Mykenae imd Troja. Nack člen im Krainischen Lehrervereine gekaltenen Vortragen von Prof. Dr. Jos. Jnl. Binder. Sonderabdruck aus der „Laibachor Sohvil3ceitung“. Budidriickerei Ig. v. Kleimnajrr & Fed. Bamberg. — Im Selbstverlage des Verfassers. Mykenae und Troja. Naoh festen des alten Palastes bloGgelegt werden mussten, damit man den Zug der Mauern vollkommen erkennen konne. Der Palast von Mykenae weist denselben Grundriss wie der von Tiryns; sowie dieser ist auch jener von einer besonderen Mauer umschlossen. Leider ist die Zerstorung des Palastes zu weit vorgeschritten, als dass man in allen Theilen den Vergleich verfolgen konnte. Auch der Aufriss zeigt die- selben Eigenbeiten wie in Tiryns, FuBboden, Thiiren, Pfosten, Sau- len und Dach. Nur der Unterbau offenbar t ei ne hoch entwickelte Stein- teclmik; im iibrigen sind in Mykenae wie in Tiryns die aufgehen- den Mauern aus Lehm- ziegeln erriehtet ge- wesen, zu deren Festi- gung in gewissen Abstanden Holzbohlen eingelassen waren; so ist auch das weit altere Mauer werk der zweiten Stadtschichte in Troja beschaffen gewesen. Bemerkenswert sind ferner in beiden Burgen die Altane und Opfer- gruben im Palaste, so- wie der Herd, um den herum vier steinerne Saulenbasen andeuten, dass hier einstens Holz- saulen die hier viel- leicht offene Dečke des Hauses getragen haben. Man sieht die Spuren dieser Siiulen; dass siejnichPmehr erhalten sind, wird nicht wundernehmen. Unsicher ist das Urtlieil iiber die Bedachung; die Annahme eines Erd- oder Schilf- oder Strohdaches ist um so gerechtfertigter, als jede Špur von einer anderen Bedachung z. B. mit Ziegeln fehlt. Der FuOboden wie die Mauern tragcn die Spuren einer entwickelten Maltechnik, wie der gezierte Herdkranz im Frauengemach. In letzterer Zeit hat man auch stidwestlich vom Palaste den Grundriss von Wohnraumen entdeckt, die iiber unterirdischen (Keller-) Riiumen sich erhoben haben moehten. Auch hier die Spuren einer sorgfaltigen Bemalung. Wandern wir vom Kiinigspalaste iiber die theilvveise noch erhaltene Rampe hinab zum Lowenthor; wenden wir uns von diesem nordlich, so gelangen wir zu einer Treppe, die innerbalb der Mauer 16 Stufen bis zum gewachsenen Fels hinabfiihrt, in welchem unter- irdisch noch 83 Stufen weiter sich der Weg verfolgen lasst zu einem Wasserbecken, das 1 m im Gevierte ungefahr 3 ■ 4 m tief ist. Eine au(3erhalb des Befestigungsgrundrisses von der Perseiaquelle gefiihrte Rohrenleitung speist dieses Becken, welches also den^etwa eingeschlossenen Burgbewohnern das ndthige Wasser lieferte, ohne dass der^Feind daran denken konnte, das Wasser abzusclineiden. Aber auch sonst war durch Cisternen und Quellhauser ftir Wasservori'ath gesorgt gewesen, da Mykenae im Kriegsfalle [fiir eine starke Besatzung zu sorgen hatte, um den langen Mauerring zu besetzen; denn derselbe hatte einen Umfang von 900 m und umschloss eine Flache von 30.000 m 2 , wahrend Tiryns und selbst das gleichzeitige Troja der VI. Schicht nur 20.000 m 3 Flacheninhalt haben. * Am bedeutsamsten,- aber zugleich am rathselhaftesten sind jedoch die sogenannten Burggraber. Eine Stiitzmauer, die, wie sich jetzt herausstellt, den Unterbau einer vom Lowenthor zum Palaste fiihrenden Rampe darstellt, scheidet die Oberburg von einer in der Ebene des Lowenthores nach Siiden gelegenen Terrasse, die, kreisformig angelegt, in den Mauerring einbezogen ist. Auf dieser Terrasse ist ein besonderer kreisformiger Raum durch eine Doppelreihe aufrechtstehender Steinplatten, die durch dariiber liegende Platten Zum Vergleiohe diene der Congressplatz in Laibaeh, der in seiner Gesammtausdelmnng 21.662 m 2 umfasst. (5 gedeekt waren und es theilvveise noch sind, eingeschlossen. Als man tiefer grub ; entdeckte man, dass dieser S tein ring die Kriimmung eines fast kreisrunden Walles sei; der Stein- ring geinahnt lebhaft an ahnliche Erscheinungen im Norden, und zwar in Schottland und Danemark, wo diese Statten ausdriicklicb als GrabmalstStten bezeichnet sind. Der Durcli- messer dieses Kreises betragt 25 m, und Scbliemann glaubte, in diesem Raume den Ver- sammlungsplatz der Volksaltesten, die ayooa, zu erkennen, indem er sich auf eine Reihe von Belegstellen beruft, von denen besonders die bei Pausanias bemerkenswert ist, wo dieser sagt, dass zu Megara das Bouleuterium um das Grabmal der Heroen gebaut vvorden ist. Nach Hinwegschaffung gewaltiger (7 m liohen) Sehuttmassen, in welchen man aueh neun Grabstelen (Saulen) entdeckte, fand endlick Schliemann, abermals 4 m unter diesen Stelen, funt' Graber in den gewachsenen Felsgeschnitten. Die Graber enthielten Leichen, die mit einem ungeheuren Aufwand von Goldschmuck beigesetzt worden waren. Die sonderbare, gewaltsam eingeknickte Lage mancher Leichen erweckte in Schliemann eine Menge auf die Greuel des Atridenhauses bezugnehmende Vermuthungen, die Dor p f el d leicht zerstreute, indem er darauf aufmerksam machte, dass diese Lage nur die Folge des Einsturzes der Grabplatten sein musste, welcher erfolgte, sobald die Tragpfosten abgefault waren. Nicht lange darauf entdeckte Tsuntas, der Leiter der Ausgrabungen der griechischen Gesellsehaft, ein sechstes Grab. Diese sechs Graber enthalten zusammen 11 mannliche und 9 weibliche Leichen. Die groGartigen Schatze, die sie an sich trugen, sind heute in einem der grofiten Siile des archaologischen Nationalmuseums zu Athen, im Saale der inykenischen Alterthumer untergebracht. Sie sind fast durchwegs aus reinem Gold und stellen einen Metallwert von nahezu 200.000 Kroiien dar. Da gibt es viele hunderte von Goldplattchen, die mit den verschiedensten Ornamenten bedeckt sind, goldene Stirnbinden, Gehitnge, Goldblattkreuze, Ohrgehange, Knieschienen, Gamaschen- halter, Haarnadeln, Armbander, goldene Masken, prachtvoll eingelegte Dolch- und Schwertklingen, goldene, mit zierlichen figuralen Ornamenten bedeckte Giirtel und goldene, silberne, fein gearbeitete GefaBe, zahlreiche Kupfergeschirre und endlich Bern- steinperlen, Knaufe aus Bergkrystall und Gerathe aus Alabaster. Es ist eine blendende Pracht, die aus den Schaukasten des Museums den Besucher fesselt; und erst die Be- trachtung der Feinheiten der Arbeiten, des Geschmacks und der Geschicklichkeit, welche von einer fortgeschrittenen Technik Kunde gibt, die selbst dem heutigen Kunstgewerbe Vorbilder abgeben konnte! Die Graber scheinen verschiedenen Zeitaltern anzugehOren, und zwar diirfte das sogenannte vierte, funfte und dritte Grab um ein Jakrhundert alter sein, als das erste und sechste Grab. Noch jiinger sind die in der Unterstadt gelegenen Kuppelgraber, deren man gegenwartig acht an der Zahl entdeckt bat. Wie um die Pyramiden herum, so grup- pieren sich um dieselben etwas bescheidenere Grabstatten, deren man jetzt iiber 50 aul- gedeckt hat. Bekanntlich baute man die Kuppelgraber derart auf, dass man iiber einem kreis- formigen Grundrisse hin in wagrechten Schichten die gut geschnittcnen Steine derart legte, dass jede Reihe iiber ihrer unteren Reihe etwas vorragte, so dass die Ringe immer enger wurden, bis der Kreis, auf einen kleinen Durclnnesser verengt, oben abschloss. Auf diesen ward ein Schlusstein gesetzt und das Ganze mit Erde eingedeckt. Die Kanten dieses bienenkorbartigen Gebaudes wurden dann im Innern geglattet und mit bronzenem Schmucke versehen. Was den Grundriss anbelangt, so ist zu bemerken, dass dieser Raum nur der Vorraum zu einer meist in den Fels gehauenen Grabkammer war, in vvelche man erst dureh eine enge Thiire gelangte. 7 In den Kuppelbau fiihrte aber ein miichtiger Thorgang von groGen AusmaGen, 5 m Hube und 2'66 (unten), 2 ■ 46 (oben) m Breite, dessen Tbftrsturz, wie schon erwahnt, von gevvaltigen Steinblocken gebildet wird. Die Umrahmung der Thtire war verziert. Der Eingang lag aber nieht frei im Felde, sondern man hatte erst einen Prodomos, einen in die Erde geschnittenen und aufgemauerten Gang zu durchschreiten, bis man zur Thiire gelangte. Wenn nun auch die besagten AusmaGe, hauptsachlich vom sogenannten Grab des Aga¬ memnon gelten, so muss doch bemerkt vverden, dass der Grundriss im allgemeinen die gleiche Gliederung zeigt, Zugang, Thurgang, Halle, Grabkammer. Ahnliche Anlagen hat man aber nun auch in Sparta (Amykla), zu Orcbomenos (Argolis), zu Menidi unweit Athen, am Heraion nicht weit von Mykenae und zu Volo in Thessalien gefunden. Man ersielit also daraus, dass eine gewisse einheitliche Cultur zu einer Zeit, die man vielleicht die pelasgische nennen mag , gleiehzeitig an ver- schiedenen Stellen Grieclienlands heimisch gewesen sein muss. Bezeichnend fiir diese Cultur ist unter anderem der Umstand, dass jede Špur eines Leichenbrandes felilt, dass in den Schachtgrabern der Burg wie in den Kuppelgriibern (Tholos) und Klein- grabern der Unterstadt die Leichen unverbrannt bestattet wurden. Da nun der Romer Vitruvius (um d. Z. v. Clir. Geb.) gelegentlich das Aussehen der Wolmungen eines Volkes in Pkrygien ebenso beschreibt, dass man unwillkurlich an die Kuppelbauten gemahnt wird, so liegt es nalie, engere Beziehungen zwischen der Ost- und Westkiiste des Agaischen Meeres anzunehmen. Damit kommen wir auf die Frage nach dem Woher dieser Erscheinungen. Ein besonderes Merkmal der Cultur sind die mykenisehen Vasen und Kannen, die sich durch die Form, noch mehr aber durch die Ausstattung als eine besondere Art kennzeichnen; die mykenischen Vasen sind bereits auf der Topferscheibe gedrehte braune Thonvasen, \velche, mit rothem oder rothbraunem Firnis iiberzogen, als besonderes Merkmal einen Schmuck von Seepflanzen- und Seethier-Bildern tragen, welche die altere mvkenische Vase von den sogenannten jungeren geometrischen (Dipylon und protokorinth.) Vasen untersclieiden, die ihre Schmuckmotive dem Gewebe oder der Metallteclmik ent- nelimen. Nicht minder eigenartig ist die Metallteclmik, die sich in den reich entwickelten geschmackvollen Verzierungen offenbart, bei denen Kreisspirale, Henkelkreuz in anmuthiger Verbindung mit Rosetten und Blattzierformen auftreten. Zierformen, wie die Verbindung derselben mit Edelstein oder Halbedelstein, z. B. Bergkrystall, den man als Knauf oder als Einlage durchbrochener Goldhiillen verwendet, setzen ein h o eh e, n t w i c k c 1 te s Kunstgevverbe voraus. Die Formen gemahuen vielfach an lykische Zierformen. Nicht minder bewun- derungswilrdig ist die bunte Metalltechnik der eingelegten Dolchklingen, auf denen lebhaft bewegte Auftritte, Jagden und Kampfe dargestellt sind. Die Technik zeigt den Ubergang von der inkrustierenden zur treibenden Metalltechnik, neben welcher die ein- gelegte Arbeit einhergeht. Nun erst wird uns begreiflich, wie der Schild ausgesehen haben mag, das Bild dem Sanger vorschwebte, als er den Schild des Achilles von Hephaistos her- stellen lieG. Fanden wir ja sogar in dem mykenischen Graberschatze auch einen goldenen Becher mit Doppelbenkel, den zwei Tiiubchen zieren, ganz so wie der homerische Sanger vom Becher des Nestor berichtet. Die Abbildungen auf den Gerathen und Schmuck- gegenstanden, besonders den Siegelringen, gewahren uns iiberdies eine Vorstellung von der Tracht der Manner, die sich auch kennzeichnet durch enganliegende, bis zum Knie reichende Beinkleider und gamaschenartige Beinschiitzer, den des Homeros. In gleicher Weise konnen wir uns liber die Bewaffnung belehren. Besonders merkwurdig' 8 sirni die zwei Formen des Helraes, einer mit dem langwallenden Rossbusch und ein kappen- artiger mit Eberzahnen beset.zt, wie ihn Odvsseus tragt; dann die Lanze mit Tragpliittchen, der kurze Chiton und die zwei verscliiedenen Schildformen, die leichten runden und die groben 111 an n er dečke n den, an den Seiten eingekerbten schweren Schilde, wie ihn einzelne homerisebe Helden am Tragriemen, dem sogenannten Telamon, tragen. Merkwiirdig ist es, dass dieFibel, dieSpange, in den altesten Grabern feblt und erst in den jiingeren, und zwar in der einfacbsten Form auftritt. Die Bekleidung der Frauen, nach den geschnittenen Goldringen zu urtbeilen, lasst dies begreiflicb erscheinen; die Kleider sind namlich am Oberleib glatt anliegend, walirend der Unterrock etwas scbwereren Stoffes, mit einem Aufputz nach Art unserer modernen Volants oder Streifen und Falten geziert, um die Fiifle schlagt. Das Haupt scheint von einer gefalteten Haube mit flatternden Biindern bedeckt, die durch Nadeln, die auch das Haar festhalten, befestigt sein diirfte. Alles Erscheinungen, die weitab von der spateren griechischen Entwicklung stehen, dass man die letztere unmoglieh als eine organische Weiterbildung der mykeniscben betrachten kan n. Im Palaste hat man endlich einen heiligen Scarabaeus (Kafer) gefunden mit der Inschrift der Konigin Ti, der Gemahlin Amnhotep III., welche also ins XIII. Jahrhundert verweisen wiirde. Auch ein Siegel bat sich gefunden mit dem Bilde eines Kriegers, der einen Helm tragt, genau so, wie sie auf den VVandbildern Ramses III. die von ilim als Schardana bezeichneten tragen. Ein Volk, das nach Art der Seeriiuber plotzlich im XII. Jakrhunderte auftauchte und eine lange Reihe von Jahren die Agypter heim- suchte. Das gibt uns einen deutlichen Fingerzeig; es lasst die Bliitezeit dieser mykenischen Cultur in die Zeit zwischen 1000 und 1200 v. Chr. einreihen und verweist zugleicli auf eine Volkerscbaft, die damals das ganze ostliche und mittlere Becken des Mittelmeeres beherrschte. Eine der eigenartigsten Beigaben sind die goldenen Gesichtsmasken. Der Gebrauch von Gesichtsmasken fiir die Leichname Verstorbener ist in der griechischen Cultur etwa ebenso unerhort, wie fast das Begrabnis der unverbrannten Leiche. Wohl aber ist diese Bestattungsweise nicht ungewohnlich bei den Agyptern. Auf Agypten weist die Mehrheit der Funde hin, und wenn man in einem Grab- rnale aus der Zeit Ramses III. eine mykenische Bligelkanne abgebildet sieht und in Fayum solche Vasen in den Grabern der XVIII. und XX. Dynastie entdeckte, der Zeit Seti I., des Vaters des grofien Ramses (II.), so wird man engere Wechselbezieliungen zwischen Agypten und Mykenae nicht leugnen konnen. Die Bliitezeit mykeniseher Cultur fallt also in die Zeit, wo das agyptische Weltreich politisch maclitlos, dafiir aber mit seinein Geiste die Mittelmeerlander beherrschte. Die Zeit, wo die «Herren des Nordens die Schardana, Taruscha, Scharakuscha« mit ihren Raubziigen die agvptischen Culturlander wiederholt heimsuchten. Schon Ramses II. schuf sich aus diesen Villkern ein Soldnerheer. Es ist ferner ein Zeitalter, in welchem der Metallwert zvvischen Gold und Silber noch nicht festgesetzt war. Das Eisen ist damals kaum noch bekannt. Es findet sich in einem Grabe an einem Fingerring; wie hock musste man dies Metali damals schatzen, da man es zum Schmucke verwendete! Diese Erscheinung wird uns jetzt verstandlicher erscheinen lassen jene alte auf Lykurg zurtickgefuhrte Bestimmung, wonach in Sparta nur eisernes Geld gefiihrt werden solite. Diese Bestimmung hat die spatere Zeit unverstandlich gefunden und eine Menge Schlussfolgerungen daran gekniipft; die einzig berechtigte ist die, dass das Eisen noch zu den seltenen Metallen gehorte und die Eisenvrahrung eine Art wirtschaftlicher Behelf sein solite, wie die Goldwahrung unserer Tage. Man darf dabei nicht vergessen, dass es, wenn man Lykurgs Gesetzgebung auch ins neunte Jahrhundert set/d, damals noch immer 9 kein gemiinztes Geld gab, sondern dass das Metali in Barren und Štabe geformt, getheilt und zugevrogen worden ist. Und das Bundel von Eisenstaben, welehes die amerikanische Archaologenschule ara Heraion in der Argolis im Sommer 1894 zutage gefordert, diirfte jedenfalls eine reicbe wertvolle Opfergabe bedeuten. So herrscht denn auck durchwegs in Mykenae Kupfer und Bronze vor; ja die Kessel und Schiisseln, die man gefunden, sind aus fast ganz reinem Kupfer bergestellt. Erst das eisenfiibrende Geschlecht der Dorer, das aus dem Norden kam, machte der schimmernden Herrlicbkeit ein Ende und raumte mit der Bronzecultur so griindlich auf, dass nur der Erde SchoB mehr die Erinnerung an sie bewahrte. Und doch lebte die Erinnerung an das goldreiche Geschlecht aucb im Munde des Volkes fort, und die Sage umrankte seine Geschichte mit dem bunten Zierwerk des Marchenhaften. Der Sage nach war Argos urspriinglich bewohnt von den joniscben Kynuriern, die Inaclios (der in der spiiteren Sage zum Agypter gemacht wird) als Sohn des Okeanos und der Tlietis beherrsclite. (Erste Andeutung von agyptischem Einflusse.) Zu seinen Nachkommen gelangte Danaos als Fliichtling aus Chemis in Oberagypten mit seinen 50 Tochtern. Ihm folgen seine 50 Neffen und erzwingen die Vermiihlung mit ihren Basehen- allein sie todten ihre Miinner — daher die Strafe in der Unterwelt — , und nur eine, Hypermnestra, schont ihres Mannes Lynkeus, der die Herrschaft erbt. Durchschnitt des sogenannten Atreusgrabes. (S. S. 6.) ring (nat. Grofie). (S. S. 8). Dessen Sohn Abas erhitlt von seinem Oheim Agyptos den wunderbaren Sehild, den er im Ilera-Tempel aufhiingt. (Neuerliche Beziehung zu Agypten.) Abas Sohn Akrisios hat einen Zwillingsbruder Proitos, dessen Schwiegervater Jobates, Kilnig von Lydien, den ersteren zwingt, dem Proitos Tiryns zu tibergeben. (Erste Andeutung einer Beziehung zu Kleinasien.) Akrisios Tochter Danae erhiilt von Zeus durch den Goldregen — den Sohn Perseus: Mutter und Kind ins Meer gevrorfen, werden auf Seriphos gerettet; Perseus kehrt z ur uck und tijdtet unabsichtlich seinen naeh Thessalien geflolienen GroOvater. Er gibt die Herrschaft in Argos an Proitos’ Sohn Megapenthes, also an seinen Vetter, nimmt sich dafiir Tiryns und griindet Mykenae. Er kommt bis naeh Athiopien (dritte Beziehung zu Agypten), wo er die Andromeda befreit. Wie man sieht, herrscht also nach der Sage agyptischer Einfluss vor. Aber auch die Todtenmasken, die tibrigens deutlich arischen Typus erkennen lassen, verweisen auf ;igyptische Sitte sowie die Beisetzung unverbrannter Leichen. So bestatigen die Aus- grabungen, was die Sage andeutet. Alkaios, Perseus’ erster Solin, erhaltTiryns, sein zweiter Solin Elektryon erhiilt Mykenae, Amphitryon folg-t dem Alkaios in Tiryns; dem gibt Elektryon seine Tochter Alkmene und das Reich Mykenae zur Verwaltung; allein Amphitryon erschlagt bei einer Riick- kelir von einem Zuge gegen die Taphier in Elis seinen Oheim, flieht vor seinem zweiten 1 * 10 Oheim Sthenelos nach Theben, wo Alkmene den Herakles gebiert. Hera aber wei!3 zu veranlassen, dass um einen Tag friiher das Weib des Sthenelos dem Eurystheus das Leben schenkt, so dass dieser nach dem erschliehenen Verspreehen des Zeus Dienstherr seines Vetters Herakles wird. Diese merkwiirdige Entwicklung der Sage lasst schon den Einfluss der im Norden weilenden Dorer erkennen, welche ihren Heros in verwandtscbaftliche Beziehungen mit der Perseidenfamilie zu bringen trachteten, wie wir Abnliches vviederholt bei den wechselnden agyptischen Dynastien beobachten konnen. Das Grliberrund (Konigsgraber) von Mykenae. (S. S. 5.) Nach Herakles Tode wird dessen Sohn Hyllos von Eurystheus verfblgt, und alle Versuche, das Erbe zu erlangen, scheitern. Hundert Jahre darauf werden von Hyllos’ Erben die Versuche crneuert, und damit beroitet sich die Wanderung vor, welche die Geschichte als ^dorisclie* bezeichnet. Wahrend der ersten Kiimpfe tibertragt Eurystheus die Herrschaft dem fliichtigen Sobne des aus Lydien gekommenen P el o p s, dem Soline des T ant a los (zweite Beziehung zu Kleinasien), der nach Eurystheus Tode Kiinig von Mykenae wird; auf die Perseiden folgen die P e lop id en. Das wilde Geschlecht der Tantaliden oder Pelopiden bekiimpft sich; Thyest siegt Liber den Bruder Atreus; des letzteren Sobne, Agamemnon und Menelaus, von Thyestes’ Soline Aegisthos verjagt, fliehen nach Sparta, dort verheiraten sie sich mit Tyndaros Toehtern, Agamemnon mit Klytamnestra und Menelaos mit Helena, ivodurch letztere auch die Herrschaft iiber Sparta gewinnt. Vereint vertreiben sie Oheim und Vetter aus Mykenae. 11 Indessen folgt der Raub der Helena, der trojanische Krieg, dessen Einzelheiten bekannt sind. Zurtickgekehrt, fallt Agamemnon durch Aegisthos’ Hand und Klytam- nestras Tiicke. Diese selbst und ilir Buhle fallen von der Hand des Orestes, der seinen Vatcr Agamemnon racht. Von Tauris (wahrscbeinlich Beziehung zur Urheimat!) gereinigt zurtickgekehrt, erbt er die Herrschaft iiber Argos, Mykenae und Sparta. Vermahlt mit Hermione aus Sparta und Erigone, Tochter des Aegisthos, geht er daran, Colonien im nordwestJichen Becken des agaischen Meeres zu begriinden, in Lesbos und in der Aiolis. Jetzt dringen die Hylleer oder Herakliden mit Erfolg in Argolis ein: die dorisohe Wanderung beginnt. Uberblicken wir nochmals die Reihen der Trager dieser argolischen Landessagen, so bemerken wir: 1.) Inachos, 2.) dessen unbekannte Nachkommen, 3.) Danaos (ag.), 4.) Lynkeus (ag.), 5.) Abas, 6.) Akrisios (lydisch), Sage von Danae’s Goldregen, 7.) Perseus (athiop.), 8.) Alkaios und Elektryon, Sthenelos, 9.) Eurystheus und Herakles, 10.) Atreus Auszieliende Krieger, Darstellung auf einer Vase. (S. S. 7.) (lyd.), 11.) Agamemnon, 12.) Orestes. Das wilrde also rund zwolf Geschlechtsfolgen be" deuten; rechnet man jede durchschnittlicli mit 40 Jahren, einem Menschenalter, so kommt man auf ungefahr 500 Jahre vor dem Jahre 1000, also auf 1500 v. Chr., als den Anfang einer durch agyptisehen Einfluss beherrschten Cultur des Landes, das von da an fort- wahrend in Beziehungen zu Agypten und Kleinasien, beziehungsweise Lydien, bleibt. Was also die Sage andeutet, das findet durch die Eigenart der Funde seine Bestatigung. Diese Statte mit ihren geheimnisvollen Grabesschatzen —- die Kuppelgraber sind freilich friih schon beraubt worden — verbindet die homerische Dichtung mit dem klein- asiatischen Phrygien, mit der weithin bekannten und, wie es scheint, besonders in Europa verhassten Stadt Troja oder Ilium. Der Raub der Gottertochter Helena, der Gemahlin des Menelaos, welche der trojische Konigssohn Pariš entfiihrte, soli die Veranlassung gewesen sein. Im Heraion, dem alten Heiligthum umveit Mykenae, wird Agamemnon, der Fiirst von Mykenae, zum allgebietenden Heerfuhrer gewahlt, und so ziehen sie hinaus iibers Meer gegen die wohlummauerte heilige Stadt. 12 Dass wir es hier mit zwei Elementen, einem naturmythischen und einem geschicht- lichen, zu thun haben, scheint auGer Zweifel. Nicbt mit Unrecht scbeint mir Dr. E. Krause auf die Trojaburgen und Trojaspiele Europas aufmerksam zu macben, die sich um einen Friihlingsmythus dreben, wonacb die geraubte Sonnenjungfrau (Helena aucb verwandt mit Helios) in einer mebrfacb umwallten Burg, der Trojaburg, gefangen gehalten, durch einen Helden auf einem Sprungpferde oder Sprungbockc erlost wird. — Selbst das trojaniscbe Pferd gemabnt an diesen Mythus, wahrend anderseits die Moglichkeit nicbt ausgeschlossen ist, dass auch eine gescbicbtlicbe Thatsacbe hiebei mitspielt, d. i. die Ver- wendung eines Belagerungstburmes zur Bezwingung der Festung, wie ja Ahnliches die assyrischen Kriegsbilder in der That vorfiihren, die aber einer jiingeren Zeit angeboren. Das einzige Be- denken ware dies, ob nicbt die Sage von dem groI3en Kriege, die gewiss weite Wel- lenkreise gezogen, den nordiscben Vol- kern die Veranlas- sung gegeben habe, ihre naturmythiscben Vorstellungen gerade mit den merkwilr- digen Geriichten, welcbe von diesem Kriege zuihnen dran- gen, und mit den dadurch geweckten Vorstellungen inVer- bindung zu bringen. DieLandscbaft von Troja bildet eine von den nordwest- liclien Auslaufern des Ida durchzogene Ebene mit wellenformigem Gelande, vvelches der Skamander von Sudsiidost nacli Nord- nordwest dui - chflieGt. An seinem recbten Ufer nimmt er, ungefahr jm letzten Drittel seines Laufes, den Simois (heute Dumbrek-Su) auf, der ibn aber nur bei Hochvvasser erreicbt, wiibrend er sicli sonst gegen den Skamander bin in Siimpfen verliert. Dort, wo die beiden Gerinne zusammentreffen, tritt ein Idiigel weiter in die Ebene vor. Er ist urspriinglich nicbt hoch, ungefabr 18 m iiber der Ebene, und ein seicbter Sattel nur trennt ibn von der riick- wiirts sicb hinlehnenden Hligellandschaft. Auf diesem Fels war die Pergamos, die Burg von Troja, welche «schirmte das Volk der Trojer und Teukrer*. Schon diese beiden Namen, wie die beiden Bezeichnungen fiir dieselbe Stiitte llion und Troja bezeugen, dass wir es mit zwei Volkerschaften zu thun haben, die sicb hier zu einem einheitlichen Gemeinwesen zusammengescblossen hatten. Die eine derselben, welche nach dem Namen der Gottheit Ilu, Eloh, die Stadt und das Land benannte, scheint semitischer Abstammung gewesen zu sein; das andere Volk muss arischen Stammes 13 gewesen sein iind mochte aus Thrakien sich heriibergevvandt, vielleicht auch den Namen der nordischen Trojaburgen mitgebracht haben. Wer die Anlage der Stadt, oder besser der verschiedenen 8 tild te, die nacheinander und iibereinander sich hier aufgebaut haben, betrachtet, der wird durch den eigenthiim- lichen ringformigen Grundriss und den staffelformigen Aufbau lebhaft an die Trojaburgen des Nordens gemahnt. Gotter selbst, Poseidon und Apollon, hatten die Stadtmauern Laomedon, dem Vater des letzten Konigs Priamos, gebaut, so erzahlt die Sage. Dem gelit aber eine ganze Folge von Geschlechtern wieder voraus, die uns sagen- liaft iiberliefert sind. Tcukros, der Sohn des Skamander und der Nymphe Idaia, war der erstc Konig in Troas; nach einer anderen Wendung war es Dardanos, der als einheimischer Konig Teukros und Skamander, die aus Kreta kommen, aufnimmt. Dardanos erster Sohn war IIob, sein zweiter von sei- ner zweiten Gemahlin Erich- thonius. Ihm folgte Tros und diesem sein Sohn Ilos (II.), der Bruder des Zeuslieblings Gany- medes und Assarakos. Diesem folgte endlich Laomedon, wel- chem Apollo und Poseidon die stattliche Burgmauer bauen; der letzte Konig war Priamos, Laomedons Sohn. Im ganzcn ziihlen wir also aehtGeschlechtsfolgen — gegen- iiber den zwolf Geschlechts- folgen des mykenischen Hauses. Wir wiirden also die ersten An- fange der priamischen Burg- anlage ziemlich gleichaltrig mit den Anfangen der mykenischen Burg zu setzen haben. Was sprechen die Funde dazu? Seit demvorigen Sommer ist das Werk, welches Schlie- mann vor 25 Jahren begonnen hat, im grofien und ganzen vollendet und die letzten Glieder in der Kette der Baugeschichte von Troja aufgefunden; we’nn auch damit nicht bewiesen ist, dass die ganze Geschichte des Krieges sich getreu nach Homer abgespielt hat, so ist doch soviel festges telit, dass nach den homerischen Beschreibungen und Angaben tiber die heilige Stadt nur diese es gewesen sein kann, welche der betreffende Sanger selbst noch, wenn auch in Triimmern, gesehen, oder welche diejenigen gesehen haben, welche dem Sanger die erste Beschreibung der Stadtanlage tiberlieferten. 14 Allein noch mehr; der Hiigel von Hissarlik birgt namlich nicht n ur eine Stadt, sondern eine Schichte von mehr er en Stadten ubereinander. Der Hiigel zeigt namlich, nachdem man nun Grund- und Aufriss endgiltig fest- gestellt bat, dass hier bis in die historische Zeit neun Bauschichten ubereinander gelagert sind, auf' welche die historische Zeit noch drei Bauschichten gesetzt hat. Diese neun vorhistorischen Bauschichten waren verlockend genug, sie mit den acht oder neun Geschlechtsfolgen der troischen Herrscher in Beziehung zu bringen. Das ware mii(3ige Arbeit, denn diese neun vorhistorischen Schiehten sind nicht so scharf vonein- ander zu trennen. Wohl aber kann man ohne Schwierigkeit und mit scharfer Begrenzung s ec h s vorhistorische Anlageschichten trennen, iiber welchen eine siebente als die aolische, eine achto als die hellenistische und eine neunte als die prunkvolle kaiserlich romische Bauschichte sich erheben. Die sechste von unten, welche den schonen, heute noch bewundernswerten Mauerring besitzt, den die damalige Zeit mit Recht als ein Werk der Gotter bewundern mochte und der seit dem Vorjahre in allen seinen iibrig gebliebenen Theilen bloGgelegt ist, diese sogenannte sechste Stadt von unten gezahlt, ist nach den in ihren Schichten- lagen gefundenen Scherbenresten und Cultbildern gleichaltrig mit den mykenischen Palasten, aber etwas j ti n g e r als die Burggraber von Mykenae, diese aber wieder junger als die troische Stadt der zweiten Schicht. In jener sechsten Stadt sieht Dorpfeld die besungene Pergamos der homerischen Sanger: Ein Querschnitt, den man sich durch den ganzen Burghiigel gelegt denkt, gibt folgendes Bild: Zunachst auf dem 18 m liber die Ebene ansteigenden gewachsenen Fels, der steil gegen den Skamander, also nach NW. abfallt, aber durch cinen sanft eingemuldeten Sattel mit dem nach Westen streichenden Hugelzuge zusammenhangt, hnden sich die Spuren der er ste n Stadt, der altesten Ansiedlung, mit Hauschen aus Lehmziegeln, mit GefaGon und Gefafischerben aus sehwarzem Thon, vielfach auch solche mit Osen zum Durch- ziehen einer Tragschnur versehen, Becher, Kannen, einige Bronzeklingen, wohl aber zahlreiche Schneidewerkzeuge aus Stein, aus weiBem Nephrit, wie er in Turkestan gebrochen wird. Die Topferscheibe scheint bekannt, aber wenig vervvendet. Dariiber baut sich 5 m hoher die stattliche zweite Stadt mit thurmbefestigten Thoren, von denen eines, das siidliche, eine breite, sorgfaltig gepflasterte Rampe vor sich liegen hat. Seitwarts davon fand Schliemann in einer Kammer der Mauer den gl e i Gen den Schatz, den er in seiner ersten Einbildung als Schatz des Priamos bezeichnete. Die ganze Kunstweise desselben deutet auf ein hoheres Alter als die mykenischen Goldfunde. In den trojanischen Stiicken sind die Zieraten noch mit Draht aufgesetzt; bei den mykenischen haben sie zwar noch drahtartigen Charakter, sind aber schonaus dem Golde getrieben. Stirnbander mit angehangten Kettchen, Armbander, Ohrgehange zeigen noch barbarische Formen, wenn auch verwandt mit den agyptischen; einige Ansatze finden sich von Spiralen und Rosetten, und in der nachst hoheren Schicht herrscht letztere Zierform wie in Mykenae vor. Die Waffen sind aus Bronze, aber die Klingen und Pfeilspitzen nicht mit Diillen, sondern mit Zungen an den Scliaft befestigt. Gussformen aus Glimmerschiefer haben sich auch gefunden. Besonders reich entwickelt ist die Tbpfertechnik, welche in grotesken Nachbildungen von Thier- und Menschenformen ihre Sicherheit und ihren phantastischen Reichthum zu- gleich offenbart; massenhaft tritt der Doppelbecher auf, daneben zahllose Spinnwirtel, die wohl damals auch als Schmuck, so wie spater die Bernsteinkugeln, gedient haben mogen, und endlich Thoncylinder mit eingeritzten keilschriftartigen Linien. 15 Die Bauweise der Hauser ist auch eigenartig und zeigt eine gewis.se Verwandtscliaft mit den tiryntisch-mykenischen. Wir finden die Dreitheilung des Grundrisses mit dem Herde im Megaron; und im Aufrisse finden wir auf einem soliden steinernen Unterbau Lehmziegelmauern mit Holzrost und Bohlenverkleidungen wie in Mykenae. Die Dečke war aus Holz, das Dach ein Erddach. Niclit anders, nur weitaus starker, waren die Burgmauern errichtet, indem auf eine sanft geboschte, gut gefiigte Steinmauer eine steile Lebmziegelmauer aufgesetzt war. Die ganze Kunst- und Bauweise deutet auf eine sebr friihe Zeit, etwa auf 2000 v. Cbr. Die Trtimmer dieser Stadt tragen aber auch noch deutliche Spuren einer gcwalt- samen, durch Brand herbeigefiihrten Zerstorung; dort, wo Balken an das Gemauer stieBen sieht man die Lehmziegel verschlackt und verglast, walirend die Steine zu Kalk gebrannt erscheinen, wo ein brennender Balken aufgelegen hatte. Wer diese Stadt gebaut und bewolmt, wer sie zerstOrt, auf welchen der sagen- haften Helden die Geschichte dieser Stadtschichte zuriickgeht, ist unerkliirlich, wohl aber mag die Erinnerung an ihre Zerstorung durch Feuerbrand sich dauernd im Volke erhalten haben. Auf ihren Uberresten erhob sich bald eine dritte Ansiedelung, wie man leicht bemerken kann, unter theilweiser Bentitzung der Mauern der zweiten, aus Bruchsteinen und Lehmziegeln. Gesichtsvasen, Schnabelkannen, Spinnwirteln, Idole, tragen fast den gleichen Cha- rakter der zweiten Stadt, nur eine neue Gattung Thonware tritt auf, welehe grau und fast schwarz ist und die man die lydische nennt. Diese Bezeichnung verwendet zuerst Schliemann, und zwar in Riicksicht auf Herodot. Die GefaGe stimmen namlich mit maneken etrusltischen Funden (Buecherovasen) iiberein, und da Herodot die Etrusker «lydische» An- siedler nennt, so hat Schliemann mit gutem Grunde dieser Ware den bezeichnenden Namen gegeben. Hier zeigt sich schon eine gewisse Verwandtschaft mit den mykenischen Formen; besonders reich vertreten ist die Btigelkanne; die Schalenform weist Henkel auf und edlere Profilierung. Die Scherben haben einen matten Glanz und verrathen niclit melir das alte Politurverfahren. Auffallend sind die vielen kleinen Becker liliputischer Art aus rotklickem Thon mit diinnem dunklen Farbeniiberzug und poliert. Noch entwickelter erscheinen die Formen in der niichst hoheren Schichte der so- genannten vierten und fiinften Stadt, welche ubrigens auch mehr dorfartigen Charakter geliabt haben miissen. Die Topferware weist neuerliche Fortschritte auf; bezeiclmend sind besonders die Gliederungen von Fiifien, welche die Schalen tragen. Die Tijpferscheibe ist niclit durchwegs verwendet. GrbBere VorrathsgefaBe mit kurzem aufgesetzten Rand und scliweren, engen Handhaben an den Seiten, Nadeln aus Bronze, Messerklingen, ja ein Stuck Eisen, welche Dinge man in diesen Schichten gefunden, bezeugen eine selir be- scheidene gewerbliche Thatigkeit. IJber einem weitaus verbreiterten, fast dreimal so groflen Grundriss baute sich spater die s e c h s t e Stadt auf. Bis zum Angriffe dieses Baues war der Boden der Akro- polis bereits auf 29 m erhoht. In zwei Staffeln fiel sie gegen die Siidostmauer, in einem gegen die Siidwestmauer ab. Wir haben also eine ausgesprochene Terrassenanlage, wie in Tiryns, Mykenae und auf der atkenischen Akropolis. Alles, was hier an Erzeugnissen des GewerbefleiGes iibrig ist, tragt den mykenischen Charakter. Das ist das Troja der homerischen Lieder; bevor wir uns naher bei seiner Betraclitung ver- weilen, sei noch in Kurze der dariiberliegenden drei jiingeren Schichten gedacht. 16 In den Trtimmern der homerischen Pergamos, wie wir sie mit Dorpfeld nennen wollen, nistete sich ein iirmliches Volk ein, das die Gebaudetriimmer der sechsten Schieht zum Theile vervvendete, um seine Hiiuser damit zu bauen; zum Theile benuzte man aucb noeli etliclie iiber den Schutt berausstebende Reste der alten Umfassungsrnauer. Wir steben mit dieser siebenten Schicht schon auf dem geschicbtlichen Boden altgriechischer Zeit. Auch die vorhandenen GefaBscherben ermdglicben diese geschichtliche Ansetzung. Noeli diirftiger sind die Hauswiinde der a eliten Schicht, deren Aussehen ganz zu dem Bilde passt ivelchesDemetrios vonSkepsis von demllionder hellenistisehen Zeitmachte. (Strabo, XIII. 594.) Indessen verfiel auch diese Mauer und begrub vollstiindig unter Scliutt und Gestein die schiine Umfassungsrnauer der sechsten Schicht im Siiden und Siidosten. Im Nor d en und Nordvvesten, wo die stattliche Mauer aus der Ebene aufragte, hatte sie schon friiher Archaianax eingerissen, um aus ihrem Gesteine den Ort Sigeion (heute Jeni Scher) auf- zubauen. Uber die iibrigen Reste der alten Burg wolbte sich dagegen ein schiitzender Schuttkegel. Nachdem schon Xerxes dieser Statte seine Aufmerksamkeit geschenkt und Alexander den Beschluss gefasst hatte, den Glanz des alten Uium vvieder herzustellen, gieng endlich Lysimachos, Alexanders Feldherr, nach dem Tode seines Konigs daran, den Plan des Verstorbenen auszufiihren. Er grundete ein Gemeinwesen, das sogar seine Miinzen hatte, aber das literarisclie Interesse, das Alexander dafiir besa!3, vererbte sich nicht auf seine Nachkommen. Wieder vergiengen an drei Jahrhunderte, bis die Welt wieder ihr Augenmerk auf diesen Platz richtete. Erst als das Kaisergeschlecht der Julier, als die Herren des romischen Weltreiches ihre Familieniiberlieferung, die eigentlich auch litera- rischer Uberlieferung ihren Ursprung dankt, an diese Statte gekniipft fanden, da erstand iiber dem Schuttkegel eine neue Stadt oder besser Burganlage, und das julischc Haus eiferte in der Fiirsorge um Ilium. Eine grofiartige Akropolis wurde gebaut, Stiitzmauern aus machtigen, gut gefiigten Quaderblocken stiegen empor und trugen eine grofie Plattform mit dem heiligen Tempelbezirke der Gottin Athene, deren Tempel in prachtvoller Ausstattung weithin auf den Hellespont hinausschimmerte. Man gieng bei dieser Anlage so vor, dass man die ganze Anschiittung in der Mitte abtrug, so dass also auch die Reste der Akropolis der sechsten Schicht abgetragen wurden, mit denen man die Staffeln ausglich. So erklart es sich, dass in der Mitte des Hiigels keine Špur der sechsten, siebenten und achten Stadt vorhanden ist und gleich unter dem Estrieh der neunten Stadtanlage der Boden der fiinften anhebt, wahrend die tieferliegenden Gebiiude und Gebšiudereste der genannten Schichten unter dem ausgleichenden Schutte bis heute erhalten geblieben sind. Die Stiitzmauern wurden tief fundiert, und an vielen Stellen musste man bei diesem Anlasse Mauern der sechsten Schicht durchschneiden; allein keinem der Bauleute ist dies aufgefallen. So erhob sich das Heiligthum der Athene als Burg und Tempelanlage. Das ist die sogenannte neunte Schicht. Um diese Akropolis breitete sich die Unterstadt, von der mehrere Mosaikboden, Saulenhallen und dergl. ausgegraben sind. Es ist bezeichnend fiir das lebendige Getriebe, welehes die kaiserliche Fiirsorge hier enveckt hatte, dass nicht weniger als drei Theater bis jetzt aufgedeckt sind. Der heilige Bezirk lag auf der Plohe, und zwar im Osten, wahrend der Westen von anderen, vielleicht iilteren Heiligthtimern, der Siiden von Venvaltungsgebiiuden eingenommen war. Von ali diesen Gebauden sind nur mehr die Grundfesten vorhanden, weil diese tief in den Boden hineinreichen und sehr solid ausgefuhrt worden sind. Die Zerstorungs- arbeit bat erst das Mittelalter und die neuere Zeit vollbraclit, welche die veriideten heidnischen Hallen zu Steinbriichen fiir die Kirchenbauten der Umgebung verwendeten und was iibrig blieb zum Schmucke der BegriibnispUitze auf viele Meilen im Umkreise verschleppten. 17 Wenn man von Renkoi ausreitet, gelangt man zum erstenmale zu einem solchen Friedhofe. Der ganze Boden ist iibersaet mit Saulen, Saulentrommeln, Architraven, Gesims- stiicken, Inschriftsteinen und anderen Baugliedern aus Marmor, deren Inschriften auf Ilium verweisen und jetzt die Stžitte bezeichnen, wo ein alter Osmanli eingescharrt worden ist. So sieht es besonders in den Friedhofen von Tschiblack, Halil-Eli und Kum-koi aus. Ein eigenartiger Wechsel des Geschickes, der aus diesen schonen, grasurmvucherten Bautriimmern zu uns spricht. Wenden wir uns wieder zu dem Burgltiigel zuriick und iiberschauen wir nocbmals an den Erdklotzen, die man vorsichtigerweise stehen gelassen, die Sehichtenreihen, an denen die Geschichte der Burg geschrieben ist. Freilich, nur ein Kenner wie Dorpfeld vermag in diesem Buche zu lesen, und nur unter seinem Geleite lin det man sich in dem aufgewiihlten Durcheinander von Mauern, Grundfesten und Graben und Steintrflmmern zurecht. Man wird formlich versueht, den scbnurrigen Einfall hingehen zu lassen, der zu dem Vorschlage fiihrte, den einer einmal machte, die einzelnen Schicbten durch Tžifelchen oder durch Striche in Markierungsfarben voneinander unterscheidbar zu machen. Fiir uns hat hauptsachlich doch nur die sechste Schicht Bedeutung, weil in ihr Dorpfeld, und ihm kann die ganze Gelehrtenwelt vertrauen, mit Recht die homerische Burg oder Pergamos erkennen will. Die Burg der zweiten Schicht, die urspriinglich von Schliemann fiir die des Priamos gehalten wurde, hat einen Flachenraum von 8000 □ m, die Burgmauer der sechsten Schicht jedoch umschlieGt einen Raum von 20.000 □ m, einen Raum also, der so groG ist wie der Congressplatz in unserer Stadt. Sie war in Staffeln aufgebaut, von denen der hochste, wie erwahnt, bei den romischen Anlagearbeiten abgetragen worden ist. So blieb uns also nur eine Zone von Gebauden iibrig, welche, ungefiihr 48 m breit, parallel liings der erhaltenen Mauer sich hinzieht. Merkwiirdigerweise ist man bisher bei der sorgsamsten Arbeit nur auf unbedeutende Reste von Metaliwaren gestofien; nun die Stadt ist jedenfalls so ausgeplundert worden, dass auch kein Goldfaden blieb, wenn nicht vielleicht einmal noch ein Zufall auf einen Schatz fiihrt, der auch so versteckt in der Mauer verwahrt worden, wie der bekannte Sehatz in der Mauer der zweiten Schicht. Man hat auch die Tumuli, die Grabhiigel, welche schon in vorhomerischer Zeit in der Ebene oder am Meeresufer sich erhoben, durchwuhlt — bekannt sind unter ihnen die Hiigel des Patroklos, Achilles, Ajas — ver- gebene Miihe! Man hat in der Nahe der Burgmauer ein paar alttrojische Graber der inykenischen Zeit gefunden, Urnen merkwiirdigerweise mit Leichenbrand. Hunderte von Grabern sind von Bauernhiinden aufgewiihlt worden; die Spuren weisen jedoch auf die helle- nistische Zeit. So fehlen uns fiir die Troas gerade die Mittel zur Beurtheilung ihrer heimischen Technik, die uns ein gluckliches Geschick in Mykenae in so reichem MaGe aufbewahrt hat. Nur einige Schmucksachen hat noch Schliemann in den oberen Schichten gefunden, welche das Kennzeichen mykenischer Technik an sich tragen. Reichlicher bedacht ist jedoch der Boden mit GefaGscherben, und die sorgfaltige Auslese der Mitarbeiter Dorpfelds, besonders Bruckners im Jahre 1893 und Winne- felds im Jahre 1894, haben iiber diese Art des Kunstgewerbes schbne Aufschliisse gegeben. In der sechsten Schicht lassen sich deutlich zwei Gruppen von GefaGen unter- sclieiden, namlich eingefiihrte Ware und einheimische. Zu den ersteren gehoren unverkennbar mykenische bemalte Thonwaren, kyprische, welche auch auf Thera neben der mykenisclien gefunden wird, endlich Alabastervasen und eine Schale aus dem sogenannten agyptischen Porzellan, auGen herum glasiert, innen mit tintenfarbigen Streifen und VVellenlinien geziert. 2 18 Bemerkenswert sind die einheimischen Topfemaren, die unter mykeniscliem Einflusse zu stehen scheinen. Noch wird der Glanz der GefaCe durch Politur erzielt, bekanntlicli eine alttrojiscke Technik: Schalen, Teller, Wasserkriige, Becher mit Henkeln finden sich in dieser Form. Eine letzte Schbpfung alttrojischer Technik sind die BuckelgefaGe, wo groGe Buckel als Ziertheil auftreten an Bechern, Schalen und Topfen. Diese Buckel diirften aus den alttrojischen Osenansatzen entstanden sein, die bei der Ansetzung des Henkels iiberfliissig geworden sind: der Henkel wird sogar zweitheilig. Die GefaCe sind mit der Hand gemacht, schwer aus grobem Thon erzeugt und oft ungleich gebrannt. Dazu kommen auf der Scheibe gedrehte, zierlicher und leichter gearbeitete und gleichmaGig gebrannte; das einzelne GefaG ist einfarbig, aber die Keramik gefšillt sich darin, die GefiiGe je in verschiedenen Farben zu erzeugen. Alle Farben von gelb, rosa, braun und grau sind vertreten. Sie machen ganz den Eindruck mykenischer Vasen ohne Bemalung. Mykenisierend sind auch die Becher auf hohem FuGe; Kannchen, Amphoren, Flaschen, Feldflaschen (Tsudren) erscheinen mit scharfen Profilierungen; dazu kommt eine einfarbige Gattung mit geometrischen Zierlinien, meist Wellenlinien und Zickzacklinien. Die Farbe ist vorherrschend fast grau. Hie und da wird iiber den Firnis noch mit dem Glattstein poliert. Dies kommt aber erst am Ende der mykenischen Periode auf, das mag um das Jahr 1000 gewesen sein. Besonders sind es die aolischen Colonisten, welche dann diese Form en weiter bilden. So zeigt sich also in der sechsten Schicht eine fortlaufende Entwick- lung der Thontechnilc und, wie das auch leicht verstiindlich, die einzelnen Entwicklungstypen bestchen nebeneinander fort. Dass zahlreiche Spinnwirteln aus Thon, ja einige auch aus Stein sich erhalten haben, sei zur Vervollstandigung des Hausrathes angefilhrt. Daneben ungeheure Thonfasser (Pithoi) als Vorrathsraume fiir Getreide, Weinund andere Lebensmittel. VVeitaus wichtiger sind uns aber die Bauanlagen. 1. ) Nadi Homer lag auf dem hochsten Punkte der Stadt der Tempel des Zeus; die romischen Anlagen haben jede Špur beseitigt; allein es lag auch ein Tempel der Athene in der Burg, und Dorpfeld glaubt, in dem Gebaude, unweit dessen sich spater der griechisch- riimische Athene-Tempel erhob, diesen Tempel zu sehen. Ein staffelformiger Aufriss ist aber, wie wir ersehen konnten, nur in der sechsten Schicht bemerkbar. 2. ) In Tiryns sind die Gebaude aus unbehauenen Steinen, in Mykenae aus theil- vveise behauenen, in der sechsten Schicht aber die meisten Gebaude aus geplatteten Gau- steinen hergestellt, l-eoroio li&oiv, wie Homer es bezeichnet. 3. ) Homer kennt auGer den zwei Tempeln auch noch Gebaude, Wohnhauser in der Burg; auch das bestatigen die Ausgrabungen. 4. ) Homer gliedert das Haus des Alexander (Pariš) in drei Theile: Thalamos, Doma, Aule; die gleiche Dreitheilung offenbaren die Grundrisse einiger Hauptgebiiude der sechsten Schicht. Die aufgehenden Mauern sind, im Gegensatze zu denen der zweiten Schicht, dureh- wegs aus Stein gebaut gewesen, wahrend die Hauser der zweiten Stadt Lehmmauern besitzen, die auf einem Steinsocliel auflagen. Daber hat sich von der sechsten Schicht nicht viel vom aufgehenden Gestein erhalten, weil die zugeliauenen Steine ein bequemes Baumateriale hoten; das wissen auch heute noch die tscherkessischen Bauern zu schatzen, welche die tiirkische Regierung nach dem russischen Feldzuge als GeiGel der Gegend hier angesiedelt hat. Die Džicher waren wie in der zweiten Schicht wahrscheinlich Erd- oder Schilfdacher, und nicht anders waren die Gebaude in Mykenae und Tiryns gedeckt. Die Stile sind in Troja griiGer angelegt. Der grbOte Saal hat in Tiryns 116Q m und in Mykenae 149. In Troja gibt es drei, einen mit 105, 129 und 175[j]m. Die J Sterne sind geglattet, aber nicht ohne den Schmuck von Parastaden (Verkleidungen) und Holzsaulen. Orientiert sind die Gebaude in Troja nach der Burgmauer. Bemerkenswert ist der wichtigste Unterschied zwischen den beiden argivischen Stadten und der trojischen Burg hinsichtlich der Gotterverehrung. In Argos kennt man nur den Altar im Megaron als die Statte, wo man die Gotter ehrte; in Troja weiC Homer zwei Tempel anzufiihren. Der eine, wie der ahnliche alte Tempel in Neandria, ist nach Nordwest gerichtet, wahrend die meisten spateren Tempel nach Osten gerichtet sind. Nach dem Grundrisse zu urtheilen, hatte der Athene-Tempel, als welchen Dorpfeld das Haus N. C. (im Plane) vermuthet, einen eigenthiimlichen Aufbau; es trugen namlich drei in der Langsachse stehende Saulen das ganze Dach. Wenn wir die Abbildung des Tempelchens betrachten, das in Gold getrieben in Mykenae gefunden worden ist, so sieht man ebenfalls drei Saulen, welche je durch die drei Offnungen sichtbar werden; noch hat das Bildchen nicht seine vollstandige Erklarung gefunden, und nur eine Mtinze von Paphos aus der Kaiserzeit, die ein ganz ahnliches Gebilde als das Heiligthum der kvprischen Aphrodite bezeichnet, gestattet auch uns hier, das unbeholfene Abbild eines Tempelchens zu erkennen. Danach ware der Aufriss basilikenartig gewesen. AufFallend sind jedenfalls die dachtragenden Saulen, die bei der geringen Spannung ilberfliissig erscheinen. Bei diesem Anlasse erinnere man sich an den Philistertempel, wie er im Buche der Richter XVI. 26 sich darstellt. Simson liisst sich zwischen die Saulen stellen, die das Dach tragen, auf welchem ebenfalls zahlreiches Volk, namentlich AVeiber und Kinder versammelt dem Gottesdienste bei- wohnen; bekannt ist, was dann weiter die biblische Geschichte berichtet, wie er die Saulen umfasst, dass die Dečke einstiirzt und tausende von Philistern mit Simson unter ihrem Schutte erdriickt. Vielleicht haben wir uns auch hier eine ahnliche Plattform zu denken, auf welcher die trojischen Frauen des Hektor Platz fanden. Wie schon erwahnt, liegen die Gebaude in einem Streifen von 40 m Breite auf dem ersten Staffel, die sich an die Burgmauer schliefit. Homer weiC von vielen Gemachern fiir die zahlreiche Schwiegerschaft zu erzahlen. Platz genug ware dafiir vorhanden gewesen. Man hat bis jetzt 16 Gebaude blofigelegt. Zwischen den Wohngebiiuden und der Mauer entdeckte man nun auch, an zwei Stellen der Burgmauer angebaut, Vorraths- kammern, im ganzen bis jetzt 12, worin die groben Thonfasser mit ihren Speisevorrathen heute noch aufgespeichert sind. Einige Hauser zeigcn auch noch den Aufbau cjklopischer Art aus roh behauenen Steinen mit Lehmmortel, die meisten aber sorgfaltige Bearbeitung, wie die Kuppelgraber von Mjkenae. Am meisten Bewunderung erweckt die Burgmauer, welche nun, soweit sie erhalten, im Voijahre unter Zuhilfenahme der Mittel, welche der deutsche Kaiser aus dem Dis- positionsfonde bewilligte, blobgelegt \vorden ist. Das erhaltene Sttick hat eine Ausdehnung von 300 Metern. Der dem Ringe fehlende Theil betriigt 200 m, das ist das Stu<-k, welches . Tempelchen aus Goldblech (III. Grab in Mykenae) - 20 Arch;iianax zum Baue von Sigeion verwendet liaben muss, die aber naeh der Vermuthung des Prof. Heinrich in Graz kaum allein ausgereicht haben diirfte; es sei also zu vermuthen, dass Archaianax jedenfalls die Hauser der Unterstadt, und als diese nicht ausreichten, audi die der freistehenden Burgmauer verwendet habe. Der Aufriss zeugt von feiner Berechnung. Auf einer sanft geboschten, gut geglatteten Mauer erhebt sicb erst ein steiler Aufbau; noeh besser gegliedert ist der Aufban der Thiirme, der nach Dorpfelds Bemerkung an die Construetion des Eiffelthurmes gemahnt; auf einem stark geboschten Unterbau erhebt sieh ein sanft geboschter Mittel- bau und auf diesem die steile lothrechte Brustwehr. Durcbwegs haben die Mauern eine Starke von 4'60 bis 5 m. Die Schlichtung der Steine ist so beschaffen, dass im Gegen- satze zu den anderen Baulichkeiten dieselben die ganze Mauerdicke hindurch regelmafiig geschlichtet erscheinen. Der Grundriss zeigt ein Vieleck von goraden Linien, die in Winkeln von 180° aneinanderstoflen. Die Lange jeder Seite betragt ungefahr 9 bis 10 m. Die Ecken sind aber nicht als einfache \Vinkel gebildet, sondern zeigen einen sorgfiiltig angearbeiteten Vorsprung von 10 bis 15 cm, ja bis 30 cm. Sie scheinen aber weniger der Festigkeit als der Zier wegen gemacht worden zu sein. Dass diese Mauern nicht in einem Zuge gebaut worden sind, erkennt man auch an der Verschiedenheit der Bauvveisen. Im Westen sind die schwachsten Steine oft nur x / a m lang, im Osten ist die 5 m starke Mauer aus Steinen bis 1 m und im Siiden aus solchen mit 1‘50 m Lange gebaut. Ebenso gut sind die in der Osthalfte aufgedeckten drei Thiirme gemauert; sie sind jiinger und, wie man sieht, erst spater an die Mauer angefiigt; der Mauerzug in Tiryns ist freilich langer, aber nicht so sorgsam gearbeitet. Ubrigens ist auch der Baustein in Troja ein angenehm zu bearbeitender, poroser Kalkstein, was von dem graublauen Kalke der tirvntischen und mykenisehen Mauern sich nicht sagen lasst. Dass 21 gerade dieser Theil der Mauer erhalten ist, obwohl doch die trojanische Sage die ganze Stadt zerstort werden lasst, erklart sich daraus, dass wahrscheinlich schon in homerischer, d. h. anolischer Zeit die Ringmauer 1 bis 2 m hoch verscbiittet war. Zur Zeit der siebenten und achten Scbicht verwarf man den Schutt im Osten und Siiden auf die Holie von 3 m; wo die Mauer noch sichtbar war, wurde sie umgebaut oder ausgebessert. Die Umgestaltungen in hellenistiscker und in romischer Zeit begruben sie vollstiindig unter dem Schutte. So ist ein Theil der Burgmauer erhalten, trotz der Zer- storungsberichte, die ja in Dichtung und Geschichte meist (ibertrieben sind. Nun kann man Dank den rastlosen Bemiihungen der kais. deutschen archaologischen Schule in Athen und ihres Meisters Dorpfeld heute einen vollstandigen Uberblick iiber Nordecke des grofien Thurmes (links rSmisches Quaderfundament). den Mauerzug gewinnen. Man hat drei Thore und ein Pfortchen aufgedeckt und diesen Thoren entsprechend drei Thiirme. Bei Homer werden auch zwei Thore erwahrit, das dar- danische und das skaische, wenn es etwa nicht zwei Namen fur dasselbe Thor sind. Das erste Thor im NO. der Mauer ist nach einer feinen Beobachtung des Prof. Heinrich (Graz) that- sachlich das skaische, oder besser gesagt, ein skaisches, ein Linksthor, d. h. ein solches, welches den Angreifer nothigt, sich beim Eindringen links zu wenden und die schildlose Seite dem Belagerer darzubieten. Am einfachsten geschieht dies, indetn man — wie in His- sarlik — einen Mauerzug spornartig iiber den anderen Mauerzug vorzieht, so dass der Angreifer genotliigt ist, durch eine Art Hohhveg zum Thore zu dringen, wo er neuerdings eine Wendung zu machen hat, die ihn unter das Wurfgeschoss des Belagerers bringt. So finden wir es hier in Troja, in Mvkenae, wo das Lowenthor in spaterer Zeit in ein skaisches Thor umgebaut wurde, in Tiryns und bei der neu aufgedeekten Stadt Arne am Kopaissee, wo das Siidthor ebenfalls skaisch angelegt gcwesen ist. 22 Ein zweites Thor, wahrscheinlich das Hauptthor oder Marktthor, offnet sich nach Siidosten, wo der Burghiigel an das Tafelland grenzt. Ein gepflasterter Thorweg fiihrt durch dasselbe, imd ein maehtiger vorspringender Thurm beli ti tet den Zugang. Ein drittes Thor, vielleieht Ausfallsthor, ist, wie es scheint, bald zugemauert worden (wie denn auch Homer nur zwei Thore kennt). Troja, Mauersttick der YI. Burg'. Links in der Ecke ist die Mauer mit einer schlechteren der VII. Schiclit verkleidet. Rechts Quaderfundamente der romischen Osthalle des Athena-Heiligthums (s. S. 17.) Dazwischen die spater (in der Zeit der VII. Schicht) vermauerte Pforte zum Nordost- thurm. Im Hinterg-runde das Simoisthal. 23 Drei Thtirme von stattlichen Ausmafien ragen liber die Mauerkrone hervor, der erste und seiner Lage nach der wichtigste an der Nordostecke. Bei einer Breite von 18 m springt er 8 m weit vor und hatte eine Hohe von 13'15 m, von welcher noeh 9 m aufragen. Er barg in seinem Innern auch den Hauptbrunnen, der mit einer lichten Weite von 4-50 m 18 m tief in den Fels getrieben ist. In Friedenszeiten ermoglichte auch ein kleines Pfiirtchen den Bewohnern der Unterstadt den Zugang zu dieser Quelle. Das mag aucli der Thurm gevvesen sein iiber dem skaisehen Thor, wo der homerische Dichter sich die alten Trojer um ihren Konig versammelt denkt und von wo aus sie sich die Stellung der Gegner im Blachgefilde betrachten. Unweit davon springt siidostlich der zweite Thurm 9 m bei einer Breite von nahezu 11 m vor, von dem aus man den Tborgang zum skaisehen Thore mit Geschossen bestreichen konnte. Er springt 4 m weit vor und ist bedeutend steiler geboscht als die Mauern; das Thurmgemacli springt uberdies auch einwarts iiber die Mauer in die Burg liinein vor. Bemerkensvvert sind aufler den zwei Prellsteinen dieses Thores auch noch zwei hohe, freistehende, viereckige Steinpfeiler, welche an ahnliche Cultmale in Agypten gemahnen. Der dritte Thurm endlich schtitzt das zweite Thor; auch dieser enthiilt ein Thunngemach. Das dritte Thor, das Siidwestthor, war nur durch ein Stilck vorgezogenen Mauerzuges beschiitzt gewesen. Ob sonst noch Thore und Thtirme vorhanden waren, liisst sich nicht sicher be- haupten und nach den Anlagen der tibrigen Sttidte gleicher Zeit auch schwerlich annehmen; ebenso wiirde auch die Lage des einstigen nordlichen Mauerzuges einer solchen Annahme entgegen sein. Fiir den Wasserbezug der Belagerten war gentigend gesorgt, da nicht nur der Haupttlmrm einen guten Brunnen barg, sondern auch auOerhalb des Thurmes ein kleiner Brunnen in den Fels gebolirt wurde. AuCerdem sind noch zwei Brunnen auf der Burg- hohe gefunden worden, von denen der eine 16 m tief hinabgeht, bei dessen Ausraumung eine Menge Fundsttieke aus hellenistiscber und romischer Zeit zutage kamen. Aber aucli in dem Gebiete der sogenannten Unterstadt fliefit eine eigenthiimliche Quelle, etwa 300 Schritte von der Burgmauer entfernt und tiberschattet von einem machtigen Feigenbaum, wie das Homer beschreibt (II. XXII. 145 u. f.). Die Quelle kommt aus einem 18 m tief in den Fels gegrabenen Gang, der sich an seinem Ende in drei Aste theilt, welche weitere 10 m tief hineingetrieben sind und aus denen Wasser quillt, das durch cyklopische Steinrinnen ans Tageslieht tritt. Die Eigenschaften, welehe aber Homer diesen «Skamanderquellen» zuschreibt, besitzen diese Gerinne nicht, und es scheint nur, dass der homerische Dichter die Eigenschaften der wahren Skamandei’quellen, von denen die eine warmer, die andere kšilter flieKt, die aber weit vom Trojergefilde entfernt am Idaberge liegen, auf diesen Stadtquell iibertragen hat. So stimmt auch das landschaftliche Bild der homerischen Beschreibung, wie wir schon frtiher gesehen, mit der Wirklichkeit tiberein, und den Htigel Kalliltolone, auf welchem Hektor halt, erkennt man in einer sonst nicht besonders merkbaren Boden- anschwellung, auf die erst ein Zufall Schliemann aufmerksam gemacht hat. Von einer Unterstadt haben sich eigentlicli keine Spuren erhalten, wie z. B. in Mykenae und Troja. Das wechselvolle Geschick der Skamander-Ebene hat jedenfalls die Uberreste bald da, bald dorthin vertragen. Dass es eine solche gegeben, die nicht mit einem besonderen Mauerzug, sondern vielleicht nur fluchtig befestigt war, geht aus man- cherlei AuSerungen der homerischen Sanger hervor. Ganz besonders scheint im Falleder Bedrangnis die Burg zurAufnahme der fliichtigen Bewohner der Ebene gedient zn haben. Darauf deutet nach Prof. Heinrichs seharfsinniger 24 Bemerkung* die Antwort Hektors (II. XVIII. 287) auf den Rath des Polydamas, sich wieder kinter den Mauern zu vertheidigen: «Habt ihr denn noch nicht satt das Gedriinge zwischen den Mauern!» N ur eine einzige Stadt des griechiscken Altertkums ist bisher entdeckt, \vo Burg und Stadt von einer gemeinsamen Mauer umschlossen waren, d. i. Gulas oder Gla am Kopaissee, in welchem Herr Noack vora deutschen archaologiseben Institut in Atlien die alte Stadt Arne entdeckt bat, deren Mauern einen Flachenraum von 240.000 Q m (also einen 12mal so grofien Raum als das Troja der VI. Stadtschichte) einschlieCen. Endlich ist auch die Lage zu betracliten. Troja-Hissarlik liegt ahnlich wie Tiryns, Mykenae und Argos nahe am Meere, zwar nicht unmittelbar daran, hat aber unstreitig eine viel bedeutendere Stellung eingenommen, da es, 5 km von der Westkuste, 6 km vom Hellespont enfernt, von seiner Hoke aus schon die Beobachtung der Schiffe gestattet und zum Beherrscher der Eingange ins schwarze Meer und in das Scythenland geworden sein muss. Diese Lage stimmt iibrigens mit den homerischen Schilderungen, soweit sie auf die Bewegungen der Schlachtlinien, auf die Botsckaften, auf die Ausfahrt des Priamos Bezug kaben, vollstandig iiberein. Nur muss der Skamander damals naher der Stadt, in dem heute Tepeh-Asmak genannten todten Arm des Skamander, gesucht werden, denn das neuere Bett, das sich der Skamander entsprechend seiner bei Homer gezeichneten Natur gegraben, zieht heute fast eine halbe Stunde von Hissarlik entfernt liin; heute wie damals ein lebendiger, auch im Sommer nicht ganz versiegender Fluss, der auf Furten durchschritten werden kann. Selbst die Blumen und die Thiervvelt Trojas stimmen mit der homerischen Dar- stellung iiberein. So diirfte man wohl glauben, dass die Streitfrage endgiltig gelost und die Meinung Lechevaliers, die seit 100 Jahren die Gelehrten beschaftigte, es sei die Trojaburg auf dem 150 m hohen Balidagh beirti Dorfe Bunarbaschi zu suchen, ebenso endgiltig aufzugeben sei. Die Reste j iingeren und žilteren Mauerwerkes, die wir dort nach halbstiindiger Kletter- arbeit besichtigen konnten, diirften einer jener Burgen angehoren, an denen ja das Gebiet schon nach den Schilderungen Homers nicht arm gewesen sein kann. So haben wir denn die Gebiete durchwanderl, denen durch die unsterblichen home¬ rischen Gesšinge eine besondere Weihe verliehen ist. Wenn wir die Beziehungen uns vergegenwartigen zwischen dem, was uns an Uber- bleibseln einer uralten Vergangenheit in der argivischen wie in der troischen Landschaft zu Gesichte gekoinmen ist und zwischen den homerischen Liedern, dannmiissenwir unsbekennen, dass sich neben vielen Ubereinstimmungen doch bei Homer so manche Ziige finden, welehe nicht vollstandig zu dem alterthumlichen Bilde passen; sie sind eben homerisch modern. Und wie bei unserem deutschen Heldengedichte des Mittelalters den Recken der Volkerwan- derung das hie und da schlecht sitzende Kleid des aufbliihenden Ritterthums aus dem XII. Jahrhunderte angezogen wird, so hat auch Homer die iiberlieferten Lieder, welche ins XII. Jahrhundert v. Chr. zuriickreichen mochten, mit Zilgen verschmolzen, welche seiner eigenen Zeit angehOrten. Wie unseren nationalen Heldengedichten endlich die geschichtlichen Wanderungen der vom Osten nach dem Westen gedrangten Siidgermanen- stiinime einerseits und die seerauberiscken Heimsuchungen der Nordseekiiste durch nor- dische Germanenstiimme anderseits zugrunde liegen, mit denen sich dann Vorstellungen und Anschauungen der darauf folgenden acht Jahrhunderte zu einem bunten Teppich ver- * Sielie S. 43 des Jahresberichtes des k. k. Staatsgymnasiums iu Graz fUr das Jahr 1895, aus vvelchem uns auch die Abbildungen vom Trojagebiete freundlichst iiberlassen wurden. 25 webt haben (von den Hunnenkriegen bis zu den Kreuzziigen), so dtirften auch den homerischen Liedersagen wie den argolischen und dardanischen Landersagen Thatsachen zugrunde liegen, welcbe vielleicht in jene Zeit zuriickzudatieren sind, wo die Agypter sich iiber seerauberische Einfalle beklagen, vielleicht in jene Zeit, wo Kreta seine beherrschende Rolle spielte and ein Kriegszug gegen das den Verkehr mit dem Scythenlande eigensiicbtig hemmende Troja-Ilium (die Sebiitze bergende «živci te» Stadt) alle Volkerschaften der Westkiiste des agaisclien Meeres unter Mykenaes Ftihrung vereinigte. Die giinstige Lage brachte die zerstorte Stadt bald zu neuer Bliite, aber die Abdrangung der pelasgischen Herrscher durch die eisenbewelirten Dorer, die Ubersiedlung jener an die Ktisten von Aeolis erweckten die Erinnerung an den grofien Krieg, sowie im Mittel- alter die Ungar n einfalle die Erinnerung an die Hunnenkriege und damit an die ganze germanische Volkervvanderung neu belebt haben; so hielten dann die Sanger das Bild der sechsten Stadt mit ihren Mauern und Hausern fest, und als im VIII. Jahr- hunderte die Colonisationsbewegung der Griechen ihren Anfang nahm und das geschaftige Volk bis an die Ufer des schwarzen Meeres vordrang, da wirkten diese Bewegungen geradeso, wie die Kreuzziige im Mittelalter auf die Ausbildung der alten Stammessagen zum nationalen Heldengedichte mitgevvirkt haben. Wollte man die Analogie auch auf die Zeitraume ausdenen, dann miissten, entsprechend den germanischen Heldengedichten, welche zwischen 400 und 1200 nach Christus ihre allmahliche Ausgestaltung erfuhren, vor der letzten Entwicklung des home¬ rischen Heldengedichtes ebenfalls fast acht Jahrhunderte liegen; damit kame man auf die Zeit 1600 v. Ch. als diejenige, wo die reiche Stadt Uion unter Flammen zugrunde gieng (zweite Stadt). Eine Zeitangabe, zu der wir auch schon auf einem anderen Wege gelangt sind. Doch damit ist noch immer nicht die Frage beantvrortet, welche Volkerschaften das Becken des agaisclien Meeres mit ihrer eigenartigen mykenisch-kretischen Cultur belebt haben? Waren es semitische, waren es arische Stamme, oder haben wir in ihnen Misch- viilker zu erblicken, welche das Schicksal aller Mischvolker hatten: nach schneller, fried- licher Bliite — raschen, tiefen Verfall. Wir diirften der Wahrheit am nachsten kommen, wenn wir auch in den Mykenaern ebenso Verwandte zu den Hellenen suchen, wie wir Deutsche sie in den Ostgermancn haben. Sowie letztere, die gothischen Stamme, romisch-griechische Culturelemente eigen- artig verarbeiteten, so thaten es die Mykenaer mit den šigyptischen, und sowie die Deutschen als Westgermanen in ihrer Cultur keineswegs unmittelbar an die gothische ankniipften, so haben auch die Hellenen nach der vollzogenen dorischen Wanderung ihre eigenartige Cultur auf neuer Grundlage entwickelt. Haben wir also in den Mykenaern reine Verwandte der Griechen, so muss dagegen die Bevolkerung der Troas als ein Mischvolk arischer und semitischer Elemente betrachtet werden, das aber trotzdem den allgemeinen Bildungscharakter der sogenannten mykenischen Cultur mit den ubrigen Bewohnern des agaischen Beckens theilte. Wie man sieht, bewegen wir uns dabei vollstandig auf dem Gebiete von Annahmen und Vermuthungen, denen nur durch den Vergleich der Funde mit den Uberlieferungen der Stammessagen und der homerischen Lieder einigermaCen Halt gegeben werden kann. Noch schwieriger steht es mit der Frage nach dem Woher dieser Volker und nach den Quellen ihrer Bildung und Lebensfiihrung. Auch hiefur verweisen uns die Funde immer sichtlicher nach dem Norden; die Ansiedler sind allmiihlich aus dem nordlichen, beziehungsweise mittleren Europa nach dem Siiden gezogen, haben dahin ihre Stein- und Bronzecultur mitgebracht und sind 26 auf ihren Ziigen mit der agyptischen Cultur bekanntgeworden, welche sie mit ihren Reichtliiimern befruchtete. Ganz bestimmt verweist die Sage auf eine Zuwanderung aus dem Norden, aus Thrakien hiniiber nach Kleinasien. Waren es Nordleute, welcbe vielleicht den Namen der Trojaburg mitbracliten und der eigenartig gebauten Stadt gaben? Sie heiBt ja aucli bei Homer die heilige Stadt. Seltsam genug! Recht merkwiirdig ist auch ein Fundgegenstand, der sich bald ganz, bald in Bruchstticken liber den ganzen Triimmer- berg v on Hissarlik zerstreut findet. Besonders zahlreich fand man deren ostlich vom Atbena-Heiligtbum der romischen Neugriindung als Špur eines kier bestandenen Heroons. Niemand vermochte bisher diese Weihebilder zu deuten. Es sind Thon tafelchen, auf denen — wabrscbeinlich Fabriksware — • in erhabener Arbeit ein ansprengender Reiter dargestellt ist; er hiilt vor einer zwischen zwei Siiulen stebenden Jungfrau in ehrerbietiger Haltung. Hi e und da findet man die beiden Gestalten auch getrennt auf Tafelchen abgebildet. Briickner, einer von Dorpelds Mitarbeitern, beriehtet darilber, dass diese Tafelchen etwa dem IV. Jahrhunderte v. Chr. angehoren konnen; aber er findet nichts, was uns zur Benennung dieses Heros und dieser Gottin verhulfe. Ob wir nicht in dieser Darstellung die Befreiung der Sonnenjungfrau durch den Friihlingsgott zu suchen haben? Der Cult des Friihlingsgottes mag sich in dieser Gestalt auf der auch in ihrem Grundrisse der altesten Form getreu gebliebenen Trojaburg nach alter Uberlieferung noch erhalten haben, nachdem er vielleicht in seiner Bedeutung den aolischen Ansiedlern schon nicht mehr ganz verstandlich war. Doch ist das nur ein Gedanke, der noch reiflicher Erwagungen bedarf, um wissen- schaftlich gerechtfertigt werden zu konnen. So ergibt sich denn, was ich von Anfang an vorausgeschickt, dass, je reichlicher die Funde dem Schofie der Erde entsteigen, desto rathselhafter die Erscheinungen werden, und dass wir, statt alle Fragen endgiltig beantwortet zu wissen, nur vor neue schwie- rigere Fragen uns gestellt sehen. Wie immer diese Fragen beantwortet werden mogen, die Thatsache bleibt unbe- stritten, dass ein Theil der europaischen Menschheit schon mehr als elf Jahrhunderte vor unserer christlichen Zeitrechnung eine derart verfeinerte Lebensfiihrung besessen haben musste, dass man auch auf eine entsprechend feine Gesittung schlieOen darf, welche vielleicht diejenige iibertraf, mit welcher die dorischen Hellenen in die Weltgeschichte ein traten. An diesen Statten haftet also nicht blofi der Zauber der dichterisch verkliirenden Sage, sondern auch der ehrvriirdigen Weihe des Waltens und Werbens vergangener Menschengeschlechter. Der Mensch nuchterner Ervragungen mag vielleicht miikelnd den unnothigen Auf- wand an Zeit und Geld, die man zu «etwas Besserem* hiitte verwenden konnen, berechnen. So spricht das Banausenthum der Gewohnlichkeit. Wer sich aber als jiingstes Glied an das Ende der grofien Ahnenreihe des «Edelgeschlechtes Mensch » gestellt fiihlt, der sieht in den Schichten menschlicher Schbpfungen uralter Zeit die Blatter des Ahnenbuches seines eigenen menschlichen Adels. Das verklarte die Forscherthatigkeit eines Schliemann und adelt die emsige Arbeit eines Dorpfeld und seiner Genossen. Wer Zeuge ihrer Arbeit gewesen, vermag dies um so hoher anzuschlagen. Wohl ist die Landschaft von freundlicher Anmuth, besonders wenn ein schoner Sommertag sie ins rechte Licht taucht, wohl sendet das Meer selbst in heifier Jahreszeit Kuhlung spen- dende Luft auf den Htigel von Hissarlik, aber in den Graben und gar an den sumpfigen TJfern des Simois lauert das Fieber, und nur eine genau geregelte Lebensfuhrung und fester Wille vermag der Gefalir zu trotzen. Wie entziickend ist gar der Ausblick von der Hohe der kleinen Barackenstadt « Schliemannopolis*, von wo aus man zwei Meere beherrscht, wenn ein heiterer Sommer- abend den westlieken Himmel mit den prachtigen Versetzstilcken, der Insel Tenedos und der zackigen Samothrake in den warmsten Purpurfarben sckmuckt; allein wie schlimm, wenn vom Ida berab der Wolkensammler Zeus Regen und Scbauer schickt. Und dock musste bei der knapp bemessenen giinstigen Arbeitszeit — Mai, Juni, Juli — jeder Tag aus- geniitzt werden. An hundert Arbeiter galt es zu beaufsichtigen, zu leiten und geeignet zuver- wenden. Wohl waren es geschulte Leute, von denen viele noch «Schliemann» kannten, aber jeder Tag stellte neue Aufgaben. Wie in einem Bergwerke, so kreuzten sich die kleinen Schienenwege, auf denen geschickt eingerichtete «Hunde» den Schutt an die Rampe fiihrten, wo er sich zu machtigen, grauen Kegeln aufliaufte, die nun der Reisende schon auf hoher See vom Dampfer aus von weitem schauen kann. Dazu kommen fiir die Forscher die Sorgen um die Bergung des Gefundenen, sorgfaltige Aufspeicherung des Gewonnenen. Jeder Mauerzug musste genau vermessen und aufgenommen werden, jedes Fund- stiick, und ware es die kleinste GefaGseherbe, ward nach Fundstelle und Zeit mit einem Vermerk versehen und in dem unter einem tvirkischen Staatsbeamten stehenden Museum (eine groCere Holzbaracke) fiir die tiirkische Regierung aufgehoben; endlich hieB es die archaologisch wichtigsten Stiicke zu zeichnen und sorgfaltig zu beschreiben. Das alles bewaltigte Dorpfeld mit einem kleinen Štabe von vier jilngeren Hilfskraften, Archaologen und Ingenieuren. Und nun erst die peinlichste der Aufgaben, die nicht zu reichlich zur Verfiigung stehenden Mittel weise und sparsam zu vervrenden, Arbeiter und Werkzeuge zu beschaffen, Kiiche und Keller mit Vorrath zu versorgen, soweit es nur die dringendsten Bedurfnisse europaischer Lebensgewohnheit verlangten. Das kostet bei aller Einschran- kung immer einen ziemlichen Aufwand von Geld. Hatte ja doch im letzten Jahre nur mehr die hochherzige Spende des deutsclien Kaisers die vollstandige BloClegung des Mauerringes der sechsten Stadt (Troja) und damit die endgiltige Losung der Trojafrage moglich gemacht. Und bei ali dieser vielseitigen Thiitigkeit fand Dorpfeld oft noch Zeit, wissbegierige Gaste in dem aufgewiihlten Hiigel, in dem verwirrenden Durcheinander von Mauerzugen herumzuweisen und ohne eine Špur der Ermiidung zu erklaren, zu lehren, zu unterrichten. So verwebt sich auch bei mir die Erinnerung an die Stunden, die ich dort ver- weilt, mit dem Geftihle des Dankes an den Meister, der uns auf der geheimnisvollen Statte Fiihrer und Lekrer ward, ein wiirdiger Erbe und Mehrer der Schatze, die zuerst Schliemanns Hande gehoben und entdeckt hatten und von dem man nun scheidet mit dem "VVunsche, dass es ihm gelinge, die Ritthselfragen zu losen, welche mit jedem neuen Funde sich erst recht aufdrangen. . . __ COBISS /£042*00 NARODNA IN UNIUERZITFTNfi KNJIŽNICA m 00000439576