D r. Julius K n gy Aus dem Leben eines Bergsteigers D r. Julius Kugy Aus dem Leben eines Bergsteigers 19 2 5 Bergverlag Rudolf Rother / München Dieses Buch wurde von R. Kiesel in Salzburg gedruckt Copyright by Bergverlag Rudolf Rother München 1925 6 861 h XVI D e m Andenken meines lieben Vaters Inhaltsangabe Vorwort............................................... Kapitel I Bergfrühling..................................... Kapitel II Scabiosa Trenta................................. Kapitel III Die Iulischen Alpen ...... Kapitel IV 3n den Dolomiten, den Clautaner- und den Karnischen Alpen............................... Kapitel V In Eis und Schnee................................ Kapitel VI Erinnerungen aus dem Dauphine. Der Pic Gaspard (3882 m)............................... Kapitel VII In Memoriam (Joseph Croux f) . Kapitel VIII In den Boralpen............................... Anhang, Literalur-Berzeichnis.............................. Seife IX 3 25 39 193 209 299 313 321 339 Vorwort dieses Buch ist im Zeiträume von Weihnachten 1916 bis Neujahr 1917/1918 entstanden. Meine Freunde waren der Meinung, daß nicht alles mit mir sterben dürfe, was ich über die Jütischen Alpen zu sagen hakte. Aufzeichnungen standen mir Keine zur Verfügung. Als aber der Anfang gemacht war, schien es mir, als schreibe ich wie unter einem Diktat weiter. So wohlgeordnet und tief eingegraben sind die Erinnerungen aus meinem Bergleben in meiner Seele gestanden. Spätere alpine Vorkommnisse sind nur in einigen wenigen Ausnahmsfällen ausgenommen. Meine hochatpine Tätigkeit schließt mit dem Jahre 1918 ab. über das Wesen des Bergsteigens habe ich in meinem Leben nicht viel nachgedacht. Abhandlungen über Berechtigung des Bergsportes, über Gehen mit Führern und führerloses Gehen, philosophische Betrachtungen über den Alpinismus und dergleichen haben mich nie recht interessiert. Die „Leistung", die Art, wie der arme sterbliche Mensch es macht, um zu den Bergen zu gelangen, den unendlich Reichen, den Ansterblichen, den Ewigen, erschien mir immer mehr nebensächlich. Frägt man mich, wie der Bergsteiger sein soll, so möchte ich sagen, er müsse wahrhaft sein, vornehm und bescheiden. Das Wort „Bergsport" hat mir immer etwas weh getan. Es deutet mir zu sehr auf Oberflächlichkeit. Man suche nicht das Klettergerüste des Berges, man suche seine Seele. Mein Buch ist kein Sportbuch. Es ist auch kein Führer und kein Wegweiser. Es trachtet die Berge in der beglückenden Rolle zu schildern, die sie in meinem Leben gespielt haben. Es ist ein Dank. Es möchte ein Hohes Lied sein, gesungen zum Ruhme und Preise -er Berge! Bei mir war das Bergsteigen eine Herzenssache. Es war wie ein Ruf an mich ergangen und ich bin chm gefolgt. Ich konnte nicht anders. Mehr habe ich darüber nicht zu sagen. Es ist ja ohnehin alles, was darauf Bezug hat, in diesem Buche niedergelegt. Noch rufen mich die Berge. Ich höre ihren Ruf im Wachen und in sehnsuchtsvollen Träumen. Aber nun sende ich an meiner Statt meine herrliche Jugend. In heller Begeisterung und in wundervoller Anhänglichkeit an mich trägt sie meine alte Fahne zu ihnen hin.------- Sehr wertvolle Dienste hat Fräulein Irma Trevani-Wien dem Werke erwiesen. Sie ruhte nicht» bevor es nicht begonnen war, sie hat, nie rastend, darauf gesehen, daß es richtig zu Ende geführt werde. Manche Lücke, die ich gelaffen hatte, wurde über ihre Anregung aus-gefüllt. Gar manches verdankt seine Entstehung ihren Wünschen und ihren Erwartungen. Ich sage ihr dafür an dieser Stelle meinen innigen Dank. Dann danke ich in herzlichster Weise allen denen, die zu den Absichten und Stimmungen des Buches Lichtbilder erstellt haben. Denn ein richtiges Bild hat für mich immer mehr gezählt als tausend gedruckte Worte. Auf das allzufrühe Grab Josef Klauers lege ich einen immergrünen Lorbeerzweig. Was ich in früheren Aufsähen beschrieben habe, wird hier nicht nochmals geschildert. Es kommt aber alles in der fortlaufenden Erzählung vor und die betreffenden Auffähe sind überall angemerkt. Ich wollte Wiederholungen vermeiden und das Buch nicht zu sehr mit Details überladen, die an anderen Orlen leicht aufzufinden sind. Es lag in meiner besonderen Absicht, zwei meinem Herzen überaus teuren Männern, die schon lange nicht mehr sind, bescheidene Denkmale zu sehen. Es sollen Persönlichkeit, Leben und Taten des Andreas Komac wie ein goldener Faden durch die Iuliererzählungen ziehen und die herrlichen Mannes- und Führereigenschaften des Joseph Croux im Glanze von Eis und Schnee dauernd erstrahlen. Sollte mir dies nach meinen Wünschen gelungen sein, so ist damit ein kleiner Teil der Dankesschuld getilgt, die ich diesen beiden unvergleichlichen Männern gegenüber in mir sühle. Das Buch möchte vornehmlich zur Jugend sprechen. Vielleicht findet es durch eine neue Zeit den Weg zu ihr. Vielleicht sagt mir ein junges Herz ein freundliches „Danke". Dann will ich froh und zufrieden sein. Triest, August 1924. Dr. Julius Kugy. Kapitel I Bergfrühling Allein Bergsteigen wurzelt in der Liebe zur Natur. Als der Zug zu den Höhen in mir immer unwiderstehlicher wurde, frug mein Baler oft, woher der Bub das wohl habe. Der Anfang war von ihm. Er hat zuerst dem aufhorchenden Knaben von der Zauberschönheit der Berge erzählt. Dort oben sei die Luft so scharf und rein und die Sonne so hell, der Rasen sei kurz und dicht, die Blumen seien groß und von leuchtenderen Farben» und überall atme der Boden würzigen Duft. Es waren oft nur wenige Worte von -er Pracht des Sonnenaufgangs, von den Herden auf den Almen, vom Leben der Hirten, von Gemsen, Wildschützen und abenteuerlichen Begegnungen mit Bären, dann wieder von der Einsamkeit und Stille auf den Bergen und von der weilen Schau ins Land. Das war die erste Saat. Sie blühte in meinem Herzen auf, euch entgegen, o ihr schönen Berge! Zu Weihnachten erhielt ich einmal in jener Knabenzeit ein Buch, das mich besonders festelte und erregte. Es war aus Otto Spamers Verlag, an seinen Titel kann ich mich nicht mehr erinnern1), auch seinen literarischen Wert kann ich nicht mehr beurteilen. Es erzählte vom bayrischen Hochland, vom Herzogenfiand, vom Leben und Treiben in den Bergen, ans den Almen, in den Tiefen der Klammen, vom Wurzelgräber, vom Gaisbuben, von den Wetterfichten hoch an der obersten Waldwehr und von den zu Tal donnernden Lawinen. Das ganze Büchlein ein heller Lockruf in die Berge! Ich habe es damals so oft gelesen, und seine einfachen Schilderungen haben so tief in meine Seele gegriffen, daß ich mich noch heute deutlich der Stimmungen und der Sehnsucht erinnere, die es in mir erweckte. Heule noch, nach weit über fünfzig Jahren, zieht es wie fernes Klingen des Bergfrühlings durch mein Herz, denke ich an jenes einfache Büchlein zurück. Ich erinnere mich ganz genau des Augenblickes, da ich zuerst den Namen „Zulische Alpen" hörte. Ich frug meinen Instruktor, was das für Berge seien, die man an klaren Tagen über dem Meere aufsteigen sah. Er nannte die Venezianischen und die Zulischen Alpen. Meine *) Ich habe es nachträglich wieder gefunden: H. Wagner „Entdeckungsreisen in der Heimat. I. Eine Alpenreise", Vertag Otto Spamer, Leipzig. Bergfrühling Sehnsucht bekam damit eine bestimmte Richtung: Die Jütischen! Schon im Namen lag für mich ein Versprechen und eine Verheißung, ich weiß nicht warum. Wenn sie mir auf den Höhen des Karstes erschienen, im farbigen Abglanz des nahen Meeres, vom Licht der südlichen Sonne überflutet, so feierlich ruhig, so unerreichbar weil, umfaßte ich sie mit aller Kraft und mit allen Träumen meiner jungen Seele. And wie es damals war, so ist es bis heute geblieben. Kein Zwang des Augenblicks, kein Wandel der Zeilen, keine Not des Lebens kann solche Eindrücke je verwischen. So viel ich an Bergen gesehen habe, nichts kommt in meinem Herzen den Jütischen gleich. Die Träume der Zugendzeit haben dort die Heimat meiner Seele geschaffen. Von der zweiten Gymnasialklasse an begann ich mich stark der Botanik zu widmen. Ich durchstreifte den Triester Karst, kam zu seinen Waldinseln, in seine Dolmen, und verbrachte viele Nachmittage an seinen der Stadt zugekehrten Hängen. Allgemach erschloß er mir seine herbe Schönheit und nahm mich mit seiner wunderbaren Stimmung leise gefangen. Wie schön ist seine Flora! Ich holte die feinen Seidenblüten des Crocus biflorus aus den Steinwüsten bei Gabrovica, die prachtvollen, blaßlila bis tiefvioletten Riesenkelche des Crocus vernus grandiflorus aus den Dolinen vor Komen. Bon den meerbeherrschenden weißen Randfelsen bei Contovello, wo ich später meine Kletterschule ersah, die gewaltige Euphorbia Wulfen», vom Fuße des Nanos die zierliche Viola pinnata, aus den Runsen seiner Steilnase die in stiller Innerlichkeit lind und mild blühende Scabiosa graminifolia. Von den Mündungen der unergründlichen Taubenlöcher bei Nabresina holte ich keck die üppig niederhängenden Farne, stieg Aurikeln sammelnd hinab in den ungeheuren Felsenkeflel der Draga von Orlek und in die unvergleichlichen Klammen und Schluchten bei San Kanzian, wo die Reka zu ihrem geheimnisvollen unterirdischen Lauf im Karstinnern verschwindet. Kam zum gleich einem Zuwel funkelnden Lilium carniolicum im hohen Wald-sattel des Monte Kokuš, zur prunkvollen Paeonia peregrina, zu den weißen Sternenrosen des Cistus salvifolius an den heißen Sonnenhängen des Terstenik, zur seltsamen Siedlung der Pedicularis Friderici Augusti, die sich mit langen Fangwurzeln auf der Gipfelkuppe des Slavnik eingekrallt hat. Stand entzückt vor dem vielgestaltigen, farbigen Reichtum der Orchideenflora ob Roiano und im Lipizanerwalde, vor der grotesken, dunklen Abenteurergestalt des Limodorum abortivum, der wehenden Blütenherrlichkeit des Himantoglossum hircinum, vor der gelben und der brandroten Orchis sambucina, der ragenden Orchis mascula und der stolzen, königlichen Orchis fusca. Schritt immer wieder über die duftenden Rarziffenwiesen am Monte Spaccato, sah auf den lenzfrohen Karfifluren den lieben Frühlingsenzian zu weikausgreifenden Ornamenten, Säumen und Inseln sich scharen und in kraftvoller Farbe wirken, gleich den leuchtendblauen Feldern im kostbaren Perserteppich. So begann ich den Karst und die Karstflora zu beherrschen. Bald kannte ich deren Fundstellen so genau, daß die Großen mich Mitnahmen. Richard Kühnau, ein langjähriger Buchhalter unseres Kaufmannshauses, hatte es übernommen, meine botanischen wie meine musikalischen Neigungen zu leiten. Er hatte mich mit botanischen Werken und mit einer Auswahl von Bestimmungsbüchern versehen und mich Rudolf Baumbach zugeführt, der damals in Triest wirkte. Lustig war mein erstes Zusammentreffen mit Baumbach. Ich stand bei Kühnau und einigen anderen Herren schlag 7 Uhr früh vor einem Kaffeehaus zum Aufbruch auf den Karst bereit. „Baumbach fehlt noch", hieß es. „Zulius", sagte Kühnau zu mir, „du springst Bia Baldirivo, Nummer soundso, ersten Stock, dort wohnt ein gewisser Baumbach. Du dringst ein, läßt dich nicht abweisen und bringst ihn her." Ich lief, drang ein und fand Baumbach im Bette. Er machte Ausflüchte. Aber ich hatte meinen Auftrag, ließ nichts gelten, und brachte ihn so rasch her, daß Kühnau, als er den Hergang vernahm, mir sagte: „Julius, du bist ein Teufelskerl." Lieb und bescheiden stand Baumbach da und lächelte still dazu. Bon da ab war ich fast jeden Frühlings- und Sommersonntag botanisierend in Baumbachs Gesellschaft. Ich sah die ersten Gedichte seines „Enzian" entstehen und vernahm im Lipizaner Wald die ersten Ansätze zu seinem herrlichen Bergepos Zlatorog. Oft verwetten meine Gedanken bei jener Zeit. Die Pfingstrosen glühten, Amseln und Nachtigallen sangen. Baumbachs freundliches braunes Auge ruhte wohlwollend auf mir und halb verstand, halb ahnte ich, daß da ein gott-gesegneter Dichter seinen edlen Flug beginne. Durch meinen Baler und durch Richard Kühnau kam ich manchmal in die Gesellschaft, aus welcher sich später die Sektion Küstenland des Deutschen und österreichischen Alpenvereins entwickelt hat. Da wurde von Gemsen und Gemsjagd erzählt, von „Hahnen" und Hahnenjagd, und die Bretherwände ragten steil und hell in die Gespräche herein. Ich lauschte, wie ein vor Sehnsucht brennendes Knabenherz nur lauschen kann. Doch war es nicht die Jagd auf das Edelwild der Alpen, die meine Aufmerksamkeit so fesselte, ich bin auch später nie Jäger geworden, obwohl ich im Berlaufe der Zeiten von so vielen Jägern und Wildschützen umgeben war. Gemse und Hahn sind mir immer mehr nur Sinnbild und lebendige Verkörperung von Alpennatur und Bergeszauber gewesen. Es war die Bergwelk, die durch diese ihre vornehmsten Zierden zu mir sprach. Sie stand vor mir und lockte und rief, farbig und abenteuervoll! An solchen Abenden kam ich nach Hause, als trüge ich ein Ahnen künftigen großen Glückes in mir. Ich war wie trunken von seligen Geheimnissen. Das fortgesetzte Schwänzen der obligaten Gymnasial-Sonnlagsmesse brachte mich allerdings in Konflikte mit dem Gymnasialkatecheten und bedrohte meine Siltennote. Aber der Professor der Naturwissenschaften, Acurti, der gleichfalls Weltpriester war, hielt seine schützende Hand über mich und verhalf mir zu einer geduldeten Ausnahmsstellung. Bald kam zwischen Baumbach und mir ein Abkommen zustande, das sehr zu meinem Borteil lag. Ich sollte ihm sämtliche Orchideen unseres Karstes liefern, dafür konnte ich wählen, welche Rariora und Rarissima der deutschen Flora ich wünschte. Ich betrieb damals zur Bereicherung meines Herbariums auch einen schwunghaften Tauschhandel in gepreßten Pflanzen mit Österreich und Deutschland» speziell mit Bruneck, Regensburg und Rostock. Einige dieser Verbindungen verdankte ich Baumbach. Einmal hatte ich es sogar übernommen, hundert vollständige Exemplare der Paeonia peregrina abzuliefern, eine erstaunliche Arbeit, die ich kaum zu bewältigen vermochte, ohne die Gymnasialstvdien arg zu schädigen. Meinen Pakt mit Baumbach erfüllte ich mit Feuereifer und bald hatte ich eine neue Orchis gefunden, die niemand kannte und die, da ich selbst dazu keine Autorität besaß, der Nestor unserer damaligen Botaniker, Muzins von Tommasini, beschrieb und taufte?). Kühnau strahlte ob meines Erfolges. Bei Frecheren von Czörnig sah ich den ersten Eispickel. Er war von gewaltiger Art und wog bestimmt seine fünf Kilogramm. Czörnig lieh mir auch das erste hochalpine Buch, Whympers klassisches Werk über das Matterhorn, das wie ein Feuerbrand durch meine Seele fuhr. Tommasini war durch die Orchis auf mich aufmerksam geworden und er wies mir bald größere Ziele. Er nahm mich nach Idria mit, wo ich den Jelenk (1108 m) bestieg, um die Primula venusta zu holen, und dann am Wilden See Bchern einfing und Primula carniolica sammelte. Später sandte er mich nach Istrien zum Standort) des Viscum Oxycedri (auf Juniperus Oxycedrus und communis), dann auf den Krainer Schneeberg (1796 m), wo ich jammervoll Schiffbruch erlitt, da ich mich mit einem wegunkundigen Führer in den Wäldern verirrte, die Spitze nicht erreichte, wohl Edrajanthus Kitaibelii und Scabiosa graminifolia, nicht jedoch das seltene Cirsium pauciflorum fand, dagegen allerdings ein romantisches erstes Biwak im Walde erlebte und eine nicht ’) Orchis provincialis — maculata. Tomm. im Tal von Roiano 1873. 3) Bei Pirano, eine Karstschluchl bei Pnzzole und Larcauzze. ungefährliche Begegnung mit wilden Wolfshunden halte. Es folgten größer angelegte botanische Exkursionen auf den Klek (1182 m) bei Ogulin und auf die Bjelolasica 1533 m (Große Kapelah, und zum Schluffe verdankte ich Tommasini die Anregung, von der ich später erzählen werde. 3n seinem Hause hatte ich Botaniker von Ruf kennen gelernt, darunter Carl von Marchesetti, den späteren Bearbeiter der Triester Karstflora, auch der berühmte Burton, damals englischer Konsul in Triest, war immer da, an welchem mich naiven Gymnasiasten ein vernarbter Lanzenstich in der Wange allerdings am meisten interessierte. Kühnaus Tod hat den ersten großen Schmerz meines Lebens bedeutet. Er holte sich die Todeskrankheit auf einem gemeinsamen Ausflug nach Ospo, zum Standort der Digitalis ferruginea. Zu Peter und Paul 1874. Sein schwer belastetes Herz konnte nicht widerstehen. Ich trauerte sehr um ihn. Wie tief empfunden ist der ihm geltende letzte Gruß Baumbachs, den „Wermuth" im Festgedicht zur Eröffnung -es Krainer-Schneeberg-Haufes spricht: „Es ist kein Freudenkelch so rein, Ein Wermuthstropfen fällt hinein; Er bleibt euch nicht geschenkel." „Des stillen Mannes nicht vergeßt. Der fehlt bei eurem Freudenfest, In Liebe sein gedenket." „Der Blumen habt ihr viel gepflückt. Und festlich seh' ich euch geschmückt Mil Sträußen auf den Hüten." „Geht, pflückt noch eine Handvoll ab, Legt sie dem Freunde auf das Grab, Dem Freund der Berg' und Blüten!" So war ich emporgekommen und galt schon etwas. Man rühmte meine Unermüdlichkeit, meine Ausdauer und meine Klettertuchtigkeit. Aber eines fehlte mir. Ein Mann, der mir die Hand gereicht und mir gesagt hätte: „Komm' mit in die Berge, ich will dein Lehrer sein!" Ein Starker, dem ich mich mit aller Kraft und mit aller Treue meines unverdorbenen, sehnsuchtgeschwellten Herzens hätte anschlietzen und hingeben können. Ein solcher Mann ist mir nie erschienen, ich muhte alles aus mir selbst schöpfen, aus eigener Beobachtung lernen und ans ') Literatur: Škofih „öff. Bot. Z." 1877, 62 und 93: „Botanische Exkursion in die füdkroatischen Berge." Fehlern und ihren oft gefährlichen Folgen klug werden. Lehrmeister in der Technik der Berge habe ich erst viel später mir selbst gesucht und gefunden. Ich war damals mit meiner Bergsehnsucht ganz isoliert, sie wurde nicht verstanden. Es waren andere Zeiten^). Was heute als Erziehungsbehelf und als Mittel zur Charakterbildung gilt, das war damals Schrulle und Narretei. Man erblickte darin das llben einer brotlosen Kunst, Eitelkeit und Sucht nach Glorie. Wie ganz anders ist das heute, wie leicht ist es der jetzigen Jugend gemacht. Es lag schwer auf mir und hielt mich lange nieder. Ich habe es mir wohl gemerkt. Sah ich später einen Jungen, -er wünschte, hoffte, träumte, aber nicht recht konnte, so bin ich sofort zu chm getreten und habe ihm meine Hand hingehalten: Geh mit mir, schau hin, dort sind die Berge! Es kommt vielleicht daher, daß ich noch immer von so viel lieber Zugend umgeben bin, und daß sie mich so gerne hat. Oder soll auch etwas schlaue Berechnung meinerseits dabei gewesen sein? Denn das muh ich doch gleich sagen: Schlechte Geschäfte habe ich damit nicht gemacht, und was ich gab, das habe ich bisher mit Wucher und Zinsen reichlich zurückerhalten! In den ersten 1870er Zähren ward mir ein sehnlicher Wunsch erfüllt, ich stand bei Sonnenaufgang auf der Spitze des Dobratsch (2167 m). Ich war mit meinem Bruder Paul und mit Freunden von Bleiberg aus hinaufgekommen. Das Wetter war herrlich. In rosigen Morgenlichtern stand die ganze gewaltige Nordfront der Zulischen vor mir. Gipfel an Gipfel wie Gottes Flammen. Ich sah zum ersten Mal den Montasch, besten wilde Türme mich besonders fesselten. Ich ahnte damals nicht, daß dieser Berg, der sich am westlichsten Flügel wie ein riesiger Drache emporbäumte, und in besten Mauern ich vergeblich nach Anstiegs-Möglichkeiten suchte, mich durch mein ganzes Leben begleiten werde. Wir verbrachten damals die Ferien in dem Heimatdorfe meines Balers, in Lind bei Arnoldstein. Das ganz kleine Dörflein — es sind nur wenige Bauernhäuser — liegt sehr lieb und ungemein bescheiden auf einer kleinen grünen Erdwelle abseits der Reichsstraße. Es ist von Bäumen halb verdeckt und man könnte es leicht übersehen, würde nicht ein kleines, spitzes Holztürmlein neben einem winzigen Kirchlein schüchtern und leise sagen: „Bitte, ich bin hier, mit einem ganz kleinen Dorf." Das Türmlein kann auch läuten. Mit zwei Glocken, einer höheren und einer höchsten. Auch ein kleines Echo ist da, das freundlich 6) 3d> bin 1858 geboren» war 1868—1876 am Triester Gymnasium, 1876—1881 an der Wiener Universität» wurde 1882 zum Doktor der Rechte promoviert. Schon 1883 wurde ich nach dem plötzlichen Tode meines Bakers allzu früh Chef unseres Aauf-mannshauses. Zu Seite 8 Das Kirchlein von Lind bei Arnoldstein 91. Krctschmann (Atelier Luise>-Villach vom Waldhang antwortet. Man ist manchmal geneigt, unbescheiden zu werden und vom Leben zu viel zu verlangen. Da ist es gut, an so ein in Armut und Bescheidenheit zufriedenes Holztärmlein zurückdenken zu können, das Erinnerung und Abendsonne verklären! Bevor die Rudolfsbahn gebaut war, fuhren wir von Laibach im Wagen dahin. Ich sah die Oberkrainer Ebene, Beides und den Triglav. Dann kamen wir ins obere Savetal, die Iulischen rückten näher heran, und aus den Quertälern, die sich hinter den vorspringenden Kulissen überraschend öffneten, schauten 'chre schönen großen Felshäupter herab, deren Namen ich noch nicht kannte. In Kronau hielten wir einmal Mittagsstation und gingen ein Stück in das Pisencalal hinein. Aus den weißen Schuttfirömen blühten Aquilegia pyrenaica und Astrantia carniolica. Alles lag in weißem Licht. Man sagte mir, daß hinter den Bergen die Trenta liege, und meine Phantasie stürmte hinauf zur breiten Pforte des Mojstrovkapasies, der den Übergang vermittelt, und sah tief zwischen himmelhohen Bergen in wunderbarem Glanz von Poesie und Romantik das sagenhafte Tal. Bor Prisang und Razor stand ich lange mit Schauern der Ehrfurcht. Oft reisten wir dann von Lind weiter ins Kärntnerische hinein. Mein Bater und der Freund seiner Jugendzeit, August von Rainer zu Harbach, der sich «ns gewöhnlich anschloß, liebten ihr Land und wir drangen tief in seine Täler. Einmal nahmen wir die Rückreise mit dem Magen über den Predil. Ich kam zum Raibler See, zum berühmten Denkmal mit dem sterbenden Löwen, hörte von Kärntens Franzosenzeit und sah Manhart, Zalouc und Bretherwand in chrer gewaltigen Größe. Dann ging es tief hinab nach Flitsch und zum grünen Isonzo"). Später zogen wir über den Sommer nach Bad Sankt Leonhard ob Himmelberg bei Feldkirchen, das mitten in Nadelwäldern in Almhöhe liegt, und wo der berühmte Wannerwirt unumschränkt herrschte. Dankbare Erinnerung zog uns immer wieder hin, weil sich mein Vater 1874 nach langer, schwerer Nervenkrankheit dort seine Gesundheit und seine alte Lebenskraft wieder geholt hatte. Dort ist er auch 1883 plötzlich im Walde gestorben. In den letzten Jahren hat ihm in jenem stillen Hochwinkel oft Baumbach Gesellschaft geleistet. Aus jener Zeit stammen zwei ungedruckte Gedichte Baumbachs, die sich nebst vielen anderen Gelegenheitsgedichten in unserem Besitze befinden. Ich bringe sie hier, obwohl ich befürchte, daß heute nicht viele mehr leben, die sich jener klassischen Zeit Sankt Leonhards erinnern: ”) Es ist noch immer meine Meinung, daß der Isonzo der schönste Fluß Europas fei. Märe ich Maler» so wollte ich der Maler der Jütischen Alpenwässer sein. Bergfrühling I. i8. 3»« Keine Fliegen, kühle Lvft, Grober Wirk und Tannendust, Pflaumen, Kälbernes und Kohl — O wie wird mir da so wohl! 1880. Kalkes Wasser, Skeirer Wein, Raten Sie, wo werd' ich sein! Blaue Berge, grüner Wald — Wer da Zeit hat, komme bald! R. B. II. 25. Juli 1880. Kennst Du das Bad, wo kühl die Bergluft weht. Wo sich ein Ochs als Wetterfahne dreht. Wo kalt das Wasser aus dem Boden quillt, Wo man verehrt St. Leonardi Bild? Kennst Du es wohl? Dahin, dahin, O Kugy, wolle aus Triest entflieh»! Kennst Du die Glocke, die zur Tafel lädt, Darauf beim Kälbernen die Pflaume steht. Wo Angarwein in Kelchen rötlich strahlt. An- wo die Mehlspeis extra wird bezahlt? Kennst Du den Ort? Dahin, dahin, O Kugy, wolle aus Triest entfliehn! Kennst Du aus Schwabenland den wack'ren Mann, Der in dem Bad gebietet als Tyrann, Den Mann, vor dessen stiller Majestät Der Gast an jedem Morgen zahlend steht? Kennst Du chn wohl? Dahin, dahin, O Kugy, wolle aus Triest entfliehn! Sag' Lebewohl der Hausfrau und der Sippe, Hier oben kennt man nicht die leid'ge Grippe. Den Koffer packe und das Bündel schnüre! Es harret Deiner an des Bades Türe Der Freunde Zahl, voran Herr Detrosin^): Auf Kugy, wolle schleunigst zu uns fliehn! A. B. 7) Deirosin hieß ein Verwandter meiner Mutter, der oben treuer Stammgast war. Die Gedichte find geschrieben» weil mein Vater sich damals, von Arbeit überhäuft schwer zur Abreise entschließen konnte. Dem zweiten Gedicht widerstand er nicht mehr, er reiste sofort ab. Als die ganze Familie über den Sommer auszufliegen begann, wählten wir zuerst Pöckau bei Arnoldstein, dann Millstatt zum Ferienaufenthalt. In Millstatt sah ich zum ersten Mal die sympathische Hünengestalt Ottokar Chiaris, kurz nachdem er mit Professor Dürr die zweite Ersteigung des Montasch durchgeführt hatte, und schloß enge Freundschaft mit Felix und Oskar von Luschan, in späteren Jahren mit Otto und Emil Zsigmondy. Ich botanisierte auf den umliegenden Höhen und atmete viel kärntnerische Almenluft. So ist es gekommen, daß ich, obwohl Triestiner nach Geburt, Erziehung und langer Lebensarbeit, doch niemals vergessen habe, daß ich ein Kärnlnersohn bin. In Lind trat ich stramm mit den Knechten zur Feldarbeit an, und ich glaube, ich wäre ein guter Bauer geworden. Es schien mir später oft, daß mir der besser gelegen war als der trockene Jurist. Botanisierend durchstreifte ich dann wieder Feld und Wald der Umgebung, durchstieg alle Gräben, wanderte auch oft zur Höhe des Wurzenerpaffes hinauf, um bewundernd und staunend zu den Zulischen hinüberzuschauen. Roch erschienen sie mir unerreichbar, und ich stand oft fassungs- und auch hoffnungslos vor ihrer schreckhaften Größe und Wildheit. Zunächst reifte ein anderer, leichter durchführbarer Plan in mir. Ich halte in den Südwänden des Dobratsch zweierlei zu ergründen. Erstens hatte mir mein Baker erzählt, es sei oben am Abbruch der roten Wände oberhalb Schütt eine Ecke, wo man den Hut in den Abgrund hinunker-werfen könne, jedesmal bringe ihn der Gegenwind wieder zurück. Einmal allerdings habe ein Bauer seinen Hut hinabgeworfen und er warte noch heute auf dessen Rückkehr. Zweitens hatte mein Baker mir erzählt, es ziehe durch die großen Arnoldsteiner Südwände über kiesen Abgründen ein langes, schmales Band, da seien sich einmal ein Jäger und ein Bär begegnet, und da keiner von den beiden ausweichen konnte, seien sie lange dagestanden und hätten einander angeblickt. Schließlich sei der Bär als der Gescheitere umgekehrt und der Zäger habe vom Schreck geschüttelt sich selbst und seine Geschichte nur mit schwerer Mühe ins Tal heruntergebracht. Ecke, Band und Arnoldsteiner Wände, das war etwas für mich! Ich berechnete, daß ich alles an einem Tage besorgen könne, und eines Morgens 5 Uhr früh ging ich heimlich los. Über Schütt stieg ich an. Rechts vom großen viereckigen Wandausbruch, der weithin sichtbar ist. Ich erinnere mich, daß es streckenweise außerordentlich steil war. Als ich oben war, trat ich wiederholt bei geeigneten Ecken an den Rand der roten Wände vor und überlegte, ob ich den Hut werfen solle. Jedesmal erschien mir der noch immer harrende Bauer und winkte mir warnend ab, so daß ich den Hut auf dem Kopfe hatte, als ich abends heimkam. Schlimmer erging es mir mit dem Band. Ich stieg, ohne viel zu überlegen, von der Spitze des Dobralsch geradeaus hinab. Es lag etwas Neuschnee. Meine Schuhe waren nicht genagelt, auch hatte ich keinen Bergstock» nur einen einfachen Buchenstab. Plötzlich glitt ich im steilen glatten Rasen ab und fuhr dem Abgrund zu. So blitzschnell dies geschah» blieb ich mir doch bewußt, daß ich nicht kollern dürfe. Ich warf mich zurück und hielt mich tapfer auf. Mein Leben war an einem Haar gehangen. Eine kurze Rast war notwendig, dann wandte ich mich etwas nach rechts, ließ mich über sehr schlechte Stellen immer tiefer hinab, blickte in schauerliche Abgründe, gelangte in einen ganz steilen Graben und durch diesen an den Fuß der Wände. Ich habe später oft hinaufgeschaut, konnte aber nicht mehr fefistellen, wo mich mein abenteuerlicher Weg hindurchgeführt hatte. Ich mußte dann noch lange stromaufwärts eine Brücke über die Gail suchen, kam aber noch früh genug am Nachmittag nach Arnoldfiein und nach Hause. Da war man um mich schon sehr in Angst gewesen. Als ich meinem Bater die Entdeckungsreise schilderte, da sah ich, wie etwas in seinen Augen aufleuchtete. Es war der Stolz auf seinen Buben. Und in meinem Herzen jubilierte neben der Siegesfreude über die Arnoldsteiner Wände noch ein anderes unbestimmtes, heißes Gefühl» das ich erst viel später in klare Worte fassen konnte, wie ein freudiges Hoffen: Es wird doch gehen, du wirst siegen! Fahre ich jetzt im Angesichte jener Wände unten im Tal vorbei, so sehe ich hoch oben ein einsames, unerfahrenes junges Blut» das steil dem Abgrund zufährt, der Gefahr bewußt, die Schulterblätter am Hang, die Arme ausgebreitet nach Halt suchend. Es war meine Feuertaufe und ich hatte sie gut bestanden! Mein Bater hielt es für seine Pflicht, mein Bergsteigen in ungefährlichen Bahnen zu halten, und er sagte mir oft, er dürfe und könne gefährliche Unternehmungen nicht billigen. Er nahm auch manchmal einen Anlauf, solche ganz zu verbieten, blieb aber immer auf halbem Wege stehen. Er sah wohl, daß es bei mir Herzenssache war. Später, als ich anfing, zuerst Botanisches, dann Alpines zu schreiben, erfüllte chn das mit Freude und mit Stolz. „Schreiben kann er", hörte ich ihn einmal sagen. Ich erkannte bald seine innerste Stimmung und lavierte glücklich hindurch. Er hatte die ernsteste Auffassung vom Leben, das ihn ungleich härter angefaßt hat als dank seiner weichen Fürsorge später mich. Seine Güte hatte ihm viele Enttäuschungen gebracht, trotzdem wurde er ihrer nie müde. Er führte so gütig und leise, daß viele in mir aufkeimende Dinge, mir selbst unbewußt, in seinem Sinne reiften. Daß ich an gewitzen Auswüchsen und Übertreibungen glücklich vorbeikam und im allgemeinen von einer gesunden und natürlichen Richtlinie Bergfrühling nicht abgeirrt bin, danke ich sicherlich der Rückwirkung seiner Wünsche und seines Einflusses. Dies gilt allerdings nur in einem gewissen Sinne für mein Bergsteigen. Lassen konnte ich es nicht. Der Versuch, es aus meinem Herzen zu reißen, wäre grausam, möglich wäre es nicht gewesen. Aber insoferne folgte ich auch hier diesem Einfluß, als ich rechtzeitig und sobald ich zum Bewußtsein der Verantwortlichkeit geweckt worden war, in die Schule der Vorsicht einlenkte, immer das Ende bedachte, den Grundsatz aufstellte: „Kühn im Entschluß, besonnen in der Durchführung", und mich auch stets mit erstklassigen Leuten umgab. Früher als es sonst möglich gewesen wäre, bin ich zur Erkenntnis gekommen, daß der Bergsteiger in den Bergen leben und nicht sterben muffe, und daß der Tod in den Bergen nicht immer ein Heldenende, sondern oft eine große Dummheit bedeute. 3m vollen Sinne galt jener Einfluß für alles andere in meinem Leben. So stark ist er gewesen, daß er unvermindert fortwirkte und zum Rechten führte, als mein Vater schon längst seine Augen geschlossen hatte. Je älter ich werde und je verständnisvoller ich zurückblicke, um so klarer erkenne ich die gütige Kraft, Größe und Reinheit dieses edelsten Herzens. Biel Sorgen litt meine Mutter um mich. Sie hatte es um so schwerer, als meine großen Touren in eine Zeit fielen, wo mein Vater nicht mehr war. Natürlich trachtete ich sowohl vorher als auch nachher chr die Sachen so leicht als möglich erscheinen zu lassen, und mein Aufbruch erfolgte immer zu harmlosen Unternehmungen. 3ch war in dieser Richtung sehr gewandt und wirklich unerschöpflich im Erfinden frommen Betruges. Sie aber beobachtete mit überraschender Feinheit und erriet meine Absichten mit oft wunderbarer Sicherheit. Sie pflegte an Hand der Karte meinen Plänen zu folgen, und hatte sie einmal den Ort herausgebracht, wohin die Reise ging, so suchte sie den Berg in dessen Rähe, auf dem ich noch nicht oder schon lange nicht gewesen, und traf gewöhnlich das Richtige. Einmal sagte ich Raibl, und sie wußte „Fünfspih". Als ich nach Macugnaga reiste und chr vom Lago Maggiore eine Karte schrieb, da wußte sie sofort alles und sagte: „Um Gottes willen, der Julius traversiert den Monte Rosa!" Beim Abschied machte sie mir immer andächtig das Kreuz, und es zuckte dabei so gewiß um chre Lippen. 3ch hielt still und trachtete, ihr die Schwere des Augenblicks mit einem schlechten Witz zu mildern. Dieser schlechte Witz war auch so gemeint, daß meine Mutter währen- der Tage, da ich abwesend war, darüber lächeln solle, wenn ihr das Weinen kam. Er mußte aber auch so beschaffen sein, daß sie keine weiteren Mutmaßungen daran knüpfen und keinerlei böses Omen darin erblicken konnte. Das war nicht so einfach und leicht mit diesem schlechten Witz, wie man vielleicht meinen könnte! Es ist auch in späteren Zeiten immer so verblieben. Auch als ich schon graue Haare hatte und sie ein altes Mütterlein war, hielt ich still zum Kreuz, sah die zuckenden Lippen, und half mit einem schlechten Witz dazu. Als sie nicht mehr war, übernahm eine liebe Tante das Kreuz. Man kann darüber denken wie man will, aber ich glaube, daß die vielen Schutzengel, die sich im Verlause der Jahre mit mir zu beschäftigen hatten, mit diesen Kreuzen doch in irgend einer Verbindung gestanden sein müssen. Am Dobratsch hatte ich also gelernt, daß die Berge für die Schwachen und schlecht Ausgerüsteten kein Erbarmen kennen. Ich beherzigte meine Fehler und drang bei meiner Mutter auf alpine Ausrüstung, vor allem auf genagelte Schuhe. Ich bekam alles, und obwohl meine Mutter so gegen das Bergsteigen war, strickte sie mir eigenhändig die schönsten grünen Wadenstrümpfe. Ist das nicht ein starker Widerspruch? Gewiß, aber so kann eine liebe Mutter schon sein! Der Rucksack hatte grüne Quasten, der Lodenrock war grün ausgeschlagen, ich wandelte damals stark in Grün. Leider färbten die Strümpfe ab, und als mich Baumbach in Veldes beim Baden erblickte, bemächtigte er sich in seiner lieben Weise des vielen Grüns außen und innen und ich hatte viel zu leiden. Endlich sollte ich zu einer wirklichen Bergtour in den Iulischen kommen. Die Sektion Küstenland unternahm einen Vereinsausflug auf den Krn (2245 m), und ich erhielt die Erlaubnis mitzugehen. In Görz wurde übernachtet, vorher aber in einem Gasthausgarten furchtbar viel Bier getrunken. In Tolmein wurde dies fortgesetzt, da es zunächst in Strömen regnete. Trotzdem kamen wir, als das Wetter sich etwas aufgeheitert halte, bis zur Alpe Sleme. Am Nachmittag botanisierte ich allein in den steilen Felsen des Nudeči Rob und fand dort reiche Beute. 3m Absteigen zur Alpe traf ich die Gesellschaft, als sie unter Anleitung eines Mistenden das Gehen im Geröll übte, und wunderte mich nicht wenig, -aß man das erst lernen müffe. Ich erinnere mich dann einer unruhigen Nacht auf einem sehr primitiven Heuboden, während welcher einem mitgehenden Engländer die Bergschuhe durch eine Luke in den Kuhstall hinabfielen, wo sie am nächsten Morgen nach langem Suchen ausgegraben wurden, dann einer dünnen Morgenschokolade, in welcher zahlreiche Speckstücke umherschwammen. Unmittelbar darauf wurde dem Engländer schlecht. Meine fürsorgliche Mutter hatte mir eine schöne Ochsenzunge mitgegeben, aber ein Marodeur unserer Gesellschaft, der zu viel Bier getrunken und zu wenig dazu gegeffen hatte, war im Aufstiege, kaum erst eine Gehstunde von Tolmein entfernt, von einem Schwächeanfall heimgesucht worden, hatte die mit den Trägern nachkommenden Rucksäcke durchsucht, und verdankte es, wie er mich während der Schokolade treuherzig versicherte, nur meiner schönen Ochsenzunge, und zwar der gesamten Ochsenzunge als solcher, wenn es ihm möglich gewesen war, bis zur Slemealpe emporzukommen. Ich wußte damals noch nicht, -aß so etwas erlaubt und möglich sei, und war starr vor Erstaunen. Meine Mutter hat von dieser Geschichte, die mich noch heute in der Erinnerung wehmütig stimmt, niemals erfahren. Ihr wollte ich diesen Schmerz ersparen. Auf den Krn kamen wir damals nicht, da es auch am zweiten Tag in Strömen regnete. Die Tour schloß trotzdem fröhlich wie sie begonnen, mit furchtbar viel Bier» ließ aber in mir den Eindruck zurück, daß es so auch nicht richtig sein könne. So waren die Tage gekommen, da ich die ersten blühenden Alpenrosen sah, da ich mein erstes Edelweiß pflückte und in den Wänden die erste Gemse erblickte. Das Leben hat mir viele Freuden beschieden, reiner ist wohl keine gewesen. And es kam das Jahr 1875 heran, da meine Berg-steigerlaufbahn eigentlich begann. Ich hatte Erlaubnis zu Skrbinajoch (1905 m) und četna Prst (1844 m), das heiße Wünschen meiner Seele kreiste in sehnsüchtigen Bogen um den Triglav (2863 m). Bon beiden Höhen sah ich ihn: Aber dem gewaltigen Sockel» dessen steilen Fuß der Wocheiner See mit seinen dunklen Wassern bespült, dessen mächtige Flanken noch Arwald deckte, umgeben von einem sinnverwirrenden Hofstaat von Zacken und Türmen, von weißen Felsenhäuptern und schimmernden Firnen, erhob er sich drüben im Norden, ernst das Antlitz, edel die Gestalt, höher als alles, leuchtend und lockend in seiner ganzen königlichen Majestät! Wie grüßte chn mein Herz! Ich rastete nach den beiden erlaubten Touren in Sleinbüchl bei Rad-mannsdorf, auf dem Gute eines Berwandten. Dort schmiedete ich den Plan fertig, etwas Geld war mir verblieben. Eine Ersteigung des Triglav war damals eine seltene Anternehmung und galt noch als alpine Tat. Ich nahm in Mojstrana den Führer Simon Klancnig, vulgo Šimenc, auf, der mich später noch oft begleitet hat, stieg durch die Kerma an und übernachtete in der Oberen Kermaalpe. An der Stelle, die heute das Maria-Theresia-Schuhhaus trägt, stand damals eine ganz kleine, halbverfallene Steinhütte. Einige in den Felsen verspreizte Holzpflöcke in der ersten Rinne unten am Kleinen Triglav und beim ersten Aufschwung des Hochgipfels jenseits des Grates waren meines Erinnerns alles, was der Berg an künstlichen Wegerleichterungen zeigte. Der Grat selbst war viel schmaler als heule und ragte an einzelnen Stellen in scharfen Scherben auf. Er verfehlte auch auf mich seinen Eindruck nicht. Doch stieg ich gut, brauchte natürlich nicht Seil noch Hilfe. Die Rundsicht erfüllte mich mit Andacht und tiefer Ergriffenheit. Klancnig zeigte mir den Suhi Plaz, erzählte mir von seinen „Steinlawinen" und von seinen Schneehalden, „steiler als ein Kirchendach", und seine Worte: „Uner-stiegen und unersteiglich, kann niemand hinauf als Gemse und Adler" gaben meiner alpinen Arbeit späterer Zahre Richtung und Ziel. Ich war selig und stolz, nur etwas in Verlegenheit, wie ich meine schön geglückte Unternehmung nach Hause melden solle. So schrieb ich auf eine Karle, Adresse meiner Mutter, nur die dunklen» aber klug vorarbeitenden Worte: „Gut is g'angen, nix is g'scheg'n", und überließ alles weitere Vermutungen und Erkundigungen"). Das Jahr darauf — 1876 — borgte ich mir in Lind von meiner Mutter zwei Gulden aus, mit der Begründung, daß ich doch wieder einmal die Weißenfelser Seen besuchen müsse. Ich flog über den Krain-berg. Hinter dem ersten See fragte ich einen halbwüchsigen Halter, wo der Weg zum Manhart (2678 m) führe. Er stellte sich als Hans Susner aus Ralschach vor und erbot sich, mich gegen Entgelt eines Guldens zu begleiten. Er wisie den Weg so wenig wie ich, doch hoffe er, ihn zu finden. Ich nahm an und wir kamen ohne Irrung gut durch. Er zeigte mir den Poncazug. Dort oben sei ein Grat, so mesterscharf, daß man darüber reiten müffe. Der noble Mann aber, fügte er hinzu, gehe aufrecht hinüber. Ich merkte mir das und bin in späteren Jahren sieben-oder achtmal nobel und aufrecht über den „Mestergrat" gegangen. Zuerst wollten wir unter dem Travniksattel im Freien übernachten und duckten uns dort in einer kleinen Mulde nieder. Aber in der Nacht faßte uns die Kälte grimmig an und ein wilder Bergwind rüttelte und peitschte uns auf. Zähneklappernd überschritten wir den Sattel und suchten und fanden uns glücklich zur Schutzhülle. Die war damals ganz klein. Bor ihrer Erbauung pflegten die Manharlfahrer unter den Überhängen der „Heuwand" zu übernachten. Bon der Spitze sah ich das blaue Meer. Dann blieben meine Augen wie gebannt am Zalouc gegenüber haften: Zwei scharfe, wildzerrissene Grate, die sich in schwindelndsteilem Aufschwung über furchtbaren Mavern hoch in den Lüften zum kecken, nadelspitzen Gipfelhorn vereinigen. In meinem damaligen botanischen Tagebuch hätte mein Lateinprofeffor folgende barbarische Randbemerkung zu beanstanden gefunden: Vivant, floreant, crescant Alpes Jnliae et comparat se Jalouc ad ascensionem, quam nunquam fngerit9). 8) Literatur: Škofih „öff. Bot. Z.", XXVI., 1876, 159 und 194, „Eine Wanderung durch Oberkrain. über das tzkrbinajoch in das Wocheinlal, Besteigung deS Četna Prst und des Triglav." 6) „Es leben, blühen und gedeihen die Jütischen Alpen, und der Jalouc bereite sich auf seine Ersteigung vor, der er nimmer entgehen wird." Triglav von der Senke zwischen Steiner (Stenar) und S ovalna Emil Klauer-Klagensurt Manhark von der Ponca Dr. Carlo Chersich-Triest Auch der Manhark war damals anders und schlechter als heute. Wo jetzt unterhalb der bekannten schmalen Ecke die gemeißelte Stufenreihe emporführt, waren die Platten unberührt und glatt. Als ich eben ein schönes Geum reptans von den Felsen ablöste, rutschte ich aus, flog ein Stück hinab und kam dem großen Absturz der Nordwände peinlich nahe. Susner nahm die Sache gleichmütig lächelnd auf und bemerkte nur, er habe mir ja gesagt, daß die Platten „geil" fmb10). Später habe ich chn in den Wäldern hinter den Weihenfelser Seen noch einmal getroffen, als Mann. Wir erzählten «ns unfern weiteren Lebenslauf und drückten uns beim Abschied herzlich die Hand. Er ist schon lange gestorben, und vielleicht bin ich der einzige, der heute noch in guter Kameradschaft seiner gedenkt. Das ist so schön in den Bergen: Stellen sie einmal einen Mann in unfern Gesichtskreis, so sorgen sie auch dafür, daß wir ihn voll und ganz ansehen und ein getreues Bildnis von ihm mit uns nehmen. Sie gießen vom Zauber, -er ihnen selbst innewohnt, um ihn, und der Rahmen, aus dem er später herüberblickt, ist nicht der gleichgültige Alltag, sondern ein Stück geweihter Erdenschönheit des Hochgebirgs. Sehnsucht und Pläne wuchsen. Die Grate des Ialouc (2643 m) kamen mir nicht mehr aus dem Sinn. 3n den „Mitteilungen" 1875 hatte ich die kurze Notiz Carl Wurmbs, seines ersten Ersteigers von Breth aus, gelesen"). Für den Sommer 1877 legte ich einen Ferienplan vor, der von botanischen Namen wimmelte, aber zur hohen Befriedigung, doch auch etwas mißtrauischen Verwunderung meiner Mutter keinerlei Berge enthielt, es sei denn, daß man den Luschari als einen Berg ansehen wolle, dessen Angefährlichkeit ja allgemein bekannt sei. Wie langsam fuhr mir -er Postwagen insonzoaufwärts nach Flitsch. 3t» Breth suchte ich einen passenden Begleiter. Es meldete sich ein Wegmacher Kenda. Aber bald kamen chm Bedenken, und er erklärte, das Unternehmen könne nur dann gelingen, wenn auch Michael čer-nutta mitgehe. 3m hintersten Talgrunde der Koritnica, bei der Käshütte, fanden wir diesen ungemein vertrauenerweckenden Mann. Er war schon grau, stark und breitschulterig, von echtem Flitschertypus, Auge und Bewegungen verrieten den Älpler, vielleicht auch den verwegenen und vielerfahrenen Wildschützen. 3ch schloß kein Auge. Es war noch dunkle Nacht, als wir aus unserer Hütte traten und durch den Felsenzirkus 10) Literatur: Škofih „ösl. Bot. Z." 1877, 239: „Der Mangert in den Jütischen Alpen." u) Seine schöne, überaus frisch geschriebene Schilderung der Tour, die er im Jahrbuch des Steirischen Gebirgsvereines niedergelegt hat, kannte ich damals noch nicht. Na Konci aufzusteigen begannen. Wie fiehl das alles noch so klar vor mir, denke ich an jenen Aufbruch zurück! Scharf packl mich die Berglufk an, in der akemraubenden Umklammerung ihrer kalten Arme werde ich mir bewußt, daß ich wache und nicht träume. Drüben rauschen stürzende Schneewasser so laut, als seien sie ganz nahe. Die Sterne flimmern, die Seele jauchzt und bangt: Wird es gelingen? Wie deutlich höre ich noch heute das Aufschlagen unserer Bergstöcke und dessen Widerhall in den Wänden. Da sind sie herangelreten. Leise beginnt es zu grauen. Eine steile Felsrinne, dann schmale Bänder schon hoch über dämmernden Schluchten. Drüben im Westen noch unbestimmt und schattenhaft seltsame Zinken und Hörner gleich hohen weißen Nebelgebilden im ersten Morgenduft. Immer klarer die Berge, sie formen sich zu schimmernden Reihen. 3n ruckweisem Anlauf wird es lichter und lichter, dann hoch über den noch schlafenden Tälern ein Aufblitzen bald hier bald dort, als schalle heller Weckruf von Berg zu Berg, farbiger Glorienschein am Himmel und fliegende Feuersignale bis zum fernsten Horizont, in flammender Lohe der Kanin, dahinflutende Licht-wellen: O goldener Morgen, o seliger Tag! Bon der Höhe des Belcki-Kot-Satlels stiegen wir über eine breite Felsrampe zu den Westmauern des Ialouc empor. Dort nahm mich Sernutta fürsorglich ans Seil. Er befestigte es an mir in sehr origineller Weise mit einer jener Holzgabeln, womit die Bauern das festgespannte Seil, ohne es zu knoten, hinten am hochbeladenen Heuwagen fixieren. Die Zinken der Gabel lagen mir fest am Rücken, über einer leicht erreichten Schutterrasse begannen brüchige^) Kamine und Nisse, dann führten schon nahe der Gralkante horizontale Schuttbänder nach rechts zur steilen, tief in die Felsen geschnittenen Schneerinne, welche die Höhe der Westmauer spaltet. Jenseits erschien in furchtbarer Wildheit das Gipfelhorn. Der Einstieg in die Rinne ist immer schwierig, die ganze Szenerie ungemein eindrucksvoll. Wir verfolgten den sehr steilen Schnee bis zur luftigen Gratscharte und blickten von oben durch ein wild und keck eingebautes Fensierchen in die Abgründe der Planica jenseits hinab. Dann kam die bedenklichste Stelle, ein schmales, gegen den Abgrund geneigtes, auf einer kurzen Strecke von herabrieselndem Schmelzwasser nasses Plattenband, das schaurig ausgesetzt aus dem Schärtchen herausführt. eernulta war bis hierher in Holzzockeln gestiegen und ließ diese hier zurück. Auch von mir verlangte er, daß ia) Die Felsen der Brelherseite tragen einen furchterregenden Charakter großer Brüchigkeit. Oft hängen die Blöcke gleich großen, lockeren Schuppen stnrzbereit an den verwitterten Wänden und Graten. ich nun barfüßig gehe. Ich lak es und war so unvorsichtig, Schuhe und Strumpfe in der Scharte zu lassen. So mußte ich dann auch die folgenden schutlbedeckten Stellen, breite Felsleisten, Kurze Schulthänge und das letzte Gipfelstück barfüßig oder unter Zuhilfenahme der Knie zurücklegen, und bis zum heutigen Tag ist mir ein starker Eindruck verblieben, daß kein Berg der Zulischen Alpen so brüchiges, splittriges und scharfkantiges Gestein habe wie der Zalouc. Vielleicht war das Gottes Strafe für den freventlich vorgespiegelten Luschari. Denn auch dort wallt der Gläubige barfüßig zur Höhe, und der ganz überzeugte Himmelskandidat rutscht auf den Knien vom Staub seiner Erdenstraße bis hinauf zum begnadeten Kirchlein. Auf dem luftigen Gipfel stand ein kleiner Steinmann, in dem ein Stab steckte. 3n Augenblicken des Glückes drängt es uns, gegen irgend jemand weich und zärtlich zu sein. 3m unbeschreiblichen Siegesglück jener ersten Gipfelstunde am Zalouc wandte ich meine weiche Aufmerksamkeit und meine Zärtlichkeit seinem Steinmann zu. 3ch baute ihn sorgfältig höher auf und habe ihn in späteren Jahren noch oft besucht. Der Steinmann verkörpert für uns Bergsteiger Spitze und Sieg. Wir stellen Um hin auf die einsame Höhe, oft auf beschränktesten Raum, als ein kleines Denkmal unserer Freuden, als ein Pfand unserer Liebe, als ein Zeichen, einen Gruß, ein Stück von uns. Da harrt er aus, oft jahrelang allein, von Nebeln umhüllt, von Stürmen umbraust, von Blitzen bedroht, von Schneelasten halb erstickt, wie ein braver Soldat auf seinem schwierigen und gefahrvollen Posten. Bei schönem Wetter jubiliert er oben im Blau und schaut selig ins Land. Sogar singen habe ich einmal einen Steinmann gehört, doch das werde ich erst viel später erzählen^). Oft besuchen ihn unsere Gedanken. Aus der mühevollen Arbeit des Alltags, aus der Bedrängnis schwerer Stunden, aus den Sorgen der Rächte flüchten wir oft zu ihm. Er hat es ja auch nicht leicht, und wir können manches von ihm lernen. Er kann uns Trost geben und Zuversicht. Denke an ihn und an seinen weltentrückten Platz, wenn du in Nöten bist! Stehst du wieder oben und schlingst den Arm um chn, dann schweigt der Schmerz deiner Sehnsucht, dein Herz schlägt ruhig und still, was schwer war scheint dir so einfach und klar, Mühen und Sorgen, Kummer und Enttäuschungen hast du vergessen, und deine liebe Seele schwebt wieder leicht und frei hoch über allen bösen Tiefen des Erdenlebens! 13) »Alles und Neues vom Wischberg und vom Monlasch." III. Der Nordlurm des Monlasch (2673). Erste Ersteigung, öst. A. Z. 1911, 17. 2* 19 Ich erinnere mich, daß ich voll Neugier und Interesse in das enggeschlitzte, sammekgrüne Tal der Planica Hinunkerschaule, das lief im Norden zu Füßen lag. Lernukla zeigte mir die Trenlaberge, wußte mir aber nur wenig von chnen zu erzählen. Sehr imponierte mir die Kaningruppe, die breit und gewaltig aufgebauk im Westen stand. Wir kehrten auf dem gleichen Wege zurück. Der Proviant war uns längst ausgegangen, ich war sehr hungrig und frug in der Käshütte nach Brot und Wein. Da man beides nicht halte, trank ich eine bescheidene Mischung von Essig und Schneewasser und aß einige rohe weiße Rüben, öernutta frug mich, ob zwei Gulden für seine Führung nicht zu viel seien, und ich gab ihm drei. Zum Abschied umarmte er mich mit elementarer Zärtlichkeit und mit der eisernen Kraft eines Schraubstockes, und drückte mir durch die Drahtspihen seines grobgeschnittenen Schnurrbartes zwei Küste auf, die noch lange auf meinen Wangen brannten. So entließ mich der Zalouc jenes erste Mal. Ich habe später wiederholt nach Lernutta gefragt, aber immer war er auswärts oder auf den Höhen, wenn ich nach Breth kam. So habe ich den braven Mann leider nicht mehr gesehen. Die folgenden vier Tage stand ich wirklich im Dienste der Botanik, ich werde es bald erzählen. Dann warteten in Raibl Freunde auf mich, mit denen ein Wischbergplan (2666 m) verabredet war. Der Raibler Oman führte uns. Wir schliefen in der Fischbachalpe. Die Besteigung fanden wir sehr leicht. Oman wies auf die Hohe Gamsmutter (2516 m) und sagte mir, daß sie unersteiglich sei. Er erklärte mir auch deren Namen: wie eine Mutter schütze sie mit unersteiglichen Wänden das gejagte Wild. Tags darauf kam ich nach Pöckau. Aber ich hatte nicht genug, ich hatte Blut geleckt und war nicht zu halten. Ich bekam Sehnsucht „nach meinen Freunden" und meine Mutter ließ mich ziehen. In Wahrheit hatte ich vom Wischberg den Glöckner gesehen, über Dölsach und den Iselsberg eilte ich nach Heiligenblut, überschritt Hochlor (2573 m), Mit-tertörl (2300 m) und Fuschertörl (2405 m) nach Ferleiten, sah im Fluge Bruck, Zell am See, Kaprun und lernte am Kihsteinhorn (3204 m), daß man eine Tour nie vorzeitig abbrechen dürfe, denn als wir nach einem nebligen und regnerischen Morgen eben im besten Absteigen begriffen waren, begann es zu blauen, und das Kihsteinhorn blickte lachend auf uns herab- Im Zurückstürmen über die Pfandlscharte (2665 m) zum Glocknerhaus stand ich trunkenen Auges über den schimmernden Eisströmen der Pasterze. Dann ein kurzer, schwerer Seelenkamps, denn das Geld war mir ausgegangen, und ein kühner Entschluß. Ich nahm zwei Führer auf, Wallner und Kramser, da einer allein nicht gehen wollte: heute Großglockner (3798 m), morgen über Großen Bärenkopf (3406 m) und Glockerin (3425 m) das Große Wiesbachhorn (3570 m), alles bei strahlend schönem Weller, übermorgen das schwerste, ein Telegramm an meinen Daker, er möge mir Geld schicken. Dann harrke ich. Ich war über und über verschuldek. Und siehe da, das Geld Kam umgehend und reichlich. Ich war nicht dabei, als mein Telegramm zu Hause ankam, aber vielleicht hat es wieder heimlich in seinen Augen aufgeleuchtet, als er die Tauernkunde las: Es war ja der höchste Berg seines Heimatlandes, der Glöckner des Kärntnerliedes und des Kärntnerherzens. Als ich auf der Rückreise zur Eisenbahnstation Dölsach kam, trat der Bahndiener auf mich zu und frug mich: „San Sie -er Herr von die grünen Strümps?" Ich gab es sofort zu und war verwundert, warum er mich frage. „Ihnere Mutter ist hier gewesen und hat nach Ihnen gefragt." Da ward es mir klar. Meine Mutter hatte Wind bekommen und war mir nachgereist, um mich noch rechtzeitig einzufangen. Aber der Iselsberg halte die Berfolgung aufgehalten und -er ruhig sachliche Bescheid des Bahndieners — „Den derwischens nimmer" — den weiteren Unternehmungsgeist gelähmt. So war sie zurückgekehrt. Die Geschichte war für mich von unschätzbarem Wert. Denn so oft meine Mutter die Rede auf meine „Falschheit" brachte, lenkte ich auf ihren „verfehlten Löwensprung" am Iselsberg ab und hatte die Lacher, darunter die gute Mutter selbst, auf meiner Seite. Ich habe diese Erzählungen „Bergfrühling" benannt. Aus leisem un-unklarem Ahnen hat sich die Seele des Knaben zu immer bestimmterem Sehnen und zur endlichen Erleuchtung durchgerungen. Das sind die Wege des Frühlings. Klar Umrissen stehen seine Ziele nach schwerem Bangen und Drängen im rosigen Licht. Denke ich an jene alten Zeiten zurück, so weht mir sein beseligender Hauch entgegen. Es ist mir so, als sei damals immer Frühling gewesen. Sein milder Glanz liegt über allen jenen Wegen, über allen Tälern und Höhen, und über alles weben seine Zauberhände die zarten Schleier des ersten Grüns. Drosselgesang hallt durch die erwachenden Wälder, weiße Bäche springen hell musizierend zu Tal, mit den Lüsten zieht der süß berauschende Duft der Aurikel, und Osterglocken klingen feierlich herüber aus dem fernen Iugendland. Kapitel II S c abiosa Trenta Der Schwarzsee (Siebenter See) Jos. Kunavrr-Laibach Zu Seite 78/79 Frühling im Trentatal (Gedenkkapelle für Union Tozbar) Fritz Nenner-Triest Es war um jene gleiche Zeit, im Sommer 1877, als mich mein alter Gönner Tommasini zu sich bitten ließ. Er erzählte mir von einer Sca-biosenark, die Meister Hacquet vor bald hundert Jahren in den Bergen der Trenta gefunden, und die er, da sie ganz fremd und unbekannt war, genau beschrieben und Scabiosa Trenta getauft habe. Viele Botaniker von Ruf hätten sie seither gesucht, doch keiner habe sie mehr gefunden. Auch er selbst sei vor Jahren auf der Suche nach ihr gewesen. Da die südliche Scabiosa leucantha ihr äußerlich am nächsten komme, so habe er auch einmal ein Blütenköpfchen derselben mit sich genommen und es nebst einer eingehenden Beschreibung der wirklich Gesuchten einem Flilscher seines Vertrauens mit dem Versprechen übergeben, er wolle einen Gulden für jedes Exemplar bezahlen, das man ihm von der Pflanze aus jenen Bergen bringe. Tatsächlich sei bald darauf der Flitscher bei chm erschienen und habe chm gemeldet, eine ganze Wagenladung davon stehe auf der Straße vor dem Hause. Freudig erregt sei er hinuntergesprungen, aber bei näherem Zusehen habe es sich herausgestellt, daß es eine reichliche Wagenladung der echten und wahrhaftigen leucantha war, und ein eindringliches Verhör habe dann festgestellt, daß der vielgereiste, aufgeklärte und schlaue Flilscher die Pflanze nicht aus jenen Bergen, sondern von den Karsthängen bei Dumo geholt hatte, wo die leucantha zu Hause ist, und woher auch jenes Blütenköpfchen stammte. Tommasini hat mir nicht erzählt und ich habe nicht gefragt, wie es damals mit dem versprochenen einen Gulden für das Exemplar gewesen sei. So sei die Sache noch immer rätselhaft und das Blumengeheimnis nicht durchdrungen. Er brachte mir das alte Werkchen HacquetsZ und ich las: „Primam deprehendi in montibus circa Trenta et in parte occidentali Terglou in declivibus, infra montem Ziperie et Traschim Verch et super Mischelem Verch.“* 2) Da erhoben die Berge der Trenta chre weißen, sagenum- *) Genauer lateinischer Titel: „Plantae alpinae carniolicae“, Balthasar Hacquet, Viennae 1782. 2) „Zuerst fand ich sie auf den Bergen um Trenta und im westlichen Teil des Ter-gto« auf den Hängen, zwischen dem Berge Ziperie und dem Traschim Berch und auf dem Mischelem Berch." wobenen Häupter, weit öffneten sich ihre lichterfüllken Hallen, und über ihnen erstrahlte in wundervoller Größe und Hoheit die Riesen-Kuppel des Triglav. Dort sah ich ihre Burg. „Tota planta glabra est, flos unicus, calix communis componitur ex squamulis albis membranaceis, mucronato aristatis, corollae albae, stamina alba, antherae flavae“3): Zierlich und glatt die Lichtgestalt, ein feiner, silberschimmernder Spihenkelch, leuchtend weiß das Blütenkleid mit zarlgoldenen Staubkölbchen durchsticht! Schon war es kein Pflänz-lein mehr, es war ein Prinzeßchen aus dem lieben Zauberland! Dann schlug er die Tafel auf und ich sah zum ersten Mal ihr Bild. Still und bescheiden, von einem leisen Hauch des Fremdartigen und Märchenhaften umflossen, stand es auf dem vergilbten Pergament-papier, und man sah der überaus feingeführlen Zeichnung die zärtliche Liebe und die innige Freude an, mil der es der Meister und Entdecker geschaffen Halle. Scabiosa Trenka! Als ich so vorbereikel war, sah mich der geistvolle alle Herr scharf und prüfend an und frug mich, ob ich mich Mannes fühle, Dornröschen nach hundertjährigem Schlafe zu erlösen. Er glaube, ich sei der Auserwählte, ich Könne der Ritter sein. Roch nie habe ich ein „Za" mil freudigerer Inbrunst gesagt als damals im dämmerigen Studierzimmer des Gelehrten. Am Tage nach dem Zalouc wanderte ich zum ersten Mal von Flitsch isonzoaufwärts ins Trenkatal. Der BezirKsrichker von Flitsch, Rosmann, ein Kerniger, weithin bekannter Jägersmann, hatte mir einige dankenswerte Andeutungen und einen Begleitmann mitgegeben. Es war ein Trentaner, den er eben von einer Tagsahung bei Gericht abgefertigt hatte, und der wieder heimwärts zog. Er schritt still an meiner Seite, mit dem geduckten Gang eines Luchses, die scharfen Adleraugen immer auf mich gerichtet, als wolle er jede Regung des kleinsten Wunsches in mir erspähen, ängstlich bemüht, mir gut zu dienen, den auffallend kleinen Kopf fest in einen Leinwandlappen und In ein Tuch, gebunden, ein gar armer Mann. Es fehlten ihm Ankerkiefer und Zunge. Der letzte Bär der Trenka hakte ihn in fürchterlichem Nahkampf so schrecklich verstümmelt. Das war Anton Tozbar, genannt Spik, der berühmteste Gemsjäger der Trenta. Es ging von ihm die Sage, daß 3) »Me ganze Pflanze iff glatt, ein einziges Blülenköpfchen» der gemeinsame Kelch ans weihen, mil Spihchen versehenen Schuppenhäulchen gebildel, Blumenkrone weih. Staubfäden weih, Staubkölbchen gelb." er sich wie kein anderer ungedeckt über die Schutthalden mitten in die Gemsrudel heranschleichen könne und so unfehlbar seine Beute hole. Der sinkende Abend, der das Tal mit tiefen Schatten erfüllte, die ungezählten verstreuten Kreuzlein am Wege, als ziehe man durch eine Gasse des Todes^), die erdrückende Höhe der dunkelnden Berge, die brausenden Wasser erfüllten meine Seele mit Andacht und mit scheuer Ehrfurcht. Nach den Jahren der Sehnsucht, an einem der lockendsten Ziele meiner Jugendzeit bin ich nicht jubelnd das gelobte Tal hinauf-gewandert, sondern ernst und fast beklommen, wie man durch eine Kirche geht. Müßte ich meinen Feldzugsplan heute entwerfen, so würde er anders ausfallen als damals. Der Mischelem Berch Hacquets war wohl nicht zu verfehlen, es ist der Miäelj Brh (2350 m) südlich des Triglav; Traschim Berch ist der DraLki Brh im östlichsten Hochkamm der Zuli-schen; Ziperie wird eine Stelle zwischen der Uskovnica- und der Toscalpe genannt. Das weiß ich heute. Das wäre ein geschlossenes Gebiet, welches eine derartige Pflanze wohl hätte beherbergen können. Aber diese Berge schauen zur Wochein und nicht zur Trenta, und eine Pflanze, die dort chre ausschließlichen Standorte hätte, müßte eigentlich „bochi-nensis“ heißen. Der Name „Trenta" und die Erwähnung der Westhänge des Triglav wiesen mich in eine andere Richtung. Ich suchte damals die Standorte in den Bergen der Trenta, schloß nach vielem Umfragen bei den Einheimischen, der Traschim Berch Hacquets sei die Trasenca- oder Trebisnjiaalpe (auch Lepocealpe) zwischen Ozebnik und čifti Brh, und vermutete !m Berge Ziperie vielleicht den Emir (Cmirjie), der allerdings ins Bralatal sieht, aber mit den Westmauern des Triglav in geschlossener Berbindung steht. Der Waldhüter Kenda, in dessen Hause ich übernachtete, sagte mir, daß die Mojstrovka (2332 m) besonders Pflanzenreich sei. So wandte ich mich am ersten Tage ihr zu. Am zweiten folgte ich den Worten „in parte occidentali Terglou in declivibus“ auf die Höhe der Luknja (1758 m) und durchsuchte die großen Westabstürze des Triglav über 4) Es lagen und standen damals die kleinen eisernen Kreuze off lose am Wege» auf Blöcken» an Baumstämmen» wie es der frommen Erinnerung gerade entsprach. Der Touristenstrom der späteren Zeit hat viele dieser Kreuze pietätlos verlegt und auch verschleppt. Gilbert und Churchill (siehe später) erzählen: „Die Berge zeigten nur ihre weißen» schreckhaften Angesichter und Zähne, während kein Dorf oder Haus auf zwei Stunden den Weg belebte. Bilder des Todes waren in der Tal die einzigen Lebenszeichen und wurden endlich so schrecklich zahlreich, daß man auf die Ber-mutung kommen möchte, die Einwohner seien alle umgebracht worden." ihr, sah aber bald, daß -ork Kein Ort für die gesuchte Pflanze war. Am -ritten stieg ich über die arme Alpe TrebiLnjia auf den BuKovac-Dol-Sattel, dann über die steilen Mesthänge auf den Brsaksattel, den Bräak und den Kanjavec (2568 m), ohne glücklicher zu sein als die Tage zuvor. Ich sah damals scharf, kein Pflänzlein entging mir. Kein Weg war mir zu weit, kein Hang zu steil, und kein Felsenwinkel „adhuc terra vestitus“5) konnte sich mir entziehen. Tozbar war immer mit mir. Wie oft winkte er lebhaft von weitem und hielt ein Pflänzlein hoch, wie viel herzklopfende Erwartung und wie sicher dann immer die Enttäuschung! Im nächsten Jahre verfolgte ich mit Klancnig aus Mojstrana den ganzen hohen Randwall von der Debela Pec (2007 m) bis zum Mali- (2132 m) und Veliki- (2243 m) DraLki-Brh und zum Tose (2275 m), hielt in der alten Maria-Theresia-Schuhhütte, erstieg wieder den Triglav zu Sonnenuntergang und zu Sonnenaufgang, überschritt den Miselj Vrh zu den Almen der Uskovnicafeite, durchsuchte die Brata, die Nord- und Westschluchten des Emir bis hinauf zu seinem Gipfel (2393 m), lenkte dann über die Luknja zurück in die Trenta, vereinigte mich wieder mit Tozbar zu neuerlicher, nie ermüdender Arbeit bergauf, bergab. Die Trenka hatte es mir angetan, ich Kam alljährlich dahin und verbrachte oft ganze Ferienmonate der Studentenzeit in der Baumbachhütke. Meine Bergerfolge wuchsen, ich Kam und siegte von Gipfel zu Gipfel, Tozbar war müder und vorsichtiger geworden, ein neuer Stern war mir aufgegangen, der noch heute in meiner Erinnerung hell erglänzt: Andreas Komac, der Suhi Plaz (2738 m) hatte vor uns sein unerstiegenes Haupt gebeugt, den Bann, der über den Westmauern des Triglav lag, halten wir im raschen Anlauf gebrochen, rings im weiten Kreise grüßten mich die Berge als liebe Bekannte, und noch führte mich heimlich eine alte, leise, süße Hoffnung, noch lief ich stundenlang, hatte ich von einer wilden Höhe irgendwo in den Felsenmauern ein verlorenes, verheißend grünendes Inselchen erspäht, noch träumte ich im Sternenglanz der Biwaknächte und in der Einsamkeit der Alphütten von ihr, der Geheimnisvollen, lang Gesuchten, heiß Ersehnten. Scabiosa Trenka! Westen, Norden, Osten des Triglav hakte ich durchstreift und durchsucht, nun wandte ich meine Blicke seinem Süden zu und Kam in ein Reich, das mich mit den vielleicht tiefsten Eindrücken jahrelang bis in die späteste Zeit gefangen halten sollte. Nicht mit seinen Bergen, sondern mit seiner Seele. Ich habe es nicht gleich verstanden, es ist in der °) „noch von Erde bekleidet." wetten julischen Runde, die zur Königskrone des Triglav gehört, wohl am schwersten zu verstehen. Es ist das Quellgebiel der Wocheiner Save, der schneegeborenen, smaragdgrünen Savica. Ein riesiger Randwall, der vom Kanjavec über Lipa špico und Lelo zum Bogatin, Kuk und Bohu zieht, umschließt seine gewaltigen zusammenhängenden Hoch-plaleaux in weilgespannlem Bogen von Nord, West und Süd. Nach innen zu senkl sich das karstige Hochland zuerst allmählich, dann bricht es unvermittelt in oft senkrechten Wänden abgrundtief zum finsteren Kessel ab, an dessen tiefster Stelle der Wocheiner See liegt. Rach Osten ist der Randwall weit geöffnet, da strömen von den Höhen der Pokljuka und der Jelovca in geschlossenen schwarzen Kolonnen die Hochwälder") heran. Es ist ein Anmarsch von feierlichster Großartigkeit! Durch die Schluchten von Boje und den Graben der Suha dringt eine Sturmwelle empor, sie flutet über Blato und Poljane in die weltabgeschiedenen Hochtäler von Blaze, Jezero und Dednopolje, und brandet bis hoch hinauf zu den weißen Kämmen des Peräiuc und des Studor. Die andere südlichere sammelt sich im Riesentrichter der Manca, dann greift sie im Donnergebrause des Savicafalles die senkrecht ragenden Wände der Komna und der Komarca an, stürmt durch die schwindelnd steilen Rinnen und Gräben, klettert von Band zu Band zum Höhenrand empor. Schon steht der Wald siegreich und hochzinkig droben im Licht. Dort löst er sich auf und sendet seine ungezählten Scharen in Schwarmlinien vor. Sie erfüllen die Mulden, übersteigen die Wälle. 3n unabsehbaren Reihen huschen und eilen die gleichmäßigen dunklen Gestalten lautlos, unaufhaltsam zur Höhe. Wer wird ihrem Ansturm widerstehen? Da empfängt sie die Bergwelk mit chren unerbittlichen Waffen. Mit brausenden Stürmen und stürzenden Blöcken, mit todbringenden Schutkströmen, kosenden Lawinen und mit allen vernichtenden Schrecken des Hochgebirgswinkers. Weithin im Amkreis toben die Fronten dieses tausendjährigen titanischen Kampfes. Dort stehen an den Felsenboden festgekrallt die vordersten Kämpen des Waldes, dort empfangen sie mit aufgerissenen Leibern und weit ausgebreiteten nackten Armen den Todesstreich, dort bleichen und modern chre ruhmvoll gefallenen Helden! Alle Wasser dieser Gebiete sind dem Wocheiner See tributär. Doch fließen die ungeheuren Mengen von Schmelz- und Regenwasser, die seine Wälle niedersenden und seine Mulden auffangen, nirgends zu 6) Es sind Nadelwälder, doch steigt die Buche bis hoch hinauf. Tag. Sie suchen und graben sich ihre geheimen unterirdischen Wege und Gefäßsysteme. Da und dort sammeln sie sich zu kleinen Seen und blicken aus stillen, dunklen Augen zu den Bergen empor, von denen sie kommen. Sie sickern von allen Seiten von See zu See, hüllen ihr Erscheinen und ihr Gehen in Dunkel, Hallen Zufluß und Abfluß ängstlich verborgen. Nur selten künden sie die Stellen mit einem leichten Gekräusel, mit einigen aufsteigenden Bläschen, mit einem kaum merkbaren Strudel am Rande des Spiegels. Niemand wird jemals ihre Wege sehen. Erst tief unten rauschen sie plötzlich in tief eingegrabenen Schluchten auf oder donnern in gewaltigem Fall aus dem dunklen Schoß der Erde. Dann tanzen sie die letzten Stufen herab, in urfrischer, felsgeborener Kraft, in ungestümer, langentbehrler Freiheit, helleuchtend wie Bergkristall, grünschillernd unter den weißen Schaumkrönlein, und grüßen in jungfräulicher Reinheit den lichten Tag. Die leise auf- und abflutenden Wasser des Wocheiner Sees erzählen dem Wissenden die Wunder chres geheimnisvoll pulsierenden Lebens. Da hebt und senkt sich chr in rastloser Arbeit tiefalmendes Herz, und jene unergründliche Welt von Adern und Kanälen, von Hebern, Filtern, Stollen und Schächten, in denen die Rätsel ihres Abstieges sich vollziehen und ihre ewigen Kräfte wirken, offenbart sich in ergreifender Macht und Größe der schauenden Seele! Hoch über der düsteren Herrlichkeit des Wocheiner Sees und seiner brausenden Herzschlagader, der Savica, liegt das Reich, das ich meine. Es ist das Reich der Sieben Seen des Triglav. Es ist das Land, das nicht lächeln kann, so tiefernst haben die schaffenden Raturkräfte sein Antlitz gebildet, seine Züge gegraben und seine Farben gewählt. Dort oben wohnt die Einsamkeit. Dir ist, als ruhe ihr stilles Auge unverwandt auf dir. Nichts regt sich. Das Leben und Klingen der Welt liegt so weit, kein Laut dringt herüber. Kein fließendes Wasser, das deine Wege mit hellem Gesang begleite. Du lauschest und hörst nur den Schlag deines eigenen Herzens. Hier ist der Ort, willst du allein sein mit dir'). Seine Almen sind gar arm und dürftig. Wie verloren liegen sie in den weiten, wunderbar stillen Karen, weltentrückt und in Schwermut versunken. Wer kennt die Alpe Lepovce? Wer ist jemals in Blato oder Poljane gewesen oder im verborgenen Erdenwinkel der Alpe 7) Die Erbauung und dann Vergrößerung der Seehülle am Doppelsee haben an diesem einsamen Charakter der Gegend fast nichts geändert. Die rote Trasse, welche auf der Karle 1:50.000 durch das Seetal» dann über den Sattel Stenge nach Dedno-polje zieht, wird noch immer sehr wenig begangen. Maze?*) Steinig und rauh sind die Pfade, im wilden Blockwerk kaum kenntlich und vielfach verworren. Oft hältst du zweifelnd still. Der Urwald verlegt dir den Weg und blickt dich erstaunt an: Was suchst du hier? Schlage ein Kreuz, ehe du ihn betrittst, dort wächst noch die Irrwurz, und berührt sie dein Fuß, fo verlierst du die Spur und suchst vergebens Richtung und Ziel. Ich glaube nicht, daß man diese Wege singend wandern kann. Nicht Frohsinn holt man sich dort oben, wohl aber Sammlung, tiefste Stimmung und starke Bergfrömmigkeit. Alljährlich kommt der fröhlichste Wandersmann, der Frühling. Draußen in der Wochein jauchzt die Natur. Die schöne Erde lächelt, der Kirschbaum blüht. Auch hierher sendet er seine Boten. Er breitet das Maiengrün der Buchen über die Hänge und bekränzt jede Wand mit den schweren Blütentrauben des Goldregens. Dann schreitet er leise über den Hochrand. Noch streut er seine Blumen, aber sein Lächeln ist erstorben. Ich bin chm dort in manchem Fahr begegnet. Er hat mich wehmütig angeschaut und ein ernster Schatten löschte die Lichter auf seiner lieben, leuchtenden Stirne. Der gewaltigste Berg dieser Gebiete ist der Debeli Brh (2392 m)8). Einer Riesenschaufel gleich, die breite Felsenstirne von einer schneeerfüllten Rinne senkrecht durchrissen, reckt er sich in der Haltung eines Gebieters jenseits der Alpe Blaze empor. Westlich und nördlich von ihm ziehen bis zum Randwall -es Sieben-Seen-Tales, zum Hriberce-sattel und zum Miäelj Brh zusammenhängende Hochkare, die ein bleiches, bis zu Gipfeln von über 2400 m aufragendes, in krausen Zügen verlaufendes Felsengerippe überhöht. Das ist das innerste Heiligtum der „Felsenmeere" des Triglav. Rur wenige sind bis heute dort eingedrungen. In der Karle") erscheint dieses Gebiet wie ein riesiger Pferdeschwamm. Kare und Mulden stellen dessen Löcher dar, Koten, Spitzen, Kuppen und die sie verbindenden Grate und Wälle dessen Rippen und Gefüge. Sie zeigt eine Anzahl von Höhenkoten, nennt aber keine Namen. Wird mir noch Muße werden, diese Namen zu finden? Noch näher meinem Herzen als die Hochwarte des Debeli Brh steht die weiter westlich aufgebaule, an Höhe ebenbürtige Lipa špica *) Sprich lllaze. Das V am Beginn des Wortes wird wie U ansgesprochen. So auch Vrata — Araka. s) Man sieht ihn schön von der Eisenbahnstation Wocheiner-Feistrih. Er wird von den Reisenden oft für den Triglav gehalten. Bor mir haben ihn sicherlich Gemsjäger und Hirten, schwerlich Touristen erstiegen. 9) „Iulische Alpen, östlicher Teil", 1 :50.000, k. u. k. militär-geogr. Institut in Wien. (2398 m). Sie war die erste in diesem Reich, die ich mil Andreas Komac, aus dem Trentatal kommend, erstiegen habe. Sie erheb! sich aus dem großen Randwall, der die Scheidemauer zwischen der Trenta und dem Tal der Sieben Seen bildet, und beherrscht mit ihrer scharfen Schneide beide Reiche in gleicher Weise. Das gibt ihrer Aussicht den ganz eigenartigen Charakter und Reiz. Roch heute zieht mich Erinnerung ebenso mächtig dahin, wie vor bald fünfundvierzig Jahren Begehren nach Neuheit und Entdeckung. Und stehe ich jetzt oben, so beuge ich mich zuerst hinab gegen das Trentatal. Dort sucht mein erster Gedanke und mein erster Blick die bescheidene Stelle, wo am grünen Hang über dem jungen Isonzo der kleine, steinumfriedete Friedhof liegt. Ich grüße stillbewegt das Herz und das Andenken des treuesten Mannes: Andreas Komac. Denn dort schläft er, der Siegreiche, der mich furchtlosen Auges und mit sicherer Hand durch alle Arbeit, Rot und Gefahr, über alle Gipfel der Iulier zu den höchsten Ehren emporgeführt hat, die diese Berge geben konnten. Solange ich aufrecht stehe im Licht und Treue mit Treue vergelten kann, lebt er nie vergessen in meinem Gedenken. Wie ist die Schau von dort oben so zauberhaft schön. 1700 m tiefer windet sich das Trentatal durch die Berge. Das Silberband der Soca glitzert, ich sehe genau die alten Stätten meiner Freuden. Von den Hängen tönen langgezogen die Hirtenrufe. Draußen über dem Talausgang stehen groß und breit gelagert die Berge des Kanin, jenseits in der blauen Ferne die Heere der Dolomiten. Sanfter gereihte Berge und im farbigen Duft verschwimmende Täler deuten, südwärts gerichtet, den Weg zum Meere. Weit draußen im Südwesten die grüne Ebene und blitzende Ströme. 3m Nordosten thront der Triglav. Sein gewaltiger Atem weht herüber. Kanjavec und Debeli Brh hoch-aufgerichtet an seiner Seite. Ostwärts zu Füßen das langgestreckte Tal der Sieben Seen, vom Plateau der Hriberce bis zum Studor von der senkrechten Mauer des Kopicazuges^) begleitet. Da liegen die lieben Seen in stiller, ernster Reihe, in ihrem dunklen, metallenen Grün, um die kleinsten ganz oben noch Säume von Schnee. Die schönen weißen Wolken ziehen hoch durch die Räume. Bald liegen ihre wandernden Schatten über den Spiegeln, bald strömt wieder goldener Sonnenschein über die Seelandschaft hin. Dann versucht wohl der eine 10) 3« der Karte 1:50.000 ist die Kopica falsch eingezeichnet. Dieser Name gebührt der Kote 2091. Bei Kote 1859 ist die Scharte „Stenge" oder „Stiege" geheißen, für Kote 1898 weiß ich noch keinen Namen. Non Kote 2213 nördlich und nordöstlich beginnen bereits die Namenprobleme. Der Grüne See (Zweiter See) 3"f- sunn»cr=s«ii™di Der Sechste See Fos. Kunaver-Laibach Sieben Seen des Triglav Zu Seite 36 oder der andere der Seen mif sanft gekräuseltem Wellenspiel in den darübertanzenden Sonnenstrahlen und im beglückenden Übermaß des Lichts ein leises Glanzgelächter, das aber im Augenblick wieder erstirbt. Rasch habe ich hingeschaut und begegne dem alten, unergründlich ernsten Blick! Das ist das Reich, wohin meine letzten Hoffnungen mich führten. Ich weiß nicht, ob ich die Stimmung, die darüberliegt, in die richtigen Worte fassen konnte. Vielleicht schildern sie ja nur das halb träumende Empfinden meines eigenen, in Erwartung und Sehnsucht klopfenden Herzens. Ich durchsuchte zuerst die Hänge des Kanjavec, des Brsak, der Lipa špico und umkreiste alle Seen bis zum Plateau der Hriberce und zur Alpe Lepovce. Kam so zum Schwarzsee und zum Rande der Komarca, und blickte zum ersten Male mit staunender Bewunderung in die wal-grünen Abgründe der Ukanca. Damals war dort oben alles noch Urwald, und -er Steig, -er hinabführte, war schwindelnd schmal. An einigen Stellen leiteten längs der Abgründe nicht Brücken wie jetzt, sondern roh behauene Baumstämme über die klaffenden Spalten. Dann überstieg ich den Zug der Kopica an der Stenge, kam zum verborgenen See Pri Jezero, zu den seltsamen, plötzlich aufspringenden und sofort wieder verschwindenden Quellen der Alpen Ozebnik, Hebal, Jezerce und Poljane, oder streifte durch die Komna zu den Alpen Ra Kraju und Govnjac am Fuße des Bogatin. Manchmal vermeinte ich durch die einsamen Gärten -er Rojenice zu schreiten. Sie schlangen sich in lang hingezogenen Säumen um den Fuß der Schutthalden oder standen in kleinen Inseln beisammen, auf denen der sommerliche Triglavflor farbenbunt prangte. Der ganze unsagbare Zauber der alten Zlatorogsage lag darüber, all ihre Wehmut und all ihr wundersam ergreifender, feierlicher Glanz. Ab und zu blickte mich überraschend irgendeine kostbare Seltenheit der Julischen Alpenregion mit stillen Märchenaugen an, als frage sie: „Bin ich es, die du suchst?" Alles, was diese Berge an seltenen Pflanzen bieten, legten sie zu meinen Füßen. Die Gesuchte nicht. Die Jahre vergingen, längst halte die Botanik vor der drängenden Berufsarbeit zurücktreten müssen, ich verfolgte nicht mehr ihre Literatur. Der Traum war geblieben. Die Tauernbahn hatte mir jene Gegenden viel näher gerückt, ich kam an vielen Sonntagen wieder hin, obwohl sich schon der erste Winterschnee eingestellt hatte und ich im leisen Absteigen begriffen war. Roch sagte jedesmal am Borabend eine leise Stimme in mir: „Vielleicht morgen!" So tief war jener Traum in meine Seele gedrungen. Scabiosa Trenta Da erzählte mir Marchesetti, als ich ihm nach langen Jahren im Spätherbst 1915 wieder einmal begegnete, das Geheimnis sei längst gelüftet. Professor Kerner habe unwiderleglich festgestellt"), daß die Scabiosa Trenta, Hacquet nichts anderes sei als die Scabiosa (Cepha-laria, Schrader) leucantha, Linne. Dies erhelle nicht nur aus der Zeichnung und der Beschreibung, sondern auch ganz besonders aus dem Originalexemplar im Herbarium Hacquets, welches sich im Krainischen Landesmuseum „Rudolfinum" in Laibach verwahrt befindet. Diese Überzeugung teile auch Professor Boß in Laibach, auch er habe das Originalexemplar untersucht und es in gleicher Weise bestimmt")"). Ein Zweifel sei nicht möglich. Kerner habe seinen Ausführungen beigefügt, man dürfe die Pflanze nicht in der hohen alpinen Zone suchen, wie es Krašan und Kugy getan hätten, sondern an den sonnigsten, nach Süden schauenden Stellen im Tal der Trenta in der Meereshöhe von 500 bis 1000 m14). Eine Verwechslung der Fundstellen könne er bei Hacquet nicht annehmen, da er dieselben so genau bezeichne. 11) „österr. Bokan. Zeitschrift" 1893, 113—117 mit 1 Tafel. „Aber selbst für den Fall, datz Scabiosa Trenta, bezw. Cephalaria leucantha an den bezeichneten Stellen im Gebiete des Triglav nicht mehr aufgesnnden werden sollte, so berechtigt das noch immer nicht, die so bestimmten Angaben Hacquets zn bezweifeln, sondern es Netze sich nur folgern, datz Cephalaria leucantha im Laufe der letzten hundert Jahre an den Hacqnet'schen Standorten ausgesiorben ist, was ja bei einem Relikte ans einer früher in den Tälern der Südalpen heimischen Flora nicht zu verwundern wäre. Ich halte nämlich dafür, datz Cephalaria leucantha, ähnlich wie Drypis Jacquiniana und Linaria littoralis auf dem Nanos und noch mehrere andere in den Jütischen Alpen an vereinzelten Punkten vorkommende Arten einer Flora angehören, welche ehemals in den Tälern der Alpen heimisch war, später aber in südlichere Gelände zurückgedrängt wurde, und von der sich nur einzelne Bestandteile an besonders begünstigten Stellen im Norden zu erhalten vermochlen." Eine leise diesbezügliche Bermulung zieht allerdings auch durch meine eigenen Ausführungen in der Zeitschrift des D. «. ü. Alpenvereins 1878, 70 und 1883, 370. 12) „Argo", Zeitschrift für krainische Landeskunde, Laibach 1893; herausgegeben von Professor Alfons Müllner, Jahrgang II, Seile 141—142: „Auch über diese Hac-quet'sche Art sind nun die Zweifel behoben, und zwar gab das Originalexemplar Hacquets, welches sich in der Sammlung des krainischen Landesmuseums „Rudolfi-num" befindet, die Beranlaffung dazu." 13) Siehe auch: „Begekationsstudien in den Ostalpen" I, „Die Verbreitung der mediterranen, illyrischen und mitteleuropäischen alpinen Flora im Isonzotale" von Günther Ritter Beck v. Mannagetta und Lerchena«. “) Kerner wußte da nicht, datz dies alles schon geschehen war. Er hatte nur meine Aussätze in der Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins 1878 und 1883 gelesen. 3n den oben beschriebenen Gebieten der Trenta und der Wochein ist kein kleinster Winkel, kein Tal, keine Wiese, kein Graben, keine Alpe, kein Hang, deren Flora mir nicht genau gegenwärtig wäre. Auch beziehen sich die Standortangaben Hacquets nirgends Wie ich so dastand und unter dem Eindrücke dieser Mitteilungen bedachte, daß sich eben wieder die Überlegenheit des Kühlen und nüchternen Forscherverstandes über die befangene Seele des Bergpoeken erwiesen habe, schien es mir, als geselle sich noch ein dritter zu uns, und ich erkannte das schlaue Gesicht -es Flitschers. Er verneigte sich nach Flitscherart, dann sagte er, er sei doch der Gescheiteste von allen gewesen, denn er habe damals sofort gewußt, -aß man die Cephalaria leucantha nicht dort suchen und holen müsse, wo sie als Gast weile und vor Heimweh nach Sonne und Wärme sterbe, sondern in ihrer wirklichen Heimat, wo sie in Vollkraft und bodenständiger Daseinsfreude gedeihe. Auf meine Frage, wie denn dieser südliche Gast in jene rauhen Berge gekommen und wie die Reise gewesen sei, bemerkte er kurz, darüber keine Klarheit zu haben, jedenfalls sei dies wieder eine andere, in Dunkel gehüllte Geschichte ganz für sich. Sprach's und war verschwunden! Run wird man wohl meinen, es hätte mich in jenem Augenblicke ein Schmerz erfaßt und es sei um mich plötzlich jene Leere gewesen, wie wenn man etwas Liebes verliert? Und zu den Enttäuschungen, die das Leben bringt, hätte ich wehmutsvoll auch die neue gelegt, daß ich so viele Jahre einem Trugbild nachgegangen war? Oder man könnte glauben, ich habe mir zum Troste gesagt, -aß so mancher aus der Armut und Dürftigkeit seines Lebens oder aus dem Reichtum seiner Phantasie jahraus, jahrein auf Sehnsuchtswegen die blaue Blume sucht und sie nie findet, sich endlich bescheidel und seinem Schicksal fügt, das dem einen mit freundlichem Lächeln, dem anderen mit hartem Griff Richtung und Platz bestimmt? Mein Herz lächelt still, es weiß es bester. Es empfand nicht Schmerz noch Leere, es bedarf keines Trostes. Es glaubt noch an sie, so unerreichbar sie ist, und es wankt nicht in seiner Treue. Erinnerung hält es empor mit starken Seilen. Dort oben in der Stille und Einsamkeit jener Berge, im Sonnenglanz der Höhen, im sommerlichen Atmen der Hänge und im starken Harzgeruch der Legföhren hat es zu sehr und zu oft chre heimliche Nähe empfunden. Sie gehört ihm nun ganz allein, keinem anderen wird sie jemals mehr blühen. And gewiß, es hat sie sich wohl verdient! mtf die minimalen Höhen von 500 bis 1000 m. Sein „super Mischelem Verch“ spricht ganz deutlich. Da find Berg- und Almhänge gemeint. Noch höher gelegenes Terrain dentel die Nennung des Triglav an. Es handelt sich also um eine Scabiosa leucantha in alpin angepatzter Form. Glaube niemand, daß jene Zeiten mich reuen. Wer möchte in seinem Leben die Zeiten der ersten und reinsten Liebe vermissen? Eine fein gestimmte Saite erklingt immer in mir, höre ich ihren Namen nennen, oder sehe ich ihr Bild auf dem alten, vergilbten Blatt. Und alles, wie ich es hoffte, wie ich es sah, und wie es war, alle jene Bilder von oft überirdischer Schönheit, alle jene Wunder der Natur, die ich schauen durfte, und aller Märchenglanz, der über jenen Fahrten ruht, strömen dann in einem einzigen Empfinden von unbeschreiblicher Tiefe, in einer einzigen heißen Welle durch meine Brust. So blicke ich hinauf zu deinen verklärten Höhen, dankbar und gläubig. Und über Zeiten und Räume grüße ich dich, liebe Wunderblume meines Herzens, Scabiosa Trenta! Kapitel III Die Julisch en Alpen" *) Die slovenischen Namen in den Iulischen Alpen schreibe ich fo, wie ich und zum Teil Profesior Adolf Gstirner dieselben schon früher in die alpine Lileralur eingeführk haben. Dabei wird ausgesprochen: c wie das deutsche 3, č wie ksch, s wie ff, § wie das französische eh, z wie das französische z, ž wie das französische j. Nach meinem Prinzip, überall die allen, int Volke entstandenen Namen respektiert sehen zu wollen, hätte ich allerdings die rein slovenische Schreibung annehmen muffen, aber ich halte auf die Kontinuität in der Literatur und auf das Leserpublikum Rücksicht zu nehmen. Inhaltsangabe 1. Östliche Zulier Seile Suhi Plaz............................................39 Triglav............................................ 47 Zalouc............................................. 55 Razor................................................61 Prisang..............................................65 Korilascharte (Scharte Škrbina)..........................68 Flitscher Grintouc und Pelc..............................72 Kotova špico und Konca špica.............................78 Manhart..................................................83 Poncazug.................................................85 Römertalberge . 95 2. Westliche Julier Wischberg, Gamsmutterzug, Spranjeturm...................102 Gamsmutterzug, Hohe Weitzenbachspitze, Korspihe . . . .118 Steinerner Jäger, Schwalbenspihen, Raboiszug .... 135 Kaningruppe.............................................138 Montasch, 36f del Monlasio..............................158 1. Östliche Iulier Suhi Plaz (2738 m) Ach hatte die Worte Klancnigs über den Suhi Plaz nicht vergessen. Ich wußte, daß ich mich an chm versuchen müsse, aber die Pläne reiften langsam; es war das erstemal, -aß ich an verschlossenen Bergespforlen rütteln sollte. Soviel war mir bald klar geworden, daß ich meinen Begleiter für diese Unternehmung nicht unter den Triglavführern von Mojstrana suchen dürfe, wo man fest an die Unersteiglichkeit des Berges glaubte. Auch in Kronau kannte ich keinen geeigneten Mann. So brav und verläßlich solche Führer und Berggänger zweiten und auch dritten Ranges in den Hochgebirgsstationen sein können, wenn sie sich auf ihnen wohlbekanntem Terrain bewegen, so leicht versagen sie» werden sie in ein fremdes Gebiet und gar zu Aufgaben geführt, vor welchen die Autorität des Bolksmundes ein Warnungstäfetchen ausgestellt hat. Bei den Jägern des Savetales herrschte der Aberglaube vor, der Suhi Plaz sei die unnahbare Zufluchtsstätte der Gemsen, man dürfe an dem innersten Heiligtum seiner zerklüfteten Wände nicht rühren. Nicht so bei den Trentanern. In der Trenta lagen damals die Jagd-verhältnisse vollkommen ungeordnet, fast jeder Mann war ein Raub-schüh. Verwegene Unternehmungslust und unvergleichlich überlegene Felsentüchtigkeit führten die Trentaner weit hinaus in die gemsenreichen Gebiete der Julischen, es gab Leute unter ihnen, die wochenlang auf leisen Sohlen in fremden Revieren pürschten und mit der Beute ihre Geschäfte betrieben. Kühn und schlau wie sie waren, bedeuteten sie für Jagdhüter und Gendarmen eine schwere Sorge und Plage. Ihre Jagdlust war unbezähmbar. Nirgends sonst habe ich derartig wilde Ausbrüche des Jagdparoxysmus gesehen wie in der Trenta. Ich hatte oft Trentaner in meiner Begleitung, die sich wie sinnlos vor Aufregung gebärdeten, wenn chnen ein Gemsrudel zu Gesicht kam. Da sie keine Waffe trugen durften, wenn sie mit mir gingen, rannten und sprangen sie dem aufgescheuchten Wild durch die Wände nach, waren nicht zu halten, tanzten johlend, auf den Fingern pfeifend, mit den Pickeln an den Felsen lärmend, wie vom Jagdteufel besessen auf den schmalen Bändern herum, verschwanden oft auf Stunden und ließen mich allein, bis ich sie dann später wie traumverloren, den Blick ins Weite ge- richtet, auf irgendeiner beherrschenden Höhe wiederfand. Wie off habe ich damals und später da und dort hoch in den Wänden eine Gestalt gesehen, die sich still dahinbewegte und auf meinen Anruf spurlos verschwand, als hätten die Felsen sie verschluckt. Wer war es? „Ein Raubschüh, ein Trentaner", war immer die Antwort. Unter ihnen suchte ich meinen Mann. So Kam es, daß ich bei allen meinen Versuchen 1878 bis 1880 den Anmarsch aus der Trenta nahm, und es war naturgemäß, daß Tozbar mein erster Begleiter wurde. Der Suhi Plaz liegt weitab von der Trenta. Man muß drei große Wälle überschreiten, bevor man an seinen Fuß gelangt. Deren erster scheidet den Biel-PotoK-Graben vom Plateau der Spleutaseen, der zweite sperrt dieses Plateau im Norden, vom KriL bis zum Steiner, den dritten baut die gemsenreiche Nogica auf. Nichtiger und kürzer wäre der Anmarsch von Mojstrana durch das Vratatal gewesen. Von dieser Seite und vom Triglav gesehen erscheint der Suhi Plaz als ein breiter, trotziger Felsturm. Gegen Kronau blickt er als hochragende gezinnle Wand und wird Škrlatica, die Scharlachrote, genannt. Breite, scharlachrote Streifen sind da senkrecht durch seine Wände und über die Gipfelzacken seiner Umgebung gelegt, daß sie wie Feuersäulen emporflackern. Seine schönste Seile wendet er gegen Norden, Kärnten zu. Da zeigt er sich an klaren Tagen hoch über dem ungeheuren Säulenbau der Marlulekberge wie eine in Lüften schwebende, farbenprächtige, firnenschimmernde, säulengetragene Götterburg. Wenige kennen ihn, aber alles blickt, von der Größe seiner Erscheinung betroffen, zu ihm hin, fragt verwundert nach seinem Namen und erhält selten die richtige Antwort. Mit Tozbar benützte ich zwei Wege, um an seinen Fuß zu kommen. Der erste führt vom Spleutaplateau über den KriL, dann längs des Hauptkammes über eine Scharte westlich der Nogica, der zweite über die Scharte Vratiča zwischen KriL und Steiner und um den östlichen Fuß der Nogica. Beide Wege vereinigen sich jenseits der Nogica beim klassischen Riesenblock im Zadnji Dovg. Vom Gipfel der Nogica (2582 m) studierten wir zuerst die Details der gewaltigen Südwand» unseres Berges und beratschlagten über die einzuschlagende Richtung. Mit jedem Versuch waren ein oder zwei Biwaks verbunden, denn die Wege von Trenta sind gar weit und oft muß man die gewonnene Höhe wieder aufgeben. Wiederholt übernachteten wir in der Randkluft eines Schneefeldes, welches sich an die Ostwand der Nogica lehnt. Jene Nächte in so abenteuerlicher Umgebung, auf abenteuerlicher Fahrt, sind Z» Seite l'i Andreas Komac Antonio Kramnier ^ Triest mir tief eingeprägt geblieben. Die Kälte weckt mich, ich höre das leise Rauschen der Bistrica aus der Tiefe des Brakatales. Aber anstatt die Stille der Bergwelt zu stören, scheint es sie nur noch eindrucksvoller zu vertiefen. Schlaftrunken blicke ich auf. Schwarze Felsüberhänge über mir und gespenstisch leuchtend der wunderlich zerfrestene Rand der Schneemauer, hoch über dem Spalt in leise wechselnden Bildern die ziehenden Sterne. Drüben hockt die groteske Gestalt meines Begleiters im phantastischen Schein des Lagerfeuers, das er, nie müde, immer sorglich auf mich blickend, schürt und bewacht. Hochauf sprühen die Funkengarben, wenn er die frischen Krummholzzweige darüber wirst. Harzgeruch und helles Geknatter, huschende Lichter, dann wieder die niedersinkenden Schatten, aus der Ferne das Lied des Wassers und rings die unendliche Stille. So zieht die Bergnacht in traumhafter Schönheit vorüber. Hast du sie jemals, so am Herzen der Berge ruhend, in ihrer vollen Herrlichkeit erschaut? Weißt du, was sie dir dort oben offenbaren kann in der Heimlichkeit der Höhen und der Zeit vom Niedergang bis zum Aufgang der Sonne, die sie mit ihren Zeichen und Wundern erfüllt? Glaube es mir, solche Nächte vergißt man nie wieder! Einmal befanden wir uns auf der richtigen Spur. Wir kamen an den Fuß des Riesenkamins. Noch zwanzig oder dreißig Meter, und -er Sieg wäre schon damals entschieden gewesen. Aber der Kamin war vollkommen mit Schnee erfüllt, wohl steiler als das steilste Kirchendach. Tozbar schien mir damals mit der Borsicht zu übertreiben, er war verängstigt und weigerte sich entschieden, weiterzugehen. So kehrten wir den ganzen weiten Weg nach Trenta zurück. 3m folgenden Jahre (1880) bat er mich, ihm weitere Bersuche auf den Suhi Plaz zu erlassen, er fühle sich schon alt und müde. 3ch suchte weiter und vernahm, der berüchtigte Raubschütz Matthias Kravanja sei wieder im Tal. Bald stand der lange, rotbärtige Geselle vor mir. Woher er kam, sollte ich gleich erfahren. Er redete mich italienisch an. 3ch wunderte mich und frug, wieso er diese Sprache kenne? Er sei eben in italienischem Land gewesen. Wo denn? „Herr, ich werde es offen sagen, unschuldig, in Capodistria"?). Wie lange denn? „Neun Jahre, Herr, neun lange 3ahre!" 3ch müsse Geduld haben, er sei von der langen! Haft etwas geschwächt, aber er werde es leisten, gewiß, er werde es leisten! Er sei schon in den Karen drüben gewesen, er wisse, dort seien die Gemsen, voll von Gemsen sei es dort, er wolle sie wieder sehen, ich 2) Strafanstalt für schwere Verbrecher in der Stadl Capodistria an der istrischen Küste. solle mich auf ihn verlassen, er werde mich gut führen, er führe mich die „buona strada“! And auf seinem armen Berbrechergesichk flackerke die wilde Iagdlust der alten Zeit. Ich erfuhr, daß er soeben eine neunjährige Kerkerstrafe wegen Falschmünzerei verbüßt hatte. Mich gruselte etwas, trotzdem schlug ich ein. Ansere Vorbereitungen waren bald beendet und wir brachen auf. Da kam mir ein junger Bursche nachgelaufen, barfüßig und ohne Rock. Ich solle chn mit-nehmen. Er wolle mich führen, kein Mensch in Trenta könne klettern wie er, mit jedem nehme er es auf, mit ihm sei mir der Suhi Plaz morgen sicher. Wie schwer mag es chm gefallen sein, sich so anzupreisen: es war Andreas Komac. Was ging da in seiner stillen, bescheidenen Seele vor? Ich sei versehen, antwortete ich ablehnend, mehr als einen Begleiter brauche ich nicht. Er ließ nicht nach. Er gehe ohne Lohn mit, ich solle nur sehen, was er könne. „Herr, nehmen Sie mich mit. Sie werden sehen. Sie werden mich dann immer mitnehmen!" Mehr als zwanzig Jahre ist Andreas seither mit mir gegangen, von diesem Tage an immer „mitgenommen"; eine so lange und so geläufige Rede habe ich nie mehr von ihm gehört. Seine bittenden Augen, der flehende Ton seiner Stimme, ein gewisses Etwas in seinem Blick und in seinem Wesen veranlaßten mich nachzugeben. Später habe ich oft gedacht, daß ihn mir damals wohl die Berge gesandt haben müssen: „Er soll dein Führer sein." Wenn er die vielen Jahre hindurch so dastand und meine Ankunft erwartete, anfragte, wohin die Reise gehe, meine Wünsche und Pläne vernahm, dann still lächelte und oft ohne ein Wort zu sagen voranzuschreiten begann, erschien er mir immer wie ein Bote von oben, als habe er von unsichtbaren Mächten einen Auftrag erhalten, mich zu holen, als erwarte und geleite er einen Gast, den sie zu sich geladen hatten, der angekündigt und willkommen ist, und den er sicher zu ihnen bringen mäste! Er flog davon, um sich herzurichten, und hatte uns bald im Biel-Potok-Graben eingeholt- Er übernahm sofort die Führung. Der arme Kravanja mußte oft keuchend siillestehen und rastend Zurückbleiben. Wir biwakierten in der Hrušča jenseits des Braticasattels, und um 7 Ahr morgens des nächsten Tages ertönten unsere Siegesjauchzer von der Spitze. Wir hatten den Weg genommen wie damals mit Tozbar, doch knapp vor dem Riesenkamin hatte Andreas prüfend emporgeschaut und sich nach links gewandt. Er faßte den Stier bei den Hörnern und führte durch ganz steile Kamine und über eine sehr schlechte, überhängende Wand gerade hinauf, ohne einen Augenblick zu zögern oder schwankend nach Besserem zu suchen, in einer Kletterei, die noch heute zu den schwierigsten gehört, derer ich mich in den Jütischen Alpen erinnern kann. Er kletterle mil unvergleichlicher Meisterschafl und mit bewunderungswürdiger Leichligkeil, Raschheil und Eleganz. So etwas hatte ich noch nicht gesehen, und es ist mir auch später nie mehr vorgekommen. Nur Daniel Maquignaz aus Baltournanche hat mich in seinen besten Jahren daran erinnert. Es fiel mir sofort auf, daß Andreas schwierige Details nie von vorne und mit Kraftaufwand anging. Er nahm sie von der Seite, wie spielend und von ungefähr, und war oben, bevor man es klar erfaßt hatte, wie er es machen wolle. Den Überhang überwand er von meinen Schultern aus. Leichtfüßig spreizte er zur Linken in die glatten Felsen und war auch schon ober mir verschwunden. Kravanja hatte sich von uns getrennt, er suchte die „buona strada“ näher beim Riesenkamin. Schließlich lenkte er in unseren Weg ein, mußte unter dem Überhang warten, bis Komac zurück-gelaufen war und ihm das Seil zugeworfen hatte, und kam mit starker Verspätung auf den Gipfel. Wir hielten lange Siegesfeier. Erbauten zwei Steinmänner, und da Kravanja etwas Farbe mitgebracht hatte, malte ich die Daten der Ersteigung auf einen dem größeren Steinmann eingefügten Block. 3m Abstiege bat ich Andreas, der als letzter ging, sich über die überhängende Stelle abzuseilen. Als ich dann bemerkte, daß er mit bloßen Füßen in der erschreckenden Exposition frei herabklettere, rief ich einen Borwurf hinauf. „Still, still", flüsterte er, beugte sich tief herunter, faßte meine emporgestreckte Hand, und schwang sich leicht wie eine Feder, geschmeidig wie eine Katze zu meinem schmalen Stand herab. Als ich einige Tage nachher nach Kronau kam, vernahm ich erst, daß gleichzeitig mit meinen Ersteigungsverfuchen von Trenta auch von Kronau aus solche unternommen worden waren. Es war der erste Ersteiger des Montasch, Hermann Findenegg, der mit dem alten Kronauer Jäger Pecar vulgo Bobek den Berg von Norden belagert hatte. Zwei Versuche waren fehlgeschlagen. Bis zu diesem Augenblick war mir die Erstersteigung des Suhi Plaz lediglich die Erfüllung eines sehnlichen Wunsches gewesen. Zeht erst, da ich vom Wettbewerb eines Größeren vernahm und es mir klar wurde, daß ich fast zu spät gekommen wäre, mit einem Schlage, stand sie als ein alpiner Erfolg vor mir. Mein die gefürchtete Škrlatico der Kronauer! In jener Nacht habe ich kein Auge geschlossen. So jubelte es in mir! Das Glück hat dem ausgezeichneten Bergsteiger hier nicht gelächelt, aber als ich von seinen Versuchen erfuhr, sagte ich zu Komac, es werde nun unsere Aufgabe sein, den Nordanstieg zu finden. Die Jütischen Alpen Zunächst beschäftigke ich mich mit den verschiedenen Zugängen durch die Südwände^), dann versuchte ich einmal mit Andreas von der Spitze ins nördliche Kar abzusteigen, kam ziemlich tief, sah aber bald ein, daß diese Nordwände von unten angepackt werden mußten. Es vergingen dann Jahre, in denen andere Unternehmungen im Vordergründe standen, bis ich zufällig vernahm, es würden in Mojstrana aus Jagdrücksichten den Kandidaten für den Suhi Plaz Schwierigkeiten gemacht. Da ging ich mit Andreas und dem jungen Trentaner Kverh wieder hin und suchte und fand, glücklicher als Findenegg, den Nord-anstieg.Z Ich dürfte im ganzen vierzehn- oder fünfzehnmal auf der Spitze des Suhi Plaz gewesen fein3 4 5 6). Das letzte Mal erstieg ich ihn mit Anton Oitzinger aus Wolfsbach von Mojstrana aus und biwakierte, um nicht zu sehr eilen zu müssen, in einer kleinen begrünten Nische unterhalb des Bandes, auf welchem man in den Zadnji Dovg quert. Am nächsten Morgen stand ich lange vor einer anderen Stelle höher oben, wo alle Anzeichen darauf hinwiesen, daß da vor Jahren eine kleine Gesellschaft biwakiert haben müsse. Herd- und Rauchspuren an einem großen Block, geebneter Boden knapp in seinem Schuhe, eine kleine Slein- 3) 3d) habe die Geschichte dieser Ersteigungen in der Zeitschrift des D. u. ö. Alpenvereines 1883, 370, und in der „Erschließung der Ostalpen" 1894, III, 567, nieder-gelegl und bringe das dort Gesagte nicht wieder. Auch in den folgenden Ausführungen werde ich Wiederholungen nach Möglichkeit vermeiden, jedoch immer die betreffende Literatur anführen. Der Zweck dieser Erzählungen soll sein, daß die Irdischen Alpen in ihrer ganzen Größe vor dem Leser erstehen, ohne daß allzuviele Details den Blick verwirren, daß ferner einige größere Unternehmungen, über die ich noch nie gesprochen habe, zur näheren Beleuchtung der Ersteignngsgeschichte geschildert werden. Denn ich hatte in meinem Leben eine lange Periode — und es war gerade die arbeils- und erfolgreichste von 1890 bis 1910 —> in welcher ich fast nichts veröfsenllichl habe. 3n der Jugend erzählt man gerne, int Alter wird man leicht wieder geschwätzig, der Mann in der Vollkraft schreitet ohne viel Worte von Tat zu Tat. Daher, und da ich alles aus der Erinnerung schreibe, kommt es auch, daß ich mich in vielen Fällen an die genauen Zeilen, Daten und Jahreszahlen, nicht mehr erinnere. Das schuf mir anfangs Bedenken, aber ein lieber Freund, der darüber wacht, daß diese Erinnerungen richtig zu Ende geschrieben werden, tröstete mich: „Ach wozu denn Daten. Damit hat man längst aufgeräumt. 3n den Bergen gibt's keine Daten» da ist es so, wie es in einer alten Legende heißt: Bor Gott find tausend Jahre nur wie ein Tag!" 4) Literatur: ö. A. Z. 1897, 1, 13 und 25: „Neue Touren in den Iulischen Alpen. Ein Nachtrag zur Erschliehungsgeschichte. I. Der Suhi Plaz (2643 m) direkt von Kronau über die Nordwand." 6) 3d) benützte dabei noch ein zweites Mal meinen ersten Weg, dann den erheblich leichteren Riesenkamin und später den leichtesten, heule üblichen, leider seil den letzten Jahren markierten und versicherten Weg. mauer. Ich gedachte derer, die hier vor dem letzten Angriff auf den Suhi Plaz geruht haben mochten. Erst viel später erfuhr ich, daß es die drei Brüder Kainradl unter der Führung chres ältesten, Leo, gewesen waren. Lange lag ich dann im warmen Sonnenschein im Zadnji Dovg in stiller Betrachtung der Südwände, die seither der Tummelplatz für eine kühne bergsteigende Zugend geworden waren°), und verbrachte den Rest des Tages auf der Spitze, die noch den alten Stein-mann trug. Nur im Winter widerstand mir der Suhi Plaz. Ich war dreimal in die AljaLhütte gekommen und hatte zweimal den Aufstieg durch die große Lawinenrinne kurz nach Mitternacht, das letzte Mal sogar schon um 9 Uhr abends begonnen. Aber stets habe ich den Schnee so hochliegend und in so schlechtem Zustand angetroffen, daß mich der ausgehende Tag noch in den unteren Partien des Berges fand und ich die Ausfichtslosigkeit meines Beginnens einsehen mußte. Da höher oben im Winker Keine llbernachtungsmöglichkeit besteht, müßte man entweder das Glück haben, vollkommen Harken Schnee anzukreffen, oder man müßte bis zum Zadnji Dovg mit Skiern emporsteigen und dann sein Glück versuchen. Glückauf dem Mutigen, dem es gelingen wird! Nach dem Schicksal Kravanjas habe ich mich wiederholt erkundigt. Da hörte ich schöne Geschichten! Er war immer mehr heruntergekommen, hatte sich ganz dem Wildern hingegeben, und wenn ihm eine Gemse versagt blieb, so korrigierte er das widrige Geschick und schoß sich ein Schaf- Dann habe er sich eines Sonntags auffällig um das Kirchlein Santa Maria in Trenta Herumgetrieben, sei schließlich dort nachts eingebrochen und habe der heiligen Jungfrau ihren armen, so schwer gesammelten Kirchenschah geraubt. Da habe er wieder auf Jahre seine Freiheit verloren. Trotzdem sei es ihm gelungen, sich noch einmal ein besseres Leben zu zimmern, indem er zu einer auf Gottes Güte und Barmherzigkeit vertrauenden Wittfrau in der Lagagegend eingehei-ratet habe, wo er dann nach Zähren gestorben sei. Ich gedenke aller, die mit mir in den Bergen waren, und will bemüht sein, jedem von ihnen in diesen Erinnerungen ein bescheidenes Denkmal zu sehen. Auch von ihm will ich ohne Dank nicht scheiden, und so sei auch ihm, dem armen Sünder, ob der Sehnsucht zu den lichten Bergen und zu ihren unwiderstehlich lockenden Gemsen, die chn im Dunkel der schweren Kerkerjahre verzehrte, ein Kreuzlein geweiht! Nördlich des zentral aufragenden Suhi Plaz teilt sich der Haupt-Kamm in zwei gewaltige, nach Nordwest und Nordosi ausstrahlende 6) „Führer durch die Iulischen Alpen", Verlag Ioh. Heyn, 1914, 79—80. Ketten. Sie umfassen die beiden Hochkare des Martulekgrabens: Za Akam und Pod špikom und bieten dem Reisenden auf der Bahnstrecke von Lengenfeld bis Kronau in ihrer wundervollen Breitenentfaltung das bekannte großartige Schaustück. Ein Blick auf die Karte zeigt auch hier ganze Reihen von hohen Koten ohne Namensbezeichnung. Es ist viele Jahre lang mein Wunsch gewesen, die Probleme, die dort verborgen liegen, zu studieren und zu lösen, ich wußte, daß dort Arbeit für viele Wochen vorhanden fei7). Der Zusammenhang der südlich, östlich und nördlich unter dem Suhi Plaz liegenden Hochkare, die Möglichkeit von Schartenübergängen aus dem einen dieser Kare ins andere, die Ersteigung der aus der östlichen Ilmwallung des Ostkares Mali Dovg aufragenden, zum Teil noch jungfräulichen Gipfel, dies alles intereflierte und lockte mich mit einer reichen Fülle von ungelösten Fragen. Wohl habe ich in diesem Gebiet viele Touren gemacht, ich erstieg schon in den ersten 1880er Zähren die Kukova špica (2417 m), später aus dem Rord-kar des Suhi Plaz, Velika Dnina geheißen, den Lengenfelder KriL (2621 m)8 9) und die Ponica (2592 m), kam dann noch zweimal zur Kukova zurück, um von dieser die Gratwanderung zum Suhi Plaz zu versuchen» ohne des jedesmal ungünstigen Wetters wegen den Plan durchführen zu können. War dann wiederholt am Gipfel des špik (2472 m), in dessen Westwand ich mir über den höchsten Schneefeldern einen reizenden Biwakplaho) hergerichtet hatte. Stets blieb es aber bei vereinzelten Unternehmungen und es fehlte die Muße zu einer systematischen Vertiefung. Das letzte Mal schlief ich an meinem allen Biwakplatz im Rordkar, aber die Zeit war schlecht gewählt, denn es gingen während des Abends und der ganzen Nacht unter gewaltigem Donner derartige 7) Später (1904—1910) sind die Markulekberge Arbeitsgebiet von Prager Bergsteigern geworden. Die ö. A. Z. XXXIV, 1912, Nr. 850 enthält unter dem bescheidenen Titel „Einige neue Touren in der Suhi-Plaz-Gruppe" einen Aufsatz von Dr. Georg Cermäh, Prag, der weit mehr bringt» als er ankündigt, »nd für die Markulekberge geradezu grundlegend ist. Die Herren Dr. Cermäh, Dr. B. SoorShy und eine Anzahl tüchtiger Genossen haben in diesem prachtvollen und merhwürdigerweise so arg vernachläsiigten Winhel der Iulischen Alpen, zum Teil ohne Führer, zum Teil mit dem Trenlaner IoLe Komac gehend, wirhliche systematische Erschlietzerarbeit verrichtet, und wer in die Martulehberge will, darf es ja nicht unterlaffen, den oben hervorgehobenen, sehr anziehend geschriebenen Aufsatz genau zu lesen und sich darauf zu stützen. 8) Literatur: ö. A. Z. 1898, 81 und 93: „Neue Touren in den Iulischen Alpen 1897. Nachtrag zur Erschliehungsgeschichle. I. Der Lengenfelder KriL (2497 m) über den Südgrat." 9) Einen solchen hatte ich auch im großen Nordhar unter dem Suhi Plaz. Literatur: ö. A. Z. 1897, 1: „Neue Touren in den Iulischen Alpen" wie oben I. Steinlawinen ob, daß das ganze Kar von Staubwolken erfüllt war. So zog ich sicherere Wege vor, bog am nächsten Morgen nach Norden ab, und erstieg auf neuer Route die Lipnica (2418 m) und den špik. Mir war also die Vollendung dieser Arbeit nicht beschieden, aber ich vertraue auf einen kommenden Mann^). Triglav (2863 m)11) «>^ch liebte die Berge und kam immer wieder zu ihnen zurück. Ich tat es nicht sprunghaft, sondern wenn ich einmal einen Berg erstiegen hatte, so ließ ich mich in seinem Bannkreise fefihalten, trieb mich in seiner nächsten Umgebung herum, als hätte ich dort etwas verloren oder vergessen. Im Alpenverein hieß es bald, Dr. Kugy studiere die Julischen Alpen systematisch. Aber ich glaube, das schien nur so, ich war mir einer solchen Absicht nicht bewußt. Es war in Wirklichkeit nur der sehnliche Wunsch, den Berg, der mich eben beschäftigte, von allen Seiten zu sehen und kennen zu lernen, jeden seiner Züge bis zum vollen Verständnis zu beobachten und zu verfolgen, in der Wiederholung der Ersteigung und in der Feier des Wiedersehens das alte Glück, das er mir geboten, wiederzufinden und neues aufzubauen. So wuchs er dann vor meinen Augen zu einer scharf umrissenen, machtvollen Persönlichkeit heran, die mich um so mehr fesselte, je tiefer und klarer es mir gelungen war, ihr Wesen zu ergründen und ihre Bedeutung zu erfassen. Es scheint mir, daß die Volksseele ebenso empfindet und ähnliche Wege geht, -aß sie die Namen ihrer Berge erst prägt, nachdem sie in jahrhundertelanger Beobachtung ihre Persönlichkeit und chren Charakter genau und richtig erfaßt hat. Darum soll man die bodenständigen und volkstümlichen Namen mit Ehrfurcht und Liebe behandeln, nach chnen suchen, wo sie in Bergeffenheit geraten sind, und eifersüchtig darüber wachen, daß sie nicht willkürlich verändert oder in gekünstelter Weise erseht werden. Denn in ihrem eigentümlichen Klange und in ihrer Urwüchsigkeit sind sie ein Teil der Bergpersönlichkeit geworden, und oft geben sie besser und zutreffender als jede Beschreibung und in der poesievollsten Weise den Eindruck und die Stimmung wieder, wo- 10) Siehe hier die Anmerkung Dr. Georg Cermäh, Prag, betreffend. Der „Führer durch die Jütischen Alpen" 79—83, 87—93 (mit einer sehr guten Tafel) bringt auch bereits ausgezeichnete Vorarbeit. u) Die denkwürdige Ersteigungsgeschichte des Triglav von 1777 bis 1894 habe ich in E. ©., 22. bis 24. (Schluß-) Heft von Seite 570 an sehr ausführlich niedergelegt. Wenige Gipfel haben eine so alle Geschichte. mik die Berge aus dem Dunkel der Zeilen in den Beobachkungskreis und in das Bewußtsein des Volkes eingetreten sind. So ist es gekommen, daß ich vielleicht vierzig Mal auf dem Triglav gewesen sein werde, genau kann ich es nicht mehr sagen. Der Triglav ist der Idealberg meiner Jugendzeit gewesen, wie die Trenta deren ideales Hochgebirgstal. Er ist der Höchste der Iulier. Aus Zlatorogs Zauberland ragte er in meine Träume herein und beherrschte sie viele Jahre hindurch. Keinem anderen Berge habe ich so viele Altäre errichtet wie ihm. Wie pochte mein Herz und flog es in brennender Sehnsucht ihm entgegen, erklang mir sein altersgeweihter, sagenumwobener, Gottheitsnähe verkündender Name. And sind nicht die weißen Rojenice milde segnend, leise, leise an mir vorübergezogen, da ich in längst versunkenen heiligen Triglavnächten an meinem Lagerfeuer friedevoll schlummerte? An- hat mein Fuß die schmalen Bänder nicht betreten, „rechts die Wand, die blaue Luft zur Linken, unter mir die purpurfarbne Tiefe", auf denen der Trenlajäger dem Goldgehörnten freventlich gefolgt ist, bis die Triglavrosen blutrot aus den Felsen erblühten? And hat mir nicht in seinen Mauern und Felsenmeeren Mittag und Ankergang zu in tiefster Heimlichkeit und süßer Poesie eine andere Blume geblüht, nicht die Todesblume jener düsteren Sage, sondern die lichte, liebe Wunderblume meines Herzens Scabiosa Trenta, die meinem Bergleben so vieler Jahre Ansporn und Inhalt bedeutete? Wahrlich, unter den Blättern, welche die Geschichte meiner Bergjugend enthalten, ist wohl nicht eines, worauf Allvater Triglav nicht seine geheimen Zeichen geschrieben hätte. Ich kam zuerst durch die Kerma zu ihm und nahm den gleichen Rückweg. Dann stieg ich zur Wochein nach Mitterdorf und Alkhammer ab. Später wählte ich den Weg zur Wochein über die Hriberce und durch das Tal der Sieben Seen. Oder ich kam von Trenta über den Bräak-und den Hriberce-, oder über den Dolec-Sattel. Zuletzt nahm ich den Anmarsch durch das Kot- und das Bratatal. So lernte ich, daß der Triglav nicht eine Spitze, sondern ein gewaltiges Reich ist. Es gab eine Zeit, wo ich immer wieder zu ihm zurückkehren mußte. Ich harrte auf seiner Spitze des Aufgehens der Sonne, sah sie von dort glorreich untergehen, verbrachte halbe Tage auf seinem Gipfel, und hätte ich damals gewußt, was ein Schlafsack^) ist, so hätte ich oben mehr als eine selige 12) Alle diese Behelfe des modernen Bergsteigers habe ich allmählich erst viel später kennen- gelernt. Kletterschuhe blieben mir lange nnbekannl» wir zogen auf steilen Platten Schuhe und Slrümpfe ans und gingen barfüßig. Gliedereisen kannte ich nicht, ich trug die schweren, langzinkigen, aus einem Stück gearbeiteten Stollen Zu Seile 47 Triglav aus dem KriLki Podi Jos. Ziunnver-Laibnch Au Seife 50 Die Nordwand des Triglav vom Vratalal Franz Kröner-München Nachk verträumt. Bald genügte es mir nicht mehr auf seiner Spitze zu stehen, ich suchte die Hochwarken auf, von denen ich mir einen besonderen Ausblick auf den Triglav versprach. Ich wollte ihn in seiner ganzen Herrlichkeit von allen Seiten sehen. Zuerst war es der Ozebnck (2084 m) in der Trenta. Vielleicht erscheint der Triglav von hier gesehen am größten. Von den Tiefen der Zadnjica bis hinauf zum königlichen Scheitel mißt die Westwand fast 2000 m13). Es ist ein Bild von erschreckender Größe. Vergebens sucht das Auge in der wunderbar abschüssigen Flucht dieses Hanges nach Ruhepvnkten, es gleitet haltlos bis ins abgrundtiefe Tal. Man ist geneigt, die Berge nach ihrem architektonischen Bilde als Pyramiden, als Türme, als Burgen, Mauern, Hörner oder Zinnen zu kennzeichnen. Das ist hier nicht möglich. Für den Triglav von dieser Seite finde ich kein paffendes derartiges Gleichnis. Er wirkt nicht mit Schönheit oder Seltsamkeit -er Formen, noch weniger mit Reichtum der Gliederung oder mit Glanz der Farben. Was den Hintergrund des Zadnjicatales erfüllt, ist ein „Berg" von so ungeheurer Wucht» daß kaum jemand bei seinem ersten Anblick sich darauf besinnt, ihn vielleicht schwerfällig oder eintönig zu finden. Das Riesenhafte seiner Masse packt in einer Weise, daß jede Kritik schweigt. Seine von schwarzem Krummholz geschatteten Fundamentalmauern sind wahre Wunder von ungefüger Kraft. Darüber reiht sich in Breite und Höhe Wand an Wand, es ist eine Welt von Wänden, tiefernst und furchtbar. Details erscheinen erst später, wenn man längere Zeit hingesehen und sich gefaßt hat. So die begrünten Stellen und die große, muldenförmige Rinne der Mitte, die oberste Ringterraffe mit dem Flitscher Schnee und darüber der schwere, domartige Aufbau der der Holzknechke, Me ich manchmal nach Art der Trenkaner auch in den Felsen verwendete. Decken gab es in unseren Biwaks nicht, und der Sweater war ein mir lange unbekannter Luxus. Wir deckten uns mit der ausgezogenen Joppe zu und wärmten uns am Feuer, wenn Krummholz da war. Aber auch Biwaks ohne Feuer fehlten nicht, wo es uns am Morgen vor Zähneklappern kaum gelingen konnte, einander die einfachsten Dinge mitzuteilen. Kochapparat, Teekestel, Efzbesteck, Literflaschen und die vielen schönen Blech- und Aluminiumbüchsen mannigfaltigen Inhaltes des heutigen Rucksackes haben sich erst viel später eingestellt. Wir waren gar leicht bepackt. Pickel, Seil, Steigeisen, im mageren Rucksack Brot, Speck und Käse, oft auch nur ein tüchtiger Klumpen gelber Polenta in ein reines Sacktuch gehüllt. Getränk: Schneewaffer. And merkwürdig, es ist trotzdem so viel leichter gegangen als heute, wo ich mir alle Herrlichkeiten des modernen Bergzeitalters in schweren Rucksäcken nachschleppen laste! M) Bon der Baumbachhülle sind es über 2200 m. höchsten Zulierspitze. Nach Erbauung der Baumbachhütte im Trenka-tal lag das Problem eines direkten Weges aus der Trenta in der Luft, und ich wußte, daß man dessen Lösung von mir erwartete. Der Weg mußte über diesen Westhang geführt werden. Die Trenlaner hielten es für unmöglich. Niemand hatte sich noch an den letzten Gipfelaufbau von dieser Seile gewagt. Es lag wie ein Bann über dem Berge. Furcht vor technischen Schwierigkeiten kann es nicht gewesen sein. Solche sind auch in Wirklichkeit für die herrlichen Kletterer der Trenta dort nie vorhanden gewesen. War es ein Rest aus uralter heidnischer Zeit überkommener abergläubischer Scheu, der sie abhielt, am übermächtig ragenden, heiligen Götterthron des Triglav zu rühren? Andreas zögerte. Aber als wir am Glückestage des 8. August 1881 angriffen, setzte er seine ganze Kraft ein und das Unternehmen gelang viel rascher und leichter, als wir es gedacht hatten"). Ich war selig und stolz. Der „Kugyweg" hat meinen Namen an die große Westfront des Triglav geschrieben! Eines Frühsommers stieg ich auf den Steiner (2501 m) und blickte auf die furchtbaren Nordabstürze des Triglav- Ich war damals noch zu jung und zu wenig erfahren, um solche Mauern mit prüfendem Auge zu überschauen. Ich beugte mich vor ihnen in Demut. Die großen Nordprobleme der Zulischen sind erst später in mir gereift"). Im Abstieg vom Steiner glitt ich im Harken Firn der großen Ostschlucht ab und bin vielleicht dreihundert Meter tief gekollert und gestürzt. Ich wirbelte in rasenden Sähen, mich oft überschlagend, durch die Luft, aber das Glück wollte es, daß ich jedesmal auf Schnee auffiel. „Halt, halt!" hörte ich Klancnig von oben rufen, den ich in so unvermuteter Weise verlassen hatte. „Halt, halt!" schrie mit verzweifelter Kraft ein Studiengenosse von mir, den ich im Aufstieg, der Steilheit des Schnees wegen, in halber Höhe der Schlucht im Schuhe eines Felsens hatte zurücklassen müssen. „Siehst du, jetzt fällst du, halte dich auf", stand in meinem Bewußtsein, sonst nichts. Erst ganz unten, nahe den Felsen “) Literatur: „Die Jütischen Alpen." östlicher Teil. Berge der Trenta. Z. A. V. 1883, 370 und E. G. „Die Erschließung der Ostalpen." Die Julischen Alpen. III, 1894, 567. 15) 3n späteren Zeiten ist es mir allerdings manchmal durch den Sinn gefahren, ich solle hier einen ernsten Versuch machen. Er wäre mir wahrscheinlich geglückt. Aber stets drängten sich die Iugendeindrücke dazwischen, da ich auf dem Ringband gestanden, Steine hinabgeworfen und staunend die langen Sekunden gezählt halle, ehe der erste Aufprall hörbar wurde . A. Z. 1898, 81 und 93: „Neue Touren in den Jütischen Alpen 1897. IV. Die Velika Ponca (2280 m).“ von Rakschach auf schönem Steige rein südlich über Srednjo Brdo in den Weißen Graben bis zu einem Sattel ober der Planicaalpe. Boran-schreikend wandte er sich wiederholt zu mir um, maß meine Gestalt mit trübseligen Blicken, schüttelte stumm den Kopf, und wanderte dann mit einem hoffnungslosen Ausdruck in seinem armen Gesicht weiter. Bo-laffio, Otto Lorenz, mein Begleiter vom winterlichen Prisang, und Oihinger waren mit bei der Unternehmung. Sie schritten hinterdrein und beratschlagten halb belustigt, halb ernsthaft untereinander, was man im schlimmsten Falle werde tun können. Mich selbst beschlich allgemach ein Gefühl, als wandere ich schlecht vorbereitet und mit wenig Aussicht durchzukommen einem sehr heiklen Aigorosum entgegen, oder als sei ich mit dem närrischen Borsahe ausgezogen, durch ein Schlüsselloch zu kriechen. Schließlich kam es mir vor, ich werde — Scharfrichter voran, johlende Menge hinterdrein — zu einer Exekution geführt. Der Sattel, den wir erreicht hatten, liegt in einem ganz verborgenen hohen Winkel oberhalb der Planica. Der Anblick der Visoka Ponca von dieser Stelle ist wild und groß, es sind 600 m fast senkrechter Wand. Eine düstere Schneeschlucht hoch gegen die Spitze hinauf, zur Rechten eine hohe, sehr steile und ganz glatt aussehende Plattenmauer. Wir hakten die Schlucht zu queren und die Platkenwand zu ersteigen, was sehr schlimm aussah, aber leicht wurde, da immer schmale Bänder und Nischen an der richtigen Stelle über jedem Platkenabsah standen. So turnten wir rasch nach rechts zur Höhe, erreichten einen Kleinen Sattel unter dem Nordgrat, und muhten nun auf sehr schmalen horizontalen Rasen- und Moosbändern an der Ostseite des Grates bis unter die Spitze zurückqueren. Das ist der verantwortlichste Teil der Tour. Die Rasenpolster sind oft locker, die Exposition ist gewaltig, man muß sehr vorsichtig und sicher gehen. An einer Stelle hak man eine vorstehende Rippe zu übersteigen. Als ich an ihre Kante kam und hinüberblicken konnte, saß Pecar jenseits gegenüber auf einem schmalen Vorsprung mit der Miene eines Mannes, der sich einen Sperrsitz gekauft hat und erwartungsvoll der Vorstellung entgegensieht. Die Entscheidung muhte nahe sein, und richtig, da zog ein schmaler Riß von der Rippe zur Fortsetzung der Bänder hinab. Ich griff mit den Armen hinein, ließ alles überflüssige draußen, und stand in wenigen Augenblicken auf dem Schuttplähchen unter dem Sorgenkamin. Dann zog ich als ein Mann, der die Prüfung bestanden, von der „Menge" hochachtungsvoll gefolgt, an unserem Zweifler vorüber. Der saß wortlos und vernichtet, und er saß noch, als wir längst die nächste Ecke erreicht hatten und zu ihm zu-rückblickten. Bon nun an schritt er hinter mir und ich fühlte, daß sein Strugava špico und Ialouc von der Ponca aus Dr. Carlo Ehersich-Tricft Blick fragend und nachmessend auf mir lag, wie er im weitergehen seine verfehlte Rechnung überdachke und die Kalküle korrigierte. Als uns die Bänder fast in die Fallinie unterhalb des Gipfels geführt hatten, kletterten wir steil zu ihm empor und verweilten dann lange oben im Sonnenschein^). Eine Ersteigung der Visoka Ponca von der Weißenfelser Seite aus war die letzte Tour, die ich mit Pecar machte. Ich sehe chn manchmal in Kronau, wenn ich die große Rordfront der östlichen Zulier abschreile, und will's Gott, so führt er mir noch einmal auf nächtlicher Bergwacht eine seiner verblüffenden Meisterleistungen im läuternden Feuer der Höhen vor! Strugova Špica. Ich glaube die erste Ersteigung der Skrugova špica von der Seenseike durchgeführk zu haben. Vielleicht war es überhaupt die erste Ersteigung dieser ernst abweisenden Spitze. Ich biwakierte mit meinen herrlichen Trentanern in den Waldgründen bei der „Alten Alpe". Am nächsten Tage packten wir die Stelle der Mestwand, die uns den Erfolg versprach, mit großer Entschloffenheit an und Holken uns einen schönen Sieg. Die Entscheidung liegt gleich unten. Rach einem kurzen Aufstieg über sehr steile, rasendurchsetzte Schrofen hat man einen Quergang durch eine Plattenschlucht auszuführen, der sehr ernst ist und starke Nerven erfordert. Die steil abschießenden Platten wölben sich unten bergeinwärts zurück, man blickt, auf schmalen Tritten dahin-schreitend, in die leere Luft. Die eigentliche Schluchtrinne wäre sehr schwer zu überschreiten und der jenseitige Ausstieg vielleicht unmöglich, hätte sich nicht ein abgestürzter Riesenblock so glücklich darüber gelegt, daß er den unheimlichen Spalt überbrückt. Es ist, als hätten die Berggeister vor Zeiten die Zugbrücke rasselnd niedergelassen und es übersehen, sie wieder hochzuziehen. Alles weitere ist dann in meiner Erinnerung zwar immer steil, aber leichter als man es erwarten sollte. Die Felsen legen sich schon stärker zurück, vielfach kann man auf Schutt-streifen, den Pickel in der Hand, ganz ungehindert und aufrecht emporgehen. Auch der Grat bis zur scharfen Spitze, der so schneidig zugehackt aussieht, bietet an seiner Westseite relativ bequeme, wenn auch stets ausgesehte Anstiegsmöglichkeit. Trotz alledem liegt auf diesem westlichen Felsenantlitz der Strugova ein abschreckender Ausdruck harten und finsteren Trohes, kein Zug deutet auf Milde, und die bösartig gerunzelte Stirne sagt ein grimmiges „Rühr-mich-nicht-an". Keinem An- 6ä) über die welkeren Wege auf die Visoka Ponca flehe „Führer", 105—107. berufenen möchte ich raten, an jenes unheimliche Eingangskor zu Klopfen. Hier wohnen nicht freundliche Geister! Veunca, ^agercasenke (2160 m). Es war um jene gleiche Zeit, daß ich auch der Veunca von dieser Seite beizukommen suchte. Dazu erschien als die geeignetste Angriffsstelle das große Kar, das zwischen Veunca links und Ostbastion des Manhart rechts halbkreisförmig ein-geschnitten, im Hintergrund vom Zackengrat der Konca abschließend überhöht wird. Dreimal kamen wir, über bebänderte Schrofen ansteigend, dis zu einer bestimmten schlechten Ecke, um die ein schmales, zum Abgrund geneigtes Band führt, ohne daß leider die zur Rechten sich leicht überwölbende Felskanzel feste Griffe für die Hände geboten hätte. Dort wurden wir jedes Mal zu kühl wägenden, klugen Leuten und kehrten um. Andreas war überhaupt gegen das Unternehmen. Er war sichtlich besorgt und schweigsamer denn je, wenn wir dazu auszogen. Trotzdem waren wir sicherlich auf einer richtigen Fährte. Höher oben schien sich die Wand schon etwas stärker zurückzulegen, und Bänder, deren Begehbarkeit wir allerdings von unserem Standpunkt nicht ganz genau beurteilen konnten, führten in weiten Schleifen zu scheinbar leichteren Felsen empor. Hoch darüber winkten und lockten, wenn wir die Köpfe zurückbogen, die sonnenbeglänzten Grate der Veunca. Wir blickten aus den tiefen Schatten der Wand, an der wir klebten, sehnsuchtsvoll zu ihnen hinauf. Schließlich dachte ich an eine Versicherung der Stelle und hatte das dritte Mal schon die Eisenklammern im Rucksack. Aber eine Übervorteilung des Berges mit künstlichen Mitteln hätte mir doch keine Freude gemacht, und so rosten die Klammern noch heute in meinem Schrank. Die Veunca ist von dieser Seite unerstiegen geblieben, und ich grüße sie, wenn ich nach Tarvis oder zu den Weißenfelser Seen komme, ohne vor ihr erröten zu müssen. „Nobel!" hat damals Hans Susner gesagt. Man vergesse nie, wie man mit Königen verkehrt! Die Forcierung jener Ecke in der Beuncawand hätte uns zwei Möglichkeiten eröffnet. 3m obersten Teile der Wand dürften Durchstiege sowohl zur Veunca als auch zur Lagercasenke liegen, die niemals überschritten worden ist. Gerade dies wäre mir besonders anstrebenswert erschienen, es hätte nichts weniger als die Herstellung einer direkten Verbindung aus dem obersten Seelal in das oberste Koritnicatal bedeutet. 3ch wollte in diesem großartigen Ofiwinkel des Seebeckens nicht abschliehen, ohne es noch ein letztes Mal versucht zu haben, und so kam ich zum vierten Mal dahin. Andreas war in jenen Tagen nicht zu meiner Verfügung, ich kam mit Bolaffio, ZoLe und Oihinger. Knapp on der senkrechten Wand der Ostdastion, wo diese mit der Mauer zur Lagercasenke sich verschneidet, hatten wir ein riesiges Kaminsystem bemerkt, das mit seinem obersten schwarzen Spalt hoch in das linke Profil der Bastion hinaufreicht, vielleicht aber auch einen früheren Austritt gegen die Senke zu gestatten würde. 3n diese Kaminreihe stiegen wir über plattige Felsbänke ein. Es wurde ein gewaltiger Tag und eine meiner gewagtesten und unheimlichsten Klettereien. Wir kamen so hoch, daß wir schon glaubten, den Erfolg in der Hand zu haben. Manchmal fanden sich im engen Schlot, dem wir uns anverlraut halten, kleine Absätze, die eine Sicherung ermöglichten. Aber im obersten Teil, wo es nicht mehr möglich ist, im höhlenartig überwölbten Kamin zu verbleiben, und wo man genötigt wird, die schwarzen Felsen zur Linken zu erklettern, richten sich diese in ungünstiger Schichtung über schauerlichen Abgründen so steil auf, und sie waren gleichzeitig von nassem Schlamm, der auf chnen lag, so schlüpfrig — Oihinger nannte es in seiner drastischen Ausdrucksweise „eingeseift" —, daß ich jeden Augenblick ein Aus-gleiten befürchten mußte. Oihinger mahnte immer dringender zur Umkehr, der wilde IoLe wollte es durchsetzen. Nach langem überlegen und mit sehr schwerem Herzen muhte ich, so nahe der Lösung eines der größten Probleme der Iulischen Alpen, für die Stimme der Vernunft entscheiden, und wie ich glaube, tat ich es nicht zu früh, sondern im richtigen Augenblick. So bin ich in diesem Kar überall aufs Haupt geschlagen worden. Aber es ist kein Groll zurückgeblieben. Ich möchte fast sagen, daß man durch Niederlagen den Berg besser kennen lernt als durch Siege. Jedenfalls danke ich jenen die Kenntnis vieler verborgener Einzelheiten in den Zulischen Alpen, und es ist keine Frage, daß sich das klarste und um-faffendste Bild ergibt, wenn sich zu erfolgreichen Tagen auch die lehrreichen Ergebnisse erfolgloser gesellen. Ich gedenke oft und gerne jener Tage der Arbeit über den dunklen Hochwäldern des Seebeckens. Vielleicht ließe sich dort ein glänzender Erfolg holen, wollte man weniger wägen und mehr wagen. Aber ich rate nicht dazu. Wägen soll man immer, wagen selten und nur dann, wenn der mögliche Erfolg dem großen Einsatz entspricht. Wir sind wohl bis zur äußersten Grenze gegangen, die uns gestattet schien. Die Berge sollen nicht unsere Feinde sein. Ich liebte es nie, las ich irgendwo, daß man ihnen den „Fehdehandschuh" hinwirft, daß man auszieht, sie zu „bekriegen", daß man sie Feinde heißt, denen man seine eigene Kraft gegenüberstellt. Der Alpinismus ist kein Kampf und kein Kriegszustand. Kampf kann nur gelegentlich eine Episode, ein Bild sein. Die Grundlage des Alpinismus muß immer reine Liebe zur Natur und zu den Bergen sein, ein tiefinniges Sichversenken in ihr Leben, ihr Wesen, in ihre Seele. Sind jene Redensarten auch nur bildlich gemeint, so klingt doch Unbescheidenheit und Anmaßung heraus. Es hört sich oft an wie das Schelten und Prahlen von Zwergen. Die beste Tugend des Bergsteigers ist die Bescheidenheit. Die Berge sind ja so groß und so langmütig. Sie dulden so vieles. Gar mancher Sieg, der menschliche Energie und Geschicklichkeit ins hellste Licht zu rücken scheint, ist trotz allem ihrem Wohlwollen zu danken. Sie haben still zugesehen und wollten es nicht verwehren. Es ruhten chre fürchterlichen Waffen. Holen sie aber einmal ernstlich zum Schlage aus, so treffen sie unfehlbar und vernichtend. Welcher Wissende wird sich im Ernst stärker dünken als sie sind. Kein kleines „Ich" kann chr Herr sein. Man liest so oft: „Meine Berge" oder beispielsweise: „Meine Zulischen Alpen". Wäre es nicht richtiger, würde man den Gedanken anders fasten und sagen: „Ich gehöre ihnen" und nicht: „Sie gehören mir"? Es scheint mir, daß kaum ein Ort weniger glücklich gewählt sein könnte, um dort die Herrennatur im Menschen hervorzukehren, wie das Hochgebirg. Rur der Liebe öffnen die Berge ihren ganzen Reichtum und die Tiefen ihrer Seele. Sie wollen den ganzen Mann, volle Hingabe» beherzten Mut und wahrhafte Begeisterung. Dann geben sie aber auch Liebe um Liebe, und wen sie lieben, den heben sie hoch zu sich empor und machen chn groß und reich. Wohl chm, diesem Liebling der Berge! Sie bauen chm die schönsten goldenen Brücken, und selbst da, wo sie in schreckhafter Größe und unerreichbar emporgebaut scheinen, lassen sie ihm oft ein kleines, wenn auch schwankes und schwindliges Leiterlein stehen, daran er zu ihrem Hochsitz emporklimmen kann. Wohl nicht immer, auf daß man nicht übermütig werde und auch unterliegen lerne. Da empfangen sie ihn dann mit feierlichem Gepränge, sie schmücken ihn großmütig mit ihren Ehrenzeichen, sie reden zu ihm in der eindrucksvollen Sprache, die niemand vergißt, der sie je gehört und verstanden hat. Sie haben ihm ein schönes Plätzchen im warmen Sonnenschein bereit gestellt und heißen ihn freundlich sitzen, führen ihm mit ihrem Getier in Wäldern, Felsen und Lüften, mit Farben, Schatten und Lichtern, mit tanzenden Nebeln und majestätisch einherziehenden Wolken ihre Zauberspiele vor, die keine menschliche Phantasie fesselnder, kurzweiliger und prunkhafter ersinnen könnte, und breiten aus ihrem unerschöpflichen Schahkästlein Kostbarkeiten in blitzenden Reihen zu seinen Füßen hin, die nur göttliche Kraft und Kunst zu schaffen vermögen. So stehen sie dann, ist man mit einem „Komm' bald wieder" gnädig entlasten, unvergeßlich in unseren dankbaren und beglückten Herzen, und können unser ganzes Leben erfüllen. Sie haben klare Augen und beobachten scharf. Und erkennen sie, daß nicht Herzensbedürfnis, sondern Mode, Sport, Eitelkeit oder zufällige Laune herangeführt haben, so blicken sie mürrisch mit verblaßten Farben, halten ihre Schätze mißtrauisch verborgen und verschließen sich stolz, kalt und stumm. Diesem Fremdling haben sie nichts zu sagen, und er geht arm von ihnen wie er gekommen ist. Oft kehrt er nicht wieder zu ihnen zurück. Wie viele „Bergsteiger", die scheinbar glänzend begannen, habe ich so binnen kurzem verschwinden gesehen. Treten wir in chre Hallen ein, so seien wir bescheidene Gäste im Hause von Übermächtigen. Mein ganzes Leben hindurch habe ich mich an sie gelehnt wie an einen stärkeren Freund. Sie waren so gütig zu mir. Oft haben sie mich leise geführt, manchmal getröstet und aus schwerer Erdenpein wieder aufgerichtet. Das nenne ich ein Bergsteigerleben. So habe ich mich nach euch gesehnt, so bin ich vertrauensvoll zu euch gekommen, und so will ich, wenn es sein wird müsten, von euch scheiden, o ihr schönen, ewigen Berge! Wollte mir der Poncazug einen Ersah bieten? Es wurde mir plötzlich klar, daß über seine Grate von der Kotova špico zur Visoka Ponca ein Hochweg ohnegleichen ziehe. Ich kam aus den Westalpen und hatte von Turin an Andreas telegraphiert. Als ich in Ratschach-Weißenfels ankam, stand er mit IoLe in voller Rüstung pünktlich da. Rach einem Freilager in der hinteren Planica stiegen wir in der Morgendämmerung über den Ialoucsockel und ein uns schon bekanntes schmales Band in die Ostwand der Konca špica ein, umgingen ihren Gipfelkörper und erreichten ohne nennenswerte Schwierigkeiten die große Schuttsenke zwischen Konca und Beunca. Hier wandten wir uns nach links, erkletterten über herrliche feste Felsen den Rordgrat der Konca, und folgten dann der ganzen Schneide über Spitze und südliche Gralscharte bis zur Kotova špica. Rur ein oder zwei Male waren wir genötigt, etwas in die Ostflanke auszuweichen. Es war der fünfte und gewiß der schönste Weg, den ich auf die Kotova eröffnet habe. Dort kehrten wir um, kamen auf leichterer Variante zur Schuttsenke zurück, und stiegen dann leicht zur Beunca empor. Da stand ich nun endlich zum ersten und leider auch einzigen Male über dem schönen Schneetal, das sie in chrem Schoße birgt, über die gleißende Fläche seines ewigen Schnees fällt der Blick lief hinab auf die beiden Seen, die in herrlichen Farben und in ent- zückender Lieblichkeit heraufgrühen. Zur Linken richtet sich chr Wächter, der Manhark, über hellgrünen Almwiesen und schwarzen Wäldern in seiner ganzen ungeheuren Größe empor. Es ist ein Gesamtbild von wunderbarer Schönheit, dem in den Alpen nicht viel Ebenbürtiges zur Seite zu stellen sein wird. 3m wilden Winkel zwischen Beunca und Strugova löst sich der Berbindungsgrat in eine Reche von Türmen auf. Hier liegt der schwierigste und komplizierteste Teil der Tour. Die Türme werden umgangen, wobei man wiederholt knapp an schauerliche Schluchten herantreten muh. Dann kann man wieder ungehindert die Gratwanderung zur Strugova aufnehmen. Wir hatten auf allen überschrittenen Spitzen stundenlange Gipfelschau gehalten, und die Sonne neigte sich zum Untergang, als wir den Rordgrat der Strugova herabstiegen. So traf es sich» daß wir die Nacht in -er rundausgeschnittenen Scharte zwischen ihr und der Hinteren Ponca zubringen muhten. Es fand sich dort unter der Grathöhe in der Westflanke ein Plätzchen, das einige Krummholzsiauden, einen kleinen Schneefleck mit einem spärlichen Wasiergerinnsel und von der Abendsonne schön gewärmte Felsen bot. Dort richteten wir uns ein, so gut wir konnten. Es war so steil, dah wir uns für die Nacht an die Felsen banden. Tief im finsteren Abgrund in der Fallinie unter uns muhte das Eingangstor zur Strugova liegen. Wir brachten ein kleines Feuer-lein zustande. Hat es jemand vom Tal gesehen? Und wie mag er den verlorenen roten Funken hoch oben im nächtlichen Poncagrat gedeutet haben? Meine schmale Schlaffiätte war knapp am Abgrund. Eine Legföhre hielt mir mit Wurzelstock und sparrigen Armen eine schützende Brustwehr vor. Wie war das gut gemeint! Die Nacht war hell, wir lagen halb schlafend, halb wachend, und prüften manchmal die Knoten des Seiles. 3ch sah die Seen tief unter mir. Ein leichter Schleier schwebte über Urnen, sie träumten so ruhig und still. Drüben ragte, uns weit überhöhend, der Manhark, ein schwarzer, schweigender Riese. Um sein gewaltiges Haupt zogen blitzende Skernenbilder in feierlichem Reigen. Draußen im Tal verlöschten allmählich die kleinen Lichter, eines nach dem anderen. Es schliefen die Wälder. Ruhe auch du» liebe Seele. Möchten wir an allen Abgründen, daran je unser Leben vorbeiführt, so sicher und wohlgeborgen ruhen und schlummern können, von starken Seilen gehalten, von fürsorglichen Armen umfaßt und geschützt, von freundlich gesinnten Mächten treu bewacht, in allen Rächten der Gefahr, in allem Dunkel von Rot, Kummer und Bedrängnis bis zum lichten befreienden Tag! Die Sonne ging auf, als wir wieder am Gral standen. Wie strahlende Trompetenstöße flogen ihre Lichtbündel über das ganze Firmamenk. And es schien, als riefen alle Berge, hoch über die Erdenschaklen empor-gerichkek, erwarkungsvoll nach Osten blickend, das Angesicht in himmlischer Borfreude erglühend, dem aufgehenden Tagesgestirn in feierlichem Chor ein „Heil dir Sonne!" entgegen. So schrillen wir in Jubel und Glorie eingestimmk über den Grat zur Zadnja Ponca hin. Bald wurde er ganz schmal vnd nahm unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Aber nach einer kurzen Strecke sahen wir bequemere Stellen vor uns, die uns leicht zum Gipfel emporführten. Noch machte uns die „Rote Scharte" vor der Srednja Ponca etwas Sorge, aber auch diese erwies sich als ziemlich harmlos, und als wir den breiten Rücken der Srednja erreicht hatten, war uns der weitere Weg klar und wohl-bekannt. Auf der Visoka Ponca lagerten wir stundenlang im Sonnenschein und überschauten den zurückgelegten Weg. Wir sahen deutlich jeden Pfeiler und jeden Turm. Es sind drei Kilometer Gratwanderung. Nimmt man den Ostgrat des Manhart dazu, der sich ohne weiteres angliedern ließe, so wären es fünfeinhalb Kilometer. Ein Vergleich zwischen den beiden Gratstücken ergibt mehr subjektive Gefahr am Manhart-, mehr Schwierigkeiten am Poncagrat. Wir hatten nach unserer Art nicht geeilt, wenn man will, ist die Gratwanderung Kotova Špica—Disoka Ponca leicht in einem Tage zu machen. Sie ist nicht wiederholt worden, ich lade dazu ein. Professor Gstirner nennt sie eine der großartigsten Touren in den Iülischen Alpen. Gewiß ist es eine der genußreichsten. Es ist ein berückend schöner Gang über eine Götterbrücke, die von acht schön geschwungenen Bogen hochgehalten nirgends unter 2100 m herabsinkt, ein Gang in der Sonne hoch über zweien der schönsten Täler der Zulischen Alpen. Mit diesem herrlichen Gastgeschenk hat mich der Poncazug entlassen. Römertalberge §)ie Predilsenke scheidet die östlichen von den westlichen Iuliern. Der Hauptkamm, der vom Manhart zu ihr hinüberzieht, sendet noch zwei Seitenkämme nach Norden vor, den Breitkofel- und den Fünfspihzug. Berge von Rang kommen in diesem Raume nicht mehr vor, nur wenige der zahlreichen Spitzen reichen etwas über 2000 m empor. Aber sie alle haben in Aufbau und in Gruppierung etwas ungemein Anziehendes und Malerisches. Sie Hallen trotz ihrer relativ geringen Höhe den wilden Hochgebirgscharakter der Iulischen Alpen in vollstem Maße fest und wirken in ihrer edlen und selbstbewußten Haltung mit fein herausgearbeiteter Physiognomie und Eigenart immer noch stark und groß. Die schönsten dieser Gipfel haben sich im Halbkreise um das Römertal ausgestellt, in das sie ihre steilen und schwer zugänglichen echten Zulier-gräben hinabsenden. Sie blicken zur Eisenbahnstation Tarvis gegenüber und scheinen den Reisenden dieser Bahnstrecke ein lockendes „klein aber fein!" zuzurufen. Die nadelscharf zulaufende Kleine Bucherspihe (2020 m) ist mit ihrem eleganten, schlanken Figürchen um einige Schritte vor den Hauptkamm getreten und sie sagt hell und keck: „sehr klein, aber schon sehr fein!" Und da hat sie recht. Sie ist wohl die zierlichste Felsnadel der Zulischen Alpen. Ist das ein liebes, reizendes, kleines Ding! Fast jedem fällt sie auf, und er spitzt den Mund und fragt neugierig nach ihrem Namen. Aber ehe er ihn erfahren kann, denn den guten Tarviser Bürgern sind die Namen chrer schönen Berge nicht sehr geläufig, hat schon der Manhart den Frager gesehen, eifersüchtig erfaßt und verschlungen. Der bekannteste unter diesen Bergen ist wohl der Fünfspih (1907 m) bei Aaibl. Doch wird in Tarvis den gläubigen Touristen sehr oft das vielgipfelige, hahnenkammartige Breitkofelmassiv, das mit dem Schöneck über dem Ausgang des Römertales jäh abbricht, als Fünfspih gezeigt. Der richtige „Fünfspih" zeigt von Tarvis gesehen nur eine einzige, seine nördlichste, höchste Spitze, die hoch aufgereckt über die „Riesenleiche" herüberschaut. Ich selbst habe leider in diesem Abschnitt nichts Bahnbrechendes unternommen und bin nur Wege gewandert, die schon andere vor mir gemacht hatten. Einige besondere Herzenswünsche mit Bezug auf Spitzen, Steilgräben und Scharten habe ich dort wohl noch zurückgelassen, und will nun geduldig Zusehen, ob ein gütiges Geschick sie mir noch wird erfüllen können. Oft bin ich am Fünfspih gewesen, aber nur einmal auf Mittlerem (1877 m), Zweitem (1905 m) und Erstem (1907 m) in geschlossener Tour» sonst immer nur auf dem Ersten» der höchsten Nordspihe. Wiederholt kam ich mit der Absicht dahin» auch den vierten und den südlichsten Turm zu besuchen, aber da mich in den Bergen, namentlich in den letzten Jahren, fast ausschließlich landschaftliche und weniger sportliche Interessen führten, so bin ich jedes Mal auf der Nordspihe schauend sitzen geblieben und verschob das weitere auf eine spätere Zeit. Ende Juni 1914 vereinigte ich Höchsten Fünfspih, Großen Schober (1845 m), den freundlichen Gamsspih (1922 m) und die Große Bucherspihe (2122 m) in einer schönen, zweitägigen Höhenwanderung, wobei ich in Z» Seite 102 Wischberggruppe vom Greuther Plateau bei Tarvis Richtcr-Tarvis fröhlicher jugendlicher Gesellschaft unterhalb der Großen Bucherspihe in der Nähe der Gamslalscharle biwakierte. Für die Kleine Bucherspihe reichte leider die Zeit nicht. Früher einmal Halle ich den Höchsten Fünfspih in einer Höhenwanderung über Großen Schober und Thörl-Aibl-Schneide mit den Lahnspihen (1944 m) vereinigt. Sehr oft hat mich auch der Manharter Mittagskogel (2062 m) in der Breitkofelkette angezogen, die an der westlichen Seite des Seebeckens eine ähnliche, wenn auch erheblich kleinere Rolle spielt wie der Poncazug östlich desselben. Das erste Mal wollte ich die Spitze über Ratschacher-Gries und -Sattel erreichen. Me Schlucht des erfieren war noch hoch mit Schnee erfüllt, und es ging ähnlich empor wie zur Lahnscharte bei Frühsommerschnee. Oben stiegen wir nach rechts heraus und erreichten einen ersten kleinen, mit Krummholz bewachsenen Gupf im Südkamm, den wir nun bis zur Spitze zu verfolgen gehabt hätten. Aber unsere „Ersteigung" fand dort ihr frühes Ende. Denn es war einer jener gottbegnadeten Tage, an denen man sich bemüßigt fühlt, alle Arbeit einzustellen, sich ins duftende Krummholz zu setzen, um zu schauen und die Stille der Berge auf sich wirken zu lassen, llnb das taten wir bis zum späten Nachmittag und vergaßen fast die Welt. Später erstieg ich die liebe Spitze immer durch die Wälder ihrer Ostseite. Erst ziemlich hoch oben tritt der kahle Fels hervor, man erreicht ihn über kurze Nasenhänge, durch Alpenrosen. Kleine Schuttstreifen und leichte Ainnen führen zur Spitze. Da das Krummholz bis hinauf reicht, habe ich es nie versäumt, oben ein kleines Gipfelfeuer anzuzünden. Groß ist die Schau auf den Manhart und den Poncazug gegenüber. Die Seen liegen voll Anmut zu Füßen, die Wälder atmen köstliche Ruhe. Die Römertal-berge im Osten öffnen alle ihre wilden Rinnen und Gräben, über ihren weißen Gipfeln sieht man Wischberg und Montasch. Save- und Fellatal grüßen herauf und jenseits dunkler Waldberge das liebe Kärnlnerland. Weit im Norden der blitzende Saum der Tauern. Es ist ein wunderschöner Aussichtsberg, der die Größe und Herrlichkeit der Zulischen Alpen schauen läßt, ohne den Einsatz irgend einer größeren Anstrengung zu verlangen. Es ist keine Leistung dabei. Aber es soll euch nicht weh-tun und wir sollen uns nicht schämen, werden wir manchmal in solcher Gesellschaft gesehen. Auch den „hergerichteten" und markierten Manhartweg über die Römertalscharte und durchs Römertal wollte ich kennen lernen. Ich tat es im Abstiege, habe aber leider einen Zeitpunkt gewählt» der mich das traurige Bild einer vernachlässigten Steiganlage sehen ließ. Locker oder niedergebogen die Eisenstifte, die Drahtseile regellos niederhängen-, daß man nicht recht wußte, soll man darübersteigen oder unten durchkriechen, abgerissene Stücke davon, die wie zusammengeringelte Schlangen gerade an den Plätzchen lagen, wo man den Fuß hinzusehen wünschte» oder an einer Ecke zu heimtückischen Fußangeln und zu Fallstricken des Teufels ausgeartet waren. Ich liebe reine Felsen. Es kann manchmal sehr peinvolle Ergebnisse haben, wenn sich einige zu einer alpinen Körperschaft vereinigte „Bergfreunde" allzu liebevoll eines Bergwinkels annehmen. 3n jungfräulicher Unberührtheil und Herbe hat man ihn einst gesehen. Man kommt wieder und findet „Müllerquellen" und „Schulzewege", „Amalienhöhen" und „Philosophensihe". Der Bergwinkel ist „entdeckt" und „erschlossen" worden! Erstaunt fragt man, was Müller und was Schulze in diesen Bergen sind, und ängstlich blickt man um sich, ob nicht die Amalie oder gar -er Philosoph irgendwo hinter einem Baume lauern. Aber es ist kein Zweifel, Tafeln und Inschriften belehren uns: Wir haben den naiven Fehler begangen, nur die Natur zu suchen, zu sehen und zu lieben. Das Wichtigste haben wir übersehen, die Bedeutung des Bereinsmitgliedes in den Bergen! Der gibt ihnen erst die höhere Weihe. Wir haben uns unsere Wege mühevoll gesucht. An kleinen Anzeichen mußten wir sie erkennen. Zeht finden wir fortlaufende Reihen von roten Klexen. Man braucht nur auf diese zu schauen und nicht mehr auf den Berg. Es sollen ja sogar in unseren Alpen Fälle Vorkommen, wo man den Berg vor lauter Markierung überhaupt nicht mehr sieht. Das bietet den Borteil der gebundenen Marschroute. Wir sind des Suchens und Spekulierens enthoben. Wehe uns, haben wir einen solchen Bergwinkel einst geliebt! Was fragt der wackere Bereinsmann nach dem bangen Aufschrei unserer Seele? Er klext seine rote Farbe an Stellen, die uns heilig waren, und trifft uns mit seinem Pinsel erbarmungslos mitten ins Herz. Er liebt es, viel und deutlich zu reden, besonders dort, wo wenig zu sagen ist und wo nicht gefragt wird. An -er Wegscheide erlaubt er sich manchmal einen kleinen Spaß. Er läßt uns im Zweifel, ob rechts oder links. Sind wir aber in den richtigen Weg eingelenkt, so fordert er uns mit gehäuften Zeichen auf, ihn auch dann nicht zu verlassen, wenn dazu nicht der geringste Anlaß vorliegt. „Seht ihr, das ist der Almweg", belehrt er und arbeitet mit verdoppeltem Eifer, denn nun spricht er zu den Menschen und zum lieben Vieh. Oft seht er seine Zeichen tief an der Erde hin, und der Zug der „Bergsteiger", der ihnen mit gesenktem Haupte und mit suchenden Blicken folgt, hat dann etwas ungemein Gedrücktes und Sorgenvolles. Sehen jene armen Leidtragenden noch das ewige Licht der Höhen? Brauchte man aber im Winter, wenn der Kurze Tag zur Eile drängt, an Kritischer Stelle ein bescheidenes Richkzeichen, so ist eine derartige Markierung tief unter dem Schnee vergraben. Als ich einmal nach Jahren zur Bisoka Ponca zurückkam, brannte an der feinen Gratbrücke, die zu ihrem Gipfelkörper führt, in der Stützmauer zu Susners Grat, ein großer, frecher, weithin sichtbarer roter Fleck. Betroffen und schmerzbewegt stand ich still. O du roher, rücksichtsloser Geselle! Es tut mir leid, aber das war meine erste Regung. And heute noch, nach so vielen Jahren, steigt mir die Zornesröte ms Gesicht. Gehe hinauf und tilge den Fleck aus, willst du je wieder würdig sein, vor dem Angesicht der Berge zu erscheinen. And wozu ein Fleck an dieser Stelle? Am zu sagen, man muffe da über die Gratkante gehen und nicht über die Abgründe zu beiden Seiten hinüberfliegen? Wer nimmt sich das Recht heraus, an Bergsteigern so wenig vorauszusetzen? Oder roitt man Leute hinauflocken, die nicht hinauf gehören? Ich entsinne mich nicht, irgendwo in der Schweiz» im Piemont, in den französischen Bergen einen derartigen Anfug mit Farben gesehen zu haben. Ich fürchte, es ist dies ein Borzug unserer Ostalpen. Es mag sein, daß drüben auch nicht Feinfühligkeit allein entgegensteht, daß vielmehr andere führende Absichten, vielleicht gesteigerte Auffassungen von Fremdenindustrie, bestimmend eingreifen. Wie wirkt aber die unbeklexte Berglandschaft drüben und das Wandern in chr wohltuender, großzügiger, freier und befreiender! Meide diese Kaste, deren Bergfreude aus dem Farbenkopf erblüht. Lenke nicht in ihre Wege ein. Es sind die Wege kleiner und armer Leute! Sind jene „Bergfreunde" Hochgebirgsmänner, so bespicken sie die Felsen mit Eisenfiiften, daß sie ärger aussehen als der bedauernswerte Leib des heiligen Sebastian, und bespannen sie mit Seilen, und zwar bei uns lieber mit Draht- als mit Hanfseilen, vielleicht aus dem Grunde, weil jene an den Händen weit fühlbarere Erinnerungen zurücklassen°°). Dann hetzen sie Bereinsgenossen und Bekanntenkreise und gewiß mehr Anberufene denn Berufene die Stiftenreihen hinauf, daß sie angsterfüllt zwischen Himmel und Erde hängen und unter Anrufung aller Heiligen und oft beteuertem „Einmal und nicht wieder!" diese schrecklichste Bergfahrt chres Lebens verwünschen. Wem erwächst daraus ein Borkeil? Was mich persönlich betrifft, so gehe ich lieber über schwierigen Fels als über hergerichkele Steige. Jener fällt mir auch leichter. Der künstliche 65) Siehe über künstliche Felsenwege meine Bemerkungen in Literatur: „Die Kaltwasser Gamsmulter (2503 m) aus dem Kallwassertal." ö. A. Z. 1914, 1. 7* 99 Steig ist fast immer eine Entweihung. Man fesselt den Riesen, reißt ihn nieder und sagt zur Menge: „So, da habt ihr ihn, jetzt könnt ihr ihn treten." Sie stürzt sich über ihn, verhöhnt, besudelt ihn. Und jeder aus der Menge bildet sich ein, er habe ihn besiegt. „Ein leichter Berg," sagt der eine, „kaum der Mühe wert" ein anderer Held. Dann lassen sie sich photographieren wie die Sonntagsjäger, in prahlerischer Haltung, den einen Fuß auf dem erlegten Edelwild! Gebet acht! Manchmal schüttelt sich der gefesselte Riese und ruft seinen Peinigern ein grauenvolles „Memento" zu! So sind einige der Wege, die ich in den Jütischen Alpen eröffnet habe, gangbar gemacht worden. Am schmerzlichsten hat mich die Sicherung meines direkten Montaschweges aus der Seissera berührt"«). Ich hatte kein Recht, zu verlangen, daß ich gefragt würde. Die entscheidenden Stellen jenes großen Tages hätte ich so gerne wieder besucht. Aber ich habe es nicht über mich gebracht. Ich wollte den „Stiftenweg" nicht sehen! Den Bergfreunden mit dem Farbentopf, denen mit dem Spaten, den Eisenstiften und den Drahtseilen folgt gerne eine johlende Schar. Sie wünscht bewirtschaftete Schuhhütten, oder sagen wir hochgelegene Gasthöfe, oder sagen wir es ganz offen: Alpine Wirtshäuser. Ihr Sinnen und Träumen ist Bier. Und haben sie ihr Ziel erreicht, so vermischt sich Gläserklang mit dem ruhigen Räuschen des Wasserfalls und Küchenduft mit dem Wohlgeruch der Höhen. Wir sind unbemerkt geblieben, denn sie sitzen festgenagelt in der Stube. Man hört ihre Stimmen von innen, sie erzählen eben von ihren Taten. Erst später werden sie herauskommen, wenn das Mittagsschläfchen in der Sonne winkt. Betrübt treten wir zur Seite. Da stürmt ein Mann an uns vorbei, erhitzt, atemlos. Er hat kein Auge für die Schönheit der Natur. Er blickt geradeaus und hält die Uhr in der Hand. „In zwei Stunden, vierzehn Minuten, vierzig Sekunden", ruft er uns im Borbeieilen triumphierend zu. Wir haben vier Stunden heraufgebraucht und erschrecken. Eine Unglücks-botschaft vom Tal?! O nein! Es ist der Zeitenmensch, der Mann der Rekorde. Er mißt sein Bergnügen und seinen Erfolg nach der Kürze der Zeit. Auch dieser eilende Mann vertritt eine ganze Klasse. Er verschwindet für einen Augenblick im alpinen Wirtshaus, wohl um die Leistung zu melden, dann stürmt er weiter zum Rekord auf die Spitze. Bielleicht gelingt chm der große Wurf und er kann mit dem ersten Zug heimfahren. Wir sehen ihn nicht mehr, wir fahren mit dem letzten. So können wir chm nicht sagen, wie sehr es uns lew tut, daß er um so viel 66) Dieser gesicherte Weg erhielt auch damals einen Namen, den ich vorher niemals gehört halte. Römerkalberge weniger habe sehen Können und an so viel Schönem achtlos vorbeigelaufen sei. Aber vielleichk wären wir einem verständnislosen Blick begegnet oder verächtlich gemessen worden. Die Zeikmenschen sind die exklusivsten und stolzesten Bergsteiger. Der Langsame, ja der hat Grund zur Bescheidenheit. Bielleicht ist er aber der Glücklichere. Denn diese Männer der „Leistungen" kommen doch nie so recht zu einem wahren und ruhigen Glück. Sie erleben es zu oft, daß ihre Leistungen überboten werden. Es kommt fast immer ein Wagemutigerer, ein Geschickterer, ein Rascherer. Mit der „Leistung" appelliert man an den Markt und hetzt sich die schnöde Konkurrenz auf den Hals. Die still in dir erglühende Liebe zur Natur und zu den Bergen kann niemand überbieten und niemand dir nehmen. „Die halte fest mit deinem ganzen Herzen!" Man glaube nicht, daß ich die segensreiche Arbeit unserer alpinen Vereine verspotten will oder unterschätze. Ich wende mich gegen Übertreibung und Übermaß. Eine klar eingezeichnete Marke an wichtiger Wegscheide, einen an gefährlicher Stelle fürsorglich und fein eingelrie-benen Eisenstift oder Seilring zur Sicherung des Lebens, eine an lauschigem Platz oder auf beherrschender Höhe freundlich einladende, einfache Schuhhülte werden auch wir dankbar und oft mit Jubel begrüßen. Auch eine Wirtschaft in einer Hülle und auch ein richtiges Wirtshaus am passenden Ort. Man kann da keine Regeln aufstellen. Für so vieles in den Bergen bestehen keine Gesetzestafeln. Man urteile mit geradem, gesundem Sinn. Takt und Feinfühligkeit werden immer zum Rechten führen. Ich gedenke meiner ersten Zeiten in den Zulischen Alpen vor fast einem halben Jahrhundert. Die kleine Maria-Theresia-Schuhhülte am Triglav, die bescheidene alte Manharthütte, das Schwalbennest an der Traufwand des Wischbergs, das war alles an Unterkünften. Wo die Almen zu arm oder zu weit waren, da schlief man im Freien. Am Triglav einige verspreizte Pflöcke, in den Manhartplatten wenige aus-gemeißelte Tritte, am Wischberg eine gut gemeinte kleine Reche von Eisenstiften war alles an Wegsicherungen. Markierungen gab es noch keine. Die erste hat meines Wissens Richard Issler über die Komarca-wand zu den Sieben Seen gelegt. Die Wege suchte man fich nach der Karte oder besser, da die damalige bald versagte, mit dem eigenen Pfadfinderinstinkt. Schafhirten und Wilderer waren die Gewährsmänner. Autorisierte Bergführer in den Triglavstalionen, in Weißenfels und Raibl für Manhart und Wischberg, später in Flitsch. Begleiter für neue erstklassige Touren mußte man sich selbst heraussuchen und heranbilden. Es waren weite, rauhe Wege. Die Berge erschienen um so wilder und größer. Vieles war noch eine wirkliche Unternehmung und Halle den unsagbaren Reiz einer Entdeckungsfahrl. Mancher Berg, der weiter zurücklag, Halle selbst im Volksmunde keinen Namen. Bon einigen Hauptgipfeln abgesehen war fast alles noch unerstiegen. 3m Halbdunkel der Bergschluchlen wohnten die Sagen, über der Bergwelk, die heule unser Glaube und unsere Zuversicht ist, die wir mit Klarem Wissen erkannt haben und in Liebe erschauen, lag noch ein Düster des Unbekann-len und Geheimnisvollen, aus dem Scheu und Aberglaube entsprangen. Fast um jede der wenigen vorgekommenen Ersteigungen halle sich eine Legende gebildel, die Phantastisches zu Wirklichem fügte. Jene goldene Zeit schmückte sie mit goldenen Gloriolen. Eben begann für die Iuli-schen Alpen die klassische Epoche. Langsam kam sie von den Westalpen herüber, wo man schon in voller Arbeit stand. Trachten wir so viel als möglich von der wunderherrlichen Stimmung jener morgenfrischen Zeit zu erhalten! Hämmern, bauen, markieren, sichern wir nicht zu viel. Je mehr wir in dieser Weise „erschließen", um so mehr zerstören wir. Erschließen wir nicht mit Schanzzeug, Maurerkelle, mit roter Farbe und Bierwirtschaften, tun wir es mit liebevollem, klarblickendem Auge und mit reinem, begeistertem Herzen. Wir wollen die lieben Berggeister nicht aus chren Wohnungen verscheuchen. Treten wir leise auf. Rufen wir nicht, sondern horchen wir. Stören wir sie nicht in ihrem stillen, freundlichen Walten. Sie werden es uns danken und lohnen! 2. Westliche Fuller Wischberg (2666 m), Gamsmutterzug, Spranjeturm (2362 m) §)er Wischberg ist kein isolierter, nach allen Seilen tief und scharf ab-gegrenzter Einzelgipfel. Er ragt als der höchste, zenkralliegende Gipfel eines der schönsten und gewaltigsten Massive der Zulischen Alpen Schulter an Schulter mit den Edelsten und Mächtigsten seiner Krone hoch empor, als ein stolzes Bild fest zusammengeschlossener Kraft und Größe. Die Scharen der kleineren Vasallen stehen in vielfach gereihten Fronten bis zum Fella-, zum Seebachlal und zum Raibler See. Sie alle, Kron-hüter wie Vasallen, kragen bedeutungsvolle Namen, die schon an sich geeignet sind, der Phantasie eine ganze Welt von Schönheit und Berg-romankik vorzuzaubern. Es sind die hellsten Berge der Zulischen Alpen. Der Wischberg iff ein Sonnenberg. Er ist ein schimmernder Königsthron in einem Reiche des Lichtes und des Jubels«7). Vier Täler führen an seinen Fuß. Durch jedes derselben gehen An-marschlinien zu einer Gruppe der bis heute erschlossenen neun Wisch-bergwege. Das Seebachlal zieht an seinen Südfuß, vermittelt mit dem Krummbachgraben und den weit offenen Karnicahochmulden den leichtesten, den „Alpenvereinsweg", über die Findenegghütte und den seltener begangenen über die Mosesscharte. Rach dieser Seite blickt der Wischberg als breite, von Bändern und Schukterrassen durchzogene Wand. Massige, rund gebaute Türme tragen seinen langen, nach Südwest verlausenden Grat. Der ganze schwere Bau leuchtet in weißen und gelben Farben. Anschließend zur Rechten reckt sich der Gamsmutterzug empor, südlich stehen dem Wischberg jenseits der Mosesscharte die Kastreinspihen zur Seite. « Bon Nordost zieht das Kaltwasserkal herein. Es ist bis heute noch viel zu wenig gewürdigt worden, ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich sage, daß es den malerischesten Talabschluß in den gesamten Iulischen Alpen besitzt. Ein Blick von der lieben Hochwiese an der Raibler Scharte zu ihm hinüber wird dies gewiß einem jeden bestätigen. Aiblkopf, Hochstell, Schönkopf, Leiterspitze, Korspihe, Kaltwasser Gamsmutter, Kaltwasser Karspih, Schwalbenspihen, Steinerner Jäger heißen die Berge im lichten Halbkreise. Wie freundlich und vielversprechend rollen diese Namen von den Lippen, jeder malt ein lockendes Bild, jeder sagt: „Komm zu mir, ich habe dir so vieles zu erzählen!" Groß und gewaltig ragen Mauern und Zinnen, aber alle Linien sind so fein und künstlerisch geführt, der mannigfach gegliederte Bergkranz ist in so leichten Formen aufgebaut und so harmonisch zusammenwirkend um die tief eingebetteten, stillen Kare gelegt, daß nichts Niederdrückendes in dieser Größe ist. Alles ist reiche Schönheit. Der Wischberg selbst gehört nicht unmittelbar dazu, er steht weiter zurück und blickt über die Schultern der Kaltwasser Gamsmutter und die scharfen Zinken der Kaltwasser Karspihe hoheils-voll herüber. Aber die Kaltwasserscharte vermittelt einen Anschluß zu seinen Südwegen, und im Nordosten hat die Natur in wunderbarer Genialität hoch über Abgründen und Wänden die Brücke der Gölter- 67) über den lateinischen und den friaulischen Namen des Wischbergs (Mons fortis, Jöf Fuart) siehe Literatur in ö. A. Z. 1911, 1: „Altes und Neues vom Wischberg und vom Montasch. II. Me Nordanstiege des Wischbergs. Der Spranjeturm (Cima de lis Codis) 2362 m.“ Jöf — Joch — Spitze; iuart — forte = stark; Jöf Fuart — Clma forte = starke Spitze. bänder zu seinem Gipfelkörper hinübergespannt, die zuerst Gemsen, dann Menschen als neunten und großartigsten Wischbergweg begangen haben. Der Zaprahagraben öffnet sich dem Anmarsch von Norden. Angesichts der Schwalben- und der Kallwasserkarspihen durchschreitet man seine kleinen Almwiesen und seine stillen Wälder. Man ersteigt eine hohe Talstufe, von der feine Quellen niederrieseln, und kommt in das oberste Kar, in die Saifniher Karnica, die zu den größten Schaustücken der Iulischen Alpen gehört. Von der Karnica- bis zur Großen Nabois-scharte stehen erst die senkrechten Türme der Kaltwasserkarspihen, dann geschlossen Kallwasser Gamsmulter» Kleinspih, Gamsmutterturm, Hohe Gamsmutler, Wischberg, nördlich vorgelagert noch der Große Nabois, in formidabler Front. Wir haben schon von der Raiblerscharte ahnungsvoll zu diesem großen Winkel herübergeblickt, aber da erschien die riesige Wand seitlich verkürzt. Nun steht sie in voller Entfaltung vor uns und steigert sich zu einer Wirkung von fabelhafter Kraft. Grau die Felsen der Gamsmultermauer, schwarz die von ihren Hochscharten senkrecht niedergehenden, tief in die Plaltenschüsse eingerissenen Schluchten, der Wischberg in gelben und rötlichen Lichtern hell erstrahlend. Hoch in den Wänden flattert das schmale Band des Götterweges. Uns gegenüber öffnet sich steil die große Nordostschlucht, zur Rechten die breite Bresche der Großen Naboisscharle. Aber auch auf dieser Seite meistert Formenreichtum die Schwere der Masse. Und wie so der Wischberg zwischen den weit vorstehenden Eckpfeilern des Königsbergs und des Steinernen Wägers gegen Tarvis, das Greuther Plateau und das untere Schlihatal herüberblickt, hochaufgerichtet, frei und leicht schwebend über den schattenhaft hingezeichneten Gestalten des Schwalbenzuges und den breiten und starken Konturen der Waldberge im Vordergründe, vereint er die wunderbare Größe seiner Nordostfassade mit der Schönheit des Kalkwasserkranzes zu einem Bilde von höchster Vollendung^). Mit seiner ganzen ungeheuren Wucht lastet der Wischberg über dem vierten der Täler, über der westlich hereinziehenden Špranje. Da deren tiefer und enger Spalt knapp unter seinen Nord- und Nordwestmauern hindurchführt, so erscheint er, von unten gesehen, in starker Verkürzung. Alle Gliederung ist verschwunden, und seine übermächtige Masse wirkt fast erdrückend. Erst wenn man nach West und Südwest zu den Höhen 6S) Aber den Schönkopf schauk, von Tarvis gesehen, die Turmgeslalk der Höchsten Weihenbachspihe herüber. Wenige erkennen dies. Selbst für den Eingeweihten bedarf es einer guten Beleuchtung, um die scheinbar übereinander liegenden Kämme von Nord- und Südwall des jenseitigen Weißenbachgrabens klar auseinanderhalten zu können. 1G4 Au Seite 137/138 Wischberggruppe von Süden 7!ach einem hochgewitter Dr. Renato Timeus-Triest emporzusteigen beginnt, kommt man zu Stellen, wo man freier atmet. Immer klarer ordnen sich dann Wände und Schluchten, immer übersichtlicher entwickeln sich Reihen hoher, hellglänzender Zinnen und Türme. Großer Rabois (2307 m) zur Linken, Kastreinspihen (2495 m) zur Rechten sinken tiefer und tiefer, je näher man den Montaschgralen kommt, die Mischbergwände steigen immer höher und schwingen sich immer schlanker und leichter zur Höhe. Schon hat sich die Lichtgefialt des Spranjeturmes, der sich erst loszulösen schien und in die Lüfte schoß, als wolle er dem Wischberg über den Kopf wachsen, als bescheidene Schulter eingefügt. And schließlich ist im breiten Raume, den Große Raboisscharte nördlich, Mosesscharte südlich aus dem Hochkamm schneiden, eine riesenhafte Kathedrale emporgewachsen, deren zu meisterlicher Größe und Einheit gefügter, in beglückender Farbenfreude erstrahlender, reich und herrlich ragender Bau mit hochgespanntem Rundbogen die doppelte Riesenkuppel der Wischberggipfel in die Lüfte hebt. Wie er so vor uns steht, etwa von den Gipfeln des Montasch gesehen, ist er wahrhaftig ein Mons sortis, ein unvergleichlich schöner Berg der Kraft! Ich habe den Wischberg einen Sonnenberg genannt. Aber er hat noch etwas, was chn besonders charakterisiert. Er besitzt nebst dem Montasch die schönsten Bänder der Zulischen Alpen. Zeder Bergsteiger weiß, daß Bänder auf allen Bergen Vorkommen, an denen die Gesteinsschichtung dafür nur einigermaßen günstig liegt. Zeder kennt Entstehungsgeschichte, Aussehen und die oft entscheidende technische Wichtigkeit solcher Bänder. Sie können kostbare Bundesgenossen sein. Sie ermöglichen es, sich in den Wänden frei nach beiden Seiten zu bewegen, unüberwindlichen oder allzu schwierigen Stellen auszuweichen, rasch zu besseren hinüberzuwechseln, in geschickter, manchmal auch sehr weitausgreifender Flankenumgehung eine schwache Seite zu erspähen und so einen schönen Sieg zu erringen. Aber wie selten kommt man während der raschen und energischen Durchführung einer Ersteigung dazu, Beginn und Ausgang solcher Bänder sestzustellen, ihren ganzen Verlauf, chre Verzweigungen verfolgen zu können. And doch ist es so überaus anziehend, die charakteristischen feinen Linien, welche sie durch das Antlitz der Berge ziehen, zu studieren und ins kleinste zu ergründen, und manchmal scheint es mir, als stellten die Bänder den schönsten Reichtum der Berge dar. Was Schluchten- und Kaminsysteme in vertikaler, das bedeuten Bandsysteme in horizontaler Richtung. Es ist ja klar, daß beim Bergsteigen die vertikale die vorherrschende bleiben muß, und daß man den horizontalen Abweichungen nur so weit nötig nachgeben darf. „Frisch angepackt," heißt es fast tot- mer, „Sinnieren und Spekulieren ein andermal"! Dankbar nimml man in entscheidenden Augenblicken die Hilfe der Bänder an, ohne ihnen mehr als einen raschen Blick zur flüchligen Orientierung widmen zu können. Ihr Studium ist den Feierstunden des Bergsteigers Vorbehalten. Dem rasch zugreifenden Gipfelstürmer bleibt für sie keine Zeit. Aber wenn wir still irgendwo oben liegen, in seligem Bergessen von Stunde, Ziel und lockendem Erfolg, halb träumend die Seele, halb liebevoll beobachtend und fast unbewußt folgernd, wenn wir in solchen festlichen Mußestunden, die ja so oft viel mehr zählen als ein rasch erobertes und bald verflogenes Gipfelglück, um alle lichtumflossenen Kanten blicken, in die Schatten der verborgensten Falten tauchen, horchend, schauend, ahnend, dann fangen sie leise und zutraulich an von ihrem Woher und Wohin zu erzählen und den ganzen Zauber und die unendliche Erhabenheit ihrer tief verschwiegenen, ins Herzinnerste der Berge führenden Hochwege zu erschließen. Irgendwo in einem Buche habe ich gelesen, daß die alten Germanen den Brauch hatten, längs der waldbedecklen Kämme den Göttern geheiligte, breite Richtwege auszuschlagen, damit deren Züge frei und ungehindert dahinbrausen konnten. An solche Gölterstrahen muß ich immer denken» wenn ich in den Bändern stehe. Es kommt mir vor, als hätten die großen Berge die Wege, die wir Bänder nennen» um ihren Felsenleib gebaut, damit die lieben Berggeister sich auf ihnen ergehen. Es ist mir immer, als müßten sie an der nächsten Ecke sitzen und dort selige Schau halten. Ich wandte auf ihnen nie anders als mit dem Gefühl ehrfurchtsvoller Erwartung. Wie wenn man uneingeladen die Wege eines vornehmen Parkes betritt, stets gefaßt» seinem Herrn zu begegnen. Ich meine hier weniger die schmalen Gesimse und Kletterbänder, auf denen der Fuß kaum Halt findet, und wo man Mühe hat, das Gleichgewicht zu behaupten, wenn die Wand zur Seite keine Griffe bietet. Ich habe die bequemen, breiten, weißleuchtenden Bänder im Auge, wie sie den südlichen Kalkbergen und so besonders den Zulischen Alpen eigen sind. Auf denen die gesetzten Berggeister spazieren gehen, die Hände auf dem Rücken, und in behaglicher Ruhe sich sonnen. Ihr Beginn ist niemals ein zufälliger. Alles deutet darauf hin, daß er ein gewollter ist. Er ist zielbewußl hingestellt. „Eingang in die Wände", könnte es dort heißen. Auch der Berlauf ist selten plötzlich unterbrochen oder über den Abgründen kurz abgehackt. Das Band führt gewöhnlich zu etwas hin, es hat Zweck und Ziel» manchmal könnte sogar an der Stelle, wo es mit dem breiten Gehaben erfüllter Aufgabe in leichtere Schrofen oder in Hänge überleitet, in Scharten oder über Hochkaren ausmündek, ein Wegweiser mit mehreren Armen stehen. Es liegt eine offenbare Logik in der Anordnung der Bänder. Oft führt eine Schlucht, eine Rinne, ein Lawinenkegel zu ihrem Beginn. Wir betreten das Band und schon nach wenigen Schritten sind wir ganz plötzlich mitten in den zu Tal schießenden Wänden. Das Kar, die Schneefelder, die Schutthalden, über die unser Anstieg geführt hat, sind zauberschnell in die Tiefe geflossen. Alles weicht zurück, enge schließt sich unser Band um alle Borsprünge der Wand, fest, sicher, frei stehen wir im Raume knapp über den Abgründen. Manchmal treten Platten zu Tage. Dann sind sie weiß und blank gescheuert, daß es eine Freude ist. Kein Stäubchen ist daran hängen geblieben. Gewöhnlich aber liegt feiner, blendendweißer Kies über dem Bande, wie auf einem richtigen, wohlgepflegten Parkweg. Das knistert und knirscht und klirrt unter unseren Tritten. Heiß brennt die Sonne herein. Es flimmert von weißem Licht. Wir glauben Spuren von Harke und Rechen zu sehen und blicken um uns. Wo ist der Gärtner? Alles ist so fein säuberlich in stand gehalten. Er muß in der Nähe sein. Ab und zu bescheiden im Schutt ein kleines Blumenpolsterchen, wie es uns in den Iulischen bis zu den höchsten Spitzen begleitet, einige bloße Gletscherranunkeln, reizende Steinbrech-rosetten mit zartweißen oder gelben Blüten, der rotbefiickte, rund-gewölbte Rasen der Silenen» pfirsichfarbenes Fingerkraut, dort der Himmelsherold mit den lieben blauen Bergißmeinnichtaugen oder in feuchter Felsspalte ein zweiblütiges gelbes Beilchen°°). Dann wölbt sich der seitliche Fels knapp über uns, rötliche Säulchen stützen den Überhang, kleine Nischen dazwischen, die Schlafplätze der Gemsen. Ein kleiner Schneefleck schmiegt sich dort an die schützende Wand, er bietet Wasser und ladet zur Rast. Aber die Ecke vor uns, um welche das Band verschwindet, lockt und ruft. Was wird jenseits sein? Wir biegen herum» mit klopfendem Herzen, als gelte es den Blick in eine ungewisse Zukunft. Eine Riesenschlucht öffnet sich, sie spaltet den Berg in seiner ganzen Höhe. Schneefelder hängen steil herein, Schmelzwasser tosen, oben drohen finstere Plattenmauern, unten klafft ein bodenloser Schlund. Alpendohlen fliegen krächzend auf. Wo man hinblickt, die atem-beklemmenden Schrecken des Abgrunds. Und siehe da, unser Band lenkt schön und ruhig hinein, klar, sicher, unbeirrt führt es hindurch und hinüber, schon sehen wir es jenseits in gleicher Höhe wieder, wie es aus den düsteren Schalken zu einer neuen Ecke in den hellen Sonnenschein hinausziehk. Unter uns ist „purpurfarbene Tiefe". Gewaltig ist der 69) Ranunculus glacialis, Traunfellneri; Saxifraga Aizoon, aizoides; Silene acaulis; Potentilla nitida; Eritrichium nanum; Viola biflora. Blick hinab in das stille Kar, auf das Blockgewirr, auf dunkles Krummholz und schwarzen Nadelwald. Wilde Gräben fahren jäh zur Tiefe. Weil draußen liegt das Tal friedlich im freundlichen Wiesengrün, es grüßen die kleinen Häuschen und der blinkende Kirchturm eines lieben, uns wohlvertrauten Dörfchens, über uns recken sich die stolzen Felsenmauern empor. Legen wir den Kopf zurück, so sehen wir, wie hoch oben ihr sonnenbeglänzter zackiger Rand die blaue Schwelle der Himmelsräume zu berühren scheint. So ziehen wir zwischen dem Ernst der Tiefen und dem hellen Jubel der Höhen frei und leicht, aller Sorgen enthoben, für die Spanne einiger glücklicher Stunden Göttern gleich, unsere leuchtende Straße durch die Glorie der Wände! Das sind die Bänder der Jütischen Alpen, von denen ich sagte, daß meine ganze Seele an ihnen hängt. Es vergeht kaum ein Tag, da ich nicht in Sehnsucht und Liebe ihrer gedenke. Machen die Bänder den Reichtum der Berge aus, so ist unser Sonnenberg wohl der reichste Berg der Jütischen Alpen. An seiner Südseite liegen die breitesten und wuchtigsten, stellenweise geht hier sogar die schlanke Bandform verloren, es handelt sich schon eher um steilgesiellte Rasen- und Schulterrassen, die um den riesigen Gipfelbau gelegt sind. Deren unterste löst sich knapp unterhalb der Wischbergwände vom fels-durchsetzten Berghang der Oberen Karnica ab und sendet ein breites Band längs der senkrechten Mauern des Gamsmutterzuges bis an den Felsenleib der Kalkwasser Gamsmutker. Dort vereinigt sich dasselbe mit der wunderschönen Gürkelstraße, die, oberhalb der Kalkwasserscharte beginnend, Süd- und Westseite der Kaltwasser Gamsmutker umspannt, tief in den zerklüfteten Felsenzirkus chrer Westmauern hineinreicht und an der Schlucht unterhalb der Kleinspihe endet. Die obere Wisch-bergterrasse beginnt in der großen Schlucht zwischen dem Wischberg und der überhängenden gelben Turmwand der Hohen Gamsmutker. Sie schlingt sich in weitem Halbkreise von Nordost nach Südwest um den Fuß der Gipfeltürme bis zu den Graten des Spranjeturmes, und blickt von dort durch die grünen Hochmulden, denen der Spranjeturm seinen friaulischen Ramen „Cima de lis Codis“ verdankt, tief in die Abgründe der Špranje^). Sie ist fast überall von senkrechten Felsen getragen, die aber den bekannten Südwegen leichten Durchgang gestatten. Doch sind damit lange nicht alle Bänder der Südseite genannt. Es ist kaum das Wichtigste angedeutet. Da und dort, an allen Stellen» wo eine Aus- 70) Literatur: „Altes und Neues vom Mischberg und vom Moutasch. n. Die Nordanstiege des Mischbergs. Der Spranseturm (Cima de lis Codis) 2362 m.“ Ö. A. Z. 1911, 1. sichk auf Erfolg befiehl, haben Bänder angefetzk und versuchen lächelnd chr Glück in den Wänden. Das eine drängt von der Mosesscharle herein, andere hängen Keck im Überhang der Gamsmulkerwand. Geschäftig ziehen sie chre Steiglein und Wege, locken und rufen, verknüpfen, verbinden. 3m Steildach der gelben Rundtürme hoch oben am Gipfel-grat des Wischbergs wehen sie als fröhlich gescharte leichte Bändlein in mehrfachen feingezogenen Reihen, daß man bei Neuschnee und Hellem Sonnenschein vermeinen könnte, der prangende Berg habe festlichen Flaggenschmuck gehißt und grüße mit weißflatlernden Fähnlein und mit silbernen Wimpeln über goldenem Grunde weit in die südlichen Fernen hinüber zum blauen Meer. Über den Gral nordöstlich vom Spranjelurm greift diese obere Terrasse in die Nordwestwände des Wischbergs über. Allerdings zunächst nur mit flüchtigen, dünnen Schleifchen und schmalen Durchschlüpfen, die aber im Absteigen allmählich breiter und gangbarer werden, schließlich noch in großer Höhe als ausgeprägtes, wenn auch schmales Band die horizontale Richtung zur Nordwestschlucht nehmen, sie durchschreiten, dann immer höher emporführend den Zugang zu den schönen, stellenweise mehrfach übereinanderliegenden Bändern vermitteln, die nördlich unter den höchsten Gipfelzacken herumziehen und in die Nordostflanke übergreifen. Ein Teil jener Schleifchen und Durchschlüpfe senkt sich von der Grathöhe am Spranjelurm sofort der Tiefe zu, hüpft die steil aufgerichtete Rampe hinab, welche die Nordwestschlucht an chrer orographisch linken Seite begleitet, und stellt die Verbindung mit den klassischen „Nordwestbändern" des Wischbergs her, die in einer mittleren Höhe von 1800 m bis 1900 m von der Großen Naboisscharte bis an den Fuß der Mosesrinne und weiterziehend der Bärenlahnscharte reichen und eine der idealsten und in sich abgeschlossensten Bandwanderungen in den Jütischen Alpen ermöglichen7*). Dem wunderbaren Bandreichtum der Nordwestwände seht das gewaltige Doppelband die Krone auf, das sich in herrlichen Balkonen hoch über den Abgründen der Špranje bis unter die scharfen Zinnen des Spranje-turmes emporschwingt, und das schließlich ein klar ausgeprägtes, doch nicht überall gangbares, auf das äußerste exponiertes Berbindungs-band bis zur Mosesscharle hinübersendel^). Durch die eigentliche Nordwand des Wischbergs ziehen parallel zueinander zwei wunderschön aus-gebildete Horizontalbänder. Der von der Großen Naboisscharte über 71) Literatur: „Alles und Neues vom Wischberg und vom Monlasch." II. wie oben. 6. A. Z. 1911, 1. 72) Literatur: „Alles und Neues vom Wischberg und vom Montasch." II. wie oben. diese Wand zur Spitze gelegte schwierigste Klelkerweg auf den Wischberg durchschneidek sie beide und benützt sie auch auf je eine Kurze Strecke. Da es aber ein Weg ist, dessen gehäufte technische und Orientierungs-schwierigkeiten so viele angestrengte Stunden erfüllen, daß von seinen bis heute in Betracht kommenden drei Begehungen die beiden ersten nur mit Mühe in der Arbeitszeit eines langen Sommertages unter-gebracht werden konnten, während die dritte in unfreiwillige harte Biwaks geriet, so ist es noch nicht möglich gewesen, die Anschlüsse dieser beiden Bänder nach West und Ost genauer zu untersuchen. Ihr Studium müßte Ziel einer eigenen Unternehmung sein. Als ich die erste Ersteigung von dieser Seite ausführte, konnte ich mir nur klar machen, daß das untere Band nach Westen hin keinen direkten Ausgang hat. Wir werden sehen, daß es vorher einem guten Zwecke dient. Dann reicht es noch bis zur Kante gegen die Nordwestschlucht und bricht über dieser ab. Alle anderen Fragen harren noch ihrer Lösung. Da in den Nordostwänden des Wischbergs, gegen die scharfe Nordostkanle hm, mehrere Bandansähe und stückweise auch ausgebildete Bänder sichtbar sind, und von den Ost- und Nordmauern der Kallwasser Gamsmutter her das nun schon berühmt gewordene „Band der Bänder", das Götlerband, in die Nordostschluchl hereinführt, so ist schon einige Male die Borstellung in mir erstanden, ob es nicht glücken könnte, ein Ringband um die ganze ungeheure Felseninsel zu kombinieren, zu welcher sich der Wischberg mit allen seinen Borwerken, mit dem Spranjeturm und dem gesamten Gamsmutterzug, vereinigt. Es ist dies ein neuer Beweis, daß an einem großen Berge die Probleme noch immer nicht ausgeschöpft sind, wenn man auch meint, seine sämtlichen möglichen Gipfelanstiege erschlossen zu haben. Die Idee ist vielleicht phantastisch, aber ein derartiger Erfolg wäre wohl gewaltig! Als ich die ersten Male zum Wischberg kam, da war die Hauptfassade natürlich die gegen das Seebachtal gerichtete. Bom Wischberg „von hinken" wußte niemand etwas. Es wurde der Name eines deutschen Touristen älterer Zeiten genannt, der den Berg von rückwärts über die Mosesscharke erstiegen haben solle. Aber meine späteren Nachforschungen haben ergeben, daß dies ein Mißverständnis gewesen sein müsse. In den Beschreibungen von Wischbergersteigungen hieß es nur immer, daß jenseits bodenlose Abgründe seien. Das fand ich allerdings bestätigt, wenn ich mich am Wischberggipfel nach Norden vor-beugte; weitere Gedanken machte ich mir darüber lange nicht. Eine wunderschön empfundene Stelle über den Anblick des Berges von Nordosten finde! sich im klassischen Buche Gilberts und Churchills^). Die Autoren sind auf die fromme Hochwarte des Luschari gekommen. 3n tiefer Andacht und Ergriffenheit stehen sie da und bewundern die „stolze Aussicht". „Hier waren unter dem unendlichen Himmelsbogen einige der großen Werke Gottes ringsum ausgebreitet, welche zu sehen wohl eine Wallfahrt wert ist." Die Zinnen des Wischbergs ziehen ihre vollste Aufmerksamkeit auf sich. „3m Süden befand sich aber die am meisten Staunen einflößende Landschaft. Da standen die großartig zackigen Zinnen des Wifchbergs, aus der unermeßlichen Tiefe emporragend, — eine Gruppe von Riesen! Wir waren ihren wilden, uner-steiglichen Gipfeln nahe genug, um deren ganze Schrecklichkeit zu erfassen. Ein solches Bild flößt dem Geiste staunende Scheu und das Gefühl von Gewalt ein — einer Gewalt, jetzt nicht in Tätigkeit, sondern in vollkommener Ruhe, was vielleicht von beiden den meisten Eindruck macht. Es ist eine eingefrorne, schlafende Kraft. Wir sahen und fragten lange Zeit, denn jedes dieser Ungeheuer hat einen Namen und der Name verleiht Körperlichkeit und auch einigermaßen Seele." Zwei Priester vom kleinen Luscharihofpiz haben sich zu den Engländern gesellt und werden nicht müde, ihnen alles zu erklären, über eine Stunde sind sie emsig damit beschäftigt, mit ihren Stöcken herumzuzeigen und zu nennen. Diese großartigen Naturbilder sind ihre Gefährten des Morgens, des Mittags und des Abends. „O!" sagten sie, „der Sonnenaufgang! O! welche Pracht!" und sie breiteten ihre Arme gegen den Gesichtskreis aus, als ob sie das herrliche Schauspiel umfassen wollten. Erst als die Probleme der Nordanstiege auf den Monlasch mich seil 1887 alljährlich und immer häufiger in die Seissera zu führen begannen, ward ich mir bewußt, daß der Wischberg „von hinten" der eigentliche Wischberg sei, und staunend sah ich zu, wie mir der gewaltige Berg zuerst seine Nordwest-, dann seine Nordofi- und schließlich die furchtbare Größe seiner Nordfront enthüllte. Es war, wo man hinblickte, jungfräuliches Terrain. Die drei Fronten standen vor mir wie ein überreiches Gottesgeschenk. Nur die Kare und die unteren Bänder waren einigen unserer Gemsjäger und Treiber, dann den Schafhirten von Wolfsbach bekannt. Die gemsenreichen oberen Bänder, die von der Cima de lis Codis weil in das Massiv ausstrahlen, waren geheime Domäne der überaus unternehmenden Wildschützen aus dem Racco-lanatal. Unten war der milde Kandutsch aus Wolfsbach der beste Ge- 7S) Siehe vorne. Dieses Buch ist heule fast ganz verschollen und unbekannl. Sehr mit Unrecht, denn es ist eines der schönsten Berg- und Reisebücher, die ich kenne, und sollte von Naturfreunden viel gelesen werden. währsmann. Oben herrschte der düsterblickende Stamm der Pesamosca aus dem Raccolanatal, die der Volksmund die „Lauf" nennt. Ich ersah meinen Vorteil, blieb nicht müßig, und ließ die Ersteigungen von dieser Seite Schlag auf Schlag folgen. Zunächst eröffnete ich mit Andreas und Kandutsch den Nordwest-anstieg, welchen Professor Gstirner den schönsten Wischbergweg nennt74). Heute sind mehrere Varianten dieses Weges bekannt. Die Route der Erstersteigung führt im obersten Teil durch ein verborgenes Gratfenster an die Südseite des Hauptgrates und längs dieses auf die Spitze. Ich wiederholte zunächst diesen Anstieg einige Male, dann nahm ich mir zu 3ože Komac einen jener friaulischen Wilderer, den Ambrogio Pesamosca, der die oberen Gemsbänder gut kannte, querte nahe unter dem Gratfenfler horizontal zur Nordwestschlucht zurück, durchschritt sie, verfolgte das schon besprochene Hauptband weit nach Osten, fast bis zur Fallinie unter dem Gipfel, erreichte in kurzer aber ziemlich scharfer Kletterei die obersten nördlichen Gipfelbänder und bald darauf leicht die Spitze. Das war der zweite Weg. Bald darauf begann ich von Luschari, Steinernem Jäger, von Schwalbenspitzen, Karnicascharte und vom Saifnitzer Kar immer aufmerksamer zur Nordostschlucht hinüberzublicken. Ich glaubte dort einen herrlichen Aufstieg zu erkennen, hatte aber festgestellt, daß die Gemsen jene Stellen niemals benützten, fürchtete hohe Überhänge in der unteren Klamm, vor allem schweren Steinfall aus der oben trichterförmig sich öffnenden Schlucht, und zögerte lange und vorsichtig. Als ich endlich mit Bolaffio, ZoLe und Oihinger entschlossen angriff, lachte uns ein schöner und nicht übermäßig schwerer Sieg. Die Erkletterung des dreieckigen Gratsporns am Fuße der Schlucht, welchen die Wolfsbacher „Kleiner Wischberg" nennen, aus dem orographisch linksseitigen^) Schneecouloir war infolge der ungünstigen Schichtung und der Glätte des Gesteins vielleicht das heikelste Stück. In der Klamm fanden wir tatsächlich die erwarteten Überhänge, die es uns erklärlich machten, weshalb die Gemsen jene Schlucht mieden. Sie waren an zwei Stellen so hoch, daß wir uns zu dritt zum Steigbaum stellen mußten. Wären es drei weniger hochgewachsene Männer gewesen, so hätte noch ein Vierter heran müssen. Mir fiel die Rolle des untersten zu, Zore stand auf meinen Schultern, Oihinger kletterte als der leichteste behende an uns hinauf. Er mußte sich aber das zweite Mal auf den Kopf IoLes stellen, um den entscheidenden Griff hoch oben erhaschen zu 74) Literatur: „Neue Touren in den Jütischen Alpen", M. A. V. 1893, 290. 76) Man kann auch aus dem rechtsseitigen Schneedreieck aufsteigen. Zu Seite 108 Der Spranjelurm von der Värenlahnscharke Franz Kröner-München Die alke Mischberghütte unter der Traufwand Frnnz Kröner-München Zu Seite 109 Die Nordwestbänder am Wischberg Dr. Renato Timeus-Triest Können. Dabei glitk er aus und wäre um ein Haar gestürzt. Er erhielt sich mit außerordentlicher Geschicklichkeit und schwang sich schließlich empor. Aber die schwankende Krone, die er in diesem kritischen Augenblick darstellte, erschütterte den Stamm des Kletterbaumes unter ihr zu den heftigsten Schwingungen, die uns allen, besonders dem arg getretenen wurzelständigen Teilnehmer, erst ungemein ernst, gleich darauf außerordentlich drollig erschienen. Es muß ausgesehen haben» als tanzten drei Bären in schweren Nöten an den senkrechten Felsen einen ungefügen und verzweifelten Tanz. Als wir schweratmend wieder alle oben vereinigt waren und uns zur Aast niederließen, lachten wir um so herzlicher, als die Felsen der Schlucht über uns fich bereits zurückzulegen begannen, der weitere Weg offen vor uns lag, und der Erfolg des Tages so gut wie entschieden war. Eine Stunde höher oben hielten wir außerhalb aller Schwierigkeiten und schon nahe unter dem Gipfel eine letzte lange Rast. Während derselben konnten wir die für mich denkwürdige Begegnung der beiden Gemfenrudel beobachten, von der ich an einem anderen Orte erzählt habe7«), und die zur Entdeckung des „Götterweges" den ersten Anstoß gegeben hat. Bon Steingefahr find wir damals und auch später immer verschont geblieben, die hohen und steilen Stufen der Klamm würden dagegen gewiß auch einen guten Schuh bieten. Der vierte Weg von rückwärts führte mich aus der Špranje über die Mosesscharte (2271 m). Die große Schneerinne zu dieser, die man in ihrer vollen Höhe durchsteigen muß, gibt ihm gegenüber den anderen Wegen, die fast durchaus Felsenwege find und nur im Frühsommer steile Schneeflecke enthalten, einen besonderen Charakter. Der Schneekörper in der Rinne kann im Frühsommer, wenn die zahlreichen Schneezungen hochangeweht emporlecken, die Lawinenkegel unter den Seiten-schluchten in der engen Rinne fich drängen und kreuzen, und die oberste Schartenwächte noch wohlgenährt und stark herausgewölbt hinaufgreift, sehr steil liegen. Je weiter zum Spätherbst, um so abenteuerlicher kann es wieder sein, weil der Schneekörper immer stärker unterhöhlt wird, daß komplizierte Tunnels und die seltsamsten Durchschlüpfe entstehen und phantastische Brücken einsturzdrohend von oben hereinhängen. 3nt Augenblick, da man die Schartenhöhe erreicht hat, ist man bereits sehr hoch und hat nur mehr kurzen Weg. Dort steht unter Überhängen schon das Mosesband bereit und führt zu einer nahen Stelle in der Wischbergsüdwand, wo sich der senkrechte Wandgürtel mit einer seitlich 76) Literatur: „Me Kallwasser Gamsmutler (2503 m) aus dem Kaltwassertal." £>. A. Z. 1914, 1. 8 Kugy, Aus dem Leben eines Bergsteigers 113 emporführenden, begrünten Rinne, darüber mit einem kleinen Platlen-zirkus öffnet und leichten Durchstieg zur oberen großen Terrasse gestattet. Doch bin ich auch über die Klippen oberhalb der Mosesgestalt fast senkrecht zur Scharte abgestiegen. Das war damals nicht leicht. Zeht führt ein steiler, sehr kühner Felsensteig dort hinauf. Ob seiner Schönheit habe ich den Mosesweg wiederholt gemacht. An der Wurzel der Mosesrinne, da wo die nordwestlichen Wischbergbänder beginnen, befindet sich ein von mir wiederholt benützter guter Schlafplatz. Ich kann nicht sagen, daß ich auf diesem vierten Wege der erste gewesen bin. Im Gegenteil denke ich, daß er schon vor mir begangen worden sein muh, ohne daß es mir aus Literatur oder Überlieferung bekannt geworden wäre. Während einer langen Gipselrast auf dem Großen Rabois habe ich den Plan zum fünften, zum direkten Nordweg entworfen. Von hier gesehen erhebt sich die eigentliche Nordwand des Wischbergs ganz nahe gegenüber in geradezu erdrückender Größe. Unser Standpunkt ermöglichte es Oitzinger und mir, tief in alle chre Fallen zu blicken, und die großen Vorteile, welche die beiden hoch übereinander hereinziehenden Parallelbänder bieten, sofort zu erkennen. Ich lud Freund Bolaffio ein, verstärkte unsere Gesellschaft mit dem kühnen Kletterer Giuseppe Pesamosca aus Piani im Raccolanatal, und griff nach einem Biwak in der Großen Naboisscharte (1962 m) um 5 Uhr morgens an. Eine kurze Schuttrinne führt unmittelbar von der Schartenhöhe zu einem tunnelartigen Spalt zwischen der Bergwand und einem abgesprengten Riesenblock. Alles ist sofort sehr steil, man gewinnt rasch an Höhe. Bald stehen wir gewaltig exponiert über den wilden Abgründen zur westlichen Naboisschlucht. Vom Tunnelausgang führen schmale Bänder zur hornarligen Klippe, die man von der Scharte rechts oben in der senkrechten Wand ragen sieht. Wir überklettern sie, gewinnen jenseits absteigend ganz schmale schultbedeckle Gesimse, die wir bis in die erste große Schlucht verfolgen. Das Gestein ist überall sehr brüchig, ganze Felslasten donnern von den schmalen Stellen in die Schlucht unter uns hinab, so daß unser guter Kandutsch, der die Decken in die Seissera-hütte zurückzuschaffen hat, in eine gedeckte Nische flüchten muß und eine Zeitlang dort blockiert bleibt. Die Schlucht ist mit Felsblöcken erfüllt und wird bald von einer hohen Plattenstufe gesperrt, über welche ein Riesenblock hereinhängt. Oitzinger umgeht die Stelle nach links, Pesamosca nach rechts, bleibt aber in glatten Platten stecken und muß von Oitzinger mit zugeworfenem Seil herausgeholt werden. Bolaffio und ich klettern in der Verschneidung von rechtsseitiger Platte und Block hinauf, bedürfen aber der Seilhilfe von oben. Dann geht es über Blockwerk leicht weiter zur Höhe, plötzlich stehen wir am unteren Band. Die Felsen darüber richten sich zu steil auf, wir müssen es ein langes Stück nach rechts hin verfolgen, bis sich bergwärts Schrofen zeigen, die erst leichtes, dann langsameres Emporkommen gestatten. Wir sind mit den Fortschritten zufrieden, aber noch immer ragt der Gipfelblock des Großen Nabois gegenüber höher, als unser Standpunkt liegt. Wir hatten erwartet, ihn rascher unterzubekommen. Dann betreten wir steilen Schutt und erreichen das obere Band. Dort rastet ein Teil unserer Gesellschaft, der andere geht auf Wegsuche. Gerade hinauf und nach rechts hin ist kein Weiterkommen, wir müssen auf dem Bande längs senkrechter Mauern ostwärts hinaus. An einer Stelle, wo sich ein Riesenblock an die Bergwand lehnt, — man sieht ihn deutlich aus der Špranje —, fast senkrecht über -er unteren Plaltenschlucht, öffnet sich die Mauer, ein düsterer Spalt wir- sichtbar, durch den eine doppelte Reihe fast senkrechter enger Kamine emporzieht. Wir nehmen die rechtsseitige in Angriff und finden außerordentliche Schwierigkeiten. Giuseppe ist hier als der schmälste und leichteste erster, wir Helsen chm so gut wir können, heben chn mit den Pickeln» arbeiten uns unter Anspannung unserer gesamten Kraft immer höher. Endlich werden die Kamine leichter» wir gelangen aus dem dunklen Schlund auf eine freie, steilliegende Terrafle, auf der wir rasten und uns neu orientieren. Bom Gipfel des Großen Nabois sin- Zurufe zu uns gedrungen. Wir können jetzt Hinblicken: er ist endlich unter unseren Standpunkt gesunken. Es sind dort Bauern, die ihre Schafe suchen. Sie erzählten uns später, es habe grauenvoll ausgesehen, wie wir da oben klebten, sie hätten jeden Augenblick unseren Absturz erwartet. Dann nehmen wir die über uns stehende Schrofenwand in Angriff und Hallen die Richtung auf einen breiten, gelben Felsturm zu, der noch hoch über uns in den Gipfelmauern ragt. Die Schrofen gestatten erst rasches Fortkommen, werden dann immer steiler. Doch erheben wir uns, einem Steilgraben nach rechts ausweichend, stetig und nähern uns der Basis unseres Turmes in immer exponierterer Wandkletterei mehr und mehr. Der Sieg scheint schon unser, da geht es plötzlich nicht weiter. Wir stehen in stark verwitterten Gesteinsschichten, die sich ganz steil ausgerichtet haben, in denen nichts Festes ist, das als Griff oder Tritt dienen könnte. Das Gestein faßt sich scharf und spitz an, aber alles bröckelt sofort in kleinen Quaderchen aus und rieselt und hüpft in unheimlicher Raschheit lautlos zur Tiefe. Wir stehen sehr unsicher, es ist eher ein beiläufiges Haften infolge der Reibung. Doch schon ist der Nordostgral links nahe über uns erschienen. Er sendet uns ein Band entgegen, das nicht ganz 8* 115 herüberreichk. Während von der Spitze des Nabois die Mahnrufe immer dringender herübertönen, müssen wir uns zu einem Quergang durch das überaus tückische Gestein entschließen. Borsichtig führen wir ihn aus. Das Seil ist Keine Sicherung, ein jeder trägt die schwere Verantwortung für sich und für alle anderen. Nach einer Seillänge wird es etwas weniger steil, nach einer oder zwei weiteren ist der Beginn des Bandes erreicht. Es ist noch schmal und lustig, aber uns, die wir nun erleichtert aufalmen Können, erscheint es breit und sicher wie eine Reichsstraße. Bald blicken wir vom Grat an der jenseitigen Rord-ostflanke hinunter, nach wenigen Minuten, etwas vor 5 Uhr nachmittags, ist die Spitze unser. Wir haben für die siebenhundert Meter vertikaler Höhendifferenz zwölf Stunden benötigt, von denen allerdings mehrere mit Wegsuchen und Rasten „verloren" gegangen fittb77). Die Wand ist nicht lange darauf zum zweiten Mal von Dr. Leuchs und einem Genossen ohne Führer durchklettert worden. Ich konnte mir nicht vollkommen klar werden, ob es durchaus auf dem identischen Wege geschehen ist. Dann machten sich zwei führerlose Triestiner: Zanutti und Cepich nach meinen Angaben an die Unternehmung. Sie scheiterten das erste Mal am oberen Band und mußten nach zweimaligem Biwakieren in den Wänden zurück. Rach ihrer Erzählung waren sie in schwere Bedrängnis geraten. Das zweite Mal gelang den Tapferen die Durchsleigung — wieder nach einem unfreiwilligen Biwak — auf einem Wege, der an einigen Stellen sicherlich von dem meinen abweicht. Rahe der Spitze konnten sie irgendwie nach Westen durchbrechen und so dem Ouergang ausweichen, der besser auch in aller Hinkunft vermieden bleiben möge. Ich kann die Schwierigkeiten nicht genau beurteilen, die sie dagegen eintauschen muhten. Einem beschaulichen Oktoberspaziergang durch die herbstlich gestimmte Špranje über die Bärenlahnscharte (2122 m), auf dem mich Oihinger und Osvaldo Pesamosca begleiteten, und einigen mir neuen Mitteilungen Osvaldos verdankte ich einige Jahre später die Anregung zum sechsten Weg. Wir hatten schon acht Tage darauf am Doppelbande zur Cima de lis Codis einen vollen Erfolg, lernten in einer überaus schönen Kletterei das westliche Borwerk des Wischbergs genau kennen und tauften es „Spranjeturm". Ein Name, der zu meiner Genugtuung sehr bald volkstümlich geworden iff78). Als ich dann nach einem weiteren 77) Ich habe mich bei den Ersteigungen durch die Nordostschluchl und über die Nordwand länger aufgehallen» weil ich darüber nichts publiziert Halle. Einige Details darüber waren für die Ersteigungsgeschichle nolwendig. 7S) Literatur: »Alles und Neues vom Wischberg und vom Monlasch." n. wie oben. Wischberg, Gamsmutterzug, Spranjelurm Jahr den siebenten Weg durchgeführt hatte, der eigentlich nur eine ganz fieilgestellke Kürzung der beiden ersten Wege darstellk, indem er unter tunlichster Vermeidung aller Schleifen und Umwege die direkteste Linie durch die Nordwestschlucht zur Spitze zieht78), glaubte ich sagen zu dürfen, es werde nun für einen achten Weg in den Wischberg-nordwänden kein Platz mehr fein80). Das war übereilt gesprochen. Denn zwei Jahre später entdeckte ich, den Pfaden der Gemsen nach-fpürend, tatsächlich noch diesen achten, den merkwürdigsten87) unter allen, den Weg aus dem Kaltwassertal über die „Götterbänder"8^), den mein junger Freund Vladimir Dovgan zuerst begangen hat88), und 7g) Literatur: „(Bin neuer Wischbergweg." ö. A. Z. 1912, 7. ") Literatur: Ebendort. 81) Es wird nicht oft verkommen, daß man einen Berg aus einem Tal ersteigt, welches gar nicht an seinen eigentlichen Körper herantrilt. Ich glaube, daß die Auffindung, die Benennung und die Einführung der „Gölterbänder" in die Literatur zu meiner besten alpinen Arbeit gehört. Als ich alles klar sah, und die Übereinstimmung des Beobachteten mit einigen vorher nicht verständlichen Überlieferungen des alten Pesamosca plötzlich vor mir aufleuchlete, da überkam mich das heiße Gefühl, ich habe den Jütischen Alpen eines ihrer schönsten und verborgensten Geheimniffe abgelauscht. Meinem Prinzip getreu, schon einmal Beröffentlichles nicht zum zweiten Mal zu bringen, habe ich die Geschichte dieser Entdeckung hier nicht erzählt, aber fie ist in der Literatur zu finden, auf welche die Fußnoten dieser und einiger folgender Seilen dieses Buches Hinweisen. Vielleicht haben die „Gölterbänder" in den Jütischen Alpen nicht ihresgleichen, so bänderreich diese auch sind. Das große Triglavband vom Flilscherschnee zum Triglavgletscher, das man „Kugyband" genannt hat, kam ihnen in feinem Urzustände, bevor es geflchert und damit verdorben wurde, wohl am nächsten. Auch an einige Monlaschbänder könnte man vergleichend denken, besonders an das schaurige Band, welches mir die Erstersteigung des Monlaschnordlurms vermittelte. Aber so seltsam und bedeutungsvoll diese Bänder auch sind, so reicht doch ihre Eigenart an den mystischen Zauber nicht heran, der mir über den „Göllerbändern" zu liegen scheint. Der Rame „Gölterbänder" mag die Stimmung kennzeichnen, von der ich erfüllt war, als das wunderbare Geheimnis jener düsteren Gamsmutternordwände sich mir langsam zu enthüllen begann. Nicht viele haben die „Gölterbänder" betreten. Aber die begnadete Jugend, die es lat, allen voran mein treuer Dovgan, der „als ein Stück von mir" sie zuerst beging, haben Block und Bänder in einer gleichen oder einer ähnlichen Stimmung bewältigt, die sicherlich nicht bloß von mär übernommen, die vielmehr aus eigenem aufregendem Erleben und aus den Schauern einer mit Fabelgewalt auf sie einstürmenden Wand- und Abgrundromanlik empfangen war. „Neige dein Antlitz, dein Fuß betritt Stellen, wo Götter wandeln!" Keine Inschrift sagt es dort oben» aber dein Herz wird es in Ehrfurcht erbebend sagen, der du jenen schwindelnd-schmalen, feingemeißellen Gesimsen durch die Schatten der Gamsmullernordwände folgen willst zum lichten Gipfel des Wischbergs. Ich grüße dich» Wagemutiger! Auf Göllerwegen ziehe das Glück mit dir! sa) Literatur: „Die Kalkwasser Eamsmulker (2503 m) aus dem Kalkwasserkal." £>. A. Z. 1914, 1. 83) Literatur: „Neues aus den Jütischen Alpen." ö. A. Z. 1915, 99. schließlich folgte noch die großartige Äberkletkerung der Nordostkante des Wischbergs^), welche zwar keinen rechten neuen „Weg" hinzugefügt hat, jedoch sicherlich zu den gewaltigsten sportlichen Leistungen gehört, deren Schauplatz die Iulischen Alpen je gewesen sind. Ungezählte Male bin ich auf dem Wege Gustav Jägers, dem späteren „Alpenvereinswege", aufgestiegen. 3m ganzen mutz ich stark über dreißig Male auf der Spitze gewesen sein. Auch eine Winterersteigung habe ich mit Oihinger und Otto Lorenz auf diesem Wege ausgeführt. Wir hatten dabei mit derartigen Schneemaffen zu Kämpfen, daß wir, in Schneereifen gehend, von der Raibler Winterstraße am See bis zur Fischbachalpe die fast erschöpfende Tretarbeit voller zwölf Stunden benötigten. Je höher wir dann kamen» desto bester wurde der Zustand des Schnees. Die Strecke von der Findenegghütte, in der wir übernachteten, bis zur Spitze hätten wir wohl in fast normaler Zeit zurücklegen können, wäre es nicht notwendig gewesen, den vollständig verwehten Tunnel, die sogenannte „Küchel", unter der Gamsmutierwand in fast einstündiger Arbeit freizuräumen, und hätte nicht gleich darauf in der Plattenschlucht ein mächtiger Eisvorhang, der sich sehr steil hereinwölbte und die Schlucht gänzlich auskleidete, sehr heikle Arbeit in wässerigem Eise erfordert. Die Aussicht war auch damals wie auf allen meinen Winterlouren in den Iulischen Alpen von wundervoller Reinheit. Die frühlinghafte Schönheit des Tages und der Glanz, der uns umgab, erfüllten uns mit stets wachsendem Entzücken, zu dem sich nur im ersten Teil -es Abstieges etwas Sorge gesellte. Denn der Schnee schien nicht mehr ganz lawinensicher, und in der Schlucht oberhalb des Tunnels gurgelte das Schmelzwaster zwischen Eispanzer und Platten-flucht schon so reichlich, daß ein Ausbrechen des ganzen Eisvorhanges unter der Last unserer Körper nicht ganz ausgeschlossen war. Doch verlief alles glatt. Den ganzen Tag hat sich am Berge nichts gerührt. Gamsmutterzug, Hohe Weißenbachspitze (2254 m), Korspitze (2335 m) öange bevor ich mich mit den Nord- und Westflanken des Wischbergs zu beschäftigen begann, zogen mich zwei „Ilnerstiegene" an die Ostseite seines Massivs: die Hohe Gamsmutter und die Hohe Weißenbachspihe. Auf die erstere hatte mich der Raibler Bergführer Oman schon 1877 aufmerksam gemacht, als er mich das erste Mal aus den Wischberg führte. Bon der zweiten hat Carl Wurmb im Jahrbuch des Steirischen M) Hans Klug und Hans Slagl. Gebirgsvereins so hübsch erzählt. Drei Versuche mit dem besten Flitscher Kletterer, dem berüchtigten Raubschühen Andreas Slergulc, hakten nicht zum Erfolg geführt. Ich wandte mich 1885 zuerst der Gamsmutker zu und benützte die Gelegenheit, um im ganzen Zug „Ordnung" zu machen. Es hieß damals alles „Gamsmutter". Man hatte bis dahin eine zusammenhängende Wand gesehen und nicht vier selbständige Spitzen. Ich schied und taufte „Hohe Gamsmutker", „Kalkwasser Gamsmukter"^), wozu dann „Gamsmukterturm" und „Klein-spitz" kamen. Diese Namen sind auch volkstümlich geworden und geblieben. Andreas hatte mein Telegramm zu spät erhalten und war nicht zum Rendezvous erschienen. Enttäuscht und des Erfolges nicht mehr sicher nahm ich den Naibler Bergführer Rudolf Baumgartner mit mir. Er war ein sehr braver Mann, dessen treuherziges Wesen vielen Manhart-sahrern in guter Erinnerung geblieben sein wird, doch gleich allen Raiblern ein mittelmäßiger Kletterer und Pfadfinder. Daß er an der Erstersteigung der Hohen Gamsmutier teilnehmen konnte, ist zeitlebens sein Stolz geblieben. Er hat tüchtig das Seine zum guten Gelingen beigekragen. Wir packten von der Wischbergseite an, so recht nach der Art der damaligen Zeit, wo man den Stier bei den Hörnern faßte und die Flanke angriff, die man zuerst gesehen hatte. Trotzdem gelang es auf den ersten Ansturm^«). Es war eine unbestrittene erste Ersteigung und die Erfüllung eines seit Bergfrühlingszeiten heiß in mir emporgewachsenen Wunsches. So ist es für mich ein Tag geblieben, über dem noch heute ein besonderer Zauber liegt. Ich erinnere mich genau, wie die Freude mir durchs Herz stürmte, als das Gipfelhäubchen (2516 m) erreicht war, das in smaragdenem Rasengrün hoch über den senkrechten gelben Turmmauern und hoch über Menschentücke und Iägerlist seiner Schützlinge zu harren schien. Als weltfernes Eiland der Zuflucht und hochgehobenes, stillverborgenes kleines Gemsenparadies. Wir kletterten eben wieder an den schmalen Gesimsen oberhalb des großen Wandüberhanges hinab, als plötzlich ein Ruf aus der Tiefe heraufdrang, den ich kannte. Kein Raiblerruf, der Ruf der Trenta. Der Ruf der Heimatberge, des Kameraden ohne Furcht und Tadel. Ich hielt inne und lauschte. Da noch einmal. Andreas! Er war dem verspäteten Telegramm sofort gefolgt, hatte mein Ziel erraten, mich gesucht und gefunden, obwohl er die Gegend noch nicht kannte. Ich sehe ihn 85) Literatur: .Gamsmutker ca. 2550 m. (Erste Ersteigung)." M. A. D. 1886, 229, mti> E. G. III, 1894, 567. “) Literatur: .Gamsmutker ca. 2550 m. (Erste Ersteigung)." M. A. V. 1886, 229. noch henke vor mir, wie er am Gatter lehnt, das den Steig zur alten Wischberghütke sperrte. So fast unsicher, ob er recht getan habe und noch willkommen sei. Wie er dann nach einer Weile ruhig, mit einem leisen Bedauern in der Stimme sagte: „Ich habe Sie oben gesehen. Hat schlecht ausgeschaut!" Das war ein froher Nachmittag in der alten Wischberghütte! Am nächsten Tage machte er die Ersteigung der Kaltwasser Gamsmutter (2503 m) mit, das heißt, er führte uns mit souveräner Sicherheit und mit einer Raschheit hinauf, als habe er den Weg schon vorher in allen seinen Einzelheiten studiert8?). Es schien fast, als wolle er dem Baumgartner sagen: „Schau her, ich bin der Führer meines Herrn!" Staunend folgte jener seiner blitzschnellen, nie irrenden Orientierung. Allerdings war des Andreas Arteil über die Kallwasser Gams-mutter: „Geht überall!" And doch dürfte es auch da eine erste Ersteigung gewesen sein, es sei denn, daß vielleicht ein Gemsjäger vorher oben gewesen ist, ohne ein Zeichen zu hinterlassen. Denn Anzeichen menschlicher Anwesenheit haben wir wohl unten auf den Bändern, nicht aber auf der Spitze oorgefmtben88). Während der Gipfelrast hing das Falkenauge des Andreas unverwandt am Gipfelturm der Weißenbachspihe, der jenseits der Korspihe emporragte. Doch war meine freie Zeit abgelaufen, und wir kamen erst im August 1886 dahin. In Raibl knüpfte man an unser Wiedererscheinen sensationelle Erwartungen. Man frug lebhaft nach dem Wohin. Wir dachten an den Mißerfolg des berühmten Flitschers und hielten unsere Absicht geheim. „Auf den Confin", sagten wir. Hoch oben im Meißenbachkar übernachteten wir an einer wenig günstigen Stelle, da uns der sinkende Abend keine Zeit zur Wahl gelassen hatte. Im Aufsteigen war uns plötzlich die Turmgestalt unseres Berges erschienen, die Wurmb den Felsnadeln der Dolomiten an die Seile stellt. Der Anblick war überraschend und fast erschreckend. Je höher wir dann gekommen waren, um so tiefer waren unsere Hoffnungen gesunken. Denn es sah wirklich unersteiglich aus. Andreas halte sich in Schweigen gehüllt. Was er von der Kaltwasser Gamsmutter in der oberen Turm-hälfte erspäht haben mochte, konnte nur dann einen Wert haben, wenn die uns noch verborgene Basis der Wesimauern den Durchstieg gestattete. Dort lag also die Entscheidung. So war die Biwakstimmung etwas kleinlaut. Die Nacht war kalt, und klein das Feuer, denn wir hatten zu wenig Holz. Das Schlafen wollte nicht recht gelingen, wir froren. Waren wir am Einnicken, so schüttelte es «ns bald wach. Dann sahen 87) Literatur: M. A. V. 1886, 229 wie oben. 8S) Literatur: Ebendort. In der Nordwand des Wischberg (über dem zweiten Band) Josef Klarier ^-Villach Wischberg und Gamsmutkerzug mit den Gölterbändern vom Steinernen Jäger Zu Seite 117 Dr. Renato Timeus-Tries« Kalkwasser Gamsmutker von der Kleinspihe aus Josef Klauer f=5Stttnd) wir schlaftrunken am schwarzen Turm hinauf, der immer furchtbarer hereinhing und sich so hoch emporbäumte, daß er von der kalten Erde bis zu den kalten Sternen zu reichen schien. And ist nicht einmal der wilde Stergulc an unserem spärlichen Feuer gesessen und hat uns höhnisch angeschaut? In aller Frühe standen wir schon in der schmalen Scharte westlich unter dem Turm. Die Sonne war eben aufgegangen. Die böse Nacht war vorüber, der Helle Tag rief. Andreas verschwand in den steilen Klippen der Rampe ober uns, an den fallenden Steinen bemerkte ich» daß er rasch an Höhe gewinne. Dann kam seine Botschaft herab, es gehe, ich solle folgen. Wir waren an der richtigen Stelle. Es erschien uns unverständlich, daß ein Mann wie Stergulc sie nicht bemerkt hatte. Ein kurzer Quergang von unserer Klippenrampe zur linksseitigen Schlucht, eine mannshohe senkrechte Kletterstelle, um sich unter deren Überhang emporzuschwingen, noch wenige Meter in ihrer Sohle empor, dann winkten schon die leichteren Gipfelschrofen. Wir waren die ganze Zeit im kalken Schatten emporgeklettert, in unserer engen und tiefen Kluft lag düsteres Dämmerlicht. Oben schien die liebe Sonne. Es war, als liefen wir mit ausgebreiteten Armen ihrer goldenen Amarmung entgegen, da wir Hand in Hand als treue Kameraden die letzten Schritte emporsprangen. Sie nahm uns gnadenreich an ihre strahlende Brust und hielt uns warm umfangen. Alles Angemach, alle Kälte, alle Sorge, aller Spuk der Nacht war vergessen. In Gold und Purpur gehüllt standen wir glückestrunken auf dem ersehnten ©ipfel89). Es war noch früher Morgen, als der Steinmann schon fertiggestellt auf der Spitze stand. Am so länger ist dann unsere Gipfelrasi geworden. Immer höher stieg die Sonne. Sie goß Ströme von Licht über die Naibler- und die Cregnedulberge, auf Wischberg und Kanin, der jenseits der breiten Neveapforte firnenglänzend erschienen war. Bon den Nadelwäldern des Seebachtales tief unter uns und vom heißbefirahlten Krummholz der Hänge trugen warme Luftwellen den würzigen Harzgeruch zu uns herauf. Das war ein Ruhen und Träumen in Sieges-sreude, Sonnenweben und Wohlgeruch! And ein Schauen zu weißen Bergen, in leuchtende Kare, auf dunkle Wälder, auf ein richtiges, wildes, herrliches Iulierbild! Noch früh am Tage waren wir in Raibl zurück. Dort zweifelte man eine Zeit lang an der Richtigkeit unserer Angaben, wofür Andreas nur ein stolzes Lächeln hatte. Bald aber brachten Wischbergfahrer die °°) .Höchste Weitzenbachspihe. (Erste Ersteigung.)" M. A. V. 1886, 254. Nachricht, dah sie den Skeinmann auf der Spitze gesehen hatten. Raibl hatte Keine „Unersteiglichen" mehr. Niemand Konnte mir in jenen Zeiten sagen, ob die Korspihe schon erstiegen worden sei. Die Raibler Führer Kannten sie natürlich von Angesicht, hatten aber nie Gelegenheit gehabt, noch auch eine solche gesucht, sie ernstlich anzugehen. Zager Miller wäre der richtige Gewährsmann gewesen, aber ich erfuhr es erst viele Zahre später. Der damals schon alte, heute steinalte Mann erzählte mir da selbst, er sei vor Zeiten aus der Spitze gewesen. Er wird wohl der Erste gewesen sein, wenn ihm nicht friaulische Wilderer zuvorgekommen sind. Denn ihrer Tatkraft gehörten jene Berge. Die schneidigen Berggänger wachsen aus Berghirten und Wilderern hervor, und nicht aus armen Bleichgesichtern der Bergwerksstollen. Selten auch aus zünftigen Zägern. Das gilt mit wenigen Ausnahmen. Baumgartner hatte mich wiederholt versichert, daß der Berg Kor- und nicht Karspihe heiße, und auch so geschrieben werden müsie. Darum habe ich „Korspihe" in die Literatur eingeführt. Ich neigte also der Meinung zu, daß es sich um eine noch unerstiegene Spitze handeln dürfte, und lud meinen jungen Freund Albert Bois de Chesne ein, mitzugehen. Wir kamen von der alten Wischberghütte her und fanden in den zerklüfteten Südwänden ziemlich leichtes Spiel. Eine steile Schlucht mit einigen Absätzen, dann ein schönes, leichtes Klettern durch kaminartige Riste nach rechts hinaus°°). Das Zahr darauf wiederholte ich mit Andreas allein die Tour. Ich bin überhaupt sehr oft in diese Berge zurückgekommen, war auf der Hohen Gamsmutler allerdings nur zweimal, dagegen auf Kaltwaster Gamsmutier, Korspihe und Hoher Weißenbachspihe gewiß je acht oder zehn Male. Meine zweite Ersteigung der Hohen Gamsmutter voll-führte ich wieder mit Andreas auf dem leichteren Wege durch die steile Schlucht zwischen Hoher Gamsmutler und Gamsmutterturm. Da lasten sich diese beiden Gipfel, die nahe beieinanderliegen und nur durch einen seichten Sattel voneinander getrennt sind, leicht vereinigen. Wir versuchten darauf über den Ostgrat bis zum Kleinspitz vorzudringen, hatten aber an jenem Tage kein Glück und fanden den richtigen Durchstieg nicht. Führerlose Partien haben in späteren Zähren diese Höhenwanderung von der Hohen zur Kaltwaster Gamsmutler wiederholt gemacht, ohne sich allerdings, so weit ich unterrichtet bin, überall ganz an den Grat zu halten. Zur Kaltwaster Gamsmutter kam ich mehrmals durch das Kaltwaster-tal oder von Wolfsbach über die Karnicascharte und durch den engen. °°) Liierakur: E. G. III, 1894, 567. steilen Schlok der Kallwasserscharke. Diesen Zugang zog ich auch vor, als ich mich ernstlich mil dem Kleinspih (2461 m) zu beschäftigen begann. Zweimal bin ich zu früh dahin gekommen, da die Bänder noch tief unter Eis und Schnee lagen. Erst das dritte Mal hatte ich mit Bolaffio, Orhinger und einem jungen Wolfsbacher Träger bei vollkommen trockenen Felsen guten Erfolg. Der Kleinspih, den wir eine Zeitlang auch Innominate Z nannten, ist wohl nächst der Kaltwasserkarspitze der schneidigste Gipfelzahn der westlichen Julier. Man nannte ihn auch manchmal, so besonders am Luschari, den „Moses", doch mit Unrecht, denn das steinerne Riesenstandbild des alten Bibelvaters steht in der Mosesscharte. Er sieht von allen Seiten sehr abweisend aus, am schärfsten von Norden, sei es von Wolfsbach oder aus der Saifniher Karnica. Da erscheint er rechts von -er Kalkwasser Gamsmutter hoch über den Götkerwänden als dünner, oben etwas krummgebogener Finger. Knapp unter ihm hängt ein ganz steiler, blanker Schneeschild in der Wand, gerade oberhalb der entscheidenden Stellen des Götterbandes. Der warnend erhobene, achtzig bis hundert Meter hohe Felsenfinger und der schauerliche Abgrund unter ihm verheißen nichts Gutes. Tatsächlich war seine Ersteigung nicht leicht. Wir waren dem großen Ringband der Kalkwasser Gamsmukker bis ans Ende gefolgt, dann zur Scharte zwischen dieser und dem Finger emporgekletterk. Knapp über besten Basis schwangen wir uns um die scharfe Ostkante an die Rordseite und vollendeten dort die Ersteigung in großartiger Exposition über äußerst steilgestellten, sehr kleingriffigen Fels. Da wir auf der Gipfelplatte nicht die kleinste Spur vorfanden, wähnten wir die ersten zu sein. Später stellte ich jedoch fest, daß wir die zweite Expedition gewesen waren, und -aß die Ehre der ersten Ersteigung Dr. Leuchs und einem Genossen gebührt. Ich tat es ganz neidlos, denn für mich ist es immer die größte Freude gewesen, wenn andere Bergsteiger sich in den Zulischen Alpen betätigten. Lange Jahre hindurch waren mir allerdings derartige Freuden sehr karg beschieden. Es ist mir viel zu wenig „weggenommen" worden. Erst im lehten Jahrzehnt begann da ein wirklicher Aufschwung einzu-treten. Ich war noch in meiner Bollkraft, als die prächtigen Racker, die Wiener Führerlosen, den Manharter Ostgrat, schon nahe am alten Herrn, als sie die Triglav-Rordwand bewältigten. Es folgten die Münchener Bergsteiger, dann mit immer intensiverem Intereste die el) Nach dem Muster des so benannten Berges in der Monl-Blanc-Gruppe. „filein-spih" erschien mir anfangs nicht volkstümlich und zu geringschähig. Trotzdem ist dieser Name richtiger gewählt. Die Iulischen Alpen Emil und Josef Klauer, Ingenieur Horn, Plaichinger, Gerin, Jahn, Enzenhofer, Jarih, Herma und Erwin Poech, Holzgruber, Matievic, Dr. Renker, Roessel, Tschad«, Dr. öermäfc* 02 03 * *), Dr. Tominšek, die Scharen der Triester Führerlosen mit ihrem unvergeßlichen berühmten Altmeister Napoleone Cozzi und den jüngeren starken Kräften Alberto Zanutti, Tullio Cepich, Silvio Holzner an ihrer Spitze, Dr. Carlo Chersich, der feinfühlende Beobachter und ausgezeichnete Illustrator der Jütischen Alpen, Dr. Renato Timeus, Dr. Ingenieur Guido Mayer, Hans Klug, Hans Stag?»). Die Ersteigung des senkrecht ragenden Enziariturmes'"), Route auf Route durch die Wände des Schönkopfs, der Kochstelle, der Höchsten Weißenbachfpihe, vor allem die verblüffende Route über deren Rordkanteo°), die llberkletterung der Rordostkante des Wischbergs°°), die Ersteigung des Kleinspitz vom Götterbande^), das sind gewaltige Leistungen, vor denen ich in aufrichtiger Bewunderung stehe^). m) Diese Liste kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen. Der österreichische Alpenklub entsandte mit jedem Jahre mehr Bergsteiger in unser Gebiet. 03) Noch eines Mannes muß ich hier gedenken, der gleich mir beinahe fünfzig Jahre durch diese Berge gegangen ist» aber immer einsam und schweigend, so daß nur wenige von ihm wühlen. Es ist dies Dr. Heinrich Tuma in Görz. Ich erwähne in diesem Kapitel wiederholt eines kommenden Mannes, der dem und jenem, was noch Geheimnis geblieben, werde nachzugehen haben. Manches davon hat Dr. Tuma, auf den ich erst in der allerletzten Zeit aufmerksam geworden bin» schon aufgeklärt, das Ergebnis aber tief in sich eingegraben. Der „kommende Mann" wird somit gut daran tun, wenn er erst versucht, diesem schweigenden Wanderer durch die Iulischen Alpen die Zunge zu lösen, ehe er selbst an die Arbeit gehl. Für mich ist es jetzt schon zu spät. Manches wird dieser „Kommende" auch in der slovenischen Literatur vorfinden, die mir verschlossen geblieben ist, weil ich der slovenischen Sprache leider nicht mächtig bin. 3n allen Fragen der Toponomastik wird, so glaube ich. Dr. Tuma wohl der erstberufene fein. Aber reden soll er, darum sei er auch an dieser Stelle gebeten. 84) Erst durch die Partie Herma und Erwin Poech, dann durch Dr. Ingenieur Guido Mayer. °6) Hans Klug. 6”) Hans Klug und Hans Stagl. 97) Hans Klug. es) Es ist da nur einiges herausgegriffen, ein mehreres würde die Absichten und den Rahmen dieses Buches überschreiten. Die Erschlietzungsgeschichte der Iulischen Alpen bedarf dringend einer Fortsetzung bis auf den heutigen Tag. Es wird vieles nachzulragen sein. Don den allergrößten Problemen der Iulischen Alpen, die ich zurück-lassen mußte, und die durchwegs ernstesten Charakters sind, wurde allerdings noch keines gelöst. Die Überschreitungen der Lagercasenke, der Forca del Palone, der Forca del Bal» der Forca bei Disleis, die Ersteigung des Monte Clmone von Norden» die vollständige Gralwanderung vom Wischberg zum Monlasch» wurden noch nicht gemacht, die Westmauern des Montasch über dem innersten Clapadoriekar noch nicht untersucht. Aber auch dafür wird die richtige Zeit kommen und der richtige Mann sich finden, so hoffe und erwarte ich. Die Weißenbachspihe habe ich immer wieder auf unserem Wege erstiegen, welcher ohne Zweifel der richtige „Weg" ist. Er ist nicht zu verfehlen, wenn man sich gegenwärtig hält, daß man unmittelbar von der „Turmscharte" in die Klippenrampe einzukletkern hat, ohne jenseits objuffeigen96). Den Weg über die Weißenbachscharke Konnte ich nicht sofort finden. Wohl war ich, von der Korscharke kommend, gleich zur richtigen Scharte westlich unter dem Schönkopf^9) emporgestiegen, hatte aber das Gems-band nicht beachtet, das an der Kaltwasserseite rechts aus der Schlucht herausführt. Ich wollte es versuchen, durch die ganze, steil abstürzende Schlucht abzusteigen. Dies hat der darinnen liegende stark ausgeschmolzene Schneekörper, der sich zwischen gähnenden Randklüften wie ein scharfer Krokodilsrücken jäh und abenteuerlich hinabwand, damals nicht gestattet. 3m Frühsommer, wenn die Schneerinne vollgefüllt ist, kann man es versuchen. Erst später zeigte mir Jäger Miller von Kaltwasser her die richtigen Stellen. Es ist eine großartige Hochscharte, die den Reiz hat, ein richtiger Gemsenweg zu sein. An mehreren Stellen hakten dort die wechselnden Gemsen einen wirklichen Steig ausgetreten. 3n den letzten Zähren begannen mich die Kaltwasserseiten der Kor-spitze und der Kalkwasser Gamsmutier zu interessieren. Dort habe ich mir meine letzten größeren alpinen Erfolge geholt. And vielleicht weil es die letzten waren, sind sie so lebhaft vor meinen Augen verblieben. Es war ja noch kein Abschied. Aber am Beschlüsse eines langen Weges von Aufgang bis zu Niedergang stehen sie für mich da wie vom Abendrot verklärt. Sie alle verdanke ich den Gemsen: die Ersteigung der Korspihe von Norden^), die Verbindung aus dem Kaltwaffertal zu ihrem Südweg, die auch für weitere Bergsteigerkreise von Wichtigkeit bleiben roirb102), den einzig schönen Felsenweg aus dem Kaltwassertal über die Ost- und Nordmauern auf die Kalkwasser Gamsmukter^92) und zum Schlüsse die Feststellung der Gangbarkeit des Götterweges^). ") 3n diesem Sinne ist auch der „Führer" (in der mir vorliegenden» ersten Auflage) abzuändern» welcher den sogenannten „Gstirnerweg" beschreibl. Gstirners Führer, Ioze, halle die Erklärung des Andreas nicht richtig verstanden und infolgedeffen die jenseitige Rinne forciert. 10°) Der „Führer" ist in diesem Sinne zu korrigieren. Die Scharte liegt nicht zwischen Schönkopf und Hochstell. 1M) Literatur: „Die Korspihe (2335 m) aus dem Kaltwaffertal." ö. A. Z. 1913, 168. 102) Literatur: Ebendort. 103) Literatur: „Die Kallwasser Gamsmutter (2503 m) aus dem Kaltwaffertal." ö. A. Z. 1914, 1. 101) Literatur: „Neues aus den Jütischen Alpen." ö. A. Z. 1915, 99. Behagliche Unterkunft hat an der Südseite des Wischbergs nie gefehlt. Zuerst war es das liebe, alte Schwalbennest unter der Trauf-wand, auf das es immer regnete, wenn auch draußen das schönste Wetter herrschte"»). Als es zu zerfallen drohte, wurde von der Sektion Villach die schöne Findenegghütte erbaut und mit einer Wirtschaft eingerichtet, welche die strengsten Grundsätze demolierte und den prinzipienfestesten Mann zum Wohlleben verleiten konnte. Reizend war Oihingers zartes Berhältnis zu ihr. Mochten wir von West, von Nord, von Ost aus die Spitzen gekommen sein, stets setzte er sich so, daß er die Hütte fest im Auge behielt. Er stimmte seine Kehle, lehnte sich zurück, und jodelte und sang, wobei ihn das Gefühl so übermannte, daß er die Augen schließen mußte. Dann wandte er sich treuherzig zu mir: „3d schon heraußen, die Frau Wirtschafterin. Nit zum glauben, wie die jodelt. And kochen kann s' und gut's Bier hat s', a brave Frau!" 3ch schwieg und wollte mich vom Blick in die Ferne nicht trennen. 3mmer sehnsuchtsvoller drang der Wechselgesang hinunter und herauf, daß die Wände hallten. Die Kehle des Sängers wurde trocken und heiser. Endlich faßte er sich deutlich: „Wie war's, Herr Doktor, geh'n mer nit auf a Bier?" And fast immer hatte er seinen Millen. Man hat ja nicht ein Herz von Stein! Auch Andreas hatte seinen bestimmten Sitz. Aber der karge Trentaner aus dem bergbeschatteten, sonnenarmen Tal, der trotz allen schweren Lebens ein Idealist geblieben war wie sein alter Herr, dachte nicht an materielle Genüsse. Sein Angesicht war gegen Mittag gerichtet. Die Farben des Südens hatten es ihm angetan. Ihn lockte das „Land Italia". „Schaut ganz anders daher", sagte er leise, wie er so hinüber-blickte in das lachende Land der Sonne, zu Italiens blauenden Bergen! Osvaldo Pesamosca aber blickte düsteren Auges nach Norden. Dort lagen für ihn die großen Wälder, die reichen Kohlenlager, die weltbeherrschenden Industrien. Ordnung, Fortschritt, gute Löhne, Verdienst, Kraft, Reichtum! Er gehört zu den friaulischen Bergstämmen, die weit wandern müssen, um fern von der Heimat den Erwerb zu suchen. Dieser starke, kühne Mann ist immer der Allerärmste gewesen! In der Špranje hatte ich mir zwei Biwakplähe eingerichtet, den schlechteren in einem Bergsturz unter den Nordwänden des Modeön unweit des Anstieges zur Bärenlahnscharte, den besieren am Fuße der Mosesrinne. Auch bei den letzten Lärchen der Kote 1722, am Bärenlahnsteig, habe ich einmal geschlafen. Oft hat mich in alten Zeiten die 105) Bor ihrer Erbauung hat die Fischbachalpe (Graniagar) primitive Unterkunft geboten. Zägerhütte am Spranje-Eingang beherbergt, die damals eine Feuerstelle und eine Holzpriksche enthielt. 3n der obersten Zapraha, schon am letzten Aufstieg zum Kar der Saifniher Karnica, bot mir ein großer Block mit starkem Überhang wiederholt einen etwas rauhen Schlafplatz. Diese Biwakplähe habe ich noch beibehalten, als das kleine, schöne Hotel der Seisserahütte schon lange stand. Ich bin immer gerne möglichst nahe an den Höhen geblieben. Den erlesensten Rast- und Biwakplah hatte ich im freien obersten Kar des Kaltwasserlales, in der sogenannten Tarviser Karnica. Er liegt in der ungefähren Höhe der Karnicascharte am Fuße eines kleinen Felskopfes, mitten in Krummholz und Alpenrosen. Wie ist es dort schön zur Zeit ihrer Blüte! Ganz nahe hinter dem Felskopf rauschen in tief eingegrabenem Bett die Schmelzwasser der oberen Schneehalden als kräftiger Bergbach herab. Zene letzten großen Unternehmungen in den Kaltwafferwänden haben immer dort vorbeigeführt, manchmal dort begonnen oder dort geendet. So liegt ihr Abglanz darüber. Es leuchten die Alpenrosen. In meiner Erinnerung ist jene Stelle mit roten Rubinen bestreut. Die himmlische Ruhe jener Nächte zieht noch heute weihevoll durch mein Herz. Der Tag war heiß, müde find wir angekommen. Nun ist der Abend niedergesunken, die Sterne blitzen auf. Das Feuer knistert, die Funken sprühen. Wie liegen wir so gut und warm, die Augen fallen uns zu. Harzdüfte steigen empor, ich atme den köstlichen Weihrauch der Höhen. Leise fingt der Bergbach. Er singt immerfort, immerfort. Aber er scheint sich zu entfernen, denn es klingt immer ferner und leiser. Immer ferner! Immer leiser! Dann muß er ganz ausgeseht haben, denn ich höre ihn nicht mehr. Ich höre nichts mehr. In langem, traumlosem Schlaf schwebe ich durch die hehre Bergnacht in die göttliche Zungschönheit des neu erwachenden Morgens! Und ein anderes Mal: Ein junger Freund ist bei mir. Er hat vor kurzem begonnen, aber es scheint mir, als sei er zu Großem berufen. Es ist dunkel geworden, die Ereignisse des Tages, die Pläne für morgen sind besprochen, wir haben «ns zum Schlafen niedergelegt und uns „Gute Nacht" gesagt. Hochauf lodert das Feuer, die Rauchsäule steigt kerzengerade zum nächtlichen Himmel. Im Krummholz tanzen und huschen phantastische Lichter, hie Alpenrosen glühen. „Herr Doktor, bitte, Herr Doktor!" „Was gibt's?" „Herr Doktor, wie schön!" „Gewiß, wunderbar schön. Aber nun schlafen Sie, wir werden morgen Arbeit haben!" Es wird wieder still. Lautlos liegen Tal und Wälder. Heiliges Schweigen überall und süßer Friede in uns. Nur der Bergbach singt uns leise, leise ein Schlummerlied. „Herr Doktor, bitte, Herr Doktor!" „Was gibt's?" „Herr Doktor, wie still!" „Gewiß, das ist die Stille der Berge, aber wenn Sie reden, so kann ich sie nicht hören!" And wieder wird es still. Hoch über uns ziehen die Sterne ihre ewigen Bahnen. Altvertraute Bilder treten aus den funkelnden Scharen und scheinen sich grüßend zu neigen. Schon träume ich hinüber ins selige Sternenland. „Herr Doktor, Herr Doktor. Bitte schlafen Sie nicht. Der Mond geht auf!" Dort steht er schon riesengroß über den schwarzen Giebeln der Berge. Sein magisches Licht flutet durch unser Tal. Es fließt in gleißenden Strömen an den Wänden herab. Zauberhaft erglänzt das Kar. Mein junger Freund hat sich aufgesetzt und starrt wie verloren in die silberne Wunderwelk. Ich gedenke meiner ersten Mondnacht in der Oberen Kerma und verstehe so gut das junge Blut an meiner Seite, das vor Schönheit, Stille und Mondenschein nicht schlafen kann! Es wir- nicht viele Bergsteiger geben, die so viel biwakiert haben wie ich. Eine bestimmte Ziffer könnte ich nicht nennen, aber ich denke, daß es über hunderlfünfzig, vielleicht zweihundert und selbst mehr Biwaks gewesen sein müssen. Die weitaus überwiegende Zahl in den Zulischen Alpen, viele auch im Dauphine und in Savoyen, einige in der Mont-Blanc-Gruppe und in der Monte-Rosa-Ostwand. Es waren weiche und harte, trockene und nasse, warme und kalte, wohlvorbereitete und überraschend herangetretene, schöne und böfe106). Natürlich kommt es darauf an, daß man am nächsten Morgen so ausgeruht sei, als habe man im Bette geschlafen. Das war bei mir immer der Fall, so weit es sich um vorbereitete Biwaks gehandelt hat. And auch die nicht programmäßigen, die bösen Biwaks, bestand ich in der Regel besser als meine Leute. Einzubilden brauche ich mir daraus wohl nichts. 3m Gegenteil. Halte ich veredelte Menschen mit mir, so konnte ich bemerken, daß sie oft stark litten, während ich behaglich geschlafen hatte. Ich sagte es ja, daß ich ein Bauer bin. 100) Literatur: ö. A. Z. 1897, 1, 13 und 25, I wie oben, und „Erinnerungen aus dem Dauphins". ö. A. Z. 1913, 1. Blick vom Wischberggipfel über kalkwasser Gamsmukker, Korspihe und höchste Weißenbachspihe auf Manhark, Suhi Plaz, Zalouc und Triglav im Hintergründe Schlecht ergeht es in den Biwaks den Bergsteigern, die gewohnt sind, möglichst spät vom Tal aufzvbrechen, so daß sie knapp mit dem Tageslicht auskommen. Man muß gerne und frühzeitig ins Biwak gehen, oder lieber gar nicht. War es mir möglich, so befand ich mich schon viele Stunden vor Schlafenszeit an Ort und Stelle. Nur in diesem Fall trifft auch meine Thesis zu, daß man einen Berg am besten kennen lernt, wenn man auf ihm schläft. Sind die Vorbereitungen getroffen, ist der Platz geebnet, die Bettstreu aufgeschüttet, das Feuer angemacht, der Holzvorrat gesammelt, der Schneeblock herangebracht, ist dann die warme Biwaksuppe gegesten und die Zigarre angefieckt, so blickt man im Kreise herum und ist geneigt, Gespräche anzuknüpfen. Da kann man, so man Glück hat, die Stunde erhaschen, in der auch die Berge mitteilsam werden. „Siehst du diese rote Narbe?" fragt der eine. „Hier ist einmal jenes Band fein hindurchgegangen. Da haben die bösen Zeilen ein Stück abgeschlagen und das schöne Ringband ist nun entzwei"^?). „Dort unten zu meinen Füßen", erzählt der andere, „war einmal ein reizender Alpengarten. Vielleicht erinnerst du dich noch? Da ist mein Bergsturz niebergcgangcn108) und hat alles begraben. Du siehst noch hier oben die weiße, gebrochene Wand. Das war dir ein Getöse und ein Staub! Zwei Tage ist eine ganze Wolke über dem Kar gelegen. Die Berggeister, die dort wohnten, haben nur das nackte Leben gerettet!" „Du, das ist merkwürdig", der dritte. „Täglich steigen die Gemsen aus dem Kar an mir herauf und verschwinden dann um jene (Sdte109). Mir zuliebe tun sie das gewiß nicht. Die müssen dort einen Schleichweg haben. Du solltest doch einmal nachschauen." So erfährt man geheime Geschichten. Man blickt in das große, gewaltige Leben der Hochgebirgsnatur. And wie man chrer ernsten Sprache so lauscht und so Göttliches aus ihr schöpft, soll man sich doch fragen, ob es passend, geschmackvoll und richtig ist, menschliche Schwäche zu ihr hinaufkragen zu wollen, menschliche Irrungen und menschliches Elend. Kleinliche Geschichten von irdischer Liebesbedrängnis, von Eifersucht und von Haß in ihre ewige Reinheit und Klarheit. Ich kann diese modernen „Alpinen Romane" nicht leiden. Da ist das eine Mal der Held so ein Kraftmeier, ein Übermensch, natürlich ein „Führerloser". Er ist schroff, auch ruppig und grob kann er sein, daß es beim Lesen weh tut. Haben die Autoren liebenswürdige große Bergsteiger 107) Kalkwasser Gamsmukter, Ringband in der Ostwand. 10S) Razorwände, Bergsturz in der Mlinerca. loe) Götterweg! noch nicht gesehen? Sehen sie im Bergsteiger nur den ungewaschenen Handwerker? Er ist linkisch und verlegen. Gibt es keine großen Bergsteiger, die souverän die Gesellschaft beherrschen, die auf dem glatten Salonboden so wenig gleiten wie auf dem steilen Eishang? Wir hören die unglückselige Geschichte, wie sich dieser unbeholfene Tölpel stolpernd verliebt. Mit ihrem Namen, mit chrer Geschichte, mit ihrer königlichen Erscheinung werden unsere schönen Berge hereingezerrt, sie sind zu Romankulissen herabgewürdigt. Beschämt hören und schauen sie zu. 3m Höhepunkt der Spannungen wird dann der „Held" in irgend eine verrückte und unmögliche Bergunlernehmung gestellt, welche unter dem Kopfschütteln der „Führer" die Krone alpinen Ansinns darstellt. Der Laie erschrickt ob solcher Narretei, sein Arteil über den „Bergsteiger" ist längst fertig. Der Mistende ist bestürzt und traurig ob solcher Entweihung. Ein anderes Mal wird ein berühmter Firngrat der Mestalpen zur Stätte eines schaurigen „alpinen" Doppelselbstmordes ausersehen, der die Lösung eines schweren Seelenkonfliktes bringen soll. And so fort. Muß das sein? 3st das Problem des „Alpinen Romans" richtig aufgestellt? Wird ein Roman zu einem „alpinen", wenn man seine« Schauplatz in die Berge stellt, oder weil dessen Held ein Bergsteiger ist? Gibt es ernste Bergsteiger, die sich daran wirklich erfreuen können? Oder sind solche Bücher für das sensationsdurstige große Publikum geschrieben, das von Bergen und Bergsteigen oft so unzureichende und unklare Boxstellungen hat? Wollt chr alpine Romane lesen? Liest sich das berühmte Berg- und Gletscherbuch Mhympers, worin der eiserne Bergheld durch seine beispiellose Kühnheit, Zähigkeit und Beharrlichkeit Herr und Sieger über das Matterhorn wird, nicht wie ein wahrhaftiger Roman? Wirkt Guido Reys hinreißende Schilderung von Englands und Italiens gewaltigem Ringen um die Erstersteigung des „Berges der Berge" nicht ebenso? And manches sonst, was er mit seiner goldenen, in warmes Herzblut getauchten Feder geschrieben hat? Bietet einem bergbegeisterten Herzen ein kleines Büchlein wie R. H. Frances „Die Natur in den Alpen""") auf jeder Seite nicht mehr Anregungen und Freuden als ein dicker „Alpiner Roman", desien Verfasser die gleichen Menschenschicksale und die gleichen Probleme der Menschenseele mit wenigen äußerlichen Änderungen ebensogut auf das große Meer hinaustragen und dort lösen könnte, wie er sie in die Berge tragen zu sollen vermeint? 110) Leipzig, Verlag von Theod. Thomas, 1910. 3« Baumbachs herrlichem Bergepos „Zlatorog" akmek die Seele des Triglav, und starke echle Bergluft weht durch die ganze Dichtung. Dort steht die Sentenz" Z, die ich dem modernen „Alpinen Roman" entgegenhalten möchte: „Was euch kümmert, was euch plagt, laßt es talwärts fahren." Und die Mahnung daran knüpfen: Behelliget die Berge nicht mit Dingen, für die Gottes Wille sie sicherlich nicht geschaffen hat. Sie sind heilig, und man soll chre Namen nicht eitel nennen. Neben Andreas habe ich in meinen letzten Erzählungen oft andere Männer genannt, die in den Zulischen meine Gefährten wurden. 3ch muh nun erzählen, wie das gekommen ist. Keiner von ihnen ist wirklicher Bergführer gewesen, als ich ihn kennen lernte und zu mir heranzog. Sie wurden es erst später durch mich. Alle sind erstklassige Leute. Zore ist Trentaner und war einer der verwegensten Wilderer, die ich je kannte. Der starke Osvaldo Pesamosca, ein echter £oufm), und sein schwächerer, doch im Klettern fast ebenso geschickter Better Giuseppe gehören zu den besten Gemsjägern des Raccolanatales. Osvaldo wird wohl deren Tüchtigster sein. Beide haben kleine, arme Anwesen in Piani oberhalb Saletto. Anton Oihinger hat sich seine große Bergerfahrung und seine außerordentliche Gewandtheit im Klettern als Holzer und Berghirle erworben. Dabei muß er in seiner Zugend viel nach den Gemsen geschaut haben — ich habe doch klar „geschaut" gesagt —, denn er ist mit deren Gewohnheiten, mit chren Wechseln und Standorten vertraut wie kein zweiter aus der nördlichen Seite und jedem zünftigen Zäger weit überlegen. Den Grund zu seinem Vermögen hat er als „Sagmeister" in den Wäldern Bulgariens gelegt, wohin er auf Arbeit gewandert war. Dort hat er manches erlebt, und in den Biwaks kann er von bulgarischen Räuberbanden und deren blutigen Häuptlingen Geschichten erzählen, daß einem die Haare zu Berge stehen. „Za, mei Liaber!" Lieb war es, wenn Osvaldo herüberkam, um bei Oihinger gemeinsam auf mich zu warten. Die beiden haben sich sehr gerne. Oitzinger bewirtete Um, und Osvaldo freute sich neidlos des warmen Reichtums seines Kollegen. Trafen wir uns bei Pesamosca, so bot dieser wieder aus vollem Herzen, was er hatte: schwarzen Kaffee, Polenta und Montasiokäse. Das Schönste haben die beiden — der ernste, dunkle Italiener, der nicht lachen kann, und der lebensfrohe, stets zu Spaß und Witz gelaunte Kärntner, der lachen- seine guten m) Heule stehl jenes Gedicht „Gute Nacht" In den Spielmannsliedern (Leipzig, A. G. Liebeskind, 1882). 112) Literatur: „Alles und Neues vom Wischberg und vom Montasch. III. Der Nordturm des Montasch (2673 m). Erste Ersteigung." ö. A. Z. 1911, 17, und „Die Kaltwasser Gamsmutter (2503 m) aus dem Kaltwassertal." Ü. A. Z. 1914, 1. 9* 131 Zähne zeigt — für mich immer gemein: die Treue. Die wird bleiben bis zum Tode. Es kam der traurige Tag, da Albert und mich die Nachricht traf, Andreas sei verschwunden. Er wollte nach Kronau gehen, war nicht zurückgekehrt, noch dort eingetroffen. Man befürchtete ein Verbrechen. Albert reiste sofort in die Trenta, aber inzwischen war das Tal auf-geboten und Andreas gefunden worden. Abseits vom Wege hatte ihn an unserem oberen Rastplatz am Versicsattel ein Herzschlag getötet"»). Albert und Gaston hielten chre schützende Hand über die Familie*"). Ich will nicht alles erzählen, was sie getan haben. Sie sind viel gesegnet worden. Und auch ich will es in diesem Buche meines Lebens mit dem ganzen Trentatal sagen: Gott segne sie beide! Nicht allein um des Trentatales willen! Andreas, der älteste der vier Söhne, der seinem Vater in allem so stark nachgeraten war, daß es manchmal schien, es sei alles beim alten verblieben und nur die Trenta um ein Menschenalker zurückgerückt worden, wurde sein Nachfolger. Jedesmal, wenn er, den ich von Kind auf kannte, vor mir erschien, bemerkte ich beim Kommen und beim Gehen, daß er den Wunsch habe, an mich eine Anrede zu halten. Schon suchte er mit vollem Herzen die Worte, die chm so schwer kamen wie seinem Vater. Ich las in seinen Augen, was er sagen wollte: Dankbarkeit vom Vater her über Kinder zu Kindeskindern, Dankbarkeit von Anbeginn in alle Ewigkeit! So fiel ich chm ins Wort und die Anrede ist nie gehalten worden. Armer junger Andreas! Er ist schon lange verschollen. Ans den Schlachtfeldern Galiziens. Sein Fuß lenkt nicht mehr in den Frieden der Trenta zurück. „Weiß man nie, wie es wird", war einer der Gedanken, die unser alter Andreas oft auszusprechen pflegte. Schon lange vor dem Tode des Andreas war ZoLe mein ständiger Begleitführer geworden. Seiner ungestümen und rücksichtslosen Kraft verdanke ich manchen schönen Erfolg. Seiner Besonnenheit, wie wir am winterlichen Ialouc gesehen haben, mein Leben. Wo wir hinkamen, m) Am 10. Dezember 1908. Andreas war 1853 geboren. m) Me oaf dem Hause von der Erbteilung her lastenden Schulden, Me den braven Mann in den ersten Jahren nicht schlafen ließen, halle Andreas schon lange abbezahll. Den lehlen Rest mit dem Honorar für meinen Iulierbeilrag zur „Erschliehungs-geschichte", das meiner Anficht nach ihm gebührte. Eine kleine Mühle wurde ihm von Albert eingerichtet. So hat er also nach harten Anfängen seine letzten Jahre als ärarischer Waldhüter und als Jäger der Bois de Chesne, als ganz kleiner „Mühlenbesitzer" am brausenden sisonzo und als braver Familienvater ohne Sorgen und in einem kleinen Wohlstand gelebt. zog er durch seine prachtvoll wilde Erscheinung, durch seinen Kühnen Adlerblick aller Augen auf sich. Oihinger und die beiden Pesamosca kraten später an seine Stelle. Erst Osvaldo, dann, als dieser auf Jahre nach Rumänien gezogen war, Giuseppe. Ambrogio war nur einmal mit mir. Schließlich wanderke auch Giuseppe auf Jahre nach Amerika aus, dafür war Osvaldo zurückgekommen, und er ist nun mil Oihinger bei mir verblieben. Renne ich noch die Männer aus dem Slamm der Piussi, den berühmten allen Giuseppe, den schönen jungen Eugenio, den vielgewandlen Ignazio, die manchmal im ilalienischen Bergkeil mit mir gewandert sind, so ist der Kreis meiner Führer durch die Iulischen Alpen geschloffen. Wir haben sie nun alle kennen gelernt: die vor Iagdlufi brennenden Wilderer der Trenla, die versonnenen Kronauer mit dem singenden Tonfall in chrer Rede, mil Träumen anderer Welken im Blick, die ruhig und schwerblütig einherschreikenden Triglavführer, die aus den Tiefen der Schächte zum Licht -er Berge emporsteigenden Raibler, die ruhelos wandernden, mühsam erwerbenden Friauler, bis herüber zur erzgegoffenen Gestalt Osvaldos und zum frohen Kärntnerhumor Oihingers. Dankbare Erinnerung einem jeden! Die moderne Richtung hat es mir etwas übel genommen, daß ich fast ausschließlich mit Führern gegangen bin. Ich glaube aber, daß ich nicht so aus den Grundkiefen der „Erschlieher" der Iulischen Alpen geworden wäre, hätte ich nicht auf meinen Touren auch deren Bewohner so nahe an mich hekangezogen. Es wäre sonst vielleicht eine mehr äußerliche Erschließung der Berge als Klettergerüste geworden. And eine solche hätte mich nie befriedigt. Was habe ich beispielsweise aus den Wildererkradikionen der Trentaner schöpfen können, oder aus den Überlieferungen des sagenhaften alten Giovanni Pesamosca"°) erfahren und gelernt, über die Frage des Gehens mit oder ohne Führer möchte ich nicht zu viel sagen. Ich neige -er Ansicht zu, daß da ein jeder nach seinem Glauben selig werden müsse. Sehe eben ein jeder, wie er's treibe! Rur eine kleine Anekdote möchte ich hier noch erzählen. Ich lud einmal einen jungen Freund ein, mit mir zu gehen, der in Gesellschaft ausgezeichneter Führerloser schon einige sehr schöne Erfolge heimgebracht hatte. Wir waren sehr fröhlich und lachten auf der ganzen Tour sehr viel. „Lacht chr denn immer so?" srug er mich verwundert. „Gewiß," sagte ich, „wir lachen in den Bergen gerne und viel. Was macht denn ihr?" 115) Literatur: „Die Kalkwasser Gamsmutter (2503 m) aus dem Kaltwasserkal." ü. A. Z. 1914, 1. „Wir?" antwortete er, „wir streiken uns immer!" Allerdings frage man mich nichk, wie viele „Herren" ich müde und keilnahmslos, krübselig und vergrämt zwischen chren beiden Führern einherschreiken sah, weder lachend noch streitend, als sei das Bergsteigen nicht eine höchste Freude, sondern eine schwer auferlegke Last, ein bitterer Kelch, der bis auf den Grund geleert werden müsse. Die Führerlosen verfallen oft in den Fehler, daß sie sich unter dem Gehen mit Führern eine Zammergesellschaft vorfiellen, von welcher der eine Teil „zieht", der andere „gezogen" wird. Ich dagegen sehe tot Gehen eines erstklassigen Herrn mit einem erstklassigen Führer die idealste Bereinigung und die höchste Leistungskraft. Die Beispiele, die ich dafür anführen kann, sind Whymper und Croz, Coolidge und Almer, Mummery und Alexander Burgener, Farrar und Daniel Maquignaz, in modernster Zeit Dr. Mayer und Angelo Dibona. Man wird jenen Fehler vermeiden, wenn man große alpine Literatur liest. Die „Mehlsacktechnik" der Dolomiten ist eine Sache für sich und rechtfertigt nicht ein scharfes Aburieilen im allgemeinen. Daß der „Herr" alles tun muh, um seinem großen Führer in allem Bergtechnischen möglichst gleich- oder mindestens möglichst nahezukommen, ist selbstverständlich. Für die Erfahrung sorgt dann die Zeit. Im großen ganzen habe ich nie besonderen Wert darauf gelegt, den materiellen Teil der Arbeit selbst ausführen zu wollen. Die Zeit, da ich für sehr schwere Rucksäcke schwärmte, ist bald vorübergegangen. Auch erschien es mir nie unhonorig, eine Stufenreihe zu benützen, die ein anderer geschlagen hatte, der vielleicht zum Hacken geeigneter war als ich. Tat es not, so habe ich allerdings auch tot schulgerechlen Hacken meinen Mann gestellt, wollte es aber ein anderer tun und verstand er es, so habe ich ihn freundlich lächelnd vorangelasien. Ich gehe so weit zu sagen, daß nicht immer der technisch Ausgebildetere der größere Bergsteiger ist. Ich habe wiederholt in meiner Zugend einen Bergschrund, einen steilen Eishang, einen vorgewölbten Felsen eleganter und sicherer genommen als der Träger eines berühmten Namens, mit dem ich gerade die Freude hatte zu gehen, ohne es mir je tot Traume einfallen zu lassen, ich sei von uns beiden der Größere. Das sind klare Dinge. Es war mein Prinzip, mich immer mit den Besten zu umgeben. Nach meinen Erfahrungen und so weit ich die Sache übersehe, habe ich diese Besten unter den erstklassigen Führern und nicht unter den allertüchtigfien Führerlosen gefunden. Daß man dabei Glück haben müffe, ist selbstverständlich: meine beiden klassischen Begleitführer Andreas Komac und Zoseph Croux sind auch in moralischer Hinsicht leuchtende Muster gewesen. Das Allerbeste ist immer ein Glücksfall. Sehr gut ist es, wenn sich der Führerlose erst nach einer mehrjährigen Schule bei einem erstklassigen Führer selbständig macht. Mummery wäre ein Beispiel dafür. Auf kleineren Touren gehe ich natürlich auch jetzt noch ohne Führer, manchmal auch allein. So in den Wocheiner Bergen, in den Karawanken, auf die leichteren gutter. Auch im Winter. Größere Unternehmungen habe ich führerlos nur 1879 und 1880 mit den Brüdern Zsigmondy gemacht. Die größte darunter war wohl die Ersteigung von Hochalm-spihe (3355 m) und Ankogel (3262 m) an einem Tage"«). Ich war damals auf dem Wege, mich ihnen dauernd anzuschließen, aber zwei kleine Unfälle117), die sich unmittelbar nacheinander ereignet hatten und die nach Ottos und meiner Ansicht zu vermeiden gewesen wären, hakten mich stutzig gemacht. Ich sah ein zu hohes Maß von Ber-ankworkung und zog mich zurück, ohne daß dadurch unsere herzinnige Freundschaft im mindesten gelitten hätte. Im allgemeinen paßte der vorsichtige, vor Übertreibungen stets mahnende Otto am besten zu mir. Purtscheller war mehr von Emils rücksichtslos kühner Art. Als dieser im Winter 1884—1885 einige mir unvergeßlich gebliebene Tage bei mir in Triest zubrachte, erzählte er mir» er habe soeben sein Buch „Die Gefahren der Alpen" beendet. „Du würdest jetzt mit mir zufrieden sein", fügte er mit warmem Ausdruck hinzu. And trotzdem! Die Trauerkunde traf mich, als ich eben zu einer Ersteigung des Pelmo aufbrach. Ottos Zuneigung zu mir hat alle Zeiten überdauert und gehört zu meinem edelsten Besitz. Suche ich die reinste Seele, die mir je in meinem Leben begegnet ist, so steht sein ruhiges, treues Antlitz vor mir. i Steinerner Jäger (2071 m), Schwalbenspitzen (1951 m), Raboiszug Ach will von der Wischberggruppe nicht scheiden, ohne noch einiger kleinerer Berge zu gedenken, die mich viele Freuden erleben liehen. Da ist zuerst der liebe „Steinerne Jäger" nächst dem Luschari, den ich im letzten Jahrzehnt alljährlich ein oder mehrere Male besucht habe. Auch in winterlichen Berhältnissen habe ich chn wiederholt von der Praschnikseite her zum Luschari überschritten. Es ist ein wunderschöner Aussichtsberg. Zu den Schwalbenspihen bin ich das erste Mal mit Andreas gekommen. Wir erstiegen 1893 vom Praschniksallel her die nördlichen Spitzen und hatten auf der nördlichsten, im Krummholz gut ue) Hochalmspihe über die „Bersteinten Mandeln" 7 Ahr früh» Ankogel über die Große Elendscharle 6 Ahr abends. 117) Höchste Zinne, Piz Popena. versteckt, die Freude, wenige Schritte vor uns ein Gemsrudel von gezählten zweiundfünfzig Stück aus der Zapraha- zur Kallwasserseile über den Grat wechseln zu sehen. Es war reizend, wie die Gemsen, eine nach der anderen, auf die Grathöhe sprangen, dort kurze Umschau hielten und dann jenseits leise im Krummholz verschwanden. Noch einige fallende Steine, dann Stille. Den Übergang zur Höchsten Schwalbenspihe führte ich damals nicht durch, da mir das schmale Band, welches dies ermöglicht hätte, zu gefährlich erschien. Es drohte mich abzuwerfen. Erst einige Jahre später erstieg ich sie mit Oihinger durch das sehr steile Schneecouloir der Ostseite, und nahm dann den Abstieg über die schroffe, krummholzbewachsene Felsenrampe südlich davon. Als ich Vladimir Dovgan ins Hochgebirge einführen wollte, wählte ich die Höchste Schwalbenspitze als erste Tour. Er kannte bis dahin nur die Mocheiner Berge und die Karawanken. Das war ein fröhlicher Tag! Die Schneerinne war diesmal stark ausgeschmolzen und an einer Stelle durch ein schwieriges Plattenstück unterbrochen. Da mußte Dovgan sich zeigen und für einen dritten schwächeren Kameraden Führerdienste leisten. Er überschritt zum ersten Mal Randklüfte, spreizte zum ersten Mal zwischen Schnee zur Linken und Fels zur Rechten fast senkrecht empor, stutzte zum ersten Mal vor Stellen, die er dann leicht überwand, und sah verwundert zu, wie ein berühmter Raucher des Jahrhunderts im steilen Gewände Zigarre auf Zigarre ansteckte. Saß dann zum ersten Mal auf einem richtigen wilden Zuliergipfel, und fand angesichts einer herrlichen Aussicht des Bewunderns und Fragens kein Ende. Man sollte die Schwalbenspihe viel häufiger besuchen. Ihre Höhe ist ja bescheiden: 1951 m. Aber es ist kein Spaziergang, es ist ein Berg. Zwischen den Schwalbenspihen und der Kaltwasser Gamsmutter erhebt sich in senkrechten Türmen ein hohes, schroffes Felsgebilde, welches auf der Karle die Kote 2022, aber keinen Namen trägt. Der südlichste der Türme ist deren höchster. Die Kote dürfte sich auf einen der niedrigeren beziehen. Es wurde mir in den letzten Jahren klar, daß diesem kühnen Turmbau die Anerkennung als selbständiger Berg und ein Name gebühre. Denn er steht von zwei Scharten"^) beiderseits scharf abgegrenzt da und ist den Schwalbenspihen an Höhe stark überlegen. Bon Wolfsbach gesehen würde er sich sehr stattlich ausnehmen, ragte nicht die höhere Korspitze gerade jenseits hinter chm auf, so daß 118) Nördlich die Karnicascharle, südlich die auf der Karle «nbenannle, enge Scharte zwischen dem höchsten Turm und der Kalkwasser Gamsmukker: die Kalk-wasserkarscharke. Wischberggipfel von den Kastreinspihen Gegen die Moniaschkeike zu Gegen die Kaningruppe zu Gegen die Tauern zu Ausschnitte aus dem Wischberg-Panorama seine Türme nur bei günstiger Beleuchtung oder dann klar hervortrelen» wenn Nebel die Korspihe verhüllen. Sehr groß und abweisend schauen sie dagegen zur Zapraha und zur Saifniher Karnica herab. Gegen das Kaltwasserkar sind sie senkrecht abgeschnitten. Steigt man höher zur Kaltwasserscharte an, so ragt chr höchster ganz scharf und spitz empor, daß man an eine kurze, aufrechtstehende Schwertklinge denken muß. Ich taufte sie „Kallwasserkarlürme", den höchsten „Kaltwasserkarspihe", die Scharte gegen die Gamsmutter zu „Kaltwasserkarscharte". Sie waren noch jungfräulich. Ihre Ersteigung erschien mir schwierig, so daß ich meinte, sie jüngeren Kräften überlassen zu müssen. Ich machte erst in Freundeskreisen, dann in der fiitmhrc119) in sehr vorsichtiger Weise auf sie aufmerksam, um nicht einen Wettlauf zur letzten uner-stiegenen Spitze der Iulischen Alpen zu provozieren. Trotzdem kam es schließlich dazu, und ich atmete erleichtert auf, als die Triester Führerlosen, mit Silvio Holzner an der Spitze, mir endlich die Erstersteigung melden konnten. Ludwig Enzenhofer führte am Tage darauf die zweite Expedition hinauf^9). Es hat für mich einer gewissen Komik nicht entbehrt, als zuletzt diese Spitze, die vorher niemand gesehen hatte, im Munde aller unternehmenden Jugend war. Und sie ist doch so lange fein und keck dort gestanden^)! Da der Reiz der Jungfräulichkeit von ihr abgestreift ist, wird die Kaltwasserkarspihe nun wohl chrer früheren Verborgenheit und Einsamkeit zurückgegeben sein und chr Steinmann Langeweile empfinden, falls er nicht durch starke Innerlichkeit über den Mangel menschlicher Besuche sich wird erheben können. Aber von einem aufrechten Steinmann der Iulier wollen wir dies hoffen. Ungezählte Male habe ich die Große Naboisscharle überschritten und den Großen Nabois (2307 m) erstiegen. Doch habe ich auf diesen immer nur den leichten Weg aus der Großen Naboisscharle benützt. Am Bortage unserer Ersteigung des Wischbergs über die Nordwand^9) hat Bolaffio mit Oitzinger von der Seisserahütte aus die Nordwand des Großen Nabois durchklettert^9) und war zur Großen Naboisscharte ug) Literatur: „Sie Korspihe (2335 m) aus dem Kaltwassertal." ö. A. Z. 1913, 168. 15°) Literatur: „Neues aus den Jütischen Alpen." ö. A. Z. 1915, 99. 121) 3n einer Tageszeitung stand 1922 die Bemerkung, es sei da etwas gemacht worden, was mir, „dem Bergsteiger von Weltruf", nicht gelungen war. Da niemand dies berichtigt hat, so tue ich es an dieser Stelle. Ich habe die Kaltwafferkarspihe nie versucht. Oben steht die Wahrheit. Wohl aber sind sie alle, „Besiegte" wie „Sieger", auf der von mir gewiesenen Route gegangen. m) Siehe vorne. m) 3n diesem Sinne ist die Notiz Dr. Gustav Renkers in der ersten Auflage des „Führers", 162, richtigzustellen. abgestiegen, während ich es übernommen Halle, die Decken hinaufzuschaffen, den Biwakplah herzurichlen und den Einstieg zum Wischbergnordweg zn rekognoszieren. Aus den nördlichen Schwalbenspihen und dem Gipfelblock des Großen Nabois dürfte ich wohl als erster Tourist gewesen sein, die Höchste Schwalbenspihe Halle Professor Adolf Gstirner schon vor mir erreicht. Um erste Ersteigungen handelt es sich in keinem von diesen Fällen, weil auf den Schwalbenspihen vor uns sicherlich Gemsjäger, auf dem Nabois Schafhirten gewesen sein müssen. Auf die Kleine Naboisscharte, die zwischen dem Großen und dem Kleinen Nabois schroff eingeschnitten ist, und die wohl die landschaftlich schönste Kleinscharte der Julischen Alpen sein dürfte, bin ich erst ganz zum Schlüsse wiederholte Male gekommen. Kaningruppe A)er volle Glanz der südlichen Sonne liegt über dem Reiche des Kanin. Reich und breit fluten ihre Strahlengarben darüber hin. Sie legen sich grell über die Wände und brüten heiß in den Karen. Trotzdem sind diese Berge düster und schwermütig. Es fehlt der freie, himmelanstürmende Aufschwung zu jubelnden Formen, es fehlen die selbständig aufgebauten, zu charaktervoller Eigenart ausgebildeten Gipfel, die mit dem Reiz und mit der bezwingenden Macht einer starken Persönlichkeit wirken. Die aus den Hochplaleaux relativ niedrig aufragenden Gipfel sehen sich alle ähnlich, sie sind alle nach einem gleich schweren, kunstlosen Modell geschaffen. Zwei dachartige, in stumpfem Winkel zur Spitze sich vereinigende Grate, zwei steile, nach einander entgegengesetzten Himmelsrichtungen schauende Felsenfronten, das ist alles. Die Gipfel stehen wie tiefernste, breite Giebel über den fortlaufenden Graten. Der eigentliche Kaninfiock^) ist eine riesige, hoch emporragende, schwer und ungefüge gegliederte Felseninsel, die nur mit ihrer ungeheuren Masse wirkt und aller architektonischen Zier entbehrt. Es fehlen wie in den Felsenmeeren des Triglav die fließenden Wasser. Wohl fängt der ganze hochgehobene Raum gewaltige Mengen von Schmelz- und Regenwasser auf, aber der Felsenboden verschluckt jeden Tropfen wie ein nie zu sättigendes Sieb und führt ihn sofort zur Tiefe. Nirgends ein stummes, seelenvolles Auge wie drüben in den einsamen Zaubergärten der Rojenice, im Reiche der Scabiosa Trenta. IM) 3d) habe hier vor allem die großen zusammenhängenden Hochflächen der Süd-und Ostsette im Auge, welche die Karle mit „Flitscher Kar" und „(goričko Planina" bezeichnet. Die Landschaft am Kanin ist nur weißer Firn und grauer Fels. And alles ist wie im Tode erstarrt. Es ist ein ins Riesenhafte, ins Hochalpine gesteigerter Karst. Wohl sieht man überall die gewaltig geleistete Arbeit des Wassers: Rille an Rille, Kanal an Kanal oft mekertief in die Platten gegraben, abgrundtief gebohrte, kreisrunde Löcher, in deren dämmerndem Schlund der abschmelzende Kegel eines Schneerestes schimmert, kurze, trogartige Täler mitten im Klippengewirr, weite Dolmen mit steil hinabschießenden Schutthalden an den Flanken und ewigen Schneelagern in ihrem Grunde. Aber der das geleistet, der dieses Antlitz gebildet, der Arbeiter ist versunken. Erst weit unten im Tal donnern die Waster des Kanin in kurzem, geschlossenem Fall aus dem Berginnern, schon so lief und so weil, daß ihre Stimme nicht mehr zu den Höhen reicht. Sie können nicht mehr zum Schmucke und zum Leben der Berge beitragen und wirken nur im Talbild. Gar einsam sind diese Hochkare des Kanin. So viel ich auf ihren Höhen gewandert bin, nie bin ich dort einer anderen Partie, niemals einem menschlichen Wesen begegnet. Der mißtönende Schrei eines Geiers, der unsichtbar in den Lüften kreiste, die in Firnenweiten sich verlierende Spur einer Gemse war in dieser todesstarren Bergwelt alles, was an Leben erinnerte. Was hat mich also immer wieder dahin emporgezogen, daß ich beispielsweise auf dem Monte Kanin fünfundzwanzig oder dreißig Male gestanden bin? Ein richtiges alpines Problem selten, nicht immer die Freude an irgend einem großartigen Detail der Ersteigung. Die Befriedigung persönlichen Ehrgeizes wohl nie. Es ließ sich in den Bergen des Kanin so weniges ausführen, womit man ordentlich hätte Staat machen können. Was vergoldet die Erinnerung an diese im Grunde so wüsten und einförmigen, in Ernst und Schweigen gehüllten Berge? Daß sie mir unvergänglich herüberglänzt und noch jetzt in späten Jahren das Herz sehnsuchtsvoll und wanderfreudig schwellen läßt? Es ist die Schau, die entzückend schöne Schau nach Süden. Eine Schau in Sonne, Glanz und Licht! Die Kaninberge haben eines vor allen andern Iuliern voraus, den freien Blick dem Meere zu. Zu den weißen Felsengestaden Istriens, zum Mündungsdelta -es Isonzo, zu den im Sonnenschein flimmernden Lagunen von Grado und, so ein ganz kristallklarer Glückestag und vielleicht ein klein wenig Phantasie mithelfen wollen, zu einer märchenhaften Stelle weit drüben am schimmernden Horizont, wo man die Königin der Meere meint erschauen zu können. Wie ich einstens von den Spitzen des Monte Rosa den Dom von Mailand aus dem Häusermeer der lombardischen Hauptstadt habe aufleuchten sehen. And das Meer, unser liebes blaues Heimatmeer, sendet seine reichen Farben herüber und legt sie über die schweren, harten, dürren Hänge, als wollte es ihnen aus dem unendlichen Reichtum seines Lebens und seiner ewigen Schönheit Ersah bieten für alles, was die erdbildende Natur ihnen versagt hak. Da hüllen sich die Kaninberge in seinem Abglanz des Morgens, des Mittags, des Abends in die seltsamsten und prunkhafkesten Gewänder» und wer sie so sieht, wie sie bald im duftigsten Blau verschwimmen, bald mit Kreideweihen Giebeln über tiefblauen Schluchten herüberschauen, wie sie dann wieder zum phantastischesten Bioletk und zum wildesten Rot aufflammen Können, als umstünden sie, zu vielgiebeligen Randwällen gereiht, düster erglühende Krater, der erkennt» daß der größte und erfolgreichste aller Farbenmeister und Farbenkönige, das Meer, für sie denkt und sorgt. Nicht immer sieht man es auch an schönen Tagen. Es verschwindet oft im Übermaß von Glanz und Licht. Aber dann vergißt es nicht, würdigen Ersatz zu stellen. Da hat es das eine Mal, selbst unsichtbar, zwischen zwei gigantischen Wolkensäulen auf tizianischem Goldgründe eine breite, leuchtende Himmelsstraße emporgebaut, daß man meint, sie reiche bis zu den Pforten des Paradieses und lichte Engelein flögen auf und nieder. Das andere Mal sendet es, in Dampf und Dunst verborgen, stolze Armaden weißer Wolkenballen herüber, an deren Spitze ungeheure, breitgebauchte Fregatten, langsam und feierlich mit dem Südwest segelnd, in so himmlischem Glanze durch den blauen Äther einherziehen, daß alle irdische Schönheit vor solch überirdischer Wolken-herrlichkeit verschwindet. Oder es heftet weißwehende Wimpel und Fahnen um alle Bergspitzen, als sei heute hoher Festtag im Himmel. Oder es türmt schimmernde Wolkenburgen übereinander, die wir so nahe, in solch wundervoller Ruhe und solch phantastischer Größe noch nie gesehen zu haben glauben. Dann wieder steigt ein Gewitter von chm auf, doch nicht als „kleine Wolke wie eines Mannes Hand", sondern mit wild ineinander sich drängenden bleigrauen und schwarzen Molkenbänken, die den halben Himmel einzunehmen scheinen und in wenigen Augenblicken zu einer geschlossenen, finster drohenden Mauer riesengroß emporgewachsen sind. Schon braust sie, Wirbelstürme vor sich hertreibend, übermächtig heran, von Blitzen durchriffen, erst mit fernem Rollen und Donnern, dann immer wilder aufbrüllend und kosend, saßt mit unheimlichen schwarzen Armen in die Giebel und Grate und rüttelt sie mit elementarer Gewalt, daß sie bis zu ihren Grundfesten erbeben. 3n geisterhaftes Grau gehüllt haben die Kaninberge den Anprall erwartet. Es ist, als hätten sie sich niedergeduckk vor den Schlägen des göttlichen Hammers, „der Berge zerbricht und Felsen zerschlägt"! Golk schütze dich vor einem Gewitter auf dem Kanin! Es ist der blitzgefährlichste Berg der Iulischen Alpen. Sleige rasch ab, wenn der Himmel sich verfinstert! Der Kanin verträgt keinen Steinmann, einen jeden zerstört der Blitz sofort. Wie auf dem Triglav ein Träger des österreichischen Mappeurhauptmanns 93ofio126), so hat auf dem Gipfel -es Kanin ein italienischer Mappeuroffizier, Domemconi, unter dem Blitzschlag sein Leben gelassen. Man hat ihm eine Erinnerungstafel in den Steinmann -es Kleinen Kanin eingebaut, aber auch diesen hat der Blitz zerschlagen. Es lagen die Scherben der Tafel auf dem Gipfel wie einst die Leiche des Geodäten. Nur die in einen Felsen eingehauene Jahreszahl 1884 ist geblieben. Jedes Mal, wenn ich hinaufkam, habe ich auf der Spitze neue, vom Blitz aufgerissene Felsspalten und Löcher gefunden, in denen Ammonshörner und versteinerte Seetiergehäuse zu Tage lagen. Und ein Gewitter, das ich auf dem Kaningrat, in eine Felsspalte gedrückt, erlebt habe, gehört zu meinen schauerlichsten Erinnerungen. Großer (2592 m) und Kleiner Kanin (2572 m), Srednji Bersic (2536 m) und Prestreljenik (2503 m) sind die höchsten Erhebungen des Massivs. Auch die breitgewölble Loupa (2410 m) und die gleich den schöngeschwungenen Federn des Schildhahnstoßes auseinanderstrebenden Felsengiebel des Confinspih (2266 m und 2328 m) und der černjala (2335 m) nehmen achtunggebietenden Rang ein. Sie stehen alle im großen Randwall. Rach Norden fallen sie fast senkrecht ab, die leichteren Zugänge sind von Süden oder Osten. Die selbständigsten Bergformen weisen die Eckzähne der Gruppe auf, die Große Baba (2161 m) im Süden, Seekopf (2122 m) und Nombon (2208 m) im Osten. Sie haben großartige, in den Tiefen der Täler breit fußende Wandbildungen und mehr als zwei Fronten. Sehr eindrucksvoll sin- die Abstürze -es Rombon und des Seekopfs in den MoLencagraben, von ungefüger Größe der gewaltige Elefantenrücken im Hintergründe des Resiatales, welcher die Gipfel der Kleinen (1995 m) und Großen Baba, des Kamen (2336 m), der Laska Planja (2449 m), des čemi Bogu (2386 m), des Kleinen und Großen Kanin und des Pic -i Carnizza (2434 m) trägt. Dieses weltabgeschiedene Resiatal im Westen und das lebendigere Flitscher Becken im Osten liefern, vollkommen im Banne der Kaninberge stehend, jedes in seiner Weise die wunderbarsten Stimmungsbilder zu deren seltsamen Größe und Eigenart, die man mit Worten kaum schildern kann, so klar und scharf man sie empfindet. Wie man aus jedem kleinen Detail sofort die Resiaberge, das Resiatal und 12‘) Literatur: E. G. Ill, 1894, 567. den Resianer erkennt, so sind Flitscher Berge, FMscher Landschaft und „der Flitscher" so scharf charakterisiert und so aus einem Sinne geschaffen, daß man beispielsweise ohne weiteres versuchen könnte, den Flitscher aus dem Bilde seiner harten und kantigen Berge und seiner schon stark an den Süden gemahnenden, doch zur Herbheit und Wüstenei neigenden Landschaft zu beschreiben, würde man gefragt, welcher Art er sei. Als hoch im Horizont stehende, gewöhnlich in Blau und strahlendes Weiß gekleidete Felseninsel steht das Kaninmassiv von unserem niederen Karst oder vom Meere gesehen da. Die Giebel und Grate haben sich so zusammengeschlossen, daß sie eine kunstlos gearbeitete Zackenkrone darstellen, die nur ein ganz kundiges Auge in ihre Einzecheiten aufzulösen vermag. Am schönsten erscheint das Massiv vom Wischberg oder von den Cregnedulgraten her gesehen. Denn da haben sich die Giebel und Hörner der Randwälle so gruppiert, daß sie, in langgestrecktem Zuge immer höher ansteigend, im scharf zulaufenden, zu höchst emporragenden Gratdreieck des Großen Kanin chren dominierenden Abschluß und ihre Krönung finden, während die am Fuße der Nordwände breit entfalteten Firnen und Gletscher, die allenthalben mit steilen Rinnen und Zungen zu den Scharten emporgreifen, für ein eigentümlich ruhig und groß wirkendes Farbenbild Weiß in Weiß sorgen. Liegt der Winterschnee über dem Ganzen, so erhebt sich dieses Bild zu derartigem Glanz und zu derartiger Größe, daß man meinen könnte, einen der gewaltigsten Gebirgszüge der Erde vor sich zu haben. Ein charakteristisches Detail stellen darin die merkwürdig geformten Kanzeln dar, welche diesseits der Firnen und Hochkare in einer mittleren Höhe von 1900 bis 2100 Metern den ganzen Hochwall begleiten126). Gleich breiten, festgefügten, senkrecht zu Tal niedergehenden Vorwerken und ernsten Hütern der in tiefem Schweigen ruhenden, in lautloser Stille harrenden Innenhöfe des Kanin. Da stehen sie wachsam, sperren die Breschen und legen den Finger auf den Mund, wenn du kommst: „Mach' leise und störe nicht. Hier schläft jemand schon viele tausend Jahre. Vielleicht ist er tot!" Dem „Prestreljenih und seiner Wildnis" haben Gilbert und Churchill ein geradezu klassisches Kapitel gewidmet. Die öde der Landschaft, die Wasserarmut ihrer wüsten Trogtäler, das ehrliche Selbstbewußtsein des Führers Mitscherlich127), „des geborenen Anführers von Menschen", 126) »Welsche Kanzel" 1865 m, Monle Poviz 1978 m, Bela Peö 2143 m, Eol Sclav 2157 m sind die wichtigsten. Ähnlich ist es auf der Flitscher Seite. 127) 3n Wirklichkeit müßte dieser Mann anders geheißen haben. ist da in geradezu entzückender Weise beschrieben. Meisterhaft hat später Gstirner die Gliederung und die Physiognomie dieser Berge geschildert129). Es muß 1884 gewesen sein, als ich zum ersten Mal, von der Flikscher Seite her, unter Führung eines Einheimischen in die Kaningruppe kam. Es zog mich zunächst auf die Große Baba, die man vom Meere so schön sieht. Am Nachmittag erstiegen wir Kleinen und Großen Kanin. Die schon damals geplante Gratwanderung von der Baba zum Kanin war mir nicht gelungen. Gegen Abend stiegen wir zum ersten Krummholz der Flitscher Seite ab und übernachteten dort an einer Felsecke. Diese erwies sich im Berlaufe der Nacht als eine sehr merkwürdige Örtlichkeit. Der Wind sprang in einem fort um. Vielleicht hatte er sich über die Ecke geärgert. Das heißt, er wehte immer von -er entgegengesetzten Seite her, wo wir nicht standen oder lagen, so daß wir die ganze Nacht um das Feuer herumgingen, um uns vor dem Rauch und den Stichflammen zu schützen. Kaum hakten wir uns irgendwo hingelagert, so hieß es wieder flüchten. Bei Gott» so eine Ecke habe ich noch nie gesehen! Am nächsten Morgen zogen wir zum Prestreljenik und turnten an der grobgestuften Felsentreppe seiner Ostseite leicht hinauf. Dann machten wir, an feine Basis zurückgekehrt, den kleinen Amweg zum berühmten Gratloch, ehe wir nach Flitsch abstiegen. Denn Prestreljenik heißt „Der Durchschossene", und wenn nicht ein großes Loch da wäre, so wäre der Berg ja gar nicht durchschossen und er mühte ganz anders heißen. Nun muh man aber wissen, wie dieses Loch entstanden ist. Hat nicht der Teufel die Frechheit gehabt, die heilige Jungfrau zu einer Wette herauszufordern, wer von beiden vom Luschariberg aus zuerst auf Castel del Monte ob Cividale landen würde! Er ging los wie der Teufel, und im Angestüm des Laufens fuhr er mit den Hörnern in die Wand des Berges, schlug das Loch durch, verlor aber die Wette, denn als er hinkam, da war die heilige Jungfrau schon lange bei Madonna del Monte angenommen129). Soll dies nicht ein Fingerzeig für uns Bergsteiger sein, nicht zu ungestüm an die Wände anzurennen? Denn wo hätten wir auch eine Aussicht, ein Loch durchzuschlagen, wie es jenem gelang? And hätten sicherlich nichts zu gewinnen! 12S) Adolf Gstirner, Z. A. D. 1905. 129) Slavlsche Sage. Marinelli erzählt sie in „Guida del Friuli“, Canal del Ferro, 1894, 111. Ich bin dann noch ein oder zwei Male von der gleichen Seile auf die gleichen Berge gekommen. Bald erkannle ich aber, daß der nördliche Zugang ungleich schöner sei als der lange Anmarsch über die heißen, dürren Ost- und Südhänge, und hielt mich in allen späleren Jahren fast ausschließlich an jenen. So kam ich nach Nevea. Ich erinnere mich genau des Eindruckes, den ich empfing, als ich, durch die Wälder des Raibler Seelales kommend, Neveas Almenwiesen zum ersten Mal betrat. Es war, als schaue mich jemand innig an, der schon auf mich gewartet haben mußte. Der wußte, daß ich kommen würde. Den ich noch nie in Wirklichkeit gesehen hatte und doch auch kannte, als sei er mir einmal in einem Sehnsuchtstraum erschienen. Als trete dann dieser jemand, ohne ein Wort zu sagen, mit stillem Lächeln an mich heran und lege seine Arme um mich. Gewiß, ich weiß es genau: Nevea hat mich damals umarmt und geküßt. And ich lag, hingerissen von dem freundlichen Strahl voll Liebreiz und Anmut, der mir hier süß und warm ins tiefste Herz drang, wo ich nur abweisenden Ernst erwartet hatte, von lind und weich wehenden Berglüften umschmeichelt, vom balsamischen Hauch der Wälder berauscht, von einem Frieden umfangen, der wie aus himmlischen Höhen auf ein gesegnetes Stücklein Erde herniedergesunken schien, selig an Neveas still atmender Brust. Die Poesie, die in jenen alten Zeiten über Nevea lag, läßt sich nicht beschreiben. Sie nahm mich so gefangen, daß sie mich lange Jahre hindurch die lebendige, brausende Heimalschönheit der Trenta vergessen lieh. Es war alles so einfach, so klar und so selbstverständlich, daß man sich eigentlich gar nicht wunderte, wenn man hinkam. Wie man so manches Gottesgeschenk in aller Anschuld ohne Dank hinnimmt, als müsse es geboten sein. Eine Wiese mitten im Nadelwald. And weiter und höher Wälder und Wälder. Am Waldrand, den Montaschalmen zu, eine nach friaulischer Art sorgsam gefaßte reiche Quelle herrlichsten Wassers, die berühmte Fontana. Kein Blick ins Tal, aber die Ahnung, daß es drüben im Westen über Wäldern tief und weit hinuntergehe. Denn dort spielen schon Italiens lockende Farben. Die ganze Senke breit der Sonne geöffnet. Glänzende Lichter, grüne Schatten. Hoch oben. Mittag zu, ein tiefernstes, rauhes Stück Hochgebirgswelt des Kanin, so weit es im Rahmen Platz hat, den die beiden Borwerke östlich und westlich: Poviz und Bela Pec mit senkrechten Wänden gefügt haben. Hellragende Mauern, weiße Firnen über einem schweren Sockel in dunklem Wald- und Krummholzkleide. Ferne, leise Musik von Herdenglocken. Die Alpe ist nahe, mehrmals im Tage wird das Bieh zur Tränke Herübergetrieben. And auf der Waldwiese? Auf der Wald- Kaningruppe von den Pecolalmen aus Zu Seite 142 De. Carlo Chcrsich-Tricst wiese links in der Ecke ein roh gezimmertes, einfaches Blockhaus^"), daneben eine Fahnenstange. Und im Blockhaus? 3m Blockhaus die Siora Calina. Signora Catina Di Bal, die beste der Frauen. Dort trill sie aus der Türe. Der echte Typus der tüchtig schaffenden, noch stramm aufrechten alten Furlanerfrau. Kluge, scharf prüfende Augen, eine energische Hakennase, ein strenger Mund, eine Freund wie Feind gleich feingerechte Zunge, ein gerader, klar urteilender Sinn, ein braves, festes Herz. Schon hat sie uns gesehen und winkt und grüßt. Sie liebt uns Triestiner in besonderer Weise. Gebannt blickt Andreas aus ihre zwei gewaltigen Eckzähne, die letzten Zeugen einstiger Pracht» wie sie mit heller Stimme in wohlgesehten Worten ihr freundliches Willkommen spricht. Der eine davon ist dann im Berlaufe der Jahre zu Andreas' großem Schmerze verschwunden, den allerletzten aber hat sie mit sich genommen, als sie sich von langer, schwerer Lebensfahrt und Arbeit ermüdet zur letzten Ruhe niederlegte. Mich hat sie geliebt und bemuttert, waren wir allein, mit rührender Sorgfalt betreut, wie einen König geehrt, standen andere Leute dabei. War ich angekündigt oder hatte sie von den Almern erfahren, ich sei irgendwo in der Nähe auf den Graten aufgetaucht, so sprang sie geschäftig, hielt alle Augenblicke Ausschau, und wenn ich ankam, drehte sich schon am Herde der Spieß. Aber sie konnte auch ehrlich hassen, und dem lieben Oihinger ist es einmal, -a er einen ihr mißliebigen Herrn begleitete, passiert, daß sie beiden den Eintritt verwehrte, worauf die Wanderer, müde wie sie waren, in stiller Ergebenheit unter einem Baume knapp an der Pforte des verschlossenen Reveaparadiefes biwakierten. Sie war nicht Wirtschafterin, sondern Herrin, eine ausgeprägte Persönlichkeit aus vollkommenem Gusse, der man mit Respekt und mit wirklicher Hochachtung begegnete. So hat sie viele Jahre mit fester Hand und schlagfertiger Zunge nach starker Frauenart in dem Reiche regiert, wo die Wege von Kanin und Montasch zusammenlaufen, und viele meiner gewaltigsten Tage klingen in dankbarer Erinnerung an sie aus. Möge sie sanft ruhen, die brave Signora Catina! Was könnte ich noch alles von Revea erzählen! Dom Signor Giovanni Di Bal, dem ausgezeichnetsten aller Ehegatten, dem Herzensguten, dem me etwas Rechtes zu sagen übrig blieb, weil die ihn weil überragende Siora Catina alles schon viel früher und viel besser klargestellt hatte, so daß er sich nicht mehr zurecht fühlte, als sie nicht mehr 13°) Seit 1888. Als ich zum ersten Mal dahinkam, stand dort ein noch primilivereS Blockhaus für die Holzarbeiter. Die kleine Nevöawirlschaft war noch nicht vorhanden. Siehe die Geschichte Nevöas in „Gulda del Friuli“, Canal del Ferro, 256, 257. roar, und seiner starken Führerin nach wenigen Wochen gerne folgte. Von der naiven Seele des allen Bergführers Francesco Marcon, der immer die gleichen kleinen Geschichten mit stets wachsendem Behagen und mit immer geringerem Erfolge erzählte. Von seinem geriebeneren Kollegen, dem alten Giuseppe Piussi, der mit dem Munde beteuerte und mit einem verdächtigen Ausdruck in seinen Augen sagte, daß er rücksichtslos aufschnitt. Bon Tagen süßer Rast auf dem Rasen der Mawwiese, von todmüden Nächten, da wir von der Arbeit so zerschlagen, von der Sonne so heiß gebrannt waren, daß der Schlaf nicht kommen wollte. Vom knisternden Feuer am offenen Herde, um den wir des Abends alle saßen und plauderten. Von den dunklen Gestalten, den im flackernden Schein aufblihenden Augen der Almer und Holzer, die ab und zu geräuschlos in der Hütte auftauchlen, um nach einem kurzen, leise geführten Gespräch wieder bescheiden im Dunkel zu verschwinden. Bon den grell wie Raketen in die Nacht aufsteigenden Billolkengesängen der jungen Friauler Mädchen, die den Tragdienst von Chiusaforke zur Hütte verrichteten. Von der heiligen Weihnacht dort oben, wenn die Erde tief unter Schneelasten schläft und die schwer mit weißer Winterprachk behangenen Bäume Aiesenkerzen gleich in feierlich ragenden Reihen den Stern des Erlösers erwarten. Bon der Osterzeit, da die erste Ahnung des Frühlings sich regt, die Quellen erwachen, und das Flüstern und Rauschen der Schmelzwasser leise um alle Hänge zieht, als singe die ganze liebe Erde ein schüchternes erstes Lied. Bon Pfingsten auf Revea, wenn der Frühling in strahlender Herrlichkeit, vom Jubel aller Kreatur empfangen, auf die Berge steigt und bis zur Grenze des ewigen Schnees die farbigen Wunder seiner Gaben streut. Bon der hellen Sonne, die des Morgens durch die Fugen drang und uns weckte, von der himmlischen Luft, die uns umfächelte, dem Licht, das «ns blendete, wenn wir die Fenster aufstießen, von der großartigen Pracht der Gewitter, von Stimmungen des Mißerfolges und des Erfolges, von Niederlagen und Siegen, von Leid und Freud in den Bergen! Dieser unsagbare Zauber Neveas ist über einer Periode von fast zwanzig Jahren gelegen. Er ist schon lange zerstört. And er kommt nicht wieder! Schon der Tod der Signora Catina bedeutete einen Abschluß. Dann wurde die Hütte baufällig, die Herren von Adine ließen sie verfallen und führten in der Nähe einen schweren Steinbau auf, der sehr mißtönig wirkte, in den die alten Geister nicht einzogen, obwohl sich Signora Italia, der ausgezeichneten Frau Catina ebenso ausgezeichnete Tochter, redliche Mühe gab. Es kam der Krieg. Erst führte er die Aulomobilstraße durch das Raccolanatal zum Ricovero und weiter und öffnete Neveas seligstillen Erdenwinkel dem Getöse der Welt. Dann hat er mit verheerender Faust in Neveas Wälder gegriffen. Die Natur ist groß. Sie wird die schweren Wunden, die ihnen geschlagen wurden, wieder heilen, die Narben verwischen. Das heutige Bild Neveas ist stark verändert. Einer neuen Generation wird dies alles vielleicht nicht zum Bewußtsein kommen. Sie wird die neue Nevea ebenso lieben, wie wir deren alle Herrlichkeit aus tiefstem, beglücktem Herzen geliebt haben. Diese ist versunken. Bersunken, aber nie vergesien! Als ich -ahinkam, hatte eben die alpine Tätigkeit der Herren von Udine ihren Höhepunkt überschritten. Dieselbe bewegte sich eine Zeitlang auf klassischer Höhe, und diese Periode hat ihren literarischen Ausdruck in der „Cronaca" der „SocietL Alpina Friulana" -er letzten 1870er und der ersten 1880er Jahre gefunden. Das geistige Oberhaupt jener Gesellschaft war -er auf -er Höhe der Wissenschaft stehende, an Kenntnissen wie an Herzensreichtum gleich hervorragende Professor Giovanni Marinem^33), eine der Realsten Bergsteigerpersönlichkeiten, die mir je im Leben vorgekommen sind. Zu meiner Freude bin ich ihm in diesen Bergen einige Male begegnet, wie auch später seinem ihm nacheifernden Sohne Professor Olinto. Federico Canlarutti stellte einen vornehmen, äußerst liebenswürdigen Mitgeher dar, der sich in alpinen Berwaltungsfragen hervortat, bergsteigerisch ohne Bedeutung war. Hocke bekannte damals ebenso hartnäckig wie erfolglos den Montasch und erlebte den Schmerz, den Sieg einem Glücklicheren überlassen zu müssen. Aus -er Schar der jungen Bergsteiger, die diesem Kreise zur Berfügung ffonfr132), leuchtet eine herrliche Zünglingsgestalt hervor: Conte Giacomo di Brazzä-Savorgnan. Leider habe ich ihn nicht mehr gesehen, als ich hinkam. Aber alle Berge sprachen noch von ihm. überall fand ich seine Spuren, sei es ein Bermessungssignal auf einem Grat, sei es eine mit wenigen Brettern roh zusammengefügte Unterkunft^3) oder einen rasch improvisierten, von einer verfallenen Steinmauer gekennzeichneten Biwakplatz^). Bon diesen Bergen aus hat er seinen so kurzen, leuchtenden Meteorflug ins Kongoland unternommen. 131) Ihm verdanken wir auch In der Hauptsache die ganz ausgezeichnete „Gnida del Friuli“, deren zweiter Teil „Canal del Ferro“ (Ed. Societä Alpina Friulana in Udine) auch heule noch der beste Führer durch den friaulischeu Teil der Iulischen Alpen ist. 132) Ich nenne noch die Brüder Pecile, den Conle Cesare Manlica, der leider auch zu früh an den Folgen eines Zweikampfes starb. 133) „Mcovero Brazzü" unter der Wand des Beta PeL. m) Gralsenke Modeön del Buinz-Foronon. den leider sein allzu rasch in Rom erfolgter Tod jäh abriß. Er lebt noch heute unvergessen in diesen friaulischen Tälern und Bergen, und niemand soll von Revea, vom Kanin und vom Monkasch sprechen, ohne sein glorreiches Andenken pietätvoll zu grüßen! Aber noch ein anderer durchstreifte damals diese Berge, manchmal von einem Raibler Führer oder von einem friaulischen Almer begleitet, ebensooft still für sich und allein. Ohne laute Ankündigung, anspruchslos und bescheiden, stark im Willen und groß im Erfolg. Ein lieber, blauäugiger, deutscher Mann, ein Mann der Tat, nicht der gebet135), der Sieger vom Montasch: Hermann Findenegg. Ich bin ihm zweimal kurz begegnet. Wir hielten uns lange an der Hand und lachten, daß wir am Suhi Plaz Konkurrenten gewesen waren, ohne voneinander zu wissen. Es mutet mich so seltsam an, daß sie alle, alle schon gestorben sein foöen136). Ich bin doch noch gar nicht so alt! And daß ich gelegentlich glaube, mein eigener Sohn zu sein, ist doch nur Spaß! Immer wieder möchte ich es sagen: Gedenket jener, die vor euch in den Bergen sich freuten. Das soll nicht bloß Herzensbedürfnis sein, es ist auch Dankesschuld. Bergesset nie, daß ihr mit eurer heutigen Technik und mit eurer modernen Leifiungskraft auf ihren Schultern steht. Vergleichet bescheiden, was die Erkletterung eines neuen Gralzackens, einer noch nie erstiegenen Wand bedeutet gegenüber den Leistungen unserer Alten, die ohne Vorbilder, ohne führende Literatur, ohne die Mithilfe der heutigen Verkehrsmittel, Wege und Unterkünfte, ohne die Klarheiten und Bequemlichkeiten, die euch dank ihrer Arbeit geboten sind, mit oft mangelhaften Behelfen und Karten, mit primitivem Arbeitszeug zur Entdeckungsfahrt ins unerschloffene Land, ins Unbekannte und als schreckhaft Hingestellte begeistert ausgezogen sind. Leset die gute Literatur! Ihr werdet dann die Berge auch ganz anders verstehen und genießen. Die Wechselbeziehungen zwischen Menschen und Bergen, die Verkettung von Menschenschicksalen mit Berghistorie werden euch ein reiches Feld für ernste Betrachtung bieten und euch die Elemente zu mancher lehrreichen» auch über das enger begrenzte Bergsteigerleben in das Größere und Allgemeine ausgreifenden Schlußfolgerung erstellen. Und ist das beispielsweise nicht ein armer Tropf, der gedankenlos das Malterhorn anrennt, ohne Whympers jahrelangen “*) Trotzdem geben seine schlichlen, ans dem Herzen kommenden Schilderungen dieser Slreiszüge (in der Zeitschrift des D. n. £>. Alpenoereins 1879) die Stimmung und den Charakter dieser Berge in sehr anmulender und zutreffender Weise wieder. 13a) Bis ans Professor Olinlo Marinelli, der damals Knabe war. Und wohl auch hoffentlich ans die Brüder Perils. Bon Hocke weiß ich es nicht. Riesenkampf um die heiß umstrittene Spitze zu kennen, oder der ahnungslos an der Stelle vorbeieilt, wo das löwenstarke Herz Carrels nach treu erfüllter Führerpflicht gebrochen ist? Meine vielen Ersteigungen des Kanin von Nevea aus waren fast immer nur einfache Wiederholungen. Ich wanderte hinauf, wie man auf einen Aussichtsberg geht, trotz der Steilheit und der nicht immer leichten Gangbarkeit der heikleren Stellen. Die große, sehr steile Schneerinne stellte manchmal, wenn sie am oberen Ende überwachtet war, oder wenn an chrer Wurzel die Randkluft klaffte, ganz ansehnliche Anforderungen an alpine Gewandtheit und Erfahrung. Eine Freude war mir immer die Querung des Gletschers. Der Kanin ist der einzige Berg in den Iulischen Alpen, dessen Ersteigung über einen wirklichen Gletscher führt. Der im Spätsommer immer gewaltiger aufklaffende Bergschrund am Fuße der Rinne hatte die Herren von Udine veranlaßt, einen Felsen-fieig zur Umgehung derselben anzulegen^). Da dieser in weitem Umwege durch die orographisch rechtsseitigen Wände führt und an Stelle der Rinne lange, schmale, nicht für jedermann einfach zu begehende Bänder seht, befriedigte er. mich nicht, und ich gab einmal — im September 1895 — Andreas Rendezvous bei der Kaninhütte, um einen besseren Ersah zu finden. Ich war über Raibl und Nevea schon am Morgen heraufgekommen, Andreas sollte von Flitsch über den Prevalasattel gegen Abend zu mir stoßen. Wie ich so allein bei der Kaninhütte saß und in die stillen Kare blickte, bemerkte ich einen ganzen Trupp von vierzig bis fünfzig schwerbepackten Männern, der unter offensichtlichen Borsichtsmahregeln den Prevalaschnee herunter-kam. Er verschwand urplötzlich, und ich wunderte mich nicht wenig, warum und in welcher Weise dies geschehen war. Rach einer halben Stunde gesellte sich ein dunkler Resianer zu mir. Er tat, als sei er auf einem Spaziergang begriffen oder schaue nach Gemsen, und frug so beiläufig nach meinem Woher und Wohin. Als er sich klar geworden war, ich sei ein ungefährlicher Bergsteiger, trat er an den Rand des Hanges vor und pfiff auf den Fingern. Die schwerbepackte Gesellschaft erschien sofort wieder auf den Schneefeldern und nach einer Stunde stand sie bei mir. Es waren Schmuggler. Resianer, die schwere Lasten von Flitsch über den Prevalasattel und die Sella Grubia ins Resia-tal beförderten. Sie hielten bei der Hütte lange Rast. Um die Mittagszeit hatte ich zwei Schüsse gehört. Run kam auch der Schütze. Er 187) Siehe über alle diese Bergdelails die ungemein gründliche Arbeit Gstirners in Z. A. V. 1907. trug eine erlegte Gemse, ein von seiner Kugel ganz zerschossenes Schneehuhn und ein altertümliches Feuersteingewehr vom Aussehen und Gewicht einer kleinen Kanone. Es war ein gar wilder Geselle» ein Flitscher, Kovac sein Name, Holzer und Raubschüh. Er hatte Gründe, gewissen unangenehmen Auseinandersetzungen mit den österreichischen Gendarmen auszuweichen, und hielt sich einstweilen über der Grenze hier in -er Umgebung auf. Wir lagerten alle friedlich vor der Hütte, als Andreas geräuschlos erschien. Er machte Augen» als er mich in solch sauberer Gesellschaft fand. Den Kovac kannte er. Er erzählte von ihm, daß er ein Meisterschütze sei. Das von der Kugel zerfetzte Schneehuhn hatte es mir schon gesagt. Die Resianer waren abgezogen, wir drei machten es uns in der Hütte bequem. Gegen Abend zog eine Gewitterwolke aus, welche, die Berge verfinstern-, eine Zeitlang über uns stand und dann mit erschreckender Gewalt auf uns niederfuhr. Der Blitz schlug mehrere Male knapp in unserer Nähe ein. Einmal wurde Andreas zu Boden geworfen, und als ich besorgt frug, wieso er niedergefallen sei, sagte er in seiner wortkargen Weise, er wisse es nicht, „ob vor Blitz oder vor Schröck". Aber auch ich hatte den Schlag verspürt. Am nächsten Tage fanden wir sofort, was wir suchten. Eine Stelle fast in der Falllinie unter dem Kaningipfel, wo der Bergschrund voraussichtlich stets leicht zu überschreiten ist, darüber eine seichte Einbuchtung in der Nordwan-, die uns allerdings sehr steil in einer halben Stunde vom Gletscher auf die Spitze brachte^). Es scheint, daß auch Findenegg 1883 hier den Weg gesucht hat, aber einfallende Nebel haben den kühnen Alleingeher damals zurückgetrieben^"). Hier liegt also der richtige Felsenweg auf den Kanin"°). Die Herren von Adine zogen aber daraus keinerlei Folgerungen und ich halle keinen Anlaß, darauf zu dringen. 3m Herbst 1903 fand ich wieder den Weg durch die Rinne vom Bergschrund teilweise gesperrt. 3ch war mit IoLe und eröffnete noch näher der Rinne zu in An- und Abstieg zwei weitere neue Felsenwege durch die Nordwand^"), die sehr schön und kurz sind und mir auch leichter vorkamen als jener erste. Es befremdet mich, daß die Führer des Raccolanatales niemals einen von diesen benützen. Denn der Felsenweg der SocietL Alpina Friulana über die Bänder belastet sie sehr 13S) <8(firner ebendort, 1907, 293—294. 13°) Privafmitteilung Fmdeneggs an mich und ©(firner ebenborf, 1907, 293. 14°) Siehe auch ©(firner ebenborf, 294. 141) Siehe ©(firner ebenborf. Dorf befindet sich auch eine klare Skizze mif Einzeichnung meiner drei Felsenwege 1895 und 1903. stark. Da die Besucher dieses Berges vielfach die Gewohnheit haben, in großer Schar zu kommen und aus Gründen der Sparsamkeit nur einen Führer mitzunehmen, so kommt es vor, daß dieser die schmalen horizontalen Stellen im An- und Abstieg je vier oder fünf Mal begehen muß, wenn er seine nicht sehr berggeübten Herren einzeln hinüber-lotff142). Auf meinen Wegen stünde er stets senkrecht über timen und könnte mit einem Sicherungsseil viel raschere Arbeit verrichten. Schon lange hatte der Pic di Carnizza (2434 m) meine Aufmerksamkeit auf fich gezogen. Er steht als gewaltiger Eckzahn nordwestlich des Kanin, mit diesem durch einen langen, in der Milte eingescharteten Grat verbunden. Der berühmte Resianer Siega war einmal 1881 auf seinem Gipfel, von oben, vom Kanin herab- und nicht von unten aufsteigend. Er halte von BrazzL den Auftrag, auf dem Pic eine Bermessungs-fiange aufzustellen442). Ich sah dort einen neuen Weg und eröffnele tim im Juli 1899. Mil 3ože zog ich von der Kaninhütte durch die Kare des Fora« del Mus unterhalb der Kaningletscher zur Nordwestecke des Pic, erstieg diesen durch eine steile Schlucht, deren unterster Absatz uns schwer zu schaffen machte, und folgte dann in nicht schwieriger, doch in hohem Grade interessanter Kletterei dem ganzen Grat bis zum Gipfel des Kanin444). Kurz darauf hat Krammer mit Iore die Tour wiederholt. 3m Jahre vorher hatte ich auf den alten Plan einer Gratwanderung von der Großen Baba bis zum Kanin zurückgegriffen. 3m Juli 1898 war ich mit IoLe und Kverh nach Prato di Resia gekommen und übernachtete borf445). Es war Festtag und Tanz. Die ganze Nacht vernahm ich vom Tanzboden her das Schnarren und Summen der Baßgeige. Tonika-Dominante, Tonika-Dominante in raschem Viervierteltakt, endlos immer weiter, endlos durch alle Stunden der Nacht hindurch, ohne Pause, ohne Schlußpunkt. Nur daß es manchmal schien, es gehe jetzt den Berg herunter und klinge nun Dominante-Tonika, Dominante-Tonika. Es hatte etwas Beängstigendes und Berleufelles an sich, und ich zerbrach mir den Kopf, wie es denn möglich sei, so ohne jeden Lichtblick einer führenden Stimme eine ganze Nacht, auf das hoffnungslose 3nlervall von Tonika zu leerer Quinte gestellt, zu durch- lt2) Ich rüge ein solches System. Der arme Führer wird fünfmal benühl und einmal bezahll. m) Gstirner ebendort, 296. 114) In diesem Sinne ist die Notiz Albin Roessels in der ersten Auflage des «Führers", 141, richtigznstellen. Es gehl nicht gut an, in den Jütischen Alpen erste Ersteigungen hinzustellen, ohne mich zu befragen. Publiziert halte es für mich Gstirner febendort, 296). "4) Siehe über das Resialal und seine Bewohner Gstirner, Z. A. B. 1906. kanzen. Als wir um 4 Ahr morgens aufbrachen, Konnte ich es mir nicht versagen, einen Blick in das Tanzlokal zu werfen. Da löste sich mir das mufikalische Rälsel. über dem conlinuo von Tonika-Dominante, Dominante-Tonika, das zwei von braunen Fäusten mit bestialischem Eifer gestrichene Baßgeigen besorgten, winselte eine Geige in den höchsten Tönen» aber sie war so klanglos und schien so sterbenskrank, daß chr armes Wimmern und Jammern kaum hörbar war. Trübe Dünste und Weingerüche, blasse» übernächtige Gesichter, verglaste Augen, in der Milte des Lokales ein enggeballter, übelriechender, scheußlicher Klumpen von tanzenden Paaren, die sich schweigend, schweißtriefend, wie von bösen Geistern besessen, wüst durcheinanderschoben: es war wie ein Bild aus dem „Inferno", ein Bild von so entsetzlicher Traurigkeit und öde, daß ich erlöst und beglückt aufatmele, als ich Tonika und Dominante nicht mehr vernahm und, taleinwärts wandernd, die weißen Gipfel des Kanin in den ffiflen, reinen Morgenhimmel aufragen sah! über Stolvizza erreichten wir Corilis, wo wir rasteten und in einem Bauernhause Polenta und etwas Wein auftreiben konnten. Dann stiegen wir bei drückender Hitze langsam die grünen Hänge zum Monte Guarda (1719 m) hinaus, den die Slovene» Skutnik nennen. Es war meine Absicht gewesen, auf seiner Höhe zu biwakieren, aber der Himmel begann sich zu verfinstern und es erschien rätlich, uns einen überwölbten Platz zu sichern, der oben nicht vorhanden war. Wir suchten lange und, vom aufziehenden Wetter gedrängt, immer hastiger. Schließlich gingen wir ein Stück zurück und stiegen, ein jeder schwer mit Holz beladen, in die Schlucht zwischen Kleiner und Großer Baba ein. Dort ersahen wir in der senkrechten Wand der Kleinen Baba ein reizendes rundes Schwalbenloch, zu welchem wir in einer kurzen Kletterei aussteigen konnten. Es war für uns drei gerade geräumig genug. Wir ebneten den sandigen Boden und errichteten gegen den Abgrund zu einen kleinen Erdwall, um nachts nicht herauszufallen. Schon währen- des Aus-steigens zu unserem Felsennest hatte es in Strömen zu regnen begonnen. Währen- der Nacht zog Gewitter auf Gewitter heran, die Schlucht war oft taghell erleuchtet, und die Donner ratterten und rollten mit immer wachsendem Getöse durch die Berge. Gegen Morgen erreichten die Gewitter ihren Höhepunkt. Ich erinnere mich einer Folge von Blitzschlägen, die mit fürchterlicher Gewalt in den Plattenpanzer der Großen Baba fuhren, vor allem einer letzten großen Entladung von unerhörter Kraft. Es gab einen hellen, ehernen Klang, der noch heute durch mein Herz bebt, wenn ich jenes Biwaks gedenke. Einen Klang, den ich in diesem Leben nicht mehr hören werde, der an die Schrecken 3« Seite 143 Der Prestreljenik mit dem Gratfenster si,ui0 w,=*ricft von der kaninhütke I Zu Seite 150/151 Der Kanin vom Prestreljenik Silvio Holzner-Tricst des Jüngsten Gerichtes zu gemahnen schien. Als sei der ganze, in gleißende Platten gehüllte, von Nebeln und Wolken umbrandete Bau der Baba eine aus Erz gegossene Riesenglocke, die bergesschwer zwischen Himmel und Erde hing, und der Donnerkeil Golles hämmere aus chr in Schlägen von betäubender Schärfe und Macht den schaurigen Weckruf für alles Lebendige und Tole. Es war viel Schnee gefallen, als es ausgelobt halle. Wir mußten uns entschließen, nach žaga ins Isonzolal abzusteigen, und verblieben dort den Tag. Am Nachmittag des zweiten Tages stiegen wir wieder zum Südfuß der Baba hinauf und bezogen dort ein Biwak. Das Weller war so schön geworden, daß wir an vollkommen ungeschützter Stelle hoch über dem Tal schliefen. Der Neuschnee war schon abgeschmolzen. Die Baba verleidigle sich am nächsten Morgen schwach, ein kleiner Wandgürlel war rasch durchklellerl, wir kamen ohne Schwierigkeil auf die Spitze. Noch leichter waren der mir schon bekannte Abstieg zum jenseitigen Pafso Infrababba Grande (2025 m) und auch der folgende Aufstieg zum Kamen (2336 m)*), dem Monte Slebe der Resianer. Er fragt auf seinem langen Rücken eine Reihe von Felszähnen, die bei den Eingeborenen als unüberschreilbar gotten146). Wir liehen uns zwischen zwei Klippen fast senkrecht hinab und kamen bald wieder auf gut gangbares Terrain. Dann gingen wir die Senke des Laska-Planja-Passes aus und erreichten ohne Hindernis die Spitze der Laska Planja (2449 m). Die Sonne brannte heiß, der Weg wurde lang, wir sehnten uns nach Waffer. Aber dazu halle es noch gute Weile. Es folgte der breile Sattel zum čemi Dogel (2386 m), dann ein langer Quergang auf breiteren und schmaleren Bändern zu diesem und schließlich zur Gratsenke zwischen čemi Vogel und Kleinem Kanin. Da fanden wir an einem Schneefleck endlich das langenlbehrle Wasser und kühlten unsere ausgedörrlen Kehlen, bevor wir den letzten, schönen und luftigen Gang über den Kleinen zum Großen Kanin anlralen. Es war uns Zeit zu einer stundenlangen, beschaulichen Rast dort oben verblieben, ehe wir zu den Herrlichkeiten Reveas abstiegen. So war mir ein aller Wunsch nach vielen Jahren endlich doch verwirklicht worden. Eingestreut in die größeren Anlernehmungen habe ich manche Tour von geringerer Bedeutung in der Kaningruppe ausgeführl, kürzerer Sonntagsspaziergänge aber ungezählte gemacht. So erstieg ich einmal im Frühsommer den Raibler Seekopf, die Ierebca1") der Flitscher, *) Da werde ich wohl der erste Tourist gewesen sein. Auf der Baba, denke ich» war der eine oder der andere vor mir. 146) Siehe GfSrner, 1907, 298. “7) Jerebica heißt das Sleinhuhn, der Berg hieße also »Hühnerspiel". und erfreute mich an dem schönen, ruhigen Blick auf den Raibler See und an dem zwar nach allen Seilen beschränkten, doch um so geschlossener und großartiger wirkenden Bergpanorama. Denn man ist da in relativ geringen Entfernungen rings von gleich hohen oder auch stark überragenden Wänden umgeben, die einen zerstreuenden Ausblick in weite Fernen verwehren. Die Berge wirken ja am schönsten und gewaltigsten, wenn man sie von einem Standpunkt sieht, der ihre halbe Höhe nicht zu stark überschreitet, oder wenn Duft und Zauber der Fernen sie ins überirdische heben. Ein anderes Mal ging ich nach einer schön gelungenen Ialouc-überschreitung von Breth durch Morencagraben und Korita, bewunderte die riesigen Nordabstürze des Rombon und landete des sonnen-fchimmernden Nachmittags beglückt in Signora Catinas mütterlichen Armen. Dann biwakierte ich einmal mit Albert und Andreas in der Nähe der Italienischen Kanzel und erstieg den Confin. Zu diesem kam ich später mit Freunden nochmals und zog dann längs der Südhänge des Randwalles bis zum Prevalasallel (2063 m), zur Kaninhütte (2008 m) und zum Bela Pec (2143 m). Wir kamen damals ganz nahe unter der Loupa vorbei, und ich wäre gar so gerne rasch hinaufgestiegen, hätten uns nicht übernommene Führerpflichten dringend zum Rendezvousplah der Kaninhütte gerufen. Dort harrte unser ein gar lieber, alter Triester Bergfreund, Andrea Pigalti, dessen sehnliche Wünsche schon seil Jahren um den Bela Pec kreisten. Er hatte dessen Ersteigung wiederholt mit friaulischen Führern versucht, sich aber immer eingebildet, über gewisse schmalere Stellen nicht hinwegkommen zu können. Es gelang unserer kleinen Schar, ihn gegen den Abend jenes wundervoll reinen Tages bis auf die Spitze „hinaufzuschmeicheln". And da stand er nun im roten Abendsonnenschein, probierte das Echo und durchschwelgte eine selige, nur ab und zu durch schwarze Gedanken über den bevorstehenden Abstieg getrübte Gipfelstunde. Aber auch dieser verlief glatt, und als er, von der festen Mauer seiner Freunde sorglich geleitet, den sicheren Boden der Kaninhütte unter den Füßen verspürte und sich hier so recht klar bewußt wurde, daß er den Bela Pec, den Bela Pec erstiegen habe, geriet er in Delirien des Entzückens, konnte nicht ruhen noch schlafen, förderte aus den unerschöpflichen Tiefen seiner Rucksäcke alle Regenbogenfarben an Likören, rote, gelbe, blaue, grüne, pries laut sein Glück, kochte und schmorte, lief hinaus, um die Stille der Bergnacht zu genießen oder um neue Echos zu entdecken, weckte des Nachts der Reihe nach die schlafenden Führer und Freunde, zog sie an den Tisch und bewirtete sie, ob sie wollten oder nicht, mit Weinen, Tee, Kaffee, Schokolade, mit Geflügel und leckeren Pastetchen, blieb am nächsten Morgen, da wir alle gemeinsam Nevea zu abstiegen, jeden Augenblick stehen, um den Berg seiner Träume mit lauten Anreden zu grüßen, dankte uns immer wieder, und als Signora Catina ihm freundlich lächelnd und glückwünschend entgegenkam, da umarmte und küßte er sie zweimal, zweimal vor unseren erstaunten und neidvollen Augen. Gerührt blickten wir auf so viel echte und reine Herzensfreude, und hätten wir es nicht schon lange gewußt, so wäre es uns hier offenbar geworden, daß der Zauber der Höhen doch kein leerer Mahn ist! Auch den Monte Sart (2324 m) habe ich einmal von der westlichen Sella Grubia aus erstiegen. Ich verfolgte den ganzen, gut gangbaren Grat bis zur westlichsten, -er höchsten Spitze. Zu dieser westlichen Sella Grubia bin ich später noch einmal mit Krammer aus dem Racco-lanatal aufgestiegen. Wir wollten damals eine Pfingsttour auf den Kanin machen, kamen über Chiusaforte und verließen das Raccolanatal beim malerischen Ponte delle Lastre, von wo der Steig erst mit Holzbrücken und Leitern längs des Torrente horizontal dahinführt, dann außerordentlich steil die Nordlehnen emporklettert. Wir kamen an Almhütten, Stavoli Sgranchi genannt, vorbei, erreichten den Monte Peloso (1338 m) und bald darauf den militärischen Ricovero Regina Margherita auf Sella Buja, wo wir übernachten konnten, da uns die Schlüssel in Udine zur Berfügung gestellt worden waren. Schon hier lag Neuschnee. Die Unterkunft war sehr feucht. Als wir gar zur Sella Grubia gekommen waren, sahen wir den Kanin so tief verschneit, daß wir sofort die Unmöglichkeit einsahen, chn anzugreifen. So lagerten wir lange auf dem Sattel und stiegen dann gemächlich über die Südhänge ins Resiatal ab. Ich hatte den Kanin schon wiederholt in fast winterlichen Berhält-niffen erstiegen, zu Ostern, zu Pfingsten, im Spätherbst. Eine wirkliche Minterersteigung ließ sich wieder Krammer von mir versprechen. Er war überglücklich, als ich sie chm zugesagt hatte, und ganz erfüllt von diesem Plan. Aber bevor es zur Ausführung kam, im Herbst 1901, warf ihn ein schwerer Typhus aufs Krankenlager. In Fieberdelirien sprach er wiederholt die Befürchtung aus, man werde chm den Kanin „wegnehmen". Man glaubte chn noch retten zu können, aber der Fall wurde bald hoffnungslos. Wie damals am Triglav, so versagte auch diesmal und endgültig sein Herz. So jung ist Krammer gestorben! Er war ein lieber, heller Geselle. Zu weich allerdings, um aus Eigenem etwas Großes leisten zu können. Aber er meinte es wahrhaft und ernst mit den Bergen. Oft saß er nach der Tagesarbeit bis spät in die Nacht bei mir, und fast jedesmal erzählte oder diktierte ich ihm etwas, das er dann für die „Alpi Giulie“148) verwerkeke. Dazu schrieb er auch Eigenes, so seinen schönen Aufsatz über unseren winterlichen Ialouc. Damit hak er sich in der Literatur einen Kleinen Namen gemacht. Professor Gstirner» der ihn sehr lieb hatte, zitiert ihn oft. Er fühlte sich in meinem Hause so wohl — wie freue ich mich heute noch dessen —, daß er fast immer da war und alle meine Gäste mit mir empfing. So hat er mich auch während der ersten Stunden vertreten, als Professor Gstirner mir vor Veröffentlichung seiner großen Arbeit die Freude machte, mich in Triest zu besuchen. Er sagte sein „Benarrivato!“149) so herzlich, daß jeder sich freuen muhte, angekommen zu sein, und gewann sich aller Herzen. Man soll ja einmal wieder Zusammenkommen, heißt es so schön, und man glaubt es so gerne. An der Schwelle jenes besseren Landes wird er dereinst gewiß unter den Vordersten stehen und mich erwarten. Zugendfrisch, mit offenem Blick und weit entgegengestreckter Hand. Denke ich in weicheren Augenblicken daran, so höre ich still lächelnden Herzens schon jetzt sein helles: „Benarrivato!“ Die Winkerersteigung des Kanin war beschlossen. Bolaffio und ich führten sie durch. Es kam erst nach Weihnachten dazu. Am Abend des 11. Januar 1902 reisten wir von Triest ab, nahmen Oihinger in Tarvis auf, und kamen mit dem Schlitten kurz vor 2 Uhr morgens in Raibl an. Wir brauchten einen Träger und Holken, da natürlich alles schlief, kurz entschlossen den Raibler Bergarbeiter und Führer Filafer, trotz lebhaften Protestes seiner Frau, aus dem Bette. Bis Nevea führte zum Glück eine ausgetretene schmale Spur, wir wären sonst durch die enormen weichen Schneemassen nicht rechtzeitig hindurchgekommen. Schon dieser nächtliche Marsch bei Laternenschein durch die tief verschneiten Wälder des Seebachtales wird mir unvergeßlich bleiben. Wie wir so mühsam vorwärtsdrangen, schienen aus dem hohen, weißen Mall des Waldes vor uns phantastische Riesengestalten, mit schweren Schneemänteln und abenteuerlichen Kapuzen angetan, uns entgegenzuschreiten. Erst ganz knapp vor uns traten sie plötzlich zur Seite und rechten sich zu schnee- und eisstarrenden Spalieren, als gäben sie unserer kleinen Schar den Weg frei. Zeder Baum war eine Erscheinung. 3n märchenhafter Winterpracht flimmerte und glitzerte er auf, wenn er in den schwankenden Lichtkreis unserer Laternen trat, und verschwand dann sofort in der gespenstischen weißen Mauer, die dicht hinter uns her unserem Zuge zu folgen schien. Unsere Stimmen us) Das Organ der „Societä Alpina delle Giulie“ in Triest, deren Vorstandsmitglied er lange war. 14e) „Willkommen!" klangen gedämpft im vielen Schnee. Manchmal blieben wir rastend stehen und lauschlen. Da war die unendliche Stille, die über allem lag, nicht die weiche, träumerische Stille der in lautloser Ruhe schlafenden Wälder, es war eine Stille, die wie ein ungeheurer leerer Raum wirkte, als horchten wir in nächtliche Abgründe ohne Boden und ohne Grenzen, und nichts dringe aus chren Tiefen zu uns herauf als ein eisigkaller Hauch, der uns wie mit stählernen Klammern faßte. 3m ersten Morgengrauen kamen wir nach Revea. Dort hielten wir» da der Ricovero unzugänglich war, in einer offenen Almhütte kurze Rast bis 7 Uhr, und wateten dann durch knietiefen Schnee in drei Stunden fast erschöpfender Arbeit zum Ricovero-Kanin hinauf. Bon hier an wurde es besser. Wir suchten uns die steilsten Stellen aus und jubelten auf, als wir in einer hartgefegten Lawinenrinne, die zum Foran del Mus hinabschoß, die Steigeisen anlegen konnten. Sehr mühsam war noch die lange Überschreitung des Kaningletschers, dafür kam vom Fuße der großen Schneerinne an nur eitel Freude: steiler, harter Firn und der über und über vereiste, wunderherrlich mit Mächten gekrönte große Grat. Kurz nach 1 Uhr nachmittags war der Gipfel erreicht. Mir hatten einen begnadeten Tag. Die Sonne strahlte, es war warm, kein Lüftchen regte sich, von den Mächten tropfte das Master. Die Luft war so rein, daß wir vermeinten, wir müßten ein Bogerl sehen können, so es sich auf einen Gipfelzacken des Monte Cristallo niedergelassen hätte. Weit hinaus lag in unendlicher Ruhe das Meer. Zum Horizont hin verschwamm sein lichtes Blau in silbernem Glanz. Bon Saletto und Patok klangen leise die Glocken. Fromm und still sahen wir oben und gedachten unseres toten jungen Freundes. Es war noch hell, als wir nach Revea kamen. Um 10 Uhr abends waren wir in Raibl und saßen am Morgen des nächsten Tages wieder ruhig bei unserer Berufsarbeit. Wir hatten die Ersteigung von Raibl und zurück trotz schlechtesten Schnees in zwanzig Stunden, die ganze Unternehmung in einem Tage und zwei Nächten durchgeführl^")» es war in den Bergen des Kanin wohl nicht unsere größte, sicherlich aber unsere glänzendste Tour. Bald darauf versuchten sie, von unserem Erfolg gelockt, einige Herren von Mine von Revea aus. Aber der weiche Schnee schlug sie zurück, obwohl vielleicht noch Reste unserer liefen Spuren sichtbar gewesen sind. Und so habe ich wohl alles erzählt, was ich im Reiche des Kanin Erzählenswertes erlebt zu haben glaube. Nach einer Sage, die im 16°) Von Triest und zurück. Resiatal umgef)f151), sind die zur ewigen Pein Verdammten auf den öden Hochkarst des Kanin verbannt. Von seiner brennenden Sonne gedörrt» von seinen Winkerstürmen gepeitscht, mästen sie die nackten Wälle abtragen, die das großartige Amphitheater umgeben. Mer bei Nacht durch jene gottverlassenen Schnee- und Felsenwüsten kommt, der hört im Pfeifen und Heulen des Windes die Seufzer und Klagen der Unseligen, er hört das Rasseln chrer Kellen und das heisere Kreischen der Dämonen. Von der Höhe des Prestreljenikloches aber ertönt höllisches Gelächter. Dort sitzt der Teufel und schaut durch das gewaltige Fenster auf die entsetzliche Pein. So erzählt die Sage vom Kanin. Wir aber, die wir soeben von seinen Höhen kommen, nicht wahr, wir wissen es besser. Vielleicht haben wir oben zwischen den Randwällen einen großen Friedhof der Natur gesehen und sind auf den Giebeln einer ungeheuren Kirchhofmauer gestanden. Aber des allgütigen Gottes unendlicher Friede liegt auch darüber. Auch hier haben wir sein Walken erkannt. Wir haben im Rollen des Donners ehrfürchtig seiner Stimme gelauscht und über Gipfel und Molken in die Herrlichkeit seines Himmels geschaut. Das Reich des Kanin hat für uns keine Schrecken. Dankbaren Herzens wollen wir zurückdenken an die geheimnisvolle Kraft seiner Gipfel, an die bald hell prangende, bald düster erglühende Farbenpracht seiner Hänge und an ein süßes kleines Bergparadies zu seinen Füßen, das, längst schon versunken, aus der Ferne vergangener Tage ein himmlisches Lächeln herübersendet. Montasch (2752 m), Zöf del Montasio «yff der Triglav der höchste und sagenreichste Berg in den Jütischen Alpen, der Suhi Plaz der wildeste, der Ialouc der kühnste, der Manhart der malerischeste, der Razor der vornehmste, der Wischberg der strahlendste, der Kanin der farbigste und fremdartigste, so ist der Montasch der größte und gewaltigste. Von wo man ihn auch anschauen mag, man wird keine Stelle finden, die es mit irgend einer Gruppierung vermöchte, chn ins Mittelmäßige oder Unscheinbare zurückzudrängen oder in Gestalt und kraftvoller Wirkung herabzudrücken, wie dies bei anderen Bergen oft der Fall ist. Er liebt es und vermag es, die Berge seiner Umgebung zur Seile zu schieben und sich vom Fuß der Täler bis zu seinem Scheitel in imponierenden relativen Höhen von 1700 bis 2200 Metern zu zeigen. Sein riesiger Gral schwebt immer m) Siehe Marinelli in „Guida del Friuli“ II, 110—111. in sieghafter Höhe. Und wo er erscheint» da blickt man in keine Karte: er ist es» kein Zweifel ist möglich» es ist der Monlasch^3)! Seine mildeste Seite wendet er dem Kanin zu. Denn dort legt sich um seine gesamte Südslanke zwischen dem eindrucksvollen oberen Waldrand des Sockels und dem festungsartigen Gipfelaufbau der breite Gürtel der Montaschalmen» die doch einen Schimmer von Freude in das ernste Montaschbild bringen, wenn sie auch infolge ihrer Wasser-armut zu den eigentümlichsten und trübsten Almen gehören, die ich kenne. Wahre Almfreude kann ja nicht erblühen, wo die springenden Wasser fehlen, wo kilometerlange Holzrinnenleilungen nötig finb153), um die armen Tränken zu füllen. Und trohdem, wie liebe ich diese Almen! Wie liebe ich ihr tapferes, schwer ringendes, durch Kampf und Not gedämpftes, herbes Iuliergrün. Es lächelt ja, aber es ist nicht das Lächeln in sich begründeten Glückes, es ist das doppelt rührende Lächeln eines von Kümmernis und Sorge gezeichneten Antlitzes. Die Sorge gehl um das Wasser. Es kommen Zahre der Dürre, bange Zeilen in Hochsommern, wo die Almen vergeblich darnach rufen. Dann muß das Almvieh vorzeitig herunlergetrieben werden, und oben ist trostlose Leere und Verlassenheit. Erinnerst du dich noch jenes traurigen kleinen, leeren Troges unter der von heißer Herbstsonne ausgedörrten Traufwand, den wir einmal gesehen haben? Und kannst du dir wohl vorstellen, wie es erst auf vier ganzen, weitausgedehnlen Almen^Z aussehen mag, die für siebenhundert bis achthundert Kühe zu sorgen haben und die nun in seine verzweifelte Lage geraten sind? Denke an dieses Bild, wenn dir etwas fehlt, was du vielleicht entbehren kannst, und du trotzdem wähnst, von den Göttern verlassen zu sein, ob deine Lage die schlimmere ist! Prägen wir uns das Bild dieser Almen wohl ein. Ost werden wir da rasten. Auf den weilen Weideplänen verstreut die vier Gruppen 1W) über den Monlasch, seine Scharten und seine Grate habe ich verhältnismäßig am meisten publiziert. Wie überall» so werde ich auch hier Wiederholungen vermeiden und schon einmal GesagleS nur soweit bringen, als es die Klarheit der Erzählung erfordert. Einiges allerdings habe ich noch nie erzählt. Die wunderbar fleißige Arbeit Gstirners hal so viel über ihn gebracht, daß es eigentlich unnötig ist, ihn nochmals, unmöglich, ihn besser zu beschreiben. Nur sagen will ich also, was der Monlasch mir war und ist. 1M) Das Schmelzwasser wird im Lawinenkegel unter der Forca de lis Sieris ausgefangen und in offenen Holzrinnen zu den Tränken (Pozze) geleilet. Daher auch der Name: Rinnenscharle. 1M) Me Montaschalmen find: Pecol mit 225, Parle di Mezzo mit 270, Sarke mit 176 und Barboz mit 55 Kühen. Cregnedul di Sopra und di Sotto zähle ich hier nicht mit. der niedrigen friaulischen Almenhäuser und Ställe, ein dunkler, fest-geschlossener Waldrand am unteren Hang, wo der Sockel sich steil zum Raccolanatal zu senken beginnt, gegenüber jenseits der Talspalte in ernster Größe der langgestreckte Zug des Kanin mit seinen Firnen und Gletschern, talauswärts im Südwesten die schöne blaue Pyramide des Monte Amariana. Dann blicken wir hinauf zum Montaschgrat. 3n warmen Felstönen ragt er über den hoch hinaufreichenden Weidehängen unserer Almen in die Lüfte. Er zeichnet eine lange zackige Linie in den blauen Himmel. Rechts fällt eine Gratscharle auf, zu der über einem großen Schuttdreieck ganz steile Aasenflecke, die berühmten „Verdi", hinaufgreifen. Es ist die Forca dei Verdi, der rechts daneben ausragende Gipfel der Vert Montasch. Von rechts» aus dem großen Palonekar, streichen horizontale Bänder herüber. Sie vereinigen sich unter dem Bert Montasch zu einem weithin sichtbaren großen, dem „Oberen", Band, das in zwei Dritteln der Wandhöhe des Montasch bis zum Südwestprofil des Berges zieht. Senkrecht unter dem Montasch-gipfet ein hoher, begrünter Sattel, der in jedem Bergsteigerherzen sofort die Frage erstehen läßt: „Was ist jenseits?" Es ist die Forca dei Disleis, an der fast die gesamte vierzigjährige Geschichte des Berges vorübergezogen ist. Denn im Auf- oder im Abstieg hat fast jeder dort gerastet, über ihr in den Klippen des Südwestgrates ein eigentümlich geformter Turm. Vom Oberen Band blickt man auf seinen Scheitel. Bon der Forca dei Difieis vermittelt eine leicht gangbare Rinne, dann ein gut ausgeprägtes „Anteres" Band die Erreichung seines Fußes. Eindrucksvoll hat sich der gähnende Schlund der Clapadorieschlucht geöffnet, wenn man darüber hmschreitet. Oben wie unten haben sich an dieser Südwestkante die beiden Bänder zu herrlichen, aussichtsreichen Kanzeln erweitert. Das sind die charakteristischen Merkmale der Montaschsüdwand. Run wollen wir den Montasch anschauen, wie ihn die Tausende und Abertausende von Benedigfahrern auf einen kurzen Augenblick sehen, wenn sich ihnen bald hinter Pontebba das Dognatal zur Linken öffnet. Der Zug braust nach der Station Dogna aus dem Tunnel auf die berühmte hohe Eisenbahnbrücke. Die nördliche Talkulifle tritt plötzlich zurück und man übersieht mit einem Schlage die gesamten 2200 Meter der Montaschwestseite. Es ist seine Schmalseite, aber wie viel blendende Schönheit ist in dieser Schmalseite gehäuft. Die fabelhaft kühne, hirsch-geweihförmige^) Gestalt des Matterhorns von der italienischen Seite steht in dolomitischer Struktur vor uns. Wenn bei schönem Wetter 166) Daher die romanischen Namen Monk Cervin» Monte Cervino. Zu Seile 159 Die Alpe Pecol am Südfuß des Monkasch Silvio Holzner-Triest der ganze riesenhafte, von einem schimmernden Doppelgipfel gekrönte Berg in ockergelben und rötlichen Farben stolz und frei zwischen weißen Wolken emporragt, so hat man das erstaunlichste und entzückendste Bild der Zulischen Alpen gesehen. Alles stürzt zu den Coupefenstern. Was ist das? Aber schon fliegt die südliche Talwand vor, der Zug donnert durch Tunnels und Galerien, der Riese von Dogna ist und bleibt verschwunden. Wir aber, die wir jubelnd aufgesprungen sind, wir haben alles gesehen. Hoch über dem in prachtvollen Wänden aufgetürmten Sockel den Gipfelgrat des 3°f156), ihm zur Linken in unnahbar scheinender Wildheit den Rordlurm, zu uns her den kurzabbrechenden Westgrat, der den Gipfelbau in zwei Hälften scheidet. Drüben am Rande der jenseitigen Hälfte den charakteristischen Felsturm im Südwestgrat. Schon sind auch deutlich die beiden Bänder an der Kante erschienen. Das Obere sucht mühsam in etwas tiefer ansehenden, ganz schmalen Gesimsen seine diesseitige Fortsetzung durch einen glänzenden Plattenschuß und verliert sich dann in der halben Höhe zweier großer, steil zum Gipfelgral aufstrebender Rinnen, die sich beide oben in Form eines Bpsilons gabeln. Das Untere hat freien Weg um die Basis des Turmes gefunden. Es zieht, in zwei schmale Bändchen aufgelöst» schwindelnd hoch über ungeheuren Abgründen zum Fuße der Rinnen herüber. Von hier bis zum Westgrat liegt es als breite Terrafle» drückt sich dann an mehreren Stellen ganz schmal und luftig um dessen Abbruchskanle, entwickelt sich diesseits wieder zu geräumigen Schutt- und Rasenbändern, die sogar karförmig werden, und führt schließlich in schönen Rasenbänken zur Rordwestschuller des Berges empor. Wir haben in diesen wenigen Augenblicken die Stellen gesehen, wo sich am Fuße des West-grates die fiillverborgene „Grotta", im linksseitigen Kar das schauerliche „Kellerloch" öffnen, und eine Stelle im Sockel ist uns ausgefallen, wo zwei große Wände, eine graue und eine rote, sich in scharfem Winkel schneiden. Da führt über den unergründlichen Abgrundtiefen der Clapadorieklamm der Dognaweg zum Belvedere empor. Mit leuchtenden Augen haben wir uns wieder in unseren Coupesih zurückgelehnt. Durch unser Herz ziehen stolze Erinnerungen! Bon Norden gesehen, aus der Seissera, erhebt sich der Monlasch in fürchterlichen Wänden. Es ist ein Bild von ergreifender Gewalt, das man sehen muß und mit einer Schilderung nicht darstellen kann. Wie oft bin ich auf der schönen Waldwiese vor der Seisserahütte rastend 16e) 36f (die Friauler sprechen 3o»f aus) ist „bk höchste Spitze". 3öf bi Montas (bieses „s" sprechen bk Friauler ähnlich unserem „sch" aus) friaulisch, 3öf bei Mon-tasio italienisch = „bet Gipfel bes Gebirges". Siehe Gslirner 1905, 362. 11 Kugy, Aus dem Leben eines Bergsteigers 161 und träumend gelegen und habe zu ihm emporgeblickk, wie man von den Rasenhängen um Breuil zum italienischen Matterhorn schaut. Und welch ein Schauspiel, wenn der Südwest mit schwarzen Segeln über seine Grate herüberfegte und den gewaltigen Berg in einen finsteren Wolkenthron verwandelte! Am schönsten habe ich chn gesehen, wenn ich in der Seissera schlief und des Morgens zu seinen Füßen erwachte. Da lag über diesen Wänden, in denen die Morgenlichter spielten, eine traumhafte Größe und Herrlichkeit. Der Nordturm schließt sich hier knapp an den Zäf, so daß man die rote Scharte dazwischen nur ahnt und nicht so schön sieht wie von Dogna aus. Man sieht überhaupt keine ausgeprägten Gipfelformen, man sieht eine Wunderwelt von Wänden, darüber in einer Höhe, daß man den Kopf in den Nacken zurücklegen muß, einen ungefügen Elefantenrücken. Trotzdem wirkt das Bild nicht allzu schwer. Es ist für Gliederung und Leben gesorgt. Zur Rechten senkt sich jenseits der Nordwestschulter ein vieltürmiger Grat herab. Er gleicht dem Kamm eines riesigen Drachen und gibt dem Montasch gegen die Dolomiten und die Tauern hin die phantastische Drachen-gestalt, die schon vielfach hervorgehoben worden ist. Ich habe ihn darum den „Drachengrat" getauft. Zum Bert Montasch (2654 m) links zieht aus den Tiefen der Špranje ein ungeheurer Strebepfeiler empor, den ich Brdograt nannte. Auch der Name seines östlichen Eckzahnes gegen die Špranje hin: „Enzian-turm" (1931 m) stammt von mir. Die Scharte zwischen dem Bert und dem Modeon del Montasch soll „Brdoscharte" heißen. Die Scharte zwischen Drachengrat und Karnizenturm „Montaschscharte". Ein dritter Grat senkt sich in der Mitte der Montaschnordwand herab. Er tritt in der oberen Wandhälfte nur wenig hervor und hat da das Ansehen einer Bastion. Der untere Teil springt dagegen scharf heraus und endet mit einem senkrechten Turm, der die Kare zu Füßen in eine westliche und eine östliche Gruppe scheidet. Diesen habe ich den „Mittelgrat" geheißen. Es ist mir eine Genugtuung, daß alle diese Namen volkstümlich geworden finb157). Auch unser Band ist an der Schulter erschienen. Es steigt in einigen steilen, begrünten Stufen herab, dann 167) Wenn man In den Bergen benennen muß, so Halle man sich an das Nächstliegende und denke Immer daran, wie die Bolksseele den Namen geprägt hätte, wäre die betreffende Örtlichkeit in ihr Bewußtsein getreten. Eigennamen von Bergsteigern vermeide man. Soll ich wirklich sagen, was ich denke, wenn ein mehr oder minder errötender Junge mit einem Mädchennamen, vielleicht einmal auch mit einem von zarter Hand gestickten Fähnlein, herausznrücken wünscht, das den Zustand seines Herzens in überflüssiger Meise blohstellt, ohne dem Berge eine paffende Freude zu machen? nimmt es energische Richtung nach Osten, führt durch ein breites Schnee-Kar, unter Nordturm und roter Rinne hindurch, weit herein in die Nordwände, mutz aber Kurz vor dem Mittelgrat abbrechen. Eine wilde Schneeschlucht hat sich hier tief eingefressen. Steinschläge und Bergstürze rütteln und hämmern jahraus, jahrein in nie rastender Zerstörungsarbeit am Gerüste des Berges. Aber diesseits des Mittelgrates ist das Band, allerdings oft ganz schmal und vielfach verworfen, manchmal gleichsam nur andeutungsweise, wieder erschienen und hat sich mühsam so weit durchgearbeitet, bis die senkrechte Mauer des Bert Montasch ein gebieterisches Halt rief. Ich weiß, was das Band gerne gewollt hätte. Es wäre gerne bis zum Brdograt vorgedrungen. Aber jene harte Mauer hat es glatt abgewiesen, sie hatte keinen Sinn für poetische Bänderregungen. So sehen wir auch am Montasch ein großartiges Bandsystem. Es ist für die Ersteigungsgeschichte sehr bedeutungsvoll gewesen und heißt „das Große Band", „Ia Grande Cengia“. Mir haben es bei unserer Umkreisung des Montasch vom Beginn des „Unteren" Bandes an der Südseite durch die ganze Wefiwand bis herüber in die Nordwand verfolgt und werden uns rastend» schauend, biwakierend, suchend oft auf ihm treffen. Mit den Wegen meines Lebens ist dieser Hochweg am Montasch tiefinnig verknüpft. Werde ich noch einmal dort oben wandeln? Eine Ostflanke hat der Montasch nicht. Nach dieser Richtung entsendet er eine der staunenerregendsten Mauern der Zulischen Alpen, die bis zur Bärenlahnscharte reicht und in der Karte unter dem Namen der „Hude Balice", der „Balihenspihen", zusammengefaht ift168). Diese Mauer trägt schön entwickelte, scharf voneinander abgegrenzte Gipfel, von denen jedoch keiner einen volkstümlichen deutschen oder slovenischen Namen trägt. Die Friauler haben sie alle genau und sehr zutreffend bezeichnet, weil sie von den Almplaleaux aus die verhältnismäßig sanfteren Hänge, die leichteren Anstiege, auch dort chre ergiebigsten Gemsjagdgründe haben. 3n die Tiefen der Špranje senkt sich die Mauer 16S) Ich zähle hier alle Namen der Kette vom Karnizenlurm an auf, um die noch nicht allgemein bekannte richtige Nomenklatur vollkommen klarznfiellen: Karnizen-turm (2033 m), Monlaschscharle, Blockscharle, Drachengral, Nordwestschulter, Nord-turm des Montasch (2673 m), Note Scharte, 3öf des Montasch (2752 m), Forca de! Verdi, Vert Montasch (2654 m), Brdoscharle, Modeün des Montasch (2464 m), Forca del Palone (2267 m), Cima della Terra Rossa (2419 m), Huda-Palica-Scharte, Cime Gambon (2483—2401 m), Forca de lis Sieris, Foronon (2523 m), Sella Buinz, Modeön del Buinz (2537 m), Forca del Val, Cime delle Portale (Schartenspihen, 2426 m), Spitze Plagnis (2404 m), Monte Cregnedul (2308 m), Scala (Forca bei Scalini, deutsch: „die Staffeln"). in großartiger Steilheit, und obwohl ihre von hohen, wilden Felskulissen flankierten Rinnen, ihre schmalen Gemsbänder, chre lotrecht ragenden Wände oft und oft und nach vielen Richtungen von mir durchstiegen worden find, wird sie noch lange eine Fundstätte erlesenster neuer Touren bleiben, wenn einmal die bergsteigende Jugend sich entschließen wird, sie anzugreifen. Es ist so eigentümlich» daß sich bisher noch niemand entschlossen hat» mir hierher zu folgen. Pesamosca, Oihinger und ich sind so die eigentlichen Herren dieser Felsenwelt geblieben. Aber alles konnten wir nicht machen. Manchmal führten uns die Überlieferungen nach dem sagenhaften alten Pesamosca. Da lag ein seltsam abenteuerlicher Geist über unseren Unternehmungen, der mir heute noch aus jenen großen Erinnerungen mit ganz eigenem, rauhem Zauber entgegen-weht. Es ist mir dann, als habe ich selbst an längst vergangenen, sagenverklungenen, märchenhaften Dingen keilgenommen, die zum Teil von verwegenster Kühnheit waren. Was aber diese Mauer besonders kennzeichnet, das sind chre wilden, entzückend schönen Scharten. Es find die südöstlichen und südlichen Spranjescharlen. Da ist die Huda-Palica-Scharte, zu deren hohem Scheitel aus der oberen Špranje die größte Schneerinne der Jütischen Alpen turmflankiert und unter schwerer Steingefahr emporführt. Die berückende Forca de lis Sieris, die mit chren reizenden kleinen Bändchen, ihren smaragdgrünen Gamsangerln und mit ihrer knapp unterhalb der Zochhöhe im Schutt heimlich rieselnden Quelle so freundlich zur Rast ladet, daß man dort stundenlang liegen und schauen möchte. Dann die beiden großen, noch ungelösten Probleme: die Forca del Palone, das Ideal einer Scharte, tief und schmal, als sei sie mit zwei gewaltigen Schwerthieben aus dem Felsengrat zwischen Cima della Terra Rosia und Modeön del Montasio herausgeschnitten worben159), und die Forca del Bal, die nicht lockt noch ruft, sondern ihr finsteres Geheimnis hoch in den Spalten und Rissen wilder Felsenmauern verbirgt. Ich habe zn diesen zauberischen Breschen in den stolz ragenden Mauerkronen nie anders emporgeschaut als mit einer tiefen, fast unerklärbaren Sehnsucht und mit heißestem Berlangen. Auch dann noch, als ich sie mit zwei Ausnahmen159) schon längst und immer wieder überschritten 169) Tatsächlich erinnert die Forca del Palone an den berühmten Conp de Sabre im Dauphins (Pelvonrmassiv). 16°) Forca bei Palone (zwei nicht gelungene Äberschreitungsversuche), Forca del Val (ein nicht gelungener llberschreitungsversnch). Die Brdoscharte hat noch kein Mensch versucht. Rur Schafe haben sich einmal in ihrer Rinne verstiegen und Oihin-ger hat fie mit schwerer Mühe herausgehauen. f)oHc161). Der Himmel, der durch sie blickt, ist so himmlisch blau, die Sonne, die durch sie scheint, so sonnighell! Nirgends glaube ich es so gesehen zu haben. Aus den Tiefen der Špranje, aus -er niederdrückenden, beängstigenden, düsteren Wucht eines der furchtbarsten Felsenkessel der Zulischen Alpen meint man emporzuschauen wie in das beglückende, ruhig strahlende Licht der Frecheit und der Verheißung! An dieser Mauer ist mir zum ersten Mal so recht zum Bewußtsein gekommen, welchen Inhalt das Wort von den lichten Höhen der Berge in sich schließt. In den ersten 1880er Jahren, ich weiß nicht mehr genau, ob 1882 oder 1883, bin ich das erste Mal zum Montasch gekommen. Der Ricovero di Nevea bestand damals noch nicht. Niemand war da. Ich saß ganz einsam und fast gänzlich unorientiert an der Fontana. Mein Trost und meine Zuversicht war ein schönes Schinkenbein, das wohlverwahrt im Rucksack lag. Die Rast an dieser Stelle wird einem nie lang. So saß ich eine ganze Weile stillvergnügt und dachte: „es wird sich schon machen!" Da kam ein schöner, junger Bursche heran, ohne Stock, aber mit einem riesigen Regenschirm. Ich frug ihn, wie ich es anstelle, auf den Montasch zu gelangen, und er erbot sich mich zu führen. Es war Eugenio Piussi. Wir schliefen in Pecol. Als wir am nächsten regnerischen Morgen die Berdi emporstiegen, kollerte plötzlich etwas hinter mir den Steilhang hinab, und da ich mich umsah, tat es eben seinen letzten Sprung in den Abgrund. Der Rucksack war leicht geworden, es war eine bittere Prüfung, mein schönes Schinkenbein ist es gewesen. So war uns nur der Regenschirm verblieben, und den spannte Eugenio auf, als es bald darauf zu regnen begann. Wie sah es grotesk aus, als das riesige Regendach In eleganten Sprüngen durch den strömenden Regen vor mir über den wilden Grat Als ich später im Absteigen sehr hungrig wurde, empfahl mir Eugenio die Fruchtböden des am Fuße der Wände in Mengen wachsenden Cirsium spinosissimnm. Aber ein Versuch, nach seinem Rat zu tun, scheiterte an den unglaublich vielen Stacheln, die so ein Cirsium hat. Bald kam ich wieder und dann immer wieder. Der Montasch hatte mich langsam und leise in seinen Bann gezogen. Immer aufmerksamer begann ich von der Forca dei Berdi in die fürchterlichen Abgründe der iei) Aber drese südöstlichen und südlichen Spransescharlen siehe Lileraiur: „Alles «lrd Neues vom Wischberg und vom Monlasch: I. Die südlichen Spransescharlen." ö. A. Z. 1911, 1. iss) Der Steig über den Ostgral» dre „strada nuova“ oder „strada di Brazzä“, war damals eben ferliggestellt worden. Es war ja nicht schwierig. „Forza e coragglo“ stand in roter Farbe an einem Grallurm jenseits der „Brücke". Seifferaseile zu schauen. Findenegg'66) und @ff inter164) erzählen die Vorgeschichte der Ersteigung von dieser Seile. Findenegg Kam 1877 erst nach Wolfsbach. Er wandte sich an Kandutsch. Der weigerte sich aber mitzugehen: der Monlasch, den er Huda Palica nannte, sei unersteiglich, und wie er den Namen Huda ‘Polico166) aussprach, habe er sich über den ganzen Körper geschüttelt. Darauf ging Findenegg nach Nevea, griff mit Antonio Brussofier (Brusioserro) an und siegle an der Westwand. Später war der Wunsch, einen direkten, einen kärntnerischen Weg aus der Seisiera auf den Bergriesen zu haben, immer lebhafter geworden, die Herren von Villach begannen sich mehr und mehr für die Sache zu interessieren. Schließlich hat die Sektion Villach 1887 einen Preis ausgefeht166), um die Wolfsbacher zu Versuchen anzueifern. „Wer wagt es, Riltersmann oder Knapp'?" So stand es, als Andreas und ich im August 1887 zum ersten Mal in die Arena der Seisiera traten161). Auch wir Hallen uns an Kandutsch gewendet, um doch einige Anhaltspunkte zu gewinnen. Er sagte uns, was er wußte, und auf meine Einladung ging er als Träger mit. Gerne denke ich an den braven Mann zurück, der nicht zum Herrn und Führer, wohl aber zum treuesten Diener geboren, so ruhig und still neben mir dahinschrilt, ein leises, halb verwundertes, halb ungläubiges Lächeln um seine Lippen. Wir wollten hoch oben im letzten Krummholz des Brdograles biwakieren. Kandutsch wußte dort eine Quelle. Nebel war eingefallen, als wir noch durch die unteren Regionen aufstiegen, und eine erstaunte Stimme frug plötzlich: „Wo geht's denn hin?" Wie ein Geist war über uns eine graue Gestalt erschienen, die riesengroß in den Nebeln stand. „Auf den Monlasch", sagte ich keck. „O chr armen Hascher," tönte es zurück, „geht's lieber nach Wolfsbach und trinkt's an Liter Wein!" Es war ein Wolfsbacher, der seine Schafe suchte. „Mein Bruder", sagte Kandutsch entschuldigend, und Andreas zog aus einigen seiner Andeutungen den Schluß, daß der Bruder etwas „vermischt"166) sei. Das Biwak war ungemein stimmungsvoll, am nächsten Tage kamen wir höher als alle vorher. Aber das ungläubige Lächeln des Kandutsch 1M) Likeralur: »Aus den Raibler Alpen." Z. A. V. 1879, 364. 1M) Likeralur: »Die Iulischen Alpen." Z. A. B. 1907, 262. “=) »schlechte Stelle." 1M) Gfiirner, Zeitschrift 1907, 276. “7) Literatur: ö.A.Z. 1893,1 und 13: »Der Iüf del Montafio (Bramkofel, 2755 m). Die Geschichte seiner Ersteigungen und seine erste Ersteigung aus der Seissera." 16S) »nicht ganz richtig." war nicht gebannt, wir hatten uns geschlagen geben muffen169). Immer häufiger begannen meine stillen Lagerfeuer über dem Talgrund der Seiffera aufzuleuchten. Andreas und ich hatten uns sestgebisfen. Einmal verwirrte uns Ignazio Piufsi mit der Mitteilung, er wisse ein Band, das von der Höhe des Brdogrates in die Nordwand ziehe, dort werde es gehen. Ich gab ihm Rendezvous beim großen Block in der Špranje. Ignazio kletterte wie eine Gemse. Als wir aber zur Stelle kamen, wo das Band beginnen sollte, standen wir vor glatter Wand und an schauerlichen Abgründen. Da war niemals ein Band gewesen! Es folgte nach Berabschiedung des Piufsi, der über die Bärenlahnscharle nach Hause ging» eine merkwürdige Nacht in der Iägerhütte der Špranje, während welcher Andreas sehr erregt war und mich dringend bat, mit dem Pickel in der Hand zu schlafen. Denn er habe Geklapper von Bergstöcken vernommen, man werde kommen und uns überfallen. Er blieb wach und um Mitternacht weckte er mich, „sie seien da". Auf mein lautes „Wer da?" regte sich lange nichts, dann antwortete endlich eine erschreckte Stimme, es seien zwei verirrte Touristen, welche die Bärenlahnscharte nicht gefunden hätten. Sie standen im Krummholz gedeckt, wir sahen sie nicht. Nach wiederholter, immer energischerer Aufforderung tauchten sie schließlich zögernd und ganz verstört aus dem Dunkel der Nacht hervor. In unseren weißen Sweatern, im Schein unseres Feuers seien chnen unsere Gestalten so schrecklich erschienen, -aß sie nicht gewußt hätten, ob wir Räuber seien oder Gespenster. Wir rückten zusammen, Andreas wandte sich endlich beruhigt dem Teekesiel zu, und am nächsten Tage variierte er in allen Tonarten das in Todesangst erzitternde „verirrte Touristen" unserer Schützlinge. Erst nach fünf Jahren, am 13. November 1892 gelang uns der große Wurf"9). Wir hatten den „Spranjeweg" gefunden, den Montasch aus der Seiffera erstiegen. Das Lächeln des Kandutsch war ein Lächeln ausrichtiger Bewunderung für Andreas geworden. Aber als die erste Siegesfreude verrauscht war und ich mir das Resultat prüfend besah, war ich nicht zufrieden. Der Weg führt aus die Spitze des Bert Monlasch. Bon da ab muß der italienische Gratweg Brazzas benützt werden. Es war kein durchaus kärntnerischer, kein direkter Weg. Da erzählte mir Giuseppe Piufsi, er wiffe eine Stelle unterhalb der Nordwefischulter, wo sich vor vielen Jahren italienische Gemsjäger an 1M) Literatur ebendort: ö. 9L Z. 1893, 1 und 13. Dort find auch meine folgende« Versuche von dieser Seile beschrieben. 17°) Literatur ebendort: £>. A. Z. 1893, 1 und 13. Seilen in das Westkar unter den Monlaschnordwänden Hinabgelaffen hätten, um einige erlegte Gemsen heraufzuholen, die dort hinabgefallen waren. Er sei auch bobeigeroefen171). Ich ging sofort der Sache nach und da Piussi verhindert war, so zeigte mir in seinem Aufträge Osvaldo Pesamosca die Stelle. Ich umkreiste — im Juli 1896 — mit Andreas und Kverh unter der Leitung Osvaldos von Nevea aus die ganze Westwand und stieg von -er Nordwefischulter steil hinunter bis zu den fast senkrechten letzten Absätzen, über deren schwersten un-höchsten ließ uns Osvaldo am Seil hinab, dann kehrte er auf dem gleichen Wege nach Nevea zurück, während wir drei den Abstieg in die Seiffera vollendeten*73). Einen Monat später hat dann Osvaldo Professor Gstirner hier hinaufgeführt und damit den Beweis erbracht, daß die Stelle auch ohne Seichilfe von oben erkletterbar sei. Obwohl ich -er erste Bergsteiger bin, der hier durchgekommen ist, habe ich niemals Eigentumsansprüche auf diese Route gemacht. Für mich war und ist es immer die Route der kühnen italienischen Gemsjäger, „la strada dei cacciatori italiani“. Gstirner nannte sie den „Seifferaweg". Heute heißt sie der „Nordwestschulterweg". Aber ich war wieder nicht zufrieden. Der Weg führt in einer ungeheuren Schraubenlinie um Nordwest- und Westseite zum Findeneggcouloir, es ist ein riesiger Amweg von allerdings großartiger Schönheit, dessen zweite Hälfte sich vollkommen auf italienischem Boden obfpklfe173). Prüfend sah ich noch immer an der riesigen Wand empor. Erst in deren westlicher Hälfte. Es schien mir, als könne eine Kombination der unteren Kaminreihen des Schulterweges mit der links darüber zwischen Nordturm und Jos sich öffnenden Roten Rinne eine befriedigende Lösung bringen. Aber da kam ich schön an. Die Rote Rinne jagte mich mit ganzen Salven von Steinschlägen in einer Weise zurück, daß ich nie, nie wieder zu m) Siehe auch Gstirner 1907, 277. 17S) Literatur: ö. A. Z. 1897, 1, 13 und 25: „Neue Touren in den Iulischen Alpen. IV. Ein neuer Abstieg vom Iüf del Monlasio (2755 m) ln die Seiffera." Siehe auch Gstirner wie oben. 17S) Ich habe den Spranjeweg dreimal gemachl, das lehle Mal mil Bolaffio und Krammer, wobei uns Osvaldo mit einer Flasche Milch von den Monlaschalmen bis zur Spitze des Verl Monlasch entgegengekommen war. Tags vorher halte ich mil Bolafsio den letzten Versuch auf die Lagercasenke gemachl (stehe vorne). Dazwischen halten wir nur wenige Stunden geschlafen. Wir waren damals wohl auf dem Höhe-punkle unserer Leifiungskrafl. Den Nordwestschullerweg habe ich gewiß achtmal begangen, so sehr zogen mich die untere schöne Kaminklellerei und die weile Umkreisung des Berges oben an. 3m ganzen werde ich 32 bis 35 Male auf der Spitze des Monlasch gewesen sein. Zu Seite 162 Montasch als Wolkenthron (Vom Wischberg aus) Josef Klauer -j- Villach ihr zurückkam. Nicht besier erging es den Triester Führerlosen Cozzi und Cepich, die hier meinen Plänen zu folgen üerfud)fen174) und zu dem Zwecke am Fuß der Roten Rinne biwakiert halten. Abgesehen von der furchtbaren Steingefahr glaube ich heute auch nicht, daß die flammendroten Überhänge -er Roten Rinne ersieiglich wären. Hier blüht also kein Nordweg. Dann blickte ich in die Osthälfte der Nordwand. Hoch oben befindet sich da ein meist mit Schnee erfüllter, kreisrunder Kestel, und da die Mauern zu feiner Rechten zur Bebänderung neigen, so konnte ich hoffen, vom Kestel zu den Felsen der Miltelbastion gelangen zu können. Ich kletterte (1900) mit Zore und Oitzinger aus dem östlichen Kar über eine schief emporziehende Rippe an. Bevor aber der Kestel erreicht war, fanden wir unsere Lage so unsicher, daß wir einstimmig den Rückzug beschlossen. Der Einsatz war zu groß. Erst viele Zahre später glaube ich zur Linken dieser Stellen beffere Durchstiegsmöglichkeiten zur Bastion gesehen zu haben. Aber zu einem Versuch ist es hier nicht mehr gekommen. Wieder waren wir abgeschlagen worden, aber ich war damals nicht der Mann, der sich so leicht in die Rolle des Besiegten fügte. Ich wußte nun, daß der Mittelgrat die letzten Hoffnungen bot, und da ich deffen unteren Teil noch immer für zu schwierig und zu steingefährlich hielt, so wollte ich über den Schulterweg das große Band gewinnen und trachten, längs dieses, durch die Streuregion der Roten Rinne hindurch'^), einen Durchstieg zur Bastion zu erzwingen. Ich kam damals immer mit Bolaffio Mitte August aus den Wefialpen wohllrainiert zurück, und am ersten Sonntag nachher pflegten wir eine große Unternehmung in den Zulischen Alpen anzuschliehen. Diesen Sonntag des 24. August 1902 wollte ich dem neuen Plan wLunen. Wir waren am Abend vorher von Triest abgereist, hatten eine Stunde in -er Seifferahütte geruht und waren um 4 Uhr früh wieder aufgebrochen. Als ich im Karnischen Graben emporstieg, beobachtete ich nochmals genau. Und da sah ich nun klar, welchen gewaltigen Vorteil wir haben würden, gelänge es, den ganzen Umweg zu vermeiden und vom Schneedreieck am westlichen Fuß des Mittelgrales in gerader Linie emporzusteigen. Das fragliche Stück schien so kurz, der Schnee trug keinerlei Spuren von Steinschlägen. Als ich wieder zu meinen Freunden stieß, legte ich ihnen mit wenigen Worten den neuesten m) Ich habe meine Pläne niemals geheimgehallen und ließ im Gegenteil anch andere an die gleiche Arbeit. Stets zogen sie von mir wohlinformierl ans. 176) Ein ziemlich großes Stück des Bandes wird von ihren Steinbatterien bestrichen. Plan vor und fand soforlige Zustimmung. Und so packken wir in der Morgenfrische jenes unvergeßlichen Tages mit einer Kraft an, welcher der furchlbare Berg nicht mehr widerstand. Das steile Schneedreieck war hart gefroren. Es hat viele Kennzeichen eines kleinen Gletschers, und oft, namentlich im Spätsommer, habe ich es in einem Zustande gesehen, daß ich mir dachte, dies wäre ein richtiger dritter Gletscher in den Zulischen Alpen, wären chm bestere Möglichkeiten zu seiner Entwicklung geboten. Eine niedergehende Steinlawine zwang uns, rasch zur Seile zu springen und uns in den rechtsseitigen Felsen zu decken. Knapp unterhalb der Stelle, wo die große Nordrinne in den Scheitel des Dreiecks mündet, gebot ein gewaltiger Bergschrund halt, besten obere Lippe — es war eine ganze Eismauer — uns hoch überwölbte. Doch konnten wir mit einiger Vorsicht in den Schrund hinabsteigen und in die linksseitige Plattenwand übertreten. Da legten wir die Kletterschuhe an. Es war 7 Uhr morgens. Die folgenden zwanzig Meter Plaltenkletterei waren äußerst schwierig. Dann lehnen sich die Felsen des Mittelgrates etwas zurück, es zeigen sich kleine Schuttplähchen und, dem Montaschkörper zu, dünne Bändchen und Gesimse, auf denen wir dem innersten Winkel zuzustreben begannen. Wir hielten uns tunlichst immer höher und stiegen schließlich über ganz brüchiges, rotes Terrain sehr steil, aber ohne übermäßige Schwierigkeiten zu der Stelle auf, wo der schmale, schon ausgesprochene Mittelgrat aus der breiten Bastion entspringt. Der erste, der Abkürzungskeil, war damit überwunden, ich Kann es nicht Klar beurteilen, ob der ursprüngliche Plan ebenso gelungen wäre. Die Schneeschlucht, über welcher wir uns immer bewegt hakten, sah von unserem Standpunkt grauenvoll aus, das große Band schien an ihrem jenseitigen Rande abgebrochen. Alles schien da unten zerschlagen, zertrümmert, zerbröckelt, zerrieben. Was mögen im Verlaufe der Bergjahrtausende für Steinlawinen durch diesen unseligen Trichter hinabgefegt sein! Trotzdem ließe sich ein ganz bestimmtes Arteil nur nach einem entschlostenen Versuch fällen. Jedenfalls hätten wir dort ungleich mehr Zeit und Arbeit benötigt. So konnten wir nun endlich an der Bastion frei emporklimmen, die so lange das Ziel meiner Wünsche gewesen war. Wir überwanden der Reihe nach einige kleinere Stufen und einen sehr schwierigen hohen Absatz, der unsere volle Kraft in Anspruch nahm. Es war eine jener Klettereien, bei denen man nichts leicht nennen kann, weil die großartige Exposition jedem einzelnen ein sehr hohes Maß von Verantwortlichkeit zuweist. Dann nahm uns eine seichte, steile Rinne auf, die «ns in einer Schleife nach rechts, dann stärker »ach links auf schmale Bänder «nd auf eine Kleine Schutkerraffe brachte, über welcher sich die Wand so hoch und steil aufrichtet, daß wir uns sofort bemüht wurden, an einer sehr ernsten und vielleicht entscheidenden Stelle angelangt zu sein. 3n diesem Augenblick zitterten verlorene leise Glockentöne zu uns herüber. Der Luschariberg läutete zu Mittag. Wir hatten im heißen Ringen alle Zeit vergessen. War das ein Bild, als unsere Leute die Hüte abnahmen und einige Augenblicke gegen Luschari geneigt fromm und still verharrten! Gottes Friede schwebte in ergreifender Feierlichkeit durch die Wände, und alles lauschte in Andacht und Demut! Wir standen an der berüchtigten Stelle, die später „Pasto Oihinger" benannt worden ist. Zur Linken vertäust die steile Bastionkanle. 3m ersten Drittel der Wandhöhe springt ein horizontales, schmales, nach abwärts geneigtes Gesimse vor. über diesem setzt ein enger, seichter Rih ein, der ganz steil den Aufstieg zu einem breiteren oberen Gesimse im zweiten Drittel der Wandhöhe z« ermöglichen schien. Alles fast senkrecht über schrecklichen Abgründen. Es galt, das untere Gesimse zu erreichen, einige Schritte nach rechts zu queren und durch den Rih das obere Gesimse zu erklettern. Einen leichteren Weg gab es nicht, und Oitzinger nahm die Stelle in Angriff. Er tat es zu eilig und ohne den Rucksack, trotz meiner Aufforderung, abzulegen. Als er sich im Rih so hoch emporgearbeitet hatte, dah zum oberen Gesimse vielleicht noch eineinhalb Meter fehlten, rief er herab, er könne nicht weiter, der Rucksack hindere ihn. 3ch rief ihm zu, er möge abklettern. Doch hing er zu unsicher, und wieder hinderte ihn der Rucksack an der dazu notwendigen kleinen Wendung. Er fürchte zu fallen! Da rief ich rasch hinauf, er möge den Rucksack abwerfen. Auch das konnte er nicht. „Da geh' i mit!" kam es herab, und schon klang ein Ton der Verzweiflung durch. Wir sahen die furchtbare Gefahr. Da hing er zwischen Himmel und Erde und konnte nicht vor noch zurück. Das Seil, an das er gebunden war, hielt ich zwar nach Möglichkeit fixiert, aber der einzige Vorsprung, der zur Verfügung stand, war ganz klein und unsicher, Oihinger stand schon zu hoch über mir, ich hätte ihn schwerlich halten können und wäre mitgeristen worden. Eine kurze Verständigung mit Iore. Von unten war nicht zu helfen. Er muhte um jeden Preis über Oihinger gelangen. Schon sprang er behend wie eine Katze und mit einem Blick wilder Entschloffenheit an die Kante der Bastion und war hinter ihr verschwunden. Es dauerte lange, endlos lange! Würde man mich fragen, so müßte ich sagen, mindestens zwanzig Minuten, vielleicht eine halbe Stunde. Oihinger hielt sich tapfer. 3ch sprach ihm mit wenigen ruhigen Worten zu, wenn ein beklommener Ausruf der Ungeduld oder der Hoffnungslosigkeit her- unterdrang, stemmte mich so fest ich konnte, achtete auf das Seit und berechnete sorgfältig alle Möglichkeiten im Falle des Sturzes. Von Zore noch immer nichts zu sehen noch zu hören. „Ich kann nimmer", sagte dann Oihinger einige Male, und ich bemerkte mit Schrecken, daß seine Beine zu zittern begannen. Da, ein Steinchen! Zore war lautlos ober uns erschienen. Wie ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen stieg er nieder. Er hatte ein fabelhaftes Meisterstück vollführt. Nie wieder werden jene Stellen durchklettert werden. Rasch band er seinen Leibriemen an den ausgezogenen Rock und ließ ein Ende zu Oihinger hinab. Dem gelang es mit letzter Kraft» den Riemen notdürftig an das Seil zu knüpfen, Zore zog es empor und bald darauf lag Oihinger erschöpft auf dem oberen Gesimse. Beide mußten sich erst eine Weile erholen. Dann wurde das Seil herabgeworfen, ich ließ Bolaffio, darauf Rucksäcke und Pickel folgen, als letzter ging ich. Die Rinne gehört zum Schwersten, was ich je gemacht habe. Oben empfing mich Zore mit der Mitteilung, die Schwierigkeiten seien zu Ende. Es war tatsächlich so. Wir verfolgten das obere Gesimse nach rechts und standen nach wenigen Schritten in bebänderten aufgelösten Schrofen. Ein Seitenpfeiler der Bastion kommt hier senkrecht über der Hauptschlucht herauf und beginnt sich gerade an dieser Stelle etwas zurückzulehnen. Wohl blieb es noch sehr steil und es kamen noch großartige Stellen, aber wir konnten, wo es die Rücksicht auf die Steingefahr gestattete, schon gleichzeitig klettern. Immer stärker legt sich der Hang zurück: Bänder, Schuttflecke, schon ganz nahe über uns im Blau des Himmels der Ofigrat, dann ein Welllauf zur Spitze! Kurz nach 3 Ilhr nachmittags war sie erreicht. Der direkte Nordweg war gelungen, und diesmal, und endlich war ich 3ufrieben1T6)! Den Dognaweg auf den Monlasch hat Brazza nach einem fehl-geschlagenen Versuche 1881 im Zahre 1882 gefunden. Es war dies eine sehr bemerkenswerte Tat. Denn wenn auch die Schwierigkeiten 176) 3d) habe mich bei dieser Tour etwas länger aufgehallen, weil ich darüber niemals elwas publiziert habe» und man somit über die Route der Erstersteiger keine Klarheit hatte. Auch war ich IoLe und Oihinger diese Erinnerungen schuldig. Um 4 Uhr nachmittags verliehen wir dann die Spitze, rasteten von 7 bis 8 Uhr abends in Reväa und kamen noch rechtzeitig nach Raibl und Tarvis» um am Montag vormittag wieder ruhig bei unserer Berufsarbeit zu sitzen. Wir hatten die ganze Tour von Wolfsbach nach Raibl in 18 Marschfiunden, von Triest und zurück in zwei Rächten und einem Tag gemacht. Es war einer meiner stolzesten Erfolge in den Bergen. Meine ersten Nachfolger, die Triester Führerlosen Zanulli und Cepich, die meine Zeichnungen milhatten» erreichten die Spitze erst um 8 Uhr abends nnd muhten oben biwakieren. 3ch traf sie am nächsten Tage freudestrahlend in Revöa und konnte sie herzlich beglückwünschen. Gstirner hat auch deren grohartige Leistung gewiffenhafl der Dognaseike nicht an jene der Seisseraseike heranreichen, so ist der Weg doch überaus lang und sehr Komplizierk. Gstirner nennt chn den schönsten Montaschweg, und vom Standpunkt reiner Schönheit dürfte er gewiß recht haben. Die Länge des Weges und die große relative Höhe, die man da zu überwinden hat, sind der Grund gewesen, weshalb die meisten Ersteigungen von dieser Seite, so auch die erste Brazzas, schon am großen Bande endigten und aus Zeitmangel nicht bis zur Spihe durchgeführt werden konnten. Als ich 1897 das erste Mal zu dieser Flanke kam, hatte ich die genauen Angaben Gstirners mit, biwakierte mit Krammer, Andreas und Zore hoch über der Clapadorie-schlucht schon in den inneren Wänden und kam um die Mittagszeit aus den höchsten ©ipfel177). Das zweite Mal kam ich dahin, um Bolaffio den Weg zu zeigen. Da übernachteten wir in den Almhütten von Rive de Clade (Radada) und erreichten die Spitze noch vor Mittag. Das dritte Mal hatte ich den Wunsch, am Belvedere Brazzas zu biwakieren» um von dort einen ganzen Nachmittag und eine ganze Nacht die Schau zu genießen. Dies war allerdings nicht gut tunlich, weil es dort oben an Wasser mangelte, dafür fanden wir einen sehr schönen Platz knapp unterhalb der Berschneidung der grauen mit der roten Wand. Ich benützte den Nachmittag, um aufmerksam in den innersten Westwinkel des Montasch zu blicken, wo über dem Beginn der Clapadorie die letzten Geheimnisie des gewaltigen Berges liegen. Die Überschreilungsmöglichkeit der Forca frei Disteis von Norden nach Süden, die Zugänge aus dem Nio di Saline über den wilden Grat der Scortisoni in die Clapadorie, die hintersten Westwände des Mon-tasch selbst begannen mich damals immer stärker zu beschäftigen. Es ist aber leider nur bei vorbereitenden Touren verblieben. Mit Krammer hatte ich schon 1898 den Züf di Miez erfliegen178), um in diesen verborgenen Winkel hinabzuschauen, mit Osvaldo in späteren Zähren die Forca frei Disteis rekognosziert. Ein sehr ernster Überhang, der dort registriert (Zeitschrift 1907, 280). Eine sehr reizvolle Schilderung seiner Monlasch-unternchmnng von dieser gleichen Seite hat Franz Nieberl veröffentlicht: „Aus der Seiffera auf den Montasch." ö. A. Z. 1910, 49 und 61. Ich freute mich sehr, als ich fie las. Daß man mir später den Schmerz angetan hat, den Weg zu versichern, habe ich schon erzählt. Die Sektion Billach hat es troh des Protestes Einsichtiger getan. Es ist eine überaus kühne Steiganlage geworden. Dem echten Bergsteiger, der dort durchkommt, soll sie von verschwundener alter Felsenherrlichkeit erzählen! m) Literatur: „Nene Touren in den Iulischen Alpen 1897. II. Der Iüf del Mon-tasio (2755 m) von Dogna (Traversierung)." ö. A. Z. 1898, 81 und 93. Siehe auch Gstirner 1907, 273. 17S) Siehe Gstirner, Z. A. B. 1905, 369 und 1907, 282. die im Frühsommer geschlossene, ganz steile Schneerinne zu unterbrechen schien, hätte mich nicht abgehalten, aber ich fürchtete — und wohl mit Recht — die Steine. Vom Montasch seien einmal, so erzählte mir Osvaldo, sein Vater und sein berühmter Onkel in der Richtung dieses Winkels über die „Hinteren Wände" abgestiegen, aber an einer sehr schlechten Stelle habe sein Vater, der ein sehr tüchtiger Kletterer, jedoch „weicher" gewesen sei, verzagend umkehren müssen, während die unheimliche Entschloffenheil des Onkels den Abstieg in die schauerliche Tiefe vollends erzwungen habe. Der ist schon lange tot und mit seinem wilden Herzen ist auch das Geheimnis dieser Wände begraben worden. Ich aber glaube, daß sich in jenem Winkel Dinge schmieden ließen, die geeignet wären, ein Bergfieigerleben mit den großartigsten Erinnerungen zu erfüllen. And wenn ich nicht gestorben bin, so will ich doch einmal an jene weltenferne Stätte""). Dann werde ich mir eine Jugend mitnehmen, die das Herz am richtigen Fleck hat. Denn das ist eine Stätte furchtbaren Ernstes, und die Einsamkeit wird uns dort anblicken mit dem schaurigen Fabelgesicht eines grimmigen Drachen! Anser Biwak wurde damals mitten in der Nacht gestört. Ich erwachte gerade im richtigen Augenblick, als ein schweres Gewitter schon über uns stand. Wir waren ganz frei gelegen und hatten kaum die Zeit gefunden, in ein höher liegendes schützendes Gemsloch zu flüchten, als es schon mit elementarer Gewalt losbrach. Am nächsten Morgen vollendeten wir die Ersteigung im langsamsten Tempo, da uns wiederholte Regengüffe unter Felsüberhänge zwangen, kamen aber noch rechtzeitig auf die Spitze, um in mehrstündiger Gipfelrast zuzuschauen, wie die schwarzen Gewitterwolken sich langsam verzogen, währen- aus den Tiefen aller Täler ungeheure Wolken weißen Rauches emporstiegen, daß nur ab und zu, bald da, bald dort auf kurze Augenblicke ein rein- m) Mir ist das allerdings nicht mehr vergönnt gewesen. Aber am 2. August 1923 haben zwei Bergsteiger meiner jungen Schar, Albert Hesse und Carl Niese, die erste Überschreitung der Forca bei Disteis aus der Clapadorieschlucht zu den Monlaschalmen glücklich vollsührt. Anregung und Pläne kamen von mir, den schönen Sieg haben fie sich nach einer Rekognoszierungsfahrt und einem rechtzeitig abgebrochenen mißglückten Versuch führerlos hart erkämpft. Den Verlauf der Tour sollen sie selbst er-zählen. Me Orientierung sei sehr kompliziert gewesen, die letzte Traverse auf schmalem Bande hoch über den Tiefen der Clapadorie und der wasserüberronnene, sehr brüchige mittlere Teil der Schlußrinne haben sehr ernste Schwierigkeiten entgegen-gestellt. Mit der sichtlichen Steingefahr sei es gnädig verlaufen. Was sie mir von der Wildheit des innersten Winkels erzählten, entsprach meinen Erwartungen, überlraf sie fast. Ohne Zweifel ist die Clapadorie die gewaltigste Schlucht der Jütischen Alpen. Meine Freude war groß, und nicht geringer meine Bewunderung für die beiden kraftvollen, glänzend geschulten Sieger. gewaschener wilder Gipfel sichtbar wurde, der wie losgelöst über der dampfenden Erde die funkelnde Sonne suchte. Als Andreas und ich zum ersten Mal in die Seissera kamen und die Wände überschauten, vermuteten wir sofort, daß sich hinter dem Drachengrat Bänder befinden müßten. Dies haben wir dann auch mit einer kurzen Aekognoszierungstour festgestellt. Sie hatten in jenen ersten Jahren für uns kein Interesse, weil sie nicht in die Seissera-, sondern in die Dognawände führen. Später begriff ich aber, daß diese Bänder vielleicht die Möglichkeit bieten könnten, auch den schönen Dognaweg an die Seisterahütte als Ausgangspunkt zu knüpfen, und dies erschien mir so wichtig, daß ich mich mit der Sache zu beschäftigen begann. Um einen Überblick zu gewinnen, erstiegen wir zunächst 1903 den Karnizenturm, und dies war eine unbestrittene erste Ersteigung^"). Dann erschien es uns — nach dem Grundsatz: nur schön der Reihe nach — richtig, die Montaschscharte zwischen dem Karnizenturm und dem Drachengrat zu überschreiten. Dies gelang nicht sofort. Die jenseitige, ganz enge Schlucht ist von großartiger Wildheit und Steilheit, eine echte Montaschschlucht! Das erste Mal war der im Couloir liegende Schneekörper zu einem ganz scharfen, riesigen Drachenrücken zugeschärft, und da dieser vorsichtigste Stufenarbeit erforderte, kamen wir so langsam hinab, daß wir der hier sehr großen Steingefahr viel zu lange ausgeseht gewesen wären. So kehrten wir um und erschienen im Spätherbst wieder. Da war der Schnee vollständig verschwunden und es lag eine merkwürdige Jakobsleiter zur Tiefe bloß. Zahlreiche Riesen-blöcke liegen in dem engen Spall verkeilt» die von den Monlasch-wänden herabgestürzt sind und nun eine ganze Anzahl von sehr hohen, manchmal senkrechten und auch überhängenden Steilstufen bilden. Einige derselben haben eine Höhe von zehn bis fünfzehn Metern, vielleicht auch mehr, so daß sich der Abstieg abenteuerlich genug gestaltete. Wiederholt seilten wir uns ab, auf die Gefahr hin, uns den Rückzug abzuschneiden, kamen aber glücklich nach Rive de Clade, von wo wir über den Somdognasaltel noch am gleichen Abend in die Seisiera zurückkehrten. Schließlich kletterten wir aus der Montaschscharte über das sehr steile Montaschprofil zu jenen in so hohem Grade interessanten Bändern hinauf. Es ist nicht schwierig, die Felsen sind schrofig aufgelöst. Die Bänder beginnen rechts unterhalb der Basis des ersten großen Drachenturmes. Sie greifen nach einer Ankerbrechung an der Kante auch nach links in die Seisseraseite über, ihr Ziel sind aber die Dogna- 18°) Literatur: „Alpi Giulie“ 1903, VIIL 99. wände. Da führen sie in geschlossener horizontaler Reihe hinein. Als ich sie zum ersten Mal sah, befürchtete ich, sie würden uns nicht durchlassen, so ungemein schmal und luftig sehen sie aus. Namentlich eine Ecke erschien mir aus der Entfernung sehr böse und sogar ziemlich aussichtslos. Wie war ich erstaunt» als ich die Bänder ganz leicht begehbar fand, die Ecke nicht ausgenommen. Eines allerdings ist notwendig: ein abgrundgewohnter Blick. Denn es öffnen sich unmittelbar zu Füßen bodenlose Tiefen geradezu entsetzlicher Schluchten. Berwundert und entzückt wunderten wir dahin. Senkrecht über uns zur Linken erscheinen» rötlich erstrahlend, in märchenhafter Größe die lotrechten Zinnen des Drachengrates. „Walhall", wird da ein jeder rufen! Alles schien gut zu gehen, zwei Schluchten waren schon ausgegangen, da rief uns eine -ritte, die letzte und größte, ein gebieterisches Halt zu. Sie geht in vollkommen glatten Mauern nieder. Sehnsüchtig und enttäuscht starrten wir zu ihrer jenseitigen Kante hinüber. Gleich hinter chr liegt schon der Einstieg zur grauen Wand, ich wußte es genau. Das wäre ein Weg gewesen! Ich war so erstaunt darüber, daß ein Zulierband etwas versprochen haben sollte, was es dann nicht gehalten hatte, daß ich noch ein drittes Mal dahin ging, um nochmals zu schauen und noch genauer zu prüfen. Aber auch diesmal konnte ich nur von der gleichen Stelle, von einer wunderschönen, mit Rasengrün und Krummholz bewachsenen Kanzel diesseits der Schlucht, in gleicher Sehnsucht und in gleicher Enttäuschung zur jenseitigen unerbittlichen Wand hinüberschauen. Da war alle Mühe vergeblich. Andreas, Zore, Oihinger, Pesamosca waren nacheinander alle der gleichen Meinung. Und doch war meine Bandtheorie richtig gewesen. Das Band wollte mich zu etwas hinführen, nur habe ich es nicht verstanden und das Richtige nicht gesehen. Wir alle haben unverwandt geradeaus nach vorne geschaut, um Anschluß an den Dognaweg zu finden, und hätten in dieser dritten Schlucht senkrecht nach aufwärts schauen müssen. Das hatte das Band gemeint: einen neuen herrlichen Weg durch die drille Schlucht auf die Große Cengia und durch das Findeneggcouloir auf den Gipfel. Einem jüngeren, ausgezeichneten Bergsteiger, Ingenieur Ferdinand Horn, ist dann dieses Geschenk durch einen merkwürdigen Zufall in den Schoß gefallen. Er wollte — allein — den Westschullerweg machen, verfehlte den Einstieg vollständig, kam viel zu weit nach rechts, kletterte durch sehr schwierige Kamine empor, traf das diesseitige Band, das ihn an die Rordwest-kanle des Drachengrales und zum jenseitigen Beginn unserer Bänder brachte. Er hat bald seinen Fehler erkannt, immer wieder mit der Beharrlichkeit des erstklassigen Mannes versucht, nach aufwärts zum Großen Band durchzubrechen, war immer wieder zurückgeschlagen Blockscharle am Montasch $r. Guido Mayer-Wien Zu Seite 164 Huda-Palica-Rinne, Forca bel Polone und TNonlosch von ber Bärenlahnscharle Franz Kriiner München worden. Er hatte nie etwas von diesen Bändern gehört, auf die ihn der Zufall gedrängt hatte, er Kannte nicht deren Geschichte noch deren Bedeutung. Mit seiner ganzen Aufmerksamkeit und Energie strebte er nur unausgesetzt nach oben. And als er in die dritte Schlucht eingetenkt war, ersah er seinen Borteil und kam hinauf 8 Z. Das war für mich eine ebenso überraschende wie lehrreiche Kunde. Gewiß, es war ein merkwürdiger Zufall. Aber sagen wir es gleichzeitig ehrlich und neidlos: es war auch eine gewaltige Tat. Es ist das Kennzeichen eines Großen, wenn er in letzter Stunde an einen schweren Mißgriff einen derartigen Erfolg zu knüpfen vermag! Wir stehen an einem der größten und schönsten Montaschwege, den wir den Horn'schen nennen wollen. In der glücklichsten Weise vereinigt er die düstere Majestät der Rordfront mit der warmen Farbenpracht der Dognawände. Der Übertritt von der einen zur anderen Seite erfolgt hoch an -er Kante des Drachengrates über einem schwarzen Überhang von wahrhaft dämonischer Wirkung. Da öffnet sich eine magische Pforte, Blockscharle genannt, die, wunderbar gefügt, eines der eindrucksvollsten Details in der Wunderwett der Montaschfelsen darstellt. über allen diesen Unternehmungen hatte ich die Monlaschwege von Süden nicht vernachlässigt. Zunächst interessierte mich natürlich die alte klassische Route des Erstersteigers Findenegg, die ich in kurzen Zeitabständen wiederholt durchstieg. So sehr zog mich ihre wunderschöne Kletterei ägermnen198), die dort warteten, hatten uns auf der Spitze bemerkt. Da fährt plötzlich ein scharfer Schlag durch die Lüfte, den wir bis ins Herz verspüren. Was ist es? And gleich darauf ein dumpfes Donnern und Rollen, das immer stärker aufschwillt, bis der ganze Berg erdröhnt. Eine Lawine! Wir sind aufgesprungen. Wo gehl sie nieder? 3tt die Seissera, über die Verdi, in die Clapadorie? Man kann es nicht erkennen. And da noch einmal und gleich darauf wieder! Die Sonne beginnt zu wirken, die Lawinen sind erwacht. Ein Schrecken fährt durch die Natur, alle Berge werden lebendig. Die Abgründe brüllen, die Lüfte sind erfüllt von Heulen und Brausen. Der Boden unter uns erbebt. Es ist 1 Ahr. Ernst blicken wir uns an: der Abstieg muß begonnen werden, wir müssen hinab in diese Gefahr. Wir entfalteten die ganze Länge unserer Seile, hunderldreihig Meter. Ich ging als erster und trat, von Oitzinger gesichert, möglichst gute Stufen. Er selbst folgte auf dreißig Meter Entfernung, das hundert Meter lange Seil war zwischen ihm und Giuseppe. So hofften wir den Schnee nicht allzusehr zu belasten und hatten den Vorteil, uns nicht gleichzeitig auf gefährdeten Stellen zu befinden. Sobald Oitzinger und ich an einem sicheren Standpunkt waren, kam Giuseppe nach. Es war so steil und der Tiefblick so großartig, daß ich aus meinen vielen Bergerinnerungen kaum einen Vergleich für diesen Abstieg habe. Alles ging gut. Wir bewegten uns sehr schnell. Am 3 Ahr überschritten wir das Band und konnten uns hier an dem Schmelzwasser erquicken, das über die Platten herabströmte. Dann lenkten wir zum Turm hinaus. In diesem Augenblick erreichte das Tosen der Lawinen seinen Höhepunkt, in der Clapadorieschlucht unter uns grollte und donnerte es fast ohne Unterlaß. Der Ausgang unserer Bänder schien uns gefährdet und wir beschlossen, an der vollständig sicheren Turmkanzel den Sonnenuntergang zu erwarten. Am 5 Ahr versank die Sonne dieses stolzen Tages mit unglaublichen Farbeneffeklen hinter den Dolomiten. Wie von der Höhe eines Kirchenchores beobachteten wir das unvergeßliche Schauspiel. Da wurde es fast mit einem Schlage still. Wir eilten über die Bänder, sprangen die Rinne hinab, und bald nach 6 Ahr standen loa) 3« diesen friaulischen Tälern finde! man keine Träger, nur Trägerinnen. Die Männer sind im Ausland auf Arbeit. Es sind stille, brave» ungemein anspruchslose Frauen, die Anglaubliches leisten können. Am Bolaffio und mich halle sich auf unseren vielen Touren nach und nach derer eine ganze Schar gesammell, aus der jedes Mal zwei oder drei unsere kleinen Lasten trugen. Wir behandelten sie sehr gut, bezahlten sie ebenso, und die armen Geschöpfe freuten sich so sehr, wenn sie milgehen dursten. Zu Seite 189 Wolkenglorie über dem Montasch (Dom Wischberg aus) Joses Slimier 7-VMnch wir in Sicherheit in der Forca bei ©iffeij»199). Die Dämmerung war da, aus unserer Almhükke noch tief unken in Pecot drang vielversprechender Feuerschein. Die Trägerinnen bereiteten dort ein Festessen vor. Was wird es sein? Trockene Polenta, meinst du wohl? Gewiß, Polenta ist auch dabei, aber trocken wird sie nicht sein, und die Hauptsache sind Gemsfleisch und ein großer Fiascon Chiantiwein. „Ja, mei Liaber!" Wir waten mühselig noch zwei Stunden, bis zu den Knien» oft bis zur Hüfte, im Schnee. Dann ist Pecol in finsterer Nacht erreicht. Als wir am nächsten Morgen die vereisten Almwege langsam hinabstiegen, zogen noch einmal alle die Erinnerungen an meinem Herzen vorüber. Die herrlichen Minterkage auf Nevea und alle meine kostbaren Winkermärchen vom Monkasch. And zur stolzen Siegesfreude gesellte sich ein leises Weh -es Abschieds. Wir kommen ja wieder, ich weiß es. Aber solches, wie wir es erlebt haben, das wiederholt sich nicht. Erfolg nach so viel Arbeit, nach so viel Niederlagen ein so strahlender Sieg! So etwas erlebt man nur einmal, und ist es vorüber, so bleibt Leere und Sehnsucht zurück. Die Sehnsucht nach jenen Zeiten ist jetzt wieder bei mir gewesen, wie ich in meiner Erzählung nochmals jene weißen Wege gewandert bin. Und noch eines tat mir so leid. Bolaffio war nicht dabei gewesen. Mein Freund, den ich so selten nenne, obwohl er so oft, seit 1899 fast immer, mit mir gewesen ist, weil seine feine, vornehme Seele nicht gerne genannt sein will und er es liebt, immer mich im Vordergrund zu sehen. Mit dem ich in den Bergen, in den Zuliern wie in den Wefialpen, so viel Freud und Leid geteilt habe, so viel Mühen und Gefahren, wie mit keinem anderen sonst. Der alles Schwere am winterlichen Montasch zäh mitgemacht und niemals den Glauben an den endlichen Sieg verloren hat. Der in so vielfacher Überlegenheit hoch über mir steht und doch so bescheiden tut, als habe er im engen Anschluß an mich etwas zu suchen oder zu lernen. Den die Vorsehung mir als besten und lautersten Freund sandte, nicht nur für die Berge, sondern für das ganze Leben. Den ich suche, wenn meine Weisheit zu Ende ist, denn da beginnt glorreich die seine. Der mich mit einem leisen Wort weckt, wenn ich zu viel träume oder idealisiere, beruhigt und zurückhält, wenn noch Reste knabenhafter Unüberlegtheit mich fortzureißen drohen. Der als liebe Vernunft^9) und als klarer Verstand fürsorglich an meiner Seite geht und die 199) Siehe Eslirner 1907, 282 und „Alpi Giulie“ 1905, 35: „3öf del Monlasio (2755 m). (Prima šalita invernale).“ so°) Dieses Buch und diese Bemerkungen schreibe ich hinter seinem Rücken. Das wird was geben! warme Liebe und Treue seines Herzens mit keinem kleinsten Wort verrät, hundertfach aber mit seinem Tun und Handeln mir bewiesen hat. Dieser Freund hätte an jenem Tage an meiner Seite sein müssen2"'). Angezählt sind die Touren, die ich im weiten Reiche des Montasch gemacht habe. Wenn ich die Spranjescharten überstieg, besuchte ich jedesmal noch einen oder mehrere Gipfel, die in der Nähe standen. Da ich mit besonderer Vorliebe über die Forca de lis Sieris gegangen bin202) — ich denke acht- oder zehnmal —> so sind auch Foronon und Modeön del Buinz die von mir am häufigsten besuchten Gipfel gewesen. Ich erstieg sie aber auch wiederholt von den Almen aus und wählte jedesmal einen anderen Abstieg. Oder ich nahm ganze Gratstücke und überschritt dann sämtliche aus ihnen ragende Spitzen. Das waren oft sehr große und kühne Sachen, die aber von den Montascherfolgen in den Schatten gestellt worden sind. Einmal (1900) überschritt ich, einer Anregung Gstirners folgend, den ganzen Grat von der Forca dei Scalini bis zur Forca de lis Sieris, und da sich in diesem Gratstück die damals noch unerstiegenen Cime delle Portale befinden, so führte ich die erste Ersteigung dieser beiden schneidigen Spitzen durch2"2). Oder ich nahm das Gratstück Forca de lis Sieris bis zur Forca del Palone, wobei ich die Cime Gambon, den Scheitel der Huda-Palica-Scharte und die Cima della Terra Rossa überschritt. Bei allen diesen Unternehmungen achtete ich sehr darauf, daß ich tunlichst wenig von der Gratkanle abwich. Dabei habe ich sehr viel gesehen und sehr viel gelernt. Auch den Modeön del Montasch erstieg ich einmal (1907) zu Ostern, jedenfalls als erster Tourist, ein anderes Mal zog ich von der Forca del Palone über prachtvolle Bänder durch seine ganze Südwestwand, bis es mir möglich wurde, über das Schuttdreieck und die Verdi auf den Bert Montasch zu gelangen. So habe ich stückweise den ganzen Hauptgrat vom Wischberg bis zum Montasch überschritten, mit Ausnahme der kurzen, aber jedenfalls sehr schwierigen Strecke vom Modeön del Montasch über die Brdoscharte auf den Bert Montasch. Die Durchführung dieser großartigen Gratwanderung in chrer Gesamtheit harrt also noch des Mannes, der Unternehmungslust und Eignung für eine derartige Riesenleistung aufbringen wird. M1) Wir hatten uns so geeinigt» daß er mit dem späteren Zuge abreisen und mir gegen Abend nach Pecol folgen werde. An seiner Statt kam spät am Abend der ihn erwartende Piussi mit der Botschaft, er sei in Chiusaforte unwohl geworden und habe sich zur raschen Heimreise entschließen mäffen. 202) Siehe Gslirner 1907, 264. 203) Siehe Gslirner 1907, 263 und „Alpi Giulie“ V, 1900, 57. Viele dieser obigen Unternehmungen findet man in Gstirners Arbeit erwähnt. Meine verwegenste Unternehmung war wohl die erste Ersteigung der Cime Gambon aus der Špranje (1902). Es war mehr als das, es war unter den damals obwaltenden gefährlichen Verhältnissen^) ein glücklich und erfolgreich verlaufenes, tollkühnes Abenteuer. Was haben wir an jenem Tage gesehen! Wir begannen ihn mit der Absicht, die Forca de lis Sieris zu überschreiten, die Bolaffio noch nicht kannte. Als wir im Hauptcouloir hoch emporgekommen waren, bemerkten wir, daß der Zugang zu chr, der über Bänder und Kanzeln nach links in den Wänden emporführt, über und über verschneit und vereist und wohl unmöglich war. Ein Rückzug schien unvermeidlich. Da kam mir die Idee, das Couloir bis zu seinem Scheitel zu verfolgen und zu schauen, was jenseits sei. Wir erreichten eine ganz schmale Scharte in einem zersägten Seitengrat, in einer -er ungeheuren Felsenkulissen des „Balihenkammes", die Strebepfeilern gleich in der Špranje fußen. Zenseits unter uns ein von Wänden halbkreisförmig abgeschlossenes, nur gegen Norden geöffnetes Kar, dessen Schneefelder steil zur Špranje hinabschoflen. Ganz nahe gegenüber in der Nordmauer der Cime Gambon ein sehr merkwürdiges, steilstes Schneecouloir, das nicht bis zum Schnee des Kars herabreichte. Denn oberhalb seiner Basis war ein riesiges, tiefes Loch aus dem Bergkörper herausgebrochen, die eigentliche Rinne hing in einer erschreckenden Exposition zwischen senkrechten Wänden hoch über seinem weit offenen, schwarzen Rachen. Wir verstanden sofort. Was da in so furchtbarer Wildheit zu uns herüberstarrte, bot eine Möglichkeit zur Ersteigung des Gambonzuges von Norden. Unwiderstehlich zog es uns hin. Erst steil hinab ins Kar, dann sehr bald nach links in die schlechten Felsen. Die Umkletterung des Loches gelang leichter und rascher, als wir es gedacht, die Rinne führte uns hoch in die oben bebänderte Wand. Da mußten wir lange nach einer geeigneten Stelle suchen, um den Hauptgrat zu erfaflen. Wir fanden endlich eine solche nach links hm, einige Versuche nach aufwärts und nach rechts zu waren mißglückt, da uns Nebel und Seiten-grate arg verwirrten. Im unteren und im mittleren Teil haben wir uns fast ununterbrochen in schwerer Lawinengefahr bewegt, überall hingen noch große Schneemassen drohend und sturzbereit. Wir sanken tief ein. Oihinger und Zore waren damals mit uns, stark und kühn. Und über uns, lieb, fürsorglich und geduldig, vier Schutzengel mit weihen Schwingen. Einer für jeden von uns. So und nicht anders sehe ich heute noch in meiner Erinnerung unsere kleine Schar gegen Sonnen- 201) Lawinengefahr int Frühsommer. Siehe Gfiirner 1907, 264 und „ln Alto“ XIII, 34. Untergang aus den dämmernden Abgründen der Špranje hervorkauchen und auf den Grälen der Cime Gambon erscheinen. Ich habe bereits erzählt, welch seltsamen Zauber für mich die Überschreitung der Spranjescharten hatte. So oft ich sie wiederholt haben mochte, überkam mich doch stets das Gefühl: „Mo bin ich denn? Hier bin ich noch nie gewesen!" So stark und so stets neu und fremdartig ist dort -er Eindruck der wilden Einsamkeit und Größe. Den aussichtsreichen Monte Cimone (2380 m) habe ich zweimal besucht und den Weg dahin beide Male über die edelweißreichen Südhänge des Monte Zabus (2244 m) genommen. Einmal stieg ich von Patoc aus mit Dovgan und Osvaldo auf den eigentümlich anmutenden, überaus steilen und schluchtenreichen, auf allen Seilen von Abgründen umgebenen Ciuc di Ballisetta (2186 m), mein Wunsch aber, mich eine Zeitlang eingehender jener westlichen Gruppe der Montaschkette, vor allem dem Ciastellat und den Nordabstiegen in das Dognatal widmen zu können, kam nicht mehr zur Ausführung. Dort liegt noch schöne und lohnende Arbeit. Auf den Monte Zabus hat mich die Suche nach Edelweiß, das auf dessen Bändern in herrlichen Exemplaren wächst, wiederholt geführt. Auch im Winker bin ich oben gewesen, und 1898 habe ich mit IoLe und Giuseppe Piussi den großartigen Übergang aus dem Tal des Rio Saline über feinen Gipfelkamm nach Revea aus-gefühE°°). Ein zweites Mal war ich zum gleichen Zwecke mit Krammer in das Tal des Rio Saline gekommen, aber wir hakten am Vormittag den Zof di Miez (1974 m) erstiegen und zur zweiten großen Anstrengung reichten die Kräfte meines jungen Freundes nicht aus. So unterblieb die Tour und wir gingen nach Dogna hinaus. Sehr oft war ich auf dem Miltagskofel (2089 m), der ein Seilenstück zum Steinernen Jäger darstellt, aber eine noch umfassendere Aussicht bietet. Der Somdognasaltel war für uns auch im Winker ein oft ausgesuchter Sonnkagsspaziergang, wobei wir die Rückfahrt fast immer über Udine nahmen. Der Wunsch, den Monkasch in seiner Schmalseite von Nordwesten zu sehen, führte mich einmal in zweitägiger Tour zur Casera Bieliga, auf den Lipnik (Monte Schenone) (1952 m) und den sehr steilen I6f di Dogna (1962 m). Den Abstieg nahm ich damals nach Mincigos und Dogna, und die Herbststimmung, die an jenem Tage über der Berglandschaft lag, wird mir unvergeßlich bleiben. Die Laubwälder prangten in hundertfältigen Farben und jede Lärche sah aus, als sei sie aus purem Golde getrieben. Das war eine Herbstpracht, als -°°) Siehe Gstirner 1907, 283 und „Alpi Glulie“ III, 65. wir nach einem langen und anstrengenden Tage im Abendsonnenschein zu Tal stiegen! So wollen wir jehl niedersteigen von den Iulischen Alpen. 3m Abendsonnenschein. Es ist ein weiter Weg gewesen, ein ganzes Menschenleben lang sind wir gewandert. Don den ersten Regungen des Bergfrühlings bis zum Winterschnee, von Aufgang bis zu Niedergang. Hier am äußersten westlichen Flügel der Iulier will ich rückschauend einen Augenblick verweilen. Ich grüße chre großen, in Wolken gehüllten Gipfel und den stillen Frieden chrer Täler. Mein Herz ist voll Dankbarkeit, aber in meinen Augen leuchtet der Stolz. Ich weiß, wer ich hier bin. Ich weih, daß ich in diesen Bergen und in diesen Tälern so bald nicht sterben werde. Da und dort wird sich mein Andenken überliefern von denen, die mich kannten, auf Kinder und Kindeskinder; und ist persönliche und überkommene Erinnerung einstens ganz verblaßt, so wird mein Name noch wie eine Sage durch diese Wände gehen. Und wird man dereinst große Bergschau halten, so will ich auf meinem Platze erscheinen und euch, ihr leuchtenden Scharen der Iulier, vorführen als euer bannertragender Sankt Michael. Dir aber, königlicher Montasch, will ich noch einmal danken, ehe ich zum Abschied dich grüße. Was du mir warst und bist, wird wohl nie jemand ganz erfassen und wissen. Du kennst mich und die zielbewußte Arbeit, die ich an dir geleistet habe. Gespielt habe ich wahrlich nicht mit dir. Du bist nicht der Berg, mit dem es sich spielen läßt. In meinen Schilderungen habe ich dir so wenig Schmuck mitgegeben. Ich habe nur schlicht von dir erzählt, ohne dir Blumen zu streuen. Aber du bedarfst dessen nicht. Du bist so groß! Hoch über allen Hymnen, die ein Irdischer dir singen kann, leuchtet die Aureole deiner Kraft und Herrlichkeit. Werde ich noch einmal auf deinem Scheitel stehen? Bin ich nicht mehr, so gewähre meinem Namen einen bescheidenen Platz an der stolzen Nordfront deiner Wände, und mein Herz, das halte hoch in deinen herrlichen Klippen! In den Dolomiten, den Clautaner- und den Karnischen Alpen Inhaltsangabe Seile Dolomiten und Clautaner Alpen................193 Die Kellerwand...............................201 Die östlichen Karnischen.....................204 Zu Seite 197 Mario Comessatti-S. A. F. Am Grat des Monte Cridola Die Monfalconi vom Cridola Mario Comessatti-S. A. F. Dolomiten und Clautaner Alpen 3$oit hat mich oft verwundert gefragt, warum ich verhältnismäßig so wenig in den Dolomiten unternommen habe, wo doch meine Schule mich dahin vorbestimmt hätte. Ich bin auf dem besten Wege dazu gewesen. In der ersten Hälfte der 1880er Jahre begannen mich die Dolomiten immer stärker in ihren Bann zu ziehen, und ich wäre dort noch zurechtgekommen, um vieles Neue zu machen und sogar ganze jungfräuliche Gebiete aufschließen zu können, wie es später andere laten, hätte mich nicht das Jahr 1886 in die Schweiz geführt. Da schien es mir sofort, daß die großartigen Kombinationen von Fels, Eis und Schnee, welche die Westalpen bieten, an den Bergsteiger ungleich größere und dankbarere Aufgaben stellen, als dies die Detailarbeit an den Türmen der Dolomiten tun kann. In viel höherem Maße als die Dolomiten verlangen jene Berge den allseitig herausgebildeten, vor allem den großzügig orientierten Mann. Aber meiner Meinung nach vermögen sie chm auch weit größere Genugtuungen zu geben. Auch die Landschaftsbilder dünklen mir dort größer und mannigfaltiger, der Zauber des lebendigen Eises, der weil überragenden absoluten Höhen kam hinzu. Aus dem Felsenkletterer muß sich erst der Bergsteiger entwickeln. Iulische Alpen und auch Dolomiten sind nur eine Borschule. So denke ich noch heute. Allerdings haben mir bekannte große und sehr maßgebende Bergsteiger andere Erfahrungen gemacht und den umgekehrten Weg eingeschlagen. Nachdem sie sich schon jahrelang in den Westalpen betätigt hatten, wirkten die gehäuften Felsenschwierigkeilen in den Turmmauern der Dolomiten großen Stiles, die phantastischen Formen und die glühenden Farben der ihnen neuen und ungewohnten Welt wie eine Offenbarung auf sie, und alles, was sie bisher gesehen und erlebt, schien ihnen in den Schatten gestellt. Die Ersteigung der Dolomitenriesen ist ihnen das denkwürdigste Ereignis und der Höhepunkt in chrer alpinen Laufbahn gewesen. Noch etwas hat bei mir, der ich das Bergsteigen immer als eine Herzenssache empfunden habe, milgespielt: meine tief wurzelnde Abneigung gegen die rein sportliche Auffassung des Bergsteigens. In Keinem Teile der Alpen hat sich diese mit ihren halb belustigenden, halb höchst ärgerlichen Auswüchsen so breit machen können, wie gerade in den Dolomiten. Die relative Kürze der Touren, die Häufung der touristenbesehten Zentren, die den Ort und das geeignete Publikum für die theatralische Pose beistellen, die Steilheit und die eigenartige Stufung der Dolomitenwand, welche die oft allein entscheidende „Seil-unterstühung" ermöglichen, die Zersplitterung der Grate in hunderterlei Zacken und Nebenspihen, begünstigen dies in besonderer Weise. Dort kann man die typischen „Klettergerüste" finden und in jedem uner-stiegenen Gratzacken eine jungfräuliche Spihe erblicken. 3n den Westalpen ist weniger Feld dafür, da ist die „Leistung" ohne die entsprechende persönliche Tüchtigkeit weit schwieriger zu erreichen, die Berge sind einheitlicher und geschlossener zur Hauptspihe aufgebaut, die Mühsal ist größer und das menschenarme Tal natürlich karger mit dem rauschenden Applaus. Es hat in den Dolomiten Zeiten gegeben, wo ich mich in ihren Zentren, deren jedes in der Hand eines einzelnen oder einer bestimmten Anzahl von berühmten sportlichen „Pächtern" lag, sicherlich nicht hätte wohlfühlen können. Die modernen, die allerschwierigsten Dolomiten kenne ich nicht. Als ich kürzlich Guido Reys prachtvolles Buch „Alpinismo Acrobatico“1) gelesen hatte, trug ich längere Zeit eine Art Vorwurf in mir herum, daß ich mich niemals an ihnen versucht habe, so wenig wie ich dies an den furchtbaren Klippen der beiden Dru, des Grepon und der Denk du Aequin getan hakte. Die Zulischen Alpen, denen ich fast gänzlich hingegeben war, und die mich keinen Tag bedauern ließen, den ich ihnen widmete, und die großen Eisriesen der Westalpen mögen da meine Berteidigung übernehmen. Allerdings legte sich mir beim Lesen jenes Buches gleichzeitig noch ein anderer, viel ernster wiegender Borwurf auf die Seele: daß ich es wage, ein armes, bescheidenes Buch wie das vorliegende erscheinen zu lassen, wo derartige farbenfunkelnde Meisterwerke aus edelstem Gusse dem alpinen Leserkreise zur Verfügung stehen! An einem schönen Augusttage des Jahres 1879 wunderte ich in fröhlicher Gesellschaft von Toblach Schluderbach zu. Otto schritt mir zur Rechten, Emil zur Linken, Carl Zsigmondy, der Jüngste, der die Erlaubnis erhalten hatte, «ns durch die Täler begleiten zu dürfen, marschierte begeistert an unserer Spihe. Wir bestiegen damals in drei aufeinanderfolgenden Tagen mit Arcangelo Dimai den Monte Cristallo (3199 m), mit dem berühmten Michel Innerkofler die Höchste Zinne (3003 m) und den Piz Popena (3143 m). Es war ausgemacht worden. x) Torino, 6. Lattes u. C. 1914. daß von einer Benützung des Seiles abgesehen werde. Dies fiel mir sicherlich so wenig schwer wie meinen Genossen, aber es entsprach nicht meinen Ansichten. Ich gehöre seit jeher zur Schule, die das Seil als Sicherungsmikkel überall angewendek wissen will, wo eine Gleichgewichtsstörung verderbenbringen- ist. Bom Einstieg in die Felsen der Großen Zinne blickten wir zur Klippe der Kleinen empor. Michel sagte uns, sie sei nicht ersteiglich. Emil widersprach und erhielt von Michel die historisch gewordene Antwort). Keinem von uns dreien fiel es ein, einen Versuch vorzuschlagen, obwohl wir uns unserer vereinten Kraft voll bewußt waren. So nebensächlich erschien uns die Klippe. Damals interessierte man sich für den Berg, für die höchste Spitze. Den aufregenden Zwischenfall in der Schneerinne des Piz Popena hat Emil in seinen „Gefahren der Alpen" freimütig selbst erzählt. Als ich wiederkam, galt es der himmelstürmenden Pyramide des Antelao (3263 m) und dem Sorapis (3229 m). Ich erstieg die beiden Berge von San Bilo aus mit Giuseppe Pordon, einem baumlangen, seelensguten Burschen, der in den Felsen sehr geschickt war, ohne sonst die Gaben eines erstrangigen Mannes zu besitzen. Ich habe noch niemals Hände so hoch greifen und Beine so weit spreizen gesehen. Schön an chm war seine Begeisterung für die Berge, deren Schönheit er in den Gipfelstunden nie müde wurde, in einfachen, aber aus dem Herzen kommenden Worten zu preisen. Er tat alles, um mich auch noch für die Torre del Sabbione und den Corns del Doge zu erwärmen, an deren Fuße wir hindurchgingen, zeigte mir auch vom Gipfel des Sorapis die Croda da Lago, die damals noch unerstiegen war, und schlug mir leuchtenden Auges vor, sie mit ihm zu versuchen, er stehe für den Erfolg ein. Aber lewer reichte meine Zeit zu diesen Ankernehmungen nicht mehr aus, so sehr sie mich gelockt hätten. Das dritte Mal kam ich in die Dolomiten nach der Lektüre des Buches Paul Grohmanns. Da stand der Zwölferkofel (3091 m) von der Giralbaseite auf meinem Programm. Ich biwakierte mit Pacifico Orsolina, den ich für diese Tour geeigneter hielt, hoch in der Bal Giralba und glaube, daß uns die großartige Erstlingstour damals geglückt wäre, hätte uns nicht dichter Nebel alle Orientierungsmöglichkeit benommen, als wir uns schon hoch in den Ostwänden des wilden Berges befanden. Jedenfalls hatten wir nach einigen Quergängen durch düstere Schnee-schluchten den richtigen Weg zur höchsten Spitze eingeschlagen, wie wir am Tage darauf von dieser aus feststellen konnten. Gegen Abend -) „3a, wannst Flügel hält st!" 13* 195 mußten wir uns geschlagen geben3), verbrachten eine zweite Nacht an unserem Biwakplatz, umgingen am folgenden Tage über den Col Giralba die Ost- und Nordmauern des noch immer von Nebeln umbrandeten, dämonisch ragenden Berges, und erstiegen ihn auf dem damals einzig bekannten gefürchteten Wege durch die große Rinne der Südwestseite. Da deren oberer Teil mit glasigem, grünem Eise ausgekleidet war, glaube ich annehmen zu können, daß keine andere Partie sich je so lange in ihrem unheimlichen Schlunde aufgehalten hat wie die unsere. Zu unserem Glück blieben wir von ernsteren Steinschlägen verschont. Immerhin habe ich von diesen zwei Tagen am Zwölfer die gewaltigsten Eindrücke mitgenommen, die noch lange in mir lebendig blieben4). Dann wandte ich mich der Marmarole (Froppa, 2933 m) zu, deren höchste Spitze ob ihrer äußersten Schwierigkeit sehr verrufen roar5). Pordon hatte mir gesagt, sie sei „un sacramento!“ Pacificos Bruder Luigi hatte dort in früheren Zähren ein Seil hängen lassen, das aber gewöhnlich vom Winde verweht und unbenützbar war. Da schlug mir Pacifico vor, einen neuen Weg von der Bal de Rin aus zu versuchen, den er für möglich halte, falls eine Stelle unmittelbar oberhalb der letzten Gratscharte gegen die Val d'Oten zu uns durchlassen werde. Ich war einverstanden und der Versuch gelang6). Als ich vom glücklich erreichten Gipfel über den berüchtigten Plattenschuß jenseits hinabsah, bemerkte ich unterhalb desselben Fußspuren im Schnee. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß da wenige Tage vor uns eine aufsteigende Gesellschaft gescheitert sein müsse. Ich ahnte damals nicht und erfuhr es erst einige Zeit später, daß es die sieggewohnte Trias meiner Freunde Zsigmondy und Purtscheller gewesen war, welche sich am „Sacramento" hatte beugen müssen. Das Seil, das an unrichtiger Stelle hinabhing, lösten wir vom Felsen und nahmen es mit. Es war allersgebleicht und schien stark verwettert, trotzdem widerstand es noch allen unseren Versuchen, es zu zerreißen. Dieses dritte Mal war ich in bequem eingekeilten Fußmärschen durch das oberste Tagliamenkolal in die Dolomiten gekommen. Don Tolmezzo 3) Literatur: „Zwölferkofel (3085 m). Versuch eines Felsenweges vom Giralbasoch; Ersteigung durch die Eisrinne." M. A. V. 1886, 104. 4) Literatur: Ebendort. 6) Die Froppa galt damals und bis zum Erscheinen der neuen Italienischen Generalstabskarte als die höchste Erhebung der Marmarolegrnppe. Erst die zur Herstellung dieser Karte gemachten Vermesiungen haben den westlicher stehenden Pale di Meduce den Vorrang gesichert. °) Literatur: „Froppa di Marmarole direkt vom Val de Rin (neuer Weg)." M. A. V. 1884, 340. über Ampezzo della Carnia zu den malerischen Dorfgruppen von Forni di Sokko und Forni di Sopra und über den Passo della Mauria nach Lorenzago und Auronzo. Als ich von der Höhe des Passes gegen das Piavekal hmabschrikk, öffneke sich zu meiner Linken ein kurzes Querlal von erstaunlicher Großartigkeit, dessen Hintergrund eine prachtvolle Dolomitgestalt erfüllte, llberrascht von seiner glänzenden Felsenschönheit frug ich mich vergebens, wie der zinnengekrönte Berg wohl heißen möge. „31 Cridola", belehrte mich endlich ein auf einer Bergwiese arbeitender Mann. Und wo -er Weg hinaufführe? „Sulla Croda del Cridola no se ghe vien“7), lautete seine Antwort. Da stand ich betroffen: ein unerstiegener Dolomit blickte auf mich herab! Zwei Tage nach der Marmarole war die stolze Spitze mein8). 3cf) stand beglückt als erster auf dem höchsten Gipfel (2581 m) der nördlichen Clautaner Alpen und blickte gegen Süden auf eine berauschend wilde Welt von wundervollen Burgen, Türmen und Säulen, von denen viele meinen Berg, wenn nicht an Höhe, so doch mit chren unglaublich verwegenen Formen an packender Wirkung überlrasen. Da ragten sie, die farbig lohenden „Schwerlerklingen" und „Bajonettenbündel", wie Murray") die Dolomilenformen so treffend kennzeichnet. Ein phantastisches Reich, das vom Zauberring des Unbekannten und Geheimnisvollen umschlossen, hinter verriegelten Pforten, in jungfräulicher Reinheit seines Erschließers noch harrte: die Clautaner Alpen. 3ch hätte damals dieser Erschließe werden können. Es hätte mich nur einen Entschluß gekostet. Weniger in den Zulischen und weniger in Eis und Schnee. Aber ich fühlte mich von diesen Zielen mehr angezogen. Zwar kam ich noch einmal dahin zurück, um von der Croda di Montane! (2441 m) und vom Monte Agude (2295 m) neue Ausblicke auf meinen Berg zu gewinnen, und die glatten, gelben Turmmauern der noch unerstiegenen Erode del Toro gegenüber sah ich noch manchmal in meinen ehrgeizigen Träumen lockend ragen7"). Dann aber versank für mich jenes Reich hinter sich häufenden Plänen und Erfolgen im Westen und im Osten, und erst nach vielen Zähren wurde ich wieder daran erinnert, als die Erschließungsarbeil und die Reihen von Erfilingssiegen einer jüngeren ’) Das heißt: „Auf den Felsengipfel des Cridola Kommt niemand hinauf!" 8) Literatur: „Monte Cridola (2583 m ?). Erste Ersteigung." M. A. B. 1884, 376. 9) Murray, Süd-Deutschland, Seile 329, 344. Die Dolomilberge. 10) So hatte mein Begleiter bis zur Tacca del Cridola, Saverio Fabro, den von schlanken Zinnen gekrönten Mauerbau benannt. 3n Wahrheit war es die in fabelhafter Mildheit südlich des Cridola anfragende Monfalconegruppe (Cima Monfalcone 2453 m, Cima di Forni 2475 m, Monfalcone di Forni 2504 m). Generation in den Clautaner Mpen dnrch die Publikationen der alpinen Vereine ihre Runde zu machen begannen"). Meine vierte Dolomitenfahrt (1885) begann mit einem Abenteuer. Ich war von der Paralba (2693 m) in den Harnischen Alpen durch die Val Visdende abgestiegen und zog, mit der österreichischen Generalstabskarte in der Hand, aber ohne Paß in der Tasche, in San Stefano del Comelico ein. Mir begegnende Karabinier! faßten den Verdacht, ich sei ein österreichischer Spion und verhafteten mich. Das war für eine Dolomitenfahrt ein überraschender Anfang. „Povero giovane“12), sagten die Marktweiber ringsum, als ich über den Hauptplah zur Kaserne abgeführt wurde. Dort faß ich einen ganzen langen Tag, wurde aber gegen Abend, nachdem einige Telegramme das Mißverständnis aufgeklärt hatten, unter höflichen Entschuldigungen entlassen. Ich eilte, was ich konnte, um dem ungastlichen Orte zu entrinnen, und frug in San Vito nach meinem Pordon. Der sei inzwischen im Kerker gewesen, wegen Mordversuches, man rate dringend von diesem wilden Gesellen ab, so hieß es im Albergo all'Antelao. Ich hatte eben den Beweis erhalten, daß man auch unschuldig ins Gefängnis kommen könne, und stellte mit einigen Fragen den Sachverhalt fest. Es war die nicht ganz neue Geschichte, daß eine Dorfschöne ihn zuerst mit freundlichem Schein herangezogen, dann aber hohnlachend abgewiesen hatte, als er mit einem ehrlich gemeinten Heiratsantrage herausgerückt war. „Brutto mostro“13), habe sie ihm gesagt. Er aber hat darauf sein Messer gezogen, nicht um sie zu töten, sondern um chr damit, wie er sagte, ein kleines „Zeichen der Erinnerung" zu übermitteln. Durch Dazwischenkommende wurde dies verhindert, seine brave Aufführung im Kerker hat ihn dann nach einem oder zwei Jahren in die Freiheit zurückgeführt. Ich verstand den Sturm, der in seinem armen, leidenschaftlichen Herzen getobt haben mochte, fand an der Sache nichts Entehrendes, und ließ ihn holen. Da ihm aber der Albergo all' Antelao verschlossen war, so erwartete ich ihn an der Landstraße. Rach einer halben Stunde bemerkte ich auf chr eine Staubwolke, die immer stärker anwuchs und sich mit großer Raschheit näherte. Als sie ganz nahe war, sprang Pordon ganz heiß und atemlos vom Laufe aus ihr heraus, und hätte ich es nicht verhindert, so wäre er vor mir in die Knie gesunken. Er war außer sich vor Freude und Dankbarkeit, daß ich ihm mein Vertrauen nicht entziehen wolle. Es ist seine Rehabilitierung gewesen. n) Siehe vor allem H. Steiniher: „Me Karnischen Boralpen." Z. A. B. 1900, 362, 1901, 392, 1902, 320. 12) „Armer Junge!" 13) »Häßliches Scheusal." Anser Plan war bald besprochen: zverst auf den Pelmo (3169 m), dann über die Forcella Forada nach Pecol und zur Civetta (3220 m), und über Alleghe und den Fedajapaß auf die Marmolala (3344 m). Wir stiegen eben zum Fuß des Pelmo an, als mir ein nachgeschickler Boke ein Telegramm übermikkelte. Es enthielt die Nachricht vom Tode Emils an der Meije. Ich wußte damals nicht einmal, wo die Meije und wo St. Christophe seien, und die Nachricht traf mich sehr schwer. In der Kleinen Alphükle, die uns in dieser Nacht beherbergte, saßen wir beide in trüben Gedanken am Feuer. Ich gedachte des toten Freundes und suchte das ferne Grab so vieler glänzender Hoffnungen, er brütete über seine verlorene Liebe. Aber ein heller Morgen weckte uns beide und führte uns aus den Schatten der Trauer in sein glorreiches und mild versöhnendes Licht. Das strahlende Wetter der folgenden Tage begünstigte die Durchführung unseres Programmes, und als wir uns am Fedajapaß trennten, hakten wir viele Pläne für die Palagruppe und die Grödener Dolomiten vereinbart. Es Kam nicht mehr dazu und Pordon habe ich nicht wiedergesehen. Aber noch viele Jahre später Kamen ab und zu junge Bergsteiger zu mir und richteten mir den erhaltenen Auftrag aus, Giuseppe Pordon denke in Treuen an mich und er lasse mir nochmals danken und mich von Herzen grüßen"). Schon vom Cristallo aus hatten die Zsigmondy und ich am südöstlichen Horizont den Monte Duranno (2668 m) gesucht, der nach einigem, das wir über chn gehört hatten, auf uns eine besondere Anziehungskraft ausübte. Er ragt weit von jedem Dolomitenzentrum in den südlichen Clautanern und beansprucht eine ganze lange, ihm gewidmete Reise. Es liegt um ihn und um die plattengepanzerte Cima dei Preti (2703 m)15) in seiner Nähe etwas Sagenhaftes, und es war mir immer, als habe ich die Namen dieser Berge irgend einmal in alten, halb vergessenen Träumen gehört. Auch der Name eines Bergsteigers, den frühe Zeiten an diese Berge knüpfen, mutete mich so an: Utterson-Äelfo16). Seltsam bekannt und doch auch so sagenhaft! Mährend einer länger andauernden Krankheit, die ich in einem der 1890er Jahre durchzumachen hatte, stand sein hoher, gespaltener Gipfel so oft vor mir, daß ich mich bald nach meiner Genesung entschloß, ihn endlich zu besuchen. “) Sein Name findet sich wiederholt in der „Erschließung der Ostalpen" in Ehren genannt. “) Cima bei Preti und Monte Duranno sind die höchsten Erhebungen der Clautaner Alpen. ie) Allerson-Kelso und Santo Siorpaes sind die ersten Ersteiger des Monte Duranno. Am 22. Juli 1874. Ich nahm Andreas Komac mit mir und fuhr über Conegliano und Vittorio, am Lago Morto und dem schönen Lago di Sanka Croce vorbei das reichgesegnete Piavetal hinauf bis nach Longarone. Bon dort führte uns ein Saumweg steil nach Erko, dem Ausgangspunkt für unsere Tour. Der Wirt, bei dem wir dort unser Nachtlager suchten, sagte uns, der Monte Duranno sei sehr schwierig, und er rate uns dringend, den dortigen, in hohem Ansehen stehenden Lokalführer mitzunehmen, denn allein würden wir es nicht machen können. Ich lehnte dankend ab, da ich an Andreas einen Begleiter ohnegleichen habe. Er aber schüttelte mißbilligend immer wieder den Kops und ließ von seinen Borstellungen nicht ab. Die Gähchen in Erto sind steil und mit runden Steinen gepflastert, schlüpfrig wie Eis. Als uns der Wirt ins Nebenhaus geleitete, wo wir schlafen sollten, glitten Andreas und ich mit unseren Genagelten^) gleichzeitig aus und schlugen ordentlich hin. Da geriet unser Wirt in eine wahre Verzweiflung. Schon auf der Gasse seien wir hingefallen, wie werde es erst morgen am Duranno sein! Er selbst wolle den Führer bezahlen, aber er müsse nach seinem Gewissen darauf bestehen, daß er milgehe. Um den guten Mann zu beruhigen, sagte ich endlich zu, und wir zogen zu drill aus. Wir fanden einen prachtvollen Berg von mäßiger Dolomitenschwierigkeit. Am Fuße des eigentlichen Gipfelaufbaues nahm uns ein schönes Band auf, das uns weit in die Südwestmauern geleitete. In der großen, hier sich öffnenden Schlucht, in welcher sich der entscheidende Teil des Anstiegs vollzieht, ließen Andreas und ich den vorsichtig zögernden Lokalführer weit zurück. Dessen Namen habe ich vergessen, wenn er nicht Sartör hieß. Wir beide haben die Spitze in einem begeisterten Sturmlauf genommen. Da der Duranno weit im Süden steht, so ist seine Aussicht von einer ganz eigenartigen, farbigwilden Schönheit, für die ich schwer Bergleiche heranziehen könnte. Jener Tag hat den innigen Wunsch in mir zurückgelassen, noch einmal dahin zurückkommen zu können. Meine Sehnsucht, das Sagenhafte und Traumversonnene zu ergründen, das mir jene ernsten Berge zu umgeben, still in ihren weltenfernen Hochtälern zu weben scheint, ist noch nicht gestillt. Ich möchte hin wie zu jemand, der mir noch vieles zu sagen hat. Weißt du, wie das ist? In die Dolomitenlandschaft bin ich als Bergsteiger nicht wieder gekommen. Der Duranno ist mein letzter Dolomit gewesen. Ich habe die herrlichen Zinnen und Türme nur mehr von den Höhen des Karstes gesehen, an besonders klaren Tagen, weil über dem schimmernden Meer, oder von den Gipfeln der Zulier und der Karnischen Alpen im Duft der Ferne. 17) Me Einwohner dort gehen sicher in ihren scarpeili. Kellerwand vom Mooskofel (Nordabsturz) Karl Sa»dt»er-Wien Die Kellerwand žDie westlich des Fellatales beginnenden Karnischen Alpen möchte ich als weichere Zulier bezeichnen, stünde dort nicht ein Felsenberg von derartiger Großartigkeit, daß er den gewaltigsten Massiven der Zulischen Alpen gleichgestellt werden muß. Es ist die Kellerwand (2775 m). Läge sie in der Nähe eines Dolomitenzentrums, so wäre sie bekannt und besucht wie die berühmtesten Größen von Sexten oder von Cortina. Aber sie steht abseits und wahre Bergsteiger kommen selten dahin. Die zahlreichen Sommerkolonien des Gailtales, jene des freundlichen Almhotels auf der Plöcken inbegriffen, neigen einer sehr milden Auffassung des Bergsteigens zu. Die schärfere Tonart ist dort kaum vertreten. Ich habe zu den Glücklichen gehört, die an der Kellerwand noch Pionierarbeit leisten konnten, aber ich habe dort auch manches noch übrig gelassen. Das erste Mal kam ich zu ihr schon in den 1880er Jahren. Ein Führer aus dem Gailtal, ich glaube Adam Niebler, zeigte mir den gewöhnlich eingehaltenen Weg. Er hat die Eigentümlichkeit, daß er erst über steile Edelweißlehnen auf die Spitze des Kollinkofels (2691 m) und von diesem dann über einen wilden Felsengrat zu den Kellerspihen führt. Einige Scharten in diesem Grat sind nicht leicht, das Ganze ist schmal, stellenweise brüchig und exponiert, und nicht jedermanns Sache. Der Berg begann mich zu interessieren und ich kam wieder. Ich hörte dann, daß man vergeblich versucht habe, ihn von Norden, aus dem oberen Balentintale, zu ersteigen. Wer diese Abstürze je gesehen hat, der weiß, daß es sich da um ein erstklassiges Problem gehandelt hat. Der Zufall wollte es, daß mich meine erste gemeinsame Unternehmung mit Bolaffio auf den winterlichen Coglians (2782 m) führte. Es begleiteten uns damals Andreas Komac und ein äußerst verwegener Gemsjäger aus Collina, namens Pietro Samassa. Auch dieser hatte sich schon mit -er gleichen Idee befaßt, und er zeigte uns vom Coglians-gipfel eine Stelle in den Kellernordwänden, wo er Gemsen hatte durchsteigen gesehen. Wir kamen im Sommer 1899 mit Zore Komac nach Kölschach im Gailtal, trafen dort mit Samassa zusammen, und führten am nächsten Tage von der oberen Balentinalpe aus die großartige Tour glücklich durchs). Ich zögere keinen Augenblick, dieselbe der Ersteigung des Wischbergs von Norden und des Montasch über den Mittelgral gleichzustellen. Schon der Einstieg in die Felsen schien mir von äußerster Schwierigkeit. Ein schwerer Felsblock, der sich etwas höher oben unter 1S) Literatur: »Kellerwand (2775 m). I. Ersteigung direkt aus dem oberen Valentin-kar." S. A. Z. 1899, 205. meinem Freunde ablösen wollte, hätte ZoLe und mich, die wir als zweite Partie nachkletterlen, ohne Zweifel in den Abgrund gerissen, hätte Bolaffio ihn nicht mit großer Geistesgegenwart und mit allem Kraftaufgebol so lange festgehalten, bis es uns beiden gelungen war, aus der Slurzbahn herauszuklettern. Dann kam er und fuhr mit Höllengestank knapp an uns vorbei in die Tiefe. Die gleich über uns sich öffnende riesige Schlucht, deren Seitenwände sich je höher um so enger kaminartig zusammenschließen, hatte ernste Stellen und war steingefährdet wie die sehr steilen Schneefelder, auf die wir nach der langen Kletlerarbeit in der Schlucht gelangten. Auch der Ausstieg auf den Gipfelgrat, den wir zur Linken eines ganz steilen Eiscouloirs bewerkstelligten, war sehr schwer. Herrlich dann die Gipfelrast und sehr genußreich der Rückweg über den Grat zum Plöckenwirtshaus. Einige Jahre später hörte ich, Samassa habe mit einem Bergsteiger aus Adine, Urbanis, einen neuen Weg auf die Kellerwand von Südwesten, vom Cianevatekar aus, gefunden. Ich wünschte denselben kennen zu lernen und suchte Samassa auf, wurde aber sehr unfreundlich empfangen und erst schroff abgewiesen. „Mit Ihnen gehe ich nicht!" fuhr er mich zornig an. Auf meine erstaunte Frage, was denn vorliege, machte mir Samassa die bittersten Borwürfe, wir hätten damals über unsere großartige Tour keine „Relazione“19) veröffentlicht, in welcher sein Anteil am schönen Gelingen gebührend hervorgehoben worden wäre, und so sei es nicht der Mühe wert, mit unsereinem zu gehen. Zu jeder gelungenen großen Tour gehöre sich dann die entsprechende Relazione, und ohne solche gehe er nicht. Da sei Urbanis ein anderer Mann, so eine Relazione, wie der sie geschrieben habe, solle man sich zum Beispiel nehmen. Der ehrgeizige Mann wollte sich „gedruckt" sehen. Er meinte es sehr ernst, und ich hatte Mühe, ihm beizubringen, daß wir die Relazione nicht aus Mißachtung seiner geleisteten ausgezeichneten Dienste, sondern aus anderen — Freund Bolaffio gar aus prinzipiellen — Gründen unterlassen hatten. Er wurde dann ruhiger und schließlich erklärte er sich bereit, mich zu begleiten. Wir schliefen auf dem harten Boden einer kleinen Alm-Hütte der Casere Monumens, und am nächsten Tage lernte ich einen Anstieg kennen, der jenem von der Balentina an Größe und Schwierigkeit nur um weniges nachstand. Ein Einstieg über ganz steile Felsenbänke, deren spitzige Struktur die Hände verwundete, ein sehr heikler Quergang über einen Plattenschuß zu einem kurzen, aber bösen Kamin, dann endlose, aber herrliche Schrofenkletterei zur Spitze. Die Möglich- lf>) „Bericht." Kelt eines vierten2") Weges habe ich während des folgenden Rückweges über den Ostgrak bemerkt, als wir über einer der großen Schluchten zwischen der Kellerspihe und dem Kollinkofel dahinquerten. Ich lud dazu meinen Freund ein, aber wir waren zu voreilig gewesen und zur Osterzeit gekommen, da die Felsen noch ganz vereist waren. Es zeigte sich nach einigem Klettern, daß ich richtig gesehen hatte und daß dort durchzukommen war, aber trotzdem gab ich an einer bestimmten Stelle wegen allzu großer Vereisung der Felsen das Zeichen zum Rückzüge. Bitterböse sah mich Samassa an, er wollte trotz allem auf die Fortsetzung der Tour dringen, die ich aber unter solchen Berhältnissen nicht zulassen konnte. 3m Hochsommer darauf wünschten die Triester Führerlosen Cozzi und Zanutti den Weg zu versuchen. Ich gab ihnen dazu gerne alle notwendigen Anleitungen und Einzeichnungen. Die Tour gelang chnen, wenn auch mit einer bedeutenden, von mir nicht vorgesehenen Abweichung im oberen SCeil21). Bald darauf faßte ich den Plan zu einem fünften Wege. Weiter westlich, nahe an der Süd-westkanle, wo das Cianevatekar einschneidet, zieht eine riesige Kamin-schluchl durch die senkrechten Mauern hinauf. Sie bricht nach unten über glatten, nicht erkletterbaren Wänden ab, aber eine steile Platlen-rampe führt von der Cianevateecke schräg aufwärts zur Stelle hin, wo die Schlucht verhältnismäßig leicht begehbar zu werden beginnt. Da wollte ich ansehen, und der heißblütige Samassa war wieder ganz Feuer und Flamme für die Idee22). Aber der Plattenwulst, der uns emportrug, wurde steiler und steiler, glatter und glatter, so daß wir uns schließlich wie auf einem Kirchturmdache in Kirchturmhöhe dahinzubewegen schienen. Es kam eine Stelle, deren Äberschreitung mir so gewagt erschien, daß ich neuerdings den Rückzug durchsetzte. Das Ausgleiten eines einzigen hätte hier die ganze Gesellschaft in die Tiefe gerissen. Auf diesen steilen und schlüpfrigen Platten gab es kaum einen Halt und keinerlei Sicherung. Samassa wetterte, er hatte für einen von der Vernunft diktierten Verzicht kein Verständnis, aber selbst der kühne 3ože war damals auf meiner Seite. Einige Mauerhaken hätten uns hier zum Siege verhelfen. Ohne Mauerhaken schien es mir ein Unternehmen, das den Einsatz von vier Menschenleben nicht rechtfertigte. Ich vermache den Weg einer schneidigen Jugend. Doch empfehle ich nicht, ihn frei zu machen. Man leite aus meiner obigen Erzählung die richtigen Vorsichtsmaßnahmen ab. 20) Wenn man den Weg Grohmanns nnd Peker Salchers aus Soggau mik ein-rechnek, eines „fünften“. 21) Es mutz auch gerade hinaufgehen. 22) An diesem Versuche nahm wieder unsere ganze Valenttnagesellschafk keil. Nach einer kurzen Rast am Rampeneinfiieg zogen wir die ganze Cianevake hinauf und erstiegen das zackige Felsmassiv zwischen Kellerwand und Coglians. Dann wandten wir uns diesem zu und verblieben mehrere Nachmilkagsstunden auf seinem weitschauenden Gipfel. Das sind meine Erlebnisse auf dem gewaltigsten der karnischen Bergriesen. Er steht groß in meiner Erinnerung, und nie verfehle ich, zu ihm hinüberzublicken und chn besonders zu grüßen, wenn ich auf die Gipfel der Iulischen komme. Pietro Samassa ist früh gestorben, noch in vollster Manneskraft. Sehr überraschend für uns alle. Er war wohl das Kühnste und Wildeste, was ich je gesehen habe. Er konnte unheimlich wirken, wenn er mit aufglühenden Augen von seinen verbotenen Iagdzügen und von gefährlichen Schmugglerfahrten erzählte. Da hat er was geleistet. Nichts Tolles hätte mich von ihm gewundert. Nicht Einsatz und Opferung seines Lebens um einer Lappalie willen, nicht, wenn die Stirnaber ihm schwoll, eine jäh hingesandte Kugel, wo er einen Widersacher und Feind vermutete. Galt ihm gleich! Du oder ich, Leben oder Tod! So ist er wagemutig, ehrdurstig und heiß durch sein kurzes Leben geschritten. Meine „Relazione" kommt spät. Aber in der Erschließungsgeschichte der Kellerwand gebührt seinem Namen ein ehrenvoller Platz. Da stehe er groß gedruckt, wie er es sich gewünscht haben mag, der verwegene, trohigherausfordernde, ungestüme, beste Felsenmann der Carnia! Die östlichen Karnischen Ungemein stimmungsvoll sind meine weiteren Touren in den Karnischen Alpen gewesen. Es sind sehr ansehnliche Hochgipfel, die aber auf den gewöhnlichen Wegen nur mäßige oder keine Schwierigkeiten entgegenstellen. Der Böseste unter chnen ist wohl der Zuc del Boor (2197 m), der auf Moggio herabsieht. Er erinnert mich im kleinen sehr an die Froppa di Marmarole. Sein breiter Sockel steil und unschwierig zu ersteigen wie dort, der zu höchst aufgesetzte Turm dagegen auch so ein kleines Sakramenterl. Als ich das erste Mal in noch halb winterlichen Verhältnissen zu chm kam, mußte ich vor dem vereisten Turm haltmachen und umkehren. Das zweite Mal näherte ich mich chm in einer Gratwanderung vom Monte Ciavals (2101 m) her, auf den ich von Dogna aus gekommen war, und erstieg den letzten Gipfelaufbau nach einem kurzen, doch ziemlich heißen Handgemenge. Ich hatte vom gleichen Ausgangspunkt östlich unter der Spitze zwischen zwei Anstiegsrouten zu wählen und nahm die schwierigere, da ein ganz schmales Band auf der leichteren, das über einer Schlucht zum letzten Kamin leitet, meine zu breike Gestalt abzuwerfen drohte. Der Kamin mündet unmittelbar am Gipfel. Die Nordabfiürze des Zuc del Boor sind so imposant, daß man, von den Gailtaler Bergen hinschauend, einen Felsenberg erster Ordnung vor sich zu sehen meint. 3n dankbarem Gedenken habe ich eine Ostertour behalten, die mich von Pontebba auf Roß- (2250 m) und Trogkofel (2271 m), dann über die steile Zermula (2130 m) nach Paularo geführt hat. Die Nacht dazwischen verbrachten wir in einer Almhütte auf dem Lanzenboden, die noch so vollständig eingeschneit war, daß wir uns durch das aufgebrochene Schindeldach in sie hinablassen mußten. Es ist mir schwer zu entscheiden, welchem von den beiden Tiefblicken ich den Vorzug geben soll, ob dem von der Spitze des Trogkofels nach Norden auf das fast senkrecht zu Füßen weit gebreitete Gailtal, mit seinen aus erstem Frühlingsahnen winkenden weißen Märktchen und Dörfern und dem blinkenden Fluß, ob jenem von der Zermula nach Süden auf das malerische, von weißen Felsenkämmen beherrschte Talbecken von Paularo, das die volltönenden Kirchenglocken eben mit feierlicher Oster-botschaft erfüllten. Am anziehendsten aber wirkten immer auf mich die Creta Grauzaria (2068 m), die einer hohen Burgruine gleich über dem Aupalale steht, und der Trotzkopf des Sernio, der, ohne in bedeutende Höhen zu reichen^), weit im Amkreise und nach allen Seilen hin den Charakter des Hochgebirgsgipfels am vollkommensten zu wahren versteht. Häufiger bin ich auf die Creta Grauzaria gekommen, die der Bahn näher liegt und in kürzerer Zeit ersteiglich ist als der Sernio, so daß ich sie mit Zuhilfenahme des Samstagnachmiltags wiederholt zum Ziele eines Sonntagsaussluges machen konnte. Die Kletterei an chr ist leicht und kurz, aber so lieb, und die Aussicht von der Spitze so schön, daß ich am Berge stets meine helle Freude hatte. Als ich ihn das erste Mal erstieg und eben über den Grat der Spitze zustrebte, begann ein wunderschönes Glockengeläute die Lüfte zu erfüllen. Ich blickte nach allen Seiten hinunter und sah die Kirche nicht, von der es kam. Ich staunte sehr, denn da alle Schluchten ertönten und die Felsen des Grates leise mitzuschwingen schienen, erhielt ich den Eindruck, als klänge es aus den Bergen selbst und als feierten sie untereinander irgend ein Sonnenfest chrer strahlenden Herrlichkeit. Erst später, vom Sernio aus, sah ich, daß die stattliche Kirche von Paularo tief unten im Talgrün es gewesen war, die so eindrucksvoll zur Bergandacht aufgerufen hatte. =3) 2190 m. Der Sernio liegt weiter und ist steiler. Als ich chn einmal in größerer Gesellschaft im Winker anging, betonte er seinen Hochgebirgscharakker so gut, daß er uns schon nahe der Spitze abzuweisen vermochte. Er begnügte sich mit diesem Erfolge nicht und brachte uns noch dazu während des Abstieges durch eine seiner steilen, im Sommer ziemlich harmlosen Rinnen in einige Verlegenheit. Das Schönste war eine Gratwanderung von dem einen zum andern Gipfel, so weit man zwischen Creta Grauzaria und Monte Sernio von einem wirklichen Gral sprechen darf. Es ist eher eine Reihe von, gegen die südliche Ebene zu, ungemein malerisch wirkenden, fächerförmig geordneten weißen Firsten und Zacken. Von der Grauzaria kommend, überstieg ich einige dieser Vortürme nach Nordwest zu und schlief auf einem reizenden Rasenplähchen in der tiefsten Senke zwischen den beiden Bergen. Von dort erstieg ich in aller Gottesfrühe den Sernio» und da es ein Feiertag war, wartete ich auf dem geräumigen Gipfel in der Hellen, warmen Sonne bis zur Stunde des großen Kirchganges, denn ich wollte wieder den Wohlklang der Glocken von Paularo hören. Da schwangen sich ihre Töne herauf, und als sie ausgeklungen hatten, wünschte ich, sie würden von vorne beginnen. Das ist meine freundlichste Erinnerung aus den Karnischen Alpen. Wie gerne halte ich sie fest. Ich schaue und horche. Ereta Grauzaria und Monte Sernio stehen mit weihen Felsen im blauen Himmel. Die karnischen Waster rauschen, die grünen Täler grüßen und winken. Edelweiß blüht an den Hängen, und die Glocken von Paularo klingen voll und feierlich an mein lauschendes Ohr. Kapitel V In Eis und Schnee" *) 3m Kapitel III habe ich wenig vorausgesetzt und mich bemüht, die Jütischen Alpen in ihrer vollen Größe darznstellen. 3n den Westalpen werde ich fast alles als bekannt voraussehen. Da habe ich nicht als Erschließe! gearbeitet. Wo mir trotzdem Neues oder vielleicht Außergewöhnliches gelang, werde ich es etwas eingehender erzählen. Zu Seite 211 Zertannen gegen das Nordend des Monte Rosa Wehrli A. G.-Zürich-Kilchberg Siebte Schule hatte ich in den Iulischen Alpen gemacht. 3n den Felsen. Gleich meinen ersten Lehrern, den Trentanern, fühlte ich mich in den schlechtesten Wänden sicherer als auf steilem Schnee. Selbst Andreas betrat solchen nicht gerne und nur dann, wenn es sein mußte. Wintertouren kannte ich in jenen ersten Jahren nicht. Das Eis der Tauern zählt kaum im Vergleich mit jenem der Westalpen. So war ich fast ein Neuling in Eis und Schnee, als ich 1885 in die Ortlergruppe kam. Ich wußte, daß es die Vorstufe für die Schweizer Berge sein werde, daß ich eine überaus wichtige und schwierige Technik fast vom Grunde aus zu üben hatte, und daß ich alles daran sehen mußte, um Firnen und Gletscher beurteilen und bewältigen zu lernen. Meine Ausrüstung war mangelhaft. In Salden fiel mir ein, daß ich keine Gletscherbrillen habe. Käuflich waren sie dort nicht zu bekommen. Ich wußte, daß ein Schleier es zur Not auch tun werde und legte mich auf die Lauer. Bald kam eine kleine Gesellschaft das Tal herauf, voran hoch zu Maultier eine Dame, auf deren Hut ein brauner Schleier wehte. Ich trat vor und bat um ein Stückchen davon. Aber obwohl ich meine Bitte in wohlgesehter Nede begründet hatte, lieh ich die Gesellschaft — es waren Reichsdeutsche — im Zustande großer Verblüffung zurück, als ich mich mit meiner Beute entfernte. Nun fehlte mir ein Führer. Ich hatte große Pläne, aber es war Heumahd und die Suldner Führer wollten sich nur zu kurzen Touren verstehen. Reinstadler erklärte mir auch, daß kein Suldner allein über den Hochjochgrat gehen werde. So folgte ich dem Rate eines bekannten Herrn, der mit einem Führer zum Cevedale wollte, und schloß mich chm bis zur Schaubachhütte an. Unterwegs begegneten wir einer Gesellschaft: Professor Minnigerode stieg in großer Begleitung zu Tal. Ich hatte seinen Namen oft nennen gehört, auch seine Sachen gelesen. So trat ich ehrfurchtsvoll zur Seite und blickte scharf hin, ob nicht Blitze um fein Haupt zuckten, konnte aber nichts bemerken. Einige hundert Schritte hinter ihm sprang ein brauner Italiener, schwer bepackt, der Gesellschaft nach. Er gefiel mir, und es fuhr mir durch den Sinn, ob der nicht tun werde, was die Suldner Führer abgelehnt hakten. Es war Luigi Bonetli aus Sanka Caterina bei Bormio. Er erklärte sich bereit, mit mir zu gehen, sobald er in Salden seiner Verpflichtung Minnigerode gegenüber ledig geworden sei. Auch wollte er auf den zweiten Führer am Hochjochgrat verzichten, falls ich mich einverstanden erkläre, zuerst den Cevedale (3774 m) zu machen, damit er sehe, wie ich gehe. Der Zufall hatte mir einen erstklassigen Mann in den Weg geführt. 3n der Nacht brachen wir auf. Bor uns bewegten sich bereits zahllose Laternen, hinter uns kamen immer wieder Partien herauf. Alles wollte an diesem Tage auf den Cevedale. Am Frühstücksplah wimmelte es nur so. Ich dachte an die Einsamkeit der Iulischen Alpen. Aber da einige der Karawanen ihren Aufenthalt dort verlängerten und vom Frühstück auf das Gabelfrühstück und vielleicht noch weiter überzugehen begannen, wurden von da an die Scharen schon lichter. Als die Schneehänge steiler wurden, ward es noch lichter. Am oberen großen Bergschrund war es ganz licht geworden. Auf der Spitze stand ich allein mit Bonetli. Erstaunt blickte ich hinunter und suchte. Alles verschwunden! Die Gletscher waren wie reingefegt. Unglück konnte doch keines geschehen sein? Es blieb nur die eine Erklärung, daß es viele Bergsteiger geben mäste, die es sich Vorbehalten, ihre Entschlüsse zu jeder Zeit rasch und gründlich zu ändern. Die „Prüfung" dürfte gut ausgefallen sein, die Pläne für die nächsten Tage standen fest. Wir gingen zur Capanna Milano und erstiegen am ersten Tage den Zebrü (3735 m). Am Zebrügletscher sah ich großartige Spalten. Es waren riesige blaue Eishallen, die sich in kristallener Pracht vor unserem Auge auftaten, wenn wir durch schmale Spaltöffnungen hinabblickten. Wir standen über ihrer breitgeschwungenen Deckenwölbung. Der Bau war so dünn, daß das gedämpfte Tageslicht in die blauen Abgründe dringen konnte. Mehr als einmal entfernten wir uns von diesen unheimlichen Stellen leise, leise auf den Fußspitzen und mit angehaltenem Atem, und wünschten nichts dringender, als schwerelos zu sein. Damals erkannte ich, daß es eine Dummheit sei, zu zweit über einen zer-schründeten Gletscher zu gehen. Am zweiten Tage machten wir den Felsenweg auf die Thurwieserspihe (3648 m), der mir trotz seines argen Verrufes sehr einfach vorkam, der dritte erfüllte mir einen sehnlichen Wunsch: wir gingen über den Hochjochgrat auf den Ortler (3902 m) und jenseits über Payerhütte und Tabarettawände nach Gulden hinab-). Ich wußte nun, was ein großer Eisgrat ist. Man hatte mir gesagt, der Hochjochgral sei eine Vorschule für das Matterhorn, und ich fühlte 2) Den reichsdeulschen Damenschleier habe ich an keinem dieser Tage benrihl. mich als Mallerhornkandidak. And man wird es begreifen: ich stellte Luigi Bonekki über alle Tiroler Führers. 3m Winter lernte ich Julius ProchasKa kennen, -er dann im Frühsommer 1886 einige Touren in den Iulischen mit mir machte. Er schlug mir für den Monat August eine Schweizer Reise vor, und ich sagte unter der Bedingung zu, daß der Einzug in die Schweiz über den Monte Rosa erfolge. Ein ungewöhnlicher, ein ganz außerordentlicher Weg! „Immer nobel", hatte mir einst Hans Susner gesagt. „Dazu brauchen wir einen erstklassigen Eismann," meinte ProchasKa, „die Schweizer Führer gehen da nicht." Woher nehmen? Ich schlug Bonetti vor, der zusagte, obwohl Pedranzini, ein Better von ihm, mit Marinelli an jener Ostwand des Monte Rosa gestorben war. In den ersten Tagen des August 1886 verreisten wir über Mailand, sahen mit heißem Herzen die märchenhaft schönen Gestade des Lago Maggiore, sahen die Borromeischen Paradiesesinseln, fuhren mit der Eilpost nach Pie di Mulera, mit einem Bergwägelchen bis Ceppo Morelli. Dann wanderten wir in der Morgenkühle das Anzascatal hinauf. Ich meinte zu träumen. Das ist ein Anmarsch zur größten Eismauer Europas! Heute führt eine vielbefahrene Automobilstraße nach Macugnaga, damals war es ein mageres Erzsträßchen, das man nicht befahren konnte. Der Blick hinab in die Tiefen des enggeschlihlen, doch ungemein großwirkenden Tales, die gleich Schwalbennestern hoch an den steilen Talhängen klebenden Ortschaften, deren schöngemauerte Häuser mit städtischen, farbig bemalten Fasiaden herabschauen^), die in goldenem Grün schimmernden reichen Kastanienwälder, die uns immerfort begleiteten, sind mir unauslöschlich eingeprägt geblieben. So weit ich in den Bergen gereist bin, nichts kommt diesem Anmarsch gleich. And da ist in ungeheurer Höhe über hängenden Gletschern von fabelhafter Pracht und Größe ein weltenfernes schwarzes Horn erschienen. Wir begrüßen es mit einem jubelnden Schrei: das Nordend des Monte Rosa! Der Blick wird freier, bald sehen wir mehr, und das Bild greift ans Herz. Es ist das Größte, was unsere Alpen bieten, die Ostwand des Monte Rosa steht vor uns. Jeder Bergsteiger weiß, was damals eine Überschreitung des höchsten Monte Rosa, der Dufourspihe, von Macugnaga nach Zermatt hieß. Die große alpine Literatur, vor allem die klassische Schilderung Otto 3) „Monte Zebrü, Thurrvieserschneide (Felsenweg)» Orller vom Hochjoch (von der Mailänder Hülle aus)." M. A. V. 1886, 52. *) Die Einwohner dieses Tales wandern aus, und wenn fie mit erworbenem Vermögen heimkehren» sehen sie chren Stolz darein, ihr Vaterhaus städtisch und talwärts oft ln vielen Stockwerken aufzubauen. Zsigmondys, sagt cd5). Es war nach Güßfeldt ein Griff in eine Urne mit gleicher Zahl weißer und schwarzer Kugeln, von denen die ersteren Sieg, die schwarzen Tod bedeukeken. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Vier Überschreitungen waren bis dahin gelungen, eine Partie mußte infolge eines Unfalles umkehren und ist knapp dem Verderben entronnen, eine hat sich über den Silbersattel8) durchgearbeitet, die Karawane Marinellis, die der sieggewohnte Ferdinand Imseng führte, war durch eine Lawine vernichtet worden6 7). Mir trafen im Hotel „Monte Rosa" Lochmatters rasch unsere Vorbereitungen. Als zweiten Mann nahmen wir einen jungen Führer auf, besten kühn geschnittenes Gesicht und verwegen blitzendes Auge ich noch immer klar vor mir sehe. Es war Matthias Zurbriggen, genannt Delponte, der es nachher als weitgereister, vielgesuchter Führer zu Weltruf gebracht hat. Wir werden ihm später noch begegnen. An jenem Tage war die Einweihung der Marinellihütte am Zägerrücken gewesen, welche den Überschreitungen des Monte Rosa zu dienen hat, und alle Teilnehmer daran vereinigten sich gegen Abend zu einem Festessen im gleichen Hotel. Es waren größtenteils Mailänder Bergsteiger, darunter auch Träger mir bekannter Namen. Mein Tifchnachbar, ein sehr heißblütiger Herr, versicherte mich, es sei schon bis zur Hütte so schwierig, daß er mit dem Bauche und mit den Zähnen habe klettern müssen, und ich bekam heimliche Bedenken, ob es für mich nicht zu viel sein werde, denn das hatte mich Andreas noch nicht gelehrt. Es ist dies jene Hütte, gegen deren Erbauung ich einige Zahre darauf wenige Worte veröffentlicht habe. Es sei nicht gerade notwendig, zu einer derartigen Tour mit einer Hütte einzuladen. Wer den Monte Rosa traverflert, der kommt auch ohne Hütte aus. Daran hatte ich einige mahnende Worte, die Überschreitung selbst betreffend, gefugt8). Ich meinte es natürlich sehr ehrlich und ganz sachlich, denn es schien mir, daß betreffs der Ofiunter-nehmungen auf den Monte Rosa eine etwas zu optimistische Auffassung die Oberhand zu gewinnen begann. Worauf man über mich ein bißchen hergefallen ist. In den Mitteilungen des D. «. ö. Alpenvereins besorgte dies Professor Dr. K. Schulz, der nach dem Unglück Marinelli als erster 6) Siehe auch Dr. B. Wessely: „Die Ostwand des Monte Rosa." Z. A. B. 1901, 203. 6) Dr Karl Blodig, ö. A. Z. 1889, 149: .Der höchste Patz in den Alpen (4490 m).“ Blodig nennt den Patz seinem Lieblingsführer Christian Ranggetiner z« Ehren: „Ranggetinerjoch." 7) Bis ans den Träger Corst. 8) Literatur: „Aus der Monte-Rosa-Gruppe. Cot bette Loccie (zirka 3500 m) »nd Bemerkungen über die Traversierung des Monte Rosa." M. A. B. 1889, 17. es gewagk hak, die Dufourspihe von Macugnaga nach Zermatt zu überschreiten. Alexander Burgener und Clemens Perren sind dabei seine Führer gewesen. In der italienischen Literatur sprachen alpine Größen eine gegenteilige Meinung aus, deren vornehme Wege ich damals mit tiefem, sympathischem Interesse und mit Bewunderung verfolgte, deren Namen ich heute mit Ehrfurcht nenne. Erst Rattp) und Grasselli^), dann Guido Ney"). Meinem Prinzip getreu habe ich nicht geantwortet, und es war gut so. Es genügt, wenn jeder einmal seine Meinung sagt. Auseinandersetzungen in alpinen Zeitungen sind etwas sehr Unfruchtbares und Können ungemein peinvoll wirken, besonders wenn man sie nach Jahren wieder liest. Es kommt schon die Historie und spricht ihr endgültiges Urteil. Und die Historie der Ostwand des Monte Rosa ist nun alt und bekannt genug, so -aß ein jeder sich seine eigene Meinung bilden kann. Ich bin später noch zwei Male in -er Ostwand gewesen, ohne daß die Benützung der Hütte in meine Pläne gepaßt hätte. Ich umging sie nicht mit Absicht, es hat sich so gefügt, und meine große Borliebe und Eignung für Biwaks ließen mich sie leicht entbehren. Das eine Mal schlief ich hoch in den Felsen des Iägerhorns, das zweite Mal am Fuße des berühmten „Bpsilons", in den Klippen des Nordends, auf fast viertausend Meter Höhe. Da, mitten im Tafeln, erschien ein Telegraphenbote. Das Telegramm war für mich und sein kurzer, unerbittlicher Inhalt bedeutete sofortige Rückkehr nach Hause, da mein Prokurist plötzlich gestorben war. Sofortige Rückkehr: das war ein Schlag! Ich erhob mich, war in einer halben Stunde reisefertig, lief in der Nacht bis Pie di Mulera, fand rasche Anschlüsse und war über Mailand bald in Triest. Nach drei Tagen waren die geschäftlichen Angelegenheiten geordnet, da kam ein Telegramm Prochaskas: „Monte Nosa glänzend gelungen." Da hatte ich wohl Herzweh. Aber mein Entschluß war rasch gefaßt. Ich telegraphierte nach Zermatt, Bonetti solle über das Meißtor nach Macugnaga 6) Heule Seine Heiligkeit Papst Pius XI. 10) Ratti und Grasselli haben unter Führung Eadins aus Courmayeur die Dnfour-spitze von Macugnaga aus erstiegen, kehrten dann ein Stück zurück und überschritten als erste den Zumsteinsaltel zwischen Grenzgipfel und Zumsteinspihe des Monte Rosa. Eine wirklich ganz außerordentliche Tour von fast abenteuerlicher Größe! 3n der Monl-Blanc-Gruppe haben fle die erste Ersteigung des Mont Blanc vom Col de Bionnassay ausgesührt, und damit den heule üblichen italienischen Mont-Blanc-Weg eröffnet. Ehre ihnen! u) Guido Rey und Vaccarone gelang unter Führung des zu jener Zeit aus der Höhe seiner Leistungskraft stehenden Matthias Zurbriggen die erste Überschreitung des Col Gnifelti zwischen Zumsteinspitze und Signalkuppe des Monte Rosa. Kommen und mich dort erwarten. Zum dritten Mal fuhr ich über den Lago Maggiore und war am Abend des 11. August wieder in Macu-gnaga. Am 12. stiegen wir zur Hütte. 3n der Nacht donnerten Lawinen und Seracbrüche von der Signalkuppe und dem Cot delle Loccie her. Der Schnee war schlecht, die Witterung zu warm. Um 1 Ahr früh erhoben wir uns, um 2 Uhr brachen wir auf. Das Couloir Marinelli war von mehreren tiefen sekundären Couloirs durchrissen. Das Ausgehen dieser sehr steilen, hart vereisten Stellen in gehackten Stufen war eine sehr heikle Sache. Der Übertritt vom Imsengrücken auf das Gletschereis leicht. Um 7 Uhr horten wir den ersten Lawinendonner vom Couloir her. Es ist der ernste Moment, in dem man sich klar bewußt wird» es gebe kein Zurück. Sehr ermüdend in der ganzen Niesenwand der weiche Schnee. Nur über dem Bergschrund steilster, harter Firn. Das Wetter herrlich, über dem Ganzen eine unbeschreibliche Stimmung ungewöhnlichen Ernstes. Als die rechtsseitigen Dufourfelsen erreicht waren, meinten wir bald auf dem Gipfel zu sein. Aber wir hatten eine schlechte Stelle ausgewählt und brauchten noch fast drei Stunden bis zum Grenzgipfel. Um %5 Uhr nachmittags standen wir auf der allerhöchsten Spitze, 4635 Meter. An Stelle Zurbriggens hatte mir der Hotelier Lochmatter seinen Neffen Josef Maria Lochmatter aufge-drungen, der sich sehr schlecht bewährte. Ich hätte da nicht nachgeben dürfen. Ich kann sagen, daß er fast vollständig versagte. Bonelti hat die ganze großartige Arbeit als Vorangehender allein durchgeführt. In der schlichten Einfachheit, mit der er sich bereit gefunden hatte, einen solchen Weg zweimal nacheinander zu gehen, ist wahrhafte Größe gewesen. Da lag in der Abendsonne die Schweiz! Whympers Matterhorn schaute herüber. Immer wieder kehrten meine Blicke zu chm zurück. Rasch kamen wir über den Felsgrat auf den Sattel und zum Gletscher. Aber der vollständig erweichte Schnee hielt uns da stark auf, wir brachen bis zu den Knien und tiefer ein, die verdeckten Spalten machten uns zu schaffen. Es war gegen Mitternacht, als wir ans Tor des Riffelhauses pochten. Ich schlief in dieser Nacht nicht, so müde und heißgebrannt war ich. Aber der noble Einzug war gelungen, der Monte Rosa überschritten. Die englische Bergsteigerkolonie in Zermatt feierte die Doppelüberschreitung durch die zwei österreichischen Bergsteiger mit aufrichtiger Liebenswürdigkeit. Es waren da viele große Namen vertreten, am deutlichsten erinnere ich mich der beweglichen Gestalt Conways und des blondbärtigen, eleganten Seymour King, des Besiegers der Aiguille Blanche de Peteret^). Was wir nun machen wollten? Das Matterhorn, sagten wir. „Oh, das wird für Sie nach dem Monte Rosa von Macugnaga eine Kleinigkeit sein", hieß es. „Da gehe ich in Lackschuhen hinauf"^), bemerkte ein junger Bergsteiger, dessen Karriere sich glänzend anzulassen schien. „Ich laste mir den rechten Arm auf den Rücken binden und brauche nur den linken dazu", der andere. Als ich vom Matterhorn (4482 m)14) zurückkam, frug mich Güßfeldt, der auch da war, wie ich es gefunden habe. „Schwer", sagte ich, ohne mich viel zu besinnen. „Gott sei Dank," rief er aus, „endlich einer, der die Courage hat zu sagen, das Matterhorn sei schwer!" Ich hatte tatsächlich kein einziges Detail vorgefunden, welches mir besondere Schwierigkeiten gemacht hätte, wohl manche über alles großartige, doch keine wirklich „wilde" Stelle. Denn wo solche sind, da hingen schon damals Ketten und Seile. In dieser Hinsicht hätte ich auch „leicht" sagen dürfen. Aber alles zusammen gestattet es meiner Ansicht nach niemandem, das Matterhorn als leichten Berg zu qualifizieren. Es ist ein gefeffelter Lowe. Aber manchmal erbleichen nicht die Bergsteiger allein, die sich aus ihm befinden, es erzittern die Täler alle zu seinen Füßen, wenn der Alarmruf ertönt, der alte Löwe sei los. Ich habe solche Tage und solche Nächte miterlebt und habe starke Männer erbebend und in stummem Gebet emporblicken gesehen, wenn man dort oben in den sturmumbrausten vereisten Klippen Menschen im ungleichen Kampfe um Leben und Tod wußte, oder wenn -er Riese sich in furchtbarer Größe reckte, nachdem er seine Opfer zerschmettert hatte. Ein solcher Fall hat sich am Tage nach unserer Ersteigung ereignet. Ein plötzlich eingetretener Wettersturz hüllte den Berg in dichte Wolken, man wußte, daß oben ein Schneesturm wüte. Mehrere Partien waren aufgestiegen, wir waren ihnen am Hörnli begegnet, über deren Schicksal herrschte Ungewißheit, ganz Zermatt war in Aufregung, überall sah man bange Gesichter. In der Nacht nach dem zweiten Tage wußte man es. Die Partie Falkner zog in Zermatt ein, von der Umsicht des alten Maquignaz gerettet. Da sah ich zum ersten Mal die jugendlich schlanke Gestalt des Daniel Maquignaz. Bon Müdigkeit fast gebrochen schritt er vor dem Maultier Falkners einher. Oben am Riesen von Zermatt lag ein Toter. Die 1=) Prochaska hatte leicht erfrorene Füße, war aber sehr bald geheilt. 3ch bewahre dem braven Kameraden, der wenige Monate später ein sehr tranriges, selbstgewolltes Ende fand, immer ein freundliches Andenken. 13) Dies soll tatsächlich einmal geschehen sein. ") Schweizer Gipfel (4482 m), italienischer Gipfel (4505 m). Molken waren ausemandergetreten, das Makkerhorn erschien gespenstisch weiß im Neuschnee. Mit einer schrecklichen Geste hielt es sein Opfer empor! Der Bergsteiger, dem an einem schönen Sonnkage, da alles in Silber und Gold erglänzte, das Glück einer ungestörten Ersteigung zuteil ward, darf wohl nicht sagen, er Kenne das Matterhorn! Wenige Tage später gingen wir über den Theodulpaß nach Breuil und Balkournanche hinaus. Ich schmiedete im Gehen die Pläne für 1887. So soll man es machen. Der Abschied von den Bergen wird leichter, wenn man nicht traurig zur qualmenden Tiefe blickt und mit einem ergebenen „Vorüber!" in ihren Alltag taucht. Aus dem heiligen Feuer seines Herzens blicke man vertrauend empor und suche die nächste Sproffe. So schwingt man sich hell und hosfnungsfroh von Jahr zu Jahr. Bom Matterhorn hakte ich dreierlei gesehen: Eine hohe, weiße Wolke im Westen, die sich immer schärfer abzeichnete, bis ich sah, es sei ein Berg, der Größte, der „Monarch", der Mont Blanc (4810 m), — im Süden über schimmernden Gletschern eine stolze Königin mitten im Glanz der Grajischen Alpen, die Eispyramide des Gran Paradiso (4061 m), — und weit im Südwesten im zarten Duft des Horizonts ein feines, blaues Horn, das, mehr geahnt als deutlich unterschieden, über der goldenen Erde zu schweben schien, den Monte Biso (3841 m)! Man sieht, ich bin in den Westalpen nicht so systematisch vorgegangen wie in den Iulischen Alpen. Ich nahm das Größte und Schönste und dann erst, im Wiederkommen, vertiefte ich meine Kenntnisie der großen Gruppen. So fuhr ich, Bonetti wieder an meiner Seite, im August 1887 das Aostatal hinauf. Ich hatte von Aosta Mont Ämilius und Grand Combin gesehen. Bald war der Nordgrat der Grivola erschienen, der, aus purem Eise getrieben, wie die blinkende Schneide einer scharfgeschliffenen Sense zur feinen Spitze sich emporschwingt, und hatte alles in den Schatten gestellt. In meiner Diligence fuhren Mönche vom Großen Sankt Bernhard mit, die mit klugen, dunklen Augen aus wetterbraunen Gesichtern froh und dankbar auf alles achteten. An einer Stelle auf halbem Wege ungefähr, wo das einzig schöne Tal der Dora Baltea die große Krümmung macht, kam plötzlich eine Bewegung in die Gesellschaft. Es war etwas vor uns erschienen. Der Hintergrund des Tales war davon erfüllt. Es war keine Wolke, es waren nicht Felsen, es war nicht Eis. Es war alles zusammen. Ein märchenhafter Bau aus Wolken, Felsen, Eis und Schnee, ein Gebilde, das keine reichste Phantasie eindrucksvoller und gewaltiger erfinden könnte, eine Kathedrale, die sich auf riesige Granitsäulen stützte, ein Altar, von himmlischer Glorie verklärt, eine Kuppel, die strahlend im Himmel stand. „Ah, le Mont Blanc!“ rief einer der Mönche. Es war ein Ruf aus heißen Tiefen des Herzens, er erklang in höchster Ekstase. Mit hochgehobenen Armen und leuchtenden Augen hatte er sich wie anbetend vorgelehnt und begrüßte die überirdisch wirkende Erscheinung. Alle waren wir aufgefahren. Und mit feierlicher Betonung, als verkünde er Ehre, Ruhm und Preis eines Höchsten, und mit vor innerer Bewegung leise schwingender Stimme wandte sich ihr Ältester, der ihr Führer schien» an uns alle: „Oui, c’est le Mont Blanc, Messieurs, le Mont Blanc en tonte sa majeste!“ Da war keiner unter uns, der sich nicht in Ehrfurcht geneigt hätte. In Courmayeur fand ich an Julien Proment den mir passend erscheinenden zweiten Führer. Joseph Croux wäre auch dagewesen. Er war noch Träger, ich habe seinen Wert leider erst viel später erkannt. Wäre meine Wahl auf ihn gefallen, so hätte ich mich von ihm nicht mehr getrennt, und ich bin sicher, -aß dann mein Name in viel stärkerem Maße mit der Mont-Blanc-Gruppe verknüpft geblieben wäre. Mit Croux hätte ich in meinen jungen Jahren alle damals noch ungelösten Probleme in die Schranken fordern können. Oft haben wir uns später angeblickt und dies bedauernd fefigestellt. Dann gaben wir uns die Hand und freuten uns, beieinander zu sein! Nicht, Joseph Croux? Die italienische Mont-Blanc-Route führte zu jener Zeit zur Capanna Ouintino Sella, über die Rochers du Mont Blanc. Es ist ein Gratweg ohne allzu hohe technische Schwierigkeiten, aber sehr großen Stiles. Wir hatten einen glanzvollen Tyg und fast ungetrübte Fernsicht, doch sehr starken Wind. Den Abstieg nahmen wir nach Chamonix, und kehrten über den Col du Geant (3371 m) nach Courmayeur zurück. Als letzter an meinem Seil ging an diesem Tage bescheiden ein Großer: Emile Rey, der Führerkönig von Courmayeur. Er hatte mich am Montanvert gebeten, sich an mein Seil binden zu dürfen, da er allein war. Ich sagte chm einige verbindliche Worte, die er in respektvoller Haltung, aber mit der Miene des Mannes hinnahm, der seinen Ruf und seinen Wert kennt. Die Mer de Glace war an jenem Tage glatt übereist wie ein Spiegel, ich nahm mich zusammen, um vor seinen Augen gut zu bestehen. Denn so ein armer Trentaner hat auch seinen Stolz. Wenn wir gerastet hatten und er zu Proment sein vornehmes „Continuez Proment“ sprach, so hörte man den Leiter der kühnsten und größten Unternehmungen heraus. Er zeigte mir alle Stätten seiner Arbeit und seiner fabelhaften Erfolge an den Aiguilles und erzählte mir fast die ganze Zeit. Und wie er so dahinschritt und leicht und sicher von Serac zu Serac sprang, schien es mir, als ziehe sein Glücksstern vor ihm her, der ihn, den immer Siegreichen, durch beispiellos Kühnes Wagen geführt hak bis zu jenem Tage des Schmerzes für ganz Courmayeur, da die Aiguille du Geant ihn plötzlich mil einem heimtückischen Schlage für immer forkgenommen hat. Er vereinigte in sich in vollendeter Weise alle die schönen Eigenschaften, welche die Führer von Courmayeur an die erste Stelle rücken: unfehlbare Sicherheit und Beherrschung aller Bergtechnik, lauteren und liebenswürdigen Charakter, große Intelligenz und die feine Form des selbstbewußten Gentlemans. So ist an jenem Tage Emile Rey an mir vorbeigezogen. In Courmayeur schwankte ich einen Augenblick, ob ich mich nicht sofort den Grandes Zorasses zuwenden solle, deren Eisgestalt an Schönheit mit dem Aufbau des Mont Blanc wetteifert, doch blieb es schließlich bei dem alten Plan. Ich ging mil Bonetti durch die Bal Savaranche zum Rifugio Bittorio Emanuele und erstieg den Gran Paradiso. Dort fiel es mir auf, -aß fast keiner der vielen Ersteiger bis zum höchsten Punkt, zum Scheitel -er Eiscalotte, vordringt, sondern daß alles mit den allergeringsten Ausnahmen sich dem Brauche fügt, die letzten Grat-türme, die allerdings auch einen idealen Aussichtsstand bieten, als Ziel und Ende der Ersteigung anzusehen. Die Führer werden dies wohl unterstützt haben, um sich die Eisarbeit an der Calotte zu ersparen. Nach meiner Überzeugung bedeutet dies, daß der eigentliche Gran Paradiso nur seltene Male erstiegen worden ist, denn eine Ersteigung hat nicht an einem konventionellen Punkte, sondern absolut auf der höchsten Spitze zu enden. Diele haben es wahrscheinlich gar nicht bemerkt, sie fühlten sich in der Borhalle des Großen Paradieses eben so wohl. Meinen hochgespannten Erwartungen entsprach wohl die Aussicht, nicht jedoch die Ersteigung selbst, die ich von dieser Seite eintönig fand. Nur einige Schritte der Traverse unter den letzten Zacken hoch über dem Glacier de la Tribulation waren von sehr packender Art. über Turin, Saluzzo, der Baterstadt Silvio Pellicos, und Criffolo eilte ich dann zum Monte Biso. Ich fand, da ich den gewöhnlichen Weg benützte, einen unschwierigen Berg, deffen Schönheit mich bezauberte. Ich kann mir eine schönere Aussicht kaum vorstellen, allerdings hatten wir einen Tag von seltener Klarheit und von festlichem Glanz. Die Nähe der prachtvollen Seealpen, deren fremdartige Farben mich an jene des Kanins erinnerten, und der hohen, schwarzen Grate des Dauphine, der Blick hinüber auf die Säulenhallen vom Mont Blanc bis zum Monte Rosa, hinab auf den prangenden Erdengarten der piemontesischen Ebene, zum Po und nach Turin, geben chr eine einzigartige Prägung. Der Zauber jenes Berges und jenes Tages ist so lebhaft mit mir gegangen, daß ich von da an immer zuerst den Biso suchte, wenn ich eine dominierende Spitze der Westalpen erreicht häkle — wie viele hundertmal ist das gewesen? —, und daß ich dann erst voll befriedigt war, wenn ich Um gefunden hatte. Zurückgekommen bin ich leider nicht mehr zu ihm. Seine französische Seite hätte mich so angezogen, aber stets hielt mich das Dauphine zurück, und es verschob sich von Jahr zu Jahr. Wie damals vom Matterhorn, so sehe ich Um noch jetzt weit drüben am südwestlichen Horizont, wenn ich sinnend über alles Alpenland schaue: das seine, blaue Horn, mehr geahnt als deutlich unterschieden, im zarten Duft hoch über der goldenen Erde! Gewiß, du edle Dulderseele Silvio Pellicos: „Es gibt nur einen Monviso!" Nun war ich in Verlegenheit. Wo weitermachen? Dort lockten die Riesen des Wallis, daneben der Monte-Rosa-Kessel von Macugnaga mit der erst einmal gemachten, halb mythischen Überschreitung des Nord ends von Macugnaga nach Zermatt, hier die Eismeere, die Aiguilles, die gewaltigen Cols der Mont-Blanc-Gruppe. Die Grandes Zorasses gaben den Ausschlag, ich kam in den folgenden Jahren erst nach Courmayeur zurück, halte aber lange kein Glück. Nicht mit dem Wetter, nicht mit den Grandes Iorasses. Es gelangen mir die Ersteigungen der Aiguille du Midi (3843 m), des Mont Dolenl (3823 m), der Aiguille des Glaciers (3834 m), an der Aiguille du Geant (4014 m) schlug mich das Wetter wiederholt zurück. Auf die Grandes Iorasses (4205 m) halten es damals noch zwei Bergsteiger abgesehen: Evan Mackenzie, ein in Genua lebender Schotte von außerordentlichen Energien, Michele Gattorno, ein liebenswürdiger, -rolliger Kumpan, gleichfalls aus Genua. Das Wetter hatte sich etwas geklärt, ich marschierte mit Bonetti und Promenl ab, der Cabane Iorasses zu. Unsere Tritte hallten über das Pflaster Courmayeurs. Der wachsame Gattorno alarmierte, und nach einer Stunde kamen die beiden anderen Karawanen zur Hütte nach. Die war klein für neun Personen, ich drückte mich bescheiden, aber der Ton der Konkurrenten war kühl. Sehr kühl! Am nächsten Tage schneite es. Die Platten zur Hütte sind äußerst steil und schlecht, wir durften im hochliegenden Neuschnee dort nicht hinab. Blieb das Couloir Gutlinger, welches seit dem Unglück Gultingers gemieden ist. Als meine Partie dahinkam, debattierten dort eben die Führer der anderen, wer zuerst absteigen solle. Die erst absteigende Karawane setzte sich großer Gefahr aus wegen der Steine, welche die Nachfolgenden ablösen konnten. Namentlich der wenig geübte Gattorno schien bedenklich. Meine Partie stieg, ohne ein Wort zu verlieren, als erste in das unheimliche Couloir ein. Dies hat mir erst den achtungsvollen Respekt, dann die aufrichtige Freundschaft der beiden anderen eingetragen. Wir beschlossen gemeinsame Sache zu machen und kamen bei befferem Weller wieder. Glücklich erreichten wir die Felsen des Reposoir. Da lenkten die Führer der anderen in die berüchtigte große Gletscherschlucht ein, die zwischen den Rochers du Reposoir und den Rochers Whymper steil herabzieht. Ich protestierte lange und heftig. Sie sei zu lawinengefährlich. Nur Bonetti war meiner Meinung. „Emile Rey habe da Miß Richardson hindurchgeführt," hieß es bei den andern, „was die konnten, dürfen wir auch." Zweifelnd blickte ich in die unheildrohende Schlucht hinauf. Da war der Glücksstern Reys emporgestiegen? Wenn da was geschah, gab es kein Entrinnen. Andere Sterbliche erklettern die Reposoirfelsen und queren die Schlucht erst hoch oben in Stufen, die der vorangehende in fieberhafter Eile schlägt. Sei es! Angerne hatte ich nachgegeben, im blanken Eise der Schluchtsohle ging meine Partie wieder als erste voraus. Wir gingen je drei an einem Seil, jeder von uns mit seinen Führern. Es wurde außerordentlich steil, Bonetti stand über mir und schlug die Stufen. Da ritz plötzlich ein dumpfer Schlag durch die Luft. Hoch oben erhob sich ein Rollen und Donnern. Wir blickten erschreckt auf. Eine weiße Masse kam in rasender Eile die Schlucht herab auf uns zu: eine Eislawine! Ein Serac war hoch oben geborsten. „Courrons, courrons“, hörte ich hinter mir. Und jemand rief: „Nous sommes tons perdu!“ Gewiß, wir schienen alle verloren. Aber es geschah ein Wunder, das mir heute noch fast unfaßbar erscheint. Gerade ober uns verlief, von uns nicht gesehen, ein Schrund quer durch die Schlucht, -essen untere Lippe Vorstand. Daran prallte die stürzende Lawine, und was nicht in den Schrund fiel, das brauste im Bogen über uns hinweg. Rur einzelne Stücke trafen uns. Eines mich. Ich hatte es in der Luft wirbeln und blinken sehen! Es warf mich aus den Stufen. Doch Bonetti war wachsam und kaltblütig, das Seil gespannt, ich jung und rasch. Wir hatten das Verderben in voller Ordnung erwartet, das Auge klar, die Pickel fest verankert, so weit dies im harten Eise möglich ist. Das hat meine Karawane gerettet. Im Augenblick stand ich wieder fest. Ein anderes traf den Träger Ber-lhollier, der sich in den Stufen eben zur Flucht wenden wollte, am Kopfe. Er fiel wie vom Blitz getroffen ohnmächtig nach rückwärts und hätte die Partie Mackenzie in die Tiefe geriffen, hätte nicht erst Mackenzie selbst, dann noch ich das Seil ergriffen und gehalten. So hing er und seine baumlange Gestalt lastete schwer. Zum Schlüsse kam ein riesiger Felsblock in langsamerem Tempo und in unschlüssiger Richtung. Er heulte wie eine schwere Granate, als er über uns hinabflog. Die Szene war blitzschnell vorübergegangen. Gattorno, der immer zerstreut war und in der letzten Karawane ging, hatte nichts gesehen. »Che c’e stato ?“1B), frug er erstaunt, als er einen ohnmächtigen Mann und mich blutend sah. Zum Antworten war keine Zeit. Einer der Führer — es war mein Proment — hatte einen Weinkrampf, Bonetti wetterte auf die Lokalführer, wir andern hatten zu tun, den Verunglückten von der gefährlichen Stelle wegzubringen. Es war zum Glück nicht viel. Zwei Wochen Bett stellten Um wieder her. Mackenzies Verhalten ist bewunderungswürdig gewesen. Er hat keinen Augenblick seine Geistesgegenwart verloren. Gattorno stellte in unserer Gesellschaft Frohsinn und Sonnenschein dar, und der liebe Mann hat beides sofort wiedergefunden. Sehr mittelmäßig und einer derartigen Situation nicht gewachsen waren damals bis auf Bonetti unsere Führer. Was Reys Tüchtigkeit, Kühnheit und Glück gelungen war, dazu sind sie niemals berufen gewesen. Wir haben an jenem Tage manches gelernt. Ich hatte gelacht. Aber ich gestehe, -aß es mich eiskalt überlief, als ich die Lawine sah. And daß gleich darauf ein Gefühl tiefer Beschämung über mich kam, -aß ich fast an einer Dummheit und gegen meine bessere Einsicht zugrunde gegangen war. Einen Tag ließen wir vorübergehen, dann kamen wir wieder. And diesmal gelang es. Aber eine Stunde unter dem Gipfel begann es zu schneien, wir vollendeten die Ersteigung bei starkem Schneegestöber, den Abstieg mußten wir im ärgsten Schneesturm durchführen. Auf der obersten Eiswächte riß der Wind den Hut vom Kopfe Mackenzies und entführte ihn auf Nimmerwiedersehen nach Frankreich. So schlecht hat sich in meinem Bergsteigerleben kaum ein Berg benommen wie die Grandes Iorasses. Man wir- es begreiflich finden, daß ich zu ihnen nicht mehr zurückgekommen bin. So was! Das Wetter blieb unsicher, wir beschlossen eine „haute route“, die uns zuletzt über den Colle di Bellafurca, den Col d'Olen und den herrlichen Colle -elle Loccie") nach Macugnaga führte. Als wir uns eben zum Abstieg über die große Eiswand des letzteren anschickten, kam da eine Partie herauf, an deren Spitze Matthias Zurbriggen die Stufen schlug. Es gab ein fröhliches Wiedersehen. Wie schön ist so ein Wiedersehen in den Bergen! Wie viele solcher Wiedersehen habe ich in den großen Bergen erlebt! Ich meine nicht die gewollten, die verabredeten, oft lange, oft von Jahr zu Jahr vorausbestimmten, in denen meine Freunde und ich raffinierte Künstler gewesen sind. Ich meine die ganz zufälligen, die oft so wunderlieb und zart geheimnisvoll gefügten, daß sie wie ein konsequent durchgeführtes, 15) „Was ist geschehen?" 16) Literatur: Siehe wie oben. M. A. V. 1889, 17. in Argrund und Absicht dunkel und rätselhaft erscheinendes, um so reizvoller und bedeutsamer wirkendes, fteundliches Spiel der Vorsehung anmuten. Irgendwo ist man sich einmal begegnet, auf einem Gipfel, auf einem blanken Eisfirst, der eine von da, der andere von dort kommend. Man hat einander prüfend angeblickt, sich die Hand gereicht, ohne sich zu kennen» ohne sich nach dem Namen zu fragen. Man hat sich gegenseitig rasch einen Wink gegeben, einen Ratschlag zugerufen für den Abstieg ins noch Unbekannte. Du dahin, ich dorthin. Glück auf den Weg und Gott geleite dich! Jahre sind vergangen — da auf einem andern Gipfel, auf einem Eisfirst anderer Grate ein Gesicht aus vergangenen Tagen! Es ist älter geworden, einige Linien schärfer, einige Falten mehr, einige graue Haare, über Zeilen und ganze Lebensabschnitte hinweg reicht man sich neuerlich die Hand. Mas mag alles dazwischen liegen? Das ist unten geblieben in den Schlacken des Lebens. Man fragt nicht darnach: Mensch zu Mensch, Herz zu Herz, ja Grüß Gott aus alter Zeit! So sind Gemeinsamkeiten und Freundschaften entstanden, die nicht mehr vergehen. Am Tage vor dem Colle delle Loccie hakten wir in Alagna einen Engländer gesehen, der uns auffiel, weil er Mackenzies Zorasseshut zu kragen schien. Sollte er ihn auf der Mer de Glace aufgelesen haben? Wir ergingen uns in lustigen Vermutungen und Späßen. Als wir uns in der Alpe Vigne zum Nachtquartier niederließen, Kam auch er mit dem Hute und seinen Führern heran. Am nächsten Tage überschritt er mit uns den Col. Wir wurden bekannt. Er hieß Luttman-Zohnson. Es war der bekannte Name eines vielgereisten Alpinisten. Seitdem bin ich ihm in jedem Jahr wieder begegnet. Einmal in Zermatt, dann im Berner Oberland, in Zinal, in Courmayeur» in Chamonix, ich rechnete schon mit Sicherheit darauf. Das eine Mal kamen wir im Spaltengewirr des Grenzgletschers zusammen und vereinigten uns da zu langer Rast. Wir begegneten uns als Wesen, die nicht im Alltag des Tals, die in der lichten Freude reiner Höhen fußten. Es hätte mir etwas gefehlt, wäre ich aus den Mestalpen heimgekommen, ohne den frohen Glanz gesehen zu haben, der in seinem ernsten Auge aufleuchlete, wenn er mich sah. Gewiß, auch er hatte mich erwartet. „Auf Wiedersehen", sagten wir uns immer zum Abschied und hielten uns lange und warm an der Hand. Zeder trug des anderen Glücks- und Segenswunsch zu Tal» der aufrichtiger nicht sein konnte und dann ein ganzes Zahr milde lächelnd mitging. Einmal, nach einer Reihe von Zähren» habe ich ihm doch zum letzten Mal die Hand gegeben, denn ich sah ihn nicht mehr. Da wußte ich, er müsie gestorben sein. Und als ich englische Bergsteiger frug, da bestätigten sie es. Ich trauerte um ihn» und noch heute gedenke ich seiner wehmütigen Herzens, als sei er mein liebster Freund gewesen. So viele Jahre hat dieses Wiedersehen, beiden gleich lieb und werk, wie eine stille und seltsame Blume der Höhen an unseren Wegen geblüht. Ja, Wiedersehen! Der Colle belle Loccie hakte mich wieder zur Ostwand des Monte Rosa zurückgebracht. „Komm' nun zu mir," sagte sie in gleißender Herrlichkeit, „ich weiß zwei Dinge für Dich!" Sie sagte das nicht mit dem süßen Lockton, den andere Berge zu treffen vermögen, sie sagte es mit dem fürchterlichen Ernst der thebanischen Sphinx, die erbarmungslos tötet, wenn man die Aufgabe nicht löst. Nicht viele kennen diese Ostwand des Monte Rosa. Wer sie aber kennt, der weiß, was es heißt, an chr Probleme zu erstellen und deren Lösung zu suchen. Zweierlei erschien mir damals im höchsten Grade erstrebenswert. Die Wiederholung der Überschreitung des Nordends (4612 m), die Brioschi mit Ferdinand Imseng gelungen war, über welche aber die Literatur geschwiegen hatte, so daß man nichts Genaues erfahren konnte. Fast hätte sie sagenhaft erscheinen können, obwohl der alte Oberto für deren absolute Richtigkeit einstand^). Das Zweite war die Erreichung des Nordends vom Zägerjoch aus, ein Problem» das später weitere Kreise zu interessieren begann, bis es endlich Walther Flender mit Schweizer Führern, vom Nordend zum Zägerjoch absteigend, löste. An das dritte Problem, die Erreichung -er Signalkuppe (4561 m) quer durch die Eiswand vom Zägerrücken aus, das als Erster Guido Rey mit Matthias Zurbriggen, als Zweiter Bolaffio mit Matthias und Croux überaus glücklich gelöst haben, dachte man in jenen Zeiten noch nicht. Ich hatte diese Möglichkeit nicht gesehen, wie gebannt blickte ich immer auf das Nordend und seine Rätsel. Auch heute hat die Ofiwand des Monte Rosa von ihrer Furchtbarkeit nicht viel verloren. Aber trotzdem kann niemand sich vorstellen, wie sie damals wirkte. Auf den Kühnen, der sich an sie wagte, blickte man, als poche er mit seinem Pickel in donnernden Schlägen an die schwarzen Pforten des Todes. So sah mich der Monte Rosa dieses zweite Mal an, als ich, vom Colle belle Loccie abgestiegen, bei der Alpe Pedriolo saß und in Ehrfurcht schaute. O große Zeit! Trotzdem zog mich die Rücksicht auf alte und neue Freunde im nächsten Zahre (1889) wieder in die Mont-Blanc-Gruppe zurück. Ich wollte vor allem Otto Zsigmondy, der nach dem Tode seines Bruders wie vernichtet war, wieder zu den Bergen zurückführen. Er sollte dort Heilung finden. Und es gelang mir. Er erklärte sich nach langem 17) Brioschi scheint damals nicht in Europa gewesen zu sein. innerem Kampfe bereif, mich auf den Mont Blanc zu begleiten. Aber er wolle nur bis zur (Eobane Vallok gehen» unerkannt bleiben, und nur als mein Freund und Begleiter gelten. Niemand dürfe seinen Namen erfahren. „Habe ich dich an der (Eobane Ballot^), so habe ich dich am Mont-Blanc-Gipfel", dachte ich mir und versprach alles. Mit dem Inkognito ging es sofort schief. Wir hatten in Courmayeur eben abgespeist, als ein Diener erschien, der Otto zu Miß Richardson^) bat. Er fuhr sich verzweifelt in die Haare. Dann kam ihm eine Eingebung und er wandte sich an mich: „Geh' Du, Julius!" Ich machte ihm begreiflich, daß sich eine derartige, in hohem Grade ehrende Berufung nicht übertragen lasse, und endlich ging er selber. Er kam sehr entzückt von der Liebenswürdigkeit der Dame zurück. Ich schlug ihm einen neuen Mont-Blanc-Weg vor. Man suchte damals bessere Anstiege in der Richtung über den Dome du Goüter. Grasselli und Ratti hatten den Weg über den Bionnassaygrat eröffnet, Mackenzie und Gattorno ihn im Abstieg wiederholt, dabei aber sehr schlimme Eisverhältnisse vorgefunden. Der Bau einer Cabane am Dömegletscher war beschlosien, schon lag das Holz an jener Baustelle der Aiguilles Grises. Der Graf von Billanova war mit den beiden größten Führern Italiens» dem allen Maquignaz und Castagneri aus Balme, im Wüten eines beispiellosen Schneesiurmes auf dem Bionnassaygrat spurlos verschwunden. Ich hoffte einen Weg zu finden, der bessere Chancen bot. Bonetti war wieder mit mir, zu unserer Karawane gehörten noch Petigax, der nachmalige Bertrauensmann des Duca degli Abbruzzi am Nordpol, in Afrika und in Asien, und der ausgezeichnete Cesar Ollier, der damals noch Träger war. Es ist die einzige große Eistour gewesen, die ich mit Otto gemacht habe. Wir schliefen an den Aiguilles Grises auf der Plattform des schon ausgeebneten Bauplatzes» unter einem aus den dort aufgestapelten Brettern improvisierten Dach. Am nächsten Tage überquerten wir den westlichen Arm des Dömeglelschers, überstiegen eine äußerst steile Scharte im Seitengrat zur Rechten und erreichten so den östlichen Arm des Gletschers. Dann nahmen wir über die Eiswand Richtung zum westlichen Kuppelprofil des Dome du Goüter und kamen in einfacher Eisarbeit gut durch. Trotzdem hat sich dieser Weg nicht durchgesetzt. Er ist von objektiven Gefahren nicht frei, der Bionnassaygrat ist in dieser Beziehung sicherer. Auf dem Dome du Goüter (4331 m) packte uns ein Mont-Blanc-Wind, der meine 1S) 4362 m. Der Monl-Blanc-Gipfel ist nur um 448 m höher. 10) Miß Calerina Richardson, die bekannte englische Bergsteigerin, die zuletzt immer mit Emile Rey und I. B. Bich aus Baltournanche ging. Zu Seite 224 Nordwand und Ostgrat der Aiguille de Bionnassay von der Aiguille du Goüler aus gesehen De. (fnriu Chcrsich-Triest stärksten heimatlichen Borastürme weit in den Schatten stellte. Es war kein Wind mehr, es war eine mit unwiderstehlicher Gewalt heranstürmende Mauer. Man stand ihr ganz hilflos gegenüber. Ab und zu wurde einer von uns in die Höhe gehoben und seitwärts so weit weggestellt, als das Seil und das Gewicht der anderen vier Männer es gestatteten. Ein solcher Orkan muh Billanova und seine Gefährten nach einem titanischen Kampfe, den ewiges Geheimnis deckt, von den Graten gerissen haben. Es wäre zum Lachen gewesen, wie wir so über den hier glücklicherweise sehr breiten Dömegrat hin- und herlaumelten, aber das Lachen war uns vergangen. Wir konnten uns untereinander nicht verständigen, es war kaum das Atmen möglich! Glücklich kamen wir endlich zur Cabane Ballot. Es war kein Zweifel, ein großer Wettersturz stand bevor. Noch war der Abstieg nach Chamonix möglich. Im Observatorium befand sich einer der Payot mit einigen Arbeitern. „Ich bleibe hier," erklärte ich, „bis ich die Spitze machen kann." „Meine Aufgabe ist erfüllt," sagte Otto, „ich steige ab." Unter solchen Umständen durfte ich ihn nicht halten. So ging er mit Petigax und Ollier hinab, ich blieb mit Bonetti. Drei Nächte und zwei Tage wütete der Schneesturm mit einer Gewalt ohnegleichen. Die Eiskörner prasselten ohne Unterlaß auf das Dach, manchmal vermeinten wir, die Labane mit uns allen Insassen würde hinweggefegt, in die Lüfte entführt, in die Abgründe geworfen werden. Aber sie war gut verankert, und bei sehr kargem Essen hielten wir als die höchsten Bewohner Europas tapfer stand. Am Vormittag des dritten Tages waren die Wolken niedergesunken, der Wind hatte aufgehört, ein herrlich blauer Himmel wölbte sich über uns. Triumphierend zogen wir die eineinhalb Stunden über die Bosses du Dromadaire und die Grande Arrete zum Gipfel hinauf. „£ arrivato il giorno della gloria“, rief Bonetti aus, als wir die Pickel in den Gipselschnee stießen. Ein brandendes Wolkenmeer lag unter uns, wir sahen nichts als Wolken und strahlenden Himmel. Kein Tal, keinen Berg, nichts Irdisches. Es umgab uns ein Glanz, der sich nicht beschreiben läßt. Ich glaube, es ist meine schönste Mont-Blanc-Aussicht gewesen. Wir hätten ebensogut in der Gondel eines Ballons über den Wolken segeln können. So ragte das Eisriff des Mont Blanc einsam aus der Brandung hervor. Nur einmal, auf einen Augenblick, hat sich ein kreisrundes Loch geöffnet, und wir sahen wie durch einen Schacht die Häuser und Hotels von Chamonix in der gewaltigen Tiefe. Da dachte ich an Otto, der bangen Herzens unten wartete. Als ich am Abend zu ihm kam, fand ich chn sehr aufgeregt und voller Selbstvorwürfe, daß er mich verlassen halle. Ich beruhigte ihn und schlug ihm als zweite Tour den Mont Belan jenseits des Großen Sankt Bernhard vor, was nach seinem Wunsche war. Zunächst kehrten wir aber, da das Wetter noch immer bedrohlich blieb, über die Cols du Bonhomme und de la ©eigne nach Courmayeur zurück. Am Belan kam er bis zur Spitze (3750 m), allerdings nicht als Tourist, sondern als Führer, da er seinen Freund Professor Liechti betreute. Jenseits unter der Gipfelcalotte trennten wir uns wieder, da ich nach Aosta, er mit Liecht! nach Norden wollte. Wieder waren Nebel eingefallen. Ich kam mit Bonetti, den Spuren einer Gemse folgend, wohl über das uns vollkommen unbekannte Gletscherplaleau, konnte mich aber in den jenseits steil abfallenden Wänden nicht zurechtfinden. So liefen wir etwas verdutzt den langen Weg wieder zurück, und als die Freunde eben am unteren Gletscher rasteten, traten wir aus den Nebeln unversehens zu ihnen und wurden mit lautem Jubel empfangen. Damals bin ich zum letzten Mal mit Otto gegangen. Wohl habe ich später noch viele Versuche gemacht, ihn ins Dauphine, nach St. Christophe, an das Grab Emils, zu bringen. Er halte wiederholt zugesagt, stets kam aber an seiner Statt eine Absage zum Rendezvousplatz. So schwer und unheilbar war die Wunde in seinem Herzen! Aber den Bergen war er zurückgegeben. Es ist eine eigentümliche Fügung. Ich halte diese kurze Erzählung über unsere letzte gemeinsame Fahrt eben geschrieben, als mich die Nachricht traf, Otto habe seinen letzten Atemzug gefan20). Er war lange krank, wurde besser, da kam der tätliche Anfall. „Es wird vorübergehen", sind seine letzten Worte gewesen. Ottos Leben und Wesen liegt in diesen drei Worten. Sie bedeuten: Vertrauen, Geduld, Ergebung. Immer wollte er selbstlos Teil eines Ganzen sein. Seine beispiellose Bescheidenheit drängle ihn dazu. Es war der Stolz seines Lebens, -aß er einstens Teil der „Brüder Zsigmondy" gewesen ist. Wie für mich damals am Mont Blanc, so wollte er auch für Emil nichts anderes sein als Begleiter und Berater. Er war das Ideal jenes so wichtigen Teilnehmers an einer erstklassigen Gesellschaft, der die Rolle des Warners inne hat, ohne den Schwarzseher zu spielen. Des Warners von vollendeter Ausbildung, von klarsehendem Auge, von kluger Erwägung und überlegener Erfahrung, der das Übermaß dämpft und die Grenzen des Möglichen prüft, der den Erfolg liebt, aber strenge die Verantwortung fühlt, der über dem Ziel des Augenblicks niemals die größeren Ziele des Lebens vergißt. Sein berühmterer Bruder Emil war neben chm die zum Himmel stürmende feurige Lohe. Mit ihm 20) Am 30. Juni 1917. ist Ottos bestes Leben begraben worden. Gewiß, es gehk alles vorüber. Aber der milde Glanz» der über deinem Namen liegt, wird noch lange in Ruhe und Schönheit erstrahlen, Otto Zsigmondy! Dann gehörte ich wieder meinen neugewonnenen Zorasses-Freunden, von denen sich Mackenzie zu einem erfahrenen und sehr energischen Bergsteiger von großen Erfolgen entwickelt hatte. Doch war uns in der Monk-Blanc-Gruppe so wenig Wetterglück beschieden» daß wir sie schließlich verließen, um es am Grand Combin zu versuchen. Aber es wurde in jenem Jahr dauernd nicht besser. Nur über den Col Ferret und die anschließenden Almenböden Kamen wir bei gutem Wetter bis zum Großen Sankt Bernhard. Bon Bourg St. Pierre zogen wir zweimal zu einer hochgelegenen Notunterkunft unterhalb des Col des Maisons Blanches, beide Male warf uns schlechtes Wetter wieder zurück. Das dritte Mal erreichten wir die Höhe des Cols, da setzte neuerdings Schneesturm ein und nahm uns alle Zuversicht. Mit schwerer Mühe ist es uns gelungen, an Hand von Kompaß und Karte über die weiten Firnplateaux des Großen Corbassieregletschers hinüberzulavieren und den jenseitigen Abstieg nach Mauvoisin zu finden. Wieder entschlossen wir uns zu einer „haute route“ nach Zermatt und überschritten eine Reche von Übergängen, unter denen mir der Pas des Chevres und der Col d'Herens am besten in Erinnerung geblieben sind. Als auch in Zermatt nichts Rechtes Zustandekommen konnte, trennten wir uns etwas betrübt. Die Freunde gingen über den Col Theodule nach Breuil und nach Hause, ich wollte über das Lysjoch nach Gressoney. Da das Wetter sich für kurze Zeit wieder gebessert hatte, lächelte mir zum Schluß noch ein wolkenloser Tag auf der Zumfieinspihe (4563 m) und der Signalkuppe (4561 m) des Monte Rosa, so daß ich getröstet heimfahren konnte. Solche vom Wetter fast vollkommen zerstörte Sommer, in denen man nichts anderes tun kann, als Pläne und Hoffnungen mit Anstand und gefaßtem Mute zu begraben, kennt man in den Ostalpen, vor allem in unseren südlichen Kalkalpen, doch nicht. Aber wenn die Berge eine Schule für das Leben sein sollen, so erfüllen auch solche Zeiten einen Zweck. Ich denke an ein Jahr, da ich drei Wochen in Regen und Schnee untätig am Montanvert gesessen bin, an ein anderes, da ich in Zermatt Bach und Beethoven übte, als sei ich dort Frequentant eines Konservatoriums und nicht Kandidat für die großen Gipfel des Wallis, an lange Wochen in irgend einem verborgenen Bergwinkel Savoyens oder der Grajischen Alpen. Tag für Tag nach Schulweisheit hoffen und vertrauen, daß Beharrlichkeit zum Siege führen werde, Tag für Tag rechnen und kalkulieren, das müsse nun entfallen, doch jenes werde gewiß noch bleiben. Tag für Tag die Rechnung knapper, den Kreis enger ziehen, zum Schluffe wohl auch sich sagen müssen: „Für das Fahr vorüber, übers Jahr, wenn Golt will!" — und manchmal auch erkennen, es komme überhaupt nicht wieder, und abgeklärten Herzens entsagen! Es ist ein schweres Lernen, aber man lerne es. Es kommt die Zeit, für jeden kommt sie, da man das Gelernte auch im Leben üben kann und muß. Dann denke man an solche Gräber seiner Hoffnungen. Man wird dabei noch eines erfassen» vielleicht die beste Sentenz: daß aller Erfolg, und sei er noch so ehrlich und schön verdient» im Grunde doch immer ein Gottesgeschenk ist! Warum ich in den folgenden Jahren nicht sofort zur Ostwand zurück-gekehrt bin, kann ich heute schwer begründen. Wenn ich zurückdenke, so kommt es mir vor, daß ich leise und mir selbst fast unbewußt zu bezweifeln begann, ob Bonetli der richtige Mann dafür, ob er einer derartig hochgespannten Verantwortlichkeit voll gewachsen sei. Er war ein ausgezeichneter Eisarbeiter, aber nicht der großzügige und überragende Mann, den derartige Unternehmungen verlangen. Es fehlte nicht an Kraft noch an kühner Entschlußfähigkeit, wohl aber an einer höheren Intelligenz. Wenn ich heute zurückschaue, so kann ich, obwohl ich den größten Teil der damals führenden Pioniere der Westalpen habe kennen gelernt, nur zwei Männer nennen, denen ich beispielsweise einen Sohn zu Ostwandproblemen vollkommen ruhig anvertraut hätte: Matthias Zurbriggen, ob seiner vollkommenen Beherrschung jener Wand, denn er war an ihrem Fuße zu Hause, und Joseph Eroux, denn der war der Größte unter allen. Aber Matthias war mir nicht erreichbar. Er befand sich damals in seiner Blütezeit und war auf Fahre hinaus von den großen englischen Bergsteigern für europäische und überseeische Unternehmungen sichergestellt. Und Eroux hatte ich noch immer nicht erkannt. Ich wußte von ihm nur, daß er der beste Mann für die Aiguille du Geant sei. Erst viel später habe ich gesehen, daß er der Beste sei für alles. Unerreichte Meisterschaft in allem, das bedeutete mir seitdem Joseph Eroux! Es haben ja auch andere Führer, ebenso auch, nach Purtscheller und den Brüdern Zsigmondy, andere erstrangige Führerlose jene Wand mit glücklichem Erfolge durchstiegen. Zweierlei wird dazu immer notwendig sein, will man nicht die Zahl der Unglücksfälle vermehren: Man darf sie nicht als Draufgänger anpacken, noch darf man es mit Furcht und Entsetzen int Auge tun. Sorgfältige, kühle Prüfung, kluges Betrachten und Wägen, dann aber eiserne Entschlossenheit sind der halbe Erfolg. Mittelmaß des Könnens wird dort ebenso verhängnisvoll werden können wie Unterschätzung von bevorstehender Schwierigkeit und Gefahr. Vielleicht war es dieser Fehler, welcher die lehken drei Opfer des Monte Rosa von Macugnaga, die führerlose Karawane Castel-nuovo, am Nordend spurlos verschwinden ließ. Dazu kam damals bei mir der begreifliche Wunsch, neue Teile der Alpen zu sehen. So ging ich mit Bonelti zum Monte della Disgrazia (3678 m), auf dem mir ein wolkenloser Tag beschieden war, dann überschritt ich von Chiesa aus den Crestagüzzasattel (3590 m) und stieg zum Piz Bernina an, erreichte aber an diesem Tage den Gipfel nicht, weil die obersten Wachten um die Mittagszeit zu weich geworden waren. Mir gingen nach Pontresina hinab und nahmen dann den Piz Bernina (4050 m) über die Bovalhütte bei hartem Schnee, aber leider ungünstigem Wetter. Ich sah die Schönheit der Berninagruppe, doch hat sie mich in den folgenden Jahren nicht mehr angezogen. In Gösch enen hatte ich gleich darauf Rendezvous mit Albert, der damals in Zürich studierte. Wir fuhren über Andermatt zum Furkapaß und kamen über den unteren Teil des Rhonegletschers zur Grimsel: Berner Oberland! Gemeinsam standen wir auf dem Finsteraarhorn (4275 m), wanderten über die Grünhornlücke (3305 m) zur Konkordiahütte, wo wir zwei uns bekannte prachtvolle Führerlose: Baler Fyn und Murphy trafen, dann auf die Jungfrau (4166 m). Alles bei strahlend schönem Wetter. Lange waren wir auf dem Gipfel der Jungfrau geblieben, dann schlugen wir den Abstieg nach Grindelwald über das Mönchsjoch ein. In der Berglihütte (3299 m), die hoch über Felsen steht, ruhte eben eine größere Gesellschaft von den Mühen des Anstiegs aus. Ihr leitender Führer, der berühmte Lorenz aus Galtür, stand an der Türe. Da wir nicht stören wollten, kletterten wir, ohne Aufenthalt zu nehmen, die Wandstufen hinab, um in die große Gletscherschlucht zu gelangen. Wir sahen unten im steilen Schnee die Spuren, welche die ruhende Partie Hinkerlassen hatte. Biermal querten sie in weiten Serpentinen die ganze Breite der Schlucht. Ober chr hängt ein großer Gletscher, dessen breite, mächtig vorgewölble Zunge sich tief hereinsenkt. Wir waren am Schluchtrande angelangt und eben im Begriffe, in die ausgetretene Schneekrasse der anderen einzulenken, als ich Hunger verspürte und als aufrechter Mann eine kurze Eßrast vorschlug. Ulrich Kaufmann, der berühmte „Kaukasus-Kaufmann", der uns führte, knurrte. Der Tag sei vorgerückt, wir müßten schauen, rasch durch die lawinengefährliche Schlucht zu kommen, man könne tiefer unten essen, ohnehin kämen wir in drei Stunden nach Grindelwald. Das leuchtete mir nicht ein. Ich hatte einen ehrlichen Hunger. So setzten wir uns trotz seines Protestes hin und aßen. Es währte zehn Minuten und wir wären mitten in der Schlucht gewesen. Da brach die ganze gewaltige 1 229 Eiszunge, der halbe Gletscher, der in die Schlucht hereinhing, hoch oben ab, stellte sich erst senkrecht auf, neigte sich dann langsam nach vorne und brach in sich zusammen. Die Trümmer, in welche sich die riesige Masse auflöste, halten die Größe eines Hauses. Als sie auf den Schnee der Schlucht auffielen, zerschellten sie zu übereinander-fiürzenden Blöcken von der Größe eines Zimmers. Nach einigen schwerfälligen Amdrehungen zerfielen diese durch den ungeheuren Druck in größere und kleinere Schollen grünen Eises. In diesem Augenblick erhielt die Lawine, die das Gewicht eines Berges darstellte, eine erschreckende Schnelligkeit. Mit einem fürchterlichen Aufbrüllen fegte sie die Schlucht hinab. Sie riß alles mit sich fort, was ihr im Wege stand, erfüllte und verebnete Spalten, leckte hoch an den Schluchtwänden hinauf, fuhr über die erste, die zweite, die dritte, die vierte Kehre der Traffe und enteilte tief unten unserem Blick. Die Felsen erbebten, es war ein Tosen, als stürzten die Berge ein. Wären wir in der Schlucht gewesen, wir wären zu Brei zermalmt worden. Oben am Geländer vor der Hütte erschienen die erschreckten Gesichter ihrer Insassen. Als man uns heil sah, kamen laute Glückwünsche herab. Wortlos blickten wir uns an. Noch stürzten einige große Blöcke nach, dann trat Stille ein. Und Kaufmann, der in unerschütterter Ruhe auf das katastrophale Schauspiel geblickt hatte, sagte mit einer Stimme, die wie Erz klang: „Jetzt ist alles herunter, vorwärts, aber schnell!" Es war ein „schnell", das wie ein elektrischer Schlag durch unsere Beine fuhr, und weiß Gott, wir waren schnell! Trotzdem dünkte es uns eine Ewigkeit, ehe wir am Ende der Schlucht durch ein Spallenlabyrinth und über eine steile Eiswand nach links Hinausqueren konnten. Dann kamen wir zu steilen Felsen und Leitern und wußten uns in Sicherheit. Das ist die größte Lawine gewesen, die ich je habe fallen gesehen^). In Grindelwald traf ich Blodig und Purtscheller, Albert trennte sich hier von mir. Ich wandte mich dem Schreckhorn (4080 m) zu. Kaufmann führte uns nicht durch die Couloirs, sondern über den sogenannten „Kag". Es wehte der Föhn. Der Sturmwind wurde immer stärker, kurz vor der berüchtigten Stelle, die „Elliots Mängel!"^) heißt, packte er uns mit solcher Gewalt, daß wir uns an die tief eingerammten Pickel binden mußten. Am freier atmen zu können, scharrte ich mir im Firn eine kleine Mulde aus, in die ich Mund und Nase preßte. Wir verharrten so eine halbe Stunde und klammerten uns krampfhaft an, um ”) Nicht weit von dieser Stelle, die «ns fast verderblich wurde, ist viele Jahre später Alexander Burgener in einer Lawine verunglückt. ts) Der Engländer Elliot ist da verunglückt. nicht herunkergerrssen zu werden. Endlich mußten wir einseh en, daß unter solchen Umständen eine Begehung des berühmten schmalen Schreckhorngrakes ganz ausgeschlossen sei, und benützten eine Kurze Ruhepause zum eiligen Rückzug. Der Wind blieb auch in den unteren Regionen so stark, daß wir an exponierteren Stellen der Moränen auf allen vieren gehen mußten. Ich stelle fest, daß dies damals, von den Kindesjahren abgesehen, in meinem Leben zum ersten und einzigen Mal vorgekommen ist. Bom Grindelwalder Tal sahen wir große Rauchwolken aufsteigen. Ich schloß auf einen Waldbrand, Kaufmann meinte, es sei der Staub von Straßen und Moränen. Als wir zum Bäregg kamen, sahen wir» was es war: Grindelwald brannte! Es brannte nicht Grindelwal- allein, es brannte das ganze Grindelwalder Tal. Alles: Häuser, Hotels, Eisenbahnstation, Waggons, Heuhütten, Zäune, Ge-treideäcker, Telegraphenstangen, alles brannte! Und vor dem Sturme flogen feurige Zungen wie Brandpfeile wagrecht durch das Tal und zündeten weiter, wo sie trafen. Das Feuer war durch den Föhn im Hotel Bär ausgebrochen, wo meine Sachen lagen. Kaufmann sah fein Haus bedroht, aber noch aufrecht. Er hatte sein Geld im Hause. Wir flogen hinab, aber als wir unten ankamen, war sein Haus ein rauchender Schutthaufen. Er stellte sich ruhig an die Feuerspritze. Bonetti und ich arbeiteten den ganzen Nachmittag und die Nacht hindurch bis zum nächsten Morgen in der Wasserbette. Da standen neben den Eingeborenen die englischen Misfis und reichten die Eimer weiter. Purt-scheller und Blodig hatten mit Kraft und Bravour ein Klavier und einen Omnibus gerettet, aber diese beiden so nützlichen Gegenstände brannten dann später separat für sich ab. Das war der große Brand von Grindelwald. Meinen Rucksack mit seinem ganzen Inhalt fand ich später zufällig, er war gerettet worden. In den ersten Morgenstunden ging ich das Dorf hinaus und besah mir den Jammer. Da fand ich ein einsam stehendes Haus, das in der Richtung des Feuers lag, aber im Schuh eines großen Baumes verschont geblieben war. Die Inwohner begossen still und eifrig das Dach. Ich bot meine Dienste an, aber der Eigentümer dankte zuversichtlich, der Baum werde sein Haus retten. Tatsächlich ist es so gewesen. Ich wäre obdachlos geblieben, hätte mir nicht eine holländische Dame in liebenswürdiger Weise sagen lassen, chr Empfangssalon im verschonten Hotel Adler stehe zu meiner Berfügung. Da habe ich mich gestreckt! Drei Tage wütete der Föhn, dann wurde es wieder ruhig und schön, und ich kehrte zum Schreckhorn zurück. Es gehört zu meinen schönsten Fahrten. Der Gang über den letzten, ideal scharfen Grat ist geradezu einzig. Man sieht, es war für mich ein schwer erreichter Gipfel, und meine Freude war unbeschreiblich, als ich die „Gipfelkäubchen"^) erreich! Halle. Ins Berner Oberland bin ich nochmals nach einer sehr glücklichen Bergkampagne im Wallis zurückgekommen. Da erstieg ich mil Bonelti und Peter Baumann bei herrlichem Melker das Große Laukeraarhorn (4048 m) und das Welkerhorn (3708 m). Anderes gelang mir dort nicht mehr. Ich verstehe es, wenn man sagt, die Berner Alpen seien die schönsten Berge. Sie vereinigen die himmlische Schönheit der savoyischen Almen mil dem großen Eis. Aber gegenüber dem Wallis, der Monk-Blanc-Gruppe und dem Dauphine bestanden sie bei mir nicht. Ich suchte damals noch nichl Frieden und reine Schönheit, mich zogen finstere Äberlebensgröße und das Welkverlorene der EinsamKell an. And die Einsamkeil fehlte mir ganz besonders im Oberland. Man ist auf seinen Gipfeln selten allein. Immer blickte ich nach Südwesten. Dort lagen noch immer die Ziele meines innersten Herzens! Inzwischen hatte ich den Grand Tournalin (3379 m), den Lyskamm (4529 m) von der italienischen Seite, über die Cresta Perazzi"), erstiegen, war dann über die Lysnase zur Capanna Gnifelti (3647 m) gezogen, wo ich längeren Aufenthalt nahm. Bon dort besuchte ich die kleineren Gipfel des Monte Rosa, die Parrotspihe (4463 m), das Balmenhorn (4231 m), das Schwarzhorn (4332 m), und sah auf die Südmauern des Monte Rosa. Dort war damals fast alles noch jungfräuliches Terrain. *3) Zwei kleine Ewigschneeflecke unmittelbar am Gipfel. M) 3ch habe damals diesen Weg gewählt, weil es mir als eine Dreistigkeit erschienen wäre, mit meinem großen Körpergewicht die unheimliche Wächtengefahr des Oslgrales herauszufordern. Allerdings ist auch auf diesem südlichen Wege noch ein gutes Stück des Wächtengrales nach Osten hin zu überschreiten. Nicht ohne Grauen sah ich während des Aufstieges die langen Wächlenreihen von den Graten des Lys-kamms weil über die Abgründe seiner Südseite Hervorschietzen. Schwer mit Eiszapfen behängen, stützten sich ihre schillernden Schneebaldachine an den vorspringenden Ecken auf mächtige Strebepfeiler aus grünem Eise, die an den schwarzen Felsenmauern herabliefen. Ein Bild von schrecklicher Schönheit, daraus der Wächtenlod grinsend hervorblickt. Die Eiszapfen klirren und die Sense blinkt! Einige Stufen an der Cresta Perazzi waren von glasigem Eise überzogen und halten «ns zu schaffen gemacht. Wir nahmen darum den Abstieg weiter westlich von ihr über die steile Eiswand, die aber sehr schön überfirnt war. Zwei Pickelschläge genügten zur Herstellung einer aus-zeichneten Stufe. So kamen wir sehr rasch hinab, fanden dafür am Bergschrund zu Fützen komplizierte Arbeit in hartem Eise. Um bester zu sehen, legte da der vorangehende Bonelti die Brillen ab, was ihm eine sehr unangenehme dreitägige Schneeblindheit einlrug. Er verbrachte diese Zeit im dunklen Verließ unterhalb der Schlaf-prilsche der damaligen kleinen Capanna Gnifelti. Am Rendezvoustage der Bincenl-pyramide war er noch nicht völlig hergefiellt. Albert sah ihn von weitem als ein schwarzes Bündel auf dem Schneehang liegen, währen- ich schon oben im Lichte stand. Zu Seite 232 Lyskamm vom Monke-Rosa-Hang (oberhalb des Lysjoches) $r. Carlo Chersich-Trieft Ich kam aber erst dahin, lange nachdem die Brüder Gugliermina ihre große Arbeit getan hatten. Auf der Vincentpyramide (4215 m) kam ein lange vorher verabredetes Rendezvous mit Albert in der fröhlichsten Weise zustande. Die Rendezvousstunde war, glaube ich, um 10 Uhr vormittags. Ich stand lange früher oben und blickte zum Lysjoch, denn mein junger Freund hatte den Weg von Zürich über Zermatt und den Grenzgletscher genommen. Pünktlich kam seine Karawane in Sicht. Er lief die Schneehänge so rasch herauf, daß er, bei mir angelangt, lange nicht reden konnte. Dann wollte er einen feinen Jauchzer steigen lassen, aber noch fehlte der Atem, die Kehle war zugeschnürt, es blieb bei der Gebärde. Da warf er sich in seiner unbändigen Freude in den Schnee und kugelte auf dem Gipfel herum, daß wir erschreckt an die Ränder sprangen, um ein Abrollen zu verhüten. Endlich hatte ich den lieben Zungen so weit beruhigt, daß ich ihm den Dom von Mailand zeigen konnte, der an jenem kristallklaren Tage deutlich in -er lombardischen Ebene leuchtete. Dann saßen wir lange zufrieden beisammen. In den ersten 1890er Zähren kam ich mit Bonetli zur Ostwand des Monte Rosa zurück. Ich traf es ungünstig, das Nordend war noch weiß, der Weg Brioschis somit ausgeschlossen. Da gedachte ich den neuen Weg über das Jägerjoch zum Nordend zu versuchen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß dies der erste derartige Versuch war. Ich sah mich in Macugnaga nach einem zweiten Mann um. Clemens Imseng, welcher der Beste gewesen wäre, lehnte jede Monte-Rosa-Anternehmung von dieser Seite prinzipiell ab, zu Corsi, dem überlebenden von der Katastrophe Marinelli, fehlte mir das volle Zutrauen, so nahm ich Alois Burgener, der sich zum Unterschied von seinen Walliser Namensvettern Burghiner schrieb. Wir bezogen ein hohes Biwak im Ostgrat des Zägerhorns, und da wir sehr früh dahinkamen, so genoß ich viele Stunden lang, einen ganzen Sommernach-mitlag bis zum sinkenden Abend, den wundervollen Blick auf den großen Zirkus von Macugnaga. Wir lagen auf einer Art Kanzel hoch über dem Monte-Rosa- und dem Macugnaga-Gletscher. Lawinen donnerten den ganzen Tag, Steinsalven knatterten über die Mauern herab und rumorten in den schwarzen Eiskehlen, oben blinkten die Reihen der gleich ungeheuerlichen Eisfefions herabhängenden Gletscher und die stolz darüber ragenden Eiswände des Monte Rosa. Das war ein Glanz! Es war mein erstes Biwak in den Westalpen und ich merkte so rech! den Unterschied zu den Biwaks der Jütischen Alpen. Keine immerwährende Feuer- und Rauchsäule, nur ein mageres Feuerlein knapp zur Essenszeit, denn das Holz trägt man mühsam herauf. Kein harzduftendes Lager auf Legföhren oder Alpenrosen. Harte Granit- blödie, kalte Gletscherlüfte! Nicht die weich träumende, zauberische Stille der Nacht. Die Gletscher sprechen im Schlafe, sie drohen, stöhnen, murren und brüllen auf, daß alle Kreatur erschreckt horcht, lind ab und zu fährt eine wilde Jagd durch die Lüfte und irgendwo in der Nähe mit solch furchtbarem Getöse vorüber, daß man unwillkürlich aufspringt und mit angestrengtem Auge durch die Finsternis der Nacht die Bahn des Verderbens sucht. Es ist ein anderer Ton. Wir sind nicht in den südlichen Kalkalpen, wir sind im großen Eis. Hierher kommt man nicht, um zu träumen, sondern um stark und zielbewußt zu handeln. Lorbeeren hollen wir uns am nächsten Tage nicht. 3m Gegenteil! Wir wurden geschlagen, so recht aufs Haupt geschlagen. Die Nordgrate des Monte Rosa starrten von Eis. Hohnlachend wiesen sie uns ab. Wir erstiegen vom Iägerjoch das Zägerhorn (3975 m) und blickten stundenlang hinüber. Ab und zu löste sich ein schwerer Eisbehang und fuhr klirrend in die Tiefe. Da war nichts zu machen, und wir stiegen mit gesunkenem Mute jenseits über die weiten Gletscher zum Riffelhaus hinab. Dort beschloß ich, das Nordend (4612 m) von der leichteren Walliser Seile zu ersteigen. Es ist ein selten besuchter Gipfel, die Dufourspihe zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Keiner von uns kannte den Weg. Wir nahmen den Südwesthang in Angriff, gerieten aber ober dem Bergschrund an steiles, Harles Eis und sahen nach längerer Eisarbeit ein, daß wir wohl fehlgegangen und für diesen Tag zu spät daran seien. Am nächsten Tage kamen wir wieder und drangen durch das großartige Glelschertal zwischen Dufourspihe und Nordend bis zum Silbersattel vor. Das ist der höchste Eissattel Europas-"), ein Platz des Besuches wert. Der Blick hinab in die Abgründe der Macugnagaseile ist von grauenvoller Schönheit. Dann zogen wir über den großen Südgrat, der so stark überwächtet war, daß er mich an den Lyskamm gemahnte, zum Nordend hinauf. Nur eine kurze Stelle, eine Art Gratscharte, bietet Felsenklelterei, sonst ist alles Firn und Eis. Als wir auf der Spitze ankamen, hinderte die hohe Gipfelwächte den Ausblick nach Osten. Sie fiel, von unseren Pickeln bearbeitel, mit einem dumpfen Krachen in die Tiefe, und da blickten wir mit einem Schlage die 3400 Meter nach Macugnaga hinab. So gewaltig wirkte der plötzlich geöffnete ungeheure Tiefblick, daß wir rasch einige Schritte zurücktralen, als könne eine gespenstische Hand zum schwindelnden Rand heraufgreifen und uns in die bodenlosen Abgründe reißen! =6) 4490 m. 3n Zermatt kam Alexander Burgener auf mich zu. Er sei frei und wenn ich wolle, so gehe er mit mir. Ich freute mich, den berühmten Mann zu meiner Verfügung zu haben und sah in ihm den richtigen Führer auf Weißhorn (4512 m) und Dent Blanche (4364 m), die auf meinem Programm standen. Am Weißhorn, das wir bei herrlichstem Wetter erstiegen, versagte im Abstieg Bonetti in sehr auffallender Weise. Wie es gekommen ist, wurde mir nie recht klar. Ich hatte eine geringe Abnahme seiner Spannkraft und Leistungsfähigkeit von Jahr zu Jahr wohl bemerkt. War es nun richtig, was die anderen sagten, daß er heimlich viel trank, ist feine Rechtfertigung zutreffend gewesen, man habe ihm in Zermatt beim Zechen so stark zugeseht, um ihn in meinen Augen unmöglich zu machen? Ich konnte es nicht ergründen. Jedenfalls kam es vom übermäßigen Trinken. Mein Prinzip, immer nur von ganz einwandfreien Leuten umgeben zu sein, legte es mir auf, mich von dem Manne zu trennen, -er mir sieben Zähre treu gedient hatte. Ich tat es ohne Zögern, aber betrübt und in der rücksichtsvollsten Weise, so daß ich hoffe und glaube, er werde an feinem Lebensabend ebenso gerne und ohne alle bittere Empfindung an unsere gemeinsam vollbrachte Arbeit in den Bergen zurückdenken, wie ich es tue. Gesehen habe ich ihn nicht mehr. Bei ebenso strahlendem Wetter gingen wir, nach einem Biwak am Schönbühl, mit einem Supersax als dritten auf die Denk Blanche. Sie hinterließ bei mir den Eindruck eines hinreißend schönen Berges, für meinen Geschmack des schönsten im Wallis?«). Eigentümlich war die Art und Weise, wie Burgener die Ersteigung inszenierte. „Herr, wir sind auf der Dent Blanche", rief er mir an jeder großen Stelle zu. Er mochte gesehen haben, mit welcher Andacht ich an diesen Berg heran-getreken war, den Whymper so packend zu schildern weiß. Im Abstieg spielte uns die Dent Blanche einen bösen Streich. Der Schnee war im Ansteigen überall in dünner Lage, aber fest auf dem Eise gelegen, daß wir nur ganz Kleine Stufen zu Kratzen brauchten. Als wir am Nachmittag zum Eisgrat zurückkamen, war der Schnee infolge der Sonnenwirkung abgerutscht „wie Reis", und das blanke Eis lag zutage. Die ganze Strecke mußte gehackt werden, und es wurde Nacht, da wir noch in den Wandfluhfelsen waren. Wir mußten dort verbleiben» was für Burgener und mich ein Spaß war, während Supersax ein schiefes Gesicht machte. Er hätte lieber den Abstieg forciert, kam aber gegen den weit überlegenen Burgener nicht auf. Die ganze Nacht hörten wir von der Pointe de Zinal Steine poltern. Gegen Morgen wurde ”) Ich weiß, daß fast allgemein das Weitzhorn als der schönste Walliser Berg gilt. es Kaller, als es unserer Meinung nach zu einem guten Spaß gehörte, um so herrlicher ließ der Sonnenaufgang Monte Rosa, Lyskamm und Matterhorn aufglühen. Dann stiegen wir in der Morgenkühle sehr befriedigt zur Staffelalp und nach Zermatt ab. Burgener befand sich damals nicht mehr in der vollen Blüte der Jahre, trotzdem hatte mir der gewaltige Mann sehr imponiert. Ich trachtete, ihn für mich zu gewinnen, aber er war als ständiger Begleitführer anderen Bergsteigern auf Zahre hinaus verpflichtet und nur dann zu haben, wenn von seinen alten Herren zufällig niemand kam. So war ich etwas in Verlegenheit» als ich die Pläne für das folgende Jahr zusammenstellte. Es kam dazu, daß ich wieder am Nordend von Macugnaga beginnen wollte. Ich wußte, daß fast alle in Betracht kommenden Führer eine derartige Unternehmung ablehnen tourbcn27). Da fiel meine Wahl auf Leute von Valtournanche. Ich hatte den jungen Antoine Maquignaz als Träger Mackenzies am Colle delle Loccie kennen gelernt, und der schöne und kühne Junge hatte mir gefallen. So kam eine Gesellschaft zustande, die aus Albert und mir, Antoine und einem Pelissier2^) bestand, der dann nach Amerika aus-gewandert ist. Rendezvous in Macugnaga. Als wir spät abends hinkamen, erklärten die Führer, das Nordend sei noch weiß, sie würden es um keinen Preis angehen. Ich mußte am nächsten Tage selbst ein-sehen, daß sie recht hatten. Es waren damals sehr ungünstige Jahre, man hätte viel später, Ende August oder Anfang September, sein Glück versuchen müssen. Aber trotzdem war es für mich eine peinliche Enttäuschung. Wir gingen über den Monte Moro ins Saastal, dann über den Adlerpaß auf das Strahlhorn (4191 m) und nach Zermatt. Ich hatte damals ein schlimmes Jahr hinter mir. Einige Dinge waren mir stark zu Herzen gegangen. Ein Schleier lag über ihm. Das kommt schon so vor. Ich wurde ein Griesgram, überließ die Führer Albert, der mit ihnen einige kleinere Unternehmungen durchführte, und vertiefte mich in Bach und in Grübeleien. So wäre ich für den Rest der Ferien verblieben, wäre nicht eines Tages Felix Zulen, der mir persönlich liebste Bergführer von Zermatt, der mir so zugetan war, daß er mich immer beim Taufnamen nannte, auf mich zugetreten: „Was ist denn, Zulius, Sie gehen nicht mehr auf die Berge?" Ich sagte ihm, daß ich etwas enttäuscht sei. „Oh," meinte er, „das vergeht oben, morgen kommen Sie mit mir auf das Ober-Gabelhorn." — „Gut", sagte ich, und wir gingen. Pelissier war Träger. Die Kletterei ist S7) Auch Burgener. Er hal nur einmal mit Professor Schulz und Perren die Dufour-spihe von Macugnaga überschritten nnd war dann nicht mehr dafür zu haben. 2S) Andreas. prachtvoll. Mitten im Grat richtete sich ein schwerer Block auf, legte sich auf unser Seil und wollte uns hinunkerreißen. Wir wehrten uns mit der vereinten Kraft dreier starker Männer. So blieben wir und er ging allein. Als wir zur Gipfelwächle kamen» fanden wir sie in einem solchen Zustand, daß wir uns nicht getrauten, sie zu überschreiten. Sie hing nach beiden Seilen weit vor und war an der Basis so zerfressen, daß es schien, sie werde bei der geringsten Belastung abbrechen. „Sie sehen, Zulen," sagte ich, „ich habe kein Glück mehr", gab die höchste Spitze auf und gedachte eine Stunde am Borgipfel zu verbleiben. Da grübelte ich wieder. Aber Zulen schlich sich verstohlen weg und arbeitete eine halbe Stunde an der Mächte. Dann kam er und sagte mir, wir könnten es versuchen. Er hatte große Arbeit geleistet, gefährliche Überhänge hinweggeräumt und eine einigermaßen solide Brücke hergestellt. über diese zogen wir zum Hauptgipfel (4073 m) hinüber, und als ich oben anlangte, wußte ich nicht, was heller und freudiger erstrahlte, ob der Sommerlag, der über der Bergwelk des Wallis lag, ob das schöne Seemannsgesichl Iulens, der mich zu chm geführt hakte. Am gleichen Tage wollte Albert mit Antoine und einem anderen jungen Pelisfler von der Wellenkuppe über den Verbindungs-grat zu uns herüberkommen, aber sie blieben mitten im Grat stecken. Wir sahen sie jenseits einer riesigen Mächte, die chnen den Weg versperrte, lange unschlüssig stehen, ab und zu arbeiten, und schließlich zurückgehen. 3m Abstieg ging eine große Steinlawine auf einen Platz nieder, auf dem wir bis kurz vorher lange Mittagrast gehalten hatten. Eine Staubwolke verhüllte die ganze Ostflanke des tückischen Berges. „Sehen Sie, Julius," sagte Zulen einfach und fromm, „man muß immer vertrauen! Da hat jemand für uns gesorgt!" Das Wetter blieb schön. Albert ging von Rand« mit Antoine auf das Weißhorn, ich mit Zulen auf den Dom (4554 m). 3n Randa kamen wir am nächsten Abend wieder zusammen. „Was haben Sie gemacht?" frugen uns einige Engländer, als wir in Zermatt einzogen. „Weißhorn und Dom an einem Tage", sagte ich, ruhig weilerschreitend, und ganz verblüfft blickten sie uns nach. Man sprach von unserer fabelhaften Leistung und atmete ordentlich erleichtert auf, als ich erklärte: „Nun ja, an einem Tage der eine das Weihhorn, der andere den Dom!" 3m nächsten Jahr konnte ich zu Antoine auch Daniel Maquignaz gewinnen. Er stammte aus der Schule seines Onkels, des berühmten, am Mont Blanc mit Billanova verunglückten alten Maquignaz, und man rühmte ihm zur Zeit, da er zu mir kam, nach, daß er der erste Führer 3taliens sei. Keine Frage, er war ein phänomenaler Führer, als Felsenklelterer dem riesenstarken, aber schweren Alexander Bur- gener werk überlegen, im Eise erfahren, behend wie eine Katze, von wunderbarer Schnelligkeit, von zielbewußter Kühnheit, die niemals in Dreistigkeil überging. Er ist dann noch viele Jahre mit mir gegangen. Ich habe mit ihm ganze Reihen von glänzenden Touren gemacht und chn sehr liebgewonnen. Eine Zeitlang war er wie von einer Gloriole umgeben. Das Glück ging treu mit ihm. Er erinnerte mich in mancher Beziehung an Andreas Komac. Wie den Bonetti, so hat auch ihn das Trinken vorzeitig zurückgeworfen. Den vereinten Bemühungen von Farrar, Rey und mir, seinen bevorzugten Herren, ist es nicht gelungen, ihn von diesem Laster abzubringen. Wenn ich chm ins Gewissen redete und chn daran erinnerte, er sei es seinem berühmten Namen schuldig, so sah er es ohne weiteres ein und versprach es. Wenn ich ihm sagte, er solle an seine Kinder denken, so dankte er mir mit Tränen in den Augen und ging voll aufrichtiger guter Borsähe von mir. Farrar war schärfer — so sagte man mir — und traf es vielleicht richtiger. Er sperrte chn an gefährlichen Orlen, wo Wirtshäuser winkten, am Bortage des Aufbruches einfach ein. So wird es ihm nicht passiert sein, wie es mir vorgekommen ist, daß sich Daniel zur Stunde des Aufbruches zu einer unserer längsten und verantwortlichsten Touren^) angetrunken einstellte. Er führte aber damals so glorreich zum herrlichen Erfolg, bat mit so zerknirschter Miene immer wieder um Verzeihung, erkundigte sich im Verlaufe der Unternehmung in so herzlich lieber Weise alle halben Stunden nach meinem Befinden — „?a va bien, Monsieur Kugy?“ lautete seine in reizendem, fast zärtlichem Tonfall gestellte Frage oft mitten in den schlimmsten Stellen —, daß ich ihm gewiß nicht böse sein konnte. Aber da ich ihn wirklich lieb hatte, war ich bei solchen Anlässen traurig bewegt und bedachte für ihn das Ende. Er fühlte es heraus, und wenn ich ihn zum Abschied grüßte, umarmte er mich weinend und mit einer Dankbarkeit, die nicht gemacht war. Er wolle ein neues Leben beginnen, ich solle ihm verzeihen, ihn lieb behalten und wiederkommen. Er starb verhältnismäßig früh, nicht, wie vielleicht gute Geister an seiner Wiege vorausgesagt haben mögen, jm stetigen Aufsteigen zu den abgeklärten Höhen der wahrhaft großen Pioniere der Westalpen, sondern zu einer Zeit, da seine so glänzend begonnene Bahn aus unrühmlichen Ursachen von Jahr zu Jahr sich langsam zu senken begann. Trotz allem hat er für mich immer etwas Besonderes um sich gehabt. Wie oft erscheint er mir noch heute mit seiner lieben Frage auf den Lßipen, und ich reiche ihm herzlich meine Hand und sage ihm mein: „Danke, mein lieber Daniel!" S0) Überschreitung der Barre des Lcrins im Dauphins von Süd nach Nord. Aus Whympers unsterblichem Buche war mir ein neuer Wunsch erstanden: die Aiguille Berte (4127 m). Bon Courmayeur ausgehend, wollte ich über den Col Ferret den Cot d'Argentiere überschreiten, die Aiguille d'Argentiere ersteigen und mich dann der Verte zuwenden. Wir biwakierten nach dem Col Ferret unter einem großen Moränen-block, hart am Glacier de la Neuvaz und brachen noch vor Morgengrauen auf. Keiner von uns kannte den Col d'Argentiere (3516 m). Nach links hin war der Gletscher stark aufgebrochen» nach rechts lag er so rein und schön geschlossen da, und als die Sonne aufging, glitzerte seine Oberfläche in allen Regenbogenfarben, als sei sie mit Diamanten bestreut. Mir blieben oft stehen und genossen so recht. Das war ein Morgen! „Les oiseaux chantent“, sagte Daniel entzückt, als einige kleine Moränenvögelchen ihr feines Gezwitscher erhoben. Wie war es schön! Die Gletscher leuchteten, ruhevoll standen die edlen Gestalten der Berge im milhen Himmel. Wie hätten wir daran denken sollen, die Poesie dieses Morgens und unserer Stimmung mit dem Studium der Karte zu stören? Der Schnee wurde etwas steiler, nach einigen Stunden wölbte sich eine Eiscalotte auf, die wir klüglich von ihrer besten Seile nahmen. Da standen wir plötzlich am Hauptgrat, und jenseits lag Frankreich. „Nous y sommes“, sagte Daniel, „voilä le Col d’Argentiere!" „Sehr schön," sagte ich, „ich bin sehr zufrieden, ich danke Ihnen, Daniel!" „Aber, Daniel," fügte ich nach einer kleinen Weile hinzu, „man hat mir unten gesagt, wir würden auf Schwierigkeiten stoßen. Haben Sie das schwierig gefunden?" „Ah, Herr," sagte Daniel mit ruhiger Überzeugung, „schwierig ist das nicht!" „Aber, Daniel," fuhr ich fort, „man hat mir gesagt, wir würden Steingefahr haben. Haben Sie Steine gesehen?" »Ah, Herr," sagte Daniel unschuldsvoll, „Steine sind da nicht!" „Aber, Daniel," und ein böser Zweifel kroch mir über die Seele, „vom Col d'Argentiere gesehen, müßte die Aiguille Berte links, die Aiguille d'Argentiere rechts sein. Da ist aber auch die Aiguille d'Argentiere links!" „Ah," sagte er etwas unruhig, „ganz richtig, Herr, rechts ist sie wirklich nicht!" Da tat ich, was ich lange vorher hätte tun sollen. Ich zog die Karte hervor. Und dann sagte ich: „Aber, Daniel, das ist ja gar nicht der Col d'Argentiere!" Und Daniel schaute auch, und mit tonloser Stimme und mit der Miene eines Mannes, der sich verloren sieht, stammelte er: „Ach, Herr, der Col d'Argentiere ist das nicht!" Wir waren auf der Grande Lys (3504 m)30). Unser Schönheitsgefühl hakte uns viel zu weit nach rechts geführt. Ich tröstete mich bald. Die Aussicht war so herrlich, der Name „Grande Lys" so schön, und so anmutend der Gedanke, auf einer großen weißen Lilie über den Gletschern zu sitzen» daß ich mich freute. Nur fürchteten wir den Spott. Wir gaben uns das Wort, niemand werde etwas davon erfahren. Es blieb nur ein Ausweg, um sich mit Ehren aus der Sache zu ziehen. Wir mußten jenseits hinab, den Fuß des Col du Chardonnet gewinnen, den Col überschreiten, dann den Glacier d'Argentiere zu den Chalets de Lognan hinauswandern. Der Abstieg war sehr steil, ohne schwierig zu werden, daran schloß sich plangemäß die großartige Gletscher-wanderung über die Glaciers de Saleinaz, du Chardonnet und d'Argentiere. Etwas kleinlaut traten wir in den Pavillon de Lognan ein, der über dem Gletscherbruch des Glacier d'Argentiere steht. Aber wir hatten Glück. Man habe uns auf dem Col du Chardonnet gesehen, da kämen wir wohl aus der Schweiz? frug der bergerfahrene Hauswirt, nachdem wir gegessen hatten. „Wir kommen allerdings über Schweizer Boden," sagte ich vorsichtig, „aber von Courmayeur." Der Mann stutzte. Und doch über den Col du Chardonnet? Wie wir denn gegangen seien? „Wir haben die Grande Lys überschritten und sind so an den Fuß des Col du Chardonnet gekommen." Er wandte sich in der liebenswürdig theatralischen Art der Franzosen an die Anwesenden: Messieurs, da sei eben ein neuer Weg gemacht worden, auf dem noch niemand zu ihm gekommen sei. Aber er habe es ja gleich gesagt, daß man unserer cordee etwas Außerordentliches anmerke. Alles blickte bewundernd auf uns. Wir winkten ab, erhoben uns und setzten uns großartig in die Sonne. Drüben lag der Col d'Argentiere. Er lachte über sein ganzes eisbehangenes Gesicht. So was Lustiges ist ihm gewiß in seinem ganzen Leben noch nie passiert. Tags darauf gingen wir zur Aiguille d'Argentiere (3907 m). Mir waren nicht mehr weit vom Gipfelgrat entfernt, als wir plötzlich im hochgewölbten Schnee knietief einzubrechen begannen. Er war unter einer dünnen Harstkruste pulverig, die steile Unterlage, wie wir deutlich verspürten, Eis! Es mißfiel uns, zögernd blieben wir stehen. Was ich zu tun gedenke, frug Daniel, wir befänden uns in äußerster Lawinengefahr. Die Vernunft gebot sofortiges Zurückgehen, und so hatten wir so) Ich habe damals Grande Lys (Lis) gehört. Die Karle Imfeld-Kurz nennt sie allerdings Grande Luis (3504 m). Z» Seite 235 Dent Blanche vom Matterhorngral Dr. (Furie Ehersich-Tricft «ns innerhalb dreier Tage zwei große Niederlagen geholt. Am Tage daranf schlug das Welker um und alle Aiguilleskräume zerflossen in Nebel und Regen. Das Jahr darauf gehörte Daniel Farrar, dafür hakte sich Burgener mir angefragen. Mein Programm war dasselbe geblieben. Wir biwakierten an der gleichen Stelle. Am nächsten Tage sah ich am Fuße des Col d'Argentiere zunächst, was ein großer Bergschrund ist. Wir stiegen von seiner unteren Lippe in den Spalt ein, der so weil klaffte, daß ein mehrstöckiges Haus darin Platz gefunden hätte, hackten drinnen int Eis, sprangen über Blöcke, schlugen Reihen armsdicker Eiszapfen ab, daß der ganze dämmerige Raum erklirrte, querten an Turmwänden, balancierten über schmale Eisbrücken, kletterten über wasserüberronnene Felsplatten, machten eine ganze inferne Bergpartie, und als wir endlich an der oberen Schrundlippe in das Tageslicht traten, wunderte ich mich, daß uns eine derartige Arbeit nur um die kurze Spanne vorwärts gebracht habe. Nächst den Bergschründen am Col du Mont Dolent, an der Argentiereseite des Mont Dolent und an der französischen Seite des Col Iorasses ist dies mein größter Bergschrund gewesen. Wenn ich heute an das große Eis zurückdenke, so kommt es mir vor, daß diese weitgeöffneten Rachen der Bergschründe zu seinen gewaltigsten und eindrucksvollsten Erscheinungen gehören. Nichts läßt sich mit der Wirkung vergleichen, als wenn man, von Nebeln umhüllt, an den Eismauern der Mont-Blanc-Gruppe herabsteigt und plötzlich der Ruf des Borderfien herauftönt: „Der Bergschrund in Sicht!" Bald sahen wir auch die Steingefahr. Am chr zu entgehen, ließen wir uns in einige Klettereien ein, die sehr schwierig waren. Wir gaben ordentlich Atem aus. So haben wir uns den Col d'Argentiere wohl redlich verdient, und die langen Stunden der Rast und Schan auf feiner Höhe waren um so herrlicher, als wir wußten, daß nunmehr alle Schwierigkeit überwunden sei und nur mehr der Abstieg durch die prachtvolle Avenue des Argentieregletschers bevorsiehe, die, zu beiden Seiten von den herrlichsten Eisgipfeln der Mont-Blanc-Gruppe flankiert, fast mühelos nach Lognan hinaussührt. Nach einem Rasttage wandten wir uns der Aiguille d'Argentiere zu und erstiegen sie vom Iardin d'Argentiere über ihre wunderbar abschüssige Westflanke. Dann kam wieder eine lange Periode schlechten Wetters und die Aiguille Berte mußte neuerdings zurückgestellt bleiben. Es gelang uns in diesem Jahr nur mehr eine Anzahl kleinerer Sachen. An der Dent du Geant und am Matterhorn von Breuil wurden wir abgewiesen. Wieder war ich von der kraftvollen Führung Alexanders so entzückt, daß ich ihn gerne annahm, als er sich mir im folgenden Jahr neuerdings anbok. Ich kam natürlich mit Bertegedanken zum Rendezvous nach Courmayeur, fand aber an seiner Statt den Bruder Alois und den Sohn Heinrich. Der Baler sei erkrankt, er schicke sie als Ersah. Das war mir unlieb, denn Alois wertete an zweiter Stelle und Heinrich war ganz jung. Da ich den braven Mann, den ich seil 1886 kannte, nicht kränken wollte, fügte ich mich ohne weiteres, änderte aber die Pläne meiner neuen Umgebung entsprechend. Ich zog von Praraye über den Col Collon (3132 m) nach Arolla, erstieg den Mont Collon (3644 m), noch am Nachmittag des gleichen Tages den Pigne d'Arolla (3801 m), dann die Aiguille de la Za (3673 m). über den Col de la Dent Blanche (3544 m) und das noch lies verschneite, steingesährliche Triftjoch (3540 m) ging ich nach Zermatt, über das Allalinhorn (4034 m) nach Saas zum Portjengrat (3660 m), am gleichen Tage noch zur Weißmies (4031 m) und schließlich zum Flelschhorn (4001 m). Vielleicht war das letztere der Glanzpunkt dieser ziemlich reichhaltigen Kampagne, die mich viel Neues hatte sehen lassen, ohne mir ganz Großes zu schenken. Das Wetter war uns sehr gnädig geblieben, vom Flelschhorn sah ich die Dampfschiffe über den Lago Maggiore fahren, der in wundervoller Poesie drüben zwischen seinen malerischen Bergen lag. Dann fuhr ich mit der Schweizer Post über den Simplon nach Süden. In Zermatt hatte ich etwas mir sehr Peinliches erfahren. Alexander war nicht erkrankt. Sein alter Wiener Herr, auf den er in diesem Jahre nicht gerechnet hatte, wünschte ihn zu haben. Anstatt es mir offen zu sagen und mich um Rückgabe seines Morles zu bitten, was ich natürlich sofort getan hätte, da sein Wiener Herr ja den Borrang vor mir hatte, war chm diese Ausflucht angezeigler erschienen. Es war für mich ein wirklicher Schmerz, als ich in dieser Weise von Alexander Burgener schied. Man wird bemerkt haben, daß ich meine Führer gerne chealisierte. Am so schwerer traf es mich dann immer, wenn irgend etwas vorkam, das auf mich als eine Enttäuschung wirkte. Trotzdem bewahre ich ihm ein dankbares Andenken. Immer wird es mir eine stolze Erinnerung bleiben, mit dem sieghaften Führerkönig der Schweiz gegangen zu sein, dessen glorreicher Name und gewaltige Persönlichkeit viele Jahrzehnte hindurch aller Herzen höher schlagen ließen und die Berge erfüllten. Sehr befriedigt hat mich sein Sohn Heinrich. Das war in jenem Jahr der neu ausgehende Stern. In den späteren Jahren hat er voll gehalten, was er damals versprach. Ich bin ihm noch einige Male in den Bergen begegnet. Am so enger schloß sich Daniel an mich. Die folgenden Jahre ging er treu und voll Hingebung mit mir. Eigentümlich und fast kennzeichnend für ihn ist es gewesen, daß beinahe alljährlich ein Orienlierungs- fehler vorkam, der aber stets in einer genialen Weise gulgemacht wvrde, so daß daraus für mich eine starke Erinnerung mehr resultierte. An Stelle meines Zweiten, Antoines, ist später Aime Maquignaz getreten, den ich gleich Antoine in überaus lieber Erinnerung behalten habe3'). Wir gingen zunächst auf die Aiguille de Triolet (3876 m)32) und über den Col de Triolet (3691 m) zum Couvercle, von da auf die Aiguille du Moine (3413 m). Die Aiguille Berte verwehrte wieder langanhaltendes schlechtes Wetter. Ein anderes Mal wählte ich den Col de Pierre Joseph (3478 m) als Übergang von Courmayeur zum Couvercle. Bon der Cabane de Triolet (2584 m) ausgehend, stiegen wir die steile Firnwand gegen die Felsen des Cols hinan, als knapp nach Sonnenaufgang die Lüfte sich mit dem Surren fallender Steine zu beleben begannen. Wir sahen uns noch nicht unmittelbar bedroht, immerhin schlugen wir unsere Slufenreihe auf eine hoch oben aus dem Schnee ragende Felseninsel zu, deren unterer Überhang einen guten Schuh versprach. Dort hielten wir kurze Frühstücksrast und wollten beobachten. Es wurde immer lebendiger. Auf dem steilen Hang unter uns tanzten schon die Steine. Trotzdem hofften wir noch rechtzeitig nach rechts herauszu-queren und gingen rasch ans Werk. Aber Daniel hatte kaum einige Stufen um die Ecke geschlagen, als eine Steinsalve herabpfiff und ihn mitgerissen hätte, wäre er nicht der behende Daniel gewesen. Er hatte sich im Augenblick niedergeworfen, das Unheil ging über ihn hinweg. Rasch nach links versucht! Eine neue Salve auf dieser Seite! Wir durften die Köpfe nicht über den Rand unserer Insel erheben. Bon da an steigerte sich der Steinfall in einer Weise, daß wir einsahen» wir seien gefangen. Jeder suchte sich seinen Platz in einer gedeckten Nische und hieb sich im Schnee seinen Sitz aus. Immer höher stieg die Sonne. Sie löste die Fesseln, die Steinlawinen folgten sich Schlag auf Schlag. Bald war der große Firnhang unter uns ganz zerwühlt. Oft schlugen die Geschosse knapp neben oder unter uns ein, oder sie wirbelten in sausendem Flug über unsere Köpfe hinab. Gegen 2 Uhr nachmittags erreichte das großartige Schauspiel seinen Höhepunkt. Es war der 19. Juli, mein Geburtstag, und ich wußte, daß um diese Zeit zu Hause eben die Gläser auf meine Gesundheit erklangen. Da kam von links eine Steinlawine, von rechts ein kleiner Berg, aus Eis- und Felsblöcken bestehend, herab. Nicht weit unter uns kreuzten sich die Bahnen, über die halbe Breite des Firnhanges tosten die vereinigten 31) Literatur: „Erinnerungen aus dem Dauphine. Der Pie Gaspard (3882 m).“ ü. A. Z. 1913, 1. 32) Mont-Blanc-Gruppe. schweren Massen zum Gletscher hinab. Ich rief Daniel zu, dies sei einer der großartigsten Tage meines Lebens. „Je vous admire“, tönte seine feine Knabenstimme zurück. Dann neigte sich die Sonne nach Frankreich, gegen 5 Ahr nachmittags fielen die Schatten auf unsere Bergseite, der Aufruhr beruhigte sich, hie und da noch ein Block, es wurde still. Wir erhoben uns, reckten die steif gewordenen Glieder und sprangen so rasch wir konnten den Hang hinab. Als es zu dunkeln begann, nahm uns die Cabane Triolet wieder gastlich auf. Das ist mein Geburtstagsfest am Col de Pierre Joseph gewesen, der von da an bei uns nur mehr der „Col des Pierres" hieß. Am nächsten Tage zogen wir über den steilen Col de Talefre (etwa 3550 m) zum Couvercle. Ich hatte von Courmayeur telegraphisch einen Träger mit Proviant vom Montanvert dorthin bestellt und nun befürchteten wir, da wir einen vollen Tag verspätet waren, er werde wieder zurückgegangen sein. Mir riefen von der Höhe des Cols hinüber, aber es rührte sich nichts. Am Couvercle angekommen, durchsuchten wir alle Überhänge, ob nichts da sei. Aber der Mann und, was das Schlimmere war, der Proviantkorb mit ihm waren abgezogen. So stiegen auch wir zum Montanvert ab, denn wir waren ermüdet und ausgehungert. Wie dann endlich in diesem Jahr die Ersteigung der Aiguille Berte zustande kam, wie aus der geplanten einfachen Ersteigung, die an sich schon groß genug ist, infolge eines Orientierungsfehlers eine gewaltige Überschreitung wurde, habe ich an anderer Stelle erzählt^). Ich war sehr glücklich. Auch die wunderbar schöne Berte gehört somit zu den Bergen, die mich nicht gut behandelt haben und mich lange werben ließen. Aber alles hat jener Tag gutgemacht. Dann ging ich zum dritten Mal auf den Mont Blanc. Ich wählte den schönsten Weg, jenen über den Col du Midi. Die Führung Daniels war ideal und wir wären sehr rasch auf dem Gipfel gewesen, hätte ich mich nicht unterwegs eines bergungeübten Engländers erbarmen müssen, eines sehr liebenswürdigen Arztes, den ich am Montanvert hatte kennen gelernt und dessen Kräfte für den Mont Blanc nicht ausreichten. Körperlich vollständig erschöpft, wankte er zwischen seinen beiden Führern einher, aber er wünschte absolut den Gipfel zu erreichen. Ich hatte fünf schöne, große, saftige Birnen in meinem Rucksack, und wenn ihn die Erschöpfung niederzuzwingen drohte, gab ich ihm eine. Er erhielt die erste am Mont Blanc du Tacul, die zweite an der Schulter des Mont Maudit, die dritte am Mur de S3) Literatur: „Eine Traversierung der Aiguille Verte (4127 w)." ö. A. Z. 1900, 113 (157). la Cote und die zwei letzten im langen Aufstieg an der Calotte des Mont Blanc. Jedesmal schien er wie neu belebt, und er war überaus dankbar. Auf dem Gipfel legte er sich in der Sonne hin, einem Toten gleich. Es war eine jener Aussichten, wie ich sie liebe. Sie war nicht vollkommen rein. Die großen weißen Wolkenballen zogen nahe über der Erde langsam und feierlich dahin, und über chnen stand ein dunkelblauer Himmel von unbeschreiblicher Farbenkraft und Tiefe. Die Berge wurden manchmal verhüllt, dann traten sie wieder strahlend hervor. Wir haben fast alles gesehen, doch niemals alles auf einmal. Um so gewaltiger wirkten die eben frei werdenden Bilder, die ein schimmernder Wolkenkranz umgab. Gegen die Grajischen Alpen hin hatten sich die Wolken zu beiden Seiten des Dora-Baltea-Tales zu zwei unbeweglich stehenden, riesigen Säulen gehäuft, zwischen denen ein breiter Weg durch goldene Schleier nach oben wies. „Die Straße zum Himmel, Daniel", rief ich entzückt aus, als ich das bezaubernde Bild wieder") sah, und wir schauten ergriffen hinauf in die Glorie. Da hörte ich, wie jemand hinter mir abknipste. Ich blickte mich um. Der Tote war es gewesen. Er lächelte mich schwach an und wies befriedigt auf den Apparat in feiner Hand. „Die Himmelsstraße", sagte er leise und wehmütig, als sei es seine letzte irdische Tat gewesen. Nach einigen Monaten erhielt ich das wunderschön gelungene Bild aus England zugeschickt. Er blieb noch länger oben als ich, da er sich nicht so bald erholen konnte. Ich wußte, daß ihm beim Absteigen nach Chamonix alle Engel helfen würden. Ich selbst ging den gleichen Weg zum Col du Midi zurück. Als ich ihn grüßte, dankte er mir nochmals, dann sagte er, mühsam die Worte suchend, da er schwer deutsch sprach: „Nie wieder werde ich auf den Mont Blanc gehen —" Ich glaubte, der Sah sei fertig und antwortete rasch: „Gewiß, Sie haben ganz recht, es war zu viel für Sie! Machen Sie kleinere Touren, die sind auch sehr schön." Erstaunt sah er mich an und schüttelte den Kopf. Dann wiederholte er mit Bedacht: „Nie wieder werde ich auf den Mont Blanc gehen, ohne Birnen mitzunehmen!" In der Cabane am Col du Midi hatte ich eben meinen Tee bereitet, als von der Aiguille du Midi eine Karawane herkam, die Norman Collie, der berühmte Tourengenosse Mummerys, leitete. Es freute mich, den Mann zu sehen und ihm und seinen Kameraden eine Tasse Tee anbieten zu können. Es ist mir auch gelungen, ein kurzes Lächeln 34) Siehe Kapitel III, „Me Iulischen Alpen", Kaningrnppe. auf das tiefernste dunkle Gesicht Collies zu bringen, was mir eine größere Leistung gewesen zu sein scheint, als die Ersteigung des Mont Blanc an jenem Tage. Auch Mummery selbst habe ich einmal so zufällig gesehen. Ich kam mit Alexander über den Theodule, da ritt gerade ein langer Engländer zum Schwarzseehotel hinauf. Er nahm sich auf dem Maultier höchst unritterlich aus, denn er sah mit einem riesigen Katzenbuckel da und seine Füße schienen den Boden zu berühren. Der Maultierreiter mit dem Pickel erschien mir drollig. „Wer ist denn der Zammermann?" frug ich Alexander, den er ungemein herzlich begrüßt hatte. „Das ist Mummery," sagte dieser, „er klettert besser als ich." Ich habe dem herrlichen Bergsteiger, der unseren Blicken schon entschwunden war, meine schlecht angebrachte Kritik innerlich mit herzlicher Reue abgebeten und von ihm gelernt, daß es nicht notwendig ist, auf staubigen Maultierwegen im Schweiße seines Angesichts zu beweisen, daß man ein Bergsteiger ist. Gegen Abend zogen wir über die ungeheuren Gletscherbassins der Ballee Blanche und des Glacier du Geant zur Capanna Torino am Col du Geant. Am nächsten Morgen stiegen wir nach Courmayeur hinab. Dann wollte ich wieder die italienische Seite des Matterhorns kennen lernen, wurde aber von der Capanna Luigi di Savoia durch Sturm und Schneefall zurückgetrieben. Bei schlechtem Weiter kam ich nach Zermatt über das Furggenjoch und beschloß jenes reiche Jahr mit -er llberschreitung -es wunderschönen Col de Tournanche (3468 m) von Zermatt nach Breuil. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bergsteigern zog es mich mehr auf die großen Eisberge als auf die Felsenaiguilles der Mont-Blanc-Gruppe. Es mag daher kommen, daß ich der Felsentürme schon viel mehr hinter mir hatte als wahrhafter Eisberge. Die letzteren hatten mir ungleich mehr Neues zu sagen. Nach der Berte wäre wohl jeder andere zu den Aiguilles des Montanvert gegangen, zu den beiden Dru, den Charmoz und zum großen Prüfstein des Felsenkletlerers in der Mont-Blanc-Gruppe, zum Grepon. Mich zog es zunächst zu den Droites (4030 m). Auch in den vielen folgenden Jahren konnte ich mich vom großen Zentralkamm des Mont Blanc nicht trennen. So lange überschritt ich seine Gipfel und seine über alles erhabenen Cols, durchquerte so oft und nach allen Richtungen den blendenden Glanz seiner Eismeere, bis ich mich schließlich für die berühmten, vielbesuchten „Schlager" des Montanvert zu alt zu fühlen begann. Ich bedauere dies auch heute nicht. Könnte ich heute in Frische und Bollkraft neue Pläne für die Mont-Blanc-Gruppe schmieden, so kämen doch zuerst wieder die wenigen großen Cols daran, die ich dort noch nicht kenne. Denn für mich wiegt ein großer Col des Mont Blanc zwei seiner Gipfel auf. Nichts im ganzen großen Alpengebiet kann ich diesen steilen Gaffen gleichstellen, die von Süden nach Norden über den gewalligsten Gebirgsstock Europas führen. Diesen himmlischen Pforten, die alle Herrlichkeit der großen Eis- und Felsentour mit dem tiefen Einblick in ganze Reihen stolzer Gipfel vereinigen, die ein Ziel sind und gleichzeitig ein Weg zu neuen Zielen, eine Verheißung. Man kann da noch weiter gehen, wie Bolaffio und ich es gleichen Sinnes immer getan. Wo es nur möglich war, nahmen wir auch die Gipfel „en Col“. An-und Abstieg auf dem gleichen Wege erschien uns nur als halbe Bergtour. Wir überschritten fast immer die Berge, und jede kommende Unternehmung knüpfte sich folgerichtig an die vorangegangene. Ich fügte zu den vielen unvergeßlichen Biwaks am Couvercle ein neues am „Zardin" (2997 m) hinzu, als ich die Droites in Angriff nahm. Ein Biwak im Angesichte des Mont Blanc, ein ganzer Nachmittag und eine helle Mondnacht auf fast dreitausend Meter im obersten Scheitel des berühmten Moränendreiecks über den Eiswogen des Glacier de Talefre. Die Tour selbst führten wir bei ganz klarem Weller aus. Dann schliefen wir in der Cabane an der Pierre a Beranger (2472 m) und überschritten am nächsten Tage den Col des Hirondelles (3465 m). Dort fanden wir Schwierigkeiten am Bergschrund der französischen Seite, wo wir uns erst zu weit nach rechts gehalten hatten und in äußerst steiles blankes Eis kamen. Erst nach drei Stunden war es uns gelungen, den gemachten Fehler zu korrigieren. 3m Augenblick, da die Felsrippe ober dem Bergschrund erreicht war, verminderten sich die Schwierigkeiten. Sie blieben dann hinter meinen hochgespannten Erwartungen zurück. Bon der Höhe des Cols sah ich mir das große, damals noch ungelöste Problem am Ostgral der Grandes Zorasses genau an, ohne mich für einen Versuch erwärmen zu können. Sowohl Burgener schon vorher als auch diesmal Daniel halten sich bereit erklärt, es mit mir zu wagen. Beide dachten an künstliche Hilfsmittel, was nicht nach meinem Geschmacke war. Den komplizierten Abstieg über den Glacier de Frebouzie der italienischen Seite fanden wir nach kurzem Suchen, etwas heckel war der Abstieg über die steilen unteren Gletscherschliffe bis zum Moränenschutt. Er kann schlimm werden, wenn man die richtigen Stellen nicht findet. Einmal mußte mich Daniel früher verlassen, da er sich zur Ber. fügung Reys zu stellen hatte. Ich ging mit Aime und einem Träger aus Courmayeur über den Grat der Aiguille d'Estelletle (2975 m) und den Glacier de l'Allee Blanche auf die Aiguille de Trelatete (3911 m). Auch die Courtes (3855 m) erstieg ich ohne Daniel, vom <£ouoercle3B) Kommend, über die steilen Hänge des Col des Drostes (3726 m) und den Nordgrak. Da hallen wir unter einem wütenden Kalken Südwefi-wind zu leiden, der uns die Freude an dem wolkenlosen Tag verdarb. 3m Abstieg verfielen wir auf die urdumme Idee, den ganzen Mest-hang der Courles von Nord nach Süd zu queren, obwohl wir da wirklich nichts zu suchen Hallen. Wir fanden keine besonderen Schwierigkeiten, im Gegenteil führl hoch über den senkrechten Abstürzen zum Talefreglelscher ein leichl begehbarer Schrofen- und Schullgürlel herum. Wir Hallen aber nicht bedacht, daß die zahlreichen, äußerst steilen Couloirs, welche in parallelen Zügen vom Gipfelgrat durch die ganze Wand bis zum Gletscher hinabziehen, Lawinengassen erster Güte sind. Da gab es etwas, als die Sonne zu wirken begann! Wir hatten eben das erste Couloir überschritten, als hoch oben ein unheimliches Klappern einsehte, das mit fürchterlicher Schnelligkeit näherkam und im nächsten Augenblick, zu einem schrecklichen Getöse gesteigert, vorbeifuhr. Eine Lawine aus Steinen und Eis hatte das Couloir remgefegt. Die Felsen, auf denen wir standen, hakten gezittert. Der Weg zum zweiten Couloir war kurz, wir standen schon knapp an seinem Rande und hatten noch nicht recht begriffen» daß wir in eine Falle geraten seien, als sich das aufregende Schauspiel hier wiederholte. Gleich darauf kam es wieder im ersten herab. Anser Träger brach vor Entsetzen über unsere Lage fast zusammen. Ich beriet mich rasch mit Aime. Rückzug und Wetter-weg schienen in gleicher Weise gefährdet. So entschlossen wir uns zu diesem. Die Lawinen wiederholten sich ohne Unterlaß in kurzen Intervallen. Am Rande der Couloirs warteten wir immer, nach Möglichkeit gedeckt, auf das Niedergehen der nächsten, dann sprangen wir einzeln am langen Seil hinüber und suchten rasch eine Deckung. Das war ein Gang mitten durch die Steinlawinen der Courtes! So kamen wir endlich an die Südecke unserer Wand und sahen jenseits, senkrecht unter uns, den zusammenhängenden Schnee einer steilen und breiten Rinne bis zum Gletscher hinabziehen. Da ein Abkleltern nicht möglich war und die Gefahr drängle, seilten wir uns ab, erreichten glücklich den Schnee und liefen ein weites Stück den Gletscher hinab, ehe wir uns in Sicherheit fühlten. Dann ließen wir uns zu einer langen Rast nieder. „Aiguille Croulante", las ich da auf der Karle Imseld-Kurz knapp unterhalb des Namens „Les Courtes". Das stimmt. Von der Baufälligkeit dieser Gerüste können wir eine Geschichte erzählen. Lange 35) Auch damals bestand die Cabane dort noch nicht. blickten wir hinauf und Hallen das Aufbrüllen der Lawinen noch im Ohr. Die Welt erschien uns viel schöner, als sie vorher gewesen war. Es kam das Jahr, da ich mit Bolaffio den großen und reichgesegneten Berg- und Freundschaftsbund für alle spätere Zeit begründete. 3m Grunde waren wir zwei sehr verschiedenartige Naturen. Zweifellos war ich mit den Bergen enger verwachsen als er. 3n der Harken Schule der Trentaner Wildschützen emporgewachsen, war ich mit dem Hochgebirge so vertraut wie der Bär mit seinen Wäldern. Es war überhaupt etwas Bärenhaftes in mir, und ich glaube, daß ich zu großen Entdeckungsreisen sehr geeignet gewesen wäre. Mein Freund hat, ehe wir uns vereinigten, eine tüchtige Schule in den Zulischen und den schwierigsten Dolomiten durchgemacht. Er war der vornehme Gentleman, der wohllrainiert in die Berge Kam. Meiner Riesengestalt und meinem großen Gewicht — ich wog schon 1886 meine hundertsechs Kilogramm und später noch mehr — hielt allerdings eine außergewöhnliche Muskelkraft die Wage, trotzdem sind Situationen vorgekommen, wo Gestalt und Gewicht mir etwas hinderlich gewesen sind. Mein Freund war schlank und leicht, sein Körper stand immer in der strengen Zucht eines zweckbewuhten Willens, er war in Speise und Trank von einer oft ganz erstaunlichen Mäßigkeit. „II mange et il marche comme an oiseau“, pflegte Joseph Croux von ihm zu sagen. Weit überlegen war er mir infolgedessen in der Schnelligkeit, die oft den halben Erfolg und in Lawinen- und Steingefahr eine der wichtigsten Sicherungen des Lebens bedeutet, und seine Ersteigungen der Aiguille Berte durch das große Couloir, des Mont Blanc im Winter, seine Überschreitung des Col Gnifetti am Monte Rosa sind mir in dieser Beziehung als wahre Wunderleistungen erschienen. Hallen wir in den Schluchten der Grafischen Alpen eine Brücke gebaut, kamen wir an dünne oder morsche Eis- oder Schneebrücken, so hieß es oft: „Kugy voran, hält es den, so hält es uns alle." Das nannten meine Begleiter „Brückenkollaudum". 3m weichen oder dünn verharschten Schnee, wo mein Freund leicht dahinglitt, während ich knietief einbrach, blickte ich oft neidvoll auf ihn, und wenn dann die befehlende Stimme unseres Croux zur Eile trieb, so konnte ich sehr böse werden. 3n schwierigen Felsen, auf steilem Eis und Schnee war ich allerdings sehr rasch, da zählte mein Gewicht nicht mehr, und in der Sicherheit von Blick, Tritt und Hand glaube ich wohl den besten Bergsteigern gleich gewesen zu sein. Groß war mein Freund in der Zähigkeit des Beharrens auf einmal festgesetzten Plänen und in der Zuversicht, mit der er an die schwersten Aufgaben herantrat. 3ch zweifelte leichter am Erfolg und an mir selbst. Es wiederholte sich, daß vor ganz schwierigen Stellen eine etwas zaghafte innere Stimme zu mir sagte: „Das wirst du ja nie machen können!" Wenn ich es dann anpackte, überwand ich es gewöhnlich spielend. Vielleicht ist das Gefühl der Verantwortlichkeit den Gefahren der Berge gegenüber in mir stärker gewesen, vielleicht sah und kannte ich diese besser. Ich neigte mehr der poetischen und der künstlerischen Auffassung von Bergen und Bergsteigen zu, er etwas mehr der sportlichen — dies im edlen Sinne gesagt — und der ethischen. Ich führe meine Erfolge in den Bergen mehr auf meine angeborene physische Eignung zurück, er verdankte sie in erster Linie der Kraft seines stählernen Willens. In keinem Augenblicke seines Lebens hat er den Verstand, die Klugheit und die kühle Ruhe beiseite gelegt, ich leider fast niemals ein gewisses träumendes Michgehenlassen, obwohl ich ja auch genau wußte, was ich wollte, und es an zielbewußter Energie gewiß niemals fehlen ließ. So wurde es mir immer schwer, mich von den Gipfeln zu trennen, während er wünschte, daß die „Gipfelstunde" nicht überschritten werde. Oder ich schlug, wenn ich sehr müde war, irgendwo ein trauliches Biwak vor, das er kurz und vornehm mit der Bemerkung ablehnte, er fühle sich „frisch wie eine Rose". Aber solche kleine Verschiedenheiten der Neigungen waren immer in wenigen Augenblicken überbrückt, jeder kannte genau des anderen Ansichten, Vorzüge und Schwächen und trug denselben in tief begründeter Freundschaft Rechnung. Beide setzten wir unseren Stolz darein, daß jede unserer Touren in einer mustergültigen Weise durchgeführt werde, und ich glaube, daß uns dies auch fast immer gelungen ist. Wir haben uns in einer geradezu idealen Weise gegenseitig ergänzt. Wir hatten an einem bestimmten Tag Rendezvous in Aymaville im Aostatal. Am Nordgrat der Grivola (3969 m) wollten wir zusammen beginnen. Er hatte in den Westalpen mit Matterhorn, Crefione Rey des Monte Rosa und Denk du Geank vor kurzem erst angefangen. Auf diese letztere hatte ihn Croux unter schwierigen Verhältnissen geführt, Bolaffio erzählte viel und sehr anerkennend von ihm, und wir kamen überein, daß er chn als seinen Begleitführer mitnehme, währen- ich die beiden Maquignaz mitbringen würde. Denn es war von jeher in unseren Plänen gelegen, daß das gemeinsame Gehen nicht ein Zwang sein, es vielmehr jedem von uns immer freistehen solle, allein für sich dies oder jenes zu machen, was vielleicht den Genossen weniger interessierte. Vorher wollte ich noch die Aiguille Noire de Peteret (3780 m) besuchen. 3m Aufstieg zum Fauteuil des Allemands verfehlten wir den Weg. Ich mochte noch so viel behaupten, man müsse das Wasser über- schreiten. Die beiden Maquignaz hatten sich in die diesseitige Platten-wand verbissen und führten einen Weg von übergroßer Schwierigkeit. Ein ganz eigenartiger Zauber lag über diesem Biwak im Fauteuil. Wir schliefen nicht im oberen feuchten Überhang, sondern, dank der schönen Nacht, frei im Moränenschutt und spärlichen Rasen. Da blühte die Paradieslilie in Mengen, und wenn ich nachts erwachte, schwankten und nickten die feinen weißen Blüten um mich herum. Ich liebe sie wie keine andere Blume der Alpen. Sie ist für mich das Symbol der unberührten Reinheit in den ewigen Höhen und ihrer keuschen Jungfräulichkeit. Siehst du eine, so rühre sie nicht an. Sie welkt sofort an deinem Hute. Es ist keine irdische Blume, mit der du prunken darfst und kannst wie mit Edelweiß, Nigritelle, Edelrauke und Alpenrose. Bor der Paradiesesblume stehe fromm und denke an die himmlische Ruhe, Klarheit und Milde, darnach vielleicht manchmal aus unruhigen und trüben Erdentagen deine Seele sich sehnt. Dann grüße sie still und ziehe weiter! Croux hat mir später gesagt, er pflege am Vorabend einer Ersteigung der Noire stets dafür zu sorgen, daß er die Gemsen aus der Südwand vertreibe. Ihm, dem ausgezeichneten Jäger, scheint dies jedesmal gelungen zu sein. Geht man geschickt vor, so muß sich das Wild über die Scharten des Mont Rouge nach Westen verziehen, und die furchtbarste Steingefahr der Noire ist am nächsten Tage so gut wie gebannt. Wir taten es nicht, und da sich am nächsten Tage Gemsen und auch Schwärme von Dohlen in den Südwänden befanden, hatten wir unausgesetzten schweren Steinfall. Die Konfiguration dieser Seite des Berges will es, daß alle Steine, die sich an der Südwand ablösen, ihren Weg durch ein langes, ganz steiles Felsencouloir nehmen, in welchem der übliche Anstieg emporführt^). Man sieht die Spuren des Steinschlags auf Schritt und Tritt. Alles ist zerhämmert und zerschlagen. Hier ist die allergrößte Steingefahr, obwohl auch die oberen Teile des Berges bis zu den Höhen seiner Grate ob ihrer Brüchigkeit und des Steinfalles mit Recht sehr verrufen sind. Tatsächlich ist das Unglück Poggi in diesem höheren Teil vorgekommen. Man erzählte mir, daß im Augenblicke der Gefahr seine beiden Führer rasch nach vorne und rückwärts in Deckungen gesprungen seien, während chr in der Mitte angebundener unglücklicher Herr durch das Seil an seiner exponierten Stelle festgehalten und von einem Stein-splitter getötet wurde. Rach diesem Unglück hatte sich vor uns nur 36) Man hat später einen sichereren Anstieg von den Südostkanten her gefunden. Trohdem ist der großartig schöne Berg gefürchtet geblieben. einmal Croux mit Emile Mazzuchi an die Noire gewagk. Der am stärksten gefährdete Teil -er Tour beginn! bei einer Felshöhle am unteren Ende -es Couloirs, die Balme des Chamoix^) heißt. Wir bewegten uns ruckweise, indem wir zur Rechten im Couloir von Kulisse zu Kulisse sprangen oder so eilig emporkletlerten, als die Felsen es gestatteten. Bald aber hieß es, das Couloir überschreiten, um die gegenüberliegende breite Seitenrippe zu gewinnen, und da fehlte jede sichere Deckung. Unausgesetzt sausten die Steine herab, die wir nicht immer sahen. Wie Flinten- oder Kanonenkugeln schlugen sie ein. Es waren aufregende Minuten, aber wir waren rasch und kaltblütig und kamen gut hindurch. Bald hatten wir die Felsbänke erreicht, wo das Erinnerungskreuz für Poggi steht. Dann stiegen wir die oberen schlechten Stellen zum Ostgrat hinauf. So war der gefährlichste Teil der Tour hinter uns, und es wäre nur mehr die luftige llberkletterung der Grate verblieben, als Wolken sich ansammelten und das finstere Gemäuer einzuhüllen begannen, welchem wir soeben entstiegen waren. Um die Spitze tanzten die Nebel. 3it der Ferne hörten wir den Donner rollen. Das erschütterte die Haltung der Maquignaz. Es komme ein Gewitter, da seien wir verloren! Ich trachtete vergebens, sie zu beruhigen. Wir hätten ja Unterschlüpfe genug, wo wir einen ganzen Tag und auch eine Nacht verbleiben könnten. Sie sprachen aufgeregt untereinander unerklärten mir endlich, daß sie auf sofortiger und schleuniger Umkehr bestehen müssen. Sie schienen von einer schweren Panik ergriffen. Der Eindruck des fürchterlich drohenden, in den treibenden Nebeln unheimlich schwarz ragenden Berges hatte sie überwältigt. Ich mußte mich fügen. So sprangen wir die ganze schwer erkämpfte, schwer gefährdete Strecke in toller Hast wieder zurück, rasteten kurz im Fauteuil und waren schon früh am Nachmittag in Perlud. Das Wetter hatte sich ohne Gewitter vollständig aufgeklärt, der Nachmittag war sonnenhell, die Maquignaz saßen ganz kleinlaut bei ihrem Glase Wein. Ich trat auf sie zu. Es sei eine schwere Blamage, wir könnten sie nur gut machen, wenn wir morgen zum Berg zurückgingen. Sie sahen es ein und erklärten sich dazu bereit. Zum Fauteuil nahmen wir den richtigen, steilen, aber fast leichten Weg. Wieder schlief ich bei meinen schwankenden und nickenden Paradieslilien. Auch oben trafen wir es diesmal besser. Die Gemsen hatten sich verzogen, kein Steinchen hat sich den ganzen Tag gerührt. Es herrschte feierliche Ruhe. Was war es, daß die Noire sich diesmal so sanft zeigen wollte? Die Tiefblicke von den Graten waren von gewaltigster Wirkung, die ganze Ersteigung dieses 37) „Balina bei Camosci." ernsten, düster blickenden Berges ist mir unauslöschlich in der Erinnerung geblieben. Lange saßen wir auf dem ganz schmal und scharf aufgerichteten Gipfelblock, blickten hinüber zum nahen Mont Blanc, der uns in wundervoller Majestät um über tausend Meter überragte38), und hinab auf die unbeschreiblich wilden Gletscherströme von Brenva, Fresnay und Brouillard. Das waren meine vier Tage an der Aiguille Noire de Peteret. Dies alles habe ich gewiß nicht so genau erzählt, um Daniel zu verkleinern. Sein liebes Andenken halte ich hoch. Bald darauf, in den denkwürdigen drei Tagen des Mont Blanc vom Brenvaglelscher, hat er mir wieder bewiesen, wer er sei und was er konnte! Aber ich war aus der Schule eines Unfehlbaren, und so suchte ich chn auch hier in den Westalpen, diesen Unfehlbaren! Ich war erstaunt, bei allen diesen erstklassigen Männern, denen ein solcher Auf voranging, Schwächen und Fehler zu finden. Wo war der Mann, spiegelklar und einwandfrei in Charakter» Lebensklugheit, Urteilsschärfe und führender Kraft? Wo war der Andreas der Westalpen? An der Grivola sollte ich ihn endlich finden! Mein Rendezvous mit Bolaffio war zu unserer Freude programmgemäß verlaufen. Doch hielt uns nun das Wetter lange hin. Uber Bieyes im Tal der Grande Eyvia waren wir an einem heißen Iuli-tage zu den Hüllen des Grand Romenon hinaufgestiegen und hatten in einem Iägerhäuschen des Königs von Ratten im oberen Kar Quartier genommen. Da mußten wir drei Tage verbleiben, denn es wehte sturmartiger Südwind, der es nicht rällich erscheinen ließ, den berüchtigten Nordgral der Grivola anzugreifen. Oft am Tage und jeden Abend sahen wir große Rudel von Steinböcken33), die bis nahe zum Jagd-Häuschen weideten. Die schönen Tiere waren nicht sehr scheu, als wüßten sie, daß sie bewacht und geschont würden. Herrlich stand vor unseren Augen der Eisobelisk unseres Berges. Wir konnten jedes Detail im Nordgral studieren, in der aus purem Eise getriebenen „Mezzaluna"43) der „fulgida Grivola ardua e bella“41)! Am vierten Tage endlich brachen wir in den ersten Morgenstunden auf. Wir überstiegen die von den Lawinen glallgeschliffenen Felsen der Basis und näherten uns dem Ansatz des großen Eisgrates von 38) Die Aiguille Noire de Pülerel hat 3780 m. 30) Mir zählten einmal 70 bis 80 Stück. 40) Ob der mondsichelförmigen Gestalt des Eisgrates von den Einheimischen so genannt. 41) Beiläufig überseht: „Der strahlenden Grivola kühn und schön!" Nordosten her. Noch in der Nachk hatten wir einen gewaltigen Skein-bock aus seinem Lager aufgescheucht. Wir gingen alle an einem dreißig Meter langen Seil, Daniel war letzter und leitete bloß, ohne zu arbeiten, Croux betreute seinen Herrn, Aime war erster. Der hackte mit einem Eifer und einer Kraft im Eise, daß die Funken stoben. Aber so hatte er sich bald ausgegeben, und an der tiefsten Einbuchtung der Mondsichel, wo die allersteilsten und schmälsten Stellen sich aufzuschwingen beginnen, sah er sich erschöpft nach Unterstützung um. Croux erbot sich, ihn abzulösen. Immer werde ich mich des Blickes erinnern, mit dem er an unsere Spitze trat. Dann führte er mit königlicher Ruhe hinauf. Die Stufen bildeten sich leicht und schön unter den regelmäßigen Schlägen seiner Axt. Es gab keinen Aufenthalt. Er sparte weise mit seiner Kraft, ohne unser Bordringen zu verlangsamen. Bald halte er einen schmal aufliegenden Streifen gefrorenen Schnees entdeckt, der längs der Eiskante hinaufzog. Die Eisen griffen herrlich ein, und in unglaublich kurzer Zeit war der Borgipfel erreicht. Man kann sich kaum einen größeren Kontrast vorstellen, als Südwand der Aiguille Noire zu Nordgrat der Grivola. Dort das Düster der zu einem phantastischen Felsenzirkus von erdrückender Höhe zusammengeschlossenen Mauern, finstere Kehlen, schwarze Kamine, beängstigend hereinhängende Türme und Grate, denen man die Brüchigkeit ansieht und in deren verborgenen Schlupfwinkeln wie ein böser Dämon die Steingefahr feindselig lauert, hier die schwindelnd freie Eiskante, kühn und hoch, int blendenden Licht über gleißenden Eiswänden, die zu beiden Seiten in erbarmungsloser Glätte und erschreckender Steilheit zur Tiefe schießen. Blicken wir zurück. Da kommt der Grat herauf, Stufe reiht sich an Stufe, die schmale Kante ist in eine Eisleiter verwandelt, die blaue Abgründe überbrückt. In vier Stunden haben die Äxte unserer Leute sie aufgebaut! Die Gipfelscharle hielt uns nicht auf, obwohl der oberste Felsaufsah sehr ungünstig geschichtet ist. Auf dem Gipfel der Grivola, im Firnen-jubel der Grajischen Alpen, habe ich lange die Hand des besten Mannes geschüttelt, den ich je in den Alpen sah! Mas Croux uns beiden später geworden ist, habe ich dankbaren Herzens gesagt, als das Schicksal es mir auferlegle, ihm am Schlüsse unserer alpinen Laufbahn den Nachruf zu schreiben"). Seitdem ging er immer mit uns, waren wir beisammen. Trennten wir uns auf kurze Zeit, so teilten wir uns rücksichtsvoll und brüderlich in ihn. Gewöhnlich ging er da mit, wo die größere Berantwortlichkeit war. So ist es viele glückliche Jahre verblieben, und 42) Literatur: „Joseph Croux f“, ö. A. Z. 1915, 30. niemals, niemals ist das Kleinste vorgekommen, das man mit der Unzulänglichkeit hätte entschuldigen müssen, die in uns Menschen liegt. Er ist -er ideale Führer geblieben vom Anbeginn bis zum Schlüsse. Ich habe erzählt^), daß es uns auf dem Gipfel der Grivola klar wurde, wir müßten das Dauphine kennen lernen. Denke ich an die großen Aussichten zurück, die mir in meinem Leben geschenkt worden find, so glaube ich sagen zu können, daß die Grivola-Aussicht jenes Tages meine leuchtendste war. Immer wieder kehrten unsere Blicke zum Monte Biso zurück. Ich glaube nicht, daß ich je wieder solchen Duft und solche Farben sehen werde. Den Abstieg nahmen wir auf dem gewöhnlichen, wenn auch steingefährlichen Wege zum Trajo-gletscher und über die Alpen Pousset nach Cogne. Dort erfuhren wir die Nachricht, König Humbert von Italien sei ermordet worden. Nach einem Rasttage übernachteten wir im „Appostamento di caccia“44) am Herbetetgletscher hoch über dem Balnontey, überschritten am nächsten Tage den großen Glacier de la Tribulation und den Gran Paradiso (4061 m) über den Col de l'Abeille (3852 m) nach Balsavaranche. Wir gingen nach Courmayeur zurück. Wieder stand der Mont Blanc am Programm. Wir wollten ihn über seine großartigste Flanke nehmen, vom Glacier de la Brenva. Die Führer erklärten sich einverstanden, unter der Bedingung jedoch, daß sie den Tag des Aufbruches selbst bestimmen durften. Wir standen drei Tage nacheinander früh auf, doch jedesmal lehnten sie, des herrschenden starken Windes wegen, den Abmarsch ab. Am dritten Tage war Bolaffio des Wartens überdrüssig geworden und mit Croux zu den Grandes Iorasses gegangen. Am vierten Morgen konnte ich mit den Maquignaz zum Mont Blanc aufbrechen, da das Wetter gut und sicher schien. So ist leider Bolaffio vm diese Tour gekommen, die zu dem Allergrößten") gehört, das die “) Literatur: „Erinnerungen aus dem Dauphins. Der Pic Gaspard (3882 m).“ ö. A. 3- 1913, 1. Alle unsere im Dauphins unternommenen Touren sind in einem besonderen Kapitel behandelt. Nachträglich habe ich dort nur noch Pic und Mont Thabor, die Aiguille d'Arves Seplentrionale, die Aiguille de l'Lpaisseur, die Grande Roche du Galibier und den Pic de Combeynol erstiegen. «) Iägerhülte. 45) Es sind dies die Überschreitungen der Monte-Rosa-Spihen von Macugnaga, des Mont Blanc von Brenva, über den Psterel- und den Brouillardgrat, der Barre des Lcrins von Süd nach Nord oder umgekehrt, wozu man noch einige Überschreitungen in der Mont-Blanc-Gruppe (Aiguille Berte von der Argentisre-, Mont Dolent von der Neuvaz- und der ArgentiSreseite), im Wallis (Weitzhorn von Zinal und über den Schalligral) usw. zählen könnte. Es ist mir schwer zu sagen, welche dieser Touren die größte ist. Das hängt auch sehr von den Verhältnissen ab, die man vorfindel. Für mich war es ohne Zweifel der Mont Blanc von Brenva, wobei ich sehr schwierige Lisverhällniffe hatte. Alpen bieten. Wir schliefen im höchsten Brenvabiwak auf über drei-tausenb Meter Höhe, wo wir so viele Kristalldrusen fanden, daß wir den ganzen freien Nachmittag hämmerten und sammelten. Bei Tagesanbruch überquerten wir das oberste Becken des Brenvagletschers und steuerten dem berühmten Grat zu, der den Aufstieg in der Richtung zur Höhe der Rochers Rouges vermittelt. Wir bemerkten sofort, daß der Tag im Zeichen des Eises stehen werde. Die Eisflanken des Mont Blanc, über die wir mußten, waren vollkommen schneefrei, Stufe um Stufe mußte in härtester Arbeit hergestellt werden. Die Leistung der beiden Maquignaz an jenem Tage ist geradezu bewunderungswürdig gewesen. Der horizontale Teil des Eisgrates war von einer Schärfe, wie ich sie sonst nie erlebt habe. Es war tatsächlich ein geradezu phantastischer Gang über eine Messerschneide. Wohlgemerkt, eine Messerschneide über fürchterlichen Abgründen! Bergebens suchten wir von der Stelle an, wo der Grat sich bastionartig der Mont-Blanc-Flanke einzusügen beginnt, nach Schneeauflagerungen. So oft wir hofften, eine solche zu finden, meldete die enttäuschte Stimme des ersten: „Glace!", und der Schlag des Pickels hallte dumpf und hart auf dem spiegelblanken, grünschillernden Panzer. Oft war es so steil, besonders beim langen oberen Quergange nach links zu, daß Stufen für die Füße und Halte für die Hände ausgemeißel! werden mußten. Da blickte Daniel manchmal sich um und hob warnen- die Hand. Das bedeutete: „Nicht gleiten!" Aber er konnte beruhigt sein. Seit den Jugendzeiten an Dobratsch und Steiner bin ich in den Bergen niemals geglitten. Wir drangen sehr langsam vor und schnell reiste die Sonne. Ununterbrochen haben wir vom Morgen über den Mittag bis zum sinkenden Abend gehackt, und es war tiefe Dämmerung, als wir durch einige wilde Seracs den Plateaurand zwischen 4500 und 4600 Meter erreichten. Aber wir konnten uns des verhältnismäßig ebenen Gehens nicht freuen. Das Wetter hatte sich gegen Abend verschlechtert, das Thermometer war stark unter den Nullpunkt gesunken, am Plateau faßte uns ein wütender Weststurm. Nebel war eingefallen, es wurde rasch finster. Gewitter zogen immer näher heran, der Donner begann zu grollen. Eisnadeln und Hagelkörner peitschten uns ins Gesicht. Ein Wettersturz zu dieser Stunde, an dieser Stelle! Da erinnerten wir uns, daß hier in der Nähe die verlassene Cabane des Rochers Rouges stehen müffe, und es galt sie zu finden, falls sie noch bestand. Sonst hätten wir uns in eine Spalte hinablassen müssen, um uns einigermaßen zu schützen. Wir irrten eine Zeitlang im Nebel umher, da zerriß er plötzlich auf einen Augenblick und wir sahen nahe vor uns den Rahmen einer offenen Zu Seite 295 Der Gipfelaufbau des Mont Blanc 6“tt0 etetM-irUft vom Dome du ©oüfer aus gesehen Au Seite 217 Der Mont Blanc vom Monl Miranlin Dr. Paul Helbronner-Paris Tür schief aus dem Eise ragen. Die Gobane46)! Sie war zerbrochen und voll Eis. Aber zwischen Eis und Dach war ein Raum von über Meterhöhe frei und da konnten wir unterkriechen. Ihre Fenster und die Türe waren offen und die Flügel im Eise festgefroren. Trotzdem bedeutete sie für uns die Rettung. Meine Füße waren schon gefühllos geworden, ich löste Eisen und Schuhe und frottierte so lange, bis das Gefühl wiedergekommen war. Dann umwickelte ich sie mit trockenen Tüchern. Essen konnten wir nichts, aller Proviant war hart gefroren, der Wein ein Eisktumpen. Feuer anzumachen gelang uns nicht. Die Temperatur muh auf minus fünfzehn Grad gesunken gewesen sein. Draußen wütete ein Orkan, der Hagel prasselte auf das Dach, ein Gewitter entlud sich nach dem andern in schauerlichen Schlägen. Drinnen in der Hütte, durch welche der Sturmwind pfiff, kämpfte ich mit der Kälte um das Leben der Maquignaz. Sie waren sehr erschöpft und wollten trotz meiner Warnungen schlafen. Ich durfte es nicht zulassen. Immer wieder riß ich sie mit aller Kraft vom Eise auf und weckte sie mit harten Schlägen. „Mais Monsieur, vous me faites mal“, jammerte Daniel. Aber später haben sie mir oft gedankt. So ist diese großartigste meiner Nächte brüllend und tosend an uns vorübergezogen! Gegen Morgen hatte es sich ausgetobt. Der Himmel war vollkommen reingefegt, keine Wolke mehr zu sehen. Wir waren nach diesen zwei Nächten nicht mehr im Vollbesitze unserer Kräfte und benötigten für die dreihundertzwei Meter bis zur Spitze volle zwei Stunden. Auch war der Eishang der Calotte spiegelglatt geweht und gefroren. Die Lust war still, als ich die Spitze des Mont Blanc zum vierten Male betrat, die Aussicht unermeßlich, die Kälte allerdings groß. Aber bald stieg die Sonne höher und wärmte uns. In Chamonix hatte man uns sofort bemerkt. Die Teleskope funktionieren dort mit überraschender Genauigkeit schon am frühen Morgen. Da von Chamonix niemand aufgestiegen war, zerbrach man sich den Kopf, wieso nach einer solchen Nacht eine Karawane zu dieser frühen Stunde auf der Spitze erscheinen konnte. Im Hinabfleigen über die Bosses begann mein rechter Fuß immer stärker zu schmerzen, er hatte Frostschäden erlitten. Ich habe offenbar in der Sorge um die Maquignaz in der Nacht seinen Zustand zu wenig beachtet. Die Zehen waren erfroren, zum Glück nur in einem Grade, der den Verlust der Haut und später der Nägel nach sich zog. 48) Die Cabane befand sich in der Höhe von 4508 m oberhalb des Mur de la Este auf dem westlichsten der Bochers Rouges. Ihre Hauplrolle hat sie zur Zeit gespielt, da das Observatorium Janssen auf der Spitze erbaut wurde. Dann ist sie langsam verfallen. Ich gedenke ihrer in Dankbarkeit. Selbst vom Eise schon halb verschlungen, hat sie «ns damals offenbar das Leben gerettet. Immerhin hielt ich es für geräken, ohne Aufenthalt in Chamonix auf dem Kürzesten Wege nach Courmayeur zurückzukehren, wo meine Sachen lagen und ein mir bekannter Arzt zu meiner Verfügung stand. So ritt ich noch am gleichen Abend auf einem Maultier zum Mont-anvert hinauf, und am nächsten Tage überschritt ich in qualvollen sechzehn Stunden den Cot du Geant. Den Abstieg nach Courmayeur konnte ich nur mit Zuhilfenahme eines zweiten Pickels bewerkstelligen. Da ist es mir so recht klar geworden, daß es steile zweitausend Meter sind! Vor Entreves erwartete mich der vom Col aus benachrichtigte Bolaffio, den die böse Nacht im Biwak an der Aiguille Noire de Peteret gefaßt hatte, mit einem Bergwägelchen. Unsere Bergkampagne jenes Jahres war ohnehin zu Ende, in drei oder vier Wochen war der Schaden geheilt. Es konnte nicht in meiner Absicht liegen, den Übergang von Daniel zu Croux unvermittelt zu bewerkstelligen. Auch Croux hatte Rücksichten gegenüber seinen früheren Herren zu üben. So begleiteten uns im nächsten Jahre neuerdings die Maquignaz auf unserer ersten, überaus glücklichen Dauphinereise^), dann saßen wir eine Woche untätig in Courmayeur, da das Wetter keinerlei Unternehmung zuließ, und entschlossen uns endlich, nach Savoyen zu gehen, um doch noch in diesem Jahre etwas Größeres unternehmen zu können. Wir überschritten mit Aime und einem der Söhne Blanc die Grande Sassiere (3759 m), dann mit Aime allein die Aiguille de la Grande Motte (3663 m), erstiegen schließlich mit Aime die Grande Lasse (3861 m) vom Refuge Felix Faure aus, zu dem wir über Entre deux Eaux gekommen waren. 3m schönen Zirkus von Pralognan verließ mich Bolaffio, während ich noch einen meiner alten Wünsche zu erfüllen hatte, indem ich den Mont Pourri (3785 m) erstieg. Das ging nicht so glatt vor sich, da ich keine Karte mithatte, zudem auf einen Lokalführer gestoßen war, der mich erst mit ruhiger Würde versichert hatte, er sei der berühmteste Führer Frankreichs"), dann aber den Pourri nicht fand, so daß wir den Mann schließlich an einer sicheren Stelle zurückließen und den Gipfel meiner Wünsche auf eigene Faust suchten und fanden. Es war einer meiner schönsten Bergtage, an dem ich so recht Savoyens Schönheit sah. Wie seelenvoll blickte das Auge seiner Hoch- ") Literatur: „Erinnerungen aus dem Dauphine. Der Pie Gaspard (3882 m).“ ö. A. Z. 1913, 1. Wir überschritten damals innerhalb einer Woche den Mont Pel-voux, den Col du Sets, die Barre des £ctin6 von Süden nach Norden und die Melje von La Berarde nach La Grave. 4S) 3ch hatte seinen Namen nie früher gehört und es wird niemandem schädlich sein, wenn er ihn nicht erfährt. seen, wie feierlich standen seine Berge, wie kristallhell leuchteten seine Gletscher, wie freundlich grüßten seine Almen in entzückendem Grün. Alles so weit und so groß, so strahlend schön! Merall reinquellender Reichtum der Natur, überall edle und anmutvolle Linie, nichts Abgehacktes, nichts Finsteres, nichts Schreckhaftes. Dieser erste Eindruck ist in mir immer lebendig geblieben. Ich bin später noch oft nach Savoyen, in die Maurienne und die Tarantaise, zurückgekommen, besonders gerne, seit meine Freundschaft zu Helbronner") feste Wurzeln geschlagen hatte. And noch heute, nach so vielen Jahren, steht es im Glanz jenes Tages vor mir. Man stößt ja manchmal auf so häßliche Niedertracht in der menschlichen Gesellschaft und lernt das trübe Gaukelspiel dieses Lebens so gründlich verachten. Wie wächst da übermächtig die Sehnsucht nach einem Lande -er Ruhe und des Friedens! Da will ich in Gedanken und, will's Gott, vielleicht auch noch einmal in traumhaft beglückender Wirklichkeit zu dir wieder wandern, du schönes savoyisches Bergland! 3m sanften, süßen Hauch deiner Matten soll mir die liebe savoyische Bergsonne still und warm hineinleuchlen in mein deinem Zauber weit geöffnetes Herz. Denn bei dir dort ist wie vielleicht nirgends sonst alles zu Hause, dessen man in solchen Zeiten und Stimmungen bedarf: die Schönheit, die Ruhe, der Friede und die Versöhnung! Es war einer jener unendlich reizvollen Tage, wie sie einem Wetterumschlag voranzugehen pflegen. Bom westlichen Horizont zog leichtes weißes Gewölbe hoch herüber, aber es zerteilte sich sofort in feine und durchsichtige Flöckchen, die sich zu regelmäßigen konzentrischen Kreisen vielfach übereinander um den ganzen Himmel schlangen, daß der unendliche Raum, ohne an Licht zu verlieren, von ihnen erfüllt ward. Im Gegenteil, er gewann nur noch an Farbe und starker Leuchtkraft, denn die Kreise waren so rein gezeichnet, daß ein wunderbar tiefes Blau savoyischen Himmels überall hindurchblickte, und so zart gewoben, -aß die Sonnenstrahlen ungehemmt hindurchgehen konnten und doch in jedem Flöckchen einen duftigen Leuchlkörper fanden, den sie entzündeten und mitleuchten ließen. So läßt Dore die lichten Engelsscharen im Paradiso der Dwina Comedia erscheinen. And durch die Engelskreise blickt man hinauf zu Gottes Thron. Das taten voll ehrfürchtigen Staunens auch wir in jener unvergeßlichen Gipfelstunde auf dem steil und schmal emporragenden Eisfirst des Mont Pourri, gleichen Glückes teilhaftig wie die Seligen dort oben im offenen Paradiese! 49) Literatur: Ebendort, Ö. A. Z. 1913, 1. 17* 259 Es regnete am Abend in Strömen, als wir nach Sle Foy abgestiegen waren. Am nächsten Tage zogen wir über den Kleinen Sankt Bernhard ins Aostalal. Bis zur Paßhöhe gab uns das samtene savoyische Almengrün freundliches Geleile, aus den Wolken grüßte, in überirdische Höhen gehoben, der Monk Pourri. 3n den folgenden Jahren fügte es sich, daß Daniel von seinen früheren Herren Farrar und Rey stärker in Anspruch genommen wurde. Da konnle ich, ohne ihm weh zu lun, einverständlich mit Bolaffio Croux an seine Stelle sehen. Als zweiter blieb vorerst Aime bei uns. Dann übernahm dieser ein kleines Hotel in Breuil und an seine Stelle trat -er ihm weit überlegene Cyprien Savoye, Schwager des Croux, ein ganz erstklasflger, sehr intelligenter Mann aus Courmayeur, der die Nordpolfahrt des Duca degli Abbruzzi mitgemacht hatte und sich später auch im Himalaja Ruhm und Namen erwarb. Die beiden Männer arbeiteten sich in einer geradezu idealen Meise in die Hände, und ich glaube nicht, daß es möglich gewesen wäre, zu jener Zeit eine beffere und solidere Zusammenstellung zu finden. Die Solidität war das vornehmste Merkmal der Ära Croux. Es war da nichts dem Zufall überlassen, alles war vorbedacht und nachgetan. Croux hat sich niemals überraschen lassen und Savoye war ihm der würdigste Partner. Das eigentliche Zentrum für unsere Sommerkampagnen blieb für alle folgenden Zeiten Courmayeur. Selten begannen wir aber dort. Gewöhnlich führten uns unsere Pläne vorerst für eine oder zwei Wochen der zweiten Zulihälfle in ein anderes Berggebiet. Da machte es Croux stets eine besondere Freude, wenn wir es so einrichten konnten, daß wir am 27. Juli zum Feste des Schutzpatrons von Courmayeur, San Pantaleone, in Courmayeur einrückten. Es ist jedoch auch vorgekommen, daß wir die zwei Wochen der ersten Augusthälfte auswärtigen großen Unternehmungen widmeten^"). Die Pläne für die Westalpen kamen in unseren fast täglichen Winkergesprächen zustande, die Anregung zu einigen der größten verdanke ich Bolaffio. So überraschte mich dieser Mann, der, wie wir gesehen haben, in allen Lagen seines Lebens in klarster Selbstbeherrschung haarscharf zu denken pflegt und nie dämmert noch träumt, einmal mit der Mitteilung, es sei ihm „in einem Traume", den er mir nicht näher erklärte, der Mont Dolent (3823 m) von der Reuvazseite erschienen, und er glaube da einen Weg gesehen zu haben. 60) Auch die Touren der Ära Croux werde ich nicht in chronologischer Reihenfolge erzählen. Ich könnte es nicht, da ich nie Aufzeichnungen geführt habe und mich an die genauen Daten der einzelnen Unternehmungen nicht mehr erinnere. Sie sind gewiß auch hier ganz nebensächlich. den man versuchen müsse. Auf dem Wege zur Grande Lys hakte ich wohl selbst in Wirklichkeit hingeschaut, es wäre mir aber nie eingefallen, in den furchtbaren Eiskehlen und Gletscherüberhängen jenes verborgenen Südwestwinkels des Neuvazbeckens eine Anstiegsmöglichkeit auf den Mont Dolent zu vermuten. Erstaunt, doch von der Kühnheit der Idee meines Freundes angezogen, blickte ich in die Karte, aber auch die blauschatlierte Einzeichnung jener innersten Eisflanken durch Imfeld wirkte sehr verdächtig und durchaus nicht ermutigend. Trotzdem wurde ein fester Plan daraus und wir gingen ein erstes Mal mit Croux und Aime dahin. Es war in jenen Tagen viel Neuschnee gefallen, alle Felsrippen waren mit hochliegendem Schnee behängen. Ankerhalb des Felsenspornes, mit dem sich der Ostgral der Aiguille de l'Amüne in den Eiskörper -es Neuvazglelschers einbohrt, auf Kote 2650, wurde es uns klar, daß wir es in solchen Verhältnissen nicht versuchen durften. Ungerne und zum besonderen Schmerze Bolaffios machten wir kehrt und wandten uns, um uns einen Ersatz zu verschaffen, nordöstlich der rotbraunen Felsenburg des Grand Darrei (3515 m) zu. Gleich darauf haben Nebel den Mont Dolent verhüllt. Wir konnten nicht beobachten» was dort geschah, aber die unaufhörlichen Donnerschläge, die hinter dem geschlossenen Nebelvorhang aus der Gegend jenes Winkels herübertönlen und die sich manchmal zu einem geradezu beängstigenden Tumult steigerten, sagten uns, daß dort schwere Lawinen und Stein-schläge an der Arbeit waren und daß unser vorsichtiger Verzicht einer richtigen Beurteilung entsprungen war. Wir überschritten den Gran-Darre! zum Glacier de Saleinaz und kehrten über Praz de Fort und den Col du Grand Ferret nach Courmayeur zurück. Am jene Zeit begannen uns zwei der größten und schwierigsten Cols der Mont-Blanc-Gruppe zu interessieren, der Col des Grandes Iorasses (3828 m) und der Col du Mont Dolent (3543 m). Ich kannte jenen aus genauen Schilderungen Mackenzies, der ihn in umgekehrter Richtung, von Frankreich nach Italien, als zweiter überschritten hat, und aus einer nicht voll verbürgten Geschichte, die vom alten Rey erzählt wurde, der dessen erste Überschreitung von Italien nach Frankreich mitgemachl hat. Dieser brave Mann sei über den berüchtigten Bergschrund der französischen Seite als letzter gesprungen, jedoch infolge eines Zufalles in der schon eingetrelenen Dunkelheit so unglücklich, -aß er unten kopfüber angelangt sei. Dabei habe er sich den Hals so verdreht, daß er längere Zeit das merkwürdige Schauspiel eines menschlichen Geschöpfes geboten habe, dessen Gesicht nach rückwärts schaut. Aus seiner eigenen, in der drolligsten Weise und mit der Miene eines Mannes vorgebrachten Erzählung, der sich über eine derartige Kleinigkeit, als über einen guken Spah, lachend hinwegsehk. Konnte ich entnehmen, daß er damals tatsächlich ganz nahe daran gewesen war, sich den Hals zu brechen, und in der Folge verband ich den Namen des Col des Grandes Iorasses mit der Vorstellung eines verwegenen und beweglichen alten Männleins, das verdrehten Halses und zwinkernden Auges den verblüfften Nachfolgenden die lustigsten Gesichter schneidet, während es rüstig vorwärts schreitet. Ja, diesen Col wollten wir kennen lernen! Auch besten italienische Seite hat ihre berühmte Stelle. Es ist eine hohe, sehr glatte, überaus steil aufgerichtete Granitplatte, die so ungefähr das Schwierigste darstellt, was ich je in Felsen gemacht habe. Wir verstärkten unsere Karawane mit Savoye und stiegen von der Cabane der Grandes Zorasses an. Die unteren, sehr steilen Felsen trafen wir teilweise vereist an und hatten schon da an mehreren Stellen ziemlich arge Schwierigkeiten zu überwinden. Dann führten trockene Felsbänke über großartigen Abgründen nach rechts heraus zum Fuße der Platte. Croux und Savoye nahmen sie in der Weise in Angriff, daß sie gleichzeitig knapp hintereinander emporkletterten, so daß Savoye dem vorangehenden Croux im oberen, äußerst kritischen Teil mit Schultern und Händen Stützpunkte bieten konnte. Das war eine der glänzendsten Leistungen, die ich je gesehen habe. Es sah aus, als hätten die beiden ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan, als sich an dieser formidablen Platte zu üben. Als Croux sich gänzlich emporgeschwungen hatte"), zog er Savoye am Seile nach. Als letzter war Aime unten verblieben. Er hatte etwas geringschätzig der Arbeit zugesehen. Seine Liebe und seine Verehrung für sein Matterhorn") waren so unbegrenzt, daß es seiner Meinung nach nichts geben konnte, was -essen Größe und Schwierigkeit gleich käme. Als Croux ihn kommen hieß und das Seil anzog, verbat er sich dies. Er sei vom Matterhorn an Schlimmeres gewöhnt und werde ohne Unterstützung klettern. Gleich darauf blieb er stecken. Man Hörle unten die Nägel seiner Bergschuhe kratzen und scharren, und sein Atem ging immer stärker und schneller. „Tirez“, rief er endlich mit gepreßter Stimme. Aber Croux ließ chn eine Weile zappeln, die dem guten Burschen lang genug vorgekommen sein mag. „Du bist doch Schlimmeres gewohnt, es ist ja nicht das Matterhorn!" — „Tirez“, klang es dringender, und 61) Die Platte fügt sich hoch oben vollständig grifflos in einen Felskamin ein. Dorl steckt ein von Mackenzies Lenken angebrachler Abseilring, der allen höchst willkommen ist. M) Literatur: Ebendort, ü. A. Z. 1913, 1. nun griffen Croux und Savoye mik starken Armen zu, und Aime erschien in rascher Himmelfahrt am oberen Rande der Platte und blickte völlig atemlos, erschöpft und verdutzl in die lachenden Gesichter unserer Gesellschaft. Oberhalb der Platte führen leichtere, zu bequemen Gesimsen gelagerte Felsen auf die Höhe des Cols. Mit der Erkletterung der Platte war der Sieg erkämpft. Dann stiegen wir die jäh abschießende jenseitige Eiswand hinab, in welche Aime vorangehend die nötigen Stufen schlug. Bald stockte unsere Bewegung, der Steilhang unter uns war in seiner ganzen Breite glatt abgeschnitten, die Eisschollen, welche unsere Pickel ablösten, schossen lautlos ins Leere: der Bergschrund! Einer nach dem andern traten wir vorsichtig an den Rand, schauten erst neugierig ins scheinbar Bodenlose, orientierten uns rasch im Tiefblick, erfaßten die Situation und ließen uns, von oben gesichert, am Seil auf den guten Schnee des jenseitigen Spaltenbordes tief unten senkrecht hinab. Croux war als letzter oben verblieben. Seil und Pickel hatte er herabgeworfen. Frei stand er da. Er hieß mich im Schnee eine gute Aufsprungstelle Herrichten, etwas zur Seite treten und den linken Arm Vorhalten, um ein Überschlagen zu verhindern. Dann lächelte er mich ruhig an, zählte bis drei und sprang durch die Luft. 3m Augenblick, da seine Füße den Schnee berührten, lag meine Hand an seiner Brust. Ohne die geringste Schwankung sagte er sein kurzes „Merci“, nahm das Seil auf und ordnete den weiteren Abstieg an, als sei es eine gelungene Übung im Turnsaal und nicht der aufregende Sprung über einen der gewaltigsten Bergschründe der Mont-Blanc-Gruppe gewesen. Eine herrliche Wanderung über die Glaciers du Mont Mallet, de Leschaux und die Mer de Glace brachte uns gegen Abend zum Montano ert. Für den Col du Mont Dolent, der noch schwieriger und verantwortlicher ist, wünschte Croux eine kleinere Gesellschaft. Die Dreizahl ist bei großen Eistouren immer die beste. Bei fünf Teilnehmern kann es schon auf Kosten der Beweglichkeit gehen, so sorgfältig auch die Mitglieder der Gesellschaft ausgewählt sein mögen. Immerhin haben wir zu vier und zu fünf auch noch größere Dinge unternommen und glücklich durchgeführt. Es traf sich, daß mein Freund damals den Mont Blanc zu ersteigen wünschte, so daß wir den Col zu dritt überschritten. In Courmayeur war wieder Rendezvous. Im Pavillon de Lognan erkannte mich der Hauswirt sofort. Es befriedigte Um, mich auf einer schwierigen Anternehmung zu wißen. Bon hier gesehen macht der Col du Mont Dolent einen sehr abschreckenden Eindruck. Weit im düster geschloffenen Hintergrund des scheinbar fast ebenen Argenlierebeckens greift über einem ungeheuren, bogenförmig verlaufenden Bergschrund das berühmte Eiscouloir wie eine riesige Greifenkralle zum abenteuerlich zerhackten Westgral des Mont Dolent hinauf. Das ist der Weg. Durch das Couloir ist Whymper abgestiegen. Der Gang über den Gletscher ist weit. Wir wollten um 2 Ahr französischer Zeil° ) aufstehen. Zeder Bergsteiger von Gemüt wird es mir nachfühlen, wenn ich offen gestehe, daß mich das frühe Aufstehen niemals gefreut hat. Ich möchte die volle Wahrheit sagen: ich hasse es. Zedesmal, wenn eine frühe Stunde beschlossen worden war — und ich trat im Prinzip immer sehr dafür ein —, legte ich mich mit dem heimlichen Wunsche nieder, es möge am nächsten Morgen doch regnen. So lat ich auch an jenem Vorabend. Unruhig schlafend erwachte ich kurz vor der festgesetzten Stunde, und wie ich in die Nacht hinaushorchte, vernahm ich etwas, das mir Engelsgesang schien: es plätscherte. Es plätscherte ganz ordentlich. Kein Zweifel, es regnete! Das mußte ja ein respektabler Regen sein, da es so schön plätscherte, die Dächer mußten nur so triefen! Ich grub mich lief in mein Belt ein und dachte voll feindseliger Gefühle gegen alle, die sich berufen fühlen könnten, mich zu wecken: „Ihr könnt morgen machen, was ihr wollt, vor 10 Ahr stehe ich euch nicht auf!" Da beginnen irgendwo ferne im Hause dumpfe schwere Tritte, die sich langsam nähern. Sie kommen die Treppe herauf und stehen vor meiner Tür still. Aha, Croux! Er wird mir melden, daß es regnet. And ich werde chm sagen, daß es mir sehr leid tut. Es klopft: „Deux heures, Monsieur, levez-vous!“ — „Danke, lieber Croux. Wie ist denn das Wetter, Croux?" frage ich listig. „Temps magnifique, Monsieur. Tout clair, tout etoile, levez-vous!“ Das Herz steht mir still. „Aber, Croux," sage ich schwach, „es regnet ja, ich höre, wie das Wasser plätschert!" „C’est la fontaine, Monsieur. Levez-vous!“ kommt es rauh zurück. Ich liege vernichtet. Aber ich kenne chn. Er steht draußen und horcht. Es war der -ritte Weckruf, er wird nicht mehr klopfen, int nächsten Augenblick sprengt er die Türe. Den Tod im Herzen bin ich herausgesprungen. And das, du arme Seele, nennt man eine Freude? Bier oder fünf Stunden später standen wir im Kampfe mit dem größten Bergschrund meines Lebens. Ich werde nicht fehlgehen, wenn ich sage, daß er im ganzen die Höhe eines vierstöckigen Hauses halte. Es ist ein Angeheuer. Croux hackt ohne Anterlah bald auf schmalen M) Das ist 1 Uhr unserer Zeit. Spitze und Westgrat der Grande Lasse $t- *“ul öd6r“,mcc“'*“riä : •*/ - * ' ;S" ' . /j/ (gf Zu Seite 259/260 Mont Pourri von der Aiguille Rouge du Pourri Dr. Paul Helbronner-Paris Eisgesimsen und eingeklemmten Eisblöcken, bald auf meinen Schultern stehend. Die Eisschollen prasseln in die gähnenden Schlünde. Schritt um Schritt dringen wir empor. Immer tiefer sinkt der herrliche Silberstrom des Argentieregletschers. Die Sonne ist aufgegangen. Sie webt um jede Spitze, um jeden Firnengrat den Strahlenkranz ihrer Gnade. Rosig leuchtet der Himmel. Bon der Berte zur Argentiere und zur Chardonnet steht der unvergleichlich schöne, weitumfassende Halbkreis der in eisschimmernden Rüstungen prangenden Berge. Aus ihrer machtvollen Phalanx ragen die schwarzen Zinnen und Türme der Felsengrate gleich Reihen aufgerichteter Sperre über hochgehobenen funkelnden Schneeschilden. Jawohl, du meine Seele, das nennt man Freude. So hast du dich schwer aus der Nacht hervorgerungen und steigst jubelnd aufwärts ins Licht! Wir gingen nicht im Couloir empor, sondern wandten uns in die Felsen zu unserer Linken. Zunächst war es ein ganz steilaufgerichtetes Dreieck dunkelgrauer, schuppenförmig nach aufwärts gelagerter Granit-schrofen, an deren ausgezeichneten Griffen wir rasch und sicher empor-turnten. Dann mußten wir näher an das Eis des Couloirs hinqueren, und trafen nun auf festgefügten, rund gebuckelten Granit, der uns bei zunehmender Steilheit immer sich steigernde Schwierigkeiten entgegensetzte. Schließlich waren wir gezwungen, in großartiger Exposition mit Zuhilfenahme eines Reserveseiles eine äußerst schwierige Traverse über eine seitlich herabschießende Eisrinne nach rechts hin zu machen, um ins große Couloir zu gelangen. Knapp an den linken Felsen desselben stiegen wir nun darin vollends zum Col empor, wobei bald Stufen gehauen, bald zwischen Fels und Eis eingeklemmte Steine benützt wurden. Es war fast Mittagszeit, als wir die Höhe erreicht hatten, die Schwierigkeiten waren langandauernd und ernst gewesen. Es war eine jener Klettereien, bei denen alles Maß für die aufgewendete Zeit und» vor der Größe der Unternehmung und der jeder Bewegung anhaftenden hohen Berantwortlichkeit, auch die Erinnerung an die einzelnen Details, die nebensächlich werden, verloren geht. Im vielstündigen Anstiege hatten wir nur zweimal die Möglichkeit gefunden, uns zu einer einigermaßen bequemen, kurzen Rast zu lagern. Um so mehr genossen wir die lange Ruhepause auf der linksseitigen Felsenkanzel des Cols, von welcher man frei nach Süden blickt. Die Colsenke ist in einen wundervollen Säulenbau eingeschnitten. Whympers Buch bringt ein Bild davon, in welchem die abenteuerlich nach Süden vorhängende Colwächte sehr eindrucksvoll wirkt. Ich hatte dieses Bild immer für phantastisch gehalten, es schien mir ganz unmöglich, daß man an solchen Stellen auf- oder absteigen könne. Ich glaubte zu träumen, als dieses, mir aus der Knabenzeik so wohlverkraute Bild in der fürchterlichen Mildheit und Steilheit einer Kaum faßbaren Wirklichkeit und in den ungeheuren Dimensionen, welche nur eine Mont-Blanc-Gruppe sich gestatten kann, plötzlich vor meinen Augen stand. Nicht ohne Sorge folgte ich den Angaben des Croux, als er mir den Abstieg von links nach rechts hin tief unter der Mächte hindurch erklärte. Sie bedroht ihn in seiner ganzen Steilstrecke» man hat das peinliche Gefühl, ihrer Gnade oder Ungnade vollständig und ganz schutzlos preisgegeben zu sein. Tatsächlich war sie abgebrochen, als Croux hier zum ersten Male mit Schinz aus Liverpool und dessen Begleitführer Pollinger abstieg. Er erzählte mir, daß die Partie ihre Rettung nur einem Wunder verdankt habe. Wir waren glücklicher. Nichts regte sich während des aufregenden Abstieges. Als wir über den ebenen Boden des Glacier de Pre de Bar dahin-fchritten und nur mehr der leichte Abstieg in die Bal Ferret vor uns lag, hatte ich das Gefühl, daß einer meiner größten Tage in den Bergen sich seinem Ende zuneige. Die Höhenfeuer zum Fest des San Pantaleone flammten auf, und friedlich umfing uns die Abendstimmung im schönen Tal, das, von Heudüften erfüllt, von murmelnden Forellenbächen durchflossen, vom Brausen der Gletscherachen und der östlichen Doire beherrscht, uns durch Almenzauber und Mondenschein nach Courmayeur hinausgeleitete. Noch einen zweiten Herzenswunsch hegte mein Freund in jenen Jahren: Den einer Ersteigung des Grand Combin (4317 m) aus dem Almenbecken von By über den Cot d'Amyanthe (3489 m). Seinen Traditionen getreu empfing uns der Berg mit schlechtem Wetter. Drei Tage warteten wir im gastlichen Almhause der Farmet von Aosta geduldig, doch vergeblich» auf Besserung, wobei uns der fortwährende Regen nur einige kurze Spaziergänge und an einem der Tage den Aufstieg bis zum Col d'Amyanthe gestattete. Dann streckten wir vor so viel Näffe die Waffen und stiegen zu Tal. 3m nächsten Zahr kamen wir wieder. Die Tour schien sich erst sehr gut anzulaffen. Wir benützten, nachdem wir den Col überschritten hatten, einen langen Felsen- und Schneegrat über dem Glacier du Mont Durand, der unseres Wissens bisher noch nicht überstiegen worden war, fühlten uns auf seinem jungfräulichen Boden sehr glücklich und meinten schon den Grand Combin auf neuem Wege in der Tasche zu haben. Die Kletterei war nicht wirklich schwierig, aber sehr großen Stiles. Leider begannen um die Mittagsstunde Nebel aufzusteigen, und als nach mannigfachen Orien-tierungsschwierigkeiten die überfirnte Kammhöhe bei 4080") nordöstlich M) Die blaue Ziffer 4080 oberhalb Kote 4078 im Siegfrieballas, Aufnahme L'Hardy, Revision X. Imfeld 1877, 1:50.000. unterhalb des Combin de Graffeneire glücklich erreichk war, wurden wir von ihnen vollständig emgehüllk. Da standen wir und sahen unseren erkräumlen schönen Erfolg langsam zerfließen. Nicht so die Nebel. Die wurden dichter und dichter, und als wir in der immer steiler abschießenden Eiswand ungefähr hundert Meter nach Norden abgestiegen waren, zwangen sie uns stille zu stehen und ernsthafte Beratung zu pflegen. Keiner von uns kannte den Berg, eine Karte hatten wir nicht mit, sie hätte hier auch wenig genützt. Ein Abstieg ins Anbekannte bei solchem Nebel und zu so später Stunde schien nicht rätlich, so viel wußten wir, daß sich unter uns sehr große Eisabbrüche befanden. „Hier bleiben, ins Eis eingraben", sagte ich. Savoye, der Mann vom Nordpol, unterstützte die Idee, und als Croux die Entscheidung zu treffen hatte, war auch er dafür. Mein Freund machte ein vornehmes Gesicht und ließ uns gewähren. Bon 5 bis 7 Ahr abends hatten unsere Pickel°°) eine Eisgrotte hergestellt, die vielleicht zwei Meter in der Breite, eineinhalb Meter in der Tiefe und ebensoviel in der Höhe maß. Borne, dem Abgrund zu, vermauerten wir sie mit Eisblöcken und ließen nur eine kleine Öffnung frei, durch welche wir hineinkriechen konnten. Dann zogen wir mit den Pickeln einen bereitgestelllen großen Eiswürfel in die Türöffnung, schlossen alles möglichst dicht und verkleisterten die Fugen in der Border-wand fest mit Schnee, daß kein Lufthauch hereindringen konnte. Da sahen wir nun auf den Seilen und den Handschuhen in unserer engen Eisschachtel und schauten uns hochbefriedigt und vergnügt an. Eine Kerze spendete Licht, Zigarren hatten wir genügend, und so qualmten und erzählten wir darauf los. Ab und zu nahm ich meinen Freund her und massierte ihn. Draußen zog eine eisigkalte Nacht vorüber, der Sturmwind heulte und fegte über die Eiswände. Wir fühlten uns wohlgeborgen und fanden es nach einigen Stunden sogar nötig» den Raum zu ventilieren. Mit dem Pickelstock bohrten wir ein Loch durch die Decke ins Freie. Da blickte ein lieber, guter Stern freundlich herein und sagte uns, daß wir um den morgigen Abstieg keine Sorge mehr haben mußten. Der Reihe nach legten wir das Auge an das Loch und schauten dankbar zu chm hinauf. Mein Freund benützte später diese Gelegenheit, um zu behaupten, ich hätte ihn so massiert, daß er die Sterne gesehen habe! Am Mitternacht fiel, von uns mit Jubel begrüßt, der erste Schmelztropfen von der Decke. Wie viele arme Leben, die in schweren Nächten auf dem Eise der Gletscher mit Kälte und Erschöpfung hoffnungslos gerungen haben, wären gerettet worden, hätte 66) An der Tour nahmen Croux, Savoye und als Träger Henry Brachere! aus Cour-mayeur feil. man rechtzeitig ruhig und besonnen an diesen Ausweg der arktischen Praxis gedacht! Ab und zu schlummerte der eine oder der andere von uns, es bestand keine Gefahr. Der Morgen dämmerte, wir berieten im grünlichen Licht unseres Gemaches, wann wir „aufstehen" wollten. Um 5 Uhr früh stemmten wir unsere Füße gegen die hartgefrorene Bordermauer. Sie gab bald nach, die Blöcke kollerten die Eishalde hinab, der Blick ward frei, und in der Morgensonne lag die Schweiz unter uns. Alle Eisgipfel waren in Gold getaucht. Da beglückwünschten mich alle zu meinem Geburtstage, denn es war der 19. Juli. Der Himmel war vollständig rein. Sofort faßte uns die Kälte mit grimmigen Krallenfäusten. Wir liefen zunächst, um uns zu erwärmen, zur Firnkuppe bei 4080 hinauf. Einen Versuch, zum Combin de Graffeneire und zur Aiguille du Croissant vorzudringen, vereitelte der Sturmwind, -er mächtige Schneefahnen von den Graten aufwirbelte. So muhten wir den Abstieg über die berühmte seracgefährliche Eiswand zum Corbassieregletscher beginnen, erreichten den Col des Maisons Blanches und stiegen durch ein langes, sehr steiles Schneecouloir am Moine gegen Bourg St. Pierre hinab. Die höchste Spitze des Grand Combin ist uns auch diesmal versagt geblieben. Trotzdem steht dieser großartige Berg leuchtend in meiner Erinnerung. Wir fühlten uns stark und beschlossen, sofort den Mont Dolent von der Neuvazseite anzugreifen. Am Großen Sankt Bernhard nahmen wir kurz die Gastfreundschaft der Patres in Anspruch, dann gingen wir über den schönen kleinen Col de Fenetre zum Chalet Ferret. Da war es gut sein, aber Croux wünschte ein hohes Biwak am Neuvazgletscher und ich war mit Begeisterung dabei. Oh, da wisse ich eine Stelle! Ich malte sie aus: Ein großer Moränenblock mit Überhang, Höhle und idealem Schlafplatz, davor ein kleiner alpiner Blumengarten, Wasser in der Nähe, Blick auf blaue Gletscher, hohe Berge, grünes Tal. Wir nahmen Vorräte und Holz auf, und nach zweieinhalbfiündigem Steigen sagte ich triumphierend: „Wir sind zur Stelle!" „Wo?" srug mein Freund. „Hier!" sagte ich und wies auf den Block. „Dieses Loch?" srug mein Freund und sah mich vernichtend an. Nach meiner Beschreibung schien er sich ein besseres kleines Hotel mit Aussichlsveranda und einem schwebenden Gärklein der Semiramis davor erwartet zu haben. Um ihn zu versöhnen, gaben wir ihm den besten Platz, das heißt die ebene tiefste Stelle in der Höhlung. Unser Lager zu beiden Seilen war etwas abschüssig, und so rutschten wir im Schlafen auf ihn hinab. Auch regnete es in der Nacht, das Wasser floß herein und sammelte sich naturgemäß da an, wo er lag. Er ertrug alles, Alp- druck, Nässe und unsere erbärmlichen Witze geduldig und tapfer: es galt dem Wege seines Traumes! Das Welker des nächsten Tages war zu unsicher, um den Angriff zu wagen. Doch gingen Croux und Savoye auf Kurze Rekognoszierung bis auf über 2700 Meler. Sie brachten nicht verzweifelte, doch immerhin ernste Nachrichten zurück: eine nicht allzu steile Felsrippe scheine im oberen Teil den Aufstieg zum Nordgrat des Mont Dolent zu gestatten, doch sei der Zugang zu ihr durch den steilen innersten Gletscherwinkel sehr lawinengefährlich und der Glacier de la Neuvaz an einer Stelle von zwei nebeneinander verlaufenden enormen Spalten der ganzen Breite nach derart durchschnitten, daß die Ausführbarkeit des Überganges in Frage stehe. Der Nordgral selbst trage ungeheure Eiswächten, doch versprächen hohe, freiliegende Felsbalkone an der Argentineseite Umgehungsmöglichkeiten. Wir blieben noch eine Nacht oben, doch als auch -er nächste Tag trübe anbrach, entschlossen wir uns, im Chalet Ferret besseres Wetter abzuwarten. Es kam endlich, in der zweiten Nacht konnten wir aufbrechen. Mir ruhten am Schlafplatz nur zwei Stunden und im Morgengrauen betraten wir das Eis. 3n raschem Anlauf kamen wir zu den Spalten. Mir überschritten sie an einer Stelle, wo eine dünne Scheidemauer sie voneinander trennte, auf ganz schmalen, hochgewölbten, abenteuerlichen Schneebrücken, welche die gute Vorsehung von Bord zu Bord hatte stehen lassen. Nie wieder habe ich solche Spalten gesehen. Der Blick in chre blauschwarzen Tiefen war grauenvoll. Dann Kamen wir, jäh ansteigend, in den innersten Gletscherwinkel, und die Stimme, mit der Croux immer dringender zur Eile mahnte, wurde herrisch und rauh. Das war stets so, wenn die Gefahr drängte. Der Firnboden war tief aufgewühlt, von den Flanken schossen steile Schneekehlen herab, oben drohten die mächtigen, weit vorhängenden Eis-abbrüche der Gipfelhaube. Es ist ein unheimlicher Ort. Die Grabesstille, die da herrschte, als wir ihn durcheilten, wirkte um so sonderbarer und beängstigender, weil ihm überall die Spuren von Ereignissen aufgedrückt waren, die sich nicht leise und allgemach, sondern in katastrophaler Raschheit und Wucht und im zornigsten und fürchterlichsten Aufbrüllen vollziehen, dessen die Berge fähig sind. Wo wir konnten, liefen wir. Stufenschlagend arbeiteten wir uns zur Rechten hinauf, sprangen durch Lawinenfurchen, hefteten, wo es anging, die engen Kurven unserer Trace an die kleinen Vorteile des Terrains, querten schon hoch über dem Gletscherboden knapp unter den Felsen horizontal nach links hinaus, bis wir auf die breite Felsrampe übertreten konnten, mit welcher die Rippe beginnt. Da schöpften wir Atem und rasteten, von der Hast der letzten Stunden ermüdet, längere Zell. Das Gefahrvollste lag unter uns. Die Felsen der Rippe stellten uns Keine Schwierigkeiten entgegen, wenn sie auch höher hinauf immer steiler wurden. Sie sind jedoch nicht frei von Steingefahr. Ein fallender Stein kappte das Seil zwischen Savoye und mir fast vollständig. Angemein eindrucksvoll war der Augenblick, als wir den Nordgrat erreichten und das Argentiere-becken zu unseren Füßen sich auftat. Wir deponierten an der Stelle eine Flasche. Nicht weit nördlich davon senkt sich der Grat zu seiner tiefsten Depression, zur Breche de l'Amöne (3426 m)56). Dann folgten wir dem Grat nach Süden. Die Eiswächten ruhten tatsächlich in der Weise auf, daß wir, allmählich ansteigend, auf schmalen Fels- und Schutt-gesimsen an der Argentiereseite unter ihnen Hinqueren konnten. Die Beobachtung unserer Leute war vollkommen richtig gewesen. Bald gestattete ein steiler Eishang, die gerade Richtung gegen den Gipfel aufzunehmen, bis die zunehmende Steilheit uns zwang, unter einem auffallenden Gratzacken des Nordgrates hindurch an die Westseite des Berges hinüberzuqueren. Ein Plattenband vermittelte dies. Da blickten wir in das Gletscherbecken von Pre de Bar hinab, die scharfen Türme des Westgrales lagen schon unter uns, leichte Schrofen begannen emporzuleiten. An einer Stelle floß Wasser herab, da rasteten wir noch einmal im Angesichte des Erfolges. Bald darauf hatte sich Bolaffios Traum erfüllt, wir schüttelten uns nach fast zwölfstündiger Arbeit die Hände auf dem Gipfel des Mont Dolent^). Rach einigen Tagen frug mich Croux, ob ich vom Nordgrat des Mont Dolent nichts bemerkt habe. „Ich glaube allerdings etwas gesehen zu haben," sagte ich, „die Möglichkeit, den Mont Dolent vom Argentiere-gletscher zu ersteigen." Das sei auch seine Meinung. Es werde noch schwieriger sein als der Neuvazweg, aber es sei seiner Ansicht nach das größte und dankbarste Problem, das die Mont-Blanc-Gruppe noch biete. Es vergingen zwei oder drei Jahre, ehe wir an die Berwirklichung dieser Idee schritten. Vom Dauphine waren wir nach Chamonix gekommen, und da schlug ich vor, auf diesem Wege nach Courmayeur zu gehen. Wir hatten den Plan geheimgehalten, nur Dr. Claude Wilson wußte von mir aus davon. Croux war allein bei uns, ich schlug ihm einen erstklassigen Mann seiner Wahl aus Chamonix als zweiten vor. Er lehnte ab und zog einen zufällig in Chamonix anwesenden miltel- 68) Ich Halle die Bresche Col des Aiguilles Rouges (du Dolenl) genannl. Louis Kurz nennt sie Breche de l'Amöne und ich beuge mich selbstverständlich seiner Auloriläl. 67) Literatur: „II Mont Dolent, 3823 m. Prima šalita dal ghiacciaio della Neuvaz.“ Alpi Giulie 1906, 109. mäßigen Mann aus Courmayeur, den David Promenk, vor. Die Absicht war offenkundig: Courmayeur sollte auch diesen neuen Sieg voll auf seine Fahne schreiben dürfen. 3n Lognan blickte uns der Hauswirt prüfend an. „Was wollt ihr hier? Ihr habt doch schon alles gemacht!" — „Wir gehen über den Cot du Mont Dolent." Er beobachtete uns mißtrauisch, und als Croux allein war, trat er auf ihn zu: „Du gehst nicht über den Col du Mont Dolent. Du willst den Mont Dolent versuchen. Sieh Dich vor und beeile Dich, die Ravanepb) haben den gleichen Plan!" Wir waren im richtigen Augenblick gekommen, und der nächste Tag sollte entscheiden, ob der Mont Dolent von Argentiere Courmayeur oder Chamonix gehöre. Croux' hohe Gestalt wuchs um einige Zoll. So hob es ihn! Um 1 Uhr brachen wir auf. Bei Morgengrauen standen wir am Bergschrund. Er war hier nicht so groß, wie wir ihn unter dem Col gefunden hatten, aber stark stand die Stelle hinter jener nicht zurück. Darüber steilstes schwarzes Eis bis an die Felsen. Wir waren fast senkrecht unterhalb der Breche de l'Amüne über den Schrund gegangen, von ihr kam ein überaus steiles, enges, plattiges Felsencouloir herab, das gerade ober uns ausmündete. Hier faßten wir die Felsen. Das Couloir schien nicht gangbar, wir hielten uns zu seiner Rechten. Es ging anfangs gut, dann hob sich eine glatte Platte wohl zwanzig Meter so steil empor, -aß unsere Bemühungen, sie frei zu erklettern, scheiterten. Croux versuchte ein gewagtes Seilmanöver. Mil der linken Hand an einen schlechten Griff geklammert, mit weil auseinandergespreizten Beinen in den Felsen hängend, den Oberkörper zurückgebogen, versuchte er mit der Rechten das eine Seilende um einen kleinen Felszacken rechts ober chm zu werfen, während ich das andere Ende straff zu hallen hatte. Haftete das Seil, so wollte er sich mit -essen Hilfe über die Platte schwingen. Wohl zehnmal warf er. Jedesmal glitt das Seil ab. Die Situation wurde aufregend, er klebte hoch über uns in furchtbarer Exposition, es schien übermenschlich, daß er sich so lange hallen konnte. Anker uns der Abgrund, die schwarze Eiswand und der gähnende Schlund! Immer wieder, mit eiserner Beharrlichkeit, holle er das Seil ein, zielte und warf. „Croux," rief ich hinauf, „wagen Sie nicht zu viel. Wenn Sie stürzen, kann ich Sie nicht halten!" „8i vous commencez dejä avoir peur maintenant, qu’est ce que sera plus tard?“ kam es rauh herab! Da wußte ich, daß wir bis zum äußersten gehen werden. Hie Chamonix, hie Courmayeur! 6S) Die berühmten Führer von Chamonix. Das Seil hielk. „Attention!“ Klang es herab. Ein Schwung, ein leichtes Kratzen im Fels, und Croux hakte die Platte überwunden. Die Felsen wurden leichter, Schuttstreifen traten aus, die uns etwas nach links hin rasch in die Höhe brachten. Die Gratschneide der Breche de l'Amöne war schon ganz nahe. Wir gelangten in eine Nische, die halbkreisförmig von senkrechten Klippen umschlossen ist. Sie liegt über dem oberen Ende des Felscouloirs. Hier drohte unsere Anternehmung zu scheitern, wir sahen nirgends eine Möglichkeit, die letzte Mauer zu erklettern. Zum Schlüsse blieb nur ein enger, etwas vereister Kamin übrig, in den wir nicht gut hineinsehen konnten, da er dem Abgrund zugewendet ist. Croux hieß mich an den Rand treten. Bon meinen Schultern aus stieg er in den Kamin ein. Er verschwand hinter Borsprüngen, und es blieb nun über eine halbe Stunde still. Nur ab und zu merkten wir an den Schwingungen des Seiles, daß er an der Arbeit war. Auf unsere Fragen antwortete er nicht. Endlich erscholl sein „Venez!“ Es klang frei und verheißend. Als ich um die Ecke kletterte, sah ich ihn hoch über mir: er hatte die Schlußwand bewältigt. 3n zwei Dritteln ihrer Höhe stand er auf einem scharf ausgemeißelten Gesimse. Knapp neben ihm ragte ein schmaler Block aus der Mauer, als habe die Borsehung chn dort eingefügt. Daran hatte er das Reserveseil befestigt. Die Wand bis zu ihm war rostbrauner, senkrechter Granit. 3n sehr großen Entfernungen voneinander standen Griffe im Gestein, wie Schwämme. Man konnte sie selbst mit Hilfe des Neserveseiles nur mit schwerster Mühe erreichen, hatte man sie aber, so hing man sicher wie an eisenfesten Henkeln. Trotzdem bedeutete die Erkletterung dieser großartigen Wand eine Kraftleistung allerersten Ranges. Das oberste Drittel ist in Bänken gestuft, die Felsen legen sich hier schon zurück. Ein wilder Triumph lag auf Croux' Angesicht. Die Breche de l'Amone war genommen und alles weitere uns schon bekannt. Es war spät geworden, Croux drängte zur Eile. „Je ne veux pas bivaquer“, rief er uns zu, wenn ihm unsere Fortschritte zu langsam waren. Bald standen wir bei unserer zurückgelassenen Flasche^"). 3m Eishang arbeitete chm Proment nicht rasch genug. Obwohl selbst schon stark hergenommen, trat er wieder an unsere Spitze und hieb alle Stufen, die bis zur Traverse an die Westseite noch nötig waren. Es war %5 Ahr abends, als wir die Spitze des Mont Dolent erreicht baffen60). Trotz der vor- °°) Somit haben wir auch die Breche de l'Amöne als die ersten erreicht. Allerdings nicht in einem Zuge überschritten, sondern je Ost- und Westseite im Abstand einiger Jahre begangen. 60) Literatur: „Mont Dolent 3823 m. Prima ascensione dal ghiacciaio d’Argen-tiere.“ R. M. 1907, 261. geschrittenen Tageszeit gönnten wir uns auf dem südlichen Borgipfel eine halbstündige Rast, ehe wir den wohlbekannten Abstieg in die Bal Ferret antraten. Auf Mont Chetif und Mont de la Saxe lohten wieder die Freudenfeuer zum San Pantaleone durch die stille Nacht. Zwischen 9 und 10 Uhr kamen wir nach La Bachey, wo wir übernachteten. Es ist eine unserer gewaltigsten Touren gewesen; wir waren alle auf das äußerste ermüdet. „Je croyais que ma poitrine etait tout a fait dechiree!“ sagte später Croux zu mir, wenn wir von diesem Tage sprachen. Biele Zahre später bin ich nochmals allein mit ihm auf dem gewöhnlichen Wege zum Mont Dolent gegangen. Da wir beide selbstgewählle Biwaks liebten und die Tour eine Art Erinnerungsfeier darstellte, bei der wir nicht eilen wollten, nahmen wir unsere Schlafsäcke mit und verbrachten einen ganzen Nachmittag und die Nacht in den Platten-schliffen oberhalb des Pre-de-Bar-Gletschers auf ungefähr 2700 Metern. Es war ein ungemein schneereiches Jahr, der Berg hatte einen ganz anderen Charakter als in jenen Tagen von Neuvaz und von Argenliere. Der Gipfelgrat, der damals durchaus felsig gewesen war, funkelte in arktischer Pracht, hohe, steile Mächten schmückten chn vom Borgipfel an. Auf dem höchsten Punkt standen wir wohl fünfzehn Meter über den Gipfelfelsen, und da die Spitze aus der dreikantigen Basis der auf-getürmten Schneemassen nadelscharf zulief, war es an jenem Tage tatsächlich möglich, mit der Fläche der einen Hand die Grenzen dreier Länder zu bedecken"). Die wichtigsten der großen Cols, die von Courmayeur nach Chamonix führen, hatten wir kennen gelernt. Da begannen wir den Übergang über 61) Auf der Spitze des Mont Dolent treffen die Grenzen von Frankreich, Italien und der Schweiz zusammen. 3ch möchte an dieser Stelle auf die kleine Monographie „Le Mont Dolent“ verweisen, die Marcel Kurz im „Echo des Alpes“, Juni 1910, veröffentlicht hat. Sie ist so fein und reizend geschrieben, dabei so klar und gründlich, daß fie mir als ein Muster erscheint, wie man Berge und ihre Ersteigungsgeschichle vorführen soll. Der Neuvazweg (Schweiz) »st meines Wissens nie mehr wiederholt worden. Der Argentiöreweg (Frankreich) erlebte eine Wiederholung, wobei sich leider eine schwere Katastrophe ereignete. Der leitende Führer der französischen Partie, Auguste Blanc, ein blühender Sohn des berühmten alten Blanc, te Greffier, von dem ich noch erzählen werde» stürzte aus nicht genau aufgeklärter Ursache ungefähr von der Stelle ab, wo wir beide Male, schon nahe unter dem Gipfel, das letzte Wasser gefunden hallen. Die Zurückgebliebenen, Herr und Träger, waren nicht richtig orientiert. Sie veranlatzlen die Nachsuche nach dem Toten am Argentiereglelscher, während er am Prß-de-Bar-Glelscher lag. Es berührte nüch sehr wehmütig, als ich vernahm, man habe bei ihm die Beschreibung der Tour gefunden, die ich in italienischer Sprache veröffentlicht hatte. Es war gerade die Stelle, wo alle Schwierigkeiten aufhören und der Sieg entschieden ist. große Gipfel zu nehmen. Zunächst überschritten wir die Aiguille de Rochefort (4003 m) und den Mont Mallet (3988 m) von der Cabane Jorasses (2804 m) auS02). Der Einstieg vom Glacier de Planpansiere in das große Lawinencouloir der Rochefork, die Erkletterung der Südwand des Mont Mallet aus dem zwischen den beiden Spitzen liegenden Firnsatlel, der Abstieg über den scharfgezähnten, äußerst luftigen Rord-ostgrat des Mont Mallet und die Überwindung des großen Berg-schrundes, der sich wie ein ungeheurer Haifischrachen an der Basis der Ostflanke über dem Glacier du Mont Mallet auftat, waren die eindrucksvollsten Episoden dieses großartigen Tages. Fast ebenso groß dünkte uns der Tag an der selten besuchten Aiguille de Talefre (3739 m), die wir von der Cabane de Triolet zum Montanvert überschritten. Diese Tour hatte für mich ein besonderes Interesse dadurch, daß sie uns an der Stelle vorbeiführte, wo mich einst die böse Laune des Col de Pierre Joseph einen Tag lang gefangen gehalten hatte. Sie war diesmal in weit günstigerem Zustande und trotz aller Steilheit fast harmlos, da die Ausaperung der oberen Steilhänge so weil vorgeschritten war, daß die bewegenden Kräfte und somit auch die schrecklichen Steinbatlerien ruhten, die damals unausgesetzt gefeuert hatten. Äußerst steil waren die jenseitigen Eis- und Schneehänge, an denen wir, ohne lange zu wählen, anfangs fast gerade Hinabstiegen, bis wir in langer Schleife nach rechts hin sanfter geneigte Gletscherplateaux gewinnen konnten. Diesen beiden Touren reihte sich in einem späteren Jahr die Überschreitung der mehrgipfeligen Eismauer des Dome de Miage (3688 m) würdig an. Wir hatten am Col de Miage (3376 m) in dem reizenden Holzschächtelchen des Refuge Durier übernachtet, das unter der Eis-wächte des Cols halb begraben lag, doch, fest an die Felsen geschmiedet, dem Druck und der Feuchtigkeit tapfer und erfolgreich widerstand. Der Weg des nächsten Tages führte uns in vielstündiger Eisarbeit über die zum Teil sehr scharfen Eisgrate und die mächtigen weißen Dome unseres Berges, die entzückende Ausblicke auf die grünen Berge und Täler Hochsavoyens boten, bis zum Col de Beranger (3369 m), von dem wir zum Glacier de Trelatete und zum gleichnamigen, bewirtschafteten Pavillon (1976 m) abstiegen. Sehr genußreich war dann der nicht minder hochalpine Rückweg über den Col des Glaciers (3098 m) zur Aiguille de l'Allee Blanche (3705 m) und zur Aiguille des Glaciers, die wir von Norden nach Süden zum Col de la ©eigne überschritten. Eine weitere Anzahl von großen Gipfeln der Mont-Blanc-Gruppe nahmen wir in einfacher Ersteigung, ohne sie zu überschreiten. So die "2) Es lag Croux besonders am Herzen, uns diese Route zu zeigen. Punka Isabella (3758 m) von der Cabane de Triolet aus über den Col de Triolek, die schöne Aiguille de Leschaux (3770 m) nach einem Freilager am Glacier de Frebouzie. Auf dieser Tour Halle ich die Freude, Freund Dr. Karl Blodig in unserer Gesellschafk zu sehen. Am Tage, da Bolaffio vom inzwischen erbauten Refuge am Couvercle aus die Aiguille Berke erstieg, wozu ich chm Croux und Savoye überlassen Halle, ging ich mil einem der Payot und unserem damaligen Träger Henry Brocherel auf die höchste der Aiguilles de Blaitiere (3520 m). Zur Innommala (3717 m) war ich mil Croux ausgezogen und halle am Chälelek nicht weit von der Stelle biwakiert, wo jetzt die Cabane Gamba slehl. In der Nacht erhob sich ein wütender Südweststurm, der am nächsten Tage jede größere Tour verhinderte. Er hat auch, während wir schliefen, meinen Hut entführt. Da unser Schlafplatz nahe am Rande des großen östlichen Absturzes lag, schien die Sache hoffnungslos. Aber Croux setzte es sich in den Kopf, chn wieder zu finden, und da wir über die steile Wand zum Fresnaytal abstiegen, prüfte er sorgsam die Richtung des Sturmes, Rückprall und Wirbel, mit dem er zu Tal stürzte. Wir mochten über eine Stunde abgekletterl und gegangen sein, als er vor der Blockhalde eines Bergsturzes halt machte und behauptete, der Hut müsse irgendwo in der Nähe sein. Hier sei der tote Winkel, wo der Wind seine Beute niedergelegt haben müsse. Wir schauten unter einige Blöcke. Und richtig, da lag er! Ein Hut, das ist ja nicht viel, so seltsam auch der Auslagekasten war, in dem er sich befand. Aber die kleine Episode war bezeichnend für Croux' wohlbedachte Art. So prüfte und überlegte er immer, zog seine Schlüsse und führte klar und sicher ans Ziel! Schließlich kamen wir nochmals nach Lognan, erstiegen vom Col d'Argentiere den Tour Roir (3836 m), genossen an dem wolkenlosen Tage dessen berühmte Aussicht, die Altmeister Zavelle so schön geschildert hat, und führten dann die Überschreitung des Cols in die schweizerische Dal Ferret glücklich durch. Die Südostseile des Cols, die noch stark in Schnee gehüllt war, ist mir diesmal noch komplizierter und auch schwieriger erschienen als das erste Mal. An einer Stelle hatten wir, steil über Schnee absteigend, ein Lawinencouloir zu überqueren, das in den verschneiten Felsen über uns begann und fich, jäh und sehr lief eingerissen, in unheimlichen Plattenschüssen unter uns verlor. Savoye hatte die Stufenreihe hinüber geschlagen und stand schon jenseits, mein Freund war eben daran, die Sohle der gefahrvollen Gasse zu überschreiten, als urplötzlich eine Lawine niederzischle. Sie bestand aus nassem Schnee, der wie Wasser rann, aber glücklicherweise keine Blöcke mitführte, und war so mächtig, daß mein Freund in ihr vollständig verschwand. Nur der Huk ragke aus dem Schneeschwall hervor. Man Konnte bemerken, wie mein Freund erst mit eingehauenem Pickel kapfer widerstand, bis die schwere Last chn überwälkigte. Da fuhr der Hut und mit ihm der vom Schnee umbrandeke Mann plötzlich blitzschnell einige Meter hinab, bis die Seile zu beiden Seilen vollkommen straff gespannt waren und wirken konnten. Der Ruck war gewaltig. Savoye drüben schwankte bedenklich und verlor fast den Halt. Wir fürchteten einen Augenblick lang, daß er mitgerissen würde. Ans drei, Brachere! voran, mich als vorletzten und Croux als letzten traf der Hauptstoß wohl-vorbereitet wie einen einzigen Mann. Ansere Pickel, um welche jeder von uns sein Seilstück geschlungen halle, ächzten, indem sie sich zum Brechen zu biegen schienen, aber sie hielten aus, und nach einigen Augenblicken stärksten Einsatzes unserer vereinten Kraft war die Gefahr vorüber. Schon schoß die Lawine stäubend über die Platten tief unten hinab. Wie eine silberweiße, bösartige Schlange glitt sie in rasenden Windungen in den Abgrund, und aus dem Zischen wurde ein Aufbrüllen der Wut, daß ihr die schon erfaßte Beute entrissen worden war. Unser Schneemann war sichtbar geworden, er hatte keinen Schaden genommen, der Hut saß ihm fest auf dem Kopfe. Rasch stieg er jenseits hinaus. Keiner von uns hatte ein Wort gesprochen, und wir schwiegen noch, als wir alle vereint in Sicherheit standen. Endlich wagte einer die Anfrage, warum wohl mein Freund eine so eilige Talfahrt geplant habe? Ein anderer glaubte, eine Erklärung dafür gefunden zu haben, die ihm witzig erschien. Ein dritter lobte die Widerstandsfähigkeit unserer Seile und die Kraft unserer Arme. Bis eine ruhige Stimme, die uns allen am höchsten galt, das Richtige traf: Mein Freund habe sich benommen, wie ein standhafter Mann in einer Lawine sich nur benehmen konnte! Bald darauf wurden wir, über Felsen absteigend, des mehrfach aufgeborstenen Bergschrundes ansichtig, der unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und den Eindruck des eben bestandenen Abenteuers in den Hintergrund treten ließ. Hier schien sich alles gänzlich verändert zu haben. Croux führte mit glänzender Meisterschaft durch ein wild verworfenes Spaltengewirr von sehr großer Steilheit. Wir umgingen senkrechte Abbrüche, sprangen hoch über weit geöffnete Schründe und erhielten alle Beweise, daß der Col d'Argentiere den größten Cols der Mont-Blanc-Gruppe beigezählt werden müsse. Dann feierten wir ein schönes Wiedersehen mit den ebenen Teilen des Reuvazgletschers, mit unserem guten alten Schlafblock an der östlichen Moräne, mit den blühenden Bergastern des Hängegärtchens davor, und ganz zum Schlüsse des arbeitsreichen Tages mit dem lieben Chalet Ferret, wo uns alles als Gäste aus aller Zeit erkannke und überaus herzlich feierte. Da blieben wir, und ich wollte, ich Könnke noch öfter dahin! So Hallen wir in der Monk-Blanc-Gruppe schon gule Arbeit geleistet. Es waren Jahre vergangen, seil ich mich zum letzten Mal an der Ostwand des Monke Rosa versucht hatte. Ich war älter geworden und sah ein, daß ein längeres Zögern einem endgültigen Verzicht auf meinen alten Lieblingsplan gleichkommen würde. Auch wußte ich mich endlich im Besitze der richtigen Leute für die Ostwand des Rordends. Bolaffio war mit Freuden einverstanden, und so gaben wir uns Mitte Juli 1905 ein Stelldichein in Macugnaga. Croux und Savoye prüften lange und gewissenhaft. Endlich erklärten sie, es sei noch zu früh, die Felsen seien noch zu stark verschneit, doch wären sie bereit, die Tour nach einigen Wochen zu unternehmen. So zogen wir als neuerdings abgewiesene Rordendkandidaten über das Reue Weißlor zur Fluhalpe am Findelen-gletscher und erstiegen am nächsten Tage vom Adlerpaß aus erst das Slrahlhorn (4191 m), dann das Rimpfischhorn (4203 m) über seine großartige Südwand. Es war wunderbar, wie Croux in diesen steilen und schwierigen Felsen, ohne einen Augenblick zu schwanken, sofort die richtige Route traf. Ab und zu beugte er sich nieder und nahm einen alten Gamaschenknopf, einen ausgebrochenen Schuhnagel oder ein Endchen Schnur auf, verwitterte Spuren der wenigen vorangegangenen Partien. Als wir den schmalen Grat erreicht hatten und den rechten Arm über chn warfen, klirrte jenseits ein Pickel in großen Sprüngen hinab. Eben wollte ich darüber eine abfällige Bemerkung machen, als ich gewahr wurde, daß es mein eigener Pickel sei. Die scharfe Gralkanle hatte die Pickelschlinge durchschnitten. Da habe ich nichts gesagt. Dann wandten wir uns dem Zinalrothorn (4223 m) zu und überschritten es zur Cabane Mountet und nach Zinal. Daß sich am gleichen Tage Felix Julen am Berge befand, machte mir besondere Freude. Diesmal sagte er nicht nur „Julius" zu mir, sondern auch „Du". O lieber Felix Julen! Die „Gendarmen" der Zinalseite bieten eine wirklich prachtvolle Kletterei. Allerdings erschienen mir Stellen, über die man viel gesprochen und geschrieben hat, relativ leicht, dagegen andere, von denen ich nicht gehört noch gelesen hatte, schwieriger. An Tiefblicken gewaltigster Art hat sowohl die Zermatter-als die Zinalseite dieses berühmten Berges keinerlei Mangel. Man staunt über die viele „Luft", die ihn umgibt. Bon Courmayeur aus, wo wir uns später vorübergehend aufhielten, fragten wir in der ersten Augustwoche telegraphisch in Macugnaga an, wie nun die Verhältnisse am Nordend seien. Corsi, an den wir uns gewandt halten, antwortete, sie seien schlecht, die Ersteigung sei unmöglich. Ich glaubte dem Bericht und zog mik Croux in die Grajischen Alpen, wo wir in einer herrlichen Bergwoche den Ruikor (3486 m), den Col di Golekla (3120 m), die Tsankaleina (3606 m), den Col de l'3seran (2760 m) und den Albaron di Savoia (3660 m) überschritten. Das sind Berge, mil deren Ersteigung man sich Keinen Namen macht. Man geht zu Umen um ihrer Schönheit roiUen. Bom Gipfel des Nuikor Konnte ich mich lange nicht trennen, so herrlich war die Rundsichk an jenem wolkenlosen Tage. Auch an Fornel in der obersten Balgrisanche, wohin wir abstiegen, an die Almen von Baudet, wo wir übernachteten, denke ich gerne zurück. 3n Stunden der Hast und der Überspannung erinnere man sich solcher Namen, deren jeder einen ruhevollen Traum am Herzen der Berge bedeutet. 3n Zeiten der Sorgen und harter Bedrängnis, da vielleicht kein Hoffnungsstern am Himmel deiner Nächte zu stehen scheint, halte einen Augenblick still und verweile im Zauberkreise eines solchen Bildes. Dort war ja das Glück, und dort ist es noch immer. Sei stark und du kannst es wieder erreichen. Laß dir den Blick nur nicht trüben, stehe fest in aller Unrast und meistere tapfer das Leben. Sieh hin auf den Weg ins Glückesland. Den halte dir frei! Spät abends waren wir zu den Almhütten von Baudet gekommen. Wir mußten uns ganz tief bücken, um durch die niedrige Türe eintreten zu können, und als wir uns wieder aufrichteten, stießen wir mit den Köpfen hart an die Decke. „II semble, que vous etes de grands hommes“, lautete der Willkommgruß -es Sennen. Die Ostflanke -er Tsantaleina hakten wir unterschätzt. Wir liehen die Steigeisen am Fuße des Col di Goletka zurück, da der Träger uns versichert hatte, wir würden es nur mit Schnee zu tun haben. Aber es war blankes Eis, das im oberen Teil sogar sehr steil wurde. Da hätten die Eisen im Abstieg sehr gut gedient. Wunderschön und überaus eigenartig war dann der Abstieg zum Lac de la Sassiere, den wir in der Weise bewerkstelligten, daß wir uns auf nicht übersteil geneigten Plattenschliffen längs der Südweststirne des Glacier de Rheme hinabbewegten. Die gegen die Ankerlage des Plattenhanges zu stark abgeschmolzene und hoch hinauf unterhöhlle steile Eiszunge des Gletschers hing in der abenteuerlichsten Weise oft ganz frei über uns herein, daß die hindurchscheinenden Sonnenstrahlen mannigfach gebrochen und in wechselnder Stärke abgedämpft in die Grotten und Krypten über uns die schönsten und seltsamsten Lichteffekte warfen, überall schossen die Schmelzwasser in rauschenden Kaskaden herab. Wie wir so zwischen rötlich schillernden Platten und blauem Kristalleis, an der Grenze von grellem Tageslicht und magischem Dämmerschein zum dunklen Metallspiegel des einsamen Bergsees niederstiegen, war es sicherlich einer der farbigsten Wege meines Lebens. Gedenke ich dazu nur eines kleinen Ausschnittes der Gipfelaussichk jenes Tages nach Westen hin, wo jenseits des Tales der Isere, inmitten weiter sanfter Wellen smaragdenen savoyischen Maktengrüns, der blaue Spiegel des Lac de Tignes festlich erglänzte, darüber die weißen FirnenKuppen der Grande Motte, der Grande Pare! und des Mont Pourri zum strahlenden Kranze sich schlossen, so stehen zwei Bilder aus Savoyens Bergwelt vor mir, die man Farbensymphonien nennen könnte, und die noch heute in der Erinnerung unverblaßt und wirkungsvoll dankbare Herzensfreude in mir auslösen. Den Albaron erstiegen wir direkt von Bonneval, wobei einige an das Matterhorn gemahnende Felsen und ein steiler Gletscherabbruch darüber das schlechteste Stück waren. Der Abstieg über den Glacier des Eveltes vollzog sich ohne Schwierigkeit. Mein Freund, der bessere Menschenkenner von «ns beiden, hatte der Nachricht Corsis nicht getraut. Er war mit Savoye nach Macugnaga gereist und hatte dort das Glück, Matthias Zurbriggen zu finden, der inzwischen souveräner Herr an der Ostwand des Monte Rosa geworden war und sich ohne Zögern bereit erklärte, ihn zu führen. Corsi hatte aus uns unbekannten Gründen tatsächlich falsch berichtet, die Verhältnisse waren wohl nicht die besten, aber auch nicht schlechte gewesen. Der kühne Wurf gelang. Mein Freund war entzückt. Mir hat meine Gutgläubigkeit ein weiteres Jahr ungeduldigen Harrens eingetragen. Zurbriggen ließ mir sagen, er werde im nächsten Jahr in Europa bleiben und uns zu jeder weiteren Monte-Rosa-Unternehmung zur Verfügung stehen. Dafür ging Savoye nach Asien, und so fügte es sich, daß im Monte-Rosa-Zahr 1906 Croux und Zurbriggen uns zur Seite standen. Zwei gewaltige Helfer! Matthias auf der Höhe seines Ruhmes, körperlich schon etwas abgebraucht, schon im Zeichen einer leise beginnenden Müdigkeit und allmählich überhandnehmender Bequemlichkeit, von seinen großen Reisen her verwöhnt, oft launenhaft und im Bewußtsein seiner vollbrachten Leistungen stolz überhebend, rasch aufbrausend, wo etwas nicht paßte, und gelegentlich lästerlich fluchend, dann wieder lieb, bescheiden, von bestrickender Treuherzigkeit» etwas übermäßig dem Trunke zuneigend, jäh, temperamentvoll, eine Mischung von wohlgezogenem Gentleman, durch glänzende Schule gegangenem Älpler, nüchtern kalkulierendem, auf seinen Borteil rücksichtslos bedachtem Schweizer^) un& großsprecherischem, von kühnem Wagen und Glück emporgehobenem Condottiere der Alpen, im Grunde ein 63) Matthias war italienischer Staatsbürger, doch in allem anderen Schweizer geblieben. weiches Herz und ein ganzer Mann» eine hinreißend liebenswürdige Persönlichkeit und gewiß einer der genialsten, verwegensten und erfolgreichsten Führer aller Zeiten. Daneben Croux, immer gleich ruhig» besonnen und gemessen, dienstferkig und bescheiden, allem Prunk, allem Übermaß abhold, an Kraft und Erfahrung immer noch wachsend, anspruchslos und wie selbstverständlich als zweiter sich einfügend und seinem berühmteren Kollegen den Dortritt lassend, da aber der Ernst herantrat, riesengroß emporwachsend, daß der Augenblick und die Stelle, wo die Entscheidung fiel, von seiner aus Erz gegossenen Gestalt erfüllt waren, und alles ohne Widerrede seinem unfehlbaren Blick und Urteil und seinem überragenden Können sich fügte. Mit diesen beiden Männern hatten wir einen Plan geschmiedet, der sich sehen lassen konnte. Bon Courmayeur, wo wir einige Touren mit Croux machten, reisten Anfang August erst Bolaffio und Croux nach Macugnaga, wo Matthias sie erwartete. Sie führten die zweite Überschreitung des Col Gnifetti in glänzender Weise durch. Am gleichen Tage erstieg ich vom Col du Geanl mit Laurent Croux und Emile Brocherel die Aiguille du Plan (3673 m). Dann folgte ich nach Macugnaga, wohin mir Croux und Matthias von Zermatt entgegengekommen waren. „Je n’ai plus peur du Nordend“, sagte Croux einfach und stolz, als wir uns trafen. Er hatte der Sphinx ins Weiße des Auges geblickt. Es waren gerade zwanzig Zahre (1886—1906), seit ich die Dufour-spihe überschritten hatte, und es galt, die Tour so einzurichten, daß ich die immerhin schon ins Gewicht fallende Last der Jahre nicht verspürte. Ich bin nie sehr rasch gewesen und hatte in dieser Richtung verhältnismäßig am meisten gelitten. Und gerade an die Raschheit stellt die Monte-Rosa-Ostwand sehr große Anforderungen. Bon den fünf mir bekannten Überschreitungen des Rordends, die vor der meinen stattgefunden haben, sind wahrscheinlich die crffe64) und jedenfalls die dritte^) glatt verlaufen. Die zweite Partie war gezwungen» in den Schweizer Felsen des Rordends zu biwakieren» die vierte fand nicht die Zeit, zur Spitze emporzusteigen und überschritt lediglich das Rordendplateau, die fünfte erreichte die Spitze, geriet aber an der Zermatter Seite gleich der vierten in einen schwierigen nächtlichen Abstieg. Meine Leute schlugen mir ein hohes Biwak am Fuße des berühmten ypsilonförmigen Eisfeldes in der Nordendwand vor, wodurch unser Ausgangspunkt des nächsten Tages 64) Brioschi mit Ferdinand Znrseng. 65) Farrar mit Daniel Maquignaz. Zu Seite 282 Die Ostwände des Monte Rosa vom Pizzo Bianco aus gesehen Wehrli A. G.-Zürich-Kilchbern auf die ungefähre Höhe der Cima bi 3<>33i66) gehoben wurde. Das war ganz nach meinem Sinn. Die Strecke von der Hütte bis dahin war bisher in der Nacht gemacht worden. Es sind achthundert Meter Höhenunterschied, die bei Laternenschein schwer zählen. Wir konnten von dort oben aus bei Tagesanbruch mit frischer Kraft die Felsen anpacken. Bei der Hütte hielten wir lange Aast, bis die Nachmitlagssonne hinter dem Monte-Rosa-Grat verschwunden war. Als die Ostwand im Schallen lag, begannen wir langsam emporzusteigen. Wir bewegten uns stets am nördlichen Rande über dem Couloir Marinelli. Von Schwierigkeiten ist wohl keine Rede, trotzdem ist es ein sehr ernster Gang. Die große Lawinengasse war vollkommen ruhig, es war ein günstiger Tag, nicht ein Stein kam herab. Aber das Gefühl vollkommener Sicherheit kommt nicht auf, denn jeder Blick zur Höhe und zur Seite zeigt die Gefahr. Es ist ein Gang durch das Angewisse und Unberechenbare. Das Glück muß mit der Gesellschaft gehen. Es hat uns wie immer so auch damals treulich geleitet. Roch früh am Abend erreichten wir eine kleine Felskanzel, die als Biwakplah geeignet erschien. Links von uns im Sinne des Anstiegs befand sich die Schlucht, in welche der charakteristische große Eisabbruch des Rordends hereinhängl, wenige Schrille zur Rechten lag der Einstieg in die steilen Felsen des Riesenpfeilers, der zwischen ihr und dem Bpsilon emporstrebl. Wir ebneten den Platz und führten eine kleine Mauer auf. Der letzte Anstieg war nicht besonders steil gewesen. Als wir uns aber gelagert und noch heiß von der berühmten Biwaksuppe Croux' in die Decken gehüllt hatten, als dann die warmen Farben des Westens und Südens zu verblassen und die Schallen des Abends langsam und feierlich aus den Tälern des Ostens emporzufieigen begannen, da richteten sich die Hänge steiler und steiler auf und die Monte-Rosa-Wände reckten sich zu so übergewaltigen Höhen, daß unsere schmale Kanzel uns immer mehr von aller Erbengemeinschaft zu entrücken und immer weiter zur Sterneneinsamkeit emporzutragen schien. Der ungeheure Abgrundraum, der sich knapp zu unseren Füßen öffnete, halte sich mit nächtlichem Dunkel erfüllt, über Eismauern und Gletschern lag ein matter Glanz, als leuchteten sie aus eigener Kraft. Tief unten sahen wir die elektrischen Lichter der Hotels von Macugnaga. Hatte man dort, wo alles von unserer Unternehmung wußte, die kleine Stelle erspäht, die unsere bescheidenen drei Laternen erhellten? Wir konnten es kaum für möglich halten. Aber es stiegen Leuchtraketen auf und sie schienen Grüße und gute Wünsche zu bedeuten. Die Lichter verlöschten M) Die Cima -i Jazz', mißt 3818 m. und auf unsere kleine Schar senkte sich leise der Schlaf. Manchmal erwachte ich jäh, wenn das harte Lager uns zwang, unsere Lage zu verändern, oder wenn die schreckliche Stimme stürzenden Eises durch die Lüfte fuhr. Die Kalle Nachtluft schlug mir entgegen. „Wo bin ich?" frug die bangende Seele. Bergeshoch über Macugnaga. Der prangende Sternenhimmel dort oben spannt sich vom Ostrand des Monte Rosa bis über die fernsten Horizonte der Lombardei. Du bist an der Schwelle des Rordends, und will's Gott, stehst du morgen am Ziel deiner Sehnsucht! Mit dem Aufbruch eilten wir nicht. Bom Biwakplah an bedarf man des Hellen Tages. Zunächst ließen wir unsere beiden Deckenträger, die den Abstieg fürchteten, so weit als möglich am Seil hinab. Etwas nach 5 Ahr brachen wir dann selbst auf. Wir bewegten uns immer nahe der Kante des großen Pfeilers, an dem wir gerade Hinaufstiegen, und hielten ein sehr ruhiges, aber stetiges Tempo ein. Bald wurde das untere Ende des Epsilons sichtbar, an dem wir dann unsere Fortschritte messen konnten. Der Stil der Kletterei ist so groß, daß alle Details zurücktreten. Ich kann mich keiner besonderen Schwierigkeit erinnern, wenn sich auch der obere Teil des Pfeilers sehr steil aufrichtet. Die Stellen werden genommen, wie sie uns entgegentreten. Einige vereiste Strecken erforderten größere Vorsicht. Wir wußten, daß uns die Hauptschwierigkeit des Tages zwischen der Höhe des Pfeilers und den Gipfelfelsen des Rordends erwarte. Da spannt sich ein Eisgrat von sehr großer Steilheit in leichter Schwingung nach rechts hinüber. Es sind nur drei Seillängen, und man könnte meinen, die Strecke sei in zehn Minuten zurückzulegen. Aber die Partie Bolaffio hatte dazu vier Stunden benötigt, und wir, die wir es etwas besser trafen, brauchten zwei. Es ist kein gewöhnliches Eis, das sich mit dem Pickel bearbeiten läßt. Es ist so morsch, daß man keine soliden Stufen herzustellen vermag. Zurbriggen war voraus und arbeitete mit peinlicher Sorgfalt. Das schiefrig gestellte Eis bröckelte unter dem Pickel aus, und zur Herstellung eines halbwegs brauchbaren Standes bedurfte es einer Ewigkeit. Trotzdem stand man niemals sicher, jeder hatte das Gefühl, es sei ausgeschlossen, den anderen im Falle des Ausbrechens zu hallen. Das spielt sich über Abgründen ab, welche ich ohne weiteres als die fürchterlichsten meines Lebens bezeichne. Dieser Grat ist das Schaurigste, was ich je gemacht habe. Blicke ich heute auf meine Rordendersteigung zurück, so glaube ich sagen zu dürfen, es sei uns infolge der klug berechneten Anlage unserer Unternehmung gelungen, den Berg in der idealsten Weise und verhältnismäßig spielend zu bewältigen. Diese beiden Stunden aber nehme ich aus. Das war kein Spielen mit den Schwierigkeiten eines Berges, das ist ein Spielen mit dem Leben gewesen. Die sicheren Felsen lagen scheinbar knapp über uns, doch waren unsere Forlschritle so langsam, daß sie nicht näherzurücken schienen. Wie almeten wir aus, als endlich Zurbriggen von der lehlen Stufe in die Felsen griff und uns mit heiserer Stimme zurief, er hänge sicher. 3n diesem Augenblick wurden wir uns bewußt, daß das Nordend unser sei. Die Siegeszuversicht im Herzen, hielten wir etwas höher oben auf blanken Granit-plallen eine halbstündige Aast. Der Rückblick war von fabelhafter Größe. Wie gebannt hing mein Auge immer an der gewaltigsten Lawinengasse Europas, am Couloir Marinelli, das eisschimmernd durch die ganze Monte-Rosa-Wand hinabschießl. And das Nordend gab uns da eine unvergeßliche Vorstellung. Es ließ eine Riesenplatle fallen, die erst langsam, dann immer rascher die Gasse hinabfuhr, indem sie eine mächtige Wolke von Schneestaub und Gischt vor sich hertrieb. Endlich richtete sie sich auf, überschlug sich vornüber und zerschellte zu lausend Felsenscherben, die in rasenden Sprüngen wild durcheinander als großartige Steinlawine bis zum Macugnagagletscher Hinabsehlen. Noch lange nachher drang ihr dumpfes Getöse zu uns herauf. Eine Rauchwolke stieg auf. Als sie sich verzogen hatte, lag die Gasse wieder spiegelblank unter uns da, und die Sonnenstrahlen glitten und tanzten über ihre abschüssige Bahn, daß sie, vollgegossen von blendendem Licht, einem silbernen Riesenstrome glich. Ein solches Ereignis muh man gesehen haben, will man die Lawinengefahr des Couloirs Marinelli besprechen. Weiterer Schwierigkeiten in den Gipfelfelsen erinnere ich mich nicht. Wohl aber steht deutlich der Augenblick vor mir, als wir das Eis-plateau des Nordends betraten, und deutlich der letzte leichte Gang hinauf zum nahen Gipfel. Bor 2 Ahr nachmittags standen wir oben. Der Tag war fast wolkenlos. Wir reichten uns die Hände, meinen Leuten gebührte höchstes Lob. Ich frug Matthias, wie er abzusteigen gedenke. Er meinte, wie schon zweimal über die nordwestlichen Vorwerke des Nordends auf den Monte-Rosa-Glelscher. Es war mir bekannt, daß er dort beide Male ins Gedränge gekommen war, und so schlug ich die Route über den Silbersattel vor, die er nicht kannte. Croux wurde gefragt und er entschied für den letzteren Weg. Als wir uns vom Silbersaitel westlich hinabwandlen, zögerte ich einen Augenblick. Ich wußle, daß ich vom Monle-Rosa-Blick gegen Macugnaga auf immer Abschied nahm. Wir kamen über die steilen Hänge rasch hinab und standen bald über dem Bergschrund. Matthias verlangte Seil und sprang hinunter. „Sautez, Monsieur“, wandte sich Croux verbindlich an mich. Ich zählte bis drei und sprang nicht. Die Sache kam mir für mein Aller sehr hoch vor. „Sautez, Monsieur“, mahnte Group. Ich zählte wieder bis drei und sprang wieder nicht. Die schwarze Gletscherbrille hindere mich, ich wolle die gewöhnliche anlegen. Das tat ich und zählte nochmals. „Sautez, Monsieur!“ donnerte Group. And unten war ich. Gben wollte ich Hinaufrufen, das sei ja ein Sprung, gar nicht der Rede wert, als Group schon lächelnd neben mir stand. Damit waren alle Schwierigkeiten vorüber, sanft zog der Monte-Rosa-Gletscher hinab, drüben lag schon die Trace des gewöhnlichen Dufourweges. Es war 5 Ahr nachmittags. Wir rasteten, rauchten und schauten in glücklichster Stimmung so lange, daß wir trotzdem erst in später Nachtstunde zur Belempshütle kamen. „Bringt heißes Wasser, Zucker und Rum", befahl Matthias. Ich halte Ghampagner kommen lassen und feierte meine beiden großen Führer. Da stellte der Wirtschafter das heiße Wasser hin. „Dummer Kerl," herrschte ihn Matthias mit rauhem Stolze an, „siehst Du nicht, daß ich Ghampagner trinke!" Als wir am nächsten Tage zum Riffel gingen, sagte ich mir vor, daß nunmehr die Epoche der „Eassecous" abgeschlossen sein müsse. Mit einer gewissen Wehmut blickte ich zu den blinkenden Kämmen des Monte Rosa zurück. Aber nicht ohne hohe Befriedigung. Zwanzig Jahre Wesialpen zogen in schimmernden Bildern an mir vorüber, und Dufour und Nordend standen als gewaltige Eckpfeiler zu Anbeginn und stolz grüßen- am glorreichen Ende. Noch stand der Zmuttgrat -es Maklerhorns auf dem Programm des Bergjahres 1906, dem aber das am nächsten Tage einsehende schlechte Wetter ein vorzeitiges Ende bereitete. Matthias blieb auch in den beiden folgenden Jahren je zwei Wochen mit uns, und da war es naheliegend, daß so lange, trotz meines löblichen Borsahes, Ost- und Südwand des Monte Rosa und die Berge des Wallis unser volles Interesse beherrschten. In beiden Jahren führte uns der Wunsch nach Macugnaga zurück, auch noch die Signalkuppe des Monte Rosa vom Signaljoch über den Ostgrat zu erreichen. Es sollte nicht mehr dazu kommen, denn jedes Mal trat anhaltendes schlechtes Wetter dazwischen. Wunderschön gelang dagegen ein Rendezvous in der Gapanna Balsesia, wohin von Macugnaga aus Bolafsio mit Matthias über den Gotte bette Loccie, ich mit Group über den Turlopaß gekommen waren, und im Anschluß daran eine Überschreitung der Parrotspihe des Monte Rosa (4463 m) aus dem Sesialal nach Zermatt"7), die sehr eindrucks- 67) Literatur: „Parrotspihe (4485 m). Traversierung von Alagna nach Zermatt." ö. A. Z. 1908, 78. voller, aber immerhin schon milderer Art war. 3« jene Zeiten fällt auch eine gemeinsame reizende Fußtour über den Simplonpaß und eine Ersteigung des Monte Leone (3565 m) von dessen Höhe aus, die ich an einem gottbegnadeten Tage mit Croux und Matthias unternahm. Es ist dies eine meiner schönsten und glücklichsten Erinnerungen. Ein Lobgesang von unbeschreiblicher Herrlichkeit stieg von Tälern und Höhen zum Himmel empor! Wir trennten uns wiederholt auf kurze Zeit. So ging mein Freund mit Matthias zum Lyskamm, ich mit Croux und dem schon alt gewordenen Pollinger auf den Alphubel (4207 m), oder er auf das Weihhorn, ich auf die Wellenkuppe (3910 m), dann wieder er vom Trift auf das Gabelhorn, ich von Rauda auf das Bieshorn (4161 m). Doch lag über diesen beiden Jahren nicht viel Wellerglück, und noch einige größere Pläne, die uns sehr am Herzen lagen, so vor allem jener der Ersteigung des Weihhorns über den Schalligrat, dann weitere Absichten an der Südseite des Monte Rosa, sind damals endgültig gescheitert. Die Rückreise nahmen wir jedes Mal über Breuil. Dort hallen wir neue Freunde gewonnen, auch einen lieben alten traf ich dort nach vielen Jahren der Trennung wieder, Evan Mackenzie, der inzwischen den Eispickel in die Ecke gestellt hatte. Er blickte auf eine lange Reche reicher Bergjahre und auf Erfolge zurück, um die man ihn hätte beneiden können. Seine Familie umgab ihn. Es lag wie ein Glorienschein über chm und über ihr, und ich möchte es aus warmem Freundesherzen sagen, daß an diesem Glorienschein die Berge, an die er seinen Namen geknüpft hatte, trotz allem den kleineren Anteil darstellten^). Die köstliche Ruhe jenes im Banne des italienischen Matterhorns liegenden, im furchtbaren Ernste seiner Umrahmung leise lächelnden Hochkessels, und die innige Art, wie die im großen Hotel Peraldos weilende italienische Sommerkolonie einem wahrhaft idealen Raturkultus oblag, zogen uns immer wieder dahin. Die dort versammelte Gesellschaft verehrte in Edmondo De Amicis chr geistiges Oberhaupt. Als wir an einem wunderschönen Tage Tour de Creton (3585 m) und Chateau des Dames (3489 m) in den Grandes Murailles erstiegen, zog mich die herrliche Gestalt des Matterhorns, das ich von dieser Seite nur erst teilweise kannte, so 6a) Auch Eailorno habe ich noch einmal gesehen. Ich kam mit Croux aus der Val Veni, er stieg langsamen Bergschrilles zu Nolre Dame de Guerison herauf. Wir erkannten uns nicht gleich. Er trug einen langen weißen Barl. Croux machte mich auf ihn aufmerksam und ich lief ihm nach. Wir schüttelten uns herzlich die Hände. Das Bergsteigen hatte er schon längst aufgegeben. Am Abend saßen wir in Cour-mayeur lange beisammen, als seien wir soeben von der Lawine an den Grandes Ioraffes zurückgekommen. unwiderstehlich an, daß ich, von Bolaffio und Croux unkerstühk, einen Rückfall in die „Caffecous" beschloß, so man eine Überschreitung -es Berges in dieser Weise bezeichnen darf. Allerdings wußten wir, daß die berühmte „Echelle Jordan" gebrochen war. Da mein Freund die Überschreitung schon gemacht hatte, wählte er für sich die Dent Blanche. Wir zogen alle vereint über das Furggenjoch und trennten uns beim Schwarzseehotel. Ein armer, abgehetzter Maquignaz, der bald darauf verstorben ist, diente mir als Träger. Wie war ich am nächsten Abend froh und stolz. Die Tour war glänzend gelungen. Croux, der nie am Matterhorn gewesen war, hat den Abstieg nach Breuil unter erschwerten Berhältnissen in glänzender Weise geleitet. Roch sehe ich ihn in seiner imponierenden Kraft und Sicherheit über mir, wie er am doppelt gelegten Reserveseil als letzter den Überhang herabschwebk, wo über den ungeheuren Abgründen die unbrauchbaren Reste der Seilleiter hingen. Der weitere Weg war wie eine Pilgerfahrt von einer klassischen Stelle zur nächsten. Tyndallgrat00), Cravatte, Grande Corde, Linceuil! Die unvergleichliche Geschichte des Berges begleitete uns ernst und groß von Klippe zu Klippe. Bon Breuil aus halte man uns beobachtet. Als wir unten ankamen, erwartete uns die ganze Kolonie vor dem Hotel. Ein halbes Jahr später war ich nicht wenig überrascht, als ich eine Novelle Edmondo De Amicis zugeschickt erhielt, die mit einer sofort erkennbaren, meisterhaft gefaßten Schilderung dieser Ankunft begann70). Bald darauf folgten die überaus großartige, durch eine wilde Welt von Eis führende Überschreitung der Zwillinge, Kastor (4230 m) und Pollux (4094 m), von der Cabane Betemps nach Breuil77) und ein Versuch auf die Dent d'Herens von chrer gefürchtetsten Seite, über den Eisfall des Glacier Tabor. Dieser gedieh unter großen Schwierigkeiten bis 60) 3n einer Felsspalte am Tyndallgrat fand ich einen jener Anker, wie Whymper sie in seinem Buche abgebildet hat. Er war über und über verrostet und offenbar eine Reliquie aus jener Zeit. 70) Die Novelle heißt „La quercia ed 11 fiore“. Meine Freunde wollen im Helden der Erzählung mein Bildnis erkennen. Meine Meinung ist, daß es jedenfalls bis zur Unkenntlichkeit idealisiert sein müßte. Meiner lieben Mutter, zu deren Lieblings-dichtern Edmondo De Amicis gehörte, hat diese Novelle eine besondere Herzensfreude bereitet. 71) Knapp unterhalb des Theodulpaffes» noch auf dem Gletscher, hat uns ein starkes Gewitter mit Blitz, Dvnner und schweren Regengüssen überfallen. Bei einer besonders heftigen elektrischen Entladung fuhren einige bösartige Funken meinem Freunde in den Nacken. Das tat ihm sehr weh, und wir waren nicht wenig erschrocken. Er aber setzte den eiligen Abstieg kühl und gelassen fort. Allerdings hielten wir es für gut, «ns nun vom nassen Seile zu lösen, das uns den ganzen langen Eistag hindurch verbunden gehalten hatte. auf den Gipfelgrak Knapp vor der höchsten Spitze, wo ein beginnender Schneesturm zu unserem großen Schmerze halt und eilige Amkehr gebot72). Zu dieser Unternehmung hatte uns De Amicis Baker seinen Sohn Ago anverkraut, den zwei Führer aus der Balkournanche begleiteten. Wir waren um 9 Uhr abends aufgebrochen. Um die Mitternachtsstunde brachte an der gefährdetsten Stelle ein schwerer stürzender Felsblock, der wie ein funkensprühender und heulender schwarzer Teufel unversehens durch den Lichtkreis unserer Laternen fuhr, die Karawane unseres Schützlings, die sich in seiner Bahn befand, in die größte Gefahr. Damals ist mir wohl für einige Augenblicke das Herz Me gestanden! Wir stiegen nach Praraye ab und kehrten am nächsten Tage, ob unseres Mißerfolges in etwas bedrückter Stimmung, über den Colle -i Bal-cournera nach Breuil zurück. Wieder war die Hotelterrasse von den uns erwartenden Gästen voll beseht. Zwei meiner Erinnerung teure Gestalten lösten sich von der versammelten Menge ab, als wir näher gekommen waren: De Amicis Baler, der seinen Sohn begrüßte, und ein schlanker Mann, der auf mich zukam, den ich nie gesehen, den meine Seele geahnt hatte, dessen tiefes, edel blickendes Auge mich bezauberte. „Kugy", sagte er und streckte mir die Hand entgegen. „Rey", rief ich, denn ich wußte sofort, daß er es sein müsse. Guido Rey, Italiens größter und erfolgreichster Bergsteiger. Meinem Herzen so nahe, weil er nie kühler Sportsmann gewesen ist, sondern immer, zartfühlend und formvollendet, der seelenvollste aller Bergschriftsteller und Bergpoeten. Weil ich in seinen Schilderungen so oft in herzenswarmer Fassung Dinge gelesen, die mein eigenes Innerstes mir schon leise zugeslüstert hatte, ohne daß ich im entferntesten mir bewußt gewesen wäre, daß man sie so zart, so schön und so zutreffend in Worte kleiden und laut aussprechen könne und dürfe. Dessen Erzählungen man mit dem überraschenden Empfinden liest, daran müsse ja unser eigenes Herz mil-gearbeitet haben, aber wann und wieso? Eine überaus liebenswürdige, dabei starke und führende Persönlichkeit vornehmster Herren- und Künstlernatur, deren Reiz auf mich so wohltuend, so mächtig und so nachhaltend wirkte, daß noch so flüchtige mit ihr verbrachte Augenblicke den Tag vergoldeten und Festesglanz über die Stätte breiteten, wo damals und später die Berge uns zusammengeführl haben! 7a) AimH Maquignaz, damals schon Hotelbesitzer in Breuil, nnd sein Bruder waren unsere Führer. Aims war überglücklich, wieder mit uns zu sein, und arbeilete mil Feuereifer, ohne allerdings den Erfolg im lehlen Augenblick retten zu können. Hand in Hand mit den soeben geschilderten Ankernehmungen sind Touren in den Savoyischen, den Grajischen Alpen und im Dauphine gegangen. Nach unserem System, uns gegenseitig vollständige Freiheit zu lassen, wo der eine Wünsche hegte, die den anderen weniger interessierten. Konnte es wegen der Ziele niemals zu Meinungsverschiedenheiten Kommen. Courmayeur war der Sammelpunkt, wenn wir uns so auf kurze Zeit getrennt hatten. Gewöhnlich blieben wir aber beisammen, und da lag über diesen Reisen mit einem gleichgestimmten, innig vertrauten und geistvollen Freunde ein hoher Reiz. Ganze Reihen von Erinnerungen bald großartiger, bald intimerer Natur bilden einen gemeinsamen reichen Besih. 3m Verlaufe der Zahre haben wir immer mehr touristische Zentren kennen gelernt, deren jedes irgend eine besondere Anziehungskraft betätigte und vor allem eine gewisse Sicherheit bot, den oder jenen Freund, den wir uns in den Bergen gewonnen hatten, wiederzusehen. Am so lebhafter wurde alljährlich der Wunsch, möglichst mehrere solcher Zentren in einer Ferienreise zu vereinigen. Es hat dies den Nachteil, daß der ohnehin so kurze Glückesmonat um so rascher verflogen ist, und den weiteren, daß viele Tage, und oft gerade die schönsten, dem eigentlichen Bergsteigen entzogen werden. Wer Wert darauf legt, eine möglichst große Anzahl von Gipfeln heimzubringen, der wird besser daran tun, nach einem festen System ein Zentrum nach dem anderen auszunützen und sprunghafte Bewegungen zu vermeiden. So reisten wir das eine Mal von Turin nach Ceresole Reale, wohin uns Auguste Blanc entgegengekommen war, und überschritten von dort den Col Perdu und die Levanna Centrale (3640 m) nach Bonneval und Lanslebourg. Während sich mein Freund dann mit Croux dem Ciarforon zuwandte, erstieg ich mit Auguste die wunderschöne Dent Parrachee (3711 m). Es war ein Tag, an dem alles in Heller und heiterer Schönheit prangte, der lichterfüllte Himmel, der wie aus Silber getriebene Berg, der jugendfrische Führer an meiner Seite. Der gefiel mir ob seiner lieben Art, ob des Feuereifers, der aus seinen braunen Augen strahlte, und seiner auffallenden Geschicklichkeit so gut, daß ich mit ihm weitere Zusammenkünfte in den Bergen vereinbarte, wozu die nahen Gruppen der Aiguille de Peclet und der Banoise reiche Arbeitsfelder beizustellen versprachen. Aber jedesmal, wenn ich ihm in späteren Jahren zuschrieb, war er schon von französischen Alpinisten in Anspruch genommen, und ich habe chn im Leben nicht wieder gesehen. Als ich ihm endlich ganz zufällig begegnete, da lag er tot im Sarge, und der Magen, der ihn trug, führte chn langsamen Schrittes durch die enge Gasse von Courmayeur dem Kleinen Sankt Bernhard und seiner Zu Seite 286 Lyskamm und Matterhorn (Sonnenuntergang) Blick vom Monte-Rosa-Hang (oberhalb des Lysjoches) De. Carlo Chersich-Triest savoyischen Bergheimat zu. Am Monk Dolent abgestürzk. Betroffen stand ich am Wege und blickte, den Huk in der Hand, dem armen Zuge nach, so lange ich ihn sehen Konnte. Das war Auguste! Mir schien, als würde die schöne Zugend begraben. Es war eine Begegnung» derer ich noch heute mit wehem Herzen gedenke. 3nt nächsten Jahr kamen wir die Val di Lanzo herauf. Bolaffio erstieg mit Croux die Bessanese (3632 m) und wandte sich dann der Dent Parrachee zu, ich ging auf den Charbonel (3760 m) und dann über Lanslebourg und Modane ins Dauphine. Reiche Erfolge brachte uns unser nächster Besuch in den zentralen Grafischen Alpen. Ich scheute den langen Marsch auf der heißen» schlechten Bergstraße von Aymaville nach Cogne, die ich verschworen hatte, nochmals zu Fuß zu machen. Da ein Bergwägelchen nicht aufzutreiben war, ließ ich einen Sessel auf einen der landesüblichen zweirädrigen Karren festbinden und holperte unter den Spottreden meiner Begleiter hochbordig und äußerst unbequem das endlose Tal hinauf. Das muß überaus grotesk ausgesehen haben, denn jedesmal, wenn wir durch eine der kleinen Ortschaften kamen, wo aus Türen und Fenstern erstaunte Augen auf mich und meine Erfindung blickten, verleugnete mein jedem Aufsehen abgeneigter Freund unsere Zusammengehörigkeit und tat so, als gehöre er zu einer anderen Gesellschaft. Am Abend jenes Tages wußte ich tatsächlich nicht, wer mehr gebrochen war, ob der Sessel meiner Leiden oder ich selbst. Wir bezogen ein Standquartier im „Accampamento del Re“ am Herbetelgletscher hoch über der Balnontey, von dem aus wir zuerst die schlanke, steile Punta Herbetet (3778 m) nahmen. Dann schliefen wir wieder im Accampamento und zogen am zweiten Tage in langer Gletscherwanderung zur Testa della Tribolazione (3642 m) und zur Punta di Ceresole (3773 m), die wir beide ohne Schwierigkeit bei herrlichem Wetter erstiegen. Rach einem Rasttage in Cogne wandten wir uns über die Alphütlen von Money dem Grand Tour St. Pierre (3692 m) zu und erreichten besten trotzige Zinne über den Nordgrat und die östlichen, in gewaltigen Blöcken zyklopisch aufgebauten Gipselfelsen. Leider hatte sich das Wetter verdüstert, und wir konnten von der Schönheit des Berges fast gar nichts sehen. Er verharrte den ganzen Tag stumm und verdrossen in einer unbeweglichen schwarzen Wolkenhülle, die bis tief zu den Moränen seiner Flanken hinabreichte. Aber einige herrliche und sehr eindrucksvolle Details, über welche unsere Route uns führte, sagten uns, daß wir uns auf einem der gewaltigsten Gipfel der Grajischen Alpen befanden, und ließen uns unser Mißgeschick herzlich bedauern. Während mein Freund das Tal nach Aymaville hinauseilke, um rasch Courmayeur zu erreichen, zog es mich noch zum Monk Ämilius (3559 m)73), und ich ging mit Croux zur Alpe Arpisson, wo wir einen unvergeßlichen Nachmittag im Angesicht der Grivola verbrachten. „Ardua e bella“, Kühn und stolz stand ihre edle Gestalt jenseits des Tales, frei sichtbar vom Fuße bis zum Scheitel. Hoch über Flanken von erstaunlicher Steilheit erglänzten die feinen Zinken ihres Gipfelkrönleins. Sie wandte uns ihre Trajoseite zu, und trotz der blendenden Lichlströme, die von Westen hereinfluteten, konnte man auch das Becken des Grand Nomenon und die Eiskante des Nordgrates erkennen. Später verschwanden alle Details, da sah man nur die in himmlischer Reinheit wirkende Silhouette. Wir verwandten kein Auge von ihr, es war ein Anblick, über dem man alle Erdenwünsche vergaß. So hielt uns die Grivola noch einmal in ihrem Bann, und wir saßen und schauten und sahen sie rosenbekränzt in den Purpurschleiern des Abendrots und diamantenfunkelnd in märchenhafter Pracht bis tief in die Sternennacht. Da die Wanderung zum Mont Ämilius weit ist, brachen wir noch vor dem Morgengrauen auf und fanden gleich oberhalb der Weideböden in den wüsten Bergstürzen, welche die Kare erfüllen, im schwankenden Laternenschein doppelt anstrengende Arbeit. Auch als die Höhe des Scheiderückens erreicht war und die Gipfelpyramide des Ämilius frei vor uns lag, blieb die Ersteigung, vom Blick auf einige kleine, schnee-umkränzte Bergseen und von vereinzelten hochalpinen Begetations-inselchen abgesehen, die am Wege lagen, ziemlich eintönig und reizlos. Aber die wolkenlose Aussicht, die wir genossen, als der Gipfel über Blockwerk erreicht war, entschädigte in vollstem Maße für alles. Den Glanzpunkt bildete das Aostatal, das blühend und reich, im Schmucke seiner malerischen Burgen und Kastelle tief zu unseren Füßen lag. Ich zähle den Mont Ämilius auch wegen seiner weit umfaffenden Gipfel-schau zu den Aussichtspunkten erster Ordnung. Äußerst genußreich war eine letzte zusammenhängende Reise durch die savoyischen Berge. Mein Freund wünschte sich mit einigen Plänen im Peteretgrat des Mont Blanc zu befassen, wozu ich ihm Croux überließ. Ich selbst zog mit Emile Brocherel über den Kleinen Sankt Bernhard, kam wieder nach Tignes, überschritt vom Lac de Tignes den Col de la Leisse (2780 m) und bezog zunächst ein Biwak knapp unter der Pointe du Charbonnier. Am nächsten Morgen erstieg ich sie und 7S) Einen anderen wunderschönen Ausstchlsberg der Grajischen Alpen, die Tersiva (3513 m), Halle ich schon früher mit Croux erfliegen. erreichte, den langen Grat nach Osten verfolgend, ohne Schwierigkeiten den berühmten Aussichtspunkt der Pointe de la Sana (3450 m). Dann schaltete ich zwei schöne Ruhetage in Entre deux eaux ein, ehe ich mich dem Grand Aoc Roir (3540 m) zuwandte, dessen letzter» turmartig aufgesetzter Kopf eine reizende, wenn auch kurze Kletterei bietet. Ein gutes Band umfaßt spiralförmig die sonst allseits senkrecht abfallenden Felsen und führt zu einer glatten, sehr steil aufgerichteten Platte, die man schwierig nennen könnte, wenn die Gesamtverhältnisse am Gipfelaufbau größere wären. Die Stelle genügt eben, um der Ersteigung einen pikanten Reiz zu verleihen. Wenige Schritte über steile Schrofen führen dann auf den geräumigen Gipfel, den die gütige Natur belvedere-artig geebnet hat, auf daß man in aller Bequemlichkeit eine der schönsten Aussichten genieße, die mir je vorgekommen ist. Denn der Grand Roc Noir liegt so günstig zentral und frei zwischen der Gruppe des Mont Blanc und den Bergen des Dauphine, daß es nicht möglich ist zu entscheiden, welchem der beiden Blicke, dem nach Norden oder dem nach Südwesten, der Borrang gebührt. Wundervoll liegen in West und Ost das savoyische Bergland und die Kette der Grajischen Alpen da, welche die Grenze zwischen Frankreich und Italien trägt, und in welcher die breite Senke des Mont-Cems-Sattels mit ihren von herrlichen Matten umsäumten blauen Alpenseen lind und weich zum Herzen spricht. Es vergingen einige Stunden, ehe wir uns abzusteigen entschlossen, um die nahe Pointe de Ballonet (3537 m) zu besuchen. Ein feiner Schneesattel leitet zu ihren steil aufragenden Klippen hinüber, an denen wir rasch zur Spitze emporturnten. Auch dort lud eine schöne, sonnenwarme Gipfelplatte zu langer Rast, und da die Aussicht jener des Aoc Roir nur um weniges nachfieht, so bedeutete jener ganze Tag ein Schwelgen in savoyischer Bergschönheit. Das fand seine Fortsetzung am folgenden Tage. Da zogen wir die ganze Bal de la Rochere hinauf, wobei uns Herden weidenden Jungviehs freiwilliges Geleite gaben, und verfolgten dann den bequemen Grat bis zum äußersten, von einem hohen Trigonometersignal gekrönten Gipfel der Pointe de Mean Martin (3340 m). Ein leichter Abstieg brachte uns gegen Abend nach Bal d'Isere, wo ich mit Helbronner zusammentraf, der eben vom Pourri herabkam. Gemeinsam zogen wir dann zum Kleinen Sankt Bernhard und auf die Lancebranlette (2933 m), auf welcher mein Freund seine Bermessungsaufnahmen fortzusehen hatte. Trotz seiner verhältnismäßigen Höhe ist bis auf den begrünten Borgipfel dieses Berges ein schöner Steig angelegt, nur das kurze letzte Stück vom Borgipfel bis zur höchsten Spitze führt über einen ganz schmalen Felsengrat und hat ernsteren, fast hochalpinen Charakter. Wir verblieben dort volle fünf Stunden, Helbronner arbeitend, ich rauchend und schauend. Das ganze weite, samtgrüne Reich der Sankt-Bernhard-Almen läutete dazu seine Herdenglocken. Das war ein Friedenschor! Dann kehrte ich nach Courmayeur zurück, und frug man mich, woher ich komme, so sagte ich mit lächelndem Herzen: „Aus Savoyens Bergparadies!" über den Touren, die ich gemeinsam mit Helbronner gemacht habe» lag der ganz besondere Reiz, daß ich da die idealste Betätigung des Alpinismus kennen lernte, den Alpinismus im Dienste der Wissenschaft. Für uns Bergsteiger ist mit der Erreichung des Gipfels der Zweck unserer Arbeit erfüllt, und es beginnt für uns die Rast. Für den Geodäten Helbronner begann in diesem Augenblicke die eigentliche Arbeit. Es war bewunderungswürdig, mit welcher Hingabe, mit welcher eisernen Ausdauer er sich ihr widmete. Fünf Stunden auf der Lance-branlette, sieben Stunden auf dem Gipfel der Roignais (3001 m), elf auf dem Dome de Chaffeforet (3597 m). Elf Stunden vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag schutzlos im eisigen Nordwind auf der höchsten Kuppe stehend, unermüdlich über den Theodoliten gebeugt» visierend, meffend, notierend. Kaum daß er sich ab und zu die Zeit nahm, eine Tafle heißen Tees zu schlürfen, den Croux im Schuhe einer kleinen Gipfelmauer zubereilete. Man bedenke, was eine siebenstündige Geodätenarbeit auf der Barre des Lcrins, eine fünfstündige auf dem Grand Pic de la Meise» eine mehrtägige auf dem Mont Pelvoux heißt. Welche Mühe und Berantwortung es schon bedeutet, eine mit heiklen Instrumenten schwer beladene fünfgliedrige oder noch größere Führerund Trägerkolonne auf solche Gipfel zu bringen. Daß er dies alles aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln tat, ohne jegliche staatliche Unterstützung, lediglich seinem wissenschaftlichen Pflichtgefühl und seiner vaterländischen Begeisterung folgend, das erhöht sicherlich noch den Wert seiner Lebensarbeit74). Es handelt sich da um Einzelleistungen, welche jede rein alpinistische Unternehmung weit in den Schatten stellen. Helbronner danke ich es, daß meine letzten Unternehmungen in den Westalpen mich nach Savoyen geführt haben. Oft suchten und fanden wir uns, oft folgte ich den Andeutungen in seinen reizenden, von echt alpinem Geist erfüllten Publikationen. Die Aiguille de l'Lpaisseur (3231 m) mit ihrem großartigen Blick auf die Aiguilles d'Arves, die an die roten Türme der Dolomiten gemahnende Grande Roche du 74) Siehe darüber seine eigenen Publikationen und sein im Erscheinen begriffenes großes Werk. Seine separat erschienenen photographischen Panoramen aus dem Dauphins und aus Savoyen haben in weilen alpinen Kreisen Verbreitung gefunden. Lileralur: „Erinnerungen ans dem Dauphins. Der Pic Gaspard (3882 w)>" ö. A. 3. 1913, 1. Galibier (3229 m) über den Almenböden des Lantarel, den Grand Goleon (3426 m), den Plc de Combeynot (3155 m), mit ihren entzückenden Dauphine-Aussichten, verdanke ich diesen Anregungen. Die dankenswerteste war wohl jene, die mich auf den Pic und den Mont Thabor (3178 m) führte. Ich unternahm die Tour» auf welcher mich mein junger Freund Vladimir Dovgan, Savoye aus La Grave und ein zweiter Bergführer aus Dalloire^) begleiteten, von St. Michel in der Maurienne und Balloire aus und näherte mich über die Alpe Andelys, wo uns schlechtes Wetter drei Tage lang festhielt, von Norden und Westen der Steilseile des Thabormassivs. Wir erstiegen es schließlich durch ein sehr unheimliches» steiles Felsencouloir, das vollständig im Zeichen schwerer Steinschläge lag, erreichten dann von der Höhe seiner Nordwestkante erst den als messerscharfe Klippe zur Linken aufragenden Pic, dann über Schneefelder und durch eine sehr steile Schneerinne den breit gewölbten Gipfel des Mont Thabor zur Rechten, der eine kleine Kapelle trägt. Der Tag war wolkenlos, die Aussicht von jubelnder Schönheit. Ein Bildchen, das uns im Abstiege zur Galibier-firaße noch knapp an der Schneeregion besonders lange fesselte, steht oft vor mir. Es ist nicht groß. Nur ein kleiner, tiefblauer Bergsee, auf dem die Sonnenstrahlen tanzen. Rings Moränenblöcke und blumendurchwirkter Alpenrasen. 3m Hintergründe, jenseits von Talräumen, in die man nicht sieht, die ein Meer darüberschwebender zarter weißer und duftigblauer Lichter andeutet und in zauberischer Frische und Schönheit ahnen läßt, ein phantastisch in den Lüften hängender fächerförmiger Eisfirst von märchenhaftem Glanz und fürchterlichem Ernst: die Barre des Lcrins. Worte sind kalt und arm, und die Glorie der Höhen kann man mit Umen nicht malen, die über allem lag. Über der reizvollen Bergsee-Idylle Savoyens und dem eisstarrenden Schreckgespenst. das sich aus dem nahen Dauphine drohend erhob. Aber dieses Bildchen allein wäre die fünf Tage wert gewesen, die wir dem Thabor gewidmet hatten. Den Beschluß jener Bergkampagne des Jahres 1913 sollte ein Rendezvous mit Helbronner in Combloux der Haute Savoye und eine gemeinsame Ersteigung der Pointe Percee (2752 m) bilden. Ich wählte als Übergang von Courmayeur dahin den Col (2895 m) und den Mont Tondu (3196 m) und ging mit Croux über den Col de la ©eigne (2512 m) nach Mottels^). Am Col du Mont Tondu empfing uns dichter Rebel, 7B) Francois Ignace Magnin. 7B) Dort halle ich 1912 mit Helbronner und Croux drei Tage zugebracht» um gemeinsam die Aiguille des Glaciers zu ersteigen. Das andauernd schlechte Welker hat es verhindert. der die Orientierung erschwerte. Nach tangerem Ansteigen erreichten wir über einen bequemen Grat einen Gipfel, der einen Sleinmann trug, und glaubten uns auf der Spitze des Mont SEottbu77). Aber nach einiger Zeit wurde Croux unruhig. Er forschte nach allen Seiten durch die brodelnden Nebel, stieg schließlich in eine Scharte westwärts hinab und rief bald herauf, ich möge ihm folgen. Ich fand ihn am Beginn eines prachtvollen, ganz schmalen Grates aus festgefügtem Granit, den wir, über großen Abgründen dahinklelkernd, weit nach Südwest verfolgten. An feinem Ende stand der wirkliche Gipfel. Oben harrten wir stundenlang, ob das Wetter sich nicht bessere, aber als die Mittagszeit nahte, ließen wir die Hoffnung sinken, kletterten über die schmale Grat-brücke zum Borgipfel zurück und stiegen zum Glacier de Trelatete und zum gleichnamigen Pavillon hinab. Dort trennte ich mich von Croux. Er versprach, tot nächsten Frühling wieder mein Gast sein zu wollen. Wir sagten uns „Auf Wiedersehen", und da unsere Hände sich lösten, sah ich im ernsten Spiegel seines Auges noch einmal die hundertfach erprobte herrliche Treue auf dem goldenen Grunde seines Herzens. Dann eilte ich die Serpentinen nach Contamines hinab. Er blickte mir nach. Ich winkte von jeder Kehre und er schwenkte grüßend seinen Hut. Seine hohe Gestalt stand vor dem kleinen Hotel, bis es hinter dem Hange verschwand. Das ist mein Abschied von Croux gewesen. Das Rendezvous7^) in Combloux kam schön zustande, aber das Wetter blieb schlecht und die Pointe Percee drohte mir zu entgehen, da meine Zeit abgelaufen war. Schließlich erstieg ich sie ohne den Freund bei trübem Wetter, welches mich die Schönheit des Berges und der Aussicht nur ahnen ließ, und eilte dann nach Hause. Es sollte meine letzte Tour in den Westalpen sein. Auch mit Helbronner haben wir uns beim Scheiden herzlich „Auf Wiedersehen" gesagt. Wann werden wir es feiern? Das Jahr 1914 kam blutigrot. Die Tore zu den Westalpen fielen klirrend ins Schloß, schwere Riegel rasselten vor. Als 1914 sich zu Ende neigte, traf mich die Nachricht, Croux sei plötzlich gestorben. Wann werde ich an seinem Grabe stehen? Bielleicht habe ich da oder dort etwas zu sagen übersehen. Ich war ja so viel in den Bergen und alles habe ich aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Im großen und ganzen aber glaube ich doch meine Erleb- 77) Es war der Borgipfel 3156 m. 7S) Mit Helbronner. nijfc in den Westalpen zn Ende erzählt zu haben, so weit sie mir erzählenswert schienen. 3m überschauen dieser Bogen werde ich mir klar bewußt, wie arm und beschränkt unser Leisten und Können nur sein kann gegenüber der Größe und dem schrankenlosen Reichtum der Berge. Man kann vielleicht eine Bergsteigerlaufbahn in Anbescheidenheit beginnen, zum Schlüsse, denke ich, wird man bescheiden geworden sein. Ein Leben, was zählt das? Das größte Bergfieigerleben ist doch nichts weiter als eine kurze Folge aneinandergerechter Erinnerungen, Bilder und Episoden aus den Bergen. Eine erschöpfende, bis zum Grunde reichende Kenntnis, ein wirklich fertiges Gesamtbild, wer könnte sich dessen im Ernst berühmen? Die Zeit schreitet und einer nach dem andern treten wir zurück, den Blick noch auf den Glanz der Berge gerichtet. Sie aber strahlen über Menschenschicksale und Menschenalker hinweg in nie versiegender Schönheit. And alljährlich entzünden sie in tausend gottgesegneten Iugendherzen die reine und heilige Flamme der Liebe und Sehnsucht zu ihren ewigen Höhen. Da wir langsam und zögernd zur Heimkehr uns rüsten, kommen die herrlichen Scharen heran. Zehn, vielleicht hundert für einen von uns. Schlanke Frühlingsgefialten, wie wir es einstens waren. Sie grüßen uns, da wir aufwärts weisend am Wege stehen. Ihnen allen ein Bergheil aus ganzem Herzen! Gewiß, es ist Zeit zur Heimkehr zu rüsten. Aber niemand glaube, daß es in Wehmut geschieht. Anser Auge blickt heiter, unser Herz schlägt ruhig, dankbar und zufrieden. So langes Wandern durch Licht und Schönheit gleicht vieles aus. Es tilgt viele Schmerzen, enthebt vieler Lasten. Es macht rein, stark und frei. Es lehrt die Dinge hinzunehmen, so wie sie kommen müssen. Nicht mit der Gleichgültigkeit des Abgestumpften und Gefühllosen, sondern mit der ruhigen Abgeklärtheit, die man von den Höhen holt. Blicke noch einmal zurück. Gedenke noch einmal der Herrlichkeit der Berge, die du gesehen hast. Gedenke der alten Meister, die vorangegangen sind, sie zu erschließen. Gedenke all jener, an deren gastlichem Herde du je gesessen. Gedenke der lieben Freunde, mit denen du gewandert bist in der hellen Sonne der Gletscher. Gedenke der Männer, deren Axt dir den Weg geebnet, deren starke Hand dich geführt hat. Gedenke derer, die nicht mehr sind, die nach schwerer Arbeit in Eis und Schnee friedlich unter dem grünen Rasen rasten und schlafen. Aller, aller gedenke noch einmal in dieser feierlichen Stunde des Scheidens, tiefinnig und dankbar, fromm und treu, ehe du still dich abwendest und heimgehst, du meine Seele! Die Barre des Lcrins von den Rouies Dr. Paul Helbronner-Paris Kapitel VI Erinnerungen aus dem Dauphins Der Pie Gaspard (3882 m)1» Meine DauphinLfahrken find von mir schon einmal geschildert worden. 3n der „österreichischen Alpenzeilung", XXXV. Jahrgang, Nr. 873, 1913, 1. Ich habe infolgedessen die Dauphinsberge aus Kapitel V ausgeschieden und bringe dafür jenen Aussah als Kapitel VI an dieser Stelle. I . Ach habe die ehrenvolle Aufgabe übernommen, zu zwei Bildern Dr. Paul Helbronners einige begleitende Worte zu schreiben. Es sind Bilder aus dem Dauphine, über jene Berge existiert eine sehr große Literatur, auch herrliche klassische Literatur, die jeder Bergsteiger kennt. Ich nenne aus der reichen Fülle nur Edward Whympers berühmtes Buch „Berg- und Gletscherfahrten", das jeder Bergsteiger seinem Sohne in die Wiege legen sollte, die erstaunlich umfassenden Arbeiten von W. A. B. Coolidge, die Publikationen unserer österreichischen Stürmer, mit Purtscheller, Blodig und den im Dauphine unvergesienen Zsigmondys an der Spitze, und aus dem letzten Dezennium die gewaltige, von idealstem wissenschaftlichem Geiste getragene, systematische Arbeitsleistung Dr. Paul Helbronners, deren Resultates zum Teil in den „Comptes rendus de VAcademic des Sciences“, in periodischen alpinen Blätterns und in eigenen Drucken, zum wichtigeren Teil im seither erschienenen ersten Bande seines großen Werkes „Description geome-trique detaillee des Alpes Fran?aises“ niedergelegt flttb4). Es ist somit naheliegend, daß ich jede detaillierte Beschreibung unterlassen werde. Ich habe auch nichts Neues zu sagen und leider auch nicht über besondere Leistungen zu berichten. Mein begleitender Text soll nur in schlichter Weise Erinnerungen aus jenen Bergen bringen, wobei ich allerdings das Bewußtsein habe, daß es bescheidener wäre, würde ich ganz schweigen. Das Inhaltsverzeichnis müßte lauten: Einige kleine Siege, einige große Niederlagen» und in allem, in Sieg wie in Niederlage, so viel Bergfreude, daß eben die Lippe überfließt, dessen das Herz voll ist. -) Me Höhen zitiere ich nach den Triangulationen Dr. Paul Helbronners. Siehe feine „Theses“, Paris, Gauthier-Villars 1912. Me Höhenangaben vom Pic d'Olan, Cot de la Caffe Dsserte, Pic Coolidge und von den Aiguilles d'Arves wurden von Hel-bronner noch nie publiziert und erscheinen in diesem Aufsatze zum ersten Mal. Ich habe die Erlaubnis, sie zu benutzen, füge jedoch den ausdrücklichen Vermerk hinzu: „Triangulation Helbronner, altitude provisoire (chiffres inčdits).“ 3) „Annualre du Club Alpin Francais“, „Revue Alpine“, „La Montagne“, „La Gčographie" etc. *) Paris, Gaulhier-Villars 1910. Ich bin erst spät in das Dauphine gekommen. Viele Jahre habe ich von den Gipfeln der Westalpen mit einer gewisien Scheu hinübergeblickt. Man hängt auch machmal zu stark an alten liebgewordenen Zentren und glaubt, immer dort sein zu müssen, wenn man im Grunde dort auch noch so überflüssig ist. Da kamen zwei wundervolle Aussichtslage auf Grivola und Grand Paradis°). Die Berge des Dauphine schauten viele Stunden lang in so zauberhafter Schönheit herüber, daß sie wie eine Offenbarung auf uns wirkten, und es wurde uns endlich klar, daß wir hinübermuhten. Mein Freund hatte 1901 einen feinen Plan ausgearbeilet, das Wetter war herrlich, wir waren damals im Vollbesitze unserer Kräfte, und so überschritten wir in einer glorreichen Woche den Pelvouxb), den Col du Sele, die Barre des Lcrins und die Meise. Den Pelvoux nahmen wir von der Ostseike über den Glacier des Violettes, und das ist unsere schönste Bergfahrt im Dauphine geblieben! Die Barre (4100 m) überschritten wir von Südwest nach Nord, und ich möchte gestehen, daß diese Unternehmung als meine großartigste und schwerste im Dauphine in meiner Erinnerung geblieben ist. Da wir einige kleine Hindernisse und nicht leichte Verhältnisse fanden, den Abstieg vom Eol des Lcrins (3367 m) unterschätzt Haltens und bald darauf in der einbrechenden Nacht die Steigspuren auf den Moränen des Glacier de la Bonne Pierre verloren, so ist es auch, nächst dem Mont Blanc von Brenva und der Aiguille Berte über den Moinegrat, meine längste Tour geworden. Wir waren um 9 Uhr abends von La Berarde aufgebrochen und kamen in der nächsten Nacht zu sehr vorgerückter Stunde (2 Uhr) zurück. Unvergessen wird mir die meisterhafte Art bleiben, wie der vorangehende Daniel im Abstieg über die Nordwand der Barre zur besten Stelle des großen Bergschrundes geführt hat. Die Meise«) überschritten wir nach einem Biwak auf dem Promontoire (3093 m), wo jetzt die reizende Hütte steht. Ich schlief in jener Nacht sehr schlecht — ich fürchtete die Meise. Die Folge davon war, wie immer in solchen Fällen, daß ich die Meise fast leicht fand. Aime °) Mit meinem Freunde Dr. Graziadio Bolaffio-Triest und den Führern Daniel und Aims Maquignaz und Joseph Croux (1900). Siehe vorliegendes Buch, Seiten 253 bis 255. 6) Poinle Durand (3931 m), Pointe Puiseux (3945 m). 7) Unser Träger hatte uns gesagt, datz wir in den jenseitigen Felsen des Cols eine Art Pfad finden würden. Wir waren sehr erstaunt, als wir dort hinabblicklen und zwischen einem gänzlich vereisten Couloir schlechtester Art und sehr steilen Felsen zu wählen hatten. 8) Grand Pie (3982 m), Pic Central (3974 m). exzedierke in dieser Richtung, indem er fortwährend frug: „Oti sont les difficultes?“9). Wir trafen die Felsen dieses wunderbaren Berges im idealsten Zustande, das Emporklettern an den festen Griffen über den stellenweise furchtbaren Exposttionen war eine hohe Freude. Rur die wenigen, aber sehr verantwortlichen Schritte der Traverse über die vereisten Platten» welche den Ausstieg aus der Breche Zsigmondy vermitteln, sind mir in schlimmer Erinnerung geblieben. Jetzt hängt dort ein Seil, das alle benützen, und über das sich alle beklagen. Als wir uns zu kurzer Aast an die Felsen des Pic Central lehnten, rauschte es plötzlich über uns auf. Es war ein großer Adler. Er kam mit erschreckender Schnelligkeit heran, die Schwingen weil ausgebreitet, die Augen scharf auf uns gerichtet, die Fänge vorgestreckl, das ganze gewaltige Tier zum Angriff klar. Wir waren aufgefahren und Hallen unwillkürlich zu unseren Pickeln gegriffen. Aber ganz knapp vor uns schwenkte er ab und schwebte in wundervollem Bogen davon. Ein wüster Schwarm von Krähen war ihm gefolgt und stob ihm schreiend nach. Wir fühlten, daß der Flügelschlag eines Königs uns gestreift hatte. 3m nächsten Jahr begannen wir mit den Pics d'Olan (3563 m). Wir fuhren über Brian?on, Gap, St. Firmin nach La Chapelle im Balgau-demar. Mein Freund, der eine der wichtigsten Eigenschaften des Hochalpinisten, die Schnelligkeit, in beneidenswertem Matze besitzt, lehnte die 3dee eines Biwaks vornehm ab. Das war hart für mich. 3ch war nie schnell und pflege darum gegen diesen Mangel gerne eine andere Gotlesgabe auszuspielen, die mir ward: ich schlafe beneidenswert gut in den Biwaks. Dies namentlich seit Freund Eckenstein mir einen englischen Schlafsack geschenkt hat, ein reizendes grünes Hotel, welches nur den einen Fehler hat, datz man am Morgen nicht heraus will. So nahmen wir die 2500 Meter Höhendifferenz in einem Zuge von Mitternacht zu Mitternacht, und ich gestehe offen, datz meine Bergfreude an diesem Tage dadurch etwas getrübt wurde. 3ch erstieg auch nur die Cime Centrale oder Pendlebury, während mein Freund mit Croux auch zur Cime Nord oder Coolidge hinüberging. Bon einer Überschreitung sahen wir der vorgerückten Stunde wegen ab. •) Die 921 ei je war der letzte Berg, welchen ich mil den Maqnignaz erstieg. Daniel, der einer der glänzendsten Führer Italiens war, ist schon lange nicht mehr. Aims hal sich zurückgezogen und bewirlschaflet jetzt sein kleines Hotel in Brenil. Er war ein braver Bursche, etwas drollig und zu hastig zugreifend. Bei den Führern ln fremden Zentren stietz er zuweilen an» weil er nur seinen „Geteilt“ gellen lasten wollte. Das hat ihm mancherlei Neckereien in schwierigen Felsen eingetragen. Aber er stellte immer einen ganzen Mann und blieb unerschütterlich In seinem Glauben an den heimatlichen „Berg der Berge“. Ein noch höheres Maß der Anforderungen stellte mein Freund an mich, als er schon für den folgenden Tag die Überschreitung des Col du Says in Vorschlag brachte, denn es zog ihn mächtig nach La Berarde. Ich kam sehr hoch. Aber die Sonne brannte heiß, die steilen Rasenhalden zum Col schienen endlos. Da fiel mir ein, daß ich gerade Geburtstag hatte, und an einem solchen Festlage dürfe man sich nicht schinden. Eine kleine Schutterrasse, auf der wir gerade standen, erschien mir als idealer Lagerplatz — und da blieb ich. Croux blieb bei mir. Ich wollte es nicht zugeben, aber er ließ sich nicht ablehnend). Wir hatten nicht Decken noch Proviant mit uns, die Nacht war sehr kalt, trotzdem zweifelte ich keinen Augenblick, daß das Biwakieren eine schöne Sache sei. Tief unter uns lag das Balgaudemar. Der Mond zog auf und erfüllte es mit seinem Licht. Silbern standen die Berge. Halb wachten wir, halb träumten wir und wußten manchmal nicht, sind wir noch von dieser Welt. Auf die Höhe des Cols kamen wir am nächsten Morgen gerade im Moment, als die Riesenmauer der Ailefroide gegenüber in der ersten Morgensonne erglänzte. Es war ein Bild voll unbeschreiblicher Glorie. Wir liehen uns Zeit und kamen spät nach La Berarde. Man frug dort nach meinem Befinden, mein Freund behandelte mich mit milder Schonung. Es war ohne Zweifel eine kleine Niederlage. Ich aber ging still lächelnd umher, ich trug das mondbeglänzte Balgaudemar und die goldenen Morgenlichler auf der Ailefroide im Herzen. Das Wetter blieb schön. Wir wünschten die Grande Ruine (3765 m) zu ersteigen und gingen Tags darauf ins Refuge du ChLtellerel (2225 m). Wir hatten den Weg über den Glacier de la Grande Ruine und den Südwestgrat gewählt. Die beiden Rodier hatten uns diesen Weg als leicht bezeichnet. Wir können das aber nicht zugeben. Der Weg ist jedenfalls sehr steil, und wäre er noch etwas schwieriger, so wäre er wohl überhaupt nicht zu machen. Das nenne ich nicht leicht. Tatsächlich fand sich auch der damals vorankletternde Jean Baptiste Rodier, ein äußerst tüchtiger und erfahrener Mann"), namentlich im Einstieg, ein wenig behindert. Bon großartiger Wildheit ist die obere Schlucht, die i0) Seit 1902 ist Joseph Croux aus Courmayeur unser leitender Führer. Ihm gebührt unter allen Großen, die je mit mir gegangen sind, die Palme. Er beherrscht gleich souverän Eis, Fels und Schnee. Er ist ein Mann von eiserner Energie und von hohen moralischen Eigenschaften. Seine Tüchtigkeit als Führer wird nur von seiner Rechtlichkeit als Mann überlroffen. Man kann ihn in jeder Richtung noch so hoch einschähen und wird nie Gefahr laufen, sich in ihm zu irren. “) Dieser ausgezeichnete Mann war damals Bürgermeister von Sainl-Christophe. Es fiel uns die außerordentliche Sorgfalt auf, welche er den Steigen zuwandle, die seiner Obhut anverlraut waren. Besonders liebevoll behandelte er den damals gerade man queren muh, um die Gipfelfelsen angreifen zu können. Es war ein Tag von himmlischer Reinheit, wir konnten uns von der Spitze lange nicht trennen. Den Abstieg nahmen wir zunächst auf dem gewöhnlichen Wege. Dann querten wir an den Osthängen der Grande Ruine bis unter den Col de la Lasse Deserte (3484 m), den wir noch früh am Nachmittag nach La Berarde überschritten. Ich gedenke auch aus einem anderen Grunde oft dankbar dieses schönen Berges. Bon der Spitze hatte ich auf der Roche Faurio (3730 m) einen Mann gesehen, der unter einem großen weihen Schirm unermüdlich an seinem Theodoliten mah und notierte. Es war Helbronner. Der Mann drüben freute sich seinerseits unseres langen Berweilens auf unserem Gipfel. Mir kannten uns noch nicht, aber in der unendlichen Schönheit jenes Tages zogen damals aus weit geöffneten Herzen sympathisches gegenseitiges Beobachten und freundliches Interesse eine leise klingende Saite von Spitze zu Spitze. Es ist eine wahre Freundschaft daraus entstanden, eine jener Freundschaften, wie sie uns, so festgefügt und in reine Lüfte emporgehoben, nur die Berge an besonderen Glückeslagen schenken können. Weniger glücklich verlief die folgende Campagne. Da erlitten wir, vom Chalet-Hotel d'Ailefroide (1510 m) kommend, zunächst Schiffbruch an der Ailefroide (3952 m)12). Wir hatten gemeint» ohne Biwak auszukommen, aber am Glacier du Sele bemerkten wir, daß wir zu spät daran waren, und gingen über den Col du Sele wieder nach La Berarde. Wir haben an jenem Tage gelernt, daß die Ailefroide ein „langer Berg" sei, dem man ohne Biwak nur schwer beikommt. Roch lehrreicher schloß der Tag für unseren Träger aus Les Claux. Als wir den ebenen Teil des Glacier de la Pilatte überschritten, machte er den dringenden Borschlag, das Seil abzulegen, da es uns in unseren Bewegungen behindere. Wir lehnten es ab und hakten die Genugtuung, daß er gleich darauf plötzlich in einer Spalte verschwand. Es war ein großes Glück, daß das Seil seine weitere freie Bewegung energisch behindert hakte. Wir stellten ihn bald auf die Füße, blieben aber noch einige Male stehen, um ihm Standreden zu halten. Rach unserer schweren und selbstverschuldeten Niederlage war uns das ein Trost und eine moralische Befriedigung. im Bau befindlichen Steig über den Col du Clot des Lavales. Wo ein Skein lag, der nicht hingehörle, da wurde er nie müde, sich zn bücken und ihn zu entfernen. Wir haben viele Bürgermeister groher Städte Kennen gelernt, aber Keinen einzigen, der die Wege seiner Bürger in solcher Weise geebnet hätte. 12) Mit dieser Messung ist die Suprematie des Pic de l'Ailefroide über den Pel-voux fefigestelll, der an die fünfte Stelle unter den Hauptsplhen des Mastivs zurückweichen mutz, dem er lange seinen Namen gegeben hak. (Siehe Helbronner, „Theses“ wie oben, 104—105.) Ich ging dann über den Col du Clot des Cavales nach dem Refuge de l'Alpe und nach La Grave hinaus. Von der Höhe dieses schönen und leichten Cols konnte ich Zusehen, wie mein Freund mit Croux und Savoye, von der Promontoirehütte ausgehend, rasch und sicher den Räteau (3809 m) erstieg. Reiche Entschädigung brachte das nächste Jahr. Das Wetter war so schön, daß wir gleich am ersten Tage vom Chalet-Hötel d'Ailefroide aus über den Col Emile Pic (3481 m) den Pic de Neige Cordier (3613 m) ersteigen und das oberste Becken des Glacier Blanc in seiner ganzen Herrlichkeit bewundern konnten. Das hochgelegene Refuge Caron (3169 m) betraten wir nicht, sondern kehrten am Nachmittag zum Refuge Tuckett (2438 m) zurück. Biele Stunden lang, bis in die späte Dämmerung, saßen wir vor der Hütte und schauten andachtsvoll auf die großartigen Berge. Am Pelvoux donnerten die Lawinen. Unser Refuge schien wenig besucht zu sein. Als wir uns zur Ruhe legten, zogen ungezählte Scharen ausgehungerter Flöhe auf und führten auf uns einen Angriff aus, der uns mit Staunen und mit Bewunderung erfüllte. Wir gedachten der Warnungen Whympers, sandten einen wehmütigen Gruß an unsere lieben, stillen, reinen Biwaks und ergaben uns, ohne an Widerstand auch nur denken zu können. Am nächsten Tage wollten wir besonders schlau sein. Der Weg auf den Pic des Agneaux (3663 m) lag klar vor uns, aber wir glaubten oben etwas Steingefahr zu bemerken und beschlosien daher, uns stärker nach rechts zu halten. Dadurch verstrickten wir uns unter Lachen und Scherzen in immer schwierigere Klettereien, gelangten in eine schauerlich wilde und sehr unheimliche Schlucht» wo uns die Scherze auf den Lsiipen erstarken, und in der wir über vollkommen glattgefegte Felsen unter ungleich größerer Steingefahr wieder tief absteigen muhten, irrten eine Zeitlang so ziemlich verloren in finsteren Felsenkesseln umher und erstiegen endlich über eine großarlige Wand den Col Tuckett. Wir hatten dann einen sehr weiten Weg nach Nordwest, wobei wir über vorstehende Rippen und an überaus steilen Schneelehnen querten, bis wir an den Fuß des höchsten Gipfels kamen, den wir in sehr schneidiger Kletterei über einen wundervollen Plattenschutz nahmen. Im Abstieg schlugen wir eine richtigere Variante ein, sahen deutlich unsere Fehler» bedauerten aber die gehabte Mühe nichts. 13) Den Glanzpunkt in der Aussicht der Agneaux bildet die Barre des EtrinS. Man kann es wohl nicht schöner beschreiben» als dies Helbronner in „Quatre mois de triangulations dans le massif Pelvoux-Ecrins“, Paris, Plon-Rourrit & Cie^ 1906, getan hat. Zu Seite 302/303 Rsteau und Meije von der Grande Ruine Dr. Paul Helbronner-Paris Auch der Ailefroide wurde ich in diesem Jahre endlich Herr. Wir bezogen ein hohes Biwak nördlich über dem Glacier du Sele. 3n der Nach! brach ein furchtbares Unwetter los, und am nächsten Tage waren die Berge tief in Wolken gehüllt und stark verschneit. Wir blieben im Biwak und verschliefen und verrauchten noch einen Tag und noch eine Nacht auf den harten Platten unter unserem Überhang. Am dritten Tage konnten wir endlich bei strahlend schönem Wetter die Ersteigung vollenden. Doch hatten wir im oberen Teil nicht geringe Schwierigkeiten und Sorgen wegen der starken Bereisung und des Schnees, der knietief auf den Gipfelfelsen lag. Als ich mich beim Steinmann über die ungeheuren Abgründe der Nordseile beugte, da war es mir klar, daß ich auf einem der gewaltigsten Berge des Dauphine stand. Unter den reichen Details der Ersteigung ist wohl das schönste das untere Band, über welches Casimir Gaspard") uns führte. Man geht lange über tiefen Abgründen an der hohen Felsmauer dahin, welche die oberen Eisfelder trägt, und die Schmelzwaffer, die von oben kommen, springen in reizenden Kaskaden über das Band hinweg und sprudeln in klaren Quellen und Brunnen aus dem Gestein an seinem Rande. Auch mein Freund bequemle sich schließlich zu einem Biwak an der Ailefroide. Und da das Wetter sich zuerst gegen chn entschied, so erlebte ich die heimliche Freude, daß er noch ein zweites Mal ins Biwak ging. Diesmal allerdings mit einem vollen Erfolg, denn er konnte den Berg überschreiten, und er wurde nicht müde, von der Schönheit des großen Bandes zu erzählen, das auch auf der Pilatteseite den Zugang zur Ailefroide vermittelt. Wenn meine Theorie richtig ist, daß man einen Berg am besten kennen lerne, wenn man auf chm schläft, so mühten wir beide nun wohl gute Kenner der Ailefroide geworden sein. Auch die Bans (3669 m), die ich vom Col du Sele wiederholt bewundert hatte, hielten mich zwei Nächte im Biwak, und auch dort mußte ich in gleicher Weise wie an -er Ailefroide schönes Wetter und gutes Gelingen ertrotzen. Croux war unter dem Eindrücke des schlechten Wetters nach La Berarde abgestiegen, er erschien aber, einer guten Eingebung folgend und schlagfertig wie immer, plötzlich mitten in der Nacht, die sich wie mit einem Zauberschlage aufgehellt hatte und in “) Casimir Gaspard ist das liebenswürdigste Mitglied der berühmten Führerfamilie der Gaspards von Saint-Christophe, welcher noch immer der alte Führerkönig Gaspard Vater mil Anstand «nd in bewunderungswürdiger Rüstigkeit präsidiert. Vielleicht weniger brillant als Maximin nnd Devonaffond, vielleicht weniger gelenk als die junge Felsenkahe Alexandre, ist Casimir heute ein Mann, deffen Tüchtigkeit, absolute Verläßlichkeit und hohe Charakterfestigkeit ihn weit über die Grenzen seiner engeren Heimat bekannt und beliebt gemacht haben. wunderbarem Sternenglanze prangte. Wir nahmen den Weg über den arg zerborstenen Glacier de la Pilatte direkt auf den Col des Bans, den wir über den weit offenen Bergschrund und eine sehr steile Eiswand erstiegen. Unmittelbar darauf griffen wir die Ofiwand des Berges an und fanden eine Felskletterei großen Stiles, die aber nur im obersten Teil, wo ganz steil aufgerichlete Platten und ein vereistes Couloir zu queren sind, auf eine kurze, aber sehr verantwortungsreiche Strecke einen schwierigen und gefährlichen Charakter annahm. Einige Tage vorher hatten wir den Pic Coolidge (3775 m) vom Refuge Cezanne (1874 m) zum Col de la Temple überschritten und damit alle großen Erinnerungen an den Tag der Barre in uns wachgerufen. Besondere Schwierigkeiten haben wir nicht gefunden, wohl aber in den Ostflanken des Felsgrates zum Col de la Temple eine der reizendsten Klettereien, an die wir uns erinnern können. In der glanzvollen Stunde auf der Spitze der Bans hatten aus der Tiefe der Bal des Bans blinkende Wafserläufe und sonnige, grüne Matten zu uns heraufgegrüßt. Dort liegen die wenigen verstreuten Hütten des Alpendörfchens Entraigues. Dieses überaus friedliche und herzliche Bild hatte mich so sehr angezogen, daß ich das Jahr darauf mit Longis Denis hinging, um den Col du Sellar zu überschreiten. Wir schliefen in Entraigues. In der Nacht schneite es stark auf den Bergen, doch begrüßte uns, als wir ziemlich spät aus unserer Hütte heraustraten, ein wunderschöner, reiner Morgen. Der Col ist leicht zu überschreiten. Wir hielten uns an die klassische Route und hatten herrliche Ausblicke auf die Felsgestalt der Bans, zu deren Wänden große Rudel von Gemsen aus den Schneekaren am Fuße emporzogen. Die Höhe des Cols erreichten wir unter dem ununterbrochenen Donner der Lawinen, in den Couloirs rann der tief erweichte Schnee wie Wasser in schweren Sturzbächen zu Tal, es schien alles lebendig geworden, und gewaltige Stimmen hallten durch die Wände. Jenseits eröffneten sich entzückende Tiefblicke in das stille, verträumte Balgaudemar. Wir eilten nicht und freuten uns nach Herzenslust dieser herrlichen Bergwelt. Die Nacht brachten wir im Refuge-Hütel du Clot (1400 m) zu und gingen am nächsten Tage zu einer hochgelegenen Alphütte über dem Lac du Lauzon. Wir wollten die Rouies (3587 m) überschreiten, als wir aber, knietief im Schnee watend, den Col des Rouies erreicht halten, frug mich Longis, was ich zu tun gedenke. Ich meinte, wir gehen auf die Spitze, und das Weitere werde sich finden. Er aber fürchtete die Lawinen im Abstieg und erklärte, wir müßten sofort nach La Berarde absteigen, das Weitere werde sich dort finden. Es war ein wunderschöner Tag und gar herrlich glänzten die liefverschneiten Berge. Ich empfand den Verzicht auf diese schöne Spitze, deren Aussicht viel gerühmt wird, doppelt schmerzlich, sah aber schließlich ein, daß der Zustand des Schnees und die vorgerückte Stunde weitere Verhandlungen nicht gestatteten^). Gar spät bin ich zu den Aiguilles d'Arves gekommen, über die Meridionals (3509 m) hatte ich im Laufe der Jahre viele geringschätzige Bemerkungen gehört. Man sagte mir, der Berg lohne sich nicht, die einzige vorkommende Kletterstelle sei zu kurz. Ich denke aber, sie war immer lang genug für denjenigen» der sich der Verantwortung und Mühe unterzog, als erster voranzuklettern. Heute hängt an jener Stelle, an der berühmten Cascade Petrifies, ein starkes Seil herab; sie ist dadurch auch für den Erstkletternden wesentlich erleichtert worden. In Croux und in mir hat die Meridionals den Eindruck eines geradezu entzückenden und ganz eigenartigen Berges hinterlassen. Wir fanden im Couloir Schnee, den obersten Teil erfüllte hartes Eis. Prächtig ist die luftige Scharte, und auch die leichtere, aber immer noch steile Kletterei über dem fixen Seil hat mir sehr gefallen. Meine friaulischen Scarpetti bewährten sich ausgezeichnet. Viele Stunden sahen wir oben im Glanz eines wolkenlosen Tages. Je älter man wird, um so schwerer trennt man sich von den Spitzen, und die Worte „auf Wiedersehen" kommen nicht mehr so leichtfertig von den Lippen. Noch schöner steht die Centrale (3508 m) in meiner Erinnerung. Der Gang zwischen Paradieslilien über die blumendurchwirkten Matten der Alpe Commandraul, ein reizendes und ungemein stimmungsvolles Biwak am Fuße des Glacier de Gros Jean, die Überschreitung dieses zwischen den Mauern der Aiguilles tief eingebetteten Gletschers, das große untere Couloir, die herrlichen, in Lüften schwebenden Gipfelfelsen — wie haben wir das alles genossen! And dann die Aussicht auf das weite Meer leuchtend grüner Matten rings zu Füßen, wie man im ganzen weiten Halbrund der Alpen ihresgleichen keine findet, und der einzige Blick hinüber zur Königin Meije, die über aller Schönheit der Erde, im Jubel der sonnigen Höhen, lichtumflossen im Süden ftanb16)! 1B) 3n La Bsrarde krennke ich mich von Longis. Er ist ein reizender Gesellschafter, hervorragend orientiert in den mittleren Regionen, immer dienstbereit und willig, doch von nur mittelmäßigen Fähigkeiten in ganz verantwortlichen Höhen. Die Polenta, die er in den Biwaks kocht, ist ein Gedicht. Sie wird nur von der großen Biwaksuppe Croux' übertroffen. ie) Roch näher diesem geradezu überirdisch schönen Bilde stand ich 1912 auf der Aiguille du GolSon (3426 m). 3cf) habe fast zwei Tage auf den weiten Almen und an den Flanken dieses Berges verbracht, viele Stunden auf seiner leicht zugänglichen Spitze. Es waren für mich zwei hohe Festtage, die mir neuerdings einen Beweis Am Tage der Bans war mein Freund ins Refuge de l'Alpe zum Pic Gaspard gegangen. Er kam damals sehr hoch, doch trieben ihn Nebel und Schneefall zurück. 3m Abstieg wurde seine Partie durch eine große Steinlawine schwer gefährdet. Er brachte großartige Eindrücke zurück. Seitdem stand der Pic Gaspard im Vordergrund unseres Interesses, wie gebannt blickten wir immer zu seinen finsteren Mauern hinüber. Viel konnten wir über chn nicht erfahren, da er nur selten bestiegen wird; wir wußten nur, daß er fieingefährlich sei. 3m Juli 1911 bezogen Croux und ich ein Biwak unter dem Glacier Claire, mein Freund zog es vor, mit Alexandre Gaspard direkt vom Chalet-Refuge de l'Alpe (2079 m) heraufzukommen. Mir beide waren früh marschbereit, aber unsere Genossen ließen länger als gedacht auf sich warten. Croux wurde immer unruhiger, und als unsere Freunde uns endlich erreichten — sie hatten den Tag erwarten mästen, um die unteren Steil-fiufen zu ersteigen —, da begann er sehr scharf auszuschreiten. 3ch liebe das nicht und machte ihm Vorstellungen. Da wandte er sich zurück und zeigte sein ernstestes Gesicht. Er fürchtete die Steine; Madame Croux stand wohl in der Ferne mit warnend erhobenem Finger. Da erklärte ich, ich sei ein alter Mann, der nicht laufen wolle noch könne, und landete in einer kleinen Gletscherbucht, wo ich verblieb. Die anderen stürmten weiter und erreichten rascher, als wir alle gedacht hakten, glücklich ihr Ziel. 3ch hörte chre Jubelrufe auf dem Gipfel. Die Felsen waren ideal trocken gewesen. Kein einziger Stein war gefallen. 3ch hätte damals wohl bester getan, die paar Stunden noch zu forcieren. Viele Jahre werden vergehen, bevor der Gaspard wieder in den ausgezeichneten Zustand Kommt» in dem er sich im heißen Sommer 1911 befand. 3m Juli 1912 Kam ich wieder. Aber das war ein schlimmes Jahr für Revanchegelüste. Es ist ja noch in aller Erinnerung, in welchem Zeichen der Sommer 1912 stand. Selbst der reinste Himmel blieb weißlich, färb- und Kraftlos erhob sich die Sonne, und es lag stets etwas in der Luft wie eine leise Drohung. Mieder beziehe ich mit Croux ein gaben, welchen Genuß man auch auf leichteren und Kleineren Bergen finden Könne. Was der Brsvenk für den Monk Blanc, der Gornergral für Monke Rosa und Lys-Kamm, das ist der Golson für die Meije. Er ist wie ein Alkar hingestellt zur Huldigung ihrer Schönheit. Weniger Glück hakte ich 1911 auf einem zweiten schönen Aus-sichksberg des Dauphins» dem Pic de l'^kendard (3470 m), der eine vielgerühmke Aussicht auf die Aiguilles d'Arves bietet. Es ist die höchste Spitze in den Grandes Ronffes» deren ausgedehnte, von einer langen Felsmauer überhöhte Eisfelder in allen Dauphins-Panoramen das Interesse auf sich ziehen. Ich besuchte diesen Gipfel im Sommer 1911, leider an einem Tage, besten erdrückende Hitze schwer auf uns lastete, und an dem der aufsteigende Höhenrauch gerade die schönsten Sachen verhüllte. Biwak am Glacier Claire. Der Nachmittag bleibl sonnig und heiler, Roche Meane und Tour Karree17) stehen mil ihren trotzigen Klippen wunderschön gegenüber, aber gegen Abend lrübl sich das Weller, blut-rol zieht der Mond auf und eine unheimliche Nacht senkt sich nieder. Der Wind erhebt sich zu orkanartiger Gewalt, Berg und Tal sind erfüllt von seinem zornigen Geheul. Ansere Freunde in La Grave sind um uns besorgt, aber wir haben einen guten Platz gewählt und behaupten uns tapfer. Noch in der Nacht steige ich mit meinen guten Eckensteineisen über den hartgefrorenen Gletscherhang leicht bis unter den Col Claire. Am Bergschrund erwarten wir den Tag. Ein Blick ins große Couloir sagt uns, daß es über und über vereist ist. 3n den unteren, senkrechten Absätzen finden wir gute Deckung, dann aber müssen wir mitten im Couloir auf der dünnen Schichte gefrorenen Schnees, die über dem Eise liegt, frei und vollkommen ungedeckt emporsteigen. Die vollständige Bereisung der Seitenwände zwingt uns dazu. 3n halber Höhe flüstert Croux mir zu, er glaube, wir würden trotz alledem siegen. Auch ich glaube es klopfenden Herzens. Schweigend arbeiten wir so rasch wir können noch eine welkere, eiserne Stunde. Dann ist die höchste Klippe des Gaspard erreicht. 3m brausenden Sturm, doch bei klarem Himmel, eine kurze, ernste Gipfelrast. Dort steht die Meise. Aber das ist nicht die strahlende Königin von La Grave, es ist ein schreckhaftes Ungetüm, das mit wilden Zähnen und mit furchtbaren Überhängen herüberschaut. Und dort über der Grande Ruine der riesige Fächer aus blinkendem Eis, phantastisch ragend über dem offenen Rachen des gefürchtetsten Bergschrundes. Das ist die Barre! Mir sehen nur das Große und Gewaltige, alle sanfteren Bilder werden wir erst später sehen, vom leichteren Terrain. Zum Abstieg durch das Couloir benötigen wir drei Stunden und mehr, über den steilen Platten zweifingerhoch Eis, darüber ebensoviel erweichter Schnee. Es ist ein gefährliches Absteigen. Wir bewegen uns sehr langsam und in steter Sorge um die Steine. So hatte ich meine Revanche, aber auch unser Berg hatte die seine. Als der sichere Firn erreicht war, da wußten wir, daß der alte Gaspard ein Gentleman sei. Er hatte uns die ganze Zeit im Couloir in seiner Hand. Mit einem Stein hätte er uns vernichten können. Er war großmütig und hat uns heil entlassen. 3ch bewahre chm, der groß, finster und furchtbar vor mir steht, eine dankbare Erinnerung! 17) Zwei Tage vorher hatte mein Freund diesen Berg erstiegen. Ich glaube, er ist als der schwerste im Dauphins z« klassifizieren. Wir Bergsteiger sehen immer die Berge, die wir lieben. So stehen sie täglich vor mir, die Berge des Dauphine, weil drüben am südwestlichen Horizont. Ich sehe ihre hohen, schwarzen Grale über den hängenden Gletschern und ihre abgrundtiefen Täler voll Trümmer und Verwüstung. Es sind nicht die helleuchtenden Schwerterklingen der Dolomiten, nicht die isolierten, scharf individualisierten Gipfel des Wallis, nicht die Eismauern des Monte Rosa nach Osten, nicht die riesigen Eismassen des alles beherrschenden Mont Blanc, nicht die Lanzenreihen der Aiguilles von Chamonix. Es sind nicht die weicheren, malerischen Formen des Berner Oberlandes, nicht die schimmernden Kastelle der Bernina, nicht die einfach und edel aufgebauten Berge Savoyens, die still und feierlich über den Tälern und Seen stehen und von deren Gipfeln man paradiesische Schönheit schaut. Es ist eine neue Welt! Das Dauphine kann man sich nicht vorstellen, man mutz es sehen. And wer es je gesehen, -er verfällt seinem Zauber, und er kommt wieder. Indem ich aus vergangenen Tagen erzähle, möchte ich viele Wünsche und Hoffnungen an kommende Zahre binden und aus dankbarem Herzen Land, Bergen und Leuten einen Grutz hinüberwinken ins schöne Frankreich: So Gott will, auf Wiedersehen! Kapitel VII In Memoriam^ (Joseph @ r o u £ t) L) Aus der „österreichischen Mpenzeitung", XXXVII. Jahrgang. Nr. 914, 1915, 30. Matthias Zurbriggen und Joseph Croux 11,1 “ ®e Amicis-Turm (oben: Matkhias Zurbriggen, Dr. Ink. Lugy, Ugo De Amicis, Dr. 23 darf io unken: Frusta, Joseph Lroux) In Memoriam2 *) (Joseph Lroux f) 29. November 1914 ist in Courmayeur im Aller von nur funf-nndfiinfzig Jahren Joseph Lroux plötzlich gestorben. Er ist einer der größken Führer Italiens gewesen. Sein Name und seine Persönlichkeit waren weit über die Grenzen seiner Heimat bekannt. In allen großen Zentren der Alpen genoß er aufrichtige Freundschaften und hohe Wertschätzung. Es gebühren ihm an dieser Stelle, wo so oft die Namen seiner Berge erklingen und so oft sein Name stand, einige Worte der Erinnerung, als einem der Großen unter den Pionieren der Alpen. Er war im Jahre 1859 geboren, wurde 1886 Träger, 1891 Führer. Der Kreis -er Bergsteiger, die den Vorzug hallen, mit ihm zu gehen, ist nicht groß. Er reiste fast immer in fixem Kontrakt mit angestammten Herren und war für vereinzelte Touren schwer erreichbar. Ich kannte chn persönlich seit 1887. 1899 war er mit Freund Dr. Bolaffio auf -er Dent du Geant, 1900 führte er uns beide in Gemeinschaft mit Daniel Maquignaz auf die Grivola über den Nordgrat. An diesem Tage schwerster und verantwortlichster Eisarbeil haben wir seinen Wert erkannt, und haben uns seitdem nicht mehr von ihm getrennt. Vierzehn Jahre hindurch war dieser unvergleichliche Mann unser leitender Führer bei allen unseren großen Unternehmungen. In vierzehn Reise-monaten von Mille Juli bis Milte August ist er uns in den Bergen Piemonts und Savoyens, der Schweiz und des Dauphine mit seiner gewaltigen Kraft und mit dem unerschöpflichen Reichtum seiner Erfahrungen in nie versagender Treue zur Seile gestanden. Er hat mit uns weit über hundert große Bergfahrten gemacht. Sie alle hier auf-zuzählen ist nicht möglich, ich beschränke mich auf das Wichtigste: Die Überschreitungen der Aignille de Talefre, des Lol Zorasses, der Aiguille de Rochefort und des Mont Mallet von Courmayeur zum Monlanvert; die Überschreitungen des Lol Gnifetli (zweite Überschreitung), des Nordends (Monte Rosa) von Macugnaga und der 2) Siehe die Fußnote in „Erinnerungen aus dem Dauphins", ö. A. Z. vom 5. Jan. 1913, Nr. 873, S. 3, und Kapitel VI, S. 302, Anmerkung 10). Parrotspihe von Alagna nach Zermatt; die erste Ersteigung des Mont Dolenk vom Glacier de la Reuvaz, die erste Ersteigung des Mont Dolent vom Glacier d'Argentiere, wobei Croux als erster die Breche de fSimone überschritt; die Überschreitungen des Col du Mont Dolenk, der Grivola, des Grand Paradis, der Grande Tour Sk. Pierre, des Zinalrothorns, des Matterhorns, der Ailefroide, der Aiguille de Rochefort zum Dome de Rochefort (Grakwanderung), des Dome de Miage zur Aiguille de Beranger (Gratwanderung), des Grand Combin auf .neuem Wege, des Rimpfischhorns vom Adlerpaß, der Zwillinge (Castor und Pollux) von der Bekempshütke nach Breuil; die Ersteigungen der Tour Carree (Roche Meane), der Aiguille Berte, der Aiguille de Bionassay (Ostgrat), der Aiguille Noire de Peteret, des Pic Gaspard im Dauphine (zweimal), -er Aiguilles d'Arves (Meridionals und Centrale), des Weihhorns, des LysKamms, des Täschhorns, des Mont Blanc im Winter. In früheren Jahren war er mit Francesco Gonella, mit Schinz aus Liverpool und viel mit Emilio Mazzuchi gereist. Die erste Ersteigung der Aiguille Noire de Peteret nach dem Unglücksfalle Poggi — Croux erzählte von dieser Bergfahrt oft und gerne, weil er an diesem Tage als erfahrener Gemsjäger die Gemsen überlistet hat, von welchen die Steingefahr an der Noire hauptsächlich herrührt —»die Überschreitungen des Col de la Tour Ronde, des Col du Mont Dolenk und die Ersteigung der Denk du Requin, fallen in jene Zeit. Mit der Schwester Mazzuchis, Maria, heute Gräfin Clarekka, hat er die Erfiersteigung einer schönen jungfräulichen Felsnadel im Massiv der Innominata ausgeführt, welche den Fresnaygletscher beherrscht und welche die jugeMiche Bergsteigerin mit seinem Namen taufte: die Aiguille Joseph Croux. So wird sein Name für immer mit der Kette des Mont Blanc verbunden bleiben! Ungezählt sind seine Überschreitungen des Mont Blanc selbst, dann vor allem seine Ersteigungen der Denk du Geank, wo er Herr und Meister war. Bor zwei Jahren habe ich in diesen Blättern über ihn geschrieben: „Seit 1902 ist Joseph Croux aus Courmayeur unser leitender Führer. Ihm gebührt unter allen Großen, die je mit mir gegangen sind, die Palme. Er beherrscht gleich souverän Eis, Fels und Schnee. Er ist ein Mann von eiserner Energie und von hohen moralischen Eigenschaften. Seine Tüchtigkeit als Führer wird nur von seiner Rechtlichkeit als Mann übertrosfen. Man kann ihn in jeder Richtung noch so hoch einschähen und wird nie Gefahr laufen, sich in chm zu irren!" Aber diese Zeilen wollen mich heute nicht mehr befriedigen, als hätte ich damit zu wenig gesagt, als hätte ich zutreffendere Worte finden müssen, um seine unfehlbare Sicherheit in den Bergen, die kristallene Reinheit und Festigkeit seines Charakters und die goldene Treue seines Herzens hervorleuchten zu lassen. 3n diesen vielen Jahren war uns Croux viel mehr geworden als ein erstklasflger und unvergleichlicher Führer unseres Vertrauens: er war uns ein starker und vornehmer Freund geworden, der an unserem Leben warmen Anteil nahm und der uns mit ganzer Seele auf allen unseren Wegen begleitete. Zweimal war er nach Triest gekommen, um einige Wochen in meinem Hause zu verbringen, das zweite Mal begleitet von seiner ausgezeichneten Frau, die jetzt an seinem Grabe trauert. Er besaß in hohem Maße alle Eigenschaften des großen Führers: unerschütterliche Kaltblütigkeit, sichere Ruhe, Entschlossenheit, Schlag-fertigkeit und große Vorsicht. Er war ein Mann, der nicht irren noch fallen konnte, an dessen Seite man sich immer sicher fühlte. Er jagte nicht modernen Sensationserfolgen nach, verlor sich nie in Kleinlichkeiten und Eitelkeiten, er blickte auf die großen Berge und auf die ernsten Probleme und hatte sich ganz in den Dienst des strengen und wahren Alpinismus gestellt. Er war ein echter Sohn der Berge, in ihrer harten Schule gestählt. Er lieble die Berge und die Herrlichkeit der Natur. Er war von großer Körperkrafl und von außergewöhnlicher Energie. Seine Partie leitete er mit wenigen Worten und verlangte von jedem Teilnehmer genaue Pflichterfüllung. 3m Augenblick von Schwierigkeit und Gefahr verhandelte er nicht, sondern befahl. War es notwendig, so konnte er da streng und rauh werden. Man mußte folgen. Alle beugten sich vor seiner überragenden Kraft und Erfahrung. Wir haben viel von ihm gelernt, ohne je im entferntesten der wunderbaren Kunst unseres Meisters nahekommen zu können. Gingen wir mit anderen Führern, und war es mit den besten, so anerkannten wir ihre Geschicklichkeit und Tüchtigkeit — und sehnten uns nach unserem Croux. Fremden Führern gegenüber war er stets bereit, mit Rat und Tat beizustehen. Er war in allen Dingen überaus mäßig und sparsam. Aus kleinsten Anfängen hat er sich schön emporgearbeitet. Für seine brave Frau hat er vorgesorgt. Es war alles klar in ihm, im Leben wie im Sterben. 3ch sehe seine hochgewachsene, schlanke Gestalt an der berüchtigten „Platte" der italienischen Seite des Col Iorasses, wie er sich stetig, unwiderstehlich und mit der Eleganz der absoluten Sicherheit empor-arbeitet, ich sehe das ruhige Lächeln, das er mir von der Höhe zuwirft, da er zum Sprunge über den gewaltigen Bergschrund der französischen Seite ansehk; ich sehe Croux, wie er unler Wundern an Kraft, Beharrlichkeit und Geschicklichkeit und mit olympischer Ruhe die furchtbaren Schlußmauern an der Breche de l'Amöne (Mont Dolent vom Glacier d'Argentiere) bezwingt und wie er dann in genialer Weise den schwierigen Weg für uns Nachfolgende sichert. An jenem Tage wußte er sich int Wettbewerb mit einem großen Führer von Chamonix, und er hat sich damals selbst überlroffen. Er wäre um keinen Preis zurückgegangen. Mit eiserner Entschlossenheit hat er seine ganze Kraft eingesetzt, um den Sieg und die Ehre des neuen Weges an die Fahne seiner Heimat zu fesseln. Ich sehe ihn, immer ruhig und gelassen, auf den zerbrechlichen Eisgraten des Rordends; oder als letzten im Abstiege aN den zerrissenen Seilen der Lchelle Jordan über den ungeheuren Abgründen des Matterhorns hängen; oder rasch, ohne Unterlaß arbeitend, in den haushohen Berg-schründen des Col du Mont Dolent und des Col d'Argentiere; oder in meisterhafter Weise durch die verwickelten und drohenden Seraks des Zwillingsgletschers und des Glacier de la Pilatte hindurchführen, als befinde er sich in seinen heimatlichen Bergen. Dann sehe ich ihn in unseren Biwaks, auf dem hohen Felserker unter dem „Epsilon" des Rordends; in der engen und kalten Grolle, die wir uns mit den Pickeln im harten Eise unter der Spitze des Grand Combin gegraben hatten; unter den Felsüberhängen im Dauphine und in Savoyen, hoch am Glacier Claire und über dem im Mondenschein träumenden Balgau-demar. Wie er, kaum angekommen, das Feuer anmacht und mit Liebe und Bedacht seine berühmte große Biwaksuppe zubereitet, dann zur Pfeife mit seinen Erzählungen beginnt, welche aus den ernstesten Gesichtern ein Lächeln erwecken und alle Herzen mit Ruhe und froher Zuversicht für den kommenden Tag erfüllen. Und schließlich sehe ich ihn, wie er mir entgegenkommt, bescheiden aber sicher, stets dienstbereit, mit seiner lieben und vornehmen Art, mit jenem schönen Ausdruck von aufrichtiger und ergebener Freundschaft, und wie er mir seine feste Hand reicht, die ich so oft gedrückt habe, in der Freude des Wiedersehens, im Schmerz des Abschieds und im hellen Siegesjubel auf hundert gemeinsam eroberten Spitzen! Er ist zu früh gestorben. Aber es war ihm der sanfte Tod des Gerechten beschieden. Er war ausgegangen und stand mit Freunden auf dem Kirchenplatz in Courmayeur, als er sich plötzlich zu Boden setzte und die Besinnung verlor. 3n einem nahen Hause, wohin man ihn trug, stand bald darauf sein Atem still. Er hat nicht gelitten, ein starker Anfall von Angina pectoris hat ihn getötet. Am 1. Dezember 1914 wurde er unter allgemeiner Trauer in würdiger Weise begraben. Ergriffen und trauernden Herzens grüße ich das Grab und das Andenken dieses besten Mannes, der glorreich in den Bergen gearbeitet hat und der mit aufrechter Stirne und mit reinem Herzen die Wege seines schlichten und ehrlichen Lebens gewandelt ist. Kapitel VIII In den Voralpen Inhaltsangabe Seife četna Prst.............................324 Golica.................................327 Vetšiuc................................328 Zu Seite 331 Wocheinerwald Fritz Renner Triest / žDcr Vorhang iff niedergegangen und alle möchten wohl nach Hause gehen. Auch ich war der Meinung, daß mein übernommenes Erzähleramt nun beendet sei. Von allen meinen großen Bergen habe ich erzählt. And eben wollte ich die Feder aus der Hand legen und mit von der Erinnerung heiß gewordenen Wangen an meinen anspruchslosen Platz ins Halbdunkel zurücktreten, als mein Blick auf eine Gruppe von kleineren und sanfteren Bergen fiel, die bescheiden lächelnd abseits vor dem Vorhänge warteten und leise und weich zu mir sagten: „And für uns Borberge, die wir an so vielen, vielen Sonn- und Feiertagen deine Erholung und deine Freude gewesen sind, hast du kein Wort?" Sie haben recht, die lieben Borberge. Kann ich auch keine heroischen Taten aus chnen erzählen, so gebührt Urnen doch ein freundliches Wort des Dankes. Sie haben ohne Anterlaß dafür gesorgt, daß der Iugend-geifi in uns lebendig bleibe und zwischen den kahlen vier Wänden der Alltagsarbeit nicht vertrockne, daß Pickel und Muskeln nicht vorzeitig verrosten. Woche für Woche haben sie uns zu sich hinausgeschmeichelt, sie haben alles getan, um «ns die Zeit von der einen Hochgebirgsreise zur anderen nicht allzu lang werden zu lassen. Sie haben still gewartet, während wir dort in den Großen uns betätigten, aber kaum zurück-gekehrt, vernahmen wir schon ihre Rufe: Jetzt ich, dann ich und dann ich! And gar oft haben sie während einer Woche zu zweien und gar zu dritt auf einmal so dringend zu sich geladen, daß man schließlich wirklich Ordnung machen und sagen mußte: „Aber ich bitte, nur der Reihe nach, es kommt ja jeder daran!" Wir kamen ermüdet zu ihnen und kehrten frisch zurück, wir hatten eine Sorge und sie halfen uns, sie leichter und zuversichtlicher tragen. Sie haben, und das ist vielleicht ihr schönstes Walten gewesen, die Jugend an unsere Wege herangeführt, daß sie auf einen Wink von uns freudig milzugehen begann, und haben zum alternden Führer und Meister die Zahl der begeisterten Jünger gesellt. Sie haben uns liebevoll zu den stillverborgenen, keuschen Reizen der Natur zurückgeführt, da unser Auge vielleicht schon zu sehr auf das Gewaltige und Großartige» auf das Prunkhafte sich richtete, unser Sinn zu sehr nach dem Außer- gewöhnlichen, dem Epochemachenden zu stehen und zu wählerisch zu werden begann. Und eine derartige feine Korrektur kann von Zeit zu Zeit sehr dankenswert und so heilsam sein. Sind die großen Berge die ernst ragenden Marksteine auf dem Wege eines Bergsteigerlebens, so haben die Borberge von dem einen zum anderen heilere Brücken gebaut und sie mit Alpenblumen bekränzt, daß es nicht nur ein Weg des kühnen und hochgemuten Wettens und Wagens, von Kampf und Sieg, sondern auch ein Weg des Frohsinns und der Hellen und lauteren Freude werde. Man hat immer und für alles Zeit auf ihnen. Nichts drängt zur Eile. Dankbar verweilt man da und dort. Man freut sich jeder Blume, ruht an jeder Quelle. Bilder prägen sich im Herzen ein, die nie wieder vergehen. Die weißen und zartviolelten Krokushalden des Frühlings, die goldenen Lärchen des späten Herbstes! Man hat ihre Gipfel nicht mit dem Zubel des Eroberers betreten, man sitzt oben und schaut hinaus ins Weite und still in sich hinein. Es sind Berge fürs Ausruhen nach den Plackereien einer Woche, Berge für gesammelte Betrachtung. Nicht ohne Rührung blicke ich auf sie. Sie erstrahlen nicht im blendenden Licht des eis- und schneeschimmernden Hochgebirgs. Man bedarf keiner grauen oder gelben Brille, auch im Winker nicht. So hell und farbig sie sind, scheint es mir fast, als ruhe der Glanz eines milden und doch so feierlichen Kerzenlichtes über ihnen, wie sie aus dem großen Weltensaal freundlich herübergrüßen und leise flüstern: Weißt du noch? Unschätzbar sind sie für uns im Winker. Sie erhalten unseren Körper geschmeidig und ausdauernd, bewahren uns die Technik im steilen Schnee. Landschaftlich wachsen sie ins Große und auch ihr Selbst-bewußtsein wächst. Da hat die Golica der Karawanken einen weißen Schneemantel um sich geworfen, an dem nicht ein dunkles Flecklein haftet. „Schau her," sagt sie, „scheine ich nicht fast der Mont Blanc?" Der četna Prst der Borjulischen hat gewaltige Schneewächten über seinen Kamm gehäuft und vor dem Gipfel einen richtigen Schneesattel angelegt, darüber er einige Platten seines Dachfirstes schneefrei und dunkel drohen läßt. „Ärger kann es an Elliots MängelL) doch auch nicht sein!" so denkt er stolz und schaut grimmig drein. Der Peräiuc, der so ein Rübezahlberg ist, hat sich im Schnee vergraben und seine Wälder ächzen unter den schweren weißen Lasten. Die Karsttrichter im Walde und die Fallgruben an seinen Sleilflanken hat er tückisch mit lockerem Schnee verhüllt, und da lauert er und rechnet: „Wenn sie mich versuchen, so fallen sie sicherlich hinein. Da werde ich lachen!" Und wir *) Am Schreckhorn. Kommen und versuchen. Hart an den Rand der Fallen sind wir geraten, hineingefallen aber nicht. Da sinnt er auf Rache und spinnt anderen Schabernack. Oft gelingt es. And da spielen wir Hochtour im Winter. Bon den Gipfeln blicken wir ehrfürchtig hinüber zur winterlichen Pracht des Jütischen Hochgebirgs, wo König Triglav thront. Aber manchmal meinen wir es gar nicht so ernst und geben uns gutmütig auf halbem Wege zufrieden oder auch besiegt. Wenn der Schnee uns doch zu schlecht oder zu mühsam wird, wenn irgend eine Heuhütte mit meterhoher Schneehaube uns zum Eintreten oder zu lustigen Abfahrübungen über ihr Dach geladen hat, oder ein prachtvolles Lagerfeuer uns aufhält, das sich kreisrund und metertief in den Schneeboden frißt. Da muß man doch zuschauen, wie tief denn das am Ende noch gehen wird, Holz wird herangefahren, hoch flammt es auf und knistert so fröhlich. Dann finden die Jungen einen Schlitten und sausen zu Tal wie eine stäubende kleine Lawine, beratschlagen unten und kommen mit gleißnerischen Mienen wieder heraus, dich zur Talfahrt zu laden. Die zarte Aufmerksamkeit freut dich, und an einer vereinbarten Stelle wirst du meuchlings in den Schnee gesetzt, daß du lange suchen mußt, was das rechte Bein ist und was das linke! Unter Lachen und Scherzen ist der Wintertag verflogen, der Abschied tut nicht weh, denn bald ist wieder Samstagabend, und da wird die kleine Lichterschar unserer Laternen wieder in steilen Kehren die verschneiten Wälder hinaufschwanken, einem kurzen, frohen Wintertag auf den Höhen entgegen. Es kommt auch vor, daß ich allein gehe. Ich rate anderen nie dazu, denn man kann bösen Zufälligkeiten preisgegeben sein, aber in diesen Borbergen habe ich es selbst oft getan, auch im Winter. Dann entsteige ich dem Rachlzug in Podbrdo, in Wocheiner Feistrih oder in Aßling, ein bereitstehender Schlitten führt mich in rascher Fahrt durch die nächtige Winterlandschaft an den Fuß der Berge. Die schneidende Kälte hat mich geweckt, aber wachend fährt man durch einen Winter-traum. Schlafende, im Schnee begrabene Dörfer, hier und dort ein erleuchtetes Fenster. Der gefrorene Schnee knirscht unter den Füßen, im kleinen Lichtkreis der Laterne wandelt man langsam bergan. An den Kehren, an den Bergecken steht man und lauscht in die wundervolle Stille. Wie die Welt schläft. Wie einsam es ist. Die Täler schimmern in der Tiefe, die Nebel kreisen, die Schneebäume glitzern. Sie schütteln sich und der Schneestaub rieselt und wirbelt herab. Das sieht aus wie ein Funkenregen. Phantastische Schatten huschen über den Weg. Dort steht ein weißes Ungetüm und man meint, es wolle den Weg versperren, drüben ein dunkler Stein oder ein Baumstrunk, als harre jemand am Wege. Die Sterne ziehen. Wenn der Winterlag anbricht, hak man ja eigentlich nichts erlebt, doch wie Vieles, Träumerisches, Geheimes, Spukhaftes gesehen, wovon der Schläfer im Tale nie etwas wissen wird. Aber nichts, nichts in aller Welt kommt -er Schönheit gleich, die Gottes Gnade über die Vorberge schüttet, wenn der Frühling an ihnen emporzusteigen beginnt. Wenn der dunkle Wiesenboden unter dem Waldfaum, von der Schneedecke befreit, so ausgeruht, so lebenswarm und zu allen Wundertaten gerüstet, aufatmend in den Tag schaut. Wenn die Drosseln im Walde singen, die duftenden Aurikeln an allen Wänden hängen. Wie war das nur? Das letzte Mal lagen doch die langwallenden Winkerschleier über den Buchenhängen bis tief zu Tal, regungslos, Kalk und silbergrau. And heute regt sich dort etwas. Bei Gott, ein Lächeln wird es! Das himmlische Lächeln eines seligen Beginnens. Der liebe Frühling entzündet seine Hellen Lichter. Schon grünt das Tal, und ein lichtgrüner Schimmer steigt von ihm höher und höher den Berghang hinauf. Eine duftige Welle schwebt langsam und zögernd vor ihm her. 3n der Keine Farbe herrscht, die noch nicht grün sein Kann, die nicht braungrün ist und doch nicht braun allein. Deren fein und nebelhaft ineinander verschwimmende Töne das Auge Kaum zu erfasien vermag, die nur das erwartungsvolle Herz so recht versteht. Es ist die unbeschreiblich zarte Stimmung leisen Frühlingsahnens und süßen, täglich wachsenden Höffens. And Kommt man eines Sonntags aller Sonntage wieder, so prangt der Buchenwald im schönsten Glanz und in der festlichsten Farbe dieser schönen, festlichen Erde. Da ist es so, daß man gar nicht mehr lachen und gar nichts sagen Kann. Ergriffen und wie traumbeglückk steht man da und schaut: Die Hänge stehen im Maiengrün und alle Berge im bräutlichen Schmuck. Das ist ein Hochzeitsjubel! Dann geh' mit mir und lasse dich führen. 3n den Borbergen der Wochein möchte ich dir diese Herrlichkeit zeigen! Četna Prst (1844 m) Einige dieser Borberge habe ich schon genannt. Der četno Prst ist wohl der Vornehmste, denn er hat, besonders im Winker, so etwas Hochalpines an sich. Steil der Weg zum Hängedorf Trtnik, steil die Wälder, steil die tiefen Gräben, steil die grünen Bergwiesen der Podbrdoseite. Felsen, ein weites Kar, dann wieder Wälder gegen die Wochein. 3m Winter steiler Schnee diesseits, hohe Mächten am Kamm, ein sehr jähes Schneedach über Abbrüchen jenseits, das ich absteigend nicht gerne allein und mit Kameraden nur dann begehe, wenn sie aus Schneehängen geübt sind. Zwei kürzere Abstiegswege ins Nordkar sind so steil, daß ich dort im Winter mit zum Berg gewendetem Gesicht absteige. Noch etwas macht uns den Lerna Prst so lieb, sein herrlicher Blumenschmuck. Er ist ein alpiner botanischer Garten. Die Regionen sind fein eingekeilt, die Standorte schöner und auch seltener Arten liegen am Wege, und wie man von dem einen zum anderen emporschreitek, zieht die Borfreude des Wiedersehens mit. Wir überschreiten den Berg gewöhnlich von Podbrdo in die Wochein. Heuhütten am Wege bezeichnen die gewohnten Raststellen. Die vorletzten dieser Hütten sind uns besonders lieb, ob der vielen fröhlichen Frühstücksrasten, die wir da abgehalten haben. Kurz vorher, noch im steilen Waldhang oder vor ihnen stehend, bewundern wir den Aufgang der Sonne. Bon hier glaube ich auch die ausgehende Sonne „tanzen" gesehen zu haben, wie es Aanrud in „Sölve Solfeng" so lieb erzählt. Anker uns gesagt, wirklich getanzt wird sie wohl schwerlich haben. Ich war jedes Mal allein und mein Auge mag auch schlaftrunken oder geblendet gewesen sein. Aber nehmen lasse ich mir es nicht: einige „Hupfer" habe ich deutlich gesehen. Etwas höher oben nicken im Frühling von Rasenstufen aus weißumränderten Blattrosetten die gelben, mehlbestäubten Aurikeln, später marschieren dort trotzig und helmbewehrt der gelbe und der tiefviolette Eisenhuk als Ehrenwache auf. Denn da thront auf lichten BalKonen farbenglühend die schöne Bergkönigin Alpenrose und lächelt weithin. „Almenrausch, Almenrausch, Blühst so schön rot!"2) Rings drängt sich die bunte Menge. Die schaulustigen Alpendryaden) sind wie immer und überall da mit chrem feinen Silberblick. Weiß in grau die würzigen Achilleen, bescheiden in Ritzen Gelbveilchen und Blauveilchen, dann protzige, rasch emporgekommene Schirmblütler, die sich schrecklich breitmachen, so daß sie den Kleinen alle Aussicht nehmen. Dunkelviolette Glockenblumen hängen in ganzen Büscheln an den Blöcken. Die schwingen auf und schwingen ab, daß man chr feines Geläute wirklich hören muß. Der Germer, der sich so ärgert, wenn er keinen Blütenschaft treiben kann und als steife Blattpflanze stecken bleibt, denn da spotten alle Gassenblumen, Mundklee und die kurzsichtige BrillenschoteZ, die um so mehr und um so größere Brillen trägt, 2) Es sind die Schlutzverse eines schönen Kärntnerliedes. Dazu gehören anch die folgenden Verse. Sie beenden je eine der drei traurigsntzen Strophen. s) Dryas octopetala. *) Biscutella laevigata. je weniger Blükenaugen sie hak. Auch die noblen Geschlechter derer von und zu Steinbrech blicken von den Söllern und Türmchen ihrer hohen Adelssihe und Felsenschlößlein aufmerksam und neugierig herüber. Da sind darunter so alte und vornehme, daß sie schon Kalkschüppchen aus den Blattrosetten haben! Möchtest du nicht dieses reizende Blumen-gärtlein sehen, durch das unser Weg in steilen Windungen emporzieht? Bald darüber beginnen die geschlossenen Aasenhänge, in deren Mitte eine grüne Rinne herabzieht. Dort steht im August der purpurfarbene Enzians. Aber am anmutigsten ist die steile Flucht dieser Bergwiesen im Frühsommer, wenn die blau blühenden Gentianen sich erschlosten haben, strahlend blau der Frühlingsenzian, daneben mit schwerer, tief-gebauter Glocke dunkelfarbig der stengelloseb), das blaue Wunder der Höhen. „Enzian, Enzian, Blühst so schön blau!" Am steilen Rücken, der uns zur Rechten begleitet, blüht das Edelweiß. Mit seinen Sternen waren, als ich vor bald fünfzig Jahren zum ersten Mal auf den četno Prst kam, seine Sonnenhänge nur so übersät. Aber vom bösen Touristenstrom ist es dort ausgerottet worden^). Es hat sich auf einige wenige, abseits liegende Stellen zurückgezogen. Da lebt es noch und bangt um sein Dasein. An den Südhängen des nahen Hochvogels und der Rodica wächst es noch in Mengen. Schonet es! Laßt den Bergen, so ihr sie liebt, diesen edelsten Schmuck! Was soll es welk an euren Hüten? Es steht euch ja nicht gut. Blickt in den Spiegel und betrachtet euer jammervolles Stadtgesicht. Ihr prunkt nicht damit, es klagt euch nur an vor allen Bergen als rohe Beutemacher und Plünderer. Laßt es, das Symbol der ewigen Reinheit der Berge, in seiner samtenen Schönheit auf dem feinen Aasenband in den Felsen seiner Heimat. „Edelweiß. Edelweiß, Blühst so schön weiß!" Schon ist ein Sattel erreicht. Da bleiben wir jedesmal ehrerbietig stehen, denn über dem Wocheiner Tal und See ist plötzlich der Triglav *) Gentiana purpurea. 6) Gentiana acaulis. 7) Auch eine andere Seltenheit des četno Prst hal dieses gleiche Schicksal erfahren, das Eryngium alpinum, die schöne, stahlblaue Männertreu der Alpen, mit dem hohen Tormknopf und der feinen, altmodischen Spitzenkrause. Das erste Mal stand an einer bestimmten Stelle der Wocheinerseile, mit Schirmblüllern und Alpendost untermischt, ein kleines Wäldchen davon. Heule ist es kaum mehr zu finden. Da ist die lilarole Schwarzwurzel» die Scorzonera rosea, schon schwerer auszurollen. Schau nur zu, ob du die Wurzel herauskriegst! erschienen mik allen weißen Gipfeln seiner Felsenmeere. Dann gehen wir über den Rasenkamm hinauf zum nahen Standork des silberhaarigen Storchschnabels8). In der Mulde unmikkelbar am höchsten Giebel hak er sich seinen Hochsitz gewählt. Unscheinbar und niederliegend das Kraul, zark lila die schöne, groß geöffnete Blüte. So ist auf Blumenwegen der Gipfel des četno Prst erreicht, und da verweilen wir nun Stunde um Stunde. Der eine kocht und schmort, der andere schläft, ein dritter sitzt still und spinnt Traumfäden aus längst vergangenen Zeiten herüber in den freundlichen Sonnenglanz der Gegenwart. Sei gegrüßt, Gipfel des Černa Prst! In schweren Zeiten haben wir oft deiner gedacht. Will's Gott, so werden wir auf dir wieder lachen und scherzen, kochen und schmoren, liegen und schlafen, und zusehen, wie weit wir unsere Fäden noch forkspinnen können in eine Zukunft, die uns gnädig sein möge! Golica (1853 m) Aie Golica ist ein schöner, breiter Grasberg in den Karawanken. Auf einer Borkuppe knapp an der Waldgrenze der Krainer Seite trägt sie eine Alpenvereinshütte, auf dem Gipfel eine zweite slovenische. Auch da bin ich sehr oft gewesen, und in den letzten Jahren ist es bei mir Sitte geworden, sie am Fronleichnamstag zu besuchen. Warum, das will ich gleich erzählen. Als ich es das erste Mal tat und von Heiligengeist des Berges ansichtig wurde, da staunte ich. Trotz des schönen, warmen Frühsommerwetters schien Neuschnee oben zu liegen, denn die grünen Hänge waren ganz überzuckert. Als ich höher kam, klärte sich das Rätsel. Scharen weißer Narzisien überdeckten alle Bergwiesen, Rarziffen von solcher Schönheit und in solchen Mengen, wie ich noch nie und nirgends eine Blume so reich hatte vorherrschen gesehen. Narzissen ohne Ende, Narzissen überall. Das sah fein aus, das frühlingfrische Grün und darüber all die auf hohen, schlanken Stielen schwankende und nickende, berauschend duftende, unschuldweiße Blütenherrlich-keit. So stieg ich einen wahrhaften Rarzisienberg hinan. Als ich oben saß, da lag nach Süden das Land Krain in ruhiger Feiertagsandacht und stiller, gottesfürchtiger Einkehr da, und man sah tief unten auf Frühsommerwegen die Frommen in lautlosen Scharen zur Kirche wallen. Das Land Kärnten aber im Norden, das sang und jubilierte, das böllerte und rumorte, musizierte und juchheite, als tanzte dort alles Bolk mit allen den lieben Heiligen um die Wette. Alle Lüfte waren von Klängen 8) Geranium argenteum. erfüllt, und jedes kleinste, heimlich liegende Dörflein erhob im Zubel-chor seine Stimme. Es war, als spanne sich bis in weite Fernen ein feines, unsichtbares Netz von leise und festlich erklingenden Sailen von Berg zu Berg über all die gesegneten Täler, und frohe Kärntnerbotschaft, Kärntnerlied und Kärntnerfreud dringe bis herauf. Und ich kam durch die weißen Narzissengärten zum Gipfel der Golica von Fronleichnam zu Fronleichnam, von Jahr zu Jahr, wie in frommer Wallfahrt zu einem blühenden Altar, von dem ich andächtiger Erinnerungen voll ins Land meiner Bäter horchte und schaute. O du liebes Kärntnerland! Nennt man dich, so steigen harzduflend deine Fichtenwälder auf, und golden leuchten die Arnikawiefen deiner Höhen. Deine blauen Seen wiegen sich in schimmernden Becken, deine hellen Flüsse eilen und wandern. Hoch ragen Burgen und Schlöffer. Bom Eise der Tauern zur Mauer der Karawanken stehen deine Berge in funkelnden Reihen. Deine Almen klingen und jauchzen, heimatsüß ertönen deine Lieder. Ein frohes Wehen zieht durch die Lüfte und in mir läuten alle Glocken! Persiuc (1761 m) Aöre ich den Namen Persiuc nennen, fo regt sich der Entdeckerfiolz in mir. Nicht etwa, daß er vorher nicht an der gleichen Stelle gestanden wäre, senkrecht über dem Wocheiner See. Gewiß, er war immer da, und Gemsjäger und Hirten sind wohl oft auf chm gewesen. Aber von uns halte noch niemand daran gedacht, daß dort ein ersteigenswerter Berg stehe, und als ich mich endlich allein aufmachle, um den Zugang zu seinem Gipfel zu suchen, da hatte meine kleine Unternehmung fast den Charakter einer Entdeckungsfahrt ins unbekannte Land»)! Ich halte nachts von Allhammer das Plateau der Bogar Poljana erstiegen und verfolgte im ersten Morgengrauen den Holzweg, der hoch über dem See an der steilen Waldlehne nach Westen führt. Ich fand niemanden, der mir hätte Aufschluß geben können. Trotz der vielen Heu- und Almhütten, die auf Bogar Poljana stehen, war der Berg wie ausgestorben, und als ich auf einem Seitenwege zur merkwürdigen quellenumrauschten Almansiedlung von Hebat kam, schien es mir, als sei es eine Gruppe leerer, längst verlaffener Pfahlbauten aus uralter Zeit. So gelangte ich, immer steilere, einsame Steige verfolgen-, an den Rand eines Urwaldes. Ich blickte durch die hohen Wipfel seiner Fichten, und da sah ich noch ferne im Westen den altersgrauen Felsen- 8) Später erfuhr ich, daß auch vom Wocheiner See ein steiler Iägerstelg hinaufführe. Zu Seite 327 Narzissenflor an der Golica Emil S[auetü(ngcnfnrt Zu Seite 324 Schneerosen Fritz Renner-Triest Kopf des Persiuc ragen. Er schien zu schlafen. Auch die Wälder schliefen, nichts regle sich, und es war mäuserlstill. Alles schien so verträumt. Die Sonnenstrahlen fielen schräg herein und versuchten, sich Wege zu bahnen. Wo sie eine kleine Lücke fanden, da huschten sie durch. Aber dann verloren sie sich in den schwarzen Gründen und gingen irre. Bald da, bald dort sah man sie aufblihen, wie sie hasteten und hüpften und suchten. Das sah manchmal aus, als rollten goldene Taler durch den Wald. Ein starker, herzerquickender Harzgeruch umgab mich, und aller Zauber, alle Poesie des unberührten Hochwaldes sprach zu mir. Ohne anzufieigen zog er weit dahin, aber sein Boden war so zerklüftet und von so vielen Trichtern, Dolmen, Mulden und kleinen Tälern verwirrt, daß ich sofort bemerkte, das müsse ein Irrwald sein, der leicht herein- und schwer herauslasse. Einer jener Irrwälder, von denen die frommen Mären sagen, man dürfe sie nicht betreten, ohne vorher gegen bösen Zauber und schnöde Höllenkunfi ein Kreuz geschlagen zu haben. Da setzte ich mich hin, nahm aus meinem Rucksack alles Papier» worin mein Proviant eingeschlagen war, und als ich ohne Weg vorzudringen begann, heftete ich mit klugem Bedacht meine papierenen Zeichen an alle Bäume, die mir richtunggebend schienen. Ja, schlau muh man sein! So kam ich an den Felsenkopf, wich den zu steilen Stellen nach rechts hin aus, blickte dabei in böse schwarze Schlünde und unheimliche Teufelstrichter, deren Grund noch Schnee erfüllte, und erreichte endlich über einen karstigen Kamm von unglaublicher Zerklüftung und durch Krummholz, das mit größter Hartnäckigkeit jeden Schritt Bodens verteidigte, den kahlen, von einer zerfallenen Trigonometerpyramide bezeichneten Gipfel. Irrwald und Teufelstrichter waren bald vergessen, denn Debeli Brh und Triglav standen nahe und so groß im Norden, daß alle Aufmerksamkeit an ihren gewaltigen Felsendomen hing. Dann fesselte mich stundenlang der Wocheiner See10). Lange konnte ich chn nicht sehen. Es lagen die Morgennebel über chm, ruhig, kalt und schwer. Sie erfüllten den ganzen ungeheuren Abgrund, in dem er liegt. Dann begann die Sonne stärker zu wirken, und es kam Bewegung in die graue Schichte. Erst sandte sie feierliche Rauchsäulen und Nebelballen herauf, die riesengroß emporwuchsen, dünner wurden, pfeilschnell zur Höhe vorüberflogen und gleich darauf spurlos verschwunden waren. Aber schon krochen andere nach, und schließlich sah es aus wie ein wild aufgepeitschtes Nebelmeer, in dem sich erschreckende, bodenlose Schächte öffneten, die 10) Man muh. um ihn gut zu übersehen, etwas südlich vom Gipfel abfieigen. in einen Abgrund der Unendlichkeit abzustürzen schienen. Dann glaubte ich durch das wilde Treiben allmählich einen bleidunklen, glanzlosen Boden zu erkennen, der immer deutlicher zu Tage trat und die wohlbekannten Umrifle des Wocheiner Sees anzunehmen begann. Schon fluteten starke Lichtströme hinab, was noch an Nebeln über den Tiefen lag, wurde leuchtend weih und zerflatterte wie auf ein gebieterisches Machtwort, das keinen Widerspruch kennt, innerhalb weniger Minuten. Immer schöner, immer farbiger erglänzte es unten. Helles Buchenlaub, dunkles Nadelgrün, freundliche Waldwiesen, leuchtender Kies, weihe Häuser und Kirchlein am Gestade. Der See erschien einen Augenblick dunkelblau, dann hüllte er sich in einen ernsten metallischen Schimmer und vertiefte noch mehr die Farbe seiner Mitte, ward dunkelkupfer-grün, an den Rändern von jener unbeschreiblich zarten, kristallenen, durchsichtig lichtgrün schillernden Nixenfarbe, die den Savicawasiern eigen ist, die man nie mehr vergehen kann, hat man einmal tief in sie geschaut. So lag er da, der Wocheiner See, und erzählte seine ernsten Geschichten! Die Nachmittagssonne neigte sich schon tief, als ich mich zum Abstieg entschloh. Ich bemühte mich, genau in der Anfiiegslinie hinabzugehen» und fand mich auch anfangs zurecht. Aber im Walde verlor ich alle Spur und meine Papierfahnen waren verschwunden. Ich Halle sie doch hingetan! Die muhte rein Rübezahl heimlich weggenommen haben. Da suchte und irrte ich! Schon sank die Sonne. Fand ich den Beginn der Steige nicht bald, so muhte ich mit einem einsamen Biwak im Walde rechnen. So lief ich, was ich Atem hatte, ersah schliehlich eine kleine Höhe, die Ausblick versprach, und rannte hinauf. Als ich ganz atemlos oben angekommen war, schrak ich schön zusammen, über mir hatte es so fremdartig gerauscht und geraschelt! Ich blickte auf: es war ein halber Bogen der „Neuen Freien Preste" in den Zweigen, mein erstes gelegtes Zeichen! Der Steig war ganz nahe, ich lief ihn hinab, nicht ohne mich einige Male umzuschauen, ob mir nicht einer Nachkomme! Nicht lange darauf führte ich meine Jugend dahin. Giusto war ganz entzückt. „Immer findet er etwas Neues, der Herr Doktor!" Wir halten keine Zeichen gelegt und blieben sehr lange oben. Das Spiel der Nebel interessierte uns sehr, aber plötzlich entdeckten wir, dah sie gestiegen waren und den ganzen Wald überflutet hatten. Da wurde es uns unheimlich zu Mute und wir stiegen eilends ab. Im Walde haben wir uns sofort vergangen. Der Nebel war so dicht, dah wir auch über den Stand der Sonne im Zweifel waren. Einen Kompaß hatten wir nicht mit. Man sah kaum die nächsten Bäume. Ich sandte Dovgan auf Rufweite nach der einen, Giusto nach der anderen Richtung und blieb selbst auf einem Feldherrnhügel zurück, überlegend und gleich berühmten Mustern auf Erleuchtung hoffend. Dann dauerte es mir zu lange, und ich machte mich gleichfalls auf die Suche. Da kam eine Gestalt geräuschlos auf mich zu, die im Nebel riesengroß erschien. Alle guten Geister! Es war aber nicht der rotbärtige Rübezahl, sondern Giustos glattrasiertes liebes Gesicht. Verwundert sah er mich an: „Wohin, Herr Doktor?" — „Dem Waldausgang zu." — „Sie gehen dem Persiuc zu, Herr Doktor!" — „Nein, auf den gehen Sie zu!" Ich glaube doch, daß er damals recht hatte. Wir riefen Dovgan herbei, lachten uns ob unserer dummen Nebelgesichter gegenseitig aus und machten eine lange Nebelrast. „Zu dritt biwakiert es sich leichter", kalkulierte ich schon ergeben. Aber gegen Abend wurden die Nebel dünner, und wir konnten den Stand der Sonne tief im Westen deutlicher erkennen. Damit behalfen wir uns und fanden glücklich vor Dämmerung das Ausgangstor. Der Persiuc hat mich immer wieder zu sich gezogen. Es war manchmal noch ganz finster, wenn ich die Hütten auf Bogar Poljana erreichte. Ich löschte die Laterne und saß und wartete. Da gibt es was zu hören! Durch die Stille der Nacht singen und musizieren in den Wocheiner Tälern die aus chren Felsenfesseln befreiten Triglavwasser. Es pochen und donnern die Savicafälle, es braust chr zum See wild hervorsiürmen-der Schwall, es gurgeln und ziehen die Wocheiner Flüste, Mostnica, Ribnica und Save. Und von den schwarzen Profilen der Plateau-ränder weht es herüber wie leiser Harfenklang. Es sind die aus der Heimlichkeit ihrer Wege aufspringenden Bergquellen, die dort so zauberhaft murmeln und rauschen. O du, der du um so vieles jünger bist als ich, steige hinauf zu diesen ernsten Bergrändern der Wochein, entzünde oben deine Lagerfeuer und horche hinab in die Abgründe. Dann denke an mich, der ich es dir gesagt habe, dessen Seele noch in mancher Nacht dort oben weilt und lauscht. Es ist eine Nachtmusik von ergreifender Größe und Herrlichkeit. Als steige aus den feierlich geöffneten nächtigen Tiefen der Wochein» von gedämpften, fernen Paukenwirbeln getragen, von wundersamen Harfenklängen umrauscht, ein dunkler Choral empor zu den zitternden Sternen. Niemand wird sich mehr in den Wäldern des Persiuc vergehen. Jenen alten, über Urwäldern thronenden, in dunkler Einsamkeit träumenden, zu bösen Streichen und Tücken geneigten Persiuc wird niemand mehr finden. Scharen von Holzknechten sind dort eingedrungen, haben Steige und Hütten gebaut und die herrlichen Baumriesen gefällt. Wie vielen der mächtigen Stämme bin ich auf ihrer letzten Fahrt zur Sage in Althammer begegnet. Rübezahl ist fortgezogen. Der Schall der Holzäxte, das Krachen der stürzenden Bävme haben ihn schon lange vertrieben. Vielleicht weih ich, wohin er gegangen ist. Aber sagen würde ich es nimmer. Ich will ihm seinen Maldesfrieden und seine grimmen Scherze nicht stören. Heute ist dort oben ein düsteres Karstplakeau, felsig und grau, auf dem ein dünner Rest spärlichen Jungholzes vom Ruhme feiner Niesen-väter, von einstiger Waldesgröhe und von vergangener, finsterer Urherrlichkeit erzählt. Manchmal hatten wir auf unseren Sonntagsfahrten einen herzenslieben Freund mit, der jede kleine Rast zu einem Schläfchen benützte. Flugs lag er da und schlief. Das war etwas für meine Jugend. In allen Lagen wurde er da photographiert, und während der Woche bekam er zu seinem Erstaunen die lustigsten Bilder von unbekannter Hand zugeschickt. Einmal, auf Uskovnica Planina, liehen wir ihn weiterschlafen und versteckten uns in der Nähe. Die Sennerin weckte ihn nach einiger Zeit und teilte ihm mit, wir seien längst zu Tal gestiegen. Da fuhr er auf und lief, uns einzuholen. Aber er nahm die entgegengesetzte Richtung und war bald triglavwärts unseren Blicken entschwunden. Mir bogen uns lange vor Lachen, als ihn aber die Jugend wieder einfangen sollte, da bekam sie ihre Strafe. Sie muhte schön rennen, so eifrig war er in unserer „Verfolgung", und wir versäumten fast den Zug. Manchmal war es ein richtiger Berg, der uns anzog, dann wieder eine Kote, oft nur eine Alm. Das eine Mal zogen wir aus, um von einem Kleinen die noch unbekannte Seite eines Großen zu studieren. Da war es eine Borfiaffel. Dann suchten wir wieder einen Aussichtspunkt auf, um noch einmal die Stellen zu schauen, an denen wir um einen Erfolg gerungen hatten. Es riefen Erinnerung und Nachfeierfreude. Nie waren wir in Berlegenheit, wie einen Sonn- oder Feiertag auszunühen. Sehr gefiel uns eine kleine scharfe Spitze, die über Uskovnica Planina südlich des Drarkizuges steht. Die Karte nennt sie Ra Brhu und verzeichnet sie mit 2004 Meter. Bei den Einwohnern heißt sie auch Lom. Das letzte Stück ist so steil, dah man sich auf einem Hochgipfel meint. Die Konjsica Planina zu ihren Füßen ist voll bunter Alpenblumen, nach Westen zu liegt die geheimnisvolle Stelle Ziperie, die Meister Hacquet als einen der Standorte der Scabiosa Trenta genannt hat und die ich so lange Jahre bei den Eingeborenen nicht hatte erfragen können. Auch der Brsevnik (2050 m) gegenüber, ein schöner Borgipfel des Mali-DraLki-Brh mit einem zackigen Ber- bindungsgrat zu diesem und smaragdgrünen Edelweißhängen nach Süden zu, war ein schönes Ziel. Der Debela Pec war für einen Tag jedes Mal zu entlegen. Von den walddunklen Höhen um Merzli Studenec haben wir oft hinübergeblickt, einmal brachte uns eine Gratwanderung von Südwefien her über den Lipanski Brh (1960 m) bis nahe an seinen groß vorgewölbten Gipfel (2007 m). Zu den für eine Tagestour fast zu entfernten Wocheiner Bergen gehörten Sija (1886 m) und Bohu (1923 m) oberhalb der Suha Planina und der schneidige Große Kuk (2086 m) über der Alpe Govnjac. über diesen Touren lag ein ganz eigentümlicher Reiz. Sie führten schon knapp an das Sagenreich der Scabiosa Trenta heran, und eine dunkle, weiche, fast wehmütige Komna-Slimmung legte sich über unser Herz. Die dämmernden Hochwälder, durch die wir emporstiegen, die ernsten Muldentäler in der Höhe, die breiten grauen Felsenhäupter darüber sprachen eine besondere Sprache, in der alle, versunkene Zeilen nachklangen. Nicht nur mir, unbewußt auch meiner Jugend. Oft führten mich noch bescheidenere Wünsche zu den südöstlichen Triglavalmen. Durch die Fichtenwälder ob Koprivnik und Podjele nach Merzli Studenec, von Mitterdorf nach Rudno Polje, zu den Askovnica-, den Praprotnica-Almen, zur Konjska Planina. Alles nur wenige Kilometer östlich der „Felsenmeere" gelegen, nur durch die eigentümliche tiefe Spalte des Tales von Boje, des offenen Torweges zum Triglav, von jenen Bildern der Zerstörung getrennt. Da habe ich die schönsten und relativ reichsten Almen der Inlischen Alpen genannt. Blickt man auf die Karle 1:50.000, so kann man auf ihnen wandeln: weite, grüne Plane, von der Einzeichnung der vielen Almhäuschen und Sennhütten schwarz gesprenkelt. Aber auch über ihnen liegt nicht die herzerquickende Heiterkeit der kärntnerischen Alm. Sie haben alle chren seltsam schwermütigen Zug. Die rauhe Poesie des Triglav schwebt über allem Gelände. Hochwälder in Süd und Südost, weiße Bergwälle nach Nordwest. Steinmauern, welche die Almenwiesen einrahmen, erinnern an den nahen Karst. Die Schmelzwasser suchen und finden auch hier ihre verborgenen unterirdischen Wege, doch schon sind die Bach- und die kurzen Flußläufe deutlicher ausgeprägt und übersichtlicher geordnet. Kostbare Zulierquellen sprudeln auf, wenn auch nicht häufig. Wie andächtig ruht man da. An jeder, und sei es der geringsten, steht, dem Auge unsichtbar, doch im tief eingestimmten, dankbaren Herzen erschaut, eine ganz kleine Gnadenkapelle. Wie an einem gotlgesegneten Ort. Für mich sind es Stätten der Beschaulichkeit und der Sammlung nach langer Lebensfahrt durch die Zulier. Folge meinen Erzählungen und Wegen und du wirst mich schon verstehen. Und soll ich euch nun den Schluß aller Wocheiner Touren erzählen? Da sitzen wir noch über dem Tal. Es ist letzte Rast. Roch eine Stunde und das Lied ist aus. Alle denken das gleiche, keiner entschließt sich, es zu sagen. Kein Scherz mehr, die Gespräche sind ins Stocken geraten. Eine erwartungsvolle Stille» eine gewisse Bangigkeit liegt über der Gesellschaft. Jeder fürchtet, das ersehnte, erlösende Wort werde vielleicht diesmal überhaupt nicht fallen. Jeder heuchelt Ruhe und ist voll innerer Unrast, alles harrt gespannt. Verstohlen blickt die Jugend auf mich. Denn endlich muß ich es aussprechen. Ich bin der Führende, der Älteste, der Angesehenste, an mich wird sich die üble Nachrede doch nicht wagen. Jeder weiß es: wir sind ernste, ideal gesinnte Bergsteiger. Schlemmer waren wir nie. Ich sage das Wort und alles fährt auf. Die Rucksäcke fliegen um die Schultern. Hei, wie das hinabgeht! Scherzworte fliegen, alle Zungen sind gelöst. Hinab, hinab zu den Forellen von Sankt Johann. Denn dort sind sie. Wir sitzen und erwarten sie, andächtig und stumm. Drüben schimmert der See, das weite, große, lebendig pulsierende Herz der Wochein. Sie kommen, die Savicageborenen, fein blau, leicht aufgesprungen, lieblich gereiht. Selbst schillernde Wunder der Wocheiner Wasser, erzählen sie uns von den in kristallenen Tiefen verborgen wallenden Mysterien jener Wunderwelt. Denn sie haben so manches gesehen, was uns unergründliches Geheimnis blieb, und wiffen gar vieles! Den Plauris (1959 m) und die Lavera (1907 m) oberhalb Resiutta habe ich wiederholt erstiegen. Jenen einmal nach einem Biwak im Krummholz hoch über dem Rio Resartico. In der langen Kette der Monti Musi, die, von Norden gesehen, wie aus schwerem Blei gegoffen zu sein scheint, währen- sie an der Südseite in ganz steilen, brüchigen Wänden niedergeht, haben Bolaffio und ich die erste touristische Ersteigung -es höchsten Gipfels (1872 m) durchgeführt und daran eine reizende lange Kammwanderung nach Osten hin fast bis zum Gipfel des Tazajauron geknüpft. Einige Wünsche habe ich dort zurückgelassen, so an den Cime di Campo und in den Bergen um Accea. Etwas zu sehr vernachlässigt habe ich den Krn. Dagegen erstieg ich, von der botanisch sehr interessanten Alpe Duple aus, den Smogar und, gegen Osten zu, die edelweißreichen Kuppen des Kaluder und der Lavsevica (2003 m). Die Reihe unserer Borberge ist noch nicht erschöpft: Da ist der stolze Mitlagskogel der Karawanken (2144 m) mit dem hohen Grat, der von der Golica") über Rorica, Baba und Greben") zu ihm hinüberführt. n) Kahlkogel. 12) Rosen-, Frauen-, Hühnerkogel. den tiefen Gräben der Belca und der Mlinca an seinen südlichen und östlichen Hängen, der freundlichen Berlhahütle und den Wäldern in den nördlichen Gründen, durch die man wie im gedämpften Dämmerlicht hoher Kirchenschiffe wandelt. Der breite, grüne, in langen Wellen verlaufende Rücken des Kolowrak mit dem Kuk gegen Luico hin, von dem ich zur Napoleonsnase des Krn und zu den furchtbaren Kaminreihen an der Südwefikante des Montasch über der Forca bei Disteis geblickt habe. Die grüne Kuppe des PoreLen (1632 m) mit seiner Gipfelhütte und -er ruhigen Schau in die entlegenen krainischen Täler des Ostens. Mosic (1602 m) und Zlatnik (1598 m) über dem Bacasattel^) und die steile Kobilja Glava (1475 m), die, so wiesengrün sie ist, mit Steigeisen betreten sein will. Mit den breiten Giebeln des Tarnowanerwaldes, dem Laven (1308 m), und mit dem Nanos (1299 m) des Hochkarstes nähert sie sich dann, niederer streichen-, dem Meere, von dem ich einstens voll Wanderlust und Bergsehnsucht ausgezogen bin, und führt mich mit Slavnik (1028 m) und Monte Maggiore (1396 m) zurück in seinen blauen Heimalglanz. Und da scheint es mir fast, als sei alles, alles, von der Ausfahrt bis zur Heimkehr, ein Traum von himmlischer Schönheit gewesen. Als sei ich „ein ganzes blühendes Leben in lauter Schönheit gegangen." Damals wehte der berauschende Duft des Bergfrühlings, heute ist Winter. Damals war mein Haar dunkel, jetzt ist es weiß. Ihr werdet dafür sorgen, daß die Erinnerung nicht vorzeitig verblasse, ihr lieben Borberge. Wir wollen noch beisammen bleiben, nicht wahr? Euch sage ich noch nicht Lebewohl. Immer mehr treten eure großen Brüder zurück, schon stehen sie weit drüben an fernen Horizonten. Ihr stellt mir Ersah. Ihr bleibt noch bei mir, da der Tag leise sich neiget. Vielleicht schaue ich von euren milden Gipfeln noch einmal hinüber zum Purpurspiel der ausgehenden Sonne auf dem ewigen Schnee der Ferne. Auf die traumhafte Schönheit der weißen Wolkenburgen, die unbeweglich und hoheitsvoll im blauen Äther stehen. Und höre noch einmal den lenzfrischen Balzruf des Spielhahns vom sonnenflimmernden, harz-duflenden Krummholzhang und den feierlichen Orgelklang der zu Tal stürzenden Wasser. Und grüße noch einmal die frohen, grünen Almen und den dunklen, starken, rauschenden Bergwald. Gütig blickt ihr auf mich herab, da ich langsam talauswärts schreite. Zu euren farbigen Festen bin ich immer geladen. Ihr lohnt meine Liebe und Treue zu euch. Za gewiß, ihr bleibt bei mir, da die Schatten des Abends herniedersinken, ich weiß es. Und gebt mir ein freundliches Geleite. “) Das »Rindsloch". Z» Seite 335 Der Fünfte Triglavske 3of- Kuna»°e L°ib°ch Der Sechste Triglavsee Dr. Renato TimcuS Trieft Anhang Literatur-Verzeichnis 22 KugY, Aus dem Leben einer Bergsteigeir Anhang, Literatur-Verzeichnis Abkürzungen bei Literaturangaben: Z. A. V. — „Zeikschrifl" des Deutschen und österreichischen Alpenvereins. M. A. D. — „Mitteilungen" des Denlschen und österreichischen AlpenvereinS. E. G. — „Die Erschließung der Ostalpen." A. G. = „Alpi Giulie.“ R. M. = „Rivista Menslle“, Club Alpino Itallano. ö. A. Z. — „österreichische Alpenzeilung." öst. Bok. Z. = „österreichische Botanische Zellfchrist" (Dr. Alexander SKofitz). II. Verzeichnis meiner bisher erschienenen, in diesem Buche angeführken Aufsätze: „Eine Wanderung durch OberKrain: über das Škrbinajoch in das Wocheiulal, Besteigung des Cerna Prst und des Triglav." öst. Bol. Z. (Dr. Alexander SKofitz) 1876, 159 und 194. „Botanische Exkursion in die südkroalischen Berge." öst. Bol. Z. (Sr. Alexander SKofitz) 1877, 62 und 93. „Der Mangerl in den Iulischen Alpen." öst. Bot. Z. (Dr. Alexander SKofitz) 1877, 239. „Aus den Bergen der Trenta. Touristisches und Botanisches." Z. A. V. 1878, 70. „Die Jütischen Alpen, östlicher Teil. Berge der Trenta." Z. A. V. 1883, 370. „Suhi Plaz. Erste Ersteigung." M. A. V. 1880, 179. „Ein neuer Triglavweg." M. A. B. 1881, 275. „Mischer Grinlouc (2350 m Sp.-K.). Erste touristische Ersteigung." M. A. B. 1881, 306. „Marmarole (Froppa di Marmarole» 3129 m) direkt vom Dal de Wn (neuer Weg)." M. A. B. 1884, 340. „Ialouc (2655 m) von Norden direkl vom Planicalal." M. A. B. 1884, 342. „Suhi Plaz (Škrlatica, 2643 m)" M. A. B. 1884, 343. „Monle Eridola (2583 m?). Erste Ersteigung." M. A. D. 1884, 376. „Neue Touren in den Iulischen Alpen. Versuch auf den Manharl von der Planica; Travniksoch; Suhi Plaz (2643 m); Razor (2601 m); Špik (2471 m)." M. A. B. 1886, 13. „Monle Zebrü, Thurwieserschneide (Felsenweg), Orller vom Hochjoch. (Von der Mailänder Hülle aus)." M. A. V. 1886, 52. „Zwölferkofel (3085 m). Versuch eines Felsenweges vom Giralbajoch; Ersteigung durch die Eisrinne." M. A. V. 1886, 104. „Eamsmuller (zirka 2550 m). Erste Ersteigung." M. A. V. 1886, 229. „Höchste Weitzenbachspihe. Erste Ersteigung." M. A. V. 1886, 254. „Aus der Monle-Rosa-Gruppe. Eol delle Loccie (zirka 3500 m) und Bemerkungen über die Traversierung des Mont« Rosa." M. A. D. 1889, 17. 22* 339 Anhang, Literatur-Verzeichnis „Ersteigung des Razor (2601 m) direkt von der Großen Pizenca." M. A. B. 1889, 193. „Neuer Weg auf den Montasch (Bramkofel)." M. A. B. 1889, 238. „Ersteigung des Priznig (2555 m) direkt von der Großen Pitzenca über die Nordwand." M. A. B. 1890, 113. „Neue Touren ln den Iulischen Alpen." M. A. V. 1893, 290. „Die Erschließung der Ostalpen." 1894, III, „Die Iulischen Alpen", 567. „3öf del Monlasio (2755 m). Prima šalita invernale.“ A. G. 1905, 35. „31 Mont Dolenl (3823 m). Prima šalita dal ghiacclaio della Neuvaz.“ A. G. 1906, 109. -Mont Dolenl (3823 m). Prima ascenslone dal ghiacclaio d’Argentine." R. M. 1907, 261. „Der 36f del Monlasio (Bramkofel, 2755 m). Die Geschichte seiner Ersteigungen und seine erste Ersteigung aus der Seisiera." 6. A. Z. 1893, 1 und 13. „Neue Touren in den Zulischen Alpen. Ein Nachtrag zur Erschließungsgeschichte." I. Der Suhi Plaz (2643 m) direkt von Kronau über die Nordwand. II. Das große 3alouccouloir und eine Traversierung des Zalouc (2655 m) von Nord nach West. III. Die žogica (2421 m) und der Hauplkamm zwischen 3alouc und Manhart. IV. Ein neuer Abstieg vom 3üf del Monlasio (2755 m) in die Seissera. ö. A. Z. 1897, 1, 13 und 25. „Neue Touren in den 3ulischen Alpen 1897. Nachtrag zur Erschließungsgeschichte." I. Der Lengenfelder Križ (2497 m) über den Südgrat. II. Der 3üf del Monlasio (2755 m) von Dogna (Traversierung). III. Über den Ofigrat des Hohen Manhart zur Žogico (2421 m). IV. Die Velika Ponca (2280 m). S. A. Z. 1898, 81 und 93. „Kellerwan- (2775 m). Erste Ersteigung direkt aus dem oberen Valenlinkar." ö. A. Z. 1899, 205. „Eine Traversierung der Aiguille Berte (4127 m) " ö. A. Z. 1900, 113. „Bramkofel (2754 m). Erste direkte Ersteigung aus der Seisiera." ö. A. Z. 1902, 217. „Mont Dolenl (3823 m). Erste Ersteigung vom Glacier d'Argenlidre." ö. A. Z. 1907, 9. „Aiguille du Plan (3673 m).“ ü. A. Z. 1907, 10. „Nordend des Monte Rosa (4612 m). Überschreitung von Macugnaga nach Zermatt." 0. A. Z. 1907, 10. „Modeln del Monlasio (etwa 2600 m) am 1. April 1907.“ ö. A. Z. 1907, 143. „Ein neuer Weg auf den 3öf del Monlasio (2752 m)." ü. A. Z. 1908, 269. „Parrotspihe (4485 m). Traversierung von Alagna nach Zermatt." ö. A. Z. 1908, 78. „Alles und Neues vom Wischberg und vom Montasch." I. Die südlichen Spranse-scharlen. II. Die Nordanstiege des Mschbergs. Der Spranjelurm (Lima de Hs Codis, 2362 m). III. Der Nordlurm des Montasch (2673 m). Erste Ersteigung, ö. A. Z. 1911, 1 und 17. „Ein neuer Mischbergweg." S. A. Z. 1912, 7. „Die Korspihe (2335 m) aus dem Kaltwafferlal." ö. A. Z. 1913, 168. „Erinnerungen aus dem Dauphins. Der Pic Gaspard (3882 m).“ ö. A. Z. 1913, 1. „Me Kallwasser Gamsmutter (2503 m) aus dem Kallwafferlal." £>. A. Z. 1914, 1. „Zoseph Eroux f.“ ö. A. Z. 1915, 30. „Neues aus den 3"lischen Alpen." ö. A. Z. 1915, 99. Verzeichnis der Abbildungen: Tlkel des Bildes Aufnahme von Seite 3» Seite Mschberg vom Montasch aus Dr. Oscar Staffler-Triest Titelbild 105 Bildnis des Verfassers VIII—IX — Dos Kirchlein von Lind bei Arnold- A. Kretfchmann (Atelier 8—9 8 stein Luise)-Vlllach Triglav von der Senke zwischen Emil klauer- 16—17 15—16 Steiner (Stenar) und Sovakna klagensurt Manhart von der Ponca Dr. Carlo Cherflch-Triest 16—17 16—17 Frühling im Trenlalal (Gedenkkapelle für Anton Tozbar) Fritz Renner-Triest 24—25 78—79 Der Schwarzsee (Siebenter See) Zosef Kunaver-Laibach 24—25 30 D o p p e l b i t d: Sieben Seen des Triglav Der Grüne See (Zweiter See) Zoses Kunaver-Laibach 32—33 32—33 Der Sechste See Foses Kunaver-Laibach 32—33 36 Andreas Komac Antonio krammer f-Triest 40—41 42 Triglav aus dem KriLki Podi Jofef Kunaver-Laibach 48-49 47 Die Nordwand des Triglav vom Franz kroner- 48—49 50 Vralalal München Der Steiner (Stenar) vom Vratatal Franz krSner-München 56—57 50 Falouc vom Sleme B. Brinšek f-Laibach 56—57 54—55 Doppelbild: Komac-Haus mit Velika Dnina Fritz Renner-Triest 64-65 58 Somac-Mühle im Maiengrün (Trenta-tal) Fritz Renner-Triest 64—65 132 Triglav vom Wesigratanfstieg (Luknja- (Emil Klauer- scharte) Klagensurt 72 73 Doppelbild: Die brausende Soča Fritz Renner-Triest 80—81 76 Ursprung des Jfonzo Dr. Carlo Cherflch-Triest 80-81 76 Strugava špica und Zalouc von der Dr. Carlo Cherflch- 88—89 89 Ponca aus Triest Titel des Bildes Ausnahme von Seite 3« Seite Wischberggruppe vom Greulher Plateau bei Tarvis h. Rlchter-Tarvis 96—92 102 Wischberggruppe von Süden (Nach einem hochgewikter) Dr. Renato Timeus-Triest 104—105 137—138 Doppelbild: Der Spranjeturm von der Bärenlahn- Franz Kroner- 112—113 108 scharte München Die alte Wischberghütte unter der Franz Kröner- 112—113 101 Traufwand München Die Rordwestbänder am Wischberg Dr. Renato Tlmeus-Triest 112—113 109 In der Nordwand des Wischberg (Über dem zweiten Band) Joses klauer ('.Villach 120—121 115—116 wischberg und Gamsmukterzug mit den Gökkerbändern vom Steinernen Dr. Renato Timeus- 120—121 117 Jäger Triest Kaltwasser Gamsmutter von der Klein-spitze aus Josef klauer s-Villach 120-121 120 Blick vom Wischberggipfel über Kalt- wasser Gamsmutter, Korspihe und höchste Weitzenbachspihe auf Wanhart, Suhi Plaz, Jalouc und Triglav im Hintergründe — 128-129 122 wischberggipfel von den Sastrein-spitzen — 136-137 108 Ausschnitte aus dem Wischberg-Panorama — 136—132 118 kaningruppe von den Pecolalmen aus Dr. Carlo Lhersich-Triest 144—145 142 Doppelbild: Nevva der alten Zeit Alberto Zanuttl-Triest 144—145 144 Die Alpe Pecol am Südfutz des Wontasch Silvio Holzner-Trlest 160—161 159 D o p p e l b l l d: Der Presireljenik mit dem Grakfenster Silvio Holzner-Triest von der Kaninhükte 152—153 143 Der Kanin vom Prestreljenik Silvio Holzner-Triest 152—153 150—151 Wontasch als Wolkenlhron (vom Wischberg aus) Josef klauer s-Dillach 168—169 162 Doppelbild: Dr. Guido Wayer-Wlen j Blockscharke am Wontasch 176—177 177 Titel des Bildes Aufnahme von Seile Zu Seite Huda-Palica-Rinne, Jorca del Balone und Montasch von der Därenlahn-scharle Franz firöner-München 176—177 164 wolkenglorie über dem Montasch (Vom Wischberg aus) Zoses filmier s-vlllach 184—185 189 Doppelbild: Am Grat des Monte Lridola Mario Comessatti-8. A. F. 192—193 197 Die Monfalconi vom Lridola Mario Comessatti-8. A. F. 192—193 197 Kellerwand vom Mooskofel (Jtorb-absturz) fiarl Sandlner-Wien 200-201 201 Zerkannen gegen das Nordend des Monte Rosa wehrliA-G.- Zürich-fiilchberg 208—209 211 Nordwand und Ostgrak der Aiguille de Bionnassay von der Aiguille du Goüter aus gesehen Dr. Carlo Lhersich-Triest 224—225 224 Lyskamm vom Monle-Rosa-Hang (oberhalb des Lysjoches) Dr. Carlo Lhersich-Triest 232—233 232 Dent Blanche vom Matterhorngrat Dr. Carlo Lhersich. Triest 240—241 235 Doppelbild: Der Gipfelausbau des Mont Blanc vom Dome du ©outer aus gesehen Dr. Carlo Lhersich-Triest 256—257 295 Der Mont Blanc vom Mont Mlranlin Dr. Paul helbronner-Paris 256—257 217 D oppelbild: Spitze und westgrat der Grande Lasse Dr. Paul helbronner-Paris 264—265 258 Mont Pourri von der Aiguille Rouge du Pourri Dr. Paul Helbronner-Paris 264—265 259-260 Die Ostwände des Monte Rosa vom Pizzo Bianco aus gesehen wehrliA.©.- Zürich-fiilchberg 280—281 282 Lyskamm und Matterhorn (Sonnenuntergang) Blick vom Monle-Rofa-Hang (oberhalb des Lysjoches) Die Barre des ficrine von den Kornes Dr. Carlo Lherflch-Triest Dr. Paul helbronner-Paris 288—289 296—297 286 300 RLteau und Meise von der Grande Ruine Dr. Paul helbronner-Paris 304—305 302-303 Xifel bes Bildes Ausnahme von Seife 3« Seife Matthias Zurbriggen und Joseph Lroux Ago De Amlcis-Turin 312—313 279—280 Wocheinerwald Irih Reuner-Triest 320—321 331 Doppelbilb: Narzissenslor an bet Golica Emil ftlmier-Slagensorl 328—329 327 Schneerosen Irih Renner-Triesf 328—329 324 Doppelbilb: Der Jfinffe Xtigfaofce Joses Sunaver-Laibach 336—337 335 Der Sechsfe Triglav see Dr. Renalo Xirneus-Triesf 336-337 335 Bergverlag Rudolf Mother München Der alpine und Wintersport-Verlag Deutsche Alpenzeitung Monatlich ein Kunstheft Preis vierteljährlich 3 Mark * inter DaS amtliche Blatt der großen deutschen und österreichischen Wintersportverbände Im Winterhalbjahre alle 14 Tage, im Sommer vierteljährlich ein Kunstheft * Ganzjähriger Preis 10.— Mark Die Viertausender der Alpen Mit 56 Kunstbellagen, 2 Kupftrticfdruckbeilagen und einem farbigen Titelbild von E. 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