Das lmnMfiche Eine kulturhistorische Skizze Dr. Klun. B a i h a ch. 1868. Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis; Ehrt den König seine Würde, Ehret n n s — der Hände Fleiß. Schillers „Glocke." I. Zn dem großen Kampfe, welcher gegenwärtig für Licht nnd Freiheit in nnserm Vaterlande ge¬ kämpft wird, nimmt das eigentliche Bürgerthum — die Bourgeoisie — einen hervorragenden Platz ein. Ich will mich in eine Charakteristik der käm¬ pfenden Parteien nicht einlassen, — sie sind zur Genüge bekannt und gekennzeichnet; — nur zur Kräftigung des Selbstbewußtscins, zur Hebung und Stärkung der Partei des sortschrittfreundlichen Bür- gcrthums unternehme ich eö, an der Hand der Ge¬ schichte, — dieser „Lehrmeisterin der Völker," — nachzuwciscu: daß die Blüthezeit der Ar¬ beit und des Bürgerthums jederzeit und überall auch die Blüthezeit derNa- tioncn gewesen ist. Diese Wahrheit, welche mit unvertilgbaren Lettern in dem großen Ge¬ schichtsbuche der Menschheit eingetragen ist, muß auf den Gcwcrbömann ermuthigend und erhebend wirken, — denn er findet in sich und in seinen Arbeitsgenossen die eigentlichen Träger der freiheit- — 4 — lichen Kulturentwicklung. Er findet, daß die „freie Arbeit" stets den Ruhm und den Reichthum der Nationen begründet, — daß nur im belebenden Sonnenglanze der Freiheit Gewerbe und Künste ge¬ deihen, — daß Freiheit und Arbeit die un¬ zertrennlichen Genien sind, welche des Himmels Segen auf die Erde streuen! Wo aber Freiheit wohnt, dort kehrt die Bildung ein, und mit der Bildung die fortschreitende Entwicklung mit dem dauernden Wohlstand; — deshalb glänzen auf dem Banner der wahren Naterlandsfreunde die goldenen Worte: Durch Volksbildung zur Volksfreiheit, zum Volkswohlstand! In unserer Heimat Krain verdienen diese Sätze sicherlich vollste Beherzigung und praktische Anwen¬ dung. Der Gewerbe- und Knnstfleiß, der Handel und Verkehr bewegen sich in Krain leider zum großen Theile in alten, ausgefahrenen Geleisen; eine Hebung des Gewerbestandes und der Industrie, für welche Krain die Vorbedingungen in so reichem Maße besitzt, wie nur wenige Länder, — eine Kräftigung des Unternehmungsgeistes und der selbst¬ bewußten Thätigkeit des Bürgerthnms in den krai- nischen Städten und Märkten, — die Errichtung von gewerblichen Fachschulen, von Gewerbevercineu, von produktiven Genossenschaften nach dem Muster Deutschlands, Englands und der Schweiz, — dies alles thäte in unserem schönen Ländchen unendlich nvth! Dieses Thema werde ich in seinen einzelnen Theilen mit meinen Landsleuten eingehend bespre¬ chen, nachdem ich vorerst die Wichtigkeit der Ar¬ beit überhaupt, die hohe Bedeutung eines starken Bürgerthnms insbesondere beleuchtet haben werde. — 5 — So viel ist unzweifelhaft, daß der „Bürger" in den krninischen Städten und Märkten sich viel zu wenig dem „bürgerlichen," städtischen Gewerbe zuwcndet und vielfach nur Ackerbauer ist; deshalb gravitirt er nur zu häufig in die Landgemeinde hinein und ist von ihr in Fragen von politischer Bedeutung abhängig, — anstatt daß die Landgemeinde nach dem städtischen Bürger sich „richten," von diesem politische Bildung und Aufklärung in den Tages¬ fragen erhalten sollte. Diesem naturwidrigen Vcrhältniß entspringen auch die bekannten unnatürlichen politischen Alli¬ anzen, die bei einem selbstbewußten, selbständigen Bürgerthume niemals vorkommen können. Denn der Industrielle, der Kaufmann, der eigentliche „arbeitende Bürger" huldiget überall den Ideen des Fortschrittes und pcrhorreszirt retrograde Tendenzen und derlei Allianzen. Ganz richtig erkennt es der „Bürger," daß nur im Fortschritte, in der vollsten Freiheit der Bewegung, in der bürgerlichen, politi¬ schen und wirthschaftlichen Freiheit jener fruchtbare Same liegt, aus welchem der Wohlstand des Ein¬ zelnen und jener ganzer Völker emporsprießt. Eine Allianz des „arbeitenden Bürgerthnms" mit Ele¬ menten, welche die Stabilität veralteter Institutionen anstreben, — welche den freien Forschergeist in leeren Formelkram schmieden möchten, — welche das eigene Volk gegen anderssprechende Nachbarn absperren wollen, indessen die allgemeine Weltströmung alle trennenden Grenzschranken niederwirft und die ver¬ schiedenen Völker und Staaten zu verbinden sich be¬ strebt, — eine Allianz mit solchen Elementen ist widernatürlich, unhaltbar, — sie ist eine „Sünde wider den heiligen Geist der Zeit!" Die von kulturfeindlichen Elementen herbeigeschlcppten Hindernisse werden fallen, weil sie fallen m üss en, — 6 — weil uaturnothwcndig Licht und Freiheit siegen müssen, mögen vereinzelte Störungen momentan auch einen kleinen Stillstand erzeugen. Im großen Natur- und Völkerleben gibt es keinen dauernden Stillstand, geschweige einen Rückschritt; — ein mo¬ mentaner Stillstand ist nnr eine Ruhepause, nach welcher der Fortschritt seine von Gott und der Na¬ tur ihm crthcilten Rechte mit um so größerer Kraft und Macht zur Geltung bringt. Die Pionnire des Fortschrittes sind die arbei¬ tenden Klassen, ist das Bürgcrthum. Es ist nicht blos der dem Menschen innewohnende Trieb, für die Freiheit der Menschheit zu arbeiten, — cs ist auch das wohlverstandene eigene Interesse, das den Bürger drängt, im Glanze der Freiheit für sich nnd die Seinen zu sammeln; er fühlt es mehr oder minder klar, daß engherzige Strebungen, zöpfische Tendenzen, Anwandlungen von chinesischer Absper¬ rungslust dem arbeitenden Bürger nicht vom Portheil sein können, daß er nnd seine Familie und das Land verarmen müssen, wenn nicht Freiheit der Arbeit, Freiheit des Erwerbes, des Verkehrs mit andern Ländern und Völkern, ungehemmte Entfaltung aller produktiven Kräfte zur Geltung gelangen. Der arbeitende Bürger muß es fühlen, daß cs leere Phrasen sind, wenn ihm von ..nationaler Arbeit," — „nationaler Bildung" nnd dergleichen vordeklamirt wird, indessen Eisenbahnen und Telegraphen ihn auf Tausende von Meilen mit Geschäftsleuten verbinden, — er Rohprodukte und Hilfsstoffe für seine Industrie aus den entferntesten Ländern bezieht und sicherlich froh ist, wenn er seine Waare „nach dem Auslände" absetzen kann. Die Zeiten sind für immer vorbei, in welcher das heimische Produkt genügt, — in denen die Genüg¬ samkeit am heimischen Herde sich befriedigt fand. — 7 — „Der Mann muß hinaus" — und der denkende, strebsame Mann, der arbeitende Bürger blickt in die weite Welt hinaus und ruft: Dem Muthigen gehört die Welt! Allein nicht blos die Erkenntniß dessen, was noth thusi genügt ; cs soll auch darnach rüstig und kräftig gerungen werden, daß jene engherzigen Stre¬ bungen und Tendenzen mit Erfolg bekämpft werden, daß auf allen Gebieten menschlicher Thätigkcit die Freiheit gekräftiget werde. Auf denn! das Bür- gerthum einige sich sich zu Vereinen und lerne aus der Geschichte der Arbeit, was es in solchen Zeiten bedarf, in denen wir leben; — was es ins¬ besondere in einem Lande bedarf, wo die Gegen¬ sätze so scharf sich gegenüber treten, als in unserer Heimat. Der Bürger lerne daraus, wo seine wahren Freunde stehen, auf welcher Seite für Bildung, Freiheit und Wohlstand des gestimmten Volkes ehrlich und entschieden gekämpft wird. Das Bürgerthum prüfe und wähle! — Nun zur II. Geschichte der gewerblichen Arbeit. Wie der einzelne Mensch, ebenso muß die Gesammtheit aller Menschen — die Mensch¬ heit — den Fonbildungsweg einschlageu, sowohl im Streben nach Berufsbildung, als in jenem nach allgemein menschlicher Bildung. Wie man das Leben des Einzelnen nach Jahren zählt, — so zählt die Menschheit ihr Alter nach Jahrtausenden; wie man im Leben des Einzelnen das Kindcsalter von dem Jünglings- und dem Mannesalter scheidet, so läßt sich im Leben der Menschheit der gleiche Abstand kennzeichnen. Allein, während der Einzelne an der — 8 -- Hand der Lehrer den Weg in das ernste Leben der Arbeit betritt, mußte die Menschheit selber alles entdecken und auffinden, was zu einem schönen, ge¬ nußreichen und ihrer würdigen Dasein nothwendig ist. Auch die Menschheit hatte zwar eine Lehrerin und eine Schule; die Lehrerin war -— die Noth, die Schule war — die Er s a h r un g. Aber diese Lehrerin und diese Schule sind hart und strenge; doch haben sie im Laufe der Jahrtausende so reiche Schätze angesammelt, daß wir es in un¬ seren Tagen wahrhaftig so gut, so leicht haben. Erwägt man, daß in vergangenen Jahrhun¬ derten diese aufgespeicherten Schätze für „die große Masse des Volkes" ein verschlossenes Buch waren, — daß die Arbkit vielfach als etwas geringes, ja fast etwas entehrendes angesehen ward, — daß mau sich um das Wohl und Wehe der „arbeitenden Klassen" wenig oder gar nicht bekümmerte, — während in unfern Tagen allseitig das Bestreben sichtbar ist, für die geistige Ausbildung und das leibliche Wohlbefinden der Arbeiter zu sorgen, — dem Arbeiterstande die ihm gebührende Achtung zu erweisen, — und daß sich die wackersten Männer bemühen, richtige Erkenntniß und Würdigung der Arbeit zu verbreiten: — so wird der Handwerks¬ mann mit Beruhigung, mit Selbstbewußtsein, ja mit einem gerechtfertigten Stolze an „sein Geschäft" gehen; er erkennt sich als ein schaffendes, achtungs- werthes, nothwendigcs Glied der menschlichen Ge¬ sellschaft überhaupt, und des Staates insbesondere. „Arbeit ist des Bürgers Zierde" — ruft der Lieb¬ lingsdichter der deutschen Nation aus, und aus vollem Herzen stimmen wir ein in diesen Ruf. Alles arbeitet;— denn arbeiten heißt — leben, und das Leben selbst ist eine Arbeit; das Gegcntheil der Arbeit ist Ruhe, die vollkom- — s — mcne Ruhe aber heißt — Tod, das Aufhören jeglicher Thätigkeit. Wo Kräfte sich regen, da ist Arbeit. Der zarte Keim „arbeitet" sich durch die Hülse und die ihn deckende Erdschichte zur Oberfläche und grüßt freundlich das Sonnenlicht und den sinnigen, denkenden Menschen; — das Vögelcin „arbeitet" sich aus dem Ei heraus, und zwitschert sein schwaches Danklied der Schöpfung zu; — aber auch der Wein im Fasse „arbeitet," — die Dampfmaschine „arbeitet," — das „Arbcits"-Pferd sowie die Spinne „arbeiten," — die Elemente, die ganze Schöpfung „arbeitet." Und das edelste Werk des Schöpfers — der Mensch — sollte nicht arbeiten? Für den Menschen hätte die Arbeit etwas entehrendes, ge¬ meines? Bedauerlicher Wahn, der hie und da noch mauchen befangen hält! Unser arbeitendes Jabr- hundcrt hat übrigens diesen Wahn schon so viel¬ fältig beseitigt, daß cs in unseren Tagen kaum jemand wagen darf, geringschätzig von der Arbeit zu sprechen. — „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod essen," — ein Fluch, den die Gottheit über den gefallenen Menschen ausgesprochen, ist eben ein „göttlicher Fluch," d. h. er ist eine bittere Schale, in welcher der kräftigste, nährcudste, wohlthueudste Kern verborgen liegt; cs ist die liebende Vaterhand, die das ungehorsame Kind zwar züchtiget, aber nur zum besten des Kindes, — es ist die unendliche Liebe, welche den Segen über die arbeitende Menschheit ausgießt. Von uuserm Standpunkte betrachtet, kann man von „arbeitenden Klassen", — „Arbeitcr- bevölkerung" gar nicht sprechen; — gibt es denn auch „nichtarbeitende Klassen?" Jeder ver¬ nünftige, anständige Mensch ist „Arbeiter." Aller¬ dings gibt es hie und da leider auch eine Klasse „n i chtarbeitender" Menschen, die Klasse der „Faul- — 10 — lenzer" oder „Tagdiebc," die müssigen Drohnen im Bienenstöcke der rührigen Menschheit. Für diese Menschen haben wir kein anderes Gefühl, als Mit¬ leid; sie sind hart genug gestraft, daß sie die Freuden, den Genuß und den Segen des kräftigen, selbstbewußten Schaffens nicht kennen! „Herr, ver¬ zeih' ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!" Es würde mich zu weit führen, wollte ich den Weg, welchen die gewerbliche Thätigkeit der Men¬ schen seit ihren ältesten Anfängen in dem fernen Osten Asiens bis auf unsere hochentwickelte Zeit durchgemachk, an dem Faden der Geschichte schildern und beleuchten. Allerdings wäre eine solche Arbeit höchst erspießlich und dankcnswcrth; denn die Dar¬ stellung der friedlichen Entwicklung der Mensch¬ heit, der fortschreitenden Kultur ist sicherlich an¬ ziehender, wichtiger und lehrreicher, als die Schil¬ derung bluttriefender Kämpfe und Kriege, der wilden Zerstörungen und Erobernngen, welche im Laufe der Jahrtausende Ehrgeiz oder Habsucht dem natio¬ nalen Wohlstände und der geistigen Wohlfahrt der Völker geschlagen haben. Leider aber lernt unsere Jugend in der Schule fast einzig und allein die Geschichte der Kirche, die Geschichte der Eroberer und Gewalthaber; — aber von der Geschichte des friedlichen Fortschrittes, von der Geschichte des Volkes, seiner Bestrebungen und Leistungen be¬ kömmt unsere Jugend nur sehr wenig zu hören. Und doch wäre für unsere Bürger-, Gewerbe- und Realschulen die letztbezeichnete Geschichte ge¬ radezu eine Nothwendigkeit. Deshalb möge „das Leben" dasjenige nachhvlcn, was die „Schule," ver¬ absäumt hat. In dieser Richtung würde ich Lese¬ bücher für Gewcrbkreibcnde, Gcwerbeverciue, Hand¬ werke rbi b l i ot l> e kcn aufs wärmste empfehlen. 11 Nach dieser Charakteristik des Standpunktes und der Grundsätze, von welchen aus der Gegen¬ stand behandelt werden soll, gehe ich zu dem eigent¬ lichen Thema über. III. Es ist nicht meine Absicht, in die unmeßbaren Zeitläufte, welche seit dem ersten Auftreten des menschlichen Geschlechtes bis in die sogenannte histo¬ rische Zeit verflossen sein mögen, an der Hand deut¬ scher und englischer Geologen und Paläontologen zurückzugreifen; ich berühre nur das „ Steinal ter," in welchem die Völkerschaften, die das heutige Mittel¬ europa bewohnt haben, ihre Waffen und Werkzeuge nur aus Steinen, spitzigen Knochenfragmenten und Holz verfertigten; im „jüngeren Steinalter" haben die Menschen diese Werkzeuge bereits zu schleifen verstanden. Diese Menschen lebten in Hütten ans Pfahlwerken über dem Wasser — wie deren seit dem Jahre 1854 in fast allen schweizer Seen gefunden wurden, — in welchen sie vor feindlichen Anfällen und vor wilden Thieren auf gleiche Weise geschützt waren. Auf das Steinalter folgte die große Kultur- epoche „das Bronze-Alter;" das Todtenfeld am Hallstädter Salzberge gehört dieser Epoche, — die Steingräber in Dänemark und Schweden gehören dem Steinalter an. Vor dem Bekanntwerden des Eisens verfertigten die im mittleren und nördlichen Europa wohnenden Völkerschaften ihre Waffen und Werkzeuge aus Bronze, einem Gemenge von Kupfer und Zinn. Die Ueberbleibsel dieser Völkerschaften verrathen bereits einen eigenthümlichen Kunstsinn in Zierrathen und eine große Bekanntschaft mit dem Verarbeiten dieser Metalle. 12 — Wie viele Jahrtausende aber von dem altern „Steinalter" über das „Bronze-Alter" bis zn jener Zeit, welche als „dunkle Sage" von den Historikern uns geschildert wird, verflossen sein mögen, — das liegt außerhalb jeder Berechnung! Aber das steht ebenso fest, daß auch in diesen Zeiten der Mensch „Werke seiner Hand" schon hervor¬ gebracht hat. Es ist nicht zu zweifeln, daß auch in den großen Reichen Ostasiens schon vor vielen Jahrtausenden Gewerbe und Künste zu einer hohen Vervollkomm¬ nung gebracht worden sind, obwohl wir über den Entwicklungsgang selbst und deren Schicksale keine genauere Kenntniß besitzen. Fast gleiches ist mit dem herrlichen, produktenreichen Indien der Fall, woher ebenfalls schon vor Jahrtausenden die Völker um das Becken des Mittelmeeres köstliche Maaren, wie Gewürze, Färbestoffe, edle Metalle, Edelsteine, Webereien aus Baumwolle, Schafwolle uud Seide erhalten haben. Wir folgen nun dem Zuge, den die Entwicklung der Menschheit genommen, an die herrlichen Ufer der Zwillingsströme Euphrat uud Tigris, zu deu gewerbe- und handeltreibenden Phöniziern, dann nach Egypten, wo gerade der Handwerksbetrieb zu großer Blüthe gelangte, überhaupt an das große Becken des Mittelmeeres, wo der Grundstein zu unserer heutigen Bildung gelegt worden, von wo dieselbe gleich den erleuchten¬ den und befruchtenden Strahlen der Sonne nach allen Richtungen hin sich verbreitete. Hier erglänzte die Sonne der Aufklärung, des geistigen Lebens, sowie von hier aus das beseligende Licht des Christen- thums sich ausbreitete bis an die entferntesten Min¬ ken, wo Menschen leben. 13 — In diesen Gegenden finden wir schon im graue¬ sten Altcrthnme eine Kulturstufe, welche tausend¬ jährige Erfindungen voraussetzt, wie z. B. Mehl aus Getreide zu bringen, den Gebrauch des Feuers, des Brotbackens, die Bereitung der Kleider aus Thier- und Pflanzenstoffen, das Spinnen, Weben und Nähen, die Verarbeitung von Metall und Holz zu Ackcrgeräthen, zu Waffen, sowie zu Gegenständen des Hausbedarfes. In den großen Reichen der Assyrer, Babylonier und Meder — in Ni¬ nive, Babylon, Ekbatana — finden wir ungeheure Bauwerke, Manern, Tempel, Paläste und Brücken mit großem, künstlerischem Verständniß entworfen und ausgeführt; vor vielen Jahrtausenden bauten jene Völker Kanäle für den Handelsverkehr, für die Bewässerung oder Entwässerung der Landstriche, sie legten Dämme und künstliche Deiche an, was einen hohen Grad landwirthschaftlichcr Kultur be¬ kundet. Die prächtigsten Teppiche, Gewänder in den buntesten, schönsten Farben, die verschiedensten Gegenstände, welche Eitelkeit, Verweichlichung und Luxus beanspruchen, erzeugte Babylon schon vor mehr als vier Jahrtausenden! Wie viele Jahrhun¬ derte, Jahrtausende aber mögen in dem Zeiten¬ strom verflossen sein, — wie viele Millionen den¬ kender Menschen, fleißiger Hände mögen sich ange¬ strengt haben, bis diese Gewerbe die hohe Kunst¬ vollendung erreicht, die wir oben angedeutet haben! Wir sehen nur die vollbrachte Thatsache, das Fazit des menschlichen Strebens und Ringens; — den Entwicklungsgang selbst können wir nur ahnen, nur annähernd verfolgen. Betrachten wir beispielsweise in unserem Zeitalter die Abstufungen in der ge¬ werblichen Kultur von den rohen Uranfängen, wie wir sie bei Papuas, Pescheräs, Eskimos und ähn¬ lichen Völkerstämmen in Australien, an der Süd- 14 — spitze Amerika's, an den Küsten des Eismeeres in Nordasicn finden, — und verfolgen wir die Er¬ zeugnisse der Handarbeit von diesen Völkcrstämmen hinauf durch die Reihe der mehr oder minder ent¬ wickelten Völker bis zu den Erzeugnissen der Eng¬ länder, Franzosen oder Deutschen mit der hohen gewerblichen und künstlerischen Vollendung! Selbst in unseren Zeiten, in denen die Kultur Riesenschritte macht und die Entwicklung eines kulturfreuudlichen Volkes in einem Jahrhunderte größere Fort¬ schritte aufweiset, als in jenen entfernten Zeiten in einem Jahrtausend, — selbst in unseren Tagen, in denen Dampfkraft und Elektrizität, das Streben der hochzivilisirten Völker nach Verbreitung der Kultur unter den minder entwickelten Stämmen, die Unternehmungslust, der Erfindungsgeist und die allmächtige Kraft eines selbstbewußten Schaffens wahrhaft Wunder vor unseren Augen vollführen, — selbst in unseren Tagen kann die Kluft zwischen den oberwähntcn rohen, vegetirenden Völkern und den an der Spitze der Zivilisation marschirenden Völkern nur in langen Zeiträumen, nach großen Mühen und Anstrengungen erst ausgefüllt werden. Die einzelnen Thatsachen können kaum beachtet werden, nur das große Ganze, der Fortschritt im allgemeinen tritt vor die Seele des denkenden Kul¬ turhistorikers. In allen Richtungen menschlichen Strebens und Schaffens aber tritt uns als ewig wahres Naturgesetz entgegen — der Fortschritt; weder in der Natur, noch im Menschengeschlechte — als Ganzes und Großes betrachtet — gibt es einen Stillstand; je tiefer wir in das Leben der Natur und Menschheit einzudringen vermögen, desto leben¬ diger offenbart sich das väterliche Walten der Vor¬ sehung, welche alles Erschaffene stufenweise zu stets höherer Vollendung führt. Die — 15 — Erde ist für den tieferen Denker nicht bloö die Wiege und der Wohnort, sie ist auch die große Erziehungsanstalt des Menschengeschlechtes. IV. Wie weit die Geschichte des eigentlichen „Handwerkes" zurückreicht, wo dessen Uranfänge zu suchen sind, das läßt sich mit Zahlen nicht nach¬ weisen ; so viel aber dürfte feststehen, daß das Hand¬ werk im weitesten Sinne des Wortes nahezu so alt ist, als das Menschengeschlecht. Wie viel oder wie wenig der einzelne Mensch, die einzelne Familie für Nahrung, Obdach und Bekleidung bcnöthigte, bot anfänglich allerdings die „gütige Mutter Natur;" allein bald gab der Mensch den Gaben der Natur eine andere Form und Gestalt, es war das „Werk seiner Hand," was er hcrvorbrachte und seinem Bedürfnisse, seinem Geschmacke anpaßte. Nach un¬ seren heutigen Begriffen mag ein solches Erzeugniß wohl keinen Anspruch auf die Bezeichnung einer „geschmackvollen Ausführung" machen; doch müssen dabei die Unvollkommenheit des Werkzeuges und der Biangel au Uebung berücksichtiget werden. Neigung und besondere Geschicklichkeit mögen später diesen oder jenen veranlaßt haben, mit der Verfertigung einzelner Gegenstände für sich und für andere sich zu befassen; damit trat die Arbeitstheilung uuf — die Mutter des Handwerkes, die in unseren Tagen so unbeschreiblich große, ja wunderbare Er¬ gebnisse erzielt. Unter den ältesten, in Staaten vereinigten Völ¬ kern scheint der Handwerksbetrieb in Egypten am meisten ausgebildet und blühend gewesen zn sein. Achnlich den späteren deutschen „Zünften" bestanden — 16 — in Egypten „Kasten," in die man jedoch nicht frei¬ willig eintrat, insofernc man ein Gewerbe wählte; sondern Geburt und Herkommen bestimmten diesen Vereinigungspunkt. Schon vor mehr als sechs Jahr¬ tausenden finden wir in Egypten eine Kulturstufe, welche einen Entwicklungsgang vouJahrtausenden Vor¬ aussicht. Die Bauart und Steinmetzarbeit an ihren Pyramiden, Obelisken und Tempeln, ihre Webereien und Nietallarbeiten, das Glas und das Papier, ihre Bilderschrift, die großen Fortschritte in der Mechanik; dies alles sind lautsprechende Zeichen großer, ent¬ wickelter Gewerbe- und Kunstthätigkeit, eines bedeu¬ tenden Standpunktes in der gesummten Kultur des Volkes. Ihnen zunächst standen die PH önizie r, das größte Handelsvolk des Alterthums, sowie die benach¬ barten vorderasiatischen Völker. Phönizische Schisse besuchten nicht allein die Länder am Mittelmeer, sie fuhren sogar hinaus in den Atlantik bis an die Küsten Britanniens und der Ostsee, und holten von dorther Zinn und Bernstein. Welch' ein bewegtes Leben und Treiben herrschte in den Hafenplätzen Tyrus und Sidon, wo aus fast allen Gegenden der damals bekannten Erde Gegenstände des Ge¬ werbe- und Kunstfleißes Zusammenstössen! Aus dem Kaukasus, aus Armenien und Arabien, ans Judäa und Saba strömten reiche Natur- und Kunstprodukte hieher, und die Phönizier sendeten die Fabrikate ihres Gewerbfleißes zu allen Völkern, nach allen Ländern. Wie aber mit Gewerbesleiß und Handel die geistige Entwicklung eines Volkes Hand in Hand geht, da sich die materiellen und die geistig en In t ere s sen gegenseitig bedin¬ gen, stützen und kräftigen, so finden wir auch Kunst nnd Wissenschaft emsig und eifrig ge¬ pflegt, die folgenreichsten Erfindungen wurden hier — 17 — gemacht, und mit Recht darf behauptet werden, daß in Phönizien die Fortentwicklung der Menschheit unzerstörbar begründet wor¬ den i st. Bildet doch die Erfindung der Buchstaben¬ schrift — dieses einfache Mittel, alle Gefühle und Gedanken des menschlichen Geistes in sichtbaren Zeichen auszudrücken, dieselben zu den entlegensten Völkern und entferntesten Zeiten fortzupflanzen, — wahrhaftig einen Markstein in der Kulturgeschichte der Menschheit! Wie vieles müßten wir sagen, um das größte Volk des Alterthums, die Griechen, nur einiger¬ maßen nach seiner unberechenbaren, bleibenden Ver¬ dienstlichkeit um Gewerbe, Kunst und Wissen zu kennzeichnen! Zwar hatte Griechenland keinen eigent¬ lichen Handwerkerstand nach unseren Begriffen; die Arbeit des Handwerks wurde von Sklaven ausgcführt und diese untergeordneten Arbeiter hatten begreiflich keinen hohen Werth. Allein das Kunst¬ gewerbe entwickelte sich zu früher nicht geahnter Höhe, es war eben das Produkt „freier Arbe it;" nur im Sonnenglanze der Freiheit entwickelt sich und gedeiht der Gewerbe- und Kunstflciß. Denn ohne Freiheit gibt es keine Bildung, — ohne Bil¬ dung keine fortschreitende Entwicklung, keinen dau¬ ernden Wohlstand; nur ein freies, gebildetes, wohl¬ habendes Volk gelangt zn Macht und Ansehen, welche letzteren wieder befruchtend znrückwirken. In solcher Weise bildet sich die vielgliedrige Kette der Kulturentwicklung, welche auf Jahrhunderte, Jahr¬ tausende hinaus wohlthätig wirkt. In dem kleinen, vielgetheilten Griechenland finden wir die Kultur auf einerHöhe, wie sie die Welt bisher noch nicht ge¬ sehen hatte und welche die Grundlage der Bildung für alle künftigen Zeitalter geworden ist. Heute noch geht der Künstler und Gelehrte bei den „alten 2 — 18 — Griechen" in die Schule, heute noch lernen wir an ihren unsterblichen Werken. Wie in jenen finstern Jahrhunderten, in denen der menschliche Geist Ge¬ fahr lief, sich zu verirren, so sind noch heute die Ueberreste griechischer Werke der Leitstern auf fast allen Gebieten menschlichen Schaffens und Wirkens. Wie diese Werke einen unvergänglichen Werth und Ruhm besitzen, so hat dieses Volk ein bleibendes Verdienst um die Fortentwicklung der Menschheit, um die Arbeit im edelsten Sinne des Wortes, so lange es Menschen geben wird auf unserer Erde. Ich habe es versucht, die Kultur der „alten Welt," wie sie in ihren Ursitzen, im Oriente, in Phönizien und Aegypten begründet, in Griechenland zu höchster Entwicklung gediehen war, mit kurzen Strichen zu kennzeichnen. Im friedlichen Völker- verkehr, erwärmt und gepflegt vom Lichte der Freiheit, geleitet von den Ergebnissen freier wissen¬ schaftlicher Forschung, sahen wir die gewerbliche Arbeit keimen, sich entfalten, zu hoher Blüthe ge¬ langen; wir genießen die Früchte dieses segensreichen Fortschreitens noch heute. Friede, Freiheit und Wissenschaft sind somit die Pfleger und Beschützer der Arbeit, soll sie segenbringend für Mit - und Nachwelt werden. Vor dem Getöse der Waffen und vor den Ketten des Despotismus fliehen scheu und ängstlich die Musen, die Künste des Friedens ruhen. Diese Ruhe ist jedoch die Ver- kündigerin des Verfalles der Kultur für die Mensch¬ heit, sie ist ein verhängnißvollcr Rückschritt. Leider aber schreitet der Rückschritt mit Riesenschritten auf der schiefen Ebene nach abwärts, — während der Fortschritt nur mühsam den steilen Pfad auf die lichten Höhen zum Tempel des Ruhmes emporsteigt. 19 — V. An einem solchen bedeutungsvollen Ruhepunkte sind wir angelangt, sobald wir das kriegerische Volk der Römer, das mit dem Schwerte in der Hand die ganze Welt erobern, die Freiheit aller Völker vernichten will, von unserem Standpunkte einer Be¬ trachtung unterziehen. Friede und Freiheit scheinen mehr und mehr vom Erdboden zu verschwinden; daher konnten zunächst nur jene Zweige menschlicher Thätigkeit gedeihen, welche mit dem rauhen Waffen- handwcrk in Beziehung standen. Kunst und Wissen¬ schaft wurden zeitweise gleichsam als Mode- oder Luxusartikel aus Griechenland importirt; die Römer waren zumeist Nachbildner, sie waren verblaßte Kopien des lebensfrischen griechischen Originals. Die Arbeit des Handwerkes war vorzugsweise Sklavenarbeit; deshalb erfreuten sich die Arbeiter nicht jener Ach¬ tung, welche die „freie Arbeit" bei allen kultivirten Völkern genossen hat und stets genießt. Wie sich anfänglich die Thätigkeit zunächst in jenen Richtun¬ gen offenbarte, welche mit dem kriegerischen Sinn und der Eroberungslust Roms in unmittelbarer oder mittelbarer Verbindung stand, so erweiterte sich die¬ selbe mit dem Wachsthnm des Römerreiches, ins¬ besondere nach der Zerstörung des handeltreibenden Karthago, nach der Unterjochung Griechenlands und seiner Kolonien. Reichthum und Wohlleben, Luxus und verschwenderische Pracht hielten ihren Einzug in der Hauptstadt der damaligen Welt, welche zur Zeit des Kaisers Augustus, im Beginne unserer Zeitrechnung, wohl nahezu 1 */z Millionen Einwoh¬ ner zählte. Die in allen Ländern erbeuteten Schätze, die aufgestapelten Früchte der Plünderungen und die Tribute bezwungener, unterjochter Völker strömten — 20 — herbei und boten die Mittel zur Befriedigung aller Lüste. Genießen war das Losungswort — ar¬ beiten war nahezu verächtlich; der verschwen¬ dende Tagdieb war — in unserer Sprache — der „Löwe des Tages." Die Weltordnung, welche einen „Genuß ohne Arbeit" für die Dauer niemals kennt und billigt, wurde verkehrt, — das Römer¬ volk zehrte am nationalen Kapital, an seinem eigenen Fleisch und Blut; es ging daher mit Naturnoth- wendigkeit seinem Verfalle entgegen. Zur Zeit seiner höchsten Macht hatte es somit den Keim der zer¬ störenden Verwesung in sich aufgenommen, weil es den wahren Werth selbsteigener Arbeit, den Werth der Volksarbeit mißkannte. Die kolossalen Prachtbauten, deren Trümmer uns noch heute in Staunen und Bewunderung versetzen, die öffentlichen und Privatgebäude mit ihren Säulen, Statuen und Mosaiken, die mit fabelhaftem Luxus ausgestatteten Möbel aus kostbaren Hölzern und die prächtigen Teppiche, — dazu die verschwenderische Pracht in den Kleidern und Schmucksachcn der Frauen (nach¬ dem die Tirannin „Mode" nach den asiatischen Feldzügen, um das Jahr 64 vor Christo, ihren Einzug in Rom gehalten und seit jener Zeit so viele Völker beherrscht) — diese fabelhafte Verschwendung und Kapitalszerstörung, welche insbesondere nach dem Ende der römischen Republik, mit dem Aufsteigen des blendenden Gestirnes „das Kaiserreich" so mäch¬ tig, ja beherrschend sich erwies, — dies alles zu- sammengenommen zeigt uns zwar einen hohen Stand der gewerblichen Industrie in jenen Tagen, allein es waren in den wenigsten Fällen römische Er¬ zeugnisse. Rom konsumirte — aber pro- duzirte nicht! In den reichen Häusern wurden alle Bedürfnisse durch Sklaven befriedigt, deren große Anzahl eine Theilung der Arbeit ermöglichte; — 21 — deßungeachtet gab es auch unter den freien Bürgern Handwerker aller Art. Rom hatte „freie" Gerber, Schuhmacher, Riemer, Maurer, Zimmerleute, Bäcker, Waffenschmiede, Speise- und Weinwirthe, Stein¬ metze, Töpfer, Bronzcarbeiter, Glaser u. s. w. Der größte Theil seines Bedarfes, die feinsten und theuer- ften Fabrikate aber bezog Rom — „aus dem Aus¬ lande," wie wir heutigen Tages nicht blos sagen, sondern gar häufig es auch thun. Sogar seinen Bedarf an Erziehern, Lehrern und Filosofen be¬ zog Rom „aus dem Auslande," — aus Griechen¬ land. Deshalb entfaltete sich der auswärtige Han¬ del zu einem großartigen, sehr gewinnbringenden Geschäft. Der eigentliche Großhandel war fast voll¬ ständig in den Händen des Adels, der „römischen Ritter." Rom war übrigens ein Zusammenfluß aller reichen Kaufleute der Welt; das Leih- und Wechselgcschäft begann sich zu entwickeln und aus¬ zubreiten. Verschuldungen waren fast allgemein, der Nationalwohlstand mußte bei dem riesigen, ver¬ schwenderischen Verbrauch aller Güter des Lebens und bei der verhältnißmäßig viel zu geringen eige¬ nen Produktion allmälig, aber in wachsender Zu¬ nahme sinken und endlich in sich zusammenbrechen. Das Römcrreich war im Innern faul geworden, der äußere Glanz wurde von innen heraus nach und nach verblaßt und es bedurfte kaum des ge¬ waltigen Anpralls von außen, daß es in wahrlich wenig heroischer Weise zusammenbrach. Die Geringschätzung der Arbeit, — die Vernachlässigung des arbeitenden Bürgerthums hat keinem Staate Segen gebracht. Im sinkenden Rom hatten die Sinnlichkeit, der rohe Materialismus eine bedenkliche Höhe er¬ reicht; cs fehlte der Nation jede geistige, jede — 22 — sittliche Kraft. Eine ungemcssenc Liederlichkeit und Lasterhaftigkeit, gepaart mit Genußsucht und Verschwendung, aber bar jeglicher wohlthuendcn Thäligkeit, beherrschten das „stolze, ewige Rom," beherrschten das Weltreich der Casaren. Der Sturz war unvermeidlich, beider begrub dieser Sturz auch so viele herrliche Früchte vergangener Jahr¬ hunderte, die edlen Strebungen und Leistungen so vieler hochkultivirten Bölker! Nur aus einzelnen Trümmern und Resten ist es uns gestattet, ein Bild von dem häuslichen, dem gewerblichen und geistigen, kurz, von dem Kulturleben der Völ¬ ker des Merthums zu entwerfen. Mit dem Sturze des Römerrcichcs war die „alte Welt" untergegangcn; nur ein kleiner Theil schleppte in Byzanz — dem heutigen Konstanti¬ nopel, — in der Hauptstadt des oströmischen Rei¬ ches, ein sieches, kümmerliches Dasein. Eine neue Ordnung der Dinge begann; sie mußte beginnen, seitdem ein neues Licht der Welt aufgegangen war, welches die Sklavenfesseln schmelzen machte wie Wachs an der Sonne, — welches Freiheit und Brüderlichkeit allen Völkern verkündet, — welches die Ue vermacht des Geistes über die sinnliche, rohe Natur auf seine Fahne geschrie¬ ben, - welches das Loblied: „Friede den Menschen auf Erden" und „liebet einander als Brüder" an¬ gestimmt hatte; — kurz, seitdem die Glorie des C h ri st en t h u m s ihre Segnungen ausstrahlte über alle Länder der Erde! Es begann eine neue Zeit. — 23 — VI. Es war wahrhaftig eine neue Zeil! Neue Ideen waren die Saat für eine neue Weltordnung, — ein neues Bölkergeschlecht betrat den Boden der Thätigkeit, den Schauplatz der Welt¬ geschichte, — neu ward die ganze Weltbildung. Der frische, gesunde Menschenschlag der Ger inanen hatte von der Vorsehung die Mission er¬ halten, das an sittlicher und geistiger Kraft ban¬ kerotte Römerreich zu zertrümmern, — die neue Weltvrdnung durchzuführen, — ja, vielfach mit neuem Material, eine neue Weltgestaltung und Welt¬ bildung aufzubauen. Allerdings mahnen uns die Kultnrzuständc der Germanen in jener Zeit mehr¬ fach noch an die Uranfänge in der menschlichen Kulturentwicklung. Nur langsam schritt die Zivili¬ sation, geführt von muthigcn Helden des Friedens und erleuchtet von der neuen Glaubenslehre, vor¬ wärts. Männer wie Winfried, Rupprecht, Cor- binian, Gallus, Columbanus u. s. w., diese begei¬ sterten christlichen Glaubensboten, waren gleichzeitig die Lehrer in Landwirlhschaft und Gewerbe unter den Deutschen ; sie begründeten die Pflanzstätten der Kultnr, von welchen Gesittung und friedliche Thätig¬ keit sich verbreiteten über die vormals bewaldeten, sumpfigen, fast nur von wilden Thieren bewohnten Landstriche. Zur Zeit der Herrschaft der mächtigen Fran¬ ken, deren Reich sich von Ungarn bis an den Ebro in Spanien, vom Eiderflusse bis zur „gelben" Tiber ausdehnte, — unter Karl dem Großen schlu¬ gen die Keime der Bildung schon sichtbar hervor, die schrecklichste Prüfungszeit für unseren Erdtheil war bereits beendet. Galt auch bei den germanischen — 24 — Völkerstämmen das Führen der Waffen, selbst wenn sie zu Raub und Gemalt gemißbraucht wurden, für ehrenvoller, als das Betreiben eines Handwerkes, indem die geringen Bedürfnisse des Hauses größten- theils innerhalb der Familie befriedigt wurden, so verdankt dennoch den Germanen das eigentliche Ge¬ werbe sein Entstehen. Besondere Handwerker ent¬ standen zuerst bei den Klöstern, bei den Stiften und au den Pfalzen des reicheren Adels; mit der Begründung der Städte aber, besonders seit dem „Städtebegründer" Kaiser Heinrich dem Ersten („der Pöbel der Geschichtschreiber nennt ihn auch „„der Finkler"") entwickelte sich das Gewerbe in den Städten, erstarkte das Bürgerthum. War einmal der Grund gelegt, so konnte an dem Aufbauc der neuen Kultur rüstig gearbeitet werden. Alsbald entstanden Vereinigungen unter den Handwerkern, die „Zünfte", welche ihr Gewerbe immer fortentwickeltcn, die Erfindsamkeit und Geschick¬ lichkeit- begünstigten und nach und nach die Aufmerk¬ samkeit der benachbarten Völker auf sich lenkten. Deutscher Fleiß, deutsche Ausdauer und Gewissen¬ haftigkeit, dazu ein berechtigtes Nationalgefühl und eine hohe sittliche Idee, welche das Familienleben und das Gemeinwesen durchdrang und beseelte, — dieses alles zusammen mußte jene Ergebnisse zu Tage fördern, die uns noch heutzutage so vielfach mit hoher Verehrung für die Altvordern erfüllen. Wie lehrreich ist die Geschichte des deutschen Städte¬ wesens und der gewerblichen Thätigkeit in Augs¬ burg und Nürnberg, diesen praktischen Hoch¬ schulen des Gcwerbefleißcs im Mittelalter, — oder von Ulm, Co n st a n z und Regensburg, welche schon damals mit dem kunstsinnigen Italien in Verbindung traten, — indessen die norddeutsche „Hans a" für die Erweiterung des deutschen Han- — 25 — dels mit Erfolg thätig war. Auch Wien, Salz¬ burg und Frankfurt am Main, die rheinischen Städte, die zahlreich aufblühenden Orte an der Elbe, Weser und Ems sind sprechende Zeugen deut¬ schen Gewcrbfleißes im Mittelalter. So hat sich das deutsche Volk durch Fleiß, Erfindsamkeit und große Kraft, und noch dazu unter schweren, immerwährenden Kämpfen, aus Un¬ wissenheit und Barbarei zu einer hohen Stufe der Bildung, des Wohlstandes und der Ehre emporge¬ schwungen. Die ungeheuren Wälder waren ver¬ schwunden, das Land überall herrlich angebaut, das rauhe, kalte Klima milde und schön geworden, die Städte von Werkstätten des Gewerbe- und Kunst¬ fleißes, Straßen, Flüsse und Meere vom reichsten Handel belebt. Deutschland war im Uebergange des Mittelalters zur neuen Zeit das reichste, ge¬ bildetste und geachtetste Land in Europa. Die ältesten Industriezweige Deutschlands sind die Wollen- und Leinenweberei nebst der Färberei; letztere arbeitete noch im sechszehnten Jahrhunderte für den Export, schickte doch selbst England seine rohen Tuche „in die Farbe" nach Deutschland. Diesen Industrien folgen die Ver¬ arbeitung von Eisen — besonders in Oester¬ reich und Westfalen, — die Erzeugung und Ver¬ feinerung von G l a s in Bö h m e n und Thüringen, feine Arbeiten aus Silber, welches aus den reichen Gruben am Harz und im sächsischen Erz¬ gebirge schon im cilften Jahrhunderte gewonnen wurde. Um die Mitte des dreizehnten Jahrhun- dertes sind die Zinnbergwerke Böhmens und Sachsens erschlossen worden. Von Nürnberg ver¬ breitete sich deutsches Papier schon um das Jahr 1400; im sechszehnten Jahrhunderte erfand hier Peter Helle die Taschenuhren, die man 4b — 26 wegen der eirunden Form „Nürnberger Eier" nannte, — und schon um jene Zeit begann die Spitzen- klöppelei im Erzgebirge. — Wie vieles müßte ich im einzelnen berühren, wollte ich das rührige und fleißige Leben deutscher Bürger im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderte schildern, — die hohe Vervollkommnung des Kunstfleißes, des Ge¬ werbes und des auswärtigen Handels, das selbst¬ bewußte, thatkräftigc Städtelcben. Wie geachtet, ja mächtig stand der Bürger und der „deutsche Rathsherr" einer freien Reichsstadt da! Es waren an Gemeinsinn, Willens- und Thatkraft starke Männer, es waren für die Ehre, das Ansehen und den Wohlstand „ihrer" Stadt wahrhaftig und ängst¬ lich besorgte „Väter der Stadt," welche gleich Fürsten die Rechte der Städte, die Rechte der Korporationen gegenüber jedem Mißbrauche der Gewalt oder sich dünkelhaft aufblähender Anmaßung zu schützen und zu vertheidigen wußten. Der Bürger war sich dessen bewußt, daß die „Rathsherren" ihn gegen jedes Uebergreifen der Gewalt schirmen, und er fand in der eigenen Kraft auch den Muth, jedes allfällige Uebergreifen seiner freigewählten Vertreter, der „gcisttichen" oder „weltlichen Herren" in die gebührenden Schranken zurvckzuweisen. In diesem thatkräftigcn Selbstbewußtsein konnte der Bürger mit Stolz ausrufen: Ich bin ein deutscher Bürger! VII. Auch in Italien begann sich das Städtewesen auszubilden. Die Erhebung des Bürgcrthums aus der Un¬ freiheit im Feudalverbandc ist überall der Beweis für eine höhere Bedeutung des Gewerbe- und Han- — 27 — delsstandes, der gestiegenen Achtung vor der Arbeit. Mit dem steigenden Gewerbefleiß ging die Aus¬ dehnung des Handels, das Aufblühen in der Kunst Hand in Hand, wie es die Erstarkung des Gewerbe¬ fleißes in den oberitalienischen und toskani¬ schen Städten nebst der imponirenden Handelsgröße von V e n e d ig, Genua und Pisa laut verkün¬ den. Die lombardischen Städte Mailand, Tor - tona, Novara, Pavia, Cremona, Como und andere lieferten in großen Mengen Wollwaaren, den wichtigsten Artikel des italienischen Eigenhandels. Daneben genossen Waffen, Harnische und andere Metallarbeiten aus Mailand, — die Seidenstoffe aus Lucca und Venedig, — die Kunst- und Schmuck¬ sachen aus Florenz, — die Wasfeufabriken, Wachs¬ bleichen, Wollen-, Sammt- und Brokatwebereien, die Seifen-, Gold- und Silberdrahtfabriken, sowie die gefärbten Gläser und Glasperlen in Venedig mit Recht ein großes Ansehen auf allen Märkten Europa's. In den letzten Jahrhunderten des Mit¬ telalters wurde Venedig, was Großartigkeit des Betriebes und technische Vollkommenheit der Gewerbe betrifft, nur von Florenz übertroffen. Florenz war überdies der Hauptsitz der Tuchfabrikation. Zu Anfang des 14. Jahrhundertes erzeugte Florenz jährlich etwa 80.000 Stück Tuch; außerdem bezog Florenz noch eine Menge rohe Tuche aus Frankreich, Deutschland und den Niederlanden, um sie nach dem Geschmacke der Orientalen zu färben und zu appre- tiren. Nebst dieser großartigen Tuchindustrie finden wir hier auch die bei Venedig genannten Industrie¬ zweige (mit Ausnahmen der Glaswaaren) in her¬ vorragender Weise vertreten. Die Florentiner zähl¬ ten zu den tüchtigsten Industriellen. Der Reich- thum und das Ansehen dieses kleinen Staates hatten — 28 — aber unter den Medizäern — den eifrigsten Pfle¬ gern von Kunst und Wissenschaft, Gewerbe und Handel — auch eine so hohe Stufe erreicht, wie in keinen: Lande der Erde, wenn man dessen geringen Flächenraum und die kleine Volkszahl dabei in Er¬ wägung zieht. Sowie Italien an D a m a s k us und A l c p p o in verschiedenen Zweigen gewerblicher Arbeit, ins¬ besondere in Gold- und Silberwaaren, in Seiden¬ webereien, Stickereien, Brokatarbeiten u. s. w. seine Lehrmeister hatte, so wurde nun Italien die Lehrerin Deutschlands und der meisten euro¬ päischen Völker. Der Verkehr Deutschlands mit Italien, größtentheils mit den Knotenpunkten Augs¬ burg, Venedig und Genua, hatte eine riesengroße Ausdehnung, und es wäre im beiderseitigen Interesse gewiß höchst Wünschenswerth, wenn die Jahrhunderte alten Verbindungen gekräftigt und gestärkt sich wieder erneuern würden. Nationale und politische Streitigkeiten schlagen demSieger wie den Besiegten tiefe Wunden, welche nur der friedliche Verkehr in Gewerbe und Handel zu heilen vermag. Die Verbindung Deutschlands mit Italien war durch Jahrhunderte von einer Wichtigkeit, die gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann; wir stehen bewundernd — zum Theil auch wohl beschämt — vor den Handelsausweisen Venedigs im fünf¬ zehnten Jahrhunderte, vor der Beherrscherin des Weltverkehrs, der schönen, stolzen Königen der Adria! Mit der Auffindung eines neuen Seeweges nach dem überreichen Indien trat eine Wendung in den Geschicken Italiens ein; es war ein vergebliches Ringen, diesem unabwendbaren Geschicke zu wider¬ stehen. Allein — eben in unseren Tagen dürfte durch die Beendigung des Suez-Kanals das — 29 — Adria-Meer mindestens zum Theil seine ehemalige Bedeutung wieder zurückerlangen. Für Oesterreich, für Tricst, für unsere Heimat Kram ist diese Frage von hoher Bedeu¬ tung, von immenser Tragweite, und mit Bergnügen konstatiren wir, daß der Präsident der krainischen Handelskammer V. C. Supan wiederholt und eindringlich auf diese Angelegenheit aufmerksam ge¬ macht hat. Wie wird uns die ohne Zweifel bald cintre- tende Thatsache der Beendigung des Suez-Kanals finden? Denkt unser' Vaterland wohl daran, sich vorzusehen und zu rüsten, damit wir von Italien und Frankreich nicht überflügelt werden? Möge in dieser Richtung Oesterreich keine Zeit versäumen; denn ein „zu spät" in dieser Angelegenheit wäre verhängnisvoll für unsere leider nicht sehr gesunden gewerblichen und kommerziellen Verhältnisse. Als Thürmer auf der hohen Warte des öffent¬ lichen Lebens rufen wir den Lenkern des Staats- schiffeS zu: Habt Acht! VIII. Die wichtigsten Kulturvölker Europa's während einiger Jahrhunderte waren die Italiener, die Deut¬ schen und die Niederländer. Nachdem ich von den beiden ersteren eine übersichtliche Schilderung gege¬ ben, erübrigt nur noch, das wackere, rührige Leben und Schaffen der Niederländer in einer gedräng¬ ten Skizze vorzuführen. Land und Leute erwecken ein ganz besonderes Interesse. Der Volksfreund, der aufrichtige Freund des materiellen und geistigen Aufschwunges des Volkes, findet in den Niederlanden eine wahrhafte — 30 — Goldgrube für seine Studien; leider kann ich bei dem beschränkten Umfange, der meiner vorliegenden Arbeit gesteckt ist, nur einzelne Goldkörner ans dem reichen Schachte den lesenden Freunden vor¬ legen. Unter dem Schutze erleuchteter Regenten, welche das Aufblühen und Erstarken der Städte nicht fürchteten, schlug der Gewerbefleiß tiefere Wurzel und entwickelte sich namentlich die Wollindustrie weit schneller als in Deutschland, obgleich letzteres anfänglich voraus gewesen ist. Schon vor den Kreuzzügen war hier der Grund zu der späteren Bedeutung der Wollen-, deinen- und metallurgischen Industrie gelegt und die Städte hatten ein gewisses Ansehen erlangt. Um so rascher und mächtiger wirkten die neuen Kräfte. Die schnellsten Fortschritte machte die Tuch¬ sabrikation. Die Wollenweber in Flandern verar¬ beiteten einheimischen und englischen Rohstoff; Jahr für Jahr wuchs die Zahl der Weber und die Ver¬ vollkommnung im Färben und in der Appretur trug dazu bei, daß die flandrischen Tücher den ersten Rang auf allen Märkten behaupteten und die höchsten Preise erzielten. Gent war so zu sagen der Hauptsitz und die Musterstadt für Wollwaaren, doch wetteiferten auch die Städte Brügge, Lille, ArraS, Aporn und andere mit Gent; insbesondere sollen in Brügge, dem Hauptausfuhrplatz flandri¬ scher Fabrikate, zur Zeit seiner höchsten Blüthc an 80.000 Menschen blos bei diesem Gewerbe beschäf¬ tiget gewesen sein. In kriegerischen Zeiten stellten die Tuchmacher von Gent ein bewaffnetes Korps von 30.000 Mann ins Feld, und mehr als einmal haben die flandrischen Tuchmacher das Land vor fremder Herrschaft gerettet und französische „wohl- disziplinirte" Heere geschlagen. Im Frieden flei- — 31 — ßige Bürger, — bei nahender Gefahr tapfere Ver¬ teidiger des Vaterlandes, der Freiheit und Wohl¬ fahrt: — das war die wackere Bevölkerung der gewerbereichen flandrischen Städte. Auch von Flan¬ dern kann der Spruch gelten, wie von Geldern: Hoch an Muth, Klein an Gut, Das Schwert in der Hand, Ist das Wappen von Gelderland. Ich will mich nicht in Einzelnheiten einlasfen, andere Städte und die einzelnen Gewerbe in ihrer Entwicklung, in ihrem erstarken und dem Einflüsse auf die Kultur von ganz Europa zu schildern, so lohnend diese Arbeit auch wäre; es genüge, darge¬ legt zu haben, wie mit dem erstarken eines freien, selbstbewußten Bürgerthums, mit der Blüthc der gewerblichen Arbeit, mit Fleiß, Sparsamkeit und Freiheit auch d e r W o h l st a n d, die Macht und das Ansehen der Völker gepaart sind. Wir lernen nicht, um vieles zu wissen, sondern — um darnach zu handeln. Das ist die letzte, höchste Aufgabe des „Lernens," — und an den deutschen Reichsstädten, an dem Bürgersinn der flandrischen Städte sollen sich un¬ sere Mitbürger Muth und Vertrauen holen, — aber auch ein Beispiel zur Nachahmung nehmen! Die geräuschlose, aber stetige Entwicklung und Vervollkommnung des Bürgerthums und der „bür¬ gerlichen Gewerbe" wurde durch die großen Erfin¬ dungen und Entdeckungen während der Uebergangs- Periode aus dem Mittelalter in die Neuzeit unge¬ mein befördert. Eine raschere, kräftigere Bewegung gab sich im öffentlichen wie im privaten Leben der Völker kund. Der Verkehr der Völker untereinan¬ der nahm immer mehr den Charakter eines ozea¬ nischen Weltverkehrs an; das Kolonialwesen — 32 — begünstigte die Schiffahrt; die Rückwirkung auf den Landhandel nnd die gewerbliche Arbeit war eine wachsende, nach und nach eine kolossale. An die zahlreichen Erfindungen im eigentli¬ chen Gewerbskreise, an die folgenschwere Erfindung eines Gutenberg, an die Auffindung „der neuen Welt" und des Seeweges um das „Kap der guten Hoffnung" nach Ostindien reihen sich würdig die Großthaten derWissenschaft an. Seitdem Albertus Magnus im l3ten Jahrhunderte zum ersten male im Abendlande die Geheimnisse der großen Natur zu verkünden begann, schließt sich Glied an Glied zur unzerreißbaren Kette an, bis auf Kopernikus, welcher gerade in demselben Jahre (1506), in welchem der Entdecker der „neuen Welt," Ku l um b us, sein sterbliches Auge schließt — eine noch höhere Welt entdeckt, über unsere Erde einen neuen Himmel ausspannt und eine erhabene, klare Erkenntniß des Unsichtbaren anbahnt. Daran schließt sich eine andere welthistorische That, die Refor¬ mation, welche die Freiheit des Glaubens, die FreiheitderwissenschaftlichenForschung als neuen, gewaltig-mächtigen Markstein in der gesummten Kulturentwicklung der Menschheit aufbaut! Man pflegt in der Geschichte einzelne Ruhe¬ punkte — Epochen — Perioden — festzusctzen. Nicht Gutdünken oder Willkür leiten den denkenden Historiker bei der Festsetzung solcher Ruhepunkte; es sind dieselben vielmehr im historischen Entwick¬ lungsgänge selbst begründet. Diese Ruheplätze sind erhabenere Standpunkte, auf denen man nicht blos ausruht, sonden auch einen weiten Ausblick über den zurückgelegten Weg genießt — Ruheplätze, an denen man einen Profetischen Blick auch in die Zukunft sendet. — 83 — Jenes Zusammentreffen von für die Mensch¬ heit so hochwichtigen Thaten, welche am Schluffe des löten und bei Beginn des 16ten Jahrhundertes den Abschluß des Mittelalters, das Be¬ ginnen der „Neuzeit" charakteresiren, fordert wohl laut genug zu ernstem Denken auf. Erkennt man in diesem Zusammentreffen einerseits das Walten jener Macht, welche die Begebenheiten der Mensch¬ heit auf unerforschliche Weise leitet; so drängt sich andererseits die Frage auf: nach welchen Zielen wird die Menschheit jetzt mit neuen Kräften — neuen Mitteln — mit einer neuen Frei- heit hinstreben? Die Beantwortung dieser Frage ist meine nächste Aufgabe. IX. In einer früheren Abhandlung habe ich nach¬ zuweisen versucht, wie der Uebergang aus der alten in die mittlere Zeit, aus dem „Alterthumc" in das „Mittelalter" kommen mußte, weil neue Ideen zum Durchbruche gelangten. An die Stelle des auf Gewalt und Sklaverei sich stützenden Welt¬ reiches der Römer waren die Germanen, die Frie¬ den und Freiheit verkündenden Ideen des Christeu- thums getreten. Es war eine neue Weltorduung. Mit neuen Kräften, neuen Mitteln rang man nach neuen Zielen. Auch der Uebergang vom „Mittelalter" zur „Neuzeit" ist durch bahnbrechende Thaten, neue Ideen, durch die errungene Freiheit der For¬ schung gekennzeichnet. Wenn ich mich in der Schilderung der Neu¬ zeit dennoch kürzer fasse, so liegt hierin der Grund in der allzu großen Masse des herbeiströmenden 3 — 34 — Materials; diese Partie erfordert eine selbständige Behandlung. Ich übergehe hier das einzelne und hebe die große Einwirkung auf das ganze, die Einwirkung der einzelnen Thatsacheu und Momente auf den Entwicklungsgang in der Kultur, die Fortschritte und den Einfluß der gewerblichen Arbeit überhaupt hervor. Die Entdeckung Amerika's und die Auffindung des Seeweges nach Ostindien sind nicht blos für die Handelsverhältnisse der europäischen Völker und deren Rückwirkung auf die Vervollkommnung des Gcwerbewesens von unberechenbarer Bedeutung, sie haben auch die politische Stellung der europäischen Staaten gänzlich umgestaltet, und zu den wissen¬ schaftlichen Bestrebungen, größere Kenntniß von den entfernten Theilen der Erde zu erlangen, gesellten sich auch mächtige, materielle Antriebe. Die natürliche Folge dieses Umschwunges der Dinge war die, daß jene Handelsvölker, welche bis¬ her den Welthandel beherrscht hatten, weil sie den Hauptkanal — das Mittelmeer — und die Aus- und Einmündungen desselben in Händen hat¬ ten, nämlich die Araber, Italiener, Franzosen und Spanier, sich von jenen Völkern, welche an der neueröffneten Straße — am Atlantik — wohn¬ ten, also von Portugiesen, Holländern und Eng¬ ländern verdrängt sahen; die ersteren mußten sich auf die bescheidenere Rolle des Binnenhandels be¬ schränken. Wie früher das Mittelmeer gleichsam der große Marktplatz für den Welthandel gewesen, so ist von nun an der Atlantik die große Straße, auf welcher die beiden Welten ihre Güter zum Aus¬ tausch befördern. Die nächste Folge davon war der größere Verbrauch an Produkten der Tropen¬ gegenden, an Kolonialartikeln; die mannigfachen — 35 — Rohstoffe und Hilfsstoffe der Industrie strömten in Massen herbei, steigerten den Gewerbfleiß und den Wohlstand der europäischen Völker und waren in¬ direkt Veranlassung zu den großartigsten Erfindun¬ gen in der Technik. Allein jene entfernten Völker in Amerika und Indien produzirten mehr, als sie benöthigten, der Bedarf für die Erzeugnisse und Fabrikate der alten Welt war ein zu geringer. Europa mußte erst einen Theil seiner Bevölkerung nach Amerika hinübersen¬ den, im Osten und Südosten Asiens europäische Kolonien begründen, diese mußten erstarken, sich aus¬ breiten und in solcher Art sich zu konsumirenden Märkten gestalten. Die europäische Kolonialpoli¬ tik war für die Kulturentwicklung der handeltrei¬ benden Völker maßgebend, sie ist die Erweckerin des großartigen industriellen und kommerziellen Lebens in Europa. Von hoher Wichtigkeit ist es, die Handelsthä- tigkeit und den gewerblichen Fortschritt in den einzelnen Staaten zu verfolgen und das riesige An¬ wachsen der Produktion in allen Richtungen zu be¬ obachten. Selbst die gewaltigen Kriege im 16ten und 17ten Jahrhunderte, welche Millionen that- kräftigcr Männer dahinrafften, tausende von Ort¬ schaften in Rauch und Flammen aufgehen ließen und die schönsten und fruchtbarsten Landstriche Europa's beinahe in Wüsteneien verwandelten — selbst diese haben nur momentan den mächtig fort¬ schreitenden Zeitgeist aufgehalten. Nach geschlossenem „ewigen Frieden" erwachte die Thatkraft mit neuer Stärke, der Bürger errang sich Freiheit und die Regenten mußten dem aufblühenden Städtewcsen ihre Beachtung zuwenden, wollten sie nicht Gefahr laufen, Regenten „ohne Land" zu werden. — 36 — Nun kam dic Losreißung der englischen Kolo¬ nien in Amerika vom Mutterlande. Amerika tritt selbständig in die Weltgeschichte ein, gewinnt an Kraft zu innerer Entfaltung und schwingt sich in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Faktoren des Weltverkehrs auf. Die Rückwirkung auf Europa war eine außer¬ ordentliche. Einerseits strömt die europäische Ein¬ wanderung in die fruchtbaren Landstriche Amerika's, kultivirt dort den jungfräulichen Boden, gelangt zu Wohlstand und wird der stärkste Konsument europäischer Fabrikate. Gleichzeitig findet es in Europa einen immensen Markt für seine Rohprodukte. Andererseits befreite sich das „freie" Amerika von hunderterlei sozialen Hindernissen und Vorurtheilen, cs sprengte die beengenden Fesseln, welche in Europa die Völker nach einzelnen „Ständen" und „Gesell¬ schaftsklassen" zusammenbanden. Dadurch machte es nicht nur einer sozialen Ungerechtigkeit, sondern auch einer volkswirthschaftlichen Sünde ein Ende. Man verlangte und besaß nicht Freiheiten, sondern die volle Freiheit nach allen Richtun¬ gen, die feurigbelebende Sonne sendete alle ihre Strahlen aus. Freiheit des Glaubes, der Person, des Hauses — Freiheit der Arbeit, des Ka¬ pitals und des Verkehrs. Der Bauer konnte die Früchte seines Fleißes selber genießen, er war voll¬ ständig Herr des Bodens, den er bebaute; dadurch verdoppelte sich die Produktion und der reiche Er¬ trag bot die Mittel, sich manche Bequemlichkeit, manchen Komfort zu verschaffen — dadurch gelangte die Industrie zum florirenden Aufschwung. Durch die Emanzipation des Bauernstandes gewann die Industrie Millionen und Millionen regelmäßiger Konsumenten. Mit der Freiheit wuchsen Bildung und Wohlstand, der gegenseitige Verkehr nahm stets — 37 — größere Dimensionen an. Wie kurzsichtig, wie ohne alles Verständniß für den Entwicklungsgang eines Volkes sind solche „Führer," welche in der Absper¬ rung, in der Beschränkung auf sich selbst eine Wvhllhat ihrem Volke zu erweisen vermeinen. Vor Jahrhunderten wäre ein solches Beginnen ein gefährliches Experiment gewesen; — in unseren Tagen ist es entweder ein thörichtes Beginnen oder Verrath an den heiligsten Rechten des Volkes. Aus der Geschichte der Arbeit, aus der Ge¬ schichte des Bürgerthums aller Völker sollen die Grundsätze gezogen werden, nach denen minder ent¬ wickelte Völker geleitet werden sollen, damit sie einstens ebenbürtig an der Seite hochzivilisirter Nationen stehen. X. Die großartige Produktion für den stets stei¬ genden Konsum erzeugte in der letzten Hälfte des 18ten Jahrhunderts eine vollständige Revolution in der Technik und in den Methoden der Gewerb- thätigkeit. James Watt zwang den Dampf, dem Menschen zu dienen und ihm außergewöhnliche Kräfte zu verleihen. Ark Wright und Kart- wright schufen Spinner und Weber von Eisen, deren Produktivität durch Dampfkraft verhundert¬ facht wurde. In alle Zweige der Industrie drang die Maschine und bereitete eine gängliche Umgestal¬ tung derselben. Wo die Maschine nicht ausrejchte, trat die Wissenschaft hinzu — insbesondere waren es die Chemie und die übrigen Naturwissenschaften, welche das Innere der Naturkörper aufschlossen, ihre Zusammensetzung darlegten und auf Grund¬ lage der so künstlichen und doch einfachen Prozesse die Neugestaltung alles Unorganischen wenigstens — 38 — im kleinen Maße möglich machten. Das Stu¬ dium der Naturwissenschaften ist die un¬ erläßliche Bedingung für den Aufschwung des Ge- werbcwesens; — es ist aber zugleich der Einblick in das große Werk des Lebens, in die Natur, Grundlage und Stützpunkt für die freiere Entfal- faltnng des menschlichen Geistes. Die Begeisterung für das Studium der Natur ist ein Kennzeichen unserer Zeit; die Feinde des „Geistes der Zeit" sind daher auch Feinde dieses Studiums. Als ob mau für den Schöpfer einer großartigen, wunder¬ baren Maschinerie weniger Verehrung empfände, nachdem man in das innere Getriebe und in das zusammengreifende Räderwerk einen tieferen Ein¬ blick gemacht hat! Gerade dadurch wird die Ver¬ ehrung ein Ausfluß selbstbewußter, geistiger Kraft, und hat einen höheren Werth, als das mechanische, gedankenlose Anstieren des majestätischen Wunder¬ baues. Gegenüber der sich ansbreitenden Maschinen¬ arbeit und der fabriksmäßigen Massenproduktion schien die Existenz des „Handwerkes" gefährdet, und das Kleingewerbe bedarf in unseren Tagen wahrhaftig einer Stütze, soll es im Kampfe nicht zu Grunde gehen. Allein nicht momentane Besserung einer Nothlagc, sondern nur die auf genügende Bildung gestützte dauernde Grundlage kann die Existenz¬ fähigkeit des Kleingewerbes heben. „Selbsthilfe" und „Slaalshilfe" werden hüben oder drüben proklamirt — aber Schlagwörter thun es nicht. Uns scheint die Beseitigung von Uebelstän- den, welche auf der Produktionsfähigkeit und der Erwerbstüchtigkcit des Handwerkes lasten, - und die Anwendung von Mitteln, welche in organischem Zusammenhänge in nachhaltiger Weise das Handwerk _ 39 — zu kräftigen geeignet erscheinen, die Aufgabe der Staatsverwaltung; alles übrige muß der Ge¬ werbsmann selber thun; — „selbst ist der Mann." Die Regierung soll die Hemmnisse be¬ seitigen, welche der Entfaltung des Gewerbes und des Handels entgegenstehen — sie soll nicht Hof¬ meistern und nicht stören; — thätig eingreifeu soll der Bürger selbst. Und dazu benöthiget er — bürgerliche, politische, religiöse Frei¬ heit. Wer gegen diese Freiheit kämpft — kämpft gegen die Entfaltung und Erstarkung des Bürgerthums — kämpft gegen die Hebung des Wohlstandes seiner Mitbürger — kämpft für den materiellen Ruin und für geistige Knechtschaft! Das Bürgerthum sammle sich, raffe sich auf zum gemeinsamen Handeln, zum Kampfe für Bil¬ dung, Freiheit und Wohlstand! Dieser Kampf ist in allen Kulturstaaten ge¬ kämpft worden, zum Theil wird er noch fortgc- kämpft. Wie ehemals nur bevorzugtere Geister, that- kräftigere Männer vereinzelt nach dem allge¬ meinen Fortschritte rangen, so entspinnt sich jetzt ein Wettkampf zwischen ganzen Völkern. Es ist ein M a s s e n k a m pf für picht n n d F r c i h eit! Der Einzelne geht im Ganzen auf, der Einzelne fügt sich als dienendes Glied einer gewissen Gesell¬ schaftsklasse, einer bestimmten Thätigkeitsrichtung ein. Die Güter, welche ehemals einzelnen Persönlichkei¬ ten, einzelnen Gesellschaftskreisen gleichsam eine Art Privilegium verliehen haben, werden nun Gemein¬ gut ganzer Korporationen, ganzer Völker. Die Arbeit findet an der Wissenschaft eine treue Freundin und Pflegerin, — das materielle Kapital verbindet sich mit dem geistigen Kapi¬ tal. „Theilung der Arbeit" nach der einen Rich- — 40 — tung, — „Vereinigung der Kräfte" zu einem ge¬ meinsamen Ziele anderseits sind die allmächtigen Motoren der Neuzeit. Diesen verdanken die ein¬ zelnen „Gesellschaften," die einzelnen Völker, ja die gejammte Menschheit ihren früher nicht geahnten Aufschwung. Die großen Erfolge der Neuzeit auf dem Ge¬ biete des reichgliedrigen volkswirthschaftlichen Lebens sind Kinder der neuen Ideen unserer bewegten Zeit. Ich will hier nur ein paar Momente hervor¬ heben, welche namentlich mit der Entwicklung deut¬ schen Gewerbfleißes in Verbindung stehen. Der dreißigjährige Krieg hatte viele Gewerbe in vielen Gegenden zerstört. Frankreich, die Nie¬ derlande und England benutzten diesen Verfall deut¬ schen Gewerbfleißes und riefen auf diesem Gebiete jene Konkurrenz hervor, welche noch heutigen Tages die deutschen und österreichischen Märkte mit so manchen Fabrikaten überschwemmt. Frankreich gab jedoch mittelbar dem deutschen Gewerbefleiße wie¬ der einen neuerlichen Aufschwung. Denn nach der Aufhebung des „Ediktes von Nantes" strömten zn Ende des 17. Jahrhundertes gewerbfleißige Huge¬ notten zahlreich nach Deutschland und riefen empor oder belebten die Fabrikation von Seiden- und Glas- waaren, die Erzeugung von Hüten, Handschuhen, Galanterie- und Luxuswaaren. Wie ehemals kon¬ fessionell e Und ul ds amk ei t von den Ufern des Tajo und Manzanares Tausende gewerbflcißiger Juden aus Spanien und Portugal verjagt hatte, welche in den freien Niederlanden den Grund zu manchen noch heute blühenden industriellen Unter¬ nehmungen (z. B. die Gold- und Silberarbeiten, die Diamantenschleiferei u. s. w.) gelegt und zum Emporblühen des holländischen Handels nicht un¬ wesentlich beigetragen hatten: so zog „das Land — 41 — der freien Forschung" — Deutschland — nicht unbedeutende Vortheile für seine materielle und geistige Erstarkung aus der beschränkten, kon¬ fessionellen Engherzigkeit Frankreichs. Was der Pflanze die Luft, das ist der mensch¬ lichen Thätigkeit die Freiheit; ohne Freiheit ver¬ kümmert und verkrüppelt die Menschheit. Allen jenen aber, welche den „Glauben" als Aushängschild oder Deckmantel für politische, oder nationale, oder volkswirthschaftliche Zwecke gebrau¬ chen , möchten wir das intolerante Spanien als warnendes Beispiel vorhalten und ihnen zurufen: „Nicht was wir glauben, — sondern wie wir glauben!" XI. Eine neue Epoche begann in Deutschland mit der Erfindung und der nachfolgenden Vervollkomm¬ nung des Maschinenwesens. England betrat voran den großen Weg des Fortschrittes in der Industrie und riß die übrigen gewerbfleißigen Länder mehr oder minder kräftig mit sich fort. Die deutschen Provinzen Oesterreichs, Sachsen und Preußen folg¬ ten dem Rufe der Neuzeit, denen nach und nach die Schweiz, Frankreich, Belgien und die übrigen deutschen Staaten in der Vervollkommnung des Gewerbewesens folgten. Ohne Ueberschätzung darf man sagen, daß Deutschland im allgemeinen bereits auf dem Punkte angelangt ist, daß es hin¬ sichtlich seiner industriellen Produktion ganz unab¬ hängig von anderen Staaten sein könnte, wenn die Mode, und eine beklagenswerthe, häufig durchaus — 42 — nicht gerechtfertigte Geringschätzung inländischer Fa¬ brikate nicht noch allzusehr vorherrschend wären. Eine abermalige Unterbrechung des friedlichen Fortschrittes war der Völker Sturm und Kampf am Schluffe des verflossenen und zu Anfang unse¬ res Jahrhunderts. Es liegt nicht in meinem Plane, in eine Schilderung der französischen Revo¬ lution, welche nebst den darauf folgenden Kriegen mindestens 10 Millionen Menschen das Leben geko¬ stet hat, mich einzulassen; diese Arbeit überlasse ich der politischen und der Kriegsgeschichte. Wir aber haben das friedliche Bürgerthum im Auge und be¬ trachten ohne Voreingenommenheit die Frage: haben diese blutigen Kämpfe auch dem Volke, der „ar¬ beitenden Klasse" genützt? Sind welche greifbare, praktische Resultate zum Wohle der arbeitenden Menschheit erzielt worden? Die Zerstückelung oder das Zusammenschweißen einzelner Gebiete — Politisches Uebergewicht — diplomatisches Ansehen u. dgl. zu beleuchten, liegt nicht in meiner Absicht; mögen andere, die mehr Lust und Liebe dazu haben, solches versuchen. Das aber ist unbestreitbar, daß diese grauenhafte Revo¬ lution mit allen ihren scheußlichen Ausartungen und Gewaltthatcn dennoch ein reinigender, wenngleich für den Augenblick furchtbar verwüstender Gewit¬ tersturm gewesen ist. „Die Idee der Einheit und Gemeinschaft der Menschheit und der gleichen Be¬ rechtigung aller ihrer Theile zur Ehre und zum Genüsse des menschlichen Daseins hatte mächtige Fortschritte gemacht. Wie einst bei dem Sturze der alten Welt, so war auch hier wieder eine höhere Weltordnung deutlich zu Tage getreten." — 43 — Die letzten Ucberreste des Mittelalters, welche sich als Bollwerke zwischen priviligirten und nicht waren gefallen, — die Herrschaft der „bürgerlichen Gesetze" dehnte sich aus über alle Bürger eines Staates, — das Bürgerthum gelangte zu An¬ sehen, — dein Bauernstände ging die Morgen- röthe der Freiheit auf, indem er vielfach von den Feudallasten befreit wurde. Eine gleichmäßigere Ver- auf ebenbürtige Stellung im Staate, — die Idee der Freiheit der Arbeit entwickelte sich nach und nach. Bon nun an war „arbeiten" nicht Sorgfalt der Verbesserung der materiellen Wohlfahrt ihrer Völker zu, Gewerbe und Handel gelangten zu wohlbegründetem Ansehen. Wie erfreulich, wie erhebend ist ein Rückblick auf den in gedrängten Umrissen gezeichneten Ent¬ wicklungsgang der Geschichte der gewerblichen Arbeit! Wie klar und unwiderlegbar stellt sich der stetige Fortschritt heraus, wenn auch zu einzelnen Zeiten ein Rückschlag erfolgte und ein Rückschritt zu be¬ sorgen stand; wie unzweideutig ist der Beweis, daß Entwicklung der Arbeit und des Ansehens Das Maß der Freiheit ist zugleich das Maß für aber wackt die allvergeltende Weltregierung, die Vor¬ sehung, welche nach ihren Plänen und Zielen Völ¬ ker und Staaten leitet und der endlichen Vervoll¬ kommnung entgegenführt. — 44 —