äßJSS Recht muß doch Recht bleiben. Predigt, anläßlich der Superintendentialversamnilnng Helvetischen Bekenntnisses in Cilli am 15. Septbr. 1907 gehalten von Pfarrer Dr. Ottmar Hegemon». Selbstverlag. — Druck von Jg. v. Klemmayr L Fed. Bamberg in Laibach. Psalm 94, IS. «Recht muß doch Recht bleiben, und dem werden alle frommen Herzen zufallen.» Unsre kirchliche Lage ist eine sehr ernste, menschlich geredet, eine verzweifelte. Auf der einen Seite die Lösung von allen religiösen Über¬ lieferungen der Vergangenheit, Verneinung, Spott aus den höheren Gesell¬ schaftsklassen immer mehr in die Masse sich verbreitend. Und was viel schlimmer: die völlige Gleichgültigkeit, die sich nicht einmal mehr zur Feindschaft aufraffen kann. Auf der andern Seite das religiöse Sehnen und Suchen unsrer Zeit, das wir nicht unterschätzen oder wegstreiten dürfen, so wenig es auch oft äußerlich hervortritt. Aber es scheint sich in immer steigender Zersplitterung von dem heiligen Vätererbe loszutrennen; wie brausende Wasser, die den Damm durchbrochen, scheint es ziel- und schrankenlos sich in die Weite zu ergießen. Und an den Toren unsrer evangelischen Kirche rauschen diese Geistesströme einer neuen Zeit vorüber, kaum daß noch abgeleitete kleine Seitenflüßchcn im alten Bett der überlieferten Kirchlichkeit Weiterströmen. Dazwischen Rom — gerichtet vor dem Urteil des Gedankens und Gewissens, des Glaubens sowohl wie des Verstandes, — aber scheinbar noch immer der sichere Felsen, an dem sich die wilden Wogen brechen, znsammengeschlossen durch den ehernen Reifen seiner bewundernswerten Organisation, seiner festen Überlieferung, seiner die verschiedensten Be¬ dürfnisse befriedigenden Mannigfaltigkeit in der Einheit. Wo ist da das Recht für unsre Arbeit? Die sichere Grundlage, auf der wir, unbekümmert um der Zeiten Gunst oder Ungunst, sicher fußen können inmitten einer feindlichen Welt? Nnr wenn wir in der Ver¬ gangenheit- einen sichern Halt finden, der uns für die Zukunft Hoffnung und Zuversicht verleiht, können wir in der Gegenwart unsren Mann stellen. Das Psalmwort will uns beides schenken: 1.) das freudige Bewußt¬ sein unsres unvergänglichen Rechts, 2.) das feste Vertrauen ans die Zukunft: der letzte Sieg muß unser sein. I. Unser Recht? Es entstammt einem Reiche, das nicht von dieser Welt ist. In einer Zeit, die gelernt hat, mit festen Tatsachen, mit greifbaren Größen zu rechnen, ein Bekenntnis der Ohnmacht. Und doch 3 müssen wir uns darein ergeben, daß alle Stützen, die jetzt noch uns Halt geben, morsch geworden und dem Zusammenbruch nahe sind: der Schutz des Staates, kirchliche Sitte und religiöse Massenüberzeuguug, die sicher arbeitende Organisation, heute nur noch Überreste, morgen vielleicht schon ein wüster Trümmerhaufen. Sollen wir dem Rate derer folgen, die uns empfehlen, uns vor¬ dem drohenden Zusammenbruch auf die tausendjährige kirchliche Über¬ lieferung zu berufen, auf diesen festen Hort ungezählter Geschlechter? Die da sagen, daß, wenn die Christenheit durch so viel Jahrhunderte hindurch geirrt hätte, daß dann überhaupt nichts mehr zu glauben sei! Aber sind wir denn nicht Protestanten, die gewiß alles Gute, was die kirchliche Überlieferung gebracht hat, freudig und ernstlich benutzen sollen, aber doch in dieser Überlieferung niemals begründende Vollmacht und bindende Schranke sehen dürfen! Wir protestieren gegen jedes die Gewissen knechtende Gesetz, das uns aus der Vergangenheit herans bereitet wird. Und dazu gehört auch die Lehrgestaltung unsrer eigenen Prote¬ stantisch-kirchlichen Vergangenheit. Jenes Wort unsrer lutherischen Brüder: «Gottes Wort und Luthers Lehr Vergehen nun und nimmermehr,» was ist es denn anders als eine ganz unzulässige Verewigung einer doch nur geschichtlich bedeutsamen Glaubenstat, wie wir das als Vertreter reformierter Überlieferungen offen aussprechen dürfen! Auch auf die aller¬ größten Lehrer trifft doch jenes Wort des Hebräerbriefes zu: «Allzumal sind sie dienstbare Geister, ausgesandt um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit. Sie werden vergehen, dn aber wirst bleiben und sie werden alle veralten wie ein Kleid.» Allzulang haben wir nns damit begnügt, «unsrem Volke die Seg¬ nungen der Reformation der Vergangenheit erschließen» zu wollen, statt vor allem einer Reformation der Zukunft eutgegenzuarbeiten und mit jenem tieffronnnen und echtevangelischen Sänger zu rufen: «Was einst Trost uud Heil dm Massen Ward zur Satzung, dumpf und schwer; Dieser Kirche Formen fassen Dein Geheimnis, Herr, nicht mehr; Tausenden, die fromm dich rufen, Weigert sie den Gnadenschoß. Wandle drum, was Menschen schufen, Denn nur du bist man del los.» 4 Es ist die Ewigkeit selbst, die wir suchen, in deren Angesicht jenes Erkenntniswort der reformierten Väter Wahrheit wird auch in bezug auf die größten Offenbarungen der Vergangenheit: