TOTES WflS5ER CIN ROMAN flU5 HABSRURQER LANDEN MOTTO: „L'ignoranoe ignore. La Science aait que tout est myst6re.“ (Baronne de Knorr: Fensees du Solr.) 11 mm LAIBACH 1307 111111II bR @ 14 s> II. Und dann kam es damals wirklich — das grofie Gliick, das nie geahnte! Der stolze Baron Preyck warb um ihre Hand. Im brautlichen Schleier stand sie bald als sein angetrautes Weib neben ihm am Altar und wahnte die Engel im Himmel dazu jauch- zen zu horen. Papa Seidl sogar war so froh, dafi er die Tochter beim Verlassen der Kirche nicht ein- fach auf den Mund kiiBte, sondern sich den Scherz leistete, Melanies Hand nur devot an seine Lippen zu drucken und sie selbst als „Eure freiherrliche Gnaden“ zu begliick- wiinschen. O, wie war dies doch alles so seltsam, so freudig aufregend! Schien es ihr nicht, als be- trate sie ein Feenreich, wo sie fiir immer weit iiber allem Kleinlichen thronen werde?! Ah, jetzt wiirden wohl auch sie wie zu einer Eben- biirtigen zu ihr aufschauen, alle diese hoch- miitigen kleinen Komtesseln und Baronesseln, mit welchen Melanie Seidl im Salesianer- kloster zwar die gleiche Erziehung, nie aber die gleiche Stellung genossen hatte. Was fiir Augen wiirde zum Beispiel diese impertinente Komtesse Mizi Lobenfels machen, wenn sie die „Apothekerstochter“ nun als Freifrau von ©15 © Preyck wiedersah! Vielleicht entsann sie sich dann doch mit Beschamung jener kleinen Szene, wo das frische Biirgerkind einmal ganz naiv zu ihr geaufiert: „Was gabe ich darum, konnte ich nur so schlank sein wie Sie!“ und die Komtesse dann so boshaft vvitzelnd geant- wortet: „Nun ja — ein Bierseidel ist eben kein feiner Champagnerkelch!“-Oho, und jetzt trug sie dennoch die siebenzackige Krone — eine Aristokratin war sie geworden: M e - lanie Baronin Preyck! Wie sie sich am Klange dieses Namens berauschte! Ihr kindlicher Geist ergotzte sich an derartigen Vorstellungen, sie ward trunken davon wie vom feurigen Wein .. . Ach, aber zu bald nur schwand die holde Illusion. Nur zu bald schon fiihlte die junge Frau, daB diese gliickverheiBende Krone ihr mehr und mehr zur D o r n e n krone ward. Nicht etwa, daB man sie in der Familie ihres Gatten nicht freundlich aufgenommen. O nein, dies hatte Chlodwig wahrlich nicht geduldet, ebensowenig wie er der vornehmen Gesell- schaft, in welche er seine Erwahlte eingefiihrt, auch nur die leiseste Zuriicksetzung der Ge- mahlin verziehen hatte. Und alle diese Leute kannten ihn gut! Sie wuBten, er konnte der beste, der liebenswiirdigste Mensch von der Welt sein — aber es gab eine Grenze: dariiber hinaus ward er sehr unduldsam ... gefahrlich sogar! So wagte es niemand, Chlodwigs Zorn herauszufordern. Nichtsdestoweniger hatte Melanie mit mehr Einfalt, als sie besaB, gesegnet sein miis- @ 16 @ sen, ware ihr nicht diese von Freundlichkeit iiberzuckerte Herablassung, mit der man ihr zuvorkam, schmerzlich aufgefallen. In Wort und Ton lag immer so etwas von „christlicher Milde“ oder erzwungener Hoflichkeit, wenn man zu ihr sprach . .. Und dann dieses be- leidigende Auskultieren ihres innerstenWesens ! Mit halben Blicken, mit halben Worten, feig- verstohlen, tippten sie an ihr herum, neugierig hinhorchend mit der stummen Frage: „Bist du s o oder s o, kurioses Menschenkind, aus einer andern Welt!“ Ah, wie ihr dies das Blut zu Kopfe trieb! Ha, wie das peinigte — wie das weh tat! Einer freilich konnte sie selbst so etwas nicht iibelnehmen, namlich ihrer vollig erblin- deten, greisen Schwiegermama. Bigotterie und Hochmut waren allerdings auch im Herzen dieser Frau die herrschenden Charaktereigenschaften, allein Melanies wei- ches Gemiit fiihlte doch gleich heraus, daB man jener Armen, in Anbetracht ihres mafilosen Ungliicks, alles verzeihen miisse. Und schliefi- lich fand die alte Baronin auch wirklich, mit dem eigentiimlichen Tastsinn der Blinden, in ihrem fast erstarrten Herzen dennoch einen Platz fiir die Frau ihres Lieblings, ihres „ritter- lichen“ Chlodwig! Ja, sie gewann die unwill- kommene Schwiegertochter lieb und lieber. Nur mit Schwagerin Euphemia war es gar zu schwer auszukommen! Man wufite namlich nie recht, woran man mit ihr war. Ein zweiter Talleyrand, schien ihr die Sprache nur dazu zu dienen, ihre Gedanken zu verbergen, nicht @ 17 © urn sie auszudriicken. Und gerade in Chlodwigs Augen galt diese seine einzige Schvvester als das Muster aller Vollkommenheit und Vor- nehmheit. Wieder und wieder wurde sie Me- lanie im Benehmen als Beispiel vorgehalten. Ein Gliick nur blieb es, daB Baron Preyck selbst, von Natur durch und durch offen und gerade, wirklich ein Edelmann in des Wortes hochster Bedeutung war. Stets benahm er sich gut und ritterlich gegen seine junge Frau. Ja, diese lernte ihn achtungsvoll verstehen, wenn er sie auch anfangs durch seine lebemannische Leidenschaftlichkeit oft erschreckt und sie in ihrem keuschesten Empfinden — vielleicht un- bewuBt — verletzt hatte. Als aber dieser ungleiche Ehebund durch die Geburt eines Kindes besiegelt, ja in Me- lanies Augen „von Gott gtitig gesegnet“ schien, da mufiten selbst die schlimmsten Prophe- zeiungen — wie solche gleich bei der Ver- lobung laut geworden — machtlos verhallen. Weil man weder Gatten noch Gattin etwas nachsagen konnte, so iiberlieB man diese „Un- interessanten" nunmehr einstweilig sich selbst und ihrem Schicksal. Vielleicht — so zischelten die bosen Zungen — boten sie doch spaterhin noch einmal AnlaB, sich mit ihnen zu befassen. Fiir die chronique scandaleuse waren sie ja beide immerhin noch lange jung genug!... Allein nicht die chronique scandaleuse war es, was ihnen nur zu bald schon die Aufmerk- samkeit ihrer Standesgenossen und Bekannten in unerwarteter Weise wieder zugewandt. Nein, vielmehr ein in seiner Art ungewohn!ich @ 18 ®> erschiitternder Trauerfall. Baron Preyck, einer der besten und tollkiihnsten Reiter, war auf der Schnitzeljagd mit dem Pferde gesturzt, und zwar so ungliicklich, daB das im Laufe scheu gewordene Tier, plotzlich stolpernd und unter seinem Bandiger zusammenbrechend, Chlodwig mit grafilicher Wucht gegen einen Baumstamm geschleudert hatte. Dieser jahe, gewaltsame StoB zerschmetterte ihm das Ge- nick. Als einen Toten trug man ihn heim zu seiner jungen Frau. Fassungslos stand Melanie solchen Schick- salsschlagen gegeniiber; das war keine erheu- chelte Trauer, wie jedermann sah! Hatte sie den um so viele Jahre alteren Gatten also doch so heiB geliebt, daB ihr sein Verlust nun wie die Zertriimmerung ihres eigenen Lebensgliicks vorkam ? Oder war es nur, weil ihr jahlings der einzige Halt gebrach, dessen ihr Dasein be- durfte, und den sie nun mit Chlodwig fiir immer verlor? Der greise SchloBkaplan hatte gut trosten: ihm selber schien es, als sprache er in den Wind. Ebensowenig aber wie sie momentan den Trost der Religion begriff, ebensowenig verstand die kindliche Frau natiirlich auch, was der kluge Hausarzt meinte, als er treu- herzig gesagt: „Trosten Sie sich, Baronin, es war ein schoner Tod fiir ihn! Nicht jedem ist es vergonnt, so ,im Sattel zu sterben'. Einige Jahre spater hatte Ihr Gemahl auf dem Siech- 2 * *©> 19 -S) bett geendet. O, und d e r Jammer — ich denke dabei namlich an Sie — d e r Jammer ware ja nicht auszudenken!“ Was wuBte sie davon, wie sich der un- bekannte Jammer der Zukunft wohl zu ge- stalten vermochte — grofi genug war der- jenige dieser hoffnungslosen Gegenwart. Eines auch sah sie ganz klar: die bittere Vereinsamung, die namenslose Lebensleere, welche nun ihr Los ward. Denn, dafi man seitens der vornehmen Verwandtschaft dafiir sorgen wiirde, dafi nicht ihr, der biirgerlich geborenen Mutter, die Erziehung des kleinen Freifrau- leins iiberlassen bleibe, ja dafi man ihr das eigene Kind auf jede Art zu entfremden, zu entreifien streben werde, dies war Melanie von vornhinein gewiS. Ebenso wie ihre eigene volligste Machtlosigkeit gegen soleh iiber- starken herrischen Widerstand. Vielleicht noch hatte der Einflufi der alten Baronin-Schwiegermama irgendwie Einhalt zu gebieten vermocht. Allein der grofie Kummer iiber des Lieblingssohnes Tod hatte auch der Greisin schwaches Lebenslicht nur zu bald ausgeloscht. Die Schlofifrau von Trautenau folgte Chlodwig ins Grab. Da aber griffen Euphemias starke Hande ordnend ein, in das Geschick der Familie. Laut Testament verblieb zwar die junge Witwe lebenslanglich im Besitze der schonen und ein- traglichen Herrschaft LoBnitz, welche gerade an jenes niederosterreichische Landstadtchen stieB, in dem Melanies Vater seine Apotheke besafi. Doch eben dieser Umstand liefl es fiir ©20 © die Standesehre einer Baronin Preyck leider nicht wiinschenswert erscheinen, daB sich am Ende gar ein zu reger Verkehr zwisc.hen der vereinsamten Chatelaine von LoBnitz und dem Inhaber der Salvator-Apotheke herausbilden konnte. Und da es ohnedies ja auch fiir eine so junge und schone Witfrau nicht recht schicklich war, ganz allein und nur auf sich selbst gestellt, weiterzuleben, so wuBte Euphe- mia die Sache sehr geschickt anders einzu- fadeln. Die Schwagerin und deren herziges Baby, Mimi, muBten eben einfach zu ihr, nach SchloB Trautenau, ubersiedeln. Solcherweise hatte sie sich ein fiir allemal vollste Gewalt iiber Erziehung und Zukunft ihrer kleinen Nichte angemaBt. Melanie aber schien ihr nur gerade gut genug und dazu da zu sein, um zu allem freundlichst „ja“ zu sagen. Im iibrigen jedoch hiibsch respektvoll zur Seite zu treten. Ah, darin aber hatte BaroneB Euphemia ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht! Die korperlich und geistig so kraftvoll entwickelte Melanie war keineswegs dazu angetan, sich blindlings beherrschen zu lassen. Moralisch wie physisch besaB sie eben ein viel zu starkes Riickgrat, um sich auf die Dauer gesinnungs- los zu ducken! So gestaltete sich beider Schwagerinnen Zusammenleben denn zu einer Art ununter- brochenem Krieg im Frieden, welcher auf der einen Seite mit raffiniert schlauer Taktik, auf der anderen mit offener Energie mutig aus- gefochten ward. ® 21 © GenuBreich also erwies sich jene Kom- bination Euphemias ftir niemand. Die Situation ware wohl auch — nament- lich mit dem Heranwachsen des Kindes — von Tag zu Tag unertraglicher geworden, hatte nicht das Schicksal selber ein Einsehen gehabt und den gordischen Knoten plotzlich gelost. Kein gewaltsamer Schlag war es, der diese Trennung endgiiltig vollzog — nein, sogar ein fiir Euphemia ebenso unerwartetes wie un- glaubliches Gliick. Sie, die bereits bedenklich spitz gewordeneErbin, hatte plotzlich dasWohl- gefallen eines aristokratischen Dragoner-Ritt- meisters in so hohem MaBe erregt, daB er — Josef Graf Gaisperg zu Gaisperg und Pohlau — um ihre Hand warb, und die fast schon sitzen- gebliebene BaroneB, kraft deren Mitgiftszauber, nun zur gliicklichsten Grafin der Monarchie erhob. Wie sehr diese Mitgift bei seinem Ent- schlusse leider ausschlaggebend gewesen, das hatte Euphemias Eigenliebe und SelbstbewuBt- sein ihrem brautlichen Herzen natiirlich ver- hiillt. Anderseits aber konnte man es auch dem „feschen Pepi“ (diesen Namen hatte man Gais¬ perg im Regiment verliehen) nicht verargen, dafi er, der allzu flotte und demgemafi stark verschuldete Kavalier, rechtzeitig bestrebt war, sich — wie er es nannte — „anstandig zu ran- gieren“. Bei dieser Heirat also kamen beide Teile gut auf ihre Rechnung. Und ebenso froh, wenn nicht womoglich noch glucklicher, iiber jenen Ausgang war Me- lanie. Jetzt endlich solite doch ihr Kind ihr gehoren — ihr allein! © 22 •© Es war wirklich hohe Zeit, denn schon machte sich bei diesem merkwiirdig entwickel- ten kleinen Dinge ein ausgesprochener Zug der Attraktion zu „Tante Femi“ geltend. Von „Tante Femi“ gelobt oder geliebkost zu wer- den, das galt dem Kinde schon jetzt mehr als ein Kufi der Mutter oder ein Lobeswort von dieser. Zuweilen auch sah man die lebhafte kleine Mimi einen Boa oder Sonnenschirm Euphemias erhaschen und damit einherstol- zieren oder sich im Spiegel beschauen, wobei das putzige Affchen bestrebt war, moglichst genau die strenge Miene, die stolze Attitiide der Tante nachzuahmen. Schien ihr die Lei- stung besonders gelungen, da klatschte sie wohl gar vor Freude in die Hande und jubelte laut in ihrem drolligen Kinderidiom: „Ganz so son und so e’gant wie Tante Femi!“ „Wer ihr nur solche Narrheiten einredet?", hatte Melanie dann immer argerlich gedacht, eifrig bestrebt, das Ubel gleich mit der Wurzel auszurotten. So hob sie einmal die Kleine vor den Spiegel und sagte: „Wart’, ich will dir gleich einen Affen zeigen“. Und auf das nun erscheinende Reflexbild hinweisend, frug sie: „Kennt Mimi wohl den schlimmen Affen ?“ Das kluge Geschopfchen aber drehte ge- wandt den SpieB um und antvvortete lachend: „Warte, Mama, ich zeige dir auch die Mutter des Affchens — da, schau einmal her: das bist also d u!“ Alle diese Bilder der Vergangenheit — vielleicht ganz besonders eindringlich gerade diese letzte kleine charakteristische Szene aus 'St 23 © Mimis Kinderleben — waren am Erinnerungs- blicke der Baronin Preyck soeben voriiber- gerauscht. ■ Jenes Zeitungsblatt, dessen Notiz ali diese Reminiszenzen in ihr wachgeschreckt, lag, un- bemerkt niedergeglitten, schon vergessen am Boden. Aber die blauen Augen Melanies schweiften, dem einmal angeregten Ideengang folgend, griibelnd ins Weite- Hatte sie — so fragte sie sich nun — wohl damals das Rechte envahlt und getan, als sie die Erziehung ihres so reich begabten und doch so schwierig, weil allzu kompliziert ver- anlagten Kindes schlieBlich dennoch in fremde Hčinde gelegt? War es unbedingt notig oder auch nur gut gewesen, daB sie ihre so vollig anders geartete Tochter, gleich einst ihr selber, im Kloster der Salesianerinnen zu Wien aus- bilden lieB? War sie dadurch vielleicht gar selbst schuld an j enem unbegreiflichen Ent- fremden, mit welchem ihr einziges Kind, das Liebste, was sie auf Erden besaB, jetzt der Mutter gegenuberstand?... LieB sich denn solche trennende Kluft nicht noch rechtzeitig iiberbrucken?... Und sie selbst — die bei ihren sechsunddreiBig Jahren noch so bliihende, herrliche, junge Frau — solite ihr eigenes Leben keinerlei heifien Freuden zustreben? Kemen, wenn auch noch so trugerischen Hofifnung mehr Raum geben? „Wie?“ so frug sich Melanie jetzt angstvoll — „ware ihr Lebensschififlein wohl gar schon in ,totes Wasser‘ geraten?“ <3 /fO @ 24 © III. Das Originellste und Reizendste, was es neuerdings auf SchloB LoBnitz zu sehen gab, war das jiingst hergerichtete japanische Bou- doir: das Zauberreich Mimis! Wie grazios und kiinstlerisch-geschmackvoll hier alles in- einander gefiigt war — scheinbar nur toller Laune nachgebend und dennoch jedem schar- feren Beobachter ein wohldurchdachtes Raf- finement verratend. Eigenwillig prasentierte sich das leichte Bambusameublement in bizarrer und zugleich hochst eleganter Form. Oberall Nischchen und Plauderwinkel von kostbaren seidengestickten Paravents versteckt, wahrend farbenschone, echt orientalische Teppichgewebe oder hie und da ein leuchtend weiBes, chinesisches Ziegen- fell, jeden indiskreten Schritt geheimnisvoll dampftpn. Etageren und Stander, deren glan- zender Lack auf seiner schwarzen oder roten Flache die goldenen Phantasiegebilde japani- scher Kunst so effektvoll hervortreten liefi, diese zarten Zimmerzierden, zeigten die kurio- sesten Dinge beisammen. Traumselige, kopf- nickende, zopfige Mandarinen aus buntem Por- zellan, Drachen und allerhand Fabelgetier in «> 25 @ feinster Elfenbeinschnitzerei. Uberdies eine Unzahl kostbarer Satsuma-Vasen verschieden- ster Form, welche Mimis schlanke Hande so geschickt mit den schonsten Blumenstraufien zu schmucken verstanden. So erfiillte jenen eigenartigen Raum ein starker, man mochte sagen, fast aufdringlicher Duft. Denn nicht nur die bliihenden Kinder Floras hatten hier ihren heifien Ateni ausge- haucht, nein, auch von jedem Mobelstiick, namentlich von den buntfarbigen, zahlreichen Seidenpolstern, mit denen sich die Besitzerin so gern umgab, stob bei jeder Beriihrung ihr Lieblingsparfiim: Extrait de tubereuses, auf. Und das ging auf die Nerven, bewuBt oder unbewufit. Wo mochte sich wohl Mimi diese Ge- schmackseinrichtung angeeignet haben? Im Kloster gewifi nicht. Wahrscheinlich also kam damit nur ihre ureigenste Wesenheit zum Aus- druck. Mit Katzenanmut schmiegt sich soeben die feine Gestalt des jungen Madchens in ein von weichen Seidenpolstern so behaglich zu- gerichtetes Eckchen des kleinen Bambussofa. Dabei treiben die schonen, aristokratischen Hande ein anmutiges Spiel mit einer jener japanischen Bebepuppen, welche zu den uner- lafilichen Dekorationsstucken dieses asiatischen Kunsttempelchens zu gehoren scheinen. Plotzlich aber halt die Baronefi in ihrem launigen Getriebe ein. Horchend wendet sie den Kopf, springt auf und steht im nachsten Augenblick spahend am Fenster ... @ 26 @ Richtig, da kam Onkel Gaisperg daher- gefahren! Mimi tritt schnell wieder zuriick und eilt vor den Spiegel, wo sie hastig ihre elegante Frisur ordnet. Mit sachgeiibter Hand fahrt sie sich auch rasch liber die schonen, dichten Augenbrauen, denen sie so einen noch feineren, kiihneren Schwung zu geben wei6. Dann aber kauert sie schon gleich wieder, einem tragen Katzchen gleich, wohlig im Sofa. Wie wohl Onkel Josef, der sie heute zum erstenmal als Erwachsene wiedersehen wird, sie nun finden mag ?... DaB sie, mit ihren spriihenden Feueraugen und dem pikanten, feinen Stutznaschen, keines- wegs zu den HaBlichen zahlt — das weiB Mimi langst nur allzugut. Aber sie will mehr — sie will auch ihn entziicken, auch ihn bezaubern, den alten Frauenkenner! Trotz seiner Onkel- wiirde soli er ihr jetzt gleich ein wenig den Hof machen. Denn diesen kleinen Tribut fordert die jugendliche Kokette schon von jedem eleganten Herrn, als ein ihr zukommendes Privileg, als etwas Selbstverstandliches! Lange Zeit zum Griibeln bleibt ihr nicht. Ein eintretender Diener meldet: „Graf Gais- perg“. „Ah sagt Mimi mit gut gespieltem Stau- nen, „ich lasse Seine Gnaden bitten, einstweilen hier bei mir einzutreten, da die Frau Baronin eben leider nicht zu Hause ist.“ Einen Moment spater steht er vor ihr. Wahrhaftig dieser „Onkel“ kann sich sehen lassen! RiesengroB, das lustige, sonngebraunte @ 27 @ Gesicht mit den vornehmen Ztigen noch so wunderbar frisch, daB man dem Grafen Gais- perg, trotz der weiBen Flocken in Haar und Kaiserbart, immer noch den „feschen Pepi“ an- sieht. So ganz der „liebe Kerl“ von ehedem, der tolle Drauf- und Durchgeher, der das Herz auf der Hand tragt — in einem Wort, der richtige Osterreicher ! Auch gemiitlich, natiirlich — ach, gar so gemiitlich! Und erst recht, wenn er im Wiener Dialekt spricht, was beim Grafen stets der Ausdruck allerprachtigster Laune zu sein pflegt.. . Wahrscheinlich versetzte ihn auch soeben der Anblick seiner Nichte in sehr freu- dige Stimmung. Eine Sekunde lang hat er erst gestutzt, dann geht er mit seinen festen, grofien Schritten auf sie zu, schlagt die Hande zu- sammen und ruft lustig wie ein Schulbub’: „Sapperment, Madel, bist du aber a herziges Viecherl word’n!“ Schon hat er Mimi sans fagon umarmt und nach Herzenslust abgekiiBt. „Ah, Onkel Peperl, bist du aber schlimm \“ schmollt die Geschmeichelte. „Na,Tschaperl, hab’ di nur nit so — weiBt’s ja eh’, daB du zum Fressen Hab bist. Eppa net?! Und so a alter Weibernarr wie i, solit’ sich da nit auskennen ? Geh’! geh’!“ Dieses kleine stiirmische Vorspiel hatte sich zwischen beiden immer noch stehenden FuBes abgespielt. Jetzt erst notigte Mimi ihren Gast scherzend, im Plauderwinkel, neben ihr, Platz zu nehmen. Wie sie so die paar Schritte neben dem Grafen dahinging, musterte sie seine ritterliche Gestalt mit unverhehltem Wohl- @ 28 @ gefallen. Wie gut ihn dieser schlichte griine Lodenanzug kleidete und wie prachtig diese gelben Piirschschuhe und gleichfarbigen Leder- stutzen den edlen Bau seiner Glieder hervor- treten liefien! Was fiir ein unbegreifliches Gliick hatte doch Tante Femi gehabt! Ja, ja, di e verstand es mit Mannern umzugehen. Mit jedem nur immer flott kokettiert, keinen einzigen wirklich jemals geliebt, und zuletzt — sozusagen ,,in der zwolften Stunde“ — soleh Prachtexem- plar zum Gatten erhascht... Wer d a s lernen konnte!. . . „Sag, Onkel,“ nahm Mimi das Gesprach wieder auf, „findest du auch, daB ich Tante Femi so auffallend ahnlich bin?“ Der Graf zauste an seinem Schnurrbart. TJber diese Frage verging ihm schon die Ge- miitlichkeit zum Dialektreden. So driickte er denn auch seine Antwort im reinsten Hoch- deutsch sehr korrekt aus: ,,Ja, weiBt du, Kind, das ist schwer zu sagen .. . Ich habe meine Frau eben etwas spat kennen gelernt und da hatten ihre Zuge und Formen schon nicht mehr diese weiche Rundung wie die deinen.“ „Schmeichler!“ lachte Mimi nur kokett. Tiefbefriedigt gab sie dem Gesprach eine andere Wendung. „Was meinst du denn, Onkel, zu dieser tollen Idee von Mama, den heurigen Sommer in Kroatien zuzubringen ?“ „Ah, dagegen laBt sich wirklich nichts ein- wenden. Herrliches Land! Sehenswert! Freu’ @ 29 dich darauf, Kleine. Aber wie kam die Mama denn eigentlich auf diesen Gedanken?" „Ja, das ist zu komisch, Onkel Pepi. Denke dir, im ,Salon' las Mama zufallig eine sehr giin- stige Beschreibung des kroatischen Badeortes Stubica und da fiel ihr wieder ein, daB ja ihre verstorbene Mutter — die alte Madam’ Seidl, weifit du —“ „Geschmackvoller ware es schon, \venn du einfach ,meine GroBmutter' sagtest," unterbrach der Graf, unangenehm beriihrt,Mimis Spottelei. „Also, da meine ,hochselige Frau GroB- mutter‘,“ fuhr die schone Sprecherin etwas pikiert fort, „vonGeburt dochKroatin gewesen, deshalb will nun Mama, aus kindlicher Pietat, doppelt gern deren Heimatland kennen lernen." Auf dem Gesicht des Grafen war der erste freundliche Ausdruck fast verwischt. Ernst und vorwurfsvoll blickte er Mimi an: „WeiB Gott," sagte er, ,,die alte Rasse war doch besser als die neue! Ihr pietatlosen Jun- gen spottet j eden Gefiihls." „Wer behauptet denn das? O, ich habe doch auch Gefiihl, Onkelchen, gewiB! Fiir dich sogar sehr viel — ein sehr gutes. Aber von Sentimentalitat halte ich mich frei!“ Dabei suchte Mimi den erziirnten Ohm auch dadurch zu besanftigen, daB sie ihm ihre silberne Zigarettendose hinhielt. Indem sie dann ihre spitzen, rosigpolierten Nagel mit dem Scharnier spielen lieB, lachte sie ihm neckisch ihr bezauberndstes „S’il vous plait" zu. „Ja- wohl, Onkel Peperl, rauchen wir schnell eine Friedenspfeife." 0 30 0 In den Augen des alten Weiberfreundes sah man es bereits wieder lustig wetteideuchten. Und richtig, er verfiel auch schon in denWiener Dialekt. „Malefizmadel! Wann du mir das Ding da mit dein’ oagen Schnoaberl anrauchen tust, meiner Seel’, da bin i a nit mehr bos. Schau, nu gib mir noch a Busserl und sei brav. So!“ Kaum war solcherweise die Versohnung schallend besiegelt, da benutzte Mimi auch gleich den giinstigen Moment, um einige Fra- gen zu stellen, die ihr wichtig schienen. „Also, mein herziger, fescher Onkel,“ plauderte sie, „auf deine Verantwortung hin freue ich mich nun rasend im Gedanken an Kroatien. Erzahle mir aber doch gleich etwas mehr davon. Gibt es dort nicht sehr viel schone, alte Schlosser?" Graf Gaisperg schmunzelte. „Aber ja —: alte Schlosser und junge Schlofiherren. Kannst davon traumen, Kind!“ Gerade jetzt, wo Mimi die Unterhaltung richtig dahin gelenkt, wo fiir sie die brennend- sten Fragen der Neugier zu beantworten stehen, gerade jetzt, im ungelegensten Moment, war die Baronin selbst, von ihrem Ritte zuriick- kehrend, als Storenfried in das japanische Zau- berreich der Tochter eingedrungen. Im Amazonenkostiim nahm sich ihre juno- nische Gestalt ganz besonders imposant aus. Auch lieh die leichte Erhitzung durch den letzten scharfen Trab ihrem hiibschen Gesicht ein auffallend frisches, jugendliches Inkarnat. Mit offener, ungekiinstelter Herzlichkeit streckte Melanie dem Schwager beide Hande entgegen. © 31 © „Gru6 Gott, Josef! Welche Freude, dich hier zu sehen!“ Ritterlich zog er ihre Rechte an die Lippen. „Die Freude ist jedenfalls ganz auf meiner Seite, du Liebe, du Gute“, diese Worte sprudel- ten ihm nur so aus der Seele. „Ja, und wie du wieder ausschaust, Me- lanie!“ fuhr der Graf entziickt fort, „wahrhaftig wie das Leben! Man wird formlich gesund, wenn man dich ansieht." Ohne jede Affektation lachelt die Bewun- derte vergniigt mit Augen und Mund. Solches Lob freut sie — warum also ihr wahres Emp- finden verstellen ? Dazu war ihr echtes Kinder- gemut wirklich zu unverdorben! — Dem Schrvvager einen leichten Schlag auf die Schulter gebend, driickte sie jenen Riesen dann froh- launig so herzhaft in den nachsten Bambus- sessel, daB das leichte Geflecht unter seiner Last zu zerbrechen drohte. Allgemeines Gelachter. Die Stimmung stieg sofort auf den Hohe- punkt der Gemiitlichkeit. Das heiBt,lustig waren dabei allerdings eigentlich nur Gast und Haus- frau. Mimi fiihlte sich durch die lebhaften Ma- nieren ihrer Mama soeben, wie so oft schon, zu arg chokiert. Und sie machte dazu Augen — Augen — ja, es war komisch, wie sie in solchen Momenten ihrer hochgebornen Tante Euphe- mia ahnlich sah! Derselbe zuckende Spott um den feingeschnittenen Mund, dasselbe nervose Emporziehen der Achseln. Nur der Graf schien von dem allen nichts zu sehen oder absichtlich nichts sehen zu ® 32 @ wollen. Er blieb jetzt ganz Auge und Ohr fiir die Schvvagerin. Ihr gegeniiber war er iiber- haupt stets um so aufmerksamer, je mehr seine Frau es in dieser Beziehung oft genug an Riick- sicht fehlen lieB. Und wirklich, es plauderte sich auch mit wenigen Menschen so ehrlich und genuBreich, wie mit der iiber alle Mafien natiir- lichen Melanie. MuBte man sie denn nicht auch gern ansehen, wie sie eben wieder, ohne jede bewuBte Koketterie, den Kopf in beide Hande zuriicklehnend und die herrliche Biiste unter einerh tiefen, kraftigen Atemzuge weitend, froh- lich ausrief: ,,Ja, wahrhaftig, es geht doch gar- nichts iiber so einen guten Ritt! Und laBt man sich erst im tollenGalopp so wonniglich wiegen, ah, da fiihlt man sich tatsachlich neugeboren, neubelebt! In der frischen, reinen Luft wird einem der Kopf klar, von Sorgen und Grillen aller Art frei. Ich glaube wirklich, auch unser innerer Mensch hat sozusagen eine Lunge, mit der er reine Luft gierig einsaugt!“ „Natiirlich !“ bestatigte Josef Gaisperg, „das versteht vielleicht niemand besser als ich. Aber eben nur ganz, d. h. auch i n n e r 1 i c h ganz gesunde Menschen, konnen uns solches nach- empfinden, diesen Naturtrieb begreifen. O, kostlich, wenn einem Wind und Wetter jeden Falsch aus der Seele blast und alle Weltnarr- heit samt ihren unniitzen Faxen dazu!“ DaB er jetzt nicht im Dialekt sprach, das gehorte zu seiner besonderen Herzenshoflich- keit fiir die biirgerlich geborne Schwagerin, welche vielleicht eine Art krankende Noncha- lance in jener Sprechweise hatte sehen konnen. @ 33 @ 3 „Es freut mich,“ fuhr also Graf Gaisperg, korrekt redend, fort, „es freut mich aufrichtig, dafl du diesen Sommer nach Kroatien gehen willst. Wie wirst du, als echte Naturfreundin, dieses schone Land und seine interessanten, liebenswiirdigen Bewohner genieBen !“ „Du kennst Bad Stubica?“ frug eifrig die Baronin. „Nein, leider nicht durch personlichen Augenschein, allein ich habe sehr viel Gutes dariiber gehort. Gib acht, ob Ihr da nicht auch noch mit der beriihmten ^Grahn Daša' zu- sammentrefft. Die spukt namlich iiberall her- um, wo es in Kroatien schon und mehr oder weniger einsam zu sein pflegt.“ „Grafm Daša — ei, wer ist denn das?“ beteiligte sich nun auch Mimi plotzlich voli Neugier am Gesprach. „Sag, Onkel, das ist ge- wiB eine von deinen alten Flammen? Hand aufs Herz, du hattest wenigstens einmal mit ihr einen kleinen amiisanten FlirtD Dagegen aber protestierte Graf Gaisperg mit erhobenen Handen. „Nie! niemals! Daša und — ein Flirt? Nein, wahrhaftig, das hatte sich schlecht gereimt!“ „Ach, so garstig also ist jene Arme?“ frug die unbarmherzige Inquisitorin weiter. Baronin Melanie aber,von dieser Taktlosigkeit schmerz- lich beriihrt, auBerte gleich, die Tochter ent- schuldigend: „Verzeih’, lieber Josef, Mimi ist noch ein Kind und ein Narr kann bekanntlich mehr fragen, als zehn Weise zu beantworten ver- @ 34 ® mogen.. Ich verstehe dich: es handelt sich wohl um eine ernste oder gar traurige Erinnerung.“ Der Graf schien entziickt. Seiner Schwa- gerin eine KuBhand zuwerfend, rief er in ge- vvaltsam hervorbrechendem echt osterreichi- schem Enthusiasmus: „Kiiss’ das Herz, Me- lanie! Dein Zartgefiihl weiB doch immer das Rechte zu treffen! Wirklich, eine recht ernste und traurige Geschichte ist’s gewesen. Aber nicht m e i n e Geschichte, sondern die eines Freundes .. . ,,Genug an dem: was auch die arme Daša im Leben angestellt, immer entsprang ihr Han- deln nur edlen Motiven. Meine teure Femi zwar fallt fast in Ohnmacht, wenn sie jetzt zu- fallig einmal ihrer ehemaligen Freundin be- gegnet. Ich aber, fiir meinen Teil, bleibe dabei, daB jene vielverleumdete Frau, im Vergleich zu hundert heuchlerischen Betschwestern, eine wahre Heilige, wenn auch eine sonderbare — ja, sogar sehr sonderbare — ist und bleibt. Lind eines vergiB nicht, Melanie: solltet Ihr sie wirk- lich noch kennen lernen, so bestellt der armen Daša meinen ehrfurchtsvollsten GruB.“ Die Hande im SchoB, in teilnahmslos miider Haltung, hatte Mimi diesem SchluB des so verheiBungsvoll begonnenen Gesprachs zugehort. Sie war froh, als der Onkel sich nun erhob und seinen 'umviderruflichen Aufbruch ankiindigte. Heute war ja so wie so nichts mit ihm anzufangen, da er schon einmal in sein „sentimentales Fahrwasser“, wie sie es nannte, geraten war. 3 * @ 35 © IV. Wie schnell sich doch Fruhling in Sommer verwandelt! So schnell, so schwindelnd, wie junge Liebe in gewitterschwule Leidenschaft.. Sommersonnengluck — lockendes, verhei- flungsvolles, wildbegehrtes und doch so gefahr- volles in deiner verzehrenden Glut: sei hoch gepriesen, gleifiendes, heifies, atemloses Som- mersonnengliick! ... Wie schnell sich doch Fruhling in Som¬ mer verwandelt--— — — — — Auch an die Mauern von SchloB LoBnitz hat der Sommer mit seinen goldenen Glut- strahlen gepocht und dessen Bewohnerinnen daran gemahnt, daB es Zeit sei zum Aufbruch — zur Reise nach Kroatien. Zwei Monate mochten seit dem letzt- geschilderten Besuche des Grafen Gaisperg ver- strichen sein, da war aus j enem damals nur nebelhaft auftauchenden Projekt bereits Wirk- lichkeit geworden: Der Schnellzug der Siidbahn fiihrte Mutter und Tochter soeben nach Agram. War es vielleicht Melanies entscheidendster Bevveggrund gewesen, daB sie in dem roman- tischen fremden Lande, unter der Allgewalt vdllig neuer, erhebender Eindriicke, das Herz @ 36 ■© ihres Kindes mehr zur Urspriinglichkeit, zu einer natiirlich-einfachen Empfindungs- und Denkweise zuruckzufiihren hofft und damit auch die riickhaltlose, echte Kindesliebe er- wachen zu sehen? War das der Traum eines liebenden — ach, so lange — schmerzlich ver- nachlassigten Mutterherzens, nun, da konnte die Baronin sich wohl jetzt schon zu diesem Entschlusse gratulieren! Denn nie noch sah sie die Tochter ihr eigenes Entziicken so unbeschrankt teilen, als jetzt bei der Ankunft in Kroatiens Landes- hauptstadt. Wie iiberwaltigt von den Reizen Agrams lieBen beide Damen, sobald sie hier ain Staatsbahnhof ihr Reiseziel erreicht, die Blicke voli Bewunderung und Entziicken umher- schweifen. tlberall Schonheit, Farben, Licht — rings- umher Leben, Streben und Kunstfreudigkeit! Vorbei an den farbenprachtigen Gartenanlagen des weiten, freundlich liellen Franz - Josef- Platzes, den der buntbewimpelte Kuppelbau des Kunstpavillons abschlieBt, fiihrte der Hotel- omnibus unsere Ankommlinge auf einer baum- besaumten, durch Wagen- und Passantenver- kehr belebten Chaussee zu immer reizenderen Punkten dieser sauberen, lachenden, lebens- frohen GroBstadt. Ein junger Mitreisender, der sich den Da¬ men als begeisterter kroatischer Patriot offen- barte — im Grunde sind dies ja alle Kroaten, — hielt es fiir seine Pflicht, die zweite hervor- ragende Eigenschaft seiner Nation: die Lie- b e n s w ii r d i g k e i t, zu beAvahren und in ®> 37 @ seiner unaufdringlichen Art jetzt Mutter und Tochter auf die Sehenswiirdigkeiten Agrams aufmerksam zu machen. So zeigte er ihnen im Vorbeifahren mit unverkennbarem Stolz das auf dem Franz-Josef-Platze gelegene Palais des beriihmten Malers Bukovac und dann — als man zu dem anstoBenden Akademieplatz ge- langt war—dort dasStandbild des im Jahrei872 verstorbenen Nationaldichters Peter von Pre- radovič. Auf jenes Monument hinweisend, konnte sich der lebhafte Kroate niclit enthalten, begeistert auszurufen: „Sieht man es dem in die Ferne gerichteten Seherblick dieses Gott- begna.deten nicht an, daB er die Kunst verstand, seine Feder so kiihn und so schwungvoll zu fiihren wie sein Schwert?!“ Wirklich, die kurze Strecke war iiberreich an mannigfachsten Eindriicken. Denn schon leuchtete wieder, inmitten neuer Bliitenpracht, das geniale Kunstwerk des St. Georgs-Stand- bildes ihren Blicken entgegen. Und, kaum daB man sich nach dieser schrvvungvollen Phantasie- schopfung geniigend umgesehen, da galt es schon wieder, das imposante Gebaude der siid- slavischen Akademie fiir Kunst und Wissen- schaft ins Auge zu fassen. Mit gerechtfertigtem Stolze wuBte der kroatische Cicerone nun auch von den unschatzbaren Sammlungen zu be- richten, welche die weiten Innenraume bergen. Als Melanie., von so viel Redestoff elektri- siert, nun schlieBlich dem liebenswurdigen Mit- reiseuden zu verstehen gab, daB ihr Interesse fiir sein Land insofern ganz besonders tief be- griindet, ja geheiligt sei, als ihre eigene Mutter @ 38 ® Kroatin gewesen, da kanute seine Begeisterung keine Grenzen mehr. Leuchtenden Blickes in uberwallendem Herzensdrang redete der heifl- bliitige Siidlander sich immer mehr ins Feuer. „Ja, meine Damen," sagte er, „es ist wahr: Sie sehen hier iiberall lauter Wunder, Wunder der Schonheit und Wunder der Kunst. Und ist nicht diese Hauptstadt — das vielbesungene ,weiBe Agram' der Poeten — an sich schon ein holdes Wnnder zu nennen ? Denn wie ein Phonix aus der Asche ging sie nur um so herr- licher, um so strahlender aus der Katastrophe des furchtbaren Erdbebens hervor.Was damals, im Jahre 1883, das Verderben der Stadt schien, das solite ihr erst zur wahren Entfaltung ihrer GroBe bestimmt sein! Ja, wenn Sie morgen, in Sonnenlicht gebadet, vom Farbenschmelz aus- erlesener Bliiten umschmeichelt, auf dem Uni- versitatsplatz oder auf dem anstoBendenKhuen- Hedervary-Platz lustwandelnd, daselbst ali die prunkvollen Monumentalbauten bewundern, welche hier Kunst und Wissenschaft zum ge- heiligten Asyl beschert — dann, meine Damen, \verden Sie sehen, wie das verstandnisvolle kroatische Volk kein Opfer gescheut, um die Saat der Bildung, der Aufklarung zu saen. Aber mehr noch als das: Sie werden staunend er- kennen, auf welch dankbarem Boden hierzu- lande jeder Geistesstrahl fallt. Denn dies be- weist fiirwahr iiberzeugend die merkwiirdige Tatsache, daB alle jene Pflanzstatten der Kunst und Wissenschaft hier so unglaublich schnell, wie durch Zauber hervorgerufen sind. Ja, ja, so seltsam es klingt: Vor etwa sechzehn Jahren © 39 •© erst war der stolze Universitatsplatz nichts anderes als — was meinen Sie wohl? Nichts anderes als — der stadtische V i e h - m a r k t!“ War es die ungesucht natiirlich flieBende und gerade dadurch so vvirksame Rhetorik — waren es Motive rein personlicher Sympathie fiir den Sprecher —: genug, Melanie hatte ali die Zeit kaum dasAuge von ihm verwandt. Voli innerer Freude aber sagte sie sich auch, daB ihr Kind, trotz aller verkehrten Erziehungsmetho- den, schliefllich gleichfalls echtes Verstandnis fiir Natiirlichkeit und ideales Fiihlen zu be- sitzen schien. Denn selbst die sonst so kiihle, reservierte Mimi verriet fiir alles soeben Ge- horte das lebhafteste Interesse. Doppelt stolz also blickte die Baronin auf ihre reizende Tochter. Ob der junge Enthusiast, dort ihr gegen- iiber,wohl auch mit demselbenEntziicken deren gefahrliche Schonheit betrachtete? Nein, schien es nicht fast, als galte seine Aufmerksamkeit mehr der noch immer so bliihenden, jugendlich- schonen Mama?... Wenigstens hatten seine schwarzen, feurigen Augen eine eigeneArt, sich in die ihren zu vertiefen, wenn er sprach. Aber das kam vielleicht auch nur daher, weil er in Melanie die Tochter einer Kroatin, also ge- wissermaBen eine Schwester aus dem eigenen Volksstamme, kennen und verehren gelernt... Ein seltsamer Mensch iiberhaupt dieser Mitreisende. Was fiir ein interessanter Kopf! Fein und dunkel — expressiv bis ins geheimste Spiel jedes Muskels. ® 40 © Auch die Gestalt dementsprechend: ela- stisch, elegant — Rasse und Temperament bis in die Fingerspitzen. Ja, eigentlich so recht ein Kiinstlertypus vom Scheitel bis zur Sohle ... Und hatte Melanie nicht gar schon in irgend einer illustrierten Zeitschrift sein Bild einmal gesehen? Oder war ihr derselbe nur im Traum begegnet? Merkvviirdig. . . sehr merkwiirdig ... er war ihr bekannt! Die Baronin mufite im stillen iiber sich selber lacheln, daB sie iiberhaupt noch fahig sei, dem AuBern eines jungen Mannes so viel Beachtung zu schenken. Mein Himmel, fiir die Mutter einer heiratsfahigen Tochter, fiir eine sozusagen „Ausgeschaltete“ war d as doch wirklich absurd ! .. . Aber nein, nein — im Grunde schien diese Neugier doch auch gewissermaBen berechtigter Art. Denn wer weiB, ob sich nicht schon zwi- schen den beiden da, zrvischen ihm und ihrem Kinde, ein schicksalsschweres Sichfinden an- gebahnt?... Es gibt ja solche ,,Liebe auf den ersten BlickA Und selbst reifere, frauenkundi- gere Manner, als jener Jiingling, hatten schon bewundernd zu dieser sechzehnjahrigen Schon- heit aufgeschaut. Hier aber brachen alle Vermutungen jah- lings ab: das Ziel der Fahrt war erreicht. Ras- selnd fuhr der Omnibus soeben in den Torweg des Ffotels „Zum Lamm“. Wahrend ein krauskopfiger Portier den Wagenschlag offnete, beeilte sich der liebens- wiirdige Mitreisende, den Damen in jederWeise @ 41 @ beim Aussteigen behilflich zu sein. Ja, er war so eifrig bemiiht, ali die kleinen verstreuten Teile ihres Handgepacks filrsorglich zu be- schlagnahmen, dafl er bei diesem Hin- und Her- huschen sogar hdchst ungelegenerweise Mimi darauf ertappt, wie sie dem an der Innenwand des Omnibusses angebrachten Spiegel eine un- gebiihrlich lange Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Erst ein kurzer, fast argerlicher Zuruf ihrer wohl durch die Reisehast etwas nervos gewordenen Mama lieB die kleine Kokette mit einem graziosen Satz rasch vom Wagentritt herabspringen, was aber so gefahrlich aussah, daB der schone Fremde sich bewogen fiihlte, ritterlich und schirmend den tollen Wildfang ,,eigenhandig“ aufzufangen. Dann zog er ehr- furchtsvoll den Hut und sagte — sich beiden Damen vorstellend — bescheiden und doch selbstbewufit zugleich: „D oktor Slavo- 1 j u b Zori č“. Dieser Name durchzuckte die Baronin wie ein Blitz: ah, nun vvuBte sie’s, gewiB, sie hatte ihn ja schon im Bilde gesehen, jenen neuen Štern am kroatischen Poetenhimmel, den viel- gepriesenen Doktor Zorič, dessen Schauspiel „S 1 a v e n r u h m“ in literarischen Kreisen als epochemachendes Ereignis galt. DaB Mimi bei der fliichtigen Vorstellung eben nur etwas enttauscht die Lippen verzog, bemerkte weder ihre Mutter, noch der neue Be- kannte. Im Kloster pflegte man diese bedeut- same Miene, welche man „sa charmante petite moue“ nannte, besser zu verstehen. Ihre Freundinnen dort hatten gleich daraus ersehen, @> 42 daB jener kurze, von keinem Adelspradikat ge- hobene Name der stolzen BaroneB durchaus nicht gefiel. Doch, wie gesagt, Dr. Zoric selbst war nichts dergleichen auf- noch ein- gefallen. Ahnungslos sagte er noch schnell beim Auseinandergehen, er hoffe auf die Ehre, den beiden liebenswiirdigen Damen heute bei der table d’ hote noch einmal zu begegnen. Am Nachmittage miisse er leider schon wieder weiter, da er auf einer „Studienreise“ an die Plitvicer Seen begriffen sei. Melanie driickte Doktor Zorič mit einem lustigen „au revoir“ herzlich die Hand, wah- rend ihre Tochter schon die Treppe voran- stiirmte, ohne sich umzusehen. „Ein Wildfang! Entschuldigen Sie! Aber mit sechzehn Jahren hat man ja Fliigel!“ Wie lieb diese miitterliche Beschonigung vorge- bracht ward! Und der junge Zuhorer lachelte entziickt. . entziickt vielleicht mehr noch liber den Lieb- reiz dieser Mutter, als iiber die „befliigelte“ sechzehnjahrige Grazie der Tochter. (T^c) ■g) 43 @ .v. Indes harrte beider Damen eine unlieb- same Uberraschung. Wie sich namlich aus den Mitteilungen des Portiers ergab, war die brief- liche Meldung ihrer Ankunft offenbar in Ver- lust geraten, die bestellten Appartements dem- zufolge nicht bereit. Es blieb also nichts anderes iibrig, als einstweilen im erstbesten unbesetzten Zimmer zu warten. Denn auch der Hotelier selbst war jetzt nicht zu sprechen, da er sich nicht zu Hause befand. Melanie hatte alles dies zwar mit Befremden,, immerhin aber mit voll- ster Gemiitsruhe aufgenommen — Mimi da- gegen geriet liber soleh unvorhergesehenesMiB- geschick in unverhohlenen Zorn. Wahrend sie frostelnd in einem alten, abgeschlissenen Lehn- stuhl des provisorischen Wohnraumes kauerte, horte sie nicht auf, ihrem Univillen dariiber Luft zu machen, daB man nicht im renommier- ten Hotel „Royal“ abgestiegen, sondern in „die- sem Lamm“, wo man offenbar gar nicht auf vornehmen Besuch eingerichtet schien. Gut- miitig wandte Melanie dagegen jene Beweg- griinde ein, welche ihr pietiitvolles Herz gerade zur Wahl d i e s e r Gaststatte bewogen hatten. „Du weiBt ja doch, daB sich hier im Hotel einst ® 44 ®> meine Eltern verlobten. Und weil dieses grofie Ereignis sich dort auf Nr. 15 vollzog, so war es mir natiirlich ein lieber Gedanke, jenes sowie das anstoBende Zimmer nun mit dir bewohnen zu diirfen. Meine arme Mama hat mir so viel davon erzahlt, wie gliicklich sie an der Seite ihres Herzerwahlten dort auf dem Balkon stand. Ach, wirklich Mimi, allein schon als richtige Aristokratin, solite dir etwas mehr Sinn fiir das Zeitgeheiligte innewohnen. Im allgemeinen iiberhaupt mehr Pietat!“ Wieder machte die Angeredete daraufhin nur schweigend „sa charmante petite moue“. Sie begriff in der Tat nicht, welchen Zusam- menhang ihr aristokratisches Gefiihl zur Ver- lobungsfeier des GroBpapa-Apothekers finden solite oder konne! Eher war ihr diese ganze Erinnerung doch nur peinlich . . . Nein, nein, besser man wartete das Er- scheinen des Hoteliers gar nicht erst ab, son- dern machte sich gleich rasch aus dem Staube, um anderswo abzusteigen. Schon war die vor Liebe wirklich schwache Baronin fast geneigt, sich auch darin, wie so oft schon, dem peremp- torisch geauBerten Willen der Tochter zu fiigen, als die Tur aufging und das „Zimmerfraulein“ eintrat. Mit tausend Entschuldigungen ver- sicherte sie die Herrschaften, es lieBe sich alles sofort nach deren Wunschen ordnen: Nr. 15 und 16 seien frei und wiirden in wenigen Mi¬ nuten zur Disposition stehen. „Fraulein Christin’“ — so hieB jener gute Friedensengel — machte einen iiberaus sym- pathischen Eindruck. Auffallend schon, hatte -a) 45 @ sie auch etwas von der eigentiimlichen, an- gebornen Distinktion, welche bekanntlich alle siidslavischen Volksstamme kennzeichnet. Ilire klare, hoflich - feine Sprechweise wirkte so- gar auf die erregte Mimi wunderbar be- ruhigend. Also alles wurde gut. Ja, als sich gar die hiibsche, freundliche Nr. 16 mit dem anstoBen- den, geraumigen und vielfenstrigen Balkon- zimmer vor unseren Reisenden auftat, da machte auch Mimi ein so vergniigtes und freundliches Gesicht, daB die Baronin sich im stillen dachte: „das Kind ist nur allzu lebhaft und zu ungeduldig — Herz hat sie doch! Man sieht ihr jetzt an, wie auch sie sich an den mir heiligen Erinnerungen weidet“. Und tief auf- atmend lieB sie sich in einen der groBen roten Sammetfauteuils sinken, wahrend ihre Blicke zartlich iiber jedes einzelne dieser etwas alt- viiterischen, aber doch auBerst anheimelnden Einrichtungsstticke hinglitt. Beim Diner aber, welches die Damen im Garten einzunehmen beschlossen hatten und wozu man ihnen aufmerksamst einen schonen Platz auf der schattig-kuhlen Veranda einge- raumt, sah sich Melanie vergebens nach dem ihr so sympathischen und interessanten Mit- reisenden um. Als sie ihr Bedauern iiber sein Fortbleiben aussprach, sagte Mimi nur, nek- kisch die Achseln zuckend: „Nun, der Schmerz um diesen Herrn Zorič soli mir jedenfalls den Appetit nicht verderben. Das Essen scheint hier ja wirklich recht ein- ladend!“ © 46 © Als zumDessert die beriihmten kroatischen Melonen aufgetragen wurden und Mutter und Tochter sich am Feingeschmack und Aroma dieser kostlichen Frucht labten, hatte sich ein kleiner, bleicher, schwarzaugiger Bauern- bursche im reichgestickten buntfarbigen Na- tionalkostiim, zwischen den Tischen hin und her wandernd, bittend auch an den Platz der beiden Damen herangeschlichen und legte nun ein eigentiimlich siifiduftiges Grasergeflecht auf den Tisch vor sie hin. Wohl muBte erst der Kellner dolmetschend erklaren, daB es sich hier um eine vom Landvolk gesammelte Krauter- spezialitat handle, welche man als primitives Sachet verwenden konne. Doch allein schon der flehende Blick des Klemen hatte geniigt, um Melanie sofort ihre Borse ziehen und zwei blanke Nickelstucke in die scheu und angstlich dargeboteneKinderhand gleiten zu lassen.Auch ein iibrig gebliebenes Tortenstiick schob sie dem kindlichen Hausierer schnell in die Tasche und sein Dank war zwar stumm, aber den- noch beredt: Freudentranen strahlten in seinen schonen, schwarzen Augen! Mimi ihrerseits schenkte ihm selbst wenig Aufmerksamkeit. Nur sein reizendes armelloses Purpurjackchen — wohl ein Familienstiick — das mit der geschmackvollen Silber- und Sei- denstickerei ihr schon gleich als Modeli zu einem kleidsamen Maskenkostiim vorschwebte, nur das allein schien ihr der Beachtung wert. Wirklich, es muBte doch sehr originell sein, ® 47 @ wenn die pikante Baroneti Preyck sich einmal in der malerischen Tracht einer kroatischen Bauerin zeigte! Die lebhaften Auseinandersetzungen iiber dieses reizende Projekt wurden leider unter- brochen, indem der Hotelbesitzer jetzt an den Tisch trat, um sich bei den Herrschaften wegen des MiBverstandnisses beziiglich der bestellten Zimmer angelegentlichst zu entschuldigen. Gleichzeitig frug er, ob er sich erlauben diirfe, seinen Fiaker bereit zu halten, falls die Damen eine Ausfahrt nach dem nahen Lustvvaldchen Tuškanec oder dem groBartigen Naturpark von Maksimir in ihr Reiseprogramm aufnehmen wollten. — Melanie, als fesche „Bergkraxlerin“, hatte zwar lieber das ihr vom Horensagen als entziickend bekannte und — wie sie wuBte — in unmittelbarster Nahe der Stadt gelegene Tuškanec zu FuB aufgesucht. Allein, da ihre Tochter die Bequemlichkeit iiber alles schatzte, so entschied man sich natiirlich fiir die Wagen- fahrt... Und ganz begeistert von ali der unbe- schreiblich poetischen Naturpracht kehrten unsere Damen erst spat abends — den Riick- weg iiber das elegante Villenviertel von Josipo- vac nehmend — hochst befriedigt in das sie nun schon mehr und mehr anheimelnde Hotel zuriick. ^/f\ c> ® 48 •© VI. Auch am nachsten Tage gab es wieder vielerlei zu sehen. Nach einem Besuche der siidslavischen Akademie, deren Gemaldegalerie namentlich so viel Schones darbietet, ergotzten sich unsere Reisenden am bunten Treiben auf dem Jelačič- platze, wo die malerischen Trachten sowie die effektvollen farbigen Baumwollschirme der Landbevolkerung den eben beginnenden Markt dort wie ein einziges, buntprachtiges Blumen- beet erscheinen liefien. „Siehst du,“ sagte Mimi, auf das Jelačic- Denkmal hinweisend, „ich mufi doch dem be- riihmten Nationalhelden da meine Referenz machen! Es interessiert mich so sehr, einmal gelesen zu haben, das Volk, welches seinem Helden jenes Standbild errichtete, hatte das- selbe so witzig aufgestellt, daB sich dieSchwert- spitze dieses Reiterfiihrers just gegen Ungarn kehrt. Derartige geistreiche Sticheleien impo- nieren mir immer ungemein!“ Dabei warf Mimi dem Monument eine neckische KuBhand zu. Ihre Mutter aber erwiderte, wenig erbaut, in sehr gedriicktem Ton: „Ich glaube, deine GroBeltern haben hier nicht an so etwas © 49 © 4 gedacht. Es ist wohl auch schoner, im Leben mehr auf Bliiten zu achten, als auf Schwerter zu sehen, die — das wirst du mir zugeben — immerhin zweischneidig und darum nur allzu gefahrlicher Natur sind.“ Weiter ging’s auf die belebte Iliča, diese Hauptverkehrsader Agrams, mit den groBarti- gen Kaufstatten sowie den prachtigen Cafes. Dann nahm man schliefilich — die Zahnrad- bahn beniitzend — den Weg zur historisch- merkwiirdigen, sogenannten „Oberen Stadt“. Dber die an reizenden Fernblicken so reiche „S t r o B m a y e r-P r o m e n a d e“schritt man zuerst zur uralten Markuskirche und von dort riistig weiter zum vielseitig interessanten Na- tionalmuseum. Hier war es, besonders in der groBen geologischen Abteilung, die Schaustel- lung der kroatischen Fauna, welche, vom Di¬ rektor in fesselndster Weise kommentiert, bei- den Damen viel Anregung und GenuB bereitete. Die Versuchung, vom Museum aus auf be- quemer Holzstiege gleich wieder nach Tuška- nec zu gehen, um in soleh griinem Marchen- reich die soeben erworbenen Naturkenntnisse sinnend zu verwerten, diese lockende Ver¬ suchung war wirklich sehr groB. Trotzdem aber beschlossen unsere Reisenden, einen belehren- den Riickweg tiber die alte „Kapitelstadt“ ein- zuschlagen. Daselbst konnten sie dann auch bald den schon vom Bahnhofe aus sichtbaren, weifischimmernden,zweiturmigenDom in seiner imposanten Gotik bewundern. Auch gab es hier am Domplatz die zwar durchaus nicht kunstlerisch schon zu nennenden, jedoch als @ 50 ® Denkmaler kroatischer Tapferkeit bemerkens- werten, niedrigen Flankentiirme zu besichtigen, welche sich einst als Bollwerk gegen die ein- dringenden Turkenscharen bewahrt und dem- gemafi zu einer Art nationaler Heiligtiimer geworden sind. Nach einer langeren Ruhepause, wahrend welcher das Diner sowie eine darauf folgende erquickende Siesta genossen ward, bildete dann den AbschluB desTagesprogramms eine Abend- promenade auf dem Zrinyiplatz. Unter den ziindenden Klangen einer flotten Honvedkapelle lieB es sich da so lustig in den menschendurch- fluteten Platanenaileen lustwandeln, wahrend die Hochstrahlbrunnen ihre Reichtiimer empor- schleuderten und die malerischen Teppich- rondeaux wie mit Brillanten iiberspruhten. Aber nicht nur die Natur, nein, auch das Publikum zu studieren war liier der Miilie wert. Wie viel schone Menschen gab es zu sehen — welch edle Rasse! Pflegt es anderswo so zu sein, daB in der Menge ein schones Gesicht auffallt, so ist in Agram das Gegenteil der Fali: nur die HaBlichkeit frappiert, weil sie so sehr als Ausnahme erscheint. Und noch eines fiel unseren FVemden eben hier am Zrinyiplatze auf: die ganze Beaumonde — bewundernswert geschmackvoll toilettierte Damen und elegante Offiziere — diese ganze ortliche Beaumonde bewegte sich ausschlieBlich in der rechtsseiti- gen Allee, wogegen das einfachere Publikum sich in der linken Wandelbahn erging und den Kindern der breite Mittelweg als Tummelplatz iiberlassen war. So schien hier das soziale @ 51 @ 4 Problem fiir alle Kreise aufs gliicklichste ge- lost. Ein jeder blieb an seinem Platze — seinesgleichen stillvergniigt zugesellt. Mehr nocli als die Baronin selbst, besafl deren Tochter ein scharfes Auge fiir jede lokale Eigentiimlichkeit, fiir alles Charakteristische. So folgte ihr Blick mit regem Interesse den auffallenden Erscheinungen der Bosniaken im kleidsamen, orientalischen Nationalkostiim, so besah sie mit Vergniigen die typischen Figuren der kroatischen Ammen in buntgestickter Lein- tracht, mit dem grellfarbigen Kopfputz und den blitzblanken hohenRohrenstiefeln. Ihr hochstes Wohlgefallen aber fanden die griechisch-orien- talischen Geistlichen, unter deren bartigen, dunkelfarbigen Physiognomien ihr sogar — wie sie hernach wenigstens behauptete — „ein wun- derschoner Christuskopf" aufgefallen war- Als unsere Damen endlich in das Hotel zu- riickkehrten, fanden sie den groBen Saal Nr. 15, bereits hell erleuchtet, ihrer harrend. Gerade waren daselbst unter der sachverstandigen Lei- tung Fraulein Christinens zwei Kellner eifrig bemiiht, die Abendtafel moglichst einladend herzurichten, denn Baronin Preyck hatte ja ge- wiinscht, das Nachtmahl nicht im allgemeinen Speisesaal unten, sondern droben in ihren eigenen Appartements einzunehmen. War der Appetit nun durch langes Ver- weilen in der kostlich frischen Luft aufs leb- hafteste angeregt, so fand sich unter dem Ge- botenen wirklich alles, was man wiinschen konnte und noch dazu meist lockende Speziali- taten. So durfte natiirlich der beriihmte Zagor- ® 52 © janer Truthahn beim Schmause nicht fehlen. Dazu das feinste Ananas-Kompott, das eigens ftir Mimis Leckermaulchen auserwahlt schien. Auch Solokrebse von stattlicher GroBe hatte man serviert. Und an Getranken winkten in blinkenden Kristallkaraffen,neben einem guten, weiBen, kroatischen Landwein, sogar echt feuri- ger Tokayer aus den Gauen der Stephanskrone. Ah! wie gut dies alles mundete! Und die Augen des jungen Freifrauleins funkelten vor Lust, als sie jetzt so wohlgelaunt bei der Tafel saB und allen Herrlichkeiten mit HochgenuB zusprach. Melanie dagegen — die gesunde Melanie, die sich doch sonst immer einer so fiotten EB- lust erfreute — sie schien heute merkwiirdig zerstreut. Sie hatte eigentlich von allem nur ein wenig genippt, wie geistig abwesend, ja ohne recht zu wissen, was sie tat. Den transleithani- schen Feuerwein freilich, den zeichnete sie aus. Der olige Tokayer, der floB ihr leicht und sc.hnell iiber die Lippen . .. Zmveilen sah Mimi erstaunt zu ihr hin. Die Mutter kam ihr fremd vor, sie wuBte selbst nicht warum. Aber: „Mama ist eine andere als sonst“, das war und blieb das Resultat ihrer Beobachtung. Recht unvermittelt rief die Baronin auch eben mitten im Essen: „Kind, laute schnell ein- mal dem Fraulein Christin’! Ich will gleich mit ihr besprechen, wie man von hier aus am schnellsten und angenehmsten nach Bad Stubica fahrt. Mich iiberkommt namlich schon eine Ungeduld, recht bald wieder die Ruhe des Landlebens zu genieBen." @53 @ Obz\var Mimi durchaus nicht dasselbe Be- diirfnis empfand, wagte sie doch eben keinen Einspruch gegen dieWunsche der Mutter. Viel- mehr nahm sie gleich darauf lebhaft teil an den eingehenden Erorterungen iiber das Fiir und Wider bei der Wahl von Eisenbahn- oder Wagenfahrt. Das kluge Fraulein Christin’ er- laubte sich in aller Bescheidenheit, aber ent- schieden, doch mehr.einen feschen Fiaker, als die sprichwortlich „bummelnde Lokalbahn“ — spottweise„derZagorjaner Blitzzug“genannt— zur Reise anzuempfehlen. Wenn man sich einem der Hoteldirektion wohlbekannten Mietkutscher anvertraute, so konne man Stubica in zweiund- einhalb Stunden erreichen und dazu noch die reizerdste Landschaft bewundern. Wirklich, Fraulein Christin’ wuBte immer das Beste! So auch jetzt. Und beide Damen entschieden sich fiir ihren Vorschlag: zu morgen nachmittag wurde der Fiaker schon bestellt. Wie von einer Sorgenlast befreit, erhob sich Melanie dann rasch, lieB sich noch einen Sessel auf den Balkon hinausriicken und blieb dort allein. Die junge BaroneB dagegen nahm nach beendetem Souper noch einen Band der mitgenommenen Ibsen-Kollektion hervor und vertiefte sich beim Lampenschein in „Die Wild- ente“. Das Wort von der „Lebensliige“ gefiel ihr darin ganz besonders. Und gerade dieses qualende Drama las sie wieder und wieder. Im Gegensatze zu soleh nervenerschiittern- dem Ideengange folgten die Blicke Melanies da drauBen der strahlenden Zeichenschrift des besternten Nachthimmels. — Alles eben noch 'S) 54 ■© so lebhafte Treiben und Hasten auf den StraBen war verstummt. Da vernahm man die Stimme des eigenen Herzens . . . Und was sprach jetzt das Herz dieser SechsunddreiBigjahrigen? Seltsames Sehnen und Wiinschen wurde in ihr laut. War es, daB die Schatten der Verstorbenen Melanie hier umschwebten und ihr erzahlten von jenem un- beschreiblichen Zaubergluck, das einst ihre Eltern an dieser Statte umfing, — war es, daB die junge Frau darum so urplotzlich ein heiBes, brennendes Weh darob empfand, das sie selber niemals dergleichen gekannt? Ihre eigene Ehe war ja wahrlich nicht der ideale Liebesbund gewesen, wie ihn nur junge, gleichgeartete Seelen schlieBen. Ihr Madchen- traum, ihr holder Wahn, war nur zu schnell verflogen, verweht... Nein, „Gliick“ im hoch- sten Sinne war es nicht, was sie an der Seite des alternden Freiherrn gefunden. Immer mehr ein sympathisch-kuhles Sichineinanderfinden, ein Paktieren-Hie und da ein vereinzeltes Lacheln der Seele, von tausend wehen Seufzern unterdriickt! Und nun die Witwenjahre erst! Und dann — und dann?... Wie? Solite ihr Leben denn so sang- und klanglos abgeschlossen sein?Schon jetzt?Schon fur immer? Und mitten in der Vollkraft ihrer Jahre, ihres Fiihlens?! Wie hatte sie nur bis heute nie daran gedacht? Genug — nun aber wuBte sie’s! Und es verlangte sie nach Gliick — sei’s auch mit Schmerzen erkauft — nach Leben und sei es auch unter Wagnis und Leid. ® 55 @ Ja, leben! leben... Sonst mufite sie er- sticken an diesem maBlosen Sehnsuchtsdrange unverbrauchter Kraft. Sonst mtifite der starke, volle Schlag ihres Herzens jahlings stille stehen ... Da fiel ihr die seltsame Zeitungsnotiz iiber das „Dodvaud“ wieder ein. Wie? Ware sie gar selbst schon in soleh grauenvolles „totes Was- ser“ geraten ?! Matt sank Melanie das Haupt auf dieBrust. Mit gefalteten Handen saB sie da, reglos, als erwarte sie ihr Schicksal- Und plotzlich erklang in den fernsten Fernen ihres Erinnerns jenes seltsame Poem Carl F. Thalers, jenes schwiile, schwermiitige Lied, „P h a n t o m“ benannt, das nun — einem „Phantom“ gleich — von dieser Frauenseele Besitz nahm: Ein seltsam Bild hab’ ich im Traum umsehlungen, Sein Blick, der liebediirstend mir gelacht, Ist mir bis in die Seele tief gedrungen, War auch sein Antlitz dunkel wie die Nacht. Obgleich wir uns in Worten nicht verstanden, Sprach doch sein Mund auf meinem Munde viel, Denn seine Heimat ist in fernen Landen, Wo nie ein Schnee vora Winterhimmel fiel. Dorthin zu kommen trag’ ich nun Verlangen, Wenn auch mein Auge niemals es erreicht, Ich sehne mich ein Wesen zu umfangen, Das j’enem Bild von meinem Traume gleicht! <3/^c) •S> 56 © VII. Wenn es einen Ort gab, da man vor „Phan- tomen“ aller Art geborgen schien, so war es geiviB das griine Asyl von Stubica. Und wenn man irgendwo von dem diisteren Wahne, der sich an die Vorstellung des „toten Wassers“ kniipft, gliicklich genesen konnte, so war es eben hier, wo lebenspendendes, lebendiges Heilwasser einem vulkanischen Erdreich sie- dend entquoll. Wirkte allein schon die Wagenfahrt er- quickend auf Leib und Seele, weil man dabei eine der reizendsten Gegenden Unter-Zagorjens — die sogenannte „kroatische Schweiz“ — ken- nen gelernt, wie sehr erst steigerte sich das Entziicken unserer Ankommlinge, als sie liber die weiten, blumenreichen Wiesenanlagen vor das Kurhaus gelangten, dessen altehrwiirdiger Bau in frischem WeiB unter grtinem Weinlaub so einladend hervortrat. Auf der Freitreppe stand zum hoflichen WillkommengruB auch gleich die Badekommis- sion, durch samtliche Glieder vertreten, voll- zahlig da. Voran der sympathische, Zutrauen erweckende, ortliche Askulap, der sich als ehe- maliger Regimentsarzt in einer blauen, gold- @ 57 -® verschniirten Uniform sehr fesch prasentierte imd den Damen beim Aussteigen galant behilf- lich war. Fur alles Weitere sorgte der eifrig amtierende Badekommissar, ein gemiitliches Inventarstiick von Stubica, dessen freund- lichem alten Gesicht man es auf den ersten Blick ansah, da6 man getrost Gefalligkeiten von ihm ervvarten konnte, sowie auch, daB er ein Meister in der Kunst sein miisse, gute Miene zum bosen Spiele zu machen! Der Siin- denbock aller fur alle — und dabei noch immer freundlich —: ja. so war diese wichtige Per- sonlichkeit, namens Fischer. Durch die Vorhalle schreitend, wurden den neuen Kurgastinnen noch mehrere feierlich ge- kleidete Herren von derVerwaltung vorgestellt. Dann fiihrte Dr. Spanner, von Herrn Fischer gefolgt, beide Damen in die fur sie bestimmten W ohnraume. War es eine besondere Liebenswiirdigkeit des freundlich en Arztes oder eine stille Auf- merksamkeit des blassen, abgehetzt aussehen- den Stubenmadchens, die sich in ihrem Dialekt sofort als Steirerin zu erkennen gab — genug: auf Tisch und Schreibtisch prangte herrlicher Blumenschmuck. Und zwar war dies kein steifes Machwerk der herkommlichen Garten- kunst, nein, schone, wilde Waldbliiten, bunt und toll ineinander gefiigt. Das war ja just so etwas nach Melanies Geschmack! „Ach, wie prachtig! Ah, wie lieb!“ rief sie einmal iibers andere. Auch die in ihren An- spriichen sonst so schwierige Mimi war ganz zufrieden mit den zwei allerdings kleinen, aber ® 58 ® behaglich freundlichen und ineinandergehenden Wohnzimmern, deren Fenster einen wunder- baren Ausblick auf die uralten Riesenkastanien des sog. „Restaurationsparks“ gevvahrten. Leider konnte man sich eben nicht lange der Freude hingeben, hier Umschau zu halten. Vielmehr sah man sich gleich schon gezwungen, nicht nur die Fenster selbst, sondern sogar deren griine Laden zu schliefien, da — ganz unerwartet — eine kurz zuvor noch kaum be- achtete schwarze Unheilswolke sich nun als prasselnder Gewitterregen jah entlud. — Vom Kies am Boden sah man schwere J wuchtige Tropfen erst emporspriihen, dann aber unfaBbar schnell die breiten wohlgepflegten Parkwege in einen einzigen triiben See verwandeln. „Furchten Sie nichts, meine Damen,“ auBerte, sich verabschiedend, der Herr Doktor zur Beruhigung, „hat das Unwetter nur erst ausgetobt, so rinnt auch das Wasser vom Wege augenblicklich vollstandig ab, wie aus einem Sieb. Das ist namlich eine nicht zu unter- schatzende Eigentumlichkeit unseres Kurortes. Und morgen, wenn —- woran ich nicht zweifle — wieder Sonnenschein lacht, konnen die Herr- schaften, auf mein Wort, in den allerfeinsten Lackschuhen gefahrlos spazieren gehen!“ Damit war die goldverschniirte Uniform und ihr lustiger Triiger auch schon zur Tur hinaus. — Mutter und Tochter begannen sich’s bequem zu machen. Hie und da wurden schon ein paar Kleinigkeiten ausgepackt. Dann begab sich Mimi eilig auf den Korridor, um daselbst unter ihrer personlicher Leitung ihr mitgenom- @59 @ menes „Stahlro8“ aus seiner Verpackung zu- tage zu fordern. — Den Rest der Abendstunden beniitzte man zu einer Besichtigung der Bade- raumlichkeiten, wobei der unermiidliche Herr Fischer einen sehr eifrigen Cicerone abgab. So erfuhren denn die Damen zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daB das grofie Bas- sin, dessen Deckengewolbe ihnen gleich durch seine schone Gotik als sehr merkwiirdig auf- gefallen, einst nichts geringeres gewesen als ein Gotteshaus. Namlich die Kapelle jenes alten Klosters, welches der Erzbischof Vrhovec dann in munifizentester Weise zur Kuranstalt um- schuf, nachdem man eines Tages, bei Maurer- arbeit am Altar, daselbst, perlend und heiB, das unschatzbareHeihvasser aus demBoden empor- schieBen gesehen, als sei diese Statte vom Segen des Himmels buchstablich iiberstromt. Wie wundersam dies alles klang. Und richtig, war nicht dort an der linken Langswand noch deutlich das feine architek- tonische Spitzenfiligran von der Briistung eines einstigen Oratoriums erkennbar? . . . Gern noch hatte Melanie langer hier ver- weilt, konnte sie sich doch nicht satt sehen an dieser eigenartigen Heilstiitte, die Kunst und Glaube geweiht und die ihr nun wie ein mo- derner Teich „Bethesda“ V orkam! Allein Mimi hielt Dampf und Hitze nur ungern stand. So ward denn der Cicerone rascher befreit, als er es gehofft, und beide Damen bestiegen — jetzt allerdings schon mit sehr verschiedenen Empfindungen — die ge- deckte Stiege, welche Bade- und Wohnraume ® 60 © direkt verbindet. Die Zimmer der Baronin, oben, waren schon erhellt und sahen auch bei Kerzenschein traulich und anheimelnd aus. Welch entziickender Ausblick aber bot sich ara nachsten Tage dar, als Melanie, die Friih- aufsteherin, ungeduldig ihre Fensterladen auf- tat! Am reinblauen Himmel weitstrahlender Sonnenglanz. In dem satten Griin uralter, machtiger Riistern hie und da ein hiipfender Reflex des goldenen Himmelslichtes, ein leises Regen und Wispern, wie die geheimnisvolle Verkiindigung froher Lebensbotschaft. Und uber Wiesen und Blumenbeeten gaukeln bunte Falter, sie nippen, sie košen. — Uberall reiches, ungestortes Sommersonnengluck! Und die Brust der holden Frau hob sich weit, wie zu einem machtigen Atemzuge tiefer Sehnsucht - Noch war der Park ziemlich leer. Nur hie und da sah man schon einige besonders Mati- nale ihr Morgenfriihstiick auf der weinum- laubten Veranda vor dem Kurhause einnehmen. Unter diesem Publikum gab es eigentlich keinerlei Personlichkeit, die einem in irgend einer Weise auffiel, aber nichtsdestoweniger hatte Melanies suchender Blick doch sofort ein reizendes Genrebild herausgefunden. Dort, etwas weiter, im tiefsten Schatten der Kasta- nienbaume, sah man das farbenleuchtende Kostum einer schonen, schwarzzopfigen Kinds- magd, die ein Baby auf dem Arm trug — ein Baby, wie die Beschauerin es noch niemals zu sehen geglaubt. Nein, so ein Kind! •a 61 © Aus dem feinen, weiBen Battistkleidchen hob sich das schone bronzefarbene Dunkel- kopfchen gar zu wunderbar ab. Und diese grofien, schwarzen Augen — wie die lachen und schelmisch dreinblicken konnten! Und dieses siiBe, kirschrote Maulchen, das des Kussens nicht genug fand! Ach, so ein Schatz! Ha! wie das Bublein sich jetzt seiner Warterin stiirmisch um den Hals warf — so zartlich und wild, so ganz der geborene rassige Siidlander! Merkwiirdigerweise hatte mandemKleinen einen roten Fez aufgesetzt und dies kleidete sein orientalisches Kopfchen so ganz eigenartig reizvoll; ein Maler konnte sich kein besseres Modeli zu einem Christuskinde wiinschen. Immer noch schaute Melanie durch ihr ge- offnetes Fenster der kleinen Gruppe zu. Aber je langer sie dieses einzigschone Kind betrach- tete, desto mehr trat vor den Spiegel ihrer Seele ein anderer ■— ein Mannerkopf, welchem derjenige des lieblichen Kleinen einigermaBen ahnlich sah. Derselbe bronzefarbene, warme Ton der Haut — auch die Augen so dunkel, so voli zart- licher Glut — — — Ja, wenn dies hier der Landestypus war, dann sollten doch alle Maler nach Kroatien wallfahrten! Jener „Andere“ aber-wer war das? Sogar vor sich selber wagte Melanie den Namen nicht auszusprechen ... Sie fiihlte nur, wie sein Bild sie verfolgte — wie es sie nicht mehr freigab ... ® 62 g> VIII. Eine Stundc spater saB Mimi — in ihrem rosa Battistneglige jetzt doppelt reizend und morgenfrisch — an einem der einladenden Tischchen im Restaurationspark, wo sie drei Geniissen auf einmal huldigte. Erstens nippte ihr Miindchen wohlgefallig am duftenden Friih- stiickskaffee. Zweitens erfreute sie sich an lite- rarischen Leckerbissen aus der Pariser ,,Revue Bleue‘‘, die ihr der liebensvmrdige Doktor so- eben geliehen. Und drittens hielt die schone Schelmin dabei noch, durch ein flinkes Auf- und Absehen, obendrein Rundschau auf das Kur- publikum, welches sich nun unter den Klangen der flotten Zigeunerkapelle mehr und mehr in den Anlagen zu zeigen begann. Besonders fesselte den Blick unserer Ba- roneB eine auffallend grofie Mannergestalt, die — dank ihrem lichten Tennisanzug — durch das Griin der Baume weithin sichtbar war. Der Betreffende wandelte eben mit dem Badearzt in der groBen schattigen Allee, langs der Land- straBe, auf und ab. Obzwar er sich so am auBersten Encle des Kurparkes befand, schien sein Auge dennoch scharf genug, um das pikante Freifraulein in ihrem griinen Laubver- ® 63 ® steck sehr bald zu gewahren. Sowie Mimi sich von dieser schmeichelhaften Tatsache iiber- zcugt hatte und somit auch im vornhinein aller weiteren Folgen sicher war, setzte sie ihre Lek¬ ture mit scheinbar unerschiitterlicher Aufmerk- samkeit fort. Kein Blick, kein Wimperzucken schweifte mehr ab von der „Revue“. Zeile fiir Zeile wurde jetzt alles genau gelesen. Nur als auf dem knisternden Kies nahende Manner- schritte schon dicht an ihr Ohr drangen, da warf sie, wie in unbewuBter Nonchalance, ein Knie iibers andere und liefi ihr kleines FiiBchen auf und ab wippen, so daB man nicht umhin konnte, sowohl dessen zierliche, aristokratische Form als auch die auserwahlt elegante Chaus- sure zu bewundern. Aber wie aus tiefstem Sinnen unliebsam aufgescheucht, sah sie jetzt mit einem fast erschrocken klingenden „Ach!“ plotzlich auf, als der Badearzt an der Seite eines Fremden auf sie zutrat. „Verzeihung, wenn ich store, gnadigste BaroneB," sagte der Doktor, „aber der Herr hier — Baron Schonau" — erganzte er, „hatte mich um die Ehre gebeten, Ihnen vorgestellt zu werden.“ Ah, natiirlich, das war ja jener Lichtpunkt aus der Allee, der schon seit Minuten zum Mit- telpunkt ihrer Gedanken geworden. Allein so dumm war die Kleine nicht, sich dies merken zu lassen. Sie nickte nur herablassend gnadig, als solite es heiBen: „mir hochst einerlei!“ Nun, dieser Schonau war aber auch nicht von der Sorte jener, die sich durch so etwas einschuchtern lassen. Im Gegenteil! Er strich © 64 @ sich mit der schlanken Hand, an welcher ein imposanter Siegelring funkelte, recht sieges- gewifi den machtig aufgebiirsteten, wohl auch etwas aufgefarbten „Es-ist-erreicht“- Schnurrbart und sagte dann, indem er sich un- aufgefordert gleich einen Sessel zum Bleiben hinschob: „Darf ich fragen, wie Baronesse sich in diesem primitiven Kurort zurecht- finden?“ Da man soeben den Doktor zu einem seiner harrenden, bauerlichen Patienten in die Ordi- nation rief, so sah sich Mimi mit dem Selbst- bewuBten im tčte a tete. Hieriiber aufs hochste vergniigt, antwortete sie auch gleich im auf- munterndsten Scherzton: „Wie soli ich denn hier nicht zufrieden sein! Der Himmel ist blau und ein blau-unifor- mierter scharmanter Badearzt spendet — o Gipfel der Zivilisation — seinen Gasten diese schone ,Revue Bleueb Ah, natiirlich, da geht mir’s wie es im Liede heiBt: ,Ein Meer von blauen Gedanken, ergieBt sich iiber mein Herz‘.“ Und sie sang den kleinen Vers mit einer bezaubernden Stimme. Schonau, der bei dieser Produktion zum Zeichen der Bewunderung sein Monokel ein- geklemmt, lieB dasselbe jetzt fallen, zog den Hut mit affektierter Devotion und schnarrte: „Da gestatten gnadigste BaroneB wohl, daB ich Sie preise als ein ,blaues Wunder‘ an Lieb- reiz und Schonheit." Er wollte ihre Hand fas- sen, um sie an die Lippen zu ziehen, allein © 65 @ 5 Mimi lieB solches nicht zu, sondern lehnte sich mit verschlungenen Armen herausfor- dernd zuriick: „Bitte, Baron, reden wir nicht so ins Blaue hinein! Vor allem machen Sie mir keinen blauen Dunst vor!“ Ihre keckenWitzeleien reizten ihn entschie- den. Dieses Wortgefecht gefiel ihm. „Ich strecke also vor Ihnen die Waffen — froh, mit einem ,blauen Auge‘ davonzukom- men“, improvisierte er weiter. „0 weh! O weh!-jetzt wird’s aber mir ,blau und griin' vor den Augen!“ In hochster Schelmerei schlug sich Mimi beide Hande vors Gesicht. Schonau knickte sofort mit einer wahren Armensiindermiene in sich zusammen und stotterte im hochsten Fistelton gut gespielter Reue: „WieSie befehlen ! Ganz, wieSie befehlen!“ Begeistert von der Komik dieser durch ihren Witz geschaffenen Situation kam es nun lustig und stolz iiber Mimis Lippen: „Also, wohlan, reuiger Siinder, machen Sie Ihr Vergehen schnell wieder gut, indem Sie mir eine getreue und fesselnde Chronik des hie- sigen Kurlebens zum besten geben.“ „Gut — zu Befehl. Also beginnen wir mit den Alten oder mit den Jungen?“ „Baron Schonau selbst zahlt doch wohl zu den letzteren?“ Diese Frage klang so harm- los, daB der Inquirierte sich gern damit ge- trostet hatte, wahre Jugend verstande sich eben noch nicht darauf, die Hieroglyphenschrift der © 66 © Falten bei anderen zu entratseln. Dennoch aber war er seiner Sache jetzt nicht ganz gewifi .. . Es schien ihm namlich, als blinzelten Mimis Spaherblicke just zur kritischen Stelle seines schwarzgefarbten Schnurrbartes, wo der Nach- wuchs schon wieder so graulich grau hervor- sprofi. Ja, dieses Teufelsmadchen, die sah ge- wifi zehn Dinge auf einmal! Auch war man ja nie sicher, ob sie im Spott oder im Ernst sprach. So zog sich der weltgewandte Schonau recht geschickt aus der Schlinge, indem er, siiB lachelnd, ausweichend erwiderte: „1 h r e Jugend, BaroneB, besitze ich nicht mehr — zahlen S i e mich also immerhin zu den — Alten.“ Da warf sie das schone Kopfchen neckisch zuriick: „Erzahlen Sie mir aber doch lieber von den andern — was ich iiber Baron Schonau horen will, werde ich mir wohl anderswo sicherer erfragen." Und mit der Schnur seines Monokels spielend, kam dieser nun schnell ins richtige Unterhaltungsfahnvasser. „Also an bemerkenswerten Personlich- keiten haben wir hier vor allem eine lebendige Reklame des Badeortes: Frau von Milovič, eine Achtundachtzigjahrige, die sich seit vier De- zennien aus dieser Therme Starkung geholt und es gegenwartig an Korper- und Geistes- kraft mit der Jiingsten — Sie selbst, holde Ba¬ roneB, nicht ausgenommen — aufnehmen kann ! Ferner die sehr liebenswiirdige und amiisante Grafin Posedarich, zwar ebenfalls schon eine ©67 ® 5 altere Dame, die aber insofern doch vielleicht auch fur Sie von Interesse sein diirfte, als sie hier ab und zu den Besuch ihres Sohnes emp- fangt, eines feschen Ulanenoffiziers aus Wa- rasdin, der — eine sogenannte ,gute Partie‘ sein soli." Trotz innerer Freude machte Mimi wohl- weislich ein bitterboses Gesicht, und Schonau hielt es jedenfalls fur geboten, schnell iiber die- sen heiklen Punkt hinwegzugleiten. „Dann haben wir,“ fuhr er lustig fort, „hier zwei schone junge Frauen, die sich ,Freundin- nen‘ nennen. Dies sind sie aber immer nur von jedem Montag bis zum folgenden Samstag, d. h. sobald die beiderseitigen FJieherren zum Sonn- tagsbesuch eintreffen. Da namlich hort alle Freundschaft auf. Oder, richtiger gesagt, die- selbe spielt dann vom Mann der Einen zur Frau des Anderen heruber. Sehr fatale Situa- tion! Aber man sagte ja schon bei den genufi- siichtigen Rdmern: ,Variatio delectat*. In un- serem Falle kommt die Sache daher, dafi die Geschmacksrichtungen beider Ehepaare in sehr ungliicklicher Weise verteilt sind: Die musi- kalische Frau hat einen unmusikalischen Mann und ihre Freundin, die sich als Dichterin fiihlt, ist einem total prosaischen Spotter angetraut, der aber nichtsdestoweniger leider seinerseits ebenso fiir Musile schwarmt, wie sich der Gatte der Musikalischen fiir Dichtkunst begeistert. Sie begreifen, dafi man dann wenigstens einen Feiertag sucht, an dem man, je nach Neigung und Naturtrieb, in Poesie oder in Harmonien der Tone schwelgen darf.“ © 68 ® Der zynische Ton, in dem Schonau diese kleine Pikanterie vortrug, hatte Melanie wohl entsetzt, ihre sechzehnjahrige Tochter aber fand die gepfefferte Witzelei „riesig amiisant". Indem sie ein komisch ubertriebenes „Genug! Genug!“ ausstiefi, schien sie den Erzahler da- durch eigentlich mehr anzufeuern als einzu- schuchtern. Ehe jedoch Schonau sich nun auf den richtigen Ton zu besinnen vermocht, den es jetzt anzuschlagen galt, frug Mimi plotzlich sehr lebhaft und ernst: „Ach, bitte, Baron, kennen Sie hierorts eine Personlichkeit, die man mir einmal mit dem Namen ,Grafin Daša' genannt?" PTochst begliickt, sich auch eben wieder als genau versiert in der Aristokratie zu zeigen, antwortete der Gefragte mit prompter Sicher- heit: „Aber naturlich. Ich kenne jene beriihmte ,Grafin Daša' sehr wohl. Und zwar nicht nur sie selbst, sondern sogar alle ihre Geschichten! Ubrigens konnen die gnadigste BaroneB ,un- sere Daša' demniichst wahrscheinlich eben- falls selbst kennen lernen. Sie kommt namlich fast alle Sommer auf ein paar Wochen nach Stubica." Da klatschte Mimi vergnugt in die Hande. „0,scharmant! scharmant! Aber bitte vor- erst auch noch — ,ihre G e s c h i c h t e'!“ Schonau — vielleicht um die Neugier des jungen Madchens fiir eine nachste langere Unterredung herauszufordern — setzte seine allerpfiffigste und geheimnisvollste Miene auf, zog den Hut und sagte feierlich: •© 69 © „Vergebung, Baronefi, diese Geschichten sind nichts fiir Ihre rosigen Ohrmuscheln!“ „Ach, bester Baron, seien Sie doch nicht so fad! Ich konnte sonst wirklich glauben, dafi Sie Hofmeister von Beruf sind.“ „Bei ,Hofe‘ zwar war ich viel, und ,Meister‘ nannte man mich in mancher schonen Kunst — Allein, mein Wort darauf, ein ,Hofmeister', ein pedantischer Sittendriller, war ich nie. Trotz- dem halte ich es einfach fiir unmoglich, vor so jungen Ohren den tollen Roman der Grafin zu erzahlen.“ Damit blieb die Unterhaltung fiir heute so ziemlich beendet. Gerade jetzt war namlich der Doktor dazwischengekommen, fast wie es schien — absichtlich, um dieses allzulange und trauliche tete a tete zu storen. So verabredete man nur noch eine ge- meinsame Radpartie nach SchloB Oroslavje, wo es, wie Schonau versicherte, ein wahres Blu- menparadies zu sehen gabe. Und mit einem galanten HandkuB verabschiedete sich dann der beredte Kavalier. © 70 @ IX. Mehr als ein Monat war vergangen, seit die Baronin mit ihrer Tochter in Stubica Auf- enthalt genommen. Nicht nur, daB sie diese Wahl keinen Augenblick bereut, nein: ihr Ent- ziicken liber das geheimnisvolle Naturparadies war womoglich noch stetig im Wachsen. Von der Gesellschaft aber hatte sich Melanie mehr und mehr zuriickgezogen. Einesteils entsprang dies ja ihrem angebornen Triebe zu beschau- lichem Alleinsein. Andernteils aber geschah es hier namentlich noch mehr, um die Annahe- rung Baron Schonaus zu vermeiden, der seinen anfanglichen kleinen Flirt mit Mimi sehr bald in offenkundige Anbetung der Mutter umge- wandelt. Schon begann man in der Kurgesellschaft dariiber zu munkeln, daB dieser im allgemeinen wenig beliebte Fant vielleicht nicht nur den schonen Augen, sondern mehr wohl dem schonen Vermogen der anziehenden Witwe huldigte. Ob nun aber Melanie so tiefen Einblick in seine Absichten, in seine wahre Gesinnung genommen oder nicht, mag dahingestellt sein. Selbst offen und wahr, besaB sie in hohem — © 71 ■© vielleicht nur allzu hohem! — Mafle die Arg- losigkeit eines reinen Kindergemiits. Indes dieser Schonau stiefi sie dennoch durch sein Abenteurerwesen instinktiv ab. Und dann be- merkte sie auch sehr wohl, da8 jede ihr seiner- seits dargebrachte Huldigung in Mimis Stim- mung eine gewisse Reizbarkeit hervorrief. Gewi6 — so folgerte ihr nachsichtiges Mut- terherz — gewifi, das unschtddige sechzehn- jiihrige Ding konnte ja ebenfalls keinen Ge- fallen an solchem Gecken finden. Aber schlieB- lich war es doch vielleicht eine verzeihliche Eitelkeit, wenn es der Tochter krankend er- schien, in Manneraugen von der eigenenMutter iiberstrahlt zu werden. Nun ja, das Leben hat eben seine unum- stoBlichen Gesetze: iiberall soli das Alte dem Neuen, dem Nacbkommenden weichen. Nur die Jugend hat alle Rechte fiir sich — Platz frei! wo immer diese auftritt!... Und so unterhielt sich denn Mimi, als der Jugend angehorend, mit der Jugend. Fast taglich gab es da Radfahrten, an denen sie unter Schonaus Agide teilnahm und woran sich auch die bevvuBten zwei schonen jungen Frauen, die von ihm als „die besten Freundinnen“ geschildert, anschlossen. Zuweilen gesellte sich auch der elegante Oberleutnant Posedarich dazu, wenn er nam- lich seiner graflichen Mutter einen Sonntags- besuch in Stubica abstattete. Zu ihren Ver- ehrern konnte Mimi diesen feschen Ulanen zwar leider noch nicht zahlen. Aber mit der Zeit — wer weiB ? — „Man mufi die Hoffnung © 72 -a> nie zu friih aufgeben!“ Vielleicht auch kame ihr ein Zufall zu Hilfe .. . Und dann rechnete die kleine Kokette auf „i r g e n d e i n e n a n - deren“, mit dem sie ebenfalls die eifersiichtige Eitelkeit Posedarich’ zu reizen vermochte. Denn e i t e 1 war e^ das hatte sie sehr bald schon herausgebracht. Nur daB ihm der alternde Schonau mit seiner leuchtenden Glatze und den zahlreichen Falten als Rivale einfach lacherlich erschienen ware. Uberhaupt, dieser stolze SproBling eines der altesten und histo- risch beriihmten Grafengeschlechtes benahm sich gegen Schonau — doch gar zu sehr „von oben herab“. Manchesmal schon hatte es Mimi geargert, wie boshaft er auf jenen losstichelte oder ihn dann wieder einfach fiir Luft ansah, wahrend der also MiBhandelte sich alles gefallen lieB, ja, feige genug war, auch die bitterste Kran- kung mit siiBem Lacheln zu quittieren! Er schien sich jedenfalls im Glanze soleh illustren Namens formlich zu sonnen und brauchte mit Vorliebe die Redewendung: „unser Posedarich und ich“. Fernab von ali diesem bewegten Treiben, von diesem Intrigenspiel kleinlicher Eitelkeit, lebte Melanie in einer schoneren, reineren, selbstgeschaffenen Welt. Uberall sprach die Natur ihr zu Herzen und bot reichlich Ersatz, wenn jemals das Ge- fiihl der Vereinsamung oder Zuriicksetzung in diesem doch noch immer jungen und heifien Frauengemiite aufsteigen wollte. ®> 73 @ Ein ganz besonders reizvolles Versteck hatte sich die Baronin in letzter Zeit im Freien ausgewahlt. Dort, wo man, an der Kapelle fort- schreitend, in den altesten und zugleich fried- lichsten Teil des Kurparkes gelangte, wo zwischen riesigen Baumkronen die Sonne nur scheue, verstohlene Blicke in das Dunkel des geheimnisvollen Laubganges zu entsenden ver- mocht, dort, wo immer eine so erquickende feuchte Kiihle aus tiefbeschattetem Boden auf- stieg: da, mitten in diesem Urwaldparadiese, hatte die grofie Naturfreundin ein Platzchen erspaht, das — mit Tisch und Banken zum Traumen einladend — ihr nun zu einem un- widerstehlichen Kehrewieder geworden. Und auch heute saB sie wieder an jener Stelle, zartlich umschwirrt von einer Schar Vogel, die, durch tagliche, regelmafiige Fiit- terung zahm gemacht, nun zu den besten Freunden der liebreichen Gonnerin geworden waren. Sobald Melanie sich zur gewohnten Stunde an ihrem Lieblingsplatzchen niederliefl, da vernahm sie gleich schon hoch in den Bau- men ein eigentiimliches Piepen und Zwitschern, das wie freudiges Rufen und Zurufen klang. Bald gerieten dann die niederen Zweige in Schwingung und hie und da hopste flink ein Rotmeischen auf den Boden herab oderschwang sich gar kiihn zu Melanie auf die Bank. Denn so zahm waren diese herzigen Geschopfe ge- worden. Und wie erwartungsvoll schauten sie mit den grofien, klugen Augen danach aus, daB die sorgsame Frauenhand ihnen das erwartete Futter nicht versage. Wie ungeduldig sie die ■@ 74 ® Kopfchen vvandten, wie lustig sie mit den Schwanzchen wippten — hurtig naher, immer naher riickend. Ein reizendes Bild diese froh- liche, hiipfende Schar in ihrer regen Beweg- lichkeit! Und wie riihrend war es anzusehen, wie die Vogelmutter immer gegen ihre Jungen zuriicktritt, wie sie selbstlos die schonsten Bissen den Kleinen iiberlafit: — o Mutterliebe, heilige, gottliche, wie offenbarst du dich selbst in dem schv/achsten Geschopf!. . . Jetzt huschen auch die blauen Baumlaufer neugierig um den Buchenstamm. Auch sie wollen ihren Teil Nahrung erobern. Nur sind sie nicht so klug, nicht so zutatig, wie Me- lanies Lieblinge, die nachtigallenahnlichen, graziosen Rotmeisen. Die kleinen schwer- falligen Dickleiber jener drolligen Kletter- vogel nehmen sich fast aus, wie buntgefiederte Mause — ja, welche Verschiedenheit der Na- turanlage alliiberall! Aber jetzt, wo die Vogelmahlzeit im schonsten Gange, jetzt gedenkt Melanie nocli ein wenig hinaus zu treten, einige Schritte weiter, dort auf die tannenumstandene kost- liche Wiese, welche eine griinende Berglehne wie mit samtenem Vorhang gegen Westen abschliefit. Aus dem Dunkel ihres Schattenreiches hervorschreitend, bleibt die Baronin da aber plotzlich wie geblendet, vvie gebannt stehen ... Was?... Wer kam ihr denn hier soeben entgegen?... War das nicht das greifbar ge- wordene Bild ihrer Traurne — ihr ,,Phantom“? ® 75 © Und sie hatte alles dies doch, im Traume selbst, streng von sich abgewehrt! . . . Im lichten, eleganten Sommeranzug, den Hut aus der Štirn geriickt, kam der Daher- wandelnde offenbar ebenfalls in Traumstim- mung auf sie zu, seines Weges kaum bewufit. Plotzlich aber emporblickend, warf er den Kopf wie unter nervosem Zucken zuriick, seine schwarzen Augen leuchteten auf, eine unver- kennbar heftige Bewegung hatte sich des jungen Mannes bemachtigt. Allein, als er seine Lippen offnete., da war es nur der eine Laut des Staunens, der Wonne, der sich ihnen entrang: „Ah! Ah!“ und rasch bedeckte er sich die Augen mit der Hand. Auch Melanie war anfangs sprachlos. Dann jedocli fafite sie sich bald. „Willkommen, Dr. Zorič!“ sagte sie ein- fach und herzlich. Er aber, als sei er beschamt, seine Gefiihlsiibermannung so offentlich zur Schau getragen, sich so wenig bemeistert zu haben, griff sofort zum formvollendeten Welt- mannston, indem er scherzte: „Baronin mogen mich entschuldigen. Ich war so verwirrt —• ich glaubte dreiSonnen auf einmal zu sehen!“ Ja, er hatte recht mit seiner bilderreichen Dichtersprache: wo die Abendsonne in gliihen- dem Purpur versank, da leuchteten ihm, zwei neu aufgehenden Sonnen gleich, die Augen der Freifrau gluckstrahlend entgegen. Und ohne jede Gefallsucht, ohne jede Ziererei, nahm sie sein Kompliment mit dem ihr eigenen warmen Frohgefiihl auf. « 76 ® „Auch ich war verwirrt — fast erschrocken iiber dieses schone, unvermutete Begegnen“, gestand sie ehrlich. Em gliickliches Lacheln zeigte dabei ihre blendendweiBen Perlenzahne, die so gesund, so makellos waren, wie die reine Seele dieser Frau selbst. UnbewuBt war die Baronin dann mit ihrem Begleiter wieder zu ihrem kaum ver- lassenen Lieblingsplatz unter der schattigen Buche zuriickgekehrt. Und wie selbstverstand- lich lud sie nun hier Zorič zum Niedersitzen, ihr gegeniiber, freundlich ein. Er, sich nichts Lieberes wiinschend, verstand wohl den Zauber solchen Augenblickes festzuhalten. Ihnen bei- den ward iiber eifrigem Reden schnell immer warmer, immer freier ums Herz ... Hie und da kam wohl noch ein neugieriges Baumlauferl, um den Stamm herumhupfend, aus dem griinen Gezrveig, das die Abendsonne mit Lichtfunken goldig durchspriihte, aber alle auBeren Vorgange verschwanden jetzt vollig vor den Blicken dieser Zuschauer. Es war, als lebten sie eben nur fiir und ineinander! Nicht genug vermochte Zorič den Zufall zu preisen, der ihn nach Stubica gefiihrt. Er verschwieg es nicht, wie ihn, trotz der so fliichtigen ersten Reisebekanntschaft, das Bild jenes Begegnens immer verfolgt habe. Ja, ver- folgt sogar bis hinein in ali den Marchenzauber des Plitvicer Naturwunders, dieser Perle der Schopfung. Und wie er iiber alles das sprach! Nur ein Dichter konnte derart mit Worten malen, daB man Gefiihle und Naturerscheinun- gen gleich etwas Greifbarem, Wesentlichem, in •a> 77 ® leuchtenden Farben, in heifier Lebenskraft vor sich sah! Es zog sich auch durch ali seine Schilderungen stets der rote Faden des Ge- heimnisvollen, der Gottesoffenbarung. Gew6hnlichen Menschen bleibt ja derglei- chen ewig fremd. Darum auch vermogen sie nie das vvahrhaft Schone zu schauen in seiner gottlichen Nacktheit. Nein, immer nur verhiillt, vermummt, in die tausenderlei Fetzen, in ali den gemeinen Kleinkram der Alltaglichkeit! So aber wird das Schone in ihren Augen eine leblose Mumie, wohl zugerichtet und bereitet mit den Wiekeln und Spezereien starrer Kon- venienz . .. Nun sprach Zorič davon, was ihn, den Ahnungslosen, jetzt dazu bewogen, Stubica aufzusuchen. Ein Dueli, das er im vorigen Jahre geringfiigiger Ursache halber gehabt und das ihm eine schwere Verletzung der Schulter eingetragen, hatte ihn damals mit volligem Unbrauchbarwerden seines rechten Armes bedroht. VVohl ward ihm dann hier von der heimischen Najade Genesung beschert, um je- doch jeder Folge des Ubels energisch vorzu- beugen, sah er sich auch dieses Jahr wieder zu abermaliger Badekur in Stubica gezwungen. „Wie seksam," sagte er mit seiner melo- dischen, vertraumten Stimme, „wie seltsam, dafi uns aus unseren Verirrungen und Irr- tiimern so oft der schonste und kostbarste Ge- winn ersteht. Was hat mir zum Beispiel jenes unsinnige, ja, wie ich jetzt sagen muh, frevent- liche Dueli schon eingetragen! Welch ein Ge- winn, welche Bereicherung meiner Erkenntnis- sphare!... ® !8 ® Ein torichtes Wort, mit welchem ein ge- dankenloses, oberflachliches Madchen, das ich damals zu lieben gewahnt, die Gattin eines Ehrenmannes tief verletzt, deren Ruf gescha- digt hatte, gab mir, der ich fiir die ,Ritter- pflicht' des Zweikampfes schwarmte, leicht Gelegenheit, eine Probe meines Mutes sowohl wie meiner Galanterie ihr gegeniiber abzu- legen. Als namlich der Gemahl der leichtfertig geschmahten jungen Frau sich heftig ver- weisend an die Dame meines Herzens wandte, als er ihr in groBer Gesellschaft eine sehr er- regte, wenn auch nur allzu wohlverdiente Strafpredigt hielt, die der sechzehnjahrigen Verleumaerin jedenfalls eher zum Heile als zum Schaden gereichen konnte, da sprang ich fiir sie ein. Ich, als Unbefugter, antwortete jenem an ihrer Stelle mit solcher Impertinenz, daB — wie ich es ja vorausgesehen und be- absichtigt — dem also Beleidigten kein anderes Mittel blieb, als mich vor den Lauf seiner Pištole zu fordern. Und so standen wir uns denn bald darauf gegeniiber: die Mordwaffe in der Hand! DaB keiner von uns fiel, das war Zufallsgliick. Aber immerhin war es die Sache wohl nicht wert gewesen, daB ich — ein hoffnungsvoller, junger Mensch, der vielleicht bestimmt ist, noch manches Schone und Gute zu leisten —• daB ich um Haaresbreite derart zum Kriippel geworden ware! Und alles dies, damit meine herzlose Schone womoglich noch mit diesem Dueli um ihretwillen prahle, an- statt sich zu schamen, so gewissenlos zwei ■a> 79 @ Menschenleben in Gefahr gebracht und den Ruf einer Unschuldigen besudelt zu haben. Mir aber ward durch jenes Ereignis der Star gestochen. Als ich, kaum genesen, bei meinem ersten Spaziergang schmutzige Gassen- buben mit Kupferkreuzern ,spielen‘ sah, da fiel es mir aufs Herz wie ein vernichtender Urteils- sprucli: ,siehe, so leichtfertig hast du selber mit Giitern gespielt, die nicht einmal dein gewesen. Mit der Existenz eines andern und mit deinem eigenen Daseim das auch wiederum nicht dir allein gehort!‘. . . Seit jener Stunde begriff ich klar, welch hehre Aufgabe es sei, gegen die Roheit und Absurditat des so lange verherrlichten Zwei- kampfes zu streiten. Und so tue ich dieses jetzt auch iiberzeugungstreu, ja, siegesgewifi, in Wort und Schrift, wo immer ich nur kann. Wie weit iibrigens in letzter Zeit die Duell- manie gediehen ist, das illustrieren die Unter- suchungsakten der Budapester Staatsanwalt- schaft. Da wird z. B. die Anklage gegen vier Herren erhoben, u. zw. i.wegen Betruges und Duellvergehens; 2. wegen des Verbrechens des Diebstahls und des Duells; 3. wegen De- fraudation und Herausforderung zum Dueli; 4. wegen Diebstahls und Duellvergehens. Zur Erklarung dieser Delikte geniigt zu wissen, daB der Herr Defraudant sich um jeden Preis mit demjenigen schlagen wollte, bei dem er den Unterschleif begangen, und daB die beiden Diebe und der Betriiger sich tatsachlich duel- liert haben, da sie an ihrer Ehre keinen Makel duldeten. In der SchluBverhandlung werden @ 80 © sie sich wahrscheinlich mit dem ,gesellschaft- lichen Zwang‘ verteidigt haben.“ Leuchtenden Auges hatte Melanie dem Begeisterten bis hieher schweigend zugehort; nun aber entfuhr ihr’s wie ein Schrei des Herzens: „Ja, ja, tausendmal haben Sie recht! Man hort ja auch zum Gliick schon von so mancher edlen und einflufireichen Stimme, die sich fiir diese gute Sache erhebt. Und — als sei jetzt erst der W'elt ein Licht dariiber aufgegangen, wie eigentlich sich Mut von Feigheit unter- scheidet — erst jetzt hat man gelernt, in Man- nern wie jenem beherzten Prinzen von Bour- bon und den ihm Gleichgesinnten die wahren Helden, die mutvoll Freien und Bewunderns- werten zu sehen!“ Zorič war entziickt, bezaubert, bei einer Frau so viel Verstandnis fiir groBe, zeit- bewegende Fragen zu finden. Zumal bei einer Frau, die sich so einfach gab, so ohne jedes Hinausstreben ins Frauenrechtlerische! Da gab denn bald ein Wort das andere — das Ge- sprach gewann immer warmeren, vertiefteren Charakter. Aber wahrend der Mund so kluge, weit- tragende Worte zu reden bemiiht, schienen die Herzen sich mehr noch zu sagen in stummer Sprache... Plotzlich jedoch fuhr Melanie zusammen, schaudernd, erschrocken, gleich einer Schlaf- wandlerin, die man jahlings beim Namen ge- rufen und so unsanft geweckt hatte. @ 81 ® 6 Knirschend, mit nervenzerreifiendem Kni- sterton, war ihr ein diirres, sonnverbranntes Blatt iiber die Brust geglitten. Ein Nichts, natiirlich — nur ein leeres Ungefahr. Allein symbolisch hatte dies Bild der Verganglichkeit, inmitten aller Sommer- und Liebespracht, diese sensitive Frauenseele aufs tiefste erschreckt. Zorič, ohne das zu verstehen, sah die Ba- ronin erbleichen. Und mit bebenden, entfarbten Lippen sagte sie tonlos, auf das verdorrte Blatt weisend: „Ein Bote des Herbstes!“ „Ah, was! Da kommt ja der Friihling!" scherzte der begeisterte Poet, indem er auf die duftige Erscheinung des jungen Freifrauleins hinwies, das soeben — im wei£Sen Musselin- kleide, wie ein Schmetterling anzusehen — dahergesc.hwebt kam. Mimi behauptete nam- lich, „ihre siifie Marna" schmerzlich gesucht zu haben. „Ja, gewi£5, das ist der Friihling in Per- son“, sagte diese. Aber ihre Stimme klang dabei fremd, entschieden auch wohl mehr wehmuts- als freudevoll! •S) 82 ® X. Den nachsten Morgen erwachte Melanie mit einem ihr sonst ganzlich unbekannten Weh- gefiihl. Unbegreifliche Schwere lastete ihr nicht nur im Gemiit, nein, sie spiirte dieses Unbehagen auch sogar korperlich. Die ganze Nacht hatte sie schlaflos zu- gebracht. In der Morgenfriihe erst war ihr er- losender Schlummer gewahrt. Und darum er- hob sie sich nun zu so ungewohnlich spater Stunde doch trotzdem matt und miide vom Lager. Als Kathi, das blasse Zimmermadchen, der Baronin das Friihstiick servierte, berichtete diese, dah „die gnadige BaroneB“ — Mimi — schon zu Rad eine grofiere Partie unternom- men, und zwar in recht lustiger und zahlreicher Gesellschaft. Der junge Graf Posedarich sei namlich gestern abends spat noch angelangt und hatte heute friih gleich alle Radfahrer Stubicas zu einer Wettfahrt ermuntert. Auch der als ganz besonders guter Velozipedist be- kannte Dr. Zoric sei von der Partie. Kurz, die junge BaroneB werde gewiB viel Vergnugen von der Ausfahrt haben, zumal sie ja selber, wie sie gesagt, eine so unerschrockene und unermiidliche Radfahrerin sei .. . @ 83 © 6 * O ja, das klang alles sehr hiibsch, sehr lustig. Da sie Mimi ihrer Sache so gewiB und so sattelfest auf dem StahlroBlein wuBte, brauchte die junge Mama sich auch keinerlei Besorgnis hinzugeben. Dennoch verriet ihre Miene jetzt nichts weniger als Befriedigung. Das treuherzige Zimmermadchen aber, das ihr, um ihrer stets gleichbleibenden Giite willen, sehr ergeben war, trachtete daher, sie auf an- dere Weise durch Neuigkeiten aufzuheitern. So nahm dann das unerbetene, einseitige Ge- sprach seinen Fortgang. „A bissel viel zu tun gibt’s heut’ halt fiir mich", redete Kathi weiter. „Wissen’s gna’ Frau Baronin, gestern af d’ Nacht is ganz ohne Anmold’n, so wie sie’s schon allerweil tuat, die Frau Grafin — na! jetzta woas i net, wie sie eigentlich hoaBt, wir sog’n halt: ,G r a f i n Daša' — mit an Fiaker kommen und des- wegen han i heut’ gar so viel z’tuan. Hiaz muB i in d’r Eil’ noch oll’s fiir sie herrichten . . . Ich mocht’ ihr holt gern a Freid’ mach’n, weil sie gar so Hab und guat is. Aber mei’ Gott — schlecht is sie wohl beinonda! Heua schaut’s no viel schlechter aus als fort’n. Do Arme hat’s halt immer beim Herz, wia der Herr Doktor sagt, und i glaub’: lang wird sie’s nimmer mitmach’n . . . War ja so besser fiir sie!“ Bei diesem SchluBsatz fuhr sich die brave Steirerin tranentrocknend mit der Schiirze iiber die Augen. Anfanglich hatte Melanie ihr wohl kaum recht zugehort. Erst der Name „Daša“ fesselte plotzlich ihre Aufmerksamkeit. •s> 84 @ Doch auch das nur momentan. Schon schien sie wieder in ihre apathische Stimmung zu- riickzusinken. Ohne weiter auf irgend welche Frage einzugehen, sagte sie nur in freundlich- verabschiedendem Tone: „Ja, ja, liebes Kind, es tragt eben jeder sein Teil Not; nicht nur die Kranken allein! Aber nun will ich Sie auch nicht langer zuriickhalten. Geh’n Sie nur und machen Sie der armen Frau Grafin alles recht schon!“ Als Melanie Preyck einige Minuten dar- auf, zum Spaziergang geriistet, ihr Zimmer verlieB, hatte sie vielleicht schon vergessen, dafi es jetzt hier, in ihrer allernachsten Nahe, im Kurhause eine Leidende gab, deren Erwah- nung unter anderen Verhaltnissen und zu an- derer Zeit sicherlich ihr allerinnigstes Inter- esse emeckt hatte. Eben aber war sie nur von ihrem eigenen Herzeleid umstrickt — einer Gefangenen gleich, in deren Dunkel weder Licht noch Schatten der AuBenwelt hineindringt. So vermied Melanie jetzt auch absicht- lich den belebten Kurpark. Sie verliefi das Haus durch den riickwartigen Ausgang, um hier, iiber die sonnigen Wiesen, schnell dem Schatten des Waldes zuzueilen. Wenn irgend etwas geeignet schien, ihre diistere Stimmung aufzuheitern, so war es wohl der Anblick dieser weiten, griinen Rasenfliichen, deren iippig- bunter Blumenflor, vom blendenden Sonnen- schein verklart, j eden denkenden Beschauer anmuten muflte, wie ein tiefsinniges Poem. © 85 ® Wenn die zarten Malven hier im Morgen- zephir ihre vveifien Glockenkelche traumerisch regten, so war es, als hauchten sie siifie, schauerlich siifie Klostergeheimnisse aus. ...Wer waren sie gevvesen, alle jene, die einst in diesen Griinden vor den Stiirmen der Welt ein friedliches Asyl gesucht?... Waren es Gottgeweihte, waren es erdentriickte, heilige Seelen? Oder mehr todesmatte Biifier, die sich miide gerungen im vernichtenden Kampfe zwi- schen Liebe und Leidenschaft? Oder Traumer gar, denen dies kurze Erdenleben nur gegeben schien, um sich auf ein ewiges, schoneres, durch Entsagung aller Art vorzubereiten? ... Und neben den traurig-atherischen Malven, da schauten aus dem Grase vvieder so lebens- frisch-iippig die schimmernden Margueriten hervor — — Ihre schelmischen Goldaugen mahnten blinzelnd an jenes uralte Liebes- orakel, um das sich, seit die Welt steht, so manches Menschenschicksal dreht: „er liebt mich — von Herzen — mit Schmerzen — ein wenig — und garnicht!“ Ehe sie’s gedacht, hatte Melanie ein solches Bliimlein gepfliickt. Schon losten ihre Finger mitleidslos Blatt fiir Blatt aus dem ster- benden Blumenherzen. „E r 1 i e b t m i c h!“ sagte sie, schamhaft errotend wie ein junges Madchen, leise zu sich selbst und konnte den Blick nicht abwenden von dem letzten dieser kleinen stummberedten Wahrsager, den sie lange noch sinnend in der Hand mit sich forttrug. — Dann aber, scheu zuriicksehend, als fiirchte sie, bei so kindisch- @ 86 ®> narrischem Treiben von irgend jemand iiber- rascht zu sein, fiel ihr Auge dabei auf ein junges Baumchen, das ganz umrankt war von den an seinem Stamm emporwachsenden Mal- ven. Wie das Symbol unentrinnbarer Trauer schlossen sich diese weifien Bliitenarme immer fester iiber ihm zusammen. „SchlieBlich — wer weiB — ersticken sie vielleicht ali seine Lebens- kraft", dachte Melanie. ... Aber was ist das?... Ihr zu Haupten schwebt ein seltsam schoner Vogel majestatisch daher. Blau seine Brust, blau seine Schwingen, von einem wun- derbaren, schimmernden Blau ... Ist das nicht der „blaue Vogel" der Sage?... Ja, fiirwahr, die schone Frau wandelt heute sinnbefangen alluberall in einer fremden, mystisch anziehenden Zauberwelt! Jetzt steht sie schon im Walde, der sich in sanftem Schlangenpfade zur Hohe des im- posanten „K a m e n i a k“ emporstreckt. Das Rauschen uralter Buchen und Eichen weht ihrer heiBen Štirne labende Kiililung zu. Ha! Wie das Steigen ihr wohltut, wie es ihr — der Starken — jede Lebenskraft wieder neu zu stahlen scheint! Gern und leicht wurde Me¬ lanie so bis zum neuen „Belvedere“ auf dem Bergesgipfel fortklimmen. Aber ein unklarer innerer Zug laBt sie plotzlich von clieser Rich- tung abweichen. Dort, wo nach mafiiger Stei- gung der rechtsseitige Waldweg eine Abzwei- gung aufweist, da hemmt Melanie nachdenk- lich den Schritt. . . Warum nicht jenes ihr bisher unbekannte Endziel des versteckten ® 87 © schmalenSeitenpfades suchen? Vielleicht winkt da hinaus wieder eine reizvolle Aussicht? Schon klettert sie empor — die Muhe ist nicht grofi und — was noch mehr sagt! — sie ver- lohnt sich! Oben angelangt, erschliefit sich ein von der Natur selbst gebildetes Tannenboskett, ein kostliches Stiick Weltversteck — und den- noch wiederum so nah’ dem Kurhause, dafi man dessen weifie Mauern sich handgreiflich gegeniibersieht. Wie aber Melanie dieses rei- zende Fleckchen betritt, da nimmt sie gleich zuerst noch nichts von alledem wahr. Ilir Auge haftet nur staunend an einer Frauenerschei- nung, die hier, nachlassig und mude auf einer Bank ausgestreckt, den Riicken an den Stamm einer machtigen Fohre gelehnt, jetzt ebenfalls verwundert auffahrt und die Hinzutretende mit fragenden, aber freundlichen Blicken mustert. „0, bitte um Verzeihung!“ entschuldigt sich Melanie mit bescheidener Hoflichkeit. Die andere aber scheint ihr Kommen durchaus nicht als etwas Storendes anzusehen. Im Ge- genteil, sie zieht die Baronin mit einladender Gebarde zu sich nieder auf die Bank, von welcher sie sich gleich aus ihrer liegenden Stellung erhoben hatte. „Baronin Preyck, wenn ich nicht irre?“ Wie lieb sie das sagt! Denn sie spricht diese Worte ja nicht in gewohnlicher konventioneller Weise allein mit dem Munde, sondern auch noch mit einem sonnigen Blick ihrer herr- lichen Augen, mit einem herzgewinnenden Lacheln und einem melodischen Koselaut, der die einfache Phrase wirklich zu einer Art © 88 © Sympathiekundgebung werden laBt. Bei Nen- nung i h r e s Namens aber, da verlischt plotz- lich alles Strahlende auf den Ziigen der Frem- den. Wie in schmerzlicher Uberwindung nur entringt sich’s ihren Lippen leise, fast tonlos: „G r a f i n Lahnsdorff - Lenko- v i c h.“ Uberhaupt an dieser Frau ist alles anders wie bei gewohnlichen Evatochtern. Schon daB das eigentlich noch jugendliche, wenn auch auffallend bleiche Gesicht mit den vornehm- schonen Ziigen unter schneeweiBem Stirngelock hervorschaut, wahrend die iippige Haarpracht am Hinterhaupte glanzend schwarz blieb, schon das gewahrt einen sonderbar reizvollen An- blick. Aber am merkwiirdigsten und beachtens- wertesten sind doch diese von feingeschnit- tenen, tiefschwarzen Brauen schwungvoll iiber- wolbten Augen, die, zwei gliihenden Kohlen gleich, fast wie das einzig Lebendige in dieser, von tiefstem Leide erstarrten Physiognomie erscheinen. Und schmerzgestempelt sind auch die zarten Fliinde der Grafin . . . Welche Un- summe von Qual hatte das Schicksal wohl dieser Frau zugeteilt! Von der korperlichen, die den zarten Leib geschiittelt und zermiirbt, nicht zu reden. GroBer, schwerer sicherlich war noch ein UbermaB an Seelenqual in markver- zehrender Leidenschaft oder in lebenszerstoren- der Entsagungspein ... So denkt Melanie und fiihlt eine warme Zuneigung fiir die schone Ungliickliche in sich aufkeimen. „Ich vermute, Grafin, Sie sind Schrift- stellerin“, auBert sie dann, auf eine kleine •© 89 © Rolle Manuskripte und die anderen notwen- digen Schreibbehelfe weisend, welche sich neben dieser auf der Bank befanden. Da aber hatte die Fremde nur ein ganz bescheidenes Achselzucken zur Antwort. „Ach, liebe Baronin,“ erwiderte sie miide, „Gott bewahre mich, das Heer der dilettieren- den Frauen auf solchem harten Felde noch zu vermehren! GewiB, ich schreibe hie und da kleine Artikel, kurze Essays, zur Bekampfung verschiedenster Vorurteile, zur Bekehrung der Menschheit zur Menschlichkeit, wenn man so sagen darf. — Aber ,Schriftstellerei‘, nein, mit so groBem Woi't darf man meinen perio- dischen Journalismus nicht stempeln. Alles Halbe ist mir iiberhaupt zuwider. Was man ist, was man fiihlt, soli man ganz sein. Ganz oder garnicht. Anders nehmen wir unserem Denken und Handeln ja jegliche Berech- tigung !“ Wie Melanie dabei aufhorcht! Iminer besser gefallt ihr die neue Bekannte. ,,Es mufi aber doch schon sein, sich in irgend einer Art, sozusagen einer inneren Mis- sion zu weihen“, entfahrt ihr’s jetzt lebhaft. Da spriihen ihr auch der andern Blicke dankbar entgegen. Und die Stimme der Grafin gewinnt plotzlich an Kraft: „Ja, gewiB. Ich kann sogar sagen, dafi diese Art ,innere Mission' es ist, was allein mich am Leben erhalt. Denn, was das Dasein sonst mir zu bieten hat-—“ Ein Seufzer, der den abgebrochenen Satz schlieBt, sagt der Zuhorerin mehr, als die @90 -B ergreifendsten Worte. Doch gewohnt, sich immer wieder zu beherrschen, fahrt die traurige Sprecherin gleich gefafit fort: „Wenn ich an eine pnnere Mission' im hochsten Sinne denke, da fallt mir natiirlich unser junger Dichter Zorič ein — Sie haben ihn doch gewi6 schon kennen gelernt? Ah, sehen Sie 3 Baronin, d e r hat fiirwahr eine gottliche Mission ! Ein echter Poet und gliihen- der Patriot zugleich, ist er wohl dazu aus- ervvahlt, zu jenen GroBen zu zahlen, die von Gott selbst ihrem Volke zu Propheten be- stimmt sind.“ Heifi fiihlte es Melanie, daB sie hier aus fremdem Munde bestatigt vernahm, was das eigene Empfinden ihr instinktiv schon voraus- gesagt. Und mit begeisterter Gebarde, die Augen flehend zur Grafin erhebend, sagte sie nur: „0, bitte, bitte, erzahlen Sie von ihm!“ „PIerzlich gern,“ lautete die Antwort, „hege ich doch selbst fiir Dr. Zorič eine Art mutterliche Sympathie und Bewunderung. Als Knabe schon war mir der reizende kleine .Lju¬ bica' — wie man ihn nach seinem Taufnamen, Slavoljub, kosend benannt — stets lieb. Und so vermochte ich die staunenswerte Entwick- lung seiner Geistesgaben mit reger Teilnahme stolz zu verfolgen. Uberdies ist sein Schicksal seltsam von Anfang an. Stellen Sie sich vor, Baronin, er hat weder Vater noch Mutter ge- kannt. Als Findelkind ward er auf der Schwelle eines unserer Schlosser entdeckt und von der kinderlosen Herrschaft dort freudig aufgenom- ® 91 © men. Den eigenen Namen freilich konnten die Adoptiveltern ihm leider nicht verleihen, da die iibrigen Glieder des graflichen Geschlechtes der Rockenstein voli Neid dagegen Einsprache erhoben. Allein, mir scheint, mit dem freigewahlten Namen Zorič* der wie Morgenrote der Ver- heifiung iiber diesem Kind von ratselhafter Abstammung aufging, hat man ein gutes Omen erwahlt. Was Elternliebe und die glanzendste Erziehung einem Manne zu bieten vermogen, ward ihm zuteil. Und herrlich hat er’s seinen Wohltatern gelohnt. Freilich, auch mit Sorgen hat er sie an- fangs nicht verschont. Oft setzte er sein Leben leichtsinnig aufs Spiel. Auf der Universitat, da gab es Ehrenhandel, gab’s Duelle.- Ja, natiirlich, edles Blut wallt leicht. Und dies gilt wohl fiir j eden echten Kroaten. Leiden- schaftlich und aufierst reizbar im Ehrgefiihl, sitzt ihnen allen die Waffe sehr locker. Das aber ist nun einmal Tradition bei einem Volke, das in der Abwehr gegen unaufhorlicheTiirken- gefahr grofi geworden, heldenhaft erstarkt ist. Ja, wo einst selbst Kinder und Weiber das Sclrsvert und die Pištole zu fiihren gelernt haben. Was nun aber Zorič betrifft, so hatten seine Pflegeeltern jedenfalls auf keinen rechten Sohn mit groBerem Stolze zu blicken vermocht, vor keinem blaubliitigen Rockenstein hatte sich eine weitere, reichere Zukunft aufgetan!“ * Der Name Zorič leitet sich im Kroatischen vom Worte „Zora“, d. h. die Morgenrote, her. © 92 'g) „Dafi er eine edle Natur ist,“ fiel Melanie ein, „das merkt man wohl aus jedem seiner Worte. Das fiihlte auch ich gleich heraus, so wenig ich ja Dr. Zorič sonst noch kenne.“ Die Grafin sah ihr, als sie so sprach, plotz- lich tief in die Augen. Unwillkurlich senkte Melanie die Lider. Ward denn diese reife Frau auf einem Verrat ihres Herzens ertappt ?.. . Auf alle Falle hielt sie es ftir geraten, jetzt schnell das Thema der Unterhaltung zu wech- seln. So frug sie denn ihre Nachbarin, in wel- cher sie langst schon die interessante „Grafin Daša“ erriet, jetzt sehr herzlich und eingehend nach deren Befinden. „Sie sind zu giitig, nach solchen Dingen zu fragen,“ meinte diese mit wehmiitigem La- cheln. „Gutes gibt es dariiber eigentlich nie zu berichten. Seit meiner Ankunft aber fiihle ich mich besonders elend. Wahrscheinlich zog ich mir gestern auf der Herfahrt in der Abend- kiihle eine Erkaltung zu. Ich werde ein pein- liches Frostgefiihl heute garnicht los.“ Und schaudernd hišllte sich die zarte Ge- stalt in einen roten Mantel, der ihr wie ein koniglicher Purpur um die Schultern flofi. Das paBte auch vorziiglich zu dieser vornehmen Physiognomie, die einen wahren Herrscheraus- druck von Kiihnheit und gewaltsamer Willens- kraft trug. „Gehen wir heim!“ riet Melanie. Sofort erhob sich auch die andere, wortlos dem wohlgemeinten Ratschlage folgend. Bei dieser Bewegung preBte sie, wie von Schmerz iiberwaltigt, plotzlich die Hand aufs Herz. @ 93 @ Momentan blieb sie stehen — die Augen ge- schlossen, die Lippen zu stofiweisen, schweren Atemziigen leicht geoffnet. Da legte Melanie sanft ihren Arm um die Leidende und diese, wie unter dem Zauber solcher Teilnahme von ihrer Qual erlost, warf sich der neuen Bekann- ten mit impulsivem Gefiihlsdrang um den Hals: „0, Sie Gute, Sie Liebe — lassen Sie uns Freundinnen sein!“ Nur eine so ungewohnliche Frau wie Daša konnte solcherweise handeln, nur eine edle Seele wie Melanie sie dabei recht verstehen! © 94 @ XI. Nachmittags war Mimi endlich heim- gekehrt. Mit den spriihenden Augen, den leicht ge- roteten Wangen sah sie in ihrer freudigen Erregung jetzt reizender denn je aus. „D a kommt der F r u h 1 i n g“, muBte Melanie bei ihrem Eintritt denken. Merkwiirdig, daB ihr, im Zusammenhang mit der Tochter, gleich wieder Zorič und dessen gefliigeltes Wort einfiel! Wahrend Mimi sich vor dem Spiegel ihres kleidsamen Hutes umstandlich entledigte und dabei mehr zu ihrem eigenen Reflexbilde als zu Melanie hinsah, sprudelte sie, dessen un- geachtet, gleich ihre volle Befriedigung mit dem Ausflug hervor: „0, es war herrlich — prachtvoll. Ich fast immer voran. Natiirlich, die Herren waren galant genug, mir den Vorrang zu lassen und die Damen — na!“ Hier zuckte Mimi nur mit- leidig die Achseln. — „Ach, diese miserable Radlerei! Gleich immer in Angst oder alle Augenblick schon miide. Da bin denn ich doch wahrhaftig aus anderem Stoff! ,Ein Teu- felsmadchen' hat mich sogar der phleg- matische Posedarich genannt. Uberhaupt, der @ 95 @ kam heute etwas aus sich heraus. .. . Ach, und was zuletzt noch das Schonste war — nein, hore nur, Mama! — es entspann sich ein form- licher Sangerkrieg mir zu Ehren.“ Bei diesen Worten liefi sich das schone Madchen zur Seite ihrer Mutter in einen Fau- teuil sinken und lachte, lachte, dafi sie sich schiittelte. „Schau her,“ sagte sie dann, mit wichtiger Gebarde ein Blatt Papier aus der Tasche her- vorziehend, „schau her, Mama. Sieh, was deine Tochter alles zuvvege bringt! .. . Aber nein, so kannst du es ja nicht verstehen", wehrte Mimi jetzt ein neugieriges Ergreifen jenes Blattchens seitens der erstaunten Baronin schnell ab. „Du kannst unmoglich diese kritzlig ge- schriebenen Verse allein entratseln. Also hore. Wie wir alle seelenfroh beim Kurpark aufs Rad steigen, da bemerke ich ein sonderbares menschliches Monstrum, einen wahren Quasimodo, dort bei der Kapelle am Wege lagern und mit blauroten, verschwolle- nen Lippen zu einer mit heiserer Stimme ge- sungenen Melodie ganz unbegreifliche Worte herlallen. Sein riesiger Kahlkopf wackelte im Takte hin und her, seine verglasten Augen sahen mich an mit blodsinnig-bittendem Blick, und ich ziehe meine Borse, um den armen Trottel mit einigen Hellern zu begnaden. ,Da! wiirdiger Vater/ rief ich ausgelassen, ,nimm den Lohn deiner frommen Tat.‘ Nun hattest du aber Posedarich sehen sollen, wie der sich dabei benahm! Einen form- @ 96 © lichen Luftsprung machte er und klatschte vor Freude laut in die Hande: ,Bravo! Bravo! Ba- roneB, das nennen Sie „b e t e n“, was der Alte da brummt? O, das gefallt mir! Das heifit fiir- wahr eine lustige Litanei!‘ Ich begriff natiirlich sofort, daB es sich um etwas dem ,Beten‘ sehr Entgegengesetztes handeln miisse. Mich reizte die Neugier, griind- lich nach dem eigentlichen Sinne dieser ori- ginellen Vortrage zu forschen. Allein — das wufite ich ja voraus — auf direktem Wege lieB sich von Posedarich gar nichts herausbringen. Er ist ja iiberhaupt in allem so bequem. Schon daB er sich zu so vielen Worten, wie er eben verschwendet hatte, hinreiBen lieB, schon das muBte ich ungewohnlichen Beweggriinden — vielleicht auch nur meinem kleidsamen ,Dre6‘ — zuschreiben. Ich schluBfolgerte also ziem- lich sicher: ,G e f a 11 e ich ihm, so zwinge ich ihn am besten durch Eifersucht zum Gehor- sam‘. Daher sagte ich denn schlau, nur so ganz obenhin: ,Ah, da wende ich mich gleich an Dr. Zorič! Unser ebenso galanter als geist- reicher Poet wird mir das Lied des alten Son- derlings unverziiglich in gute, deutsche Verse iibertragen‘.“ „Was dir nicht alles einfallt, Kind!“ unter- brach Melanie die Tochter halb erstaunt, halb unwillig. Diese aber, ohne den Einwurf zu be- achten, fuhr nur um so lebhafter und lustiger fort: „Naturlich hatte ich wieder gewonnenes Spiel. Die Manner sind ja schon einmal so. Wer sie geschickt bei ihrer Eitelkeit packt, @ 97 © 7 der macht aus dem Kliigsten selbst einen dum- men Jungen, der blindlings gehorcht. So auch Posedarich: ,Auf Ehre, BaroneB!‘ rief er erregt, ,Sie sollen sehen, daB — wenn er will — auch ein Kavallerieoffizier Verse zusammenbringt. Und‘ — fliisterte er mir geheimnisvoll zu — ,daB ein Graf Posedarich iiberhaupt in garnichts so einem obskuren Monsieur Zorič nachsteht. 1 Er glaubte naturlich, er habe mir jetzt furchtbar imponiert. Ich aber dachte mir: «0 wie siifi ist das Betriigen — Silfier das Betrogensein!* und frohlockte innerlich iiber meine wohl- gelungene Kriegslist." Hier hatte Melanie der Ubermiitigen allerdings mit dem Finger ge- droht, allein die Mahnung: „Schlimmes Kind!“ kam doch unter so herzhaftem Lachen hervor, daB diese sie wohl mehr als Beifall hin- nahm. So erzahlte Mimi denn strahlend weiter: „Als wir im nachsten Waldchen eine kleine Rast hielten, sah ich den schneidigen Kaval¬ lerieoffizier wahr und wahrhaftig eilig etwas in sein Notizbuch schreiben. Und als er mir nach einigem Zaudern das Blatt iiberreichte, da — schau her, Mamachen — da waren es wirk- lich diese gar nicht zu verachtenden Knittel- verse, denen jedenfalls eine tiichtige Komik innewohnt. Also nun hore: © 98 © Lied des Toren aus Stubica. Sprach: ein Liter Wein Soli kredenzt euch sein: — Weiber, hort mir zu — Laflt ihr mich in Ruh’! Kamen eins, zwei, drei Weiber flugs herbei, Schliirften gierig Wein Auf die Kosten mein. Ach, doch meine Ruh’ Stahlen sie dazu — Denn ein jedes Weib Teufel hat’s im Leib! Diebten, liebten mild, Liebten, diebten wild — Tolle Tandelei: Keine gab mich frei! Manner, gebet acht: Eh’ als ihr’s gedacht, Alle seid ihr ausgelacht, Und um Gliick und Ruh’ gebracht, Ja, ja! Haha! Nicht wahr, das ist nicht schlecht? Uber- dies will mein ritterlicher Troubadour sein un- sterbliches Werk noch in Musik setzen und es heutigen Tages schon nach der Table d’hote im Speisesaal selbst vortragen. Ich glaube wirklich, der gute Posedarich —“ Zu Ende konnte Mimi diese Vermutung nicht mehr aussprechen, denn mit der Schnalle ihres Giirtels spielend, hatte letzterer sich ge- lost, wodurch ein prachtiger StrauB wilder Feldblumen zu Boden glitt. Melanie hob die prangenden Mohnbliiten auf, um sie gleich in ein Glas Wasser zu setzen. @ 99 © 7 Die Tochter aber a ohne sich zu biicken, hatte der Mutter dabei vollig gleichgiiltig zugesehen und sagte jetzt, nur so iiber die Schulter hin, zu knapper Erklarung: „Von Zorič.“ Damit schien ihr die Sache endgiiltig er- ledigt... DaB der junge Poet ihr diese Blumen- spende ausdrucklich als „f ii r d i e B a r o n i n M a m a“ bestimmt, eingehandigt, das sagte sie nicht. Vielleicht auch hatte sie es nur als eine scherzhafte Scheinphrase aufgefaBt. Denn wem anders als ihr konnte die Huldigung gelten ? Da pocht es an die Tur ... „DaG man auch nie ungestort sein kann!“ auBert unwirsch Mimi. Aber auf das freundliche „Herein“ ihrer guten Mutter sieht sie schon ein junges, bescheidenes Madchen eintreten, das als Kammerjungfer der Grafin Lahnsdorff einen schonen GruB von dieser und zugleich die drin- gende Bitte iiberbringt, die gnadige Frau Ba- ronin moge sich, wenn irgend moglich, gutigst zu ihrer Herrin verfiigen. Die arme Grafin fiihle sich namlich sehr schlecht und ware so unendlich dankbar fiir den lieben Besuch. Ohne weitere Erklarung, ohne Besinnen folgt Melanie der erregten Botin. Auf dem Wege zur Leidenden erfahrt sie dann teil- nahmsvoll, daB die Krankheit diesesmal ern- ster, und zwar akuter Natur zu sein scheine. Wie die betriibte Dienerin erzahlt, habe sich die Grafin erst infolge eines plotzlichen @ 100 © Schiittelfrostes entschlossen, das Bett aufzu- suchen. Dabei kiiBt die treue Kammerjungfer wieder und wieder Melanies Hande in iiber- stromender Dankbarkeit fiir deren hilfsbereites Kommen. Der Anblick, welcher sich Baronin Preyck im Krankenzimmer darbietet, ist riihrend. Bei ihrem Eintritt hebt die Patientin miihsam den Kopf und sagt nur: „0 du ... du!.. DaB dies „Du“ mehr bedeutet, als die ge- wohnliche Geselischaftsanrede unter Gleich- gestellten oder sogenannten Freunden, das fiihlt Melanie sofort klar heraus. Ja, d i e s e s „Du“ ist ein Laut des Herzens, mehr wert, als jedwedes abgebrauchte Dankeswort! So geht sie denn auch schwesterlich-liebe- voli zu der andern hin, kiiBt sie auf die heiBe Štirn und sagt zartlich, fast wie man kranke Kinder beschwichtigt: „Sei ganz ruhig, Daša! Ich bleibe bei dir. Solist sehen, wir bringen schnell wieder alles zurecht!“ Das klingt sehr zuversichtlich. Nichts- destovveniger sieht Melanie mit Angst das Fie- ber, welches diesen sclrvvachen Leib mit so furchtbarer Wucht zu schiitteln beginnt, be- merkt sie die Schauer, unter denen die Zahne der Kranken konvulsivisch zusammenschlagen. „War der Herr Doktor schon da?“fliisterte Melanie, zur Kammerjungfer gewandt. Diese zuckt die Achseln: © tol @ „Ach Gott, das ist ja das Ungltick: eben war der Arzt gerade in ein Dorf abgeholt. Und das soli sehr weit sein. So mufi man abwarten.“ Wahrend dieses Gespraches waren beide, um die Patientin nicht aufzuregen, auf den Gang hinausgetreten, wo sie sich ungestort zu beraten hofften. Da horte man eilige, aber vorsichtig ge- dampfte Schritte nahen. Im nachsten Moment war Zoric hinzugetreten. „Teure Baronin! Welcher Schreck- auch ich bin bestiirzt!" Diese Worte entrangen sich fast unzu- sammenhangend seiner atemlosen Brust. Dann aber, einen tiefen, seelenvollen Blick in deren Augen senkend, hatte er schon Melanies Hand feurig erfaBt und sie begeisterungsvoll an die Lippen ziehend, flehte er: „Engel der Barmherzigkeit, lassen Sie mich Ihnen bei- stehen!“ Einen kostlicheren Lohn fiir ihren Freund- schaftsdienst an der armen Daša hatte die Baronin sich gewiB nimmer ertraumt. Aber alle personlichen Empfindungen gewaltsam zuruckdrangend, behielt sie jetzt nur das Not- wendigste im Auge. Und wenn auch mit be- sonders innigem Tone im Dank, wuBte sie doch zugleich Zorič ganz objektiv iiber die ihm zufallende Rolle des Retters aufzuklaren. Ja, gewiB, so wiirde es gehen! Er, als vorziig- licher Reiter, konnte doch Dr. Spanner gleich nachjagen und diesen zu moglichst schleuniger Riickkehr bewegen. Sonst aber — d. h. wenn die Meldung von Dašas Erkrankung dem ® 102 ® Arzte nicht sofort zukam — lag die Gefahr nahe, dafl er moglicherweise noch eine weitere Rundfahrt in seiner bauerlichen Praxis vor- nahm und am Ende gar erst spat abends nach Stubica zuriickkehren konne. Wie schnell sich unter verstandigen Men- schen alles auseinandersetzen laBt! Noch ein fiir diese traurige Veranlassung vielleicht allzu stiirmischer HandkuB von Poetenlippen — dann war die Hilfsaktion ein- geleitet und alles in Gang gesetzt. Melanie nahm hochklopfenden Herzens wieder ihren Samariterposten im Krankenzimmer ein. Die dorthin langst vorangeeilte Dienerin bedeutete ihr, daB die Kranke jetzt schlafe oder wenigstens zu schlummern scheine. Ja, in der Tat, die Augen, diese eben noch so fieberhaft gliihenden Augen, hielt sie geschlossen. Aber war das Schlaf oder nur Betaubung von der Glut, die nun auch jene heiBen, brennend roten Flecken auf die Wangen der Grafin malte?.. . Vorsorglich entfernte Melanie die Kerze aus dem Gesichtskreis der Kranken und wollte den Leuchter eben auf den Schreibtisch nieder- stellen, als ihr hier ein offenes Manuskript in die Augen fiel. Daneben lag noch die dazu be- niitzte Feder sowie ein eleganter Zwicker. Offenbar also hatte Daša ganz kiirzlich erst an dieser Arbeit geschrieben und dann, von der Krankheit iibermannt, plotzlich abbrechen miissen. Welch starker Geist lebte in so zarter, gebrechlicher Hiille! Und die Papiere vorsich- tig ordnend, las Melanie die in Lapidarschrift hingeworfene Uberschrift: ® 103 -s „Zur Dienstbotenfrag e.“ Gleich die ersten Zeilen fesselten ihre Auf- merksamkeit. „Man nennt Dienstboten ,be- zahlte Feindek Wie? Wer das vergiftende, bose Wort wohl ersann?... Ein Niedrigden- kender gewiB, ein Elender, der da wahnte, daB Geld alle Beziehungen von Mensch zu Mensch regele. Von Mensch zu Mensch sage ich — darin liegt’s! Macht die ,bezahlten Feinde' erst zu ,Hausgenossen‘, anstatt sie nur als totes Nutzobjekt anzusehen; sucht als Menschen mit Menschen ihre Freude zu teden, ihre Leiden zu verstehen. So, aber auch nur so habt ihr die ganze schwere Frage leichthin ge- lost. An Stelle des M i e 11 i n g s tritt — der G e n o s s e!“ Aber was war das? Klang nicht da, vom Krankenlager her, ein leises Stohnen? Und den Kopf wendend, erkannte nun Melanie, wie das Kammermad- chen, angstlich um ihre Herrin bemiiht, sich iiber das Bett gebeugt hatte, voli Eifer be- strebt, die wild umhergreifenden Hande der Fiebernden zu halten und dieser allerlei leise Beruhigungsworte zuzuflustern. Jawohl, da sah man durch soleh treue Pflege die eben gelesenen Worte der Grafin herrlich illustriert. „V on Mensch zu Mensch" hatte sich hier ein unzerreifibares Band gewoben! Doch die Krankheit sprach jetzt aller Hin- gebung Hohn. Immer unruhiger bewegten sich die Lip- pen der Leidenden, erst leise, kurze, unver- © 104 © standliche Worte, dann immer lauter, wirre, schmerzliche Satze ausstoBend. Jetzt konnte Melanie deutlich vernehmen: „Bela, Geliebter, laB mich bei dir! Gar- nichts weiter will ich, als bei dir sein — immer — immer! Begreifst dirs? Hast du’s gehort? Jetzt bin ich frei. Ja, ganz frei! So wie wir es friiher nicht einmal zu hoffen gewagt.“ Dabei hob sich das Haupt der Phantasie- renden wie lauschend empor. Eine irre Angst hatte die schonen Ziige plotzlich verzerrt. „Was? Was sagst du?... GroBer Gott, wir sollen scheiden?!.. Weinend barg sie das Gesicht in die Kissen. „Nein, nein. Da lafi mich bleiben, da — geborgen an deinem Herzen! Nur nie- mals fort von dir. Ich kann so nicht leben .. . Begreifst du’s?“ In krampfhaftem Schluchzen schien die Stimme zu ermatten. — Es ward stili. Dann aber, nach einer Pause forderten die wilden Wahnbilder aufs neue ihr Recht. Ein Schrei entrang sich der gequalten Brust. „Ha! Was gilt mir’s, daB dein Leiden un- heilbar sein soli? Fiirchte ich dich denn? Ein Geisteskranker, sagst du-- nein, auch davor hab’ ich kein Grauen! Nur vor dem e i n e n graut mir: dich zu verlieren — e w i g a 11 e i n z u sein! Das ist mein Tod. Dein war ich, ganz dein, und du, Bela, bist mein Leben! Ohne dich ist iiberall Tod. O, wie mir graut. . . ® 105 ® Die Welt verodet. Mein Ich zerstort !“ Und in abermaligem Schluchzen erstarb der Rest dieser ergreifenden Beichte. Wie furchtbar erschiitternd klang solches Weinen. So hilflos, so wahnwitzig . . . Unaufhorlich rannen heifie Tranen zwi- schen den schmalen, feinen Fingern hervor, indem die Ungluckliche beide Hande vor das Gesicht gepreBt hielt. Ach, welche Seele voli Glut und Adel — welche Kraft des Liebens hatte sich hier offenbart! Endlich schien der Tranenstrom Er- leichterung zu bringen. Kraftlos sanken die Arme schwer zur Bettdecke nieder. Der Kor- per dehnte sich, wie in der Abspannung nach einem furchtbaren Kampf. Melanie konnte der neuen Freundin nur Augen und Štirn behutsam trocknen, dann muBte sie dieselbe wieder sich selbst iiber- lassen. Denn ehe der Arzt seine MaBregeln erteilt, wagte man ja nicht, irgendwie eigen- machtig einzugreifen. Ubrigens schien jetzt die Kranke wirklich zu schlafen. „Gott sei Dank, es ist voriiber!" meinte nun auch das erfahrene Kammermadchen. „Ich kenne das. Sobald die Frau Grafin einmal fiebert, da sind es immer dieselben griiBlichen Phantasien.“ Und dann, ganz angstlich sich an Melanie herandriickend, kniete das treue Geschopf vor der Fremden nieder, kiiBte deren Hande und bat flehend: ® 106 ® „Gtitigste, allergnadigste Frau Baronin — nicht wahr, davon erfahrt doch kein Mensch etwas, was meine arme Grafin da eben alles so irr durcheinander geredet hat?“ Nein, dariiber konnte die gute Seele ganz beruhigt sein. Eher wohl hatte Melanie ihr eigenes, als das soeben vernommene Geheimnis verraten. @ 107 -© XII. Zum Gliick hatte sich alles doch besser tind leichter gestaltet, als es anfangs zu be- fiirchten stand. Dank der tatkraftigen Hilfe Dr. Spanners nahm die Krankheit einen verhaltnismafiig raschen, gefahrlosen Verlauf. Und nun, wo kaum drei Wochen seit den letztgeschilderten Ereignissen verflossen, fiihlt sich Grafin Daša bereits vollig hergestellt von ihrem schlimmen Influenzaanfall. Dafi es wirklich eine Influenza sei, wollte man ja anfangs, der warmen Jahreszeit wegen, nur schwerlich glauben. Aber der kluge Arzt behielt recht: bei einer Natur wie die der Grafin, konnte nun schon einmal iiberhaupt garnichts wunder- nehmen. Denn, wer selbst so ganz und gar ein Ausnahmswesen war, wie sie, der durfte sich sogar die wissenschaftliche Ausnahme einer Influenza mitten im Sommer gonnen! So wenigstens hatte es der weise Askulap seiner Kranken scherzweise freundlich erklart. DaB sie aber, trotz ihres schweren Herz- leidens, so gut dabei abgekommen, das — so gestand es auch er ehrlich ein — blieb nicht zumindest das groBe Verdienst treuer Freun- despflege seitens der unermiidlich aufopfern- den Baronin Preyck. ® 108 ® Und diese selbst? Was hatte denn sie er- fahren, erlebt? Wenn Melanie an jene stillen Wochen zuriickdachte, war es, eigentiimlichenveise, trotz so mancher Angststunden, durchaus keine „Leidenszeit“, was ihr die Erinnerung davon ins Gedachtnis eingepragt. GewiB, sie hatte im abwechselnden Nachtdienst mit der treuen Dienerin ihren eigenen Nerven eine gute Kraftprobe zugemutet. Denn daB Mimi sich jemals zum Ablosen beim Nachtwachen erboten oder auch nur Miene gemacht hatte, wenigstens tagsiiber ihrer Mutter die anstren- gende Pflege abzunehmen, daran natiirlich war ja garnicht zu denken. Dergleichen fiel dem lustigen, egoistischen Geschopfchen sicherlich nicht ein! Aber dennoch, obzwar sie die ganze Last der Pflege und Sorge fast allein trug, genoB sie in dieser schweren Zeit ganz besondere Gliicksstunden. Das war dann, wenn sie — durch Ab- losung von der Krankenpflege frei — sich in taufrischer Morgenfruhe im Garten erging und dabei taglich, wie auf Verabredung, Dr. Zorič begegnete. Alle anderen Gaste ruhten um jene Zeit noch schlummerschwer hinter wohlver- schlossenen Fensterladen. Keine Neugier also storte hier die beiden, deren Seelen sich geeint zu wonnesamem Ineinanderaufgehen! O, wie trunken hatte Melanie stets seinen Worten gelauscht — welch groBe neue Welt erschloB ihr sein Geist! So hatte er einmal, zur Sonne emporschauend, gesagt: „Ich glaube, © 109 ® ich stehe in besonderem, unauflosbarem Kon- nex mit jenem leuchtenden Gestirn : S o n n e — moglichst viel Sonne, mochte ich immer sehen! Beobachteten Sie schon einmal das prachtige Wunder, wenn die Sonne zum Fenster hereinscheint und ali die tausend Staubatome, ali der Schmutz, der vom Boden aufsteigt, sich plotzlich zu farbenschonen, tan- zenden Sternlein verwandelt, zu schimmernden Ratseln, und so, in holdem Spiel, irisierend vor unsern Augen auf- und absteigt? Oder haben Sie schon mit Andacht ali die Pracht einer Eislandschaft betrachtet, wenn sie im Sonnenschein funkelt und spriiht? Da gewinnt selbst das Todesstarre scheinbar Leben. Un- ermefibare Reichtiimer liegen strahlend vor uns da. Und was ist denn schliefilich alles so- genannte ,Dichtergliick‘? Eine Sonnengabe, sage ich! Denn mit einem einzigen Strahle der Gedanken vermogen wir alles um uns her zu verwandeln. Jedes — selbst das marchen- hafteste — Vermogen von materiellem Werte niitzt sich auf, die Phantasie allein verfiigt iiber unerschopfliche Schatzkammern! Gehe ich einen dunklen, ja, vielleicht gar gefahrvollen Lebensweg? Nur getrost! Die Sonne in mir wird mic.h schon auf die rechte Bahn hinweisen. Ihr Zauberglanz hellt auch die diistersten Pfade geheimnisvoll auf!“ „Ein seltsamer Mensch“ — muBte Me- lanie wieder und wieder denken — ,,ein solcher konnte, in geivissem Sinne, ja niemals unter- gehen! Oder“ — so fiel’s ihr plotzlich ein — ,,konnte wohl auch er gar jenem Schicksals- @ 110 ® bann verfallen, jenem schrecklichen Fatum, welches das Marlein vom ,toten Wasser‘ be- zeichnet?“ Und wie sie ihm iiberhaupt mehr und mehr ihr tiefstes Denken erschloB, so hatte sie auch diese Frage unbefangen vor ihm auf- gerollt. Er war ja wahrlich kein Feigling. Uber ihn durfte aberglaubische Furcht keine Macht haben! Ja, gut, daB sie so kuhnlich gefragt! Denn die Antwort war ebenso klar als erhebend aus- gefallen. „Das ,tote Wasser’“, so auBerte sich Zorič fest und bestimmt, „ist eine richtige und den- noch falsch verstandene Auffassung des menschlichen Schicksals. Fur jeden muB ein- mal der fatale Wendepunkt eintreten, wo das Ubermachtige ihn packt und ihm zuraunt: bis hieher und nicht weiter! Aber nur eine Kraft- probe ist es, die es zu bestehen gilt. Wer uber sieh selbst hinauskommt, wer etwas wie einen hoheren Beruf in sich fiihlt, der wird sein kleines Eigenschicksal — selbst wenn es un- rettbar in Triimmer geht — stolz iiberwinden. Er kann nicht umkommen. Nein, sieghaft lebt er weiter. Das heiBt, nicht e r lebt, nicht das menschlichVergangliche in ihm, sondern sein Ideal, also das Ewige, das Unzerstorbare!“ Solche und ahnliche Gesprache, die ihr ali die schwere Zeit so strahlend erhellt hatten, muBte Melanie nun freilich seit Dašas Ge- nesung schmerzlich vermissen. Zu so intimem Gedankenaustausch bot sich ihr jetzt weder Gelegenheit noch Zeit. Wohl sah sie den jun- gen Poeten taglich beim gemeinsamen Mittag- @ lil ® mahle,wo er es nie unterlieB, nach dem Dessert * am Separattisch der beiden Damen noch ein paar Minuten froh zu verplaudern. Oder auch im Kurpark, beim Zigeunerkonzert, wo er den heiBen, schwermiitigen Tonweisen eine hochst eigenartige, selbsterfundene Deutung zu geben verstand, ja, sogar hie und da etwas von seinen eigenen Geistesschopfungen vortrug. Jedoch so zu zweien allein, so kostlich ungestort wie damals, waren beide jetzt nicht rnehr. * * Heute besonders ist nun schon garnicht der Tag zu soleh stillverschwiegener Seelen- gemeinschaft. Ganz Stubica steht sozusagen auf dem Kopf. Man feiert namlich das be- riihmte „Annenfest“ und es kommt ja dabei der Schonheitspreis zur Verteilung. Keinen geplagteren Menschen konnte man jetzt sehgn, als den armen Badekommissar. Hier galt es, die Dekoration von Park und Kurhaus zu leiten, dort die zahlreichen Tische und Banke fiir die von weitem herbeistromen- den bauerlichen Festgaste aufstellen zu lassen. Fiir das groBe Feuerwerk freilich war eigens aus Agram ein Pyrotechniker angelangt, aber, „Herr Fischer! Herr Fischer!" rief man hier wie dort. Ja, Herr Fischer muBte auch selbst noch fiirs Feuerwerk Sorge tragen! Dann wieder muBten die groBen Stangen fiir die schwarz-gelben Kaiserflaggen aufgepflanzt und auf ihre Tragsicherheit hin gepriift werden,wo- fiir natiirlich keinem anderen als dem bekla- @ 112 genswerten Badekommissar dieVerantwortung zufiel. Ja, kein Wunder, wenn das kleine, alte Mannlein da offen gestand, er wisse selber nicht mehr, wo ihm der Kopf stehe! Das eigentliche Festkomitee, welches auBer dem Badearzt noch den Grafen Posedarich, Dr. Zorič und einen iiberaus lustigen Oberst- leutnant — Bradjovin mit Namen — zu seinen Gliedern zahlte, dieses Fest- oderVergniigungs- komitee hatte die leichtere und dankbarere Arbeit. Das vom Kurhause getrennt gelegene Re- staurationslokal sowie die anstoBende Park- partie des schattigen, sogenannten „Kinder- spielplatzes", dies war das engbegrenzte und dennoch an Bedeutung „weite“ Feld, auf dem sich die Tatigkeit jener Herren entfaltete. Das Refektorium hatte man denn auch geschmack- vollst in einen blumengeschmiickten Tanzsaal umgewandelt. Seine sonst recht kahlen Wande verschwanden formlich unter der schmiicken- den Girlandenpracht. In der Mitte des Raumes, auf einer Art Altar, prangte eine schone Kaiser- biiste. Alle Fensterbanke waren mit seltenen Zierpflanzen bedeckt. Man konnte meinen, daB samtliche Ziergartner Agrams hier eine Aus- stellung ihrer Meisterzucht veranstaltet hatten. Natiirlich fehlte auch nicht das notige Podium fiir eine aus der Landeshauptstadt verschrie- bene Musikkapelle. Am originellsten aber war der groBe „Speisesaal im Freien“ gelungen. Von buntbewimpelten Masten umzaunt und mit schweren Kranzen von Eichenlaub um- rankt, boten hier Tische und Banke fiir mehr © 113 © 8 als hundert Ehrengaste Platz. Dafi die zwischen Laubgriin angebrachten zahlreichen Lampions zumeist die Landesfarben und die flammende Aufschrift „Živila Hrvatska!“ auf- wiesen, versteht sich von selbst. Gibt es doch iiberhaupt wohl kaum mehr ein zweites Land, wo die nationale Begeisterung, der edelste und stolzeste Patriotismus, bis herab zum krassesten Chauvinismus, auf Schritt und Tritt so lebhaft zutage tritt, als im schonen Kroatien . . . Und nun begann schon die grofie Volker- wanderung. Zuerst kommen Bauern. Bauern zu Wagen und Bauern zu FuB, mit Fahnen und Musik- instrumenten, oder auch im frohlichen Chor- gesange taktfest daherschreitend. Kurz: Bauern in schier unabsehbaren Ziigen. Ein reizendes Bild. Alle in der malerischen Nationaltracht, bei welcher immer das WeiB, das frohe leuchtende WeiB, pradominiert und wovon sich die Farben- pracht der bunten Kleidungsstiicke so groB- artig abhebt. Uberall diese feurig-leidenschaft- lichen Farben, abwechselnd mit seltsam zarten Nuancen, uberall diese primitiv - kraftvollen oder eigentiimlich stilisierten Muster. Welch eine Abwechslung, welch eine durch Kunst- sinn geziigelte Phantasie! Es ist, als spiegele sich in ihrem Trachten der angeborene Sinn der Kroaten fiir Schonheit und Lebensfreude! Auf den ersten Blick gewinnt diese Landes- tracht aber in Form und Farben etwas gerade- ® 114 -a> zu orientalisch Marchenhaftes. Wallende J ma- lerisch flieflende Linien, wobei vielfach Gold und Purpur so verschwenderisch gepaart er- scheint. Wer ahnte wohl darunter die Armut dieses stolzen Volkes?... Vor der kleinen Schenke, weiter riick- warts vom Kurhaus, hat sich bereits die iib- liche Tamburašenkapelle eingestellt. Die Hiite mit rot-wei6-blauen Bandera geschmuckt, die schlankenGestalten in der kleidsamen National- tracht leicht und anmutig hin- und herwiegend, lassen sie ihre eigentiimliclien Instrumente —• ein Gemisch von Gitarre und Mandoline — melodisc.h erklingen. Und alsobald tanzen dort schone Bauernmadel mit ihren schwarzaugigen Burschen voli Grazie einen ,,Kolo“: leicht, adrett und temperamentvoll. Und wie sich dort das Volk bei seiner Lustbarkeit ergotzt, so will nun auch die Hautevolee sich zum Vergniigen zusammen- finden. Jawohl, mit dem ersten Abenddammern rollen auch schon die zahlreichen Karossen aller Herrschaften aus der Nachbarschaft da- her. Die ganze Aristokratie aus der weiten Umgebung nimmt am Annenfest des reizenden Kurortes teil. Selten wohl sieht man in so ex- klusiver, also doch gewissermaBen immerhin kleiner Gesellschaft so viel Schonheit, so viel Geist, wie unter den Tochtern des kroatischen Hochadels. Ebenso bieten die feingebildeten, redegewandten Herren dieses Kreises Unter- haltung und Anregung im besten Sinne des Worts. @ 115 @ 8 * Und wie ein Bienenschwarm wogt es nun schon zwischen den festlich leuchtenden Lam- pions im poetischenDammerschein bunt durch- einander. Lachen, Stimmengeivirr .. . Hie und da ein freudig iiberraschter Aus- ruf, wenn man sich unvermutet plotzlich lieben Bekannten gegenubersieht. Nur Baron Schonau steht meist beiseite. Es ist, als miede ihn ein jeder, als kame man nur so viel als unvermeidlich mit ihm in Be- riihrung. Er selbst weifi dies sehr geschickt zu bemanteln, indem er, zu Melanie gewandt, aufiert: „Ein alter Philosoph wie ich, so ein Men- schenkenner, sieht sich diesen Eitelkeitsmarkt am liebsten aus der Ferne an.“ tlberhaupt, unser Schonau ist nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ein anderer als er, kame jetzt vielleicht in Ver- legenheit, seine stets so viel geriihmte Intimi- tat mit dem Hochadel beweisen zu konnen. Nicht so er! Mit unnachahmlicher Keckheit erteilt er vielmehr allen fremden Kurgasten die gewagtesten Erklarungen und PersonaF beschreibungen iiber diese hier versammelten illustren Ehrengaste. Er erfindet Namen, er erdichtet Romane. Er ist immer und in allem genau unterrichtet. Inmitten der schonsten Komtessen und Freifraulein sieht man Mimi voli Grazie und Sicherheit eine Position gewinnen. Selbst @ 116 @ Schonaus Monokel nimmt oft jene Richtung. Aber besonders Posedarich ist Feuer und Flamme. Sie ihrerseits scheint die hochste Liebens- wiirdigkeit Dr. Zorič zuzuwenden. Immerfort braucht sie seine Ritterdienste. Ja, mehr als es konventionelle Hoflichkeit erheischt, kommt sie dem Dichter huldvollst zuvor. Melanie wahnt die eigene Tochter kaum zu erkennen ... Auf eine schnell gefliisterte, diesbeztigliche Frage antwortet Mimi unge- wohnlich lebhaft: „Zur Unterhaltung ist doch Zorič entschieden der Anziehendste !“ „\Vie? Gibt sie ihm schlieBlich doch gar den Vorzug vor Posedarich?" griibelt Melanie. Gleich Zentnerlast fallt ihr dieser Gedanke aufs Herz!.. . Aber im selben Moment schon sieht sie ihr Tochterlein voriiberschreiten, am Arme des vielbegehrten, graflichen Epouseurs und diesem mit strahlenden Augen ermutigend zulacheln. Gleichzeitig tritt auch schon Zorič auf sie selbst zu. „Das Feuerwerk beginnt", sagt er, sich verneigend. „Darf ich die Ehre haben, Baronin, Sie dahin zu geleiten? Man will uns den Wald und den K a m e n i a k heute in bengalischer Beleuchtung zeigen." Wortlos, ohne Dank, nur mit einem zer- streuten Neigen des Hauptes legt Melanie ihre Hand in seinen dargebotenen Arni. So wandeln sie langsam und schweigend iiber die Wiesen dahin. © 117 © Nur wenige Paare sind ihnen gefolgt. Im Halbdunkel kann man niemand erkennen- Ringsumher steigen Nebel gespensterhaft auf. Hie und da sieht man die bunten Feuerschlan- gen, die gluhenden Raketen, jahlings empor- zischen, dann, nach kurzem, irrem Spiel, wie im Boden verschwinden, zischend ersterben. — — — Ein Nichts! Nur ein huschendes Meteor! Sonnen, Sterne, Feuerrader mit ihrem scheinbar doch so heiBen, zuckenden Leben sind im nachsten Augenblicke schon ausge- loscht... Wie schnell — wie schnell! Und da gibt es keine Wiederkehr. Warum aber nur war es so schon, so marchenhaft, was sich in ihrem Lichte gezeigt? Armes Herz, bangt dir wohl davor, auch dein Freudenlicht ebenso plotzlich verdunkelt zu sehen? Auf der groBen, sc.hwebenden Holzbriicke machen unsere stummen Wanderer Halt. So weit ist ihnen von den andern allen niemand gefolgt. Der feuchtheiBe Dunst der ihnen hier zu FiiBen brodelnden Heilquelle schlagt ihnen entgegen gleich einem gluhenden Atemhauch liebeschiirender Natur. „Wie seltsam!" ruft Melanie aus ihrem qualvollen Sinnen heraus. „Ja, wie seltsam," spinnt ihr Begleiter den abgerissenen Gesprachsfaden weiter, „daB wir unser ganzes Leben immer so in ungewissem Dammern fortgehen miissen.. . Tappend, tastend und dennoch immer vorwarts eilend ® lis @ in fieberhafter HasL als konnte uns das Ende nicht schnell genug kommen!" Dann, mit veranderter Stimme in gezwun- genem, kaltem Tone fortfahrend, fragt er hastig: ,,Baronin, sagen Sie mir eins: Haben Sie Vertrauen zu mir?“ Welch graBlicher Gedanke steigt in ihr auf! Solite jetzt die Entscheidungsstunde schon genaht sein? Will er sie aufklaren liber eine ach so siiBe, aber totbringende Illusion? Wohlan denn. Es sei! Und mit lachelndem Munde, wenn auch blutenden Herzens, ant- wortet sie gefafit. „Jawohl, Zutrauen. So viel Zutrauen, Herr Doktor, daB ich Ihnen, ge- gebenenfalls, selbst das Schicksal meines Kin- des anvertrauen wiirde. Sind Sie zufrieden?" Er warf den Kopf trotzig zuriick. „Nicht darum habe ich gefragt, Baronin. Nein, Sie miBverstehen mich. Reden wir also klarer, ohne Umschweife: Melanie, teures, heiBgeliebtes Weib, w i 11 s t du mir dein Herz weih’n zum Bunde fiirs Leben?..." Prasselnd saust eine Rakete empor. In ihr Glutlicht getaucht, erscheint Wald und Feld jetzt wie ein Zauberland, wie ein geheim- nisvoll lockendes Feenreich .. . Dabei im Her- zen Melanies der seltsame Wiederklang jener Dichterworte, so berauschend, so beseligend -Grofier Gott, gibt’s denn solche iiber- reiche Stunden in einem kurzen, armseligen Menschendasein ? Ist das nicht zu viel ? ! 119 © Ja, darf man wirklich wagen, nach ihrem Gewinne zu greifen, ihn mit fiebergierigen Handen zu halten?... Ganz stili war Melanie. Verstummt vor Angst und vor Wonne zugleich. Das erste, laute Wort konnte den Zauber- bann brechen ... Nein, nein, nur nicht so schnell zuriick zur schonungslosen, traumfeindlichenWirklichkeit. .. . „Ich kann nicht — kann noch nicht entscheiden," hauchte sie endlich, halb erstickt. „Gonnen Sie mir Zeit — haben Sie Geduld/' Er begriff nicht den Kampf, den diese tapfere, ehrliche Frauenseele in sich ausrang. Allein er ehrte ihre, wenn auch unklaren Mo¬ tive. Und mannlich und fest ergriff er ihre Rechte. „Wohlan — es sei! Ich lege mein Schick- sal harrend in diese teure Hand! Nur um eines bitte ich: nicht zu lang sei die Entscheidungsfrist. Ich ertriige es nicht!“ Ehrfurchtsvoll kiifit er dann noch dieses arme, bebende Handchen, das in sich jeden Nerv bis in die Fingerspitzen zucken fiihlt. Beim Nachhausegehen hatte sich Melanie ihrerseits eine Bedingung erbeten, namlich, da8 ihr bis zum ubernachsten Tage — bis dahin hoffte sie mit sich selber im klaren zu sein — bis Sonntag also, moglichst viel Freiheit ge- schenkt sei. DaB sie, von Zoric unbeeinfluBt, ja sogar tunlichst gemieden, Zeit gewonne, einzig und allein auf die entscheidende Stimme in ihrem Innern zu lauschen! @ 120 © „Also auch heute abend schon soli ich Ihnen fernbleiben?" fragt er betroffen. „Ja, es ist besser so. Wenn es irgend an- geht, vermeiden wir jedes langere Gesprach. Es gilt ja nur fiir eine kurze, aber wahrhaft ernste Priifungszeit Kaum waren diese Worte Melanie ent- flohen, da vernahmen die Liebenden dicht neben sich die Stimme Schonaus: „Also mein bester Bradjavin, fiirchten Sie sich nun nichtj heut’ beim Annenfeste am Ende gar noch unversehens der Ihnen vom Schopfer zugedachten ,Eva‘ zu begegnen oder — wie Sie sich einmal scherzend ausgedriickt — Ihre ,verlorene Rippe' unfreiwillig aufzufinden!“ Das grelle Lachen des Gecken iiber sein Bonmot klang sehr erkiinstelt. Zorič’ Augen flammten in Zorn. „Wie kam dieser Schonau nun schon wie- der als Spion hieher?" keucht er Melanie zu. ,,Um so mehr Grund, uns jetzt in der Ge- sellschaft denkbarst wenig zusammen sehen zu lassen,“ erwidert diese. „Hier scheidet sich der Weg — wir sind beim Kurhaus.“ Stili beseligt nickt sie ihm noch einmal zu. Dann tauchen beide — jeder fiir sich — in der Menschenflut unter, An der groBen Herrschaftstafel waren schon alle versammelt. Mimi — zwisc.hen der alten Grafin Pose- darich und deren Sohne placiert — stand beim Hinzutritt der Mutter gleich erregt auf. „Mama! Mama! Wo warst du nur so lang?! Wir haben uns alle um dein Ausbleiben © 121 © gesorgt!" Und bei diesen IVorten bohrten sich ihre scharfen, klugen Blicke tief forschend in die Augen der Mutter. Der kleine Zwischenfall verlief sonst jedoch unbeachtet. Man soupierte unter Scherzen und Lachen. Zorič blieb Melanies Gesichtskreis vollig ent- riickt. Nun begann der Tanz. Die Musik spielte elektrisierend, mit sich fortreiBend. Leider nur erwies sich der Tanz- saal als viel zu klein. Alle die schonen, lieb- reizenden Komtessen hatten da ja kaum Raum zur Entfaltung ihrer Grazie und Lebenslust. Wo sollten sich da Frauen oder gar noch Mutter in den Reigen hineinwagen ?! Nein, nein. Hier wie iiberall: Platz der Juge n d! Natiirlich, es war ganz recht so: Mimi solite tanzen. Die Mama aber blieb mit den alteren Gliedern der Gesellschaft im Freien. Einmal nur wollte die Baronin sich im Tanzsaale umschauen. Da sah sie Zorič, ihre Tochter im Arm, im tollenWalzer leidenschaft- lich dahinrasen. Auf seine Schulter herab- gebeugt, fliisterte ihm Mimi irgend etwas Neckisches, Spriihendes zu. Es schien ihm offenbar sehr zu gefallen, denn er dankte dafur mit einem jener unbeschreiblichen Feuerblicke seiner ziindenden Augen. Schnell trat Melanie zuruck. Er hatte sie nicht bemerkt. Nun sammelte man die Stimmzettel zur Erteilung des Schonheitspreises. ® 122 ® Ein furchtbaresRedegewirr schwoll durch- einander. Dann vernahm man das Ausrufen der Preisgekronten. „KomteB Waldburg!“ „BaroneB Vranacz!“ „Ah, natiirlich die Schonsten der Ehren- gaste!“ dachte Melanie. Aber dann : „BaroneB Preyck!“ hieB es laut. „Gratuliere der stolzen Frau Mama!“ \vandte sich Schonau aalglatt an die Baronin. „Und denken Sie nur, wie reizend, meine Gna- digste, die ausschlaggebende Stimme, die Ihrem bezaubernden Tochterlein jene Ehre eintrug, das war keine geringere als die des groBen kroatischen Poeten!“ Was Melanie darauf geantwortet, das wuBte sie spater selber nicht mehr. Nur dies eine blieb ihr sehr erinnerlich: sie hatte den satanischen Schonau am liebsten ins Gesicht geschlagen! @ 123 ■© XIII. Fiirwahr, das traf sich gut! Grafin Daša, welche langst schon den Wunsch gehegt, wie- der einmal den schonen Wallfahrtsort Ma¬ rija Bistrica aufzusuchen, ftihlte sich ge- rade jetzt schon stark genug dazu, und forderte natiirlich Melanie auf, sie dorthin zu begleiten. Eine passendere Art der Ablenkung fiir ihre personliche Gedankenpein konnte sich die Baronin nicht wiinschen. Wie angenehm, sol- chervveise also fast fiir einen ganzen Tag der Badegesellschaft von Stubica und namentlich auch jedem Begegnen mit Zorič entriickt zu sein! Und liegt iiberdies nicht dabei auch der hoffnungsvolle Gedanke nahe, daB ihr an jenem Gnadenorte wohl die rechte Erleuchtung zur Entscheidung iiber ihr Lebensgliick und das seine geschenkt wird ? . . . So ging Melanie voli Eifer auf den guten Plan ein. Auch der Tag selbst schien wie eigens dazu angetan. Goldener Sonnenschein, azurblauer Him- mel und die schone FahrstraBe durch einen kurzen, nachtlichenGewitterregen vollig staub- frei. © 124 © Wie in leichterem, freierem Aufattnen fiihlte Melanie ihre ganze Wesenheit sich weiten, als sie nun an Dašas Seite pfeil- schnell durch die herrliche Sommerlandschaft dahinfuhr. Die erste Station galt dem prachtigen, urwaldahnlichen SchloBpark von Golubovac, welcher den Kurgasten Stubicas jederzeit groB- miitig offensteht. Ach, welch erquickende Kiihle in diesem griinenden Schattenreich, welch verlockendes Lustwandeln unter diesen Baumriesen der Bu- chen und Eichen! GewiB, kaum ein zvveites Land darf sich solcher Walderpracht riihmen wie Kroatien! Aber auch jetzt, wo die munteren Schim- mel unsere "VVallfahrerinnen schon wieder weiter fortfiihren, ist der landschaftliche Reiz noch stetig im Wachsen. In langsamer Stei- gung, iiberall von wundervoller Fernsicht iiber- rascht, sehen sich die Freundinnen soeben auf der Hohe des Hum, wo die altehrwiirdige Kirche so erhaben dasteht. Und welch ein An- blick von hier aus iiber die sich malerisch ver- schlingenden Serpentinenwege, die, erst leise sinkend, dann wieder bis zur Hohe von Marija Bistrica sanft ansteigend, das reichste und lieb- lichste Wandelpanorama aufweisen! Schonheitstrunken iiberfliegt da der Blick in effektvollem Wechsel bald goldige Saat- felder und wogendes Maisgefilde, bald rau- schende Bachlein oder romantisch wildes Fels- gestein, hier dunkelnde Walder, da saftgriine Wiesen, dann wieder Weiler und Dorfer oder @ 125 - 2 ) jetzt ein einzeln gelegenes, pittoresk-verfal- lenes, strohgedecktes Bauernhiittlein. Alles iiberschimmert von dem zitternd-blaulichen Sommerdunst: lauter Bilder, deren Schonheit nach dem Pinsel eines sie verewigenden Kiinst- lers ruft! Uber die Wiesen und die abgeernteten Kornfelder sieht man iiberall in Scharen, maje- statischen Schrittes, den Reichtum der Bauern, die beriihmten „Zagorjaner Truthiihner“ ein- herziehen. Meist wei6 von Farbe, bilden diese gefiederten Nutztiere in ihrer Menge hier ge- radezu einen besonderen Reiz der Gegend. Nicht zumindest gehoren sie zu den typischen Erscheinungen eines kroatischen Landschafts- bildes, iiber welches sie, gleich vvandelnden Lichtpunkten, iiberall ausgestreut. Beim nunmehr langsamen Emporklimmen zum Gnadenort macht Daša ihre Freundin auf die unabsehbaren Ziige bauerlicher Wall- fahrer aufmerksam. Uber diese miihevollen Schlangenpfade namlich sieht man von weitem unzahlige wei6gekleidete Gestalten sich feier- lich fortbewegen. Und beim Anblick jener frommen Kinder ihres Volkes geht der patrio- tischen Grafin das Herz iiber. „Schau, Melanie," sagt sie bewegt, „diese Leute nennt man nicht mit Unrecht ,Hunger- kiinstler ersten Rangesh In einer einzigen, klei- nen, feuchten Stube zusammengepfercht, vege- tiert oft eine ganze Familie von fiinfzehn Per- sonen. Denn kinderreich sind diese Armen fast alle. Man sagt, sie genieBen das runde Jahr vielleicht nur einmal einen Bissen Fleisch, froh, ® 126 © wenn ihnen zur Fristung ihres elenden Daseins wenigstens Erdapfel geniigend gedeihen.“ „Aber wie?“ wirft Melanie ein, „wie kann hierzulande die Not so grofi sein, wo man doch ringsumher Bilder herrlichster Fruchtbarkeit wahrnimmt?“ „Siifier Trug, Kind!” lautet die wehmiitige Entgegnung. ,,Das furchtbare, bauerliche Elend hat seinen Grund in der Zerstorung des noch vor wenigen Tahren so eintraglichen und schwung- vollen kroatischen Rebenbaues durch die Phylloxera. Denn, wo du jetzt einfache Mais- felder an der Berglehne erblickst, da reifte noch jiingst edler, kostbarer Wein. Um jedoch die ganze Notlage in ihrer vol- len Grofie zu verstehen, mufit du aucli wissen, liebe Melanie, dafi speziell dieser Landstrich zum Beispiel so tibervolkert ist, dafi er in der Beziehung nachst Belgien die zweite Stelle auf der statistischen Tabelle einnimmt, wodurch, bei der natiirlichen Wechselwirkung von Nach- frage und Angebot, der Taglohn auf ein un- glaubliches Minimum herabsinkt. Nimmst du die unverhaltnismafiig hohen Abgaben hinzu, so begreifst du sehr wohl die Verzweiflungs- lage dieser schwergepriiften Landbevolkerung. ... Aber siehe da —: jene Flungernden und Darbenden, jene an Leib und Seele Erschopf- ten, sie scheuen nicht die Miihen eines Bitt- ganges, ja, sie haben noch die Kraft, sich em- porzuschwingen bis zum Wunderglauben! Ist das nicht grofi?!" @ 127 Und ehrfurchtsvoll schaut nun auch die Baronin, dem Gedankengange ihrer Freundin folgend, jenen Pilgern nach. Wirklich, soleh ein Anblick leiht zum Nachdenken Stoff!... Da, im selben Moment, erhebt sich aus dem Sumpfe nebenan eine Schar von Vogeln. Jubi- lierend steigen sie empor. O, wie sie schwelgen in Himmelsblau und Licht! Ja, so hat auch die Menschenseele ihre Momente des Auf- schwungs, da sie sieghaft den Nebeln der Nie- derung entsteigt! Aber wie schnell so unter Sinnen und Sehen die Zeit dahinfliegt- Schon ist das kroatische Mekka erreicht. Die eigenartige Wunderwelt von Marija Bistrica tut sich vor unseren Ankomm- lingen auf. Venvirrt, fast beangstigt, blickt Melanie in das larmende Menschengewiihl, durch wel- clies der Kutscher nur mit Muhe sein Gespann hindurchlenkt. Auch die grofie Reihe weifier Zelte, deren Leinenbezug beim leisesten Wind- hauch hin- und hervvallt, macht die Pferde scheu. In diesen Zelten werden Reliquien und Wallfahrtsandenken aller Art verkauft. Der grofie Kirchenplatz, von hohen Steinhausern — meist Gaststatten und Restaurationsgebaude— eingerahmt, leiht dem kleinen Orte hier fast stadtisches Aussehen. Natiirlich, auf dieses Fleckchen vor der Kirche bleibt ja das ganze rege Wallfahrts- treiben konzentriert. Und wie grofi die Zahl der aus nah und fern Herzupilgernden tatsachlich ist, dies be- © 128 ® weist wohl am klarsten die wahrhaft erstaun- liche Hohe des Pachtzinses, welcher von den Inhabern aller jener Zelte an den Patron der Kirche von Marija Bistrica und Besitzer des gleichnamigen Schlosses alljahrlich entrichtet wird. Die Platzmiete namlich betragt nicht weniger als — viertausend Kronen. Alles das vernimmt Melanie nur mit hal- bem Verstandnis. Ihr schwindelt bei dem An- blick dieser bunten Gruppen, dieses fremd- artigen, farbenschonen und reizvollen Bildes. Jetzt betreten beide Damen die Kirche. Weitge6ffnet stehen die Torfltigel dieses altersgrauen Gotteshauses. Weihevoll umfangt sie hier das kiihle, my- stische Halbdunkel des hochgewolbten Domes, aus dem taglich unermefiliche, unzahlbare Wunderbitten aufsteigen .. . Und zum Altar Marias, der Schmerzensmutter, zieht es das zuckende Mutterherz jetzt ganz besonders. Wie sie emporblickt, ist Melanie erstaunt, die heilige Jungfrau und das Jesukind hier s c h w a r z von Antlitz dargestellt zu sehen. „Jawohl, man nennt sie darum auch die schwarze Madonna von Bistrica/' fliistert erklarend Grafin Daša, ,,und die Glaubigen sehen auch darin ein Wunder. Wie die Legende namlich zu berichten weifl, ging dieses Marienbildnis einst unversehrt aus einer Feuersglut hervor, deren gierige Flammen das ganze urspriingliche Gotteshaus verschlangen und wo man sonst nichts zu retten vermocht, als eben jenes uralte, wundertatige Heiligen- bild.“ -a> 129 9 Wunder, immer wieder "VVunder predigt also alles an dieser Wunderstatt des Glaubens. Ja, wer nur den festen, erlosenden Glauben in sich selber fande! Unweit des Marienaltars streift Melanies Auge die zahlreichen ex votos: Hande, FiiBe, Herzen, in Gold und Silber dargebracht. Lau- ter Opfergaben von der Dankbarkeit Geheilter und Geretteter zeugend ... „Gibt es auch fur mich hier Errettung?“ denkt sie. „Findet auch meine zvveifelsbange Seele hier wohl jene Heilung, deren sie eben so sehr bedarf?“... Und inbriinstig betend, kniet sie nieder am Altar. Sie schliefit die Augen . . . Aber wie Flammenschein hat sich der Farbenreflex jenes Purpurmantels, der das Madonnenbild umflieBt, ihrer Netzhaut ein- gepragt: unter den geschlossenen Lidern sieht sie es weiter leuchten, rot, blutrot... Soli dies ein Zeichen sein, das ihr gegeben ward? Bedeutet es vielleicht ihr eigen Herz- blut, das sie opfernd darbringen soli, zum Gltick ihres Kindes?... Wie heiB, wie bebend sie das Vaterunser vor sich hinsagt! . . . „U nd fiihre uns nicht in Versuchung, sondern e r - 1 6 s e uns von dem U b e 1“ ... Diese Worte haben jetzt fiir sie einen ganz besonders tiefen Sinn! ... Endlich fiihlt sich die Baronin leicht an der Schulter beriihrt: „Verzeih’,“ fliisterte Daša, „aber wir haben noch so viel zu besehen und die Zeit drangt.“ ® 130 ® So schreiten nun beide durch die Kirche, wo ein Glasschrein mit dem reichen Schatze dieses Wallfahrtsortes die Aufmerksamkeit an- zieht. Weit mehr aber als die dort zur Schau gestellte Pracht an Gold und Kleinodien iiber- waltigt Melanies Gemiit beim Hinausgehen ein auf Glas gemalter Christuskopf. Hoch iiber dem Eingangstore angebracht, schaut er dem vom Marienaltare Zuriickkehrenden hier plotz- lich so eindrucksmachtig, so lebensvoll ent- gegen, als wollten dieses Heilands milde Lippen jeden Pilger mit Vergebung und Ge- wahrung begnaden! Und dennoch durchzuckt ein anderes Empfinden die wunde Frauenseele, eine innere Stimme raunt ihr zu: „Was hier dich griiBt, das ist das Bild des Dorngekronten —: Ecce homo! — So beuge auch du dein Plaupt unter die heiligenden Schmerzen d e i n e r Dornenkrone, dann umstrahlt auch dich einst deiner Leiden Verklarungsschein!“ Jawohl, alles was Melanie hier an entschei- denden Eindriicken zu gewinnen vermocht, es verwies sie wieder und immer wieder aufs Ent- sagen. Gewifi, ein Irrtum nur war es, was den Geliebten ihr zugefiihrt. Sich selber unbewuBt, zog es ihn friiher oder spater naturgemaB doch zu ihrem reizvollen Kinde. Diese Erkenntnis konnte ihm einmal nicht erspart bleiben . . . Und auch in Mimis Herzen begann viel- leicht schon die Liebe zu ihm aufzuwachen . . . Denn, hatte diese es nicht schon selber bekannt, © 131 © 9 dafi sie den schonen, feurigen Poeten bereits hoher schatze als jenen andern, durch Rang tind Namen doch so glanzenden Bewerber ?... Unter solchen und ahnlichen Gedanken folgt Melanie nun der Freundin, die — mit ihr das Gotteshaus verlassend — sie jetzt auf alle Sehenswiirdigkeiten des Kirchhofes aufmerk- sam macht. Ja, das ist gut, das gibt den Gedanken eine neue Richtung! Da zeigen sich den Beschauerinnen zu- nachst jene in reichstem bvzantinischen Stil errichteten.prachtig ausgestatteten vier offenen Kapellen, wo — wenn der Zudrang in der Kirche selbst zu grofi — oft auch im Freien noch Messen zelebriert werden. Nach riickwarts umsaumt den Hof an den drei iibrigen Seiten ein machtiges Gebaude, welches die Wohnungen fiir die auch von aus- warts stets zahlreich herbeikommenden Pfarr- lierren enthalt. Das Interessanteste jenes weit- liiufigen Baues jedoch ist eine sich am mitt- leren Teil des Erdgeschosses hinziehende offene Loggia, wo zahlreiche Beichtstiihle an- gebracht und in einer langen Reihe von Bildern die Wundertaten der schwarzen Madonna ver- ewigt sind. In naiver Kunstfreudigkeit sieht man die Szenen mannigfachster Art al fresco darge- stellt. Eine kindlich glaubige Verherrlichung von allerhand Mirakeln. Vor einem dieser kuriosen Bilder bleibt Melanie plotzlich stehen wie gebannt. Es zeigt einen Krieger, neben dem eine Granate von ubermachtiger Grofie •© 132 •a) platzt. Er aber steht, dankbar zum Himmel auf- schauend, unverletzt da. Die erlauternde Um- schrift dazu, in kroatischer Sprache, heifit: „Hauptmann Zoric blieb von der Granate unverletzt, weil er sich der Madonna von Bi¬ strica verlobt. Im Jahre des Heils 1670.“ Ach, warum fuhrte denn alles und jedes ihren Gedankengang immer wieder zuriick zu ihm, zu diesem unwiderstehlichen, heiB- geliebten Poeten! Und neben das so wenig natiirliche Bild seines Namensvetters hier, stellt ihr Riickblick jetzt ein anderes, schmerzr lich lebensvolles: Zoric jun., wie er leuchten- den Auges die verfiihrerisch reizende Baro- nesse Preyck im Arm halt und wie die zwei eleganten Gestalten — scheinbar vollig eins — sich grazios und sorglos im Walzertempo wiegen. Sie selbst aber steht als passive Zu- schauerin fernab. Fiir sie, die Mutter, gilt es ja nicht mehr, das lustige, tolle Treiben vom Tanzboden ... Ach, noch nicht entscheiden!... Noch nicht!.. . Mit Verzweiflungskraft klammert Melanie sich an das Vorrecht der Gnadenfrist. -==Q).(9=- © 133 © XIV. Die Hoffnung beider Damen, nach Be- sichtigung der Kirche nun auch noch den Seel- sorger von Marija Bistrica kennen zu lernen, erwies sich fiir heute als unerfiillbar. Denn dieser, seines grofien Wissens wie seiner weltmannischen Liebenswiirdigkeit wegen be- kannte Geistliche war eben verreist und seine Riickkehr garnicht abzuwarten. Doch die Sonne stand noch hoch. Man gonnte Kutscher und Pferden gerne langere Rast, und so galt es, den schonen Nachmittag an so wunderbarem Orte verstandnisvoll aus- zuniitzen. Fiir eine gute Weile also lieBen Daša und Melanie sich nieder auf einem jener lieblich-anmutigen Ruheplatze, von wo aus man — mit Ausnahme des Domes selbst — vom ganzen, tiefer gelegenen Wallfahrts- orte weiter garnichts gewahr wird, als der kugelformig zugestutzten, zahlreichen Akazien- baume, deren griiner Schleier alles wirre Leben und Treiben da unten verhiillt. „Mir fallt eben ein,“ sagt Melanie, froh, iiber fernliegende Dinge zu reden, „daB ich dir noch immer einen GruB zu bestellen ver- gaB, der mir daheim fiir ,Grafin Daša' in allerherzlichster Weise aufgetragen ward. Nun, ich sag’s dir schon lieber gleich, wer der ® 134 © Auftraggeber ist, erraten diirftest du ihn ja doch schwerlich. Also mein lieber Schwager: Graf Josef Gaisperg. Du besinnst dich doch auf ihn ?“ Uber Dašas Antlitz huscht ein leichtes Erroten. Jugendlicher sieht sie plotzlich aus — so viel lebensfrischer. „Wie solite ich nicht! Also auch ,der fesche Pepi‘ denkt noch an mich? Ach, das ist lieb von ihm! Er war ja der beste Freund des armen Bela Rauditz". . . Wahrend sie so spricht, zerrt die Grafin, wie in nervoser Un- ruhe, von ihrer schlanken Rechten den Hand- schuh herab. Dann blickt sie nachdenklich auf jene roten Streifen, welche dessen Nahte so deutlich sichtbar in ihre zarte Haut ein- gegraben. „Schau her,“ wandte sie sich nun wieder lebhaft an Melanie, „wie jede Beriihrung einen Eindruck zu hinterlassen pflegt. Wie viel blei- bender aber miissen jene grofien, nachhaltigen Impressionen sein, welche Menschen und Ver- haltnisse unserer Seele einpragen! Ja, Melanie, dieser GruB deines Schwagers laBt eben meine ganzeVergangenheit neu vor mir erstehen- Alte Wonnen . .. alte Schmerzen . . . fiir ewig entriickt und dennoch allzeit nah, glaube ich nun wieder neu zu durchleben!“ In Dašas Augen standen Tranen, ihre Stimme bebte in verhaltener Leidenschaft. Da schlang Melanie ihren Arm um die Erregte. „0, erzahle! LaB mich teilnehmen an deinem Schicksal!“ bat sie weich. ® 135 @ „Ja, ja, es wird mir eine Erleichterung sein und du wirst mich dadurch auch besser kennen, besser beurteilen lernen“, lautete die Antwort. ,,So hore denn. Als kleines Kind schon lieben- der Eltern durch den Tod beraubt, kam ich in das Haus reicher Verwandten. Hier war ich — das fiihlte ich nur zu bald — nichts mehr als eine nur Geduldete — eine Uberlastige! Mein lebhaftes, impulsives Wesen floBte jenen Schablonenmenschen Antipathie ein. Man trachtete also, sobald ich so weit herangereift war, mich in schicklicher Weise los zu werden durch passende Verheiratung. Eine solche Ge- legenheit bot sich denn auch in der Person des Grafen Lahnsdorff, eines zwar scheinbar in glanzenden Verhaltnissen lebenden Kavaliers, der aber in Wahrheit ein ganz verwerfliches mauvais sujet war, ja im geheimen derart verschuldet, daB er sich nur durch mein Ver- mogen seinen ererbten Stammsitz zu erhalten konnen glaubte. Ein ahnungsloses Kind, gab man mich dem gewissenlosen Wiistling preis. Naturlich konnte auch mein Vermogen ihn nicht mehr vor volligem Ruin bewahren. Seine ,noblen Passionen', denen er auch nach der Ehe ungeniert weiter fronte, zogen ihn iramer tiefer in den Abgrund ... Ach, Melanie, laB mich schweigen iiber alles das, was ich damals erlitt! Nur das Schlimmste, das AuBerste sei gesagt: Nach kurzer, sturmbewegter Ehezeit sah ich meinen Gatten, den Mann, dessen Namen ich trug — als gemeinen Wechsel- falscher zu funfzehnjahriger Gefangnishaft ver- urteilt. .. Ich, die Frau eines Straflings . .. ® 136 @ Der Gedanke brachte mich fast zum Wahnsinn!“ „Aber dadurch konntest du ja doch wieder frei werden !! Du konntest dich ja nun von dem Umviirdigen scheiden“, warf Melanie ein. „Ach nein, so viel Energie besaB ich nicht mehr. Gebrochen an Leib und Seele, liefi ich mich, eine freiwillige Gefangene, zuruckfiihren in jenes ode, liebeleere Verwandtenhaus, von wo ali mein Ungliick seinen Ausgang genom- men. Damals lebten Onkel und Tante standig in Fiume. Sei es nun, daB sie bei meinem jam- mervollen Anblick Gewissensqual verspiirten, sei es, daB sie aus anderen, egoistischen Griin- den diesem Entschlusse geliuldigt —: genug, es hieB, sie brachten mich zur Erholung nach Abbazia. In der balsamischen Meeresluft ge- vvann ich dort wirklich bald neue Lebenskraft. Hier, wo es so viel Naturschonheit zu sehen gab, fand ich doch wieder Mut, meine muden Augen sehnend und bewundernd aufzutun! Ach, aber was ich da sah — es ward mir zum Verhangnis!... Eine eigentiimlich interessante Personlich- keit namlich war gerade damals in Abbazia aufgetaucht. Graf Bela Rauditz — ,der wilde Graf', wie man ihn nannte. Jahrelang hatte er sich in der neuen Welt herumgetrieben, weil ihm in der alten so manches miBfiel, manche Grenze zu eng war. Nun war er besuchsweise aus Amerika in seine kroatische Heimat zu- riickgekehrt. Wie einen Teufel hatte man mir diesen Rauditz geschildert. Ein Freigeist, ein Revolutionar, dabei ein Lebemann in des @ 137 -© Wortes schlimmster Bedeutung! Ja, selbst dem gemeinsten Laster, dem der Trunksucht, solite er ergeben sein . . . Du kannst mir glauben, daB ich diesem Manne voli Vorurteil, ja, mit einem tiefen Abscheu begegnete. Und dennoch — wer begreift es? Sobald ich die ersten Worte mit ihm getauscht, sobald ich tiefer in sein schones, wettergebrauntes Abenteurerantlitz hineingeblickt, da fiihlte ich eine wahnsinnige, gliihende Liebe zu ihm in mir aufsteigen. Ja, wenn ich so sagen darf, ich war sein geworden mit dem ersten Hande- druck. Unvermeidlich ward fortan ein haufiges Begegnen. Die Verwandten kiimmerten sich ohnedies wenig um mich. Wie das Erdreich kalter Zonen in kurzer fieberischer Sommerglnt eine doppelte Pracht und Fiille entfaltet, so durchstrahlte mein erstarrtes Sein diese fessel- lose Leidenschaft, die von ihm auf mich iiberging, wie ein elektrischer Strom. DaB man so selig sein konne, so selig zu zweien — nie hatte mir’s geahnt! Und was mein Stolz war: e r, der Wilde, Ungebandigte, er wurde mir zulieb sanft und gut — alle edlen Saiten in ihm, i c h lieB sie erklingen! Ja, was mir selber wie ein Wunder erschien: aus diesem tollen Jiinger des Bacchus ward unvermerkt ein strenger Abstinenzler. Einen segensreicheren EinfluB auf einen Mann ausgeiibt zu haben, als ich ihn uber den vvilden Bela gewann, diirfte gewifi niemals ein Weib sich ruhmen. Er da- gegen reifte und entfaltete meinen Geist, er © 138 © lehrte mich, iiberall Form und Kern zu unter- scheiden .. . Reich war dies Leben-Ein einziger Wonnetraum!“ Erschopft hielt die Sprecherin inne. Me- lanie aber warf sich ihr stiirmisch um den Hals: „Ach, daB du mich solcher Gestandnisse wert haltst, dies, teure Daša, vergesse ich dir niemals!“ Dann aber fuhr die andere mit leiserer, be- bender Stimme fort: „Ahnst du, was . nun kommt? D as, was keinem erspart bleibt: Die Nacht, die dem Tage, die Schicksalswende, die jedem Sondergliicke folgt! Da wir uns unter den gegebenen Verhaltnissen doch nicht dauernd ganzlich angehoren konnten, schlug mir Bela einmal in siifiberauschender Abend- stunde vor, mich am nachsten Tage friih mit ihm iiber. Fiume nach Amerika einzuschiffen. Die Probe meiner Liebe — so sagte er — solite dies sein! Und ich, rasend, betort, wie ich war, nur der lauten Stimme meines Her- zens folgend, ich willigte ein. Ja, frei mit dir — hinaus in die Welt!‘ so jubelte ich auf. Hatten nun meine 4 wenn auch noch so leise und behutsam betriebenen Reisevorberei- tungen im Hause der Verwandten doch irgend- wie einen Verdacht erregt? Oder war es wirk- lich wahr, dah mein Onkel gerade einem ab- reisenden Jugendfreunde das Geleite geben muBte? Genug, er stand plotzlich da, am Molo, er betrat mit uns das Schiff! Und mit eisernem Druck umkrampfte er schnell meine Hand, zog sie in seinen Arm @ 139 @ und zwang mich, ihm zu folgen, indem er mir herrisch die Worte zufliisterte: ,Weigerst du dich, so fordere ich Rauditz zum Dueli!‘ In diesem graBlichen Moment ward ich von meinem ersten Herzkrampf befallen. Ehe Bela, der gerade mit unserem Handgepack im Ka- jiitenraum beschaftigt war, den ganzen Vor- fall nur bemerkt, trug man mich ohnmachtig ans Land. Mit Hilfe eines Fiakers besorgte mein Oheim dann alles Weitere. Fine halbe Stunde spater war ich, halbtot, aber unter gewissenhafter arztlicher Pflege, in die alte, harte Gefangenschaft zuriickgebracht. Natiirlich hatte Rauditz, sobald er von der Sache erfuhr, seine Reise aufgebend, das kleine Dampfboot sofort verlassen. In seiner lieben, unbesonnenen Art heischte er wiitend und drohend EinlaB in mein Verwandtenhaus. Allein man wies ihn kurzweg ab, mit dem Be- scheid, man konne hier momentan niemand empfangen. Die junge Frau Grafin lage im Sterben. Als er dann, des Abends, mit demselben Begehr heftig wieder vorsprach, war die Villa schon leer, denn kaum, daB ich mich vom furchtbaren Anfall erholt, da fiihrten Onkel und Tante mich in ihr Heim nach Fiume zuriick. Bela Rauditz tobte — raste ... Uberall stiefi er an eine verschlossene Tur . . . Nirgends Auskunft. .. In dieser ohnmachtigen Wut besuchte er einen Freund. Da kam die alte Leidenschaft wieder liber ihn. Er trank — er trank — als ®> 140 ® schliirfe er Lethe. Der Freund schlug unvor- sichtigerweise noch eine Reitpartie vor — auch das war dem Wahnsinnigen ja gerade recht! Allein das wildeste Tier der Manege, dessen Meister zu sein er sich kecklich geriihmt, lieB sich die herrische Art dieses Bandigers nicht gefallen. Der ungliickliche Bela kam zu Fali- Eine Gehirnerschiitterung hielt tagelang sein BevcuBtsein umnachtet. Als ich von dem schrecklichen Geschehnis aus der Zeitung erfuhr, da wallte das alte Uskokenblut in mir auf. Ich fiihlte, dafi ich eine Nachkommin jenes kroatischen National- helden Lenkovich war, der fiir sein Teuerstes jederzeit Gut und Leben eingesetzt! Und ich besann mich nicht — ich fragte keinen um Rat. Ich fuhr nach Abbazia, so schwach ich noch war. Wer beschreibt meine Wonne, als Bela, bei meiner Ankunft zum erstenmal die Augen aufschlug. Toll genug war ja meine Anwesen- heit, hier, an diesem Krankenlager. Aber das weiB ich doch, daB, als wir den Arzt kommen horten, wahrend Bela zartlich meine Hande in den seinen hielt und er mich leise fragte: .Schamst du dich vor dem da?‘ ich trotzig entgegnete: ,Nein! Mag er uns so se h e n. Deine Liebe macht mich s t o 1 z!‘“ Melanie horte leuchtenden Auges der Ge- fahrtin zu. „Ja,“ sagte sie jetzt, „da sprach aus dir das tollkiihne Blut einer echten Enkelin -S) 141 ®) jenes groflen Lenkovich, wie ihn Šenoa in seiner unsterblichen Dichtung verklart!“ „Ach, Kind!“ wehrt Daša der Bevvun- derung, „was ich damals tat und sagte, das kam so einfach, so natiirlich, so ganz ohne jedes Verlangen nach Heldentum. Ein schwa- ches Weib nur fiihlte ich mich neben ihm, ein Weib, dessen willenlose Hingabe keine Gren- zen mehr kannte ... Und wie schon war er jetzt! Gerade aus dieser schweren Krankheit schien er noch herrlicher, noch veredelter her- vorzugehen. Auf den Ziigen des trotzigen Abenteurers lag nun oft eine unbeschreibliche Verklarung, als seien alle Schlacken seines Wesens von ihm abgetan, als trate da erst der Goldgrund seines wahren Seins ans Tages- licht. Ja, so angstvoll auch diese Zeit war — sie brachte doch unvergleichlich selige Stunden. Jetzt storte mich kein Mensch. Ich durfte ja so viel ich wollte um den Geliebten sein und mich des Gliickes erfreuen, das meine Gegen- wart ihm zu bescheren schien. Denn, wohl- wissend, daB einer Natur wie der meinen unter gewissen Verhaltnissen garnichts abzutrotzen, garnichts abzulisten sei, hatten nun auch meine Peiniger gute Miene zum bosen Spiele gemacht. Ja, um mir vollig freie Hand zu gonnen und doch alles Aufsehen klug zu ver- meiden, zogen sie selbst wieder mit mir nach Abbazia und wir bewohnten dieselbe Pension wie Rauditz. ® 142 ® Taglich konnte ich so, frohen Herzens, seine stetig fortschreitende Besserung beob- achten. Der Arzt selbst sagte, es gabe nun keine Lebensgefahr mehr. Dennoch verhielt sich dieser gelehrte Herr recht reserviert, sobald ich laut daruber jubeln wollte. Da begann mich eine todliche Angst zu beschleichen .. . Was war es denn nur, was man dem Rekonvaleszenten sowohl wie auch mir zu verheimlichen schien? Bela sprach zart- lich und eingehend mit mir. Freilich, Plane schmiedete er fiirs erste nicht. Auch iiber seinen Unfall wagte ich mit dem Kranken aus Schonung nicht zu reden — aber wieder und wieder dankte er mir riihrend fiir so viel Gluck und Reichtum, wie ich ihm geschenkt. Sein Geist war also klar — auch dafiir durfte ich Gott .jetzt inbriinstig loben! Plotzlich — unvermittelt — liefi mich der Arzt eines Tages um ,ein Gesprach unter vier Augen' ersuchen. Und da erfuhr ich die furcht- bare Wahrheit... Also d a s war’s! Die verhangnisvolle Gehirnerschutterung war doch nicht so ohne jede Špur verlaufen. Eine Lučke liefi sie im Gedachtnis zuruck. Der ungliickliche Bela konnte sich bis jetzt — drei Wochen seit dem Unfall — auf die Veranlas- sung seiner Krankheit garnicht besinnen. An jenem Punkte setze sein Denkvermogen aus. Und da eben lag die schreckliche Gefahr. Denn dieser kleine dunkle Punkt, er konnte leicht die Unheilswolke sein, die den ganzen geistigen Horizont mit volliger, dauernder Umnachtung bedrohte. © 143 @ Der Arzt, selbst ergriffen von meinem hoffnungslosen Schmerz, trachtete mir Trost zu spenden, mich aufzurichten: ,Sie haben so viel EinfluB auf den Armen/ sagte er, ,suchen Sie ihn dazu zu bewegen, dafi er eilig eine Nerven- heilanstalt aufsucht. Vielleicht wird alles gut, vielleicht ist ja noch Zeit zur Rettung da! Aber nicht ich — nur ein Spezialist darf dariiber entscheiden'. . . Was ich dem Teuren dann gesagt, mit welchen Worten ich ihn so uberzeugend be- schwor —: Gott allein weiB es! Aber der Er- folg war mein: Bela Rauditz begab sich voller Hoffnung auf die Nervenklinik eines be- riihmten Psychiaters nach Pest. Und wie er es mir versprochen, so tat er: er schrieb, er schrieb regelmaBig, liebevoll, meist voli heiBer, verzehrender Sehnsucht. Von einem arztlichen Parere aber war nie die Rede. Endlich kam eine Ansichtskarte mit der frohen SchluBmeldung: Je retourne chez vous, aujourd’hui en huit. Enfin — esperons! 1 Also gewiB, er war geheilt!... Und dann — als solite nun mit einemmal alles, alles wieder gut werden, erhielt ich die Nachricht, dafi meine unwiirdigen Ehebande durch die machtvolle Hand des Todes selbst gelost — daB ich frei sei! Ich vernahm’s wie betaubt. Kein Groll gegen jenenMann, der mein Leben zerstort, der als Verbrecher geendet — nur das Gebet, daB Gott seiner Seele gnadig sei, stieg in mir auf... Aber dann das wahnsinnige, wirbelnde Gefiihl der Befreiung... Frei! Frei! War das zu verstehen?! © 144 @ Wie nur wiirde ich Bela diese Schicksals- wendung kundtun? Schriftlich? Nein! Nur aus meinem eigenen Munde, mitten in der Wonne unseres nahen Wiedersehens solite er alles das vernehmen, solite er begreifen lernen, was mich jetzt selbst wie ein Glucksschwindel, wie ein toller, sinnbetorender Rausch iiber- kam.“ „Hat dir da nicht vor deinem Los ge- bangt?“ fragte ernst Melanie. „Nein, nein! Denn es gab da fiir keine Betrachtungen mehr Raum. Nur das eine stand mir fest: Nun gehorst du dem Manne deiner freien Herzenswahl! Nun seid ihr e i n s — untrennbar fiirs Leben! So sah ich den ersehnten Tag des Wieder- sehens anbrechen. Bela kam. Herrlich sah er aus. Und stark, wie ein Held ... Aber das war nicht jenes Wonnegliick, das ich mir ertraumt. Wohl schloB er mich beim ersten Moment des Alleinseins heiB und leiden- schaftlich in die Arme, wie einst, doch ich fiihlte alsogleich: er will oder kann mir nicht alles sagen! Als er uns dann nach einem seltsam feier- lichen Besuch verlieB, da war ich in einem vvahren Fieber der Erregung. Was gab es mehr zu bedenken?... Ich mufite zu ihm! Und wie damals, als er leidend war und mir jederzeit der Zugang zu seinem Kranken- zimmer offen stand, so fraglos wie damals trat ich jetzt bei ihm ein. Dasselbe Gemach — iiberall haftete eine teure Erinnerung! Er er- hob sich und ich bemerkte zum erstenmal, daS 145 @ seine Augen plotzlich in Tranen standen. Da sagte ich ihm, was geschehen und dafi ich nun frei sei — dachte ich doch, das konne ihn auf- richten aus seinem mir unbekannten Schmerz. Er aber lieB die Arme, die mich eben noch um- schlungen hielten, kraftlos siriken. Der groBe, starke Mann stand da wie ein Geschlagener. ,Auch das noch!‘ stohnte er. ,Geh, Ge- liebte, geh weit von mir fort — niemals diirfen wir einander angehoren! Denn — horst du’s? — man hat mir dort endlich die Wahrheit ge- sagt. Mein Zustand endet mit g e i - stiger N a c h t.‘ Schrie er auf oder war es m e in e Stimme, was da wie ein Todesschrei durch die Hotel- raume gegellt? . .. Eine Sekunde spater saB er, das Gesicht in die Hande vergraben, in seinem ehemaligen Krankenfauteuil und ich, ihm zu FiiBen am Boden kauernd, hielt seine Knie umkrampft in machtlosem Weinen ... Dann aber sprang ich empor, ich warf mich wild an seine Brust. Und ich Stolze, ich habe mich wahrlich nicht geschamt, zu bitten, zu betteln: ,Bela! Bela! laB mich dir folgen als dein Weib! Was uns auch bevorstehen mag — nimm mich mit! Leben kann — kann ich nicht ohne dich!‘ Mit einem machtvollen Sprunge war er in die Hohe geschnellt, kraftvoll loste er sich aus meiner Umarmung: ,Kind, du begreifst nicht, was du sagst. Dir gehort das Leben — ich aber bin zum ® 146 © Untergang verdammt. Du wirst neu lieben, neu leben lernen. Was weifit du, schones, herrliches Weib, welche Sturme der Leidenschaft dich noch durchschauern und begliicken werden? Ich aber mufi abseits stehen, die Augen schlie- Ben. Fiir mich kommt die Nacht! Horst du’s?‘ Noch einmal preBte er mich an sich, wie ein Rasender. Seine Kiisse schienen mir das Leben auszusaugen. Dann aber stieB er mich von sich, so gewaltsam, als sei ich hinfort in seinen Augen die verkorperte Versuchung, die schlimmste Gefahr ... Ich ging ... Zerschmettert, vernichtet. In der Tur aber kehrt.e ich noch ein¬ mal um. Da sah ich sein edelschones Mannerantlitz erdfahl — um Jahrzehnte gealtert. ,Mach mir’s nicht so schwer, Lieb !‘ sprach er dumpf. Ich hatte nur die Kraft, nach seiner eisig- kalten Hand zu greifen, sie demiitig an die Lippen zu ziehen und wie in feierlichem Ge- lobnis zu fliistern: ,Alles, was du willst. — Lebe wohl!‘ Eine Stunde spiiter fand man den Herr- lichen tot! Hatte ein Gehirnschlag sein trauriges Da- sein geendet? Oder war es — wie ich glaube — ein freiwilliges Ausderweltgehen, ein gewalt- samer Tod? Positives ist nie daruber festgestellt... Wohl ihm — er war erlost! Aber ich — ach ich!“ IO* @ 147 ® Bei diesen Worten brach Daša plotzlich zusammen. Ihr krankes Herz schien ihr wieder furchtbare Qual zu bereiten. Darum meinte Melanie, die selbst tief erschiittert war, man miisse so schnell als moglich auf die Heimfahrt bedacht sein. Und wie ein Kind, schwach und matt, lieB sich die Grafin von ihr zum Wagen geleiten. „Wie nur,“ so frug sich Melanie immer \vieder wahrend der Fahrt, „wie nur hat dieses zarte Geschopf solchen Schicksalsschlag tiber- lebt ?“ Als aber die andere allmahlich zur Selbst- beherrschung zuriickgekehrt, las sie der Freun- din wohl diese ungeloste Ratselfrage von der Štirn. Und sie sagte dann ruhig, ohne \veitere Einleitung : „Ja, sieh, Lieb, ich hatte auch noch nach seinem Tode immer etwas, was mich am Leben hielt, einen Lebenszweck. Ich wollte Barmherzigkeit iiben, Vorurteile bekampfen, die gute Saat derAuf- klarung saen. So, in gewissem hoheren Sinne, durfte ich doch weiter leben — fiir meinen Bela, in seinen Ideen, in seinem Geiste! Das aber ist es, was ich unter dem Ausdruck ,eine innere M i s s i o n' verstehe.“ ® 148 © XV. Wahrend der Abwesenheit ihrer Mutter allein oder vielmehr unter dem Schutze der Grafiti Posedarich in Stubica zuriickgeblieben, wuBte BaroneB Mimi ihre Zeit dort aufs beste auszuniitzen. Nicht etwa, als wenn sie diese Freiheit zu allerlei tollen Streichen mifibraucht — irgendwie jugendlichen Unfug getrieben! O nein! Aber nichtsdestoweniger \var sie mit ihrer Zeitverwendung — wie ja ubrigens mit allem, was sie selbst tat — sehr zufrieden. In riihrender Aufmerksamkeit sah man sie eifrig um die alte Grafin bemiiht. Bald hielt sie ihr geduldig die Strickwolle zum Abwickeln und freute sich im stillen dabei der Beobachtung, wie schnell sich heute Faden um Faden, von ihr aus, zum Herzen der freundlichen Greisin spann. Bald wieder erbaute sie die Mutter ihres Anbeters durch Vorlesen, wobei ja Mimis schones Organ, ihre kiinstlerische Vortrags- weise sowie namentlich ihre elegante Beherr- schung des Franzosischen aufs vorteilhafteste zur Geltung kamen. Auch auf die Gesundheit der alten Dame war das BaroneBlein bedacht. Sie hiillte die- selbe vorsorglich in ein warmendes Tuch, sie trug ihr eigenhandig einen Schemel herbei, um sie vor etvvaiger Feuchtigkeit des Bodens zu @ 149 schiitzen. Wirklich, eine Tochter konnte sich nicht aufmerksamer und liebevoller benehmen! O ja, trotz ihrer groben Jugend verstand Mimi es wohl, zu rechnen, zu — kliigeln ... Nie lieB sie sich zu einem Schritte hinreifien, von dessen Erfolg sie nicht im voraus fest iiberzeugt war. Und auch in diesem Falle er- wies sich ihre Berechnung wieder zutreffend. „Wie gliicklich ware mein Gaston, Ihnen zuzusehen, wenn Sie seine arme, alte Mama so verwohnen“, meinte die Griifin, das siiBe Schmeichelkatzchen unter Kiissen an sich ziehend. Mit kindlichem Unverstand sah die also Begnadete der freundlichen Gonnerin schein- bar ahnungslos ins Gesicht. „Ja, er muB ein sehr lieber, guter Sohn sein, Graf Gaston — so habe ich mir’s immer gedacht.“ Das war alles, was Mimi in diesem Augenblicke zu sagen fiir gut fand. Denn: „Immer hiibsch abwarten, bis die reife Frucht einem ganz von selbst zufallt — nur nicht zu vorschnell nach einem vielleicht noch gar sauren Apfel greifen“, dies war eine der wichtigsten Glaubenslehren aus dem Welt- weisheitskredo der Freiin von Preyck. Am Nachmittag, als die Grafin sich der gewohnten kleinen Siesta hingab und Mimi den Verpflichtungen der Ehrfurcht gegen das Alter hinlanglich geniigt hatte, da genofi diese selbst ihr Leben vvieder mit dem jungen Volk. Posedarich hatte seit einigen Tagen auf einer schattigen Anhohe des Parkes, unter der riesigen Steineiche einen SchieBstand eroffnet. s> 150 © Dieser Šport war ebenso neu als interessant. Natiirlich waren auch alle jungen Damen gleich dabei. Mimi besonders schoB schon er- staunlich gut. Sie hatte ein iiberaus scharf- sichtiges Auge und eine wunderbar sichere Hand. Selten nur verfehlte ihre Kugel das Ziel. Und das Entziicken des schneidigen Kriegers stieg, ob solcher ihr angeborner Vorziige, natiirlich ins Unendliche. Auch Zorič muBte das gewandte Geschopf auf dem SchieBstande bewundern. Ob wohl auch ihre Mutter sich da¬ bei so gut ausnahme? Ob Melanie iiberhaupt zu bewegen ware, sich aktiv an diesem Ver- gniigen zu beteiligen? Er frug Mimi, und diese glaubte, ihm im voraus eine Bejahung zu schenken. Sie erzahlte auch, daB die Mama stets einen iiberaus feinen Revolver mit sich fiihre. Aber das tate sie nur aus Pietat, weil das kleine Waffenkunstwerk noch „vom seligen Papa“ herstamme. Die letztere Ervvahnung gab Zorič einen Stich. Wie? Hing Melanie also doch noch so voli Liebe an jenem Langstverstorbenen ? ... Eine eifersiichtige Angst stieg in ihm auf. Um so liebenswiirdiger und lebhafter sprach er auf Mimi ein, damit diese ihn nur ja nicht auf solchen Gedanken ertappe. „Denn scharfsichtig ist ja das Madel, in mehr als einer Hinsicht — nur allzusehr", sagte er sich. Das Nachmittagskonzert der Zigeuner- kapelle rief Mimi aufs neue zu ihren Pflichten bei der greisen Gonnerin. Grafin Posedarich gewann das junge Mad- chen immer lieber. Eine solche Schwieger- @ 153 •© tochter muBte ja ein Ideal sein! So voli Hin- gebung und doch dabei von so zarter Zurtick- haltung! So auch eben wieder. Nach SchluB des Konzertes namlich bietet Graf Gaston seiner Mutter den Arm, um diese zu einem weiter abgelegenen Hohensitz zu geleiten, von wo die alte Dame gern dem regen Abendverkehr auf der LandstraBe zusieht. Aber trotz der drin- gendsten Aufforderung beider, sich ihnen an- zuschliefien, tritt Mimi streng bescheiden zuriick. „0 nein! Jetzt darf ich nicht storen, gii- tigste Grafin! Der Herr Oberleutnant kehrt ja morgen friih schon zu seiner Garnison heim und da miissen Mutter und Sohn zum Abschied allein sein.“ Wie kindlich-herzig und doch warm emp- funden sie das vorzubringen weiB! Da ihr entsagender EntschluB unerschiit- terlich blieb, muBten sich jene zwei wohl ent- schlieBen, Mimi darin ihren Willen zu tun. Und so blieb sie allein im Restaurationspark. Scheinbar ward ihr die Zeit nicht lang. Sie las wieder einmal in der vorziiglichen „Revue Bleue.“ Als aber die Abenddammerung, beson- ders hier unter dem dichten Laubdach, ihr das Lesen mehr und mehr erschwerte, da sclrvveif- ten ihre klugen Augen viel umher. So sah sie auch plotzlich Zorič, wie zu langerem Spazier- gange ausgeriistet, den Weg nach der breiten Kastanienallee einschlagen, die auf jene Rich- ® 152 © tung der Landstrafie mimdete, von welcher aus Melanie und Daša aus Bistrica zuriickkehren muBten. Ein schneller Gedanke blitzte in dem sech- zehnjahrigen Schlaukopfchen auf. Mit ein paar flinken, elastischen Schritten gewinnt sie Vorsprung genug, um nun auch bei ganzlich unauffallig langsamer Gangart jeden Augenblick den traumend vor ihr Dahin- wandelnden einzuholen. Dann laBt ein Schrei Zorič zuriickschauen. Zu seinem Erstaunen erkennt er neben sich die BaroneB, die mit schmerzhafter Ge- barde nach ihrem zierlichen FiiBchen greift. „Schandlich! Diese unberechenbaren Kiesel- steine!“ ziirnt sie. „Oder die viel schandlicheren hohen Stockel," witzelt er, indem er jetzt hilfreich an Mimi herantritt. „Ich hoffe aber, BaroneB haben sich nicht ernstlich weh getan?“ Sie neigt neckisch-dankend das reizende Kopfchen: „Zum lebenslanglichen Invaliden zwar bin ich noch nicht reif, aber weh tut der Fufi!“ Da will Zorič sie auf die nachste Bank notigen. „Es ware jedenfalls gut, hier ein Weilchen auszuruhen." Sie aber eifert lebhaft dagegen: „0 nein! O nein! Jeden Augenblick kann Mama zuriickkehren, und das ware einSchreck, wenn ich ihr nicht, wie vereinbart, eine Strecke entgegenginge \“ Alle vveiteren Ermahnungen seinerseits schlagt Mimi kurz in den Wind, indem sie kategorisch sagt: „Nichts da! Galanter Trou- © 153 @ badour, reichen Sie mir nur den Arm, so komme ich mit Ihrer ritterlichen Unter- stiitzung schon gut vorrvarts. Also ,en avant' marcheons!“ „Oho! so revolutionar angehaucht?" er- widert er lachelnd, ffigt sich aber gern ins Un- vermeidliche. Und gemeinsam die Marseillaise summend, schreiten beide nun lustig weiter. Im stillen triumphiert Mimi iiber ihren wohl- gelungenen Trick. Von jenem Hohensitze aus miissen Grafin Posedarich und ihr Sohn sie jetzt ganz deutlich an Zoric’ Arm voruber- gehen sehen. „Sehr gut! Prachtig! Sie weiB genau, was fiir eifersuchtige Gedanken dabei in dem Hira des stolzen Marsjiingers auf- keimen .. . Mitunter ist ja auch ein kleines ,Schutteln' geraten, damit ,die reifen Apfel' rechtzeitig herabfallen! Es muB aber eben alles nur wie zufallig und so unvermerkt wie moglich geschehen.... Nicht ,Schwaehe‘ •— nein, ,S c h 1 a u h e i t‘, dein Name ist Weib!“ Und Mimi lacht nicht nur Shakespeare, sondern die ganze Welt aus. Diese erquicklichen Reflexionen hinder- ten sie aber keineswegs, sehr geistreich und lebhaft mit Zoric zu plaudern. So hatten beide das Rollen des nahenden Wagens iiberhort und voli Staunen sahen sie nun plotzlich, dicht vor sich her, diese flinken Renner, die Melanie und Daša von Bistrica heimtrugen. Grafin Lahnsdorff war es, welche als erste ihrerseits der Daherkommenden ansichtig ward. © 154 @ Eilig machte sie die Freundin darauf aufmerk- sam, wie gut dieses junge, schone Paar zu- sammenpasse. Melanie errotete und murmelte etwas Un- verstandliches. „GewiB ist zwisc.hen den zweien da etwas Heimlich-Holdes imGange", dachte die andere. Und so erklarte sie sich nun auch jenes auf- fallend lebhafte Interesse, welches Melanie gleich anfangs fiir den Dichter verraten, als sie ihr damals, zuerst, von seiner merkvviir- digen Herkunft erzahlt. Als Mutter und Tochter auf ihrem Zimmer allein waren, fragte Mimi: „Sag doch, Mama, was wollte eigentlich Grafin Lahnsdorff vorhin mit dem Zitieren des Sprichwortes: Gleich und gleich gesellt sich gern ?“ „Ach, ich weiB nicht,“ lautete etwas un- wirsch die Antwort. „Ich denke, das bedeutet eben nur, daB selbst die geistreichsten Men- schen mitunter sehr dumme, banale Phrasen gebrauchen." „So? Sonst weiter nichts? Gut also! Aber du, mein Miitterlein, scheinst nicht gut auf- gelegt und mich fragst du nicht einmal, was ich hier erlebt. Ich konnte mich ja zum Beispiel vvahrend deiner langen Abwesenheit sogar ver- lobt haben.“ Und Mimi lachelte vielsagend verschmitzt. Da fuhr die Baronin auf: „Was redest du da? Verlobt? Mit wem?“ „Ach, Mama, das sage ich dir erst, wenn alles zwischen dem Betreffenden und mir fest •g) 155 @ ausgemacht ist. Noch sind wir ja nicht so weit. Dann aber soli es an dir sein, zu zitieren: „Gleich und gleich gesellt sich gern. Das gelobe ich!“ Melanie muBte sich biicken, um am Boden nach irgend einem unauffindbaren Gegenstand zu suchen. So sah die Tochter nicht die heiBen, schwe- ren Tranen in ihren Augen. @ 156 © XVI. O, diese armen, armen Augen! Die ganze Nacht hatte kem Schlaf sie gekiihlt. Und nun blickten sie schon mit banger Sorge in den neuervvachten Tag. Der Entscheidungstag solite es ja sein. Da gab es bald kein Ausweichen mehr — da galt es stark sein! Stark und beherzt. Als die brave Kathi mit dem Morgenfriih- stiick eintrat, war sie ganz erschrocken, Me- lanie mit einem Revolver in der Hand zu sehen. Die Baronin putzte die zierliche Waffe gerade- zu liebevoll. Nun, Kathi wurde iiber den Zvveck solcher AuBergewohnlichkeit sehr bald be- ruhigt. Es galt ja, am neuen Šport teilnehmen. Die Baronin hatte gestern abend noch ihrer Tochter vor dem Schlafengehen hoch und heilig geloben miissen, sich dazu mit Papas Revolver, der sonst immer nur als Andenken auf Reisen mitgenommen ward, piinktlich friih auf dem SchieBstand bei der Steineiche einzu- finden. Wie es in schmerzlicher Gedankenqual oft wohltuend vvirkt, wenn man sich irgend einer rein mechanischen Beschaftigung hin- geben darf, so war es eben Melanie aufierst an- genehm, sich formlich pedantisch mit der ® 157 @ SchuBbereitschaft des Revolvers zu befassen. Wie blitzblank ging er aus ihren eifrigen Handen hervor! Wievielmal hatte sie Waffe und Munition aufs genaueste gepruft! Jetzt schnallte sie sich die kleine Leder- tasche, die dieses gefahrliche Spielzeug barg, um und trat rasch ins Freie. Gut, wenn sie ali den anderen voraus war. So gewann sie doch noch einige stille Momente des Nachsinnens, der Selbstbefestigung. Mit diesem Vorsatz ging sie denn auch nicht auf dem gewohnlichen, tiefer gelegenen Wege zur Eiche, sondern stieg gleich bei der Kapelle den zweiten, hoheren Waldpfad empor und lieB sich hier auf der ersten Ruhebank nieder. Zwischen den knorrigen Stammen uralter Eichen und dem durchsichtigeren Blatterwerk prachtiger Buchen rief hier die Sonne allerlei merkwiirdige, malerische Effekte hervor. Die zitternden Strahlenhieroglyphen am Boden schienen ein heifies Liebespoem auszudriicken. Denn alles in der Natur war jetzt sehnende Spannung, gliihendes Tagerwarten! Wie schmerzlich geblendet, wandte Me- lanie die Blicke ab. Da bemerkte sie riickwarts auf der bebauten Berglehne ein ganzes Feld mit bliihenden Sonnenblumen. Wie schon dieser Name allein zwei der herrlichsten Begriffe gepaart zeigt, so floBten ihr solche Bliiten stets besondere Vorliebe ein. Und dieses ganze eigenartige Blumendasein ward nun zur Geschichte im griibelnden Geiste der sinnigen Frau. Ja, ist es in der Tat auch @ 158 ® nicht ergreifend, zu sehen,wie die Sonnenblume — gewissermaBen seelischem Antriebe folgend — den lichtdurstenden Kelch bis zu ihrem allerletzten Strahle immer wieder der Sonne nachwendet, stets deren leuchtendes Antlitz suchend. Anfangs da scheint die junge Blute vielleicht nur sich selber dadurch schmucken zu wollen, ihren eigenen, reichen Goldglanz so prunkend zu erhohen! Je mehr sie aber empor- wachst unter dem lauternden Einflufi soleh reinen Himmelslichtes, je mehr auch wird sie das Abbild einer Seele, die — nur dem Erha- benen zugewandt — aus den engen Schranken des Ichtums sich hindurchringt zur heiligen GroBe der Selbstlosigkeit. Und wie an der Sonnenblume das schimmernde Gold ja all- mahlich erblaBt, erstirbt, bis von diesem scho- nen Gebilde nichts mehr bleibt, als eine Art trauriger, diirrer Dornenkrone, dagegen aber der unansehnliche braune Saatenkelch — so- zusagen das Herz der Blume — sich weitet und dehnt, so auch stirbt im Menschen sein Ichtum nur langsam. So reift unter Schmerzen nur die entsagende Liebe! Melanie schaut nachdenklich auf ali die kleinen Vogel, die jetzt hungernd oder ge- naschig auf die Sonnenblumen zufliegen. Alle ziehen sie Nutzen oder Lust aus diesen sterbenden Blumenherzen. Und die grofien, vveiten Herzen scheinen zu sagen: „Kommet! Tut uns weh’ — aber werdet satt, werdet gliicklich! Seid froh in eurer Art, ihr Kleinen, ihr Selbstlinge — fiir uns aber muB Geben stets seliger als Nehmen sein!“ @ 159 @ Darum auch schmiicken, einer rumani- schen Volkssage gemaB, Sonnenblumen die Himmelstiir. Schones, leuchtendes Symbol der Entsagung!!!- Seltsam, vom Entsagen, von der Himmels- tiir wohl hatte ihr eben noch getraumt. Und gerade da, in demselben Augenblick, stand das Leben vor ihr, in der verkorperten Versuchung eines kraftvoll brutalen Gluckbegehrens, eines iibermachtigen Triebes eigener Liebesselig- keit... Dem Schimmer ihres ihm bekannten Som- merkleides folgend, war Zorič, vom unteren Wege her, durchWurzeln und Gestriipp, schnell entschlossen an der pfadlosen Waldlehne em- porklimmend, plotzlich, ehe sie’s geahnt, an Melanie herangetreten. Sein flammender Blick, sein keuchender Atem sagte mehr als Worte. Doch ehe er, in hochster Erregung, noch die Sprache wiederfand, hatte Melanie sich er- hoben. Beide Hande streckte sie ihm entgegen. „Teurer, teurer Freund“ — stammelte sie mit gebrochener Stimme. Wie schon sie jetzt war! Wie jung sie ihm erschien, in ihrer wahrhaft madchenhaften, keuschen Befangenheit! Als er ihre Hande leidenschaftlich an die Lippen ftihren wollte, litt sie es nicht. Mit angstvoller Gebarde fast zog sie sich zuriick. Dann lieB sie sich matt auf die Bank nieder- gleiten und bedeutete Zorič, an ihrer Seite Platz zu nehmen. „Nur keine lange Folterqual!“ flehte er. „Ja? — oder nein?“ ® 160 @ „Gonnen Sie mir Zeit, teurer Freund. Was ich zu sagen habe, ist so schwer.. Er lieB sie ihren Satz nicht vollenden. „0, ich weiB alles schon im voraus“, brachte er bitter hervor. „Sie haben sich be- dacht — das Dunkel meiner Herkunft stoBt Sie ab ?“ Nun war es an ihr, nach seinen zitternden Handen zu greifen. Kannte er denn so wenig jenes seltsame Prestige, das in Geheimnissen und Ratseln wurzelt und das allein vielleicht das Grundelement aller Anziehungskraft aus- macht, die ein Geschlecht an das andere fesselt? Auch Melanie, ganz von dieser Vorstel- lung erfiillt, war nun Feuer und Flamme, als sie begeistert sprach: „Gott weiB es —: nein, das ist es nicht, was uns scheidet! Das niemals! Wenn etwas Ihre Anziehungskraft in meinen Augen zu erhohen vermag, so ware es gerade jenes Ratsel der Abkunft. LieB denn nicht schon das Altertum seine Helden auf andere Art erscheinen und verschwinden, wie gewohnliche Sterbliche? Und lauft nicht schlieBlich der alteste Stamm- baum — derjenige, den die Bibel selbst auf- zahlt — darauf hinaus, daB er von Adam ver- biirgt: ,D e r w a r G o 11 e s‘. Der aber hatte weder Vater noch Mutter! So — im hochsten Sinne — sind auch Sie, mein Freund, ein Mann, von dem ich stolz bin, zu empfinden: ja, ,d e r II @ 161 @ ist Gottes ! 1 Das heiBt, der ist grofi genug in sich selbst — er bedarf keiner Sippe, keines Anhangs!“ Wie sich des Dichters Selbstgefiihl unter dieser feurigen Beredsamkeit hob! Triumphierend warf er den schonen Kopf zuriick : „Erheben Sie mich so zu einem Sohn der Gotter, o, Melanie, was widerstande meiner Macht?!“ „Ach,“ seufzte sie, „und dennoch gibt es Dinge, die kein Mensch, und kein Gott selbst, zu beseitigen vermag! Fin solches Hindernis ist — die Z e i t. Diese vermag keiner mehr zuriickzurufen ... Und — so oft ich’s iiberlegt — es bleibt dabei — uns trennen die Jahre!“ „Wenn es nur das ist, Melanie, dann wirst du einsehen, dies sind Hirngespinste! Ein Mann in meinem Alter ist dir an Reife sogar weit uberlegen. Er ist auch vom modernen, aufreibenden Leben faktisch mehr gealtert, als du es, Geliebte, bei der unberiihrten heiligen Frische eines reinen Weibes, auch nur ahnst.“ In den Augen der Baronin schimmerte es feucht. „Wie gerne, ach, glaubte ich so holdem Wahn! Aber nein. Ich entsinne mich des Bildes, das Sie einmal gebraucht, als Sie sagten, in der Sonne verwandle selbst das starre Eis sich zu feuriger Glut. Und was sich hernach in triibe Wasser- tropfen auflost, das funkelt dennoch in einem Augenblick als kostbarer Edelstein. So, ge- liebter Freund, ist auch meine Jugend nur @ 162 ® ein kurzes, armseliges Scheingliick, dem das rasche, unaufhaltbare Zerrinnen folgt. Wollte ich nun soleh fliichtig Taumelgliick an Ihrer Seite genieflen, wahrliaftig, ich beginge eine unsiihnbare Schuld. Es kame der Moment, wo ich — von den Schauern des Alters erfafit — zu Ihnen sagen wiirde: ,Gib mir von deiner Jugend!‘ Und von dem Augenblicke an, da ware ich der Vampir, der Ihnen die Lebens- kraft aussaugt, das Dasein vergiftet!.. . Nein! Nimmermehr!" Und jedem Einwurf des Poeten heftig wehrend, fuhr Melanie immer fort, sich gegen die Gefiihle ihres Herzens zu verteidigen. „0, wie klar habe ich alles dies erkannt, wie deutlich die ganze Situation iibersehen! Gedenken Sie doch des Momentes, da Sie meine Tochter, mein schones, lebenspriihendes Kind, im Tanze gewiegt und ich fernab stand, so ganz in meiner Rolle als die Mutter, als die — Alte. Und gestern abends erst, wie schon sah es aus, als Sie uns mit Mimi am Arme be- gegneten. Wahrhaftig, kein passenderes Paar, den Jahren nach, als Sie beide!" Bei diesenWorten war Zoric heftig empor- geschnellt. Er packte Melanies Handgelenk mit eisernem Griff. „Halten Sie ein! Was Sie da reden, ist ein Wahnsinn!“ „MuB ich denn wirklich noch mehr — mufi ich denn alles sagen, damit man mich begreift?“ rief sie klagend aus. „Nun wohlan. Ich glaube mich namlich nicht zu tauschen, wenn ich im verschlossenen Herzen meines © 163 © II stolzen Kindes eine aufkeimende Neigung wahrnahm... Eine knospende Liebe, die keinem andern gilt als — Ihnen, mein Freund!“ Dann aber, als sei sie auf die Wirkung dieser Worte selbst angstlich gespannt, brach Melanie hier jahlings ab. Das Herz schlug ihr qualvoll zum Zerspringen. Was wiirde nun folgen ? Allein das Resultat solite ebenso schmerz- lich als unerwartet sein. Bleich bis an die Lippen, straff auf- gerichtet, stand ihr Zoric plotzlich gegeniiber wie ein Gegner. „K o m 6 d i e!“ kam es hart aus seinem Munde. „Was geht mich BaroneB Mimi an? Ich verstehe nur eins: Sie lieben mich nicht — Sie haben mich nie geliebt." Ganz in sich zusammengesunken saB Me¬ lanie da. Die Hande hatte sie vors Gesicht gepreBt, wie zum Schutze gegen seine grause Anklage. Oder zur Wehr gegen eigene Schwache? .. Wie ein leises Schluchzen nur klang ihr Entgegnen: „Liegt nicht die hochste Liebe in Leiden und Entsagen?“ „Nicht so!“ stieB er rauh hervor. „Wahre, starke Liebe lehrt uns leben und — trotzen! Das gibt Mut!“ Als die gebrochene Frauengestalt da vor ihm aber noch immer nicht den Mut fand, sich in plotzlich erwachender Glut wieder aufzu- richten und sturmisch an seine Brust zu fliehen, @ 164 © wie er es wohl gehofft, da nahm Zoric wieder seinen hohnisch - verletzenden Weltmannston an, indem er sagte: „So vergeben Sie mir meinen schweren Irrtum. Leben Sie wohl, Frau Baronin!“ Und sich verneigend, zischelte er noch sarkastisch: „Ich habe die Ehre.“ Dann wandte er sich um. Sie blieb allein. In ihrem Hirn wogte ein wildes Heer von Gedanken ... Solite sie ihr Gliick zuriickrufen ? Solite sie Zorič, gefltigelten Schrittes, einholen ? Ihn zu besanftigen versuchen?... Aber wozu dann ali der lange, schwere Kampf? Nun, wo der Preis erstritten war, wo nie mehr eine Ge- wissensklage irgend welcher Art ihre fein- fiihlige Seele zu beschweren vermag! Da horte Melanie schon vom unteren Wege her Stimmengewirr. Bald sieht sie Schonau zwischen den „besten Freundinnen" auf den SchieBstand zuschreiten. Dann folgt Dr. Span- ner und richtig — da kommt ja auch Mimi, der reizende, herzige Schmetterling, daher. Zorič allein scheint zuruckgeblieben zu sein. Um so auffallender ware es> wenn auch die Baronin fehlte. Und mit einer gewaltsamen Willenskraft richtet diese sich nun auf und schlagt ebenfalls die Richtung zur Steineiche ein. Der Revolver blieb ihr ja als treuer Be- gleiter zur Seite. So, vvohlgeriistet, erscheint Melanie einige Sekunden spater auf dem SchieB¬ stand. Eine wahre Heldin. Allein, die Aufgabe, ■& 165 @ welche ilirem Duldermut zugemessen, scheint jetzt von Minute zu Minute an Schwierigkeit zu wachsen. Der erste, der auf sie zukommt, ist Schonau. „Baronin sehen so leidend aus —sauselt der Falsche, angeblich besorgt. Dann mit ver- stellter Schadenfreude fortfahrend: „Wir sind schon vollzahlig. Nur unser interessanter Dichterjiingling f e h 11,“ sagt er nachdriicklich. „Wiifiten Ba- ronin vielleicht zufallig eine Erklarung fiir sein Ausbleiben?" Die Achseln zuckend, wendet Melanie ihm kurzweg den Riicken, ohne jede Antwort. Solite sie ihn fragen, ob er wieder irgend- wo auf der Lauer stand und ihr letztes Ge- sprach mit Zoric vielleicht herausspionierte? Zum Gliick wird sie soeben der alten Grafin Posedarich und ihrer Freundin Daša gewahr, welche als Zuschauerinnen etwas ab- seits im Schatten Platz genommen. Da wenigstens glaubt die arme Melanie sich momentan doch sicher. Das Scheibenschiefien nimmt seinen un- gestorten Verlauf. Man vernimmt Pistolen- geknall, lautes Lachen ... Am meisten scheint Mimi sich im SchieBen hervorzutun. „GewiB, man vergiBt mich,“ hofft Melanie. Aber vergebens! Gerade jetzt erschallt der Ruf: „B ar °ni n Preyck! Die Reilie kommt an Sie!“ ® 166 -a) Was hilft es, dah Daša sie gewaltsam zu- riickzieht und ihr zufliistert: „Aber so bleib doch, dir ist ja nicht wohl!“ Schon hat sie sich von der liebevoll be- sorgten Freundeshand losgerissen. O nein! Und ware es nur diesem Schonau zum Trotz. Sie w i r d hingehen — sie w i r d schiefien! Und sie trifft heute sicher ins Ziel! Aller Augen hangen an der schonen, im- posanten Frauenerscheinung, die, stolz auf- gerichtet, mit der erhobenen Waffe in der Hand, dasteht, wie die verkorperte Kraft. Ein „Ah!“ der Bewunderung tont ihr ent- gegen. Aber da, wie von jahem Schwindel erfafit, laBt sie den Revolver, dessen Hahn schon ge- spannt, matt herabsinken. Schwankend nahert sie sich nur noch dem Tische, um die Waffe dort rasch abzulegen. Dann gleitet sie tau- melnd auf die nachste Bank. Mimi ist als erste um die Mutter bemiiht. Schonau beeilt sich, Wasser herbeizuschaffen. Man netzt ihr die Schlafen, man labt sie und in wenigen Minuten scheint alles wieder gut. Doch die frohe Stimmung der Gesellschaft ist natiirlich durch diesen unliebsamen Zwi- schenfall gestort. Und wie auf allgemeine, stumme Verabredung schicken sich Damen und Flerren zu unvermutet schnellem Auf- bruche an. Nur Mimi sucht ihre Mutter noch ein Weilchen zuriickzuhalten. Man findet dies natiirlich. Nach solchemSchwindelanfall bedarf man doch der Ruhe, des Alleinseins. So gehen @ 167 ® alle anderen nach herzlicher Verabschiedung weiter, wahrend Melanie mit der Tochter noch allein zuriickbleibt. Da schlingt Mimi der Baronin beide Arme um den Hals. „Mama!“ fliistert sie ihr ins Ohr, „hore mein Geheimnis — Posedarich, der seit heute friih abgereist, hat einen Brief an mich hinterlassen, in dem er klipp und klar um meine Hand anhalt. Freust du dich, daB mein Manover mit Zorič so doch zum beabsichtigtenResultate gefiihrt?" Die Lippen, auf welche Mimi die ihren in triumphierendem Freudenrausch geprefit, gaben der Kiisse keinen zuriick. Ein tiefes Stohnen nur war die erste Antwort, welche diese tiefverwundete Mutterbrust fand. Dann aber raffte die Baronin sich auf, in heiligem Zorn: „Wie? Was?!“ rief sie entriistet: „Du triebst mit Zorič nur ein unwiirdiges Spiel? Um den andern zu kodern, muBte er gut genug sein!“ Besanftigend wollte Mimi die Mutter um- armen. Diese aber stieB sie heftig zuriick. „Lab mich! LaB mich jetzt allein sein!“ keuchte Melanie. Wie Wahnsinn hatte sie plotzlich der Ge- danke gepackt: ,Jetzt hat meine Stunde ge- schlagen, jetzt bin ich in ,totes Wasser‘ geraten.“ Und auf den Tisch zutretend, ergriff sie den dort liegen gebliebenen Revolver. ® 168 ® Man sah, es war ihr eilig mit der Flucht vor sich selber und dem eigenen Kinde. Allein die tolle Hast lieB sie auch vollig vergessen, was sie im Augenblick tat. Mit der Linken die kleine Ledertasche geoffnet haltend, um den Revolver rasch hineinzuschieben, er- griff sie diesen mit der Rechten verkehrt. Statt mit dem schmalen Lauf, suchte sie ihn namlich beim breiten Kolben in die Tasche zu zwangen. Und da — o mein Gott, daB auch der Hahn noch gespannt geblieben war! — da entlud sich der SchuB- Ein furchtbarer Knall lieB Mimi erbeben bis ins Herz. Als der Pulverdampf sich verzog, lag ihre Mutter, in die Brust getroffen, stohnend am Boden — sterbensbleich — die Augen ge- schlossen- War sie tot? Das war ein sanftes, versohnliches Sterben. Die erste furchtbare Schmerzensqual — das Fieber — alles hatte ausgerast. Eine zu Tode Erschopfte sah Melanie tagsdarauf ihrem Ende entgegen — friedvoll, wie erlost. Aber nachdem sie — mit den Trostungen der Religion versehen — schon von ihrem einzigen Kinde vergebend und segnend den letzten Abschied genommen, nachdem sie auch die treue Daša mit einem bedeutsamen „Auf Wiedersehen“ zum Schei- den gekiiflt, blieb noch ein letzter Wunsch, ein letztes Verlangen in diesem brechenden Her- zen. Und das galt ihm — dem HeiBgeliebten! ® 169 ® Durch Dašas zarte Fiirsorge gemahnt, trat Zorič ans Sterbebett. Da flackerte ihr verglimmendes Leben ein- mal noch auf. Melanie machte einen matten iVersuch, sich emporzurichten. Aber vergebens. Im nachsten Moment schon ware sie kraftlos in die Kissen zuriickgesunken, hatte nicht sein Arm sie gestiitzt, sie gehalten, heifl und fest. Schluchzend fand der sonst so beredte Poet jetzt keine Worte . .. Dann aber kam es wie ein elementarer Echolaut seiner Seele hervor: „Mein Lieb! Mein Leben!" Und die Sterbende fand einen letzten Auf- wand von Kraft, um ihre erkaltenden Hande zartlich um seinen Nacken zu schlingen. So blieben beide fest aneinander geschmiegt, daB das Herz des einen dicht am andern schlug... HeiBe, stiirmische Schlage des einen- mattes, stockendes Pochen des andern ... Und das stiirmische, heiBe sprach: „Warum? Warum diese Grausamkeit des Schicksals?" Das matte, stockende aber erwiderte: „Nicht so! Das war himmlischer Rat- schluB, In ,totes Wasser‘ solite ich geraten. Aber so... so ist das Sterben siifi! Doch wieder klagte das stiirmische, heiBe Herz des Poeten. „Was wird aus mir?“ Da sprachen die matten, bebenden Lippen: „Dir, Geliebter, dir bleibt auf Erden deine groBe Mission-Und du wirst leben — leben und t r o t z e n.“ @ 170 © Da fiihlt er den siechen Korper in seinen Armen schwer werden. Melanie hatte die Augen geschlossen. Langsam wie ein Kind, das man zum Einschlafen bettet, lieB er sie sanft in die Kissen niedergleiten. Er selbst verharrte kniend am Sterbe- lager... Jetzt schienen ihre Hande sich zu falten- Sprach sie ein letztes, glaubiges Gebet? Ein Zittern, ein Zucken durchrieselte die schon sinkende irdische Hiille ... Noch einmal aber offnete Melanie ihre Augen. Irr gingen die Blicke umher. Irr und suchend - — Dann aber, des Dichters gewahr werdend, hefteten sie sich in brennender Sehnsucht auf ihn. „D a n k! Dank!" kam es zartlich iiber die sich entfarbenden Lippen. Ihr letzter Gedanke hatte Zorič gegolten. Ein tiefer Seufzer — der Korper streckte sich gewaltsam. Liebend war Melanie ent- schlafen. In voller Schonheit war die reine, edle Frauenseele entfloh’n. Graf Josef Gaisperg, der allzeit Getreue, traf bald darauf zum Leichenbegangnisse der Dahingeschiedenen ein. Als er dabei Mimi, am Arine ihres Verlobten, stolz und selbst- ■ 2 ) 171 ® sicher, dem Sarge folgen sah, konnte er sich nicht enthalten, zu Daša gewandt, entriistet zu aufiern: „Sehen Sie, Grafin, so wird dieses Ge- schopf weiter durchs Leben gehen: das Gliick anderer stets achtlos zertretend, selbst aber immer sieghaft. Und so erfolgreich, wie nur die absolut Herzlosen es sein konnen!“ Zorič dagegen schien der groBe, heilige Schmerz um die Verlorene noch mehr fiir seinen hohen Beruf zu adeln. Allem personlichen Wiinschen und Hoffen abgestorben, lebt er hinfort nur fiir sein Volk — fiir sein Land! Als Publizist und Patriot spielt er schon heute eine fiihrende Rolle. Zum gewaltigen Parlamentarier hat er nur mehr einen Schritt... Aber sei dem, wie ihm sei: Slavoljub Zorič wird „1 e b e n“ und „t r o t z e n“. Ein Mann seines Schlages g e - rat nicht in „t o t e s Wasser!“ E n d e. © 172 @ ■ NARODNA IN UNIVERZITETNA KNJIŽNICA