranil noben glasbeni kodeks pre- monstratenske provenience v celoti. Zato so ti novo odkriti fragmenti pomemben dokaz žive in tudi posebne rokopisne tradicije premonstratencev v poznem srednjem veku. Ključne besede: srednji vek, liturgično enoglasje, liturgija, notacija, premonstratenci, Slo- vaška, Košice Kaschauer Musikhandschriften aus dem Zeitraum des Mittelalters und das Archiv der Stadt Kaschau (Košice) Im Jahre 2021 wurde im Archiv der Stadt Kaschau (Košice) eine komple- xe Quellenuntersuchung der mittelalterlichen Pergamenteinbände durchge- führt, die die äußeren Hüllen sowie Einbände der städtischen Amtsbücher und Protokolle bilden. In nicht mehr verwendete liturgische, aber auch nicht- liturgische, musikalische sowie nichtmusikalische Kodexe wurden im Laufe des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts ganz unterschiedliche städti- sche Bücher (Protokolle: Niederschriften und Mitschriften, Rechnungen und Quittungen, Kopialbücher u. dgl.) gebunden.1 Identifiziert und erfasst wurden insgesamt 42 mittelalterliche Fragmente aus dem Zeitraum vom ausgehenden dreizehnten bis zum frühen sechzehnten Jahrhundert, davon 30 notierte und 12 unnotierte Bögen.2 Es lässt sich annehmen, dass die meisten Materialien aus den Skriptorien aus dem Gebiet der heutigen Slowakei und ggf. aus dem Bereich des heutigen Ungarn oder Rumänien stammen (d. h. aus dem mittel- alterlichen Ungarn: insbesondere aus den Regionen Zips, Scharosch und Sie- benbürgen). Sämtliche Fragmente bildeten den äußeren Einband für diverses Verwaltungsschriftgut der Stadt Kaschau oder stammten aus einer eigenstän- digen Hülle aus dem Bestand des Ostslowakischen Museums zu Kaschau (Si- gnaturen MUSIC). Als eine der wenigen Archivinstitutionen im Bereich der Slowakei bewahrte der Archivbestand nicht nur Fragmente des Cantus planus, sondern auch des mehrstimmigen Gesanges (aus der frühen Neuzeit stammt bspw. ein Fragment des Choralbuches H III/2 pur 17). Von Interesse ist auch die Tatsache, dass mehrere Fragmente ursprünglich aus ein und demselben Manuskript stammen (Gruppe von sieben Fragmenten aus einem Prämon- 1 Zum Bestand im Archiv vgl. Ondrej R. Halaga, Archív mesta Košíc: Sprievodca po fondoch a zbierkach (Praha: Archivní správa ministerstva vnitra, 1957). 2 Notierte und unnotierte Fragmente aus dem Archiv der Stadt Kaschau wurden, wie erwähnt, im 8. Band der Editionsreihe Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia erfasst. Veselovská und Lazorík, Catalogus fragmentorum – Archivum Civitatis Cassoviensis. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 70 15. 12. 2023 09:17:22 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 71 stratenserantifonale bzw. Vesperbuch oder vier Fragmente des sog. Großwad- einer Antifonale:3 Antifonale H III/2 mac 44, Antifonale H III/2 mac 44, Antifonale H III/2 mac 85, Antifonale H III/2 mac 86). Manche Fragmente haben verwandte Schreiber oder Notenschreiber (ein skriptorialer Umkreis, dieselbe Notenschreiberschule). Im Rahmen der Abhandlung werden gerade eine einheitliche Gruppe der Prämonstratenserfragmente aus einem Antifonale bzw. Vesperbuch und drei weitere Fragmente näher vorgestellt, die sich als Einzelstücke erhielten (Se- quentiar H III/2 mac 41, Missale H III/2 pur 13 und Antifonale H III/2 pur 15). Die Kaschauer Fragmente stellen einen bedeutsamen Nachweis der spät- mittelalterlichen skriptorialen Tradition dieses kanonischen Ordens aus dem Gebiet der heutigen Slowakei dar.4 Neben den Pressburger und den Zipser Handschriften haben die mit- telalterlichen Schriftquellen aus Kaschau und Umgebung eine außeror- dentliche Bedeutung für die Geschichte der Schriftkultur der mittelalter- lichen Slowakei.5 Trotz der Tatsache, dass ein erheblicher Teil der mittelal- terlichen Kodexe in Auslandsinstitutionen6 geriet, finden sich bis heute in Archiven, Bibliotheken und Museen der zweitgrößten Stadt der Slowakei äußerst interessante Materialien. Sie blieben teils in kompletter, teils in fragmentärer Form erhalten und belegen den Reichtum der kulturellen und kirchlichen Traditionen in Kaschau und Umland seit dem ausgehen- 3 Näher zum Manuskript s. Zsuzsa Czagány, Antiphonale Varadiense s. XV, 3 Bde (Budapest: Research Centre for the Humanities, Institute for Musicology, Department of Early Music, 2019). 4 Die Prämonstratenser bzw. „Norbertiner“ [lat. Praemonstratenses, Sacer et Candidus Ordo Canonicorum regularium Praemonstratensium; O. Praem., O. P.] sind ein Orden der Regularkanoniker, gegründet 1120 von Norbert von Xanten unweit von Laon (Kloster Prémontré – lat. Pratum monstratum, also „Erscheinungswiese“, eine Waldlichtung) im französischen Bistum Soissons, der die Augustinusregel befolgt. Sie widmeten sich v. a. der geistlichen Seelsorge und der Unterrichtstätigkeit. Kurz nach der Ordensgründung durch Norbert von Xanten (1082–1134) wurde in Ungarn das erste Prämonstratenserkloster in Großwardein (heute Oradea in Rumänien) gegründet. Vgl. dazu Bibiana Pomfiová, „Kláštory a kapituly,“ in Stredoveký kostol: Historické a funkčné premeny architektúry, hrsg. von Bibiana Pomfiová (Bratislava: FO ART, 2015), 294–298; Júlia Kotrusová, Dejiny premonštrátskeho kláštora sv. Jána Krstite‘a v stredoveku (Trnava: Trnavská univerzita, 2017). 5 Dazu näher s. Július Sopko, „Najstaršie košické rukopisné knihy,“ in Kniha 75: Zborník pre problémy a dejiny knižnej kultúry na Slovensku, hrsg. von Jozef Telgársky (Martin: Matica slovenská, 1978), 77–104. 6 Von den kompletten Kodexen mit Notation blieben aus Kaschau vier Manuskripte erhalten. Zwei finden sich auch heute in Kaschau und zwei befinden sich in der Ungarischen Nationalbibliotek in Budapest (Kaschauer Missale „A“, Clmae 395, Kaschauer Graduale I II, Clmae 172 a-b). Im Ostslowakischen Museum zu Kaschau finden sich bis heute das sog. Kaschauer Missale (Sammlungs-Inv.-Nr.: 87) aus dem Jahre 1379 und der Kaschauer Psalter (Sammlungs-Inv.- Nr.: F 9232) aus dem ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert. Für Näheres zu Handschriften s. Eva Veselovská, Rastislav Adamko und Janka Bednáriková, Stredoveké pramene cirkevnej hudby na Slovensku (Bratislava: Slovenská muzikologická spoločnosť, Ústav hudobnej vedy SAV, 2017), 117–128. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 71 15. 12. 2023 09:17:22 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 72 den dreizehnten Jahrhundert.7 Es lässt sich vermuten, dass ein Teil davon im Auftrag der Kaschauer Kircheninstitutionen angefertigt wurde; ein Teil wurde importiert, ein weiterer Teil kann allerdings auch direkt in Kaschau (Pfarrkirchen oder Dominikanerkloster) hervorgebracht worden sein, im Benediktinerkloster in Krásna nad Hornádom (heute Krásna, Stadtteil von Kaschau) oder in Prämonstratenserklöstern in Jossau ( Jasov) oder Leles. Im gesamtslowakischen Vergleich handelt es sich um ein außergewöhnlich kompaktes Material, im Rahmen dessen mehrere gemeinsame Gruppen von Fragmenten erkannt wurden, die ursprünglich aus einem Kodex stammten. Ein ähnliches System der Zerlegung und Wiederverwertung älterer liturgi- scher Handschriften aus örtlichen kirchlichen Bibliotheken in der Verwaltung einer „Stätte“ (bspw. die sog. glaubwürdigen Stätten in Pressburg (Bratislava) und in Zipser Kapitel (Spišská Kapitula), Leleser Konvent oder städtische Ar- chive in Trentschin (Trenčín), Schemnitz (Banská Štiavnica) oder Kremnitz (Kremnica)) weist einen hohen Prozentanteil der sog. „heimischen“ Quellen auf. Auch im Falle des Archivs der Stadt Kaschau wird als sehr wahrscheinlich angenommen, dass die meisten Materialien aus der Ostslowakei (Zips, Scha- rosch, Prämonstratenser in Leles und Jossau) oder direkt aus Kaschau (Do- minikaner, Kaschauer Pfarrämter) stammen. Ein Teil der Fragmente wurde als Bestandteil des Buchmaterials, das aus dem von den Osmanen bedrohten ungarländischen Bereich gerettet worden war, nach Kaschau gebracht (Sie- benbürgen, Kreischgebiet mit Großwardein). Prämonstratenser im Mittelalter auf dem Gebiet der heutigen Ostslowakei Angenommen wird, dass die Stadt Kaschau im Mittelalter rege Kontak- te mit den beiden nahegelegenen Prämonstratensergemeinschaften pflegte, besonders mit der in Jossau, jedoch auch mit der in Leles. Im mittelalterli- chen Schriftgut sind zahlreiche Erwähnungen von Streitsachen des Jossauer Klosters mit den umliegenden Minderstädten, Gemeinden oder kirchlichen Einrichtungen belegt.8 Die Prämonstratenser ließen sich in Jossau im aus- gehenden zwölften Jahrhundert nieder. Dieses Kloster gehörte zu den drei ältesten Prämonstratenserklöstern auf dem Gebiet der heutigen Slowakei, zu- sammen mit denen in Posaucken (Bzovík) und in Leles.9 Mit dem Bau einer 7 Die Stadt Košice (lat. Cassa, dt. Kaschau, ung. Kassa, pl. Koszyce) gehörte seit dem Mittelalter zu den wichtigsten Handels- und Kirchenzentren des mittelalterlichen Ungarn. Näher dazu Branislav Varsik, „Vznik a začiatky mesta Košíc,“ in Kontinuita medzi veľkomoravskými Slovienmi a stredovekými severouhorskými Slovanmi (Slovákmi): Výber štúdií a článkov z rokov 1969–1992, Branislav Varsik (Bratislava: Veda, 1994), 191–209. 8 Näher dazu Henrieta Žažová, Stredoveké premonštrátske kláštory v slovenskej časti územia bývalého ostrihomského arcibiskupstva (Trnava: Filozofická fakulta Trnavskej univerzity, 2017). 9 Weitere drei Klöster auf dem Gebiet der heutigen Slowakei wurden im dreizehnten Jahrhundert Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 72 15. 12. 2023 09:17:22 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 73 steinernen Kirche begannen die Prämonstratenser um 1228. Die Fertigstel- lung wurde allerdings durch den Tatareneinfall aufgehalten. König Belo IV. (1206–1270) erteilte 1255 dem Konvent in Jossau das Recht, sog. glaubwür- dige Urkunden auszustellen, was die Bedeutung dieser Kircheneinrichtung in der Region unterstrich.10 Ungarländische Prämonstratenserklöster fielen in die Kompetenz des Graner Erzbischofs.11 In den Jahren 1508 bis 1539 unterstand das Jossauer Kloster der Patronanz der Stadt Kaschau.12 Das Jahr 1552 wird in der Geschichte der Jossauer Abtei als das Ende des Mittelalters angese- hen, da die Prämonstratenser das Kloster und seine Besitztümer verließen und erst Ende des siebzehten Jahrhunderts wieder zurückkehrten. Am Anfang des siebzehten Jahrhundert wurde nach Jossau das Kapitel aus Erlau (ung. Eger, slow. Jáger) verlegt.13 Das Kloster in Jossau muss bereits bei seiner Gründung mit liturgischen Büchern ausgestattet worden sein, und es lässt sich annehmen, dass das Jos- sauer Skriptorium nicht nur als ein Zentrum diplomatischer Produktion (als notarielle Funktion einer sog. glaubwürdigen Stätte) fungierte, sondern sicher- lich auch als ein Skriptorium zum Kopieren liturgischer Bücher. Die Gründung des Klosters in Leles (Monasterium Sanctae Crucis de Lelez)14 wird auf den Zeitraum zwischen 1188 und 1196 datiert.15 Das Kloster wur- de unmittelbar von Prémontré aus nach dem Filiationsprinzip gegründet. Die Gründungsurkunde des Klosters ist nicht erhalten. König Belo III. (1172– 1196) schenkte die örtlichen Besitztümer dem Bischof Boleslav (Boleszló) aus Waitzen (ung. Vác, slow. Vacov).16 Eine Untersuchung der notierten Materialien aus dem Konvent in Leles wurde 2013 durchgeführt, und die grundlegenden Beschreibungen der mittel- alterlichen Fragmente wurden im Rahmen des dritten Bandes der Editions- reihe Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia publi- ziert, die vom Institut für Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird.17 gegründet: in Kloster-Kühhorn (Kláštor pod Znievom), Eipelschlag (Šahy) und Bény (Bíňa). 10 Dazu s. Pomfiová, „Kláštory a kapituly,“ 294–298. 11 Vgl. Kotrusová, Dejiny premonštrátskeho kláštora, 10. 12 Seit seiner Entstehung wurde das Patronatsrecht über das Kloster vom König ausgeübt; eine Ausnahme stellte ein Zeitraum im frühen sechzehnten Jahrhundert dar – vgl. Kotrusová, Dejiny premonštrátskeho kláštora, 12–28. 13 Ebd., 29. 14 Vgl. Richard Marsina, Codex diplomaticus et epistolaris Slovaciae II (Bratislava: Vydavateľstvo SAV, 1987), Nr. 401, 282–283. 15 Richard Marsina, Codex diplomaticus et epistolaris Slovaciae I (Bratislava: Vydavateľstvo SAV, 1971), Nr. 101*, 94. 16 Boleslav (Boleszló) war sein Patensohn. 17 S. dazu Eva Veselovská, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi – Archivum Nationale Slovacum, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia 3 (Bratislava: Ústav hudobnej vedy SAV, 2014), Nr. 19–22, 71–77; Eva Veselovská, „Stredoveké notované fragmenty Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 73 15. 12. 2023 09:17:22 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 74 Die musikalischen Fragmente aus Leles stellen gleichfalls einen raren Fund dar. Die Fragmente von vier liturgischen Büchern stammten aus dem heimi- schen Prämonstratenserskriptorium. Sie wurden in ihrer sekundären Funktion als oberer Deckel amtlicher Konventsurkunden verwendet. Außer den notier- ten Fragmenten blieb auf den Deckeln von Protokollen der sog. glaubwürdi- gen Stätte des Leleser Konvents auch eine Ansammlung von Fragmenten un- notierter liturgischer Bücher (Bruchstücke eines Homiliars, Fragmente eines Missales) erhalten. Der Prämonstratenserorden war ein exemptiver Orden.18 Jeder Prämon- stratenserkonvent bestand aus mindestens zwölf Kanonikern, und die Grün- dung eines Klosters bedurfte der Zustimmung des Generalkapitels.19 Im Klostergebäude musste es einen Gebetsraum, einen Speisesaal (Refektorium), Schlafräume (Dormitoria), Zimmer für Wanderer und Durchreisende (Domus hospitalis), einen Raum für Kranke (Infirmarium), einen Pförtnerraum und die Bibliothek geben. Die Bibliothek hatte liturgische Bücher und Ordensstatuten in mehrfachen Exemplaren zu beinhalten.20 An der Klosterverwaltung waren mehrere Kanoniker beteiligt, und in der Gemeinschaft wurden einige Posten hervorgehoben. An der Spitze des Konvents stand der Propst. Sein Vertreter war der Prior, dessen Aufgabe war es, in Abwesenheit des Propstes das Kloster zu verwalten.21 In der Hierarchie der Kanoniker folgte dem Prior der Subprior, dessen Aufgabe es war, die Gottesdienste und Chorgebete zu leiten. Er führte ebenfalls die Aufsicht über den Kantor und den Sakristan. Für die Einübung des Chorgesanges und des Offiziums sorgten der Kantor (Cantor) und dessen Gehilfe, der Succentor (Succentor). Der Kantor sollte die Kanoniker zum Ge- sang und zur Aufmerksamkeit ermahnen, Fehler bei Gesang korrigieren und Gesangbücher bei Gottesdiensten verteilen.22 Um die Bücher kümmerte sich zo Slovenského národného archívu,“ Musicologica Slovaca 5 [31], Nr. 1 (2014): 5–34. 18 Der Bischof besaß kein Recht, in die Angelegenheiten des Klosters einzugreifen. Für Näheres s.: Kotrusová, Dejiny premonštrátskeho kláštora. 19 Das Generalkapitel in Prémontré tagte alljährlich am Gedenktag des hl. Dionysius von Paris (vom 9. bis 11. Oktober), s. dazu Angelus Štefan Kuruc, „K vzťahom uhorských premonštrátov k Prémontré do roku 1526,“ Notitiae historiae ecclesiasticae 1, Nr. 2 (2012): 6–7; Lajos Hugo Márton, Initia historico-iuridica capituli generalis ordinis praemontratensis (Romae: Pontificia Universitas Lateranensis, 1964), 4–5. 20 Vgl. Kotrusová, Dejiny premonštrátskeho kláštora, 31. 21 In Westeuropa standen an der Spitze der Konvente Äbte (Abbas); eine Ausnahme bildeten lediglich die deutschen Lande, wo Pröpste (Praepositi) gewählt wurden. In Ungarn fanden ebenfalls Propstwahlen statt, was eine Besonderheit der ungarländischen Prämonstratenserklöster war, ebenso wie ihre Funktion als glaubwürdige Stätten: Derlei Loca credibilia waren einzigartige Rechtsinstitution des mittelalterlichen Ungarn, die andernorts in Europa keine Entsprechung fanden; vgl. Kotrusová, Dejiny premonštrátskeho kláštora, 10. 22 Charles Saulnier, Statuta candidi et canonici ordinis praemonstratensis: Editio secunda (Heller: Stivagii, 1725), 191. Zu weiteren Posten der Kanoniker gehörten Zirkator (Circator) – ihm oblag die Aufsicht über die Erfüllung der Pflichten der Ordensbrüder; Sakristan (Sacrista) – er sorgte für Sauberkeit und Ausstattung der Kirche; Provisor – er war betraut mit der Wirtschaftsführung des Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 74 15. 12. 2023 09:17:22 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 75 im Kloster der Bibliothekar (Bibliothecarius), der die Bibliothek verwaltete, Bücher reparierte und sie auslieh.23 Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem Archiv der Stadt Kaschau Gruppe der Fragmente aus dem Antifonale/Vesperbuch In eine einheitliche Fragmentengruppe, die aus demselben Prämonstra- tenserskriptorium gekommen sein dürften, werden sieben notierte Fragmente aus dem Archiv der Stadt Kaschau eingeordnet. Es handelt sich um die Signa- turen Antifonale H III/1 B. Nr. 2, H III/2 ar 5, H III/2 mac 13, H III/2 mac 14, H III/2 mac 16, H III/2 mac 17, H III/2 mac 18. Anhand der Schrift und der Notationsart werden diese Fragmente auf die Wende des fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert datiert (1475–1510). Nach genauerer Untersuchung neigen wir einer Datierung auf das letzte Vier- tel des fünfzehnten Jahrhunderts zu, wobei ein Teil der Addenda aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert stammen mag. Der gemischte Typus der Metzer-gotischen und Graner Notation ist auf elf Zeilen eines roten vierlinigen Notensystems mit einer einfachen oder ei- ner doppelten roten Umrahmung mit oder ohne Verwendung des Custos positioniert. Falls vom Custos Gebrauch gemacht wurde, erscheint dieser in Rautenform. Der Notenschreiber der Handschrift war bei der Darstellung der einzelnen technischen Elemente der Notation inkonsequent. Es erscheinen verschiedene Arten der Umrahmung des Notensystems (H III/1 B. Nr.2), Gebrauch oder Nichtgebrauch von Schlüsseln oder von Custos u. dgl. Der ge- samte Charakter der Notation nähert sich eher einem kursiven Typus, bzw. es handelt sich um eine schnelle Notenniederschrift sowie eine Schriftart ohne kalligrafische Elemente. Die einzelnen Neumenstrukturen besitzen an ihrem Ende keine Rautenköpfe, sondern eher zugeschnittene Endigungen. Die Zeichen der gemischten Metzer-Graner Notation neigen entweder zu einer Metzer-gotischen Schrift oder orientieren sich an der Graner Notation. Die Neumen weisen vertikale Stellung auf. Das rautenförmige Punctum ist im Anfang mit einer dünnen, haarfeinen Linie geschrieben. Der Pes besteht aus einem eigenständigen Punctum und einer Virga mit einem nach rechts geschriebenen Kopf. Die Clivis ist rechtwinklig, nach Metzer Art, ohne den Konvents; Zellerar (Cellarius) – er versorgte das Kloster mit Nahrungsmitteln; Vestiar (Vestiarius) – er kümmerte sich um die Kleider- und Nähkammer, Kleidung und Wäsche der Kanoniker. Ein Kanoniker mit der Bezeichnung Canonicus hospitalis betreute Gäste und Wanderer, der Infirmar (Infirmarius) war zuständig für die Versorgung der kranken und der auf ständige Pflege angewiesenen Ordensbrüder, der Pförtner (Portarius) kündigte Gäste an und verteilte Almosen. Vgl. Saulnier, Statuta candidi, 163–231. 23 S. „Caput XIV: De Bibliothecario“ aus Saulnier, Statuta candidi, 192. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 75 15. 12. 2023 09:17:22 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 76 kalligrafischen rautenförmigen Kopf. Der Scandicus wird in der gemischten deutsch-Graner Version (Punctum, Tractulus, Virga) verwendet. Der Climacus ist in drei Versionen niedergeschrieben, entweder als eine Reihe absteigender, nach rechts folgender Töne mit einfacher Einleitung (ein Punctum) oder mit bipunktualer Einleitung (Einfluss der Graner Notation, jedoch ohne die ver- tikale Reihung der absteigenden Puncta) oder als eine fließende Verbindung zweier rechtwinkliger Clives. Der Porrectus ist gebildet von Clivis und Virga, die nicht fließend aneinander angeschlossen sind. Der Torculus besteht aus ei- nem einleitenden Punctum und einer fließenden Verbindung von Tractulus und Clivis. Im Rahmen der Notation wird häufig das Bipunctum (in Funktion des Cephalicus) verwendet. Die Notenschlüssel C, G und F haben einen kursiven Charakter und erscheinen, als ob sie von einem anderen Notenschreiber oder zu einem späteren Zeitpunkt eingetragen worden wären (kleinere Formen, feinere Schriftart). Zum Einsatz kamen ein dual geschriebener F-Schlüssel und das Erniedrigungszeichen b. An mehreren Stellen sind die Schlüssel völlig abwesend (H III/2 mac 14). Das Fragment H III/2 mac 16 wurde von einem anderen Notenschreiber verfasst. Einzelne Neumen haben unterschiedlichen Charakter, bspw. der Clivis wurde mit Ansatz eines rautenförmigen Kopfs ge- schrieben. Der Torculus weist einen Schreincharakter auf und wurde mit ei- ner rautenförmigen Endigung des letzten Tons geschrieben. Der Clivis ist im Rahmen des Porrectus ebenfalls mit einer rautenförmigen Endigung versehen. Tabelle 1: Grundneumenzeichen der Prämonstratenser Antifonalienfragmente Signatur Punctum Virga Pes Clivis Scandicus Climacus 1 H III/1 B. Nr. 2 Antifonale 3 H III/2 ar 5 Antifonale H III/2 ar 5 (in margine) 6 H III/2 mac 13 Antifonale Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 76 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 77 7 H III/2 mac 14 Antifonale 8 H III/2 mac 16 Antifonale 9 H III/2 mac 17 Antifonale 10 H III/2 mac 18 Antifonale Signatur Torculus Porrectus Custos Schlüssel 1 H III/1 B. Nr. 2 Antifonale 3 H III/2 ar 5 Antifonale H III/2 ar 5 (in margine) 6 H III/2 mac 13 Antifonale Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 77 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 78 7 H III/2 mac 14 Antifonale 8 H III/2 mac 16 Antifonale 9 H III/2 mac 17 Antifonale 10 H III/2 mac 18 Antifonale Der gesamte Charakter der Notation und das System der verwendeten Zei- chen der gemischten Metzer-Graner Notation nähert sich deutlich der No- tation ungarländischer Prämonstratenserhandschriften. Trotz der kleinen An- zahl vollständig erhaltener Prämonstratenserquellen hat in der letzten Zeit die Erforschung der skriptorialen und notenschreiberischen Aktivitäten der Prä- monstratenser im Mittelalter dank komplexer Untersuchungen der Fragmente in der Slowakei,24 in Ungarn sowie in Rumänien Fortschritte erzielt.25 Die Kaschauer Fragmente werden einer Gruppe von Fragmenten aus Prämonstra- tenserprovenienz zugeordnet (trotz gewisser Abweichungen, bspw. eines ande- rer Typus des Custos, spezifischer Gestalt der Schlüssel etc.). Der Charakter der einzelnen Notationsgestalten (Pes, Clivis, Climacus, Scandicus, Porrectus sowie Torculus) zeugt von einer außergewöhnlich nahen Verwandtschaft der Notation, wie es jüngere Prämonstratensermanuskrip- te belegen, so das Vesperbuch aus Leles, das Prämonstratenser-Kantional aus Segedin (ung. Szeged) oder ältere Fragmente H-Gel Cth X 846 aus Raab (ung. Győr; Bestand Káptalani Magánlevéltár), H-Bmnl Fragm. Lat. Q 406- 24 (speziell angeschlossener F-Schlüssel und das Erniedrigungszeichen b; 24 Veselovská: Catalogus fragmentorum – Archivum Nationale Slovacum, Nr. 9, 59–60, und Nr. 21, 73–75. 25 Gabriella Gilányi, „A ‚Főkötős atyafiak‘ zenei írásbelisége a 16. századi Magyarországon,“ Magyar Zene 57, Nr. 4 (2019): 357–369; Gabriella Gilányi, „Az ELTE Egyetemi Könyvtár és Levéltár Cod. Lat. 119 kódexének kottás premontrei fedéltöredékei: Új adatok,“ in Mestereknek gyengyének: Ünnepi kötet Madas Edit hetvenedik születésnapjára, hrsg. von Fanni Hende, Klára Kisdi und Ágnes Korondi (Budapest: Országos Szechényi Könyvtár, Szent István Társulat, 2020), 415–426. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 78 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 79 Bestand ELTE Egyetemi Könyvtár, Sign. U. Fr. l. m. 253)26 und ggf. Frag- mente aus Leles im Bestand des Slowakischen Nationalarchivs Pressburg (Bratislava).27 Das spezifische Produkt der Prämonstratenser war unseres Erachtens gerade das gemischte Metzer-Graner System, das bspw. den cha- rakteristischen treiteiligen Scandicus (Punctum, Tractulus, Virga) und den ge- mischten Metzer-Graner Climacus besaß (in einigen Skriptorien rein Gra- ner Form: die vertikale; in manchen allerdings gemischte: eine nach rechts geneigte Reihe der absteigenden Töne; benutzt wurde ebenfalls eine fließen- de Gestalt: zwei angeknüpfte Clives) bzw. die spezifische Gestalt des dual geschriebenen, verbundenen F-Schlüssels und des Erniedrigungszeichens b. Derweil im Falle der Fragmente aus dem heutigen Ungarn oder aus Ru- mänien der spezifische, ornamental abgeschlossene Custos in Gestalt einer Acht auftaucht, pflegt in den Manuskripten aus dem Gebiet der Slowakei ein rautenförmiger Custos mit einer langen haarfeinen Linie zu erscheinen, die nach rechts gerichtet war. Tabelle 2: Grundelemente der ausgewählten Fragmente aus dem Gebiet der Slowakei und aus dem heutigen Ungarn (Prämonstratenserwerkstätten) Signatur Punctum Virga Pes Clivis Scandicus Schlüssel 1 H III/1 B. no. 2 8 H III/2 mac 16 10 H III/2 mac 18 26 Vgl. http://neuma.zti.hu/attekinto.asp. 27 S. dazu Eva Veselovská, „Stredoveké notované fragmenty zo Slovenského národného archívu, Fond Hodnoverného miesta Konventu premonštrátov v Lelese,“ Historický časopis 69, Nr. 2 (2021): 223–246. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 79 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 80 SNA FrP B Inv. 176 SNA Hm L S. 10 H-Q 406 Signatur Climacus Torculus Porrectus Custos 1 H III/1 B. no. 2 8 H III/2 mac 16 10 H III/2 mac 18 SNA FrP B Inv. 176 SNA Hm L S. 10 H-Q 406 Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 80 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 81 Der musikalische Inhalt der Kaschauer Fragmente wird durch Gesänge ver- schiedener Teile der liturgischen Feiern des Temporale (Proprium de Tempore) dokumentiert (der 3. und 4. Adventsonntag, das sog. große „Ó“ der O-Anti- fone, Gesänge des Hochfestes der Erscheinung des Herrn, die Oktav und der erste Sonntag nach dem Hochfest der Erscheinung des Herrn, das Hochfest des Allerheiligsten Leibes Christi (Fronleichnam, Corpus Christi), Gesänge aus dem 15. bis 19. Sonntag im Jahreskreis, De regum) sowie durch Gesänge ver- schiedener Teile der liturgischen Feiern des Sanctorale (Proprium Sanctorum) (Fest Mariä Reinigung – Purificatio Beatae Mariae Virginis, seit 1969 gefeiert als das Fest der Darbringung des Herrn im Tempel, Praesentatio Jesu in Templo, Gedenktag des St. Blasius, Gedenktag der hl. Agatha von Catania, Gedenktag der hl. Dorothea, Hochfest der Mariä Aufnahme in den Himmel, Gedenk- tag der hl. Elisabeth, Gedenktag der hl. Cäcilia).28 Die Gesänge sind meistens aus der Vesper, das Fragment H III/1 B. Nr. 2 beinhaltet auch einen Teil der Gesänge aus der Matutin der jeweiligen Feiertage. Mitunter werden die An- tifonen aus den Laudes herausgeschrieben, die auch im Rahmen der Vesper Verwendung finden (H III/2 mac 16, H III/1 B. Nr. 2, H III/2 ar 5). Auf den Fragmenten finden sich insgesamt 185 notierte oder unnotierte Gesänge, wobei wir die herausgeschriebenen Psalmen in der Gesamtstatistik nicht als eigenständige Gesänge eingerechnet haben. Manche Teile des Kirchenjahres weichen nicht allzu sehr von der allgemein verbreiteten liturgischen Abfolge (Fragmente des Advents, Epiphanias, Tage im Jahreskreis – erste und zweite Vesper) im mitteleuropäischen Raum ab. Gleichwohl sind in diesen Fragmen- ten spezifische und seltene Gesänge erhalten, die entweder unmittelbar für die Graner Liturgie (bspw. die Antifone A diebus antiquis*29) charakteristisch sind oder für einen breiteren ungarländisch-polnischen Raum stehen (Antifone Maria intacta*30). 28 Der genaue musikalische Inhalt der Kaschauer Prämonstratenser Fragmente H III/1 B. Nr. 2, H III/2 mac 13, H III/2 mac 14, H III/2 mac 16, H III/2 mac 17, H III/2 mac 18, H III/2 ar 5. Siehe: Veselovská und Lazorík, Catalogus fragmentorum – Archivum Civitatis Cassoviensis, 84–94 und 96–97. 29 Vgl. http://cantus.sk/chant/2407 – zu den Manuskripten, die diese Antifone beinhalten, gehören zwei siebenbürgische Quellen, der sog. Codex Albensis (A-Gu Ms. 211) in Graz, Istanbuler Antifonale (TR-Itks 42, urspr. aus dem ungarländischen Gran), das Pressburger (Bratislavaer) Antifonale IV (Slow. Nationalarchiv, EC Lad. 2) und das Wiener Vesperbuch A-Wda D4. Diese Antifone wird allgemein als eine typische einleitende Antifone der Graner Liturgie angesehen, die die erste Vesper des ersten Adventssonntags eröffnet. Außerhalb des mittelalterlichen Ungarn ist sie nur in vereinzelten Fällen aus späterer Zeit aus Salzburg, Passau, Krakau und Plock bekannt (allerdings erscheint sie nur in der ersten Adventswoche). Vgl. dazu: Andrea Kovács, Strigonium: Temporale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae V/A (Budapest: MTA Zenetudományi Intézet, 2004), 7 und 62–63. 30 Vgl. http://cantusindex.org/id/203008 – diese Antifone erscheint lediglich in den polnischen und ungarländischen Handschriften mit Ausnahme des erwähnten Wiener Vesperbuchs A-Wda D4. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 81 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 82 Zu den wenigen vollständig notierten Gesängen gehört das Responso- rium (Antwortgesang) Discubuit Jesus mit dem Vers Fecit Ahasverus aus der Matutin des Hochfestes des Allerheiligsten Leibes Christi (Fronleichnam, Corpus Christi), das als drittes Responsorium der ersten Nokturn eingeordnet wurde, anstelle des in der Graner Liturgie benutzten Responsoriums Respexit Elias.31 Dieser Gesang wird in der internationalen Datenbank Cantus Index lediglich bei drei Manuskripten aufgeführt. Die melodische Version aus Ka- schau kommt einem nachgetragenen Gesang aus dem Folium 373 aus dem Antifonale A-Gu 29 (olim 38/8) aus der Benediktinerabtei St. Lambrecht in der Steiermark nahe. Wenn auch das Liniensystem der einleitenden Zeile keine Schlüssel umfasst, nehmen wir an, dass sie auf den Tönen e-f e d-e g e c („Dis-cu-bu-it“) d-e e („Jesus“) ansetzt und im dritten Modus steht. Eine andere Version des Gesanges im ersten Modus führt lediglich das polnische zisterziensische Antifonale I F 401 aus der Universitätsbibliothek in Bres- lau (Wrocław)32 auf. Die Gesänge vom Hochfest des Allerheiligsten Leibes Christi (Fronleichnam, Corpus Christi) gehören zu den jüngsten Beispielen des spätmittelalterlichen kompositorischen Choralschaffens. Von Interesse ist bspw. das Melisma auf dem Wort „ve-scen-dum“, mit dem das Responsorium Comedetis carnes endet. Im Rahmen des melodischen Durchlaufs eines Wortes fand das Melisma d-c d-e-f-e c-d-f-e-d f-g-e-f-d f-a-g-f g-a-f f-g-d f-e-c d-c-h c-d d-c d-e-f-e-c-d (2. Modus) Gebrauch, das sich nur an drei Stellen ein wenig von der publizierten „Graner“ Version des Responsoriums aus der Ausgabe der Responsorien entfernt (Nr. 2120). Ein größeres liturgisches Ganzes blieb im Falle der Gesänge im Jahreskreis erhalten (Sonntage 15–19 nach Pfingsten, dem Hochfest der Aussendung des Heiligen Geistes). Die Auswahl der Antifonen für die zweite Vesper folgt der Graner liturgischen Ordnung. 31 Mitteleuropäische liturgische Traditionen unterscheiden sich nicht voneinander in der Auswahl der Responsorien der ersten Nokturn. Die einzige Ausnahme stellt die liturgische Tradition aus Agram (Zagreb) in Kroatien dar. 32 Vgl. http://cantusindex.org/id/600586 – außer den zwei erwähnten Kodexen taucht dieser Gesang auch in der portugiesischen Handschrift Res. Ms. 27 von Arouca auf. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 82 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 83 Tabelle 3: Responsorien und ihre Verse aus der ersten Nokturn der Matutin des Hochfes- tes des Allerheiligsten Leibes Christi (Fronleichnam, Corpus Christi)33 M/N1 H III/1 B Nr 2 Gran / Prag/ Siebenbürgen / Krakau / Aquileia/ Salzburg / Bamberg Agram R1/V1 Immolabit haedum / Pascha nostrum + Cenantibus discipulis / Hic est R2/V2 Comedetis carnes / Non Moyses + Accepto pane / Similiter R3/V3 Discubuit Jesus / Fecit Ahasverus Respexit Elias / Si quis Manducantibus / Et ait illis Tabelle 4: Abfolge der Gesänge für den 15. bis 19. Sonntag im Jahreskreis V2 H III/1 B Nr 2 Gran Prag Krakau Siebenbürgen Dom. 15 p. Pent. Nolite solliciti + + Quaerite primum + Quaerite primum Quaerite primum 33 Beim Abgleich der liturgischen Gewohnheiten in den Tabellen verwenden wir alle bisher herausgegebenen Teile der Edition Corpus Antiphonalim Officii – Ecclesiarum Centralis Europae. Berücksichtigt werden insbesondere die folgenden: Zsuzsa Czagány, Prague: Temporale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Európae III/A (Budapest: Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences, 1996); Zsuzsa Czagány, Prague: Sanctorale, Commune Sanctorum, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Európae III/B (Budapest: Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences, 2002); Andrea Kovács, Strigonium: Temporale; Andrea Kovács, Strigonium: Sanctorale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae V/B (Budapest: Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences, 2006); Andrea Kovács, Kalocsa – Zagreb: Temporale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae VI/A (Budapest: MTA Zenetudományi Intézet, 2008); Andrea Kovács, Kalocsa – Zagreb: Sanctorale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae VI/B (Budapest: MTA Zenetudományi Intézet, 2008); Andrea Kovács, Transylvania – Várad: Temporale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Európae VII/A (Budapest: Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences, 2010); Andrea Kovács, Transylvania – Várad: Sanctorale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Európae VII/B (Budapest: Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences, 2010); Jakub Kubieniec, Kraków: Temporale, Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae VIII/A (Budapest: Research Centre for the Humanities of the HAS Institute of Musicology, 2018). (Die Serie Corpus Antiphonalium Officii wird im Weiteren nur als „CAO – ECE“ bezeichnet.) Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 83 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 84 Dom. 16 p. Pent. Accessit Jesus + Accepit autem + Propheta magnus Accepit autem + Propheta magnus Accepit autem + Dum intraret Dom. 17 p. Pent. Cum vocatus + + Omnis qui + Omnis qui Magister quod Dom. 18 p. Pent. Quid vobis + + + Dixit dominus Dom. 19 p. Pent. Et videns Jesus + Cum audisset Tulit ergo Tulit ergo Ut vidit Tulit ergo Interessant und wesentlich variabler sind zusammengestellte Fragmente, die die Gesänge des Sanctorale (Proprium Sanctorum) beinhalten. Auf dem Fragment H III/2 mac 13 blieb ein Teil der Gesänge für das Fest Mariä Reinigung (2. Februar), den Gedenktag des St. Blasius (3. Februar), den Gedenktag der hl. Agatha von Catania (5. Februar) und den Gedenktag der hl. Dorothea (6. Februar) erhalten. Auf Fragment H III/2 ar 5 finden sich Gesänge für das Hochfest Mariä Auf- nahme in den Himmel (15. August) und auf Fragment H III/2 mac 14 finden sich Gesänge vom Gedenktag der hl. Elisabeth von Ungarn (17. November; in deutschen Landen bekannt als Elisabeth von Thüringen für den Gedenktag am 19. November) und zum Gedenktag der hl. Cäcilia (22. November). Aus dem Februar-Sanctorale stammen die Gesänge des Festes Mariä Rei- nigung, der Gedenktage des St. Blasius, der hl. Agatha und der hl. Dorothea. Das Fragment beginnt mit dem Vers Gabrielem archangelum im sechsten Mo- dus, dem ein weiterer tropierter Vers folgt: „Gloria sit ingenito omni quae vi- vunt et s[uo] creatori unico nato ante tempora coaequali procedent spiritui sancto in saecula saeculorum amen.“ Aus dem Gebiet der heutigen Slowakei blieb nur eine geringe Zahl tropierter Gesänge erhalten, sei es aus der Mes- sliturgie oder aus der Offiziumsliturgie. Aus diesem Grund halten wir den Kaschauer Fund für ein äußerst wichtiges Beispiel des spätmittelalterlichen lokalen Schaffens. Der zweite Vers erscheint nur selten bei dem Responsori- um Gaude Maria virgo, das in Form gereimter Prosa verfasst wurde, bspw. im Istanbuler Antifonale (urspr. aus Gran) oder in den slowenischen Manuskripten Sl-Lna 18 und 19 (Vers Glorius virtus Victoria).34 Selten für ungarländische Manuskripte ist auch die Einreihung der An- tifone Adest nobis celeberrimus auf den Gedenktag des St. Blasius.35 Die- sen unnotierten Textdokumentieren nur zwei ungarländische Manuskripte, 34 R, Nr. 6030, 138; 1008–1009. 35 Vgl. http://cantusindex.org/id/001267. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 84 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 85 die urspr. aus der heutigen Ostslowakei stammen, und zwar das Brevier R. I. 110 aus der Bibliothek Batthyaneum in Weißenburg (Alba Julia im heutigen Rumänien) und das Bartfelder Brevier 63.74. I. C. aus dem Nationalmuseum in Budapest in Ungarn. Er ist gleichfalls auch im Agramer Brevier MR 67 aus der National- und Universitätsbibliothek in Agram (Zagreb) in Kroatien angeführt. Es folgen Gesänge für die Gedenktage der hl. Agatha aus dem ältesten Korpus der Gesänge des Sanctorale (vor dem 10. Jahrhundert), die Antifone Ave gemma und das Responsorium O flos amoenitatis für den Gedenktag der hl. Dorothea, die hingegen spätmittelalterliche Reimoffizien repräsentieren. Das Anfangsmelisma des Responsoriums O flos ist in Form a-a, c-d-e, e- f-c-d-c-h-a, h-c-h-a-a mit einer Fortsetzung auf den Worten „amoenitatis dos serenitatis“ e-f-e, f-e-f, a-h-c-d-c, h-a, a, e-a, d-c-h, c-d-e, f-e-d-c, d-c-h, c-d, e-e um eine Terz höher transponiert als die Version aus den Responsorien (Nr. 6070), die aus dem Istanbuler Antifonale angeführt wird.36 In der Datenbank Cantus Index ist eine diametral unterschiedliche melodische Version aus dem Antifonale Gl. Kgl. S. 3449 aus Augsburg (heute in Kopenhagen) verzeich- 36 R, Nr. 6070, 1147. Abbildung 1: Fragment H III/2 mac 13 mit dem Vers Gloria sit. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 85 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 86 net.37 In der verwandten melodischen Linie (5. Modus, jedoch mit melodi- schem Incipit wieder um eine Terz tiefer f-a-c, c-d-a-b) ist das Responsorium aufgeführt im Antifonale Ms 287 aus der Bibliothek der Augustiner im Stift Vorau in der Steiermark.38 Das Fragment H III/2 ar 5 mit dem Offizium Exaltata es für das Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel umfasst ebenfalls einige interessante Me- lodien. Einen seltenen Gesang stellt die Antifone Tota pulchra dar. Auf dem Fragment findet sich allerdings leider lediglich der Schluss mit den Worten „leonum de montibus pardorum“. Die Antifone ist in der Datenbank Cantus Index nur in zwei Handschriften nachgewiesen, im Antifonale Codex Albensis Ms. 211 (A-GU Mss. 211)39 und im Zipser Antifonale (f. 155v; jedoch beim Fest Mariä Geburt).40 Die textuelle Version der Antifone Tota pulchra wurde in diversen Varianten verwendet. In der Edition Antiphonen der Reihe Monumen- ta Monodica Medii Aevi wurde eine kürzere Version aufgeführt, wohingegen sich auf dem Kaschauer Fragment eine mit dem Codex Albensis und dem Zipser Antifonale identische Version findet.41 Die Auswahl der Gesänge für die Vesper dieses Festes unterscheidet sich vom Graner Grundkorpus durch die Auswahl des Responsoriumsverses für die zweite Vesper. Anstelle von Ista est speciosa wird der Vers Paradisi porta aufgeführt, ähnlich wie im Pauliner-Brevier Cod. 439 aus dem Stift Göttweig in Niederösterreich (Paul-439).42 Von Interesse ist ebenfalls der nachgetragene alternative Vers Sola namque in Graner Notation auf dem unteren Margo, der dem Responsorium Super salutem zugehörig sein sollte.43 Dieses Responsorium findet sich auf dem Fragment allerdings nicht. Der Vers Sola namque erscheint jedoch für das Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel bspw. im Istanbuler Antifonale oder im Antifonale Ms. 1. aus der Kapitelbiblio- thek in Kjelzy (Kielce) in Polen. In der Edition CAO – ECE VII/B ist dieser Vers dem Responsorium Salve nobilis zugeordnet, ähnlich wie auf dem Kaschau- er Fragment nachgetragen ist.44 37 Kopenhagen, Det kongelige Bibliotek Slotsholmen, Gl. Kgl. S. 3449, 80 [03] II, III; vgl. http:// cantusindex.org/id/601576 und https://cantus.uwaterloo.ca/chant/310394. 38 A-VOR 287; vgl. https://www.cantusplanus.at/en-uk/austriaca/vorau/digitalisate.html. 39 Zoltán Falvy und László Mezey, Hrsg., Codex Albensis: Ein Antiphonar aus dem 12. Jahrhundert (Budapest: Akadémiai Kiadó; Graz: Universitätsbibliothek Graz, 1963) (im Weiteren nur „CA“). 40 Vgl. http://cantusindex.org/id/a01216. 41 László Dobszay und Janka Szendrei, Hrsg., Antiphonen, Monumenta Monodica Medii Aevii 5 (Kassel – Basel etc. 1999), Nr. 4173, 600–601 (im Weiteren nur „MMMA/A“). Kovács bezeichnet sie als Tota pulchra minor; vgl. Kovács, CAO – ECE V/B, 121. 42 Ebd., 144. 43 Vgl. http://cantusindex.org/id/007726b. 44 Kovács, CAO – ECE VII/B, 105. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 86 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 87 Tabelle 5: Gebrauch des Responsoriums Super salutem für das Hochfest der Mariä Aufnahme in den Himmel in den liturgischen Traditionen Mitteleuropas V2 H III/2 ar 5 Gran Prag Agram Siebenbürgen Ass. BMV R. Super salutem V. Paradisi porta + V. Ista est Beata es virgo Ave Maria + V. Sola sine exemplo + V. Sola namque Das letzte Fragment der Gruppe H III/2 mac 14 umfasst Gesänge für die Ge- denktage zweier weiblicher Heiliger im November, nämlich Gesänge für die Vesper des Offiziums Laetare Germania für den Gedenktag der hl. Elisabeth45 und Virgo gloriosa für den Gedenktag der hl. Cäcilia, die der allgemeinen mit- teleuropäischen Darbietung mehrerer liturgischer Traditionen entsprechen. Der einzige Unterschied besteht im Gebrauch des Hymnus Novum sidus, der dem Graner Ritus angehört46 (Prag: Jesu Christe auctor vitae, Agram: Gaude felix Hungaria, Siebenbürgen: Gaude felix Hungaria). Da die Seite mit den Ge- sängen der hl. Cäcilia besser lesbar ist, ließ sich die Melodie vergleichen mit der Antifone Virgo gloriosa, die im Unterschied zu einer idealen Graner Ver- sion mehrere variante Melismen enthält (bspw. das Incipit der Antifone Virgo gloriosa: f, e-f, auf den Wörtern „pectore“: f-e, d, d-f; „non diebus“: d-g-f-g, d, f-e, d-d). Insgesamt ist das System der Niederschrift aller Fragmente des Antifonales sehr inkonsequent, an mehreren Stellen fehlen außer den Schlüsseln auch die Initialen (bspw. „i“ auf dem Fragment H III/2 mac 14). Der Gebrauch charak- terlich eigentümlicher Initialen mit spezifischer Verzierung rückt sie näher an die entsprechenden Beispiele aus den Prämonstratenserskriptorien heran.47 Sowohl der liturgische als auch der musikalische Inhalt bewegt sich um den Grundkreis der Graner Liturgie, wobei mehrere regionale und abwei- chende Gesänge belegt sind (Siebenbürgen, Ostslowakei – Zips). Hinsichtlich der Provenienz rückt das gemischte System der Metzer-Graner Notation die Fragmente des Antifonales in die Nähe der Prämonstratensermanuskripte. Der Gebrauch des Custos mit langer haarfeiner Linie passt allerdings nicht zu den siebenbürgischen Parallelen. Verschiedene Einflüsse aus diesem Raum sind jedoch im liturgischen Inhalt der Fragmente ersichtlich. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns eine Hypothese aufzustel- len, dass die Gruppe der Fragmente des Antifonales aus einem Prämonstra- 45 Clemens Blume, Hrsg., Historiae rhytmicae: Liturgische Reimoffizien, Analecta Hymnica Medii Aevi 25 (Leipzig: O. R. Reisland, 1886–1922), 90; Andrew Hughes, Late Medieval Litugical Offices: Resources for Electronic Research, Subsidia Mediaevalia 23 (Toronto – Ontario: Pontifical Institute of Mediaeval Studies, 1994), EL 61. 46 CAO – ECE V/B, 165. 47 Gilányi, „A ‚Főkötős atyafiak‘,“ 361 und 364–365. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 87 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 88 tenserskriptorium nahe der Stadt Kaschau (in Jossau oder Leles) stammt. Da im Bereich der liturgischen Manuskripte bislang lediglich die skriptoriale Ak- tivität im Leleser Konvent belegt ist,48 lässt sich die Entstehung dieser Frag- mente eher dort annehmen. Trotz mehrerer „siebenbürgischer“ Elemente, sei es in der Notation selbst oder im liturgischen Inhalt, zeigen andere Strukturen im Gegenteil Verwandtschaft zu den Materialien aus der heutigen Ostslowa- kei (Zips, Bartfeld, Leutschau). Die ganze Gruppe lässt sich auch mit einem äquivalenten Namen als Frag- mente aus dem Vesperbuch benennen, da die überwiegende Mehrheit der Gesänge aus allen Fragmenten lediglich die Gesänge für erste oder zweite Vesper enthält. Zu den Fragmenten, die aus den Prämonstratenserskriptorien stammten, würden wir gerne auch drei weitere Fragmente aus dem Archiv der Stadt Ka- schau zählen, und zwar das Sequentiar H III/2 mac 41, Missale H III/2 pur 13 und Antifonale H III/2 pur 15.49 Diese drei Stücke sind leider nur als Einzel- objekte erhalten und hängen daher nicht unmittelbar mit anderen Fragmenten im Bestand des Archivs der Stadt Kaschau zusammen. Im Falle der ersten bei- den ist der musikalische Inhalt das weniger bestimmende Element der Identi- fizierung. Der Gruppe der Prämonstratenserquellen können sie insbesondere anhand von Schrift, Verzierungssystem und Notationsstruktur zugeschlagen werden. Beim dritten Fragment, dem Antifonale H III/2 pur 15, lässt sich die Prämonstratenserherkunft anhand mehrerer Parameter dokumentieren. Sequentiar H III/2 mac 41 Das Sequentiar H III/2 mac 41 stammt aus dem ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert und ist im Metzer-gotischen System notiert. Die Notation ver- teilt sich auf neun Zeilen eines fünflinigen Notensystems mit einfacher Um- rahmung mit Anwendung des C- und F-Schlüssels (in Form eines Tractu- lus und zweier übereinander geschriebener Rauten). Der C-Schlüssel hat in manchen Fällen einen mäßig verlängerten oberen, horizontalen Schaft. Der Custos findet hier keinerlei Gebrauch. Von den einfachen Neumen findet ver- einzelt auch die Virga Verwendung, jedoch überwiegt das Punctum. Der Pes ist geschrieben mit einem eigenständigen, einleitenden Punctum in Kombina- tion mit einer vertikal gestellten Virga mit deutlich nach rechts gerichtetem Kopf. Der Clivis ist Metzer Art, rechtwinklig, mit zugeschnittener Endigung. Der Scandicus sowie der Climacus werden aus der Kombination der auf- und absteigenden Puncta mit der Virga gebildet. Der Torculus besteht aus einem eigenständigen Punctum und aus gebundener, bogiger, nach unten verlängerter 48 Veselovská, „Stredoveké notované fragmenty zo Slovenského národného archívu,“ 223–246. 49 Für den genauen musikalischen Inhalt der Kaschauer Prämonstratenser Fragmente H III/2 mac 41, H III/2 pur 13 und H III/2 pur 15 siehe: Veselovská und Lazorík, Catalogus fragmentorum – Archivum Civitatis Cassoviensis, 96–97 und 102–104. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 88 15. 12. 2023 09:17:23 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 89 Gestalt des Tractulus und des Clivis. Der Porrectus besteht aus dem Clivis und der Virga. Tabelle 6: Neumenzeichen von H III/2 mac 41 und aus dem Sequentiar Hm L Sedlák 1 aus dem Slowakischen Nationaarchiv in Pressburg (Bratislava) Signatur Punctum, Virga Pes Clivis Scandicus H III/2 mac 41 Hm L Sedlák 1 SNA Signatur Climacus Torculus Porrectus Schlüssel H III/2 mac 41 Hm L Sedlák 1 SNA Auf dem Fragment sind vier Sequenzen für den November erhalten. Die Se- quenz Omnes sancti seraphin vom Hochfest der Allerheiligen (1. November) ist unvollständig; erhalten geblieben ist nur ein Teil des letzten Verses. Vollständig sind zwei weitere Sequenzen, Sacerdotem Christi Martinum für den Gedenktag des hl. Martin (9. November) und Gaude Sion quod egressus für den Gedenktag der hl. Elisabeth von Ungarn (Elisabeth von Thüringen) (17. November, To- destag). Die letzte Sequenz für den Gedenktag der hl. Katharina von Alexan- drien (25. November) Sanctissimae virginis ist wiederum unvollständig. Die melodische Einleitung der Sequenz Sacerdotem Christi Martinum (Pro- tus) ist realisiert auf den Tönen c, e, g, e, e, g, a, a, g. Der Verlauf ist identisch mit der Melodie der zentralen Graner Quellen außer dem Anfangston c (im Pressburger notierten Missale I EC Lad. 3 ist der Anfang auf dem Ton d).50 Die Einleitung auf den Tönen c, e, g taucht lediglich im neuzeitlichen kroati- schen Gradual MR 6 von 1719 aus der National- und Universitätsbibliothek in Agram (Zagreb) in Kroatien auf. Die Fortsetzung der Melodie der Sequenz des Kaschauer Fragments allerdings entspricht der Agramer Version nicht. 50 Andrea Kovács, Monumenta of Medieval Liturgical Poetry in Hungary: Sequences; Critical Edition of Melodies (Budapest: Argumentum, Liszt Ferenc Academy of Music and Church Music Research Group, 2017), Nr. 5, 19–21. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 89 15. 12. 2023 09:17:23 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 90 Der Ton c auf dem Wort „cuncta“ entspricht im Gegenteil der Version des Ka- schauer Graduals Clmae 172b aus der Ungarischen Nationalbibliothek in Buda- pest. Ähnlich entsprechen auch die Version der Töne f, e auf dem Wort „canat“ und der Abschluss des Einleitungsverses mit Verwendung des Clivis auf den Tönen f-e dem Kaschauer Graduale. Ähnlich besteht ein grundsätzlicher Un- terschied auch im Einleitungsintervall der Verse 2a, 2b, 3a, 3b, 5a, 5b auf den Wörtern „Panonia“, „Italia“, „Et Galiae“, „Sed pariter“, „Hic celebris“ und „Qui impares“ (Pes: d-a). Außer dem Kaschauer Graduale nähern sich dieser melodi- schen Version des Kaschauer Fragments auch das Zipser Graduale des Georgius aus Käsmark Ms. 1 (Zipser Kapitel, 1426), das Graduale des Königs Wladislaus Ms. I. 3 („Ulászló Graduale“; Főszékesegyházi Könyvtár Gran (Esztergom), Anfang sechzehntes Jahrhundert), das Sequentiar sine sign. aus Mediasch (Par- ohia Evangelica C.A. Mediaș in Rumänien, um 1450) und das Graduale 759 von Kronstadt (Brașov) in Rumänien (Bruckenthalmusem Brașov). Die melodische Version der weiteren vollständigen Sequenz für den Ge- denktag der hl. Elisabeth Gaude Sion quod egressus steht wiederum den obigen Manuskripten des Umkreises des Zipser Graduales und des Graduales des Kö- nigs Wladislaus Ms. I. 3 sowie den rumänischen Kodexen näher, namentlich dem Sequentiar sine sign. aus Mediasch und dem Graduale 759 von Kronstadt (Brașov) – bspw. die melodische Version des Melismas a-h-a-g-f auf dem Wort Abbildung 2: Sequenz Sacerdotem Christi Martinum im Sequentiar H III/2 mac 41. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 90 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 91 „tui“ im Rahmen des ersten Verses. Mehrere Stellen sind mit einem Etikett des städtischen Amtsbuchs überklebt, sodass es nicht möglich ist, alle alter- nativen melodischen Varianten, hauptsächlich der Einleitungsverse, abzuglei- chen. Der weitere Verlauf der Melodie ist ebenfalls in mehreren Varianten der erwähnten Handschriften festgehalten. Aus den Textunterschieden ist die Übereinstimmung auf dem Wortpaar „dignis fulget“ anstelle „dignis luces“ aus dem sechsten Vers von Interesse, die der Version aus dem Graduale des Kö- nigs Wladislaus Ms. I. 3 gleicht, oder auf der Variante des Wortes „mundas“ anstelle „mundans“ im sechsten Vers, die im Zipser Graduale auftritt. Bei der Gesamtbewertung des musikalischen Inhalts des Kaschauer Sequentiars passen die Versionen der Sequenzen insgesamt zum Umkreis des Kaschauer Gradu- ales, des Zipser Graduales, des Graduales des Königs Wladislaus Ms. I. 3 und dem rumänischen Kodex Sequentiar sine sign. aus Mediasch (Mediaş) sowie dem Graduale 759 von Kronstadt (Brașov). Missale H III/2 pur 13 Das Missale H III/2 pur 13 (bzw. auch Rituale, Prozessionale oder Ordina- rium Missae) aus dem ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert ist notiert mit Metzer-gotischer Notation. Das rote vierlinige Notensystem ist mit einer doppelten Umrahmung ohne Custos und unter Verwendung des C-Schlüssels ausgeführt. Auf dem oberen Deckel des städtischen Amtsbuchs ist lediglich die obere Hälfte des Pergamentfoliums mit sechs Linien und mit der ur- sprünglichen Foliierung (lii) erhalten. Die Melodie ist syllabisch. Nur einige Mehrtonneumen fanden hier Gebrauch. Das Punctum ist in Form der Raute. Der Pes wird mit einem eigenständigen Punctum eingeleitet. Der Clivis ist rechtwinklig, Metzer Art ohne die rautenförmige Endigung. Mit der Nota- tion ist der liturgische Text vom Weißen Sonntag versehen. Der liturgische und musikalische Inhalt erlaubt keine genaueren Aussagen über die Herkunft der Handschrift. Dagegen lässt sich im Falle dieses Fragmentes die Herkunft anhand der Schreibweise der Initialen feststellen. Ein äußerst nahstehender Typus der roten Initialen mit einer einfachen geometrischen Füllung und mit einer spezifischen ornamentalen Verzierung wird durch das Sequentiar aus Le- les verkörpert (Slowakisches Nationalarchiv, Bestand „Glaubwürdige Stätte des Prämonstratenserkonvents Leles,“ Sedlák Nr. 1).51 Wir gehen daher davon aus, dass auch das Kaschauer Fragment aus dem Prämonstratenserskriptorium aus Leles stammte. 51 Veselovská, Catalogus fragmentorum – Archivum Nationale Slovacum, Nr. 19, 71. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 91 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 92 Missale H III/2 pur 13 Sequentiar aus Leles Abbildung 3: Initialen im Missale H III/2 pur 13 und Sequentiar aus Leles (Slowakisches Nationalarchiv). Antifonale H III/2 pur 15 Das Antifonale H III/2 pur 15 datieren wir auf das dritte Viertel des fünfzehn- ten Jahrhunderts. Die Graner Notation steht auf zehn Zeilen eines roten vier- linigen Notensystems mit einer zweifachen Umrahmung und mit Gebrauch des C-Schlüssels. Der Custos ist spezifisch, mit einer bogigen Endigung nach oben. Der Pes ist in zwei Gestalten geschrieben, in einer fließenden Version und in Einleitung mit einem eigenständigen Punctum und mit einer Virga mit Kopf nach rechts. Der Clivis ist Metzer Art, mit einer rautenförmigen Endi- gung des niedrigeren Tons. Der Scandicus besteht aus einem eigenständigen Punctum, einem Tractulus und einer Virga mit Kopf nach rechts. Der Climacus in einer selbstständigen Gestalt findet sich auf dem Folium nicht. Im Rahmen des Wortes „vadam“ wird allerdings das Melisma pes subtripunctis verwendet, das eine Reihe absteigender Töne in Anspruch nimmt, ähnlich wie der Cli- macus. Die Reihe ist zusammengesetzt in vertikaler Position. Aufgrund dessen lässt sich annehmen, dass auch der Climacus im Falle dieser Version der Graner Notation in vertikaler, also typisch Graner Aufstellung geschrieben wurde. Auf dem Fragment ist ebenfalls kein Beispiel eines Porrectus erhalten. Der Torculus ist in fließendem Zug geschrieben. Das einleitende Punctum ist unmittelbar an die ganze Schreingestalt dieser Dreitonneume (niedrigerer-höherer-niedrige- rer Ton) angeschlossen. Die Notation des Kaschauer Fragments ähnelt den Prämonstratenserfrag- menten eines Antifonales H-Bn A1 (Ungarische Nationalbibliothek Buda- pest), einem Psalter – Hymnar H-Bu Fr.Im 253 (Universitätsbibliothek Bu- dapest) oder einem Graduale H-Efkö Fr. 92 (Dombibliothek Gran (Eszter- gom)). Verwandt sind besonders die Gestalt des Custos oder die Endigung des Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 92 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 93 Clivis, der dreiteilige Scandicus und zwei Arten der Schreibweise des Pes. In das Umfeld des Kaschauer Antifonale würden wir auch das Beispiel der Graner Notation des Kantionals H-Bfr Cod. Med. 09 von 1516 (Zentrale Provinzial- bibliothek und Archiv der Franziskanerprovinz, Budapest) einordnen, dessen Custos ähnlich nach oben geführt ist.52 Tabelle 7: Notationszeichen des Antifonales H III/2 pur 15 Punctum Pes Scandicus Torculus Cephalicus Schlüssel Custos Clivis Climacus Porrectus Der liturgisch-melodische Inhalt des Fragments belegt die Antifonen zu den Cantica (eine zum Benedictus und sechs zum Magnificat) aus der fünften Oster- woche (Sonntag + Feriae). Die Abfolge stimmt vollständig mit dem Zipser Diurnale Ms. R II 125 (Bibliothek Batthyaneum in Weißenburg (Alba Julia) im heutigen Rumänien) aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts überein.53 Der melodische Abschluss der Antifone Vado ad eum entspricht ge- nau der Version der Antifone aus dem Pressburger Antifonale IV (Slowakisches Nationalarchiv, 2, f. 152v) in der Edition MMMA/A.54 Die Kaschauer Version der Antifone Ego veritatem unterscheidet sich von der zentralen Graner Me- lodik der Edition MMMA/A55 in vier Wörtern: „dico“ (Kaschauer Variante c-h, a-h anstatt der Graner Version c-h, a-c), „expedit“ (a, g-a, g anstatt a, g, g), „enim“ (a-g, g-a-d anstatt a-g, g-d); und das abschließende Halleluja setzt auf dem Ton h anstelle von c an. Die Antifone Adhuc multa aus Kaschau unter- scheidet sich von der Graner Version in MMMA/A in den Wörtern „habeo“ (c-d, c, c-h anstatt d, c, h), „non“ (d anstatt c), „potestis“ (c, h-c, a anstatt h-c, a, a) und „ille“ (c, c anstatt c-h, c). Die Antifone Dum venerit paraclitus ist lei- der schlecht sichtbar aufgrund einer Beschädigung des Pergaments. Dennoch sind Unterschiede auf den Wörtern „veritatis“ (a, a-g-a, g-a-g, g anstatt a, a- 52 Vgl. http://neuma.zti.hu/attekinto.asp. 53 Július Sopko, Stredoveké latinské kódexy slovenskej proveniencie v Maďarsku a Rumunsku (Martin: Matica slovenská, 1982), Nr. 398; CAO – ECE V/A, 186–187 und 317. 54 MMMA/A, Nr. 1342, 170, vgl. auch http://cantus.sk/image/5346. 55 MMMA/A, Nr. 7264, 992. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 93 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 94 g-a, g, g) sowie „ille“ (g-a, c-d, d anstatt g, h-c-d) erkennbar. Völlig fehlend ist die Gruppe der drei Wörter “et de judicio” des abschließenden Halleluja.56 Die Antifone Cum autem venerit unterscheidet sich etwas in der Melodik der Wörter „veritatis“ (g-d, c, g, g anstatt a, a-h-a, g, g), „docebit“ (g, h, d anstatt g, h, c), „veritatem“ (c, c-d, c, c anstatt a-d, d, c, c) und et (c anstatt h-c). Der Ab- schluss der Melodie der Antifone ist leider schlecht leserlich.57 Die Antifone Non enim loquetur fehlt in den zentralen Quellen des Graner Ritus außer im Codex Albensis Mss. 211 (Universitätsbibliothek Graz, f. 90r), dagegen ist sie in den Zipser Brevieren enthalten (Breviarium Scepusience R II 102, Bibliothek Batthyaneum in Weißenburg (Alba Julia),58 Diurnale Scepusiense R II 125, Bi- bliothek Batthyaneum in Weißenburg (Alba Julia),59 Breviarium Scepusiense 63.74.1. C aus Bartfeld (Bardejov), Ungarisches Nationalmuseum Budapest, Breviarium Scepusiense 63.84.C aus Bartfeld (Bardejov), Ungarisches Natio- nalmuseum Budapest). Die melodische Version konnten wir lediglich mit der Version des franziskanischen Antifonales Cod. Lat. 119 (f. 38v; Sign. H-Bu lat. 119, Universitätsbibliothek in Budapest) aus der Edition MMMA/A (Nr. 8234*) abgleichen.60 Aus diözesanem Umfeld ist aus dem mittelalterlichen Ungarn keine notierte Gestaltungsform erhalten. Ungeachtet der schlechten Leserlichkeit der Melodie aus Kaschau sind Unterschiede ersichtlich auf den Wörtern „quaecumque“ (c, c-d, d anstatt g, a-c, c), „audiet“ (d, a, c anstatt c, g, a), „ventura“ (c, c-h, a anstatt d, c-h, a) und „annuntiabit“ (a, c, c, c, c-d-c anstatt a, c, h, c, d). Die Antifone Ille me clarif icabit ist leider unvollständig und es war nicht möglich, ihre komparative Erfassung in Angriff zu nehmen.61 Tabelle 8: Abgleich der Abfolge der Antifonen der fünften Osterwoche H III/2 pur 15 / Ms 125 Gran Zips Sieben- bürgen Codex Albensis Agram Krakau 1 L/Ab. Vado ad eum + + + + + + V2/Am. Ego veritatem + + + + + Vado ad eum V2/Am. Adhuc multa Cum venerit Cum venerit + Dum venerit Cum venerit Ego veritatem V2/Am. Dum venerit paraclitus Adhuc multa Adhuc multa - Cum autem Adhuc multa + 56 MMMA/A, Nr. 8299, 1169. 57 MMMA/A, Nr. 7261, 990. 58 Sopko, Stredoveké latinské kódexy slovenskej proveniencie v Maďarsku a Rumunsku, Nr. 392. 59 Sopko, Stredoveké latinské kódexy slovenskej proveniencie v Maďarsku a Rumunsku, Nr. 398. 60 MMMA/A, Nr. 8234*, 1135. 61 MMMA/A, Nr. 1034, 11–12. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 94 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 95 V2/Am. Cum autem venerit + + - Adhuc multa - Adhuc multa V2/Am. Non enim loquetur - + - + - Cum autem V2/Am. Ille me clarif icabit + - - - - Non enim - - - - - - Ille me Anhand der liturgisch-musikalischen und der Notationselemente nehmen wir an, dass das Fragment des Antifonales H III/2 pur 15 aus dem ostslowaki- schen bzw. ostungarländischen Prämonstratenserumfeld stammt. Spezifische langgezogene Initialen der Antifonen nähern sich dem Fragment des Gradu- ales Kvt.4/279 aus der Franziskanerbibliothek in Güssing (Österreich), das die ungarische Musikhistorikerin Janka Szendrei Quellen aus dem Gebiet der heutigen Slowakei62 bzw. dem Fragment des Antifonales Cth. X 846 aus der Kapitellbibliothek in Raab (Káptalani Magánlevéltár Győr)63 zuschrieb. Im Rahmen der Erörterungen der Notationszeichen räumen wir auch die Möglichkeit ein, dass eine Prämonstratenserprovenienz auch für das Kaschau- er Fragment des Antifonales H III/2 re 6 gelten könnte, das in Graner Nota- tion verfasst ist.64 Antifonale H III/2 re 6 Das Antifonale H III/2 re 6 wird auf die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts datiert. Das Fragment ist notiert in Graner Notation, die in sechs Zeilen eines roten vierlinigen Notensystems mit Verwendung der Schlüssel C, G und F (in Form des Buchstabens „f“) angebracht ist. Der Custos fand keinen Einsatz. Das Punctum ist rautenförmig. Der Pes ist in Einleitung mit einem eigenständigen Punctum und mit einer vertikal aufgestellten Virga mit nach rechts gerichtetem Kopf geschrieben. Der Clivis ist Metzer Art, rechtwinklig. Er ist in einem flie- ßenden Zug ohne eine rautenförmige Endigung geschrieben. Der Scandicus ist gebildet aus einem Punctum, einem Tractulus und einer eigenständigen Virga. Der Climacus ist typisch Graner Art mit einem zweifachen einleitenden Bi- punctum und einer Reihe absteigender, vertikal aufgestellter Puncta. Der Torcu- 62 Janka Szendrei, A magyar középkor hangjegyes forrásai, F 586, 117; Janka Szendrei, „Die Geschichte der Graner Choralnotation,“ Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 30 (1988): 139; Gabriella Gilányi, Mozaikok Erdély ismeretlen gregorián hagyományából: Egy Anjou-kori antifonále töredékei Güssingben / Mosaics from the Unknown Gregorian Heritage of Transylvania: Fragments of an Antiphonary from the Anjou Period in Güssing (Budapest: Research Centre for the Humanities, Institute for Musicology, 2019), 114. 63 Gilányi, „A ‚Főkötős atyafiak‘,“ 357–369. 64 Für den genauen musikalischen Inhalt des Fragmentes H III/2 re 6 siehe: Veselovská und Lazorík, Catalogus fragmentorum – Archivum Civitatis Cassoviensis, 104–105. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 95 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 96 lus hat in Einleitung ein eigenständiges Punctum, hinter dem die Schreinform des fließend verbundenen Tractulus und Clivis folgt. Der Porrectus besteht aus dem vertikal aufgestellten Clivis und der Virga. Die Gestalten in der Gra- ner Notation weisen ein ähnliches System in der Schreibweise der einzelnen Neumenstrukturen auf wie im Falle des Fragments des Graduales H III/2 mac oder der kursiven Variante der Graner Notation, die durch das Kaschau- er Missale Clmae 395 dokumentiert ist. Es handelt sich allerdings nicht um denselben Notenschreiber. Die Graner Notation des Antifonales zählen wir zum ostslowakisch-siebenbürgischen Umkreis und räumen die Möglichkeit ein, dass dieses ebenfalls aus dem Prämonstratenserumfeld stammen könnte. Tabelle 9: Graner Notation im Antifonale H III/2 re 6, Graduale H III/2 mac 50b und Kaschauer Missale Clmae 395 Signatur Punctum Pes Clivis Scandicus Climacus H III/2 re 6 H III/2 mac 50b Kaschauer Missale Clmae 395 Signatur Torculus Porrectus Cephalicus Schlüssel H III/2 re 6 H III/2 mac 50b Kaschauer Missale Clmae 395 Auf dem Fragment blieben die Gesänge vom zweiten Fastensonntag erhalten. Die Matutin ist leider nicht vollständig und es fehlen mehrere Teile der einzel- nen Nokturnen. Aus liturgischer Sicht ist der Gebrauch des Verses Si reversus fuero zum Responsorium Erit mihi dominus von Interesse, der in zwei franzis- Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 96 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 97 kanischen Handschriften aus dem mittelalterlichen Ungarn auftaucht (Anti- fonale Cod. D Nr. 5 im Franziskanerkloster in Ragusa (Dubrovnik) in Kroati- en und Antifonale Cod. Lat. 118 aus der Universitätsbibliothek in Budapest).65 Für den Graner Ritus widerspricht die Positionierung der Antifone Vade mu- lier an die Einleitungsstelle der dritten Nokturn der Tradition. Diese Einrei- hung erscheint im siebenbürgischen Umfeld. Der melodische Verlauf ließ sich leider nicht detailliert abgleichen aufgrund der bruchstückhaften Erhaltung des Fragments. Die Metzer-gotische-Graner Mischnotation und die Prämonstratenser Fragmente aus Kaschau Die Graner Notation ist das Produkt mittelalterlicher ungarischer Skriptorien. Auf dem Gebiet der Slowakei sind zwei komplette Kodizes – das Bratislavaer Missale I (EC Lad. 3, EL 18, Staatsarchiv Bratislava), das Graduale von Nitra (Neutra) und einige Dutzend Fragmente aus dem zwölften bis – achtzehnten Jahrhundert erhalten. Die Graner Notation ist vom ganzen Territorium der Slowakei belegt.66 Das Notationssystem, dass die ungarische Musikwissenschaftlerin Janka Szen- drei als Graner oder ungarische Notation bezeichnet,67 begann sich im frühmittel- alterlichen Ungarn im Laufe des zwölften Jahrhunderts entwickelt. Sie wurde auf den Prinzipien mehreren ausländischen Notationen (die französische, italienische, deutsche Elemente) in der Umgebung des Hauptkirchenzentrums des Landes – Gran herausgebildet.68 Im Rahmen der Entwicklung der mittelalterlichen Musik- kultur spielte dieses Notationssystem eine bedeutende Rolle. In einem gewaltigen Zeitraum (ca. 500 Jahre) war das Graner Notationssystem eines der markanten Zeugnisse einer einzigartigen Tradition des mittelalterlichen Ungarns. In Ungarn wurde diese Choralschrift zwischen dem zwölften und acht- zehnten Jahrhundert verwendet.69 Der strukturelle Aufbau der Notation blieb während der ganzen Zeit der Verwendung unverändert.70 Diese hybride Kon- taktnotenschrift charakterisierten die fließende Züge und die Gebundenheit der 65 Vgl. http://cantusindex.org/id/006668b. 66 Eva Veselovská, „Notatio Strigoniensis – ostrihomská notácia na Slovensku,“ Musicologica Slovaca 1, Nr. 1 (2010): 46–79; Eva Veselovská, „Notation und Identität: Bemerkungen zur gegenseitigen Druchdringung der typologischen Strukturen der Notationssysteme vom Gebiet der Slowakei,“ De musica disserenda 9, Nr. 1–2 (2013): 61–82; Szendrei, „Die Geschichte der Graner Choralnotation,“ 5–234. 67 Szendrei, „Die Geschichte der Graner Choralnotation,“ 5–234. 68 Janka Szendrei, Középkori hangjegyírások Magyarországon (Budapest: MTA Zenetudományi Intézet, 1983). 69 Janka Szendrei, „Choralnotationen in Mitteleuropa,“ Studia Musicologica 30 (1988): 437–446. 70 Eine Analyse des Ursprungs der Graner Notation und die grundlegenden Unterschiede von der Metzer Notation präsentiert Janka Szendrei schon im Falle des ältesten Denkmals mit diesem Notationssystem – dem Pray-Kodex (Codex Prayanus). S. Szendrei, „Die Geschichte der Graner Choralnotation,“ 66–69. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 97 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 98 Grundformen. Die Graner Notation akzeptierte und übernahm das Liniensy- stem als eines der ersten Länder Mitteleuropas, ähnlich wie z. B. die Reformströ- mungen der Zisterzienser Skriptorien oder auch die spätere böhmische Nota- tion.71 Der individuelle Charakter der Graner Notation ging vom Aufbau eines Neumensystems aus, das die Kontaktneumen des Metzer – norditalienischen Zeichensystems und der deutschen Schreibtechnik repräsentierten. Eine deko- rativere, kalligraphische Form hatte die Graner Notation zu Beginn des vier- zehnten Jahrhunderts, als sie auch auf dem Gebiet der Slowakei auftaucht (Bra- tislavaer Missale I, Notiertes Brevier A/13 aus dem Stadtmuseum Bratislava)72. Ende des Mittelalters erfüllte die Graner Notation die wichtige Aufgabe einer praktischen, schnellen Kursivschrift (Graduale von Neutra, Schulbücher, theo- retische Traktate). Im Spätmittelalter verwendeten die konservativen Pauliner diese Schrift zwar in ihrer monumentalisierten, gotisierten Form. Während ihres Bestehens war sie nie expansiv. Die Grenzen ihres Vorkommens fallen mit dem Diözesanrahmen des mittelalterlichen Ungarns zusammen. Die Graner Notation tauchte im mittelalterlichen Ungarn parallel zu an- deren Notationstypen auf. Sie wurde vor allem in Handschriften verwendet, die als Produkt des Graner Kreises angesehen werden. Das dominante Nota- tionssystem auf dem Gebiet der Slowakei aber war während des ganzen Mit- telalters die Metzer-gotische Notation, die durch 10 vollständige Kodizes und mehrere hundert Fragmente dokumentiert wird. Im Zuge des Reformprozesses entstand Mitte des fünfzehnten Jahrhun- derts eine Kontaktnotationsschrift, die nicht als reine Metzer Notation gel- ten kann, da Graner Elemente in ihr wirkten. Janka Szendrei nennt diesen Notationstyp Metzer-gotische Graner Mischnotation. Die Entstehung die- ser Notenschrift spiegelt das Niveau der ungarischen Skriptorien wider, die zwar auf die alte Tradition bauten, sich aber auch nicht vor anderen Einflüs- sen verschlossen. Es handelte sich um eine Metzer-gotische Notation, die mit den ungarischen (Graner) Elemente gemischt war. Wichtige Repräsentanten der Metzer-gotischen Mischnotation sind einige Antifonale Bände mit dem Graner Ritus von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, das Graner Anti- fonale Mss. I. 3 aus der Hauptdiözesanbibliothek in Gran73 oder das Bratis- lavaer/Buda Antifonale III (EC Lad. 6 Staatsarchiv Bratislava) von der Ende 71 Eva Veselovská, „Choralnotationen der mittelalterlichen liturgischen Kodizes des 14. und 15. Jahrhunderts in slowakischen Archivbeständen,“ De musica disserenda 5, Nr. 1 (2009): 85–106. 72 Július Sopko, Kódexy a neúplne zachované rukopisy v slovenských knižniciach [Kodizes und unvollständig erhaltene Handschriften in slowakischen Bibliotheken] (Martin: Matica slovenská, 1986), Nr. 499; Eva Veselovská, Mittelalterliche liturgische Kodizes mit Notation in den Archivbeständen von Bratislava (Bratislava: Slovenské národné múzeum, Hudobné múzeum, 2002), Nr. 51, 90–91. 73 Ein Fragment der Antifonals befindet sich im Staatsarchiv Trnava (MMT III d/599 Liber restantiarum 1659–1676). Eva Veselovská und Kinga Körmendy, „Az Esztergomi Főszékesegyházo Könyvtár Ms I 3c jelzetű antifonáléjának egy töredéke a Nagyszombati Városi Levéltárban,“ Magyar Könyvszemle: Könyv és sajtótörténeti folyóirat 131, Nr. 3 (2015): 300–302. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 98 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 99 des fünfzehnten Jahrhunderts.74 Zur Zeichen- und Formstruktur des Graner Antifonales gesellen sich zum Beispiel auch die Neumenformen des Graduale- Fragments aus der Kammerrechnung 3112 des Magistrats der Stadt Modra (Modern), die im dritten oder vierten Quartal des fünfzehnten Jahrhunderts entstanden.75 Weitere Handschriften, die die gelockerte Technik dieses Sys- tems verwenden, sind der Ofener Psalter (Mss. I. 3 c aus der Hauptdiözesan- bibliothek in Gran), dann die Choralbücher, die der Tätigkeit des Zagreber Bischofs Osvát Thuz (MR 1, MR 10, Kathedralbibliothek Zagreb) zu verdan- ken sind und das Bakócz Graduale (Mss. I. 1aus der Hauptdiözesanbibliothek in Gran).76 Zwei mittelalterliche Fragmente aus dem Staatsarchiv in Trnava: Graduale (Zünfte – Maurer Meisterbuch 1653–1870) und Graduale (IIId/598 Liber taxarum 1605–1669) sind ebenfalls in einem Metzer-gotischen Misch- zeichensystem vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts notiert. Das Metzer-gotische Mischzeichensystem war ein bedeutender Notations- typus der zweiten Hälfte des fünfzehnten und des Beginns des sechzehnten Jahrhunderts. Es wurde vor allem in zentralen ungarischen Skriptorenwerkstät- ten (Gran, Ofen) aber auch bei den Prämonstratenser Handschriften verwendet. Der gesamte Charakter der Notation und das System der verwendeten Zei- chen der gemischten Metzer-Graner Notation der Prämonstratenser Quellen von Leles und Kaschau nähert sich sehr deutlich. Trotz der kleinen Anzahl vollständig erhaltener Prämonstratenser Materialien aus der Slowakei kön- nen wir zwei bedeutende Gruppen belegen, die Fragmente aus dem Prämon- stratenser Konvent Leles aus dem Slowakischen Nationalarchiv in Bratislava (die Aktenmappen Acta anni - varia des Prämonstratenser Konvent Leles)77 und die Kaschauer Gruppe aus dem Archiv der Stadt Kaschau. Die Kaschauer Fragmente dokumentieren einige spezifische Abweichungen, bspw. ein spezi- 74 Eva Veselovská, „Fragmente des Budaer Antiphonars im St. Adalbert-Verein Trnava und im Archiv des Slowakischen Nationalmuseums,“ Studia Musicologica 56, Nr. 2–3 (2015): 233–246; Eva Veselovská, „Po stopách Budínskeho/Bratislavského antifonára III,“ Musicologica Slovaca 7 [33], Nr. 2 (2016): 222–248. 75 Eva Veselovská, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi e civitatibus Modra et Sanctus Georgius, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia 1 (Bratislava: Ústav hudobnej vedy SAV, 2008), 75. 76 Janka Szendrei, Hrsg., Graduale Strigoniense: saec. XV/XVI, Musicalia Danubiana 12 (Budapest: MTA Zenetudományi Intézet, 1993). 77 Auf den Aktenmappen Acta anni – varia des Prämonstratenser Konvent Leles sind vier notierte Fragmentengruppen erhalten geblieben, es handelt sich um vier verschiedene gottesdienstliche Bücher: ein Sequentiar /Hymnar aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Metzer- gotische Graner Mischnotation), ein Missale aus den Jahren 1350–1375 (Graner Notation), ein Antifonale aus den Jahren 1350–1375 (Metzer-gotische Graner Mischnotation) und ein Psalter von der Wende des 14. und 15. Jahrhunderts (Metzer-gotische Notation). Metzer-gotische Graner Mischnotation dokumentieren zwei Handschriften – das Antifonale und das Sequentiar. Veselovská, Catalogus fragmentorum – Archivum Nationale Slovacum, Nr. 19 und Nr. 21, 59–60 und 73–75. S. dazu Veselovská, „Stredoveké notované fragmenty zo Slovenského národného archívu,“ 223–246. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 99 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 100 elles Typus des Custos, spezifischer Gestalt der Schlüssel etc. Der Charakter der einzelnen Notationsgestalten (Pes, Clivis, Climacus, Scandicus, Porrectus so- wie Torculus) zeugt von einer außergewöhnlich nahen Verwandtschaft der No- tation, wie es jüngere Prämonstratensermanuskripte belegen, so das Vesperbuch aus Leles (ohne Signatur, Sopron), das Prämonstratenser-Kantional aus Segedin (ung. Szeged), die Fragmente aus Leles oder die ältere Fragmente H-Gel Cth X 846 aus Raab (Káptalani Magánlevéltár), H-Bmnl Fragm. Lat. Q 406-24 (ELTE Egyetemi Könyvtár, Sign. U. Fr. l. m. 253). Ein Vorkommen des sog. „reinen“ Typus der Graner Notation in Prämonstra- tenserkreisen werden allerdings weitere Erforschungen von Fragmenten nicht nur aus dem Gebiet der Slowakei, sondern auch aus dem heutigen Ungarn und Rumä- nien stützen müssen. In der Notenschreibertradition der Prämonstratenser könnte sie allerdings ähnlich dem Fall der ungarländischen Pauliner eine gewichtige Rolle gespielt haben. Schluss In der Slowakei sind heute lediglich achtzehn komplette musikalische Manu- skripte erhalten. Daher ist eine Erforschung der fragmentarisch erhalten ge- bliebenen Kodexe eine wichtige Voraussetzung für eine konstruktive Rekon- struktion der ursprünglichen Quellenbasis. Ein Teil dieser Materialien wurde zwar aus dem Ausland in das heutige slowakische Gebiet eingeführt, insbe- sondere wenn es sich um Gebinde angekaufter Inkunabeln oder alter Drucke handelte. Die überwiegende Mehrheit der Fragmente aus städtischen Kanz- leien oder aus kirchlichen Institutionen stammt jedoch aus einheimischen, also ungarländischen Manuskripten. Viele Fragen über Entstehung und Herkunft der erhalten gebliebenen Quel- len werden wir aufgrund der nur partiellen Angaben über konkrete Handschrif- ten nie abschließend klären können. Ungeachtet dieses Umstandes halten wir die durchgeführte Quellenforschung an den Pergamentfragmenten aus dem Archiv der Stadt Kaschau in der Ostslowakei für sehr erfolgreich und wichtig im gesamtslowakischen sowie im europäischen Maßstab. Im Kontext anderer Einrichtungen, die ähnliches Schriftgut aufbewahren, handelt es sich um ein außerordentlich homogenes und interessantes mittelalterliches Material, wie insbesondere die Fragmente des Antifonales (Vesperbuchs) aus Prämonstra- tenserprovenienz (Sign.: Antifonale H III/1 B. Nr. 2, H III/2 ar 5, H III/2 mac 13, H III/2 mac 14, H III/2 mac 16, H III/2 mac 17, H III/2 mac 18) bezeugen. Der liturgische und musikalische Inhalt der Fragmente bewegt sich im Um- kreis der Graner Liturgie, wobei mehrere regionale und abweichende Gesänge belegt sind (Siebenbürgen, Ostslowakei und Zips). Das gemischte System der Metzer-Graner Notation steht der Provenienz nach den Fragmenten des Anti- fonales den Prämonstratenserhandschriften nahe. Der Gebrauch des Custos mit Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 100 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 101 langer haarfeiner Linie passt allerdings nicht zu den siebenbürgischen Parallelen. Einflüsse aus diesem Raum sind jedoch aus dem liturgischen Inhalt ersichtlich. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns die Hypothese aufzustellen, dass die Gruppe der Fragmente des Antifonales (des Vesperbuchs) in einem der Prämonstratenserskriptorien in der Nähe von Kaschau hergestellt worden sein dürfte, also in Leles oder in Jossau. Da allerdings im Bereich der liturgi- schen Handschriften bislang nur die skriptoriale Aktivität im Leleser Kon- vent belegt ist, nehmen wir die Entstehung der Fragmente eher dort an. Trotz der „siebenbürgischen“ Elemente in der Notation und im liturgischen Inhalt sind mehrere Strukturen hingegen verwandt mit den mittelalterlichen Ma- terialien aus der heutigen Ostslowakei (Zips bzw. Bartfeld, Leutschau). Die ganze Gruppe lässt sich auch mit einem anderen Namen als Fragmente aus dem Vesperbuch bezeichnen, da die große Mehrheit aller Fragmente ledig- lich die Gesänge für die erste oder die zweite Vesper umfasst. Die erforschten Fragmente aus dem Archiv der Stadt Kaschau stellen auf jeden Fall einen wichtigen Beleg für die regionale Aktivität des Prämonstratenserskriptoriums im ausgehenden Mittelalter dar. Ebenso nehmen wir an, dass auch die weiteren drei Fragmente aus dem Archiv der Stadt Kaschau, das Sequentiar H III/2 mac 41, das Missale H III/2 pur 13 und das Antifonale H III/2 pur 15, aus dem Jossauer oder dem Leleser Konvent stammen dürften. Die Herkunft des Antifonales H III/2 re 6 erfordert zukünftig eine tiefergreifende vergleichende Erforschung mit Ein- beziehung der erhaltenen Handschriften im heutigen Ungarn und Rumänien. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Prämonstratenserfragmente aus dem Archiv der Stadt Kaschau einen wichtigen Beleg für die spätmittelalterliche skriptoriale Tradition dieses kanonischen Ordens aus dem Gebiet der heuti- gen Slowakei darstellen. Tabelle 10: Verzeichnis der Prämonstratenser Handschriften aus dem Archiv der Stadt Kaschau Liturgisches Buch mit Signatur Datierung Notation* Fest, Hochfest, Gedenktag Liber tradens Antifonale H III/1 B. Nr. 2 XV./XVI. MG-O Corporis Christi, Dom. 15–19 p. Pent. Articuli Mathiae, Ludovici et Andreae regum et Sigismundi de anno 1464 Antifonale H III/2 ar 5 XV./XVI. MG-O Assumptio Mariae Protocollum Inhibitionum 1617–1620 Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 101 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 102 Antifonale H III/2 mac 13 XV./XVI. MG-O Purificatio B.M.V., Blasii, Agathae, Dorotheae Acta iudiciaria maculatorium anni 1565 sub iudicatui domini Laurentii Goldschmid (Acta iudiciaria, Maculatorium 1565–1566) Antifonale H III/2 mac 14 XV./XVI. MG-O Elisabeth Hung., Caeciliae Maculatorium anni salutis 1579, Concordia Joannis Golopi cum Michaeli Golopii (Acta iudiciaria 1566–1568) Antifonale H III/2 mac 16 XV./XVI. MG-O Dom. 3 Adv., Dom. 4 Adv., Antiphonae Majores Maculatorium anni 1569– 1571. Catherina Porozaliri z Drabčic (?) (Acta iudiciaria 1569–1571) Antifonale H III/2 mac 17 XV./XVI. MG-O De Regum Maculatorium anni salutis 1572. Prudenti et circumspecto domino Wolfgango iudice existente (Acta iudiciaria 1572– 1574) Antifonale H III/2 mac 18 XV./XVI. MG-O In tempore Epiphaniae, Dom. 1 post Epiphaniam, Octava Epiphaniae Maculatorium signaturarum anni 1574 domino Laurentio Aurifabres iudicatum civitatis administrante (Acta Iudiciaria 1574–1578) Sequentiar H III/2 mac 41 XV. MG Omnium sanctorum, Martini, Elisabeth Hung., Catharinae Proto[collum a]ctorum iudiciar[ium] ab anno 1596 [ad] 1600 Missale H III/2 pur 13 XV. MG Sabbato Sancto Protocollum magistratus 1616–1620 Antifonale H III/2 pur 15 1450–1475 O Dom. 4 p. Pascha Protocollum Magistratus 1625 Antifonale H III/2 re 6 XV. O Dom. 2 Quad. Liber restaurationum A. 1621–1645 (Iudicium suburbanorum, cecharum, senatorum, electae communitatis. Conscriptio) Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 102 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 103 *Abkürzungen bei der Notation: MG = Metzer-gotischer Art O = Graner Art MG-O = Mischtypus der Metzer-Graner Art Deutsche Übersetzung: Mgr. Peter Zigman Referenzen Blume, Clemens Hrsg. Historiae rhytmicae: Liturgische Reimoffizien. Analecta Hymnica Medii Aevi 25. Leipzig: O. R. Reisland, 1897. Czagány, Zsuzsa. Antiphonale Varadiense s. XV. 3 Bde. 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Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 104 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 105 Veselovská, Eva. Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi – Archivum Natio- nale Slovacum. Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia 3. Bratislava: Ústav hudobnej vedy SAV, 2014. Veselovská, Eva. Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi e civitatibus Modra et Sanctus Georgius. Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia 1. Bratislava: Ústav hudobnej vedy SAV, 2008. Veselovská, Eva. „Choralnotationen der mittelalterlichen liturgischen Kodizes des 14. und 15. Jahrhunderts in slowakischen Archivbeständen.“ De musica disserenda 5, Nr. 1 (2009): 85–106. Veselovská, Eva. „Fragmente des Budaer Antiphonars im St. Adalbert-Verein Trnava und im Ar- chiv des Slowakischen Nationalmuseums.“ Studia Musicologica 56, Nr. 2–3 (2015): 233–246. Veselovská, Eva. 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Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 105 15. 12. 2023 09:17:24 muzikološki zbornik • musicological annual lix/1–2 106 POVZETEK Fragmenti premonstratenske provenience iz fondov Mestnega arhiva v Košicah Nekateri uradni protokoli iz 16. in 17. stoletja, ki so se uporabljali v mestnih uradih v Košicah na Slovaškem, so vezani v platnice, izdelane iz rokopisnih fragmentov. V Mestnem arhivu Košice je bilo identificiranih vsega skupaj 42 fragmentov iz časa med poznim 13. in zgodnjim 16. stoletjem, trideset notiranih in dvanajst nenotiranih. Pričujoča študija se osredotoča na vire domnevno premonstratenskega izvora. Sedem fragmentov (H III/1 B. št. 2, H III/2 ar 5, H III/2 mac 13, H III/2 mac 14, H III/2 mac 16, H III/2 mac 17, H III/2 mac 18) iz ene liturgične knjige (vesperala) predstavlja pomemben del premonstratenske skupine. Uporabljajo mešano metensko-gotsko in esztergomsko notacijo iz zadnje četrtine 15. stoletja, vendar lahko na njih opazimo nekaj mlajših marginalnih glos oz. dodatkov iz začetka 16. stoletja. Notni zapis je podoben madžarskim premonstratenskim rokopisom, vendar uporablja nekatere posebne oblike. Zelo značilne so oblike ključev, custos, okrašen s tanko linijo, pa izključuje Transilvanijo kot kraj nastanka fragmentov. Fragmenti prihajajo iz različnih delov izvirnega rokopisa, saj na njih najdemo speve za različne praznike liturgičnega leta od 3. adventne nedelje v temporalu do svete Cecilije v sanktoralu. V teh fragmentih so ohranjeni specifični in redki spevi, ki so bodisi neposredno značilni za gransko liturgijo bodisi predstavljajo širše madžarsko-poljsko območje. Glede na njihovo sorodnost z viri iz premonstratenskega in vzhodnoslovaškega okolja lahko njihov izvor pripišemo samostanu Leles, v katerem je bila dokumentirana dejavnost skriptorija. Na podlagi pisave, sistema ornamentacije in strukture notacije lahko skupini premonstratenskih virov pripišemo tudi sekvenciar H III/2 mac 41, misal H III/2 pur 13 in antifonar H III/2 pur 15, verjetno pa tudi antifonar H III/2 re 6. Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 106 15. 12. 2023 09:17:24 E. Veselovská, E. Lazorík: Fragmente der Prämonstratenserprovenienz aus dem ... 107 ABOUT THE AUTHORS EVA VESELOVSKÁ (eva.veselovska@savba.sk) works at the Institute of Musicology of the Slovak Academy of Sciences in Bratislava (since 1999) and has focused on complex source research on medieval notated manuscripts from the territory of Slovakia and of Slovak prov- enance abroad. She has authored and co-authored several scientific works (Stredoveké pramene cirkevnej hudby na Slovensku [Medieval Sources of Church Music in Slovakia], volumes 1–5, 7, and 8 of the series Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia). She specializes in research on medieval notated fragments and medieval notations. She is the founder of Cantus Planus in Slovakia – Slovak Early Music Database (http://cantus.sk), a national database of medieval music from the territory of Slovakia and a co-founder of the Medieval Music Manuscripts from Austrian Monasteries Database (http://austriamanus.org). EDUARD LAZORÍK (eduard.lazorik@savba.sk) is a doctoral student at the Department of Auxiliary Historical Sciences at Masaryk University in Brno and at the Institute of Mu- sicology at the Slovak Academy of Sciences. In his theses, he dealt with medieval fragments deposited in the Slovak National Library in Martin and other institutions in Slovakia (Betliar, Kremnica, Košice etc.) Five studies were published as books – editions in the series Catalo- gus fragmentorum (1, 2, and 3) and Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia (7 and 8). O AVTORJIH EVA VESELOVSKÁ (eva.veselovska@savba.sk) je od leta 1999 zaposlena na Muzikološkem inštitutu Slovaške akademije znanosti v Bratislavi, kjer se ukvarja z raziskavami kompleksnih virov srednjeveških notiranih rokopisov s slovaškega ozemlja in slovaške provenience v tujini. Je avtorica in soavtorica več znanstvenih del (Stredoveké pramene cirkevnej hudby na Slovensku [Srednjeveški viri cerkvene glasbe na Slovaškem], ter zvezkov 1–5, 7 in 8 v zbirki Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia). Specializirana je za raziskave srednjeveških notiranih fragmentov in srednjeveških notacij. Je ustanoviteljica Cantus Pla- nus in Slovakia – Slovak Early Music Database (http://cantus.sk), nacionalne podatkovne zbirke srednjeveške glasbe z ozemlja Slovaške, in soustanoviteljica podatkovne zbirke Me- dieval Music Manuscripts from Austrian Monasteries Database (http://austriamanus.org). EDUARD LAZORÍK (eduard.lazorik@savba.sk) je doktorski študent na Oddelku za pomo- žne zgodovinske vede na Masarykovi univerzi v Brnu in na Muzikološkem inštitutu Slovaške akademije znanosti. V svojih razpravah se je ukvarjal s srednjeveškimi fragmenti, ki jih hranijo Slovaška narodna knjižnica v Martinu in druge ustanove na Slovaškem (Betliar, Kremnica, Košice idr.) Med njimi je pet edicij izšlo v knjižni obliki v zbirkah Catalogus fragmentorum (1, 2 in 3) in Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia (7 in 8). Muzikološki zbornik 2023 1-2_FINAL.indd 107 15. 12. 2023 09:17:24