Sonderabdruck aus der Monatsschrift «Die Erdbebenwarle», Nr. i, 2, 3, 4, V. Jahrg., 1905/6. Voranzeige eines Vulkanausbruches mit Hilfe eines Erdbebenmessers. Uber den jimgsten Vulkanausbruch auf Savaii (deutsche Samoa-Inseln) geht dem Gottinger Kuratorium des Samoa-Observatoriums in Apia folgender Bericht zu: Der in den ersten Tagen des August erfolgte Wiederausbruch der vulka- nischen Tatigkeit in Savaii kam uns nicht iiberraschend. Der Wiechertscbe Erdbebenmesser hatte uns vorher gewarnt. Seit der Aufstellung dieses Instrumentes wufiten wir ; daft fast tagliche schwache Erdbeben von einem etvva 80 Kilometer entfernten Herde stattfinden, was aus der Dauer der Vorlaufer von 35 bis 40 Sekunden zu entnehmen war. Die bei weitem groftte Zahl dieser Beben ist hier nicht merklich, nur einmal monatlich kann auf ein ftihl- bares Beben gerechnet \verden. Diese als Regel geltende Erdbebentatigkeit wurde nun in der zweiten Halfte des Juli merklich erhoht. Wenn ich fiir die Erdbebentatigkeit jedes Tages eine Zahl bilde, die Anzahl und Starke der Beben wiedergibt, so ist diese Der Durchschnitt vor und nach dieser Periode schwankt zwischen 1 und 2. Auf Grund dieser Beobachtungen konnte ich am 29. Juli dem kais. Gouverneur, Herrn Dr. Solf, ankiindigen, da !3 eine Erhohung der vulkanischen Tatigkeit zu erwarten sei. Zugleich gab die zwischen 30 und 35 Sekunden schwankende Dauer des Vorlaufers die Gewil 3 heit, dafi der Erdbebenherd etwas naher an Apia liege. 2 Naturgemafi beobachteten wir allabendlich, ob sich liber Savaii Feuer- schein bemerkbar mache, und nach einigen ivolkigen Nachten sahen wir ihn am Samstag, den 5. August. Seitdem bekommen wir haufig ausfiihrliche Berichte. EIf Kilometer siidstidwestlich von Matautu, das an der Nordkiiste der Insel gelegen ist, sind drei neue Krater entstanden. Unter betaubendem Getose, das zeitweise bis hieher gehort werden kanu, werden Lava, Steine und Asche bis 100 Meter hoch ausgestofien. Gliihende dickfliissige Lava tritt aus den Spalten heraus, hat das Tal, in dem diese sich gebildet haben, ausgefiillt und dringt langsam nach verschiedenen Seiten vor. Sie erkaltet schnell, ihr Lauf wird durch den Urwald und das zerkliiftete Gelande sehr verlangsamt. Nach den letzten Meldungen soli ein nordlich gerichteter Lavastrom bei einer durchschnittlichen Breite von 200 Meter die Lange von 5 bis 6 Kilometer erreicht haben. Ein siidlicher soli noch langer sein. Eine andere, bisher unverbiirgte Nachricht besagt, daO das Meer plotzlich gestiegen und die Wassertemperatur erhoht gewesen sei. Danach habe also ein Seebeben und ein unterseeischer Lava-AusfluC stattgefunden. In den letzten Tagen hat die Haufigkeit der Ausbriiche nachgelassen. Dafiir ist ihre Heftigkeit erhoht worden. Die neuen Ausbruchstellen liegen etwa 25 Kilometer ostlich vom Vulkan von 1902. Wie ich erfahren habe, ist die Tatigkeit desselben unver- andert auf schwache Rauchentwicklung beschrankt geblieben. Interessant ist es, dafi die tagliche Zahl der Erdbeben sich vom 2. August an plotzlich verringerte. Das zwingt zu der Annahme, dafi an diesem Tage schon der erste Ausbruch stattgefunden hat, wenngleich erst am 4. August der Feuerschein bemerkt worden ist. Wie schon gesagt, war das Wetter an diesen Tagen bedeckt, triibe und regnerisch. Die plotzlich wieder verminderte Erdbebentatigkeit gibt aber auch die Gewifiheit, dafi die Gefahrlichkeit der Situation voriiber ist. Die unter ge- waltigem Druck stehenden Gase haben sich einen Ausweg verschafft. Auch in unmittelbarer Nahe werden keine Beben mehr bemerkt, nur ein schwaches Zittern des Bodens bei den Ausbriichen. Man kann daher annehmen, dafi jetzt nach Vollmond die vulkanische Tatigkeit schnell abnehmen wird. Ein materieller Schaden ist bisher nicht angerichtet worden. Zwar hatten die Bevvohner der nachsten Dorfer ihre Arbeit voriibergehend ein- gestellt, auch eine Pflanzung war verlassen worden. Sonst verhalten sich die Eingeborenen ruhig und verfolgen den Flufi der Lava. Uber die Beeinflussung der meteorologischen Verhaltnisse durch den Vulkan werde ich spater berichten. In der Nahe des Vulkans befinden sich fiinf meteorologische Stationen. Die ganze Zeit hindurch hatten vir teilweise starke magnetische Storungen, iiber deren Zusammenhang mit dem Vulkan ich erst nach Vergleichung mit den Registrierungen benachbarter Observa- torien Genaueres mitteilen kann. — 3 Die Ankiindigung des Ausbruches auf Grund der E r d - beb enaufz eichnu n gen und die Verfolgu ng des spaterenVer- laufes a n derHand derselben hat hier natiirlich sehr beruhigend gewirkt. Nach Eintreffen des von Prof. Wiechert konstruierten Nahherdbebenapparates, der in Savaii Aufstellung finden soli, wird bei spateren Ausbriichen mit groBerer Bestimmtheit die Bevolkerung gewarnt werden konnen, was fur die ruhige Weiterentwicklung der aufbliihenden Kolonie ein groCer Nutzen sein wiirde. Apia, den 15. August 1905. Dr. F. Linke. Nachschrift. Einem Bericht der Samoa-Zeitung vom 26 . August entnehmen wir weiter das Folgende: Herr Dr. Linke hat inzwischen einer Aufforderung des Gouverneurs Solf entsprochen und vom 18. bis 19. August eine Umgehung des neuen Vulkans veranstaltet. Er brach ain Morgen des 18. August mit einigen Tragern von Matautu auf und verfolgte den direkt auf den Krater zu fiihrenden Weg. Von ioUhr an vernahm man alle 10 bis 15 Sekunden die die einzelnen Ausbriiche begleitenden Detonationen. Gegen 12 Uhr sah Dr. Linke den Boden mit vulkanischer Asche bedeckt und ward auf eine Lichtung aufmerksam, die das heifie Geroll hervorgebracht hatte. An Stelle der Lava, die man envartete, fand sich heifies, fast gliihendes Gestein von brauner Farbe, der richtige vulkanische Schutt. Wie eine Mauer tiirnite er sich vor dem Beschauer auf und so haushoch dringt er auch ganz langsam in das Tal hinab. Von Bewegung war damals kaum noch etvvas zu sehen. Nur wenn man die gesamte wandernde Triimmermasse unterwegs aufmerksam betrachtet, bemerkt man, dafi sie langsam zu Tal geht, wenige Meter in der Stunde. An den meisten Stellen jedoch bewegt sie sich gar nicht mehr und ist erkaltet. Nur in drei nordlich laufenden Talern: Malavai, Matena und Vaimalau, fand er noch Bevvegung. Der Alatui, jener von Matautu vom Beobachter aus verfolgte Weg, fiihrt zwischen Malavai und Matena zum Gipfel. Doch er ist teihveise unter Schutt begraben und man mufi das Malavaital umgehen auf einem sehr beschwerlichen Weg iiber ein altes steiniges, mit Buschwerk bestandenes Gerollfeld, das uns zeigt, wie das neuentstandene nach einigen Jahrhunderten aussehen wird. Immer naher tont der Donner des Kraters, schon sieht man durch die Biiume die Eruption, sieht die hochgevvorfenen Steinmassen zuruckfallen, ohne dafi auf dieser ostlichen Seite der Urwald sein Aussehen sehr verandert hatte. Sogar Tauben und andere Vogel trifft man in unmittelbarer Nahe der Ausbruchstelien. Nur wenn man in den Bereich der in den ersten Tagen umhergeschleuderten Blocke kommt, sind die Baume kahl, teihveise um- gebrochen und verbrannt. Um 3 Uhr lag vor dem Reisenden der neue Krater, ein etwa 70 bis IOO Meter hoch aufgeschiitteter Hiigel mit drei Ausbruchstelien. Die ostliche scheint die altere zu sein — der Teil des Hiigels ist hoher, — aber es drang nur Rauch heraus. Am lebhaftesten war die nordlichste in Tatigkeit, aus der wohl 200 Meter hoch gewaltige Steine geschleudert 4 wurden, die sich nicht weit zerstreuen, sondern auf dem Hiigel herunter- rollen oder in den kleinsten, etwa 50 Meter siidlich gelegenen Krater geschleudert vverden. Nur selten beunruhigte ein verirrter Block den Beschauer. Von einem Lavaflufl sieht man nichts, auch nicht, wenn man den Krater umgeht. Westlich vom Vulkan andert sich jedoch der Anblick der Umgebung. Hieher treibt der Passat die Asche, die stellenweise wie ein dichter Regen niederfallt und meterhoch den Boden bedeckt. Gespensterhaft ragen die kahlen schwarzen Aste zum Himmel, kein Griin ist zu sehen, der Wald ist tot. Nach Uberschreiten eines tiefen trockenen FluBbettes fand Dr. Linke einen Weg, teilweise durch die Aschenmassen verdeckt, der am westlichen Rand des Gerollmeeres entlang iiber einen Abhang fiihrt. Von hier aus hatte er einen Blick iiber die vveite, wohl 6 bis 8 Quadratkilometer groI 3 e Flache, die nun auf viele Generationen der Kultur entzogen ist. Zu seinen FiiBen lagen die Pflanzungen von Safotu, in die sich das heiBe Geroll hineimvalzte, hinter ihm befand sich der tote Wald. Nachdem er in jenen halbzerstorten Pflanzungen in einem Samoahause iibernachtet hatte, besichtigte Dr. Linke in Begleitung des Gouverneurs auch die nordlichen Grenzen des Gerollgebietes, seinen Rundgang damit vollendend. Er faBt seine Beobachtungen dahin zusammen, dafl der Vulkan mit seinen drei Ausbruchstellen etwa 12 bis 13 Kilometer von der Kiiste genau siidlich des Hafens von Matautu liegt. Von ihm geht nach Norden, Nord- nordost und Nordnordwest ein zusammenhangendes Gerollmeer aus, das sich von den Ausbruchstellen 3 bis 4 Kilometer nach der Kiiste erstreckt, von der es also noch 9 Kilometer entfernt ist. Die ausgeworfene Masse wird zu xo Millionen Tonnen veranschlagt. Die wichtigste Frage erscheint Dr. Linke, ob sich das Geroll der Kiiste noch mehr nahern werde. Dafiir sei von groBter Bedeutung, da (3 keine Lava gefunden ist, so daB die Bevvegung des Gesteins nicht auf Fliefien beruht, sondern mehr ein Rutschen und Nachdrangen unter dem Drucke der spater ausgeworfenen Massen sei, befordert durch eine starke Bewegung, in der sich das abkiihlende und dadurch kontrahierende Geroll befindet. Am Grunde scheint es ganz festzuliegen. Die hauptsachlichste Bewegung ist an der Ober- flache. Sodann kommt das Hohenprofil in Betracht. Zvvischen dem Krater, dessen Hohe nach Linkes Messungen 620 Meter iiber dem Meere betriigt, und der jetzigen Grenze des Gerolls, deren Meereshohe zwischen 210 und 300 Meter schwankt, besteht ein starkes Gefall, grofier als 1 : 10, \vahrend es zwischen ihr und der Kiiste kleiner als 1 : 30 ist. Aus diesem Grunde schreitet das Geroll, das sich in den ersten Tagen mit groBer Schnelligkeit talabwarts bewegte, jetzt nur noch unmerklich vorwarts. Zudem erkaltet das Geroll mit der Entfernung vom Krater. Starke Regengiisse werden die Bewegung noch mehr einschranken. Auf dem jetzigen Gerollfelde ist noch Platz fiir die Auswurfe von Monaten, so daB dieser an und fiir sich ja winzige Vulkan keinerlei AnlaD zu ernstlicher Besorgnis gibt. M. A. Z.