Dein Reich komme! Predigt am ersten Adventssonntage (3. Dezember) 1905 in der evangel. Christuskirche zu Laibach von Ar. Kttrncrr Kegernann. Die zweite Bitte des Unservaters. Matthäus 8, 10. -Dein König kommt in nieder» Hüllen Sanftmütig aus der Es'iin Füllen, Empfang ihn froh, Jerusalem. Trag ihm entgegen Fliedenspalmen, Bestreu den Weg mit grünen Halmen, So ist's dem König angenehm.- Siehe, dein König kommt zu dir! so tönt uns beim Eintritt in die traute hochheilige Weihnachtszeit die Adventsbotschaft entgegen. Diese Botschaft ist aufgerichtet wie ein Triumphbogen, durch den wir einziehen sollen in die vor uns liegende Zeit. Er kommt! Alle echte Religion liegt in dem einen Wörtlein beschlossen. Allzuoft hat man die Religion als bloße Vergangenheitssache hingestellt. Sie war der Moder, der sich dumpf und erstickend auf alles aufstrebende Leben legte, der Deckmantel, dessen sich die rückschrittlichen Richtungen bedienten, um ihre schwarzen Pläne zu verhüllen. Wie erlösend darum die Botschaft; die Religion ist Zukunftssache, nicht träge Rückwärtsbewegung, sondern feurige Vorwärtsbewegung. «Es ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft.- -Wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll.« -Wir vergessen, was dahinten ist, und strecken uns nach dem, das da vorne ist,- so rufen in rastlosem Vorwärtsdrängen die Apostel. Und er selbst, -der Herzog unsrer Seligkeit,- — wenn er sagt: -Das Reich Gottes leidet Gewalt, und die Gewalt tun, reißen es an sich- (Matth. 11, 12) — ist ein Marschall Vorwärts, der, so ost er neu 2 einreitet, um die Seinen zu mustern, ihnen jene Parole aufs neue zurust, die er einst seinen Jüngern in den Mund gelegt: «Dein Reich komme!- Das Kommen des Reiches Gottes war seines Kommens Zweck und Inhalt. Und uns hat er bestimmt, daß wir mit allem, was wir sind und haben, für dies Ziel uns einsetzen. Darum: Dein Reich komme! Das ist das Ziel all unsres Strebens. Dein Reich komme! das ist der sichre Besitz unsres Glaubens. I. Dein Reich komme! Kürzer kann es nicht gefaßt werden, daß Menschen¬ leben Trachten heißt nach einem Ziel! Mit dem Streben nach einem Zukunftsziel hebt das wahre Menschenleben erst an. Da ist ein junger Mann oder ein junges Mädchen. Träumerisch, nachlässig, teilnahmslos leben sie in den Tag hinein. Nun erwacht der feste Entschluß, ein Ziel zu erreichen, sei es ein Examen zu machen, einen Beruf zu erlangen oder eine Kunst zu erlernen. Dies Ziel wird zum Mittelpunkt des Daseins, dem sich nun die selbstsüchtigen, sinnlichen Antriebe unterordnen. Nicht mehr unter der Rute des Zwanges, sondern in freiwilliger, freudiger Strebsamkeit werden die Bildungsmittel benützt, um dem erwählten Ziele näher zu kommen. Der träumerische, nachlässige, gleichgültige Mensch wird eifrig und zielbewußt. Wir haben den ungemein bezeichnenden Ausdruck für das Leben solcher, die ohne Ziel dahinleben: vegetieren, d. h. ein Pflanzendasein leben. Der große Schiller hat gesagt: «Willst du das Höchste, das Größte: die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist's.» Der Mensch ist durch die wunderbar kunstvolle Organisation seines leiblichen und geistigen Lebens bestimmt, einem höheren Lebensgedanken zu dienen. Nur daß er diesen Lebensgedanken in bewußter Arbeit sich erringen muß, während die Pflanze, das Tier unbewußt den Lebens¬ gedanken verwirklichen, der in ihrer Organisation beschlossen liegt. So gleicht der Mensch einer ungemein kunstvoll gestalteten Ampel, auf der aber erst ein Feuer entfacht werden muß, wenn sie nicht ihre Bestimmung verfehlen soll. Denn der Mensch ohne klar erfaßtes Lebensziel ist eine wandelnde geistige Leiche — es gibt viele solche Leichen! Die Frage ist nur, worin eigentlich das Ziel bestehen soll, dem wir unser ganzes Leben nntcrordneu können? Besitz, Ehre, Macht, Lust, ein Familienglück, — das sind die Ziele, die den Menschen zumeist vor¬ schweben. Und doch ist das Leben eine Schule für jeden, die uns lehrt, daß alle diese Ziele — an nnd für sich — zuletzt des Lebens nicht 3 wert sind. -Es ist nicht draußen, da sucht es der Tor, es ist in dir, du bringst es ewig hervor,- sagt der Dichter. Und ein andrer: «Vor jedem steht ein Bild des, das er werden soll, solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.» Tiefer noch hat es der Kirchenvater gefaßt, wenn er sagt: «Du hast uns zu dir geschaffen und unser Herz ist unruhig in uns, bis daß es Ruhe gefunden hat in dir.» Unruhig wie die Magnetnadel, deren ruheloses Schwanken erst Ruhe findet, wenn sie den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht gefunden. Unser Ziel muß sein — in der Sprache unsrer Zeit gefaßt — die Herausgestaltung einer kraftvollen Persönlichkeit, die, ihrer selbst mächtig und vollbewußt, dem höchsten Daseinsgehalt sich erschließt. Nicht der Planke mehr zu gleichen, die von den Wellen hin und her geschleudert wird, sondern dem kundigen Piloten, der klaren Blickes sein Schifflein durch Wind und Wellen dem Ziele zusteuert. Aber indem wir das erfassen, erfahren wir doch auch, daß wir nichts sind für uns allein, sondern nur als Glieder einer Einheit. Nur als Glieder können wir gedeihen. So sagte der große griechische Weise schon mit Bezug auf die äußere Welt. «Der Mensch ist ein Gemeinschafts¬ wesen; wer nicht das Bedürfnis fühlt, mit seinesgleichen in Gemeinschaft zu leben, ist entweder ein Tier oder ein Gott: Freiheit liebt das Tier der Wüste, frei im Äther herrscht der Gott.» Als Menschen können wir nur in einem Reiche von Geistern das Ziel unseres Strebens finden. Ein Reich, das ist ja auch in Wahrheit das Ziel, nach dem die Menschen zuletzt immer am meisten trachten. So stellt die römische Kirche den Menschen ein weltumfassendes Reich voll Macht, gegründet auf Einheit, vor Augen, und Millionen sind bereit, für dies Reich ihr Leben einzusetzen, obgleich es die Menschen der Selbstbestimmung beraubt. So ist in unfern Tagen in Millionen von Herzen die Hoffnung ans einen sogenannten Zuknnftsstaat aufgeflammt, da alle Armen reich, alle Hungrigen satt, alle Elenden glücklich sein sollen. In unzählige verdunkelte Gemüter, die längst für jede christliche Verkündigung erstorben sind, hat diese Hoffnung Licht getragen. Und wenn dies Zukunftsbild auch blutrot koloriert ist, ent¬ sprechend dem Geschmack und dem Verständnis derer, für die es bestimmt ist so ist es doch im ganzen ein Beweis für die ungebrochene Gesundheit unsres Volkes; denn wo noch starke, willenskräftige Hoffnung ist, da ist auch Leben. Wenn erst einmal alles gesunde Leben der Volksseele ertötet wäre dann wäre auch diese Hoffnung erstorben. Und mag jene Hoffnung auch uoch so töricht sein, wahr ist sie doch gewiß darin, daß sie lehrt, im Ge¬ danken an die große Gemeinsamkeit aller Menschen, die alle Brüder sind das eigene kleine Los zu vergessen und daß nur durch Zusammenwirken 4 aller eine Wendung kommen kann. Wie irrig ist es freilich, zu meinen, die Verhältnisse müßten besser werden, damit die Menschen besser werden, während doch die Verhältnisse nichts sind als die Menschen in ihren gegenseitigen Beziehungen; zu meinen, von außen her müsse die Besserung kommen, während doch jeder entscheidende Umschwung von innen her kommen muß. Darin ist der andre Reichsgedanke tiefer, der die Herzen der Besten in allen Völkern erfüllt: der nationale Gedanke, der adlergleich von den napoleonischen Schlachtfeldern im Anfang des 19. Jahrhunderts sich emporgeschwungen hat, um die Verlass'nen, Heimatlosen mit der goldnen Schwinge zuzudecken; er richtet sich gleichfalls allezeit nnd allüberall auf ein Reich, ein Reich, gegründet auf das Baud der Blutsgemeinschaft. Und was besagt dieser völkische Gedanke in seiner vollen Reinheit anders, als das Innerste, Eigenste zu schirmen und zu wahren: die nationale Sprache, Sitte, Kultur wider alle feindlichen Gewalten! Darin fällt er zusammen mit dem religiösen Gedanken. Denn was ist Religion anderes, als die Wahrung und Verteidigung der von Gott ver¬ liehenen Eigenart wider alle verflachenden und verwüstenden Einwirkungen der umgebenden Welt? Darum ist auf der Welt nichts Höheres als der nationale Gedanke: «Der für seine Hausaltäre Kämpfend, ein Beschirmer, fiel, Ehret ihn das höchste Ziel» und -das teuerste der Bande wob der Trieb zum Vaterlande.- Gewiß, in taufenden von Herzen hat dieser Volksgedanke starke Kräfte der Selbst¬ losigkeit, der Reinheit, der Aufopferung wachgerufen, die alles Niedere und Selbstsüchtige verzehren, hat sie erlöst vom Ich, dem dunkeln Despoten, und ihnen damit das Verständnis erschließen helfen auch für die Religion. Denn allerdings bedarf der nationale Gedanke der Ergänzung. Wie oft hat der reine Nationalismus etwas Hohles, Unwahres an sich. Er behauptet, im Dienste der höchsten Ideale zu stehen, und erstrebt in Wahr¬ heit nur äußern Glanz und Schein. Man sucht den Gegner mit Gewalt und Geschrei niederzuringen, statt sich zu besinnen ans die starken Wurzeln völkischer Kraft, die doch nur liegen in der eigenen Leistung, um der Welt die Bedeutung des eigenen Volkstums zu offenbaren. Und wie ost paart sich mit den Reden höchster Begeisterung tiefste Gemeinheit der Gesinnung. Darum muß der nationale Gedanke, wenn er nicht entarten soll, sich vermählen mit dem religiösen Gedanken. Dieser hat seinen Sitz im Gemüt, im innersten Weben und Leben der Seele, aus dem Sprache, Sitte, Kultur erst ausstrahlen. Wenn dieser innerste Herd des Seelen- 5 lebens nicht durchglüht wird von höherem Feuer, so bleibt die Seele dennoch kalt und dunkel. So offenbart es auch die deutsche Geschichte. Der religiöse wie der nationale Gedanke entarteten und verkamen immer wieder, solange sie isoliert blieben. Nur in den Tagen der Reformation und der Befreiungskriege, wo beide Gedanken sich gegenseitig durchdrangen, traten sie kräftig und gesund hervor. Daraus folgt, daß der nationale Gedanke sich zuletzt auf ein höheres Reich richten muß als jenes ist, das auf Fleisch und Blut sich gründet. «Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben.» Wohl wächst dieses höchste Reich — wie alles in Gottes Schöpfung — wachstümlich, organisch aus den Zellen der Familien-, der Volks-, der Landesgemeinschaft hervor, aber dem schattenden Baume gleich reckt es die Äste doch auch empor in die Bläue des Himmels, es ist ein Reich, an dem alle Völker Anteil haben sollen. Und jeder wahrhaft national, völkisch Gesinnte muß zuletzt lernen, sein eigen Volk als Werkzeug, als Organ für das höchste Ziel des Geistcsreiches anzusehen, das sich nicht mehr auf der Blutsgemeinschaft, sondern auf der Geistesgemeinschaft aufbaut. Und wie man den edeln Volkskaiser Josef II. den Schätzer der Menschheit genannt hat, so sollen auch wir alle Schätzer der Menschheit werden, denen das höchste Ziel des Strebens wird die Bitte: «Dein Reich komme!» II. Daß dies Zukunftsreich aber das höchste Ziel der Zukunft werden kann, liegt darin begründet, daß es auch sicherer Besitz der Gegenwart ist, aus dessen Dasein wir die Hoffnung auf die Zukunft erst schöpfen. Darum klang es vor 1900 Jahren: -Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.- Gekommen war es im Heiland. Er hat es uns ja ge¬ lehrt, wie es kommt; nicht vor allem in äußern Herrlichkeiten und Macht¬ erweisen, sondern indem Gottes Wille geschieht. Und in Jesus geschah Gottes Wille. «Deinen Willen, o Gott, tue ich gerne und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen,» dies Wort war in ihm lebendige Wirk¬ lichkeit. Darum war in seiner Seele die Einheit zwischen Gott und Mensch, darum erschien in ihm der Anbruch des Reiches Gottes. Da hatte der Himmel die Erde geküßt, weil, wenn auch in unendlich kleinem Raume, Gottes Wille in ihm, dem wahrhaft gottgeistigen Menschen, geschah. Das Reich Gottes war da, noch verhüllt und verschlossen in der Seele eines Einzelnen, aber doch wahrhaft wirksam und kraftvoll gegen¬ wärtig. Es war noch in Knospengestalt, aber gerade die Knospe muß ja 6 jeden fühlenden Menschen besonders entzücken, weil sie das kommende Leben der vollentfalteten Blüte wie in einem duftigen Geheimnis ahnen und zum Teil schon schauen läßt. Mit solchem ahnungsvollen Weben umfängt uns die taufrische erste Morgenstunde eines Sonnentages oder das erste Erwachen des keimenden Frühlings oder ein strahlendes Kinder¬ auge. Sie alle zeigen uns Leben in quellsrischer Reinheit und lauterer Ursprünglichkeit. Ein gleicher unendlicher Zauber liegt auch auf den Frühlingstagen in Galiläa, da Jesus in ungebrochenem Vertrauen den Menschen verkündete: «Das Reich Gottes ist mitten unter euch.» Und nirgends ist dieser Zauber ergreifender festgehalten, als in den Selig¬ preisungen der Bergpredigt. Hier ist ausgesprochen das volle Gefühl der menschlichen Endlichkeit,Bedürftigkeit, Schwäche, Niedrigkeit und doch zugleich die überschwengliche Beseligung, die jedem zuteil wird, der sich in tiefer Sehnsucht dieser Beseligung erschließt. Das ist die Überwindung aller- irdischen Gegensätze in der Einigung mit Gott, im Bewußtsein der echten Geisteswürde. Das ist das Reich Gottes aus Erden, wenn auch äußerlich gering und verborgen wie der verborgene Schatz im Acker oder die Perle im Meeresschoße. Und wie es einst kam in Jesns, so kommt es noch heute überall da, wo Gottes Wille geschieht. Wo immer ein Mensch in den kümmer¬ lichsten Verhältnissen sich hindurchringt, Gottes Willen zu tun mit der letzten Kraft, und ob das Herz auch bricht, mag die äußere Lage noch so trostlos und verzweifelt sein, da ist Gottes Reich. Wie ost werden wir fast unerträgliche Verhältnisse und Menschen nicht ändern können, was wir aber können und sollen, das hat jenes arme Hugenottenweib, das gefangen saß in der Tour de la Constance in Aigues-mortes in Südfrankreich mit unorthographischer Schrift in den Boden eingekritzelt: «UösisiW». Haltet Stand! Haltet Stand, solange es der schwachen Kraft noch möglich ist, kämpfet ritterlich an gegen die Verhältnisse, die euch erdrücken wollen, und verkauft euch nicht und laßt euch nicht entehren. Und wenn ihr so den Willen eures Gottes tut, werdet ihr die Wahrheit des Wortes erfahren: «Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.- Die Geschichte lehrt es ja auf allen Blättern, daß solche Völker, die für ihre innere oder äußere Freiheit und Selbständigkeit die größten materiellen Opfer gebracht haben, ja dadurch bis an den Untergang herangeführt wurden, zuletzt, auch materiell betrachtet, in glänzendem Aufstieg die Güter der Kultur gewannen, während die Völker, die sich stumpf und gedankenlos dem Tyrannenjoch um ihrer materiellen Wohlfahrt willen beugten, auch materiell verfaulten und verkamen. «Das Reich, da Fried' 7 und Freude lacht,» es hält nur da seinen Einzug auch äußerlich, wo der Wille Gottes geschieht, aber da zieht es auch gewiß ein früher oder später, das lehrt uns die Geschichte der Völker wie die Geschichte der einzelnen Menschen. «Dein Reich komme!» Stürmische Bewegung geht in diesen Tagen durch die Welt. Im fernsten Osten stieg das Banner der roten aus¬ gehenden Sonne empor und die beiden alten Kaiserreiche Europas sind in gewaltiger Gärung. Eine neue Verfassung, ein neues Wahlrecht, damit soll die kranke Zeit geheilt werden. Einige Änderung der Gesetze, und man hofft auch die Menschen dadurch anders zu machen. Ach, wenn es in ganz besonderem Sinne sich jetzt bewahrheitet: «Es reden und träumen die Menschen viel von besseren künftigen Tagen, nach einem glücklichen goldenen Ziel sieht man sie rennen und jagen,- so erfüllt sich auch das andere: «Das Rechte, das Gute führt ewig Streit, nie wird der Feind ihm erliegen.» Das wahre Reich, «es ist nicht draußen, da sucht es der Tor, es ist in dir, du bringst es ewig hervor.» Denn es ist und bleibt ein Reich des Herrn der Geister, ein Gottesreich. Dies sei das ewige Ziel unseres Strebens und doch auch der sichere Besitz unseres Glaubens, den niemand uns entreißen kann: «Das Reich muß uns doch bleiben!» Amen. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach. — Druck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach. 8 SSSSSSS2S1S Kf^iruica