Stojan BRAčl:č LJUBLJANA CDU 803.0-086 ZUR SCHICHTUNG DER GEGENWXRTIGEN DEUTSCHEN NATIONALSPRACHE UNTER BESONDERER BERUCKSICHTIGUNG DES ·· SUBSTANDARDS Der folgende Beitrag hat das Problem der Schichtung der gegenwartigen deutschen Natipnalsprache zurn Gegenstand. Er.be- faBt sich also mit den Existenzformen der deutschen Gegenwarts- sprache. Besondere Aufinerksarnkeit wirddem Substandard, der Um- gangssprache, gewidn1et, deren· Wesen zu bestirnrnen ist. Ein Anlie- gen des Artikels ist es auch, einen Beitrag zur Klarung der ter- minologischen Uneinheitlichkeit auf diesem Gebiet zu leisten. In dem SchluBkapitel werden Antworten auf einige erorterte Fra- gen als Vorschlage zu ihrer Losung zusarornengefaBt. 1. Die deutsche Sprache der Gegenwart laf\t sich analytisch unter verschiedenen Gesischtspunkten beschreiben. So kann in diesem Zusarornenhang u. a. von mehreren Existenzforrnen oder Varietaten derselben Sprache die Rede sein. Unter Sprache wird hier nicht nur das Sprachsystem verstanden, sondern auch dessen dynarnische Komponente, seine Interaktionen in der jeweiligen Kornrnunikation. Die Sprache als funktionierendes System verfligt liber fast unbe- grenzte Kapazitaten, die niemals alle auf einmal vollkornrnen aus- genutzt werden konnen. Sowohl hinsichtlich des Systems als auch in bezug auf dessen Anwendung werden in verschiedenen kornrnunika- tiven Situationen nur Bruchteile der zur Verfligung stehenden Moglichkeiten realisiert. Die Erforschung der Sprache erfordert ein partielles systematisches Herangehen, das die Problematik aus verschiedenen Perspektiven aufhellt. Das bedeutet jedoch nicht, daB diese unterschiedlich ausgerichteten Sondierungen den Komplex "Sprache in der Kornrnunikation" nicht als eine Ein- heit auffassen wollen. Die funktional orientierte Betrachtung bringt mit sich das Aufstellen eines Systems von Funktionalstilen flir verschiedene Tatigkeitsbereiche. So unterscheidet man bekanntlich den Funk- tionalstil des offentlichen Lebens von dem Funktionalstil der Presse und Publizistik, von dem der Belletristik, des Privat- lebens usw. 1 Die territoriale (areale) Gliederung operiert mit den 415 Begriffen wie liberregionale, regionale und ort.sgebundene Sprachvarietat. Die sozialen Kri terien sind in erster Linie an den Charakteristiken gruppenspezif ischen Sprachgebrauchs interes- siert und untersuchen die Besonderheiten von Gruppensprachen, Sondersprachen 1 Jargons u. a. m. Nach der Art der ~uaer.ung wird zwischen gesprochener und geschriebener Sprache unterschieden (Schmidt, 1972, 28). Teils stilistisch teils terr.itor_ial geprag- te Gliederung teilt die Gesamtsprache auf in Literatursprache mit ihrer schriftlichen und mlind:J.ichen Variante Schriftsprache und Hochsprache, ferner in (groBlandschaftliche und kleinland- schaftliche) Umgangssprache und. in territorial gebundene Dialek- te oder Mundarten. Neben diesen konnte man bestirnrnt noch andere Kriterien zur Charakterisierung des Kornrnunikationsmittels Spra- che heranziehen. Dabei werden manchmal dieselben Probleme unter unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. So kornrnt es zu Uber- schneidungen, die eben von dem Einheitscharakter der "gesell- schaftlich~n Erscheinung Sprache" ' (Schmidt, a. a. O.) zeugen. Die Sprachvarietat des Alltagsstils (der alltaglichen Kornrnuni- kation) ist demnach z. T. regional begrenzt, kann s6zial gefarbt sein (Jargonismen) und wird geschrieben oder gesprochen angewen- det. Im folgenden wenden wir uns einigen Aspekten der Erscheinungs- f ormen der deutschen Nationalsprache 'zu, d. h. der Gliederung in Hochsprache, Umgangssprache und in Dialekte. Bevor jedoch auf diese Problematik eingegangen wird, sei am Rande darauf hinge- wiesen, daB die Auffassungen von der Existenz verschiedener Er- scheinungsformen und darliber hinaus vielmehr noch von den Ver- hal tnissen unter ihnen sowie von den daraus resultierenden kom- munikativen Funktionen divergierend sind. Daher rlihrt auch die terminologische Vielfalt beim Bezeichnen dieser Phanomene. Man benutzt eine Reihe Fachausdrlicke, die jedoch nicht iriuner aufein- ander abgestirnrnt sind und bald verschiedenes, bald ahnliches, bald gleiches zum Ausdruck bringen. So sind u. a. die folgen- den Termini und Halbtermini in Gebrauch: Nationalsprache, Lite- ratursprache, Gemeinsprache, G~samtsprache, Teilsprachen, Varie- taten, Hochs_prache, Schriftsprache, geschriebene und gesproche- ne Sprache, Umgangssprache, Alltagssprache, Gebrauchssprache, 416 Verkehrssprache, Gespraachssprache, Lesesprache, Standard- sprache, Einheitssprache, Dialekt, ortlicherDia:lekt, Regio- naldialekt,· Basisdialekt, Verkehrsdialekt, MU:ndart, Standard, Substandard, Gesaxritsubstandard, Neuer Substandard, Sprechspra- che u. a. ni. Es fiihrte zuweit, wollteh wir an dieser Stelle diese groBe Anzahl von Termini voneinander abgrenzen und exakt definieren. Das behalten wir uns bloB fiir den in diesem·Beitrag zu behandelnden Spielraum Hochsprache - Dialekt und Umgangsspra- che vor. In der oben angedeuteten·Begriffsinflation spiegelt sich der problematische Charakter des Behandelten wider. 2; Eine weitestgehende Ubereinstimmung herrscht in der germa- nistischen linguistischen Literatur mit Bezug auf die grundsatz- liche Dreiteilung der sprachlichen Erscheinungsformen in eine iiberregionale allgemeingiiltige normierte Ex±stenzform, in eine regional begrenzte dialektale Erscheinungsform2 und in eine drit- te, zwischen diesen beiden bestehende Zwischenform~ Die erstge- nannte Erscheinungsform wird meistens auch als Hochsprache3 be- zeichnet und als "die vollendetste, der Nofm am nachsten kom- mende Form der gesprochenen Nationalsprache ••• " definiert (Schmidt, 1972, 30). Sie wird als die gesprochene Variante der Literatursprache angesehen und-stellt zusammen mit ihrem schrift- lichen Pen:dant (Schriftsprache) ein Idealbild dar, .. das angestrebt, jedoch in seiner verhaltnismaBig strengen Kodifizierung selten er- reicht wird. Relativ unproblematisch erscheint auch die Bestirn- mung der landschaftlich gebundenen dialektalen Schicht (Schmidt, -1972, 29), deren sprachinterne und kommunikative Besonderheiten erforscht und in Form eines Systems abstrahierbar sind.· Schwierig- keiten ents·tehen beim Erfassen der dritten Erscheinungsform, die meist als Umgangssprache bezeichnet·wird. Diese Bezeichnung hat sich zwar durchgesetzt, wird jedoch von einigen Linguisten ver- mieden. "Die Zuriickhaltung 'Umgangssprachen' gegeniiber ist ver- standlich, denn der Halbterminus ist mehrfach ambig und das da- mit am haufigsten bezeichnete Zwischenbereichsphanomen scheint sich dem linguistischen Zugriff zu entziehen, und .zwar dies in- folge fehlender Abgrenzbarkeit und, was den strukturalistisch geschulten Forscher noch mehr irritieren muB,· fehlender wichti.,- 417 ger Systemeingenschaften." So Bellman (1983, 118). A.hnlich auBert sich dazu Menge (1982, 54): II dlirfte der Begriff 'Umgangssprache' deshalb gewahlt worden sein, weil er aufgrund seiner Vagheit und vermeintlicher Bekanntheit die neu entstande- ne Leerstelle so bequem ausflillte. Das wlirde bedeuten, daB 'Um- gangssprache' zweckmaBigerweise immer als .Tei! eines Begriffs~ paares aufgefaBt werden sollte und sowohl in definitori.schen als auch in didaktischen Zusammenhangen immer als Antonym behandelt werden sollte." In dieser komplizierten Beschaffenheit der Um- gangssprache ist auch ein Grund dafilr zu sehen, warum keine For- mulierung einer Definition moglich ist, die alle wesentlichen Merkmale dieser Existenzform zu umfassen vermochte. Sowohl auf die Definition als auch auf eine endgliltige Begriffsbestimmung dieser Zwischenschicht wollen wir auf Grund dessen einstweilen verzichten und ihrem · wesen sowie den G·runden filr ihre Entstehung nachzugehen versuchen. Umgangssprache wird dabei bloB als Arbeit- sterminus verwendet. 3. Historisch gesehen ist Umgangssprache ein Ausgleichsprodukt zwischen der Hochsprache und den Dialekten. 4 Ihre Entstehung wur- zelt in den geschichtlich bedingten Veranderungen der gesellschaft- lichen Verhaltnisse. Der Handel und die Industrialisierung der Stadte bewirkten unter anderem auch Verschiebungeri in kommunika- tiven Verhaltnissen in der Gesellschaft: regional eng begrenzte Mundarten waren nicht mehr den neuen kommunikativen Anforderun- gen gewachsen, der Bedarf an einem ilberregionalen Verstandigungs- mittel wurde immer starker (Dialektabbau) 5 • Ebenso bilBte auch die Hochsprache an ihrem elitaren Charakter ein. Aus der gegenseiti- gen Annaherung der beiden entgegengesetzten Pole kristallisierte sich immer mehr die kommunikatdve Re.levanz der Zwischenschicht her- aus. Deshalb laBt sich bei dieser auch eine paradoxe Erscheinung feststellen: je einheitlicher sie in regionalem Sinn infolge moder- ner Assoziierungssprozesse in der Gesellschaft wird, um so mehr dif ferenziert sie sich innerlich und weist eine immer mehr ver- feinerte, funktional-kommunikativ bedingte vertikale Gliederung auf. Darin liegt auch eine Erklarung flir die Tatsache, daB sich der seit langem eingebilrgerte Terminus Umgangssprache einer ada- 418 quaten denotativen Bezeichnung der komplexen Existenzform ent- zieht und des ofteren nicht mehr als ein geeigneter Terminus fiir diese Existenzform akzeptiert wird. Umgangssprache kanri je- doch u. E. trotzdem als ein Oberbegriff beibehalten werden und in dieser Funktion ohne weiteres mit dem von Bellman vorgeschla- genen "Substandard" konkurrieren. "Tatsachlich muB es wlinschens- wert erscheinen, flir den sprechsprachlichen·Gesamtbereich unter- halb des Standards einen Oberbegriff zur Verfligung zu haben. Dem sollte allerdings ein unmiBverstandlicher, bisher unbesetzter Terminus zugeordnet werden. Ich schlage hierflir ·den Ausdruck 'S uh standard' vor." (Bellmann, 1983, 124) . Bei der Wesensbestimmung der Umgangssprache kommt es auf die Herausarbeitung von zuverlassigen objektiven Kriterien an, nach denen sich die Umgangssprache in Opposition zur·Hochspra- che und zur Mundart von den beiden deutlich abhebt. Diese Auf- gabe ist allerdings nicht einfach, unter ariderem auch aus dem Grund, daB die Umgangssprache lange Zeit nur im Bereich der gesprochenen Sprache vorzufinden war und sogar mit dieser iden- tifiziert wurde. Die gesprochene Sprache war in der Linguistik bekanntlich lange stiefmlitterlich behandelt. Es fehlt also an Untersuchungen, die genligend Material zu verallgemeinernden SchluBfolgerungen liefern sollten. z. z. besteht noch kein aus- gearbeitetes Normsystem der Umgangssprache, obwohl einige bis jetzt durchgeflihrte Studien sich filr diesen Zweck sicherlich als sehr geeignet erwei~en wilrden. 6 Dabei muB die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen gesprochener Sprache und der Umgangs- sprache unterstrichen werden, da beide Begriffe nicht schlecht- hin dasselbe bedeuten. "Gesprochene Sprache" hebt bloB den As- pekt des Kommunikationskanals hervor. Eine Umkodierung der ges- prochenen Sprache kann jedoch sehr groBe Unterschiede in ihrer Struktur herausstellen. Auch im Fall daB mit gesprochener Spra- che i. e. S. die sogenannte Alltagssprache gemeint wird, darf diese nicht mit Umgangssprache gleichgesetzt werden, denn Um- gangssprache ist (immer mehr) auch ein Code der geschriebenen Sprache. Wahrend die polydimerisionale Entwicklung der Umgangssprache einerseits auf die anspruchsvollen Kommunikationsbedingungen der 419 modernen menschlichen Gesellschaft zurlickzuflihren ist, so kann man andererseits annahmen, daB gerade die Erkenntnisse der Kom- munikationstheorie neue Akzente bei der Klaarung des Phanomens Umgangssprache setzen konnen. Zu beantworten sind vor allem die folgenden Fragen: Ist die Umgangssprache (bereits) ein liber- regionales oder (noch) ein regional begrenzter Code? Ist der Spontaneitatsgrad ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal bei der Erz~ugung von umgangssprachlichen AuBerungen? Gibt es nur eine ,~undartnahe und eine literatursprachenahe Umgangssprache (Schonfeld, 1977, 170) oder ist die Schichtung differenzierter? MuB man daher mit der Existenz mehrerer Umgangssprachen rechnen? In welchen Funktionsbereichen wird die Umgangssprache (bevorzugt) verwendet und warum? Wie ist die kommunikative Funktion der Um- gangssprache in verschiedenen Textsorten? Die Antworten auf diese Fragen dlirften eine grundlegende Vorstellung von der Er- scheinungsform Umgangssprache abrunden, auf Grund deren auch die Aufstellung eines Systems von umgangssprachlichen Normen beruhen konnte. Der Weg zu diesen Antworten kann jedoch nur liber grlindliche aufeinander abgestimmte Untersuchungen der Um- gangssprache flihren, wobei alle Tatigkeitsbereiche und somit auch die geschriebene Sprachvariante zu beachten sind. Lingui- stische Statistik ist hier sicherlich eine unumgangliche Metho- de, die fundierte Ergebnisse zu erarbeiten ermoglicht. In Anbetracht des gegenwartigen Forschungsstandes lieBen sich folgende allgemeine systembezogene Charakteristiken der Umgangssprache skizzieren. Phonetisch laBt sich die Umgangs- sprache relativ exakt von den Dialekten und von der Hochsprache abgrenzen. Das kann u. a. als ein Kriterium bei der Auswahl des Untersuchungskorpus aus der gesprochenen Sprache benutzt werden, es versagt jedoch bei der Betrachtung der schriftlich fixierten Umgangssprache. Unter dem Blickwinkel der Grammatik7 kann man von keinen typisch umgangssprachlichen Strukturen reden. Denn die allgemeinen Charakteristiken, wie Neigung zu Setzungen (un- vollstandige Strukturen infolge sprachokonomischer GesetzmaBig- keiten) und zur Redundanz (Wiederholungen, Nachtrage u. a. m.) sind nicht schlechthin umgangssprachlich, sie sind namlich auch 420 in a.hderen ·sprachlicheri.Erscheinungsformen: zu. finden. Umfang- reiche (-s.ta-tistische). ·untersuchungen, die. unter Beachtung de:r: kommunikativen Postulate qualitativ interpretiertwerden, .be...., rechtigen erst zur Ann·ahme· von in der Umgangssprache ,bevorzug- ten, haufigen, · u. U. sogar. typischen . s.yntaktischen Strukturen.· Der umgangssprachliche Status· der Lexik .ist in verschiedene.n Worterblichern.kodifiziert. DaB"die MaBstabedaflir manchmal di- . vergierend sina:, wird schon nach einem oberflachlichen Vergleich iweier Worterblicher deutlich. Dabei,kommen zumVorschein·natio- nalsprachliche Vari·anteri8 , - lexikographische9 und kontextuale10 Unterschiede; Die Lexik wie auchdie grammatischen Strukturen· weisen hinsichtlich ihrer "Eritfernung" vom Dialekt bzw. von.der 11 Hochsprache innerhalb·des Substandards mehrere Schichten. auf , was einige Linguisten auf z. T. berechti.gte Annahmen v:on mehre- ren . Umgangss.prachen schlieBen laBt .. 12 Auf Grund de s sen erhebt sich die Frage,, ob es noch :sachgemaB ist, von den. Schic_hten des .. sub-, standards zu .. sprechen., ob es nicht angemessener ware,_ den. Beg~ riff "Kontinuum" (Bellman, 1983, 123) ·einzufuhren, das·.~sicl). vom Pol. Dial.ekt zum Pol. Hochsprache :.e.rstreckt und mit flieBenden Ubergangen als komplexe Varietat der Gesamtsprache aufzufassen ist, die in . ih:i::er_ Vielgestal tigke_i.t dem Sprachbenutzer zur Ver- fligung st;,eh,t.piese V!irietat ermoglicht semit .die Realisierung von subtilsten Nuancen des Kommunikations_aktes. Solche Nuancen sind objektiv registrierbar, was _nu:r.: .. aqfgru._nd tatsac:hlich vor.- handener Erwartungsnormen. des Rezipienten moglich ist_. Theore- tisch mliBte also mutatis mutandis _auch die Aufs,tellung eines Normsystems .flir den (Text)produzenten annehmbar sein. 4. Zusammenfassend lassen sich flir die oben angeschnittenen Probleme fqlgende _Antworten yorschlagen: Eine Definition des ge- samj:en Spannungsfeldes zwis_chen der Hochs_prache und den Dialekten ,, ist. nur mog],ich, wenn man dem gegenwartigen Zustand Rechnung tragt und in diese differenzierte Zwischenschicht nicht die ur- sprlingliche Verstandigungsfunktion aus frliheren Entwicklungs- stadien der Sprachgeschichte hineininterpretiert. Die Umgangs- sprache ist demnach ein Oberbegriff flir die sprachlich und funk- tional differenzierte Erscheinungsform der Sprache, die aus meh- 421 reren, von den Dialekten bis zur Hochsprache hinreichenden Er- scheinungsphasen besteht, welche im Zusammenhang mit der jeweili- gen Kommunikationssituation optimal eingesetzt werden konnen, um entsprechende kommunikative Ziele zu erreichen. Ebenso bleibt die Bezeichnung dieses Kontinuums problematisch, solange man sich da- mit reprasentativ fiir .das gesamte Kontinuum nur-auf eine seiner Erscheinungsformen beschrankt. Fiir die Systematisierung der Schichtung innerhalb des Kontinuums Umgangssprache sind vor allem zwei Kriterien !IlaBgebend:die territoriale Ausbreitung und die kom- munikative Funktion. Die kleinlandschaftliche Umgangssprache ist territorial und funktional be.grenzt. Die groBlandschaftliche Um- gangssprache ist territorial ausgedehnter, und auch ihre kommu- nikative Funktion ist starker abgestuft. In letzter Zeit kann die Existenz einer dritten Schicht angenommen werden, die "die Kommunikationsbediirfnisse des Alltags befriedigt und flir ein groBes Gebiet, in-der Tendenz fiir das gesamte Sprachgebiet glil- tig ist" (Berthold, 1968, 336t. Sie ist ein Verstandigungsmit- tel der Gebildeten13 und dringt - mit besonderen kommunikativen Aufgaben - immer mehr auch in alle Tatigkeitsbereiche der Schrift- sprache ein. An die Umgangssprache bindet sich in der Regel eine emotio~ nale Komponente, die mit einem gewissen Spontaneitatsgrad bei ihrer Anwendung einhergeht und haufig in inoffizieller erlebnis- betonter Kommunikation vorhanden ist. Dariri ist einer der wesent- lichen Unterschiede im Vergleich zur Hochsprache zu sehen. Die daraus resultierenden Eigenschaften der Umgangssprache befahigen sie dazu, mit anderen Ers·cheinungsformen alternierend, besondere funktional-kommunikative Merkmale zu ilbernehmen. Die Verhaltnis- se zwischen den beiden "Registern 1114 in einem Text lassen sich nur durch genaue Festlegung der Textfunktion selbst bestimmen. Nur die Ergebnisse grilndlich und systematisch konzipierter und durchgefilhrter Untersuchungen des Phanomens Umgangssprache in allen Funktionsbereichen werden kilnftig eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage geben, was ilberhaupt Umgangssprache ist. 422 Vgl. Fleischer/Miche1 (1977,- 243 ff.) sowie Grof;e (1982, 45), der filr die DDR zehn verschiedene Lebensbereiche unterschei- det. 2 Wiesinger (1983, 185) unterscheidet vier Schichten natilrlich gesprochener Sprache: Basisdialekt, Verk'ehrsdia.lekt, Umgangs- spradhe, Standardsp·rache. · 3 Aus .der amerik.anisqhen .. Linguis'f:;ik _wir(j, die Bezeichnung Stan- da~d (sprache) · ilbernommen (~leischer/Hartung et ~l., 1983, 416). 4 .Vgl. die De fini ti on von. B.u(?mann ( 1983, 561): ."Oberregionales Ausgleichsprodukt zwischen ·sozialen und regionalen milndlichen Sprachvarianten.• 5_. Vgl. Bellmann (198], 109). 6 Es sei auf die Studien von Ballek (1980), Berth.old (19.68) und H6hne-Leska (1975) verwiesen, die sich vorwiegend m.it. der Syn- ta.x befas.sen. 7 Abgesehen von einigen wenigen umgangssprachlichen morpholo- gischen Erscheinungen, wie z~ B. umgangsspraphiichen Abschlei- fungen und Zusammenziehungen, stellen sich die meisten Prob- leme im Bereich der Synta.x ein. 8 Genaue Angaben ilber unterschiedliche lexische (auch umgangs- sprachliche) ·Aufnahmen im Mannheimer und im Leipziger Dude·n filhrt Braun (1979, 12? f.) an. 9 Vgl. Duden (1976-1981), Brockhaus-Wahrig (1980) und Kilpper (1956-1964). 1 O Di{E! Abhangigkeit der lexikalischen Umgangssprachlichkei t von dem feweil.igen komm-unika ti ven Kontext. . . 11 "Der Einfachhei t halber·" b~zeichnet Schonfeld ( a. a. o.) sprachliche Existenzformen und Sprachschichten verschiedent- lich auch als Sprachformen. · 12 Zusatzlich ist ~och dara~f zu acht~n, da~ v~rschiedene Stil- schichten als stili-stische ·Auspragungen einer -vertikalen Gliederung des Lexikons nicht mit Stilfarbungen (derb, fa- miliar, expressiv usw.) -identifizierbar sind, ob·wohl zwischen den beiden. Kategorien gewisse Be~ilhrungspunkte existieren. 13 Bichel ( 1980, 382) verweondet die Bezeichnung "Umgangssprache der Gebildeten". 14 S. gena~eres zum ~prachlichen Register in Hartung/S6h6nfeld (1981, 97 f., 293 f.) B i b i i o ~ r a p h i e BALLEK, BEATRIX (1980): Zur .Syntax in den 6sterreichischen Ta- geszeitungen "Die: Presse" .und "Kur.ier", in: Wiesin- ger,. P. (Hg.): Sprache und Name in Osteireich, Fest- schrift filr Walter Steinhauser zum 95. 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Nujna posledica tega so tudi hitre spremembe v jeziku kot komunikativ- nem sredstvu. Vendar pa te spremembe ne zadevajo zgolj jezikovne- ga sistema kot takega, temveč dosti bolj njegovo rabo v luči no- vih pogojev komuniciranja. Tako dialekti sicer še vedno obstaja- jo, vendar se območje njih rabe močno krči (ekonomski razvoj, in- dustrializacija, migracija prebivalstva, vpliv medijev, šolanja ipd.), še bolj pa se krči njihova funkcijska zasedenost, Zaradi teh razlogov tudi knjižni jezik zgublja nekdanjo elitno vlogo. Na pomenu pa pridobiva vmesna eksistenčna oblika, tako imenova- ni pogovorni jezik. Ta je bil v preteklosti omejen na manjše ali večje regije, funkcijsko pa osredotočen na izpolnjevanje občeval­ ne funkcije med širšimi množicami. Z razvojem pa se je tudi ta jezikovna pojavna oblika še dodatno vertikalno diferencirala in prevzela nove, tudi nadregionalne sporazumevalne funkcije. Pri tem pa se z narečji, še bolj pa s knjižnim jezikom v rabi ne iz- ključuje, temveč dopolnjuje. Od tod težave z njeno definicijo in poimenovanjem, ki pa jim le - doslej na tem področju zapostavlje- no - sistematično empirično raziskovanje jezika v vseh funkcij- skih zvrsteh lahko najde prave odgovore. 425