de? letrte von ^i'IH l-eo 5mo!le k^feir 1«10 - 1.10 ' -5^ 3SS1943SS MOM I^i WIMrilLIM <^I-^I» os 64 733i6o/i62 I!ki !chk kas m» Wi. GOWW CrßljlilU llm MeriNrks NergMlllM. Von Keo Smoile. Mi! Tikrlbild. Gra;. Verlagsbuchhandlung „Styria". 6479!) Alle Rechte Vorbehalten. ,,TyprgraPh"-Maschmensay. ji. t. Uiuvcrsitäts-Buchdruckerci „Styria" in Graz. Meiner lieben Vaterstadt. In Trümmer sank die stolze Feste, Die auf dem Felsen trotzte kühn; Es schlingt um karge Mauerreste Der Efeu mitleidsvoll sein Grün. Doch du entblühtest reichen Auen, Mein Cilli, durch der Bürger Fleiß: Es stürzt, was Trotz und List erbauen, Und ruh'ge Arbeit krönt der Preis! I. Im Ligeunerlager. Es war ein linder Sommerabend. Die Sonne war im Begriffe, hinter den Zacken und Kuppen der Sulz¬ bacher Alpen unterzugehen, die sich wie ein schönes Rosen¬ band vom tiefblauen Himmel abhoben. Auf der Wiese am Sannflusse, nahe dem Grafen¬ schlosse, der sogenannten Grafei, herrschte noch lautes, buntes Leben. Zelte waren ausgestellt und bunte Wimpel flatterten im Abendwinde. Auf hohen Stangen steckten Kienspäne, deren rote Glut hin- und herflackerte. Hinter dem größten Zelte waren Karren durchein¬ andergeschoben und abgehetzte, kleine Pferde mit dicken Köpfen und langen Mähnen rissen das spärliche Gras aus dem Boden. Braune Gesellen und Weiber mit ver¬ witterten Zügen und stechenden, funkelnden Augen lun¬ gerten umher, während sich halbnackte, schmutzige Kinder zwischen den Kisten und Karren Herumtrieben. Es war eine Zigeunergruppe, die ihr Lager hier auf¬ geschlagen hatte. In der Zeit, in der die Geschichte spielt, wimmelte es in unseren Ländern von fahrenden Gesellen und umherziehenden Wegelagerern; Feuersresser, Seil¬ tänzer und Gaukler aller Art ließen bald da, bald dort ihre Kunststücke sehen. Die gefürchtetstcn, wenn auch über- 8 Leo Smolle. all mit scheuern Staunen aufgenommencn Gäste aber waren die braunen Söhne des Ostens, die Zigeuner, die sich sogar unter Kaiser Sigismund mancherlei Privilegien zu er¬ freuen hatten und deren geheimnisvolle Zaubereien aus die leichtgläubige Menge stets einen tiefen, aus Bewun¬ derung und Furcht gemischten Eindruck hervorriefen. Diese Furcht war nicht unbegründet, denn nicht bloß Ge¬ flügel, Kleinodien und allerlei Hausrat verschwanden aus Haus und Hof, wo das braune Volk sich zeigte, sondern auch Kinder wurden geraubt und, wie vom Erdboden ver¬ schluckt, verließen die Räuber dann plötzlich die Gegend und alle Nachstellungen blieben vergeblich. Aus dem Zelte, dessen schmutzigweiße Wände mit roten Lappen geflickt waren, erscholl Geschrei und Gelächter; gerade hatte sich die alte Zigeunerin mit Karten- und Becherkünststücken produziert und mit offenem Munde waren Bürger und Bürgerssrauen dagesesseu und schrien und lärmten nun nach dem Ende der Vorstellung durch¬ einander und wollten sich gegenseitig die unbegreiflichen Dinge, die sie gesehen hatten, erklären. „Potz Blitz," meinte Kaspar, der Schuhmacher, der im Städtchen nahe der Mauer, wo sie sich gegen den Burgberg hinzog, seinen Laden hatte, „das geht nicht mit rechten Dingen zu, die sind mit dem leibhaftigen Gottseibeiuns im Bunde!" Und! er schlug dreimal das Zeichen des Kreuzes und blickte aus den kleinen Äuglein, die im weindunstigen roten Gesichte fast verschwanden, voll Angst auf die erhöhte Bühne, auf der jetzt der Zigeunerhauptmann mit einem in Scharlach und Silber gekleideten Knaben erschien. Der letzte Lraf von Cilli. 9 „Gebt acht auf die Taschen und hütet euere Kinder!" kreischte die Hubmaier Barbara, die auf dem Kirchen- Platze mit Obst und Gemüse handelte. „Die lassen nicht bloß'Goldstücke verschwinden, sondern auch zarte Kinder, die wahrscheinlich ihr Helfershelfer, der Teufel, durch die Lust entführt und die sie dann schändlich mißhandeln und M ihrem abscheulichen Handwerk abrichten. Ich wette, dah das hübsche Büblein, das dort auf der Bühne steht und dessen große schwarze Augen so traurig aus dem blassen Gesichtchen hervorschauen, von den unholden Ge¬ sellen irgendwo geraubt und seinen armen Eltern ent¬ führt worden ist." Und ihre Nachbarinnen, die dicke Frau Elsbeth', deren Mann den Fleischerladen in der Kirchengasse innehatte, und Jungfer Kunigunde, eine hagere lange Person, deren abgewetzte Samtschaube und unechter Kopfputz recht ärm¬ lich! aussahen, nickten beistimmend zu den Worten der Frau Barbara Hubmaier. Besonders die Jungfer Kuni¬ gunde stand sehr im Ansehen bei der weiblichen Bewohner¬ schaft Cillis; sie führte eine geschickte Nadel und manche Ausstattung einer wohlhabenden Bürgerstochter war aus dem Stübchen, das sie in dem kleinen Häuschen neben dem turmbewehrten Rathaus bewohnte, hervorgegangen, und sie galt mit Recht als die lebendige Chronik der Stadt, deren spitzes Zünglein von jung und alt gefürchtet wurde. Aber gerade als sie den Mund öffnen wollte, um dieses Zünglein in Bewegung zu setzen und ihre gewichtige Meinung über die Zigeuner im allgemeinen und den hübschen Knaben insbesondere zu offenbaren, wurde all¬ gemein Schweigen geboten, denn der Zigeunerhauptmann 10 Leo Smolle. stellte jetzt den Knaben dem Publikum vor und sagte, der kleine Signor werde ein süßes Spiel auf der Man¬ doline beginnen und mehrere Kugeln, rote, weiße und gelbe, gar artig in der Luft herumwcrfen und wieder auffangen. Die Leute lachten über das seltsame Aussehen und die noch! seltsamere Redeweise des alten Zigcunerkönigs, denn er mischte slawische und ungarische Worte und auch ein paar italienische Redensarten in sein Deutsch, das furchtbar barbarisch und ungelenk klang. Seine Kleidung entsprach dem rauhen Tone der Stimme und dem wilden Gesicht, das ein struppiger grauschwarzer Bart umrahmte und aus dem die stechen¬ den Augen lauernd hervorblitzten. Eine auf den Seiten aufgestülpte Lederkappe mit einer roten Feder saß auf dem krausen Haar und ein Koller aus Samt, das wahr¬ scheinlich aus der Truhe eines Edelmannes gestohlen war, umschloß den sehnigen Leib, indes die Beine in roten Hosen und großen Reiterstiefeln mit verrosteten Sporen steckten. Eine breite rote Schärpe mit Fransen, deren Gold schon schmutzig geworden war, bedeckte Brust und Rücken, und im Ledergurt steckte ein Messer mit seltsam ge¬ schnitztem Beingriff. In der Hand hielt er eine derbe, dreimal geflochtene Lederpeitsche, und man sah es seiner ganzen wilden Erscheinung an, daß er nicht selten davon Gebrauch machte, auch dem Knaben gegenüber, der nun seine Künste zeigen sollte. Der stach nun seltsam von dem Zigeunerhauptmanne und seinen braunen Gesellen ab. Zwar auch die Farbe seines Gesichtes hatte jenen gelblichen Stich, wie er den Der letzte Graf von Cilli. 11 Kindern des Südens gegenüber den Nordlandssöhnen eigen ist, aber die Züge waren zart und weich, nur viel ernster als sein Alter erwarten ließ, und in den dunklen, glänzenden Augen lag tiefe Wehmut. Nun warf er die schwarzen Locken, die ihm immer unter dem goldverzierten Barett hervorquollen, in den Nacken zurück und begann den Saiten der Mandoline Weiche melodische Töne zu entlocken, während er mit seiner einschmeichelnden Kinderstimme dazu sang. Was er spielte und sang, klang nicht fröhlich, aber tief ergreifend und rührend. Alles horchte gespannt auf die fremde Melodie und es gab niemanden, der nicht durch das schwermütige Lied gerührt worden wäre. Frau Elsbeth, die trotz ihrer stattlichen Leibesfülle ein sehr weiches Gemüt hatte, wischte sich mit dem Zipfel ihres Tuches eine Träne ab, die aus ihren im runden Gesichte fast verschwindenden Äuglein geflossen war, und Jungfer Kunigunde stieß mit ihrem spitzen Ellbogen un¬ aufhörlich an die Barbara Hubmaierin, um sie zur Auf¬ merksamkeit zu veranlassen, obwohl diese ohnehin Äug' und Ohr von dem seltsamen Knaben nicht abwendete. Jetzt hatte der Knabe sein Saitenspiel beendigt und der Zigeunerhauptmann reichte ihm eine Zinnschüssel, in der verschiedenfarbige Bälle lagen. Anmutig nahm der Knabe, den sein Herr Paolo hieß, die Bälle aus dem Behältnis und führte zuerst mit zweien ein Wurf- und Fangspiel auf, aber sei es, daß das Lied ihn aufgeregt hatte oder daß er sonst zerstreut war, es gelang ihm nicht wie sonst, die Bälle zu dirigieren, und mehrmals entfiel ihm der eine oder andere, was immer 12 Lw Smolle. ein heftiges Scheltwort von Seite des Alten znr Folge hatte. Noch schlechter erging es ihm, als er nun mit vier Bällen das Spiel versuchen sollte, und einmal sprang der Ball aus seiner zitternden Hand und fiel mitten unter die Bürgersleute und Kriegsknechte, die vorn an den Schranken standen. Wütend sprang jetzt der Zigeuuerhauptmann auf den Knaben los und schwang seine Lederpeitsche über ihn, um sie auf seinen Rücken niedersausen zu lassen. Da entstand ein furchtbarer Lärm im Zuschauer¬ raume, die Weiber kreischten und die Männer hoben drohend die Fäuste auf und schrien den Zigeuner an, er solle sich's ja nicht einfallen lassen, dem Knaben ein Haar zu krümmen, denn alle hatten Mitleid mit dem hübschen Jungen, dessen Gesang sie eben so tief gerührt hatte. Aber der Zigeuner, dessen rohe Züge der Zorn noch mehr entstellte, schien sich nicht abhalten zu lassen; schon hatte er den Knaben am Halse gepackt und in eine Ecke des Zeltraumes gezerrt, da stürmte ein Kriegsmann mit einer Eisenhaube, einem mächtigen Schwerte an der Seite und einem Maschenpanzer, über den er die Schärpe mit den! Farben der Grafen von Cilli trug, zum Zelte herein; er hatte von draußen den Lärm gehört und war neu¬ gierig eingetreten. Sogleich machten ihm die Anwesenden Platz. „Raum für den Feldhauptmann Seiner Gnaden des Grafen von Cilli!" ries man von allen Seiten. „Platz für Herrn Jan von Witowetz!" und ehe noch der Zigeuner die Peitsche auf den sich wehrenden Knaben niederfallen ließ, hatte ihn der riesig starke Rittersmann schon bei der Der letzte Graf von CM. 13 o Kehle gepackt und mit einem Ruck seiner eisernen Faust in die andere Ecke geschleudert, während er den weinenden und zitternden Knaben, der in die Knie gesunken war, r anfhob und an seine Brust drückte. l Doch der Zigeuner hatte sich rasch gefaßt und in¬ dem er das Messer aus dem Gürtel riß, stürzte er auf l den Ritter los. Dieser aber hielt ihm die Faust mit dem Eisenhandschuh entgegen und herrschte ihn mit einer wahren Donnerstimme an: „Hüte dich, mir zu nahe zu kommen ! Ich stehe im Dienste des Grafen von Cilli und der ist nicht gewohnt, lichtscheues Diebsgesindel auf seinem Grund und Boden zu dulden. Schau, daß du sobald wie möglich von hier fort¬ kommst mit deiner Diebsbrut. Lange genug treibt ihr landflüchtigen Gesellen euch im Burgfrieden unseres er¬ lauchten Grafen umher; es ist Zeit, daß ihr wieder ins llngarland zurückkehrt, von wo ihr gekommen seid; viel¬ leicht, daß euch der Hunyadi besser brauchen kann als unsere Grasen, die sich zur Aufgabe gesetzt haben, das Recht zu schirmen und die Unschuld zu verteidigen." Wutschnaubend wagte der Zigeuner zuerst eine kecke Widerrede: „Herr Ritter, das werdet Ihr bei kaiser¬ licher Majestät zu verantworten haben; der hochselige Kaiser Sigismund hat uns armen Kindern des Ostens Schutz und Privilegium zugesagt und vor dem Zelt ist auch des Reiches Standarte ausgepflanzt." Da warf sich der Witowetz stolz in die Brust: „Des Reiches Adler und der Löwe von Luxemburg", rief er mit lauter Stimme, „stehen nicht höher im Werte als die zwei roten Balken der Sannecker und die goldenen 14 Leo Sinolle. Sterne im blauen Felde der Heunburger; auch die drei gekrönten Löwenköpfe der Herren von Zagorien und der Adler der Ortenburger brauchen sich neben dem kaiser¬ lichen! Wappen nicht zu verstecken. Und alle diese Wappen führt unser Herr, der Altgraf Friedrich, und sein stolzer Sohn Ulrich, die dermalen hier auf ihrer Burg weilen und euch Beine machen werden, wenn ihr nicht so bald als möglich, noch heute Nacht, mit eueren Kasten und Karren und euerem ganzen 'Diebsgut das Feld räumt." Der Zigeunerhauptmann wagte kein Wort der Widerrede mehr und aus den Reihen der Zuschauer erklang lauter Beifall, denn die Roheit des alten Zigeu¬ ners gegenüber dem schönen und, wie es schien, unglück¬ lichen Kinde hatte alle mit Zorn gegen den alten Zigeuner erfüllt. „Du aber", wendete sich Jan von Witowetz jetzt zum Knaben, „kommst mit mir; ich werde dich zum Jung¬ grafen Ulrich in die Grafei führen. Du wirst dem Grafen deine Abstammung und Herkunft erzählen und du kannst sicher sein, daß mein hochherziger Herr sich deiner an¬ nehmen wird, wenn er dich seines Vertrauens für würdig erachtet." „Schaut, daß ihr weiter kommt!" herrschte der Ritter die Zigeuner au, die mittlerweile herzugelaufen waren und sich an ihn gedrängt hatten, und indem er den Knaben bei der Hand nahm, schritt er mit festen Schritten und klirrend durch die Menge der Zuschauer, die ihm wieder ehrerbietig Platz machte und mit' teilnehmenden Blicken dem Knaben nachschaute, der mit seincu großen leuch¬ tenden Augen ganz verwirrt umherblickte und nicht wußte, Der letzte Graf von Cilli. 15 Wie ihm geschah und wie er alles zu deuten hatte. Ein ' altes Zigeunerweib verfolgte den Knaben mit Blicken, in denen so etwas wie zärtliche Teilnahme lag. Sic bettelte den Kriegsmann an, der ihr ein paar Geldstücke zuwarf und ruhig wciterging, indem er den Knaben an der Hand führte. II. .Grüfei nnä Burg von Cilli. Einige Jahre waren verstrichen. Im großen Garten der Grafei von Cilli blühten die Obstbäume; die Vögel sangen ihr Helles Morgenlied und vom Sannflussc her wehte ein frisches Lüftchen und setzte die jungen Gras¬ halme und die Ästchen und Zweige der Bäume, deren roter und weißer Blütenschmuck das Helle Grün der Blätt¬ chen ganz verdeckte, in zitternde Bewegung, so daß die Strahlen der Frühlingssonne unruhig auf den Kieswegen und den Rasenplätzen zitterten. Die Luft war von balsamischen Düften durchhaucht und eine wohlige Wärme, die nach dem strengen Winter des Jahres 1454 doppelt erquicklich war, machte den Aufenthalt im Freien angenehm und labend. In dem großen Baumgange, der zur Laube führte, die urit wilden Weinblättern umrankt war, wandelten zwei Frauen. Die eine, von schlanker hoher Gestalt, war in ein blaues Samtkleid gehüllt und eine kostbare Pelz¬ schaube war nachlässig um die Schultern geworfen. Im Haar blitzte eine prachtvolle Perlenschnur und eine fun- 16 Leo Smolle. kelnde Agraffe in Form einer Fürstenkrone hielt das Spitzentnch fest, das auf den Nacken und, die Schultern niederfiel. Das edel geformte blasse Gesicht verriet fremde Her¬ kunft, ebenso das ihrer Begleiterin, die viel jünger und an Wuchs kleiner und niedlicher aussah als die hohe Ge¬ stalt der neben ihr schreitenden, wahrhaft fürstlichen Er¬ scheinung; doch war auch ihrem zarten Gesicht mit den dunklen Augen und der fein geformten griechischen Nase der Ausdruck jenes schwermütigen Ernstes ausgeprägt, den bittere Lebenserfahrung und vielfaches Nachdenken selbst jugendlichen Zügen zu verleihen pflegen. Jetzt beugte sich die hohe Gestalt zu ihrer Beglei¬ terin nieder und sagte mit wohllautender Stimme, deren vollem raschen Klange man es anmerkte, daß sie ans Befehlen gewohnt war: „Jsaura, dir scheues Täubchen, wie sehr sticht dieser holde Frühlingstag, der seine Wohlgerüche um uns aus¬ streut, von der düsteren Weltlage und dem traurigen Ge¬ schicke ab, dem mein armes Vaterland Serbien ent¬ gegensieht." „Tief beklage ich es," entgegnete Jsaura, die Kammer¬ zofe und Gesellschafterin der Gräfin Katharina von Cilli, mit der sie eben jetzt durch den Garten wandelte, „daß das tapfere Serbenvolk und Euer erlauchter Vater, Fürst Georg Brankovich, den Feinden der Christenheit, den wilden, furchtbaren Osmanen unterliegen müssen, wenn ihnen keine Hilfe kommt." „Und eben diese Hilfe", fiel Gräfin Katharina rasch ein, „ist gerade jetzt so gut wie aussichtslos. Mein Ge- Der letzte Graf von Cilli. 17 mahl, der Graf, ist verdüstert, weil er den Ränken und Umtrieben jenes schändlichen Eizinger in Wien Weichen mußte. Bei Nacht und Nebel, als Flüchtling, verließ er Wien, er, der dort als unumschränkter Herr geherrscht und ganz das Vertrauen des jungen Königs besessen hatte! Der junge Fürst, dessen Herz doch mit wahrer Sohnesliebe an meinem Gemahl gehangen hatte, wagte kaum aufzublicken, als er, ganz unter dem Banne Eizin- gers stehend, auf dessen Frage, ob es sein Wille fei, daß Graf Ulrich den Hof verlasse, mit kaum hörbarer Stimme flüsterte: Es ist mein königlicher Wille." „Tröstet Euch, edle Gräfin," nahm Jsaura wieder das Wort, „Euer Herr Gemahl, Graf Ulrich, ist zum Herr¬ scher geboren, sein hoher Geist brütet unaufhörlich über stolzen Plänen und Entwürfen. Sein Platz ist in der Nähe eines Thrones oder vielmehr, er gehört selbst auf den Thron der drei Reiche Österreich, Ungarn und Böh¬ men, deren Vereinigung, wie Ihr mir einmal erzähltet, er mit glühendem Ehrgeize anstrebt. Ich bin ein armes Mädchen ohne Eltern und Vaterland, das ganz ange¬ wiesen ist auf Euere gnädige Hilfe und Unterstützung, edle Frau Gräfin; ich verstehe nichts von Staatshändeln und Regierungskünsten, aber mir sagt es mein Herz, Euer Gemahl wird noch zu hohen Ehren kommen und wie die strahlende Sonne aus den Wolken brechen, die jetzt seinen Lebenshimmel beschatten." „Das eben ist's," erwiderte die Gräfin lebhaft, „was mir das Herz so schwer macht. Der unbändige Ehrgeiz des Grafen wird ihn gewiß noch zur Höhe führen, aber er wird ihn auch hinabschleudern in die Nacht des Ver- Sin olle, Der letzte Graf von Cilli. 2 18 Leo Smolle. derbens und vielleicht sogar ein gräßliches Ende herbei¬ führen. Nicht du allein, mein scheues Vögelchen, das einst unter dem blauen Himmel Griechenlands sang und nun hier in dem steinernen Bergschlosse, das rauhe Stürme umtoben, seine Jugend vertrauern muß, bist zu beklagen. Auch ich, deine Herrin, bin es, nicht bloß weil mein Vaterland von den wilden Türken bedroht ist, sondern weil ich immer für das Leben meines Gemahls zittern muß, den seine Ruhmbegier nicht rasten und nicht ruhen läßt und dessen stürmisch bewegte Seele erst im kühlen Grabe — ach! vielleicht bald — den Frieden finden wird, den ich ihm trotz heißen Verlangens nicht bereiten kann." „Wahrlich, Ihr seid zu beklagen, edelste Frau Gräfin, aber Ihr seht zu trübe. Euer Gemahl wird alles erreichen, was er anstrebt, und dann wird er an Eurer Seite das Glück genießen, das seine Kraft sich erstickten hat." „Gott gebe es, aber ich glaub' nicht daran; seitdem vor zwei Jahren mein erster Sohn Hermann dem früh verstorbenen zweitgeborenen, dem armen Georg, im Tode folgte, habe ich jede Hoffnung aus häusliches Glück ver¬ loren. Nur auf den beiden Augen des Grafen Ulrich ruht noch der Stamm der stolzen Cillier, ich fürchte fast, er wird mit meinem Gemahl in die Gruft sinken und nur die Sage, die um die Mauern der Burg dort oben ihre blühenden Ranken winden wird, mag noch raunen und flüstern von dem Reichtum uud der Macht der Cillier Grafen." Die beiden Frauen waren stehen geblieben und Gräfin Katharina deutete mit der ausgestreckten Hand auf die stolze turmbewehrte Feste, die sich auf dem Gipfel des Der letzte Graf von Cilli. 19 bewaldeten Schloßberges erhob und deren Zinnen im Morgenlichte leuchteten. Tiefe Wehmut bedeckte das Gesicht der Gräfin und Jsaura, die sie auf andere Gedanken bringen wollte, nahm wieder das Wort. „Nicht ohne Schatten blieb Euer Leben, obwohl Ihr die Tochter des edlen Serbenfürsten und die Gemahlin des reichsten Edelmannes in Steier, Krain und' Kroatien seid, aber noch lebt Euer fürstlicher Vater, noch habt Ihr ein Vaterland, wenn es auch vom Feinde der Christen¬ heit arg bedroht ist, aber ich habe weder Eltern noch Heimat mehr." „Ja, Jsaura, du bist noch mehr zu beklagen. Erst vor kurzem erhielt der Priester unseres griechischen Glau¬ bens, der mich als Braut hieher begleitete, der ehrwürdige Anastasius, geheime Kunde, daß Byzanz, der stolze Kaiser¬ sitz, in die Hände der Ungläubigen gefallen ist und daß die herrliche Sophienkirche in eine Moschee umgewan¬ delt wurde." „Gerade im Schatten dieses wunderbaren Domes", fiel Jsaura lebhaft ein, „stand das Haus, in dem meine Eltern wohnten. Der Vater sank vor dem Feinde, die Mutter tötete der Kummer, ein Bruder geriet in die Ge¬ fangenschaft der unmenschlichen Türken und die kleine Schwester wurde vor den Augen der Mutter getötet. Doch was ist mein Leid gegenüber dem, das der ganzen Christen¬ heit zugefügt wurde! Wie viel Schätze an leuchtenden Prachtwerken der Kunst, wie viele Schriften großer Geister gingen verloren bei dem Sturme der Türken!" „Anastasius erzählte mir, daß viele Mönche geflohen 2* 20 Leo Smolle. seien nut Bücherschätzen aus der alten Heidenzeit. Zwar haben die römischen und griechischen Weisen noch nicht die Heilslehre unseres Herrn Jesu Christi gekannt, aber es blüht doch viel Schönes in ihren Schriften und, richtig verstanden, werden sie Freude und Lust verbreiten." „O Gräfin," erwiderte Jsaura und ihre bleichen Wangen röteten sich, „wie sehr wünschte ich, es möge einmal ein Zeitalter kommen, in dem lauter so edle Menschen leben wie Ihr seid, die sich der Armen und Be¬ drückten so hochherzig annehmen wie Ihr Euch meiner angenommen habt, da ich als arme Waise hieher ver¬ schlagen wurde." „Ich handelte gar nicht so uneigennützig als du denkst," erwiderte die Gräfin, freundlich lächelnd, „meine Mutter war doch auch eine Griechin und als dich mein Bruder zu mir brachte, warst, du ein kleines Geschöpf, aber ich fand Gefallen an deinem Lautenspiel und den hübschen griechischen Liedchen, die du mir vorsaugst." „Ach, würde doch noch einmal das Kreuz auf der Kuppel der Sophienkirche in Byzanz leuchten!" rief Jsaura voll warmer Begeisterung aus. „Man spricht von einem neuen Kreuzzuge gegen die Türken", sagte die Gräfin,, „und ich muß noch heute zum Altgrafen Friedrich, meinem Schwiegervater, um ihn zu bitten, seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, auf daß auch mein Gemahl seine Waffen gegen den christlichen Erbfeind kehre. — Doch Jsaura, sieh, wer kommt dort vom Schlosse her uns entgegen?" Mit raschen Schritten kam ein Jüngling näher, in dem wir nur schwer unfern Paul wieder erkennen. Auf Der letzte Graf von Cilli. 21 seinem Lockenkopfe saß ein schwarzes Samtbarett, die schlanke Gestalt war ganz in dunkles Tuch gekleidet und auf der Brust des Wamses war das Wappen der Cillier gestickt. Ein Spitzenkragen fiel über Hals und Schultern und um die feinen Handgelenke schlangen sich gleichfalls reiche Spitzenmanschetten. Sein südländisch braunes Gesicht war von raschem Gange gerötet. Als er jetzt in die Nähe der beiden Frauen, die ihre Schritte anhielten, gelangt war, lüftete er sein Barett und grüßte mit ehrerbietiger Kniebeugung die Ge¬ bieterin, Gräfin Katharina. „Seine Gnaden der Herr Graf Friedrich", sagte er jetzt mit weicher, wohltönender Stimme, „sind bereit, Frau Gräfiu zu empfangen. Seine gräfliche Gnaden fürchtet die frische Luft des Frühlingstages, weshalb er sein Gelaß in der Burg Ober-Cilli nicht verlassen mag." „Es ist gut, Paul, geh voraus und melde den: Herrn Grafen, unserem Schwiegervater, daß wir dir auf deut Fuße folgen." Paul verneigte sich tief und eilte voraus ; die Gräfin und ihr griechisches Kammcrfräiilein schritten hinter ihm den gewundenen Pfad, der zur äußeren Burgmauer führte, hinau, denu Gräfin Katharina hatte es abgelehnt, den Zelter zu besteigen, der sie herabgetragen hatte. So betreten wir mit den beiden Frauen die Räume der Burg Ober-Cilli, die wie für die Ewigkeit gebaut schien und mit ihren massigen Türmen und dicken Mauern trotzig aufs grüne blühende Gelände und die am Fuße des Schloßberges pfeilschnell dahinschießenden Fluten der Sauu herabblickte. 22 Leo Smolle. Die Aussicht, die em Rundblick vom Schloßberg gewährt, ist entzückend. — Gegen Westen und Norden das freundliche Sanntal mit seinen unzähligen Kirchen und Burgen, die grüne Talslur umsäumt von der Kette der Oberburger und Sulzbacher Alpen, gegen Süden er¬ schaut man die anmutig geschwungenen Formen des Bachergebirges, gegen Nordost liegt Hochenegg mit seinen drei stattlichen Kirchen; zu Füßen, wie eingebettet in lachende Wiesen und sruchtreiche Felder, das anmutige Städtchen Cilli, damals in engeren Grenzen als heute und umwallt von festem Gemäuer mit turmbewchrten Toren. Die Ummauerung war noch nicht ganz vollendet und die sechs Türme, welche die drei festen Tore flankierten, standen erst im Baue, denn Graf Friedrich II. begann erst Ende des Jahres 1450 das Städtchen, das vor zwei Jahren beinahe ganz nicdergebrannt war, mit einem „neuen Gemäuer" zu umgeben; früher hatte die Stadt nur Zaun und Graben, aber die drohenden Zeitläufe und vor allem die fortwährenden Türkeneiufällc nötigten zu ernsteren Maßregeln. Graf Friedrich II. war überhaupt den Bürgern Cillis sehr zugetan und er bedachte sie im Jahre 1451 mit einem Privilegium, durch welches sie den anderen Städten des Landes gleichgestellt und von jeder Fron und Robott be¬ freit wurden; nur zum Bau der neuen Mauer mußten sie mit Hand- und Spanndiensten bereit sein. Auch schenkte er den Bürgern sein Hans ans dem Marktplatze, das früher dem Heinrich Erlauer gehört, um es als Rathaus zu be¬ nutzen, und behielt sich nur ein Zimmer zur Aufbewah¬ rung seines Rüstzeuges. Der letzte Graf von Cilli. 23 Er erließ den Cillier Bürgern auch die Weinsteuer, den sogenannten „Hofwein", und den Weinschenkern das „Leutgebengeld" und nahm sich überhaupt der Gewerbe und des Handwerkes rührig an. , In seine Fußstapfen trat sein Sohn Ulrich, wenn¬ gleich die Welthandel, in die er verstrickt war, ihm wenig Zeit und Laune übrig ließen, seine Sorge dem frisch aufblühenden Städtchen zuzuwenden. Der friedliche Fleiß der Bürger entfaltete sich unter dem Schutze der Burg, die drohend und trotzig auf dem Rücken des Berges sich erhob. Die Burg war ein weitläufiges Gebäude, an dem mehrere Geschlechter gebaut hatten und in dem treppauf und -ab über Höfe und durch schluchtenartige Gänge nur kundige Führung die Wege weisen konnte. Unter den Türmen war der gewaltigste der soge¬ nannte Friedrichs-Turm, in dem Graf Friedrich von seinem Vater Hermann gefangen gehalten worden war, noch jetzt als Ruine, vom grünen Gewinde des Efeus fast ganz bedeckt, zugleich ehrfurchtgebietend und zu stiller Wehmut stimmend. Damals, zur Zeit unserer Erzählung, stand der Bau, dessen Inneres die Gräfin Katharina jetzt betrat, in seiner ganzen Pracht da und blickte majestätisch auf das idyllische Gelände zu seinen Füßen. Hier ist auch der schickliche Anlaß, über die Be¬ wohner der Burg, die mächtigen Grafen von Cilli, einige Worte der Erzählung einzufügen. Gras Ulrich, der Gemahl der Gräfin Katharina, war der Sohn des Altgrafen Friedrich II., der zur Zeit, als 24 Leo Smolle. unsere Erzählung beginnt, noch lebte. Die Grafen von Cilli waren aus bescheidenen Anfängen in verhältnis¬ mäßig kurzer Zeit durch die leidenschaftliche Tatkraft und rücksichtslose Ausnützung der Verhältnisse zu einer Höhe der Macht emporgestiegen, die sie fast den ersten Fürsten des Deutschen Reiches gleichstellte. Sie besaßen damals 38 Herrschaften in Steiermark, darunter außer Cilli Purgstall, Sanneck, Fraßlau, Schön¬ stem, Schallegg, Gonobitz, Eibiswald u. a.; in Kärnten gehörten ihnen 18 Burgen und Liegenschaften, in Kram 27, in Kroatien und Slawonien 20, in Niederösterreich 6, darunter Mödling, Guntramsdorf, Maria - Enzers- dorf. Der Aufschwung ihres Hauses datierte vou dem Zeitpunkte, als der deutsche Kaiser Ludwig der Baier am 16. April 1341 den Freihcrrn Friedrich von Sanneck zum Grafen erhob,, wie es in der Urkunde heißt, „durch unser Oheim von Österreich bet und mit iren willen". Friedrichs I. Söhne waren Ulrich und Hermann; dieser vermählte sich mit der Tochter des Serbenfürstcn Stephan Tvarko und verknüpfte so die Geschicke feines Hauses mit den südslawischen Ländern. Aus dieser Ehe entstammte Hermann II., der sich mit Elisabeth, Gräfin von Schaumburg, einer der reich¬ sten Erbinnen des oberösterreichischen Adels, verheiratete. Dieser Hermann war ein Mann von rücksichtsloser Härte, aber von weitausschauendem Blicke, wenn es galt, die Interessen seines Hauses zu wahren und die Macht des¬ selben ins Ungemesseuc zu erweitern. Kaiser Sigismund verlieh ihm die Grafschaft Sagorien in Kroatien und Der letzte Graf von Cilli. 25 seither schrieben sich die Cillier Herren Grafen von Cilli und im Seger. Kaiser Sigismund, der immer in Geldnöten schwebte, erhielt vom Grafen Hermann von Cilli wiederholt größere und kleinere Darlehen, denn so habgierig, fast geizig der Graf war, so öffnete er doch willig die Schnüre seines Geldbeutels, wenn er sich daraus neue Vorteile erhoffte. Als nun gar Kaiser Sigismund nach der Hand der jüngsten Tochter des Grafen, Barbara, Verlangen trug und sie auch wirklich heiratete, trotzdem ihre Gefallsucht und ihr ränkevolles Wesen bekannt waren, fiel neuer Glanz auf das Haus Cilli. Der Kaiser verlieh dem Grafen Hermann II. das Banat in Slawonien mit der Murinsel und der Festung Csakathuru, und so wurde der Cillier Graf einer der mächtigsten ungarischen Reichsbarone und das Schicksal des Geschlechtes blieb fortan mit den Angelegenheiten Un¬ garns auf das innigste verbunden und aus dieser Quelle flössen auch jene tragischen Verwicklungen, die den Sturz des letzten Grafen und mit ihm den Untergang des ganzen Hauses herbeiführten. Hermanns ältester Sohn war Friedrich II. Schwer ruhte auf ihm die eiserne Hand des Vaters und forderte blutige Sühne, als Friedrich 'seine Ehe mit der Gräfin Elisabeth von Modrnsch gewaltsam löste und, wie kaum zu bezweifeln, auch den Tod der unglücklichen Gattin her¬ beiführte. Er war von leidenschaftlicher Liebe zur schönen Kroatin Veronika von Deschenitz verblendet, mit der er sich auch heimlich vermählte. Dafür wurde er vom Vater iu der Burg Cilli gefaugen gehalten und auch die schuldlose 26 Leo Smolle. Veronika entging nicht der Rachsucht des Grafen Her¬ mann, der durch seines Sohnes Leidenschaft die stolzen Pläne des Hauses durchkreuzt sah. Veronika starb durch Mörderhand auf Anstiften des Grafen Hermann. Zwischen Vater und Sohn kam wohl eine Aussöhnung zu stände, aber einem blutigem Schatten gleich stand fortan Vero¬ nikas Bild im Leben des Grafen Friedrich und alle Ehren, die er noch erwarb, konnten die gräßliche Vergangen¬ heit niemals völlig verwischen. Graf Hermann starb zu Preßburg im Jahre 1435 und bald darauf wurde Friedrich II. in den Fürstenstand des Deutschen Reiches erhoben, und zwar durch Diplom vom 30. November 1436, ausgestellt in der Prager Altstadt. Damit gestaltete sich das Verhältnis der Cillier zu dem habsburgischen Hause, das bisher durch die Klug¬ heit der Grafen von Cilli nicht unfreundlich gewesen war, weniger günstig. Das habsburgische Haus war damals in drei Linien, die österreichische, steirische und tirolische, gespalten. In Österreich regierte Albrecht, Kaiser Sigismunds Schwiegersohn, der nach dessen Tode die deutsche Kaiser¬ krone erlangte, aber schon im Jahre 1439 starb. — In Steiermark war Friedrich V. Herzog; er war über die Erhöhung der Cillier Grafen, seiner bisherigen Vasallen, ausgebracht und wollte ihre fürstliche Würde nicht an¬ erkennen. Als Herzog Friedrich von Steiermark nach dem Tode des Kaisers Albrecht II. auf den Thron des Deutschen Reiches erhoben wurde, gestaltete sich zwar das Verhältnis Ter letzte Gras von CM. 27 zwischen ihm und dem Grafen Friedrich von Cilli anfangs freundlich, bald aber führten die Wirren, die sich wegen der Vormundschaft über das nach des Vaters Tod ge¬ borene Söhnlein Albrechts II., Ladislaus Posthumus (der „Nachgeborene"), in Österreich, Ungarn und Böhmen erhoben, zu einer neuen dauernden Trübung der Be¬ ziehungen der Habsburger und Cillier, denn Graf Friedrich und sein Sohn Ulrich wollten die Vormundschaft Kaiser Friedrichs über den kleinen Ladislaus nicht anerkennen, vielmehr selbst in dessen Namen die Herrschaft über Un¬ garn, Böhmen und Österreich führen und so für Ladislaus und seine Nachkommen ein großes, mächtiges Reich be¬ gründen, welches vor allem berufen sein sollte, dem Erb¬ feinde der Christenheit, den Türken, kraftvoll entgegen- zütreten. Gewiß war in erster Linie persönlicher Ehrgeiz die Triebfeder ihrer Politik, aber diese entbehrte nicht eines großen historischen Zuges und der Habsburger Ladislaus ward von den Cillier Grafen zum Träger einer weltge¬ schichtlichen Stellung ausersehen. Doch allzu lange haben wir schon den Gang unserer Erzählung unterbrochen, zu der wir jetzt zurückkehren, um zunächst wieder das Schicksal unseres Paul zu verfolgen. III. Druäer Bertliolck. Im hohen, bis zur Decke getäfelten Gemache der Burg Ober-Cilli stand vor einem breiten Tische, auf dem ein Pult aufgestellt war und den viele dicke, in Schweins- 28 Leo Smolle. leder gebundene Bücher und Pergamentrollen mit daran hängenden Siegeln bedeckten, ein Mann im Mönchsge- wande, eifrig mit dem Durchblättern alter Handschriften beschäftigt. Er mar ungefähr sechzig Jähre alt, obwohl man seiner aufrechten und stattlichen Gestalt und dem wenig ergrauten braunen Haarkranze, der nach Mönchsart seinen Scheitel umgab, sowie der frischen Gesichtsfarbe dies Alter noch kaum anmerken mochte. In seinen Augen glühte ein jugendliches Feuer, das schwärmerische Andacht und Eifer in den Studien entzündet hatten. Jetzt öffnete sich die hohe Tür des Gelasses und Paul trat herein. Während die Gräfin sich zum Altgrafcn begeben hatte und Jsaura in die Kemenate der Diene¬ rinnen geeilt war, wo ganze Ballen von Weißzeug und Linnenstücken ihrer ordnenden Hand harrten, suchte Paul die Studierstube des Minoritenbruders auf, der als Schloßkaplan beim Alt- und Junggrafen in hohen Ehren stand. Seitdem Paul damals durch den Feldhanptmann der Cillier den rohen Mißhandlungen, des Zigeunerhaupt¬ mannes entrissen worden war, weilte er als Page im Schlosse. Die beiden Grafen, Vater und Sohn, hatten ihn seines bescheidenen, anstelligen Wesens halber sehr lieb gewonnen ; ebenso hatte er die ganze Zuneigung der Gräfin auf sich gelenkt und war zu ihrem speziellen Dienste be¬ stimmt worden. Zwar Wichte man über seine Herkunft nichts Be¬ stimmtes und auch der Knabe hatte keine genaueren Mit¬ teilungen machen können, er wußte nur so viel, daß er Der letzte Graf von CM. 29 Wahrscheinlich aus edlem florentinifchen Geschlechte stamme und früh verwaist und aus der Heimat verstoßen worden war. Graf Ulrich hatte beschlossen, Nachforschungen über Geburt und Abstammung des Knaben anzustellen, aber seine Kriegszüge und die vielverschlungenen politischen Händel, in denen der Graf mitten inne steckte, hatten ihn trotz mehrerer Jahre, die schon seit Pauls Ankunft in der Burg verstrichen waren, noch immer nicht an die Erfüllung seines Versprechens schreiten lassen. Vom ersten Augenblicke an hatten Paul und der ehrwürdige Minoritenbruder Berthold einander liebge¬ wonnen und, wenn es erlaubt ist, das Verhältnis zwischen Lehrer und- Schüler so zu benennen, miteinander Freund¬ schaft geschlossen. Denn Bruder Berthold war Pauls immer freundlich gesinnter und geduldiger Lehrer geworden und Paul horchte, je älter er wurde, mit desto größerer Begierde auf die milden Worte des Klosterbruders, der ihm, dem schon früh vom Schicksale hart umhergestoßenen Waisenkinde, eine neue Welt erschloß. Und mit heißer Begierde lernte Paul, was der Mönch aus Büchern und Pergamenten ihm deutete. Als Pgul herangewachsen war, holte Bruder Bert¬ hold einmal aus einem geheimen Fache seines Schrankes eine vergilbte Rolle und indem er fast zärtlich mit seinen Weißen, schlanken Fingern die Stäubchen entfernte, die trotz guter Aufbewahrung auf der Rolle lagen, öffnete er feierlich und mit leuchtenden Augen den stark ver¬ gilbten Schatz. Das Fenster war geöffnet und ein linder Sommer¬ wind trug den Duft des Flieders vom Schloßgärtlein in 30 Leo Smolle. die Stube, die sonst nur nach Papieren und Pergamen¬ ten roch. „Du bist achtzehn Jahre alt", sagte damals der Mönch zum Jüngling. „Als ich in diesem Alter stand, war ich auch voll freudigen Lebensmutes und allerlei süße Hoff¬ nungen keimten in meiner Seele; ich las mit Freuden die Büchlein von Walter von der Vogelweide und Hart¬ mann von der Aue und Mthard von Riuwental und schrieb die schönen Frühlings- und Minnelieder gar emsig ab und trug sie in diese Rolle ein; auch manches Liedlein, das meinem eigenen fröhlichen Herzen entsprang, habe ich hier eingeschrieben und gar mühsam mit zierlichen Bildchen verziert. Lies darin, mein lieber Paul, auch du wirst wohl schon häufig in gleicher Stimmung gewesen sein und vielleicht hast du auch schon heimlich Verse geschmiedet. Ich freilich habe des Lebens Eitelkeit nach schweren Seelen¬ kämpfen erfahren und mein stürmisches Herz hat erst hinter den Mauern des Klosters den langeutbehrten Frieden ge¬ funden." So war denn Paul auch mit den lieblichsten Blüten des ritterlichen Minnesanges vertraut geworden und manches Liedlein, das er an goldenen Frühlingstagen selbst gedichtet, verwahrte er gar sorgsam unter seinem Wamse und trug es am Herzen, dessen jungem Sehnen es entsprungen war, damit kein unberufenes Auge die Verse entdecke, die er fein und zierlich in deutscher Sprache zu fügen verstand, trotzdem er nicht in deutschen Landen geboren war, sondern unter dem milden Himmel Italiens am schönen Arnostrande. Selbst seinem gütigen Lehrer verheimlichte er diese Der letzte Graf von CM. 31 ersten Proben seiner poetischen Kunst, denn er fürchtete das. strenge Urteil des feingebildeten Geistlichen, der nur noch Freude an den Büchern hatte und selten mehr zur Laute griff und, selbst wenn er im. Lustgärtlein der Burg lustwandelte, immer eine Rolle oder ein Pergamentblatt bei sich hatte, in denen er, aus- und abwandelnd, studierte. Nur einmal.— es war ein leuchtender Sommertag und die Vöglein draußen im Schloßgarten schmetterten Mn die Wette ihre Lieder in den blauen Himmel — zog Paul ein Blättlein aus seinem Wamse und reichte es dem Klosterbruder, der gerade im Garten auf- und abging. Sein Gesicht war rot vor Erregung und als der Mönch zu lesen begann, schlug er beschämt die Augen zu Boden. Bruder Berthold flüsterte halblaut die Verse, die auf denr Pergamente standen, dann las er nochmals das letzte Gesetzlein: Jung Konradin aus edlem Stauferhaus Ritt nach dem Süden um die Krone aus; Ach, könnt' auch ich durch Wald und Aue streifen, Um nach der Minne süßer Frucht zu greifen, . Die nur im Süden reift in voller Pracht, Wohin mein Herz mich zieht mit Zaubermacht. „Mein lieber Paul," sagte Bruder Berthold zum Jüngling, und ein leises Lächeln glitt über sein gütiges Gesicht, „du willst nach dem Süden, nach dem Lande Italien? Aber ich glaube schier, der rauhe Norden hat es dir angetan und es blüht nicht allzu ferne von hier die Blume, die in deinem jungen Herzen der Minne heiße Flamme entzündet hat. Die Mythologia der heidnischen 32 Leo Smolle. Griechen fabelt viel von Göttinnen, die zur Erde ge¬ stiegen sind, um der Menschen Herzen zu betören. Hast du am Ende auch in einer solchen Griechin Auge zu tief hineingeblickt?" Und er drohte Paul, der ganz verlegen dastand, mit dem Finger. So schlang sich ein Band väterlicher Liebe und kind¬ licher Ehrerbietung um die beiden und gern und oft weilte Paul im Studierzimmer des Mönches und horchte seinen weisen Lehren, die aus reicher Lebenserfahrung geschöpft waren. Als er heute die Stube des Klosterbruders betrat, bemerkte dieser den Eintritt Pauls gar nicht, so sehr war er in seine Schriften und Bücher vertieft. Erst als Paul vor ihm stand, blickte er auf, war aber sogleich bemüht, einen Pergamentband, in dem er soeben geschrieben, mit der Hand zu verdecken. Aber Paul hatte schon einen Blick hinein getan und rief jetzt aus: „Warum verbergt Ihr mir, ehrwürdiger Vater, ein Buch, das sicherlich aus Eurer Feder geflossen und berufen ist, den Ruhm des Verfassers und der anderen Brüder des Klosters zu vergrößern?" „Nun, ich kann ja so nichts vor dir verbergen," ent¬ gegnete Bruder Berthold lächelnd, „so sollst du's denn wissen, aber gelobe mir, es niemandem zu verraten, be¬ vor ich, wie es meine Absicht ist, das Werk dem Altgrafen Friedrich zu seinem Geburtsfeste überreicht habe." „Niemand soll", erwiderte Paul, „von der Frucht Eures Fleißes etwas erfahren, bevor Ihr selbst es für gut findet; doch laßt sehen." Der letzte Graf von CM. 33 Bruder Berthold reichte dem Jüngling den Perga¬ mentband, in dein er soeben geschrieben hatte, und Paul las: Chronika der grafen von Cilli. „Was habt Ihr da vor dem ersten Kapitel für schöne Wappenbilder gemalt?" fragte Paul mit neugierigem Staunen. „Das sind die Wappen der Grafen von Cilli, die Kaiser Sigismund in des deutschen Reiches Fürstenstand erhoben hat; das mittlere, das im blauen Felde drei goldene Sterne trägt, ist das der Grafen von Cilley. Der Urgroßvater des jetzigen Altgrafen Friedrich I. war der erste Graf von Cilli, nachdem er das reiche Erbe der Heun- burger angetreten hatte, und fortan leuchteten die Sterne der Cillier in immer hellerem Glanze nnd die Schick¬ sale des Hauses verknüpften sich mit Kaisern und Königen. Unseres Altgrgsen Schwester Barbara vermählte sich mit Kaiser Sigismund und schier nicht zu übersehen ist die Zahl der Herrschaften, die in Steier, Kärnten, Krain und Kroatien unserem Grafen gehören, aber viele schwere Wolken verhüllten zeitweise den Glanz der Sterne im hellblauen Felde — " Und der Mönch stockte plötzlich in seiner Rede und stützte die hohe Stirn, die der Kranz ergrauender Locken umrahmte, in die Hand, als dächt' er an vergangene Zeiten. Nun nahm auch Paul das Wort: „Dunkle Gerüchte drangen auch an mein Ohr, daß Altgraf Friedrich seine erste Gemahlin Elisabeth durch gewaltsamen Tod ver¬ loren und daß auch die zweite, Veronika von Deschenitz, ein Edelfräulein von wunderbarer Schönheit, durch Mör¬ derhand aus dem Leben geschafft wurde." Smollc, Der letzte Graf von Cill'. 3 34 Leo Smolle. „Du hast recht vernommen. Sinnlose Leidenschaft verblendete unseren Grafen Friedrich und man rannt sich zu, daß an seinen eigenen Händen das Blut seiner ersten Gattin klebt. Fast fürchte ich," setzte Bruder Berthold mit leiserer Stimme hinzu, „daß auch unser Junggraf Ulrich durch seine leidenschaftliche Ehrbegierde ins Ver¬ derben gerissen wird und daß ihm ein allzu frühes, un¬ natürliches Ende bereitet sein wird, denn heißes Blut wallte seit jeher in den Adern der Freien von Sanneck, wie die Cillier früher hießen, und der edlen Herren von Cilli und meine Chronika erzählt auf jedem Blatte von Kampf und Streit und den Stürmen wilder Leidenschaft. Die beiden Söhne unseres Junggrafen sind verstorben, der eine in der Wiege, der andere im zwölften Lebens¬ jahre und vielleicht werden die Sterne Cillis mit dem Grafen Ulrich in düstere Nacht versinken." „Gebe Gott, daß es sich anders füge!" entgegnete tieferschüttert Paul, „Graf Ulrich steht im besteu Mannes¬ alter und trägt sich mit hohen Plänen; zwar ist er jetzt vom Hofe verbannt, doch wird dies nicht allzu lange dauern, denn der junge König Ladislaus ist seinem Oheim von ganzem Herzen zugetan und wird sich von den schlimmen Ratgebern, die ihn jetzt umgeben, sreimachen und Graf Ulrich wird nach Wien zurückkehreu und aus deu Kronen von Ungarn und Böhmen und dem Herzogs¬ hute Österreichs ein großes Reich zusammenfügen, das er im Namen seines Königs mit starker Hand beherrschen wird." „Eben diese stolzen ausschweifenden Pläne", ent¬ gegnete der Mönch voll Besorgnis, „werden dem Grafen Der letzte Graf von Cilli. 35 Ulrich, in dem das stürmische Blut des Vaters rollt, zum Verderben gereichen, denn wer nur nach irdischem Glanze trachtet, baut oft auf leichtem Sande und der Allmächtige zerbricht goldene Zepter wie leichte Halme des Feldes. Hüte dich, mein lieber Paul, vor Hoffart und öffne dein Herz nicht bloß den: weltlichen Ehrgeize, sondern laß die Blume der Demut darin blühen, auf daß sich Gottes An¬ gesicht nicht zürnend von dir wende und seine Gnade, der wir schwache Menschenkinder alle bedürfen, dir auf deinem Lebenswege nicht versagt bleibe. — Doch du hast mir noch gar wenig von deinem Leben enthüllt. Wie kommst du zu dem Namen Casablanca?" „Ehrwürdiger Vater," nahm nun Paul das Wort, „ich vermute, daß dies nicht der Name meiner Eltern ge¬ wesen und daß ich von adeliger Herkunft bin, doch da ich Noch ein zartes Kind war, ward mein Vater von einem Condottiere erschlagen, ich selbst wurde weit weg geführt vom schönen Florenz, wo meiner Väter Schloß stand, Und endlich in ein Haus gebracht, wo schlichte Landleute sich des Kindes annahmen. Wie Schnee schimmerte das Haus aus dein Grün der Pinien- und Olivenhaine her¬ vor und so wurde es nicht anders als das weiße Haus genannt, und diesen Namen gaben mir daher meine Pflegeeltern. Nach ihrem Tode ward ich auf die Land¬ straße hinausgestoßen und Zigeuner raubten mich. So kam ich hieher, wo mich der mächtige Graf von Cilli in seinen Schutz und Schirin nahm, was ihm Gott in Ewigkeit lohnen möge." l) Hauptmann einer auf eigene Faust ausgerüsteten Söldnerschar. 8* 36 Leo Smolle. „Und hast du nichts, was dich an deine armen Eltern und deine eigentliche Abstammung erinnern würde?" „Nichts, hochwürdigcr Vater, als diese kleine Gold¬ münze, die ich immer an der Brust trage und glücklich vor den räuberischen Augen der Zigeuner verborgen hielt." Und er nestelte sein Wams auf und reichte dem Mönche ein kleines Goldstück, das er an einer feinen Seidenschnur um deu Hals trug und unter den Kleidern verwahrte. Der Mönch trat ans Fenster und prüfte sorgsam die goldene Schaumünze. Paul sah es nicht, wie sein Gesicht den Ausdruck höchsten Staunens annahm, er hörte auch die Worte nicht, die der Minoritenbruder in seinen Bart murmelte : „Das ist doch das Wappen unseres Schloßmarschalls, des Falconieri, ja wahrhaftig: der Falke auf der Faust und darunter Mauer und Turm einer Burg. Welch Ge¬ heimnis mag da obwalten? Eine schwere Schuld scheint sich hier zu verbergen, doch Gott wird gewiß diese Schuld, wenn eine solche vorliegt, ans Licht bringen, wenn er es an der Zeit hält und diesen braven Jüngling nicht ver¬ lassen. Wir wollen warten und auf alles achten." So wendete er sich wieder an Paul uud indem er ihm die Goldmünze zurückgab, sagte er: „Bewahre dieses Kleinov Wohl auf, vielleicht kann es dereinst als Zeugnis wider jemanv dienen, der die Früchte genießt, die nicht für ihn wuchsen." Als Paul sich zum Gehen wendete, rief ihm der Minoritenbruder noch nach: „Sei besonders vor dem Marschall Faleonieri auf der Hut!" Der letzte Graf von Cilli. 37 IV. Graf Alrick von Cilli. Warum warnte ihn der ehrwürdige Bruder vor dem Marschall Falconieri? Auch Jsaura, die, ungefähr im gleichen Alter mit ihm stehend, sich gleich, nachdem er zu dem Grafen von Cilli gekommen war, an ihn angeschlos¬ sen hatte, war keine Freundin des Marschalls. Das scheue Mädchen aus dem Griechenlande mit dem sehn¬ süchtig sinnenden Blick hatte Paul auch schon ost vor dem Hofmarschall des Grafen von Cilli gewarnt. So unentbehrlich Falconieri besonders dem pracht¬ liebenden Grafen Ulrich war, der gern glänzende Feste, Prächtige Gelage, große Jagden, Turniere u. s. w. ver¬ anstaltete und dabei der Hilfe des gewandten und in allen fürstlichen Bräuchen und höfischen Sitten wohl vertrauten Italieners nicht entraten konnte, so wenig war er und seine Gemahlin Marina bei der Gräfin und ihrem Kam¬ merfräulein beliebt. Jsaura fand den schleichenden Kämmerling, dessen Augen immer so lauerten, und seine stolze Frau, die sich nur schwer in den feinen Formen des Hofes bewegen konnte und der man es anmerkte, daß sie nicht immer eine Contessa gewesen sei, unerträglich und traute beiden nichts Gutes zu. Auch Paul war es ausgefallen, welchen hämischen Seitenblick der italienische Edelmann auf ihn geworfen, als Ritter Witowetz ihn auf die Burg gebracht hatte. Vergebens bemühte sich der Marschall seither, den jungen 38 Leo Smolle. Pagen für sich zu gewinnen und ihn über alles aus¬ zuholen, was er von Kindheit und Heimat zu berichten wußte. Es gelang Paul immer, den lästigen Fragen aus¬ zuweichen, und Jsaura bestärkte ihn in seinem Mißtrauen. Gerade als Paul aus dem Studierzimmer des Bru¬ ders Berthold heraustrat, traf er im Korridor, der den Zugang zu dem kleinen, in den Bnrggartcn hinausführen¬ den Pförtlein bildete, die Gräfin, die mit Jsaura und ihrem Beichtvater Anastasius vorüberging. Paul schloß sich an und ging an der Seite Jsauras, die fast noch ein Kind war, als Paul in der Burg Aus¬ nahme gefunden hatte und- die sich des Knaben immer freundlich angenommen hatte. „Nun, was habt Ihr bei dem Altgrafen ausgerichtet, edle Frau Gräfin?" fragte Anastasius, der griechische Beichtvater, die Gräfin. „Der Graf, mein erlauchter Schwiegervater, fühlt sich müde und will sich nicht in weitgehende Unterneh¬ mungen einlassen, doch hofft er zuversichtlich, daß fein Sohn, mein Gemahl, wieder zu Guadeu kommen wird bei dem jungen König und daß er dann als mächtiger Gu¬ bernator anch in Ungarn die Streitkräfte gegen den Halb¬ mond führen und so auch Serbiens Freiheit neu begründen werde." „In Ungarn, Frau Gräfin, ist Johann Hunyadi, der Liebling des Volkes, Gubernator und wird es auch bleiben, denn die Ungarn hängen mit leidenschaftlicher Liebe an diesem ihren Helden und Hunyadi bereitet selbst, wie ich gehört habe, einen Hauptschlag gegen die Türken vor." „Dieser Hunyadi ist meinem Gemahl überall im Der letzte Graf von CM. 39 Wege; er ist ein Held, ich weiß es, aber sein Feuer reißt ihn zu ebenso kühnen Plänen und Unternehmungen fort, wie meinen Gemahl sein brennender Ehrgeize Wenn einst ihre Schwerter sich kreuzen werden in feindlichem Zu¬ sammenstöße, da wird das Funkengestiebe einen Brand entzünden, der vielleicht beide vertilgen wird." „Jetzt aber herrscht", nahm Anastasius wieder das Wort, „zwischen dem Cillier und den Hunyadis, die den Raben im Wappen führen, Frieden und Freundschaft." „Und trotzdem streifen", fiel Gräfin Katharina ein, „ungarische Räuberbanden ins Kroatische und brand¬ schatzen die Güter meines Gemahls. Gerade jetzt ist er urit dem Feldhauptmann Witowetz und mehreren Fähn¬ lein nach Kroatien gezogen. Übrigens soll Graf Ulrich heute wieder hier eintreffen, wenn anders die Botschaft wahr ist, die er mir melden ließ." „Wir wollen hoffen," sagte Anastasius, „daß er sich uicht lauge mehr mit solchen unwürdigen Händeln herum¬ schlagen muß, sondern daß bald wieder seinem Ehrgeize ein weiter Spielraum sich öffnen wird; dann wird auch unser armes serbisches Vatcrlaud, edelste Gräfin, nicht Mehr lange unter dem Joche der Ungläubigen seufzen." „Wolle Gott, daß es so komme," sagte die Gräfin, „aber meine trüben Ahnungen und düsteren Träume, die mich des Nachts quälen, lassen keine rechte freudige Hoff¬ nung in meinem Herzen aufsprießen." Mittlerweile waren die Gräfin und der Geistliche an die Mauer getreten, die das Gärtchen im Süden be¬ grenzte und über die hinaus man einen weiten Blick ins schone Sanntal genoß mit seinen Fluren und Dörfern 40 Leo Smolle. und den Fluß, der, von oben betrachtet, wie eine silberne Schlange sich durch samtgrünes Gelände wand. Freudig erhellte sich der Blick der Gräfin, als sie dies mit Ortschaften dicht besäte Land bis zum fernen Kranze der Berge überschaute. Über das ganze Gebiet herrschte ihres Gatten Machtspruch. O, wie froh wäre Gräfin Katharina gewesen, wenn er sich nur dem Wohle und Glücke seiner Besitzungen Hütte widmen und nicht die gierige Hand nach Kronen hätte ausstrecken wollen. Ihr wäre es genug gewesen, an der Seite ihres Mannes in ruhiger Zufriedenheit dahinzulebcn und über glückliche Menschen zu herrschen. Sie sagte dies auch zu ihrem Beichtvater Anastasius, mit dem sie an die Gartenmauer getreten war, indem sie mit der Rechten, an der ein kostbarer Diamantring blitzte, auf das vor ihnen liegende Land hinauswies. „So weit Euer Blick reichen kann und noch weit darüber hinaus, ehrwürdiger Vater, gehört alles den Grafen von Cilli. Wie glücklich könnte ich sein, wenn mein Gemahl sich mit der Verwaltung seiner reichen Güter begnügen würde und wenn in seine Seele Zufriedenheit und Ruhe einkehrten." „Ihr fordert Unmögliches, Frau Gräfin," entgeg¬ nete Anastasius, „denn der Mensch hängt wie die Pflanze von dem Boden ab, aus dem er entsprossen ist. Wie die Rebe nur im warmen Himmelsstriche gedeiht und die stolze Tanne nur im Felsboden des Gebirges, so können ruhige und zufriedene Menschen auch nur in ruhigen Zeitläuften wachsen und gedeihen. — Unsere Zeit ist zu stürmisch, zu wild bewegt. Ein Zeitalter stürzt zusammen, um Der letzte Graf von Cilli. 41 einem neuen Platz zu machen. Die herrliche Sophien- kirche, Justinians Wunderbau, ist zur türkischen Moschee geworden und das oströmische Kaiserreich, das durch Jahr¬ hunderte geblüht hat, ist eine Beute wilder, unzivilisicrter Horden aus Asia geworden. Auch in Euren Ländern droht alles aus den Fugen zu gehen. In Böhmen hat Huß die Brandfackel der Zwietracht unter das Volk geworfen und dieses Land erzitterte unter den Kculenschlägen der Taboriten, so daß die Königskrone auf dem Haupte Sigis¬ munds wankte; Steiermark, Österreich und Tirol zanken sich unter verschiedenen Fürsten und der junge König von Ungarn und Böhmen kann die Kronen kaum be¬ haupten, die seinem Knabenhaupte viel zu schwer sind. — Überall Unruhe, Sturm, Kampf, Streit und in solcher Zeit können kraftvolle Naturen nicht der Ruhe pflegen. Die wachsende Flut reißt sie mit sich. Sie müssen kämpfen und siegen — " „Oder untergehen", siel die Gräfin ein, „und ich fürchte fast, meinem Gemahl.wird dies letztere Schicksal beschicken sein, ihm fehlt nicht die Kraft des Willens, die alles niederringt, Wohl aber die Lauterkeit und Stätigkeit des Gemütes, die das Errungene treu zu schirmen und zu bewahren vermag." Während sie so sprachen, waren auch Jsaura und Paul in die Rundung getreten, die die sich hier aus¬ bauchende Mauer bildete. „Ach, wie schön sind doch Gottes Werke!" ries Jsaura leuchtenden Blickes aus, „wie freundlich ist das Bild, das sich vor uns entrollt. Zwar so funkelnd ist das Gold nicht, das die Sonne des nördlichen Himmels 42 Leo Smolle. über die Erde streut, wie bei uns im schönen Hellas, wo blendend weiße Marmorstatuen aus dem Dunkel der Zypressen hervorleuchten und die schön geschwungenen Kämme der Berge im Purpur des Abends glühen, aber auch hier ist Gottes Güte und Weisheit sichtbar in der Schönheit seiner Welt, nur milder, freundlicher, sanfter ist hier alles, was der Blick umspannt." „Sanfter und milder!" lachte die Gräfin bitter, „nein, auch hier tobt Kampf und Streit der Menschen, die in Neid und Haß gegeneinander wüten. Da sieh, Jsaura, sogleich ein Bild des Krieges vor dir. Dort in der Ferne hebt sich eine Staubwolke auf der Landstraße, das sind Reiter, die heransprengcn mit ihren Knappen. Jetzt kommen sie näher, ich kann die Fähnlein erkennen, es sind meines Gemahls, des Grafen Ulrich von Cilli, Leute und an der Spitze, jetzt sehe ich's deutlich, reitet er selbst und an seiner Seite der Ritter Johann von Witowetz." Und schon erklang das Horn des Burgwartes; die Zugbrücke wurde rasselnd herabgelassen und ein Paar- Augenblicke später stand Graf Ulrich und sein Feldhanpt- mann vor der Gesellschaft im Burggärtlein. Graf Ulrich II. von Cilli war nahe den Fünfzigern, aber seine hohe, imposante Gestalt mit der gewölbten Brust und den breiten Schultern verriet nichts von der Last der Jahre, nur durch die dichten, gewöhnlich sorgfältig ge¬ scheitelten und gekräuselten Haare, die aber jetzt durch den scharfen Ritt in Unordnung gekommen waren, schlang sich manch grauer Faden. Die scharfgeschnittenen Züge seines blassen Gesichtes und die großen, stets ruhelos hin und her sich bewegenden Augen, die nur schwer die Der letzte Graf von CM. 43 aus ihnen hervorbrechende Glut zu dämpfen vermochten, verrieten die Unrast seines Innern und die stürmisch be¬ wegte Seele. Äneas Sylvins Piccolomini, der Kanzler des Kaisers Friedrich III., der als Pius II. später den päpstlichen Thron bestieg, allerdings kein Freund des Cillier Grasen, weil er das Verderbliche seines Ehrgeizes fürchtete, sagte don dem Charakter des Grafen Ulrich, er fei stolz und Icharfsichtig, aber auch wankelmütig und in seinen Ver¬ sprechungen selten treu gewesen. Verstellungskünst sei ihm wl hohem Grade eigen. Begierig, fremdes Gut an sich zu Zitzen, fei er knickerig, fast geizig mit dem feinigen gewesen. Doch loben alle Zeitgenossen an dem Grafen Ulrich Wine Unverzagtheit und Schlagfertigkeit in Wort und Tat. ^asch entschlossen, fehlte es ihm in allen Wechselfällen des Lebens nie an Mut und zugreifcnder Kühnheit, doch verstand er auch meisterlich die Schliche und Kniffe des Diplomaten und seine Gegner in eine lang vorbereitete walle zu locken, traf er ebenso geschickt wie sie mit einem Schlage zu vernichten. So stand Graf Ulrich jetzt vor seiner Gemahlin und bemühte sich ihr gegenüber, die stolze Glut seiner Blicke M dämpfen. Innig und herzlich war die Begrüßung der beiden Gatten. Mit sanfter Stimme machte Gräfin Katharina ihrem Gatten Vorwürfe, daß er wieder so lang von Cilli ierngeblieben sei. „Ihr wißt, Frau Gräfin," antwortete Graf Ulrich, uidem er seiner sonst rauhen und gebieterischen Stimme einen möglichst weichen Ton zu geben beflissen war, 44 Leo Smolle. „mein Schwert vermag nicht lange in der Scheide zu ruhen. Übrigens, mein Lieb, ich führe es nur zu Eurem Ruhme und Glück, um iu die vom Fürstcndiadcm über¬ höhte Grafeukrone, die ich Euch aufs Haupt gesetzt, immer neue Edelsteine einzufügen." „Der schönste Edelstein", erwiderte Katharina vor¬ wurfsvoll, „ist ein ruhiges Herz, das mit seinem Schick¬ sal zufrieden ist und nicht immer nach Höherem und Grö¬ ßerem trachtet. Ich bin eines Fürsten Tochter, aber das Schicksal meines armen Serbenvolkes und meines Vaters haben mich gelehrt, den Glanz der Erde zu verachten und die Ehre, welche die Welt bietet, nicht allzu hoch einzu¬ schätzen." „Man muß nicht immer an Unglück und Mißgeschick denken," sagte der Graf mit dem Tone leichten Unwillens in der Stimme, „sonst wäre nie was Großes auf Erden unternommen worden. Habt Ihr nicht, mein edles Ge¬ mahl, von den tapferen Rittern gelesen, die an König Artus' Tafelrunde saßen, von jenen Lanzelot und Jwein und Parzival und wie sie alle heißen. Wie schalten ihre Frauen, wenn sie sich ,Verlagen', wenn sie daheim süßer Muße pflegen wollten, anstatt auf Abenteuer auszu- zieheu und den Kampf mit Riesen und Leuen, mit Drachen und Zwergen aufzunehmen, und wenn sie dann nach Hause zurückkehrten, so erklangen von holden Frauenlippen Lieder zu ihrem Preis und Ruhm. Serbiens Fürsten¬ tochter und die Gattin des Grafen Ulrich von Cilli wird wohl nicht weniger stolz gesinnt sein als jene Frauen der schon lange verflossenen Minnezeit. — Doch weshalb streiten um Dinge, die eben niemals anders werden! Denn Der letzte Graf von Cilli. 45 nie wird ein Gras von Cilli demütigen Herzens sich vor¬ dem Gegner erniedrigen, nie wird der stolze Löwe zum schwachen Lamm werden, das vor dem Feinde zittert." „Ihr stimmt mir bei, Herr Ritter von Witowetz," wendete sich der Graf nunmehr an seinen Begleiter, „nicht wahr? Doch seh' ich's Eurem saueren Gesichte an, daß es Euch im gegenwärtigen Augenblicke mehr um leib¬ liche Nahrung als um Ehre und Ruhm zu tun ist und daß Ihr nach der Hitze des Tages nach kräftiger Atzung und frischem Trunke begehrt. Darum laßt uns das Mahl rüsten, edle Gräfin, denn der Geist kann nur feurig sein, wenn auch dem Körper sein Recht zu teil wird." — Damit reichte Graf Ulrich seiuer Gemahlin den Arm und geleitete sie in die Burg. Der Schloßwart, Herr Eustachius Frodnacher, führte den böhmischen Ritter auf des Grafen Geheiß in sein Gemach, während die übrige Gesellschaft langsam nach¬ folgte. Des Grafen Diener Kunz Sebriacher eilte auf einen Wink feines Herrn in die geräumige Küche, die im Erdgeschosse lag. Auf der finsteren Wendeltreppe entzündete der alte Kastellan den Kienspan, der im eisernen Ringe steckte, und führte den Witowetz über Treppen und Gänge, durch die nur selten ein vorwitziger Sonnenstrahl sich stahl, in das Gelaß am andern Ende der Burg. Das feiste Gesicht des Schlußwortes lächelte gut¬ mütig und seine stark gerötete Nase verriet deutlich, daß er nicht bloß in den oberen Stockwerken, sondern auch in den Kellerräumen der Burg, wo die großen Wein¬ vorräte lagen, gut Bescheid wußte. 46 Leo Smolle. „Ihr wißt Wohl, Herr Ritter, daß es heute gerade 112 Jahre her sind, daß der Herr Friedrich, Freiherr auf Sanneck, von Kaiser Ludwig dem Baier zum Grafen von Cilli erhoben wurde, was zu München geschah. Celeja war ja schon zu Zeiten des Königs Artus, wie es in der Chronik heißt, ein hochberühmter Ort." „Ja, weiß ich;" erwiderte der von Witowetz un- . geduldig, „Ihr habt mir ja das oft genug erzählt und die ganze Chronik der Cillier Grafen bis herunter zu unserem Junggrafen Ulrich, dem Gott ein langes Leben schenken möge, kenne ich aus Eurem Munde beinahe schon aus¬ wendig." „Wißt Ihr auch, Herr Ritter, daß dieses Zimmer hier zur rechten Hand, au dem wir eben vorbeischreiten, ein furchtbares Geheimnis birgt, denn hier soll unseres Grafen Ulrich Mutter, die unglückliche Gräfin Elisabeth, ihr Leben durch Mörderhand geendigt haben und ihr Geist soll hier umherwandeln, ohne Ruhe und Erlösung zu finden", und er machte mit der Rechten das Zeichen des Kreuzes, während er sich scheu an der Türe vorbei¬ drückte. „Jetzt hört aber mit Euren Gespenstergeschichten auf," rief ihm Ritter Witowetz zu, „dazu habt Ihr um Mitternacht Zeit genug; macht, daß Ihr mich in meine Schlafkammer führt, denn ich will mich- nur rasch vom Staube der Straße reinigen und mich umkleiden, mein Magen verlangt schon gewaltig nach ausgiebiger Labung; seit frühem Morgen ist kein fester Bissen und kein frischer Trunk über meine Lippen gekommen." „Herr Ritter," sagte der alte Kastellan, der schon Der letzte Graf von CM. 47 Wieder mutiger geworden war, seitdem die bewußte Türe hinter ihnen lag, „dieweil Ihr mit unserem Grafen im kroatischen Laude vor den ungarischen Burgen läget, haben wir aus Luttenberg ein Fäßlein bekommen vom 1450er Jahrgange, der so gut gedieh, der fließt wie Öl die Kehle hinunter und ist; so feurig wie — wie —" „Nun, wie Eure Nase," polterte der ungeduldige Ritter heraus, „die Ihr in alles stecken müßt, was Euch gar nichts angeht. Nun sperrt mir mein Zimmer auf und helft mir beim Umkleiden, damit ich rasch in den Saal Nun Speisen komme und Ihr aus dem Keller die Flascheu öon dem extrafeinen Luttenberger heranfholen könnt. Aber irrt Euch nicht in der Tür und tragt sie nicht etwa ia Euer Stüblein, Meister Eustachius!" .„Herr Ritter," entgegnete der alte Schloßwart ge¬ kränkt, „anno Domini 4341 ward der Freiherr Friedrich dom Kaiser Ludwig dem Baier zum Grafen erhoben in der Stadt München. Er nannte sich voll Celeja, ist ein gar hochberühmtcr Ort, kommt schon in der Chronika von ktonig Artus vor und wurde vom König Odoaker auf seinem Zuge nach Italien zerstört." „Schon gut! Schon gut! Kennen wir schon", sagte der döhmische Ritter ärgerlich und doch zugleich lachend, weil der alte Kastellan Miene machte, ihm die schon hundert¬ mal vorgetragene Geschichte aufs neue zu erzählen. „Spute dich, daß wir zu Tische kommen." Doch der alte Kastellan war heute besonders red¬ selig und die Bemerkung des Ritters, er solle nicht die Türen vertauschen, wenn er die Flaschen aus dem Keller Heraufholte, hatte sein Ehrgefühl empfindlich verletzt. 48 Leo Smoke. So fing er denn wieder an: „Herr Ritter, haltet zu Gnaden, doch die Grafen von CM bestehen schon hun¬ dert Jahre, Kaiser Ludwig der Baier —" „Wie ost wirst du mir das noch sagen !" brauste Jan von Witowetz auf. „Und ich selbst, Herr," fuhr der Alte fort, „diene jetzt fünfzig Jahre beim Altgrafen, Seiner fürstlichen Gnaden Friedrich, und will wohl auch feinem Sohne Ulrich noch lange Jahre treu und ehrlich dienen. Wie könnt Ihr solches mir zumuten, edler Herr Ritter? Ich trinke wohl gern? ein Gläschen, aber, Herr Ritter, alles in Ehren —." „Nun, nun, ich denke nichts Schlimmes von Euch, Eustachius, wenn nur Eure verwünschte rote Nase nicht wärst doch da sind wir, kommt und helft mir beim Um¬ kleiden." Bald darauf klangen in der großen Halle die Pokale des Grafen und seines Feldherrn zusammen, gefüllt mit dem köstlichen Luttenberger vom Jahre 1450; man leerte die Humpen auf frohe Tage und eine ruhmvolle Zukunft. Graf Ulrich von Cilli war besonders aufgeräumt. Er strich mit der Rechten, an der ein kostbarer Ring fun¬ kelte, über den wohlgepflegten, gekräuselten Bart und sagte zu seinem Feldhauptmann: „Wenn mich nicht alles täuscht, edler Ritter, so sitzen wir nicht mehr lange in diesem verwünschten Felsen¬ neste, sondern werden bald wieder gen Wien aufbrechen, denn ich hege die Hoffnung, daß dieses Krämers, des Eizingers, Herrlichkeit nicht lange mehr dauern wird. Mir taugt es nicht, hier in den finsteren Gängen herum-- zuschleichen, wo allerlei Gespenster um Mitternacht ihr Der letzte Graf von Cilli. 49 Unwesen treiben, oder im Schlafgemach auf dem Lotterbett zu liegen. Ich brauche Hofluft und mein Geschäft ist, Staaten zu lenken und Reiche zusammenzuhalten." „Und mein Geschäft ist," entgegnete der Böhme mit blitzenden Augen, „im Schlachtgewühl dreinzuhauen und den wuchtigen Streitkolben auf die Schädel der Feinde niedersausen zu lassen." „Stoßt an, Herr Ritter," sagte Graf Ulrich und hob seinen Becher in die Höhe, „auf daß unsere Wünsche bald in Erfüllung gehen! Es lebe die Staatskünst! und der Krieg, aus denen Helden hervorgehen, die sollst in tatenloser Ruhe verkümmern!" V. Festlicher Münz unä clüstere Prophezeiung. Wieder war der Winter ins Land gezogen. Eine dichte Schneehülle lag über dem Gefilde ausgebreitet; an den Ästen des Waldes, der den Schloßberg von Cilli wie ein Mantel umhüllte, glitzerte Eis und Schnee. Ein trüber Wintermorgen war herangebrochen und unfreundliche Nebel wallten im Tale. In seinem Schlosse zu Obercilli stand Graf Ulrich am Fenster und blickte in die grauumschleierte Landschaft hinaus. Düster wie der Tag waren auch seine Gedanken. Seine Feinde, an oer Spitze der ehrgeizige, geldsüch¬ tige Eizinger, hatten ihn vom Wiener Hofe verdrängt. Der junge König in ven blonden Locken, über den er die Krone! gehalten hatte, als er, noch! ein Kind in den Windeln, zu Stuhlweißenburg gekrönt wurde, und dessen Mutter Smolle, Der letzte Gras von Cilli. 4 50 Leo Smolle. Elisabeth er die Augen zugedrückt hatte, mußte gegen ' seinen Willen ür die Entfernung des Grafen vom Wiener- Hofe willigen. Es kam dem König hart genug an, das wußte der Cillier, denn mit seinem weichen, liebebedürs- tigen Herzen hatte sich der junge Fürst innig an seinen Oheim angeschlossen. Ihm imponierte die ritterliche Art des Grafen, sein Wagemut, die Kühnheit der Ziele, die er sich steckte, und Ladislaus haßte, das wußte Graf Ulrich, die kleinliche Krämerseele des aus Bayern eingewnndcrteu Eizinger, der nur auf seine Geldsäcke schlug und mit seinem Reichtum protzte. Aber die Verhältnisse waren stärker als des jungen Königs leicht zu biegender Wille und so mußte Graf Ulrich, heißen Groll im Herzen, weichen und sich auf seine Cillier Herrschaft zurückziehen. Als er nun so beim Fenster stand, dachte Graf Ulrich daran, wie er sich ver¬ geblich an den steirischen Herzog, den Kaiser Friedrich, gewendet, um diesen für seine kühnen, hochfliegenden Pläne zu gewinnen; aber der war schwerfällig und mißtrauisch in seinen Entschließungen und Ulrichs Anträge blieben ohne Erwiderung; dann hatte er sein Schwert, auf dem die stolze Devise „Unversehrt" eingegraben war, der Re¬ publik Venedig angcboten, doch diese marktete und feilschte um jedes Goldstück, das er für seine Söldner forderte, und unwillig brach der Graf all>- Unterhandlungen mit den geizigen Venetianern ab. Alles dies überdachte der Graß als er au diesem Wintermorgen in seinem Zimmer am Fenster stand und in die trübe Landschaft hinansblickte. Im Kamin mit der prächtigen geschnitzten Verkleidung prasselte ein mächtiges Der letzte Graf von Cilli. 51 Feuer, aber dein Grafen überlief doch ein fröstelndes Un¬ behagen, wenn er der Wolken gedachte, die Cillis Sterne verhüllten. Gerade als er so hinausblickte, drang ein Sonnen¬ strahl durch den wallenden Nebel und scheuchte ihn nach allen Seiten, so daß die Winterlandschaft in ihrer glän¬ zenden Schönheit sich vor seinen Augen entfaltete. Zu¬ gleich ertönte des Türmers Hornruf und kündete der Burg die Ankunft erlauchter Gäste, und als nun der Graf schärfer hinausspähte, gewahrte er einen stattlichen Reitertrupp, die Fähnlein der Grasen von Wallsee und Schaumburg, der Stände Niederösterreichs. Auch ein Fähnlein der Stadt Wien entdeckte des Grafen scharfes Auge im Trosse. „Holla!" rief Graf Ulrich, dessen düstere Stimmung sich im Nu in siegesfrohe Zuversicht verwandelte, „das sind die Boten meines Königs, sie rufen mich zurück an den Hof nach Wien, zu neuen Triumphen und Ehren, diesmal aber wird Graf Ulrich nicht weichen, bis er nicht an seines Königs Seite Österreichs, Ungarns und Böh¬ mens vereinigte Lande mit unumschränkter Fürstenmacht beherrscht, es sei denn, daß der Tod ihn mitten im Sieges¬ läufe überrascht. — Doch wer wird au Tod denken, wo Jubel und Freude das Herz ganz ansfüllctt und das Leben Zur schwindelnden Höhe des Ruhmes emporführt? — Ruf mir den Falcouieri!" wendete er sich an seinen Diener, den Sebriacher, der, halb Kammerdiener, halb Hofnarr, immer in der Nähe des Grafen weilte. Als Falconieri eintrat, ries der Graf ihm mit Heller Stimme, der man die freudige Erregung anmerktc, ent¬ gegen: „Wir erwarten heute hohe Gäste; schon hat sie 52 Leo Smolle. der Türmer angezeigt, und wir wollen ihnen Cillis Macht und Reichtum weisen. Mit prachtvollen Festen und köst¬ lichen Gelagen wollen wir sie erlustigen, so daß kein Kaiser¬ hof des Orients ihnen Herrlicheres bieten kann. Ihr bürgt mir mit Eurem Kopfe, Falconieri, daß es den Gästen an nichts fehlen soll. Öffnet ihnen die Prunkgemächer der Grafei, sorgt für Musik uud Tanz; Hermann von der Aue, der fahrende Sänger, der gerade an unserem Hofe weilt, soll ein Minnespiel aufführen und im Hofe un¬ serer Burg wollen wir ein prächtiges Turnier nach alter Rittersitte veranstalten. Eilt, fliegt, Falconieri und wehe Euch, wenn es auch nur im kleinsten Punkte fehlen sollte. Ihr werdet schimpflicher Strafe nicht entgehen." Der Hausmarschall verbeugte sich tief, doch als er den Kopf erhob, schoß er einen giftigen Blick auf den Grafen und vor der Türe draußen murmelte er: „Der Graf behandelt mich in seiner Hoffart, als wüßte er, daß ich nicht der wahre Conte Falconieri, sondern nur der arme Condottiere Tommaso Battista bin. Aber er weiß es nicht, nur sein maßloser Stolz gibt ihm diese Worte ein, doch wer weiß, wie lange seine Herrlichkeit dauern wird? Für ihn und für alle hier im Schlosse bleibe ich für immer der Conte Falconieri und wehe, wenn man mir zu nahe tritt. Ich will ihnen zeigen, daß ich mich zu rächen weiß. An dem stolzen Grafen wird sich vielleicht auch noch das Sprüchlein bewähren: Hochmut kommt vor dem Fall, und der neue Herr wird die Leistungen treuer Diener ge¬ wiß besser zu belohnen wissen." Graf Ulrich hatte richtig vermutet. Vertreter der Stände Österreichs, die Grafen Erwein von Wallsee und Der letzte Graf von Cilli. 53 Johann von Schaumburg, und auch! Abgesandte der Wiener Bürgerschaft, Seyfried Mcrbold und Konrad Windhciin nebst einem stattlichen Troß von Rittern, Knappen und Dienern waren auf Burg Cilli eiugetroffen, um dem Grafen Ulrich die Botschaft zu überbringen, daß der König ihn wieder an seine Seite zurückrufe und daß die Wiener, überdrüssig der knauserigen Strenge Eizin- gers und seiner Genossen, nichts sehnlicher wünschten, als daß der mächtige und freigebige Graf wieder in ihre Stadt cinziehcn und gnädig verzeihen möge, daß die verblendete Bürgerschaft sich vor kurzem von ihm.abgewendet habe. Festlichkeit reihte sich an Festlichkeit zu Ehren der Gäste und air Lustbarkeit und Kurzweil wurde Staunens¬ wertes geboten. Bald war die Grafei in der Stadt Cilli, bald die Burg Obercilli der Schauplatz rauschender Festi¬ vitäten. Besonders schön war das Minnespiel, das von dem Sänger Hermann von der Aue uuter Mitwirkung vieler Ritter und Adeligen und eines Kranzes schöner Edel¬ fräulein veranstaltet wurde. Es klang in eine Verherr¬ lichung Wiens aus, in dem fortan der Cillier thronen sollte und dem Ungarn und. Böhmen ihre Kronen zu Füßen legten. Ein stolzes Lächeln umspielte die Lippen des Grafen Ulrich, als Hermann von der Aue die Schlußstrophe sang: „Cillis gold'ne Sterne flimmern In dem binnen Wappenfeld Und es wird ihr strahlend Schimmern Bald erleuchten eine Welt." Aber Gräfin Katharina erblaßte und blickte erschrocken auf den Grafen, dessen Antlitz nur stolze Freude zur 54 Leo Smolle. Schau trug. Sie aber gedachte des Vaters und der Heimat und verstohlen rann eine Träne über ihre Wange, - doch bemerkte niemand in der ganzen Gesellschaft ihre unerklärliche Trauer, nur Paul, der in Pagentracht an ihrer Seite stand, sah mit Kummer, wie seiner Herrin Gesicht sich verfärbte. Nicht minder glänzend als dieses Minnespiel war das Turiner, das am nächsten Tage im Hofe der Burg ab- gehalten wurde und wobei alle Bräuche streng beobachtet wurden, Ivie sie in der Blütezeit des Rittertums üblich waren. Auf dem geräumigen Burghose vor dem Berg¬ frieds wurden die Schranken für die Zuschauer und die Kämpfenden abgesteckt. Unter einem prächtigen Baldachin von roter Seide mit Goldfransen saß inmitten anderer edler Frauen die Gräfin Katharina, deren Augen stolz aufleuchteten, als sie ihren Gemahl in seiner prächtigen Rüstung mit dem goldenen Fürstenkrönlein als Helmzimier in die Schranken reiten sah. Vom Kopfe seines feurigen Rappen nickten schwere rote Straußfedern und die inr Eisenhand¬ schuh steckende Rechte hielt straff die nach orientalischer Art reich vergoldeten und geschmückten Zügel des edlen Rosses. Schon hatten die österreichischen Landherren, Graf von Schaumburg und der von Wallsec, mit den Vasallen des Grafen, Berthold von Ortenburg und Otmar von Schalleck, ihre Lanzen gebrochen und waren als Sieger u Hauptturm einer mittelalterlichen Burg. Der letzte Graf von Cilli. 55 aus dem Turnier hcrvorgegangen, weil sie mehr Speere Zerstochen hatten, obwohl es ihnen nicht gelungen war, ihre Gegner aus den Sätteln zu werfen. Alles wartete mit Spannung auf den Augenblick, wo der Burgherr selber sich am edlen Wettkampfe be¬ teiligen würde. Jetzt ritten der Graf von Cilli und der Ritter von Lamberg in die Schranken. Die Sonne, die aus deu Wolken hervorgebrochen war, spiegelte sich in der fun¬ kelnden Rüstung des Grafen und- verwirrte den Blick des Ritters, dessen Rüstung und Helm niit herabgelassenem Visier aus schwarz angelaufenem Stahl verfertigt war. Man wußte, daß der Lamberger, ein ehrgeiziger und stolzer steirischer Ritter, dem herrischen Cillier Grafen, seinem Lehensherrn, nicht gar hold gesinnt ivar. Jetzt holte der Ritter zu kräftigem Stoße aus uud traf den Sattelknopf des Grafen von Cilli so heftig, daß dieser Mühe hatte, sich auf dem Rosse zu erhalten. — Aber der Graf ließ dem Gegner keine Zeit, sich zu neuem Stoße zu sammeln; ebenso kräftig als geschmeidig in allen seinen Bewegungen, traf er den Ritter mit so wuchtigem Stoße auf die Brust, daß dieser, nach rückwärts taumelnd, das Gleichgewicht verlor und rücklings in den Sand des Kampfplatzes siel. Mühsam erhob er sich vom Boden und mit wut¬ erfüllten Blicken, die er dem Grafen Ulrich zuwarf, verlor er sich humpelnd im Gedränge der Ritter und Knappen. Der Burgherr hatte auf deu Dank zu Gunsten seiner Gäste verzichtet und so empfing denn Gras Erwein von Wallsee, ein hochgewachsencr Recke mit braunem Haar 56 Leo Smolle. und ebensolchem Knebelbarte, aus den Händen der Gräfin Katharina den Dank in Form einer reichen Schärpe, auf der das Wappen Cillis gestickt war, und der Schanm- burger hatte sich einen kostbaren Ring erstochen, aus lauter kleinen Plättchen zusammengesetzt, den die Gräfin Katha¬ rina ihrem serbischen Schatze entnommen hatte, der noch aus der Zeit des berühmten Knäs Lazar stammte. Auch sie selbst war mit funkelndem Geschmeide be¬ deckt und das große Brillantkreuz,, das sie auf der Brust trug, stammte ebenfalls aus dem Schatze des Serben¬ königs Lazar, der in der Schlacht auf dem Amselfelde im Jahre 1389 von den Türken gefangengenommen und hingerichtet worden war. — Jsaura hatte nur einen Reif künstlicher Rosen in ihr schwarzes Haargeflecht ge¬ schlungen und Paul trug die enganliegende, mit Pelz verbrämte Tracht fürstlicher Pagen der damaligen Zeit. An das Turnier schloß sich ein Ball an, der im großen Burgsaale abgehalten wurde. Jur schweren Kronleuchter steckten dicke Wachskerzen und an den Wänden brannten in Eisenringen rotglühende Fackeln. Bald wurde es den: Grafen Ulrich zu heiß im Ge- wühle der Tanzenden und er eilte hinaus und über die Treppe hinunter und betrat den Marstall, um sich sein Lieblingsroß satteln zu lassen, denn er wollte durch einen Ritt über das schneebedeckte Gefilde sein erhitztes Blut abkühlen und seine durch die freudigen Aufregungen der letzten Tage zerstreuten Gedanken sammeln. Nur wenige Sterne glänzten vom Himmel herab und die Häuser in den Weilern und Dörfern, durch die ihn der schnaubende Hengst trug, waren finster; da auf ein- Der letzte Graf von CM. 57 Mal leuchtete ihm vom Rande eines Wäldchens ein Feuer entgegen; er ritt näher und sah an einer fast schon ver¬ löschenden Kohlenglut ein altes Weib sitzen, das in einer ihm fremden Sprache allerlei Sprüche murmelte und dabei Kräuter auf die Glut schüttete, so daß sich bald eine bläu¬ liche Rauchwolke schlangenglcich emporhob und ein scharfer, betäubender Duft der Glut entstieg. Die alte Zigeunerin Zora, die sozusagen als Fürstin der Truppe betrachtet werden tonnte und bei diesen Kin¬ dern des Waldes und der Heide ein hohes Ansehen genoß, hatte für den Grafen von Cilli eine merkwürdige Teil¬ nahme gefaßt. Ihr hatte es wohlgetan, daß Graf Ulrich, als damals die Zigeuner die Gemarkung Cillis verlassen mußten, sich wohltätig gegen sie bezeigte und jede rohe Ausschreitung des Volkes gegen ihre Stammesgenossen verbot. Zora hatte durch schlaue Späher, die sich in die Nähe des Grafen zu drängen wußten, vieles über das Leben in der Cillier Burg und über die Pläne und Bestrebungen des Grafen Ulrich erfahren. So durchschaute sie mit ihrem angeborenen Scharfsinn die schwachen und die starken Seiten seines Charakters und es war dem Zigeunerweibe bald klar, das; zügellose Ehrsucht die Haupttriebfcder im Handeln des Grafen Ulrich bildete. — Seine leidenschaft¬ liche Heftigkeit mußte ihu über kurz oder lang in die Arme des Verderbens trcrben. Zora beschloß, ihn zu warnen, ihn zu retten. Sie war von der geheimnisvollen Macht, die sie über die Natur- gewaltcn zu haben vorgab, fest überzeugt und suchte im Wallen und Brodeln des Wassers, in das sie allerlei 58 Leo Smolle. Kräuterwerk, das um Mitternacht an Kreuzwegen gesam¬ melt worden war, streute, die Zukunft des Grafen Ulrich zu erforschen, dessen hohe sehnige Gestalt und dessen im Zorn furchtbar blitzendes Auge nicht aus der Erinne¬ rung der alten Zigeunerin schwand. So saß sie auch heute vor dem Kessel, der überm Feuer hing, und gedachte des Grafen, der ihre Phantasie unaufhörlich beschäftigte. Da blickte sie auf und sah den Grafen Ulrich übers Schneegefilde gegen den Wald heranreiten. Sie beschloß, dem Grafen gegenüber sich zu stellen, als hätte sic ihn erwartet, um ihm durch das Wunderbare ihrer Seher¬ kraft zu imponieren. Der Graf, obwohl nicht abergläubisch oder furcht¬ sam, konnte sich doch bei der Erscheinung, die sich ihm so plötzlich darbot, eines unheimlichen Gefühles nicht er¬ wehren und wollte so rasch als möglich sein Pferd von der Stelle weglenken. Da kreischte das Weib auf und rief mit fremdartiger Betonung und Aussprache: „Verweilet, Graf Ulrich von Cilli, Ihr könnt Eurem Schicksals doch nicht entgehen." „Woher kennst du meinen Namen, alte Hexe, und was soll das Feuer und dies Räucherwerk?" herrschte der Graf sie an. „Ich weiß nicht bloß Euren Namen, ich weiß auch, daß Ihr bald zu Wien, in hohen Ehren an eines Königs Seite sitzen werdet", murmelte die Alte mit geheimnis¬ voller Feierlichkeit. „Wie kommst du in diese Gegend, Weib?" fragte Der letzte Graf von Cilli. 59 der Graf, in dem bald das Grauen vom Staunen über¬ wogen wurde. „Steigt vom Pferde, Graf von Cilli, und folgt mir in mein Zelt in der Nähe. Zch will Euch Eure Zukunft künden. Kommt und folget mir." Willig und wie unter einem geheimnisvollen Banne stehend, folgte der Graf dem Weibe, nachdem er das dampfende Roß an einen Baumstamm gebunden hatte. Auf einer kleinen Waldblöße war das Zelt aufge¬ schlagen, in das die Zigeunerin den Grafen von Cilli führte. In einer Ecke brannte ein Feuer, über dem eiu kupferner Kessel mit dampfendem Wasser hing. Die Alte kauerte sich! nieder und begann ihre Beschwörungsformeln Zu murmeln. Während sie allerlei Kräuterwerk in den Kessel schüttete, sagte sie zum Grafen, dem es bei diesen Vorbereitungen in dem raucherfüllten Zelte immer un¬ heimlicher zu Mute wurde und der die Hand fest am Schwertgriffe hielt, mit einem feierlichen Tonfall in der Stimme: „Graf Ulrich von Cilli, du warst mitleidig gegen uns, als wir damals aus der Gegend von Cilli vertrieben wurden, weil der Hauptmann Hand an den Knaben legen wollte und deine Kriegsleute ihn befreiten. Ich! blieb krank zurück, du ließest für mich sorgen, und als ich fort- humpeln konnte, beschenkte mich dein Diener mit einer Handvoll Silberlinge. Seitdem mußte ich immer an dich denken; mich trieb's in die Gegend zurück. Ich ahute, daß du heute anr Walde vorüberkommen würdest. Ich will jetzt die Geister befragen, wie dein Geschick sich ge¬ stalten wird, Graf Ulrich von Cilli. Halte still und rühre 60 Leo Smolle. dich nicht, sonst vertreibst du die Geister, die ich rufen werde." Mittlerweile waren blaue Wölkchen aus dem Kessel aufgestiegen. Die Zigeunerfrau nahm ein Weißes Stäb¬ chen zur Hand und beschrieb damit einen Kreis nm den Grafen, der unwillig und doch wie unter einer höheren Macht stehend, unbeweglich stehen blieb. „Der Kreis deines Daseins ist geschlossen", mur¬ melte jetzt feierlich das Weib, iudem sie den Grafen mit dem Stabe berührte, „und nimmer magst du dem Ver¬ hängnis entfliehen, das die Dämonen der Unterwelt mir nun aus dem brodelnden Wasser und dem wallenden Dampfe künden werden." Mit diesen Worten blickte sie in den Kessel und in¬ dem sie eine Handvoll Körner ins Wasser warf, nahm der wallende Rauch auf einmal eine Gestalt an, die einem Manne zu gleichen schien, der im weiten Mantel ge¬ hüllt war. „Vernimm, o mächtiger Graf, was mir der Geist verkündet: du gehst großen Ehren entgegen und nahe dem Königsthrone ist dein künftiger Platz." Ungeduldig fuhr der Graf auf. „Wenn deine Geister dir nichts anderes znzuraunen wissen, dann ist ihre Kunst wirklich armselig, denn nichts Neues enthüllst du mir da, mein Inneres sagte mir das schon längst und meine Pläne waren darauf gerichtet, doch mehr will ich wissen: wann wird meines Lebens Ende herannahen und wie viel Zeit ist mir noch gegönnt, im fürstlichen Glanze aus der Erde zu waudelu?" „Ich sehe blutroten Schein", murmelte die Zigeu- Der letzte Graf von Cilli. 6l nerin, „und leicht mag es geschehen, daß dir und deinem Hause ein furchtbares Ende beschieden ist." „Darauf muß ein Kriegsmann wie ich immer ge¬ faßt sein", entgegnete Graf Ulrich unwirsch, „und lieber ist mir ein frischer Tod auf dem Schlachtfelde als ein langes Siechtum daheim im Bette." „Nicht auf Krieg und Schlachtgetümmel deutet dieser blutige Schein," entgegnete finster die Alte, „sondern auf grausigen Mord. Da springt ein Helles Flämmchen auf, sein goldiger Glanz kündet, daß Euch die Liebe freund¬ schaftlicher Herzen bis zu Eurem Lebensende nicht fehlen wird. Nehmt des Knaben wohl in acht, den Eure Leute aus dem Zigeunerlager weggeführt haben; er ist treu wie Gold." „Sonst weißt du mir nichts zu offenbaren, betörtes Weib? Ich will nicht wissen, iver mir treu ist, sondern von wem mir Gefahr droht und wer mir na;ch dem Leben trachtet, wenn überhaupt dein Geschwätz einen Pfiffer¬ ling wert ist." ° Und der Graf wandte sich zum Gehen, nachdem er der Zigeunerin ein paar Goldstücke in den Schoß geworfen hatte. „Auch die Macht der Geister, über die meine Zauber¬ kräfte gebieten, ist beschränkt und nicht alles vermag ich zu wissen", erwiderte die Zigeunerin in ernstem, trauri¬ gem Tone. „Hütet Euch vor den wilden Leidenschaften, die Euer Herz durchtoben. Nur so viel kann ich Euch noch verkünden: Nehmt Euch vor dem in acht, dessen Wappen und Farben die Kriegsleute tragen, denen Ihr auf Eurem Heimritte begegnen werdet." 62 Leo Smolle. Nur halb mehr hatte der Graf zugchört; das Feuer war erloschen, schwarze Finsternis herrschte im Zelte, das schwere Dünste erfüllten. Fröstelnd trat der Graf ins Freie und schwang sich auf sein Roß, das ungeduldig mit den Hufen scharrte. In tiefes Nachdenken versunken, trat Gras Ulrich den Heimweg an. Als er schon nahe seinem Schlosse war, wo die Straße eine scharfe Biegung macht, sprengte auf einmal ein Häuflein reisiger Knappen dem einsamen Reiter entgegen. Der an der Spitze reitende Kriegsmann fragte den Grafen, wie weit noch der Weg nach Rann sei. Erschreckt fuhr Graf Ulrich aus seinen Traumen aus und sein Gesicht wurde totenbleich, als er im fahlen Mond¬ lichte Farben und Wappen der Hunyadi erkannte. VI. Der.Gipfel äes Glückes. Damals, als die Botschaft von Wien den Grafen Ulrich zu neuen Ehren in die Kaiserstadt an der Donan zurückrief, war sein Vater Friedrich bereits nicht mehr unter den Lebenden. Er hatte sich schon lange siech und schwach gefühlt und den Aufenthalt ans Burg Obercilli mit dem bequemeren in Sanneck, nahe bei Fraßberg am Sannflusse, vertauscht. Dies war die Stammburg seines Hauses; sie sah von einem mäßigen Hügel aus frucht¬ bares, freundliches Gelände. Dort war Graf Friedrich am 9. Juni des Jahres 1454 verschieden. Auch diese wetter¬ feste Tanne, die so lange allen Stürmen getrotzt, hatte der Blitz gefällt. Der letzte Graf von Cilli. 63 Graf Ulrich war Herr des ganzen reichen Erbes der Cillier geworden. Außer den Ländereien und Herrschaften fiel ihm auch noch ein ungeheurer Schatz von Gold und Silber und kostbarem Geschmeide in die Hände, den der alte Graf, sein Vater, gesammelt hatte. Graf Ulrich ließ diesen Schatz auf mehrere Wagen verladen und in das feste Obcrcilli führen. Aber wie wenn die Vorsehung den Grafen Ulrich, der jetzt der letzte seines Stammes war, hätte warnen wollen, sein Herz nicht an irdischen Glanz und an das trügerische Gold zu hängen, erhob sich, wie Bruder Berthold in seiner Chronik ver¬ zeichnet, an dem Tage, als man die reiche Habe wegfnhrte, ein Sturm von unerhörter Heftigkeit. Bäume wurdeü ent¬ wurzelt, die Dächer von den Häusern wcggehoben und die Knechte und Reisigen, die zur Bedeckung der Wagen mit- zogen, glaubten ihr letztes Stündlein gekommen und warfen sich entsetzt zur Erde. Graf Ulrich aber verlachte die Mahnung des Him¬ mels und in stolzer Freude rüstete er alles zu seiner Reise an den Hof des jungen Königs Ladislaus. Jetzt hatte er Gold genug, nm die zu kaufen, die er mit seinem Schwerte wicht zerschmeUcrn konnte. Er hatte sich niemals ein Ge¬ wissen daraus gemacht, sich über Recht und Gesetz hin- wegznsetzen, denn sein kecker Wahlspruch war: „Das Recht liegt im Schwerte." Gräfin Katharina wollte während der Abwesenheit ihres Gemahls in Wien nach Serbien zu ihrem Vater, dem Fürsten Georg Brankovich, reisen, denn ihr Herz sehnte sich nach der Heimat und- ein gewaltiges Kriegsheer . stand im Begriffe, Griechisch-Weißenburg, das heutige 64 Leo Smolle. Belgrad, den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Große Ereignisse warfen so ihre Schatten voraus und das Herz der Gräfin, die ihre serbische Heimat glühend liebte, pochte heftig bei dem Gedanken, daß das Kreuz siegen und ihr Serbenvolk wieder auf freier Erde friedlich den Pflug führen werde. Graf Ulrich hatte bestimint, daß der Burgmarschall Falcouieri und Paul nebst den anderen Dienern die Gräfin begleiten und erst später nach Wien Nachkommen sollen. Besonders zeitlich und in holder Lieblichkeit stellte sich. Heuer — man schrieb das Jahr 1455 — der Vor¬ frühling ein. Statt der rauhen Winde, mit denen der März¬ monat sonst so gesegnet zu sein Pflegt, strich ein laues weiches Lüftchen liber den Erdboden hin, der sich schon mit dem ersten zarten Grün zu bedecken anfing. An den Schlehen glänzten die silbernen Kätzchen und vom blauen Himmel lachte die Sonne und zeigte heute ihren Lieblingen, den Wienern, die in Scharen aus den Mauern ihrer Stadt hinauspilgerten, ihr allerfreuudlichstes Gesicht. In der Stadt selbst blieben eigentlich nur wenige alte Leute und Kinder zurück. Alles zog vors Kärtner- tor und gegen die heutige Vorstadt Wieden, denn man er¬ wartete die Ankunft des Grafen Ulrich von Cilli. Tort wo heute der Obstmarkt sich ausbreitet, stand die Heiligengeistkirche und weiter südlich das sogenannte „Pa- radeys", ein anmutiges Wäldchen, in dessen Nähe sich das Gehöft des Grafen von Schaumburg befand, der mit einem stattlichen Gefolge in prächtiger Rüstung sich dort aufgestellt hatte, um dem Grafen von Cilli das Geleit in die Stadt Wien zu geben. Der letzte Graf von CM. 65 Bis zum sogenannten „Spinnerin-Kreuz" standen die Leute und harrten ungeduldig auf das Herankommen des Cilliers. Eine Bürgersfrau in kostbarer Samtschaube mit einer großen steifen Gugel auf dem Kopfe, die zwischen einem sehr stattlich ausfehenden und gutmütig dreinblickenden älteren Bürger und einem! sehr hageren Manne mit galliger Physiognomie ihren Standplatz hatte, wendete sich end¬ lich zum dicken Bürger und knüpfte in redseliger Weise rin Gespräch an. „Meister Wendelin, Ihr freut Euch- doch auch, daß der Cillier wiederkehrt. Da wird es! dach endlich wieder Lustbarkeit und Fröhlichkeit in der Wienerstadt geben. Unter dem Regiment des filzigen Eizinger war's ja in den Straßen förmlich wie ausgestorben. Mit Tanz und Spiel war's aus, dabei drückte er die Bürger mit harten Abgaben." „Ihr habt wohl recht, Frau Straßer," erwiderte der ivohlbeleibte Bürger, „Euer Geschäft ging ganz besonders Zurück in den letzten Jahren, denn mit Blumen und Krän- Zen wollte sich niemand mehr schmücken und Tanzgelegen¬ heiten gab's auch nicht viele in der letzten Zeit, es war allen der Humor verdorben und es lag einem so bitter auf der Zunge, daß man an nichts mehr Freude hatte. Es war eine trübselige Zeit; gottlob, daß sie vorüber ist." Nun mischte sich der lange Dünne in das Gespräch. Es war Herr Wolfgang Scherghuber, eines wohllöblichen Nates Biertelmeister. „Müßt ihr denn ewig nur an Tanz und Unterhal¬ tung, an Lustbarkeiten und Schmausereien denken? Die Sul olle, Der letzte Graf von Cilli. 5 66 Leo Smolle. Zeit ist gar ernst und Herr Eizinger hat schon als Hubmeier Herzog Albrechts V. es verstanden, die Finanzen in Ord- ; nuug zu halten. Es ist schon recht, daß er den jungen König Ladislaus aus den Klauen des Grafen Ulrich gerissen, denn der Cillier hat das junge Blut nur verführt und vor lauter Festlichkeiten und Alfanzereien war er nie zu etwas Ernstem gekommen. Jetzt wird wieder die frühere saubere Lotterwirtschaft einreißen." „Ihr wäret wohl einverstanden," erwiderte, ganz rot im Gesichte vor Ärger, die ehrsame Frau Straßerin, „wenn das junge Königlein auch so ein saueres Gesicht mache» würde wie Ihr, Meister Scherg- s Huber, statt mit seinen vierzehn Jahren noch in die Welt zu lachen. Der junge König ist wahrhaftig wie ein Engelsbild und ich weiß nicht, ob die lieben Enge- lein so sauertöpfisch ausschauen; wenigstens in der Kirche zu Unserer Lieben Frauen bei den Patres Schotten sind sie so pausbackig und schauen so lieblich drein wie unser junger Fürst Laßla. Ich erinnere mich noch lebhaft an den Einzug unseres lieben Königs in Wien am 13. Sep¬ tember vor drei Jahren, da gab's fast noch mehr Leut' auf den Straßen wie heute. Knaben und Mädchen im schönsten Putz streuten Blumen. Alles streckte dem jungen Fürsten die Hände entgegen und wer.nahe genug stand, küßte sein Gewand. Er war aber auch wunderlieb mit seinem feinen, weißen Gesichtchen, das von zarter Röte überhaucht war, und seinen goldenen Locken, die ihm aus die Schultern herabhingen; er war ganz in hellblauen Samt mit Silber gekleidet und in dem reichen Blondhaar trug er eine Perlenschnur." Der letzte Graf von Cilli- 67 „Ihr Weiber", nahm wieder der lange Hagere das Wort, „habt halt nur Sinn für Putz und Tand. Darum gefällt euch auch der Cillier so gut, weil der auch so prachtliebend ist und das Geld der Bürger verpraßt." „Und der Eizinger", sagte der dicke Wendelin Stritzel, feines Zeichens Bäckermeister inr Stubcnviertel, „hat's in Pie Truhen versperrt und wir haben auch nichts mehr davon gesehen, 's ist schon alles eins; sein gutes Geld wuß der Bürger immer hergeben; da ist es schon besser, er sieht und erlebt wenigstens was, als daß er sich nur 'wischen seinen vier Mauern schinden und Plagen darf und wegen jedes kleinsten Vergehens vor den gestrengen Stadtrichter zitiert wird und ür den Narrenkotter Z auf dein Hohen Markt oder gar auf die Schranne kommt." „Und der Cillier," ließ sich wieder der hartnäckige hagere Viertelmeister vernehmen, „hat der vielleicht weniger Unfug verübt, solange er die Gewalt in Händen hatte und in Wien das Regiment führte? Gedenkt Ihr noch daran, wie's dem Sebastian Pimpfinger erging, dem Zeichen Fleischausschroter, als der einmal vor feiner Laden- türe stand und der übermütige Cillier gerade vorüber¬ ritt? Weil er versäumte, die Mütze zu ziehen, ließ ihn der Graf greifen und hochnotpeinlich verhören und daun strafte er ihn mit hundert blanken geschlagenen Gold¬ gulden. Na, was sagt Ihr dazu, Meister Wendelin?" „Der Pimpfinger," erwiderte der Angesprochene leb¬ haft, „der war einer von den Schlimmsten und hielt es So genannt, weil die darin Eingesperrten, wenn sie durch die Güterstäbe sahen, von den draußen Stehenden verspottet, „genarrt" wurden. 5» 68 Leo Smolle. heimlich mit Eizinger, der in der ganzen Stadt gegen den Cillier schürte und wühlte, 's ist ihm damals wahrhaf¬ tig nicht unrecht geschehen, dem ränkevollen, einfältigen Tropf." „Na, Ihr meint's gut mit den Bürgern," erwiderte der Lange gereizt, „Euch sollte man doch sogleich zum Bürgermeister machen." Jetzt erhob sich in der Nähe der Wartenden, deren Gespräch immer lauter und lebhafter geworden war, ein arger Lärm. Ein baumlanger Mann in einem ziemlich schmutzigen und schadhaften Lederkoller mit einer rostigen Eisenhaube, an der eine lange Hahnenfeder steckte, drängte, um besser zu sehen, heftig nach vorwärts, was sich ein vor ihm stehender Geselle in recht geflickten Kleidern, aber mit einem kecken und übermütigen Ausdrucke im fahlen, blattersteppigen Gesichte nicht gefallen lassen wollte. Der noch junge Geselle gehörte zweifellos zu der damals zahlreichen Gilde der sogenannten Sterzer, mit wel¬ chem Ausdrucke man herumziehende Bettler und Land¬ streicher bezeichnete. Sein schneidiges Mundwerk ließ ihn als Wiener erkennen, während der andere der Aus¬ sprache nach den böhmischen Söldnern angehörte, die noch seit der letzten Anwesenheit des Grafen von Cilli in Wien zurückgeblieben waren. „Drückt nicht so," sagte der Sterzer, der unter dem Namen des Stecher-Rudi in der Wienerstadt bekannt war, weil er gleich mit dem Messer herausfuhr, „Ihr seid nicht in einem Hussitenlager, Meister Wenzel, wo Ihr eine Wagenburg erbaut, daß Euch niemand nahe kömmt. Hier müßt Ihr Euch schon gefallen lassen, daß wir auch uoch Der letzte Graf von CM. 69 am Leben sind, und zwar gute Katholiken, nicht solche hussitische Ketzer wie Ihr vielleicht einer seid." „Solche Rede muß ich mir verbieten," brauste Wenzel Sokol aüs Pardubitz auf, „der Papst hat die Kompak- taten bestätigt, die uns den Gebrauch des Kelches ge¬ statten." „Ach was, laßt mich aus mit Euren Patati"F) sagte der kecke Sterzer. „Hier habt Ihr nichts zu drängen und zu stoßen. Geht nach Böhmen und laßt Euch unter Eurem Prokop anwerben und schlagt dann mit den Morgensternen und Dreschflegeln drein, aber hier habt Ihr nichts zu tun, besonders nicht, wenn Seine Gnaden der Herr Graf von Cilli kommt, der kann ohnehin Euren ketzerischen Statthalter, den Georg von Podiebrad, nicht leiden, der unseren! jungen Fürsten Laßla gern die böhmische Krone vom Kopfe reißen möchte." Und schon wurden Fäuste und Stöcke geschwungen und der Kriegsmann Wenzel Sokol lupfte schon sein Schwert in der Lederscheide. Da stand plötzlich wie aus der Erde gewachsen ein starker Mann mit breitem Barte vor den Streitenden und schwang einen dicken Haslinger gegen den Sterzer und den langen böhmischen Kriegsgesellen. Es war der Sterzenmeister des Widmerviertels, Michael Kupitsch, eine bei allen Bettlern und Vaganten ungemein gefürchtete Persönlichkeit. „Werdet ihr Ruhe halten, ihr groben Gesellen? Ich lass' euch alle in den Kotter stecken, wenn ihr nicht sofort ') Kartoffeln (italienisch). 70 Leo Smolle. euere ungewaschenen Mäuler haltet. Seine fürstliche Gnaden, der Herr Gras von Cilli werden sofort hier Vor¬ überreiten, schon sieht man die Staubwolken in der Ge¬ gend der Spinnerin. Wie sich noch jemand rührt, kommt er aus den Pranger." Kaum hatte der Sterzenmeister dies gesagt, so verkün¬ deten schmetternde Hornsignale und die Rufe: „Vivat! Hoch Graf Ulrich von Cilli!", die sich von Gruppe zu Gruppe fortpflanzten, die Ankunft des Grafen und seines glän¬ zenden Gefolges. Alles reckte die Hälse aus, um so viel als möglich voll dem prächtigen Aufzuge zu sehen. Hoch über alle ragte die imposante Gestalt des Grafen Ulrich empor, der auf einem feurigen Rappen saß, dessen blaue Samtschabracke mit goldenen Sternen übersät war. Das bleiche Gesicht des Grafen war leicht gerötet, ein Ausdruck triumphierender Freude lag darauf und mit stolzem Blick überflog er die dichtgedrängten Menschen¬ massen, die mit scheuer Ehrfurcht zu beiden Seiten aus¬ einanderwichen. Ihm folgten an tausend Reiter, alle in kostbare Gewänder gekleidet, mit Standarten in den Far¬ ben voll Cilli, und Wappenherolde, die Fanfaren bliesen. So bewegte sich der Zug über die steinerne Brücke, die den Wiensluß überwölbte und auf der das sogenannte „Bäckenkreuz" stand, das einem frommen Vermächtnis der Frau Anna, „Kunrads des Leitners Witib", feinen Ur¬ sprung verdankte, die in ihrem letzten Willen den Wunsch ausgesprochen hatte, „daß inan unseres Herrn Angst auf der Karnerprugk (Kärutuerbrücke) mit gemal (Gemälde) und Zier fassen und bekleiden soll." Der Zug schien fast kein Ende zu nehmen, denn mehr Der letzte Graf von CM. 71 als tausend Bewaffnete und Dienstleute bildeten das Ge¬ folge des Cilliers, der vor wenigen Jahren als Flücht¬ ling, nur vom Markgrafen von Brandenburg begleitet, unter den Hohn- und Spottrufen der Bürger die Stadt Wien verlassen mußte. König Ladislaus war zur Zeit, als der Cillier seinen stolzen Einzug in Wien hielt, gerade vierzehn Jahre alt geworden. Seine Kindheit war, nicht vom warmen Sonnen¬ schein der Elternliebe verklärt, denn sein Vater, Kaiser Albrecht II., war bei der Geburt des Kindes bereits tot und seine Mutter, die mit innigster Zärtlichkeit an dem Knaben hing und alle ihre Kraft daran setzte, um ihm Böhmens und Ungarns Kronen und den Herzogshut von Österreich zu erhalten, verschied bereits am 24. Dezember t442 in Ofen. Graf Ulrich verehrte diese Frau, seine Base Elisabeth, aufrichtig und viele Schwächen und Fehler seines Lebens werden durch den ritterlichen Edelmut gesühnt, mit dem er ihr in allen Nöten ihres schwergeprüften, sturmge¬ peitschten Daseins beistand. Tiefergriffen hielt er die eisige Hand der Toten in der seinen und gelobte, ihrem Söhn¬ lein ein starker und treuer Beschützer zu, sein. Freilich hielt er dieses Versprechen nur in der Art, die er als die beste erkannte, die aber dem jungen Königs¬ sprossen, der so verlassen in der Welt dastand, nicht zum Heile gereichte, denn nicht die Erziehung zum Edlen und Guten und die Entfaltung aller schönen Keime im Cha¬ rakter des königlichen Kindes hielt der Graf von CM für das Ziel seines Strebens, sondern die Unterordnung des königlichen Willens unter den seinen und die uuum- 72 Leo Smolle. schränkte Macht über Ladislaus, die er nur erringen konnte, wenn er dem Knaben auch manches Schädliche und Unerlaubte gestattete. Zwar sogleich konnte Gras Ulrich seine verderbliche Macht über den Prinzen nicht ausüben. Denn dieser kam zunächst, wie es des Vaters Vermächtnis festsetzte, unter die Vormundschaft seines Oheims, des deutschen Herrschers Friedrich III. Dieser schleppte ihn von Ort zu Ort, auch nach Italien nnd Rom, wohin er zog, um die Kaiser¬ krone zu gewinnen, und wollte ihn weder den Ungarn, noch den Böhmen, noch den österreichischen Ständen ausliefern, die alle ihren jungen Herrn in ihrer Mitte haben wollten. Kaiser Friedrich meinte es mit seinem Mündel gewiß gut, aber er war nicht der Mann, um das nach Liebe ver¬ langende Herz des lebhaften Knaben zu gewinnen. Er schloß ihn fast wie einen Gefangenen von der Welt ab und- erlaubte niemand, sich ihm zu nähern. So gewöhnte sich der Knabe, dessen Herz ursprünglich weich und für alles Schöne empfänglich war, eine gewisse Ver¬ stocktheit und frühreife Verstellungskunst an, die sich später immer mehr ausbildete und selbst alte Personen mit reicher Lebenserfahrung in Staunen und Schrecken versetzte. Mit ohnmächtigem Grolle rüttelte der Knabe an den Gitterstäben, die ihn von der Welt trennten, und- blickte voll Sehnsucht in die lachende und lockende Ferne, die kennen zu lernen ihm versagt war. Wie jubelte er daher aus, als endlich die Stände Öster¬ reichs unter der Anführung des ehrgeizigen Eizingcrs, mit dem damals der Graf von Cilli gemeinsame Sache machte, den Kaiser zwangen, sein Mündel auszuliefern. Der letzte Graf von CM. 73 Mit Freuden folgte der bildhübsche Küabe seinem neuen Erzieher, dem Grafen Ulrich, der ihm die Freiheit schenkte und die Freuden der Welt kosten ließ. Es ist interessant, wenn wir aus den Auszeichnungen des berühmten Kanzlers des Kaisers, des Kardinals Äneas Sylvia Piccolomini, dessen Charakteristik des Grafen von Cilli wir schon früher gedachten, die tägliche Lebensweise des jungen Königs, wie sie Graf Ulrich von Cilli festsetzte, erfahren. Morgens, sobald der junge König aufgestanden war, wurden ihn: gesottene Nüsse und alter griechischer Wein, Malicatico genannt, vorgesetzt; doch mußte dieser früher gekostet werden, ob er nicht vergiftet sei. Hierauf ging Ladislaus zur Kirche und nach dem Schlüsse der Messe durch die dichtgedrängten Scharen zu Fuß nach der Kaiser¬ burg zurück; er sollte sich dem Volke zeigen, damit .es nicht heiße, er sei ebenso menschenscheu und verschlossen wie sein Vormund, der Kaiser Friedrich III. Nach der Rück¬ kehr von der Kirche wurden dem jungen König gebratene Vögel, Gebackenes und inländische Weine vorgesetzt. Der König aß davon nur sehr wenig und nippte nur vom Weine, um nüchtern dem Rate! beiwohnen zu können. Die Mittags¬ tafel war außerordentlich reich besetzt und bestand wenig¬ stens aus zwölf Gerichten, die alle sehr fett und würzig zubereitet waren. Zu den Speisen wurden die stärksten österreichischen Weine aufgetragen und das Mahl durch Produktionen von Musikanten, Sängerinnen und allerlei Possenspielern gewürzt. Nach dem Mittagstische pflegte Ladislaus ein wenig der Ruhe; danach wurde ihm ein erfrischender Trank, Äpfel oder Konfekt gereicht. Hierauf 74 Leo Smolle. ritt er meistens in die Stadt und besuchte verschiedene Lustbarkeiten, die seinem Alter ost nicht sehr angemessen waren. Das Abendmahl wurde regelmäßig bis tief in die Nacht hinein ausgedehnt und bevor der junge König, meist mit heißem Kopf und schweren Gliedern, zu Bette ging, wurden ihm gewöhnlich noch Wein und Apfel vor¬ gesetzt. Man kann gewiß nicht sagen, daß diese Lebensweise vernünftig eingerichtet war, aber man wird es begreiflich finden, daß der junge Fürst die neue Freiheit mit gierigen Zügen eiusog und an dem Grafen Ulrich, seinem neuen Erzieher, mit großer Zärtlichkeit hing. Als nun Graf Cilli durch die Ränke des Eizingers gestürzt worden war, begannen für Ladislaus wieder trübe Tage und er sehnte den Augenblick heiß herbei, der es ihm gestattete, den Grafen au seine Seite zurückzurufen. Endlich war dieser Tag gekommen und voll Unge¬ duld erwartete daher der König die Ankunft des Grafen Ulrich in Wien, die ihm wieder ein froheres und freieres Leben in Aussicht stellte, weiß doch die Jugend selten, was ihr frommt und ist so gern geneigt, den für ihren wahren Freund zu halten, der den Zaum und Zügel bei ihrer Führung möglichst locker hält. Der junge König hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Grafen ans der Burg bis zum Kcirutnertor entgcgen- zureiten. Dort bei dem Turm, der dieses Tor damals flankierte, hielt der König Ladislaus und erwartete sehn¬ süchtig das Herannahen seines Oheims und Vormundes, den er vor anderthalb Jahren nur gezwungen entlassen hatte und vor dessen stolzem, freiem Geist er Bewunde- Der letzte Graf von Cilli. 75 rung hegte. Es war eine fast dämonische Gewalt, die der Cillier über den jungen Fürsten ausübte. Kaum erblickte der König die glänzende Kavalkade des Grasen, so sprang er vom Pferde, das ein Edelknabe in den Farben Habsburgs beim Zaume hielt. Auch der Graf stieg von seinem Rappen und bog nach! einer tiefen Verbeugung leicht das Knie. Der junge Fürst umarmte mit einem strahlenden Lächeln seinen Vormund und rief voll Freude: „Will¬ kommen, Oheim, in unserer Residenz Wien, aus der dich bor kurzem deine und, meine Feinde vertrieben haben! Nun will ich mich wieder des Lebens freuen, das mir der knickerige Eizinger ganz vergällt hat. Ich stehe noch in der Blüte des Daseins und ich will nicht, daß man mir meine Fürstenkronen nur mit Dornen umwinde. Ich will Rosen in meine Locken flechten und die Last der Re¬ gierung auf deine starken Schultern wälzen; du wirst sie Wohl tragen zu meinem und meiner Länder Glück und Wohlsein." „Des seid versichert, mein gnädigster König und Herr", versetzte der Cillier, indem ein Strahl milder Teil¬ nahme aus seinen sonst so stolzen Augen brach. „Ich hab' es Eurer edlen Mutter, der vielgeprüften Königin Elisabeth, versprochen, als sie zu Gran in Ungarn im Sterben lag, ja ich hab' es mir schon zugcschworen, als ich im Dome zu Stuhlweißenburg die heilige Krone über Euch gehalten, da Ihr noch ein Kindlein von wenigen Wochen wart; damals erfüllte Euer kräftiges Geschrei die Halle des Domes und alle Andächtigen in der Kirche deuteten dies als ein gutes Zeichen, daß Ihr dereinst Lev Snwlle. 76 zu einem starken und mächtigen Fürsten heranwachseu werdet. Schwer rang Eure königliche Mutter mit dem Tode, denu sie hing mit unendlicher Liebe an Euch und fürchtete die Nachstellungen der Hunyadis, die selbst die heilige Stephanskrone für sich erwerben wollen. Man habe ihr Gift gereicht, klagte sie in ihrem bitteren Sterbe¬ stündlein und mit brechender Stimme bat sie mich, Euch, meiu Herr und König, nie zu verlassen. Ich gelobte es ihr in ihre erkaltende Hand und das gute Schwert des Grafen von Cilli wird Euch schirmen, solange diese Brust noch eines Atemzuges fähig ist. Hütet Euch vor allem vor jenem Johann Hunyadi und seinen beiden Söhnen, dem blonden Ladislaus und dem schwarz,lockigen Matthias. Eure arme edle Mutter, die erlauchte Königin Elisabeth, starb sicher an Gift, das ihr der Hunyadi reichen ließ. Sie war noch gesund von Ofen aufgebrochen und in Gran verschied sie wenige Tage darauf. Nun will ich an Euch, mein Herr und König, Vater- und Mutter¬ stelle vertreten und meiu gutes Schwert, auf dessen blanker Klinge das Wörtlein Unversehrt! steht, soll nur Eurem Schutze und Eurem Dienste geweiht sein." Die Stimme des Cillicrs, sonst so rauh und herrisch, hatte bei diesen Worten fast einen Weichen Klang ange¬ nommen und seine Blicke ruhten mit beinahe väterlichem Ausdrucke aus dem Gesichte des Königs, das auch einen Augenblick ernst und nachdenklich geworden war. Aber sein knabenhaft lebhafter Sinn ertrug nicht lange solch ernste Stimmungen. Er stieg rasch zu Pferde und blickte lächelnd und mit freundlichem Nicken des Hauptes auf die zahlreiche Volksmenge. Der letzte Graf von Cilli. 77 „Siehst du, Oheim," wendete er sich lebhaft zum Cillier, „wie dich die Wiener heute ehren; 's ist eben ein wetterwendisch leichtlebiges Völkchen." „Diese Ehre gilt viel mehr Euch als mir, Herr König, doch, wenn Ihr meinen Ratschlägen folgt, soll Wien bald eines großen Reiches glänzender Mittelpunkt werden." Der König reichte dem Grafen abermals die Hand, die dieser ehrerbietig an die Lippen führte. „Ich will alles tun," sagte der junge Fürst, „was du für gut hältst und du sollst als Gubernator Ungarns die Heere der ge¬ einigten Christenschast gegen den Erbfeind führen. Schon sammeln sich in Wien die Scharen der Kreuzfahrer, ent¬ flammt durch die feurigen Worte des Capistran, und nicht den Hunyadis allein soll der Ruhm zufallen, den Halb¬ mond zu zerschmettern. Ich habe dich, lieber Oheim und Vormund, zu Großem ausersehen." Unter diesen Worten waren die beiden an der Spitze des schier unübersehbaren Zuges durchs düstere Tor iu die Kärntnerstraße geritten, überall von jubelnden Zu¬ rufen begrüßt und mit Blumen beworfen, die aus Erker- und Giebelfenstern auf die Straße gestreut wurden. Hoch¬ gegiebelt standen damals die meist schmalen Häuser dicht aneinander geschmiegt in der engen gekrümmten Straße und das Sonnenlicht spielte auf den Malereien, mit denen die meisten Fassaden geschmückt waren, und auf den oft weit vorspringenden Hausschildern und Handwerkerzeichen, die aus Eisen oder Holz zierlich und kunstvoll hergestellt waren und Namen des Hauses oder Art des Geschäftes anzeigten. Auf den schmalen Bürgersteigen drängte sich das ge- 78 Leo Smolle. Putzte Volk, besonders viele Mädchen und Frauen, die dem jungen König und dein Grafen mit Tüchern zuwinkten. So näherte sich der Zug der Burg, die damals durch Mauern und Gräben von der Stadt abgetrennt war und auf dem Platze stand, wo jetzt der sogenannte Schweizer- Hof sich erhebt. Daran anstoßend, an der Stelle des spä¬ teren Leopoldinischen Traktes, erhob sich, fast trotzig und drohend, ein massives Gebäude, der „Cillierhof". An einem der Giebelfenster dieses unfreundlich und düster aussehenden Bauwerkes stand bald nach dem Ein¬ züge Graf Ulrich von Cilli. Er hatte die schwere Prunk¬ rüstung mit einem leichten vornehmen Hofkleide, das seine schlanke hohe Gestalt vorteilhaft zur Geltung brachte, ver¬ tauscht und schlürfte mit Behagen die laue Märzluft eiu, die durchs offene Fenster ins Innere des prunkvoll ein¬ gerichteten Zimmers drang. Sein Blick schweifte über die spitzgiebeligen, aber größtenteils mit Schindeln gedeckten Dächer, die sich um die Burgmauern, wie die Küchlein um die Henne, drückten und nur selten eine breitere Straße oder einen weiteren Platz zwischen sich frei ließen; er sah über die Mauer und den Stadtgraben Hintiber ins freie Gelände, das hie und da mit größeren und kleineren Gehöften bedeckt war, bis hinüber zu dem waldigen Gürtel des Wienerwaldes und sein Auge leuchtete in stolzer Freude auf. „So bin ich denn wieder hier", murmelte er, „in der Burg meiner Väter, die der Kaiserburg so nahe ist; wieder in meinem lieben Wien, wo ich einen großen Teil meiner Jugend zugebracht. Diesmal aber", und seine Stimme wurde unwillkürlich Heller und lauter, „soll keine Der letzte Graf von CM. 79 Gewalt der Erde im stände sein, mich von hier zn ver¬ treiben nnd von der Seite meines Königs zu reißen, bevor ich nicht dich, mein stolzes Wien, das auf einem so herr¬ lichen Erdenflccken sich erhebt, zur Hauptstadt eines großen Reiches gemacht, eines Reiches, das ans Ungarns, Böhmens und Österreichs Landen gebildet sein soll und an dessen Grenzwällen die Flut der Osmanen zerschellen wird." Der Graf klingelte; bald darauf erschien der Leib¬ diener des Grafen, Kunz Sebriacher: „Kunz, bereite mir das prächtige Staatskleid vor und die große goldene, mit Edelsteinen geschmückte Kette, ein Geschenk des Kaisers Albrecht, in der ich heute beim Bankett des Königs er¬ scheinen will. König Ladislaus gibt nämlich aus Freude über unsere Ankunft eine prächtige Tafel, zu der auch der Bürgermeister und die Ratsherren von Wien und alle Edlen, die in Wien weilen, geladen sind. Ich will sie alle überstrahlen und sie sollen meinen Glanz anstaunen, wie sie später meine Faust fühlen werden. Rufe mir auch den Haarkünstler, daß er mir Bart und Haare kräusle und mit wohlriechendem Öl salbe." „Es soll alles besorgt werden, Euer Gnaden," er¬ widerte der alte Diener, der sich manches herausnchmen durfte und dem der Gras ein Wahrwort nie verübelte, „doch bedenkt, irdischer Glanz wiegt nicht viel auf der Wage des Wcltcnlenkers und ein Hauch vermag den Spiegel zu trüben, in dem Eitelkeit und Hoffart sich beschauen." „Krächze nur, du Unglücksrabe," lachte der Graf, „ich weiß doch, daß du ein treues Herz hast und dich über meine Erhöhung freust." 80 Leo Smolle. „Verzeihen Euer Gnaden, Herr Graf, wer hoch steigt, fällt tief; mir wär's lieber, wir säßen daheim in Cilli, im lieben Steirerlande, wo der Boden lange nicht so glatt ist, wie hier bei Hof, und die frische Bergluft viel ge¬ sünder ist als die erstickenden Wohlgerüche, die in den Sälen der Kaiserburg das Atmen so schwer machen." „Bist halt ein echter Steirer, aus dem Murtal, nicht wahr? Wart' nur, Kunz, vielleicht setzt sich dein Herr noch einmal den steirischen Herzogshut auf und beherrscht nicht nur einen großen Teil des windischen Landes, son¬ dern die ganze grüne Steiermark vom Dachstein bis zur Kramer Grenze." „Gott behüte," sagte der Sebriacher mit komischem Entsetzen, „daß ich Euch so einen Hut wünsche, Herr Graf; der schönste Hut ist der grüne Jägerhut mit der Spielhahnfeder und wer ihn aufhat, der ist ein freier Herr in seinen Bergen und Wäldern." „Ich dachte schon," sagte der Graf nicht ohne Bitter¬ keit, „du würdest mir die Schlafmütze als passendsten Kopfschmuck anraten; dir freilich und deinesgleichen mag sie als höchstes Ziel des Strebens Vorschweben; mir aber gebührt ein Diadem und ich will's mir noch ins Haar drücken, ehe es von: Alter ganz gebleicht ist. — Doch jetzt spute dich, denn die Sonne neigt sich hinter die Kup¬ pen des Wienerwaldes und das Fest wird bald seinen Anfang nehmen." Im Rittersaale der Burg wogte eine glänzende Ge¬ sellschaft durcheinander. Mächtige Kronleuchter mit Wachskerzen streuten ihr Licht auf prächtige Gewänder, blitzende Edelsteine und vor Freude gerötete Gesichter. Der letzte Graf von Cilli. 81 In einer Fensternische stand der junge König, der die Hand des Grafen Ulrich in der seinen hielt und ihm nochmals mit warmer Herzlichkeit dankte, daß er gekom¬ men sei und ihn aus den Händen des kargen Eizinger be¬ freit habe. „Wie eine Blume nach dem Sonnenlichte hab' ich mich nach dir gesehnt, viellieber Oheim, und wie aus einem modrigen Kerker fühl' ich mich befreit, seitdem ich das lauernde, unfrohe Gesicht des bayrischen Hubmeisters nicht mehr vor mir sehe." Der Graf versicherte den König abermals seiner Er¬ gebenheit und mit neidischen Blicken sahen die Edelleute und Bürger auf den Eillier, der wieder so fest in der Gunst des Königs stand; besonders ein Häuflein städtischer Rats¬ herren, das in der Ecke gegenüber dem Fenster stand und in dem der Ratsschreiber Seyfried Merbold das große Wort führte, schien dem Grafen nicht gewogen und sie redeten schon jetzt, kaum daß er wieder zu Ehren gekom¬ men war, von seinem etwaigen abermaligen Sturze. Da meldete der Hofmarschall, daß das Gastmahl auf¬ getragen sei. Diener füllten die Pokale mit köstlichem Ungarwein und als erster erhob sich der Graf von Cilli, um des Königs Gesundheit auszubringen. „Es lebe König Ladislaus, der Ungarns und Böhmens Kronen mit dem Herzogsdiademe Österreichs vereinigt!" sprach er mit scharfer, lauter Stimme. „Es lebe unser König Ladislaus!" erscholl's von allen Seiten und die Becher klangen zusammen. Die Wangen des jungen Königs übergoß Helle Röte und man sah ihm die herzliche Freude an, die diese Begrüßung ihm bereitete. Sm olle, Der letzte Graf von Cilli. 6 82 Leo Smolle. Jetzt erhob er sich und in wohlgcsetzter Rede sprach er mit Heller Stimme und warmer Betonung: „Wem verdanke ich es, wenn ich dereinst in Ruhe.und Frieden mein großes Reich beherrschen werde und wenn der grimme Feind der Christenheit zerschmettert mir zu Füßen liegen wird, wem danke ich's, als diesem meinen geliebtei»»Oheim und Vormunds den ich zum Reichsverweser Ungarns erheben will, denn die Treue dieses Hunyadi ist nicht verläßlich, und dem ich ein langes Leben und Gesundheit wünsche? Es lebe des deutschen Reiches Fürst, Graf Ulrich von Cilli, Herr von Sanneck und von Zagorien und in der krainischen Mark, mein künftiger Statthalter in Ungarn! Er lebe hoch!" . „Hoch Cilli und immerdar!" erscholl es brausend durch den Saal der Wiener Hofburg und noch einmal: „Hoch Cilli und immerdar!" Das war der schönste Tag im Leben des Grafen Ulrich von Cilli. Er hatte den Gipfel des Glückes und Ruhmes erklommen. Die Sterne von Cilli erstrahlten im hellsten Glanze; vielleicht in zu Hellem, wie oft am Himmel einer Sommernacht die Sterne in ganz wunder¬ barer Helligkeit blitzen und flimmern, doch kündet ihr trügerischer Glanz Sturm und Unwetter. VII. In äer Sinäentenstsienlre. Scharen von Menschen wogten durch die engen und trummen Gassen des damaligen Wien. Alle strebten einem Ziele, dem Stephansdome, zu, dort sollte heute der Kapu- Der letzte Graf von CM. gg zinermönch Johannes Capistranus, der schon vor vier Jahren längere Zeit in Wien geweilt und gepredigt hatte, abermals eine Predigt halten, bevor er nach Ungarn ziehen und dort zum Kreuzzuge gegen die Türken auffordern wollte. Papst Nikolaus V. und sein Legat Julian Cesarini hatten die größten Anstrengungen gemacht, um einen großen Kreuzzug zu stände zu bringen und die gesamte Christenheit unter die Waffen zu rufen, wie in jenen glor¬ reichen Tagen, als Europas Kriegsvölker nach Jerusalem zogen, um das Heilige Grab den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Aber alle Bemühungen des Papstes waren vergeblich' es kam zu keinem wirklichen Kreuzzuge, zu keiner einlnüti- gen Kundgebung der Christenheit. Das Abendland war zu zerspalten und zerrissen, als daß es sich zu einheitlichem Angriffe gegen die Türken aufgerafft hätte. Zwar nannten sich die Kriegsleute, die bald in grö¬ ßeren, bald in kleineren Scharen zum Kampfe gegen die Türkenmacht auszogen, auch Kreuzfahrer, aber sie führten diesen Namen nur insofern, als sie das Kreuz gegen den Halbmond verteidigten. Damals fanden die Predigten des Capistran in Wien unter ungeheuerem Zulauf der andächtigen Menschenmenge statt. Die Stephanskirche erwies sich als zu klein, um alle Zuhörer zu fassen, und so predigte denn der glaubensfeurige Mönch im Freien auf dem Platze, wo noch jetzt die steinere Kanzel an der linken Seite des Domes an den heiligen Mann erinnert. Auch heute war alles schwarz von Menschen, die Kopf 6* 84 Leo Smolle. an Kopf standen und dem Prediger lauschten. Unmittel¬ bar vor der Kanzel waren ein paar Reihen Bänke ausge¬ stellt, auf denen die Doktoren und Magister sowie die Scho¬ laren und Baccalaurei Z der Universität in ihren dunklen Amtskleidungen Platz genommen haben. Sie waren wohl die einzigen, die den Prediger verstanden, denn Capistran war der deutschen Sprache nicht mächtig, er predigte nur in italienischer oder lateinischer Sprache. Aber trotzdem wußte er die Menge hinzureißen; ver¬ stand sie auch seine Worte nicht, so erfaßte sie doch seine Gesten, seine Gebärden, seine Blicke. Wenn die Glut der Begeisterung aus seinen Augen sprühte und er seine hageren Arme hoch zum Himmel emporstreckte oder das Kruzifix ergriff und es in der Rechten schwang, während die Linke auf das Kanzelpult niedersauste, wenn seine Stimme die ganze Skala der Empfindungen durchlief, vom Zittern der Rührung und dem weichen Lispeln der Liebe bis zum furchtbaren, über den ganzen Platz hin¬ rollenden Dröhnen des Zornes: da rieselte es kält über die Rücken der Zuhörer und sie wurden erschüttert vom Hauche des Ewigen, der aus dem Munde des Mönches strömte. So war es auch heute. Damals war Capistran schon über siebzig Jahre alt, aber seine Rede hatte noch nichts von ihrem Feuer und ihrer überzeugenden Glut einge- büht und die kleine magere Gestalt schien unter dem Ein¬ drücke der eigenen Worte zu wachsen. ") Bakkalaurei! nannte man damals diejenigen, die, ohne schon Doktoren zu sein, doch Vorträge halten konnten und eine Art Aufsicht über die Bursen führten. Der letzte Graf von Cilli. 85 Lautlos standen die Hunderte von Menschen da, nur die Reihen der akademischen Lehrer und der Studenten durchlief ein Gemurmel der Bewunderung, denn sie konnten auch die Kraft und Schönheit würdigen, die der Italiener in die Sprache Ciceros zu legen wußte. Leb¬ haft unterhielten sie sich daher über das Gehörte, als der Kapuzinermönch mit flammenden Worten seine Predigt, die zum Kreuzzuge aufforderte, geschlossen hatte und die fleischlosen Hände segnend über die Menge, die ins Knie gesunken war, ausbreitete. Langsam verliefen sich die Menschen und zwei Stu¬ denten gingen durch die Grünangergasse der sogenannten Rosenburse zu, die in der Nähe des Dominikanerstiftes sich befand. Die Wiener Universität war zu den Zeiten Herzog Albrechts V. von Studenten der verschiedensten Nationen sehr stark besucht und erfreute sich iu ganz Europa des größten Ansehens. Dem Zeitgebrauche entsprechend waren die Studenten in Nationen gegliedert, die in eigenen Wohn- und Kost¬ häusern, Bursen genannt, größtenteils im Viertel von dem Dominikanerkloster bis zuin Stubentor wohnten und auch ihrem eigenen Gerichte unterstanden. Das Verhältnis zwischen den Scholaren und den Bür¬ gern war nicht immer Has freundlichste nnd der Übermut der jungen Studenten, die die Bürger in jeder Weise neckten und hänselten, führte häufig zu Reibungen und Streitigkeiten, besonders wenn die Scholaren, was ihnen hie und da gestattet war, spät aus dell Schenken hcim- kehrtcn und nun in den damals fast ganz finsteren Gassen allerlei Unfug anstifteten und manchen Bürger oder Ge- 86 Leo Smolle. sellen, der mit schwerem Kopf vom Zechtische heimkehrte, weidlich durchwalkten. Aber auch die Handwerksgesellen und jungen Bürgerssöhne führten zuweilen absichtlich stür¬ mische Auftritte herbei, bei denen es dann blutige Köpfe absetzte, ja hie und da selbst zu Mord und Totschlag kam. Aber die beiden Studenten, die jetzt von der Stephans- kirche nach ihren Bursen gingen, schienen nicht zu den ausgelassenen und lustigen Musensöhnen zu gehören. Die Kleidung des einen war ziemlich ärmlich und in seinem dünnen Wamse und den fadenscheinigen Beinkleidern, die in rauhen Strümpfen steckten, mnßte er sich beim heutigen kühlen und regnerischen Wetter nicht sehr wohl fühlen. Man sah's ihm aber auch an, daß er fror. „6orx>o äi Luooo", sagte er zu seinem Kameraden, der neben ihm in seiner feinen Kleidung wie ein italienischer Nobile aus¬ sah, „ich wollte auch lieber daheim in Florenz sein als hier in dem windigen und kalten Wien. In diesem ver¬ wünschten Klima friert man selbst im Sommer und dort ist's im Winter lau und blühen. Blumen im Dezember, wo du hier nur Eisblumen an den Fenstern siehst." „Ja, Tonino," meinte der andere, „du bist auch gar zu luftig gekleidet, das ist keine Toilette für einen nordi¬ schen Märzentag." „I)io wio, ourismino uinioo, du hast leicht reden, dir schicken die Deinen genug Goldfüchse, so daß du dich von oben bis unten in Pelz kleiden kannst, aber ich bin ein xovoro äiuvolo, ein armer Teufel; erst gestern hat mir der Jsak, weißt du, der alte Jude mit dem eisgrauen Barte und den schlau zwinkernden Äuglein, für mein ge¬ füttertes Tuchwams drei Pfennige gegeben, und zwar Der letzte Graf von CM. 87 erst nach langem Feilschen und Handeln; es ist wenig, nicht wahr? . . . Aber was blieb mir übrig, ich warf ihm das warme Tuchwams vor die Füße und nahm sein Bettel¬ geld, denn der Wirt „Zum guten Tropfen" drängt schon lange mit der Bezahlung der Zechschuld und der Magen knurrt und will seine Rechte haben." „lRoirus vsntor HON stnäst! lidontsr!" lachte der reich und vornehm gekleidete Kamerad. „Ach, in dieser Lage war ich wohl noch gar nie, so-, lange ich hier, in Wien bin, wenn's mir auch selten gut ging", entgegnete kleinlaut Touino. „Ich brauchte mir meinen Gürtel noch nie aufzuschnallen, im Gegen¬ teile, ich mußte ihn immer um einige Löcher enger zuziehen. Ja, wenn ich wüßte, wo meine Schwester, die Marina lebt, der soll's gut gehen in irgend einem schönen Schlosse, habe ich einmal gehört, und sie soll in Saus und Braus leben, das käme mir sicher auch zu gute, wenn ich sie aufzufiuden wüßte." „Das mußt du mir genau erzählen; vielleicht be¬ rühren sich unsere Lebensschicksale; aber hier, Antonio, ist's nicht gut plaudern, auf der Straße, wo die -Ohren der Philister auf jedes Wort spitzen, das aus dem Munde von unsereincm kommt; auch fröstelst du in deinem leichten Kleide, denn der Märzwind pfeift nicht gar lieblich durch die Straßen. Komm, wir wollen in eine der Schenken gehen, die da bei den Badestuben am Tore reichlich ver¬ treten sind. Ich weiß eine, wo man einen guten Tropfen schenkt. Komm mit, auf eine Flasche vom Besten soll's mir nicht ankommen." Bald saßen die zwei im eifrigen Gespräche in der 88 Leo Smvlle. Hinteren Wirtsstube „Zum grüneu Krauz" und goldiger Msecker perlte in den Pokalen. „Du weißt, Beppo," sagte gerade der ärmlich Ge¬ kleidete, den sein Kamerad mit Antonio angesprochen hatte, „welch heftige Kämpfe in unserer Vaterstadt Florenz ge¬ führt wurden, bevor Cosimo der Mediceer seine Herr¬ schaft antreten konnte. Der Pöbel war bis in seine tiefsten Schichten aufgehetzt worden und blutige Exzesse waren nicht selten, man wollte den Nobili allen an den Kragen." „Ja, lieber Freund, auch meine Eltern hatten dar¬ unter zu leiden. Mein Vater war ein kleiner Landedel¬ mann in der Nähe der Stadt und wegen seiner Güte all¬ gemein beliebt und doch entging er nur mit Mühe den Verfolgungen des leidenschaftlich ausgercizten Stadt¬ volkes." „Damals strömten auch allerlei zuchtlose Banden in die Stadt, entlassene Söldlinge des Visconti; sie wollten im Trüben fischen. Ein solch waghalsiger Condottiere, der nichts hatte als sein gutes Schwert und sein weites Gewissen, verkehrte ost in unserer kleinen Osteria am Arno", nahm jetzt Antonio das Wort, „und eben damit hängt das Schicksal meiner Schwester zusammen, von dem ich dir jetzt erzählen will. Marina war hübsch, jung und unerfahren und Tommaso, so hieß der Abenteurer, ver¬ drehte ihr den Kops und versprach ihr goldene Berge, er wolle sie zu einer Contessa machen und was sonst der¬ gleichen tolle Reden waren, urit denen er sic bestürmte. Eines schönen Tages war Marina fort; es war gerade die Zeit der heißesten Straßenkämpse und niemand konnte sich mit der Verfolgung des Räubers beschäftigen, denn Der letzte Graf von Cilli. 89 es war kein Zweifel, daß Tommaso sie entführt hatte. Auch er war auf Nimmerwiedersehen verschwunden." „Ja, damals", warf der andere Student dazwischen, „wurde auch der edle Contc Falconieri erschlagen und sein Haus niedergebrannt; seine Frau sand in den Flammen den Tod und das kleine Söhnlein des Conte, Paul, blieb spurlos verschwunden." „Das ist aber merkwürdig," fiel rasch Antonio ein, „neulich sagte mir einer der Diener des Grafen von Cilli, den ich fragte, wo denn die erlauchte Gräfin weile, daß sie zu ihrem Vater,, dem Serbenfürsten Georg Brankovich, sich begeben habe und daß des Grafen Hofmarschall, ein Italiener, namens Falconieri, sie dorthin begleitete." „Falconieri? Am Ende wäre dies gar dein sauberer Condottiere Thomas und wir kommen auch deiner Schwester Marina auf die Spur. Aber wie kommt der Spitzbube zu dem Namen Falconieri?" „Nichts leichter als dies," erwiderte Antonio, „wahr¬ scheinlich hat sich der Strolch der Papiere des Nobile be¬ inächtigt und spielt nun den großen Herrn in der Welt." „Aber wie mag er in die Cillier Burg gekom¬ men sein?" „Ohne Zweifel hat Graf Ulrich sich durch die ein¬ schmeichelnden Manieren des vornehm auftretendcn Frem¬ den täuschen lassen, obwohl er sonst sehr scharfsichtig ist und mit seinen dunklen Feueraugen den Menschen bis auf den Grund sieht." „Ist freilich alles nur Vermutuug von uns," sagte Beppo und tat einen mächtigen Zug aus seinem Pokale, „aber es kann kaum anders sein; damals ging alles 90 Leo Smolle. drunter und drüber in unserer schönen Vaterstadt und leicht konnte ein unternehmender, schlauer Mann sein rauhes Puppenkleid abstreifen und als glänzender Edel¬ falter über die Berge fliegen und irgendwo in einem vor¬ nehmen Schlosse wieder znr Erde sich niederlassen und ein neues Leben anfangen." „Aber, er soll's nicht beenden," brauste Antonio auf, „und wenn ich ihn finde, dann isUs mit seiner Herrlich¬ keit zu Ende und Marina muß wieder nach Hause zur alten Mutter, die nach des. Vaters Tode ganz vereinsamt ist und sich um ihre Tochter, an der ihr ganzes Herz hing, abgrämt und abhärmt." „Jetzt ist's herrlich in unserer Stadt Florenz, die wir die Schöne, la Kolla, nennen und die fast das ganze Jahr wie in Blumen eingebettet ist. Aber Florenz ist in unseren Tagen nicht bloß schön durch die Umrahmung einer herrlichen Natnr, sondern auch durch die Blüte der Kunst, denn Cosimo herrscht als milder Fürst und schirmt Kunst und Wissenschaft, die in ungeahnter Pracht sich entfalten." „Brunellesco, Giotto, Lorenzo Ghiberti haben un¬ sere Stadt urit den herrlichsten Werken ihrer schöpferi¬ schen Phantasie ausgeschmückt. Kirchen und Paläste wachsen aus der Erde wie schöne Blumen, die ihre Kelche im Morgenlichte erschließen und an Stelle der blutigen Bürgerkriege ist wieder der lachende Frohsinn in die Stadt eingezogen, zu deren sonniger Frühlingspracht Ernst und Grauen wenig passen." Und er summte das Liedchen des Mediceers vor sich hin: Der letzte Graf von CM. 91 tznant' ö kslla Aiovnrrs^rin, Lös si tnAAS tntts. via, Obi vrrol ssssr listo, sin, Di clornnu non 0' ö osrts^a! Es lebe, was jung auf der Welt ist, Denn rasch die Jugend entflieht! Drnm singe ich lustig mein Lied, Wer weiß, wie das Morgen bestellt ist. Und er hob den Pokal und ließ das klare Gold des Weines im Sonnenlichte spielen, das sich zum Fenster hereinstahl. Dann schlürfte er mit Behagen den linden, feurigen alten Wein und rüttelte seinen Kameraden unsanft bei der Schulter. Antonio saß in die Ecke gedrückt, nachdenk¬ lich mn Tische und ließ den Kops hängen. Jetzt fuhr er auf und sagte zu Beppo: „Ich bin wahrhaftig kein Duckmäuser und Kopf¬ hanger, aber ich will mich nicht früher der Schönheit meiner Vaterstadt freuen, bevor ich nicht die Spur dieses Tommaso gefunden und meine Schwester gerächt habe. Schon will der heilige Mann, dessen feurigen Worten wir heute ge¬ lauscht haben, mit den Ungeduldigsten unter den Kreuz¬ fahrern vorauseilen, um sich an die Ungarn unter ihrem Helden Johannes Hunyadi anzuschließen und Belgrad den Türken zu entreißen. Der Graf von Cilli folgt mit dem Hauptheere nach. Auch ich will mich unter die Kreuzfahrer mischen und nach Ungarn ziehen, denn dort, so sagt mir eine innere Stimme, treffe ich den Falconieri, und ist er der gewissenlose Abenteurer, dann mag er Leib und Seele Gott empfehlen, denn ich will ihm die gleisnerische 92 Leo Smolle. Maske vom Gesichte reißen, so daß statt des falschen Edel¬ mannes der richtige Spitzbube zum Vorschein kommt." „Gebe Gott, daß dir das Werk gelingen möge, To¬ nino," sagte der andere und drückte ihm warm die Hand, „jetzt aber müssen wir unsere Burse aufsuchen, denn so¬ eben läuten die Glocken der Dominikanerkirche die Mit¬ tagsstunde." „Greif nach dem Becher, lieber Freund: Ans ein glückliches Gelingen alles dessen, was wir Vorhaben! Ich will bald wieder zurück nach Florenz, wo die Musen jetzt blühen; du folgst den Spuren des Bösewichtes, der dir den Frieden des Hauses gestört hat. Gib uur acht, daß dich die Schlange nicht vergiftet, wenn du sie töten willst." Die Becher der Studenten klangen zusammen, dann wanderten sie beide Arm in Arm der Rosenburse zu, die in der Nähe des Dominikanerklosters lag. VIII. .EntsuMe Kelleimnijse. Auf dem Schlosse in Obercilli waren die Tage seit der Abreise des Grafen Ulrich friedlich verstrichen. Paul war fast immer in Gesellschaft der Gräfin und ihres Kammerfräuleins, der Griechin Jsaura. An den linden Abenden des Vorfrühlings spielte sie auf Wunsch der Gräfin gern zur Laute und sang kleine Liedchen aus der Heimat, in denen die Sehnsucht nach Befreiung von dem unwürdigen Joche der türkischen Herrschaft und die Freude an der Schönheit des Meeres und der leuchtenden Pracht des südlichen Himmels zum Ausdrucke gelaugten. Der letzte Graf von Cilli. 93 Die Gräfin Katharina saß dann gewöhnlich im Gartensessel und ließ die feine Stickarbeit, mit der sie sich beschäftigte, so lange die Sonne es zuließ, in den Schoß gleiten und sah sehnsüchtig in die Ferne; ihr Geist führte sie zu ihrem Volke, zu ihrem Vater, dem Fürsten Georg, den sie so gern wieder als Beherrscher eines freien glück¬ lichen Volkes sehen wollte. Die Gräfin wollte in diesen Frühlingstagen zunächst nach Schloß Sanneck reisen, dessen Räume freundlicher und bequemer und dessen Gärten viel größer und schöner waren. Von dort sollte dann die Reise in die serbische Heimat angetreten werden. Der Marschall Falconieri sollte sie mit ansehnlichem Gefolge begleiten, während Paul, wie es der Wunsch des Grafen war, der den Jüng¬ ling seit der Begegnung mit der Zigeunerin immer lieber gewonnen hatte, mit Briefen der Gräfin ans Hoflager nach Wien reisen sollte. Auch die Frauen, besonders Jsaura, brachten dem schwarzlockigen Edelknaben, der so früh in ein trauriges Leben hinausgestoßen worden war und über dessen dunklen Augen fast immer ein Schleier wehmütigen Ernstes lag, wegen seiner Treue und Anhänglichkeit eine aus Mitleid und Neigung gemischte Teilnahme entgegen. Saß Paul mit Jsaura zusammen, so erzählte sie ihm gern von seiner italienischen Heimat, aus der er so früh entführt worden war, und dem herrlichen Florenz, wohin sie auf ihrer Flucht aus Konstantinopel mit dem Mönche Argyropulos gekommen und von wo sic dann an den Cillier Hof gebrächt worden war. So verlebte Paul freundliche Tage, vielleicht die 94 Leo Smolle. glücklichsten seines Lebens ; nur das Verhalten des Mar¬ schalls Falconicri flößte ihm Angst und Besorgnis ein, denn mit giftigen Blicken verfolgte dieser und seine Frau Marina die Schritte des Jünglings und ließ ihn, wo er nur konnte, seine Abneigung merken. So nahte der Tag der Abreise der Gräfin Katharina heran. Große Vorbereitungen wurden schon am Vorabende getroffen. Kisten und Truhen voll herrlicher Kleider und Kleinodien, die aus Saumrossen der Gräfin nach Sanneck nachgeführt werden sollten, standen in den finsteren Kor¬ ridoren des Schlosses umher. Am nächsten Tage verließ die Gräfin und Jsaura Obercilli; Paul begleitete sie eine Strecke Weges und kehrte am späten Nachmittag zurück. Ms Paul wieder in die Cillier Burg zurückgekehrt war und in sein Zimtner gehen wollte, sah er die Tür der Stube, in der Bruder Berthold zu arbeiten Pflegte, ein wenig offen. Er fand den Mönch an seinem Schreibpulte sitzend mit vornübergencigtem Kopfe, offenbar nach langer Arbeit ein wenig vom Schlummer übermannt. Das Abendgold spielte im ergrauenden Kranze seiner Haare und wob einen lichten Schein ums Haupt des Klosterbruders. Paul trat ein und zog die Tür hinter sich zu. Das Geräusch unterbrach den leichten Schlummer des Mönches; er stand auf und reichte Paul seine beiden Hände zum Gruße. „So geht's einem," sagte er lächelnd, „wenn man zu lange bei dem Studierlämpcheu arbeitet, wie ich heute Nacht; aber diese Chronikä unserer Grafen von Cilli hält Der letzte Graf von Cilli. !)5 mich fest, ich kann mich nicht von ihr trennen; immer wieder kehre ich zu' ihr zurück und forsche in den alten Pergamenten und Schriften, um die Irr- und Wandel¬ gänge dieses merkwürdigen Hauses kennen zu lernen." „Wie weit seid Ihr in Eurem Werke, ehrwürdiger Bruder, das Ihr zum Ruhme des erlauchten Hauses zu schreiben Euch fürgesetzt habt?" „Gerade bin ich bei dem Hinscheiden des Grafen Friedrich, dem der Allmächtige gnädig verzeihen möge, was er in sündiger Leidenschaft hienieden gefrevelt, denn er hat auch viel Gutes gestiftet, solange er auf Erden wandelte, und besonders uns arme Brüder und unser Kloster in der Stadt Cilli hat er mit Gnaden und Gaben reich bedacht." „Am Ende seines wildbcwcgten Lebens kehrte Reue und Buße in sein von Leidenschaften zerrissenes Herz ein und mit seiner zitternden Hand, die einst nur Freude daran hatte, das Schwert zu führen, schrieb er kürz vor seinem Hinscheiden die rührenden Worte nieder: zWir haben in unserem Gemüte ernstlich und mit großem Seufzen betrachtet, daß alle irdischen Dinge vergäng¬ lich sind und daß der Mensch von seinem Hab und Gut, das von Gott kommt und von ihm zu Lehen ist, nichts hat, als was er davon Gutes in Gott ge¬ tan.' Doch du willst wissen, Paul, wie weit meine Chronik der Cillier Grafen gediehen. Da, lies selbst, junger Freund. Noch ist die Schrift nicht ganz vertrocknet, denn vor kurzem erst legte ich den Schreibgriffel weg, weil die sinkende Sonne meinen müden Augen - zu wenig Licht spendete, und schlummerte richtig ein bißchen ein." 36 Leo Snwlle. Und Paul schob den Pergamentfolianten näher zum Fenster, durch das noch der matte Abendschein fiel, und las:*) „Nach Christi geburdt 1454 fahr, an S. Marga¬ rethentag am abcndt beschloß der edel graff Friederich von Cilli, graff Ulrichs Vatter, seinen letzten tag, und starb zu Saunegk. Der also gen Cilli gefürt Wardt und m dem kloster daselbst in den sarch gelegt. Also beschloss sein sühn, graff Ulrich, die mechtig herschafft und was nu keiner von Cilli mehr dann er. Und zu Sannegk fandt er nach seinem Vatter einen grossen mechtigen schätz und lies den gen Ober-Cilli in das geschloss füren. Und als man den schätz zu Sannegk hueb und dannen fürt so kahm ein solcher grosser windt, das vor nieinandt macht gedenken; der brach viel grosser paim nieder und füret viel dächer von den heussern." Hier endete die Schrift. So weit war der Chronist gekommen. „Du gedenkst, lieber Paul, wohl auch des furchtbaren Sturmes," nahm Bruder Berthold das Wort, „der da¬ mals im untersteirischen Lande wütete; er war von uner¬ hörter Heftigkeit; die Leute warfen sich aus die Erde nieder und dachten nicht anders, als das letzte Gericht wäre nahe. Gott verhüte es," setzte der Klosterbruder hinzu, „daß dies ein Vorzeichen sein sollte und daß der allmächtige Gott nicht auch dies stolze Grafenhaus so vom Erdboden wegfegen werde, wie damals der Sturm die stärksten Bäume entwurzelt und gleich dünnen Spänen entzweigeknickt hatte." „Ehrwürdiger Bruder," sagte Paul, „Gott ist barm- Wörtlich aus der Cillier Chronik. Der letzte Graf von CM. 97 herzig und gütig und gerade jetzt hat er es zugelassen, daß Gras Ulrich hoch erhoben wurde und über alle seine Gegner triumphiert." „Dies mag eine Prüfung Gottes sein und ich fürchte fast, das Herz unseres Grafen wird nicht demütig befun¬ den werden im Besitze der Macht, er wird sie mißbrauchen, zu Gewalttat und Arglist und Gottes Zorn wird ihn hin¬ wegwehen wie damals der Sturm die gleißenden Schätze bald in die hochwogende Sann geschleudert hätte." „Hochwürden," sagte Paul innig, „das Herz des Cilliers ist edel, wenn er auch nicht frei ist von mensch¬ lichen Schwächen. Bald hoffe ich, an seiner Seite in Wien zu sein und was meine geringe Jugendeinsicht vermag, will ich tun, um als sein Schutzengel ihm mahnend und tröstend zur Seite zu stehen." „Gott segne dein Beginnen," sagte Bruder Berthold feierlich, „aber gegen die Macht, die der Böse über uns hat, gibt es nur den einzigen Schutz in der Demut und Zerknirschung des Herzens. Die Ratschlüsse Gottes sind unersorschlich. — Die Sonne ist gesunken, das Glöcklein der Burgkapelle ruft zum Abendgebete. — Lebe wohl, Gott sei mit dir, mein Sohn!" Paul beugte sich nieder, um die Hand des ehrwür¬ digen Priesters zu küssen, und glitt leise aus der Tür. Im Korridor herrschte völlige Finsternis. Nicht weit von der Studierzelle des Mönches war die Tür zu dem Ge¬ mache, in dem einst die schöne Viktoria von Deschenitz, die zweite Gemahlin des Grafen Friedrich, gewohnt hatte, die bald darauf im Schlosse zu Osterwitz grausam er¬ mordet worden war. Sm olle Der letzte Graf von Cilli. 7 98 Leo Smolle. Ängstlich wurde dieser Ort von allen Inwohnern der Burg gemieden und Paul war daher überrascht, als er gerade aus dieser hochüberwölbten Türnische Stimmen- geslüster hörte. Durch die Dunkelheit begünstigt, schlich er näher, denn er glaubte in der einen redenden Person die Stimme des Marschalls Falconieri zu erkennen. Hinter einem Mauervorsprung verborgen, lauschte er mit angehaltenem Atem. Er hatte sich nicht getäuscht. Die Sprechenden waren Falconieri und seine Frau Marina. „Wir dürfen Paul uicht zum Grafen von Cilli ge¬ langen lassen," flüsterte Falconieri, „denn ich glaube, Paul ist schoil mißtrauisch gegen mich und wird den Grafen warnen." „Du tust Paul unrecht," meinte Marina, „was hast du überhaupt gegen ihn? Er hat dir doch nie etwas in den Weg gelegt." „Kurzsichtige," knirschte Falconieri zwischen den Zähnen hervor, „ahnst du denn wirklich nicht den Zu¬ sammenhang? Ich glaube, es ist kein Zweifel, Paul ist der Sohn des alten Falconieri, der bei unserem Über¬ fall seines Kastells den Tod fand. Weiß Gott, wie der Knabe gerettet wurde, aber das Alter Pauls, seine Ge- srchtszüge, die denen des alten Conte Roberto gleichen, nur weicher und sanfter sind als die des verwitterten und verwetterten Haudegens, all das deutet darauf, daß Paul Casablanca mit dem verschollenen jungen Contc ein und dieselbe Persönlichkeit ist. Wie kommt es denn auch, daß er so feine Manieren und so edle Gesichtszüge hat? Das ist angeboren, und er sollte eines Bauern Kind Der letzte Graf von Cilli. 99 sein? Nein, dieser Panl war mir schon lange verdächtig; er kann uns gefährlich werden und er darf nicht nach Wien zum Grafen; er muß früher verschwinden." „Aber du kannst dich vielleicht doch irren, Masello, Wie oft täuscht das Äußere und du sagst selbst, Pauls Züge sind viel weicher als die des alten, sturmerprobten Eonte." „Nicht vergeblich, Marina, habe ich mein Auge schärfen wüssen auf meinen abenteuerlichen Kreuz- und Querzügen, Um den Verfolgungen zu entgehen, die auf mich lauexten, und Freund von Feind zu unterscheiden. Ich sehe scharf wie ein Luchs und kann selbst bei Nacht, wenn sie nicht ganz höllisch schwarz ist, die Gestalten voneinander unter¬ scheiden. Ich sage dir, Marina, Paul ist der Sohn des Falconieri, den ich beraubt und mit dessen Namen ich wich in Ehren und Würden gesetzt, und daher muß er verschwinden." „Aber Tommaso," wagte Katharina zu entgegnen, "Paul weiß nichts davon; er kann uns nicht anklagen, uicht verfolgen." „Reize mich nicht durch deinen einfältigen Wider- shruch", fuhr Falconieri auf, „oder wolltest du lieber wieder rohes Kriegsvolk und armes Gesindel von der Straße in der Schenke bedienen wie ehemals, als hier die Edeldame spielen? Ich wenigstens habe keine Nei¬ gung, mich wieder als Strauchritter herumzuschlagen Und zu hungern und zu frieren. Ich will bis an mein Ende in feinen Kleidern gehen und an fürstlicher Tafel sheisen." „Was willst du tun?" fragte Marina ängstlich. 7* 100 Leo Smolle. „Paul darf nicht aus dem Schlosse. Ich habe Be¬ fehl gegeben, die Zugbrücke heute unter keinen Umständen mehr herunterzulassen unter dem Vorwande, daß ungari¬ sche Banden in der Nähe sind. Ich habe Pauls Schritte genau beobachtet. Vor seiner Stube steht ein Wachposten. Wenn er nach Hause zurückkehrt, wird er sofort ins Ver¬ lies geschleppt; es führt von dort ein geheimer Gang in die Sann; mag dann irgendwo seine Leiche ans Ufer geschwemmt werden, er ist eben verunglückt und alle werden ihn beklagen, denn alle hängen an diesem jungen Fant mit seiner schönen Larve." „Hüte dich vor dem Grafen Ulrich!" stieß noch Marina rasch heraus, denn ein verdächtiges Geräusch, durch eine unvorsichtige Bewegung Pauls veranlaßt, ließ sie zu¬ sammenschrecken. „Pah, der hochmütige Narr, der eitle Geck," zischelte der falsche Falconieri, „der kommt auch bald an die Reihe- Seine Tage sind gezählt. Schon bin ich durch geheime Boten mit Kaiser Friedrich in Verbindung getreten. Wer¬ weiß, ob das Geschick des letzten Herrn von Cilli nicht bald eine andere Wendung nehmen wird." Paul blieb regungslos in seinem Verstecke; der Schreck lähmte ihm fast die Glieder. Das Flüstern wurde immer unhörbarer; endlich deuteten schlürfende, langsam verhallende Tritte an, daß sich die beiden Gestalten in entgegengesetzter Richtung entfernten. Der letzte Graf von Cilli. 101 IX. Die Ulncstt. Paul erwachte aus seiner Erstarrung; er war allein im finsteren Korridor; eine Flut von Gedanken drang auf ihn ein, doch jetzt war keine Zeit zum Denken; er Mußte handeln, jeder Augenblick war kostbar. In sein Zimmer durfte er nicht zurückkehren, das Mar klar. In kurzer Zeit mußte seine Abwesenheit vom Schlosse entdeckt werden. Und dann begann die Verfol¬ gung. Die Zugbrücke war aufgezogen. Er konnte nicht daran denken, durch das Haupttor die Burg zu verlassen, denn die Dienerschaft und die schwache Besatzung der Burg wagten es gewiß nicht, den Befehlen des Hofmarschalls, der in der Abwesenheit des Grafen ein strenges Regiment führte, Widerstand zu leisten. Aber er mußte sich retten und mußte dem Grafen von der Treulosigkeit seines Hofmarschalls Kunde geben. Da erinnerte sich Paul, daß in einem Kämmerlein bei der Wendeltreppe, die zu den Kellerräumcn führte, ein Schlüssel hing, der zu einem Ausfallspförtchen paßte, das auf den Wall hinausführte. Wenn es ihm gelänge, sich dieses Schlüssels zu be¬ mächtigen? Lautlos huschte er über den finsteren Gang und gewann die Stiege; es war rabenschwarze Finsternis, denn hieher drang kein Schiminer des verglimmenden Abends. Tastend hastete er vorwärts, nicht ohne sich einige Male an Mauerwerk und Geländer heftig anzustoßen. Er fand das Kämmerchen, in dem allerlei altes Ge- 102 Leo Smolle. rümpel aufbewahrt wurde, und richtig, da hing an einem Holzpflock der verrostete Schlussel. Nun tappte er au der feuchten Kellermauer vorwärts bis zu der Stelle, wo das eisenbcschlagcnc Pförtchcn ans schwerem Eichen¬ holze ins Freie führte. Unheimlich kreischte der rostige, lange nicht gebrauchte Schlüssel im Schlosse; ächzend und knirschend drehte sich der Torbalken in den Angeln. — Ängstlich horchte Paul auf. Wie, wenn man in der Burg das Knarren und Kreischen, das die ringsum herrschende Totenstille so un¬ heimlich durchdrang, gehört hatte? Schon sah er die Ver¬ folger auf seinen Spuren, schon glaubte er, eine eiserne Hand umklammere seinen Hals; doch es war nur die Angst, die ihm dies Gefühl vorgespiegclt hatte. Alles blieb ruhig und totenstill wie zuvor. Das Pförtlein öffnete sich, er war im Freien; die kühle Abendluft lochte um sein Gesicht und flößte ihm neuen Mut ein. Vorsichtig und so leise als möglich schloß er wieder die schwere Tür und warf den Schlüssel in den Burggraben. Er hatte kaum eine Handbreit Boden unter seinen Füßen, denn der Graben fiel jäh hinunter. Er mußte sich an einem Holunderstrauche fcsthalten, der knapp an der Burgmauer aus dem abschüssigen Boden hervorgewachsen war. Doch wie sich in den Graben hinablasscn, den er auf der andern Seite wieder ersteigen mußte, um zur äußeren Ringmauer zu gelangen? Der Zufall war ihm günstig. Gerade Tags zuvor hatte man das Wasser des Burggrabens abgelassen, denn eine kostbare Armspange war der Frau des Hofmarschalls entglitten, als sie auf Der letzte Graf von Cilli. 103 dem Söller stand, und in den Schloßgraben gefallen. Die Strickleitern, auf denen Dienstlente in den Graben gestiegen waren, waren noch angebracht. Er bemerkte sie im fahlen Schimmer des Mondes, dessen Licht sich mit dem erlöschenden Scheine der Sonne vermischte. Er kletterte in den Graben hinab, dessen Grund mit Schlamm und Schlinggewächsen aller Art bedeckt war. Jetzt war er unten und faßte mit starker Hand einen Wurzelknollen, der auf der andern Seite der Böschung in Mauneshöhe aus dem schlüpfrigen Erdwalle heraus¬ ragte. So schwebte er einige Zeit über dem Boden, bis sein nach aufwärts spähendes, durch die Angst geschärftes Auge einen Balken entdeckte, den man wahrscheinlich schon vor Zeiten aus irgend einem Grunde in das Erdreich gerammt hatte; er griff mit seiner freien linken Hand danach und urit einem starken Schwünge seines jungen elastischen Leibes gelang es ihm, sich auf dem Balken emporzuziehen und rittlings auf diesen zu setzen. Einen Augenblick gönnte er sich Rast, um tief Atem zu schöpfen, denn die Kräfte schienen ihn fast zu verlassen. Zum Glücke war der Abhang nicht mehr so steil und es glückte ihm mit einem Sprunge, die Mauer zu erreichen. Sie war gerade an dieser Stelle ziemlich zer¬ bröckelt und so könnte er, indem er einen Fuß nach dem andern in die Lücken des Steinwerkes setzte, die Krönung der Mauer erklimmen. Nun stand er oben auf der breiten Terrasse. Der Mond war eben voll am Himmel aufge¬ gangen und streute sein Silber auf die Fluten der Sann, die tief unten im Tale rauschte und deren schwarze-Wasser- massen ab und zu im Widerscheine des Mondes funkelten, 104 Leo Smolle. je nachdem eine buschlose Stelle des Ufers oder eine breitere Ausbiegung des Flusses dem Lichte Zutritt gewährte. Paul hatte, im Graben angelangt, die Strickleiter aus ihren Haken gerissen und sich um den Leib gebunden. Er befestigte sie jetzt an den Eisenringen, die an der Mauer angebracht waren, und so konnte er sich herunter¬ lassen bis dorthin, wo dichte Weiden- und Erlensträucher fast unmittelbar aus dem Flusse emporstarrten und ein Gürtel von Waldbäumen den Schloßberg umwallte. Es war ein gefährliches Beginnen, doch gab's keine andere Rettung, und indem er Gott feine Seele empfahl, begann er den Abstieg und hielt sich, am Ende der Strick¬ leiter angelangt, an einem starken Baumstamme fest und schwang sich dann, unzählige Male über Wurzelknorren stolpernd, von Baum zu Baum in die Tiefe hinab. In Schweiß gebadet langte er endlich am Flusse an und fiel fast in das starrende Buschwerk des Ufers. Er dankte Gott aus der Tiefe seines Herzens, als er nach scharfem Umherspähen entdeckte, daß er gerade an jene schmale Stelle der Sann gekommen war, wo am jenseitigen Ufer die Hütte des Fährmannes, des alten Toman Juri, stand, aus deren niederem, teilweise ver¬ klebtem Fensterlein noch ein Licht blinkte. Er mußte trachten, durch Schwimmen das andere Ufer zu gewinnen. Gerade als er aus dem Ufergebüsche auf¬ tauchen wollte, glaubte er, aus der Höhe das Knarren der Zugbrücke und den Schall des Wächterhorns zu hören, der aber wegen der großen Entfernung nur matt und undeutlich herüberklang. Es war keine Zeit zu verlieren. Zum Glücke hüllte Dci letzte Graf von Cilli. 105 eine Wolke den Glanz des Mondes ein und das Ufer¬ gebüsch ließ gerade an dieser Stelle fast nichts vom Wafser sehen, denn auch auf der anderu Flußseite hingen die langen, biegsamen Zweige der Weiden tief ins Wasser. So nahm denn Paul den Beutel voll Goldstücke, den ihm die Gräfin, als er sich vor Sanneck von ihr verab¬ schiedete, noch zugesteckt hatte und den er glücklicherweise bei sich trug, zwischen die Zähne und schwamm hinüber. Triefend von Nässe stieg er am jenseitigen Uferrande aus dem Wasser und stand nach einigen Schritten im Fischer¬ hause. Der alte Toman erschreck nicht wenig, als er Paul in dieser Verfassung hereinkommen sah, und sein Töchter¬ lein Anuschka schlug die Hände zusammen und wollte eiligst zur Türe hinaus, doch Paul drängte sie ins Zimmer zurück. Mit fliegendem Atem stieß er nur schnell einen Abendgruß hervor und wendete sich dann an den Alten, der am Fenster saß und die Augen so weit aufriß wie er nur konnte, als er Paul in diesem Zustande sah. „Gebt mir nur rasch trockene Kleider", sagte Paul, „und beherbergt mich für diese Nacht. .Ich kann euch vorläufig nicht enthüllen, wie es so gekommen ist, daß ich hier bin. Genug, ich mußte fliehen und ich soll so schnell als möglich dem Grafen Ulrich eine Botschaft über¬ bringen, denn er hat mächtige Feinde, seinem Leben droht Gefahr." Als der Alte dies hörte, sprang er sofort von seinem Holzbänkchen auf und rief Anuschka, sie möge nur schnell aus dem oberen Verschlage die Kleider Peterls herunter¬ bringen, damit Paul in ein trockenes Gewand komme. 166 Leo Smolle. Peter war der einzige Sohn des alten Jnrit er war nnter das Kriegsvolk gegangen und nach Ungarn gezogen, nm zu den Kreuzfahrern zu stoßen; er toar ein schlanker, hochgewachsener Bursche, im Alter und Wuchs Paul nicht unähnlich, so daß diesen: die rauhen Lodenkleider des jungen Fährmannes gut paßten. Anuschka hatte unterdes die Fensterläden verschlossen nnd ein mächtiges Feuer am Herde entzündet, vor welchem Paul saß und den Eiersterz, den Anuschka bereitet hatte, mit Heißhunger verzehrte. Der alte Juri kraute sich sein struppiges Barthaar Md 'rief ein über das andere Mal aus: „Jst's denn wahr, wie Ihr fagt, daß es unserem gnädigen Herrn Grafen an das Leben gehen soll? Ich bin nur ein armer alter Mann, aber gern geb' ich mein Leben für Seine fürstliche Gnaden den Herrn Grafen her; er ist mit den niederen Leuten immer so hcraplassend und freundlich. Wie vor zwei Jahren das reißende Wasser meine elende Hütte niederriß, erließ mir der Herr Graf den kleinen Pacht¬ schilling nnd ließ das Häuschen so schmuck aufbauen, wie Ihr es jetzt seht, mitten im kleinen Gärtchen, in dem Anuschka auch Gemüse anbaut für unfern Bedarf. Aber erzählt doch, Junker, weshalb Ihr aus dem Schlosse ge¬ flohen seid und was für Gefahren dem Herrn Grafen- Ulrich drohen." Doch Paul entgegnete nur: „Noch ist es nicht Zeit, dir zu erzählen, lvie alles dies so gekommen ist. Gib mir nur für heute Nacht einen sicheren Unterschlupf und trachte nur, d»rß kein Wörtlein von meinem Hiersein ver¬ raten wird; wenn dich jemand, sei es auch wer immer, Der letzte Graf von CM. 107 um mich befragen sollte, so antworte bloß, daß du mich seit meiner Abreise nach Sanncck mit keinem Auge ge¬ sehen hättest. Verstehst du?" Der Alte schüttelte nur zu dem allen den grauen Kopf, beteuerte aber feierlich, daß er kein Sterbenswört- lein verraten wolle. „Und auch du, Anuschka, mußt reinen Mund halten", fuhr Paul fort, „und darfst dein Gärtner- jungen vom Schlosse, dem schmucken Hans, ja keine Silbe verraten von dem, was du heute gesehen und erlebt hast. Es soll dein Schade nicht sein. Da hast du unterdes eine Goldmünze; Graf Ulrich wird gewiß noch ein Sümmchen hinzufügen, damit ihr bald Hochzeit machen könnt, du und dein Hans." Anuschka, die Tochter des Fährmannes, die mit ihrem jugendlichen Frohmute und ihrem frischen Gesänge, der von früh bis abends iir der Stube und im Gärtchen er¬ klang, dem Alten das Leben erheiterte, errötete bis in den Nacken, als Paul des hübschen Gärtnerjungen Er¬ wähnung tat und versprach gleichfalls hoch und teuer, kein Sterbenswörtchen zu verraten und wenn's ihr auch an Leib und Leben gehen sollte. Unter dem Stubenboden war ein heimlicher Ver¬ schlag, der Licht und Lust durch ein kleines Kellerfenster empfing, das, von Standen verdeckt, in den Garten hin¬ ausging. Hier wurde eine weiche Streu zurechtgemacht und todmüde sank Paul auf sein einfaches Lager. Doch trotz seiner Erschöpfung war sein Schlaf kürz und un¬ ruhig. Bald glaubte er in seinen Träumen in einen: schönen Schlosse am Arnostrande zu sein, bald sah er sich von den Leuten des Falconieri verfolgt, bald stürzte 168 Leo Smolle. er über eine furchtbare Felswand in die hochgehenden Fluten eines empörten Gewässers. Schweißgebadet fuhr er von seinem Strohlager auf, ein matter Schein stahl sich in sein Versteck und ein schmales, zackiges Lichtband lief über die grobe Decke, in die er sich gehüllt hatte. Paul sprang auf, entschlossen, so rasch als möglich die Hütte zu verlassen, denn hier war seines Bleibens nicht länger; zu gefährlich war der Aufenthalt in un¬ mittelbarer Nähe des Schlosses. Er mußte trachten, aus dem Bereiche der Verfolger zu entkommen; seine Ver¬ kleidung kam ihm dabei zu statten. So sagte er denn dem Alten und seinem Töchterchen Lebewohl und nachdem er ihnen nochmals das tiefste Still¬ schweigen ans Herz gelegt hatte, schritt er in den däm¬ merigen Morgen hinaus. Er griff tapfer aus. Der Tag war kühl, Tautropfen blitzten an Gräsern und Blumen und ein frischer Luft¬ hauch streute die Silberperlen zur Erde. Aber je höher die Sonne am Himmel stand, desto matter fühlte sich Paul; seine Kräfte drohten ihn zu verlassen; er spürte es immer deutlicher, daß die furchtbaren Aufregungen des vergangenen Tages ihn völlig niedergedrückt hatten und eine schwere Krankheit bei ihm im Anzuge sei. Als die Mittagssonne niederbrannte, sank er erschöpft am Saume eines Waldes ins Gras und seine Augenlider schlossen sich zu einem fast todesähnlichen Schlafe. Wie lange er so gelegen, er wußte es nicht; er wußte auch nicht, was mit ihm unterdes vorgegangen war. Als er wieder die Augen aufschlug, fand er sich in einein , zelt- Dcr letzte Graf von Cilli. 109 artigen Raume. Fieberschauer schüttelten seine Glieder und mit mattem Glanze blickten seine Augen umher und fielen zuerst auf ciu altes Weib mit phantastischem Kopf- schmucke, das au seinem Lager saß und ihm Stillschweigen gebot, als er mühsam zu reden anheben wollte. „Fürchte nichts, ich will dir wohl. Ich bin die Zigeu¬ nerin Zora, die dich schon als Knaben beschützte, wenn dich der harte Micha strafen wollte. Du bist schwer krank, doch mein Trank, den ich aus heilsamen Kräutern be¬ reitet habe, wird dich wieder Herstellen. Zwar werden noch viele Wochen darüber verstreichen; doch du mußt gesund werden, um mit frischer Kraft an dein Werk zu gehen. Du willst den schönen, wilden Grafen Ulrich warnen; in seinen Adern rollt ein Blut, so stürmisch und unruhig wie jenes, das in den Adern der Söhne und Töchter unseres Stammes rinnt. Warne ihn, mein Kind. Auch ich tat es schon einmal. Trachte nur, gesund zu werden. Du wirst nicht zu spät kommen, sofern überhaupt ein Mensch die Stimme der Leidenschaft in der Brust des Grafen zu übertäuben noch im stände ist. Doch jetzt mußt du schlafen." Paul hatte das Gemurmel der Alten nur halb gehört. Wirre Wahnvorstellungen gingen ihm durch den Kopf, während seine Glieder in der Glut des Fiebers flogen. Die Alte träufelte ihm ein paar Tropfen eines braunen Saftes zwischen die trockenen, lechzenden Lippen und bald sank er in einen traumlosen Schlaf. Doch verstrichen noch mehrere Wochen, bevor der arme Junge völlig hergestellt war. Der Herbst war schon ins Land gezogen, Stoppeln standen auf den Feldern, 110 Loo Smotko. rm gelben Laube raschelte der Wind und die Raben flogen nms Dach einer nahen verlassenen Scheune. Die Alte war mit Paul aus dem Zelte herausgetreten und, indem sie mit ihrer knochigen Hand den Krückenstock, auf den sie sich beim Gehen stützte, erhob, zeigte sie auf den Schwarm der krächzenden Vögel und rief im kreischenden Tone: „Graf Ulrich von CM, hüte dich vor den Raben!" Sie sprach diese Worte gleichsam nur zu sich, aber Paul war von dem unheimlichen, wirklich dem Gekrächze der Raben ähnlichen Klange, den ihre Stimme ange¬ nommen hatte, tief erschüttert. Die Alte schien wie geistes¬ abwesend, als wäre sie ganz mit dem Bilde beschäftigt, das ihre Seele erfüllte und das sie in schrecklicher Klar¬ heit vor sich sah. Sie murmelte nur mehr unverständliche Laute und gab auf die Fragen Pauls keine Antwort, indem sie immer nur mit ihren inneren Bildern sich beschäftigte. Paul emp¬ fahl sich bald darauf mit vielen Dankesworten von der alten Zigeunerin und nahm Abschied. Aus der Beute ihrer Stammesangehvrigeu hatte sie für Paul kostbare Kleidungsstücke ausgewählt und mit dem Samtmäntelchen, dem feinem Tuchwamse und dem feder¬ geschmückten Barett sah Paul, dem wieder die Rosen der Gesundheit auf den Wangen blühten, ungemein schmuck aus. Und so trabte er denn auf dem Rößlein, das Zora für ihn ausgesucht hatte, zwar gesund, doch voll sorgender Ge¬ danken hinsichtlich der Zukunft auf der Landstraße fort. Wien war das Ziel seiner Reise. Der letzte Graf von CM. III X. In äer .Cillier Burg in Wien. Mit starken, festen Schritten durchmaß Graf Ulrich den Raum in seinem Arbeitszimmer in der Cillier Burg zu Wien. Prunkvoll, dem Reichtums seines Besitzers ent¬ sprechend, war das hohe, getäfelte Gelaß ausgestattet. Schwere Samtvorhänge mit Gvldsransen hingen vor ben Türen, der lange Tisch in der Mitte des Zimmers war mit Rollen und Pergnmentblättern bedeckt. Beim reichverschnörkelten Schreibpulte stand im langen Talare, den ein reicher Gürtel um die Mitte zu¬ sammenhielt, des Grafen Geheimschreiber, der gelehrte Carvilins, Doktor der Rechtswissenschaften, und schrieb emsig, während der Graf im Auf- und Abschreiten diktierte. Carvilius war an diesen Tagen mehr denn je be¬ schäftigt, denn es gab gerade im Sommer 1456, als der Graf mit dem jungen König wieder aus Uncchrn nach Wien zurückgekehrt war, uugemein viel zu erledigen und zu unterhandeln. Nicht bloß mit den Ungarn, auch mit dem Kaiser Friedrich III., der in Graz Hof hielt, und mit dem Statt¬ halter Böhmens, Georg von Podiebrad, gab es viel zu verhandeln und Graf Ulrich stand im Mittelpunkte weit¬ ausgreifender Pläne und Entwürfe. Er kam seinen: Ziele, ein großes mächtiges Reich als Schutzwall gegen die Europa bedrohende Herrschaft des Halbmondes zu begrün¬ den, immer näher. der Korvine, Johann Hunyadi, der Held des 112 Leo Sinolle. ungarischen Volkes, stand der Verwirklichung dieser stolzen Pläne des Cilliers im Wege; Hunyadi geizte nach gleichen: Ruhme. Jetzt hielt Graf Ulrich seine Schritte an. „Habt Ihr schon geschrieben, hochgelahrter Herr Doktor und Sekre- tarius? ,Und gedenken Wir also die Verlobung Un¬ serer Tochter Elisabeth mit Eurem Sohne Ladislaus, die wir schou früher beschlossen, aufrecht zu halten und diesen Euren Sohn Ladislaus Hunyadi im Falle Eures Ablebens an Sohnes Statt anzunehmen und wie Unser eigenes leibliches Kind zu halten..." So soll es in dem mit Johann Hunyadi abzuschließenden Vertrage heißen. Nun schreibt weiter — " Da trat aus einer Ecke des Saales, wo mehrere steirische und österreichische Ritter der Befehle des Grafen gewärtig standen und leise Zwiesprache miteinander hielten, Ritter Lamberg, mit allen Zeichen maßlosen Staunens und heftiger Erregung in seinen Mienen, hervor und wen¬ dete sich -an den Grafen Ulrich. „Wie, Graf Ulrich von Cilli, so gedenkt Ihr also wirklich mit Eurem größten Feinde, Johannes Hunyadi, Frieden zu schließen? Und vor nicht gar langer Zeit wolltet Ihr ihn in die Hände des Königs ausliefern und nur dem Umstande, daß er nicht, wie Ihr hofftet, mit einen: kleinen Gefolge, sondern mit einem förmlichen Kriegsheere gegen Wien zog, verdankte der Hunyadi seine Rettung. Mich aber", fuhr der Lamberger bitter fort, „habt Ihr damals an den Hunyadi geschickt, als er bei Erdberg stand, ich sollte ihm vorgaukeln, daß König Ladislaus ihm freies (Geleit in die Kaiserburg nach Wien ausstelle." Der letzte Graf von Cilli. 113 „Verzeiht, Herr Ritter," unterbrach ihn der Cillier rasch, „daß ich damals Euch zu solch schnödem Dienste mißbrauchen wollte. Es war ein Knabenstreich von mir. Mit solchen Kinderlügen fängt man einen Hunyadi nicht." Der Lamberger hatte die damalige Handlungsweise des Cilliers in frischer Erinnerung behalten so wie er auch seine Niederlage beim Turnier im Cillier Burghofe nicht verwunden hatte. Er erwiderte daher ziemlich gereizt auf die Worte des Grafen Ulrich: „Und jetzt wollt Ihr den Sohn eben dieses Todfeindes mit Eurer Tochter vermählen und ihn an Sohnes Statt annehmen. Was für ein verwegenes Spiel spielt Ihr? Mich dünkt, der Einsatz wird Euch zu hoch zu steheu kommen." „Mäßigt Eure Sprache, Herr Ritter von Lamberg!" brauste der Cillier auf. „Nicht Ihr habt die Fäden der Politik in Händen, sondern in meiner Hand laufen sie zusammen und ich weiß, wie weit ich zu gehen habe und was Uns und Unserem König und seinen Reichen am besten frommt." „Noch lebt der alte Hunyadi und gerade jetzt leuchtet er hervor als Vorkämpfer der Christenheit, vor Grie¬ chisch-Weißenburg, wo, wie ich höre, Kreuz und Halbmond den blutigen Entscheidungskampf führen", entgegnete Lam¬ berg, sich in Ton und Miene mühsam beherrschend. „Noch lebt Hunyadi," entgegnete Graf Ulrich düster, „doch keinem Menschen ist voransgesagt, wann ihn sein Todeslos trifft, und ich muß die Hunyadis einschläfern in dein Glauben, daß nach dem Tode des alten Ränke¬ schmiedes Friede sein soll zwischen ihrem und meinem ' Sm olle, Der lct)lc Graf von Cilli. 8 114 Leo Smolle. Hause; wenn auch in Wahrheit die drei gekrönten Löwen der Herren von Zagorien, wie unser rcichsfürstliches Haus sich auch nennt, und der Rabe der siebcnbürgischen Bauern, denen Hunyadi entstammt, nie Freundschaft halten werden. Zu tief ist die Kluft zwischen dem Edelmanne und dem hochmütigen bäurischen Emporkömmling." „Herr Graf, nehmt Euch in acht," erwiderte der Lam¬ berger gereizt. „Noch lebt der alte Held und seine Söhne, Ladislaus mit den blonden Locken und Matthias mit dem schwarzen Ringelhaar werden in die Fußstapfen ihres Vaters treten, denn Heldenblut, so höre ich, wallt auch in ihren Adern." „Ihr seid, so scheint es, ein warmer Freund des Hunyadi, Herr Ritter von Lamberg, und wünscht wohl dem Siebeilbürger Johann noch ein langes Leben," sagte Graf Ulrich scharf und bitter. Ehe noch der Lamberger etwas erwidern konnte, schob sich der Türvorhang heftig auseinander und des Cilliers getreuer Söldnersührer Jan von Witowctz trat in stür¬ mischer Erregung herein und hinter ihm ein herkulisch gebauter Mann von seltsamem Aussehen. Von seiner hohen Pelzmütze hing nach rückwärts ein Fell auf den Hals herab; sein Burnus von weißem Loden war mit einem Ledergurte zusammengehalten, in dem ein türkischer Handschar und ein langes Messer in einer Holz- fcheide steckten. An der linken Seite trug er einen krummen, mit Gold eingelegten Säbel; die ganz bestaubten, derben Schuhe waren bis über die Knöchel zusammengeschnürt. Ein großes Bild der heiligen Muttergottes hing an einer Kette auf der Brust herab. Der letzte Graf von Cilli. 115 Aus dem ganz gebräunten Antlitze blitzten zwei feurige Augen und die Enden eines langen, schon halb¬ ergrauten Schnurrbartes hingen wie zwei gedrehte Locken zum Kinn herab. „Was gibt's, Witowetz?" fragte Graf Ulrich, dem eine Ahnung sagte, daß die beiden Männer Überbringer ernster, wichtiger Nachrichten sein müßten. „Herr," sagte Witowetz, fast noch nach Atem ringend, so schnell war er die Treppe zum Saale hcraufgestürmt, „fragt diesen Mann da, den ich soeben unten bei der Wache getroffen habe. Er wird Euch Unerwartetes ver¬ künden." „Rede!" herrschte der Graf voll Ungeduld den Frem¬ den an, „du scheinst ein Kroate zu sein und von weither zu kommen. Was bringst du für eine Botschaft? ich brenne vor Begierde, es zu erfahren." Demütig trat der Kroate näher und die Hände auf der Brust kreuzend, verbeugte er sich vor dem Grafen. „Gnädigster Herr," begann er mit rauher Stimme, indem er die deutsche Sprache nur ungelenk und schwer¬ fällig handhabte, „ich danke Gott dem Allmächtigen, daß ich Euch, allergnädigster Herr Graf, diese Botschaft bringen darf. Das Kreuz hat über den Halbmond gesiegt. Der grausame türkische Bluthund Mohammed II. ist, besiegt und verwundet, mit seinem ganzen Heere von Belgrad ge¬ flohen. Auf Weißenburg erstrahlt das Zeichen des hei¬ ligen Kreuzes; Belgrad ist frei, ist gerettet." „Sprichst du auch die Wahrheit? wer bist du?" rief der Graf in steigender Erregung ans. „Ich bin Basil Bogdan, ein Kroate aus Samobor," 8* 116 Leo Smolle. antwortete der herkulische Mann und flammende Röte schoß ihm ins Gesicht. „Basil hat noch nie gelogen und ich war selbst dabei, wie wir die Türken verfolgten und ihr ganzes Lager mit unermeßlichen Schätzen in unsere Hände fiel. Seht her, roilo8t AoZxockins, gnädigster Herr, dieser Säbel mit reichen Steinen und den goldenen Zie¬ raten, den ich an der Seite trage, gehörte einem türki¬ schen Pascha, den ich mit meinem Streitkolben erschlug." Und der Alte machte eine Pause und holte tief Atem, dann fuhr er fort: „LoLo mili! War das ein furcht¬ barer Kampf, zwei Tage dauerte das Morden. Schon war die untere Stadt, die sogenannte Wasserstadt, in den Händen der Türken. Schon erstürmten diese den Wall¬ graben der Burg. Da warfen die Leute aus der Burg brennende Säcke und Pechfackeln und glühende Eisenstücke aus die Stürmenden; wie ein Feuermeer wogte es bald nuten ini Wallgraben und entsetzlich war das Allah¬ geschrei und das Wutgeheul der fliehenden Türken. Doch sammelten sie sich bald wieder. Aber die Christen be¬ fehligten zwei Helden, einer im Mönchsgewande. . ." „Der Capistran," rief der Graf, „und der andere?" „Herr," sagte der Kroate feierlich, „der andere schien kein Mensch, sondern ein Racheengel des Himmels. Hunyadi Janku war's, ein Held, wie's noch keinen zweiten auf Erden gegeben. Wie der Erzengel Michael mit dem flammenden Schwerte trieb er die ungläubigen Hunde vor sich her." „Immer dieser Hunyadi!" stieß der Graf zwischen den Zähnen hervor. Basil Bogdan überhörte den Ausruf. Er fuhr fort: Der letzte Graf von Cilli. 117 „Als die Türken sich zu neuem Sturme rüsteten, führte uns der Hunyadi durch ein Pförtlein der Burg hinaus ins Freie; wir fielen den Ungläubigen in den Rücken, Capistran mit dem Kreuze in der hocherhobenen Rechten allen voran — und bald gab es kein Stehen und Halten mehr unter den Muselmännern; von ungeheurem Schrecken erfaßt, wendeten sie sich zur Flucht und über Haufen von Leichen stürmten wir ihnen nach. UoLo mos! War das ein entsetzliches Blutbad! Nie werd' ich den An¬ blick, nie das furchtbare Jammern der Sterbenden ver¬ gessen. Und als die Nacht übers Gefilde herabsank, war der Sieg der christlichen Waffen vollständig. Ich bin schon alt, Herr, aber noch nie hab' ich solchen Jubel erlebt wie damals, als die Türken ihr ganzes Lager in Stich ließen und unaufhaltsam weiter flohen. Solchen Jubel — uud solche Trauer!" setzte er mit gedämpfter Stimme hinzu. „Wie meinst du das, Basil Bogdan?" fragte der Graf. „Der Hunyadi ist ja wohl jetzt im Anmarsche gegen Wien, um seinem jungen König die Krone vom Haupte zu reißen und sic sich selbst aufzusetzen." „Herr!" sagte Basil und eine Träne rollte ihm in den langen grauen Bart, „der Held Johann Hunyadi lebt nicht mehr." „Was sagst du, Hunyadi, der stolze, große Hunyadi ist tot?" „Ja, Herr, Ihr habt es gesagt. Nicht lange über¬ lebte er den Ruhm seines Sieges. Die vielen un¬ beerdigten Leichen erzeugten eine gräßliche Seuche und am 11. August starb der große Held in den Armen des 118 Leo Smolle. italienischen Mönches, des Capistran, der sich mit ihm in den Ruhm der Befreiung Belgrads teilt." „Hunyadi tot! Der große ungarische Held tot!" rief Graf Ulrich aus und er konnte es gar nicht verhüten, daß seine Stimme einen triumphierenden Klang annahm. „Nun kann ich hoffen, an feine Stelle zu treten. Du hast falsch prophezeit, Zigeunerin!" setzte er hinzu, wie zu sich selbst sprechend. Dann aber erhob sich seine Stimme wieder All Hellem, herrischem Klange. „Sorgt dafür, Herr Ritter von Lamberg, daß diesem Manne eine köstliche Bewirtung zu teil werde und laßt ihm in meinem Namen einen Beutel voll Goldguldcu reichen. Du aber, Witowetz, melde mich beim König. Was ich ihm zu melden habe, erleidet keinen Aufschub. Ihr seid entlassen, Ritter und Herren," wendete er sich zu den übrigen Anwesenden, „rüstet euch zu schleuniger Abreise von Wien, denn jetzt werden wir wohl bald nach Ungarn aufbrechen müssen, um in unseres Königs Festung Belgrad Einzug zu halten." Und mit stolzen Schritten, die auf dem Estrich vou Steinquadern widerhallten, verließ Graf Ulrich von Ci!li den Saal, um sich in die Gemächer des Königs zn begeben. Einige Augenblicke darauf finden Nur ihn in leb-« haftem Gespräche mit dem jungen König, den er davon zu überzeugen wußte, daß es unbedingt notwendig sei, jetzt mit der gesammelten Kriegsmacht nach Ungarn zu ziehen, denn die beiden jungen Korvinen sinnen jetzt sicher Übles gegen den König und man müsse ihnen zu¬ vorkommen. „Ich will nicht, Herr, daß Ihr ein Schattenkönig Der letzte Graf von CM. 119 seid. Der Trotz dieser Korvinen muß vollständig gebrochen werden und als wirklicher mächtiger König des schönen Ungarlandes müßt Ihr jetzt in das neueroberte Belgrad ziehen, das dieser Johann Hunyadi für sich gewinnen wollte zum Sitze seiner eigenen fürstlichen Herrschaft. Jetzt, nachdem er tot ist, seid» Ihr erst wahrhaft Träger der heiligen Stephanskrone und Ihr sollt es bleiben, solange ich lebe." „Und du, lieber Graf Ulrich," entgegnete der junge König, „der mir als Vormund so lieb und teuer ist, sollst jetzt wirklich, wie ich dir damals nach deinem Einzuge in unsere Stadt Wien versprochen habe, Reichsverweser in Ungarn werden und mir helfen, die Krone zu tragen, die du über mich hieltest, da ich noch ein hilfloses Kindlein war und nicht wußte, was mit mir vorgehe und weshalb mir meine arme hochselige Mutter die heilige Krone mit so viel Gefahren errettet hatte." „Eure höchstselige Mutter, König Ladislaus", sagte Graf Ulrich und seine sonst so herrische Stimme wurde weich, „hat mir in der Sterbestunde Euer Schicksal ans Herz gelegt. Ich hoffe, Euch noch zu großen Zielen zu führen uied Belgrad wird der Anfang Eures Ruhmes sein." „Leb' wohl, Ulrich, Ungarns Reichsverweser!" So schieden die beiden. . . Eine sternenklare Sommernacht funkelte über Wien, das damals noch eng von Wall und Mauer umschnürt war. An demselben Fenster seiner Burg in Wien, an dem Graf Ulrich nach seinem Einzuge gestanden hatte, lehnte er auch heute am Ende dieses ereignisschweren Tages. Er blickte hinaus, über die Giebeldächer und zum St. Ste- 120 Leo Smolle. phansdom hinüber, an dessen Turm damals noch gebaut wurde; er sah die Wellen der Donau üm Mondlichte blitzen und die waldigen Hänge des Kahlengebirges wie schwarze, nur von schwachem Lichtschimmer umsäumte Massen in der Ferne sich erheben. „Bald Hoss' ich, dich, mein liebes Wien, zum Mittel¬ punkte eines Reiches zu machen, das seine Grenzen weit nach Norden, Süden und Osten erstrecken und unter dem Zepter der Habsburger vor allen anderen Reichen blühen soll." So murmelte der Cillier, indem sein Blick sich von den dunklen Massen des Kahlengebirges loslöste und hinausschweifte über die weite Marchebeue gegen Ungarns Grenzen. Sein Geist verlor sich bis in den fernen Osten und starr und blaß sah er den Hunyadi in Belgrad liegen. Da fiel in der schwülen Sommernacht eine glänzende Sternschnuppe vom Himmel herab und verglomm in un¬ bekannter Tiefe. Kündete sie dem Grafen Ulrich, dessen Auge ihr blitzschnelles Aufleuchten und Verschwinden geblendet hatte, Glück oder deutete sic auf raschen Untergang nach plötzlichem strahlenden Aufstiege? Der Graf glaubte an eine glückliche Zukunft. XI. Der.DtMülünreus. So kam es, daß der König Ladislaus schon am 26. August mit glänzendem Gefolge, in dem auch der Herzog vou Bayern und mehrere Liechtenstein sich be¬ fanden, von Wien nach Ungarn anfbrach. Der letzte Graf von Cilli. 121 Graf Ulrich von Cilli folgte ihm etwas später nach. Er mußte zuerst nach Böhmen, um sich der Hilfe des Georg von Podiebrad gegen die Korvinen zu versichern oder wenigstens der Ruhe der Böhmen gewiß zu fein. Immer neue Scharen von Kriegsleuten waren nach Ungarn gezogen, um, wie Graf Cilli es angeordnet hatte, Belgrad gegen die Ungläubigen zu behaupten und diese so für immer von Ungarns Grenzen fernzuhalten. Es war ein milder Herbstabend. Die weißen Fäden des Altweibersommers flogen in der Luft umher und das warme Gold der schon früh untergehenden Sonne lag auf den hohen Giebeldächern der Stadt und schlüpfte auch noch in die eine oder andere enge Gasse und streifte die Steinbänke, die vor den meisten Häusern angebracht waren und auf denen heute, um den linden Abend zu genießen, mancher alte Bürger saß, das Steinkrüglein neben sich, in dem der Abendtrunk, Würzwein oder Wer¬ mutwein, eingeschenkt war. Die Schenken am Stephansplatze und vor dem Stuben¬ tor waren vollgefüllt, denn morgen war Sonntag und auf den Plätzen, wo oie Verkaufsbuden standen, wie zum Beispiel am sogenannten kalten Markt, wo sich später der Trattnerhof erhob, herrschte noch reges Leben. Dort standen die Verkaufstische der Bäcker uud.Melbler und die Bänke der sogenannten Gen, das ist der Landfleischhauer. Der Cillier war uicht mehr iu Wien und seine starke Hand fehlte überall. Daher kämen häufig Ruhestörungen im Stadtgebiete vor, besonders Zusammenstöße zwischen Studenten der Universität und Bürgern waren nichts Seltenes; auch die Refler (Hausierer) und Sterzer wurden 122 Leo Smolle. eine immer fühlbarere Plage und Balgereien und Tumulte in den Abend- und Nachtstunden stellten sich immer häu¬ figer ein. Auch am heutigen schönen Herbstabend kam es am „kalten Markt" plötzlich zu einem gewaltigen Zusammen¬ laufe von Menschen. Ein Student im schwarzen Mäntel¬ chen mit langem Stoßdegen, ein keckes Federbarettlein auf den schwarzen Krauskopf gestülpt, hatte, vielleicht nicht ganz ohne Absicht, ein Säcklein mit Mehl, das am Standplatze der ehrsamen Bürgersfrau Barbara Stepperin vor dem Hause „Zur blauen Gans" auf dem Ladentische stand, umgestoßen und einige Bürger, die gerade vor¬ übergingen, wurden tüchtig eingepudert, zum Gaudium der jungen Burschen, die sich an dem Zorn der wohlbeleibten Bürger weidlich ergötzten. Drohend hob Pankraz Rindlinger, der reiche Fleisch¬ hauermeister, den dicken Knotenstock und wollte damit dem Studenten an den Leib rücken. Doch dieser, viel gewandter als der rundliche, schwerfällige Meister Pankraz, zog sein Stilet und machte Miene, dem umfangreichen Meister Metzger in eine recht unangenehme Nähe zu rücken. „6orxo äi Luooo!" rief er dabei, „ich muß dir doch ein bißchen deinen dicken Wanst anzapfen, damit du dich leichter davontrollen kannst und nicht überall stehen bleiben mußt, wo du nichts verloren hast. Wenn ich dieser Frau den Mehlsack umgestoßen habe, so geschah es von ungefähr, jedenfalls aber geht's dich, Dickwanst, nichts an." Als Meister Pankraz das Eisen vor seiner Nase blitzen sah, fing er gottsjämmerlich zu schreien an, so daß alle Leute aus den Häusern rannten und auch Frau Ursula, Der letzte Graf von Cilli. 123 die Ehehälfte des Meisters Rindlinger schreiend und hände¬ ringend herbeigestürzt kann Es erschienen auch sogleich einige sogenannte Steck¬ knechte oder Rumormeister, die sich alsbald auf den Stu¬ denten stürzten und Miene machten, ihn gehörig durch¬ zuwalken. Aber wie aus der Erde gewachsen kamen sofort von allen Seiten die Scholaren der hohen Schule herbeige¬ laufen, drangen in den tobenden und lärmenden Haufen und befreiten ihren Kameraden aus den Fäusten der Steckknechte. Im Triumphe schleppten sie ihn dann zum Freithofe vou St. Peter, wo niemand den Schuldigen greifen durfte. Drohend und mit hochgeschwuugenen Stöcken folgte Vie Menge, aber ein Ratsherr machte dem Auflaufe ein Ende und führte den Studenten in die Gemarkung der Universität. Auf dem Wege dorthin stieß ein junger Mann zu der Schar, der sich erbot, Zeugnis abzugeben, daß der Student nichts Übles begangen und vom Bürger gereizt worden sei. Der neue Ankömmling war ein schlanker junger Mann von seinem, sehnigem Wüchse, dessen blasses Gesicht die Spuren einer noch nicht allzu lange über¬ standenen Krankheit an sich trug. Es war unser Paul, der eben vor kurzem das Weich¬ bild der Stadt Wien betreten hatte und gerade zu der halb komischen, halb ernsten Szene gekommen war, die wir soeben geschildert haben. Der Unterrichter, dem damals die Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Studenten und Bürgern zustand, 124 Leo Smvllc. untersuchte die Sache und dank dem Zeugnisse Pauls entließ er den Studenten mit einer leichten Rüge. Bald darauf entfernten sich Paul und der junge Student, dessen Mutwillen oder Ungeschick die ohnedies seit langem ge¬ reizte Stimmung der Bürger wieder in Erregung gebracht hatte. So wanderten die beiden jungen Leute fürbaß, während der verschwindende Glanz der Sonne die Giebel und Erker der Häuser freundlich umspielte und die Kram¬ buden und Erdgeschosse mit den weiten Toreingängen schon im Dunkel lagen. „Wer seid Ihr, junger Mann?" wendete sich der fremde Student an Paul. „Euer Aussehen deutet dar¬ auf, daß Ihr auch, wie ich, im Süden geboren seid. Auch scheint Ihr fremd hier in Wien zu sein. Vielleicht ver¬ mag ich Euch zu dienen, ich stelle mich ganz zu Eurer Verfügung, Ihr habt ritterlich meine Partei ergriffen. Ein Dienst ist des andern wert." „Vielen Dank, Herr", entgegnete Paul, „für Eure Bereitwilligkeit, zeigt mir nur rasch den Weg in/ die Burg; ich Muß zum Grafen von CM; ich habe ihm eine wichtige Botschaft zu überbringen." „Zum Grafen von Cilli wollt Ihr?" entgegnete leb¬ haft der Student, „der weilt schon seit einigen Tagen nicht mehr in Wien." „Wie? Graf Ulrich ist nicht mehr in Wien?" „Nein, König Ladislaus ist urit dem ganzen Heere nach Ungarn aufgebrochen und der Cillier will von Böhmen aus, wo er mit Georg von Podiebrad Unterhand¬ lungen pflegen muß, in Ungarn zu ihm stoßen." Der letzte Graf von Cilli. 125 „Ihm droht Gefahr, ich muß ihn sprechen, ich muß zu ihm!" Paul sprach diese Worte ganz erhitzt und erregt aus. „Ihr habt wohl einen weiten Weg hinter Euch", nahm der Student wieder das Wort. „Erholt Euch bei mir in meiner Behausung und wir wollen dann das Weitere besprechen." „Ihr seid wirklich freundlich gegen einen Unbe¬ kannten," sagte Paul, „ich habe mein Rößlein in einer Herberge vor dem Widmertore eingestellt und will Euren Antrag annehmen, denn ich bin hier ganz fremd." „Ich wohne nicht mehr in der Burse," sagte der Student, „sondern bei einem ehrsamen Schneidermeister Balthasar Schermaus auf dem sogenannten KatzeusteigF) nur ein paar Schritte von hier. Doch sagt mir vor allem, wer Ihr seid und wie ich Euch ansprechen darf. Ich bin ein Italiener aus Florenz, Giuseppe Belfiori, mein Vater hat ein kleines Gütchen am Arno und ich wurde nach Wien geschickt, um mich in der Rechtswissenschaft auszubilden. Nun bin ich schon Bakkalaureus und unterweise die jungen Scholaren. Ich will bald wieder nach der schönen Heimat und dort am Hofe des Fürsten Cosimo Dienste nehmen, denn jetzt blüht meine Vaterstadt im Genüsse des schwer erstrittenen Friedens." „Wie ich heiße, wollt Ihr wissen," sagte Paul, „das kann ich Euch eigentlich gar nicht in Kürze berichten, man nennt mich Paul Casablanca, doch, wenn ich dem Schurken, der mich hieher trieb, Glauben schenken darf, bin ich aus i) Der heutige Hafnersteig. 126 Leo Smolle. vornehmerem Hanse, aber freilich, um Euch alles zu er¬ zählen, bedarf es längerer Zeit." „Wir sind schon zu Hause," sagte Beppo, den wir bereits aus dem Gespräche mit Antonio kennen, „aber nehmt Euch in acht vor der finsteren Wendeltreppe; oben ist's freundlicher und man hat eine schöne Fernsicht bis weit über die Donauauen." Sie traten in einen weiten Toreingang, in dem Holz¬ bänke und Tische standen, an denen die Hausbewohner saßen. Beim Eingänge schimmerte noch ein wenig das Abendlicht herein, aber im Hintergründe starrte ihnen schwarzes Gemäuer entgegen und nur der kundigen Füh¬ rung Beppos dankte es Paul, daß er die niedrige Holz¬ türe fand, die zur schmalen, gewundenen Stiege führte. Das Zimmer lag unter dein Giebel und machte einen freundlichen Eindruck, indem noch ein Schimmer des ver¬ glimmenden Tages auf das mächtige Himmelbett und den großen Tisch, der in der Mitte stand und auf dem ver¬ schiedene Folianten lagen, fiel. Ein verblassender Licht¬ streifen traf auch noch ein Eckchen der Bank, die mit einem schon verschossenen und abgeblaßten Samtteppich bedeckt war. Der Bewohner des Zimmers räumte schnell ein großes Schwert mit kostbarem Gehänge und einen breiten Feder- Hut, die auf der Bank lagen, weg und lud Paul zum Sitzen ein. „Setzt Euch, Ihr werdet müde sein. Der Krug, deu Ihr vor dem Fenster seht, enthält noch einen tüchtigen Schluck kostbaren Malvasiers, 's ist eine Spende unseres Rektors nach dem letzten schweren Strauß, den wir mit Der letzte Graf von. Cilli. 127 den Handwerksgesellen auf der Wienbrücke zu bestehen hatten." Beppo stellte zwei schön geschnitzte Holzbecher aus den Tisch und fuhr fort: „Nicht wahr, ich habe mich uicht getäuscht, wenn ich in Euch einen Landsmann vermutete, einen Sohn des Südens, aus dem schönen Italien, dem Lande der Pinien und Orangen?" „Ihr habt richtig vermutet, junger Herr Magister; meine Wiege stand wie die Eurige in Italien und Florenz nenn' ich, wie Ihr, meine Heimat." Und nun erzählte Paul seine Schicksale; wie er in die Burg des Grafen von Cilli gekommen und wie er nach dem erlauschten Gespräche des Marschalls Falconieri und seiner Frau sich seines Lebens nicht mehr sicher ge¬ fühlt und auf welche wunderbare Weise er aus der Burg entkommen sei. Immer erstaunter und gespannter wurde der Aus¬ druck im Gesichte seines Zuhörers; endlich könnte sich der Bakkalaureus nicht mehr zurückhalteu. „Falconieri, sagt Ihr, hieß der Schurke, der Euch nach dem Leben trachtete und der Euch um Rainen und Erbe betrogen hat?" „Ja, so nannte sich der Hofmarschall des Grafen Ulrich," erwiderte Paul, „und wenn das, was ich im Kor¬ ridor des Schlosses aus seinem eigenen Munde gehört habe, auf Wahrheit beruht, so bin ich der Sohn des Coute Roberto Falconieri, den er tückisch getötet und beraubt hat." „Ihr seid es, Signor," entgegnete Beppo lebhaft, „die Hand Gottes hat Euch in meine Arme geführt. Vor wenigen Tagen erst verließ mein Kamerad Antonio Del- >28 Leo Smolle. acqua Wien, um mit dem Kreuzheere nach Ungarn zu ziehen und für den heiligen Glauben zu kämpfen. Ihn beseelte dabei auch die Hoffnung, auf den Schurken zu stoßen, der seine Schwester Marina entführte und sich im Glanze eines geraubten Namens Ehren und Würden er¬ schlichen hat." Beppo erzählte nun, was er damals in der Schenke „Zum grünen Kranze" aus dem Munde seines Freundes, des jungen Scholaren Antonio, vernommen hatte. Es war kein Zweifel, daß Falconieri, der Marschall des Grafen von Cilli, und der Condottiere Tommaso Battista ein und dieselbe Person und daß Paul der wahre Sohn deS erschlagenen Conte waren. „Was gedenkt Ihr nun zu unternehmen?" fragte voll teilnehmender Neugierde der Bakkalaureus Giuseppe Belfiori unfern Paul, der, ganz betrübt von dem Ge¬ hörten, auf der Ruhebank saß und nachzudenken schien. „Ich muß zum Grasen von Cilli und muß ihn warnen", entgegnete Paul hastig.. „Glaubt Ihr denn, daß der Spitzbube, der Euren Namen sich angeeignet, es nach Eurem Verschwinden aus der Burg noch wagen wird, dem Grafen vors Angesicht zu treten?" „Ich glaube es sicher", erwiderte Paul; „zwar zur Gräfin Katharina nach Sanneck wird er nicht zurückgekehrt sein, denn was sollte er ihr über mein Verbleiben mit¬ teilen? Aber da alle Nachforschungen nach mir ohne Zweifel erfolglos geblieben sind, so wird er aus der Strick¬ leiter an der Burgmauer wohl ersehen haben, daß ich den Abstieg in die Tiefe wagte und er wird überzeugt Der letzte Graf von Cilli. 129 sein, daß ich in den Finten der Sann meinen Tod ge¬ funden habe. Des Schweigens des Fuhrmannes Jnri bin ich sicher. Und nun wird der falsche Falconieri ohne Zweifel sich nach Ungarn gewendet haben, um auch den Grafen von Cilli zu verderben, denn er grollt ihm schon lange und fürchtet sich vor der Entlarvung durch den Grafen, der mir väterlich zugetan ist. Er weiß, daß der Hunyadi der bitterste Feind des Grafen Ulrich ist und er wird dem neuen Sterne folgen und, wenn er den Grafen und mich nicht mehr zu fürchten hat, vielleicht am Hofe des Korvinen noch höhere Ehren zu gewinnen trachten." „Das möge Gott verhüten," entgegnete Beppo, „eilt so rasch Ihr könnt nach Ungarn, folgt den Spuren des Grafen von Cilli, vielleicht trefft Ihr auch Antonio, der wie ein Spürhund dem elenden Betrüger Battista, ge¬ nannt Falconieri, auf der Fährte ist. Ich selbst begebe mich in wenigen Wochen in die Heimat und will dem Verbrechen, das an Eurem seligen Vater begangen wurde, nachforschen und den Leuten ans dem Gute der Falconieri verkünden, daß der Sohn ihres Herrn lebt und wieder¬ kehren wird, um geschehenes Übel zu sühnen und das Schloß der Väter wieder aus der Asche erstehen zu lassen." „Gebe Gott," sagte Paul mit einem Klange der Weh¬ mut in der Stimme, „daß ich solches zu verbringen ver¬ mag. Vorderhand aber steht mir noch Schweres bevor. Ich glaube, Graf Ulrich von Cilli geht düsteren Tagen entgegen. Möge es mir beschieden sein, ihn vor drohender Gefahr zu schützen und ihm so das Gute zu vergelten, das er an mir armen, verwaisten Zigeunerknaben geübt hat, Sm olle, Der letzte Graf von Cilli. 9 130 Leo Smolle. denn es schlägt ein stolzes, aber kein unedles Herz in seiner Brust und der Armen und Verstoßenen hat sich der mächtige Graf stets edelmütig angenommen. Gebt mir nur für heute Nacht Herberge, Beppo, und morgen in aller Frühe will ich mich zu weiter, ungewisser Fahrt ins Ungarland rüsten." Der Bakkalaureus war gerührt vou der tiefen Er¬ griffenheit, die aus den Worten Pauls sprach; herzlich erwiderte er: „Was ich habe, steht Euch geru zu Diensten und möge Gott Euer Tun segnen und Euch, nachdem Ihr in jungen Jahren schon so viel Schweres erlebt habt, noch viel Glück zu teil werden lassen." Im Giebelzimmer des Bakkalaureus war es mittler¬ weile ganz finster geworden; der Nachtwind strich durchs offene Fenster. Paul beugte sich hinaus, um die kühle Nachtluft ein¬ zuatmen, denn die durch Beppos Erzählung wachgerufene Erinnerung an die Vergangenheit hatte ihn sehr erregt. Da hörte er Gekrächze von Raben, die um den Turm der nahen St. Lorenzkirche herumflogen und sich wahrschein¬ lich um ein Beutestück zankten. Der gellende Ruf der Zigeuneriu fiel ihm ein. „Hüte dich vor dem Raben, Graf Ulrich von Cilli!" Er verfiel in langes ernstes Nachsinnen, aus dem ihn erst Beppos Ruf aufscheuchte, der ihn zum Abendimbiß einlud. Lange blieb Paul noch, bevor er sein Lager auf¬ suchte, vor dem Fenster stehen und blickte in die finstere Nacht hinaus. Wolken flogen, vom Winde''getrieben, am Himmel Der letzte Graf von Cilli. 131 dahin und ließen nur ab und zu die Sichel des Mondes und vereinzelte Sterne hervorschimmern. Paul dachte au die bitteren Tage der Kindheit, die er unter fahrenden Leuten zugebracht, und besonders an jenen Tag, der ihn aus der Gewalt der Zigeuner be¬ freit und auf die Cillier Burg geführt hatte. Die edle Gräfin Katharina, die liebliche Griechin Jsaura standen lebhaft vor seinem Geiste. Noch deutlicher sah er den Grafen Ulrich vor sich, stolz, herrisch, gebieterisch, eine wahrhaft fürstliche Ge¬ stalt. Nun glaubte er seine Stimme zu hören; er wendete sich unwillkürlich um; alles war ruhig und still und nur die regelmäßigen Atemzüge des Bakkalaureus ließen sich vernehmen. Aber Paul hätte daraus geschworen, daß Graf Ulrich nach ihm gerufen, nicht mit dem gebieterischen Tone, den seine tiefe, rauhe Stimme meist au sich hatte, sondern weich, klagend, flehend: „Komm mir zu Hilfe, Paul! Sie wollen mich töten. Verlaß mich nicht!" Eine namenlose Unruhe bemächtigte sich Pauls und erst gegeu Morgen fand er einige Augenblicke Schlaf. Als der trübe Herbstmorgen angebrochen war, ver¬ abschiedete er sich freundschaftlich von seinem Wirte, um seine weite Reise anzutreten. Die Frage schwebte auf seinen Lippen: Was wird die nächste Zukunft ihm und dem von ihm hochverehrten Grafen Ulrich von Cilli bringen, dessen Ruf um Hilfe er in der verflossenen Nacht so deutlich gehört hatte, so daß der Klang der Stimme gar nicht aus seinem Ohr schwinden wollte? 9* 132 Lco Smolle. XII. Die Fuhrt nucli Delgruä. Das schwere Holzschiff, auf dem Paul die Donau abwärts bis Preßburg fuhr, war angefüllt mit Kriegs¬ volk aus aller Herren Ländern. Schwaben, Rheinländer und Sachsen aus dem Reiche, Böhmen, Kroaten, Ungarn und Serben hatten sich aufgemacht, um nach Belgrad zu reisen und für das Kreuz gegen die Türken zu kämpfen. Es waren größtenteils Nachzügler, die dem großen Heere, das der Cillier schon vorausgeführt hatte, folgten. Alle lockte die Begierde nach Ruhm, aber vielleicht noch mehr die Aussicht auf Beute und die Abenteurer¬ lust, die im jungen Blute steckte. Die Kleidung und Aus¬ rüstung der Leute war größtenteils recht bunt und seltsam. Manche waren vom Kopf bis zu Fuß geharnischt und hatten breite Schlachtschwerter angeschnallt, andere wieder steckten in einem Lederwams und trugen auf dem Kopfe eine Eisenkäppe und als Waffe hatten sie einen langen Spieß; viele waren in ganz zusammengeflickte Tuch¬ kleider gehüllt und hatten Köcher mit Pfeilen umgeschnallt und ihre riesigen Bogen lehnten an der Schiffswand. Es war eine bunte Gesellschaft. — Auf einer Bank des Verdeckes saß ein Franziskaner in seiner braunen Kutte und ließ sich durch den wüsten Lärm, der rings um ihn her tobte, in seinem andächtigen Gebete, zu dem er die Hände gefaltet hatte, nicht stören; neben ihm saß ein deutscher Kriegsmann, vom Kopf bis zum Fuß in einen Maschenpanzer gekleidet, von dessen Helm eine lange Der letzte Graf von CM. 133 rote Feder niederwallte und der seine in plumpen Eisen¬ handschuhen steckenden Hände auf den Kreuzgriff des breiten Schwertes stützte, das er vor sich auf dem Boden aufgepflanzt hatte. Besonders arg war das Stimmengewirr in einer Gruppe vou Kriegsleuten, die am Vorderteile des Schiffes standen, wo schwere Bündel voll Tauen um dell Anker herumgeflochten waren. Den Mittelpunkt der Gruppe bildete augenscheiulich ein junger Mensch, dessen schrille, laute Stimme den Lärm übertönte. Sein Kostüm war aus allen, möglichen Bestandteilen zusammengestückelt. Er trug ein Lederwams und enganliegende Tuchbeinkleider, die zugleich als Strümpfe die Waden bedeckten, wie es dazu¬ mal üblich war. Über das abgeschabte lederne Koller hatte er einen kurzen grellroten Mantel geworfen, den er, weiß Gott wo, sich angeeignet hatte. Die Eisenhaube, an der eine kecke, aber in der Mitte gebrochene Pfauen¬ feder steckte, war ihm offenbar zu weit, denn er hatte sie aus der Stirne geschoben, so daß sie ihm fast über den Nacken hernnterfiel. Ein mächtiges Schwert an einem Ledergurt und ungeheure Pelzhandschuhe vervollständigte die absonderliche Ausrüstung. Trotz dieser Vermummung erkennen wir in dem Schreihals den Stecher-Rudi, der, wie so viele unruhige Elemente, die Wienerstadt verlassen hatte, um nach Belgrad aufzubrcchcn, denn ihn lockte der Sold und die Begierde nach einem abenteuerlichen Vagantenleben. Mit seinen Schnurren und Spässen belustigte er die Umstehenden, die wiederholt in derbes, lautes Lachen aus¬ brachen. 134 Leo Smolle. Gerade jetzt erzählte er, wie er bei dem letzten Stu¬ dentenrummel auf der Brücke, die über die Wien führt, ein junges feingekleidetes „lateinisches Bürschlein" beim Spitzenkragen gepackt und übers Geländer ins Wasser geworfen habe. „Ihr könnt euch denken," beendigte er seine Erzäh¬ lung, „was das für ein Hallo gegeben hat, Zum Glück war wie gewöhnlich wenig Wasser in unserem Wienflusse, aber desto mehr Schlamm und Mist. So wurde denn das feine Herrchen bald wieder herausgezogen; von oben bis unten war er mit einer Kotkruste bedeckt und das Gesicht, das auch sein ehrlich Teil vom Unrat abbekommen hatte, sah zum Totlachen komisch ans, so ängstlich und verdutzt sah das Studentlein drein. Seine Kameraden trösteten ihn alle in ihrem lateinischen Kauderwelsch ; wir aber trieben sie mit unseren Kolben und Spießen in ihre Bursen zurück und feierten dann unseren Sieg in einer Schenke bei den Badstubcn. Hoffentlich wird's den ver¬ wünschten Türkenhunden dort unten auch so schlimm er¬ gehen, wenn wir einmal in Belgrad drinnen sind und wir werden sie alle wieder nach Asia zurücktreiben, wohin sie gehören." „Dann kommst du auch vielleicht in den Besitz einiger türkischer Goldmünzen", nahm ein anderer junger Wiener Kriegsmann das Wort, „und kannst dir dann eine passen¬ dere Eisenkäppe kaufen, denn mit der, die du jetzt auf¬ hast, hast du keinen guten Fang gemacht. Hast wahrschein¬ lich im Trödlerladen keine Zeit mehr zum Probieren ge¬ habt, weil dich der Händler beim Mausern überraschte." „Wird schon so gewesen sein," meinte der Sterzcr Der letzte Graf von Cilli. 135 schlagfertig, „aber dir, Bruder Konrad, wünsch' ich, daß du einen Schock Türkenweiber nach Hause bringst, denn die Muselmänner haben ja ein jeder ein ganzes Rudel rechtmäßiger Ehefrauen. Werden dir schon zulaufen und das Gesicht deiner Alten möcht' ich dann sehen, wenn du zurückkommst, bist ja so nur fortgelaufen, weil du's zu Hause nicht ausgehalten hast. Hast gemeint, du führst eine Taube ins Liunengassel/) unterdessen war's ein Drache." So flog Rede und Gegenrede hin und her und beinahe wären die Streitenden hart aneinander geraten, wenn nicht der Schiffsmeister sie getrennt hätte. Da erregte ein junger Bursch mit strohblondem, aufgesträubtem Kopf¬ haar und einem Flaumbärtchen auf der Oberlippe sogleich die Aufmerksamkeit Pauls: er erkannte in ihm alsbald den Sohn des Fährmannes Toman von Cilli, den gutmütigen Peterl, mit den er oft in der Vogleina die Fischnetze ausgeworfen oder in den Auen der Sann auf Hühner gejagt hatte. Paul sprach den Burschen an: „Ja, wie kommst denn du hieher, Toman Peterl?" Das ganze breite Ge¬ sicht Peters glänzte vor Freude und ^ein Mund verzog sich zu einem herzlichen Lachen, als er Paul, den er sehr- lieb hatte, erkannte. „Junker Paul, dasselbe könnte ich Euch fragen," sagte er und streckte ihm seine derbe Rechte entgegen, „und noch mit viel mehr Recht, denn ich bin ja beim Kriegshand¬ werk, das wißt Ihr ja, und war in Böhmen mit dem Feldhauptmann Jan von Witowetz und jetzt geht's nach Heute Borlaufgasse. 136 Lev Snwlle. Belgrad; aber was macht Ihr da, Junker Paul, und warum seid Ihr nicht beim gnädigen Herrn Grafen Ulrich?" „Ja, Peterl," sagte unser Paul, „das ist eine lange Geschichte und die will ich dir ein andermal erzählen, wenn wir wieder daheim sind im Fisch er Häuschen an der Sann, wo ich deinen Vater in guter Gesundheit und das Schwesterlein, die Anuschka, in fröhlicher Laune wie immer getroffen habe." „Die ist wie ein richtiger Waldvogel," meinte Peter, „nur mit dem Unterschiede, daß sie auch im Winter singt; wenn's draußen stürmt und schneit, da ist sie erst recht lustig und trillert den ganzen Tag ihre Schelmenliedlein. Möcht' ihr schon vergehen, das Singen und Mutwilligtun, wenn sie in Krieg ziehen müßte wie unsereins und morgens oft nicht wüßte, in welchem Walde sie abends auf einem Wurzelknorren ihr müdes Haupt zum Schlafe niederlegen wird." „Nun, nun, lieber Peter, so arg wird's ja urit dir auch nicht gewesen sein, siehst wenigstens ganz gut und gesund aus; du kommst also vom Böhmerlande, dort ist ja jetzt der Graf Ulrich, nicht wahr?" „Ja, der muß erst mit dem Georg von Podiebrad verhandeln, bevor er mit unserem König Ladislaus in Belgrad einzieht. Erst müssen die Böhmen beruhigt sein, dann geht's gegen die Ungarn, denn die meinen's gar nicht aufrichtig mit unserem jungen König und unserem gnädigen Grafen Ulrich von Cilli." „Wer spricht hier von dem Grafen von Cilli und den Ungarn?" mischte sich auf einmal ein Mann ins Der letzte Graf von Cilli. 137 Gespräch, der in der Nähe gestanden war und jetzt her¬ zutrat. Er trug einen reichverschnürten Dolman und eine hohe Pelzmütze. Sein braunes Gesicht mit dem in spitzige Enden gezwirbelten Schnurrbart und seine eigentümliche Aussprache des Deutschen verrieten ihn als echten Ungarn. „Wir Ungarn", sagte er, „lieben unsern guten König, aber seinen Ratgeber, den Cillier Grafen, den muß jeder echte Ungar hassen, denn der war unserem großen Helden, dem Hunyadi Janos, immer feindselig gesinnt und auch seinen beiden Söhnen, dem Ladislaus und Matthias Hunyadi, stellt er nach; er will Ungarn ganz unter Öster¬ reichs Herrschaft bringen." „Wie könnt Ihr solchen Reden Glauben schenken?" warf Paul ein. „Es ist wahr, Graf Ulrich hat viele Feinde in Ungarn, aber man beschuldigt ihn mit Unrecht, daß er es mit der Freiheit Ungarns nicht ehrlich meine." „So habt Ihr also nichts von dem Briefe gehört," brauste der Ungar auf, „den Graf Ulrich an seinen Schwiegervater, den Serbenfürsten Georg Brankovich, ge¬ schickt hat?" ^,Was für eine Bewandtnis hat es mit diesem Briefe?" fragte Paul voll Besorgnis. „Der Cillier soll darin geschrieben haben, er werde ihm bald zwei Kugeln schicken, eine blonde und eine schwarze; er meinte damit die Köpfe der beiden Söhne des Johannes Hunyadi, des Ladislaus und des Matthias; denn der Brankovich ist ja auch ein Todfeind der Hunyadis, das ist eine alte Familienfehde; aber er soll sich vor¬ sehen, der hochmütige Cillier, daß wir ihm nicht seinen 138 Leo Smolle. eigenen Kopf vor die Füße legen. Er hat's schon hundert¬ mal um Ungarn verdient." Der Ungar hatte in der Erregung immer lauter ge¬ sprochen, einige seiner Landsleute waren hinzugetreten und bald schrieen sie alle durcheinander: „Nieder mit Cilli, wir wollen keinen Fremden in unserem Lande!" Paul sand es nicht für geraten, die Aufregung noch zu steigern; er sagte daher nur: „Ihr guten Leute werdet euch wohl bald überzeugen, wie unrecht ihr dem Grafen von Cilli tut und wie er als Reichsverweser Ungarns nur zum Wohle des Landes schalten wird." Aber er fügte rasch hinzu, als er die drohenden Mienen der Ungarn sah: „Mir kann es übrigens gleich sein, was dieser Cillier tut oder läßt, denn ich habe mit ihm nichts zu schassen und fahre nach Belgrad nur, um das Kreuz zu verteidigen und nicht in Diensten des Grafen von Cilli." Paul wußte nun, wie die Stimmung der Ungarn gegen den Grafen von Cilli war, und nahm sich fest vor, seine eigenen Gefühle zu verbergen. Heißer als je war in ihm die Sehnsucht, den Grafen zu warnen, ihn zu retten, denn daß ihm in Belgrad Gefahr drohe, war mehr als wahrscheinlich. Er erinnerte sich der Stimme, die er in der Stube des Studenten gehört zu haben glaubte, und er wünschte mit wachsender Ungeduld, in der Nähe des Grafen zu sein; ihn zu beschützen, ihn zu retten war sein einziges Verlangen. Von Ofen an reisten er und Peter zu Lande weiter, Sein munterer Genosse war nicht im stände, die düsteren Besorgnisse, die sich Pauls bemächtigten, je näher sie Bel¬ grad kamen, zu zerstreuen. Peter stieß unfern von Semlin Der letzte Graf von Cilli. 139 zu einem Trupp deutscher Kriegsleute, die auf audereu Wegen gegen Belgrad gezogen waren, und Paul setzte die Fahrt auf einem schlechten Bauernkarren fort. Der Lenker des Wägelchens war ein junger frischer Bursche namens Ötvös Fercncz, der Sohn des Kastellans der Festung Belgrad. Er mußte der Verproviantierung der Burg wegen auf die umliegenden Dörfer fahren, denn man erwartete den König und seine Gäste und ungeheuer viel Kriegsvolk in Belgrad und da sollte er von den Bauern der Umgebung Lebensmittel aller Art zusammenkaufen. Der junge Ferencz hatte die türkische Belagerung und den Entsatz der Feste durch Johann Hunyadi und Capistran miterlebt und wußte Paul nicht genug zu er¬ zählen von den furchtbaren Szenen der Belagerung und von dem Heldenmute des Hunyadi, den er als Liebling des ganzen Ungarvolkes überschwenglich pries. „Nicht der Graf von Cilli, der Sohn des Hunyadi ist unser geborener Gubernator und, kommt der Cillier nach Belgrad, so muß einer von beiden weichen. In der Festung", setzte Ferencz geheimnisvoll hinzu, „werden wir den jungen König schon kirre machen und wer weiß, ob der Cillier wieder herauskommt, wenn er einmal drinnen ist in der Mausefalle." Paul erwiderte nichts, aber er beschloß, doppelt auf der Hut zu sein und sich ganz in das Vertrauen seines Wagenlenkers einzuschmeicheln. Er hatte die ungarische Sprache so ziemlich erlernt und der junge Otvös Franz schöpfte um so weniger Verdacht, als Paul nicht müde wurde, den Heldenmut der Ungarn in Belgrad zu preisen. Als das kleine Gefährte durch ein Dors bei Semlin 140 Leo Smolle. kam — es war schon ziemlich spät am Abend —, drang aus einer ärmlichen Schenke Lichtschein und wildes Geigen¬ spiel tönte auf die Straße hinaus. „Herr," sagte der Franz, „da müssen wir ein wenig einkehren. Des Wirtes Tochter Röschen ist mir so gut wie verlobt und ich fahre nie vorüber, ohne kurze Rast zu halten." Die Wirtsstube war mit Bauern und Kriegsleuten überfüllt und der feurige Wein war schon so manchem der Gäste zu Kopfe gestiegen, so daß die lauten Reden, die mit Faustschlägen auf die Tischplatte begleitet wurden, die Musik ganz übertönten. Bald waren auch Paul und Ferencz ins Gespräch gezogen; böhmische und deutsche Kriegslcute ließen gerade den Grafen Ulrich von Cilli, dessen Einzug in Belgrad an der Seite des Königs nahe bevorstand, hoch leben, während andere wieder ihn einen Verräter schalten und den Hunyadi mit wilder Leidenschaftlichkeit priesen. Paul verfolgte mit Besorgnissen den Streit, der immer heftiger wurde und immer lauter geführt wurde. Schimpfworte flogen von einem Tisch zum andern, die Krüge wurden bedrohlich geschwungen, die deutschen und kroatischen Söldner schienen in der Mehrheit. Man streifte die Ärmel der Wämser auf, sprang auf Tische und Bänke; die Ungarn griffen zu ihren hakenförmigen Stöcken und zu den Messern, die anderen zu Kolben und Schwer¬ tern. Die Gesichter der Streitenden waren von Zorn und Wein erhitzt. Der Lärm wurde immer furchtbarer; ein blutiges Handgemenge schien unausbleiblich. Franz wurde von einem riesigen Gegner beim Halse Der letzte Graf von CM. 141 gepackt, auch Paul schwebte in Lebensgefahr; da fiel sein Blick auf die Bretterbühne, auf der die fiedelnden Zigeu¬ ner saßen. Sie hatten zu spielen aufgehört. Auch ihre Augen funkelten vor wilder Kampfbegierde; plötzlich be¬ merkte Paul hinter der Tür das Gesicht einer alten Zigeu¬ nerin. Er glaubte, Zora zu erkennen; ein schriller Pfiff ertönte; sogleich fing die Musik einen feurigen Csardas zu spielen an; ein paar baumlange Zigeuner drangen von draußen in die Wirtsstube, drängten sich zwischen die Kämpfenden und schleppten Paul und Franz mit Gewalt aus der Schenke hinaus. Dann schwang sich ein Zigeuner aufs Wägelchen und sauste mit den beiden so schnell als möglich davon. In Semlin an der Brücke sprang er ab und verlor sich im dicken Weidengebüsch des Save-Ufers. Es war schon spät am Abend; einzelne Sterne flimmerten am dunklen Himmel, an dem gegen Westen sich schwere Wolken ballten. Die gemeinsame Gefahr und die gemeinsame Ret¬ tung hatte die beiden jungen Leute, den Florentiner Edel¬ mann, den es drängte, dem Grafen von Cilli beizustehen, und den Sohn des Kastellans, der den Cillier haßte, noch enger aneinander gekettet. „Kommt mit nur," sagte daher Ferencz, als sie sich der Festung näherten, die als dunkle Steinmasse vor ihnen lag, „kommt mit mir, wenn Ihr noch keine Herberge in der Stadt habt. Wir brauchen tapfere Leute in der Burg und mein Vater wird Euch schon in einer der vielen unterirdischen Kammern Obdach und Nachtrast gewähren. Vielleicht fangen wir bald einen seltenen Bogel mit präch¬ tigem Gefieder und Ihr könnt auch dabei sein." 142 Leo Smolle. Um des Cilliers willen, dachte Paul bei sich, will ich mich in der finsteren Burg einsperren lassen; vielleicht gelingt es mir, mit ihm ins Freie zu entkommen, denn ich glaube, Franz meint mit dem seltenen Bogel nie¬ mand andern als den Grafen. Laut sagte er: „Habt vielen Dank, guter Ferencz, ich will mich schon bemühen, Eurem Vater nützlich zu sein und bei dem Fange will ich auch dabei sein, wenn ich auch noch nicht weiß, wen Ihr mit dem glänzenden Vogel meint." Bald darauf rasselte das Wägelchen über die Zug¬ brücke der Festung in das Innere des finsteren Baues. XIII. Vor cker Festung Belgruä. Vor Belgrad herrschte ein buntes Leben und Treiben. Eine Stadt von Zelten war aus der Erde gewachsen und bedeckte die ganze Ebene. Drohend erhob sich die Festung am Zusammenflüsse der Save und Donau und beherrschte die Unterstadt. Überall Spuren der Zerstörung und Verwüstung. — Wenige Wochen waren erst verstrichen, seitdem Hunyadis Heldenfaust die Türken in die Flucht getrieben. Dort auf der zerborstenen Mauerzinne wies man die Stelle, wo der Serbe Titus Drugonics einen riesigen Janitscharen, der schon die Mauer erstiegen hatte und im Begriffe stand, die Fahne mit dem Halbmond auf der Zinne aufzupflanzen, mit eisernen Armen umklammert und sich mit ihm in die grausige Tiefe geschwungen hatte. Rauchgeschwärzt standen die Mauern der Festung da Der letzte Graf von CM. 143 und auch in der unteren Stadt begegnete man überall den Zeichen des grausigen Kampfes. Es war ein trüber, unfreundlicher Novembertag. Blei¬ grau lag der Himmel über Stadt uud Festung Belgrad; nur hie und da blitzte durch das vom Winde zerrissene Gewölk ein fahler Sonnenschimmer und beleuchtete die Pfützen in den engen und winkligen Gassen, die seit dem letzten starken Regengüsse noch zurückgeblieben waren. Im sogenannten Königshause in der unteren Stadt ging Graf Ulrich von Cilli mit großen Schritten iir seinem Gemache auf und ab; nur zuweilen blieb er stehen und blickte finster zur Festung hinüber, deren dunkle Massen unheimlich vor ihm lagen. Seine Stirn war in drohende Falten gelegt; er schien gealtert; sein sorgsam gescheiteltes Haar war an den Schläfen viel mehr ergraut als da wir ihn zuletzt in der Wiener Burg gesehen. Tiefe Furchen zogen sich von den Mundwinkeln herab, doch war der Gang stolz und aufrecht wie gewöhnlich. Jetzt unterbrach er seinen ruhelosen Wandelgang. Unstreitig rang er mit ernsten Und schweren Ent¬ schlüssen, daher auch das Ungeduldige in seinen Bewe¬ gungen und die Unruhe seines ganzen Wesens. Er war soeben beim König gewesen. Ein Bote des jungen Ladislaus Hunyadi und seines Oheims, des ränke¬ vollen Szilagyi, lud den jungen König und den Grafen in die Burgfestung; doch sollte der Fürst nur mit kleinem Gefolge die Festung betreten dürfen, das Heer der Kreuz¬ fahrer sollte draußen bleiben, denn ein altes Gesetz ver¬ biete den „Fremden" den Eintritt in die Festung. Der König war mißtrauisch und übertrug sein Miß- 144 Leo Smolle. trauen auch auf den Grafen Ulrich, den er, wie er ver¬ sprochen, zum Generalgubernator Ungarns erhoben hatte und der als solcher den heiligen Krieg gegen den türki¬ schen Sultan führen sollte. Furcht kannte der Cillier nicht, aber er wollte nicht in eine Falle rennen, die ihm Hunyadis Sohn und der alte Ränkeschmied Szilaghi vielleicht zu legeu im Begriffe staudcu. Zwar an die geheiligte Person des gekrönten Königs würden sie gewiß nicht Hand anlegen, aber war auch er seines Lebens so sicher, wenn er an des Königs Seite die alte, durch die Heldenkämpfe der Christen ge¬ heiligte Festung betrat? Und andererseits, durfte er den König allein lassen, wenn diesem vielleicht doch Gefahr drohte? In die Burg mußte der Köuig einziehen. Das ganze Kreuzheer würde sich von ihm abwenden, wenn er etwa Belgrad, wie der junge Fürst dem Grafen nahelegte, den Rücken kehren würde. Zu viel staud auf dem Spiele. Von Belgrads Festung, die vor kurzem urit denoBlute so vieler Christen behauptet worden war, mußte das königliche Banner wehen, um das sich die Scharen, die dort draußen in den Zelten lagerten, zum heiligen Kriege gegen die Ungläubigen sam¬ melten. Doch Vorsicht war geboten. Früher sollten Hunhadi und Szilagyi aus ihrer Löwenhöhle gelockt werden und an der Spitze von tausend Bewaffneten wollte er, Graf Ulrich, seinen König in die Feste führen. Solche Gedanken durchfluteten die stürmisch bewegte Seele des Cilliers, als der alte Sebriacher hastig ins Zimmer Der letzte Gras von CM. 145 trat und dem Grafen meldete, daß sein Hofmarschall Fal- conieri soeben eingetreten sei und den Grafen zu sprechen wünsche. „Laß ihn herein, Kunz," sagte der Graf, „er bringt mir Nachricht voll Cilli und meiner Frau Katharina. Was machst du für eine betrübte Miene, Kunz? Gefällt es dir nicht hier in der alten Serbenstadt? Du möchtest Wohl viel lieber wieder in der grünen Steiermark sein? Kann's dir eigentlich nicht verdenken. Hier schnürt einem der Nebel die Kehle zusammen und dieses schwarze Un¬ geheuer da am Ufer des gelben Wassers benimmt einem fast die Luft zum Atmen." „Herr," sagte der Sebriacher, indem er sich dem Grafen zu Füßen warf und seine Hand mit Küssen be¬ deckte, „kommt mit mir, flieht, wie Ihr seid, aus diesem verwünschten Land, Euch winkt hier kein Glück und Heil. Kommt nach Steiermark, nach Cilli; dort wird Euch Friede und Ruhe erblühen; Euer Leben war ohnedies bisher nur Sturm und Streit." „Steh auf, Kunz, und rede nicht solch närrisches Zeug daher. Ich soll den König verlassen, jetzt, wo er mich zum Reichsverweser und Oberfeldhauptmann erhoben hat und wo ich an der Spitze des Christenheeres gegen den Sultan ziehen soll? Wohl hast du recht, hier ist's nicht heimlich und geheuer und auch ich wäre lieber auf der Burg Cilli und bei meinen Steirern daheim, aber nur als Herzog will ich wieder nach Steiermark zurück¬ kehren oder —" „Oder tot", murmelte der treue Diener und Tränen rollten aus seinen Augen auf die Hand des Grafen. Sm olle. Der letzte Gras von Cilli. 10 146 Leo Smolle. Da öffnete sich die Tür und des Grafen Hofmar¬ schall, der Italiener Falconieri, trat herein. Graf Ulrich schritt ihm lebhaft entgegen, nachdem er seinem Diener ein Zeichen gegeben hatte, sich zu entfernen. Vor dem scharfen, forschenden Blick des Cilliers schlug Falconieri den seinen zu Boden. „Kommst du von der Gräfin Katharina, meiner teuren Ehefrau?" fragte der Graf und seine Stimme zitterte vor innerer Bewegung. „Wo weilt sie jetzt und bringst du mir kein Schreiben von ihr?" Allzusehr war Graf Ulrich mit seinen Gedanken be¬ schäftigt, sonst hätte er bemerken müssen, wie Falconieri erbleichte und nur mühsam nach Worten rang. „Ihre Gnaden die Frau Gräfin sind im besten Wohl¬ sein wieder nach Obercilli zurückgekehrt und erwarten den Herrn Grafen ehestens auf diesem Schlosse." „Sonst kein Brief, keine Botschaft, kein Gruß, der mich ihrer Treue versichern würde?" fragte der Graf mit steigender Erregung. „Und gerade jetzt, wo ich so ernsten Entscheidungen entgegengehe, hätten mich Worte treuer und aufmunternder Liebe gestärkt und mit doppeltem Mute erfüllt." Falconieri, sonst ein so großer Künstler in der Ver¬ stellung, fühlte sich doch in seinem Gewissen bedrückt; er hatte einen reitenden Boten, der mit einem Briefe der Gräfin an Ulrich abgesandt worden war, vor Belgrad abgefangen und- ihm das Schreiben abgenommen. Er ver¬ wahrte es in seiner Brusttasche; er wußte, was es ent¬ hielt. Die Gräfin hatte von dem Verschwinden Pauls Mitteilung gemacht und daß Falconieri nicht mehr nach Der letzte Graf von Cilli. 147 Sanneck zurückgekehrt war. Der Brief war voll ängst¬ licher Warnungen, Graf Ulrich möge daher trachten, den König schleunigst aus Ungarn hinauszuführen und selbst nach Steiermark zurückkehren. Trügerisch sei die Treue der Ungarn und grenzenlos der Haß der Hünyadi. Falconieri suchte den Grafen so rasch als möglich auf andere Gedanken zu bringen, daher nahm er sogleich das Wort. „Ihr geht schweren Stunden entgegen, sagt Ihr, Herr Graf. Verzeiht, wenn ich es anders deute. Euch winkt die Erfüllung Eures höchsten Glückes. Zieht mit dem König in die Festung ein, Hunyadi ist versöhnt und erwartet Euch mit heißer Sehnsucht. Sein Vater, den Ihr vielleicht zu fürchten hattet, ist tot; Ladislaus Hunyadi will Euch als seinen neuen Vater begrüßen und ist, wie ich von den Ungarn in der Stadt vernommen habe, bereit, sich Euch unterzuordnen und! mit Euch in den heiligen Krieg zu ziehen, wenn Ihr das Banner entrollt, das Euch zur Herrschaft und zürn Ruhme führen wird." Ein lauernder Blick traf dtzn Grafen, der zum Fenster getreten war und in die Landschaft hinaussah, auf die sich schon die Schatten des Abends gesenkt hatten. Das Gewölk hatte sich gelichtet und ein Stern blinkte bereits' am Himmel, gerade über dem Hauptturm der Festung. „Es ist der Stern von Cilli, der Stern meines Glückes", murmelte Ulrich, daun wendete er sich rasch zu Falconieri um. „Du bist also auch der Meinung, daß ich den König in die Festung geleiten soll? Du hast recht, der nächste Morgen soll die Entscheidung bringen und wenn Belgrads Tor sich mir öffnet, soll sich mir 10* 148 Leo Smolle. gleichzeitig die Pforte meiner stolzesten Hoffnungen er¬ schließen." Falconieri verbeugte sich und ein hämisches Lächeln des Triumphes glitt über seine harten Züge, als der Graf ihm mit der Rechten den Abschiedsgruß zuwinkte, um sich ins Innere seiner Gemächer zurückzuziehen. Wenige Schritte war Falconieri erst in der dunklen Straße vorwärtsgegangen, als ein Mann ihm den Weg vertrat und ihn mit drohender Stimme anrief: „Bist du der Schurke, der sich fälschlich Falconieri nennt?" Der Angerufene fuhr erschreckt zusammen, doch zog er sogleich sein Schwert. „Wer ist der freche Geselle, der mir solches zu bieten wagt?" „Ich bin's, Antonio dell' Acqua, der Bruder der Ma¬ rina, die du entführt hast, um durch Raub und Mord dir falsche Ehren anzumaßen. Doch jetzt, Tommaso Bat¬ tista, sollst du am Ende deines lasterhaften Lebens an¬ gelangt fein. Wehre dich, wenn dir dein Leben lieb ist." Und schon drang Antonio, der endlich seinen Tod¬ feind, auf den er schon lange gelauert hatte, vor sich sah, mit seinem Schwerte auf den falschen Falconieri ein, doch dieser parierte geschickt den gegen ihn geführten Streich und stieß ihm fein Schwert zwischen die Rippen, aber mit dem letzten Aufgebote der Kraft bohrte Antonio seine eigene Waffe dem Angreifer in den Hals, daß dieser röchelnd zu Boden sank und, ohne noch einen Laut von sich zu geben, in wenigen Augenblicken verschied; doch auch Antonio, vom Blutverluste erschöpft, taumelte nieder Der letzte Graf von Cilli. 149 und murmelte uur uoch die Worte zu der Wache, die rasch herbeigeeilt war: „Bringt mich zu Marina, meiner Schwester, der Frau dieses Schurken, die ich gerächt habe." Auf den Lärm und die lauten Rufe der Kämpfenden waren sogleich Leute mit Windlichtern herbeigestürzt, Krieger und serbische Bauern, denn es wimmelte damals in Belgrad von fremdem Kriegsvolk und auch vom flachen Lande war fast alles in die Stadt geströmt. Auch Graf Cilli nahm die ungewöhnliche Bewegung in der Straße wahr und hörte das Geräusch bis in sein Zimmer heraufdringen. Er gürtete rasch sein Schwert um und warf den Mantel über die Schultern. Entsetzt sah er seinen Hofmarschall Falconieri im Blute liegen und an der Mauer lehnte, gestützt von zwei kumanischen Kriegern, die sich bemühten, ihn aufzurichten, Antonio. Aus seiner linker: Brustseite rieselte das Blut und der nahende Tod hatte sein Gesicht mit unheimlicher Blässe überzogen. Der Graf, obwohl an den Anblick des Todes gewöhnt, wurde doch von dem Eindrücke, den dieses marmorblasse Gesicht mit den weitgeöffneten verglasten Augen ans jeden, der es sah, hervorbringen mußte, tief erschüttert. „Wer bist du und was ging hier vor?", fragte er den Sterbenden. Antonio versuchte, sich aufzurichten, er wollte sprechen. Doch nur mühsam konnte er den Arm erheben und indem er auf die Leiche Falcouicris deutete, brachte er nur mehr röchelnd die Worte hervor: „Ver¬ räter . . . Nehmt Euch in acht." Kraftlos sank er zurück, eiu Zucken lief über seinen 150 Leo Smolle. Körper; Antonio dell' Acqua war tot, er nahm sein Ge¬ heimnis mit sich ins Grab. Graf Ulrich von Cilli befahl den Umstehenden, die beiden Leichen wegzuschaffen und bei den Toten Wache zu halten, er werde die Sache streng untersuchen lassen. Er konnte nicht gleich wieder in seine Wohnung zurück¬ kehren; er war zu mächtig erregt. Er wollte noch früher durch einen Gang in der kühlen Nachtluft seine erhitzten Sinne beruhigen. So raffte er denn seinen Mantel fest zusammen und schritt der Brücke zu, die über die Save vou Belgrad nach 'Semlin führte. Unbemerkt lösten sich aus dem Knäuel der Leute, die sich angesammelt hatten, zwei Gestalten, die dem Grafen von ferne folgten und jeden seiner Schritte beobachteten. Es waren Kriegsleute Szilagyis und sie hatten den Be¬ fehl, den Grafen bei allen seinen Ausgängen scharf zu beobachten. Des Grafen Gedanken beschäftigten sich mit dem grau¬ sigen Erlebnisse, das er soeben mitgemacht hatte. „So sollte es wahr sein, was ich zuweilen befürchtet? Trieb dieser Italiener wirklich ein falsches Spiel mit mir? Doch welchen Grund hatte der junge Mann, ihn zu töten? War es ein Streit, wie er in dieser rauhen, kriegerisch erregten Zeit so schnell möglich ist, der sie beide die Schwerter ziehen hieß? Doch weshalb schleuderte der Sterbende noch den Schimpf des Verräters gegen meinen Diener, den ich einst, als er von Italien kam, so freundlich ausgenommen und zn hohen Ehren und Würden erhoben hatte? Fal- conieri ein Verräter? Fast will es mir Vorkommen, der Sterbende hat wahr gesprochen; der Tod lügt nicht. — Der letzte Graf von Cilli. 151 Hat sich denn alles gegen mich verschworen? Droht mir wirklich in Belgrad Gefahr? — Soll ich die Festung meiden? — Doch nein, ich muß dem König zur Seite bleiben. Erst der Besitz der Festung und ein siegreicher Feldzug werden meinen jungen Schützling, den Habsburger Ladislaus, zum Herrn eines großen, mächtigen Reiches machen, und Wien, das ich so sehr liebe, wird erst dann die Hauptstadt eines großen Staates werden. Und mir winkt vielleicht der Herzogshut." Graf Ulrich war ans Geländer der Brücke getreten und sah hinab in die hochgehenden, schmutziggelben Fluten des Stromes, den die Regengüsse der letzten Tage stark angeschwellt hatten und der mit gewaltigem Brausen um die Brückenpfeiler wirbelte. Da huschte plötzlich hinter einem vorspringenden Balken eine Gestalt hervor, ein Zigeunerbub, dessen Augen in der Dunkelheit funkelten. Er zupfte den Grafen beim Mantel. Der Graf fuhr aus feinen Träumen auf. „Was willst du hier? Woher bist du plötzlich gekom¬ men, um mich zu stören zu so später Abendstunde? Bist du ein Bote der Hölle, die sich gegen mich verschworen hat?" „Redet nicht zu laut, Graf Cilli," flüsterte der ge¬ heimnisvolle Bote, „Ihr seid beobachtet. Mich schickt Zora, die Fürstin der Zigeuner. Kehrt noch im letzten Augen¬ blicke um, wenn Ihr morgen vor dem Tore der Festung steht, läßt sie Euch melden. Ein eisernes Gitter wird herabfallen und Euch von Glück und Leben scheiden." „Was sagst du da, wie soll ich deine Worte deuten?" 152 Leo Smollc. Und er wollte den Knaben beim Arme fassen, um ihn anszuforschen; doch wie ein Aal entwand sich dieser den Griffen des Cilliers und glitt längs des bretternen Ge¬ länders lautlos dahin, nm im nächsten Augenblick im Dunkel der Nacht in den Uferbüschen zu verschwinden. „Schon die zweite grausige Warnung im Laufe des heutigen Tages!" murmelte der Graf. „Wahrhaftig, es ist nicht geheuer, in dieser verwünschten Stadt noch weiter zu gehen. Ich will znrückkehrcn und morgen in aller Frühe den Lamberger in die Burg schicken, er soll sich überzeugen, ob wirklich, wie uran munkelt, viele Bewaff¬ nete in den unteren Räumen der Festung versteckt sind. — Übrigens mein bester Schutz ist mciu gutes Schwert und Cillis Losung: Das Schwert ist das Recht! Es wird meinen König und mich selbst beschützen!" Und er wandte sich um, um nach Hause zurückzukehren, gefolgt von den beiden Ungarn, die gleich Schatten sich an seine Sohlen geheftet hatten und in der nächtlichen Finsternis lautlos dahinglitten. XIV. Aus Enäe äes Grafen Mrick. Der nächste Morgen brach heran, trüb, stürmisch, regendrohend. In aller Frühe war der Ritter von Lamberg, den der Graf von Cilli in die Burg entsendet hatte, um aus- znkundschaften, ob man darin Bewaffnete verborgen halte, zunr Cillier zurückgekehrt und beruhigte ihn vollständig. Man hat — so meldete der Lamberger — dem Herrn Der letzte Graf von Cilli. 153 König und Euch die köstlichsteil Zimmer bereitet, mit herr¬ lichen und prunkvollen Einrichtungsstücken; die Wände sind mit gar schönen Teppichen überdeckt und feines Sandel¬ holz brennt in den Kaminen. Niemand ist in der Burg als der Korvine Ladislaus und sein Oheim Szilagyi mit ihrem Dienergefolge, und der junge Hunyadi brennt vor Begierde, seinen königlichen Herrn in der alten Weißen¬ burg, die jedem Christen und Ungarn doppelt teuer ist, seitdem sich die Türken an ihren starken Mauern die Köpfe blutig stießen, zu begrüßen." „Auch Euch, Graf Ulrich vou Cilli, läßt Euch der Hunyadi sagen, soll kein Haar gekrümmt werden, denn der heilige Kampf gegen die Feinde der Christenheit, der uns bevorsteht, eint alle, die es mit Ungarn ehrlich meinen." „Die es mit Ungarn ehrlich meinen!" murmelte der Graf zwischen den Zähnen. — „Ein zweideutiges Wort! Der unreife Knabe hält wohl jeden für unehrlich, der nicht so denkt wie er, und Ungarns Zukunft ist ihm gleichbe¬ deutend mit der seines Hauses. Dieser siebenbürgische Bauerssohn sieht Wohl schon die heilige Stephanskrone auf seinem trotzigen Lockenkopf." — Und laut fuhr er fort: „Habt Ihr wohl genau in alle Räume gespäht, Herr Ritter, und überall hingehorcht, ob sich nicht Kriegsvolk in den weiten Kellerräumen der Festung aufhalte? Denn das Gerücht will nicht schweigen, daß Szilagyi Böses im Schilde führe und daß er viele Bewaffnete im Schlosse verborgen halte." „Ich habe nichts dergleichen gesehen und gehört," erwiderte der Lamberger, „das würde auch schlecht stimmen 154 Leo Smolle. zu dem heißen Verlangen, das der junge Hunyadi und sein Oheim hegen, den König und Euch, zu sehen und gast¬ lich zu bewirten." „Du haftest mir mit deinem Kopfe für die Wahr¬ heit dessen, was du gesagt hast!" sagte Gras Ulrich drohend. „Geh jetzt und triff sogleich alle Anstalten zu unserem Einzuge in die Feste. Wir wollen das unumgänglich Nötige nicht länger verschieben! Gott und unser gutes Schwert n/ird uns schützen! Nie hat der Cillier Furcht gehabt in seinem sturmbewegten Leben!" Nochmals beruhigte der Lamberger den Grafen Ulrich, doch sagte er bewußt die Unwahrheit aus, wenn er dem Grafen Ulrich versicherte, nur wenige Leute, die zum Ge¬ folge des Hunyadi gehörten, feien in der Burg. Er selbst hatte in den unterirdischen Räumen Wafsenklirren und den dumpfen Lärm vieler Menschen gehört, ja, Bewaffnete waren ganz ungescheut über die Korridore gegangen und hatten den fremden Ritter, den der Hunyadi selbst überall herumführte, mit mißtrauischen und höhnischen Blicken verfolgt, doch dieser schien nichts zu sehen und zu hören und war gegen den jungen Hunyadi und seinen Oheim Szilagyi nur immer voll des Lobes über die Pracht der Gemächer, die man dem König und dem Reichsverweser Ungarns, dem Grafen Ulrich, einräumen wolle. Herr Ritter von Lamberg hatte des Cillier Turniers nicht vergessen, er gedachte auch mit Groll der schnöden Rolle, die Graf Ulrich ihn damals vor Wien hatte spielen lassen, um den Johannes Hunyadi in die Gewalt des Königs zu locken. — Mochte Graf Ulrich nnn seinen Lohn dahinhaben, dachte sich der Lamberger, denn aus Der letzte Gras von CM. 155 der Burg kommt er nicht mehr lebendig heraus. — So wob sich das Netz des Verderbens immer dichter um das Haupt des letzten Herrn von Cilli. Bald ertönten Hornsignale und Trompetenstöße und viele Hunderte Kriegsleute sammelten sich auf dem großen Platze vor dem sogenannten Königshause, denn Graf Ulrich wollte mit vielen Bewaffneten in die Burg einziehen. Der König ritt auf einem weißen Zelter und war in einen feinen, seidenen, mit Hermelin verbrämten und mit lindem Biberpelz ausgesütterten Mantel gehüllt, denn die Morgenkälte war empfindlich. Der Cillier, der ihn um Haupteslänge überragte, war in einen dunklen, reich mit Pelz besetzten Tuchmantel gekleidet und auch Wams und Beinkleider waren von dunkler Farbe. Er ritt auf einem feurigen Rappen, seinem Lieblingspferde, und vom Pelzbarett nickte ihm eine lange schwarze Reiherfeder nieder. Sein Gesicht trug den Ausdruck düsterer Entschlossenheit und unwillkürlich legte er die Hand an den kostbaren Schwertgriff, als man sich dem Burgtore näherte. Der König schien voll Zuversicht und lächelte freund¬ lich, als Ladislaus Hunyadi und Szilagyi am Tore den jungen Fürsten ehrerbietig begrüßten. Ein Blick des Hasses schoß aus den Augen Szilagyis hervor und streifte die Gestalt des Cilliers, der mit liebevoller Besorgnis den jungen König im Auge behielt. Kaum waren der König und Graf Cilli mit einem kleinen Gefolge ins Tor eingeritten, so fiel auf ein Zeichen Szilagyis mit dröhnendem Geräusch das Falltor nieder und die Kriegsleute, die schon auf der Zugbrücke standen, und das ganze Heer, das noch jenseits des Grabens des 156 Leo Smolle. Einlasses harrte, mußte, wenn auch murrend, wieder in die untere Stadt zurückkehren. Eine alte Satzung, so hieß es, verbiete den Eintritt Fremder in die Burg. Es kostete Mühe, die Leute zu beruhigen und einige steirische Edel¬ leute, die der Lamberger schon früher in diesem Sinuc bearbeitet hatte, ritten in das Lager und beteuerten dem aufgeregten und mißtrauischen Kriegsvolke, daß der König und Graf Ulrich aufs beste aufgehoben seien. Als Graf Ulrich von Cilli das knarrende Gerassel des uicderfallenden Torgitters hinter sich hörte, sprang er vom Pferde und wendete sich mit zornfunkelnden Augen und in drohendem Tone au Szilagyi, auf dessen Gesicht ein schadenfrohes Lächeln zu bemerken war. „Was soll das bedeuten?" rief der Cillier. „Welche Schandtat hat man vor? Wer es wagt, sich an der ge¬ heiligten Person des Königs zu vergreifen, hat es mit mir zu tun. Gilt das Wort eines Mannes, der sich Ungarns erster Edelmann nennt, nichts mehr?" „Beruhigt Euch, Graf Ulrich von Cilli," erwiderte Szilagyi mit kaltem Hohne. „Die Ungarn wissen die Treue, die sie ihrem König geschworen haben, besser zu betätigen als manche Ratgeber des Königs, die in ver¬ blendetem Ehrgeize ihre Stellung mißbrauchen." Der Cillier fühlte den Hieb, den Szilagyi ihm kalt¬ blütig versetzt hatte, bis ins Innerste. Er lockerte unwill¬ kürlich das Schwert in der Scheide, doch Ladislaus Hunyadi, der diese Handbewegung bemerkt hatte, sagte sogleich zum König: „Beruhigt Euren Vormund, den Grafen von Cilli. Weder Euch, König Ladislaus, noch irgend einem an- Der letzte Gras von Cilli. 1^7 dern, der es mit Eurer Persou ehrlich meint, soll Böses widerfahren im Bezirke dieser alten Burg, in die fremdes Kriegsvolk aufzunehmen uns eine alte Satzung verwehrt." Auch der König war vom Pferde gestiegen. Er ver¬ barg die Furcht, die sich in ihm regte, hinter gleichgültiger Kälte; so jung er war, verstand er es schon trefflich, seine Gefühle zu bemeistern und äußerlich Gleichgültigkeit zur Schau zu tragen, wenn auch sein Inneres empört war. Auch hierin war Graf Cilli sein Lehrer und Vorbild ge¬ wesen. „Man lasse meine Kriegsleute ein," wendete er sich gereizt an Ladislaus Hunyadi. „Du hast mir eine glän¬ zende Aufnahme auf der Burg in Aussicht gestellt. Hältst du so das Versprechen, das du deinem König gegeben hast? Es geht dir ans Leben, wenn du ein falsches Spiel mit uns treiben willst." Der junge Hunyadi war eine ritterliche Erscheinung von schlanker hoher Gestalt; wie der König trug er das blonde Haar über den Nacken herabwallend. „Herr König," erwiderte er stolz, „seid unbesorgt; was ein Hunyadi ver¬ sprochen, wird er halten. Ungarns König bedarf keines Schutzes von Bewaffneten in dem Schlosse der Hunyadis. Es ist eine alte Satzung, die der Aufnahme von fremden Bewaffneten in der Burg von Belgrad entgegensteht. Kein Haar Eures Hauptes soll gekrümmt werden, nehmt meine Hand zum Pfände. — Und nun erlaubt, daß ich Euch in die Gemächer geleite, die zu Eurem Empfange bereit stehen." An der Schwelle der Treppe zögerte der König noch einen Augenblick. „Ihr bürgt mir auch für das Leben 158 Leo Smolle. und Wohl meines teuren Vormundes, des Grafen von CM!" „Was ihm gebührt, soll ihm zu teil werden", er¬ widerte Hunyadi düster. — „Nun kommt, ich führe Euch." Der König schritt die Treppe hinauf, ihm knapp zur Seite der Graf von Cilli. Die Gemächer, die für den König und deu Grafen von Cilli bereit standen, waren wirklich mit schwerer Pracht eingerichtet. Es waren hohe, gewölbte Räume; auf den Tischen und Schränken funkelte es von Gold- und Silbergeräten und die Wände waren mit Teppichen be¬ hängt, in denen Bilder aus der byzantinischen Geschichte eingewirkt waren. „Habt Ihr kein Geräusch gehört?" flüsterte Graf Ulrich dem König ins Ohr, als fie ins königliche Schlaf¬ gemach eintraten. „Mir war's beim Heraufsteigen über die Stiege, als hörte ich von unten ein verworrenes Ge¬ töse und dumpfen Waffenlärm." „Du bist zu ängstlich, Ulrich. Sie werden es nicht wagen, uns anzutasten. Ich glaube den Worten des jungen Hunyadi. Ich fühle mich sicher und auch du hast nicht nötig, dich mit leeren Sorgen zu quälen. Wollten sie dir ans Leben, sie hätten längst schon einen Meuchelmörder dingen können. Hab' keine Furcht, Graf Ulrich!" „Furcht wohnt nicht in der Brust des Cilliers," er¬ widerte Graf Ulrich stolz. „Mein Leben gehört Euch, König Ladislaus, doch wie lange noch? das steht in Gottes Hand." Der Tag verstrich. Hunyadi und Szilagyi taten alles, um die Besorgnisse des jungen Fürsten zu zerstreuen. Der letzte Graf von CM. 159 Der Cillier wich nicht von seiner Seite. Erst am späten Abend trennte er sich vom König, um sein Schlafgemach aufzusuchcn, das nicht weit von dem des Königs lag. Müde von den Aufregungen des Tages, warf sich der Graf angekleidet wie er war auf sein Lager, doch der Schlaf floh seine brennenden Lider. Nicht Furcht, aber ein Gefühl seltsamer Beklemmung erfaßte ihn. Er sprang auf und verriegelte die Tür. Da glaubte er, schlürfende Tritte im Korridor zu hören, sie umschlichen ihn, die Schergen des Hunyadi, und wollten ihn vielleicht im Schlafe überrumpeln. Nein, das sollte ihnen doch nicht gelingen; er blieb wach. Doch schließlich versagten seine bis aufs äußerste gespannten Nerven den Dienst und! er sank in einen unruhigen, von schreckhaften Traumbildern erfüll¬ ten Schlummer. Die Bilder, die auf den Wandteppichen gestickt waren, griechische Krieger mit Streitkolben und Bogen, gewannen Leben; sie funkelten ihn mit drohenden Blicken an. Doch halt, was war das? Pochte nicht jemand leise an die Tür? Der Graf fuhr vom Lager empor und ent¬ zündete das Spanlicht am Feuer des Kamins. Er eilte zur Tür. Eine Stimme, die ihm bekannt schien, bat flüsternd um Einlaß ; der Riegel flog zurück und — Paul stand vor dem Grafen, der ihn mit irren Blicken betrach¬ tete, ohne ihn gleich zu erkennen. „Wer bist du, Schreckgespenst der Nacht; kommst du, um mich zu ermorden?" „Dämpft Eure Stimme, Graf Ulrich, wenn Euch das Leben lieb ist. Ich bin Paul, Euer Page, und komme nicht, Euch zu töten, sondern Euch die Freiheit zu schenken! 160 Leo Smolle. Ich kann Euch nicht erzählen, welche unsäglichen Mühen und Gefahren es wich kostete, Euch aufzufinden. Ich lernte Ungarisch und gewann das Vertrauen des alten Kastellans dieser Burg und seines Sohnes. Auf einem geheimen Weg, den außer den Burgleuten und mir sonst niemand kennt, kam ich hieher. Auf diesem Wege will ich Euch ins Freie führen; ein unterirdischer Gang führt an das Ufer des Flusses, ein Nachen steht bereit, der Euch an das andere Ufer bringen wird. Es ist kein Augenblick zu verlieren. Kommt und. folget Paul war in die Knie gesunken und hob bittend die Hände in die Höhe. „Schon dämmert der Morgen," drängte Paul mit steigender Angst. „Ich weiß es, sie haben Euren Tod beschlossen; wenn Ihr nur einen Augenblick zögert, ist es zu spät. Denkt an Eure Gemahlin, denkt an den König, dem Zhr Eurer Leben geweiht habt." Eine Sekunde zögerte der Graf, dann aber sprach er mit fester Stimme: „Du nennst die geheiligte Person des Königs. Mein Entschluß ist gefaßt. Mir beschere Gott, was ihm gefällt. Von meinem Herrn und König will ich nicht lassen, eher will ich sterben, als von seiner Seite weichen." i) Mit fliegendem Atem fuhr der Graf fort: „Du selbst schwebst in Gefahr, mein teurer Paul, wenn du noch länger säumst. Da nimm diesen Ring von meinem Finger, den Gräfin Katharina mir schenkte, als wir uns Verlobten. Überbring ihn der Gräfin, und sollte cs wirklich Gottes 0 Diese Worte sind historisch. Der letzte Graf von Cilli. 161 Ratschluß sein, daß ich ans diesem verwünschten Schlosse nicht mehr lebend entkomme, so möge das Kleinod ihr künden, daß ich bis zum letzten Augenblick in Treuen ihrer gedachte." Bei diesen Worten hob er Paul, der noch immer vor ihm kniete, auf, schloß ihn stürmisch in die Arme und drängte ihn zur Tür. „Leb' wohl, treue Seele, ich hoffe, wir werden uns bald auf Burg Cilli Wiedersehen." Vergebens sträubte sich Paul und rang die Hände. Der Graf öffnete leise die Tapetentür und drängte Paul in den finsteren Gang, dann stieß er den Riegel zu. Pauls Rettungsversuch war mißlungen. Erschüttert sank G^af Ulrich auf das Lager zurück; jede Spur der Müdigkeit war von ihm gewichen. Das erste fahle Licht des Morgens stahl sich durchs hohe Fenster. Der Graf zog über das feste, engmaschige Panzerhemd, das er vor dem Einritte in die Burg aus Vorsicht an¬ gelegt hatte, den reich verbrämten Pelzrock an und er¬ wartete fröstelnd und von Fieberschauern geschüttelt, den Anbruch des Tages, djer in diesem düsteren Gemache nur durch einen fahlen Schein sich ankündigte. Dann sprang er auf. „Nun wollen wir sehen," rief er aus, „wer stärker ist, ob feige Meuchelmörder oder der Graf von Cilli, Herr in Kroatien und Steter, des deutschen Reiches Fürst. Auf zum König! Mit ihm vereint, will ich dem Tode kühn ins Auge blicken." Der Tag war angebrochen. Das Glöcklein der Kapelle läutete zur Frühmesse. Graf Ulrich wohnte der Messe in der Schloßkapelle bei. Während des Gottesdienstes erschien Sm olle, Der letzte Graf von Cilli. 11 162 Leo Smolle. der Ritter von Lamberg in der Kapelle und lud den Cillier im Namen Hunyadis dringend zu einer Beratung ein. Nach beendigten: Meßopfer folgte Ulrich der geheimnis¬ vollen Einladung, da er glaubte, es handle sich um eine Beratung unter dem Vorsitze des Königs, und da er sich zugeschworen hatte, den jungen Fürsten keinen Augen¬ blick allein zu lassen. Nur der Lamberger und zwei seiner Leute folgen ihm; auch diese entläßt er an der Türe des Beratungs- Zimmers. Festen Schrittes tritt er in die Halle, die düster und unheimlich ihm eutgegengrinste. Es war ein kahler, halb verfallener Raum mit rnächtigen Steinpfeilern, in dem nur ein schwerer Eichentisch und einige Stühle standen. An dem Tische stand ein Mann, die Hand auf die Tisch¬ platte gestützt, von Kopf bis zu den Füßen gewappnet. Im trüben Lichte des Novembertages erkennt der Cillier nicht sogleich den jungen Ladislaus Hunyadi, doch als dieser ihm das Gesicht zuwendete, sprach Ulrich mit fester Stimme: „Zu seltsamer Verhandlung habt Ihr mich hieher entboten, Hunyadi, wo ist der König, wo sind seine Räte?" Zitternd vor Erregung erwiderte Ladislaus Hunyadi: „Hier gibt es nichts zu verhandeln. Eure Meisterschaft im Ränkeschmieden hat hier ein Ende, Graf Ulrich von Cilli." — Und nun wurde seine Stimme drohend: „Was machst du hier in Ungarn," schrie er, „hast du nicht da¬ heim genug Schätze und Güter? Du bist gekommen, um auch dem ungarischen Volke seine Freiheit zu rauben, doch deiner Herrschsucht soll ein Ziel gesetzt werden." Mühsam kämpfte Gras Ulrich von Cilli seine Er- Der letzte Graf von Cilli. 163 regung nieder. Blitzschnell begriff er, daß sein Gegner es darauf abgesehen habe, ihn ins Unrecht 'zu setzen, um jede Übeltat an ihm zu rechtfertigen. Er entgegnete daher mit ernster Würde: „Ich stehe in Diensten meines Herrn und Königs und in der Pflicht Gottes, in dessen Namen ich gekommen bin, die Ungläubigen zu bekämpfen. Nach Euren Gütern und Ehren trage ich kein Verlangen." Aber schon hatte Hunyadi das Schwert gezogen und drang auf den Grafen ein. Doch dieser riß ebenso schnell sein Schwert aus der Scheide und indem er den gegen ihn geführten Streich parierte, versetzte er seinem Geg¬ ner einen Hieb, dessen Kraft sich an dem starken Siegelringe Hunyadis brach und diesen nur leicht an der Hand verletzte. Da öffnete sich Plötzlich eine geheime Tapetentür und Szilagyi drang an der Spitze einer großen Schar Be¬ waffneter in den Saal. „Auf!", schrie er mit dröhnender Stimme, „greift ihn, den Feind unseres Volkes, der Un¬ garns Freiheit mit Füßen treten will und die heilige Krone Stephans durch seinen schnöden Ehrgeiz beschmutzt! Haut ihn in Stücke, den übermütigen Cillier!" Mit wildem Geschrei drangen die bewaffneten Söld¬ linge auf Ulrich ein, der sich an einen Pfeiler lehnte, um den Rücken zu decken. Lange Zeit erwehrte er sich ge¬ schickt und tapfer der Übermacht und sein fester Panzer schützte ihn vor Hieb und Stich. Da unterlief Szilagyi den schon zu Tode Erschöpften und streckte ihn mit einem furchtbaren Schwertstreich zu Boden. „Fluch über euch, feiles Mordgesiudel!" murmelte der Cillier, zu Tode ge¬ troffen. 11* 164 Leo Smolle. Auf den Gesunkenen, der sein Gesicht vergeblich mit dem Arm zu decken suchte, hieb man nun von allen Seiten ein und bald lag Ulrich von Cilli entseelt am Boden, der letzte und mächtigste seines Stammes. Ungeheuer war die Verwirrung, die nun einriß. Jetzt erst erfaßte man die Tragweite dessen, was geschehen war. Auch der König war auf den Lärm,, der alle Gänge und Räume der Burg erfüllte, herbeigeeilt. Tieferschüttert stand er an der Leiche des Mannes, den er im Leben so sehr geliebt hatte und der Habsburgs Macht hoch erheben wollte. Das sonst so lebensfrische Gesicht des jungen Fürsten war leichenfahl, doch die Vorsicht gebot ihm, seine Gefühle zu verbergen, denn sein eigenes Leben schwebte in Gefahr, wenn er sich zu weit hinreißen ließ. Er mußte die Rache auf spätere Zeit verschieben. So hörte er denn mit scheinbarer Ruhe den Bericht Szilagyis, nach welchem der Cillier durch maßlosen Hoch¬ mut und höhnische Reden die Ungarn zu sinnloser Wut gereizt habe, dann verließ er den Ort des Grausens und begab sich in seine Gemächer. Auf dem Wege dorthin berührte ein Jüngling den Saum seines Rockes. „Wer bist du?" fragte der König. „Ich nenne mich Paul; ich bin ein florentinischer Edel¬ mann und war des verstorbenen Grafen getreuester Page; nun will ich nach Cilli, um der Witwe des Ermordeten das furchtbare Geschehnis zu melden. Herr König, rächt den Tod Eures größten Freundes; rächt die unglückliche Witwe an den herzlosen Übeltätern!" „Eile so rasch du kannst nach Cilli", sagte der König tief ergriffen, „und verkünde der edlen Gräfin Katharina, Der letzte Graf von CM. 165 daß ich nicht früher ruhen werde, bis ich nicht diese schnöde Tat an dem feigen Mörder gerächt habe. Doch diese Worte bleiben ein Geheimnis zwischen mir und dir und nur der Witwe Katharina darfst du sie mitteilen. Lebe wohl und eile!" XV. Gräfin Rntlnlrinn. Am Erkerfenster in der Burg Obercilli saß Gräfin Katharina und blickte hinaus in die Winterlandschaft. Ein heftiger Schneesturm wirbelte die Flocken durchein¬ ander ; die Sann trieb in diesem frühen Winter schon Eis¬ stückchen und das Blachfeld war bis zu dem Kranze der fernen Berge mit einer leichten Schneedecke bekleidet, die der Wind stellenweise empvrhob, so daß ganze Wolken von Schneestaub die Luft verfinsterten. Der Gräfin Katharina gegenüber faß Jsaura, von deren Wangen die frische Röte der Jugend gewichen war und auf deren feingeschnittenem Gesichte der Ausdruck tiefer Trauer lag.. Einen Augenblick ruhte das Gespräch zwischen den beiden, das augenscheinlich keinen fröhlichen Inhalt hatte. Dann wendete sich die Gräfin ihrem Kammerfräulein zu und sagte lebhaft bewegt: „Mein Herz schwebt in Angst und Sorge, Jsaura, dunkle Gerüchte furchtbarer Art durchzittern die Luft. Ich bin schon lange ohne Nachricht von meinem Ge¬ mahl, dem Grafen. Die letzte Nachricht empfing ich von Semlin, als das Heer im Begriffe stand, in Belgrad 186 Leo Snwlle. einzuziehen. Sein Schreiben war voll stolzer Hoffnungen, doch ich fürchte, sein Ehrgeiz verführt ihn, alles in an¬ derem Lichte zu sehen, wie die traurige Wirklichkeit es darbictet. Er ist scharfsichtig, so lange seine Leidenschaft ihn nicht verblendet; doch verläßt er sich allzusehr auf seinen Mut und den Schutz des Königs." „Gebe Gott," sagte Jsaura gedrückt, „daß meine teure Gräfin sich täusche und Graf Ulrich bald in Cilli eintreffe als sieggekrönter Feldherr der Christenheit, herr¬ licher und tatenfroher als je." „Du glaubst wohl selbst nicht daran, Jsaura; der gepreßte Ton deiner Stimme verrät deinen Zweifel. Heute nachts hatte ich einen furchtbaren Traum, noch schaudere ich, wenn ich daran denke. Ich sah den Grasen in seinem Blute liegen und finstere Gestalten standen ringsum, da hob einer den Kopf des Grafen, den man vom Rumpfe getrennt hatte, bei dem schwarzen Ringel- Haare empor und schauerlich gellte durchs Zimmer der Schrei: ,Das Haupt eines Despoten, der hundertmal den Tod verdient hat!' — Ich wachte auf, iu Schweiß ge¬ badet, und bis zum grauenden Morgen floh der Schlaf meine vom Weinen brennenden Augen." Jsaura hatte das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Als sie diese wegzog, war es von Tränen überströmt. Sie fiel der Gräfin zu Füßen und barg ihr Antlitz in den Schoß ihres Kleides. „Ihr hattet recht, Frau Gräfin, als Ihr sagtet, meine Ruhe sei nur erkünstelt. In der Tat, auch mein Herz ist von unsagbarer Angst erfüllt, denn ein dichtes Geheimnis webt um die verflossenen Tage und Gott weiß Der letzte Graf von CM. 167 es, was für Schrecken es in seinem Schoße birgt. — Als wir danials so lange vergeblich in Sanneck ans Fal- conieri und Paul warteten und Ihr hierauf beschlösset, die Reise zu Eurem Vater aufzugeben und hieher zurückzu¬ kehren, da ahnte mir schon Gräßliches. Hier erfuhren wir die Flucht Pauls und Falconieris Verschwinden. Was muß da vorgefallen sein? Paul ist vielleicht schon tot, Falconicri, den ich nie leiden mochte, hat ihn beseitigt und ist selbst entflohen. Ein schweres Geheimnis waltete sicher zwischen den beiden und kostete Paul das Leben." Die Gräfin, nur mit dem Gedanken an ihren Gemahl beschäftigt, mußte Jsaura im stillen recht geben, doch war sie bemüht, die Schluchzende zu trösten. Sie fuhr ihr liebkosend über das weiche braune Haar und ihre Stimme hatte einen milden Klang, als sie die Kniende nun aufhob und, sie an die Brust drückend, ihr zuflüsterte: „Längst schon habe ich bemerkt, wie es nicht bloß menschliche Teilnahme ist, die dich für das Schicksal Pauls zittern macht. In deinem Herzen keimte eine reine Nei¬ gung zu dem wackeren Jüngling, den auch ich licbgewounen habe, empor. Gestehe es, Jsaura, doch verscheuche die Trauer aus deinem Herzen, so lange es noch nicht Zeit ist zu klagen. Paul ist jung und kräftig, meinem Herrn treu ergeben. Wenn ihm wirklich Falconicri aus unbe¬ kannter Ursache nach dem Leben trachtet, so wird er Mittel und Wege gefunden haben, sich zu retten und zum Grafen zu gelangen, um ihn zu warnen und an seiner Seite zu stehen. Vielleicht werden schon die nächsten Augenblicke die Lösung all der dunklen Rätsel mit sich bringen und die schweren Sorgen von unseren Herzen nehmen." 168 Leo Smolle. Die Gräfin war ausgestanden und Jsaura schmiegte sich an sie, indem sie ihr Köpfchen an ihre Schulter lehnte. Wie sich zuweilen ein zarter Rosenzweig an einen hohen Stamm schmiegt und sein Gewinde um den starken Baum schlingt, so stand die imposante Gestalt der Gräfin Katharina in der Fensternische und, eng an sie gedrückt, die zarte, schlanke Blume, aus griechischem Erdreich iu den rauhen Norden verpflanzt. Beide Frauen blickten in die Ferne; ein Reiter strebte durch den wirbelnden Schnee der Burg zu; jetzt war er schon nahe an der Zugbrücke. Ein Schrei löste sich von Jsauras Lippen: „Er ist's, es ist Paul! Allmächtiger Gott, was für Botschaft wird er uns bringen?" Einige Augenblicke später stand Paul Falconieri, wie wir ihn fortan nennen dürfen, vor der Gräfin Katharina von Cilli. Er hatte sich nicht Zeit genommen, die Kleider zu wechseln, nur den Mantel hatte er in der Vorhalle abgeworfen; doch auch in den Falten des Wamses und am Griffe des Schwertes lag noch Schnee und die Haare waren vom Sturm zerzaust und hingen feucht in die Stirn. Von dem scharfen Ritte und der inneren Erregung war sein Gesicht gerötet, doch der kummervolle, tiefernste Ausdruck, der in seinen Augen lag, verkündete keine freundliche Botschaft. Die Gräfin war ihm bis nahe zur Tür entgegen¬ geeilt. Vor dem Blick seiner Augen wich sie einige Schritte zurück; ein Zittern durchflog ihre Glieder, sie stützte sich mit der Rechten auf eine hohe, reichverzierte Truhe, die in der Nähe stand. Mühsam nur brachte sie die Worte hervor: „Wie soll ich dein plötzliches unangemeldetes Er- Der letzte Graf von Cilli. 169 scheinen deuten, Paul? Dein Gesicht verkündet mir nichts Gutes." Paul war im Augenblicke keines Wortes mächtig; er reichte nur schweigend der Gräfin ein blitzendes Kleinod. „Der Ring meines Gemahls, des Grafen!" schrie sic gellend auf. „Er ist tot, Paul, er ist tot. . ." Sie drohte zu Boden zu sinken: Jsaura, die herbeigeeilt war, fing sie in den Armen auf. Doch nur einen Augenblick dauerte diese Schwäche, dann richtete sie sich zu stolzer Höhe empor und mit fester, eigentümlich klangloser Stimme fragte sie Paul: „Ist dieser Ring, der einst den Bund unserer Herzen be¬ siegelte, wirklich ein Zeichen, daß der, der ihn bisher trug, nicht mehr unter den Lebenden weilt?" „Es ist so, wie Ihr sagt, gnädigste Frau Gräfin," erwiderte Paul und neigte den Kopf zur Erde. „Graf Ulrich von Cilli weilt nicht mehr hier auf Erden, er fiel unter den Streichen seiner heimtückischen Feinde." „So betrogst du mich nicht, Traumgebilde der letzten Nacht", sagte Gräfin Katharina feierlich. „Einer der Größten und Mächtigsten der Erde ist mit dem Grafen Ulrich von Cilli in den Staub gesunken wie die stolzeste Eiche des Waldes. Seinesgleichen wird lange nicht mehr wieder¬ kehren und auch Habsburgs erlauchtes Haus mag den Verlust seines treuesten Dieners tief betrauern. Er wollte dieses Haus über alle Herrschergeschlechter Europas empor¬ heben als feste Schutzwehr gegen den Erbfeind der Christen¬ heit. Doch nun erzähle, Paul; ich bin gefaßt, alles zu vernehmen." Die Gräfin sank in den Lehnsessel und schloß die 170 Leo Sm oll e. Lider, in tiefes Sinnen versunken, während Jsanra sich ihr zn Füßen auf den mit einem Teppich belegten Schemel nicdersetztc und voll schmerzlicher Rührung bald die Gräfin, bald Paul anblickte, der oft vor Ergriffenheit in seinem Berichte- stockte. Als er zuletzt erzählte, wie der König ihm geschworen, die feige Untat zu rächen, da hob die Gräfin das Haupt; ein unheimliches Funkeln glänzte in ihren Augen. „Der König wird seinen Schwur halten", sagte sie lebhaft. „Allzu schwer ist das Leid, das die Mörder auch ihm zugefügt haben; ich weiß es, mit welcher Liebe der junge Fürst an seinem Vormund hing und urit welcher Bewunderung er zu ihm emporblickte. Du wirst dich deines Bubenstückes nicht lange erfreuen, feiger Mörder," rief sie erregt aus. „Auge um Auge, Zahn um Zahn, darnach wird der König handeln und meines armen Gatten Tod wird früher gerächt werden, als die tückischen Mordgesellen es ahnen." Und als hätte ihr dieser Gedanke neuen Lebensmut eingeflößt, sprang die Gräfin plötzlich auf und rief Jsaura zu: „Gib doch den Befehl, daß der Diener Erfrischungen und einen Becher süßen Griechenweines herbeibringt, denn Paul ist zu Tode erschöpft und er muß uns noch so viel von seinen eigenen Schicksalen erzählen. Mögen die auch noch so traurig sein, er hat alles Ungemach überwunden, er lebt, Jsaura, und das iss wohl fürs erste die Haupt¬ sache." Jetzt glitt sogar ein leises Lächeln über die bleichen Züge der Gräfin, die vor kurzem noch wie aus Stein ge¬ meißelt schienen, als sie mit beiden Händen Jsauras Locken- Der letzte Graf von Cilli. 171 köpfchcii cm sich zog und einen mütterlichen Kuß auf die Stiru des Mädchens drückte. Jsaura beeilte sich, nachdem sie den Diener gerufen, alsbald wieder in das Gemach der Gräfin zurückzukehren, um kein Wort von der Erzählung Pauls zu überhören. Als Paul seiner Flucht aus der Burg und der Treu¬ losigkeit Falcouieris Erwähnung tat, kannte die Entrüstung der .Gräfin keine Grenzen. „Falconieri war also ein Schurke, der sich unter einem fremden Namen hier einschlich und Wohl auch den Grafen verderben wollte. Es ist kein Zweifel, daß du der Sohn des Falconieri bist, doch gestatte mir, das traute Du beizubehalten, wenn du auch der rechtmäßige Erbe des Florentiner Conte bist. Hast du kein Zeichen, das dich an Abstammung und Kindheit gemahnen würde?" Paul griff in die Brüst und reichte der Gräfin die Goldmünze, die er dem Bruder Berthold gezeigt hatte. Aufmerksam beschaute die Gräfin das Goldstück. „Für- wahr, das Wappen der Falconieri! Das Gespräch des schurkischen Marschalls mit seinem Weibeihat dir die volle Wahrheit über deine Herkunft enthüllt. Dein Stern be¬ ginnt erst zu strahlen, der meines Gemahls ist erloschen und mit ihm sind die Sterne im blauen Felde des Cillier Wappens in Nacht versunken. Unsere beiden Söhne ruhen schon längst in kühler Erde. Ulrich war der letzte seines Stammes. — Doch sage, konnte Graf Ulrich nicht ent¬ fliehen? Hat ihn niemand gewarnt?" „Mir selbst gelang es," erwiderte Paul voll tiefer Bewegung, „bis in sein Schlafgemach zu dringen und ich wollte den Grafen durch einen geheimen Gang aus 172 Äev Smolle. der Festung führen, doch Graf Ulrich entgegnete, ,lieber will ich sterben, als meinen König in der Gefahr ver¬ lassen/" „Daran erkenne ich den Grafen Ulrich," sagte Katha¬ rina, von Rührung überwältigt, „ja, er war ein Held und hatte ein großes edles Herz, doch oft übertönte blinde Leidenschaft die Stimme, des Rechtes in seinem Innern. Nun hat er Ruhe von stürmischer Lebensfahrt. Möge Gott der Allmächtige Gnade walten lassen und nicht zn strenge mit ihm ins Gericht gehen." „Du aber", wendete sich Gräfin Katharina mit herz¬ licher Wärme an den jungen Falcouieri, „habe Dank für deine Liebe und Treue. Nicht Schätze, nicht Geld und Gut können solche Dienste belohnen. Ich will dir einen schöneren Lohn ans Herz legen." Und sie nahm Jsaura bei der Hand und führte sie dem Jüngling zu, dessen Wangen der Widerschein des Glückes rötete. „Ich war Zeuge eurer heimlichen Liebe, mache Jsaura glücklich, Paul, führe sie in dein sonniges Heimatland, sie ist ja selbst eine Blume des Südens und würde unter unserem rauheren Himmel, wo der Mord und alle Ver¬ brechen viel grausiger und gräßlicher auftreteu, verküm¬ mern. Dich, liebe Jsaura, muß die laue Luft des Südens umschmeicheln und die Hand der Liebe muß dich leiten, dann erst wird sich der Kelch deiner Schönheit voll ent¬ falten." Jsaura und Paul knieten vor . der Gräfin nieder. Katharina bedeckte die Augen mit der Hand. „O, daß du sie nicht auch segnen kannst, armer Ulrich. Dir war Der letzte Graf von Cilli. 173 kein sonniger Lebensfrühling beschieden. Der rauhe Sturm erfaßte dich und trug dich zu schwindelnder Höhe empor, um dich dann in die grausige Tiefe zu schleudern!" XVI. .Die LeicHenfeier im Cillier MinoriteiMoster. Ein schneidig kalter Dezemberwind fegte durch die Straßen des kleinen Städtchens Cilli; er jagte den Fu߬ gängern Staub und Schnee in die Augen und drang selbst durch schützende Mäntel und dickes Pelzwerk, in das sich die Leute fröstelnd und frierend einhülltem Und doch waren heute alle Straßen voll Menschen und auch von weit her strömten Leute in die Stadt, arme Häusler und reichere Zinsbauern von den Herr¬ schaftsgütern und Dörfern der Umgebung. Dumpf hallten die Glocken vom Turme der Minoritenkirche, über deren Tor ein schwarzer Baldachin angebracht war. Vor dem Kirchenplatze war bereits viel Volk ver¬ sammelt. Wir treffen hier alte Bekannte. Der Schuster Kaspar, der sein Geschäft im Winkel bei der Stadtmauer hatte, stand im eifrigen Gespräch mit dem hageren Schneider Florian Greiner. Seine Nase leuchtete durch den eisigen Nebel und verkündete die Güte des Lutten¬ bergers, der im Vorjahre besonders gut geraten war. „Heute hat der letzte Graf vou Cilli, Seine fürstliche Gnaden der höchstselige Graf Ulrich, sein Sterbeamt," gröhlte der Schuster mit seinem tiefen Baß, „und wie lang ist's her, da mußte ich noch ein Paar schwere Reiter¬ stiefel aufs Schloß hinauf liefern, als der Graf nach Wien 174 Leo Smolle. fortzog, um dort zu dm höchsten Ehren emporzusteigen. Was ist der Mensch?" so philosophierte Meister Kaspar, „ein ganz gebrechlich Werkzeug vor den Augen des Aller¬ höchsten." „Gut ist's so eingerichtet," eiferte mit feiner dünnen scharfen Stimme Schneider Florian, dessen Lebensanfchau- uug stark demokratisch angehaucht war und der mit gal¬ ligem Neid auf alle Menschen blickte, die nicht mit Elle und Schere mühsam arbeiten mußten, „der liebe Gott weiß schon, warum er die Bäume nicht in den Himmel wachsen läßt," geiferte er, „Gras Ulrich wollte auch zu hoch hinaus und so fiel er tief herab. Der leidige Hoch¬ mut der hohen Herren ist an allem Elend auf der Welt schuld und es ist ein Glück, daß er auch diejenigen zer¬ schmettert, die den Kopf so hoch tragen, als geb's auf Erden nur Fürsten und Grafen." „Mag wohl wahr sein," entgegnete der ehrsame Meister Knieriem, „daß Graf Ulrich zu hoch hiuausstrebte und sich vielleicht ebenso viel dünkte, wie ein König und wie der römische Kaiser selber, aber gegen die Armen und Niedrigen war der hochselige Graf immer leutselig und mildtätig und wenn er länger gelebt hätte, wär's uns Bürgern auch besser ergangen." Ein armes Bäuerlein im geflickten Lodenkittel niit abgeschabter Mütze aus Katzenfell, die zwei mächtige Ohr¬ klappen hatte, war hinzugetreten. Sein Gesicht war voll grauer Bartstoppeln und sein zahnloser Mund mit den blutleeren Lippen zusammengekniffen. Seine Augen waren trüb vor Hunger und Kummer, aber jetzt leuchtete ein Fünkchen Liebe in ihnen auf. Der letzte Graf von Cilli. 175 „Hast recht, Meister," murmelte er, „hast schon recht, gut war der selige Graf gegen uns armes Volk und frei hält' er uns arme hörige Bauern gemacht von Gült und Robot und schwerer Fron, wenn ihm Gott noch das Leben geschenkt hätte. Wird halt schon andere große Schuld auf sich geladen haben, daß ihn Gott aus Freudeu und Ehren so früh zu sich abberufen hat. Ja, Reichtum und Macht verstricken oft in arge Sünden; da haben halt wir arme Leute es besser, müssen immer hart arbeiten und haben keine Zeit zu sündhaften Gedanken." Während die Männer fo ihre Gedanken austauschten, ging es in einer Gruppe von Weibern noch lebhafter zu. Hier führte Jungfer Kunigunde, die Näherin, das große Wort, ausgiebig sekundiert von Barbara Hubmaierin, der Höckerin vom Kirchenplatze, und der dicken Fleischhauerin Fran Elsbeth. Gerade hatte die lange, hagere Jungfer Kunigunde, deren spitze Nase vom Froste hellrot bemalt war, einen längeren Vortrag beendigt, „'s ist halt nicht recht, wenn das Mannsvolk sein Haus und Heim so vernachlässigt und die Frauen saft immer allein zu Hause sitzen läßt in Angst und Trauer. Gerade immer nur auf wenige Tage war Seine Gnaden der Herr Graf Ulrich daheim in Cilli, inimer war er draußen in der Welt, bei Königen und Fürsten und feine Gemahlin, die Fürstin Katharina, seufzte und bangte sich nach ihm ab und ist doch eine so schöne stattliche Frau. Tut nicht gut," schloß Jungfer Gundl ihre Betrachtungen, „wenn der Mann nur auf Kriegs-und Staatshäudel denkt und Haus und Hof vernachlässigt und sein Weib daheim trauern läßt." 176 Leo Smolle. „Ihr tut ja g'rad so, Jungfer Kunigund," nahm die stattliche Fleischhauerin das Wort, „als ob Ihr akkurat in solcher Lage wäret und habt doch noch gar keinen Mann. Ich möcht' fast meinen, Ihr nehmt einen, anch wenn er gleich nach der Hochzeit auf und davon in den Krieg geht. Schaut mich nicht so springgiftig an; recht habt Ihr freilich, wenn auch aus Eurem Munde derlei Reden gar seltsam klingen. Mein Mann dürft' mir freilich nicht immer vom Hause wegbleiben. Aber so ist's in der Welt, die Hohen und die Niedern darf man nicht mit einem Maße messen." Jetzt trieb ein Herold die schwatzenden Weiber aus¬ einander. „Platz da für Ihre fürstliche Gnaden die Frau Gräfin Katharina!" rief er mit lauter Stimme. Ganz in Schwarz gekleidet, das bleiche Gesicht in einen dichten Schleier gehüllt, näherte sich jetzt, auf den Arm der weinenden Jsaura gestützt, die Frau Gräfin Katharina von CM, gefolgt von einer großen Schar von Rittern und Edelleuten und viel gewappnetem Volk. Alles drängte nun in die Kirche, in der bald darauf das Toten¬ amt seinen Anfang nahm. Inmitten der Klosterkirche stand ein hoher Katafalk, auf dem die Leiche des Grafen Ulrich lag. Ringsherum brannten auf hohen Leuchtern Kerzen und zwischen diesen und dem Katafalk standen zwölf arme Leute, denen man Kleider aus feinem schwarzen Tuch angelegt hatte und die ebenfalls brennende Kerzen in Händen hielten. Vor dem Katafalk war ein Altar aufgerichtet, an dem Bruder Berthold die Totenmesse hielt. Als das Offer¬ torium gesungen wurde, erhob sich die Gräfin Katharina Ter letzte Graf von Cilli. 177 von ihrem Betschemel und schritt zum Altar, um die Opfergaben niederzulegen. Ihr folgten nach Rang und Stand die Ritter und Edelleute ihres Gefolges, dann kamen die Frauen und auch viel Bürgersleute, die alle ihre Opferspenden dar¬ brachten. Als es ans Ende der Totenfeier ging, legte sich ein Gewappneter auf den Boden der Kirche nieder und ein Herold zerbrach über ihm den Wappenschild des Cilliers und rief dabei mit Heller, lauter Stimme, die in der ganzen Kirche widerhallte, die Worte aus: „Heute Grafen von Cilli und nimmermehr!" Da war das Weinen und Jam¬ mern aller Anwesenden herzzerbrechend und lautes Schluchzen erfüllte das Gotteshaus. So wurde nach altem Brauche an dem Cillier getan, als dem letzten seines erlauchten Stammes. Die Trauerfeier war zu Ende; der Ritter Jan von Witowetz reichte der Gräfin Katharina, die sich kaum auf¬ rechthalten konnte, den Arm. So schritt sie aus dem Gotteshause, von allen mit scheuer Ehrfurcht begrüßt und cs gab kein Auge, das bei ihren Anblick trocken geblieben wäre. Hinter ihr gingen Paul und Jsaura, deren aufrichtige Trauer gemildert war durch die Hoffnung a'uf ein zu¬ künftiges Glück. Auch der alte Fährmann Juri mit seinem Töchterlein Anuschka und Hans, dem Gärtnerburschen, waren unter den Dienstleuten. Auch diesen beiden treuen Seelen leuchtete freundlich aus Nacht und Betrübnis "das Morgenrot einer froheren Zukunft. Wer war das ärmlich gekleidete Weib, das sich bisher Sm olle, Der letzte Graf von Cilli. 12 178 Leo Smolle. hinter dem Schatten eines Pfeilers versteckt gehalten hatte und nun, die Schar der Andächtigen durchbrechend, der Gräfin Katharina zu Füßen stürzte und ihre Hand mit Küssen bedeckte? „Stehe auf, Marina," sagte die Gräfin mit mildem Tone, „dein Mann hat viel verbrochen an dir und mir, doch um des Toten willen, dem wir jetzt die letzte Ehre erwiesen, sei dir verziehen. Du wolltest Herrin sein, übe Buße und sei jetzt Dienerin dessen, den du und dein Mann verderben wolltet. Hier steht der junge Falconieri vor dir; ich will ihn bitten, dich in seine Heimat mitzunehmen, die auch die deine ist; dort magst du ihm dienen in Ge¬ horsam und Ergebenheit und die Treue, die du ihm er¬ zeigst, sei die Buße für deine Vergehungen." Bald darauf treffen wir Bruder Berthold in seiner Zelle in der Burg. Er hatte soeben die Schreibfeder weggelegt. Nun stützte er die Stirn in die rechte Hand und überlas das Geschriebene: Z „Da nun das alles ergangen war, da ward des edlen und fürstlichen Grafen Ulrich Leichnam in eine Truhe gelegt, reiniglich verschlossen und gen Cilli zum Begräb¬ nis geführt und in dem Kloster daselbst in den Sarg gelegt und ward von der edlen Fürstin Frau Katharina, seiner Gemahlin, und von seinen Herren Rittern und Knechten und Dienern gar hoch beklagt und fürstlich be¬ stattet. Und als man für ihn die Totenklage am dreißigsten Wörtlich, mir mit orthographischen Änderungen, aus der Chronik von Cilli. Der letzte Graf von Cilli. 179 Tage beging, da wurde viel fürstliche Trauer und viel sehnliche Klage gesehen, wovon ich ein wenig sagen will. Zuerst ward inmitten des Gotteshauses des Klosters Cilli ein köstliches Grab gemacht und hergerichtet, mit schwarzem kostbaren Tuch umhangen und bedeckt, und um das Grab wurden viel brennende Stehkerzeu köstlich aufgesteckt, die lichten Schein gaben. Darnach wurden zwölf arme Menschen, köstlich in Schwarz gekleidet, ge¬ ordnet, die innerhalb der Kerzen rund um das Grab standen, und ein jeder hatte eine brennende Wachskerze in seiner Hand. Und vor diesem Grabe ward ein Altar aufgerichtet, darauf ward das große Seelenamt gesungen. Und als man das große Offertorium gesungen hatte und nun die edel Fürstin, Frau Katharina, ihr Opfer aus den Altar gelegt hatte und nach' ihr viel Ritter und Knechte, da waren geordnet fünf Baniere (nämlich: Cilli, Ortenburg, Sanneck, Seger i) und das fünfte war ein schwarz Klag¬ fähnlein) und zu jedem Banier sein Schild und ver- goldter Helm: die wurden von guten Rittern und Knechten zu dem Grab und zu dem Altar getragen und geopfert. Und nach diesem wurden zwölf Rosse köstlich geziert und mit schwarzem Tuch bedeckt und auf jedem Roß saß ein Knappe, köstlich in Schwarz gekleidet. Also ward zu dem Grab und zu den: Altar geritten und zu dem Seelenamt geopfert und ein geharnischter Mann ging vor. Und als das Opfer der Baniere, Schilde, Helme und Rosse nun geschehen war, da legte sich dieser Zagorim in Kroatien, von Kaiser Sigismund dem Grafen Hermann II. von Cilli verliehen. 12* ILO Leo Smolle. geharnischte Mann nieder; da erhob einer ein sehnlich Geschrei ober diesem geharnischten Mann mit aufgetanem Hellem Mund und schrie laut: Heut Grafen von Cilli und nimmermehr! und rufte das dreimal und darauf zerbrach er das Banier ober ihm. Da erhub sich in dem Kloster zu Cilli von Frauen und Männern eine so sehnliche Klage mit Weinen, daß das niemand wohl zn beschreiben vermag." Als Bruder Berthold seine eigenen Worte gelesen hatte, schlich sich auch aus seinem Auge eine Träne. Er lehnte das Haupt, auf dem der Haarkranz schon silber¬ weiß glänzte, zurück auf die Lehne des Sessels und sein Geist ließ die Bilder vergangener Zeiten vor seinem sin¬ nenden Auge vorübergleiten. Er gedachte der Tage, da Graf Ulrich als Kind mit dunklen Lockenhaaren ans seinem Steckenpferde im blühen¬ den Schloßgärtlein herumsprang und sich so gern von Krieg und Ritterspiel erzählen ließ; er gedachte der frohen Zeit, als er selbst noch, ein Jüngling voll frischen Lebens¬ mutes, als Junker im Dienste des Grasen Friedrich stand. Ulrich war ein wilder, eigenwilliger Knabe, cs fehlte bei seiner Erziehung der sanfte Einfluß der Mutter. Kannte er ja doch seine Mutter Elisabeth, eine geborne Fran- gipani, kaum, denn bald nach seiner Geburt verstieß der Vater, von sündiger Leidenschaft zu Veronika von Desche- nitz entflammt, seine erste Fran und als Graf Ulrich sechzehn Jahre alt geworden, erfolgte der grausige Mord an seiner Mutter und sein eigener Vater wurde beschul¬ digt, das entsetzliche Verbrechen verübt zu haben. Wenige Jahre später wurde auf Veranlassung des grausam^ strengen Der letzte Graf von CM. 181 und herrischen Großvaters, des Altgxasen Hermann, die zweite Gemahlin seines Vaters, die sanfte, tugendhafte und anmutige Veronika tückisch ermordet und Ulrichs Vater von dem Großvater eingekerkert. „Welch furchtbare Jugend", murmelte der Kloster¬ bruder vor sich hin, „verlebte doch Graf Ulrich, der letzte seines Stammes, der nun in der Gruft seiner Väter im Minoritenkloster zu Cilli die ewige Ruhe gefunden hat. Scholl seiner Kindheit fehlte der Sonnenschein der Mutter¬ liebe. und jede sanfte Regung war seiner Seele fremd." Ganz deutlich stand dein Bruder Berthold das Bild des schönen Knaben vor Augen, dessen Stirn häufig scholl die Falte des Zornes entstellte. — Dann sah er¬ den hochgewachsenen Mann im besten Alter vor sich, von ruhelosem Geiste getrieben, nach Kronen und Schätzen strebend. War es ein Wunder bei seiner freudlosen Jugend, die der Mutterliebe entbehrte, daß. böse Leidenschaften mit nächtig schwarzen Schwingen ihn nmrauschten nnd seinen. Hellen Geist verdüsterten? Und der Mönch faltete die Hände nnd murmelte: „Der Herr sucht die Sünden der Väter heim an ihren Kindern! - Ruhe im Frieden, Graf Ulrich, deines glor¬ reichen Hauses der letzte!" 182 Leo Smvlle. XVII. In Florenz. — Rusklnng. Florenz stand zur Zeit, in der sich der tragische Unter gang des letzten Cillier Grafen abspielte, in schöner Blüte. Cosimos von Medici mildes Zepter waltete mit Weisheit über das Gedeihen der Stadt, die bereits mit vielen herrlichen Kunstwerken geschmückt war. — Schon stand der schöne Dom Santa Maria de' Fiori und daneben der prächtige Campanile, ein Werk, das Giotto im Jahre 1334 begonnen hatte. Auch Ghibertis zierliche und bis in die feinsten Einzelheiten ausgeführte Bronzetüren zum Baptisterium wareu vollendet. Auf beiden Seiten des Arno lagen die Paläste und massigen Bürgerhäuser, die besonders in ihrem festen Unterbau aus Steinquadern kleinen Festungen glichen, wie dies die kriegerische, immer bewegte, von Volksstürmcn und Bürgerkriegen durchtobte Zeit erheischte. Herrlich war die nächste Umgebung der Stadt, be sonders die Anhöhe gegen San Miniato hinauf. Wie eine große Perle in der amethystenen Muschel des Himmels leuchtete die Kirche von San Miniato, das schönste romanische Kirchenbailwerk Italiens, von dem Hügel herab und entzückte das Auge des Beschauers. Große Parks, förmlichen Wäldern ähnlich, aus denen die kleinen Kastellen gleichenden, schimmernd weißen Herrensitze der Landedelleute hervorleuchteten, bedeckten die Hügel und von beherrschender Höhe herab grüßte aus der Ferne das Kirchlein und Kloster der Dominikaner von Fiesole. Auch der Herrensitz der Falconieri war aus Schutt Der letzte Graf von CM. 183 und Trümmern wieder erstanden. Eine schölle Loggia mit zierlich gekuppelten Rundbogen öffnete sich gegen die Terrasse des Gartens und hinter dein Gebäude ivölbte ein Olivenhain sein Blätterdach über den mit feinem Moos bedeckten Boden. Im frühen Lenze Italiens entfalteten schon die Blumen ihre Kelche zu voller Schönheit und ein berau¬ schender Duft strömte zum Balkon empor, auf dem Jsaura und Marina, mit einer Handarbeit beschäftigt, saßen. Marina war in einfaches Schwarz gekleidet und nur der weiße Spitzenkragen, der Hals und Schulter bedeckte, milderte etwas den düsteren Ernst ihrer Erscheinung. Durch ihre Erzählung sowie durch Schriften, die man bei dem ermordeten Battista, der sich Faleonieri genannt hatte, fand, war es außer Zweifel gestellt, daß Paul der Sohn und Erbe des ermordeten Robert Faleonieri war. Marina hatte ihre Mutter noch am Leben getroffen, aber das Mutterherz, das so lange sich nach der geraubten Tochter gesehnt hatte, war nicht mehr im stände, die Freude lange zu ertragen; sie war bald nach der Rückkehr Marinas in den Armen der wiedergefundenen Tochter gestorben. Seitdem weilte Marina als Dienerin oder eigentlich besser Gesellschafterin der Gräfin Jsaura Faleonieri auf dem Landsitze Pauls und suchte durch Treue und Er¬ gebenheit zu sühnen, was sie früher aus Leidenschaft und Leichtsinn gefehlt hatte. So saßen die beiden auf dem Balkon des kleinen Palazzo, als Paul am Arme eiues anderen jungen, statt¬ lichen Mannes eintrat, der, in reicher florentinischer 184 Leo Smolle. Tracht gekleidet, sein federgeschmücktes Barett vom Locken¬ kopfe nahm und Jsanra ehrerbietig begrüßte. Er war unser Bakkalaureus Giuseppe Belfiori, der im Hofdicnste Cosimos von Medici bereits eine hohe Stellung cinnahm. „Seid gegrüßt, edle Donna," sägte er, sich vor Jsanra verbeugend, „Euch steht, wie mich dünkt, eine wichtige Botschaft bevor, denn, als ich zu Eurem Schlößchen her- aufstieg und mich umwendete, sah ich liber die Brücke, die beide Ufer des Arno verbindet und auf der die Juwe¬ liere ihre köstlichsten Schütze feilbictcn, einen Reiter hasten, der, Ivie es scheint, den Weg hieher genommen hat." So war es anch und schon im nächsten Augenblicke hielt der Reiter vor der Tur der Gartenmauer und bald darauf blickteu Paul und Jsaura in das ehrliche und gut¬ mütige Gesicht Peterls, des Führmaiinssohues von Cilli. Peter verzog seinen breiten Mund zu dem freund¬ lichsten Grinsen, dessen er fähig war, und indem er sich mit dem Rücken der linken Hand die Schweißtropfen von der Stirne wischte, die der scharfe Ritt ihm abgeprcßt hatte, reichte er mit der Rechten ein versiegeltes Schreiben an Paul, indem er sagte: „Von ihrer fürstlichen Gnaden, der Fran Gräfin Katharina, Witwe des höchstseligen Grafen Ulrich von Cilli." Paul beauftragte Marina, für Peters Erfrischung zu sorgen mnd nachdem Beppo, der nur die Einladung zu einen: abendlichen Gartenfeste am Hofe des Mediceers überbracht, sich empfohlen hatte, traten Paul und Jsaura auf die Terrasse des Gartens hinaus und tief beivegt entfaltete der junge Edelmann das Schreiben und las mit wachsender Rührung es laut vor: Der letzte Greif von Cilli. 185 Der Brief war datiert von Gurkfeld, den 7. März 1458 und lautete: „Meine lieben Kinder Paul und Jsaura! Nach vielem Zank und Streit wegen des Erbes meines Gemahls, des gottseligen Grafen Ulrich, dem der Herr, unser allmäch¬ tiger Gott, den ewigen Frieden und frohe Auferstehung schenken möge, habe ich meinen Witwensitz hier in Gurk- seld genommen und gedenke einige Zeit hier zu bleiben. Die Burgen lind Liegenschaften meines verstorbenen Herrn sind alle verzettelt und in andere Hände gekommen; das meiste fiel in die Hände des Kaisers Friedrich, der, wie so häufig in seinem Leben, ohne Mühe und Arbeit zu reichem Besitztum gelangt. Doch eine Nachricht wird auch dich, lieber Paul, und deine Gemahlin erfreuen. Sie erweist aufs neue die Wahrheit, daß Gott himmelschreien¬ des Unrecht und schwere Sünde schon hier auf Erden rächt; denn Ladislaus Hunyadi, des Grafen Ulrich feiger Mörder, wurde auf Befehl des Königs Ladislaus am 16. November 1457 zu Ofen vom Leben zum Tode ge¬ bracht. Doch Gottes unerforschlicher Ratschluß fügte es auch, daß derselbe junge König, der so schnell den Mord an meinem hochseligen Gemahl rächte, in seines Lebens Blüte zu Prag eines plötzlichen Todes starb, als er gerade sich anschickte, die ihm verlobte Tochter des Königs von Frankreich, Margarete, gar köstlich zu enrpfangen. Und so ward mir der liebe Herr und König, der mir ein edler Schirmherr und Beschützer gewesen wäre, durch sein unerwartetes Hinscheiden entrissen und mein Geschick ist fortan dunkel und ungewiß. Die goldenen Sterne im azurblauen Felde, unseres 186 Leo Smolle. Hauses Wappenschild, prangen fortan im Stadtwappen Cillis, wie es Kaiser Friedrich verfügt und angeordnet hat. Mögen sie der Stadt, wo ich so viel glückliche, aber noch viel mehr traurige Stunden verlebt habe, zum Glücke und Segen erstrahlen. Euch aber, meine vielgeliebten Kinder, nehme Gott in seine ganz besondere Huld und Gnade und lasse Euer Leben im sonnigen Süden heiter und freundlich verfließen. Ich will bald zu meiner Schwester, der Sultanin Mara, nach Mazedonien, weit, weit weg vom Steirer- land und von Cilli, wo mein seliger Gemahl, der letzte Graf von Cilli, in der Gruft des Minoritenklosters ruht. Vielleicht finde ich dort den Frieden für die Jahre, die mir der Herr noch auf dieser Welt schenkt.^) Behaltet in gutem Angedenken die euch stets in Liebe gewogene unglückliche Gräfin von Cilli. Katharina." Als Paul und Jsaura dieses Schreiben zu Ende ge¬ lesen hatten, standen ihre Augen voll Tränen. Sie traten aus dem Laubeugange hinaus auf einen erhöhten Platz an der Gartenmauer, von wo sich dem Beschauer ein entzückender Blick auf das ganze Arnotal und auf die in das Gold der Frühlingssonne getauchte Stadt Florenz mit dem hohen Glockenturm des Palazzo Vecchio und den Kuppeln und Türmen der Kirchen darbot. Wie in glänzenden Tropfen sickerte das Sonnenlicht durch das dunklere und hellere Blattgewoge der Oliven p Gräfin Katharina von Cilli übersiedelte zuerst nach Ragusa und dann zu ihrer Schwester, der Sultanin Mara von Mazedonien, und starb zu JeLovo an der Strunia im hohen Alter. Der letzte Graf von CM. 187 und Pinien über ihren Häuptern und wie ein blaues, vielfach gewundenes Band schimmerte der Arno durch das Tal, das die vom leisen Winde verwehten Blüten ab und zu wie mit einem feinen Geriesel überschütteten. Durch das zarte Blau des Himmels schwebte ein Wölkchen dahin und verlor sich gegen Norden. Paul faßte Jsaura bei der Hand; sie sahen dem verschwebenden Wolkenflaum nach. Jetzt sagte Paul feierlich: „So schließen wir denn die Erinnerung an all die düsteren Tage, die wir ver¬ lebt, in diese Wolke ein und lassen sie nach dem rauhen Norden ziehen. — Der Schleier des Vergessens sei auf alles gesenkt, was uns einst qnälte und bedrückte. Wir wollen uns des neuen Lebens hier im sonnigen Süden erfreuen, daß nur der rein genießt, dessen Herz nicht die Flamme wilder Leidenschaft verzehrt. — Graf Ulrich von Cilli starb in der Vollkraft seiner Jahre, nahe dem locken¬ den Ziele, das er mit der ganzen Glut seiner herrsch¬ begierigen Seele erstrebte. . . Ihm war kein ruhiges Lebensglück beschieden, doch auch der nagende Schmerz furchtbarer Enttäuschung ward ihm erspart, denn der Blitz fällte den majestätischen Baum, ehe das Alter sein Mark austrocknete und seine Krone verdorrte. Doch vielleicht werden dereinst dort, wo sein trotziges Geschlecht gehaust hat, fleißige Bürger die Früchte ruhiger Arbeit genießen." „Du hast recht, Paul," sagte Jsaura und schmiegte ihren Kopf an seine Brnst, „nur ein schuldloses Herz und ernste Arbeit gewähren den inneren Frieden, nach dem Herrschsucht und Ehrgeiz vergeblich ringen." J n halt. Seite I. Im Zigeunerlager . 7 II. Grafoi und Burg von Cilli.. 15 III. Bruder Berthold. 27 IV. Graf Ulrich von Cilli. 37 V. Festlicher Glanz und düstere Prophezeiung. 4g VI. Der Gipfel des Glückes. 62 VII. In der Stndentenschenke. 82 VIII. Enthüllte Geheimnisse. 92 IX. Die Flucht.101 X. In der Cillier Burg in Wien.III XI. Der Bakkalaureus.120 XII. Die Fahrt nach Belgrad.132 XIII. Vor der Festung. 142 XIV. Das Ende des Grafen Ulrich.152 XV. Gräfin Katharina.165 XVI. Die Leichenfeier im Cillier Minoritenkloster.173 XVII. In Florenz. - Ausklang.182 SSSSSS1SS11 , >!^V ««