Muzikološki zbornik Musicologica! Annual XXIV, Ljubljana 1988 UDK 785.77 Beethoven: 785 Schwerdt Arnold Feil DIE „GRANDE SERENADE" VON L. F. SCHWERDT Tübingen UNTER DEN NACHFOLGEKOMPOSITIONEN VON BEETHOVENS SEPTETT OP. 20. ZUM VERHÄLTNIS KLASSIK-KLASSIZISMUS IN DER MUSIKALISCHEN KOMPOSITION NACH 1800* Der Begriff „Klassizismus'' wird, wie man weiß und immer wieder erörtert, in der Kunstwissenschaft und besonders in der Musikwissenschaft verschieden und für Verschiedenes gebraucht. Die vorherrschende Bedeutung findet man bei Moser im Lexikon (4 1955): „Für die manieristische Abschwächung des Klassischen gebraucht man das Wort 'klassizistisch'... mit dem Nebensinn des bloß Akademischen, ja des allzu Glatten". Es fallen die Worte „Abschwächung", „manieristisch", „akademisch" (gar: „bloß akademisch"), „glatt" (gar: „allzu glatt"), alles pejorativ zu verstehende, hier jedenfalls ausdrücklich pejorativ gemeinte Wörter. Weniger negativ ist das Riemann-Lexikon (Sachteil 1967): „Klassizismus... formale Anlehnung an klassische Vorbilder". Ob negativ, ob positiv, man kann das ad infinitum diskutieren und sich, etwa über Mendelssohn, verstreiten — ad infinitum, wenn man nicht klärt, worin denn das Vorbildhafte des „Klassischen" bestehe, und was das meint: „Formale Anlehnung". Fürchten Sie nicht, meine Damen und Herren, daß ich das Problem nur auf die Diskussion „des Klassischen" verlagern will; wir kämen vom Regen in die Traufe. Aber diese Behauptung reizt mich: „Formale Anlehnung". Gemeint ist natürlich dies: „Nur formale Anlehnung" an das klassische Vorbild mache den Klassizisten aus. Übrigens: Setzte man das „nur" nicht dazu, dann müßte man eigentlich alle Meister nach Beethoven zu Klassizisten stempeln. Setzt man das „nur" hingegen dazu, wie ich es eben getan habe, dann sind sie allesamt „nur" Klassizisten, weil sie weniger gut sind in ihren Werken als die Klassiker selbst. Hier also kommt man nicht weiter, wie man sieht. Zurück zur „formalen Anlehnung". Kann damit lediglich die sogenannte Form gemeint sein, also Sonaten- oder Rondoform oder dg/. ? Kaum nur dasi Aber was statt dessen oder was darüber hinaus? Wo von Form die Rede Ist, muß folgen: der Inhalt. Ach, du lieber Himmel, was ist denn der Inhalt von Musik? Nach dem ersten Schrecken, den der allzu hohe philosophisch-ästhetische Anspruch der Form-Inhalt-Prob/ematik bei einem bescheidenen Musikhistoriker auslöst, muß man freilich doch sagen: Wahrscheinlich liegt hier, was uns interessiert/ Und wenn wir uns nicht zu allzu hohen Formulierungen verführen /assen, dann können wir vielleicht einfach fragen: „ Worin ist denn ein klassizistisches Musikstück verschieden von einem klassischen, 47 worin die Nachahmung vom Vorbild?"Der Vorwurf, den Friedhelm Krummacher (Kongreßbericht Kopenhagen 1972: „Klassizismus als musikgeschichtliches Problem") erhebt, den sollte man ernst nehmen, den sollten wir nicht auf uns sitzen lassen: „Beider herigen Klassizismusdebatte verfilzen sich ästhetische und historische Kategorien zu einer Unscharfe, die das Wort selbst als Schlagwort untauglich macht. Was bleibt, ist der Ausdruck eines Urteils und meist eines Verdikts, das weitere Argumente entbehrlich machen soll, die gemeinte Sache aber verdeckt. " In der Tat: wir verwenden Begriffe wie klassisch oder klassizistisch als Schlagworte und nehmen die Unscharfe in Kauf, weil — weil uns „die weiteren Argumente " fehlen, und weil es uns deshalb gerade willkommen ist, daß „die gemeinte Sache" verdeckt bleibt. Kurz: Was denn an den Klassikern war ihren Zeitgenossen und Nachfahren vorbildhaft? Was andererseits unterscheidet sie von ihnen, obwohl sie ihre Vorbilder doch nachgeahmt haben? Worin hat die Nachahmung denn das Vorbild verfehlt? Verfehlt aus mangelnder Einsicht, aus mangelndem Können, oder aus einer anderen Absicht? Das scheinen mir die zuerst zu stellenden und zu beantwortenden Fragen zu sein/ Also noch einmal: Worin ist ein gemeinhin als klassizistisch eingestuftes Musikstück — etwa die Serenade von Schwer dt — verschieden von einem vorbildlichen Werk eines Wiener Klassikers — etwa von dem Septett op. 20 von Beethoven? Wenn wir diese Frage so stellen, dann helfen die Schlagwörter nicht mehr weiter, dann müssen wir zusehen, wie eben Beethovens Septett komponiert ist, damit wir sehen können, daß und wie Schwerdts Serenade anders komponiert ist Ob bei dem anzustellenden Vergleich der Unterschied der Qualität eine besondere Rolle spielt, diese Frage ist zunächst zurückzustellen! Erstens ist Schwerdts Serenade ein sehr gutes Stück, während Beethovens Septett nach Beethovens eigenem Urteil ein schwaches Stück ist („Ich wußte in jenen Tagen nicht zu komponieren, jetzt, denke ich, weiß ich es. " Das soll er 1817 im Hinblick auf das Septett vom Winter 1799/1800 gesagt haben.) Aber für die Beantwortung unserer Frage kommt es zunächst auf die Untersuchung der Komposition an sich, der Machart an, und ob die Machart hier und dort dieselbe ist Erst später ist dann vielleicht zu fragen — nämlich falls die Machart gleich oder ähnlich sein sollte — ob der Unterschied eventuell „nur" ein Qualitätsunterschied ist. Also ist, so meine ich, zuerst die Machart zu untersuchen eines als klassisch bekannten Werkes, das als Vorbild für andere Werke derselben Zeit oder von Nachfolgern gedient hat. Ich wähle Beethovens Septett. Dann ist in einem zweiten Schritt die Machart eines der Nachfolge-Werke zu untersuchen. Ich wähle die Serenade von Schwerdt Indessen: Die Untersuchung eines Werkes von Beethoven auf seine Machart erweist sich als sehr kompliziert, als so kompliziert, daß die auch schwierig vorzuführen ist — zumal die Musikwissenschaft, wie sich zeigt, für die Beschreibung von Beethovens Setz weise kaum Kriterien, ja nicht einmal Begriffe hinreichend zur Verfügung stellt Ich führe deshalb hier nur Beethoven vor, und ich tue es mit gutem Gewissen, weil sich allein bei dieser Untersuchung und zwar alsbald zeigen wird, daß so die Machart von Schwerdts Serenade nicht ist Und: Schwerdts Serenade ist nicht schlechter komponiert sondern anders. Wie anders? Das werde ich nicht mehr zeigen können — und ich habe auch hier kein schlechtes Gewissen: Es zeigt sich nämlich bei näherem Zusehen, daß für die Beschreibung der Machart von Schwerdts Serenade sehr wohl Kriterien und Begriffe zur Verführung stehen, nämlich diejenigen, die die Musikwissenschaft für die Beschreibung der Musik der Romantik zur Verfügung gestellt hat. Also kann diese Komposition ein jeder von uns leichter beschreiben als eine von Beet- 48 hoven, jedoch nicht eo ipso weil Beethoven bedeutender ist — wie man so sagt — als Seh wer dt, sondern weil die Machart der Schwerdtschen Komposition, der homophone Satz der frühen Romantik, mit einfachen und bekannten Kategorien und Begriffen zu beschreiben ist. Nun also zu Beethovens Septett als zu einem klassischen Vorbild eines klassizistischen Nachahmers, um hier das Schlagwort noch einmal provozierend aufzugreifen und die folgende handwerkliche Untersuchung davon abzuheben. Am 2. April des Jahres 1800 gibt Beethoven in Wien im Hofburgtheater eine „musikalische Akademie", in der er mit neuen Kompositionen hervortreten und auf sich aufmerksam machen will. Hier bringt er seine Erste Sinfonie op. 21 zur Uraufführung und sein Septett Es-dur op. 20 für Streicher und Bläser. Im Dezember desselben Jahres bietet er diese Werke (zusammen mit anderen) dem Leipziger Verleger Hoffmeister an. Im Begleitbrief schreibt er: „Ich will in der Kürze also hersetzen, was der Hr. Bruder von mir haben können. 1. Ein Septett per il Violino, Viola, Violoncello, Contrabasso, Clarinetto, Corno, Fagotto, tutti obligati (ich kann gar nichts Unobligates schreiben, weil ich schon mit einem obligaten Accompagnement auf die Welt gekommen bin). Dieses Septett hat sehr gefallen... 2. eine große Sinfonie mit vollständigem Orchester..." „Ich kann gar nichts Unobligates schreiben...": Beethoven beschreibt hier seine musikalische Kompositionsart als die eines „obligaten Accompagnements". Der Begriff „obligates Accompagnement" nun enthält einen Widerspruch in sich. „Accompagnement" heißt und meint nämlich zu Beethovens Zeit „Begleitung", z.B. eine Stimme oder Stimmen, die eine Hauptstimme lediglich begleiten, die man also weglassen kann, ohne der Musik der Hauptstimme wesentlich zu schaden. „Obligat" hingegen definiert H. Chr. Koch in seinem „Musikalischen Lexikon" 1802 so: „Die jetzige Bedeutung dieses Kunstwortes, nach welcher man unter einer obligaten Stimme eine solche Stimme eines Tonstückes verstehet, die entweder in dem Verfolge desselben hier und da in kurzen melodischen Sätzen den Hauptgesang führt, oder die mit dem Hauptgesange so verbunden ist, daß sie, ohne das Tonstück zu verstümmeln, nicht weggelassen werden kann, hat ihren Grund in der altern Musik, in welcher alles ... gebunden gearbeitet war. Weil nun eine obligate oder gebundene Stimme ... nicht ausgelassen werden kann, ohne den ganzen Zusammenhang der Harmonie zu zerstören, so hat man den Ausdruck obligat auch auf solche Stimmen in Tonstücken nach der freien Schreibart übertragen, die zur Darstellung des ganzen Zusammenhanges eines Tongemäldes unumgänglich notwendig sind." Beethovens Beschreibung seiner Kompositionsart mit: „obligates Accompagnement" meint also eine „freie Schreibart" (d.h. eine nicht kontrapunktische Schreibart), bei der keine Stimme des Satzes wegzulassen ist, ohne daß Satzganze Schaden nimmt. Alle Stimmen, obschon sie nicht kontrapunktisch geführt sind und obschon der Satz eine Hauptstimme hat, sind doch mehr als nur Begleitung, eine jede gehört wesentlich zum Ganzen, aus dem man sie nicht lösen kann, weil einerseits sie selbst dann nicht mehr bestehen kann, weil andererseits das Satzganze dann als solches zerstört würde. Machen wir uns das an kurzen Beispielen aus Beethovens Septett Es-dur, op. 20 klar. Am Beginn des Presto-Teils im Schlußsatz hat die Violine die Hauptstimme, diese aber ist ohne die „obligate Begleitstimme" des Violoncellos nicht denkbar. (Bsp. 1) Im Seitensatz dieses Satzes sind diese beiden Instrumente Violine und Violoncello in Parallelen zusammengespannt, werden aber von einem liegenbleibenden Ton, den zuerst die Viola, später das Violoncello rasch repetieren, konterkariert. Ließe man den 49 YöL Ve. Kb. Bsp.l SStetliovefi: Septe*