L6208 „Vrtet ohne Ante (I. Thessalonicher 5, 17.) Wreöigt an> HZ. (Oktober sssOc gehalten in der evang.Mrche in Laibach von Pfarrer Dr. V. Hegrmann. Die Lehre des Amerikaners Ralph Waldo Trine ist die, daß der Gedanke die eigentlich herrschende Macht unsres Lebens ist. «Nicht in den sichtbaren Tatsachen unsrer Berufswahl, unsrer Verheiratung, unsres Eintrittes in ein Amt und Ähnlichem sind die großen Wendepunkte unsres Lebens zu finden, sondern in einem stillen Gedanken, der uns kam, wie wir auf unsrem Wege dahingingen, in einem Gedanken, der unsre ganze Lebensweise prust und sagt: ,So hast du getan, aber es wäre besser so/ Und alle unsre späteren Jahre sind ihm untertan und folgen ihm wie Diener und führen nach ihrem Vermögen seinen Willen aus.» Nichts gleicht an umwandelndcr Kraft der stillwirkenden Gedanken¬ arbeit, die Zelle an Zelle unsres Seelenlebens ansetzt und damit Lebens¬ richtungen schafft, deren anfbanende und erneuernde oder zerstörende Kraft zuletzt auch äußerlich offenbar werden muß. Wenn wir das anerkennen und ferner die Möglichkeit der Beein¬ flussung unsres Gedankenlebens durch bewußte Geistestätigkeit zugeben, dann ist uns damit eine Waffe gegeben, mit der wir zum Guten oder Schlimmen das Allergrößte ausrichten können. Die kühnsten Verheißungen Jesu Christi, an die wir wohl nie ernstlich geglaubt haben, rücken damit herab in das Gebiet einfacher, nüchterner Erfahrung. «So ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin, so wird er sich heben, und euch wird nichts unmöglich sein - Oder: «So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.» Es sind Vertreter des praktischen Volkes der Amerikaner, Emerson, Trine n. a., welche diesen höchstgesteigerten Idealismus überzeugend gelehrt haben. Noch scheint unsre Zeit für diese Gedanken nicht reif zu sein, auch in den kleinen Kreisen, die für Religion zugänglich sind. Im Grunde kann freilich niemand die ungeheure Bedeutung der Gedankenübertragung leugnen, um nur an das Beispiel zu erinnern, daß der junge General Bonaparte durch sein bloßes Erscheinen im Pestspital zu Jaffa die Macht der Seuche brechen konnte, daß so oft der Blick einer Willensstärken Per¬ sönlichkeit Menschen zu den außergewöhnlichsten Leistungen entflammte. Es handelt sich eigentlich nur darum, daß die Macht des Gedankens, die als Ausnahmsfall von jedem zugestanden werden mnß, als Gegenstand tagtäglicher Erfahrung und Benutzung anerkannt werden soll. Wer dafür einiritt, dem wird wohl die Antwort zuteil, wie sie mir zuteil geworden ist: eine solche Methode bedeute nichts anderes, als die jesuitischen Gebets¬ exerzitien in anderer Form einführen wollen. Diese Antwort beweist, daß wenigstens der Kern der Sache verstanden worden ist. Und sie ist im Grunde die beste Rechtfertigung des Versuches, den wir anstellen möchten. Denn gibt es etwas, was unserm Geiste größeres Staunen einflößen könnte, als die Willenstat, welche die Jesuiten vollbracht haben? Einige spanische Studenten, die durch die Kraft ihres eiserne» Willens, vermittelst der von ihrem Führer ersonnenen Methode der Willenslenkung und Willensübertragung, eine halbe Welt nmgewandelt, auf Jahrhunderte ihre Hand gelegt haben wie auf Wachs. Gewiß, es geschah das im Dienste der Finsternis und der Knechtschaft. Aber hebt denn irgendwann der Mißbrauch den rechten Gebrauch eiuer Sache auf? Sollte es nicht möglich sein, im Dienste des Lichts und der Freiheit zum Heil der Welt dieselbe Kraft, den Willen zu lenken, nutzbar zu machen, die in der Hand der Jesuiten so großes Unheil gestiftet hat? Wir wollen darum versuchen, jene Methode der Selbstbeeinflussung, jene moderne Erfassung des alten Mittels «Gebet», die im Grunde die wichtigste Aufgabe unsrer Zeit ist, uns klar zu machen. Nehmen wir als Beispiel irgend eine Maschine. Wir wissen cs alle, daß wir keine Maschine, sei es anch welcher Gattung immer, benutzen können, ohne sie nach dem Gebrauch durch Reinigung und Bedienung instand zu setzen. Jeder kunstvolle Organismus bedarf einer unaufhör¬ lichen Pflege, um arbeiten zu können. Die kunstvollste Maschine aber ist unser Leib, ein Organismus, in dem die mannigfachsten Funktionen zur Erreichung eines Zwecks, nämlich der Erhaltung unsres Lebens, Zusam¬ menwirken. Wie umständlich ist Pflege und Unterhalt des Leibes. Wollten wir nur eineu einzigen Tag diese Pflege unterlassen, so wären tiefgreifende Störungen die Folge. Je höher die Ansprüche der fortschreitenden Kultur an uns werden, um so allgemeiner wird sich gewiß die Erkenntnis ver¬ breiten, daß wir durch methodische Abhärtung und Gewöhnung unfern 3 Leib gegen die zerstörenden Wirkungen dieser Kultur stahlen müssen. Was früher unbewußt geschah infolge naturgemäßerer Lebensbedingungen, wird mehr und mehr bewußt und absichtlich geschehen müssen. Ist aber nicht das seelische Leben des Menschen ein noch kunst¬ vollerer Organismus als sein leibliches Leben? Hier greifen die mannig¬ fachsten Kräfte des Bewußten und des Unbewußten ineinander, die ver¬ schiedenartigsten Einflüsse aus Vergangenheit nnd Gegenwart, aus Nähe und Ferne kreuzen sich in diesem geheimnisvollen Kraftzentrum. Und doch gibt es unzählige Menschen, die für ihre Seele keine Sorge nötig zu haben glauben. Ihr Seelenleben lassen sie wuchern wie einen verwil¬ derten Garten, in welchem niemals gepflanzt, nie Unkraut ausgerottet, ja in den noch achtlos verpestender Unrat hineiugeworfen wird. Oder ist es etwas anderes, wenn die meisten ganz unbesorgt den schlechten Ein¬ flüssen der Lektüre, der Vergnügungen, der Geselligkeit Einlaß in ihr Seelenleben gewähren, ohne zu bedenken, daß sie die Quelle aller ihrer geistigen und leiblichen Wohlfahrt vergiften, wenn sie ihre Seele ver¬ giften lassen? Sollte denn nicht doch einmal die Erkenntnis allmählich aufdämmern, daß auch der kunstvollste Organismus, den wir keuneu, unser Seelenleben, der Pflege bedarf? Das aber würde uns die Pflicht auferlegcn, ans Mittel zu sinnen, um die in nnserm Seelenleben verborgenen Kräfte zu erhalten und immer mehr zu steigern. .Nnr so wird es gelingen, in das noch immer fast unentdeckte Land seelischer Gesundheit und seelischer Kraftentfaltung einzudringeu. In jener Botschaft vom Übermenschen ist doch gewiß das eine tiefe Wahrheit, was Nietzsche verkündet: -Tausend Pfade gibt es, die nie noch gegangen sind, tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft nnd unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschenerde.- «Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde werden. Und schon liegt ein neuer Geruch um sie, ein heilbringender — und eine neue Hoffnung.» Wahrhaft hinreißend ist es, wenn er redet von seiner Sehnsucht nach jenen Zukunftsmöglichkeiten: «So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere; nach ihm heiße ich meine Segel suchen und suchen.» (Zarathustra.) Ein jeder von uns hat es in seiner Macht, in einem Reiche, in dem er unumschränkt gebieten kann, wenn er nur ernstlich und anhaltend will, diesem Zukunftslaude Boden zu gewinnen. Dies ist der Bereich unsres eigenen Seelenlebens. Jetzt, wenn wir uns selbst prüfen, wie jener mannhafte Dichter unsrer Tage (Fontane), heißt es bei uns: 4 »Ich bin ein unglückselig Rohr: Gefühle und Gedanken Seh rechts und links, zurück und vor In jedem Wind ich wanken.» Wäre es denn möglich, daß wir nicht für immer Sklaven quälender und knechtender Gedankenrichtungen, entwürdigender und schädigender Gewohn¬ heiten, zerstörender Ausbrüche unsres Temperaments bleiben müssen? Wäre es möglich, der Erde Schönheit zn genießen — nnd nur die willenlose Betrachtung läßt uns wirklich genießen — und dabei doch frei würden von der Sklaverei des blinden Willens, des «dunklen Despoten», die uns tief elend macht? Wäre es möglich, daß wir, statt beherrscht zu werden von dunklen Seeleuregungeu, vielmehr die gesammelte Seelenkraft so sicher lenken könnten, wie der Steuermann mit sicherer Hand sein Schiff neuen Welten zulenkt? Möglich wäre cs, wenn es uns möglich wäre, über uns selbst und die eigene Unreinheit hinanszukommen, indem wir eintauchen in Lebens- fluteu, in denen der trübe Strom unsres Lebens zn kristallheller Klarheit sich läutert, wie es Nietzsche meint: «Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muß schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom anfnehmen zn können, ohne unrein zn werden. - Was ist es denn andres, als Beten, was nvttnt? Eintauchen in das Leben der Unendlichkeit, um das eigene kleine Leben zn läutern. Beten — sich in Kontakt versetzen mit dem großen Kraftzentrum, das der Erscheinungswelt zugrunde liegt, denn alle Erscheinung ist doch Ausdruck eines verborgenen Wesens. Jeder Blick in die unendlichen HimuicISräume überzeugt uns, daß wir Teile sind einer Unendlichkeit, die wir uns nur deutlich vor Augen zu stellen haben, um zu erkennen, wie oft wir Kleines überschätzen, Wertloses für wichtig halten. Gewiß, nichts ist hente so verachtet, wie das Beten. Fast kein Ausdruck so herabwürdigeud wie Betbruder oder Betschwester! Und mit nur allzu gutem Grunde! Was ist Gebet so oft anders, als gedanken¬ loses Hersageu überlieferter Formeln, ein Tun, das den Menschen ent¬ würdigt, well es ihn geistesdumps und tatlos macht. Es bleibt noch das Gebet, so scheint es, wenn alle andern Türen versperrt sind, als Ver¬ zweiflungsakt des Hilflosen, als Zeitvertreib des Gedankenlosen, als leeres Spiel des sittlich Entnervten. Ist es ein Wunder, wenn man solches Beten gründlich verachtet? Ist es ein Wunder, daß immer mehr die innerlich längst geringgeschätzte leere Form auch äußerlich verworfen wird? s Und doch gibt es in unfern Tagen auch schon Tausende, die etwas ahnen von der wahren Bedeutung des Gebets. Von einem, der unfern kirchlichen Betätigungen recht ferne steht, erhielt ich einen Brief, der Pessimismus und Zweifel als die eigentlichen Feinde der Seele hinstellt. Die daran leiden, meint er, «gebrauchen die Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, zum Zerstörungswerk an sich selbst — denn der Zweifel ist ein Zerstörer. Wer festen Aukergrund zuerst in seiner Seele gefunden habe, der werde dann eine sichere, leuchtende Bahn ziehen.- Ein solches Wort erscheint mir wie eine Schwalbe, die dem kom¬ menden Lenz voranzieht, Botschaft einer neuen Zeit, die einmal so ganz anders urteilen wird über Zweifel, Glaube, Gebet, Gott uud Ewigkeit, als es heute so viele der Besten tun. Seit Jahrhunderten hat man den Zweifel gefeiert als den großen Befreier, von dem aller Fortschritt der Menschheit ausgegangen ist. Alle Geistesgrößen, alle tiefen Denker waren Ketzer, Zweifler. Sie setzten an Stelle überlieferter Satzung die Wahrheit der eigenen Brust, um Bahn zu machen im Moder und Wust der Vergangenheit, der dem Zukunfts¬ leben den Raum sperrt. Heute können «die Frostlawinen alter Lügen des Frühlings Macht und Leben» nicht mehr ernstlich den Raum sperren, nun beginnen allmählich einzelne es zu erkennen, daß der Zweifel eine zweischneidige Waffe ist, die auch unendlich viel Schaden stiftet. Als Erkeuntnismethode, als Prüfungsmittel, um das Überlieferte von allen Seiten zu beleuchten, ist der Zweifel eine Segensmacht. Aber als Störung eines klaren, einheit¬ lichen Lebensgefühls, als Zerstörer praktischer Lebenswerte ist der Zweifel das Verhängnis müder, kraftloser Zeiten uud Menschen. Auf diesen Zweifel trifft das Wort des Neuen Testaments zu: -Wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewebt wird.» (Jak. l, l>.) Der Nußschale, die von empörten Wogen umher¬ geschleudert und zuletzt an Klippen zerschellt wird, gleicht eines Zweiflers Seele. Wo man die Zweifel noch immer als das Höchste Preist, da versteht man nicht das Wort jenes nordischen Dichters (Ibsen), der eine Zweifler¬ natur war wie wenige: «Leben heißt, dunkler Gewalten Spuk bekämpfen in sich.» Schöpferisch dem Chaos um uns und in uns feste, sicher in sich ruhende Gebilde abringen, etwas, was nur gelingen kann durch klare, einheitliche Lebensempfindung, das erst heißt wahrhaft leben. Und wo man so zu leben trachtet, da wird man wieder Verständnis für das Gebet 6 bekommen. Demi was ist ein solches Leben andres, als ein beständiges Gebet, weil es ein Leben ist, das fest verankert ist ans dem ewigen Grunde des Seins, eingestellt auf die letzten Ziele und Aufgaben, die uns gestellt sind. So gewinnt die Losung des Paulus: «Betet ohne Unterlaß!» für uns moderne Menschen eine ganz neue vertiefte Bedeutung. Was uns zunächst als der größte Widersinn erscheinen will, wird gerade für uns, von uuserm Gottesgedaukeu und unsrer Welterfassung aus, mit neuem Sinn erfüllt. Das Wort ladet uns ein, das, was wir errungen haben, wirklich zu erwerben, um es zu besitzen. Wir haben errungen eine ganz andre Weltbeherrschung, als jemals Menschen früher, wir haben äußerlich die größte Veränderung durchgemacht, die jemals in einem kurzen Zeit¬ raum erreicht wurde. Die Kulturmenschheit unsrer Tage ist dem Manne zu vergleichen, der aus der Dunkelheit plötzlich in einen hcllerleuchteten Saal eingetreten ist und, zunächst geblendet, sich nur unbeholfen zurecht¬ findet. So sind wir alle geblendet von der Überfülle technischer Um¬ wälzungen und Fortschritte, die uns in wenigen Jahrzehnten beschieden waren. Wir alle sind geneigt, das Errungene zunächst zu überschätzen, allen Lebenswert in diese äußeren Erfolge zu fetzen, so daß wir in ihnen einen Zweck statt ein Mittel erkennen. Die höchste Bedeutung aber, die wir diesen unendlich segensreichen Erfolgen beimessen dürften, wäre doch die, wenn wir sie als Mittel für etwas noch Höheres erfassen könnten. Und das ist es doch, worauf sich die tiefste Sehnsucht unsrer Zeit richtet. Je mehr das unendlich mannigfaltige Räderwerk neuzeitlicher Kultur nach allen Seiten hin sich ausgestaltet, um so mehr muß sich doch die Frage anfdrängeu: Wozu denn das alles? Wenn wirklich nur blinde Kräfte hier sinnlos walten, dann wäre es ja doch besser gewesen, wir wären in den einfachen Verhältnissen der Vergangenheit verblieben. Gerade unsre inachtvoll aufstrebende Kultur le^t uns immer brennender die Frage nahe, wo denn der feste Mittelpunkt zu finden ist, von dem aus diesem immer verwickelter sich gestaltenden Leben Bedeutung und Wert zufließt? Diesen Mittelpunkt suchen und finden wir im Gebet. «Betet ohne Unterlaß!» sagt der Apostel. Er kann gewiß nicht gemeint haben, daß wir alle andern Pflichten hintansetzen sollen, um tatlvs der Betrachtung zu leben. Seine Meinung ist die, daß durch alles Denken und Tun hin¬ durchklingen soll ein Unterton, der uns an den höchsten Lebenswert erinnert, damit wir nicht verzweifeln im Mißgeschick und im Erfolg uns nicht überheben. Denken wir an einen mutigen Durchquerer eines uner¬ forschten Weltteils, der durch Urwalddickichte und Moräste seinem fernen 7 Ziele entgcgenzieht. Gewiß wird er die vor ihm liegenden Hindernisse nicht leicht nehmen, er wird alle Kraft einsetzen, sie zn bezwingen. Aber indem er mutig mit allen Gefahren den Kamps anfnimmt, verliert er doch nie das letzte Ziel ans den Augen, wie wäre er sonst ein Dnrchqnerer, ein Erforscher? Nein, dieses Endziel bildet den Untergrund, von dem alles Mühen und Leiden sich abhebt, es ist die tragende Kraft, die den Er¬ matteten vorwärts treibt. Sollte es nicht ähnlich im Leben eines jeden von uns sein können, daß wir unser Tagewerk tun mit unsrer besten Kraft, aber unser Tage¬ werk dennoch immer völliger einzuordneu wissen dem höchsten Ziel, von dem das Leiden und Mühen gerechtfertigt wird, jenem Lebenswert, dessen wir mehr und mehr in allen Schicksalsproben bewußt und froh werden, einem Wert, den wir nicht außer uns, sondern in uns finden? Um dahin zu gelangen, werden wir allerdings auch Stunden der Betrachtung, der völligen Konzentration ans unsre höchste Bestimmung, der ernsten Selbstbesinnung, der Gedaukenvertiefuug, der inneren Kräf¬ tigung uns sichern müssen. Wir werden uns darin einer anhaltenden Gewöhnung und ernsten Schulung unterwerfen müssen. Welche Stunden wären dazu geeigneter, als die ersten Morgenstunden, da der Spiegel der Seele den Glanz einer höheren Welt noch ungetrübt wiedergibt, da von dem noch uuentweihten Altar unsres Herzens ein heiliges Ranchvpfer aufsteigt? Dazu haben die wenigsten Zeit. Aber wenn wir erwägen, daß oft durch ein einziges unbedachtes Wort ganze Menschenschicksale vergiftet werden, daß durch eine einzige unüberlegte Handlung das Gedeihen eines Geschäftes, die Wohlfahrt vieler zertrümmert, durch eine verkehrte Geistes- richtuug so oft die heiligsten Familienbande zerrissen werden, daun sollten wir uns überzeugen, wie wichtig es wäre, den entscheidenden Regulator dieser so wichtigen Seelenvorgänge immer besser in unsre Gewalt zu bekommen. Kanu das wirklich Zeitverschwendung genannt werden, was uns die Herrschaft sichert über das Seelenleben, von dem doch alle Wohl¬ fahrt zuletzt abhängt? Daun wäre es auch Zeitverschweudung, wenn ein Mensch, um seine Gesundheit wieder zu erlangen, keine Kosten und Zeit- versänmnis schenk, weil er weiß, daß die Gesundheit die notwendige Voraussetzung aller seiner Arbeit ist. R. W. Trine führt das Beispiel einer Dame an, die sich über einen vielbeschäftigten Mann nicht genug wundern konnte, der täglich Stunden der Betrachtung widme und doch noch Zeit finde für seine mannigfachen Berufsgeschüfte. Trine meint, daß jene Dame es ganz verkannt habe, daß jener Mann nicht trotz, sondern gerade wegen dieser täglichen Vcr- 8 tiesimg in sein Inneres so leistungsfähig für das verwirrende Vielerlei seiner Berufsgeschäfte sei. Eine sehr komplizierte Maschine — und das ist doch unser Seelenleben — wird ja doch nicht dadurch am besten ausgenutzt, daß sie jede einzelne Stunde arbeitet, unbekümmert darum, ob das Räderwerk in Unordnung kommt, sondern vielmehr dadurch, daß sie, wenn auch mit scheinbarer Zeitverschwendung, ausgiebig kontrolliert und dnrchgesehen wird, um dann uni so zuverlässiger und ausgiebiger und länger arbeiten zu können. Wie ganz anders würden wir alle im ver¬ wirrenden Lcbensgewühl uns zurechtfinden können, wenn wir innerlich ganz fest und ganz stille zu werden trachteten.- Es ist eine scheinbar fast unerfüllbare Leistung, die wir von der ganzen Menschheit erwarten. Noch befinden wir uns erst im Kindergarten des Lebens, in dem wir uns ans das große volle Leben, das uns erwartet, erst vorbereiten. Aber auch die eigentliche Lebensaufgabe wird dereinst gelernt werden. Es sollte uns nicht schwer fallen, das zuver¬ sichtlich zu glauben, wenn wir etwas von dem erfaßt haben, was in dem Worte liegt: «Viribus unitis.> Mit vereinten Kräften. Jene Worte aus dem Schluß von Goethes Faust: -Laßt uns läuten, knien, beten Und dem alten Gott vertrauen,» sollten sie nicht doch noch einmal eine ganz neue Bedeutung für ein kommendes Geschlecht gewinnen, ein Geschlecht, das es wieder erfährt: Von der Frommen Beten! Ohne sie wird nichts vollbracht. So in Freud' als Nöten.» A m e n. Im Verlage der Evangelischen Kirchengemeinde in Laibach. Druck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach.