^m durch unsern Minister zu ähnlichen, auf seinen Namen lautenden offenen Briefen zu verhelfen, um. für den Fall einer Trennung von unserer Expedition, davon Gebrauch zu machcn. Baron Palmstjeina, welchen ich nun ersuchte, in dieser Angelegenheit seinen Einfluß geltend zu machen, erwiderte aber, daß sich Erman, als preußischer Unterthan, an den preußischen Minister in Petersburg deshalb weuden müsse. Dies konnte aber Dr. Erman nicht, da der preußische Minister keinen Befehl hinsichtlich dieser Neise von seiner Regierung bekommen hatte. Ich stellte endlich Palmstjerna vor, daß Nr. Erman als Mitglied der norwegischen Expedition betrachtet werden möchte, und daß es gleichgiltig sein müßte, wo ein Mitglied derselben geboren fei. Durch diese Betrachtung ließ er sich endlich überreden, sich dieser Mühe zu unterziehen und setzte es denn auch glücklich durch. Von den interessanten Bekanntschaften, die ich in Petersburg machte, nenne ich zunächst den Flottencapitain (jetzt Admiral) Baron Ferdinand v. Wrangel. der in den Jahren 1820 bis 1824 eine Entdeckungsreise 14 Ferdinand v. Wrangel. 12. Kap. längs der Nordküste des östlichen Sibiriens und auf dem Eismeere ge. macht, die Lage vieler Punkte auf der Küste bestimmt und eine Neihe magnetischer und meteorologischer Beobachtungen in diesen von Gelehrten zuvor nie besuchten Gegenden ausgeführt hatte. Seine Schilderung der furchtbaren Kalte, bis 40 Grad N., die er dabei ausgebalten hatte, jagte mir einen Schreck vor Dem ein. was ich möglicherweise in Sibirien würde auszustehen haben, obwohl ich nicht, wie er. mich dem 75. Breitegrade zu nähern gedachte. „Vei so niedriger Temperatur." sagte er, „darf man nicht anders Athem holen, als indem man ein Bärenfell vors Gesicht halt und so die Luft durch die Bärenbaare einzieht, lmd selbst dann muß man mit dem Athmen sparsam sein, damit die Lungen nicht angegriffen wer< den." Wrangel tbeilte mir alle seine magnetischen Beobachtungen über Declination und Inclination in diesen nördlichen Gegenden mit, welche für mich eine besonders interessante Acquisition waren, sofern sie die Beobachtungen, welche ich später in den südlicheren Gegenden von Sibi» rien machte, zu ergänzen dienten. Ich gab ihm dafür einige von meinen Karten und kleinen Abhandlungen. Auch überreichte er mir eiuen Brief an den Civilgouverneur Zeidler in Irkutsk, in dessen Hause er wahrend seines dortigen Aufenthalts 1820 eine herzliche Gastfreundschaft genossen hatte, begleitet von einem Reis des Eichenbaumes iu Loogwood auf St. Helena, nnter welchem Napoleon oft. in Gedanken versunken, zu sitzen pflegte. Von diesem Reise brach ich ein Blatt ab, das ich. als ein Zeichen der Erinnerung an den großen Mann, meiner Frau in einem Briefe sendete. Am Abend des 30. Juni besuchte ich in Dr. Erman's Gesellschaft den Erdumsegler Admiral Krusenstcrn. Wir trafen ibn in seinem Garten am Theetisch in Gesellschaft seiner Frau, des Capitains Kotzebue. der dreimal die Erde umsegelt hatte (das erste Mal unter Krusenftcrn und die beiden andern Male selbst als Chef), dessen Frau und deren Vater. Graf Manteuffel. Ich erinnerte den Admiral an die traurige Collision der Pflichten und Neigungen, unter welcher er, wie er in der Einleitung zu seiner Neisebeschreibung erwähnt, seine Erdumsegelung begann. Er hatte nämlich mehre« Jahre zuvor den Plan zu einer solchen Entdeckungs-Ezpedition entworfen, sie wurde aber wegen eingetretener Hindernisse auf lange Zeit ausgesetzt. Da erhielt er plötzlich, wenige Tage nachdem er 2. Kap.) Admiral Krusenstern. 15 sich mit seiner liebenswürdigen Frau verheirathet hatte, den Befehl, die Reise anzutreten, sodaß die jungen Eheleute sich auf drei Jahre trennen mußten, mit dem schmerzlichen Gefühl, vielleicht nie wieder vereinigt zu werden. Ich lieh dem Admiral eine Karte über die Declination der Magnetnadel auf zwei Blättern. Dieselbe enthielt das System aufder östlichen und westlichen Halbkugel, welches nach einer Menge Beobachtungen, die ich im Jahre 1819 aus Schiffsjournalen der englischen Admiralität in London ausgezogen hatte, von mir construirt worden war. Er wollte die Karte copiren lassen. Eine Woche später besuchte ich, in Gesellschaft des Dr. Erman, wiederum den Admiral. Er übergab uns vier Briefe: nach Irkutsk, IakutskundOchotsk undvi-. Erman einen nach Kamtschatka, worin er den russischen Befehlshaber eines Schiffes, das, wie er meinte, gleichzeitig mit Dr. Erman's vermuthlicher Ankunft dort eintreffen würde, darum ersuchte, meinen Reisegenossen mit nach Europa zurückzuführen. „Solcher Briefe können Sie nicht genug bekommen," fügte er hinzu. Indem er mir meine Declinationskarten zurückgab, sagte er: „Können Sie's glauben, daß mich die Karte ein paar Tage krank gemacht hat ?" Er hatte nämlich das eine Blatt einem jungen Seeofficier zum Copiren übergeben, und einige Tage nachher war dieser Officier während seiner Abwesenheit in sein Bureau gekommen und hatte auch das andere genommen. Darauf hatte ein euglischer Capitän. Namens Widall, Krusenstern besucht, und diesem wollte er die Karte zeigen, aber obschon er alle seine Sachen durchsuchte, und alle seine Papiere um und um kehrte, war die Karte nicht zu finden. «Der Gedanke," sagte er, „daß ich durch Unachtsamkeit die mir anvertraute Arbeit eines Fremden sollte haben fortkommen lassen, ärgerte mich dermaßen, daß ich krank wurde, und mich zu Bette legen mußte. Erst am folgenden Tage, als mein Lieutenaunt mir beide Blatter zurückbrachte und mir die Sache erklärte, stand ich wieder auf." Als wir Abschied genommen hatten, und hinaus nach derNewski-Perspective gekommen waren, welche sich dicht am Garten des Admirals hinzog, wurden wir von einem Bedienten zurückgerufen, der uns sagte, daß der Admiral noch ein paar Worte mit uns zu sprechen wünschte. Gleich darauf nahmen wir auch schon den Kopf des Admirals über dem Gartenzaun wahr und wurden unkr freundlichen Entschuldigungen von ihm selbst darum ersucht, noch einmal zurückzukommen, weil seine Frau uns gern Lebewohl sagen möchte. 16 Generallieutenant Schubert. l2. Kap. Als wir hineinkamen, trat uns die liebreiche Frau mit Thränen in den Augen entgegen, und wünschte uns alles Glück zu unserer bevorstehenden beschwerlichen Reise. Dabei erwähnte sie. daß sie einen Sohn hätte, der sich als Seecadet am Bord des russischen Schisses befände, welches Dr. Erman in Kamtschatka wahrscheinlich aufnehmen würde, und daß sie nun, besorgt über das Schicksal dieses Sohnes, in ihrer Phantasie alle die Gefahren durchgegangen wäre, denen man auf einer Neise, wie die, welche wir jetzt antreten sollten, ausgesetzt sein könnte. Als ich, gerührt über diesen freundlichen Abschied, ihre Hand ergriff und sie küßte, bückte sie sich herab und küßte mich auf die Wange. Es war das erste Mal, daß ich mit dieser russischen Sitte bekannt wurde. Der Minister Suchtelen in Stockholm hatte mir diese Dame schon als einen wahren Engel ge» schildert, und so war sie mir auch erschienen. Ueberhaupt gewählte mir die Bekanntschaft dieses liebenswürdigen Paares, von welchem ich mir schon aus der Reiscbeschrcibliug des Admirals ein ähnlichcsBild entworfen hatte, ein ganz besonderes Interesse. Sehr interessant war uns auch die Bekanntschaft des Generallieute« nants Schubert, damaligen Chefs vom Generalstabe und Directors des Kartendepots. Er ist ein Sohn des berühmten Astronomen Friedrich Theodor Schubert, der ein Jahr vor unserm Aufenthalt in Petersburg gestorben war, und der im Jahre 1805, auf demselben Wege, den wir zu nehmen gedachten, eine Reise durch Sibirien bis zur chinesischen Grenze gemacht, und dort einige magnetische Beobachtungen angestellt hatte. Der General führte uns in allen Bureaus, Werkstätten und lithographischen wie Kupfer-stich-Anstalten des ungeheuren dem Generalstab bestimmten Gebäudes umher und machte uns die neueste Karte von Sibirien zum Geschenk. Da ich hierbei den Wunsch äußerte, eine Karte dieses Landes mit lateinischen Buchstaben zu besitzen, um sie meiner Frau zu schicken, damit sie mir auf der Karte während meiner Reise folgen könnte, ging er sogleich fort und ließ drei Kupferplatten einer alteren Karte mit französischer Schrift aufsuchen und sofort einen Abdruck davon nehmen. Obwohl diese Karte mit der Cabinetspoft von Petersburg nach Stockholm geschickt wurde, kam sie doch nie in den Besitz meiner Frau. was mir höchst ärgerlich war; sie muß in Stockholm einem Liebhaber in die Hände gefallen sein. Darauf zeigte uns der General das sogenannte eiserne Archiv, ein länglich 2. Kap.) Graf Speranski. 17 runder, mehrere Fuß langer Saal von außerordentlicher Höhe, worin Alles, Boden, Decken, Säulen, Bänke u. s. w. von Gußeisen ist. Früher ist es ein Theater gewesen. Vom Fußboden an läuft an der rechten und an der linken Seite, rings um die Wände, eine Galerie, in Form einer Spirale, mit sechs bis acht Biegungen, bis zur Decke. In den Arkaden dieser Spirale stehen Nepositorien. gleichfalls von Eisen, in welchen die Protokolle des Kriegsarchivs niedergelegt sind. Zwischen beiden Galerien ist es ziemlich dunkel, sodaß man selbst am Tage Licht anzünden muß. Dieser ganze Saal ist auf beiden Galerien mit 'Acten angefüllt, und enthält doch nur das Neueste, denn das Acltere wird nach Moskau geschickt. Auch bei dem Minister Graf Speranski, dem früheren Gcueral-Gouverneur von ganz Sibirien, das während meines Aufenthalts daselbst in zwei Gubernien, das westliche und das östliche Sibirien, getheilt wurde, hatte ich eine Audienz. Dieser ausgezeichnete Mann, Sohn eines einfachen Popen, hatte sich allein durch sein Talent zu dem hohen Range, den er bekleidete, emporgeschwungen. Er hat selbst eine Beschreibung von Sibirien herausgegeben und besaß, wegen seiner genauen Kenntniß dieses großen Landes. vielen Einfluß auf die Venvalmng desselben; auch stand er wegen seiner wissenschaftlichen Bildung und Humauen Gesinnung in großer Gunst beim Kaiser. Er theilte uns viele nützliche Nachrichten in Betreff der von uns beabsichtigten Reise mit. unter Andern gab er uns Gesundheitsmaßregeln für die verschiedenen Jahreszeiten und schilderte die verschiedenen Oertlichkeiten. „Die Wege," sagte er, „sind jetzt vortrefflich ; die Kälte in Sibirien ist nicht unangenehm, da die Lust im Winter ganz ruhig und zugleich trocken ist. Man leidet darum bei 17 Grad Kälte in Petersburg mehr, als bei 26—28 Grad in Sibirien." Auch ertheilte er uns den Rath. auf der Rückreise von Irkutsk einen südlicheren Weg. als den gewöhnlichen über Tobolsk, einzuschlagen, nämlich von Tomsk südwärts nach dem Kolywan'schen Bergwerk und der chinesischen Grenze, uud von da längs den sogenannten Kirgiseulinien bis Orenburg und Astrachan zu gehen. Er schilderte uns diese Gegenden, die er selbst bereist hatte, mit vieler Wärme, als den interessantesten Theil von Sibirien und gab uns verschiedene Empfehlungsbriefe mit, wobei er bemerkte. wir würden überall „ä dra,3 ouverls' aufgenommen werden, was denn auch geschah, denn er hatte hinreichend dafür gesorgt. Wir Hanstecn, Mse. 2 13 Der Demidosssche Palast. 12. Kap. erhielten auch von ihm einen offnen Vrief, worin wir allen Postbeamten zu rascher Beförderung empfohlen wurden, und dies war natürlich für uns von großer WichtigM, denn es ersparte uns Zeit. und wir dursten nicht fürchten, irgend einer Chikane ausgesetzt zu sein. Da wir von St. Iekathriuenburg aus längs dem Ural nach Norden reisen wollten, wo der reiche Demidoff die große Fabrik (Kavoc!) Nischne Tagilsk und mehrere Gold - und Platinawäschen besitzt, so besuchten wir den Cbef seines Comptoirs. Herrn Kolonoss. der uns Briefe an den Verwalter dieses Ortes mitgab. Unter vielen Kunstsachen und Kostbarkeiten des Demidofsschen Palastes zeigte er uns auch einen eleganten, runden Tisch mit einfachem Fuß von Iakaranda und zwei mit geschliffnem Ma. lachit belegten Tischplatten, von welchen die unterste ungefähr vier, die oberste zwei Fuß Durchmesser hatte (was wir mit dem Namen „Kammerdiener" bezeichnen), und machte uns dabei aufeinen eingeritzten Kreis an der untersten Tischplatte aufmerksam, von welchem er uns folgende Anekdote mittheilte: „Bei dem Feste, welches der Fürst Karl von Schwarzenberg den 1. Juli 18!0 aus Anlaß von Napoleon's Vermählung mit der Erzherzogin Marie Luise gab. entstand bekanntlich ein furchtbares Feuer im Ballsaal, wobei die Fürstin Pauline von Tchwarzenberg, eine Tochter des Herzogs von Aremberg, ihr Leben verlor. Napoleon, welcher selbst bei dem Feste zugegen war, ermunterte persönlich die Löschmannschaften, uud da er sich dem Feuer stark ausgesetzt hatte, empfand er einen heftigen Durft. Er eilte deshalb in das in der Nähe befindliche Palais des Fürsten Demidoff und bat sich ein Glas Wasser aus. Man brachte eine Flasche Champagner und ein Glas. und setzte Beides auf den in Rede stehenden Malachittisch. Der Kaiser trank, setzte dann das Glas wieder auf den Tisch und eilte nach der Brandstätte zurück. Kolonoff ritzte nun einen Kreis in den Malachit rings um den Fuß des Glases, um dadurch die Erinnerung an diesen kaiserlichen Besuch zu bewahren, und jeder von den Anwesenden trank aus demselben Glase, aus welchem der Kaiser getrunken hatte, bis die Flasche geleert war." Im Bergwerkscorps hatten wir eine Menge großer Platina »Klumpen gesehen, und namentlich einen großen Klumpen gediegenen Goldes, der ungefähr vierzig russische Pfund wog. Da nun Rußland auch reich an Silber und den meisten anderen Metallen ist, so äußerte ich gegen Herrn Kolonoff, Rußland sei das reichste 2. Kap.) St. Petersburg 19 Land in der alten Welt, und da man, wie ich gehört, jetzt sogar Champagner aus Astrachantrauben bereiten gelernt habe. so fehle ihm nichts weiter an den Herrlichkeiten der Erde, als daß es auch Diamanten er< zeugte. Er entgegnete: „Die werden sich auch wohl bald finden." Und wirklich schien diese Erwartung bald nachher, während Herrn v. Humboldt's Aufenthalt im Ural, in Erfüllung gegangen zu sein. Im Haufe unsers Ministers, des Barons Palmstjerna, wurden wir besonders gastfrei aufgenommen, ebenso bei dem Banquier Baron Stieglitz, dessen Sohl« kürzlich von der Universität Dorpat zurückgekommen war, und bei den» schwedisch-norwegischen General«Consul Sterky, welche Letzteren uns mehrmals nach ihren schönen Landsitzen einluden, wo wir stets die ausgesuchteste Gesellschaft und die geschmackvollste Bewirthnng fanden. Die Umgegend von Petersburg ist wegen der vielen Inseln, auf welchen die Stadt angelegt ist, von Natur recht hübsch, doch hat sie namentlich durch Kunst bedeutende Verschönerungen erhalten. Wir besuchten an einem Sonntag Abend den großen. prachtvollen Garten des Sommerpalastes, in dessen schattigen Alleen ein großer Theil von Petersburgs deau monäo spazieren ging. und der mit vielen Marmorstatuen und Flora's herrlichsten Erzeugnissen geschmückt war. Bei reicheren Familien befindet sich immer in der Nähe eines Fensters im Gesellschaftszimmer eine prachtvolle Blumen-Etagöre. In der Negel trifft man ein Abkom» men mit einem Gärtner, welcher jeden Sonnabend die Etagäre mit dem schönsten, frischen Blumenflor vlrsieht. Eines Abends besuchten wir das russische Theater, wo ein französisches Stück in fünf Acten, und darauf ein Singspiel, beide ins Russische übersetzt, gegeben wurden. Obwohl wir vom Dialog nicht viel verstanden, so unterhielten wir uns doch vortrefflich. Declamation und Mimik waren lebhaft und natürlich, und die Action frei und ungezwungen, sodaß mir eine Vergleichung des ganzen Spiels mit dem französischen sehr nahe lag. Ueberhaupt glaubte ich eine ziemlich große Aehnlichkeit zwischen den Nüssen und den Franzosen zu finden; denn beide Völker sind sehr lebhaft, redselig nnd von leichter Sinnesart. Die Miethkutscher, die Fährleute können einander nicht nahe kommen, ohne daß ihnen der Mund überläuft. Sie sprechen mit Heftigkeit und unter lebhaftem Geberdenspiel. als ob sie von Leidenschaft aufgeregt wären. Die Matrosen auf den Schiffen, die Ar- 2' 20 Es. Petersburg. l2. Kap. belter auf den Werften lärmen und schreien, als ob sie rasend wären. Nichts geschieht ohne Geschwätz. Uebrigens sind fie unzuverlässig und suchen Jedermann zu prellen. Bietet man ihnen ein Fünftel des verlangten Preises, so kann man im Allgemeinen darauf rechnen, daß man das Ge« wünschte erhält. Ein Accord mit den Ruderern, den Droschkenkutschern, von welchen letzteren in jeder Straße ein paar Dutzend halten, ist eine förmliche Comödie. Geht man auf dem Trottoir. so kommen oft vier, fünf und mehr Kutscher angefabren und bieten ihre Droschken an. Jeder rühmt die seine als die schönste und bequemste, und Einer überschreit den Andern. Oft müssen sie selbst lachen, wenn sie so ibren seltsamen An» griff auf den erschrockncn Wanderer machen. Nun beginnt der Handel. Der Kutscher verlangt 3—4 Rubel; man antwortet kurz: „zu viel! zu viel!" und geht gleichgiltig ein paar Schritte weiter. Er beeilt sich eine billigere Forderung zn machen, und man wiederholt spottend sein „olLclion äoi-vF«« (viel zu theuer), und geht. ohne sich umzusehen, einige Schritte weiter. Er fahrt nach und ruft wieder, und so geht es fort. bis man auf ein Viertel oder Fünftel des Preises gekommen ist, worauf man ein passendes Gebot macht, was in der Regel mit „Gilles" (setzen Sie sich ein) beantwortet wird. Am 7. Juli, dem Geburtstage des Kaisers, war Petersburg illuminirt; außerdem wurde fast einen Tag um den andern, bei der Bekanntmachung von Siegesnachrichten aus der Türkei, die Stadt erleuchtet. Man stellte zn dem Ende kleine Steingefäße mit Talg und einem Docht längs den Rinnsteinen am Rande des Trottoirs hinter jeden Prellstein, die hier ziemlich dicht stehen. Diese Art von Illumiuation nimmt sich in den langen und breiten Straßen recht hübsch aus. Kurz vor unserer Abreise kaufte ich einen leichten Reisewagen, eine Art Britschke. jedoch mit Verschlag, und miethete einen Diener aus Esthland, Nameus Gustav Nosenllind. der uns als Dolmetscher dienen sollte. Er war als Leibeigener auf dem Gute einer Baronin Wrangel, in der Nähe von Reval, geboren und hatte fünfundzwanzig Jahrein deren Diensten gestanden. Er sprach Russisch, Esthnisch und Deutsch, und verstand auch etwas Polnisch. Sein Lohn wurde zu 1000 Rubel Schein, etwa 350 Thaler, für die ganze Reise ausbedungen. So bestand die ganze Reisegesellschaft, Herren und Diener, aus sechs Personen, nämlich dem Lieutenant Due, der mit mir in demselben Wagen saß, dem norwegischen 3. Kap.) Ankunft in Tobolsk. 21 Bedienten Anders Nielsen, der auf dem Packwagen neben dem russi. schen Kutscher seinen Platz erhielt, und dem Dr. Erman, der eine eigene Britschke besaß und Gustav Rosenlund als Kutscher hatte. Freitag, den 11. Juli, verließen wir endlich Petersburg, höchst erfreut, daß endlich alle unsere mühseligen und' langwierigen Vorbereitungen, die uns einund« zwanzig Tage aufgehalten, ihr Ende erreicht hatten. Drittes Kapitel. Aufenthalt in Tobolsk. — Eine russische Hochzeit. — Taufe einer erwachsenen Jüdin. Am 7. October 1828 kamen wir nach Tobolsk, der Hauptstadt des westlichen Sibiriens, wo der Generalgouverneur und ein Erzbischof (Archhierei) residiren. Am Tage nach unserer Ankunft fiel der erste Schnee, welcher die Wege beschwerlich machte; und da unsere Räderwagen beim Eintritt der Winterbahn alls Schlittenkufen geseht werden mußten, so rieth man uns, diese Veränderung lieber hier ausführen zu lassen, wo sich taugliche Arbeiter fanden, und wo uns der Aufenthalt bis zum Eintritt der vollständigen Winterbahn mehr Annehmlichkeiten bieten würde, als sogleich weiter zu reisen und in irgend einen» Dorfe liegen zu bleiben. Dieser erste Schnee ging indeß bald fort, und die beständige Winterbahn traf so spat ein. daß wir die Neise nicht vor dem 12. December fortsehen konnten. Während dieses Aufenthalts, welcher dazu verwendet wurde, eine längere Reihe von Beobachtungen, der Hauptzweck unserer Neise. auszuführen, und die nöthigen Mühen und Stiefeln von Rennthier, fellen anfertigen zu lassen, machten wir die Bekanntschaft zweier liebens. würdigen deutschen Familien, nämlich eines Doctors Fiandt aus Berlin und seiner jungen Frau aus Dorpat, und eines Ingenieurobersten Hirsch und seiner Frau, mit welchen wir fast täglich umgingen, und von denen wir Beweise der zuvorkommendsten Höflichkeit erfuhren. Gin Dienstmädchen des Obersten Hirsch wurde während unsers Alchnthalteshierselbst mit einem Zimmermanne verheirathet, und dadurch bekamen wir Gelegen. 22 Heirathsvermittlerinnen. 13. Kap. heit. die Ceremonien kennen zu lernen, welche bei einer Heirath zwischen den niederen Classen in Rußland und Sibirien üblich sind. Wenn ein Russe aus dem niederen Staude Luft bekommt, sich zu verheirathen, wendet er sich an eine alte Vermittlerin, bei den Nusseu Swacha genannt, eine Art Stiefmutter für Bräute, die mit alleu un« verheirathetcn und heiratsfähigen Frauenzimmern der Stadt oder des Dorfes genau bekannt ist. Er bittet sie, ihm eine Frau zu verschaffen, welche gewisse von ihm bezeichnete Eigenschaften besitzt, auf die er bcson« ders Werth legt. Swacha nimmt dann ihre Listen zur Hand, wofern sie schreiben kann, oder, da dies fast nie der Fall ist, mustert in ihren Ge< danken alle die Mädchen, die sie in der Stadt kennt und nennt ihm eine, von der sie glaubt, sie werde nach seinen Wünschen sein. In der Regel hat er die vorgeschlagene Braut ebenso wenig gesehen, wie sie ihn. Swacha findet sich dann bei dem Mädchen ein, und erzählt ihr, daß der Iung-gesell N. N. gegen sie geäußert habe, er habe Lust, sich zu verheirathen, wenn er ein braves, strebsames und freundliches Madchen finden könnte. Sie rechnet seine verschiedenen guten Eigenschaften vor, z. B. daß er nüchtern, arbeitsam u. s. w. ist, und kann sie hinzufügen, daß er eine Samawarr oder Theemaschine befitzt, so fällt dies zu seinen Gunsten nicht wenig in die Waagschale. Thee ist nämlich das Lieblingsgetränk des Sibiriers; es wird einem jeden Gaste angeboten, der in ein anständiges Haus zu irgend einer Tageszeit eintritt; und zwar ist es ein besonders fein duftender Thee, wie wir ihn selten erhalten. Wenn Dienstleute von einer Herrschaft gemiethet werden, so geschieht es nicht selten, daß sie sich ausbedingen, so und so oft des Tages Thee zu bekommen. Eine Sama< warr zu besitzen, ist also ein Zeichen eines gewissen Grades von Wohlstand und Wohlleben, und ist für einen russischen Bauerburschen eine ebenso empfehlende Eigenschaft, wie für ein dänisches Bauermadchen, wenn sie einen Graven') ihr Eigenthum nennen kann. Findet Twacha das Mädchen nicht ganz abgeneigt, aus den Vorschlag einzugehen, so ver. anstaltet sie eine Zusammenkunft an einem dritten Orte, z. B. in der Kirche. wo sich Beide einander beschallen können. Dies ist des Freiens erster Act, und heißt Emotrenie oder das Beschauen. Swacha führt ') Ein kcssela^iger eiserner Topf, auch in Niederdeutschland auf dem Lande sehr in Gebrauch. D. Ueders. 3. Kap.) Hochzeitsgebräuche. 23 fie zusammen und stellt sie einander vor, aber oft sprechen sie nicht ein Wort mit einander, so groß ist ihre Verlegenheit. Sie betrachten blos einander und trennen sich dann; und davon hat dieser Act seinen Namen bekommen. Finden sie nun, daß sie einander nicht gänzlich zuwider find, zumal wenn es dem Freier scheint, daß das Mädchen gut aussieht, so bittet er Swacha. die Unterhandlungen fortzusetzen, und sie geht nun zwischen Beiden hin und her und rühmt gegenseitig ihre guten Eigenschaften. Glückt dies einigermaßen. so wird eine kleine Gesellschaft bei der Familie des Einen oder des Anderen zu Stande gebracht, wo Beide mit anderen Fremden eingeladen werden, um sich genauer betrachten und wo möglich mit einander sprechen zu können. Dies ist des Freiens zweiter Act und heißt Swidanie oder das Wiedersehen. Ist der Freier nicht ein ganzer Tölpel, so sucht er sich so liebenswürdig wie möglich zu machen; oft vermag er jedoch nur ein paar Worte hervorzubringen, ungeachtet Swacha, ähnlich dem Küchenmeister auf den norwegischen Bauernhochzeiten, sich alle erdenkliche Mühe giebt, eine fröhliche Unterhaltung in Gang zu bringen. Swacha setzt nun ihre Vermittelungen sort, und sucht das Mädchen zu einer Erklärung zu bewegen. Wird dies durch ihre Ueberredung oder durch die Familie des Mädchens dahin gebracht, so giebt das Mädchen entweder der Swacha oder unmittelbar dem Freier selbst ihre Hand daraus; und dieser dritte Act des Freicns wird Nukobitie oder der Handschlag genannt. Ist man so weit gekommen, so werden sie als Verlobte angeschen, und die Familie der Braut, oder ihre Herrschaft, wenn sie dient, veranstaltet eine kleine Gesellschaft, wozu alle jungfräulichen Bekanute und Freundinnen der Braut eingeladen werden. Diese singen dann allerlei Lieder, trinken Thee, etwas Branntwein, tanzen ein wenig nach Gesang oder einer Violine oder nach einer Balalaika, einem Inftru« ment mit vier metallenen Saiten, das man in jeder Bude für 50 Kopeken bekommen kann. Dies ist der vierte Act und heißt Dewitschnik oder der Iungfcrnabend (Polterabend), an welchem das junge Mädchen Abschied nimmt von ihren Gefährtinnen, um in daS Joch der Ehe zu treten. An diesem Abend wird ihr der Zopf über den Rücken ausgekämmt, und erst nach der Hochzeit wieder geflochten, wo er dann beständig mit einer Haube bedeckt ist. oder wohl gar abgeschnitten wird. Gleich Tages daraus findet die Hochzeit oder Swadba statt, der fünfte und letzte Act dieses Schau- 24 ' Die Heiligenbilder. " 13- Kap. spiels, das je nach den Umständen entweder eine Lust' oder ein Trauer, spiel wird. Um diesen Act recht verständlich zu machen, muß ich etwas von dem Bilderdienst der Nüssen anführen. Im Hause eines Russen muß in jeder Stube ein Ob ras oder Heiligenbild sein. Dies wird gewöhnlich in einer Ecke, der Eingangsthür gegenüber, etwas über Mannshöhe aufge» hängt. Das Erste, was der Russe thut, wenn er aufgestanden, ist. Hände und Gesicht zu waschen, und darauf sich unter Verbeugung dreimal vor diesem Obras zu bekreuzen. Tiitt er znm eisten Male des Tages in eine andere Stube, es sei in seinem eigenen oder in einem fremden Hause, so wird dieselbe Ceremonie vor dem Obras wiederholt. Ehe dies geschehen, thut er seinen Mund nicht auf; und es kann nichts helfen, wenn man zu ihm spricht, denn. bis dies vollbracht ist, hört und sieht er nicht. Protestantische Familien müssen auch ein solches Obras in der Wohnstube um des gemeinen Mannes willen haben, denn wenn dieser hineinkommt, und vergebens in allen Ecken ein Bild sucht, dem er seine Verehrung dar» bringen kann. so kommt er in Verlegenheit. Es kommt ihm vor. sagt er, als ob er in einen Schweinestall oder zu Heiden käme. Vor diesem Bilde, oder jedem dieser Bilder (denn je mehr. desto besser) wird ein Wachslicht an dem Kopfe eines großen hervorragenden Nagels befestigt. Bei einigermaßen wohlhabenden Familien sind diese dünnen weißen Wachslichter ausgeputzt, indem sich eine Spirale von Blattgold schrauben, förmig von unten nach oben um sie schlingt; bei noch Wohlhabenderen wird vor daZ mittelste und kostbarste Bild eine hübsche Glaslampe gehangt. Diese Bilder weiden als Schutzgötter der Familie angesehen und erben von Mutter auf Tochter durch viele Geschlechter. Bei ganz gewöhnlictien armen Leuten, namentlich in Sibirien, wo sich die bildenden Künste be< kanntlich auf einer niedrigen Stufe befinden, bestehen sie blos aus kleinen gegossenen Messingtaseln mit halberhabenen Figuren, in Form der ehe« maligen Altarblättcr mit Thüren. Sie haben zwei Flügel, welche über der mittelsten Haupttafel, auf der gewöhnlich ein äußerst mittelmäßiges Marienbild angebracht ist, zusammen gelegt werden können, und sind nur 3-4 Zoll hoch und breit. Die Gürtler aus den Dörfern verfertigen sie selbst, und man kann sie für wenige Rubel kaufen. Später weiden sie dann von den Popen eingeweiht. Auf dem Markte in Nischnei-Nowgorod 3. Kap.) Die Heiligenbilder. 25 sahen wir mehrere Marktbuden angefüllt mit solchen Obrasen zu verschie« denen Preisen, und wir kauften drei derselben. Etwas zierlichere Bilder sind. schlecht genug, auf eine Holztafel von ungefähr acht Zoll ins Quadrat gemalt und schr stark gefirnißt. Auf den elegantesten ist die Malerei etwas besser, aber von einer Sillvrplatte oder vergoldeten Messingplatte ganz verdeckt, welche in halberhabener Arbeit das Gewand des Heiligen nnd eine Glorie um den Kopf, umgeben von Laubwerk oder anderen Zierrathen, vorstellt. Blos vor dem Gesicht und den Händen ist die Me« tallplatte durchschnitten, fodaß das Gemälde sichtbar wird; und die Tafel selbst ist von einem hübschen Rahmen eingefaßt. Bei den reicheren ist die Glorie von Perlen und Edelsteinen umgeben; und auf dem berühmten Kasan'schen Mutter>Gottcs-Bilde, das, wenn ich mich recht erinnere, in einer Kirche im Kreml zu Moskau hängt, sind diese Edelsteine von einem unermeßlichen Werthe. An jedem Prasdnik oder Heiligentage, deren es in Nußland eine Menge giebt, werden die Lichter der Lampen vor diesem Bilde angezündet, und an den großen Feiertagen, z. B. am ersten Weih» nachtstage, fahren in den Städten die Popel« von Haus zu Haus, singen ihr vierstimmiges «Gospodi pomilio" (Herr, erbarme dich unser) vor den Hausgöttern der Familie, und besprengen sie und die Bewohner des Hauses mitWeihwaffer mittelst eines Reises, das sie ins Weihwaffergefäß tauchen. Am Hochzeitstage kommen Braut und Bräutigam bei ihren Eltern, erst bei denen des Bräutigams, dann bei denen der Braut zu» sammen. um geweiht oder gesegnet zu werden. Leben ihre Eltern nicht, so muffen sie ihre Vrotherrschaft dazu bewegen, deren Stelle zu vertreten. Bei der oben erwähnten Hochzeit stellte Oberst Hirsch den Vater der Braut vor, und verrichtete also die Einweihung. Ein Obras von etwa zehn Zoll ins Quadrat. Maria mit dem Christuskinde auf dem Arme vorstellend, und mit einer ausgeschnittenen Silberplatte verdeckt, war auf einem Tische aufgestellt; davor ein brennendes Wachslicht. Vor diesem lag ein großes rundes Brot, auf welchem ein Salzgefäß von geschliffenem Glast, angefüllt mit feinem Salze, stand. Bei gewöhnlicheren Lenten wird blos eine Handvoll groben Salzes auf das Brot gelegt. Auf dem Boden vor dem Tische war ein hübscher Teppich ausgebreitet. Die Braut, ein großes, schönes, junges Mädchen in einem braunscidenen Kleide mit hübscher Garnirung, welches ihr Frau Hirsch verehrt hatte, das lange, 26 Der Hochzeitstag. P. Kap. braune Haar über den Rücken gekämmt, mit einem buntseidenen Tuche um den Kopf, gelben Safsianschuhen und weißen, baumwollenen Strümpfen, kam herein, von ihrer Mutter begleitet. Sie schritt langsam auf den Tep. pich zu, kniete nieder und machte ihre Pokorno, d. h. ehrerbietige Re. verenz, dreimal vor dem Ovras. Diese Verbeugung wurde in folgender Weise ausgeführt. Zuerst bekreuzte sie sich mit den ersten drei Fingern von der Stirne bis zur Herzgrube und von der rechten Schulter bis zur linken, und zwar unter denselben ehrerbietigen Verbeugungen, welche früher bei gewöhnlichen Gelegenheiten beschrieben worden sind. Daraufkmete sie nieder, legte die Hände auf den Boden und berührte diesen mit der Stirn. Dreimal wurde dies Niederknien und demüthige Berühren des Bodens mit der Stirn wiederholt, und jedesmal hob fie die Mutter bei der einen Hand wieder auf; denn sowohl das Niedcrknien wie dasAufste-sten muß rasch, gewandt uud mit Grazie geschehen. Darauf trat Hirsch vor, nahm das Obras vom Tisch, und indem er in russischer Sprache einen Segen sprach, bewegte er es in Form eines Kreuzes über ihrem Kopf. Dasselbe wiederholte er gleich darauf mit dem Brote, auf dem das Salzgcfäß stand. Darauf machte die Braut dieselbe ehrerbietige Reverenz vor ihrer Mutter, vor Hirsch und vor dessen Frau. Hirsch hob sie sogleich nach dem ersten Niederknien auf, und dasselbe that Frau Hirsch, welche sie zugleich gerührt auf den Mund küßte. Die Braut sah wie ein geputz« tcs, Gott geweihtes Schlachtopfer aus. Sie hatte ihreu Bräutigam dreimal gesehen; er hatte bei dem Ewidanie nur ein paar Worte zu ihr ge< sprechen ; ebenso war er auf dem Dewitschnik trocken und verlegen gewe« sen. Sie hatte sich lange bedacht und viel geweint, ehe es so weit kam, war aber von Swacha und der Mutter beschwatzt worden. Er war ihr unangenehm , und sie hatte nach dem Dewitschnik zweifelhaft Frau Hirsch gefragt, was sie von ihrem Bräutigam halte. Diese hatte geantwortet: „Er kann sich ja wohl recht brav zeigen, wenn Du bekannter mit ihm wirft, er ist vielleicht nur verlegen." Die ganze Scene war recht rührend an. zusehen. Frau Hirsch weinte fast, so schmerzlich war es ihr. ein Mädchen zu verlieren, vo dem sie sehr viel hielt, weil es ein exemplarisches Frauenzimmer war, und das. wie sie fürchtete, keine glückliche Partie machte; und dieses Gefühl theilte sich den Anwesenden mit, die sich in die Lage der Braut versetzten. „Noch," sagte Frau Hirsch, „ist sie nur darüber be- 3. Kap.) Die Trauung« 27 trübt, daß ihr sein Aeußeres nicht gefallt; spater nimmt sie Tag für Tag seine Fehler wahr, da wird es schlimmer." Nach Verlauf einer Stunde kam die Nachricht, daß der Bräutigam in der Kirche sei. Ein eleganter, mit bunten Decken geschmückter Schlitten nahm die Braut auf. Vor demselben fuhr Hirsch's Diener. Namens Ka« ver (gewöhnlich Eawka genannt), in einem einfacheren Schlitten, mit dem Obras in beiden Händen, und das Brot nebst dem Salzgefäß auf dem Schoose, zur Kirche, weshalb ein Anderer auf den Kufen stand und die Zügel führte. Hinter der Braut fuhren wir mit Hirsch's Familie. In der Kirche stand der Bräutigam in einem fadenscheinigen, grauen, groben, schlechtgemachten Frack, mit einem roth- und weißcarirten Tuch um den Hals, einem trockenen, steifen Gesicht, kleinen Augen und schwarzen Haa« ren, die wie Lichtchen herabhingen; kurz, er sah aus, nicht blos wie ein Zimmermann, sondern wie ein hölzerner Mann. Sie wurden zusammen vorgefühlt, nachdem man jedem von ihnen ein kleines, mit Goldblatt verziertes Wachslicht in die Hand gegeben hatte. Der Pope hielt eine kleine Messe mit seinem Diakonus und den übrigen Sängern, nahm darauf die Ringe von den Fingern des Brautpaares, und legte sie auf den Altar. Darauf wieder Gesang, dann wurden Gebete abgelesen, endlich die Ringe vom Altar zurückgebracht und gewechselt, und zuletzt zwei große messingene Kro» nen herbeigetragen; der Pope ließ Braut und Bräutigam eine Stelle an seiner Krone küssen, wo vermuthlich ein Crucifix abgebildet war; darauf sehte er ihnen die Kronen auf den Kopf, legte ihre rechten Hände zusammen und, indem er sie bei den zusammengelegten Händen nahm, führte er sie unter Gesang dreimal rings um einen kleinen, auf dem Fußboden stehenden Altar. Endlich trug der Pope ein silbernes Cru> cifiz herbei, welches Braut und Bräutigam, sowie Hirsch und die Mutter der Braut und alle Anderen, welche an der Feierlichkeit Theil nahmen, küßten. Die Kronen wurden abgenommen, und nun fuhr der Bräutigam mit seiner Braut nach Hause, mit der er bisher kaum zehn Worte gesprochen hatte. Kaver fuhr wieder dem Zuge voran, mit dem Obras, dem Brote und dem Salzgefäße, welche von nun an das Eigenthum der Braut wa« «n, und ein Heiligthum, mit dem sie dereinst wieder eine Tochter bei ihrer Vermahlung beschenken konnte. Zu dem Abendbrot, welches man 28 Das Hochzeitessen. l3. Kap. nun im Hause der Neuvermählten einnahm, waren alle Personen, die bei der Familie Hirsch mit der Braut zusammen gedient hatten, eingeladen; Xaver wartete auf. Sie waren Alle unzufrieden mit dieser Partie und unwillig auf Swacha. welche die Sache durchgesetzt hatte, besonders Xaver, der sich in die Braut verliebt hatte, sie aber nicht bekommen konnte, da er ein Leibeigener war, und ein Leibeigener sich nicht verheirathen kann, weder wann er will, noch mit wem er will. sondern nur, wenn sein Herr oder Besitzer es befiehlt, und mit wem er es befiehlt. Als Xaver die Kuchen umhertrug, bot er daher Swacha zuletzt davon an, was diese übel« nahm und zu ihm sagte, er verdiene eine Ohrfeige. Nachdem er nun mit der Aufwartung fertig geworden war, ging er zu ihr hin und sagte, sie hätte ihm eine Ohrfeige angeboten, diese habe sie selbst verdient und er wolle sie ihr nicht länger vorenthalten. Darauf gab er ihr eine tüchtige Maulschelle, und sie eilte in fürchterlicher Wuth davon. Sie war überdies auch auf den Bräutigam ärgerlich, weil er ihre eifrigen Bemühungen, die Braut zu seinem Vortheil zu stimmen, nicht reichlich genug honorirt hatte. Einige Tage darauf kam die junge Frau zur Frau Oberftin Hirsch, und als diese sie fragte, wie es mit ihrem Manne gehe, antwortete sie betrübt: „Ach, aus ihm wird nie eiwas! Swacha ist gegen ihn erbittert, weil er sie zu schlecht bezahlt hat. und sie nimmt ihm die Sprache." Sie glaubte, daß Swacha, um sich zu rächen, ihn bezaubert habe, sodaß kein Leben in ihn kommen, oder daß er nie gehörig Worte finden könnte. Die Russen sind nämlich, wie schon erwähnt, von Natur sehr lebhaft und ge» schwätzig. In Gesellschaft still zu sein, ist ihnen unerträglich und unmög» lich. Die Braut sah also diesen Maugel bei ihrem schweigsamen Manne als ein Zeichen von Glcichgiltigkeit an. besonders vielleicht, wenn sie da» mit den lebhaften, muntern Xaver verglich, welcher stets eine witzige Antwort auf den Lippen hatte. Bei den Kaufleuten, welche auch zur Vauernclasse gerechnet werden, findet weder Smotrenie noch Swidanie statt, auch wird keine Vwacha benutzt, deun die Eltern machen die Partie ab, ohne die Kinder zu fragen, weder ob sie sich verheirathen wollen, noch mit wem. Dagegen geschieht der Rukobitie mit mehr Feierlichkeit. Das Paar wird vor das Obras in der Eltern Haus geführt, dort machen sie ihre Pokoruo, und ihre Hände werden mit einem weißen Tuche zusammengebunden. Geschieht es gegen 3. Kap,) Mädchenparade. 29 den Willen des Mädchens, so hat sie noch den Ausweg, daß sie vor dem Altar Nein sagen kaun, wenn der Pope sie frägt, ob sie den neben ihr stehenden Mann zum Ehegemahl haben will. Haben indeß die Eltern eine Ahnung davon, und ist es ihnen sehr darum zu thun, daß die Vermählung zu Staude komme, so bestechen sie den Popen, daß er sich so anstellt, als höre er die Weigerung der Braut nicht, und den Weihungsact fortsetzt. In Moskau soll es Sitte sein, daß an einem gewissen Heiligentage unter den niederen Classen ordentlich eine Madchenparade oder Mädchen-markt ist. Nach dem Gottesdienst stellen sich alle erwachsene Mädchen vor der Kirche unter freiem Himmel in zwei Gliedern auf; heirathsluftige Männer durchwandern diese und suchen sich eine aus, die sie leiden kön» nen. Dabei fällt Smotrcnie weg, oder dies ist Smotrenie in einer anderen Form. ohne Hilfe einer Twacha. Unter Beamten, welche alle zur Adelsclasse gerechnet weiden, d. h. Personen von bestimmtem Range sind, geschieht die Sache ganz wie bei ims. Jedoch werden anch da oft von Freuuden Partien zwischen Personen gestiftet, welche einander nie gesehen haben. Einem Ingenicurmajor, Swintizki in Tobolsk, wurde, während er sich in Petersburg aufhielt, von seinen Freunden der Nath gegeben, sich zu verhciratheu. Als er ihnen erwiderte, daß er keine Damenbekanntschaft hätte, schlugen sie ihm ein Fräulein vor. welches in einem Kloster erzogen worden war, keine Eltern hatte, aber ein wenig Geld besaß. Er hatte sie nie gesehen, sie ihn auch «icht. Man führte sie zusammen, und er trug ihr sein Anliegen vor. Er war als ein braver Mann bekannt; gegen sie war nichts einzuwenden. Sie sagte Ja, und nuu leben sie sehr glücklich zusammen. Wir sahen sie bestandig beim Obersten Hirsch, und waren auch einen Abend bei ihnen. In der griechisch-katholischen Kirche geschieht die Taufe nicht wie bei uns durch Aufgießen, sondern durch ein vollständiges Untertauchen des ganzen Körpers unter die Oberfläche des Wassers. Im Allgemeinen wird das neugeborne Kind wenige Tage nach der Geburt getauft, und zwar unter folgeudem Eeremoniel. Der Pope setzt das nackte Kind ans seine rechte Hand, greift mit der linken nach dem Geficht des Kindes, sodaß er ihm das eine Ohr mit dem Ende des Daumens, das andere mit dem Ende des kleinen Fingers verschließt, drückt beide Augen mit dem Iy Das Taufceremoniel. l3. Kap. Ende des Zeige, und des Mittelfingers zu, und bedeckt Nase und Mund mit der hohlen Hand, damit das Eindringen des Wassers in die Lungen, oder in die Augen und Ohren des Kindes verhindert werde. Das Kind wird darauf dreimal in ein Gefäß mit Wasser getaucht. Dieses Wasser darf nicht durch künstliche Mittel erwärmt werden und kann also zur Winterszeit oft dem Gefrierpunkt nahe sein. Der Pope weiht das Wasser zuerst, indem er Gebete über demselben liest, und darauf in Form eines Kreuzes auf die Oberfläche desselben bläst. Ist in der Nähe einer Stadt ein Fluß oder ein See, so wird an einem gewissen Tage im Winter das Wasser darin geweiht. Dies geschieht auf folgende Weise: Man haut ein großes viereckiges Loch in das Eis; eine große Procession der Geistlichkeit. an< geführt von ihren höchsten Mitgliedern, z. B. einem Erzbischof oder einem Nrchimandrit (General-Abt, oder Abt über mehrere Klöster), ein großes Krucifix aus dem Kloster oder der Hauptkirche der nächsten Umgebung vor sich her tragend, wandert nach dieser Stelle. und läßt das Kreuz in die Wuhne herab. Jeder aus dem Volke, welcher dazu kommen kaun, sucht nun das Wasser aufzufangen. das von diesem Kreuze herabläuft, nachdem es wieder herausgezogen ist, indem dies für heilig und glückbrin-gend gehalten wird. Bisweilen entkleidet sich der Eine oder Andere, und springt in die Wuhne, um sich in dem heiligen Wasser zu baden, und ist in der Nähe ein neugebornes Kind, so bringt man eS hin, um in derselben Wuhne getauft zu weiden. Ein Pope nimmt dann das unglückliche Kind, und taucht es auf die oben beschriebene Weise dreimal in das mit Eisstücken angefüllte Wasser. Ein solches Kind sieht dann, wenn es ans dieser Taufe gekommen ist, am ganzen Leibe wie ein gekochter Krebs aus. Ist der Pope betrunken, was eben nicht selten der Fall ist, so kann es wohl kommen, daß er das Kind in der Wuhne verliert. Hier sollte eine erwachsene Jüdin nach dem russischen Kirchen-Ritual getauft werden, und das Untertauchen konnte also auf die oben beschriebene Weise nicht geschehen. Sie war mit einem Kürschner verlobt, welcher Reisepelze, Pelzstiefeln und Mützen von Rennthiersell für uns und unsere zwei Bediente verfertigt hatte, und da ein Jude und eine Christin, oder umgekehrt, in Rußland sich nicht verheirathen können, so mußte sie zur griechischen Kirche übertreten. Ihr 3. Kap.) Taufe einer Jüdin. 31 Verlobter war auch ein getaufter Jude, welcher früher mit einem prote« stantischen Mädchen verlobt gewesen war, uud daher den protestantischen Glauben *) angenommen hatte. Als sie später das Veihältniß aufhob, verlobte er sich mit einem jüdischen Mädchen, und da er nicht zum Iuden-thume zurückkehren konnte, mußte sie Christin werden. Weshalb sie nicht zur protestantischen Kirche übergehen konnte, weiß ich mich nicht näher zu erinnern; sie hätten dann doch Beide zu einer kirchlichen Gemeinschaft gehört, und ihre Kinder hätten in derselben erzogen werden können, wäh« rend Kinder aus gemischten Ehen von der russischen Kirche in Anspruch genommcu werden. Doch schien sein Christenthum kaum sonderlich tief bei ihm eingedrungeu zu sein; wenigstens war er der nämliche Schacherjude geblieben, indem er sich die erwähnten Neifebedürsnisse doppelt so theuer bezahlen ließ. als deren Werth betrug. Wie sich die obenerwähnte Ceremonie mit einem erwachsenen Menschen sollte ausführen lassen, war mir schwer zu begreifen, nud die Frau Oberstin Hirsch und Frau Doctorin Fiandt luden uns daher ein, sie nach der Kirche zu begleiten, um das Räthsel lösen zu sehen. Es war an dem Tage wohl 15—20 Grad Kälte. Beim Eintritt in die Kirche sahen wir ein Frauenzimmer dicht an der Thür, mit bloßen Füßen auf dem steineren Boden stehen. Sie trug ein feines, weißes, baumwollnenes Hemde, das am Halse mit einem blauseidenen Bande zusammengebunden war, lange Aermel hatte, und bis zu deu Knöcheln herabreichte. Dies war die Proselytin. Ick muß jedoch hinzufügen, daß jede Kirche in Rußland aus zwei Gebäuden besteht, einer kleineren Winterkirche, die mit Oefen versehen ist. und teplaja zerkva (warme Kirche) heißt, und einer größeren Sommerkirche ohne Oefen. Die Kirche war diesmal geheizt, doch war die Wärme nicht größer, als daß wir ohne Unbequemlichkeit unsere Pelzmäntel während der ganzen Ceremonie anbehielten. Nach und nach füllte sich die Kirche mit Neugierigen, und immer lebhafter malte sich der Schreck und die gespannte Erwartung in den großen, schwarzen ') Vermuthlich ist die Bekehrung desselben zum evangelischen Glauben dcm scharfen Auge der russischen orthodoxen Kirche entgangen, da jede Bekehrung vom Iudcnthum, nach russischen Gesrtzm. nur möglich ist, wenn der Proselyt in den Scho«5s der russischen alleinseligmachenden Kirche eingehen will. D. Uebers. 32 Taufe einer Jüdin. l3. Kap. Augen der Proselytin, welche hastig die Menge umher durchliefen. Es war ein vierschrötiges, derbes Frauenzimmer, dem Aeußern nach etwa zwanzig Jahre alt, mit schwarzen, gelockten Haaren und frischer Gesichts« färbe. Sie hätte für schön gelten können, wenn sie weniger stark geballt und von etwas feineren Gcsichtszügen gewesen wäre. Nach einiger Zeit näherten sich ihr zwei Popen an der Kirchthür und begannen ihre Gesänge und Gebete; neben sie trat eine hübsche Russin, Namens Schukoffsky, und ein Doctor der Medicin, Albert, von Geburt ein Hannoveraner, um die Stelle christlicher Eltern bei ihr zu vertreten; denn ihre eigenen jüdischen Eltern konnten nach dem Ritual nicht Zeugen sein, noch wollten sie einer für sie so schmerzlichen Handlung ihre Theilnahme schenken. Nach einigen Gebeten und Gesängen, welche wohl eine Viertelstunde ballerten, wurde ihr von Frau Schukoffsky ein feines, weißes Musselinhemd mit einem breiten, langen, rosaseidenen Bande, das übcr deu Rücken hinabhiug, über» reicht, um dasselbe anzulegen, nachdem sie die erwähnte dünne Umhüllung abgelegt hatte. Die beideu Popen stellten sich nun vor sie und machten sich etwas breit, worauf sie mit einiger Nachhilfe das eine Gewand fallen ließ, wahrend sie das andere anzog. Dies ließ sich auch bei einiger (se< wandtheit leicht ausführen, ohne den Anstand zu verletzen, selbst wenn die Popen nicht als Schutzwand gedient hätten. Sie waren überdies von einem Halbkreis von Zuschauern umringt, sodaß der Schutz, deu sie gewährten, eben nicht groß war. Darauf erwies man ihr die Barmherzigkeit, ihr ein Paar Schuhe hinzuschieben. Nun wurde eine Art Glaubensbckenntniß verlesen, welches sie nachsagte, ferner sprach sie einige Gebete, Alles im altslavonischen Dialekt, der Kirchensprache Rußlands. Dies wechselte mit Gesang und Gebet und dauerte wohl eine Viertelstunde. Oben auf dem Chor sah man eine große Badewanne mit Wasser, an deren Rande vier dünne, weiße Wachslichter befestigt waren; zur Linken stand ein Schemel. Es hatte also den Anschein, daß sie wirklich ins Was« ser hinabsteigen sollte, und die Frage.hiernach lief von Mund zu Mund und wurde meist mit Ja beantwortet, doch meinten die Meisten, sie werde beim Untertauchen ihre dünne Bekleidung nicht ablegen. Das arme Frauenzimmer that uns leid, und da es mich unruhig machte, wie die Scene ab« lausen würde, so fragte ich unsere Damen, ob wir Männer uns entfernen sollten. Frau Oberstin Hirsch antwortete aber, es sei nicht nöthig, denn 3. Kap.I Taufe einer Jüdin. gI sie sei überzeugt, daß Frau Schukoffsky ihre beiden Kinder nicht mitgenommen hätte, wenn eine Scene zu erwarten wäre, die nicht vor Aller Augen vor sich gehen könnte. Endlich begab sich die ganze bei der Feier zunächst betheiligte Versammlung nach dem Chor. Einer von den Popen sang bei der Badewanne und blies in Kreuzesform auf die Oberfläche des Wassers; Alles deutete demnach auf ein nahe bevorstehendes, wirkliches Untertauchen. Endlich wurden zwei spanische Wände herbeigetragcn und in einem Halbkreis um die Wanne gestellt. Innerhalb desselben blieben die beiden Popen und die weiblichen Pathen; Herr Di-. Albert und alle männlichen Zuschauer wurden indeß außerhalb dieser Wände verwiesen. Unsere beiden Damen gingen an einen Ort, von wo sie Alles, was geschah, sehe» konnten. Die beiden Wände schlössen schlecht, sodaß Die, welche nahe herantraten und sich ein wenig Mühe geben wollten, leicht dazwischen durchsehen konnten. Dr. Albert ging dicht an die Schirmwände heran und gab sich das Ansehen, als wollte er sie näher zusammenhalten; ob dieS aber seine ausschließliche Absicht gewesen, kann ich nicht behaupten. Endlich hörten wir ein starkes Getöse und ein unfreiwilliges hu! hu! hu! und dies wiederholte sich dreimal, wobei das Wasser in Menge auf den Boden stoß. Ein paar Minuten später wurden die Schirmwände fortgenommen, und unsere neugcborne Christin stand barfuß, roth und weiß wie eine kräftige Stockrose, die Gesichtsfarbe noch mehr erfrischt von dem kalten Wasser, mit triefendem Haar und Angesicht, während das sonst trockne Hemd an mehreren Stellen des nassen Leibes fest anschloß, vor uns Allen da. Nun wurde aufs Neue über dem armen vor Nässe und Kälte zitternden Frauenzimmer gesungen und gebetet. Mit einem Pinsel, der in das heilige Oel getaucht war, malte darauf der Pope ein Kreuz auf ihre Stirn, auf jedes Ohr, auf die Brust, und zwar so tief abwärts, als es die Schicklichkeit zuließ, auf jede Hand und zuletzt aus jede Fußsohle. Der Sinn dieser Salbung war vermuthlich, daß hierdurch ihre Gedanken und Gefühle, ihr ganzer Sinn und Wandel Gott geweiht werden sollte, also ein recht hübsches, bedeutungsvolles Symbol. Nun warf man endlich ein großes, blaues Atlaskleid über ihre Schultern und schob ihr wieder die Schuhe hin, worüber ich mich sehr freute, denn um diese Opera« tion auszuhalten, zumal da die Feier noch eine Viertelstunde währte, schien mir mehr als eine Pferdenatur erforderlich zu sein. Sie war Hansteen, Sielst. I I4 Abreffe von Tobolsk. 14. Kap. wirklich im Wasser, sagten unsere Damen, und ihr Kopf ist dreimal unter« getaucht worden. Wie sie aber hinein- und herausgekommen, ob mit ihrem Gewände oder ohne dasselbe, ob sie sich selbst untertauchte, oder ihr Kopf vom Popen unter das Wasser getaucht wurde, darüber wollte ich die Damen nicht fragen, da es ihnen vermuthlich unangenehm gewesen wäre, mir alle Umstände mitzutheilen. Ich kann also nur erzählen, was ich sah und hörte, und muß es der Phantasie des Lesers überlassen, sich das Bild vollständiger auszumalen. Viertes Kapitel. Abreise von Tobolsk. — Iwan Schlau. — Beschwerliche Fahrt in eincm sibirischen Winter. — Lästige Ehrenbezeigungen in Kolywan. — Abhärtung und Gutmüthigkeit dcr sibirischen Bauern. — Ein paar unglückliche Zufälle. - Aufenthalt in Tomsk und Schilderung dcs Haushaltes eines sibirischen Kaufmanns. — Aufenthalt in Krasnoyarsk. — Der Gouverneur Stepanow. — Schigemune. — Sibirische Kälte. - Nielsen in Lebensgefahr. Den 12. December 1828 verließen wir Tobolsk, unmittelbar vom Hause des Obersten Hirsch, bei dem wir mit allen unsern dort versammelten Tobolsker Freunden zu Mittag gespeist hatten. Diese liebens-würdigen Menschen hatten sich an unsern fast täglichen Umgang so ge« wohnt, daß sie ihr tiefes Bedauern über unsere Abreise ausdrückten. Dr. Erman, unser bisheriger Begleiter von Petersburg bis Tobolsk, war schon den 22. November aufgebrochen, um den Ob entlang bis zum Flecken Obdorsk, nahe an der Mündung jenes Flusses in das Eismeer, zu reisen. Da er aber unsern Gustav Nosenlund sich ausgebeten hatte, so waren wir genöthigt uns einen andern Dolmetscher anzunehmen, einen verbannten Deutschen, Namens Johann Schlau, der, jedenfalls nicht um seiner Tugenden willen, verwiesen worden war. Mehrfache, sehr unange« nehme Proben, die er aus der Neise ablegte, bewiesen uns, daß er den Namen Schlau mit Recht fühlte. Er gefiel sich darin, die Uniform eines KosakeN'Unterosficiers, eine blaue Jacke mit silbernen Tressen am Kragen, 4. Kap.) Johann Schlau. Ig anzuziehen, wozu ihm Lieutenant Due einen Säbel lieh, und in dieser Tracht setzte er sich unter den Bauern in überaus großen Respect, indem er sich überdies sehr glücklich in seiner jetzigen Stellung fühlte. „Früher," sagte er zu Due, „hatte ich nur einen Gott und ein Hemd; jetzt habe ich drei Hemden und bin gut gekleidet; das habe ich meinen gütigsten Herren zu danken." Er wollte mit uns die ganze Welt durchreisen, um aus Sibirien zu kommon, fügte er binzu; aber das ließ sich nun nicht machen. Da er mehrere Jahre in Sibirien gewesen war, kannte er alle Verhältnisse genau und wußte immer Alles rasch in Ordnung zubringen. Kamen wir Abends nach einem Dorfe und wollten dort übernaHten, so fragte er sogleich nach dem Desätnik*) und bat ihn. das beste Quartier im Dorfe anzuweisen. Wir bekamen daher immer das Quartier, welches der Rich« ter auf seinen Reisen einnimmt, und das überall in einer reinlichen und warmen Stube bestand. Bei dem Desätnik requirirte er Wildpret, Hühner u. a. m., was dieser gegen Bezahlung zu schaffen verpflichtet ist. In der Bauernstube selbst führte er das Regiment, briet und kochte, brachte uns am Morgen warmes Frühstück, gebratene Schneehühner, oder ein Ragout, manchmal Bouillon, während unser eigner Diener, Anders Nielsen, Kaffee oder Thee bereitete. Die Preise für diese Lebensmittel waren so gering, daß sie, im Vergleich mit den unsrigen, fast für nichts gerechnet werden konnten; z. B. ein Huhn 50 Kopeken Scheine, ein paar Schneehühner 25 Kopeken Scheine, ein Pfund Rindfleisch 3 Kopeken Scheine, ein Pfund Butter 30 Kopeken.") Was unsern Schlau betrifft, so hatte dieser plötzliche Uebergang von einem sibirischen Bauern zum Range eines Bedienten, von einem schmutzigen Schaftpelz zu einer mit unechten Treffen besetzten Uniform eines Kosakeminterofficiers, von einem zerlumpten schmutzigen Hemde zu drei ganzen und reinen, ') Ein Mann, der über zchn Sauern die Aufsicht führt. ") Ein Rubel enthält 100 Kopeken, 4 Rubel Scheine machten damals etwa 1'/2 Rcichsthalcr. Also 50 Kopeken Scheine — etwa 5 Silbergroschen 6 Pfennige 25 „ „ -- „ 2 „ 8 30 ,. „ --- „ 3 . 4 ^ 1 „ „ - ., - ., 13/. „ 3* Iß Russische Fuhrwerke. ft. Kap. von der Stellung. Befehle und Prügel zu bekommen, zu der, Befehle und Prügel auszutheilen (denn ein Kosakenunterofficier ist ein großer Mann unter russischen Bauern) - ich sage, dieser Uebergang hatte einige seiner unliebenswürdigen Eigenschaften, wie seine Eitelkeit und seinen Hang zum Windmachen ans Licht treten lassen. In den Dörfern prahlte er vor den Bauern und log ihnen Wunderdinge vor. Den Lieutenant Due machte er zum Gcnerallieutenant, mich zu — Gott weiß was. Die Baueru standen daher vor ihm mit der Mütze in der Hand und nannten ihn Wasche Blagorooie (Ew. Wohlgeboren), vor uns liefen sie wie die Narren und nannten uns Wasche Wysoko Blagorodw (Ew. Hochwohl-geboren) oder wohl gar Wasche Prewoskoditelstvo (Ew. Excellenz). Ich verbot ihm dies ernstlich und sagte, daß unsere offenen Briefe vom Mini« fter des Innern, General Zachrewsky, hinreichend waren, uns den nöthigen Beistand zu verschaffen, daß unser Rang hoch genug für uns sei und daß ich meinen Namen nicht durch seine Windbeutelei beschmutzt haben wollte. Da dies nicht half, drohte ich ihm damit, das versprochene Douceur zu verringern und ihm bei seinem Abgänge ein unvortheilhaftes Zeugniß zu geben. Dies wirkte endlich. In Rußland werden immer drei Pferde neben einander vor den Wagen gespannt; das stärkste wird in die Gaffel in der Mitte gebracht, um den Wagen zu regieren, und die beiden andern auf den Seiten ziehen in Sielen. Dies nennt man daher ein Troika (Dreigespann). Ist aber der Wagen schwer und der Weg schleckt, so werden wieder zwei Pferde diesen voraugespannt. Da nun über eine Elle tiefer Schnee gefallen war, und unsere schweren Wagen auf den plumpen niedrigen Kufen eine große Masse Schnee, wie ein Schneepflug, vor sich herschoben, so spannten die Bauern sieben, später neun Pferde vor jeden Wagen. Vor die Troika wurden nämlich zwei Pferde gespannt und auf das rechtsgehende ein Vorreiter gesetzt, vor diese wieder zwei Pferde, aber ohne Reiter, und endlich vor diese noch zwei Pferde mit einem Vorreiter. In einem Bauern« dorfe schickte sogar der Vyborny oder Schulze, da die Station 35 Werst (fünf Meilen) lang und der Weg außerordentlich schlecht war, in größter Eile ein neues Gespann, aus achtzehn Pferden bestehend, mit dem Be« fehle ab, daß sie auf der Hälfte des Weges bleiben sollten, damit wir dort wechseln könnten. Er wollte sich selbst auf ein Pferd werfen und 4. Kap.1 Russische Fuhrwerke. - g? die fünf Meilen bis zur nächsten Station zurücklegen. um Pferde zu be» stellen, welche dort für uns bereit sein sollten; allein wir sagten ihm, daß wir auf der nächsten Station übernachten wollten, und daß es also nicht nöthig sei. Auf der Hälfte des Weges standen auch wirklich die achtzehn Pferde bereit, und nun wurden die vier stärksten der von unserm Wagen ausgespannten Pferde noch vor den schweren Packwagen gespannt, der jetzt also dreizehn Pferde und drei Vorreiter bekam. Dies sah geradezu spectakulös aus, und da die vielen Pferde einander in Unordnung brach« ten, so befahlen wir, die vier wieder auszuspannen. Steht auf dem Reisezettel (Poderoschna), den man mitbringt, daß man drei Pferde bekommen soll, so bezahlt man blos für ein Troika, wenn auch die Bauern wegen des schlechten Weges neun Pferde vorlegen müssen, oder die Pferde zu Grunde gerichtet werden. Für ein Troika bezahlt man in Sibirien 15 Kopeken die Werst, also für 7 Werst oder ein« deutsche Meile 105 Kopeken (gegen 12 Silbergroschen). Bekommt man nun neun Pjerde statt drei, so macht es nur etwa ! Silbergroschen 4 Pfennige für jedes Pferd eine Meile. Der Postbauer (Iamstschik) erhält ebenso wenig Trinkgeld wie die Vorreiter. zu welchen letzteren gewöhnlich halberwach« sene Jungen gewählt werden. Dessenungeachtet schlugen sich manchmal in den von Städten entfernten Gegenden die Bauern darum, uns zu fahren, denn Geld ist hier rar und der Bauer hat im Winter für seine Pferde nichts zu thun. Er gewinnt im Sommer hinreichend Getreide, Futter und Fettwaaren, kanu aber nichts verkaufen und also Geld nur durch Fuhren verdienen. Jeder kann so viel Land bebauen, als ihm gefällt, und Gras mähen, wo er will; daher hat jeder Bauer eine große Menge Pferde und Schafe. Im Ieniseiskischen Gubernium waren Bauern, welche Heerden von 100 Pferden hatten. Lebensmittel achtet der Bauer für nichts, und Bezahlung nimmt er nie für Das, was man in seinem Hause genießt. Daher kann man seine Erkenntlichkeit für die Aufnahme, die man gefunden hat. höchstens dadurch bezeigen, daß man einige Kopeken zu Wachslichtern vor das Obras legt, wobei in der Regel kein Widerstand geleistet wird. Eine sehr redselige Bauersfrau, die uns äußerst freundlich und liebevoll bewirthet hatte, zeigte uns mit vieler Beredtsamkeit einige schlechte Holzschnitte an der Wand, verschiedene Scenen aus der biblischen Geschichte vorstellend, sowie ihre Obrase oder Heiligenbilder. Ihre Mut« 38 Gute Aufnahme während der Reise. l4. Kap. ter war nämlich bei ihrer Hochzeit mit einem Obras geweiht worden, welches damals aus vielen Theilen oder Flügeln bestand; da diese aber fünf Töchter hatte, so war das Bild allmälig, mit der Verheirathung der-Töchter, an diese vertheilt worden, und unsere Wirthin hatte so bei ihrer Hochzeit das Stück, das sie jetzt vorzeigte, zur Weihe empfangen. Unsern Dank für die Aufnahme auszudrücken, bot Due unserer braven Wirthin eine kleine Eilbermünze im Werthe von 1 Silbergroschcn zu Wachslich« tern an, allem sie erwiderte, daß sie ohne dieselbe sich wohl Wachslichter anschaffen könnte. Endlich nahm sie das Geld nach vielen Nöthignngen an und sagte, sie werde eS für ihre kleine Tochter aufbewahren; und Nielsen erzählte später, daß, als er in ihre Stube gekommen sei, um etwas zu holen, er gesehen habe, wie sie das Geldstück einer Nachbarin zeigte und ihr weitläufig erzählte, wie sie dazu gekommen sci. Ueberall, selbst in den Bauerndörfern auf unserer Route, waren die Befehle der Regierung wegen unserer Durchreise von den Gouverneuren bekannt gemacht. Dies sowohl als unsere offenen Briefe von dem Minister Zachrewsky und dem Generalgouverneur Williaminoff in Tobolsk trugen zu unserm feierlichen Empfange bei. Manchmal führte dies die posfir-lichsten Scenen herbei. Als wir z. B. eines Tages, während die Pferde gewechselt wurden, in die Stube eines Poftaufsehers traten, lief er eilig fort, zog einen Uniformrock an, schnallte sich einen Pallasch an die Seite und stellte sich unbeweglich an eine Wand. und so steif, als ob er eine Elle verschluckt hätte. Die linke Hand am Degengriff, die rechte dicht am Schenkel, wagte er kaum Athem zu holen. Da dies eine Viertel« stunde dauerte, war mir der Anblick äußerst peinlich, und doch konnte ich ihm aus Mangel an Sprachkenntniß nicht begreiflich machen, daß seine Anstrengungen nicht nöthig wären. Vermuthlich erblickte er in unserm schweigsamen Verhalten nichts als vornehmen Stolz und die natürliche Verachtung gegcu stille geringe Person. Den 27. December langten wir Abends halb neun Uhr in Kolywan an, ein paar Tagereisen von Tomsk; die kleine Stadt hatte erst vier Jahre zuvor Stadtrechte bekommen. In den russischen und sibirischen Städten, wo sich keine Hotels befinden, fährt der Reisende geradeweg« nach dem Polizeibureau, wo ihm ein Polizeibeamter mitgegeben wird, um ihm bei einem Bürger der Stadt ein Quartier, das seinem Range gemäß 4. Kap.1 Empfangsfeierlichkeiten. Ig ist, anzuweisen. Für das Quartier wird nichts bezahlt, und ist der Aufenthalt ganz kurz, so erhalt man bisweilen ein gutes Mittagsbrot, Thee. Kaffee u. a. m., wahrend der Wirth selbst an der Thür steht, die Gerichte aus der Küche in Empfang nimmt und bei Tische aufwartet, wobei er es für eine Ehre hält, wenn der Reisende ein paar Worte mit ihm spricht. Johann lief daher zum Stadtvogt mit unsern offenen Briefen und verlangte Quartier. Man wies uns das beste Haus in der Stadt an. Als wir in den Hof hineinfuhren, sahen wir schon drei Lichter auf dem Gelander des Corridors aufgestellt, und bald kam noch ein Mädchen mit dem vierten herbeigeeilt. Ich sagte lächelnd zu Due: „Die Festlichkeit fängt jetzt schon an." Als wir hineinkamen, fanden wir drei sehr hübsche Stuben für uns eingeräumt und drei Lichter auf jeden Tisch gestellt. Die Wirthin hatte sich in die Küche geflüchtet, wo sie die ganze Nacht verweilte, damit wir alle Stuben im Hause benutzen könnten, und sie wagte es nur ein Mal. hinter einer Thür hineinzugucken. Kaum hatten wir aufgehört, über unsern pompösen Empfang zu scherzen, und unsere Rennthierpelze abgelegt, aber noch nicht Zeit gewonnen, die großen Nennthierstiefeln loszuwerden, die bis mitten au die Schenkel reichten, als ein Mann von etwa fünfzig Iah« ren in einer Uniform, die an einer Stelle zu eng, an einer andern zu weit schien, mit blanken Stiefeln, welche Falten schlugen, einem grauschwarzen dreieckigen Hut ucker dem Arm und einem Degen an der Seite, hereinmarschirt kam, eine tiefe Reverenz machte und sich als Dwo« renski Eassidatel (Untergcrichts-Assessor) vorstellte, der in der Absicht käme, uns seine Aufwartung zu machen. Das Gesprach nahm einen traurigen. von langen Pansen unterbrochenen Gang. Endlich war er so klug, sich zu empfehlen. Ich äußerte gegen Due: «Es ist doch gar zu unerträglich, daß man nicht Muße finden kaun, aus den Neiseftieseln zu kommen, bevor diese armen Schlucker aus übertriebener Höflichkeit herbei« stürzen, »im uns ihre lästige Ehrerbietung zu beweisen. Das erinnert mich au Kohebue's: Krähwinkel". Kaum hatte ich ausgeredet, als ich eine neue lauge Figur sich zwischen die Thür schieben sah. Sie blieb an derselben stehen, so steif wie ein Laternenpfahl, ohne ein Wort zu sagen. ..Sieh', da führt ja der T.....uns einen neuen Jemand auf den Hals!" rief ich aus. Dnc ging in die nächste Stube und ich hinterher, als ob 40 Empfangsfeierlichkeiten. s4. Kap. es uns nichts anginge. Inzwischen schielte ich nach der Thür, um zu sehen, was der Fremdling beginne, doch was seh' ich? Noch ein Um« formirtel kroch herein, ein älterer Mann mit einem dreieckigen Hut unter dem Arm. Jetzt hatten sie Muth. da sie zwei Mann stark waren, und marschirten zu uns herein, die wir noch in unsern Nennthierstiefeln gingen und eher mit liederlichen Haudwerksburscheu Aehnlichkeit hatten, als mit vornehmen Leuten, die Audienz ertheilen. Der Aeltere stellte sich als Gorodnitschi (Stadtvoigt). der Jüngere, der ziemlich betrunken war. als Secretair vor. Johann wurde als Dolmetscher hereingerufen. Ungeduldig rief ihm Due aufDeutsch zu: „Hast Du uns alle diese Men« schen auf den Hals geschickt?" eine Vermuthung, die nach seinen gewöhnlichen Prahlereien ganz vorauszusetzeu war. „Niet!" (Nein) stammelte der Betrunkene, der also etwas Deutsch verstand, ohne es jedoch sprechen zu können. Aber dies störte ihn nicht im geringsten, und wir wurden eine halbe Stunde mit ihnen aufgehalten. Die Pausen waren lang und häufig; wir gingen manchmal unserer Wege und ließen sie stehen, spazierten im Zimmer auf und nieder, die Hände auf dem Rücken und mit verzweifeltem Gesicht, aber Nichts half. Ihr Respect war zu groß, als daß sie von der Stelle kommen kouuten. Endlich zog der betrunkene Secrctair unsern Johann mit sich hinaus, und vertraute ihm, daß er allerdings ein wenig betrunken sei. daß er aber nicht so schnell aus dem Rausche hätte kommen können, als ihm die schuldige Ehrfurcht gebot, sich bei uus einzufindcn. Seine Absicht, fügte er hinzu, sei indeß gut, er wolle uns alle mögliche Hilfe gewähren, und uus ein Abendbrot bereiten, da in der Stadt nichts zu bekommen wäre. Als Johann mit diesem Geheimniß zu uns kam, ließen wir ihm danken und sagen, daß wir nichts als Ruhe brauchten, im Uebrigen aber alles Nöthige selbst besäßen. Gleichwohl dauerte es noch einige Zeit, ehe sie abzogen. Die Lage ist in der That .eine peinliche zu nennen, wenn man Ehrenbezeigungen von fremden Menschen empfängt, deren Sprache man nicht versteht, und darum nicht in schicklicher Weise zu dankeil vermag, sodaß es den Anschein gewinnt, als entbehre man der gewöhnlichsten Höflichkeit. Bald nach ihrem Fortgange, da wir eben in ein halbverzweiftltes Gelächter ausbrachen und die Thür absperren wollten, kam ein Bote von Seiten der Stadtobrlgkeit, welche uns eine Ehrenwache für unser Haus und militairischen Schutz für 4. Kap.) Ehrenwachen. 41 unsere Wagen anbieten ließ. Wir verbaten uns Beides, fanden aber dennoch später einen Trabanten vor unserer Thür mit einer langen Helle» barde, und eine Schildwache (Tschassowai) spazierte auf dem Hofe um die Wagen herum. Sie müssen eine unbehagliche Nacht gehabt haben, denn es war ein entsetzlicher Sturm und ein Schneetreiben bei 20 Grad Kälte, sodaß wir am nächsten Morgen die accordirten Pferde nicht bekamen, weil die Bauern sich nicht hinauswagten, und deshalb bis Mittag warten mußten. Johann erzählte uns. daß die drei Herren, welche uns besucht hatten, das ganze Beamtenpersonal der Stadt ausmachten. uud obwohl er sah, daß uns diese Ehrenbezeigung viel Last gemacht hatte, so lachte er doch von Herzen, und dünkte sich eine halbe Elle größer als er war. weil er bei eiuer Herrschaft diene, welcher der ganze Magistrat einer Stadt seine Auswartung machte. Wenn ich mich recht erinnere, war es an demselben Tage auf einer früheren Station, wo gleichfalls ein Mann in Uniform zu uns kam und uns mit einem tiefen Bückling ein Gesuch an Se. Excellenz den Generalgouverneur überreichte, welcher an dieser Stelle erwartet wurde. Wir sagten ihm, daß wir Ausländer und Privatleute seien, und da wir eben Thee tranken und Taback rauchten, boten wir ihm eine Taffe an. aber es war unmöglich ihn zum Sitzen zu bewegen. Wir erfuhren später. daß dieser Mann von einem tatarischen Fürsten abstamme und ^ Landes-Polizeimeister sei. Kommt man in ein Dorf. so ist es. wie schon früher bemerkt worden, das erste Geschäft, nach dem Desätnik zu schicken und von ihm Quar» tier und eine Wache für die Wagen zu verlangen. Es ist nämlich hier, wo kein eingeschlossener Hofraum oder Wagenschuppen sich findet, und wo also die Wagen in der Nacht auf der offnen Straße stehen müssen, allge' meine Sitte, daß das ganze Dorf dafür verantwortlich ist, daß Nichts fortkommt, und um sicher zu sein, stellen sie eine Wache hin. Man braucht also nicht mehr von den Wagen zu nehmen, als man gerade nöthig hat, und dies ist eine große Erleichterung. Wenn nun die Kälte zwischen 27 und 30 Grad beträgt, so haben die drei armen Schlucker, welche Wache halten, nach unsern Begriffen eine schlimme Nacht, allein sie scheinen fich's nicht sonderlich nahe gehen zu lassen. Ist die Kälte zu streng, so zünden sie einen Hausen Birkenholz auf dem Schnee an, legen sich mit dem Bauche 42 Bekleidung der Sibirier. 1^4. Kap. auf den Schnee, den Kops nach dem Feuer, oder man hört sie in der Nacht um das Feuer gehen und schwatzen, während der Schnee unter ihren Stiefeln pfeift und singt. Man hört nämlich, wenn man auf den Schnee bei 30 Grad Kälte tritt, einen eigenthümlich pfeifenden, knitternden Laut, der weit stärker ist, als der, den wir bei 10 und 12 Grad wahrnehmen. Für eine solche Nacht bekommen sie nicht einmal Trinkgeld, nnd sie sind sehr vergnügt, wenn man ihnen ein halbes Maß Branntwein giebt. — Ueberall erregt die eisenfeste Gesundheit dcs sibirischen Bauers Bewunderung. Ueber dem Hemd lind den dünnen leinenen Hosen tragen sie einen Schafspelz, dessen Wolle nach dem Leibe zugekehrt ist. In dieser Kleidung trotzen sie einer Kälte von 30 bis 35 Grad. Aus ihren Stuben, wo die Hitze der eines Backofens gleicht, gehen sie hinaus in die strengste Kälte und umgekehrt, ohne davon nur einige Beschwerde zu fühlen. Die Frauenzimmer gehen in der Ttube, im Winter wie im Sommer, mit dem bloßen Hemd auf dem Obertheil des Körpers und mit bloßen Beinen. Gehen sie auf längere Zeit hinaus, so ziehen sie einen kurzen Pelzrock nnd Schuhe an; wegen eines kürzeren Ganges aber laufen sie auf dem Schnee mit bloßen Füßen und in derselben Tracht wie in der Stube. Auf dem Wege nach Kolywan kamen wir eines Abends zu einem netten, reinlichen Bauernhause, wo Alles von Wohlstand zeigte. Ein großes Bett war von reinen, weißen Gardinen umgeben, welche an dün« nen unter der Decke befestigten Holzstäben hingen. Da es in der Ttube nicht recht warm war, ging die Frau hinaus und holte einen Armvoll Holz. um ihn in den Ofen zu legen. Es war eine hohe Junonische Gestalt mit einem hübschen, kindlich milden Gesicht, und sie schien etwa zwanzig Jahre alt zu sein. Das Hemd, welches ich anfangs für ihre einzige Bedeckung hielt, ging, wie gewöhnlich, bis hoch hinauf am Halse (wie bei der Jüdin, die wir in Tobolsk taufen sahen) und hatte lange, bis zum Handgelenk reichende Aermel. Ich bemerkte jedoch später, daß um die Mitte des Leibes ein weißer Unterrock mit einem ziemlich breiten Streifen befestigt war; er hatte eine große Weite, war aber bis an den Streifen mit dichten feinen Falten ausgenäht, sodaß er, wenn sie sich nach vorn bückte, weit vom Leibe abfiel. Alles war weiß wie der Schnee, denn es war ein Prasdnik (Heiligentag). Vom Streifen des Unterrocks nach 4. Kap.1 Der sibirische Menschenschlag. Hg hinten gingen ein Paar Tragbänder über die Schultern und vereinigten sich vorn auf der Brust, wo sie wieder am Streifen, den man für ein kurzes Leibchen halten konnte, befestigt waren. Bei der Arbeit werden die Armspan» gen über den Ellbogen gestreift, und der weite Aermel bangt dann am Oberarm in einer doppelten großen Puffe, während der Unterarm bloß ist. Sie kam oft zu uns in die Stube, um nach dem Ofen zu sehen, und zu hören, ob wir etwas zu befehlen hätten, und ihr ganzes Benehmen war überhaupt so liebenswürdig, daß ich's recht bedauerte, als wir am andern Morgen weiter reisten, der Sprache nicht mächtig genug zu sein. um mit ihr reden und ihr meine Erkenntlichkeit erweisen zu können. Auch die Diener, welche bei der Familie selbst in der Wohnstube logirten, konnten ihre Dienstfertigkeit und Freundlichkeit nicht genug rühmen. Sie ging am Morgen in der eben beschriebenen Tracht, bei 22 Grad Kälte. über einen großen mit Schnee bedeckten Hof mit bloßen Füßen, um für uns Holz zu holen und Rebhühner aus ihrer Speisekammer. Wir trafen mehrere solche freundliche Frauen. Ueberall sind die Bewohner Sibiriens als die schönsten Menschen in Nußland bekannt, und dies ist nach meiner Erfahrung vollkommen wahr. Ein gesunder, eisen-ftster, hübscher, verständiger, kindlich-unschuldiger und gutmüthiger Menschenschlag, der nichts von der gemeinen Geldgier des europäisch-russischen Bauers an sich hat, sondern die Gastfreundschaft selbst ist. Wozu sollte ihnen auch Geld nützen? Sie haben Land so viel sie wollen für den Anbau; der Boden liefert ihnen Alles, was sie zur Nahrung und Kleidung bedürfen. Sie können nichts kaufen und nichts verkaufen, denn hier giebt's weit und breit keine Städte; aber deren Verfeinerung und Verderbtheit ist ihnen auch unbekannt. Sie sind außerordentlich reinlich; ihre Stuben sind im eigentlichen Sinne des Worts geschabt. Mit großen Messern be-kratzen sie Fußboden und Wände, Fensterkreuze und Bänke, sodaß sie immer wie neu aussehen. Daher kommt es denn — was ich mir lange nicht erklären konnte, daß ihreVänke, Treppen u. s.w. quer über das Brett und lothrccht zu den Holzfasern Niesen hatten, als ob sie nicht gehobelt wären. Das Messer greift nämlich an den weicheren Stellen des Holzes tiefer ein, und ist erst eine solche Riefe entstanden, so wird sie durch wie» derholtes Schaben immer tiefer, wie die Löcher auf einer sehr befahrenen Straße im Winter. Der Grund, weshalb sie nicht Fußboden und Möbel 44 Abreise von Kolywan 14. Kap. waschen, liegt vermuthlich besonders darin, daß in der strengen Winterkälte das Waschwasser augenblicklich gefrieren und die Treppen mit einer Eis« rinde überziehen würde, ohne daß sie rein würden; theils auch wohl darin, daß die ganze Familie in einer Stube wohnt, und daß die durch Waschen entstandene Feuchtigkeit der Gesundheit der Kinder nachtheilig sein würde, um somehr. als die Klappe am Ofen, der nur am Morgen geheizt wird. den ganzen Tag geschlossen ist, sodaß der Dunst nicht hinausziehen kann. Sie selbst glänzen von Reinlichkeit. Ihr Dampfbad — und in jedem Hause findet sich eine Stube dazu eingerichtet — reinigt nicht blos ihre Haut, sondern schafft durch den starken Schweiß, den es erregt, selbst Dasjenige aus dem ganzen Körper, was innerhalb der Haut liegt. Man sieht daher immer reine Hände, Füße und Gesichter. All das Gute, was der englische Fußreisende Kapitän Cochrane von ihnen gerühmt hat, ist vollkommen wahr. — Aus einem vor wenigen Jahren erhaltenen Briefe des Admirals Baron Wrangel, dessen Bekanntschaft ich, wie erwähnt, in Petersburg gemacht hatte und den ich auf der Rückreise in Tomsk traf, wie er im Begriff stand, nach Sitka an der Nordwestküfte von Amerika zu reisen, wo er als Gouverneur angestellt war — ersehe ich. daß dieser Stand der Unschuld in Sibirien so gut wie verschwunden ist, nachdem das Goldwaschen begonnen hat. ^.uri gacra kames! Den 28. December gegen Mittag verließen wir Kolywan und legten mit großer Mühe zwei Stationen, von 20 und 18 Werst, durch den tiefen Schnee bis zum Dorfe Dubrowa zurück, wo wir beim Hineinfahren in fast undurchdringlichen Schneehaufen festsaßen. Endlich gelangten wir, nach einer Zänkerei mit dem Desätnik. von welchem wir mit Mühe ein Huhn zu unserem Abendbrot zu kaufen bekamen, zur ersehnten Nachtruhe. Diese wurde aber bald gestört, indem Feuer im Hause ausbrach und eine solche Menge Menschen zum Retten herbeiströmte, daß das Haus ganz davon wimmelte. Während der beschwerlichen Fahrt in den zwei folgenden Tagen durch die unermeßlichen Schneemassen erlebten wir zwei tra» gische Begebenheiten. Man hatte nämlich fünf Pferde zunächst dem Wagen statt der gewöhnlichen Troika, und vor diese mehrere Paar Pferde mit Vorreitern gespannt. Der Weg war schmal und der Schnee am höchsten auf den Seiten, sodaß die beiden äußersten Pferde zunächst am Wagen, wo der Schnee von den Pferden der Vorreiter nicht niedergetreten 4. Kap.) Ein unschuldiges Opfer. 45 war. sich auf die Hinterbeine stellen mußten, um im Galopp über den Schnee zu springen. Ich bemerkte hierbei, daß ein kleines, gut genährtes braunes Pferd an der rechten Seite zu taumeln anfing, dann auf die Kniee fiel und auf die Seite rollte. Wir hielten an, die Bauern liefen herzu, schnitten dem Pferde das eine Ohr ab und erklärten es, da kein Blut floß, für verloren. Tie befreiten es nun von dem Sielenzeug, schleppten es an Mähne und Schwanz ein Paar Dutzend Schritt weit von der Landstraße und fuhren weiter. Das Ganze war von dem Äugenblick an, wo das Pferd scheinbar frisch und munter nebenher lief, bis wir es verließen, in zehn Minuten abgemacht. und es zog den Wagen bis höchstens drei Secunden vor seinem Tode. Es war kaum gefallen und vom Geschirr noch nicht befreit, als schon ein Rabe über dem Wagen schwebte, und ehe noch die Leute auf dem Bocke saßen, hüpfte der Vogel auf dem kaum entseelten, noch warmen Thiere. Dies versetzte mich in eine wehmüthige Stimmung. Armes Thier. dachte ich, Du hast ehrlich Deine äußersten Kräfte bis zum letzten Augenblick Deines Lebens angestrengt, um ein Unternehmen zu fördern, welches Du nicht kanntest; so treu und so eifrig strebt selten ein Mensch nach einem Ziel, das er doch sieht und kennt. Noch hat die Lebenswärme Dich nicht verlassen, da sucht schon die zerstörende Hand der Natur jede Spur von Dir auszulöschen, sodaß Keiner je Deines Daseins und Strebens gedenken wird. Du fielst jedoch auf dem Felde der Ehre, strebend, obschon unbewußt, für den Fortschritt der Wissenschaft. Möchte Dies das erste und letzte Opfer sein, das für diese Sache fällt! — Die Leute waren tüchtig gefahren und wir hatten sie nicht beeilt; sie erklärten auch, daß Niemand dafür könnte und ließen sich's nicht weiter nahe gehen. Ein solches junges, arbeitstüchtiges Pferd wurde dort zu 10 Rubel oder ungefähr 4 Thaler geschätzt. Wir euttich» teten auf der nächsten Station 5 Rubel um den Besitzer zur Hälfte schadlos zu halten, obwohl wir an dem Unfall keine Schuld hatten; auch machte Niemand Miene, mehr zu verlangen. Auf der ersten Station am nächsten Morgen mußten wir über eine halbe Stunde warten. ehe Johann mit dem Packwagen nachkam. Wir waren nicht weit gefahren, und da der Weg ziemlich gut war, konnten wir nicht begreifen, was ihm begegnet war. Endlich kam er und erzählte, daß der vorderste Renner gestrauchelt und der daraufsitzende Vorreiter, ein 46 Ein Ungliicksfall. 14. Kap. Junge von neun Jahren, gestürzt und unter die Füße der anderen Pferde gekommen wäre, worauf man ihn für todt aufgehoben hätte. Nach einiger Zeit hätte er jedoch Lebenszeichen gegeben, und da zum Glück einige Bauern ihnen entgegen gekommen wären, so hätte man den Iuugeu in ein Laken eingehüllt und auf den Säilitten gelegt, um ihn zu seinen Eltern zurückzubringen. Die Kälte betrug 25—27 Grad. Da die sibirischen Pferde nicht beschlagen sind. so hoffte ich, der Junge sei nur durch eine heftige Quetschung am Kopfe oder einen Druck auf die Prust durch einen Pferdehuf betäubt worden, denn, nach Johann's Aussage, war keine Beschädigung zu sehen. und in diesem Falle würde sich die sibirische Natur wohl geholfen haben. Aehnliche Unfälle waren früber eiu paarmal mit anderen Jungen vorgekommen, aber sie krochen schnell unter den Pferdefüßen hervor und beeilten sich, das Pferd wieder zu besteigen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Da gewöhnlich der vorderste Renner strauchelt, so wird wirklich ein neunfaches Glück erfordert, damit der Vorreiter glücklich davon komme, da ja neun Pferde hinter ibm find und ihn zu passircn habeu. Die Pferde sind übrigens in solchen Fällen sehr behutsam und thun das Ihrige zur Rettung des Gefallenen. Den 31. December langten wir Nachmittags in Tomsk an, fuhren geradewegs zum Stadtvogt und wurden in ein Haus geschickt, wo der Wirth nach unserem Range fragte und von uus befreit zu werden wünschte. Die Wohnung war übrigens unbequem und wir wurden nach einer anderen begleitet, wo der Wirth, ein Kaufmann, sich auch die Ehre verbat, da sein Haus den Stabsoffizieren zum Quartier diene. Ich blieb eine halbe Stunde draußeu im Wagen sitzen. während Lieutenant Due mit dem anderen Wagen zum Polizeimeister fuhr, um in dieser Verlegenheit Hilfe zu schassen. Eudlich wies man uus eine Wohnung bei einem Kaufmann. Namens Wasilei Iwanowitsch an, der nach Kiachta an der chine, fischen Grenze gereift war, um eine Menge chinesischer Waaren abzuholen. Seine Frau, Stopanida Simonowna. die sehr höflich und dienstfertig war, räumte uns ein sehr hübsches Zimmer und unseren Bedienten ein Vorgemach ein. Unser Aufenthalt in Tomsk sing den 1. Januar 1829 mit 30 Grad Kälte am Morgen an, und die beiden ersten Tage vergingen mit Vorbereitungen zu Lieutenant Due's Abreise nach Narym, einer kleinen Stadt, die 400 Werst oder 57^ Meile nordwestlich von Tomsk 4. Kap.) Aufenthalt in Tomsk. 47 am Ob, etwas nördlich vom 58. Breitengrade liegt. Er reiste mit Johann und den magnetischen Instrumenten den 3. Iannar in einem von der Wirthin geliehenen Schlitten ab, und ich blieb mit Nielsen allein zu» rück. Da in der ganzen Stadt kaum mehr als ein Mensch Deutsch verstand, und kein einziger Dänisch, so spielten Nielsen und ich so ziem» lich die Nolle von einem Paar Taubstummen. Ich verbrachte daher die Zeit wie ein Einsiedler in meiner Stube, theils um die letzten Beobach» tungen zu berechnen. besonders aber lim Russisch zu studiren. Dr. Er» man hatte nämlich eine russische Uebersetzung von Walter Scott's Roman. Ivanhoe, mitgebracht, und mit Hilft eines Lexikons hatte ich mich, bevor ich Tomsk verließ, durch den ersten Theil desselben hindurchgearbeitet. Das Nachfolgende kann dem Leser eine Vorstellung von der Wirthschaft einer einfachen sibirischen Bürger« oder Bauernfamilie geben. In der Bauernstube steht in der Nähe der einen Wand ein Backofen, der zugleich dazu dient, Brot darin zu backen und Speisen darin zu kochen, als auch die Stube zu warmen. Vor dem Ofen befindet sich eine Platte, darüber ein Rauchfang. Früh am Morgen wird ein Holzstoß in den gewölbten Backofen gelegt; ist dieser ausgebrannt, so schürt man die glühenden Kohlen auf die Platte; der thönerne Krug. worin man die Speise bereitet, gewöhnlich mit Wasser, kleingeschnittnem rohen Fleisch und Sauerkohl gefüllt, wird in den Ofen gesetzt, eine hölzerne Thür vor die Oessnung geschoben und die Klappe zum Rauchfang geschlossen. Die große erwärmte Steinmasse und die glühende» Kohlen auf der Platte halten die Stube den ganzen Tag über bis zum nächsten Morgen warm. Um zwölf Uhr Mittags wird der Krug herausgenommen, und die Speise ist dann ohne weitere Aufsicht gar geworden. Wenn die Bauern aus der Kälte kommen, oft naß und halb erfroren. kriechen sie auf den Backofen und führen dort. auf dem Bauche liegend, ein Gespräch mit den übrigen Bewohnern der Stube. Unsere Wirthin hatte auf der entgegengesetzten Seite des Hofes eine große Küche mit englischer Kochanstalt, aber trotz« dem wurde die Speise nach Bauernart im Backofen gekocht. Der Fußboden in der Küche war mit Decken belegt, und Bänke und Tische waren beschabt und weiß. sodaß Nielsen die Theemaschine drinnen nicht scheuern 48 Gine sibirische Bürgerfamilie. s.4. Kap. durste, sondern dies auf dem Hofe thun mußte. Die Wirthin hatte ein. mal entdeckt, daß auf dem Gange vor meiner Thür ein wenig Wasser aus der Theemaschine herabgetröpfelt war; sie zeigte auf die Stelle hin und verlangte, daß sie geschabt werde, und von diesem Augenblicke an wurde Nielsen zur Pflicht gemacht, die Theemaschine in einem Waschgefäß her« einzutragen, damit eine solche Unordnung nicht wieder vorkäme. Er er« zahlte, daß sie täglich mit den Leuten in der Küche speiste, und oft auf den Backofen kröche, wo sie dann liegend sich mit dem Gesinde unterhalte. In starkem Gegensatze zu dieser Einfachheit befand sich ihr Wohnzimmer und ein großer Saal mit Mahagonimöbeln und zwei großen, prächtigen Spiegeln aus einem Glas. die von der Decke bis etwas über eine Elle vom Boden reichten und zusammen hundertneunzig Rubel kosteten. Die Hei» ligenbilder waren mit geschliffenen Steinen besetzt. Sie kam täglich meh< rere Male in meine Stube, um nach dem Ofen zu sehen, auch brachte sie mir zuweilen einen Teller mit Waffeln, ja einmal „Schneehühner", die sie für mich für einen Rubel dreißig Kopeken, etwa fünfzehn Silbergroschen, gekauft hatte. Bei solchen Gelegenheiten versuchte ich mit ihr zu sprechen und ihr zu danken, und nach verschiedenen mislungenen Versuchen verstanden wir einander. Auch Nielsen, welcher als Koch Dienste that, und daher mehr mit ihr zu thun hatte, machte sich ihr zuletzt verständlich, vermuthlich mehr durch Geberden, als durch Worte, da er von der Sprache weit we« niger wußte, als ich. Aber die Russen haben, wie die Franzosen, das Talent, auch ein halbgesungenes Lied zu verstehen, und dazu hilft ihnen ihre Gutmüthigkeit. Eines Tages, als sie in meine Stube kam, zeigte ich ihr den ersten Theil von Ivanhoe und fragte sie, ob sie das Buch nicht lesen wolle, es sei sehr unterhaltend. Sie schob es aber von sich und sagte, sie verstehe sich nicht auf solche Sachen. Ich zeigte ihr das Titelblatt und bemerkte, das Buch sei russisch; aber sie nahm es doch nicht in die Hand, weshalb ich auf die Vermuthung kam, sie könne nicht lesen, und dies bestätigte sich auch. Ihre Kinder — sie hatte einen Sohn, Fictits. und eine Tochter, Elisawette. zwischen acht und zehn Jahren, beschäftigten sich, wie sie zu mir äußerte, mit solchen gelehrten Dingen, als Schreiben und Rechnen, welche sie selbst leider nicht gelernt habe. Der Sohn hatte eine Tafel von mattgeschliffenem Glase. Unter diese legte er die hübsche lithographirte 4. Kap.) Eine sibirische Bilrgerfamilie. 49 Vorschrift und zeichnete dann die großen durchscheinenden Buchstaben mittelst eines Griffels auf diese Glasplatte. Das Leben der Kaufleute ist hier das seltsamste Gemisch von Pracht und Einfachheit, doch sticht überall etwas Gesundes, Derbes und Kräftiges hervor. Wenn auch Stevanida in Büchcrgelehrsamkeit gar unerfahren war, so erschien sie in praktischen Dingen um so tüchtiger. Den 5. Januar kamen sechs Schlitten an, jeder bespannt mit drei Pferden und mit achtzehn großen Kisten Blüthenthee beladen, die in Ziegenfelle eingenäht waren. In einigen Stunden exvedirte die flinke Etepanida die ganze Karawane, die ihr Mann von Kiachta geschickt hatte, weiter nach Nischnei Nowgorod. Hierauf kam sie zu mir und verehrte mir vier große chinesische Birnen (KitaiskiiIabloki). Sie sahen schwarz aus und waren steifgefroren wie Steine, als sie mit den Theekisten von Kiachta ankamen und also ein paar Monate lang einer Kälte von ungefähr 30 Grad ausgesetzt gewesen waren. Auf ihren Nath legte ich sie ins Wasser, und als sie nach einiger Zeit das Waffer in einem großen Krug iu einen Eisklumpen verwandelt hatten und aus diesem herausgeklopft wurden, da zeigte es sich. daß es eine Art sehr großer, ungemein süßer, wohlschmeckender Bergamotten war, welche fast in Saft zerflossen. Von einer solchen Frucht kaun kaum das südliche Europa etwas Aehnliches aufweisen. In ganz Sibirien wachsen keine Baumfrüchte, — nicht, weil dem Sommer die nöthige Hitze fthlt, sondern weil der Winter so streng ist, daß die Baumwurzelu vom Frost beschädigt werden. Alle derartigen Früchte müffcu daher von der Bucha-rei oder von Chinai (von den Nnffcn Kitai genannt) eingeführt werden. Den 6. Januar, am ersten Weihnachtstage bei den Russen, kam die Wirthin am Vormittage und nahm die Oellampe von dem Heiligenbilde in meiner Stube fort, brachte sic aber nicht wieder zurück; vielleicht weil , ich ihr sagte, daß wir Weihnachten zwölf Tage früher feierten. Dagegen schickte sie mir Waffeln und anderes Gebäck. Gleich nachher kamen Popen in den Saal und sangen vierstimmig: „Gosvodi pomilio!" Mit« tags bewirthete sie mich mit Neismus und Kalbsbraten, und schickte mir am Abend Bier. Am nächsten Tage hörte man wieder um die Mit» tagszeit Popengesang im Saale, und am Abend hatte die Wirthin eine große Damengesellschaft zum Thee. Eine französische Spieldose. die ein in der Gesellschaft anwesender Herr mitgebracht hatte, trug sehr zu 60 Das russische Neujahr. ft. Kap. deren Erheiterung bei. So feierte ich denn Weihnachten zweimal in diesem Jahre; nnser protestantisches Weihnachtsmus (Reismus in Milch gekocht) verzehrten wir, vor unserer Ankunft in Tomsk, in einer Bauernstube, besonders deshalb, um Nielsen eine Freude zu machen. der sonst gewiß geglaubt hätte, wir führten ein unchristlichcs Leben. Den 12. Januar Nachmittags kam Lieutenant Due von Narym zurück und brachte verschiedene Raritäten, unter Anderen einige Zobelfelle . und zwei Backenzähne, nebst einem laugen Hauzahn von dem vorsündfinth-lichen Elephanten oder Mammont. *) Der Backenzahn war größer, als ein großer norwegischer Molkenkäse, und der Hauzahn hatte Aebnlichkeit mit dem eincs Elephanten. Da die ganze Gegend vom Ural bis Kras-nojarsk so gänzlich der Steine entbehrt, daß die Bewohner dieses weitum-fassenden Erdstrichs kaum in ihrem Leben einen natürlichen Stein geseben haben, so benutzen die Leute zwischen Tomsk und Narym diese Backen« zahue, deren sich eine Menge längs den Ufern der Flüsse findet, als Senkblei bei ibren Fischnetzen. Den folgenden Tag, auf welchen das russische Neujahr fiel, kamen eine Menge scherzhaft gekleideter, maskirter Personen zu unserer Wirthin. Eie schloß itmm die Thür zu unserer Stube auf und ließ sie hinein-schlüpfen, damit sie unsere Instrumente besehen und bewundern könnten. Der weidliche Theil der Gäste hatte nur einen weißen Schleier vor dem Gesicht, denn Masken giebt es nicht, außer die man sich selbst von Papier macht. Den 15. Januar gegen Mittag sagten wir unserer freundlichen, braven Wirthin Lebewohl, bedankten nns für ihre Gastfreundschaft und küßten ihr die Hand. während wir, nach Landessitte, dafür einen Kuß auf eine Backe bekamen. Indeß wir uns zur Abreise fertig machten, öffnete sie die Thür, welche von dem großen Saal nach unserer Stube führte, lehnte sich mit dem Kopf an eine der Thürpfosten, und sah still und bcweguugs los, vielleicht mit einem Ausluge von Wchmuth, uns zu, wie wir noch zuletzt die Pelze und gefütterten Stiefeln anzogen. Ein Besuch von zwei europäische,, Reisenden, welche von der Regierung so gut empfohlen wa-leu, wie wir, mochte für eine sibirische Kaufmannsfrau ein seltenes Ereig-niß sein. das für eine kleine Epoche in ihrem Leben gelten konnte. ') In ganz Sibirien, seinem Hcimatlande, so - und nicht Mammut genannt. 4. Kap.) Ankunft in Ntschinsk. 51 Nielsen. hier Andr<5 Iwanowitsch genannt, welcher zuletzt in der Stube war, reichte fie die Hand und ließ ihn merken, indem sie auf den beschmutzten Fußboden zeigte, daß hier tüchtig geschabt werden müßte, ehe die Stube wieder in die gehörige Ordnung käme. Auch er war bei der Abreise ein wenig bewegt, denn er war von Stepanida wohlwollend behandelt und von ihren Leuten dienstfertig unterstützt und gepflegt worden. Er machte dieselbe Bemerkung, die ich gemacht hatte, daß eine ernste Miene Stcpanida am besten kleide. Diesem derben Frauengesicht fehlte nämlich nichts, als eine gewiffe Begeistigung, um Interesse zu erwecken. Nasch nahm sie ihren Mantel um und lief anf die Straße, um uns noch einmal im Wagen zu sehen uud wir uickten ihr nochmals freundlich zu. Unsere Mammontszahne und mehrere andere Sachen ließen wir bis zu unserer Rückkehr in ihrer Verwahrung. Den 18. Januar, am heiligen Drcikönigstage der Russen, kamen wir gegen Mittag zn einem Bauer, welcher uns sehr freundlich anfnahm, und da gerade Essenszeit war, einlud, an seiner Mahlzeit theilzunehmen. Zuerst kam eine Fischpastete, dann Suppe mit jungem Schweinefleisch und Kohl, darauf Gänsebraten und endlich Pfannkuchen mit gehacktem Fleisch, nebst Bier. Es war eine ebenso wohlschmeckende als kräftige Mahlzeit, für welche er keine Bezahlung nehmen wollte, sondern uns mit dem gewöhnlichen Wunsche begleitete: „Gott schenke Ihnen eine glückliche Reise." Am nächsten Tage kamen wir um die Mittagszeit zu dem Städtchen Atschinök, wo der Polizeimcister Müller uns schnell die Wohnung bei einem Kaufmann der dritten Gilde. Namens Iwan Michailowitsch Glosonow, anwies. Derselbe bewirthete uns mit fünf Gerichten, dazu Liqueur uud Thee, und hatte den feinen Tact. uns lieber uuserer eigeuen Gesellschaft zu überlassen, als seine fremden Gäste, die der Sprache nicht mächtig waren, durch seine Gegenwart zu belästigen. Gleich nach unserer Aukuuft machte uns der Polizeimeister, ein kleiner, netter Mann, der in Klein-Nußland von deutschen Eltern geboren worden war. einen Besuch uud überraschte uus dadurch angenehm, daß er uns deutsch anredete. Er gab uns einen Kosaken zur Auswartung. Am Nachmittag machten wir einen kleinen Spaziergang, führten unsere astronomischen und magnetischen Beobachtungen aus, und wurden am nächsten Morgen vor unserer Abreise noch mit einem Frühstück bewirthet. Unser höflicher Wirth bat uns hierbei, auf der Rückreise ohne weitere Umstände wieder bei ihm einzusprechen. 4* 52 Krasnoyarsk. l4. Kap. Von Atschinsk an betritt man das Ieniseisl'sche Gubernium, welches das östliche Sibirien ausmacht, und das verrieth sich sogleich in eiuer angenehmen Weise. Wir fanden nämlich Leute damit beschäftigt, die großen Löcher im Schnee auszufüllen; auf beiden Seiten des Weges lagen große Haufen von zerklopften Steinen, um die Sommerbahn auszubessern, aber namentlich machte es uns Freude, die großen, geräumigen, hellen Stationshäuser wiederzusehen, in welchen der Reisende am Abend gewiß sein kann, eine große, warme, reinliche Stube zu fiuden, über die er frei zu verfügen hat, ohne von einem Wirthe belästigt zu werden. Die Reise war angenehm, denn der Himmel war klar, die Kälte mäßig, und die Gegend wurde immer malerischer; Hügel, mit Wald bekleidet, erhoben sich nah und fern, jemehr wir uns Krasnojarök näherten. Die hohen, steilen Abhänge an Stellen, wo der Schnee lag, hatten schon mehrere Werst von Krasnojarsk eine stark rothbraune Farbe, weshalb ich vermuthete, daß die Erde in dieser Gegend eisenhaltig sein müsse, und daß unsere magne» tischen Instrumente in Krasnojarsk einige Unregelmäßigkeiten zeigen wür-deu. Ich äußerte dies gegen meinen Begleiter, und in der Folge bestätigte sich auch meine Vermuthung. Krasno bedeutet im Russischen roth. und Iarr ein steiles Fluß ufer, uud hiervon mag die Etadt ihren Namen erhalten haben. da sie wirklich an einem steilen, röthlichen User des Ienisei liegt. Hier bekamen wir zuerst die hohen mongolischen Berge im Süden zu Gesicht, wodurch wir an das Vaterlaud erinnert wurden. Wir erreichten Krasnojarsk den 21. Januar drei Uhr Nachmittags. Nachdem wir Quartier bekommen und zu Mittag gespeist hatten, begannen wir sogleich unsere wissenschaftlichen Beobachtungen, und als diese so ziemlich beendigt waren, brachte uns der Polizeimeistcr einen Gruß auf Dcutsch von Sr. Excellenz dem Gouverneur, der uns zunächst fragen ließ, ob er uns in irgend einer Weise nützlich sein könne, sich dann die Ehre unseres Besuchs ausbat und zu wissen wünschte, ob wir nachTuruchansk, einem Städtchen am Ienisei, in der Nähe des Polarkreises, reisen wollten. Ich entgegnete, daß wir dem Herrn Gouverneur noch an demselben Abend einen Brief des Ministers Speranski in Petersburg gebracht haben würden, da aber das Wetter hell geworden sei, den günstigen Augenblick zu unseren Beobachtungen benutzen müßten, am nächsten Tage Vormittags aber die Ehre haben würden, ihm unsere Auswartung zu machen. Am an- 4. Kap-1 Gouverneur Stepanow. KI dern Morgen gingen wir znm Gouverneur, Alexander Petrowitsch Stepanow, und fanden in ihm einen muntern, angenehmen Mann von siebenund« vierzig Jahren. Er saß in seinem Cabinet, umgeben von einer Menge Na» tur ° und Kunstseltenheiten; — Schränke mit Mineralien, ausgestopfte Thiere aller Art, Alles aus seinem Gubernium, chinesische Vasen und Mondscheinslampcn von Horn u. A. m. Auf dem Tische lag ein hübscher Kalender. Ich öffnete ihn und las zu meinem Erstaunen den Titel: „Ieni» seisk'scher Almanach für 1828, von Iwan Petrow, Krasnojarsk", geziert mit einer hübschen in Kupfer gestochenen Vignette, einen Sänger darstel» lend, der auf einer Harfe spielt, auf deren unterem Theile eine Sphinx ruht. Der Inhalt war mannigfach; er bestand nämlich aus verschiedenen prosaischen Stücken von Stepanow (z. V. „eine Neise von Krasnoyarsk nach Kiachta", mit einem Prospect und einer Abbildung der mongolischen Gottheit Schigemune; „ein Blick auf die physische Beschaffenheit des Mi» nusin'schen Kreises"), und aus einigen Gedichten; außerdem enthielt der Kalender verschiedene prosaische und poetische Stücke von anderen Schrift» stellern in Krasnojarsk. darunter eine Sammlung mongolischer Sprüch, wörtcr, alles in russischer Sprache. Stepanow schenkte Jedem von uns ein Exemplar, nachdem er einige freundliche Worte der Widmung auf das erste leere Blatt geschrieben hatte. Wir wurden zu Mittag bei ihm eingeladen, und speisten in der Folge täglich dort bis zu unserer Abreise, und zwar in Gesellschaft mit allen den jungen Männern, welckc Beiträge zu dem Kalender geliefert hatten. Seine Arbeitsstnbe enthielt ein Mincraliencabmet; in seinen Schränken und Bü« chergestellen sand man Kupferstiche und Zeichnungen von Volksstämmen und Naturgegcnständen. Prospecte, Bücher und die merkwürdigsten Anti» quitäten. Er besaß auch eine Steinschleifer«, wo wir ein paar Agathhütchen zu unseren Magnetnadeln geschliffen bekamen, die wir uns in Chri« stiania nicht verschaffen konnten. Kurz. in seinem Hause fand man sich umringt von Wissenschaft. Kunst und Natur. Wer hätte so etwas im oft, lichen Sibirien in der unbedeutenden Stadt Krasnojarsk erwarten sollen, die erst fünf bis sechs Jahre vor unserer Ankunft der Sitz eines Gouver» neurs geworden war? Die Stadt hatte auch in der kurzen geit bedeutend zugenommen, und war unter den Bestrebungen des geschmackvollen Gou» verneurs besonders verschönert worden. Er zeigte uns einen Plan zu einer 54 Gouverneur Stepanow. 14. Kap. bedeutenden Erweiterung der Stadt, dessen Ausführung der Kaiser Nikolaus bereits durch eigenhändige Unterschrift genehmigt hat. Diesem gemäß soll die Stadt gleichbrcite Straßen, viele schöne öffentliche Anlagen, Gärten, steinerne Gebäude u. A. m. bekommen, sodaß sie die schönste Stadt Sibiriens zu werden verspricht, zumal sie von der Natur wohl begünstigt zu nennen ist. Eines Abends, als ich meine astronomischen Beobachtungen beendigt hatte und noch im Hofe mit meinen Instrumenten stand, kam Stepanow mit einem seiner Secretaire, einem Deutschen, um uns einen Besuch abzustatten. Er saß in unserer Stube, rauchte gemüthlich seine Pfeife Tabak und war recht heiter. Wir gingen dann in den Garten und zeigten ihm im Fernrohr den Satuni mit seinem Niuge, den Mond und den großen Steinennebel im Orion u. A. m., worüber er sich sehr freute. In unsere Stube zurückgekehrt, trank er einen Schnaps und verweilte unter muntern Gesprächen bis zehn Uhr. Er erzählte uns, daß er zehn Kinder hätte, welche er alle nach Rußland geschickt habe; zwei Söhne dienten in der Armee gegen die Türken; seine Frau aber, welche die Kinder begleitete, sei uuterwegs in Katharinburg gestorben. „Sibirien kann wohl für eine kurze Durchreise interessant sein," äußerte er eiues Tages, „aber für immer da zu bleiben, ist schwer. Man fühlt die Wüste, man entbehrt Kunst und Wissenschaft, uud Menschen, welche fühlen wie wir und uns verstehen." Und darin gab ich ihm Recht. Unser liebenswürdiger Gouverneur wiederholte eines Tages seine Frage, ob ich nicht nach Turuchansk reisen wollte. Ich erwiderte, daß ich es wegen der großen Schwierigkeiten nicht für thunlich hielte. „Ei," rief er aus, „was ist Ihnen unmöglich, bei den Mitteln, welche Ihnen zu Gebote stehen? Ich bin selbst vor ein paar Jahren in Turuchansk gewesen und werde Sie begleiten. Es ist eine interessante Tour. Man macht die Reise dahin auf einem Boote flußabwärts in zehn Tagen, und kehrt auf diese Art zurück. Man spannt Menschen vor das Boot zu Hunderten und sie ziehen es gegen den Strom. Eo kann man in einem Monat zurück sein." Die Gewißheit, daß die Reise auszuführen sei, war mir äußerst willkommen, denn dieser Strich im hohen Norden war es gerade, bis wohin ich die magnetischen Beobachtungen am liebsten aus« zudehneu wünschte, und ich fand mich denn auch später veranlaßt, den Plan, von Irkutsk aus, zu verwirklichen. 4. Kap.) Tungusische Schamanen. 55 An demselben Tage bereitete er uns ein höchst merkwürdiges Schauspiel. Er hatte in seinem Hause einen tungusischen Iwerg: bei diesem 2>ar ein alter Tunguse zu Besuch. Bei Tische befahl der Gouverneur, dlß Beide in ihren tungusischen Etaatökleidern erscheinen sollten. Nach de: Tafel kamen sie in einer Tracht, die mau sich nicht phantastisch genug denken kann. Der Junge hatte einen großen prächtigen Köcher mit langen Pfeilen auf dem Rücken und einen großen Bogen in der Hand; auf dem Kopfe tnig er eine runde Pickelhaube, die mit schwarzen uud weißen Perlen hübsch verziert war. Beide waren auf den Wangen mit schwarzblauen Punkten tattowirt. Der Alte erschien in der Tracht eines Schamanen oder Hexenmeisters uud hatte eine große Hexentrommel oder Tambour,« in der Hand. Auf diese schlug er mit einer alten verbrauch» ten Schuhbürste, womit gewöhnlich dies Instrument gespielt wird, indem cr sich bald des Holzes, bald der Borsten bcdiente, um die Töne hervor-zulocken. Hierzu sang er ein tungusisches Hexenlied, das unsern Ohren höchst merkwürdig, etwa wie die unartikulivten Laute eines wilden Thie« res, klang. Dabei wackelte er beständig mit dem ganzen Leibe, wodnrch eine Menge Schellen, mit denen eine Art Hclm besetzt war. uud sehr viele düune blanke Stahlfedern, langen Messerklingen ähnlich, deren oberste Enden an seinem Gewände befestigt waren, raffelten und klingelten. Bald saß er auf dem Boden mit gekreuzten Beiuen, warf seine Bürste in die Luft und suchte sie im Falle zu erHaschen, bald stand cr wieder auf, schlug auf die Hexentrommel und dergleichen. Die tungusische Gcsichtsbildung weicht, nach meinen Erfahrungen, die der Neger abgerechnet, am meisten von der kaukasischen ab. Der Junge war ordentlich hübsch und sah wie ein kleiner Amor aus. Ein vortreffliches Portrait desselben zeigte uns Stepa-uow, und da Due um die Erlaubniß bat, es zu copiren, machte er ihm das Bilduiß eines andern Tungusen zum Geschenk. Eine solche Tungu« sentracht hat Due von Narym mitgebracht. Es ist merkwürdig, welche Pracht in ihrer Art daran hervortritt, ungeachtet sie von einem so uncivilisir» teu Volke und aus lauter Thierfellen und Thicrhaaren verfertigt ist. Aber Lust zum Putz, und eine Art von Geschmack, nwdisicirt durch das mehr oder minder bequeme Material, findet sich bei allen, selbst den wildesten Völkern, von den Bewohnern der Südsee-Inseln und den rothen Amerikanern bis zu den Grönländern, Finnlappeu, Ostiaken und Tungusen. 56 ' Die Buräcen. 1.4. Kap. Mit welchem Geschmack wissen nicht unsere Vauermädchen ans den Gebirgsgegenden ihre Kleider und wollenen Handschuhe auszunähen, ungeachtet sie niemals eine Zeichenschule besucht haben. Ich habe früher den mongolischen Schutzgott Echigemune erwahm. Die Buräten. ein mongolischer Nomadenstamm, der sich auf den Steppm um den Baikal«See aufhält, und die Kalmücken, welche die Ufer i>er Wolga bis Astrachan bewohnen, bekennen sich zur lamaischen oder bud- dhistischen Religion, welche von Tibet her eingeführt ist. Sie nehmen.'inen einzigen Gott (Manin Schari) und Unsterblichkeit der Seele an. Die Erde ist von Geistern aus der Oberwelt, welche zu Menschen ausgeartet sind, bewohnt. Je nachdem sie sich in ihrem Prüfungsstande im irdischen Leben gut oder schlecht aufgeführt haben, geht die Seele nach dem Tode des Leibes in einen höheren oder geringeren Zustand über. Die Guten nehmen nach dem Tode die Gestalt von reinen Geistern an, die Seelen der Bösen wandern dagegen in andere, geringere Körper auf der Erde. Buddha, nach welchem diese Religion benannt ist, soll sie tausend Jahre vor Christi Geburt gestiftet und Sckigemnne dieselbe erneuert haben. Dalai Lama ist das Oberhaupt der geistlichen und weltlichen Macht in Tibet, und wird für Gottes Stellvertreter auf Erden angesehen. Bei seinem Tode geht angeblich seine Seele in den Körper eines neugeborenen Kindes über, welches dann sein Nachfolger wird und eigentlich dieselbe Person ist, nur auf einen andern Körper übertragen. Unter dem Dalai Lama stehen andere Ober-Lama's und »inter diesen sehr viele andere Geistliche oder einfache Lama's, weshalb diese Religion auch die „Lamaische" genannt wird. Wenn Dalai Lama todt ist, sollen die Lama's ausfindig zu machen suchen, wo es ihn, gefallen hat, aufs Neue wiedergeboren zu werden, oder, was dasselbesagen will, wen er zu seinem Nachfolger erwählte. Auf der Reise nach der chinesischen Grenze besuchten wir südlich vom Baikal-See den Chamba Lama. einen Ober-Lama, welcher auf der großen Steppe, nahe der Stadt Eelenginsk, seinen Wohnsitz hat, in dessen Nähe sich ein Haukitempel befindet, in welchem er für uns einen lamaischen Gottesdienst von 300 dort versammelten Lama's ausführen ließ. Im Jahre 1830 erhielt ich in Astrachan von einem dort ansässigen englischen Kaufmann ein lamaisches Neligionsbuch. welches er mit Mühe einem Lama abgelockt hatte. Es ist in der tibetanischen Sprache mit 4. Kap.? Lamaische Gottheiten. 57 Eanskrit'Vuchstaben geschrieben und enthält vermuthlich die Hauptlehren der lamaischen Religion. In demselben befinden sich vier Abbildungen ihrer Schutzgitter, welche sämmtlich weibliche Figuren sind. Schigemune sitzt mit gekreuzten Beinen, sodaß die Fußsohlen nach oben gekehrt sind, auf einer mit bunten Figuren prächtig gestickten Fußbank; der Kopfputz ist blau, mit goldenen Franzen geschmückt und oben am Scheitel befindet sich eine goldene Flamme in Gestalt eines Herzens. In der linken Hand hält sie eine blaue, flachgedrückte Kugel, die nach oben zu mit einer goldnen Rosette geziert ist. Der Kopf ist von einer Glorie umgeben. bestehend aus zwei goldnen Ringen um eine grüne Grundfläche. Ueber die Schultern hängt ein rother Shawl, welcher einen großen Theil des Leibes bedeckt und mit großen Flecken dicht besäet ist. Die ganze Figur ist von einem breiten rothen Regenbogen mit goldnen Strahlen eingeschloffen. Außerhalb dieses Kreises sieht man den blauen Himmel mit röthlichen Wolken und den Abbildungen der Sonne und des Mondes auf der rechten und linken Seite. Auf der Stirn gerade über der Nase hat Schigemune. ebenso wie die drei anderen Figuren einen kleinen runden Kreis. Gesicht, Hals, Hände und Füße sind bei allen Figuren des Bildes mit Gold bedeckt. Die dritte Figur hält in der erhobenen Rechten ein Schwert, in der Linken, wie es scheint, eine weiße Papierrolle; vielleicht stellt sie die strafende Gerechtigkeit vor. Auf der vierten. welche ein mehr irdisches Aussehen hat, ist die Farbe der Haut die gewöhnliche menschliche, weiß und roth. Diese Figur hat vier Arme und wenigstens sechs Brüste. Die beiden Hände der innersten Arme sind in anfwärtsgerichteter betender Stellung; die linke Hand der beiden äußersten Arme hält eine Rose und die rechte ein golducs Perlenband. Die Rückseite eines jeden Bildes ist roth und trägt in der Mitte eine Inschrift in einer Linie, welche vermuthlich den Namen der Gottheit angiebt. Das Blatt, welches auf jede Figur folgt, und vielleicht die Beschreibung der Gottheit enthält, ist schwarz und bei Schigemune's Bild mit goldnen. bei den drei folgenden mit hellblauen Buchstaben beschrieben. Alle anderen Blätter des Buchs bestehen aus dickem steifen weißen Papier mit schwarzer Schrift. Die Außenseite des Buches ist mit dickem grünen Seidenzeug bezogen und mit gewebten Figuren geziert; der Einschlag besteht aus gelben Fäden. Kurz, dies heilige 58 Die sibirische Kälte. ft- Kap. Buch ist ein wahres Prachtexemplar, und der Lama, der es sich hat ab« locken lassen, ist gewiß dafür bestraft worden. Die sibirische Kälte ist merkwürdig. Unsern Aufenthalt in Tomsk begannen wir den 1. Januar mit 30 Grad am Morgen; sie stieg den 9. sogar auf 31 Grad nnd war die meiste Zeit wahrend meines dor. tigen Aufenthalts über 30 Grad. ungeachtet diese Stadt nur etwas nördlich vom 57. Breitengrade liegt, oder etwa in derselben Breite wie Aalborg in Jutland und Warberg in Schweden. Auf der Neise von Kras-nojarsk nach Nischne - Udinsk fanden wir den 30. Januar, 7'^ Uhr Morgens, daß ein in freier Luft aufgehängtes Spiritus-Thermometer — 34", 4 zeigte, und in einem Quecksilber-Thermometer war das Quecksilber ganz in die Kugel herabgelaufen lind zu einer festen Masse gefroren, sodaß ein bedeutender leerer Naum in der Kugel war. Abends 8 Uhr kamen wir auf der Station Bagranowslaja an und fanden um 9 Uhr, daß das Quecksilber in den beiden im Freien aufgehängten Thermometern (von Pistor in Berlin) in die Kl'gel getreten, aber noch flüssig war, sodaß es beim Umkehren und einem kleinen Stoß nach der Spitze der Röhre lief. Das Spiritus-Thermometer zeigte—30 ",2. Gine Viertelstunde später zeigte das Spiritus-Thermometer —30 ",4 uud das Quecksilber in den beiden anderen Thermometern war erstarrt, sodaß es, wenn man das Thermometer umkehrte und gegen die Hand stieß. nicht zum Herabstießen gebracht werden konnte. In der einen Nühre stand noch das Quecksilber eine Linie hoch, aber auf der Seite der Kugel zeigte sich eine große leere Höhle, welche beim Schlagen etwas zu vibriren schien, bald nachher aber ganz erstarrt war. Hieraus sieht man, daß sich das Quecksilber, einige Zeit vor dem Gefrieren, viel stärker zusammenzieht, als der Weingeist, sodaß ein Quecksilber-Thermometer stets eine viel zu niedrige Temperatur angiebt, wenn sich die Kälte 30 Grad nähert. Dies bewog mich, am Abend einen Spnlnapf, in welchen ich 3—4 Pfund Quecksilber gegossen hatte. auf den offnen Gang in freier Luft zu setzen. Am nächsten Morgen, 7 ^ Uhr, war dasselbe zu einer zusammenhängenden, harten Masse gefroren, welche mit dem Taschenmesser vom Boden nicht losgebrochen werden konnte. Man konnte darein wie in Blei schneiden, und da das Wasser aus der warmen Stube kam, so wnrde anfangs das Queck« filber auf beiden Seiten des Messcrblatts ein wenig flüssig, und es zeigte 4. Kap-1 Die sibirische Kälte. 59 sich dort ein kleiner Tropfen. Auf der Oberfläche gingen Streifen nach dem Mittelpunkt des Kuchens und in seiner Mitte war eine kleine Vertiefung in Folge der Zusammenziehung. Das Spiritus-Thermometer zeigte 31^ Grad. Nachdem der Spülnapf in die warme Stube gebracht worden war, und einige Zeit gestanden hatte, ging der Kuchen von der Taffe los und war dann so morsch geworden, daß er wie Eis in Stücke gebrochen werden konnte. Diese und die vorige Station liegen ungefähr unter 53^ 0 N. Br., also nur einige Minuten nördlicher als Kopenhagen. Wenn wir nicht an jeder Station unsere Barometer in die warme Stube gebracht hatten, so wäre das Quecksilber jedenfalls auch zu einer festen Masse gefroren. In dem Augenblicke, wo wir von Krasnojarsk abreisten, holte uns Dr. Erman mit dem Dolmetscher Gustav ein, welcher große Frostbeulen im Gesicht und viel Schlimmes ausgestanden hatte, da Erman Tag und Nacht gefahren war, und Gustav in der fürchterlichen Kälte in einem offenen Schlitten hatte liegen lassen. Es ist ein glücklicher Umstand bei dem sibirischen Winter, daß völlige Windstille herrscht, wenn die Kälte sehr stark wird, sodaß wir mit einem offenen Lichte außerhalb des Hauses gehen konnten, um unsere Thermo» meter zu beobachten, ohne daß die Flamme die geringste Bewegung zeigte. Wenn es nicht so wäre, so würde weder Mensch noch Thier längere Zeit unter freiem Himmel aushalten können. Zu Anfang dcs Winters sagte ich einmal im Scherz, daß. wenn die Kälte 20 Grad überstiege, ich anhalten und eine mildere Jahreszeit abwarten würde. Aber ich bemerkte bald. daß sich dies nicht thun ließ und auch nicht nothwendig war. Ich machte einst meine Beobachtungen eine Stunde lang unter freiem Himmel bei 28'/^ Grad Kälte, ohne eine andere Unbequemlichkeit, als ein starkes Brennen in den Fingern, die nur mit dmmen Handschuhen bedeckt waren, zu empfinden. Eine große Unannehmlichkeit war jedoch folgende: Der Kragen des RcnnthicrpelzeS wurde hinaufgezogen und mit einer Binde dicht am Halse festgebunden, und eine doppelte Nennthiermütze mit einer Klappe nach hinten bedeckte den Kopf und die Ohren, sodaß nur Augen, Nase und zum Theil der Mund der Luft ausgesetzt waren. Der Dampf, der jeden Athemzug begleitet, setzte sich in Gestalt von kleinen Eiskrystallen auf die Theile dcs Pelzkragens und der Mütze, welche das Gesicht umgaben, und bei der geringsten Bewegung des Kopfes berührten diese die Wangen, und 60 Die sibirische Kälte. l4. Kap. brachten eine brennende Trockenheit in der Haut hervor. Einige tausend Schritte in solcher Kälte zn gehen, war beinahe unmöglich: ging man langsam, so litt man von der Kälte; wollte man in den schweren Pelzen und Stiefeln rasch gehen, so geschah das Athmen schneller und man hatte eine beängstigende Empfindung in den Lungen. Aus den Nüstern der Pferde sah ich dann oft das Blut fließen, wenn ich aber die Postbanern darauf aufmerksam machte, so antworteten sie: „Das schadet nichts!" Den 1. Februar um die Mittagszeit kamen wir nach dem Stadt» chen Nischne.Udinsk, wo der Civil-Gouverneur Zeidler auf einer Neise nach Petersburg angelangt war. Ich hatte vom Baron (spater Admiral) v. Wrangel in Petersburg einen Brief und ein Eichenreis an ihn abzugeben, welches Wrangel selbst von der Eiche, die an Napoleon's frühcrem Grabe auf St. Helena gestanden, abgebrochen hatte. Ein Blatt von diesem Reis habe ich mir zum Andenken an den großen Kaiser aufbewahrt, Leider verhinderte mich ein unglücklicher Vorfall, den Brief nebst der Reliquie dem Gouverneur selbst zu übergeben. Nielsen war nämlich bei einem tiefen Schneeloch von dem Vordersitz des Packwagens gestürzt und über« fahren worden. Die russischen Schlitten haben eine sehr geringe Spnr-weite und, damit sie nicht schleudern, befestigen die Ruffell zwei dicke Balken über dem Schlitten, welche auf beiden Seiten hervorstehen und diese Figur >> bilden; sie heißen Otmodi (Ableitcr). Wenn der Wagen nach einer der Seiten schlendern will, so schleift der Ableiter an dieser Seite gegen den Weg und richtet ihn wieder auf. Indem Nielsen auf der linken Seite hinausstürzte, kam er unter den Ableiter und wurde ein langes Stück Weges mit dem Wagen, der im stärksten Carriere gefahren wurde, geschleift, bis er endlich loskam. Anfangs konnte er nicht aufstehen, kam aber endlich mit Hilfe der Leute auf die Beine und setzte unter heftigen Schmerzen die Neise mehrere Meilen fort. Als der Packwagen auf den Hof kam, war ich erstaunt, ihn bleichen Gesichts ausrufen zu hören: „Gott sei Lob, daß ich lebendig Sie wiedersehe; das hätte ich nimmermehr erwartet!" Dabei brach er in Thränen aus. Ich erfuhr nun alle näheren Umstände und schickte sogleich nach einem Arzt. Zu meiner größten Verwunderung fand sich keine Spur von Beinbruch oder Verrenkung, obwohl das schwere Gewicht des Packwagens mehrere Secunden auf seinem Leibe geruht hatte, und er ein Stück Weges mit ihm fortgeschleift worden war. 4. Kap.) Rückkehr nach Tobolsk. ßi Man ließ ihm zur Ader und rieb ihn mit Teifenspiritus ein, den unsere Reiseapotheke hergab. Den ersten Tag fühlte er bedeutende Schmerzen, am fol« genden aber ließ er sich nicht abhalten. seine gewöhnlichen Geschäfte zu verrichten. Indessen empfindet er bis diesen Tag einen Schmerz im Rückgrat zwischen den Schultern. Gin paar Tage vor dieser Begebenheit war wilder ein Pferd auf der linken Seite des Troika gestürzt, und indem der Wagen von den übrigen Pferden mit Schnelligkeit weitergeschleift wurde, zerriß die hervorstehende eiserne Achse des Wagens den Bug des daliegen« den Pferdes, sodaß die Eingeweide blosgclegt wurden. Die Postbauern machten das Sielenzeug loö und fuhren weiter. Es war ein kläglicher Anblick, zu sehen, wie das verwundete Pferd mehrmals vergeblich aufzustehen versuckte. um nachzufolgen, und einem langsamen, schmerzvollen Tode bei einer Kälte von 30 Grad preisgegeben war. Nielsen äußerte später, daß er in dem Augenblicke, wo er aus dem Wagen stürzte/ denselben Tod erwartete, wie dieses Pferd. Da wir nun unseren eigenen Dolmetscher Gustav wiederbekommen hatten, entließen wir Johann (oder. wie die Nüssen itm nannten, Iwan) Schlau. Bei den verschiedenen Einkäufen, die er täglich für uns gemacht, hatte er nach und nach soviel Geld bei Seite gesteckt, und vielleicht auch die Bauern für die ihneu zustchendeVezahlung tüchtig betrogen, daß er sich dafür ein Pferd und einen Tchlitten kaufte, womit er nach Tobolsk zurückreiste, uud man erzählte uns spater, er habe sich ein kleines Haus gekauft und eine Gastwirthschaft für gemeine Leute angelegt. Da wir von seinen Betrügereien Wind bekamen, so befahl ihm Due vor der Abreise, er solle den Schafpelz, den wir ihm in Tobolsk hatten machen lassen, wie« der zurückgeben. In Folge dessen kam er in die Stube, kniete vor mir nieder und bat mich mit erheuchelten Thränen uud lügenhaften Betheuc« rungen. ihn behalten zu dürfen. Ich erwiderte, er verdiene vielmehr, daß man ihn an dcn Polizcimeister in Tobolsk mit der Aufforderung schicke, ihn ernstlich zu züchtigen. als daß man ihm noch eine Gunst zu Theil werden lasse, da ich aber nicht glaube, daß noch ein ehrlicher Mensch den Pelz nach ihm tragen werde, so könne er ihn behalten. Wir setzten dar« auf unsere Neise nach Tobolsk fort, wo wir ohne weitere besondere Ereig« nissc den 7. Februar 182U ankamen. 62 Irkutsk. » Kap. Fünftes Kapitel. Aufnahme in Irkutsk. - Markt in Maimatschin. — Chamba Lama. — Der General-Gouvcrmur Alexander Sttpanowitsch Lawineky. — Die Murawicss'sche Familie. — Schicksale dcr Verbannten. — Die Obcvstin Börresen. - Russische Ostern. - Reise nach Imiseisk auf den Flüssen Angara und Werchne-Tuna,uska. Den 7. Februar 1829. an einem schönen Nachmittage, als wir uns Irkutsk näberten, spähten wir mit großen Erwartnngen nach den Thürmen der Stadt, und bekamen zuerst ein stattliches Kloster, welches auf der anderen Seite der Angara liegt, zu Gesicht. Die Stadt besteht meistens aus hölzernen Häusern, doch sind alle öffentlichen Gebäude und die Häuser der reichen Kaufleute von Stein. Die Facade dieser Häuser muß stets nach einem in Petersburg erschienenen Bau-Atlas, aus welchem der Bauherr diejenige wählen kann, die seinem Geschmacke am meisten zusagt, aufgeführt werden; die innere Einrichtung ist ihm selbst überlassen. So haben die Gebäude stets ein schönes Aeußere und sind oft mit Medaillons in Basrelief oder anderen Verzierungen geschmückt. Irkutsk ist der Sitz des General-Gouverneurs vom östlichen Sibirien und eines Orzbischofs, und hat ein mit schönen Apparaten versehenes Gymnasium, und einen großen Bazar (Gostinoi«Dwor). bestehend aus Buden für alle möglichen Artikel, von den feinsten bis zu den gröbsten. Es liegt auf einer Hochebene von 1000 — 1200 Fuß über dem Meere, und ist von demselben so weit entfernt, daß. nach dem Zufrieren der Angara, keine Quelle für Entwickelung von Dampf oder Feuchtigkeit in der Nähe vorhanden ist. Die Luft ist daher hier so ungewöhnlich trocken, daß es am Tage nach einem Regeil und Schlackenwetter im Frühjahr ganz trocken ist und auf den ungcpflasterten Straßen staubt. Der Himmel ist hier vom Januar an, wo sich der Fluß mit Eis belegt, beständig so klar, daß bis zum Ende März, oder Anfang April. wo der Fluß wieder auf-geht, nicht das geringste Wölkchen zu sehen ist. Bei 30 Grad Kalte geht die Sonne so klar und rein wie ein blanker goldener Teller auf und unter; die Sterne zittern mit einem bei uns unbekannten stätigen Lichte. 5. Kap-I Irkutsk. ßI Die russischen Kirchen sind sehr ansehnliche Gebäude und im byzantinischen Styl aufgeführt. Sie haben gewöhnlich fünf Kuppeln in Form eines Nettigs, dessen Spitze nach oben gekehrt ist, und der auf einem Cylinder von etwas kleinerem Durchmesser ruht. Die miltelste ist die größte und höchste, und trägt gewöhnlich ein großes eisernes Kreuz von durchbrochener Arbeit, die vier kleineren umgeben dieselbe in einem Quadrat. In Petersburg und Moskau sind auf einigen Kirchen diese Kuppeln mit vergoldeten Kupftrplatteu belegt; gewöhnlich sind sie mit einer hellen Farbe, z. B. hellgrün, angestrichen. Ganz Norwegen hat kaum zwei oder drei Kirchen. die all Würde der äußeren Erscheinung selbst mit den Kirchen in den sibirischen Dörfern verglichen werden können. Diese Menge schöner Kirchen in den größeren russischen Städten verleiht ihnen in einiger Entfernung ein imposantes Aussehen, besonders wenn man sich ihnen im Schein der Abendsonne nähert. Irkutsk, die Hauptstadt des östlichen Sibiriens, liegt unter 52 Grad 17 Min. nördlicher Breite und 122 Grad östlicher Länge von Ferro, und hat also ungefähr dieselbe Breite wie Hannover, und sechs Stun-den früher Mittag als Christiania. Auf der West- und Nordseite wird Irkutsk von der aus dem Baikal-See kommenden Angara, auf der Ostseite von der kleineren Uschakowa umzogen. In die Augen fällt an der Nordseite der Stadt das Flüßchen Irkut. welches von Westen kommt und der Stadt den Namen gegeben hat. Sie hat also eine schöne Lage. Ihre größte Ausdehnung von Ost nach West beträgt etwas über 1500 Saschen') oder gegen ^ Meile, und von Nord nach Süd 1100 Saschön oder gegen ^ Meile. Sie hat achtzehn Kirchen, darunter eine lutherische und eine katholische. Sobald wir uns in der Wohnung, die man uns angewiesen, ein wenig eingerichtet batten, machte ich dem Polizei-Chef Oberst Murawieff, an welchen ich vom Minister Palmstjerna einen Brief hatte, meinen Besuch. Ein großer ansehnlicher Mann von sechsunddreißig Jahren, in grüner Uni» form, mit sieben Orden aus der breiten Brust, kam uns entgegen und redete uns zu meiner Freude Deutsch an. Wir erfuhren hier, daß der Markt der Chinesen ill der Grenzstadt Maimatschin, wobei ein Tauschhandel im Werthe von mehreren Millionen Nubcl zwischen Chinesen und Russen, vornehmlich ') Ein Sasch^n ist genau 7 englische Fuß. 64 Markt zu Maimalschin. 15. Kap. mit Zobelfellen und Thee, stattfindet, durch ein großartiges, dreitägiges Feft in den ersten Tagen des weißen Monats der Chinesen, welcher ungefähr in der Mitte unseres Februars beginnt, eingeleitet wird. Um diesem, der Beschreibung nach merkwürdigen, Markte beizuwohnen und zugleich unsere Veobachtungsreihe an dieser Stelle so weit wie möglich nach Süden auszudehnen, beschlossen wir, dahin zn reisen. Wir fuhren den 12. Februar in südlicher Richtung läugs der Augara, dann über den, an der Ueberfahrtsstelle fast acht Meilen breiten, zugefrornen, spiegelblanken Baikal.See, dessen Eis in einzelnen Spalten eine Dicke von 3 Fuß zeigte. Das Eis ist hier so durchsichtig, wie das reinste Glas, sodaß man an weniger tiefen Stellen den kleinsten Gegenstand auf dem Grunde sehen kann und sich scheut darauf zu treten, indem es aussieht, als ginge, man unmittelbar auf einer spiegelblanken Wasserfläche. Der Baikal hat die Form einer Sichel, wie der Mond drei Tage nach Neumond, und eine Länge zwischen den beiden Spitzen von fast 80 Meilen, während feine größte Breite ungefähr 12 Meilen beträgt. Längs der nördlichen Küste lanft eine Bergreibe von mäßiger Höhe, und eine kleine kaiserliche Flotte wird im Sommer dazu verwendet, die Communication zwischen den umliegenden Orteil zu uuterhalten. Der Chef derselben ist ein Lieutenant von der russischen Marme, der in Irkutsk in einem großen Gebäude wohnt, welches daher den Namen der Admiralität führt. Dieser baikalsche Admiral lud uns eines Mittags zu sich ein, und während der Mahlzeit erhob er sich, nahm sein Glas. verbeugte sich vor mir und Lieutenant Due und rief: „Deres Suudhed!" (Ihre Gesund' heit.) Wir waren höchlich verwundert, ein paar norwegische Worte von einem baikalschen Admiral zu hören, und bekamen nun folgenden Ausschluß. Er hatte einige Jahre zuvor auf einem russischen Schiffe, das eine Erdumsegelung unternehmen sollte, in Diensten gestanden; dieses Schiff aber erlitt bald nach der Abfahrt eine starke Havarie und mußte in Arendal (unweit Chriftiania) über einen Monat verweilen. Hier wurden die Osficiere von den wohlhabenden Kaufleuten täglich eingeladen, und da hatte denn unser Admiral die Bemerkung gemacht, daß die Gäste bei Tische einander uuaushörlich mit dem Glase in der Hand zu« nickten und riefen: „Deres Sundhed!" — Das Schisskehrtedarauf, wenn ich mich recht erinnere, unverrichteter Sache wieder nach Petersburg znrück. 5. Kap.I Der lamaische Gottesdienst. ßg Der Himmel war azurblau, und in dem klaren Sonnenschein gliher-ten die mit Reif bedeckten Nadelbälime an beiden Ufern des See's als ob sie mit tausend Diamanten besetzt waren. Durch die Städte Werchne« Udinsl und Selenginsk kamen wir den 15. Februar nach der russischen vormaligen Grenzfestung, jetzt Stadt Troitzko«Sawsk, welche 4 Werft von der Grenzstadt Kiachta entfernt liegt, und wurden bei dem Pristaw (Obersten) der Kosaken, Iwan Philivvow Ostrowski, einlogirt. einem den Umstanden nach ziemlich gebildeten Manne, welcher Mongolisch verstand und die russische geistliche Mission, die alle zehn Jahre nach Peking ge« schickt wird. begleitet hatte. Er erzäblte uns mancherlei von seiner Reise nach Peking, und lieh uns ein paar Beschreibungen von Reisen in China, welche von Iegor Timkowski in den Jahren 1820 und 1821, und von dem Priester Iakinth, der sich zehn Jahre in dem russischen Kloster in Peking aufgehalten hatte, gemacht, und im Jahre 1828 in Petersburg erschienen waren. *) Am 18.. welches der erste Festtag war, führte uns der russische Zolldirector zu einem festlichen Mittagsmahl bei Sargutsche',', dem obersten Beamten in dem chinesischen Grenzstädtchen Maimatschin. Dieser hatte einen gelben Stein oben an der Mütze, womit sein Rang bezeichnet wird, welcher nur dem eines russischen Lieutenants gleichkommen soll. Alle drei Jahre wird ein neuer Sargutsche'l von Peking nach Mai» matschin gesandt. Die Entfernung zwischen dieser Stadt und Kiachta beträgt nur 300 Schritt, und die Grenzlinie zwischen dem russischen und dem chinesischen Territorium ist blos durch einige halbverfaulte spanische Reiter angedeutet. Den 22. begaben wir uns auf die Rückreise, und besuchten den 23. Chamba Lama, den Oberpriester der Buräten (s.S. 56), der dem Dalai Lama im Range zunächst steht. Er war von dem Nat» schalnik in Wcrchne^Udwsk davon benachrichtigt worden. daß wir ihn an einem bestimmten Tage besuchen würden und dem lamaischen Gottesdienst beizuwohnen wünschten. Wir wurden mit einer lärmenden Musik von drei« hundert Lama's, die in ihrem festlichen Ornat mit ihren vielen wun» derlichen Blasmstrumenten, liesenmäßigen Gongs und Triangeln, mit ihren langen lakirten Staugen, a» deren obersten Enden sich große runde Holzscheiben mit Sonne, Mond und anderen seltsamen Figuren befanden, und ') Die Chinesen werden von den Russen Chitaiski genannt, welches Sclaven bcdmren soll; sie selbst nennen sich Nikanetz. Haustccn, Ncise. 5 ßß Chamba Lama. » Kap. vor Chamba Lama's Haufe in zwei Reihen, zwischen welchen wir hin-durchmarschirten, on Kaie aufgestellt waren, empfangen. Anf der Treppe kam uns Chamba Lama. cm sehr großer, korpulenter Mann. entgegen. Er trug einem rothen Sammet - Kaftan. und seine Brust schmückte eine große mit den Bilde des Kaisers versehene, am Rande mit Brillanten be« setzte, goldene Medaille an einem grünen Bande, das um den Hals ge» geschlungen war. Nachdem wir uns mit Hilfe zweier Dolmetscher. — unseres Gustav Rosenlund. der aus dem Deutschen ins Russische, und eines Russen. der aus dem Russischen ins Mongolische übersehte, — ein wenig unterhalten hatten, wurden wir in den Tempel geführt, wo sich unterdeß alle Lama's in vier Reihen längs der Säulen von der Thür bis zum Altar versammelt hatten, und nun, mit ihrer Musik begiunend, einen vollständigen Gottesdienst ausführten. Als wir nach Beendignng desselben wieder zu Chamba Lama kamen, bewirthete er uns mit Thee, kalter Küche und Branntwein, und bedauerte, daß er keinen Koch von Irkutsk hätte bekommen können, um uns die Speisen nach unserer Sitte zu be« reiten. Auf unser Ersuchen schrieb er, zur Erinnerung an diesen inter« essanten Besuch, seinen Namen und vollständigen Titel in mongolischer Sprache auf ein Stück Papier *) und bat uns schließlich, bei unserer Rückkehr nach Petersburg dem Kaiser zu erzählen, wie wir Zeugen gewesen wären, daß die Buräten „auch Gott auf ihre Weise verehrten." — Den 27. Februar kamen wir nach Irkutsk zurück. Diese kleine Tour war wegen der neuen Völker, Sitten und Naturgegenstände, die sich hier täglich in gehäuftem Maße unserer Beobachtung darboten, die bunteste und interessanteste auf unserer ganzen bisherigen Reise. Dies genaller zu beschreiben, würde mich aber zu weit von meinem vorgeschriebenen Ziele abführen. Ich hatte mir vorgenommen, auf den Flüssen Angara und Ienisei bis Turuchansk zu reisen, welches nahe am Polarkreise liegt, um, wie erwähnt, ') Dieser Titel, welchen Murawieff später für mich ins Russische und Französische übersetzte, und den ich, nebst einigen Manuscript-Bogcn über die lamaische Religion, mit Bildern von ihrem Gottesdienste verschen unserer Universitäts-Bibliothek zu schenken beschlossen hatte, verschwand mit der Uebersetzung in Moskau, obwohl er auf dem Boden meines Koffers in einem Buch reinen Papiers lag. , 5. Kap.I Der General Lawlnsky. g? weine magnetischen Beobachtungen soweit als möglich nach Norden auszudehnen. Da aber die Flüsse vor Ende Mai nicht schiffbar werden, mußte ich mich in Irkutsk gegen vier Monate aufhalten, während mein Begleiter, Lieutenant Due, längs der Lena bis Iakutsk und Wiluist reiste. Während dieses langen Aufenthalts wurde ich, so zu sagen, von dem General« Gouverneur Alexander Stepanowitsch Lawinsky, und von der Murawieff-schen Familie auf den Händen getragen, sodaß ich gegen sie äußerte, ich müßte Irkutsk als meine zweite (östliche) Heimat betrachten, und sie verwöhnten und verdürben mich dermaßen, daß, wenn ich diese freund« lichen Umgebungen verließe, ich mich auf der ganzen übrigen Reise vereinsamt fühlen würde. Ich kann daher nicht unterlassen, ehe ich zur Beschreibung meiner Flußreise schreite, den Leser mit diesen interessanten Menschen, die in so langer Zeit mit der herzlichsten Freundlichkeit bemüht waren, die Entbehrung zu lindern, die ich bei der großen Entfernung meiner eigentlichen Heimat empfand, ein wenig bekannt zu machen. Den General Lawinsky trafen wir mit seiner Tochter auf dem Wege zwischen Kraslwjarst und Irkutsk, indem er aufeiner Visitationsreise nach dem erstgenannten Orte begriffen war. Bei nnserer Rückkehr von der chinesischen Grenze fanden wir ibn in Irkutsk. Er war ein ansehnlicher Mann von ungefähr fünfzig Jahren, der mit guten Fähigkeiten eine große Gutmüthigkeit verband und wegen seiner Ncchtschaffcnheit bekannt war. Eine besonders wissenschaftliche Bildung schien er nicht erhalten zu haben, doch verwaltete er mit Hilfe eines klaren praktischen Verstandes, großer Nontine und eines tüchtigen Ezveditions-Secretairs, Chabrit, seinen wichtigen Posten in durchaus ehrenvoller Weise. Er hatte ein schönes Organ, sang gut und besaß viel Geschmack für Musik und die schönen Künste. Französisch sprach er wie seine Muttersprache, verstand aber nicht Deutsch. Da er große Güter in der Nahe von Sympheropol auf der Halbinsel Krim besaß, so war er als Beamter in hohem Grade un« interesfirt und daher geachtet, ja wegen seiner Gutmüthigkeit sehr beliebt, was bei den russischen Beamten, besonders den niederen, selten der Fall ist. Er nahm mich mit großer Freundlichkeit auf, und sagte, daß ich jeden Mittag an seinem Tische willkommen sein würde. Teine Küche war nach französischem Geschmack eingerichtet, und da er auf eine gute Mahlzeit großen Werth legte, so wollte er seinen Gasten denselben Genuß 5' ßg Der General Lawinsky. ^5. Kap. gönnen und war nicht zufrieden, wenn sie nicht, wie er, den Freuden der Tafel huldigten. Er ließ mich daher bei Tische gewöhnlich zu seiner Rechten sitzen, und ich war aus Höflichkeit genöthigt, mehr von Speise und Trank zu genießen, als mir dienlich war. Da seine Mittagstafel genau um zwölf Uhr begann, und dies mit meinen täglichen Beobachtungen in Collision kam, so machte ich indeß seltner von seiner Gute Gebrauch, als er wünschte, worüber er sich manchmal bei Murawieffs, wohin ich öfter kam. beklagte. Er ersann jede Gelegenheit, wobei er mir das eine oder das andere Vergnügen macheu konnte. So verehrte er mir zwei geschliffene Karaffen nebst Biergläsern mit der Inschrift: la MÄNul'liclur« ci« I^Ima, aus einer von ihm selbst im DorfeTelma. eincTagereise vonIr» kutsk, angelegten Fabrik; ebenso verdankte ich eine schöne Kiste von sibirischem Ahorn mit zwölf Fächern, worin sich eine Menge geschliffener Achate, Amethyste, Berylle, weiße Topase u. a. m. befanden, seiner Güte, und Fräulein Mse übergab mir eine Kiste mit getrockneten chinesischen Früchten für meine Frau. Ich hatte den Wunsch geäußert, ein Portrait eines Vuräten in seiner Nationaltracht zu besitzen, und der liebenswürdige Mann übersandte mir nach einiger Zeit ein paar wohlausgeführte Bildniffe eines buratischen Taißa (Häuptling) und seiner Frau in ibren Festkleidern, die er von einem Bauernmaler in Irkutsk hatte ausführen lassen. Noch eine Aufmerksamkeit sei erwähnt. Das Landesgetränk sagte mir, der Säure wegen, nicht zu, der feine Thee wirkte, als alleiniges tägliches Getränk, nervenschwächend. Bier aber war nicht zu bekommen, und der General versah mich deshalb jede Woche mit einem halben Dutzend Flaschen aus seinem Keller. In Rußland ist nämlich die Brannt-weins-Dcstillation und dasBierBrauen ein Regal, das an einzelne große Pächter verpachtet wird. Niemand darf also selbst Bier brauen, und dieses Getränk ist deshalb außer Petersburg und Moskau nicht zu bekommen. Das gewöhnliche Getränk der Russen ist daher Thee und Quaß. Der Quaß ist säuerlich, eine Art dünner Bicressig, der auf folgende Art bereitet wird. Man gießt Wasser in ein Gefäß und wirft Mehl uud Vrotstücke hinein. Dieses Gemisch bringt man in der Küche in die Nähe des Ofens und rührt es beständig nm, worauf es nach einiger Zeit in die (5-ssiggätmmg übergeht. Die klare Flüssigkeit wird alsdann abgegossen und heißt Quaß. Wenn man an dies Getränk gewöhnt ist, so ist es 5. Kap.^ Dcr General Lawinsky. ßg recht erquickend; einem Magen aber, der die Säure nicht vertragen kann, bekommt eS nicht. Die Russen werfen gewöhnlich, ehe sie den Quaß trinken, eine Messerspitze voll Salz ins Glas. Seine Tochter Elise, die von ihrem achten Jahre an in einer eng» tischen Pensionsanstalt in Paris erzogen worden war. war das Iabr vor unserer Ankunft zurückgekehrt und traf erst ihren Vater in Nertschinsk, einem Bergwerk in einer wilden Gebirgsgegend, 214 Meilen östlich von Irkutsk, wohin die schwersten politischen Verbrecher geschickt wer» den, um in Eisen in den Gruben zu arbeiten; ein Uebergang von dem Pariserlcben, den sie schrecklich gefunden hatte. Da ich mich im Jahre 1819, also gleichzeitig mit ihr, in Paris aufgehalten hatte, so sann ich darüber nach, ob es nicht irgend ein Individuum in Paris gäbe, das uns Beiden bekannt wäre, - aber lange vergebens. Endlich fragte ich: „Kennen Sie deu gewaltigen, großen Martin im ^räm dos Mnw5?" — .Merlin oul5?" rief sie. — „Ja gewiß, der sich in einer viereckigen offenen Grube des Martens befindet." — „Der einen alten Invaliden aufgespeist hat?" - «Nichtig, einen Invaliden, der in die Grube hinab» stieg, um einen zinnernen Knopf, den er für einen Franc hielt, auf< zuHeben." Nun gab es einen Vereinigungspunkt sir unsere Unterhaltung von Paris. Sie kannte auch dort uoch einen kleinen schwarzen Bären, mit Namen Nikolas. dm sie meinen Landsmann nannte, weil sie glaubte, er sei aus Norwegen. Eines Tages erzählte mir Lawinsky. daß ein englischer Seeofsicier, Lieutenant Holman, vor einigen Jahren nach Irkutsk in der Absicht gekommen sei, um die Reise nach Osten bis Kamtschatka fortzusetzen und eine Neisebeschreibung herauszugeben. Es schienen ihm jedoch hierzu zwei der wesentlichsten Eigenschaften zu fehle»; er war nämlich vollkommen blind und verstand die russische Sprache niä't. Indeß schilderte ihn La« winsky als einen besonders gebildeten und interessantenMauu. „Er kam täglich in mein Haus." erzählte er, «speiste beständig bei mir, und da er Französisch verstand, theilte ich ihm alle die Nachrichten über das Land und unsere Verhaltnisse mit, welche er uur wünschte. In Vetveff ftiner Reise nach Kamtschatka aber stellte ich ihm vor, daß es nicht die bequemste Jahreszeit sei, und brachte es so unter verschiedenen Vorwänden dahin, daß er seinen Aufenthalt in Irkutsk einige Monate verlängerte. Gleich 7(j Lieutenant Holman. ft. Kap. nach seiner Ankunft hatte ich aber nach Petersburg geschrieben, über seine Absichten Bericht erstattet und mir Verhaltungsregeln erbeten. Nach einigen Monaten brachte mir ein Courier den Befehl: „ihn mit einem Feldjäger auf kürzestem Wege über die russische Grenze nach Europa zurückzuschicken." England und Nußland waren nämlich Rivalen im Handel und in der Politik, nnd betrachteten einander mit mistrauischen Augen, sowohl in Rücksicht auf die Nordwestküste von Amerika, als auf China, Indien und Perfien. Vermuthlich hat man den blinden Reisebeschreiber für einen maskirten Spion einer englischen Handelscompagnie gehalten. Im Juli 1851 kam ein Freund von mir mit dem englischen Dampfschiff „llie (!uullier" von England nach Christiania zurück, und erzählte mir, daß sich unter den Passagieren ein blinder englischer Seeofficier befand, welcher Norwegen besuchen und eine Beschreibung dieses Landes herausgeben wollte, und daß er früher Asien und einen Theil von Afrika bereift und einen Bericht darüber veröffentlicht latte. Ich vermuthete, es könnte vielleicht der mir aus Lawiusky's Mittheilungen bekannte Lieutenant Holman sein. Einige Tage nachher ließ sich ein blinder Engländer bei mir anmelden. Der englische General-Consul führte eiuen stattlichen, elegant gekleideten Mann mit weißem Haar und einem grünen Augenschirm her» ein, der mir als Lieutenant Holman vorgestellt wurde. Meine Vermu« thung wurde also bestätigt, und es überraschte mich sehr, nach vierund» zwanzig Iahreu die persönliche Bekanntschaft eines Mannes zu machen, von dem ich in der östlichsten Hauptstadt Sibiriens hatte erzählen hören, ohne ihn jedoch sehen zu können. Mancherlei Erinnerungen an dieses merkwürdige Land liehen der Unterhaltung einen reichlichen Ttoff. Ich theilte ihm Lawinsky's Bericht über seinen Aufenthalt iu Irkutsk und über seine unfreiwillige Rückreise mit. und fragte ihn, ob es sich wörtlich so verhielt; worauf er erwiderte: „buchstäblich so. wie Ihnen Lawinsky erzählt hat." Ich fragte ihn. wie er. als Blinder, der das Russische nicht verstand, und der nicht schreibe» konnte, im Stande war. eine Reisebeschrcibung zu verfassen. Er hätte doch mit den Augen Anderer sehen, deren Berichten vertrauen und ein ungewöhnlich starkes Gedächtniß haben müssen. Hierauf entgegucte er. daß er doch schreiben könnte. Er bräche das Papier in Falten von solcher Breite, daß auf jede Falte eine Zeile käme, schriebe dann mit Bleistift auf die oberste Falte eine Zeile, 5. Kap.) Die Familie Murawieff. 71 bräche dann das Papier um, und schriebe auf die nächste u. s. w. Bei der Heimkehr ließe er sich diese Notizen vorlesen und ergänzte beim Dic-tiren das Uebrige aus dem Gedächtniffe. — Seine Blindheit rührte davon her, daß er als junger Lieutenant auf einem englischen Kriegschiff in Diensten gestanden, das im Mittelländischen Meere kreuzte, und sich in Folge starker Erkaltung eine Augeneutzündung zugezogen hatte, die ihn des Augenlichts beraubt habe. Der Oberst Alexander Nikolajewitsch Murawieff von der russischen Garde hatte in seinem sechsundzwanzigften Jahre ungefähr dreißig größeren oder kleineren Schlachten in den Kriegen gegen Napoleon beigewohnt und dafür vom Kaiser Alezander einen Ehrensabel mit goldnem Griff mit der Inschrift „sa Ehrabrosti" (für Tapferkeit) und eine Menge Orden erhalten; besonderen Werth legte er jedoch nur auf das sogenannte Kulmer Kreuz, welches ihm nach der blutigen Schlacht bei Kulm, den 30. August 1813, wo Vandamme mit 10,000 Mann gefangengenommen wurde, ertheilt worden war. Bei dem Einzug der Alliirten in Paris im Jahre 1815 war er auch zugegen. Indem er so während dieser vielen Feldzüge einen großen Theil von Deutschland und Frankreich durchstreift hatte, war er mit den freieren Verfassungen der Staaten Europas bekannt geworden und hatte, bei seinem enthusiastischen und etwas my« stisch-schwärmmschen Gemüth, die Idee einer constitutionellen Verfassung, die, wie er glaubte, sein Vaterland wahrhast beglücken müßte, mit Wärme ergriffen. Von diesen Ideen erfüllt, kam er nach Petersburg zurück. Viele junge Männer aus den höchsten Familien sammelten sich um den jungen Enthusiasten; es bildete sich eine Gesellschaft, welche beständig an Umfang zunahm und sich über einen großen Theil des höhern Adels verbreitete. Man kam zusammen, studirte Staatsverfassungen und unterhielt sich darüber, aber es war noch kein Wort davon geäußert worden, diese Idee in Ausführung zu bringen. Murawieff sah endlich ein, daß Rußland für eine freie Verfassung noch nicht reif sei. und da er ohnedies mit der Richtung, welche die Gesellschaft zu nehmen schien, unzufrieden war, so trat er schriftlich aus und ermähnte die übrigen Mit« glieder, die Gesellschaft aufzulösen, da die Theilnehmer an derselben nur Unglück über sich selbst und über das Vaterland bringen würden, wofern fie ihre Ideen zu verwirklichen suchten. Er zog sich alsdann auf sein 72 Die Familie Murawieff. ft. Kap. Gut Botowo in der Nähe von Moskau zurück, lebte dort iu Ruhe, um das Loos seiner Bauern zu verbessern. uud verheirathete sich mit einer Prinzessin Praskowia Schach owskoi, der Tochter eines Knäs (Fürsten) Schachowökoi, dessen Vorfahren drei Fürstenthümer besaßen: Nowgorod, Wladimir und ein drittes, dessen Namen ich mich nicht eriuuere, deren Wappen sie noch in ihrem Schilde führen. Hier lebte er eine geraume Zeit als ein glücklicher Privatmann, und vertiefte sich in Studien, besonders naturwissenschaftliche. Er lebte so abgeschieden von der Welt, daß einer seiner Bekannten, der ihn einmal besuchen wollte, rings um das Haus ftlhr, ohne die Einfahrt zu findei,, indem der Weg mit Gras verwachse» war, und er mußte Murawieff, den er im Garten sah, zurufen: „Wie soll ich die Einfahrt in Dein Haus finden?" Als nach Alexander's Tode im Jahre 1825 sein Bruder Nikoluus den Thron bestieg, brach der bekannte Aufstand aus der von der Gesellschaft, die eine Constitution verlangte, geleitet wurde. Der Aufstand wurde unterdrückt, die Häupter wurden ergriffen und theils hingerichtet, theils in Fesseln nach den Gruben von Nertschinsk verbannt; andere weniger Compromittirte verwies man. jedoch chne Fesseln uud Zwangsarbeit, uach verschiedenen, mehr oder minder wilden und entlegenen Gegenden von Sibirien, wie Beresow am Ob, Jemseisk am Ienisei, Wiluisk an der Lena u.a.O. Giucm großen Theile von Nußlands höchsten und edelsten Familien im eigentlichen Sinue des Worts wurden hierdurch blutige Wunden geschlagen. Väter, Männer. Söhne wanderten in Ketten nach Sibirien. MurawieffApostol, eiu Vetter unseres Helden, wurde gehenkt, und einen Bruder desselben traf Lieutenant Due in Wiluisk, einem Iakutenflecken in einer wilden Waldgegend nordwestlich von Iakutsk. Hier lebte er als Eremit in einer Jakuten-Jurte, nicht viel besser als ein Finne in Lappland, sich die Zeit mit Lecture verkürzend. Später trafen wir ihn im südlichen Sibirien auf der Neise nach einem südlicheren Verbannungsorte, Buchtarminsk, einem russischen Städtchen an der chinesischen Grenze. Dem Oberst Murawieff riethen einige seiner Freunde, sich durch die Flucht zu retten; er erwiderte aber, daß er acht Jahre mit der erwähnten Gesellschaft nichts zu thun gehabt hätte, nachdem dieselbe den Gedanken gefaßt, einen aufrührerischen Plan auszuführen, und daß er somit auf seine vollkommene Unschuld vertraue. Inzwischen kam eines Morgens früh 5. Kap.1 Die Familie Murawieff. 73 um sieben Uhr ein Feldjäger von Petersburg, u»d nahm ihn in seine Ki< bitke, um ihn nach der Hauptstadt zu bringen, ohne ihm zu gestatten, von seiner Frau Abschied zu nehmen. Ill der Festung von Petersburg wurde er in einen Thurm gesperrt, in welchen nur durch eine kleine Luke in mehr als Mannshöhe an der Mauer ein spärliches Licht fiel und wo er acht Monate saß. Seine gcängstigte Frau, welche nicht wußte, wo er geblieben war. ahnte sein Schicksal und reiste augenblicklich nach Petersburg, wo sie die traurige Gewißheit des gemeinsamen Unglücks erhielt. Sie bekamen - Erlaubnis,, mit einander zu corrcspondiren. doch wurden die Briefe Beider erst an den Commandanten geschickt, um durchgclefcn zu werden. Frau v. Murawieff zeigte mir ein paar von seinen Briefen aus dem Gefängniß, woraus ich ersah, daß er auf seinen Tod vollkommen vorbereitet war, und sie ermunterte, das harte Schicksal so gefaßt wie möglich zu ertragen. Zu einer verabredeten Stunde ging sie jeden Vormittag außerhalb des Thurmes unter der Luke vorüber, durch welche ibm ein spärliches Maß von Tageslicht zu Theil wurde, uud sie hatten nun den Trost, daß sie, ohne sich sehen zu können, einander in solcher Weise nahe waren. Die Papiere der Au'rilhrer wurden durchsucht, und darunter befand sich zu Murawieff's Glück seines Brief an die Gesellschaft, worin er das Project für unausfübr-bar und nicht zeitgemäß erklärte, und den Mitgliedern den Nath gab, sich zu trennen. Der Kaiser erklärte scll'st, daß .'s ihm leid thäte. ilm nicht retten zu können; Mnrawlcff l'ättc für sich besser gesorgt, als er es selbst vermöchte, aber ein Exempel müßte statuirt werden. Man warf ihm vor, daß. da er später in einer gemischten Gesellschaft gewesen, wo un» glücklicherweise ein junger Mann von dem politischen Verein zugegen war nnd einige unbesonnene Worte äußerte, dies nicht sofort angezeigt hätte. Endlich wurde das Urtheil über ihn gefällt; er wurde nach Wiluisk verwiesen. Frau v. Murawieff schilderte mir den Eindruck, den es auf sie machte, als die Gcfängmßthür zum ersten Mal vor ihr geöffnet wurde, «ud sie beim Eintritt in das düstere Lock den jungen, früher kraftigen, blühenden, feurigen Manu erblickte, der jetzt mit blaßgelbem, schlaffem, eingefallenem Gesicht, langem Bart und u, elender Kleidung vor ihr stand, und mit einem matten Blick die Arme nach ihr ausstreckte; wie schwer es ' ihr wurde, ihr Entsetzen über sein Aussehen zu verbergen, um ihn nicht vollends darnieder zu schmettern. Wenn ein Russe nach Sibirien verwie- 74 Die Familie Murawieff. 15. Kap. sen wird und über den Ural ist. so wird er sir bürgerlich todt angesehen; seine Frau kann dann wieder heirathen. wen sie will; sie oder seine Er. ben bemächtigen sich seines Vermögens und Eigenthums. Nicht also mach. ten es diesmal die russischen Damen. Frau v. Murawieff erhielt vom Kai« ser die erbetene Erlaubniß, ihrem Manne zu folgen, und zwei Schwäge-rinnen begleiteten sie. Diesem Beispiele folgten täglich Damen von den höchsten Familien; der Kaiser wurde von Gesuchen bestürmt, daß diese oder jene ihrem Manne, der in Ketten nach Nertschinsk ging. folgen dürfte. Dies erregte das größte Aussehen. Gerade das edelste russische Blut wurde so nach diesen fürchterlichen Gegenden verpflanzt, wo der Mann im Gefängniß lebt, »nd die Frau entweder bei ihm wohnt oder ihn tag« lich besucht. Hier ist somit Nußlands höchste Cultur versammelt; große Bibliotheken und Alles, was zu den Bedürfnissen eines gebildeten Lebens gehört, neben Sclavenfesseln. In der Nähe von Irkutsk wurde Murawieff von einem Courier eingeholt, der ihm die Erlaubniß brachtc, in Iakntst zu wohnen, und da er eines Abends spat daselbst ankam und die Hoffnung hatte, mit der Post, die am nächsten Morgen erwartet wurde, einen noch südlicheren Verbannungsort zu erhalten, so bat er den Civil-Gouverneur Zeidler um Erlaubniß, dort über Nacht zu bleiben, um die Post abzuwarten. Aber dieser wagte nicht, es zu gestatten, und er mußte äugen« blicklich weiter reisen. Es war im tiefsten Winter, und auf den steilen Ufern der Lena schlug der Schlitten mehrmals im tiesen Schnee um, so« daß sie, aus Furcht in den Fluß zu stürzen, aussteigen und im Schnee waten mußten, wobei die schwache Frau v. Mnrawiess ihr Töchtercheu auf dem Arme trug. Am dritten Tage wurden sie von einem zweiten Courier eingeholt, welcher ihnen die Erlaubniß brachte, in Werchne.Udinsl zu wohnen. Als sie dort angekommen waren, wurde Murawieff von seinem Feldjäger befreit, der ihm während der Neise auf den Fersen gefolgt war wie sein Schatten, sogar an Orte, wo der Mensch stets die Einsamkeit wünscht, und der in der Nachtueben seinem Bette gelegen hatte. „Ich machte." sagteer, „am ersten Tage nach unserer Ankunft, — es war ein klarer Win« tertag, —einen kleinen Tpaziergang aufden Straßen der Stadt, und fühlte eine unaussprechliche Freude, hingehen zu können, wohin ich wollte; aber an jeder Ecke mußte ich mich umwenden, um zu sehen, ob mir nicht mein Schatten folgte. Niemand weiß, wie herrlich die Freiheit ist, als Der, 5. Kap-1 Die Familie Murawiess. 75 welcher fie so lange Zeit entbehrt hat." Er wai da wohl froher, seinen Schatten verloren zu haben, als Peter Schlemihl. Hier schenkte ihm seine Frau die zweite Tochter, Praskowa; zwei altere Söhne waren gestorben. Nach Verlauf eineS Jahres wurde er zum Etadtoogt und Polizeimeister (Gorodnitschi) in Irkutsk ernannt, welches Amt er bei unserer Ankunft ein Jahr lang bekleidet hatte. Aus besonderer Gnade hatte er seine Gü» ter, seinen Adel. seine Orden behalten, wahrend den übrigen Verbannten Alles genommen und sie als sibirische Bauern betrachtet wurden. Alle Briefe, die er schrieb oder bekam, wurden in einem Bureau in Irkutsk geöffnet und gelesen; doch erzählte er mir eines Tages, daß er die neue Begünstigung erhalten hätte, daß sein Briefwechsel jetzt srci von Censur sei. Besonders rührend war mir die unbegrenzte Verehrung, welche Mu-rawieff vor seinem Kaiser hegte, und welche sich in unseren häufigen Gesprächen aufs unzweideutigste kundgab. Murawieff war sehr musikalisch, hatte eine schöne Stimme, sang gut, spielte fertig Violine, auf der er seine Frau begleitete, die eine ausgezcich« nete Pianistin war. Er besuchte mich regelmäßig fast jeden Vormittag um zehn Uhr, und rauchte seine Morgenpfeife, wobei sich das Gespräch mei-steus auf wissenschaftliche Gegenstände lenkte. Durch Jakob Böhme's Schriften hatte er eine Richtung zum Mysticismus und zur Theosophie bekommen, was eine kleine Mishelligkeit zwischen uns veranlaßte, die sich jedoch bald ausglich. Er sprach mit derselben Geläufigkeit Französisch. Englisch und Deutsch. Seine Frau war in der französischen Literatur sehr belesen; Deutschland kannte sie nur aus Madame Stall's ..Allemagne" und von Schiller hatte sie einige Stücke in französischen Uebersetzungen gelesen. Russisch lernte sie und ihre Schwester erst vollkommen, nachdem sie nach Sibirien gekommen waren. Unter sich redeten und correspondirten sie immer fran« zdsisch. An die Mutter und die Schwestern in Moskau schrieb sie jeden Posttag sechszehnstitenlange Briefe, und Murawiess sagte scherzend, daß diese meist nichts Anderes enthielten, als alle möglichen Flectionen des Zeitworts: ^aim^, lu aimog, ii aime. Während einer Reise im russischen Reiche hatte Schtscheglow in Moskau in seinem Journal: ..Ukasatel otkrytii" (Anzeige von Entdeckungen) drei von meinen Abhandlungen über den Erdmagnetismus und das Nordlicht aus deutschen Journalen 76 Die Familie Murawirff. ft. Kap. ms Russische übersetzt. Diese Abhandlungen, welche Frau v. Murawieff zu Händen gekommen waren, veranlaßten sie zu verschiedenen Malen, mich um einen kleinen Vortrag zu ersuchen, worin ich den Zweck meiner Reise und das Allgemeinfaßliche des magnetischen Systems der Erde er. klären möchte. Ich erwiderte, daß zu dessen Verständniß einige Vorkennt, nisse erfordert würden, die ich bei meinen Zuhörern kaum voraussetzen könnte. Darauf nahm sie ein auf dem Tische liegendes aufgeschlagenes Buch (!«l!ro8 iV une pnnott836 ä'.VIIcmugne ole.) von Euler, welches unter Anderem die Vorstellung. die man zu seiner Zeit vom Erdmagne» tismus hatte, enthalt, und fragte mich, ob mehr nöthig wäre, als Das, was man aus diesem Buche lernen könnte, welckes sie gelesen undverstan« den hätte. Ich entgegnete, daß dies mehr als ausreichend sei. und hielt wirklich eines Nachmittags einen solchen Vortrag für die Familie und deren Freunde, wobei ich ihnen meine Instrumente zeigte. Es giebt eine Freimaurerei der Bildung, die in keinem Lande vc» boten werden kann. in welcher alle Eingeweihten augenblicklich einander wiedererkennen, nicht durch äußere Zeichen und Handgriffe, sondern durch gewisse, den Profanen unfaßbare Kennzeichen. ES ist jeneWahlvenvandt« schaft. welche gleichartige Menschen zu einander zieht. „Man muß doch gestehen," rief einmal einer meiner Ingendbekannten aus, „daß nicht alle Leute Menschen find!" Diesen Durst nach wirklichen Menschen empfindet man heftiger inmitten einer ungleichartigen Volksmenge, als selbst in der Wüste. Es war dieser gegenseitige Drang, der mich sogleich zu dieser Familie zog, wo ich mich so heimisch fühlte. Als ich einmal mit Frau v. Murawicff über diesen Drang nach Menschen redete und dabei äußerte, es kämen doch viele Menschen in ihr Haus, rief sie: ,,^Ii! klr. Uan-zle«,,, cel» n'esl rien; Ü8 8oni 8«ulemenl, iiummo8 lik pmlle!" Einen Men« schen in Sibirien finden, ist ein köstlicher Fund. Ich besuchte daber diese Familie fast einen Tag um den anderen. Due hatte Frau v. Murawieff einen bekannten hübschen norwegischen Bauerntanz (Hallingstanz) spielen gelehrt, und sie batte wieder ibre neunjährige Tochter Sophie, einen klei« nen schmucken Wildfang, den ich man poül ^un-nn nannte. darin unterrichtet. Ich hatte ihnen einige von den gewöbnlichen Tritten oder Sprüngen in diesem Nationaltanz gezeigt, und Sophie den Krähentanz gelehrt. Wenn die kleine Praschka, die gerade soweit gekommen war, um 5, Kap.) Tschernitschcff, Galitzin, Tolstoi. 77 auf zwei Beinen watscheln zu können, hereinkam, ging sie auf mich zu und reichte mir ihr Händchen zum Kusse dar, und wenn dann Sophie aus Pianoforte ging und den Halling spielte, so stemmte Praschka die Hände in die Seite und bog die Knie ein wenig, um den Tanz. den sie gesehen, nachzuahmen. Während meines Aufenthalts in Irkutsk passiiten die Stadt drei nach Iakutsk verwiesene junge Edelleute, nämlich Graf Zachar Grigorie-witsch Tschernitscheff, der Fürst Valerian Michailowitsch Galihin und Wladimir Ecrgcicwitsch Tolstoi. Sie hielten sich einen Tag daselbst anf und besuchten Murawieff, der sie „seine Kinder" nannte. Sie waren Männer von der feinsten Erziehung. Die beiden Ersten wurden zur Armee gegen die Türken geschickt, wo sie vermuthlich die einzige Befreiung von ihrem Elend gesucht und gefunden haben. Tolstoi, der eine französische Ode an die Lena, deren schöne Umgebungen mit Gefühl von ihm besungen werden, gedichtet und Frau v. Murawieff gewidmet hatte, die sie mir wiederum schenkte, wurde als gemeiner Soldat nach Astrachan geschickt, wo er zur Milderung seiner Strafe in eine Kaserne unter russische Soldaten einquar-tirt werden sollte. Der verwiesene bekannte junge Dichter VestuscheffMar» linski, welchen Due in Iakutsk kennen gelernt hatte, wurde später gegen die Tscherkessen geschickt, wobei er seinen Tod fand, und sein abgeschnittener Kops wurde von diesem wilden Volke als Siegeszeichen in ihre Berge gebracht. In Tobolsk hatten wir gehört, daß in Irkutsk eine Oberstin Bör-resen lebe, eine geborne Dänin und Witwe eines norwegischen Obersten Börrescn, der sein Leben in russischen Diensten in Irkutsk beschlossen hatte. Wir besuchten sie. um die lieben Töne aus der Heimat zu vernehmen, die wir so lange entbehrt hatten. Sie hatte zwei Töchter, Beide in Irkutsk vcrheirathet, die eine mit einem deutschen Apotheker, bei wel« chcm sie selbst lebte, die andere mit einem russischen Major. Sie sprach leidlich Deutsch, mittelmäßig Russisch und glaubte ihre Muttersprache, die sie in dreißig Jahren nicht gehört hatte, ganz vergessen zu haben. Wir forderten sie lange vergebend auf, uns in ihrer Muttersprache zu antworten. Endlich setzte sie sich ans Elavier und fing an Baggesen's schönes Lied an das Mutterland zu singen und mehrere andere bekannte 79 Die russischen Ostern. l5. Kap. Lied« aus ihrer Jugendzeit, und unaufhörlich wurde der Gesang von Thränen unterbrochen. Die Poesie gab ihr die Sprache zurück, und stellte das liebe Vaterland lebendig vor ihre Phantasie. Sie äußerte, daß, wenn wir in Irkutsk bleiben könnten, so würde sie die Entbehrung des Vaterlandes nicht mehr so drückend empfinden. Ich versprach ihr meinen Band von Münster's Predigten zu leihen, die ihr in doppelter Weise zur Erquickung dienen könnten. Ihre Töchter verstanden nicht ein dänisches Wort. Sie war in Kopenhagen geboren und hatte eine veihcirathete Schwester, von der sie zehn Jahre laug nichts gehört hatte. Ich besorgte ihr einen Bries an dieselbe. Den 26. April fielen die russischen Ostern (also eine Woche später, als die unsrigen). Die Fastabendswoche nennen die Russen Masleniza (die Butterwoche, Oarne vale) weil man durch überreichliches Essen und Trinken, durch Spiel und Tanz Abschied nimmt von den Fleischspeisen und dem lustigen Leben, und körperliche und geistige Kräfte zu sammeln sucht, um die strengen Fasten und die langen Me» sechs Wochen bis Ostern auszuhalten. Die Fasten werden bei den Russen streng gehalten, indem man keine thierische Nahrung, Fische ausgenommen, die in Oel gebraten werden, genießt; hierzu werden Kartoffeln, Brot, Zwiebeln ge« gessen und Thee ohne Sahne getrunken. Am Charfreitag darf nicht ein« mal der Schornstein rauchen, sodaß die ärmliche Nahrung, die man gc« meßt, sogar kalt ist; doch nehmen es die höheren Stande nicht so genau. In der stillen Woche weiden in den Hauptkirchen verschiedene religiöse Vorstellungen nach der Leidensgeschichte ausgeführt. Am Gründonnerstage (den 23.) sah ich eine derselben, das Fuß waschen. Der Archhierei (Erzbischof), welcher Christus vorstellt, entkleidet sich im Chor seines bischöflichen Gewandes und steht in einem einfachen Talare da. Um seinen Nacken wird ein langes Leintuch gelegt, kreuzweis um seinen Leib geschlungen und dann vorn auf der Brust mit zwei langen herabhängenden Enden verbunden; zwölf Mönche oder Popen stellen die zwölf Apostel vor. Der Archhierei nimmt ein großes silbernes Wasserbecken, kniet vor jedem Mönch, wäscht ihm den rechten Fuß, welcher entblößt ist, trocknet ihm dann mit dem Ende des Leintuchs ab und küßt seine Hand. Der Archimandrit stellt Petrus vor, welcher Einwendungen gegen die Waschung 5. Kap.) Die russischen Ostern. 79 macht, sie aber endlich geschehen läßt. Während dies Alles vor sich geht, lieft ein dabeistehender Mönch langsam die entsprechende Stelle in der Leidensgeschichte ab. sodaß die in jedem Augenblick vor sich gehende Hand» lung stets mit der abgelesenen Stelle zusammentrifft, weshalb dies häufig wiederholt weiden muß, da die Handlung nicht so rasch wie das Lesen vorschreiten kann. Der greise Archhierei, welcher über siebenzig Jahre alt war, wurde augenscheinlich durch das häufige Knieen sehr angestrengt. Nm nächsten Tage, Charfreitag, wurde Christus begraben; eine hölzerne Puppe wurde nämlich in einen großen, mit einem Deckel versehenen silbernen 3arg. welcher im Chore stand, gelegt; allein ich hatte am Fußwaschen genug und blieb daheim. Sonnabend Abend vor dem Ostertage nnd alle Kirchthürme und deren Spitzen mit einer Menge Lampen erleuchtet; eine Stunde vor Mitternacht wird eine ähnliche Vorstellung gegeben, und wenn die Mitternachtsstnnde schlägt, geht man hin und öffnet den Sarg. welcher Christi Grab vorstellt; die Puppe ist fort und man ruft: „Ckristos voskrest" (Christus ist erstanden); dies wird von allen Anwesenden wiederholt, worauf geantwortet wird: „vo'iftinno voskrest" (er ist wahr» haftig auferstanden), und jeder von den Anwesenden küßt seinen Nachbar ohne Rückficht auf Alter und Geschlecht. Wenn in der Osterwoche zwei Personen einander auf der Straße treffen, und die eine sagt: „Ckristos voskrest", so muß die andere erwidern: «vo'istmno vosklest,, uud sie küssen, sie mag nun desselben Geschlechts sein oder nicht. Gegen Mitternacht hörte ich eine Droschke vor meiner Wohnung halten und einen be» spornten Mann rasch die Treppen hinauf stampfen; ich ahnte, daß es Murawieff sei, um mich nach der Kirche abzuholen. Mein Dolmetscher sagte ihm. daß ich schon zu Bett gegangen sei, und dadurch entging ich einer durchwachten Nacht. Alle Beamten begleiteten nämlich den General - Gouverneur nach seiner Wohnuug, und jeder Bürgersmann ging entweder nach der seinigen oder zu dem oder jenem verheiratheten Freunde. Ueberall stehen Tische, bedeckt mit ganzen Pyramiden von hartgekochten Eiern, Schinken. Braten, Caviar, kurz einem Ueberfluß an den stärksten Nahrungsmitteln, nebst Wein und Branntwein; und nuu wird der aus« gehungertc Magen mit Speise und Trank dermaßen überfüllt, daß die Meisten den ganzen ersten Oster »Vormittag damit verbringen müssen, ihren Rausch auszuschlafen, und daß die Aerzte in der ganzen folgenden go Die Vergnliauna.cn bcr Osterwoche. » Kap. Woche genug zu thun haben, um alle Leibesverstopfungen zu curireu. Der General-Gouverneur erzählte nur später, daß er es gewesen, der Mura. wieff beauftragt hätte, mich zur Kirche abzuholen, fügte aber hinzu, daß ich Recht gethan, im Bette zu bleiben. Zwei Tage vor Ostern brachte mir ein Bedienter des Gouverneurs ein Schaf von frischbereiteter Butter, das einen Fuß boch war; die Hörner waren von Käse, die Augen vou schwarzen Perlen. Man bätte es in der That auf eine Kunstausstellung schicken können, so meisterhaft war der Leib, die Form des Kopfes und die Wolle gebildet. Es ist dies eine Sitte, die von der Dienerschaft benutzt wird, um ein Douceur zu erlangen. Die Vergnügungen derOsterwochc zu erhöben, hatte Murawieffdies-mal eine Paradefahrt veranstaltet, wobei die deau moncle von Irkutsk jeden Nachmittag um vier Uhr in einer langen Reihe rings um den 1500 Fuß laugen Markt fuhr, in dessen Mitte der Bazar liegt, und auf welchem sich Schaukeln, Buden für Seiltänzer und alle Arten von Gaukelspielen, wie im Kopenhagener Thiergarten, befanden. Voran fuhr Lawmsky mit seiner Tochter in einem vierspännigen offenen Wagen; hinter ihm die Da« men der Murawicff'schen Familie in einem vierspännigen Wienerwagen, Kutscher und Bedienten in Staats-Livree; demnächst einige andere Be« amte, sowie Kaufleute der ersten Gilde mit ihren Damen, welche auch mit vier Pferden fahren dürfen; endlich eine Menge geringerer Leute mit klei» nen einspännigen Droschken. Alle Damen waren aufs prachtvollste geklei» det. Zu Pferde waren, außer einigen anderen Personen, Murawieff in Uniform mit seinen sieben Orden, Dr. Kruse (der Stadtarzt, eiu junger Dorpatenser) und ich. Wir Drei blieben in der Nähe der beiden vordersten Wagen und unterhielten uns mit den Damen. Es kam mir bei dieser Gelegenheit zu Statten, daß ich in der Reitkunst nicht unerfahren war; denn ein schlechter Reiter macht doch nur eine jämmerliche Parade. Frau v. Murawieff rief mir deshalb zu: „Nr. llansleen, vou8 inonlox eomme un 6cu^«r, «l nnn pl^8 cc»mme un prc»se88LUl!" Man sieht hieraus, daß die Vorstellung allgemein ist und sich sogar bis nach Sibirien verblei« tet hat, daß ein Professor ein zu allen praktischen Dingen unbrauchbarer Mann ist. Murawieff hatte mit einer reichen Kaufmannswitwe, Madame Sibria» lowa, deren Vermögen man aus ein paar Millionen Rubel schätzte, für 5. Kap.) Ausrüstung zur Weiterreise. 81 mich ein Abkommen getroffen, um eine Barke mit acht Mann und einem Schiffer auszurüsten, die mich von Irkutsk aus der Angara und Werchne« Tunguska nach Ieniseisk bringen sollte. Hier war Befehl gegeben, ein kleineres Schiff zu bauen. um mich auf dem Ienisei nach Turuchansk, in der Nähe des Polarkreises. und wieder zurück nach Ieniseisk zu führen. Den 23. Mai lag die Barke auf der Angara zur Abfahrt bereit, einige Tage znvor hatte ich sie in Gesellschaft von Murawieff, seiner Frau und der kleinen Sophie besehen. Murawieff sagte im Scherz, ich sollte die norwegische Flagge aufhissen, und General Lawinsky fügte hinzu, er wolle mir eine Kanone zum Salutiren leihen. Er hatte eine Ordre nach Ieniseisk erlassen, mich mit aller «sinnlichen Aufmerksamkeit zu empfangen, und alles Möglicke zu thun, um meiuen Wünschen förderlich zu sein und mich rasch und leicht weiter zu befördern, „damit" (heißt es im Briefe) ..wir zeigen können, daß man in Sibirien auch die Wissenschaften und deren Pfleger achtet." „Sie sollen sehen." sagte er. „wie man Sie aufnehmen und Sie auf den Händen tragen wird." Als ich von ihm Abschied nahm. wünschte er mir alles Glück zu der bevorstehenden Reise, äußerte, daß er mich im nächsten Frühjahr in Petersburg wiederzusehen hoffte, küßte mich auf die Stirn, und sagte halb im Scherz, indem er mit dem Finger ein Kreuz machte: „Lntin i'e vou3 äanne mg, saints deneäiolion." Frau v. Murawieff rüstete mich zur Reise mit Wein, einem großen Weihnachtskuchen, zwei großen Säcken mit Roggenzwiebacken. einem Schinken, einem Rinderbraten, zwei Arten kleiner Pasteten, einem Schwel« zerkäse. zu Haus bereiteter frischer Butter von süßer Sahne und einer viertel Tonne Vier ans. Sie lieh mir auch mehrere Bücher, unter andern L'hermile de la chaussee d'Antin »on 30119, unt> Lettres sur les principes elementaires d'education »on Elisabeth Hamilton (aus dem Englischen übersetzt), zwei. jedes in seiner Art. interessante Bücher die mir während der Reise in den wenigen Stunden, die mir meme Beob-achtungen und deren Berechnung übrigließen, eine angenehme Unter. Haltung verschafften. Endlich schenkte sie mir einen Ma.ttel ragen von Lemingsfellen für meine Frau. und einen komischen klemeuPelz nut emer Kappe (Parka) und tungusische ausgenähte Stiefeln fur memen Migften Sohn Viggo. welcher damals zwei Jahre alt war. Mnrawieff gab nm Hansteen. «eise. ^ g2 Abreise nach Ieniseisk. s5. Kap. einen silbernen Becher. auf dem sein Wappen emgegraben war. als Reise, becher, und zwei Parkas für mich selbst, den einen von Lemingsfellen, deren über tausend auf einen Parka gehen. Dieser Pelz that mir oft während der Beobachtungen bei starkem kalten Winde sehr gute Dienste, indem er uugemein leicht und dabei dickt war. Der GeneraLGouverneur schickte mir eine halbe Tonne Bier. Den 23. Mai nabm ich meine Henkersmahlzeit bei Murawieff ein und begab mich dann, Nachmittags fünf Uhr, nach meiner Barke Dobroje Namereuie (gutes Unternehmen), begleitet von Murawieff und einigen seiner näheren Freunde, dem Botaniker und Assessor Turtsckaninoff. Dr. Äruse, Ingenieur»Capitain Termin. Lawinsky's Schwestersohn Wolff und seinem Bevollmächtigten Filatieff. Frau v. Murawieff kam mit ihren zwei kleinen Mädchen an. um die Barke abgleiten zu sehen. Wir winkten einander ein freundliches Lebewohl zu, und meine Begleiter, die mir bis zu einem Kloster, eine halbe Meile von Irkutsk, folgen wollten und vier Flaschen Champagner mitgebracht hatten, füllten die Gläser und wünschten „dem gnten Unternehmen" Glück. Wir waren erst ein kleines Stück gefahren, und die eine Flasche war geleert, als ein fürchterliches Gewitter mit Sturm die Barke nöthigte, anzuhalten. Ich ging nun mit Murawieff wieder nach Haus und wurde von seiner Gattin freundlich empfangen, welche dabei äußerte, daß sie eS gern sehe. wenn der Abreisende wiederkäme, der Abschied sei dann weniger schmerzlich. Den Abend verbrachten wir Alle dort, und man bot mir Nachtquartier an; da aber schon Oi-. Kruse mir vor Murawieff den Vorschlag gemacht hatte, bei ihm zu bleiben, so konnte ich von der Güte des Letzteren keinen Gebrauch machen. Am nächsten Morgen nahm ich bei Murawieff ein warmes Früh» stück ein, wodurch dessen Frau Gelegenheit bekam, mir zwei großeKrüge von Birkenrinde mit Bouillon, die am Tage zuvor nicht fertig geworden war, mitzugeben. Man hatte die ganze Nacht daran gekocht und beinahe hatte die Bouillon der Familie Murawieff Haus lind Leben gekostet. in-dem der Koch eingeschlafen und die Flamme vom Schornstein zurück» geschlagen war und ein paar große Löcher in den Boden gebrannt hatte. Frau v. Murawieff begleitete mich bis zur Hausthür, reichte mir die Hand und sagte: „nc: nouz audlie? pas» M. Nankeen!" Um zehn Uhr Vormittags war ich wieder in der Barke, gefolgt von Murawieff, 5. Kap.I Ungebetene Reisegefährten. gg dr. Kruse und Termin, der mir eine sssom^lris äescriplive zum Studium auf der Reise verehrte. Obwohl ich allein die Barke für 700 Nubel bis Ieniseisk be« frachtet hatte, so hatten sich doch ohne mein Wissen verschiedene Personen eingeschlichen. welche die Gelegenheit benutzen wollten, um freie Reise zu bekommen; nämlich zwei bärtige Kaufleute mit einem kleinen Sohne und einer Menge Tonnen, Ballen und Gerumpel von Irkutsk, welche etwa 30—40 Meilen weit bis zu einem Marktort mitgehen wollten; und ein Jude. ursprünglich aus Polen oder Kleinrußland, jetzt in Krasnoyarsk wohnhaft, wohin er zurückzugehen beabsichtigte. Erst hieß es, daß er kaum eine Meile weit mitreisen würde, aber dies hatte er vermuthlich nur als Vorwand gebraucht, um erst festen Fuß zu faffen, indem er dachte: Kommt Zeit, kommt Rath. Als ich au Bord ging, machte ich Murawicff darauf aufmerksam und äußerte, daß sie mich. als den Befrachter, wenigstens hätten um Erlaubniß bitten sollen, und daß ich voraussähe, daß diese Leute nicht nur auf Kosten meines Geldbeutels, sondern auch meiner Bequemlichkeit und meiner Nachtruhe reisen würden, da mir die Unruhe und Redseligkeit der gemeinen Russen bekannt sei. Er rief nun den Schiffer Popow, die Kaufleute und zwei Kosaken, die er mir zur Aufwartung mitgegeben hatte, zusammen und hielt an sie auf Russisch folgende erbauliche Rede: „Wenn Einer von Euch drei blinden Passagieren durch Rcdcn oder Unfug den Professor in seinem Schlaft oder seiner Arbeit stört, so läßt er Euch durch seine zwei Kosaken augenblicklich, ohne wei« tere Eomplimente, ans Land setzen, worauf Ihr zu Fuß nach Irkutsk, oder wohin Ihr sonst wollt, zurückgehen könnt. Habt Ihr mich ve> standen?" Hierauf gaben der Schiffer und der eine Kaufmann die gewöhnliche Antwort: „Ostschen charascho, Wasche Wysoko Blagorodiö!" (Sehr wohl, Ew. Hochwohlgeboren.) Zum Juden speciell sagte er auf (gerade nicht das beste) Deutsch: „Höre Schmuel! wenn Du dem Herrn Professor Unruhe machst, so läßt er Dich einen Strick um den Hals ziehen, und Dir in den Fluß werfen." Der Jude, ein langer hagerer Mann in einem schwarzen Talar, der auf einer ticseren Stelle in der Barke stand, warf einen so flehentlichen und demüthig fragenden Blick zu mir empor, daß ich ihm im Herzen versprach, ihn in der That milder zu behandeln, als man ihm in Worten vorspiegelte, und das hielt ich auch und hatte 6' g4 Einrichtung der Barke. 15. Kap. keine Ursache, es zu bereuen. Meine Irkutsker Freunde begleiteten miä» bis zu dem erwähnten Kloster, wo der Rest des gestrigen Champagners geleert wurde, und verließen mich nach einem herzlichen Abschiede. Ich war jetzt allein auf meiner Barke, deren Einrichtung folgende war. In der Mitte befand sich ein Bretterschuppen, mit schrägem Dach nach beiden Seiten; das hinterste Viertel dieses Schuppens war durch eine Bretterwand von dem übrigen Theile getrennt. und hatte ei» kleines Fenster an der Rückwand, unter dem ein Tisch festgenagelt und vor dem ein Stuhl stand; aber der Raum war so klein, daß beim Oessnen der Thür der Stuhl fortgerückt werden mußte. Außerhalb und quer vor der Tbür stand eine in Petersburg gekaufte polnische Britschke ohne Räder, die als Bett diente; vor dieser befand sich der Packwagen mit verschließbarem Deckel aus Ebristiania, welcher zum Transport des Gepäcks und der Instrumente, lind hier zugleich als Rumpelkammer, gebraucht wurde. Vor diesem hielten sich die Leute auf. aber der Schuppen war an diesem Ende offen. Inmitten der einen Dachschräge war ein viereckiges Loch. durch welches ich aus der Unterwelt an Tageslicht krie« chen konnte. Vor dem Schuppen konnten vier lange Ruder angebracht werden, wenn gerudert werden mußte. Statt der Ruder wurde nach hin« ten zu ein mächtiges Steuer, aus einem Holzblock, welches vom Schisser und einem der Leute regiert wurde, in Anwendung gebracht. An schwie« rigen Stellen arbeiteten vier bis sechs Mann an demselben, und dann wurde gewöhnlich ein ähnliches langes Ruder vom Vordersteven ausgelegt, um die Barke rasch wenden zu können. Wir glitten nun langsam mit dem Strome, ohne Ruder und Segel, in nördlicher Richtung von bannen, durch eine unbedeutende fiache Gegend, und kamen Sonnabend den 30. Mai. Morgens sechs Uhr, zur Fabrik Telma. Ich sah vom Wagen aus den Juden im vordersten Theil des Schuppens seinen Schabbas feiern. Er zog den Kaftan vom linken Arm, schob den Rockärmel über den Ellbogen, band seine Tephilim auf die Stirn und auf das linke Handgelenk, legte einen langen Talar von dün« nem weißen blaugestreiften Vaumwollenzeug an. las ein ganz Theil he« bräifcher Gebete ab, kniete nieder und sang mit verhaltener Stimme ver» schiedene Stropben. Diese Tephilim sind zwei Kuben von schwarzem steifen Leder, deren Seitenlinien ungefähr 2'/, Zoll lang find. und auf 5. Kap.j Das Dorf Balagansk. gg deren Seitenflächen mit hebräischen erhabenen Buchstaben die Namen Gottes: Iehova, Elohim u. A. m. gedruckt stehen. Sie sollen, wie man sagt. Stellen enthalten, auf welchen der Auszug aus Aegypten beschrieben ist. An der Unterfiäche sind zwei lange lederne Riemen befestigt, womit sie kreuzweise um den Kopf und auf dem Arme festgebunden werden. — Den 31. Mai nöthigte uns ein heftiger Sturm aus Norden, von neun Uhr Vormittags bis fünf Uhr Nachmittags still zu liegen, und ich sah einige Buräten - Jurten am linken Ufer und meh« rere Buräten fast nackt umhergehen, ungeachtet es so kalt war, daß ich meinen Tuugusen»Parka angezogen hatte. Sie gebrauchen näm< lich kein Linnen, sondern tragen einen Schafpelz mit der Wolle uach innen, und ein paar kurze Hosen, die nur bis an die Hüften reichen und unten etwas über dem Knie endigen; und da sie der Pelz in der Arbeit hindert, so legen sie ihn dann gewöhnlich ab. Den 31. Juni. Morgens halb fünf Uhr, kamen wir im Dorfe Balagansk an, wo ich meine zwei Kaufleute mit ihren Waaren los wurde, und dadurch bedeutend an Raum gewann. Den folgenden Abend um halb zehn Uhr erreichten wir das Amtsdorf Iandinsk. Der Glawa oder Schulze verlangte meine Papiere zu sehen, worauf ich gerade nicht die höflichste Antwort gab. Inzwischen schickte ich ihm durch eiuen meiner Kosaken den offenen Brief des Generals Lawinsky; der Kosak kam jedoch mit der Nachricht zurück, daß der Glawa und der Pisatel oder Schreiber so betrunken wären, daß sie vor dem nächsten Morgen nicht lesen könnten. Ich ließ ihnen darauf sagen, daß sie mir sofort die Papiere zurückschicken sollten. Da mehrere Botschaften vergebens waren, und schließlich mein Jude, der die Vermittlerrolle übernommen, unverrichteter Sache zurückkehrte, so drohte ich, eine Klage an den General-Gouverneur aufzusetzen. Dies half; der Glawa und der Pisatel kamen angewankt und störten mich mit ihrem Gewäsch in meinen Beobachtungen. Endlich traf auch der offene Brief mit der Unterschrift ein. — Obwohl die Tage heiß waren, so waren doch die Nachte so kalt, daß am Morgen starker Reif auf der Barke und dem Lande lag. Wir fanden am 3. Juni. früh um fünf Uhr. Einen von der Schiffsmannschaft, welchen mein Dolmetscher, Gustav Rosenlund, Kaldün (Hexenmeister) nannte, mit der Nase auf den mit dickem Reif bedeckten Steinen am Ufer, in seinen dünnen Leinwandhosen, liegen, und so statt schwitzend, daß ihm 86 Schmerka Girschowitsch Marmätow. s5. Kap. der Schweiß vom Geficht floß. Den Namen Hexenmeister hatte er davon erhalten, daß er ein Buch mit Hezenformeln besaß, womit er am Abend im Amtsdorfe gewesen war. um sie über einer kranken Bauersfrau zu lesen. Als Bezahlung dafür hatte man ihm so viel Fusel, mit Honig vermischt, gegeben, als er trinken wollte; und da ein Russe zum Brannt. wcin nicht Nein sagen kaun. so lange er ihn umsonst erhält, und sollte er auck davon umkommen. so war er Abends elf Uhr stark betrunken bei der , Barke angelangt. Als er die zum Anslandsteigen gewöhnlich au«, gelegte Planke weggenommen fand. fiel er nieder und blieb die ganze Nacht über liegen. Ihn zu wecken, war unmöglich. und nur mit großer Mühe schleppte man ihn an Bord. Er schlief den ganzen Vormittag, worauf ihn Gustav wusch und ihm sodann ein Glas Branntwein in den Hals stürzte. Darauf aß er mit den Andern und ruderte den ganzen Nachmittag, als ob nichts geschehen wäre, nur daß er über ein wenig Kopfschmerzen klagte. Ehe ich weiter gehe. muß ich den Leser mit zwei Personen von meiner Reisegesellschaft, die mir zunächst standen, etwas näher bekannt machen. Mein Jude schrieb seinen Namen in mein Tagebuch mit russischen Buchstaben: Schmerka Girschowitsch Marmätow. Girschowitsch bedeutet »Hirsch's Sohn, da die Russen kein H haben, sondern dafür in fremden Wörtern entweder G oder einen andern Buchstaben gebrauchen, der dem deutschen Ch, dem griechischen X, oder dem spanischen X in der Aussprache am nächsten kommt. Daher sprachen und schrieben sie auch meinen Namen Gansteen. Sein jüdischer Vorname war Simeon, welchen die Russen in Schmerka verwandeln, und der Beiname rührt vermuthlich von der Stadt oder dem Flecken ber, wo er geboren war. Er war ein Rabbiner und Schlächter der Juden, indem nur Derjenige, welcher alle Regeln gehörig zu beobachten versteht, das Schlachten besorgen darf. Jedes Thier, in dessen innerem Bau sich die mindeste Unregelmäßigkeit findet, wird als unrein angesehen und verworfen. Er reiste deshalb jähr« lich ein paar Mal in der Gegend umher, und schlachtete für die Juden, welche demnach zu allen andern Zeiten Fleischspeisen entbehren mußten. Das Schlachten geschieht mit einem langen zweischneidigen, scharfen, gut polirten Messer, welches er mir zeigte, das ich aber nur am Schaft be« rühren durste. Er wohnte in Krasnojarsk, ungefähr 40 Meilen südlich 5. Kap.) Gustav Rosenlund. 57 von Ieniseisk, und war nach Irkutsk gereist, um über den Stadtvogt Rchter Beschwerde zu führen, der ihn dreimal ins Gefängniß geworfen hatk, um Geld von ihm zu erpressen, und ihm außerdem Geld und Wa»ren, die ihm gestohlen waren, vorenthalten hatte. Schmerka war nämlich von Krasnoyarsk nach einem nahe gelegenen Markte gefahren, um eine Quantität Talg im Werthe von 400 Rubeln zu verkaufen. In einem Walde war er überfallen und ausgeplündert worden; die Räuber hatte man entdeckt und ihnen die Waaren genommen, aber der Stadtvogt wollte sie nicht ausliefern, obwohl er vom General-Gouverneur dazu Befehl bekommen hatte. Es ist die gewöhnliche Praxis dieser Herren, daß, wenn die Diebe entdeckt werden, der Eigenthümer Gott danken kann, wenn er die Hälfte zurück bekommt; das Uebrige geht in des Stadtvogts Tasche. Im vorigen Winter hatten wir dir beiden eleganten steinernen Häuser gesehen, welche dieser Stadtvogt in ilrasnojarsk besaß. Da der Gehalt dieser Beamten nur 400 Rubel Papier (etwa 150 Thaler) beträgt, so müssen sie fast betrügen, um zu leben. Nach ein paar Jahren werden sie abgesetzt, und ein Anderer komnu an ihre Stelle, der dann genöthigt ist, da anzufangen, wo sein Vorgänger aufhörte. Richter stand allgemein in dem Rufe, ein großer Spitzbube zu sein, und Schmerka sagte: „All mein Unglück habe ich ihm zu verdanken." Während er in Irkutsk war, hatte er von seiner Frau einen Brief bekommen, worin sie ihm erzählte, daß sie, vielleicht auf Veranstaltung des Stadtvogts, überfallen, ausgeplündert und mit ihrer Tochter beinahe zu Schanden geschlagen wor< den wäre. Schmerka sagte oft, daß er nicht schlafen könne, so betrübt sei er in seinem Herzen; er schlief auch jede Nacht nur zwei Stunden und ein paar Stunden am Tage. — Ueber Gustav Rosenlund (s. S. 20) will ich hier nur noch Folgendes bemerken: Er hatte dem kranklichen Sohne der Baronin v. Wrangel mehrere Jahre lang als Aufwärter und Vorleser gedient, und hatte später mit ihm eine Reise durch Polen und einen Theil von Deutschland gemacht. Hierbei fand er Gelegenheit, sich eine Art von Bildung und seine Sprachkenntnisse zu erwerben. Er hatte einen guten Kopf, viel Phantasie und ein großes Theil Mutterwitz, sodaß die russischen Bauern auf jeder Station, wo die Pferde gewechselt wur. den, über seine Einfälle gewöhnlich in ein schallendes Gelächter ausbra. chen. Dabei besaß er ein gutes Herz, war aber, wie im Allgemeinen gg Gustav Rosenlund. p. Kap. alle Leibeigene, der leichtsinnigste und gleichgültigste Vogel von der Welt. Der Leibeigene ist kcine Person; er weiß. daß sein Eigenthümer um seines eigenen Vortheils willen für sein Leben und seinen Un-terhalt. wie für ein anderes Arbeitsthier, sorgen muß. Er lebt daher nur für den Augenblick; das Schlimmste, das ihn treffen kann. ist eine Tracht Prügel, die er wieder abschüttelt. Der Besitzer kann ihm, wie frü. her erwähnt, befehlen, sich zu verheirathen, wann und mit wem er es für gut findet, und kann seine Kinder verkaufen, wie man die Füllen einer Stute verkauft. Als Kaiser Alexander die Leibeigenschaft in Esthland auf' hob, wurde Gustav frei und bekam Lust. mehr von der Welt zu sehen. Wir fanden ihn in Petersburg als Boten des protestantischen Bischofs und nahmen ihn als Dolmetscher und Bedienten auf der Neise unter den früher erwähnten Bedingungen in unsere Dienste. Sein Leichtsinn machte mir manchen Verdruß. Es ereignete sich ein paarmal in Irkutsk, daß ich ihn am Morgen fortschickte, um einen Zettel von fünfzig Rubel zu wech. seln, und daß ich vergebens bis drei ja vier Uhr Nachmittags auf seine Rückkehr wartete, ohne mein Mittagsmahl bekommen zu können. Ich mußte dann zu Murawieff gehen, der ihm ein paar Polizeidiener in ein Spielhaus nachschickte, wo man ihn denn auch fand, wie er Billard und Karten um Geld spielte. Wenn sie ilm dann angeschleppt brachten, hielt ihm Murawieff eine scharfe Strafpredigt und drohte ihm, daß ich ihn fortjagen würde, und daß er dann auf seinen eigenen Füßen als ein Herumtreiber nach Petersburg zurückgehen könnte. Obwohl er sich nun dies so tief in seine Phantasie einprägte, daß er mir mehrmals auf der Barke erzählte, er sei von einem garstigen Traum erwacht, worin es ihm schien, als stünden Murawieff und ich über ihm und ließen ihn in Fesseln legen, so half es doch nicht länger, als bis zum nächsten Mal. wo die Gelegenheit ihn lockte. Im Uebrigen war er ehrlich; die Natur hatte etwas Gutes aus ihm machen wollen, aber die Leidenschaften hatten ihn verdorben. Er sagte öfter, daß, wenn er nach Reval zurückkäme, er für das Geld, das er von der Reise übrig behielte, ein Tanzlocal. oder eigentlich ein noch weniger an« ständiges Institut, einrichten wollte. Sibirien ist eine große schräge Ebene, die sich von der chinesischen Grenze beständig gegen Norden bin bis zn den Ufern des Eismeeres senkt, wo sie sich in Moräste verliert; alle sibirischen Flüsse laufen daher nord- b. Kap.) Die Flüsse Sibiriens- gg wärts ins Eismeer. Bei Irkutsk ist die Höhe über der Meeresfläche u„. gefahr 1100 Fuß; bei Kiachta. soweit ich aus achttägigen Barometerbe-obachtuilgen urtheilen kann, betragt sie gegen 1000 Fuß mehr. Etwas vor der chinesischen Grenze kommt man auf das große mongolische Bergplateau, das wohl noch 2000 Fuß höher liegt, und diese Höhe bis ungefähr sechszig Meilen von Peking behält, wo sie ziemlich steil gegen das Mcer abfällt. Ueber diese große Gebirgswüste wandern jahrlich im Winter mehrere hun« dert Kameele, in großen Packsätteln mit der ungeheuren Menge Theekisten und Seidmwaaren belastet, die nach dem Markt in Maimatschin gebracht werden. Da der Abstand zwischen Irkutsk und der Mündung des Ieni-sei über 300 Meilen beträgt, und die Angara in den genannten Fluß mündet, so senkt sich das Land von Irkutsk bis zum Eismeer im Durchschnitt nur etwa 4—4'/^ Fnß für jede Meile. Diese Flüsse haben daher einen sehr ruhigen Lauf. Nur wenn sie in die Berggegenden kommen, wo der Boden uneben ist un^ wo der Fluß zwischen jähe Felswände eingeklemmt wird, bekommt er einen rascheren Lauf und bildet dann an einzelnen Stellen mehr oder minder bedeutende Wasserstürze. Die Angara laust von Irkutsk, mit einigen kleineren Biegungen, ungefähr in nördlicher Rich-tuug bis zum 56. Breitegrade. Hier wendet sie sich in einer Gebirgsgegend plößllich gegen Westen, und behält diese Richtung ungefähr in einer Länge von 1,4 Meilen bis zum Dorfe Bratskoi, nimmt von hier an ihren Lauf nach Norden, und behält diese Richtung wiederum in einer ebenso großen Strecke bei; endlich fließt sie wieder gegen Ost. indem sie fast einen glei» chen Raum zurücklegt, wie in ihrem zuvor beschriebenen westlichen und nördlichen Laufe, worauf sie dann wieder an 30 Meilen nordwärts fließt. Sie tritt nun in den Tungusen>District ein, welchen sie in vielen großen Krümmungen unterm 58. Breitegrad und in westlicher Richtung durchläuft, um in den Ienisei einzumünden. Dieser Theil des Flusses hat den Name» Werchne-Tunguska (oberer Tungusen-Fluß) bekommen, zum Un» terschied von einem anderen nördlicheren Flusse, Nischnei - Tunguska (un> terer Tlmgusenflluß). der ebenfalls vom Tunguseulande nach Westen hin in der Nähe von Turuchansk in den Ienisei fällt. Che man den Tungu-sen-District erreicht, hat man zehn größere oder kleinere Wasserftürze und cine große Menge Stromschnellen zu Passiren, von welchen die meisten und gefährlichsten in dem vorerwähnten großen Bogen der Angara. nördlich gy Die Stromschnellen. 15. Kap. von Bratskoi. liegen. Wegen der geringen Neigung geht der Fluß im All. gemeinen ruhig; wenn aber an einer einzelnen Stelle die Neigung größer wird, kann das Wasser die glatte Oberfläche nicht länger behalten; es beginnt zu strömen und fängt an zu wallen, sodaß man sein Brausen hört. Dies nennen die Sibiriaken eine Schewerä (von einem Verbum: scheweliü, ich bewege oder schüttle mich). Ist die Neigung noch größer, sodaß es mit größerem Wellenschlage und weißgipfeligen, schäumenden Wellen dahineilt, und mit einem Brausen, das in weiter Feme vernehmbar ist, so wird es ein Porög genannt. Wir hatten bisher beständig Gegenwind gehabt; den 4. Juni bekamen wir schönes Wetter und Südwind. Wir brachten daher an zwei kleinen Stangen drei Ragoscher oder Matten an, und segelten damit drei Stunden am Nachmittag. Den folgenden Nachmittag legten wir in Bräts» toi an, wo wir die Nacht über liegen blieben, um einen Lootsen zu erwar« ten, der uns über die vier ersten Porögen: ^ßochmslie, Pianoi, Buyk und Padün führen sollte und von PaduuSkoi, 7 Meilen nördlich von Bratskoi. geholt weiden mußte. Die Namen der beiden ersten Porögen haben eine komische Bedeutung. Pochmölie bezeichnet das Uebelbefinden (Katzenjammer), das man am Tage nach einem Rausche empfindet; Piä-noi den Betrunkenen. Der Ursprung dieser Namen ist folgender: Ieni» seist ist eine weit ältere Stadt als Irkutsk. Ehe der Landweg zwischen diesen zwei Städten fertig war, führten die Kaufleute in Ieniseisk Korn und andere Waaren nach Irkutsk den Zluß hinauf gegen den Strom. Der Transport war äußerst beschwerlich, besonders bei den Porögen Man mußte die Waaren löschen, sie über die hohen Felsen tragen, welche die Ufer bilden, und mittels Schiffswinden das Fahrzeug die Porögen hinaufschleppen. Die vorletzte war Pimwi; wenn man über diese getom» men war, so waren die größten Beschwerden überstanden und man hielt einen Schmaus und trank sich einen tüchtigen Rausch. Den folgenden Tag kam man mit Kopfschmerzen zurPochmelie. Jetzt geht man nur von Irkutsk nach Ieniseisk, oder weiter nach Turuchanök mildem Strome; und am letzteren Orte wird das Fahrzeug zerschlagen oder zu Brennholz verwendet, da es sich nicht verlohnt, es gegen den Strom zurückzubringen. Ab« die Namen haben sich erhalten. 5. Kap.) Die Stromschnellen. gi Die Vorbereitungen auf eine solche Thalfahrt haben etwas Feierliches an sich. Wenn man demPoräg so nahekommt, daß man sein Brau-sen hört und den Wellengang sieht, so commandirt der Barkenführer, der beim Steuer oder dem langen Ruder am Hintersteven steht: „Sadites!" (setzt Euch), was blos bedeutet, daß die Leute die Ruder hereinnehmen sollen. Darauf heißt es: „nwlite Boga!" (betet zu Gott), worauf die ganze Mannschaft, welche nahe am Vordersteven steht und rudert, sich nach einem Obras umwendet, daß unter dem Schuppen festgenagelt war und sich unter vielen Verbeugungen bekreuzt; zuletzt sagt der Schisser mit lau» ier Stimme ein kurzes Gebet her. Nachdem so die Feier vollendet ist, ergreift die Mannschaft hurtig die Nuder, und es wird commandirt: „gre-bite silno!" (rudert kräftig), und alle Kräfte werden jetzt aufgeboten. Eine allgemeine Spannung tritt ein, welche in dem Maße zunimmt, als man sich dem Porüg nähert. Der Lootse tritt auf den Vordersteven mit einem zusammengedrehten weißen Tuche, womit er dem hinten befindlichen Steuermanne Zeichen giebt, entweder mitten über dem Scheitel („geradezu") zu halten, oder sich rechts oder links zu wenden; denn das Commandowort kann vor dem Brausen des Porog nicht gehört werden. Vier Mann sind am Hintersteven bei dem langen Nuder aufgestellt und spannen ihre ganze Aufmerksamkeit und alle ihre Kräfte an, um augenblicklich jedes Winkes gewärtig zu sein. Ist der Sturz sehr heftig. so werden noch ein paar Mann mit einem ähnlichen langen Ruder am Vordersteven angebracht, um das Fahrzeug mit Sicherheit im entscheidenden Augenblicke regieren zu können; denn die Kunst besteht darin, den Schiffskiel in derselben Richtung mit dem Strom zu halten. Endlich kommt man in die ersten Wellen; die gewöhnlichen Nuder werden hereingenommen; Alles steht in gespannter Erwartung; die Barke fängt an zu schaukeln, die Schnelligkeit wächst mit jeder Secunde, das Gebraust nimmt zu, alle Sehnen werden angespannt, um sofort, auf des Lootsen Wink, bald nach links, bald nach rechts zu steuern; man ruft: „silno! filno!" (kraftig, kräftig), im Fall das Fahrzeug nicht rasch genug wendet. Endlich beruhigt sich der Wellen- . schlag; der Lootse tritt vom Vordersteven herunter, trocknet den Schweiß, den ihm die Geistcsanspannung ausgepreßt hat, von seinem Gesicht und kommt mit einer Miene, welche die Freude über die überstandene Gefahr ausdrückt, zu dem Hauptpassagier, indem er auf Russisch sagt: „Ich wünsche «2 Die Stromschnellen. ^5. Kap. Ihnen Glück. Ew. Hochwohlgeboren." Darauf gratulirt er dem Schiffs, führer am hintersten Nuder. Von allen Seiten hört man jetzt den Ruf: „Slawa teba Bogu!" (Gepriesen seist Du, Gott!) und nun fangen alle Münder, die bisher schweigsam gewesen, plötzlich an, überzulaufen, und frohes Gelächter bricht, wie aus dem Sicherheitsventil eines Dampfkessels, von allen Seiten los. Es ist wirklich wie eine großartige Rutschpartie, mit einer solchen Maschine, zwanzig bis dreißig Menschen an Bord. zwi» schen ein paar lothrechten Felswänden (denn an solchen Stellen finden sich immer die Porogen), schaukelnd auf brausenden, schäumenden, erzürnten Wogen mit einer Geschwindigkeit, welche den schnellsten Laus eines Pferdes übertrifft, vorbeizuschießen. Doch es ist keine Gefahr dabei> sobald der Fluß Waffer genug hat und im Por^g keine Steine liegen. Den 6. Juni früh am Morgen schickte ich einen von meinen Kosaken nach Bratskoi mit dem offenen Briefe des General'Gouverneurs, und ließ acht Mann zu Hilfe holen; der Lootsc von Padunstoi, ein ehrwürdi« ger. milder Greis mit schneeweißem Haar. kam gleichfalls und wir setzten unsere Reise fort. Nach neun Uhr Vormittags passirten wir Poch. melie und eine Stunde später Piänoi, immer mit den oben beschriebenen Feierlichkeiten verbunden. Von Bratskoi an wurde die Gegend höchst ma< lerisch; an beiden Seiten des Flusses waren die hohen, fast senkrechten Felsen mit schönen Tannen auf dem Scheitel, und selbst hier und da auf den Hängen, bewachsen. Gegen zehn Uhr bekamen wir Buyk (der Ochse) zu Geficht. Da dieser Porog wegen zwei großer Steine, zwischen welchen man fahren muß, gefährlich ist, so wollte ihn der Lootse dadurch vermei« den, daß er in einen Arm, welchen der Fluß dort bildet, hineinfuhr. Die» ser aber hatte nicht Waffer genug, und die Folge war, daß wir um ein« viertelzwölf Uhr auf den Grund liefen. Der Wind wehte start von Norden und das Schiff kehrte die breite Seite gegen den heftigen Strom, der es gewaltsam gegen den Grund drückte. Ich sah nicht ein, wie wir lostom» men sollten; denn gegen die Macht des Stromes sind Menschenkräste ge» ring. Endlich kam ein Fischer aus der Nachbarschaft uns zu Hilfe und gab den Rath, die ganze Mannschaft auf einer kleinen Insel zu landen, um mit einem Tau zu ziehen. So machten wir uns endlich um Ein Uhr los und kamen nach einiger Zeit in die Nähe des vierten Por(>g. Padün (der Fall xar excellence), wo wir das Schiff unter ewen hohen Felsen 5. Kap^ Die Stromschnellen. - 93 am linken Ufer legten und das Brüllen des stürzenden Wassers vernäh, men. Der Lootse und der Schiffer erklärten, daß dieser Porog wegen zwei großer Steine, die nur wenige Faden von einander lagen, zwischen welchen man hindurch fahren sollte, gefährlich sei; man müsse stilles Wetter abwarten, um sie zu sehen, und jetzt sei der Wind entgegen. Später am Nachmittag wurde ich ungeduldig über das lange Warten und schalt auf den Schiffer; er erwiderte aber ganz lakonisch, daß, wenn das Wetter viel besser als jetzt wäre, er doch nicht fahren könnte. Zu dieser Jahreszeit, hieß es, ist das Wasser im Padün niedrig; im Juli ist es so hoch. daß der Fall nickt gefährlich ist. dann gehen alle Kaufmannsbarken. Vor vier bis fünfIahren war em Prolastschik (Kaufmanns-Mandatar) zu dieser Iah-reszeit mit einer Ladung von 400 Pfund Mehl hier angekommen, und als er acht Tage an derselben Stelle wie wir gelegen und auf gutes Wetter gewartet hatte, befahl er. daß man aufsein Risiko fahren sollte. Man fuhr. die Barke stieß auf den Grund und wurde nach und nach zerschla-gen, das Mehl ging verloren, doch die Mannschaft. bestehend aus fünfzehn Mann, wurde gerettet. Dies schlagende Argument stopfte mir den Mund. Sonntag den ?. Juni fühlte ich mich, gestärkt durch einen guten Schlaf, beim Aufstehen vollkommen wohl; die zwei vorhergehenden Tage hatte ich mich nämlich zu sehr angestrengt, indem ich in meiner kleinen Kajüte die täglichen magnetischen und astronomischen Beobachtungen berechnete. und war sowohl dadurch, als durch zu wenig Schlaf in einen nervösen Zustand verfallen. Ich beschäftigte mich den ganzen Vormittag mit Beobachtungen und Berechnungen, und stieg nach der Mahlzeit auf den Fels, unter welchem das Schiff lag. Hier machte ich den Fluß entlang in nördlicher Richtung einen überaus angenehmen Spazier-gang in dem hellgrünen Walde, der aus einem Gemisch von Birken, Tannen, Cedern und andern Bäumen bestand. Bonder hohen Fläche aus schaute man über den weißgivfcligen breiten Gürtel quer über den Fluß und hörte sein Brausen. Nachdem ich ungefähr eine halbe Meile gegangen war, kam ich an eine Stelle, wo sich der Fluß nach Westen biegt und ein Bassin w Form eines kleinen Binnensees mit spiegelglatter Oberfläche bildet, in dessen Mitte eine kleine Insel lag. Auf einem lieblichen Abhang, der sich nach dem innersten Theil der Bucht herabsenkt, lag das 94 Mineralrelchthum der Vaikal-Gegend. 1^5. Kap. nette Dorf Padunskoi, umgeben von verschiedenen hellgrünen, freund« lichen, frischausgeschlagenen Laubholzgruppen. Die Insel war gleichfalls mit einem frischen, hellgrünen Teppich bedeckt, und geschmückt mit den schönsten Baumgruppen, die sich erst kürzlich mit einer Fülle Laub bekleidet hatten und von dem gestrigen Regen erfrischt, dabei von der heitersten Nachmittagssonne beleuchtet und von einem ganz wolkenleeren, blauen Himmel überwölbt waren. Bisweilen wurde die tiefe Stille von einer buntge» steckten Natter unterbrochen, die vor meinem Schritt entfloh, dnrch das dürre Laub vom vorigen Jahre dahinraschelnd. Auf diesem romantischen Spaziergange schwebte meine Phantasie aus meiner tiefen Einsamkeit, meiner großen Entfernung vom Vaterland und seiner Sprache, hin nach der Heimath und den Lieben, die sie einschloß, von welcher jede neueste Nachricht nur Bilder von Zuständen schilderte, die schon ein Vierteljahr lang verschwunden waren. Es war einer jener tragi-romantischen Augen» blicke, worin die milde Schönheit und ruhige Größe der Natur unsere Traurigkeit ergänzt und zu einer trauten Wehmuth verschmilzt, worin man mit Thränen in den Augen ausrufen könnte: „das Leben ist doch schön!" Auf dem Rückwege pflückte ich eine hübsche, mir unbekannte violette, glockenförmige Blume zum Andenken an diese Gegend nnd meine Erwartung wegen der Fahrt über den Padün, und schickte sie als Zeugen dieser Nachmittagswanderung in einem Briefe meinen Lieben in der Heimath. Man brennt hier das Gras unter den Bäumen ab, wie bei uns, um im nächsten Jahre ein zarteres Gras zu bekommen. Die ganze Oberfläche des Berges unter der Dammerde und den Baumwnrzeln war eine Klafter tief mit einem feinen röthlichen Sande bedeckt, welcher kleine Quarzkrystalle und Glimmer enthielt. Ich vermuthete, daß er auch Goldstaub enthalten würde, da er dem Sande im Ural vollkommen glich. Der Fels hat wohl eine halbe Meile lang eine lothrechte Wand nach dem Flusse zu, mit horizontalen Schichten von Sandstein und anderen weichen Stoffen, vielleicht Lehm. Ueberall war dies Flußbett für einen Mineralogen nnd Geognosten gewiß lehrreich, denn die User liefern in der unendlichen Menge kleiner glatter Rollsteine einen Beweis von dem großen Mi» neralreichthum der Baikal-Gegend: milchweiße Achate, groß wie Straußen« tier, gestreifte Steine von allen Farben mit verschiedenfarbigen Adern, 5. Kap-1 Fahrt über dm Padün. Q» Conglomerate der seltsamsten Art. sodaß ich auf dies« Reise oft weite Strecken den Fluß entlang ging. um diese bunte Mannigfaltigkeit zu be« schauen, dabei aber bedauerte, daß ich nicht zu beurtheilen wußte, was von wissenschaftlichem Werthe war. Bei meiner Rückkehr zum Schiffe hieß es: ..Popow und die beiden Lootsen glauben jetzt, daß wir unser Glück im Padüu versuchen können." Ich Mg nun in meine Klause. packte alle meine Instrumente in ihre Kisten, nahm ein Packet mit etwas über 6000 Rubel in meine Seiten» tasche und steckte ein KongSberger Schneidemesser zu mir, um im Fall eines Unglücks ein Werkzeug zu haben, womit ich mich an eine Planke festhaucn könnte; ich wurde aber von diesem Geschäfte durch Gustav ab» aerufen, welcher berichtete, daß der alte Lootse sein Unternehmen nicht anfangen wollte, ohne daß ..der Herr ihn erst segnete'." Da weder Gustav, noch ich. wußte, wie dies geschehen sollte. ,o schlug ich mit der Hand ein Kreuz vor seiner Stirn. und damit war er zufrieden. Die Leute verlangten ein Wachslicht von Gustav, um es vor dem Heiligenbild anzuzünden, aber es war keine Zeit. es zu suchen. Inzwischen hatten wir uns schon in Bewegung gesetzt; der alte Lootse mit weißem Haar stand auf feinem Posten am äußersten Ende des Vorderstevens, sich mit der linken Hand an ein Tau haltend, und mein zusammengeschlungenes Hand, tuch als Signal in der Rechten. Der Fischer, der uns am vorigen Tage bei Buyl vom Grunde geholfen hatte, kroch bald auf den Schuppen, um besser zu spähen, bald ging er zurück zu Popow an dem hintersten langen Ruder. Die Mannschaft hielt das gewöhnliche Gebet. Still, mit ge« spannter Aufmerksamkeit und im Andenken an das Schicksal des Prokas» tschiks an derselben Stelle und zu derselben Jahreszeit, nähern wir unS dem Wasserfall; wir kommen an seinen vordersten weißschäumenden Rand und fangen an zu schaukeln und mit erhöhter Geschwindigkeit zu fahren. Ill diesem Augenblick stand die Sonne ganz hell am Himmel, die untere Hälfte vom Felsrand verborgen, und der Mond, sims Tage nach Neumond, etwas höher wie eine Sichel. Nach wenigen Augenblicken scheuert die Barke gegen die Steine im Grunde und hält mitten im heftigsten Wellen« schlag an; allgemeiner Schrecken; das Wasser arbeitet heftig gegen den großen feststehenden Gegenstand; Popow ruft: „rudert! rudert stark!" Man fängt an, der Porog hilft mit, wir gleiten ein wenig und — nerrr, 96 Fahrt über den Pabm,. 15. Kap. es scheuert, wir stehen wieder; gleiten wieder etwas und — stehen wie. der. Endlich kommen wir zum dritten Mal los und schießen fort. Oleich nachher entsteht Uneinigkeit zwischen dem alten Lootsen auf dem Vorder« fteven und dem Fischer aus dem Hintersteven; mitten im stärksten Fall will der Eine rechts, der Andere links. Diese Uneinigkeit im gefährlichsten Augenblick war beängstigend. Endlich lief der Fischer zum Lootsen und schrie ihm heftig zu. Als er dann zu mir, der mit Schmerka am Hintersteven stand, zurückkam, zeigte er mit freudestrahlendem Gesicht auf den ersten großen schwarzen Steinblock, der an der rechten Seite an uns vorbeilief; bald uachber sahen wir den zweiten auf der linken Seite, beide ziemlich hoch über der Wasserfläche oder richtiger den Wellen. Als wir am letzteren vorbei waren, stieg der würdige Alte vom Vordersteven herab. Bleich war er gewesen, so lange er dort stand; jetzt wurde er plötzlich roth im Gesicht. Er kam zu mir hin. trocknete mit dem Signal-Handtuch den Schweiß vom Geficht und die Thränen von den Augen und gratulirte. „Slawa teba Bogu!" erscholl es von allen Seiten; allge, meine Freude. Ich merkte, daß Schmerka's Kniee im gefährlichen Augen« blick zitterten; als ich ihm Das sagte, gab er es mir mit der Bemerkung zurück, daß ich blaß gewesen wäre. Ich glaube es gern; es war eine große, feierliche Scene, die durch die langen Vorbereitungen und den Ruf dieses Porogs imposant gemacht worden war. Kein Mensch steht gleich-giltig in der Gefahr, die gespannte Aufmerksamkeit auf alle äußeren Um« stände treibt das Blut nach dem Herzen. Alles, was man verlangen kann, ist Fassung, um im entscheidenden Augenblick das rechte Mtttel zur Rettung zu ergreifen. Als wir festsaßen, verschwand Gustav. Ich suchte ihn und fand ihn unter dem Schuppen, wohiu er gekrochen war, um nachzusehen, ob nicht ein Loch im Fahrzeuge wäre. Mitten in dieser ernsten Scene mußte ich doch lachen, denn so leicht schlägt man kein Loch in einen Schiffsboden; auch waren wir nicht heftig aufgestoßen sondern hatten bloß gescheuert. Ich schenkte mm der ganzen Mannschaft Branntwein; Popow, der Lootse und Gustav bekamen Rum. und der Jude lind ich nahmen ein GlaS Grog zu uns. Ich bezahlte zu allseitiger Zufriedenheit einem jeden der beiden Lootsen 10 Rubel und den Schiffsleuten zusammen 5 Rubel. Wir fuhren die ganze Nacht weiter. und um fünf Uhr früh. den 8. Juni, lagen wir vor dem Por6g Dolgoi (der lange Porüg), welcher 5. Kap.) Die Einwohner von Tantakinöka. 97 eine Meile lang ist, vor Anker. Wir warteten bis sieben Uhr auf die Mann, schaft. die ich durch den einen Kosaken und unter Vorzeigung des offenen Briefes vom General-Gouverneur aus dem Dorfe Dubinina holen ließ' um halb acht Uhr waren wir, nachdem das gewöhnliche Gebet gehalten war, am Anfang des Powgs und zwanzig Minuten später bekreuzte sich der Lootse und trat von seinem Posten auf dem Vordersteven, zum Zeichen, daß Alles vorbei war. Etwas unterhalb des Sturzes waren, ungefähr eine halbe Meile weit, die Felsen auf beiden Seiten ganz lothrecht und bestanden aus prismatischen, krystallförmigcn Steinen, viele mit hohen langen Spitzen, vollkommen basaltartig gebildet. Das Wetter war schön und still, mit hellem Sonnenschein. Zwischen zwölf und ein Ubr warteten wir bei Ust.Vykorewa auf neue Nuderleute. Gegen vier Uhr Nachmittags holten wir wieder einen Lootsen und Nuderleute ans dem Dorfe Tanta» kinska. Das steile linke Ufer bestand aus parallelen, fast horizon» talen Schichten eines rothbrannen Sandsteins; wenn man ihn zerschlug, war er inwendig weiß, under wird nur roth durch die Einwirkung der Luft. Das Wasser höhlt ihu an Ort und Stelle in prismatische Säuleu aus, welche oft nach dem Negen herabfallen. Wir sahen mehrere herabgcfallene Massen am Ufer. Die Fischer sind daher besorgt, sich in der Nacht dem Fuß deS Felsens zu nähern. Hier beginnt der Fluß sich nach Osten zu wenden. Obwohl die Ruderleute von Tantakinska Nussisch redeten, waren sie in Tracht, Gesichtszügen und Körperbau von den gewöhnlichen Nüssen ganz verschieden. Gustav fand die Tracht wie die der finnischen Bauern. Sie trugen auch das Haar nicht abgeschnitten, wie die Russen, und hatten einen nicht so fleischigen, sondern mehr zarten und leichten Bau. lebhafte Gesichtszüge und hübsche, gewöhnlich blaue Augen. Der Eine hatte eine türkische Kugelbüchse mit vier Läusen; sie war nach vorn etwas dicker als nach hinten, wie das Mundstück an einer Kanone; längs des ganzen Laufes waren silberne Buchstaben, wahrscheinlich türkische oder arabische, und an zwei Stellen, quer über den Lauf. goldeue Ringe eingelegt. Das Schloß war von türkischer Construction. Unsere Bauern von den früheren Mannschaften hatten sich mit Büchsen an Bord eingestellt. Um halb sieben Uhr Nachmittags war das hohe Land zur linken Seite des Flusses verschwunden; das Land wurde überall flach, HMstccn, Rcisc. 7 yg Der Schamans?oi-Porog. 15. Kap. nur niedrige Bergrücken zeigten sich in der Ferne. Die Tage waren un-gemein warm, die Abende dagegen kalt. Wir setzten die Neise die ganze Nacht fort und fuhren um halb acht Uhr Morgens, den 9. Juni. über eine Schewerü und um halb neun Uhr über den kleinen Porog, der „Buyk oder Ochse mit den eisernen Hörnern", von wo aus wir den längsten von allen Pon'igs. den Scha-manskoi'Porüg. welcher anderthalb Meilen lang ist, sehen konnten. Etwas unterhalb des Bnyk theilt sich der Fluß in zwei Arme. welche eine isolirte Klippe umschlingen, die einem ungeheuren, riesenmäßigen Schiffsrumpf, dessen Deck mit Fichtenwald bewachsen ist, vollkommen gleicht; die Seiten find perpendiculair. Sie wird daher von den Sibiriaken Kombl (das Schiff) genannt. Hinter dem Schiff sieht man einen höbern Fels, auf dessen Seiten sich drei große Eisflächen zeigten. Als wir nns Scha. manskoi näherten, vermißte ich Gustav und fand ihn unter dem Schuppen mit einem Schinken aus Irkutsk in der Haud. sich stärkend zur bevorstehenden Fahrt. So gewöhnt waren wir an die Porügs, daß dieser Hase am Anfange des längsten Porüg an ia donn« eii«iL dachte. Spä» ter war er einmal der Hitze wegen in das Schiffsboot hinabgekrochen, welches durch ein Tau an das Hinterende des Schisses befestigt war, und hatte sich schlafen gelegt, sodaß er im Schlafe, ohne aufzuwachen, über eine Schewem kam. Gegen neun Uhr erscholl das Kommando zum Gebet; zehn Minuten später waren wir am Anfang oes Porögs, um halb zehn Uhr hatten wir die giößte Geschwindigkeit, und nm neun Uhr dreiundvierzig Minuten war die Oberfläche des Wassers beinahe ruhig. Wir hatten also anderthalb Meilen in dreiunddreißig Minuten, d. h. im Durchschnitt mit einer Geschwindigkeit von neunzehn Fuß in der Secunde, zurückgelegt, aber die größte Geschwindigkeit war vielleicht doppelt so groß. Mitten im Wasser, stürz lag eine flache Insel, auf der Südseite von großen Eismassen überragt, aufweiche stch der Porög beim Eisgange stürzt. Die Fahrt über diesen Porug war „blos zur Luft;" denn fie war ohne Gefahr. Von dem obersten Punkte aus sahen wir vor uns in gerader Linie, soweit das Auge reichte, den anderthalb Meilen langen Fall, ein Abhang von weißschäumenden Wellen, auf beiden Seiten von hohen schwarzen, lothrechten Felfenwänden eingeschlossen, nach oben ein Streifen des blauen Himmels — ein Anblick, der an die erste Aussicht am Anfange der Krümmung er- 5. Kap.) Der Porog Locei. gu innerte; ein monlaFn« ru88o auf nassem Wege. Es war eine groß» artige Rutschbahn, gegen welche die Tivoli«Bahn in Kopenhagen ein Kinderspiel ist; die Geschwindigkeit so groß, wie durch einen Tunnel auf einer Eisenbahn. Es wundert mich, daß die reiselustigen Engländer diese An» gara-Fahrt noch nicht ausfindig gemacht haben. Da aber jetzt die Schweiz so lauge bereift ist. der Montblanc bestiegen, der Njukand und Vörings'Fall beschaut, und im Leer-Fall so oft Lachs gefischt worden ist, so wird wohl bald die Zeit kommen, daß ein englaudmüdcr Britte den Weg nach den Porugs in der Angara findet. Ich entließ den Lootsen von Tantalmska mit fünf Rubeln. Er hatte eine Maske von Noßhaartuch zum Schutze gegen Mücken, die aber für den Augenblick nur den Scheitel bedeckte. Es war die erste der Art, die ich sah; später lernte ich ihre Nothwendigkeit nur allzuwohl kennen. Um halb fünf Uhr trafen wir viele große Eismasscn auf dem Flusse schwimmen Ich hatte mehrere Tage laug bemerkt, daß unsere feste Schiffsmannschaft mit Ungeziefer stark bedeckt war, und Gustav machte die Entdeckung, daß sich dasselbe von einem gewissen Alexei verbreitete, der einen schmutzigen zerlumpte» Schafpelz —den Urheber des Uuglücks — trug. Um dem Uebel so viel als möglich Einhalt zu thun, kaufte ich ihm den Pelz für einen Rubel ab; er wurde dem Flußgott geweiht, der in ihm wohl kaum ein sehr erfreuliches Opfer erblickte, denn wir sahen ihn noch lange, mit einer Mischung von Freude und Abscheu, dem Schiffe nachschwimmen. Den 10. Juni war ich, wie gewöhnlich, gegen fünf Uhr Morgens auf; es war ein kalter regnichter Morgen. Eine Stunde später gingen wir über den Poröz Locei (das Elennthier), um ein Viertel ans elf Uhr über eine Schewerä, und bei dem Derewna*) Uscham holteil wir am Mittag neue Ruderleute. Die Temperatur in meiner Kajüte war um Mittag lö'/z Grad Warme. Die Nacht über lagen wir still bei dem Dorfe Iüdorma, am linken Ufer, an der Mündui.g eines kleinen Flusses gleichen Namens, und an der Grenze des Tungusen-Districts. Den 11. Juni war ich wieder vor fünf Uhr auf, um die Breite und Länge des Orts, sowie die magnetische Declination. Inclination und In« ') Der«wna wird ein Dorf ohne Kirche genannt; Selö ein Dorf mit Kirche. Demnach Zarskoje-Sclü, das „kaiserliche Kirchdorf." 7' 100 Mückenmasken. 15. Kap. tenfität zu bestimmen. Zwischen ein und zwei Uhr Nachmittags sahen wir auf dem linken Ufer einen furchtbaren Waldbrand, wovon der Rauch eine Wolke bis zum Zenith bildete, welche die Sonne gänzlich verbarg. Visweilen schimmerte sie hindurch, und warf dann einen goldfarbigen Schimmer über die Gegend; die Wellen waren stark bronzefarben. Am Tage vorher sahen wir einen ähnlichen großen Waldbrand nahe am Flusse auf dem rechten Ufer. Meine astronomischen Beobachtungen, die ich stets am Tage, nachdem sie ausgeführt waren, berechnete, zeigten mir, daß der Lauf des Flusses auf der russischen Karte sehr unrichtig angegeben war. Die Nacht zum 12. Juni brachten wir bei dem Kirchdorf Keschemy zu. Ich ging früh fünf Uhr bei einem heftigen Winde auf den Kirchhof, um meine Beobachtungen anzustellen. Während ich bei dieser Arbeit war, Sextant und Zubehör auf einem Grabstein aufgestellt hatte, kam ein Assessor, Titularrath Gregorii Komlewsky, der einzige Beamte des Orts, um mir. wie er sagte, ehrerbietigst aufzuwarten. Ich sagte ihm. daß ich wenig oder gar nicht Russisch sprechen könnte und setzte meine Beobach» tungen fort. Er blieb ehrerbietig und schweigend hinter mir stehen, mit der Mütze in der Hand und schlich sich endlich davon. Als ich fertig war, kamen ein Paar wohlgekleidcte Bediente und brachten mir in zwei bis drei Gangen eine Schüssel mit Waffeln, andere leichte Kuchen, süße Sahne, frischbereitete Butter, und ein großes Stück rohen Osetrin (eine Art Stör, von dessen Rogen der Caviar bereitet wird). Endlich ließ cr Gustav rufen und überreichte ihm ein sehr nützliches Geschenk für uns Beide, für welches wir ihm, wie er sagte, bald dankbar sein würden, nämlich, zwei Mückenmasken. Die meinige hat folgende Construction. Nach oben findet sich ein Stück dünne Pappe in Form einer Scheibe, die auswendig mit orangefarbenem chinesischen Seidenzeug bezogen ist. An den Rand derselben sind drei Rechtecke von schwarzem Roßhaartuch festgenäht, von der Art, welches man zu Sieben braucht, aber so offen, daß man gut hindurchsehen kann. Die Säume, wo die drei Breiten vereinigt sind, sind von orangefarbigen Seidenbändern bedeckt. Die Maske gleicht einem Hutkopf, welcher so weit ist, daß er geräumig über dm Kopf geht und bis zum Hals hinabreicht. Damit die Mücken nicht unter dieselbe kommen, ist an die unterste Kante ein faltiger Kragen festgenäht, wie ein weißes Hemd von weichem gleichfarbigen Seidenzeug, welcher über die 5. Kap.^ Der Porog Anlinsky. zyl Brust, die Schultern und den Rücken herabfällt. Das Roßhaartuch ist so steif, daß es vom Gesicht absteht. Die Maske ist kühl und luftig. Man kann hier im Sommer ohne eine solche Maschine nicht schlafen, ja nicht leben. Eine Art kleiner, weißer, heißhungriger Mücken stiegt Einem in Mund und Nasenlöcher, wenn man athmet, und Gesicht und Hände, ja selbst der mit Kleidern bedeckte Theil des Körpers wird dermaßen zer« stochen/ daß man eine Art Hantfiebcr davon bekommt. Selbst die Bauern trugen schon die Maske, aber die ihrige besteht nur aus einer Roßhaar-fiäche vor dem Gesicht, während das Neblige von weißem Kattun ist. Eine solche Maske ist jedoch heiß und stickend. Sie hatten die Noßhaar-fiäche nach dem Scheitel hinausgeschoben, uud der weiße Kattun umgab nun den Kopf wie ein Turban. Komlewsky sagte zu Gustav, daß er mich nicht zu sich einladen dürfte, da er wüßte, er könne mir nicht so aufwarten, wie es sich für einen so vornehmen Gast geziemte; er ließe mich aber bitten, diese Artikel, die wir nützlich finden würden, nicht zu verschmähen. Ich versprach ihm dafür, wenn er es wünsche, die Angabe der Lange und Breite des Ortes, sobald ich die Beobachtungen berechnet haben würde. Komlewsky wurde von den Bauern sehr gerühmt, was bei den niederen russischen Beamten eine große Seltenheit ist. Um halb ein Uhr Mittags, als wir aufbrechen wollten, wurden wir von einem Orkan mit ungemein starkem Gewitterregen überfallen, welcher die Nagoschen (Bastmatten) über meiner Kajüte zerriß, so daß das Wasser in Strömen herabfloß und alle meine Bücher und Papiere durchweichte. Wir blieben daher einen Theil des Nachmittags hier liegen, gingen gegen acht Uhr weiter, kamen eine halbe Stunde später durch eine Schewerä, und hatten nach neun Uhr wieder ein Gewitter und Negen. Den 13. Juni, um halb sieben Uhr Vormittags, gingen wir mit Regen über eine Schewer^ und eine Stunde spater über den Por6g An« linsky. und kamen daraus unter einen Fels am rechten Ufer, dessen unterer Theil aus horizontalen Schichten von verschiedenen Farben gebildet war, während der obere Theil aus vertical stehenden Massen einer andern Art, vielleicht des gewöhnlichen Sandsteins, bestand. Um zehn Uhr erreichten wir einen Porüg, der bis gegen Mittag anhielt, doch spater mehr als Schmer», zu betrachten war. Auf dieser Strecke sah man die schönsten, mit hellgrünem, frisch ausgeschlagenem und mit vom gestrigen Regen erfrisch. 102 Ein Iagdunglück. l>Kap. ten Laube bedeckten Felsen und Abhänge. Um Mittag fnhren wir am Kirchdorf Kowa vorüber, und passirtcn zwisä'en vier und sechs Uhr fünf verschiedene Schewerä's; ferner um acht Uhr eineSchewerä und um neun Uhr einen Porog. Hier muß sich also das Terrain stärker nach dem Ienisei senken. Sonntag den 14. Inui. am Pfingstfest der Russen, fuhren wir um halb zehn Uhr Vormittags dicht unter einem überhängenden Felsen des rechten Ufers von gelbweißem Stein, von welchem mir Gustav eine Probe brachte. Er sagte, der Felsen sei so zersprungen und bröcklich, daß er Stücke davon abreißen könnte. In Verbindung damit stand eine daraus folgende Sandbank, auf der ein Dorf Tschüdobetz mit einer netten Kirche lag. Die höheren Berge zogen sich nun immer mehr in den Hin» tergrund zurück. Um elf Uhr trieben wir unterhalb Tschädobetz am rechten Ufer ans Land. Der Kosak lieh sich eine. Due gehörige, doppelläufige Flinte, aus der Tnlaer Fabrik, um ein Volk wilder Enten zu schießen, welches dicht am Lande lag, und kroch deshalb anf dem Bauche das Ufer entlang nach ihnen hin. Einer von den fremden Ruderbaucrn kroch ihm nach nnd ergriff die Büchse, um zu schieße». Ich höre eiuen Schnß und sehe den Bauer aufspringen und sich jämmerlich geberden, indem er schrie: ei Brat! ei Brat! (ei Bruder). Der Lauf war zersprun» gen und hatte seine linke Hand zerrissen. Ich mußte zu meiner Reiseapotheke laufen, und machte zum ersten und letzten Mal Gebrauch von seinem blutstillenden Fluidum. Die Hand wurde mit einem darin eingetauchten Lappen verbunden, und das Blut dadurch bald gestillt. Als ich meine Freude über die rasche Wirkung dieses Fluidums äußerte, sagte Gustav, daß es wohl eher Koldun (ein Geist) wäre, der das Blut beim Lesen über der Hand gestillt hätte. Ob dies Ernst oder Ironie war, will ich nicht sagen, aber gewiß ist es, daß er es mit dem ernstesten Geficht äußerte. Vermnthlich hat der Kosak, der auf Händen und Füßen kroch, und die Büchse in der Hand auf die Mitte des Leibes hielt, so daß er den Kolben und die Mündung des Laufes gegen die Erde drückte, durch den Dn«jk den feinen Lauf gebogen, so daß er an der Stelle, wo der Bauer während des Schusses seine linke Hand anlegte, einen Riß bekommen hat. 5. Kap.) Tschädobetz. I^g Dreiviertel auf sechs Uhr Nachmittags machten wir uns zur Abreise be« reit. In dem Augenblicke kam eine Deputation von Tschüdobetz. welches uu» gefähr 3000 Schritt östlich von uns lag. Sie bestand aus einer Reihe Bauern, sechs bis sieben Personen, mit einer Frau an der Spitze, ein Jeder sein Geschenk tragend: Einer eine Schüssel mit frischen Eiern, ein Zweiter eine Schüssel mit frischen Hechten, ein Dritter ein flaches Gefäß aus Birkenrinde mit großen Stücken Osetrin, ein Vierter ein Fäßchen mit süßer Sahne, ein Fünfter drei große frische Brote u. f. w. Sie brachten Grüße vom Dorfe und baten mich, die Gaben nicht zu verschmähen. Ich ließ sie an Bord kommen, dankte ihnen und beschenkte sie mit Branntwein. Jeder, bevor er das Glas an den Mund setzte, kreuzte sich und bat Gott um eine glückliche Neise für mich. Ich bot ihnen darauf fünf Nubel als Trinkgeld an, allein sie riefen einstimmig: „Niet Bütuschka! (nein, Väterchen) wir nehmen nicht Geld; es ist dem Dorfe eine Ehre, daß ein Mann wie Sie ein geringes Geschenk von unS annehmen will." Eine Schaar hübscher kleiner Jungen schürzten ihre kreideweißen, leinenen Sonntagshosen über die weißen runden Schenkel ans, und wateten im Wasser, um ihre kleinen Schultern unter die Seite des Fahrzeugs zu stemmen und es vom Grunde abstoßen zu helfen. Sie standen noch lange und sahen uns nach, und ich schwang deu Hut zum Abschiede von ihnen. Gegell Abend wurde wieder der Seitenwind so heftig, daß der Schiffer sich genöthigt sah, bei einem anderen Der6wna anzulegen, wo sogleich zwei Frauen bis an die Hüften ins Wasser wateten um ein paar Holzböcke anfzustellm, auf welche dann Bretter zur Einrichtung einer Landungs« brücke gelegt wurden. Auch hier kam eine alte Frau mit einigen Kindern, um Fische und Eier zu bringen. Sie wollte ihre Gaben nur an den Barin oder Herrn selbst abliefern. Ich mußte also nach der Öffnung des Schuppens, um sie ans ihrer eigenen Hand zu empfangen. Sie wurde mit einem Schnaps bewirthet, und das ganze Gefolge mit Komlewsky's Waffeln. Ich ging ans Land und badete mich, ein paar tausend Schritte vom Dorfe entfernt, im Flusse; auf dem Nückwege kam dieselbe Fiau mit ihrem alten Manne, neue Geschenke bringend, und rief mir zu, ich möchte stehen bleiben; allein ich giug weiter, um nicht durch ein Gespräch tn Verlegenheit zu kommen, das ich ohne Gustav's Hilfe nicht in anständiger Weise durchführen konnte. In der Barke holten sie mich mit eincr 4M Das Dorf Wotaiwena. l5. Kap. Schüssel süßer Sahne und einem frischen, großen, runden hausbackenen Brote ein. Ich ließ den wackern alten Mann durch Gustav fragen, ob er Branntwein tränke. Er zuckte die Achseln und antwortete mit einem komischen Lächeln: „Ia greschni!" (Ich bin ein Sünder.) Er bekam nun seinen Schnaps. Ich kam erst gegen Mitternacht zur Nuhe und war kaum eingeschlafen, als ich. um zwei Uhr (den 15. Juni), durch die Anstrengungen der Mannschaft, um die Barke vom Grunde zu bekommen, geweckt wurde, und da dies sehr lange dauerte, so stand ich um drei Uhr auf und fühlte mich sehr matt. Später fiel ich ein paar Stunden in einen stärkenden Schlaf, bis ich gegen neun Uhr von den Vorbereitungen, über einen Porüg unter einer der gewöhnlichen lothrechtcn Felswände am linken Uftr zu fahren, geweckt wurde. Hier lagen noch sehr große, unaufgethaute Schneemafscn bis zum Ufer herab in den Felsschluchten und auf Abhängen, die. nach Norden ge< neigt, theils von Bäumen, theils von den eignen Unebenheiten des Felsens gegen die Sonne geschützt waren. Um zehn Uhr fuhren wir an dem Dorfe Wotaiwena auf dem linken Ufer vorbei, welches eine hübsche Lage auf einer Fläche am Fuße eines hohen. waldbedeckten Felsens hat. Unser Schmerka oder Simeon entdeckte, obscbon in ziemlicher Entfernung, einen hebräischen Bruder*) am Strande. An mehreren Stellen sahen wir an dem Tage Waldbrände. Am Nachmittage, nm fünf Uhr, ruderte ich ein Stück mit dem Schiffsboot und landete auf dem rechten Ufer, wo ich eine Menge dcr schönen Nollsteine aufsammelte, welche dasselbe bedeckten, und ein Boot mit Tungusen antraf, welche ihren Iasäk d. h. ihren jährlichen Tribut von Pelzwaareu abliefern sollten. Um halb zehn Uhr kamen wir am Dorfe Bogutschansk vorbei, welches eine hübsche weiße Kirche von Stein besaß. Den 16. Juni hatten wir die ganze Nacht gerudert, und als ich nach einem guten Schlafe um sieben Uhr hinaufkam, erzählte Gustav, daß unser Schmerka sich mit Entsetzen darüber beklagt hätte, daß er jetzt nicht mebr mit dem Messer der Bauern (der Mannschaft) Brot schneiden könne; ') Die Juden in Rußland dulden es nicht, daß man sie Schid (Jude) nennt, und antworten nicht, wenn sie mit diesem Namen angeredet werden. Aber ruft man: Icwru! (Hebräer) so antwortet er höflich: „Tschto ti cholsches?" (was willst Du?) 5. Kap.) Bedenklichkeiten der Juden. 105 „denn jetzt erschlagen die Buren die Läuse auf das Messer!" Die Juden sind ungemein eigen mit ihren Gerathen. Er hatte ein Messer zum Brot, ein anderes zum Käse, ein drittes zu unreineren Dingen, welche nicht eßbar find. Sie dürfen nur in thönernen Gefäßen kochen, und man darf nichts mit dem Messer oder der Gabel oder irgend einer Art Metall dar» aus nehmen. Eines Tages beklagte er sich bei mir darüber, daß „die dummen Kosaken seinen Topf genommen und Eier darin gekocht und dann die Eier mit einem zinnernen Löffel herausgenommen hätten, wodurch der Topf tref (unrein) geworden wäre, sodaß er ihn in den Fluß werfen mußte." Ich fragte ihn, wie sie die Eier wohl sonst herausbekommen sollten. — „Ih! sie konnten sie mit den Händen herausnehmen." — Aber das kochende Wasser ist nicht angenehm, sogar nicht für Kosaken-Fäuste. — „Sie konnten das Wasser abgießen und dann die Eier herausrollcn." — Gustav hatte einen neuen irdenen Topf gekauft, worin er Eier für mich kochte; Echmerla bat um Erlaubniß, hinterher Eier darin zu kochen; er stand dann die ganze Zeit bei Gustav um darauf zu sehen, daß der Napf nicht für ihn entheiligt wurde. Ich bot ihm am Anfange der Reise Thee an, wenn ich selbst getrunken hatte, aber er machte viele Entschuldigungen und bat endlich demüthig, ob er ihn in seine eigene Tasse gießen dürste. Da ich öfter seine Verlegenheit bemerkte, wenn ich ihm irgend etwas anbot, und daß er mit Höflichkeit und Hunger auf der einen, uud seinen Religionsbegriffen auf der anderen Seite im Streite lag. so hörte ich damit auf. Um ein Glas Bier und ein Glas Rum bat er jedoch in einem seltnen Falle, da sein Magen gar zu sehr in Unordnung war. Ich fürch, tete zuletzt, daß er vor unseren Augen verhungern würde, da Alles „tref" und Nichts „koscher" (rein) war. Er sagte einmal zu Gustav: „Der Herr Professor sagt, ich werde verhungern, und fragt mich, ob ich mit essen will; ach, was soll ein Jude wohl essen?" Gustav hatte eine Woche lang die ganze Schiffsmannschaft dadurch erheitert, daß er einen Lesezirkel bildete. Ich hatte die von Dr. Erman geliehene russische Uebersetzung von Walter Scott's Ivanhoe mit Hilfe eines russischen Wörterbuches, als Svrachübung. in Tomsk durchgearbeitet. Ich fand nun Gustav täglich in der Oessnung des Schuppens, die zu meiner Kabuse hinabführte, mit dem Buche in der Hand sitzen und um ihn her einen Halbkreis von andächtigen Zuhörern, die auf dem Deck 106 Gustau als Vorleser. l> Kap. mit übergeschlageneu Beinen saßen, nämlich Schmerka, die beiden Kosaken und so viele von der Mannschaft, als von den Ruderern entbehrt werden konnten. Sie blieben beständig in einem schallenden Gelächter, und machten ihre Bemerknngcn. Sie waren nun bis zum vierten Theil gekommen, und Gustav las den ganzen Vormittag. Schmerka ließ einen kläglichen Laut hören bei der Erzählung von Ncbelka's Drangsalen, aber sein Gesicht verzog sich zu einem freudige» Lächeln bei der Schilderung von ihrer Schönheit, Standhaftigkeit und cdelnDenkungsart; ebenso bei der Scene zwischen Ivanhoe und Isaak von York. der ihm ein Pferd und eine Rüstung verschafft hatte, und er rief begeistert aus: „Ja, Isaak ist ein guter Mann!" Als man ihn damit aufzog, daß Isaak sich nicht überwinden konnte, Gurt die zehn letzten Zechinen zu schenken, welche alle eine nach der anderen langsam in den Bcutel hinabfielen, da sie ja zu vollraudig waren, nm verschenkt zu werden, sagte er: „hm ja. der Jude liebt zwar Geld; aber Geld ist doch nicht die ganze Welt!" Sir Walter Scott lebte damals noch, und es würde ihm gewiß Freude gemacht haben, wenn er gehört hätte, daß er auf einem Flusse im Tungusenlande einen so andächtigen Kreis von Lesern hatte, bestehend aus einem Juden, zwei Kosaken, einem Schwärm sibirischer Bauern und einem esthnischen Leibeigenen. Um halb vier Uhr Nachmittags fuhren wir an der Mündung des Kämen vorüber, der von Norden herkommt und auf dessen hohem, wie eine Festungsmamr gebildetem Ufer das Dorf Kämen (der Stein) liegt. Am Abend zwischen neun und zehn Uhr. stellte ich bei dem Dorfe Potas» koiskaja Beobachtnngen an und fuhr dann weiter. Den 17. Juni waren wir gegen Mittag bei dem Dorfe Nybinskoi. dessen schöne weiße Kirche von Stein, mit blanken Kuppeln von Eisenblech, sich auf dem hohen Ufer erhebt. Um zwei Uhr wurden wir von einem Gewitterregen mit Sturm und Schloßen, so groß wie Nüsse, über» fallen. Alle Hagelkörner waren kegelförmig und sehr hart. die eine Hälfte durchsichtig, die andere weiß, als ob sie einen Kern von Schnee hätte. l_5in Blitzstrahl schlug augenscheinlich von nnten heranf. Während Don« ner und Blitz am heftigsten waren, bekreuzte sich die Mannschaft, kehrte sich nach dem Heiligenbild um und murmelte Gebete. Als aber der härteste Kampf der Elemente vorüber war, und nach einer Pause ein ferner Don» 5- Kap,^ Ankunft in Ieniseisk. 10? „erschlag hinter uns gehört wurde, wendete sich Einer von ihnen um, und sagte mit verächtlicher Miene das höhnendste Wort, das ein Russe nur gegen seinen Feind gebrauchen kann. Der Nüsse hat nämlich drei an Stärke zunehmende Schimpfwörter, womit sie einander bei Zankereien aufwarten. Das erste ist Duräk (Tropf, Narr); das andere Huudssohn (son os a dllok); das dritte enthält eine so häßliche Beschuldigung oder Zumuthung, wie sie wohl kaum ein anderes Volk ersonnen hat, oder von gebildeten Ohren gehört weiden kann, und doch kann man selten durch eine Straße in Petersburg oder Moskau gehen, ohne sie vom gemeinen Mann, selbst in der Nahe von Damen, auesprechen zu hören. Mit diesem Ausdrucke wartete er dem drohenden Donnergott auf, „aber auf eine weite Distanz von seinem Posten aus." Nach fünf Uhr erhob sich wieder ein rasender Sturm. Wir legten unter einer hohen Klippe am linken Ufer bei, uugesähr drittehalb Meilen von Nybinskoi und 3000 Schritt von der Mündung der BMaja, welche vor uns lag. Der Sturm hielt den ganzen Abend und die darauf folgende Nacht an. Am nächsten Vormittag, da das Wasser noch unruhig war, stieg ich um zehn Uhr auf den Fels hinauf und führte meine Beobachtungen aus. Um drei Uhr Nachmittags verließen wir endlich diese Stelle, kamen eine Stunde später durch eine Schewerü und waren um halb sechs Ubr an der Mündung der Tasei«wa. Den 19. Juni, Morgens halb acht Uhr kamen wir in den Ienisci, dessen Wasser eine grauliche Farbe hat, die auf eine weite Strecke von dem klaren Wasser der Wcrchnc-Tunguska unterschieden werden kann, indem sich die verschiedenen Wassermassen erst nach einem Laufe von etwa einer halben Meile vollkommen mit einander mischen. Um zwei Uhr fuhren wir an einer hübschen Kirche am linken Ufer vorbei, eine Meile von Ieniseisk entfernt, woselbst wir zwischen vier und fünf Uhr Nachmittags ankamen. Ich wnrdc hier von zwei Ober-Officieren (TschüstnyiPristaw). von denen mich der Eine an Bord meiner Barke empfing, in eine sehr nette Wohnung in der K6drowaia Ulitza (Ceder-Gasse) geführt. BeideOsficiere machten mir täglich ihre Aufwartung, nm sich zu erkundigen, ob ich etwas bedürfe. Den folgenden Tag stattete ich dem Stadtvogt einen Besuch ab, empfing am Nachmittag den Stabsarzt Alexei Iwanow Tadikow bei mir und machte am Abend einen hübschen Spaziergang längs den Ufern des Ienisei. lyg Der Jude Schmerka. Fiskal über ganz Sibirien die Protokolle aller niederen und höheren Beamten bis zum General-Gouverneur durchzusehen; — ein Mann. bei dessen Namen die Kniee aller Beamten zit-terten und den wir in Irkutsk getroffen hatten. und später an vier verschiedenen Orten fanden. Schmerka dankte mir für mein Benehmen gegen ihn und sagte, daß es ein großes Glück für ihn war, daß er mit mir gegereist sei, indem er hinzufügte: „Hätte ich niet mit dem Herrn Professor gereist, so hatten die Buren nück sehr schlecht behandelt, jetzt dürften sie niet, do sie sohen, daß der Herr Professor freindlich gegen mich wor. Die hiesigen Jude» hoben mich geftogt: „„wie hat der Herr Professor Dich behandelt?"" Ich höbe geantwortet: er Hot mich behandelt, wie ein Voter; er Hot mir Essen und Trinken gegeben, wenn ich nict mehr hätte. Ich höbe jetzt an mine Fro geschrieben, und erzählt, wie gut der Herr Professor gegen mich gewesen ist: Ich höbe dem lebendigen Gott für den Herrn Professor gebeten. jeden Morgen und jeden Obend, daß er sine Reise glücklich enden möge, und siue Fro und Kinder gesund finden möge im Voterlande" u. s. w. In der Woche, die ich in Ieniseisk blieb, um Vorbereitungen zu meiner Reife auf dem Ienisei nach Turuchausk unter dem Polarkreise zu treffen, die wissenschaftlichen Beobachtungen auszuführen und eine Menge Briefe nach Ost und West zu schreiben, kam er mehrmals und brachte mir bald ein Stück vorzügliches Hammelfleisch, bald frische Butter sür meine kleine Haushaltung; kurz er suchte aus alle mögliche Art seine Dankbarkeit auszudrücken; und doch mußte ich mir gestehen, daß Echmerla. in seiner Art ein gelehrter Mann, der einzige Mensch auf der Barke war, mit dem ich mich gern unterhielt. Seine kleine Frau besuchte ich später in Krasnojarsk und unterstützte sie bis zur Rückkehr ihres Mannes mit 5 Rubeln. Sie sprach ein noch schlechteres Deutsch als Schmerka. Ihre Briefe an ihren Mann waren mit arabischen Buchstaben geschrieben; aber in welcher Sprache sie abgefaßt waren, weiß ich nicht. Von dem dortigen Präsidenten Iwan Iwanowitsch Galkin bekam 5. Kap. I Capitain Puschin. lyg ich das Versprechen, daß er dies ehrenwerthe Paar unter seinen Schutz nehmen wolle. Am Nachmittag des 22. Juni erhielt ich einen Besuch von einem Adligen, Namens Puschin, ehemaligem Capitain im Generalstabe, der, nebst zwei andern Officiercu, die in den unglücklichen Aufstand verwickelt gewesen waren, nach Turuchansl verbannt, da er aber in dieser Polar» wüste durch Nachgrübeln über sein Unglück geisteskrank geworden, in ein Kloster in Ieniseisk gesperrt worden war. Sein Gang war noch rasch und voll adligen Anstandes, das Geficht edel, geschmückt mit einer Adlernase, die Augen aber eingefallen und von grünlichen Ningen umgeben; seine Kleidung war jammerlich und nicht frei von Ungeziefer. Er redete mich mit Gewandtheit in französischer Sprache an und fragte mich, ob ich Zutritt zum Kaiser hätte. In diesem Falle bäte er mich, demselben auf der Rückreise auseinanderzusetzen, daß er verkannt ware. Man hätte ihn verwiesen, weil er erklärt habe, daß er, um seines Gewissens willen, seinen Bruder, der am Aufstande betheiligt gewesen, nicht angeben könnte; dies hätte man aber so gedeutet, als ob er das nicht thun wollte, — ein Benehmen, welches er für eine Grobheit und Widcrspänstigkeit gegen Se. Majestät erklärte. Er fügte hinzu, daß er dem Kaiser in Betreff des damaligen Türkenkrieges wichtige Mittheilungen zu machen hätte. Ich suchte ihm vergebens deutlich zu machen, daß ich vielleicht keilie Audienz beim Kaiser bekäme, und wenn das auch geschahe, es sich nicht schicken würde, daß ich mich als ein Fremder in solche Sachen mit ihm einließe. Als er fort war und ich bald nachher auf den Flur trat, fand ich ihn dort, den einen Fuß auf einen Schemel stützend, und Gustav vor ihm auf den Knieen. Seine Beinkleider waren nämlich von unten an bis an die Kniee aufgerissen, uud Gustav hatte ihn um Erlaubniß gebeten, sie zusammenzunähen. Als Gustav später ins Zimmer kam. und ich ihn wegen seiner Gutmüthigkeit lobte, sagte er: „Ich weiß nicht, wie es mit mir ist. Herr Professor. Wenn ich einen solchen Menschen sehe, der einst gekleidet war wie eine Puppe, und dazu ein großer Mann, und jetzt so unglücklich ist, und schlechter gekleidet, als der ärmste Bauer, so wird es mir so sonderbar ums Herz." Durch die Fürsorge des General-Gouverneurs war eine Lodka (ein kleineres Flußschiff) bei einem Bürger, Namens Schadrm, für mich be« 110 Besuche in Ieniseisk. l5. Kap. stellt worden. Derselbe war Schissbauer und zugleich Schiffsfübrer zwi. schen Ieniseisk und Turuchansk, und hatte es für 300 Rubel übernommen , mich an den letztgenannten Ort zu bringen und wieder zurück. Die Lodka war eben fertig geworden und lag, neu und blank, auf dem Flusse. Ich ging am Nachmittage mit Gustav hin, sie zu besehen und bemerkte Puschin, der mit starken Schritten in die Klosterpforte eintrat. Auf dem Rückwege sah ihn Gustav durch die offene Kücheuthür, wie er mit der Mütze unter dem Arm seinen kleineu Theekessel auf einem Stecken in der andern Hand trug. Auf meine Frage, ob er mit dem Dichter Puschin verwandt sei, antwortete er, wenn ich nicht irre, mit Ja, aber das mag ein Misverstandniß gewesen sein. Dell 23. Juni entließ ich meine Kosaken von Irkutsk — welche, statt vor meiner Kajüte Wache zu halten, jedes Mal, wenn ich am Lande war. um zu beobachten, selbst hineingegangen waren und mich bestohlcn hatten — mit 20 Nubeln nnd einer scharfen Rede, und beschwerte mich später schriftlich über sie bei Murawieff, der über eiue solche Verletzung der Nationalehre sehr erbittert wurde und sie gebührend zu bestrafen ver> hieß. Um ein Uhr bekam ich Besuch vom Stadtvogt und Stabsarzt, von welchen der Erstere seine Besorgniß äußerte, daß sich Puschin über ihn beklagt haben möchte nnd mich deshalb für den nächsten Tag zum Mittagsbrot einlud. Bald nachdem sie weggegangen waren, traten zwei schwarzgekleidete Nonnen herein, von welchen die eine eine große zinnerne Schüssel, mit einem weißen beftanzten Tuche bedeckt, in den Händen hielt, und sich zunächst vor dem Heiligenbild kreuzte. AIs diese Ceremonie vor» über war, nahm die Eleganteste von Beiden das Wort, und indem sie mir Grüße von der Igumeua (Aebtissm) brachte, bat sie mich, diese Schüssel mit niedlichen, kleinen Brezeln anznnrhmen. Ich suchte, so gut ich konnte, meinen Dank und meine Ehrerbietung für die Aebtisfin und die Nonnen des Klosters auszudrücken. Bei dem Mittagsmahl am folgenden Tage war die Unterhaltung ein wuuderlichcs Gemisch von schlech« tem Russisch und schlechtem Latein, indem der Stabsarzt uud ich bisweilen Zuflucht zu der letzteren Sprache nahmen, wenn ich sein und des Stadtvogts Russisch uicht verstaub, oder mich in dieser Sprache nicht ausdrücken konnte. Den 26. Juni fand sich der Stadtvogt nnd der Stabsarzt bei mir ein, und der Erstere bat mich, vor meiner Abreise bei ihm Nachmittags 5. Kap.) Unsere Küchmangelegenhelten. HI den Thee einzunehmen. Bei diesem Abschiedsschmause war ein neunzig, jähriger Major zugegen, der unter der Kaiserin Elisabeth gedient hatte. Er trug die Uniform aus jener Zeit, nämlich einen hellgrünen, nach vorn rund abgeschnittenen Nock ohne Kragen mit breiten Schößen und großen blanken Knöpfen. Statt des Kragens war hinten im Nacken tin zwei Finger breiter, kirschbrauner Tuchstreifen befestigt, dessen beide Enden hinten auf den Nucken hinabhingen. Hierzu gehörte eine Weste von weißem Tnch, kirschbraunen Pantalons, weiße baumwollene Strümpfe und kurze Halbstiefeln. Er war ein munterer rühriger Man», welcher rasch zu Fuße war, scherzte und lachte und behaglich seinen Wein trank. Wir wurden nämlich mit Punsch und Champagner bewirthet. „Frankreich bringt die Weine hervor," pflegt man hier zu sagen, „die Russen trinken sie." Nachdem ich ein versiegeltes Packet mit 6300 Nnbeln dcponirt hatte, begleiteten mich dieser und der Stabsarzt gegen acht Uhr Abends an Bord meiner Lodka, und mein Schiffer Schadrin salutirte zum Ab, schiede mit einigen Ehrensalven. Für den Fall, daß Jemand die prosaische Frage aufwerfen sollte, wie die Bedürfnisse auf einer Barke mit sibirischen Bauern. mitten im Lande der Tungusen, verschafft werden konnten, will ich folgende Aufschlüsse geben. Je weiter wir in Sibirien vordrangen, desto mehr wurden wir es satt, ganze Monate von einem Stück gesalzener Ochsenzunge und einem Schnitt trockenen Brotes zu leben. Unser norwegischer Bediente, Anders Nielsen, jetzt ehrenwerther Pförtner der Universität, ließ sich unter Due's Anwei« sung überreden, sich in einigen der einfachsten Probleme der Kochkunst einzuüben. Gustav verachtete lange Zeit dies Geschäft, als unter seiner, eines Dolmetschers, Würde. Nachdem aber Nielsen mit Due nach Ja« kutsk gereist war und ich mit Gustav allein zurückblicb, bequemte sich der» selbe endlich zu diesem Geschäft, und da er zu allen Dingen anstellig war, so wurde er bald ein flinker Koch. Auf der Flußreise fouragirte er unaufhörlich in den Dörfern, und kaufte bald ein paar Hühner, bald einen Hasen. Schneehühner, Haselhühner. Auerhühner eine Mandel Eier u.s. w. Von Irkutsk halten wir NeiS, Zucker und einige Gläser mit eingemachten sibirischen Beeren mitgebracht. Er konnte eine gute Hühnersuppe bereiten, einen Vogel braten, Ragout zurechtmachen und Fische kochen, 112 Letzte Nachricht, von Murawieff. ft. Kap. womit uns die Dörfer gutwillig versahen. Eo lebte ich denn hier besser, als bei einem Wirthe in Irkutsk. Ich habe im Anfange dieser Skizze den Leser mit den Verhältnissen der Murawiessschen Familie im Jahre 1829 bekannt gemacht, und ich kann die Feder nicht weglegen, ohne mit wenigen Worten hinzuzufügen, was ich über ihr späteres Schicksal weiß. Nach meiner Abreise von Irkutsk correspondirte ich regelmäßig mit Murawieff und seiner Frau. Den letzten Brief von Beiden erhielt ich iy Omsk im October 1829. Mura« wieff schreibt unter Andcrm: J'ai recu enfin une lellre de Yous, Monsieur, un peu plus gaie, que loules celles, que Vous m'avez ecrites jusqu'ä present. Puissiez Vous conserver celle bonne humeur loujours; mais malgre le voeu, que je fasse pour une teile disposition, je doute de l'aceomplissement de mon desir sincere. L'eloignement, dans lequel Vous Vous Irouvez de volre famille, mellra toujours un obstacle ä votre Iranquillite, et Vous ne pouvez etre joyeux, qu' etanl de retour dans vos foyers etc. Nach der Rückkehr von Turuchansk war ich, theils von dcn Beschwerden und Anstrengungen der Reift, theils von der russischen Diät und anderen Uebelständen so kränklich und Hypochondrisch geworden, daß ich all' die weitläufige Correspondenz aufgab, die ich bisher, theils mit neueren Freunden im russischen Reiche. theils mit alteren Bekannten in anderen Gegenden Europas unterhalten Hatte. Dadurch verlor ich die Spur von dieser Familie, welche in der Hoffnung lebte, bald nach dem europaischen Rußland zurückkehren zu können. Alle die Versuche, welche ich spater machte. Murawieff's Aufenthaltsort zu erfahren, waren vergebens ; bis endlich unser Kadettenschiff im Jahre 1838 von Archangelsk zurückkehrte. Drei von den Osficieren kamen, einer nach dem andern, nach dem Observatorium und brachten nur Grüße vom Civil-Gouverneur in Archangelsk. Murawieff, der sie gefragt Hatte, ob sie den Professor Hansteen in CHiistiania kennten, und als sie dies bejahten, ihnen erklärte. daß derselbe sein bester Freund sei, und sie mit der größten Zuvorkommenheit aufnahm. Seine Frau war auf der Rückreise in der Nähe von Moskau gestorben. In Rußland wird der Verstorbene in einem offenen Sarge in 6. Kap-1 Reife auf dem Ienisei. 116 die Kirche getragen, wo über ihm eine Messe gelesen wird, nach deren Beendigung seine nächsten Angehörigen ihn küssen, worauf man den Sarg Meßt. Unsere Officiere erzählten, daß die Popen es Murawieff verboten hätten, in die Kirche zu kommen, um bei der Messe zugegen zu fein und den letzten Abschied von seiner Frau zu nehmen; welchen Umstand ich beinahe unglaublich finde. Ich kaun auf Frau v. Murawieff dasselbe Urtheil anwenden, welches Iouy in dem Werke. das fie mir zur Unterhaltung auf der Flußrcise lieh (l'iioi-rnils ä« Ia 0ti2U8866 ä'^,nlin), von einer jungen liebenswürdigen Pariserin fällt, die zu früh einem Kreise entrissen wurde, in welchem sie das belebende Plincip war, und welche ebenso geliebt als vermißt wurde: eile avail la lele ä'un Kamins, 1e corps cl'uns lemme ol lo eoeur d'un anFs. eile avail la lele d'un homme, le corps d'une femme et le eoeur d'un ange. Sechstes Kapitel. Reise auf dem Ienisei von Ieniseisk bis Turuchansk und zurück. Die großen Einöden, aus welchen das nördliche Sibirien besteht, sind von umherziehenden wilden Völkern, die von der Jagd leben, nur dünn bevölkert; der westlichste Theil, zwischen dem Uralgebirge und dem Ienisei, von Ostjäken; der mittlere, im Gouvernement Ieniseisk, von Tun-gusen und Zamojcden; und der weite östliche Theil vornehmlich von Ja» kuten. Da sich in diesen Gegenden weder Weg. noch Steg. noch Beförderungsmittel finden, so ist die Reise durch das nördliche Sibirien eine vollkommene Unmöglichkeit, ausgenommen auf den fünf großen Flüssen, die in das Eismeer münden, nämlich Ob. Ienisei, Lena, Indigirka und Kolyma. Or. Erman, der uns begleitete, ging auf dem Ob von Tobolsk nach Beresow, einem Flecken ungefähr unter dem 64. Breitengrade; Lieute. nant Due auf der Lena nach Irkutsk bis Willuisk, auch einem Flecken in einer öpen Gegend, gleichfalls uuter dem 64. Breitengrade. ich endlich auf dem Ienisei von Ieniseisk bis Turuchansk uuter dem 66. Breiteugrade. Ueber eine Reise in einem so öden Lande ist freilich etwas besonderes Merkwürdiges nicht zu berichten, da aber diese Gegenden so selten von Frem« Hansteen, «eise. « 114 Unzuverlässigkeit russischer Karten. ^6. Kap. den besucht werden und daher in Europa wenig bekannt sind, so wiN ich für den Fall, daß irgend ein Gelehrter eine Untersuchung dieser Wildnisse beabsichtigen sollte, meine einfachen Erlebnisse, die ihm als Fingerzeig dienen dürften, hier mittheilen. Der Ienisei läuft von Ieniseisk im Ganzen ziemlich gerade nach Norden, bis er ins Eismeer mündet. Seine östliche Lauge von Ferro bei jener Stadt beträgt ungefähr 109»/; Grad, bei seiner Mündung aber wird sie auf drei russischen Karten, welche ich besitze. verschieden angegeben, nämlich auf der einen zu 100 Grad, auf der anderen zu 101'/, Grad, und auf eiuer dritten Universalkarte über das ganze russische Reich von Maksimowitsch vom Jahre 1816 sogar zu 106 Grad. Wie wenig zuverlässig sogar die von deu russischen Autoritäten herausgegebenen Kar» ten über diese nördlichen Gegenden von Sibirien noch damals waren, kann man aus Folgendem ersehen. Die erste der erwähnten Karten ist eine Wegekarte, herausgegeben vom Poftdepartement in Petersburg im Jahre 1824 nach den Angaben der Lokalbehörden; die zweite wurde vom Kriegslartendepot in Petersburg im Jahre 1825 durch Posniakow, Lieutenant im topographischen Corps, veröffentlicht. Auf beide» Karten liegt der Fluß bei Ieuiseisk richtig unter 58 l/y Grad Breite, und ungefähr I092/4 Grad östlicher Länge; aber der Fluß laust von dieser Stadt auf der ersten Karte ungefähr nach Nordost, uud schneidet den sechzigsten Parallelkleis unter 112 Grad östlicher Länge; auf der zweiten Karte läuft er uach Nordwest, und schneidet dieselbe Parallele unter 107^ Grad östlicher Länge; der Unterschied zwischen diesen beiden Karten, welche fast zu derselben Zeit erschienen sind, beträgt also aus diese kleine Entfernung 4'/^ Grad, was in dieser Breite 33 Meilen gleichkommt. Auf der ersten Karte seht der Fluß noch ein gutes Stück seinen Lauf nach Nordost fort; auf der anderen geht er auf demselben Terrain gerade nach Norden. Un» geachtet die letzte Karte etwas weniger von der Wahrheit abweicht, als die erste, so fand ich doch durch meine astrouomischen Beobachtuugeu aus dieser Reise, daß, je weiter ich uach Norden kam, das Flußbett um so un« richtiger auf der Karte wurde. Die Stadt Turuchansk liegt z. B. uach meinen Beobachtungen unter 105°Grad 12 Min. östlicher Länge, auf der zweiten und dritten Karte unter 107 Grad 59 Min. östlicher Lauge, also 2 Grad 47 Min. zu weit östlich. Einige Jahre nach meiner Rückkehr wurde 6. Kap.) Das Reisen in Nordsibirien. H5 ein russischer Astronom. Feodorow. mit den nöthigen Instrumenten ausge. rüstet, nach dem nordöstlichen Sibirien geschickt, um die Lage einiger Hauptpunkte zu bestimmen, wodurch die Karten berichtigt werde» können. Längs den Ufern sowohl dieses als der anderen nach Norden laufenden Flüsse haben sich russische Bauern niedergelassen und hölzerne Häuser errichtet. Zwischen Ieniseisk und Turuchausk, eine Strecke von 921'/, Werst, oder ungefähr 132 Meilen, befanden sich fünf Kirchdörfer, zehn Dörfer ohne Kirche und neunundzwanzig Gruppen von Winterhäusern (Simowie), welche aus zwei bis fünf hölzernen Häusern bestanden. Diese Simowien find vielleicht anfangs nur angelegt worden, um den Reisenden als Zufluchtsort zu dicncu, weun er auf einer Flußwinterreise vom Unwetter überfallen wird, oder auch zum Winteraufenthalt für Baueru, die zu dieser Jahreszeit Fischerei auf dem Flusse treiben und haben davon diesen Namen bekommen. Als ich den Fluß bereiste, waren sie indeß alle bewohnt, obwohl es im Juli war. Drei derselben waren so kurze Zeit vorher angelegt, daß sie noch keinen Namen bekommen hatten. Hier sowohl, als im ganzen russischen Nciche, steht am Anfange jedes Dorfes ein hoher Pfahl mit einer Tafel am obersten Ende, auf welcher angeführt ist, wie viel Häuser und wieviel Seelen (Duscha) das Dorf enthält. Unter Seelen werden Manner verstanden; die Frauen werden nicht für Seelen gerechnet. Die Reise auf diesem Flusse geschieht iu folgender Weise: Obschon auf dieser ganzen Strecke keine Postpferde gehalten werden, kann man doch von Ieniseisl bis zr,m Kirchdorf Dubtscheskoie (61 Grad 1 Min. 35 Sec. Breite), durch freiwillige Uebereiukuuft mit deu Bauern, Pferde erhalten, womit man im Winter zu Schlitten auf dem Flusse fahren kann; die übrigen 83 Meilen zwischen Dubtscheskoie und Turuchansk, wo keine Pferde zu bekommen sind, fährt man mit Hunden. Im Sommer muß der Reisende eine Lodka miethen, womit er theils gen Norden segelt, wenn der Wind südlich ist. theils aber auch mit dem Strome schwimmt, wenn es still ist. Aber auf der Rückreise, gegen den Strom, kaun er nur segeln, wenn ein guter Nordwind weht; tritt dieser nicht ein, so muß das Schiff von Menschen oder Thieren geschleppt werden. Dies bewerkstelligt man auf folgende Art: An der Spitze des Mastes wird ein langes, dünnes Ziehtau festgebunden, welches Betschew^ genannt wird; an dem andern Eude dessel- 8* 11y Das Reisen in Nordsibirien. l6. Kap. ben sind vier oder sechs Seile von etwas verschiedener Länge befestigt. Das Ende eines jeden dieser Seile wird an dem ziehenden Menschen oder Thiere festgemacht, und ihre Länge ist verschieden, damit die Menschen oder Thiere im Vorspann (Podwüda) nicht genöthigt sein sollen, auf schmalem Ziehwege neben einander zu gehen. Nördlich von Dubtscheskoie müssen also Menschen oder Hunde als Podwödi gebraucht werden, südlich davon erhält man Pferde. Hierzu wendet man in der Regel fünf an, von welchen drei neben einander, und die beiden übrigen ihnen vorangestellt, die Enden der Ziehtaue aber an ihren Sielen festgebunden werden; ein Vorreiter lenkt die beiden vordersten. Wenn Menschen als Podwödi dienen, legt ein Jeder eine Siele aus vielfacher Birkenrinde wie einen breiten Riemen um den Leib, ein wenig unter den Schultern; auf dem Rücken wird mittelst eines Pflocks das Ende des Ziehtaues festgemacht, und nun wandern dieselben, in der Regel sechs Mann, in vorwärts geneigter Haltung, ziemlich raschen Schrittes Einer hinter dem Andern. Auch die Hunde werden aufdiese Weise mit kleinen Sielen von Birkenrinde zu einem Gespann zusammenge« koppelt, welches an den Enden des Ziehtaues befestigt ist. Da keine Land» wege längs den Usern angelegt sind, so geschehen alle Reisen und Transporte auf den Flüssen, und wenn die Bauern der einzelnen Dörfer oder Simüwien einander besuchen wollen, so geschieht es zu Kahne. Aber jeder Bauer hält ein paar Hunde, und um sich die Mühe des Ruderns, besonders gegen den Strom, zu ersparen, läßt er seine Hunde im Ziehtau gehen. Wenn er das Ufer hinab zu seinem kleinen Boote geht, so sieht man immer die Hunde ihm munter voraulaufeu, als ob es zu einer Lustpartie ginge. Es ist darum wahr, was die Kalmücken sagen: „Der Hund ist des Menschen Freund." Und doch ist es eines der verächtlicheren Schimpfwörter, das von Deutschen, Engländern und Russen im Zorne gebraucht wird: „Hund!" „son ol a dilok!« «sukkin syn!" Als ich am Abend des 26. Juni an Bord meiner Lodka kam, fand ich in meinem Schiffer Schadrin einen ansehnlichen, respec» tablen Mann, der vollkommen seine sechs Fuß maß. Er war, wie er mir erzählte, zum zweiten Mal verheirathet, und zwar mit einer jungen Frau von sechsundzwanzig Jahren, in die er sehr verliebt zu sein schien, und die er stets „Molodaja moja" (meine junge Frau) nannte. Wenn ein jüngeres Frauenzimmer sich mit der Vergötterung eines 6. Kap.) Russische Verbannte. H7 älteren, noch kräftigen, übrigens braven Mannes befriedigt fühlen könnte, so wäre eine solche Verbindung, wie die in Nede stehende, keine schlechte Speculation; denn da Schadrin wegen seines Alters — er zählte fünf» undsunfzig Jahre — ihre Hingebung nur als ein Gnadengeschenk anse» hen wollte, für welches er niemals untertbänig und dankbar genug sein zu können glaubte, so durfte sie sich überzeugt halten, ihn zeitlebens um einen Finger wickeln zu können. Schadrin hatte einen hübschen Sohn, Namens Nikita, von fünfzehn bis sechszehn Jahren bei sich, der als Schiffsjunge diente, und die übrige Mannschaft bestand aus einigen, gewiß nicht um ihrer Tugenden willen verwiesenen Personen, darunter ein alter Deutscher. Namens Schovpe. ein Ruffe mit aufgeschnittenen Nasenlöchern"), ein verunglückter Kaufmann von Ieniseisk, und ein paar Andere, deren Persönlichkeit meinem Gedächtnisse entschwunden ist. Mehr zur Ueber» stacht, als zum Schuh oder zur Aufwartung, hatte ich ein paar Kosaken zur Begleitung bekommen, denn mein Dolmetscher, Gustav Rosenlund, that mir jede Handreichung, deren ich bedürfte; ja er konnte sogar das Thermometer und das Barometer ablesen, den Sextanten auf sein Stativ stellen, und das Fernrohr auf das vom Queckfilberhorizont reflectirte Bild eines Fixstern richten, von welchen er einzelne erster Größe, die ich unaufhörlich beobachtete, kennen gelernt hatte. Wenn ich herauskam, nachdem er das Instrument in Ordnung gebracht hatte, fragte er deshalb gern: „Soll ich aufPolaris einstellen, HerrProfeffor, oder aufCapella, oder aufWega ?" Das Schiff glitt ruhig nach Norden mit dem Strome; aber in der Nacht konnte man vor Mücken nicht schlafen, und am Tage war die Hitze unerträglich. Am Nachmittag des nächsten Tages, als ich bei dem Dorfe Dubyuina mich im Flusse badete, um mich abzukühlen, war die Hitze in meiner Cajüte 18 Grad N. und in der Sonne natürlich weit bedeutender. In der Nacht und am ganzen folgenden Vormittag wurde die Luft durch einen anhaltenden Regen abgekühlt. Als wir am Abend des 28. nach dem Kirchdorfe Iartschew gekommen waren, trafen wir eine große Schaar Ostjaken, Männer, Frauen und Kinder, welche in Ieniseisk gewesen waren , um ihren Iaftk oder jährlichen Tribut, bestehend in Pelzwerk von Eichhörnern. Zobeln, blauen Füchsen und verschiedenen anderen Thieren, ') Verwiesenen Verbrechern wcrden die Nasenlöcher auf beiden Seiten aufgeschnitten, indem ein keilförmiges Stück weggeschnitten wird. Hg Ostjäken. st- Kap. abzuliefern, und jetzt auf einem Nebenflusse, Symen, der sich von Westen her in den Ienisci ergießt, nach ihren Einöden zurückkehrten. Jedes ihrer großen und leichten, mit Birkenrinde nnd Thierfellen bekleideten Boote, wurde von drei Hunden geschleppt, welche, während sie ruhten, an Pfähle längs dem Ufer festgebunden waren; neben ihnen saßen Weiber und Kinder auf dem Sande. Sie hatten schwarze, blitzende Augen, manche ein säst schwarzes Gesicht und eine sehr kleine und leichte Gestalt. Eines von den Frauenzimmern trug ein carmoisinrothes Hemd oder Kastan von Baumwollenzeug und war, wie man sagte, die Frau eines OstMn» fürsten, welcher den Iaftk überbracht hatte, und zur Zeit den Kreisamtmann, vielleicht als Dolmetscher, auf seiner Amtsreise begleitete. Uebri« gens zeichnete sie sich nicht sonderlich vor den Anderen aus, und es wurde ihr auch keine besondere Aufmerksamkeit erwiesen. Einige Andere hatten Kaftane von blauer Farbe. Ihre Sprache klang meinen Ohren wie Mongolisch ; nur wenige derselben verstanden Russisch. Sie waren mit Bogen bewaffnet und trugen einen wohlverfehenen Köcher aus dem Rücken. Wir baten sie, uns ihre Fertigkeit im Bogenschießen zu zeigen, und sie ließen sich sogleich hierzu bereit finden. In der That ist ihre Gewandtheit, sowohl weit als sicher zu schießen, äußerst merkwürdig. Sie stellten eine von den Querbanken aus ihrem Boote, die kaum mehr als sieben Zoll breit war, auf einer hoben Sandbank auf und schössen, in 2 — 30t) Fuß Entfernung, einen Pfeil nach dem andern ins Brett. Selbst drei ganz kleine Jungen hatten ihre kleinen Bogen und Pfeile und schössen, wenn auch in weit geringerer Entfernung, nach dem Brette, das sie selten verfehlten. Der Bogen war ein einfacher, sehr wenig gebogener Wachholderstab, den sie beim Gehen als Stock benutzten. In der Mitte war er dovvelt und merklich dicker, damit er nach den Enden hin die größte Biegsamkeit haben konnte. Die Stäbe, woraus er bestand, waren mit starken, dicht umwundenen Bindfäden oder Darm« schnüren zusammengebunden. Wenn der Oftjäke schießen wollte, beobach. tete er zuerst dieselbe Vorsicht wie Lokslcy oder Robin Hood in Walter Scott'S Ivanhoe, indem er das eine Ende des Pfeils gegen das Auge hielt, läugs demselben zielte lind itm ringsum drehte, und dann wieder, holt ihn richtete und bog; darauf zog er den linken Arm aus dem farbigen Hemd oder Kastan, faßte mit der linken Hand den Bogen in der Mitte, 6. Kap.) OMken. ^y legte mit der rechten Hand die hinterste Endfläche des Pfeils an die Darmschnur, die er mit aller Macht zurückzog, während der linke Arm ausgestreckt war, zielte ein wenig und stieß, indem er die Schnur losließ, die linke Hand mit dem Bogen in der Richtung des Zieles rasch vorwärts, um die Geschwindigkeit des Pfeils zu vermehren. Damit die Darmschnur, wenn sie gegen das Handgelenk schlug, es nicht verwundete, hatte jeder Ostjäke au der inneren Seite des Handgelenks ein mit Figuren verziertes Messingblech oder eine dünne Hornplatte, die mit einem Riemen befestigt war, um den Schlag aufzunehmen. Die Pfeile waren am hintersten Ende in zwei zu einander lothrechte Schnitte gespalten, worin Federn befestigt waren, um deren Bewegung zu lenken. Sie hatten vier verschiedene Arten Pfeile zu verschiedenem Gebrauch. Die eine Art hatte nur einen runden Holzklotz am Ende, ungefähr wie eiu Rettig; diese wurden gebraucht, um kleine Vögel, Eichhörner und andere kleine Thiere, deren Fell zu Pelzwerk angewendet wird und welches nicht beschädigt werden durste, von den Bäumen herunterzuschießen. Das Thier wird durch den Stoß schwind-lich gemacht, und fällt vom Bauine herunter. Eine andere Art hat eine lange, dreieckige, eiserne Spitze, und wird bei größeren Thieren, wie Hasen und größere Vögel, angewendet. Bei den größten und gefährlichsten Naubthicren gebraucht man Pfeile, die nack vorn mit einem stachen dünnen und sehr scharfen Stück Stahl, ungefähr in der Form eines stachen Meißels von gegen einen Zoll Breite, verschen sind; und damit die Wunde noch gefährlicher werde, ist die Schneide an einigen derselben wie ein Schwalbenschwanz, mit zwei dünneu hervorragenden scharfen Spitzen, ge, bildet. Mit diesen werden Bären, Wölfe, Füchse und — Flüchtlinge geschossen. Um nämlich die nach diesen rauhen Gegenden verbannten Unglücklichen an der Flucht zu verhindern, hat die Negierung den Ostjäken gestattet, eine jede unbekannte Person, die nicht zu ihrem Stamme gehört und die sich auf ihrem Gebiete einsindet. niederzuschießen. In dem von Russen bewohnten Theile Sibiriens wird Jeder, der nicht mit einem Pa^e versehen ist, als Herumtreiber angehalten und gefangengesetzt; wird er im europäischen Nußland angetroffen, so schickt man ihn «ach Sibirien. Unter solchen Umständen kann sich also der Verbannte seinem Schicksal nicht entziehen. Einzelne haben es daher versucht, sich dadurch zu retten, daß sie längs den Ufern des Eismeeres nach Westen wanderten, um 120 Die Upadajustschi. l6- Kap. Archangelsk zu erreichen, aber sie kamen entweder vor Hunger und Kälte um. oder wurden von wilden Thieren zerrissen, oder von den Pfeilen der Ostjäken getödtet. Einem einzigen Manne, so erzäblt man, ist es auf diese Art geglückt. Archangelsk zu erreichen, nachdem er ein ganzes Iabr auf der Wanderung zugebracht hatte. Für all' die Noth und Gefahr, die er in diesem Jahre ausgestanden, hatte er wohl die Begnadigung verdient, die er erhielt, als seine Ankunft iu Archangelsk nach Petersburg gemeldet wurde. Nachdem das oben beschriebene Probeschießen vorüber war, wurde Einer von der Gesellschaft mit einer Kasserolle, worin er Branntwein zu erhalten wünschte, zu mir geschickt; da wir aber keinen zur Hand hatten, gab ich ihm einen Rubel, um ihn nach Belieben zu verwenden. Den 1. Juli kam eine Ambassade von Bauern in einem Boote zu unserer Lodka, um mir ein Gesuch zu überreichen. Sie gehörten zu einer Secte. welche Uvadajustschi *) (Drauffallende) heißt, in Folge einer besondern Sitte, welche beobachtet wird, sobald ein heirathslustiger Mann seine Neigung zu erkennen geben will, mit einem Frauenzimmer zusam« men zu leben. Ein solches Zusammenleben ist in dieser Secte zwischen Bruder und Schwester statthaft, und die Glieder derselben wollen bei Schließung des Vereins von priesterlicher Weihe nichts wissen, sondern halten ihr oben angedeutetes Ceremonie! für ausreichend. Da nun die russischen Popen und andere Geistliche gegen diese Unregelmäßigkeiten eifrig proteftirten, wandten sich jene Lente an mich, den sie für einen hohen russischen Beamten hielten, um Rath und Beistand zu erhalten. Ich verwies sie an den Gensdarm-Obersten Maslow, dessen Ankunft, wie erwähnt, in Turuchansk erwartet wurde. Je weniger aufgeklärt ein Volk ist. desto mehr ist es zum Sectenwesen geneigt. Es ist dann nichts weiter nöthig, als daß ein, mit einem guten Mundwerk versehener balbver« rückter Fanatiker oder gar Betrüger mit einer noch so albernen Erklärung einer Bibelstelle auftritt, um. sich Anhänger zu verschaffen, besonders wenn dieselbe den Lüsten des Volkes schmeichelt. Es hilft nichts, daß man deren Ungereimtheit und Uuverständigkeit zeigt. „Ueber Mysterien der Religion," antwortet man, „muß man nicht grübeln, der Verstand soll ') Upadajustschi. vom Zeitwort upadaju, d. h. ich falle, falle auf etwas. 6. Kap.) Eine sibirische Landplage. 121 gefangen genommen und getödtet werden." Bei solchen Grundsätzen giebt es keine so große Thorheit, auf die man nicht verfallen fönnte. Daher entstehen und gedeihen Eecten im Allgemeinen unter dem unwissenden Volke: so in Rußland die Upadajustschi und Etariwari; in Frankreich die Socialisten und Fourieristen; in England die Puritaner; in Schwe« den die Leser; in Amerika die Mormonen; in Norwegen die mehr respectable Eecte der Haugianer und in der letzten Zeit unter den Lappen Fanatiker, die durch'Mord und Brand Proselyten zu machen suchen. Auf dieser Reise litt ich sehr an Schlaflosigkeit, welche theils von der ungewöhnlichen Hitze, theils von der Unruhe auf dem Schiffe. beson« ders aber von einem unzähligen Schwärme abscheulicher Mücken herrührte, die man mit Recht I'ui-ia mlei-naüs nennen konnte. Die vorhergehende Nacht war mein Schlaf durch den Besuch von drei schwimmenden Eichhörnern gestört worden, welche das Schiff bestiegen und von der Mannschaft verjagt wurden. Zwei derselben schwammen zurück; das dritte ver» suchte es ein paar Mal, aber vergebens; es mußte umkehren, und wurde gefangen. Die folgende Nacht verbrachte ich völlig schlaflos wegen der Menge von Mücken, welche durch die nicht dichten Wände von ungehobelten Brettern und die plumpe, sebr unvollkommen schließende Thür in meine Kajüte eingedrungen waren. Ich mußte mich am Tage zwei Mal im Flusse baden, um meine überreizten Nerven zu erfrischen und das von unzäbligen Mückenstichen verursachte Hautsieber zu beseitigen. Niemand, der solche Gegenden nicht selbst besucht hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, welche Landplage diese Insekten sind. Wenn man am Strande ging. besonders aber wenn man es wagte, sich einem kleinen Gebüsch in geringer Entfernung vom Ufer zu nähern, wurde man von einem so dichten Schwärm umgeben, daß man in einem dicken Nebel oder einer Rauchwolke zu gehen glaubte, und die Mücken drangen beim Athmen in Mund und Nasenlöcher ein. Bei einer solchen kleinen Excursion war ich einmal dem Ersticken nah. und mußte voll Angst und im stärksten Laufe die Flucht nach dem Ufer hin ergreifen, wo die Zahl der Mücken. wegen eines geringen Luftzuges und etwas mehr Kühle, kleiner war. Bei solchen Gelegenheiten schützte ich mich soust einigermaßen durch Handschuhe und durch die mir vom Assessor Komlewsky in Keschemy verehrte Mückenmaske. Stellte ich aber am Ufer Beobachtungen an, was in der Regel einige 122 Eine sibirische Landplage. H. Kap. Stunden täglich wegnahm, und sollte während der Beobachtungen das Buch und den Chronometer in der linken, den Bleistift in der rechten Hand halten, so mußten die Mückeumaske und die Handschuhe abgenommen wer. den und dann erforderte es große geistige Anstrengung. um trotz der unzähligen, unausgesetzten Stiche auf Gesicht und Hände unbeweglich dazustehen und die volle Aufmerksamkeit auf das Instrument und die Uhrschlage zu richten, wenn die Zeitmomente bis auf '/,„ Secunde genau angegeben werden sollten. In der Nacht legte ich mich völlig angekleidet und mit der Mückenmaske über den Kopf auf die Matratze, weil aber das Haartuch nicht steif genug war, um vom Gesicht abzustehen, sondern auf der Nasenspitze einsank, so fetzten sich die Mücken auf diese Stelle und stachen meine Nase dermaßen auf, daß sie ganz roth und geschwollen war. Da ich eine unerträgliche Hitze und ein Jucken auf den Füßen empfand, obwohl dieselben mit dünnen russischen Saffianschuheu bedeckt waren, 'so untersuchte ich die Ursache, und fand zu meinem Erstaunen beide Füße an der Oberfläche mit einem Muster von verschiedenen Rosetten — einer genauen Kopie in rothen Mückenstichen von all den Rosetten, die sich auf dem Oberleder meiner russischen Pantoffelnstiefeln befanden, — gestickt. Das Oberleder und die Schäfte derselben bestehen nämlich aus rothen, grünen und gelben Saffianstückchcn. die zu verschiedenen Rosetten ausgeschnitten und mit Seide zusammengenäht sind; und durch jeden dieser Nadelstiche hatten Mücken ihren Saugrüssel gesteckt. Wenn ich in mci» ner Kajüte saß, um meine Beobachtungen zu berechnen, so war ich ge> nöthigt, bis fünf Mal die Feder wegzuwerfen, um Mücken todtzuschlagen, ehe ich einen Logarithmus von fünf Stellen niederschreiben konnte. Brachte ich die Feder aufs Papier, so mußte sie weggeworfen werden, um eine Mücke zu todten, die sich auf die rechte Backe setzte; kaum war die Feder ergriffen, als sich eine Mücke auf die linke Hand setzte, sodaß die Feder wieder weggeworfen werden mußte; in demselben Augenblick stach mich eine Mücke ins Bein u. s. w. Wer in einiger Entfernung einen Mann betrachtete, der sich unaufbörlich selbst ohrfeigte und auf verschie-dene Theile seines Leibes schlug, mußte ihn entweder für verrückt oder für einen Menschen halten, der sich die seltsame Buße der Selbstgeißelung auferlegt hatte. Ich ließ endlich meine Kajütenthür ein wenig verbessern und die Oeffnungen in den Bretterwänden mit Fichtennadeln zustopfen, 6. Kap.1 Das Kloster Troitzkoi. 123 während Gustav die Mücken auf folgende Art vertrieb. Er legte in eine Schaale glühende Kohlen, auf diese Holzspäne und gedörrten Kuhmist, und mit diesem Apparat räucherte er in der Kajüte so lange, bis er hustend, vom Rauche fast erstickt und mit thranenden Allgen herausgestürzt kam. Dadurch wurden die Mücken verjagt, jedoch nur auf eine kurze Zeit, denn ehe noch eine Stunde verging, war das Elend wieder dasselbe. Um sich in der Nacht einigermaßen vor den Mücken zu retten, legten sich einige von der Schiffs Mannschaft unter die nassen Segel auf dem Deck. In seiner Verzweiflung, ein paar Nächte nicht haben schlafen zu können, setzte Gustav eines Abends das Branntweinfäßchen vor den Mund und spülte wenigstens ein Quart hinunter. Darauf legte er sich mit unbedecktem Gesicht auf dem Verdeck auf den Rücken und siel wirklich in Schlaf; aber am nächsten Morgen war sein Gesicht ganz geschwollen und kupferfarbig. Vom 3. bis 5. Juli schritten wir ohne bedeutende Abenteuer in nördlicher Richtung fort. Das linke Ufer war ganz flach und bestand aus angeschwemmtem Flußsand; weiter ins Land hinein sah man einen niedrigen Laubwald. Am rechten Ufer zog sich eine Hügelkette hin, die in weiterer Entfernung gleichfalls mit Wald bewachsen war. Den 6. Juli Nachmittags kamen wir zum Kloster Troitzkoi, einem ansehnlichen weißangestrichenen Gebäude von Stein mit einem hübschen Thurm, auf dem linken Ufer der Nischne - Tunguska, die vom östlichen Tuugusen-lande etwas südlich von Turuchansk in den Ienisei mündet. In einer Kapelle auf dem Hofe besah ich mir eine Grabesplatte von gegossenem Eisen über einem Mönche, Namens Tycho, der die Erbauung des Klosters veranlaßt hatte, indem, er das nöthige Bauholz von Ieni« seisk herbeischaffen ließ. Auf der Grabesplatte steht der eiserne Har» nisch, den er während dieser Arbeit trug. Man denke sich zwei Eisen-stangcn ungefähr von der Dicke und Breite wie das gewöhnliche Stangcn-eisen. dergestalt gebogen, daß sie, etwa wie ein Tragband, über die Schultern gelegt werden konnten, indem das eine Ende bis zur Brust, das au» dere über den Rücken herabging. und beide Enden etwa bis zum Gürtel reichten. Diese zwei Eisen waren an zwei elliptische eiserne Ringe festgenietet, welche den Leib umgeben sollten, der eine dicht unter dem Arm, der andere unten an der Mitte des Leibes. Um diesen Harnisch leichter anlegen zu können, hatte jeder von diesen Ringen nach hinten nn 124 Elne Legende. 16. Kap. Charnier und war nach vorn, gegen die Brust hin, offen, wo er mit einem eisernen Stift geschlossen werden konnte. Tycho wurde später Iöromonach (heiliger Mönch) und nach seinem Tode kanonisirt. Das Kloster wurde zuerst von Holz erbaut, und die Grabesplatte giebt an, daß Tycho 1652 starb. Ich ließ den Abt Apollos fragen, in welchem Jahre das Kloster erbaut wäre und erhielt in einigen höflichen Zeilen die Antwort, dies sei 1660 geschehen. Vermuthlich wurde also das jchige hübsche Gebäude von Stein erst nach Tvcho's Tode vollendet. Auf der Grabesplatte steht, daß es 1671 vollendet wurde. Auf einer anderen Grabesplatte in derselben Kapelle über der Gruft eines Handlungsdieners. Namens Wasilei Mutschennik, findet sich folgende Nachricht: Von seinem Prinzipal wurde er von Ieniseisk mit einer Quantität Korn nach einem demselben gehörigen Magazin in Turu-chansk gesandt. Wasilci hatte eiueS Tages das Magazin verschlossen, um nach Troitzkoi zu reisen und dort dem Gottesdienst beizuwohnen. Ill der Zwischenzeit kommt der Kaufmann von Ieniseisk, und findet das Magazin erbrochen und die Waaren gestoblen. Er schickt darauf einen Boten an Wasilei mit dem Austrage, sich augenblicklich einzufinden, aber Wafilei will, wie Fridolin, erst den Gottesdienst zu Ende hören, und dieser Bescheid erregt in seinem Prinzipal den Verdacht, daß er mit zur Diebesge» sellschaft gehöre. Da er nun endlich kommt, so prügelt ihn sein Herr, um ihn zum Gestandniß zu bringen, und da er fortfahrt, seine Unschuld zu betheuern, so mishandelt ihn Jener so lange, bis er stirbt, und wirft den Leichnam dann in einen Morast. Nun hört Tycho, daß man bei Sonnenuntergang ein Kreuz sich habe an dieser Stelle des Morastes erheben sehen, und daß sich andere Wunder gezeigt hätten; jetzt wird er über» zeugt, daß Wafilci unschuldig den Märtyrertod um der Religion willen gestorben sei. Er geht darauf an die bezeichnete Stelle, findet die Leiche, schleppt sie nach dem Kloster und begräbt sie in heiliger Erde. Die Legende fügt noch Folgendes hinzu: Als das Gerücht von diesen Wundern nach Moskau kam, wurde ein Archhierei in Tobolsk von der Synode beauftragt, nach Turuchansk zu reisen, um die Sache zu untersuchen. Es war zur Winterzeit, und der Erzbifchof wählte den kürzesten Weg, der durch die von den Ostjäken bewohnten Einöden führt; da er indeß, nachdem er mehrere Wochen gefahren war, so sehr von der Kälte gelitten hatte, daß 6. Kap.) Feierlicher Empfang. 12K er für sein Leben sichtete, so beschloß er umzukehren. Aber indem er den Schlitten nach Südwest lenkte, drehte sich sein Kopf wie eine Kompaßnadel auf ihrem Stifte um, sodaß sich das Gesicht nach dem Kloster Troitzkoi wandte; als er aber den Schlitten nach Nordost kehrte, kam sein Kopf wieder in seine richtige Stellung. Nachdem er dies Experiment drei Mal mit demselben Resultat wiederholt hatte, sah er wohl ein, daß es Gottes unabänderlicher Wille sei, daß er die Reise fortsetzen sollte. Den 7. Juli, Morgens halb sieben Uhr, meldete Schadrin durch drei Schüsse meine Ankunft in Turuchansk. und ich sah mit Schrecken, daß eine große Schaar von Beamten der Stadt zu meiner Bewillkomm« nung angestiegen kam. Da ich aber vor Hitze, Mücken und dem Lärm der Leute während der ganzen Nacht wenig geschlafen hatte, indem das Schiff in einen schmalen Flußarm, an welchem die Stadt liegt, geschleppt wurde, und da doch nach einer durchwachten Nacht ein Bischen Toilette nöthig war, wenn man, selbst nahe am Polarkreise in Sibirien, den Beamten einer ganzen Kreisstadt Audienz ertheilen sollte, so war ich froh, daß Gustav, meine Verlegenheit ahnend, der Deputation anzeigte, daß ich schliefe. Zwischen acht und neun Uhr Vormittags war ich mit allen meinen Apparaten bei einem wohlhabenden Kosaken in einem den Umstän-den nach sehr guten Quartier. Ich beschloß, die ersten Tage mit Beobachtungen zuzubringen, da das Wetter sehr vottheilhaft war, und man wohl ungern eine solche Reise vergebens gemacht haben möchte, wenn es später ungünstig werden sollte. Ich nahm mir daher vor, weder Besuche zu machen, noch anzunehmen, es mochte sein wer es wollte, hielt zu dem Ende meine Thür verschlossen und schlug mit Gustav's Hilfe jeden Versuch , zu mir einzudringen, kühn zurück. Als ich indeß um halb zehn Uhr meinen Sextanten und Chronometer nach dem Kirchhofe hatte bringen lassen, um einige Sonnenhöhen zur Bestimmung der Zeit und der Polhöhe zu messen, und eben die Arbeit beginnen wollte, kam der ganze vom Kreischcf entsendete Schwärm wieder amnarschirt. Ich mußte mich daher umdrehen, und um Entschuldigung^bitten, da ich beschäftigt wäre. Spater hielt ich, wie gesagt, die Thür verschlossen, und wenn ich mit den magnetischen Instrumenten auf der Straße stand, ließ man mich in Ruh. Da ich aber einmal einen Augenblick versäumt hatte, die gewöhnliche Vorsicht zu gebrauchen, drängte sich der Protovov des Ortes in mein Zimmer, 126 Ungebetene Gäste. st. Kap. um mich zu bewillkommnen. Ich mußte nun gute Miene zum bösen Spiel machen und die Conversation versuchen, die ein Gemisch von lateinischen lind russischen Phrasen war, da der geistliche Herr, der mir die Mühe er« sparen wollte, mich in russischer Sprache auszudrücken, einige lateinische Glossen einmischte, um mir bemerklich zu machen, daß er dieser Sprache nicht ganz unkundig sei. Gr erzählte mir, daß er Tolstoi Noß. welches unter 71 Grad 55 Min. Breite an der Bucht liegt, wo sich der Ienisei ins Eismeer mündet, besucht habe, und beschrieb die weit größeren Beschwerden, welche man erdulden müsse, wenn man nördlicher als Turu-chansk gehe, mdcm menschliche Hilfe fehle und besonders die Menge von Mücken noch unleidlicher sei. Mit diesem Bericht stimmte auch später Schadrin überein, als ich ihn überreden wollte, mich bis zur Mündung des Flusses zu bringen, und schlug es mir rundweg ab, sodaß dieser Plan ausgegeben werden mußte. Beim Abschied des Protopopen tranken wir ein Glas Portwein zusammen auf beiderseitige Gesundheit. So verging der erste Tag in angestrengter Arbeit und unleidlicher Hitze. Die Temperatur war in freier Luft im Schatten 25 Grad li. In Folge dieser starken Hitze ist es Turuchansker Sitte, im Sommer während des Tages Siesta zu halten, und erst um Mitternacht die Arbeit zu beginnen. Da nun mein Wirth Handel trieb, so fing es also um Mitternacht an im Hause lebendig zu weiden, wodurch ich ebenso sehr in meinem Schlafe gestört wurde, als durch folgenden unglücklichen Umstand. Im Begriff einzuschlafen, fühlte ich nämlich ein unglaubliches Jucken an verschiedenen Theilen des Körpers, und warf daher die mit weißem Zie-genfell bezogene Bettdecke ab und bedeckte mich statt deren mit meinem Schlafrock. Aber die Folge war, daß dieser einen großen Theil der abscheulichen Besatzung der Bettdecke aufnahm, welcher dann wieder auf meine anderen Kleider verpflanzt wurde, sodaß ich nicht eher von dieser Plage befreit wurde, als bis Gustav bei der Rückkehr nach Ieniseisk meine Kleider in eine russische Badestube hing, wo die Wasserdämpfe von 50 Grad k. die ungebetenen Gäste vertrieben. Den folgenden Tag hielt ich, wie am Tage zuvor, die Belagerung aus. Schadrin kam und erzählte mir, daß der Kreischef ihn zu sich ge< rufen und ihn gefragt hätte, was ich für ein Mann sei; ob ich so stolz wäre, weil ich mich einschlösse und Niemand sehen und empfangen wollte, 6. Kap.) Besuch beim Kreischef Tarassow. 127 da er doch seinen Beamten die Ordre gegeben, mich willkommen zu heißen? Darauf habe er erwidert, daß ich allerdings ein sehr vornehmer Mann sei, dem viel Ehre erwiesen würde, daß ich aber an Bord der Lodka oft mit ihm und den Leuten gescherzt, ja sogar manchmal selbst gerudert hätte. Auf die Frage, ob ich denn so heilig wäre, da ich keinen Beamten, sondern nur einen Popen empfangen, dem ich sogar ein Glas Portwein vorgesetzt hätte, habe er nichts Anderes zu erwidern gewußt, als daß ich mit meinen Instrumenten sehr beschäftigt wäre und nur wenig Russisch verstände. Nachdem ich dem 9. Juni um die Mittagszeit einige Sonnenhöhen gemessen hatte, besuchte ich einen Landvermesser, der mich Tages zuvor auf der Straße hatte anreden wollen, während ich mit magnetischen Beobachtungen beschäftigt war, und den ich deshalb hatte abweisen müssen. So können Höflichkeit«- und Ehrenbezeigungen manchmal eine wahre Plage werden, wenn man dadurch Gefahr lauft, seineu Hauptzweck zu verfehlen, und ich vermuthe, daß Herr v. Humboldt während seiner Reise in Sibirien in demselben Jahre stets denselben Uebelstand zu beklagen gehabt hat. Der Landvermesser schenkte mir eine Manuscript-Karte, welche den Lauf des Ienisei zwischen dem 59. und 68. Breitengrade nebst allen an seinen Ufern angelegten Dörfern enthielt, was mir auf dieser beschwerlichen Reise von großem Nutzen war. Darauf besuchte ich den Natschalnik (Kreischef) Iwan Kyrilowitsch Tarassow, der sich auf einer Visitations-reise einige Zeit hier aufhielt. Er nahm mich sehr Höftich und freundlich auf uud lud mich für den nächsten Tag zu Mittag ein, welche Ehre ich mir indeß mit seiner Erlaubniß für den darauffolgenden Tag erbat, da ich am nächsten Tage mit den nöthigen Arbeiten noch nicht fertig war. Am bestimmten Tage fand ich mich bei ihm ein. Ich hatte gehofft, die Beamten bei ihm zu finden, die er beauftragt hatte, mich bei meiner An> kunst zu bewillkommnen, uud vornehmlich ein paar verbannte Ingenieur-Officiere, die, wie ich wußte. Französisch verstanden, und deren ich mich, dem Kreischef gegenüber, als Dolmetscher hoffte bedienen zu können. Ich war daher arg getäuscht, als ich mich mit meinem Wirthe allein fand, und um diese unbehagliche Stellung noch peinlicher zu machen, antwortete mir Gustav, als ich ihn aufforderte, während der Mahlzeit in der Stube zu bleiben, um mir als Dolmetscher zu dienen, daß ich gut genug Russisch 128 Ein Misverständniß. l6. Kap. spräche; er hätte mehr Vergnügen, wenn er bei der Dienerschaft in der Küche bliebe. Es ist eine verzweifelte Stellung, mehrere Stunden an einem kleinen Tische einem fremden Mann gegenüber zu sitzen, der eine Sprache redet, die man nur sehr noihdürftig versteht, und in der man sich noch weniger auszudrücken vermag. Das erste Gericht war Botwinie, eine russische falte Suppe, bestehend aus Quaß mit verschiedenen Wurzelarten und Sauerkohl, nebst einzelnen Stücken gesalzenen Fisches. Wir versuchten bisweilen eine Unterhaltung anzusaugen, misverstanden abcr einander un> ausgesetzt, sodaß mein Wirth bisweilen nach mehreren vergeblichen Versuchen sagte: «Nein, nun versteheich sie gar nicht." Ich suchte meine Verlegenheit dadurch zu verbergen, daß ich mich eifrig an die Botwinie hielt, ungeachtet mein Magen gegen das saure Gericht lauten Protest erhob. Später kamen jedoch mehrere Gerichte, welche sich den Regeln der europäischen Kochkunst mehr näherten, und die Mahlzeit schloß mit Liane-manssei- und einer Flasche Champagner. Ich versuchte es. den Herrn Kreischef über meine Bewirthung und besonders über den Champagner» wein, den ich in diesem Polarklima nicht erwartet hatte, eine Artigkeit zu sagen, und bemerkte daher auf so gut Russisch, als ich vermochte; „mit LlanomkNFor und Champagner in Sibirien, und besonders hier unter dem Polarkreise bewirthet zu werden, ist ein unerwarteter Luxus." Ich vergaß im Augenblick, daß Luxus auf Russisch Noskosch heiße, und behielt da« Wort bei, in der Meinung, daß, da das Wort Luxus ein lateinisches Wort ist, welches in alle europaischen Sprachen Aufnahme gefunden hat, der Kreischef es verstehen müßte. Aber zu meinem Erstaunen nahm er es für Uxus, was „Essig" bedeutet. Ich merkte also, daß er glaubte, ich wolle sagen, sein Wein wäre so sauer wie Essig, nnd protestirte dagegen; aber er blieb mehrmals bei der Behauptung. daß es Uzns heiße. Ich mußte daher endlich den Streit aufgeben und den Schein auf mir ruhen lassen, als hätte ich statt der Höflichkeit eine Unhöflichkeit sagen wollen. Den Abend brachte ich mit dem Kreisches bei einem Kaufmann Ko» roschöw vonIeniseisk zu, und dort traf ich zufallig einender beiden in Folge des Aufstandes im Iahre1825 verbannten Officien, nämlich den Ingenieur-Lieutenant A. Sie waren Beide ein Jahr in Tschita gewesen, hatten aber jetzt diesen milderen Verbamumgsort angewiesen bekommen. Der Lieute» 6. Kap.) Turuchansk. log vollkommen dicht ge> näbet batte. Ich führte meine astronomischen nnd magnetischen Beobachtungen bei dem Dorse ztostino. vierzebn MeNen südlich von Tnruchansk. aus. nnd da der Geburtstag meiner Frau war. ließ ich an die Schisssleutc und Alle, die dem Schiffe nabe kamen, einen doppelten Schnaps austheilen. Scl'adrin feuerte drei Schüsse nut seiner kleinen Kanone ab, und er nebst lcr ganzen Schiffsmannschaft wünschte mir unter den üblichen Bekreuzungen eine glückliche Heimkehr lind meiner Frau und mir ein langes und glückliches Leben. Aus Anlaß des Tages bekam ich Lust, Schadrin zu bitten. er möchte seine neue Lodka, die noch keinen Namen erhalten, mit dem Namen Johanna taufen, und hätte ich ibn damals so genall gekannt, wie später bei der Ankunft in Iemseisk, so hätte ich überzeugt sein können. daß er den Namen und das Schiff würde sehr in Ehren ge-balteu haben. Da aber die Mannschaft dnrch den Branntwein so laut geworden war. so kam es mir wie eine Entweihung des Namens vor, ibn vor solchen Obren anszmpiechen lind von solchen Mündern wiederholen zu lassen. Nachdem der erste Act des Festes vorüber war. und ich mich im Flusse gebadet batte. um mich abzukühlen, bekamen wir einen raschen Nordwind, der uns von Mücken befreite und uns in den Stand setzte, Segel aufzuziehen, womit wir obne Podwodi bis über Mittag rasch fortschritten, denn der Wind ist der billigste und kräftigste Podwoda. Ich änßcrte hierbei gegen Tchadrin: „Gewiß betet meine Frau an diesen« Tage für uns und daß Alles uns glücken möge, und wir haben ihr daher den guten Wind zu verdanken." Lchadrin glaubte aber, daß seine Molodaja auch Theil an unserm Glücke habe. Sie bete. sagte er, für seine baldige Rückkehr von Morgen bis Abend. Auf meine Frage, ob sie nicht vielleicht den Flußgott bitte, ihn in seinen Schooß zu nehmen, damit sie einen jüngeren Mann bekäme — meinte er. damit bätt' es keine Noth, er wäre seiner Sache gewiß. Und dies verdiente er auch ohne allen Zweifel, ebensowohl durch sein Aeußercs, als um seines gesunden Verstandes und seiner Gutmütbig-leit willen. Mein Gustav hatte mir eine gute Hühnersuppe bereitet und 6. Kap-1 Eine neue Beförderungsmethode. 1^3 dazu trank ich zur Feier des Tages, ein Glas von einem, leider mit Fusel ver» setzten, schlechten Rothweine, den ich in Turuchansl bei dem Kaufmann Koroschow erhalten hatte. Bald nachher bekamen wir. — sei es. um unseren Festlichkeiten einen großartigen Schluß zu verleihen, oder weil un» sere Fürbittermnen ciue Pause in ibren Bitten gemacht hatten — ein brillantes Gewitter und starken Regen, und da Echadrin immer längs dem einen oder andern Ufer segelte, indem die Stärke der Strömung dort schwächer ist. als in der Mitte des Flusses, so trieb uns das Unwetter auf eine vorspringende Spitze am östlichen Ufer, wo wir ein Paar Stunden lang an der Mündung der Sucha»Tunguska fcstbliebeu. Nach diesem , Auftnthalt bekamen wir wieder vortreffliches Netter und einen mehr oder minder kräftigen Nordwind, der uns den 16. Juli schon bis zum Dorfe Kangatowo gebracht hatte, wo ich am Nachmittag halten ließ. um Beobachtungen anzustellen und etwas Proviant einzunehmen. Der Fluß schien mir hier, wie an mehreren anderen Stellen, eine Breite von einer Meile zu haben. Aber später am Abend mußte Herr Schoppe mit zwei anderen von seinen Kameraden wieder eine Stunde in Bet-schewü. gehen. Als mir Gustav am 16. Juli des Morgens Kaffee brachte, erzählte er. daß wir jetzt mit sechs Hunden führen. Ich eilte hinaus, um diese bisher niä't angewandte Befördcrungsmethode anzusehen. konnte aber anfangs die bewegenden Wesen nicht entdecken. Es sah aus. als ob sich das Schiff durch eine unsichtbare magische Kraft gegen Wind und Strömung bewegte, aber Gustav machte mich auf eine kleine Bewegung zwischen dem Schilf am Ufer aufmerksam. Es waren die Schwänze der Hunde, die während des Laufes hin und her wedelten. Wir schritten sogar rascher fort, als wenn Menschen zogen. Diese müssen nämlich manchmal große Umwege machen, wenn der Boden morastig ist. wogegen der Hund leichten Fußes am Ufer, ja selbst an stachen Stellen im Wasser geradeaus gehen kann. Am Nachmittage fuhren wir au einer Gesellschaft Ostjäken vorbei, die sich mit zwei Jurten von Birkenrinde und vier bis fünf von ihren stark beladenen kleinen Booten auf dem westlichen Ufer gelagert hatten. Eine Menge kleiner Kinder krabbelten am Ufer und spielten mit Kieseln. Eine Stunde später trafen wir wieder bei dem Dorfe Dolgoi auf drei bis viel Ostjälcnboote und zwei Jurten. Auch diese 134 Beschwerlichkeiten der Rückreise. 16. Kap. Gesellschaft besuchte uns, aber es konnte keine sonderliche Unterhaltung stattfinden, da sie fast nichts vom Russischen verstanden. Den 18. Juli hielten wir ein paar Stunden bei dem Dorfe Tschul-kowo am östlichen Ufer, und den 19. ebenfalls bei Lebedowo an, um Ve< obachtungen auszuführen, und kamen endlich den 20. Juli nach Somoro-kowa (61 Grad 39 Min. 33 Eec. Breite und 2 Grad 28 Min. 9 Sec. westlich vonIeniseisk oder 107 Grad 22 Min. 32 See. östlich von Ferro). Längs dem östlichen Ufer sieht man. wie oben bemerkt ist, eine Hügelreihe, auf dem westlichen dagegen flaches Land. das in einiger Entfernung vom Flusse mit Laubwald bewachsen ist. Aber vom Kirchdorf Dubscheskoie (61 Grad 1 Min. 35 Scc. Breite. 2 Grad 34 Min. 53 Sec. westlich von Ieniseisk oder 107 Grad 15 Min. 48 Sec. östlich von Ferro) bis gegen Eomorokowa erweitert sich der Fluß zu einer bedeutenden Breite, wie ein Binnensee von ungefähr 6 Meilen Länge und I^g Meile Breite, worin dreizehn größere und kleinere Felseninseln liegen. Der Fluß ist hier auf beiden Seiten von steilen, hohen Klippen umgeben, welche ihn zwingen, erst gegen Ost zu laufen, dann sich plötzlich nach Nordwest, endlich ebenso plötzlich nach Südweft zu wenden, und darauf in einem großen, mehr als halbkreisförmigen Bogen nach Nord und Nordost bis Somorokowa zu stießen. In diesem unregelmäßigen Laufe bildet er an Stellen, wo er zwischen die Felsen eingezwängt ist, zwei Por6gs, einen größeren und einen kleineren, sowie verschiedene Schewcräs, die uns auf der Reise nach Turuchansk wohl zu Statten gekommen wären, jetzt aber die Rückreise äußerst beschwerlich machten. Um durch diese schwierige Passage hindurch zu kommen, hatten wir vom Dorfe Ust-Tunguska') acht Mann mitgebracht, um im Verein mit unserer eigenen Mannschaft Bet-schewä zu ziehen. An der Spitze des Mastes wurden zwei Ziehtaue befestigt, und die Mannschaft in zwei Partieen, jede mit ihrem Tau. ge» ') Es hat seinen Namen von dem Flusse Podkamennaja-Tunguska, an dessen Mündung (Ust) es liegt. Podkamennaja bedeutet soviel als.unter den Klippen", also der Tungustn-Fluß, der zwischen den Felsen läuft, zum Unterschied von den anderen Tungusmfiüsscn, die in den Ienisei münden, als: Nischne-Tunguska, in der Nähe des Klosters Troitzkoi, Sucha-Tunguska (die trockne) und Werchne-Tunguska, die eine Fortsetzung der Angara ist. 6. Kap.) Beschwerlichkeiten der Rückreise. 1I5 theilt. Beide Paitieen mußten über Klippen hinwegklettern, welche fast unzugänglich schienen und lothrecht nach dem Ufer abstürzten. Die Lodka schritt äußerst langsam fort und stand bisweilen ganz still, indem die Leute sie nicht von der Stelle zu bringen vermochten. Besonders war dies an einer hervorspringenden Landspitze der Fall, wo die eine Partie auf die entgegengesetzte Seite des Flusses geschickt werden mußte, welcher hier sehr schmal war, um das Schiff an dieser vorbei zu bringen. Aber in Folge der starken Strömung riß dieses Tau, und dieses Unglück brachte uns in eine misliche Lage. Mehrere Stunden blieben wir auf derselben Stelle, ehe es möglich war. das Schiff vorbei zu bringen. Erst um zehn Uhr Abends sagte mir Schadrin, daß wir jetzt nur noch eine Schewer», zu überstehen und die letzte Klippenwand zu pasfiren hatten. Den 23. Juli kamen wir, nach einer sehr unruhigen Nacht, nach dem Kirchdorf Dubtscheskoie auf dem westlichen Ufer. Die Leute hatten sich dem Schisser widersetzt und großen Lärm gemacht. Ein Jude kam an Bord und sagte, er hätte ein Gesuch, das er Sr. Hochwohlgeboren überliefern wolle, indem er mich für den Kreischef hielt; und obwohl man ihm versicherte, daß ich ein fremder Gelehrter sei, und daß der Kreischef noch bei unserer Abreise in Turuchansk gewesen, wollte er dennoch mit Gewalt in meine Kajüte eindringen. Als man ihn daran hinderte, fuhr er fort, lange Zeit aus allen Kräften zu brüllen: Wasche Wysoko« blagorodw! (Ew. Hochwohlgeboren!), bis ihn endlich der Kosak von Krasnojarsk. ein kräftiger, handfester Kerl, beim Aermel nahm, davon-schlepptc und ihn erst hoch auf dem Berge losließ. Als ich später mit meinen Instrumenten nach dem Kirchhof hinauf ging, um einige Beobachtungen auszuführen, kam er mir nachgelaufen und schrie wie vorhin, sah aber endlich aus meiner Beschäftigung, daß er sich in meiner Person geirrt haben müsse. Am Abend schickten wir fünf Pferde fünf Werft voraus, und konnten wegen der sumpfigen Beschaffenheit des Terrains diese fünfWerst nur dadurch zurücklegen, daß wir sechs Mann WBetschewä. nahmen. Hier fanden wir unsere Pferde und fuhren mit ihnen die ganze Nacht rasch weiter, und bekamen am Morgen frische Pferde im Dorfe Sotika. Die Pferde gehen in schwachem Trabe; es konnte auch bei starkem Nordwinde nicht rascher gegen den Strom gehen, und wir hatten den Vortheil, daß Schadrin nur nach Belieben ldi-le oder pmno zu comman« IIg Wiederankunft in Ieniseisk. ^6. Kap. diren brauchte. In der Nacht bekamen wir Nordwind, segelten nun ohne Pferde, und kamen gegen Mittag nach Serebrinikowa, wo ich Halt machen ließ, um Beobachtungen anzustellen. Den 26. Juli erreichten wir eines der größeren Dörfer, das Kirchdorf Nazimowsko'le. welches aus zweiunddreißig Häusern bestand und sechsnndsech-zig Seelen zählte. Hier setzten wir eineu Popen ab. der sich in einem der früheren Dörfer auf dem Schiffe eingchmden batte. Als dieser eines Tages Gustav Gries in Wasser zu einer Weinsuppe für mich kochen sah. fragte er ihn, ob sein Herr immer die Fasten so streng hielte, und da Gustav stets ein Vergnügen fand. seinen Scherz zu treiben, mit wem er nur immer konnte, so erwiderte er: „Ja". Auf die weitere Frage des erstauuten Popen, zu welcher Religion ich mich bekenne, erhielt er von Gustav die Antwort, daß ihm dies unbekannt sei. Bald aber mag wohl der Pope, wenn er das halbe gebratene Huhn bemerkte, das mir Gustav brachte, eingeseheu haben, daß ihn dieser nur zum Besten gehabt hatte. Den 28. Juli halb fünf Uhr Nachmittags kamen wir endlich, unter häufigen Böllerschüssen, welche Echadrin's Molodaja die glückliche Rückkehr ihres Gatten verküuden sollten. nach Ienisseisk. Seit dem 26. waren wir theils gesegelt, theils von Pferden gezogen worden; letzteres immer mit häusigen Unterbrechungen, welche duvch Anhöhen, Moräste, Büsche und andere Hindernisse herbeigeführt wnrden, die uns nöthigten, die Pferde ausspannen zu lassen und bedeutende Umwege zu machen. Die Neise von Ieniseisk nachTuruchansk war in zehn und einem halben Tage zu Stande gebracht, und die Rückreise gegen den Strom, die, nach Schadrin's Ver« ficherung, bei weniger glücklichen Umständen, einen ganzen Monat hätte erfordern können, in sechzehn Tagen. Die ganze Reise, lnn nnd zurück, ein Weg von etwas über 2000 Werst oder etwa 286 Meilen, war also. wenn der fünftägige Aufenthalt in Turnchansk abgezogen wird. trotz des häufigen, mehrstündigen Anhalteus in Dörfern, wo Beobachtungen angestellt werden sollten, in sechsundzwanzig und einem halben Tage vollendet worden. Zu den astronomischen Beobachtungen hatte mich die ganze Zeit über der klarste Himmel begünstigt. In meinem Logis fand ich Briefe vor von meiner Frau nnd drei meiner Kinder, von unserm Minister in Petersburg, General Baron Palm« 6. Kap.) Einladung Schadrin's. ^I^ stjerna und seinem Attache, dem Kammeiherrn Tersmedek, vom Oberst Murawieff und seiner Frau in Irkutsk, von meinem Assistent, Lieutenant Due. der von Willuisk und Iakutsk iu Irkutsk angekommmen war. von seinem Bruder, dem norwegischen Etaatssecretair in Stockholm, und mehreren Änderen. Sie waren für mich eine wahre Erquickung nach der beschwerlichen Reise. Ich war plötzlich, wie durch Zauberei, von den ostjä« tischen Einöden mitten unter Bekannte von Ost und West versetzt worden, und füblte mich wieder von befreundeten und verwandten Wesen umgeben. Dies hatte eine wohlthuende Wirkung; denn die große Anstrengung ans der Reise durch Beobachtungen und deren Berechnung, verbunden mit dem Mangel an nächtlicher Ruhe in Folge von Hitze und Mücken, hatte meine Nerven angegriffen und eine gewisse Niedergeschlagenheit und Abspannung erzeugt. Ich wundere mich daher nicht, daß ahnliche Reisen durch diese oder ähnliche Gegenden eine solche. ja selbst noch heftigere Wirkung auf frühere Besucher hervorgebracht haben. Den 30. Juli kam Freund Schadrin zu mir und bat sehr demü» thig. ob ich ihm die Ehre erweisen und den Abend bei ihm zubringen wolle, damit seine Molodaja meine Bekanntschaft machen könne. Ich nahm die Einladung des braven Mannes mit Vergnügen an. Die Ge<-sellschaft bestand aus ihm, seiner Frau, zwei hübschen jungen Mädchen von seiner Familie und meinem Gustav, den ich als Dolmetscher benutzen mußte, damit die Unterhaltung nicht gar zu jämmerlich würde. Wir tranken zuerst Thee und rauchten Tabak, dann wurde mit Punsch aufgewartet. In dem obersten Theil der Stnbe, nahe am Fenster, hatte man für mich einen Stuhl und einen kleinen, mit einem weißen Tuche bedeck» ten Tisch hingestellt, an dem ich allein bewirthet wurde. Wir liefen uns in muutcrm Scherz verschiedene unserer Reiseabenteuer in das Gedächtniß, und Gustav sorgte durch seine drolligen Einfälle dafür, daß die Gesellschaft nicht aus dem Lachen kam. Als Schadrin einige Glas Punsch ge> trunken hatte, wurde er so gerührt von der harmlosen Freundlichkeit, womit ich ihn behandelte, daß er sich vor meinem Stuhl auf die Knie legte und mir den einen Fuß küssen wollte. Ich zog ihn aber rasch zurück, stand auf und sagte, nachdem ich ihn aufgefordert hatte, gleichfalls aufzustehen: „Dos ist nicht Brauch in meinem Lande. lg» Abschied von Schadrin. l6- Kap. nur der Papst läßt sich den Fuß küssen; da ich aber weder der Papst, noch überhaupt ein geistlicher Mann, sondern ein Sünder bin. wie Du. so kann ich auch eine solche Huldigung nicht annehmen. Einem braven Manne, wie Du. schütteln wir die Hand und drücken sie, und das will ich auch in Betracht Deiner Aufführung während der ganzen Reise und Deiner Tüchtigkeit als Schiffer hiermit thun. Reich' mir Deine Hand. ich habe alle Ursacke. Dir für den glücklichen Ausfall unserer Neise dankbar zu sein." Die russischen Beamten heißen nämlich Tschiuowniki (Standespersonen, Edelleute) und behandeln die einfachen Meschtschanin oder Bürgersleute, wie Schadrin war, mit größcrem Hochmuth, als wir unsere Dienstboten. Der Bürgersmann findet sich daher überrascht, wenn ihn ein Beamter wie seines Gleichen behandelt. Später wurde ich mit ein wenig Fleischspeise und einem Glase Kis. larski bewirthet, einem Traubenbranntwein. den man in KiSlar, in der Nähe des caspischen Meeres bereitet. Beim Abschiede von der Molodaja reichte sie mir den Mund zum Kusse dar. Ich küßte daraus auch die beiden jungen Mädchen, und da die letzte mit ihren freundlichen Augen und frischen, rothen Wangen gar hübsch aussah, bekam ich Lust zu einem Dacapo, worauf Gustav laut in die Worte ausbrach: „Zwei Mal, Gott straf' mich!" — „ Schien's Dir nicht, daß sie eine solche Huldigung ver» diente?" fragte ich ihn. „Ja, sie war nicht übel, die Kleine," gab er zur Antwort. Als wir auf die Straße gekommen waren, sahen wir, daß die Fenster geöffnet wurden, und unsere Damen uns mit den Taschentüchern zuwehten. Wir wechselten noch freundliche Grüße, indem wir unsere Hüte schwenkten. Ich muß gestehen, daß dies die angenehmsten Stunden waren, die ich in Ieniseisk verlebte. Die einfache, unverdorbene Natürlichkeit, verbunden mit Gutmüthigkeit und Bescheidenheit, macht jederzeit einen an« genehmen Eindruck; sie ist wie eine frisch dustende Feldblume, die der Stadtbewohner selten zu sehen bekommt und die ihm daher stets neu und erfrischend ist. Ich brachte später einen Abend bei dem Stadtarzt Sadikow zu, welcher mir erzählte, daß der Stadtvogt sein Erstaunen und Misvergnü» gen geäußert habe, daß ich einen gemeinen Bürger besuchte, dagegen ihn. den ersten Beamten der Stadt, vernachlässigte. Die Ursache war die, daß ich 7. Kap.) Abreise von Imiseisk. 139 Echadrin mit meinem Besuch erfreute und selbst dabei Freude empfand, während weder das Eine, noch das Andere mit einem Besuche bei dem Stadtvogt der Fall gewesen wäre. Ich machte Sadikow auf seinen Wunsch ein englisches Rasirmesscr von Silberstahl zum Geschenk, und seine Frau verehrte mir dagegen eine kleine, sechs Zoll lange und gegen fünf Zoll breite Decke von eigner Arbeit, welche die Bestimmung hatte, ein Glas mit Blumen darauf zu setzen. Auf himmelblauem Pellengrunde, von einem a la Froc hängiges Volk waren, und beluden ihre Kameele mit ihren Kibitken. um nach Osten über den Ural zu ziehen; da sie aber auf ihrem Zuge einem Cordon gut bewaffneter Kosaken begegneten, während sie selbst uubewaff-net waren, kehrten sie. nachdem einige Schüsse gefallen waren, um, und verhielten sich fernerhin ruhig. Im Uralflusse finden sich eine große Menge Knorpelfische vom Stör-geschlecht (^eipenLer): der weiße Stör oder Hausen (^. llu8o. Russisch Bjeluga). der Sterlet (^. KMiienus), der gemeine Stör l>. 3lulia), und mehrere andere. Diese Fische gehen zu Anfang des Jahres aus dem caspischen Meere in den Uralfluß hinauf, um dort ihren Rogen abzusehen, aus welchem man den bekannten Caviar gewinnt, wie aus ihrer Schwimmblase die fogeuannte Hausenblase. Da ihr Fleisch wohlschmeckend ist. so stehen die größereu Arten hoch im Preise, und der Fang dieser Fische bildet die Grundlage zu dem Reichthume der uralischen Kosaken. Gs soll Kosaken geben, welche 40.000 Rubel und darüber besitzen. Die Frau des reichen Kosaken trägt, wenn sie im vollen Staate ist, als Kopfbedeckung eine Art Haube in Gestalt eines Helms, welcher auswendig ganz dicht mit großen echten Perlen bedeckt ist. die fast so groß ') Als ein Hofmann in Petersburg eines Tages der Kaiserin Maria Feodorowna. Paul's Gemahlin, dies erzählte, rief sie voll Erstaunen aus: yuei inonstre! 6. Kap.) Störfischerei. 155 wie Kaffeebohnen sind und einen Werth von fast tausend Rubeln ha« ben. Eine solche Haube wurde uns von dem reichen Kosakenofficier ge» zeigt, bei dem wir in Uralsk den 21. und 22. Januar wohnten. Da wir von ihm erfuhren, daß nach einigen Tagen die jährliche Winterfischerei auf dem Flusse in der Nähe des Vorpostens Mergenew stattfinden sollte, so begaben wir uns dorthin. In der Nähe des Orts fanden wir mehrere Kosakenschlitten, beladen mit einer Menge theils kürzerer theils längerer weißer Stäbe. an deren dickerem Ende ein starker und spitziger eiserner Haken, etwa wie ein Schiffshaken, befestigt war. Als wir am 24. des Morgens an der bezeichneten Stelle ankamen, fanden wir ungefähr 4000 Kosaken beisammen, und an dem hohen Ufer des Flusses war eine zwölf« pfundige Kanone ausgestellt. Um neun Uhr Vormittags ließ der com» mandirende Kosakenofficier einen Signalschuß mit der Kanone abfeuern, zum Zeichen, daß die Fischerei ihren Anfang nehmen sollte. Jetzt stürzten die Kosaken auf den Fluß zu und stellten sich an einem Orte, wo die Fische, wie man wußte, sich sammelten, in vier, etwa drei- bis vierhundert 3 chritt von einander entfernten Reihen quer über den Fluß auf. Mit eisernen Hacken hieben sie nun in bestimmten, kaum ein paar Ellen abstehenden Entfernungen runde Löcher in das Eis, die etwa einen Fuß im Durchmesser hatten. An jedem Loche standen zwei oder drei Kosaken; und als dieses in wenigen Minuten fertig war, so wurde ein Fischhaken in jedes Loch bis etwa einen Fuß vom Grunde hineingesteckt. Da die vielen wei» ßen Stäbe, welche gleichsam vier Zäune quer über den Fluß bilden, dem Fische Schrecken einjagen, so sucht er nach einer von den Seiten zu entfliehen — vielleicht wird er auch von Neugier gelockt und stößt dabei gegen einen oder den andern Haken. Sobald der Kosak diesen Stoß fühlt, bewegt er den Haken auf und ab und dreht den Stab allmälig in den Händen herum, damit die Spitze des Widerhakens den Leib des Fisches treffen kann. Fühlt er, daß der Widerhaken gefaßt hat, so ruft er seine Kameraden zu Hilfe. Diese erweitern das Loch. welches gewöhn, lich nicht groß genug ist. um den mächtigen Fisch hindurch zu bringen, mit eisernen Hacken, während er selbst alle seine Kräfte anspannt, den ar. bettenden Fisch dicht unter der Fläche des Eises festzuhalten. Hat der Widerhaken den Fisch nahe am Kopfe oder am Schwänze gefaßt, so wird er durch die vereinigten Kräfte von drei Männern herausgezogen. Hat 156 Der Caviar. 18. Kap. er sich dagegen an der Mitte des Leibes befestigt, so geht dies nicht an; Derjenige, welcher den Fisch halt. führt dann den Stab nach der einen Seite des Loches, woranf ein Gehilfe einen andern Haken an der ent. gegengesehten Seite hinabsteckt, um seinen Widerhaken an einer andern Stelle am Leibe des Fisches, näher am Kopse oder Schwänze desselben, zu befestigen. Wenn dieser fühlt, daß er sicher gefaßt hat, so macht der Erste seinen Haken los, und der Andere führt den Stab gegen die Seite des Loches hin, wo der erste war; dies wird nun wechselsweise fortge, setzt, bis man endlich dem Kopfe oder Schwänze so nahe gekommen ist, daß der Fisch durch das Loch gezogen werden kann. In weniger als zwei Stunden hatte man nach der Aussage des Officiers für mehr als 400.000 Rubel Fische gefangen. Viele russische Kaufleute und Klein» Händler hielten mit ihren Schlitten auf dem Eise, kauften die größten Störe und bezahlten sie baar. um. wenn sie die Fuhre voll hatten, äugen« blicklich nach Moskau oder Petersburg zu fahren. Die Russen halten nämlich den Caviar (auf Russisch „Ikra", d. h. Rogen) nicht für ganz delikat, wenn er über acht Tage alt ist. Die einzelnen Eier sind von der Größe einer mittelgroßen Erbse, ganz klar und durchsichtig, jedoch mit einem kleinen graulichen halbdurchsichtigen Fleck auf der einen Seite. Der Rogen wird in einen Trog gelegt und ein wenig feines Salz darauf gestreut. worauf er vorsichtig umgerührt wird, doch ohne daß die Eier zerrissen werden, und man kann ihn dann nach einigen Tagen, bisweilen mit etwas feingehackten Zwiebeln, genießen. Er ist sehr wenig ge» salzen und so weit angenehmer, als der feinste und fetteste norwegische Häring. weshalb man ihn auf dem Frühstückstisch eines jeden wohlhabenden Russen findet. Der Caviar, welcher zu uns kommt, ist der Rogen von einem anderen kleineren Fisch; die Gier sind nicht größer als Vogel» dunst und werden stark gesalzen und gepreßt. Er ist dunkelgrün, ge. wohnlich streng und hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem obenbe. beschriebenen frischen. Der befehlende Kosaken-Officier wollte einige von den Kosaken überreden, uns ein paar Fischhaken zu überlassen. um unser Glück zu versuchen ; wir lehnten es jedoch ab. von dieser Höflichkeit Gebrauch zu machen. Indessen nahm unser Dolmetscher, Gustav Nosenlund. das Anerbieten an, und war glücklich genug, einen ziemlich großen Stör zu 8. Kap.) Werth der StSre. 15 7 fangen, dessen Werth auf 50 Rubel angeschlagen wurde; doch war er so bescheiden ihn an den Besitzer des Fischhakens gegen ein paar kleinere einzutauschen , die er augenblicklich einem Händler für 25 Rubel verkaufte. Dieser Stör ist kreideweiß unter dem Bauche, und hat daher den Namen Bjeluga oder Weißfisch bekommen. Die größten, die wir sahen, waren sechs bis acht Fuß lang und um den Leib von der Dicke eines Mannes; der Preis eines solchen könnte sich, sagte man, auf 200 Rubel belaufen. Derselbe hat eine langzugespitzte Schnauze und ein breites Maul, welches von der Spitze der Schnauze ziemlich entfernt ist. Der Sterlet ist viel kleiner, zwischen 1 und 1.^4 Fuß lang, hat ein gelbliches Fleisch, ist fett und sehr wohlschmeckend. Er findet sich auch in den Flüssen, die von dem nördlichen Sibirien ins Eismeer münden, wie Ob und Ienisei. Gleich nach Beendigung der Fischerei werden einige der größten Fische ausgewählt und durch eine Deputation von drei Kosaken'Ofsicieren zum Kaiser nach Petersburg geschickt. In der bei dieser Gelegenheit stattfindenden Audienz wird dem Führer der Deputation ein inwendig vergoldeter silberner Pokal, in Gestalt einer ziemlich weiten stachen Vase auf einem mäßig hohen Fuße, mit Ducaten gefüllt, überreicht. In einem Glasschrank, der einiges Silberzeug enthielt, zeigte uns unser Wirth in Uralsk drei solche Pokale, welche er als Führer solcher Deputationen zu verschiedenen Zeiten erhalten hatte. Das Einzige, was ihm nach seiner Aussage bei diesen Audienzen beschwerlich fiel, war, daß er nach den Regeln der Hofetikette seinen gewöhnlich langen und dicken Bart ab. rasiren mußte, wodurch er sich auf der winterlichen Heimreise jedesmal Zahnschmerzen zuzog, bis der Bart wieder gewachsen war. Wir verließen nun den Fluß und machten drei kleine Tagereisen über die Steppe in südwestlicher Richtung, bis wir zu drei Kosakenposten ge» langten, welche isolirt auf der überaus großen Fläche liegen. Den 26. Januar verweilten wir bei dem letzten Glinänm (Lehmposten), der sich auf der Grenze des den Kirgisen überlassenen Theiles der Steppe befindet. Diese Posten find nichts Anderes als eine Art Erd- oder Lehmhütten und halb unter der Erde gelegen; — Bäume oder Buschwerk giebt es auf der ganzen Steppe nicht. Als Brennmaterial gebraucht man das Schilf, das an einzelnen feuchten Stellen wächst, und gedörrten Kuhmist. Ueberall ist die Erde salzhaltig, sodaß das Brunnenwasser unbrauchbar ist. Frisches 158 Die Familie des Kirgisen-Khan. s8. Kap. Wasser wird aus geschmolzenem Schnee, wovon im Winter stets eine Fuhre im Hofe steht, oder von aufgefangenem Regen gewonnen. Zäune und Nebengebäude sind aus Reisholz und Schilf geflochten. Der Glinänui war indeß etwas ansehnlicher; außer dem hölzernen Hause, worin wir wohnten, gab es ein anderes. das von einem Kosaken - Lieutenant, Iwan Loginow, bewohnt wurde, welcher mit Ekatarina Karamsin. einer Vruders-tochter von Rußlands berühmtem Geschichtschreiber, vermählt war. Wir blieben hier sechs Tage. wahrend Karelin vorausreiste, um sich und unsere Ankunft dem Khan anzumelden, und zu erfahren, ob er uns einladen würde, ihn in seinem Palaste zu besuchen. Diese Zeit benutzten wir vornehmlich zu unsern gewöhulichen wissenschaftlichen Beobachtungen, zum Theil auch zu einigen Besuchen bei dem Lieutenant Loginow. Letzterer verstand selbst nichts als Russisch; da ich indessen bemerkte, daß seine Frau so viel Französisch wußte, um sie in diejer Sprache anreden zu können, wurde die Unterhaltung bedeutend erleichtert, wenngleich sie nicht zu überreden war, in einer andern als ihrer Muttersprache zu antworten. Zur Erinnerung schrieben sieBeide einige freundliche Zeilen auf ein weißes Blatt in meinen Kalender. Ein Besuch von Fremden auf der Kirgisen-fteppe ist nämlich eine seltene Begebenheit, die sich nicht in jedem Menschenalter wiederholt! Der Kriegsgouverneur in Orenburg, General v. Essen, hatte den Khan ersucht, dafür zu sorgen, daß wir über die Steppe nach Astrachan gebracht würden, und der Khan hatte wieder seinen älteren Halbbruder, den Sultan Tauke, beauftragt, uns mit zwei Kibitken und der nöthigen Anzahl von Kameelen zum Tragen derselben über die Steppe zu begleiten. Der Oheim des Khans, Namens Tschuke Nuraleitsch, und sein Halbbruder Tauke, welche in der Nähe von Glinänui wohnten, besuchten uns auch täglich, um sich mit uns zu unterhalten und zu fragen, ob wir etwas zu befehlen hätten. Sie setzten sich auf einen Teppich am Boden mit übereinandergeschlagenen Beinen, rauchten Tabak und tranken Thee mit uns; doch pflegte die Unterhaltung nur mühsam von Statten zu gehen, da.sie nicht viel besser Russisch sprachen als wir. Eines Tages besuchten wir den Oheim, welcher im Winter in einem kleineu hölzernen Hause wohnt, und wurden mit Thee bewirthet. Hierbei glückte es uns, seine Frau in ihrer ganzen Pracht, in rothem Sammetkleide und mit Perlen verziertem Kopfschmuck, zu sehen. Seine Mutter, die sich an diese 8. Kap.) Due als Portraitmaler. 159 neumodische Sitte und die abgesperrte Luft in einem eingeschlossenen Hause nicht gewöhnen konnte, lebte das ganze Jahr über in ihrer Kibitke. wo wir fie auf Polstern fitzend fanden. Während dieses Aufenthaltes machte uns ein Zufall mit einer besonderen Strenge in den Sitten der Kirgisen bekannt. Einem jünger« erwachsenen Frauenzimmer ist es nämlich nicht gestattet, ihr Gesicht einem älteren Manne der Familie, den Vater ausgenommen, zu zeigen; während ein älteres Frauenzimmer durch Nichts gehindert ist. sich einem jüngeren Manne zu zeigen. So darf ein Mann nicht feine Schwiegertochter, oder die Frau seines Neffen oder jüngeren Bruders, dagegen wohl seine Tante u. s. w. sehen. Als wir de» Sultan Tschuke Nuraleitsch in seinem Hause besuchten, ließ er auf unsern Wunsch seine beiden Töchter und seine Schwiegertochter ihre besten Kleider anlegen und sich in den Hintergrund einer Kibitke stellen; er selbst blieb aber draußen stehen, während wir hineingingen. Weshalb er nicht mit uns hineinging, könn» ten wir damals nicht einsehen. Als ihn Lieutenant Due später besuchte, um sein Portrait in seiner vollständigen Tracht zu zeichnen, und ihm dies auch ziemlich gelang, äußerte derselbe den Wunsch, auch ein Portrait von seiner Schwiegertochter zu zeichnen. Er bat deshalb den Schwiegervater, als Dolmetscher zugegen zu sein, da sie nicht Russisch verstehe. Dies, er» widerte der Sultan, ließe sich nicht thun; denn er dürfte sie. ihren Sitten zufolge, nicht sehen, und theilte ihm dabei mit, daß er selbst sie niemals gesehen hätte. Hier war nun guter Rath theuer, denn der Zeichner mußte ihre Stellung anordnen und sie daher bitten, den Kopf bisweilen mehr nach der einen oder der anderen Seite zu wenden u. f. w. Nach vielem Ucberlegen fand mau endlich folgende Anskunft. Der Sultan ließ in seiner Stube einen großen Teppich aufhängen, der einen Theil derselben von dem übrigen trennte. Hinter diesen stellte er sich. während sich die Schwiegertochter auf einen Stuhl niederließ. und in einiger Entfernung Due an einem Tische saß und zeichnete. Der Schwiegervater hinter dem Teppich diente als Sprachrohr. Wenn also Due auf Russisch rief: «Bitten Sie Ilire Schwiegertochter, den Kopf etwas mehr nach links zu drehen!" so wiederholte der Sultan hinter dem Teppich diesen Wunsch seiner Schwiegertochter auf Kirgisisch. Bei dieser Gelegenheit erzählte der Sultan, wie er sich, etwa vier Jahre vor unserer Ankunft, bei der Krö. 160 Kirgisische Sitten. fg. Kap. nung des Kaisers Nikolaus in Moskau, im Jahre 1826, in einer ähu. lichen schwierigen Lage befunden hätte. Der Kaiser hatte nämlich den Kban Dschanger, seine Gemablin Fatime und seinen Onkel Tschuke zur Krönungsfeier eingeladen. Da der Sultan die Frau seines Neffen nicht sehen durste, waren sie bei der Präsentation vor dem Kaiser in der groß. ten Verlegenheit, indem die drei Personen zugleich vorgestellt werden sollten. Aus dieser Verlegenheit half man sich endlich folgendermaßen. Die Khanin Fatime trat in Begleitung des Khans und des Sultans, während ihr Geficht von einem langen, dichten, weißen Schleier verhüllt war, in den Audienzsaal ein. In dem Augenblicke, wo der Kaiser sich dieser Gruppe näherte, stellte sich der Onkel rasch hinter den Rücken der Khanin, welche den Schleier zurückschlug, während der Kaiser mit ihnen redete. Als er sie entließ. schlug sie den Schleier wieder herab und der Sultan Tschuke trat vor und machte dem Kaiser sein Compliment. Als wir sväter zu dem Palaste des Khans kamen, und Fatime hörte, daß Due ein Por. trait von dem Oheim ihres Gemahls mitbrächte, bat sie ihn, es ihr zu leihen, um doch eine Vorstellung von seinem Aussehen zu bekommen. Der Grund von dieser eben geschilderten strengen Sitte ist leicht zu errathen. Der Kirgise hat, vielleicht zufolge der Natur der Nace. vielleicht auch als Folge der ausschließlich thierischen Nahrung (denn Brot oder andere vegetabilische Nahrung hat er, als Nomade, zu erhalten keine Gelegenheit), eine starke Sinnlichkeit. „Dieser Trieb," sagte der Sultan Tschuke. in orientalischer Weise bezeichnend, „bringt den Kirgisen zwischen dem scch. zehnten und fünfundzwanzigsten Jahre dahin, sich durch Feiler und Wasser zu stürzen, zwischen dem fünfundzwanzigsten und fünfunddreißigsten läuft er nur durch Wasser, und nach dem vierzigsten geht er ganz ehrbar durch die Lust." Es giebt in Rußland verschiedene Secten der griechisch-katholischen Religion. Unter diesen ist eine. deren Mitglieder sich Starie veri (Alt. gläubige) nennen — eine Art streng Orthodoxer, die unter anderen Eigenheiten auch die haben, daß sie das Tabakrauchen für eine sündliche Beschäftigung halten, wobei der Mensch nicht nur sich selbst befleckt, son. dem zugleich auch jedes Zimmer, worin es geschehen ist. entweiht. Die Leute, bei welchen wir in Glinänui wohnten, gehörten zu dieser Secte' und da wir in unserer kleinen Kammer Tabak rauchten, hatten sie einen solchen Abscheu sogar vor unsern Bedienten, daß sie ihnen nicht erlaubten ^- Kap.) Einladung des Khans. 5«, in derKüche Wasser aus der Wassertonne mit demselben Gefäß zu schöpfen, welches sie selbst benutzten, sonder,, ihnen ein anderes gaben, welches, so^ bald wir sort wären, vernichtet werden sollte. Die Stube, die wir be-wohnt hatten, sollte nach unserer Abreist gereinigt und mit Weihwasser bespritzt weiden, um wieder zum Gebrauche tauglich zu sein. Der bekannte englische Fußreiscnde, Capitain Cochrane, welcher einige Jahre vor uns Sibirien bis nach Kamtschatka durchstreifte, erzählt unter Andern, daß, als er einst in Sibirien zu einer Bauersfrau von dieser Secte ging, um einen Holzspan für seine Pfeife anzuzünden, die Frau ein Stück Holz nahm und damit seinen Rücken so kräftig bearbeitete, daß er die Flucht ergreifen mnßte, wobei er noch ein Stück vor dem Hause mit Hieben ver« folgt wurde. Die mündlichen Complimmte verstand er nicht. Wir kamen indeß gnädiger davon. Endlich langte ein kirgisischer Expresser zu Pferde an, welcher fol< gendes in russischer Sprache abgefaßte artige Einladungsschreiben des Khans überbrachte, das in wörtlicher Uebersetzung also lautete: Geneigter Herr Christoph Christophorowitsch! Da ich die Nachricht erhalten habe, daß Sie, geneigter Herr, mit Herrn Lieutenant Dne beschlossen haben, über die mir untergebene Steppe nach Astrachan zu gehen, so eile ich. Sie einzuladen, den Weg nach dieser Stadt durch meiuen Wohnfitz zu nehmen. So angenehm es mir sein wird, Sie von den Beschwerden einer langen nnd mühsamen Reise zu befreien, so lieb ist es mir, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Zur Bequemlichkeit Ihrer Neise habe ich meinem Bruder, dem Sultan Tauke Vukejewsky, Befehl ertheilt, Sie während der Reise mit Kibitken, den nöthigen Wegweisern und überhaupt allem Dem zu versehen, was auf einer so beschwerlichen Reise zum Nutzen und Vergnügen dienen kann. In Erwartung Ihrer Ankunft empfangen Sie die Versicherung der Ach. tung und Ergebenheit und mit der größten Ehre stets zu sein geneigter Herr Dschaskus Sandsteppe Januar, 17. Tag. 1830 Jahr. Hansteen, Ncise. Ihr ehrerbietigster Diener Dschanger. 11 192 Kibitken. ß. H^^ In Betreff der Ueberschrift ist zu merken, daß. wenn die Russen dle beschwerliche Titulatur Wysoko Praewoschoditelstwo (hohe Excellenz), Wysoke Blagorodie (Hochwohlgeboren) u. s. w. vermeiden wollen, sie nur den Taufnamen der Person und den Taufnamen ihres Vaters mit der Endung „witsch" (Sohn) zu nennen brauchen. So heißt der jetzige russische Kaiser Nikolai Pawlowitsch (Nicolai Paulssohn). Da nun der Khan den Vornamen (Johannes) meines Vaters nicht kannte, so dachte er wohl. daß er möglicherweise wohl auch Christoph heißen könnte. Eigentlich hätte ich Christoph Iwanowitsch genannt werden sollen, denn, wenn die Russen einen einfachen Mann. dessen Name ihnen unbekannt ist, nen» nen wollen, so rufen sie gern Iwan Iwanowitsch, indem Iwan (Johann) unter den russischen Bauern ein allgemeiner Name ist. Das Siegel des Khans hat die Gestalt eines Herzens, auf dessen Umkreis mit russischen Buchstaben: Petschat") Chana Dschangera Bukejewa (Siegel Khan Dschanger's Bukejewski) steht. Innerhalb dieses Umkreises befindet sich eine Inschrift mit arabischen Buchstaben, die vermuthlich dieselbe Bedeutung hat. Sultan Tauke schaffte jetzt vier Kameele herbei, welche mit Holzwerk und Filzteppichen nebst Polstern und bucharischen Teppichen zu zwei Kibitken, worin wir wäbrend der Reise unser Nachtlager aufschlagen soll' ten, beladen wurden. Das Holzwerk besteht hauptsachlich aus dünnen gespal« tenen Stäben, sowie sie zu Tonnenreifen gebraucht werden. Diese werden kreuzweise über einander gelegt, und auf allen den Punkten, wo die Stäbe einander berühreu, sind sie durchbohrt und durch Nägel von steifem Leder, welche an den entgegengesetzten Enden einen Knoten haben, mit einander verbunden. Auf diese Weise hat man zehn bis zwölf leichte viereckige Wände von ungefähr 5 Fuß Höhe und 6 Fuß Länge gebildet. Diese werden in einen runden Kreis zusammengestellt und mit Schnüren zusammengebunden, wodurch sie einen runden Zaun, gleichsam ein grobes Aeh mit viereckigen Maschen bilden. Dieser macht den untersten Theil. ') Petschat ist das deutsche Wort Petschaft, indem alle Worte, welche Dinge oder Vorstellungen bezeichnen, die nur in gebildeten Lebensverhältnissen vorkommen, theils aus der schwedischen, besonders aber aus der deutschen Sprache, mit geringer Akkomodation an die russische Zunge, entlehnt sind. 8. Kap.I Die Steppe. Ißg oder die Wand der Kibitke aus und hat einen Durchmesser von ungefähr 20 Fuß. Der oberste Theil des Daches hat die Form eines Rades, in< dem er aus einem Holzring von 6 bis 8 Fuß Durchmesser besteht, der mittelst dünner Sprossen mit einer runden hölzernen Scheibe verbunden ist, welche in der Mitte ein kleines Loch hat. An dem Rande des Rades oder dem Umfange des Holzringes sind eine Menge kleiner Löcher gebohrt, in welche dünne, am obersten Ende zugespitzte Haselgerten gesteckt werden, deren unterstes Ende mit Schnüren an dem oberen Nand der Kibitken» wand befestigt wird. Diese krümmen sich wegen des Gewichts des Ringes und bilden einen halbkngeligen Korb über dem untersten cylindrischen Theil der Kibitke, welcher indeß einen weit geringeren Umfang nach oben als nach unten hat. Dieser Korb wird alsdann auswendig mit dicken, groben Filzdecken belegt, und bildet eine gegen den Wind undurchdring« liche Wohnung. Da die Stäbe, welche die Wände bilden, woraus der unterste Theil besteht, sich um die Nägel, womit sie verbunden sind, drehen können, so kann man sie ebenso zusammenlegen, wie man ein offnes Messer zumacht, wodurch die Wände die Form eines schiefen Vierecks bekommen, welches geringere Breite hat, und so können sie leichter in Bündeln an den Sattel des Kameels gehängt werden. Auf seinem Rücken liegt das Rad und ein Bündel von den Stäben, welche das Nad tragen. Um eine Kibitke fortzuschaffen, sind zwei Kameele erforderlich; das eine tragt das Holzwerk, das andere die Filzdecken und die Polster. Am Tage vor unserer Abreise von dem Vorposten Minänui wurden die vier Kameele mit zwei Kibitken nach einem 10 Meilen entfernten Punkte auf der Steppe, wo wir übernachten sollten, abgeschickt. Wir und die beiden Sultane fuhren den nächsten Morgen in zwei Schlitten und überließen unsere Nädcrwagen den Kosaken, welche sie später gemächlich zum Palaste des Khans bringen sollten. Da die Steppe so gänzlich flach ist wie die Oberflache des Meeres und sich auf derselben weder Häuser, noch Bäume, noch selbst Gebüsche finden, die als Wegweiser die-nen könnten, so ist es im Winter sehr schwierig, besonders wenn man in der Entfernung von 10 Meilen an einem bestimmten Punkte eintreffen soll. wo lein erhöhter Gegenstand zu erblicken ist. den rechten Weg zu finden. Kommt noch Schneetreiben (auf Nussich Vuran) hinzu, so ist man soaar in Lebensgefahr, indem jede Spur im Schnee vertilgt wird 11' 1^4 Die Steppe. 18. Kap. und nirgends Schutz zu finden ist. Der Dolmetscher des Khans erzählte, daß er bei einem Ritt über die Steppe von einem Buran überfallen wor« den wäre. Um in der strengen, schneidenden Kälte sein Leben zu retten, mußte er einen hohen Heuschober aufsuchen, deren die Kirgisen hier und da in der Steppe aufstellen. Als er endlich einen gefunden, stieg er auf den Nucken des Pferdes, um die Spitze des Schobers zu erreichen, arbeitete sich darauf in denselben hinein und deckte die Oeffnung von oben her zu. So blieb er die ganze Nacht, bis der Vman aufgehört hatte und es wieder hell wurde. Ist Jemand kurz zuvor desselben Weges gefahren oder geritten, und die Spur nicht vom Winde oder von frischgefallenem Schnee verwischt, so folgt man ihr getrost. Ist dagegen die Spur uu-fichtbar, so hält der Schlitten still, und ein Kosak wird zur Linken, ein anderer zur rechten Seite ausgeschickt. Diese gehen dann seitwärts und machen im Schnee ganz kleine Schritte, um zu erfahren, ob der Schnee irgend wo etwas härter ist als gewöhnlich. Findet der Eine eine solche Stelle, so ruft er der Reisegesellschaft zu, daß er die Spur aufgesunden habe; und hierin besitzen die Kirgisen und die Kosaken eine solche Uebung, daß sie sich selten irren. Ja sogar einzelne ihrer Pferde haben denselben Instinct, sodaß, wenn ein solches Pferd wahrnimmt, wie der Schnee weicher ist, als znvor, es daraus merkt, daß es außer der Spur ist und das andere nach der richtigen Seite drängt. Auf der Steppe hat man ebenso guten Grund, sich des Kompasses zu bedienen, wie auf dem offenen Meere. Wir waren gewöhnlich etwas angstlich, sobald eine solche Unter» suchung für nothwendig gehalten wurde. Endlich langten wir des Abends an der bestimmten Stelle in der Nähe eines kleinen Sumpfes an, worin Schilf, das nothwendige Brennmaterial, wuchs. Dnrch ein Loch in dem Nasenknorpel des Kameels hat man einen runden Pflock gesteckt, dessen eines Ende einen Knopf trägt, während das andere ein Loch hat, in welchem ein dünnes Tau befestigt ist. Mit diesem lenkt der Treiber sein Kameel und zieht, wenn er will, daß eS sich niederlege, um seine Bürde abzuladen, das Tau an. worauf das Kameel ganz allmälig, abwechselnd mit den Vorder- und Hinterbeinen niederkniet, bis es auf dem Bauche liegt. Jetzt kamen einige Kirgisen-Weiber aus den nahe liegenden Kibitken, um uns in der Aufstellung der unserigen zu helfen. Als das unterste Geländer zusammengebunden war, 8. Kap.1 Aufbau der Kibitke. Ißg steckte ein Mann das Ende einer hohen zugespitzten Stange in das mittelfte Loch des Rades, welches den obersten Theil an der Wölbung der Kibitke bildete und hob es in die Höhe; mehrere von den Weibern steckten mm das zugespitzte Ende der dünnen Stäbe, welche dasselbe tragen sollten, in die Löcher am Rande des Rades und banden das unterste Ende an dem Geländer sest. Nachdem dies geschehen war, wurden die Filzdecken aufgerollt, und eine, die ebenso breit war als das Geländer hoch, wurde rund um dasselbe gelegt und mit einem langen, bunten, wollenen Bande, das um die ganze cylindnsche Wand der Kibitke nach oben zu geschlungen wurde, und eine große bunte Quaste an jedem Ende hatte, festgebunden. Ein ähnliches Band wurde unten umgebunden. Darauf zog man andere ähnliche Filzdecken die Kreuz und die Quer über den obersten halbkugelförmigen Theil der Kibitke; nur ward ungefähr die Hälfte von dem Loche an der Spitze, auf der dem Winde abgewendeten Seite, als Rauchloch offen gelassen. Auf den Schnee innerhalb der Ki< bitke wurde trocknes Schilf einige Zoll hoch gelegt uud oben darauf wieder Decken. Auf einem runden Kreise in der Mitte des Zeltes, wo der Schnee unbedeckt war, machte man nun ein Feuer von trocknem Schilfe an. An der einen Seite des Gelanders war eine Oessmmg, welche als Eingang diente, wahrend eine darüber gehängte, buntgestickte Decke, die an der untersten Kante von einem runden Stäbe beschwert war, die Thür vorstellte. Auf die entgegengesetzte Seite dieser Thür wurden Polster gelegt, die mit bunten buchanschcn Decken belegt wmdeu und als Divan für uns und die Sultane dienten. Binnen einer halben Stunde nach unserer Ankunft standen beide Kibitken vollständig zum Beziehen bereit. Die Kirgisen hockten rund um das Feuer und wärmten Hände und Füße. Anders Nielsen stand vor der Thür mit dem Samawarr, vollgepackt mit Schnee. um Theewasser zu kochen. Da sich auf der Steppe kein Brennholz außer Schilf findet, welches in dieser Hinsicht unbrauchbar ist, so hatten wir in Glinänui einen Sack mit Holzkohlen und eine alte Kufe ge-kauft, welche in flache Stücke zerhauen wurde, um uns auf der Steppe als Brennholz für die Theemaschine zu dienen. In der anderen Kibitke, wo die Kosaken und die gemeinen Kirgisen sich aufhielten, war ein tüchtiges Feuer angemacht worden, bei welchem Gustav Nosenlund Fische (Osetrin) für unser Abendbrot kochte. Wir rauchten Tabak Ißg Tafelgebrsuche der Kirgisen. l8. Kap. und tranken Thee, nahmen dann unsere Abendmahlzeit ein und tranken Toddy. kurz wir fanden unser Nomadenleben ganz angenehm und gemüthlich. Bei unserer Ankunft hatte Sultan Tschuke den Befehl ertheilt, zwei Schafe zu schlachten. Das eine wurde für die Kirgisen, das andere für die uns begleitenden Kosaken gekocht. In der andern Kibitke stellte man drei oben zusammengebundene Stäbe über das Feuer und hängte daran einen großen, mit Schnee und dem Fleische von dem eben geschlachteten Schaft angefüllten eisernen Topf. Nachdem wir unsern Thee getrunken hatten, gingen wir in diese Kibitke, um die Mahlzeit der Kirgisen mit anzusehen. Diese hockten in einem Kreise rings um das Feuer: das Fleisch wurde aus dem Topft geuommen, mit den Händen in Stücke zerrissen und in Holznäpfen an die Gäste vertheilt. Diese nahmen das Fleisch mit den Fingern und verzehrten es ohne Brot und Salz, und wenn ein Mann das meiste Fleisch von einem Knochen abgenagt hatte, so reichte er ihn über den Kopf weg einem der Kirgisenweiber, welche hinter den Rücken der Männer standen und gierig den Rest abnagten. Nachdem das Fleisch verzehrt war. wurden die hölzernen Näpfe an den Koch oder Vorleger zu« rückgeliefert, welcher dieselben mit Suppe anfüllte, die als zweites Gericht getrunken wurde. Da das Fleisch ohne Salz gekocht wird,- und die Suppe nicht schäumt, so hatte sie eine schmutzig graue Farbe. Dies ist die tägliche Kost der Kirgisen und nach einer solchen Mahlzeit brauchen sie in vierundzwanzig Stunden keine andere Nahrung. Wenn, wie hier, ein vornehmer Kirgise bei der Mahlzeit zugegen ist, so erweist er den Uebrigen durch folgende sonderbare und lächerliche Ceremonie eine große Ehre. Alle übrig gebliebenen Fleischüberrefte wur« den nämlich dem alten Sultan hingesetzt. Er wusch seine Hände, nahm dann ein Messer, womit er das Fleisch in kleine Würfel zerschnitt und füllte damit einen hölzernen Napf bis an den Rand. Von diesen wählte er eine Mischung fetter und magerer Stücke aus, die auf der inneren Fläche der rechten Hand. — so viel, als ohne herunter zu rollen, liegen konnte, — in einer Pyramide aufgestapelt wurden. Jetzt sagte er zu dem nächstsitzenden Kirgisen: „Adschad" (komm her!). woraus dieser auf Händen und Füßen zu ihm kroch und den Kopf mit weit aufgesperrtem Munde über den Fleischhaufen hielt, während der Sultan ihn gleich einer 8. Kap.) Tafelgebräuche der Kirgisen. zM Gans so lange nudelte, bis er ihm den zugedachten Antheil in den Mund gepftopft hatte. Der Kirgise kroch darauf zurück und suchte das Fleisch zu verschlucken. Dies wurde so lange fortgesetzt, bis Jeder im Kreise seine Portim erhalten hatte. Es soll einige Uebung dazu gehören, sowohl diese Menge einem Manne in den Mund zu pfropfen. als dieselbe aufzu» nehmen, denn es darf kein Stück verloren gehen. und es bleibt mir unbe« greiflich, wie der Mund eines Menschen eine so große Masse fassen, und noch unbegreiflicher, wie dieselbe hinuntergeschluckt werden kann. Denn das Fleisch bei einem so angefüllten Munde zu kauen, ist unmöglich. Viele von ihnen wendeten sich auch um, nachdem sie an ihren Ort zurückgekommen waien, hielten beide Hände vor den Mund und leerten die Fleischstücke aus, um sie gemächlich zu kanen und hinunterzuschlucken. So find die hofischen Tafelgebrauche der Kirgisen beschaffen. Nachdem unsere eigene Mahlzeit beendigt war, legten wir uns auf unsere Matratzen, die Füße gegen das Feller, den Kopf nach der Wand der Kibitke gekehrt. Die dieselbe umgebende Filzdecke reichte gerade bis an den Schnee, der von außen rings um die Kibitke so zusammengescharrt war, daß er mehrere Zoll über die unterste Kante der Decke hinaufreichte, und es unmöglich ziehen konnte. Ein Kirgise war dazu bestellt, auf das Feuer Acht zu geben und ein Bund Schilf nach dem andern hinzuzuthun. Zuletzt wurden einige Kuchen von gepreßtem und gedörrtem Kuhmist, der eine größere Hitze als das Schilf geben soll, an das Feuer gelegt, und als dasselbe nicht mehr brannte, ging er hinaus und zog die Decke, die zuvor nur einen Theil des Rauchloches bedeckt hatte, über die ganze Oeffnung. Der Nauch hielt sich im obersten Theil der Kibitke in mehr als Mannes» höhe vom Boden, und es war eine so angenehme Temperatur, wie in einer mäßig erwärmten Stube. Am nächsten Morgen, nach einem ruhigen und erquickenden Schlafe, tranken wir unsern Thee. während die Kirgisen die Ueberreste des Tchaf-fieisches verzehrten, worauf die Kibitke abgebrochen wurde. Einige Wei« ber fanden sich mit Haselstöcken ein, klopften die großen Neifblumen von der Außenseite der Decken ab und rollten sie zusammen; dann wurde» sie mit dem Holzwerk auf die Kameele geladen. Leider waren unsere Kameele ermattet nnd ihre Füße von dem gestrigen Marsche auf dem holperigen Schnee wund Als wir daher am Abend an der bestimmten Stelle an. Ißg Gebräuche der Kirgisen. 18. Kop. langten, waren die Kamcele noch nicht angekommen und wir sahen uns genöthigt, in einer schwarz geräucherten Kibitke bei einer gemeinen Kirgisin, deren Mann abwesend war. unser Nachtquartier zu nehmen. Unsere ganze Karawane konnte aber darin nicht untergebracht werden, sodaß der größte Theil unter freiem Himmel bivouakircn mußte; nur die beiden Sultane, Due. ich. Anders Nielsen und die Kirgisin mit ihrem zweijährigen Sohn, der noch an ihrer Brust lag, sowie der Bote des Khans, brachten die Nacht in der Kibitke zu. Es sieht recht hübsch aus. wie eine gemeine Kirgisin ihren Sultan begrüßt, den sie länger als ein Jahr nicht gesehen hat. Sie kommt in die Kibitke, geht gerade auf ihn zu und umarmt ihn. d. h. sie schlingt den rechten Arm um seinen Hals, den linken um seinen Leib. Aehnliche Gestus macht der Sultan. Dann wechselt man die Anne. Nach dieser doppelten herzlichen Umarmung tritt der Sultan ein wenig zurück und streckt seine flache rechte Hand vor, sodaß der Daumen oben, der kleine Finger unten liegt, worauf sie ihre beiden flachen Hände an seinen beiden Seiten zusammenschlägt, während einige Beglückwünschungen gesprochen werden. Dies ist das Ceremoniel nach einer längeren Trennung. Hat man sich dagegen erst kürzlich gesehen, so wird nur, ohne weitere Umar. mung „Amambasis" (Friede sei mit dir!) gesagt. — Die Nacht verging ganz leidlich. Die gewöhnlichen Kirgisen tragen kein Linnen, sondern nur einen Schafspelz mit der Wolle nach innen auf dem bloßen Leibe. Die Mutter zog ihrem kleinen Jungen den ledernen Pelz ab, wobei sein von Rauch und Ruß geschwärzter Rücken zum Vorschein kam und legte ihn neben sich unter den ledernen Pelz. Unsere Sultane hielten mich noch eine Stunde mit ihrem mohamedanischen Gottesdienste munter, der vom Monde beleuchtet wurde, welcher hell durch das Rauch loch der Ki» bitke schien. Sie knieten nieder, berührten die Decke mehrmals mit der Stirn, declamirten in singendem Tone einige Stellen, vermuthlich alls dem Koran, riefen „Allah hegeber!" (Gott sei gepriesen!) strichen sich den Bart und kehrten das Gesicht nach der linken Schulter. Dieses Ceremoniel wurde nächsten Morgen Früh wiederholt, worauf wir weiter reisten. Die Sultane hatten ein paar kleine kirgisische Pferde mitgenommen, und als wir ein weites Stück gefahren waren, ließ der Jüngere, Tauke einen Sattel auf eins derselben legen, um zur Abwechslung einige Stun« 8. Kap.I Ein Reitabenteuer. Ißg den zu reiten. Als er sich daran ein Genüge gethan hatte, äußerte ich den Wunsch, auch zu reiten und bestieg das eine, Gustav Rosenlund das andere Pferd, und so ritten wir ein gut Stück Weges. Wollen die Kirgisen ihre Pferde im stärksten Galop laufen lassen, so stoßen sie einen eigenthümlichen schneidenden Schrei aus. Vom Lieutenant Due vielleicht aufgefordert, kamen sie jetzt auf den Gedanken uns zu necken und unsere Neitfertigkeit auf die Probe zu stellen, indem sie diesen Schrei ausstießen, wobei die Pferde wie rasend zu laufen anfingen. Obwohl das kirgisische Pferd stark und ganz sicher auf den Füßen ist. hätte dieser unzeitige Shaß doch leicht ein Menschenleben kosten können. Ich ritt neben dem vordersten Schlitten, und Gustau zwischen beiden. Den Lauf meines Pferdes auf» zuhalten, war unmöglich, obwohl ich alle meine Kräfte an den Zügeln an» wendete. Nach einiger Zeit hörte ich ein Geschrei, Gustav war vom Pferde gestürzt, der Schlitten, der seinein Pferde auf den Fersen folgte, ging über ihn und ich erwartete ihn todt auf dem Vodcn liegen zu sehen. Aber zu meiner Verwunderung sah ich ihn sich auf die Kniee erheben und ebenso erstaunt als erschrocken umsehen, als wollte er erfahren, wo er wäre und ob er uoch lebe. Er war gerade vor die Schlittenpferde ge« fallen, diese aber hatten es vermieden, aus ihn zu treten, und da er glücklicherweise nach der Lange des Weges gefallen war, und der Schlitten hoch über den Kufen stand, so war er fast gar nicht von ihm berührt wor» den. Ich konnte nicht unterlassen meinem Zorns gegen den alten Sultan Luft zu machen, indem ich ihm auf so gut Russisch, als ich konnte, sagte, daß ich geglaubt hätte, mit alten, vernünftigen Leuten zu thun zu haben, jetzt aber sehe, daß er sich wie ein junger Geck betrage. Gustav hatte nun von dem Nitte genug bekommen; ich aber setzte die Reise zu Pferde fort, bis wir am Nachmittage an einem einsam stehenden Hause, wo ein tatarischer Kaufmann sich niedergelassen hatte, etwa sieben Werst von der Residenz des Khans, anlangten. Von hier aus schickten wir mit einem Kirgisen ein Billet an Karelin, rasirten und putz' ten uns, tranken Thee u. s. w. Unterdeß kam Karelin in einem prächtigen Schlitten des Khans, mit zwei kirgisischen Pferden bespannt, an, und führte uns zur Residenz. Dschanger's Vorfahr«, verbrachten wie die übrigen Kirgisen Sommer und Winter in Kibitken; sein Vater aber baute sich in höherem 170 Die Residenz des Khans. 18. Kap. Alter ein ziemlich unansehnliches hölzernes Haus, worin er im Winter Schutz gegen die strenge Kalte suchte. Kaiser Nikolaus, der den jetzi» gen Khan und seine Gemahlin Fatime, die, wie erwähnt, bei der Krönung in Moskau zugegen waren, besonders begünstigte, baute ihm diese schöne Residenz, die er jedoch nur als Winterwohnung benutzt. Im Som» mer lebt er als Nomade in einer Kibitke und zieht von einer Stelle zur andern umher; denn wenn die Filzdeckcn, welche den untersten Theil der Kibitken verdecken, weggenommen werden, so ist sie im Sommer weit lufti, ger'als ein Haus von Stein oder Holz. Vom Hofe. führte eine kleine Treppe in ein großes Vorzimmer, das durch einen Gang mit den oberen Zimmern verbunden war, von wo man in einen großen Saal mit vier Fenstern gelangte, der nach der Steppe zu lag. Hier wnrde fünf Mal täglich Gottesdienst gehalten, und hier verweilten auch die Rathgeber des Khans (Starschiner oder Aelteste), wie andere gemeine Kirgisen, die auf ihren Wanderungen zufällig vorbeikamen. Auf der rechten Seite die-Saals und der Vorstube lagen vier Zimmer, zwei nach der Steppe und zwei nach dem Hofe; von diesen hatte die Wohnstube des Khans ihren Eingang vom großen Saale her, die übrigen wurden von der Khanin Fatime benutzt. Auf der linken Seite waren gleichfalls vier Zimmer, von denen die beiden nach der Steppe gelegenen uns eingeräumt waren, wahrend die zwei nach dem Hofe gelegenen von der kirgisischen Frau des Khans bewohnt wurden. Die größte Stube nach der Steppe war unsere Wohnstube und zugleich mein Schlafzimmer; die entlegenste war ein Billardzimmer und diente Due als Schlafzimmer. Im Hofe waren einige Nebengebäude, welche die Wohnung und das Comptoir für den Secretair, ferner die Küche und die Stube für die Dienstleute enthielten. Die Zim> mer waren gut tapezirt und mit stattlichen Mahagonimöbeln und großen Spiegeln geschmückt, während die Fußböden mit schönen persischen Teppichen belegt waren. In uuserer Wohnstube stand das Fortepiano der Khanin, in Due's Kammer ein gut erhaltenes Billard. Bet unserer Ankunft war der Khan etwas unwohl; indessen wurden wir ibm doch einige Zeit nach unserer Aukunft vorgestellt. Wir fan« den in ihm einen sehr höflichen, gutmüthig-verstandigen jungen Mann von siebenundzwanzig Iahreu, welcher vielen Austand und ein recht interessan. tes Geficht besaß, das hinsichtlich der Augen und der Farbe derHaut ein 8. Kap.) Die Gemahlinnen des Khans. 171 wenig an seinen mongolischen Ursprung erinnerte. Er hatte seine Er« ziehung in einem Institute in Astrachan erhalten und sprach und schrieb Kirgisisch (tatarisch), Arabisch, Persisch und Russisch, welcher letzter« Sprache wir uns allein bedienen konnten. Daß er mit der Geographie und selbst ein wenig mit der Astronomie bekannt war, bewies ein Atlas und ein kleiner Himmelsglobus von Kupfer, beide mit arabischen Schriftzügen. die ich später zu Geficht bekam. Seine Tracht war asiatisch; er trug weite Hosen von violettem Sammet mit breiten goldenen Treffen an den Seiten und an seinen kleinen Füßen Stiefeln nach europäischer Manier. Die obere Hälfte des Körpers bedeckte ein Halbkaftan von derselben Farbe in Sammet, mit Treffen vorn und an den Rändern; darüber trug er einen zweiten langen Sammetkastan mit einem Gürtel, worin ein kleines Schwert hing, deffen Handgriff mit großen Edelsteinen geziert war. Der Kopf, dessen Haar alle Kirgisen glatt abrasiren, wurde von einer spitzen, mit Zobel verbrämten Mütze bedeckt. Um den Hals trug er an einem breiten rothen Bande eine große goldne Medaille, die auf der Vorderseite das Portrait des Kaisers zeigte, und deren Rand ringsum mit großen Brillanten besetzt war. Der Khan hatte sich zuerst mit einer Kirgisin verheirathet, die ihm einen Sohn geboren, bald darauf aber gestorben war. Jetzt hatte er sich mit ihrer Schwester vermählt. Seme liebste Gemahlin, an der er mit größter Innigkeit hing. und in deren Zimmer er sich fast den ganzen Tag aufhielt, war aber Fatime, die Tochter eines tatarischen Mufti (vorneh-men Geistlichen) von Kasan. Diese hatte eine Erzieherin aus der deut« schen Colonie Sarepta an der Wolga, etwa 55 Meilen nordwestlich von Astrachan, gebabt und daher Deutsch sprechen gelernt*), sowie sie auch außer ihrer tatarischen Muttersprache. Russisch verstand. Sie wurde uns als eine gutmüthige und sehr liebenswürdige Dame gerühmt. Karelin nannte nie ihren Namen ohne hinzuzufügen: „ali! oommo eile sst 2imQdIo!« Leider war sie zu schüchtern, um sich vor uns sehen zu lassen; da sie Deutsch verstand, hätten wir leicht mit ihr reden und sie in der Unterhaltung mit dem Khan als anmuthige Vermittlerin brauchen können. Die kirgisische Gemahlin hatte der Khan nehmen müssen, um bei seinen ^In^imr Schublade in meiner Stube fand ich ihre russisch-deutsche Grammatik, welche starke Spuren eines fleißigen Gebrauches an sich trug. 172 Kirgisische Gastfreundschaft. 18. Kap. Landsleuten nicht anzustoßen; da sie aber eine Kirgisin wie alle andern war. geboren und erzogen in einer Kibitke, nnd ebenso unwissend und roh wie ihre Schwestern, war sie ihm vollkommen gleichgiltig. Der Khan besuchte uns täglich wiederholt in unseren Zimmern, unterhielt sich mit uns und spielte Pillard mit Lieutenant Due und Karelin, worin er viel Fertigkeit hatte. Er verstand es sehr gut, seine Würde als regierender Fürst mit einer gewissen Bescheidenheit, einem Paar Repräsentanten europäischer Wissenschaft gegenüber, zu vereinigen. Von Astrachan hatte er verschiedene Weine für uns holen lassen, welche die Mohamedaner selbst nicht trinken dürfen; auch besaß er einen russischen Koch, der in der Zubereitung europaischer Speisen erfahren war. Wir hatten daher eine wohl versehene Tafel, und Karelin versicherte, daß er gern mit uus ge» speist hätte, wenn er nicht gerade zu der Zeit etwas unpäßlich gewesen wäre. Vielleicht fürchtete er auch den gemeinen Kirgisen dadurch einigen Anstoß zu geben. Zum Frühstück wurde uns beispielsweise mit einer Art Knackwürste von Pferdefleisch aufgewartet, welche ebenso appetitlich aussahen, als sie wohlschmeckend waren. Die Kirgisen haben einen guten natürlichen Verstand und viel Romantisches in ihrem Charakter. Sie sind Freunde von Abenteuern, stolz, bequem, freundlich, wollüstig und eigentlich nicht blutdürstig. Die Titten der kleinen Horde, von der hier vornehmlich die Rede ist, sind durch die nähere Verbindung und den Handel mit Nußland merklich verbessert worden. Das weibliche Geschlecht wird wegen seiner Gutmüthigkeit und Häuslichkeit gerühmt. Da sie von der Viebzucht leben, so haben sie nichts Anderes zu thun, als auf ihre Schafe, Rindvieh, Pferde und Ka< meele zu achten. Ist eine Gegend abgeweidet, so wird die Kibitke nach einer ander» grasreichen Stelle versetzt. Sie leben demnach in großer Bequemlichkeit, und um die Zeit zu vertreiben, reiten sie anf der Steppe umher, besuchen einander, setzen sich in der fremden Kibitke nieder, wo sie jederzeit willkommen sind, und lassen sich bewirthen und Abenteuer oder irgend etwas Neues erzählen, das Hch in ihrer Nähe zugetragen hat. Die geringste Begebenheit, die an dem einen Ende der Steppe vorfällt, z. B. unsere Reise zum Khan, ist binnen wenigen Tagen auf der ganzen Steppe bekannt. Es ist dies ein einfaches Ersatzmittel für unsere Tagesblätter. So sah auch jeder vorbeireitende Kirgise den großen Versammlungssaal 8. Kap.) Das Nomadenleben. 173 des Khans für eine Kibitke an, wo er hineinzog, auf den Boden hockte, Neues erzählte oder sich erzählen ließ und nach Gutdünken kürzere oder längere Zeit verweilte. Zur Mittagszeit brachte man eine Menge hölzerner Schüsseln mit gekochtem Hammelfleisch, für diese rings an den Wänden umhersitzenden fremden Gäste sowohl, wie für die Starschinen des Khans herein. Der Khan ging dann beständig umher und sprach mit jedem Einzelnen. Wahrend der Nacht schliefen sie auf dem Boden. Wenn man nntcr diesen ungekünstelten Menschen lebt, wird man in die Zeit der Patriarchen, wie wir sie aus dem alten Testamente kennen, lebhaft zurückversetzt. Das Nomadenleben scheint in der vergangenen Neihe von Jahrtausenden nicht die geringste Veränderung erfahren zu haben. Selbst den Befehlen des Khans gehorchen sie nur insofern, als es ihnen genehm ist.. Als Richter hat er dagegen mit seinen Starschinen «ine größere Autorität, indem jeder die Hand dazu bietet, die unter ihnen angenommenen Sitten aufrecht zu erhalten. Ich fragte einst den Khan, ob er nach Gesetzen, oder nach alten Gebräuchen. oder nur nach seinem Gutdünken richtete. Er antwortete: „Nur nach meinem Willen." Das Gutachten der Starschinen scheint jedoch für ihn maßgebend zu sein. Als in einer Audienz bei König Karl Johann in Stockholm im Jahre 1830, bald nach unserer Rückkehr aus Nußland, von unserem Aufenthalt bei den Kirgisen die Nede war, fragte mich der König, ob unter den Kirgisen mehr Verbrechen herrschten, als unter den europäischen Nationen. Da ich dies verneinend beantwortete, indem ich bemerkte, daß unter ihnen weder Diebstahl, noch Naub oder Betrug vorkämen, sondern daß sie wie eine große friedliche Familie zusammenlebten, brach er mit Eifer in die Worte aus: „voilü, 1'ellel clo la (üvilizalion!" Ich bemerkte hierauf, daß die Civilisation die Fähigkeiten des Menschen entwickelt und ihn also geschickter macht, sowohl das Böse als das Gute auszuführen. Bei derselben Audienz erzählte ich dem Könige, daß der Khan sich darüber beklagt hätte, daß er nicht Französisch verstände, wodurch er besser mit uns hätte reden können, und daß er in den letzten Tagen un< seres Aufenthalts von Karelin gelernt hätte, uns mit den französischen Worten: ,.d«n ^«ur!« zu begrüßen. Mit seiner bekannten gutmüthigen Ironie rief der König aus: „Mai ibi! il a bien avance I" 174 Religiöse Gebräuche. P. Kap. Due's Bett stand im Billardzimmer, gerade vor der Thür des Zimmers der kirgisischen Khanin. Diese Thür war windschief geworden, sodaß sie nicht verschlossen werden konnte, sondern angelehnt stand und mit einem Bindfaden angebunden, überdies auch mit einem Teppich bedeckt war. Eines Abends, als wir Beide zu Bett gegangen waren, wurde es sehr unruhig in ihrem Zimmer. Due hörte sie zwei bis dreimal: „Allah! Allah'." rufen; endlich schrieen plötzlich zehn bis zwölf Weiber: „Allah Hegeber!« und das Geschrei eines neugebornm Kindes ließ sich vernehmen. Auch in meiner Stube wurde der Nuf deutlich gebort. Ich stand auf und bat Due seine Betten in meine Stube zu tragen, da eiue solche Scene wohl selbst für das Schlaftalent eiucs Seemannes, wie er, zn stark sei. Als ich am nächsten Tage dem Khan zur Geburt dieses Sohnes Glück wünschte, antwortete er nichts, während er gewiß mit weit größerem In-teresse einem Erben von seiner geliebten Fatime entgegensah. In dem großen Saale wurden, wie schon erwähnt, täglich fünf Mal Gebete gehalten; der Khan verrichtete oft selbst den Dienst; doch geschah es gewöhnlich von einem Mollah (mohamedanischeu Geistlichen). Wäh. rend des Gottesdienstes nahmen die Kirgisen ihre spitzen Mützen ab und setzten einen Turban auf. Es war uns nicht verwehrt, während des Gottesdienstes durch den Saal zu gehen; nur wünschte man, wir möchten nicht an den Gesichtern der Kirgisen vorübergehen, welche alle nach den Fenstern zugekehrt waren. Bei dieser Gelegenheit sah ich einmal, wie ein kirgisischer Diener des Khans heimlich hinter dem Rücken der anderen eine Weinflasche nahm, die von unserem Fnchstückstisch genommen und auf einem Tische im Saale vergessen war, sie an den Mund setzte und einen tüchtigen Schluck daraus that, was sonst den Mohamedanern verboten ist. Auch der Genuß des Schweinefleisches ist ihnen untersagt, und hierauf wird so streng gehalten, daß als der Khan einmal einige Lebens» Mittel von Orenburg hatte kommen lassen und Frau Karelin ihrem Manne ein Paar Schinken mitschickte, welche durch die Nachlässigkeit dcs russi« schen Commisfionärs in dieselbe Kiste mit den übrigen Waaren gepackt waren, diese sämmtlich, als verunreinigt, vom Khan lasstrt wurden. Eines Nachmittags lud uns der Khan ein, in seiner Wohnstube Thee zu trinken. Als ich neben ihm auf dem Sopha saß, fragte ich ihn, ob er irgend einen charakteristischen Unterschied zwischen unsern Gesichts« 8. Kap.) Kirgisische Belustigungen. 175 zügen und den russischen finden könnte, sowie wir die seinigen von ihnen abweichend fänden. Nachdem er uns einige Zeit betrachtet hatte, beant« wortete er dies mit Ja. Ich fragte nun Karelin, ob er wohl glaubte, daß eS den Khan unterhalten möchte, wenn wir ihm einige Leibesübungen, einen norwegischen Bauerntanz und dergleichen zeigten. Mit Vergnügen wurde das Anerbieten vom Khan angenommen. Das Fortepiano, welches ich am Vormittage so gut wie möglich zu stimmen versucht hatte, wurde jetzt hereingetragen. Ich verlangte nun zuerst eine Flasche, legte dieselbe auf den Fußteppich und setzte mich auf dieselbe so, daß der Hals der Flasche nach den Füßen zu gekehrt war; zugleich ruhte die rechte Ferse auf dem Boden, die linke auf den Zeheu des rechten FußeS. In dieser balancirenden Stellung nahm ich in jede Hand einen silbernen Leuchter mit einem Wachslicht, von welchen das eine angezündet war und das an« dere, ohne sonstige Stütze auf dem Boden als die oben erwähnte, dabei angezündet werden sollte. Nach einigen vergebliche» Versuchen glückte es. Taute, der ältere Halbbruder des Khans, versuchte dies nachzuahmen und machte dabei recht gelungen den Bajazzo. Nachdem er mehrere Mal bald den einen, bald den andern Leuchter gegen den Boden gestoßen uud das brennende Licht ausgelöscht h.üte, stieß er es endlich gegen seine Nase, löschte es aus lind kollerte auf dem Boden umher. Darauf balancirte ich mit dem einen Arm auf dem Sitze eines Stuhles und schwang die Beine über die Stuhllehne, ging auf den Händen, schoß Burzelbäume vor« und rückwärts, und machte den sogenannten Krabbensprung. Mehrere von diesen Uebungen machte Lieutenant Due glücklich uach; aber Sultan Tauke erweckte als Bajazzo allgemeine Heiterkeit. Er war klein, unterseht, hatte breite Schultern und einen dicken Bauch. Um bei diesen ihm ungewohnten Uebungen ganz ungenirt zu sein, zog er seinen Kaftan ab. Wir hatten nun das vollständige Bild eines europäischen Bajazzo vor uns. indem ein kurzes manchestcrnes WammS auf seine mit weiten Leinwandshosen bedeckten, in ein paar grobe Stiefel mündenden dicken Lenden halb herabreichte. während seine spitze Mütze das Bild vervollständigte. Bei jedem seiner plumpen Versuche, die er indessen mit einer gewissen ko« mischen Laune ausführte, rollte er kopfüber, und die spitze Mütze fiel von dem glattrasirten Kopf, wobei der Khan dermaßen lachte, daß er sich den Bauch halten mußte. Cs war für uns Alle eine höchst belustigende Scene. 176 Der Hallmgtanz. s6. Kap. Als die Kirgisen, die in dem großen Saale versammelt waren, das Ge» rausch dieser Scene hörten, glotzten sie an der Thür in des Khans Stube hinein, hockten, um Etwas zn sehen, einander auf die Schultern und rollten vor Lachen bisweilen herab, wodurch unsere Fröhlichkeit noch vermehrt wurde. Endlich bat ich Licuteuant Due, sich an das Fortepiano zu setzen und einen hübschen norwegischen Hallmgtanz zu spielen. Als Schul» knabe hatte ich zur Marktzeit bisweilen die Bauern Halling tanzen sehen, und kannte einige der kunstreichen Sprünge, die darin vorkommen. Diese versuchte ich, so gut es mir möglich war, nachzumachen. Als dieser Tanz zu Ende war, kam Karelin zu mir und bat mich, denselben noch einmal zu wiederholen. Ich fragte nach der Ursache und bekam zur Antwort, daß er mir dies nicht sagen könnte, ich aber doch seine Bitte erfüllen möchte. Ich war dazu bereit, und bemerkte während des Tanzes, daß die Thür zur Stube der Khanin Fatime angelehnt stand; auch nahm ich in der dunklen Stube den Schimmer von einer weißen Oeftalt wahr. Tags darauf erzählte Karelin. daß die Khanin einen Lehnstuhl an die Thür hatte setzen lassen, welche so weit geöffnet wurde, daß sie dadurch heimlich den norwegischen Hallingtanz sehen konnte. Die Musik zu die« sem Tanze fand an allen Orten Sibiriens, wo man sie zu hören bekam, vielen Beifall. So lernte sie die Oberstin Murawieff in Irkutsk und ihre kleine Tochter Sophie spielen; ebenso wurde sie von den Töchtern des Berghauptmanns v. Achtes in der Bergstadt Slatoust, von Frau Karelin und einer Generalin Okuness in Orenburg und endlich hier in der Nesi» denz des Kirgisenkhans gespielt. Es giebt einen russischen Bauerntanz, der viel Aehnlichkeit mit dem Halling hat. Da ich nicht Billard spielen und nur wenig Russisch sprechen konnte, obschon es mit dem Lesen recht gut ging, benutzte ich meinen fünftägigen Aufenthalt bet dem Khan dazu, in dem Hofe und dicht davor auf der Steppe die magnetischen Beobachtungen sowie die zur Bestimmung der geopraphischen Lage der Residenz des Khans (Breite und Länge) nöthigen astronomischen Beobachtungen anzustellen, während Due den gesellschaftlichen Pflichten bei dem Khan und seinem Secretair Karelin genügte. Die Lage dieser Residenz, welche früher nicht bestimmt war, sah ich später auf deutschen Karten dieses Theiles des russischen Reichs an« gegeben. 6. Kap.) Abschied vom Khan. 177 Bei den vornehmen Kirgisen ist es Sitte, dem abreisenden Gaste ein Geschenk znr Erinnerung an seinen Aufenthalt mitzugeben. Dschanger berieth nun mit Karelin lange, welcher Art dasselbe stin sollte. Daß es ein echt kirgisisches Product sein müßte, darin waren sie sofort einig. Der Khan äußerte, daß er nns ein Paar Hengste aus der Kabardci zum Geschenk machen wollte. Es sind dies eine Art leichter und feiugebauter schwarzer Pferde, welche Argamak heißen, und in ihrer Gestalt sehr einer Dogge gleichen, während ihnen an Schnelligkeit kaum ein englischer Wettrenner gleichkommen dürfte. Aber Karelin stellte ihm vor. wie schwer es für uns sein würde, sie wohlbehalten nach nnserer Heimat zu bringen. Er verehrte mir daher einen weiß und blau gestreiften Kalat (eine Art elegan» ten seidenen Kaftans oder Schlafrocks), den er selbst einige Male getragen hatte. Zugleich nahm er vom Kopfe seines ältesten neunjährigen Sohnes eine spitze rothe Mütze mit Goldtressen nnd Streifen von Zobelfell, und setzte mir sie auf. Als er aber sah, daß sie mir zu klein war, nahm er seine eigene goldbrokatcne Mütze vom Kopfe und wollte sie mir aufsetzen; da ich mich aber weigerte, meinte er recht kindlich, daß er sich ja eine neue machen lassen könnte Als ich ihn nun bat. daß es bei der ersten verbleiben möchte, äußerte er, daß sie vielleicht meinem ältesten Sohne passen könnte. Dem Lieutenant Due schenkte er eine vollständige Kirgisentracht, sogar einen mit dem metallenen Knopfe versehenen Kantschuh oder Peitsche, womit sie ihre Pferde antreiben und sich schlimmsten Falls vertheidigen. Unseren interessanten Aufenthalt beim Khan verließen wir am 9. Februar in Begleitung eines Kosaken-Ofsiciers, welchem er befohlen hatte, uns bis Astrachan das Geleit zu geben. Wir zogen an einem Paar merkwürdigen großen Salzseen auf der Steppe vorbei, kamen nach drei Tagen nach Tschcrnoi-Iarr au der Wolga und reisten in südöstlicher Nich. tu"g an diesem Flusse entlang bis nach Astrachan. Der Khan hatte uns gebeten, einen seiner Frenndezu besuchen, einen kalmückischen Knäs oder Fürsten. Namens Tiunwn, welcher auf einer Wolgainsel, etwa 12 Meilen nörd» lich von Astrachan, residirt und über einen Stamm von Kalmücken herrscht, welche den westlichen Theil der großen Steppe bevölkern, während der östliche von den Kirgisen besetzt ist. Ans der Station, die diesem Orte zunächst liegt, traf ich den Professor Parrot aus Dorvat, der mit einem Studenten derselben Universität, Hanstcm. «eise. ^ 12 178 Der kalmückische Knäs Tiumen. s8. Kap. Namens Maximilian Vcbagel. beschäftigt gewesen war. mittelst zweier Barometer den Höhenunterschied zwiscken dem schwarzen und caspischen Meere zu bestimmen. Es ist nämlich eine merkwürdige Erscheinung, daß. obwohl das caspisch? Meer ein Binnensee ist. der keinen Allsgang nach dem Meere hat. und die große Wolga, der Ural und mehrere kleine Flüsse in denselben münden, dennoch die Oberfläche desselben niedriger liegt als die des schwarzen Meeres. Dicsts Phänomen läßt sich allein daraus erklären, daß ein großer Theil des zufließenden Wassers von den umliegen« den Sandflachen eingesogen wird und verdunstet"). Parrot kam aus Grusieu und hatte mich vergebens in Baku, Tifiis und Astrachan zu treffen gehofft, woran mein durch die Cholera in Orenburg verzögerter Aufenthalt Schuld gewesen war. Ich überredete ihn, die zehn bis zwölf Werst zum Knäs Tiumön, dem ich mich hatte anmelden lassen, mit mir zurückzukehren, damit wir so Gelegenheit erhielten, einander das Resultat unserer Neisebeobachlungen mitzutheilen. Dies machte meinen Aufenthalt daselbst weit angenehmer, zumal ich ihn als Dolmetscher bei dem Knäs brauchen konnte, der das Russische ebenso gut wie Parrot verstand. Knäs Tium6n war ein großer starker Mann. hatte als Oberst die Kriege gegen Napoleon mitgemacht und unsern Konig Karl Johann gesehen. als dieser noch als Kronprinz von Schweden und Norwegen Kriegsoperationcn in Deutschland leitete. Er warder gastfreiste, höflichste und liebenswürdigste Wirth von der Welt, dessen Tafel ganz den europäischen Sitten gemäß eingerichtet war. Er zeigte uns unter seinen Waffen einen von den be< rühmten damascirten saracenischen Säbeln, deren ungewöhnliche Schärfe unter Andern Walter Scott im „Talisman" beschreibt. Der Knäs behauptete, daß man mit demselben einen großen Schiffsnagel zerhauen könnte, ohne daß er eine Scharte bekäme. Ich hatte ein hübsches Kongsbergcr Garten» messer bei mir, mit welchem ich Späne von einem Schlüssel schneiden konnte. Dies setzte ihn in Erstaunen, und als ich mich erbot, mit meinem Messer einen Span von seinem Saraceneisäbel zu schneiden, hielt er dies für eine Unmöglichkeit. Ich bewies ihm indeß, daß. wenn ein Säbel einen starken Hieb aushalten soll, und man mit einem Gartenmesser ein dickes ') Durch genaue geometrische Messungen hat man im Jahre 1837 gefunden, daß die Oberfläche des caspischen Meeres 8Z2/g englische Fuß unter der Oberfläche des asowschcn liegt. 8. Kap-1 Die Kalmücken. 179 Stück Holz spalten, oder mit einem Hammer auf dasselbe schlagen wolle, es nicht aus einfach gehärtetem Stahl bestehen dürfe, sondern daß auf den Seiten der mittelstcn Stahlplatte, welche die Schneide bildet, zwei Platten von weichem Eisen angeschweißt sein müßten. Ich nahm daher den Säbel, setzte die Schneide des Messers auf die Kante des breiten Säbelrückens und schnitt einen ganz merklichen Span ab. Dies setzte ihn höchlich in Erstaunen; indeß brachte ich später, als er gerade nicht darauf achtete, das Messer auf die Schneide des Säbels, wo es, wie ich voraussehen konnte, wie auf Glas abglitt. So hatte ich die Ehre Norwegens in Bezug auf die der Schmiedekunst aufrecht erhalten. Spater verehrte er uns zum Andenken einige kalmückische Kleinigkeiten, von denen ich eine große schwarze Lederfiasche mit erhabenen Figuren. welche an den Sattelknopf gehängt wird, erhielt. Zur Erwiderung schenkte ich ihm mein Gartenmesser und einen hübschen Feuerstahl von Eskildstuna. auf dessen einer Seite das Stockholmer Schloß abgebildet war. Eines Tages unterhielt uns sein jüngerer Bruder durch einen kalmückischen Tanz, in sofern man es „Tanz" nennen kann, wenn Jemand auf einer und derselben Stelle bleibt, die Arme und die Finger tclegraphenartig nach dem Takte bewegt und höchstens zuweilen mit den Füßen ein wenig scharrt. Die Kalmücken gehören, wie die Buräten in der Nähe von Irkutsk, zu dem mongolischen Stamme und bekennen sich. wie diese, zur lamaischen oder buddhistischen Religion. Sie unterscheiden sich von unserer kaukasischen Race durch die Gestalt des Hirnschädels, stark hervortretende Backenknochen, schief geschnittene Augen und eine gelbe Gesichtsfarbe. Sie find Nomaden wie die Kirgisen und führen ganz dieselbe Lebensweise. Ihr Aufbruch von einer abgeweideten Grasfläche ward uns als eine sehr lebhafte Scene geschildert. So weit das Auge reicht, ist die Steppe mit Pferden. Rindern und Schafen bedeckt. Manner, gewöhnlich mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, reiten, von ihren Hunden begleitet, um die Horde, und halten den Zug in Ordnung. Andere reiten in Gesellschaft von jungen Weibern. Knaben und Mädchen und bilden Gruppen, deren Munterkeit sich in lautem Jubel äußert. Dann folgen Kameele. welche Matronen und Frauen mit kleinen Kindern tragen; die letzteren hängen gewöhnlich in Körben; noch andere Kamcele sind mit Filzen und dem übrigen Zubehör der Kibitken, als Kessel und Lebensnuttel u. s. w. Igy Sin kalmückisches Frühstück. 18. Kap. beladen. Die Kalmücken sind flinke Jäger, und verzehren fast alle Arten Thiere, Hnnde ausgenommen, weil diese - des Menschen Freunde sind. Brot essen sie gern, wenn sie es von den Nüssen bekommen, backen es aber nicht selbst. Erhält der gewöhnliche Kalmücke etwas Mehl, so rührt er es in warmem Wasser nm nnd trinkt diesen dünnen Brei. Die Vornehmen aber backen sogar Knchcn und trinken gern und viel Thee. Eines Nachmittags führte uns der Knäs in einen großen, stattlichen Tempel, den er nicht weit von seinem Hause hatte erbauen lassen. Anf seinen Befehl wurde ein vollständiger Gottesdienst nach dem lamaischen Nitus von wenigstens vierzig Lamas (Priestern) in ihrer eigenthümlichen Tracht ausgeführt. Wir hatten den Knäs ersucht, uns Gelegenheit zu verschaffe», einige kalmückische Frauenzimmer in ihrer vollständigen Tracht zu sehen. Am nächsten Morgen vor dem Frühstück führte er uns zunächst in seinen Hof und ließ seine trefflichen Pferde, unter denen sich ein Paar reizende Ar-gamaks befanden, vorführen. Darauf bat er uns, ihm nach einer Kibitke in der Nähe des Hauses zu folgen. Hier sahen wir zwölf Frauenzimmer in einer Neihe sitzen, ungefähr den vierten Theil vom Umfange der Kibitke einnehmend, während ein großes Feuer iu der Mitte brannte. Wir setzten uns in eine Ecke, ihnen gegenüber, und betrachteten sie. Sie trugcu kostbare Eammetkleider von verschiedenen Farben, doch waren ihre Gesichtszüge überaus steif und auch ihre Figuren schienen schlecht zu sein. Sie waren klein und hatten nicht die runden, vollen Formen, welche wir an einer hübschen weiblichen Fignr lieben. Die Männer kamen uns weit weniger häßlich vor, vielleicht aber nur darum, weil man an die Schönheit eines Mannes im Allgemeinen höchst maßige Forderungen zu machen pflegt. Der Knäs selbst war ein sehr ansehnlicher Mann, dessen Gesichtszüge nicht in dem Grade von den europäischen abwichen, daß er in einer Ge» sellschaft von Europäern Aufmerksamkeit erregt hätte. Zur Unterhaltung kam es nicht, da diese Damen nicht Russisch verstanden. Ob sie des Knäs Frauen und Töchter waren, weiß ich nicht, glaube aber, daß sie zu seiner Familie gehörten. Zum Frühstück ließ er uns erst Caviar und dazu ein echt kalmücki« sches Getränk, Kumis, eine Art Branntwein, reichen, der von Pferde, milch bereitet und a'lf einer stachen Porzellantasse dargeboten wild. Der 9. Kap-1 Astrachan. 181 berühmte Kumis sah wie trübe Molken aus und hatte einen unangenehmen Fnsclgeschmack. Demnächst wurden gutzubereite Fleischspeisen aufgetragen. Beim Abschiede gab er uns eine in mongolischer Sprache geschriebene Empfehlungsordre an den Verwalter eines Gutes mit großen Gartenanlagen , welches er an der Wolga, einige Werst südlich von seiner Residenz, besaß. Die Umstände gestatteten uns aber nicht, davon Ge» brauch zu machen. Es ist der mongolischen Schrift eigenthümlich, daß die Linien nicht wie bei anderen Sprachen horizontal. sondern vertikal geschrieben werden. Dies rührt daher, weil die Mongolen als Nomaden nicht Tische oder andere feste Hausgeräthe kemun, sondern das Papier auf den Schenkel legen und vom Knie aus nach dem Leibe hin schreiben. Endlich langten wir am Abend des 15. Februar in der großen, in vieler Hinsicht merkwürdigen Stadt Astrachan an, wo wir nach zwei bis drei Monate langem, sehnsüchtigem Harren eine Menge Briefe ans der Heimath vorfanden. Neuntes Kapitel. Aufenthalt in Astrachan. — Ehrensache mit eincm russischen Lieutenant. — Ein indischer Fakir. — Persischer Bombast. — Naturwunder in Grusien und Schirwan. — Das ewige Feuer. — Naphta-Quellen. — Wachsende Berge. — Der Argonautcnzug strandet auf dem Eise. Astrachan, eine der ansehnlichsten Städte des russischen Reiches, liegt auf einer Insel. Dolgoi Ostrow (das heißt die lange Insel), in der Wolga, ungefähr 7 Meilen von deren Mündung in das casvische Meer. Das Meer hat sich früher der Stadt mehr genähert, aber der Sand, welchen der Fluß mit sich führt, hat allmälig eine Menge Inseln, oder ein sogenanntes Delta im Süden der Stadt gebildet, sodaß sich die Wolga jetzt durch mehr als sicbcnzig Arme in das caspische Meer ergießt. Auf diesen Inseln haben sich Tataren angefiedelt und leiten durch Damme und Kanäle das Wasser aus dem Flusse auf ihre Aecker, Wiesen mid Gärten, wo sie die herrlichen Arbusen und Melonen bauen. Da dle Stadt nur wenig nördlich vom 46. Breitengrade liegt, also 2'/, Grad südlicher als 182 Astrachan. O. Kap. Paris, so hat fie einen sehr warmen Sommer, obschon, wie alle Gegenden Rußlands, einen ebenso strengen Winter. Die Einwohner der Stadt haben daher in einem Umfange von ^-'/2 Meile Weingärten auf den nach dem Flusse zu abfallenden Ufern angelegt, welche mit hohen Erdwällen umgeben sind. In jedem Garten befindet sich eine große Hütte, in welcher ein Junge wahrend der Zeit. wo die Trauben reifen. Wache hält, um Krähen und Elstern zu verjagen. Unten am Wasser sind Ma» schinen angebracht, welche von Kameelen oder Pferden getrieben werden, und mittelst welcher Wasser in die Höhe gehoben und der Bewässerung wegen in hölzernen Ninnen in die Gärten geleitet wird. Die wohlhabenderen Einwohner haben zu diesem Zwecke Windmühlen gebaut. Sie bereiten aus diesen Trauben verschiedene Weine und haben von Frankreich die Kunst gelernt, einen rothen und einen weißen Champagner zu machen, von welchen wir letzteren fast ebenso wohlschmeckend fanden, als den echten französischen. Die Stadt hat eine alte Festung. in Gestalt eines rechtwinkligen Dreiecks, ist der Sitz einer Admiralität, eines kaiserlichen Fischercicomptoirs, eines russisch-griechischen und eines armenischen Bischofs. Sie hat fünfundzwanzig griechische Kirchen, zwei Klöster, das eine für Mönche, das andere für Nonnen, ein Seminar für russische Geistliche, zwei armenische Kirchen, eine deutsch-lutherische, eine römisch-katholische Kirche mit einem Kloster, neunzehn muhamedanischc Metscheds (Moscheen) und einen Betsaal für Hindus. Hier leben Nüssen, Tataren, Armenier, Grusier, Deutsche, Engländer, Perser. Hindus, Chiwenser, Turkcstaner und andere Europäer und Asiaten. Die Stadt zählt über 30,000 Einwohner, und mit den Fremden, welche hier wegen Fischerei und Fischhandel eintreffen, beläuft sich die Zahl bisweilen auf 70.000 Menschen. Die Stadt treibt einen bedeutenden Handel, sowohl mit dem In-, lande, als mit Perfien. Chiwa, der Bucharei und Indien. Von hier wird Seide, rohe und gesponnene Baumwolle, Fischottern, perfische Seidenzeuge, kostbare indische Waaren, wilder Honig, Lämmerfelle, kaukasisch-tscherkesfische Schafpelze, bucharische Schlafröcke, Taback. Mais. persische Erbsen und viele Früchte eingeführt. Man führt dagegen aus: Leinwand, Wachs, Seife, Gold und Silber, verarbeitetes Kupfer, Blei, Eisens Stahl, Quecksilber, Alaun, Vitriol, Salmiak, Saffian und Iuften,' 9. Kap.) Ein Abenteuer. Igg welche in Astrachan fabricirt weiden. Von hier aus wird auch die reiche caspische Fischerei im Meere und an den Mündungen der Wolga. des Terek und Kur betrieben. In der Stadt selbst befinden sich mehrere große Weingarten, ein botanischer und ein Apotheker-Garten. Nachdem wir den ersten Tag (15. Februar 1830) in einem ziem» lich beschränkten Logis zugebracht hatten, wurde uns am folgenden Tage e'm großes, einem Armenier gehörendes Haus, in dem nordöstlichen Theile der Stadt angewiesen, und es in unser Belieben gestellt, so viele Zimmer, als wir wünschten, zu benutzen, da der Besitzer selbst nicht dort wohnte. Wir wählten daher ein großes Zimmer zur Wohn- und Arbeitsstube, und zwei kleinere zu Schlafkammern für mich und Lieutenant Due, sowie ein viertes für Gustav Nosenlund und Anders Nielsen. Dies gab Anlaß zu folgendem Abenteuer. Einige Tage nachher kamen eines Morgens früh vier Personen in groben schmutzigen Leinwandkitteln, dem Aussehen nach ganz einfache Arbeitsleute, und verlangten eine unserer Stuben in Besitz zu nehmen. Der Dolmetscher erklärte ihnen, daß dies nicht anginge, da diese Räumlichkeiten nach Anweisung der Polizei schon von uns in Besitz genommen wären; da sie aber laut wurden, ging Due hinaus, um sie zurechtzuweisen, und da der Eine einige impertinente Bemerkungen machte und sich hineindrängen wollte, gab ihm Due eine Ohrfeige. Derselbe erklärte nun, daß er Officler sei und wegen dieses Schimpfes Genugthuung verlange, worauf Due ihm erwiderte, daß, wenn er darauf Anspruch mache, als Officier behandelt zu werden, er sich als ein solcher kleiden und betragen müsse. Sie gingen fort und hiermit hielten wir die Sache für abgemacht. Aber am folgenden Morgen, als ich in die Wohnung gehen wollte, hörte ich von daher ein lautes Gespräch mehrerer deutschredeuden Personen, und bei meinem Eintritt wurde ich vou Lieutenant Due einem Oberst Nehbinder und einem Capitain Küster, Beide vom Iugemeurcorps. vorgestellt, welche auf einigen Stühlen am Fenster Platz genommen hatten, und eine Person in grober Uniform, welche ihnen gerade gegenüber stramm an der Thür stand, zu verhören schienen, indem sie deren Aussagen mit den Erklärungen des Lieutenants Due verglichen. Es wurde mir nun ausciuandcrgesetzt, daß die an der Thür stehende Person der Lieutenant sei, der die Ohrfeige erhalten; daß er sich darüber beim Oberst Rehbinder, als dem Höchstcommandirendm 184 Ein Abenteuer. l9. Kap. des Orts, beklagt und Genugthuung verlangt habe, weshalb sich dieser mit seinem Adjutanten Küster zur Untersuchung der Sache eiugefuuden hätte. Ich erklärte, daß ich an dem Vorfall unschuldig wäre. da er sich ohne mein Wissen, noch ehe ich aufgestanden, zugetragen, und daß Due aus Besorgniß, ich möchte durch den Lärm aus meinem Schlafe geweck werden, sich genöthigt gesehen hatte, diese Personen auf irgend eine Weise zu entfernen, zumal da er wußte, daß ich mehrere Jahre an Schlaf, losigkeit leide, und daher der Ruhe bedürfte. Nach langem Hin- und Herreden wurde die Sache dahin entschieden, daß sich der russische Lim. tenant mit einer Ehrenerklärung seitens Due's begnügen solle. Nach einigem Bedenken erklärte hierauf Due auf Nussisch, „daß, wenn er gewußt hätte, daß der Kläger ein Officier sei. was er weder aus seinem Anzüge, noch aus seinem Benehmen hätte ahnen können, so würde er ihm die gewaltige Ohrfeige nicht gegeben haben." Hiermit, erklärte Rehbinder, könne der Kläger sich zufrieden geben. Aber dieser blieb noch eine Zeit lang stehen, als ob er etwas aus dem Herzen hätte, welches ihm beschwerlich fiele anszusprecheu, und äußerte endlich, „daß es ihm doch schiene, als müßte er eine kleine Entschädigung für die Ohrfeige haben, z. B. 5 Nubel (etwa 2 Thaler)." Kaum waren ihm diese Worte entschlüpft, als Oberst Nchbinder höchst unwillig (aus Nussisch) rief: „Pfui, das ist schändlich!" Due verweigerte ihm diese Entschädigung, und er mußte gehtn. Später stellte ich Due vor, wie er dadurch, daß er die verlangten 5 Nubel gegeben, völlig als Sieger aus der Affaire hervorgegangen wäre, denn durch die Aunahme des Geldes hätte die Person vollständig bewiesen, daß die Ohrfeige nicht am uurech» ten Orte angebracht war. Oberst Rehbinder war auch beschämt über diesen Ausgang und äußerte, nachdem sich der Lieutenant entfernt hatte: „Diese Begebenheit könnte Ihnen leicht, meine Herren, eine unvottheil-haste Meinung von dem Ehrgefühl eineS russischen Officiers geben. Aber diese Leute find einfache Bauernburschen, denen, wenn sie zwölf Jahre als gemeine Soldaten und später als Unterofsiciere gedient haben, ohne daß ein einziges Mal über ihre Aufführung Klage geführt worden ist, der Rang eines Lieutenants gegeben wird. worauf man sie zu Befehlshabern auf irgend einer von den kleinen Nedouten hier auf der Südgrenzc macht, niemals aber in die Linie einreiht." Die erwähnten Lieutenants logirten 9. Kap.) Oberst Rchbinder. - Cin Fakir. igg sich hierauf in einem Brauhanse im Hofe ein. Nach Verlauf von vier bis fünf Tagen kam unser Bediente Nielsen eines Morgens lachend ins Zimmer und erzählte, daß sie jetzt abmarschirt waren, indem er bemerkte daß das Logis im Branhause ganz paffend für sie gewesen sei, denn am Abend vor ihrem Abgänge hätten sie sich so total betrunken, daß Drei von ihnen die Nacht über bewußtlos am Boden iu der Brauerei und der Vierte draußen im Rinnstein lag. Eo hatte denn diese Ehrensache keine weitereu Folgen. Bald nachher wurden wir zu Nehbinders eingeladen und ver< lebten einen besonders angenehmen Abend in dieser liebenswürdigen Fa» milie. wobei wir mit seiner hübschen Frau, die, wie ihr Gatte, von deut« scher Familie war, und mit ein paar kleinen reizenden Töchtern bekannt wurden. In Indien giebt es bekanntlich Menschen, welche durch freiwillige Ueberuahme von allerlei Peinigungen einen hohen Grad von Heiligkeit, sowie den Anspruch aus eine besondere Glückseligkeit nach dem Tode zu gewinnen glauben. Sie leben in der Einsamkeit und heißen Fakire (Büßende). Einige von ihnen halten einen oder beide Arme so lange in die Höhe. bis sie steif werden oder absterben; Andere drücken die Hände so lange zusammen, bis die Nägel durch die Handflache wachsen; noch Andere liegen auf Brettern, die mit scharfen Nägeln besetzt sind. Man erzählte uns nun, daß in einem offenen Schuppen auf dem Markte seit vielen Jahren ein solcher indischer Fakir läge, und wir bekamen Lust, ihn zu sehen. Wir nahmen einen Arbeitsmann an, um uns zu ihm zu füh« ren, und als er uns die Thüre öffnete, welche unverschlossen war, sahen wir nichts Anderes, als ein schmutziges Fell. welches flach auf der Erde lag. Unser Begleiter gab darauf einen Laut von sich. vermuthlich den Namen des Hindu, und wir sahen zu unserem Erstaune«, wie das Fell sich hob und unter ihm eine menschliche Gestalt sich zeigte, welche allmälig eine sitzende Stellung annahm, mit ausgestreckten Armen das Fell in die Höhe hob und uns mit einem wilden Blicke aus einem Paar von unterlaufenem Blute gerötheten Augen anstierte. Seine Hautfarbe war beinahe kaffeebraun, theils von Schmutz, theils in Folge des Hindu'schen Racen-unterschieds. Man hatte uns gesagt, daß der größte und einzige Genuß, dcu man ihm bereiten könnte, wäre, ihm Schnupftabak zu geben. Wir überreichten ihm daher eine Düte mit Schnupftabak, und diese ergriff er 18g Ein Fakir. - Persische Geber. O. Kap. mit großer Begierde, und stopfte sich eine tüchtige Prise in die Nase. Darauf legte er sich wiederum nieder, den Kopf zwischen den Beinen, und verbarg sich unter dem Fell. Diese starke Biegung des Rückgrates hätte ihm kaum ein Equilibrist nachmachen können; sie muß weit peinlicher sein, als das Krummschließen, welches früher als militairische Strafe gebraucht wurde, zumal da er diese Stellung eine lange Reche von Jahren aus» gehalten batte; und es wunderte mich nur, daß er noch Kraft genug in den Nückenmuskeln hatte, um sich aufzurichten. Um nicht unter dem Felle zu ersticken, hatte er ein kleines Loch in dasselbe gemacht, gerade über der Stelle, wo der Kopf lag. etwa so groß. daß er ein Paar Finger hindurchstecken konnte. Zu der Zeit, da wir uns in Astrachan anfhielten, war die Kälte mehr als 20 Grad, und der Schuppen war aus schlecht schließenden Brettern zusammen geschagen, und der äußeren Luft durchaus zugänglich. Man hätte es höchstens für einen passenden Zufluchtsort eines wilden Thieres ansehen können. Die Einwohner setzten ihm täglich einen Krug Wasser in den Schuppen und warfen ihm einige Stücke Brot zu, und einmal im Jahre gab man ihm einen neuen Schafpelz, dessen Wolle er nach innen kehrte. Wir fragten unseren Begleiter, wie lange er in dieser Stellung zugebracht hätte, und er antwortete: „Er kam vor zwölf Jahren hierher, und in der ganzen Zeit ist er verrückt (Durak) gewesen." Er hielt also, und wobl nicht mit Unrecht, dieses Streben nach Heiligkeit für eine Verrücktheit. Wie viel Gutes hätte nicht ein so unerschütterlicher Wille ausrichten können, wenn er auf ein vernünftigeres Ziel hingelenkt worden wäre! Unter den vielen verschiedenen Asiaten, welche theils in Astrachan wohnen, theils als Handelsleute dorthin strömen, befinden sich, wie oben angeführt, auch einige perfische Kaufleute. Die Anhänger der alten per« sischen oder zoroastrischcn Religion werden von den Mohamedanern Par-sen oder Geber. d. h. Ungläubige, genannt; sie selbst nennen sich Beh din, d. h. Rechtgläubige. Sie verehren die gute Gottheit unter dem Bilde des heiligen Feuers, welches in dazu bestimmten Tempeln unterhalten wird, uud verehren die Planeten als mächtige Himmelsgeister. Ihr religiöser Cultus besteht in Gebeten, nach Vorschrift der Zend-Avesta, ihres heiligen Buchs, in Waschungen und in Opfern von Fleisch, Früch. 9. Kap.) Missionaire. — Mirza Abdulla Veziroff. - 187 ten, Nets und Blumen. Ihre Todten stellen fie auf der Begräbnißstätte unter freiem Himmel auf, damit sie von Raubvögeln und wilden Thieren verzehrt werden können, da man die reine Erde nicht durch die Leiche ver« unreinigen will. Wenn die Gebeine dürr und ausgebleicht sind, gelten sie nicht mehr sir unrein. Wir bekamen Erlaubniß, ein solches Bethaus in der Wohnung eincs persischen Kaufmanns zu besuchen. In einer gro» ßen Stube stand an der einen Wand ein Schrank mit mehreren Fächern, in welchem verschiedene Götterbilder von Bronce oder Kupfer aufgestellt waren. Die Glasthüren desselben waren offen, und auf einer hervorspringenden Klappe unter demselben sah man metallene Gefäße mit brennendem Spiritus, woraus große Flammen aufstiegen. Vor diesen standen die Perser, lasen ihre Gebete ab und fuhren unaufhörlich mit den Händen durch die Flamme, gleichsam um fie zu reinigen und zu heiligen. Nach dem Ceremonie! wurde uns erlaubt, an den heiligen Schrank heran, zutreten und die Götterbilder zu beschauen, aber verboten, sie anzurühren. In Selenginsk, südlich vom Baikalsee, nahe der chinesischen Grenze, hatte ich die Bekanntschaft eines englischen Missionairs. Robert July, gemacht, der mir ein Schreiben an einen andern englischen Missionair, William Glen, in Astrachan mitgab. welchen ich nun aufsuchte. Bei ihm traf ich einige Mal einen Perser, welcher sich Mirza Abdulla Veziroff nannte. Dieser Mann war Vczir bei dem persischen Schach ge-wesen. und da eine Verschwörung, welche er zur Entthronung des Schachs angestiftet hatte, entdeckt wurde, sah er sich genöthigt, nach Astrachan zu flüchten. Um das Andenken an seine frühere hohe Stellung sich lebhafter zu erhalten, hatte er den Beinamen Vcziroff angenommen. In Astrachan ist ein Gymnasium, wo Unterricht in den orientalischen Sprachen, welche von den angrenzenden Nationen gesprochen weiden, sowie in anderen Wissenschaften ertheilt wird; an diesem wurde Veziroff als Lehrer der persischen Sprache augestellte und er half Glen die Bibel ins Persische übersetzen. Er war ein großer Mann von echt persischer Race, mit scharfen Gesichtszügen, glänzenden dunkeln Augen und einem leichten Gange. Auf der Straße ging er in leichten Holzpantoffeln mit ziemlich hohen lackirten Absätzen, und einem grünen mit Figuren verzierten Oberleder. Wenn er an die Stubenthür kam, streifte er dieselben von den Füßen, ^«2 Persischer Bombast. l9. Kap. die mit einer Art Strümpfe oder Socken von dünnem, weichem hellgrü. nen Leder bekleidet waren. Standen diese Pantoffeln ans dem Gange vor der Thür, so war ich gewiß, Mirza Abdnlla darin ^ Mm. Ich bat ihn einmal, seinen Namen mit persischen Buchstaben ans em Stuck Papler zu schreiben, und mir dasselbe zur Erinnerung an den ersten Perser, dessen Bekanntschaft ich auf meiner Reise gemacht hatte, zu verehren. Znr Erwiderung erbat er sich meinen Namen, und ich gab ihm der Bequemlichkeit wegen eine gedruckte Visitenkarte, woraus folgende Worte standen: „Chr. Hansteen, professeur de malhemaliquc appliqueeeld'aslro-nomie ä l'universile de Chrisliania." Nach einigen Tagen brachte er mir zwei vollgeschriebene Quartblätter, von welchen das eine Blatt eine mit persischer Phantasie gedichtete und mit orientalische» Blumen und Schleifen überladene Umschreibung der obigen Worte auf der Visitenkarte, das andere eine ebenso übertriebene und schwülstige Anrede enthielt, welche er Alexander von Humboldt, der vier Wochen vorher einige Tage in Astrachan verweilt, vorgelesen und überreicht hatte. Jeder der ,Mo advon-Wr65 ol lla^'l Lada ol Ispahan" (Hadschi Baba's Abenteuer von Is« vahan) von James Monier, welcher mehrere Jahre Gesandter am verst. schen Höft gewesen war, gelesen hat, wird in nachfolgenden Stücken den persischen Bombast wiedererkennen, welchen Morrier in dieser Novelle so treffend nach der Natur geschildert hat. Glen gab mir eine englische Ue. wschnng des persischen Originals, welche wir in deutscher Uebechtzung folgen lassen. I. (An Hansteen.) „Der geringste unter den Dienern, Mirza Abdulla Veziross, welcher seinen Platz hat unter den Lehrern am Gymnasium in Astrachan, hat auf Verlaugen eines der erhabenstell wissenschaftlichen Charaktere der Welt, welcher damit beschäftigt ist, die Stunden der Nacht und des Tages genau zu beobachten, und Zeit und Ort des Aufganges der wandelnden Sterne zu bestimmen, — eines der ersten Astronomen unseres Zeitalters, und eines Lehrers der mathematischen Wissenschaften, ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit und Verstand, nämlich Christopher Hansteen, der seine Stelle hat unter den Gelehrten an der Universität in der herzenöffnendm Stadt 9. Kap.) Persischer Bombast. 189 Christiania im Königreiche Schweden*), und der in der Eigenschaft eines Reisenden nach Astrachan gekommen ist, — für ihn dieses Gedenkblatt am 15. des Monats Februar im Jahre 1830 der christlichen Aera ge, schrieben." II. (An Humboldt.) „Ehrwürdiger Herr, von welchem, wie aus einer Quelle, die edelsten Tugenden und Vollkommenheiten fließen, und bei welchem, wie in einer Schatzkammer, die köstlichsten Perlen der Weisheit und Erkenntniß niedergelegt sind, — seien Sie versichert, daß, wenn es anch nicht in Ihres demüthigen Dieners Macht steht, durch Worte die Freude und Wonne auszudrücken, die unsere Herzen beim Aufgange von Ew. Excellenz welterlcuch-tender Sonne über Astrachans Horizont erfüllte, indem sie Alles in sich begreift, was liebenswürdig und gut ist: so wird doch die Erinnerung des Glücks, in dessen Besitz UNs unser günstiges («cschick heute gcscht hat. da wir, als Ständchen im Sonnenstrahl, uns in der schimmernden Nähe eines der gelehrtesten Männer der Welt, des Plato unserer Zeit, zeigten, und so unter unseres Gleichen durch die Ehre und das Vergnügen von Ew. Excellenz freudeverbreitendem Angesicht ausgezeichnet wurden, — diese Erinncrnng, ehrwürdiger Herr, wird niemals von der Tafel derHerzkam»-mer Ihres demüthigen Dieners ausgelöscht oder abgewischt werden." Mirza Abdulla zeigte nur das Concept zu diesen Deukblättern, auf welchen die Linien Kreisbogen von bedeutender Krümmung bildeten. Der Grund liegt darin, daß. da die Morgenländer auf Divans fitzen und unsere Stühle und Tische nicht kennen, so legen sie während des Schreibens das Papier auf das rechte Knie, und indem die Hand während des Schreibens auf dem Papiere von Rechts nach Links fortrückt, wird das Papier in entgegengesetzter Richtung gedreht, damit der Punkt, auf welchem sich die Feder bewegt, stets mitten aus dem Knie bleiben kann. In der Rein« schrist waren dagegen die Worte in wagerechter gerader Linie gehalten. Sowohl diese mechanische Schwierigkeit, als auch insbesondere die Qual, ') Da Mirza Abdulla vermuthlich ebensowenig Schweden w,e Nor-weaen kannte, so ist es vermuthlich Herr Glcn, der ihm gelehrt hat, daß Christiania in Schweden liegt, in.welcher Ueberzeugung fast ganz Europa unerschütterlich ist. 190 General Willielminoff. s9. Kap. welcher die Phantasie unterworfen werden mußte, um alle diese Vlnmen und Schleifen zu ersinnen, mag wohl die Ursache gewesen sein, daß das Werk mehrere Tage zu seiner Vollendung erforderte. Der Missionär Glen erzählte mir, daß, als er mit seiner hübschen jungen Frau Schottland verließ, um nach Petersburg und von da nach Astrachan zu reisen, das Schiff durch einen Sturm in einen kleinen Hafen an der norwegischen Küste getrieben wurde, wo sie beide von einigen dort wohnenden Schiffern und Lootsen sehr freundlich aufgenommen wurden. Er fand, daß das Land einige Aehnlichkeit mit seinem Vatcrlande Schottland habe und ftente sich. manche Worte in der norwegischen Sprache zu hören, welche die Verwandtschaft der Schotten mit den Norwegern be< zeugten. Er beschenkte mich mit einem Heft Missionsbcrichte, worin die Nachrichten über seine Reise nach Rußland mitgetheilt waren, und unter andern auch dieser kurze Aufenthalt an der norwegischen Küste geschildert war. Als wir uns auf der Hinreise in Tobolsk aufhielten, wo der General-Gouverneur des westlichen Sibiriens, General Williclminoff, welcher früher Höchstcommandirender in Grusien gewesen war, residirte, empfahl mir derselbe besonders warm, wenn wir nach Astrachan gekommen wären, dieses Land zu bereisen, deffen Naturschönheitcn und Naturmerkwürdig, leiten er lebhast schilderte. Er äußerte, daß, wenn ich unseren Minister in Petersburg, General Baron Palmstjcrna, ersuchte, sich an den Kaiser zu wenden, derselbe an die Admiralität in Astrachan Befehl ertheilen werde, uns auf einem kaiserlichen Schiffe von Astrachan nach Baku, einer Stadt auf der Halbinsel Apscheron am caspischen Meere, in der Provinz Echir-wan, bringen zu lassen, von wo wir nach der Hauptstadt Tiflis in Grusien reisen könnten. In Folge dieser Aufmunterung schrieb ich an Palmftjerna, und bekam die Nachricht, daß ein solcher Befehl an die betreffenden Autoritäten in Astrachan ertheilt sei. Hierdurch erhielt ich die Aussicht, meine Beobachtungen weiter nach Süden hin, bis zum 40. Breitengrade auszudehnen. Das Gouvernement Grufien, welches die Europäer, man weiß nicht, aus welchem Grunde, Georgien nennen, heißt bei den eigenen Bewohnern Iwerien. Dieses und die westlich liegende Landschaft Imeretien, welche an das schwarze Meer stößt, ist das merkwürdige Land. welches die Griechen Kolchis und Albanien nannten, also ein alter classischer Boden. 9. Kap.) Grusien und selne Einwohner. 191 Hier war es, wohin die Griechen ihren ersten gemeinsamen Heldenzug, den Argonautenzug, nach den ihnen zuvor unbekannten Meeren unternahmen ; hier war es auch, wo Jupiter den Prometheus an den Kau-kasus fesselte, weil er den Göttern das Feuer entwendet hatte. Die letz» tere Mythe zielt vielleicht auf das ewige Feuer, welches hier brennt. Die Einwohner stammen von dem alten Iberiern und Kolchiern her, find ein tapferes und hochherziges Volk und haben eine eigene Sprache, welche von der aller umwohnenden Nationen verschieden ist, sowie eine zusammenhängende Geschichte bis auf Pharnabaces, einen Verwandten des letzten persischen Königs Darius, der sich, um 327 v. Chr. Geb.. nach dem Tode Alexander's des Großen, zum Herrscher über Grusien aufwarf. Sie haben Anlage zu wissenschaftlicher Beschäftigung, und besitzen manche classische Schriften aus dem 12. Jahrhundert. Zwei Dichter aus jener Zeit find besonders hoch geachtet, auch lieben fie alte geschichtliche Volkslieder, in welchen die Thaten und Schicksale ihrer Hel« den geschildert werden. Diese Landschaft grenzt gegen Ost an Schirwan, gegen Nord an den Kaukasus, dessen tapfere Bergbewohner, die Tscher» kessen und Tschetschenzen, der russischen Uebermacht noch nicht erlegen sind, gegen Süd an Armenien, und liegt also in der Mitte zwischen dem schwarzen und caspischen Meere. Vornehmlich verdient es die Pro, vinz Schirwan, wegen ihrer reichen Natuiproducte aus dem Pflanzen-und Thierreich, und wegen ihrer Naturwunder, von den Naturforschern besucht zu werden. Der westliche größere Theil, durch die Fortsetzung des Kaukasus gebildet, enthalt lauter Berge, unter welchen der Schachberg der höchste ist. Ein anderer hoher, seltsam gestalteter und zerklüfteter Berg heißt „Spitzbarmach", oder der „Fünffingerberg", nach seinen fünf höchsten Spitzen so genannt, und von ihm glauben die Einwohner, daß er den Propheten Elias zum Wohnort gedient habe. Diese Gebirgsgegenden sind sehr fruchtbar; besonders zeichnet sich die schöne kleine Landschaft Kaballa aus, welche einem reizenden Garten gleicht, die herrlichsten Flüchte, besonders Kastanien, liefert, und wegen ihrer blumenreichen Wiesen von den Persern das Nosenvaradies genannt wird. In Schirwan bant man Neis, Weizen, Gerste, Safran, Tabak, Baumwolle und einen herrlichen rotheu Wein. In den Gärten werden Arbusen. Melonen, Gurken und andere Früchte in großer Menge gezogen. Feigen, Birnen, Aepfel, 192 Die Naturwunder Schirwans. s9. Kap. Weintrauben. Aprikosen. Maulbeeren. Wallniisse und Granatäpfel find im Ueberfluß vorhanden. Alle diese Fruchtbäume wachsen auch überall, wo sich Unterholz findet, wild; Weinrankeu schlingen sich an jedem wilden Baume hinauf. Sellerie und wohlschmeckende Capern, Cypressen. Pinien, und Mandelbäume findet man auch wild; ebenso eine Menge Trüffeln. An den Ufern der Flüsse Kur und Aras wachst ein Nohr von der Dicke des Zuckerrohrs und von beinahe 24 Fuß Länge. welches als spanisches Nohr gebraucht wird und einen Handelsartikel abgiebt. An der Mündung des Kur wird eine bedeutende Fischerei mit denselben großen Fischen, welche sich in der Wolga finden, und aus deren Rogen Caviar bereitet wird, getrieben. Von Thieren finden sich außer einem hübschen kleinen Reh. von der Größe einer Ziege, aber ohne Hörner, noch Hasen, Schakale, Wölfe, Füchse, Schildkröten, große schwarze Wasserschlangen, Taranteln. Scorpione und Seekrebse vor; ferner eine Menge wilder Vögel. Von Hansthieren hält man Esel, Kameele. Büffel und die vortrefflichen Reitpferde, welche unter dem Namen Argamaks (vergl. S. 177) bekannt sind. Unter den seltenen Naturmerkwürdigkeiten verdienen die Naphta-quelleu, die wachsenden Berge und das ewigeFeuer erwähnt zu werden. In der Nähe der Stadt Baku finden sich viele Nap htaquellen, und auf der Halbinsel Apscheron Brunnen, aus denen Naphta geschöpft wird. Es giebt nur wenige Brunnen, welche die kostbarere weiße Naphta geben, und diese werden unter Siegel gehalten und nur einmal in jedem Monate ausgeleert. Dagegen giebt es über fünfzig, welche die schwarze Naphta in großer Menge liefern; sie sind bis 120 Fuß tief und werden täglich ausgeschöpft. Diese Naphta wird nach Baku gebracht und als Brennmaterial zu Lampen, Küchenfeuer und zum Vrotbacken gekauft; denn in Baku hat man keiu anderes Brennmaterial, jedoch gebrauchen die Russen lieber trockene Wurzeln zum Brotbacken. Der reichste Brunnen gab täglich 7500 Pfund Naphta. Diese Bruunen gehören der Negierung. Das ewige Fener auf der Halbinsel Apscheron ist vielleicht das einzige Naturwunder seiner Art auf unserer ganzen Erde. Es brennt in einer Grube von länglicher, unregelmäßiger Gestalt, welche 120 Fuß lang und nicht über 9 Fuß tief ist. Der Grund in dieser Grube besteht mehr aus Felsen als aus Erde. Das Feuer brennt nicht überall gleich hoch; die größten Flammen find nicht über 18 Fuß hoch. die Grube wird 9. Kap.) Das ewige Feuer. 193 nicht tiefer durch das beständige Feuer, und die Grundsteine werden nicht morscher, obschon die Kalksteine über der Erde bald morsch davon werden und in Stücke zerfallen. Dieses ewige Feuer brennt ohne Rauch nnd Geruch. Die ganze Gegend in einem Umkreise von zwei Werst enthält den Stoff zu diesem Feuer. Jede Vertiefung, die man in die Erde gräbt und anzündet, brennt so lange mit starker Flamme, bis man sie mit Erde zu« deckt. Die große Grube kann wahrscheinlich in derselben Weise ausgelöscht, aber auch sogleich wieder nach Beliewn angezündet werden. Merkwürdig ist es, daß am Rande dieser beständig brennenden Fenergrube schönes grünes Gras wächst, und daß sich 500 Fuß davon entfernt zwei Brunnen mit gutem Wasser und ein großer fruchtbarer Garten befinden. Bei diesem Feuer halten sich beständig einige Feueranbeter, Nachkommen der alten Perser, welche das Feuer im Allgemeinen als ein Symbol der Gottheit betrachteten, und einige fromme Hindus auf. Rings um die brennende Grube, 12—18 Fuß von derselben, wohnen diese Leute in kleinen Hütten. Mitten in einer solchen Hütte ist eine kleine Vertiefung gegraben, um welche zwei oder drei Steine gelegt, sind, auf die ein Kessel zum Kochen der Speisen geseht wird. Hierzu nehmen sie ein paar Strohhalme oder trockenes Gras. zünden es draußen an der ewigen Flamme an und werfen es unter den Kessel; die Höhlung entzündet sich sogleich, brennt hell ohne Rauch und Geruch, und die Speise wird schneller gekocht, als mit Holz. Bedeckt man das Loch mit einem Stück Filz. so erlischt die Flamme. Bei dieser brennenden Vertiefung wärmen sich die Einsiedler im Winter, und gebrauchen kein Licht in ihren Hütten. Jeder steckt eine Röhre von der Länge einer Elle, oben mit Thon umgeben und mit einem Thonpfropfen versehen, nahe an seinem Bette in die Erde. Nimmt man den Pfropfen ab und zündet die Oessinmg mit Stroh an, so brennt die Röhre wie ein Licht ohne verbrannt zu werden; legt er den Pfropfen darauf, so ist das Licht ausgelöscht. ^. ^., , Dieses ewige Feuer wird auch zum Kalkbrennen benutzt. Man thurmt die Kalksteine in einen Haufen auf. zündet etwas Stroh an der großen Feuergrube an, und wirst es auf den Steinhaufen; darauf steigt du Flamme plötzlich aus der Erde mit Brausen in die Höhe. und wenn man sie drei Tage brennen läßt, so ist der Kalk fertig. Hansteen. Reise. ^" 194 Die wachsenden Berge. . l9. Kap. Außerdem hat diese Gegend noch eine andere sehr merkwürdige Feuerersckeinung. Nach milden Herbsttagen, wenn dieAbendluft warm ist, stehen die Felder nm Bakn herum wie in vollen Flammen. Ost sieht es aus. als ob Flammen in großen Massen schnell an den Bergen herabroll, ten; die umliegende Bergkette ist dann von einem klaren blauen Licht erbellt. Die unzähligen, tbeils einzelnen, theils zusammenhängenden Flammen, welche in dunklen und warmen Nackten die ganze Ebene bedecken, jagen den Pferden. Maulthieren und andere,' Geschöpfen Schrecken em. Die Flamme dauert nickt länger als ungefähr vier Stunden nach Sonnenuntergang; bei starkem Ostwinde sieht man sie nicht; übrigens wird sie am häufigsten im October und November wahrgenommen. Aber dieses L,cht-feuer zündet keinen brennbaren Stoff an. Dürres Gras und Schilf kommt niemals dadnrä' in Brand, obsckon die ganze Erdfläche von Feuer und Flammen bedeckt zu sein scheint. Selbst wenn man sich mitten in diesen Flammen befindet, fühlt man nicht einmal einige Wärme dadurch. Die wachsenden Berge liegen zwischen Baku und Nawagi längs der Landstraße in einer AuSdchuuug von ungefähr zwei Meilen, sind von verschiedener, jedoch nicht bedeutender Höhe. von aschgrauer Farbe. ohne Gras. und haben eine kegelförmige Gestalt. Die Erde ist nichts als ein salzhaltiger Lehm. Jeder Berg hat auf seiner Spitze eine Quelle von sal« zigem. schlammigem Wasser, welches aufsprudelt, um sich spritzt und überläuft; und indem sich dasselbe rings um die Oessnung ansetzt, trocknet es aus und erhöht den Berg. Einige, die ziemlich hoch find, sind ganz ausgetrocknet; dagegen entstehen neue neben ihnen, welche bestandig dicken Schlamm ausftoßen und wachsen. Auch in anderen Gegenden des Landes findet man einzelne wachsende Berge. Nach dem Meere hin steht ein Berg. der bisweilen Feuer gesprüht hat. Die Jahreszeit binderte mich. dies mit Wundern angefüllte Laud zu besuchen. Die Cholera in Orenburg hatte uns dort, wie schon erwähnt, ein paar Monate aufgehalten, und in der Mitte des Februars waren die Wolga, sowie die Ufer des caspischen Meeres mit ellendickem Eis belegt, welches jede Seereise unmöglich machte. Ueberdies hatte kurz zuvor die Cholera in Grusien geberrscht, und wir würden also genöthigt worden sein, eine vierzigtägige Quarantine auf der Rückreise auszuhalten, 10. Kap.) Die Herruhuter Colonie Sarepta. 195 und unsere Sachen und Instrumente mit Chlor durchräuchern zu lassen. Ich mußte mich also entschließen, den kürzesten Weg von Astrachan über Moskau nach Petersburg zu nehmeu. So strandete unser Argonautenzug auf dem Eise, und ich mußte das goldene Vließ fahren lassen. Zehntes Kapitel. Abreist von Astrachan. — Die Herrnhuter-Stadt Sarcpta. — Demsche und franzosische Colonien längs der Wolga. — Beschwerliche Winterbahn. — Dänische Familie in Saransk. — Bekannte in Moskau. — Baron Schilling von Canstadt. — Chinesische Schriftsprache. — Die Fabrik Ischora. — Audienz bei Kaiser Nikolaus l. und der Kaiserin in Petersburg. — Die Minister Speranski und Cancrin. Den 25. Februar 1830 reisten wir zu Wagen von Astrachan ab, waren aber nicht mehr als etwa 45 Meilen nordwärts gekommen, als die Tiefe des Schnees in solchem Grade zunahm, daß wir uns in eines der von der Negierung längs dem Wege errichteten PostHäuser — eine wahre Wohlthat für den armen Reisenden — einkehren mußten, um Schlitten für unsere Wagen von den Bauern zusammenzimmern zu lassen. Diese Schlitten wurden aus dicken Birkenhölzern zusammengesetzt, und waren ebenso plump, wie die Schleifen, die, man bei uns anwendet, um Kanonen oder schwere Steinmassen fortzuschaffen. Ein Schlitten wurde unter dem vordersten, ein anderer unter dem hintersten Theil des Wagens angebracht, und die Näder zwischen den Schlitten uud den Wagen gelegt. So gelang« ten wir langsam vorwärts und kamen zu der bekannten und interessanten deutschen Herrnhuter-Colonie Sarepta. wo wir, plötzlich mitten in Deutschland unter deutsche Sitten. Lebensart und Kleidertiacht versetzt, einen Tag sehr angenehm verlebten. Wir genossen hier zwei Artikel, die wir während unserer ganzen Reise im Auslande sehr vermißt hatten, nämlich Butter und Bier. Die Russen verstehen nämlich nicht zu buttern, sondern setzen die Flüssigkeit in einen Ofen, bis sich die Butter in geschmolzenem Zustande vou der Milch und dem Käse scheidet, gießen darauf diese geschmolzene Butter ab, und setzen sie in einen Eiskeller, bis sie gerinnt. 13' ^gß Deutsche Colonien. 1^10. Kap. Da sie aber ungesalzen ist . und wie alle Butter, die geschmolzen gewesen ist und gerinnt, kurz und krümelig wird, so ist sie unschmackhaft, wird leicht harsch und läßt sich nicht ans Brot schmieren. Das Bierbrauen (vergl. S. 68) ist, wie das Branntweinbrennen, ein kaiserliches Negal, das gegen große Abgaben an einzelne, weit zerstreute große Pächter verpachtet wird. welche sich dadurch sehr bereichern. Den Branntwein kann der Russe, der vornehme wie der geringe, nicht entbehren, und derselbe ist leichter zu transportiren; aber das Bier, das einen größern Naum erfor« dert, würde durch Versendung zu theuer werden, und daher ist es ein beinahe unbekanntes Getränk. Ich wollte meinen Wirth bereden, mir ein paar Flaschen als Proviant zu überlassen, er erwiderte aber, daß wir in seinem Hause soviel trinken könnten, als wir wollten, außerhalb Sarepta würde es dagegen confiscirt und er in Strafe genommen werden. Ich kaufte hier Tareptaner Senf und Schnupftabak, zwei in ganz Nußland berühmte Producte. sowie einige Honigkuchen bei einem Bäcker aus Ko« penhagen, und wir ließen uns vom Polizeimeister Chriftensen aus Ton« dern umherführen, kurz. wir fühlten uns halb wie in der Heimat. Als wir am nächsten Tage nach Zarizin kamen, ungefähr fünftehalb Meilen von Sarepta, bekamen wir die Nachricht, daß der kürzeste, mehr west« liche Weg nach Moskau, den ich hatte einschlagen wollen, für so schwere Wagen, wie die unsrigen, des tiefen Schnee's wegen völlig unwegsam sei; wir mußten daher den Weg längs der Wolga bis Saratow verfolgen. Hierdurch erhielten wir Gelegenheit, die in der Nähe dieses Flusses befindlichen deutschen Colonien kennen zu lernen. Nördlich von der Stadt Kamijschin an der Wolga fährt man nämlich längs diesem Flusse durch hundertunddrei deutsche Colonien, welche um das Jahr 1760 gegründet worden sind. Wir konnten dort jeden Bauer oder jedes Bauermädchen dreist Deutsch anreden und auf Antwort rechnen, wenn diese auch bisweilen ein wenig schwer zu verstehen war. da die Colonisten sächsische, bayersche, und elsasfische Bauern find. welche, zumal die letzten, einen sehr platten Dialekt sprechen; da fie überdies schon die dritte Generation waren. so hat sich wohl auch die Sprache durch die russischen Umgebungen nicht ver« bessert. Sie halten indeß fest an ihrer Muttersprache. Obwohl unsere norwegischen Auswanderer in Amerika ihre Sprache so unverfälscht erhalten werden? Ich muß gestehen, daß mir wohl und leicht unter ihnen zu Muthe 10. Kap.) Deutsche und franMsche Colonien. 197 war und daß ich sie sehr liebenswürdig fand, so wie sie andererseits angenehm überrascht wurden, ihre Muttersprache von fremden Reisenden reden zu hören, die sie daher fast wie Landsleute betrachteten. Ein Postbeamter in einer dieser deutschen Colonien erzählte uns eine spaßhafte Anekdote. Ich hatte nämlich gehört, daß es nördlich von den deutschen Colonien auch einige französische gebe, und wünschte einige Nachrichten über sie ein« zuziehen. Er antwortete, sie seien nach und nach alle verschwunden. War eine Pest unter sie gekommen. sodaß sie alle ausgestorben waren? — Nein, sie waren Alle, besonders die Frauenzimmer, allmälig als Sprachlehrer und Gouvernanten zu russischen adligen Familien und Beamten gekommen. In einer Colonie, 1 >/. Meile nördlich von der seinigen, lebte vor einem Jahre noch ein einziger alter Mann, der keine Anstellung be, kommen hatte, aber er war jetzt entweder ausgewandert, oder gestorben. — Hatten diese guten französischen Bauern ein so gutes Französisch gesprochen, wie die deutschen Bauern hier Deutsch sprachen, so haben die jungen Knäsen und Knasinnen (Fürsten und Fürstinnen), welche sie zu Lehrern bekamen, eine recht wackere Sprache gelernt, der Erziehung gar nicht zu gedenken. Unter diesen deutschen Colonien sind einige katholisch, andere refor« mirt, noch andere lutherisch. Ihre Häuser sind nettter gebaut und reinlicher , die Lebensweise ganz anders als bei den Ruffen, die Gesichter hübscher und völlig europäisch; aber sie kleiden sich ganz russisch. Kurz diese deutsche Reise war für nnch eine wahre Erquickung, eine Augen« und Ohlenweide. Beim Durchfahrcn durch eine dieser Colonien, steckte ein junges Mädchen den Kops aus einem Fenster und rief, als sie Anders Nielsen zu Gesichte bekam, der mit einer Mütze aus weißem krausen Pudelfell, die er in Astrachan gekauft, anf dem Bocke saß: „Der Mann hat einen Pudelkopf!" Dies verdroß ihn. denn er verstand es, da er bn so langem täglichen Umgänge mit Gustav Rosenlund das Meiste von ^em was Deutsch gesprochen wurde, ja sogar einigermaßen eine deutsche ^r < digt verstehen gelernt hatte. Gleich darauf wurde ihm jedoch eu e Entschädigung für diesen scherzhaften Ausruf zu Theil; denn als wn nach ewem Hause kamen und er in die Stube trat, u« alle diese deutschen Menschen recht zu betrachten ^«w kem W tt zu sprechen getraute, indem er sich seiner Schwache m Deutschen wu ,m 198 Russische Wege. ^0. Kap. Russischen wohl bewußt war, sagte eine alte freundliche Frau. du. um ihn nochmals zu besehen, ihren Spinnrocken anhielt; „er hat ein freundlich Gesicht." Dies schmeichelte ihm. und er machte überhaupt ziemlich Glück bei den Frauen durch sein Äußeres und seine Freundlichkeit, obwohl sie ihn wegen seiner Unkenntmß der Sprache für stumm halten mußten, ebenso wie Gustav Rosenlund. trotz seines groben esthnischen Gesichts nnd Mer kleinen ungeschickten Fignr, sich bei beiden Geschlechtern durch semenWlh angenehm zu machen wußte, denn alle Menschen mußten über chn lachen. Von Saratow wo wir (am 9. März) die Wolga verließen, um m nordwestlicher Richtung nach der Gouvcrnementsstadt Pensa zu reisen, wurde der Weg immer schlechter, indem er von den endlosen Transporten so ausgefahren und voll Löcher war. daß wir Schritt vor Schritt fahren mußten. Die zwei letzten Tage. ehe wir Pensa erreichten, kamen wir den einen Tag nickt weiter als 45, den andern als 35 Werst, obwohl man be, guter Schlittenbahn 150 Werst in zwölf Stunden zurücklegen kann. Am Morgen hatten wir eine große Reparatur an dem einen Schlitten ge-macht, und mitten auf dem Wege ging der andere unter unserer Kalesche ganz in Stücke, obwohl sie aus dicken Birkenstäben zusammeng^cht waren. Wir mußten die Pferde ausspannen nnd einen rettenden Iämstschick (Tta-tionsbauer) nach dem nächsten, acht Werst entfernten Dorfe schicken und Leute, einen Zimmermann, ein Paar Schlitten mit Hölzern, Aexten und andern Gerathen holen lassen, worauf dann mitten auf dem Wege ein Schlitten so gnt wie neu gebaut wurde. Unterdessen standen wir vier bis fünf Stunden mitten auf der Landstraße in unsern Rennthier, pelzen und Nennthicrstiefeln im Schnee. Der Weg ging in einer beständigen Wellenlinie. Wenn die große schwere Kalesche auf die Spitze eines der beiden Haufen, welche eine Vertiefung bildeten, kam, und stch aus ihrem vordersten Schlitten in die nächste fast mannshohe Vertiefung herabstürzte, so wurde man mit dem Kopfe gegen die Kalesche geworfen und mußte sich mit allen Kräften festhalten, um sich nicht zerschlagen zu lasse». An manchen Stellen war kaum eine Schlittenlange zwischen den Löchern und es folgten zuweilen drei, vier bis fünf unmittelbar nach einander. Bei den größeren mußte man anhalten und mit einer Axt etwas von der Spitze weghauen, nm damit die Tiefe auszufüllen. Doch dies kostete Zeit und half nur wenig. Oft konnten fünf Pferde mit äußerster 10. Kap-1 Reisebeschwerlichkeit. 199 Anstrengung und unter starker Anwendung der Peitsche den Wagen kaum ans dem Loche ziehen. Die Folge von diesen heftigen Erschütterungen und Stößen waren Kopf- und Brustschmerzen. Mehrere Tage mußte ich außerhalb der Kalesche, hinten auf dem Scklitten stehend, zubringen, da ich die gewaltsamen Stöße nicht aushalten konnte. Bei den schlimmsten Löchern sprang ich herab und ging zu Fuß mit dem Barometer in der Hand, damit es nicht zerschlagen würde. Diese furchtbaren Löcher werden von den kurze» Obosen (Schlitten) der russischen Bauern hervorgebracht; dcnn wenn in dem mehrere Men tiefen Schnee die geringste Vertiefung entsteht, so stößt das Vordertheil des kurzen Schlittens in die Vertiefung, nnd führt einen Theil Schnee mit sich auf die Erhöhung hinauf. Dadurch wird von jedem Schlitten das Loch tiefer und die Erhöhung größer gemacht. Den 14. März kamen wir endlich nach einer fünftägigen mühsame» Fahrt nach Pensa, welches hundertfünfundneunzig Werst (28 M.) vo» Saratow liegt, wo wir unsere Fahrzeuge bei einem vernünftigen deutschen Schmied rcpariren ließen. Unsere zwei Bedienten, die ganz erstarrt und nie. dergeschlagen waren und an Kopfschmerzen litten, bekamen hier Gelegen, heit sich durch einen zweinächtigen ruhigen Schlaf in einer guten warmen Kanuner zu erfrischen, — eine Erquickung, die sie seit unserer Abreise von Kasan fast gar nicht gehabt hatten. In einer kleinen Stadt Saransk, eine Tagereise von Pensa, trafen wir einen Arzt aus Tchkswig, Namens Friese, der in Kopen» Hagen Medicin stndirt hatte, und mit einer Dänin, gcborne Willms aus Nyborg auf Fühnen. die ihre alte Mutter bei sich hatte, verheirathet war. Hier hatten wir die seltene Annehmlichkeit, die lins nur einmal zuvor auf der ganzen Neise zu Theil geworden war, unsere Muttersprache sprechen und einzelne gemeinsame Bekannte in Dänemark erwähnen zu können. Als die Frau Doctorin hörte, daß wir einen norwegischen Bedienten mit hätten, sagte sie: „ich muß doch hinaus und mit meinem Landsmann sprechen!" Sie nahm darauf einen Teller mit Butterbrot und ein Glas Wein, ging damit hinaus, um Anders Nielsen mit einem Frühstück aufzuwarten, und sprach mit ihm eine Viertelstunde lang zu gemeinsamer Belustigung, besonders für Nielsen, der hier zum ersten Mal auf der ganzen Reise. wäh. rend beinahe zwei Jahren, mit Jemand außer seine Herrschast sprechen konnte. 200 Bekanntschaften in Moskau. 110. Kap. Endlich kamen wir nach vielen überstandcnen Mühseligkeiten nah Moskau, wo wir unsere Bekannten von der Himeise besuchten. Umer diesen will ich besonders die Apotheker-Wittwe Madame Embrodt und ihr liebenswürdige Familie, bei welcher wir eüm, angenehmen Tag v,r-l bten, den Staatsrath Professor Fischer (von Waldhnm) und Pro essor Jam ch erwähnen. Fischer, welcher Präsidmt der naturwlssenschaftlchen GeMchast in Moskau war. lnd uns zu einem Mittagsbrot em und überreichte uns Diplome als correspondirende Mitglieder. Er war Zoo-loa und da es in Petersburg einen anderen Professor Fischer gab, welcher Botaniker und Director des botanischen Gartens war. so nannte er d«. sen zum Scherz „Pflanzen-Fischer" und sich selbst „Vieh-Fischer." As er bei der Mittagstafel bemerkte, daß ich in der Westentasche emChrono. meter trug und statt der Ticherheitskette blos einen schwarzen Ledernemen um den Hals hatte, stand er auf und holte aus einem Schrank eine aus kleinen schwarzen Perleu gearbeitete dicke Perlenschnur mit einem goldenen Schloß und hing sie mir um den Hals. als ewe Kette, die emer so kostbaren Uhr würdiger sei. Auf meine Frage, wer sie verfertigt habe, erwiderte er: „Sie können versichert sein, daß sie von schönen Handen ge> arbeitet ist." Beim Professor Iänisch brachten wir auch emen Tag zu. Seine Tochter, Namens Karoline, hatte, wie der Vater, viel Smn fur die schönen Künste, malte gut Portraits, spielte, sang und war m der. schönen Literatm wohl bewandert. Sie erzählte unter Anderm. daß sie die meisten Dichtungen Oehlenschlägers, welche er Deutsch herausgegeben, gelesen hatte, wobei ich bemerkte, daß sie für uns. die wir sie in der Original, spräche lesen könnten, noch gemüthlicher nnd anziehender wären. Sie sagte darauf, daß sie Dänisch swdiren wollte, um sie in der Ursprache zu lesen, und ein paar Tage später erzählte sie mir, daß sie sich eine dänische Grammatik und ein Wörterbuch derselben Sprache angeschafft hätte, und bat mich dann. ob ich ihr ein Portrait von Oehlenschläger und, wo möglich, seine Handschrift verschaffen könnte. Ich entgegnete darauf, daß, wenn sie ein hübsches Gedichtchen machen wollte, ich es ihm schicken würde und, wenn es ihn vielleicht zu einer'voetischen Epistel anregte, auch erbötig sei, ihr dieselbe zuzustellen. „Das ist eine gute Idee," sagte sie, „und jetzt ist gerade der Geist über mich gekommen." Sie ging sogleich in ihr Zimmer, und brachte mir nach einiger Zeit ein kleines deutsches Gedicht 111. Kap.) Baron Schilling. — Russische Lehrmethode. 201 zum Ruhme Oehlenschlager's. Nach meiner Ruckkehr sendete ich es ihm, schilderte ihm dabei die Persönlichkeit der Verfasserin, und ihre Bewunderung seiner Werke, was ihn. wie ich hoffte, bewegen würde, ein paar freundliche Zeilen an sie zu richten, zu deren Uebersendung ich mich erbot. Allein Oehleuschläger's Trägheit im Briefschreiben ist allgemein bekannt, und das schmeichelhafte Gedicht von der Hand einer jungen Dame konnte sie nicht überwinden. Die Winterbahn war nun vorüber. lind um nach Petersburg zu kommen, mußten wir unsern Wagen wieder auf Räder setzen. Während der Reise ging bald das eine Rad bald das andere entzwei. Endlich langten wir den 9. April um Mitternacht in der Kaiserstadt an. Außer den Bekannten von unserm Ausenthalt im Jahre 1828 her, als — unser Minister General Baron Palmstjcrna, der liebenswürdige Admiral Kruseustern, der Staatsrath Akademiker Parrot, der Generalconsul Sterky und Andere, machte ich hier eine neue Bekanntschaft, die ich um» ständlicher erwähnen muß, nämlich die deS Baron Schilling von Canftadt. der früher der Gesandtschaft in Wien beigegeben war. Er war ein lebensfroher Mann in mittleren Jahren, ziemlich untersetzt, von blondem Haar, besaß einige Kenntnisse in der Mathematik und den Naturwissenschaften. und hatte besonders die orientalischen Sprachen, Chine, sisch. Mongolisch und Sanskrit studirt. Er hatte verschiedene chinesische Werke herausgegeben, welche in Petersburg lithographirt waren, uud zeigte mir eine besonders rühmende Anzeige derselben in einem französischen Journal, worin unter Andern die hübsche Form der Schriftzeichen und die Alt ihrer Verbindung hervorgehoben wurde. „Wir können in dieser Hinsicht die Russen nicht erreichen." sagt der Anzeigende, „denn wir müssen den Gebrauch eines wirksamen Hilfsmittels, das sie besitzen, entbehren — des Stocks/' Die Lithographie war nämlich von einfachen russischen Unterofficieren ausgeführt; und wenn ein solcher Mann sagen würde: ..ich kann das nicht zu Staude bringen." so würde man ihm antworten: „Du sollst es zu Stande bringen, kak m wil (wie es auch geht), und man zeigt auf das erwähnte Hilfsmittel, welches die Fähigkeiten in Spannung versetzt und sie nach und nach entwickelt.^ Nach einer Menge mislungeuer Versuche, erlangt er dann endlich die gewünschte Fertigkeit. Die Chinesen haben bekanntlich nicht die Buchstabenschrift, durch 202 Chinesische Schriftzeichen. ^il). Kap. welche alle Laute einer jeden Sprache mittelst der verschiedenen Verbin, dmig von etwa zwei Dutzend Zeichen ausgedrückt werden können, sondern jeder Begriff wird durch ein eignes Zeichen ausgedrückt. Wäre diese Methode allgemein, und beuutztm alle Nationen dieselben Zeichen, so würde es die große Bequemlichkeit haben, daß ein Jeder, er möchte eine Sprache sprechen, welche er wollte, dieselben Bücher lescn könnte, wennauch ein Jeder die Worte in seiner Sprache ausdrückte. So würde beim Anblick des Zeichens, welches ein Pferd bedeutet, der Skandinavier sagen „Hcst". der Deutsche „Pferd", der Italiener „eavailo" u. s. w. ebenso wie alle Nationen, welche die arabischen Zablenzeichen gebrauchen, dieselben verstellen, obschou sie verschiedene Laute für den Begriff haben. . Bei der Ziffer 8 sagen wir „otte". der Deutsche „acht", der Nüsse „voeom", der Franzose „Iiuit". Verschiedene Stationen könnten also dasselbe Buch lesen und Alle dasselbe verstehen, ohne daß sie einander gegenseitig verständen. Aber das hat die große Unbequemlichkeit, daß, da die Sprache ans einer unendlichen Menge von Wörtern besteht, man ebenso viele verschiedene Schriftzeichen lernen müßte. So haben die Chinesen 50.000 verschiedene Schciftzeichen. Ich fragte den Baron Schilling, wie es möglich sei. eine' so große Menge Zeichen zu lernen und zu behalten; es müßte das Studium eines ganzen Lebens dazu erforderlich sein. Cr erwiderte darauf, daß die Sache nicht so schwierig wäre, als sie zu sein schiene; die Chinesen hätten eine weit geringere Anzahl von einzelnen Zeichen, und durch eine finnreiche Verbindung derselben käme man dem Gedächtniß zu Hilfe, um die Bedeutung des zusammengefetzten Zeichens zu behalten. Wenn man z. B. zwei solche verschiedene Zeichen neben einander setze und mit einein Viereck umgebe, so bedeute dies. daß zwischen diesen zwei Begriffen oder Gegenständen eine gewisse Verbindung, in Rücksicht aufOrt oderZcit, stattfinde. „Ich bin gewiß," fügte cr hinzu, „daß Sie selbst ein paar chiuefische Worte werden lesen können." Er zeichnete darauf die beistehende Figur und fügte hinzu: „jede der beiden Figuren in diesem Viereck bezeichnet „ ein Frauen -zimmer"; was bedeutet nun das zusammen» gesetzte Zeichen?" — Zwei Franenzimmer meinem Raume, sagte ich, und rief scher- zend aus: „husrollc" (Zank). Cr schlug nun einen großen Folianten w. Kap.) Russisch-chinesische Grenzstreitigkeit. 203 auf (ein chinesisch-französisches Wörterbuch), zeigte mir dieselben Zeichen und daneben stand wirklich: „yuerolls". Ich lachte laut über nieine glückliche Vermuthung, und er rief dabei: „da können Sie sehen, daß die Sache nicht so schwer ist, als man sich denkt!" Er zeich« nete noch eine andere Flgur, welche ich gleichfalls errietd. doch ich erinnere mich blos der eisten wegen der possirlichen Ideenverbindung lind der darin enthaltenen Beschuldigung gegen das schöne Geschlecht, welä'e hoffen!» lich die chinesischen Damen mehr trifft, als die europäischen. Nur die ge« lehrten (5hinesen lernen alle diese Zeichen-, der gemeine Mann befaßt sich blos mit denjenigen, welche für sein Geschäft nnentbebrlict, sind. Znr Zeit Peter's des Großen war zwischen den Nüssen nnd den Chinesen eine Grenzftreitigkeit im östlichen Sibirien am Amur entstanden, der in den Stillen Ocean mündet nnd damals die Grenze zwiscken der chinesischen und russischen Herrschast bildete. Peter schickte eine Gesandtschaft dorthin. um die ZwistiaMcn beizulegen, aber die Chinesen verschleppten unter verschiedenen Verwänden den Anfang der Verhandlungen drei Vierteljahre lang. Endlich erklärten sie. daß sie jetzt bereit wären, dieselben anzufangen; aber nun zeigte es sich. daß sie 20.000 Mann am Amur zusammengezogen hatten, mit denen sie die nur aus 300 Mann bestehenden russischen Truppen zurücktrieben. wobei sie 100 Mann zu Gefangenen machten. welcde nach Peking gefühlt wurden. Sie l'chanp» teten nun das große Stück nördlich vom Amur. welches die Nüssen Da-urien nennen. Peter, der die Unmöglichkeit einsah, eine hinrei» chende Anzahl Trnppen aus dem europäischen Nußland zu ihrer Vertrei» bung abzusenden, und der eS überdies vorzog, den vortheilhaftcn friedlichen Handel mit den Chinesen aufrechtzuerhalten, der dnrch einen feint" lichen Anfall für immer unterbrochen worden wäre. als eine ziemlich öde Landftrecke zu gewinnen, gab lieber nach, heduug sich al>er das Necht aus, ein russisches Kloster in Peking zu bauen und alle zebn Jahre einen Protopop mit einigen andern Popen dorthin zu schicken, um für ihre gefangenen Landslmtc Sorge zu tragen. Ungcacl tet diese Gefangenen längst gestorben sind, dauert dock diese Mifsion nock fort, und während meines Aufenthalts w Irkutsk war gerade der Priester Iakmtli. der zehn Jahre dovt verweilt hatte, zurückgekehrt, und eine nene Mission sollte abgesendet werden. Wegen seiner ttcnntnisse des Chinesischen wünschte Baron Schilling 204 Schachfertigkeit Schilling's. ^10. Kap. die Mission nach Peking zu begleiten, und hatte sich schon mit einem ganzen Theil physikalischer, besonders magnetischer Instrumente versehen, mit welchen er auf dem Wege Beobachtungen machcu wollte. Da aber die Chinesen, welche die Mission nach Peking begleiten, ungemein mis. trauisch sind, und dem Reisenden nicht einmal gestatten, daß er etwas auf ein Stück Papier verzeichnet, und Schilling außerdem ein zu heiterer Mann war. als daß man erwarten konnte, er werde seiner Natur zu. widerhandeln, so fürchtete man, es könnte die gauze Mission um seinetwillen zurückgeschickt werden. — und die Erlaubniß ward ihn, verweigert. Au seiner Stelle wurde der Mission ein junger Astronom. Namens Fuß. als wissenschaftlicher Begleiter beigegebcn. Wir lernten ihn in Petersburg kennen, als er sich zur Abreise vorbereitete, uud machten ihn mit unserer Beobachtungsmethode bekannt. Baron Schilling lud uns eines Tages zu einem Mittagsbrot in einem Hotel ein. wo wir vortrefflich bewirthet wurden. Nach Tische fragte er: „Spielt Jemand von Ihnen Schach?" Ich erwiderte, daß mir blos die Züge bekannt seien, daß aber Due sehr gut spiele; denn ich hatte ihn fast überall gewinnen sehen, und nur an einem Kaufmann in Orenburg hatte er seinen Meister gefunden. Due hatte kaum fünf Züge gethan, als ihn der Baron fragte: „auf welchem Felde wollen Sie matt sein?" Ich war erstaunt über die so kecke Aeußerung, uud Due wurde roth, antwortete aber nichts. Ich zeigte nun auf ein Feld im Brette, und in der That, es dauerte nicht sehr lange, so hatte er Due's König dorthin gejagt und matt gesetzt. Auf meine Frage, ob er das öfter machen könnte, erwiderte er: „So oft Sie wollen!" Ein neues Spiel begann, ich zeigte auf ein anderes Feld, und — die Folge war wiederum dieselbe. „Aber wie konnten Sie nach so wenigen Zügen wissen, daß es Ihnen möglich wäre?" fragte ich. „Oh!" entgegnete er, ,.es bedarf nicht vieler Züge, um zu wissen, wen man vor sich hat." Darauf äußerten wir Luft, das Theater zu besuchen und fragten ihn, ob er uns begleiten wollte. Er lehnte es Anfangs ab. sagte aber endlich: „Nun ja, ich kann dort ebenso gut mein Mittagsschläfchen halten, als anderwo." Wir gingell ins Parquet, wo Jeder seinen Lehnstuhl hat, und waren nicht sehr lange da. als unser Freund in einen sanften Schlummer verfiel, der bis gegen das Ende des Stückes dauerte. 10. Kap.I Die Fabrik Ischora. 205 Eines Tages lud uns Baron Schilling ein, mit ihm nach der großen Fabrik Ischora zu reisen, die in einem Marktflecken an einem Flusse des« selben Namens, beinahe 5 Meilen südöstlich von Petersburg liegt. In dieser Fabrik, die von einem Engländer, General Wilson, geleitet wird, werden fast alle möglichen Fabrikate gearbeitet, von den Maschinen für Dampfschiffe und den eisernen Kesseln zu denselben an bis zu allen Arten Physikalischer und mathematischer Instrumente, als Barometer. Thermometer, mathematische Bestecke, Inclinatorien u. a. m. Auch war dort eine Spiegelfabrik, wo Spiegel von der Höhe einer ganzen Wand und bis 6 Fuß Breite gearbeitet wurden. Die geschmolzene Glasmasse wurde auf einen großen Tisch ausgegossen, dessen horizontale kupferne Platte erhöhte Kanten hatte, deren Höhe die Dicke des Spiegelglases bestimmte. Wenn das zwischen den Kanten befindliche große Gefäß mit glühender Glasmasse angefüllt war, so wurde von dem einen Ende des Tisches bis zum entgegengesetzten eine große. sehr schwere erhitzte Kupferwalze über dieselbe gerollt, welche über beide Ränder des Tisches ein wenig hervorragte, wodurch die oberste Fläche der Glasmasse so eben wurde, wie die unterste, und die Glasplatte überall dieselbe Dicke bekam. Sobald sie abgekühlt war, wurde sie erst durch eine Maschine aus beiden Seiten grob geschlissen, und dann zwei solche Spiegelgläser über einander gelegt und die oberste durch eine Maschine auf der untersten hin- und her« bewegt, bis sie beide eine ganz ebene Oberfläche bekommen hatten. So große Spiegel soll man nicht einmal in den berühmten französischen und italienischen Tpiegelfabriken zu Stande bringen können. Zur Erinnerung an Ischora verehrte mir der General Wilson einen sinnreich conftruirten Zirkel, dessen Endstücke ausgezogen und umgekehrt in den dickeren obersten Theil der Arme gesteckt werden können, sodaß man einen Zirkel entweder mit zwei Stahlspitzen, oder mit einer Stahlspitze und einer Neisfeder, oder mit einer Btahlspitze und einer Bleifeder hat. Zum Zirkel gehört eine Scheide von Messing, in welche beide Spitzen hineingestickt werden können, und auf deren einer Seite ein englischer Zoll abgesetzt war, eingetheilt in 10 Linien und jede von diesen wieder durch schräge Linien bis '/,<, Linie oder '/,oc»Zoll. Dies kleine Instrument ersetzte also beinahe ein vollständiges Besteck. Als Proviant für diese kleine Reise hatte unser Epikuräer einen Krug mitgenommen, der. außer verschiedenen theuren 2yg Audienz-Schwierigkeiten. ^10. Kap. Weinen und anderen Leckerbissen, auck' die berühmten Straßburger Gänse-leber.Pafteten enthielt, die ich während der Fabrt zum ersten nnd ver. mnthlich letzten Male in meinem Leben kostete. Zwar war der Baron Schilling kem schlechter Astronom, doch jedenfalls ein weit größerer Gastronom. Or hatte nicht vergebens mehrere Jahre in Wien gelebt. Aus den Zeitungen habe ich erfahren, daß er vor einem Jahre gestorben ist. In Petersburg hörte ich von mehreren Seiten uniern leider zu früh verstorbenen N. G. Abel rühmen; ein paar französische Mathematiker. Claveyron und Lanw. welche Lehrer an dem Ingenieur-Institut waren, nannten ihn un Fenio ömmenl, und man erzählte, daß er am Tage nach seinem Tode zum Professor in Berlin ernannt worden sei. Man hatte geäußert, daß es für mich passend wäre, eine Audienz beim Kaiser nachzusuchen, um ihm für den Schutz und die Hilfe zu danken, die ich während der Neise durch seine Staaten in so reichem Maße genossen hatte. Ich deutete dies unserm Minister. General Baron Palm-stjerna. an. und er erwiderte, daß dies eine weitläufige Sache sei; er müßte an den russischen Minister, Graf Nesselrode, schreiben, der dann die Genehmigung des Kaisers zu einer Vorstellung einzuholen hatte. Ich äußerte darauf, daß, wenn so viele Weitläufigkeiten damit verbunden wären, ich die Sache fallen lassen wollte, allein ich hätte geglaubt, daß es meine Schuldigkeit sei. Der General meinte denn auch. daß das in seiner Ordnung wäre und versprach, daS Nöthige zu besorgen. Unterdeß würden die russischen Ostern, den 18. April, eintreten, nnd ehe diese und die sie begleitenden Festlichkeiten zu Ende waren, sei an die Audienz nicht zu denken. Donnerstag, den 22. April, bekam ich vom Minister die Nachricht. daß der Kaiser Sonntag den 25. April nach der Messe, dreiviertel elf Uhr Vormittags, uns Audienz ertheilen würde. Ich ging daher zu Palmstjerna und fragte ihn, wie ich mich kleiden sollte, ob ich nämlich in Stiefeln gehen könnte oder Schuhe anziehen sollte, und erhielt die Ant« wort: „Bei Gott, Sie müssen Uniform anziehen." — „Aber ich habe keine Uniform, unsere Professoren brauchen keine; dieser schwarze Frack ist meine Uniform; mit dem gehe ich zu meinem eignen König." — »Reden Sie hier nicht von Norwegen und Schweden; die find wie ein Tropfen im Meere; das geht durchaus nicht an! dann müssen Sie eine halbe Stunde vor der Audienz todtkrank werden, aber Lieutenant Due, der Uniform 10. Kap.) Vorbereitungen zur Audienz. 207 hat, kann gehen." — Ich erfuhr außerdem noch, daß sonst Niemand, der einen geringeren Rang als ein Generalmajor hat. beim Kaiser Audienz erhalten könnte, und daß nur bisweilen mit einem einzelnen Ausländer eine Ausnahme gemacht wurde. Hier war nun guter Rath theuer. Glücklicherweise waren der General'Consul Sterky und der Attache der schwedischen Gesandtschaft. Baron ReHausen (später Minister in London, ein kleiner junger Mann, ungefähr in meiner Größe, welchen Frau Sterky, zum Unterschied von dem großen Baron Palmftjerna, den „kleinen Baron" nannte), zugegen. Sterky fragte: „Könnte man dem Professor nicht eine Uniform machen lassen?" — „Ja," antwortete Palmstjerna, „das wäre der einzige Ausweg." Nun mußte die Sache rasch abgemacht werden, denn es waren nur zwei Tage bis zur Audienz, und ein Jeder gab Schlag auf Schlag seinen Rath. — Welche Farbe soll der Frack haben? Wie gefällt Ihnen blau? — Ganz gut; ich habe nichts dagegen. — Also der Frack soll blau sein. — Kragen und Aufschläge von Sammet. — Goldstickerei am Kragen. — Von welcher Art? — Ein Paar Eichenzweige mit Eicheln und Blättern. — Karl-Iohanns-Knöpfe am Frack und an den Taschen. — Weiße Casimir«Pantulons, weiße Weste, weiße seidene Strümpfe und Schuhe. — Goldene Schnallen an den Knieen und an den Schuhen. — Dreieckiger Hut mit Krampe und Schnüren. — Staatsdegen. — Die goldenen Schnallen versprach Sterky anzuschaffen; die Casimirhosen und die Weste, die Karl.Iohanns.Knöpfe, den dreieckigen Hnt und den Degen mit einem Handgriff von Perlmutter bot Nehausen an, und den Frack, die seideneu Strümpfe und Schuhe sollte ich selbst anschaffen. Ich fragte nun den General, ob er uns nicht begleiten und vorstellen würde. „Nein," erwiderte er. „das ist nicht Sitte; aber deshalb brauchen Sie sich nicht zu angstigen. Sie werden, sobald Sie aus meinem Wagen steigen, von einem Lakai empfangen werden, der Sie an den Haupteingang bringt, Sie an einen andern Lakai abliefert, der Sie weiter bringt, und so gehen Sie von Hand zu Hand. bis Sie zum Audienzsaal kommen." Nun gingen wir augenblicklich zu einem uns empfohlenen schwedischen Schneider, welcher Frack und Stickerei bis Sonntag Morgen, Punkt neun Uhr. fertig zu schaffen versprach, indem ich ihm vorstellte, daß es eine Audienz beim Kaiser gelte. Due sollte auch seine Uuiformstücke gebürstet, gepreßt, vergoldet, neue Epauletten u. s. w. bekommen. 208 Abfahrt zur Audienz. lw. Kap. Den 23. April war mein alter Gönner, der General-Gouverneur Lawmsky von Irkutsk, der mit seiner Tochter Elise kürzlich nach Petersburg gekommen war. in unserer Wohnung gewesen und hatte ein Billet von seiner Tochter abgegeben, worin wir für den nächsten Tag, „da Papa's Geburtstag sei" zum Mittagsbrot eingeladen wurden. Bei diesem liebreichen freundlichen Manne verbrachten wir nun den Tag vor der mit eini. ger Aengstlichkeit erwarteten Audienz. Er sagte mir, daß mich der Kaiser in französischer Sprache anreden würde; da ich aber, wie er wisse, lieber Deutsch spräche, so könnte ich immerhin in dieser Sprache antworten, worauf dann der Kaiser sogleich eingehen würde, da er mit gleicher Fertigkeit Russisch. Deutsch. Französisch und Englisch spreche. Endlich brach der gedachte Sonntag-Morgen an; alles, was zu meiner Maskerade gehörte, war angekommen, und ich war um halb elf Uhr schon im vollen Staat, als ich die Thür zu Due's Zimmer aufmachte und ihn noch im Schlafrocke gehen sah. indem er erklärte, daß er bis jetzt nicht einen einzigen Faden von Dem hätte, was er anhaben sollte, nicht einmal das Hemd. Verschiedene von diesen Sachen hatte er nämlich zurückgeschickt, um umgearbeitet zu weiden, weil sie ihm nicht gefallen hatten. Die Uhr war dreiviertel elf, Palmstierna's Wagen kam mit Kutscher und Bedienten in Livree, aber kein Schneider, Posamentier oder Waschfrau. Meine Verzweiflnng stieg mit jeder Minute. Zu einem Mittagsbrot zu spät zu kommen, sagte ich zu mir, ist sehr unangenehm, aber einen Regenten auf sich warten zu lassen, ist zu toll. zumal den Selbstherrscher aller Neußen. Und über wen würde es am Ende hergehen, dachte ich, als über den armen Professor, der doch vollkommen fertig war und mit langen Schritten und verzweifeltem Blick das Zimmer in der Diagonale durchmaß. Due fchickte nun zuerst beide Bedienten nach ver» schiedenen Seiten, dann sogar Palmstjerna's Kammerdiener, und lief zuletzt selbst fort. Jetzt waren alle Wege versperrt, denn nun konnte ich selbst nicht zum Palast fahren, da sogar der Kammerdiener fehlte. Doch es dauerte nicht lange, so horte ich einen nach dem andern keuchend von verschiedenen Seiten ankommen; die Kleider wurden hastig auf den Leib geworfen und wir krochen in den Wagen. Am Eingang zum Winterpalais stand ein stattlicher Lakai mit einer weißen Straußfeder am Hut, half uns aus dem Wagen, führte uns hin 16. Kap.) Audienz beim Kaiser. 209 ein und lieferte uns an einen andern ab, dieser an einen dritten, und so wurden wir durch eine Reihe Zimmer, einige Marmortreppen hinauf, durch lange Corridore u. s. w. geführt, bis man uns endlich in ein Vor« zimmer einließ, das von Uniformen und besternten Personen wimmelte. Unsere unbekannten Uniformen zogen Aller Augen auf sich, was uns so unbequem war, daß wir uns in eine abgelegene Ecke schlichen. Nach einigen langweiligen Minuten führte der Ceremonienmeister uns Beide allein ins Audienzzimmer, wo wir zwei junge englische Lords vorfanden, in rothen Uniform-Fracks mit weißen Beinkleidern — eine Ueomanry« Uniform, die sie sich auch hatten machen lassen müssen, um dem Kaiser vorgestellt werden zu können. Man war also so höflich, uns vier Fremde vor all den inländischen Band - und Tternenmännern einzuführen. Es dauerte nicht lange, so kam der Kaiser aus seinem Cabinet; ein ziemlich großer, wohlgestalteter, freundlich aussehender Manu in einem grünen Uniform-Frack. Er ging zuerst zu den zwei Englandern und redete sie Französisch an. Darauf kam er zu mir und sagte: „Vous ave? koul6U8omenl Uni un Flanä vo^HFe." Nach Lawinsky's Rath ant« Worteteich in deutscher Sprache: .Ja. Sire, eine sehr lange Reise." «Ah, Sie sprechen Deutsch?" sagte er. Ich entgegnete: „Ja, Ew.Ma-jestät, nicht ganz so schlecht wie Französisch," und nun wurde das Gespräch in deutscher Sprache fortgesetzt. Er fragte mich unter Andern, wie ich mit meiner Reise zufrieden wäre; worauf ich erwiderte: „Es giebt kein Land anf der Erde. Ew. Majestät, wo man so schnell, so sicher und so billig reift, wie in Rußland und besonders in Sibirien." — „Und wo man so schlecht bewirthet wird," fügte er rasch und lächelnd hinzu. — „Jh. Sire." erwiderte ich, „so schlecht ist es auch nicht." — „Nun ja," wiederholte er, „wenn man bescheidene Ansprüche macht, geht es wohl an." Ich wurde bei dieser Bemerkung ein wenig verlegen. da ich gegen verschiedene Personen geäußert hatte, wie übel mir die sibirische Diät bekommen sei, und es nun für möglich hielt, daß Jemand vom Hofpersonal ihm das erzahlt haben könnte, da die Umgebungen der Fürsten manchmal solche kleine Anekdoten von Ausländern, welche Audienz haben sollen, ihnen mittheilen, entweder zur Belustigung, oder um sie über den Cha« rakter oder die Stellung dieser Personen zu orientiren. Bei der Frage des Kaisers, wie ich mit meiner Reise zufrieden sei, hatte ich eine passende Hansteen, Reise. 14 210 Audienz beim Kaiser. IM Kap. Gelegenheit gehabt. Das zu äußern, was der Zweck der Audienz war ihm nämlich für den Schutz zu danken, den ch durch seme Befehle und durch die mir überlieferten offenen Briefe an alle höheren und niederen Beamten längs der von mir beschlossenen Route genossen hatte. Aber durch die Bemerkung über die sibirische Diät wurde ich auf Umwege gew tet und versäumte die Hauptsache. - Darauf fragte er nach dem Zweck derNeise, welchen ich ihm einfach mit den Worten angab, die magnet schen Phänomene der Erde. welche von ganz Sibirien beinahe völlig unbekannt wären, zu beobachteu. Endlich äußerte ich. daß meine astronomischen Beobachtungen mir gezeigt bätten. daß die Lage vieler Orte m Sibmen auf den Karten unrichtig angegeben sei. So liege der nördliche TM des Ienisei nahe am Polarkreise gegen 3 Grad westlicher, als « aus den neuesten russischen Karten angegeben sei, und selbst aus Dr. Grmans magnetischen Beobachtungen zwischen Tobolsk und Beresow längs dem Ob könnte ich schließen, daß eine ebenso große Unrichtigkeit über d^age dieses Flusses auf den Karten herrsche. - .,I"." erwiderteer. ..unsere Karten find sehr mittelmäßig." Ich bemerkte hierbei, daß längs der großen Landstraße von Moskau nach Irkutsk die Lage der Städte ,o richtig sei, wie man es nur verlangen könnte, indem verschiedene Gelehrte hier gereift wären und durch Beobachtungen die Lage bestimmt hatten; aber südlich und nördlich von dieser Linie, wo keine solche Beobachtungen angestellt seien und die Karten blos nach Tagereisen und speciellen Land-vermeffungs'Karten construirt wären, die sich nicht auf astronomische Beobachtungen stützten, könnten sie nicht genau scin. ..Es würde daher wünschenswerth sein." sagte ich, „wenn Se. Majestät selbst nur einen Astronomen mit einem Sextanten und einem oder mehreren Chronometern die großen, in das Eismeer mündenden Flüsse bereisen ließen, wo» durch diese Fehler berichtigt werden könnten." Er entgegnete hieraus: „Wir haben andere weit interessantere und wichtigere Gegenden im Süden, welche zuerst untersucht werden müssen." Darauf sprach er einige Worte mit Due und verneigte sich. In seinem ganzen Wesen spiegelte sich die vertrauenerweckendste Freundlichkeit und Güte ab, welche sofort bei seinem Eintritt meine Aengstlichkeit, der Person des Selbstherrschers vorgestellt zu werden, verscheuchte. 10. Kap.) Audienz bei der Kaiserin. 211 Der Ceremonienmeister, ein junger Italiener, Namens Rusco, führte uns darauf denselben Weg weiter, und ich hörte ihn dabei mit einigen Lakaien reden und das Wort „Imperatriza" (Kaiserin) nennen. Ich fragte ihn daher, ob wir auch der Kaiserin vorgestellt werden sollten.__ „Ja, hat man es Ihnen nicht gesagt?" — „Nein." erwiderte ich. „das ist eine ganz unerwartete Extra-Gnade." Wäbrend wir gingen, fragte mich der eine Engländer etwas ängstlich. ob ich glaubte, daß man der Kaiserin die Hand küssen sollte. was. nachdem, was er gehört, Sitte wäre. Ich bemerkte, daß wir das thun müßten, was wir die Uebrigen thun sähen. Er meinte, daß das eine schwierige Sache wäre, und fragte, wie man sich benehmen sollte; worauf ich erwiderte. daß das eine sehr leichte Sache wäre. indem man ganz einfach die dargereichte Hand nähme und sie zum Munde führte. Es muß wohl in England nicht Gebrauch sein, den Damen die Hand zu küssen. In Nußland ist es freilich Sitte, daß, wenn ein Herr einer Dame die Hand küßt, sie sich in demselben Augenblick verneigt und ihn auf die Wange küßt; aber dies konnten wir wohl von der Kaiserin nicht erwarten. Es waren zwei Damen und eine Menge russischer Sternenmänner im Audienzzimmer. Wir warteten lange, ehe Ihrer Majestät Toilette beendigt war. Endlich kam die Oberhofmeisterin aus dem Zimmer der Kaiserin und führte die beiden Damen zur Audienz hinein. Als diese verabschiedet waren, dauerte es wieder ein wenig; endlich ward die Thür geöffnet, die Kaiserin trat herein, ging zu dem vordersten von den russischen Herren und zog den Handschuh von ihrer rechten Hand, worauf jener sie ergriff, und ihr einen vernehmbaren Kuß aufdrückte. Ich stieß den Engländer an, um ihn auf den Vorgang aufmerksam zu machen. Darauf begann eine Unterredung in französischer Sprache. Jetzt hielt man es für gut, uns vier Fremde Hinauszugeleiten, um uns später zu einer besondern Audienz hineinzuführen. Als die Rus« sen verabschiedet waren. kamen wir an die Reihe; die bekannten Thüren öffneten sich wieder, sie schritt herein, empfangen von unsern ehrerbietig« sten Complinicnten, und näherte sich den beiden Engländern in den rothen Uniformen., Es wurde Französisch gesprochen, was die Engländer schlecht verstanden; auch sprachen sie mittelmäßig Französisch. Sie fragte un« ter Andern, ob sie in ihrer Vaterstadt Berlin gewesen wären und ihren Vater und ihre Brüder gesehen hätten. was sie bejahten. Sie machte 14* 212 Persönlichkeit der Kaiserin. ^io. Kap. dann Miene, dem Vordersten die Hand zu reichen, da er aber aus Be« fangenheit sie nicht zu nehmen wagte, so verneigte sie sich. und das Gesicht der Engländer verrieth einige Verlegenheit. wie denn auch ihre Gesichtsfarbe um einige Grade dcr Uniform näher kam, als vorher. Sie näherte sich dann mir, und redete mich Deutsch an. was in meinen Ohren sehr angenehm klang. Es war hieraus klar, daß der Kaiser sie in der Zwischenzeit auf die Audienz vorbereitet, und ihr gesagt hatte, wer wir seien, und welchen Gegenstand — und in welcher Sprache — sie mit Jedem zur Unterhaltung wählen könnte. Sie sprach von der langen Reise, von der langen Abwesenheit von der Heimath, fragte, welche Orte wir besucht hätten und, als Dame, natürlich davon, ob ich verheirathet wäre und Kinder hätte. — „Eine Frau und sechs Kinder. Ihro Majestät." — Sie äußerte darauf, daß es sehr schwer fallen müßte, Frau und Kinder zu verlassen, um sich auf eine so lange und beschwerliche Reise zu begeben, wo so leicht Unglücksfälle eintreten und die zurückbleibende Familie beun» ruhigen könnten; worauf ich erwiderte, daß der Pfleger der Wissenschaft, sofern er sei,« Wissenschaft mit Wärme umfasse, ihr auch Zeit und Kräfte opfern und manch schweres Opfer bringen müsse, unter welchen dieses zu den härteren gehöre. Nachdem sie ein paar Worte mit Due gesprochen, verneigte sie sich und begab sich in ihr Zimmer zurück. Sie war sehr schlank und fein, ich will nicht sagen mager, denn ihre Glieder waren voll. Das Gesicht etwas bleich, das Haar hellbraun, die Augen blau. Ihre Sprache und Stimme waren sehr liebreich, ebenso ihr Blick. Ihre etwas unstete Haltung zeugte von Nerven« schwäche und gab ihr den Ausdruck, ein wenig ängstlich und verlegen zu fein. was doch kaum der Fall war. In Gedanken sagte ich scherzend zu mir: „Das ist das erste Mal, daß ein gekröntes Haupt vor mir gezittert hat." Indeß machte sie diese nervenschwache Anspannung, und der scheinbare Ausdruck weiblicher Verschämtheit weit liebenswürdiger in meinen Augen, als wenn sie allzu dreist gewesen wäre. Wenn ich mich recht erinnere, so trug sie ein hellblaues Atlaskleid, welches an Schultern und Rücken start ausgeschnitten war. und sehr kurze Halbärmel, sodaß die weißen, runden Schultern sichtbar waren. Außerdem trug sie lange weiße Handschuhe und einen Sammetturban mit langen weißen wehenden Federn. 10. Kap.1 Das Kaiserpaar. 213 An der Thür eines jeden Zimmers standen ein paar unbewegliche, in ein dunkles Gewand oder Shawl gehüllte menschliche Gestalten, die ich, nach ihrer hellbraunen Gesichtsfarbe zu urtheilen, für Hindus hielt, und welche, sobald sich Jemand der Thür näherte, beide Flügelthüren mechanisch öffneten und ebenso schweigsam wieder hinter ihm zumachten. Höchst zufrieden mit unserer Audienz, die so leicht abgegangen war, wie kaum in einem andern Lande Europa's eine Audienz bei einem Regentenpaar, entfernten wir uns, begleitet von Lakaien und Schweizern bis zu unserm Wagen, in den sie uns hineinhalfen. Dieses Kaiserpaar erschien mir als ein sehr liebenswürdiges Paar. sie führen ein glückliches Familienleben, froh und zufrieden Einer im Andern, nnd im höchsten Grade sittlich. Dadurch hat die Hauptstadt seit Nikolaus' Thronbestei, gung einen ganz veränderten Ton bekommen. Alles, was vornehm ist, besonders Alle, welche bei Hofe Zutritt haben, muffen wenigstens nach dem Schein der Sittlichkeit streben, wenn sie auch nicht in Wirklichkeit dieser Forderung nachkommen können. Zu Alexander's Zeit soll es sich umgekehrt verhalten haben. Nach der Audienz hatten wir einen angenehmen Mittag bei dem Minister Palmstjerna. der, als er mich in der selbstgeschaffenen Uniform sah, in die Worte ausbrach: „Hab' ich doch nie zuvor den Professor so geputzt gesehen!" Meine schwarze Tracht, in der ich zwei Jahre vorher nach Petersburg gekommen, war nämlich in der langen Zeit und auf einer Fahrt von etwa zwanzigtausend Werst (über dritthalbtaufend Meilen) ziemlich fadenscheinig geworden. So lange Kaiser Alezander lebte, so erzählte man, beschäftigte sich Nikolaus nur mit Uebungen des Militairs. man hörte ihn nie sich über Staatsgeschäfte äußern, und man glaubte allgemein, daß er kein Interesse für etwas Anderes, als den Gamaschendienst und Uniformen hätte, ja man zweifelte an seinen Geistesgaben. Aber nach dem Tode des Bruders berief er die Staatsräthe und sprach sich vor ihnen mit einer so tiefen Sach-tenntniß über die Stellung des Staates, und mit einer solchen Bestimmt-heit und Klarheit über seine Grundsatze aus, daß er alle in Erstaunen setzte. Ein jeder Regent ist leicht eifersüchtig auf sein Ansehen, und sieht es nicht gern, daß der Thronfolger zu verstehen giebt, seine Zeit könne vielleicht auch kommen. Die Klugheit gebietet diesem also. die Maske der 214 Abschiedsvisiten. IM Kap. Gleichgiltigkeit anzulegen und in den Schatten zu treten, damit das gauze Licht auf das Haupt fallen kann. welches noch die Krone trägt. Kurz vor unserer Abreise machten wir Abschiedsbesuche bei einigen Ministern. Speranski (vergl. S. 17) ließ sich eine Erläuterung über Das geben, was man jetzt von dem magnetischen Zustande der Erde wußte und was ich in Sibirien ausgerichtet hatte, um ueue Materialien zur Erlangung einer genaueren Kenntniß zu sammeln, faßte Alles mit einer ausnchmenden Leichtigkeit auf, und sprach mit Wärme und gründ^ licher Kenntniß von Sibirien. Kurz. in seinem Wesen zeigte sich. wie vor zwei Jahren, Verstand. Feinheit ,md Freundlichkeit, aber von dem vornehmen Manne fühlte mau nichts. Er dankte uns dafür, daß wir ihn nicht vergessen hatten. Ich fühlte mich wohl und, durch seine lebhafte Theilnahme ermuntert, drückte ich mich in der französischen Sprache mit mehr Leichtigkeit als gewöhnlich ans, sodaß Due zu mir sagte, er wäre auf meine Exposition stolz gewesen. Von Speranski gingen wir zum Zoll- und Finanzminister Grasen Cancrin. Bei ihm trafen wir den General Suchtelen (einen Sohn des Ministers in Stockholm), welcher zum Kriegs-Gouverneur in Orenburg ernannt war. und der lins dadurch überraschte, daß er uns Schwedisch anredete. Als Mitglied einer Commission, welche beauftragt war, Vorschläge zur Negulinmg des norwegischen Maß- und Gewichtssystems zu machen, fragte ich Cancrin. ob man wobl ein wenig von der Platina zu kaufen bekommen könnte, welche in großer Menge längs der Ostseite des Ural'Gebirges gefunden wird, nnd wovon man angefangen hatte, Rubel zu prägen. Er erwiderte, daß er mir einige Pfund verehren wollte. Ich bemerkte, daß. da es die Absicht sei. dasselbe zu einem Origiualmaß für die norwegische Längeneinheit anzuwenden, die Regierung es bezahlen würde. — „Gut. aber wollen sie nicht selbst etwas baben?" — Ich verneigte mich. — „Wie viel Pfund wollen Sie haben? Drei, vier Pfund?" — Ich erwiderte: „Wie Ew. Excellenz befehlen." — „Fünf, sechs Pfund?" wiederholte er, und ich antwortete wieder lächelnd: „Wie Ew. Excellenz befehlen." Er schrieb einige Worte auf einen Zettel. gab diesen einem Bedienten, und am nächsten Morgen brachte mir ein Berg« Officier zwei Flaschen: die eine, acht Pfund rohes Platina in großen Körnern, manche so groß wie Kirschkerne, enthaltend, die andere, weit 10. Kap.I Ankunft in Christiania. 215 größere, mit feinen Körnern von den mit Platina verwandten Me« tallen (Indium, Osmium), welche beim Reinigen der Platina ausgeschieden werden. Vom Inhalt dieser Flaschen schenkte ich Berzelius einen Theil und überließ den Nest dem physikalischen Cabinet an unserer Universität. Diese große Artigkeit erwies mir Graf Cancrin vermuthlich in der Absicht, um den unangenehmen Eindruck zu verwischen, den sein minder höfliches Beuebmen früher gegen mich erweckt hatte. Da unsere alte polnische Britschke durch eine zweijährige Fahrt auf mißlichen Wegen ganz zerfallen war, sahen wir uns genöthigt, in Petersburg einen neuen starken Wienerwagen zu kaufen, welcher seitdem bestän» dig gebraucht wird, um unsere Staatsräthe nach und von Stockholm zu befördern. Mit diesem reisten wir von Petersburg durch Finnland nach Abo, wo wir uns vier bis fünf Tage aufhielten und täglich den liebenswürdigen Director der Sternwarte, Argelauder, besuchten. In Stockholm wurde ich von allen dortigen Landsleuteu freundlich empfangen, be« sonders von unserm jetzigen Staatsminister Due, welcher mir einige Zimmer in der norwegischen Kanzlei auf dem Vlasii^Holm einräumte. Den 31. Mai wohnte ich einem Gottesdienst in der Hoskirche bei, aus Anlaß des Kirchganges der Kronprinzessin (unserer jetzigen Königin) und der Taufe der Prinzessin Eugenia, wobei das ganze Lorps diploma^u« zugegen war. Nach einer Audienz bei Sr. Majestät dem Könige Karl Johann, begab ich mich endlich auf den Heimweg, und langte in Christiauia am St. Iohannis'Abend an, nachdem ich etwas über fünfundzwanzig Monate von Hause abwesend gewesen war. Druck vun Fr. Nies in Leipzig. ft ^.K#f Besonders empfehlenswerte Werke theils für die Jugend, — theils für Erwachsene. Verlsg ullll G. Senf's Buchhandlung in Teipzig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. Ländergeschichte. Vr. A. Geißler's Weltgeschichte der alten - mittleren — neueren - und neuesten Zeit. In biographischer Form. »Bände. Neue elegante Ausgabe. 1865. 2 Thaler. Dasselbe Werk in 3 elegante Halbfrzbände gebunden 2 Thlr. 2« Ngr. Geschichte von Belgien Von Hendrik Conscience. Mit Stahlstich: Leopold I. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Dänemarks bis auf die neueste Zeit. Von F. A. Allen. Mit dem Portrait Christian's IV. nach K. v. Manbern. Neue sehr elegante Ausgabe. 1860. 1 Thaler. Geschichte Norwegens. Von Andreas Fay e. Mit dem Portrait Petcr Tordenskjold's nach Denncr. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thlr. Geschichte Frankreichs. Von E. dc Bonnechos e. Mit dem Portrait Richelieu's nach Phil. Champagne. Reue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Spaniens. Von Ascargorta. Mit dem Portrait Philipp's II. nach van der Wcrff. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Geschichte des russischen Reichs von I. H. Schnihlcr. Deutsch von Dr. Ed. Vurcthardt. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte des osmanischen Reiches von Poujoulat. Mit dem Portrait Abdul Medschid's nach Dussault. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. i Thaler. Geschichte der nordamerikanischen Freistaaten. Von E. Williards. Mit dem Portrait Washington's nach Longhi. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte von Indien Von Th. Keightley. Ueberseht und bis am die neueste Zeit fortgeführt von I. Seybt. Neue sehr elegante Ausgabe in 2 Händen. 1866. Preis 1 Thlr. lO Ngr. Geschichte einzelner Abschnitte. Der Hansabund. 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Aus dem Feldlager in der Krim. Briefe des Twcscorrcspon- dcnten W Russell. Deutsch bearbeitet von Iul. Seybt. Ncue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte der Kalifen. Vom Tode Mohamcd's bis zum Einfall in Spanien. Von Washington Irving. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Garibaldi's Feldzug in beiden Sitilien. Bericht eines Augenzeugen. Von Cap. Forbes. DcuNch von I. Schot. Neue elegante Ausgabe. 1865. V» Thaler. Das Türkische Neich in historisch-statistischen Schilderungen von Molbech, Chesncy und Michelsen. 1865. 1 Thaler. Biographie Attila und seine Nachfolger. Von Amcdoe Thierry. Deutsch von l)r. Ed. Vurckhardt. 9teuc sehr elegante Ausgabe m 2 Bänden. 1866. 1 Thaler 10 Ngr. Geschichte Karl's des Großen. Von Ioh. ssr. Schro der. Mit dem Portrait Karl's des Großen nach Albrecht Durer. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Kaiser Maximilian's I. Von Karl Haltaus. Mit dem Portrait Maximilian's nach Albrecht Durer. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Johann Hutz und das Eoucil zu Eostnitz. Von G. de Bonne- chose. Mit dem Portrait Johann Huß'. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte des KaiserS Karl V. Von Ludwig Storch. Mit dem Portrait Karl's nach Tizian. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Kaiser Joseph's II. Von A. Groß-Hoffinger. Mit dem Portrait Joseph's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thlr. Erzherzog Karl von Oesterreich. Von A. Groß-Hoffinger. Mit dem Portrait des Erzherzogs Karl. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Karl des Zwölften. Von And r. Fryiell. Mit dem Portrait Karl's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler Geschichte Gustav Adolph's. Von Andr. Frhrell. Mit dem Portrait Gustav Adolph's nach Anton van Dyk. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. " "^ Geschichte des Herzogs von Marlborough und des spaniscnen Geschichte der Königin Maria Ttuart. Von F. A. Mian et Ausgab? V"i Tha^ " ^""' ^ue sehr' elHante Nelson und die Seekriege von l?93-i8l3. Von ^?. de la Graviere. M,t dem Portrait Nelson's nach Abbott. Neue sekr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. ' ^ Biographie. 3 Geschichte deS Kaisers Napoleon. Von P. M Laurent. Mit dem Portrait Napoleon's nach Delaroche. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Peter's des Grausamen von Castilien. Von Prosper M<5rim«c. Mit dem Portrait Peter's nach A. Carniccro. Neue sehr elegante Ausgabe. 1806. 1 Thaler. Geschichte Franz Sforza's und der italienischen Condottieri. Von Di-. Fr. Steg er. Mit dem Portrait Sforza's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Leben Lorenzo de' Medici genannt der Prächtige. Von Will. Noscoe. Deutsch von Frdr. Spielhagen. Mit dem Portrait Lorenzo's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 2/3 Thaler. GeschichtePeter's des Grohen. Von Eduard Pelz (Treumund Wclp). Mit dem Portrait Peter's nach Lc Roy. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte des Kaisers Nikolaus I. Vom Grafen de Beaumont-Vassy. Mit dem Portrait Nikolaus', gestochen von Wegcr. Neue sehr elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Der falsche Demetrius. Von Prosper Msrimse. Eine Episode aus der Geschickte Rußlands. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Das Leben Mohamed's. Von Washington Irving. Mit dem Titelbild Mohamed's. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Die Begründer der französischen Staatseinheit. — Der Abt Sugcr. — Ludwig der Heilige. — Ludwig XI. — Heinrich IV. — Richelieu. — Mazarin. — Vom Grafen L. de Carn6. Deutsch von I. Scybt. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Länder- und Völkerkunde. Drei Reisen um die Welt. Von James Cook. Neu bearbeitet von Fr. Steg er. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Eine Weltumsegelung mit der schwedischen Kricgsfregatte „Eugenic." Von N. I. Andersson. Deutsch von Kannegießer. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Die Krim und Odessa. Reise-Erinnerunhen von Prof. Dr. Karl Koch. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Süd-Rußland und die Donauländer. Von L. Oliphant, Sh,rley Brooks. Patrik O'Brien und W. Smyth. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Reise-Erinnerungen aus Sibirien von Prof. Dr Christoph Hansteen. Deutsch von or. H. Sebald. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Die Kaukasischen Länder und Armenien. Von Curzon. Koch, Macintosh, Spencer und Wilbraham. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet von Huc und Gäbet. Deutsch l von Karl Andre e. 1866. 1 Thaler. Wanderungen durch das chinesische Reich von H uc und Gab et. In deutscher Bearbeitung von K. Andree. 1866. 1 Thaler. Mungo Park's Reisen in Afrika von der Westküste zum Niger. Neu bearbeitet v. i>. Fr. Sieger. Elegante Ausgabe. 1866. I THIr. Die afrikanische Wüste und das Land der Schwarzen am obern Nil. Vom Grafen d'Escayrac de Lauturc. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Länder- und Völkerkunde. Südafrika und Madagaskar geschildert durch die neuen Ent- declungsreisenden namentlich Llvingstone und Ellis. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Wett-Afrika. Seine Geschichte, seine Zustände und seine Aussichten. Non I Le?ghton Wilson. Elegante Ausgabe. 1805. 1 Thaler. Die Ostsee und ihre Küstenländer. Geographisch, naturwissen- A. von Etzel. Neue elegante Ausgabe. 1805. 1 Thaler 10 Ngr. Neisen im Nordpolmeere von ss. Glisha Kent Kane Uebers. von I. Scybt. Neue elegante Ausgabe. 180o. 1 Thaler. Wanderungen durch Texas und im mexikanischen GrenHnde. Aus dem Englischen des F. L. Ö linst ed. Elegante Ausgabe. 1860. ITHlr. Buenos-Ayres und die Argentinischen Staaten. Nach den neuesten Quellen. Herausgegeben von Karl Andree. Neue elegante Ausgabe. 1806. 1 Thaler. Eentral-Amerika (Honduras, San Salvador und die Moskitoküste.) Von Squier. Deutsch herausgegeben von Karl Andree. Neue elegante Ausgabe. 1805. 1 Thaler. Wanderungen durch Australien von Oberstlieutenant Charles Mundy. Deutsch bearbeitet von Friedrich Gerstacter. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. IweiNeisen in Peru. Gegenwärtiger Aufschwung und Zukunft dieses Landes nach den neuesten Entdeckungen geschildert von Clemens R. Markham. 1805. Preis i Thaler. Naturkunde. Der Geist in der Natur. Von H. C. Oersted. Deutsch von Prof. Dr. Kannegießer. Mit Portrait. Neue elegante Ausgabe in 2 Banden. 1806. 1 Thaler 10 Ngr. Naturschilderungen von I. F. Sckouw. Deutsch von H. 3 eise. Mit Biographie und Portrait des Verfassers. 1865. 1 Thaler. Ehemische Bilder aus dem Alltagsleben. Nach dem Englischen des James Johnston. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Die Witterungslehre zur Belehrung und Unterhaltung für alle Stände von ^. G. A, Iahn. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thlr. Naturlehre. Von Dr. E. C. Brewer. Nach der 8. Aufl. des engl- Originals v. Dr. O. Marbach. Elegante Ausgabe. 1860. 1 Thaler- Elassiker und Volksliteratur. Sophokles. Deutsch von O. Marbach. Nebst einführender Abhandlung. Die griechische Tragödie und Sophokles mit erläuternden Einleitungen und Anmerkungen. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Das Nibelungenlied. Neuhochdeutsche Uebersehung von Oswald Marbach. Nebst einführender Abhandlung. Das Nibelungenlied und die altgcrmanische Volkssage mit Anmerkungen und ausführlicher Inhaltsangabe. Neue elegante Ausgabe. 1860. 1 Thaler. Westslawischer Märchenschatz. Ein Charakterbild der Böhmen Mährcr und Slowaken, in ihren Märchen, Sagen, Geschichten' Volksgesängcn und Sprichwörtern. Deutsch bearbeitet v. We nzia' Mit Musikbcilagen. Neue elegante Ausgabe. 1800. 1 Thaler. Ssaias Tegnbr's Dichterwerle. Inhalt: Die Frithiofssaae — Axel. — Die Nachtmahlskinder. — Gedichte. — Deutsch vob Edmund Lobedanz. Mit Biographie und Portrait des Dichters Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Dl!l