über Verbesserung der Staatsfinanzen üesterreich. Oe^MkeN über Vervollkommennng der Rechtspflege u n d Verbesserung der StaulssmanM c LL z. Sesterreich. >!r.-»U»7!W X > LII , Von ^eVtg Levilschittg. Faibach 1862. Gedruckt bei Josef Blasnik. Vorrede Jas Stämpelgesetz ist geeignet, auf die Rechtspflege einen wohlthätigen oder nachtheiligen Einfluß auszuüben. So war das Stämpelgesetz vom 5. Oktober 1802 ungemein günstig für die Förderung der Rechtspflege; das Stämpelgesetz vom 27. Jänner 1840 aber ungünstig, und die Rechtspflege leidet noch unter den nachtheiligen Wirkungen dieses Gesetzes. Es ist der Zweck dieser Schrift darzulegen, worin diese Nachtheile bestehen, und die Mittel in Anregung zu bringen, durch welche nicht nur diesen Mängeln abgeholfen, sondern zugleich den Staatsflnanzen ein hoffentlich nach Mil¬ lionen sich messender Zuwachs in den Einnahmen eröffnet würde. K. im Mmr 1862. Der Verfasser. i* „Viribus uuitis." 1. Von dem Rechtszustande. Rechtsleben im Staate unterliegt ähnlich vielen Verände- wie das phisische Leben der Staatsbürger. Nach den Veränderungen des RechtSzustandes im Ver- kehre unter Lebenden erfolgt die letzte Aenderung durch den Tod. Beiläufig in einem Jahrhunderte stirbt eine Menschen- generation ab, und es folgt derselben im Besitze der Güter der Erde ein neues Geschlecht. Indem die Güter zur menschlichen Erhaltung, und zur Erreichung der höheren Zwecke der Menschheit erforderlich sind, und nicht nur ver¬ möge des Selbsterhaltungstriebes, sondern auch nach den Anforderungen des Verstandes angestrebt werden; dabei aber in Einzelnen das Begehren inwohnt, Alles zu besitzen: so ist zur Hintanhaltung eines fortwährenden Krieges Aller gegen Alle, nothwendig, daß im Staate durch die Rechts¬ gesetzgebung die Freiheit des Einzelnen in bestimmten Gränzen erhalten werde, daß Rechtsgesetze gegeben sind, nach welchen unter Lebenden die Güter wirksam erworben, und an Andere übertragen werden, und daß die Rechtsordnung bestimmt ist, nach welcher bei dem Absterben eines Geschlechtes das nachkommende Geschlecht in den Besitz der Güter der Erde^zn folgen hat. 2. Von der Urkunde als Beweismittel des Rechtes. Damit aber das Recht des Einzelnen im Staate ungehindert aus¬ geübt werden kann, muß es von den neben ihm lebenden Menschen wahr- 6 genommen und geachtet, und im Falle eines Streites von dem Gerichts¬ höfe anerkannt werden. Zu diesem Zwecke sind im Zweifel Beweise des Rechtes nothwendig. Das wichtigste Beweismittel ist die Urkunde. Die Urkunde ist das dauerhafteste Rechtsdenkmal, sie überdauert niehrere Geschlechter, und ist daher im Vergleiche zu den Zeugenaussagen oder den Eiden sowohl für den Besitzer des Rechtes, welcher dieses auch für seine Nachfolger schützen will, als auch für den Staat, dessen Zweck es ist den Aufbau der rechtlichen Ordnung von Geschlecht zu Geschlecht zu erhalten und zu pflegen, von höherem Werthe. Zu dem sind die Züge der Schrift genau und unverrückbar, während die Zeugenaussage den nachteiligen Zufällen mangelhafter oder unrichtiger Auffassung, der Gedächtnißschwäche, oder den Zerrüttungen des Gedächt¬ nisses durch Alter oder Krankheiten unterliegt. Solchen Bedenken ist auch das Beweismittel des Eides unterworfen. Und dann ist die Urkunde unzugänglich den Künsten der Verführung und den Lockungen der Habsucht, und daher auch in dieser Richtung vor dem Zeugnisse und vor dem Eide das vorzüglichere Beweismittel. Bevor endlich nach der Gerichtsordnung das Zeugnis; oder der Eid für den entscheidenden Gerichtshof maßgebend sind, müssen sie protokollirt und so urkundlich gemacht werden, wodurch zuletzt alle Beweismittel in die Form der Urkunde übergehen. Entfernen wir in der Idee aus dem Staate alle Denkmale des Rechtszustandes; stellen wir uns vor, daß alle Uebergaben, Käufe, Tausche unbeweglicher Güter nur durch mündliche Verabredungen geschehen, die Rechtsurtheile nur mündlich geschöpft, die Vergleiche von den öffentlichen Aemtern nicht urkundlich ausgezeichnet, und die Zuerkennungen der Verlässe von den Gerichtshöfen mündlich gesprochen würden. Was würde aus einem solchen Verfahren folgen? An die Stelle des Eigenthums von Grund und Boden würde ein factischer, unzähligen Gefahren ausgesetzter Besitz treten; und das vor Gericht gesprochene Recht würde keine dauer¬ hafte Garantie seines Vollzuges haben. Neben dem Rechtsgesetze und den Gerichtshöfen sind daher die urkund¬ lichen Denkmale des Rechtszustandes die dritte Größe in der Grundlage der rechtlichen Ordnung im Staate; und es muß folgerichtig, je geläuterter die Rechtsgesetze, je weiser die Beisitzer der Gerichtshöfe, und je voll¬ kommener und ausgebreiteter die Rechtsdenkmale sind, der Rechtszustand der Staatsbürger desto glücklicher sein. 7 3. Von der Wichtigkeit der schriftlichen Urkunde im österreichischen Rechte. Das österreichische bürgerliche Gesetzbuch erkennt diese hohe Wichtigkeit der Urkunde in der Rechtspflege an, indem es bei den wichtigsten Rechten, namentlich bei dem Eigenthume von Grund und Boden, die urkundliche Aufzeichnung des Rechtsgeschäftes als Bedingung zur Erwerbung des Rechtes aufstellt. Das Gesetzbuch bestimmt nämlich: „Zur Uebertragung des Eigenthumes unbeweglicher Sachen muß das „Erwerbungsgeschäft in die dazu bestimmten öffentlichen Bücher eingetragen „werden" . . . (Z. 431). „Hat der Eigenthümer eben dieselbe unbewegliche Sache zwei ver¬ schiedenen Personen überlassen; so fällt sie derjenigen zu, welche früher „die Einverleibung angesucht hat." (K. 440). „Zur weiteren Uebertragung mittelst Vertrages ist es bei Bauern¬ gütern genug, wenn der Uebergeber und Uebernehmer, oder auch nur der „Uebergeber allein, vor der Grundobrigkeit erscheint*), und die Einver¬ leibung des Erwerbungsgeschäftes in das öffentliche Buch bewirket" (8- 433). „Wenn aber der Uebergeber nicht persönlich erscheint, und in allen, „städtische oder landtäfliche Güter betreffenden Fällen, muß über das „Erwerbungsgeschäft eine schriftliche Urkunde aufgesetzt, und sowohl von „den Vertrag schließenden Theilen, als von zwei glaubwürdigen Männern „als Zeugen gefertiget werden" (H. 434). „Wenn das Eigenthum unbeweglicher Sachen zu Folge eines rechts- „kräftigen Urtheiles, gerichtlichen Theilungs-Änstrumentes, oder einer gericht¬ lichen Ueberantwortung einer Erbschaft übertragen werden soll; so ist „ebenfalls die Einverleibung dieser Urkunden erforderlich" (K. 436). „Eben so ist es, nm das Eigenthum einer vermachten unbeweglichen „Sache zu erwerben, nicht genug, daß die Anordnung des Erblassers „überhaupt den öffentlichen Büchern einverleibt worden sei. Wer eine „Forderung dieser Art hat, muß bei der Behörde noch die besondere Ein¬ verleibung des Vermächtnisses auswirken" (H. 437). *) Nachdem durch das Gesetz vom 7. September 1848 das Verhältnis: zwischen tlnterthanen und Grundobrigkeiten aufgehoben wurde, hat die Uebergabe auch bei Bauergütern durch eine schriftliche Urkunde nach der Bestimmung des folgenden 434 zu geschehen. 8 „Das Eigenthum der unbeweglichen Sachen . . . wird nur durch „die Löschung aus den öffentlichen Büchern aufgehoben" (K. 444). „Nach den ... über die Erwerbungs- und Erlöschungsart des „Eigenthumsrechtes. unbeweglicher Sachen gegebenen Vorschriften hat man „sich auch bei den übrigen, auf unbewegliche Sachen sich beziehenden, „dinglichen Rechten zu verhalten" (Z. 445). In Ansehung anderer wichtigen Rechtsgeschäfte bestimmt ferner das Gesetzbuch: „Zwischen Ehegatten" (folglich auch zwischen Brautpersonen dafern die Abschließung der Ehe zwischen ihnen erfolgt*) „kann ein Erbvertrag, „wodurch der künftige Nachlaß oder ein Theil desselben versprochen, und „das Versprechen angenommen wird, geschlossen werden (ß. 602). „Zur Gültigkeit eines solchen Vertrages ist jedoch nothwendig, daß „er schriftlich mit allen Erfordernissen eines schriftlichen Testamentes errichtet „werde" A 1249). Indem der Erbvertrag ein gewöhnlicher Bestandtheil der Ehepakte ist, so ist daher die schriftliche Form der Ehepakte regelmäßig als die gesetzliche anzusehen. „Gesellschaftsverträge, welche sich nur auf das gegenwärtige oder nur „auf das zukünftige Vermögen beziehen, sind ungültig, wenn das von dem „einen und dem anderen Theile eingebrachte Gut nicht ordentlich beschrieben „und verzeichnet worden ist" (K. 1178). „Der Zahler ist in allen Fällen berechtiget, von dem Befriedigten „eine Quittung, nämlich ein schriftliches Zeugniß der erfüllten Verbind¬ lichkeit, zu verlangen" (Z. 1426). Da demnach der ganze Veränderungsprozeß im Eigenthume von Grund und Boden im Staatsgebiete, so weit das allg. bürgerl. Gesetzbuch Wirksamkeit hat, dann bei allen Veränderungen in den übrigen dinglichen Rechten auf unbewegliche Sachen in der Form der Urkunde vor sich gehen muß, und auch bei Veränderungen im Zustande mehrerer anderer Rechte die Urkundenform gesetzlich vorgeschrieben ist, so ergibt sich, daß von der österreichischen Iustizgesetzgebung die schriftliche Urkunde als eine Grund¬ lage der rechtlichen Ordnung erkannt wird. Und da bei der, durch die Urkunden bewirkten erhöhten Sicherheit des Rechtszustandes, im bürgerlichen Verkehre urkundliche Beweismittel auch in Fällen angestrebt werden, in welchen die schriftliche Form der 9 Hofdekret vom 25. Juni 1817 Nr. 1340 Just. Ges. S. 9 Geschäfte durch das Gesetz nicht gefordert wird, so hat das tlrkundenwesen, einerseits durch die Sorgfalt der Staatsgewalt, und anderseits durch die freie Strebsamkeit der Staatsbürger, einen so hohen Grad der Ausbreitung erreicht, daß die Urkunde der gewöhnliche Begleiter des Rechtes geworden ist. 4. Die Institute der Urkundenpflege. Aus der Wichtigkeit und Nothwcndigkeit der Urkunde in der Rechts¬ pflege, folgt die Nothwcndigkeit, daß von der Regierung gewisse Organe eingesetzt sein müssen, welche berufen sind, die Veränderungen im Rechts¬ zustande urkundlich aufzuzeichnen, die Urkunden zu verwahren, und von denselben Ausfertigungen zu ertheilen. Diese Organe sind: die Gerichte und die Notariate. Die Gerichte haben zunächst die Bestimmung, bei entstehenden Streiten über die Rechte, Vergleiche zu stiften; oder über streitige Rechte durch Urtheil zu entscheiden; oder endlich durch Todfälle verlassene Güter, nach dem Gesetze den über¬ lebenden Geschlechtern zu überantworten. Erst in zweiter Linie ist dann die Aufgabe der Gerichte, über alles Recht, welches durch Vergleich, Urtheil, oder Verlaßabhandlung festgesetzt wird, Urkunden zu errichten. Die Notariate errichten aber die Urkunden über die von den Staats¬ bürgern selbstständig geschlossenen Rechtsgeschäfte, als: Uebergabsurkunden, Kaufverträge, Ehepakte, Schuldscheine u. s. w., und es ist ihre Aufgabe zunächst nur die Urkundenpflege. Wir sehen hier ab, von dem durch das Gesetz über den ursprüng¬ lichen Beruf erweiterten Wirkungskreise der Notariate. 5. Rückblick auf die ältere Urkundenpflege. Bis zum Jahre 1848 waren die Geschäfte der Gerichte und Nota¬ riate von den Dominien und Bezirksgerichten vereinigt ausgeübt. Die Dominien und Bezirksgerichte führten neben den gerichtlichen Archiven eigene ungestämpelte Urkündenbücher über die Notariatsgeschäfte, in welche die Originalurkunden (bis auf eine durch das Stämpelgesetz vom Jahre 1840 bewirkte Beschränkung) eingetragen wurden, und aus welchen die ersten Ausfertigungen auf Stämpelpapier von Amtswegen, weitere Aus¬ fertigungen aber auf Verlangen der Interessenten ertheilt wurden. 10 Die Vereinigung der judiciellen und notariellen Rechtspflege hat sich als sehr zweckmäßig erwiesen, und die Zeit ihres Bestandes wird in An¬ sehung der Sorgfalt für das Urkündenwesen in Oesterreich als die glück¬ lichste anerkannt. Nach der Aufhebung des Unterthansverhältnisses durch das Gesetz voni 7. September 1848, und nach'der Einstellung der öffentlichen Ver¬ waltung von Seite der Dominien, hat aber die kaiserliche Regierung, die Urkundenpflege unausgesetzt in Augen haltend, für dieselbe ein anderes Institut geschaffen, und das Notariat eingeführt. So sind aus den Donuuien, welche die Gerichtsbarkeit nnd die notarielle Urkundenpflege vereinigt ausübten, die neuen Bezirksgerichte nnd die Notariate mit getrenntem Wirkungskreise hervorgegangen. 6. Von dem Organismus der Gerichte. Bor Allem ist bei der äußeren Organisirung der Gerichte und Notariate erwünscht, daß ihnen nicht zu weite Bezirke zugewiesen sind, und den Parteien im Verkehre mit denselben, nicht zu große Beschwerden und Kosten verursachet werden. Bei den bestehenden Gerichten wurde diese Rücksicht mit aller Sorgfalt beobachtet, und die Organisirung der Gerichte entspricht ganz den allgemeinen Wünschen. Wir haben daher nur in Ansehung der innern Organisation der Gerichte, so weit sie als Organe der Urkundenpflege erscheinen, anzudeuten, daß nach dem von uns weiter darzulegenden Plane, in den Expeditämtern der Gerichte eine mehrere Thätigkeit, zur entsprechenden Ertheilung der an die Parteien ergehenden Ausfertigungen aus den amtlichen Akten, und eine umfangreichere Evidenzhaltung der für die Ausfertigungen bestimmten Stämpel, erforderlich sein wird; welche Erfordernisse aus den, jedem Gerichte gebührenden Stand des Kanzleipersonales von Einfluß sind. 7. Von der Organisirung des Notariatsmstitutes. Die Notariate müssen, damit sie ihrer Bestimmung entsprechen, an den Standorten der Gerichte bestellt sein, und ihre Zahl muß der Zahl der Gerichte gleich sein. Dieser Gedanke ist auch in dem kaiserlichen Patente vom 21. Akai 1855, Nr. 94, womit die neue Notariatsordnung eingeführt wurde, aus- 11 gesprochen. Allein derzeit ist die Organisation des Notariates noch nicht vollständig, die kleineren Bezirke haben noch keine eigenen Notariate; und dieses ist ein Nachtheil für die Urkundenpflege. Das Auskunftsmittel der Zuweisung der Bevölkerung kleinerer Gerichtsbezirke an Notariate eines anderen Bezirkes hat sich nicht als entsprechend bewährt, weil die Notariate, welche einen großen Theil der Materialien für die zu verfassenden Urkunden aus den Archiven der Gerichte schöpfen, bei großer Entfernung durch den erschwerten Verkehr mit den betreffenden Gerichten in den Arbeiten gehemmt, und die Parteien durch wiederholte weite Wege, und durch große Versäumnisse und Aus¬ lagen gedrückt werden; was zur Folge hat, daß die Parteien solcher Bezirke von Jahr zu Jahr mehr von den Notariaten abfallen. Das Mittel der periodischen Amtstage in derlei Bezirken hat sich ebenfalls als unzweckmäßig erwiesen. Das bürgerliche Leben bringt nämlich von einem Tage auf den anderen seine unaufschiebbaren Rechtsgeschäfte. Der Notar, der nur periodisch auf den Amtstag kommt, erscheint für einzelne Geschäfte zu spät und für andere zu früh, und nur für einen geringen Theil zu rechter Zeit; und findet daher für seine Reisen, und Versäumnisse, die ihm in seinem Standorte zugehen, selten oder nie den entsprechenden Verdienst. So sind die Amtstage von wenig Nutzen für die Parteien, und von Schaden für den Notar; und sie kommen daher immer mehr aus der Uebung. Die Folge dessen ist in den Bezirken ohne eigene Notariate ein zunehmender Stillstand in der notariellen Urkundenpflege. Es ist daher dringend nothwendig, daß für diese Bezirke der Absatz VII. der Notariats¬ ordnung in Vollzug gesetzt werde, welcher bestimmt: „Um für die Verfassung der Urkunden in denjenigen Gegenden zu „sorgen, in welchen der Verkehr zu gering ist, als daß daselbst ein Notar „seinen Standort nehmen könnte, wird die Einrichtung getroffen werden, „daß in solchen Gegenden die Urkunden bei dem Bezirksgerichte errichtet „werden können. „Die Bezirke, rücksichtlich welcher dieses der Fall ist, werden besonders „bestimmt, und die Besorgung der Urkundenverfassung bei den Bezirks¬ gerichten daselbst durch eine eigene Vorschrift geregelt werden," 12 8. Von den öffentlichen Archiven der Rechtsurkunden. Die Archive der Gerichte und Notariate, in welchen die Original¬ urkunden über den Zustand der Privatrechte sicher verwahrt werden, sind die Grnndvesten der rechtlichen Ordnung. Es ist der besten Rechtspflege entsprechend, daß alle Urkunden der Gerichte über Vergleiche, Prozesse, Abhandlungen, Vormnndschafts- und Curatelssachen u. s. w., so wie alle Urkunden der Notariate über Ueber- tragungen der Rechte auf Grund und Boden, Ehepakte n. s. w. in öffent¬ lichen Archiven verwahrt werden, damit im erforderlichen Falle von denselben Gebrauch gemacht werden kann. Wir kommen auf die eingangserwähnte Erinnerung zurück, daß beiläufig in einem Jahrhunderte eine Menschengeneration abstirbt, und derselben im Besitze der Erde ein neues Geschlecht folgt; und daß es wesentlich die schriftliche Urkunde ist, durch welche in den fortwährenden Veränderungen des Besitzes der Güter der Erde, die Erhaltung der recht¬ lichen Ordnung vermittelt wird. Die Urkunden sind ferner im Besitze der Berechtigten mannigfachen Gefahren ausgesetzt. Große Feuersbrünste und Ueberschwemmungen ver¬ setzen Ortschaften und Gegenden in Verluste der Rechtsurkunden und in die drückende Lage eines gefährdeten Rechtszustandes. Und wie vielfältig sind Beschädigungen und Verluste der Urkunden in anderer Art möglich. Für alle diese Fälle bieten die Archive der Gerichte und Notariate die Mittel der neuen Beurkundung des Rechtszustandes. Die Archive enthalten die Reserve für die Erhaltung der Rechtsordnung. Auf die gut gehaltenen Archive der Gerichte und Notariate wird daher eine gute Justizverwaltung immer mit der größten Sorgfalt, und das Volk mit der größten Beruhigung sehen. Als nach der Einführung des Stämpelgesetzes vom Jahre 1840 an die Stelle der früheren Uebung, vermöge welcher bei den Dominien und Bezirksgerichten die Verträge der Unterthemen in gebundene Archivbücher eingetragen wurden, das Verfahren eingetreten ist, daß Urkunden über die wichtigsten Rechte lediglich einfach auf Stämpel geschrieben, und den Parteien hinausgegeben, die Archivbücher aber außer Gebrauch gesetzt wurden; da konnte man deutlich wahrnehmen, mit welcher Beunruhigung von dem Volke dieses Verfahren beachtet wurde. Es ist daher gerecht¬ fertiget, wenn wir die gerichtlichen und notariellen Urknndenarchive als — IZ die Grundvesten erklären, durch welche die Rechtsordnung einen unerme߬ lichen Schutz erhält. Durch die österreichischen Gesetze *) wird in Ansehung der Aufbe¬ wahrung der gerichtlichen Akten Folgendes bestimmt: „Alle . . . Amtsprotokolle, Amtsbücher, bei Gericht aufgenommene „Protokolle, Ausarbeitungen der Referenten, . . . und in nicht streitigen „Angelegenheiten alle Schriften, welche nicht bloß die Einleitung von Ver¬ schandlungen, Verlängerung der Fristen oder andere Nebenpunkte betreffen, „sind in gerichtlicher Verwahrung zu behalten, und nie an Parteien in „Urschrift auszufolgen." Ferner wird in Ansehung der notariellen Akten angeordnet:**) „Der Notar muß sowohl die von ihm selbst aufgenommenen, als „die ihm von den Parteien übergebenen oder von der Notariatskammer „zugewiesenen Akten, nach der laufenden Geschäftszahl geordnet, an einem „sicheren und trockenen Ort seiner Wohnung oder Kanzlei unter Sperre „sorgfältig verwahren." „Der Notar hat denjenigen Personen beglaubigte Ausfertigungen zu „ertheilen, für welche solche in der Urkunde selbst ausdrücklich bestimmt sind." „An dem Sitze eines jeden Gerichtshofes erster Instanz ist ein „Notariatsarchiv zu errichten, welches zur Uebernahme und dauernden „Verwahrung der Akten und Siegel der außer Amt getretenen und ver¬ storbenen Notare bestimmt ist." „Die Notariatsarchive haben über die im Archive verwahrten Akten „Auskünfte zu ertheilen und von denselben Ausfertigungen, Abschriften, „Auszüge und Zeugnisse zu erfolgen." 9. Von den Prioatarchioen. Wenn Jemand bei Gericht einen Vergleich schließt, oder einen Prozeß führt und das Urtheil erwartet, oder wenn er im Abhandlungs¬ zuge Erklärungen äbgibt, oder Verhandlungen pflegt; oder wenn Jemand vor dem Notariate Rechtsgeschäfte schließt: so erwartet er hierüber die Kaiserliches Patent vom 3. Mai 1853, Nr. 81, 220, XXVI. Stück R. G. B. Seite 429. Kaiserliches Patent vom 21. Mai 1855, Nr. 94, 95, 67, 120, 123, XXIII. Stück R. G. B. 14 angemessenen schriftlichen Akte, und fühlt sich nicht zufrieden, wenn ihm nicht der Richter oder Notar über das erworbene Recht, oder über die einzelnen Vorgänge der Verhandlung die entsprechenden Urkunden sogleich, oder in einer angemessenen Frist an die Hand gibt: die Urkunden sind ja die Deckungsmittel der Rechte, und die Zufriedenheit der Staatsbürger über den Zustand ihrer Rechte ist nur dann vollkommen vorhanden, wenn sie sich allseitig im ordentlichen Besitze der ihre Rechte darstellenden Urkunden befinden, die sie im Allgemeinen hoch schätzen, und insbesondere im Falle eines gegen sie erhobenen Streites als die Beweismittel benützen oder bei Uebertragungen unter Lebenden oder auf den Todesfall benöthigen können. Dieses Streben nach der Beurkundung des Rechtes ist durch das natürliche Verlangen nach dem möglichsten Schutze seines Eigenthums, und ebenso durch das praktische Bedürfniß begründet. Die Urkunden bilden sonach in jeder Haushaltung einen besonders wichtigen Gegenstand der Aufmerksamkeit und der Sorgfalt, und sind bei reichen Familien in förmlichen Archiven, bei der ländlichen Bevölkerung aber häufig in einem Kastel im Ecke der Wohnstnbe hinter dem Familien¬ tische, oder in einer Truhe, wo das Hochzeitsgewand und die Sonntags¬ kleider aufbehalten sind, verwahrt. Mit welcher ungemeinen Sorgfalt diese Urkunden behandelt werden, läßt sich aus folgender Begebenheit schließen, welche mir Gelegenheit gibt, mich öffentlich über die Sorgsamkeit meiner ver¬ ehrten seligen Mutter auszusprechen. Unsere Familie traf in meiner Jugend das große Unglück, daß unsere Besitzung abbrannte, als der Vater eben vom Hause abwesend war; und die selige Mutter rettete in ihrer Bestürzung nichts als uns Kinder, und die Lade eines Kastens, in welcher die schriftlichen Urkunden über unser Vermögen aufbewahrt waren. Nach dieser Darstellung ergibt es sich, daß die Staatsverwaltung in der Pflege des Urkundenwesens nur dann die vollkommene Beruhigung und Zufriedenheit der Staatsbürger erzielen kann, wenn sie durch Gesetze bewirken wird, daß alle Aemter, welche Urkunden über Privatrechte errichten, die unausgesetzte Sorgfalt tragen werden, daß von allen Urkunden von Amtswegen Ausfertigungen an die betheiligten Parteien für ihre Privat¬ archiv e zugestellt werden. Das Privatarchiv muß als ein Faktor in der Rechtspflege anerkannt werden, dessen Beachtung und Pflege von Seite der Regierung, zur vollkommenen Wirksamkeit der Justiz, unerläßlich ist. 15 10. Von dem Grundsätze der zweifachen Urkunde. Da es durch die Interessen der Rechtspflege geboten ist, daß bei gerichtlichen Vergleichen, Verlassenschaftsabhandlungen und anderen gericht¬ lichen Verhandlungen außer Streitsachen, so wie bei Notariatsakten, sowohl für die Hinterlegung der Originatien in die öffentlichen Archive, als auch für die Ausfertigung derselben zur Aufbewahrung in die Privatarchive der Parteien gesorgt werde; so ergibt sich, daß bei Gerichten und Notariaten das Verfahren in einfacher Urkunde nicht weiter bestehen soll, und an dessen Stelle der Grundsatz der zweifachen Urkunde treten müsse. Wie dieser Grundsatz praktisch seine Anwendung zu finden hätte, wollen wir nachfolgend darstellen; vorläufig aber auf das Stämpelgesetz zurücksehen, und zeigen, wie der Grundsatz der zweifachen Urkunde unter der Wirksamkeit des Stämpelgesetzes vom Jahre 1802 durchgeführt war. 11. Von dem Urkundenstämpel. Die Jnstizgesetzgebung und die Rechtspflege ist mit Kosten verbunden zn deren Bestreitung Geldmittel erforderlich sind. In der Kindheit der Staaten ist die Taxe gewiß die erste Abgabe für die Kosten der Rechtspflege gewesen. Bei der Verbreitung der Schrift und Ausbildung des Urkunden¬ wesens ist aber der Urkundenstämpel als eine sehr zweckmäßige Art der öffentlichen Auflagen in Anwendung gekommen. In Oesterreich bestanden so bis zum Jahre 1840 die Taxen für die Rechtsgeschäfte und die Stämpelabgäbe neben einander. Im Jahre 1840 wurden aber die Taxen für die gerichtliche Urknnden- pflege grundsätzlich aufgehoben, und der Urkundenstämpel als die alleinige Abgabe eingeführt: ein Beweis, daß die Regierung erkannte, daß die Ausbildung des Urkundenwesens einen Grad erreicht hat, bei welchem man sagen konnte: das besteuerte Recht ist durch die Urkunde vertreten. Daraus ergibt sich eine zweifache Folge: die Staatsregieruug, indem sie für die gute Ordnung und Verbreitung des Urkundenwesens sorgt, übt einen Akt der Rechtspflege; und sie sorgt dadurch wegen des Zusammen¬ hanges des Urkundenwesens und des Stämpelgefälls, zugleich für die Ber- - 1Ü — mehrung der Finanzen. Daher ist mit der Pflege des Urkundenwesens ein zweifaches Interesse, jenes der Justiz und jenes der Finanzen ver¬ bunden. 12. Zustand des Urkundenwesens unter der Wirk¬ samkeit des Stämpelgesetzes vom Jahre 1802. Das Stämpelgesetz vom Jahre 1802 beruhte, so wie jenes vom Jahre 1840, auf dem Grundsätze, daß bei jeder Urkunde der Stämpel unmittelbar zu entrichten ist. Dabei durchwehte aber das Gesetz vom Jahre 1802 nebst den darauf bezüglichen nachträglichen Deklaratorien, ein Geist des Wohlwollens für die Rechtspflege, welcher aus der Betrachtung hervor¬ gegangen scheint, daß ja der Stämpel vorzugsweise eine Staatsauflage für die gute Justiz ist, und daher das Stämpelgesetz ohne der Abgabe wesentlich Abbruch zu thun, zweckmäßige Erleichterungen im Interesse der Rechtspflege gestatten solle. So wurde, um die gerichtlichen Vergleiche zu begünstigen, denselben im Z. 22 Stämpel - Patentes Ut. H. der ermäßigte Stämpel von 15 kr. C. M. ohne Rücksicht auf den Betrag zugestanden; während andere Urkunden, und selbst der außergerichtliche Vergleich nach Z. 21 ebenda lit. tki deni Klassenstämpel nach dem Werthe des Gegenstandes unterworfen waren. Den Inventarien wurde im ersten Aufsatze, welcher von dem Ge¬ richte oder einer anderen Behörde verfaßt wurde, die Stämpelfreiheit zugestanden (Z. 21 11t. c^. eben da). Dabei wurde in Ansehung der gerichtlichen Vergleiche im Hofdekrete vom 18. Juni 1813, Nr. 1054, Just. Ges. S. angeordnet, daß von jedem Vergleiche zwei Ausfertigungen an die Parteien hinausgegeben werden müssen. In Ansehung der Inventarien wurde aber im Z. 21 lit.