U DK 929 Čehov A.P..929 Murn J.:82.091 Rudolf Neuhäuser Univerza v Celovcu ANTON ČECHOV UND JOSIP MURN: ZUR EXISTENZIELLEN BEFINDLICHKEIT DER MODERNE Einsamkeit ist in der Geschichte der Philosophie und Literatur unterschiedlichen Wertungen unterzogen worden. Das traditionelle Spektrum der Wertungen reicht von einer grundsätzlich positiven (s. Theokrit, De tranquillitate an-imi) Einschätzung zu einer ambivalenten Sicht im Sinne einer Schicksalsprüfung wie in Wolfram von Eschenbachs Epos von Parzival. Als Beispiel für eine positive Wertung kann der Traktat De vita solitaria des italienischen Humanisten Petrarca angeführt werden, dessen homo solitarius in der Einsamkeit zu Selbsterkenntnis findet. Im Gegensatz zur alten Literatur hat die Neuzeit zunehmend die negativen Aspekte der Einsamkeit aufgedeckt. In der empfindsamen bzw. sentimentalen Literatur des 18. Jahrhunderts, herrschte in der Regel noch die positive Sicht vor. Die Gattung der Moralischen Wochenschriften hatte sich das Thema zu eigen gemacht und stellte es anhand der Gestalt des »Einsiedlers« dar. Johann Georg Zimmermann hat dies noch in seinen Betrachtungen über die Einsamkeit von 1785-86 so gesehen. Dies gilt auch für die biginnende Romantik. Jean-Jacques Rousseau schrieb seine Rêveries d'un promeneur solitaire, Wordsworth The Solitary und Tieck pries die Waldeinsamkeit. Zur selben Zeit wird jedoch ebenfalls schon in der Frühromantik diese vorwiegend positive Sicht abgelöst von einem grundlegend andersgearteten Verständnis, das ganz deutlich in Jean Paul Richters Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei vor uns tritt. Die Romantik, die nach Ludwig Pesch, Hans Sedlmayr u. a. christlich-konservativen Interpreten der Kunst-und Literaturgeschichte für den »Verlust der Mitte«, d. h. der Säkularisierung des bis dahin theozentrischen Weltbildes verantworlich ist, erkennt, daß der Mensch, der sich an den leer gewordenen Platz Gottes setzt, bald einer erdrückenden Einsamkeit gegenüber steht. Die metaphysisch begründete Einsamkeit ist seither in der Literatur heimisch geworden. Wir finden sie in Dostojevskijs Verständnis der Einsamkeit in seinen Gestalten »aus dem Untergrund/Kellerloch«. Der literarische Realismus fügte zu diesem oft bis in apokalyptische Vorstellungen reichenden Verständnis die soziologische Analyse der vom (Früh-)Kapitalismus bestimmten Gesellschaft (s. W. Raabe, Alte Nester) hinzu. Die Moderne hat auf dem Fundament der metaphysischen und soziologischen Begründung dieser negativen Sicht der Einsamkeit ihr eigenes Verständnis entwickelt, das sich auf die existentielle Vereinsamung des zeitgenössischen Menschen konzentriert. Von Kafka bis Camus, Sartre, Becke« und Hermann Hesses Steppenwolf hat die moderne Literatur eine Vielzahl von Beispielen dieses Verständnisses der Einsamkeit geliefert. Existenzekel und Todesangst, die oft wesentlich Anteil an diesem Bild der Einsamkeit haben, waren schon bei Kierkegaard und Dostojevskij zu finden. Der russisch-orthodoxe Philosoph Nikolaj Berdjaev hat in seinem Versuch einer Philosophie der Einsamkeit und der Gemeinschaft ebenso wie Martin Heidegger in seiner Existenzphilosophie dafür eine weltanschauliche Grun- dlegung gegeben. Georg Dietrich hat in seinem Buch Der einsame Mensch in der Dichtung. Literaturpsychologie der Einsamkeitsbewältigung die Mechanismen studiert, die zur Vereinsamung des Menchen führen. Zwei davon sind von besonderer Relevanz in bezung auf die beiden Autoren dieser Studie: Da ist zum einen die Isolierung des Menschen, der durch die Umstände seiner Existenz in eine Außenseiterposition gedrängt wird. Die Folge ist, daß der Kontakt mit der Umwelt und die Kommunikation mit der Gemeinschaft schwinden. Am Ende steht Vereinsamung. Zum anderen kann sich der Mensch aber auch aus einem inneren Bedürfnis heraus von seiner Umwelt abkapseln und in die Isolation verfallen. Dies scheint gerade in der moderne Gesellschaft ein verbreitetes psychologisches Phänomen zu sein. Ein Schlüsselbegriff ist in diesem Zusammenhang der Begriff der Entfremdung, der den modernen Menschen so sehr charakterisiert. Ob dies mit Marx mit modernen Produktionsmechanismen in Verbindung gebracht wird, aus religiöser Sicht mit dem Glaubensverlust der Moderne begründet, oder aus der Natur der zeitgenössischen Gesellschaft abgeleitet wird, dem soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Beide Autoren, der Erzähler Anton Pavlovič Čechov (1860-1904) und sein Leser, der Dichter Josef Murn (1879-1901), litten in ihrem persönlichen Leben an Einsamkeit und haben diese Einsamkeit literisch gestaltet. Als der erst sechzehnjährige Cechov nach der Übersiedlung seiner Eltern und Geschwister allein in Taganrog zurückbleiben mußte, da empfand er seinen Zustand als sterbenslangweilig (»skuka smertel'naja«, P. 1, 27). Noch im Alter von 28 Jahren schrieb er: »Man steht auf, zieht sich an und weiß nicht, was man mit dem Leben anfangen soll; der Tag erscheint einem endlos lang.« Im selben Brief spricht er von seinem »Hang zur Einsamkeit« (Brief an Suvorin, Čechovs Verleger, P. 3, 31). Die Klage über Einsamkeit wiederholt sich in vielen seiner Briefe. Ohne Zweifel hat das Bewußtsein seiner unheilbaren Krankheit dazu beigetragen. Lebensekel spricht aus den Zeilen, die er schon 1886 im Alter von 26 Jahren niederschrieb: »Soweit ich die Ordnung der Dinge verstehe, besteht das Leben nur aus Entsetzen, Kehricht und Banalitäten, die sich vermischen und aufeinander folgen.« (P. 1, 136) Dies fand in vielen seiner Erzählungen einen Niederschlag. In dieser Formulierung verbirgt sich, wie ich meine, aber auch die Einwirkung der literarischen Richtungen seiner Zeit, vor allem des Fin de siècle und der Dekadenz, die den autobiographischen Hintergrund ergänzen. Sehen wir das literatische Umfeld an. Čechovs Einstellung zu Literatur und Kunst der achziger und neunziger Jahre war teils kritisch, teils aber auch durchaus positiv. Alles in allem sah er darin ein Epigonentum: »Sagen sie mir ehrlich,« schrieb er im November 1892 an Suvorin,« ... Wir selbst sind sauer und fad geworden, wir verstehen bloß Gummipuppen zu zeugen,...« (P5, 133). Die Ursache dafür liege in der »Krankheit« seiner Zeit, meint er, - es mangelt an »etwas« (u nas net 'čego-to'). Dieses unbestimmte »etwas« wird als »irgendein Ziel«, auch als »Bewußtsein eines Ziels« angesprochen: »Wir haben weder nächstliegende, noch entferntere Ziele, wie sehr man auch unsere Seele von oben nach unten kehrt« (Ebda). Noch deutlicher formuliert er in einem Brief vom Dezember 1889 an Suvorin: »Eine blasse, apathische, faul dahinphilosophierende Intelligentsia, ... ver- zweifelt, farblos, die von einem Gläschen Schnaps besoffen ist und 50-Kopeken-bordelle besucht, die babbelt und mit Vorliebe alkiLverneint, da es für ein faules Hirn leichter ist zu verneinen, als zu bejahen... und dies alles kraft dessen, weil das Leben keinen Sinn hat... Wo Entartung und Apathie herrschen, dort gibt es sexuelle Abart, kalte Verdorbenheit, Aborte, frühes Altern, eine babbelnde Jugend, dort verfallen die Künste, gibt es Gleichgültigkeit gegenüber der Wissenschaft, dort herrscht Ungerechtigkeit in allen ihren Formen« (P3, 309). Nichtsdestoweniger finden wir bei Čechov aber auch positive Wertungen, -gerade auch solche von Autoren, die deutlich die Stimmung des Fin de siècle zum Ausdruck bringen, was darauf hindeutet, daß er sich mit den Dekadenten, bzw. dem vorherrschenden Lebensgefühl des Fin de siècle, durchaus identifizierte, - wenngleich er die Schwächen dieser Richtung deutlich sah, sie mitunter kritisierte, dabei aber sich selbst in diese Kritik mit einbezog! Wir können sagen, daß das, was Maria Herzfeld zu dieser Zeit von der Dekadenz, schrieb, nicht nur die Situation in Österreich, sondern durchaus auch in Rußland charakterisiert und due »existentielle Befindlichkeit« der jungen Literaten der Zeit wiedergibt. In ihrem Aufsatz »Fin de siècle« ( 1892) schrieb sie von der Literatur ihrer Zeit, sie scheine »ausgefüllt vom Pessimismus 'müder Seelen'.« Es wäre eine »Well absterbender Ideale,« charakterisiert von »apathischer Mutlosigkeit und Weltverzweiflung,... dem Gefühl des Fertigseins. des Zu-Ende-gehens - Fin-de-siècle Stimmung«. (21) Hinter den dominierenden Stimmungen der Dekadenz stehen der Rückzug ins Innere, Verlust der Kommunikationsfähigkeit, Vereinsamung. Betrachtet man Čechovs Aussagen zum zeitgenössischen Menschen, besonders dem gebildeten, intelligenten Zeitgenossen, so kann man nicht umhin festzustellen, daß sich die anthropologische Prämisse Čechovs weitgehend mit dem Menschenbild der dekadenten Dichtung deckt! Dafür soll noch ein Beispiel angeführt werden. In Briefen aus den Jahren 1888 und 1889 hat sich Čechov ausführlich zu der Problematik seines Ivanov aus dem gleichnamigen Drama geäußert, - für ihn augenscheinlich ein Prototyp seiner Zeit. Er bezeichnet Ivanov als »... eine leicht erregbare Natur, hitzig, stark Vergnügungen zugeneigt,...« (P3, 109) und verallgemeinert, »Die russische Erregbarkeit hat eine spezifische Eigenschaft: sie wird rasch von Erschöpfung abgelöst«. Sobald der Menchen 30-35 Jahre alt wird, fühlt er als Folge dieser Erregbarkeit letztlich »Erschöphung und Langeweile« (P3, 110). Dazu gesellt sich das Gefühl einer wachsenden Einsamkeit und Isolierung vom Leben. Die Abfolge von »Erregbarkeit - Erschöpfung/Langeweile - Einsamkeit« (vozbudimost' - utomljaemost'/skuka - odinočestvo) erscheint in einer graphischen Darstellung Čechov als aufsteigende Linie, die steil einem Höhepunkt zustrebt, um dann unvermittelt abzusacken, bis sie wieder ansteigt. Čechov kommentiert: »Alle erschöpften Menschen verlieren nicht die Fähigkeit, sich in höchstem Maße zu erregen, allerdings nicht für sehr lange, wobei nach jeder Erregung eine noch größere Apathie eintritt« (P3, 112). Das Lebensgefühl der Dekadenz überlagert des Autors eigene Befindlichkeit. In einem Brief vom Februar 1889 zitiert er Lermontov: »Mir ist langweiling und traurig zumute, und niemand reicht mir die Hand«; 1892 schreibt er einem Korrespondenten, »Stellen Sie sich meine krankhafte Langeweile, meine krankhafte Einsamkeit vor...« (P5, 106). Langeweile, Schwermut, Einsamkeit sind immer wieder angesprochene Aspekte seines Lebens. Es betrifft sein Ich (»Ich bin welk und mir selbst langweiling,« P5, 78), aber auch das gesellschaftliche Treiben um ihn herum: »Den Zeitungen nach zu urteilen ist das Leben überall langweilig« (P5,71). All das weist darauf hin, daß man davon ausgehen kann, daß das Lebensgefühl Čechovs tatsächlich weitgehend dem Lebensgefühl des Fin de siècle und der Dekadenz, entsprach und - im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Autoren - keine Pose war! Mit 27 Jahren erhielt Čechov von der angesehenen Zeitschrift Severnyj vestnik den Auftrag eine Novelle zu verfassen, - sein Debut als ernstzunehmender Schriftsteller. Er hatte im selben Jahr eine Reise in seine südrussische Heimat unternommen und wie schon als Kind wieder die Steppe durchquert. Am Beginn des Jahres 1888 war die Novelle Die Steppe abgeschlossen und erschien in der Märzausgabe der Zeitschrift. Ins Deutsche übertragen wurde sie erst nach dem Tode des Autors. Die Steppe dient Čechov als Symbol der existentiellen Situation des Menschen, dargestellt anhand der Reise des kleinen Knaben Jegoruška, der sein Elternhaus verlassen hat und in eine fremde Welt eintaucht, die wenig Tröstliches bietet. Sein sozialer Lebensraum verändert sich radikal, Angst vor der Fremdheit dieses Lebens bemächtigen sich seiner. Eines der einprägsamsten Motive, dessen sich Čechov bedient, um die Vereinsamung des Menschen darzustellen, ist das Bild einer vereinzelt auf einem Hügel mitten in der Steppe stehenden Pappel, - ein Bild, das sich bereits am Beginn der Novelle (1. Kap.) findet: »Auf dem Hügel tauchte eine einsame Pappel auf; Gott mochte wissen, wer sie gepflanzt hatte und wozu sie dort stand.... War diese Schöne glücklich?... und vor allem: diese Einsamkeit, das ganze Leben nur Einsamkeit... (PSS 7, 17). Das Bild der einsamen Pappel taucht wiederum gegen Ende des dritten Kapitels auf, als der Junge unerwartet mit einer schönen Frau, der Gräfin Dranickaja, konfrontiert wird. Er assoziiert sie unwillkürlich mit der Pappel, wohl aus dem Bewußtein heraus, daß sie inmitten der Steppe ein ebenso vereinsamtes Leben führt, wie die Pappel auf dem Hügel in der Steppe. Damit ist diese einsame Pappel in Čechovs erster großer Novelle ein gültiges Symbol der conditio liumana aus der Sicht des jungen Dichters! Josip Murn entstammt einer »zerfallenen Familie«. Den Vater kannte er kaum, die Mutter verließ ihn bald nach der Geburt. So erlebte er ein noch härteres persönliches Schicksal als Čechov. Franc Zadravec kommentiert: »Murn je namreč slutil, bolje: vedel, da sta njegova odtujenost in razdvojenost bili povzročeni tudi socialno, daje bil sirota, ujet v sredino preračunljivega, grabežljivega malomeščanstva [...]» (Zadravec, 97). Als er im Herbst 1898 ein Studium in Wien begann, da kam er in die ausklingende Epoche des Fin de siècle, der Dekadenz und des literarischen Impressionismus, der seinen Stil prägte, wie es - in der Prosa - auch bei Čechov der Fall war. So wie andere junge Dichter der Zeit in Ljubljana, mit denen er befreundet war, interessierte sich Murn intensiv für russische Literatur und konnte sie im Original lesen. Sein besonderes Interesse galt dabei den romantischen Versen Jurij Lermon-tovs, die eine spürbare Wirkung auf seine eigenen Gedichte entfalteten. Für die Einsamkeitsproblematik ist u.a. das Lermontovsche Versepos Der Dämon von Bedeutung, in dem die existentielle Vereinsamung am Beispiel des ruhelos über den kaukasischen Bergen schwebenden bösen Geistes, eben des Dämons, dargestellt wird und dabei metaphysische und kosmische Proportionen annimmt. Dies ist bei Murn reduziert auf die innerweltliche, gesellschaftliche Dimension. Wenn wir bei Murn lesen: »Za leti leta odhite,/ Nespremenljiva, ravnodušno-/ V neskončno večnost se gube./ Življenje, smrt... z njo pozabljene,/ Tak časov večni bil je tek,/ Drug drugemu se v odrešenje/ Konča vsakogar kratki vek« (M II, 298), so erinnern diese Zeilen deutlich an andere aus Lermontovs Dämon: »vekov besplodnych rjad unylyj« und »davno otveržennyj bluždal/ v pustyne mira bez prijuta:/ vo sled za vekom vek bežal,/ kak za minutoju minuta,/odnoobrazoj čeredoj« (L II, 136f.). Jože Snoj sieht zurecht darin ein Beispiel für den Einfluß des russischen Dichters (Snoj, 249). Freilich ist das metaphysisch vertiefte Bild der »pustynja mira« nicht identisch mit Čechovs Steppeneinsamkeit, - beides zielt aber auf die existentielle Situation des vereinsamten Menschen. In seinem oft zitierten Brief an Ivan Cankar vom März 1898 hat Murn von sich selbst ein Bild gezeichnet, das in etwa durchaus dem entspricht, was Čechov in seinen Briefen über die eigene Person aussagt. So schreibt der erst 19-jährige Murn: »Jaz sem v resnici čuden človek. Življenje vnanjo se mi zdi kot nekaj kar ni moje in kar me samó zanima [...] Včasih se mi zdi veliko in lepo, da ga občudujem in se tresem v neki svetli tihoti, včasih pusto, prazno, mrtvo... Izjokal bi se, ubil bi se! Ljudje se mi zde nekaj grozovito [...] Te utisi se menjavajo včasih hipno in pretresel si me s svojim stavkom 'Ali vrag vedi, ta krajina se zdi človeku danes lepa in velika, trenotek potem pa mrtva in prazna-' [...] Včasih mislim da sem blazen. Polasti se me 'ein dumpfer Zustand'.« (M II, 88f.) Murn weist selbst darauf hin, daß in dieser Charakterisierung ein Zug seiner Zeit liegt, wenn er im Mai desselben Jahres an Ivo Šorli schreibt: »Mislim, da tipim tudi precej od bolezni časa, letargije mladih ljudi, ki se posebno pri nas tako živo opaža. V dobi smo ko mora nastopiti velik duh [...].« (M II, 107) Auch hier treten die Parallelen zu Čechovs Verständnis seiner Zeit klar zutage. Wenn Franc Zadravec von Murn schreibt, er hätte eine »[...] izjemno rahločutna, hipersenzibilna, nervozna zrahljana duša,« und wäre ein Mensch »ki je zlahka korespondiral z Verlainom in Dehmlom,« (Zadravec, 94), so entspricht auch das dem gängigen Bild des Menschen des Fin de siècle. Zadravec faßt zusammen: »Osrednji problem pesnika Murna je bil torej občutek, da so ga ljudje osamili, izobčili, zavrgli, posebno še mati. Odtujenost gaje tlačila v nervozno doživljanje samega sebe [...] zunanje življenje [gaje] zanimalo le kot sovražni tujek, [...]» (Zadravec, 96). Im Jahre 1900 verfaßte Murn ein zweistrophiges Gedicht - von Snoj als »dekadente Verse« bezeichnet -, in dem er als Sinnbild des vereinsamten Menschen so, wie Čechov, eine Pappel wählte: »Prišla je jesenska noč,/ proč je moje spanje,-/ misli mró obupujoč,/ kdo se zmeni zanje?/// Prišla je jesenska noč,/ proč je moje spanje.-/ Jaz sem topol samujoč/ ki ne seje in ne žanje!« (M I, 88). Ob Murn Čechovs Novelle kannte, ist nicht erwiesen. Er erwähnte in einem Brief an Šorli vom Dezember 1898 »skice Čehova« (M II, 113). In einem Brief vom Januar 1899 schreibt er von »precej knjig novih modernih,« die er mit sich nach Ljubljana bringen möchte (M II, 86). Auch eine Erzählung Čechovs könnte darunter gewesen sein (vgl. M II, 164). Dies deutet darauf hin, daß er Čechov als einen modernen Autor kannte und wohl auch schätzte. Es ist möglich, wenngleich unwahrscheinlich, daß er Die Steppe gelesen hat. Auch die Paraphrase einer bekannten Bibelstelle in unmittelbarem Zusammenhang mit der Pappel spricht eher dagegen. Gegenüber Čechov erweist sich der fast zwanzig Jahre jüngere Murn allerdings als der »modernere« Autor. Čechov zeichnet ein Bild nach traditioneller Manier, Murn scheut nicht vor der im ersten Augenblick frappierenden und absurden Identifikation des lyrischen Ichs mit der Pappel zurück! Dahinter steht aber dieselbe existentielle Befindlichkeit des modernen Menschen, die in der Literatur des Fin cle siècle Epoche der Moderne einbegleitete! Beide Autoren waren ihr zutiefst verbunden! Bibliographie Anton Pavlovič Čechov, 1974-83 : Polnoe sobranie sočinenij i pisem v 30-i tt. Moskva. Hier zitiert als PSS (Werke), bzw. P (Briefe), mit Angabe des Bandes u. der Seite. Georg Dietrich, 1989: Der einsame Mensch in der Dichtung. Literaturpsychologie der Einsamkeitsbewältigung. Regensburg. Josip Murn, 1954: Zbrano delo, Bd.l u. 2. Ljubljana. Hier zitiert als M mit Angabe des Bandes und der Seite. Jože Snoj (ur.), 1968: Josip Muni. Pesmi. Maribor. Franc Zadravec, 1980: Elementi slovenske moderne književnosti. Murska Sobota.