Original scientific paper Izvirni znanstveni članek DOI: 10.32022/PHI33.2024.130-131.7 UDC: 165.6/.8 Banalisierung und Nivellierung Dragan D. Prole University of Novi Sad, Faculty of Philosophy, Dr Zorana Dindica 2, 21102 Novi Sad, Serbia proledragan@uns.ff.ac.rs Banalization and Leveling Abstract to q Q. "Ö The need for a new mythology, expressed in the oldest program of the system of German idealism, already indicates the social topicality of the phenomenon that arose and came to be called nihilism. Holderlin's poetry expressly takes on the role of the new mythmaker. The invocation of Dionysus, the god of community, the god of all, the Phainomena 33 | 130-131 | 2024 "common god," aims to offer an alternative to the then-existing but still current lack of a sense of commonality and community. The nihilistic echo of man's contemporary liberation from the shackles he has imposed on himself shows us that behind the strategies of emancipation lies a unified schematism. Thanks to it, the connection between liberation and individualization that is taken for granted in modern thinking is abolished. The irresponsibility of the contemporary world works by leveling every innovative step forward, and at the same time it does not see its own decision as the beginning of a new norm. In modern conditions, the will for new, different, original, authentic is not driven by an insatiable need to search for true breakthroughs, but, on the contrary, by the desire for their leveling. In this day and age, if something seems unusual, it becomes old and uninteresting at express speed. At the same time, successful examples of "modernization" were related to the "refreshing" of antiquity, most often associated with inventiveness, and even with a virtuoso interpretive gesture. Keywords: banalization, leveling, Husserl, Heidegger, diastasis. Banalizacija in nivelizacija 156 Povzetek Potreba po novi mitologiji, izražena v najstarejšem programu sistema nemškega idealizma, že nakazuje družbeno aktualnost pojava, ki se je pojavil in se je začel imenovati nihilizem. Holderlinova poezija izrecno prevzame vlogo novega ustvarjalca mitov. S klicanjem Dioniza, boga skupnosti, boga vseh, »skupnega boga«, želi ponuditi alternativo takratnemu, še vedno aktualnemu pomanjkanju občutka skupnega in skupnostnega. Nihilistični odmev sodobne osvoboditve človeka iz okovov, ki si jih je sam naložil, nam pokaže, da se za strategijami emancipacije skriva enoten shematizem. Po njegovi zaslugi je ukinjena povezava med osvoboditvijo in individualizacijo, ki je v sodobnem mišljenju samoumevna. Neodgovornost sodobnega sveta deluje tako, da nivelira vsak inovativen korak naprej, a hkrati svoje odločitve ne vidi kot začetek nove norme. V sodobnih razmerah volje po novem, drugačnem, izvirnem, avtentičnem ne poganja nenasitna potreba po iskanju resničnih prebojev, temveč, nasprotno, želja po njihovem niveliranju. Če se v današnjem času nekaj zdi nenavadno, to z ekspresno hitrostjo postane staro in nezanimivo. Hkrati so bili uspešni primeri „modernizacije", ki so predstavljali „osvežitev" starinskosti, najpogosteje povezani z iznajdljivostjo in celo z virtuozno interpretativno gesto. Ključne besede: banalizacija, nivelizacija, Husserl, Heidegger, diastaza. Dragan d. Prole Die Raison des zeitgenössischen unglücklichen Bewusstseins legt nahe, dass wir „uns selbst fehlen"; Verneinung und Unvollkommenheit sind die ersten Momente des zeitgenössischen Selbstverhältnisses. Kierkegaard bezeichnet die Gegenwart einfach als „Zeitalter der Nivellierung", während Nietzsches Begriff für diese Krise natürlich „Nihilismus" ist. Dennoch sind wir überzeugt, dass Nivellierung und Nihilismus nicht einfach Synonyme für die Bezeichnung desselben Phänomens sind. Im Gegenteil, wir sehen den Nihilismus als Konsequenz oder, anders ausgedrückt, als Ergebnis der Nivellierung. Das unvollkommene individuelle Selbstverhältnis ist eine Folge der Intersubjektivität, in der Ideale unglaubwürdig, wenn nicht sogar unmöglich geworden sind. Im Angesicht der eigenen „Geworfenheit" in die Welt findet sich der „Schlüssel, der den Eingang zum Inneren des zeitgenössischen Denkens öffnet, wenn es wahr ist, dass es im Nihilismus bewohnt ist" (Rovatti 2007, 173). Der moderne Mensch kann auf zwei Weisen einen Ausweg aus seiner Situation suchen. Einerseits kann er sich entscheiden, um jeden Preis die Kluft zu überbrücken, die ihn von anderen trennt, indem er Kriterien des Denkens, Erlebens und Handelns, die er als standardmäßig und 157 üblich erkennt, als seine eigenen übernimmt. Husserls traditioneller Begriff der Sünde und Heideggers avantgardistische Uneigentlichkeit zielen genau auf solche Fälle ab. Andererseits besteht die Möglichkeit, die erkannte Distanz zu vertiefen. Dies ist jedoch nicht nur durch das imaginäre Schaffen fiktiver Ideale als Alternative zur bestehenden Realität möglich. Im Gegenteil, der Einzelne muss sich zunächst die entscheidenden Strukturen im Bereich des üblichen Handelns bewusst machen. Daher könnte die Geburt der Banalität, jedoch gleichzeitig auch die Konfrontation damit, nicht von der Analyse des Alltagslebens getrennt werden. Die Besonderheit von Heideggers existenzieller Analytik liegt gerade in diesem Ansatz. Marlene Zarader betont dabei, dass das alltägliche Dasein für Heidegger nichts Besonderes bedeutet, nichts, was exzeptionell beachtenswert oder emanzipiert wäre, da es sich tatsächlich um ein banales Dasein handelt: „Seine Hauptidee ist, die Analyse des Daseins auf das alltägliche Dasein, auf das banale Dasein zu stützen." (Zarader 2012, 93.) Eine der entscheidenden Schlussfolgerungen aus Heideggers Überlegungen lautet, dass jeder Versuch einer endgültigen Befreiung oder eines endgültigen Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Ausbruchs aus der Banalität zwangsläufig scheitert. So edel und erhaben der Aufruf zur Authentizität des Daseins auf den ersten Blick erscheinen mag, warnt uns Heidegger davor, dass der Rahmen der Banalität unser tatsächlicher Lebensrahmen ist. In ihm bewegen wir uns unvermeidlich oder, wie Heidegger sagen würde, „zunächst und zumeist". Die erste Konsequenz dieser Idee ist, dass wir nicht nur gelegentlich und am Rande banal sind. Im Gegensatz zu Husserl, der überzeugt war, dass die reflexive phänomenologische Haltung jenseits der Sünde führt, warnt uns Heidegger davor, dass Banalität nicht nur der Fluch der anderen ist. Wir sind dank einer glücklich gesicherten Eigentlichkeit nicht für alle Zeiten vor der Banalität bewahrt. Banalität steht nicht jenseits eines ordentlichen und verantwortungsvollen Lebens. Banalität ist die Grundlage der Menschlichkeit, die nicht einfach ergründet werden kann. Sie ist am nächsten, aber es ist keineswegs einfach, ihr konzeptuell näher zu kommen. In dieser Haltung ist es unmöglich, einen konservativen Hass gegen die Moderne zu erkennen oder ein standardmäßiges Repertoire kulturellen Pessimismus, denn es handelt sich tatsächlich um die konsequente 158 Anwendung der phänomenologischen Haltung auf dem Boden der neuen Realität: „Vielleicht liegt das Neue am Neuen Realismus ja darin, dass er die Bemühung um Selbsterkenntnis verweigert: Die Selbsterkenntnis nämlich, dass jeder ehrliche Realismus Nihilismus sein müsste." (Sommer 2017, 110.) Banalität ist der Ausgangspunkt der Phänomenalisierung. Deshalb können Husserls Hoffnungen auf die Absolutheit des Bewusstseins mit dem Vertrauen in die Fähigkeit des Subjekts, sich „bei seinen Konstruktionen nicht mit den Elementen der vorhandenen Realität zufrieden zu geben" (Fellmann 2007, 261), verbunden werden. Gerade von diesen Elementen aus nähern wir uns jedem Phänomen, wobei die Reflexion dem existentialen Ort entkommt, von dem aus wir es betrachten. Banalität ist selbstverständlich, sie scheint der Maßstab für alles werden zu wollen, bleibt dabei jedoch selbst im Dunkeln. Heidegger hat als Erster erkannt, dass das banale Dasein dazu neigt, sich zu verbergen, um nicht als solches erkannt zu werden. Auf Grundlage der Annahme einer sich verbergenden Durchschnittlichkeit zieht er den Schluss, dass die Darstellung der Banalität weder spontan noch routinemäßig sein kann, sondern eher den Eindruck von Anstrengung und Unnatürlichkeit vermitteln muss: Dragan d. Prole Die Seinsart des Daseins fordert daher von einer ontologischen Interpretation, die sich die Ursprünglichkeit der phänomenalen Aufweisung zum Ziel gesetzt hat, daß sie sich das Sein dieses Seienden gegen seine eigene Verdeckungstendenz erobert. Die existenziale Analyse hat daher für die Ansprüche, bzw. die Genügsamkeit und beruhigte Selbstverständlichkeit der alltäglichen Auslegung ständig den Charakter einer Gewaltsamkeit. (Heidegger 1993, 311.) Die Banalität ist ein leeres Phänomen. Die Benennung des Banalen ist daher eine außergewöhnlich schwierige, fast unmögliche Aufgabe. Deshalb betont Heidegger die gewaltsame Natur der Analyse des Banalen. Banalität ist schlimmer als eine allgemeine Aussage; es ist Nichtigkeit, über die man keine Worte verlieren sollte, weil sie jedem allgemein bekannt ist. Die phänomenologischen Auseinandersetzungen mit der Banalität haben nur einen Schatten des schicksalhaften Kampfes des modernen Menschen angedeutet: "Wenn ich des Anfangs beraubt bin, beinhaltet meine Rückkehr in die Welt und das Leben unter Bedingungen des Nihilismus zwangsläufig die Konfrontation mit dem Nichts." (Prole 2021, 211.) Da die Form des Konflikts 159 klarer ist als dessen potenzielle oder tatpotenzielle Überwindung, zeichnen sich die Konturen einer Gemeinschaft erschütterter Individuen, ohne Grundlagen und verurteilt zu kontinuierlicher Arbeit, heute deutlicher ab als vor einem Jahrhundert. Das Paradox der Banalität verbirgt sich darin, dass sie konkrete historische Voraussetzungen hat und zusammen mit dem Begriff des Alltäglichen eine „Entdeckung" des 19. Jahrhunderts darstellt. Gleichzeitig war sie jedoch auch zu früheren Zeiten nicht vollkommen unbekannt. In früheren Epochen lassen sich tatsächlich viele Momente feststellen, die ungewöhnlich stark an das Phänomen der Banalität erinnern. Die These, die wir hier vertreten, betont die Nicht-Gleichzeitigkeit des Prozesses der Banalisierung und des Phänomens der Banalität. Während man sagen kann, dass die Banalisierung eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Prozesses der Vergesellschaftung und des kulturellen Austauschs zu allen Zeiten und innerhalb jeder Gemeinschaft darstellt, gilt für das letztere Phänomen, dass es auf einem konkret bestimmten Grad zivilisatorischer Entwicklung entsteht, ohne den es undenkbar wäre. Um zu veranschaulichen, was wir meinen, wenn wir die Nicht-Gleichzeitigkeit von Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Banalität und Banalisierung hervorheben, werden wir eine Notiz von Heine heranziehen, in der steht, dass die Klugen zu neuen Gedanken kommen, während Narren sie verbreiten. Mit dieser scheinbar aphoristischen Haltung zielte er auf nichts Geringeres ab als auf die meta-historische Konstante des historischen Prozesses. Heine wählt absichtlich den Begriff des „Narren", um den Kontrast zu verstärken und den unermesslichen Unterschied zwischen der Entdeckung und der Verbreitung des Entdeckten zu betonen. Während der Entdeckungsprozess auf Außergewöhnlichem und Ungewöhnlichem beruht, erfolgt der Prozess der Verteilung und Verbreitung in der entgegengesetzten Richtung und verwandelt das Außergewöhnliche und Ungewöhnliche in etwas Gewöhnliches und Alltägliches. Insofern ist der Prozess der Zivilisation, der auch die Verteilung des Neu-Entdeckten einschließt, gleichzeitig notwendigerweise ein Prozess der Banalisierung. Der Übergang vom Klugen zum Selbstverständlichen, die Verwandlung, bei der etwas Außergewöhnliches die Gestalt des Gewöhnlichen und Allgemeinbekannten annimmt, nennen wir Banalisierung. Dabei ist es äußerst 160 wichtig zu verstehen, dass das Ergebnis der Banalisierung nicht einfach Banalität ist, sondern allgemeine Zugänglichkeit. Etwas, das durchaus wichtig und bedeutsam ist, aber zunächst nur Einzelnen und Wenigen bekannt, verständlich und zugänglich war, wird nun zum potenziellen Besitz aller. Die Idee des geistigen Dreiecks von Wassily Kandinsky beruht auf gerade den Gesetzen der Banalisierung. Der heutige Besitz der Privilegierten und Raffinierten wird nach einer gewissen Zeit zwangsläufig zum morgigen Besitz aller. Die Behauptung, dass Banalität viel jünger ist als Banalisierung, bedeutet, dass konkrete historische Voraussetzungen für ihre Entstehung erforderlich waren. Entscheidend war hierbei der Status des Gemeinsamen, auf dem auch die Etymologie von Banalität basiert. Das Wort stammt aus dem feudalen Frankreich des 17. Jahrhunderts, in dem „banalité" das Gewöhnliche, Gemeinsame, das allen gehört, bezeichnete. Im Gegensatz zur Botschaft, die das Auftreten dieses Wortes nahelegt, gab es auf der ideellen Ebene keinen Zweifel daran, dass das Gemeinsame, das allen Menschen gehört, unter modernen Gesichtspunkten betont optimistisch betrachtet wird. So war Kants Konzept des gemeinsamen gesunden Menschenverstands von beispiellosem Dragan d. Prole Optimismus durchdrungen. Für Kant war der Verstand »eine große Gabe des Himmels« (Kant 1838, 8). Das Versprechen für die Zukunft der Menschheit, das gemeinsam mit der unvermeidlichen Teleologie natürlicher Anlagen ans Licht kommen wird. Natürliche Talente existieren bereits im Menschen als einem geborenen Wesen, es braucht nur Zeit, bis sie sich ausreichend entwickelt haben. Schließlich sind die intellektuellen Fähigkeiten allen gemein, da die Natur nicht beabsichtigt, ihre eigenen höchsten Zwecke zu erfüllen, indem sie Einzelnen Begabungen verleiht. Die Natur möchte ihre Anlagen auf der Ebene der menschlichen Gattung realisieren und nicht nur einige Individuen, spezielle Gruppen oder Völker bevorzugen. Die Dinge ändern sich bereits zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, nachdem Fichte festgestellt hat, dass der sogenannte gesunde Menschenverstand in seinen konkreten moralischen Manifestationen keineswegs gesund für die menschliche Gemeinschaft ist. Unter liberalen Bedingungen wurde der Verstand zu einem entscheidenden Werkzeug in den Händen des wirtschaftlich orientierten Egoismus. Mit anderen Worten erkennt Fichte die Verbindung zwischen dem vom gesunden Menschenverstand geführten und dem moralisch verdorbenen menschlichen 161 Handeln. Unter der Herrschaft des gesunden Menschenverstands wird der Mensch von der utilitaristischen Moral beherrscht, womit auch der Egoismus einhergeht. Die konsequente Korrelation des Egoismus zeigt sich in völliger Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen. Das Gemeinsame wird entleert, unzuverlässig, eine Instanz, die keine Unterstützung bietet, sondern eher darauf abzielt, den Einzelnen zu missbrauchen und auszunutzen. Nur an sich selbst zu denken, ist zu einer entscheidenden Tugend geworden in „dem Zeitalter der absoluten Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit, und der völligen Ungebundenheit ohne einigen Leitfaden: der Stand der vollendeten Sündhaftigkeit" (Fichte 1965, 11-12). Obwohl er nur zehn Jahre vor der Arbeit an den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters seine Philosophie auf der Idee der Existenz als freier Tätigkeit, auf dem absoluten, völlig unabhängigen Ich und auf der unendlichen Produktivität des autonomen menschlichen Wesens aufbaute, haben Fichtes Reflexionen über die realen Verwirklichungen der menschlichen Vernunft eindeutig gezeigt, dass das, was den Menschen gemeinsam ist, tatsächlich als das Gegenteil des Guten charakterisiert werden muss. Mit anderen Worten, Menschen gleichen sich in ihrer Kapazität zum Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Nichtsein. Fichtes Zeitgenosse und Mitbürger Friedrich Schiller antizipiert eine Art Mechanismus der Entlastung: „Die gemeine Natur nämlich, wenn sie angespannt worden, kann sich nur in der Leerheit erholen." (Schiller 1796, 88.) Es ist mehr als interessant, dass ausgerechnet der Philosoph, dessen Denken nachgesagt wird, nihilistisch zu sein, das Phänomen der Banalität thematisiert. Gerade dieser Idealismus, der den Vorwurf des Nihilismus verdient hat, weil er die Realität der äußeren Welt in Gedanken aufheben, „vernichten" möchte, um sie „durchaus subjektiv, unser eigenes Geschöpf - ein bloßes Schema -werden zu lassen" (Jacobi 2019, 201-202), erkennt das Schema der modernen Anthropologie im Wesentlichen als banal an. Das, was gemeinsam ist und das Lebensfundament jedes Individuums darstellt, wird als banal charakterisiert: Im Banalen verachtet der moderne Bürger sich selbst, die Trägheit seines überkommenen Lebens, seiner Herkunft und Sitte; dem setzt er das unermüdliche Streben nach Autonomie und Fortschritt entgegen. Daher könnte man das Banale auch als eine Erfindung des 19. Jahrhunderts bezeichnen. (Strasser 1997, 17.) Es handelt sich keineswegs um eine philosophische Simulation von Immunität und Exzellenz im Vergleich zu „allzu menschlichen" Dingen. Jetzt Philosoph zu sein bedeutet vor allem, nicht zuzulassen, dass uns das etablierte, alltägliche, banale Gesicht der menschlichen Gemeinschaft konstituiert. Die Gleichgültigkeit wird daher zu dem, was uns nicht konstituiert und nicht bestimmt, zu dem, was wir erfolgreich abgewehrt und dem wir widerstanden haben, und was von Natur aus ziemlich mächtig und wirkungsvoll ist, eine Art Generator der Uneigentlichkeit, verantwortlich dafür, dass „[k]einer [...] in der Alltäglichkeit er selbst" ist (Heidegger 1995, 13). Beim Nivellieren können wir zunächst den Nachfolger der Banalisierung des zwanzigsten Jahrhunderts erkennen. Im Gegensatz zur Banalisierung hebt das Nivellieren die Welt auf, aber nicht, indem es sie buchstäblich zerstört. Das Nivellieren funktioniert, indem es alles, was die Zeit ans Licht bringt, in die Leere des Wertevakuums liefert. Wenn bei Fichte das Banale ein Zeichen für das ist, was bereits als „allgemein", „ohne besonderen Eigenwert" existiert und anfänglich ist, impliziert das Nivellierte, dass etwas durch Gemeinsames, Dragan d. Prole bereits Gesehenes und Bekanntes gemacht wurde. Dank der Nivellierung wird die menschliche poiesis langfristig der Nichtigkeit überlassen. Nivellierung ist ein anderes Wort für das Verschwinden und Löschen qualitativer Unterschiede, wodurch die Orientierung innerhalb der Intersubjektivität gestört wird. Das Subjekt der Nivellierung ist jeder und niemand; es ist der „Sieg der Abstraktion über das Individuelle" (Kierkegaard 1978, 84). Wichtig für den Fortgang dieses Denkwegs war in erster Linie, dass Heidegger die Besonderheiten der zeitgenössischen Subjektivität zu demystifizieren versuchte, ohne die eine Nivellierung undenkbar wäre. Die Geworfenheit ins Sein als Merkmal der Endlichkeit menschlichen Erkennens veranlasste ihn, im Horizont der Gegenwart erneut die Zeit als Prinzip der Individualisierung bzw. als Medium der Persönlichkeitsformung zu untersuchen. Ausgehend davon, dass das Dasein zeitlich existiert, ist „jedes Verständnis von Sein nur auf dem Hintergrund der Zeit verständlich" (Luckner 2001, 21). Dabei existiert die Zeit nicht in der Einzahl; es gibt mehr oder weniger individualisierte Verschränkungen der drei Ekstasen der Zeit. Wenn wir die Grundlage der Zeit untersuchen, in der die zeitgenössische Neugierde 163 funktioniert, werden wir feststellen, dass sie aus einer Reihe von Momenten besteht, die jeglicher gegenseitiger Verbindung entbehren. Im Gegensatz zu früheren Formen der Neugierde, die einen gemeinsamen Wunsch nach umfassendem Verständnis und Systematik hatten, ist die zeitgenössische Neugierde äußerst oberflächlich, völlig den äußeren Eindrücken ausgesetzt, die nicht einmal versprechen müssen, das Erwartete und bereits Gesehene zu übertreffen. Dennoch funktioniert ihre Auswahl nach dem Prinzip der Eliminierung alles Bekannten, Gewöhnlichen und Vorhersehbaren. Das logische Äquivalent der Nivellierung ist die Abstraktion und, psychologisch gesehen, die Gleichgültigkeit. Da nur noch die Hingabe an aufregende Segmente des alltäglichen Lebens bleibt, wird das Verlangen nach Neuem im Laufe der Zeit geformt, durch die eine Existenz nicht konzipiert werden kann. Nihilismus ist vor allem dort zu Hause, wo die Selbstbesinnung nicht möglich und das Leben nichts anderes als Sinnlosigkeit wird. Darüber hinaus zielt das ungeduldige Wechseln von Neuem zu noch Neuerem darauf ab, die Last abzuschütteln, die entsteht, wenn sich die Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Gegenwart mit der Vergangenheit und der Zukunft zu einer sinnvollen Einheit verbindet. Wenn der ehemalige Leser eines Buches das Gelesene mit dem zuvor Gelesenen und dann mit seiner gesamten Erfahrung verband, kam es zu einer Harmonisierung der drei zeitlichen Ekstasen, wenn wir auch die Erwartungen von dem mit einbeziehen, was noch zu lesen war. Der moderne Instagram-Konsument wird auf eine endlose Reihe von völlig unverbundenen Inhalten verwiesen, die jedoch auf irgendeine Weise ausgewählt wurden, indem sie indirekt mit bestimmten persönlichen Interessen in Verbindung gebracht wurden. Statt den aktuellen Eindruck mit dem zuvor Erlebten zu verbinden und in Erfahrung umzuwandeln, werden wir auf einen neuen Reiz verwiesen. Es gibt keine Organisation der Zeit, keine Verbindung der zeitlichen Ekstasen; es handelt sich um ein klassisches Beispiel für die „Flucht aus der Zeit". Reduziert auf eine Aneinanderreihung unverbundener Momente, wird die menschliche Existenz zwangsläufig entpersönlicht, weil sie sich der Kriterien beraubt, nach denen etwas ausgewählt und etwas anderes abgelehnt werden kann. Das Verlangen nach Neuem, das sich selbst realisiert, indem 164 es unermüdlich nach äußeren Reizen sucht, gleicht zwangsläufig Ungleiches aus. Ob die Existenz es will oder nicht, sie gleicht notgedrungen aus, weil sie nicht die Absicht hat, dauerhaft bei irgendeiner „Neuheit", auf die sie stößt, zu verweilen. Genug Neuheit für sie ist nur das Allerneueste, alles andere kann nicht auf ihre Aufmerksamkeit zählen. Statt sich selbst in eine halbwegs sinnvolle Ganzheit zu formen, setzt die „neugierige" moderne Existenz sich ständig unverbundenen Eindrücken aus, wobei sie versucht, die zeitliche Bestimmung des eigenen Daseins vollständig zu vertreiben. Die Folgen der Nivellierung sind klar, Massenauswanderer aus der Zeit. Die Wiederholung des Strebens nach Neuestem sucht ihre Rechtfertigung in Klischees, die den endgültigen und vergänglichen Charakter der menschlichen Existenz nicht akzeptieren wollen. Dies wird am deutlichsten in verschiedenen Variationen des Themas der zeitlosen Jugend. Hinter einem aufdringlichen, aber auf den ersten Blick doch attraktiven Slogan wie forever young verbirgt sich nichts anderes als die Betonung der radikalen Individualität, das Hingeben an heterogene Unruhen und absichtliche Aufregungen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie keine gegenseitige Verbindung wünschen, da sie grundsätzlich ablehnen, voneinander abhängig zu sein. Die diskontinuierliche Variationsbreite von Entzückungen weigert sich, Dragan d. Prole zur Zeit zu werden. Die Abenteuer des zeitgenössischen Willens zum Neuesten enden daher zwangsläufig in den Klauen eines unglücklichen Bewusstseins. Die gegenwärtige uneigentliche Existenz strebt vor allem danach, die Zeit zu verlassen, ihrer Determination zu entkommen, sieht sich der Wille zum Neuesten letztendlich mit einem chronischen Zeitmangel konfrontiert. Dieser Zeitmangel lässt sich nicht bändigen, weil er ihr unkontrolliert entgleitet. Eine solche Flucht aus der Zeit kann kein glückliches Ende nehmen, denn sie endet, statt zeitlose Dimensionen zu erobern, zwangsläufig mit ihrer eigenen Abschaffung. Das Ergebnis ist unvermeidlich: Anstelle früherer, zeitlich unbeschränkter Gültigkeiten kommt es zur Abschaffung jeder Gültigkeit. Nihilismus ist die wahre zeitgenössische Auswirkung der Nivellierung. Aber wie kann man sich gegen den zeitgenössischen Trend zur Nivellierung wehren? Eine Möglichkeit des Widerstands gegen die Erzwingung abstrakter Identität besteht darin, Unterschiede zu betonen: Ihre Denk- und Sprechweise [= der Phänomenologie] verrät eine besondere Nähe zu den Künsten, nicht nur in ihrem Bezug zu den sinnlichen Hintergründen alles Denkbaren, alles Tunlichen und alles Machbaren, sondern auch in ihrer Empfänglichkeit für das Überraschende, das [...] uns an die Grenzen der Erfahrung treibt. (Waldenfels 2010, 129.) Der Schritt zu den Grenzen der Erfahrung wird nicht mehr durch den Versuch motiviert, die Rahmen zu erhellen, außerhalb derer unsere Erkenntniskräfte nicht mehr reichen. Im Gegensatz zum kritischen Geist von Kants Philosophie weist Bernhard Waldenfels darauf hin, dass die Bedeutung avantgardistischer und phänomenologischer Störungen des Banalen in produktiven Differenzierungsakten besteht, die er als „Diastase" bezeichnet. Ihre Besonderheit kann angemessen durch den Kontrast zur cartesianischen distincta perceptio erklärt werden. Die cartesianische Betonung weist auf die Notwendigkeit einer klaren Unterscheidung hin, die von der Annahme ausgeht, dass „Wörter unsere Gedanken nicht genau ausdrücken" (Descartes 1996, 60), weswegen ist es notwendig, Verwirrung zwischen Begriffen zu verhindern. Es ist notwendig, Grenzen zu erkennen, zu verstehen, wo ein Begriff endet und ein anderer beginnt. Im Gegensatz zur Klarheit von Descartes bezieht sich die Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Diastase von Waldenfels „auf einen Differenzierungsprozess, in dem das, was unterschieden wird, erst entsteht" (Waldenfels 1994, 335). Die Pointe der Diastase lässt sich nicht einfach auf die Geburt von Unterschieden reduzieren, auf das wertvolle Erkennen von Heterogenem in scheinbar Homogenem. Hier ist für uns der Hauptzug viel bedeutsamer, der darauf hinweist, dass die Differenzierung, die für die Diastase charakteristisch ist, einen Moment aufweist, der dem Abschiednehmen und der Trennung ähnlich ist: „Es handelt sich nicht um einen bloßen Akt der Unterscheidung, der eines von anderen als verschieden absondert, sondern um einen Prozess der Scheidung, der dem Abschied, der Abgeschiedenheit und dem Verscheiden verwandt ist." (Waldenfels 2002, 174-175.) Wenn das der Fall ist, haben wir dank der Diastase die Möglichkeit, uns von unseren eigenen Routinen zu entfernen, von der Banalität des Alltäglichen. Das Erleben des „Bruchs" der Erfahrung weist auf die Entdeckung der existenziellen Differenz hin. Das führt uns von bestimmten Lebensformen und Verständnissen weg, um uns auf eine andere Konstitution von Raum und Zeit zu lenken, auf die 166 Etablierung einer neuen Art der Beziehung zu uns selbst und zu anderen. Die existenzielle Differenz denkt dabei den Abstand zwischen dem banalisierten, routinierten Leben, dessen Bewegungen im Voraus festgelegt, bekannt und vorhersehbar sind, und der Art des Daseins, die aufgrund von Trennungen, Verlassen und bewusster Verschiebungen im Verhältnis zu dekonstruierten existenziellen „Quellen" gewonnen wurde. Weit entfernt von jeder Melancholie des Abschieds zeigt das Phänomen der Diastase, dass existenzielle Differenz nicht durch spontanes Wachstum oder Reifen möglich ist. Dafür ist eine Erfahrung notwendig, die uns bewegt und voranbringt, indem sie die Fesseln bricht, die uns normalerweise mit Vertrautem und Gewohntem verbinden. Daher bedeutet Befreiung, sowohl für Husserl als auch früher für Nietzsche, die Fähigkeit zur Emanzipation von Werten, für die von uns erwartet wird, dass wir sie vertreten. Bibliography | Bibliografija Descartes, Réne. 1996. „Les principes de la philosophie." In R. Descartes, Œuvres de Descartes X, hrsg. von C. Adam und P. 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