> * -- 4 ; S ■ DIE BEDEUTENDSTEN K U N S T WE R K E MIT BESONDERER RUCKSICHT AUF A. ZEEHES LEHRBUCH DER GESCHICHTE ZUSAMMENGESTELLT UND BILDWEISE ERLAUTERT VON Dr. ALFRED MOLLER. I. TEIL: DAS ALTERTUM ===== LAIBACH 1906 == DRUCK UND VERl.AG VON IG. v. KLE1NMAYR čt FED. BAMBERG ! HERRN O. 0. UNIVERSITATSPROFESSOR HOFRAT im JOSEF STRZYGOWSKI IN AUFRICHTIGER VEREHRUNG DER VERFASSER Vorrede. Del' Verfasser eines Buches, das nur als Erganzung eines Schulbuches auf- tritt, darf wohl etwas ausfiihrlicher, als es sonst iiblich ist, das Wort ergreifen, um seine Arbeit einzufiihren. Von jeher hatte flir mich das Thema von der Kunst im Erziehungsplan hohes Interesse und ich empfand daher nach kurzem Bedenken und einigem Bangen aufrichtige Freude, als mein hochverehrter Lehrer Herr o. o. Universitatsprofessor Hofrat Dr. Josef Strzygowski in Graz anlafilich einer Anfrage mich fur die vorliegende Arbeit in Vorschlag brachte. Die Hauptschwierigkeit, mit der mein Buch von Anfang an rechnen muDte, besteht in dem loseren Verhaltnis, in dem es zu Schiller und Schule steht. Kein Fachlehrer wird es als Unterlage seiner Vortrage beniitzen, keine selb- standige Unterrichtsstunde dient seiner Einfiihrung. Wenn im Geschichtsunter- richt eine kurze, allgemeine Ubersicht iiber die Entwicklung der Kunst gegeben wird; wenn der Religionslehrer einmal dieses Buch aufschlagen lafit, um im Anschlufi daran das Wesen der friihchristlichen Baukunst zu erortern; wenn im deutschen Unterricht im Zusammenhang mit Goethes Aufsatz liber das StraO- burger Miinster das im folgenden liber die Gotik Gesagte eingesehen wird, so mufi ich — die Betrachtung einiger antiker Denkmaler im klassischen oder im Zeichenunterricht eingerechnet — vollauf zufrieden sein. Bildet zu ali dem mein Buch die gemeinsame Grundlage, so diirfte das wohl den Vorteil bringen, in die von yerschiedenen Lehrkraften geiibten Einzelbelehrungen ein gewisses System zu bringen und die Verbindung zwischen den gesondert gebrachten Vortragen fur den darnach verlangenden Schiller herzustellen. Die Bestimmung meiner Arbeit als Erganzung eines in der Schule be- nutzten Lehrbuches hat eine gewisse Enge in der Stoffwahl zur unabweisbaren Pflicht gemacht. Ich bringe nur eine mafiige Anzahl von Bildern; denn ich halte die eingehende Beschaftigung mit wenigen bedeutenden Werken fur wichtiger als das flilchtige Anschauen vieler. Hat der Schiller einmal die hervor- ragendsten Kunstschopfungen in ihrer wesentlichen Bedeutung erfafit, so findet er den Weg zu anderen von selbst. Aul3erdem ermoglichte nur die Beschrankung in der Auswahl der Bilder eine ausfuhrliche Behandlung im Texte. Diese aber hielt ich fur notivendig. Soli ich doch ganz das Wort des Lehrers ersetzen, Fragen iiber Form und Inhalt, iiber die kunstgeschichtliche Einordnung und den Wert der behandelten Werke vollig erschopfen. Dafl ich aber jedem Bilde einen selbstandigen Text gab, VI geschah, weil ich damit dem Schiller, auf dessen guten Willen ich ja mit meinem Buche ganz angewiesen bin, am iibersichtlichsten zu bleiben hoffte, und weil ich denke, ihn so am ehesten fesseln zu konnen. Er findet' so im ganzen Buche (im Gegensatz zu den hergebrachten kunstgeschichtlichen Handbiichern und «Abrissen der Kunstgeschichte») keine Zeile ohne direkte Beziehung auf eine Abbildung, hort von nichts, was er nicht zugleich auch sieht. Was niitzt es, sich auf Kunstwerke zu beziehen, sie zu tadeln oder zu loben, wenn der Schiller schliefilich Name und Urteil zu gedankenloser Aufzahlung einlerne; was niitzt, wenn ihm nicht zugleich die Anschauung jedes Kunstwerkes und die Moglichkeit einer Uberpriifung meines Urteils verschafft wird? Ziichtet man damit nicht geradezu jene heute so zahlreichen Vertreter einer Scheinbildung, die es sich geniigen sein lassen, von Dingen zu reden, von denen sie nicht mehr ivissen, als dafi und von wem sie sind ? Die Furcht zu ermiiden bestimmte mich auch, in der Darstellunsf der orientalischen Kunst von einer Vorfiihrung der kunstgeschichtlichen Entwicklung abzusehen und die entsprechenden Abbildungen als eine Art Vorschule des Folgenden lediglich als Anschauungsmaterial zu bringen. Auch spater habe ich moglichst von allen historischen und biographischen Einzelheiten abgesehen, habe vor allem Jahreszahlen nach Moglichkeit vermieden. Der Schiiler soli nicht in aufierlicher Weise durch miihselige Einpragung von Jahres¬ zahlen lernen, dafi z. B. der Tempel des Herkules zu Cori alter ist als die Maison carre zu Nimes, der Demetertempel zu Pastum alter als der Parthenon zu Athen. Ich habe versucht, solches dem Schiiler aus inneren Momenten heraus klarzustellen, durch Einblick in die Entwicklung ihm Kenntnisse in nachhaltigerer, tieferer Weise einzupragen, als es durch rein mechanisches Auswendiglernen erreichbar ist. (Vgl. im I. Teil die Worte zu den Abbildungen 45, 51, 107 und 108.) Der Wunsch, stets anschaulich zu bleiben, liefi mich trotz mancher dem Fachmann naheliegender Bedenken das Charakteristische der Kunst jedes Zeit- alters besonders stark hervorheben und alles Gemeinsame darin zu jenen Gruppen sammeln, die man noch immer als «Stilarten» zu unterscheiden pflegt. Auf den Zusammenhang, den die liickenlose Vorfiihrung vollstandiger Ent- wicklungsreihen gibt, mufite ich aus den angedeuteten Griinden durchaus ver- zichten. Ich versuchte diesen fiir ein Schulbuch unabwendbaren Schaden der «Auswahl» dadurch auszugleichen, dafi ich durch steten Vergleich Verbindungen zwischen den einzelnen Kunstperioden herzustellen suchte, so dafi sich gewisser- mafien die eine Beobachtung durch die andere miihelos behalten lafit. So erlautere ich das Wesen der deutschen Meister in ununterbrochener Gegeniiberstellung zu den Werken der italienischen Kiinstler, den romischen Tempel im Hinblick auf den griechischen, die christliche Kunst im Vergleich mit der antiken u. dgl. m. Dabei habe ich nirgends eine Erscheinung auf Kosten der anderen verurteilt, z. B. nicht die italienische Gotik durch Herabsetzung gegen die deutsche. Der Schiiler soli alles als Zeit- und Individualerscheinung wiirdigen lernen, er soli gerade durch VII den kunstgeschichtlichen Unterricht Verstandnis fur die durch die Eigenart und den Charakter der Lander und Volker bedingten Unterschiede erhalten und Vor- sicht im Urteil nicht zuletzt in der Beschaftigung mit der Kunst iiben lernen. Ich bin mit Werturteilen iiberaus zuriickhaltend gevvesen. Den Wortchen «schon» und «haI31ich» bin ich in weitem Bogen aus dem Wege gegangen. Der Schiller soli sich kein Urteil aufdrangen lassen, so wenig als eines leichtsinnig fallen; er soli aber am wenigsten mit so billigen Bezeichnungen wie «schon» und «nicht schon» um sich werfen, Bezeichnungen, die nur dazu dienen, Gedankenmangel und Ratlosigkeit des Betrachters zu verdecken, und die die Waffen jener bilden, die einer ernsteren Auseinandersetzung, einem tieferen Eingehen auf Kunstwerke ausweichen wollen. Es ist keine Schande, im Anblick eines Kunstwerkes langere Zeit schweigend zu verharren. Das sind keine ernst zu nehmenden Kunsthallenbesucher, die es fur erforderlich halten, alles moglichst schnell mit den Ausspriichen «reizend» oder «gra01ich» abzutun. Echtes Kunstverstandnis und wirkliche Achtung vor der Kunst findet in Be- urteilung von Kunstschopfungen Worte von mehr charakteristischem Klang, Bestimmungen von verstandiger Klarheit. Vermeide auch der Schiiler, ein Kunst- werk in der angedeuteten Weise kennzeichnen zu wollen, um nicht zuletzt einer geistlosen Schongeisterei in die Arme zu treiben. Diese Ausdriicke beleuchten in ihrer Oberflachlichkeit und Seichtheit (sie passen auf Millionen Dinge gleich gut und gleich schlecht!) hochstens die Stimmung des Beschauers, der damit zum Kunstvverk kommt, statt dieses an sich herankommen, d. h. statt es einige Zeit auf sich wirken zu lassen. Sie erklaren nichts, geben keinen Weg zum Verstandnis einer Schopfung. Der Mannigfaltigkeit des kiinstlerischen Schaffens kann man nur gerecht werden, wenn man sich jedesmal fragt: «Was vvill der Kiinstler mit seinem Werke?» Ausdriicklich weise ich darauf hin, da!3 meine Bemiihungen auch den minder Begabten gelten, ja dafi manche Ausfuhrlichkeit, manche Breite gerade ihnen zuliebe entstand. Dennoch glaube auch ich, daG mancher Schiller trotz allem auch zu einem geringen Kunstinteresse nicht zu erziehen sein wird. Wie mancher nicht imstande ist, mit Leichtigkeit die zur Losung mathematischer Probleme notigen psychischen Leistungen aufzubringen, so wird eine noch viel gro!3ere Anzahl nicht jene Tatigkeiten zu vollziehen imstande sein, die das GenieGen von Kunstwerken einmal durchaus voraussetzt (Stellen von Annahmen* lebhafte Vorstellungskraft, produktive Leistung im Nachfuhlen usf.), Jedes Kunst¬ verstandnis bedingt auGerdem eine gewisse Fahigkeit zu selbstandiger Be- obachtung der Natur. Wo diese geistigen Beziehungen zum Leben fehlen, da fehlt auch ein fur allemal die Brucke zum Verstandnis und GenuG der Kunst. Trotzdem ist die Beschaftigung mit der Kunst auch fiir wenig Befahigte nicht nutzlos. Enthiillt sie diesen auch nicht ihre vollen und hochsten Werte, so gibt sie doch, in entsprechender Weise vermittelt, jedem einige nicht zu * liber «Annahmen» als psychische Vorgange vgl. S. 6 unten. VIII unterschatzende Vorteile. So scharft der der Kunstbetrachtung notwendigerweise zugrunde gelegte Anschauungsunterricht eine in jeder Beziehung bedeutungsvolle Eigenschaft: die Beobachtungsgabe. Um diese zu wecken und vor Fliichtig- keiten in der Kunstbetrachtung zu bewahren, empfehle ich besonders die sorg- faltigste Beachtung von Ornamenten als eine gute Voriibung. Ich habe sie in der folgenden Arbeit (vgl. die Abschnitte uber die morgenlandische und die Schmuckformen der friihgriechischen Kunst) darum mit nicht geringer Ausfuhr- lichkeit vorgefiihrt. Hier in der Betrachtung oft sehr vervvandter, auf den ersten Blick oft gleichartig scheinender Formen leme der Schuler das vor Kunstvverken durchaus erforderliche Schauen an Stelle des allgemein iiblichen fliichtigen Sehens! Peinlich genaue, gewissenhafteste Beschreibungen von komplizierten, nicht zu ausgedehnten Schmuck- und Zierformen mit rascher, scharfer Erfassuno- des Hauptsachlichen halte ich zur Erreichung klarer Eindriicke fur uberaus wichtig und derartige Ubungen (z. B. schriftlich innerhalb des deutschen Unter- richtes) fur uberaus empfehlenswert. Das Unterscheidende zwischen ahnlichen Formen ist oft nicht leicht und miihelos auffindbar, die Feststelluncr desselben sowie die sichere Kennzeichnung der besonderen Eigenart, des Wesentlichen und Eigentlimlichen eines Dinges erfordert hervorragende Zucht und Klarheit im Denken, stellt beziiglich bezeichnender Wortwahl auf Grund klaren Erfassens gegeniiber der Neigung zum Gebrauch leerer, nichtssagender Redensarten hohe Anforderungen an die sprachliche Ausdrucksfahigkeit, scharft den Sinn fur An- schaulichkeit in der Beschreibung in aufierordentlicher Weise, um so mehr, als die Gleichmafiigkeit der meisten Ornamente es schwer macht, den charakteristischen Hauptzug und den die Grundlage bildenden Kern zu erkennen. Aber auch sonst erscheint die Kunstgeschichte in der Schule — auch in ausschliefilicher Beriicksichtigung eines dafiir wenig begabten Schiilermaterials —■ den anderen Mittelschulgegenstanden mindestens ebenburtig. In der Beriihrung und Beschaftigung mit der Kunst werden viele Seiten unseres Verstandes- und Gemiitslebens in Bewegung gesetzt und lebendig erhalten, die sonst kaum zur Entfaltung kamen. Was ein auch nur maCiges Wissen und Verstandnis fur Kunstwerke auf Reisen -—• ein Vergniigen, das heute im Jahrhundert miihe- losen und wohlfeilen Verkehres allen nur einigermafien bemittelten Menschen in immer reicherem Mafie zuteil wird — zur Erhohung dieser Geniisse beitragt, laflt sich leicht abschatzen. Sind doch in den meistbesuchten Gegenden, z. B. in Italien, die sehensvrerten Kunstgegenstande mindestens so zahlreich wie die Schonheiten der Landschaft, die den Reisenden nach dem Siiden locken. Und werden doch in der Beschaftigung mit der Kunst neben tausendfachen wertvollen Anregungen alle jene grofien Geflihle fiihlbar und frei, die das Alltagsleben nur seiten zur Auslosung zu bringen vermag. Zur Erhohung des Scharfblickes kommt das Verstandnis fur das Leben und Streben der verschiedensten Lebens- kreise und Volker. Damit ist eine wertvolle Erweiterung des geistigen Gesichts- kreises, eine ungewohnliche innere Bereicherung gegeben. Die Kunst vermittelt IX dem einzelnen die Lebenserfahrungen besonders begabter Geister und gibt dabei Verstandnis nicht nur flir die Menschen des eigenen Jahrhunderts, sondern auch flir die vergangenen Zeitalter, Das Verstandnis flir die Entwicklung suchte ich unter anderm auch da- durch zu fordern, da!3 ich trotz der beschrankten Auswahl auch Abbildungen solcher Werke wahlte, die heute unserem Geschmack vollig fremd sind, die flir sich betrachtet und auf den ersten Blick besehen geradezu «schrecklich», unbegreiflich und hafilich erscheinen. Das Ringen nach ktinstlerischer Erfassung der Umwelt, der ausdrucksbunten Wirklichkeit, das sich unbeholfen und tappisch darin ausspricht und das den Menschen der betreffenden Zeit volle Befriedigung gewahrte, wird bei richtiger Betrachtung doch auch uns Anspruchsvolleren, Ver- wohnten interessant. Wir miissen nur mit den Augen der Zeitgenossen jener Schopfungen sehen lernen, d. h. von allem spater geschaffenen «Besseren» ab- sehen, das Werk flir die Zeit der Betrachtung als Schlufiglied jener Entwicklung nehmen, auf die der Schopfer der bescheidenen Arbeit allein zuriickblicken, auf die er ausschliefilich bauen, an der er sich schulen konnte. Wir miissen also auf historischer Grundlage, d. h. nur von der Entstehungszeit jedes Werkes aus riickschauend, schatzen lernen; nicht im Vergleich mit der Gegenwart, sondern aus der Vergangenheit und den Grenzen jeder Zeit heraus miissen wir urteilen, uns immer der Entwicklung und des Fortschrittes freuen, den ein Werk in Riicksicht auf das unmittelbar Vorausgegangene zeigt. Nur so be- kennen wir uns als in Wahrheit, als historisch Gebildete. Eine iiberaus knappe «asthetische Vorschule» glaubte ich dem eigentlichen Stoffe des Buches als Einfiihrung und Einleitung voranstellen zu miissen. Ich habe ihr Wesen in der Aufstellung einiger mir wichtig scheinender allgemeiner Gesichtspunkte erblickt, die den Schiller von allem Anfang an befahigen, zu Kunstwerken einigermaCen Stellung zu nehmen, die ihm in Hauptziigen nahe- legen, worauf es bei der Betrachtung von Arbeiten des Kiinstlers ankommt, mit welchen Anspriichen und Erwartungen er an sie herantreten darf. Diese Einfiihrung, die ich iiberaus lcnapp gehalten habe, schien mir schon, um im Text allgemeine Erorterungen und Wiederholungen zu vermeiden, wichtig. Un- fruchtbare Erorterungen liber das «Schone» unterlieO ich aus den oben ent- wickelten Griinden auch hier. Das Gefiihl anzuregen habe ich iiberall versucht, nirgends aber Gefiihlswirkungen zur selbstverstandlichen Voraussetzung meiner Betrachtungen und Erlauterungen gemacht. Mir bleibt nur noch iibrig, dem Verfasser des «Lehrbuches der Geschichte flir Obergymnasien» (3 Bde.), welchem dieser Atlas angegliedert wurde, Herrn Regierungsrat Gymnasialdirektor Andreas Zeehe in Villach, aufrichtigen Dank flir die iiberaus liebenswiirdige Durchsicht der Korrekturen dieses Buches auszusprechen. Graz, im Herbst 1906. Dr. Alfred Moller. ' • ; ,. ■\ Vorschule. Z ur Einfiihrung. Die Baukunst, Bildhauerei (Plastik) und die Malerei pflegt man unter der Bezeichnung «bildende Kunst* zusammenzufassen.* Wie die Dichtkunst eine besondere Gewalt iiber die Sprache erfordert, so dafi der Dichter es verstehen mufi, jedem Gedanken und jedem Gefuhl den denkbar treffendsten Ausdruck zu verleihen, wie die Musik die vollige Beherrschung ihrer Ausdrucksmittel veriangt, so setzt auch die bildende Kunst technische Kenntnisse voraus.** * Bilden ist dabei im Sinne von formen, gestalten, und zwar in greifbaren Stoffen (Stein, Farbe u. dgl.), zu verstehen. Dadurch unterscheiden sich — freilich von einem oberflachlich und hochst auBerlich gewahlten Gesichtspunkt aus — die genannten drei Kunstgattungen von der Dichtkunst und Musik, die mit nicht greifbaren Stoffen (Tone und Worte) schaffen. ** Die Technik, das Manuelle, Handwerkliche, die sogenannte »Mache* — die in jeder Kunst bis zu einem gewissen Grade erlernbar ist (Dilettanten), — ist zwar Voraussetzung jedes kiinstlerischen Konnens, aber ja nicht ohne weiteres dafiir zu nehmen oder gar dariiber zu stellen, wie es in Laienkreisen oft geschieht. Die Kunstfertigkeit ist nicht mit der Kunst zu ver- wechseln, das Greifbare, AuCerliche am Kunstvverk nicht mit seinen tieferen geistigen und see- lischen Werten. Der Laie freilich bezeichnet die Kunstfertigkeit oft schon als Kunst, sucht nur nach jener und gebraucht um so eher und leichter den Ausdruck «Kunstler», je mehr das Korperliche (= ohne iveiteres Sichtbare) in einer Leistung in den Vordergrund tritt. Die volkstiimliche Bezeichnung «Kunstler» erstreckt sich daher vor allem auf jene, die irgend eine auffallende korperliche Geschicklichkeit zeigen, auf Seiltanzer, Radfahrer, Reiter, geschickte Pfeifer, iiber- haupt auf «Artisten». Dementsprechend begnligt man sich auch oft beim Maler, Bildhauer usf. mit der Feststellung und Anerkennung der technischen Fertigkeiten, beachtet allein die Sch\vierig- keit der Bearbeitung eines StofFes und sucht z. B. bei einem Denkmal oder dgl. nicht nach dem tieferen Gehalt. Die Form aber, der der bedeutende Inhalt fehlt, mag sie auch an und ftir sich noch wohlgefallig und gevvinnend sein (kunstvolle Reime, angenehme Tonverbindungen, treff- liche Bearbeitung des Marmors), ist nicht ausschlaggebend fiir die Beurteilung eines Kunstwerkes. Das zeigt uns z. B. klar ein einfaches Beispiel aus dem Gebiete der Baukunst Gewil3 ist die Ubenvindung technischer Schwierigkeiten groCer, wenn ich einen Turm geneigt statt gerade baue. Kiinstlerisch aber ist ein hochgewachsener, schlanker und gerader gotischer Turm einem schiefen vorzuziehen. Ersterer macht einen kraftvollen, sicheren, erhebenden, letzterer bei allem Interesse, das er sonst erfordert, einen beunruhigenden Eindruck. (Der schiefe Turm zu Piša — romanisch, aus dem elften Jahrhundert, wurde iibrigens unter dem Zwange eingetretener Bodensenkungen, nicht von vornherein schief aufgefiihrt.) — Auch die heute geiibte Uberschatzung der Schauspiel- kunst, sovveit unter deren Eindruck das Publikum oft des ursprtinglichen und eigentlichen Schopfers der dargestellten Gestalten vollig vergifit, bevveist, da 13 das Sicht- und Greifbare, das zuletzt Wirkende in der Vermittlung eines Kunst\verkes die Haupttvirkung zu erzielen pflegt. Das Haftenbleiben an den rein technischen Dingen eines Kunstwerkes (= am Formkleid, das ein Moll er, Die bedeutendsten Kunsttverke. 1 2 Die Baukunst. Alle Gebaude, die wir sehen, zeigen eine gewisse Einteilung, zum Beispiel die Hervorhebung von einigen Bauteilen vor anderen, ein gewisses GleichmaB in der Fensterverteilung u. a. m.; das hat seinen guten Grund. Von Natur aus werden durch gewisse Verhaltnisse in uns gewisse Eindrucke ausgelost. Das Auftreten von gleichen Tonen in gleichen Zwischenraumen, von gleichartigen Ornamenten in derselben Weise lost, gleichwie einformige Gerausche (Ticktack einer Uhr im stillen Zimmer), ein gewisses Ruhegefuhl aus, wahrend die ungeordnete Verteilung von verschiedenen Tonen, Farben, auch von Lichtern und Schatten (siehe unter «Malerei») Unruhe mitteilt, unter Umstanden auch Unbehagen* * Der Baumeister des einfachsten Hauses befolgt Regeln, die sich aus diesen Gesetzen ableiten lassen, schon rein gewohnheitsmafiig; er macht vielleicht dem Rhythmischen in der Anlage hie und da Zugestandnisse auf Kosten der bequemen inneren Einteilung eines Hauses, aber er pflegt sie solange als moglich auch unter ungilnstigen Verhaltnissen. Wer etwa folgende Punktreihen ansieht, wird zweifellos von den zwei zuletzt gegebenen den besten Eindruck erhalten.** • ••• • • • • • • • • • • • • • • • Die Anordnung dort mit der Hervorhebung einer Mitte ist viel angenehmer als beim ersten, wo der Blick, ohne einen Ruhepunkt zu finden, auf- und abschweift; beim zvveiten wird er an Stellen aufgehalten, auf die wir uns nach unserer Anlage schwerer und weniger gerne einstellen. Solchen Bediirfnissen tragt der Architekt Rechnung, wenn er z. B. die Mitte eines Baues irgendwie (durch ein Haupttor, einen Giebel, Turm u. dgl.) betont. Bei langeren Fronten wird er vielleicht auch in den Seitenteilen Anhaltspunkte filr die Betrachtung des Baues geben, um der Anlage Ubersichtlichkeit und Klarheit sowie einen ruhigen Eindruck zu sichern. In Punkten dargestellt, wird sich ein solcher Langbau etwa so ausnehmen: •• ••••• •••• • Niemals wird er Hauptsachen vernachlassigen, z. B. den Eingang so anlegen, dafi man ihn erst suchen mufi, dabei aber Nebendinge iibermafiig (durch auffallige Schmuck- formen u. dgl.) hervorheben.*** Er wird trachten, den Zweck des Baues durch einen gewissen Gesamtcharakter der Anlage anzudeuten. Bei manchen Bauten erscheint das schon von Natur aus gegeben. Eine Burg erhalt durch die Festigkeit ihrer Mauern, die hohen Ringmauern, die nur kleinen Lichtoffnungen einen festen, sicheren, trotzigen, finsteren, einen abgeschlossenen Ausdruck. Ein Theater zeigt schon durch die sich weit offnenden Eingange, durch die vielen breiten Treppenanlagen seine Bestimmung, eine heitere, zu festlichen Vergntigungen bereite Menge aufzunehmen, u. dgl. m. Wir sehen also, ein Bau Geistiges enthalt, am Ausdruclcsmittel statt am Ausgesprochenen selbst) verursacht zum Teil die auBerordentliche Unbildung des Geschmackes, die Unsicherheit oder Gleichgtiltigkeit vor Kunst- werken, die selbst Gebildete haufig zeigen. Die Frage: Welches ist die beste Form? ist niemals unabhangig vom Werke entscheidbar. Die Antwort mulite lauten: Die, welche sich am besten dem Dargestellten (= dem Inhalte, dem Stoffe) anpafit. * Diese Erscheinungen sind uns von Kindheit an vertraut. Die Freude aller Kinder an marschierenden Soldaten beruht auf dem Eindruck der farbenreichen, gleichgemusterten Uniformen, auf dem des GleichmaCes ihrer Bewegung und der Ordnung in allen Gliedern. ** Vgl. Heinrich Pudor, «Laokoon». (Herm. Seemami Nachfolger.) Leipzig. *** Einzelne Hauptteile werden umrahmt, von anderen deutlich abgegrenzt (Stockvverke u. a.), um dem Auge Ruhepunkte zu geben, Unterabteilungen zeigen meist unauffalligere Gliederungen und Abteilungen u. a. m. 3 kann nicht nur zweckmafiig sein, er kann daneben auch seine Bestimmung teilweise durch die ganze Anlage offenbaren. Der tote Stoff wird dadurch verlebendigt, erhalt einen bestimmten, den Zweck klar bezeichnenden Ausdruck; er spricht die Absichten der Erbauer (Kirchen!) aus, er redet zu uns, gibt einer Idee Ausdruck. (Man lese hiezu die Einleitung zur gotischen Baukunst — das Grofigedruckte — im II. Teil.) Bis in die einzelnen Teile des Baues kann diese Vergeistigung, diese doppelte Vervvertung des Materials zu Zweck und Ausdruck gehen und die meisten Ornamente sind nicht leere, nur zur Flachenfiillung verwendete Zierformen, sondern Bauglieder, die gewissermafien Erl&uterungen zur Anlage geben. (Vgl. dazu das uber das Kapiteli der dorischen Saule im I. Teil Gesagte.) Erst wo der Stein nicht tot wie in der Natur uns entgegentritt, erst wo tiefere seelische Krafte (Gedanken und Gefiihle) des Menschen aus dem Bau sich uns offenbaren, sprechen wir von Baukunst, von Gestaltungskraft in hoherem Sinne. Mit einer uns von Jugend auf gelaufigen Vorstellung von Naturgesetzen hangt es ferner zusammen, dafi wir es nicht gerne sehen wiirden, wenn z. B. ein Bau den Schein erweckte, als sei sein untererTeil — auf dem alles iibrige lastet — sehr diinn und schwach, der oberste sehr schvver und massig, gewichtiger als der Unter- bau u. dgl. Dagegen wird die Hervorhebung des Gegenteils als natiirlich, passend und angenehm empfunden. (Vgl. dazu das iiber das breite Auffufien und die Verjiingung der dorischen Saule im I. Teil sowie das iiber die stockweise Gliederung von Renaissance- palasten durch die Rustika im II. Teil Gesagte.) Wie Psychisches in Bauwerken mit zweifelloser Deutlichkeit zum Ausdruck kommen kann, bezeugt schon die Volkssprache. Eine hoch aufgefiihrte Burg wird als «stolz» empfunden, ein Dom erscheint wohl als «wiirdig», ein dammeriges, hohes Kircheninnere erscheint uns «ernst», eine zerbrockelte Ruine wohl «traurig», ein kleines, helles, bunt geschmiicktes Dorfkirchlein «einladend» oder «freundlich» usf.* Eine vierschrotige, massige und niedere Saule bezeichnen wir in ahnlicher Erlauterung ihres Eindruckes wohl als «plump, ungeschickt und schwerfallig», ein auf riesigen Grundmauern aufruhendes Gebaude macht auf uns einen «sicheren, festen* Eindruck, eine weifie Villa mit offenen Hallen und Blumengewinden um die Saulen erscheint uns «heiter», anderes unheimlich oder abstoftend, tippig oder bescheiden usf. Ja auch «komisch» konnen uns Bauten erscheinen, wenn z. B. ein kleines Gartenhauschen riesige Zinnen und Schiefischarten zeigt, wenn der Kern eines Baues vor lauter ihn kaum iiberragenden Tiirmchen, Treppchen und Giebeln nicht sichtbar wird, wenn ein kleines Haus ein sehr grofies Tor oder ein groftes Haus ein sehr kleines Tor aufweist u. dgl. m.; komisch ist es auch, wenn sinnlose, das heifit durch den Zweck des Baues nicht gerecht- fertigte Verhaltnisse zwischen den einzelnen Teilen herrschen u. dgl. m.** Die Plastik. Wir wissen alle, wie grofie Veranderungen freudige oder schmerzliche Erschiitterungen im Gesichte eines Menschen herbeifiihren. Aber nicht nur das Gesicht ist ein Spiegel der Seele, der ganze Kbrper bringt starke seelische Erregungen bis zu einem gewissen Grade zum Ausdruck.*** Davon wissen wir heutzutage freilich aus eigener * Man frage sich im gegebenen Falle — bei ahnlichen selbst beobachteten Erscheinungen — nach der Ursache der Eindrticke, fiihre noch \veitere Beispiele an usf. ** Man hiite sich im iibrigen, aus dem Hergebrachten zu bestimmen, \vas der Kunst erlaubt ist, was nicht. Beim Aufkommen einer «neuen Richtung* hort man oft, was die Kunst «miiBte» und « solite*. Der Laie, auch der Kunstrichter von Beruf, der Kunsthistoriker, der Asthe- tiker vergesse nie, daB die Ktinstler der Kunst Gesetze geben, die Wissenschaft sie nur festzustellen und nach ihren Griinden zu suchen (= sie abzuleiten) hat! *** Selbst Gefiihle (ihren Unterschied von Geftihlen kennen wir aus der Psychologie [vgl. das Lehrbuch von Hofler u. a.]) zeigen im ganzen Korper ihre Wirkung. So hat z. B. die Freude, der Stolz, der Mut ein kraftvolles Sichaufrichten des Leibes, ein Wolben der Brust («von Freude 1 * 4 Beobachtung nur wenig, denn wenn wir auch z. B. in Badern die Menschen nackt sehen, so ist das doch nicht der Platz, auf dem Affekte (z. B. schmerzliche seelische Erschiit- terungen) zum Ausdruck zu kommen pflegen. Dem Kiinstler war es aber von jeher wichtig, nichts von dem, was er darstellt, tot, leer, von seelischem Leben unerfullt zu geben. Wie der Dichter in einer Ballade, in einem Drama z. B. nicht leere Worte, die nichts vom Innenleben der Gestalten verraten noch der Handlung dienen, sprechen lassen wird, so vermeidet es auch der Plastiker, Massen zu bilden, die als leere, nichtssagende, «stumme» Zutaten einer durchgeistigten Grundform erscheinen. So ist die Darstellung des Nackten fiir den Kiinstler von der hochsten Wichtigkeit. Der Leib des «Laokoon» (I. Teil) z. B. ware nur ein totes Anhangsel zum ausdrucksreichen Kopfe, hatte ihn der Kiinstler in ein weites, sackartiges Gewand gesteckt, und es ware einfacher gewesen, lieber gleich nur eine Biiste zu bilden als eine so grofie Form, wenn nicht alle Teile derselben wesentliche notwendige Bestandstticke des Ganzen geworden waren, wenn nicht alle zu klaren Erlauterungen der Idee des Kiinstlers (— Ausdruck eines ungeheuren Schmerzes) herangezogen worden waren. Neben dieser Darstellung des Seelischen im Korperlichen bietet die Wiedergabe des rein physischen, organischen Lebens an sich manches Anziehende. Wie ein starker Willensimpuls z. B. einen Korper plotzlich verandert, wie die Muskeln eisern anschwellen und eine hochgespannte Energie den ganzen Bau gleichsam fester zusammenfafit, das Weiche des Fleisches zu sehniger Straffheit verwandelt, das fesselt jedes kiinstlerisch veranlagte Auge, ist uns nur nicht sehr gelaufig, weil die moderne Bekleidung gerade jene Korperteile versteckt, an denen die maBgebenden Krafte am deutlichsten in Er- scheinung treten (z. B. ist die Gegend der Hiiften in dieser Hinsicht sehr wichtig, die Stelle, wo Ober- und Unterleib aneinandergrenzen, in der wir den ganzen Oberleib gegen den Unterleib und nach den Seiten biegen konnen, durch den dariiber herabhangenden Rock fast unsichtbar gemacht; die reiche Beweglichkeit der Beinmuskulatur verschwindet in den rohrenartigen, sich schlecht anschmiegenden Hosen u. dgl. m.).* * Jedes Auge hat heute noch Verstandnis fiir den Anblick, den etwa ein gtit gebautes Pferd, das in ge- strecktem Sprunge iiber ein breites Hindernis setzt, gevvahrt. Dem Griechen und Romer, der den menschlichen Korper ebenso haufig nackt zu beobachten Gelegenheit hatte, war ein Mensch in ahnlichen, von Tatkraft zeugenden Augenblicken mindestens ebenso interessant. (Vgl. dazu die Abbildung und die Begleitworte zum Diskusschleuderer des geschwellt») durch gesteigerte Atmung, straffes Anspannen der Muskeln und Sehnen («festen Schritt») zur Folge. Die Mutlosigkeit, die Angst, die Faulheit zeigen jede wieder ihre besonderen Erscheinungen im Bereiche des Korpers, welche im Grunde auf ein Erschlaffen der ganzen Mus- kulatur zuriickgehen. Die Betroffenen «sinken in sich zusammen*. Es gehen also ganz bedeutende korperliche Veranderungen in den Formen fiir die Dauer der verschiedensten seelischen Eindrticke vor sich, von den leisesten bis zum Recken oder Sichkriimmen in der Verzweiflung usf. * Der besonderen Schwierigkeiten, die schon die vollendete Wiedergabe des r uh e n de n menschlichen Korpers vermoge seines komplizierten Aufbaues dem Plastiker bietet, gedenkt Max Klinger mit den VVorten: «Die sichere Aufstellung einer schlanken und schweren Masse auf doppelten (= den Schwerpunkt hoch hinauf schiebenden) und je dreifach beugbaren Grundlagen (man denke an unsere Beine, die im Fufi, im Knie und in der Leistengegend biegbar sind und dabei feste Trager des Oberleibes zu bilden haben) ware fiir die Mechanik ein schwieriges Problem.* Im menschlichen Korper ist es gelost. «Diešes Problem klar nachzuempfinden und iiberzeugend darzustellen (auch bei Verlegungen des Schwerpunktes durch verschiedene Motive der Stellung!) ist allein schon eine Aufgabe, die einen ganzen Kiinstler erfordert, und seine Losung (in der Plastik) geniigt vollkommen, um ein Werk im tiefsten kiinstlerischen Sinne interessant zu machen.* Ludw. Volkmann. Myron, I. Teil.) Die reiche Belebung, die das Muskelspiel dem Korper verleiht, ist mit der Wirkung des Spiels von leichten und starkeren Wellen auf einer sonst ruhigen, glatten Wasserflache zu vergleichen.* Die lebensahnliche, leuchtende und weiche Nach- bildung der Haut im harten, sprčden Stein gibt dem Kiinstler weitere reizvolle Aufgaben, die ihm bei der durch Gewandstoffe verhiillten Gestalt nicht winken. Seine hochsten Werte enthiillt der menschliche Korper aber erst — und zwar in einem viel reicheren Mafle als selbst der Leib der intelligentesten Tiere — als Spiegel des Seelischen, und in dieser Spiegelung des Psychischen im Korperlichen erblickten auch die Griechen die hochsten Ziele der plastischen Kunst. Die Athener (Jonier) Phidias und Praxiteles (I. Teil) steilen in dieser Hinsicht Hohepunkte dar. Die dorischen Kiinstler begnugten sich mehr mit der lebendigen Verkorperung reichen physischen Lebens in ihren Gestalten.** Die Malerei. Mit der Schaffung von Raumen und umschlieGenden Massenanlagen arbeitet die Baukunst. Mit Massen allein die Plastik. Den Schein des Vorhandenseins beider erweckt die Malerei.*** Sie kann trotz der Darstellung in der Flache — selbst in den engsten Grenzen — den Eindruck des Korperlichen (des Plastischen, der Masse) und den der Raumtiefe, der Weitraumigkeit, der kleineren und grofieren Entfernung der Gegenstande vom Auge hervorrufen. Der Eindruck der Korperlichkeit wird durch die Licht- und Schattenfuhrung hervor- gerufen. Steilen wir uns einmal in einiger Entfernung vor einer Lampe auf, so sehen v ir, daG die in der Vorderflache unseres Leibes und unserer Kleidung gelegenen Teile am hellsten beleuchtet sind. Wir bemerken, dafi diese Helle, je mehr der Korper durch seine Rundung aus dem Vordergrund zuriicktritt, abnimmt und ein Obergang von leichtem zu tieferem Schatten (an den lichtfernsten Steilen) stattfindet. Eben dieser Verlauf der Licht- abnahme zeigt uns, daiS wir nicht eine gerade ausgespannte Flache, sondern Korperliches vor uns haben. + Bei rundlichen Korpern ist der Ubergang von beleuchteten zu nicht * Das griechische Geivand ordnet sich zum groBen Teil den Bewegungen des Korpers miter, es unterdriickt die Sprache der Glieder nicht so weit wie das moderne. In Ruhestellungen werden die Hauptabteilungen des Korpers darili sogar vollig geniigend klar (vgl. die Abbildung im I. Teil, 'Sophokles). Der Stoff eines Kleides erscheint, losgelost und unabhangig vom Organismus, immer als etwas Totes, Leeres, Lebenloses, besonders ivenn er zu gewissen steifen Formen zusammengesetzt ist, um den Korper nur Hiillen schafft, vvie unsere Beinkleider, die weder einen freien, reichen Faltenwurf (wie z. B. ein weiter Mantel, eine Toga) zulassen, noch auch unterstiitzend fur den Ausdruck erscheinen. Die Plastiker unserer Zeit bemtihen sich darum, bei Denkmalern bedeutender Menschen der Gegemvart den Unterleib von sitzenden Gestalten durch irgend ein weites, faltiges Gewandstiick zu verdecken, bei stehenden Gestalten das stock- artig-steife, rohrenhafte Aussehen der behosten Beine durch einen entsprechenden Hintergrund — z. B. einen Mantel, der die Durchsicht zwischen den Beinen verhindert — iveniger auffallig erscheinen zu lassen. HaBliche Linien stdren in der Kunst, um so mehr, als sie nicht wie in der VVirklichkeit im Wechsel der Bevvegungen wieder verschwinden und voriibergehen, sondern dauernd an die betreffenden Gestalten gebunden bleiben. ** Die Form hat fur den Kiinstler als GefaC korperlichen und geistigen Lebens Bedeutung, Leichname steilen dem Plastiker keine Aufgaben! *** Der Plastiker gibt nur die Form in allen Dimensionen der Natur, ohne dazu auch einen eigenen Raum zu schaffen. Nur das Relief, das gewissermal3en den Ubergang zur Malerei bildet, macht hierin eine Ausnahme. Der Plastiker stellt seine VVerke in die reale Welt, von der sie sich schon durch ihre Farblosigkeit unterscheiden. f Wir lernen erst mit der Zeit durch Erfahrung die Gegenstande nach ihrer Entfernung vom Auge schatzen und Korper sehen. Dem operierten Blindgeborenen ist es erst, als beriihrten alle Gegenstande seines Gesichtskreises geradezu das Auge, als lage alles in einer Ebene dicht vor ihm. Das Kind greift anfanglich nach dem Entfernten so gut wie nach dem Nachsten, nach 6 beleuchteten Stellen im Gegensatz zu Flachen ein allm3.hlicher. Der beleuchtete Kot pet selbst wirft auGerdem iiber den Platz, zu dem er vermoge seiner Ausdehnung einer Lichtquelle den Zutritt unmoglich macht, einen gleichmaGigen Schatten, den sogenannten Schlagschatten. Die beleuchteten Gegenstande strahlen unter der Einwirkung der Licht- quelle schwachere Lichter auch in den umgebenden Schatten (in den sogenannten Lokal- schatten) aus. Z. B. wurden Gewandteile, die der Lichtquelle ferner liegen, schon als dunkle Masse erscheinen. Einige Metallknopfe darin finden aber noch genug Licht, um zu leuchten und schwache Lichtstufen im Schatten zu bilden, sie schleierartig und durch- sichtig zu machen. Dieses Leuchten von an und fiir sich nicht lichtgebenden Gegen- standen nennt man Reflexleuchten (auch Rembrandtbeleuchtung, weil Rembrandt darin bahnbrechend war). Die Malerei verwendet ferner die Erfahrungen der Linear- und der Luftperspektive, um den Schein der Nahe oder Ferne im Bilde moglichst rein zu ervvecken. Die Linear- perspektive lehrt, in welchem Verhaltnis Gegenstande, die sich von unserem Auge entfernen, kleiner und kleiner werden. Die Gesetze der Luftperspektive* wurzeln in der Erkenntnis, daG unter dem EinfluG groGer Luftschichten, die zvvischen unserem Auge und einem betrachteten Gegenstande liegen, dieser anders gefarbt erscheint, als er es von Natur aus ist. Ein Berg, der in der Nahe tiefgriinen Wald, gelbe Ahrenfelder u. dgl. zeigt, wird in einer gewissen Entfernung vom Auge in reinstem Blau — und dabei fast flachenhaft •— erscheinen. Wir schlieGen in der Natur aus solcher Farbung eines Gebirgszuges, daG er in betrachtlicher Entfernung von uns liegen mtisse. Ein solches Urteil bilden wir natilrlich nicht vor einem Gemalde, bei dem der Kilnstler mit den angedeuteten Mitteln sich ja nur bestrebt, den Schein der Wirklichkeit zu erregen. Aber wir folgen den Anregungen des Malers durch den psychischen Zustand des Annehmens oder der Annahme. Die Annahmen sind psychische Zustande, die eine Art Mittelstellung zwischen Vorstellen und Urteilen einnehmen.** der Sonne so gut \vie nach der eigenen Hand. Ahnlich geht es uns zeitlebens, wo es uns un¬ moglich ist, Entfernungen nachzupriifen. Die Sterne am Himmel z. B. scheinen uns alle in einer Flache, nicht hintereinander, sondern nebeneinander zu liegen. * Sie \vird in der Malerei mit Bewu6tsein durchgebildet erst vom Ende des 14. Jahr- hunderts an. ** Annehmend verhalten wir uns nicht nur vor Kunst\verken. Die Annahmen spielen auch sonst im Leben eine groBe Rolle. Zu gewissen Spielen der Kinder bilden Annahmen die psycho- logische Voraussetzung, z. B. es wird angenommen, daB ein Kind die Katze oder die Maus, der Rauber oder der Gendarm sei u. dgl. m. Das ganze Spiel baut sich darauf auf, ohne daB aber nach Beginn jeder «krampfhaft» in einem fort zu denken hat: ich bin die Katze oder dgl. Ebenso wie einer, der will, in Ausfiihrung dieses Willensaktes nicht ununterbrochen sich vor Augen halt, daB er will, so bleibt auch beim Annehmenden die Annahme stets der unauffallige Unter- grund der darauf aufgebauten psychischen Vorgange. Die Annahme braucht nicht etwa in Gedanken formuliert oder gar ausgesprochen zu werden. Annehmend steht der Schauspieler seiner Rolle gegentiber (daB er z. B. Don Carlos sei); auf Annahmen bauen wir oft in der Mathe- matik (hier in der Form: «wir nehmen an . . .» oder «gegeben ist . . .»). Die «Kriegsspiele» des Militars beruhen auf Annahmen («es wird angenommen, daB ein feindlicher Armeekorper . . .» u. dgl. m.). Annahmen sind die Zustande, vvelche man volkstumlich mit der Redewendung: «sich in die Lage eines andern hineindenken« kennzeichnet. Auch das «Luftschldsserbauen» gehort hieher. Schwerkranke, die das Urteil: «ich bin unrettbar verloren* noch nicht oder nur voriiber- gehend gefallt haben, bauen stundenlang «Luftschlosser», d. h. sie stellen die Annahme ihrer Genesung und finden darin Erleichterung und Erquickung. Ahnlich denkt sich der Arme gerne reich, stellt man die Annahme von der Erfiillung eines Herzenswunsches u. dgl. m. In den letztgenannten Beispielen wie in dem Verhalten vor Kunstwerken erheben \vir uns durch die 7 Nach den gewahlten Gegenstanden teilt man die Malerei in mehrere Hauptgruppen: 1.) Landschaftsmalerei, 2.) Portratmalerei, 3.) Historienmalerei, 4.) Genremalerei (Sittenbild), 5.) Tier- und Stillebenmalerei. Der bedingte und aufierliche Wert solcher Unterscheidungen, beziehungsweise Einordnungen, darf nicht verkannt werden! »Annahmen* tiber die Enge und die Sorgen des Alltags. In einem Falle regt die brennende Sehnsucht nach etwas Unbesessenem das Auftreten der erivahnten psychischen Erscheinungen an, in den uns hier nahe liegenden Fallen wird ihr Auftreten und ihre Richtung durch den Gehalt eines Kunst- v/erkes bestimmt. Wir miissenfesthalten, dafi die Annahme sich vom Urteil unterscheidet. Wodurch? Durch den Mangel der Uberzeugung. Der Annehmende lebt sich nur innerlich in eine wiinschenswerte (bei unangenehmen Annahmen auch gefiirchtete) Lage ein, ohne sie ftir wirklich zu halten! Da sich nun Urteil und Annahmen so unterscheiden, unterscheiden sich vielleicht auch die Gefiihlszustande, die sich an die einen und die andern an- schliefien, in ahnlicher Weise? Gewifi! Empfinden wir im Theater wirkliches Mitleid, wirkliche Furcht, wirklichen Zorn im Anschlufi an das »Gespielte* ? Nein! Da blieben wir wohl lieber daheim. Es handelt sich nicht um volhvertige echte Gefiihle, sondern nur um gefiihlsartige Zustande. Im Theater, vor Kunstiverken aller Art, beim «Luftschlosserbauen», wenn wir «uns Illusionen machen», empfinden wir im Anschlufi an unsere Annahmen — im Gegensatz zu den bestimmten Gefiihlen, die auf Urteile folgen — nur eine Art Abglanz von Freude oder (wenn sich die Annahmen auf Unangenehmes beziehen) von Furcht, Schmerz u. dgl., Gefiihle, die aber dabei reiner sind, weil sie unegoistischer sind als die Freuden des ivirklichen Lebens. Das Itunstsverk stillt ein ideales Begehren, man wiinscht nicht ftir sich bei der innern Aufnahme (Goethes: «Die Sterne, die begehrt man nicht, man freut sich ihrer Pracht»). Um nochmals auf die Annahmen des Alltagslebens und auf die Art der folgenden Gefiihle zuriickzukommen: Der, welcher annimmt, reich zu sein, erlebt ein nur leise begliickendes Gefiihl, wer so urteilen darf, aber bedeutend mehr Freude. Im Leben und in der Kunst folgt der Annahme das Annahmegefiihl (= ein « Phantasiegefiihl®) etwa in der Weise: Ich betrachte ein Gemalde, z. B. eine Gewitterlandschaft. Es entsteht bei dazu Befahigten die Annahme, dafi die kleinen grauen Flecken dort Wolken bedeuten. Daran schliefit sich (bei Leuten von geniigender Aufnahmsfahigkeit) als Phantasiegefiihl etwa eine gedriickte Stimmung, ein Bangen vor machtigen Naturkraften u. dgl. an. Im gotischen Bau bestrebt sich der Ktinstler, durch bestimmte Venvendung des Materials im Beschauer die Annahme zu erwecken, dafi der Stein nicht nach unten drange, sondern das Bestreben habe, sich zur Hohe zu entwickeln. Phantasiegefiihl: ein Gefiihl der Entlastung, der Loslosung von der Erde. In der Plastik nehme ich den Stein ftir einen menschlichen Korper u. dgl. an. Yon diesen Phantasiegefiihlen zu trennen sind die asthetischen. Das sind natiirlich wirkliche Gefiihle. So in obigem Beispiel vor der Gevvitterlandschaft: Phantasiegefiihl: leises Bangen, Schauer vor der Machtigkeit der Natur; asthetisches Gefiihl: Freude iiber die treffliche Er- fassung der Naturerscheinung, iiber die gute Ausftihrung usf. — \virkliche, absolute Lustgefiihle. Es kann z. B. etwas ein starkes Unbehagen erregen, etwa die Darstellung einer entstellten Leiche auf einem Bilde ; und neben diesem Annahmegefiihl (= dem aus der Annahme: «verwesender Leichnam® folgenden Gefiihl) doch noch ein mehr oder minder zuriicktretendes asthetisches Lustgefiihl (Freude an der kiihnen Beobachtung der Natur oder dgl.) auftreten. Die auf das Grofie gerichteten Annahmegeftihle, die durch die Kunst ausgelost werden, sind nicht be- deutungslos. «Sie dienen dazu, den Gemiitsreichtum der Menschenseele stets in der iiberhaupt moglichen Reichhaltigkeit zu erhalten. . . . Zu gewissen Gefiihlen ist uns in unseren Zeiten nur wenig Gelegenheit gegeben. Diese wiirden allmahlich der Menschheit fremd \verden, aus ihrem psychischen Bestand ausfallen. Durch die Kunst bleiben sie ihr stets vertraut. Sie erftillen uns als Phantasiegefiihle, so dafi eine Entfremdung und ein Verlust derselben ausgeschlossen ist. So wird durch die Kunst die Menschheit vor einer zunehmenden Verflachung und Verodung des Innenlebens bewahrt, der Reichtum des Gemiitslebens erhalten. Durch das Annehmen vor Kunstiverken vollziehen wir aufierdem einen schopferischen Akt, erhalten uns eine angemessene Regsamkeit des Geistes, Verstiindnis ftir unsere Umgebung (lernen ,uns in andere Lagen hinein- zudenken 1 ) und es vollzieht sich eine standige befruchtende Wechselwirkung in Aufnehmen und 8 Die Landschaftsmalerei zielt nicht auf die vollig getreue Wiedergabe eines Natur- ausschnittes ab — dazu bediirfte es nicht der Kunstlerhand, das besorgt der Photograph, — sondern, wie jede Kunstleistung, auf die Enthiillung gewisser geistiger und seelischer Werte. Landschaften besitzen in hohem Mafie (wie die meisten Teile der Natur) die Kraft, gewisse Stimmungen im Menschen zu erregen* * Der Kunstler ntltzt die Stimmungswerte, die in der Natur stecken, vermoge seiner Begabung, das tiefere Leben in ihr zu sehen und wiederzugeben, aus. Albrecht Durer hat das treffend mit den Worten gekennzeichnet: «Die Kunst steckt tiberall in der Natur. Wer sie heraus kann reifien, der hat sie.» Das heifit, von der Natur mufi der Kunstler ausgehen, er findet dort alle Elemente fttr seine Kunst, aber nicht beisammen, sondern verborgen oder zerstreut oder wieder in zufalliger Haufung von Wesentlichem und Verarbeiten.» (Vgl. dazu A. v. Meinong, «Uber Annahmen», A. Barth in Leipzig, 1902, und meinen Aufsatz im Heft 8/9 vom 3. Jahrgang der «Monatsberichte fur Kunstwissenschaft», Miinchen 1903, der eine Polemik gegen Konrad Langes Theorie von der «bewuBten Illusion* und ein Eintreten fur die Meinongsche Annahmenlehre enthalt.) * Diese Stimmungswerte haben natiirlich ihren letzten Grund in der Veranlagung der mensch- lichen Seele. Dort bilden sie aber nichts Zufalliges, sondern sind — wenngleich individuell be- griindete Schvvankungen vorkommen — im Grunde doch allen Menschen gemeinsam und physio- logisch erklarlich. Es bedarf nicht eines «empfanglichen Gemiites», um das zu verstehen. So ist wohl allen Menschen die Freude an Licht und Helle (ausgenommen ist .grelles Licht, das die Sehnerven und das Zen trum irritiert und Unbehagen auslost, z. B. grelles Sonnenlicht auf weiJ3er Wand) gemeinsam, wahrend Dunkel und Finsternis auf die Dauer unbehaglich empfunden wird und unheimlich wirkt. Auf diese Haupttatsachen lassen sich z. B. selbst die reichsten Stim¬ mungen im vresentlichen zuriickfiihren. Nehmen wir das Mittelding zwischen Tag und Nacht: einen Abend im Sommer. Die Abnahme des starken Tageslichtes zu \yeicheren Gold- und Rot- tonen \vird beruhigend empfunden («mildes» Licht). Damit Hand in Hand geht eine Abnahme der storenden Tagesgerausche. Die eintretende Ruhe leitet zur Sammlung an (Fe h Jen der Ab- lenkung durch larmende Vorgange). Im abnehmenden Lichte verschwinden die Unterabteilungen der einzelnen Gegenstande mehr fur das Auge, man sieht nur die Hauptformen (der Berge z. B.) in grofien Linien, alles erscheint einheitlicher, weniger zerteilt, wirkt ruhiger und so vveniger zerstreuend. Mit der eigentlichen Dammerung und der \vachsenden Ruhe (Abendfrieden) wachst die Neigung zu Traumereien. Alles erscheint im Abenddammerlicht wie verschleiert; die Phantasie wird an- geregt, die unbestimmten Formen zu erganzen (Illusionen, Traumereien). Die AuBenvvelt ver- schwindet endlieh im Dunkel. Der geistige Blick des Menschen wird nach innen ge\viesen. Dazu kommen Gedanken an die korperliche und geistige Ruhe, die der Abend nach der Arbeit gibt. Ahnlich liegt im Sonnenaufgang, im hellen Morgen, der das Licht nach der Finsternis der Nacht gibt, fur jeden (beim Stadter ist diese angeborene instinktmafige Freude durch andere Lebens- bedingungen und Gewohnheiten unterdriickt und verdeckt) etwas Befreiendes und Erlosendes. Andere Stimmungswerte liegen in Wettererscheinungen. Landschaften mit vom Blitz oder Sturm geknickten Baumen, Ruinen in einsamer Gegend u. dgl. legen umvillkiirlich den Gedanken an die Verganglichkeit nahe. Wie sehr allen Menschen, nicht nur \venigen Ausenvahlten, der Sinn fur Stimmung in der Landschaft eigen ist, zeigt, daB entsprechende Landschaftskennzeichnungen im I agesgebrauche sind. Jedermann hat ohne weiteres Verstandnis fiir Bestimmungen von Ge- genden wie. «trostlose», «traurige», «heitere», «ernste», «freundliche» u. dgl. m. Wir reden von «lachenden» Ebenen, «erschreckenden» Waldschluchten usf. und sprechen damit der Natur bestimmte, unverkennbare seelische VVerte zu. Der Kunstler betrachtet eben daraufhin die Natur, «er be- trachtet sie nach Licht, Farbe, Linienziigen, Reflexen, Kontrasten, wie der Landmann sie nach dem Nutzen beurteilt, der Ingenieur nach anderen Bodenverhaltnissen usf.,» und er lost dann \Virkungen aus, die oft tiefer sind als die der Natur, weil er gesammelt, verdichtet vorfiihrt, was die Natur meist im zufalligen, ablenkenden Nebeneinander mit anderen, gleichgiiltigen Formen zeigt, mit Formen, die nicht nach einer einzigen Richtung zielende Eindriicke auszulosen vermogen. 9 Unwesentlichem. Den Ktinstler leitet das Gefiihl zu seinen Schopfungen, die dann als gelauterte Natur, als «hohere Wahrheit», als Idealisierung der Urbilder erscheinen, als Natur in hoherem Sinne, als Natur, in der alles Zufallige hinter dem Wesentlichen zurticksteht. Das ktinstlerische Schaffen eines j e den Kunstzweiges ist durch das Diirersche Wort gekennzeichnet. Es ist eine Gottesgabe, die sich nicht lehren lafit und darum leicht und schwer zugleich genannt werden mufi. Dieses oben charakterisierte Sammeln, dieses unbewu6te Wahlen und Ausscheiden, dieses Idealisieren, durch das alle fiir bestimmte Eindrttcke ausschlaggebenden Naturbestandteile besonders wirkungsvoll erscheinen, dieses Verdichten und Zusammendrangen des Wesentlichen nennt man «Stilisieren». Der griechische Ktinstler verwendet z. B. Blattformen nicht in genauer Nachbildung der Natur, wie es fiir ein naturgeschichtliches Lehrbuch angebracht ist, sondern er vcrstarkt die Teile, die das Charakteristische der Blattart ausmachen, betont sie auf Kosten anderer Teile, die zu seiner Eigenart wenig beitragen, die es mit andern teilt u. dgl. m. Oder ein anderes Beispiel fiir Stilisierung. Wir sehen neben- štehend einen Pferdekopf aus einer Naturlehre, der mit photo- graphischer Treue aufgenommen ist. Das Pferd wurde auf- genommen, wie es an der Krippe stand, gleichgiiltig, mit iingeordneter Mahne usf. Vergleichen wir nun damit den Kopf des Pferdes aus dem einen Giebel des Parthenons in Athen (I.Teil, Fig. 71). Oben erscheinen neben Ztigen, die den Grund- charakter des Pferdes und die Eigenschaften, die der Mensch an ihm bewundert, verraten, doch auch wieder Dinge, die den Eindruck dieser Ziige abschwachen. Der Kiinstler nun betont oder steigert selbst in seiner Darstellung nach den in der Natur gegebenen Grundziigen das, was zur Erzielung eines vollendeten Eindruckes wesentlich ist, lafit anderes weg, das nur zufalliges Merkmal eines Tieres ist, pragt ein Exemplar gewissermafien zum idealen Vertreter der ganzen Rasse um. Die peinlich genaue Behandlung des Felles z. B. lenkt vom Haupteindrucke ab und ist auch als Ausdruck des Tiercharakters umvesentlich. Der Ktinstler sah darum in unserem Falle von einer natur- und strich- getreuen Nachbildung desselben ab. (Man vgl. die beiden Abbildungen weiter darauf hin.) Ahnlich laftt der Kiinstler, der einen Lowen als Urbild der Kraft etvva an einem Denkmal anbringt, alles grob Animalische, die zufallige Unordnung der Mahne (vgl. auch am Pferde oben!) weg, ebenso alles, was nicht kraftausdrtickend wirkt. So erscheint in der Natur der Kopf des Lowen im Verhaltnis zum Korper meist unverhaltnismaGig klein, der Plinterleib ist katzenartig weich, nach hinten stark verjiingt und sieht muskelschwach aus. Der Ktinstler wird durch eine Verstarkung der schon vorhandenen Kraftlinien den Eindruck des ganzen Tieres harmonisch machen, ihn nicht in miider, schlaffer Haltung, die er vielleicht einer zufalligen Betrachtung zeigt, geben u. dgl. m. Das sieht nicht un- nattirlich und unwahr aus (sofern es ein echter Kiinstler tut), sondern das betreffende Tier erscheint dann in jenem schon angedeuteten hoheren Sinne wahr, als Ideal seiner Rasse. In diesem Sinne hat Goethe das Pferd am Parthenon als «Urpferd» (d. h. als ideales Urbild des Pferdes) bezeichnet, als jenes, das alle an den besten Exemplaren nur verstreut zu findenden edlen Merkmale gesammelt und zu hochstem Ausdruck gesteigert in sich tragt.*J Was friiher unter «Baukunst» ervvahnt wurde, ist zum Teil auch fiir die Malerei giiltig. Wie dort, bewirken gewisse, auf gleichem Mafie beruhende Teilungen, Reihen- * Auch im Portrat (siehe S. 10) «stilisiert» der Ktinstler (im Gegensatze zum Photographen) in ahnlicher Weise. Vgl. dazu und zu obigem die Abbildungen in Volkmanns «Naturprodukt und Kunstvverks (2. Aufl., Dresden 1904). 10 anordnungen, Hohen- und Breitenverhaltnisse ruhige (Horizontallinie!) und damit freundliche Eindrucke, andere, die auf unruhiger Linienfuhrung beruhen, konnen, mit kiinstlerischer Absicht verwendet, unruhige, lebhafte Eindrucke auslosen, beziehungsweise soweit sie im Stoffe schon gegeben sind, verstarken. Ahnlich wirkt — natiirlich ohne in seinen Ursachen klar bewufit zu werden! — die gleichmafiige, ruhige, einheitliche Verteilung von Licht und Schatten im Gegensatz zur stark kontrastierenden, unruhigen, zerteilten. (Man suche sich uber die mannigfachen Ursachen ali er ahnlichen Eindrucke in der Natur stets klar zu werden.) Wichtig sind die Assoziationen ([Ideenverbindungen]: Sturm nahert sich in der aufvvtthlenden Wirkung auf die Natur der Wirkung eines verzweiflungsvollen Gedankens im Gemiit u. dgl. m.); dtistere Gegenden, der Herbst u. a., regen einen ernsten Gedankenablauf und ahnliche Phantasiegefiihle an. (Vgl. auch S. 8 unten.) Die Lust an Farben ist uns wie die Freude am Licht angeboren. (Man denke an die Freude, die Kinder an buntbemalten Dingen, an farbigen Steinen, Soldatenuniformen u. dgl. haben.) Dennoch sind wir ihrer (Leben in der Stadt, eintonige Farbenstimmung unserer Kleidungen) heute entwohnt. In den Anfangen der Malerei erscheint der zeich- nerische Umrifi sehr deutlich und nur die Flachen innerhalb dieser Grenzen werden mit Farben — ohne Ubergange, bunt nebeneinander — ausgefiillt (Kolorieren). Erst spater verfliefit der Umrifi wie in der Natur (wir schliefien ja nirgends mit scharfen Linien wie Flachen ab!) zu weicher Rundung und die Korper erscheinen in voller, wahrheits- getreuer, weicher Modellierung. Langes Studium kostete die Wiedergabe der mensch- lichen Haut, des eigentiimlichen Toneš, der das pulsierende Blut und Leben darunter zum Ausdruck bringt. Das Licht bildet auf dem nackten Korper eigentiimliche Wir- kungen dadurch, dafi es die Haut bis zu einer gewissen Tiefe durchleuchtet und leb- hafter schimmern lafit, ein Umstand, der auch an den hautahnlichsten Stoffen (z. B. Trikot- stoffen) fehlt. Sie erscheinen tot und fahl dagegen. Betrachten wir nun die wichtigsten Unterabteilungen der Malerei, die sich in bezug auf den gewahlten Gegenstand ergeben. Neben der Landschaftsmalerei ist die Portratmalerei heute vielleicht die am meisten geiibte. Auch hier handelt es sich nicht schlechtweg um die Wiedergabe der Form eines Gesichtes an sich. Weniger das Schone (das ist ein Begriff, der dem Wandel unter- worfen und hochst individuell ist) als das Charakteristische reizt den Maler. Charakter- kopfe sind von bedeutenden Malern stets vor schonen Gesichtern gesucht. Auch die aufiere Ahnlichkeit setzt der Kiinstler nicht so hoch, als es Laien meist tun. Ein Portrat miissen wir oft als ein Kunstwerk anerkennen, wenngleich der Dargestellte hafilich ist und uns, weil wir das lebende Original nicht kennen, die Beurteilung, ob er «ahnlich» geworden, unmoglich ist. Was also macht seinen dauernden, bedingungslosen Wert aus? Wieder ist es der Ausdruck des Psychischen, der den Ausschlag gibt. Im Aufieren eines Menschen sprechen sich viele Eigenschaften seines Wesens aus. Schon aus der Art, wie er sich kleidet (sorgfaltig, liederlich, geckenhaft, prunkvoll), konnen wir Schlusse auf seinen Charakter ziehen. Wir erraten zum Teil sein Schicksal und seine Tatigkeit. (Sieht er abgeplagt — abgearbeitete Hande, — kummervoll, sorglos aus? Hat er Zeit und Neigung, sein AuGeres sehr zu pflegen? u. dgl. m.) Die Miene ist die Verfestigung des Mienenspieles, wir konnen darum in ihr lesen, ob ein Mensch, der viel gezurnt hat, vor uns steht, ob einer, der heftig oder gutmiitig, sanft oder hartherzig ist, u. dgl. m. Aber ali das spricht sich in einem Gesicht in der Natur nicht so gesammelt, nicht so klar und auch nicht in jeder Stunde gleich machtig aus. Selbst ein Goethe sah wohl in hochster geistiger Arbeit anders aus, als etwa beim Speisen oder bei einer nichtigen ^eschaftigung. Der Kiinstler darf sich also nicht wie der Photograph begnugen, sein Modeli «Freundlichsehen» zu ermahnen, sondern er mufi im Bilde mdglichst viel vom 11 tieferen, geistigen und seelischen Wesen desselben festzuhalten trachten. Er mufi, wie Lessing sagt, das «Ideal» (das geistige Mittel, den geistigen Auszug, den Hauptgrundzug) der dargestellten Person zu finden und zu geben wissen * Das historische Bild mufi, wie das Portrat den inneren Gehalt einer Person zur Erscheinung bringt, den geistigen Gehalt eines Zeitalters oder eines bestimmten Vor- g iges in uns erwecken, soli es nicht leeres Kostiimbild bleiben. Es kommt wenig darauf an, dafi zum Beispiel Aufierlichkeiten (unwesentliche Besonderheiten der Mode oder andere kleine Nebendinge) peinlich genau beachtet sind.** Auch hier ist die tiefere W'hrheit vor dieser aufierlichen Nachbildung der Wirklichkeit zu suchen. »Sollen zum B dspiel in einem Geschichtsbilde die Kreuzziige dargestellt werden, so wird es dem echten Kunstler vor allem daran liegen, den treibenden und bewegenden Grundgedanken, v icher in der aufierordentlichen Erscheinung liegt, auszudrucken. Cornelius, welcher ein paar Ritter, machtige, unbandige, in Stahl und Eisen geschnurte Hunengestalten in harten Ziigen zeichnet, welche angesichts der heiligen Stadt in kindlicher Andacht niederfallen, wird kunstlerisch mehr und Schoneres leisten als Kaulbach, welcher ein rauschendes Gedrange von Rittern und Edelfrauen in schmeichlerischen Linien schildert . . . (Kuhn.) Auch in Geschichtsbildern soli sich eben die Idee «moglichst schlackenlos und rein» in ver- standlicher Form aussprechen. Die Ausmalung des aufieren zeitlichen und ortlichen Verlaufes ist nie die Hauptsache. Der Kunstler mufi es verstehen, «den dem geschichtlichen Ereignis zugrunde liegenden geistigen Gedanken (= die Idee)... klar und fafibar zu machen». Die Menschen, die er als Teilhaber eines geschichtlichen Ereignisses zeigt, diirfen nicht nur als schon gekleidete Puppen erscheinen, sondern sie milssen sich von dem Gedanken, der dem Vorgange in der Wirklichkeit zugrunde lag, erfullt zeigen, ihn zum Ausdruck bringen. Sie miissen mehr als Zuschauer, sie mussen Trager einer Idee, bedeutende Ver- treter derselben sein. Wie jedes Musterwerk, mufi auch das Geschichtsbild «geistig gesattigt» erscheinen. Dabei mufi der Vorgang ohne besondere Erlauterungen verstandlich sein. Das Genrebild oder Sittenbild gibt Ausschnitte aus dem Alltags- und Kleinleben. Aus ihm sprechen geringere geistige Werte. Es strbmt Behagen aus, erzahlt von Zufriedenheit, von kleinen Sorgen des hauslichen Lebens, von Festen einzelner Gesellschaftskreise, von tragisch-komischen Zwischenfallen und anderen Dingen, die uns friedlich stimmen, uns lacheln machen oder mit leichter Wehmut erfiillen. Sie geben Kulturbilder, Beitrage zur Sittengeschichte, zum Leben einer Zeit u. dgl. m. Im Tiersttick kommt es dem Mal er nicht darauf an, Abbildungen, die Schulzvvecken geniigen, zu geben, sondern das ein- zelne Tier mit den gerade ihm eigentumlichen Eigenschaften zu schildern, das individuelle Geprage, die Geistes- und Gemiitsart desselben zu treffen. Das Stilleben, die Zusammensetzung von toten Gegenstanden, hat untergeordnete Bedeutung. Plier kommt es auf schone farbige Wirkungen (Blumenstucke), auf die tauschende Nachbildung von Einzelheiten (Haut oder Fell toter Tiere, das Aufiere von Friichten, Glas- oder Metallbechern u. dgl.) an. * Gewisse Farbenstimmungen kann der Kunstler zur Charakteristik heranziehen; ein heiterer Mensch wird andere verlangen, als ein ernst veranlagter Mensch u. dgl. m. Auch die Beleuchtung ist nicht umvesentlich. Man stelle sich abends einmal vor einen Spiegel und halte — ziemlich hochl — eine brennende Kerze zrvischen sich und das Glas. Das so gedampfte, sanfte Licht lafit den Gesichtsausdruck tiefer, reicher erscheinen, als wenn man das Licht greli von unten ins Gesicht fallen laCt. Die Ziige sehen dann flach, leer aus, das Auge zeigt wenig Ausdruck. Bedeutende Maler (Rembrandt!) haben den Wert der Lichtfiihrung ftlr das Portrat stets zu schatzen gevvuCt. ** Gar oft sehen die Maler davon, des lebendigeren Ausdruckes wegen, ganz ab. In der Renais- sance z. B. war es zum grofen Teil iiblich, die Heilige Familie im Zeitkostiim darzustellen. 12 Die Technik in der Verwendung der Farben ist schlieGlich fur ein Bild nicht un- wesentlich. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts verwandte man nur Temperafarben, das sind Farben, die mit Leim oder EiweiG angeriihrt wurden. Die dickliche Substanz wird dann mit Essig und Wein oder (in Italien) mit Feigenmilch verdunnt, das fertige Gemalde mit einem schutzenden Firnis (aus glanzendem Harz oder Leinol) iiberzogen. Zuweilen erhielten auch die Farben selbst, zur Erzielung hoherer Leuchtkraft, Zusatze von Honig oder gelostem Harz. Die Temperafarben sind im Vergleich zur Olfarbe zaher. Die Obergange von Licht zu Schatten sind nicht so zart und allmahlich zu geben. ^ , Die Temperafarben miissen dabei strichweise nebeneinander aufgesetzt werdenG HDie Olmalerei gestattet dagegen das Malen von NaG in NaG, die Ubergange i konnen leicht nachtraglich aufgesetzt werden (ubermalen), die zartesten Tone sind mog- lich, die Modellierung darum viel feinerjlals bei der Temperamalerei, die leicht etwas Hartes, Sprodes zeigt, flachenhaftere Eindriicke erzielt. Seit dem fleiGigeren Gebrauch der Olmalerei (vom Ende des 15. Jahrhunderts an) ist es moglich, auch den zarteren Farbenstimmungen in der Natur Beachtung zuzutvenden. Die Olmalerei gestattet es, den durchsichtigsten Lufttonen mit dem Pinsel gerecht zu werden. Die genannten Techniken beniltzen ziemlich vergangliche Stoffe (Holz, Leinwand) als Malunterlage. Die Freskomalerei ist dadurch, daG sie ohne solche auskommt und nur unter Vermittlung einer diinnen Putzschicht auf die dauerhafte Mauer malt, die Monumentalmalerei im eigentlichsten Sinne. Der Maler malt mit Mineralfarben auf einen dtinnen Bewurf aus Mortel und Kalk, der noch feucht (italienisch fresco = frisch, feucht) unter den Pinsel kommen muG. Die Farben dringen so leicht in die dimne Schichte ein und verbinden sich mit ihr. Besonders in Italien, wo derartige Wandgemalde, vor allem in der Zeit der Renaissance, in den Ausdehnungen riesiger Teppiche angelegt wurden, halten sich Freskobilder, auch wenn sie der freien Luft ausgesetzt sind, jahrhundertelang. Da die Farben, solange dieWand darunter naG ist, dunkler und lebhafter erscheinen als nach dem Trocknen, so muG der Kiinstler das beim Auflegen der Farben berucksichtigen. Die Aquarellmalerei (= Malerei mit Wasserfarben) ist bei Dilettanten beliebt, da sie schnell ausfuhrbar ist. Aber nur eine Kiinstlerhand kann die damit moglichen Wir- kungen (prachtige Lichttone, starke Leuchtkraft: Himmel, Wolken, hellstes Maigriln) auch hervorbringen. Die Mosaikmalerei ist keine eigentliche Malerei. Hier wird durch Zusammen- stellung farbiger Glasstifte, kleiner Stein- oder Marmorstuckchen der Eindruck eines Gemaldes erstrebt. Die Figuren, die aus Mosaik geschaffen werden, werden in eine neutrale Umgebung, in blauen oder goldenen Mosaikgrund, gestellt, vrodurch sie etwas Unzeitliches, AuGerweltliches, feierlich Uberirdisches erhalten. 13 Regeln fiir die Kunstbetrachtung.* (Zu allfalligen Ubungen, in der Schule.) Nach Feststellung der aufieren Beschaffenheit des Kunstwerkes — ob Original, ob Nach- bildung; ob die Nachbildung im Material des Originales oder anders (Stein, Gips, Farben- druck, Schwarz-Weifi-Abbildung, Photographie u. dgl.m.) gebildet ist — beginnt man mit: 1. ) Die Beschreibung. Man erwahnt zuerst den Gesamteindruck, z. B. bei einem Bilde, dafi man eine Gruppe in freier Landschaft sieht. Man greift dann die Hauptsache heraus (z. B. die Figur oder den Gegenstand, welcher durch die Steliung — in der Mitte oder dgl., — durch eine besonders lebhafte Farbe u. a. vom Kiiastler besonders auffallig gemacht ist).** Man beschreibt diese bis ins kleinste, auch hie' zuerst beim Gesamteindruck beginnend. (Ist die Gestalt mannlich oder weiblich? erwachsen oder ein Kind? nackt oder bekleidet?) Man beriicksichtige die Steliung, bešchreibe, besonders anfanglich, bis in die letzte Kleinigkeit Gesicht, Arme, Hande usf. Man iibersehe nichts und halte es nicht fiir kleinlich, auch bei Einzelheiten zu verweilen. Die Beschreibung der gesehenen Dinge mufi in ihrer Reihenfolge, ihrem Range und ihrer Bedeutung dem Kunstwerk entsprechen. Sie mufi auch dem Zuhorer, der keine Abbildung vor sich hat, ein richtiges und anschauliches Bild des Beschriebenen geben! Besonders wichtig ist die klare und eingehende Beschreibung aller Motive der Steliung, des Gewandfalles u. dgl. Man hiite sich aber, hier schon das einfache Beschreiben durch Werturteile, Erklarungen, inhaltliche Deutungen, Benennungen usf. absukurzen, beziehungsweise zu ersetzen. Man sage nicht: Wir sehen eine Frau mit sanften Gesichtsziigen, wir sehen die Mutter Gottes mit dem lachelnden Christ- kinde usf. Man sage: Wir sehen eine Frau von ungefahr dem und dem Alter, deren Lippen so und so gestellt sind, usf. 2. ) Die Komposition. Die Anordnung im Raume (Linear- und Luftperspektive), die Darstellung desselben, die Fiihrung der Linien, Uberschneidungen, die Verteilung der Massen (nach Symmetrie, Gleichgewicht, zu ruhiger und unruhiger Wirkung), Licht und Schatten und ihre Bedeutung fiir den Stimmungsgehalt des Werkes, die Verteilung der Farben, ihre Bedeutung fiir den Eindruck. (Lebhafte Farbengebung, Betonung gewisser Telle des Bildes durch besonders auffallende Farben? Einheitliche Wirkung derselben? Stumpfe Farben? Scharfe Abgrenzung vieler verschiedenartiger Farbenflachen, bunte Wir- kung derselben bei annahernd gleicher Grofie der Flachen? usf. Zarte allmahliche oder schroffe tjbergange? Einheitlicher Ton [Kolorit]? usw.) 3. ) Der Gegenstand. Bestimmung der Gattung: Geschichtsbiid, Sittenbild u. dgl. Deutung des Stofflichen: Name des Kunstwerkes. Beurteilung in dieser Beziehung (treffend oder nicht?). Geschichtliche Einordnung unter Betrachtung der Vorstufen. Diese letztere Art der Betrachtungsweise (die historische) mufi in der Schule vorlaufig eine unter- geordnete Rolle spielen. 4. ) Der Inhalt. Was hat der Kunstler in das Gegenstandliche an ideellem Gehalt hineingegossen ? (Ausdruck, seelische Regungen, Idee.) * Ich gebe hier einen knappen Auszug der bei den Ubungen fiir Anfanger im kunst- wissenschaftlichen Institute des Universitatsprofessors Hofrates Strzygowski zu Graz geiibten Methode. Vgl. dazu den Aufsatz: «Die Zukunft der Kunstwissenschaft» von Josef Strzygowski (Beilage zur Miinchener «Allgemeinen Zeitung», Jahrgang 1903 Nr. 55) und «Methodik der Kunstbetrachtung an Mittelschulen» (Brunner Festschrift der Staatsoberrealschule 1901/2). ** Bei Bauten schenkt man zuerst den Hauptabteilungen: Unterbau, Aufbau (wie viel Stockiverke), der Dachform, dem Eingang usf., Aufmerksamkeit. Die Kunst dar morgenlandischen Volker. Die Agypter. Fig. 1. Die grofien Pyramiden sind Grabbauten fiir Konige. Sie sind die einfach- stc mit ihrer riesigen Stoffanhaufung \vuchtigsten Denkmaler, die wir kennen. Die hier abgebildete war 146 m hoch (= nur 10 m niederer als der Wiener Stephansturm), mil gewaltigem Grundquadrat von 233 m Seitenlange.* Ein ganzer Berg ist hier zu ein sn wuchtigen, zeltformigen Ko- lofi aufgeschichtet, un : wie ein Berg, der plotzlich ein- sara aus weiter E . ic aufsteigt, ler.kt er den Blick auf sich. So enG- spricht er seiner B . ‘immung, als machtiges, dauern- des Erinnerungs- mal zu wirken, in schlichtesterWeise. Es bedurfte der Lebens- und Ar- heitskrafte Tau- siender von Men- Fi g- 1- Sphinx und Pyramiden. schen. es zu er- richten. Der Bau wurde noch bei Lebzeiten des Herrschers begonnen und erst als Stufenpyramide ausgefuhrt. War der Konig tot und in der ldeinen Grabkammer im Innern der Pyramide beigesetzt, dann fullte man — von oben naeh unten — die Absatze der Riesentreppe mit Kalksteinblocken aus und schliefilich erhielt der Bau eine glanzende Verschalung von geschliffenen, dicht schliefienden Granitplatten. * Heute betragt die Hohe der Pyramide nur mehr 137 m, weil die Spitze abgebrockelt ist. Was wirkt, ist die riesige, regelmaCige Masse; der Raum hat geringe Bedeutung. Es ist aus dem AuBeren des Baues gar nicht angedeutet, dal3 ein solcher vorhanden ist. Unter dem riesigen Aufbau liegen die Grabkammer und einige damit verbundene Gemacher fttr den loten- dienst verborgen. — Vor dem Bau sehen wir den (stark beschadigten) riesigen Kopf einer mann- lichen Sphinx. (Die agyptischen Sphinxe sind fast durchwegs mannlich.) Der Lovvenleib, der sich daran schlieBt, ist heute fast ganz im Wiistensand verborgen. Moll er, Die bedeutendsten Kunstwerke. 2 18 Fig. 2. Wir sehen etwas seitlich der Mittellinie des Baudurchschnittes in tiefer Lage die Grabkammer des Konigs. Daruber befindet sich zur Ablenkung des Riesen- druckes nach der Seite ein Entla- stungsdreieck und darunter ausge- sparte Entlastungs- kammern. Zwei lange Schachte fiihrten von den Seitenflachen den Arbeitern im In- nern der Pyra- mide Luft zu. Sie wutden, nachdem die Arbeiter und das Grabgeleite nach der Bei- setzung des Herr- Fig. 2. Durchschnitt einer Pyramide. Fig. 3. Saule aus vier Lotosbliiten- stengeln mit Knospenkapitell. schers die Pyramide verlassen hatten, durch den glanzenden Steinmantel, der dem Denkmal schlieClich umgelegt wurde, fiir immer verschlossen; auch der Eingang zur Grabkammer wurde vermauert, der Gang, der dahin fiihrte, zugeschiittet. Wohlgeschutzt Fig. 4. Saulenhof eines agyptischen Tempels. (Nachgebildet im kgl. Museum in Berlin.) 19 Fig. 5. Tempel zu Karnak (Langsschnitt). Fig. 6. Felsen- und Grottentempel der Tutmosiden zu Der el Bahri (Mariette). 2 * 20 ruhte nun der Tote in dem «guten, ewigen Hause» — wie die Agypter das Grab nannten — fur alle Zeiten. Diese gewissenhafte, peinliche AbschlieCung erklart sich, wie die Einbalsamierung und Erhaltung der Leichen, aus den Vorstellungen, die der Agypter vom Fortleben des Menschen hatte. Alles tibrige besagen die Erlauterungen, die der Abbildung beigefiigt sind. * Fig. 3. Saule aus vier Lotosblutenstengeln. Unter den Knospen (ahnlich denen unserer ■Wasserrosen [= Seerosen]) werden sie durch eine in Stein nachgeahmte Bastverschnurung zusammengehalten. Wo der Bast uber die Einsenkung zwischen zwei Stengeln geht, ist diese ausgefullt, dadurch wird der Eindruck kraftigen Zusammenschlusses vermehrt. Eine -'einfache viereckige Deckplatte schliefit oben gerade ab. Fig. 4. : Wir sehen den Saulenhof eines agyptischen Tempels und darin Papyrus- saulen, benannt nach den auf ihrem Fufi und ihrem Kapiteli in Malerei nachgeahmten Kelchen der Papyrusstaude. Das Kapiteli zeigt die Form einer offenen Blilte, deren Kelchrand sich unter dem Drucke der von oben wirkenden Last (= der Deckplatte und der Bedachung) gleichmafiig nach allen Seiten uberbiegt. (Man beschreibe die in kraftigen Farben — unter. denen ein_ helles Rot vorwiegt — aufgemalten Papyrusformen sowie das iibrige moglichst genau.) Fig. 5. Wir sehen in den Tempelraum. Die Saulen und Wande der Innenraume sind auf der uns zugewandten Seite unmittelbar uber dem Boden abgeschnitten. Der agyptische Tempel zeigt sich hi er als eine in die Lange gehende Aneinanderfiigung von Hofen und wagrecht gedeckten Raumen, die gegen den Hintergrund zu, in dem — an der Gegenseite des Einganges —• das eigentliche Heiligtum liegt, stufenweise an Hohe abnehmen. Das Licht fiel — Mittelschiffe waren uber ihre Seitenschiffe erhoht — von oben seitlich ein. In geheimnisvollem Halbdunkel folgten Šale, Hallen, Hofe bis zur Kammer des Gottes, die nur.der Priester betreten durfte. Der agyptische Tempel ist nicht das lichte Wohnhaus Gottes, nicht der Versammlungsort einer in Liebe vertrauenden Gemeinde. «In seiner losen Reihen- folge von Saulenhallen und Saulenhofen liegt mehr die Idee einer Wanderung hin zum Gotte, eines Gottsuchens, das allmahliche Eindringen in die gottlichen Geheimnisse.» (Broeker.) Die hier ab- gebildete Tempelanlage entstammt — wie die meisten grofieren — erst dem neuen Reiche. Das alte und mittlere Reich kennt nur wenig entwickelte. Am bedeutendsten ist der Tempel des Ammon zu Karnak, 1400m lang. Er enthalt den groCten Saulensaal der Welt. Fig. 6. Der dritten Bliite des neuen Reiches (18.u. 19.Herrscher- geschlecht) gehoren dieFelsen- und Grottentempel an, Leistungen, die von bewundernswerterOberwindunggewaltigertechnischer Schwierig- keiten zeigen und einen machtvollen Eindruck hervorrufen. Das Heiligtum, unter dem steilen Hange des Wtistenrandes errichtet, geht tief in den Felsen. Vorne erblickt man die Reste von einzelnen Hofen. Fig. 7. Wir sehen eine sogenannte Hathorsaule: Masken der Gottin Hathor springen aus dem Kapiteli, das einer vierseitigen Pyramide gleicht, vor. Uber den Kopfen eine tempeltiirartige Form mit Hohlkehle (vgl. das Gesims in Abbildung 4). Die Hathorsaule kommt spater als die Pflanzensaulen, erst im neuen Reiche vor* Auch hier ist jede Saule reich bemalt und iiberdies in teihveiser Vergoldung zu denken. Fig. 7. Hathorkapitell von Dendera. * Das alte Reich von 3200 (spatestens!) bis 2150 v. Chr., das mittlere Reich von 2150 bis 1580 v. Chr, das neue Reich von 1580 bis 663 v. Chr. 21 Fig. 8. Der Bierbrauer (aus Kalkstein). Aufseher, Beamter oder dgl., schreitet in gerader, stolzer Haltung wiirdevoll aus. Er ist nur mit einem Schurz bekleidet. In der Linken tragt er das Abzeichen seines Amtes, den Štab. Ruhig, erhobenen Hauptes blickt er in die Ferne (auf eine Gruppe oder dgl.), die volle Rundung verleiht seinem Gesichte einen Ausdruck von Gutmfltig- keit, der durch den Zug um Mund und Augen bestatigt wird. * Den Namen haben ihm die Arbeiter gegeben, die ihn ans Licht brachten. Er erinnerte sie — ein Zeichen fur die lebensvolle Wirkung des Werkes — an ihren gegenwartigen eingeborenen Gemeindevorsteher. p ig. 8 und 9. Die Agypter hatten keinen Marmor. Sie schaffen Monumentalwerke z um Teil (Konigsstatuen u. dgl.) aus schwer zu bearbeitendem Gestein (Granit, Bas:\it, Syenit). Der Stoff beeinflufite da die Arbeit: die Gesichter z. B. erscheinen an -olchen Werken in einer gewissen allgemeinen ausdruckslosen Rundung, das Haar als glatt geschlossene Oberhohung am Kopfe, die Haltung ist gebunden. Wo gut zu beiubeitendes Material verwendet wird — z. B. der weichere Kalkstein (Fig. 8) oder H ' (Fig. 9), — da wird eine zum Teil gan . iiberraschende Ausdruckskraft erreicht. De sogenannte «Dorfschulze»*, wohl ein Fig. 9. Del' «Dorfschulze» (aus Holz — Gizeh). Die Assyrer und Babylonier. Assyrien und Babylonien = das Zwischenstromland (griech. = Meso- potamien), zwischen Euphrat und Tigris gelegen. Assyrien, nordlicher, am Tigris. Hauptstadte: Assur und Ninive* (griech. Ninos, inschriftlich auch Ninua). Bevolkerung: semitisch. — Babylonien, siidlich von Assyrien, neben Agypten das alteste Kulturland. Hauptstadt: Babylon (= griech. von Babel = Tor Gottes), zu beiden Seiten des Euphrat, und Chorsabad. Bevolkerung: Sumerer (= Nichtsemiten) und Semiten. Es fehlen Walder (= Holz) und bedeutende Steinbriiche. Man baut daher mit Luftziegeln (= Lehmformen), die ungebrannt bleiben und nur an der Luft eetrocknet werden. Wegen ihrer gerin- geren Festigkeit baut man aus ihnen viel dickere Mauern (3 bis 8 m), als es in Stein notigf ware. Fig. 10. Man sieht unter einem Berg, auf dem ein Wald oben durch einzelne Baume, in der Vorderansicht durch kon- ventionelle Zeichen angedeutet ist, einen massigen Bau von ziemlicher Regellosigkeit der Anlage. Flache Kuppeln und spitzere, die wie riesige Spargelkopfe aussehen, ragen hoch auf. Man sieht Ttiren, aber keine Fenster. (Der orientalische Palast offnet sich nach innen und schlieBt sich von der Aufienvvelt strenge ab.) Die — fur Agypten kennzeichnenden — schiefen Wandflachen und die Mauerabschliisse nach oben mit Pl o h 1 k e h 1 e n gesimsen finden wir hier nicht. Dieser wie der folgende Bau machen einen niichternen, unbehaglichen Eindruck. Im folgenden ist — durch Fehlen aller Kuppeln — der Eindruck einer Masse von niederen Kasten noch deutlicher. Fig. 11. Durch die Aufdeckung von Chorsabad ist es uns moglich geworden, aus auf- gefundenen Materialresten eines Palastes uns ein ziemlich vollstandiges Bild zu machen. Die ungeheure Anlage erhebt sich auf einem kunstlichen Unterbau von etwa 100.000 m 2 Plachenausdehnung zu einer Hohe von 30 m. In den 200 Raumen und 30 Hofen finden sich Reliefs, die aneinandergefilgt allein ein Riesenband von 2000 m Lange — in etwa * Heute steht auf den Ruinen Ninives das durch die reichen Ausgrabungen bertihmte Dorf Kujundschik. 23 25 Minuten abzuschreiten! — ergeben. Alle Raume empfangen Licht nur von den Hofseiten, durch Luken oder den nur verhangenen Tiirraum. (Weit im Siiden ist das Licht kraftiger als bei uns!) Rechts vorne fuhrt eine breite Rampe (fiir Wagen, Pferde, Reiterei) hinauf und weiter an der Vorderseite des Palastes. Hier kommt (— vor dem Eingangstor) eine doppelte — frei angelegte — Treppe hinzu. Links, im Hintergrunde, sehen wir einen Stufentempel, eine Anlageart, mit der die des agyptischen Tempels, der in der Ebene lang hingestreckt liegt, nicht die geringste Ahnlichkeit zeigt. Der turmartige Hochbau deutet wohl auf einen regen Sterndienst (= Versuche, Beschliisse de' Gottheit aus der Stellung der Sterne zu deuten; die dunkle Pracht des siidlichen Hi lmelsgezeltes ladet dazu besonders ein). Auf der Piattform des letzten Treppenabsatzes Fig. 11. Palast des Sargon zu Chorsabad. (Rekonstruktion nach Chipietz.) befand sich wahrscheinlich eine Warte. Jede der Terrassen vvar an 6 m hodi. Sieben waren vorhanden, vier sind erhalten. Jede Abteilung war in einer anderen, lebhaften Farbe gehalten.* Der Palast macht trotz seiner GroBe (er fiillt ein Parallelogramm von liber 1600 und 1700 m Seitenlange aus) mit seiner ewigen Wiederholung gleich- geformter Teilanlagen, in seiner verhaltnismaCigen Gedrticktheit einen mehr einformigen Eindruck. Alle Wande sind mit Alabasterplatten, farbigen (zitronengelb, himmelblau) glasierten Ziegeln oder diinnen Metallplatten iiberkleidet (= Inkrustierung). Ahnlich wie der Treppentempel hier sah wohl auch der «Turm zu BabeD (= Babylon) der Bibel aus. ** Fig. 12. In dieser Abbildung erhalten wir einen Eindruck von der Naturauffassung in der mesopotamischen Kunst, von der Behandlung der Perspektive (man beachte die Behandlung der Wasserflache) und von einem Hallenbau mit charakteristisch geformten Saulen. * Nicht nur schriftliche Quellen (Inschriften, Berichte Herodots), sondern vor allem die Funde an Ort und Stelle mllhen eine recht genaue Rekonstruktion moglich. Dadurch, daC langs der Mauern die weil3en oder farbigen Verkleidungsplatten zuerst niederfielen, ist ihre Richtung deutlich bestimmt. Das eigentliche Mauervverk stiirzte als breiter, formloser Schutt spater zu einer mehr einheitlichen Masse dariiber zusammen. 24 Fig. 12. Relief aus Chorsabad mit Saulentempelchen. Fig. 13. DieSaulen- ftlfie haben eigentiim- liche Formen; a zeigt eine kugelige Gestalt, auseinandergedrlickt durch die Last des aus ihr aufragenden Schaf- tes, leicht liberkleidet von einer gitterartigen Verzierung; b gibt eine deutliche Vorstellung vom Aufnehmen eines Druckes und elastischem Nacbgeben unter ihm; c zeigt dieselbeForm; ein (schreitender) Lowe erscheint als Trager der Last; jedenfalls ein selt- sames Motiv unter einer Saule, an der wir den Ausdruck der hochsten Ruhe, als des sicheren, unbeweglichen Stiitzens, vor allem zu sehen wunschten. Die meisten Saulen der Assyrer und Babylonier sind aus Holz. Sie erhielten Verzierungen aus Metali (gevrandenem Draht u. dgl.). Eine Form z. B. wie auf dem Kugelsockel der Saule a lafit sofort auf Metalltechnik schliefien. Steinsaulen kamen selten und nur an kleineren Bauwerken vor. Fig. 14 zeigt auf einer zur Wand- bekleidung dienenden Schmuckplatte ein reich entwickeltes Ornament. Man versuche, das Stiick genau und auch fiir einen, der die Abbildung nicht sieht, genilgend anschaulich zu be- schreiben.* (Zur Beschreibung gehort cc i c * Bei Beschreibungen von Kunst- werken hat man zuerst das Wesentliche (= die Hauptformen und Haupteinteilung) zu nennen. Man vermeide iiberfliissige Worte, die die Vorstellung nicht lebendiger machen (also Worte, die dasselbe besagen; sage z. B. nicht: man sieht eine Frauengestalt in einem weiten, lose herabhangenden Mantel u. dgl.); vermeide unbestimmte Aus- driicke: nicht von «ziemlich langemHaar» sprechen; man sage: Haar, das bis zur Schulter, bis an die Augenbrauen reicht, usf.), vermeide asthetische Urteile, rede nicht von einer schonen Form der Ornamente, sondern beschreibe lieber ihre Amvendung genau, usf.; deute das Kunstwerk (z. B. daC ein dargestellter alter Mann Gottvater sei) erst am Schlusse. Fig. 13. Assyrische Saulenbasen. Fig. 14. Ornament aus Kujundschik. 25 weder die asthetische Wertung noch die Deutung, d. h. die Erklarung, was das betreffende Kunstwerk vorstelle [vgl. oben S. 13]. Im Beschreiben gebe man eine vollig sachliche Analyse des Gesehenen.) Fig. 15. Wir sehen eine schwerfallige Tiergestalt (eines Stieres) mit LowenfuGen, grofi o n Flugeln und dem Haupte eines bartigen Mannes, von deutlich semitischer Gesichts- bild. g. Solche Figuren waren als Stur me Wachter an Tempel- und Pal .pforten aufgestellt. Sie sollten bos n Damonen den Eintritt wehren. Fig. 16. Eine Lowin ist von drei lan n Pfeilen getroffen worden. Die Spi e des einen sitzt zwischen den Schultern, zwei haben die unteren Par ien des Riickgrates getroffen und dar it den Unterleib und die von der Ge undheit des Riickenmarkes ab- har igen Beine gelahmt, so daG das Ti er, das, vor Schmerz und Wut brill- lend, auf seinen Angreifer zugeht, sie als tote Masse im Staube nach- sci J eift. Mit welcher auGerordentlichen Beobachtungskraft ausgeriistet, wie leb ndig schildert der Kiinstler hier! W;c niichtern, kalt und steif scheinen de gegenuber die Menschen, die die nachste Abbildung zeigt! Wie holzern und unpersonlich, wenngleich die allgemeine Charakteristik (behag- liches GenieGen) auch hier einiges Geschick zeigt. Wie kommt es, daG Fig. 15. Stiermensch. Fig. 16. Sterbende Lowin. 26 das Tier mit mehr Hingebung und Sicherheit gegeben wird als der Mensch? Wir mussen uns da die Strenge des mit allem Despotentum verbundenen altorientalischen Hofzeremoniells vor Augen halten, der Scheu gedenken, die der Utitertan — und mit ihm auch der Ktinstler — dem fast gottlich verehrten Herrscher entgegenbringen muftte. Diese Scheu, die štete Angst, die Ehrfurcht zu verletzen, den KSnig dem Volke allzu vertraulich zu schildern, zu sehr menschliche Ziige in sein Bild zu bringen, beengte den Ktinstler offenbar. So blieb die Gestalt leer und steif, ein gleichgultiger Trager prunkvoller Insignien.* * Wir finden ahnlich lahmende Einvvirkungen steifen, zeremonienhaften Hofvvesens auf eine freie Kunstauffassung auch im «Byzantinischen» wieder. Auch da erstarren die Gestalten derVor- nehmen in steifer, prunkvoller Gevvandung. Die Darstellung der Tiere bleibt hingegen — \veil der unbefangenen Beobachtung des Ktinst- lers nicht entzogen — auch da noch frisch und lebensvoll. In verhaltnismaCig spater Zeit der mesopotamischen Kunst finden wir tibrigens eine etwas intimere Szene aus dem Leben der Fiirsten. Ein Relief (Fig. 17) in Kujundschik zeigt den assy- rischen Konig Assurbanipal (= Sardana- pal), der 667 bis 606 v. Chr. herrschte, mit seiner Genrahlin beim Gelage unter einer Weinlaube, aus der Trauben nieder- hangen. Der Konig liegt auf einem Ruhe- bett mit hohem, schlummerrollenartigem Aufsatz, die Konigin sitzt in puppenhafter Steife auf einem hohen, engen, eigen- tiimlich geformten Sessel ihm gegeniiber. Beide fiihren flache Trinkschalen an die Lippen. Eine innere Beziehung zwischen den beiden Trinkenden ist jedoch auch hier nicht einmal angedeutet. Diese ist lediglich in aufierlicher Weise, nur raunv lich (= dadurch, dafi beide unter einem Laubdache sitzen) gegeben. Durch den Mangel an seelischem Ausdruck, durch das Fehlen einer mehr innerlichen Eini- gung haftet nicht nur jeder der allein- Fig. 17 . Relief aus Kujundschik. sitzenden Figuren, sondern dem ganzen Bildwerk etwas Ntichternes, Leeres, der Ausdruck von Langweile an. Zvvischen dem Paar steht ein Tischchen (mit Erfrischungen?). Sklaven und Sklavinnen wehen mit langen Wedeln den Trinkenden Kuhlung zu. Ein Harfner (ubermanns- hohe Harfen finden wir schon auf agyptischen Bildiverken dargestellt) erfreut das Paar durch Musik- vortrage. Grofe Palmbaume fiillen die Zwischenraume zvvischen der Laube und der Dienerschar. Phonizisch-cyprische und hebraische Kunst. Die Phonizier entwickelten wenig Eigenart in ihrer Kunst, vielmehr Misch- foraen, die sich aus der Einwirkung der verschiedensten Kultur- und Kunst- eirsdiisse (besonders babylonischer und agyptischer) erklaren. In den vielen Kolonien, die sie griindeten — beson¬ ders auf Cypern, Kreta usfi, — finden sich zahlreiche Zeugnisse ihres Schaffens. Die Hebraer sind in ihrer Kunst noch unbedeutender. Konig Salomo mufi zur Erbauung des beriihmten Tempels Bau- meister aus der Fremde, und zwar aus Tyrus in Phonizien kommen lassen. Der Tempel erhob sich, ahnlich wie die ae -vrischen Palaste, auf einem Unterbau v on Quadern inmitten eines groben, von einer Ringmauer umfabten Hofes. Die Anlage war so, dab Vorraume auf das dahinter gelegene Allerheiligste, ahnlich wie in Agypten, vorbereiteten. Der Tempel war mit dem Konigspalast ver- bunden. Innen war er mit Zedernholz getafelt und mit dimnem Goldblech bekleidet. Die Phonizier besaben eine eigentiimliche Art von Turmgrabern. Bei den Hebraern finden wir sie wieder (z. B. das sogenannte Grab des Ab- salon im Tale des Kidron). Fig, 18. Grab des Absalon bei Jerusalem. Fig. 18. Uber einem Unterbau in Form eines Wurfels, der mit jonischen Halbsaulen und einem dorischen Triglyphenfries (vgl. S. 45 oben) geziert ist, erhebt sich ein niederer und kleinerer, dariiber eine Rundform, die mit einem Spitzkegel schliefit. Dieser Bau stammt (schon das Saulen- und Triglyphenmotiv deutet auf griechischen EinfluB aus der Zeit hoher Entwicklung!) aus dem er sten Jahrhundert n. Chr. Die Inder. Fig. 19. Wir sehen Stufentiirme, sogenannte Pagoden. Die Terrassenform (= die einzelnen Absatze) verschwindet hinter einem Gewirr von Zierformen, die die ganze Konstruktion nicht zu klarem Ausdrucke kommen lassen, sie iiberwuchern und ver- wischen. Durch zu grofien Reichtum an Einzelformen wird der Gesamteindruck unruhig und unklar. Das Auge irrt von einem Schmuck- ansatz zum andern und erhalt nur einen allge- meinen, durch seine Fiille unangenehm reichen, wusten Eindruck. Fig. 20. Auch hier haben wir keinen klaren, bestimmten Eindruck der Kraft (des Tragens, Stiitzens oder Gedrticktwerdens). Der einzelne Bau- teil hier wirkt so unruhig, wie der ganze Bau in Fig. 20 in seiner mafilosen Formenvielheit, mit seinen phantastisch-bizarren Motiven an wiiste, un- ruhige Traume erinnernd. Ein elefantenartiges Un- getiim, an dessen Riissel wieder Elefanten hangen; Fig. 20. Pfeiler aus den Tschultri von Madura. (Aus Liibkes «Grundrifi».) Fig. 19. Pagode. flatternde Vogel, grofie und kleine Mannchen, dazu ein uppig verzierter Sockel, an dem sich gewisse Formen, Ausbuchtungen und Einziehungen ins Endlose wiederholen, alles verzierlicht und in uberreichem Mafie gegeben. Alle freien Flachen sind dicht von feingliederigen Mustern, in der Art von feinster Stickerei, ubersponnen. Dabei wirkt jedes Ding fiir sich, nichts eint sich; ungeordnet, zerteilt und zerfasert erscheint auch hier das gesamte Ding. 29 Fig. 21. Zur Andeutung der Macht der Gotter vermehrt der indische Ktinstler in recht plumper Weise die Zalil der Arme. Die Lust, Eindrucke durcli Haufung von Einzelformen zu erzielen und ihre Starke zu erhohen, zeigt sic i auch hier. Man beadite den Kopf des Gottes- links. Das Gesicht sieht grotesk, fast verschwart aus. Eine tippig verzierte Haube bedeckt das Haupt. Die Muskulatur ist verwischt, teigig; die Korperform er- scheint eben auch hier — bei den meisten Werken aber noch viel starker als hier — weichlich und schwammig. Fig. 22. Pfeiler aus dem Felsentempel bei Ellora. (Aus Liibkes «Grundrifi».) Fig. 23. Palmette. (Aus Kimmich «Stil» ) Fig. 22. Etwa 30 Kloster und Tempel sind am Abhange und im Innern des Granitgebirges noch vorhanden. Die Saule ist fast so kurz als der Sockel und das Deckwerk. Sie hat eine gedriickte, pilzartige Form. Das Kapiteli allein erinnert an ein breit gequetschtes Kissen oder an eine platt gedriickte Kugelform. Im ganzen scheinen die Formen mehr in Holz als in Stein gedacht. Fig. 23. Diese Palmettenform mit ihrem an ein Miniaturmosaik erinnernden Schmuck aus helleren und dunkleren, fein punktierten Streifen ist fiir die indische Kunst bezeichnend und erscheint oft in indischen Teppichmustern als Randumsaumung u. dgl. m. Fig. 24. Ebenfalls eine sehr dicht und reich gegliederte, ungemein zarte, fein geritzte Musterung. Fig. 24. Pfeifenuntersatz. (Aus Kimmich «StiI».) Die Chinesen und Japaner. Fig. 25. Man beachte die Dachformen! Beriihmt war der Porzellanturm von Nanking. Er stand von etwa 400 v. Chr. bis 1853. Er war mit grellfarbigen Porzellantafeln verkleidet. Alle diese Bauten zeigen «wunderlich verschnorkelte Schnitzwerke, besonders fabelhafte Drachenfiguren ragen aus den vorspringenden Dachsparren in die Luft und die an jeder Spitze aufgehangten zahlreichen Glockchen verleihen diesen Bauten einen kindisch spielenden Charakter*. (Liibke.) Fig. 26 zeigt ein aus Holz errichtetes japanisches Freitor. Die Holzarbeit ist deutlich aus der Konstruktion zu entnehmen: Holzbalken, oben durch zwei Saulen durchgesteckt und so mit ihnen verbunden; unten das Stiitzen versinnbildlichende konsolenartige Formen, die wie menschliche Arme tragen. (Genau beschreiben!) Anmerkung. Das Unruhigphantastische, Bizarre in der Kunst des Inders und Chinesen ist auch dem Japaner eigen. Sein Haus ist ebenfalls nur aus Holz, mit Rohrgeflecht u. dgl. ge- schlossen (== Fachwerkbau). Es macht einen zierlichen, wenig kraftvollen Eindruck. Ein Vorbau (Veranda) lauft um das einstockige Gebaude in maCiger Hohe herum. Die Zimmenvande sind verschiebbar, wandschirmartig (Holzrahmen mit Papierfullung). — In der Malerei arbeiten die Chinesen und bis in die jiingste Zeit auch die Japaner ohne Perspektive, fast in ganz flachen- hafter Darstellung. Keine Modellierung, k ein e plastische Rundung (Darstellung ohne Licht und Schatten). Doch haben besonders die Japaner einen sehr glticklichen Blick fiir das IVesent- liche und Charakteristische eines Gesichtes, einer Landschaft, einer augenblicklichen, fliichtigen Be\vegung an Tieren oder Menschen. Indem sie das mehr andeutend als peinlich genau aus- fiihrend wiedergeben, erreichen sie doch oft iiberraschend lebensvolle Wirkungen. Sehr originell und gliicklich sind sie im Flachenschmuck infolge ihres hochentwickelten Farbensinnes. (Sehr zarte, schon zusammenklingende Farbenzusammenstellungen, oft auch bunte, frische und lebhafte, aber im mer geschmackvolle Muster.) Die chinesischen und japanischen Stoffmuster (Kleider, Kissen), Porzellan- und Lackwaren, auch kleine plastische Arbeiten, Metallgegenstande (Dosen, Papiermesser mit phantasievollen Griffverzierungen) sind heute tiber die ganze Welt verbreitet. (Vgl. auch iiber den EinfluC der japanisch-chinesischen Kunst im II. Teil, bei der modernen Kunst, und Zeehe, III. Band, bei Erorterung der modernen Kunst und im Atlas, II. Band.) Die Perser. Fig. 27. Die Saulen der persischen Kunst sind schlank; auch die unserer Abbildung bat man sich trotz ihrer Dilnne sehr hoch zu denken. Wir sehen die hier abgebildete von . .vei Einhornkopfen, die sich die Riickseiten ihrer Schadel zuvvenden, gekront. (Es komrnen in gleicher Stellung auch Pferde- oder Stierkopfe mit einem Horn vor, ebenso Lowen.) Diese Kapitellform ist kennzeichnend ftir die persische Kunst. Im Einschnitt zwischen den beiden Tierleibern erblickt man den Kopf* eines Balkens so eingesenkt, dafi liber ihn, die Tierschadel und die Mornspitzen der darauf folgende (hier nicht sichtbare) * Balkenkopf = das im Querschnitt sichtbare Ende eines Balkens (an Dachstuhlen z. B.). 32 Deckbalken glatt weglaufen kann. Die Saule ahnelt mit ihrer dichten, scharfen Kannelierung einer fein gerieften Metallrohre. Der Saulenfufi erscheint als umgestiilpter Kelch (etwa einer Glockenblume) mit einem Uberfall von spitzen, lanzettformigen Blattern. Fig. 28 . Perserkonig mit gefliigeltem Tier. Fig. 28. In sinnbildlicher Weise wird hier die Macht des Konigs verherrlicht. Ein machtiges Ungetiim (man vergleiche damit die torhiitenden Menschenstiere der assyrischen Kunst) fallt den Konig an. Mit seltsamer Ruhe greift er mit einer Hand, trotz der Gegenbewegung des Tieres, nach dem Horn des Ungeheuers, das als die Verkorperung des Bosen auf- zufassen ist, mit der anderen stoCt er ein kurzes Schwert in den Bauch des geflii- gelten Wesens. Das Gesicht des Konigs zeigt nicht den semitischen Typus assy- rischer Kopfe, sondern arischen. Es ist aber nicht sehr individuell und ohne scharfen Ausdruck der Personlichkeit. Die Haltung ist steif (man beachte die Stellung der Beine), die Anordnung des Gewandes un- klar, der Faltenwurf schematisch. Die Korper- form spricht nicht durch das Gewand durch. Nur die e i n e UmriClinie des linken Beines erkennt man in der Bekleidung. Dafi sie im Bein einfen run dgeformten Korper um- schliefit, ist nicht ersichtlich. Er erscheint flachenhaft, nicht plastisch. Kleinasien. In Syrien, besonders im nordlichen Syrien (am Oberlauf des Euphrat), und in Kappadokien waren die Hetiter ansassig. Ihre Kunst nahm Einflufi auf die g riechische.* In Phrygien hat sich das sogenannte Grab des Midas (Fig. 29) erhalten. Die Fassade ist ganz iifaersponnen mit einem teppich- artigen Muster, das an durch- brochene Metallarbeiten erinnert. A ls Einrahmung erscheinen seit- Kch dieser Wand Streifen mit einem Rautenmuster (= Oua- drate in der Achsenrichtung aufgestellt). Das Ganze ist ge- kront von einem gedriickten Giebel, der mit zwei Schnecken- formen (= Voluten) schliefit. Unten erblickt man eine nie- dere Pforte. Fig. 29. Grab des Midas. An der Siidwestkuste Kleinasiens ist noch Lykien, das als Steilkiiste ins Meer abfallt, zu erwahnen. In dieser Felsenlandschaft finden wir an in Felsen gehauenen Grabern Holz- architekturen in Stein nachgeahmt. Fig. 30. Ldvrentor in Phrygien. * Envahnt sei, dali z. B. das Motiv des Doppeladlers, wie ihn Osterreich und RuBland als Wappen fiihren, schon auf hetitischen Reliefs, dann in Babylon und in Mykena vorkommt. Zur Zeit der Kreuzziige kam es nach dem Westen und erhielt sich bis in unsere Zeit. In Fig. 29 und 30 finden wir Formen, die in Griechenland (in Mykena) ganz ahnlich wiederkehren: zwei Lo\ven in «Wappenstellung» (Fig. 30) auf dem Sockel einer zwischen ihnen stehenden Saule. (Vgl. dazu Fig. 33.) Moll er, Die bedeutendsten Kunstwerke. 3 34 Es handelt sich da um eine am Holzbau ausgebildete Kunst, die dann die einmal o-eubten Formen in den Stein — Balken, Bohlen, Bretter werden aus O dem Felsen gehauen — iibertrug. Fig. 31. Felsengraber in Myra (in Lykien). Fig. 31. Man versuche, aus jeder Reihe ein Grab, womoglich schriftlich, bis ins einzelne zu beschreiben. (Vgl. die uber Beschreibungen von Kunstwerken oben gegebenen Regeln.) Nach der knappen, aber alle nur irgendwie wesentlichen Einzelheiten genau beriick- sichtigenden Erfullung dieser Forderung frage man sich, ob im ganzen eine bestimmte Komposition, d. i. eine nach bestimmten Gesichtspunkten aufgestellte Anordnung — in Reihen z. B. — zu erkennen ist. Die Kunst der Griechen. Die friihe Zeit des asiatischen Einflusses bis zur selbstandigen Kunstentwicklung der Griechen. (Von 2000 v. Chr. bis etwa 800 v. Chr.) Ein Deutscher, Heinrich Schliemann, war in eifrigem Studium der Dichtungen Homers zur Ansicht gelangt, da(3 das dort Erzahlte seine Grund- lagen in der Wirklichkeit gehabt haben muBte* Im Jahre 1869 begann er mit G abungen auf Ithaka, der Insel im Westen Griechenlands, der Geburtsstatte des Odysseus Homers. Er fand wenig Bemerkenswertes, liefi sich aber nicht ent- mutigen. Im Jahre 1870 nahm er das grofie Schuttfeld bei dem kleinasiatischen, 5 km von der Kiiste entfernten Dorfe Hissarlik (in der Nordvvestecke der Halb- insel) in Angriff. Er hofifte, den Herrschersitz des Konigs Priamus (= das Troja Homers) aufzudecken. Er legte einen Schacht an und fand die Reste von neun Ansiedlungen, die — durch Schuttschichten getrennt — hier libereinander lagen. Die zweitunterste war allem Anscheine nach dereinst unerwartet von Feuer zerstort worden. Schliemann 1 meinte, damit Troja gefunden zu haben. Gegen die Annahme sprachen weitere Entdeckungen, die auf eine Kulturhohe wiesen, die weit unter der von Homer geschilderten lag: man fand noch Steinwerkzeuge neben solchen von Kupfer und Bronze! TongefaiSe, die, ohne Topferscheibe mit der Hand geformt, roh und aufterlich Tier- und Menschenformen nachahniten. Die Rlauern der Hauser * Das Leben dieses genialen, willensstarken Mannes ist iiberaus bewegt gewesen. Er war der Sohn eines armen Predigers und kam in friiher Jugend als Lehrling zu einem Kramer. In seinen freien Stunden las er im Homer. Durch einen Unfall wurde er arbeitsunfahig. Er verlieB das Geschaft und verdingte sich als Schiffsjunge auf einem Dampfer, der nach Amerika gehen solite. Dieser scheiterte untenvegs. Schliemann rettete sich, kehrte schvverkrank nach Europa zurtick und lag langere Zeit verlassen im Spitale zu Amsterdam. Genesen, wurde er Laufbursche in einem Handlungshause. Seine Liebe zu den groCen Dichtungen Homers, sein Drang nach Wissen verlieC ihn keinen Augenblick. Unter den groCten Entbehrungen studierte er, envarb sich ohne Hilfe eines Lehrers die Kenntnis von sechs Sprachen, wurde Buchhalter und ging dann im Auftrage seines Herrn als Geschaftsleiter nach RuCland. Spater wurde er selbst Kaufmann und er\varb sich als solcher ein Vermogen. Nun lernte er das Neugriechische und erst im AnschluC daran als reifer Mann Altgriechisch. Er bereiste dann groCe Teile Europas und des Morgenlandes und widmete sich schlieDlich ganz seinem Lieblingsstudium, der griechischen Altertumskunde. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Griechin, begann er auf eigene Kosten mit ungefahr 150 Arbeitern die Ausgrabungen auf den Gebieten, in deren Boden er die Spuren der homerischen Helden zu finden hoffte. 38 bestanden aus an der Luft getrockneten Lehmziegeln. Heute glaubt man, in der sechsten Schicht (von unten her gezahlt) die Reste des homerischen Troja vermuten zu durfen. Sie weisen auf eine Anlage etwa doppelt so grofi wie die der zweituntersten Schicht* Schliemann grub dann in Griechenland selbst, und zwar in der Landschaft Argolis (im Peloponnes), in den Ortschaften Mykena, dem Sitze Agamemnons, in Tiryns und in Orchomenos. Das hier Gefundene deckt sich ungefahr mit dem zu Troja-Hissarlik in der sechsten Schicht Entdeckten, gehort also etwa der Zeit von 1500 bis 1100 v. Chr. an. Man fafit die hier erreichte Kulturstufe als «Myke- nische Kultur* zusammen. Sie zeigt noch reichlich den Einflufi morgenlandischer Kunst, Bildung und Sitte.** Fig. 32. Sudliche Burgmauer von Tiryns. Fig. 32. Wir sehen die Reste eines Ganges, der im Innern einer machtigen Umfassungs- mauer der Burg hinlief. Die verwendeten Steinblocke sind unbehauen und sehr machtig (Sttlcke von 7 bis 17'5 m). Die Griechen der spateren Zeit (z. B. der Reiseschriftsteller Pausanias im 2. Jahrhundert n. Chr.) konnten sich nicht denken, dafi Menschenhande diese Mauern errichtet hatten. Man schrieb sie dem Riesengeschlechte der Zyklopen zu. * In der dritten bis funften Schicht (von untenher gezahlt) fand Schliemann nichts Bedeutendes. Es handelt sich da um dorfahnliche Anlagen, keinesfalls um die Reste einer Stadt, wie Troja es gewesen sein muC. Die drei noch nach obenhin folgendenTrummerschichtenkommen fur die Forschung gleichfalls nicht mehr in Betracht, denn sie stammen aus jiingerer, schon hellenistisch-romischer Zeit. Die unter den neun Schichten allein in Frage kommende (die sechste von unten- oder die vierte von obenher gezahlt) liegt ungefahr 10 m unter der heutigen Erdflache. Die unterste Schichte liegt 16 m tief. Die Kultur der untersten Schichten entspricht etvva der Zeit zwischen 2500 bis 2000, also dem dritten Jahrtausend v. Chr., die der sechsten der Zeit von 1500 v. Chr. Zur Zeit der Pyramidenbauten Agyptens vvaren die Griechen noch arm an jeder Kultur! (Steinzeit.) ** Solches bezeugen aufgefundene Gotzenbildchen (Idole), plumpe weibliche Figtirchen, aus Stein- splittern geschnitten, die miCverstandene oder ungeschickte Nachahmungen der im Morgenlande ver- ehrten Gottin Astarte sind. Morgenlandisch ist die Zimmerausstattung durch Verkleidung (Inkrustation), die wappenahnliche Anordnung der Tiere am Lovventor zu Mykena u. dgl. m. — Auf der Inselbrticke, die durch das Agaische Meer von Kleinasien nach Griechenland fiihrt: auf Thera (der stidlichsten der Zykladen), Melos, Naxos, Kreta, Rhodos, Cypern, fand man gleichfalls Funde der vor- geschichtlichen und der mykenischen Kultur (meist Grabfunde; viele geschnittene Steine in Form von Pflaumenkernen, sogenannte »Inselsteine., mit interessanten figurlichen Darstellungen). 39 Die Wolbung des Ganges wurde in einfacher Weise durch sogenannte Vorkragung der Steine erreicht, d. h. zur Erzielung der Wolbung wurde jeder Bloclc liber den darunter liegenden ein wenig vorgeschoben. Die Gewolbe erschienen schlieGlich im Scheitel in der Art von Spitzbogen geschlossen. Die Eisenklammern, die auf unserer Abbildung sichtbar sind, sind Sicherungsvorrichtungen gegen einen Einsturz der heute oben getrennten Mauern; sie stammen aus unserer Zeit. Nicht alle Mauern waren innen in dieser Weise durch Hohlraume gangbar. Fig. 33. Die Tliroffnung hat die Form eines Rechteckes. Nach oben ist sie durch einen machtigen, mehr als 3 m langen Steinbalken geschlossen. In gleichmafiiger Anordnung stehen zwei Tiere (Lowen oder Lowinnen) mit schrag emporgerichteten Leibern, mit den Fig. 33. Obere Halfte des Loveentores in Mykena (dazu: Kopf der Saule oben). Hintertatzen auf dem Tiirsturz, mit den Vordertatzen aut einem Sockel, aus dem eine Saule hervorvvachst. An ihr erkennt man noch den Einflufi vorhergehenden Holzbaues* : man sieht oben runde Holzer in Stein nachgebildet, mit dem Querschnitte nach auGen gerichtet; auch verjtingt sich die Saule nach unten, was ebenfalls nur der Holzkonstruktion entspricht. Das Kapiteli stellt einen Wulst liber einer Einziehung (= Hohlkehle) dar. Die Kopfe der Tiere waren besonders eingesetzt und dem Beschauer zugewendet. Man beachte den Ausdruck der Kraft (Muskelspannung) in den Vorderbeinen der Tiere; im iibrigen Korper ist er weniger gelungen. Dieser ganze wappenartige Aufsatz liber der Tlir (aus gelbgrauem Kalkstein) hat die Form eines Dreieckes. Er leitet den Druck der Mauermasse liber dem Tiirsturz, diesen entlastend, nach den Seiten ab (sog. Entlastungsdreieck), * Tatsachlich waren die Palastmauern dieser Zeit nicht wie die der Umfassung aus Stein, sondern aus Lehmziegeln, von Holzbalken durchzogen. Die Saulen der Innenraume waren aus Holz, wahrscheinlich bemalt, nur der FuC war aus Stein; er verhinderte das Einsinken in den Boden. 40 ist daher auch konstruktiv vvichtig.* Zu bemerken ist, daG das Mauerwerk in Mykena (vgl. die Reste seitlich der Tur) schon aus behauenen, geglatteten Steinen, die sich ltlckenlos an- einanderfugen, besteht. «Durch dieses Tor, aus dem vor 3000 Jahren die Helden aus Atreus’ Geschlecht zum Kampf gegen Troja auszogen, durcli das Agamemnon zu seinem blutigen Ende heimkehrte, betreten wir noch heute das Innere der Burg.» (Zimmermann.) Die Burg. Diese erhob sich (zu Mykena und Tiryns) auf einem oben breitflachigen Hiigel, nicht dicht am Meere (erhohte Gefahr eines Uberfalles!), sondern etwas landeinwarts. Ringmauern wie die oben abgebildete umschlossen sie. Sie zerfiel in eine Gruppe von Bauten, die durch Hofe getrennt waren, in saulenumschlossene Hallen, einen rechteckigen Manner- (/ ieyaQov) und ^inen dahinter liegenden Frauensaal, enthielten Wirtschaftsraume, Badezimmer usf. Die Fuflboden waren von Kalkestrich; kleine Steine waren zuweilen zur Erzielung groflerer Festigkeit dareingemischt. Die Dečke war aus runden Flolzbalken, Fig. 34. Randleiste aus Alabaster am Palaste zu Tiryns. die mit einer Lehmschicht verstrichen waren. Alles war innen mit reich bemaltem Stuck oder Alabaster verkleidet. Im grofiten Hofe (avhq) erhob sich der Hausaltar, aus Steinen errichtet, mit einem runden Loche in der Mitte. Der Palast erinnert an den Palast zu Chorsabad (orientalischer EinfluC), zeigt sich aber in manchen Einzelheiten und im gfanzen reicher entwickelt. Fig. 34. Als Zierleiste, welche die Wand in derVorhalle des Mannerraums nach oben abschloG, fand man in Tiryns diesen Alabasterfries. Zwei groGe Halbrosetten beriihren sich mit ihren Bogen; innen sind sie reich mit erhaben gearbeiteten Mustern verziert, von einem flachen Kerne geht ein facherartiges Ornament aus. Jedes Facherblatt schlieGt am Ende mit doppeltem Bogen ab und zeigt je eine aufgelegte, fast das ganze Blatt durchziehende Rippe. Ein Bogen mit einem Wiirfelmuster grenzt ab, ein breiter Streifen mit einem Spiralen-Knospenmotiv setzt neu an und wird durch einen zweiten Streifen (mit ahnlichem Muster wie der erste) in groGerem Bogen abgeschlossen. An die Scbnittlinien der Rosetten setzen beiderseits in gleicher Weise Ketten von je vier blumensternartigen Rosettchen mit Knopfchen («Augen») in der Mitte — wieder zwischen Reihen rechteckiger Plattchen — an. In diesem ganzen Ornament waren: 1.) das Spiralenband, 2.) die wiirfel- artigen Plattchen, 3.) die Rosettenaugen aus dunkelblauem GlasfluG eingelassen. (Vgl. die Beschreibung des «Kyanosfrieses» bei Homer, Odyssee VII, 86 ff. damit.) * Man vgl. damit die dreieckigen Entlastungskammern in den agyptischen Pyramiden. 41 Fig. 35. Wir sehen einen Langsdurchschnitt (a) durch die Boschung eines Hugels und durch einen in ihm verborgenen Bau. Schliemann glaubte, mit der Entdeckung dieser unterirdischen Raume eine mykenische Schatzkammer gefunden zu haben, denn er fand hier Goidsachen, Schmuck usf. von hohem Werte. Heute weifi man, dafi wir in dem Bau a b Fig. 35. Durchschnitt (a) und Grundrifi (6) des sogenannten «Schatzhauses des Atreus». eine unterirdische Grabkammer zu erkennen haben. Ein niederer, langer Gang fuhrt in die eigentliche Grabkammer (zwischen Gang und Kuppelbau). Einer der Steine, mit denen sie gedeckt ist, wiegt 120.000 kg. Nur sehr vollkommene Hebemaschinen geniigten zu ihrer Handhabung. Der bienenkorbartige, gewolbte Bau, der nun folgt — die Fig. 36. Deckenteil aus dem Kuppelgrabe zu Orchomenos. Fig. 37. Goldene Kanne aus Mykena. (Aus Liibkes «Grundril3».) Wolbung ist wieder durch Vorkragung gebildet, — war dem Gedachtnisdienst fur den Toten bestimmt. Uber der Tur ist ein zipfelartiger Raum ausgespart — das Entlastungs- dreieck, das wir schon kennen. Weiter sehen wir einen Querschnitt (b) durch den Hugel. Die Raumlichkeiten, die wir oben im Langsdurchschnitt sahen, sind hier leicht wieder- zuerkennen. (Ihr Bestimmen durch Vergleich vornehmen!) Die aufiere Einlafipforte haben wir uns wieder in orientalischer Weise reich farbig, dann mit Bronzeplatten und Bronzezierat (und zwar Spiralen, Spiralenbandern, Zahnschnittmustern) prachtig geschmiickt zu denken. 42 Fig. 36. Ahnliche Spiralen- und Rosettenmotive, wie zeigt die Dečke in einem Kuppelgrabe zu Orchomenos. Fig. 38. Kapitellstiicke vom Schatzhause des Atreus.* Fig. 39. Schmetterling.* Fig. 40. Seepolyp.* wir sie friiher (Fig. 34) sahen, (Der Beschauer versuche, eine geniigend anschauliche, allen Einzelheiten gerecht wer- dende Beschreibung — wo- moglich schriftlich! — selbst zu geben.) In einem anstofien- den Raume fand Schliemann Reste von diinnen Wand- bekleidungen aus Metali. (Man erinnere sich, dafi Homer von Salen mit Wan- den «aus gediegenem Erz» spricht.) Aus der Metall- technik erklart sich dieEigen- art der meisten Zierformen der mykenischen Kunst- weise. Aus ihr, aus der Ver- wendung biegsamen Metall- drahtes ergibt sich die immer wiederkehrende, weich und eckenlos gerundete Spiralen- form. (Der Arbeit in Holz, Elfenbein, Stein und auch der Weberei entspricht eine solche Linienfiihrung nicht.) Fig. 41. Goldene Gesichtsmaske aus Mykena* (* Aus Liibkes «Grundrifi».) Fig. 37 stellt eine gol¬ dene Kanne aus Mykena dar. Man beachte das Orna¬ ment ! Fig. 38. Bruchstiicke eines Kapitells. Hier ist das Ornament, zu dem der lang ausgesponnene und dann auf seine Unterlage (Gefafie, Schmuckgegenstande) auf- gelotete Golddraht immer wieder fuhrte, in Stein nach- geahmt. Fig. 39 stellt einen Schmetterling, Fig. 40 einen Seepolypen auf je einem Goldplattchen dar. Fig. 41. Gesichtsmaske, aus einem diinnen Goldblatt getrieben. Sie wurde dem Toten auf das Antlitz gelegt und solite wohl seine Ztige getreu wiedergeben. Man beachte den ernsten Ausdruck der dicht geschlossenen Lippen, der Augenlider, der Gegend um die Brauen! 43 Fig. 42 zeigt ešnen Grabstein. Der Verstorbene jagt auf einem I-Iriegswagen einem Feinde nach. Das C nze ist umrahmt von Spiralen. Das Grabmal ist aus Kalkstein. Fig. 43 zeigt eine Dolchklinge. In wilder Hast stie- ben zwei Lowen davon, ein dritter v/endet sich gegen seine Verfolger. Man sieht einen in yorgeneigter Hal- tung zielenden Bogenschiltzen (unbeschildet) und kiihn vordringende Speerwerfer. Diese tragen m a n n s - h o h e, machtige Schilde, und zwar nicht am linken Arm, sondern vom Halse frei nieder- hangend. Die Fi- guren sind aus Silber und ver- schieden getontem Gold in die Klinge eingelegt. Fig. 42. Grabstein. 44 Die Baukunst. Wir wollen zuerst die sogenannte dorische Bauweise an dem bedeutendsten Bauwerke dieses Stiles kennen lernen: am Parthenon, dem Festtempel der jungfraulichen Athene (Athena Parthenos). Fig. 44. Dem Gotterbild ein schiitzendes Wohnhaus zu errichten, das war wohl der Gedanke, der urspriinglich zu jedem Tempelbau die Anregung gab. Es schoner zu schmucken als die Bauten gewohnlicher Sterblicher, lag ebenso nahe. Der griechische Tempel erhebt Fig. 44. Parthenon zur Zeit des Perikles. sich inmitten der Landschaft, aber nicht unmittelbar auf der Bodenflache. Er ist durch einen machtigen Steinunterbau, durch eine Art Biihne, zu der von allen Seiten hohe Stufen hinauffuhren, iiber die Umgebung herausgehoben, von ihr als etwas Selbstandiges losgelost* Auf diesem Unterbau erhebt sich die Cella, der eigentliche Raum ftlr das Kultbild, rechteckig abgeschlossen. Das Dach ragt auf allen Seiten der Cella liber die Cellamauer vor und wird daher am Rande des Unterbaues von einem mSchtigen Saulen- gurtel gesttitzt, der dem dorischen Bau ein blendendes Aussehen gibt. Die Saulen zeigen eine nicht iibertriebene, leichte Schwellung (siehe unten), die ihnen einen «Hauch * Diese Stufen waren fur menschliche Schritte viel zu groi3. Ihr Zweck war also der oben angedeutete. Fur die Besucher des Tempels waren kleinere Treppen an der Eingangsseite eingefugt. 45 organischen Lebens* gibt.* Auch sind sie alle leise nach der Mitte des Baues geneigt.** Ein polsterartiges, straff geformtes Kapiteli leitet nach niederen viereckigen Deckplatten iiber, die den Ubergang aus der senkrechten Richtung der Saulen in die wagrechte des Hauptbalkenš des Dachgebalkes bilden.*** Es folgt dann der Fries, der aus schmalen (mehr hohen als breiten) geschlitzten Stutzen und zuriicktretenden Reliefplatten besteht. Diese mit drei Schlitzen versehenen Schmalstiicke (== Triglyphen) sind in den Steinbau Cbernommene Reste des Holzbaues. Wir miissen in ihnen die Kopfseiten der Holzbalken sehen, die in der Lange des Baues aufgelegt wurden. Mit Recht behielt sie der Steinbau bei, da sie asthetisch eine hohe Bedeutung haben. Wurden sie fehlen, so folgten sich im Gebalk zwei horizontale Glieder unmittelbar nacheinander. Man stelle sich das vor und man wird das Wirkungsvolle des Wechsels von senkrechten Stutzen und wagrechten Fiillplatten (= Metopen) im Fries erkennen. + Das Satteldach schlieGt an den Schmalseiten des Baues mit je einem sanft ansteigenden Giebel (aerog). 1 ' 1 ' Hier im Innenfeld des Giebels findet sich der reichste plastische Schmuck, wahrend er von den konstruktiven Gliedern (Gegensatz zu der Unklarheit der orientalischen Kunst!) vollig ausgeschlossen ist. Der Giebel schlieGt mit einem in einfacher, klarer Profilierung vorspringenden Gesims. Seinen Gipfel kront ein Stirnziegel in Palmettenform, in den Ecken wird die schiebende Bewegung, die im Gefalle des Giebels nach den Seiten erscheint, durch auf- ragende Eckzierden (Palmetten, Tierfiguren oder dgl. auf Steinuntersatzen) aufgehalten und ruhig abgeschlossen. — Der griechische Tempelbau ist mit allen seinen Teilen ganz aus konstruktiven Notwendigkeiten erwachsen. Kein Teil ist nur als auGerliche «Zierde» ohne tieferen Zusammenhang mit dem Ganzen angeheftet. Jeder Teil ist ein notwendiges Glied des Baues. Alle diese Bauglieder sind aber nicht einfach aufeinander gelagert, nein, die ganze Materie ist durchgeistigt, d. h. jedes Glied spricht zu uns, verrat uns seine Leistung, seine Bedeutung im Bau. So gibt die Saule mit ihrem breiten Aufruhen, ihrer Schwellung in der Mitte und durch die Form ihres Kapitells kund, daG sie tragt, daG sie unter dem Drucke einer schweren Last steht und ihm kraftig begegnet. Wir lesen das aus ihr so gut wie aus einem menschlichen Korper, der kraftvoll mit stolzer Leichtig- keit eine Last tragt. Die Kunstformen des griechischen Tempels erscheinen nicht um ihrer selbst vrillen, sondern als «anschaulicher Ausdruck ihrer Funktion». Trotz der Einfachheit der Baulinien (Horizontale und Vertikale) erscheint nicht nur das Einzelne vort organischem Leben erftillt, sondern der ganze Bau entbehrt bei aller Gemessenheit und Schlichtheit der Formen doch des Steifen, Starren, Mathematischnuchternen. w Vom orientalischen * Man erhalt den Eindruck, da!3 sie dem Drucke des Gebalkes nicht als «tote Stutzen », sondern unter leichtem Nachgeben, seitlich ausschivellend, als beivuCte Trager mit lebendiger Kraft begegnen. ** Durch die Schivellung der Saulen gegen ihre Mitte und durch ihre Verjungung gegen den tragenden Saulenkopf zu scheinen die Zwischenraume oben zwischen den Saulen leicht zu breit. Dem wird in wirkungsvoller Weise durch die erwahnte leise Neigung aller Lotrechten gegen die Mitte begegnet. *** VVahrend im Polster des Kapitells selbst kraftvolles Tragen (= das Emporschwellen nach oben) und das Lasten (— Auseinanderweichen unter dem Drucke) dargestellt ist. Altere dorische Kapitelle sind sehr breit und flach gequetscht und zeigen nur den Druck einer starken Last an. + Urspriinglich fehlten die Fullungen (d. h. die Metopen) zwischen den Langsbalken des Dachgebalkes. In der Iphigenie auf Tauris des Euripides wird dem Orest vorgeschlagen, zvvischen den Triglyphen in den Tempel zu steigen und das Kultbild zu rauben. +t Die Griechen fuhlten sich durch die Giebelform ihrer Tempel an die Form, die ein Adler mit ausgebreiteten Fittichen bildet, erinnert. ++t Eben wegen mancher mit feinem Gefiihl befolgten, nicht nuchtern ausgerechneten Ab- weichungen, wie z. B. Neigung aller Lotrechten gegen die Baumitte, kaum merkliche, unab\veislich mit Absicht vollzogene leichte Wolbungen des Unterbaues, des horizontalen Gebalkes, die «regelmaCig genug sind, um den Gedanken des Zufalles auszuschlieCen». (S. Michaelis, »Der Parthenom, S. 18 ff.) 46 Tempelbau unterscheidet sich der griechische Tempel wesentlich. Er ist nicht in kolossalen Dimensionen, nicht als ein unubersichtlicher Bau mit vielen Hofen und Hallen angelegt. Er geht nicht darauf aus, mystisches Grauen vor der Gottheit zu erwecken. Er zeigt sich klar, hell und freundlich, einladend. Der Mensch findet hier die Gottheit, ohne erst durch dunkle Vorbauten schreiten zu mussen, die ihn angstlich stimmen. Der Grieche steht seiner Gott¬ heit menschlich naher als der Orientale. Im Bau herrscht die Langenrichtung vor. (Wir haben oben gesehen, dah der Steinbau im Gegensatz zum Ziegelbau auf Langen- und nicht auf Rundanlagen ftihrt.) Die Hohe ist gering — denn erst die «Wolbung gestattet kompliziertere Anlagen mit Stockwerken», — sie steht aber in fein abgewogenem Verhaltnis zur Lange. Der griechische Tempelbau mit seinem Reichtum an «geistigem Gehalt (Ausdruck) in jedem Steine* wirkt durch das • • • • • • Antentempel. Prostylos. Amphiprostylos. Fig. 45. Grundrisse griechischer Tcmpelformen. Peripteros. schone, fein abgewogene Verhaltnis und Gleichgewicht zwischen Tragen und Lasten, das er zur vollkommensten, klarsten Erscheinung bringt. Man denke sich noch, dafi sich der Bau unter einem tiefblauen Himmel mitten in sattgrtlner Landschaft erhob, so daft der Glanz seines Marmors neben den Farben der Umgebung nicht kalt und einsam, sondern in wirkungsvollem Gegensatz dazu er- schien* Die weitgestellten Saulen, diese luftige Reihe «riesiger steinerner Wachter um das Haus der Gottheit*, gestatten reizvolle Durchblicke auf den blauen Himmelsgrund und in die Landschaft. Aufierdem ist noch der Bemalung zu gedenken. Basen, Kapitelle, Gesimse waren bemalt, vorwiegend mit kraftigem Rot und Blau, das, wie Goethe schon bemerkte, bei uns vielleicht zu stark wirken wllrde; im starkeren Licht des Siidens siegt die Leuchtkraft der Sonne auch liber starke Farben und sie erscheinen milder und nicht greli. Die Kassettendecke im Innern des Baues war ebenfalls reich gefarbt, in blauem Grunde hingen goldene Sterne u. dgl. m. Fig. 45. Wir sehen hier verschiedene griechische Tempel- formen im Grundrifi gegeben. Wir erkennen in den diinnen Linien, die den aufiersten Umrifi der Grundrisse darstellen, die Tempel- unterbauten mit ihren Stufen. Die Cellamauern erscheinen — nur * Die Saulenschafte, das Gebalk, die Marmonvande der Cella, mit einem Worte: die un- bemalten Glieder, waren nicht weiB, šondern wurden in eigentiimlich hellem Goldbraun getont, so daJ3 die Sonne daran nicht blendend, kalt und unruhig wirkte. 47 D von der Ttir durchbrochen, die meist allein zur Belichtung dient* — als dicke, dunkle Streifen. Die Saulendurchschnitte (Basenschnittflachen) sehen wir als schwarze kreisrunde Scheiben. Wir sehen einen Antentempel (zwei Saulen zwischen den Enden — Anten — der iiber die Eingangsstelle verlangerten Cellawande), einen Prostylos (vier oder sechs Saulen vor der ohne Verlangerungen schliefienden Cella), einen Amphi- prostylos (Saulen vor und hinter der Cella) und einen Peripteros (Saulen rings um die Cella). AuSerdem gibt es noch verschiedene andere Formen, z. B. zeigt der Pseudoperipteros (falsche Peripteros) eine Scheinhalle, d. h. die Saulen des Umganges treten nur halb aus der Cellawand hervor; beim Pseudo- dipteros ist die innere Saulenreihe nicht freigestellt, sondern wie beim Pseudoperipteros angelegt, die aufiere aber ist frei, u. dgl. m. Fig. 46. Wir erkennen die Anlage des Peripteros und Amphiprostylos. Die Cella zerfallt in zwei Teile (= Doppelcella), die durch eine Querwand getrennt sind, so dafi der kleinere Raum, dessen Dečke auf vier Saulen ruht, nur von riickvvarts, der vordere nur von vorne zu betreten ist. Die Hauptcella ist durch zwei Reihen von Saulen in drei Schiffe geteilt; an der hinteren Querseite sind diese Langsreihen durch eine Querreihe von Saulen verbunden. In dem Mittel- schiffe der grofien Cella befindet sich die viereckige Basis etwa fiir die gewaltige Statue der Athene. Das Saulenverhaltnis ist 8:17 (jede Saule 10'4 m lioch), d. h. den Schmalseiten entsprechen 8 Saulen gegen- uber 17 der Langsseiten. Die Lange betragt an 70 m, die Breite etwas weniger als die Halfte davon. Fig. 47 und 48. Wir sehen oben ein Kapiteli des reifen Dorismus, daneben Saulen von einem frilhen Werk, von der sogenannten Basilika zu Pastum (= dorische Kolonie in Siiditalien), einem Peripteros' von 9:18. In diesem Falle quillt das «Polster» weich und teigig auseinander. Das Nachgeben unter der Last kommt darin gut zum Ausdruck, nicht aber (wie bei Fig. 47) der sichere Widerstand gegen diese Last, die leichte, sichere Tragkraft. Erst allmahlich gelangt man dazu, ali den Reichtum, der im Stein fur den echten Kunstler schlummert, voli zu heben, fur alle seine bauliclien Leistungen den jevveils entsprechenden Ausdruck zu finden. Die Rinnen (die Kannelierung, Riefung) sind bei der Saule der Basilika flacher als bei der in Fig. 47; auch das gibt den Eindruck des Fig. 46. Grundrifi des Parthenon. Fig. 47. Dorisches Kapiteli v. sog. Theseion in Athen. * Fenster sind selten. Oberlichttempel (Hyathraltempel) sind nicht nachiveisbar. Am haufigsten diente jedenfalls die Ttir und ein vergitterter Ausschnitt ober ihr zur Belichtung. 48 Unsicheren und Kraftlosen. Die Kannelierung zeigt eben ein Zusammenraffen der Kraft gegen die Mitte zu. Sie scheint damit ihre Kraft nach innen zusammenzufassen. Sie wird in die Vertiefungen gleichsam hineingedrangt, in einen Kern gezwungen und quillt nur, ohne entweichen zu konnen, in den Rippen dazwischen leicht vor. Man sehe sich neben einei Fig. 48. Saulgrrvon Pastum. Fig. 49. Durchschnitt einer dorischen Saule. Fig. 50. Demetertempel in Pastum. (Nach Giacomo Krogi.) Fig. 51. Dach des Schatzhauses der Megarer in 01ympia. kannelierten Saule einmal eine glatte an. Ihre Kraft scheint nicht so gesammelt, nicht so von der Oberflache in das Innere gedrangt; sie macht einen weichlichen Eindruck. Dafi die dorische Saule unten sehr breit ist und sich nach oben verjiingt, gibt ihr den Anschein ruhigen, gesicherten Fufiens; die Verjungung fiihrt den Blick rasch hinauf und in ihrer Ahnlichkeit mit der Form des Baumes scheint sie wie dieser von einem kraftigen Wachstum erfiillt.* Wir sehen an dem ersten Kapiteli unter dem Polster oder Echinus, * Ein gerader Schaft, der noch dazu vollig glatt ist, sagt mir nichts. Er zeigt mir nur (durch die Tatsache), daC er gentigt, dem Einsturz des Getragenen zu wehren. 49 am *Hals» der Saule, mehrere quere Einschnitte dicht nebeneinander. Die Saule scheint — wie durch die Kanne- lierungen in der Langsrichtung — hi er in der Querrichtung : usammengebunden. Wir erkennen ein letztes Zusammen- fr.ssen der Kraft fur die schwere Aufgabe des Tragens der Geballdast. Die Basilika zu Pastum besafi als Dach- 'ger im Innern in der Mitte eine Reihe von liohen ulen. Fig. 49. Wir sehen den Durchschnitt durch eine iorische Saule. Die Kannelierung ist im Umrifi deutlich rkennbar. Fig. 50. Die ersten dorischen Tempel waren im all- gemeinen sehr lang, haben einen hohen Unterbau (jetzt meist zum Teil verschiittet), ziemlich enggestellte, iibermaCig ausladende Saulen, hohes Gebalk. (Vgl. die Abbildung mit der des Parthenon.) Das Material bestand aus porosem Kalkstein, der dann mit Stuck verkleidet und bemalt wurde. Vielleicht legte eben nur der urspriinglich wenig vollendete Baustoff die Bemalung nahe. In friihester Zeit kamen Holz- šaulen zur Verwendung, die erst allmahlich — am altesten dorischen Tempel, dem Heraion zu 01ympia (achtes Jahr- hundert v. Chr.), konnte dies unzweifelhaft erwiesen werden — durch Steinsaulen ersetzt wurden. Das Gebalk bestand aus Holz. Sein Fachvverk wurde dann mit Lehm gefullt und mit Platten aus gebrannter Tonerde (Terrakotta) ver¬ kleidet. Fig. 52a. Eckakroterion. Fig. 52 6. Stirnziegel vom Parthenon. Fig. 53. Parthenon im heutigen Zustande. Moll er, Die bedeutendsten Kunstvverke. 50 Fig. 51. Wir sehen ein Stiick vom Dache eines Tempels. Es erscheinen hier Stein- platten (am Parthenon waren sie aus parischem Marmor), deren StoGfugen mit Holzziegeln iiberkappt werden. Es entsteht so ein das Innere von Regen und Licht vollkommen abschliefiendes Dach. Fig. 52. Wir sehen ein Eckakroterion und einen Stirnziegel, der die Form eines stilisierten Palmblattes zeigt. Auch in der vorhergehenden Abbildung sehen wir solche Stirnziegel am Ende der Deckziegel. (Vgl. auch die Langsseiten an der Aufien- ansicht des Parthenon dar- aufhin.) Fig. 53. Der Parthe¬ non war im Mittelalter eine Marienkirche,dannMoschee. 1687, als Athen von den V enetianern belagert wurde, barg man die Pulvervorrate in ihm. Eine Bombe, die gegen den Tempel geschickt wurde, entztindete das auf- gespeichertePulver undzer- riB den Bau zum Teil. Fig. 54. Die jonische Saule iiberragt inihrerHohe viel mehr als die dorische Saule ihren Durchmesser. Sie ist schlank und «hebt» gewissermafien, hoch auf- schieCend, das Gebalk weiter und damit leichter empor, als die dorische Saule. Ihre Schwellung(Entasis)ist sehr gering. Wie im ganzen, ist sie auch an ihrem Fufie nicht so breit, schwer und massig wie die dorische Saule. Sie ruht unter Ver- mittlung eines zierlichen Fig. 54. Kleinasiatisch-jonische Ordnung. «Fufies» auf der Fufiplatte (Plinthus) auf. Die dorische und die jonische Bamveise sind «zwei Mundarten der griechischen Formensprache, die sich voneinander unteischeiden wie die Charaktere der beiden Stamme, von denen sie ausgehen». Det Dorer (man denkcan die Eigenschaften der Spartaner) war ernst, kraftvoll, strenge, der Jonier (man erinnere sich der Haupteigenschaften des athenischen Volkes) liebens- wiirdiger, heiterer, vielseitiger. Schon die Alten verglichen dorische Bauten der ernsteren m a n n 1 i c h e n, jonische der zarteren weiblichen Bildung* — Wir sehen hier den Fufi Auch der attisch-dorische lempel (Parthenon z. B.) stellt schon eine Umsetzung der herben, schwerfalligen, urspriinglichen Art (Tempel in Pastum, Selinunt siehe oben) ins Feinere, Anmutigere, Weichere dar. 51 der Saule als ein Gebilde von aufeinander folgen- den Ausbuchtungen und Einziehungen, ein aus ehstischen Teilen zusammengesetztes Kissen. Die S; ul e steigt mit tieferen Kannelierungen auf, deren v; springende Zwischenteile nicht in scharfen Kanten c: cheinen, sondern durch breitere Stellen (so- - lannte «Stege») als abgeflachte Massen zuriick- gt.dSmmt werden. Die Saule liat ein reicher gestal- tetes, aber zarteres Kapiteli. Ein Perlstab (Astragal) let die Grenze. Dann folgt ein durch umgekrem- pelte, plastisch gebildete Blatter (wegen der /' hnlichkeit mit zerschnittenen Eiern falschlich Eier- : ab genannt) verhiilltes schmales Polster, liber leseni ein geschmeidiges Band, das in federnder Kraft in der Mitte leicht anschwillt, sich an den inden spiralig einrollt und Schneckenformen (sogenannteVoluten mit einem «Auge» in der Mitte) bildet. Was das glatte Polster des dorischen Kapitells deutlich und kraftvoll ausspricht, erscheint hier in gefalligerer Formensprache weniger klar, mit Ab- icht den Eindruck der Kraftanstrengung mildernd ausgedruckt. Die nun folgende Deckplatte (vgl. dazu die dorische Saule mit ihrem Gebalk) ist hier zu einer ganz diinnen Platte eingeschrumpft. Damit erscheint auch das «letzte Anfassen der Kraft (der Ubergang ins Gebalk) nur als ein leichtes, spielendes». Auch das Gebalk wird reicher gegliedert als im dorischen. Nicht als eine Masse wirkt der Architrav mit dem Eindruck voller Schwere auf die Saule ein. Er erscheint in drei etwas ubereinander vortretende schwachere Stiicke zerteilt, gelost und Fig. 55. Attisch-jonische Saulenordnung. gegliedert. Die Last vvirkt gewisserma6en nur all- mahlich, stufenweise (in drei Stufen) ein. Wieder bildet sich dann, wo ein neues Glied mit neuer Last einwirkt, leicht vorquellend, den Eindruck des schweren Druckes bemantelnd, eine «Welle» (jonisches Kyma), durch Perlschnur begrenzt, mit plastischem Blatterschmuck (Eierstab) verkleidet. Es folgen nun bis zum wieder wellenartig aus- ladenden Kranzgesims mehrere ubereinander vor- springende, plastisch behandelte Glieder: erst in groBen Ausschnitten ein Zahnschnittmuster, dann wieder Perlschnur, Blattwelle, eine glatte Platte, ein rundstabahnliches Kyma und endlich ein grofies, Fig. 56. Attisch-jonisches Eckkapitell. reich verziertes, welches den AbschluB bildet. Fig. 55. Wir sehen eine Saule der attisch-jonischen Ordnung. Sie steht ohne FuBplatte (vgl. als Gegensatz dazu die vorige Abbildung 1) auf dem Boden aut und zeigt einen sehr einfach, aber edel geformten FuB. Wahrend wir in Fig. 54 viele scharfe Einschntlrungen und dunne, kantige Zvvischenstiicke finden, sehen wir hier in sanftem 4 * Fig. 57. Erechtheion. 52 53 Linienschwung mit immer engerem Durchmesser aufeinander folgend: einen Wulst und e n e Einziehung (Hohlkehle, Trochilus) unter einem zweiten Wulst. Die Hohe dieser ein- f chen Basis, die sich bis in unsere Tage als schonste Fufiform des jonischen Stils erhielt, i etragt etwa die Halfte der Lange des Saulendurchmessers. Am Obergang der Saule i- das Kapiteli sehen wir ein reicli verziertes Halsstiick. Das polsterartige, elastische ( tband mit den sich einrollenden Ecken zeigt, besonders in denVoluten, eine reichere Fig. 58. Akropolis. Bildung als das jonische Kapiteli, das wir oben sehen. Wahrend am dorischen Gebalk nur die kleinen Metopenfelder Raum zu plastischem Schmuck boten, zeigt sich hier der Fries (Zoophoros) als ununterbrochener Streifen, als ein Band zu ausfuhrlichem, einheitlichem Bildschmuck. Fig. 56. Das jonische Kapiteli ist, im Gegensatz zum dorischen, ohne Rticksicht auf das Rund des Schaftes nur zum Anblick von zwei Seiten her geeignet. Bei Saulen, die an der Ecke stehen, z. B. wo die Schmal- mit der Langseite eines Tempels zusammentrifft, entstehen Schvvierigkeiten, die man nur durch Spaltung der Schneckenvvindungen einiger- mafien iiberwinden kann. Fig. 57. Wir sehen den Hauptbau des Erechtheions mit einer grofieren Vorhalle (links) und einer kleineren (rechts). Das Dach der Vorhalle links (Nordhalle) wird von vier schlanken, sehr schon geformten jonischen Saulen in der Front und je einer an den Seiten (zwei gebrochen) getragen. Die Kapitelle zeigen aufierordentlich straff 54 geschwungene Voluten. Die Tiir, die in das Innere fuhrt, zeigt eine Verjungung nach oben (in der Abbildung schlecht sichtbar). Sie hat einen reich gearbeiteten Rahmen, an den Ecken Konsolen (Tragsteine) in Volutenform. Die Sudhalle (rechts) ist eine Art Veranda auf einem hohen Unterbau. Ilir Dach wird, statt von Saulen, von sechs Karyatiden, auf- rechtstehenden Madchen (Koren), getragen. Das Erechtheion lafit auch in seiner jetzigen zerstorten Form erkennen, daG es der schonste jonisclie Bau auf attischem Boden war. Er war ganz aus pentelischenr Marmor errichtet, an der Westseite mit Halbsaulen ge- schmiickt. Man kann noch die Leichtigkeit und zierliche Schonheit seiner Teile und seiner Verhaltnisse schatzen, das Schlanke, Frische, Heitere, das in seiner ganzen Anlage zum Ausdruck kommt.* Fig. 58. Wir sehen hier die Anlage der Akropolis, im Bilde zur einstigen Ausgestaltung erganzt, gekront mit den reichen Bauwerken, die sich auf der Hohe des Burgfelsens auf starker Untermauerung erhoben. Wir erkennen auf der Hochflache rechts hinten den Parthenon. Ganz links riickwarts das Erechtheion, das wir eben aus der Nahe betrachtet haben. Vorne links erhebt sich die Statue der gewappneten und geriisteten Athene (= Athene Promachos). Die Mauer offnet sich unten zwischen zwei machtigen, vierschrotigen Tiirmen zum Einlafi. Von hier aus erblickt man schon die breit und hoch ansteigende weifie Freitreppe, die zum grofien Praclitdurchgangstor, den Propylaen, fuhrt. Es offnet sich mit sechssauliger, giebelbekronter Vorhalle gegen die Stiege und gegen den Festplatz. In der Mitte ist dieser Prachttorbau der Quere nach durch eine Mauer mit fiinf Durchgangen geteilt. Die Saulen des Torinnern trugen eine in riesige Felder (Kassetten) abgeteilte Dečke. Links von den Propylaen sehen wir ein Gebaude: die Pinakothek (Gemaldesammlung). Rechts ganz vorne auf einem Felsenvorsprunge steht der kleine zierliche Tempel der Nike Apteros (= der ungefliigelten Siegesgottin), ein viersauliger, jonischer Amphiprostylos. Die Propylaen bereiten in wiirdiger Weise auf die Tempel des Burgplatzes vor. Sie leiten dahin und schliefien doch so weit den Blick davon ab, dafi man erst, nachdem man eingetreten ist, eine Ahnung von der Schonheit des hinter ihnen Liegenden erhalt und beim Austritt der ganze Festplatz plotzlich in seiner reichen Pracht vor dem erstaunten Auge des Besuchers liegt. Die Plastik. Fig. 59. Von den altesten Gotterstatuen in Holz (£oorw) ist natiirlich nichts mehr auf unsere Tage gekommen. Aber die altesten der uns erhaltenen Steinbildwerke verraten noch deutlich die Herkunft aus der Holztechnik aus der Bearbeitung des r un d en Stammes. Es herrscht die hochste Unfreiheit in der Bevvegung. Wie die billigen Holz- soldaten, die wir heute in unseren Spielereiwarenhandlungen erstehen, ist die Figur gebildet. Der Schnitzer zerteilt die Masse mčglichst wenig, lost von der Grundform nichts los, bleibt bei der Rundform, welche dem Messer am wenigsten Schwierigkeiten bietet. Hier in der walzenformigen Figur ist das alles — die Herkunft aus der Holz¬ technik — leicht erkennbar. Die Beine sind von dem Gewand so umhtillt, dalj ein glatter, hiibsch runder Zylinder entsteht. Auch die Hilften ragen dariiber nicht hinaus. Die Arme sind eng an den Leib geprefit. Das Kleid spannt sich straff dariiber wie iiber die Brust. Die feinen Rippen des Gewandes lassen, wie ihr Verschwinden an Stellen, auf denen es gedehnt hingefuhrt wird, an einen trikotartigen Stoff denken. * Eines der Madchen aus der Vorhalle ist unter «Plastika abgebildet. 55 Fig. 60. Eine Metope vom mittleren Tempel des Burgfelsens (Akropolis in Selinunt, einer griechischen Kolonie im Westen Siziliens). Sie ist aus Kalktuff und von annahernd gleicher Ausdehnung in Breite und Lange (je 1 m). Die Figuren sind seitlich mit ziem- ’cher Rundung fast voli aus dem porosen S tein gearbeitet, vorne aber ziemlich lach gehalten * Die Gestalten sind sehr edrungen, breit und vierschrotig. Dar- estellt ist, wie Perseus die Medusa totet. Or hat ihr die eine Hand auf den Schadel gelegt, mit der anderen stofit er das Schwert in ihren Hals. Seltsam pafit dazu der liebenswiirdig-freundliche Ausdruck der Angegriffenen, die sich die Ein- filhrung der todlichen Waffe mit breitem Grinsen gefallen lafit. Perseus blickt nicht auf sein Werk, sondern auf den Beschauer. Athene steht an seiner Seite. Bei dem Helden ist keine Špur von zum Vorgang passendem seelischen Ausdruck zu sehen, ebensovvenig auch nur geringe Andeutungen einer Kraftanstrengung im Korper. Die mit Schutzschienen ver- sehenen Beine sind gleichmafiig, breit und fest (je mit ganzer Fufisohle) auf- gesetzt.** Athene und Perseus zeigen, wie die Medusa, eine freundliche Miene. Wir mussen darin ein Streben nach see- lischem Ausdruck iiberhaupt erkennen, das nocli ohne Verstandnis fur die Situation auftritt.*** Die Medusa halt ein kleines Pferdchen; es ist der Pegasus, der aus ihrem Blute entspringt. Der Schopfer der Metope wollte, was er schildert, eben moglichst klar und all- gemein verstandlich bringen und er geht dabei mit den einfachsten Mitteln * Die Metopen (es sind zwei erhalten) stammen aus dem Ende des siebenten Jahr- hunderts und zeigen im Verhaltnis zur schon reich entvvickelten Formensprache der Bau- kunst dieser Zeit eine tiberraschende Un- beholfenheit in Technik und Ausdruck. ** An altertiimlichen (= archaischen) Statuen auch bei Schreitenden beibehalten! **# Auch heute ist es ja zum Teil noch iiblich (man denke an unsere Photographen!), im «freundlichen Schauen» das Um und Auf und das vollendetste Kennzeichen seelischen Lebens zu erblicken. Das Lacheln ist fast allen archaischen Figuren mehr oder \veniger eigen. Auf der Akropolis wurde ein dreileibiger Drache in porosem Kalkstein (reich bemalt) gefunden; die drei Menschenkopfe des Ungeheuers zeigen das gevvinnende Lacheln aller alten NVerke Griechenlands. Fig. 59. Weibliche Statue aus Samos (Hera). (Aus Collignon «Griechische Plastik*.) 56 vor. Der fratzenhafte Ausdruck der Medusa hat fiir uns, die wir das Grauen vor Damonen der Alten schon verlernt haben, einen komischen Beigeschmack, den Zeitgenossen des Kiinstlers vom Tempel zu Selinunt mag er schreckhaft gewesen sein. Fig. 61. Wir sehen das Mittelstuck vom Westgiebel des Tempels zu Agina, der pelopon- nesischen Insel siidwestlich von Athen. In der Mitte steht die Gottin Athene.* Vor ihr liegt ein Gefallener (Patroklos), links kommen die Griechen (an ihrer Spitze Ajax), rechts die Trojaner (als erster Aneas, hinter ihm, kniend, mit phrygischer Miltze Pariš). Athene ist in altertumlicher Weise steif, in der Art der archaischen Tempelbilder gegeben. Auch sonst sind die Stellungen noch nicht frei, der Kunstler hat den menschlichen Korper studiert, aber er hat den Weg von der steifen Pose zur freieren, leichteren Gestaltung noch nicht gefunden. Er halt noch angstlich an sorgsam beachteten und studierten Augenblicks- stellungen fest. Die Behandlung der Korper ist herbe, hart und trocken, aber anatomisch klar und „ . . „ richtig. Das Versagen der Krafte des Gefallenen Fig. 60. Metope vom Burgtempel m Selmunt. G ° kommt schon treffend in den Gliedern zum Aus¬ druck. Den Kopfen fehlt noch der Ausdruck der Beseelung. Sie zeigen ein einformiges, starres, blodes Lacheln, wenn auch nicht mehr so stark, wie wir es oben sahen. Es herrscht strenge Symmetrie, die zum Teil durch den Giebelraum bedingt ist. In jedem Giebeldreieck kommen zuerst stehende Miinner Fig. 61. Mittelgruppe vom westlichen Giebelfelde des Tempels der Athene zu Agina. (Lanzenkampfer), dann kniend e (Bogenschiitzen), in den niederen Winkeln des Feldes je ein li ege n d er.** Die Mitte bildet die Gruppe der Athene mit dem Gefallenen und zwei * Durch ihre Schild- und Speerhaltung ervveist sie sich auch im Augenblick als Schutzerin der zu ihrer Rechten befindlichen Griechen. Der Gesichtsausdruck ist starr und laCt keine die Bedeutung der Haltung erganzende Deutung zu. ** Das Schema, das mit geringen Veranderungen Giebelbildvverke auch spater zeigen. 57 herzuspringenden Mannern. Die Kampfer sind vollig nackt, tragen nur Schilder, Speere und grofie Helme. Die Bogenschutzen (ohne Schild) tragen ein kurzes, eng anliegendes Vams. Ein Teil der Waffen war aus Bronze gebildet und den Gestalten angefugt. Das laar ist kurz, wollig, kappen- tig gebildet; die Barte sind dlfčrmig, steif. Viele Einzel- i c-iten waren in lebhaften rben gegeben. (Die neueren .usgrabungen werden viel- icht manche Anderung der eute ilblichen Anordnungs- mahme ergeben.) Fig. 62. Dieses Werk 'es Kunstlers Myron aus 'leutherae (an derbootischen irenze) ist uns in mehreren /larmornachbildungen erhal- m. Wir sehen einen den Diskos werfenden Jtlngling. Die ganze Last des Korpers i uht auf dem rechten Bein. Der rechte Arm halt eine Wurfscheibe und holt mit ihr \veit nach riickwarts aus. Der Oberkorper weicht in starker Drehung aus, um Raum fur dasVorbeifliegen der Scheibe zu lassen. Der Kopf ist zuriick- gewandt, der Blick nach dem Diskus gerichtet. In starker Vorneigung driicken sich der Oberleib und das linke Bein federartig in folgender Stel- lung zusammen, der linke FuB gibt den Ausdruck bober Anstrengung, sich im Gleich- gewicht zu halten * Aucb die linke Hand veirat in ihrer pig 52 a. Diskobol von Myron. Haltung die gespannte Auf- merksamkeit und unsichere Ervvartung des Junglings, der weilS, da (3 sich im Augenblick das Gelingen oder Nicht- gelingen seiner Bemiihungen entscheiden mufi. Im Bevvegungsmotiv, im Augenblicklichen der «Ubergangsstellung» des Jiinglings mit seiner vollendeten Klarheit und Kiihnheit liegt der Hauptvvert des Werkes. Daneben sehen wir freilich auch im Gesicht eine deut- liche Fortentwicklung liber das zuletzt Gesehene hinaus. Das blode, verlegene Lacheln ist verschwunden, und wenn auch tiefere Beseelung darin fehlt und das Antlitz nicht * Um das Motiv klar vor Augen zu haben, denke man sich das rechte Bein fur einen Augenblick vveg. 58 vollig die Spannung und Ervvartung des Innern widerspiegelt, so steht es doch nicht mehr in seinem Ausdruck in Widerspruch mit dem Vor- gang, der dargestellt ist. Fig. 63. Ein Jiingling ist im ruhigen Schreiten gegeben. Der Kiinstler, der Peloponnesier Polyklet, h at Wert darauf gelegt, den Korper klar za glie- dern* Die unteren Teile sind unter auffallig starker Betonung der Muskulatur der Bauch- und Hiiften- gegend davon deutlich abgegrenzt. Der Rhythmus des Schreitens «klingt» formlich aus dem Bild- werke. «Auf der Seite des Standbeines hangt der lose Arm herab, der andere ist gebogen und tragt den Speer. So entspricht dem linken Spiel- bein der unbeschaftigte recbte Arm, dem tragen- den recliten Beindertra- gende linke Arm (Chiasmus). Infolge der geraden Arm- und Beinhaltung der rechten Seite ist hier wenig Be- wegung. Um das auszugleichen, ist der Kopf nach dieser Seite gewendet.» Zeigte Myrons Diskobol Durchdringung des ganzen Korpers mit lebendiger Kraft wahrend eines komplizierten Bewegungsaktes von festem Stand aus, so ist hier zum erstenmal eine Gestah im Schreiten gegeben, ohne dalS bei aller Ruhe der Bewegung ein Glied lebenlos ge- blieben ware. Auffallend ist die flachenhafte Behand- lung des Kopfes. Štirne, Nasenriicken, Wangen, Seitenteile und Scheitelflache, alles ist ohne starke, plotzliche Rundung gebildet. Dadurch erhalt der Kopf etwas Kantiges, Starkes. Das Fleisch ist verhaltnis- mafiig diinn, der Knochenbau tritt darunter hart und deutlich vor. Die Unterlippe ist voli und weich und etvvas hangend gebildet. Das gibt einen derbtrotzigen Zug und im Zusammenhang mit den tibrigen schon er- wahnten Eigenschaften das Polykletsche Schonheits- ideal, das auch an seinen iveiblichen Gestalten (ver- wundete Amazone, Hera im Tempel zu Argos) auftrat. * Bei dem sch\veren, machtigen Korper hier kann man von einem «dorischen Charakter > der Statue reden. Die peloponnesischen (dorischen) Kiinstler streben vor allem «erschopfende Darstellung des physischen Lebens» an, die jonischen (attischen) Kiinstler (Phidias, Praxiteles) zielen bei zarterer Bildung der Korper (grdCere Vorliebe fiir weibliche) nach reicher Beseelung. Sie erreichen darin die denkbar hochste Vollendung. (Vgl. auch das iiber Lysipp, S. 72 f., Gesagte.) Fig. 62 b. Kopf des Diskobol. Fig. 63. Doryphoros. 59 Phidias. * Man stelle sich die Gestalt nur in der genannten gevvaltigen Hohe vor. ** So wird auch bei uns noch byzantinischen Madonnenbildern mit den feinen Goldfalten des Gewandes, dem Goldhintergrunde usf. gerne Verehrung entgegengebracht. (Zimmermann und KnackfuC, «Allgemeine Kunstgeschichte».) Wahrend die Peloponnesier, die wir bisher kennen lernten (Myron, Polyklet), vt allem Menschenbildner waren (Siegerstatuen von Athleten), schuf Phidias jotterideale der Griechen, wie etvva Raffael uns den schonsten, lieblichsten Madonnentypus schuf. Er suchte in seinen Darstel- lungen die ernsten Gottheiten (Zeus, Athene) auf, vvahrend die spateren Meister, wie Praxiteles, die heiteren Gotter des Weines und der Liebe bevor- zugten. (Vgl. unten und Zeelie, Lehrbuch der Welt- geschichte, den entsprechenden Abschnitt.) Phidias arbeitete in Erz, in Goldelfenbein und in Marmor. Fig. 64. Von der Athene Parthenos — die Pro- machos ist auch in Nachbildungen nicht nachzmveisen — gibt es mehrere kleine Nachschopfungen, die freilich nur eine schwache Vorstellung des Urbildes geben konnen. Die strengen, ernsten, hoheitsvollen Ziige des 12 m hohen Gdtterbildes sind in den kleinen darnach gearbeiteten Statuetten bis zur Nuchternheit steif geworden.* Was an dem Riesengebilde aus grofier Entfernung wiirdig und hoheitgebietend erschien, erscheint im kleinen, aus der Nahe, hart und sprode. Aufierdem laCt sich in den Nach¬ bildungen schwer wiedergeben, was durch den reichen Goldglanz im Original bestrickend wirkte (der Helm z. B.). Endlich liegt noch etwas beabsichtigt Archaisierendes, das wir im Vergleich mit anderen Werken des Phidias wohl erkennen werden, vor. Wir mtissen uns da der Bemerkung des Aschylos erinnern, der darauf verweist, daB die alten Gotterbilder ergreifender wirken, weil sie ungewohnter, geheimnisvoller, seltsamer erscheinen.** Athene ist als eben in ihr Heiligtum eingetreten zu denken. Schild und Speer (er lehnte an ihrem linken Arm) hat sie niedergestellt, die Rechte mit der kleinen Gestalt der gefliigelten Siegesgottin streckt sie vor. Unten sieht man die heilige Burgschlange. Die nackten Fleischteile der Gestalt waren aus rosig getontem Elfen- Dg- 64. Marmorstatue der Athena. bein, die Waffen und das Gewand aus Gold. Auf der Brust erblickt man die Agis, das Bild des Gorgonen- oder Medusenhauptes. Schild und Sandalen waren mit reichen Reliefs geschmiickt; ebenso waren die aufgeklappten Wangenschutzstiicke des Helms reich verziert. Die tiefe, gerundete Faltung des Gewandes verrat deutlich Bekleidung des Originales mit Metali. 60 Fig. 65. Eine bessere Vorstellung von dem Werk des Phidias gibt uns eine Gemme (geschnittener Stein) in Wien. Hier ist das VVeibliche, Zarte der jungfraulichen Gottin besser zur Geltung gekommen, der Zug des Hoheitsvollen aber unter dem Eindruck spaterer Athene-Darstellungen des Phidias (vgl. die Abbildung der Lemnia unten) vielleicht zu sehr verwischt. Phidias hat die Gottin friedlich dargestellt, aber im BewuBtsein ihrer Macht, in der Bereitschaft, ihr Volk zu schiitzen. Neben der Milde und Gtite des Weibes verlieh er dem gottlichen Wesen in Athene wtirdigen Ausdruck. Fig. 66. Vom Goldelfenbeinstandbild des Zeus ftir den Tempel zu 01ympia ist uns nichts mehr erhalten. Die 14 m hohe Statue, die die ganze Hohe des Tempels erfiillte, wurde schon im ftinften Jahrhundert n.Chr. ein Raub derFlammen. Mtinzen, die unter Kaiser Hadrian in Elis gepragt wurden, geben uns wohl eine ungefahr richtige Vorstellung von der allgemeinen Anlage des Werkes und vom Grundzug im Haupte des Zeus. Keinesfalls hat der Zeus des Phidias etvvas von dem pathetischen, erregten Ausdrucke des Zeuskopfes von Otricoli Fig. 65. Gemme des Apastos. (vgl. S. 76) gezeigt. Der milde und giitige, zugleich (Aus Coiiignon .Gncchische plast*..) auch der erhabene Vater der Menschheit — so erschien er den Alten, die das Bildvverk nicht gesehen zu haben als Ungliick erachteten. Der Anblick der Gestalt goiS Trost in die kummervollste Seele, ja man sagte, wer in das hoheitsvolle, giitige Antlitz der Gestalt des Phidias nur einmal geblickt habe, konne im Leben nie wieder ganz traurig und mutlos werden. Die Stellung des Thronenden zeigt uns die Miinze aus Elis: wir sehen eine ziemlich gebundene Haltung, einfache, ruhige Umrifilinien, wenige groBe, schlicht gegliederte Hauptformen, ahnlich wie Athene Parthenos sie aufvveist. Im Gegensatze zur Schlichtheit der Gestalt und zum ruhigen Gesichtsausdruck vvar alles Beivverk iiberaus reich gebildet; Berichte des grie- chischen Reiseschriftstellers Pausanias geben uns eine Vorstellung davon. Die Fleischteile der Gestalt, die aus einem liolzernen Kern bestand, waren mit diinnen Platten aus Elfen- bein belegt; der Mantel, der den Unterleib und die Beine bedeckte, aus Gold, ausgelegt mit Lilien und anderen Blumen, die durch Schmelzfarben leuchtend hervortraten. Der Thronsessel aus Marmor, Ebenholz und Gold wies kunstvoll gearbeitete Reliefs am Sockel, dann an den von Saulenstellungen durch- brochenen Armlehnen und Stuhlwangen auf. Ahnlich war der Schemel gearbeitet, auf den Zeus die Fiifie gesetzt hiclt. Das Haupthaar und der Bart, schlicht behandelt (vgl. damit die reiche, unruhige Haarbehandlung des Zeus von Otricoli unten), waren wohl aus dunklerem Gold als Stuhl und Mantel, die Augensterne waren aus Edel- steinen eingesetzt. Das Innere der Statue durchzog wahrscheinlich ein Rohrensystem, das mit Ol gespeist wurde, um die Holzteile und Elfenbeinhaut weich zu erhalten und vor den Einfliissen der Witterung zu bevvahren. Fig. 66. Zeusmunzen: Vor- und Riickseite. (Aus Coiiignon «Griechische Plastik«.) 61 Fig. 67. Die attischen Kolonisten der Insel Lemnos stifteten um 450 das Stand- •ild der Gottin fur die Akropolis in Athen. Phidias fiihrte es aus; in Erz, wie wir schon an der eigentiimlichen Faltenbildung, die in die uns erhaltenen zwei Marmorwiedergaben iiberging, erkennen. (Vgl. oben das bei der Athene Parthenos Gesagte.) Die Gottin steht nicht so erhaben und in ihrem kriegerischen Schmucke so zuruckweisend vor uns, wie die Parthenos des Phidias, die wir oben sahen. DasW-eib- iche, Madchenhafte ist hier an Stelle des Hehren, Gott- iichen betont. Leicht geneig- ten Hauptes steht Athene da, das Haupt unbedeckt, nur im Schmuck ihres Haares, von einem schmalen Bande ein- fach zusammengeschlossen. Den Helm trug sie in der gesenkten rechten Hand, mit der Linken hielt sie die Lanze. DieRuhe derGestalt istkeine starre. Die leichte seitliche Stellung des linken Beines und die kaum merldiche Biegung im Knie bringen etwas unmittelbar Lebens- volles in die Erscheinung. Dazu tragt noch die Drehung und Neigung des Kopfes bei. Diese Stellung erweckt vor dem Original* den Eindruck des Augenblicklichen und Vorubergehenden, da wir von derWirklichkeit her gewohnt sind, dafi eine Kopfwendung nur kurze Zeit anhalt und bald wieder mit der Geradeaus- stellung vertauscht wird. Das weiche Oval des Gesichtes (vgl. es mit dem mehr vier- eekig geformten Gesicht der Polykletschen Gestalt) und die volle Bildung der nur leicht geschlossenen Lippen, die eines leicht schmerzlichen Zuges nicht entbehren, geben mit der Form der Augen und Štirne der Gestalt einen hohen Ausdruck seelischen Lebens. Die Lider laufen mit geringer Wolbung fast parallel zueinander — die Augen waren eingesetzt und sind ausgefallen, — das Unterlid ist leicht hinaufgeschoben. Dadurch erhalt der Blick etwas Traumerisches, Schwimmendes. Die Brauenbogen verlaufen sehr gerade. Die Štirne, die von vorfallenden Fig. 67. Athena aus Lemnos. * Die Abbildung hier ist so aufgenommen, daJ3 das Postament mit einer Ecke gegen den Beschauer gewendet ist. Dadurch ist uns das Gesicht voli zugewendet und die Wirkung der Drehung des Halses geht zum Teil verloren. 62 Lockchen (in der Ohrgegend unter dem Stirnband besonders reich) utnrahmt wird, geht ohne Brechung der Linien in die Nase iiber (sog. griechisches Profil). Dadurch wird das Auge von oben und von der Seite hoch uberschattet und es wird der Eindruck starken, in die Seele dringenden Schauens hervorgebracht. Unter der Leitung des Phidias (und in der Hauptsache sicher von ihm selbst) wurden die 92 Metopen, die AuBenseite der Cella und die beiden Giebel des Parthenons mit Skulpturen geschmuckt. Vom Schmuck der Metopen ist wenig erhalten; am besten Fig. 68. Liegender Jiingling aus dem Ostgiebel des Parthenon (British Museum). noch Darstellungen von Kampfen der Lapithen mit den Kentauren (Pferdemenschen als Personifikationen der Unkultur und tierischen Barbarei). Der P'ries, der die Cella auGen in der Plohe umzieht, stellt den panathenaischen Festzug, das Hauptfest der Athener, dar. Die Giebelskulpturen behandeln Athene-Mythen. — Im Ostgiebel war in der Mitte die Geburt der Athene aus dem Haupte des Zeus dargestellt. Zu beiden Seiten lagern die Gotter des 01ympos als Zeugen deš Vorganges; je eine Gestah eilt auf die zwei Gruppen zu und verktindet ihnen das Ereignis. — Schlechter erhalten ist der Westgiebel. (Hier war der Wettstreit zwischen Athene und Poseidon um den Besitz Athens dargestellt.) Fig. 68. Die einzelnen Gotter zu deuten ist schwer. Aufier bei der Mittelgruppe steht es bei wenigen fest. Doch wird die Gestah hier, die unmittelbar neben dem in der linken Ecke des Giebels mit dem Sonnemvagen auftauchenden Helios — man beachte die Feinheit des Gesichtsausdruckes, die trotz der Zerstorung deutlich wird — ruht, ftir den Gott 01ympos gehalten. Die Glieder der Gestah sind ja wirklich «von der starren Kraft eines Felsenš .... Niemals in der Kunst ist ein solcher Ausdruck von Kraft bei vollig 63 Fig. 69. Frauengestalten aus dem Ostgiebel des Parthenon (British Museum). 6 4 Fig. 70. Eckfigur aus dem VVestgiebel des Parthcnon. (Aus Liibkes «GrundriC».) ruhiger Haltung und edelster Korperbildung wieder erreicht worden. Man beachte die Festigkeit, mit welcher der Kopf auf dem Rumpfe aufsitzt.* (Zimmermann.) Man versuche, Kopf und Korper bis in die kleinsten Einzelheiten zu beschreiben. Fig. 69. Die Gestalten sind ebenfalls im Ostgiebel angebracht, aber auf der dem eben besprochenen Jiingling entgegengesetzten Seite. Das Ineinanderruhen der zwei Figuren rechts ist von aufierordentlicher Weicliheit und Natiirlichkeit. Die drei «Schwe- stern* blicken nicht nach der Mitte, sondern nach der neben ihnen mit ihren Stuten ins Meer tauchenden Selene (in der Ecke, die der entgegengesetzt ist, in der Flelios mit seinen Hengsten heraufkommt). Vom Vorgang, der die an- deren Gotter beschaf- tigt, sehen sie nichts. Sie lagern wie «Ge- wolk am Abend- himmeB; es sind viel- leicht die Hyaden (Wolken) in ihnen dargestellt. Zu be- achten ist die Behand- lung des Gewandes; es ist reich gefaltet und legt sich wie sehr dimne oder nasse Leinwand an den Kčrper. Nirgends aber tritt der Falten- wurf um seiner selbst willen (— als malerische «flatternde Draperie*) auf (vgl. dartiber bei den Barockstatuen, Bd. II); er erscheint nur in ungezwungener Abhangigkeit von den korperlichen Stellungen und Bewegungen, als ihr natiirliches, notwendiges Begleitmotiv. Die eine der Schwestern sitzt, ihr Gliederbau zeichnet sich mit Klarheit unter dem Gewand ab.* Nirgends geht * Bei den Figuren des Barock, z. B. denen Berninis, sind die Gewander oft so selbstandig gearbeitet, daC der Verlauf des Kdrpers darunter nicht nur unklar, sondern geradezu unmdglich ist. Aus einer fliegenden Ge\vandmasse treten nur Kopf, Arme und FiiBe vollig willkiirlich hervor. 65 der Eindruck des Organischen, Lebendigen unter dem reichen Faltenwurf verloren, nirgends erscheint er als selbstandige, tote Masse, unter der kein Leben pulsiert. Die mittlere der Frauen zieht die FiiGe unter ihren Sitz, so dafi sie ihre Knie der anderen zum Aufruhen bietet. Diese liegt weit zuruckgelehnt an ihrer Brust und beniitzt den einen Arm aufierdem als Stiitze. Kein Motiv an den ruhenden Gestalten erscheint unsicher, unklar oder willkurlich. Der Ausdruck, der Phidias an seinen Gottergestalten so gut gelingt, spricht auch aus diesen hier, der Ausdruck eines sorglosen, in ruhiger, gottlicher Schonheit gleichmafiig und kummerfrei dahinfliefienden Daseins. Fig. 70. Wir sehen den Rest (Torso) vom Korper einer Eckfigur im Westgiebel, von der Personifikation des Flusses Kephisos. Das weiche Ruhen, als lage er in behag- licher, lassiger Ruhe in leise fliefiendem Wasser, ist auch in diesen Oberresten noch Fig. 72. Thronende Gotter vom Parthenonfufie. zu erkennen. «Es ist, als wenn ein auflosender Strom von rechts nach links durch den Korper des Flufigottes ginge.» Dieses weiche Dahingestrecktsein hat dabei doch nichts Weichliches. Es liegt nur im sanften Flufi der Linien, nicht in der Behandlung des Korpers, dessen Muskulatur in vollendeter Weise durchgearbeitet ist. Fig. 71. Vergleichen wir diesen Pferdekopf mit dem in der Vorschule (S. 9, unter «Stili- sierung») abgebildeten. Die dort gegebenen Erklarungen machen deutlich, was Phidias mit dieser Plerauslosung der schonsten Merkmale, die sich in der Natur auch an den besten Pferden nur vereinzelt und neben anderen, die ihren Eindruck wieder abschwachen, finden, und mit ihrer Ubertragung auf ein Pferd erreicht hat. Goethe bezeichnete diesen Kopf geradezu als Kopf des «Urpferdes», d. h. als den der denkbar hochsten Idealisierung eines Pferdes. An den Ntistern und an dem zuriickgezerrten Maule erkennt man, dafi dem feurigen Tiere ein Zaum scharf angelegt vran Fig. 72. Wir sehen ein kleines Stiick aus der Darstellung des panathenaischen Fest- zuges: Poseidon, Apoll und Artemis erwarten, lassig auf Stiihlen sitzend, den Zug mit seinen Reitern, Wagen, FuBgangern, Musikern, Opfertieren usf. Das, was Schiller mit den Worten Anmut und Wurde bezeichnet hat, sehen wir an diesen Gestalten glucklich vereinigt. Dazu kommt der seelische Ausdruck dessen, was wir bei den «Schwestern» M 611 er, Die bedeutendsten Kunstvverke. 5 66 Fig. 73 a. Reiterschwadron aus dem Parthenonfriese. Fig. 736. Reiterschwadron aus dem Parthenonfriese. (Aus Collignon «Griechische Plastik».) 67 der Abbildung 69 bereits angefiihrt haben. Auch von der Gewandbehandlung gilt dasselbe. In schlichtester Weise, aber doch sehr eindringlich spricht aus den Gestalten des Phidias eine «stille Grofie», die von allen aufieren Zutaten, von allem Pathos absieht und nur durch sich selbst wirkt. Fig. 73. Trotz der geringen Tiefe des Reliefgrundes macbt das Voruberziehen dieser Reiterschwadron aus athenischen Jiinglingen im Festzuge einen sehr lebendigen Eindruck. Das Werk, das wir hier sehen, ist ausgepragte «antike Barockkunst».* Bezeichnend daftir ist die Ubertreibung aller Formen zugunsten einer blendenden, imposanten Wirkung. Fig. 95. Die Stellung des Mannes hier in der Mitte (Laokoon) hat entschieden Ahnlichkeit mit der des iibervvaltigten Giganten auf der vorhergehenden Abbildung. Aber auch sonst ist die Verwandtschaft deutlich. Antlitz und Korper bei aller Ruhe doch mit geistigem und seelischem Leben durchdrungen zu zeigen, das finden wir bei Phidias und auch noch bei Praxiteles. Hier wird die Belebung gewaltsamer durchgeftihrt. Der Gigantenfries und die Werke der Schule von Rhodos** — vgl. diese und die folgende Abbildung — packen wohl auch filr Kunstwerke wenig Empfangliche. Gestalten, die schreien, sich in Krampfen winden, einem auCerordentlichen Schicksal in hartem Widerstand erliegen, ziehen ohne weiteres die Blicke auf sich. Auch zeigt sich hier etwas, das den derben Geschmack immer in erster Linie und oft ausschliedich reizt und befriedigt: eine wirklich hohe technische Meisterschaft, die der Kiinstler auch —- durch Anwendung und spielende Bewaltigung schwierigster Motive, in den Stellungen u. dgl. m. — iiberall mit Vergniigen kundgibt.*** Das Werk wurde 1506 in den «Sieben Saulen. der Titusthermen gefunden; Michel Angelo begriiCte es mit Bewunderung. Der altere Plinius (f 79 n. Chr. beim Ausbruche des Vesuv) erwahnt es unter den Schatzen im Palaste des Kaisers Titus (f 81 n. Chr.) auf dem Esquilin. Er nennt drei Kiinstler (Agesandros, Athenodoros, Polydoros) als seine Urheber. Unsere Abbildung lafit ohne weiteres erkennen, dafi das Werk auf die Ansicht von vorne berechnet ist. Der erste Blick wird umvillktirlich der Mittelfigur zufallen. Das bewirkt der Kiinstler sowohl durch die Wahl des Platzes (Mitte), wie durch die besondere Grofie der Gestalt gegeniiber den Seitenfiguren. Alle drei werden durch die Schlangenwindungen — das gemeinsame Motiv ftir die Stellung und * Uber das eigentliche Barock vgl. unten. Der Gigantenkampf hier verhalt sich etwa «zur Kunst des Phidias, wie die Werke des Rubens (siehe unten die Amazonenschlacht) zu den iVerken Raffaels». ** Die Insel Rhodos (nahe der kleinasiatischen Kiiste) entfaltete als griechischer Freistaat unter zunehmender Entwicklung seines Handels im dritten Jahrhundert v. Chr. eine reiche Kunst- bliite, deren schonste Friichte wir hier sehen. *** Das technische Konnen ist nicht zu unterschatzen, aber es ist doch nur die selbst- verstandliche Voraussetzung der Kunst, nicht sie selbst. Mit gutem Grunde gilt der Kiinstler, der nur technisches Konnen besitzt, als minderwertig. Den Lyriker, der nur alltagliche oder kindische Regungen in den schonsten, glattesten Reimen vortragt, wird man nicht ernst nehmen. Der Dramatiker, der nur kunstgemaB von Auftritt zu Auftritt die Spannung zu steigern versteht, aufregende Vorgange ersinnt, die auftretenden Personen wirkungsvoll einfiihrt, auf die Katastrophe geschickt vorbereitet (Birch-Pfeiffer, in der Gegenvvart Felix Philippi), ist kiinstlerisch bedeutungs- los, wenn nicht die scharfe und klare Durchgeistigung der Gestalten, die logische Entwicklung und Verkniipfung ihrer Geistes- und Gemiitszustande, mit einem Worte: ihre Charakteristik und der psychologische Gehalt bedeutungsvoll, klar und richtig sind. Ahnlich wird der Komponist, der trefflich zu instrumentieren versteht, aber den instrumentalen Auftvand nicht durch tiefe, logisch aneinander gereihte musikalische Gedanken zu rechtfertigen versteht, also «um nichts ein groBes Larmen. macht, nur oberflachliche Leute, die in das Wesen der Kunste nicht eingedrungen sind, befriedigen. Dasselbe gilt von der Malerei. Bei einigem angeborenen Verstandnis und ent- sprechender Schulung erkennt man die bloBe «Mache, bald tiberall leicht. Dies sei hier nicht ertvahnt, um die Freude an dem Werke zu verderben. Der Kampf mit technischen Schtvierigkeiten, ja das Suchen derselben sind an und fiir sich nicht zu verdammen. Erst wenn sie um ihrer selbst willen, ohne innere Veranlassung gegeben werden, dann sind sie bedenklich. Wenn im Barock der Neuzeit (vgl. Barockfiguren unserer KirchenI) die Getvander flattern, die Heiligen sich verzuckt gebarden, ohne daB sich Anlasse dazu finden, wird man von «barocker Verzerrung* sprechen konnen. Aus der Antike sind uns sehr wenige durchaus leere, geschmacklose Werke ubermittelt. 81 den Schmerzensausbruch derFiguren — zusammengefafit. Bei allerUnruhe derTeile findet ein Zusammengreifen zu einer klaren Umrifiform durch den Aufbau statt. Dieser ist der eines mit spitzem Scheitelwinkel schliefienden Dreieckes, das seine Basis in der Basis der Fig. 95. Laokoon. Gruppe hat* Der Dreiecksaufbau bietet sich fur Gruppen aus drei Gestalten gleichsam von selbst dar. Er gibt den Eindruck breiten, sicheren Aufruhens und zugleich den eines ruhigen, die Blicke in ein en Punkt zusammenleitenden Auslaufens (im Gegensatz zum Viereck z. B.).** Die zwei Schlangen sind von rechts gekommen. Den alteren Sohn (rechts) * Es ist zu beachten, daC der rechte Arm des Laokoon falsch erganzt ist. Der Apollopriester griffim Schmerz hinter das Haupt zuriick. Dadurch wird der Aufbau geschlossener und ubersichtlicher. ** Ygl. iiber den Dreiecksaufbau in der Malerei unter «Lionardo», II. Teil. Moller, Die bedeutendsten Kunstvverke. ^ 82 haben sie nur leicht umschlungen. Er versucht sie vom Fufie zu streifen und blickt entsetzt nach dem starker umstrickten Vater auf. Der windet sich schon unter dem Bisse der einen Schlange, die ihren Zahn in seine linke Seite setzt. Die linke Hand versucht sie davon abzuziehen, Laokoon will sich dem jtingeren Soline zuwenden, der, an; schlimmsten umklammert, in die rechte Brust gebissen wird und schon zusammen zusinken droht. Doch ein krampfhaftes Zuruckbiegen des Kopfes, ein Wenden der Blicke nach oben, ein tiefe; Aufstčhnen — der Unter leib bleibt in der Aus atmungsstellung krampi haft eingezogen, — eine verzweifelte Spannung aller Muskeln zeigt, wie sehr Laokoon leidet. Wunderbar ist, wie der Schmerz den Korper, der gegen den Opferaltar sinkt, mit einem Schlage in die wildeste Abwehr- stellung bringt, wie er alle Glieder bis in die aufiersten Enden «wie ein Blitz» durchdringt. (Man beachte die FiiCe und die Zehenstellung der drei Gestalten.) Die starke Betonung des phy- sischen Schmerzes ist (Zeitgeschmack! Verlan- gen nach kraftigeren Reizen als sie Phidias und Praxiteles gewahren) mit grofier Hingabe mit sichtlichem Gefallen vor Augen gefuhrt. Das starke Leiden des Priesters, der eine Beleidigung, die er dem Apollo zugefiigt hat, so schwer biifit, stort in ihrer Grausamkeit fast in der ruhigen Betrachtung. Die Kopfe der Kinder und ihre Leiber stehen sowohl unter sich wie im Verhaltnis zur Korperbildung des Vaters in einem storenden, der Natur stark widersprechenden MiC- verhaltnis. Der Kilnstler wollte sie eben auch in der Erscheinung der Mittelfigur unter- ordnen, sie wiirden sonst ihre Wirkung beeintrachtigen. Die »raffinierte Technik* bewirkt, dab «es fast unmoglich ist, das Werk zu betrachten, ohne an die Ubervvindung der Schwierigkeiten, an die Bravour der Mache zu denken*. Es ist vor allem die hochste physische Qual — das Mitleid des Sohnes rechts, der in der Sorge um den Vater sich fast vergibt, fallt nicht sofort auf, — die hier meisterhaft dargestellt ist. Fig. 96. Ebenfalls ein augenblicklich bestechendes Werk — der Reichtum bewirkt, sowie die Kunst verfallt, stets eine reiche Aufwendung von kostbarem Stoff oder riesenhafte Verhaltnisse, Schaffung reicher Gruppen — ist der sogenannte «Farnesische Stier*. Auch durch den auf starke, unabweisbare Wirkungen ausgehenden, durch den grausamen, dem Laokoon gleich reiche, wilde Bewegungen veranlassenden Stoff zeigt dieses Werk seine 83 Verwandtschaft mit den zwei zuletzt besprochenen der nachalexandrinischen Zeit. Diese Gruppe, die grofite aus dem Altertum, wurde im Anfang des 16. Jahrhunderts in den BSdern des Caracalla (f 217 n. Chr.) gefunden. Plinius nennt als Schopfer zwei Manner aus Tralles (in Lydien in Kleinasien): Apollonios und Tauriskos. Die Gruppe ist nach einem ahnlichen Grundsatz aufgebaut wie der Laokoon, aber nicht, wie dieser, relief- ahnlich auf die Betrachtung von einer Seite her berechnet. Aus iner rechteckigen Grundflache pitzt sich unser Werk von allen Seiten her ungefahr gleichmafiig zur hohen Pyramide zu. DieWir- kung des Werkes ist der einer Tragodie des Euripides, des Dichters gewaltiger, «unbandiger» Leidenschaften, gleich. Wir sehen »Dirke, die Verfolgerin der Anti- ope, wie sie von den Sohnen der letzteren, Zethos und Amphion, an einen wilden Stier gefesselt wird, um zu Tode geschleift zu werden; dieselbe Todesart, die sie der Antiope zugedacht hatte*. Die Gruppe wurde stark be- schadigt aufgefunden. Nach einer alten Kamee (erhaben geschnit- tener Stein) solite Dirke schon mit einem Strick urmvunden sein, Zethos mit der Linken in ihr Haar fassen und sie zu sich heran- schleifen. Die grausame Szene wird dadurch gemildert, dafi diese Motive der Bestrafung nicht den Hauptton haben. Der wilde Stier tiberragt die ganze Gruppe und seineBandigung bildet das haupt- sachlichste und augenfalligste Motiv des ganzen Werkes. Die gerettete Antiope ist hier nicht sichtbar. Sie verschwindet hinter Amphion, der dem Tier in die Niistern und an die Horner greift und sich dabei mit einem Bein an ein frei aufragendes Felsenriff stemmt. Ein Hund springt empor. Rechts sitzt ein Knabe, wahrscheinlich nicht ein gewohn- licher Hirte, sondern die Personifikation des Berges Kitharon in Bootien.* Auf seinen Hohen spielt der Vorgang. Der Berg ist auch durch die Form des Sockels angedeutet: ein steiniger, unebener Boden, auf dem Schlangen und anderes Getier kriechen. Dadurch und durch die freie Anordnung, die eine Besichtigung des Werkes von allen Seiten, ein Herum- gehen um die Gruppe verlangt, ist ihre Aufstellung im Freien (nicht vor einer Wand oder dgl.) gefordert. Die weiche, lebensvolle Behandlung des Fleisches in hartem Stein, wie die Feinheit des Gewandes der Dirke, ist ebenso zu beachten, wie die vollkommene Art, in der sich die Kraftanstrengung der Junglinge in ihren jugendlich biegsamen, sehnigen * Uber solche Personifikationen vgl. auch unter < Altchristliche Kunst*, II. Teil. 6 * Fig. 97. Apollo vom Belvedere im Vatikan. 84 Leibern bei der Bandigung des Widerstand leistenden Stieres ausspricht. Die Gruppe war ursprilnglich wahrscheinlich mehr flachenhaft gehalten, erst der romische Kopist scheint Antiope dazu gesellt und so die vollig frei gestellte Gruppe geschlossen zu haben. Fig. 97. In unverhiillter jugendlicher Schonheit schreitet der Gott mit leichten weit ausgreifenden Schritten einher, DieBeine sind fliichtig, ohne starkeren Druclc, ohne starkere Spannung der Unter- und Ober- schenkelmuskel aufgesetzt. Der linke FuB, weit zuruckgesetzt, beruhrt den Boden kaum mehr. Der Gang liat etwas Elastisches. Der helle, sorgenlos sieghafte Ausdruck des jungen Gesichtes paCt trefflich zu dieser Art des Erscheinens: es ist der echte Gott des Fig. 98 Kopf des Apollo. Fig. 99. Kopf des Apollo. Fig. 100. Herakles von Glykon. Lichtes, der nach langer Winternacht leuchtend zuruckkehrt, der Feind der Finsternis und des Bosen. «In Sturm und Bedrangnis, in Nacht und Not plotzlich Licht und Erlosung bringend, denen zu erscheinen, die ihn anriefen, das war Apollos Natur.» So ist er hier auf- gefafit. Das leichte, sieghafte Lacheln kennzeichnet den Gott, der den Feind «spielend» im eiligen Hinschreiten iibervvindet und vernichtet. Friiher dachte man die Linke des Lichtgottes mit der Agis — in Anlehnung an eine kleine Bronzestatuette der Sammlung Stroganoffs in 85 Petersburg — bewehrt. Seit diese als Falschung erkannt ist, ztveifelt man nicht mehr, dafi zu dem Kocher, den der Gott tragt, nur der Bogen pafit. Diesen trug Apollo in der von Montorsoli erganzten linken Hand. Die Rechte trug einen Lorbeerzweig aus Bronze. Der Pfeil ist eben abgeschossen zu denken, die Spannung und Gebundenheit in der Haltung des Gottes lafit nach, triumphierend folgt der Blick der sicheren Wirkung des Geschosses. Vom ausgestreckten Arm hangt die Chlamys herab. Ihre Masse mit dem reichen Spiel der Linien, der Lichter und Schatten der Haltung deckt — ein haufig angewandtes Motiv — den leeren rechteckigen Raum, der zwischen dem ausgestreckten Arm und dem auf- gerichteten Korper liegt und der unverhiillt unschon wirken wtirde. — Erganzt ist an der Statue auch die rechte Hand. Fig. 98 und 99. In der zierlichen Eleganz der ganzen Erscheinung, in der fast weichlich-anmutigen Bildung des schonen Gesichtes, endlich in der modischen Behandlung des Haares, das zu einer Masche verknotet ist, zeigt sich eine spate Zeit an. Wir kennen aber einen anderen Apollokopf, der den gleichen Ausdruck, aber in weniger nervoser Art, schlichter und kraftiger zeigt. Er befindet sich in Basel. (Abbildung 99.) Auch die Haarbehandlung ist hier noch einfacher. Der vorvvarts dringende Blick, dasVerfolgen des Pfeiles bei leicht geoffneten Lippen ist auch hier zu sehen. Der Apollo vom Belvedere geht als ein Marmorwerk der Spatzeit (drittes Jahrhundert etwa) wohl mit dem zweiten hier abgebildeten Kopfe auf ein etwas alteres Werk — vielleicht des vierten Jahrhunderts, eine spate Zeit verrat ja auch der Baseler Kopf — zurtick. Fig. 100. Auf seine Keule in der linken Achselhohle gestutzt, mit vorgestelltem linken Fufi und intide geneigtem Haupt ruht Herakles aus. Die riesenhafte Bildung des Korpers mit den schon hypertrophischen Muskeln tritt infolge der verhaltnismafiig kleinen Form des Kopfes in gut berechneter Wirkung besonders hervor. In dem Werke hier sehen wir eine Marmorkopie des Atheners Glykon nach einer Bronzestatue des Herakles von der Hand des Lysippos aus Sikyon. Herakles als Urbild der Manneskraft wurde von Lysipp besonders gerne dargestellt. Er bevorzugte ja liberhaupt die Korper von Athleten. Auch das Motiv, den Gewaltigen, Kraftvollen in Ermiidung darzustellen, im Widerspiel von zwei selten vereinigten Zustanden den Hauptreiz der Darstellung zu suchen, stammt — wie wir bestimmt vvissen — vom Genannten. Daneben deutet die wirkungsvolle Stellung — ein Fufi vor den anderen gesetzt, — die kleine Bildung des Kopfes, die den Korper um so mehr zur Geltung bringt, auf ihn. Fig. 101. Es handelt sich hier vvahrscheinlich um die Nachbildung eines Erzvverkes, das im vierten Jahrhundert im Theater zu Athen aufgestellt wurde. Bewundernswert ist die sichere (linke Hand und linker Fufi!), selbstbewufite und doch einfache, nicht heraus- fordernde Stellung, die von jeder Pose frei ist. Im Gesicht ist der Ausdruck der reifsten Mannlichkeit, klarer Besonnenheit und das stolze Selbstgefuhl des in freiem Schaffen unabhangigen Dichters sowie hochster geistiger Adel wiedergegeben. «Der bedeutende Mann auf der vollen Plohe des Lebens, in sich selbst ruhend, grofi und sicher.» Ohne aufierliche Zugaben (Manuskripte, Leier und ahnliche Beigaben, ohne die unsere Plastiker selten auszukommen vermogen), nur durch den bedeutenden geistigen Ausdruck hat er den hohen Rang des Dargestellten im Kreise der Menschen gekennzeichnet. Die schone Anordnung des die Korperform in grofien Umrissen, aber klar wiedergebenden Himation, das in wenigen grofien Linien und Flachen, ohne kleinliche und zu reichliche Palten und Knickungen zum Ausdruck kommt, unterstiitzt wesentlich den vollendeten Adel der Erscheinung. _ (Uber die antike Malerei, iiber das romische Haus, uber Gefafikunde und M u n z e n vgl. im Anhang.) 86 Fig. 101. Sophokles Die Kunst der Romer. Die Kunstiibung der Etrusker. Die alteste Kunstiibung Italiens geht von den Etruskern aus, die Ober- und M lelitalien beherrschten (der Name klingt noch in der modernen Landschafts- bezeichnung «Toskana» Fig. 102. Tor in Arpino. :h). 600 bis 500 v. Chr. ihrer Macht; damals be- herrschen sie auch das Tyrrhenische Meer. Sie neigen mehr zu techni- schen als ktinstlerischen Leistungen. Das, was von letzteren auf uns ge- kommen ist, zeigt deut- lich phonizische Einfliisse. Spater wurden die Etrus¬ ker von den Romern unterjocht; ihre Kunst bildet zumTeil die Grund- lage der romischen. stehen sie auf der Hohe Fig. 103. Cloaca maxima in Rom. Fig. 102. Wir sehen ein Tor in Arpino (im siidostlichen Latium). Es ist durch v 7 orkragung der Steine gebildet. In spitzem Bogen nahern sich durch das gleichmafiige Vorschieben dergrofien Steine die Wande ein- ander. Fig. 103. Einen Bogen von volliger Rundung und betracht- licher Spannung, einen schon vollendeten Ge- w6lbebau also, zeigt die Cloaca maxima in Rom, der noch heute in Benutzung stehende Hauptabzugskanal der Stadt aus dem sechsten Jahrhundcrt v. Chr. Die Lange betragt etwa jrjg. 104 . Restaurierte Ansicht eines etruskischen Tempels. 320 m, die Breite der Tonnengewolbe (Gewolbe in Form einer halbierten Rohre) 3 m, die Ilohe der Wolbung 3-6 m. Die Mundung der Kloake ist noch heute an einer Stelle am Tiber gut sichtbar. 90 Fig. 104. Der romische Architekt Vitruv (lebte um Christi Geburt) gibt uns durch seine eingehenden Beschreibungen eine ziemlich klare Vorstellung vom etruskischen Tempel. Der Grundrifi ist annahernd qua- dratisch, der Innenraum (Cella) kurz — breiter als lang! — und mit einer tiefen Vorhalle von weitgestellten Saulen versehen. Sie haben ein wegen ihrer Weitstellung schwer wirkendes Gebalk zu tragen. Die Saulen sind aus Stein, von eigentiimlicher Form (siehe Fig. 105), das Gebalk ist aus Holz hergestellt und das Dach mit Ziegeln eingedeckt. Im Giebel stehen Figurengruppen aus gebranntem Ton, reichlich bemalt. Die h 61- z er n en Dachsparren im Giebeldreieck und unter seiner Basis geben das (uns schon bekannte) Muster eines Zahnschnittes. Der Tempel ruht auf einem h oh en Unterbau, zu dem nur an der Vorderseite (im Gegen- satz zum griechischen Tempel) eine Freitreppe hinauffuhrt. Fig. 105. Die etruskische Saulenform ist eine Abart der griechischen Holzsaule dorischer Herkunft. Das Kapiteli besonders erinnert an die dorische Form. Doch hat die tuskische Saule eine Basis, und zwar einen Wulst zwischen zwei Rundscheiben. Der Schaft ist unkanneliert und verjtlngt sich maftig. Fig. 105. Saule von Vulci. Das System des romischen Tempelbaues unter griechischem Einflusse. Fig. 106. Der Tempel entstammt der Zeit des Augustus. Wir besprechen ihn hier aufierhalb der geschichtlichen Entwicklung, nur um die Art des rdmischen Tempelbaues in štetem Vergleich mit dem griechischen daran zu erlautern. Wir bemerken folgendes: 1.) Der Unterbau ist hoch, aber eine Stufenanlage ist nur an der Vorder¬ seite, nicht rings um den Tempel angebracht. Der glatte Unterbau hebt den Bau auf Fig. 106. Tempel in Nimes (sog. Maison carree). 91 einmal, mehr unvermittelt als es in Griechenland geschieht, aus der Umgebung heraus. 2.) Die Vorhalle ist fast so tief, als der Cellaraum lang ist, hat hohe, sehr schlanke (vgl. damit den Parthenon) Saulen und ein Gebalk, das mehr zusammengeschoben aussieht als das griechisch- dorische, weil die einzelnen Gebalkglieder schmaler sind als dort. Der Giebel dagegen ist steiler.* 3.) Die StoCfugen an der Cellamauer sind deutlich sichtbar gemacht und zur Gliede- rung und Belebung der Baumasse verwendet. Fig. 107. Die Tiefe der Vorhalle ist an diesem alten Tempel aus der Zeit der Re¬ publik besonders in die Augen springend, der Cellabau verschwindet fast dahinter. ♦ Eine so j entwickelte Vorhalle erscheint fast wie eine selbstandige Anlage, nicht mehr nur so als vorbereitender und dienender Bauteil . . . Dieser Eindruck wird noch verstarkt, wenn sich die Saulen unmittelbar an die Cellamauer anlehnen (vgl. die vorhergehende Abbildung) und den Mauerkern daneben hervortreten lassen.» Beim griechischen Tempelbau verschvrindet dieser hinter den in gleich- mafiiger Wirkung vortre- tenden und herrschenden Saulen. (Vgl. die Abbil¬ dung des Parthenon auf S. 44.) Das Gebalk zeigt sich iiber den langen, diinnen Saulen dorisch- tuskischer Spielart als schmales Steinband, dem der Giebel ziemlich steil (Figuren fanden in den Ecken, wie am Tempel in Agina und dgl. m., kaum Platz) entsteigt. Die Saulen sind nur zur Halfte gerieft, ein Zeichen, dafi die Kannelierung nicht mehr verstanden wird und nur gedanken- los als Zierat Verwendung findet. Fig. 108. Der kleine Rundtempel, ebenfalls aus der republikanischen Zeit, erhebt sich nahe der grofien Kloake auf einem Stufenunterbau. Um den Cellakern ist ein * Uber die Vorhallen-Giebel- und Saulenbildung am romischen Tempel vgl. die Ab¬ bildung 107. Fig. 108. Rundtempel. (Aus Liibkes «Grundri£».) Fig. 107. Tempel von Cori. 92 Saulenrund aus 20 hohen korinthischen Saulen gelegt. Hafilich wirkt das unmittelbare Aufliegen des Zeltdaches auf den Saulenkopfen ohne vermittelndes Gebalk (vgl. damit die schone Wirkung des Gebalkes am Parthenon, dem romischen oben usf.). Fig. 109. Die Vorhalle desTempels mit ihren hohen, glatten korinthischen Saulen und demTreppenaufgang ist, ganz eingeschlossen von Bauten unserer Zeit, noch leidlich erhalten. Vom Giebel sind die Metallbuchstaben abgefallen und nur nach den Nieten lafit sich der Inhalt der lateinischen Inschrift noch feststellen. Sie besagte: «Der Roma und dem Augustus, dem Sohne des gottlichen Časar, dem Vater des Vaterlandes N Fig. 110. Das Amphitheater der Flavier* das Kolosseum, ist der grofite Baurest, den wir von den Romern ilberhaupt haben. Vespasian (69 bis 79 n. Chr.), Titus (79 bis 81 n. Chr.) und Domitian (81 bis 96 n. Chr.) fiihrten den Bau auf; etwa 82 n. Chr. wurde er vollendet. Er war m hoch, etwa 185 m lang und faBte die Einwohnerzahl einer mittel- grofien Stadt.** Diese safien auf Sitz- reihen, die in weitem Rund rings ( a.j.i(pi — herum) um den Kreis der Arena (arena = der Sand) empor- stiegen. 80 Eingange fiihrten im ErdgeschoC unter Vermittlung langer Gange in das Innere. Auf den Einlafi- tafelchen (= Eintrittskarten) war auch die Nummer des Einganges ver- zeichnet. Im Erdgeschofi befinden sich vier konzentrische Korridore. Die folgenden Stockvverke — im ganzen vier -— nahmen je um einen solchen Gang ab. Aufien war die riesige Masse nicht von eintoniger Glatte, sondern vielmehr dadurch belebt und vvirkungsvoll gegliedert, dafi die Wande der drei unteren Geschosse durch hohe Bogenfenster aufgelčst waren. Diese Bogenfenster waren von Saulen umrahmt: unten schone dorische, im ersten Ge- schoft, entsprechend der geringeren Schwerfalligkeit, jonische, im nachsten korinthische, alle getrennt durch vorspringendes (verkropftes), wagrecht verlaufendes Gebalk. Das vierte Stockwerk zeigte eine geschlossene, nur von korinthischen Wandpfeilern (Pilastern) und kleinen Fenstern unterbrochene Masse. In seinem obersten Drittel sieht man Kragsteine * So genannt, weil von den drei Kaisern aus dem Hause der Flavier gebaut. ** Es war ein vollstandiges Amphitheater (= Doppeltheater, Ringtheater), d. h. ein Theater mit kreisahnlichem Innenraume. Die Theater steli ten gewohnlich einen Halbkreis dar, an dessen gerader Grenzlinie sich das Biihnenhaus erhob. (Vgl. unten!) 93 Fig. 110. Amphitheater der Flavier. Fig. 111. Durchschnitt und Teil vom Aufrifi des Kolosseums 94 (Trager, Konsolen) zur Aufnahme von 240 hohen Stangen, die durch Locher im Gesims hindurchgingen und die hoch uber den Mauerrand hervorragten. (Vgl. die Abbildung 110.) tJber sie wurde eine Riesenleinwand, iiber den ganzen Raum des Kolosseums hin, als Schutz gegen die Sonnenglut gespannt.* Unter ihm und zwischen den Masten drang gen - gend Licht ein. Zi r Aufspannung des Segels wurden Sci- daten, und zw;.r Mannschaften (Ma- trosen) der tyrrh; - nischen Flottendiv - sion, die vor Kap Misenum lag, kom mandiert. Die Be kleidung (aus Tra- vertin), die der Bau auBen zeigte, ist abgefallen. In de Fensterbogen ware, niedere Briistunge: (Gelander, Balustra ■ den) angebracht, au denen Statuen auf gestellt waren. (Vgl, die Abbildung 111. Noch heute ist der Eindruck ein mach- tiger, wenngleich die Sitzreihen nicht mehr im hellen Schimmer strahlen, den sie vor fast 2000 Jahren zeigten, als eine in reiche Farben gekleidete, bunte, in Massen andrangende Menge den Riesenraum mit lautem Summen und mit Beifallslarm bis Fig. 112. Restaurierte Aufienansicht des Kolosseums. j n ^ie letzten Sitz¬ reihen erfiillte. Fig. 111 und 112. Wir sehen eine Erganzung der heutigen Ruine zur ursprunglichen reichen Anlage (liber die Gelander, Statuen und Dachmasten vgl. oben) nebst ihrem Durchschnitt und Aufrifi. Von Erzstatuen in den Bogenoffnungen des zweiten und dritten Diese Schutzleinivand hieC das Segel (velutn). Darauf bezieht sicli die VerheiCung auf antiken Theateranzeigen: vela erunt = das Schutzdach wird_aufgespannt sein! 95 E 01(1 Geschosses wissen wir durch alte Miinzen. Ein Grab- relief im Lateran zeigt iiber den Haupttoren Vier- gespanne, zwischen den Wandpfeilern des obersten Geschosses grofie eherne Schilde. Fig. 113. Die Basiliken (der Name kommt aus Griechenland, rj paoih.*}) oma = Konigshalle) dienten dem Handel (Borsengebaude) und der offentlichen Gerichtspflege. Sie waren rechteckige Gebaude vgl. den GrundriC Fig. 113), die durch Saulenreihen n Schiffe geteilt waren, von denen das mittelste das breiteste war. An der riickvvartigen Schmalseite irefand sich eine Nische. Die Dečke war zuweilen aus kassettiertem Holz oder man sah in den offenen Dachstuhl. Bei der Basilika Trajans (98 bis 117 n.Chr.) war sie aus Metali. Die tibrige Art des Aufbaues ist aus den Durcbschnitten (ein Langenschnitt durch die Nische, ein Querschnitt vor der Nische) ohne weiteres ersichtlich. Wegen ihrer Beziehungen zum altchristlichen Kirchenbau (vgl. im II. Bande) ist die antike Basilika fiir uns wichtig. Die Basilika Julia (von Julius Časar begonnen und von Augustus voll- endet) war funfschiffig, mehr als 100 m lang und an 50 m breit. Sie besafi 120 Pfeiler, aber keine Nische. Fig. 114. 27 v. Chr. hat M. Agrippa das Pantheon errichtet, 110 n. Chr. brannte es ab, 120 begann Hadrian mit einem neuen Bau an Stelle des vernichteten. Was wir heute davon sehen, ist freilich auch nur mehr ein schwacher Abglanz dieses)Werkes. Heute liegt 0 B 0 0:0 0,: 0 s a a a s a h riSMO n m 0 □ t3 E 13 liJ Fig. 113. Grundrifi der Basilika Ulpia. Fig. 114. Pantheon in Rom. 96 Fig. 115. Pantheon (Inneres). der Bau tief unter der Flache der umgebenden Strafien und Platze. Ehemals ftlhrten zur Vorhalle Stufen empor. Die Vorhalle wird von 16 Saulen aus grauem und rotem agyptischen Granit getragen. Ilire Kapitelle sind heute zum Teil entblattert. Der Giebel liber der Vorhalle \var mit Figurengruppen geschmtickt. Der heute nackte, machtige Mauerzylinder besalJ eine glanzende Marmorbekleidung, die durch Ringstufen zum Teil verdeckte Kuppel war mit goldglanzenden (bronzierten) Ziegeln gedeckt. Die Vorhalle ist durch ein eigenttlmlich hohes, rampenartiges Zwischenglied mit der Ringmauer des Hauptbaues verbunden. In der Seitenansicht macht sie trotzdem den Eindruck eines fast selbstandigen Teiles, der dem Mauerzylinder nur vorgesetzt ist. Die Kuppel lafit von aufien die grofiartige Wirkung, die der Innen- raum durch sie erhalt, nicht ahnen. Sie erscheint in den fast bis zu ihrer halben Hohe aufgefiihrten Mauermantel und die Stufenanlage tief eingesenkt und zeigt nichts von dem schonen Umrifi, der z. B. der Kuppel von St. Peter, deren Aufbau iibrigens auf ganz andere Grundlagen zurtickgeht, eigen ist. Das innere Gebalk der Vorhalle war von eigentumlicher Art. Es bestand aus erzenen Hohlbalken; Papst Urban VIII. lieB sie durch andere ersetzen und Kanonen fiir die Engelsburg sowie die Saulen zum Tabernakel des Bernini in der Peterskirche Fig. 116. Grundrifi des Pantheon. daraus gieften. 97 Fig. 115. Seit 600 n. Chr. etwa ist das Pantheon eine christliche Kirche. Dadurch blieb sein Inneres vor starkeren Zerstorungen bewahrt. «Der wunderbare Eindruck des Innern beruht auf dem Prinzip der Einfachheit und Einheit (der ganze Raum ist mit einem Blick zu ubersehen; er zerfallt nicht in mehrere Teile, von denen jeder fiir sich Aufmerksamkeit beansprucht — keine Schiffeinteilungen durch Saulenreihen u. dgl. m., — sondern wirkt als ein Ganzes). Es ist ein geschlossener, lebendiger Organismus, einheitlich im Raume ... einheitlich im Licht, das ganz allein durch eine groCe Offnung im Scheitel der Kuppel hereinstromt und den gewaltigen Rundbau mit seinen Strahlen und Reflexen so wunderbar erfiillt, wahrend oben im kreisrunden Ausschnitt der romische Himmel in satterer Blaue leuchtet, als man es irgendwo im Freien sehen kann. Dazu kommt die Einheit der Mafiverhaltnisse, denen die einfachste mathematische Gleichung 1:1 zugrunde liegt. Die Hohe vom FuCboden bis zum Beginne der Wolbung ist gleich der Hohe der Kuppel, so dali, wenn man sich die Kuppel zur Kugel erganzt dachte, diese gerade den FuGboden beriihren wiirde.»* Die Hohe des Innern betragt gleich dem Durchmesser 43 m. Die Kuppeloffnung (das Licht einlassende «Auge») allein hat eine Weite von ni. Die Kassetten der Dečke sind in perspektivischer Verkleinerung der Tafeln konstruiert. Sie enthielten urspriinglich Blumensterne aus Bronze, die im siebenten Jahrhundert geraubt wurden. Fig. 116. Wir sehen die Vorhalle durch Saulenreihen in drei Schiffe geteilt. Das mittlere fuhrt zum Eingang, die seitlichen zu Nischen mit den Riesenstandbildern des Augustus und des Agrippa. Der gewaltige Mauerring mit seiner Dicke von 6 m ist nicht als ganze Masse Trager der Kuppel, vielmehr durch ausgesparte Zellen —• halb- runde in der Achsenrichtung, eckige dazwischen (8 m breit, 4 - 5 m tief), in ein System von mit Entlastungskammern verselienen, seitlich ausgehohlten Pfeilern aufgelost, die den Hauptdruck der Kuppel aufnehmen. Diese Anlage bewirkt zugleich nach innen eine ansprcchende Gliederung der Mauer, die sonst in zu gleichmafiiger Glatte dem Auge keinerlei Ruhepunkte gewahren wiirde. Diese Losung und Vertiefung der Wand erlaubte die Anbringung von Gotterstandbildern (heute Al tare) in gesonderten und doch nicht abgeschlossenen Raumen. Wir sehen in jeder Nische zwei Saulen; je zwei kleinere erscheinen vor jedem Mauervorsprung. Im Vergleich mit der vorigen Abbildung ergibt sich sofort ihre Bestimmung; sie tragen die dreieckigen Giebel kleiner, an der Mauer vorspringender Altare. Fig. 117. Der Tempel ist der grofite von den uns bekannten der Romer. Er lag in der Nahe des Kolosseums auf der Via sacra und wurde um 135 n. Chr. von Hadrian nach seinen eigenen Planen erbaut. Er war ein Doppeltempel, d. h. er hatte zwei Zellen, vvelche mit den noch erhaltenen Nischen, die mit Halbkuppeln gedeckt sind, aneinanderstiefien, so dafi sich die zwei Gotterbilder Riicken gegen Riicken befanden. Die Dečke war nicht flach, sondern als kassettierte Tonne gebildet; ein Teil der Wolbung ist auf der Abbildung erkennbar. Der Tempel war von der Gattung der Peripteralbauten, er besafi je 10 Saulen an den Schmal-, je 20 an den Langseiten und war von einem grofien Hofe, der von einer Saulenringhalle mit prachtigem Propylaion umschlossen war, umgeben. Im Hintergrunde sieht man die Thermen des Titus, prunkvoll eingerichtete Bader, in denen sich ein Teil des Volkslebens — die Thermen dienten iiberhaupt als Erholungsorte — abspielte. Fig. 118 und 119. Wir sehen die Ostseite und die Westseite des Forum Romanums, des einst geschmuckten langlichen Platzes unter dem Kapitol. * Von aufien ist dieses Verhaltnis nicht zu erkennen. Die Kuppel ist eben durch den Mauerzylinder, die Attika (= die glatte Vorvvand iiber der Vorhalle) und die Stufenringe stark verdeckt. Ihre Wolbung beginnt schon beim zrveiten Gesimsstreifen unter den Fenstern. Mo 11 er, Die bedeutendsten Kunstwerke. 7 Fig. 117. Tempel der Venus und der Roma. 98 Divus Julius. Antoniustempel. Konstantiusbasilika. Kastortempel. Basilika Julia. Tempel des Romulus. Fig. 118. Ostseite des Foruras. Fokassaule. Zwolf-G6tter-Halle. Tabularium. Severusbogen. Saturntempel. Vespasiantempel. Schranken. Rostra. Fig. 119. Westseite des Forums. 7 * 100 Die Triumphbogen. Fig. 120. Die Triumphbogen waren urspriinglich Gelegenheitsbauten (man denke an unsere Triumphpforten, die bei festlichen Empfangen aus Holz errichtet und mit Reisig bekleidet werden); allmahlich bildet man sie als bleibende Erinnerungszeichen aus unver- wustlichem Stoff. Der hier gegebene stellt sich als eine breite Mauermasse dar, die von einem grofien Torbogen in der Mitte, von zwei kleinen seitlich durchbrochen ist. Alle drei sind mit Tonnengewolben gedeckt* Aus der glatten Mauerflache springen Sockel fiir Saulen Fig. 120. Triumphbogen des Konstantin in Rom. und korinthische Saulen vor und fiir diese in der Hohe ein rechtwinklig aus dem Gesims vordringendes Gebalk (verkropftes Gebalk). Dariiber setzen sich die Saulen vor einem glatten Obergeschofi (Attika), das in der Mitte die Weiheinschrift tragt, als halbpfeiler- artige Streifen (Lisenen) fort. Vor diesen stehen Gestalten besiegter Barbaren (Dazier). Sie weisen auf Trajan, an den auch die Darstellungen in den Rundbildern (Medaillons) erinnern; sie stellen Jagdszenen aus seinem Leben dar. Der Zeit Konstantins gehoren namlich von den plastischen Darstellungen nur die Siegesgottinnen in den Bogenzwickeln des Haupttores und die Reliefbander unter den Rundbildern an. Die Reliefs an der Attika schildern Szenen aus den Markomannenkriegen und sind von einem Denkmal Marc Aurels genommen. Der Bogen mit den drei Toren und der tiberaus reichen Glie- derung ist die reichste von den Triumphpforten, die uns aus der Antike geblieben ist. * Der Bogen verherrlicht den Sieg Konstantins d. Gr. liber seinen Gegner Maxentius bei Saxa rubra 312 n. Chr. 101 Die Plastik. Die altesten Werke der romischen Bildhauerei zeigen etruskische Einfliisse. Um 200 v. Chr. beginnt die Einfuhr griechischer Kunstwerke nach Rom. Dann lassen sich auch griechische Kiinstler in Italien nieder und kopieren die Werke der grofiten griechischen Meister.* In der Zeit von Augustus etwa bis Hadrian blliht auch eine einheimische romische Plastik, die als beson- deren, eigenartigen Grundzug einen strenofen Realismus zeigt. Im Gegensatz dazu stehen einige idealisierte Portrats, wie z. B. die nebenstehend abgebildete Biiste des Antinous, des Lieblings des Kaisers Hadrian, der bei Lesa im Nil, \vahrscheinlich flir seinen Kaiser sich opfernd, ertrank. Fig. 121. Das weiche Langlich- rund des Gesichtes wird fast ganz von den Augen beherrscht, denen der Kiinstler in eigentiimlicher Formung der Augenumgebung, besonders durch die Annaherung der Augenlider, einen seltsam vertraumten Ausdruck gege- ben hat. Der volle, iippige Mund mit den etwas zurtickgezogenen Mund- winkeln unterstiitzt ihn noch, wahrend das Haar das in wehmiitiges Sinnen versunkene Antlitz «wie eine ernste Draperie» umfaGt. Auf ihm liegt es «wie wehmiitige Trauer um den friihen Tod, wie leise Klage uber das Dahinschwinden der kurzen Bliitenschonheit des Lebens. Ein verspateter Nachklang zarter griechischer Poesie in der markigen Prosa des Romertums*. (Zimmermann.) Fig. 122. Mit unheimlicher Deutlichkeit und Echtheit ist in diesem Kopfe der mib- trauische, gewalttatige, gemeine Charakter des Kaisers Caracalla ausgesprochen. Der bose Zug um den Mund, die etwas hinaufgezogenen Nasenfltigel, der starrende, unheimlich for- schende, lauernde und schon verurteilende Blick, die umvillig gekrauselte Štirne, das alles ist zusammengetragen, um mit der ganz leichten Zuriickneigung des Kopfes vollig die genaueste Charakterschilderung zu ersetzen. Mit Recht hat man darauf aufmerksam gemacht, dafi hier niemand versucht wird zu fragen: «Wer hat das gemacht?» Der Kiinstler tritt ganz hinter seinem Werke zuriick. Die Gotter des Phidias z. B. zeigen so deutlich und bestimmt des Kiinstlers Auffassung (wie er sich die Gottheit denkt), dafi man mit seinem Werk ihn selbst kennen lernt. Ahnlich ist es bei Praxiteles, der die * Uber die Nachbildung des Herkules Farnese durch den Athener Glykon nach einem VVerke des Lysipp, aber in iibertrieben starker Korperbildung, vgl. den Text zu Fig. 100. Fig. 121. Antinous. 102 Anmutigen liebt, bei Raffael (vgl. seine Madonnen unten) — sie alle lassen in ihren Werken auf ihr Wesen schliefien.* Hi er verrat der Kunstler nicht, wie er sich zum Werke stellt, er schildert Zug um Zug ohne zu beschonigen, was ihm das Leben zeigt. Fig. 123. Wir sehen hier eines der schčnsten Werke der romischen Stein- schneidekunst.** Dargestellt ist auf einem Onyxstiick aus zwei Schichten (dunkler Grund und milchweifie Oberschichte) von 27 : 21 cm die Verherrlichung des Augustus nach der Niederwerfung der Pannonier (13 n. Chr.). Die Darstellung ist in zwei Teile gegliedert. Oben ist die Apotheose dargestellt, unten die Veranlassung zu dieser Ehrung. Wir sehen Augustus, den Kaiser, in der Linken den Herrscherstab, in der Rechten das Abzeichen der Auguren, gleich einem Gott (ohne Rtlstung oder dgl.) thronend. Jupiters Adler sitzt ihm zu Ftifien. t)ber ihm erblickt man sein Gestirn, den Steinbock. Neben ihm sitzt Roma, zu ihrer Rechten Fig. 122. Romische Kaiserbiiste. (Rom. Fig. 123. Gemraa Augustea. Fig. 124. Romischer Altar. sehen wir Germanikus und Tiberius, seinen Stiefsohn, der vom Siegeswagen, den Viktoria lenkt, steigt, um seinen kaiserlichen Herrn zu begriifien. Zur Linken des Kaisers erscheint die Personifikation der bewohnten Erde (Okumene). Sie senkt einen Kranz aus * Man suche nach Parallelen in der Literatur! ** Man unterscheidet bei den geschnittenen Steinen (Gemmen) zwei Arten: Intaglio mit vertiefter Zeichnung, Kameen mit erhohtem Schnitte. Der Onyx mit seinen verschieden gefarbten Schichten wurde mit besonderer Vorliebe zur kunstvollen Ausfuhrung von Kameen venvendet. 103 Eichenlaub aufden Ge- feierten. Neben ihr er- scheinen ein bartiger alter Mann (der Coe- lus), eine Frau mit Full- horn und zwei sich an sie schmiegende Kinder. Es istTellus, die frucht- bare Erde. Im unteren Streifen errichten Sol- daten einTropaion, ein Siegesdenkmal, das die romischen Waffen ver- herrlicht. Unten kauern zwei Gefangene, andere nahen von rechts in demiitiger Haltung. Die Schvvierigkeit der Technik ist bei Beurteilung der Arbeit hier freilich einzurechnen. In grofien, aber immerhin vollkommen verstandlichen Ziigen offenbart sich das, was der Kunstler mitteilen will. Wahrscheinlich stammt die Gemme von Dioskurides, einem Steinschneider, der nach Sueton und Pli- nius, von Augustus ge- fordert, hohen Ruhm erlangte. Fig. 124 bis 126. Von dem Reichtum und dem Prunk der romischen Schmuck- formen, mit denen mehr als ein klarer, sinnfalli- ger Ausdruck fur die architektonische Funk- tion gesucht wird (vgl. damit die griechischen oben), geben uns diese Abbildungen ein beredtes Zeugnis. Uns werden diese Formen mit ihrem fleischigen, vollsaftigen Blatterschmuck lebhaft bei der Renaissance in Erinnerung treten, welche auf diese romisch-antiken Formen bei ihren Bauwerken und ihren kunstgewerblichen Arbeiten zurilckgreift. Fig. 126. Akanthusornament. Fig. 12S. Friesstiick von Trajansforum. Anhang zur romischen Kunst. Das romische VVohnhaus. Fig. 127. Wir sehen die Grundform des antiken italischen Hauses in Form eines Hausdurchschnittes. Ein langerer Flur (Fauces), zu dessen Seiten Raume liegen, die sich meist nicht in das Haus, sondern nur nach aufien offnen (vgl. den folgenden Grundrifi) Fig. 127 Durchschnitt eines romischen Wohnhauses. und die als Garktichen, 01- oder Weinladen vermietet wurden, fiihrt in einen groCen viereckigen Raum mit einer grofien vierseitigen Lichtoffnung — Fenster auf die Strafie sind seiten — im nach innen eingestulpten saulengestiitzten Dache. Der Offnung im Dache entsprach ein Becken im FulSboden (Impluvium) zur Aufnahme des einfallenden Regenwassers. Von diesem Raume aus, in dem urspriing- licli derHerd, daher Atrium (= der geschwarzte Raum), stand, offnen sich Eingange nach den Zimmern, gewohnlich nur durcli Vorhange verschliefi- bar —• hier holzerneTiiren mit breitmaschigem Gitter zum Lichteinlafi dariiber — und ausschlieGlich vom Atrium aus belichtet. Das Atrium erweitert sich an seinem Ende rechts und links (vgl. den GrundriC oben) zu je einem breiten, unverschlossenen Flugelraume, zu den Alae, die als Ahnengalerie und als Empfangsraume dienten. Auf das Atrium folgt das Tablinum, das Geschafts- und Studierzimmer des Hausherrn. Dieses offnet Fi«. 128. Grundrifi eines romischen Wohnhauses. 106 sich schliefilich durch einen mit einem Velum (Vorhang) verhangenen Durchgang zu dem meist um einige Stufen tiefer liegenden, rings von Mauern vollig eingeschlossenen Hausgartchen, dem Hortus. Unser Durchschnitt zeigt die Wande der Innenraume in der Weise des sogenannten ersten pompejanischen Stils, d. h. die Wande sind — in Nach- ahmung echter Mormorplattenbekleidung — durch farbige Stucktafeln verziert.* Fig. 128. Man suche sich an der Hand der in der vorhergehenden Abbildung bei- gefugten Begleitworte im GrundriG zutechtzufinden und man wird bei der folgenden Abbildung auch iiber die Lage des dargestellten Raumes und iiber die um ihn zu Fig. 129. Wir sehen hier das Hauschen, dessen Durchschnitt und GrundriG oben gegeben wurde, von auGen. Man bezeichne den Raum fiir die Laden, den Eingang (Fauces), den Hausgarten, die Einstiilpung des Daches uber dem Atrium (Impluvium) usf. Fig. 130. Wir sehen das Atrium, und zwar eines mit flachem Dache, die Licht- Cffnung darin, das Becken darunter. Rechtš und links breite Seitenoffnungen in die weiten Alae; der Raum gleich hinter dem Atrium ist das Tablinum. Dieses offnet sich hier in einen weiten, von Saulen umschlossenen Hof, das Peristyl, das sich bei reicheren Hausanlagen an das Tablinum (an Stelle des Hortus, des kleinen Hausgartens, den wir in Abbildung 127 sahen) anschliefit. Ein Blick vom Atrium des Hauses von oben hatte nach dem Tablinum eben nur die einfache glatte Mauer, welche den Garten dort umgibt, gezeigt. Fig. 131. Im Jahre 79 n. Chr. wurde eine kleine romische Stadt siidlich von Neapel, Pompeji, durch einen Ausbruch des Vesuv verschiittet. Unter den Hausern, die in tiber- raschend gutem Zustande aus Asche- und Bimssteinmassen ausgegraben wurden, ist das * Im zweiten Stile \verden diese Verkleidungen aus Stuck nur durch Bemalung nach- geahmt. Im dritten Stile tritt an Stelle dieser Nachahmung von Wandverkleidungen die Be¬ malung der Wande mit klar abgestimmten farbigen Flachen und ihre Vereinigung zu leuchtenden Farbenakkorden. In die Felder, in die der dritte Stil die Wand aufteilt, iverden nur einzelne kleine Bildchen (Figiirchen, Blumenkranze u. dgl.) eingesetzt. Der vierte Stil (in Pompeji zwischen 60 und 79 n. Chr. am reichsten vertreten) zeigt die Wand mit zierlichstem, tiberaus fein und reich gegliedertem Architekturvverk (Saulchen, Bogengange) iippig bemalt und mit perspektivischen Durchblicken reichlich versehen. denkenden Raumlich- keiten im klaren sein. Wie gesagt, offnete sich das romische Haus nach innen. Obergeschosse waren nicht beliebt, aber in groGen Stadten doch gebrauchlich. Das Haus war von einem erhohten Gehsteig gesaumt. Ober die StraGe ftihrten fiir die FuGganger in Schritt- breite einzelne Steine von gleicher Hohe, so- genannte Schrittsteine. Sie lagen so weit aus- einander, daG die Rader von Wagen zwischen ihnen bequem durch- konnten. 107 Fig. 131. Haus der Vettier. 108 Haus der Vettier zu nennen. Wir sehen hier in sein Peristyl. Marmortroge, Wannen, Statuen, die mit Wasserleitungen verbunden waren, alles ist noch an Ort und Stelle. Auch die Umrifilinien der Beete waren so \venig zerstort, daB man sie in den Formen von einst wieder herstellen konnte. Vom Peristyl der groBen Hauser gelangt man erst nach rechts und links in die eigentlichen Familienzimmer. Die Raume zu Seiten des Atriums konnten bei ausgedehnten Hausern untergeordneten Zwecken dienen. Wir finden hier Hauskapellen (Lararien), kleine Bildergalerien, Bibliotheken, einen Festsaal (Oecus), das Speisezimmer oder Triclinium usf.* Auch Baderaume durften in keinem Hause fehlen. Zur Ervvarmung der Wohnraume im Winter dienten offene Pfannen, auf die man gltihende Kohlen legte; auch tragbare Ofen hat man gefunden. Fig. 132. Eine besonders sinnreiche Art zur Erzielung einer gleichmaBigen Warme ist hier zu erkennen. Der Fufiboden ist unterhohlt, d. h. er ist durch viele kleine Ton- pflSckchen hochgestellt. Er wird nun durch HeiBluft, die durch Kanale Zutritt findet, von untenher erwarmt. Die hier abgebildete Anlage zur Zufuhr erwarmter Luft entstammt den Thermen, und zwar im besonderen dem Heifibade am Forum in Pompeji. Fig. 132. Anlage von Warmevorrichtungen unter dem Fufiboden eines Caldariums. Die Theater. Fig. 133. Die romischen Theaterbauten bestanden im allgemeinen (liber Amphitheater vgl. unter Kolosseum) aus einem Giirtel von Sitzreihen. die in Form eines Dreiviertelkreises hintereinander aufsteigen. Der vom Zuschauerraum eingeschlossene Kreisabschnitt hiefi die Orchestra und war fiir den Chor bestimmt. An seinem geradlinigen AbschluB erhob Fig. 133. Theater zu Segesta (Sizilien). * Der Name Triclinium (Dreilager) hat folgenden Ursprung: Um einen aufgemauerten oder frei beweglichen Tisch, ungefahr von der Hohe eines Stuhls ohne Lehne, werden drei niedere Ruhe- banke aus Holz oder Bronze gestellt, jede als Lagerstatte fiir drei Personen. Man stellte sie in Halbkreisform um das Tischchen. Die freie Seite diente zum Zu- und Auftragen der Speisen. Das Mahi nahm man auf den Lagern liegend ein. 109 sich die eigentliche Btihne (Skene), die nach hinten die sehr hohe Buhnenrtickwand mit vorspringenden Seitenfliigeln und Dach abschlofi (= das Proskenion mit Eingangen fur die Schauspieler). Dieser grofie Aufbau war zugleich ein geeigneter Schallfanger. Fig. 134. Wir sehen das kleine Theater von Pompeji, das wohl besonders zu Musik- auffiihrungen verwendet wurde und das in der Form — es war vollig gedeckt —• etwas von dem gebrauchlichen Typus abwich. Fig. 134. Das kleine Theater von Pompeji. (Aus Liibkes «Grundrifl».) Anhang z ur Geschichte der antiken Kunst (der griechischen und romischen). v. % -v Die Keramik. Die Keramik (Tomvarenkunde, Gefafi-, Vasenkunde), obwohl von Hand- werkern ausgeiibt, niitzte stets die Ergebnisse der edleren Kunst so weit aus, dafi sie uns ein gutes Bild der Entwicklung der fruhgriechischen Malerei, die sich in ihr spiegelt, gibt. Fig. 135. Die troischen GefaGe zeigen den primi¬ tiven Stil. Die GefaGe sind ohne Anwendung derTopfer- scheibe geformt, von sinnlos phantastischer,oft unzweck- maGig und damit unge- schickt reicher Form mit viel zu vielen Henkeln oder plumpe Nachahmungen von menschlichen Gestalten und Gesichtern u. dgl.; Ornamente fehlen, wenn man nicht einige unge- schickte Einritzungen dafur Fig. 135. Troische Gefafie in Berlin. nehmen will. Fig. 136. Die mykenischen GefaGe zeigen schon die Anwendung der Topfer- scheibe und ornamentale Ausfiihrungen in glanzend schwarzer Farbe, vorjallem Spiral- formen, Seesterne, Tintenfische u. dgl. m. (Vgl. unter «Mykenische Kultur*, S. 38ff.) Ver- einzelt finden sich auch Darstellungen von Menschen, die in schematisierter Anordnung erscheinen. Die Augen werden, wie bei den Agyptern, in jener Ansicht gezeigt, in der sie am groGten erscheinen, in der seitlichen. Auch die Nasen vverden als auffallige Gesichtsteile auf das deutlichste in der Zeichnung, schnabelartigen Vorspriingen ahnlich, hervorgehoben. Fig. 137. Eine weitere Gruppe (etwa 1000 bis 700 v. Chr.) gehort dem geometrischen Stile an; nach dem Hauptfundorte, dem Dipylon-Tore in Athen, heifit dieser Stil auch der Dipylonstil. Hier nehmen lineare Schmuckformen, wie Zickzacklinie, Maander und Hakenkreuze, einen groGen Raum ein, Zierate, die sich aus geraden, in Winkcln aneinander gefiigten Formen zusammensetzen. Die Anordnung der Streifenmustei ist 8 M 611 er, Die bedeutendsten Kunstwerke. Fig. 136. Von einer rnykenischen Vase mit ausziehenden Kriegern (Perrot). 114 nicht willkurlicli, son- dern paGt sich den Gefafi- formen gut an. Auch die menschliche Gestalt setzt sich aus geometrischen Formen (Kopf und Brust Dreiecke, die Arme dimne Linien, die eckig brechen) zusammen. Alles ist sil- houettenartig (in dunkel- braunem Firnis auf gelb- lichem Tone), einfarbig ausgefiihrt. Bei aller Schablone bevveisen die einformigen Puppchen doch eine gewisse nicht ungeschickte Beobach- tung des menschlichen Korpers. Wir sehen auf unsererVase einen Leichenzug dargestellt; der Tote liegt auf einem sehr hohen Wagen, ldagend umstehen ihn die Freunde und An- gehorigen. Ein Streifen unten zeigt das Gefolge zu Wagen, die von karikatur- haften Pferden ge- zogen werden. Ab- bildungen heimischer Haus- und Jagdtiere sind haufig. Fig. 138. Wir Fig. 138. Orientalische Vasen. (Aus Lubkes .Grundric.,) sehen einige \ asen orientalisieren- den Stils (achtes bis sechstes Jahrhundert v. Chr., Einflufi vom Verkehr mit den Phonikern ausgehend), darunter — in der Mitte — die beriihmte Dodwellvase. Fig. 137. Vase des Dipylonstiles. Fig. 139. Odysseus totet die Freier. (Von einem attischen Becher — Berlin.) 115 Wir sehen Tiere des Morgenlandes (Ldwen, Panther, Tiger), dann Sphinxe, Vogel mit Menschenkopfen, Lotos- und Papyrusornamente, ebenso Palmetten u. dgl. m. Als Farben erscheinen Violett, WeiGgrau, Rot und Braun auf honiggelbem Grunde. In Korinth wurden solche GefaGe massenhaft erzeugt. Seit dem Anfang des sechsten Jahrhun- derts entvvickelt sich in Attika ein eigener Stil. Er erscheint erst als schwarzfiguriger. Auf dem ziegelroten Untergrunde sind die Figuren in glanzend schwarzem Firnis auf- gemalt (nur die Haut der Frauen ist weiG). Die beriihmteste Vase des schwarzfigurigen Stils ist die sogenannte Frangoisvase in Florenz. Fig. 139. Seit dem fiinften Jahrhundert herrscht der rotfigurige Stil (die Figuren rot, der Grund schwarz, im Gegensatze zum schwarzfigurigen Stil). VVahrend im schwarz- figurigen Stile Bewegungsmotive nur im Um- risse gegeben werden konnen, sind hier auch Innenlinien in Schwarz (zur Angabe der Gewandfalten, der Haare, Brauen, Augen usf.) moglich. Erst als strenger Stil — er zeigt uns das VVesentliche der Malkunst Polygnots auf GefaGe iibertragen — entwickelt er sich all- mahlich von sehniger Straffheit und Gebunden- heit zu groGerer Weichheit («schoner Stih). Unser Bild zeigt den Odysseus, der, heimkehrend, sich gegen die Freier wendet. In stillem Entsetzen, mit dem knappen, aber vollig verstandlichen Fig. 140. Unteritalische Prachtamphora. Gebardenspiel des strengen Stils in der Weise ( A «s Lubkes «Grundrie».) P°lygnots sehen zwei Frauen seinem Beginnen zu. Fig. 140. Die Vasenfabrikation findet in Griechenland um 300 v. Chr. ein Ende. In Italien, besonders in Apulien, findet sie ihre Fortsetzung als «reicher Stih. Wir sehen hier eine unteritalische Prachtamphora im zierlichsten, reichen rotfigurigen Auftrage. — Solche Amphoren nehmen auGerordentlich machtige Formen an. Sie werderr oft mit mehreren Farben bemalt, auch plastisch mit Gold verziert u. dgl. m. Die Malerei der Griechen und Romer. Was wir von den bedeutenden Malern der Griechen wissen, schopfen wir fast ausschliefilich aus Schriftquellen. Die Originalwerke sind untergegangen. Den grofiten Maler des fiinften Jahrhunderts v. Chr., Polygnot, konnen wir nach Vasenbildern aus der Zeit seines Wirkens (Mitte des fiinften Jahrhunderts, Zeit des strengen Stils der rotfigurigen Malerei) und nach der sehr genauen Beschreibung, die der griechische Reiseschriftsteller Pausanias von dessen Wand- gemalden im Versammlungssaale der Knidier in Delphi gibt, beurteilen. Diese stellten dar: 1.) die Abfahrt der Griechen von Troja, 2.) Odysseus in der Unterwelt. 8 * 116 Die perspektivische Darstellung fiihrt erst und zwar in den Grundziigen der Theatermaler (szenische Dekorationen, Kulissen) Agatharchos aus Athen in der Zeit des Aschylos ein. Der Athener Apollodon beginnt mit der Schattierung in seiner Kunst («Schattenmaler»), Zeuxis und Parrhasios bauen auf seinen Errungen- schaften vveiter. A p el les, der Hofmaler Alexanders d. Gr., der «Praxiteles der Malerei», erntete bei den kiinstlerisch so an- spruchsvollen Griechen das hochste Lob. Sein Hauptwerk war die viel- gepriesene Aphrodite Anadyomene (= aus dem Meere emportauchend) im Tempel des Asklepios in Kos. Erst in der Zeit nach Alexander d. Gr. bliiht die Landschafts- malerei empor. Genre- maler werden schon viel friiher genannt; sie malen heitere Szenen aus dem Volksleben u dgl. m. Zweifellos haben die Romer, wie in der Plastik, so auch in der Malerei, die besten Werke der Griechen kopiert. Wir erkennen in manchem romischen Bilde nach Beschreibungen Originale alterer griechischer Meister wieder. Fig. 141. So erkennen wir in einem pompejanischen Wandgemalde (aus dem »Hause des Tragodiendichters», jetzt in Neapel) wohl nicht mit Unrecht das Werk eines Zeitgenossen des griechischen Malers Zeuxis, des Timanthes von Kythnos. Die Steigerung des Schmerzes in den einzelnen Gestalten (der alte Priester, das ge- angstigte Madchen, die Trager) bis zu Agamemnon, dem Vater, der sein Haupt verhiillt, wurde sehr geruhmt. In den Wolken eilt Artemis auf einer Hirschkuh herbei, das Madchen zu retten. Fig. 142. Die Odysseelandschaften, von denen wir hier eine sehen, sind erwahnens- wert. Sie entstammen etwa der Zeit vom Ubergang der Republik in die Monarchie. Es sind Illustrationen zum zehnten und elften Buche der Odyssee. Hinter dunkelroten Pfeilern, zu denen (siehe links auf der Abbildung) auch die Schatten gemalt sind, zieht sich in sechs Bildern eine zusammenhangende Landschaft hin. Sie ist in Grunblau (Himmel und Wasser) und Gelbbraun (die Berge) gemalt. Die hellenistische Kunst bildete diese ♦ Wandmalerei mit Durchblicken ins Freie» aus. Diese Ausblicke geben, wenn auch nur gemalt, dem Raume, den sie schmticken, ein freundliches Aussehen und erweitern ihn gleichsam, weil der Blick die durch perspektivische Mittel gegebene Weite und Tiefe 117 Fig. 142. Odysseeiandschaft. fast wie wirkliche Weite und Tiefe empfindet. Die kleinen poinpejanischen Zimmerchen tauschen durch solchen und ahnlichen Schmuck iiber ihre Enge und liber das Felilen des Zusammenhanges mit der Natur (keine Fenster fiir Blicke ins Freie) hinweg. Fig. 143. Die eben geschilderten Annehm- lichkeiten zeigt der vierte Stil des pompejanischen Wandsciimuckes (aus der letzten Zeit der Stadt). Die Wand ist mit zierlich um- rahmten farbigen Flachen (meist in Gelb und in schonem Rot, «pompeja- nisch Rot») geschmuckt. Daneben erscheint eine phantastische, von diinnen Saulchen getragene Schein- architektur mit perspekti- vischen Durchblicken, mit kleinen Genien, Eroten u. dgl. m* Fig. 144. Mosaiken sindinRomseitBeginnder Kaiserzeit sehr beliebt.** In Pompeji fand man als Fufiboden in der Časa del Fauno (= Haus mit dem Faun) ein Mosaikgemalde, * Uber den ersten und zweiten Stil vgl. oben bei Besprechung des romischen Hauses (S. 106). - Der dritte Stil (mit Anklangen an agyptische Darstellungen) ist ein Flachenstil. Raume auf der Wand sind fiir Bilder, nicht so sehr zur Erzielung des Eindrucks von Raumenveiterung, sondern zur Einfiigung von Gemalden ausgespart. Der Stil entspricht der ersten Kaiserzeit, etrva bis 50 n. Chr. ** Auch zu Geschmacklosigkeiten gelangte man durch den VVunsch, hochste technische Ge- schicklichkeit zu zeigen. So zeigt ein Mosaik im Lateran-Museum einen ungefegten FuCboden Die Uberreste eines Mahles — Krebsscheren, Salatblatter, Austernschalen - sind auf ihm in tauschender Nachahmung der Wirklichkeit dargestellt. Fig. 144. Mosaik der Alexanderschlacht. 118 119 das den siegreichen Kampf Alexanders d. Gr. gegen Darius bei Issos (333 v. Chr.) dar- stellt (jetzt im Museum zu Neapel). Sicher ist es die Nachbildung eines Werkes aus der hellenistischen Zeit, \velches den Sieg unmittelbar, nachdem er errungen war, feierte. Uns befremdet die Anbringung eines Gemaldes, das einen so wiirdigen Stoff wurdig behandelt, auf einem fiir die Betrachtung und fiir den Lberblick so ungilnstigen Platze, wie es der FuGboden ist. Alexander d. Gr. dringt an der Spitze der Makedonier von links unauflialtsam vor. Der Heim ist ihm im Gedrange vom Kopf gefallen. Mit der Lanze holt er vom Pferde herab zum Stofi aus und bohrt sie einem persischen Prinzen, dessen Pferd Fig. 145. Erotenszene: Amor als Wirt. gestiirzt ist, in die Seite. Ein Reiter ist abgesprungen, um dem Bedrangten sein Pferd anzubieten, aber sein Gesichtsausdruck zeigt uns, dafi er erkennt: zu spat. Der Wagenlenker des Perserkonigs weiC, dafi mit dem Falle des Fiihrers und mit dem Heranstiirmen der Makedonier der Kampf entschieden ist, er peitscht daher wild auf die Pferde ein. Der Konig aber streckt vom enteilenden Wagen noch, unbekummert um die eigene Gefahr, die Hand aus nach dem Opfer Alexanders d. Gr. Die persische Reiterei flieht rechts entsetzt und in wilder Eile. Audi iiber die Bewegung der vom Wagen des Konigs gedeckten Lanzen- reiter belehrt uns die Stellung ihrer Waffen. Sie fliehen alle. Die Schlacht ist entschieden. Trotz der Zerstorungen am Gemalde (links) kann man die iiberaus gluckliche Anord- nung, das Geschick, einen entscheidenden Augenblick in voller Wucht und Klarheit sprechen zu lassen, voli beurteilen. Fig. 145. Wir sehen eine niedliche humoristische Szene aus dem Mause der Vettier in Pompeji. Unter roten Wandfeldern erscheinen in tiefschwarzen Streifen Eroten, kleine Liebesgotter, geflugelte Biiblein, die bei einem, der den Wirt macht, Wein holen. Dieser reicht einem Kaufer, der stolz ein Mantelchen und ein kleines Stockchen tragt, eben eine Schale Wein zur Kostprobe. Ein anderer kleiner Liebesgott neigt eine Amphora* iiber einen Sockel, um noch eine Schale mit dem Getrank zu fiillen. Links zeigt sich eine Gruppe von Amphoren, die Kellerei des kleinen, hoflichen Wirtes. * Amphoren = hohe zweihenklige Aufbevvahrungskriige fiir Wein und 01, mit schmalem Fu£S, der in die Erde gesteckt werden kann, und die so eine sichere und kiihle Aufbe\vahrung moglich machten. 120 Antike Miinzen.* Metalle waren von jeher gut verwendbare und darum beliebte Stoffe, die jeder gerne als Vergiitung flir eine geleistete Arbeit oder ftir Gegenstande, die er wert hielt und von denen er genug besafi, um davon an andere abgeben zu konnen, in Tausch annahm. Man tauschte seit alters her Metalle gegen Arbeit und Arbeitsprodukte ein; auch heute tun wir noch so, nur dafi wir jetzt wohl abgevvogene Metallstlicke, deren Wert durch den Prager (den Staat) verbiirot und nach einem einheitlichen Grundsatze genau bestimmt ist, statt jener rohen Eisenstiicke hinnehmen, die der Grieche vor der Zeit Homers nur nach dem Augenmafie schatzte. Man zabite anfangs mit Eisenbarren (daher der Name Obolos [opolog] = Spiefi) und nahm als eine Art GrundmaC so viel, als davon auf eine Hand ging. Das waren sechs Štabe. Man bezeichnete diese Menge als Drachme, d. h. eine Handvoll. Bis heute scheinen uns Metalle, zu Stlicken (Miinzen) zerteilt, am ge- eignetsten, um den Wert aller Gebrauchsgegenstande, aller Arbeitsleistungen daran zu messen. VVenn wir heute ausdriicken wollen, wieviel uns dieses oder jenes Ding wert ist, so tun wir das, indem wir es einer bestimmten Anzahl von landlaufigen Metallstiicken, unseren Miinzen, gleichstellen (10 Kronen wert, 20 Kronen wert u. dgl. m.).** Eisenstiicke als Geld waren im Verkehr unbequem. Sie waren unhandlich. Edelmetalle, besonders aber Gold, waren nach dem Aueenmafie nicht ohne Nachteil fiir den Kaufer oder Verkaufer einzuschatzen. Hier waren schon kleine Unterschiede im Gevvicht bedeutunesvoll. Dennoch waren Edelmetalle eben wegen ihrer Handlichkeit wiinschenswert. Ein kleines Kliimpchen des seltenen Goldes wog schon den Wert eines massigen Eisenstiickes, das man kaum tragen konnte, auf, u. dgl. m.*** Bei Edelmetallen mufite man Betrug fiirchten, wenn nicht der Gehalt an reinem Golde oder Silber durch eine vertrauenswiirdige Autoritat beglaubigt war. Staaten und Herrscher erschienen dazu ausersehen; in altester Zeit vielleicht auch Handelshauser, deren Vorstande besonderes Vertrauen (Kredit) in der Handelswelt besaOen. * Die Abbildungen mit freundlicher Erlaubnis des Verlages (Velhagen und Klasing) nach dem trefflichen Aufsatze von Otto Seeck in den «Monatsheften» Nr. 11, 1904, dessen lehrreiche Beispiele hier zum Teile beniitzt sind. ** Als einziges Tausch- und VVertbestimmungsmittel erscheint Metali nicht bei Homer. Von Diomedes’ Eisenriistung, die er gegen eine goldene tauscht, heiCt es: sie sei nur neun Rinder wert gewesen, die goldene 100 u. a. m. *** Vgl. oben in der Anmerkung das Beispiel von der goldenen und eisernen Riistung. Das gibt gleich einen Unterschied von 90 Rindern, obwohl die Riistung nattirlich nicht aus reinem Golde, sondern zur Erzielung grdBerer Harte jedenfalls sehr bedeutend mit unedlem Metali gemischt war. Ubrigens schwankte der Verhaltniswert der Metalle schon im Altertum sehr. Herodot gibt das Verhaltnis von Silber zu Gold mit 1:13, Plato mit 1:15 an, bei den Romern stand es 189 v. Chr. 1:10. 121 Fur einen reichen Mann, dessen Stempel genligte, um die Zvveifel an dem Wert eines damit versehenen Metallstiickes auszuschliefien, miissen wir den Fanes, von dem im folgenden die Rede sein wird, halten* Fig. 146. Die altesten Miinzen waren dicke Metallklilmpchen. Das hier abgebildete besteht aus Elektron, d. i. Weii3gold, einer Mischung aus Gold mit so viel Silber, dafi ein weiGlicher Ton vorherrscht.** Das langliche Stilckchen dtirfte aus dem Anfang des siebenten Jahrhunderts v. Chr. stammen. Auf der Vorder- seite erkennt man einen asenden Hirschen, daruber stehen in der altertiimlichen Schrift der Griechen Klein- asiens die Worte: