An der Theiss. Stillleb cn von Friedrich Uhl. Leipzig: F. A. B r o ck h a u s. 1 85 1. An Nalther von Goethe. Bei der Widmung dieses Buches umßt Du weniger auf den geringen Werth desselben, als auf das Gefühl sehen, das mich drängte, Dir ein Zeichen inniger Freundschaft zu geben. Deshalb ziere ich das kleine Werk mit Deinem Namen. Die Rechtfertigung über das Erscheinen desselben, den Lesern gegenüber, dürfte mir schwerer werden, „Ein Stillleben in einer Zeit, der die Geschichtschreibung des Tages nur langsam zu folgen vermag!" Diesen Porwurf werde ich wol öfter hören. Und doch scheint cr mir meine Rechtfertigung zu enthalten. Unsere Zeit, die Zeit des allgemeinen Provisoriums, ist nämlich schöngeisti- VI gen Schöpfungen, reinen Formen wenig günstig, welche nnr von dein allgemein Menschlichen durchhaucht werden. Die Gegenwart, Ginzelfragen derselben, widerstreben hingegen künstlerischer BeHand lnng. So schien es mir denn nicht unpassend, Erlebnisse nnd Schilderungen vorzuführen, welche der Bewegung des Jahres 1848 kurz vorangehen, und dies in einem Lande, über welches der Sturm am reißendsten hinzog. Die Wahrheit forderte eine Darstellung der Verhältnisse, wie ich sie traf. Absichtliche Vergrößerung der leisen Fäden, durch die jene Zeit mit der Gegenwart zusammenhangt, wäre nnwahr, ein Herausreißen der Menschen aus ihrem häuslichen Leben zu absichtlich, die bloße Darstellung des Familienlebens hingegen zn unbezeichnend gewesen. So suchte ich also das Stillleben in jener Gegend, kurz vor dem Jahre 1848, nach seinen verschiedenen Richtungen hin zn geben. Es war trotz der folgenden blutigen Ereignisse in jenem Lande wirklich ein ziemlich ruhiges, gesellschaftliches Nebeneinander der verschiedenen Vll Nationalitäten. — Noch liegt ein großer Schleier über den geheimern Motiven und Personen, welche den serbischen Anfstand gegen die Magyaren hervorriefen. In den östreichischen Serben allein nnlst man gcwisi nicht Alle suchen, denn die kirchliche und Gleichbercchtigungsftage erklären nicht zur Genüge jenes forcirte planmäßige Auftreten, wenn sie auch die Grausamkeit der Serben — ich erwähne nur die Gräuelthaten derselben gegen die Deutschen in Wcißkirchen — in Mvas auf ihre Quelle zurückführen. Mögen diese Volkskämpfe die lchten gewesen sein. Das gemeinschaftliche Heil der Völker hängt nicht von ihrer gegenseitigen Aufreibung ab, ihre Kraft und ihre Zukuuft beruht auf ihrer Vereiniguug. Was die Figuren anbelangt, die ich vorführe, so mögen sie für sich selbst sprecheu; doch glaube ich crwähueu zu muffen, daß in dem Buche weniger Dichtung als wirklich Geschehenes zn finden ist. — Welche Anzahl Schriften riefen der warme, lächelnde, sinnende Koffuth und der kalte, kluge Görgey hervor! Die Tausende aber, die sie VIII führten, wurden mit dem allgemeinen Namen Honved oder Landsturm abgefertigt. Wenn man daher die specielle Beziehung des Buches zur Gegenwart durchaus fordert, so kann man einen Zug von Honveds aus den Figuren dieses Buches zusammenstellen. Da ist der Müller, der Fischer, der Feldhüter und der Jurat; der Edelmann sei der Führer, der Pfarrer der Feldkaplan und geigend mögen die Zigeuner voranziehen. Traun, eine Falstaff-Kompagnie, lieber Walther! Da in der Gegend, die ich schildere, Magyaren und Serben nebeneinander wohnen, fehlt es auch nicht an Gegnern. Der Pope Tati sei ihr Führer. Die Lieder, die ich mittheile, glaubte ich von den schleppenden fünffüßigen Trochäen entkleiden nnd sie, der Form nach, dem deutschen Volksliede annähern zu müssen. Mögen sie einen Theil der Frische und Tiefe haben, die Deinen Melodien, mein Walther, Reiz und Wirkung verleiht. Wien, im Herbst I85tt. Inhalt. I. Ein kleiner Ort.............................. I II. Ein serbischer Pope. Ein katholischer Pfarrer, Der Stuhlrichtcr................................ 1 l III. Serbische Lieder.............................. 35 IV. Fischer...................................... 45 V. Ein Edelmann............................... 55 VI. Ein ungarisches Mädchen...................... 113 VII. Müller ..................................... 122 VIII. Ein deutscher Pfarrer ........................ 141 IX. Zigeuner.................................... 157 X, Ein Feldhüter ............................... 195 XI. Eine serbische Ballade ........................ 2ll XII Ein Magyarone.............................. 22 l I. Ein kleiner Ort." — -" „32ir mußten denTheißübcrgang forciren; bci dieser Gelegenheit ging Kanischa größtcntheils in Flannnen auf." So beiläufig lautet die Stelle eines der Haynau'schen Kricgsbulletms. Den Lesern wird sie nicht sonderlich aufgefallen scm, denn eingeäscherte Städte bezeichnen gewöhnlich den Pfad des Krieges. Sie werden höchstens ein Feuermcer im Geiste gesehen haben — von der langsam dahinfließenden schilfumgürtcten Theiß zurückgestrahlt. Bei allgemeinem Unglück fällt eben ein einzelner Fall nicht sehr auf. Wer hat noch Mitleid in Fülle, um es einem einzelnen Opfer in bcsonderm Maße zukommen zu lassen, außer den persönlich Betheiligtcn? „Kanischa ist eingeäschert!" rief ein Freund, der das Bulletin gelesen, mir mit betrübtem Antlitz ent- Z<35ti Kn-Iazi" und die katholische „I^oliFio t)8 ,uivli1<>8". Er besaß eine hübsche Bibliothek; seine Pferde, sein Nagen, Küche, Keller und Garten waren im besten Stande, cr selbst ein gebildeter Mann von lebhaften, Temperamente und mit Leib und Seele Ungar. Nur die heillose Stuhlrichtcr-wirthschaft und die Cortcsherrschaft war der Gegenstand, gegen dcn cr mit Leidenschaft und Schärfe zu Felde zog. Obwol cr Ungar war, liebten ihn die deutschen Bewohner des Orts. Diese Vorliebe dcr Deutschen für das ungarische Element habe ich in Ungarn häusig gefunden, und ein deutscher Bauer gab mir, der ich gegen diese Nationalisirung eiferte, dic Antwort: „Wir sind in Ungarn, haben hier unser Glück gefunden, wir gehen mit Ungarn um, und die Sftrachkenntniß ist also zu unserm Vortheile." Bei diesen Worten strich cr seinen Schnurrbart, welches äußerliche Argument, um mich zu überzeugen, mithelfen sollte. Die Gesellschaft schied bald, und wir blieben mit dem Pfarrer allein. Sein Tisch war tresslich, und als wir ihm darüber Schmeichelhaftes sagten, sprach 22 er: „Das hat meine erste Magd gekocht, meine Haus--halterin hat leider vor kurzer Zeit geheirathet und ich habe noch kcinc andere. Leider kaun ich Sie nicht so bewirthen, wie ich gern möchte, denn mein kleiner Gehalt erlaubt es nicht. Auch muß ich das Jahr hindurch etwas zurücklegen, um am Kirchweihfcstc, wo so viele Menschen kommen, Alles in Ordnung haben zu können; da geht gewöhnlich das Ersparte des ganzen Jahres auf. Ich habe es mir so eingetheilt, daß mit dem Erheben meines Gehaltes mein Sack in den Zustand gesetzt ist, ihn recht commode aufnehmen zu können. Für wen sollte ich auch sparen? Kinder habe ich nicht." Ein Mädchen trat bei diesen Worten herein, um den Tisch abzuräumen. — -~ Der Pfarrer blieb plötzlich still und ging schnell auf sein LiMmgsthcma, die in jedem Sinne des Wortes unverantwortliche Wirthschaft der Beamten, über. „Ich will Ihnen", sprach er, „mittheilen, was cm Magyare selbst, Czaszär, der gewiß als Autorität gelten wird, davon erzählt, als Beispiel, wie die Despotie der adeligen Beamten in alle Verhältnisse des Lebens eingreife: Spät Nachmittags, an einem angenehmen October-tage, fuhr ich, von der Badacsonyier Weinlese kommend, durch P . . . Nichts fesselte in dem kleinen ____23 Dorfe meine Aufmerksamkeit. Einige alte Mütterchen, welche zurückblicbcn, um Häuser und Kinder zu bewachen, während die rüstigen Leute der Feldarbeit nachgegangen waren, schritten auf der Gaffe auf und ab. Vor den ärmlichen Hütten, im Staube, spielten Kinder. Tiefe Stille herrschte im Dorfe; nur das Knarren des Glockcnstockes wetteiferte mit den Klangen der kleinen Glocke. In düsterer Stimmung fuhr ich an dem letzten strohgedeckten, netten Häuschen P ... s vorüber. Die letzten Sonnenstrahlen brachen sich an dem gelben Laub ocr Maulbccrbäumc, die vor demselben standen, und sielen durch die offenen Fenster in die ganz leeren Zimmer. Ostwärts, unweit des Dorfes, liegt der Thränengarten. Ein tiefer Graben umgibt ihn und ein schmales Vrct dient als Brücke, welche der Todten-gräbcr bei Begräbnissen verdoppeln muß. Jenseit des Brctes stehen zwei Pflöcke, beide im Umfallen begriffen, zum Andenken an die Brücke, die einst über den Graben führte, und das Thor, welches einst den hoch aufgeworfenen Wall theilte. Die Zeit und ausgelassene Hirtenknaben hatten sie lange zerstört, und die Bewohner des Ortes schienm die Auslagen zur Herstellung nicht leisten zu können. In der Mitte 24 des Friedhofes steht ein Kreuz, dessen ehemalig rothe Farbe der Regen herabgewaschen, und dessen Bedachung der Sturm herabgeschmettert hat. Wilde Rosen, Schirling und Vrombeerstauden wachsen auf den eingesunkenen Grabcshügeln; hier und da stehen eichene Kreuze. In dem Augenblicke, als ich den Friedhof erreichte, verließ ihn der Geistliche, begleitet vom Cantor, mit dem er sprach. Ihm folgte ein Bauernjunge, der unter dem Arme das Lcichenamtsklcid, Crucifix und Wcihwedcl aber in der Hand trug. Hinter diesem schritten zwei Männer mit der Tragbahre, deren zwei Gegenstangen sie kreuzweise auf der Schulter trugen. An diese schlössen sich noch einige Männer und Frauen, kaum acht an der Zahl. Im Friedhofe beschäftigte sich der Todtengräber mit dem Schließen eines Grabes. Ein altes Mütterchen sah mit trübem Blicke zu und schluchzte mit thränenleerem Auge, wie es nur Der kann, der gezwungen ist, sich von dem Theuersten auf Erden zu trennen. Die alte Frau hob ihre gefalteten dürren Hände zum Himmel und schrie bei jedem dumpfen Tone auf, den eine Schaufel voll Erde, die auf den Sarg geworfen wurde, hervorbrachte. Eine andere alte Frau, welche die Jammernde mit dem Arm 25 stützte, versuchte vergebens, die verzweifelnd Ringende vom Grabe wegzuführen. Ich ließ meinen Wagen halten, und ging auf den Geistlichen zu, in dem ich einen Schulkameraden erkannte. Es sing bereits an zu dämmern; er bat mich deshalb, die Nacht bei ihm zuzubringen. Am reinen mondlosen Himmel zitterten bereits die ersten Sterne. Wie auch das Dunkel des nahen Waldes, durch welchen mein Weg führte, lockte, das traurige Bild des Begräbnisses ungestört weiter auf mein Gemüth wirken zu lassen, so siegte doch der Wunsch: die Geschichte des Todten zu hören. Ich folgte dem Freunde, der mir in der warmen Stube Folgendes mittheilte: Elf Jahre waren es im Beginne des Herbstes, als die gute Frau, welche Sie eben auf dem Friedhofe sahen, nach P ... übersiedelte. Elf Jahre kenne ich sie, ein Opfer ihres Schicksals! Ihr Leben war, als ob cm Fluch auf ihm lastete, voll Widerwärtigkeiten, welche auch eine stärkere Seele erschüttern konnten. Ihren Gatten, den Pachter der G____r Mühle, kannte man lange Jahre hindurch als einen ehrlichen Mann; — vor elf Jahren starb er in dem Comitats-kcrker, angeblich als Hehler einer Räuberbande und 26 ihrer Schätze, welche zu jencr Zcit im Bakonyer Wald hauste. Freunde hatte er nicht; auch gehörte cr nicht zu jener bevorzugten Classe, welche sich auch nach begangenen Vergehen frei vertheidigen darf. Da cr nicht leugnen konnte, daß die Räuber öfters bei ihm eingekehrt waren, fo wurden einige Gulden, die Frucht jahrelanger Arbeit, als gestohlenes Gut erklärt, und er auf ein falsches Zeugniß hin, wie es sich später herausstellte, eingezogen. Er behauptete fortwährend seine Unschuld, aber nach dem Verfahren unserer Strafgerichte mußte cr schuldig sein, und wurde ver-urtheilt. Nas nützte ihm sein jahrelang sorgfältig erhaltener ehrlicher Name, was das selbstbewußtvolle Behaupten seiner Unschuld? Waren denn die Räuber nicht bei ihm gewesen? Hatte dcnn der Zeuge in seinem Hause nicht eben die schönen Thaler gesehen? Lebte cr dcnn nicht immer im Wohlstand? Entrichtete cr dcnn nicht, selbst in den schlechtesten Jahren, seinen Zchmt? Die amtliche kalte Vertheidigung des Co-mitatssiscals ließ die Richter, die, wenn ein stimmloser Verbrecher vor ihnen steht, mit Gleichgültigkeit urtheilen, kalt, und der Müller wurde zwar nicht zum Tode, aber, was ihm schmerzlicher war, zu dreijährigem schweren Kerker und Stockhieben verurtheilt. 27 Der Nichter im Himmel war barmherziger als die irdischen, und befreite den Unschuldigen im zweiten Monate seiner Strafzeit. Der Schmerz über scine Schande tödtete ihn. Seine Witwe ließ sich mit ihrer sieben Jahre alten Iulisa (Julie) in diesem Dorfc nieder, wo sic von ihrem Vater noch einige schuldenfreie Feldstücke besaß. Sie lebte ruhig von den Erzeugnissen ihres Ackers, zurückgezogen, so weit es ging, von den Leuten, in deren Blicken sie immer nur die Schande ihres Mannes, ihre eigene und die ihres Kindcs sah. Iulisa nahm an Tugend und Schönheit zu. Scchszehn Jahre alt, war sic das schönste Mädchen der Umgebung, und wenn sic ihre mehr durch Kummer und Schmerz als durch die Jahre alt gewordene Mutter an Sonn- und Feiertagen zur Kirche geleitete, sah sie verchrungswürdig aus. Trotzdem wurde die Dorfjugmd durch den Anblick des sanften schönen Mädchens nicht vermocht, die Geschichte des Vaters zu vergessen, von dessen schandbeflccktcm Andenken die spätere Entdeckung des wahren Hehlers, für den er unschuldig büßte, in den Augen der rohen Bauern nur sehr wenig tilgte. In einem der Jüngern jedoch besiegte die Liebe das Vorurthcil. Er sah an Iulisa nur das unschuldige Herz, die rügend- 28 hafte Seele, im Vereine mit einem wunderschönen Aeußern, und den unermüdlichen Fleiß in der Wirthschaft ihrer Mutter. Die Liebe Andor's blieb nicht lange vor den Dorfbewohnern verborgen, besonders, als Iulisa seine Liebe erwiderte und die Witwe ihnen erlaubte, an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste in ihrer Gegenwart zusammenzukommen. Andor hatte zwar von seiner Mutter, die seine Verbindung mit Iulisa durch ihre volle bäuerische Rohheit verhindern wollte, viel zu ertragen; zum Glück war aber sein Vater Herr im Hause, ein Mann von sanfterm Gemüthe, der Juliens Vater näher gekannt hatte und die traurige Begebenheit, welche selbigen traf, nur bedauern konnte. Er vergaß auch nicht, daß Andor mit Iulisa einen, wenn auch nur spannclangen, aber schuldenfreien Acker bekam. Er vertheidigte also der Mutter gegenüber die Neigung des Sohnes. Ein Theil der Dorfjugend beneidete Andorn um seine junge, hübsche, tugendhafte Braut, der andere, größere jedoch bedauerte ihn, noch mehr aber dessen Acltcrn, daß sie mit einer so gebrandmarkten Familie in Blutsverwandtschaft kämen. — Zum Glücke der verlobten Liebenden fehlte indessen nur noch der priestcrliche Segen, welcher am Faschingssonntagc ertheilt werden 29______ sollte. Das Schicksal wollte cs anders. In jenem letzten Hause des Dorfes, das Ihnen auffiel — sprach der Pfarrer weiter — wohnte Iulisa, die wir heute begruben. Ein Jahr kann verflossen sein, seit Herr D...... der Stuhlrichter, in unser Dörfchen kam, um die militairfähige Jugend zu conscribircn. Ich weiß nicht, wie cs geschah, daß er die schöne Iulisa erblickte; jedoch er wußte sich in die Wohnung der Witwe einzudrängen, wo er vermöge seiner amtlichen Stellung zuvorkommend behandelt werden mußte. Seine Lie-bcsworte, mit welchen cr Iulisa verlocken wollte, wurden nicht herzlich aufgenommen. Das schreckte ihn jedoch nicht zurück. Er ging; doch cs fehlte ihm nicht an Schcmgründcn, wieder ins Dorf zu kommen, dessen Bewohner ihn früher kaum dem Namen nach kannten. Die Sache fiel auf, denn die ungewohnte Herablassung, mit welcher der Stuhlrichtcr das Mül-lcrhaus so oft beehrte — blieb nicht unbemerkt. Im Dorfe kreisten verschiedene Meinungen, welche eben nicht das vorteilhafteste Licht auf Iulisa's bisher unbefleckte Tugend warfen. Andor mußte beleidigende rohe Ausfälle der Dorfjungen und Hetzereien dulden. Er ertrug sie jedoch mit Geduld, da cr Iulisa kannte und wußte, wie viele Neider sie habe. Doch auch 30 seine Geduld war begrenzt. An einem Sonntage, da der Stuhlrichter eben im Dorfe verweilte, reizte nach dem Gottesdienste cm Junge Andorn, der vergebens Bitten und Drohungen verschwendete, so stark, daß er auf dessen empörende Reden nur mit einem Schlage antworten konnte. Der Funke zündete, beide Theile fanden Anhänger, und es entstand eine Rauferei, die jedoch bald durch Andor's Freunde beigelegt wurde. Der Stuhlrichtcr, der Iulisa's Kälte und Tugend der Anhänglichkeit und immer wachen Liebe ihres Verlobten zuschrieb, ergriff schnell die Klage, welche der für seine unzüchtigen Worte bestrafte Junge gegen den Verlobten Iulisa's vorbrachte. Die Störung der Ruhe mußte gesühnt werden; Andor war der Schuldige, und nach gewohntem kurzen Verfahren sprach dcr Stuhlrichter über ihn das Urtheil, eine Strafe, welche mit Abscheu jcdes fühlende Herz erfüllt, welche aber der Hayduk (Gerichtsdiencr) mittels eines pfeifenden Haselbaumstockes vor dem Gcrichtshause augenblicklich vollzog. Nach diesem Acte der Gerechtigkeit wurde Iuliscn der Mann, den sie früher kalt, aber ganz schicklich von sich entfernt zu halten wußte, der Gegenstand tiefen Abscheues. Sie liebte Andorn womöglich noch glühender denn früher — traf ihn doch wegen ihr die abscheuliche Straft. 3l Der Fasching rückte heran und der zur Vcrche-lichung bestimmte Sonntag; doch der in dic Reihen der Conscribirten aufgenommene Andor wollte seine Geliebte nicht gleich zur trauernden Witwe machen. Die Trauung wurde verschoben, bis Andor das Loosen überstanden haben würde, von welchem er überdies durch die Comitatsbchörde befreit zu werden, als einziger Sohn und einzige Stütze seines Vaters, alle Hoffnung hatte. Aber Wochen vergingen, und Andor, sein Vater und Julie hofften vergebens. Die beim Comitate eingereichte Bittschrift kam in die Hände des Stuhlrichtcrs D . . . ., deren Vorlegung er so lange verschob, bis der Tag dcr Loosung erschien und Andor mit der übrigen Jugend einrücken mußte. Der Stuhlrichter erschien zu jener Zeit öfter in unserm Dorfe, und er wartete, wie er sich mir gegenüber ausdrückte, nur, daß Iulisa für ihren Verlobten bitten käme. Das Mädchen hingegen versäumte es, vor dem Stuhlrichtcr zu erscheinen, ich weiß nicht, ob aus Stolz, welchen ihr das schuldfteie edle Bewußtsein einflößte, oder aus weiblicher Furcht. Andor ging, loostc — das Glück war ihm hold. Die Zahl der Männer, welche das Dorf stellen follte, war voll, und er war der Dritte, welcher das Nothloos zog. Er freute sich des Triumphs der gerechten Sache. 32 Der Bericht des Stuhlrichters wurde nun auf die erneuerte Bitte von Andor's Vater der zur Assen-tirung gewählten Commission vorgelegt. In diesem wurde Andor als ein gefährlicher, streitsüchtiger Mensch, mit einem Worte, als schädlich geschildert, um dessen Entfernung das Drtsgericht, als für die Ruhe des Orts erwünscht, in einem dem Berichte des Stuhl-nchters beigeschlossenen amtlichen Schreiben bat. Bei solcher Sachlage fehlte es der Commission, deren mächtigstes Mitglied der Stuhlrichter ist, nicht an Gründen, des Vaters Bitte abzuschlagen. Andor wurde anstatt des bei der Untersuchung als untauglich befundenen Sohnes eines der reichsten Bauern in P . . ., und nach der Untauglichkcitserklärung noch zweier Vormä'nncr, der Zahl der vom Comitate geforderten Rekruten beigeschlossen. Andor wurde Soldat, Er leistete den Schwur, nicht als Iulisa's, sondern als Verlobter der Fahne. Dieser Ausgang der Rekrutirung machte einen tiefen Eindruck auf sie, die bereits durch die Bestrafung Andor's schmerzlich betroffen war. In Einfalt erzogen, besaß sie, immer in der Nähe der betrübten Mutter weilend, ein empfindsameres Gemüth als sonst gewöhnlich die Madchen im Dorfe. Seit ihrer Kindheit sah sie nur Trauer und Schmerz. Der traurige Tod ihres Vaters, 33 welchen die Mutter zur Rechtfertigung ihrer Zmück-gczogenhcit und ihres andauernden Schmerzes dem sich entfaltenden Mädchen unter heißen Thränen erzählte, ergriff ihr ohnedies zur Melancholie geneigtes Gemüth heftig. Es ist also leicht begreiflich, daß die gewaltsame Trennung den schon durch frühere Schicksalsschlage erschütterten Glauben an die Menschheit gänzlich vertilgte, wenn ihre schwache Hoffnung auf eine bessere Zukunft zerrann, welche ungestraft zu zerstören sehr oft in der Macht eines Bösen steht. An-dor zog nach einigen Tagen gänzlich fort. — Ich wcrdc den Abschied nie vergessen — sagte nach kurzem Stillschweigen mein Freund —, nie diese Scene, deren Zeuge ich auf meinem Spazicrgange wurde. Kein Wort kam aus dem Munde, keine Thräne aus dem schwarzen Auge des Mädchens. Der Schmerz ließ es nicht reden, die Qual nicht weinen. Es stand wort- und thränenlos an die Brust des Verlobten gelehnt, bis der Hayduk zum Aufbruch ermähnte. Die selbst untröstliche Mutter bemühte sich, den Schmerz ihrer Tochter zu lindern, indem sie von Hoffnung und der Freude des Wiedersehens sprach. Iulisa bejahte mit dem Haupte, andeutend, daß sie ihren Geliebten dort obcn im Himmel, wohin sie mit erhobener Hand zeigte, sehen werde. Das arme Mädchen StiNlcl'cn an i>c>' Theiß. - " 34 fühlte, daß es den Schmerz, welcher seinen Busen zerriß, nicht ertragen werde. Der Stuhlrichter kam bald darauf mit siegglänzendem Gesichte in unser Dorf. Er glaubte nach Beseitigung des Verlobten das hübsche Kind nachgiebiger zu finden, da er die Macht der Liebe nur nach den Aufloderungen seines Triebes beurtheilte. Doch nun konnte er Iulisa nie in der Nähe sehen, denn das verfolgte Mädchen floh vor ihm, wie das verfolgte Reh vor der tödtcnden Waffe des Jägers. Da seine wiederholten Versuche vereitelt wurden und ihm die traurige Lage des Mädchens bekannt ward, vergaß er das arme Kind, unser Dorf und vielleicht auch seine ritterliche That! Der Frühling machte unsere Haidcn und Wiesen grün, der Sommer öffnete die Roscnknospen, aber sie vermochten nicht, Iulisa's abnehmende Kraft zu stärken. Wie ein schwacher abgehauener Zweig verwelkte das Mädchen, getrennt von ihrem Geliebten. Die Mutter sah ihre letzte Stütze brechen; sie verrichtete selbst alle Arbeit und überließ Iulisen die Pflege ihrer Blumen, bis diese mit ihr verwelkten. Sie sank aufs Krankenlager, das sie mit dem Sarge vertauschte, neben welchen wir vielleicht bald den ihrer Mutter legen werden." III. Serbische Lieder. U« einem schönen Abende hatten sich unserer Wasserfahrt mehre serbische Mädchen des Ortes, Freundinnen Juliens, beigesellt. Ein zweiter Kahn war erforderlich. In diesem nahmen die Mädchen Platz und so waren es diesmal zwei Kähne, welche den Wellen der Theiß überlassen wurden, um im Mondscheine, langsam sich selbst den Weg bahnend, dahinzuziehen. Die Mädchen sangen: I. O rothe Nosc am kühlen Quell, Warum erblühst du in voller Pracht? Soll ich dich brechen? O für wen? — Der Bruder zog in die wilde Schlacht! 3* 36 Soll pflücken ich dich für mein Mütterlein? -Das ruhet tief im Grab, Fort zog die Schwester mit dem Mann, Dem ihre Hand sie gab! Soll brechen ich dich für meinen Freund? — O der ist fern und weit! Uns scheiden drci Gebirge grün, Drei Ströme, kühl und breit! ll. Hast du dich vermählt, Geliebte? — Ach, du siehst's an diesem Kinde, Das ich stets bei deinem Namen rufe, Daß mein Sehnen einen Ausdruck finde! III. Nachtigall, sing' nicht so früh, Wirst den Liebsten schrecken; Er schlief ein an meiner Brust, Will ihn selbst auch wecken! 37 In den Garten will ich geh'n, Einen Strauß dort machen, Streicheln ihm dann Wang' und Aug', Und er wird erwachen! IV Wenn ich ein kühles Bächlein wär', Wußt' ich, wo ich entspränge: — Im Garten, unter'm Fensterlein, Dem grünen Laubgehänge! Dann tränke sie mich aus der Hand, Und ihre Glut wol führte In meine Wellen sie, o Lust, Wenn ich ihr Herz berührte! V. Ein Mädchen unter Rosen schlief, Auf sie siel eine Nose; Das Mädchen wachte auf und rief: Fall' nicht auf mich, o Rose! 38 Mein Sinn ist freudig nicht gestellt, In meinem Herzen walten Viel Leiden; ach, man hat gewählt Zum Mann mir einen Alten! Dem alten Ahorn gleicht der Mann, Der alt, er schwankt im Winde; Im Negen fault er durch und durch, Bis niederfällt die Rinde! Der junge Mann der Nose gleicht, Die sich im Wind' erschließet, Sie duftet, zitternd, thaubedeckt, Wenn Regen niederstießet! VI Als ich einst jagen gegangen, Verirrt mich in waldiger Höh', Fand ich unter Tannen ein Mädchen, Schlafend auf grünrothcm Klee! Zwei weiße Tauben saßen Auf ihrer rosigen Brust, Auf ihrem Schoose ein Rehlein — Zu nch'n dort, welche Lust! 39 Ich band mein Roß an die Tanne, Die Falken in ihre Höh'; Gab ihnen die zwei weißen Tauben, Dem Rosse den grlinrothen Klee. Das Reh von ihrem Schoose Gab meinem Hunde ich — Und das schöne schlafende Mädchen, Das blieb, das blieb für mich! VII. Es stiegt cm grauer Falke, Der sucht 'neu kühlen Quell, Da sieht er eine Tanne, Dabei ein Wasser hell! Die Witwe Hyacinthe Erblühet dort in Pracht; Die jungfräuliche Rose Erglüht und ruft und lacht! Der Falke wol bedenket, Wen er erwählen soll: Ob Witwe Hyacinthe, Ob Jungfrau Rose voll! 40 Und endlich sich entschließend, Sprach laut er, ohne Scheu: Gold, wenn auch abgetragen, Gilt mehr als Silber neu! Er küßt die Hyacinthe; Darauf die Nose spricht: Schwer Unheil soll dich treffen, Du jämmerlicher Wicht! Du hast den Brauch begonnen, Daß Witwen Knaben frei'n, Und Greise blüh'nde Iungfrau'n; Du sollst verfluchet sein! VIII. Ein Mädchen pflückt' am kühlen Bach Den Schoos voll frische Blüten; Sie flocht drei grüne Kränzelein, Die alle schon geriethen! Den einen setzt sie auf ihr Haupt, Der zweite soll begrüßen Die Schwester — doch den dritten läßt Sie mit dem Bache fließem ____41_____ Sie beugt sich nieder, leise spricht Ihr Mund: O Kränzlein ziehe Bis zu des Liebsten weißem Haus, Dort sprich in aller Frühe Zur Mutter: Willst du deinen Sohn Denn noch nicht bald vermählen? Doch freie keine Witwe ihm, Du mußt ein Mädchen wählen! IX O Mädchen, jungfräuliche Rose, Dich hat keine Hand noch versetzt, Dein Duft noch Niemand erfreuet, Kein Tropfen hat noch dich benetzt. Noch hat kein Mund dich geküssct, Du hast keinen Sinn noch ergötzt, Noch hat keine Hand dich gebrochen, Dein Dorn hat noch Niemand verletzt! Darf ich, o Seele, dich küssen? — Du darfst es, so viel dir beliebt, Bei deiner Wies ist mein Garten, Der heimliches Dunkel nns gibt. 42 Dort kannst du mich küssen und herzen, Mich lieben herzinnig und heiß — Doch beiße mich nicht in die Wange, Damit es die Mutter nicht weiß! X Ein Mädchen, jung, am Meere saß; Still sprach es, sinnend vor sich hin: Was ist wol breiter als das Meer, Und langer als die Wiese grün? Was ist wol schneller als das Noß? Den Bruder ich am schönsten sind'. — Ein Fischlein aus dem Wasser sprach: Du bist ein lieb einfältig Kind! Ist breiter denn nicht als das Meer Des Himmels Wölbung, rein und blau, Und ist das weite graue Meer Nicht länger als die grüne Au'? Ist denn dein klares Auge nicht Weit schneller als das fiücht'ge Noß? Und ist der Liebste denn dir nicht Weit werther — als der Brüder Troß? 43 XI. Auf der Donau grünen Fluten Liegt die stille dunkle Nacht. In den Zelten an dcm Ufer Wird getrunken und gelacht. An dem gold'nm Weine laben Helden sich, und ihnen schenkt Voll die Becher eine Jungfrau, Die verschämt das Augc senkt. Jeder will die weiße Jungfrau Glühend in die Arme zichn; Doch abwehrend, tief erröthend, Spricht sie lächelnd vor sich hin: O ihr Helden, edle Herren, Bin euch Allen Dienerin; Doch nur Einem, den ich liebe, Geb' ich mich auf ewig hin! 44 XII. Sag', Liebchen, willst du sehnend mich erwarten In deinem oder meinem Blumengarten; Sprich, ob bei deinen oder meinen Rosen Wir liebend heute miteinander kosen? Willst du, o Seele, eine Rose werden, Erheb' ich mich als Falter von der Erden, Senk' mich dann leise flatternd, küssend nieder -Damit uns nicht belauschen deine Brüder! IV. Fischer. 32enn wir am Abende vor dem Hause saßen, unter den Akazicnbäumen, vor uns die mondbcschiencne Theiß, wurde bald von Diesem bald von Jenem erzählt. Hier theile ich Einiges davon mit: Ein weiter tiefer Strom, dessen Ufer grünes unendliches Schilfgebict einfaßt. Hier und da dehnen sich an demselben silbcrgraue Weidcnbamustände aus. Einzelne lange Zweige tauchen mit ihren feinen Spitzen in die Flut. Das Mondlicht fällt auf die Wasserfläche, erhellt die eine Seite des weitläufigen Buschwerkes und des Schilfes, während auf dem Ganzen das Dunkel der Nacht ruht. Der dieses Bild betrachtende Mensch ist der höchste Punkt in der flachen Gegend, deren Horizont in den Duft der Nacht gehüllt ist. Ueber die Landschaft ist die blaue Glocke 46 des Himmels gestürzt. Die unzählbaren Lichter der Gestirne leuchten durch. Es ist dies eine Theißlandschaft. Die Sommernacht ist warm. Ein Feuer brennt im Gebüsche am Strande der Theiß, beleuchtet einen braunen Mann und ein weißes frisches Mädchen. Beide harren auf das Gericht Fische, welches in dem Kessel, reichlich mit Paprika gewürzt, siedet. Beide sprechen nicht. Endlich ist das Essen fertig; das Mädchen füllt die Schüssel, bald ist sie leer; das Feuer geht aus, nur einzelne Brände lodern noch in kleinen Flammen zerstreut umher. Die zwei Menschen erheben sich. Am Ufersaume sind zwei Kähne befestigt. Sie werden gelüst; der Mann besteigt den einen, stößt ab, rudert den Kahn einigc Klafter in den Strom hinein, ein am Schnabel des Bootes befestigtes Netz entfaltet sich, auch das Mädchen rudert nun den Strand entlang, den Strom hinan, und so ziehen die zwei Kähne und die Fischer mit dem Netze ihrer Beute entgegen. Die Mondes-strahlen tanzen vor ihnen einher, werden vom Boote getheilt und laufen an den Seiten der Kähne mit dm Wasscrwellcn herab; nur auf dem Antlitz der Menschen ruht das volle Mondlicht. Am Strande der Theiß befindet sich ein kleines Dorf. In einem seiner letzten, niedrigsten Häuser, 47 das nur ein Zimmer und eine dunkle Kammer hat, in welcher sich Fischergeräthe, durcheinandergcworfcn, befinden, liegt in dem erstem in einem ärmlichen, wcißhölzerncn Bette eine kranke alte Frau. Niemand ist um sie. Die Fieberhitze glüht auf ihrem abgemagerten Antlitze, die grauen Haare stehen unter dem gebleichten, einst rothen Kopftuche hervor und die Augen sind trübe, wenngleich hervorgetreten. Kein Licht brennt im Zimmer; nur das Mondlicht wirst einen hellen Streifen auf den Lehmboden desselben und beleuchtet einen Krug mit Wasser, der beim Haupte der armen Frau steht. Diesen ergreift sie von Zeit zu Zeit mit ihren abgemagerten Händen, bringt ihn mühselig an ihren lechzenden trockenen Mund, und trinkt mit ticscn Zügen aus demselben. Dann setzt sie mit einem tiefen Athcmholcn, dem Zeichen der augenblicklichen Linderung, den Krug wieder auf den Boden. Das Haus erfüllet Stille, nur eine Kuh brüllt von Zeit zu Zeit, die in dem kleinen Hofe, an einen Pfahl mit einem Stricke gebunden, unter freiem Himmel ihr Nachtlager hält. — Die alte arme Frau ist die Mutter des Fischers, der auf der Theiß dahmfährt, und die Ziehmutter des Mädchens, welches sie als achtjähriges Kind — jetzt zählt es zwanzig Jahre — in das Haus nahm, da ihm 48 Vater und Mutter, ebenfalls Fischer, zugleich gestorben waren. Es waren ebenfalls arme Leute gewesen, noch ärmer als die alte Frau, welche doch das schlechte Häuschen besaß; die nichts zurückließen als das schöne Kind, einen Schatz, den jedoch Niemand der Dorfbewohner zu schätzen wußte. Als Nachbarin und Freundin mußte wol die arme Frau das verwaiste Kind in das Haus nehmen, m welchem es gedieh und schön wurde, frisch und gesund dabei, rothbäckig und blauäugig, wie kein Mädchen im Dorfe. Die Frau bereuete die That nicht und hatte auch wenig Ursache dazu, denn die Jungfrau sing Fische mit dem Sohne, welche dann verkauft wurden; dies war der Nahrungszweig der Familie. Die alte Frau war bereits seit längerer Zeit krank. Sie hatte das Theißfieber. Dennoch schlich sie umher, so gut sie eben konnte, und half mit, wo es etwas zu arbeiten gab. Aber heute mußte sie sich legen, sie war recht sehr krank. Die Kinder wären gerne zu Hause geblieben, jedoch man mußte von dem leben, was man täglich verdiente, und die Mutter hieß sie, etwas rauh, was sonst ihre Gewohnheit nicht war, fischen gehen, indem sie sich rüstiger stellte, als sie es in der Wirklichkeit war. Die beiden jungen Leute durchschauten ihr Benehmen wohl; sie sahen, wie krank 49 die Mutter war, jedoch der Erwerb geht Allem vor, und so blicb die arme Frau sich selbst und Gott überlassen. Mit schwerem Herzen verließen die Kinder die Mutter. Deshalb sprachen sie so wenig, als sie bei dem Feuer saßen; sie hatten auch einen.schlechten Abend gehabt und fischten deshalb bis in die Nacht hinein. Der junge Mann war eben auch nicht misge-staltet, wenn er auch nicht so schön als die Jungfrau war. Daß er ein hübscher kräftiger Junge sei, siel dieser wol etwas früher cm, als ihm die Schönheit der lctztern aufging, da Mädchen bekanntlich früher und tiefer fühlen, als Männer. Dennoch war in letzter Zeit auch Andor mit sich selbst einig, und es war ihm klar, daß ihm das Mädchen besser gefalle, als irgend eines im Orte. Beide hielten jedoch noch ihre Gefühle verborgen, wenn es gleich auffiel, daß zwei junge Leute, die seit ihrer Kindheit mitein» ander gewesen, sich in letzter Zeit so genau und längere Zeit besahen, als hätten sie sich vorher nicht gesehen. Es kam ihnen vor, als wären sie wechselseitig eben nicht mehr dieselben Menschen, sie warcn sich fremd geworden, und waren sich doch wiedcr so unendlich nahe gerückt, daß es ihnen schien, als hätten sie sich vorher gar nicht gekannt. Doch diese Stillleben an dcr Thcii). 4 50 Gefühle waren heute durch den Schmerz über die Krankheit der Mutter und deren trostlvsc Lage verdrängt, und durch die Angst, ob sie vielleicht nicht während ihrer Abwesenheit gar zu schlecht werden könnte. Und dennoch konnten sie ohne Beute nicht nach Hause. So fuhren sie gegen den Strom; die schönen Gesichter Beider waren vom Mond beleuchtet. Kein Laut regte sich; nur die niederfallenden Ruder und die dadurch erhobenen, in kleinern und größern Mengen wieder herabfallenden Waffe rhörte man, und den plötzlichen zischenden Ruck im Wasser, wenn das obere Stück des Netzes vorwärts gerissen wurde. Andor, dem die Stille zu trostlos war, der das Mädchen aus seiner Angst reißen und sich selbst zerstreuen wollte, auf die Gefahr hin, die Fische zu verjagen, sing an zu singen, wie die Kinder, wenn sie in der Fin-sterniß allein beisammen sind, um sich Muth zu machen: „In dem Netz, das fcin geschlungen, Fängt der Fisch, der schnelle, sich — An den Blicken deiner Augen, Blondes Madchen, fängst du mich! Blau sind dcme tiefen Augen Wie der Himmcl, wie die Flut; Wär' ich frei — so möcht' ich wissen, Was mein Bild in ihnen thut?" 51 So sang der Fischer, wie gesagt, um das Mädchen von den traurigen Gedanken abzubringen. Ob wol ihm im Anfange das Lied nicht ganz frei und rein aus der Kehle floß, und ihm nicht so zu Muthc war, daß es ihn zum Singen nöthigte, so ging es doch gegen Ende der ersten Strophe bereits frischer und besser. Als er beim Beginn der zweiten, da er von den blauen Augen sang, unwillkürlich nach der Jungfrau hinüberblickte, sing sie mit ihrer hellen reinen Stimme mit an, die Melodie zu singen, die sie um cine Octave höher, wie es eben in dem Fraucnorgan liegt, anhob. Andor verließ hingegen die Haupt-stimme, und sein Ton sank, gleichsam als ob er nur nebenher ginge, um eine Terz herab. So sangen die zwei jungen Leute, immer heller und lauter, und der Zwiegesang mochte weithin tönen durch die lautlose Luft. „Was unsere arme Mutter jetzt machen wird?" fragte dic Jungfrau, als sie einen Augenblick mit dem Gesänge einhielten. „Gott wird sie wol bald gesund werden lassen, das Wetter ist mild und deshalb weniger Gefahr, wenn sie auch allein ist!" cntgcgnctc Andor. „Es ist wahr, die Luft ist so warm, es ist mir schwül." 4* 52 Sie begannen wieder zu singen und die Jungfrau tauchte, nachdem sie das Ruder ein wenig auf den Boden des Bootes gelegt hatte, die Hand in die Flut, schöpfte daraus und befeuchtete ihr rosiges Antlitz, Andor sah ihr zu, und während cr sang, sah er ihre schönen blauen Augen lange an und meinte, daß das Mädchen im Licde wol ebenso schöne gehabt haben muffe. Und er sah fort und fort nach den Augen, lind in kurzer Zeit, da beide Nuder ruhten, befanden sich die zwei Kähne, indem sie stromab eilten, nebeneinander. Andor knüpfte, ohne zu wissen, was cr that, die Kahne aneinander und war im zweiten Momente in dem Kahne der Jungfrau. „Mir ist so bange!" sprach diese, indem sie schüchtern den Blick zu Andor erhob. Dieser konnte kein Wort sagen. Die Boote liefen stromabwärts, fast ohne sich zu bewegen; die Lust war warm, der Himmel voll Sterne und das Dunkel wurde nicht meyr vom Mond verscheucht, der hinter den Gebüschen stand. Andor faßte die Jungfrau an beiden Handen, fühlte das Blut in ihren Adern und, als er sie küßte, das leise Beben ihrer Lippen und den heftigen Herzschlag, als er sie an seine Brust drückte. Die Jungfrau wollte sich los- 53 ringen — man hörte nur noch den Namen Andor lispeln. Lautlos landeten sie nach längerer Zeit, lautlos hielten sie sich bei den Händen. Das Mädchen sah mit feuchten Augen zu Boden, und hauchte auf An-dor's Händedruck: „Die Mutter krank, wie konnten wir das und uns so vergessen?" — Dann hoben Beide die gefangenen Fische aus dem Kahne und trugen sie nach Hause. Das Mädchen ging zagend, Andor beinahe triumphirend. Klopfenden Herzens betraten Beide das Haus, die Stube. Die Mutter empfing sie mit der Frage: „Nun, habt ihr einen guten Fang gethan?" „Bist du bereits wohl, liebe Mutter?" „Vor emer halben Stunde verließ mich plötzlich das Fieber," sprach die alte Frau; „die Nacht muß sehr schön sein!" „Ich weiß mich an keine schönere zu erinnern," sprach Andor. „Doch weil Gott, wie es scheint, ein Wunder an dir gethan hat, liebe Mutter, so sei so gut — bei diesen Morten nahm er das Mädchen bei der Hand, führte die Zitternde an das Lager der Mutter und kniete mit ihr nieder — und segne uns, liebe Mutter, wir wollen hcirathm!" 54 „Spricht er wahr, meine Tochter?" fragte freudig die alte Frau. „Ja!" schrie das Mädchen und stürzte mit dem Ruft: „Mutter, liebe Mutter!" der alten Frau weinend an die Brust. „Was hast du denn, mein Kind?" fragte diese; erhielt jedoch keine Antwort, bis sich das Mädchen ausgeweint hatte. Dann glitt dieses an dem Bette herab und schaute mit freudigem, wenn auch noch feuchtem Blicke zur Mutter ihres Andor empor, als diese die Hände auf ihre Häupter legte und sagte: „Gott gebe merer Verbindung seinen Segen!" Bald darauf wurde Andor mit seiner Geliebten in der Kirche vereint. Sie lieben sich, und auch ihr Hauswesen gedeiht; doch leben sie eben wie arme Fischer an der Theiß vor ihnen gelebt haben und auch noch vielleicht nach ihnen leben werden. V. Gin Edelmann. jenseit der Theiß, in einem kleinen Dorfe, besaß ein alter Edelmann ein Haus mit einem Garten, großem Hofe, Scheunen, Hornvieh und Pferdcställen. Die Einwohner des geringen Orts warm seine Unterthanen. Er, alt, grau und mürrisch, war Witwer seit mehren Jahren, nicht sonderlich rcich, aber auch nicht arm, und nannte ebenso viel sein eigen, als in Ungarn erfoderlich ist, um ein kleiner Edelmann geheißen zu werden. Täglich spielte er mit dem Herrn Pfarrer und noch einem Edelmann, einem sehr kleinen, der beinahe gar nichts besaß, Tarok; täglich rauchte er unzählige Pfeifen Taback, trank dazu einige Gläser Wein und zog, wenn er misgestimmt war, seinen grauen Schnurbart nach unten; war er aber fröhlich, 56^ was selten geschah, so kräuselte er ihn empor. Er fluchte so stark und so oft, daß selbst der Pfarrer gegen die Kraftausdrücke taub geworden war. Als Edelmann geboren, war er im Dorfe im Hause seines Vaters aufgewachsen, hatte in der nächsten größern Stadt F^miui8mm et ^liilo^opliiam studirt, war nach Hause zurückgekehrt, heirathete nach der Acltern Tode, bekam einen Sohn, verlor seine Frau, schickte den Sprossen, als er aufgewachsen war, in die Stadt, um auch ^mlia^ium 6t i»In1«8op1iilin, zu studiren, und verwendete ihn nach absolvirtcn Studien und zurückgelegtem zwanzigsten Jahre zu Hause in der Wirthschaft. Er war einer jener wenigen Menschen, deren Leben flach dahinfließt, gerade, in derselben Richtung fort, dem Tode zu. Kein großes Glück hatte sein Leben gehoben, kein Unglück es gedrückt. Und so dachte er auch seinen Sohn das Leben zurücklegen zu sehen. Doch dieser hatte um vierzig Jahre später FMmasäum et pIii1o8op!ÜHm studirt. Während der drei Jahre, als er zu Hause Dckonomie trieb, waren jedoch die in den letzten zwei Jahren seines Aufenthalts in der Stadt gefaßten nationalen Ideen, die von Preßburg und Pesth aus das ganze Land allmälig erfüllten, zurückgedrängt worden. Mangel an äußerm Anstoße und eine Jugendliebe waren 57 schuld daran. Im Hause waltete nämlich ein siebzehnjähriges, schönes, frischcs Mädchen, als der junge Mann aus der Stadt zurückkam, und das früher wenn auch nicht unbeachtete, so doch mit nichts weniger als Liebe, sondern mit Geringschätzung, als Dienerin behandelte Mädchen ward nun heiß und glühend geliebt. Die Acltern des schönen Kindes waren todt. Der Vater war Aufseher, die Mutter Wirthschaften« im Hause gewesen. Nach den: Tode dcr Lctztern übernahm die Tochter die Geschäfte derselben, wie dies so in der Familie üblich war, denn man konnte die beiden Familien, die gutsherrliche und die des Aufsehers, lange Zeit zurück beisammenlebend, verfolgen. Die Stellung des Madchens brachte es daher öfter während des Tages in die Nähe des jungen Mannes, und jedes alleinige Zusammentreffen mit ihm dcm frischrothen Munde zärtliche Küsse, die es anfangs von sich abzuwehren sich bemühte, später abcr gerne duldete, wenn nicht gar erwiderte. So verflossen drei Jahre nach dcr Zurückkunft des jungen Mannes friedlich und still. Er war dreiundzwanzig, das Mädchen zwanzig Jahre alt, als der alte Edelmann nach kurzer Krankheit plötzlich starb. Das Begräbmß war vorüber, das Geläute dcr Glocken verklang in dcr lauen Abendluft. Die Leute, 58 welche dem Sarge folgten und aus entfernten Gegenden gekommen waren, saßen lärmend beim Leichen-schmause und waren ungehalten, daß der junge Herr Ferri (Franz) ihnen nicht Gesellschaft leiste. Er hatte sich, nachdem er den Herren und Frauen Dank gesagt, für die letzte Ehre, die sie seinem Herrn Vater erwiesen und sie gebeten mit dem Wenigen, was er aufzutischen vermöge, vorlieb zu nehmen, auf sein Zimmer begeben. Dort überließ er sich seinem Schmerze und den durch denselben hervorgerufenen Gedanken, während die arme Irma (Marie) nicht nur die ganze Mahlzeit auszurichten, sondern auch zu beachten hatte, ob die Gäste ordentlich bedient würden. Nach und nach fuhren diese fort, das Haus ward leer und stille. Die Nacht jedoch, eine laue sternenhelle Nugustnacht, hatte sich schon lange über die Erde ausgebreitet, als Irma endlich mit ihrem Geschäfte zu Ende war. Sie nahm die brennende Kerze in die Hand und ging aus der Küche in ihr Zimmerchm. Dort stellte sie die Leuchte vor den kleinen Spiegel, brachte ihr Kopf« und Buscntuch und ihre Schürze in Ordnung, während die lang unterdrückten Thränen über ihre frischen rothen Backen perlten, nahm die Kerze wieder und betrat die Zimmer, welche der Gestorbene bewohnt hatte. Ihre Schritte weckten Wiederhall in den leeren 59 dunkeln Gemächern; sic durchschritt anfangs zögernd, dann rascher dic Räume, während ihr Auge staunend umherblickte. Vor dem letzten Zimmer blieb sie stehen, da die Thüre halb zugelehnt war. Sie horchte; doch als sie keinen Laut vernahm, öffnete sie dieselbe ganz' lich und das Licht erhellte das Zimmer. Irma sah rasch um sich, und verließ cs, da sie auch hier Niemand fand. Die Thüre führte auf den Gang, der hier einen Winkel bildete. Da, in dem rechten Flügel des Hauses, lagen nämlich die zwei Zimmer, die Ferri bisher bewohnt hatte. Im linken Flügel wohnte Irma. Die Fenster beider Flügel führten in den baumrcichm Garten. Vor der Thüre endlich blieb Irma stehen. Sic zögerte, klopfte, horchte und öffnete, als sie keinen Laut vernahm; dann betrat sie das erste, dann das zweite Zimmer. Der Kerzenschein siel aus Fcrri, der in den dunkeln Garten hm-ausstarrte. Seine Augen waren vom Weinen roth. „Guten Abend, junger Herr, ich habe Euch in den vordcrn Zimmern gesucht. Ich komme!" sprach Irma. „Meine süße, liebe Irma," unterbrach sie der iungc Mann, „ich danke dir viel mal, daß du kommst, mir meine Einsamkeit zu erleichtern. Stelle die Kerze auf den Tisch und setze dich nieder." 60 „O laßt mich stehen, Herr!" „Nein, setze dich nur, Irma, nicht dort, nicht dort, komm her, liebe Schwester, da, auf diesen Stuhl setze dich, zu mir, hierher — so!" „Herr, ich bin gekommen, um Euch Rechnung zu legen und Euch zu fragen, was Ihr morgen essen wollt; denn da der Herr jetzt todt ist, werdet Ihr mir es nun sagen müssen." „Lasse das, liebe Irma. Besorge künftighin Alles wie du willst, wie du es, so lange mein guter Vater lebte, gemacht hast. Weine nicht, ich habe mich ja selbst kaum gefaßt." Fern ergriff Irma's Hand, umfaßte ihren Leib, drückte das Madchen, dessen hoch-auffiammende Wangen glühten, an sich. Sie zitterte und wollte sich seinen Armen entwinden, doch er hielt sie fest umschlungen. „Herr!" sprach sie. „Irma, willst du bei mir bleiben, willst du auch gerne bei mir bleiben, willst du mich nicht verlassen?" Das Mädchen blickte mit den großen blauen Augen zu ihm fragend empor. — „Ich, Hcrr, ich diene Euch ja, wie sollte ich Euch denn verlassen?" „Db du aber auch gerne bei mir bleiben willst. Schwester, liebe, liebe Irma, ob du mich liebst?" 61 Das Mädchen hätte keine Antwort gcbm können, auch wenn ihr Fern's Küsse nicht den Mund verschlossen hätten. Er preßte das glühende zitternde Kind, dessen Herz und Sinn durch den Wechsel der Trauer und der Freude betäubt waren, in seine Arme. Irma widerstrebte, aber die Glut dcr Küsse entstammte sie, und die aneinander schlagenden Herzen zogen sich unwiderstehlich an. Die Flammen der Liebe verzehrten die Thränen der Trauer in den Au-gm Beider, und sie standen innig verbunden an dem geöffneten Fenster. Die Nachtluft strich über die Blumen und Gesträuche des Gartens, bewegte die Wcinblättcr, die das Fenster umrankten, und umstoß kühlend die Wangen Beider, Irma rang sich los, aber Fcrri behielt ihre rechte Hand. Sie bewegte sich gegen die Mitte des Zimmers, wollte mit der freien Hand die herabgebrannte Kerze ergreifen und hauchte: „Gute Nacht, Herr!" Aber Fern ergriff schnell den Leuchter und das Licht erlosch. Er drückte das bebende Wesen gewaltig an sich: „Verlasse mich nicht, bleibe bei mir, bleibe bei mir, süße, theure Irma!" bat cr. Erbat so siehend — sie widerstrebte lange Zeit. Dann unterbrach nur noch ein schnell unterdrückter Laut die Stille der milden lauen Sommernacht. 62 Von dieser Stunde an war sie sein eigen mit Leib und Seele. Sie lebten heiter und glücklich. Irma waltete unermüdlich im Hause; vom Morgen bis zum Abend hatte sie das Vielerlei im Haushalte theils selbst zu besorgen, theils die Arbeit Anderer zu beaufsichtigen. Fern war genöthigt im Felde nachzusehen, oder schlich mit der Büchse im Dunkel des Waldes odcr am schilfumgürtctcn hellen Flußstrande dem Wilde nach. Wenn er nach Hause zurückkehrte, so erwartete ihn das heitere freundliche Wesen seiner stillen Irma, die zurückhaltend und bescheiden seinen Tisch deckte und ihm diente; dem Mahle konnte und wollte sie nicht beiwohnen, da sie die Speisen auftragen mußte: ein ihr liebes, gewohntes Geschäft. Sie empfing stets mit erröthender Wange und Stirne die Küsse Fcrri's, und wollte täglich mit bebendem Herzen die Auffoderung ablehnen , nach beendeter Mahlzeit am Tische sich niederzulassen. Wenn sie sich aber doch setzte, so geschah es in einiger Entfernung, und erst den: Arme des Geliebten gelang es, sie in seine Nähe zu bringen. Und so blieb sie sich immer und immer gleich. Saß sie endlich an seiner Seite, so erzählte sie vergnügt von Allem, was im Hause vorgefallen war, was noch zu thun übrig sci, und was für die Zukunft 63 nöthig wäre, wie das Hauswesen gedeihe, was hier förderlich, dort zu entfernen sei, weil es Schaden bringen könnte. Das war stets der Inhalt ihres Gesprächs, ein Inhalt, der täglich der Unterredung kleine Abwechselung bot, wenn er auch nur einen geringen Gedankenkreis füllte. Und wenn dann Fcrri die Geliebte in seine Arme nahm, so empfing sie seine Liebkosungen mehr duldend, wenn auch beglückt durch dieselben, gleichsam als Belohnung für ihr Wirken. Sollten sie dieselben nicht aufmuntern, fleißig zu sein? Und war sie nicht gerne strebsam — um solchen Lohn? Wenn aber Fcrri sie liebkoste, immer mehr in Glut und Begeisterung kam, und in Be-thcuerungcn scincr Liebe und seines Glücks ausbrach, wenn die Nebe seinen Lippen entströmte, schneller und bewegter, weil Gefühl und Gedanken sie beflügelten — da vermochte sie nur zu horchen, wenn sie auch nicht viel hörte und verstand. Sie liebte, und wußte nur, daß sie liebte. Ja, ja, nein, nein, waren ihre Worte — Erglühn,, glutvolles Umfassen des Geliebten, gänzliche Hingebung und Auflösung an und in ihm, deren wcrkthätiges Beweisen. So lebten sie den schönen warmen, so den kalten Theil des Jahres hindurch nur füreinander. Erst gegen Ende des Winters wollte es Fern bcdimkcn, als sei 64 ihm die Jagd, allein, ohne Gesellschafter, nicht mehr so angenehm. Auch dachte er daran, daß er den Pfarrer noch gar nicht besucht habe. Wenn er an dem Pfarrhofe vorbeikam, fühlte er Sehnsucht ihn zu betreten. Doch bald kam der Frühling und mit ihm erneute Arbeit. Ferri mußte hinaus auf die Felder, den ganzen Tag hindurch schaffen, so zwar, daß er müde, ruhcbedürftig nach Hause kam und in der lieben Gesellschaft seiner schönen Irma vergaß, daß sich das Bedürfniß in ihm leise geregt hatte, mit gebildeten Menschen umzugchen. Der Frühling jedoch entfloh, der Sommer mit seiner Glut erkaltete, der Herbst mit seinen Früchten hatte reichlich die Behältnisse gefüllt. Der scharfe Wind pfiff bereits über die kahlen Felder, deren Stoppeln der Morgenreif versilberte, als Ferri plötzlich Besuch bekam. Eines Abends, im Spä'thcrbstc, schoß ein Fuhrwerk, von leichten Nennern gezogen, in den Hof. Die Hunde schlugen laut an; Fern eilte hinaus, um zu sehen, wer gekommen sei. „Grüß' dich Gott, Freund!" rief ihm eine Gestalt entgegen, die sich alle Mühe gab, aus der weiten Bunda (dem Pelzrocke) zu schlüpfen und aus dem Wagen zu springen. Es war ein junger kräftiger Mann, braun im Antlitz, so weit der dunkle harte Vollbart eine Gesichtsfarbe 65 sehen ließ. Von dcm kleinen schwarzen, nach dem rechten Ohre zu herabgedrückten Hütchen flatterte das schwarze Seidenband nach rückwärts. Es war ein Jugendfreund aus der Stadt, ein ehemaliger Schulgenosse, jetzt Jurat (Advocaturcandidat), der sich Fern's erinnerte und kam, einige Tage auf dem Lande mit seinem Fveundc lustig zu durchleben. „Grüß' dich Gott, Bruder!" begann er nochmals, Ferri umarmend und kräftig küssend, der ihn endlich erkannt hatte. „Halte ich nicht mein gegebenes Wort? Sei nicht böse, daß ich nach so langer Zeit erst dich besuche; aber du siehst jctzt, daß es mir doch Ernst mit meinem Versprechen war. Wie geht es dir? Wie lebst du? Was treibst du? Dein Vater ist gestorben! Ich habe gehört davon, nun du wirst dich wol getröstet haben, bist jetzt allein Herr im Hause. Hast wol guten türkischen Taback, Cigarren, Wein, Braten und Papoika, wie? Lache nicht, ich habe nicht daran gezweifelt, sonst wäre ich nicht gekommen." „So laß uns doch eintreten," unterbrach Ferri den Zuraten, „und sei mir willkommen!" „Ja, komm, Freund," entgegnete der Jurat, der die Pause benutzte, durch starke Züge die Glut in seinem langen Tschibuk (türkische Pfeife) aufzufrischen, Stillleben an der Thoisi. 5 66 den er während der Rede und den Umarmungen sorgfältig geschwungen hatte, um das Glimmen des feinen Tabacks nicht aufhören zu lassen. „Doch warte noch ein Weilchen. He, Iancsi!" schrie er dem Kutscher nach, dem Ferri's Diener mittlerweile den Standort des Wagens und der Pferde andeuteten;, „he, Iancsi!" — dann folgten einige Kraftausdrücke — „wo hast du meine Sachen, meinen Taback, meine Kleider?" „Mcin Diener hat Alles bereits in das Haus getragen," sagte Ferri, „Ach so, vergib; die Freude, dich zu sehen, läßt mich alles Andere übersehen. Die Equipage gehört unserm Freunde B., und so ein .... von einem Kutscher glaubt, daß, wenn uns cm Freund eine Gefälligkeit erweist, er sie miterweise. B. hat jetzt vier Pferde, und da mußte er mir wol die zwei leihen, mochte er wollen oder nicht. Wie freut es mich, dich zu sehen; aber ich muß bald wieder fort, habe nur vierzehn Tage Zeit, bei dir zu bleiben!" Während der letzten Rede waren Veidc in dem Zimmer angelangt. Mit den Worten: „Ach, ich bin müde!" warf sich der Jurat auf das Sopha, und blies dichte Rauchwolken zur Zimmerdecke empor. Ferri, erfreut über diesen Besuch, war hinausgeeilt, 67 um Anordnungen zu treffen, und kehrte bald zurück, während Irma Wein, Mäscr und Brot auf den weißgedeckten Tisch stellte. Die Dunkelheit und dcr Tabacksqualm ließen nichts im Zimmer deutlich erscheinen. Fcrri zündete deshalb Kerzen an. Der Jurat stürzte einige Gläser Wein hinab und warf sich wieder auf das Sopha. „Verzeihe, Freund, aber ich bin müde," entschuldigte er. Fern lehnte sich in die andere Ecke, und der Jurat fuhr fort: „Jetzt erzähle du. Wie lebst du, was treibst du?" „Nun ich habe sehr viel zu thun, auf dem Felde, zu Hause." „Also Dckonom bist du? Auch gut. Doch womit unterhältst du dich?" „Mit der Jagd, mit dem Fischen!" „Ist das Alles? Kein Ball, keine Musik erfreut dich? Ah, du bist wol Politiker mit Leidenschaft, fährst oft in die Stadt zu den Kongregationen, Co-mitatsverhandlungen. Wann warst du das letzte mal in der Stadt?" „In der Stadt? Ich weiß es wirklich nicht. Ich war nicht in der Stadt, seit ich von dir schied." „Du fahrst nicht in die Stadt? Was treibst du denn? Ah, ich begreife, dein Comitat ist dir zu 5 ^ 68 wenig liberal. Hast Recht, da lobe ich mir das unsere, das ist oppositionell, wie es sich gehört. Doch gut, daß ich mich erinnere. Hast du bereits die heutige ungarische Zeitung? Gib sie her. Ist etwas Neues in derselben von Wichtigkeit enthalten? Ist die pcsthcr Comitatswahl schon vorüber?" „Ich muß dir gestehen, Freund, ich halte keine Zeitung!" „Du hältst keine Zeitung? Spaße nicht!" „Ich gestehe, daß ich im Ernste —" „Was, Mensch, Gott verdamme dich, du bekümmerst dich vielleicht gar nicht um Politik?" schrie entsetzt der Jurat. „Du bist ein Indifferenter? Du bleibst mit kalter Seele in deinem Hundenest sitzen und läßt ruhig dein Vaterland — was, du weißt also gar nicht, was in der Welt vorgeht? Du weißt nichts von der Theißrcgulirung, vom Schutzvcrein, von den Administratoren, von den kroatischen Verhältnissen? Das Alles ist an dir vorübergegangen, wie an einer Bildsäule, die sich vom Sturme peitschen läßt und stets auf einem Orte feststeht und dasselbe Gesicht schneidet? Und du bist ein Ungar, willst ein Sohn des Vaterlandes sein? Wo sind denn deine Versprechen, die Gelübde, die wir thaten, als wir schieden? Hätte ich das gewußt, ich wäre gar nicht 69_____ hergekommen. Doch nein, es ist gut, daß ich hierhergekommen bin, ich will dich vom Rande des Abgrundes wegziehen, ich will einen Todten der Mensch' heit wiedergeben." „Ereifere dich nur nicht so, Freund, ich will ja nachholen, was ich versäumt habe; ich glaube, daß es noch Zeit ist." Die eben eintretende Irma unterbrach das Gc-spräch. Sie deckte den Tisch zum Nachtessen. Die beiden jungen Männer nahmen Platz. Irma trug das Essen auf. Als sie in des Iuraten Nähe kam, sah dieser sie aufmerksam an, und wollte sie, als er ihre Schönheit bemerkte, um den Leib fassen. Sie wehrte seine Hand ab. Fern sprang auf und rief: „Lieber Freund, das darfst du nicht thun!" „Darf man deine Dienstleute nicht anrühren?" „Sie ist nicht meine Dienerin." „Nicht deine Dienerin? Ah!" „Sie ist im Hause aufgewachsen, beinahe meine Schwester." „Und du läßt dich doch von ihr bedienen, was stellt sie denn eigentlich vor?" „Sie ist — sie ist — meine Wirthschaften«, und ich muß dich bitten, sie anständig zu behandeln." 70 „Ah nun, ich verstehe," sprach der Jurat, und der Genuß dcr Speisen und des Weines unterbrach zur Freude Fcrri's das Gespräch. Nach dem Essen plauderten Beide noch fort. Der Jurat machte Fern mit allen Fragen, welche jene Zeit bewegten, bekannt, und füllte das Herz und den Kopf des jungen Mannes überreichlich an. Die vierzehn Tage des Bei' sammenseins genügten zu einer obersia'chlichcn Unter' Weisung, denn Gespräche über Politik füllten allein die Zeit, die ihnen Jagd, Fahren und Reiten frei ließen. Je weniger sich übrigens Fern während dcr Anwesenheit des Juraten mit dem Hauswesen beschäftigte, desto mehr hatte Irma zu besorgen, die seit dem Vorfalle bei dcr Mahlzeit nicht mehr auftrug. War sie aber auch noch so stark beschäftigt, so blieb ihr doch noch Zeit genug, um zu bemerken, daß Fern sich wenig um sie bekümmerte. Dieser fühlte sich glücklich in der Gesellschaft seines Freundes. Endlich kam die Stunde heran, innerhalb welcher er scheiden mußtc. Fern hatte ihm früher das Versprechen geben müssen, öfter nach der Stadt zu kommen. Die Zeitung war bereits prä'numerirt, und der Jurat reiste ab, unter vielen Umarmungen, Flüchen auf den Kutscher, der Einiges vergessen hatte, und mit nochmaligen Zusprachen, Ferri mochte doch bald kommen, 71 um sein Leben als Mensch in Geselligkeit mit andern Menschen zu genießen. Fcrri freute sich, als im Hause wieder dic alte Ordnung und Ruhe herrschte. Müdigkeit ließ scincn Geist in der gewohnten Denk- und Handlungsweise sich mit Freude bewegen. Als Irma am Abende kam — vierzehn Tage lang war dies nicht geschehen -, um ihm zu berichten, was sich zugetragen, da heimelte cs ihn an, als wäre er nach langer bewegter Reise ins Vaterhaus zurückgekehrt. Er konnte nicht begreifen, was ihn abgehalten, so lange Zeit hindurch die Geliebte unbeachtet gelassen zu haben. Er warf sich mit Leidenschaft an ihre Brust und rief: „Gott sei Dank, jetzt sind wir wieder allein!" Irma erzählte in Kürze, was sich zugetragen. Es war Vieles geschehen, was beträchtlichen Schaden nach sich zog. Fcrri konnte nur sich die Schuld geben; bei besserer Aufsicht hätte Manches vermieden werden können. Er schwieg. — Mit Lebhaftigkeit betrieb er nun wieder seine Geschäfte. Selbst die täglich mit der Post anlangende Zeitung beirrte ihn nicht. Er las sie erst am Abende. Diese Lecture nahm aber einen großen Theil jener sonst für ihn so schönen Stunden hinweg, die er früher mit Irma zuzubringen pflegte. Er suchte jedoch, wenn 72 er ergriffen war von einer Idee, von einer Begebenheit, welche die Zeitung brachte oder anregte, sie Irma mitzutheilen; jedoch mußte er bald entdecken, daß das arme Kind zwar ein wenig Lesen und Schreiben konnte, seinen Gedanken zu folgen aber nicht im Stande war. Deshalb begann er sie Einiges zu lehren; abcr die Zeit war dem armen Mädchen karg zugemessen, und Fern war selbst mitten in der Strömung, die seinen lang gehemmten Geist zu hoch fluten machte, um Ruhe und Geschick genug zu haben, Andere zu belehren. Er gab den Unterricht bald auf. Das Bedürfniß, sich mitzutheilen, führte ihn jetzt öfter zum Pfarrer. Er sprach mit ihm und trug, was er bei ihm an Büchern vorfand, nach Hause, die zu studirm er auch mehr Muße hatte, denn es war bereits der Winter da. Irma und alles Andere wurde wieder vernachlässigt. Nicht einmal mehr Lust besaß er, die Berichte des schönen Mädchens zu hören; nur ihren schönen schwellenden Mund küßte er manchmal, und hemmte so auch die wenigen Worte, die sie zu sprechen wußte. Des Pfarrers Bücher waren übrigens bald gelesen, der Umgang mit ihm auch zu monoton; die Schönheit Irma's war ihm kcm Ersatz mehr für den unbefriedigten Drang nach Wissen und 73 Unterhaltung, für die langen einsamen Tage und noch längern Abende, und so ließ Fcrri an einem frischen Wintermorgen anspannen und fuhr in die Stadt. Er warf sich mitten in den Strom des brausenden Lebens. Bei Tage wohnte er entweder den Co-mitatsverhandlungcn bei, oder trieb sich in dcm Casino herum. Er gab sich ganz der belebenden Strömung des öffentlichen Lebens hin. Nachmittags ritt und fuhr cr, und die Abende wurden stürmisch und lärmend durchlebt. Man kam in einem großen Saale zusammen und wartete gewöhnlich bis der Führer der Partei hercintrat. Da ertönte stets ein Hundert-stimmiges Eljen! Zehn Nnfwärtcr sprangen herbei, um ihn zu bedienen. Alles drängte sich um ihn, sprach mit ihm und drückte ihm die Hand. Dann ließ sich die Gesellschaft nieder. Die Speisen wurden aufgetragen, der goldene Wein floß und die Zigeuner spielten. Nach und nach kam man in Feuer. Die Discussion über politische Fragen regte auf, Wein und Musik erhöhten die Stimmung. Die Lebhaftigkeit, bald Geschrei, bald Jubel, kam zum Ausbruch. Und das Alles übertönte die Musik, welche lautes Singen und Schreien, Umarmen und Küssen, mitunter auch Wcincn und Seufzen, Iuchhcs und Dhs 74 begleiteten. Dann wiederhallten Toaste, und der Kapellmeister der Zigeuner, die allem fortspielten, mußte mit dem Violinbogen auf den Boden des Glases nach dem Takte dcr Musik klopfen, während es die Toastausbringer leerten. Lust am Morgen, Lust am Abend und dazwischen eine Geist und Herz ergreifende, aufregende Thätigkeit ließen an Ferri Wochen, Monate vorüberjagcn. Endlich mit dem Beginne des Frühjahrs kehrte er heim, satt des äußerlich bewegten Lebens; aber der Durst nach Wissen, nach geistiger Anregung wuchs fortwährend, Irma diente ihm treu und redlich, nach wie vor. Er sah sie oft wehmüthig an und verfolgte aufmerksam ihr emsiges, freundliches Walten, Sie war sich gleichgeblieben; nichts hatte sich an ihr geändert. Sie liebte ihren Herrn, und das war ihr erhöhter Grund, Alles aufzubieten, um ihn zu fördern, ihm zu nützen. Sie hatte nie an sich gedacht. Liebkosungen und seine Liebe hatte sie als Gnade aufgenommen; daß er sich jetzt nicht mehr so viel mit ihr beschäftigte, wie früher, fand sie natürlich, denn sie fühlte den Mangel alles geistig Anregenden von ihrer Seite. Sie begnügte sich gern mit den Brosamen seiner Liebe, und war glücklich, wenn er vom Vollgenusse des Lebens prassen konnte. Dies 75 fühlte Fern, dies wußte er. Er bemühte sich den Sommer hindurch, das nachzuholen, was der Winter vernichtet hatte. Aber weder in häuslichen Angelegenheiten wollte es gelingen — denn Irma allein war nicht im Stande gewesen, in der, wenn auch kleinen Wirthschaft Alles zu beaufsichtigen, und so war zu Vieles zu Grunde gegangen —, noch seine frühere Seelenruhe und naive Stimmung konnte er sich durch den Willen und das Denken zurückschaffen. Hat einmal Civilisation sich Bahn gebrochen, dann reißt sie unwiderstehlich mit sich fort. Er mußte in geistiger Beziehung vorwärts. Da gab es keinen Halt, viel weniger ein Zurück, das eben nicht ein Untergehen gewesen wäre. Er las und las; doch er arbeitete auch, die äußere Ruhe brachte bei innerer Bewegung seine Seele in jenen Schwung, wo sich die Form und das Wort leicht einstellt, um sich mit dem Gc-fühle und Gedanken zur Dichtung zu gestalten. So wurde Fcrri auch Dichter. Er ging oft und viel im Walde einher. Schon singen die Blätter an gelb zu werden und herabzufallen, als er eines Tages nach Hause eilte. Er hatte ein Gedicht gemacht, das wollte er nun ins Reine bringen. Er schrieb es ab, und als er eben damit fertig war, trat Irma ins Zimmer. Fcrri, aufgeregt, siel ihr um den Hals, 76 küßte sie viele, viele male heiß und innig, endlich hieß er sie, sich niedersetzen. „Höre zu, Irma," rief er, „ich werde dir vorlesen, was ich gemacht habe!" Das Mädchen setzte sich, und Ferri las das Gedicht. Irma sah ihn fragend an und hörte. Als Ferri geendet hatte und sie anblickte, schwieg sie. „Nun Irma," drängte er eifrig, „wie hat dir das gefallen? Sprich!" „Herr! Es kommt mir so vor, wie damals in der Kirche, als der fremde Herr Pfarrer aus der Stadt predigte," Ferri sprang auf und lief hinaus in den Wald. Nach langem Herumirren blieb er stehen und sprach: „Ja, ich liebe sie noch, die arme Irma! Aber eben deshalb muß ich einen Entschluß fassen. So, wie wir jetzt zusammenleben, kann es nicht bleiben. Meinem Geiste genügt sie nicht, und um sie herabzu. würdigen, liebe ich sie noch zu sehr. So kann es nicht bleiben! Mein Geist ringt nach Wissen, nach Bildung. Und hier allein kann ich nur sie nur verschaffen, wenn ich anders Haus und Hof erhalten soll; denn wollte ich oft nach der Stadt, so ginge meine Besitzung aus Mangel an Aufsicht verloren. Hier bleiben muß ich also. Ein Opfer muß ich 77 bringen. Ich muß mich selbst um Irma berauben. Ich muß das Verhältniß lösen. Es ist entwürdigend, den Körper zu besitzen ohne die Seele. Und was kann sie mir jetzt noch sein? Was könnte sie mir in der Zukunft werden? Unser Bündniß, wie es einst war, ist ohnehin bereits seit langer Zeit getrennt. Kann sic noch ferner bei mir bleiben? Kann ich zu ihr saa.cn: Irma, sei fortan nicht mehr mein Weib, fei wieder, was du früher warst, meine Magd? Wenn sie auch jetzt diesen Unterschied nicht kennt, wenn sie sich auch nic als etwas Anderes betrachtete, denn als eine Dienerin, so möchte sie doch von dcm Augenblicke an, wo der tödtliche Streich ihr Herz treffen würde, erkennen, was sie war und was sie ferner ware. Nein, sie kann nicht im Hause bleiben, wir müssen uns trennen. Sie muß fort von mir. Doch das „wie" bildete den Punkt, den Fcrri weder zu finden noch herbeizuführen im Stande war. Er wollte endlich alle zarten Fäden zerreißen, vor Irma hintretcn, und ihr offcn und gerade die ganze Sachlage mittheilen, als ein Vorfall die Gelegenheit von selbst herbeiführte. Fern ging eines Tages über den Hof, als er plötzlich seinen Namen und ein offenbar Irma beschimpfendes Wort, mit demselben in Verbindung gebracht, hörte. Es mußte im Stalle 78 gesprochen worden sein. Als sich Fern dcr Stallthüre rasch näherte, trat Irma, das Auge voll Thränen, hervor. Fern zitterte am ganzen Körper. Er nahm das Mädchen bei der Hand und führte die Bebende in sein Zimmer. Sie weinte nicht mehr. „Was ist geschehen, Irma?" „Herr, Ihr wißt, daß der Pferdeknecht mir schon seit geraumer Zeit nachlassig vorkam. Ich ging in den Stall, um nachzusehen, als ich beim Eintreten bemerkte, wie cr einen Sack voll Hafer in seinem Lager zu verbergen im Begriff war, Eben als ich ihn zur Redc stellte —" Irma crröthete über und über. Ferri ging klopfenden Herzens und bangen Muthes auf sie zu, und sprach mit aller Festigkeit, die er zu erringen vermochte: ,,Irma, wir müssen uns trennen!" Irma, die kurz vorher noch Glühende, ward plötzlich bleich. Sie sah Ferri verwundert und lächelnd an und sprach: „Trennen, Herr? Trennen? Warum denn? Wie meint Ihr denn das?" Dann blickte sie ihn tief forschend an. „Meine Irma, ich kann dich nicht solch' cincr Rede preisgeben. Ich glaubte bisher, daß die Leute unsere Verbindung nicht bemerkt hätten. Da ich dich liebe, so will ich dich nicht noch ein mal einer solchen 79 Behandlung aussetzen, deshalb glaube ich, daß es besser wäre, wenn wir uns trennten.'' Irma erröthete von neuem. Sie griff mit der Hand nach ihrem sich zusammenziehenden zuckenden Herzen und sah zu Boden, gleichsam als ob sie damit andeuten wollte, wie es denn möglich sci, daß Fern allein nicht bemerkt habe, wie Alles um ihr Verhältniß wisse. Dann fuhr sie rasch mit dem Köpft in die Höhe und sprach: „Weil Ihr mich liebt, wollt Ihr, daß ich von Euch gehcn soll?" Fern, betroffen, sprach weiter: „Ich kann es unmöglich dulden, daß du beschimpft werdest, und wenn du noch ferner im Hause bleibst, sind Auftritte, wie der heutige, unvermeidlich. Deshalb werde ich mir Mühe geben, meine liebe Irma, dir eine Stelle in irgend einer angesehenen Familie zu verschaffen!" „Herr, sprecht nicht so. Ich kann, ich will nicht von Euch fort. Warum wollt Ihr mich fortgeben? Aus Rücksicht für mich? Ich komme nicht aus dem Hause, und mit den Leuten des Dorfts wenig in Berührung. Außer dem Pferdeknecht hat noch Niemand im Hause mich beschimpft. Laßt mich doch da; ich will ja gern Alles ertragen. Ich will Euch dienen, treu und redlich, wie bisher. Ich will früh ____80_____ Morgens, noch früher als sonst, aufstehen, und spät Abends schlafen gehen; will nicht rasten noch ruhen, will arbeiten und schaffen, so viel ich kann, und es wird viel sein, weil ich es gern thue. Herr, ich will Alles, Alles thun, nur laßt mich im Hause; stoßt mich nicht fort unter fremde Leute; laßt mich Euch dienen." „O Irma, rede nicht so! Verliere ich denn nicht dadurch, daß du dich von mir wenden mußt? Sage selbst, gibt es einen andern Weg? Nenn du im Hause bleibst und unser Verhältniß, wie es bisher bestand, auch nicht mehr fortbestehen würde, möchten es die Leute glauben? Und könnte es sich auch lösen, wenn wir beisammen blieben?" „Herr, ich frage nicht, ich denke nicht daran, was die Leute sagen. Ich bin Eure Dienerin; das war ich, das bin ich, und das möchte ich bleiben. Das war mein Vater und meine Mutter und deren Ael-tern. Herr, wendet Euch nicht ab. Ihr mögt vielleicht auf andere Weise fühlen, als ich — aber laßt Euch nicht durch Gedanken leiten, die nur auf mich Rücksicht nehmen wollen. Mich bestimmt nur meine Treue, meine Anhänglichkeit. Was soll ich allein unter Fremden? Hier bin ich zu Hause, hier kenne ich Alles, hier bin ich bei Euch. Herr, ich beschwöre 81 Euch, nehmt keine Rücksicht auf mich, laßt mich bei Euch, immer, immer!" Ferri war tief gerührt; er war aber zu sehr und zu lange entschlossen, das Verhältniß zu lösen, als daß ihn Irma hätte bewegen können, seinen Plan aufzugeben. Er hob deshalb die zu seinen Füßen Kniende auf, und sagte: „Du wolltest immer bei mir bleiben?" „Immer, Herr!" schluchzte Irma. Ferri griff nach seiner Brust, wollte sprechen, vermochte cs nicht; endlich rief cr hastig: „Auch wenn ich heirathen möchte?" Irma sah ihn an, starr und ruhig. Dann fuhr sie plötzlich zusammen. Dieses Wort hatte ihr Alles erschlossen. Ihre Vergangenheit, der gegenwärtige Augenblick war ihr klar. Sie sprach: „Verfüget Herr, wie Ihr wollt, wie Ihr glaubt, daß es zu meinem Besten sein würde!" Dann schlich sie mühsam aus dem Zimmer. Ferri aber sank auf einen Stuhl und schlug die Hände vor die Augen. Ferri war frei; das Band war mit einem Worte zerschnitten worden. Er glaubte dadurch eine Heldenthat vollbracht zu haben, daß er die Achtung, die Irma für ihn hegte, selbst vernichtete. Er wollte Beider Glück herbeiführen. Hatte er übrigens auch Ttilllcbc» an der Thcisi. 6 82 bis zu dem Momente der Scheidung den Gedanken an eine Heirath wirklich nicht gefaßt gehabt, wie er ihn Irma auch nur fälschlich andeutete, so mag er unbewußt in ihm gelegen, vielleicht einmal plötzlich aufgetaucht, wenn auch ebenso schnell verworfen worden sein, da die damals noch innigere Liebe zu Irma nur solche Gründe aufkommen ließ, die für ihr und scin Wohl zugleich geltend gemacht werden konnten. Doch einmal dem Gehirn entsprungen, läßt sich der Gedanke nicht mehr wegleugnen. Er ist und tanzt vor uns einem Irrlichte gleich. Wir muffen uns mit ihm beschäftigen. „Müßte ich nicht doch einmal ein Mädchen heirathcn, das mir in geistiger Beziehung ebenbürtig, und auch dem Stande nach gleich wäre?" Dieser Gedanke trat nun ebenfalls vor Ferri, und half mit all' dcn andern Gründen an den Resten der Liebe, die er für Irma noch hcgtc, nagen. „Nein," schloß er, „dieser Gedanke bestimmte mich nicht, er hätte mich nie zu dem Schritte bestimmen können! Ich konnte nur das Weib, das mir bisher Alles war, nicht fortan als Magd behandeln. Ihre Unwissenheit allein untergrub meine Liebe zu ihr, Hätte sich die nicht immcr mehr geltend gemacht, und endlich alles edlere Gefühl gctödtct? So trenne ich mich von ihr, da ich sie noch liebe, und kann mich wenigstens durch 83 dm Gedanken beruhigen, daß ich in dem Momente das Verhältniß gelöst habe, als es ein ganz verwerfliches von meiner Seite zu werden drohte. Nein, ich habe gewiß nicht an meine Heirath gedacht! Allein — ja, so will ich ihr Glück bereiten. Rasch ans Werk." Fern ging in das Wirthshaus. Es war am Abend eines Sonntags. Die Zigeuner spielten, die iungen Leute tanzten. Als der Edelmann eintrat, erhoben sich die Bauern von ihren Platzen, die Zigeuner wollten zu spielen, die Tänzer zu tanzen aufhören. Allein, eine Handbewegung Fcrri's und einige Worte sagten ihnen, daß es ihm nicht angenehm wäre, wenn sie sich auch nur einen Augenblick lang stören ließen. Tanz und Klang wurden fortgesetzt, und Fern schritt durch den Saal in das Nebenzimmer, in welchem sich die Honoratioren des Orts befanden. Die ungewohnte Erscheinung des Edelmanns wurde stürmisch beklatscht, und Alle boten ihm ihre weingcfülltcn Gläser zum Gruße. Fern that Bescheid, ließ sich einen Augenblick lang bei den Herren nieder, aber die Unruhe seines Gemüths gönnte ihm keine Rast. Er wußte sich an einem Wendepunkte seines Lebens, und schnell wollte er den einmal gewählten Pfad bc-schreiten, mir einer raschen That sich jeden Rückzug abschneiden, die Brücken hinter sich abbrechen, über ft* 84 die cm Augenblick der Ncuc ihn vielleicht in die alten Beziehungen zurückbringen konnte, die ihm das Unglück seines Lebens herbeizuführen schienen. Irma hatte ihr Loos in seine Hand gelegt. Durch schnelle Ausführung des plötzlich gefaßten Gedankens glaubte cr ihr Lcbensglück zu gründen. Aber seiner selbst bemächtigte sich immer peinlicher die Unruhe. Mit lauter Stimme mahnte sein Gefühl seine Liebe noch einmal ab, alle Stunden seines Lebens, die er an der Seite des geliebten Weibes verlebt, drängten sich vor seine Seele, stumme Mahner vor den Undankbaren. Irma's Gestalt trat vor ihn, aber ein Strich mit der Hand über die dämmernden Augen verwischte die leistn Bilder aus seiner Seele. Er wollte seinen Entschluß ausführen. Nach Rückwärts führte ihn kcin Blick mehr, sein ganzes Wollen drängte in die Zukunft. Er stand auf der Schwelle zwischen den beiden Zimmern, sein Blick überflog die Gesellschaft, lange Zeit musterte cr die Einzelnen, bis er endlich in einer Zimmcrcckc hasten blieb. Ein Zucken fuhr über das Antlitz Ferri's und langsamen Schrittes bewegte er sich zu dem Tische. Die alte Frau und die beiden Männer, die an demselben saßen, erhoben sich ehrerbietig. Der ältere Mann faßte sein Glas und trug es dem Edelmanne an. ______85____ „Gott zum Gruße, gnädiger Herr, darf ich es wagen, Euch mein Glas zu reichen?" „Ich danke Euch, Freund!" Fern trank, gab das Glas zurück und setzte sich; die drei Leute folgten. „Was bringt Euch in unser Dorf?" fragte Fern. „Herr, ich habe dem P. die Frucht gebracht, die er bereits vor längerer Zeit bei mir gekauft hat." „Habt Ihr im vorigen Jahre eine reichliche Ernte gehabt?" „Ja, Gott hat die Felder gesegnet, Herr!" „Und Iosi hat Euch wol fleißig geholfen?" sagte Fern, indem er auf den Sohn des reichen Bauers wics, der mit an dem Tische saß. Ohne jedoch eine Antwort abzuwarten, sprach er rasch weiter: „He, Iosi, wirst du denn nicht bald hcirathen? Du bist ja groß, alt genug, und dem Vater könnte eine Gehülfin im Hauswesen wol nicht schaden." Während Iosi roth wurde und verlegen lächelte, sprach der Alte: „Nun, Herr, ich habe wol auch bereits daran gedacht, und ich würde gar nichts dagegen haben und Ja sagen, wenn der Bursche kommen und sagen möchte: Vater, Die und Die möchte ich hcirathen, wenn sie eben ordentlich und fleißig wäre und nicht mit ganz leeren Händen kommen 86 würde. Wißt Ihr vielleicht ein Mädchen für meinen Sohn, gnädiger Herr?" „Ja, Irma, die im Hause bei uns aufgewachsen ist. Würde die Euch recht sein?" „Freilich wol, sehr recht. Es ist ein fleißiges Mädchen. Nun Iosi, was sagst du dazu?" „Sie gefällt mir schon seit langer Zeit!" sprach der Bursche. „Was müßte sie denn ins Haus bringen?" sagte Fern rasch; doch er vermochte die Antwort nicht abzuwarten. „Wißt Ihr, Freunde," fuhr er fort, „wenn es Euch genehm ist, so kommt heute über acht Tage zu mir; Iosi mag um sie werben, und wir werden über die Mitgift schon einig werden." „Gut, Herr, das wollen wir!" sprachen Vater, Mutter und Sohn. — Ferri stand rasch auf, beurlaubte sich und ging nach Hause. Rasch ließ er seinen Wagen vorfahren und jagte die Nacht hindurch in die Stadt. Die Natur war still und ruhig, Ferri aber zerrissen von Vorwürfen und bitterm Leide. „Was habe ich gethan! Ich wollte nicht, daß sie irgendwo diene, und jetzt habe ich sie verkauft — verkauft wie einen bissigen Hund, den man los zu werden trachtet, und dcssen Abnehmer man noch zahlt, weil er Einen erlöst! — 87 Weggegeben habe ich sic, ohnc sir nur zu fragen: willst du auch? Warum war ich so rasch? Drängte die Noth? Konnte ich sie denn nicht selbst ihr Loos wählen lassen? Wer berechtigte mich, über ihr ganzes Leben zu verfügen? Ist das der Lohn für ihre Liebe, daß ich ihr Herz wcgschleudcrc, cincm Manne zuwerfe, den sie kaum kennt? Wie konnte ich nur den Gedanken fassen: auf diese Art ihr Lebcnsglück begründen zu können? Wie mochte ich denn früher überzeugt sein, daß es geschehen werde?" Nach und nach legten sich jedoch die quälenden Foltcrvorwürfe im Innern Fern's. Er kam wieder dazu, alle jene Gründe sich sagen zu können, die ihn früher zu diesem Entschlüsse bestimmt hatten. Kamen sie ihm auch nicht mehr so schlagend wie früher vor, so suchte er sich doch mit dem geringen Troste einzulullen, daß eine rasche Trennung ihr beiderseitiges Glück herbeiführen könnte, während ein längeres Bei-sammenlcben die Liebe in seinem Innern gänzlich todten müßte. Zu dem angccrbtcn Vorurthcilc des ungleichen Standes kam noch die Prä'tcnsion der neuen Halbbildung, und beide verlangten Trennung zweier Wesen, von denen das eine sich über das andere weit erhaben wähnte. Die Woche verlebte Fern in der Stadt. Aber 88 keine Vergnügung zog ihn an. Umsonst versuchte der Jurat ihn zu erwecken. Nicht einmal die poli tische Aufregung konnte ihn erregen, und sie war damals groß, da es sich eben um ein Vorrecht der Nation handelte, das sie verlieren sollte, nämlich die Wahl der Dbcrgesvane, welche durch von Wien aus ernannte Administratoren ersetzt werden sollten. Irma ging ruhig, ohne irgend Jemand ihr Inneres zu erschließen, im Hause ihrem Beruse nach. Aber ihr munteres Wesen, ihr Frohsinn waren zertrümmert. Wie ein Vogel mit beschnittenen Flügeln wankte sie einher. Sie sang nicht mehr und sprach wenig; sie konnte sich fortan nicht erheben, sie war niedergeschlagen. Sie hatte zu fest in ihrer Vergangenheit gewurzelt; nachdem sie dem Boden ihres bisherigen Lebens entrissen wurde, ragten ihre Aeste, des Laubes und der Blüten beraubt, in den leeren Raum ihrer Zukunft. Diese lag öde vor ihr, leer, unendlich leer; ihr war es gleichgültig, womit dieselbe ausgefüllt werden sollte. Sie liebte Ferri nach wie vor, aber sie fühlte die halbe Unwahrheit in seinem Wesen. Die Ursache seines Benehmens erschien ihr, die nur einfach zu schließen gewohnt war, als Mangel an Liebe, deren allmäliges Verschwinden ihr ja nicht entgangen war. 89 Irma war bescheiden genug und liebte ihn noch zu sehr, um ihm alle Schuld beizulegen. Was konnte sie ihm auch sein? Sie, das ungebildete, niedrig geborene Mädchen! Sie fühlte die Ursache seincs Er-kaltens, aber sie konnte sie durch sich selbst nicht heben. Sie konnte ihn nur lieben und liebte ihn noch. Sie würde ihm fortgedicnt haben, treu und redlich, ohne Ansprüche, wenn er offen vor sie hinge-treten wäre. Sie wollte ja nur seine Magd sein, nur bei ihm bleiben. Aber das Unwahre in seinem Wesen konnte sie nicht vertragen. Sie konnte es nicht verschmerzen, daß er sie nun verwarf, da er heirathen wollte. Bis zu diesem Augenblicke aber wäre sie ihm gut genug gewesen. Fern hatte richtig gerechnet, als er das Wort ausgesprochen; überhaupt schien er sie besser zu kennen, als sich selbst. Irma erwartete rcsignirt, wie Fern über sie verfügen werde. Sie betrachtete sich als seine Magd, ja als seine Leibeigene. Der Sonntag, an welchem der Bewerber erscheinen sollte, war gekommen. Fern, aus der Stadt zurückgekehrt, konnte nicht zur Ruhe, zur Klarheit gelangen. Gcin Wille, sein Herz schwankte nach den verschiedensten Gcfühlsrichtungcn. Es lag noch der Wahn finster über seinem Auge, an der Seite Irma's, 90 die er liebte, die ihn anbetete, das Glück seines Lebens nicht finden zu können. Die Zeit der gährenden Trübe hieß ihn täppisch in die zarten Fäden des Lebens greifen, das Bild dcr Vergangenheit mit einem Faustschlagc zertrümmern. Er dachte nicht daran, daß er vielleicht die Grundlage seines Lebens mit zerstöre. Ein halbgebildeter Geist, ein im Bilden, Fortschreiten begriffener, ist stets unduldsam gegen Andere, zerstörend, abstoßend, während ein gesättigter, voller Geist milde und nachsichtig ist, aufbauend und anziehend. Fern war eben in voller Entwickelung, und darin wurzelte seine Blindheit, die nur die Zeit heilen konnte. War er sich aber auch seines Zustandes, der Motive, die ihn hervorbrachten, nicht klar bewußt, so fühlte er doch in den letzten Stunden, welche dem verhängnißvollcn Augenblicke vorhergingen, instinctmäßig nicht nur richtig, wie sehr er Irma verwundete, sondern auch, welch zweischneidige Waffe ihr ins Herz fahren sollte, da sie ihn selbst tief verletzte. Er liebte sie noch, aber er konnte sich trotzdem aus dem Gewebe seiner Schlüsse und Entschlüsse nicht befreien. Bcrcucte cr einerseits seine rasche That, und kam ihm auch augenblicks-wcise die Idee, die Werbung zu verhindern so lange es möglich sei, so stellte sich ihm andererseits sein 91 einmal ausgesprochenes Wort entgegen, das er nicht zurücknehmen wollte; ferner, und dies war das wirksamste Motiv, um ihn beharren zu lassen, die Idee, abzuwarten, wie sich Irma bei der Werbung benehmen werde. Liebe sie ihn so sehr, daß sie nicht ohne ihn leben könne, so werde sie unmöglich die Bewerbung annehmen, einen Andern heirarhcn können. Sie hatte ja ihren freien Willen, konnte thun und lassen was sie wollte. Er wollte zwar den Weg, den er betreten, nicht mehr verlassen; abcr ging Irma nicht auf seine Idee ein, so gestand er sich zagend und mit heftig klopfendem Herzen, daß er sie noch genug liebe, um durch ein Abweisen der Werbung hocherfreut zu werden. Was er dann thun solle, darüber dachte er nicht nach, so sehr beschäftigte ihn die Erwartung, was der nächste Augenblick bringen würde. Irma war erstaunt, als sie die brautwerbcnd geputzten Männer und Frauen mit Schellcnklang und Peitschenknall, mit Blumen und Bändern geschmückt in den Hof fahren sah. Sie kannte die Leute aus dem nächsten Dorfe und schaute verwundert hinter dem Fenster hervor. „Wem doch diese Werbung gelten mag?" fragte sie still vor sich hin; doch ihre gedrückte Stimmung ließ keine Neugierde aufkommen, und das bleiche schöne Wcscn ging seinem Bcrufc nach. Die 92 Leute waren unterdessen von den Wagen abgestiegen, hatten ihre Kleider zurechtgerückt und gingen nun mit abgezogenen Hüten in das Vorhaus. Hier blieben sie zögernd stehen. Die Bewohner des Hauses strömten neugierig zusammen und horten, untereinander flüsternd, mit Erstaunen, daß die Werbung Irma gelte. Endlich trat Fern bleich und wankend heraus, und bat die Bauern, einzutreten. Der Bursche, welcher für den Bräutigam um Irma anhielt, ging auf Fern zu, reichte ihm die weingefülltcTschuton (hölzerne Weinflasche) und sprach: „Weil Ihr, gnädiger Herr, hier die Stelle der Aeltern vertretet, so zeigt uns mit einem Schlucke an, daß Euch unsere Werbung nicht unangenehm ist!" Fern zwang sich zum Trinken und lud die Leute ein, die weingefüllten Gläser, als Zeichen des Willkomms, zu leeren. Als dieses geschehen war, fragte der Bewerber: ob es dem gnädigen Herrn nicht gefallen wolle, ihm zu erlauben, das Mädchen holen zu dürfen? Ein Wink Fern's bejahte es, und der Bewerber ging zu Irma. Als er vor ihr stand, und sie bat, mit ihm in das Zimmer zu gehen, fragte sie: „Was wollt Ihr hier, um wen freit Ihr denn?" Meißt du noch nichts? Um dich!" „Um mich?" schrie Irma auf. Sie griff nach _____W______ ihrem Herzen, hielt sich mit der Hand an einem Stuhl und mußte sich setzen. „Was ist dir?" fragte der Werber. „Nichts; warte einen Augenblick, ich will gleich mit dir gehen. Das habe ich nicht erwartet!" sprach sie leise. Zitternd und bleich erhob sie sich und folgte dem Burschen in das Zimmer. In der Mitte desselben blieb sie stehen. Mit ihrem schönen Auge sah sie die Leute an. Fern stand mit gesenktem Blicke an die Mauer gelehnt. Er wollte gefaßt scheinen, aber sein Inneres tobte zu gewaltsam, um seine Züge ruhen zu lassen. Irma sprach kein Wort, regungslos stand sie da und schaute zu Boden, als der Bewerber recitirte: „Einem Lichtstrahl schießt der and're glühend nach, Und ein Tropfen stießt dem andern nach im Bach, Nach dem ersten bald ein zweites Blatt ergrünt, Um dic weiße Taube eine andere minnt; Sieh', das Echo rufet wach der lautc Schall; Singt im Busche wo die süße Nachtigall? Zieht ihr Klagen weit hinaus in stille Nacht, Bis der Liebsten es den Liebesruf gebracht; 94 Keine Rose blüht allein im Gartcnraum, Und kein Vogel singt allein im Waldesraum; Auch kein Falter flattert durch dcn Sommer hin, Den cs nicht zu einem Andern möchte zieh'n! Sieh', kein Stern erglüht allein am Himmclssaum, 's duftet keine Blut' allein am grünen Baum, Um die Erde zieht der Mond die helle Bahn, Alles schmiegt sich an ein liebes Nnd'res an! — Darum, Madchen, gib mir deine weiße Hand, Laß uns schließen fest cm innig süßes Band, Denk' an Vogel, Falter, Stern nnd Mond und Strahl, An die Taub' und Ros und meines Herzens Qual!" Ein Tropfen floß dem andern nach, aus Irma's Auge, Fern zitterte und bebte. Als der Werber seinen Spruch beendigt, tvat cr näher zu Irma und fragte sie: „Mit Verlaub, sage frei und aufrichtig, ob du die Werbung, die ich hier im Namcn unsers Freundes Iosi ausbringe, annehmen willst? Willst du sein Weib sein, ihm gehören dein ganzes Leben hindurch und ihm treu bleiben? Willst du das, Irma?" Fern richtete bebend dcn Blick auf Irma. Sic schlug das Auge auf, und ihr Blick traf dcn Mann, 95 dessen Liebe sie bisher besessen. Sie schwieg einige Zeit lang, sah seinen erwartungsvollen Blick, dann sagte sie: „Ja!" „Seht, seht, der gnädige Herr wird unwohl!" riefen die Versammelten. Ferri hatte einige Augenblicke lang wirklich gewankt, dann aber Muth gefaßt und schnell sich mit dem Vater Iosi's verständigt. Unwohlsein vorgebend, schloß cr sich in sein Zimmer ein. Auch Irma entschuldigte sich, sie wärc durch das plötzliche Ereigniß zu angegriffen, und begab sich auf ihre Kammer, nachdem der Hochzeitstag über vier Wochen von diesem Tage an festgesetzt wurde. In ihren Zimmern angelangt, weinten Beide schmerzlich, und Beide sichten zu Gott, dieser Schritt möge das Glück des Andern begründen! Irma schluchzte lange, ihr Herz wollte brechen, dann suchte sie sich zu beruhigen und faßte lhrc Lage, ihre Zukunft ins Auge, um sich mit derselben vertraut zu machen: „Herr!" betete sie, „gib mir den Muth und die Kraft, um meine Pflichten erfüllen zu können!" Fcrri aber konnte es im Hause nicht aushalten. Er floh in die Stadt. Nach einigen Jahren, an einem heitern Wintcr-nachmittage, jagt? der ehemalige Jurat, welcher jetzt Fiscal (Advocat) in der Stadt war, wieder in Fcrrrs 96 Hof. Dieser war bereits den ganzen Winter hindurch nicht in die Stadt gekommen, und dies bewog den Fiscal, sich persönlich von dem Zustande Fern's zu überzeugen. Er war sich glcich geblieben, trotz der vorgerückten Jahre und Stellung. Dieselbe Lebhaftigkeit ließ ihn aus dem Wagen heraus und an Ferri's Hals springen. Dcrfelbe Bart, dieselbe Bunda, dasselbe Hütchen mit den nachsiattcrnden Bändern, ja selbst der hin- und hcrgeschwungcnc Tschibuk ließ in ihm den heißblütigen Enthusiasten von ehemals wieder erkennen. „Was treibst du, Freund? Warum laßt du dich nicht sehen? Warst du krank?" rief er Fern entgegen. Dieser drückte ihm die Hand, und wehmüthig lächelnd hieß er ihn eintreten. Dcr Fiscal warf seine Sachen auf dcn Tisch und sich selbst auf das Sopha, zog dm Tabacksqualm eifrig aus seinem Tschibuk, blies ihn in Ringen wohlgefällig vor sich hin, gleichsam um sich für die kurze Unterbrechung zu entschädigen, und fragte dann Ferri: „Nun sprich, Junge! Was treibst du? Bist du noch bald melancholisch und bald wieder teufclstoll wie ehedem? Oder bist du ganz melancholisch geworden? Es warc wirklich die Zeit dazu, selbst „ 97 Unsereiner könnte es werden. Melancholisch! Du, wic müßte ich mich ausnehmen, als Melancholiker, ewig vor mich hinseufzend und die Augen verdrehend?" Und dabei lachte er, daß er und die Wände erzitterten. — „Nun, Fern!" sprach er weiter, indem er sich erhob, ihn bei der Schulter nahm und rüttelte, bist du denn stumm geworden? Geht dir der Zustand des Vaterlandes so sehr zu Herzen? Laß es gut sein, Freund, cs wird besser werden." Er erzählte Ferri seine Hoffnungen, seine Aussichten und all' dic Pläne und Unternehmungen, welche die Zeit der Erstrebung vor dem Jahre 1848 ausfüllten. Endlich schloß er: „Weißt du, so traurig Einen auch dic Zustände machen konnten, uns werden sie doch nicht beugen. Wir Ungarn sind nicht gewohnt zu verzweifeln. Wir beugen uns nicht, und werden nicht gebeugt. Stehen oder brechen, das ist unsere Losung. Hier herrscht das Banner des Entschlusses und dem blassen Weltschmerz wird an der Grenze Halt zugerufen, wenn er mit der Donau aus dem Schwabcnlande zu uns herein will! Oder sollte ihn vielleicht doch Jemand hcreingeschmuggclt und dir an den Hals geworfen haben? Laß dich ansehen, Freund!" Der Fiscal ergriff Ferri am Arme, zog ihn zum Fenster, hielt ihn an den Schultern, und sah ihm TliNledcn an der Thciß. 7 98 ms Gesicht. „Höre, Freund," sagte er, „du hast dich gewaltig verändert!" Der Fiscal sprach die Wahrheit. Fern war nicht wieder zu erkennen. Der junge, ehemals blühende, gesunde Mann war verfallen. Er antwortete dem Fiscal mit hohlem Tone: „Du hast Recht, ich habe mich gewaltig verändert, ich bin an Leib und Geist zu Grunde gerichtet, und nur insoweit gesund, daß ich noch meinen Zustand erkennen kann!" Der Fiscal mußte vor diesem Tone verstummen. Er nahm Ferri bei der Hand, führte ihn schweigend zurück zum Sopha, drückte ihn in eine Ecke desselben und lehnte sich in die andere. Nach einer langen Pause endlich sprach er zu Ferri: „Wie ist denn das aber gekommen, Freund?" Ferri sah ihn an, zauderte, dann sagte er: „Ich will es dir erzählen. Du hast Irma einmal bei mir hier gesehen?" „Ja, und du hast mir, als du abermals im Winter so niedergeschlagen in die Stadt kamst, erzählt, daß du sie verheiratetest. Ich glaubte dich aber längst geheilt von diesem Gefühle, besonders durch unser lustiges Lcbcn!" „Unterbrich mich nicht, Freund, und höre. Du weißt, daß ich am Tage vor der Hochzeit Irma's 99 dich verließ. Ich richtete es so ein, daß ich mit meinem Wagen Vormittags auf einem Seitenwege unweit des Dorfes anlangte. Hier hielt ich, und befestigte an den Bäumen meine Pferde. Ich selbst blieb im Wagen sitzen. Vor mir lag die flache Gegend, und in kurzer Entfernung führte die Fahrstraße von meinem Dorfe nach demjenigen, in dessen Kirche Irma getraut werden, in welchem sie fortan wohnen sollte. Auf diefcm Wege mußte der Zug kommen; von hier aus wollte ich sie noch ein mal, wenn auch nur ihre Gestalt schwach entnehmend, sehen; denn, nach Hause zu fahren, um sie und die Lcutc zu sprechen, besaß ich weder die Kraft noch den Muth. Ich hatte an den Pfarrer geschrieben, ihm das Nöthige zur Aussteuer geschickt, und ihn gebeten, Alles zu besorgen. Unter jenen Bäumen harrte ich nun der Stunde, die mir das Glück meines Lebens auf immer entreißen sollte; denn, wenn es mir auch noch nicht ganz klar geworden war, was ich verlieren sollte, so beurtheilte ich doch Irma bereits ganz anders als kurz vorher, und instinctmäßig ahnte ich meinen Verlust. Ueber meine Handlungsweise, über die Verwerflichkeit derselben, war ich im Klaren. Du weißt, daß ich bei meiner Ankunft in der Stadt gegen dich den Verdacht aussprach: Irma habe mich nicht so sehr 7* 100 geliebt, als ich geglaubt, sonst hätte sic die Werbung ausgeschlagcn. Von dicscm Wahne hatte mich dic kurze Zeit bereits zu lichterer Erkenntniß geführt, und ich erkannte jetzt die Handlungsweise des einfachen Geschöpfes in ihrer Wahrheit. Sie gehorchte aus Liebe zu mir, weil sie sah, daß ich die Hcirath wünschte. Es war das größte Opfer, welches sie mir bringen konnte; sie gab sich aus Liebe zu mir einem Andern zum Weibe. Nie soll man die Liebe eines Geschöpfes auf die Probe stellen; denn, gelingt sie auch, so ist diese Absichtlichkeit, wird sie einmal erkannt, allein hinreichend, die Liebe zu uns zu untergraben, abgesehen von dem durch Misvcrständnissc herbeigeführten, nicht zu berechnenden Ausgang, der sich gegen uns kehren kann. Bei mir war diese Prüfung zwar nicht erste Absicht gewesen, ich hatte sie erst im letzten Moment als Gottesgericht gefaßt, habe aber dann den Spruch gegen mich als Gottesspruch getreu angewendet. An jenem Hochzeitstage noch, wollte mich eine innere Stimme nöthigen, vor Irma hinzutreten, ihr zu Füßcn zu fallen, sie zu bitten und zu sprechen: blcibc bei mir! Allein, war der wahnsinnige Gedanke, an ihrer Seite mein Glück nicht finden zu können, noch nicht hinlänglich entkräftet, oder war es, wie ich mir ____101 wirklich einbildete, der Gedanke an ihr Glück, dcr mich davon abhielt; waren es, wie ich glaube, beide Gedanken zusammen, gcnug, ich unterdrückte dic Stimme, und trat nicht vor sie hin. Auch regte sich in mir dcr Stolz, etwas Beschlossenes nicht wieder rückgängig zu machen. Weniger Kraft wäre hier mehr Stärke gewesen! Doch ich war noch nicht gcnug niedergeworfen, ich leugnete wie Paulus das Licht meines Lebens, die Liebe. Ich erkannte es erst, als ich, zerschmettert, mich wieder zu erheben versuchte, da es mir für immer entzogen war. So harrte ich des Zuges; der Peitschenknall kündigte ihn mir an. Zitternd, im Wagen aufgerichtet, sah ich ihn, sah Irma's Gestalt. Bald war er vorüber. Dcr Tag war unfreundlich, die Luft düster, dcr Himmel von grauen Wolken umzogen. Beinahe bewußtlos horchte ich. Eine Viertelstunde verging. Da vernahm ich Glockenklang aus dcr Ferne leise heranziehen. Die Wolkcn theilten sich, cm Streiflicht siel auf das Dorf und vergoldete den metallenen Thurm der Kirche, in welcher Irma eben getraut wurde. Alles ringsum war ruhig, nur cm Schrei meincr Brust tönte schneidend durch die Luft, der gewiß ein Echo in jenem liebenden Herz fand, das ich geopfert hatte! Ich suchte mich zu fassen, und fuhr nach Hause. _____102____ Nun war ich frei, wie ich es gewünscht hatte. Ich warf mich mit der Verzweiflung, wie sie eben meine Lage mit sich brachte, auf das Studium. Ich überstürzte mich auch hier, und fand anstatt innerer Befriedigung cine gähnende Leere. Ich trieb es langc Zeit fo fort und achtete auf nichts um mich her. Meine kleine Wirthschaft ging allmälig zu Grunde. Die Bücher ekelten mich an, da ich durch sie keine Ruhe fand. In meinem Innern sing es an klarer zu werden und ich begann zu fühlen, was ich gethan hattc. Um den Gewissensbissen zu entgehen, warf ich mich, wie alle schwachen Menschen, in ein zügelloses Leben, in jenes Leben, von dem du glaubtest, daß es mich erheitern sollte. Nichts war mir glänzend genug; Pferde, Wagen, Einrichtung mußten prachtvoll sein. Laß mich diese gemeinen Verirrungen meines Lebens mit Stillschweigen übergehen, genug, daß ich ihrer erwähnte, was ich eben für so nothwendig hielt, als sie selbst nothwendig bei mir kommen mußten. Sie haben mich geistig und körperlich ruinirt. Ich habe auch diesen ekeln Schacht ergründet. Jetzt bin ich wol zur Besinnung, zur Erkenntniß gekommen, doch nur, um meinen Verfall desto besser zu sehen. Ich bin verschuldet, physisch und geistig. Meine geistige Schuld quält mein In- 103 neres, und die elende materielle Lage drückt mich zu Boden. Dazu kommt noch diese thatenlose verzweifelnde Zeit, die mich der Unthätigkcit und meiner Zerrissenheit ganz überliefert. Mein Lernen brachte mir acht schlechte Verse, in denen ich jene Trauungs-scenc niederschrieb; nur die Liebe, die ich mordete, kehrte wieder, bleibt mir, ist ihr Geist, der sich nun rächt und mich verfolgt. Jetzt da ich Irma nicht mehr besitzen kann, jetzt liebe ich sie mehr als je, sehe, wie ich sie geliebt habe, und wie ich ihre Liebe mit Füßen trat, vielleicht vernichtete. Zur Strafe sage ich mir die Verse täglich vor; höre sie an: Alles still, der Himmel grau, Trauernd ruhte Luft und Au, Plötzlich sah ich Sonnenstrahlen Auf dic Erde golden fallen. Alles schwamm im vollen Licht, Nur mein düster Herze nicht; Hab' im Sonnenlicht die Kirch' erschaut, Wo man die Geliebte jüngst getraut! Wenn ich meine Handlungsweise überdenke, so sehe ich, daß mein Wissensdurst und meine angebliche, mich über Irma hebende Bildung Selbstüberschätzung, mein mich leitendes Gefühl, das die Liebe halb cr- _____104____ storben wähnte, Uebermuth, und der Gedanke, daß die Liebe allein nicht genüge, ein Frevel war. Vergnügungssucht hat das Ihre beigetragen und endlich zu der Liederlichkeit geführt, die mich an jener Untiefe meiner selbst stranden ließ, an der ich nun verzweifelnd die Reste meines Nichts betrachte. Da hast du nun den Extract meines Lebens, auf dessen Hohlheit ich mit Ekcl sehe!" „Freund, du thust dir nun ebenso Unrecht, du beurtheilst dich nun ebenso schlecht wie damals, du bist Hypochonder am Geiste, und bildest dir moralische Krankheiten ein. War denn Irma nicht wirklich ungebildet und, um es gerade heraus zu sagen, langweilig?" sprach der Fiscal. „Als ob Liebe je langweilig werden könnte! Man muß sie eben weise nützen! Langweilig, Irma! Gab es denn kein Mittel gegen ihre Unbildung? Wenn ich selbst nach Bildung strebte, warum trachtete ich denn nicht, Irma zu bilden? Warum schreckte ich denn nach dem ersten Versuche zurück? Warum gab ich mir denn keine Mühe mit ihr? Ich liebte sie viel zu wenig, und jetzt erst sehe ich, welch' ein Herz ich verloren habe! Dazu kam noch mein aristokratischer Dünkel, der mich nicht daran denken ließ, daß ich verpflichtet war, Irma zu bilden und sie zu heirathen. ^105____ Da hast du noch überdies den Beweis von der Sittlichkeit unserer feudalen Zustände. Und wenn werden sich die ändern? O ich bin krank, wie es mein Vaterland ist!" „Freund, ich weiß ein Mittel, ein Aderlaß thut oft gut!" „Ich habe ihn bereits erdulden müssen, meine Kraft, meine Gesundheit ist aus mcincn Adern geflossen. Einen solchen wünsche ich dem Vaterlande nicht, aber Leben wünsche ich ihm, damit ich ihm den Nest von meinem opfern könne! Und das bald, denn ich sieche sonst zu schnell dahin. Je früher übrigens, desto besser, denn mir ekelt vor meiner Gesellschaft!" „Du thust dir Unrecht, Freund!" „Spotte lieber meiner wie vorher, es frischt mich mehr auf, als dem Trost, der mich besser machen will; mich, der ich doch mich selbst am besten kennen zu lernen hinreichende Gelegenheit hatte. Und nicht ich allein, die ganze Welt beurtheilt mich gerecht. — Als ich mich oben auf dem Gipfel meiner schönen Lebenslust befand, lernte ich in der Umgebung ein junges Mädchen kennen. Sie war schön, reich, eben aus der Pension gekommen, und hatte cinc Fertigkeit in Kunst und Wissen erreicht, die ich eben an Irma W6 so sehr abgängig fand. Sic sprach mchrc Sprachen, sang, spielte Clavier, malte und war doch dabei cm-sach und lieb geblieben. Ich Thor glaubte mich, ob-wol ich nicht liebte, an ihrem Reichthum, dem geistigen und materiellen, wieder aufrichten zu können und hielt um sie an. Mein guter Ruf jedoch zog mir von ihr und den Aeltern eine wohlverdiente abschlägige Antwort zu. So siehst du mich und alle meine Hoffnungen zerschellt, vernichtet, und was von mir noch übrig ist, das treibt geraden Wegs dem Grabe zu!" „Und Irma?" „Gott sei Dank, die ist glücklich!" „Das begreife ich nicht!" „Sie ist Mutter von drei Kindern und erfüllt ihre Pflicht!" „Hast du dich von ihrem Glücke überzeugt?" „Ich habe sie nicht wiedergesehen, man sagte es mir." „Dann glaube ich es nicht. Wenn sie dich so sehr geliebt hat, kann sie an der Seite eines andern Mannes nie glücklich werden!" sprach der Fiscal, glaubte jedoch beinahe das Gegentheil. „Und so kannst du denken?" erwiderte Ferri, 107 „du, der immer behauptet hat, man könne recht gut öfter in seinem Leben lieben?" „Es konnte aber doch bei Irma der Fall sein, daß sie dich noch immer liebte?" „Sie wird meiner höchstens mit Liebe gedenken, aber sie ist einfach und brav, und wird ihre Pflicht erfüllen. Ihr Schwur am Altare, ihre Liebe zu den Kindern, die gute Behandlung ihres Mannes laßt sie gewiß sich glücklich fühlen, und solche Verhältnisse machen bald die Liebe zu einem Manne ersterben, der sich, wie ich, so niederträchtig gegen sie benommen hat!" „Wenn sie sich aber dennoch unglücklich fühlte, wmn sie dich noch ebenso heiß liebte wie vorher?" „Es ist unmöglich! sage ich dir." „Wenn es aber dennoch der Fall wäre?" „Nun?" „So könntet Ihr ja, wenn Ihr Euch Beide noch liebt, wieder vereint Euer Glück finden/' „Das hieße meinem Leben die Krone aufsetzen. So schlecht bin ich doch nicht geworden. Sie ihrem Glücke entreißen, das, wenn sie es auch jetzt noch nicht ganz errungen hat, sich ihr wenigstens in seinen Anfängen bietet, um meine letzten Tage mit ihrem zerstörten Dasein zu verschönern? Ein mal hat sie 108 mein Egoismus geopfert, es zum zweiten male zu thun, habe ich nicht die Kraft der Schlechtigkeit. Mcm Freund, schweige davon!" „Ich will mich überzeugen, ob sie glücklich ist, und wenn nicht —" „Ucberzeuge dich, gehe hin, doch nur, um zu begreifen, was ich verloren habe!" schloß Fern. Der Jurat ließ sich schnell das Haus Irma's beschreiben, befahl seinen Wagen in Bereitschaft zu setzen und fuhr in das Dorf. Nach einer Stunde war er in demselben angelangt; er ließ vor dem Hause Irma's halten. Sie kam mit einem Kinde im Arm auf die Schwelle; zwei größere braunhaarige Knaben hielten sich scheu an ihrem Vortuche. „Gott zum Gruße, Herr!" sprach sie; „wünscht Ihr etwas von uns?" „Ja!" sprach der Fiscal, indem cr abstieg und den Kutscher warten hieß. Hier wohnt doch der M.... F....,?" „Sein Sohn, Herr, denn der Vater, nach den Ihr fragt, ist gestorben!" „Gestorben? Das bedaure ich. Ich hatte Geschäfte mit ihm, und da ich vorbeifuhr, wollte ich nachsehen, wie es ihm gehe. Seit wie langer Zeit ist cr denn todt?" 109____ „Seit zwei Jahren, Herr, er starb an einem Fieber! Wollt Ihr uns nicht vielleicht die Ehre cr-zeigen, und in unsere Hütte treten?" „Einen Augenblick lang, wenn Ihr erlaubt!" Der Fiscal trat in das Wohnzimmer. Es war rein und zeigte, wie das ganze Hauswesen, von Wohlstand. Irma brachte schnell Brot, Schinken und Wein, und fetzte die Speisen vor den Fiscal auf den weiß gedeckten Tisch. „Euer Mann ist nicht zu Hause, wic ich sehe?" „Nein, Herr, er ist in das nächste Dorf gefahren, in welchem er Einiges zu besorgen hat." „Ihr habt da recht licbe Kinder! Komm her, Kleiner!" sprach dcr Jurat. Der kleine rothwangige Junge zögerte scheu, indem er sich fester an die Mutter anschmiegte. Diese aber wischte das kleine Gcsichtchen mit ihrem Vortuche ab und schob es dem Fiscal lächelnd zu. „Geh' doch zudem Herrn, Ferri! Geh' und schäme dich nicht!" Der Fiscal nahm den Knaben auf das Knie und bat Irma sich zu setzen. Diese nahm ihm gegenüber auf dem Stuhle Platz. .,Ihr habt ein schönes Besitzthum," sprach lit» dieser, „da könnt Ihr recht glücklich und zufrieden sein!" „Wir sind es auch, Herr! Arbeit im Hause und mit den Kindern ließe Einem gar nicht Zeit, sich unglücklich zu fühlen!" sprach Irma lächelnd. „Und Kinder machen viel Freude, der Mutter wie dem Vater, besonders wenn sie noch nicht erwachsen sind!" „Ja wohl, Herr! Wie sollte es denn auch nicht sein; wie sollten Einem die eigenen Kinder nicht Freude bereiten? Nur der Mutter mehr, weil sie mehr um dieselben sein kann." „Dafür hat aber dcr Vater desto mehr Freude, wenn er sich mit ihnen beschäftigen kann, weil sie seltener ist." Auf diesem Wege glaubte dcr Jurat immer im Cirkcl herumgehen zu müssen. Er sing also von neuem an: „Schade, daß der Großvater gestorben ist. Er war ein braver Mann, ich hoffe, Euer Gatte wird ebenso geworden sein?" „D ja, Herr, er ist ihm ganz nachgerathen. Er ist mäßig, gut und arbeitsam; ich bin recht glücklich mit ihm und danke Gott, daß er mir ein solches Loos bereitet hat!" Der Fiscal war von der Ruhe des Antlitzes und dem Tone der Stimme hinlänglich überzeugt worden, Ill daß Fern Recht gehabt habe. Doch wollte er noch weiter vorgehen. „Ich weiß nicht," sprach er, „warum mir Eure Züge so bekannt sind, ich glaube Euch schon einmal gesehen zu haben?" „Ja, Herr," sprach Irma crröthcnd, und ersparte ihm seine Bemühungen, „bei dem gnädigen Herrn im Dorfe drüben; ich erinnere mich auch, daß Ihr ihn vor mehren Jahren besuchtet." „Der arme Mann ist sehr krank!" sprach dcr Fiscal. „Krank?" sprach düster Irma, „Ja, sehr krank! Wart Ihr dcnn schon lange nicht bei ihm?" „Seit ich geheirathct habe!" „Ich glaube, Ihr solltet ihn doch einmal besuchen." „Ich wage es nicht, und kann mich auch nicht vom Hause und den Kindern entfernen. Gott wird ihm helfen, und ihn wicder gesund werden lassen," sprach Irma laut, und setzte in Gedanken dazu: „wie er es mich werden ließ!" Die Bestimmtheit in Irma's Antwort schnitt jede Wetterführung des Gesprächs ab. Dcr Fiscal fuhr fort. Er kam zu Fern, Dieser sah ihn lächelnd 112____ an, und der Fiscal sagte: „Du hast sie richtig beurtheilt!" Der Wunsch Ferri's wurde erfüllt. Ich habe erfahren, daß er, cines der ersten Opfer, im Sommer des Jahres 1848 im Kampfe gegen die Serben siel. VI. Gin ungarisches Mädchen. 3)ie Tage waren glühend heiß. Wie angenehm daher, sich am Abende, in einem kleinen Kahne von den Wogen dahintreibcn zu lassen, gleichsam in der Unendlichkeit zwischen zwei stcrnenvollcn tiefblauen Himmeln ziehend, so rein strahlten die Wellen das Firmament wieder. Jeder Laut ruhte in der Brust, um die unendliche Stille nicht zu unterbrechen, die nur gestört wurde, wenn sich manchmal das Geflügel regte, träumerisch im tiefen Rohr. Des Mondes holder Glanz flocht seine bleichen Rosen in des Schilfes grünen Kranz, das sich von den dunklcrn Eiben hob, die ihre Zweige in das helle Wasser tauchten. Wir hatten die Zigeuner des Orts bestellt. Sie fuhren, hinter uns weit zurückbleibend, in einem Stinicsicn an dcr Theiß. 8 114 zweiten Kahne und begannen zu spielen. Die Töne zogen so leicht durch die stille Luft, als schwängen sie sich an dcn Moudcsstrahlen fort, und als brächte sie der leise Windzug, der des Schiffes Spitzen beugte. Ich saß mit Julien ini Vordcrtheile des Kahnes. Ich weiß nicht, wie es so geschah, schon lange küßt' ich sie. Ich bitte nicht, sie sagt nicht ja, doch sagt sie auch nie nein! — Wir waren in die Nähe dcr Wassermühlen von Ungarisch - Kanischa gekommen. Einer der hier wohnenden Müller hatte uns einmal Mehl ins Haus gebracht und war mir wegen der Feinheit seiner Züge aufgefallen. Ich erinnerte Julien, daß sie mir versprochen habe, die Geschichte dcs Müllers zu erzählen, und sie begann: „Vor vier Jahren kam eine Escadron dcr Dragoner, welche bis vor zwei Sommern die Garnison in dieser Gegend gebildet, nach Ungarisch-Kanischa. Offiziere und Cadetten können sich hier wenig Unterhaltung verschaffen, und wenn sie nicht das Bewußtsein erheben würde, daß Reiten, Pferdehetzen und mitunter auch Jagen ebenso nothwendig als Vorbereitung zu ihrem hohen Berufe: das Vaterland vor innern und äußern Feinden zu schützen, gehöre — 115 mein Bruder sagt, daß zum Grundiren eines Bildes und zur Ausführung des Gewandes nur der Hinblick auf das ganze Kunstwerk die nöthige Geduld gebe —, so wüßte ich nicht, womit sie ihre Zeit todtschlagen sollten. Vom Botanisiren, von Geologie, Erforschung der verschiedenen Fischarten, welche die Theiß bevölkern, oder gar Astronomie, sind Cavalerieofsizicrc keine großen Freunde, und sonst gibt es hier, außer den drei schlanken Fräuleins mit deren ewigem Reif- und Komödicnspielen — sie gaben bereits jetzt acht Jahre nacheinander jährlich zwei mal, zur Sommer- und Wintersaison, das Kotzcbue'sche Stück: «Das war ich!» — wenig Mädchen, in dic sich diese Herren mit Erfolg verlieben könnten. Ucberdics sind diese deutschen Herren viel zu sentimental, und ohne alles Leben; — vergleichen Sie dieselben nur mit unsern Husaren." „Sie scheinen keine Freundin der östreichischen Hofkriegsrathspolitik zu sein, welche Ihrem Landc die Husaren entzieht, und Ihnen dafür deutsches Mi-litair sendet." „Wenn ich Ihnen dieses auch zugebe," fuhr Julie lächelnd fort — wahrscheinlich hatte ich etwas gereizt gesprochen, — „so muß ich doch gestehen, daß mein 8* 116 Herz durch in einen Verstand so innig mit meiner Hand verknüpft ist, daß ich ersteres nicht allein verschenke. Ich bin sehr praktisch." Ohne sich um mein erstaunt fragendes Gesicht zu bekümmern, da mich die vier Worte: Ich bin sehr praktisch, aus meiner Einbildung, zu welcher ich berechtigt zu sein glaubte, geworfen hatten, erzählte Julie weiter, indem sie meine Bewegung gar nicht bemerkte: „Bei dieser Escadron war auch ein Cadet, ein junger Graf aus Baicrn. Er verliebte sich in eine Müllerstochtcr, quittirtc, hcirathetc sie, trotz des Widerstrcbens seiner Aeltcrn, und ist jetzt Vater von zwei Kindern------------Müller, wie Sie wissen, und lebt glücklich." „Warum eilen Sie denn so mit dem Erzählen, Julie?" „Hören Sie denn nicht die Musik? Das ist der Wcrbungsmarsch!" Und Julie sing an zu singen und jauchzend der fernen Musik zu antworten; dann blieb sie plötzlich still, beugte sich über den Rand des Kahnes, der Wasserfläche zu, als hörte sie den Schall auf den Wellen nahen, wahrend das volle Mondlicht ihr Antlitz übergoß. Als wir zurückkehrten, fanden wir im Hause 11^___ Alles in Bewegung. Die Post war vor kurzem angekommen. Die Strecke von Temeswär bis Ofen war unsicher, deshalb bekam die Briefpost, die auf einem kleinen offenen Wägelchen expcdirt wurde, einen Soldaten zum Schutze mit. Dieser mußte beim Ab- und Aufgeben der Postpaquete und der jedesmaligen Zahlung derselben in der Postkanzlei anwesend sein. Der Postmeister war mit uns auf dem Wasser gewesen; wir hatten die Ankunft der Post, die sich in stiller Nacht durch das Tönen des Posthorns lange vorher kundgibt, überhört, und auf diese Art kam er etwas zu spät. Der arglose Soldat hatte unterdessen sein Gewehr an die Thüre gelehnt, und mit dem Dienstmädchen gesprochen. Als er uns nahen hörte, suchte er nach der Waffe. Sie war verschwunden. Außer dem Mitleid mit dem armen Manne, dem die Strafe vorschwebte, die er zu erleiden haben werde, ergriff uns noch die Bcsorgniß, es könne vielleicht das Gewehr in der Absicht gestohlen worden sein, ! m den dcs Schutzes beraubten Postwagen angreifen zu können. Alle übrigen Vermuthungen konnten diese, die gefahrdrohendste, nicht entkräften, und der Postmeister fuhr selbst mit dem Wagen, indem er sich und den Soldaten mit Doppelläufen bewaffnete. Doch die Post kam sicher bis zur nächsten 118 Station und der arme Soldat fuhr weiter, immer naher seiner gewissen Strafe. Noch in der Nacht wurde der ganze Ort wegen des Gewehres in Aufruhr gesetzt, denn man hoffte, wenn der Thäter entdeckt würde, die Strafe des Soldaten zu erleichtern. Der Thäter wurde nicht entdeckt, das Gewehr aber fand man nach einigen Tagen am Fuße der Gartenmauer hinter Maisstauden, wohin es wahrscheinlich von der Gaffe aus geworfen wurde. Man hatrc zwar Verdacht auf den Geliebten des Dienstmädchens, daß er es aus Eifersucht, weil das Mädchen mit dem Soldaten sprach, gethan habe, jedoch es war keine Gewißheit zu erlangen. Der Sohn des Tati, Fiscal, der sich im Orte aufhielt, war Serbe mit Leib und Scclc, während mein Freund, der Maler, die Slawen haßte. Wenn auch der Nationalitätshasi damals im Volke noch nicht erwacht war, so kämpften doch die ersten Anzeichen bereits in diesen zwei Menschen. Ueber die Nationen wurde die Discussion selten eröffnet, man bewegte sich auf neutralem Boden, man sprach von den Fehlern und Vorzügen der magyarischen, serbischen und deutschen Pferde. Ich, als Deutscher, nahm natürlich die Partei meiner Stammesgenoffcn und blieb stets Sieger, da sonderbarerweise beide Parteien 119 im Lobe der deutschen Pferde übereinstimmten; vielleicht , weil das deutsche Element zu jener Zeit das einzige Medium war, denn das allgemeine östreichische Staatsbewußtsein war damals noch nicht zu jener Blüte emporgekcimt, wie jetzt. Ich habe mir aus diesen Discussioncn folgenden Lehrsatz über die Beschaffenheit der verschiedenen Pferdenationalitäten gebildet: das ungarische Pferd ist unbändig, aber doch zuthunlich, feurig und eilend, voll Muth und stark; das des Serben gewöhnlich klein, schleichend, faul und heimtückisch; der Magyare treibt seine Pferde mit Zuruf und Peitsche an, der Slawe muß sie frottircn, ihnen Mähnen und Ohren reiben, kurz, ihnen schmeicheln, wenn sie weiter sollen. Hinterher erst, wenn sie im Laufe sind, versetzt er ihnen einen Schlag. Des Deutschen Pferde sind stark, schön und wohlgenährt, doch greifen sie selten in raschem Lauft aus, denn sie sind bequem. Wahrend die beiden Herren stritten, glaubte ich, auf dem höhern Standpunkte der allgemeinen Menschheit stehend, süße Früchte pflücken zu können. St'cllte ich auch damals noch nicht die Freiheit über die Nationalität, so meinte ich doch, daß die Liebe über sie erhaben sei. Doch ich täuschte mich. Deutschland, ich wurde deinetwegen verschmäht! 120^___ Julie kam eines Tages von Szegedin, in welcher Stadt sie eine Freundin besucht hatte, zurück. Ich bemerkte an ihrem Finger einen feinen eisernen Ring. „Was ist das für ein Ring, Julie?" sprach ich. Nie habe ich ihn an Ihrer Hand gesehen!" „Ich hatte ihn vor Kurzem bei meiner Freundin vergessen und nun wieder mitgebracht. Es ist ein Honi - Ring !" „Wie soll ich das verstehen? „Im vorigen Jahre schloffen wir Mädchen einen Bund, keinen andern Mann, als einen Ungar zu heirathen." ,,Und Sie wollen Ihren Entschluß festhalten?" „Sie sehcn," sprach sie lächelnd, „daß ich den Ring trage, den wir damals als sichtbares Zeichen des unsichtbaren Gelübdes gemeinschaftlich annahmen." Einige Tage lang konnte ich den, Mädchen nicht gerecht werden, und ich glaubte getäuscht worden zu sein. Doch Juliens späteres Betragen, das sich fortwährend mir gegenüber gleichblieb, und ihr Benehmen gegen andere Männer überzeugte mich, daß ich nur einer, allen ungarischen Mädchen eigenen Lebhaftigkeit und Vertraulichkeit im Umgänge mit Männern zu danken hatte, was ich für den Aus- 121 druck der Liebe nahm. Doch die Schlußworte des Lieblingsliedes Juliens selbst lehrten mich vergessen: Laß die Falsche, schau den Falter Wie er viele Blumen küßt, Und vergiß die todte Liebe, Wenn dich neue Lust begrüßt! Da mich die Geschichte des Müllers, die Julie mit wenigen Worten rasch abgebrochen hatte, inter-cssirte, so bat ich den Postmeister am folgenden Abende um eine nähere Erzählung und er begann. VII. Müller. 3)ie Garnisonsorte der Cavalcrie in Ungarn sind meist kleine Städte und Dörfer. In diesen sind die Regimenter escadronweise zerstreut, weil sie conccntnrt nicht die hinreichende Verpflegung in den, mitunter armen Plätzen sinden würden. Ein solcher Standort war ein ungarisches Dorf an der Theiß. Eine Escadron Husaren hatte eben dasselbe verlassen und Dragoner bezogen die Quartiere. Zu jener Zeit beachteten noch die Dorfmädchm nicht so sehr die Nationalität der Soldaten, und wenn sie deren Sprache nicht verstanden, so war es ihnen wol unangenehm, jedoch nur aus dem einzigen Grunde, weil es dcn Augen und Armen allein überlassen bleiben mußte, sich gegenseitige Liebe zu gestehen. 123 Damals war es noch nicht nöthig, daß man dcr Nationalität auch das rein Menschliche, dem ganzen Geschlechte Allgemeine, die Liebe unterordnen mußte, und ein Liebcsverhältniß zwischen zwei Individuen verschiedener Zunge war damals nichts so Außergewöhnliches, um wie jetzt einen so allgemein beliebten Stoff für Novellen zu geben, als deren Hintergrund alle möglichen Ereignisse der lctztvcrflossmen Iahrc dienen müssen. Daher fühlten sich die Soldaten in diesen Orten nicht unglücklich. Wenn die Offiziere ihre Quartiere bezogen haben, so ist gewöhnlich dcr erste Gang bestimmt, Erkundigungen einzuziehen. Man fragt nach den Gasthäusern und nach den gastfreundlichen Familien, in welchen man Zutritt erlangen kann. Es gibt in jeder Nation mchre, die vor allen Andern den Ruf genießen, Offiziere bei sich zu versammeln. Gewöhnlich sind es die Honoratioren des Orts, welche auf gute Gesellschaft Anspruch machen. Dcr Rittmeister, die Hände in wciße Glaces gehüllt, stattet die erste Visitc ab. Nach kurzer Zcit sind sämmtliche Offiziere und Cadettm eingeführt und gewöhnlich haben dic Mädchen dcs Hauses, noch betrübt über das Scheiden dcr Fortgezogenen, bald in den Einrückenden Tröster gefunden, wenn nicht das stets lose Verhältniß 124 zufällig ernster geworden, und eine baldige Heirath in Aussicht stellt. Dem Garnisonsortc gegenüber lag ein anderes Dorf, getrennt durch die Theiß und verbunden durch eine Schiffbrücke, wie sie in Ungarn eben die alleinigen Verbindungsmittcl zweier Ufer sind. In diesem Dorfe wohnte ein pensionirter Rittmeister, dessen Frau aus erster Ehe drei erwachsene Tochter hatte. Das Haus dieser Familie war stets allen Offizieren offen, welche das Geschick in jene Gegend führte. Die Mädchen waren alle sehr mager, trugen fortwährend helgoländer Hüte und feine gelbe Handschuhe. Sie unterschieden sich nur durch ihr Alter, da die Eine um zehn Jahre älter war als die Andere. Die Jüngste zählte fünfundzwanzig Jahre. Auch die Mama, deren Alter eben verhältnißmäßig gegen das ihrer Töchter vorgerückt war -^ da wir annehmen wollen, sie habe sehr jung gehcirathet —, trug ebenfalls einen helgoländer Hut, damit ihr Teint in dem heißen ungarischen Klima, das bekanntlich vortrefflich die Trauben reift, nicht leide. So konnte man diese Damen in Begleitung der Offiziere und Cadctten täglich am Strande der Theiß spazieren gehen sehen, wenn sie es nicht eben vorzogen, auf einer Wiese im Park Reife einander zuzuwerfen, zu hüpfen, und zu schäkern. Diese 125 Damm warm sehr tugendhaft, und strenge in ihrem Urtheile über Andere; ja sic hatten sich ein eigenes Bad errichten lassen, und dies war an der Schiffbrücke angebracht, welche Jedermann passiren mußte. In diesem Brctcrhäuschm nun überließen sie sich den sanft ihren Körper umfließenden Wellen, und ich weiß nicht, wie es kam, vielleicht waren die Brcter nicht gehörig gefügt, aber wcnn dic Offiziere über die Brücke gingen, was gewöhnlich am Abende geschah, um die Fräuleins zu besuchen, erhoben dieselben cin Gekreisch und ein Gelächter, und da dic Herren daraus auf die Anwesenheit der Damen schlössen, so erwarteten sie dieselben auf der Brücke. Einer dieser gemeinschaftlichen Spaziergänge der Damen mit dm Dragonerofsizicrcn führte nach dem jenseitigen Dorfe, Mit dcm jüngsten Fräulein ging cin junger Lieutenant. Frische Wangen, lebhafte Augen und starker Bau machten fein Acußeres angenehm. Er war fthr jung, beinahe von der Bonne weg, zum Militair gekommen, daher war er derb und kräftig in feinem Benehmen und hatte wenig von dcm Tone angenommen, der in den Salons seiner Keltern — bairischer Grafen — herrschte, zu dessen Aneignung er auch bereits in seiner Kindheit wenig Anlagen zu haben schien. Dies bewies das Benehmen 126 der Vettern, die ihn so früh zum Soldaten machten. Der Lieutenant langweilte sich entsetzlich, indem er neben dem Fräulein einherging. So oft es auch ansing ein Gespräch über das Ja und Nein hinausführen zu wollen, mislang es ihm; es vermochte durchaus nicht einen Gegenstand zu finden, der den jungen Mann interessirte. Dieser hatte Freude am Reiten, Jagen, Schwimmen und ähnlichen körperlichen Beschäftigungen. Da er sprach, wie er dachte, so blieben ihm Gespräche, die abseits seines Gedankenkreises lagen, unverständlich, da sie gewöhnlich das Gegentheil von Dem glauben machen sollten, was sie eigentlich ausdrückten. Geliebt hatte er noch nicht, es war also wirklich schwer, ihn reden zu machen. So gingen das Fräulein und der Offizier stumm nebeneinander. Man war beim jenseitigen Ufer angelangt, indem man am Strande der Theiß, den Schiffmühlen zu, fortging. Diese stehen stufenweise nacheinander im Strome und sind mit Ketten an: Strande, und mit Ankern am Flußgrunde befestigt, so zwar, daß wenn die erste knapp am Rande dcs Ufers steht, die letzte bis in die Mitte des Stroms reicht, damit die Strömung ungebrochen die Räder treibe. Diese Mühlen stehen auf Schiffen, und dienen zugleich den Müllern, i -27 so lange eben der Strom offcn bleibt, auch zur Wohnung. Dle Gesellschaft war unfern der Mühlen angelangt. Das jüngste Paar war das erste. Da, als man der ersten Mühle ganz nahe war, stieß das Fräulein einen Schrei aus. Der Offizier fragte um die Ursache des Schreckens, das Fräulein konnte nicht sprechen, es wies nur mit abgewendetem Gesichte nach der Mühle. Der junge Mann sah hin. Auf den» Schnabel des Schiffes saß ein junges Mädchen, das sein gelöstes, lang herabfiicßcndcs, braunes Haar flocht, und eben, durch den Schrci betroffen, die dunkeln Augen fragend nach dem Ufer richtete. Es bemerkte nicht, daß seine schönen weißen Füße, welche vok den durchsichtigen Wellen leicht umfiossen wurden, der Grund waren, warum sich das Fräulein abwendete. Erst der Ruf des Offiziers: „Welch' weißer Fuß!" machte es aufmerksam. Es sprang auf und stürzte in die Hütte. Der junge Mann stand längere Zeit hindurch still, und starrte die Mühle an, sah aber nicht den schönen Mädchenkopf, der erglühend hinter dem kleinen Mühlcnscnstcr hervorlugtc. Nach einiger Zeit sah sich der Lieutenant um, die Gesellschaft hatte einen andern Weg eingeschlagen. Er ging ihr nicht nach, aber er ging zum ersten male m seinem Leben allein im Freien ohne Zweck herum. _____128____ Der junge Mann betrat nicht mehr das Haus des Rittmeisters. Desto eifriger zog cs ihn zu dem schönen Müllermädchcn, dessen Liebe er zu erringen wußte. Die Verbindung wurde gesegnet, und zwei schöne Kinder waren dic Früchte derselben. Der junge Mann verbrachte alle Zeit, die ihm sein Beruf übrigließ, bci seiner Geliebten und seinen Kindern, mit denen er dic Zulage, die er vom Hause erhielt, theilte. Auch bei häuslichen Arbeiten half er mit, wenn die Kräfte seines Mädchens nicht ausreichten, da es nach wie vor in der Mühle helfen mußte. Dic Aeltcrn sahen nicht scheel zu dem Verhältnisse. Bei den Leuten im Volke wird cs für keinen besondern Fehltritt gehalten, wenn zwei Menschen in einer Verbindung leben, welche von der Kirche nicht dic Weihe erhielt, wenn sie eben durch äußere Verhältnisse verhindert sind, einen eigenen Haushalt zu gründen. Die Mädchen haben volle Freiheit und es werden wol wenige Ehen geschlossen, welche nicht früher durch alle Gaben der Liebe geknüpft wurden. Nie war über die Wesenheit des Verhältnisses der jungen Leute gesprochen worden. Den Aeltern des Mädchens sielen die Kinder nicht sonderlich zur Last, auch gefiel ihnen das Wesen des jungen Mannes, dessen Einfachheit ihn nicht zu sehr von ihnen entfernte; 129 nur das Aeußerliche, sein Stand und Rang, trennte sie. Er selbst dachte gar nicht über sein Thun nach. Er hatte bei den andern Offizieren solche Verbindungen oft vorkommen sehen, nur bekümmerten sich scinc Kameraden nicht weiter um die Folgen, und sie belächelten das Treiben des Lieutenants, der sich fortwährend in Gesellschaft der Müller befand. Das Mädchen war einfach und natürlich, es liebte den Vater seiner Kinder, blickte mit Ruhe in die Zukunft; denn es war überzeugt, daß er für die Kinder sorgen werde, und wie wenig brauchten diese. So lebten die Leute fort: glücklich, zufrieden, nnd würden vielleicht heute noch so leben, wenn eben äußere Momente nicht auf sie eingewirkt hätten. Eines Abends kam der Lieutenant aus dem Dorfe zur Mühle. Die junge Frau saß umsiammt von den goldensten Strahlen dcr untergehenden Sonne auf dem Schiffe, wie damals, als sie von dem geliebten Manne zuerst erblickt wurde. Nur hielt sie heutc ihr jüngeres Kind an der Brust, während das ältere neben ihr spielte. „Heute, liebe Marie, hat uns der Rittmeister gesagt, daß wir in vier Wochen von hier abmarschirm werden. Wir kommen nach Böhmen." Etiüscl'cn an dl'l 3>>m;> <) 130 „Mein Gott, was wird denn aus den Kindern, was wird aus mir werden?" Der Graf hatte nie ernstlich die Folgen der Verbindung überdacht. Marien standen sie jetzt lebhaft vor Augen. Im ersten Momente wollte der Lieutenant ihr antworten, wie er es oft von seinen Kameraden gehört: „Nun, ich werde dir oft schreiben und dir das Nöthige schicken," eine eingelernte Phrase, die sich wahrscheinlich stets vor sein Auge drängte, wenn dieses weiter sehen wollte, und die ihn bisher leichten Sinnes gelassen hatte. Als er aber Marien ansah, und den Schmerz auf ihrem schönen Antlitze, als er das Kind an ihrer Brust und den theuern rosigen Knaben an ihrer Seite betrachtete, da war es, als ob plötzlich ein neuer Sinn ill ihm aufgegangen wäre. Sein Herz zog sich zusammen, und Thränen traten in seine Augen. „Wir müssen uns nicht trennen, liebe Marie, du kannst ja mit mir gehen!" „Worandenken Sie?" — Marie nannte den Grafen Sie, während er sie mit „du" anredete. — „Allein, in der Fremde, würde ich ganz schutzlos stehen, hier habe ich doch meine Aeltern." Sie sprach nicht weiter, da sie wol fühlte, was sie für eine Rolle als Begleiterin eines Soldaten 131 spielen würde. Im Hause der Neltern, in der Heimat, waren diese die einzigen Richter eines Verhältnisses, welches von den andern Leuten eben nicht sonderlich gcstört wurde, wenn sich nur diese nicht dagegen erklärten. In der Fremde würde es anders werden; dies ward Marien klar. „In der Fremde würdest du mit dm Kindern ganz schutzlos stehen? Hast du mich denn nicht? Würde ich denn nicht immer bei dir scin?" fragte der Graf. Er hatte bisher die Vereinigung nur nach seinein Gefühle, nach den Zuständen in dem kleinen Dorfe beurtheilt. Ihm selbst »nachte es keine Schwierigkeiten, cr hatte daher keinen Augenblick bei dem Antrage: die Mutter feiner Kinder möge ihn begleiten, an die Stellung gedacht, die sie einnehmen würdc. Marie aber hatte mit dem richtigen Instinctc des Weibes die ganze Lage des Momentes, wenn auch nicht ganz klar, erfaßt, weil sie noch nicht von der Erfahrung belehrt worden war, so doch alles Das geahnt, was ihr bevorstehen würde. Ihr war die Stellung des Baucrmä'dchens zu einem Grafen klar, aber auch zugleich das einzige Mittel, das es ihr möglich gemacht hätte, ihn zu begleiten. Wie konnte 132 sie aber an so ctwas denken. Wie konnte der Graf sie hcirathcn! Daher antwortete sie ihm: „Sie würden immer bci mir sein? Wie könnten Sie das? Wie dürfte ich, das Baucrmädchcn, an Ihrer Seite einherschreitcn? Ich müßte Ihnen höchstens folgen, und als was? Wenn ich ein Mann wäre, könnte ich es als Ihr Diener, aber wie als Weib? Und was sollte ich denn mit meinen Kindern beginnen?" Der Graf konnte auf diese Redc nichts erwidern, er sah vollkommen ein, daß Marie klug sprach. Der Schmerz übermannte ihn, und er war nicht im Stande einen Gedanken zu fassen. Marie schluchzte, der Säugling schlief an ihrer Brust, die Thränen rollten auf das Antlitz des Kindes, dessen himmlische Ruhe und Klarheit sie nicht trüben konnten. Aengstlich drängte sich das andere Kind an dic Mutter, als es dieselbe weinen sah. Klagend schritt der Graf einher. Die Acltern waren gekommen, und schienen sich wol zu grämen, doch sprachen sie der Tochter Trost zu, als der Graf mit ihnen die Summen theilte, die er heute von seiner Mutter erhalten hatte, und die er ihnen zur Bestreitung der häuslichen Auslagen gab, da er mit der Familie speiste. Er hatte auch cincn Brief von seiner Mutter erhalten, worin sich dieselbe 133 über das schlechte Papier beklagte, welches der Sohn zu seinen Briefen nahm, vorzüglich abcr über den schlechten Streusand, der es ihr unmöglich mache, die Briefe dcs Sohnes zu öffnen und schnell zu lesen, wie es ihr zärtlich liebendes Muttcrherz verlange. Zum Schlüsse erwähnte sie noch der jungen Comtesse Amelic, welche sich stets lebhaft nach ihm erkundige. Alles begab sich betrübt zur Nuhc; Marie allein fand keinen Schlaf und weinte und dachte die ganze Nacht. Als einzigen Ausweg sah sie stets nur dic Heirach; abcr nicht ein Gedanke stellte ihr die künftigen Beziehungen zu dem geliebten Manne von den jetzt bestehenden abweichend dar. Sie sah in der Heirath nur das Mittel, immer mit ihm und ihren Kindern vereint bleiben zu können. Je näher die Zeit heranrückte, in welcher der Graf scheiden sollte, dlsto gefaßter wurde Marie. Sie ergab sich in ihr Schicksal. Sic litt wol viel, jedoch die Sorge für die Kinder und die häuslichen Verrichtungen ließen sie nicht allzuviel ihrem Schmerze nachhängen. Sie behielt ja ihre Kinder, dann vertraute sie umvankbar dem Geliebten, der versprochen hatte, jährlich die Zeit seines Urlaubes bei ihr und den Kindern zuzubringen. Der Graf konnte sich mit dem Gedanken des Schcidcns weniger vertraut machen, ____134_____ und je näher die Stunde heranrückte, desto tiefer fühlte er den Schnurz der Trennung von all dem Theuern, das er auf der Erde besaß. Er fühlte eine Faser nach der andern, mit welchen er in diesem Boden wurzelte, zerreißen. Was sollte aus ihm werden, wenn er seine Marie, seine Kinder nicht mehr sehen konnte? Der Vater und die Mutter seines Weibes waren ihm lieb geworden; die kleine Schiffmühle sollte er verlassen, in welcher er so glückliche Stunden verlebte, und die baumreiche Aue, welche sich am andern Ufer fortzieht, den schönen Strom und den kleinen Nachen, in welchem er auf den Wc-gm mit seiner theuern Marie sich wiegte? Ja selbst das Geräusch der Mühlräder hörte er jetzt gcrn, und auch die Beschäftigung in der Mühle war ihm zur Gewohnheit geworden; das Aufschütten der Frucht, das Einfüllen in Säcke und das Sehen nach dem Mühlsteine. Dies bemerkte cr, als er unthätig einige Tage feinem Schmerze nachhing, und Erleichterung desselben fühlte, da cr zu der Arbeit zurückkehrte. Sein Beruf raubte ihm cbcn wenig Zeit. Anfangs hatte er Marien bei der Arbeit scherzend geholfen, da er jedoch sah, daß er ihr später, als sie weniger arbeiten konnte, viel Erleichterung verschaffte, wenn er ihr beistehe, so that er es freudig und gcrn. 135 Was ihm bis dahin nicht in dcn Sinn gekommen war, siel ihm plötzlich cm. Er konnte ja Marien heirathen, und dann durste sie sich nicht von ihm trennen. Da er jedoch wußte, welche Hindernisse er zu bewältigen habe, bis er diesen Entschluß zur Ausführung zu bringen im Stande war, so sprach cr mit Marien nicht über denselben. Die Hindernisse waren in seinen Augen so groß, daß sie ihn früher gar nicht die Idee der Heirath fassen ließen; doch der Schmerz hatte ihn tiefer fuhlcn gelehrt, das Gefühl hatte seinen Blick in die Weite schauen gemacht, und er sah jetzt das Verhältniß in dessen Wirklichkeit. Nun stand aber auch der Entschluß fest in ihm, Alles aufzubieten, um die Einwilligung seiner Aeltern zu erlangen, seinen Bund mit Marien vom Gesetze und dcr Kirche billigen zu lassen. Es blieb jedoch mehr als zweifelhaft, ob cr die Zustimmung seiner Acltern erhalten werde, da sie, nebst dem Hinaussetzen über alle, Jahrhunderte alte Vorurrheilc, auch die Caution leisten mußten, ohne deren Erlegung der Offizier das Mädchen nicht ehelichen konnte. Doch hoffte er, und diese Hoffnung, verbunden mit dcm Wunsche, feinen Entschluß so schnell als möglich zur Wirklichkeit zu bringen, erleichterte ihm das Scheiden, da er in Böhmen, seinen Aeltern nähergerückt, allenfalls 136 persönlich dieselben bitten konnte, wenn sie ihm nicht nach dem Briefe bereits ihre Zustimmung geben sollten, den er augenblicklich geschrieben, als er den Entschluß gefaßt hatte. Der Brief lautete: „Liebe Mama! Ich bitte dich, mir nicht zu zürnen, wenn du das Geständniß gehört hast, welches ich ablegen muß. Ich habe hier in der Station ein Verhältniß mit einem Mädchen angeknüpft, das ich unendlich liebe. Der Bund mit Marien dauert bereits drei Jahre. Sie ist die Tochter eines Müllers und liebt mich ebenso sehr, wie ich sic. Marie hat während der Zeit, daß ich sie kenne, zwei Kinder, licbe, himmlischschone Kinder, geboren, einen Knaben und ein Mädchen. Das Mädchen sieht dir ähnlich, liebe Mama! Du hast geweint, theure Mutter, als ich mich von dir trennen mußte, und du wirst daher begreifen, wie weh mir zu Muthe ist. Ich soll mich von meiner Marie und meinen zwei Kindern trennen. Begleiten können sie mich nicht; da es mir aber unmöglich ist, lange von ihnen getrennt zu leben, so habe ich den Entschluß gefaßt, Marien zu heirathen. Ich küsse dir viclmal die Hand und bitte dich innigst, Alles zu thun, was meinen Entschluß fördern kann. Zürne mir nicht, und gib deine Einwilligung, dann aber 137 bitte den Vater und erweiche sein Herz. Sage ihm, daß ich nicht mehr Zulage verlange, als ich jetzt beziehe, wir werden davon leben können, nur die Caution möge er so gütig sein zu erlegen. Auch die Schwestern und Brüder bewege, daß sie mit dir vereint den Vater bitten. Schreibe mir gleich in meine neue Station, damit ich so glücklich sei, sobald als möglich die Bewilligung meiner Bitte zu erhalten!" War der Graf aber auch in der Stunde des Scheidcns eben durch diesen Schritt gefaßter, so brach bei Marien der Schmerz in seiner ganzen Gewalt los. Sie schluchzte und rang die Hände, weinte laut und überschüttete ihre Kinder mit Thränen. Man wollte ihr den Säugling von der Brust nehmen, aber sie ließ es nicht zu und rief: „Wollt ihr mir auch noch den entreißen?" In diesem Augenblicke wurde der Graf von seinem Schmerze überwältigt. Es gab jetzt keine Hindernisse mehr für ihn, und während er Marien nochmals an seine Brust drückte, und die Kinder heiß und wiederholt küßte, sagte er: „Fasse dich und sei ruhig, Marie, ich werde bald zurückkehren und werde dich heirathcn!" Marie sah ihn ernst an, sein Auge sprach wie sein Mund. Sie sagte nichts, doch bewegte sie leise 138 verneinend den Kopf. Sic vermochte die Möglichkeit des Gesagten nicht zu fasscn. Marie weinte fort, doch ruhiger und stiller, und saß auf dem Schiffe in kühler Morgenluft, als die Trompeten schmetterten und die Escadron auf der Heerstraße dahinzog. Im neuen Stationsorte angelangt, stürzte der Graf auf die Post. Sein Herz drohte zu brechen, so war es vom Leide, von der Sehnsucht nach Marien und den Kindern, und dcr Erwartung des Briefes, der eben die Wiedervereinigung ermöglichen sollte, bewegt und gespannt. Ein Brief war da für ihn, es war das Siegel, die Schrift seiner Mutter. Sie schrieb: „Lieber Sohn! Ich habe sehr über deinen Leichtsinn und deine Vcrirrung geweint. Wie konntest du ein Mädchen, ohne alle Aussicht, sie je deine Frau nennen zu können, so unglücklich machen, wie konntest du die Folgen nicht bedenken, die daraus entstanden sind? Folgen, die dich nicht allein, die mchrc Menschen, und überdies Unschuldige drücken und leiden machen! Ich habe deinen Geschwistern nichts gesagt, ich habe es über mich vermocht, zu dem Entschlüsse zu gelangen, deinem Vater die Sache vorzutragen. Ich sprach so herzlich mit ihm, als ich es im Stande war. Ich 139 legte die Entscheidung in scinc Hand, stellte mich sogar zustimmend deiner Bitte, was ich nur widerstrebend konnte. Dein Vater lachte und sachte: "Kommt öfter vor bei jungen Offizieren, sei so gütig und nimm die Sache in die Hand, denn ich sollte eigentlich nichts davon wissen.» — Er verstand mich nicht, oder wollte mich nicht verstehen, denn als ich ihm sagte, daß es sich ernstlich um eine Heirath handle, sprach er kalt lächelnd: «Und davon sprechen Sie mit mir?» Ich wußte es vorher, daß dcin Vater nie seine Einwilligung zu einem derartigen Bunde geben werde. Jedes Wort mehr hätte nur mir Worte entgegengebracht, die zu vermeiden, stets mein Bestreben war. Ich sehe kcinc Möglichkeit, mein Sohn, daß du das Mädchen heirathcn kannst. Sorge demnach für dasselbe und seinc Kinder, ich will es dir ermöglichen. Lebe wohl, und schreibe mir bald, was du thun willst!" Das that denn auch der Graf augenblicklich. Er schrieb: „Theure Mutter! Soeben reiche ich meine Quittirung ein, ich werde meine Charge niederlegen. Ich kann ohne Marien und die Kinder nicht leben, werde und muß sie hei-rathen. Dein Brief hat meinen Entschluß nicht ändern 140 können. Ich nchmc heute Urlaub und rcisc ab. Lcbc wohl, theuerste Mutter!" Der Graf verkaufte Pferde und alles Das, was ihm überflüssig schien. Er kam in der Mühle an und hcirathete Marien, nachdem er seine Entlassung erhalten hatte. Sein Vater hatte ihm den Rücken gekehrt; der Sohn war für ihn gestorben. Die Mutter schrieb anfangs, dann auch nicht mehr; wahrscheinlich durfte sie nicht. Der Graf wohnte in der Mühle, und legte seine städtischen Kleider mit dcm Titel ab. Er half in der Mühle mit und gab das Geld, was ihm geblieben war, zum Betriebe des Geschäftes. Er mußte arbeiten und arbeitete gern. Er verrichtete Alles, was nothwendig war, lebte glücklich mit Marien und den Kindern, und Niemand vermochte den Grafen von den übrigen Müllern zu unterscheiden. VIII. Gin deutscher Pfarrer. v^in größerer Ausflug wurde unternommen. Unser Weg führt uns in cincn fernen Winkel Ungarns. Dort liegt das deutsche Dorf Baumgartcn, eine nn Jahre 1845 gegründete Colonic. Sie führt dcn Namen des Gelehrten, der, zu jener Zeit Director der Tabacksproduction, dieses Dorf mit mehren Andern gegründet hat. In diesem Winkel, den die grünen, mit den herr^ lichsten Reben, Fruchtbäumen und weißen Häuschen bedeckten Berge bilden, die Weinberge von Mcncfch und Magyarat, liegt auch Vilägos, der Ort, bei welchem Gorgcy das ungarische Drama endete. Ist aber dieser Act der Gegend günstig, so schadet er mir; denn gegen diesen Hintergrund wird die Erzählung 142 von dem Pfarrer des kleinen deutschen Dorfes und dessen Unsgebung verschwinden. Immerhin. Ich habe ein historisches Bild gesehen, einen gewaltigen Kampf darstellend. Im Vordergründe saß ein kleiner Knabe, zitternd am Fuße eines Baumes, und er fesselte doch die Aufmerksamkeit, ja er war ein Nuhepunkt für das Auge, das, geblendet von dem großen Gegenstande, gern zu ihm zurückkehrte. An einem herrlichen Nachmittage, es war zur Zeit der Weinlese, fuhren wir von Maria-Radna, dem Wallfahrtsorte, ab. Der Weg führte uns an den Weinbergen von Mencsch vorbei. Jubel und Gesang der Winker schallte von ihnen herab, durch die frische Luft uns zu; der Schall der Böllerschüsse brach sich an den Bergen, und dem Echo antwortete rauschende Zigeunermusik, aufbrausend wie der feurige Most, der in großen weinlaubumwundcncn Fässern auf Wagen, an uns vorbei, den Kellern zugeführt wurde. Die Weinberge bogen rechts im zurücklaufenden Winkel hinter der Ruine von Vilägos gegen Siebenbürgen ein; von ihrem senkrechten Fuße an, links, dehnte sich die Ebene gegen Arad aus, die unser Weg durchschnitt. Es wurde Abend; das Ziel des Tages war ein deutsches Dorf und in demselben cin Pfarrhaus. Wir kehrten deshalb den Bergen den 143 Rücken, und unscrc Pferde jagten über die Ebene. Die Sterne am Himmel erschienen und die Luft begann etwas frisch zu werden. Ich will mich durchaus nicht jencn Feinden aller Nomantik beizählen, die, wenn sie am Abend von weitem die Lichter eines Ortes sehen, der Himmclslichtcr gar nicht achten, aber diesmal sah ich sie freudig uns cnrgegenschim-mcrn. Mein Begleiter hatte gehört, daß scin Jugendfreund Pfarrer in N.-P. sei. Auf diese Nachricht und die alte Freundschaft hin hatte er beschlossen, ihn mit uns selbst, dem Wagen und den Pferden zu überraschen und ihn diese Freude einige Tage hindurch genießen zu lassen. Dbwol ich die Gastfreundschaft in Ungarn, und vorzüglich die der katholischen Pfarrcr kannte, so konnte ich doch nicht umhin, in das allzurcge Andenken einer Iugcndfreundschaft einige Zweifel zu setzen. Abgesehen davon, was hätten wir begonnen, im Falle der Pfarrer nicht zu Hause gewesen wäre? Arad war wcit und die Nacht war nah! Endlich waren wir vor dem Pfarrhause angelangt. Trotz der Dunkelheit konnte man an den umherliegenden Steinen und Balken wahrnehmen, daß der Psarr-hof erst neu gebaut war. Der junge Pfarrer und drei Mägde, denen man auf den ersten Blick die „schwabische" Abkunft anfah, kamen uns mit Lichtern entgegen. Mein Freund sing zu meinem Erstaunen an Komödie zu spielen und begann: „Ein armer Künstler, Kuf der Reise durch Ungarn begriffen, um die herrlichen Gegenden «abzunehmen", in Verlegenheit um eine andere Nachtherberge, wendet sich an die weitbekannte Gastfreundschaft des Herrn Pfarrers und bittct um cm Nachtquartier und eincn Nachtimbiß." Dann sticß cr mich vor und in die Seite. Ich mußte die Rolle aufnehmen, und da mir nichts Besseres einfiel, sing ich an: ..pinijwr «wtlwsus rnZat äo- minMioULM V65tl'lM1, 1'<3V«!6iillt:" u. s. w. Der Pfarrer schaute bald uns und unsere, während der langen Reise etwas herabgckommenen Lci-nenblouscu an, die mit diesen Ncden wol Harmoniren mochten, bald den Wagen, der den gewöhnlichen Beförderungsmitteln solcher Reisenden, den Füßen, wenig entsprach, und fragte: „Gehört diese Equipage auch zu Ihnen?" „Ja," entgegnete mein Freund, „sie wird wol Ew. Hochwürden keine Ungelegenheiten machen?" „D durchaus nicht; Hans, sorge für die Pferde und den Kutscher," rief der Pfarrer; „doch wollen Sie nicht Ihr Portefeuille vom Wagen nehmen und Ihre Sachen," sprach cr weiter, „Sie würden mich schr verbinden, wenn Sie mir Ihre Skizzen sehen ließen." 145 ,,Es hat nicht Eile, Hcrr Pfarrer, bei Tage lassen sich Bilder viel besser beurtheilen," sprach mein Freund, „und wcnn der Herr Pfarrer befehlen, > so würden wir durchaus nicht abgeneigt sein, einige Tage bei Ihnen zuzubringen, damit Sie recht bequem die Skizzen betrachten können." „Ich muß Sie nur vielmal um Entschuldigung bitten," rcplicirte der Pfarrer; „mein Haus ist aber erst fertig geworden, ich bin noch nicht vollständig eingerichtet, und meine alte Wohnung ist schon etwas in Unordnung, sodaß ich Sie nicht gehörig bewirthen kann." „Hcrr Pfarrer, wir nehmen mit Allem vorlieb," entgegnete mein Freund. Während dieser Wechselreden waren wir in den Spciscsaal eingetreten. Eine große Tafel war bereits hergerichtet. Zwei junge Kleriker und eine Frau aus Temeswär, die ebenfalls durchreisend als Gäste im Pfarrhause aufgenommen wurden, waren eben im Begriff, an der Tafel Platz zu nehmen. Da, als eben die Suppenterrine hereindampfte und ihrem Gerüche des Pfarrers achtzigjähriger Vater folgte, wandte sich jener gegen mich mit der Frage: „liable t68tiinoina? " Mein Freund schnitt mir eine geistreiche Lüge, die ich wahrscheinlich vorgebracht hätte, ab, indem er CtiMcl'cn an dcr Thci^, I^ 146 ausrief: „Aber Herr Pfarrer, kennen Sie mich denn nicht? Ich bin ja der K. .. aus Temeswar? Crmnern Sie sich nicht? Mein erstes Werk waren die schönen Fresken in Ihrem Zimmer." Nun folgte eine Erkennungssccnc. Der Pfarrer erinnerte sich des jungen Matrrs nur zu wohl, der sein lichtes, helles, weißes Kaplanstübchen durch alle möglichen düstern Landschaften in eine Zelle umgewandelt, die für einen mcditircnden, grübelnden Asceten, aber nicht für unsern heitern Pfarrer gepaßt hätte, der erste größere Versuch K.'s gewesen war, und lachte herzlich bei der Erinnerung. Auch ich mußte meine Rolle jetzt ablegen und wurde herzlich bewillkommt. Fragen und Antworten überstürzten sich nun, soviel ihrer das schmackhafte Essen eben zuließ. Während wir uns hinreichende Zeit zum Speisen ließen, brannte dcr Pfarrer vor Ungeduld, das Portefeuille meines Freundes zu sehen. Auch war er sehr begierig, mcinc Werke kennen zu lernen, und fragte mich, ob ich nicht vielleicht dieselben bei mir führe. Ich konnte nun einmal seine Neugicrde nach den tsstimoniis spiriti, wie früher nach denen pivup«rtati8, nicht befriedigen, und mußte versprechen, ihn die wenigen Skizzen lesen zu lassen, die ich bereits während dieser Reise entworfen. Nachdem die Taftl abgeräumt war, 147 wurde der InHall dc.s Portefeuille besichtigt. Nun crsi, nachdem der Pfarrer in Sicherheit über dic Identität unserer Personen war, thaute er gänzlich auf, die Guitarre wurde herbeigeholt und deutsche Lieder theils schwärmerischen, theils lebhaften Inhalts wurden gesungen, und die durch sie erregte Stimmung noch mehr durch trefflichen Magyaraten- und alten Menescherwein erhöht. Die übrigen Gäste brachten die Nacht im alten Wohnhause, wir in dem eleganten Gastzimmer des Pfarrers zu. Des andern Tages, es war Sonntag, nach dcm Frühstücke, riefen uns die Glocken zur Kirche, welche dcm Hause gegenüberlag. Der Morgen war hell und sonnig. Wir betraten das kleine, aber sehr nett und freundlich verzierte Bcthaus und gingm „auf den Chor". Die Messe begann. Rechts standen die Weiber und links die Männer, dem Altare zunächst die Kinder; dann kamen rechts die heranwachsenden Mädchen mit den zurückgekämmten, mit einem Kamme hinten befestigten Haaren und den blauen, schwabischen Augen. Der Pfarrer hatte mich zumeist auf den Gesang aufmerksam gemacht, und mit einem unnennbaren Stolze von dcn Fortschritten seiner Gemeinde in 10 5 148 religiöser, sittlicher und materieller Beziehung gesprochen, welche sie seit der Zeit gemacht, seit welcher er sie als Pfarrer leite. Er erzählte mir, daß er Mädchen und Knaben musikalisch heranbilde und am Chore während der Messe vierstimmige Lieder singen lasse, Heils, um dem widrigen Gesänge der Gemeinde ein Ende zu machen, dann auch, um durch den Gesang selbst sie mehr zu erbauen und heranzu bilden. Ich erwartete also den Vortrag eines vierstimmigen deutschen Kirchenliedes. Anstatt dessen be-ganncn die Baucrmädchcn und Knaben: „?ro8t«i--!»imur or6ll6nt«8." Ich cntftrntc mich aus der Kirche. Sie war so voll, daß eine Menge Männer vor dem Eingänge bis auf den Platz hinaus unbedeckten Hauptes standen. Mit einem derselben wollte ich ein Gespräch anfangen, doch blieben einige Fragcn ohnc Antwort. Erst als ich auf das Lob dcs Pfarrers kam, fand ich Gehör und vermochte den Mann, mit mir einige Zeit lang umherzugehen, doch nur unter dcr Bedingung: daß ich, wenn der Herr Pfarrer es bemerken oder erfahren sollte, die ganze Sache auf mich nchmc. Die ganze Zeit hindurch ergoß sich der wohlhabende Mann in Lobpreisungen des Pfarrers: wie er so leutselig und herablaffend sei, wie er die Kranken mit ___149 Arzneien versorge, wie er alle Streitigkeiten unter den Bauern und inmitten der Familien schlichte, so-daß sic sehr' selten vor Gericht zu gehen brauchen; wie er ihnen Rathschläge gebe, wie sie ihre Felder besser bearbeiten sollten, kurz wie Alles, was im Dorfe, in jedem einzelnen Hause desselben vorgehe, dem Herrn Pfarrer bekannt sei, weil Jeder, der etwas brauche, zu ihm gehe, und bei ihm immer ein freundliches Wort finde; vor allem aber wie der Herr Pfarrer so wunderbar predige, daß Niemand, der eine geheime Sünde habe, dieselbe verschweigen und verbergen, sondern nach dem Gottesdienste augenblicklich zn dem Herrn Pfarrer gehen, ihm dieselbe gestchm und um Vergebung bitten müsse. Deswegen liebe die Gemeinde den hochwürdigcn Herrn gar so sehr, und thäte Alles für ihn, was sie nur könnte, denn dem Herrn Pfarrer dürfe es an Nichts fehlen. „Neulich erst wollten sie ihn nach Maricndorf, das reichste deutsche Dorf in der Nachbarschaft, haben, aber wir sind hingegangen zum Herrn Pfarrer und haben gesagt: Hochwürdigcr Hcrr! Die Leute in Maricndorf wollen Ihnen zweitausend Gulden mehr geben, als Sie hier haben, bleiben Sie bei uns, und wir geben Ihnen um ebenso viel mehr. Und der Herr Pfarrer ist geblieben. Ist es nicht für uns eine große Ehre, 150 daß der bcstc Prediger weit und breit unser Pfarrer ist? Bei jeder großen Feier in Arad, wenn die Leute fragen: Nun, wer wird denn predigen? heißt es immer: Wer denn sonst, als der Pfarrer von N.-P.?" Bald hatte ich auch Gelegenheit, mich von der Wahrheit der Angaben des Bauers zu überzeugen. Der Gottesdienst war zu Ende. Der junge Pfarrrr ging in sein Wohnhaus, ihm nach eine Menge Leute beiderlei Geschlechts. Wir blieben auf dem Vorplatze des Hauses stehen. Bald kam ein junges Mädchen heraus, das sich mit dem Tuche die letzten Thränen aus dem Auge wischte, bald zwei ältere Eheleute, die noch einige Vorwürfe, doch scheinbar die letzten Gc-witterstöße, wechselten, und eben ruhig weitergingen; nach ihnen einige Bauern, die sich gegenseitig den Handschlag gaben; dann ein junger Bursche, mit erhitztem Antlitz, der sich zerknirscht seitwärts fortschlich und umherblickte, vielleicht, um das junge Mädchen zu ersehen. Und so ging es fort. Der Pfarrer war fertig und trat aus dem Hause. Wir gingen mit ihm in dasselbe. Da kam noch cm altes Mütterchen. Sie entschuldigte sich, daß sie so spät komme, aber sie käme eigrnds vom weit entfernten Weinberge, um dem Herrn Pfarrer zur Sonntagstafel schöne Weintrauben zu bringen. Sie zog das 151 Tuch von der Schüssel weg, welche mit den herrlichsten weißen, rosigen und schwarzen Trauben gefüllt war^ die von den grünen Wcinblättern, welche sie theilweisc bedeckten, abstachen. Gleichsam als Krone des Ganzen lag oben eine riesige blaßrothe Traube. „Die ist für Sie, Herr Pfarrer," sprach die alte Frau. „Die müssen Sie essen!" setzte sie erklärend hinzu, mit einem mistrauischen Seitenblicke auf uns, denen sie diesen Leckerbissen nicht vergönnte. Nachmittags fuhren wir mit dem Pfarrer nach dem neuangelcgten Baumgartcn. Es sollte der Schul-lehrcr der Gemeinde von dem Pfarrer vorgestellt werden. Das Dorf war von der östreichischen Regierung mit mehren andern angelegt worden, um eine sichere Menge Taback, der in dieser Gegend vorzüglich gedeiht, zu erhalten, der, unabhängig vom Marktpreise, der Regierung zur Disposition stehe, deshalb baute sie die Häuser und gab sie, nebst dreißig Jochen Landes, den Ansiedlern, die nach Baumgartcn größtentheils aus dem starkbevölkerten N.-P. übersiedelten. Dafür mußten sie jährlich der Regierung eine bestimmte Quantität Taback um einen festgesetzten Preis liefern, und hatten die Begünstigung, innerhalb zwanzig Jahren erst die Besitzung durch Abzahlimg an sich zu bringen. 152 Wir kamen in dem kleinen Dorfe an, das vielleicht aus dreihundert ebenerdigen Häuschen bestand, und stiegen in dem Hause des von der Regierung angestellten Beamten ab, der die Geschäfte der Tabackübernahme leitete. Die Gemeindevertreter waren bereits versammelt und der Lehrer wurde ihnen von dem Pfarrer, zu dessen Kirchsprengcl Baumgarten gehörte, mit einer begleitenden Rede vorgestellt, in der er ihnen die Wichtigkeit des Lehramtes mit salbungsvollen Worten auscinandcrfchtc, ihnen Achtung vor dem Lehrer empfahl, und sie aufmunterte, die Kinder fleißig zur Schule zu schicken. Es thut mir leid, hier nicht wörtlich all die schönen Worte wiederholen zu können, die er sprach, vielleicht würde der östreichische Minister, Graf Thun, durch eincs Geistlichen Rede bestimmt werden, mehr für Volksschulen zu thun; aber mein Gedächtniß ist ein schlechter Stenograph. Zugleich ermunterte der Pfarrer die Leute, fleißig die Betstunden zu besuchen, welche der Herr Lehrer in Ermangelung einer Kirche in dem Schulzimmer halten würde. Der Gemeinderath Baumgartens war sichtlich gerührt, erleuchtet war er ohnedies, da ihm die Ankunft des Herrn Pfarrers zu lange gedauert und er _____153 deshalb im Wirthshausc eine außerordentliche Sitzung mit unbeschränkter Desscntlichkeit gehalten, und versprach alles Mögliche zu thun, damit sich der Herr Lehrer recht wohl befinde, und auch der Herr Pfarrer zufrieden sei. Erst bei hereinbrechender Nacht fuhren wir nach N.-P. zurück. Dic nächsten Tage brachten wir theils mit kleinern Ausflügen zu, theils saß der Pfarrer meinem Freunde, der ihn, wie es eben cm Landschaftsmaler kann, der die menschliche Gestalt blos als Staffage zu behandeln gewohnt ist, portrailirtc. Daß der Pfarrer sehr zufrieden war, wie auch die andern Leute seiner Umgebung, läßt sich vermuthen. Aus Dankbarkeit nun, nachdem wir acht Tage in dem Pfarrhause zugebracht, veranstaltete der Pfarrer am letzten Abende unsers Aufenthaltes ein großes Souper. Um Alles brillant herzurichten und weil wir so oft über das heilige Drcieimgkcitsauge gelacht hatten, welches ai lresco, anstatt einer Rosette, passend für den Salon eines Priesters, die Decke verunstaltete, bat nun der Pfarrer noch meinen Freund, er möge ihm ein schönes Auge malen. Auch dieser Wunsch wurde erfüllt, und das Auge warf seine. Blicke nach jedem Winkel des Salons. Ich arrangirte unterdessen die Möbeln. Mein Hauptcsscctstück war ein Balzac, den 154 ich in eine Zimmcrecke schob und in den lecrcn Winkel einige große Leander postirte. Diesc Piece hattc vielen Beifall. Endlich erschien der Abend und mit ihm der Uhlanenmajor sammt seiner jungen, schönen Frau, einer feinen Dame, ein alter graubärtigcr polnischer Rittmeister, ein Licutcnant, ein feines Gräfchcn, nebst mehren andern Bewohnern des Ortes, welche den Hintergrund, den Chorus bildeten. Mein Freund mußte nochmals sein Portefeuille auspacken, trotz seines Bcthcuerns, daß man bei Kerzenlicht keine Oelskizzen besehen könne. Vorzüglicher Bewunderer war der alte Rittmeister, und sein Enthusiasmus überstieg alle Grenzen, als der Pfarrer noch überdies ein Vergrößerungsglas herbcibrachte! -- Eine Skizze stellte ein ruhendes Zigeunermädchen dar, auf dcrcn dunklem Antlitz sich das volle Sonnenlicht brach. Man kann sich vorstellen, wie diese harten contrasti-rendcn Töne, durch das Glas betrachtet, schimmerten und schössen. Während die Frau des Majors lächelte, konnten sich Rittmeister und Pfarrer nicht vom Betrachten der Skizzen trennen. Endlich kam das Nachtmahl. Es wäre Alles gut vorübergegangen: das Auge der Dreifaltigkeit erregte Aufsehen, mein Balzac, mit der Veranda, Anerkennung, die Skizzen Bewunderung; dem Nachtessen 155 wurde alle Gerechtigkeit gezollt; abcr der Pfarrer wollte Alles zu gut machen. Der herrlichste Menc-scherwein kam zum Schlüsse auf den Tisch. Man muß aber, um sich vom ächten alten Mencscherwein einen Begriff machen zu können, diesen an Ort und Stelle trinken, nachdem man früher aus seinem Geschmacke alle die Erinnerung an jene Composition verbannt, die in Dedcnburg gebraut und getauft wird, und unter fremdem Namen, dem dcs „Mcncschcrs", durch Europa reist und trotzdem, daß sie aus Ungarn kommt, überall cinc freundliche Aufnahme findet. Also ächten Mencscherwcm, die Natur, wollte der Pfarrer verbessern. Der Wem hatte einen besondern Geschmack. Dcr Graf, der ncbcn nur saß, trank, kostete, schenkte wieder cm — unglücklicherweise lief eine Gewürznelke mit in das Glas, und, noch größeres Unglück, der crröthende Pfarrer hatte es gesehen. Seine Lustigkeit war dahin, und als ich ihm zurief: „Herr Pfarrer! der Wein hat Würze und Blume zugleich!" verlor er die Fassung. Doch noch nicht genug des Leidens. Der Pfarrer wollte als ächter Patriot, wenn auch Deutscher, den chinesischen Thee aus Ungarn verbannen und vaterländischen in Flor bringen. In Maria-Radna wächst eine Art von Thee, dieser sollte heute geprüft werden, und, wie 156 der Pfarrer sicher hoffte, allgemeine Billigung erhalten. Eine große Quantität Thee war grkocht, eine große Kanne mit Sahne dazu. Der Pfarrer, um die Quantitätsmischung besorgt, daß sie ja richtig werde, schenkte selbst alle Tassen ein. Große Erwartung — nach dem ersten Schlucke verspürte Alles eine sehr nahe Aehnlichkeit mit „Krausemünzc" und hatte kcinc Lust, dem Beispiele des Pfarrers zu folgen, der unter ancifcrnden Neden drei Schalen hinabstürzte, bis ihm die hellen Schweißperlen auf der Stirne standen. — Das sind die Folgen des Cölibates. Des andern Morgens reisten wir weiter. IX. Zigeuner. Während der klcincn Reisc, dic ich erwähnt, langten wir in dem Städtchen M. an. In dcr Nähc desselben liegt cm Zigcuncrdorf. Dic folgende Erzählung, dic ich hörte, diene zugleich als Beschreibung desselben. In den ansehnlichsten Maulwurfshügcl des Zi- geuncrdorfcs bei M...... schob sich ein junger Zigeuner hinein. Die einzige vorn angebrachte Dcss-nung gestattete nämlich keinem Erwachsenen frei einzutreten. Diese jämmerlichen Menschcnbewahranstalten nennen zwar die armen Zigeuner Hütten, doch ich habe den obigen Ausdruck gewählt, um ein möglichst treues Bild auf kürzeste Art wiederzugeben. Gekreuzte Baumäste und Brcter werden mit Lehm und Erde ubcrworfen; vorn und gegen den blauen Himmel 158 bleiben Ocffmmgen, um Menschen hinein- und den Rauch hinauszulassen; das Ganze hat eine ovale Form, bietet Raum für eine Familie, wenn sie gedrängt sitzt oder liegt, hat manchmal cinc Zwischenwand, in welchem Falle sich in der vordern Abtheilung der Herd besindet — und heißt Hütte! Gewöhnlich aber hat sie nur einen Raum, und den Herd bilden einige Steine vor derselben. Dreißig solcher Lehmhügel wieder heißen das Zigeunerdorf. Es liegt an beiden Seiten eines Fahrweges. So wohnen geduckt die Söhne des Orients, einst Parias am Strande des heiligen Ganges, in dessen Fluten sich die weiße Lotosblume spiegelt, vor kurzem noch Parias in Europa — in kurzer Zeit jedoch gleichberechtigte östreichische Staatsbürger in Wirklichkeit, wie bcrcits jetzt provisorisch durch die Charte vom 4. März. Und diese Zigeuner sind die Aristokratie der Zigeuner in Ungarn! Sie haben einen festen Wohnsitz, zahlen Steuern, sind Goldwäscher, Ziegel-brmner, Musikanten und Holzschneider, In dcr That, ein Ameisenhaufen voll schwarzer, fleißiger Menschen. Die zweite Classe bilden die Schmiede, die ebenfalls Musikanten sind; die dritte besteht aus nomadisch wandernden Kesselflickern. Ein junger Zigeuner schob sich also in dcn innern 159 Raum, in welchem auf einem Holzschemel ein alter Genosse seines Stammes saß. Ein Lager, über demselben eine Violine und eine Truhe bildeten die Einrichtung. Der Mann mußte groß sein; so konnte man nur die gekrümmte, knorrige Gestalt entnehmen,^ deren dunkle Augen aus dem braunen Gesichte her» vorblitztcn. Sie funkelten statt des Lichtes in der dunkeln Höhle, denn nur wenige Sonnenstrahlen, die sich von außen hereinstahlen, bildeten ein Dämmerlicht in derselben. Graue Haarc und der kurze graue Stoppelbart hoben die tiefe Tinte des gebräunten Kopfes noch mehr hervor. Der junge Zigeuner ließ sich sogleich auf den Boden nieder, um nicht anzustoßen. Der alte Mann winkte mit der Hand und zitternd sing dcr Jüngere an zu reden. Er zitterte, weil dcr Alte in dcm Ruft stand, mit Ahriman, hier Teufel genannt, im Bunde zu stehen. Der Alte fand nämlich viel Gold, obwol man ihn nie dasselbe, wie die Andern, mühsam aus dem Bache heraus-waschcn sah; er hatte nie dem ihm bekannten Gerüchte widersprochen und selten hatte man ihn überhaupt sprechen gehört. Außerdem machte den Jüngern noch sein Vorhaben zittern. Sein weitläufiges Ausholen endete der Schweigsame mit einer ungeduldigen Handbewegung. Dcr Besucher erklärte also 160 bebend: er sei gekommen, um die Tochter des Alten zu werben. Eine dritte Handbcwegung wies ihn alsbald zur Hütw, hinaus, und er stand im nächsten Augenblicke zerschmettert vor derselben. Das letzte Mittel war versucht, mislungen. Er hatte von dieser Unterredung mehr gehofft, als von der Neigung dcs Mädchens, das ihn nicht liebte und seine Bewerbungen stets zurückgewiesen hatte. Es liebte einen Andern. Der junge Zigeuner hatte versucht, durch den Allsspruch des Vaters die Verbindung zu erzwingen und im Ernste zu versuchen, wozu ihm Marina oft höhnend gerathen hatte, wenn er sich ihr zuthunlich näherte. Sie sagte dann stets: „Geh zum Vater!" Nun war er beim Vater gewesen. Scin Beginnen war mislungen und zum Ueber-fiussc stand Marina, als cr aus der Hütte bestürzt herausgetreten war, mit seinem Nebenbuhler Michalati kosend vor derselben. Drohend stürzte Pali fort. Michalati spielte die erste, Pali die zweite Violine in dem Zigeuncrquartett, welches das Dorf zusammengebracht hatte. Sonderbares Schicksal, das den minder Befähigten bcstimmt hatte, sowol in der Klinst mit seinen einförmigen Terzgä'ngcn des ersten Solospielcrs kühnere, beregtcrc Tongestaltcn nebenher zu begleiten, von dem Beifall, dm dieser erntete, 161 nur wenig zu erhalten, und das ihm auck im Leben nur gestattete, hinter dem Glücklichen, zurückgesetzt, emherzuschreiten. Das Licht wird bewundert, der Schatten wenig beachtet und doch formen beide erst das Bild. Pali wollte gegen das Schicksal ankämpfen. Es sollte anders werden. Sein Entschluß war gefaßt, sein Plan vorgczeichnet. Er wollte nicht länger Schatten, er wollte Licht sein und Michalati verdunkeln. Er wollte sich an ihm rächen, an Marina, an ihrem Vater, an der ganzen Welt. Doch die Zweite liebte, den Dritten fürchtete er, und so beschränkte sich sein Vorhaben für den Augenblick blos auf den Erstern. Auch dazu konnte er sich, nachdem die erste Aufregung verflogen war, nur schwer entschließen; denn Pali war im Grunde seines Herzens gut. Er war von Natur aus nicht boshaft, hatte er doch erst vor kurzem mit seinem ehemaligen Freunde sein Essen getheilt, als sie gemeinschaftlich im Walde arbeiteten, und Michalati, wahrscheinlich durch Liebe zerstreut, sein Mittagsbrot mitzunehmen vergessen hatte, obwol er ihm bereits seit langer Zeit, als seinem glücklichen Nebenbuhler, gram war. Doch der Gedanke an sein Misgeschick machte ihn jetzt boshaft. Vorerst wollte cr seinen Nebenbuhler mit seinem überlegenen Verstande, den er zu besitzen glaubte, bekämpfen. Die GMlebcn an dcr Theiß. 11 162 ganze Nacht brachte cr damit zu, den Plan nach allen Richtungen hin zu entwerfen. Er jubelte laut auf, als er den Gang so klar vor sich liegen sah, auf welchem sein Gegner fallen mußte. ,Marte, Micha-latl, warte nur, in kurzem bist du vernichtet!" Eben als Pali im Dunkel seiner Hütte, in welche sich ein Strahl des vollen Mondlichtes durch eine kleine Oeffnung stahl, so meditirte, drang der Ausruf auf demselben Wege an das Ohr Michalati's, der, vom hellen Mondschein umsioffen, lächelnd stehen blieb, als er die auf sich Bezug habenden Worte vernahm, und weiter gmg, als Pali keinen Laut ferner von sich gab. Dieser war siegestrunken eingeschlafen. Michalati's Schritte waren nebst dem Rieseln des Baches, der an dem Dorfe vorbeisiießt und es zu einem zweiten Californien «n miniaturo macht, und dem Schnarchen der Zigeuner, das die dünnen Hüttenwände durchbrach, das einzig Tonende in der ruhenden Natur. Der Mondschein lief über die grün-bewaldeten Berge und die grotesken Felsen herab, und sammelte sich in vollem Guß im Thale, welches sie rings einschloffen. Ueber das grüne mondhelle Thal, dessen Zierde das braune Zigeunerdörfchen war, und empor über die hohen Berge wölbte sich der blaue Nachthimmel, durchfunkelt von den Sternen. 163 Die laue Nachtluft war bereits verflüchtigt und des Thaues^Niederschlug fcuchtcte das Gras und kündete den Morgen. Ohne Furcht vor Pali's Nacheplanen schlüpfte der schöne, kräftige Mlchalati in seine Hütte. Nun war nichts Lebendes mehr im Freien, als die wenigen Kühe und Schweine, die hinter den Hütten lagen. Sie lagen da bequemer, oder doch ebenso weich, als die Menschen in denselben, die oft, acht an der Zahl, meist auf dem nackten Boden im gesunden Schlafe hingegossen ruhten. Die Hähne flatterten auf ihre Thürme, die Hütten, und riefen die vierte Morgenstunde aus, indem sie mit ihrem Flügclschlagc die Zahl der Stunden angaben. Dies sage ich einem Naturforscher nach, der es behauptete. Wenn minder in die Natur Eingeweihte dies nicht gelten lassen wollen, so muß man sie auf die Beobachtung selbst verweisen. Bestimmt kann ich nicht behaupten, ob Pali und Michalati die Schläge gezählt haben; doch die Hahne weckten sie und Beide erhoben sich von ihren» Lager. Pali schritt rasch aus der Hütte und ging eilend dem, eine Viertelstunde weit entfernten Städtchen M. zu. Ich zweifle, daß er sich diesmal in dem Bache wusch, denn er vergaß das auch sonst manchmal; Michalati jedoch that es rasch, weckte einige Freunde und eilte mit ___164 diesen Pali nach, denn er vermuthete, daß dieser etwas ihn Betreffendes im Sinne habe, da der Weg zu dem Orte, um diese Zeit, etwas Außergewöhnliches für die Zigeuner war. Die Bursche gingen behutsam und sahen, wie Pali über die Umzäunung in den Garten eines der ersten Häuser des Orts stieg. Verwundert sahen sich die Zigeuner gegenseitig an, dann lugten sie aufmerksam hinter den Wcidcnbüschen am Bache hervor, die ihnen zum Versteck dienten. Mit Zittern und Beben vollführte indeß Pali sein Vorhaben. Er wollte seinem Nebenbuhler einen Streich spielen — und wohin halte ihn sein Nacheplan geführt? Alle Kräfte mußte er zusammenfassen, um nicht das Vorhaben aufzugeben, und nur der Gedanke an seine Schmach und seine Rache ließ ihn ein Unternehmen ausführen, dessen Wirkung auf ihn selbst zurücksiel. Heldenmüthig jedoch schritt er ans Werk, und mit einem gefüllten Sacke auf dem Rücken sahen ihn die Zigeuner über den Zaun zurückspringen und dem Dorfe zueilen, während er sich die Hände rieb, gleichsam um sich zu reinigen. Sein Gesicht war bleich, verzerrt, Schauer und Ekel machten seine Glieder schlottern. Mühselig schleppte er sich weiter. Am Eingänge des Zigeunerdorfes endlich siel er bewußtlos nieder. Der Sack entfiel seinen kraftlosen 165 Handen. Die Bursche eilten schnell zu ihm, wie auch die andern Bewohner des Dorfes, die während der Zeit Alle erwacht waren. In dem Sacke schlug etwas herum, wie ein großer Vogel. Einer der Zigeuner lüftete ihn, und heraus flog ein Repphuhn; die Freiheit benutzend, flatterte es in die Weite. „Ein Federwild, ein Federwild!" kreischte die Menge und schlug ein Kreuz. „Pfui, pfui!" rief Alles, und spuckte aus. Pali lag noch immer bewußtlos. Endlich kehrte seine Besinnung zurück. „Nehmt den Sack weg, um Gotteswillen!" schrie cr; „erbarmt euch meiner, nehmt den Sack weg!" „Was ist denn noch in demselben?" rief die Menge. „Ach, Bohnen, ekle Bohnen!" stöhnte der Zigeuner. „Pfui, pfui!" erscholl es wieder, und Alles wich zurück. Michalati und seine Freunde lachten laut. „Was wolltest denn du mit den Bohnen und dem Repphuhn?" fragten sie den armen Pali, den unterdessen der Ekel zu etwas veranlaßte, was man nicht näher bezeichnen kann. „Ich wollte sie in Michalati's Hütte legen," 1tt6 stöhnte dieser, indem seiner Kchle unarticulirte Laute und das am Tage ^uvor Genossene entströmten. Lautes Lachen nahm Pali alles Bewußtsein. Ein Zigeuner erbarmte sich endlich seiner und schleppte ihn mühselig in seine Hütte. Der Sack blieb unberührt liegen. So war Pali das Opfer seines, wie er glaubte, mit so vielem Scharfsinn entworfenen Planes geworden. Er woNte sich seiner Natur entäußern, ein Heldenstück vollbringen, und die Natur rächte sich an ihm. Er wollte Michalati einen Streich spielen und war ihm selbst erlegen. Die Zigeuner empfinden nämlich starken Widerwillen vor Federwild und Bohnen, wie auch vor Fröschen, Schildkröten und vor manchen Fischen, wie den Sparen, Parschen und Lampreten, was sie mit den Acgyptern gemein haben, welche Likopolis und Tagariopolis nicht genossen. Vornehmlich fliehen sie aber die Bohnen, während eine große Zwiebel in jeder Wohnung hängt. Pali wollte die Bohnen und das Repphuhn in Michalati's Hütte schaffen und ihm Ekel erregen, vergaß jedoch darüber seine eigene Natur. Später als sich die Wirkung auf ihn selbst zu äußern ansing, wollte er scin Vorhaben nicht aufgeben und war so selbst das Opfer seines Planes geworden. Während cr nun in seiner Hütte jammernd und 167 stöhnend lag, die Schwäche seines Körpers anklagte, daß sie nicht mit dcr Stärke des Geistes gleichen Schritt hatte, hatten sich die Bewohner des Zigeunerdorfes in die unfern gelegene Ziegelbrennerei an ihr Tagewerk begebm. Da waren sie an andauernd schonen Wochentagen stets zu finden, denn Goldwäschen können sie nur nach dem Regen. Bald sah man diese hier sehr fleißigen Menschen mit den glänzenden, verschwommenen schwarzen Augen, den krausen dunkeln Haaren, dem olivcnfarbigen ovalen Gesichte, den rothen Lippen und wunderbar reinen, weißen Zähnen, den geschwollenen Wangen, dem spitzen Kinne und der schmalen Stirne; bald sah man diese mittelgroßen Gestalten in den Lehmgruben den Thon lösen, bald ihn in Schiebkarren laden und über die schwankenden Breter aus der Grube hinaufführen. Andere mengten den feuchten Thon mit Sand, Andere füllten ihn in die Holzformen und wieder Andere legten die Ziegel zum Trocknen. Weiterhin schürten die halbnackten, schweißtriefenden, glänzenden Gestalten die Hochfeuer in den Zicgelöfen, aus denen die Hitze strömend emporstieg und die ohnehin glühende Luft wirbeln, flimmern und strahlen machte. Die Letzten endlich befreiten die bereits durchglühten Ziegel von ihrer Hülle. Alles das geschah 168_____ mit sichtbarem Eifer und liefert den Beweis, daß cs doch möglich ist, die Zigeuner an Fleiß und stetiges Leben zu gewöhnen. Am Abende kehrten sie in das während des Tages stille Dorf zurück, und ein reges Leben begann. Die zahlreiche Jugend trieb sich spielend umher; die meisten Bewohner saßcn vor den Häusern, die Weiber spannen, die Männer ruhten theils auf der Erde, theils schnitzten sie Löffel und andere Geräthschaften aus Holz. Unter den Weibern befanden sich einige greise Mütterchen von besonders eigenthümlichem Aussehen. Ihre Gesichter waren bleich und ausgedörrt; die pechschwarzen, noch immer funkelnden Augen stachen gegen die weißen zerzausten Haare wildfremd ab. Alles rauchte, Männer, Weiber, selbst die Kinder, die meist auf den großen, noch von der Hitze des Tages lauwarmen Steinen lagen, welche sich zwischen den Hütten befinden. Nun kamen auch die Kühe und Schweine nach Hause, und Alles wirbelte untereinander. Da die Dämmerung bereits längere Schatten über das Thal warf, so loderten vor den einzelnen Hütten auf den Feuerstellen die zum Kochen des Abendessens bestimmten Feuer auf, welche ihre Beleuchtung grell auf die bunten Gruppen warfen, die sich um sie 169 niedergelassen hatten. Vom Städtchen herüber klang schwach der Ton der Abcndglocke. Die Zigeuner aßen ihre einfache Kost, und allmälig wurde es stiller. Die Lichter am blauen Himmel erschienen, die Herdftuer erloschen. Die Menschen, müde vom Tagwerk, krochen in ihre Hütten und das Vieh ruhte zusammengekrümmt. Die Nacht hatte bereits die ganze Gegend mit Dunkel bedeckt, das nur der Mondschein stellenweise, wo nicht die Ricscnbcrgc ihre Schattenhand hingestreckt hatten, durchbrach. Die Sterne funkelten am tiefblauen südlichen Himmel, und ein leichter Wind zog durch die Gipfel der nahen Bcrgwäl-der, auf welche der Mondschein sich ergossen hatte; der Goldbach schoß an den Hütten vorbei, als dic Stille der Nacht Klänge der Musik unterbrachen. Das Zigeunerquartctt hatte sich an dem Ufer des Baches niedergelassen, unfern von Pali's Hütte, für welchen heute ein Anderer die zweite Violine übernahm. Es spielte die klagendsten Liebcslieder und dies mit so jammernden lang gehaltenen Tonen, wie nur Zigeuner klagen können. Pali, dem kranken Pali dies anzuthun, war gewiß hart, und trotz seines Unwohlseins wäre er gegen die Bursche aufgetreten, offen und frei, wenn — wenn er eben nicht noch seine tiefgedachten Pläne in Bereitschaft gehabt hätte. Doch so lachte er heimlich, wenn auch etwas bitter, was bei seinem tiefen Schmerze begreiflich ist, und sprach nur: „Klage spottend, lachender Michalati, bald wirst du im Ernste klagen und weinen!" Doch jetzt sing Michalati an zu singen. Die Melodie war Pali wohl bekannt, aber die Worte waren nicht dieselben, welche man gewöhnlich dieser Weise anpaßte. Michalati sang: „Liege krank und lieg' verlassen, Ganz allein. Aus dem Antlitz, aus dem blaffen, Spricht die Pein. Daß ich dich so innig liebe, Dich allein, Hat entfesselt meine Triebe, Leid macht Pein. Schlich in einen schönen Garten Ganz allein, Wo nicht Rosen meiner harrten, Ach o Pein! 17^ Bohnen nur wollt' dort ich pflücken, Nur allein, Um des Feindes Haus zu schmücken, Ach o Pein! Und nicht Nachtigallen schlugen Dort allein, Meine Hand' ein Nepphuhn trugen, Ach o Pein! Wollt', daß es dem Feinde singe, Ihm allem; Doch wie ändern sich die Dinge, Ach o Pein! Anstatt mich am Feind zu rächen, Ihm allein — Mußt' ich Armer mich ......... Nch o Pein!" Freunde des Volksliedes werden die mangelhafte Form der Uebersetzung verzeihen, und den Mangel an Feinheit des Originals der Naturkraft der Zigm-nerpoesie anrechnen. Naturkraft ist ja eine Eigenschaft, die heute hochgeschätzt wird, und die Pointe 172 darf vor mancher unserer Heine-Nachahmer nicht er-röthen. Ich übergebe also dieses Lied getrost der Oeffentlichkeit und hoffe, daß Herr Dr. L. B. Wolff es in seine Sammlung von Volksliedern, in die Rubrik: „Gelegenheitspoesie der Zigeuner", aufnehmen wird. Verfasser derselben ist, soviel ich weiß, Micha« lati. Sein Familienname ist mir unbekannt. Pali weinte und tobte. Vor seiner Hütte saß noch der alte Zigeuner rauchend und lächelnd. Schweigend ging er spater in dieselbe hinein. Auch das Quartett begab sich zur Ruhe. Nach Mitternacht sing cs an zu regnen, und erst am frühen Morgen wurde der Himmel wieder heiter. Die Bewohner dcs Zigeuner-dorfes brachen daher zeitig auf, die nöthigen Mulden auf dem Kopfe tragend, und gingen dem Bach entlang, um oberhalb des Dorfes Gold zu waschen. Der alte Zigeuner kam ihnen entgegen, bereits im Rückgänge begriffen und ohne Mulde. Er ging dem Dorfe zu. Keiner sprach ihn an, außer Michalati, der neben der frischen braunen Marina einherschritt und die Frage wagte: „Habt Ihr schon Gold gesammelt, Vater?" Ein leichtes Neigen des Kopfes war die bejahende Antwort, und ohne ein Wort zu reden, ging der alte graue ernste Mann weiter. „Ach!" sprach Michalati zu Marina, „wenn dir 173 doch dem Vater seine Art Gold zu waschen als Hochzeitsgeschenk mitgäbe! Das würde uns glücklich machen. Hast du keine Ahnung von der Weise wie er das Gold gewinnt? Und diesmal brauchte ich cs gar so nöthig. Du weißt ja, daß ich in dem letzten Jahre so wenig Glück hatte beim Goldwäschen, und morgen sollen wir die zwei Ducaten Steuer zahlen, und mir fehlt noch ein halber — anstatt daß ich einen Ueber-schuß hätte gewinnen sollen. Weißt du gar nicht um das Geheimniß deines Vaters?" „Nein," sagte Marina, „ist dir's doch bekannt, daß ich es nicht wagen darf, ihn zu fragen. Ach!" fuhr sie bekümmert und leise fort, „rede nicht von dieser Sache, ich glaube zwar nicht, daß mein Vater Alles im Stande ist, was die Leute sagen, aber —" „Laß doch die Leute schwatzen, die sich durch ihre eigene Dummheit jedem Klugen als Beute überliefern, und denke nicht an ihre Albernheit!" „Ich glaube auch nicht an Das, was sie sagen; aber ein unheimliches Gefühl bemächtigt sich meiner, wenn ich den Vater zurückkehren sehe." „Von der Zusammenkunft mit dem Teufel?" sprach lächelnd Michalati. Während das Paar fortschreitend so redete, schlich sich Pali hinter ihm her mit der Mulde auf dem 174 Kopfe und lächelte triumphirend vor sich hin. Bei der Frage seines Nebenbuhlers an Marina hatte er forschend aufgehorcht, und geglaubt, daß er vielleicht etwas von dem Geheimniß erfahren könne. Marina wußte selbst nichts. Pali tröstete sich jedoch bald durch die Freude, die er sich von seinem heutigen Vorhaben versprach, und wiegte sich in dem Triumphe, den er zu erringen hoffte. Früher aufgestanden als Michalati, war er mit seiner Mulde zu dessen Hütte geschlichen und nach kurzer Zeit mit der scines Feindes zurückgekehrt. Eben lächelte er wieder und schielte nach der Mulde Michalati's, als sich dieser plötzlich umwandte und Pali ansah. Pali wollte schnell seine Miene verändern, aber das schadenfrohe Lächeln hatte zu lange seine Mundwinkel emporgezogen, als daß sie sich schnell genug wieder zu glatten im Stande gewesen wären. Der scharfe Blick des Vorangehenden sah noch das letzte Zucken im Gesichte des Lächelnden, und dies war genügend, um ihn zu warnen, ihn behutsam zu machen. Er dachte einen Augenblick nach und überlegte: „Was kann er dir für einen Possen spielen wollen? Offenbar nur einen, der dir am unangenehmsten scin könnte. Und was könnte mir heute am unangenehmsten sein? Wenn meine Mühe wieder vergeblich wäre und ich ohne Beute zurück- _____175____ kehren müßte! Offenbar, das ist es! Er will mir einen Streich spielen! Er will vereiteln, daß ich heute Gold gewinne. Und wie kann er das? Mein Gott, wenn cr vorangceilt wäre, und den gesammelten Sand von meinem Brett weggenommen hatte? Ich wäre ein unglücklicher Mensch! Doch der Wächter ist ja bei den Bretern; der hätte es nicht geduldet! Auch ist Pali mit uns zugleich ausgegangen. Nein, das kann es nicht sein, das kann es nicht sein! Doch ist es nicht die einzige Art, durch welche er mich hindern kann, Beute zu machen? O gewiß ist cr mit dem Wächter einverstanden gewesen! Gewiß hat cr es gethan!" „Welche Gedanken beschäftigen dich denn so eifrig, daß du verstummst, Michalati, und gar nicht redest?" fragte Marina. „Ich werde dir später Alles mittheilen," sprach er, „habe Geduld. Jetzt laß uns eilen!" setzte cr lcisc hinzu; „mich däucht, Pali hat mir einen bösen Streich gespielt." „Aengstige dich nicht!" sprach das Mädchen, „er ist ja zu dumm. Was kann cr denn machen, das dir schaden konnte?" „Du wirst es gleich mit Leid sehen!" schloß der junge Mann. ___176 Sie waren eben an ihrem Waschorte angelangt. Pali war in kleiner Entfernung weiter unten an dem seinen geblieben. Michalati stürzte, nachdem er die Mulde niedergesetzt und seine Beinbekleidung aufge-streiftlt hatte, in den Bach zu seinem Brete. Die Zigeuner bedienen sich nämlich einfacher Mittel zum Goldsammeln. Es wird beim Beginn des Regens ein langes Bret, das mit eingcschnittenen Rinnen versehen ist, so der Länge nach dem Laufe des Baches entgegengestellt, daß es mit der Oberfläche des Wassers einen stumpfen Winkel bildet. Das gehobene Ende des Bretes stützt ein zweifüßiger Holzschcmel. Ueber dieses Bret strömt nun das Wasser hinweg und hinterläßt in den schmalen Rinnen den Sand und feinern Kies, den es nach dem Regen beträchtlich mit sich führt. Die erste Sammlung ist die ergiebigste, wett die Flut des Wassers selbst den durch lange Zeit gesammelten Sand wäscht. Dieses Bret hob nun Michalati mit Angst ab, — aber seine Furcht war grundlos, ja, er hatte sogar eine reiche Lese gemacht, denn er sah jetzt schon hier und da den Goldstaub funkeln. Also Das war es nicht, was Pali vorgehabt hatte! Michalati dachte bereits, daß sein Argwohn unbegründet gewesen wäre, als er seine Mulde nahm und ans Goldwaschen gehen wollte. 177 „Was war es denn," hielt ihn Manna auf, „was dir so große Angst bereitet hatte?" „Pali lachte so höhnisch, daß ich dachte, er habe mir den Inhalt des Breies entwendet oder ausgeleert, indem er den Wächter vielleicht bestach oder hinterging. Da wäre mein Unglück entschieden gewesen. Nun, diese Gefahr ist vorüber; aber etwas hatte cr doch vor, und ich muß behutsam sein!" „Sieh!" sagte Marina, „cr schielt fortwährend auf uns und geht nicht an seine Arbeit." „Laß ihn," sprach Michalati, „durch seinen Blick wird er uns nicht schaden. Sehen wir selbst hier aufmerksam umher. Die Gefahr muß uns näher liegen." Wahrend cr dieses sprach, hatte er die Mulde betrachtet. Ein leises Ah! entschlüpfte seinem Munde, und cr hauchte Marina zu: „Sei ruhig und sprich nichts; ich habe cs bereits." Dbwol sich die Mulden alle gleichen, so bemerkte er doch, daß die, welche er in der Hand hielt, als er sie vorsichtig betrachtet^ cine fremde war. Dies ließ ihn sie besser untersuchen, und er sah am Boden kleine Thonfleckcn. Ein Druck Nlit dem Finger stieß solch ein Thonstückchen durch und cr sah ein kleines Loch in der Mulde. Lächelnd erkannte er nun Pali's Plan. In dicse Mulden wird 178 nämlich der Sand von dem Brete gethan. An dem untern Ende derselben befindet sich einc Oeffmmg. Auf diesen Sand wird fortwährend so lange Wasser gegossen, bis alle Steinchen und Sandkörner mit dem Waffer abstießen, und nur der feinste Sand und die wenigen Goldbestandthcile, die sich allenfalls in demselben befinden, zurückbleiben. Dieses Gold wird endlich auf eine kleine Lchmkugel aufgepickt, Pali's Plan war also, daß der Sand und das Waffer die mit Lehm verpichten Löcher öffnen, und die sinkenden Goldbcstandtheile ins Waffer fallen sollten. Während Michalati die Mulde betrachtete, war auch Pali ans Werk geschritten. Schnell, in einem Augenblicke, als der unterhalb beschäftigte Pali eben sein Bret wegheben wollte, legte Michalati seine Mulde weg, und nahm die Marina's, die heute mitgegangen war, um ihm bei der Arbeit zu helfen. Pali hingegen hatte bemerkt, daß die Stütze seines Bretes in Gefahr war zu brechen. Was sollte er thun? Gehen, um eine neue zu machen? Dies war nothwendig, sollte er heute seine Arbeit vornehmen, und doch wäre er so gerne dagewesen, wenn Michalati in klägliches Gestöhn und Jammern ausgebrochen wäre. Doch bis zu der Entdeckung des Nebenbuhlers, welch Unglück ihn getroffen, hoffte er zurück zu sein. 179 Er brach deshalb rasch auf, und schritt über den Bach in das Gehölz, das am jenseitigen Ufer sich hinzog. Doch er ging tiefer in dasselbe, als cs ihm förderlich war. Schnell schlich Michalati hinter dem Gebüsche zu Pali's Standort, und in einigen Augenblicken lag die beschädigte Mulde an dem Platze des Weggegangenen, und des Erstern Eigenthum war wieder ganz und unbeschädigt in seinen Händen. Er schlich zurück, der Sand wurde von dem Brcte in seine und Marina's Mulden vertheilt, und Beide, im Waffer stehend, gössen mit der Hand das Waffer auf die Mulde. Nach kurzer Zeit kam auch Pali und ging ans Werk. Er brachte die neue Stütze in Ordnung, hob das Bret ab, und füllte mit dessen Inhalt schnell seine Mulde. Tückisch sah er nach dem Verhaßten. Er war eben im Abschwemmen begriffen, als ein Schrei Michalati's ihn jubelnd aufspringen, und zu seinem Nebenbuhler hineilen machte. „Was ist dir geschehen, armer Michalati?" rief er frohlockend. „Freue dich mit mir!" sprach dieser, und zeigte ein ziemlich beträchtliches Goldkorn, das er gcfun den hatte. „So!" stotterte Pali, und schlich ärgerlich fort „Die eigentliche Ernte entgeht ihm doch!" murmelte 12 * _____180 ^ er vor sich hin. Er ging wieder ans Werk. Er schwenkte und begoß seinen Sand sehr eifrig. Das Paar hatte eine reiche Lese gemacht, und zwei Thonstückchen glänzten bereits bedeckt mit dünnen Plättchen und mit Goldsand. Da ertönte ein Schmcrzensschrei und Jammern aus Pali's Munde. Das Paar lies hin, und Michalati fragte: „Was ist dir geschehen, armer Pali?" Dicftr gab jedoch keine Antwort, sondern starrte seine durchlöcherte Mulde an. Das Gold war durch die Löcher in das Wasser gefallen. Schnell warf er die Mulde weg, und lief fort in den Wald. „Nichts gelingt mir!" murrte er, „doch daran ist sicherlich der Alte schuld, dem der Teufel hilft, meine Pläne zu vereiteln. Was nützt die menschliche Klugheit? Nicht ohne Grund kam er uns heutc entgegen/' Pali irrte im Walde nmhcr. Er dachte, Zauberei hatte die Mulden wieder verwechselt. Das Paar arbeitete noch einige Stunden, und gewann eine be-trächtliche Menge Goldes. Dem Pali aber war heute Alles mislungm, und als er Abends nach seiner Hütte ging, folgte ihm Spott und Hohn nach. „Will in der Hand man gelbes Gold begrüßen, Muß man die Finger gar bedächtig schließen!" rief ihm die dörfliche Zigeunerjugend als Nachtgruß nach. 181 Der Tag, an welchem Pali's Scharfsinn zum zweiten male zu Schanden wurde, war der letzte der Wochc. Die Nacht war an dem Unglückseligen langsam dahin-geschlichen, ohne ihm Ruhe zu bringen. Der Sonntagsmorgen kam heran, der Morgen des Tages, dessen größere Hälfte cr mit seinem Nebenbuhler in enger Berührung, fortwährend an dessen Seite gebannt, durchleben mußte. Sollte cr denselben noch ein mal angreifen? Ja. Er war dazu entschlossen. Die Nacht hatte seinen Plan gereift, und die Widersprüche seines Edelmuthcs, die ihn seinem Feinde verzeihen hießen, wurden leicht beseitigt durch das Gedächtniß an die Schmach, die ihm das zufällige Mislingen seines frühern Vorhabens gebracht hatte. Zuerst hatte er Michalati an seinem Leibe, seiner Gesundheit durch die Bohnen und an seinem äußern Glücke durch Vereitelung der Goldlese angreifen wollen. Da dies mislungen war, wollte cr jetzt seine Seele, seine Ehre, seine Ruhmbegierde angreifen. Am Nachmittage nämlich mußte er als Theilnehmer des Quartetts in das Städtchen gehen, um im Wirthshause zum Tanze aufzuspielen. Das Quartett bestand, wie gewöhnlich die einfachern Zigeunermusiken in Ungarn, aus der ersten und zweiten Violine, der Baßgeige und dem Hackbrete oder Cymbcl. Es ist bemerkenswerth, daß 182 die Magyaren nicht selbst die Musik ausüben. Nimmt man an, daß dcr Rhythmus und die Weise der nationalen Musik wirklich aus dem Volke hervorgegangen, wie man es mit Necht kann, da die rasche Abwechselung des Melancholischen und des wild Tobenden so sehr dem Charakter der Magyaren entspricht, so kann man behaupten, daß die Zigeuner immer die Träger und Ausüber nationaler Musik gewesen sind. Dadurch konnte man weiter leicht zu der Hypothese gebracht werden, daß die Zigeuner zugleich mit dm Ungarn eingewandert, vielleicht eine niedere Kaste derselben, bereits damals, auf jenen kriegerischen Zügen Attila's mit den hinreißenden Klängen die säbelschwingende Armee der Magyaren zum Kampfe geleitet haben. Wollte man aber diese nur leicht hingeworfene Aeußerung nicht gelten lassen, so kann man diese Erscheinung vielleicht dadurch erklären, daß die ungarischen Nationalgesängc, da die Magyaren selbst knne Instrumentalmusik besaßen, durch die derselben kundigen Zigeuner, welche wahrscheinlich im Besitze der einfachsten Instrumente waren, aufgefaßt und nachgespielt wurden. Auf diese Art blieb die alleinige Ausübung dieser Kenntniß bei dem Zigeunerstammc, da der Magyar, Alles zu thun gewohnt, was seine Aeltcrn thaten, nicht Lust hat, 183 Neuerungen vorzunehmen; vorzüglich nicht da, wo er so viel Ursache hatte, mit dem Bestehenden zufrieden zu sein, wie bei der Zigeuncrmusik. Und in der That, kein Volksstamm der Wett hat so viel ausgesprochenes Talent zur Instrumentalmusik, die Böhmen nicht ausgenommen, als die Zigeuner. Man wird zwar nicht die gründliche Harmonie dcr neuern und ältern deutschen Partituren bei den Tonstücken der braunen Söhne Ungarns finden; trotzdem hört man aber sehr selten Mistöne, auch nicht solche, die die neuere Harmonielehre bei neuen Figuren erlaubt. Ihre Harmonie ist sehr einfach, dafür aber die Melodie voll tief erschütternder Motive. Die Zigeuner kennen keine Noten, spielen aber die schwierigsten Ouvertüren, Note für Note, dem Gehörten nach. Sie schreiben ihre herrlichen Compositions nicht nieder. Fortwährend entstehen neue, und Niemand kennt ihre Schöpfer; aber bald erklingen sie im ganzen Lande, als Gemeingut eines Jeden, der die Fiedel streichen kann oder eine Kehle hat, sie bald schön, bald rauh und falsch wicdcrzusingen. Es dciucht uns beinahe, als tönte der erste Ton von der ersten Charda (dem Wirthshaus) bis zur zweiten und so weiter sich verbreitend durchs ganze Land. Ein besserer Leiter für diese Melodien, ein dankbarerer Ver- 184 breiter als der Ungar wird auch nicht so bald gefunden; denn mit der Lerche fängt er an zu singen, und mit dem letzten Nachpipen des Vogels, der seinen Kopf unter den Flügel geborgen einschläft und erschreckt in die Höhe fährt, hört er auf. Volkslied und Tanzweise sind nämlich hier, wie auch einst in der deutschen Poesie, einheitlich. Sonderbarerweise singen die Zigeuner selbst gar nicht. Dafür singt aber ihre Violine. Ist das ein Klagen, ein Ausdruck, eine Kraft des Tones! Der langgezogene Strich biegt den Bogen zum Zerbrechen, und der Ton schwillt in der Brust der Violine, daß sie et> zittert. Die Mähre von Orpheus kann da wahr werden. Es gibt Menschen, über die Shakspeare seinen Fluch donnert, weil sie keine Musik haben in sich selbst. Diese steinernen Herzen aber bewegt gewiß Zigeunermusik, wenn es keine andere im Stande ist. Nur einen Menschen hat cs gegeben, der, ob-schon er kein Zigeuner war, ihre Art und Weise des Striches nachdichtete, Lenau! Aber nicht bei uns im Theater, nicht im Concert muß man die Zigeuner hören, nur in Ungarn, in stiller Nacht, am mondhellen Waldsaum, oder in der stauberfülltm, glut-crhitztcn Wirthshausstube; dort klagend, hier stürmend und jubelnd. Ja, die Nacht durchzittern hören muß 185 man die scharfen weithinzichenden Tone der Violine, welchen, wenn sie verklungen, das Beben der Drahtsaiten des Cymbels als schwaches Echo nachhallt; oder am Tanzboden muß man die hüpfenden Bogenstriche der Freude, die frohe Menge in rasende Lust jagen sehen, die der aufspringende Cymbclklang wirbeln macht. Und so ein Geiger war der schöne braune Micha-lati. Die ganze tanzlustige Gesellschaft des Städtchens bewunderte ihn. Und heute war sie vollzähliger denn je versammelt, da der Kirchtag alle Hände feiern ließ. Paarweise gingen junge Bursche und Mädchen in dem Tanzzimmer einher, und wiegten sich bereits in dem Vorgefühle der Glückseligkeit, in die sie Tanz und Taumel versetzen sollte- Die ältern Leute saßen an den Wandtischen und die Kinder standen theils lugend an der geöffneten Thüre, theils hoben sie sich auf die Fußspitzen und schauten mit gespannten Hälsen durch die Fenster herein. Das Quartett hatte in der Zimmerecke hinter einem Tische Platz genommen. Die Instrumente waren gestimmt und lagen auf dem Tische. Michalati war heiter und nahm von den Burschen das Geld in Empfang, mit welchem sie sich Tanzstücke erkauften. Nicht so Pali. Es ist fürwahr kein angenehmes Loos, wohlklingende 186 Accords ertönen zu machen, wenn man selbst so verstimmt ist, und überdies noch in Gesellschaft seines Todfeindes die Töne harmonisch ineinanderklingen lassen muß! Doch dies war es nicht allein, was ihn nicht froh werden ließ. Er fieberte vor Ungeduld; es galt ja den letzten Wurf der Rache. Die Musik wurde stürmisch begehrt. Da in dem letzten Momente Michalati sprach noch mit einem Burschen einige Worte — überstrich Pali das Colophonium mit einer Substanz. Der erste Geiger ergriff seinen Bogen, strich ihn an dem Harze auf und ab, klopfte mit demselben und setzte die Geige unters Kinn. Eine tieft Stille entstand; Michalati setzte seinen Bogen ein, und ein schneidender Miston zerriß die Ohren aller Anwesenden. Ein furchtbares Gezische und Gelächter folgtc darauf und Alles drängte sich um den Tisch, hinter welchem Michalati erblaßt dastand. Pali aber lachte verschmitzt triumphirend in sich hinein. Doch nur einen Moment lang war Michalati betäubt. Schnell sah er seine Violine, seinen Bogen qn. Die Haare waren fettig, und ein Blick auf Pali lehrte ihn den Thäter kennen. „Gib mir deine Violine, damit ich weiter spielen kann!" sprach rasch Michalati zu Pali. Dieser starrte ihn schweigend an. Er hatte nicht 187 daran gedacht, daß der erste Geiger seine Violine von ihm fodcrn könnte, sondern berechnet, daß er, von dem Schlage betäubt, sich vernichtet mit dem zerstörten Rufe eines guten Violinspielers zurückziehen würde. Dann wäre natürlich Pali der gepriesene Nachfolger geworden. Doch die Fodenmg änderte die Lage. Bisher hatte er Michalati blos durch seine List und Schlauheit, durch seinen Verstand angegriffen. Was sollte er nun thun? Alles stand auf dem Spiele. Er durste nicht nachgeben, aber er mußte seine Art zu pariren aufgeben, offen hervortreten und kämpfen. Seine Angst und der drängende Nebenbuhler ließen ihm auch keinen andcrn Weg. Er faßte daher Muth und schrie: „Ich soll dir meine Geige geben? Warum hast du so schlecht gespielt, daß du bald das Trommelfell der Herren zerrissen hättest? Ich dir meine Geige geben? Ich will selbst spielen, ziehe du dich zurück und tritt beschämt ab; ich werde schon die Lücke ausfüllen!" „Was, du Pali?" schrie die Menge, gib augenblicklich Michalati deine Violine!" „Laßt ihn gewahren, ich bitte euch!" sprach Michalati lächelnd, und bat die Menge, die nichts von dem Tausche hören wollte, so lange, bis diese endlich dareinwilligte. _____188_____ Aber Niemand stellte sich zum Tanze an. Alles stand erwartend um den Musiktisch. Michalati trar einige Schritte zurück. Pali nahm die Geige, trat vor und fing an zu spielen. Anfangs ging es so ziemlich, wenn auch nicht gut. Er kam in Eifer; aber da er es zu gut machen wollte, griff er falsch und gerieth endlich in ein solches Labyrinth von Tönen, daß er keinen Ausweg mehr finden konnte. Verjagt vom Geheule und Gelächter der Maffe stürzte Pali fort. Krampfhaft hirlt er seine Violine und wollte sie mit sich nehmen. Aber man entriß sie ihm mit Gewalt und gab sie Michalati im Triumph in die Hand. Dieser entzückte mit ihr die ganze Nacht hindurch die Gesellschaft. Diese Begebenheit hatte Pali's ganzes Wesen geändert. Durch den letzten Vorfall, durch das offene, wenn auch misglückte Auftreten war in dein Zigeuner ein Bewußtsein seiner Kraft triumphirend eingezogen. Er hatte seine Stärke gemessen, er hatte offen gehandelt, und auf dieser Bahn glaubte er nun weiterschreiten zu müssen. Doch wollte er nicht mehr Mi-chalati's Pfad kreuzen. Er sprach: Mit dieser Puppe soll ich mich auch ferner messen? Mit dieser Thongestalt ohne Leben? Was ist er denn? Nichts. Schon damals, als mein tiefgedachter Plan mit der Kufe l89 scheiterte, kam ich der Sache auf die Spur. Jetzt habe ich aber volle Gewißheit. Der alte Zigeuner ist die Seele des Ganzen. Er, des Bösen Verbündeter, hat die Hand im Spiele und hilft dem schwachen Witze seines künftigen Schwiegersohnes. Was soll ich ferner mit diesem? Ich muß meine Kraft völlig entfalten; ich muß sie gcgen Den wenden, dcr hier eigentlich waltet. Gegen den alten Zigeuner will ich auftreten; ich will seinen« gottlosen Treiben auf die Spur kommen, ihn vernichten. Vernichten? Ja; — doch ohne eine Frucht meines Sieges zu erreichen? Nein, ich will ihn vernichten, und mich — — doch stille, nicht einmal mit der Luft soll sich mein Geheimniß, ausgesprochen, vermengen. Ans Werk!" Pali bekam bald Gelegenheit, sein Vorhaben auszuführen. Den ganzcn Montag hindurch hatte es geregnet. Beim Beginne dcr Nacht war es heiter geworden. Die Wolken theilten sich, dcr Mond leuchtete und sein Schein fiel auf das durchnäßte Gefilde. Pali schlich um des Altcn Hütte herum. Ein matter Lichtstrcif war durch eine Ritze sichtbar. Dann konnte mau Worte vernehmen. Pali horchte aufmerksam und sein Antlitz frohlockte, obwol ihn Angst befiel. Seine Züge, besonders sein Auge war unbeweglicher als sonst, offenbarten eine innere Zerrüttung. 190___ Dcr Alte murmelte: „Laß mich heute glücklich sein, laß mich das lebensgefährliche Vorhaben, wie so oft schon, glücklich ausführen! Gib meinem Unternehmen den Segen! Wage ich doch mein Leben, um des Glückes meiner Tochter wegen!" „Er schließt bereits den Ruf an den Teufel, Nun vorsichtig!" hauchte Pali. Das matte Licht erlosch; Pali legte sich auf den Boden. Der alte Mann, eine Laterne in der Hand, trat aus der Hütte und blickte vorsichtig überall umher; dann schritt er weiter. Doch blieb seine dunkle Gestalt wahrnehmbar, da das Mondlicht auf dieselbe siel. Pali folgte ihm in einiger Entfernung, bloßen Fußes, im Schatten des Waldes. Sie gingen dem Laufe des Baches entgegen. Nach und nach hob sich das Land, das Bachbctt sank immer tiefer herab. Zwei Berglehnen stiegen empor und ihr Fuß wurde pfadlos. Beide Männer wanden sich lautlos durch Felsgcrölle, Dickicht und Baumstände. Dumpfes Dröhnen wurde jetzt hörbar. Das Dickicht war so dunkel geworden, daß Pali des alten Mannes Spur verloren hatte. Er ging eilend weiter, das Gezische und dcr Schall wurden mächtiger. ^ „Ah, der Was-serfall!" sprach Pali. Jetzt vermochte er nicht writer 19l zu gehen. „Sollte hier der Ort sein?" meinte er. Da die Fclsplattcn, verworrenes Gesträuche und Baumwcrk weiter vorzugehen durchaus nicht gestatteten, so beschloß Pali, an der Berglehne zum Bache hcrabzuschreitcn. An jungen Bäumen und Wurzeln sich anhaltend, glitt er hinab. Der alte Mann war unterdessen, sich am Boden fortschicbend, weiter gekrochen. Er erfaßte mit der einen Hand einen mächtigen Baum, schlang mit der andern einen Strick um denselben und knüpfte das andere Ende um die Mitte seines Leibes. So war er an dem Baume befestigt Jetzt zündete er eine kleine Wachskerze an und steckte sie in eine Laterne, die das Luftloch unten, anstatt, wie gewöhnlich, oben hatte. Die Kerze steckte in einem in dem Mittclraum angebrachten Halter. Schwache Zweige trennten nur noch den alten Mann von dem freien Raum. Er sank jetzt auf die Knie und betete still. Pali war indessen am Fuße der Berglehne angelangt. Er theilte die Aeste und stand auf großen Fclsplatten, durch welche sich der Bach Bahn brach. Da lag dcr Was-scrfall vor ihm und zischte und tobte. Die bisher auseinanderlaufcndcn Felsen stießen hier zusammen und über sie stürzte der Bach, sich drei mal brechend, herunter, Seine Gewässer füllten unten das Becken, 192_____ das die rund sich aneinanderschlicßenden glatten Frl-senmafsen bildeten; dunkel und unergründlich tief lag das leise auf- und nicderwogende Wasser in dem Becken, das es füllte; nur langsam stoß es über die hohen hemmenden Felsmassen ab. Die Gipfel der hintern Wand, über welche der Wasscrfall stürzte, wie auch die beiden Höhen rechts und links vom Bachbctte waren mit Bäumen besetzt. Die Felswand selbst an beiden Seiten des Sturzes bedeckte, pyramidal die Fläche herablaufcnd, feuchtes, sammetartiges Moos und üppiger Ephcu. Das bebende Wasserbecken und die starren Felswände ruhten in tiefem Dunkel. Nur die Gipfel der Bäume auf den Felsen beschien das Mondlicht, und auf der obern Hälfte des Wasserfalles erzitterten schwache Lichtfunken. Eben als Pali diese Erscheinung anstarrte, theilten sich dic Zweige oben an der rechten Seite dcs beginnenden Wassersturzcs. Der alte Mann stand am Rande des Abgrundes. Drr Strick siel herab, sodaß er lost niederhing, während er, am Baume straff angezogen, in eine Spalte des Felsens lief. Der alte Zigeuner legte sich auf den Boden, faßte den Strick, der an seinem Leibe und dem Baume befestigt war, unterhalb der Felsspalte, nahm den Laterncnrcif in den Mund, und das Seil mit briden Händen fassend, stürzte er 193 sich hinab und verschwand unter dem zweiten Sturze des WasscrfaÜcs. Pali schrie auf — im nächsten Augenblicke sah er nichts mehr als einen Lichtfunken hinter dem Strahle des Wassers. Dort also war das Gold, dorthin führte der Teufel den alten Zigeuner. „Auch ich will hin, auch ich will hin!" rief er, und stürzte fort. Wo sich der Wasserfall am Felsen zum zweiten male bricht, höhlt sich dieser aus. In diese Höhlung, über welche der Strahl schießt und welche einem Manne sichern Raum gewährt, sinkt nun, wenn der Bach nicht allzusehr angeschwellt reißt, Goldsand. Wie der Zigeuner diese Höhlung entdeckte, ob durch Ueberlieferung, ob durch eigenen Scharfsinn, ward nicht bekannt. Letzteres ist nicht unwahrscheinlich, denn dafür spricht die scharfsinnige Art, wie er hingelangte. Doch in welcher Gefahr schwebte er! Er durfte nur nicht im Momente in den schmalen Raum, den der Wasserstrahl zwischen sich und dcm Felsen ließ, gelangen und auf dcm Felsen festen Fuß fassen, und er war verloren, denn der Wasserfall riß ihn sonst mit sich und zerschellte ihn an der Felswand. Der alte Zigeuner hatte den Schrei gehört. Er streckte seinen Kopf bis zu der Fuge. Eben war Pali oben beim Wasserfalle hervorgctaucht. Das Mondlicftt Stillleben an dcr Tl,fi,!. , !^ 194 umftoß ihn. „Da hinunter also muß ich!" rief er. Der alte Zigeuner sah ihn. ,/Pali!" schrie cr entsetzt. Der Ruf klang zwar leise, doch noch hörbar hinauf. „Ich komme, Teufel!" schrie dieser und sprang herab; der Wasscrfall erfaßte, der Abgrund verschlang ihn. Der alte Zigeuner schwang sich bebend, an dem Stricke fortkletternd, empor. Er faßte Fuß und lauschte -, er hörte nichts. Alles war still. Er schlich nach Hause, aber seine Kraft war gebrochen. Er ging nie wieder zum Wasserfalle. Den Leichnam Pali's aber fand man am folgenden Tage auf den Felsplatten vom Wasser ausgeworfen. X. Ein Feldhüter. «Fm Spätherbste kehrte» wir nach Kanischa zurück. Eines Tages fuhren wir zur Kartoffelernte. An einem heitern Morgen im Späthcrbste bestiegen wir, nachdem alle Vorkehrungen getroffen waren, den Leiterwagen. Quer über die Leiter gelegte und mit Stricken angeknüpfte Breter dienten als Sitze. Des Annehmlichen war wol in dieser Equipage nicht viel zu erwarten, sie war jedoch die einzig mögliche, um eben nur fortgebracht zu werden. Im Wagen, mit Tüchern überschlagen, lagen bereits die Victualien und der Kochkessel. Unsere Gewehre im Arme haltend setzten wir uns, je Zwei, auf eine Bank; der Postmeister und sein Bruder auf die mittlere, das Dienstmädchen zum Kutscher, Julie, meines Freundes 13* 196 Schwester, saß neben mir, anstatt des lästigen Hutes nach nationeller Art, ein Tuch um den ovalen Kopf geschlungen. So fuhren wir nach dem sogenannten Garten auf dem Walle dahin. Er trennt die Theiß von den Rieden, die, von Schilf und Federwild belebt, sich weithin erstrecken, und verhindert das fernere Austretm des Stromes. Auf diese Art können die Rieden nach und nach ausgetrocknet, und eine Fläche von unglaublichen: Umfange für dm Feldbau gewonnen werdm. Auf den höher gelegenen Stellen, wo bereits der Boden sich seit längerer Zeit consolidirt, vorzüglich da, wo er an das Festland stößt, liegt der sogenannte Garten. Mehre male mußte der Wagen halten: bald ward rechts unten im grünen Schilfe eine Ente, die rbcn den Kopf ins Wasser tauchte, uns jedoch bald bemerkte und flugs ins Dickicht schlüpfen wollte, die Beute unscrer Gewehre; bald siel ein über unsern Häuptern dahinziehender krächzender Reiher, getroffen, mit dumpfem Schlage links in das Weidmdickicht, welches dicht seine Zweige vom Ufer herab in die wallenden Fluten taucht. Weiterhin, wo der Wall bereits an der rechten Seite das Festland durchschneidet, Alles mit Gesträuchen und jungen Baumständcn bedeckt ist, ziert ihn zu beiden Seiten eine Allee von hohen Silberpappeln und Platanen. l97 Die Sonne vergoldete die wenigen rothen Blätter auf den Bäumen, ihr Schein siel ungehindert und voll in Strömen auf den Boden des Walles, der fußhoch mit den welken herabgefallenen Blättern bedeckt war. Das Fahren wurde fo minder beschwerlich, da sie die tiefen Löcher und Geleise erfüllten. Rechts, abschüssig über den Wall hinab, fuhr nun der Wagen; in einer Lichtung des niedern, weit aus-einanderstehenden Gehölzes stand ein Häuschen; von hier aus quer das Gestrippe durchschneidend war ein Gang gelichtet, dem Brombeerstauden und mannich-fache Schlingpflanzen noch den Naum streitig machten. Wir stiegen ab, der Wagen fuhr weiter. Endlich waren wir in dem Garten angelangt. Die kleinen Bäume und das Gesträuche waren ausgerottet und rings um die größern, wie es eben kam, in den jungfräulichen Boden die Erdäpfel gelegt worden, deren reichliche Ernte heute aufgelesen werden sollte. Eine Fülle von Kürbissen, deren üppiges Gestrauche sich um die Baumstämme gelegt hatte, ruhte jetzt, ihrer eigenen Schwere erliegend, am Boden. Dic Arbeiter waren schon thätig, bereits von weitem hatte sie uns ihr Gesang angekündigt. Wir legten auch mit Hand an. Es vergingen unter Scherzen und Singen die Stunden bis zum Mittag. Julie bereitete 198 das Essen, ich half ihr, indem ich Holz zutrug und das Feuer unterhielt, das am Bodcn brannte. Es schlug an dem Kessel empor, der an der Deichsel des Wagens hing und geschnittenes Fleisch, mit Paprika reichlich gewürzt, als Fülle barg, welches das aufwallende siedende Wasser lockend an die Oberfläche hob. Eine ächte Zigeuuerwirthschaft war es. Nun war das Essen fertig. Jeder schnitt cin großes Stück Neizenbrot von dem Riescnlaib ab. Wir saßen im Kreise um den Kessel herum, auf dem grasigen Boden. Jeder gabelte ein Stück Fleisch heraus und nahm Erdäpfel dazu, welche für sich allein gekocht wurden, und nun aus einer großen Schüssel in die heitere Luft hinaus dampften. Während wir aber beim Essen saßen, theilten sich die Zweige hinter uns und hervortrat ein kleiner, doch muskulöser und kräftiger Mann. Ein kleiner, runder ungarischer Hut, mit aufgeschweifter Krempe, welche sich bis zum Deckel des Cylinders emporsteift, saß seitwärts hcrabgedrückt auf seinem Kopfe. Das braune Antlitz war mit einem vierzehntägigen grauen Barte bedeckt, wie ein schwarzer Boden mit dem ersten Schnee, der sich anfängt in den Furchen zu sammeln. Nur der Schnurbart ragte frei und ungeschmälert über die Backen hinaus. Ein offenes, grobes, 199 beinahe schwarzes Hemd ließ die braun behaarte Brust sehen, und bildete mit den weiten Pluderhosen, welche in den Stiefelröhren staken, die einzige Bekleidung des Mannes, dem über die Achsel empor der blanke Lauf des Gewehres hervorblitzte, welches ihm, durch den schief über die Brust laufenden Riemen getragen, auf dem Nucken hing. „Gott zum Gruße!" rief er. „Danke. Eßt mit, wenn Euch hungert!" wurde ihm entgegengerufen. „Vielen Dank!" sprach er wieder, „ich muß jetzt in meine Hütte schauen, ob das Essen schon fertig ist." „Halt, halt!" sprach der Postmeister, „was hast du denn hinter deinen Hosen, was bauscht sie so auf? Du läßt, scheint mir, vom Schießen nicht; Etwas muß dein Lauf treffen!" Der Feldhüter fuhr momentan zusammen, jedoch bald schien er wieder seme Fassung zu bekommen, und indem er ein Paar Wildenten aus den Hosen, die an der Seite geschlitzt waren, hervorzog, sagte er lächelnd: „Herr, diese Dinge sind gar zu neugierig und wollen immer in den Lauf meines Gewehres stiegen; doch erlaubt, daß ich mich entferne. Gott zum Gruße!" 200 „Laß dich wieder blicken, Miska, hörst du?" „Ja, Herr, ich komme bald wieder!" „Das ist der Feldhüter," sagte der Postmeister, „was glauben Sie, welches Gewerbe dieser ehrliche Mann, der nun unsere Erdäpfel und Kürbisse, und die der andern Gartenbesitzer hier, bewacht, früher trieb?" „Ist er adelig?" „Nein." „Nun, da kann er also kein Stuhlrichter und kein Beamter überhaupt gewesen sein. Sein Anzug, seine Gesichtsfarbe sind kein Kriterium, die Wilderei kein Verbrechen, da Alles jagt und für alleme Beschäftigung nicht hinreichend, da eine Sache, die wegen ihrer Ueberfülle keinen Werth hat, nicht allein ernähren kann, und selbst blos vom Wilde leben — wl^oul-ü, pLi-llrix — ist etwas schwer! Ich cr-rathe es nicht, sagen Sie selbst, was trieb er für ein Gewerbe?" „Nun, er war ein freier Ungar!" „Ein freier Ungar? Ist das etwas Besonderes, Charakteristisches? Das seid ihr ja Alle!" „So? Wir danken schön; wir Räuber!" riefen die Uebrigen. 201 „Rauber!" verbesserte der Postmeister, „wer wird seinen Nebenmenschen allsogleich verdammen. Er nahm Niemand etwas mit Gewalt, er bat blos darum; ja lachen Sie nicht," wendete er sich an mich, „das ist die Manipulation dieser Leute; übrigens weiß man nichts Bestimmtes, denn er ist so klug, selten von jener Zeit zu sprechen, wenigstens nicht von sich, und dann ist er der beste Hüter unserer Felder, denn es traut sich Niemand, ihm zu nahcn. Uebrigens werde ich ihn auffodern, zu erzählen, wenn er wiederkommt, vielleicht sagt er etwas Neues, was wir noch nicht wissen." Wir hatten gespeist und einige Gläser goldklaren Wein getrunken, als der Feldhüter aus seinem kleinen Hause, in welchem er mit Weib und Kind wohnte, heraustrat und uns zuschritt. Ein ihm dargebotenes Glas Wein rollte behende durch seine Kehle. Seine schwarzen Augen sprühten freudig, als ob der Geist des Weines aus ihnen hcrausfunkclte, während er seine rauhe Brust mit der stachen Hand etwas rieb, um das Wohlgefühl der Wärme anzuzeigen, das die Glut des Weines erregte, und seine Nasenflügel bebten, erregt durch die Würze und den Geruch des duftigen Trankes. „Bei Gott, Herr!" sprach er, indem er das ____202_____ Glas zurückgab, und die letzten am Barte zurückgebliebenen Tropfen nachschlürfte, „bei Gott, so einen Wein habe ich nicht getrunken, seit ich von meinen Kameraden, das heißt von den Leuten, die mich damals gefangen hielten, wie ihr wißt, fort bin." „Wie ging denn die Sache zu, Miska? Erzähle es uns doch; ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern," sprach der Postmeister. ,,Nun, den Anfang könnte euch meine Frau besser erzählen als ich, hätte sie nicht jene Zeit so ganz und gar vergessen, daß man sie gar nicht zur Erinnerung bringen kann. Sie war zu jener Zeit meine Geliebte. Ich stand als erster Knecht in Arbeit, hatte zu essen genug, meinen Speck, mein Brot, mein Paprika-Fleisch, manchmal auch mein Glas Wein, 5N Gulden Lohn und Hcmd, Hosen und Rock, im Winter meine Bunda (Pelzmantel), was fehlte mir also? Was sollte ich da mit dem Gelde beginnen? Aufheben? Dazu kommt Einem erst der Sinn, wenn man viel der Jahre beisammen hat. Was wollt ihr? Ich war lustig. Sonntags im Wirthshaus ließ ich mir manchen Czardas (Wirthshaustanz, überhaupt der ungarische Tanz) aufspielen, und wenn die braunen Kerle, die Zigeuner, spielen, und man sich so recht abgestumpft und herumgedreht hat, wird man durstig. 203 Wer zählt da die Gläser? Man wird lustig, singt, umarmt die ganze Wclt und jauchzt. Wenn aber so ein kecker Bursche vorübergeht, klingt es euch in den Ohren, als hätte er gesagt: «Du bist schwächer als ich.» Da ballen sich eure Hände. «Was? >— schreit ihr — du willst mit mir anfangen?» Und kaum wißt ihr, wie es geschah, so ringt ihr mit dem kecken Burschen, liegt entweder am Boden, oder habt ihn niedergeworfen. Blaue Flecken und Beulen sind noch das Wenigste, was ihr bemerkt, wenn ihr, von dem Falle erschüttert, euch erhebt; denn der Fall hat euch ziemlich nüchtern gemacht. Aber mir ging es schlechter. Ich hatte einen Burschen, der mit meinem Mädchen freundlich sprach, niedergeworfen; ich stand auf, aber er nicht. Im Boden des Zimmers stand ein Ast aus der Diele hervor, und darauf war er mit dem Kopf gefallen. Das Blut rann, seine Augen waren geschlossen, er ganz bleich. Ich ergriff die Flucht, lief in den Stall, sprang auf ein Roß, warf die Bunda um, und jagte hinaus. Die Nacht war warm, mein Pferd lief, als ob es fliegen möchte. Ich warf den Mantel, der mir schwer wurde, auf das Pferd unter mich, und erst, als die Luft mein Hemd blähte und mich kühlte, kam ich zur Besinnung. Ich sah um mich, der Mond schien am 204 Himmel und sein heller Glanz erleuchtete weithin die endlose Pußta, Ich mußte wol einige Stunden auf dem Pferde gesessen haben. Wie ich eben anfing mich zu sammeln, und mein Pferd anzog, um es in einen langsamern Schritt zu bringen, stürzte es plötzlich auf die Vorderfüße nieder. Ich wollte cs aufreißen, jedoch der Ruf: «Wohin,Bruder?» ließ mich erkennen, daß das Pferd niedergerissen worden war und nicht strauchelte. „Wohin? gab ich zur Antwort, dann stockte meine Zunge, denn mir wurde klar, daß ich es selbst nicht wußte, und ich sagte es auch den Männern, die um mich herumstanden. Meine Angst, daß es Verfolger wären, legte sich, denn diese wilden Gesichterschienen selbst der Hayduken persönliche Bekanntschaft ebenso zu verachten, wie ich. Mein Hemd, welches im Mondlichte hell strahlte, und mein Pferd schienen mich in ihren Augen als einen wohlhabenden Mann bezeichnet zu haben, welcher deren mehre zum Wechseln besitze. Die Leute lachten laut über mich, als ich ihnen sagte, sie möchten mich weiter lassen. «Wohin willst du denn eigentlich«, fragten sie, «wenn du es nicht weißt? Ueberdics wirst du zu Fuß nicht weit kommen, denn dies Pferd gefällt uns, und wir wollen cs dir abkaufen!« riefen sie lachend; «bleibe bei uns, 205 wenn du keinen Dienst hast, da kannst du das Pferd behalten, und es wird dir gut gehen, wir sind Roß-Händler!» Was sollte ich machen, ihr Herren, ohne Pferd konnte ich nicht weiter, ich durfte nicht lange überlegen, denn sie hätten mich selbst auch nicht fortgelassen. Ich wurde also ihr Gefangener, und am Ende, dachte ich mir, ist der Dienst bei Roßhändlern auch nicht zu verachten. Da zog ich denn mit ihnen. Der Dienst war bald gelernt, da ich bei Pferden aufgewachsen, und bald hatte ich mir so viel verdient, daß mich meine Herren, da sie meine Geschicklichkeit schätzen lernten, zum Compagnon machten; aber fort durfte ich nicht, denn sie hatten ein schr wachsames Auge auf mich. Nur das Eine war mir als ächtem Ungar unleidlich: daß wir unsere Pferde nie lange behielten. Kaum, daß man sich an ein so liebes Thier gewöhnt hatte, wurde es gleich wieder verkauft!" „Ich glaube es wohl!" rief mein Freund lachend, „das deine verkauftest du wol auch bald?" „Ja, Herr, auf dem nächsten Markte, den wir besuchten. Da legten meine Herren und auch ich, bis auf Die, welche die Knechte waren, die schönsten Kleider an, sodaß wir reichen Bauern glichen, und wir verkauften unsere Pferde, hatten einen schönen 206 Erlös, und führten ebenso viele Pferde, als wir verkauft hatten, noch vom Markte, und dies die schönsten; denn ich versichere euch, ihr Herren, wir hatten eine solche Liebe zu schönen Pferden, daß jedes, von dem wir wußten, daß es ausnehmend schön war, es mag sich wo immer befunden haben, uns gehören mußte. Es wird diese Liebe zu den Pferden zu einer wahren Leidenschaft. Lacht nicht, ihr Herren, und habt keine strafenden Nebengedanken, denn es ist buchstäblich wahr, und mancher brave Hauswirth, dem nichts fehlte, ist als Gesellschafter, durch diese Liebe bewogen, zu uns getreten. Hat man ein solches Pferd eine Weile, sieh, da ist ein schöneres bei der Hand, und dieses muß unser werden; dasjenige, was man benutzt hat, wird verkauft, und nun wird alles Sinnen und Trachten auf Erlangung des Gewünschten verwendet. Weidet es frei auf der Pußta, nun, da ist der Kauf nicht schwer. Während Einer von uns mit dem Czikos feilscht, der uns an den Besitzer weist, probirt unbemerkt ein Anderer das schöne Pferd, wir reiten dann fort und haben das schlechte vergessen; das gute will von uns nicht mehr fort, und so reiten wir weiter. Am Jahrmarkt, im Gedränge, werden die besten Geschäfte gemacht. Jeder hat seinen bestimmten Platz, Einer von uns sieht stets 207 einen Zweiten. In dem allgemeinen Gewirre werden die Leute betrunken, und mit solchen schließt man dic besten Käufe. Lange halten wir uns ohnedies nie auf. Nur muß man sich zum Markte immer anständig und anders als gewöhnlich anziehen, damit man bei den Comitats-Hayduken ein Ansehen gewinnt; denn wenn man schlecht angezogen ist, spielen sie immer den Vertrauten und wollen Einen als alten Bekannten nicht loslassen. Es ist ein bewegtes Leben, wenn man so frei ist, man hat keinen bestimmten Wohnort. Bald m der Stadt, bald im Wald, bald im Kukuruzfelde, bald auf der leeren Pußta hat man seine Stätte. Doch was Annehmlichkeit, die schönen stinken Pferde gehen über Alles! So dahin zu jagen über die grüne Haide, die Schenkel an den Leib des schlanken Pferdes gepreßt, das dahinschicßt und gleichsam in der Luft zu stiegen scheint, wie der Funke, der vom Stern in der Nacht herabfällt, das ist eine Freude!" „Besonders wenn die Hayduken auf der Pußta euch die Pferde abkaufen wollten?" unterbrach ihn der Postmeister. „Da geht es schnell, Herr, dem Wind voraus, der den Staub vor sich her treibt. Doch sind ihrer 208____ Viele, und sind sie ausdauernd, im Augenblick sind wir von den ungcsattelten Pferden herab, Einer bleibt im Hemd und Leinenhosen auf seinem Pferde und treibt als Czikos die Pferde vor sich her auf die Weide. Wir bleiben ruhig liegen, machen Feuer und richten unser Essen; unsere Gewehre stecken in unsern Pelzen. Bleibt der Czikos ungefährdet, nun gut; wenn nicht, so hat er noch Zeit, die Pferde uns entgegen zu treiben; die Gewehre schützen uns vor Angrissen, und die schnell bestiegenen Rosse machen uns die Flucht wieder möglich. Was nicht zu retten ist bleibt gewöhnlich zurück. Doch da wir unser Mehre waren, in einzelnen Trupps zogen, Einer voraus, Einer zurück, geschah selten so schwerer Handel. Ge^ wohnlich, wenn diese Blaujacken kommen, fliegt man auseinander, so, daß Einer soweit sich vom Andern entfernt, daß man sich noch sieht. Dann ziehen sie mitten durch, und bemerken höchstens einen einfältigen Bauer, der auf einer schlechten Mähre semes Wegcs zieht. Das ist nichts Auffallendes, bei uns reitet ja Jeder. Ja, ich lobe mir die Pußta, sie ist frei, wie das Leben darauf. „Doch nur zwei Jahre war ich in der Fremde Pferdehändler. Man wagt da doch zu viel, es ist kein sicheres Brot und selbst der beste Kenner ver- 209 liert oft beim Pferdchandcl. Wir hatten viel Unglück: ich hatte^ einen Schuß durch das Bein bekommen, durch Zufall einmal von einem Hayduken, der glaubte, ich renne mit meinem Pferde davon, und da ich mir nicht viel verdiente, so war ich froh, als ich eines Tages auf dem Jahrmärkte den Burschen gesund und rüstig sah, den ich todt glaubte. Nun beschloß ich nach Hause zu gehen." „Ließen die Roßhändlcr dich denn los aus der Gefangenschaft?" „Ich mußte mich loskaufen. Ich kam zurück. Zum Glücke brachte ich meinem Herrn ein gekauftes Pferd um die letzten Gulden, die mir blieben; er nahm mich wieder in Dienst. Mein Weib wollte wol anfangs nicht — jedoch es machte sich, und als ich Feldhüter wurde, hcirathcte ich sie. Und nun bewache ich eure Felder und die meinen auch, die ihr mir dafür zur Benutzung laßt, und ich hoffe, ihr Herren, ihr seid mit mir zufrieden." „Ganz gewiß!" sagten die Feldbesitzer, die ebenfalls Ernte hielten und zu uns getreten waren, „Miska, die Diebe fürchten dich wie Feuer!" „Das sollte ihnen auch meine Flinte geben!" Slllllcl'cn an dcr Theiß. 14 210_____ „Hat sie noch Niemand getroffen?" fragte mein Freund leise den Feldhüter, als sich Alle erhoben hatten und auseinander gegangen waren. „Einen, Herr, von den Roßhändlern" mußte ich —" sagte er leise, still vor sich hinsehend; „mich traf das Loos; er hatte Einen von uns bestohlen." XI. Eine serbische Ballade. Es war bereits kalt und frostig. An der Theißbrücke fanden wir eines Nachmittags einen blinden fahrenden Sänger. Er saß auf einem Ecksteine, und strich mit dem Bogen, den er in seinen kalten, zitternden Händen führte, über die einsaitige Geige, die Guslc. Der monotone Gesang wurde durch die monotone Begleitung nicht gehoben. Viel Volk umgab den Sänger. Wir ließen ihn ins Haus kommen. Nachdem er sich an dem mit Stroh geheizten, weiten Ofen erwärmt, und an gebratenen Kastanien und rothem Wermuthweme gelabt hatte, sang er mehre serbische Balladen. Eine, die mir vor allen gefiel, lautete: 14* 212 ^ „In der Veste Sebmiko Sitzen dreißig kühne Reiter, Unter ihnen Wuk Ierinitsch, Ein verweg'mr junger Streiter. Gold'ner Wein hat ihn erhitzt, Hell sein dunkles Auge blitzt; Aufschreit er: Ihr lieben Brüder, Habt ihr's noch im Angedenken, Wie geseh'n einst eure Augen Türkenscharen reißend schwenken Von Udbinja in das Land? Wer war's, der die Türken führte, Der die Mädchen froh entführte, Und begehrend kühn ein Pfand, Unsre Heldenhaupter mitnahm, Fort die Männer zog als Sklaven, Uns erschlug die Tapfern, Braven, Und dann, unverfolgt, entkam? Wuk Ierinitsch, junger Falke, Ja, wir haben es gesehen, Eingeprägt sind dem Gedächtniß Blut'gm Krieges herbe Wehen! Als die Türken bei uns waren, Führte Sukan ihre Scharen; Sukan von Udbinja war es, Der die Männer uns erschlagen, 213 Der die Sklaven fortgeführet, Der die Mädchen fortgetragen! Als Iennitsch dies vernommen: Aus dem glänzenden Gesieder Eines Raben eine Feder Riß er, setzte sich dann nieder, Schrieb: O Sukan, Haupt der Türken, Was dies Blatt dir kündet, höre: Leicht war's, an der Türken Spitze, Als der Führer vieler Speere, Unser Land weit zu verheeren; Denn du mochtest damals hören, Daß der Wuk noch fast ein Kind, Daß er noch zu Noß nicht sitze, Und daß seines Schwertes Spitze Dich noch nicht zu treffen sind'; Aber jetzt bin ich ein Held Und ich ruft dich ins Feld! Bei Grahowo sei der Kampfplatz-, Willst du einen andern — wähle; Doch, daß Niemand dir zur Stelle Folge, als dem größter Schatz! — Bring' Haikuna, deine Gattin, Der im ganzen Türkenland Keine gleicht an hoher Schönheit, Bringe sie an deiner Hand. ____21^ Angelia, meine Schwester, Als die Herrlichste der Frauen In dem Küstenland bekannt, —- Du wirst meinem Wort' vertrauen — Soll allein nur mich begleiten; Wer im Kampfe unterliegt, Der verlier' sein Weib, die Schwester, Sie gehören Dem — der siegt! Sukan hat das Blatt empfangen, Hat es lächelnd angeschaut, Sich bezwingend es gelesen, Herzlich dann gelacht und laut. Als Haikuna frug den Gatten: Wer den Brief an ihn gesendet, Ob es seine Feinde thaten? Sprach er: Nein! Ihn hat gesendet — O Haikuna, treue Gattin — Aus der Ungläubigen Lande, Aus der Beste Sebeniko, Wuk Ierinitsch. Feste Bande Haben kürzlich uns vereint, Denn Verbrüderung geschloffen Hab' ich mit dem neuen Freunde. Nun schreibt er, daß er entschlossen Sei, mich festlich zu empfangen. Er woll' seh'n mich und beschenken, 215 Daß ich immer sein gedenken Mög' mit liebendem Verlangen: Stets von neuem ihn zu sehen! Wenn sodann vereint wir stehen, Sollen wir vor Gott beschwören Die Verbrüd'nmg, die Verbindung: Daß fortan wir angehören Uns mit herzlichster Empfindung! Noch erfleht des Bruders Dringen, Gattin, dich mit hinzubringen! — Rufend heißt er seine Diener, Daß zwei Rosse sie ihm rüsten, Die alsbald nach Sebeniko Ihn im Fluge tragen müßten! — Und zwei Rosse eilend fliegen Nach dem eb'nen Küstenland', Bis daß Sukan auf Grahowos Fruchtbar eb'nem grünen Land Sieht zwei schöne schwarze Noffe Vor 'ncm reinen, weißen Zelt, Das hell leuchtet auf dem Feld! Als Haikuna dies erblickte, Fragte sie den theuern Gatten: Wer die schwarzen Rosse schickte Nach den grünen Wiesenmattcn? Sukan sprach: Was du erblickt, 216 Hat der Bruder uns geschickt! Und es eilen beide Reiter Immer vorwärts, immer weiter, Bis sie angelangt am Zelt, Das hell leuchtet auf dem Feld. In dem Zelt sitzt Wuk, der Jüngling, Trinkend süßen dunkeln Wein, Den Angelia, seine Schwester, Schenkt in gold'ne Becher ein! Von dem Noffe steigt der Türke, Nicht begehrend Schwur und Treu', Und Haikuna, feine Gattin, Tritt mit in das Zelt, ohn' Scheu. Als der Türk' ins Zelt getreten, Sprang der Wuk schnell in die Höhe, Wie am Morgen, Waffer suchend, Leicht hinspringcn kluge Rehe. Eclinell küßt er des Türken Wangen, Halt umarmend ihn umfangen! Beide setzen sich und trinken Dunkeln, süßen, kühlen Wein; Als der Tag beginnt zu sinken, Spricht der Christ: Der Sonne Schein Färbt schon roth des Himmels Blau. Heiß' nun deine treue Frau Ihren weißen Schleier heben, 217 Daß ihr Antlitz ich erschau', Dieses Antlitz, weiß und blendend, Ob es einem Christen eben Wie 'nem Türken wohlgefallt? Sukan, sich zur Gattin wendend, Heißt ihr's — und der Schleier fällt! — Offen zeigte sich das Antlitz, Das der warmen Sonn' gleich strahlte! Als es Wuk Ierinitsch schaute, Kaum er seinen Sinnen traute. In den dunkeln Augen malte, Und auf seinen rothen Wangen Sich ein sehnendes Verlangen, Und sein Herz begann zu schlagen Daß die Vrustbeschlag' erklangen Und die goldene Tchelcnka, Die er auf dem Haupt getragen! Darauf sprach der Führer Sukan: Christ, o Wuk von Sebcniko, Heiß' den gold'nen Uebcrthan Ab die liebe Schwester nehmen, Daß auch ich ihr Antlitz schaue, — Denn hell scheint das tiefe blaue Auge durch das Goldgewebe, — 218 Ob es auch auf einen Türken Zauberähnlich werde wirken? Und den gold'nen Schleier ließ Wuk die Schwester hoch erheben. Auf, mit freudigem Erbeben, Sprang der Türke schnell empor. Als er dieses Antlitz sah, Nief er staunendi O Allah! Auf! O Wuk, du froher Zecher, Lasse stehen Wein und Becher, Zur Genüge ist gestoffen Gold'ner Wein, nun zu den Rossen! Wuk schnell, leichten Fußes sprang Von dem Sessel, und die Wang' Sich die beiden Helden küßten. Sie verzieh'n stch Blut und Tod, — Als ob sie sich todten müßten; — Ein Gebet dann noch zu Gott, Und bereit zum Waffcntanze Griffen Beide nach der Lanze, Und die Noffc, kaum bestiegen, Sah man Beide weithin stiegen. Als sie einen Kreis geritten, Kehrten wieder sie ;urück, 219 Und mit sehnsüchtigem Blick, Mit gar freundlich müh'ndem Bitten Zu Angelia sprach der Türke: , Maid du, mit dem süßen Munde, Steh' mir bei, wenn mich im Kampfe Träfe eine Todeswunde! Doch wenn mir das Glück ist günstig, Sollt' den Bruder ich erschlagen, Will ich bitten dich inbrünstig, Daß du mögst die Krone tragen! Du sollst herrschen hier auf Erden — Deine Sklavin soll Haikuna werden! Drauf sprach Wuk, der schöne Jüngling: O Haikuna, schönste Frau, Wenn im Kampfe ich erliege, Ich auf deine Hülfe bau'! — Hör': Ich bin noch nicht vermählet, Doch, wenn ich im Kampfe siege, Schwör' ich dir, daß dich nur wählet Wuk — der nie sprach eine Lüge — Zur geliebten einz'gen Frau! Vier der Dienerinnen, schau, Ich im weißen Hofe habe, Die gewann ich in der Schlacht, Doch zu deiner Morgengabc Werden acht dir zugebracht! 22U Als Haikuna dieses hört, Sinnend sie, ganz leise, schwört: Will die Frau des Christen werden, Eh' als Sklavin ihr auf Erden! Weithin flog der Türk' ins Fcld, Wuk hielt ruhig nah' am Zelt. Als der Türke wuthentbrannt, Nückgesprengt, auf ihn gerannt, Stand er fest und unerschüttert, Leicht nur hat der Rapp' gezittert, Daß des Türken starker Speer Stob in Stücken rings umher! Jetzt ritt Wuk, der Türke stand, Hoch den Speer in seiner Hand. Wuk flog auf dem hohen Rosse; Doch dem anstürmenden Stoße Widerstand der Turk' mit Kraft, Daß in Stücke brach der Schaft. Beider Lauzcn sind zerschellt, Und es stößt nun Held auf Held Mit gekrümmten scharfen Klingen, Die von ihren Griffen springen; Doch aus tiefer rother Wunde Blutet Wuk. Er glaubt, die Stunde Seines Todes nah' heran; 221 Doch noch ein mal bricht er Bahn Sich und seinem schwarzen Nosi, Und ein ausgeholter Stoß, Ein verzweifelt festes Hangen An des Türken braunem Nacken, Der Wuk an dem Leib zu packen Sucht, wirft Beide von den Noffen. Beide auf dem Boden rangen, Beide ihre Arm' verschlangen Ineinander, und das Gras Ward von rothem Blute naß. Schaumbedeckt ist Beider Antlitz, Ihre Augen sind umdunkelt Von dem Schmerz und von dem Blut-, Doch der trotzig kühne Muth Aus dem Aug' bricht, wie der Blitz, Der in schwarzen Nächten funkelt! Als dies schaut der Türkin Blick, Fliegt sie über das Gefilde, Nafft im Lauf die Sabclstück', Die am grünen Boden liegen, Und das Auge, sonst so milde, Flammt hoch auf; und auf die Streiter, Die sich wuthcntbrannt bekriegen, Stürzt sie los! — Halt ein, nicht weiter! Nuft Angelia, schreckensbleich. 222_____ Nicht der Bruder darf erliegen Eines Weibes weicher Hand; Seh' ich ihn, durch dich, als Leich', An des Grabcs dunklem Nand, Will ich selbst die schweren Waffen Von dem blut'gen Boden raffen, Und mit spitzem Stahl dir brechen Aus die Augen — so mich rächen! Nasch, doch leise, sprach Haikuna: Angelia, bleibe ferne, Nicht den Bruder will ich todten, Mögen beisieh'n ihm die Sterne! Tressen will ich meinen Feind, Der es grausam hat beschlossen Mich als Sklavin dir zu geben, Enden will ich nun sein Leben! — In des Türken starken Leib Stach sie mit dem scharfen Stahle, Wo befestigt war die Schale, Die, gefüllt, den Durst einst stillte, Nun mit rothem Blut sich füllte. So tief war der Stahl gedrungen, Daß man sah das Weiß der Lungen! D'rauf bezwang der Christ den Sultan, Schleudert hin ihn auf den Plan. 223 Doch auch er brach selbst zusammen, Seine Augen weich verschwamme«. Aengsilich eilen beide Frauen, Die mit trüber Seele schauen Hin den Vielgeliebten sinken. Sie verbinden seine Wunden, Laben ihn mit gold'nem Weine. Aufschlägt er das Aug', und trinken Muß er tief in vollen Zügen. Als er wieder Kraft gefunden, Und ihn stützten seine Beine, Sah man ihn aufs Noß zu fliegen, Beide Frauen kräftig schwingen In den Sattel, und im Flug Sie der schlanke Zelter trug. Als getauft die schöne Frau, In der Kirche hohem Bau, Wurde sie sein trautes Weib, Und gesegnet ward ihr Leib. XII. Gin Magyarone. (2o drückend die Hitze im Sommer gewesen, so empfindlich war hier der erste Frost, der die Grashalme mit Reif überzog und das Schilf sinken machte. An einem Tage des Spätherbstes holte mich der Arzt des Städtchens ab, indem er mich einlud, mit ihm nach Magyar-Kanischa hinüber zu fahren, woselbst die Wahl der Vorstände des Lesecasinos vorgenommen werden sollte. Auch diese Wahl nannte er ti82iujit38, obwol dicse Bezeichnung eigentlich nur der Wahl der Comitatsbeamtcn beigelegt wird. Wir kamen in dcm Wirthshaussaale an. Er begann sich zu füllen. Ich ging mittlerweile in die Lesezimmer und besah die Zeitungen. Da lagen alle ungarischen, eine in Pesth erscheinende serbische, und nur die einzige deutsche Pcsther Zeitung, obwol mehre Mitglieder dieses Casinos Deutsche waren. Ein Deutscher, ein alter Arzt, war eben mit mehren Ungarn im Lesezimmer anwesend und stritt mit ihnen, 225 indem er sich vergeblich anstrengte in Zorn zu gerathen, warum nur eine einzige deutsche Zeitung aufliege, während so viele ungarische da scien; wie dic deutschen Mitglieder, die ebenso viel als die ungarischen beitrügen, dazu kämen, so zurückgesetzt zu werden. „Wartet nur," rief er, „ich werde in der Versammlung einen Heidenlärm erheben, ich werdc die Vorstände stürzen, ha ha!" Dieses gemüthliche Lachen, das sagen zu wollen schien: „Seid nur nicht böse, ich rede blos im Scherze," warf ihn auch völlig aus seiner erkünstelten Aufregung, und Arm in Arm ging er plaudernd und scherzend mit den Ungern weiter. Er erwähnte auch später nichts von seinen Beschwerden. Unterdessen hatte sich der Saal gefüllt. Rings umher saßen die Mitglieder des Casinos; in der Mitte an einem Tische der Vorstand, der Herr Stuhlrichter, der die Wahl leitete, und zwei Schreiber. Einige einleitende Worte des Präsidenten eröffneten die Wahl. Da trat der ^sliütt (Geschworene), der Unterbeamte des Stuhlrichters, hervor und begann: „Edle und hochmögendc Herren! Ich glaube dic Wahl nicht aufzuhalten, wenn ich vorerst die Herren auffoderc, den wemgen Worten, die ich im allgemeinen Interesse angemessen finde vorauszuschicken, die gütige, nöthige, ungethcilte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich bin voll Stillleben mi dcr Thciß. 15 226____ kommen überzeugt, daß ich die Gefühle, welche die Herzen aller Anwesenden erfüllen, aussprechc, wenn ich dem Herrn Präsidenten, dem edeln und adeligen, hochmögendcn und würdigen Herrn Stuhlrichter, fiir die unermüdliche Sorgfalt, die aufopfernde Großmuth, womit er dieses Institut gegründet, den kleinen Samen zwar, aber die Ursache unendlicher Wirkungen, nämlich der immer sich verallgemeinernden Bildung, der erweckten Vaterlandsliebe und des Frciheitssinnes, der alle ungarischen Herzcn hoch auflodern läßt, den innigsten Dank ausspreche!" Lebhafte „Eljens", wobei sich Alle erhoben, und der Stuhlrichter gnädig und freundlich lächelnd dankte. „Ich sage ferner nochmals den lebhaftesten Dank dem geehrten Vorstande, dem adeligen, edcln, hochmögenden Herrn Stuhlrichtcr, für die außerordentliche Aufopferung, womit er zum allgemeinen Wohlc sich herabließ, die drückende Bürde eines Präsidenten dieses Lesecasinos anzunehmen, und auch im verflossenen IalM die Mühe nicht scheute, Alles aufzubieten, um unser Institut in den hohen Flor zu bringen, in welchem es sich zu dieser Zeit befindet und, will es Gott und die edeln Herren, auch fortan sich befinden soll." Wiederholte Zurufe und Beifallsbezeigungen, untermischt mit klMiunk! (Hört!) 227 „Ja, meine Herren, ich bin fest überzeugt, ihre Weisheit wird den richtigen Pfad betreten, der allein zum Glücke führen kann. Ich baue so vollkommen darauf, daß ich nur unser Aller einstimmigem Hcr-zcnsdrang Worte verschaffe, wenn ich in kurzem — ohne crst weitläufig auf die Verdienste des cdeln, adeligen und hochmögenden Herrn Stuhlrichtcrs aufmerksam zu machen, was bei der Last, die er zu übernehmen die gütige Gewogenheit haben soll, nur Beleidigung sein könnte — den Herrn Präsidenten im Namen von all' den verehrten Herren bitte, nochmals seine schon so oft mißbrauchte Güte dem Institute wieder angedeihen zu lassen, und die ehrende Würde cincs Präsidenten von neuem anzunehmen." Man kann denken, welch' ein Sturm von „Eljcns" die Wände erschütterte und daß der Sttchlrichtcr i»«r neolÄMktionein neuerdings für das folgende Jahr zum Präsidenten erwählt wurde. Er, der bishcr bescheiden und freundlich lächelnd dagesessen hatte, erhob sich demnach, und sprach in einer kurzen Ncdc gerührt dankend seine Gefühle aus, wie er das hohe in ihm gesetzte Vertrauen nicht verdiene, sich aber alle Mühe geben werde, u. s. w. Nun trat der Herr Notar auf und sprach dem cdcln, adeligen, geehrten Herrn Polizeirichter ebenfalls 228 den Dank der Versammlung aus für die Verdienste, die er als Vorstand-Stellvertreter sich erworben und deren Erwähnung er nun gnädigst entgegennehmen wolle, schlug diesen zur Beibehaltung seiner Würde vor, was ebenfalls mit Acclamation angenommen und verzeichnet wurde, wogegen der Hcrr Polizeirichter nicht unterlassen konnte, auf dieselbe Art dem Herrn Notar abermals zur Würde des Kassirers zu ver^ helfen. Dann rief er noch einige Herren zu Ausschußmitgliedern aus, und Alle waren so cnthusiasmirt, daß seine weitcrn Vorschläge nicht mehr abgewartet wurden, sondern die Gesellschaft, die anfangs ruhig dagesessen, aufsprang und Jedes Namen rief, von denen Diejenigen, die am lautesten gerufen wurden, als Ausschüsse bezeichnet zu werden, das unendliche Glück hatten. Der allgemeine Jubel und die Freude über das so vortrefflich vollführte Geschäft mußten natürlich durch etwas Wesentliches erhalten werden, damit sie nicht ununterstützt verflüchtigten. Schnell wurde ein langer Tisch im Saale hergerichtet, Tischtuch, Teller und Eßgeräthe waren im Nu da, die hohen Flaschen mit weißem und rothem Weine harrten sehnsüchtig ihrer noch sehnsüchtigem Liebhaber, und bald dampften Suppe, Paprikahühnerund bei uns sogenannte Zweckcrl mit Käse auf dem Tische. Alle setzten sich, und dic 229 von Szegcdin eigens beschiedenen Zigeuner singen an zu spielen. Es waren bei hundert Personen zu Tische, die Tafel war auf Kosten des Herrn Stuhlrichters, des Cafmopräsibenten, hergerichtet worden,--------- Die Vortrcfflichkcit der Tischreden und Speisen zu beschreiben ist unmöglich, denn ich konnte kein cm von beiden meine ungetheilte Aufmerksamkeit zuwenden. Von allen Seiten wurde zugetrunken, und wenn ich auch nur jedem Glase einen Schluck entgegensetzte, so war es mir doch unmöglich, die nöthige Klarheit zu behalten, die mich, um ruhig zu beobachten, im Stande erhalten hätte. Mit dein Stlchlrichtcr war ein Fiscal da, von Geburt ein Serbe, seiner Gesinnung nach, so weit man nämlich dem äußern Anscheine nach urtheilen konnte, jedoch ein entschiedener Magyaronc, wie man die Anhänger der Magyaren in neuester Zeit in Agram zu taufen beliebte. Nach beendeter Mahlzeit nun, nachdem Alles des Guten genug gethan, kam er auf mich zu mit emporgehobenem Glase und sing an, mit tiefem Gefühle und beinahe vor Rührung bebender Stimme, mir eine Lobrede zu halten. „Ja," rief er, „wir Alle ehren Ihr Verdienst! Sic sind von weitem hergekommen, uns kennen zu lernen, unser Land, das Paradies der Erde, kennen zu lernen! Ruhm und Ehre Ihnen! Sie werden von uns erzählen; 230 wir kennen uns selbst nicht, wir haben zu wenig Kenntnisse, aber Sie bci Ihrer Bildung —" Tief ergriffen von diesen Complimenten stieß ich, bescheiden ablehnend, mit meinem Glase an das seine an, daß der helle Klang seine Worte übertönte. Er riß mich in seine Arme, herzte und küßte mich, ein „Eljen" erschütterte die Näume, die Gläser klirrten, und das Alles überschmetterte die Zigeunermusik. „Kommen Sie," rief er, nachdem sich der Lärm gelegt hatte, „kennen Sie unsere wunderbaren Nationalmelodien? Zigeuner auf, spielt den 1Iäkoo2i 82«. moi-u (den traurigen Räkoczi). Die ergreifendsten Trauertöne durchzittcrten den stillen Saal und der Fiscal wiegte sich schluchzend, indem er mich krampfhaft an sich preßte, leise mit mir hin und her. Plötzlich erweckten die lebhaften Töne des zweiten Theiles Lust und Leben. Alle singen an zu jubeln und zu tanzen, und mich drehte mein Fiscal so lange herum, bis ich, vom Weine ohnedies betäubt, alles Bewußtsein verlor. Kanischa wurde ein Schutthaufen. Db noch Jemand von Denjenigen lebt, deren ich mich hier erinnerte, weiß ich nicht; doch mag ich nicht daran glauben, daß Mes todtist! Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. > "-